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German Pages 384 [396] Year 1973
GESELLSCHAFTSRECHT UND UNTERNEHMENSRECHT
GESELLSCHAFTSRECHT UND UNTERNEHMENSRECHT
Festschrift für WOLFGANG SCHILLING zum 65. Geburtstag am 5. Juni 1973
Herausgegeben von
Robert Fischer und
Wolfgang Hefermehl
w DE
G
1973
Walter de Gruyter · Berlin · New York
ISBN 3 11 004263 0
© Copyright 1973 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Gösdien'sdie Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbudihandlung, Georg Reimer, Karl J . Trübner, Veit & Comp., 1 Berlin 30. Alle Redite, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Obersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durdi Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany Satz und Drudk: Saladrudc, 1 Berlin 36
Inhaltsverzeichnis Grußwort
VII
I. Recht der Personengesellschaft ROBERT FISCHER, D r .
Karlsruhe:
iur.,
Präsident
des
Bundesgerichtshofes,
Der Mißbraudi der Vertretungsmadit, audi unter Berücksichtigung der Handelsgesellschaften
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WERNER FLUME, Dr. iur., ordentlicher Professor an der Universität Bonn: Die Nachfolge in die Mitgliedschaft in einer Personengesellsdiaft beim Tode eines Gesellsdiafters
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GEORG KUHN, D r . iur., Senatspräsident a. D . , Karlsruhe:
Konkursrechtliche Probleme bei der GmbH & Co. KG PETER ULMER, Dr. iur., ordentlidier Professor an der Universität Hamburg: Die Sonderzuordnung des vererbten OHG-Anteils. — Zum Einfluß von Testamentsvollstreckung, Nadilaßverwaltung und Nadilaßkonkurs auf die Gesellsdiaftsbeteiligung
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HERBERT WIEDEMANN, D r . iur., ordentlidier Professor an der U n i -
versität Köln: Verbandssouveränität und Außeneinfluß. Gedanken zur Erriditung eines Beirats in einer Personengesellsdiaft 105 II. Recht der Kapitalgesellschaft CARL HANS BARZ, D r . iur.,Reditsanwalt und N o t a r , Frankfurt/M.:
Abänderung festgestellter Jahresabschlüsse einer Aktiengesellschaft 127 ERNST GESSLER, D r . iur., Ministerialdirektor a. D . , Honorarprofes-
sor an der Universität Bonn: Die Behandlung eigener Aktien bei der Versdimelzung
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WOLFGANG HCFERMEHL, D r . iur., ordentlicher Professor an der
Universität Heidelberg, Honorarprofessor an den Universitäten Mannheim und Salzburg: Zur Haftung der Vorstandsmitglieder bei Ausführung von Hauptversammlungsabsdilüssen 159 HANS HENGELER, D r . iur. h. c., Reditsanwalt, Düsseldorf:
Zum Beratungsgeheimnis im Aufsiditsrat einer Aktiengesellschaft 175
Inhaltsverzeichnis
Dr. iur., ordentlicher Professor an der Universität Bochum: Gestheiterte Kapitalerhöhungen JOACHIM MEYER-LANDRUT, Dr. iur., Rechtsanwalt, Düsseldorf: Der „Mißbrauch" aktienrechtlicher Minderheits- oder Individualrechte, insbesondere des Auskunftsrechts PHILIPP M Ö H R I N G , Dr. iur., Dr. rer. pol. h. c., Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe, Honorarprofessor an den Universitäten Heidelberg, Köln und Salzburg: Zur Systematik der §§ 311, 317 AktG H A R R Y WESTERMANN, Dr. iur., ordentlicher Professor an der Universität Münster: Die Folgen von Verschmelzung und Umwandlung nach § 15 Umwandlungsgesetz von Aktiengesellschaften für Beherrschungsverträge MARCUS LUTTER,
III.
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253
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Unternehmensrecht
Dr. iur., ordentlicher Professor an der Universität Bonn: Das Unternehmen als Gegenstand eines Bereicherungsanspruchs K O N R A D D U D E N , Dr. iur., ordentlidier Professor an der Universität Mannheim, Honorarprofessor an der Universität Heidelberg: Zur Methode der Entwicklung des Gesellschaftsrechts zum „Unternehmensrecht" O T T O KUNZE, Professor Dr. iur., Rechtsanwalt,Düsseldorf: Bemerkungen zum Verhältnis von Arbeits- und Unternehmensrecht FRITZ R I T T N E R , Dr. iur., ordentlicher Professor an der Universität Freiburg i. Br.: Unternehmensverfassung und Eigentum K U R T BALLERSTEDT,
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Grußwort
Lieber, herzlich verehrter Wolfgang Schilling! Hier naht sich Ihnen zur Feier Ihres fünfundsechszigsten Geburtstages eine Schar Ihrer Freunde und Verehrer mit einem bunten Strauß von Beiträgen aus dem Gesellschafts- und Unternehmensrecht, dem Sie vornehmlich Ihr Interesse und Ihre Arbeitskraft gewidmet und das Sie durch die Fülle Ihrer Gedanken bereichert haben. Die Verschiedenheit der Aufsätze möge Ihnen ein Zeichen der großen Mannigfaltigkeit der von Ihnen ausgegangenen Anregungen sein, für die wir Ihnen dankbar sind. Mit Ihnen zusammen zu arbeiten, ist uns stets eine besondere Freude. Wir, die wir uns zu diesem Buch vereinen, reichen es Ihnen mit dem Wunsche, daß uns die Jugendfrische Ihres Herzens und Schaffens noch lange erhalten bleiben möge! Heidelberg, den 5. Juni 1973
Die Verfasser
I. RECHT DER PERSONENGESELLSCHAFT
Der Mißbrauch der Vertretungsmacht, auch unter Berücksichtigung der Handelsgesellschaften ROBERT FISCHER
Seit 70 Jahren bemühen sich Rechtsprechung und Rechtslehre um das Problem des Mißbrauchs der Vertretungsmacht, um seine Tatbestandsmerkmale und seine Rechtsfolgen sowie um seinen Anwendungsbereich. Gleichwohl ist es, ungeachtet eines umfangreichen Rechtsprechungsmaterials und eingehender Untersuchungen im Schrifttum, bisher noch nicht gelungen, zu einigermaßen gefestigten Grundsätzen auf diesem Gebiet zu gelangen. Ein Blick in die Untersuchungen der letzten Jahre zeigt, wie sehr gerade neuerdings die Fragen in diesem Zusammenhang wieder streitig geworden sind 1 . Dabei ist in der Reditslehre das Bemühen unverkennbar, durch neue dogmatische Ansatzpunkte dem Problem des Mißbrauchs der Vertretungsmacht Rechnung zu tragen, während in der höchstrichterlichen Rechtsprechung das Bestreben obwaltet, durch mehr allgemein gefaßte Formulierungen dem Einzelfall gerecht zu werden. Hervorzuheben ist hierbei, daß sich nach meinem Eindruck — zum Teil wohl unbemerkt — in der Rechtsprechung ein Bedeutungswandel vollzieht, der für die Bewältigung des Problems m. E. von wesentlichem Gewicht sein kann 2 . I.
Die Entwicklung der Lehre vom Mißbrauch der Vertretungsmacht nahm schon bald nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs 1 Vgl. etwa Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Bd., 1965, S. 788 ff.; Mertens, Die Schranken gesetzlicher Vertretungsmacht in Juristische Analysen, H e f t 6 (Handels- und Gesellschaftsrecht) 1970 S. 30 ff.; Schott, Ardi. f. ziv. Prax. 171, 385 ff.; Hedtelmann, J Z 1970, 62 ff.; Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971 S. 295 ff. 8 In diesem Zusammenhang gehören nicht die Fälle der Kollusion, des bewußten Zusammenwirkens von Vertreter und Vertragspartner zum Schaden des Vertretenen. Diese Fälle finden ihre sachgerechte Beurteilung im Rahmen des § 138 B G B ; darüber hinaus können auch Schadensersatzansprüche des Vertretenen nadi § 826 B G B in Betracht kommen (vgl. dazu schon R G Z 9 148 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgeridits). N u r Kipp (Festgabe der Juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts 1929 2. Bd. S. 287) hat zu erwägen gegeben, audi die Kollusionsfälle in die sonstigen Mißbrauchsfälle einzuordnen und sie entsprechend seiner allgemein vertretenen Ansicht als Tatbestand einer Vertretung ohne Vertretungsmacht anzusehen. Auf diese vereinzelt gebliebene Auffassung ist man später — m. E. mit Recht — nicht mehr zurückgekommen.
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Robert Fischer
von der Rechtsprechung ihren Ausgang. Bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 1909 hat das Reichsgericht geglaubt, die vom Bürgerlichen Gesetzbuch streng durchgeführte begriffliche Trennung von Außen- und Innenverhältnis hier nicht durchhalten zu können, sondern mit Hilfe der Einrede der Arglist gegebenenfalls Ansprüche des Geschäftspartners aus einem abgeschlossenen Vertrag mit einem Bevollmächtigten trotz bestehender Vollmacht abwehren zu müssen3. Auffallend an dieser Entscheidung ist es, daß sie verhältnismäßig allgemein gefaßt ist und m. E. erkennen läßt, daß das Reichsgericht damit keineswegs nur einem besonderen Einzelfall Rechnung tragen, sondern für die Rechtsprechung offenbar eine neue Entwicklungslinie aufzeigen wollte. Andererseits ist es bemerkenswert, daß diese Entscheidung eine Reihe von einschränkenden Formulierungen verwendet. Die Worte „unter offenbarem, dem Kontrahenten erkennbarem Mißbrauch" und „wenn das fragliche Geschäft von so ganz ungewöhnlicher Art wäre, daß sich der Dritte sagen müßte, der Vollmachtgeber könne ein derartiges Geschäft unmöglich im Sinne gehabt haben" 4 , deuten nach revisionsrichterlicher Erfahrung darauf hin, daß sich hier das Reichsgericht wohl noch eine Rückzugslinie offen halten, jedenfalls aber einer noch nicht voll übersehbaren Ausuferung dieser neuen Rechtsprechung durch die Instanzgerichte gegebenenfalls vorbeugen wollte. Diese Zurückhaltung hat das Reichsgericht jedoch verhältnismäßig schnell, schon nach zwei Jahren, aufgegeben und unter Benutzung der Terminologie des Bürgerlichen Gesetzbuches (vgl. § 122 Abs. 2 BGB) ausgesprochen, daß ein Dritter aus einem mit einem Vertreter abgeschlossenen Rechtsgeschäft keine Rechte herleiten könne, wenn der Vertreter seine Vollmacht mißbraucht und der Dritte dieses hätte erkennen müssen5. Dabei erscheint mir an dieser Entscheidung bemerkenswert, daß sie sich nicht mehr auf die Einrede der Arglist stützt, sondern sich „auf die gesetzlichen Vorschriften über die Vollmacht" beruft und den Rechtsgedanken der §§ 169/72 BGB analog heranzieht. Mit dieser Begründung stellt das Reichsgericht den allgemeinen Satz auf, daß der Vertretene geschützt ist, wenn der Dritte bei einem Vollmachtmißbrauch den Mißbrauch hätte erkennen müssen. In der Folgezeit hat das Reichsgericht in einer großen Anzahl von Entscheidungen an diesen Grundsätzen festgehalten und darüber hinaus ausgesprochen, daß diese Grundsätze auch bei der gesetzlich nicht beschränkbaren Vertretungsmacht (§§ 49, 50, 126 HGB, §§ 82, 269 Abs. 5 AktG, § 37 GmbHG, § 27 GenG) zu gelten haben 6 . * RGZ 71, 219. 4 A. a. O. S. 222. 5 RGZ 75, 299. • RGZ 145, 311, 314/15.
Der Mißbrauch der Vertretungsmadit
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Bei einer kritischen Beurteilung dieser Rechtsprechung ist es für einen Revisionsrichter auffallend, daß sich das Reichsgericht gar nicht auf den naheliegenden Versuch eingelassen hat, beim Vollmachtmißbrauch durch eine restriktive Auslegung der Vollmacht zu einem sachgerechten Ergebnis zu gelangen. Das hängt wohl damit zusammen, daß der Sachverhalt in der ersten dieser Entscheidungen7 von vornherein ganz deutlich gemacht hat, daß man dem Problem auf diesem Weg nicht mit Erfolg beikommen kann 8 . Für die Entwicklung der weiteren Rechtsprechung war dieser Umstand, wie ich meine, von besonderer Bedeutung. Er nötigte nämlich die Rechtsprechung dazu, das eigentliche Problem des Mißbraudis der Vertretungsmacht darin zu erblicken, dem Dritten Ansprüche aus dem geschlossenen Vertrag trotz bestehender Vertretungsmacht unter bestimmten Voraussetzungen zu versagen. Von hier aus wird verständlich, warum das Reidisgericht in der Folgezeit niemals auf die vom Schrifttum vertretene Meinung, das Problem des Mißbrauchs der Vertretungsmacht sei sachgerecht unter dem Gesichtspunkt der Vertretung ohne Vertretungsmacht zu lösen9, eingegangen ist. Andererseits muß hervorgehoben werden, daß das Reichsgericht bei seinen Darlegungen den eigentlichen Interessenwiderstreit zwischen dem Dritten und dem Vertretenen im Grunde genommen gar nicht berücksichtigt hat. Dieser Interessenwiderstreit ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß der Anstoß für das Auftreten dieses Widerstreits vom Vertretenen ausgeht, und zwar dadurch, daß er die Vertretungsmacht begründet und bei der Vollmacht ihren Umfang und die Person des Bevollmächtigten bestimmt. Dieser Gesichtspunkt der Veranlassung ist der entscheidende Gedanke für den Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuches gewesen, durch die scharfe Trennung von Außen- und Innenverhältnis die Gefahr für den Mißbrauch der Vertretungsmacht dem Vertretenen aufzulasten 10 . Es ist auffallend, wie wenig dieser gesetzliche Grundgedanke in der Rechtsprechung des Reichsgerichts bei der Abwägung der sich widerstreitenden Interessen Berücksichtigung gefunden hat. Damit hängt es eng zusammen, daß die Besonderheiten bei der unbeschränkbaren Vertretungsmacht auf dem Gebiet des Han-
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RGZ 71, 219. Dem entspricht es, daß das Reichsgericht trotz des umfangreichen Rechtsprediungsmaterials nur in einem Fall (RGZ 143, 196) zu dem Mittel einer restriktiven Auslegung greifen konnte. Audi Sc&o/i (Arch. ziv. Prax. 171, 396) hält die Möglichkeiten für eine restriktive Auslegung in diesem Bereich für sehr gering. • Vgl. dazu Anm. 18, 19. 10 Vgl. dazu Schott, Ardi. ziv. Prax. 171, 386: „Das BGB entscheidet sich eindeutig für die Verkehrssicherheit und mißt der Weisungs- und Interessenwidrigkeit Bedeutung nur für das Innenverhältnis zu." 8
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Robert Fisdier
delsrechts und dem damit ausdrücklich verfolgten Sdiutzzweck in der Rechtsprechung des Reichsgerichts keine Beachtung gegeben worden ist 11 . Auch hängt es nach meinem Eindruck mit dieser Betrachtungsweise zusammen, daß das Reidisgericht in der Folgezeit niemals auf die immer wieder laut werdenden Bedenken der Rechtslehre gegen den zu weit gezogenen Schutz des Vollmachtgebers eingegangen ist. Nachdem es mit Hilfe der Analogie zu § 169 BGB dem Dritten auch bei leicht fahrlässigem Verhalten Ansprüche aus dem mit dem Bevollmächtigten abgeschlossenen Rechtsgeschäft versagt hatte, ohne die insoweit gegebenen Unterschiede in der Interessenlage zu erkennen 12 , hatte sich das Reichsgericht wohl die Möglichkeit genommen, in einer wertenden Beurteilung zu einer sachgerechten Abwägung der sich insoweit widerstreitenden Interessen zu gelangen und den in der Rechtslehre laut gewordenen Bedenken unter diesem Gesichtspunkt Rechnung zu tragen. Auf diese Weise ist das Reichsgericht bei seiner verhältnismäßig recht schematischen Beurteilung geblieben. Die Fortführung dieser Rechtsprechung durch den Bundesgerichtshof erweckt zunächst den Eindruck, daß sich in dieser Hinsicht kaum etwas verändert hat. Dieser Eindruck wird dadurch hervorgerufen, daß der Bundesgerichtshof nach seiner äußeren Diktion an die Rechtsprechung des Reichsgerichts anknüpft und insoweit nicht ohne weiteres erkennen läßt, daß nunmehr in der Sache eine andere Beurteilung Raum gewinnt. Schon der Ausgangspunkt in der Betrachtungsweise des Bundesgerichtshofes ist ein grundsätzlich anderer als beim Reichsgericht. Der Bundesgerichtshof stellt an den Anfang seiner Erwägungen den zutreffenden Grundsatz, daß der Vertretene grundsätzlich das Risiko eines Vollmachtmißbrauchs zu tragen habe, und daß dem Vertragsgegner im allgemeinen eine besondere Prüfungspflicht über dia Bindungen des Vertreters im Innenverhältnis nicht obliege. Nur wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch gemacht habe, so daß beim Vertragsgegner begründet Zweifel hätten entstehen müssen, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters gegenüber dem Vertretenen vorliege, könne sich der Vertragsgegner nicht auf die Vollmacht berufen 13 . Dabei spricht der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang davon, daß insoweit eine Abwägung der Umstände gemäß § 242 BGB geboten sei. Immerhin macht der Bundesgerichtshof in den ersten Entscheidungen mit dieser beiderseitigen Interessenabwägung noch nicht voll Ernst. Das wird besonders deutlich bei der Beurteilung, die er dem Anders allerdings R G JW 1935, 1084. " Vgl. dazu Stoll, Festschrift für Heinrich Lehmann 1937, S. 115 ff., 128 ff. 1 S BGH, WM 1966, 491; 1968, 841.
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Der Mißbrauch der Vertretungsmacht
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Mißbrauch bei einer gesetzlich unbeschränkbaren Vertretungsmacht zuteil werden läßt 14 . Die Tragfähigkeit dieser neuen Beurteilung wird erst in der Entscheidung des II. Zivilsenats in BGHZ 50, 112 erkennbar. Hier wird die besondere Interessenlage bei der gesetzlich unbeschränkbaren Vertretungsbefugnis gewürdigt und demgemäß dem Dritten ein erhöhter Vertrauensschutz zugebilligt140. Auch wird im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung dem eigenen Verschulden des Vertretenen eine entsprechende Bedeutung zugemessen und ausgesprochen, es könne nach Treu und Glauben nicht zugelassen werden, daß die sich aus einem Vollmachtmißbrauch ergebenden Nachteile dem Vertragsgegner auch dann ganz zur Last fallen, wenn der Vertretene die Gebote des eigenen Interesses im Rechtsverkehr außer acht gelassen hat, indem er die ihm zuzumutenden Kontrollmaßnahmen gegenüber seinem Vertreter unterlassen hat.
II. Die Rechtslehre hat gegenüber dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung zunächst einen zurückhaltenden Standpunkt eingenommen und an der scharfen Trennung von Innen- und Außenverhältnis festgehalten15. Aber zugleich werden — und zwar im Laufe der Jahre in zunehmendem Umfang — auch Stimmen laut, die sich dieser Rechtsprechung anschließen, ohne ihrerseits eine eigene dogmatische Begründung für diese Ansicht zu geben16. Dagegen blieb das handelsrechtliche Schrifttum anfangs fast geschlossen ablehnend und betonte, daß im Bereich des Handelsrechts bei der gesetzlich unbeschränkbaren 14
Die beiden in sidi widersprüchlichen Sätze in der Entscheidung BGH, WM 1966, 491 lassen insoweit noch eine gewisse Unsicherheit erkennen: „Es ist jedoch nicht einzusehen, warum auf diesem Teilgebiet (gemeint ist: bei der Prokura) etwas anderes gelten sollte. Die Sicherheit des handelsrechtlichen Geschäftsverkehrs kann im Einzelfall bei der erforderlichen Abwägung der Umstände gemäß § 242 BGB in genügender Weise berücksichtigt werden." In der Entscheidung WM 1960, 612 hatte der B G H noch eine völlige Gleichstellung dieser Tatbestände mit denen der beschränkbaren (bürgerlichrechtlichen) Vollmacht vorgenommen. 14a Vgl. dazu auch schon BGHZ 26, 330, 336/37 und meine Anm. bei LM Nr. 13 zu § 105 HGB, wo diese Frage ausdrücklich offen gelassen worden ist. 16 Vgl. etwa v. Thür, Der allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts II. Band 2. Hälfte 1918 S. 400 Anm. 152: „Zu weit geht m. E. RG 75, 300, indem es Nichtigkeit des Geschäfts schon dann annimmt, wenn der Vertreter die Vollmacht mißbrauchte und dies dem Dritten ohne grobe Fahrlässigkeit nicht unbekannt sein konnte"; ferner Oertmann Komm. Allg. Teil 3. Aufl. 1927 § 167 Bern. 6 a. E. 16 Vgl. Planck-Flad, Komm. BGB 4. Aufl. 1914 § 167 Gem. 7 c; Enneccerus, Der Allgemeine Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs 7. Bearbeitung 1919 1701, 4; Staudinger/Riezler Komm. BGB 9. Aufl. 1925 § 167 Bern. 8 b.
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Robert Fisdier
Vertretungsmacht kein Raum für die Anwendung dieser Grundsätze sei17. Mit dem Aufsatz von Kipp 18 tritt ein grundsätzlicher Wandel in der Behandlung dieses Problems durch die Rechtslehre ein. Hier wird erstmals der Versuch unternommen, für die Auffassung des Reichsgerichts eine eigene dogmatische Begründung zu geben und die Tatbestände des Mißbrauchs der Vertretungsmacht in dem Anwendungsbereich der §§ 177 ff. BGB anzusiedeln. Der Kernsatz dieser Begründung geht dahin, daß Mißbrauch durch die Vertretungsmacht nicht gedeckt werde, daß also der Mißbrauch die Legitimation der Vertretungsmacht beseitige19. Des weiteren macht sich in der Rechtslehre zunehmend ein Mißbehagen gegenüber der Rechtsprechung insoweit bemerkbar, als die Meinung des Reichsgerichts, schon bei leicht fahrlässigem Verhalten des Geschäftspartners könne der Vertretene immer die Einrede der Arglist geltend machen, als unbefriedigend angesehen wird 20 . Die Untersuchungen der Rechtslehre unter diesem Gesichtspunkt liefern gewichtige Hinweise für die weitere Behandlung des Problems, weil sie der Abwägung der hierbei sich widerstreitenden Interessen ein besonderes Augenmerk zuwenden und vor allem hervorheben, daß der Vertretene der Nähere für die Schadenstragung sei, weil er den Vertreter als seinen Vertrauensmann ausgewählt hat 21 . „Wer sich einen Vertreter bestellt, soll sich ihn anschauen. Wenn er sich in ihm getäuscht hat, muß dies sein Schaden sein. Es ist durch nichts gerechtfertigt, daß der Geschäftsherr seinen Schaden auf den Geschäftsgegner abwälzt und von diesem verlangt, daß er mit aller Sorgfalt prüfe, ob er dem durch die Vollmacht ausgewiesenen Vertreter auch wirklich 17 Vgl. Wieland, Handelsrecht, l . B d . 1921 S.593; Flechtheim bei DüringerHatkenburg 3. Aufl. 1932 § 126 Bern. 9; Staub-Pinner 14. Aufl. 1932 § 126, Bern. 15; Neufeld/Schwarz, Komm. H G B 1931 § 1 2 6 , Bern. 3; a. M. Ritter, Komm. H G B 2. Aufl. 1932 § 126, Bern. 2, Vorbem. 2 vor § 48. 18 In der Festgabe der Juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts 1929, II. Bd. S. 273 ff. 18 Nipperdey ist schon in der ersten von ihm besorgten Bearbeitung des Lehrbuchs von Enneccerus 13. Bearbeitung 1931 § 170 I 4 dieser Meinung beigetreten; ähnlich wohl audi Η . Lehmann Anm. JW 1934, 683; dagegen kritisdi insoweit Stoll in der Festschrift für Heinrich Lehmann 1937 S. 115 ff., 121/22; und Egger, Festgabe für Wieland 1934 S. 59. In der Folgezeit sind der Meinung von Kipp beigetreten H . Lehmann, Allg. Teil 5. Aufl. 1946 § 3 6 II 4; StaudingerjCoing §167 Bern. 17 a; Lehmann/Hübner, Allg. Teil, 15. Aufl. S. 328; Larenz Allg. Teil 2. Aufl. 1972 S. 475/76; Palandt/Heinridis 31. Aufl. § 1 6 7 Anm. 3 a; für entsprechende Anwendung der § § 1 7 7 ff. BGB Soergel/Schultze-von Lassaulx Komm. 10. Aufl. § 177 Anm. 16. 20 Egger a. a. O. S. 69; Stoll a. a. O. S. 128; Lehmann JW 1934, 683. 81 Egger a. a. O.
Der Mißbrauch der Vertretungsmacht
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vertrauen darf 2 2 ." Diese grundsätzliche Beurteilung im Ausgangspunkt hat dazu geführt, die Tatbestände des Mißbrauchs der Vertretungsmacht einer näheren Betrachtung zu unterziehen und zwischen pflichtwidrigem und treuewidrigem 23 oder zwischen auftragswidrigem und bewußt mißbräuchlichem Verhalten des Vertreters 24 zu unterscheiden. In der Folgezeit verlieren diese entscheidenden Erwägungen für das Mißbehagen gegenüber der Annahme des Reichsgerichts und später des Bundesgerichtshofs, auch ein leicht fahrlässiges Verhalten könne die Arglisteinrede des Vertretenen begründen, ihr Gewicht. Es bleibt jedoch in der Rechtslehre bei der vielfach vertretenen Meinung, nur grob fahrlässiges Verhalten des Geschäftspartners rechtfertige es, diesem Ansprüche aus dem mit dem Vertretenen geschlossenen Geschäft zu versagen25. In Fortführung der Grundgedanken von Kipp hat Flume26 versucht, für die Einordnung des Mißbrauchs der Vertretungsmacht in das Recht der Stellvertretung eine nähere Begründung zu geben und damit eine praktikable Lösung für die einzelnen Mißbrauchstatbestände zu ermöglichen. Auch er schränkt wie Kipp beim Mißbrauch der Vertretungsmacht den Umfang der Vertretungsmacht ein und benutzt dazu das Merkmal der Evidenz des Mißbrauchs. Immer wenn der Vertreter zum Nachteil des Vertretenen handelt und dieses für den Geschäftspartner evident ist, werden die Grenzen der Vertretungsmacht überschritten. Ein solches Handeln ist nicht mehr von der Vertretungsmacht gededkt. Dabei ist es nach Meinung Flumes nicht notwendig, daß der Vertreter selbst schuldhaft gehandelt hat, so wie es auch nicht auf eine Nachprüfungspflicht des Geschäftspartners über das etwaige Vorliegen eines Mißbrauchs ankommt. Maßgeblich ist vielmehr das als objektiv verstandene Kriterium der Evidenz des Mißbrauchs, das die Legitimation der Vertretungsmacht beseitigt. „Der Mißbrauch ist evident, wenn ein ,reasonable man' ihn erkennen würde oder das Handeln des Vertreters doch so fragwürdig erscheint, daß ein ,reasonable man' sich auf das Geschäft nicht einlassen würde." Des weiteren hat man versucht, der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit der Lehre von der culpa in contrahendo eine selbständige dogmatische Begründung zu geben. Unter diesem Gesichtspunkt läßt sich in der Tat für die von der Rechtsprechung hervorgehobene « Stoll a. a. O. 128. 23 Stoll a. a. O. 24 Lehmann a. a. O. M Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil §183 15; Soer gel/Schul tze-von Lassaulx §177 Anm. 16; Larenz a . a . O . S.476; einschränkend auch LehmannHübner a. a. O.; Schott Ardi. ziv. Prax. 171, 397. 26 Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II Bd. 1965 S. 788 ff.
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Robert Fischer
Nadiprüfungspflidit des Geschäftspartners eine entsprechende Rechtfertigung geben. Dagegen nötigt die Lehre von der culpa in contrahendo audi dazu, dem Geschäftspartner bei jeder — also auch leicht fahrlässigen — Verletzung der Nachprüfungspflicht Ansprüche aus dem mit dem Vertreter abgeschlossenen Rechtsgeschäft zu versagen, weil der Vertretene so zu stellen ist, wie wenn der Dritte seiner Nachprüfungspflicht nachgekommen wäre (Ersatz des negativen Interesses) 27 . Schließlich hat sich auch im handelsrechtlichen Schrifttum ein Wandel der Auffassungen vollzogen, für den zwei verschiedene, zeitlich aufeinander folgende Etappen festzustellen sind. Mit dem Ausgang der 30er Jahre verstummen die Stimmen, die der Rechtsprechung des Reichsgeridits für die handelsrechtliche Vertretungsmacht die Gefolgschaft versagen 28 . Als Hueck jedoch in seiner Monographie zum Recht der offenen Handelsgesellschaft gegen die Meinung des Reichsgerichts mit eingehender Begründung erneut Bedenken erhob 29 , wurden die alten Bedenken gegen die Rechtsprechung des Reichsgerichts wieder aufgegriffen, so daß heute im handelsrechtlichen Bereich wohl allgemein der Standpunkt vertreten wird, daß die vom Reichsgericht entwickelten Grundsätze zum Mißbrauch der Vertretungsmacht hier nur angewendet werden können, wenn der Vertreter bewußt zum Nachteil des Vertretenen gehandelt hat 30 .
III.
Dieser Überblick über den Stand der Rechtsprechung sowie der in der Rechtslehre vertretenen Meinungen vermittelt ein verwirrendes Bild, das im Grunde genommen zur Verwunderung Anlaß gibt, und zwar deshalb, weil es noch immer nicht gelungen ist, in dieser Frage zu einer einigermaßen gesicherten Ansicht zu gelangen. Dabei habe ich den Eindruck, daß die entscheidenden Gesichtspunkte für die Beurteilung dieser Frage im Laufe der langen Zeit erörtert und geprüft worden sind, und daß das umfangreiche Rechtsprechungsmaterial aus der zurückliegenden Zeit den Schluß erlaubt, daß in dieser " Heckelmann, J Z 1970 S. 65, vgl. auch Lehmann, JW 34, 683. ! 8 Vgl. W.Schmidt, Komm. AktG l.Aufl. 1939 §74 Anm. 12; Weipert Komm. HGB l.Aufl. 1942 §126 Anm. 21; Bombach Komm. HGB 7. Aufl. 1945 §126 Anm. 3 B ; anderer Meinung freilich noch ScblegelbergerjGeßler, Komm. H G B 1. Aufl. 1939 § 126 Anm. 22. 2 8 Vgl. 1. Aufl. 1946 S. 163. 30 Vgl. Hachenburg/Schilling, Komm. GmbHG § 37 Anm. 12; Mertens Kölner Komm. AktG § 8 2 Anm. 15; Meyer-Landrut Großkomm. AktG 3. Aufl. § 8 2 Anm. 8; Robert Fischer Komm. HGB 3. Aufl. §126, Anm. 18; Baumbacb/Duden Komm. HGB 19. Aufl. 1971 § 126 Anm. 4.
Der Mißbraudi der Vertretungsmacht
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Frage vom Sachverhalt her, von der Gestaltung des Tatbestands im Einzelfall keine besonderen Überraschungen mehr zu erwarten sind. Ferner läßt dieser Überblick über den Stand der Meinungen in Rechtsprechung und Rechtslehre wohl auch mit Deutlichkeit erkennen, daß es im Ergebnis richtig gewesen ist, wenn das Reichsgericht den Mißbrauchsfällen im Vertretungsrecht eine gesonderte rechtliche Beurteilung zuteil werden ließ. Denn es erscheint im Sinne einer gerechten Entscheidung unhaltbar, das Risiko eines Mißbraudis der Vertretungsmacht in allen Fällen allein dem Vertretenen anzulasten, also das Abstraktionsprinzip im Sinne einer scharfen Trennung von Außenund Innenverhältnis in diesen Fällen ohne Einschränkungen durchzuhalten. Die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, die diesem Abstraktionsprinzip zugrunde liegen, bedürfen, wie die lange Rechtsentwicklung offenbar lehrt, einer Korrektur im Interesse des Vertretenen, wobei freilich die reditlich gebotene Rücksichtnahme auf die sdiutzwerten Belange des Vertragspartners nicht außer acht gelassen werden darf. So gesehen stellt sich das Problem der rechtlichen Behandlung der Mißbraudisfälle im Vertretungsrecht als die Aufgabe einer sachgerechten Abwägung der sich insoweit widerstreitenden Interessen sowie der danach gebotenen sachgerechten Abgrenzung der beiderseitigen Risikobereiche dar 31 . Dabei ist die Frage nach der etwaigen Notwendigkeit einer unterschiedlichen Behandlung der einzelnen Mißbrauchstatbestände von besonderem Gewicht, da bei einer sachgerechten Abwägung und Abgrenzung diesem Umstand notwendigerweise Bedeutung zukommt. Auch müssen die Tatbestände eines Vertretungsmißbrauchs im handelsrechtlichen Bereich in diese Beurteilung einbezogen werden, weil sie nach der Erfahrung wichtige Anwendungsfälle eines solchen Mißbrauchs sind und in diesem Zusammenhang deshalb nicht unberücksichtigt bleiben können. Der Versuch, dem Problem des Vertretungsmißbrauchs durch eine Einordnung dieser Tatbestände in den Anwendungsbereich der §§177 ff. BGB beizukommen 32 , erscheint auf den ersten Blick bestechend. Denn aus der Sicht des Vertretenen ist es zunächst ohne weiteres einleuchtend, daß der Mißbrauch einer Vertretungsmacht, namentlich der Mißbraudi einer Vollmacht, der Sache nach durch die Vertretungsbefugnis nicht gedeckt ist, daß er also aus dem Rahmen der Legitimation der Vertretungsbefugnis herausfällt. Diese Beurteilung wird aber schon zweifelhaft, wenn man an die Fälle der handelsrechtlichen, gesetzlich unbeschränkbaren Vertretungsbefugnis denkt. Ist es nicht gerade der Sinn dieser gesetzlichen Vorschriften, die S1 32
Ähnlich Schott, Arch. f. ziv. Prax. 171, 387. Vgl. dazu oben Anm. 18, 19, 26.
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Robert Fischer
Legitimation des Vertreters audi dann bestehen zu lassen, wenn er seine Befugnis im Verhältnis zu dem Vertretenen überschreitet? Audi wird man fragen müssen, ob es vom Standpunkt des Vertragspartners nicht doch einen wesentlichen Unterschied ausmacht, ob der Vertreter außerhalb der ihm zustehenden Vertretungsbefugnis handelt oder ob er die ihm zustehende Vertretungsbefugnis — im Verhältnis zum Vertretenen — mißbräuchlich ausübt. Ist es mit anderen Worten mit dem unser Recht beherrschenden Vertrauensgrundsatz vereinbar, diese beiden verschiedenartigen Sachverhalte rechtlich gleich zu behandeln und beim Mißbrauch der Vertretungsmacht davon abzusehen, daß der Vertretene durch die Übertragung der Vertretungsbefugnis den ersten Anstoß für die Möglichkeit des Mißbrauchs gegeben hat? Diese Fragen machen deutlich, daß die Lösung des Vertretungsmißbrauchs durch eine Anwendung der §§ 177 ff. BGB an dem eigentlichen Problem, nämlich an der sachgerechten Abgrenzung der beiderseitigen Risikobereiche unter Abwägung der sich insoweit widerstreitenden Interessen vorbeigeht und deshalb auf diesem Wege nicht zu einem angemessenen Ergebnis führen kann. Sinnvollerweise kann man von einem Mißbrauch der Vertretungsmacht nur sprechen, wenn eine Vertretungsmacht besteht und sie lediglich mißbräuchlich gehandhabt wird. Der Umstand, daß es dem Reichsgericht in den ihm unterbreiteten Sachverhalten eigentlich niemals gelungen ist, durch eine restriktive Auslegung der Vertretungsmacht zu einem sachgerechten Ergebnis zu gelangen, sollte insoweit zu denken geben. Im handelsrechtlichen Bereich führt zudem die Annahme, der Mißbrauch der Vertretungsmacht stelle ein Handeln ohne Vertretungsmacht dar, zu einer bedenklichen Verwischung von Außen- und Innenverhältnis und u. U. sogar zu einer Beschränkung der Vertretungsmacht unter Berücksichtigung der für das Innenverhältnis maßgebenden Anweisungen an den Vertreter. Das halte ich für das Handeln der Organe von Kapitalgesellschaften und der vertretungsberechtigten Gesellschafter für unhaltbar und es widerspricht auch einer allgemeinen Rechtsentwicklung, wie sie erst neuerdings durch die Aktienrechtsdirektive der Europäischen Kommission in Brüssel fortgeführt ist 33 . Man kann eine generell gefaßte Vertretungsbefugnis, wie sie dem Handelsrecht eigentümlich ist und wie sie im bürgerlichen Recht bei einer umfassenden Generalvollmacht vorkommt, nicht für einen Einzelfall einschränken, indem man dabei nicht etwa auf die Art des abgeschlossenen Geschäfts, sondern auf die Zielrichtung des Vertreters beim Abschluß des Geschäfts oder auf die
s s Vgl. 1. Richtlinie des Rats der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts in den EWG-Mitgliedstaaten vom 9. März 1968.
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Auswirkung des Geschäfts für den Vertretenen abstellt 3 4 . Vollends unhaltbar wird die Einordnung der Mißbrauchsfälle in den Anwendungsbereich der §§ 177 ff. B G B aber dann, wenn man den Umfang der Vertretungsmacht davon abhängig macht, ob der Dritte beim Vertragsabschluß schuldhaft seine angenommene Prüfungspflicht verletzt hat. Denn das Verhalten dieses Dritten beim Vertragsabschluß kann für den Umfang der Vertretungsmacht nicht maßgeblich sein, weil dieser Umfang allein und nur durch den Vertretenen oder im handelsrechtlichen Bereich durch die entsprechende gesetzliche Regelung bestimmt wird. Diese Schwäche der von Kipp herrührenden Lehre, beim M i ß brauch der Vertretungsmacht liege ein Handeln ohne Vertretungsmacht vor, hat wohl auch Flume 3 5 empfunden und deshalb versucht, in diesen Fällen durch das objektiv gefaßte Merkmal der Evidenz zu einer Beschränkung der Vertretungsmacht zu gelangen. Dabei umfaßt dieses Merkmal der Evidenz nicht nur das Vorliegen eines für den Vertretenen nachteiligen Geschäfts, sondern zugleich auch das V o r liegen eines dem Willen oder den Weisungen des Vertretenen nicht entsprechenden Geschäfts. Denn für Flume muß der Mißbrauch evident sein. Dazu gehört auch, daß der Vertreter abredewidrig oder treuewidrig gehandelt hat. Betrachtet man jedodi dieses Merkmal der Evidenz mit dem Rückgriff auf den reasonable man näher, so ist es im Grunde genommen nichts anderes als das, was nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch mit dem objektiv gefaßten Fahrlässigkeitsbegriff, nämlich mit der im Rechtsverkehr allgemein für erforderlich gehaltenen Sorgfalt umschrieben ist. Denn diese Sorgfalt ist nichts anderes als das, wonach ein reasonable man sein Tun und Lassen einrichtet, so daß man für die Worte reasonable man auch die schlichten deutschen Worte verständiger oder ordentlicher Mann setzen kann. Der Rückgriff Flumes auf den reasonable man erweist sich praktisch nur als eine Umschreibung der in § 276 B G B festgelegten Sorgfalt und bleibt im Ergebnis bei der Annahme Kipps, daß bei schuldhaftem Verhalten des Geschäftspartners, nämlich dann, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (reasonable man) nicht beachtet, ein Mißbrauch der Vertretungsmacht, ein Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht darstellt. Angesichts dieser Beurteilung sprechen auch gegen die Meinung von Flume dieselben Bedenken, die bereits oben gegen die Meinung von Kipp dargelegt worden sind.
5 4 Von diesem Standpunkt aus müßte man vor allem und erst recht die sog. Kollusionsfälle (Anm. 3) als ein Handeln ohne Vertretungsmacht ansehen und entsprechend behandeln. Das tut man aber — mit Ausnahme von Kipp — nidit. 8 5 Vgl. Anm. 26.
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Man sollte demgegenüber an der schon vom Reichsgericht vertretenen Meinung festhalten, daß bei Mißbrauch einer Vertretungsmacht das Handeln des Vertreters zwar von der Legitimation der Vertretungsmacht formell gedeckt ist, daß aber die Berufung auf diese Vertretungsmacht im Einzelfall rechtsmißbräuchlich sein kann und deshalb von der Rechtordnung nicht anerkannt wird. Aus dieser Sicht ist es für die Bewältigung des Problems der Mißbrauchsfälle die entscheidende Frage, wann ein solcher Rechtsmißbrauch angenommen werden muß, und welche rechtlichen Gesichtspunkte für die Beantwortung dieser Frage von Bedeutung sind. Unter den hierbei in Betracht kommenden Gesichtspunkten spielt der Vertrauensgrundsatz eine gewichtige Rolle. Dieser Vertrauensgrundsatz prägt in weitem Umfang das gesamte Vertretungsrecht. Er bildet nicht nur die Grundlage für die geltende gesetzliche Regelung, sondern hat darüber hinaus in der Rechtsfigur der Anscheinsvollmacht eine weitere selbständige Bedeutung erlangt. Die Behandlung der Anscheinsvollmacht, wie sie trotz mancher unterschiedlichen Auffassungen heute in Rechtsprechung und Rechtslehre anerkannt ist36, kann, wie ich meine, sachgerechte Hinweise auch für die Behandlung des Mißbraudis der Vertretungsmacht geben. Die Anscheinsvollmacht ist gewissermaßen das Gegenstück zum Vollmachtsmißbrauch. Bei der Anscheinsvollmacht geht es darum, unter welchen Voraussetzungen eine Rechtsperson das Handeln eines anderen trotz fehlender Vollmacht wie das Handeln eines Vertreters gegen sich gelten lassen muß (extensive Ausdehnung des Vollmachtsrechts über den Rahmen einer Vollmacht hinaus), bei dem Vollmachtsmißbrauch hingegen darum, unter welchen Voraussetzungen ein Vollmachtgeber das Handeln seines Vertreters trotz bestehender Vollmacht nicht gegen sich gelten zu lassen braucht (restriktive Einschränkung des Vollmachtsrechts trotz bestehender Vollmacht). Bei der Anscheinsvollmacht gilt heute allgemein der Grundsatz, daß der Geschäftsherr das Handeln des angeblich Bevollmächtigten gegen sich gelten lassen muß, wenn er dieses bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen müssen und hätte verhindern können, und wenn zugleich der Geschäftspartner die gegebenen Umstände nach Treu und Glauben so deuten durfte, daß der Geschäftsherr dem „Vertreter" Vollmacht erteilt habe37. Das bedeutet, daß der Geschäftsherr bei Vorliegen eines ausreichenden Rechtsscheins das Handeln des angeblich Bevollmächtigten immer gegen sich gelten lassen muß, wenn dem Geschäftspart86
Vgl. über den Stand der unterschiedlichen Auffassungen Lassaulx § 167 Bern. 17 ff. 37 BGHZ 5, 111, 116; LM Nr. 4 zu § 167 BGB.
Soergel/Schultze-von
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ner bei der Deutung des Rechtsscheins eine Verletzung der im Verkehr gebotenen Sorgfalt nicht vorzuwerfen ist. Denn immer dann, wenn der Geschäftspartner diese Sorgfalt beachtet, wird man sagen müssen, daß er den vorliegenden Rechtsschein im Sinne einer Vollmachtserteilung deuten durfte. Bei einem Vergleich des gebotenen Schutzbedürfnisses für den Gesdiäftsherrn einmal bei der Anscheinsvollmadit und zum anderen bei dem Vollmachtsmißbrauch drängt sich die Folgerung auf, daß dieses Schutzbedürfnis im Fall der Anscheinsvollmacht größer ist, so wie umgekehrt das Schutzbedürfnis für den Geschäftspartner bei dem Vollmachtsmißbrauch das größere ist. Denn beim Vollmachtsmißbrauch hat der Geschäftsherr (Vollmachtgeber) eine wirksame Vollmacht erteilt und dem Vertreter die Wahrnehmung seiner Interessen wirksam übertragen. Das ist mehr, als wenn nur der Rechtsschein gegeben ist, den der Geschäftsherr hätte erkennen müssen und hätte verhindern können. Bei dieser Sachlage erscheint es mir zwingend, den Vertrauensschutz zugunsten des Geschäftspartners beim Vollmachtsmißbrauch stärker auszugestalten als bei der Anscheinsvollmacht. Das bedeutet, daß nicht schon jede, also nicht jede leichte Fahrlässigkeit auf Seiten des Geschäftspartners genügen kann, um ihm Ansprüche aus dem mit dem Vertreter abgeschlossenen Rechtsgeschäft zu versagen. Mit einer solchen Lösung trägt man audi dem in der neueren Rechtsprechung zum Ausdruck gekommenen Grundsatz m. E. in sachgerechter Weise Rechnung, daß nämlich der Vertretene grundsätzlich das Risiko eines Vollmachtsmißbrauchs zu tragen habe und daß dem Vertragsgegner im allgemeinen eine besondere Prüfungspflicht über die Bindungen des Vertreters im Innenverhältnis nicht obliege. Des weiteren kann man bei einer umfassenden Beurteilung aller Umstände, die hier im Rahmen einer sachgerechten Abwägung der Interessen geboten ist, nicht unberücksichtigt lassen, in welcher Weise der Vertreter von seiner Vertretungsmacht mißbräuchlich Gebrauch gemacht hat. H a t er beim Vertragsabschluß lediglich Weisungen des Vertretenen mißachtet, ohne bewußt gegen dessen Interessen zu verstoßen, so erscheint der Vertretene nach Treu und Glauben weniger schutzwürdig, als wenn der Vertreter beim Vertragsabschluß treuwidrig gegen die Interessen des Vertretenen verstoßen und ihm dadurch bewußt Nachteile zugefügt hat. Idi meine, daß man diesem Umstand in der Interessenlage auch rechtlichen Ausdruck geben sollte. Das kann wohl allein dadurch geschehen, daß man die subjektiven Anforderungen an die Sorgfaltpflicht des Geschäftspartners unterschiedlich ausgestaltet und entsprechend abstuft. Für eine solche Abstufung bietet sich m. E. die Annahme an, daß dem Geschäftspartner der abredewidrige Gebrauch der Vollmacht vom Vertretenen nach
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Treu und Glauben nur entgegengehalten werden kann, wenn der Geschäftspartner den abredewidrigen Gebrauch gekannt hat, nicht aber auch schon dann, wenn ihm das infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist. Denn der Vollmaditgeber hat das Risiko eines solchen Mißbrauchs durch den weitgefaßten Umfang der von ihm erteilten Vollmacht bewußt auf sich genommen und es sollte dieses Risiko bei nur abredewidrigem Gebrauch der Vollmacht dem Geschäftspartner nicht aufgelastet werden, indem man ihm auch in solchen Fällen eine irgendwie geartete Prüfungspflicht auferlegt. Das kann m. E. auch bei einer sachgerechten Berücksichtigung der Interessen des Vertretenen von einem redlichen Rechtsverkehr nicht gefordert werden. Insofern muß sich der Rechtsverkehr auf die vom Vollmachtgeber selbst geschaffene Rechtslage verlassen können. Nur wenn der Vertragspartner weiß, daß der Vertreter in dem konkreten Fall die ihm erteilten Weisungen mißachtet, erscheint es vom Standpunkt eines redlichen Rechtsverkehrs aus gerechtfertigt und vertretbar, daß der Vertragspartner Vorsicht walten läßt und sich ζ. B. durch Rückfrage bei dem Vertretenen Gewißheit darüber verschafft, ob er das Geschäft trotz der Mißachtung der von ihm erteilten Weisungen gegen sich gelten lassen will 3 8 . Bei der gebotenen Abwägung der beiderseitigen schutzwerten Belange ist es m. E. notwendig, dem Schutz der Interessen des Vertretenen ein größeres Gewidit beizumessen, wenn der Vertreter beim Absdiluß des Geschäfts bewußt zum Nachteil des Vertretenen handelt. Hier ist es gerade auch vom Standpunkt eines redlichen Rechtsverkehrs aus gerechtfertigt und vertretbar, von dem Vertragspartner eine größere Rücksichtnahme auf die Interessen des Vertretenen zu verlangen. Bei einem ungetreuen Vertreter ist das Vertrauen des Vollmachtgebers in einem sehr viel stärkerem Maße getäuscht worden, als bei einem nur abredewidrigen Gebrauch der Vollmacht 39 . Audi besteht vom Standpunkt des redlichen Rechtsverkehrs aus in diesem Fall ein sehr viel größeres Bedürfnis, einem solchen Mißbrauch der Vollmacht entgegenzutreten. Diesem Bedürfnis muß bei einer sachgerechten Abwägung der hier in Betracht kommenden Interessen audi der Vertragspartner Rechnung tragen, weil auch er in seinem Ver3 8 Die Bedenken, die Mertens a. a. Ο. (Anm. 1) S. 477 gegen eine etwaige Pflicht zur Rückfrage geäußert hat, sind m. E. bei positiver Kenntnis von der Mißachtung der erteilten Weisungen nicht allzu ernst zu nehmne; sie haben wohl nur dann Bedeutung, wenn diese Pflicht dem Vertragspartner audi schon bei einem bloßen Verdacht auferlegt wird. ®9 Bei einem abredewidrigen Gebrauch der Vollmacht kann der Vertreter im Einzelfall durchaus — und zwar mitunter auch zu Recht — der Meinung sein, damit in sinnvoller Weise den Interessen seines Vollmachtgebers zu entsprechen.
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halten den Anforderungen eines redlidien Rechtsverkehrs entsprechen muß. Aus diesem Grund erscheint es mir angebracht, dem Vollmachtgeber den Einwand des Rechtsmißbrauchs nicht nur zu geben, wenn dem Vertragspartner die Benachteiligungsabsicht des Vertreters bekannt gewesen war, sondern auch dann, wenn sie ihm infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben war. Dagegen ist es m. E. nicht richtig, den Fällen des bewußt nachteiligen Vollmachtsmißbrauchs audi die Fälle gleichzustellen, in denen der Vertreter in Ausübung seiner Vollmacht, aber abredewidrig ein Rechtsgeschäft vorgenommen hat, das für den Vertretenen nachteilig gewesen war oder sich später als nachteilig herausgestellt hat, in denen aber der Vertreter nicht vorsätzlich zum Nachteil des Vertretenen gehandelt hat. Diese Tatbestände sind vom Standpunkt des redlichen Rechtsverkehrs aus ungleich weniger schwerwiegend als die vom Vertreter bewußt nachteilig vorgenommenen Rechtsgeschäfte, so daß es auch gerechtfertigt erscheint, insoweit die Anforderungen an das Verhalten des Vertragspartners geringer zu halten. Auch könnte es für die Sicherheit des Rechtsverkehrs nur schwer hingenommen werden, dem Vertragspartner beim Abschluß des Geschäfts die Pflicht aufzuerlegen, sich Gedanken darüber zu machen, welche wirtschaftlichen Folgen das Geschäft für den Vollmachtgeber haben würde oder haben könnte. Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch auf einen Gesichtspunkt hinzuweisen, der für die gerechte Abwägung der beiderseitigen Interessen von hoher Bedeutung ist und auf den die Entscheidung BGHZ 50, 112 das erste Mal hingewiesen hat, nämlich auf die Notwendigkeit, in diesem Rahmen auch das Verhalten des Vollmacht^ gebers, namentlich seine Nachlässigkeit bei der Überwachung des Vertreters, soweit eine solche nach der Verkehrsübung angebracht ist und erwartet werden kann, entsprechend zu berücksichtigen. Der Sachverhalt der genannten Entscheidung gibt hierfür ein bemerkenswertes und anschauliches Beispiel. Es entspricht einer allgemeinen Rechtsübung, im Rahmen einer Abwägung nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB das beiderseitige Verhalten der Vertragsparteien zu berücksichtigen, und es ist kein Grund ersichtlich, davon bei der Beurteilung der Rechtsfolgen eines Vollmachtsmißbrauchs abzusehen40. Das nachlässige Verhalten des Vollmachtgebers kann bei einem Rechtsgeschäft, das der Vertreter unter Verletzung der ihm erteilten 40 Wenn der Bundesgerichtshof als Rechtsgrundlage für eine solche Berücksichtigung des Verschuldens des Vollmachtgebers die Vorschrift des § 254 BGB heranzieht, so mag das angreifbar sein, wie Heckelmann, J Z 1970, 63 dargelegt hat. Im Rahmen des § 242 BGB ist eine solche Berücksichtigung aber jedenfalls notwendig (ebenso Mertens a. a. O. S. 477).
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Weisungen, und zwar in Kenntnis des Vertragspartners abgeschlossen hat, dazu führen, daß bei objektiver Betrachtung aller Umstände der Vertreter das Verhalten des Vollmachtgebers nach Treu und Glauben so deuten durfte, daß der Vollmachtgeber auf die von ihm erteilten Weisungen keinen wesentlichen Wert legt. In einem solchen Fall kann sich dann der Vollmachtgeber auch nicht darauf berufen, daß der Vertreter die ihm erteilten Weisungen mißachtet hat und dieses dem Vertragspartner bekannt gewesen ist. Handelt hingegen der Vertreter bewußt zum Nachteil des Vollmachtgebers, so kann bei einer gerechten Abwägung der einander widerstreitenden Interessen die Nachlässigkeit des Vollmachtgebers von so entscheidendem Gewicht sein, daß demgegenüber das Verschulden des Vertragspartners völlig zurücktritt. Die Abwägung kann aber auch dazu führen — und zwar ähnlich wie im Rahmen des § 254 B G B — , daß beiden Vertragsparteien in einem so oder so gearteten Verhältnis ihr schuldhaftes Verhalten anzulasten ist. In einem solchen Fall ist die Rechtslage diesen Verhältnissen entsprechend anzupassen. Ist ζ. B. ein anderweit nicht zu ersetzender Schaden entstanden 41 , so ist dann zwischen dem Vollmachtgeber und dem Vertragspartner der entstandene Schaden anteilig aufzuteilen. Einen Anspruch auf Erfüllung des abgeschlossenen Vertrages wird man in diesen Fällen dem Vertragspartner im allgemeinen nicht zubilligen können. Hingegen kommt aber in solchen Fällen ein Anspruch des Vertragspartners auf (anteiligen) Ersatz seines Vertrauensschadens in Betracht. Ein Wort ist noch zu der in der Rechtslehre vertretenen Meinung zu sagen, die Tatbestände des Vollmachtsmißbrauchs seien nach den allgemeinen Grundsätzen der Lehre von der culpa in contrahendo zu beurteilen. Dieser Meinung kann ich nicht beitreten, weil sie den Besonderheiten der hier gegebenen Verhältnisse und der hier zu beurteilenden Umstände nicht gerecht zu werden vermag. Zwar ist anzuerkennen, daß dem Vertragspartner bei einem Vollmachtsmißbrauch gewisse Verhaltenspflichten auferlegt werden und daß er diese Pflichten bei den Vertragsverhandlungen auch beachten muß. Aber es handelt sich dabei nicht um die allgemeinen Pflichten, die jedermann bei der Eingehung von Vertragsverhandlungen einhalten muß. Die Pflichten des Vertragspartners angesichts eines Vollmachtsmißbrauchs sind besondere Pflichten, die ihn nur und allein wegen des Vollmachtsmißbrauchs treffen und die deshalb auch einer besonderen rechtlichen Ausgestaltung bedürfen. Sie gehen nicht in den allgemei4 1 Der Vertragspartner ist etwa seiner Leistungsverpfliditung gegenüber dem Vertretenen nachgekommen, kann aber von dem ungetreuen Vertreter keinen Ersatz verlangen.
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nen Pflicbtenkreis ein, der durch die Lehre von der culpa in contrahendo umschrieben wird 42 . Für den handelsrechtlichen Bereich gelten Besonderheiten. In diesem Bereich ist die Vertretungsmacht (Prokura, Vertretungsmacht der persönlich haftenden Gesellschafter einer O H G oder K G , Vertretungsmacht der Organe von Handelsgesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit) zwingend dahin geregelt, daß der Umfang der Vertretungsmacht gesetzlich umfassend bestimmt ist und Beschränkungen im Innenverhältnis nicht den Umfang der Vertretungsmacht nadht außen berühren (§§ 49/50, 126 H G B , §§ 82, 269 Abs. 5 AktG, § 37 GmbHG, § 27 GenG). Dieser gesetzlichen Regelung liegt der Gedanke zugrunde, daß es im Interesse der Rechtssicherheit geboten ist, in diesem Bereich ganz allgemein klare Rechtsverhältnisse zu schaffen und demgemäß den Rechtsverkehr von einer Prüfung über den Umfang der Vertretungsmacht in jedem Einzelfall freizustellen. Dieses Interesse der Rechtssicherheit im handelsrechtlichen Bereich wird so hoch bewertet, daß der Gesetzgeber nicht nur den Umfang der Vertretungsmacht für den Regelfall bestimmt, sondern daß er darüber hinaus dieser Regelung audi zwingenden Charakter für jeden Einzelfall beigelegt hat. Diesem Interesse an besonderer Rechtssicherheit in diesem Bereich muß auch bei der Behandlung der Mißbrauchsfälle entsprechend Rechnung getragen und dabei namentlich sichergestellt werden, daß die vom Gesetz bezweckte Rechtsklarheit auf diesem Gebiet nicht über Gebühr beeinträchtigt wird 43 . Vor allem ist es nidit vertretbar, dem Vertragspartner eine allgemeine Prüfungspflicht darüber aufzuerlegen, wie das Verhalten des Vertreters in seinem Verhältnis zu dem Vertretenen im einzelnen zu beurteilen und ob dieses mit den Weisungen an den Vertreter zu vereinbaren ist. Denn damit würde die gesetzlidie Regelung, die den umfassenden Bereich der Vertretungsmacht zwingend festgelegt hat und damit den Vertragspartner von jeder Prüfung in dieser Richtung freistellt, in einem weiten Umfang aufgehoben und in ihr Gegenteil verkehrt. Das gilt namentlich, wenn man mit der Rechtsprechung, wie sie bis zur Entscheidung B G H 2 50, 112 allgemein gehandhabt wurde, auch in diesem Bereich bei jedem Mißbrauch, also auch schon bei einem intern
a D a s hat das Reichsgericht in seiner Entscheidung J W 1935, 1084 richtig erkannt, in der das Gericht es ablehnt, eine selbständige Prüfungspflicht auf dem Wege über die Lehre von der culpa in contrahendo zu bejahen und unter diesem ganz allgemeinen Gesichtspunkt die Mißbrauchsfälle abschließend zu beurteilen. 4 3 Aus dieser Sicht heraus ist es nicht verständlich, daß in der Rechtsprechung wiederholt (vgl. R G Z 145, 311, 315; B G H WM 1966, 491) mit besonderer Betonung hervorgehoben worden ist, es sei kein Grund ersichtlidi, den Mißbrauch bei einer gesetzlich geregelten Vertretungsmacht anders zu behandeln.
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weisungswidrigen Gebrauch der Vertretungsmacht dem Vertragspartner Ansprüche aus einem geschlossenen Vertrag versagt, falls er auch nur leicht fahrlässig den Mißbrauch nicht erkannt hat. Wenn man mit dem Gedanken ernst macht, der für die gesetzliche Regelung der §§ 49/50, 126 HGB, §§ 82, 269 Abs. 5 AktG, § 37 GmbHG, § 27 GenG maßgeblich ist, dann muß man den Mißbrauch der Vertretungsmacht, der lediglich darin besteht, daß der Vertreter die ihm gegebenen internen Weisungen mißachtet, für rechtlich bedeutungslos halten. Das gilt nicht nur dann, wenn der Vertragspartner diese Mißachtung nicht erkannt hat, sondern auch dann, wenn sie ihm bei Vertragsabschluß bekannt gewesen ist. Allein eine solche Beurteilung wird dem Umstand gerecht, daß sich der Vertragspartner in diesem Bereich überhaupt nicht um die internen Beziehungen zwischen dem Vertreter und seiner Gesellschaft (oder seinem Prinzipal) zu kümmern braucht und sie bei seinem Verhalten unberücksichtigt lassen darf. Es ist nicht seine Sache darüber zu wachen, daß der Vertreter die ihm erteilten Weisungen befolgt, oder sich Gedanken darüber zu machen, warum er ihnen in dem gegebenen Einzelfall nicht nachkommt. Der Vertreter mag als eigenverantwortlicher Vorstand ( § 7 6 Abs. 1 AktG) oder als wirtschaftlich unmittelbar interessierter Gesellschafter (Mitträger des Unternehmens) seine guten Gründe dafür haben, die er im Innenverhältnis auch durchaus rechtfertigen zu können glaubt. U m diese internen Verhältnisse braucht sich der Vertragspartner nicht zu kümmern. Man kann ihm nach Treu und Glauben nicht eine irgendwie geartete Rechtspflicht auferlegen, dafür zu sorgen, daß im handelsrechtlichen Bereich der Vertreter die internen Weisungen befolgt. Aus diesem Grunde halte ich es mit der heute herrschenden Meinung 44 für richtig, daß bei einer Mißachtung der internen Weisungen durch den Vertreter dem Vertragspartner Ansprüche aus dem abgeschlossenen Vertrag auch dann zustehen, wenn ihm diese Mißachtung bekannt gewesen ist. Unabhängig hiervon ist die Frage, wie es sich verhält, wenn der Vertreter bewußt zum Nachteil seiner Gesellschaft (oder seines Prinzipals) gehandelt hat. Bei der Beantwortung dieser Frage wird man m. E. den Besonderheiten der handelsrechtlichen Vertretungsmacht, namentlich dem zwingenden Charakter des Umfangs dieser Vertretungsmacht kein entscheidendes Gewicht beimessen können. Denn dieser zwingende Charakter hat mit der Berücksichtigung von Treu und Glauben, so wie sie für die Einschränkungen bei einer bewußt zum Nachteil des Vertretenen ausgeübten Vertretungsmacht von Bedeu44
Vgl. B G H Z 50, 112 und die Nachweise in Anm. 29, 30.
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tung ist, im Grunde gar nicht zu tun. In der gleichen Weise wie bei der bürgerlidireditlichen Vollmacht muß audi in diesem Bereich der redliche Rechtsverkehr geschützt werden. Unredliche Schädigungen der Gesellschaft (oder des Prinzipals) erscheinen auch mit Rücksicht auf den zwingenden Charakter des Umfangs der Vertretungsmacht nicht weniger schutzwürdig als bei der bürgerlichrechtlichen Vollmacht. Völlig zweifelsfrei erscheint es mir, unter diesem Gesichtspunkt dem Vertretenen auch im handelsrechtlichen Bereich die Einrede der Arglist zuzubilligen, wenn dem Vertragspartner bekannt war, daß der Vertreter mit dem Abschluß des Vertrages die Interessen des von ihm Vertretenen schädigen wollte. Denn ein solches Verhalten des Vertragspartnern kann nach Treu und Glauben keinesfalls hingenommen werden. Zweifelhaft erscheint mir hingegen, ob das gleiche zu gelten hat, wenn dem Vertragspartner der Schädigungsvorsatz des Vertreters nur infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben war. Ich möchte meinen, daß man diese Frage bejahen sollte. Denn wenn die Sachlage so ist, daß sich für einen objektiven Beurteiler ein solcher Vorsatz geradezu aufdrängt, daß der Vertragspartner die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlichem Maß verletzt hat, dann ist es bei gerechter Abwägung der sich insoweit widerstreitenden Interessen nach Treu und Glauben m. E. audi gerechtfertigt, dem Vertragspartner Ansprüche aus dem geschlossenen Vertrag zu versagen. Freilich wird man in diesem Zusammenhang auch immer die Frage aufwerfen müssen, ob den Vertretenen nicht ebenfalls ein Verschulden bei der Auswahl oder der Überwachung seines Vertreters trifft. Das gilt namentlich dann, wenn durch das ungetreue Verhalten des Vertreters ein Schaden entstanden und demgemäß zu entscheiden ist, wer im Verhältnis zwischen Vertretenem und Vertragspartner diesen Schaden zu tragen hat. Dabei wird man m. E. zu berücksichtigen haben, daß es bei Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände insoweit einen Unterschied ausmacht, ob der Vertragspartner Ansprüche aus dem abgeschlossenen Vertrag gegen den Vertretenen geltend macht oder ob er von diesem Ersatz des ihm selbst entstandenen Vertrauensschadens verlangt. Insoweit sollte man hier dem Gesichtspunkt besonders Rechnung tragen, daß nämlich der Vertragspartner sich nach dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht um das Verhältnis Vertreter/Vertretener zu kümmern braucht. Im übrigen gelten für den Mißbrauch der Vertretungsmacht im handelsrechtlichen Bereich keine Besonderheiten, so daß insoweit auf die Ausführungen zur bürgerlidireditlichen Vollmacht verwiesen werden kann.
Die Nachfolge in die Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft beim Tode eines Gesellschafters W E R N E R FLUME
1. Die Nachfolge in die Mitgliedschaft als gesellschaftsvertragliches Problem Der Verkauf und die Übertragung der Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft, bedingt auf den Todesfall, enthält, gleich ob die Übertragung durch eine bedingte Übertragung auf den Todesfall erfolgt oder durch den Gesellschaftsvertrag die Nachfolge für den Käufer auf den Todesfall bestimmt worden ist, gegenüber Kauf und Übertragung der Mitgliedschaft bzw. Nachfolge in die Mitgliedschaft durch gewöhnliches Rechtsgeschäft unter Lebenden keine grundsätzlichen Besonderheiten. Will man allen zur Nachfolge in die Mitgliedschaft in der Literatur geäußerten Meinungen, einschließlich der Ansicht der grundsätzlichen Unübertragbarkeit der Mitgliedschaft, Rechnung tragen, wäre es, damit die entgeltlich erfolgende Nachfolge auf den Todesfall sich mit dem Tode ohne weiteres vollzieht, nur erforderlich, daß die Nachfolge durch eine entsprechende Bestimmung des Gesellschaftsvertrages vereinbart wird und der zur Nachfolge Berufene an der Vereinbarung dieser Bestimmung teilnimmt. Ist die Mitgliedschaft nur auf den Todesfall verkauft worden, ohne daß die Nachfolge auf Grund einer bedingten Abtretung oder einer entsprechenden Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag ohne weiteres mit dem Tode des Gesellschafters eintritt, so ergibt sich nur hinsichtlich der Erfüllung des Kaufvertrages die rechtstechnische Schwierigkeit, daß nach der h. M. zu § 139 H G B die Mitgliedschaft nicht auf die Erbengemeinschaft als Gesamthand, sondern auf die einzelnen Miterben je zu deren Erbteil übergeht und so die einzelnen Miterben den Kaufvertrag je durch Übertragung der auf sie übergegangenen Teil-Mitgliedschaften zu erfüllen hätten. Es steht außer Frage, daß bei der entgeltlichen Nachfolge auf den Todesfall in die Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft der Erwerber der Mitgliedschaft, abgesehen davon, daß gegebenenfalls der schuldrechtliche Vertrag noch von den Erben zu erfüllen ist, mit dem Nachlaß und den Nachlaßbeteiligten, den Erben, den Pflichtteilsberechtigten und den Nachlaßgläubigern, nichts zu tun hat. Bei der
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bedingten Übertragung oder der entsprechenden Regelung im Gesellschaftsvertrag gehört die Mitgliedschaft nicht zum Nachlaß, weil die Nachfolge im Zeitpunkt des Todes erfolgt ist. Die entgeltliche Zuwendung der Nachfolge in die Mitgliedschaft auf den Todesfall und die unentgeltliche Zuwendung unterscheiden sich nur hinsichtlich der causa, nicht aber hinsichtlich des Vollzugs der Rechtsänderung. Wenn also die Nachfolge auf Grund entgeltlicher causa durch bedingte Abtretung oder durch gesellschaftsvertragliche Regelung als Rechtsgeschäft unter Lebenden bewirkt werden kann, so muß das gleiche auch für die unentgeltliche Zuwendung der Nachfolge auf den Todesfall gelten. Was den Vollzug der Nachfolge anbetrifft, geht es also gar nicht, wie man weithin meint, um eine Diskrepanz von Gesellschaftsrecht und Erbrecht. Vielmehr ergibt sich aus der Regelung der entgeltlich erfolgenden Nachfolge, daß für die Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft wie für jedes sonstige bedingt übertragbare Recht auch bei unentgeltlicher Zuwendung kraft Rechtsgeschäfts unter Lebenden der Rechtserwerb für den Nachfolger mit dem Todesfall bewirkt werden kann, ohne daß die Mitgliedschaft als Gegenstand der Erbschaft auf die Erben übergeht. Unterscheiden sich die unentgeltliche und die entgeltliche Zuwendung der Nachfolge in die Mitgliedschaft beim Tode eines Gesellschafters nicht hinsichtlich des Vollzugs der Zuwendung, so ergibt sich f ü r die unentgeltliche Zuwendung jedoch die besondere Frage des Verhältnisses des Nachfolgers zu den Nachlaßbeteiligten, den Erben, den Pflichtteilsberechtigten und den Nachlaßgläubigern. Diese Problematik ist aber nicht eine solche gerade der Nachfolge in die Mitgliedschaft, sondern eine solche allgemein der unentgeltlichen Zuwendung auf den Todesfall durch Rechtsgeschäft unter Lebenden. Die Nachfolge in die Mitgliedschaft ist als die Rechtsänderung bezüglich der Mitgliedschaft — gleichermaßen für die entgeltliche wie für die unentgeltliche Nachfolge - ausschließlich eine Frage des Gesellschaftsrechts. Nachdem die Abtretbarkeit der Mitgliedschaft, wenn der Gesellschaftsvertrag sie vorsieht, anerkannt ist und damit auch die Zuläsigkeit der Abtretung auf den Todesfall nicht mehr zweifelhaft ist, kann es sich nur noch um die Frage handeln, ob allein durch den Gesellschaftsvertrag, ohne daß der zur Nachfolge Berufene selbst an der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung beteiligt ist, die Nachfolge bewirkt werden kann. Die gesetzlichen Regelungen des Erbrechts können bei dieser Frage, die ja die entgeltliche Nachfolge ebenso wie die unentgeltliche betrifft, der Natur der Sache nach keine Rolle spielen. Die Erörterung der Nachfolge in die Mitgliedschaft auf den Todesfall wäre unvollständig, wenn die besonderen Rechtsfolgen der unent-
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geltlidien Nachfolge, obwohl es sich um das allgemeine Problem der unentgeltlichen Zuwendung auf den Todesfall durch Rechtsgeschäft unter Lebenden handelt, nicht beachtet würden. Hier wird darzulegen sein, daß die Interessen der Nachlaßgläubiger und der Pflichtteilsberechtigten durch die Anfechtungsnormen (§ 32 K O , § 3 AnfG) und die Regelung des Pflichtteilsrechts (§§ 2316, 2325, 2329) ausreichend gewahrt sind.
2. Die Berufung des Alleinerben oder aller Miterben auf Grund der sogenannten einfachen Nachfolgeklausel zur Nachfolge in die Mitgliedschaft in einer Personenhandelsgesellschaft Bestimmt der Gesellschaftsvertrag, daß beim Tode eines Gesellschafters die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt wird, so wächst — nach den Worten des Gesetzes in § 738 BGB — „sein Anteil am Gesellschaftsvermögen den übrigen Gesellschaftern zu". Durch die Anwachsung geht auf die übrigen Gesellschafter die Mitgliedschaft des Ausgeschiedenen über 1 . Für die Erben entsteht nach § 738 BGB der Auseinandersetzungsanspruch, soweit dieser nicht ausgeschlossen ist. Diese Nachfolge in die Mitgliedschaft durch die Anwachsung bei den verbliebenen Gesellschaftern ist als eine Rechtsfolge des Gesellschaftsvertrags nach allgemeiner Meinung im grundsätzlichen ohne rechtliche Problematik. Fraglich ist nur, wie der Ausschluß des Auseinandersetzungsanspruchs der Erben rechtlich zu behandeln ist 2 . Für die O H G ist in § 139 H G B der Fall besonders geregelt, daß nach dem Gesellschaftsvertrag „im Falle des Todes eines Gesellschafters die Gesellschaft mit dessen Erben fortgesetzt werden soll". Deshalb soll die Problematik der Nachfolge in die Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft beim Tode eines Gesellschafters an dem Beispiel der Personenhandelsgesellschaft behandelt werden. Wenn auch die Nachfolge in die Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft beim Tode eines Gesellschafters für die Personengesellsdiaft des Handelsrechts im allgemeinen anerkannt ist, so ist die dogmatische Einordnung dieser Nachfolge doch äußerst umstritten und gerade in neuerer Zeit ist das Thema in der Literatur viel behandelt 1 2
Siehe Flume, Festschrift Larenz. Siehe dazu unten S. 55 S.
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worden 3 . Bemerkenswert ist dagegen, daß es die Rechtsprechung nur selten beschäftigt hat. Das Reichsgericht4 hat zu dem seinerzeitigen Art. 123 Nr. 2 HGB die Ansicht vertreten, es handle sich bei der Fortsetzung der O H G mit den Erben „um die gesetzliche Konsequenz der Rechtsstellung als Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft, welche... selbst keineswegs eine durch erbrechtliche Nachfolge derivierte, sondern auf Grund im Gesetze bestimmter Tatsachen (von welchen die Tatsachen der Beerbung des verstorbenen Gesellschafters eines der gesetzlichen fixierten Momente ist) kraft Bestimmung des Handelsgesetzbuches . . . entstanden ist". Die Nachfolge in die Mitgliedschaft ist nach dieser Formulierung weder erbrechtlicher, noch vertraglicher Natur, sondern eine „gesetzliche" auf Grund der beiden Tatbestandsmomente, der Beerbung und der vertraglichen Bestimmung. Demgegenüber soll nach der Ansicht des BGH in der Grundsatzentscheidung BGHZ 22, 186 ff., wenn in dem Gesellschaftsvertrag die Vererblichkeit des Gesellschaftsanteils bestimmt ist, die Nachfolge in einer Personenhandelsgesellschaft sich „grundsätzlich auch nach erbrechtlichen Gesichtspunkten" regeln. Wörtlich heißt es in der Entscheidung5: „Dabei unterscheidet sich die Rechtslage hier im grundsätzlichen durch nichts gegenüber derjenigen, wie sie bei der Erbfolge ganz allgemein gegeben ist." Dies ist aber nach der herrschenden und auch vom BGH wie schon vordem in ständiger Praxis seit der Entscheidung RGZ 16, 40 ff. 6 vom Reichsgericht vertretenen Ansicht in Wirklichkeit nicht der Fall, wenn mehrere Miterben zur Nachfolge berufen sind. Denn bei der Fortsetzung mit mehreren Erben unterscheidet sich die Rechtslage „im grundsätzlichen" von der „Erbfolge ganz allgemein" dadurch, daß nach der herrschenden Meinung der Gesellschaftsanteil nicht der Erbengemeinschaft zusteht, sondern jeder der Miterben zu seinem Erbanteil selbständiger Gesellschafter der Gesellschaft wird 7 . Daß bei mehreren Miterben das Vermögen des Erb3 Vgl. zur neueren Literatur bes. die erschöpfende Literaturbesprechung von Peter Ulmer, ZGR 1972, 195 ff., 324 ff.; siehe ferner insbes. Kipp-Coing, Erbrecht § 91, IV, 8 u. N . 40 Zit.; Brox, Erbrecht, 2. Aufl. § 4 4 ; Lange, Erbrecht § 3 1 V ; Harry Westermann, Personengesellschaften Rdz. 471 ff.; Soergel-Schultze-v. Lasaulx, Kom. BGB § 727 N . 15 ff.; Zit. bei Säcker, Gesellsdiaftsvertragliche u. erbrechtliche Nachfolge in Gesamthandsmitgliedsdiaften (1970) § 1 N . 2 ff., zugleich betr. ausl. Literatur und auch ausländischer Regelungen; zur Reditsvergleidiung siehe insbes. die Hamburger Dissertation von Behrens, O H G und erbrechtliche Nachfolge, Hamburg 1969; Kurt Hanns Ebert, Die rechtsfunktionelle Kompetenzabgrenzung von Gesellsdiaftsredit und Erbrecht (1972) u. Zit. S. 151 ff. 4 RGZ 16, 40 ff., 58. 5 A. a. O. S. 191. β A. a. Ο. S. 58. 7 Siehe BGHZ 22, 192 u. Zit.
Die Nachfolge in die Mitgliedschaft
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lassers als Ganzes auf die Erben als Gesamthandsgemeinschaft übergeht, ist aber ein Fundamentalprinzip unseres Erbrechts. Deshalb läßt sich die nach h. M. eintretende Einzelnachfolge in die Mitglieschaft der Personenhandelsgesellschaft als Erbfolge nicht einordnen. An der h. M., daß, wenn bei einer Personenhandelsgesellschaft durch den Gesellschaftsver trag mehrere Miterben zur Nachfolge in die Mitgliedschaft berufen sind, jeder Miterbe selbständig Gesellschafter wird, ist festzuhalten. Die Frage, ob es sich um Gewohnheitsrecht handelt 8 , ist müßig in Anbetracht der gesetzlichen Regelung des § 1 3 9 HGB. In dieser Vorschrift wird zwar die Einzelnachfolge nicht statuiert, sie wird aber bestätigt. Die Ansicht, daß bei der Berufung von Miterben zur Nachfolge die Erbengemeinschaft als Gesellschafter nachfolge, ist „schon durch den klaren Wortlaut des Gesetzes (Jeder Erbe') endgültig ausgeschlossen9". Die durch § 139 HGB gesetzlich bestätigte Regelung der Einzelnachfolge der Miterben ist auch sach8 So Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965, S. 196; Rüthers, AcP 168, 276. 9 Flechtheim in Düringer-Hachenburg, Kom. HGB § 139 Anm. 15; vgl. auch die dort Zit.; RGZ 171, 349; H . Westermann, Personengesellschaften Rdz. 518; anders Liebisch, Z H R 116, 128 ff.; Siebert, N J W 1955, 809 ff. und ihnen folgend Kötter, Kom. HGB § 139 N . 2 (S. 510); ebenso interpretiert Säcker (a. a. O. S. 73, vgl. auch Zit. N . 19) § 139 HGB dahin, die selbständige Entscheidungsbefugnis habe nicht die Gesamthandsfreiheit der Mitgliedschaft zur Voraussetzung, sondern zur Folge. Demgegenüber ist zu sagen: § 139 H G B statuiert in der Tat nicht besonders die Einzelnachfolge, sondern setzt sie vielmehr voraus (vgl. statt vieler Kipp-Coing § 91 IV, 8 c). Mit dem Erbfall hat jeder Erbe nach § 139 HGB das Einzelredit, f ü r den seinem Erbteil entsprechenden Teil der Beteiligung zu entscheiden, ob er mit dem auf ihn entfallenden Teil der Beteiligung persönlich haftender Gesellschafter oder Kommanditist wird. Insofern entsteht also jedenfalls das Recht nicht für die Erbengemeinschaft, sondern für die einzelnen Miterben. In § 139 HGB steht ferner nichts davon, daß durch die Erklärung eines jeden Miterben — oder auch durch das Nidit-Erklären — die Beteiligung der Erbengemeinschaft in die Einzelbeteiligung umgewandelt würde. Es bleibt auch unerklärt, wie dem einzelnen Miterben das Recht zustehen soll, durch Erklären oder Nidit-Erklären in die angebliche Gesellschafterstellung der Erbengemeinschaft einzugreifen. Da dürfte doch wohl die „Erklärung" der Regelung des § 139 H G B plausibler sein, daß jedem einzelnen Miterben der auf ihn entfallende Teil der Beteiligung zusteht und er für seine Beteiligung dann die Stellung als Kommanditist beantragen und bei Nichtannahme des Antrags ausscheiden kann. Nach Ebert (a. a. O. S. 108 ff.) soll § 139 HGB nicht zu der Annahme nötigen, daß die Mitgliedschaft unmittelbar auf die Erben übergeht. Nach Ebert soll es in jedem Fall vielmehr eines Aufnahmevertrags bedürfen. Die These ist für das geltende Recht ohne Fundierung und nur verständlich, weil Ebert sie für sein apriorisches Dogma der nicht abdingbaren Unvererblichkeit der Mitgliedschaft braucht. Audi Wieland, auf den Ebert sich beruft, sagt (Handelsrecht I, 686 N . 20) zum geltenden Recht: „Im Gegensatz zum älteren Recht läßt HGB § 139 nur die Deutung zu, daß die Vereinbarung der Gesellschafter der Mitgliedschaft unmittelbar Vererblichkeit verleiht."
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gerecht. Es wäre zwar durchaus „denkbar", daß die Miterbengemeinschaft als solche Gesellschafterin würde. Die Miterbengemeinschaft ist aber für die Personenhandelsgesellschaft keine praktikable Rechtsfigur, sowohl was die Betätigung als Gesellschafter wie was die Haftung anbetrifft 10 . An dem seit der Entscheidung R G 16, 40 ff. 11 von der Rechtsprechung vertretenen und fast allgemein anerkannten Grundsatz der Einzelnachfolge in die Mitgliedschaft bei Berufung mehrerer Miterben zur Nachfolge durch den Gesellschaftsvertrag ist deshalb nicht zu rütteln 12 . Die Erbengemeinschaft haftet allerdings nach den erbrechtlichen Vorschriften neben dem Einzelnachfolger für die Altschulden der Gesellschaft. Ohne Fundierung sind auch die Ansichten, daß bei der Berufung von mehreren Miterben die vermögensrechtliche Seite der Mitgliedschaft und der Gesamthandsanteil sich trennen würden, indem die erstere der Erbengemeinschatf als Gesamthand zufalle13 und so insbesondere der Gewinnanspruch und der Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben zum Nachlaßvermögen gehörten14. Die Mitgliedschaft ist eine Einheit, die sich nicht von selbst aufspaltet, und die Abtretbarkeit des Gewinn- und Auseinandersetzungsanspruchs ersetzt nicht die Abtretung. Ist nach dem Gesellschaftsvertrag der Alleinerbe zur Nachfolge in die Mitgliedschaft berufen, so kann man die Nachfolge mit dem BGH 1 5 in der Weise interpretieren, daß durch den Gesellschaftsvertrag die Vererblichkeit der Mitgliedschaft begründet werde und die 1 0 Vgl. dazu u. a. Wiedemann a. a. Ο. S. 196 ff.; Η . Westermann a. a. Ο. Rdz. 516 ff.; Robert Fischer, Kom. HGB § 105 Anm. 28 a; Hueck, OHG § 28 II, 2. Selbst Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit S. 149 ff., verneint aus haftungsrechtlidien Gründen, daß die Erbengemeinschaft Gesellschafterin einer Personenhandelsgesellschaft sein kann, obwohl er der Erbengemeinschaft an sich (relative) Rechtsfähigkeit zuerkennt. 1 1 Diese Entscheidung kann nicht, wie Börner, AcP 166, 428 ff. und ihm folgend Kruse, Festsdir. Laufke (1971), 185 meinen, damit abgewertet werden, daß der vom Reichsgericht entschiedene Fall die Nachfolge durch eine Alleinerbin betroffen habe. In der ungewöhnlich ausführlichen Entscheidung setzt sich das Reichsgericht eingehend mit den verschiedenen Rechtsauffassungen betreffs der Berufung mehrerer Miterben zur Nachfolge als Gesellschafter auseinander und bekennt sich dann zu der Reditsauffassung der Einzelnachfolge. Damit hat die Entscheidung eine andere Qualität als ein bloßes „obiter dictum". Seit dieser Entscheidung kann man zu der in der Entscheidung vertretenen Meinung sagen: hoc iure utimur. Bemerkenswert ist die Einordnung der Entscheidung RGZ 16, 40 ff. durch Eberl (a. a. O. S. 52 ff.). Nach Ebert beruht die Annahme der Vererblichkeit der Mitgliedschaft in der Entscheidung auf „neomerkantilistischen Auffassungen jener Zeit" und steht damit im Zusammenhang, daß, wie Ebert nach Seraphim zitiert, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts „der moderne Nationalstaat systematisch daran geht, sich neue Machtpositionen aufzubauen". Aus der Entscheidung selbst hätte Ebert
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Mitgliedschaft ebenso wie andere Rechte und Rechtsverhältnisse auf den Erben übergehen. Die Fortsetzungsklausel des Gesellschaftsvertrags wäre hiernadi, was den Ubergang auf den Alleinerben anbetrifft, der Klausel eines Gesellschaftsvertrags gleichzusetzen, durch welche die Ubertragbarkeit der Mitgliedschaft durch rechtsgeschäftliche Abtretung begründet wird. Wie im letzteren Fall die Ubertragung durch das Ubertragungsgeschäft und nicht durch den Gesellschaftsvertrag bewirkt wird, dieser vielmehr nur die Ubertragbarkeit begründet, wäre nach der Interpretation des BGH audi bei der Fortsetzungsklausel diese nur der Grund der Vererblichkeit, der Rechtsübergang aber ein solcher des § 1922 BGB. Diese Einordnung der Nachfolge in die Mitgliedschaft, daß die kraft Gesellschaftsvertrags vererbliche Mitgliedschaft der allgemeinen Erbfolge unterliegt, ist aber bei der Nachfolge mehrerer Miterben nicht möglich, wenn man mit der h. L. die Sondernachfolge eines jeden Miterben in die Mitgliedschaft annimmt. Die Abspaltung eines Teils des Nachlasses mit der Sonderrechtsnachfolge nach Art des römischen Vindikationslegats ist mit unserer Erbrechtsordnung unvereinbar. Man hat demgegenüber eine „Rechtfertigung" der Sonderreditsnadifolge als einer erbrechtlichen Nachfolge darin gesucht, daß es sich um eine „Sondererbfolge" wie im Höferecht handele 16 , daß die Mitgliedschaft sich als „Sondergut" 17 vererbe oder daß es sich um ein gesellsdiaftsreditlidies „Sondererbrecht" 18 handle, und man hat audi auf das Sondergut bei der Gütergemeinschaft (§ 1417 BGB) hin-
allerdings bereits erfahren können, daß die Vererblichkeit der Mitgliedschaft in einer Personenhandelsgesellschaft nicht eine Erfindung erst des 19. Jahrhunderts ist. 12 Betreffs der Gegenmeinung siehe vor allem Börner, AcP 166, 426 ff. u. Zit. bei Peter Ulmer a. a. O. S. 198 N . 12; gegen Börner siehe Peter Ulmer a. a. O. S. 202 ff. Für die K G siehe BGHZ 58, 316 ff. 18 So Küster, Gesellsdiafternachfolge und Erbengemeinschaft bei O H G und K G (1968), 37 ff., 52 ff. mit der Folgerung, daß der Gesamthandsanteil ohne die gesellschaftsrechtliche Beteiligung auf den zur Nachfolge Berufenen übergeht und die gesellschaftsrechtliche Beteiligung zur Unterbeteiligung der Erbengemeinschaft wird; zu Küster mit Recht Wolfgang Blomeyer ZHR 135 (1971), 577 ff. Für Eberl (a. a. Ο. S. 71 ff.) ergibt sich die Trennung von Mitgliedschaft und vermögensrechtlicher Beteiligung auf Grund des von ihm angenommenen Dogmas der Unübertragbarkeit der Mitgliedschaft, indem dann die vermögensrechtliche Beteiligung für die Beerbung übrigbleibt. 14 Vgl. Hueth, O H G § 28 N . 25 u. Zit. 15 B G H Z 22, 191. 18 Vgl. Siebert, Gesellschaftsvertrag und Erbrecht bei der O H G , 3. Aufl. 1958; siehe dazu Soergel-Scbultze-v. Lasaulx § 727 N . 25, 26 u. Zit. " Liebisch Z H R 116, 128 ff. 18 Rüthers AcP 168, 263 ff., 276 ff.
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gewiesen19. Die Frage wird vor allem erörtert für den Fall der sogenannten qualifizierten Nachfolgeklausel, daß von mehreren Miterben nur einer oder jedenfalls nicht alle zur Nachfolge berufen sind. Das Problem ist jedoch im grundsätzlichen zu behandeln für die gesetzliche Regelung des § 139 HGB, daß alle Miterben ohne Qualifizierung entsprechend ihrer Erbenstellung zur Nachfolge berufen sind. Vornehmlich folgt die Literatur der These Sieberts von der „Sondererbfolge" nach Art des Höferechts 20 . Kötter 21 meint, Siebert folgend: „Allein die Annahme einer Sondererbfolge in die durch die Nachfolgeklausel vererblich gemachte Mitgliedschaft... dürfte befriedigend erklären können . . . , daß die Beteiligung vererbt worden und gleichwohl nicht in der § 2032 BGB entsprechenden Weise in den Nachlaß gefallen ist." Es ist aber gerade die Frage, ob bei der Nachfolge in die Mitgliedschaft auf Grund gesellschaftsvertraglicher Bestimmung die Mitgliedschaft überhaupt „vererbt" wird, d. h., ob es sich um eine erbrechtliche Nachfolge handelt. Die Annahme der Sondernachfolge der Miterben als erbrechtlicher Nachfolge ist eine These, die der dogmatischen Einordnung in unser Erbrecht entbehrt. Ihr liegt das Dogma zugrunde, als ob jede Zuordnung von Rechten oder Rechtsverhältnissen eines Erblassers erbrechtlicher Natur sein müßte. Wieviel weniger doktrinär war doch das Reichsgericht, als es 1886 hinsichtlich der Regelung des damaligen Art 123 Nr. 2 HGB, d.h. des jetzigen § 139 HGB, bekundete, daß die Rechtsstellung der nachfolgenden Gesellschafter „keineswegs eine durch erbrechtliche Nachfolge derivierte, sondern auf Grund im Gesetz bestimmter Tatsachen . . . kraft Bestimmung des Handelsgesetzbuches . . . entstanden ist". Es handelt sich danach zwar um eine Regelung für die Erben, aber es ist doch nach der Ansicht des Reichsgerichts keine Erbfolge, sondern eine besondere gesetzliche Regelung, wobei sowohl der Gesellschaftsvertrag wie die Erbenstellung nur je „eines der gesetzlichen fixierten Momente" sind. Begnügt man sich nicht mit der Erklärung, es handle sich um eine gesetzliche Regelung auf Grund der beiden „gesetzlichen fixierten Momente", sucht man vielmehr unter Berücksichtigung dieser Momente die gesetzliche Regelung einzuordnen, so muß man sich wegen der Heterogenität der Momente entscheiden, welchem der Vorrang zu geben ist. Da die Erbfolge wegen des Grundsatzes der Gesamtnachfolge ausscheidet, bleibt nur der Gesellschaftsvertrag. Erst recht gilt dies für die qualifizierte Nachfolgeklausel, wenn man mit der h. M. 19
Vgl. Wiedemann a. a. Ο S. 205 ff. und ihm folgend Säcker a. a. O. S. 86 ff.; dagegen mit Recht Peter Ulmer a. a. O. S. 207. 20 Siehe Peter Ulmer a. a. O. S. 206 u. Zit. " Kom. HGB § 139 N . 2.
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sie über die gesetzliche Regelung des § 139 HGB hinaus anerkennt. Die qualifizierte Nachfolgeklausel kann nicht so gewertet werden, daß für die von der Nachfolge Ausgeschlossenen die Vererblichkeit ausgeschlossen sei und deshalb die Erbfolge in die Mitgliedschaft für diejenigen stattfinde, für welche durch den Gesellschaftsvertrag die Vererblichkeit begründet sei22. Daß durch Rechtsgeschäft unter Lebenden eine unterschiedliche Erbfolge für die einheitlich als Erben Berufenen bewirkt werde, ist in unser Erbrecht nicht einzuordnen 23 . Demgegenüber fügt sich § 139 HGB sehr wohl unserer Zivilrechtsordnung ein, wenn man ihn als Sonderregelung eines Vertrages zugunsten Dritter versteht. Damit handelt es sich um eine Nachfolgeregelung durch Rechtsgeschäft unter Lebenden für die Erben 24 . Im Fall des § 139 HGB wird die Beteiligung, wie das Reichsgericht in der angeführten Entscheidung von 1886 richtig gesehen hat, nicht vererbt, vielmehr fällt sie auf Grund des Gesellschaftsvertrags dem Erben, allerdings auch nur diesem, zu. Man sollte dem nicht entgegenhalten, daß durch Vertrag zugunsten Dritter keine Verfügungen getroffen werden könnten 25 . Richtig ist zwar, daß die Rechtsprechung „dingliche" Verträge zugunsten Dritter nicht anerkennt 26 . Im Fall des § 331 BGB handelt es sich aber nicht nur darum, daß dem Dritten eine Leistung versprochen wird, vielmehr geht die Rechtsposition des Versprechensempfängers mit dessen Tod auf den Dritten über. Der Vertrag des § 331 BGB hat also die Qualität einer Verfügung. Für den Fall der Anlage eines Sparbuchs durch eine Großmutter auf den Namen ihrer Enkelin hat der BGH 27 angenommen, es liege die Frage nahe, „ob die Erblasserin das Sparguthaben nicht etwa ihrer Enkelin auf den Todesfall mit der Wirkung zuwenden wollte, 22
So Kotier, Kom. H G B § 139 N . 2 u. Eisenhardt, MDR 1969, 521/523; mit Recht sagt Peter Ulmer (a. a. Ο. S. 208), Kötter und Eisenhardt hätten sich „von dogmatischen Bedenken weitgehend befreit". 28 Ulrich Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personalgesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 457, hat die qualifizierte Nachfolgeklausel mit der Erbfolge dadurch in Einklang zu bringen versucht, daß sie eine „Aussdieidens"-Klausel für die nicht zur Nachfolge berufenen Erben sei. Danach •würden alle Miterben — für eine logische Sekunde — Gesellschafter, um dann sogleich kraft des Gesellschaftsvertrags ausgeschlossen zu werden. Nach der qualifizierten Nachfolgeklausel werden die von der Nachfolge ausgeschlossenen Miterben jedoch gar nicht Gesellschafter. Die Umdeutung in eine Ausscheidensklausel ist keine dogmatische Einordnung der qualifizierten Nachfolgeklausel, sondern eine der Wirklichkeit nicht entsprechende Konstruktion. 24 Vgl. Heinrich Lange, Erbrecht § 5, V, 3; Brox, Erbrecht § 44. 25 Siehe dazu Säcker a. a. O. S. 44 ff. u. Zit. 26 BGHZ 41, 95/96 u. zit. Entsch. 27 BGHZ 46, 198 ff.
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daß diese im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin Inhaberin des Sparguthabens werden sollte, soweit die Erblasserin nicht vorher anderweitig verfügt hatte". Mit völliger Unbefangenheit spricht der BGH hier wie auch weiter in der Entscheidung von dem „Zuwenden" des Sparguthabens. Die Enkelin erhält nach den Ausführungen der Entscheidung nicht etwa eine andere Forderung, als die Großmutter sie hatte. Die Enkelin erhält vielmehr das Sparguthaben der Großmutter, und nur deshalb kann denn auch nach § 952 BGB das Eigentum an dem Sparbuch auf die Enkelin übergehen, welches ja zweifellos für das Sparguthaben der Großmutter ausgestellt worden war. Es ist richtig, daß nach § 331 BGB der Vertrag zugunsten Dritter nur die Verfügung über eine Forderung betrifft. Es ist aber nicht einzusehen, wieso man darüber nicht hinausgehen könnte und insbesondere dem Gesetzgeber dies verwehrt sein sollte. Erst recht gilt dies, wenn man die Gesellschafterstellung als schuldrechtliche Rechtsposition versteht, was sie ja auch zu einem wesentlichen Teil ist. Die Vorschrift des § 139 HGB ist hiernach dahin zu interpretieren, daß der Gesellschaftsvertrag als Vertrag zugunsten Dritter für die Erben die Nachfolge in die Mitgliedschaft begründet. Durch die Sonderregelung des § 139 HGB ist § 333 BGB ausgeschlossen. Die „Zurückweisung" der Mitgliedschaft kann vielmehr nur durch Ausschlagung der Erbschaft erfolgen. Immer wieder ist gegen die Einordnung der Nachfolge in die Mitgliedschaft nach § 139 HGB als die Rechtsfolge des Gesellschaftsvertrags als eines Vertrags zugunsten Dritter vorgebracht worden, daß der Vertrag zugleich ein Vertrag zu Lasten Dritter sei, den unser Recht nicht kennt 28 . Dem ist nicht zu folgen29. Die Mitgliedschaft ist ein Recht oder eine Berechtigung. Daß sich aus ihr auch Verpflichtungen ergeben, macht aus der Zuwendung der Mitgliedschaft grundsätzlich ebensowenig einen Vertrag zu Lasten Dritter, wie die schenkweise erfolgende Zuwendung an einen Minderjährigen nicht den Charakter des lediglich einen rechtlichen Vorteil verschaffenden Geschäfts dadurch verliert, daß mit dem Erwerb auch Lasten verbunden sind. Es ist zudem aber nicht einzusehen, weshalb die Rechtsordnung nicht für besondere Arten von Verträgen zugunsten Dritter Sonderregelungen — wie eben § 139 HGB — treffen könnte, wenn nur die Interessen des Berechtigten genügend gewahrt sind. Daß dies aber mit der Regelung des § 139 HGB geschehen ist, sollte nicht bestritten werden. Zu Unrecht hat Peter Ulmer 30 davon gesprochen, daß, wenn die gesellschaftsvertragliche Nachfolgeklausel als Vertrag zugunsten Drit28 n 80
Vgl. ζ. B. U. Huber a. a. O. S. 454 u. N. 54 Zit. Siehe dazu u. a. Heinridi Lange, Erbrecht § 5 V, 3; Säcker a. a. O. S. 49 ff. A. a. O. S. 200.
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ter verstanden werde, die „erbrechtliche Nachfolgeklausel" in eine „rechtsgeschäftliche" umgedeutet werde. Eine „erbrechtliche" Nachfolgeklausel kann es gar nicht geben, und diejenigen, die einen Gesellschaftsvertrag mit Nachfolgeklausel schließen, wissen dies im allgemeinen auch. Der Gesellschaftsvertrag enthält immer nur „rechtsgeschäftliche" Klauseln, und es ist nur die Frage, ob die Nachfolgeklausel nur die grundsätzlich gegebene Unvererblichkeit der Mitgliedschaft aufhebt oder ob sie wirklich zur Nadifolge beruft, wie dies durch die Wertung als Vertrag zugunsten Dritter geschieht. Wenn Ulmer somit Heinrich Lange und Brox vorhält, sie blieben „den Beweis dafür schuldig, daß die Umdeutungsvoraussetzungen (Unwirksamkeit der erbrechtlichen Nachfolgeregelung, hypothetischer Wille der Gesellschafter zum Abschluß eines Vertrags zugunsten Dritter) vorliegen", so bedarf es dieses Beweises nicht. Denn für eine solche „Umdeutung", wie sie Ulmer annimmt, ist gar kein Raum. Der Inhalt der Nachfolgeklausel ist, daß kraft ihrer Vereinbarung, d. h. gesellschaftsvertraglich, auf die in der Klausel Benannten, und zwar ganz gleich, ob es sich um eine einfache oder die qualifizierte Nachfolgeklausel handelt, die Mitgliedschaft übergeht. Wenn die Nachfolgeklausel wegen dieses Inhalts als Vertrag zugunsten Dritter gewertet wird, so ist dies keine Umdeutung, sondern nur die rechtliche Erfassung des Inhalts der Vereinbarung. Ungeachtet dessen, daß im Falle des § 139 H G B die Nadifolge in die Mitgliedschaft auf dem Gesellschaftsvertrag beruht, gilt dies nach der Regelung des § 139 H G B doch nur für die Erben, d. h. nach der einfachen Nachfolgeklausel für den Fall, daß die Erben durch den Gesellschaftsvertrag entsprechend ihrer Erbenberufung auch zur Nachfolge in die Mitgliedschaft berufen sind. Beachtet man, daß die Regelung des § 139 H G B nur die gesellschaftsvertragliche Nachfolge für den Erben entsprechend der Erbfolge betrifft, so bestehen keine Bedenken, für diese Nachfolge, auch wenn sie keine erbrechtliche ist, doch auf die Vorschriften des Erbrechts zurückzugreifen. Eine besondere Problematik ergibt sich dabei für den vom Gesetz geregelten Fall der einfachen Nachfolgeklausel in Anbetracht der Aufteilung der Mitgliedschaft nur hinsichtlich der Haftung gegenüber den Nachlaßgläubigern. Es ist selbstverständlich, daß die Mitgliedschaft nicht der H a f tung für die Nachlaßverbindlichkeiten entzogen sein kann. Es dürfte ferner sachgerecht sein, für den Fall des § 139 H G B , daß alle Miterben entsprechend ihren Erbteilen die Mitgliedschaft erwerben, der Ansicht zu folgen, daß die einzelnen Miterben sogleich, je mit der auf sie übergegangenen Mitgliedschaft, für die Nachlaßverbindlichkeiten haften 31 .
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3. Die Berufung eines oder mehrerer Miterben durch die qualifizierte Nachfolgeklausel als Vertrag zugunsten Dritter Die Regelung des § 139 HGB stellt ab auf die beiden „gesetzlichen fixierten Momente", die gesellschaftsvertragliche Fortsetzungsklausel und die Erbeigenschaft des zur Nachfolge Berufenen. An die sogenannte qualifizierte Nachfolgeklausel, daß nur einer oder mehrere, aber nicht alle Miterben gesellschaftsvertraglich zur Nachfolge berufen sind, ist in § 139 H G B nicht gedacht. Sieht man die Wirkung der vom Gesetz gemeinten einfachen Nachfolgeklausel nur darin, daß sie die Vererblichkeit begründet, so kann man für die Anerkennung der qualifizierten Nachfolgeklausel sich nicht an § 139 HGB anlehnen. Wie sich bei der einfachen Nachfolgeklausel die Einzelnachfolge als Vererbung in unser Erbrecht nicht einordnen läßt, so gilt dies erst recht für die qualifizierte Nachfolgeklausel. Eine Fortentwicklung von der Anerkennung der einfachen zu derjenigen der qualifizierten Nachfolgeklausel ist nur möglich, wenn man bereits die Nachfolge mehrerer Erben auf Grund der einfachen Nachfolgeklausel als eine solche kraft des Gesellschaftsvertrags als Vertrags zugunsten Dritter begreift32. Indem der BGH davon ausging, daß auch bei der Fortsetzungsklausel der Übergang der Mitgliedschaft kraft Erbrechts erfolge, kam er in B G H Z 22, 186 ff. für die qualifizierte Nachfolgeklausel zu der Ansicht, daß der zur Nachfolge Berufene nur entsprechend seinem Erbteil Gesellschafter werde, die Mitgliedschaft dagegen zu den auf die nicht zur Nachfolge berufenen Miterben entfallenden Erbteilen den verbliebenen Mitgesellschaftern anwachse, der zur Nachfolge Berufene jedoch gegenüber den verbliebenen Gesellschaftern einen Anspruch auf Übertragung der angewachsenen Mitgliedschaft habe, so daß er nach der Übertragung die volle Mitgliedschaft des Erblassers erlangt hat, wie es die qualifizierte Fortsetzungsklausel bestimmt. Nach der Ansicht des BGH soll der gesellschaftsvertraglichen Regelung bei der qualifizierten Nachfolgeklausel „nur eine negative Wirkung, eine Sperrwirkung zukommen" 33 . Dabei bleibt jedoch unerklärlich, wieso als Erbfolge der Übergang der Mitgliedschaft nur auf den in der Nachfolgeklausel Benannten, als „Singularsukzession" möglich Vgl. dazu Peter Ulmer a. a. O. S. 328 ff. u. Zit. So ist denn audi in der Literatur die Möglichkeit der Fortsetzung der Gesellschaft kraft qualifizierter Nadifolgeklausel geleugnet worden (vgl. Geiler in Düringer-Hachenburg Kom. II, 1 Anm. 197; Flechtheim in Düringer-Hachenburg, Kom. II, 2 § 139 Anm. 15. Die qualifizierte Nadifolgeklausel kann hiernach nur als Eintrittsklausel Bestand haben). »» So Robert Fischer LM § 139 HGB Nr. 1. 31
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sein soll. Dann ist die Konstruktion von Ulrich Huber schon „logischer", wenn auch nicht richtig, daß die nicht zur Nachfolge Berufenen zwarGesellschafter werden, aber sogleich auch wieder ausgeschlossen werden 34 . Dem B G H ist darin beizupflichten, daß im Fall der qualifizierten Nachfolgeklausel der Miterbe nicht kraft Erbrechts in die volle Gesellschafterstellung nadifogen kann. Die Aufspaltung des B G H , daß der Miterbe kraft Erbrechts einen seinem Miterbenanteil entsprechenden Teil der Mitgliedsdiaft erwerbe und von den übrigen Gesellschaftern den auf diese in Teilen kraft Anwachsung übergangenen Rest der Mitgliedschaft herausverlangen könne, ist, was den angeblich erbrechtlichen Erwerb anbetrifft, wie dargelegt, mit dem Erbrecht unvereinbar, und was den Anspruch auf die Übertragung anbetrifft, eine willkürliche Konstruktion entgegen der wirklichen Vereinbarung. Die Nachfolgeklausel weiß von dieser Konstruktion nichts 35 . Es ist im übrigen auch gar nicht einzusehen, weshalb die Beteiligung des verstorbenen Gesellschafters zu einem mehr oder weniger großen Teil erst über die Vermögen der verbliebenen Gesellschafter an den durch die Nachfolgeklausel Berufenen gelangen soll und daß damit ζ. B. die zunächst auf die übrigen Gesellschafter übergegangenen Teile der Mitgliedschaft der Gefahr ausgesetzt werden, als Haftungsobjekt von den Gläubigern der übrigen Gesellschafter in Anspruch genommen zu werden. Es könnten auch noch weitere Komplikationen dadurch entstehen, daß einer der übrigen Gesellschafter vor der Übertragung stirbt und etwa auf Grund der einfachen Nachfolgeklausel mehrere Miterben an seine Stelle treten, oder, was noch schlimmer ist, auf Grund einer qualifizierten Nachfolgeklausel die von dem B G H behauptete Nachfolgeregelung eintritt. Und dies alles nur um der Konstruktion willen, weil die „Schulweisheit" sich nicht „träumen läßt", daß das durch die Fortsetzungsklausel vereinbarte Ergebnis der Nachfolge in die Mitgliedsdiaft auf Grund der Vereinbarung als eines Vertrags zugunsten Dritter eintreten könnte 36 . ®4 Siehe oben Anm. 23. Kruse, Festschr. Laufke (1971) S. 187 ff. hat, davon ausgehend, daß die Miterbengemeinsdiaft die Mitgliedsdiaft erwerbe, angenommen, daß der durch die qualifizierte Nachfolgeklausel Berufene auf Grund des Gesellschaftsvertrags als eines Vertrags zugunsten Dritter im Wege der Auseinandersetzung von den nicht zur Nachfolge Berufenen verlangen könne, daß sie ihm das Mitgliedsdiaftsrecht allein überlassen. Diese These ist ungeachtet der Frage, ob die Mitgliedschaft auf die Erbengemeinschaft übergeht, dogmatisch nicht einzuordnen. 36 Im grundsätzlichen stimmt mit der erbrechtlichen Lösung des BGH audi U. Huber (a. a. O. S. 446, 470 ff.) überein. Nur nimmt er nicht wie der BGH eine Anwachsung bei den verbliebenen Gesellschaftern mit dem Anspruch des durch die qualifizierte Nachfolgeklausel Berufenen auf Übertragung der Anwachsungsteile 85
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Es steht außer Zweifel, daß im Fall der qualifizierten Nachfolgeklausel mit dem Tode des Gesellschafters sein Gesellschaftsanteil auf den Nachfolger zu vollem Recht auf Grund des Gesellschaftsvertrags übergeht, wenn der Nachfolger bereits Gesellschafter ist. In diesem Fall ist es unstreitig, daß die Nachfolge eine solche kraft des Gesellschaftsvertrags ist. Nachdem einmal die Abtretung der Mitgliedschaft, wenn sie gesellschaftsvertraglich zugelassen ist, anerkannt ist, steht es ferner außer Frage, daß der Gesellschafter auf Grund der qualifizierten Nachfolgeklausel durch Zessionsvertrag seine Beteiligung mit Wirkung auf den Todesfall auf den Nachfolger übertragen kann 37 . Es wäre nur zu erwägen, ob diese Übertragung als Schenkung auf den Todesfall nach § 2301 BGB der Form bedarf, wenn man die Formvorschrift bei der Schenkung auf den Todesfall über das Schenkungsversprechen hinaus auch auf die Zuwendung ausdehnt38. Man sollte erkennen, daß durch die Anerkennung der Möglichkeit, die Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft durch Zessionsvertrag zu übertragen, die Problematik der Gesellschafternachfolge auf Grund der qualifizierten Nachfolgeklausel einen grundsätzlich anderen Aspekt erhalten hat. Hier wie auch sonst zeigt sich, welche kardinale Bedeutung für die Dogmatik des Gesellschaftsrechts die Anerkennung der Abtretbarkeit der Mitgliedschaft hat 3 9 . Die Nichtanerkennung der Übertragung der Mitgliedschaft durch den Gesellschaftsvertrag auf den durch die Nachfolgeklausel Berufenen beruht danach nur noch auf theoretischem Doktrinarismus. Der Kautelarjurist wird, solange die Rechtsprechung nicht die unmittelbare volle Nachfolge in die Gesellschafterstellung auf Grund
an, vielmehr soll nach Huber ein „Buchgewinn" der Gesellschaft hinsichtlich des den Erbteil übersteigenden Anteils an der „Wertbeteiligung" des Erblassers am Gesellschaftsvermögen entstehen, mit der Folge, daß dieser Buchgewinn dem Nachfolger des verstorbenen Gesellschafters zugewiesen wird. Es gibt jedodi nicht neben der Mitgliedschaft eine ihr gegenüber verselbständigte Wertbeteiligung, die ein anderes rechtliches Schicksal haben könnte als die Mitgliedschaft, und so bleiben uns auch solche Ergebnisse wie der „Buchgewinn" erspart. Vgl. zu Huber auch Peter Ulmer a. a. O. S. 210 ff. 3 7 Vgl. B G H LM § 516 BGB Nr. 3 = N J W 1959, 1433. 3 8 Siehe dazu unten S. 55 ff. 3 9 Die neuere Polemik von Ebert, Die rechtsfunktionelle Kompetenzabgrenzung von Gesellschaftsrecht und Erbrecht, 1972, gegen die Nachfolge in die Mitgliedschaft auf Grund der gesellschaftsvertraglichen Nachfolgeklausel beruht denn auch nur auf dem von ihm angenommenen Dogma der Unübertragbarkeit und Unvererblichkeit der Mitgliedschaft in der Personengesellschaft als einer „Persönlichkeitsbeteiligung". Nach Ebert ist nur eine „Eintrittsklausel" für den Gesellschaftsvertrag möglich. Die Eintrittsklausel ist nach Ebert ( a . a . O . S. 109/110) „ein bindendes, nur aus wichtigem Grunde widerrufliches Aufnahmeangebot". Aus dem „einverständlichen Ver-
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der gesellschaftsvertraglichen Nachfolgeklausel anerkennt, die qualifizierte Nachfolgeklausel durch eine Abtretung der Mitgliedschaft auf den Todesfall ergänzen, wobei sich der Abtretende, wenn er sich selbst noch nicht binden will, den jederzeitigen Rücktritt vorbehalten kann, es ist bereits bei der Erörterung der einfachen Nachfolgeklausel dargelegt worden, daß in Anbetracht der Regelung des § 139 HGB die Nachfolgeklausel als Vertrag zugunsten Dritter die Nachfolge zu begründen vermag. Durch den Hinweis auf die Möglichkeit der Kombination von qualifizierter Nachfolgeklausel und Abtretung auf den Todesfall wird diese These, was das Ergebnis anbetrifft, im grundsätzlichen bestätigt. Der BGH folgert 40 aus der erbrechtlichen Nachfolgethese: „Der Miterbe, der als Gesellschafter-Nachfolger zugelassen ist, erhält kraft seines Erbrechts nur einen Teil des Gesellschaftsanteils seines Erblassers, während die Miterben, die als Gesellschafter-Nachfolger nicht zugelassen sind, zur gesamten Hand einen Abfindungsanspruch nach Maßgabe der gesellschaftsvertraglichen Regelung, und zwar unter Berücksichtigung der ihnen zustehenden Erbteile, gegen die Gesellschaft erhalten." Auch hier zeigt sich wieder, daß die erbrechtliche These hinsichtlich der Nachfolge auf Grund der gesellschaftsvertraglichen Nachfolgeklausel eine Konstruktion entgegen der Wirklichkeit ist. Nach der Nachfolgeklausel, wie sie in Wirklichkeit vereinbart ist, ist für einen Abfindungsanspruch der nicht zur Nachfolge berufenen Miterben gegen die Gesellschaft überhaupt kein Raum, weil nach der Nachfolgeklausel die volle Mitgliedschaft auf den Nachfolger übergehen soll41. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, muß der BGH aus
halten vor dem Erbfall" kann man nach Ebert bezüglich der Erben „zwanglos auf den Willen schließen, das Angebot der Gesellschafter im Zeitpunkt des Erbfalls anzunehmen". Für Ebert ergibt sich daraus: „Der die Mitgliedschaft begründende Aufnahmevertrag kommt damit nach § 151 BGB zustande." Ebert spricht von seiner These als „sachangemessenenem Denkansatz", von dem „Ansatz einer Neubesinnung". Er bezeichnet die These der Unübertragbarkeit und Unvererblichkeit der Mitgliedschaft als „einen neuen Ansatzpunkt für die Diskussion". Ist es schon bemerkenswert, daß die These der Unübertragbarkeit der Mitgliedschaft als ein „neuer" Ansatzpunkt hingestellt wird, so enthüllt sich die These von dem „substantiellen Strukturgehalt der Persönlichkeitsbeteiligung", der angeblich die Vererblichkeit und Ubertragbarkeit der Mitgliedschaft ausschließt, als bloßer Doktrinarismus, wenn nach Ebert über das in der gesellschaftsvertraglichen Nachfolgeklausel enthaltene Eintrittsangebot und die Annahme desselben nach § 151 BGB „im Zeitpunkt des Erbfalls" (sie!) doch die gleiche Rechtsfolge wie bei der Nachfolge in die Mitgliedschaft eintritt. 10 BGHZ 22, 194. 41 Mit Recht sagt Wiedemann, a . a . O . S. 170, den Ausschluß des Abfindungsanspruchs zu untersuchen, erscheine ihm „sinnwidrig".
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der Nachfolgeklausel neben der fingierten Vereinbarung, nach welcher die verbliebenen Gesellschafter sich zur Übertragung des ihnen angeblich angewachsenen Teils der Mitgliedschaft verpflichten, auch noch die Vereinbarung über den Ausschluß der Abfindung der angeblich weichenden Erben konstruieren 42 . Unerklärlich bleibt dabei auch, wieso die nicht zur Nachfolge berufenen Miterben hinsichtlich des Abfindungsanspruchs eine selbständige Gesamthandsgemeinschaft bilden, es also zwei Miterbengemeinschaften, eine hinsichtlich des Abfindungsanspruchs, an welcher der zur Nachfolge Berufene nicht teilnimmt, und eine für die Erbschaft ohne den Abfindungsanspruch. Auch hiervon weiß unser Erbrecht jedoch nichts. Der BGH beruft sich in der Entscheidung BGHZ 22, 186 ff., 194 zu Unrecht auf das Reichsgericht (RGZ 170, 106 und 171, 360) für seine These, daß bei der qualifizierten Nachfolgeklausel der Nachfolger nur einen Teil des Gesellschaftsanteils des Erblassers erhalte, während den nicht zur Nachfolge berufenen Miterben ein Abfindungsanspruch zustehe. Von einem Abfindungsanspruch kann nur die Rede sein, wenn nicht der volle Kapitalanteil auf den durch die qualifizierte Nachfolgeklausel Berufenen übergeht. Für das Reichsgericht war es aber selbstverständlich, daß der durch die qualifizierte Nachfolgeklausel Berufene kraft dieser gesellschaftsrechtlichen Regelung den vollen Kapitalanteil erhielt. In der Entscheidung RGZ 170, 99 if. wird (S. 106) für den Fall einer qualifizierten Eintrittsklausel zwar erörtert, sie könne zum Inhalt haben, daß der Nachfolger nur mit dem seinem Erbteil entsprechenden Teil des Kapitalanteils Gesellschafter wird und die übrigen Miterben ausscheiden und dafür der Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft gegeben ist. Das Reichsgericht nahm dies aber in dem fraglichen Fall gerade nicht an, sondern ging davon aus, daß auf Grund der qualifizierten Eintrittsklausel dem in die Firma eintretenden Erben der volle Geschäftsanteil des durch Tod ausgeschiedenen Gesellschafters zufiel (a. a. O. S. 107), und der Ausgleich nur zwischen dem Eintretenden und seinen Miterben erfolgte. Selbstverständlich kann der Gesellschaftsvertrag, wenn durch die qualifizierte Nachfolgeklausel nur einer von mehreren Miterben zur Nachfolge berufen wird, bestimmen, daß die Mitgliedschaft nur zum Teil, nämlich entsprechend dem Erbteil, auf den zur Nachfolge Berufenen übergeht und im übrigen eine Abfindung erfolgt. Der Abfindungsanspruch würde dann entweder der Erbengemeinschaft, d. h. den Erben einschließlich des zur Nachfolge als Gesellschafter Berufenen, zur gesamten Hand zustehen; die gesellschaftsvertragliche Vereinbarung könnte aber auch zum Inhalt haben, daß jedem der
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Miterben ein Abfindungsansprudi gegen die Gesellschaft als Einzelansprudi kraft des Gesellschaftsvertrags als eines Vertrags zugunsten Dritter zusteht. In aller Regel wird aber die qualifizierte Nachfolgeklausel darauf geriditet sein, daß der zur Nachfolge Berufene die volle Mitgliedschaft erlangt, so daß Abfindungsansprüche gegen die Gesellschaft gar nicht entstehen können und nicht erst kraft besonderer Vereinbarung ausgeschlossen werden müssen, und so die Annahme eines stillschweigenden Ausschlusses von Abfindungsansprüchen durch die qualifizierte Nachfolgeklausel gegenstandslos ist43. Der Fall der qualifizierten Nachfolgeklausel unterscheidet sich von dem der einfachen Nachfolgeklausel dadurch, daß der Rechtserwerb des Nachfolgers einer rechtsgeschäftlich begründeten causa als Rechtfertigung bedarf. Bei der einfachen Nachfolgeklausel hat der Erwerb der Mitgliedschaft, wenn man ihn auf den Gesellschaftsvertrag gründet, seine causa darin, daß er den Erbteilen entspricht. Bei der qualifizierten Nachfolgeklausel scheidet die Erbfolge als causa, die den Erwerb der Mitgliedschaft rechtfertigen könnte, aus, weil der Erwerb ja über den Erbanteil hinausgeht. Selbst nach der Ansicht der Entscheidung BGHZ 22, 186 ff., daß der durch die qualifizierte Nachfolgeklausel Berufene kraft Erbrechts nur den seinem Erbteil entsprechenden Teil der Mitgliedschaft, auf Grund des Gesellschaftsvertrags als eines Vertrags zugunsten Dritter, aber den Anspruch auf Ubertragung der den Mitgesellschaftern nach Ansicht des BGH angewachsenen übrigen Teile der Mitgliedschaft erhält, bedarf dieser letztere Erwerb — was die Entscheidung des BGH nicht beachtet — der Rechtfertigung durch eine causa im Verhältnis zu dem verstorbenen Gesellschafter bzw. zu seinen Erben. Die causa für den Erwerb der Mitgliedschaft oder — nach der Ansicht des BGH — des Anspruchs gegen die Mitgesellschafter kann im Fall der qualifizierten Nachfolgeklausel durch einen Schenkungsvertrag mit dem Nachfolger oder durch die Zuwendung des Erwerbs als Vermächtnis begründet werden. Darüber hinaus ist aber für die unentgeltliche Zuwendung durch einen Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall anzunehmen, daß durch diesen Vertrag die Zuwendung an den Begünstigten einseitig als Schenkung vollzogen werden kann, wie dies für den Lebensversicherungsvertrag anders gar nicht denkbar ist44.
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Siehe zu dieser Konstruktion auch Huede, O H G § 28 N . 37. ® So auch im allgemeinen die Literatur; vgl. Hueck O H G § 28 N . 37 u. Zit.; Wiedemann a . a . O . S. 170; H . Westermann a . a . O . Rdz. 535, 538; unrichtig hinsichtlich der Wiedergabe der Literatur Peter Ulmer a. a. O. S. 198 N . 17. 44 Vgl. U. Huber a. a. O . S. 483 u. N . 67; Flume, Rechtsgeschäft S. 150; siehe aber auch unten Anm. 81. 4
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4. Das Verhältnis des durch die qualifizierte Nachfolgeklausel Berufenen zu den anderen Nachlaßbeteiligten, insbesondere zu den Miterben Was das Verhältnis zu den anderen Nachlaßbeteiligten anbetrifft, so ist der Fall der qualifizierten Nachfolgeklausel dem der einfachen Nachfolgeklausel nicht gleichzustellen. Wenn die Nachfolgeklausel und die Erbfolge übereinstimmen, ist es allerdings sachgerecht, für das Verhältnis zu den anderen Nachlaßbeteiligten nicht danach zu unterscheiden, ob der Erwerb auf der Erbfolge oder auf einer rechtsgeschäftlichen Zuwendung auf den Todesfall beruht. Besonders evident ist dies, wenn der Alleinerbe zur Nachfolge berufen ist. Bei der qualifizierten Nadifolgeklausel dagegen handelt es sich um eine Zuwendung, die nur auf den Gesellschaftsvertrag als Vertrag zugunsten Dritter gegründet ist. Deshalb muß hier das gleiche gelten, wie wenn sonst der Erbe durch Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall schenkweise vom Erblasser eine Zuwendung erhält. Der Nachfolger auf Grund qualifizierter Nachfolgeklausel haftet deshalb den Nachlaßgläubigern nach § 32 KO, § 3 Ziff. 3 und 4 AnfG. Der Erwerb der Mitgliedschaft ist nach §§ 2316, 2325 für den Pflichtteils- bzw. Pfliditteilergänzungsanspruch mitzuredinen. Soll bei der qualifizierten Nadifolgeklausel die Nachfolge in die Mitgliedschaft für das Pflichtteilsrecht außer Betracht bleiben, so bedarf es dafür des Vertrags des Erblassers mit dem oder den Pflichtteilsberechtigten nach § 2346 Abs. 2 BGB. Bei der qualifizierten tritt im Gegensatz zur einfachen Nachfolgeklausel zu der Frage der Haftung mit der Mitgliedschaft für die Nachlaßverbindlichkeiten und zu den Pflichtteilsfragen noch hinzu die Problematik des Verhältnisses des Nachfolgers in die Mitgliedschaft zu den nicht zur Nachfolge in die Mitgliedschaft berufenen Miterben. Nach der Entscheidung BGHZ 22, 186 ff., 197 kann der enge Zusammenhang des vom BGH angenommenen Ausschlusses des Abfindungsanspruchs der nicht zur Nachfolge berufenen Miterben mit dem angeblichen Anspruch des Nachfolgers gegen die verbliebenen Gesellschafter auf Übertragung der nach Ansicht des BGH auf diese übergegangenen Teile der Mitgliedschaft „unter Berücksichtigung von Treu und Glauben auf das Verhältnis unter den Miterben nidht ohne Einfluß bleiben." Den Miterben-Gesellschafter soll deshalb nach der Ansicht des BGH im Verhältnis zu seinen Miterben eine entsprechende Ausgleichspflicht treffen, wenn der Erblasser nicht durch eine Verfügung von Todes wegen eine abweichende Regelung getroffen hat.
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Robert Fischer45 hat hierzu gemeint, die Heranziehung des § 242 BGB als Rechtsgrundlage für die Ausgleichspflicht möge „konstruktiv vielleicht nicht ganz befriedigen". Natürlich besagt der Hinweis auf § 242 BGB und auf Treu und Glauben nichts. So allgemein kann aber überhaupt nicht vertreten werden, der Erwerb der Mitgliedschaft durch einen Miterben könne grundsätzlich „auf das Verhältnis unter den Miterben nicht ohne Einfluß bleiben". Die Ausgleichspflicht gegenüber den nicht zur Nachfolge berufenen Miterben ist äußerst umstritten 46 . Grundsätzlich wird jedoch eine Ausgleichspflicht im allgemeinen bejaht. Es handelt sich in Wirklichkeit nicht um ein Sonderproblem der Nachfolge in die Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft, sondern um das allgemeinere Problem, wie die unentgeltlichen Zuwendungen auf den Todesfall durch Rechtsgeschäft unter Lebenden, insbesondere den Vertrag zugunsten Dritter im Verhältnis des so Bedachten zu seinen Miterben zu behandeln sind. Wenn hier nur von der Nachfolge in die Mitgliedschaft die Rede ist, so handelt es sich doch nur um einen Sonderfall der Zuwendung auf den Todesfall durch Vertrag zugunsten Dritter. Liegt eine Verfügung von Todes wegen vor, so ist zunächst zu fragen, ob sich aus ihr eine Regelung für das Verhältnis des zur Nachfolge in die Mitgliedschaft Berufenen und seiner Miterben ergibt. Auch oder gerade wenn man annimmt, daß die schenkweise Zuwendung durch Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall nicht eines besonderen Schenkungsvertrags mit dem Bedachten bedarf, sollte man anerkennen, daß der Erblasser, wenn nicht ein besonderer Schenkungsvertrag vorliegt, diese Zuwendung in eine Verfügung von Todes wegen einbeziehen kann, indem er durch diese das Verhältnis des Bedachten zu den Miterben hinsichtlich der Zuwendung der Mitgliedschaft regelt. So kann der Erblasser in der Verfügung von Todes wegen anordnen, daß der zur Nachfolge in die Mitgliedschaft Berufene sich den Wert der Mitgliedschaft auf sein Erbteil anrechnen lassen oder auch Ausgleichszahlungen leisten muß. Hinsichtlich der Ausgleichszahlung würde es sich um eine Auflage i. S. von § 525 BGB handeln. Wenn die schenkweise Zuwendung der Mitgliedschaft durch den Gesellschaftsvertrag als Vertrag zugunsten Dritter keines Schenkungsvertrags mit dem Bedachten bedarf, so kann auch die Auflage als eine solche des § 525 BGB einseitig von dem Zuwendenden angeordnet werden 47 . 45
LM § 139 H G B Nr. 1. Vgl. dazu Peter Ulmer a . a . O . S. 326 ff. u. S. 324 N . 12y, 131 Zit.; insbes. auch Säcker a. a. O. S. 89 Zit. 47 Wegen der Belastung mit einem Vermächtnis siehe Kipp Festsdir. Prinzregent Luitpold 1901, Erlangen, S. 107 ff., 134 ff.; Kipp-Coing, Erbrecht § 5 4 I, 3. 46
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Fehlen bei der Verfügung von Todes wegen besondere Bestimmungen über das Verhältnis des zur Nachfolge in die Mitgliedschaft Berufenen und der Miterben, so ist durch Auslegung zu ermitteln, ob aus dem Sinn der Anordnung der Verfügung von Todes wegen im Zusammenhang mit der Berufung zur Nachfolge in die Mitgliedschaft Folgerungen für das Verhältnis zu den Miterben zu ziehen sind. Die Auslegung kann so audi ohne ausdrückliche Anordnung die Anredinung und auch die Verpflichtung zur Ausgleichszahlung ergeben48. Die Literatur geht teilweise davon aus, „daß jeder Erbe bei der Erbauseinandersetzung einen Anspruch darauf hat, in Höhe seiner Erbquote zumindest wertmäßig am Nachlaß beteiligt zu sein, zu dem audi das nachlaßrechtliche Sondergut ,Mitgliedschaft an einer Personengesellschaft' gehört" 49 . Hierbei handelt es sich um eine Beweisführung mit dem Thema probandum. Ein eigenständiges Redit hat bei einem Erbfall hinsichtlich des Nachlasses nur der Pflichtteilsberechtigte. Dem entspricht es, daß die unentgeltliche Zuwendung der Mitgliedschaft an den durch die qualifizierte Nachfolgeklausel Berufenen das Pflichtteilsrecht nicht schmälert (§§ 2325, 2329 BGB). Im übrigen sind die Rechte des Erben abhängig vom Willen des Erblassers. Deshalb ist, wenn eine Verfügung von Todes wegen vorliegt, diese dafür maßgebend, ob eine Ausgleichungspflicht und sogar eine Verpflichtung zur Ausgleichszahlung besteht. Fraglich kann nur sein, wie die Rechtslage ist, wenn die Auslegung des Testaments nichts ergibt oder mangels Verfügung von Todes wegen die gesetzliche Erbfolge eingreift. Man wird sich für diese Fälle an die Maxime halten müssen, welche das Erbrecht im ganzen beherrscht, daß die Regelung gilt, welche am ehesten dem allgemein zu vermutenden Willen des Erblassers entspricht. Es handelt sich um die Problematik, die vom Gesetz in den § 2050 ff. BGB für die Abkömmlinge als gesetzliche Erben behandelt wird. In der Literatur wird die Ansicht vertreten 50 , die §§ 2050 ff. BGB könnten deshalb nicht herangezogen werden, weil sie die Ausgleichung von Vorempfängen beträfen, während die Nachfolge in die Mitgliedschaft eine Zuweisung auf den Todesfall sei. Demgegenüber wird man sagen müssen, daß die Ausgleichspflicht, soweit sie für die Vorempfänge besteht, erst recht für die Zuweisungen auf den Todesfall gelten muß. 48 Die Vorschrift von § 2056 S. 1 BGB steht der Annahme einer Verpflichtung zur Ausgleichszahlung nidit entgegen, wenn die Zahlungspflidit durch Auflage angeordnet ist. Anders für eine Zahlungspflicht „per se" Brox, Erbrecht Rdz. 761. 49 So in der Wiedergabe einer verbreiteten Meinung die Formulierung von Säcker a. a. O. S. 91. 50 Vgl. Heinrich Lanze, Erbrecht § 31 V, 4; H . Westermann a. a. O. Rdz. 542.
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Man sollte deshalb die Ausgleichspflicht, soweit sie nach §§ 2050 ff. besteht, d. h. im Verhältnis von Abkömmlingen als Miterben zum gesetzlichen Erbteil, voll auf die Nadifolge in die Mitgliedschaft auf Grund qualifizierter Nachfolgeklausel anwenden. Anzuknüpfen ist an § 2050 Abs. 1 BGB. Die Zuwendung der Mitgliedschaft ist der Ausstattung vergleichbar. Deshalb besteht die Ausgleichungspflicht nicht, wie in § 2050 Abs. 3 BGB vorgesehen, nur bei einer entsprechenden Anordnung, sondern sie ist nur nicht gegeben, wenn sie durch Anordnung des Erblassers ausgeschlossen ist. In § 2050 ist nur davon die Rede, daß die Ausgleichungspflicht bei der Zuwendung ausgeschlossen wird. Daraus folgert man, der Erblasser könne nachträglich die Ausgleichungspflicht nur durch Verfügung von Todes wegen ausschließen. Demgegenüber ist zu beachten, daß bei der Nachfolge in die Mitgliedschaft kraft der qualifizierten Nachfolgeklausel die Zuwendung erst im Zeitpunkt des Todes des Erblassers erfolgt, wenn die Mitgliedschaft nicht zusätzlich zu der Nachfolgeklausel bereits vorher ohne Widerrufsvorbehalt auf den Todesfall abgetreten ist. Deshalb kann die Anordnung über den Ausschluß der Ausgleichungspflicht von dem Erblasser audi noch nachträglich durch formlose Erklärung erfolgen, wie er auch die Anordnung nachträglich durch formlose Erklärung wieder aufheben kann. Nach § 2056 BGB besteht auf Grund der Ausgleichungspflicht keine Pflicht zur Herauszahlung des Mehrbetrags, und eine solche Pflicht läßt sich auch als analoge „gesetzliche Regelung" für den Fall der qualifizierten Nachfolgeklausel nicht begründen. Man kann für die Begründung einer positiven Zahlungspflicht auch nicht auf die Grundsätze der Teilungsanordnung zurückgreifen. Denn jedenfalls hat der Erblasser dem durch die qualifizierte Nachfolgeklausel Berufenen die Mitgliedschaft zugewandt und nicht die Erben zu gleichen Teilen berufen 51 . Es wäre zudem ja auch ganz ungewiß, in welcher Höhe nadi dem „vermuteten" Willen des Erblassers eine Zahlungspflidit des Nachfolgers in die Mitgliedschaft bestehen sollte. Es bleibt den von der Nachfolge in die Mitgliedschaft ausgeschlossenen Miterben bezüglich der Mitgliedschaft nur das Pflichtteilsrecht, indem bei dessen Bemessung der Wert der Mitgliedschaft mitzurechnen ist. Selbst wenn man die erbrechtlichen Rechtsfolgen der qualifizierten Nachfolgeklausel gesetzlich regeln würde, ist es fraglich, ob man darüber hinaus gehen sollte52. Wie die Ausgleichspflidit unter Abkömmlingen nicht 81
Als bloße Teilungsanordnung wertet audi Brox, Erbrecht, Rdz. 761, die Zuwendung der Mitgliedschaft, wenn er sagt, es spreche eine Vermutung dafür, „daß der Erblasser die Zuwendung nicht als eine Art ,Vorausvermächtnis', sondern als Nachlaßbestandteil gewertet wissen will". Worauf sidi diese Vermutung jedoch gründen soll, ist nidit ersichtlich.
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besteht, wenn sie vom Erblasser ausgeschlossen ist, kommt eine Ausgleichspflicht, gleich ob sie überhaupt über die Regelung der §§ 2050 ff. BGB hinaus anzunehmen ist, jedenfalls nicht in Frage, wenn nadi dem Willen des Erblassers ein Ausgleich nicht erfolgen soll. Denn wie es in den Motiven 53 heißt, ist die Ausgleichungspflicht „eine Beschwerung des dadurch betroffenen Abkömmlinges, welche das Gesetz mit Rücksicht auf den anzunehmenden Willen des Erblassers anordnet, ohne daß dieser Wille in der Form einer Verfügung von Todes wegen erklärt zu sein braucht". Wie hinsichtlich der Ausgleichung unter Abkömmlingen dargelegt ist, bedarf die Anordnung des Ausschlusses der Ausgleichungspflicht, die vom Erblasser bis zu seinem Tode als dem Zeitpunkt der Zuwendung erfolgen kann, keiner Form. Die Konsequenzen mögen an dem Fall der Entscheidung BGHZ 22, 186 ff. veranschaulicht werden. Nach dem Gesellschaftsvertrag sollte beim Tode des Erblassers die Gesellschaft mit der Witwe fortgesetzt werden, wenn der Erblasser nicht ein leibliches Kind als Nachfolger bestimmte. Der Erblasser hatte mit seiner Ehefrau ferner ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in welchem sich die Eheleute gegenseitig zu Erben einsetzten. Das Testament war jedoch nichtig, weil es mit der Schreibmaschine geschrieben war. Audi wenn jedoch das gemeinschaftliche Testament als solches nichtig war, dokumentierte es doch durch die Einsetzung der Ehefrau als Alleinerbin die keiner Form bedürftige — Anordnung des Erblassers, daß die Ehefrau für die Zuwendung der Mitgliedschaft keiner Ausgleichungspflicht unterliegen sollte. Erst recht war in dem vom BGH entschiedenen Fall der Ausschluß einer Ausgleichspflicht durch das Testament — ungeachtet seiner Formnichtigkeit als Testament — zu beachten, wenn man wie der BGH die Ausgleichspflicht auf die „Berücksichtigung von Treu und Glauben" gründet. Nicht von ungefähr ist die Ausgleichung nach §§ 2050 ff. entsprechend der h. M. des gemeinen Rechts, dem ALR und dem österr. ABGB54 nur für Abkömmlinge als gesetzliche Erben vorgesehen. Der Grundgedanke der Kollationspflicht ist, wie Windscheid mit Recht gesagt hat, „daß nicht anzuneh52 Die Ansicht Säckers a. a. O. S. 94 S., 101, die Verneinung des Zahlungsanspruchs sei die „normteleologisdi unzweckmäßige Lückenschließung", die Bejahung des Zahlungsanspruchs dagegen die „dogmatisch konsequente Lückensdiließung", ist eine These ohne Fundierung. Es ist eine Verkehrung im grundsätzlichen, wenn Säcker meint, es könne nicht gesagt werden, daß audi bei der donatio mortis causa der Gesetzgeber den Empfänger durch § 2056 Satz 1 habe „privilegieren" wollen. Die Vorschrift des § 2056 ist keine „Privilegierung". Die Ausgleichungspflidit ist eine Beschwer des Bedaditen, die aber nach der gesetzlichen Regelung ihn nur bis zum Ausgleich von der Teilhabe an der Erbsdiaft ausschließt. 53 Mot. V, 699 = Mugdan V, 376. " Vgl. Mot. V, 698 und N . 3 Zit.
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men sei, der Erblasser habe durch die einem Deszendenten gemachte Zuwendung demselben für den künftigen Erbfall einen Vorzug vor seinen Miterben geben wollen". Ist dies aber der Grundgedanke der Ausgleichungspflicht, so kann sie auf Nicht-Abkömmlinge — als Berechtigte oder Verpflichtete — nicht ausgedehnt werden, und erst recht kann sie nicht in Frage kommen, wenn Nicht-Abkömmlinge durch Verfügung von Todes wegen zu Erben berufen sind. So kann auch eine analoge Anwendung der Regelung der Ausgleichspflicht nach §§ 2050 ff. auf Nicht-Abkömmlinge für die unentgeltliche Zuwendung auf den Todesfall durch Rechtsgeschäft unter Lebenden nicht in Erwägung gezogen werden. Wenn ζ. B. das Vermögen des Erblassers im wesentlichen in der Beteiligung an einer Personengesellschaft besteht und er seiner Ehefrau auf Grund qualifizierter Nachfolgeklausel die Mitgliedschaft zuwendet, so dürfte es evident sein, daß der Erblasser seiner Ehefrau den „Vorzug" vor seinen Kindern gegeben hat und eine gegenteilige Vermutung, wie sie der Kollationspflicht zugrunde liegt, geradezu absurd wäre. Es dürfte wohl kaum jemand auf den Gedanken kommen, daß die Ehefrau als Begünstigte des Lebensversicherungsvertrags mit der Versicherungssumme in analoger Anwendung der §§ 2050 ff. ausgleichspflichtig ist. Hinsichtlich der Zuwendung der Mitgliedschaft kraft qualifizierter Nachfolgeklausel ist aber die Problematik die gleiche, und sie wird audi nicht dadurch anders, daß man wie der B G H in B G H Z 22, 186 ff., 197 sich für die Ausgleichspflicht auf „Treu und Glauben" beruft. Führt die Ausgleichungspflicht unter Abkömmlingen, wie dargelegt, auch bei der Zuwendung der Mitgliedschaft an einen Abkömmling kraft qualifizierter Nachfolgeklausel gemäß § 2056 B G B nicht zu einer Zahlungspflicht, so kann eine solche ohne Anordnung einer Auflage oder Belastung mit einem Vermächtnis erst recht nicht in Frage kommen, wenn ein Nicht-Abkömmling zur Nachfolge in die Mitgliedschaft berufen ist. Besonders anschaulich ist wieder der Fall der Berufung der Ehefrau. Wie diese nicht die ihr als Begünstigte des Lebensversicherungsvertrags zugefallene Lebensversicherungssumme zum Teil an die Abkömmlinge als Miterben herausgeben muß, so ist sie auch nicht „von Rechts wegen" verpflichtet, an die Abkömmlinge als gesetzliche Miterben oder gar an Nicht-Abkömmlinge als gesetzliche Miterben den Wert der Mitgliedschaft durch Zahlung bis zu dem den Erbanteilen der Miterben entsprechenden Teil an diese herauszugeben. Der Fall der Zuwendung der Mitgliedschaft an die Ehefrau zeigt nur besonders anschaulich, daß eine positive Ausgleichspflicht für den zur Nachfolge Berufenen sich von Rechts wegen als dem vermutlichen
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Willen des Erblassers entsprediend nidit begründen läßt. Für alle anderen Fälle der Nachfolge kraft qualifizierter Nachfolgeklausel gilt aber das gleiche. Für den Fall, daß jemand anders als der Ehegatte oder ein Abkömmling zur Nachfolge berufen ist, wird der Erblasser zudem in aller Regel eine Verfügung von Todes wegen getroffen haben, durch welche das Verhältnis des zur Nachfolge Berufenen zu den Miterben geregelt wird. Hinterläßt der Erblasser kein sonstiges Vermögen neben der Mitgliedschaft, so bedarf es allerdings keiner Verfügung von Todes wegen. Vielmehr ergibt sich dann aus der Zuwendung der Mitgliedschaft an den zur Nachfolge Berufenen, daß die anderen Miterben leer ausgehen sollen. Selbstverständlich kann der Erblasser für die Zuwendung der Mitgliedschaft wie für jede sdienkweise erfolgende Zuwendung bestimmen, daß der Beschenkte sich die Zuwendung auf sein Erbteil anrechnen lassen muß. Bei dieser Bestimmung, als Teil der Schenkung als eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden, handelt es sich um eine Auflage, durch welche der Bedachte verpflichtet wird, sich die Schenkung auf das Erbteil anrechnen zu lassen. In der Annahme einer solchen Auflage ohne besondere Erklärung des Erblassers nur auf Grund der „Umstände" wird man vorsichtig sein müssen, während man im allgemeinen wird annehmen dürfen, daß die Anrechnung auf das Pflichtteil angeordnet ist. H a t der Erblasser nach Vereinbarung der qualifizierten Nachfolgeklausel und der Berufung des Nachfolgers eine Verfügung von Todes wegen getroffen, so ist anzunehmen, daß er dabei die Nachfolge berücksichtigt. Dann regelt sich die Ausgleichspflicht, u. U. auch mit einer positiven Zahlungspflicht des zur Nachfolge in die Mitgliedschaft Berufenen, nach der Verfügung von Todes wegen. Ist die Verfügung von Todes wegen dagegen errichtet, als für den Erblasser noch nicht die qualifizierte Nachfolgeklausel bestand, so ist zu prüfen, ob hinsichtlich der Verfügung von Todes wegen ein Anfechtungsrecht nach § 2078 Abs. 2 BGB besteht.
5. Die Nachfolge in die Mitgliedschaft durch einen Nichterben auf Grund gesellschaftsvertraglicher Nachfolgeklausel Für die Vertreter der erbrechtlichen Lösung zu § 139 H G B gibt es von dieser Regelung kein Weiterdenken zu der Möglichkeit der Berufung eines Nicht-Erben zur Nachfolge in die Mitgliedschaft kraft
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gesellschaftsvertraglicher Nachfolgeklausel. Wie oben dargelegt55, ist für die erbrechtliche Lösung aber bereits die Nadifolge eines Miterben kraft der qualifizierten Nachfolgeklausel dogmatisch nicht einzuordnen. Hierfür bedarf es vielmehr des Rückgriffs auf den Vertrag zugunsten Dritter. Der BGH hat in der Entscheidung BGHZ 22, 186 ff., 188 für den Fall der qualifizierten Nachfolgeklausel zugunsten der Ehefrau die Möglichkeit der Nachfolge auf Grund des Gesellschaftsvertrags als eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden verneint, weil der Ehemann bei Lebzeiten keine bindende Verpflichtung gegenüber seiner Ehefrau eingegangen sei und auch die Ehefrau sich ihm gegenüber nicht zum Eintritt als Gesellschafter verpflichtet habe. Auf beides kommt es dagegen offensichtlich nicht an. Die Regelung des § 331 BGB weiß weder etwas von einer Verpflichtung des Versprechensempfängers nodi von einer solchen des Dritten. Bejaht man für die qualifizierte Nachfolgeklausel zugunsten eines Miterben, daß die Nachfolge auf Grund des Gesellschaftsvertrags als Vertrags zugunsten Dritter eintritt, so ergibt sich daraus folgerichtig, daß ebenso auch die Nachfolge eines Nicht-Erben zuzulassen ist. Für den Gesetzgeber des § 139 HGB war zwar die Erbenqualität condicio sine qua non des Ubergangs der Gesellschafterstellung. Denn für ihn gab es keine Übertragung der Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft allein durch Rechtsgeschäft unter Lebenden. Erkennt man dagegen in Fortentwicklung des § 139 HGB die Nachfolge auf Grund der qualifizierten Nachfolgeklausel an, so verliert die Tatsache der Beerbung als — wie es in RGZ 16, 58 heißt — „eines der gesetzlichen fixierten Momente" der Nachfolge gegenüber dem Gesellschaftsvertrag als dem anderen Moment an Bedeutung. Es steht außer Frage, daß dem durch die Nachfolgeklausel zur Nachfolge berufenen Nicht-Erben die Mitgliedschaft nicht aufgedrängt werden kann. Insofern ist für den Nicht-Erben die Lage anders als für den Erben. Dieser kann durch die Ausschlagung der Erbschaft auch die Nachfolge in die Mitgliedschaft vermeiden. Die Regelung des § 139 HGB ist besonders glücklich, indem der Erbe, wenn er die persönliche Haftung als Gesellschafter nicht übernehmen will, nicht gezwungen ist, die Erbschaft auszuschlagen, die anderen Gesellschafter aber sich auch keinen Gesellschafter ohne persönliche Haftung aufdrängen zu lassen brauchen. Die Regelung des § 139 HGB ist so sehr auf den Erben als Nachfolger zugeschnitten, daß sie auf die gesellschaftsvertragliche Nachfolge des Nicht-Erben nicht zu übertragen ist. Für den Nicht-Erben bleibt es somit bei der Regelung des § 333 BGB mit der Folge, daß er die Mitgliedschaft zurückweisen 55
Siehe oben S. 34 ff.
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kann und damit sie für ihn als nicht erworben gilt. Wichtig ist in diesem Fall vor allem, daß der die Mitgliedschaft Zurückweisende keiner Haftung aus der Mitgliedschaft unterliegt. So kann denn auch gegen den Erwerb der Mitgliedschaft durch den Nicht-Erben kraft des Gesellschaftsvertrags als eines Vertrags zugunsten Dritter nicht eingewandt werden, es gebe keinen Vertrag zu Lasten Dritter 56 . Die Nachfolgeklausel kann auch zum Inhalt haben, daß die Mitgliedschaft des persönlich haftenden Gesellschafters mit dessen Tod zur Kommanditbeteiligung wird und als solche auf den zur Nachfolge Berufenen übergeht oder daß letzterer sein Verbleiben in der Gesellschaft davon abhängig machen kann, daß ihm die Stellung als Kommanditist eingeräumt wird oder daß er durch seine Erklärung die Beteiligung zur Kommanditbeteiligung umwandeln kann. In diesen Fällen muß sofort die Eintragung des Nachfolgers als Kommanditisten erfolgen, weil sonst für ihn die unbeschränkte Haftung, und zwar nach § 130 HGB auch für die Altschulden, eintritt. Will man dem Nachfolger eine Überlegungsfrist gewähren, ohne daß er der unbeschränkten Haftung unterliegt, so muß man umgekehrt wie nach der gesetzlichen Regelung von § 139 HGB die Nachfolge in die Mitgliedschaft als Kommanditbeteiligung gesellschaftsvertraglich bestimmen, mit der Maßgabe, daß der Nachfolger das Recht hat, die Kommanditbeteiligung in die Beteiligung als persönlich haftender Gesellschafter umzuwandeln. Der Gesellschaftsvertrag sollte den Fall regeln, daß der zur Nachfolge Berufene die Mitgliedschaft zurückweist. Enthält er keine Bestimmung, so wird der Gesellschaftsvertrag in der Regel dahin auszulegen sein, daß die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt wird und die Erben nach den gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmungen mit dem Auseinandersetzungsguthaben abzufinden sind. Bei der Nachfolge durch den Nicht-Erben kommt selbstverständlich weder eine Ausgleichspflicht noch eine Erbenhaftung des in die Mitgliedschaft Nachfolgenden in Frage. Ist die Zuwendung der Nachfolge jedoch unentgeltlich erfolgt, so unterliegt der Dritte mit der Mitgliedschaft dem Pflichtteilergänzungsanspruch nach § 2329 BGB und den Vorschriften über die Schenkungsanfechtung (§ 32 KO, § 3 AnfG 57 ). Wie schon betreffs der qualifizierten Nachfolgeklausel ist erst recht im Fall der gesellschaftsvertraglichen Berufung oder Ermöglichung der Berufung eines Nicht-Erben zur Nachfolge in die Mitgliedschaft »· Siehe dazu oben (zu N . 29). 57 Wegen der Anfechtungsfrist siehe unten S. 59 ff.
Die Nachfolge in die Mitgliedschaft
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für die Kautelarjurisprudenz zu raten, durch Zessionsvertrag die Mitgliedschaft auf den Todesfall auf den zur Nachfolge Bestimmten zu übertragen, wobei sich der Ubertragende den jederzeitigen Rücktritt oder Widerruf vorbehalten kann 58 .
6. Die Eintrittsklausel als Grundlage für den Erwerb der Mitgliedschaft Die sogenannte Eintrittsklausel wird in der Literatur so interpretiert, daß der Eintretende mit seinem Eintritt eine gegenüber der Mitgliedschaft des durch den Tod ausgeschiedenen Gesellschafters selbständige Mitgliedschaft erwirbt. Nimmt man die Eintrittsklausel beim Wort, so wird der zur Nachfolge Berufene erst mit seinem Eintritt Gesellschafter. Mit dem Tode des Gesellschafters würde also, da eine Fortsetzung mit den Erben nicht vereinbart ist, die Mitgliedschaft des durch Tod ausgeschiedenen Gesellschafters durch Anwachsung auf die verbliebenen Gesellschafter übergehen, und der Eintretende würde eine neue Mitgliedschaft, nicht diejenige des verstorbenen Gesellschafters, erwerben. So wird denn auch die Eintrittsklausel im allgemeinen gewertet. Der Vorgang wird in der Literatur unterschiedlich gedacht. Teils nimmt man an, daß auf Grund der Eintrittsklausel des Gesellschaftsvertrags als eines Vertrags zugunsten Dritter die verbliebenen Gesellschafter verpflichtet seien, den Eintretenden als Mitglied aufzunehmen. Die Aufnahme, auf welche dem durch die Eintrittsklausel Benannten ein Anspruch zusteht, soll durch einen Aufnahmevertrag mit den verbliebenen Gesellschaftern erfolgen 59 . Man interpretiert die Eintrittsklausel aber auch als bindendes Vertragsangebot an den durch die Klausel Benannten für dessen Eintritt in die Gesellschaft60. Es ist auch die Rede von der Zuwendung eines Optionsrechts als eines Gestaltungsrechts, durch einseitige Erklärung die Mitgliedschaft zu begründen 61 . Was es mit dem Optionsrecht in Wirklichkeit auf sich hat, bleibt dabei allerdings bisweilen unklar 62 . 58
Zu der Frage, ob § 2301 BGB zu beachten ist, siehe unten S. 55 ff. Vgl. H. Westermann a. a. O. Rdz. 547, 552. M Vgl. H. Westermann a . a . O . Rdz. 553; siehe audi schon Knur, Familiengesellschaft (1941) S. 60 ff. 41 Zu den unterschiedlidien Interpretationen siehe Peter Ulmer a. a. O. S. 218. u. N. 111 Zit. 62 So heißt es bei U. Huber a . a . O . S. 453: „Die Gesellschafter verpflichten sidi, den Optionsberechtigten als Gesellschafter zu behandeln, falls er sein Optionsrecht ausübt." M
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Man hat gemeint, zwischen gesellschaftsrechtlicher und erbrechtlicher Eintrittsklausel unterscheiden zu können 63 . Ungeachtet der unterschiedlichen Meinungen, ob die qualifizierte Nachfolgeklausel zu einer erbreciitlichen Nachfolge kraft des Gesellschaftsvertrages als eines Vertrags zugunsten Dritter führt, kann hinsichtlich der Eintrittsklausel jedoch eine erbrechtliche Lösung schon deshalb nicht in Frage kommen, weil dem Erblasser ja das Eintrittsrecht nicht zusteht. Zwar kann die Eintrittsklausel vorsehen, daß nur ein Erbe zum Eintritt berechtigt ist oder daß der Eintrittsberechtigte durch Verfügung von Todes wegen zu benennen ist oder benannt werden kann. Deshalb handelt es sich aber nicht um eine „erbrechtliche" Nachfolge. Eine ganz andere Frage ist es, ob nicht der Eintritt kraft Eintrittsklausel, wenn der Eintretende zugleich Erbe ist, dazu führt, daß die Mitgliedschaft, was das Verhältnis zu den anderen Nachlaßbeteiligten anbetrifft, wie ein Erbschaftserwerb zu behandeln ist. Schwierigkeiten macht der Literatur vor allem, wie der in die Gesellschaft Eintretende zu einem Kapitalanteil kommt so, wie ihn der durch den Tod ausgeschiedene Gesellschafter gehabt hat. Teils nimmt man an, daß der Abfindungsanspruch hierfür die Grundlage sei, indem dem Eintrittsberechtigten der Abfindungsansprudi zugewandt sei und er mit der Einbringung des Abfindungsanspruchs die Einlageschuld für den Kapitalanteil begleiche. Teils meint man auch, daß die verbliebenen Gesellschafter den Kapitalanteil des verstorbenen Gesellschafters zunächst treuhänderisch für diesen hielten und der Kapitalanteil entweder mit dem Eintritt unmittelbar auf den Eintretenden übergehe oder aber von den verbliebenen Gesellschaftern auf ihn übertragen werden müsse64. Dabei bleibt unberücksichtigt, daß der Abfindungsanspruch etwas ganz anderes ist als der Kapitalanteil, und ferner wird nicht dargetan, wie die angebliche Treuhandstellung der verbliebenen Gesellschafter bis zum Eintritt des Nachfolgers einzuordnen ist. Die Komplikationen der verschiedenartigen Interpretationen der Eintrittsklausel sind Konstruktionen, die mit der Wirklichkeit des von den Parteien Gewollten im allgemeinen nichts zu tun haben. Mit Recht hat Wiedemann 65 angenommen, daß Eintrittklauseln zugunsten von Erben eng auszulegen sind und ungeachtet der Formulierung der Eintrittsklausel, es sei das Recht vorbehalten, in die Gesellschaft „einzutreten", damit doch eine unmittelbare Rechtsnachfolge keineswegs ausgeschlossen ist. In Wirklichkeit hat die Eintrittsklausel Säcker a. a. Ο. S. 34 ff.; siehe dazu auch Peter Ulmer a. a. O. S. 221. Siehe Peter Ulmer a. a. O. S. 218 ff. u. Zit. «5 A. a. O. S. 164. 83
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immer den Sinn der Rechtsnachfolge, mag diese audi von dem Eintritt abhängig sein. Ulmer6® hat gemeint, die Eintrittsklausel unterscheide sich von der Nachfolgeklausel hinsichtlich des Mitgliedschaftswechsels vor allem dadurch, daß der Eintritt des Berechtigten hier nicht ohne seine Mitwirkung erfolgt. Nach dem Sinn der Eintrittsklausel ist dies sogar der einzige Unterschied, was die Wirklichkeit des mit den Klauseln Gewollten anbetrifft. Die Sorgen, wie der Mitgliedschaftswechsel zu konstruieren ist und wie es sich mit dem Abfindungsanspruch und dem Kapitalanteil verhält, machen sich die Beteiligten bei der Vereinbarung der Eintrittsklausel in aller Regel nicht, und zwar mit Recht, denn das ist nicht ihre Sache. Das Anliegen und der Inhalt der Eintrittsklausel ist, daß der für den Eintritt Benannte mit dem Eintritt als Mitglied an die Stelle des Verstorbenen tritt. Es ist die Frage, ob dieser gewollte und vereinbarte Erfolg als Rechtsfolge zuzulassen ist. Wertet man entsprechend unseren Darlegungen die qualifizierte Nachfolgeklausel und die Nachfolgeklausel mit der Berufung eines Nicht-Erben zum Nachfolger in die Mitgliedschaft als Vertrag zugunsten Dritter, durch welchen die Nachfolge in die Mitgliedschaft unmittelbar für den zur Nachfolge Berufenen eintritt, so ordnet sich auch die Eintrittsklausel zwanglos als Vertrag zugunsten Dritter ein, nur daß nach ihr der Rechtserwerb für den Eintrittsberechtigten noch durch seine Eintrittserklärung bedingt ist. Es bedarf in diesem Fall ebensowenig wie bei der qualifizierten Nachfolgeklausel für einen Nicht-Erben eines besonderen Ausschlusses von Abfindungsansprüchen oder der Fiktion eines solchen Ausschlusses. Es steht den Gesellschaftern frei, welche Regelung sie für den Fall des Todes eines Gesellschafters vereinbaren. Vereinbaren sie allerdings nur, daß die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt wird, so entsteht nach der gesetzlichen Regelung des § 738 BGB für die Erben ein Auseinandersetzungsanspruch. Haben sie aber eine Nachfolge in die Mitgliedschaft, sei es auch bedingt durch die Eintrittserklärung, vereinbart, so ist, wenn es zu dieser Nachfolge kommt, für einen Auseinandersetzungsanspruch von Erben, der erst noch ausgeschlossen werden müßte, gar kein Raum. Es bedarf auch keiner besonderen Konstruktionen, wie der Eintrittsberechtigte zu dem Kapitalanteil des Gesellschafters kommt, an dessen Stelle er tritt. Der Kapitalanteil hat ohnehin keine besondere Existenz neben der Mitgliedschaft. Mit dem Recht der Mitgliedsdiaft erwirbt der auf Grund der Eintrittsklausel Eintretende die Mitgliedschaft mit dem Kapitalanteil des Verstorbenen. «· A. a. O. S. 217.
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In der Zeit zwischen dem Tod des fraglidien Gesellschafters und dem Eintritt seines Nachfolgers besteht die Gesellschaft zweifellos nur aus den verbliebenen Gesellschaftern. Es gibt auch keine Fortexistenz der Mitgliedschaft des Verstorbenen, die für den Eintretenden in der Zwischenzeit treuhänderisch gehalten würde 67 . Die Eintrittsklausel hat aber selbstverständlich den Sinn, daß im Verhältnis der Gesellschafter untereinander der Eintritt mit Rückwirkung gelten soll. Dem Eintretenden steht also rückwirkend der Gewinnanspruch zu, soweit er nicht das Entgelt für die Tätigkeit als Gesellschafter ist. Ferner ergibt sich aus der Rüdcbeziehung des Eintritts im Verhältnis der Gesellschafter zueinander, daß in der Zwischenzeit für einen jeden der anderen Gesellschafter, wenn für ihn der Tatbestand eines Auseinandersetzungsanspruchs eintritt, dieser sich für ihn nur ohne den ihm angewachsenen Anteil berechnet. Damit ist der Eintrittsberechtigte — und auch die Gesellschaft — insbesondere dagegen gesichert, daß bei einer etwaigen Pfändung eines Gläubigers eines Gesellschafters in das Auseinandersetzungsguthaben auch der Teil der Mitgliedschaft einbezogen wird, der mit dem Eintritt dem Eintrittsberechtigten zusteht. Diese Beschränkung des Anspruchs auf das Auseinandersetzungsguthaben, die sich aus dem Sinn der Eintrittsklausel ergibt, muß der Pfändungsgläubiger gegen sich gelten lassen, da sie für alle Fälle der Entstehung eines Auseinandersetzungsanspruchs bis zum Zeitpunkt des Eintritts des Eintrittsberechtigten gilt. Für das Verhältnis zu den anderen Nachlaßbeteiligten gilt im Fall des Eintritts auf Grund der Eintrittsklausel das gleiche wie bei der Nachfolgeklausel. Für den Abkömmling als Eintrittsberechtigten besteht bei der gesetzlichen Erbfolge die Ausgleichspflicht gegenüber Miterben. Für die Berechnung des Pflichtteils ist der Wert der Mitgliedschaft mitzurechnen, und der eingetretene Erbe haftet den Nachlaßgläubigern mit der Mitgliedschaft. Der kraft Eintrittsklausel zur Nachfolge berufene Nicht-Erbe unterliegt, wenn der Erwerb nicht entgeltlich ist, dem Pflichtteilsergänzungsanspruch und der Anfechtung nach § 32 KO, § 3 AnfG. Für die Frist gilt der Erbfall als dies a quo 68 . Bei der Zweipersonen-Gesellschaft kann die Eintrittsklausel nicht die Wirkung haben, daß der durch sie Benannte mit dem Eintritt die Mitgliedschaft des Verstorbenen erwirbt, weil es mit dem Tode des fraglichen Gesellschafters, gleich, ob eine Auseinandersetzung erfolgt oder ob der Uberlebende kraft gesellschaftsvertraglichen Übernahmerechts das Gesellschaftsvermögen übernimmt, jedenfalls keine Gesell•7 Dies erwägt Wiedemann a. a. Ο. S. 175. Μ Siehe dazu unten S. 59.
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sdiaft mehr gibt. Die Eintrittsklausel kann in einem solchen Fall nur dahin gedeutet werden, daß einerseits ein Abfindungs- oder Auseinandersetzungsanspruch der Erben des verstorbenen Gesellschafters ausgeschlossen ist und der überlebende Gesellschafter verpflichtet ist, mit dem durch die Eintrittsklausel Benannten eine neue Gesellschaft einzugehen und auf diese das Vermögen der früheren Gesellschaft mit der Folge zu übertragen, daß der Bedachte an der Gesellschaft in gleicher Weise wie der verstorbene Gesellschafter beteiligt ist. Diese „Nachfolge" bei der Zwei-Personen-Gesellschaft ist aber, worauf Knur 6 9 hingewiesen hat, wegen des Zwangs zur Neugründung der Gesellschaft und der Notwendigkeit der Einzelübertragung der Vermögensgegenstände auf sie und — last not least — wegen der steuerlichen Folgen mit erheblichen Mißlichkeiten verbunden. In Anbetracht der Problematik der Rechtslage für die Zeit bis zum Eintritt und insbesondere für den Fall der Zwei-Personen-Gesellschaft ist die Nachfolgeklausel der Eintrittsklausel, was die Rechtsstellung des zur Nachfolge Berufenen anbetrifft, bei weitem überlegen, zumal wenn sie noch durch die Abtretung auf den Todesfall ergänzt ist. So ist es wohl auch zu erklären, wenn die Eintrittsklausel in der Vertragspraxis, wie man sagt, an Bedeutung hinter der Nachfolgeklausel zurücksteht70.
7. Die Nachfolge in die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts In §§ 705 ff. BGB wird die Fortsetzung der Gesellschaft mit den Erben eines verstorbenen Gesellschafters nicht besonders geregelt. In § 725 BGB ist nur davon die Rede, daß die Gesellschaft nicht aufgelöst wird, wenn sich aus dem Gesellschaftsvertrag ein anderes ergibt, und § 736 BGB handelt nur von dem Fortbestehen der Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern. Es ist aber allgemein anerkannt, daß, wenn im Gesellschaftsvertrag die Fortsetzung der Gesellschaft mit den Erben vereinbart ist, diese audi an Stelle des verstorbenen Gesellschafters Gesellschafter werden 71 . Die h. M. nimmt auch für die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts an, daß bei einer Erbfolge in die Mitgliedschaft, wenn mehrere Miterben vorhanden sind, nicht die Erbengemeinschaft Gesellschafter wird, sondern wie bei der Personen«' Notartag 1965 S. 74. 7 0 Vgl. Peter Ulmer a. a. O. S. 216 u. N . 109 Zit. 7 1 Vgl. Soergel-Schultze-v. Lausaulx, Kom. BGB § 727 N . 15.
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Handelsgesellschaft die einzelnen Miterben kraft Singularsukzession entsprechend ihrem Erbanteil selbständige Gesellschafter werden 72 . Während aber für die Personenhandelsgesellschaft die Singularsukzession der Miterben durch die gesetzliche Regelung von § 139 HGB bestätigt wird und sowohl hinsichtlich der Betätigung in der Gesellschaft wie mit Rücksicht auf die Haftung für die Gesellschaftsverbindlichkeiten es geboten ist, die Erbengemeinschaft als Gesellschafter nicht zuzulassen, ist die h. M. für die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts ohne Anhalt im Gesetz, und es treffen auch die sachlichen Gründe nicht zu, die der Anerkennung der Erbengemeinschaft als Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft entgegenstehen. Im Gegenteil, die besondere Rechtslage hinsichtlich der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts läßt es als wünschenswert erscheinen, daß die Erbengemeinschaft und nicht der einzelne Miterbe Gesellschafter wird. Was die Haftung für die Gesellschaftsverbindlichkeiten anbetrifft, so ist, auch wenn man eine Singularsukzession der einzelnen Miterben annimmt, bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts die Haftung eines jeden Miterben nach den Grundsätzen der Erbenhaftung beschränkt. Das gilt nicht nur für die Altschulden der Gesellschaft, sondern auch für die Verbindlichkeiten aus der weiteren Geschäftsführung, indem man annimmt, daß die Vertretungsmacht der gesdiäftsführungsberechtigten Gesellschafter, was die Miterben anbetrifft, darauf beschränkt ist, Verbindlichkeiten nur mit der Haftung des Gesellschaftsvermögens, d. h. unter Ausschluß der persönlichen Haftung der Miterben, zu begründen. Für die Weiterführung der Geschäfte der Gesellschaft dürfte es praktikabler sein, daß die Miterbengemeinschaft statt der einzelnen Miterben Gesellschafter ist. Die Argumentation, die Erbengemeinschaft könne nicht Gesellschafter sein, weil sie nicht rechts- und verpflichtungsfähig sei73, beruht auf einem Mißverständnis des Gesamthandsprinzips. Man sollte deshalb anerkennen, daß bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts anders als bei der Personenhandelsgesellschaft, wenn nur die Vererblichkeit der Mitgliedschaft durch den 72 Vgl. Geiler in Düringer-Hachenburg, Kora. H G B II, 1 Anm. 193; StaudingerKessler, Kom. BGB § 7 2 7 N . 21; Soergel-Schultze-v. Lasaulx, Kom. BGB § 7 2 7 N . 20 ff. Die Zitate der Literatur für diese Ansicht sind ungenau, indem sie nicht zwischen der Personenhandelsgesellschaft und der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts unterscheiden. Die in der Literatur zitierten Äußerungen betreffen meist nur die Personenhandelsgesellschaften, insbesondere gibt es anscheinend keine Äußerungen der Rechtsprechung betreffs der Nachfolge in die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts. n Vgl. Soergel-Scbultze-v. Lasaulx, Kom. BGB § 727 N . 20.
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Gesellschaftsvertrag bestimmt ist, ohne daß weitere Regelungen getroffen sind, die Mitgliedschaft auf die Erbengemeinschaft übergeht. Es ist im übrigen ein bemerkenswerter Widerspruch, wenn einerseits die Fähigkeit einer Erbengemeinschaft, Mitglied einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts zu sein, verneint wird und andererseits für die Liquidationsgesellschaft bei der Auflösung einer O H G durdi Tod eines Gesellschafters angenommen wird, daß im Fall mehrerer Miterben die Erbengemeinschaft Gesellschafter der Liquidationsgesellschaft ist 74 . Große praktische Bedeutung hat die Frage nicht. Sie dürfte im allgemeinen überhaupt nur entstehen in den Fällen, in denen die Vererblichkeit nicht durch eine ausdrückliche Vereinbarung bestimmt ist, sondern sich als gesellschaftsvertragliche Regelung aus den Umständen ergibt 75 . Wird die Fortsetzung mit den Erben durch eine besondere Klausel des Gesellschaftsvertrags vereinbart, so wird in der Regel, jedenfalls bei relevanten Gesellschaftsverhältnissen, nicht nur durch die sogenannte „einfache Nachfolgeklausel" die Vererblichkeit bestimmt, sondern darüber hinaus die Art der Nachfolge in die Mitgliedschaft besonders geregelt werden. Wenn auch die Regelung des § 139 HGB nicht auf die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts zu übertragen ist, so gilt die zu § 139 H G B entwickelte These, daß die Nachfolge in die Mitgliedschaft für den Fall des Todes eines Gesellschafters durch Vertrag zugunsten Dritter bewirkt werden kann, in gleicher Weise für die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts wie für die Personenhandelsgesellschaft. Die für die Personenhandelsgesellschaft betreffs der qualifizierten Nachfolgeklausel und der Nachfolge durch einen Nicht-Erben auf Grund gesellschaftsvertraglicher Nachfolgeklausel gewonnenen Ergebnisse sind auf die bürgerlichrechtliche Gesellschaft zu übertragen, wie auch die Eintrittsklausel für die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts in gleicher Weise wie für die Personenhandelsgesellschaft verwandt werden kann.
8. Die Berufung zur Nachfolge in die Mitgliedschaft als Schenkung auf den Todesfall Auf die schenkweise erfolgende Berufung zur Nachfolge in die Mitgliedschaft auf den Todesfall kraft gesellschaftsvertraglicher Nachfolgeklausel oder Abtretung auf den Todesfall findet § 2301 Abs. 1 74 75
Vgl. Huedk, OHG § 23 II, 4 u. N. 19 Zit. Vgl. Geiler in Düringer-Hachenburg, Kom. HGB II, 1 Anm. 192.
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BGB keine Anwendung, Gleich, ob die Mitgliedschaft, durch den Todesfall und das Uberleben bedingt, übertragen oder durch den Gesellschaftsvertrag als Vertrag zugunsten Dritter, sei es als Eintrittsrecht oder unmittelbar als Nachfolge, zugewandt wird, in jedem Fall handelt es sich nicht um ein Schenkungsversprechen, vielmehr ist die Zuwendung im Zeitpunkt des Todes des Gesellschafters „vollzogen". Es ist unrichtig, daß die Zuwendung im Sinne von § 2301 BGB — nur „vollzogen" sei, wenn der Schenkende selbst noch das Vermögensopfer gebracht habe 76 . Eindeutig heißt es in den Motiven 77 : „Nachdem die aufschiebend bedingt vollzogene Schenkung unter Lebenden nicht von der für vollzogene Schenkungen gewährten Formfreiheit ausgenommen ist, besteht kein Anlaß, die aufschiebend bedingt vollzogene Schenkung von Todes wegen auszuschließen oder umzudeuten." Es kommt auch nicht darauf an, daß der Erblasser betreffs der Zuwendung gebunden ist. In der Zweiten Kommission wurde beantragt zu bestimmen, daß die Schenkung nur als Verfügung von Todes wegen wirksam gelten dürfe, „wenn der Schenker sich das Recht vorbehalten hat, sie nach Belieben zu widerrufen". Die Schenkung auf den Todesfall mit Widerrufsvorbehalt sollte nach diesem Antrag den Formvorschriften der Verfügung von Todes wegen unterliegen. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt mit der Begründung, „für die Schenkungen unter Lebenden sei eine dem Antrag entsprechende Bestimmung nicht beschlossen worden, es sei mithin nur konsequent, auch an dieser Stelle davon Abstand zu nehmen 78 ". Obwohl der Gesellschafter bis zu seinem Tode ausschließlicher Berechtigter der Mitgliedschaft ist und auch wenn er die von ihm im Gesellschaftsvertrag vereinbarte oder auf Grund des Gesellschaftsvertrags bestimmte Nachfolge noch nach Belieben ändern kann, ist, wenn es bei der vorgenommenen Berufung zur Nachfolge bleibt, die Zuwendung im ZeitPunkt des Todes „vollzogen". Was die Berufung zur Nachfolge in die Mitgliedschaft durch den Gesellschaftsvertrag als Vertrag zugunsten Dritter anbetrifft, so kann eine Anwendung des § 2301 BGB auf den Gesellschaftsvertrag ohnehin nicht in Frage kommen. In den Motiven 79 heißt es hinsichtlich der Frage der Formbedürftigkeit des Vertrags zugunsten Dritter mit Rücksicht auf das Valutaverhältnis: „Die Entscheidung der Frage, ob für das etwaige Erfordernis einer Form des Vertrages das Verhältnis unter den Vertragschließenden als allein maßgebend anzusehen, oder 7 6 So Kipp-Coing, Erbrecht § 81 III, 1 c ; vgl. audi Boehmer-Staudinger, Erbrecht, Einleitung §§ 26, 27. 7 7 Mot. V, 352 = Mugdan V, 186. 7 8 Prot. V, 462 = Mugdan V, 762. 7» Mot. II, 270 = Mugdan II, 150.
Kom.
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auch das Verhältnis zu dem Dritten bzw. die materielle causa der Zuwendung an ihn in Betracht komme, überläßt der Entwurf der Rechtswissenschaft". Die Geschäftspraxis und die Rechtsprechung und die h. M. in der Literatur hat die Entscheidung getroffen, daß sich aus dem Verhältnis des Zuwendenden zu dem Dritten kein Formerfordernis für den Vertrag zugunsten Dritter ergibt80. Die Entscheidung ist auch allgemein für den Vertrag zugunsten Dritter sachgerecht. Den Partner des durdi Vertrag zugunsten Dritter Zuwendenden geht es nichts an, auf Grund welcher causa die Zuwendung erfolgt. Der Vertrag zugunsten Dritter würde als Rechtsfigur im grundsätzlichen mißachtet, wenn man für ihn die Frage der Formbedürftigkeit nach dem Valutaverhältnis des Zuwendenden zu dem Dritten bestimmen würde. Die Vorschrift des § 2301 betrifft nicht den Vertrag zugunsten Dritter als Zuwendungsgeschäft. Die Zuwendung erfolgt zweifellos durch den Vertrag zugunsten Dritter als Rechtsgeschäft unter Lebenden. Für einen „Erbeinsetzungsvertrag" oder „Vermächtnisvertrag", durch welchen der Rechtserwerb des Bedachten herbeigeführt oder ein Anspruch auf den Rechtserwerb begründet werden könnte, besteht hiernach kein Raum, weil der Rechtserwerb eben auf Grund des Vertrags zugunsten Dritter bereits eingetreten ist. Es käme vielmehr nur in Frage, daß, wenn der Rechtserwerb durch den Vertrag zugunsten Dritter für den Bedachten sine causa erfolgt ist, es einer Verfügung von Todes wegen bedürfte, wenn der Erblasser für die Zuwendung eine causa begründen und damit den Kondiktionsanspruch des Nachlasses ausschließen wollte. In aller Regel wird nun der Gesellschafter sich mit dem von ihm auf Grund der Nachfolgeklausel des Gesellschaftsvertrags zur Nachfolge Berufenen über die Nachfolge einig geworden sein. Da diese Einigung keiner Form bedarf, hat damit die Zuwendung der Mitgliedschaft ihre causa80. Für die Zuwendung der Mitgliedschaft durch den Gesellschaftsvertrag als Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall ist zudem auf Grund von § 331 BGB anzunehmen, daß die Zuwendung auch einseitig als Schenkung erfolgen kann, wie dies für den Lebensversicherungsvertrag unabweislidi ist81. M
Vgl. BGHZ 41, 96 u. Zit.; Säcker a. a. O. S. 42 N . 9 Zit. Mit Recht hat Wieacker, Festsdir. Lehmann, 1956, I S. 279 darauf hingewiesen, § 331 beweise, daß die Zuwendung auf den Todesfall durch Rechtsgeschäft unter Lebenden nicht diskriminiert werden sollte. 81 Vgl. Flume, Rechtsgeschäft. S 150. Der „Schuldoktrin" mag es eher zusagen, wenn man sich das Zustandekommen der Schenkung so „denkt", daß der berechtigte Partner des Vertrags zugunsten Dritter mit dem Absdiluß dieses Vertrages eine Schenkungsofferte an den Dritten abgibt, die dieser durch die Inanspruchnahme des 800
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Die Vorschrift des § 2301 BGB steht in dem Abschnitt über den Erbvertrag. Es geht darum, wann die Schenkung auf den Todesfall als Rechtsgeschäft den Vorschriften über die Verfügung von Todes wegen unterliegt. Zu Unrecht wird hiermit in der Literatur die Frage vermengt, ob das Zugewandte hinsichtlich der erbrechtlichen Vorschriften, d. h. hinsichtlich der Rechte der Erben, der Pflichtteilsberechtigten und der Nachlaßgläubiger dem Nachlaß zuzurechnen ist. Offenbar gehört die Nachfolge in die Mitgliedschaft nicht zum Nachlaß, wenn die causa der Zuwendung der Nachfolge auf den Todesfall entgeltlicher Natur ist. Die Unentgeltlichkeit der causa ist aber kein Zauberstab, durch welchen — ceteris paribus wie bei der entgeltlichen causa — für die Mitgliedschaft die Zugehörigkeit zum Nachlaß bewirkt werden könnte. Die Anerkennung der Nachfolge in die Mitgliedschaft durch unentgeltliche Zuwendung der Mitgliedschaft mittels Rechtsgeschäfts unter Lebenden auf den Todesfall bedeutet zudem keine Benachteiligung der übrigen Nachlaßbeteiligten. Die Nachlaßgläubiger als die Gläubiger des Erblassers sind in der gleichen Lage wie stets die Gläubiger bei Schenkungen des Schuldners. Sie können die Schenkungen anfechten. Würde die Mitgliedschaft in den Nachlaß fallen, so sind die Nachlaßgläubiger allerdings nicht an die Anfechtungsfristen gebunden. Es ist aber nicht ersichtlich, wieso die Gläubiger bei der Schenkung auf den Todesfall besser stehen müßten als bei der gewöhnlichen Schenkung. Die Pflichtteilsberechtigten haben den Pflichtteilsergänzungsansruch, und für den Zugewinnanspruch ist nach § 1375 Abs. 2 Ziff. 1 BGB die Zuwendung der Mitgliedschaft mitzurechnen82. „Benachteiligt" sind, wenn die Mitgliedschaft nicht in den Nachlaß fällt, nur die Erben oder Miterben. Die Schmälerung des Nachlasses erfolgt aber durch ein Rechtsgeschäft des Erblassers, und es ist nicht zu sehen, wieso den Erben entgegen den Rechtsgeschäften des Erblassers ein Recht darauf zustehen könnte, daß das Vermögen des Erblassers voll in den Nachlaß fällt. Es ist eine grundsätzliche Verkehrung, wenn man sagt, daß bei der Schenkung auf den Todesfall „in Wahrheit nicht der ,Schenkgeber', sondern sein Erbe das Opfer bringt". Der Erbe kann gar kein Opfer bringen, weil ihm der Gegenstand der schenkweisen Zuwendung niezugewandten Rechts „annimmt", ohne daß die Annahme nadi § 151 BGB erklärt zu werden braucht. Vgl. sdion RGZ 128, 189, aber auch nodi BGHZ 46, 203 ff. für die Zuwendung eines Sparbuchs. Es ist dies eine Konstruktion ohne Wirklichkeitsgehalt. Nicht zu folgen ist Hofmann, AcP 158, 178 ff., daß beim Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall das Valutaverhältnis dem Erbrecht unterliege und der Dritte „eine Art Testamentserbe" sei. 82
Siehe Wiedemann a. a. Ο. S. 189 u. Zit.
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mals gehört hat. Es gibt zwar ein gesetzliches Erbrecht und ein nach diesem bestimmtes Pflichtteilsrecht, aber kein Pflicht-Erbrecht. Es ist deshalb eine ganz und gar unrichtige Vorstellung, als ob der Erblasser durch die schenkweise Zuwendung auf den Todesfall durch Rechtsgeschäft unter Lebenden dem Erben etwas wegnähme, was diesem gebühre. Von kardinaler Bedeutung zur Wahrung der berechtigten Interessen der Nachlaßgläubiger und Pflichtteilsberechtigten ist es allerdings bei der unentgeltlichen Nachfolge in die Mitgliedschaft, daß die Anfeditungsfrist nach § 32 KÖ, § 3 AnfG und die Frist betreffs des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach § 2325 Abs. 3 BGB erst mit dem Erbfall beginnt. Die Problematik ist für alle Fälle der Nachfolge, ob sie als Anwachsung an die verbliebenen Gesellschafter, durch Abtretung auf den Todesfall oder durch Vertrag zugunsten Dritter erfolgt, die gleiche. So kann sie hier einheitlich behandelt werden. Die Polemik gegen die Anerkennung der Berufung zur Nachfolge in die Mitgliedschaft auf den Todesfall durch Redhitsgeschäft unter Lebenden und das Bemühen um eine erweiternde allgemeine Anwendung des § 2301 BGB auf die unentgeltliche Zuwendung durch Rechtsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall ist zum Teil bestimmt durch die Annahme, die Anfechtungsfrist bzw. die Frist für den Pflichtteilsergänzungsanspruch laufe von dem Zeitpunkt der Berufung zur Nachfolge und, da diese oft lange Zeit zurückliege, komme insbesondere eine Anfechtung, aber auch die Pflichtteilsergänzung oft nicht mehr in Frage 83 . O f t erfolgt die Berufung zur Nachfolge in der Weise, daß der Gesellschafter sich eine Änderung durch Benennung eines anderen Nachfolgers oder auch die einfache Vererbung vorbehält. In diesen Fällen hat der zur Nachfolge Berufene jedenfalls bis zum Erbfall noch keine Eigenposition, nicht einmal im Sinne eines Anwartschaftsrechts. Deshalb ist es für diese Fälle zweifellos, daß die Frist für die Gläubigeranfechtung und betreffs des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nur mit dem Erbfall beginnen kann. Nur in den Fällen, daß durch Gesellschaftsvertrag die Anwachsung auf die Mitgesellschafter auf den Todesfall vereinbart ist oder daß die Mitgliedschaft bedingt auf den Todesfall und das Uberleben des Berufenen übertragen ist, kann überhaupt die Frage gestellt werden, ob die Frist von der Vereinbarung ab rechne, weil für den Anwachsungsberechtigten oder zur Nachfolge 83
So insbes. Wiedemann a. a. Ο. S. 176 ff.; dagegen Säcker a. a. O. S. 105 N. 11 mit der allerdings unrichtigen Behauptung, „nach ganz herrschender Lehre und Rechtsprechung" beginne der Lauf der Fristen des Anfechtungs- und Pfliditteilsergänzungsrechts erst mit Eintritt der Bedingung.
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Berufenen bereits ein Anwartschaftsrecht bestände. Bei der unentgeltlichen bedingten Verfügung und erst recht bei der unentgeltlichen auf den Todesfall bedingten Verfügung verdient der bedingt Bedachte jedoch bis zum Eintritt der Bedingung keinen Vorzug gegenüber den Gläubigern des bedingt Schenkenden. Es wäre geradezu absurd, bei der bedingten Schenkung und insbesondere bei der auf den Todesfall bedingten Schenkung den Gegenstand der Schenkung ein Jahr nach ihrer Vereinbarung auf Grund von § 161 BGB den Gläubigern des Schenkenden als Haftungsobjekt zu entziehen. Jedenfalls für die Schenkung auf den Todesfall sollte es außer Frage stehen, daß bis zum Erbfall der Schenkungsgegenstand voll und ausschließlich dem Vermögen des Schenkers zuzurechnen ist und so die Anfechtungsfrist nach § 32 KO, § 3 AnfG und die Frist nach § 2325 Abs. 3 BGB mit dem Erbfall beginnt 84 . Der BGH hat in der Entscheidung BGH III ZR 141/67 vom 25. 5. 1970 8 5 hinsichtlich der Frist nach § 2325 Abs. 3 BGB entgegengesetzt entschieden. In dem fraglichen Fall war in einem Gesellschaftsvertrag von 1953 für eine Gesellschaft, an welcher der Vater zu 50 %>, die Mutter zu 10 % und ein Sohn zu 40 % beteiligt waren, vereinbart worden, daß nach dem Tode des Vaters die Mutter an seine Stelle treten und nach deren Tod der Sohn allein das Geschäft fortführen solle. Die Mutter war 1965 verstorben. Ein Bruder des zur Nachfolge berufenen Sohnes machte den Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend. Entgegen dem Berufungsgericht (Hamm) erkannte der BGH, daß die Frist nach § 2325 Abs. 3 BGB vom Abschluß des Gesellschaftsvertrages, d. h. von 1953 ab laufe und deshalb beim Tode der Mutter be8 4 Mit Recht hat Wiedemann (a. a. Ο. S. 188) schließlich darauf hingewiesen, daß die Verfügung über das Mitgliedschaftsrecht durch Zuwendung bedingt auf den Todesfall insofern niemals irreversibel ist, als dem Gesellschafter jedenfalls das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund verbleibt und mit der Kündigung dann die Zuwendung des Mitgliedschaftsredits auf den Todesfall hinfällig wird. ω NJW 1970, 1638 = WM 1970, 1114 ff.; zu der Entscheidung Speckmann, Anm. N J W 1970, 1638, der die Entscheidung gelten läßt, jedoch fragt, wie es wäre, wenn nur eine widerrufliche Anwartschaft begründet worden ist. Gegen die Entscheidung Reuter (JuS 1971, 289 ff.), dem im wesentlichen zu folgen ist, abgesehen von der wirtschaftsverfassungsrechtlidien Begründung des Pflichtteilsredits, es sei „das wesentlichste Instrument, mit dem das geltende Erbrecht die Entstehung einer wirtschaftlichen Oligokratie behindert", und deshalb gegen eine Aushöhlung zu schützen. Der 3. Senat hat in gleicher Weise entschieden in BGH III ZR 91/70 vom 14. Juli 1971, WM 1971, 1338, unter Berufung auf RGZ 145, 289 und WM 1957, 512, „wo der wirtschaftlich vernünftige Gedanke der Erhaltung des Gesellschaftsunternehmens betont wird". Daß in dem fraglichen Fall die übernehmende Witwe das Unternehmen nach der Übernahme verkaufte, veranschaulicht besonders gut die Fragwürdigkeit der Argumentation des BGH.
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reits abgelaufen sei. Zur Begründung heißt es in der Entscheidung, „Hauptgrund und Hauptzweck von § 2325 Abs. 3 Halbs. 1" sei darin zu sehen, zu „verhindern, daß auf Vorgänge zurückgegriffen wird, die sich schon vor vielen Jahren zugetragen haben", auch werde „ein Zusammenhang zwischen dem verschenkten Gut und dem eigentlichen Nachlaß immer geringer, je weiter Schenkung und Erbfall zeitlich auseinanderliegen." Schließlich erfordere im Fall des § 2329 „eine billige Rücksicht auf den Beschenkten, daß seine Rechtslage nicht zu lange in einem Schwebezustand befangen bleibt". Die vom B G H angeführten Gründe tragen die Entscheidung nicht. Es ist schlechthin unrichtig, „Hauptgrund und Hauptzweck" von § 2325 Abs. 3 S. 1 sei, daß nicht auf länger zurückliegende „Vorgänge" zurückgegriffen werden solle. Es kommt bei § 2325 Abs. 3 S. 1 nicht auf „Vorgänge" an, sondern darauf, daß die lange Zeit bestandene Vermögensänderung nicht mehr soll in Frage gestellt werden. Bei der bedingten Schenkung auf den Todesfall kann ferner bis zum Todesfall entgegen dem B G H der „Zusammenhang zwischen dem verschenkten Gut und dem eigentlichen Nachlaß" gar nicht „immer geringer" werden, weil es nur ein einziges Vermögen des Erblassers gibt, zu dem bis zum Erbfall der bedingt auf den Tod geschenkte Gegenstand gehört. Die „Rechtslage" des Beschenkten befindet sich auch nicht in einem „Schwebezustand", den zu lange dauern zu lassen, eine „billige Rücksicht" verböte. Auf die Protokolle hat sich die Entscheidung des B G H zu Unrecht berufen. Diese ergeben vielmehr, daß die Entscheidung des B G H der Ansicht der Gesetzesverfasser strikt zuwider ist. Es heißt in den Protokollen 86 zur Begründung der Einführung einer Frist entgegen dem ersten Entwurf wörtlich: „Bei der Annahme der zeitlichen Beschränkung ließ sich die Mehrheit von folgenden Erwägungen leiten: Für die Aufnahme einer Frist, über welche hinaus die weiter zurückliegenden Schenkungen dem Angriffe der Pflichttheilsberechtigten entzogen sein sollten, spreche schon die billige Rücksicht auf den Beschenkten, dessen Recht nicht zu lange Zeit im Schwebezustande gehalten werden dürfe. Es bestehe aber auch ein innerer Grund für die Fristbestimmung darin, daß während einer längeren Zwischenzeit zwischen der Vornahme der Schenkung und dem Tode des Erblassers nicht nur der letztere selbst, sondern auch seine pflichttheilsberechtigten Angehörigen sich in den durch die eingetretene Vermögensminderung geschaffenen Zustand eingewöhnt hätten. Die ganze Lebenshaltung der Familie werde sich inzwischen den veränderten Verhältnissen angepaßt, die pflichttheilsberechtigten 88
Prot. V, 587 = Mugdan V, 791.
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Abkömmlinge würden anderen Verhältnisse vielleicht gar nicht gekannt haben. Sie würden daher die auf eine weit zurückliegende Schenkung zurückzuführende Verringerung ihres Pflichtteils nicht als Schädigung empfinden." Entscheidend ist also ausschließlich, daß eine lange Zeit zurückliegende Änderung des Vermögensstandes nicht wieder aufgehoben werden soll. Auch die besondere Regelung hinsichtlich der Ehegattenschenkung bestätigt es, daß es auf den Vermögensstand und nicht auf „Vorgänge" ankommt. Die Regelung betreffs der Ehegattenschenkung wird ausdrücklich in den Protokollen damit begründet, es bleibe ungeachtet dessen, daß die Gegenstände mit der Schenkung dem beschenkten Ehegatten gehören, „der verschenkte Gegenstand tatsächlich gemeinschaftliches Vermögen". Bei der Zuwendung auf den Todesfall tritt die Änderung im Vermögensstande nun stets erst mit dem Erbfall ein, so daß der dies a quo für die Anfechtungsfrist auch nur der Erbfall sein kann. Auch wenn bei der Schenkung auf den Todesfall die Zuwendung durch ein Geschäft unter Lebenden erfolgt, ist die Leistung vom Schenker an den Bedachten doch erst im Zeitpunkt des Todes vollzogen. Es wäre ganz und gar unverständlich, wenn die bedingte Schenkung auf den Todesfall im Vergleich zu anderen Zuwendungen von Todes wegen gegenüber dem Pflichtteilsrecht privilegiert oder das Pflichtteilsrecht gegenüber der bedingten Schenkung benachteiligt würde. Die Schenkung auf den Todesfall durch Rechtsgeschäft unter Lebenden kann überhaupt nur anerkannt werden, wenn für die Gläubigeranfechtung und den Pflichtteilsanspruch die Fristen erst mit dem Erbfall beginnen.
9. Ergebnis Für die Rechtspraxis ist es, was die primäre Rechtsfolge anbetrifft, daß der als Nachfolger Benannte Gesellschafter wird, im allgemeinen ohne Belang, wie sich die Nachfolge vollzieht. Gleich, wie die gesellschaftsvertragliche Klausel formuliert ist, ob als Nachfolge- oder als Eintrittsklausel, werden die verbliebenen Gesellschafter in aller Regel bereit sein, gemäß dem Vertrag den für die Nachfolge Benannten als Gesellschafter aufzunehmen, so daß dieser, wenn nicht schon auf Grund des Gesellschaftsvertrags, jedenfalls kraft der Aufnahme zum Gesellschafter wird. In aller Regel ist der Nachfolger, wenn er nicht bereits im Gesellschaftsvertrag benannt ist oder seine Benennung der Zustimmung der anderen Gesellschafter bedurfte, jedenfalls den anderen Gesellschaftern bereits vor dem Eintritt der Nachfolge bekannt.
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Die Frage der Haftung der von dem Nachfolger erworbenen Mitgliedschaft für die Nachlaßverbindlichkeiten wird nur in Ausnahmefällen eine Rolle spielen, nämlich wenn der Nachlaß ohne Berücksichtigung der Mitgliedschaft überschuldet oder wenn er nicht liquide ist. Sonst werden die Nachlaßgläubiger sich wohl eher an den Nachlaß halten, da die Befriedigung aus der Mitgliedschaft doch nur über den Gewinnanspruch oder nach der Kündigung über den Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben möglich ist. Wenn nicht alle Miterben entsprechend ihren Erbteilen zur Nachfolge berufen sind oder wenn Pflichtteilsrechte bestehen, ergibt sich jedoch stets die Frage, welche Rechte den Miterben oder den Pfliditteilsbereditigten auf Grund dessen zustehen, daß die Mitgliedschaft nicht in den Nachlaß fällt. Die Nachfolge ist auf den Todesfall bezogen, gleich ob sie unmittelbar mit dem Tode eintreten soll oder mit dem Tode das Eintrittsrecht entsteht. Die Frage ist, ob der unmittelbare oder gegebenenfalls (im Fall der Eintrittsklausel) der mittelbare Erwerb der Mitgliedschaft auf den Todesfall hinsichtlich der sekundären Rechtsfolgen, nämlich hinsichtlich der Rechtsbeziehungen zu den anderen Nachlaßbeteiligten, den Miterben, den Pflichtteilsberechtigten und den Nachlaßgläubigern, als ein Erwerb in Erbfolge, d. h. als ein Erwerb, der zur Erbschaft gehört, anzusehen ist oder ob er als ein Erwerb kraft des Gesellschaftsvertrags als eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden zu behandeln ist. a) Problemlos ist der Fall, daß im Gesellschaftsvertrag die Fortsetzung der Gesellschaft mit dem Alleinerben vorgesehen ist. Im Verhältnis zu den Nachlaßgläubigern und den Pfliditteilsbereditigten ist die Mitgliedschaft dem Nachlaß zuzurechnen. In gleicher Weise im grundsätzlichen problemlos ist der Fall, daß die sämtlichen Miterben entsprechend ihren Erbanteilen durch den Gesellschaftsvertrag zur Nachfolge berufen sind. Die Singularsukzession, die hier auf Grund von § 139 H G B eintritt, ist zwar dogmatisch als eine Nachfolge auf Grund des Gesellschaftsvertrags als Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall einzuordnen. In diesem Fall ist aber die Verknüpfung des Erwerbs mit der Erbfolge so eng, indem die Mitgliedschaft auf die Erben entsprechend ihren Erbteilen mit dem Tode des Erblassers übergeht, daß man den Mitgliedschaftserwerb, was die Rechte der sonstigen Nadilaßbeteiligten anbetrifft, dem Nachlaß zurechnen sollte. Problematisch, ob der Erwerb der Mitgliedschaft dem Nachlaß zuzurechnen ist, sind hinsichtlich der Berufung eines Erben zur Nachfolge nur die Fälle der qualifizierten Nachfolge- oder Eintrittsklausel, in denen nur einzelne Miterben zur Nachfolge berufen sind.
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b) Nach allgemeiner Meinung gehört die Mitgliedschaft nicht zum Nachlaß in den Fällen, in denen der Gesellschaftsvertrag bestimmt, daß beim Tode eines Gesellschafters die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern ohne Abfindungsanspruch für die Erben fortgesetzt wird. Ist über die Zuteilung der Mitgliedschaft auf die übrigen Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag nichts gesagt, so erwerben diese die Mitgliedschaft kraft Anwachsung. Soll dagegen nach dem Gesellschaftsvertrag die Mitgliedschaft nur einem oder einzelnen der Gesellschafter zufallen, so enthält der Gesellschaftsvertrag zugleich eine Abtretung, befristet auf den Todesfall. Die Abtretung kann bedingt sein durch das Uberleben des zur Nachfolge in die Mitgliedschaft berufenen Gesellschafters. O f t wird auch vereinbart werden, daß der berufene Gesellschafter oder sein Nachfolger die Mitgliedschaft erwirbt. In den Fällen der Anwachsung an die sämtlichen übrigen Gesellschafter wie der Übertragung der Mitgliedschaft an einzelne Mitgesellschafter ist es anerkannt, daß der Erwerb der Mitgliedschaft durch die verbliebenen Gesellschafter oder einzelne derselben ein Rechtserwerb kraft des Gesellschaftsvertrags als eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden ist. Sind die Gesellschafter, auf welche die Mitgliedschaft durch Anwachsung oder Übertragung übergeht, nicht Erben, so hat ihr Erwerb zweifellos keinen Bezug zum Nachlaß. In Frage kommt deshalb für die Erwerber eine Haftung für die Nachlaßverbindlichkeiten nur nach § 32 KO, § 3 Ziff. 3, 4 AnfG und nach § 2329 BGB für den Pflichtteilergänzungsanspruch, wenn der Erwerb unentgeltlich ist. Die Rechtslage ist grundsätzlich die gleiche, wenn der Gesellschafter, der durch die Anwachsung oder Übertragung die Mitgliedschaft des verstorbenen Gesellschafters oder einen Teil derselben erwirbt, Erbe des verstorbenen Gesellschafters ist. Der Erwerb der Mitgliedschaft ist in diesem Fall für den Erwerber kein Erbschaftserwerb. Für den Gesellschafter, der zugleich Erbe ist, kann zu der Haftung für die Nachlaßverbindlichkeiten und den Pflichtteilsergänzungsanspruch nur noch eine Ausgleichspflicht gegenüber Miterben nach §§ 2050 ff BGB hinzukommen. Die entscheidende Frage ist hiernach für die Nachfolge des Mitgesellschafters durch Anwachsung oder Übertragung hinsichtlich des Verhältnisses zu den Nachlaßbeteiligten, ob die Nachfolge in die Mitgliedschaft entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt ist. In der Regel bedeutet beim Ausscheiden des Gesellschafters ohne Abfindungsanspruch für die Erben die Anwachsung an die verbliebenen Gesellschafter für diese eine unentgeltliche Zuwendung. Nach BGHZ 22, 194 soll allerdings, wenn die Regelung für alle Gesellschafter in gleicher Weise gilt,
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eine Schenkung nidit vorliegen 87 . Die Frage wird in der Entscheidung des BGH und auch sonst vielfach in Hinsicht auf § 2301 BGB behandelt. Diese Vorschrift ist jedoch schon deshalb nicht anzuwenden, weil die Zuwendung durch die mitgliedschaftsreditliche Regelung des Gesellschaftsvertrags mit dem Tode vollzogen ist. Ein „Entgelt" für die Anwachsung ist jedoch nicht gegeben, wenn der Abfindungsansprudi der Erben ausgeschlossen ist, ohne daß der Nachfolger für den Erwerb der Mitgliedschaft ein Entgelt gezahlt hat. Wenn die Bestimmung über das Ausscheiden ohne Abfindung der Erben für alle Gesellschafter in gleicher Weise gilt, hat die Klausel nicht den Sinn, daß jeder Gesellschafter seine Mitgliedschaft, die er beim Vorversterben verliert, als Entgelt einsetzt, um im Überlebensfall die Anwachsung zu erlangen. Die gegenseitigen Chancen des Überlebens oder Vorversterbens stehen nicht im Entgeltsverhältnis. Sonst müßte der Vertrag sogar als sittenwidrig angesehen werden 88 .
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So im allgemeinen audi die Literatur. Vgl. u. a. Soergel-Ballerstedt, Kom. BGB §516 N . 19; Gessler, Kom. HGB §138 N . 27 unter I, 4 b u. Zit.; Rittner, FamRZ 1961, 509 ff., 511 ff.; so audi nodi Flume, Rechtsgeschäft S. 151. Nach Η . Westermann a. a. Ο. Rdz. 565 ist an der Entgeltlichkeit „nicht zu zweifeln", wenn der Aussdiluß des Abfindungsansprudis für alle Gesellschafter gilt. Besonders anschaulich sind die Fälle, daß nur zwei Gesellschafter vorhanden sind. In B G H II ZR 145/64 vom 20.12.1965, D N o t Z 1966, 620 ff. wird für die Anwadisung an den verbleibenden Gesellschafter mit Aussdiluß eines Abfindungsansprudis der Erben unter Berufung auf BGHZ 22, 186 ff. das Vorliegen einer Schenkung verneint. Solche Bestimmungen haben nach der Entscheidung „im allgemeinen nidit den Sinn, dem jeweils in Aussicht genommenen Nachfolger in den Gesellschaftsanteil letztwillig etwas zuzuwenden, sondern sie sollen in erster Linie gewährleisten, daß das Gesellsdiaftsunternehmen beim Tod eines Gesellschafters erhalten bleibt und seine Fortführung durch die oder den verbliebenen Gesellschafter nicht durch Abfindungsansprüche erschwert wird." Ungeachtet der Ideologie des „Unternehmens an sich" ist aber schlechthin nicht zu bestreiten, daß der Uberlebende unentgeltlich den Anteil des anderen Gesellschafters erhält und daß sich audi beide über die Unentgeltlichkeit einig sind. Die Gesellschafter wußten dies in dem vom BGH entschiedenen Fall auch sehr wohl. Deshalb schrieben sie zur Verdeckung des Erbsdiaftsteuertatbestandes in den Gesellschaftsvertrag, eine Erbsdiaftsteuer solle ausgeschlossen sein, weil es sich um eine „Anerkennung für den überlebenden Mitinhaber" und eine „Entschädigung für seine aufopfernde Tätigkeit" handle. Die Gesellschafter können jedoch nicht ein jeder dem anderen zur „Anerkennung" etc. „verpflichtet" sein. Mit Recht meinte das Berufungsgericht, die Beteiligten hätten einen „offensichtlich unwahren Grund" angeführt. Ihm wurde jedoch von dem B G H vorgehalten, es werde „dem gesellschaftlichen Sinngehalt des Abkommens" nicht gerecht. Der Sinn des Abkommens ist, daß dem überlebenden Gesellschafter das Unternehmen voll verbleibt. Audi wenn ungewiß ist, wer der Uberlebende sein wird, erhält mit dem Tode eines Gesellschafters der Uberlebende den Anteil des Verstorbenen ohne Gegenleistung. 88 Gegen die Annahme eines aleatorischen Charakters der Klausel Wiedemann a. a. Ο. S. 186; siehe auch Rittner, FamRZ 1961, 510; U. Huber a. a. O. S. 465.
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Allerdings ist Rittner 89 zuzustimmen, daß der für alle Gesellschafter geltende Aussdiluß von Abfindungsansprüchen eine mitgliedschaftsreditliclie Abrede ist. Das hindert aber nicht, daß, wenn die Mitgliedschaft eine Eigen-Vermögensposition des Gesellschafters ist, auf Grund der Ausschlußklausel die Mitgliedschaft des Gesellschafters unentgeltlich auf die verbliebenen Gesellschafter übergeht. Es ist ja auch schlechthin nicht einzusehen, wieso nur durch den Tod des Gesellschafters sein Vermögen, obwohl es erhalten bleibt, den Nachlaßgläubigern entgleiten und das Recht der Pflichtteilsberechtigten verkürzt werden soll. Es kann allerdings sein, daß ein Gesellschafter nur eine formale Gesellschafterstellung hat und ihm deshalb in keinem Fall ein Auseinandersetzungs- oder Abfindungsanspruch zusteht. Im allgemeinen wird ein solcher Gesellschafter aber keinen Kapitalanteil haben. In den Fällen einer nur formalen Gesellschafterstellung führen das Ausscheiden und die Anwachsung an die verbliebenen Gesellschafter für diese nicht zu einem unentgeltlichen Erwerb. Wenn im Gesellschaftsvertrag für den Fall des Todes eines Gesellschafters die Anwachsung an die verbliebenen Gesellschafter unter Ausschluß eines Abfindungsanspruchs der Erben bestimmt ist, so bleibt der Gesellschafter bis zum Tode voll berechtigter Inhaber der Mitgliedschaft. Seine Gläubiger können in die Mitgliedschaft vollstrecken und durch Kündigung der Gesellschaft sich aus dem Auseinandersetzungs- oder Abfindungsanspruch befriedigen. Bis zum Tode bleibt die Mitgliedschaft Vermögen des Gesellschafters. Die unentgeltliche Zuwendung erfolgt erst im Zeitpunkt des Todes. Von diesem Zeitpunkt rechnen deshalb die Fristen für die Anfechtung nach § 32 KO, § 3 Nr. 3 und 4 AnfG und die Frist für den Pflichtteilsergänzungsanspruch. c) Erfolgt in den Fällen der Anwachsung an die verbliebenen Gesellschafter oder der Übertragung der Mitgliedschaft auf einzelne Mitgesellschafter zum Zeitpunkt des Todes des Übertragenden und unter der Bedingung des Überlebens des Erwerbers der Erwerb der Mitgliedschaft durch Rechtsgeschäft unter Lebenden, nämlich durch den Gesellschaftsvertrag, der bei der Nachfolge von nicht allen Mitgesellschaftern zugleich ein Zessionsvertrag auf den Todesfall ist, so sind ebenso der Erwerb der Mitgliedschaft auf Grund der Berufung 88
A . a . O . S. 514; ebenso Soergel-Ballerstedt, Kom. BGB §516 N . 19. Zu Unrecht meint Rittner ferner, es gebe überhaupt nichts, was unentgeltlich zugewandt werden könnte. Allerdings handelt es sich nicht um die Zuwendung eines Anspruchs oder des „Werts" der Mitgliedschaft. Zugewandt wird die Mitgliedschaft. Gegen Rittner mit Recht Wiedemann a. a. Ο. S. 188 ff.
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zur Nachfolge durch die einfache oder qualifizierte Nadifolgeklausel von Erben als Nachfolger in die Mitgliedschaft oder die gesellschaftsvertraglich begründete Nachfolge eines Nicht-Erben als Erwerb auf Grund des Gesellschaftsvertrags als eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden einzuordnen. Der Gesellschaftsvertrag begründet in allen diesen Fällen den Erwerb der Mitgliedschaft für den zur Nachfolge Berufenen als Vertrag zugunsten Dritter. Nur für den Fall der einfachen Nachfolgeklausel, daß also die Erben entsprechend ihren Erbteilen zur Nachfolge berufen sind, ist mit der h. M. anzunehmen, daß die zur Nachfolge Berufenen als Erben unmittelbar mit der Mitgliedschaft wie mit Nachlaßvermögen für die Nachlaßverbindlichkeiten haften. Man könnte zwar auch in in diesen Fällen daran denken, daß der Erwerb, weil er auf dem Gesellschaftsvertrag beruht, ebenso zu behandeln ist wie ein sonstiger Erwerb auf den Todesfall durch Rechtsgeschäft unter Lebenden. Bei der einfachen Nachfolgeklausel ist die gesellschaftsvertragliche Regelung aber so sehr auf die Erbfolge bezogen, daß man auch den Erwerb der Mitgliedschaft als Erbschaftserwerb der Haftung für die Nachlaßverbindlichkeiten unterwerfen kann. In den Fällen der qualifizierten Nachfolgeklausel oder der gesellschaftsvertraglich begründeten Nachfolge von Nicht-Erben kann man hinsichtlich der Rechtsfolgen gegenüber den Miterben, den Pflichtteilsberechtigten und den Nachlaßgläubigern für den Erwerb der Mitgliedschaft nur an diesen als einen Erwerb auf Grund des Gesellschaftsvertrags als Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall anknüpfen. Im Fall des unentgeltlichen Erwerbs gilt hinsichtlich des Verhältnisses zu den Nachlaßbeteiligten das gleiche wie in den unter b) behandelten Fällen der Anwachsung an die verbliebenen Gesellschafter oder der auf den Todesfall bedingten Übertragung an einzelne Mitgesellschafter. d) Die sogenannte Eintrittsklausel ist grundsätzlich als Nachfolgeklausel zu interpretieren, d. h. als Regelung, daß der Eintrittsberechtigte wie bei der Nachfolgeklausel die Mitgliedschaft auf Grund des Gesellschaftsvertrags als eines Vertrags zugunsten Dritter erwirbt, nur daß der Erwerb von der Eintrittserklärung des zur Nachfolge Berufenen als Bedingung abhängig gemacht ist. e) Es ergibt sich hiernach eine einheitliche Regelung für alle Fälle der Nachfolge in die Mitgliedschaft beim Tode eines Gesellschafters90, mit der einzigen Besonderheit, daß bei der einfachen Nachfolgeklausel der Nachfolger mit der Mitgliedschaft unmittelbar für die Nachlaßverbindlichkeiten haftet, während bei unentgeltlichem Erwerb in Vgl. Brox, Erbrecht, 2. Aufl. Rdz. 758.
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allen anderen Fällen die Haftung nach § 32 KO, § 3 Ziff. 3 und 4 AnfG eintritt. Audi dieser Unterschied hat kein besonderes Gewicht. Da die Frage, ob durch den Gesellschaftsvertrag als Vertrag zugunsten Dritter die Nachfolge in die Mitgliedschaft begründet werden kann, in der Rechtsprechung noch nicht geklärt ist, dürfte es für die Geschäftspraxis ratsam sein, daß in Ergänzung zu der gesellschaftsvertraglichen Nachfolge- oder Eintrittsklausel die Mitgliedschaft durch Zessionsvertrag, bedingt auf den Todesfall, — bei der Eintrittsklausel zugleich unter der Bedingung der Eintrittserklärung — auf den Nachfolger übertragen wird, wobei sich der Gesellschafter den Widerruf als Resolutivbedingung vorbehalten kann und in der Regel vorbehalten sollte. Falls der Gesellschaftsvertrag nicht ohnehin eine Abtretungsklausel enthält, müßte die Abtretung durch Änderung des Gesellschaftsvertrags besonders zugelassen werden. In dem Abtretungsvertrag wäre zugleich zu dokumentieren, daß die Übertragung der Mitgliedschaft schenkweise erfolgt.
Konkursrechtliche Probleme bei der GmbH & Co KG GEORG K U H N
Wolfgang Schilling hat die GmbH, die KG, die GmbH & Co K G und dazugehöriges Konkursrecht kommentiert. Es liegt daher nahe, ihn durch einen Beitrag zu ehren, der alle vier Interessengebiete berührt.
I. Überschuldung 1. Friedrich Weber (in Jaeger, K O §§ 209, 210 Anm. 10) hält es, wenn die GmbH & Co KG, wie im Regelfall, nur einen einzigen Komplementär, die GmbH, hat und darum nur ein „beschränktes Haftungskapital besitzt", für geboten, „die konkursrechtlichen Folgerungen zur Anwendung zu bringen, die das Recht der GmbH zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger aus einer vergleichbaren Haftungslage gezogen hat". Dies bedeutet, daß solchenfalls aufgrund entsprechender Anwendung des § 63 Abs. 1 GmbHG bei der GmbH & Co K G außer der Zahlungsunfähigkeit auch die Uberschuldung Konkursgrund ist und entsprechend § 64 Abs. 1 GmbHG der GmbHGeschäftsführer in seiner Eigenschaft als Organvertreter der K G verpflichtet ist, die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der K G zu beantragen. Diese Ansicht vermag ich nicht zu teilen: Die Heranziehung der Uberschuldung als Konkursgrund scheitert an der positiven Regelung der §§ 209 Abs. 1, 102 Abs. 1 KO; danach ist bei Personengesellschaften wie bei einzelnen natürlichen Personen nur die Zahlungsunfähigkeit Konkursgrund. Auch bei einer GmbH & Co, deren einziger persönlich haftender Gesellschafter eine GmbH ist, geht es um den Konkurs einer Kommanditgesellschaft. Entgegen der Ansicht von Weber fehlt es zudem an einer vergleichbaren Haftungslage. Das Vorhandensein bloß beschränkten Haftkapitals, dessentwegen (vgl. BGHZ 29, 100, 103, 105) § 64 GmbH dem GmbH-Geschäftsführer (ebenso § 92 AktG den Vorstandsmitgliedern der Aktiengesellschaft) die Pflicht auferlegt, Konkurs zu beantragen, hat bei der GmbH & Co K G als einer Personengesellschaft und wegen des Hinzutritts der Kommanditbeteiligungen nicht dieselbe Bedeutung wie bei der Nur-GmbH. Eine GmbH kann, selbst wenn sie bloß mit dem gesetz-
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lichen Mindestkapital ausgestattet ist, einer GmbH & Co KG mehr Halt bieten als eine natürliche Person. Denn diese braucht, um sich an einer Kommanditgesellschaft als persönlich haftende Gesellschafterin beteiligen zu können, nicht einmal 20 000 DM zu besitzen, und trägt beim Handeln für die KG keineswegs ein höheres Risiko als eine mit dem gesetzlichen Mindestkapital gegründete KomplementärGmbH. 2. Eine andere Frage ist es, ob bei Uberschuldung der KG Konkursantrag für die GmbH gestellt werden muß. Das bejaht Franzheim (DB 1970, 1675) für den Fall, daß die Beteiligung an der KG das einzige Vermögen der GmbH ist. Er meint, bei Uberschuldung der KG sei diese Beteiligung voll abzuschreiben oder eine entsprechende Wertberichtigung vorzunehmen. Hiergegen wendet sich Proebsting (DB 1970, 2428). Er ist der Ansicht, eine Uberschuldung der GmbH & Co KG könne solange nicht als Uberschuldung der GmbH angesehen werden, als die Kommanditisten ihrer Gesellschaft Darlehen gäben oder Bürgschaften gegenüber Banken übernähmen und auf diese Weise die Zahlungsunfähigkeit der K G verhinderten. Eine weitere Kontroverse besteht zwischen Franzheim (a. a. O.) und Uhlenbruck (GmbHRdsch 1971, 70, 72). Während Franzheim die Verbindlichkeiten der KG auf der Passivseite der GmbH-Bilanz voll ausgewiesen sehen will, hält Uhlenbruck für richtig, sie nur in Höhe des die Überschuldung der KG ausmachenden Teils zu passivieren. Man tut Franzheim Unrecht, wenn man (so Proebsting) mit dem Vorhandensein stiller Reserven rechnet oder erwägt, das Stammkapital der GmbH brauche durch die volle Abschreibung an der KG noch keineswegs aufgezehrt zu sein, oder wenn man (so Uhlenbruck) annimmt, die GmbH könne aufgrund besonderer Abreden mit den Kommanditisten oder ihren eigenen Gesellschaftern im Innen Verhältnis von allen Verbindlichkeiten der KG freizustellen sein. Denn in allen diesen Fällen besitzt die GmbH nicht bloß die Beteiligung an der KG, sndern noch anderes Vermögen, und dann geht es um einen anderen als den von Franzheim behandelten Fall. Überschuldung liegt nach allgemeiner Ansicht nur vor, wenn das „echte" Vermögen die „echten" Schulden nicht mehr deckt; dies ist durch eine Vermögensbilanz (Statusbewertung) festzustellen. Dabei ist das Stammkapital außer Ansatz zu lassen (BGHSt 15, 306, 309/10 m. w. Nachw.). Überschuldung ist also nicht gegeben, solange die Aktiven unter Berücksichtigung etwaiger stiller Reserven die Passiva (ohne Stammkapital und Rücklagen) decken. Für die Feststellung der Überschuldung einer GmbH, die die Komplementärin einer KG ist,
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kommt es deshalb für die Passivseite darauf an, zu welchem Ergebnis die Statusbewertung der Haftung nach § 128 HGB in jedem Einzelfall führt. Hierzu gibt die Beantwortung der Frage nach der Rechtsnatur dieser Haftung (vgl. hierzu die Darstellung von Rob. Fisdier in Großkomm. HGB § 128 Anm. 3) nichts her. Auch aus den §§ 124, 129 Abs. 4 HGB und 209 KO, nach denen es zur Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen und in das Vermögen der Komplementäre besonderer Vollstreckungstitel bedarf und über das Vermögen der KG ein besonderer Konkurs stattfindet, läßt sich für die Bewertung der Haftung nadi § 128 HGB nichts gewinnen. Dagegen sieht § 212 K O vor, daß bei gleichzeitigem Konkurs von Gesellschaft und persönlich haftenden Gesellschaftern in erster Linie das Gesellschaftsvermögen zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger zu verwenden ist. Denn er bestimmt, daß die Gesellschaftsgläubiger im Gesellschafterkonkurs nur mit dem Ausfall berücksichtigt werden, den sie im Gesellschaftskonkurs erleiden. Das deckt sich damit, daß sich die Gesellschaftsgläubiger in der Praxis im allgemeinen in erster Linie an das Gesellschaftsvermögen halten und die Gesellschafter erst in Anspruch nehmen, wenn sie von der Gesellschaft nidit befriedigt werden. Aber darum läßt sich mit Proebsting (a. a. O.) keineswegs sagen, die Gefahr einer Inanspruchnahme entstehe für den Komplementär erst in oder kurz vor dem Zeitpunkt, in dem die Kommanditisten ihrer überschuldeten Gesellschaft die Unterstützung versagen, und dieser Zeitpunkt sei im allgemeinen mit dem Zeitpunkt identisch, in dem die KG ihre Zahlungen einstelle. Man denke nur an einen ungeduldigen Gläubiger oder an den Fall, daß die Kommanditgesellsdiaft von ihr bestrittene, in Wirklichkeit aber begründete Schulden nidit bezahlt und deshalb die Gläubiger dieser Verbindlichkeiten sowohl die KG als auch die Komplementäre verklagen. Hier oder wenn sonst den persönlich haftenden Gesellschaftern die Inanspruchnahme angekündigt oder gegen sie bereits Klage erhoben ist, muß in einem Vermögensstatus der GmbH die Haftung als Komplementär berücksichtigt werden. Die Pflicht hierzu ergeben die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung und die Bestimmungen der §§ 34, 64 GmbH, die vom GmbHGeschäftsführer ein Handeln „mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns", verlangen. Auch die Bewertung selbst muß nach diesen Maßstäben vorgenommen werden, wobei Anlaß zu dem Hinweis besteht, daß ein kaufmännischer Mißbrauch, audi wenn er allgemein geworden sein sollte, nicht unter die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung fällt. Gewiß sind das alles unbestimmte Rechtsbegriffe.
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Aber man ist mit ihnen im allgemeinen zurecht gekommen. Soweit die Verbindlichkeiten der KG durch Vermögen der KG gedeckt sind, wird die Haftung nach § 138 HGB auch bei einer Statusbewertung außer Betracht bleiben können (Veismann, BB 1971, 940), weil die GmbH, könnte sie ihre persönliche Haftung erfüllen, sich dann bei der KG erholen könnte (vgl. Leyendeckers, DB 1971, 609, 610), und auch der Zweck der Uberschuldungsbilanz, die Gläubiger der GmbH zu schützen (vgl. Uhlenbruck GmbHRdsch 1971, 70, 72), eine Passivierung kaum erfordert. Wenn die KG überschuldet ist, die GmbH das aber kompensieren kann, besteht für beide Gesellschaften kein Anlaß zum Konkursantrag: Für die KG nicht, weil ihre Überschuldung kein Konkursgrund ist, und für die GmbH nicht, weil sie trotz Überschuldung der KG selbst nicht überschuldet ist (vgl. Leyendeckers a. a. O.). Soweit die Verbindlichkeiten der KG durch Vermögen der KG und Eigenmittel der GmbH nicht gedeckt sind, ist die GmbH überschuldet und muß nach Maßgabe des § 64 GmbHG ihren Konkurs beantragen (Uhlenbruck GmbHRdsch 1971, 70; Leyendeckers DB 1971, 609 ff.; Bley/Mohrbutter, VerglO §109 Anm. 6 a. E; Benning DB 1971, 609). Wenn die Kommanditisten die KG durch Darlehen oder Bürgschaften für Bankkredite an ihre Gesellschaft unterstützen, so wird zwar der finanzielle Zusammenbruch der Kommanditgesellschaft vermieden, die Schuldenlast von KG und Komplementär-GmbH aber erhöht. Wenn Proebsting ausführt: Müßte die Haftung des Komplementärs bei drohender Inanspruchnahme passiviert werden, so stände das „im Widerspruch zu Strukturelementen des Konkursrechts", so kann er nur meinen, daß die Überschuldung bloß für Kapitalgesellschaften Konkursgrund ist und lediglich für sie eine Konkursantragspflicht normiert ist. So richtig das ist, so wenig schließt das aus, die Uberschuldung der KG bei der Bewertung der Komplementär-Haftung zu berücksichtigen.
II. Konkurswirkung 1. Durch den Konkurs der Komplementär-GmbH wird sowohl sie (§ 60 Nr. 4 GmbHG) als audi die KG (§ 131 Nr. 5 HGB) aufgelöst. a) Sie bleibt Gesellschafterin der KG. Ihr Konkursverwalter tritt gemäß § 146 Abs. 3 HGB an ihre Stelle. Er übt deshalb die Tätigkeit eines Abwicklers der KG aus, wenn auch nur so weit, als dies seine Aufgabe als Konkursverwalter erfordert. b) Ist im Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co KG bestimmt, daß, falls der Konkurs über das Vermögen eines Gesellschafters eröffnet
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wird, die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortbestehen soll (§ 138 HGB), oder beschließen die übrigen Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft (§ 141 Abs. 2 HGB), so ist das, wenn die GmbH der einzige persönlich haftende Gesellschafter ist, nur durchführbar, wenn ein Kommanditist oder ein Dritter persönlich haftender Gesellschafter wird (Weber in Jaeger §212 Anm. 6). Denn das Vorhandensein mindestens eines persönlich haftenden Gesellschafters ist zwingendes Erfordernis einer Kommanditgesellschaft (Schilling in Großkomm. HGB § 177 Anm. 28, 32). c) Scheidet die GmbH infolge ihres Konkurses aus der K G aus, so findet die Auseinandersetzung beider Gesellschaften außerhalb des Konkursverfahrens statt (§ 16 KO). Hierbei vertritt der Konkursverwalter zufolge des § 6 K O die GmbH (RG2 42, 105; Lent in Jaeger § 16 Anm. 9; Böhle/Stamschräder, KO § 16 Anm. 3; Mentzel/ Kuhn, K O § 16 Anm. 9). Da er nach § 146 Abs. 3 HGB außerdem bei der K G an die Stelle der GmbH tritt, kann er wegen des entstehenden Interessenkonflikts die K G bei der Ermittlung des Auseinandersetzungsguthabens nicht vertreten (arg. § 181 BGB). 2. GmbH & Co KG. a) Beim Konkurs einer K G kommt die Gemeinschuldnerrolle den persönlich haftenden Gesellschaftern zu (RGSt 34, 374, 380; 69, 65, 66; B G H 2 34, 293, 294; BGHSt GmbHRdsch 1964, 51), also bei einer GmbH & Co allein der GmbH, wenn sie die einzige Komplementärin ist. Das gilt aber nur in Ansehung des Vermögens der Kommanditgesellschaft und nicht hinsichtlich des Vermögens der GmbH. Das Urteil BGHSt GmbHRdsch 1964, 51 meint allerdings, gerate eine GmbH & Co K G in Konkurs, so werden auch über das Vermögen der GmbH, soweit es in der K G gebunden sei, das Konkursverfahren eröffnet. Das ist nicht richtig. Gewiß wird das in der K G steckende Vermögen der GmbH von dem Konkurs der KG, weil deren Vermögen, betroffen, aber darüber ist kein Konkursverfahren eröffnet. Das folgt einmal daraus, daß es keinen Teilkonkurs über das Vermögen einer Person gibt (Mentzel/Kuhn § 1 Anm. 7), und zum anderen daraus, daß das Gesetz (vgl. §§ 124, 129, 128 HGB, 209, 212 KO) die Vermögen der K G und ihrer Komplementäre als getrennte Vermögen behandelt. b) Die Verwaltungs-, Vertretungs- und Verfügungsbefugnis der GmbH wird durch den Konkursverwalter der K G verdrängt. Dem Geschäftsführer der GmbH verbleiben nur wenige Rechte und Pflichten (vgl. dazu Robrecht DB 1968, 471, 474 unter II 2). c) In die inneren Angelegenheiten der Kommanditgesellschaft darf der Konkursverwalter dagegen nicht eingreifen, sein Machtbereich ist
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durch die ihm gestellte Aufgabe beschränkt, die Konkursmasse zu sammeln, zu verwerten und zu verteilen (BGH WM 1964, 651/52). d) Die Kommanditisten verlieren ihre Einlage, sofern nicht etwa nach vollständiger Befriedigung aller Gläubiger noch Gesellschaftsvermögen übrig bleibt. Soweit das Einlagekonto eines Kommanditisten von seinem Anteil am Verlust nicht aufgezehrt wird, hat er einen Ausgleichsanspruch, der außerhalb des Gesellschaftskonkurses geltendzumachen ist (Schilling in Großkomm. HGB § 177 Anm. 48; § 155 Anm. 19 ff.). Soweit er den seiner Haftsumme entsprechenden Betrag noch nicht geleistet hat, wird der Anspruch auf die Hafteinlage durch den Konkursverwalter geltend gemacht (§171 Abs. 2 HGB). Der Konkursverwalter übt dabei ein fremdes Recht (im eigenen Namen für fremde Rechnung) aus (BGH N J W 1958, 1139), weil Gläubiger des Haftungsanspruchs nicht die Kommanditgesellschaft, sondern jeder einzelne Gesellschaftsgläubiger ist (Schilling a. a. Ο. § 161 Anm. 12; § 171 Anm. 4; B G H 2 58, 72, 76). Der Kommanditist kann sich aber, wie die §§ 161 Abs. 1, 171 Abs. 1 HGB ergeben, von seiner Haftpflicht dadurch befreien, daß — und solange (§ 172 Abs. 4 HGB) — er der Gesellschaft den Betrag der Hafteinlage zur Verfügung stellt. Das kann auch durch Leistung an einen Gesellschaftsgläubiger und durch Aufrechnung mit einer entweder gegen die Gesellschaft oder gegen einen Gesellschaftsgläubiger gerichteten Forderung geschehen. Vor Eröffnung des Gesellschaftskonkurses kann der Kommanditist der Inanspruchnahme durch einen Gesellschaftsgläubiger damit begegnen, daß er mit einer Forderung gegen einen anderen Gesellschaftsgläubiger oder gegen die Gesellschaft aufredinet. Dagegen kann er bei Inanspruchnahme durch den Konkursverwalter nur noch mit Forderungen gegen die Kommanditgesellschaft aufrechnen (BGH2 42, 192), weil es der Zweck des § 171 Abs. 2 HGB ist, die Haftsumme zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zu verwenden. Hat der Kommanditist vor Konkurseröffnung die Forderung eines Gesellschaftsgläubigers erworben, so kann er gegen den Hafteinlageanspruch grundsätzlich (anders bei Schuldbeitritt und Bürgschaft) auch noch nach Eröffnung des Gesellschaftskonkurses aufrechnen. Die außerhalb des Konkurses zu seinen Gunsten einmal entstandene Aufrechnungslage kann er auch noch während des Konkurses ausnutzen (BGHZ 58, 72, 76). Dagegen verliert ein Gesellschaftsgläubiger, der seinerseits Schuldner eines noch Hafteinlage „schuldenden" Kommanditisten ist, mit der Eröffnung des Gesellschaftskonkurses die Aufrechnungsbefugnis. Das folgt daraus, daß sein Haftungsanspruch mit der Eröffnung des Gesellschaftskonkurses durch § 171 Abs. 2 HGB „in die Hand des
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Konkursverwalters übergeleitet" (so B G H a. a. O.) wird, und steht nicht im Widerspruch zu dem Grundgedanken der §§ 53 ff. K O ( B G H Z 2, 300, 304/5), das Vertrauen in eine einmal entstandene Aufrechnungslage zu schützen. Denn der Hafteinlageanspruch jedes einzelnen Gesellschaftsgläubigers ist nicht frei von Schwächen: Dieser Anspruch kann durch Leistung an die Gesellschaft (und vor dem Gesellschaftskonkurs auch durch Leistung an einen anderen Gesellschaftsgläubiger) getilgt werden und geht mit dem Konkurs im Interesse aller Gesellschafts- (Konkurs-) Gläubiger auf den Konkursverwalter über.
III. Haftung des Kommanditisten bei Strukturmißbrauch Es ist keine Frage der Haftpflicht, sondern eine Frage der ungereditfertigten Bereicherung, wenn ein Kommanditist durch den Irrtum eines Angestellten seiner K G einen Betrag überwiesen erhält. Nidit anders liegt es, wenn eine K G irrtümlich eine Schuld eines Kommanditisten bezahlt (vgl. hierzu B G H Z 36, 32; R G J W 1934, 2458) oder sich für den Schuldner hält, der in Wirklichkeit der Kommanditist ist (Putativschuld, vgl. dazu Flume J Z 1962, 281/82). Die K G leistet dagegen mit Rechtsgrund, wenn sie die Sdiulden eines von einem Kommanditisten eingebraditen Unternehmens bezahlt. Wenn diese Sdiulden überhaupt nicht bewertet oder unterbewertet sind, die Gesellschaft deshalb per Saldo nichts erhält, sondern noch Geld drauflegen muß und durch den „Einlage"-Vertrag von vornherein überschuldet ist, so wird dieser Vertrag, insbesondere wenn die Schuldübernahme bewußt auf dem Rücken der Gesellschaftsgläubiger durchgeführt werden sollte, wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein (§ 138 Abs. 1 BGB) und keinen Rechtsgrund für die zur Befreiung des Kommanditisten von seinen Schulden aufgewendeten Mittel abgeben können. Wie steht es aber mit einem Erstattungsanspruch der K G , wenn ein bloß objektiv zu beanstandender Sachverhalt zu beurteilen ist und die Voraussetzungen der Irrtumsanfechtung nicht gegeben sind? Eine Sacheinlage muß bei objektiver Betrachtung in ihrem Wert mindestens den Geldbetrag erreichen, durch den die Kommanditeinlage in der Registeranmeldung bestimmt ist (Rob. Fischer L M § 172 H G B Nr. 2 A n m . ; Schilling Großkomm. H G B § 1 7 1 Anm. 13). Im Verhältnis der Gesellschafter untereinander besteht dagegen Bewertungsfreiheit (Schilling a . a . O . § 161 Anm. 13; Weipert Großkomm.
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HGB 2. Aufl. § 161 Anm. 17). Wenn Schulden des eingebrachten Unternehmens versehentlich gar nicht bewertet oder irrtümlich zu niedrig bewertet worden sind und die Gesellschaft auf diese Weise nicht nur nichts erhält, sondern noch, womöglich sogar viel Geld hinzulegen muß, wird die „Einlage" zur Farce. Ein Sacheinlagevertrag, der der Kommanditgesellschaft im wirtschaftlichen Ergebnis nichts bringt, sondern ihr Zuzahlungen ohne entsprechenden Gegenwert aufbürdet und zu ihrer Überschuldung führt, kann einem Erstattungsanspruch der Gesellschaft eigentlich nicht den Weg versperren können. Die Gesellschaftsgläubiger haben solchenfalls ein Interesse daran, daß der Betrag der „Negativeinlage" durch die KG beim Kommanditisten eingefordert und ein derartiger Anspruch von ihnen gepfändet werden kann oder in die Konkursmasse der Gesellschaft fällt. Eine „Negativeinlage" kann im Hinblick auf die Bewertungs- und Vertragsfreiheit hingehen, wenn der bei der Einlagebewertung unterlaufene Fehler ohne weiteres aus dem Gesellschaftsvermögen korrigiert werden kann. Sie wird auch zu keinem Anspruch führen können, wenn die durch sie herbeigeführte Uberschuldung bereits beseitigt ist, bevor die KG die von ihr übernommenen Schulden erfüllt. Wenn aber die Komplementäre nicht imstande sind, das Minus abzugleichen und das auch wegen der kleinen Zahl der Kommanditisten und der geringen Höhe ihrer Einlagen nicht mit Hilfe des Kommanditkapitals geschehen kann, geht der Fehler, wenn er auch sonst nicht durch Gesellschaftsvermögen ausgeglichen werden kann, zu Lasten derer, die der Gesellschaft ohne entsprechende Sicherheiten Kredit geben. In einem solchen Fall wird die Struktur der Kommanditgesellschaft mißbraucht. Das muß dazu führen, daß der Kommanditist einer Inanspruchnahme durch die Kommanditgesellschaft oder ihren Konkursverwalter nicht entgegenhalten kann, die Gesellschaft habe ihn aufgrund wirksamen Einlagevertrages von seinen Schulden befreit. Für Fälle dieser Art ist eine GmbH & Co, bei der die Komplementär-GmbH nur mit dem Mindestkapital von 20 000 DM ausgerüstet ist und die Einlageverpflichtungen der Kommanditisten auch nur gering sind, besonders anfällig. Die Abgrenzung der noch hinnehmbaren gegen die „kranken" Fälle stößt nicht auf unüberwindliche Schwierigkeiten, wenn man den Erstattungsanspruch auf die Fälle beschränkt, in denen der Sacheinlagevertrag dazu führt, daß die Kommanditgesellschaft bei Berücksichtigung ihres gesamten Aktivvermögens, also auch der stillen Reserven und des good will des eingebrachten Handelsgeschäfts (vgl. Hachenburg/Schmidt GmbHG § 63 Anm. 5, 5 a) und des Vermögens der Komplementär GmbH, von vornherein überschuldet ist.
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Aldann genügt es audi nicht, daß ein Gesellschafter, der eine Sacheinlage leistet, die hinter dem angenommenen Wert zurückbleibt, seine Einlageverpflichtung bis zur Höhe des in der Registeranmeldung genannten Betrages in bar erfüllen muß (vgl. B G H Z 45, 338, 345; Schilling Großkomm. H G B § 161 Anm. 13). Alsdann gebieten der notwendige Schutz der Gesellschaftsgläubiger und die Rücksicht auf Treu und Glauben es vielmehr, daß sich der Kommanditist nicht auf die Unterbewertung oder die unterbliebene Anrechnung seiner von der K G übernommenen Schulden berufen darf. Das führt dazu, daß man der K G oder ihrem Konkursverwalter in Höhe des Mehrbetrages aufgrund der §§ 812, 242 BGB einen Anspruch gegen den Kommanditisten geben muß. Das ist audi deshalb erforderlich, weil man es sonst zulassen würde, daß das Institut der Kommanditgesellschaft oder das der G m b H & Co K G ausgerechnet durch außergewöhnliche und schlechthin nicht zu billigende Praktiken in Mißkredit gebracht werden könnte. Dem strukturwidrigen Gebrauch von Gesellschaftsformen muß entgegengetreten werden! Unter entsprechenden Voraussetzungen wird man einer Kommanditgesellschaft audi dann einen Rückforderungsanspruch geben müssen, wenn sie von einem ihrer Kommanditisten einen Gegenstand (etwa ein Handelsgeschäft oder Grundstück) übernommen hat, dessen Preis weit, weit über dem Verkehrswert liegt und von vornherein zu einem „Negativkapital" bei der Gesellschaft führt. Dagegen wird eine ebensolche Sachübernahme, die die Gesellschaft mit einem Dritten vereinbart hat, anders behandelt werden müssen, weil ein Dritter auf die Gesellschaftsgläubiger nicht Bedacht zu nehmen braucht, bei ihm eine gesellschaftliche Bindung fehlt und von ihm nicht Rücksichtnahme auf die Gesellschaftsgläubiger verlangt werden kann. Vielleicht ist audi ein Hinweis auf die Rechtslage bei der G m b H nützlich und (oder) behelflich. Leistungen, die an die Gesellschafter zu Lasten des Stammkapitals geleistet werden, sind nach § 30 Abs. 1 G m b H G verboten und verpflichten den Gesellschafter nach § 31 Abs. 1 G m b H G zur Rückzahlung an die Gesellschaft. Dieser Erstattungsanspruch ist kein Bereicherungsanspruch ( B G H Z 31, 258, 265) und nicht auf die Höhe des Einlageversprechens und damit auf die bloß beschränkt übernommene Haftung begrenzt. Aber wenn man diese Regelung lediglich auf die G m b H & Co K G übertrüge, so würde man auf die Eigenschaft des Komplementärs, also die Eigenschaft als GmbH, abstellen und nicht dem Rechnung tragen, daß sich die erörterten Fälle ebensogut bei einer Kommanditgesellschaft zutragen können, die eine natürliche Person zum persönlich haftenden Gesellschafter hat.
Die Sonderzuordnung des vererbten OHG-Anteils Zum Einfluß von Testamentsvollstreckung, Nachlaß Verwaltung und Nachlaßkonkurs auf die Gesellsdiaftsbeteiligung PETER ULMER
Gliederungsübersicht Seite
I. Die nachlaßreditliche Bedeutung der Anteilszuordnung 1. D i e Behandlung des Anteils im Ansdiluß an die erbrechtliche Gesellschafternachfolge 80 2. Die gegenständliche Anteilszuordnung als Zentralproblem 81
I I . Gesellschafts- und erbrechtliche Vorfragen 1. O H G - A n t e i l und Mitgliedschaft 2. N a i l a ß und Erbschaft 3. Der gesetzliche Interessenausgleich zwischen Mitgesellsdiaftern und Gläubigern
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I I I . Die unterschiedliche Zuordnung von OHG-Anteil und Auseinandersetzungsansprudi 1. Der Anspruch auf den Anteilswert als Äquivalent f ü r die Sonderzuordnung des vererbten Anteils 87 2. D i e Notwendigkeit der T r e n n u n g zwischen O H G - A n t e i l und Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben 89
Seite 3. Die Rechtslage beim Alleinerben 90 4. Die Rechtslage bei einer Mehrheit von Erben 93 5. Zwischenergebnis 95
IV. Folgerungen f ü r die Anwendung nadilaßreditlicher Vorschriften auf den vererbten O H G - A n teil 1. Testamentsvollstreckung
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2. N a d i l a ß v e r w a l t u n g 3. N a d i l a ß k o n k u r s 4. Sonstige Folgerungen
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V. Die Zurechnung von Gewinnen und sonstigen Änderungen des Anteilswerts nach dem Erbfall 1. Gewinne 101 2. Sonstige Wertänderungen 101 3. Die Bedeutung der gesellsdiafts vertraglichen Beschränkung des Afindungsanspruchs 102
VI. Ergebnisse
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Wolf gang Schilling, dem dieser Beitrag in Verehrung und dankbarer Verbundenheit gewidmet ist, hat die Gesellschaftsrechtsdiskussion der letzten zwei Jahrzehnte entscheidend mitbestimmt. In Fortsetzung der Tradition großer Mannheimer Gesellschaftsrechtler wie Max Hachenburg und Karl Geiler sind seine Untersuchungen durch das Bemühen um eine Synthese zwischen den systematischen Grundlagen des Gesellschaftsrechts und den Erfordernissen der Rechtspraxis geprägt. Daß dieses Vorgehen sidi besonders für ein Rechtsgebiet empfiehlt, dessen Hauptaufgabe in der Schaffung der rechtlichen und organisatorischen Grundlagen gemeinsamer Unternehmenstätigkeit besteht, bedarf keiner weiteren Begründung. Wieweit die Methode auch in den besonders schwierigen, den Grenzbereich zum Erbrecht betreffenden Fragen weiterführt, soll im folgenden anhand einiger im Rahmen der erbrechtlichen Gesellschafternadifolge aufgetretener Probleme ge-
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Peter Ulmer
prüft werden. Dabei werden die Zulässigkeit der erbrechtlichen Gesellsdiafternadifolge durch einen Alleinerben und die heute wohl schon gewohnheitsrechtlich anerkannte1 Sondernachfolge mehrerer Miterben in den Gesellschaftsanteil als bekannt vorausgesetzt; auch bedarf es keines Eingehens auf die bekannten Probleme der „qualifizierten" Nachfolge (der Beschränkung des Anteilsübergangs auf einen Nachfolger beim Vorhandensein mehrerer Erben)2. Die hier zu erörternde Frage lautet vielmehr dahin, ob und inwieweit im Falle erbrechtlichen Anteilsübergangs die Gesellschaftsanteile der Nachfolger trotz des persönlichen Charakters der Mitgliedschaft denjenigen nachlaßrechtlichen Vorschriften unterliegen, die im Interesse der verschiedenen Nachlaßbeteiligten (Miterben, Pflichtteilsberechtigte, Nachlaßgläubiger) von einer Sonderung des Nachlasses gegenüber dem Privatvermögen der Erben ausgehen und hieran besondere Rechtsfolgen knüpfen.
I. Die nachlaßrechtliche Bedeutung der Anteilszuordnung 1. Die Behandlung des Anteils im Anschluß an die erbrechtliche Gesellscbafternachfolge Das Schicksal des Gesellschaftsanteils in der Zeit nach dem Erbfall und der damit verbundenen Gesellschafternachfolge wirft im Hinblick auf die Anwendung der Nachlaßvorschriften eine Reihe von Fragen auf. Bekannt ist die Problematik der Testamentsvollstreckung: stehen dem mit der Verwaltung des Nachlasses betrauten Testamentsvollstrecker, wie die überwiegende Meinung es annimmt, im Regelfall überhaupt keine Rechte am vererbten OHG-Anteil zu oder fallen zumindest die aus dem Anteil folgenden vermögensrechtlichen Ansprüche angesichts ihrer Übertragbarkeit (§ 717 Satz 2 BGB) in den Verfügungsbereich des Testamentsvollstreckers? Ähnliche Fragen stellen sich im Fall der Nadhlaßverwaltungi insoweit ist dem amtlich bestellten Verwalter nach ganz h. M. zwar die Ausübung der mit dem An1 Rüthers, Die privatautonome Gestaltung der Vererbung des Anteils an einer O H G durch die beschränkte Nachfolgeklausel, AcP 168 (1968), 263/276; ähnlich Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965, S. 196, Säcker, Gesellschaftsvertragliche und erbreditliche Nachfolge in Gesamthandsmitgliedschaften, 1970, S. 25. 2 Meinungsstand und Nachweise zu den verschiedenen Fällen erbrechtlichen Anteilsübergangs vgl. statt aller bei Westermann in Westermann-Scherpf-PaulickBulla-Hackbeil, Handbuch der Personengesellschaften, Teil I Nr. 471 ff., 513 ff., sowie P. Ulmer, Großkomm. HGB, 3. Aufl. (1973), § 139 Anm. 45 ff.
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teil verbundenen Herrsdiaftsrechte verschlossen; die Vermögensrechte werden seiner Verfügungsbefugnis jedoch überwiegend unterstellt. Was weiter den Nachlaßkonkurs betrifft, so soll dieser nach nahezu einhelliger Ansicht dem Gesellschafterkonkurs i. S. von § 131 Nr. 5 HGB gleichstehen und daher entweder die O H G auflösen oder — im Falle einer gesellschaftsvertraglichen Fortsetzungsklausel (§138 HGB) — zum Ausscheiden des Nachfolger/Erben führen. Weitgehend ungeklärt ist schließlich die für die Rechte der Nachlaßbeteiligten ebenfalls sehr wesentliche Frage, ob die Wertveränderungen, die der Anteil nach dem Erbfall erfährt, sowie die seither angefallenen Gewinne und Verluste nur den (die) Nachfolger/Erben oder aber sämtliche Nachlaßbeteiligten betreifen. 2. Die gegenständliche Anteilszuordnung
als Zentralproblem
Die genannten Probleme lassen sich bei näherem Zusehen auf eine zentrale Frage zurückführen. In allen genannten Fällen geht es im Grundsatz zunächst darum, ob der Anteil angesichts seines erbrechtlichen Ubergangs als Nacblaßbestandteil anzusehen ist und daher den gesetzlichen Nachlaßregelungen unterfällt, soweit nicht die gesellschaftsrechtlichen Besonderheiten eine Abweichung unvermeidlich machen, oder ob er mit Rücksicht auf den persönlichen Charakter der Mitgliedschaft den Nachfolgern persönlich zugeordnet ist. Entscheidet man sich für die zweite Alternative, so fragt sich weiter, welches Äquivalent anstelle des Anteils dem Nachlaß zugewiesen werden kann, um die erbrechtliche Wertverteilung nicht durch die Besonderheiten des Gesellschaftsrechts zu beeinträchtigen. Die Fragestellung nach der gegenständlichen Zuordnung des Gesellschaftsanteils ist dabei als solche nicht neu, wenn sie audi bisher meist nicht als gemeinsame Vorfrage der oben genannten Einzelprobleme behandelt worden ist. Außer Betradit bleiben kann dabei die vor zwanzig Jahren von Liebisch3 aufgestellte Lehre vom Sondergutdizrakter des Anteils, die seither durchweg Ablehnung gefunden hat: sie betrachtet den Anteil unabhängig vom Erbfall stets als vom übrigen Vermögen des Gesellschafters getrenntes Sondergut, ohne die Notwendigkeit für eine derart weitgehende Abweichung vom allgemeinen bürgerlichen Recht hinreichend zu begründen 4 . Einer erneuten Auseinandersetzung mit ihr bedarf es nicht. ' Ober die Rechtsstellung der Erben eines offenen Handelsgesellschafters, Z H R 116 (1954), 128/133 ff. 4 Zur Kritik vgl. etwa Siebert, Gesellschaftsvertrag und Erbrecht bei der O H G , 3. Aufl. 1958, S. 29, Wiedemann, a . a . O . (FN 1) S. 160ff., Rüthers, AcP 168, 263/271, Säcker, a. a. O. (FN 1) S. 77 ff.
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Anders steht es mit der vor allem in den jüngeren Entscheidungen des R G 5 aufgestellten, von einem Teil des Schrifttums 8 übernommenen Ansicht, wonach der Gesellschaftsanteil nicht in den Nachlaß fällt, sondern auch im Fall der Vererbung auf den oder die Erben persönlich übergeht. Sie diente wohl vor allem dazu, eine Erklärung für die durchweg bejahte Sondernachfolge bei einer Mehrheit von Erben zu zu liefern. Der B G H sah sich bisher nicht veranlaßt, sich ausdrücklich mit dieser Theorie auseinanderzusetzen 7 . Vom neueren Schrifttum wird sie demgegenüber ganz überwiegend abgelehnt 8 . Nachdem eine Zeitlang die Meinung vorherrschte, die Vererbung beziehe sich nur auf die — übertragbare — vermögensrechtliche Seite des Anteils, während die Verwaltungsrechte dem Nachfolger kraft seiner Gesellschafterstellung zustünden 9 , gehen die Äußerungen aus jüngerer Zeit durchweg dahin, die Mitgliedschaft als einheitliches, je nadi Vertragsgestaltung vererbliches Recht anzusehen, das wegen seines erbrechtlidien Übergangs audi einen Nachlaßbestandteil bilde. Auf den Anteilsübergang auf eine Mehrheit von Erben ist diese Aussage nur vereinzelt bezogen worden 10 . Aber auch soweit dies der Fall war, ging man trotz Anerkennung der Sondernadifolge von der Nachlaßzugehörigkeit des im Zuge des Erbfalls aufgeteilten Anteils aus; entsprechend sollten sich auch Wertänderungen des Anteils nach dem Erbfall und seither angefallene Gewinne auf sämtliche Nachlaßbeteiligten auswirken 11 . 6 RGZ 170, 392/394; 172, 199/203; R G D R 1941, 1084/1086; D R 1943, 1228/1229. Ihm folgend O L G Hamburg O L G E 43, 287/288, M D R 1955, 43 sowie N J W 1966, 986. Α. A. L G Bremen N J W 1954, 477/478 mit ablehn. Anm. A. Hueth. • Weipert in R G R - K o m m . zum H G B , 2. Aufl. 1950, § 139 Anm. 13, A. Hueth, N J W 1954, 477 f. (einschränkend aber ders., Recht der O H G , 4. Aufl. 1971, § 28 II 2 a F N 25: nur die Verwaltungsrechte), Soergel-Erhard-Eder, BGB, 9. Aufl. 1962, § 1922 Anm. 6, Brox, Erbrecht 2 , 1972, § 44 I V ; im Ergebnis auch v. Godin, Nutzungsrecht an Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen, 1949, S. 117 ff. 7 In L M N r . 6 zu § 105 H G B hat sich der B G H noch auf die Rechtsprechung des R G bezogen, während B G H Z 24, 106/112 beiläufig von der Nadilaßzugehörigkeit des Anteils spricht. Die grundlegende Entscheidung B G H Z 22, 186 vermeidet eine Stellungnahme zu dieser Frage. 8 Rob. Fischer in Großkomm. H G B , 3. Aufl. (1967), § 105 Anm. 28 c, Schlegelherger-Geßler, H G B , 4. Aufl. 1963, § 139 Anm. 14, Schilling in Festschrift für W.Schmidt, 1959, S. 208/213; ders. in Großkomm. H G B , § 177 Anm. 22 [für den Kommanditanteil], Wiedemann, a . a . O . S. 157 ff., Kipp-Coing, Erbrecht, 12. Aufl. 1965, § 91 IV 8 d, e, Emmerich, Z H R 132 (1969), 297 ff. mit weit. Nachw. (S. 298 F N 4). 9 So — mit im einzelnen unterschiedlicher Begründung — Donner, D R 1943, 1205/1208, ders., D N o t Z 1944, 143/150, Schlicht, N J W 1954, 984/985, Wolf, N J W 1954, 1549/1550; vgl. dazu Näheres bei Westermann, a. a. O. Handb. I 474. 10 Kipp-Coing. a. a. O. § 91 I V 8 d, Wiedemann, S. 157 ff., 317 (vgl. aber S. 207 f., 212), Säcker, S. 87 f. 11 Wiedemann, S. 210 f.; wohl auch Säcker, S. 87 f.
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II. Gesellschafts- und erbrechtliche Vorfragen Für die Klärung der gegenständlichen Zuordnung des OHG-Anmenhängend — über seine Ubertragbarkeit ist bekannt. Vor allem bei der Frage nach der Art und Weise der rechtsgeschäftlichen Anteilsübertragung unter Lebenden (Doppelvertrag, Vertragsübernahme oder „Erbschaft" und „Nachlaß" im BGB Folgerungen abzuleiten. Bei näherem Zusehen erweisen sich diese Wege jedoch als nicht erfolgversprechend (vgl. unter 1, 2). Zurückzugreifen ist vielmehr auf den in §135 HGB zum Ausdruck gekommenen Ausgleich zwischen mitgliedschafts- und vermögensrechtlichen Interessen am Anteil (unter 3).
1. OHG-Anteil
und Mitgliedschaft
Der Streit über das Wesen des OHG-Anteils und — damit zusammenhängend — über seine Übertragbarkeit ist bekannt. Vor allem bei der Frage nach der Art und Weise der rechtsgeschäftlichen Anteilsübertragung unter Lebenden (Doppelvertrag, Vertragsübernahme oder „einfaches" Verfügungsgeschäft/Zession) beherrscht er nach wie vor das Feld 12 . Dahinter steht die rechtssystematische Frage, ob es sich bei dem Anteil um ein Recht oder aber ein Rechtsverhältnis handele und wieweit er neben der vermögensrechtlichen Seite (dem „Anteil am Gesamthandsvermögen", § 719 Abs. 1 BGB) auch die sonstigen Gesellschafterrechte umfasse. Für die Zuordnung des vererbten OHG-Anteils führt der Streit zumindest dann nicht weiter, wenn man mit der heute ganz h. M. den Gesellschaftsanteil als Inbegriff aller mitgliedschaftlichen Rechte, nicht nur der vermögensrechtlichen, begreift 13 . Die Begriffe „Anteil" und „Mitgliedschaft" beziehen sich von daher auf den gleichen Gegenstand. Da zudem auch die Vererblichkeit des Anteils an der werbenden Gesellschaft im Falle einer entsprechenden Vertragsklausel seit vielen Jahrzehnten anerkannt ist und trotz einer neuerdings aufge-
12 Vgl. statt aller U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personalgesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 349 ff., 369 ff. (für »sdilichte Zession" des Anteilsrechts), Hadding in Festschrift für Reinhardt, 1972, S. 249/255 ff. (für Vertragsübernahme des als Rechtsverhältnis beurteilten Anteils), jeweils mit weit. Nachw. 15 Rob. Fischer, a. a. O. § 109 Anm. 22, Hueck, OHG, § 27 II, SchlegelbergerGeßler, § 130 Anm. 13, Westermann, Handb. I 391, Wiedemann, S. 53 ff., U. Huber, S. 362.
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stellten gegenteiligen Ansicht14 kein Anlaß besteht, diesen audi in § 1 3 9 HGB verankerten Grundsatz erneut in Frage zu stellen, lassen sich die oben aufgezeigten Probleme nicht dadurch lösen, daß man zwar den Gesellschaftsanteil als Nachlaßgegenstand behandelt, die damit verbundene Mitgliedschaft und die aus ihr fließenden Herrschaftsrechte aber dem Erben persönlich vorbehält. Außer einer — scheinbaren — terminologischen Klärung wäre mit einer derartigen „Abgrenzung" nichts gewonnen. Auszugehen ist vielmehr davon, daß auf den gesellschaftsvertraglich zur Nachfolge zugelassenen Erben nicht nur die Vermögensrechte der Beteiligung, sondern die Mitgliedschaft als Ganzes kraft Erbrechts übergeht, wobei die einzelnen mit der Mitgliedschaft verbundenen und sie konkretisierenden Rechte und Verbindlichkeiten dem Gesellschafter/Erben nicht aufgrund seines Verhältnisses zum Erblasser, sondern unmittelbar aus dem Gesellschaftsvertrag zustehen15.
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Ebert, Die reditsfunktionelle Kompetenzabgrenzung von Gesellschaftsrecht und Erbrecht, 1972, besonders S. 73 ff. — Ebert wirft der h. M. vor, sie habe sich seit dem RG-Urteil von 1886 (RGZ 16, 40) von einer unzutreffend unterstellten Pflicht des Staates leiten lassen, den Kapitalbestand der Unternehmen zu schützen (S. 11 f.). Hierauf beruhe die Zulassung der unmittelbaren erbrechtlichen Gesellschafternachfolge und damit die Eröffnung der zahlreichen Schwierigkeiten im Grenzbereich von Gesellschafts- und Erbrecht. Demgegenüber sei ein grundsätzlicher Neuansatz erforderlich, der von der zwingenden Unvererblichkeit der Mitgliedschaft ausgehen müsse (S. 77 f.). Vererbt werden könne nur die vermögensmäßige Beteiligung in Form des Abfindungsguthabens (S. 86 ff., 102); die Aufnahme in die Gesellschaft selbst vollziehe sich dann durch einen Aufnahmevertrag (S. 106 ff.). — Im praktischen Ergebnis bedeutet das freilich keinen grundsätzlichen Neubeginn, sondern die Begrenzung der die Nachfolge eröffnenden Gestaltungsmöglichkeiten beim Tod eines Gesellschafters auf die gesellschaftsvertragliche Eintrittsklausel. Zu einer eingehenden Auseinandersetzung mit den Thesen von Ebert ist hier nicht der Ort. Bei aller Hochachtung vor dem Mut, sich über eine demnächst 100 Jahre alte, in das H G B (§ 139) eingeflossene, bei einer Erbenmehrheit zum Rang von Gewohnheitsrecht erstarkte Rechtsentwicklung hinwegzusetzen, ist doch schwer einzusehen, worin der Vorteil der Ebert'schen Lösung liegen soll. Die Wahl der Eintrittsklausel ist der Vertragspraxis schon bisher nicht verwehrt; ihre Nachteile gegenüber der Nachfolgeklausel sind freilich unübersehbar (Ulmer in Großkomm. HGB, § 139 Anm. 17—19). Darüber hinaus ist vor allem auch fraglich, ob die These von Ebert nicht an die Stelle alter um so mehr neue Schwierigkeiten setzt. Eine Vorahnung bekommt der Leser etwa auf S. 108—110, wo das in § 139 H G B verankerte Wahlrecht des Nachfolger/Erben dem lediglich eintrittsberechtigten Erben mit der Begründung zugestanden wird, für ihn ergebe sich die in § 139 vorausgesetzte Zwangslage daraus, daß der Aufnahmevertrag nach § 151 BGB [gegen den Willen des Eintrittsberechtigten?] Zustandekommen könne. 15 Ulmer, Großkomm. HGB, § 139 Anm. 59 mit weit. Nachw.
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2. Nachlaß und Erbschaft Nicht viel aussichtsreicher als das Abstellen auf „Anteil" und „Mitgliedschaft" sind auch die Versuche, allein durch eine begriffliche Unterscheidung zwischen „Erbschaft" und „Nachlaß" zur Unanwendbarkeit der Nachlaßvorschriften des BGB auf den OHG-Anteil zu kommen. Bekanntlich haben die beiden Begriffe schon im B G B keinen eindeutig gegeneinander abgrenzbaren Inhalt erhalten 16 ; auch die zwischenzeitliche Entwicklung hat hieran nichts geändert. Zwar gehen die Meinungen im erbrechtlichen Schrifttum ganz überwiegend dahin, unter „Erbschaft" in erster Linie den Gegenstand der Erbfolge, das vom Erblasser hinterlassene Vermögen aus der Sicht des Erben, zu sehen, während mit „Nachlaß" der objektive Bestand des Haftungsvermögens, dessen Bezüge zu den Nachlaß gläubigem und sonstigen Dritten gemeint ist 17 . Die hier anklingende Unterscheidung kann allerdings nur eine tendenzielle sein; eine eindeutige Abgrenzung gestattet sie nicht. Das folgt bereits aus der Legaldefinition der „Erbschaft", unter der das BGB in § 1922 das Vermögen des verstorbenen Erblassers schlechthin versteht. Aus dieser Sicht ist audi die stark begrifflich geprägte bisherige Auseinandersetzung über die Nachlaßzugehörigkeit des OHG-Anteils wenig geeignet, die oben genannten Fragen zu beantworten. Sowenig angesichts der Besonderheiten des Gesellschaftsanteils einerseits die Aussage überzeugt, wenn der Anteil durch Erbfolge auf den Nachfolger übergegangen sei, gehöre er notwendig auch zum Nachlaß und unterstehe somit den für sonstige Nachlaßgegenstände geltenden Vorschriften, sowenig kann andererseits die Ansicht des R G — für sich genommen — befriedigen, der Anteil falle nicht in den Nachlaß, solange nicht zuvor eine Abwägung zwischen den Interessen der Gesellschafter an der Auswahl der Mitspracheberechtigten in Gesellschaftsangelegenheiten und den Interessen der Nachlaßbeteiligten am Zugriff auf den im Gesellschaftsanteil steckenden Vermögenswert stattgefunden habe.
16 Vgl. Motive V, S. 603 f.: „Im Entwurf ist das Wort ,Nachlaß' verwendet, um die Gesamtheit der einzelnen Stücke oder Bestandteile des Vermögens des Erblassers (bona defuncti) sowohl der aktiven als der passiven zu bezeichnen. .Erbschaft' wird gebraucht von dem nachgelassenen Vermögen einer Person, wie dieses zugleich als mit einem bestimmten neuen Subjekte (Erbe), auf welches das Vermögen übergeht (Erbfolge), in Beziehung stehend bezeichnet werden soll." 17 Vgl. etwa Staudinger-Boehmer, BGB, 11. Aufl., § 1922 Anm. 76, Kipp-Coing, § 9 1 1 1 1 1 , Kregel in RGR-Komm. BGB, 11. Aufl., § 1922 Anm. 10, Bartholomeyczik, Erbrecht, 9. Aufl., § 6 I 3, Brox, Erbrecht, § 1 V Rdnr. 10.
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Den Gegenstand der Auseinandersetzung sollte daher nicht die Frage bilden, ob Erbschaft und Nadilaß in gegenständlicher Beziehung notwendig identisch sind und gewissermaßen nur zwei Seiten einer Medaille bilden oder ob es Erbschaftsgegenstände geben kann, die nicht zum Nachlaß gehören. Für die hier angestellten Überlegungen kommt es vielmehr entscheidend auf die funktionelle Bedeutung der Nachlaßvorschriften an, eine vermögensmäßige Sonderung der ererbten Gegenstände vom sonstigen Vermögen des Erben herbeizuführen und das Erbgut gegebenenfalls einer besonderen Verwaltung zu unterstellen. Es fragt sich mit anderen Worten, ob und inwieweit der OHG-Anteil trotz seines persönlichen Charakters in das Sondervermögen „Nachlaß" einbezogen werden kann mit der Folge, daß dadurch die Mitgliedschaft des Nachfolger/Erben in der Gesellschaft gelockert, wenn nicht aufgehoben wird. Mit Rücksicht auf den Grundsatz der „Sondernachfolge" bei einer Mehrheit von Erben wird dabei besonders auch zu prüfen sein, ob insoweit eine unterschiedliche Beurteilung gegenüber den Fällen geboten ist, in denen der verstorbene Gesellschafter einen Alleinttben hinterläßt.
3. Der gesetzliche Interessenausgleich zwischen Mitgesellsdiaftern und Gläubigern Die Auseinandersetzung um die Anwendbarkeit nachlaßrechtlicher Vorschriften auf den vererbten OHG-Anteil spitzt sich damit auf die Frage zu, wie den vermögensrechtlichen Interessen der übrigen Nadilaßbeteiligten im Rahmen der Erbfolge Rechnung getragen werden kann, ohne dabei den mitgliedschaftlichen Charakter des Anteils und die daraus folgende Notwendigkeit einer engen Bindung zwischen Nachfolger/Erben und Gesellschaft außer acht zu lassen. Das sich hier zeigende Spannungsverhältnis zwischen den Interessen der Mitgesellschafter am Ausschluß Dritter von den Herrschaftsrechten in der Gesellschaft und deren Übertragung allein an den (die) Nachfolger/Erben einerseits, den Interessen der übrigen Nadilaßbeteiligten am Zugriff auf den im Anteil verkörperten Vermögenswert andererseits ist dabei weder neu noch auf den Fall der erbrechtlichen Gesellschafternachfolge beschränkt. Es begegnet vielmehr in grundsätzlich gleicher Weise in den Fällen, in denen die Zugriffsmöglichkeit der Privatgläubiger eines Gesellschafters auf die Beteiligung in Frage steht. Auch hier geht das verständliche Interesse der Mitgesellschafter dahin, vor dem Eindringen dritter Personen in den Gesellsdiaftsverband aufgrund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bewahrt zu werden; die Gläubiger ihrerseits sind daran interessiert, das im ge-
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meinsamen Unternehmen gebundene Vermögen ihres Schuldners liquidieren zu können. Das HGB hat den Ausgleich dieser widerstreitenden Interessen bekanntlich in § 135 gelöst. Danach unterliegt zwar nicht der Gesellschaftsanteil als solcher, wohl aber der Ansprudi auf das Auseinandersetzungsguthaben der Zwangsvollstreckung mit der Maßgabe, daß der pfändende Gläubiger ein eigenes Kündigungsrecht gegenüber der Gesellschaft erwirbt. Mit Rücksicht auf das Bestandsinteresse der Gesellschaft ist dieses Kündigungsrecht zwar nur als ultima ratio für den Fall verliehen, daß sonstiges pfändbares Vermögen des Schuldners nicht vorhanden und die Vollstreckungsmaßnahme nicht nur vorläufiger Natur ist. Das ändert aber nichts daran, daß die Vorschrift des §135 durch Gewährung eines Kündigungsrechts an den pfändenden Gläubiger den Anspruch auf das künftige Auseinandersetzungsguthaben zu einem gegenwärtig realisierbaren Vermögenswert gemacht hat, der im Verhältnis zu den Privatgläubigern des Gesellschafters dessen im gemeinsamen Unternehmen gebundenes Vermögen verkörpert. — Von Interesse ist in diesem Zusammenhang weiter der Auflösungsgrund des § 131 Nr. 5 HGB, der im Falle des Privatkonkurses eines Gesellschafters die Liquidation der Gesellschaft einleitet, ohne daß es hierzu einer besonderen Kündigung durch den Konkursverwalter bedarf. Im folgenden wird zu prüfen sein, ob und inwieweit diese Vorschriften auch für das Verhältnis zwischen dem Nachfolger/Erben, den übrigen Nachlaßbeteiligten und den Mitgesellschaftern herangezogen werden können und welche zusätzlichen Erwägungen dadurch veranlaßt sind, daß beim erbrechtlichen Anteilsübergang im Vergleich zum gesetzlich geregelten Normalfall die Möglichkeit einer Vermögenssonderung in ererbtes und Privatvermögen nach Maßgabe der nachlaßrechtlichen Vorschriften hinzutritt.
III. Die unterschiedliche Zuordnung von OHG-Anteil und Auseinandersetzungsanspruch 1. Der Anspruch auf den Anteilswert als Äquivalent für die Sonderzuordnung des vererbten Anteils Die bisherigen Überlegungen haben die Bedeutung von § 135 HGB für die Entscheidung des Interessenkonflikts zwischen Gesellschaftern und Privatgläubigern verdeutlicht: nach dieser Vorschrift unterliegt nicht der Anteil als solcher, wohl aber die Möglichkeit der
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Anteilsliquidation (über das Instrument des Auseinandersetzungsanspruchs) dem Zugriff der Privatgläubiger. Für die bei Vererbung des Anteils auftretenden Probleme könnte dieser Grundsatz dann fruchtbar gemacht werden, wenn dem Nachlaß ein Wertanspruch gegen den (die) Nachfolger/Erben als Äquivalent für die persönliche Zuordnung des vererbten Anteils zusteht. Mit Hilfe dieses Anspruchs wäre es den Nachlaßgläubigern möglich, nach § 135 HGB die Liquidation der Gesellschaft zu betreiben, selbst wenn der Nachfolger/Erbe sich im übrigen auf die beschränkte Erbenhaftung berufen könnte. a) Als Grundlage für einen derartigen Anspruch kommt die Vorschrift des § 1978 BGB in Betracht. Nach gesetzlicher Regel begründet sie im Falle der Nachlaßverwaltung oder des Nachlaßkonkurses einen Anspruch des Nachlasses gegen den Alleinerben. Hat dieser vor Eintritt der Vermögenssonderung den Nachlaß durch seine Verwaltungsmaßnahmen beeinträchtigt, so haftet er mit seinem Privatvermögen wie ein Beauftragter. Entsprechende Anwendung findet die Vorschrift des § 1978 BGB bei Teilauseinandersetzungsmaßnahmen von Miterben, die zu einer Schmälerung des Nachlasses führen, ohne zugleich die Haftungsbeschränkung der Erben auf den ungeteilten Nachlaß (§ 2059 Abs. 1 BGB) zu beseitigen18. Die mit der Sonderzuordnung des Anteils verbundene Minderung des Nachlasses legt es nahe, den Grundgedanken des § 1978 BGB auch für das Verhältnis zwischen dem Nachfolger/Erben und den übrigen Nachlaßbeteiligten heranzuziehen und den Wertanspruch auf eine Analogie zu dieser Vorschrift zu stützen19. Ein Unterschied zum Regelfall des § 1978 BGB besteht hier zwar insofern, als die Nachlaßschmälerung im Fall der Vererbung des OHG-Anteils nicht durch Verwaltungsmaßnahmen der Erben herbeigeführt wird, sondern sich automatisch mit dem Erbfall vollzieht. An der WertverSchiebung zwischen Nachfolger/Erben und Nachlaß, die durch § 1978 BGB ausgeglichen werden soll, ändert das aber nichts. Im übrigen steht dem Erben nach § 139 HGB Abs. 2 die Möglichkeit offen, nach erfolglosem Antrag auf Einräumung der Kommanditistenstellung sich dem Wertanspruch durch Austritt aus der Gesellschaft zu entziehen, wenn er die mit dem Anspruch verbundenen Risiken für zu hoch hält 19 ". 18 RGZ 89, 403/408, Kipp-Coing, § 121 III 2 a FN 18; -weitergehend StaudingerLebmann, BGB, § 2059 Anm. 6, Kregel in RGR-Komm. BGB, § 2059 Anm. 6, die den Nachlaßgläubigern einen unmittelbaren Zugriff auf die in das Privatvermögen der Erben übergegangenen Gegenstände ohne den Umweg über einen Rückgewähranspruch des Nachlasses geben wollen. 19 So auch Westermann, Handb. I 526, für den Fall der Sondernadifolge bei einer Erbenmehrheit. 190 Zum Einfluß des mit dem Erbfall zusammenhängenden Ausscheidens auf die Höhe des Wertansprudis vgl. unten V 3.
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Inhaltlich geht der Anspruch auf Ersatz des Anteilswerts und nidit etwa auf „Rückgewähr" des Anteils; dieser stünde nicht nur die Unübertragbarkeit des Anteils, sondern auch die Unvereinbarkeit seiner Nachlaßzuordnung mit dem persönlichen Charakter der Mitgliedschaft entgegen. b) Ist somit im Grundsatz ein Nachlaßanspruch gegen den (die) Nachfolger/Erben in Höhe des Anteilswerts anzuerkennen, so vermag dieses Ergebnis die auf der persönlichen Anteilszuordnung beruhenden Probleme doch noch nicht hinreichend zu lösen. Bei näherer Prüfung zeigen sich vielmehr zwei wesentliche Abweichungen gegenüber dem nadilaßrechtlichen Regelfall. Die Zuerkennung nur eines Wertanspruchs vernachlässigt nämlich einerseits den Vorrang, der den Nachlaß- gegenüber den Privatgläubigern aufgrund der im Nachlaßrecht vorgesehenen separatio bonorum zuerkannt wird. Denn wenn der Anteil trotz Nachlaßsonderung zum Privatvermögen des Erben gehört, unterliegt er — über § 135 HGB — grundsätzlich auch dem Zugriff der Privatgläubiger; die mit der Nachlaßsonderung beabsichtigte Trennung der Haftungsmassen im Interesse der jeweiligen Gläubiger bliebe insoweit ohne Erfolg 20 . Andererseits würde aber audi der Erbe nach dieser Lösung dem Risiko des Zugriffs der Nachlaßgläubiger auf sein sonstiges Privatvermögen in Höhe des Wertanspruchs ausgesetzt sein, da dem Anspruch aus § 1978 BGB der Einwand der beschränkten Erbenhaftung nicht entgegengesetzt werden kann 21 . Um diese vom allgemeinen Nachlaßrecht abweichenden Folgen zu vermeiden, bedarf es vielmehr zusätzlicher Erwägungen.
2. Die Notwendigkeit der Trennung zwischen OHG-Anteil und Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben Die genannten Schwierigkeiten lassen sich indessen dadurch lösen, daß der in § 135 HGB zum Ausdruck gekommene Grundgedanke: die Verkörperung des Vermögenswerts der Beteiligung im Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben, speziell auch für die bei der Anteilsvererbung auftretenden Probleme fruchtbar gemacht wird. Gehört zwar nicht der Anteil als solcher, wohl aber der den Anteils20 A . A . einerseits Liebiscb, Z H R 116, 128/138 f., dem Wiedemann (S. 161) und Säcker (S. 80 f.) deshalb mit Redit Inkonsequenz vorhalten, andererseits aber offenbar audi Wiedemann, S. 206 f., Säcker, S. 102 f., unter Hinweis auf den Charakter des Gesellschaftsanteils als „erbrechtlidies (bzw. nadilaßreditlidies) Sondergut" entsprechend § 1417 Abs. 3 BGB. Zu den mit der letztgenannten Ansicht verbundenen Vollstreckungsproblemen vgl. aber Ulmer, ZGR 1972, 329. 21 Erman-Bartholomeyczik, BGB, 4. Aufl., § 1978 Anm. 5.
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wert verkörpernde Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben zum Nachlaß und sichert er damit die vorrangige Haftung zugunsten der übrigen Nachlaßbeteiligten, so ist deren durch die Nachlaßvorschriften geschütztes Interesse an der ungeschmälerten Erhaltung des ihrem Zugriff unterliegenden Erblasservermögens im Grundsatz gewahrt 22 . Gleiches gilt aber auch für die Stellung des Erben im Verhältnis zu den sonstigen Nachlaßbeteiligten, da er jetzt nur mit der Pfändung des Auseinandersetzungsanspruchs und Kündigung der Beteiligung, nicht aber mit einer Vollstreckung in Höhe des Anteilswerts in sein übriges Privatvermögen redinen muß 23 . Da der Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben frei übertragbar ist (§ 717 S. 2 BGB), ergeben sich auch aus gesellschaftsrechtlicher Sicht keine grundsätzlichen Einwände gegen diese Lösung. Zu prüfen bleibt freilich ihre Durchführbarkeit im einzelnen unter Berücksichtigung der Besonderheiten bei Alleinerbschaft und Mehrheit von Erben.
3. Die Rechtslage beim Alleinerben a) Wird der verstorbene Gesellschafter nur von einer Person beerbt, so stellt sich — vorbehaltlich der Anordnung einer Testamentsvollstreckung (vgl unter b) — das Problem der Trennung von Nachlaß und Privatvermögen zunächst nicht. Solange es weder zur Nachlaßverwaltung noch zum Nachlaßkonkurs oder -vergleich (§§ 1980, 1981 BGB, 220 KO, 113 VerglO) kommt, bleiben beide Vermögensmassen vereinigt und unterliegen — vorbehaltlich der Dürftigkeitseinrede (§ 1990 BGB) — gleichrangig dem Zugriff sowohl der Privatais auch der Nachlaßgläubiger. Die Rechtslage ändert sich mit Anordnung der Nachlaß Verwaltung, des Nachlaßkonkurses oder Nachlaßvergleichs. Sie führt nach §§ 1976 ff. BGB zur — grundsätzlich rückwirkenden — Trennung der 22 Neben der Pfändung des Auseinandersetzungsansprudis mit der Folge des § 135 H G B hält die h. M. zwar audi einen Gläubigerzugriff auf den Anteil als solchen für möglich (§§ 859 ZPO, 725 BGB, 105 Abs. 2 HGB, dazu vgl. Nachweise bei Ulmer, a. a. O. § 135 Anm. 8). Diese Möglichkeit stünde den Privatgläubigern somit im Grundsatz offen. Freilich kann sich das Ziel auch dieses Vorgehens — von den ohnehin selbständig pfändbaren Gewinnansprüchen (§ 717 S. 2 BGB) abgesehen — nur auf den Vermögenswert der Beteiligung, d. h. das Auseinandersetzungsguthaben richten; gehört dieses nicht zum Privatvermögen des Gesellschafters, sondern zum Nachlaß, so geht die Pfändung der Privatgläubiger nadi § 859 Z P O ins Leere. 23 Zum Verhältnis zwischen dem Wertanspruch entsprechend § 1978 BGB gegen den Nachfolger/Erben und dem Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben sowie zur Subsidiarität des Wertanspruchs vgl. unten V 2, 3.
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beiden Vermögensmassen. In diesem Zeitpunkt wird nun auch die Frage nach der Zuordnung des OHG-Anteils und des damit verbundenen Auseinandersetzungsanspruchs akut. Geht man von der gesetzlichen Regel aus, so müßten beide — als Teil des ererbten Vermögens — dem Nachlaß zugeordnet werden. Nach den getroffenen Feststellungen würde das aber dem mitgliedschaftlichen Charakter des Anteils und dem aus der persönlichen Verbundenheit der Gesellschafter resultierenden, unverzichtbaren Interesse an einer persönlichen Ausübung der unübertragbaren Herrschaftsrechte durch den Nachfolger/Erben nicht hinreichend gerecht werden. Der bisher nur gegenüber einer etwaigen Beteiligung der Miterbengemeinschaft an der OHG betonte Grundsatz der Arbeits- und Haftungsgemeinschaft der Gesellschafter24 ist auch im Falle des Alleinerben zu beachten, soweit die Sonderung von Nachlaß und Privatvermögen in Frage steht. Nicht den Nachlaß, sondern den Erben persönlich trifft die Tätigkeitspflicht im Unternehmen, ohne daß es dabei auf das Schicksal des übrigen Nachlasses ankommt. Auch ist dem Erben eine Haftungsbeschränkung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern verwehrt, falls er nicht innerhalb der Dreimonatsfrist in die Stellung eines Kommanditisten überwechselt oder aus der Gesellschaft ausscheidet (§ 139 Abs. 4 HGB). Die rechtliche Beurteilung kann somit bei der Beerbung des verstorbenen Gesellschafters durch einen Alleintrben keine grundsätzlich andere sein als beim Vorhandensein mehrerer Erben: an die Stelle der dort anerkannten Sondernachfolge, die einer Zuordnung des Anteils zum Sondervermögen des gesamthänderisch gebundenen Nachlasses entgegensteht, tritt hier die im Ansatz schon beim Erbfall vorhandene, mit der Anordnung von Nachlaß Verwaltung, Nachlaßkonkurs oder -vergleich offen zutage tretende Sonderzuordnung des Anteils zum Privatvermögen des Erben. Die Sonderzuordnung darf freilich nicht weitergehen, als es mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Gesellschaftsrechts geboten ist. Der Vermögenswert des Anteils muß dem Nachlaß im Interesse der übrigen Nachlaßbeteiligten vorrangig erhalten bleiben. Die Einbeziehung des hnttiXswertes in den Nachlaß reicht hierfür nach den getroffenen Feststellungen25 selbst dann nicht aus, wenn sie mit einem entsprechenden Zahlungsanspruch gegen den Nachfolger/Erben verbunden ist, da die Sicherung des vorrangigen Zugriffs der Nachlaßgläubiger auf den im Anteil steckenden Vermögenswert dadurch nicht erreicht wird. Dem Sondervermögen Nachlaß ist vielmehr zusätzlich " BGHZ 22, 186/192, Rob. Fischer, HGB, § 105 Anm.28 a, Hueck, OHG, § 2 8 II 2 a, Schlegelberger-Geßler, § 139 Anm. 25, Wiedemann, S. 196 ff. M Vgl. oben III 1, 2.
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der Auseinandersetzungsanspruch zu belassen und damit auch das in §135 HGB eingeräumte Recht, durch Kündigung die Realisierung des Anteilswertes zu betreiben. Die Konstruktion mag zwar auf den ersten Blick komplizierter scheinen als die überwiegend vertretene Ansicht, der Anteil sei Nachlaßgegenstand, wobei die Geltendmachung der Mitgliedschaftsrechte wegen ihrer persönlichen Natur dem Nachfolger vorbehalten bleibe. Sie hat aber den großen Vorzug, eine einheitliche Behandlung des Schicksals des vererbten Anteils ohne Rücksicht auf die Zahl der Erben zu ermöglichen und dem Gedanken der Arbeits- und Haftungsgemeinschaft auch beim Anteilsübergang auf einen Alleinerben Rechnung zu tragen. Darüber hinaus bietet sie auch eine in sich geschlossene, die schon bisher überwiegend vertretenen Ansichten in ein einheitliches System bringende Lösung für zahlreiche Zweifelsfragen, die sich im Anschluß an die erbrechtliche Gesellschafternachfolge aus nachlaßrechtlicher Sicht ergeben (vgl. dazu unter IV, V). b) Eine Besonderheit ergibt sich für den Fall, daß der Erblasser Testamentsvollstreckung angeordnet hat. Hier kommt es abweichend vom Grundsatz der uneingeschränkten Universalsukzession zunächst nicht zur Vereinigung von Privatvermögen und Nachlaß; dieser behält vielmehr während der Dauer der Testamentsvollstreckung den Charakter eines der Verfügungsbefugnis des Testamentsvollstreckers (§ 2205 BGB) unterliegenden Sondervermögens. An dem oben gewonnenen Ergebnis ändert sich dadurch indessen nichts. Die gegenständliche Zuordnung des Anteils zum Privatvermögen des Alleinerben hat ihren Grund nicht in der vorläufigen Vereinigung von ererbtem und Privatvermögen des Erben, sondern im mitgliedschaftsrechtlichen Charakter des Anteils und den aus ihm fließenden persönlichen Herrschaftsrechten und Bindungen des Gesellschafter/Erben. Sie stehen einer Einbeziehung des Anteils als solchen in den Nachlaß auch dann entgegen, wenn dieser schon vom Zeitpunkt des Erbfalls an als Sondervermögen geführt wird. Vom gleichen Ansatzpunkt geht — unausgesprochen — auch die heute vorherrschende Ansicht aus, wenn sie dem Testamentsvollstrecker nicht nur die Herrsdiaftsredite, sondern sogar die mit dem Anteil verbundenen Vermögensrechte vorenthält 26 . Sie bedarf freilich insofern einer Modifikation, als sie die Nachlaßgebundenheit des Auseinandersetzungsanspruchs außer acht läßt
2 ' So jedenfalls für die Verwaltungsvollstreckung (vgl. Hueck, O H G , § 28 II 5, Schlegelberger-Geßler, § 139 Anm. 14 c, Wiedemann, S. 341; weitere Nachweise audi zu den abweichenden Stimmen des früheren Schrifttums bei Ulmer, § 139 Anm. 71); zu den Ansiditen bei der Abwicklungsvollstreckung vgl. Ulmer, § 139 Anm. 67 mit Nadiw.
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und dem Testamentsvollstrecker die Verfügungsbefugnis audi hierüber vorenthält. Darauf ist zurückzukommen 27 .
4. Die Rechtslage bei einer Mehrheit von Erben Wird der verstorbene Gesellschafter von einer Mehrheit von Erben beerbt, so erkennt die ganz h. M. eine Sondernachfolge in den Gesellschaftsanteil an, und zwar unabhängig davon, ob sämtliche oder nur ein Teil der Miterben zugleich Nachfolger in der Gesellschaft werden 28 . Als Grund wird auf die persönliche Natur der Mitgliedschaft in der O H G und ihren Charakter als Arbeits- und Haftungsgemeinschaft verwiesen, die dem Übergang der Beteiligung in den gesamthänderisch gebundenen Nachlaß und der Gesellschafterstellung der Miterbengemeinschaft entgegenstünden29. Im Kern ist es der gleiche Grund, der auch beim Alleinerben die Zuordnung des Anteils zum Erben persönlich und nicht etwa zum Sondervermögen Nadilaß erforderlich gemacht hat 30 . Auf Schwierigkeiten sind dagegen bisher die Versuche gestoßen, die Interessen der übrigen Nachlaßbeteiligten — insbesondere der Nachlaßgläubiger — mit dieser Sondernachfolge in Einklang zu bringen. Eine Parallele zum Höfe- und Heimstättenrecht, das trotz Anerkennung der Sondererbfolge im Grundsatz doch auch den Hof bzw. die Heimstätte haftungsrechtlidi in den Nachlaß miteinbezieht und sie nicht etwa dem bevorzugten Erben persönlich zuordnet 31 , führt dabei nicht weiter. Denn auch wenn man Siebert32 darin folgt, für den Sonderfall der qualifizierten Nachfolge — und nur für ihn — die Grundgedanken dieser Rechtsinstitute entsprechend anzuwenden, dürfen doch die Grenzen eines derartigen Vergleichs nicht außer acht ge" Unter I V 1. Abweichend auch neuerdings Kruse in Festsdirift für Laufke, 1971, S. 184/187; weitere Nachweise bei Ulmer, ZGR 1972, 198 F N 12. » Vgl. oben F N 24. 50 Dazu oben III 3 a. 11 Für das Höferecht vgl. § 15 der Höfeordnung für die Länder der ehem. britischen Besatzungszone, dazu Bartbolomeyczik, Erbredit, § 35 II 2, Lange, Erbrecht, § 55 V, Länge-Wulff, Höfeordnung, 6. Aufl. 1965, § 4 Bern. 55. Ähnliches gilt im Grundsatz wohl für das Heimstättenrecht, freilich mit der Besonderheit, daß nach § 20 Abs. 1 ReidisheimstättenG die Zwangsvollstreckung in die Heimstätte zum Schutz des Heimstättenfolgers wegen anderer als dinglich gesicherter Forderungen unzulässig ist. Konkursrechtlich bildet die Heimstätte einen Teil der Konkursmasse, wobei die Verfügungsbefugnis des Konkursverwalters nach Maßgabe von § 24 A V ReidisheimstättenG bestimmten Beschränkungen unterliegt. * A. a. O. ( F N 4) S. 24, 43 ff. 28
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lassen werden. Was insbesondere die Frage der gegenständlichen Nadilaßz«orJn«ng betrifft, zeigen sich Abweichungen im Fall der Anteilsvererbung vor allem darin, daß die Interessen der Mitgesellschafter an der Aufrechterhaltung der persönlichen Verbindung unter Ausschluß Dritter weder im Höfe- noch im Heimstättenrecht eine Entsprechung finden, da es sowohl im Falle des Hofes als auch in demjenigen der Heimstätte an sonstigen, der Stellung der Mitgesellschafter vergleichbaren Berechtigten fehlt. Soweit im Schrifttum die haftungsrechtlichen Konsequenzen der Sondernachfolge für das Verhältnis zu den übrigen Nachlaßbeteiligten bisher überhaupt erörtert wurden, wurde denn auch zu Recht auf das Höfe- und Heimstättenrecht nicht besonders Bezug genommen. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildete vielmehr die in der Sondernachfolge gesehene gegenständlich beschränkte Nadilaßteilung im Zeitpunkt des Erbfalls und der sich daraus für den Nachlaß ergebende „Wertanspruch" gegen die Nachfolger/Erben entsprechend § 1978 BGB33. Er begründe einen Vorrang der Nachlaßgläubiger gegenüber den Privatgläubigern der Nachfolger/Erben bei der Zwangsvollstreckung in den Anteil 34 oder ermögliche ihnen zumindest den gleichrangigen Zugriff auf den Anteil im Rahmen von § 135 HGB 35 . An diesen Überlegungen ist sicher richtig, den Vorgang der Sondernachfolge als eine sich unmittelbar im Zeitpunkt des Erbfalls vollziehende Teilauseinandersetzung zu begreifen; dies freilich mit der Besonderheit, daß die an die rechtsgeschäftliche Teilung in § 2059 I BGB geknüpfte Folge der unbeschränkten Haftung der Miterben für die Nachlaß Verbindlichkeiten hier nicht eingreift 36 . Im übrigen bestehen aber gegen die bloße Ersetzung des Anteils durch einen zum Nachlaß gehörigen Wertanspruch gegen die Nachfolger/Erben bei der Miterbengemeinschaft die gleichen Bedenken wie beim Alleinerben 37 : auch hier ist das Rangverhältnis zwischen Nachlaß- und Privatgläubigern beim Zugriff auf den Anteil zumindest unklar, und ebenso müssen die Nachfolger/Erben auch in diesem Fall damit rechnen, daß die Nachlaßgläubiger mit Hilfe des Wertanspruchs auf ihr sonstiges Privatvermögen zugreifen, ohne dem mit dem Einwand der beschränkten Erbenhaftung nach § 2059 BGB entgegentreten zu können. Diese Umstände gebieten es daher auch bei einer Mehrheit von Erben, aus der Sondernachfolge der zu Gesellschaftern berufenen Erben und der damit verbundenen persönlichen Zuordnung des Anteils 33 34 85 38 37
Vgl. oben III 1 a sowie die Übersicht bei Ulmer, ZGR 1972, 328 ff. Liebisd), Säcker, Wiedemann, a. a. Ο. (oben FN 20). Westermann, Handb. I 526. Ulmer, ZGR 1972, 203, 327, gegen Börner, AcP 166 (1966), 441. Vgl. oben III 3 a.
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als soldien den das Kündigungsrecht des § 135 HGB umfassenden, den Vermögenswert der Beteiligung repräsentierenden Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben38 auszuklammern 39 . Dieser Anspruch verbleibt trotz der Sondernachfolge zunächst im ungeteilten Nachlaß. Sind alle Erben nach Maßgabe ihrer Erbquote zu Nachfolgern in die Gesellschaft berufen, so ist er im Rahmen der Auseinandersetzung unter Realteilung (§§ 2042 II, 752 BGB) auf die Nachfolger/Erben zu übertragen. Im Falle der qualifizierten Nachfolge steht er bei der späteren Auseinandersetzung allein dem Nachfolger/ Erben unter Ausschluß der übrigen Erben zu (§ 2048 BGB); dies freilich mit der Maßgabe, daß der Nachfolger/Erbe sich den Wert des Anteils regelmäßig anrechnen lassen und, soweit dieser die auf ihn entfallende Erbquote wertmäßig übersteigt, die Differenz den übrigen Erben auszahlen muß.
5. Zwischenergebnis Als vorläufiges Ergebnis ist damit festzuhalten, daß sowohl bei der Erbfolge durch einen Alleinerben als auch im Falle einer Mehrheit von Erben der OHG-Anteil als solcher einschließlich der in ihm verkörperten Herrschaftsrechte, aber auch des Gewinn- und Entnahmerechts40, auf den (die) Nadifolger/Erben übergeht und ihnen im Falle der Nadilaßsonderung persönlich zugeordnet wird, während der Auseinandersetzungsanspruch als Verkörperung des Vermögenswerts der Beteiligung in den Nachlaß fällt und den Nachlaßgläubigern damit grundsätzlich den vorrangigen Zugriff auf das in der Beteiligung gebundene Vermögen nach § 135 HGB eröffnet 41 . Wieweit dieses Er38
Dabei handelt es sidi um den Anspruch auf das künftige Auseinandersetzungsguthaben des Nachfolger/Erben und nicht etwa um einen auf den Todeszeitpunkt des verstorbenen Gesellschafters bezogenen Anspruch. D a der Tod des Gesellschafters im Fall der erbrechtlichen Nachfolge nicht zu dessen ersatzlosem Ausscheiden, sondern zum Anteilsübergang auf den Erben führt, kommt ein A n spruch nach § 738 BGB auf diesen Zeitpunkt gar nicht erst zur Entstehung {Ulmer, a. a. O. H G B § 139 Anm. 186). 39 So auch schon Düringer-Hachenburg-Fleditheim, HGB, 3. Aufl. 1932, § 139 Anm. 15, freilich ohne nähere Begründung. Vgl. auch Hueck, O H G , § 28 II 2 a F N 25 (Ansprüche auf Auseinandersetzungsguthaben und Gewinn als Nachlaßbestandteile). 40 Zum Gewinnanspruch vgl. auch unten V 1. 41 Damit erübrigt sich auch ein Rückgriff auf die Einrede der gegenständlichen Haftungsbeschränkung zugunsten des Nachfolger/Erben gegenüber dem — nur subsidiär durchsetzbaren (vgl. V 2 ) — Wertanspruch des Nachlasses. Der analogen Anwendung von § 1990 BGB bedarf es entgegen meiner früheren Ansicht (ZGR 1972, 330 f.) nicht.
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gebnis eine für die verschiedenen oben (unter I I ) genannten Fragen befriedigende Lösung eröffnet und wieweit es insbesondere geeignet ist, die umstrittene Frage nach den Auswirkungen von Wertveränderungen des Anteils auf die Beziehungen zwischen Nachfolger/Erben und übrigen Naßlaßbeteiligten zu klären, ist abschließend (unter IV, V) zu erörtern.
IV. Folgerungen für die Anwendung nachlaßrechtlicher Vorschriften auf den vererbten OHG-Anteil 1.
Testamentsvollstreckung
Auf die Ansichten der h. M. zur Auswirkung einer vom Erblasser angeordneten Testamentsvollstreckung auf die Ausübung der mit dem Anteil verbundenen Mitgliedschaftsrechte wurde schon hingewiesen 42 · Der Verfügungsmacht des Testamentsvollstreckers (TV) sollen danach regelmäßig nicht nur die mit dem Anteil verbundenen Herrschaftsrechte, sondern auch die Vermögensrechte entzogen sein. Freilich soll der Erblasser die Möglichkeit haben, letztwillig die Überlassung einiger oder aller dieser Rechte seitens des Nachfolger/Erben an den T V anzuordnen, soweit dem nicht das Fehlen der Zustimmung der Mitgesellschafter oder, das Abspaltungsverbot entgegensteht 43 . Offenbleiben mußte aus der Sicht der h. M. (der Nachlaßzugehörigkeit des Anteils) vor allem die Frage, warum ohne entsprechende zusätzliche Anordnungen die Befugnisse des T V sich nicht wenigstens auf die nach § 717 S. 2 B G B frei übertragbaren Vermögensrechte erstrecken sollten, da ihnen gegenüber die Berufung auf die persönliche N a t u r der Gesellschaftsrechte und das Abspaltungsverbot nicht durchgreift. Geht man von der Zuordnung des Anteils (mit Ausnahme des Auseinandersetzungsanspruchs) an den Nachfolger/Erben persönlich aus, so beschränkt sich die Verfügungsmacht des T V auf den Auseinandersetzungsanspruch, während die übrigen Anteilsrechte einschließlich des Gewinnrechts beim Nachfolger/Erben liegen. Bezüglich der Herrschaftsrechte deckt sich diese Lösung mit dem Interesse der Mitgesellschafter an deren Ausübung durch die Gesellschafter persönlich unter Ausschluß Dritter sowie dem auch im Interesse des betroffenen Gesellschafters liegenden Abspaltungsverbot. Was das Gewinnrecht be« Oben III 3 b und F N 26. 43 Näheres bei Ulmer, a. a. O. § 139 Anm. 72.
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trifft, so wurde schon in der bisherigen Diskussion mit Recht auf die Problematik hingewiesen, die sich ergeben würde, wenn der Nachfolger/Erbe zwar als Gesellschafter der O H G die unbeschränkte H a f tung zu übernehmen und seine Arbeitskraft dem gemeinsamen Unternehmen zu widmen habe, den Gewinn aber der Verfügung durch den TV belassen müsse44. Auch insoweit erscheint die hier getroffene Abgrenzung somit interessengerecht45. Zu bedenken bleibt die Verfügungsmacht des TV über den Auseinandersetzungsanspruch. Sachgerecht erscheint sie vor allem für den Fall der Abwicklungsvollstreckung, da dem TV dadurch die Möglichkeit eröffnet wird, zur Erfüllung seiner Funktionen beim Fehlen sonstiger verwertbarer Nachlaßgegenstände auf das Auseinandersetzungsguthaben zurückzugreifen. Einem Vorschlag von Wiedemann46 folgend ist dem TV insofern auch ein Kündigungsrecht entsprechend § 135 HGB zuzubilligen. Mit Rücksicht auf den Grundgedanken des § 135 HGB, die Auflösung der Gesellschaft nur als ultima ratio zuzulassen, wenn andere Vermögenswerte nicht vorhanden sind, ist die Ausübung dieses Kündigungsrechts freilich nur dann rechtmäßig, wenn der Rückgriff auf die im Anteil steckenden Vermögenswerte im Interesse einer ordnungsmäßigen Abwicklung des Nachlasses unvermeidlich und auch der Erbe nicht bereit ist, die drohende Kündigung durch Zahlung eines entsprechenden, im Höchstfall den Anteilswert erreichenden Betrags abzuwenden 460 . Soweit es dagegen um die Verwaltungsvollstreckung geht, besteht für eine Verfügungsmacht des TV über den Auseinandersetzungsanspruch in der Regel nur dann noch ein Bedürfnis, wenn der Nachfolger/Erbe dadurch vor unbedachten Verfügungen bewahrt werden soll; andernfalls kann der Erbe die Überlassung des Anspruchs zu freier Verfügung verlangen (§ 2217 I BGB). Da andererseits die Gefahr, daß der TV seinerseits ohne zwingende Notwendigkeit den Anspruch an Dritte veräußert, mit Rücksicht auf seine Amtspflichten 44 Vgl. etwa RGZ 170, 392/394 f., Rob. Fischer, a. a. O. H G B § 105 Anm. 28 e, Hueth, O H G , § 2 8 115, Wiedemann, S . 3 4 1 ; a. Α. Michaelis, ZAkDR 1943, 234, v. Godin, a. a. Ο. ( F N 6) S. 121. 45 Vgl. audi unten V 1. 48 A. a. Ο. S. 340. 460 Im Unterschied zu §§ 1973 Abs. 2 S. 2, 1992 S. 2 BGB handelt es sich insoweit nicht um eine auf den Anteil oder den Auseinandersetzungsanspruch bezogene, nur ausnahmsweise zugelassene Ersetzungsbefugnis des Erben. Vielmehr geht es um die freiwillige Erfüllung des gegen den Erben gerichteten, mit Rücksicht auf den Auseinandersetzungsanspruch als Sicherungsgut aber nicht frei durchsetzbaren Wertanspruchs des Nachlasses (vgl. unter V 2 ) . Durch die Zahlung des Anteilswerts an den Nachlaß entfällt der Sidierungszweck des Auseinandersetzungsanspruchs; dieser ist auf den Nachfolger/Erben zu übertragen.
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regelmäßig nicht ins Gewidit fällt, bestehen audi von daher keine Bedenken gegen das aus der hier vertretenen Zuordnung folgende Ergebnis. 2.
Nacblaßverwaltung
Für den Fall der NadilaßVerwaltung geht die h. M. — im Gegensatz zu der für die Testamentsvollstreckung überwiegend vertretenen Lösung — davon aus, daß ihr zwar nidit die Herrschaftsrechte, wohl aber die mit dem Anteil verbundenen Vermögensrechte unterfallen und zugunsten der Gläubiger verwertet werden können 47 . Dem ist aus den oben genannten Gründen für den Auseinandersetzungsanspruch zuzustimmen mit der Maßgabe, daß ebenso wie dem TV auch dem NachlaßVerwalter ein Kündigungsrecht nach § 135 HGB ohne vorangegangene Zwangsvollstreckungsmaßnahmen beim Fehlen sonstiger verwertbarer Nachlaßgegenstände zusteht. Was andererseits die vom Nachfolger/Erben während seiner Gesellschaftszugehörigkeit erzielten Gewinne betrifft, so sprechen gegen ihre von der h. M. befürwortete Einbeziehung in die Nachlaßverwaltung die gleichen Bedenken wie im Fall der Testamentsvollstreckung: insoweit handelt es sich der Sache nach nicht um gebundenes Nachlaß vermögen, sondern Neuerwerb des Erben. Wenn den Nadilaßgläubigern nach gesetzlicher Regel der Ertragswert der Beteiligung bereits über den im Auseinandersetzungsanspruch verkörperten Anteilswert zugute kommt 48 , besteht kein Anlaß, ihnen darüber hinaus auch noch den Zugriff auf die nach dem Erbfall anfallenden laufenden Gewinne zu ermöglichen. Audi insoweit wird daher die hier vertretene Lösung den Interessen der Beteiligten am besten gerecht.
3.
Nachlaßkonkurs
Bei Eröffnung des Nachlaßkonkurses ergibt sich gegenüber der Nachlaßverwaltung ein zusätzliches Problem daraus, daß § 131 Nr. 5 HGB die Auflösung der Gesellschaft als Folge des Gesellschafterkonkurses anordnet. Es fragt sich, ob diese Vorschrift audi auf den Nacblaßkonkurs des Gesellschafter/Erben anwendbar ist. Das wird von der ganz h. M. nicht nur für den Fall bejaht, daß der verstorbene Gesell47 B G H Z 47, 293/296; KG D R 1942, 973; Hueth, O H G , § 2 8 115, Scblegelberger-Geßler, § 139 Anm. 15, Michaelis, ZAkDR 1943, 234. 48 Zum Einfluß des Ertragswerts auf die Berechnung des Abfindungsansprudis vgl. Ulmer, a. a. O. HGB § 138 Anm. 78 ff., zur Auswirkung vertraglicher Beschränkungen des Abfindungsansprudis auf den Wertanspruch des Nachlasses unten V 3.
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schafter einen Alleinerben hinterlassen hat. Vielmehr soll diese Folge audi bei einer Mehrheit von Nachfolger/Erben trotz der insoweit anerkannten Sondernachfolge, ja sogar für den Fall der qualifizierten Nachfolge eingreifen, da der Zweck des Nachlaßkonkurses die Liquidierung des gesamten auf die Erben übergegangenen Vermögens im Interesse der Nachlaßgläubiger gebiete49. Der Aussage über den Zweck des Nachlaßkonkurses ist zwar zuzustimmen. Indessen fragt sich, ob es zu seiner Erreichung der automatischen Auflösung der Gesellschaft oder — im Fall einer vertraglichen Fortsetzungsklausel nach § 138 HGB — des sofortigen Ausscheidens des Gesellschafter/Erben wirklich bedarf. Denn im Unterschied zum Normalfall des Gesellsdiafterkonkurses verfügt der Gesellschafter/Erbe regelmäßig noch über Privatvermögen, das nicht dem Konkursbeschlag unterliegt und ihm daher die Möglichkeit eröffnet, den Auseinandersetzungsanspruch durch Zahlung eines entsprechenden Betrags an die Konkursmasse abzulösen. Macht er von dieser Möglichkeit nicht unverzüglich Gebrauch, so steht entsprechend § 135 H G B auch dem Konkursverwalter die Befugnis zu, die Gesellschaft zu kündigen. Dabei mag es in diesem Sonderfall naheliegen, im Interesse einer möglichst zügigen Konkursabwicklung auf die Einhaltung der in § 135 HGB genannten Kündigungsfrist zu verzichten. Dem Interesse des Konkursverwalters an der Mitwirkung bei der Liquidation der durch die Kündigung aufgelösten Gesellschaft kann durch entsprechende Anwendung der Vorschriften der §§ 145 ff. HGB über die Liquidatorredite des Konkursverwalters im Gesellschafterkonkurs Rechnung getragen werden, nachdem das Hindernis der persönlichen Ausübung der Herrschaftsrechte durch die Auflösung entfallen ist. Im Ergebnis ist somit der Unanwendbarkeit des Auflösungsgrundes des § 131 Nr. 5 HGB mit Rücksicht auf die Interessenlage der Beteiligten entgegen der h. M. der Vorzug zu geben. Auch hierin bestätigt sich die Richtigkeit der hier vertretenen Ansicht, nach der § 131 Nr. 5 H G B schon wegen der fehlenden Zugehörigkeit des Anteils zum Nachlaß und damit zur Konkursmasse nicht eingreift.
4. Sonstige
Folgerungen
Es würde zu weit führen, auf alle Konsequenzen einzugehen, die die Aufteilung zwischen OHG-Anteil und AuseinandersetzungsanHueth, OHG, § 28 II 5, Sdilegelberger-Geßler, HGB, § 139 Anm. 15, Düringer-Had>enburg-Flechtheim, HGB, § 139 Anm. 16, Jaeger-Weber, Konkursordnung, 8. Aufl., § 214 Anm. 31 d, e und g; a. A. nur Heine, LZ 1909 Sp. 767, LehmannRing, HGB, 2. Aufl. 1913/14, § 131 Anm. 5. 19
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Spruch unter Zuordnung des Anteils zum Privatvermögen des Gesellschafter/Erben, des Auseinandersetzungsanspruchs zum Nachlaß zur Folge hat. Zusätzliche Probleme oder Schwierigkeiten sind indes audi in sonstigen Fällen nicht zu erwarten. Das gilt etwa für Vor- und Nacherbschaft: da der Nacherbe mit dem Eintritt der Nacherbschaft die volle Stellung eines Universalnachfolgers des Erblassers hat (§ 2139 BGB), wird er durch die Zuordnung des Anteils an den Vorerben persönlich in seinen Rechten nicht tangiert; der Anteil geht unabhängig von seiner Nachlaßzugehörigkeit auf den Nacherben über. Was das Verhältnis zwischen „qualifiziertem" Nadifolger und weichenden Erben betrifft, so wird deren Stellung durdi die hier entwickelte Lösung gefestigt, da sie hinsichtlich der Geltendmachung etwaiger Ausgleichsansprüche50 im Zusammenhang mit der Erbauseinandersetzung nicht auf einen reinen Geldanspruch gegen den Nachfolger beschränkt sind, sondern auf den zum Nachlaß gehörigen Auseinandersetzungsanspruch als Sicherheit zugreifen können. Und schließlich läßt sich mit dieser Lösung auch die vom OLG Frankfurt 51 vertretene eigenartige Ansicht ausräumen, nach der eine durch erbrechtlichen Anteilsübergang auf den einzigen Mitgesellschafter beendete Gesellschaft nach § 1976 BGB wiederauflebe und Gegenstand eines Sonderkonkurses werden könne, wenn Nachlaßverwaltung über das ererbte Vermögen angeordnet wird.
V. Die Zurechnung von Gewinnen und sonstigen Änderungen des Anteilswerts nach dem Erbfall Besondere Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Vererbung des OHG-Anteils bereitet schließlich die Frage, ob die nach dem Erbfall eintretenden Änderungen des Anteilswerts sich nur auf den Nachfolger/Erben auswirken oder ob sie alle Nachlaßbeteiligten betreffen. Sie kann in diesem Zusammenhang nur noch kurz berührt werden. Sieht man im Auseinandersetzungsanspruch das vermögensrechtliche Äquivalent des Nachlasses für den unmittelbar auf den Nachfolger/ Erben übergegangenen Anteil, so könnte es naheliegen, die Chancen und Risiken späterer Wertschwankungen zumindest in dem Maße dem Nachlaß zuzurechnen, als sie eine Änderung des Auseinandersetzungsguthabens zur Folge haben. Im Ergebnis ist diese Ansicht in der Tat von Michaelis52 und Wiedemann53 vertreten worden mit der Maßgabe, 50 51 52
Näheres dazu bei Ulmer, a. a. O. H G B § 139 Anm. 187—189. J W 1930, 2812. ZAkDR 1943, 234.
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daß nicht nur die Wertänderungen, sondern audi die nach dem Erbfall angefallenen Gewinne dem Nachlaß solange zuzuredinen sind, bis die Nachlaßsonderung durch Erbauseinandersetzung, Befriedigung der Nachlaßgläubiger u. a. beendet ist54. 1. Gewinne Was die Zurechnung der Gewinne angeht, kann dem indessen schon aus den oben55 genannten Gründen nicht gefolgt werden: sie sind zu eng mit der ererbten Gesellschafterstellung und den daraus für den Erben folgenden Pflichten verknüpft, als daß sie audi ohne besondere Verfügung des Erblassers den übrigen Nadilaßbeteiligten zugute kommen könnten 56 . Dem steht audi nicht die Vorschrift des § 2041 BGB entgegen, nach der der Grundsatz der dinglichen Surrogation sich nicht nur auf die Nadilaßgegenstände selbst, sondern audi auf deren Erträge bezieht: sie findet nur solange Anwendung, als die Gegenstände ihrerseits zum Nachlaß gehören. Bei dem OHG-Anteil ist dies nach den getroffenen Feststellungen zu keinem Zeitpunkt der Fall, er gilt vielmehr schon mit dem Erbfall durch eine Art automatischer Teilauseinandersetzung als auf die Nachfolger/Erben übergegangen. 2. Sonstige
Wertänderungen
Nichts anderes kann aber auch für sonstige Wertschwankungen des Anteils gelten, ob sie nun auf Verlusten, Entnahmen oder sonstigen Ursachen beruhen. Für die Berechnung des Pflichtteils ist dies in §2311 BGB ausdrücklich klargestellt. Dem ist audi für das Verhältnis des Nachfolgers zu den weichenden Miterben zu folgen: sieht man 58
A. a. O. S. 210 f. Für eine Bewertung auf den Zeitpunkt der endgültigen Auseinandersetzung audi Meincke, Das Redit der Nadilaßbewertung im BGB (1973) § 14 II 2 a, jedoch mit der Einschränkung, daß der „besondere Arbeits- und Haftungseinsatz eines Miterben, der wesentlich zur Wertsteigerung eines zur Teilungsmasse gehörenden Gegenstandes zwischen Erbfall und Teilung beigetragen hat", dem Nachfolger/Erben bei der Auseinandersetzung als Aufwendung zu vergüten ist. Die Praktikabilität dieser Lösung (Bestimmung des maßgeblichen Stichtags angesichts des Fehlens einer auf den Anteil bezogenen Teilungsmaßnahme, Bemessung der Vergütungshöhe) scheint allerdings zweifelhaft. — Für das Abstellen auf den Stichtag des Erbfalls aber RGZ 171, 345/351; Weipert in RGR-Komm. zum HGB, 2. Aufl., § 139 Anm. 73. 56 Unter IV 1. 58 RGZ 171, 345/351; vgl. audi die Nachweise in FN 44 für den Fall der Testamentsvollstreckung. 54
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in der Sondernachfolge eine vorweggenommene gegenständlich beschränkte Erbteilung, so ist der Anteil bei der Erbauseinandersetzung mit dem Wert in Ansatz zu bringen, der ihm im Zeitpunkt der Teilung, d. h. also in demjenigen des Erbfalls zukam 5 7 . Den Rechtsgrund hierfür liefert der dem Nachlaß entsprechend § 1978 BGB zustehende, auf den Teilungszeitpunkt bezogene Wertanspruch gegen den Nachfolger/Erben 58 , der die Höhe des dem Nachlaß vom Erben geschuldeten Anteilswerts bestimmt. Er wird durch die Einbeziehung des gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungsanspruchs in den Nachlaß nicht etwa gegenstandslos, da diesem nur die Funktion einer Sicherung der Rechte der Nachlaßbeteiligten und ihres vorrangigen Zugriffs auf den im Anteil liegenden Vermögenswert zukommt. Eine Einschränkung ergibt sich nur für seine Durchsetzbarkeit. Ihr steht ein Leistungsverweigerungsrecht des Erben mit Rücksicht auf dessen Haftungsbeschränkung auf den Nachlaß entgegen. Es reicht soweit, als die übrigen Nachlaßbeteiligten durch Zugriff auf den Anteil im Rahmen von § 135 H G B Befriedigung erlangen können. Die gleichen Erwägungen lassen sich schließlich auch auf das Verhältnis der Erben zu den Nacblaßgläubigern übertragen: deren berechtigte Interessen sind durch den auf den Zeitpunkt des Erbfalls bezogenen Wertanspruch und dessen gegenüber dem Zugriff auf den Anteil subsidiäre Durchsetzung ebenfalls hinreichend gewahrt.
3. Die Bedeutung der gesellschaftsvertraglichen Beschränkung des
Abfindungsanspruchs
Das Verhältnis zwischen dem der Sicherung der Nachlaßbeteiligten dienenden Anspruch gegen die O H G auf das Auseinandersetzungsguthaben des Nachfolger/Erben und dem ihm zugrundeliegenden, nur subsidiär durchsetzbaren Wertanspruch gegen den Nachfolger/Erben gilt es schließlich auch zu beachten, wenn der Abfindungsanspruch eines ausscheidenden Gesellschafters — und damit auch der Wert des nach § 135 H G B dem Gläubigerzugriff unterliegenden Auseinandersetzungsguthabens — durch den Gesellschaftsvertrag gegenüber der gesetzlichen Regelung (§ 738 BGB) eingeschränkt ist. Auf den Wertanspruch wirkt sich diese vertragliche Beschränkung nur dann aus, wenn der Nachfolger/Erbe im Zusammenhang mit der erbrechtlidien " R G Z 171, 345/351, Weipert, a. a. O. (FN 54). Allgemein zur Maßgeblidikeit des Teilungsstiditags für die Bewertung vorweggenommener Teilaussdiüttungen vgl. v. Selzam und Langenmayr, BB 1965, 524 (525, 527). 58 Vgl. oben III 1 a.
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Nachfolge aus der Gesellschaft ausscheidet, um nicht der unbeschränkten Gesellschafterhaftung zu unterliegen oder um die Ansprüche der übrigen Nachlaßbeteiligten erfüllen zu können; hier führt das Ausscheiden zu einer entsprechenden Verminderung des Erbschaftswerts. Gleiches gilt bei erzwungenem Ausscheiden infolge Kündigung der Mitgliedschaft des Gesellschafter/Erben nach § 135 HGB. Behält der Nachfolger aber die ererbte Gesellschafterstellung bei, so muß für die Berechnung des Wertanspruchs der Anteil mit seinem vollen Wert in Ansatz gebracht werden, da dem Erben dieser Wert durch die vorweggenommene Teilung zugeflossen ist 59 . Um die Kündigung der Gesellschaft durch die übrigen Nachlaßbeteiligten bei unzureichendem sonstigem Nachlaß zu verhindern, kann der Erbe sich somit nicht auf die Zahlung eines Betrags in Höhe des vertraglich geregelten Abfindungsguthabens beschränken. Vielmehr muß er dem Nachlaß den vollen Anteilswert insoweit zuführen, als dieser für die Berichtigung der Nachlaßschulden und die Erfüllung der Ansprüche der sonstigen Nachlaßbeteiligten erforderlich ist.
VI. Ergebnisse 1.
Beim erbrechtlichen Ubergang des Ο HG-Anteils fällt dieser im Zeitpunkt des Erbfalls nicht in den Nachlaß, sondern wird dem Nachfolger/Erben persönlich zugeordnet. Das gilt in gleicher Weise bei der Nachfolge durch einen Alleinerben, durch eine Mehrheit von Erben oder einen „qualifizierten" Miterben. 2. Die Rechte der übrigen Nachlaßbeteiligten werden dadurch gewahrt, daß dem Nachlaß — neben dem auf § 1978 BGB beruhenden subsidiären Anspruch gegen den (die) Nachfolger/Erben auf Abführung des Anteilswerts — der Anspruch gegen die O H G auf das künftige Auseinandersetzungsguthaben zusteht und ihrem vorrangigen Zugriff unterliegt. 3.
Der nach dem Erbfall anfallende Gewinn aus der Beteiligung verbleibt dem Nachfolger/Erben. Dieser trägt audi die Risiken aus späteren Wertsdiwankungen des Anteils, soweit sie nicht durch sein AusM Zur Berechnung des Anteilswerts und zur Berücksichtigung des Abfindungsrisikos vgl. Ulmer, ZGR 1972, 338 ff. mit weit. Nadrw. Dazu audi Meincke, a. a. O. (FN 54) § 13 II.
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sdieiden im Zusammenhang mit der erbrechtlichen Nachfolge bedingt sind. 4.
Die Verfügungsbefugnis von Testamentsvollstrecker und Nachlaßverwalter erstredst sich (neben dem subsidiären Wertanspruch) auf den Auseinandersetzungsanspruch, nicht aber auf die sonstigen mit dem Anteil verbundenen Vermögensrechte. Entsprechend § 135 HGB steht ihnen auch ohne vorhergehende Pfändung ein Kündigungsredit gegenüber der Gesellschaft für den Fall zu, daß der Rückgriff auf den Anteilswert zur Erfüllung ihrer Aufgaben unvermeidlich ist. 5. Der Nachlaßkonkurs führt abweichend von §§131 Nr. 5, 138 HGB nicht automatisch zur Auflösung der Gesellschaft oder zum Ausscheiden des Nadifolger/Erben. Wohl aber kann der Konkursverwalter entsprechend § 135 HGB die Beteiligung kündigen, wenn der Nachfolger den Anteilswert nicht aus seinem Privatvermögen an die Konkursmasse abführt.
Verbandssouveränität und Außeneinfluß Gedanken zur Errichtung eines Beirats in einer Personengesellsdiaft H E R B E R T WIEDEMANN
Zu den Grundproblemen des Gesellsdiaftsrechts gehört die Frage, ob und wie weit sich ein Verband absichtlich einer Fremdsteuerung durch Nichtgesellschafter unterwerfen kann. Daß die rechtliche Einheit einer Gesellschaft anders abzusichern ist als der unverzichtbare Freiheitsraum der Einzelperson, wird wohl allgemein anerkannt; wo die Grenzen im einzelnen verlaufen, beurteilt man jedoch im In- und Ausland sehr unterschiedlich1. Das Problem, das hier nicht umfassend untersucht werden kann, soll im Zusammenhang mit einer für den Außeneinfluß charakteristischen Organisationsform behandelt werden: dem Beirat in einer Personengesellschaft 2 . Wird ein solcher Beirat ganz oder überwiegend mit Nichtgesellschaftern besetzt, so kann er bei weitreichenden Kompetenzen zum Einfallstor außergesellschaftlicher und — je nach der Gesellschaftsferne der Beiratsmitglieder — auch gesellschaftswidriger Einflüsse werden. Die Einrichtung von Beiräten in Personengesellschaften ist nicht nur theoretisch möglich und grundsätzlich zulässig, sondern in der Praxis unter verschiedenen Namen (Beirat, Verwaltungsrat, Arbeitsausschuß, Gesellschafter-Ausschuß, Aufsichtsrat) weitverbreitet. Aus der farbigen Palette denkbarer Ausgestaltungen sollen ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige besonders geläufige Typen genannt sein. Ohne nennenswerten Einfluß ist in der Regel ein „ Prominentenbeirat", dessen illustre Namensliste der Gesellschaft als schmückendes Beiwerk dient. „Gruppenbeiräte" findet man namentlich in ZweiKlassen-Gesellschaften, also in Gesellschaften, in denen sich die Gruppen der mitarbeitenden Unternehmensgesellschafter und der reinen Anlagegesellschafter ausgeprägt gegenüberstehen (KG, K G a A ) und eine Repräsentation oder wenigstens Unterstützung einer oder beider Gesellschaftergruppen durch einen Beirat notwendig erscheint. Auf solche Beiräte stoßen wir häufig in weitverzweigten Familiengesell1 Bekannt ist die französische Auffassung, daß die wirtschaftliche und damit erst recht die juristische Unabhängigkeit der Gesellschaft nicht angetastet werden d a r f ; vgl. dazu Brachvogel, Aktiengesellschaft und Gesellschaftsgruppe im französischen Recht (1971), S. 104 S. Grundlegend zum deutschen Recht Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen (1970), S. 189 ff.; zum früheren deutschen Aktienrecht vgl. R G Z 3, S. 123, 129; 82, S. 308, 313. 2 Soweit im Text nicht anders vermerkt, beziehen sich die Ausführungen auch auf die G m b H , die in der Rechtswirklichkeit überwiegend personalistisch ausgestaltet ist.
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sdiaften oder Publikums-Kommanditgesellschaften (Abschreibungsgesellschaften). Der Beirat kann weiter als „Schiedsstelle" eingerichtet werden, mit dessen Hilfe eine sonst nicht behebbare Entscheidungsunfähigkeit überwunden werden soll3. Das Gesellschaftsorgan läßt sich auch als „Oberwachungsorgan" ausgestalten, mit dessen Hilfe der verstorbene Firmeninhaber seine Unternehmenspolitik auch noch nach seinem Tod verwirklichen oder minderjährigen Gesellschaftern den Rat erfahrener Angestellter zukommen lassen möchte4. Eine letzte Gruppe bilden „Gläubigerbeiräte", die sich aus Anlaß der Sanierung eines Unternehmens manchmal selbst inthronisieren, um das Schicksal des Betriebs nicht den in ihren Augen unfähigen Gesellschaftern zu überlassen. Von hier ist es nicht weit zu einem von einer ausländischen Muttergesellschaft eingesetzten Beirat der deutschen Tochtergesellschaft, deren Investitionen in Zukunft auf Kreditbasis und nicht durch Kapitalerhöhung durchgeführt werden, um der Entwicklung der Mitbestimmungsfragen vorzugreifen. Es liegt nahe, sich zu überlegen, wie weit das herrschende Unternehmen seinen Einfluß unabhängig von der Unternehmensverfassung der abhängigen Gesellschaft auf obligatorischer Grundlage — und diese abstützende Gesellschaftsgremien — ausüben kann. Aus der Fülle der damit verbundenen Reditsprobleme wenden wir uns drei Fragen zu, die im Zusammenhang mit dem angeschlagenen Grundakkord der Verbandssouveränität stehen. Es werden die verschiedenen Arten eines Beirats (I), die Grenzen (II) und die Kontrolle des Außeneinflusses (III) untersucht. Dabei ist vorweg festzuhalten, daß ein Organ mit weitreichenden Befugnissen stärkerer Aufsicht durch Beschlußkontrolle und Abberufungsrechte bedarf als ein bloßes Aufsichts- oder Schiedsorgan; die Zulässigkeit und die Uberwachung von Beiräten in Personengesellschaften muß letztlich stets zusammen geprüft werden 5 . 3
Vgl. den Sachverhalt in B G H Z 43, S. 261, 262. Mit der Beiratsverfassung der Firma „Z. & Co. KG" hatte sich der Bundesgerichtshof mehrfach zu befassen; vgl. B G H , WM 1968, S . 9 8 ; BGH, LM Nr. 7 und 8 zu § 109 HGB. 5 Vgl. außer den genannten Urteilen des Bundesgerichtshofs KG, JW 1926, S. 598 (Fischer). Aus dem Schrifttum vgl. Möhring, Gesdiäftsführungs- und Überwachungsausschüsse in Personengesellschaften, Juristen-Jahrbuch 7 (1966/67), S. 123—137; Immenga, Die personalistisdie Kapitalgesellschaft (1970), S. 342 ff.; Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft (1970), S. 273 ff.; Rutenfranz, Der „Beirat" im Gesellschaftsrecht, N J W 1965, S. 238—239; Schilling, in: Großkommentar zum H G B (3. Aufl. 1970), § 161 HGB, Anm. 38; Teicbmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellsdiaftsverträgen (1970), S. 189 ff.; H. Westermann, in: Westermann-Scherpf-Paulick-Bulla-Hackbeil, Handbuch der Personengesellschaften, I, Rnr. 150—157. 4
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I. 1. Der Beirat auf schuldrechtlicber Grundlage Offensichtlich spielt es für die Stellung gegenüber der Gesellschaft und ihren Mitgliedern, für die Kompetenzen und die Verhaltenspflichten eines Beirats eine erhebliche Rolle, ob der Beirat nur auf obligatorischer Basis oder als ein in die Gesellschaftsorganisation einbezogenes Organ besteht. Ebenso wie sich jeder Gesellschafter von einem Sachverständigen beraten lassen kann, mit dem er einen Geschäftsbesorgungsvertrag abschließt, sind mehrere oder alle Gesellschafter gemeinsam befugt, Beratungsverträge mit Dritten zu vereinbaren. Auch die Gesellschaft, vertreten durch ihre Geschäftsführer, kann derartige Verträge eingehen. In allen Fällen steht ein solcher Beirat außerhalb des gesellschaftsrechtlichen Organisationsgefüges, und zwar audi dann, wenn die Gesellschafter untereinander oder die Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft verpflichtet sind, bestimmte Entscheidungen erst nach Anhören des Beirats zu treffen. Es bedarf deshalb keiner Änderung des Gesellsdiaftsvertrages, um den Beirat einzuführen oder abzuschaffen. Seine Rechte und Pflichten folgen aus dem zugrundeliegenden Schuldvertrag; sie können, insbesondere bei Prominentenbeiräten, geringfügig sein. Auch in den Fällen, in denen der Beiratsvertrag die Gesellschafter oder die Geschäftsführung verpflichtet, den Beirat im einzelnen zu informieren, zur Beratung hinzuzuziehen und keine Entscheidung ohne seine Zustimmung durchzuführen, ihm also eine Art „Stimmrecht" eingeräumt wird, bleibt der Verstoß gegen den Beiratsvertrag ohne gesellschaftsrechtliche Sanktionen. Teichmann6 spricht anschaulich von einer „beratenden Stimme". Das bedeutet, daß der auf der Grundlage eines Beratervertrages ins Leben gerufene Beirat von den Gesellschaftern oder Geschäftsführern jederzeit übergangen werden kann, ohne daß darin eine Verletzung interner gesellschaftsrechtlicher Verpflichtungen liegt. Ob der Beiratsvertrag verletzt wird, hängt davon ab, wie weit der Beirat zur Unterstützung der Gesellschaft berechtigt oder, was meistens zutreffen wird, lediglich verpflichtet ist. Je nach der Ausgestaltung des Beiratsvertrages können die einzelnen Mitglieder durch ordentliche oder außerordentliche Kündigung von ihren Aufgaben entbunden werden. Es liegt nach alldem auf der Hand, daß ein lediglich sdiuldreditlich berufener Beirat kann eigenständiges Weisungsorgan oder audi nur Mitbestimmungsorgan, sondern lediglich ein abhängiges Hilfsgremium darstellt. • Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 224, Anm. 26.
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Herbert Wiedemann
2. Der Beirat als gesellscbaftsrechtliches Organ Nach allgemeiner Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum können in der Personengesellschaft organschaftliche (Zusatz)Gremien neben der Gesellschafterversammlung und der Geschäftsführung gebildet werden. Das gilt für die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft, die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft und die GmbH. Der integrierte Beirat gehört zur Organisation des Verbandes, kann deshalb nachträglich nur durch Statutenänderung eingeführt oder beseitigt werden. Die Funktionen dieses Gesellschaftsorgans dürfen während der Dauer seines Bestehens weder ausgehöhlt noch unterlaufen werden; jeder Gesellschafter hat ein Recht darauf, daß der Beirat tätig werden kann und daß seine Beschlüsse ausgeführt werden 7 . Für die Beurteilung eines solchen Beirats ist ausschlaggebend, ob es sich um ein Organ der Gesellschaft (wie der Aufsiditsrat im Aktienrecht) oder um ein Organ einer Gesellschaftergruppe (wie häufig der Beirat in der Kommanditgesellschaft) handelt. Schilling8 möchte den oder die Repräsentanten einer Gesellschafterklasse nicht als „Organ" ansprechen. Seiner Ansidit nach setzt die Organeigenschaft die Interessenwahrnehmung des Gesamtverbandes voraus: Auch der Beirat der Kommanditisten vertrete nicht die Interessen einzelner Gesellschafter, leite vielmehr seine Rechte von der Gesellschaftergesamtheit her und sei bei der Ausübung seiner Tätigkeit allein ihr verpflichtet; bei widerstreitenden Interessen gingen die der Gesellschaft vor. Eine Stellungnahme zu der vorgetragenen Ansicht Schillings wird die terminologische Frage und das sachliche Problem auseinanderhalten müssen. Auch Schilling9 hält die gemeinsame Wahrnehmung der Rechte mehrerer Kommanditisten durch einen Vertreter für zulässig. Daß dieser Repräsentant in erster Linie im Interesse der vertretenen Gesellschafter tätig werden soll, liegt auf der Hand. Wenn ein die Rechte einer Gesellschaftergruppe privativ wahrnehmendes Organ zulässigerweise errichtet werden darf, so wohl auch ein ihre Interessen lediglich kumulativ unterstützendes (Kontroll)Organ. Ob der Beirat Gesamtorgan oder Gruppenorgan ist, bestimmt der Gesellschaftsvertrag. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs10: „Der Beirat der Kommanditgesellschaft ist nicht Vertreter einer Gesellschaftergruppe, sondern Träger von Funktionen, die sich aus dem gemeinsa7
Vgl. BGH, LM Nr. 7 zu § 109 HGB = BB 1970, S. 226, 227. Schilling (GroßK), § 161 HGB, Anm. 37 und 38. • Zutreffend legt Schilling (GroßK), a. a. O., der Vertreterklausel verdrängende, also das Redit der Selbstwahrnehmung ausschließende Wirkung bei. 10 BGH, WM 1968, S. 98 = BB 1968, S. 145. 8
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men Recht aller Gesellschafter herleiten", beziehen sich nur auf den gegebenen Sachverhalt. Dann bleibt lediglich die Frage offen, welche Merkmale man für den Terminus „ O r g a n " als maßgebend betrachten will 1 1 . Ein materieller Organbegriff orientiert sich an Zielsetzung und Verhaltensmaßstab; ein — hier zugrunde gelegter — formeller Otganbegriff läßt es ausreichen, wenn einer Person oder Personengruppe kraft Gesetz oder Statut die gebündelte Wahrnehmung von Rechten im Rahmen der Verbandsorganisation zugewiesen ist. Berufung und Abberufung, Aufgabenstellung und Verhaltensmaßstäbe lauten für Gesamtorgan oder Gruppenorgan verschieden. Ein Beirat der Gesellschaft wird auf das Gesamtinteresse verpflichtet, also auf den Gesellschaftszweck. Dieser ergibt sich aus dem Gesellschaftsvertrag und wird von den einzelnen Organen im Rahmen ihrer Zuständigkeit operationalisiert. Ein Gruppenorgan soll in erster Linie die Belange der betroffenen Gesellschaftergruppe verfolgen. Das darf freilich nicht verabsolutiert werden, ebensowenig wie die „freie" Rechtsausübung bei Verwaltungs- und Kontrollbefugnissen der Mitglieder selbst. Die allen Gesellschafterrechten immanenten Rechtsschranken muß auch das Sonderorgan beachten.
II. 1. Der Grundsatz der Selbstorganscbaft Nach ständiger Rechtsprechung und ganz überwiegender Meinung in der Literatur 1 2 gilt im Recht der Personengesellschaften des H G B das Prinzip der Selbstorganschaft. Wie an anderer Stelle ausgeführt 1 3 , bildet die Eigenverwaltung eine vom Gesetz zwingend eingeführte Organisationsform, die die Gesellschafter nicht abändern können. 1 1 Der Organbegriff ist seit jeher strittig; v. Tuhr, Bürgerliches Recht, Bd. I, S. 460, will darunter nur diejenigen Personengruppen verstehen, deren Willensentscheidungen für die Gesellschaft maßgebend sind, also nicht die reinen Aufsichtsund Kontrollorgane. N a d i Ansicht von Wieland, Handelsrecht, Bd. II (1931), S. 91, bleibt als einziges, im Grunde genommen zufälliges und sekundäres Merkmal, daß die Organe als solche vom Gesetz mittelbar oder unmittelbar vorgesehen werden müssen. Beide Vorschläge befriedigen nicht ganz. 1 2 Vgl. B G H Z 26, S. 330; 33, S. 105, 108; 41, S. 367, 369; 51, S. 198, 201; R. Fischer (GroßK), § 125 H G B , Anm. 4; A. Hueck, D a s Recht der Offenen H a n delsgesellschaft (4. Aufl. 1971), § 2 0 II 2, S. 281; abweichend namentlich Η . P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften (1970), S. 328 ff. 13 Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften (1965), S. 371, 372.
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Allerdings kann man sich eine Personenhandelsgesellschaft mit Fremdorganschaft vorstellen, und der Arbeitskreis GmbH-Reform 14 legt dieses Modell seinem Vorschlag für eine „Handelsgesellschaft auf Einlagen" zugrunde. Er geht aber gleichzeitig von einer geborenen Vertretung der Handelsgesellschaft auf Einlagen durch ihre Gesellschafter ab und sieht außerdem vor, daß die Gesellschafterversammlung gegenüber der Geschäftsführung ebenso wie in der GmbH weisungsbefugt wird. Wer abweichend von der allgemeinen Auffassung die Drittorganschaft allgemein für die Personengesellschaft einführen möchte15, muß nicht nur Maßstäbe für Berufung und Abberufung der Fremdverwalter ausarbeiten, sondern außerdem die Weisungsabhängigkeit der Geschäftsführung — und damit auch des persönlich haftenden Gesellschafters — von der Gesellschafterversammlung vorsehen; mehrere Geschäftsführer einer Handelsgesellschaft können nicht nach unterschiedlichen Maßstäben tätig werden. Konsequent schließt sich hieran die Alternative, daß der persönlich haftende Gesellschafter entweder im Einzelfall die Ausführung von Weisungen verweigern darf oder seine Haftung beschränken kann. Daraus folgt: die generelle Aufgabe des Prinzips der Selbstorganschaft verwandelt eine offene Handelsgesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft in eine denkbare und in einem Gesetzesvorschlag ausgearbeitete, aber vom Gesetzgeber noch nicht eingeführte neue Personenhandelsgesellschaft. Der Bundesgerichtshof führt zur Begründung der Selbstorganschaft und gleichzeitig zur Begründung der notwendigen Ausnahmefälle folgende Überlegungen ein 16 : „Diese Regelung bei der Abwicklungsgesellschaft zeigt, daß der Grundsatz der gesetzlichen Vertretung der Gesellschaften nur durch Gesellschafter nicht um seiner selbst willen gilt, sondern nur der rechtlich adäquate Ausdruck für die Auffassung ist, daß in einer werbenden Gesellschaft mit den gleichgerichteten Interessen der Gesellschafter das Recht der Selbstbestimmung den Gesellschaftern allein zustehen soll und zustehen kann. Die Regelung bei der Abwicklungsgesellschaft zeigt aber zugleich, daß jener Grundsatz der gesetzlichen Vertretung der Gesellschaft und der alleinigen Selbst14
Arbeitskreis GmbH-Reform, Thesen und Vorschläge zur GmbH-Reform, Bd. I, Die Handelsgesellschaft auf Einlagen, eine Alternative zur GmbH & Co. KG (1971), S. 13, 17, 27, 36 ff. 15 Die anregenden Überlegungen von Dellmann, Die Einräumung von Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnissen in Personenhandelsgesellschaften an gesellschaftsfremde Personen, in: Festschrift für Hengeler (1972), S. 64—75, brechen leider an der entscheidenden Stelle ab (S. 71), nämlich bei der Frage, wie Auswüchsen in der Vertragsgestaltung begegnet werden kann. w BGHZ 33, S. 105, 108.
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bestimmung nicht mehr gerechfertigt ist, wenn die Voraussetzung für diesen Grundsatz — das gleichgerichtete Interesse aller Gesellschafter — typischerweise nicht mehr gegeben ist". Diese Passage könnte der Meinung Vorschub leisten, der Grundsatz der Selbstorganschaft verlange nicht nur, daß eine Vertretung der Personengesellschaft jederzeit durch die Gesellschafter selbst möglich sein müsse, sondern er verbiete auch, daß die Gesellschafter bei der Ausübung ihrer Mitverwaltungsrechte, namentlich bei Änderungen des Gesellschaftsvertrages von der Zustimmung Dritter abhängig seien17. Eine solche Ansicht trifft nicht das Richtige. Das Prinzip der Selbstorganschaft legt für die Personengesellschaften lediglich einen bestimmten Organisationsplan hinsichtlich der Unternehmensführung fest: Eigenverwaltung verbürgt ordnungsgemäße Geschäftsleitung. Bedenken gegen eine unangemessene Fremdsteuerung lassen sich nidit auf das Prinzip der Selbstorganschaft stützen.
2. Der Grundsatz
der
Verbandssouveränität
a) Der im Gesellschaftsrecht erforderliche Selbstschutz wird umfassend durch den Grundsatz der Verbandssouveränität gesichert: das Schicksal eines Verbandes darf grundsätzlich nicht von außenstehenden Personen abhängen, die nicht die gleichen Interessen verfolgen wie die Gesellschafter selbst und deren Rechtsausübung deshalb nicht ausreichend beschränkt und kontrolliert werden kann. Daß dieses Prinzip mit dem Grundsatz der Selbstorganschaft nur entfernt verwandt ist, zeigt sich schon daran, daß seine Geltung nicht auf das Recht der Personengesellschaft beschränkt ist, sondern auch dem Recht der Kapitalgesellschaften mit ihrer Drittorganschaft zugrundeliegt. Die Verwandtschaft der Grundsätze im Hinblick auf den Selbstschutzzweck, der nicht nur in der Selbstorganschaft und der Verbandssouveränität, sondern auch in der Kernbereichslehre18 seine unübersehbare Ausformung erhalten hat, kann durch die oben wiedergegebene Urteilspassage aus BGHZ 33, S. 108 belegt werden. Wir finden hier eine präzise Beschreibung von Inhalt und Zweck der im Grundsatz der Verbandssouveränität dargestellten Rechtsfolgen. Er besagt in einer sehr allgemeinen Formulierung, daß das Schicksal der Gesellschaft nicht Dritten überlassen werden darf. Die gesellschaftlichen Entscheidungen sollen von den Personen beherrscht werden, die sich 17 So in der Tat Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, S. 289. 18 Vgl. BGHZ 20, S. 363 = LM Nr. 7 zu § 1 6 1 HGB (R. Fischer); Schilling (GroßK), § 161 HGB, Anm. 32.
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als Mitglieder oder als Organ mit den Belangen der Gesellschaft identifizieren, notfalls audi zu einer solchen Interessenwahrung verpflichtet oder bei entsprechendem Fehlverhalten haftbar gemacht werden können. Diesem gesellschaftlichen Strukturprinzip kommt eine umfassende Breitenwirkung zu. Es gilt auf allen Stufen der Gesellschaftsorganisation. So ist ζ. B. anerkannt, daß den Mitgliedern aller Verbandsformen die Alleinzuständigkeit zur Vertragsoder Satzungsgestaltung reserviert bleiben muß19. Sie sollen über die Gesellschaftsgrundlagen autonom entscheidungsfähig sein und in ihren Entschließungen nicht vom Votum außenstehender Personen abhängen. Versuche, außenstehenden Entscheidungsträgern eine direkte Gestaltungsmacht innerhalb der Gesellschaft einzuräumen, wurden vor allem für öffentliche Unternehmen diskutiert. Sie sind mehr oder weniger abgebrochen worden in der richtigen Erkenntnis, daß die öffentlichen Unternehmen als privatrechtliche Gebilde keinem Sonderstatus unterliegen und daß das zumeist anwendbare Aktienrecht wegen seiner abschließend geregelten Kompetenzverteilung derartige Sonderbefugnisse ausschließt. Der Einfluß der öffentlichen Hand kann sich deshalb nur im Wege schuldrechtlicher Verträge oder durch Beteiligungsbesitz legitimieren. Die Gesellschaft kann sich obligatorisch verpflichten, bestimmte Entscheidungen geschäftsleitender Art nicht vor Zustimmung einer Behörde auszuführen. Diese Tatbestände müssen dann hinreichend konkretisiert sein und sich auf wenige Einzelfälle beschränken. Von gesetzlichen Bindungen der Wirtschaftsaufsicht oder Wirtschaftslenkung wird der Grundsatz der Verbandssouveränität schon deshalb rechtdogmatisch nicht betroffen, weil ein privatrechtliches Organisationsprinzip zugrunde liegt. Gegenüber öffentlichrechtlichen Eingriffen vermag es keinen Widerstand zu leisten; insofern können nur öffentlichrechtliche, insbesondere grundrechtliche Prüfungsmaßstäbe herangezogen werden. Die Bedeutung des Grundsatzes zeigt sich auch bei der Organisation der Geschäftsführung. Während die Unterscheidung von Selbstoder Fremdorganschaft mehr formaler Art ist, weil der Selbstschutz der Gesellschafter auch bei Geschäftsführung durch Dritte hinreichend gewahrt werden kann, will der Gedanke der Verbandssouveränität gerade diesen materialen Selbstschutz verbürgen: in jeder rechtlich 1 8 Die Alleinzuständigkeit der Hauptversammlung zur Satzungsänderung findet sich in allen nationalen Aktienrechten der E W G . Nach einhelliger Ansicht darf die Befugnis zur Satzungsänderung nicht delegiert werden; es kann auch nicht bestimmt werden, daß die Gültigkeit einer von der Hauptversammlung beschlossenen Satzungsänderung von der Zustimmung Dritter abhängt; vgl. Baumbach-Hueck (13. Aufl. 1968), § 179 AktG, Rnr. 4; Wiedemann, in: Großkommentar zum A k t G (3. Aufl. 1971), § 179 AktG, Anm. 4.
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und wirtschaftlich selbstständigen Gesellschaft soll sichergestellt werden, daß die geschäftsführenden Entsdieidungsorgane in ihrer Amtsführung auf das gemeinsame Gesellschaftsinteresse verpflichtet werden und daß diese Verpflichtung durch Kontrollbefugnisse (Aufsichtsund Abberufungsakte) oder durch Schadenersatzrechte durchsetzbar ist. Die strukturprägenden Merkmale sind also die normative Einbindung der Organmitglieder unter Bezug auf die gesellschaftliche Zielfunktion und ihre Einführung in das organisatorische Gefüge der Gesellschaft. Mit der Verbandssouveränität nicht verträglich wäre es, einem außenstehenden Dritten, der in keine Organstellung eingerückt ist, Dispositionsbefugnisse gegenüber dem Unternehmen in Form von Zustimmungs- oder Alleinentscheidungsrechten einzuräumen. Es gibt keine geeigneten Vorschriften, die eine sachliche Überprüfung solcher Rechtsakte ermöglichen oder den erforderlichen Verantwortungszusammenhang herstellen. Die hiermit der Privatautonomie gesetzten Schranken werden, soweit bisher behandelt, unterschiedlich begründet 20 . Der mehr oder minder personalistische oder kapitalistische Zuschnitt des Verbands kann nicht maßgebend sein, da auf die persönlichen Beziehungen keine Rücksicht genommen wird, wo allseitiges Vertrauen der Gesellschafter gegenüber dritten Personen besteht. Einen Anhaltspunkt könnte man der Vorschrift des § 137 B G B entnehmen 21 . Wenn sich dort die Verfügungsfreiheit des einzelnen Rechtssubjekts auch gegen entgegenstehende Vertragsabsprachen durchsetzen soll, so könnte man daraus folgern, eine ähnliche — verfügungsgleiche — Dispositionsfreiheit müsse auch den Gesellschaften verbürgt werden. Die Überlegung ist aus vielen Gründen nicht überzeugend. § 137 BGB zielt in erster Linie auf die Wahrung der Verkehrsfähigkeit der Rechtsgüter 20 Den interessantesten Begründungsversuch gibt Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 191, aus dem Bereich der institutionellen Theorie: „Wenn die Stimmbefugnis des Aktionärs als .politisches Recht' bezeichnet worden ist, und daher an einen Dritten nicht abtretbar, so läßt sich der Gedanke auf die Mitwirkung in einem Organ wegen der Gleichheit der Interessenlage übertragen. Die materielle Funktion, das Hineindringen demokratischer Selbstverständlichkeiten in das Privatrecht verbietet, daß Gesellschaftsfremde den Willen der Gesellschaft bilden. Das politische Recht der aktiven Mitwirkung, zum Nutzen der Gesellschaft verliehen und zu ihrem Ablauf unbedingt erforderlich, verlangt als Voraussetzung die Mitgliedschaft." Eine Auseinandersetzung mit dieser Theorie ist hier nicht möglich. Immerhin stimmt es bedenklich, daß nach allgemeiner Ansicht in allen Gesellschaftsformen der Gesellschafter auf sein Stimmrecht bis auf einen Kernbereich verzichten kann. Die Übertragung öffentlichrechtlicher Ordnungsgrundsätze ins Privatrecht bedarf daher näherer Oberprüfung. " Eine ausführliche Auseinandersetzung mit § 137 BGB bringen Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 222; Η. P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 396; Wiedemann, Mitgliedschaftsrechte, S. 285.
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ab. Wenn ausweislich der Motive zugleich auch die Aktionsfreiheit — gleichsam als sekundärer Normzweck — einen gewissen Schutz erfahren sollte, so kann es sich doch nur um weitläufige Folgewirkungen der Rechtsnorm handeln. Das zeigt schon die Ausnahmeregelung in §137 Satz 2 BGB, erweist sich aber im übrigen auch an den zulässigen Substitutionsinstituten wie Einziehungsermächtigung und Treuhandverhältnis. Was die Autonomie in der Willensbildung betrifft, so wird man in der Verwendbarkeit des § 137 BGB noch vorsichtiger argumentieren müssen. Die Aktionsfreiheit, die mit einem Unterfall, nämlich der Dispositionsfreiheit, vom Schutzbereich des § 137 BGB gedeckt wird, gehört zu den fundamentalen Axiomen der natürlichen Person. Es ist deshalb gerechtfertigt, das Verbot der Abspaltung von einzelnen Mitgliedsrechten (auch) auf § 137 BGB zu stützen. Will man nicht einem juristischen Naturalismus das Wort reden, so kann man diese Begründung auf den Verband als solchen nicht übertragen; das Verbot der Fremdsteuerung bedarf einer eigenständigen, den Besonderheiten der Gesellschaften adäquaten Begründung. Die tragende Begründung für die Entscheidungssouveränität ergibt sich aus dem schon erwähnten Sdbutzprinzip: es soll verhindert werden, daß sich die Gesellschafter durch Delegation von Entscheidungsbefugnissen an außenstehende Dritte ihres notwendigen Interessenschutzes begeben. Als Regelungsadressaten innergesellschaftlicher Rechtsakte sollen sie nur der Zuständigkeit der eingesetzten Gesellschaftsorgane unterliegen. Es kommt ergänzend ein alle Verbände auszeichnender Abscbichtungseffekt hinzu. Jeder Verband ist angelegt auf eine Zentralisation von Vermögen und Organisationsgewalt. Die Vereinheitlichung des Vermögens dokumentiert sich im gesellschaftlichen Sondervermögen (Gesamthandsvermögen oder juristische Person), die Vereinheitlichung der Organisation in der unabhängigen Entscheidungszuständigkeit. Die vorstehend skizzierten Begründungszusammenhänge verdeutlichen, daß der Grundsatz der Verbandssouveränität eine variable Schranke der Privatautonomie darstellt, daß also nicht jeder von dritter Seite ausgelöste Einfluß unverbindlich bleibt, ebenso wie nicht jedem Verbandsmitglied in allen Angelegenheiten der Gesellsdiaft ein Stimmrecht zustehen muß. b) Der Einfluß außenstehender Personen läßt sich in sehr unterschiedlichen Formen durchführen. Ein mitNichtgesellschaftern besetzter Beirat kann auf die Geschäftsführung, auf die Wahl des Management, auf die Satzungs- und andere Strukturänderungen (fundamental changes) Einfluß zu gewinnen versuchen. Ein Nichtgesellschafter vermag außerdem durch einen Stimmbindungsvertrag seine Interessen wahrzunehmen, namentlich durch einen Vertrag mit dem Mehrheits-
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gesellschafter. Er kann schließlich versuchen, die entscheidenden Maßnahmen von seiner Zustimmung abhängig zu machen. Trotz ähnlicher Wirkungen werden diese Rechtsinstitute unterschiedlich beurteilt. Der Stimmbindungsvertrag ist ein in der Praxis gebräuchliches Mittel, gesellschaftlichen Außeneinfluß durchzusetzen. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß der Stimmbindungsvertrag nur den einzelnen oder mehrere Gesellschafter verpflichtet, in seiner Wirkung mithin vom gesellschaftlichen Einfluß des vertragsgebundenen Gesellschafters abhängt. Der Stimmbindungsvertrag vermittelt nur im Wege des „Durchgriffs" durch den Einzelgesellschafter gesellschaftliche Rechtsmacht. Eine weitere Besonderheit kennzeichnet die Schwäche des Stimmbindungsvertrages aus. Er darf nicht dazu benutzt werden, daß sich der Gesellschafter uneingeschränkt seiner Stimmrechtsmacht entäußert, da andernfalls eine unzulässige Stimmrechtsabtretung verdeckt wird. Es können mithin gegenüber außenstehenden Dritten immer nur einzelne Regelungsgegenstände verbindlich vereinbart werden. Die Grenzen einer solchen Stimmrechtsbindung sind im deutschen Gesellschaftsrecht ausgeufert 22 . Dabei interessiert uns hier nicht die Stimmbindung zwischen den Gesellschaftern selbst (der Stimmenpool); wegen der idealtypisch vorhandenen Interessengleichheit läßt sich dieser Fall mit dem Außeneinfluß nicht vergleichen. Für Stimmbindungsverträge mit Nichtgesellschaftern hat Alfred Hueck23 zwischen Geschäftsführungsangelegenheiten und Strukturänderungen unterschieden. Soweit der Stimmbindungsvertrag den Nichtgesellschafter zu Einfluß auf die Geschäftsführungsmaßnahmen berechtige, stehe er unter dem selbstverständlichen Vorbehalt, daß der Gesellschafter durch die Befolgung der Stimmbindung nicht eine ihm gegenüber der Gesellschaft obliegende Stimmpflicht verletzt. Soweit aber der Gesellschafter über seine Stimme frei verfügen könne, wie vor allem bei der Änderung des Gesellschaftsvertrages und verwandten Beschlüssen, sei kein Grund ersichtlich, warum er nicht auch einen Stimmbindungsvertrag mit einem Nichtgesellschafter sollte abschließen und sich den Weisungen eines Dritten unterstellen dürfen 23 . Die Unterscheidung ist notwendig, das Ergebnis überzeugt mich hinsichtlich der Strukturänderungen nicht, und zwar weder in den Voraussetzungen noch in der Schlußfolgerung. Selbst wenn ein Gesellschafter ss
Vgl. zur Zulässigkeit und Vollstreckbarkeit von Stimmreditsbindungen zuletzt BGHZ 48, S. 163 sowie dazu die Interpretation von R. Fischer, Zur Methode revisionsrichterlicher Rechtsprechung auf dem Gebiet des Gesellschaftsredits (dargestellt anhand der Rechtsprechung zu den Stimmreditsbindungsverträgen), in: Festschrift für Kunze (1969), S. 95. 25 A .Hueck, Stimmbindungsverträge bei Personenhandelsgesellsdiaften, in: Festschrift für Nipperdey (1965), Bd. I, S. 401—426, insbes. S. 417 ff.
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sich bei Strukturänderungen nach freiem Ermessen entscheiden könnte und eine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Mitgesellschafter, den Verband und das gemeinsame Unternehmen nicht geboten wäre, beweist diese Überlegung nicht ohne weiteres, daß der Gesellschafter sich in anderer Richtung vorprogrammieren darf. Unter verschiedenen Gesichtspunkten kann ein Interesse daran bestehen, daß jeder Gesellschafter in seiner Entscheidung frei bleiben soll. Die anderen Gesellschafter können Wert darauf legen, daß kein Mitglied sich ohne ihr Einverständnis von vornherein verhandlungsunfähig macht. Erfahrungsgemäß lassen sich zwar viele Mitglieder eines Gremiums auch durch intensiven Meinungsaustausch und rationale Überlegungen wenig beeinflussen; die Chance, den Willensbildungsprozeß durch Verhandlungsgeschick und Uberzeugungskraft zu lenken, darf nicht zu hoch veranschlagt werden. Trotzdem macht es einen erheblichen Unterschied, ob ein Gesellschafter sich selbst beim Beginn der Verhandlungen bereits festgelegt hat oder in den Lebensfragen der Gesellschaft nicht einmal diskussionswillig ist. Dazu kommt das eigene Schutzinteresse des gebundenen Gesellschafters; ihm muß für den Stimmbindungsvertrag ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund zustehen, da die Notwendigkeit grundlegender Änderungen im voraus nicht abzuschätzen ist. Schließlich läßt sich ein genereller oder breitflächiger Stimmbindungsvertrag des Mehrheitsgesellschafters nicht mit dem erwähnten Souveränitätsprinzip vereinbaren, da er mittels Vertragsstrafe oder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen die gleichen Wirkungen wie ein — unbestritten verbotenes — eigenes Stimmrecht des Nichtgesellschafters herbeiführen kann. Was die genannte Ermessensfreiheit bei Entscheidungen über Strukturänderungen anlangt, ist sie nur in bestimmtem Umfang vorhanden, der sich nach Zielrichtung und Ausgestaltung des Verbandes und nach der Stellung des Mitglieds richtet. Ein Mehrheits- oder Unternehmensgesellschafter ist in seinem Ermessen nicht frei, weder bei Strukturentscheidungen noch bei Geschäftsführungsmaßnahmen und nicht einmal beim Verkauf seiner Anteile24: es entspricht grundlegenden rechtsethischen Anforderungen, daß er neben den Vorteilen seiner Stellung auch die Bürde der Verantwortung gegenüber seinen Mitgesellschaftern und gegenüber dem gemeinsamen Unternehmen trägt. 24 Der Grundsatz der Verantwortlichkeit des Mehrheitsgesellschafters bricht sich in Deutschland nur mühsam Bahn; vgl. RGZ 132, S. 149 = JW 1931, S. 2951 (Hachenburg); B. v. Falkenhausen, Minderheitenschutz und Aktienhandel, AG 1972, S. 237; R. Fischer, Der Minderheitenschutz im deutschen Aktienrecht, in: Minderheitenschutz bei Kapitalgesellschaften, Verhandlungen des ersten deutsch-italienischen Juristenkongresses vom 21. bis 2 3 . 1 0 . 1 9 6 6 (1967), S. 59—71; Schilling, Gesellsdiaftstreue und Konzernrecht, in: Festsdirift für Hengeler (1972), S. 226, 227 ff.
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Eine häufig aufgeworfene Frage geht dahin, ob Dritten ein Recht auf Bestellung von Geschäftsführern eingeräumt werden darf 25 . Daran zeigen namentlich „Gläubigerbeiräte" ein berechtigtes Interesse. Eine solche Möglichkeit kann unbedenklich bejaht werden, soweit dem Dritten nur ein Auswahlrecht aus mehreren Personalvorschlägen, also ein Stichentscheid zufällt. Ob darüber hinaus ganz allgemein und unbeschränkt ein Bestimmungsrecht eingeräumt werden kann, ist deshalb zweifelhaft, weil sich auch hier die Möglichkeit der Fremdsteuerung des Gesellschaftsgeschehens abzeichnet. Man wird deshalb unterscheiden müssen, welcher Einfluß und welche Kontrolle den Gesellschaftern im übrigen verbleibt 26 . Steht ihnen gegenüber den fremdgekorenen Geschäftsführern ein unbeschränktes Weisungsrecht zu, so läßt sich das Wahlrecht durch Nichtgesellschafter vertreten. Der Außeneinfluß ist hier mehr oder weniger auf den Vorschlag geeigneter Geschäftsführerpersönlichkeiten beschränkt. Anders liegen die Dinge, sofern die Geschäftsführung eigenständig und damit unabhängig vom direkten Einfluß der Gesellschafter ausgeübt wird. Unter dieser Prämisse vermittelt das Besetzungsrecht die einzige Möglichkeit, die Unternehmensleitung zu beeinflussen. Das in der offenen Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft bestehenbleibende Recht, durch Ausüben der Vertretungsmacht in den Bereich der Geschäftsführung einzugreifen, genügt dem adäquaten Schutzbedürfnis der Gesellschafter nicht. Auch wenn ihnen das Abberufungsrecht aus wichtigem Grund verbleibt, können sie sich gegen die Fremdsteuerung nicht wehren, weil sich dadurch nur ein einstweiliger Zustand — und dies meist zu spät — regeln läßt. Entsprechendes gilt bei der Einräumung sonstiger geschäftsleitender Befugnisse an Dritte. Diesem externen Personenkreis könne» Widerspruchsrechte gemäß § 115 HGB ebenso wie direkte Weisungsrechte zuerkannt werden. Entscheidungserheblich ist, in welchem Umfang und mit welcher Interessenausrichtung dies geschieht. Sollen die Befugnisse lediglich punktuell als Hilfsmittel zur Sicherung ordnungsgemäßer Vertragserfüllung (Kooperations- oder Kreditverträge) eingesetzt werden, so bestehen gegen ihre Zulässigkeit keine Bedenken. Umgekehrt fällt die Beurteilung aus, wenn dadurch eine konzernleitende Rechtsmacht begründet wird. All dies zeigt uns, daß es eine Einheitslösung für Stimmbindungsverträge und Stimm- oder Weisungsbefugnisse Dritter nicht gibt. Der 25 Vgl. dazu RGZ 82, S. 308, 313 (Knebelungsvertrag unwirksam nach § 138 BGB); Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, S. 290ff.; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 196, 197. 26 Teicbmann, a. a. O., hält darüber hinausgehend jedes mit Nichtgesellschaftern besetzte „Kreationsorgan" für unzulässig.
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Grundsatz der Verbandssouveränität steht einem eingegrenzten und vorhersehbaren Dritteinfluß nicht entgegen. Er verweist nur auf die Grenze, an der zulässige Selbstbeschränkung in unzulässige Selbstentäußerung übergeht. c) Eine scheinbare Ausnahme liegt vor, wenn die Gesellschaftsanteile treuhänderisch gehalten werden. Es ist anerkannt, daß in einem offenen Treuhandverhältnis dem Treugeber unmittelbare Kontroll- und Weisungsbefugnisse gegenüber der Gesellschaft eingeräumt werden dürfen 27 . Die Ausnahme ist gerechtfertigt, weil sidi der Treugeber in derselben Interessensituation befindet, wie es von den Gesellschaftern angenommen wird. Eine scheinbare Durchbrechung des Grundsatzes der Verbandssouveränität bringt das Konzernrecht. Aufgrund eines Beherrschungsvertrages oder im faktischen Konzern gegen einen Nachteilsausgleich kann das herrschende Unternehmen dem Vorstand der abhängigen Aktiengesellschaft geschäftsleitende Weisungen erteilen und auf direktem Weg unbegrenzten Einfluß ausüben. Dieses Direktivrecht ist nicht mehr auf die Verfolgung des Gesellschaftsinteresses der abhängigen Gesellschaft verpflichtet; es genügt, wenn die Einzelmaßnahme konzernkonform ist. Allerdings wird die Satzungsautonomie der Gesellschafter von der konzernrechtlichen Leitungsmacht nominell nicht berührt; das ändert aber wenig am Tatbestand weitreichender Überfremdung und Interessenverlagerung. Soweit die Konzerneingliederung zulässig ist, führt sie indes stets zur Auflösung des Verbandes: der Souveränitätsverlust verwandelt die bestehenden Mitgliedschaften in andere Mitgliedschaftsrechte, Rentenbeteiligungen oder Barabfindungen. Gerade diese Folgen beweisen den Satz von der im übrigen notwendig eigenbestimmten Gemeinschaft28. Jede Form der Mitbestimmung verändert unabhängig von ihrer konkreten Gestalt den gesellschaftsrechtlichen Olrganisationsaufbau und damit die Entscheidungssouveränität der Gesellschaft. Da die Auswahl der Arbeitnehmervertreter ohne Zustimmung der Anteilseigner erfolgt und diesen auch kein Abberufungsrecht zusteht, entziehen sich die Arbeitnehmervertreter einem System verbandssouveräner Gesellsdiaftsorganisation. Der Bruch mit der Gesellsdiaftsor27
Vgl. die grundlegende Entscheidung in BGHZ 10, S. 44, 49. Das Konzernrecht bietet daher eher eine Bestätigung des Grundsatzes der Verbandssouveränität denn eine Durchbrechung. Die Frage, ob das Verbot der Außensteuerung die Personengesellschaften des H G B konzernresistent macht, kann hier nicht aufgegriffen werden. Sicher muß jedenfalls das GmbH-Konzernrecht die personalistische Struktur der GmbH stärker beachten, was zu Differenzierungen zum Aktienrecht führt; vgl. dazu auch Arbeitskreis GmbH-Reform — Thesen und Vorschläge zur GmbH-Reform, Bd. II (1972), S. 47 ff. 28
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ganisation wird in der Regel mit der Formel verdeckt, die Arbeitnehmervertreter hätten im Aufsichtsrat grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten wie die übrigen Mitglieder. Das ist nicht selbstverständlich. Vom Grundgedanken der Mitbestimmung her liegt es näher, für die Vertreter der Arbeitnehmer einen anderen, nach den Belangen der Arbeitnehmerschaft korrigierten Interessens- und Beurteilungsmaßstab zu entwickeln. Sie unterscheiden sich dann von den Vertretern der Kapitaleigner nicht nur in der personalpolitisdien Unabhängigkeit, sondern auch in der für sie geltenden Verhaltensrichtschnur29. Trotz formaler Eingliederung in den Aufsichtsrat gewinnen sie im Verhältnis zu den Gesellschaftern die Rechtsstellung außenstehender Dritter und werden verbandsunabhängig. d) Wir wollen das Ergebnis für die Stellung des Beirats in der Personengesellschaft zusammenfassen. Einem solchen Beirat können offensichtlich weitreichende Kompetenzen eingeräumt werden 30 . Dem Beirat können Auskunfts- und Einsichtsrechte zugestanden werden. Dann hat er die Aufgabe, die Geschäftsführung zu überwachen, sei es aufgrund der Berichterstattung der Geschäftsführer, sei es aufgrund eigener Kontrollmaßnahmen. Dem Beirat kann weiter ein Beratungsrecht eingeräumt sein. Dann ist die Geschäftsführung verpflichtet, in allen oder in allen wichtigen oder in allen vom Gesellschaftsvertrag aufgeführten Fällen den Beirat zu informieren und die anstehenden Entscheidungen mit ihm zu diskutieren. Das Ergebnis der Beratung bindet die Geschäftsführung allerdings nicht. Der Beirat kann schließlich unmittelbare Zustimmungs- und Weisungsrechte besitzen. Handelt es sich lediglich um einen Katalog von Zustimmungsrechten, so müssen sich Verwaltung und Beirat auf eine Lösung einigen; ein Weisungsrecht verlagert die unternehmerische Leitungsmacht teilweise auf den Beirat selbst. Im Bereich der Zustimmungs- und Weisungsrechte gilt es zu unterscheiden zwischen einem Beirat, der sich nur aus Mitgesellschaftern zusammensetzt und einem Beirat, dem ausschließlich oder wenigstens überwiegend Nichtgesellschafter angehören. Tritt der Beirat in Besetzung von Gesellschaftern auf, so gelten die allgemeinen Grenzen zugunsten des Minderheitenschutzes in der Personengesellschaft. Dieser Mindestschutz reicht nicht mehr aus, wenn sich das Gremium überwiegend aus externen Personen zusammensetzt, weil dann die Präsumption interessenkonformen Verhaltens wegfällt. Gesellschaftsfremden Personen darf kein Recht zur Ände29 Beachtenswert in diesem Zusammenhang Kittner, Unternehmensverfassung und Information — Die Schweigepflicht von Aufsichtsratsmitgliedern, Z H R 136 (1972), S. 208—251. 30 Vgl. dazu Möhring, Gesdjäftsführungs- und Überwachungsaussdiüsse in Personengesellschaften, Juristen-Jahrbuch 7 (1966/67), S. 123, 125 ff.
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rung des Gesellsdiaftsvertrages und kein umfassender Einfluß auf die Geschäftsführung eingeräumt werden. Da den Gesellschaftern die Vertragsautonomie vorbehalten bleibt, können sie die Institution des Beirats jederzeit abschaffen. Im Gesellschaf tsvertrag kann folglich vereinbart werden, daß der Beirat von mehreren Geschäftsführern, die ihm die Gesellschafterversammlung vorschlägt, eine geeignete Persönlichkeit auswählt; daß er umgekehrt der Gesellschafterversammlung einige Namen nennt, unter denen die Gesellschafter einen Geschäftsführer auswählen müssen; daß bestimmte Rechtsgeschäfte nur mit seiner Zustimmung ausgeführt werden dürfen; daß bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Geschäftsführern sein Schiedsspruch entscheidet; daß die Gewinnverwendung seiner Zustimmung bedarf. Unzulässig wäre es, dem Beirat das Recht zu globalen Weisungen an die Geschäftsführung einzuräumen und damit die Geschäftsführer zu Vollzugsorganen fremder Willensbildung zu machen31. Gibt der Gesellschaftsvertrag zu Zweifeln Anlaß, wie weit die Befugnisse des Beirats reichen sollen, so stehen ihm nur die jeweils engsten Befugnisse zu. Es gilt hier der im Interesse des Minderheitenschutzes vom Reichsgericht und vom Bundesgerichtshof ausgearbeitete Bestimmtheitsgrundsatz: Ausnahmen vom Einstimmigkeitsprinzip müssen im Gesellsdiaftsvertrag der offenen Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft eindeutig zu Ausdruck gebracht werden 32 . Die Gesellschafter unterwerfen sidi dem Einfluß der Beiratsmitglieder im Zweifel nur in dem Umfang und bis zu der Grenze, die der Gesellschaftsvertrag für ihre Zuständigkeit eindeutig festlegt. Je weitreichender seine Befugnisse sein sollen, desto genauer müssen sie im Gesellschaftsvertrag aufgezeichnet sein, damit den betroffenen Gesellschaftern bewußt wird, worauf sich ihre im voraus erteilte Einwilligung beziehen kann.
III. 1. Weisungsgebundenheit und Kontrolle eines Gesamtorgans Die klassischen Steuerungsinstrumente jeder Organtätigkeit: Abberufung und Schadenersatz bei fehlerhaftem Verhalten, gelten auch für den Beirat der Gesamtgesellschaft. Die Abberufung wird indes manchmal zu spät kommen, der Schadenersatzanspruch an der Vor31
Vgl. B G H Z 36, S. 292, 293. Zum Bestimmtheitsgrundsatz vgl. B G H Z 8, S . 4 2 ; 48, S. 251, 253 sowie die eindringliche Darstellung von Martens, Bestimmtheitsgrundsatz und Mehrheitskompetenzen im Recht der Personengesellschaften, Betrieb 1973, H e f t 9. 82
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aussetzung des Verschuldens scheitern. Eine Weisungsbefugnis steht, wenn überhaupt, nur der Gesellschafterversammlung zu, verbürgt mithin keinen Individualschutz. J e nach der Aufgabenstellung des Beirats ist die Weisungsabhängigkeit ausgeschlossen, wenn er ζ. B. eine schiedsrichterliche Funktion zwischen mehreren Gesellschafterstämmen oder Geschäftsführern wahrnehmen soll. Dann bleibt die Frage, ob es eine richterliche Beschlußkontrolle geben soll, und wenn ja, nach welchen Maßstäben sie durchgeführt wird. a) Der Bundesgerichtshof 33 äußerte sich zur Frage der Zulässigkeit einer Beschlußkontrolle für den Beirat in einer GmbH wie folgt: "Aus diesem Grunde ist auch nicht die Aufhebungsklage (§§ 1041 ZPO), sondern entweder, nämlich wenn entsprechende Akte des sonst zuständigen Gesellschaftsorgans (ζ. B. Aufsichtsratsbeschlüsse) nicht anfechtbar sind, überhaupt nicht, oder, wenn der Schiedsspruch einen Beschluß der Gesellschafterversammlung ersetzt oder vervollständigt, mit der Nichtigkeits- oder mit der Anfechtungsklage angreifbar". Die der Entscheidung zugrunde liegende Satzung sah vor, daß jeder Gesellschafter die Entscheidung durch ein Schiedsgericht verlangen könnte, wenn in bestimmten Fällen keine Einstimmigkeit zu erzielen sei. Die Ausführungen des Senats lassen sich meines Erachtens nicht verallgemeinern. Angesichts der prinzipiellen Allzuständigkeit der Gesellschafterversammlung in der Personengesellschaft bereitet es nicht unerhebliche Schwierigkeit festzustellen, wer das „sonst zuständige" Gesellschaftsorgan ist. Außerdem kann es Kompetenzen geben, für die eine „Urzuständigkeit" fehlt, sei es weil dem Beirat sonst nicht wahrgenommene Aufgaben zufallen, sei es weil bestimmte Kontrollund Informationsrechte verdoppelt werden. Man muß unterscheiden zwischen Beschlüssen, die eine endgültige Entscheidung in Sachen Unternehmensführung oder Verbandsstruktur beinhalten und anderen — lediglich vorbereitenden oder aufsichtsführenden — Beschlüssen. Eigener gerichtlicher Kontrolle sind nur die Beschlüsse der ersten Gruppe zugänglich, sie aber alle. Treffend bemerkt Immenga3i: „Organentscheidungen, die auf einer Funktionsübertragung beruhen, müssen demselben System von Bindungen unterstehen; andernfalls sind sie als Verstoß gegen die Gesellschaftsrechtsordnung zu qualifizieren". Maßgebend ist also nicht, an wessen Stelle der Beirat oder Verwaltungsrat tritt, sondern welche Aufgaben er wahrnimmt. Handelt es sich um Uberwachungs- oder Kontrollaufgaben oder eine die eigentlichen Entscheidungen nur vorbereitende Tätigkeit, so bedürfen die Mitglieder keines gerichtlichen » BGHZ 43, S. 261, 265. 54 Immenga, Die personalistisdie Kapitalgesellschaft, S. 347.
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Rechtsschutzes. Findet dagegen die endgültige Willensbildung im Beirat statt, so sind rechtswidrige Beschlüsse angreifbar. Die Regelung der Anfechtungsklagen für Hauptversammlungsbeschlüsse im Aktienrecht, die eine — rechtsstaatlich bedenkliche — Beschränkung des Minderheitenschutzes im Kapitalgesellschaftsrecht beinhaltet, gilt für die Personengesellschaft überhaupt nicht, in der Kapitalgesellschaft lediglich für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung. b) Nach allgemeiner Ansicht sind Beschlüsse eines Beirats fehlerhaft und damit nichtig, wenn ihr Zustandekommen oder ihr Inhalt gegen Gesetz oder Gesellschaftsvertrag verstößt. Man wird sich fragen, ob nicht darüber hinaus eine Inhaltskontrolle der Beiratsbeschlüsse möglich und notwendig ist. Schilling5 unterscheidet danach, ob dem Beirat eine schiedsgutachterliche Tätigkeit zugewiesen ist oder nicht. Bei schiedsgutachterlicher Tätigkeit gelten die §§317 ff. BGB; die Entscheidung des Beirats sei bei offenbarer Unbilligkeit, gegebenenfalls auch bei offenbarer Unrichtigkeit für die Gesellschafter nicht verbindlich und die Bestimmung erfolge dann durch richterliches Urteil. Dem wird man zustimmen können, falls der Gesellschaftsvertrag dem Beirat eindeutig einen so weiten Beurteilungsspielraum einräumt. Auch in diesem Zusammenhang gilt der Bestimmtheitsgrundsatz. Ohne eine entsprechende Gestaltung des Gesellschaftsvertrages können die Gesellschafter deshalb eine umfassende Gerichtskontrolle herbeiführen und zwar über die Grenzen der §§ 317 ff. BGB hinaus. Die Fehlerhaftigkeit und damit die Rechtswidrigkeit eines Beschlusses kann audi darauf beruhen, daß der Beirat sich nicht am Gesellschaftsinteresse orientierte, sondern andere und in diesem Zusammenhang deshalb sachwidrige Gesichtspunkte heranzog. Soll beispielsweise durch einen Stichentscheid des Beirats darüber entschieden werden, welcher Gesellschafter-Erbe die Geschäftsführung übernehmen darf oder muß, so hat die Auswahl, wenn der Gesellschaftsvertrag schweigt, nur unter dem Blickwinkel der Eignung zur Unternehmensführung zu erfolgen, nicht nach sozialen, familiären oder sonstigen Gesichtspunkten. Der Gesellschaftsvertrag schreibt dem Organ mit anderen Worten, gerade wenn er nichts sagt, seine eigene, nämlich die verbandsgünstige Wertskala vor. Mangels anderer Bestimmung bildet das Verbandsinteresse die einzig zulässige Leitlinie; beruht die Entscheidung auf anderen Gesichtspunkten, ist der Beschluß wegen Ermessensüberschreitung fehlerhaft und nichtig. Das kann im Wege der Feststellungsklage von jedem Gesellschafter geklärt werden. c) Der Beirat als Institution kann nur durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrages abgeschafft werden. Dagegen ist die Abberufung 35
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eines Beiratsmitglieds grundsätzlich durch einen mit einfacher Mehrheit gefaßten Gesellschafterbeschluß möglich. Selbst wenn der Gesellschaftsvertrag die Abberufung der Beiratsmitglieder einschränkt, muß eine Abwahl aus wichtigem Grund zulässig sein. Wieweit mangelndes Vertrauen einen wichtigen Grund zur Abberufung bildet, richtet sich nach den Umständen. Darüber hinausgehend verlangte allerdings der Bundesgerichtshof36 auch beim Vorliegen eines wichtigen Grundes eine Satzungsänderung — und damit eine qualifizierte Mehrheit — wenn die Bestimmung der einzelnen Beiratsmitglieder einen „echten Satzungsbestandteil" 37 bildet: „Wenn die Abwahl Satzungsänderung ist, bleibt sie dies auch bei Abwahl aus wichtigem Grunde". Das Ergebnis scheint auf den ersten Blick eine erhebliche Härte für die betroffenen Gesellschafter herbeizuführen; trotzdem ist der Ansicht des II. Zivilsenats zuzustimmen. Denn er verweist in den Urteilsgründen darauf, daß beim Vorliegen eines wichtigen Grundes für den einzelnen Gesellschafter aus der gesellschaftlichen Treuepflicht die klageweise durchsetzbare Verpflichtung erwachsen kann, einem in der Gesellschafterversammlung gestellten Antrag zuzustimmen. Damit fügt sich die Rechtsprechung widerspruchslos in den gesellschaftsrechtlidien Systemunterschied zwischen Körperschaften und Personengesellschaften ein: Die Körperschaft wird vom Mehrheitsprinzip beherrscht; im Interesse der ebenfalls betroffenen Minderheit obliegt der Mehrheit eine strenge Loyalitätspflicht. Die Personengesellschaft richtet sich nach dem Einstimmigkeitsprinzip, aber dieses wird durch die Verpflichtung der Gesellschafter abgemildert, im Einzelfall ihre eigene Ansicht im Interesse der Gesellschaft zurückzustellen. Die Schwerpunkte liegen verschieden, aber die In-PflichtNahme der jeweils „entscheidenden" Gesellschafter ermöglicht es, den Besonderheiten des Falles und den Grenztypen unter den Gesellschaften (der personalistischen GmbH und der kapitalistischen Kommanditgesellschaft) gerecht zu werden. d) Beiratsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet, sie haften als Gesamtschuldner. Zweifelhaft ist, ob die in den §§ 116, 93 AktG 1965 und §§ 75 Abs. 2, 110 und 125 RegE zum GmbHG angeordnete Beweislastumkehr gelten soll. Die genannten Vorschriften sehen vor, daß die Aufsichtsratsmitglieder die Beweislast trifft, wenn streitig 3
« BGH LM Nr. 8 zu § 109 HGB = NJW 1970, S. 706 = BB 1970, S. 225, 226. Zur Frage der echten und unechten Satzungsbestandteile vgl. Wiedemann (GroßK), §179 AktG, Anm. 2; Winkler, Materielle und formelle Bestandteile in Gesellschaftsverträgen und Satzungen und ihre verschiedenen Auswirkungen, DNotZ 1969, S. 394; Zöllner, in: Kölner Kommentar zum AktG (1971), § 179 AktG, Rnr. 3. 37
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Herbert Wiedemann
wird, ob sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds angewandt haben. Da der Regierungsentwurf zum GmbHG diese Vorschrift auch für einen Aufsichtsrat einführen will, der freiwillig aufgrund der Satzung gebildet wird, kann man unter Heranziehung des allgemeinen Rechtsgedankens des § 282 BGB die Beweislastumkehr audi auf Beiratsmitglieder ausdehnen. 2. Weisungsgebundenheit
und Kontrolle eines Gruppenorgans
Anders stellt sich die Rechtslage dar für einen Beirat, der die Interessen einer Gesellschaftergruppe wahrnehmen soll und deshalb in der Regel auch nur von den Mitgliedern dieser Gruppe gewählt wird. Soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes sagt, ist ein soldies Organ weisungsgebunden38. Das spielt namentlich eine Rolle, wenn bestimmte Verwaltungs- oder Informationsrechte allein oder in vollem Umfang nur von dem Beirat ausgeübt werden können. Ein derart gestuftes Auskunftsrecht empfiehlt sich in Publikums-Kommanditgesellschaften: der Gesellschafterausschuß erhält ein über § 166 Abs. 1 HGB hinausgehendes Recht auf Auskunft, Einsicht und Rechnungslegung, darf aber diese Information nur begrenzt weitergeben. Die Tätigkeit des Beirats wirkt sich dann wie ein „Filter" aus: er verstärkt das Vertrauen der Kapitalgeber in die Tätigkeit der Geschäftsführung, verhindert aber auf der anderen Seite, daß die Gesellschaft und das von ihr betriebene Unternehmen durch unkontrollierte Weitergabe von Betriebsgeheimnissen gefährdet oder gesdiädigt werden. Werden die Weisungen der vertretenen Gruppen nicht befolgt, stellt sich die Frage, ob jedes Mitglied dieser Gruppe eine Erledigung der Aufgaben mit der actio pro socio erzwingen kann. Der Anspruch jedes Gesellschafters auf Erledigung der Aufgaben ergibt sich zwar bei einem in die Verbandsorganisation integrierten und nicht nur obligatorisch bestellten Beirat aus dem Gesellschaftsvertrag. Man könnte jedoch Bedenken haben, weil seine Tätigkeit in erster Linie dem Gruppeninteresse dient und der Anspruch deshalb nicht zum Gesamthandsvermögen gehört. Trotzdem wird man die Möglichkeit einer actio pro socio und damit die gerichtliche Durchsetzung von Weisungen an den Beirat bejahen dürfen. Die Gesellschafterklage leitet sich nach überwiegender Auffassung nicht aus der gesamthänderischen Zuständigkeit ab, sondern bildet eine, dem Schutz der Minderheit oder des Einzelgesellschafters dienende Klagebefugnis 39 . 38
Ebenso Schilling (GroßK), § 161 HGB, Anm. 37. Die Frage wird in BGH, WM 1968, S. 98 offengelassen.
II. RECHT DER KAPITALGESELLSCHAFT
Abänderung festgestellter Jahresabschlüsse einer Aktiengesellschaft CARL H A N S BARZ
Im Jahre 1972 sind zwei Fälle bekanntgeworden, in denen große Aktiengesellschaften 1 festgestellte Jahresabschlüsse vorausgegangener Geschäftsjahre durch übereinstimmenden Beschluß von Vorstand und Aufsichtsrat geändert haben. In beiden Fällen waren die Änderungen steuerlich motiviert und führten nicht zu einer Änderung des Bilanzgewinns. Bei der einen Gesellschaft handelte es sich darum, eine zwei Jahre früher als Sacheinlage eingebrachte Beteiligung niciit, wie ursprünglich geschehen, mit dem Nominalbetrag der Kapitalerhöhung, sondern mit ihrem tatsächlichen Wert einzusetzen mit der Maßgabe, daß der Differenzbetrag gemäß § 150 Abs. 2 Ziff 2 AktGes der gesetzlichen Rücklage gutgebracht wurde 2 . In dem zweiten Fall ging es im wesentlichen darum, daß steuerbegünstigte Rücklagen aus der Abgabe des Bergbaues zunächst auf nicht konsolidierte Beteiligungen übertragen worden waren und nunmehr auf konsolidierte Beteiligungen umgebucht wurden 3 . Beide Gesellschaften legten ihren Hauptversammlungen gemäß einer ordnungsgemäßen Ankündigung die geänderten, von Vorstand und Aufsichtsrat festgestellten Jahresabschlüsse nebst Ergänzungsberichten des Vorstands und Aufsichtsrats sowie die geänderten Konzernabschlüsse 4 vor, führten aber keine Beschlußfassung der Aktionäre über die Änderungen durch. Die Zulässigkeit dieser Handhabung soll im folgenden untersucht werden. Die Aufnahme des Beitrags in die Festschrift des Jubilars rechtfertigt sich daraus, daß er sich gelegentlich einer Urteilsbespre-
Es handelt sidi um die Dortmunder Union Brauerei A G und um die V E B A A G . Der Grund für diese Erhöhung des „Anschaffungswerts" lag darin, daß die im Wege der Sadieinlage eingebradite Beteiligung wieder veräußert werden sollte. Damit wäre die stille Reserve, die in der Beteiligung lag, aufgelöst worden und steuerpflichtig geworden, während durch die Aufwertung der Einlage auf den Verkehrswert ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn vermieden wurde. ' Der Grund für diese Abänderung lag darin, daß es „steuerlich und unternehmenspolitisdi vorteilhafter" (so der Geschäftsbericht) war, stille Reserven bei Konzernbeteiligungen als bei anderen gegebenenfalls wieder zu veräußernden Beteiligungen zu bilden. Im Grunde ging es hier also um gleiche Motive wie in der Anm. 2). 4 Hier ergaben sich bei einer der Gesellschaften Änderungen einzelner Ertragsund Aufwandspositionen, die sich insgesamt aber ausglichen. 1 2
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Carl Hans Barz
chung5 zur Frage der Zulässigkeit einer Änderung festgestellter Jahresabschlüsse selbst geäußert hat. I. Zunächst ist der Rahmen abzustecken, in dem Abänderungen festgestellter Jahresabschlüsse zur Diskussion stehen. 1.
In einer Entscheidung vom 24. 1.1957 hat es der BGH® für die Rechtslage nach AktGes 1937 als unhaltbar bezeichnet, daß Vorstand und Aufsichtsrat die einmal erfolgte Feststellung des Jahresabschlusses ändern könnten. Das wird damit begründet, die Feststellung des Jahresabschlusses bilde die Grundlage für den Gewinnverteilungsbeschluß der Hauptversammlung, sei eine endgültige Maßnahme und könne nicht aufgrund einer bloßen Sinnesänderung umgestoßen werden. Diese Feststellung muß auf der Grundlage des seinerzeit gegebenen Sachverhalts gesehen werden: Vorstand und Aufsichtsrat hatten zwar gemeinsam den Jahresabschluß festgestellt, der einen verteilungsfähigen Gewinn auswies; der Vorstand wollte eine Dividende ausschütten, der Aufsichtsrat widersprach. Die Einigung der Verwaltung erfolgte auf der Basis, der Hauptversammlung die Bildung einer Sonderrücklage für Rationalisierungszwecke vorzuschlagen und ihr zu diesem Zwecke den Jahresabschluß mit einem verteilungsfähigen Reingewinn vorzulegen; die Hauptversammlung beschloß die Bildung der Rücklage. Gegen die Anfechtung dieses Beschlusses wandte die Gesellschaft im Prozeß u. a. ein, die nachträgliche Einigung von Vorstand und Aufsichtsrat sei als Änderung des festgestellten Jahresabschlusses zu werten. Dem hat der B G H mit dem Hinweis auf die Endgültigkeit der Feststellung widersprochen. Der Sinn des vom B G H für das AktGes 1937 festgestellten Änderungsverbots eines einmal festgestellten Jahresabschlusses ist aus dem Zusammenhang des entschiedenen Einzelfalles heraus darin zu sehen, daß die Gewinnanwartschaft der Aktionäre durch eine „bloße Sinnesänderung" nicht mehr beeinträchtigt werden darf, nachdem der Jahresabschluß einmal festgestellt ist. Ob allerdings die Feststellung des Jahresabschlusses der richtige Zeitpunkt ist, an den das Abänderungsverbot anzuhängen ist, erscheint fragwürdig. Dieser Zeitpunkt ist für den außenstehenden Aktionär nicht erkennbar 7 . Richtig ist 5 8 7
Zu B G H II ZR 208/55 in J Z 57, 310. Vgl. dazu im Text I, 1. B G H Z 23, 150 = J Z 57, 310. Vgl. Barz in Hengeler-Krekels, Beiträge zur Aktienrechtsreform 1959, S. 181.
Abänderung festgestellter Jahresabschlüsse einer A G
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hier allein, wie das § 175 Abs. 4 AktGes 1965 ja audi getan hat, die Anknüpfung an die Einberufung der Hauptversammlung 8 , da mit diesem Zeitpunkt gemäß § 175 Abs. 2 der Jahresabschluß zur Einsicht der Aktionäre auszulegen ist und ihnen damit bekannt wird. Mit diesem Zeitpunkt steht der Bilanzgewinn zur Verfügung der Hauptversammlung gemäß § 58 und verdichtet sich die Gewinnanwartsdiaft der Aktionäre. Hier liegt der wesentliche Kern der Begründung des BGH-Urteils vom 2 4 . 1 . 1 9 5 7 für die Unabänderlichkeit des festgestellten Jahresabschlusses: Der mitgliedschaftliche Anspruch des Aktionärs auf den Bilanzgewinn setzt als erstes einen festgestellten Jahresabschluß voraus und konkretisiert sich in einen schuldrechtlichen Dividendenanspruch, sobald der Gewinnverwendungsbeschluß der Hauptversammlung gefaßt ist 9 . Mit der Einberufung der Hauptversammlung wird die Feststellung des Jahresabschlusses publik und damit eine Stufe für die Entstehung des Dividendenanspruchs geschaffen. Sie kann, weil sie die Gewinnanwartschaft des Aktionärs beeinträchtigen würde, willkürlich 10 nicht mehr rückgängig gemacht werden. Das gilt nicht nur für die Rechtslage nach AktGes 1937, sondern auch für die insoweit nicht geänderte nach AktGes 1965 und ist allgemein anerkannt 11 . Die freie Abänderbarkeit des festgestellten Jahresabschlusses endet also mit der Einberufung der ordentlichen Hauptversammlung. Das muß auch dann gelten, wenn der festgestellte Jahresabschluß keinen verteilbaren Bilanzgewinn ausweist. Zwar hat hier die Begründung mit der Beeinträchtigung der Gewinnanwartschaft der Aktionäre nur mehr theoretische Bedeutung, man wird aber schwerlich den Zeitpunkt für die Zulassung einer freien Abänderungsbefugnis des festgestellten Jahresabschlusses vom Vorliegen eines verteilungsfähigen Bilanzgewinns abhängig machen können. Zu beachten ist auch, daß mit der Vorlage des festgestellten Jahresabschlusses gemäß § 175 Abs. 2 ein Schritt im Verfahren der Verabschiedung des JahresabAdler-Diiring-Schmaltz § 172, Rdn. 18; Brönner in Großkommentar § 172, Anm. 2; § 175, Anm. 9; Claussen in Kölner Kommentar § 175, Rdn. 17; Baumbach-Hueck § 175, Rdn. 10 und abweichend § 172 Rdn. 2. * Barz in Großkommentar § 5 8 , Anm. 28; Lutter in Kölner Kommentar § 5 8 , Rdn. 40 ff. 10 Über die Gründe, die auch in diesem Stadium nodi eine Änderung zulassen, vgl. im Text unter II. und III. 11 Adler-Dürin%-Sd>maltz § 172, Rdn. 18 u. 24 a ; Claussen in Kölner Kommentar § 175, Rdn. 17; Baumbach-Hueck § 172, Anm. 3; Godin-Wilhelmi § 172, Anm. 4 ; Brönner in Großkommentar § 175, Anm. 9. Allerdings kann diese Rechtslage nicht, wie Brönner in Großkommentar § 175 Anm. 4 will, auf § 175 Abs. 4 gestützt werden; denn im Anschluß an die Begründung des Aktiengesetzes ( K r o p f f S. 284) wird außer von Brönner einhellig die Meinung vertreten, daß eine Bindung an die Feststellung mit dieser Bestimmung nicht gewollt w a r ; vgl. im Text unter II. 8
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sdilusses getan ist, der Grundlage des weiteren bereits angelaufenen Verfahrens ist und deshalb nicht ohne weiteres geändert werden darf. Die volle Abänderungsfreiheit kann die Verwaltung audi nicht dadurch wiedergewinnen, daß sie den Termin für die Hauptversammlung vertagt und mit geänderter Terminsfestsetzung eine neue Hauptversammlung einberuft; denn ein derartiges Vorgehen ändert an der Bindungswirkung der ersten Bekanntgabe des festgestellten Jahresabschlusses nichts. Die freie Abänderbarkeit des festgestellten Jahresabschlusses endet also mit der Auslage des Jahresabschlusses anläßlich der Einberufung der ordentlichen Hauptversammlung. Für den Fall, daß die Feststellung des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung erfolgt (§§173 Abs. 1; 234 Abs. 2; 286 Abs. 1), liegt bis zur Beschlußfassung durch die Hauptversammlung eine festgestellte Bilanz nicht vor, so daß die Frage ihrer Abänderbarkeit bis zur Beendigung der Hauptversammlung 12 überhaupt nicht entstehen kann. Bis zu diesem Zeitpunkt kann es sich immer nur um die Änderung der gemäß § 124 Abs. 3 zu machenden Vorschläge der Verwaltung handeln. Ihre Abänderbarkeit steht außer Zweifel 13 , wie es ja auch der Hauptversammlung freisteht, den Jahresabsdiluß anders als von der Verwaltung vorgeschlagen festzustellen14. Die Abänderung des von der Verwaltung vorgeschlagenen Jahresabschlusses erfordert allerdings gemäß § 173 Abs. 3 im Rahmen der Abänderung eine neue Prüfung durch den Absdilußprüfer. 2. Die Kapitalerhaltungsgrundsätze des Aktienrechts, wie sie besonders in § 57 Abs. 1 und § 58 Abs. 5 zum Ausdruck gebracht sind, madien es unmöglich, einem Gewinnverteilungsbeschluß nachträglich durch Änderung eines festgestellten Jahresabschlusses die Grundlage zu entziehen. Da § 58 Abs. 5 vor Auflösung der Gesellschaft nur die Verteilung des Bilanzgewinns unter die Aktionäre gestattet, müßte die Änderung eines festgestellten Jahresabschlusses, die den aufgrund eines Gewinnverwendungsbeschlusses bereits verteilten Bilanzgewinn mindert, notwendig zu dem Ergebnis führen, daß mehr als der Bilanzgewinn unter die Aktionäre verteilt und damit Vermögenssubstanz entgegen § 57 Abs. 1 zurückgezahlt worden ist 15. 12 Dieser Zeitpunkt und nidit die Besdilußfassung ist maßgebend; vgl. Barz in Großkommentar § 119, Anm. 16. ls Barz in Großkommentar § 124, Anm. 6. 14 Obermüller-Werner-Winden, Das Recht der Hauptversammlung, 3. Aufl., S. 191. 15 Lutter in Kölner Kommentar §57, Rdn. 3; Barz in Großkommentar §57, Anm. 3.
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Dieser Konsequenz könnte nur ausgewichen werden, wenn in Höhe der Minderung des bereits ausgeschütteten Bilanzgewinns eine Rückzahlungsverpflichtung der Aktionäre für die zu Unrecht erhaltenen Dividenden einträte. Der Dividendenanspruch des Aktionärs kann aber nach seiner Entstehung nicht mehr aufgehoben oder gemindert werden 16 ; außerdem schließt § 62 Abs. 1 Satz 2 einen Rückzahlungsanspruch auf ausgezahlte Dividenden praktisch auch aus. Die Abänderung eines festgestellten Jahresabschlusses, die den ausgeschütteten Bilanzgewinn mindert, würde also gegen §§ 57 Abs. 1; 58 Abs. 5 verstoßen. Ebenso wie die Rückgängigmachung einer Kapitalerhöhung nach deren Wirksamwerden wegen des Grundsatzes der Kapitalerhaltung der Aktiengesellschaft außer im Wege einer Kapitalherabsetzung nicht mehr möglich ist, kann deshalb auch die Abänderung eines festgestellten Jahresabschlusses nicht zugelassen werden, wenn sie den ausgesdiütteten Bilanzgewinn mindert 17 . Hier liegt eine absolute und durch keine noch so gewichtigen für die Abänderbarkeit des festgestellten Jahresabschlusses sprechenden Gründe zu überspringende Grenze. Damit, daß man für den Fall der Minderung des Bilanzgewinns lediglich einen strengeren Maßstab hinsichtlich der Zulässigkeit der Änderung anlegen wollte, würde man der Rechtslage nicht gerecht. An eine Abänderungsbefugnis des festgestellten Jahresabschlusses wird man in derartigen, den ausgeschütteten Bilanzgewinn mindernden Fällen überhaupt nur dann denken können, wenn die Rückzahlung der nach dem abgeänderten Jahresabschluß zuviel ausgeschütteten Gewinne seitens der Aktionäre nicht nur zugesagt, sondern auch sichergestellt ist. Eine derartige Möglichkeit scheidet bei einer Gesellschaft mit einer großen Mehrheit von Aktionären, insbesondere einer Publikumsgesellschaft, von selbst aus und ist überhaupt nur dann vorstellbar, wenn es sich um eine Gesellschaft mit einem kleinen Kreis von zahlungskräftigen und zahlungswilligen Aktionären handelt, die sidi freiwillig zur Rückzahlung verpflichten. 3. Ein festgestellter Jahresabschluß kann gemäß §§ 173 Abs. 3; 234 Abs. 3; 235 Abs. 2 und 256 nichtig sein18. Wird in diesem Falle ein " Lutter in Kölner Kommentar § 5 8 , Rdn. 55; Barz in Großkommentar § 5 8 , Anm. 32; vgl. auch R G Z 37, 62 ff. 17 So im Ergebnis auch Adler-Düring-Scbmaltz § 172, Rdn. 26; v. Braunbehrens AktGes. 56, 31. 18 Als Niditigkeitsgrund nach § 256 Abs. 2 wegen nicht ordnungsgemäßer Mitwirkung von Vorstand und/oder Aufsiditsrat wäre es anzusehen, wenn eine Anfechtung nadi §§ 119, 123 BGB der Vorlage durch den Vorstand oder der Billigung durdi den Aufsichtsrat erfolgt; vgl. Baumbach-Hueck § 172, Rdn. 3; Claussen in Kölner Kommentar § 172, Rdn. 8.
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neuer Jahresabschluß festgestellt, so liegt eine Abänderung nicht vor. Hier wird nicht ein rechtwirksamer Jahresabschluß durch einen anderen ersetzt, sondern an die Stelle eines nichtigen und deshalb rechtlich nicht vorhandenen Jahresabschlusses ein erstmals wirksamer Jahresabschluß gesetzt. Diese Fälle scheiden deshalb aus dem Thema dieses Beitrags aus. Die Nichtigkeit eines Jahresabschlusses verpflichtet die Organe der Aktiengesellschaft, unverzüglich einen wirksamen Jahresabschluß festzustellen, und zwar unabhängig davon, ob die Erfüllung dieser Pflicht im Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre liegt 19 . Wenn die Organe aus einem derartigen Grund die Erfüllung der Pflicht verzögern, um die Heilung nach § 256 Abs. 6 abzuwarten, handeln sie auf eigenes Risiko. Die Verpflichtung zur Erstellung einer ordnungsgemäßen Bilanz besteht auch unabhängig davon, ob der sich aus dem nichtigen Jahresabschluß ergebende Bilanzgewinn ganz oder teilweise an die Aktionäre verteilt ist oder nicht und ob ein zulässig festgestellter neuer Jahresabschluß überhaupt einen verteilungsfähigen Bilanzgewinn ergibt. Denn hier geht es um die ordnungsgemäße Erfüllung der Rechnungslegungspflicht, die nicht deshalb zurückgesetzt werden darf, weil gegebenenfalls Bilanzgewinne verteilt worden sind, die in Wirklichkeit keine waren. Ist die Nichtigkeit durch Zeitablauf einmal geheilt, so ist der festgestellte Jahresabschluß einem wirksamen Jahresabschluß gleidi zu behandeln, und ist seine Abänderung nur nach den gleichen Grundsätzen möglich wie bei einem zulässigen Jahresabschluß. Dasselbe gilt auch, wenn inhaltliche Mängel vorliegen, die nicht zur Nichtigkeit führen. Die in § 256 gesetzten Grenzen für die Nichtigkeit lassen die nicht unter diese Bestimmungen fallenden Jahresabschlüsse voll wirksam werden, so daß sie in ihrer Abänderbarkeit den zulässigen Jahresabschlüssen in jeder Weise gleich zu achten sind20. Demgemäß kann also ein festgestellter Jahresabschluß bis zu seiner Auslage anläßlich der Einberufung der ordentlichen Hauptversammlung beliebig geändert werden, kann ein zulässiger Jahresabschluß insoweit nicht geändert werden, als die Änderung den bereits ausgeschütteten Bilanzgewinn schmälern würde, und muß ein nichtiger Jahresabschluß neu festgestellt werden. Nur außerhalb dieses Rahmens entsteht überhaupt die Frage, unter welchen Voraussetzungen festgestellte Jahresabschlüsse abänderbar sind. Zurückhaltend Adler-Düring-SSmaltz § 172, Rdn. 15. Claussen in Kölner Kommentar § 172, Rdn. 10; a. M. Batimbach-Hueck § 173, Rdn. 3; RGZ 11, 164; Adler-Düring-Schmaltz § 172, Rdn. 17, die in diesen Fällen immer einen ausreichenden Grund zur Änderung annehmen. 19
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II. Die Unabänderbarkeit des festgestellten Jahresabschlusses ist kein Dogma. Die Rechtsprechung hat durch das Urteil des BGH vom 24. 1.1957 2 1 die Feststellung des Jahresabschlusses zwar als eine „endgültige Maßnahme" bezeichnet, daraus aber nur den Schluß gezogen, daß sie „nicht aufgrund einer bloßen Sinnesänderung umgestoßen werden" kann. Damit ist grundsätzlich die Abänderbarkeit zumindest nicht ausgeschlossen22. Dem haben sich viele Stimmen im Schrifttum angeschlossen23, fast ebenso viele Stimmen aber widersprochen. Ohne Begründung lehnen Schlegelberger-Quassowski24 und Godin-Wilhelmi25 ab. Audi Brönner 26 lehnt ab und begründet dies damit, § 175 Abs. 4 binde Vorstand und Aufsichtsrat nicht nur an den Beschluß über die Überlassung der Bilanzfeststellung an die Hauptversammlung, sondern auch an die Billigung des Jahresabschlusses. Diese Auffassung ist aber falsch. Einmal unterwirft § 175 Abs. 4 nur Vorstand und Aufsichtsrat einer Bindung, nicht aber die Hauptversammlung, so daß sie jedenfalls dann, wenn sie für die Feststellung des Jahresabschlusses zuständig ist, trotz § 175 Abs. 4 in der Lage wäre, den festgestellten Jahresabschluß auch zu ändern. Zum andern enthielt der Referentenentwurf zum Aktiengesetz 1965 in § 141 Abs. 4 Satz 2, die die Vorgängerbestimmung zu § 175 Abs. 4 AktGes 1965 ist, den ausdrücklichen Zusatz, daß der Vorstand den aufgestellten Jahresabschluß nicht mehr ändern könne. Diese Bestimmung ist in § 175 Abs. 4 nicht übernommen worden, woraus doch wohl eindeutig hervorgeht, daß diese Bestimmung eine Bindung an den aufgestellten Jahresabschluß nicht anordnen will 27 . Schilling28 spricht zwar zunächst nur davon, daß der B G H mit Recht „die willkürliche, besser ermessensmäßige Änderung" für unzulässig halte, begründet das dann aber mit der auf die Rechtsform der Aktiengesellschaft abgestellten Begründung, Bilanzfeststellung und Gewinnverwendung lägen grundsätzlich in verschiedenen Zuständigkeiten und bei dieser Rechtslage bedeute die Feststellung des BGHZ 23, 152. Eine alte Rechtsprechung des RG — vgl. RGZ 11,160; 32,91; 37, 62 — hatte die Abänderbarkeit angenommen. 23 Baumbach-Hueck §152, Rdn. 3; Adler-Düring-Sdmialtz §172, Rdn. 13 ff.; Adler, Wirtschaftsprüfer 49, 109 ff.; Hoffmann, Betriebsberater 56, 569; Obermäller-Werner-Winden, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, 3. Aufl., S. 191; Pochmann, Der Betrieb 63, 1369. 24 § 125, Anm. 9. 28 4. Aufl. § 172, Anm. 4. 2e Großkommentar § 175, Anm. 9. 27 Vgl. dazu audi Kropff, S. 284. 28 JZ 57, 312. 21
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Jahresabschlusses durch die Verwaltung einen unwiderruflichen und gegenüber der Hauptversammlung bindenden Organschaftsakt. Sollte damit für die Aktiengesellschaft jede Bilanzänderung für unzulässig gehalten werden, so geht das zu weit. Einmal braucht die Abänderung eines Jahresabschlusses den zur Verfügung der Hauptversammlung stehenden Bilanzgewinn überhaupt nicht zu verändern. Dann ist nicht einzusehen, warum die Rücksicht auf die Zuständigkeit der Hauptversammlung zur Gewinnverwendung die Feststellung des Jahresabschlusses unwiderruflich machen müsse. Selbst wenn aber der Bilanzgewinn verändert wird 29 , kann man daraus doch nur die Konsequenz ziehen, daß der veränderte Bilanzgewinn wieder zur Verfügung der Hauptversammlung stehen muß30. Im übrigen bleibt aus der Argumentierung von Schilling nur die Pflicht der Verwaltungsorgane, nicht ohne gebührende Veranlassung in derselben Angelegenheit die Hauptversammlung ein zweites Mal zu bemühen. Von Braunbehrens31 hat schwere Bedenken gegen eine Abänderbarkeit aus dem Gesichtspunkt der Publizität und des in die festgestellte Bilanz von den wechselnden Aktionären und den Gläubigern gesetzen Vertrauens geäußert. Offerhaus32 und Nolte 33 lehnen wegen des Vertrauensschutzes dieser Personengruppen sogar jede Abänderung festgestellter und der Öffentlichkeit bekanntgewordener Bilanzen ab. Auch das geht zu weit. Abgesehen davon daß § 256 diese Gründe der Publizität und desVertrauensschutzes beim Berichtigungszwang nichtiger Jahresabschlüsse nicht gelten läßt 34 , geht es bei der Abänderung publizierter Jahresabschlüsse doch immer nur darum, zulässige Bilanzansätze durch andere ebenfalls zulässige zu ersetzen. Der Vertrauensschutz, den ein publizierter Jahresabsdiluß genießt, kann aber nur dahin gehen, daß von den Bewertungswahlrechten ordnungsgemäß Gebrauch gemacht wurde 35 . Dieses Vertrauen wird durch eine Änderung des Jahresabschlusses nicht enttäuscht. Die Meinung, Aktionäre könnten geschädigt werden, wenn sie bei einer zu guten Bilanz Aktien gekauft und bei einer zu schlechten Aktien verkauft haben, geht fehl. Denn jeder Aktionär, der aufgrund eines 2* Daß in den ausgeschütteten Bilanzgewinn nidit eingegriffen werden kann, ist in I. 2 gesagt. 30 Dazu vgl. unten zu IV. 51 AktGes. 56, 30. 32 Der Betrieb 66, 1705/06. 33 Der Betrieb 63, Beilage 12, S. 5. 34 Die hier vorgesehene Heilung beruht nidit auf Gründen des Vertrauensschutzes, sondern, wie SMlling in Großkommentar § 256, Anm. 18 ausführt, darauf, daß der Jahresabsdiluß als ein jährlich sich wiederholender Vorgang in besonderem Maße der Heilung bedürftig ist. 35 Vgl. auch Ρ odomann, Der Betrieb 63, 1369.
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Jahresabschlusses Aktien kauft oder verkauft, muß damit rechnen, daß von gesetzlich zugelassenen Bewertungswahlrechten in einem bestimmten Sinne Gebrauch gemacht worden ist, obwohl auch in einem anderen Sinne Gebrauch gemacht sein könnte. Wenn ζ. B. in dem einen zum Ausgangspunkt dieser Untersuchung gemachten Fall 3 8 die im Wege der Sacheinlage erworbene Beteiligung zunächst mit dem Nennbetrag der Kapitalerhöhung bewertet wurde, muß der erfahrene Aktionär — und nur ein solcher kauft oder verkauft aufgrund eines Jahresabschlusses — wissen, daß die Beteiligung unter Ansatz eines entsprechenden gesetzlichen Rücklagepostens auch zum Verkehrswert, der sich in etwa aus dem Kurswert der im Wege der Kapitalerhöhung gewährten Aktien ergibt, hätte angesetzt werden können, daß also der Jahresabschluß eine entsprechende stille Rücklage enthält. Und in dem zweiten Fall 3 7 handelt es sich um die Verlagerung gesetzlich zugelassener stiller Reserven von einem Bilanzposten zu einem anderen. In derartigen Fällen — und sie werden die Hauptfälle der Berichtigung festgestellter Jahresabschlüsse bilden — ist eine Beeinträchtigung des Vertrauens in einen einmal festgestellten Jahresabschluß nicht ersichtlich. Soweit eine Abänderung des Jahresabschlusses sich in der Ertragsrechnung überhaupt auswirkt, kann eine Minderung unter den ausgeschütteten Bilanzgewinn sowieso nicht erfolgen 38 und es sich also immer nur um Auflösung oder Bildung offener oder stiller Reserven handeln. Hier ist der Rahmen wegen des gesetzlichen Verbots der Legung von stillen Rücklagen heute eng. Auch wird es wohl kaum eine Verwaltung geben, die in einem bereits verabschiedeten Jahresabschluß naditräglich stille Reserven zugunsten des Ertrags ohne zwingende Notwendigkeit legt oder auflöst. Den etwaigen Interessen an der Bestandskraft publizierter Jahresabschlüsse steht notwendig das Interesse der Gesellschaft an einer Abänderung gegenüber, ohne das der Gedanke an eine Abänderung erst gar nicht aufkommen wird. Anstelle der von Braunbehrens, Nolte und OfTerhaus vorgeschlagenen gänzlichen Unzulässigkeit einer Abänderung dürfte es wohl richtiger sein, die Abänderung grundsätzlich zuzulassen und nur ihre Zulassung im einzelnen Fall von einer Abwägung der beteiligten Interessen abhängig zu machen (dazu vgl. unten I I I ) . Schließlich wird das Erfordernis der Unabänderlichkeit festgestellter Jahresabschlüsse noch damit begründet, die Regelung des § 256 stecke den Rahmen ab, in dem festgestellte Jahresabschlüsse überhaupt abänderbar seien 39 ; wenn § 256 Abs. 6 selbst bei schwerwiegen' Oben Anm. 2 und im Text dazu. Oben Anm. 3 und im Text dazu. 5 8 Oben zu 1.2. »» Offerhaus, Der Betrieb 66, 1706. 3
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den Nichtigkeitsgründen nach Ablauf einer gewissen Zeit keine Abänderung mehr ermögliche, sondern die Mängel als geheilt betrachte, müsse erst recht der einmal festgestellte ordnungsgemäße Jahresabschluß unabänderlichen Bestand haben 40 . Hier wird jedoch übersehen, daß § 256 von anderen Gesichtspunkten ausgeht, nämlich vom Interesse an einem ordnungsgemäßen Rechenwerk der Aktiengesellschaft, dessen Mängel wegen der jährlich sich wiederholenden Abschlüsse und der Koninuität des Rechenwerks besonders heilungsbedürftig sind. Bei der Abänderbarkeit aber geht es darum, einen zulässigen Abschluß durch einen anderen zu ersetzen, und stehen Mängel des Rechenwerks gar nidit zur Diskussion, sondern Interessen der Gesellschaft, die eine andere Wahl im Rahmen einer der Gesellschaft zustehenden Bewertungsmöglichkeit erfordern 41 . Von der gesetzlichen Regelung der einen Fälle kann auf diese ganz anders gelagerten Tatbestände nicht rückgeschlossen werden. Sind demnach durchgreifende Bedenken gegen die Abänderbarkeit festgestellter Jahresabschlüsse nicht anzuerkennen, so muß audi für den festgestellten Jahresabschluß der Grundsatz gelten, daß das Handeln von Gesellschaftsorganen durch actus contrarius aufgehoben werden kann. Ebenso wie ein gewähltes Aufsichtsratsmitglied abberufen, eine Kapitalerhöhung durch eine Kapitalherabsetzung rückgängig gemacht, eine Satzungsbestimmung geändert und eine Satzungsänderung ihrerseits wiederum geändert werden kann, muß auch die Feststellung eines Jahresabschlusses durch Abänderung grundsätzlich rückgängig gemacht werden können. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn dadurch in Rechte Dritter eingegriffen würde. Dieser Gesichtspunkt macht die Rückgängigmachung eines Gewinnausschüttungsbeschlusses unmöglich42 und spielt auch bei der Unzulässigkeit einer Abänderung, die den ausgeschütteten Bilanzgewinn mindert 43 , mit. Im übrigen aber greift er bei der Abänderung des Jahresabschlusses nicht ein44. Auch die Kontinuität des Rechenwerks einer Aktiengesellschaft braucht keine grundsätzliche Unabänderlichkeit einmal verabschiedeter Jahresabschlüsse. Nur müssen bei einer Abänderung eines früheren Jahresabschlusses auch die Jahresabschlüsse der Zwischenjahre insoweit abgeändert werden, als sie wegen der Bilanz40
Ähnlidi audi Nolte, Der Betrieb 63, Beilage 12 S. 5. Obermüller-Werner-Winden a. a. O., S. 191, Anm. 12. 42 Vgl. oben Anm. 15 und im Text dazu. 43 Oben unter I. 2. 44 Zwar könnten am Bilanzgewinn orientierte Tantiemeansprüdie durch eine Ermäßigung des Bilanzgewinns betroffen werden; hier aber reicht es aus, die Ansprüche der Tantiemeberechtigten durdi die Änderung ungeschmälert zu lassen; Adler-Düring-Schmaltz § 172, Anm. 27. 41
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kontinuität von der Änderung der Bilanzansätze in einer früheren Bilanz betroffen werden. Die grundsätzliche Zulässigkeit der Abänderung muß auch für den Fall eines festgestellten Jahresabschlusses in der Zeit von seiner Bekanntgabe bei der Einberufung der ordentlichen Hauptversammlung bis zu seiner Verabschiedung durch die Hauptversammlung gelten. In diesem Zeitpunkt kann die Bindung an die Feststellung keine andere sein als nach der Hauptversammlung. Fraglich kann nur sein, ob die Ausschüttung des Bilanzgewinns, die nach der Hauptversammlung eine inhaltliche Schranke für die Änderungsmöglichkeit darstellt, in der Zeit zwischen der Einberufung und der Abhaltung der Hauptversammlung dadurch ersetzt wird, daß der nach dem festgestellten Absdiluß ausschüttungsfähige Bilanzgewinn jeder Beeinträchtigung durch eine Änderung der Abschlußzahlen entzogen ist. Das Prinzip der Kapitalerhaltung wird hier, anders als bei dem ausgeschütteten Reingewinn 45 , nicht tangiert, auch nicht der erst durch den Gewinnverteilungsbeschluß entstehende schuldrechtliche Anspruch auf die Zahlung der Dividende. Betroffen wird lediglich die durch Auslage des festgestellten Jahresabschlusses verstärkte Dividendenanwartschaft des einzelnen Aktionärs. Eine Änderung aufgrund einer bloßen Sinnesänderung hatte für diese Zwischenzeit schon der B G H 4 6 untersagt. Darüber hinauszugehen und die Abänderung ganz zu untersagen, besteht keine Veranlassung 47 . Es können ja durchaus auch in dieser Zwischenzeit gewichtige Gründe auftreten, die eine Änderung des Jahresabschlusses erfordern. Daß sich durch die Auslage des Jahresabschlusses die Gewinnerwartung und -anwartschaft der Aktionäre aufgrund des ausgewiesenen Bilanzgewinns stärker konkretisiert hat, stellt sie noch nicht mit einem durch den Ausschüttungsbeschluß entstandenen Dividendenanspruch gleich und verlangt deshalb auch nicht den gleichen Schutz, wie er für die ausgeschüttete Dividende nach der Hauptversammlung besteht.
III.
Die grundsätzliche Abänderbarkeit festgestellter Jahresabschlüsse besagt nicht, daß sie auch in jedem einzelnen Fall zulässig sein müsse. Der Charakter des festgestellten Jahresabschlusses als Endpunkt des Rechnungswerks eines bestimmten Jahres, seine Auslage für die Aktionäre, seine Vorlage an die Hauptversammlung und die spätere Veröffentlichung sowie die Tatsache, daß der Abschluß die Grundlage Vgl. oben 1.2. « B G H Z 23, 152. 47 Adler-Düring-Schmaltz 48 4
% 172, Rdn. 24 a.
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des Gewinnverwendungsbeschlusses der Hauptversammlung ist, zeigen, daß ihm eine gewisse Bestandskraft innewohnen muß. Wenn sie auch nicht so stark ist, daß sie der Feststellung die Bedeutung eines rechtskräftigen Urteils gibt48, so kann doch nicht willkürlich die Feststellung beseitigt und durch eine andere ersetzt werden. Das verbietet sich schon deshalb, weil audi der abgeänderte Abschluß ein gesetzlich zulässiger Abschluß ist, der durch einen Abschlußprüfer geprüft und bestätigt worden ist, der, wenn ihn die Hauptversammlung nicht festzustellen hatte, ihr mindestens vorzulegen war und der später auch veröffentlicht werden mußte, was alles nicht unerhebliche Kosten verursacht. Hinzu kommt, daß der Abschluß das Bild des Unternehmens an der Börse und damit die Bewertung der Aktien zwar nicht entscheidet, aber immerhin mitbestimmt und -prägt; diese Funktion des Abschlusses kann nicht willkürlich beiseite geschoben werden. Auch die allgemeine Öffentlichkeit sowie die Geschäftspartner einer Aktiengesellschaft lesen und studieren deren Jahresabschlüsse, entnehmen ihnen die wichtigsten Ziffern und Zahlen und bilden sich aus ihnen ihre Meinung über die Entwicklung des Unternehmens. Das alles sind, da das Gesetz selbst ja über die Frage einer Abänderbarkeit des festgestellten Jahresabschlusses und deren Bedingungen schweigt, gewichtige Gründe, die jedenfalls einer beliebigen Abänderung entgegenstehen. Auf der anderen Seite ist zu beachten, daß der Rahmefi, der für eine Abänderbarkeit bleibt, nicht sehr groß ist. Alle Überbewertungen und die Unterbewertungen, die die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft vorsätzlich unrichtig wiedergeben oder verschleiern, führen zur Nichtigkeit. Es bleiben deshalb als Fälle für Abänderungen die weniger bedeutsamen Unterbewertungen, die nicht allzu sehr ins Gewicht fallen und die deshalb schon der Kosten wegen kaum jemals zum Gegenstand einer Bilanzänderung gemacht werden dürften. Das Hauptgebiet, in dem es Bilanzänderungen bisher gegeben hat und auch künftig geben wird, liegt in der von dem ursprünglichen Abschluß abweichenden Ausübung von Bewertungswahlrechten und in der Einführung besserer, nach Aufstellung der früheren Bilanz eingetretener Erkenntnisse über für die Bewertung wesentliche Vorgänge 49 . Diese Änderung von Absdilußpositionen braucht sich nicht nur im Gebiet der Vermögensposten auszuwirken, so ζ. B. wenn eine Reserve 48
Vgl. die Formulierung in R G 2 32, 94/95. Für die Bewertung sind alle am Bilanzstiehtag gegebenen Bewertungsumstände zu berücksichtigen, soweit sie bei Aufstellung der Bilanz bekannt sind; AdlerDüring-Schmaltz § 149, Rdn. 89 ff. Bei der Bilanzänderung ist selbstverständlich der Erkenntnisstand bei Aufstellung der geänderten Bilanz maßgebend. 49
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von einem Posten auf einen anderen übertragen wird 50 oder eine aufgelöste stille Reserve in die gesetzliche Rücklage übergeht 51 , sondern kann auch die Gewinn- und Verlustrechnung berühren, deren Jahresüberschuß/fehlbetrag oder gar deren Bilanzgewinn/verlust ändern. Die Schranke der Abänderungsbefugnis liegt allein darin, daß der in dem abgeänderten Jahresabschluß auszuweisende Bilanzgewinn mindestens dem ausgeschütteten des ursprünglichen Abschlusses entsprechen muß. Immer aber handelt es sich um Änderungen, die bei einer anderen Ausübung des Bewertungswahlrechts und bei einem besseren Erkenntnisstand audi in dem ursprünglichen Jahresabschluß hätten berücksichtigt werden können. Das bedeutet, daß sie die dem Jahresabschluß zugrundeliegenden wirtschaftlichen Tatbestände nidit verändern, sondern nur in abgeänderten, aber zulässigen Zahlen wiedergeben. Berücksichtigt man diese Bedeutung der Abänderung, so werden die für die Bestandskraft des einmal festgestellten Jahresabschlusses sprechenden Gründe nicht so entscheidend betroffen, daß man dieserhalb die Unzulässigkeit der Abänderungsmöglichkeit annehmen müßte. Diese Überlegung zeigt, daß es nicht jeder Grund sein kann, der eine Bilanzänderung zu rechtfertigen vermag. Es müssen schon gewichtige Gründe sein, die in der Interessenabwägung zur Bestandskraft größere Bedeutung haben. Eine feste Regel wird sich hier nicht aufstellen lassen. Der B G H 5 2 formulierte negativ und sprach davon, daß die Änderung „nicht aufgrund einer bloßen Sinnesänderung" vorgenommen werden dürfe. Adler-Düring-Schmaltz 53 sprechen von „wirtschaftlichen Gründen, die so gewichtig sind, daß bei verständiger Würdigung das Interesse der Öffentlichkeit und der Aktionäre an der Aufrechterhaltung des festgestellten Jahresabschlusses zurückzutreten hat", Baumbach-Hueck 54 im Anschluß an Adler 55 und Hoff mann 56 von „zwingenden wirtschaftlichen insbesondere steuerlichen Gründen", Obermüller-Werner-Winden 57 daneben von einem "rechtlich beachtlichen Interesse der Gesellschaft" und Pochmann 58 von einem „ernstzunehmenden Bedürfnis der Gesellschaft an der BilanzändeSo das Beispiel VEBA in Anm. 3. So das Beispiel DUB in Anm. 2. 52 B G H Z 23, 152. 53 § 172, Rdn. 19. " § 172, Rdn. 3. 5 5 Wirtschaftsprüfer 49, 109. M Betriebsberater 56, 569. " A . a . O . , S. 191. 58 Der Betrieb 63, 1369. 50
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rung". Damit ist die Bandbreite, in der man eine Bilanzabänderung wird zulassen können und müssen, zutreffend umschrieben. Wichtig scheint folgendes: 1.
Es muß sich um ein Interesse der Gesellschaft und nidit nur der Aktionäre handeln. Das Interesse an einer höheren Dividende für ein bilanzmäßig verabschiedetes Jahr reicht nicht aus, und zwar auch dann nicht, wenn eine drohende Steuererhöhung auf die Dividenden durch bilanzmäßig bei der Aktiengesellschaft zulässige Vorziehung von Gewinnen in ein früheres Jahr vermieden werden kann. Ähnliches gilt für das Interesse an erhöhten Tantiemen für Organmitglieder, Angestellte und Belegschaft, 2. Wenn das Interesse der Gesellschaft an der Bilanzänderung auch durch eine Änderung eines künftigen Jahresabschlusses befriedigt werden kann, entfällt das Interesse an einer Abänderung bereits verabschiedeter Jahresabschlüsse. Das wird meist dann der Fall sein, wenn es um die aus Vereinfachungsgründen höchst erwünschte Wiederherstellung des Gleichklangs zwisthen Handels- und Steuerbilanz geht, der durch eine Betriebsprüfung gestört sein mag. Allerdings kann hier die durch Zeitablauf etwa entfallende Möglichkeit zur Ausnutzung eines Verlustvortrags oder die nur bei Ausschüttung für das Gewinnerzielungsjahr bestehende Möglichkeit der Inanspruchnahme des gespaltenen Körperschaftsteuersatzes eine andere Beurteilung erzwingen. 3.
Uberhaupt dürfte die Möglichkeit, durch die Bilanzänderung steuerlich günstigere Ausgangspositionen zu schaffen und nicht unerhebliche Steuerersparnisse für die Aktiengesellschaft zu erzielen, der für die Praxis wohl häufigste Grund sein, der eine Abänderung festgestellter Jahresabschlüsse rechtfertigt, sei es daß man durch Einbuchung von Wirtschaftsgütern zum Verkehrswert oder durdi Umbuchung handels- und steuerrechtliche zulässiger stiller Rücklagen auf nicht zur Veräußerung stehende Werte künftige Veräußerungsgewinne spart, sei es daß ein erst nachträglich für ein abgeschlossenes Jahr erkannter Gewinn noch unter einen auslaufenden Verlustvortrag gebracht oder unter Ausnutzung des gespaltenen Körpersdiaftsteuersatzes verbilligt ausgeschüttet werden soll. 4.
Gründe einer besseren Bilanzoptik durdi für ein vergangenes Jahr noch mögliche steuerfreie Umwandlung stiller in offene Reserven soll-
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ten dagegen nicht ausreichen. Sie dienen mehr der Pflege des Börsenkurses als eigenen wirtschaftlichen Belangen der Gesellschaft selbst und sind auch kaum so gewichtig, daß sie die Bestandskraft des festgestellten Jahresabschlusses beseitigen können. 5. Bei Beseitigung anfechtbarer oder nichtiger, durch Zeitablauf gemäß § 256 Abs. 6 aber geheilter Jahresabschlüsse wird man darauf abstellen müssen, ob nicht das durchaus beachtenswerte und ernstzunehmende Interesse der Gesellschaft an einer durchgehend zulässigen Bilanzierung audi durch Aufnahme entsprechender Korrekturen bei der nächsten zur Verabschiedung anstehenden Bilanz weitgehend gewahrt werden kann. Das wird in der Regel der Fall sein. 6. Schließlich kann für den Zeitraum zwischen der Einberufung der ordentlichen Hauptversammlung und ihrer Durchführung eine Abänderung des von der Verwaltung bereits festgestellten Jahresabschlusses audi dann in Frage kommen, wenn in dieser Zeit wesentliche Änderungen des Ertrags des abgelaufenen Jahres ersichtlich werden; ζ. B. realisiert sich durch einen Gewährleistungsfall oder durch den Konkurs eines Großschuldners ein in der letzten Bilanz enthaltenes, aber bei ihrer Feststellung noch nicht hinreichend erkanntes Risiko, das den ausgewiesenen Bilanzgewinn mehr oder minder aufzehrt und eine Dividendenausschüttung zu Lasten des Eigenkapitals gehen läßt 59 . Hier muß dann die einberufene Hauptversammlung abgesetzt, ein neuer Jahresabschluß festgestellt und alsdann erneut die Hauptversammlung einberufen werden. Aus gewichtigen Gründen, die beachtliche Interessen der Gesellschaft selbst betreffen, ist demnach trotz der Bestandskraft, die einem festgestellten Jahresabschluß innewohnt, seine Abänderung durdiaus zulässig
IV. Die Zuständigkeit zur Abänderung des festgestellten Jahresabschlusses muß den Organen zustehen, die den ursprünglichen Jahresabschluß festgestellt haben60. Das ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des actus contrarius. Die Hauptversammlung kann von sich aus den vom Vorstand mit Billigung des Aufsichtsrats festgestellten Jahresab6® Nach Ausschüttung des Bilanzgewinns ist jedenfalls im Rahmen des ausgeschütteten Betrags eine Abänderung des festgestellten Jahresabschlusses aus den zu 1 . 2 im Text angeführten Gründen nicht mehr möglich.
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sdiluß nicht abändern, zumal dann ja bei Ausübung von Bewertungswahlrechten praktisch jeder festgestellte Jahresabschluß der Abänderungskontrolle durch die Hauptversammlung unterläge und das Recht von Vorstand und Aufsichtsrat zur Feststellung des Jahresabschlusses entscheidend beeinträchtigt werden könnte. Ebenso dürfen aber audi Vorstand und Aufsichtsrat den von der Hauptversammlung festgestellten Jahresabschluß nicht aus eigener Entscheidung heraus ändern. Es wäre sogar zu fragen, ob man nicht für die Abänderung eines festgestellten Jahresabschlusses die übereinstimmende Mitwirkung aller drei Organe, nämlich von Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung, verlangen sollte. Eine derartige Zuständigkeitsregelung hätte, da die Hauptversammlung wohl kaum jemals aus eigener Initiative den von ihr festgestellten Jahresabschluß ändern wird, sondern auf entsprechende Vorschläge von Vorstand und Aufsichtsrat angewiesen ist, zur Folge, daß die Verwaltung den von ihr festgestellten Jahresabschluß nicht ohne Mitwirkung der Hauptversammlung abändern könnte. Vom gesetzgeberischen Standpunkt hätte eine derartige Regelung einiges für sich. Nachdem das Aktiengesetz aber bei einer Nichtigkeit des festgestellten Jahresabschlusses eine derartige Zuständigkeitsänderung nicht vorsieht und auch sonst aus dem geltenden Aktienrecht keine Anhaltspunkte für sie zu entnehmen sind, wird man die Zuständigkeit für die Abänderung des festgestellten Jahresabschlusses bei den Organenen belassen müssen, die die ursprüngliche Bilanz festgestellt haben. Aber vielleicht sollte es eine Verwaltung gerade aus dem von Schilling61 angeschnittenen Gesichtspunkt des Zusammenhangs zwischen dem von der Verwaltung einerseits festgestellten Jahresabschluß und der von der Hauptversammlung andererseits zu beschließenden Gewinnverwendung als nobile officium betrachten, die Feststellung einer Abänderungsbilanz der Hauptversammlung gemäß § 173 Abs. 1 zu überlassen62. Auch abgesehen von der Zuständigkeit unterliegt der abgeänderte Jahresabschluß den gleichen Regeln wie der ursprüngliche. Er ist also gemäß § 162 durch den Abschlußprüfer zu prüfen. Berufen ist der Abschlußprüfer, der für das Geschäftsjahr berufen war, dessen Absdiluß geändert werden soll. Ist er zwischenzeitlich fortgefallen, so ist ein neuer Abschlußprüfer durch das Gericht gemäß § 163 Abs. 3 zu bestellen. Zu dem geänderten Jahresabschluß hat der Vorstand einen Geschäftsbericht gemäß § 148 zu erstellen. Er braucht den Geschäftsbericht zum ursprünglichen Jahresabschluß, soweit er nach wie Adler-Düring-SAmaltz § 172, Rdn. 72. " JZ 57, 312. «2 Vgl. auch Adler-Diiring-Sdjmaltz § 172, Rdn. 30.
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vor Geltung behält, nicht zu wiederholen, sondern nur zu ergänzen, indem er die abgeänderten Positionen erläutert und die Abänderung begründet. Der abgeänderte Jahresabschluß nebst dem Ergänzungsbericht des Vorstands und dem Bericht des Abschlußprüfers — auch dieser braucht nur die Abänderungen zu prüfen und zu erläutern — sind dem Aufsichtsrat gemäß § 170 vorzulegen, der die Unterlagen zu prüfen und seinerseits ebenfalls einen ergänzenden Bericht zu erstellen hat. Alsdann sind die gesamten Unterlagen der Hauptversammlung gemäß § 175 vorzulegen. Eine Bindung an die Achtmonatsfrist des § 175 Abs. 1 Satz 2 entfällt, sofern die ursprünglichen Vorlagen die Hauptversammlung schon durchlaufen haben. Eine außerordentliche Hauptversammlung braucht, wenn keine besonderen Gründe vorliegen, nicht einberufen zu werden. Die abgeänderten Unterlagen können vielmehr der nächsten ordentlichen oder außerordentlichen Hauptversammlung vorgelegt werden. Erfolgt die Abänderung des festgestellten Jahresabschlusses aber zwischen Einberufung und Abhaltung der Hauptversammlung — sie erfordert dann eine Absetzung der bereits einberufenen und die Einberufung einer neuen Hauptversammlung —, so gilt grundsätzlich die Achtmonatsfrist. Vor Einberufung der Hauptversammlung müssen sich Vorstand und Aufsichtsrat darüber einig werden, ob sie die Feststellung des abgeänderten Beschlusses, auch wenn sie den ursprünglichen Jahresabschluß festgestellt haben, der Hauptversammlung überlassen wollen, wozu sie, wie dargelegt, zwar nicht verpflichtet sind, was ihnen aber zu empfehlen ist. Materiell gilt auch für den abgeänderten Jahresabsdiluß die Vorschrift des § 58 uneingeschränkt. Jedoch kann von den in dieser Bestimmung zugelassenen Ermessensentscheidungen insoweit kein Gebrauch gemacht werden, als dadurch der bereits verteilte Bilanzgewinn geschmälert würde. Ein derartiges Verhalten würde einen Verstoß gegen § 58 Abs. 5 bedeuten und unzulässig sein. Wird durdi die Abänderung des Jahresabschlusses der ursprüngliche Bilanzgewinn sei es nach oben sei es nach unten 63 geändert, so wird man in analoger Anwendung des § 253 auch einen neuen Gewinnverwendungsbesdiluß der Hauptversammlung für erforderlich halten müssen. Dabei kann die Hauptversammlung, sofern sie nur den ausgeschütteten Bilanzgewinn nicht ändert, von den ihr im Rahmen des § 58 zur Verfügung stehenden Möglichkeiten vollen und auch anderen Gebrauch machen als bei dem ursprünglichen Gewinnverwendungsbeschluß.
" Diese letztere Änderung findet in dem ausgesdiütteten Gewinn ihre Grenzen.
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Nach Verabschiedung durch die Hauptversammlung ist der abgeänderte Jahresabschluß gemäß § 177 zum Handelsregister einzureichen und gemäß § 178 bekanntzumachen, wobei selbstverständlich darauf hinzuweisen ist, daß es sich um einen abgeänderten Jahresabschluß handelt. Von der Bekanntmachung ab laufen die Fristen des § 256 Abs. 5 zur Geltendmachung der Nichtigkeit neu.
Die Behandlung eigener Aktien bei der Verschmelzung Ernst
GESSLER
Gesetzesänderungen und auch bloße gesetzliche „Klarstellungen" werden oft in ihrer Bedeutung und ihren Auswirkungen nicht zutreffend beurteilt. Es wird ihnen eine Bedeutung beigelegt, die sie nadi dem Willen des Gesetzgebers nicht haben sollten. Das führt wiederum dazu, daß ihnen Wirkungen beigemessen werden, die über das hinausgehen, was mit ihnen beabsichtigt war. Ein klassisches Beispiel hierfür ist § 71 Abs. 1 Nr. 5 AktG. Nach ihm fällt der Erwerb eigener Aktien durch Gesamtrechtsnachfolge nicht unter das sonst für eigene Aktien bestehende Erwerbsverbot. Die Begründung zum Regierungsentwurf 1 besagt dazu: „Im geltenden Recht ist umstritten, ob ein Erwerb eigener Aktien im Wege der Gesamtrechtsnachfolge den Beschränkungen des § 65 AktG 1937 unterliegt. Der Entwurf entscheidet diese Streitfrage verneinend. Eine Gesamtrechtsnadifolge soll nicht deswegen unzulässig sein, weil sie den Erwerb eigener Aktien mit sich bringt." Die Bedeutung der gesetzlichen Änderung dürfte damit hinreichend dargetan sein. Dennoch hat die neue Vorschrift nicht die beabsichtigte Klärung erreicht. Im Gegenteil, sie hat Unsicherheit hervorgerufen. In der Praxis hat sie zu der irrtümlichen Annahme verleitet, nunmehr könnte bei einer Verschmelzung die übernehmende Gesellschaft nicht nur ihre im Besitz der übertragenden Gesellschaft befindlichen eigenen Aktien erwerben, sondern sie auch behalten und sich die zur Durchführung der Verschmelzung benötigten Aktien in vollem Umfang ohne Abzug der erworbenen eigenen Aktien im Wege der Kapitalerhöhung nach § 343 AktG beschaffen. Auch das rechtswissenschaftliche Schrifttum ist, wie man heute zu sagen pflegt, „verunsichert". Beispielhaft dafür sind die Ausführungen von Barz 2 . Er legt die Vorschrift im gleichen Sinne aus, schließt dann jedoch seine Erläuterungen mit dem Satz: „Ob damit allerdings nicht der Wortlaut des Gesetzes weit über eine der Sache angemessene Regelung hinaus interpretiert wird, bleibt dahingestellt." Auch wenn man in den anderen Erläuterungswerken blättert, gewinnt man keine größere Klarheit. Zwar wird dezidiert die entgegengesetzte Auffas1 1
Vgl. Kropff AktG § 71 S. 91. Großkom. 3. Aufl. AktG § 71 Anm. 23.
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sung vertreten. Aber v. Godin-Wilhelmi 3 erklären nur lapidar: „Aber darauf (auf die Zulässigkeit des Erwerbs der Aktien im Wege der Gesamtrechtsnachfolge) kann es nicht ankommen." Baumbach-Hueck4 führen aus: „Zwar gestattet § 71 Nr. 5 den Erwerb eigener Aktien durch Gesamtrechtsnachfolge; das gilt aber im Falle der Verschmelzung nur für zur Abfindung nicht benötigte Aktien." Ein Satz, der sicherlich nicht zutrifft und das Gemeinte kaum erkennen läßt 5 . Die Bedeutung der Gesetzesänderung sowie der Grund, weshalb die zulässigerweise erworbenen eigenen Aktien in Höhe ihres Wertes eine Kapitalerhöhung zur Durchführung der Versdimelzung ausschließen, werden nur bei Lutter 6 und bei Kraft 7 angedeutet. Unser Jubilar wird sich als Kommentator des Aktiengesetzes mit der Problematik bei der Kommentierung der Verschmelzungsvorschriften, die bereits in der 2. Auflage des Großkommentars in seinen Händen lag, befassen müssen. Möge dieser Aufsatz aus der Sidit eines am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten ihm dazu einen Beitrag leisten. I. Die Unzulässigkeit des Erwerbs eigener Aktien hatte, solange das Aktienrecht nodi im ADHGB und HGB geregelt war, eine wechselhafte Geschichte. Vom absoluten Verbot in Art. 215 Abs. 3 ADHGB a. F. wurde sie über Art. 215 d ADHGB in der Fassung der Aktienreditsnovelle von 1884 bis zu § 226 HGB a. F. so gelockert, daß sie in den Jahren vor der Aktienrechtsnovelle von 1931 kaum noch ernsthafte Bedeutung hatte 8 . Bis dahin spielte auch die Frage, ob sich die Einschränkungen des Erwerbs eigener Aktien auch auf einen Erwerb im Wege der Gesamtrechtsnachfolge bezogen, soweit ersichtlich, keine Rolle. Der Erwerb im Wege der Gesamtrechtsnachfolge vollzog sich außerhalb des regelmäßigen Geschäftsbetriebs und wurde deshalb nicht von dem sich nur auf den regelmäßigen Geschäftsbetrieb erstreckenden Erwerbsverbot erfaßt. Das änderte sich, als § 226 HGB in der Fassung des Art. I der VO vom 19. 9. 1931 — der Aktienrechtsnovelle von 1931 — den Erwerb eigener Aktien grundsätzlich verbot und er nur noch in den ausdrücklich aufgeführten Ausnahmefällen zulässig war. Deshalb stellte sich 3
AktG 4. Aufl. § 344 Anm. 4. (Bei dem Hinweis auf Anm. 20 zu § 71 dürfte es sich um § 71 Anm. 10 handeln. Dort findet sidi aber auch keine weitere Begründung.) 4 AktG 13. Aufl. § 344 Anm. 3. s Vgl. unten Anm. 35. « Köln Kom. AktG § 71 Anm. 40. 7 Köln Kom. § 344 Anm. 6. 8 Vgl. darüber Brodmann Zbl. HR 1932, 49.
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die Frage, ob nunmehr der Erwerb im Wege der Verschmelzung verboten sei. Bei Bejahung dieser Frage erhoben sich die weiteren, ob damit, wenn die übertragende Gesellschaft Aktien der übernehmenden Gesellschaft besaß, die Verschmelzung überhaupt nicht mehr möglich war oder wie sie trotzdem durchgeführt werden konnte. Schlegelberger-Quassowski-Schmölder9 vertraten damals entgegen dem übrigen Schrifttum den Standpunkt, daß § 226 HGB n. F. sich nur auf den Erwerb „mittels Einzelübertragung", nicht auch auf den durch Gesamtreditsnachfolge beziehe. Damit hinderte der Erwerb eigener Aktien im Wege der Verschmelzung nach ihrer Auffassung nicht die Verschmelzung. Das Problem, wie die so erworbenen eigenen Aktien im Zuge der Verschmelzung zu behandeln seien, ob sie „behalten" werden konnten oder zur Durchführung der Verschmelzung verwandt werden mußten, wurde damals noch nicht aufgeworfen. Das AktG 1937 änderte in dem hier maßgebenden Punkt das Verbot des Erwerbs eigener Aktien nicht10. Die Streitfrage blieb offen. Ein Teil des Schrifttums schloß sich der schon bisher von Schlegelberger-Quassowski-Schmölder vertretenen Auffassung an 11 , ein anderer Teil12 verneinte die Zulässigkeit des Erwerbs. Nachdem Weipert 13 zunächst der Ansicht von Schlegelberger-Quassowski14 gefolgt war, lehnte Fischer15 sie ab. Damit hätte eine Verschmelzung unterbleiben müssen, wenn die übertragende Gesellschaft Aktien der übernehmenden Gesellschaft besaß. Um dies zu „vermeiden", schlugen v. Godin-Wilhelmi1® entweder den Verkauf der Aktien vor der Fusion oder „ihre Mitverwendung zur Ausreichung ihrer Aktien an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft unter entsprechender Minderung der Kapitalerhöhung" vor 17 . Denn sonst würde ein nach § 65 unzulässiger abgeleiteter Erwerb eigener Aktien vorliegen 18 .
• VO über Aktienrecht § 226 Anm. 7. 10 Vgl. § 65 AktG 1937 gegenüber § 226 HGB n. F. 11 Vgl. Baumbach-Hueck AktG 12. Aufl. § 65 Anm. 2, Trumpler, Die Bilanz der AG 2. Aufl. S. 334. 12 v. Godin-Wilhelmi AktG l.Aufl. §65 Anm. 17, Ritter AktG 1937 §65 Anm. 6 c. 1S Großkom. AktG 1. Aufl. § 65 Anm. 5. 14 AktG 1937 § 65 Anm. 4. 15 Großkom. AktG 2. Aufl. § 65 Anm. 6. 18 AktG 1. Aufl. § 238 Anm. 4. 17 Vgl. audi in demselben Kommentar § 65 Anm. 17. 18 Ähnlich Ritter AktG § 238 Anm. 4, der bemerkt: „Man wird die Verschmelzung aber zulassen dürfen, wenn die Aktien der Obernehmerin den übrigen Aktionären .gewährt' werden."
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In Übereinstimmung mit v. Godin-Wilhelmi hielten BaumbachHueds 19 trotz ihrer gegenteiligen Auffassung zu § 6520, unser Jubilar 21 und auch Böttcher-Meilicke22 eine Kapitalerhöhung der übernehmenden Gesellschaft zur Durchführung der Verschmelzung nach § 238 insoweit für unzulässig. Demgegenüber vertraten Schlegelberger-Quassowski23 den Standpunkt, daß es der übernehmenden Gesellschaft freistehe, ihre im Besitz der übertragenden Gesellschaft befindlichen Aktien zur Verschmelzung zu verwenden oder ihr Kapital zu erhöhen. Sie erkannten zwar „die Besonderheit dieses Falles, daß die Gegenleistung der übernehmenden Gesellschaft nicht auf ihrem Vermögen, sondern mit Bestandteilen des übernommenen Vermögens geleistet wird", meinten aber, daß „der Weg trotzdem gangbar sein dürfte, wenn die Aktionäre und die Gläubiger der übertragenden Gesellschaft dadurch nicht geschädigt werden können" 24 , was sie verneinten. Bei dieser Sadi- und Rechtslage erschien es geboten, im AktG 1965 die Zulässigkeit des Erwerbs eigener Aktien im Wege der Verschmelzung allgemein im Wege der Gesamtrechtsnachfolge ausdrücklich klarzustellen. Angesichts der berechtigten Einwendungen von Fischer25 gegen die durch den Wortlaut des § 65 AktG 1937 nicht gestützte Ansicht von Schlegelberger-Quassowski konnte nicht damit gerechnet werden, daß deren Ansicht sich durchsetzen würde, ganz abgesehen davon, daß deren Konsequenzen nicht zutrafen. Eine ausdrückliche Vorschrift, die den Erwerb eigener Aktien im Wege der Gesamtrechtsnachfolge zuließ, beseitigte zugleich die Zweifel darüber, ob ihr Vorhandensein die Verschmelzung überhaupt verhindert. Diese Konsequenz hätte nämlich eigentlich aus der Unzulässigkeit ihres Erwerbs gezogen werden müssen. Ihr konnte zwar durch die von v. Godin-Wilhelmi 26 empfohlene Veräußerung der Aktien, nicht aber durch deren Verwendung als Gegenleistung für die Übertragung des Vermögens, wie allgemein angenommen wurde 27 , begegnet werden. Die „Gewährung" dieser Aktien als Gegenleistung der übernehmenden Gesellschaft an die übertragende Gesellschaft setzt vor" AktG 12. Aufl. § 238 Anm. 1. Vgl. oben Anm. 11. 21 Großkom. AktG 2. Aufl. § 238 Anm. 4 und 6. 22 Umwandlung und Verschmelzung von Kapitalgesellschaften 5. Aufl. § 238 Anm. 11, anders nodi die 4. Aufl. § 238 Anm. 1 und 3. 25 AktG 1937 § 238 Anm. 13. " AktG § 238 Anm. 7. 25 Großkom. 2. Aufl. § 65 Anm. 6. 2 « Vgl. Anm. 16. 27 Vgl. Anm. 17—23. 20
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aus, daß sie Eigentum der übernehmenden Gesellschaft sind, d. h. von ihr erworben werden konnten. Auch der Gedanke, daß es sidi, wenn die Aktien als Gegenleistung verwendet werden, nur um einen „Durchgangserwerb" 28 handeln würde, kann nichts daran ändern, daß zunächst einmal ein Erwerb vorliegt. War der Erwerb unzulässig, mußte daran die Verschmelzung scheitern. Denn sie ist eine Veräußerung des Vermögens der übertragenden Gesellschaft als Ganzes unter Ausschluß der Abwicklung (§ 339). Konnten die Aktien nicht mitübertragen werden, mußte ihretwegen eine Abwicklung stattfinden 29 . Der Einwand von Ritter 30 , daß „unübergehbare Vermögensstücke immer ausgeschlossen gewesen seien", hinkte. Höchstpersönliche Rechte, die nicht übertragen werden können, gehen unter. Damit hindern sie nicht die Gesamtrechtsnachfolge und den liquidationslosen Untergang der übertragenden Gesellschaft. Eigene Aktien, die nur von der Gesellschaft, die sie ausgegeben hat, nicht erworben werden können, sind nicht solche höchstpersönlichen Rechte und wären deshalb bei Ausschluß von der Gesamtrechtsnachfolge nicht untergegangen. Auch die Erwägung, daß nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts zu § 303 HGB einzelne Gegenstände von untergeordneter Bedeutung vom Vermögensübergang ausgeschlossen werden konnten 31 , rettete nicht vor der Schlußfolgerung, daß bei Unzulässigkeit des Erwerbs eigener Aktien die Verschmelzung als solche gefährdet war. Einmal hätte dann der Besitz an eigenen Aktien äußerst gering sein müssen und gegenüber dem übergehenden Vermögen nicht ins Gewicht fallen dürfen. Vor allem aber galt und gilt diese Rechtsprechung nicht mehr für die Verschmelzung nach den AktG von 1937 und 196532. Um der Annahme zu begegnen, daß die Verschmelzung überhaupt unzulässig sei, wenn sie einen Erwerb eigener Aktien in sich schließt, ist die Vorschrift über den Erwerb eigener Aktien im AktG 1965 gegenüber § 65 AktG 1937 durch Einfügung der Nr. 5 in § 71 AktG 1965 geändert worden. „Eine Gesamtrechtsnachfolge soll nicht des-
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Lutter, Köln Kom. § 7 1 Anm. 40; vgl. dazu Schlegelberger-Quassowski §65 Anm. 4, dritter Absatz. 29 Vgl. Schlegelberger-Quassowski § 65 Anm. 4. 80 AktG 1937 § 65 Anm. 6 c. « Vgl. RGZ 124, 294, HRR 1928 Nr. 1287. 3! Vgl. Kraft, Köln Kom. § 339 Anm. 36, v. Godin-Wilhelmi § 339 Anm. 6 sowie bereits für das AktG 1937 SAilling Großkom. 2. Aufl. § 233 Anm. 9.
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wegen unzulässig sein, weil sie den Erwerb eigener Aktien mit sich bringt 33 ." Allein das ist die Bedeutung und der Zweck der Gesetzesänderung. Deshalb ist die Vorschrift auch uneingeschränkt gefaßt und der Erwerb der Aktien im Wege der Gesamtrechtsnadifolge nicht an irgendwelche weiteren Voraussetzungen und Bedingungen geknüpft. Angesichts des Wortlauts und des keine Einschränkungen vertragenden Zweckes ist es nicht möglich, wegen vermeintlicher Konsequenzen, die sich aus dem zugelassenen Erwerb ergeben, den Erwerb dennoch zu begrenzen oder ihn Bedingungen über die Verwendung der Aktien zu unterwerfen. Der „Wortlaut (des § 71 Abs. 1 N r . 5) wird nicht weit über eine der Sache angemessene Regelung hinaus interpretiert 34 ", wenn ihm keine Höchstgrenze für den Erwerb durch Gesamtrechtsnachfolge und keine Verpflichtung der Gesellschaft, den Erwerb so gering wie möglich zu halten, entnommen wird. Es ist auch nicht zutreffend, ja sogar widersprüchlich, wenn Baumbach-Hueck 35 meinen, daß „§ 71 Abs. 1 Nr. 5 im Falle der Verschmelzung nur für zur Abfindung nicht benötigte Aktien gilt". Nicht nur zur Abfindung nicht benötigte Aktien, sondern gerade auch die zur Abfindung benötigten Aktien müssen erworben werden können. Sonst können sie nicht als Gegenleistung gewährt werden. Vor allem aber hat die Frage, ob beim Erwerb eigener Aktien im Wege der Verschmelzung eine Kapitalerhöhung nach § 344 zur Durchführung der Verschmelzung zu unterbleiben oder entsprechend zu verringern ist, weil die Aktien als Gegenleistung mitzuverwenden sind36, nichts mit dem durch § 71 Abs. 1 Nr. 5 erlaubten Erwerb zu tun. Richtig ist allein, daß § 71 Abs. 1 Nr. 5 nicht eine Kapitalerhöhung nach § 344 „rechtfertigt 37 ". Weder das eine noch das andere läßt sich aus dem Wortlaut oder dem Sinn und Zweck des § 71 Abs. 1 Nr. 5 entnehmen. Die Vorschrift verhält sich über beide Fragen nicht.
II. Wie die bei einer Verschmelzung nach § 71 Abs. 1 Nr. 5 AktG zulässigerweise erworbenen eigenen Aktien, insbesondere nach ihrem Übergang auf die übernehmende Gesellschaft zu behandeln sind, ob 33
Begr. Reg. Ε Kropff § 71 S. 91. So die Bemerkung von Barz in Großkom. § 71 Anm. 23. " § 344 Anm. 3. 36 So v. Godin-Wilbelmi § 344 Anm. 4. 37 Vgl. Baumbach-Hueck § 344 Anm. 3, Kraft Köln Kom. § 344 Anm. 6, a. M. anscheinend Barz in Großkom. § 71 Anm. 23. 34
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sie das Ausmaß der Kapitalerhöhung nach § 344 verringern, ob sie als Gegenleistung der übernehmenden Gesellschaft an die übertragende Gesellschaft bzw. ihre Aktionäre zu verwenden sind, ergibt sich nidit aus § 71 Abs. 1 Nr. 5. Dafür sind allein die Rechtsvorschriften maßgebend, die für den einzelnen Rechtsvorgang gelten. Soweit sich das Schrifttum mit der Behandlung eigener Aktien im Zuge der Verschmelzung näher befaßt, insbesondere mit der Auswirkung ihres Vorhandenseins auf eine Kapitalerhöhung zur Durchführung der Verschmelzung, geschieht dies kommentarmäßig kurz 38 oder mit einer Begründung, die den zuvor angegebenen richtigen Grund nicht stützt 39 . Da die Praxis sich auf Schlegelberger-Quassowski40 sowie auf die Beseitigung des Erwerbsverbots beruft, sei dieser Fragenkomplex hier ausführlicher dargestellt. Die Verschmelzung stellt nach § 339 Abs. 1 Nr. 1 AktG die Vereinigung von Aktiengesellschaften durch Übertragung des Vermögens der übertragenden Gesellschaft als Ganzes auf die übernehmende Gesellschaft gegen Gewährung von Aktien dieser Gesellschaft dar. Zur Durchführung der Verschmelzung bedarf es der Ermittlung des wirklichen Wertes der Vermögen der beiden Gesellschaften, des daraus sich ergebenden Wertes ihrer Aktien und auf der Basis dieser Werte der Festsetzung des Umtauschverhältnisses41, d. h. es muß bestimmt werden, in welchem Umfang die umtauschberechtigten Aktionäre der übertragenden Gesellschaft auf ihre Aktien Aktien der übernehmenden Gesellschaft als Gegenleistung erhalten. Bei der Festsetzung dieses Umtauschverhältnisses, genauer bei der Ermittlung des Wertes des Vermögens der übertragenden Gesellschaft sind die in ihrem Besitz befindlichen Aktien der übernehmenden Gesellschaft mit ihrem vollen Wert, der sich aus ihrem Verhältnis zum inneren Wert des Vermögens der übernehmenden Gesellschaft ergibt, zu berücksichtigen42. Beträgt der innere Wert der Aktien der übernehmenden Gesellschaft 200 und besteht das Vermögen der übertragenden Gesellschaft bei einem Grundkapital von 100 000 DM aus 100 000 DM Geld und Aktien der übernehmenden Gesellschaft im Nennbetrag von 50000 DM = 100000 DM inneren Wert, stellt sich 38
Vgl. Lutter Köln Kom. § 71 Anm. 40, Kraft Köln Kom. § 344 Anm. 6. *· Vgl. Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rediten der EWG S. 247. Richtig, daß die eigenen Aktien als Sacheinlage ungeeignet sind. Es folgt dies aber nicht aus § 65 (jetzt § 71) AktG. 40 § 238 Anm. 7 und 13. 41 Vgl. statt aller Kraft Köln Kom. § 341 Anm. 10. 42 Vgl. Schlegelberger-Quassowski § 238 Anm. 7.
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das Umtauschverhältnis auf 1 : 1 . Die übernehmende Gesellschaft muß daher bei entsprechender vertraglicher Festsetzung des Umtauschverhältnisses den Aktionären der übertragenden Gesellschaft als Gegenleistung für die Vermögensübertragung Aktien im Gesamtnennbetrag von 100 000 DM und einem inneren Wert von 200 000 DM gewähren. Völlig unabhängig von diesem Umtausdiverhältnis und seiner Ermittlung stellt sich die Frage, in welchem Umfang die übernehmende Gesellschaft, um sich diese Aktien zu verschaffen, zur Durchführung der Verschmelzung ihr Kapital nach § 343 erhöhen kann. Dabei kann und ist der Umstand, daß die übernehmende Gesellschaft durch die Verschmelzung in den Besitz von eigenen Aktien im Nennbetrag von 50 000 DM gelangt und sie zur Abfindung der Aktionäre der übertragenden Gesellschaft mitverwenden könnte, außer Betracht zu lassen. Es soll und muß ja ermittelt werden, in welcher Höhe die übernehmende Gesellschaft ihr Kapital nach § 343 erhöhen kann. Aus § 343 ist nur soviel zu entnehmen, daß er die Erleichterungen, die er für eine Kapitalerhöhung zur Durchführung der Verschmelzung vorsieht, nur „zur Durchführung der Verschmelzung" einräumt. Darüber, ob eigene Aktien, die die übernehmende Gesellschaft bereits vor der Verschmelzung besaß oder durch die Verschmelzung erlangt, zur Durchführung der Verschmelzung zu verwenden sind, besagt er nichts. Es sei denn, man liest in ihn oder in § 344 den Grundsatz hinein, daß eine Kapitalerhöhung nach § 343 nur zulässig ist, soweit sie zur Durchführung der Verschmelzung notwendig ist, d. h. soweit die übernehmende Gesellschaft sich die als Gegenleistung erforderlichen Aktien nur im Wege der Kapitalerhöhung beschaffen kann, nicht aber, wenn sie sie sonst zur Verfügung hat. Ob dies möglich ist, soll hier zunächst dahingestellt bleiben. Es wird darauf in anderem Zusammenhang zurückgekommen. Läßt man diese Möglichkeit der Auslegung von §§ 343, 344 außer Betracht, so stellt sich die Rechtslage folgendermaßen dar: Bei der Verschmelzung wird das Vermögen der übertragenden Gesellschaft gegen Gewährung von Aktien der übernehmenden Gesellschaft übertragen. Müssen die als Gegenleistung zu gewährenden Aktien im Wege der Kapitalerhöhung geschaffen werden, liegt eine Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage vor 43 . Damit stellt sich die Frage, ob die übertragende Gesellschaft die in ihrem Eigentum befindlichen Aktien der übernehmenden Gesellschaft 43 Vgl. § 343 Abs. 1, nach dem bei der Kapitalerhöhung zur Durchführung derj Verschmelzung § 183 (Kapitalerhöhung mit Sacheinlagen) zu beachten ist, sowie statt aller Schilling Großkom. 2. Aufl. § 235 Anm. 3, § 233 Anm. 16.
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bei der Verschmelzung als Sacheinlage einbringen kann. Diese Frage hat nichts mit der zu tun, ob der Erwerb der Aktien durch die übernehmende Gesellschaft zulässig ist. Aus der Erwerbsmöglichkeit folgt nicht ihre Fähigkeit, als Sacheinlage eingebracht zu werden. Dafür gelten ausschließlich die Rechtsgrundsätze über die Einlagefähigkeit von Gegenständen. Können die eigenen Aktien nicht als Sacheinlage eingebracht werden, können sie nicht die Grundlage der Kapitalerhöhung bilden. Bei der Ermittlung des Wertes des als Sadieinlage zu übernehmenden Vermögens, nach dem sich der Umfang der möglichen Kapitalerhöhung bestimmt, müssen sie dann im Gegensatz zur Festsetzung des Umtauschverhältnisses unberücksichtigt bleiben44. Zur Begründung braucht nicht näher auf die stark umstrittene Frage 45 eingegangen zu werden, welche Vermögensgegenstände als Sacheinlage geeignet sind, ob die Gegenstände bilanzfähig, aus dem Vermögen lösbar, vollstreckungsfähig sein müssen oder „in den Händen der Gesellschaft die Funktion eines Betriebskapitals erfüllen oder die Garantie der Gläubiger gewährleisten können 46 ". Sie sind — jedenfalls nadi herrschender Lehre 47 — bilanzfähig, in sie kann vollstreckt werden, sie können veräußert werden und stellen damit Betriebskapital dar. Als Gläubigergarantie sind sie je nach der Lage der Gesellschaft nicht besser oder schlechter als bestimmte Gegenstände des Anlagevermögens, die auch bei Gefährdung der Gesellschaft jeden praktischen Wert verlieren. Entscheidend dafür, daß die eigenen Aktien nicht als Sadieinlage geeignet sind, ist, daß neue Aktien der Gesellschaft nicht durch eigene alte Aktien der Gesellschaft gedeckt werden können. Der Gesellschaft werden durch sie — abgesehen von dem Wert der Aktien selbst — keine neuen Vermögenswerte zugeführt. Es kann auch nicht — wie geschehen — eingewandt werden, die alten Aktien würden nur gegen neue „umgetauscht". Einmal werden die neuen Aktien gegen die Aktien der übertragenden Gesellschaft umgetauscht, nicht gegen die im Vermögen der übertragenden Gesellschaft befindlichen Aktien. Außerdem ist auch dies kein „Umtausch". Denn die Aktien der übertragenden Gesellschaft gehen unter. Bei dem angeblichen „Umtausch" der im Eigentum der übertragenden Gesellschaft befindlichen „alten" Aktien der übernehmenden Gesellschaft gegen neue der übernehmenden Gesellschaft bleiben jene aber neben 44 Vgl. Lutter Köln Kom. § 71 Anm. 41 „nicht als Aktiva im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung gewertet werden". 45 Vgl. dazu statt aller Βατζ, Großkom. 3. Aufl. § 27 Anm. 6. 4 · Lutter, Kapital S. 250. 47 Adler-Düring-Scbmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der AG Bd. I § 155 Tz 228, Mellerowicz Großkom. § 155 Anm. 68.
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diesen bestehen. Deshalb müssen die neuen Aktien durch andere Sadieinlagen als die alten Aktien gedeckt werden. Die alten Aktien scheiden daher als Sacheinlage bei der Kapitalerhöhung der übernehmenden Gesellschaft aus. Sie müssen „bei der Berechnung des Einlage-wertes" des übernommenen Vermögens „außer Betracht bleiben" 48 . Die darauf beruhende Minderung des übernommenen Vermögens mindert auch den Umfang der möglichen Kapitalerhöhung. Sie kann und darf den Einlagewert der Sacheinlage nicht übersteigen. Im obigen Beispiel kann daher die übernehmende Gesellschaft ihr Kapital nur um Aktien im Gesamtnennbetrag von 50 000 DM und einem inneren Wert von 100 000 DM, bei dem es sich zugleich um den Ausgabebetrag der Aktien handelt, erhöhen. Sie erhält dafür im Rahmen der Kapitalerhöhung als Sacheinlage das Barvermögen der übertragenden Gesellschaft in Höhe von 100 000 DM. Die übertragende Gesellschaft kann jedoch für diese im Wege der Kapitalerhöhung neu zu schaffenden Aktien im Werte von nur 100 000 DM ihr Vermögen in Höhe von 200 000 DM nicht übertragen. Sie muß gemäß dem Umtauschverhältnis 1 : 1 Aktien im Gesamtnennbetrag von 100 000 DM als Gegenleistung verlangen. Da die übernehmende Gesellschaft so viele Aktien im Wege der Kapitalerhöhung gegen das als Sacheinlage nur mit 100 000 DM zu bewertende Vermögen nicht beschaffen kann, muß sie, um die Verschmelzung durchführen zu können, die im Zuge der Verschmelzung in ihr Eigentum gelangenden eigenen Aktien zur Durchführung der Verschmelzung verwenden. Die Nichtbewertung der eigenen Aktien bei der Ermittlung des Wertes der Sacheinlage ist der alleinige Grund, weshalb einerseits die Kapitalerhöhung nicht in Höhe des für die Ermittlung des Umtauschverhältnisses maßgebenden Wertes des Vermögens der übertragenden Gesellschaft vorgenommen, andererseits die übernehmende Gesellschaft, wenn sie von der Verschmelzung nicht absehen will, die eigenen Aktien im Besitz der übertragenden Gesellschaft als Gegenleistung verwenden muß. Insofern ist es richtig, wenn Lutter 49 nur von einem „Durchgangserwerb" spricht. „Denn die übernehmende Gesellschaft ist gehalten, in erster Linie mit diesen Aktien die Umtauschverpflichtungen gegenüber den Aktionären der übertragenden Aktiengesellschaft zu erfüllen. Insoweit darf eine Kapitalerhöhung nicht stattfinden." Der eigentliche Rechtsgrund für diese absolut zutreffenden Feststellungen ist aber damit nur indirekt angesprochen. Zur Ver48 49
Vgl. Lutter, Kapital S. 246 für das französische Redit. Köln Kom. § 71 Anm. 40.
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meidung von Fehlschlüssen aus der nunmehrigen Erwerbs eigener Aktien und von MißVerständnissen tung von §§ 343, 344 sollte er ausdrücklich genannt in der mangelnden Einlagefähigkeit der eigenen Kapitalerhöhung.
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Zulässigkeit des über die Bedeuwerden. Er liegt Aktien bei der
III. Bei einer Versdimelzung können sich Aktien der übernehmenden Gesellschaft nicht nur im Eigentum der übertragenden Gesellschaft befinden. Die übernehmende Gesellschaft kann eigene Aktien sdion vor der Versdimelzung erworben haben. Ob zulässiger- oder unzulässigerweise, kann dahingestellt bleiben. Audi bei diesen eigenen Aktien stellt sich die Frage, welche Bedeutung ihr Vorhandensein auf die Durchführung der Versdimelzung hat. Müssen sie als Gegenleistung mitverwandt werden oder kann die übernehmende Gesellschaft sie behalten und in voller Höhe des Wertes des Vermögens der übertragenden Gesellschaft ihr Kapital zur Durchführung der Verschmelzung nach § 343 erhöhen? Die heute absolut herrschende Lehre50 gestattet die Kapitalerhöhung nach § 343. Zur Begründung wird nur ausgeführt, daß „aktienrechtliche Vorschriften, die die Verwendung der in ihrem Besitz befindlichen eigenen Aktien zur Durchführung der Verschmelzung zwingend vorschreiben, nicht bestehen51" bzw. daß „den §§ 237 und 238 kein Gebot zu entnehmen ist, den Besitz der beiden Gesellschaften an Aktien der übernehmenden Gesellschaft für den Umtausch zu verwenden und insoweit eine Kapitalerhöhung zu unterlassen 52 ". Richtig ist, daß sich aus § 344 nichts entnehmen läßt. § 344 Abs. 1 behandelt zwar den Tatbestand, daß die übernehmende Gesellschaft eigene Aktien besitzt. Er erklärt aber nur, daß insoweit die Verschmelzung auch ohne Kapitalerhöhung durchgeführt werden kann. Er nimmt nicht dazu Stellung, ob die Versdimelzung insoweit ohne Kapitalerhöhung durchgeführt werden maß. Deshalb ist sein Wortlaut aber nicht „mißverständlich" 53 . Nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift steht eindeutig fest, daß ihr Sinn und Zweck nur ist, gegenüber früher vertretenen anderen Auffassungen klarzustellen, daß eine Versdimelzung im Sinne von § 339 audi 50
Vgl. Baumbady-Hueck § 344 Anm. 3, v. Godin-Wilhelmi § 344 Anm. 2, Kraft Köln Kom. Anm. 4, für das AktG 1937 Schlegelberger-Quassowski §238 Anm. 11, Schilling Großkom. 2. Aufl. § 238 Anm. 3, 5, Ritter § 238 Anm. 1, Böttcher-Meilicke, Umwandlung § 238 Anm. 8. 51 Schlegelberger-Quassowski § 238 Anm. 11. 58 Schilling, Großkom. 2. Aufl. § 238 Anm. 5. 59 So Kraft Köln Kom. § 344 Anm. 2.
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dann vorliegt, wenn die Gegenleistung in Gestalt von Aktien auch ohne Kapitalerhöhung gewährt werden kann und wird. Ob bei Besitz eigener Aktien die Verschmelzung statt ohne Kapitalerhöhung auch in der Weise durchgeführt werden kann, daß das Kapital erhöht wird und die eigenen Aktien nicht zur Durchführung der Verschmelzung verwandt werden, ist, wenn überhaupt, aus § 343 zu entnehmen. Er befaßt sich mit der Kapitalerhöhung zur Durchführung der Verschmelzung. Zuzugeben ist, daß die Frage in § 343 Abs. 1 nicht ausdrücklich geregelt ist. Er geht davon aus, daß das Kapital zur Durchführung der Verschmelzung erhöht wird und befreit für diesen Fall von der Einhaltung von Vorschriften, die sonst für eine Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen gelten. Es ist aber allgemeine Meinung, daß, wenn die auf ein Rechtsinstitut sonst anzuwendenden Vorschriften zu einem bestimmten Zweck erleichtert werden, das gesamte Rechtsinstitut mit seinen Erleichterungen nur gilt, soweit es zu diesem Zweck verwandt wird, nicht dagegen auch für sonstige Fälle. „Die Erleichterungen, die § 237 für die Erhöhung des Grundkapitals gewährt, gelten nur, soweit die Kapitalerhöhung ,zur Durchführung der Verschmelzung' nötig ist." „Erhöht die übernehmende Gesellschaft über den erforderlichen Betrag hinaus ihr Grundkapital, so muß sie insoweit die allgemeinen Vorschriften über die Kapitalerhöhung einhalten 54 ." Anders ausgedrückt: Soweit eine Kapitalerhöhung zur Durchführung der Verschmelzung nicht nötig ist, hat sie zu unterbleiben. Jedenfalls stehen der übernehmenden Gesellschaft dann nicht die Erleichterungen nach § 343 zu. Denn sie sind nur zu dem angegebenen Zweck gewährt. Mit Recht hat deshalb Weipert 55 gefolgert, die übernehmende Gesellschaft habe die in ihrem Besitz befindlichen eigenen Aktien zur Durchführung der Verschmelzung zu verwenden und dürfe insoweit keine Kapitalerhöhung vornehmen. Auch das Reichsgericht5® hat in einem Fall, in dem, statt die eigenen Aktien zu verwenden, im Wege der Kapitalerhöhung neue geschaffen wurden, davon gesprochen, daß „das Stammkapital zu diesem Betrag in stärkerem Maße erhöht worden ist, als durch den Fusionszweck geboten war" und daß „dadurch, daß stattdessen solche im Nennwert von . . . geschaffen wurden, die bisherigen Aktien verwässert, d. h. sowohl auf vermögensrechtlichem Gebiet wie namentlich auch auf dem Gebiet des Stimmrechts beeinträchtigt worden sind". Nur, weil „durch eine übermäßige ErScblegelberger-Quassowskt § 237 Anm. 3. Großkom. 1. Aufl. § 238 Anm. 5. « R G Z 124, 279/305. 54
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höhung des Kapitals der übernehmenden Gesellschaft nur deren Aktionäre, nicht aber die Gesellschaft geschädigt werden können", hat es die Nichtigkeit der Kapitalerhöhung verneint und, weil die Anfechtungsfrist versäumt war, aus der durch den Fusionszweck nicht gebotenen Kapitalerhöhung keine Folgerungen gezogen. Der herrschenden Lehre kann daher nicht gefolgt werden. Die Kapitalerhöhung nach § 343 steht nur zu einem bestimmten Zweck und nur in dem Ausmaß, das dieser Zweck erfordert, zur Verfügung. Eine stärkere Erhöhung schädigt die Aktionäre durch Verwässerung ihrer Aktienrechte. Die Verwendung eines Rechtsinstituts, das zur Durchführung eines bestimmten Zweckes die Rechte Dritter, hier das Bezugsrecht der Aktionäre (§ 343 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit §186) ausschließt, in einem Fall, in dem dies zur Durchführung des Zweckes nicht nötig war, stellt eine Gesetzesverletzung dar. Sie macht den entsprechenden Beschluß anfechtbar (§ 243 Abs. 1). Die übernehmende Gesellschaft ist vielmehr verpflichtet, die in ihrem Eigentum befindlichen Aktien zur Durchführung der Verschmelzung zu verwenden und von einer Kapitalerhöhung abzusehen. Der Einwand, eine Verwässerung des Kapitals liege nicht vor, denn die übernehmende Gesellschaft erhalte in Höhe der Kapitalerhöhung neues Vermögen, übersieht die stimmenmäßigen Auswirkungen. Ein Aktionär, der mit 26 °/o des Grundkapitals der übernehmenden Gesellschaft eine Sperrminorität besitzt, verliert diese, wenn das Grundkapital zur Durchführung der Verschmelzung um 10 °/o erhöht wird, obwohl die übernehmende Gesellschaft in Höhe von 10 % des Grundkapitals eigene Aktien besitzt. Während seine Rechtsstellung vor der Verschmelzung auch durch Veräußerung der eigenen Aktien nicht beeinträchtigt werden konnte, ist jetzt seine Sperrminorität durch die Kapitalerhöhung keine absolute mehr. Sie besteht nur noch solange, als sich die eigenen Aktien im Besitz der übernehmenden Gesellschaft befinden. Es ist dies die Auswirkung des Ausschlusses des Bezugsrechts in § 343. Dieser Ausschluß, d. h. die Kapitalerhöhung nach § 343, darf deshalb nur erfolgen, soweit die Kapitalerhöhung zur Durchführung der Verschmelzung nötig ist. Das ist sie nicht, soweit die übernehmende Gesellschaft eigene Aktien besitzt, mit denen sie die Verschmelzung ohne Kapitalerhöhung durchführen kann.
Zur Haftung der Vorstandsmitglieder bei Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen WOLFGANG HEFERMEHL
Im Großkommentar zum Aktiengesetz hat der Jubilar bei seiner umfangreichen und ins einzelne gehenden Kommentierung des § 93 über die Verantwortlichkeit des Vorstands sich auch mit dem problemreichen Fragenkreis befaßt, ob und inwieweit die Vorstandsmitglieder bei der Ausführung von Beschlüssen der Hauptversammlung eine Haftung gegenüber der Gesellschaft und gegenüber den Gläubigern treffen kann 1 . Das große Interesse, das Wolfgang Schilling, dem diese Festschrift gewidmet ist, stets den Problemen des Gesellschaftsrechts entgegengebracht hat, ermutigt mich, das erwähnte Haftungsproblem zum Thema meines Beitrags zu machen.
I. Problemstellung H a t ein Vorstandsmitglied der Gesellschaft durch eine pflichtwidrige Handlung schuldhaft einen Schaden zugefügt, so ist es doch nach § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG der Gesellschaft nicht ersatzpflichtig, wenn die Handlung auf einem gesetzmäßigen Beschluß der Hauptversammlung beruht. Den Nichteintritt der Ersatzpflicht beschränkt das Gesetz auf die Haftung gegenüber der Gesellschaft. Den Gläubigern gegenüber kann eine Ersatzpflicht der Vorstandsmitglieder nach § 93 Abs. 5 Satz 3 AktG auch eintreten, wenn die Handlung auf einem gesetzmäßigen Beschluß der Hauptversammlung beruht. Der Vorstand ist jedoch nach § 83 Abs. 2 AktG verpflichtet, von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit beschlossene Maßnahmen auszuführen. Schwerlich kann aber für den Vorstand eine Ausführungspfliclit bestehen, wenn sich die Vorstandsmitglieder dadurch der Gesellschaft oder jedenfalls ihren Gläubigern ersatzpflichtig machen. Umgekehrt ist eine Haftung der Vorstandsmitglieder nicht vertretbar, wenn der Vorstand verpflichtet ist, einen Beschluß der Hauptversammlung, den sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßt hat, auszuführen. In diesem Dilemma stellt sich die Frage, wie die Anwendungsgebiete der beiden Vorschriften, des § 83 Abs. 2 AktG, der dem Vorstand eine Pflicht zur Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen auferlegt, und des § 93 AktG, der die Haftung 1
Schilling in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1971, § 93 Anm. 31 ff.
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der Vorstandsmitglieder regelt, gegeneinander abzugrenzen sind2. Ist der Vorstand an einen Beschluß der Hauptversammlung gebunden, so sollte ein Vorstandsmitglied keine Ersatzpflicht treffen; wird es durch die Ausführung eines Beschlusses ersatzpflichtig, so sollte es nicht an den Beschluß gebunden sein. II. Entstehungsgeschichte Um den richtigen Standpunkt zu gewinnen, ist es nötig, die Entwicklung aufzuzeigen, die zu der heutigen Regelung der Haftung der Vorstandsmitglieder gegenüber der Gesellschaft und gegenüber den Gläubigern in § 93 AktG geführt hat. Ein Rückblick zeigt, daß nach dem Aktienrecht des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs vom 5. Juni 18693 eine sehr weitgehende unmittelbare Haftung der Vorstandsmitglieder gegenüber den Gläubigern bestand. Der § 241 Abs. 2 ADHGB bestimmte, daß „Mitglieder des Vorstandes, welche außer den Grenzen ihres Auftrags oder den Vorschriften dieses Titels oder des Gesellschaftsvertrages handeln", persönlich und solidarisch für den daraus entstandenen Schaden haften. Wem gegenüber eine Haftung bestand, brachte das Gesetz nicht zum Ausdruck. Die Praxis und die überwiegende Ansicht der Literatur legte die Vorschrift nicht nur als Haftungsnorm gegenüber der Gesellschaft, sondern auch als Haftungsnorm gegenüber Dritten, insbesondere den Gesellschaftsgläubigern aus4. Zur Begründung wurde insbesondere angeführt, daß es an einem verletzten Interesse der Gesellschaft fehlen könne5. Die allgemeine unmittelbare Haftung der Vorstandsmitglieder gegenüber den durch sie geschädigten Gesellschaftsgläubigern wurde in der Aktienrechtsnovelle vom 18. Juli 1884 (RGBl. S. 123) beseitigt und durch eine andere Regelung * Zu dem Wertungswiderspruch zwischen § 83 Abs. 2 und § 93 Abs. 5 Satz 3 vgl. Mertens in Kölner Kommentar, 1970, § 93 Anm. 6 1 ; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatreditlichen Personenverbänden, 1963, S. 41 ff., 326; Zempelin, Fragen der Aufsichtsratshaftung, AcP 155 (1956), 209 ff. s Das ADHGB von 1869 trat am 1. Januar 1870 als Bundesgesetz des Norddeutschen Bundes in Kraft und wurde 1871 Reichsgesetz. Nach Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs mußte das Gesetz grundlegend neu bearbeitet werden. An seine Stelle trat das Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 (RGBl. S. 219 ff.), das zusammen mit dem BGB am 1. Januar 1900 in Kraft trat. * RGZ 5, 19/24; 7, 105/107; 10, 74/79; 19, 111/113, 22, 133/137; ROHG 19, 1 8 1 ; Thöl, Handelsrecht 5. Aufl. I S. 479; Renaud, Recht der Aktiengesellschaften, 2. Aufl., S. 618 ff. 5 RGZ 7, 105/107.
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in Art. 241 ADHGB ersetzt. Während die alte Fassung des Art. 241 ADHGB einen Anspruchsberechtigten nicht genannt hatte, was zu der weiten Auslegung führte, legte Art. 241 der Novelle von 1884 fest, daß die Vorstandsmitglieder nur der Gesellschaft gegenüber haften, wenn sie bei der Geschäftsführung nicht die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anwenden. Der Sinn dieser in Art. 226 ADHGB gleichlautend für den Aufsichtsrat vorgesehenen Regelung war es, die Pflichten der Vorstandsmitglieder zu präzisieren. Weiterhin sollte jeder Zweifel über den Umfang der Verantwortlichkeit beseitigt werden 6 . Soweit die Gläubiger von der Gesellschaft keine Befriedigung für ihre Forderungen erlangen konnten, erhielten sie das Recht, den Ersatzanspruch der geschädigten Gesellschaft gegen das schuldige Vorstandsmitglied geltend zu machen. Der entscheidende gesetzgeberische Gedanke war dabei der, daß die Gläubiger es nicht nötig haben sollten, erst die Gesellschaft zu verklagen und sich den Anspruch der Gesellschaft gegen das Organmitglied pfänden und überweisen zu lassen7. Die Haftung gegenüber den Gläubigern wurde jedoch in Art. 241 Abs. 3 ADHGB auf bestimmte, die Gläubigerinteressen besonders schädigende Verstöße beschränkt. Es sind die in Art. 226 Nr. 1 bis 5 ADHGB für die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder erschöpfend aufgezählten Tatbestände 8 . Für sie bestimmte Art. 241 Abs. 4 Satz 2 ADHGB, daß den Gläubigern gegenüber der Ersatzanspruch der Gesellschaft gegen die Mitglieder des Vorstands auch nicht dadurch aufgehoben wird, daß die Haftung auf einem Beschluß der Generalversammlung beruht. Daraus wurde der Schluß gezogen, daß Vorstandsmitglieder, die einen Beschluß der Generalversammlung ausführten, der Gesellschaft gegenüber nicht haften; denn sonst hätte es der besonderen Regelung des Art. 241 Abs. 4 Satz 2 ADHGB nicht bedurft. Es wurde angenommen, daß eine Gesellschaft arglistig handele, wenn sie ihre Vorstandsmitglieder für die Ausführung eines von der Generalversammlung gefaßten Beschlusses auf Schadenersatz in Anspruch nehme 9 . Nur gegenüber den Gläubigern und nur bei den qualifizierten Verstößen des Art. 241 Abs. 3 ADHGB bestand eine unbedingte Haftung der Vorstandsmit• S. 223 f. Allgemeine Begründung zum Entwurf 1883 (Ausgabe Carl Heymanns Verlag). 7 Vgl. Allgemeine Begründung S. 226. Dort ist ausdrücklich klargestellt, daß die Gläubiger einen Anspruch der Gesellschaft geltend machen. 8 Sie entsprechen — erweitert um die Tatbestände Nr. 7 bis 9 — dem § 84 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AktG 1937 und dem heutigen § 93 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AktG 1965. • OLG Hamburg OLGR 6, 190; LZ 1917, 823 Nr. 9; Staub, Kommentar zum HGB, Band I, 9. Aufl. 1912, §241 Anm.4; Brodmann, Aktienrecht, 1928, §241 Anm. 1 e; Goldmann, Handelsgesetzbuch, §241 Rdz. 11; Makower, Handelsgesetzbuch, § 241 Anm. II b 2.
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glieder audi dann, wenn sie einen Beschluß der Generalversammlung befolgt hatten. In diesen Sonderfällen war für jedes Vorstandsmitglied offensichtlich, daß der Beschluß gesetzwidrig oder, wenn das nicht zutraf, sondern nur seine Ausführung einen Verstoß gegen Abs. 3 nach sich zog, jedenfalls für die Vorstandsmitglieder nicht bindend war. Die Grundauffassung des Gesetzgebers tritt in der Allgemeinen Begründung zur Novelle vom 18. Juli 1884 (RGBl. S. 123)10 zutage. Dort heißt es zu Art. 226 HGB: „Noch in einer weiteren Beziehung hat der Entwurf geglaubt, die Gläubiger selbständig und anders als die Gesellschaft, wenn diese klagen würde, stellen zu müssen. Es soll nämlidi den Gläubigern gegenüber die Verbotswidrigkeit der Handlungsweise der Mitglieder des Aufsichtsrats und die Ersatzpflidit nidit dadurch beseitigt werden, daß die Generalversammlung das Verfahren beschlossen hat; ihnen gegenüber handeln die Gesellsdiaftsorgane auf eigene Verantwortlichkeit, wenn sie einen an sich ungültigen Beschluß der Generalversammlung ausführen. Diesen strengen Standpunkt wird man der klagenden Gesellschaft gegenüber nicht festhalten dürfen; die letztere kann sich nicht beschweren, wenn der Aufsichtsrat als ihr Mandatar einen von der Generalversammlung selbst gefaßten Beschluß ausgeführt hat, obgleich derselbe gegen das Gesetz verstieß."
Was für die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder galt, galt nach Art. 241 ADHGB audi für die Haftung der Vorstandsmitglieder. Die Haftung eines Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds gegenüber der Gesellschaft war demnach auch ausgeschlossen, wenn der von ihnen ausgeführte Beschluß der Generalversammlung gesetzwidrig war. Dieser Haftungsausschluß ist verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß er aus einer Zeit stammt, als die Generalversammlung das souveräne Willensorgan der Gesellschaft war, deren Weisungen der Vorstand bei der Geschäftsführung unterlag. Mit einer derartigen Verfassungsstruktur ist es in der Tat nicht zu vereinbaren, daß Vorstandsmitglieder der Gesellschaft gegenüber für Handlungen schadenersatzpflichtig waren, die sie mit Zustimmung ihres obersten Organs, der Generalversammlung, vorgenommen hatten. Nur bei den schwerwiegenden Verstößen des Art. 241 Abs. 3 ADHGB, in denen ein gesetz- und damit pflichtwidriges Verhalten des Vorstandsmitglieds vorlag, stand der Gesetzgeber auf dem Standpunkt, daß das Vorstandsmitglied jedenfalls den Gläubigern gemäß Art. 241 Abs. 4 ADHGB haften müsse, und zwar auch dann, wenn es einen Beschluß der Generalversammlung befolgt hatte. Gegenüber der Gesellschaft konnte sich dagegen ein Vorstandsmitglied audi auf einen gesetzwidrigen Beschluß berufen. Daß die Ausführung eines gesetzmäßigen Beschlusses 10 Reichstagsverhandlungen, 5. Legislatur-Periode IV Session 1884 S. 149 f.; zitiert bei Hagen, Gruchot Beiträge 42, 360.
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ein Vorstandsmitglied nicht ersatzpflichtig machen konnte, stand außer Frage. An dieser Haftungsregelung hielt das nach der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs neu bearbeitete Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 (RGBl. S. 219 ff.) in § 241 fest.
III. Rechtslage nach dem Aktiengesetz Durch das Aktiengesetz 1937 hat sich die Rechtslage grundlegend verändert. Dies beruht darauf, daß die ausschließliche Zuständigkeit zur Geschäftsführung auf den Vorstand verlagert wurde und die Hauptversammlung seitdem nur noch auf Verlangen des Vorstands über Fragen der Geschäftsführung entscheiden kann (§103 Abs. 2 AktG 1937; § 119 Abs. 2 AktG 1965). Der Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung wurde im wesentlichen auf die mit dem rechtlichen und wirtschaftlichen Aufbau der Gesellschaft zusammenhängenden Fragen beschränkt. Die grundsätzliche Veränderung der Kompetenzen mußte sich auf die Regelung der Haftung der Vorstandsmitglieder auswirken. Ihre Haftung war ihrem erweiterten Verantwortungsbereich anzupassen. Es erschien daher nicht mehr gerechtfertigt, auch einem pflichtwidrig handelnden Vorstandsmitglied die Berufung auf einen Hauptversammlungsbeschluß noch zu gestatten, um seine Ersatzpflicht auszuschließen. Einmal ist die Hauptversammlung nicht die Gesellschaft selbst, sondern eines ihrer Organe neben Vorstand und Aufsichtsrat, zum anderen sind ihre Machtbefugnisse durch die grundsätzliche Ausschaltung ihres unmittelbaren Einflusses auf die Geschäftsführung derart eingeschränkt, daß jeder Versuch der Identifikation mit der Gesellschaft selbst der Rechtswirklichkeit widerspricht. Eine haftungsausschließende Wirkung von Hauptversammlungsbeschlüssen läßt sich gegenüber der Gesellschaft nur noch unter dem Gesichtspunkt rechtfertigen, daß die Hauptversammlung das Organ der am Gesellschaftsvermögen wertmäßig beteiligten Aktionäre ist. Das kann indessen wegen der eigenen Verantwortung des Vorstands in Geschäftsführungsfragen und der veränderten Stellung der Hauptversammlung keinesfalls für gesetzwidrige Beschlüsse gelten, die nichtig oder wegen Verstoßes gegen Gesetz oder Satzung anfechtbar sind. Durch solche Beschlüsse ist daher im Gegensatz zur Rechtslage nach dem Aktienrecht des HGB 1897 die Haftung der Vorstandsmitglieder für pflichtwidrige Handlungen audi gegenüber der Gesellschaft nicht mehr ausgeschlossen. Dagegen hat der Gesetzgeber von 1937 und 1965 ausdrücklich bestimmt, daß die Haftung eines pflichtwidrig handelnden Vorstandsmitglieds gegenüber der Gesellschaft nicht eintritt, wenn seine Handlung auf einem gesetz-
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mäßigen Beschluß der Hauptversammlung beruht. Nur gegenüber den Gläubigern soll die Haftung auch durch einen Beschluß der Hauptversammlung nicht ausgeschlossen sein. Das ist für einen gesetzwidrigen Beschluß ohnehin evident, da durch ihn schon die Haftung gegenüber der Gesellschaft nicht entfällt. Bedeutung gewinnt die Verneinung des Haftungsausschlusses demnach nur für gesetzmäßige Beschlüsse11, und zwar soll die Haftung nach § 93 Abs. 5 Satz 2 AktG nicht nur wie früher bei den qualifizierten Verstößen des Abs. 3, sondern audi für Pflichtverletzungen anderer Art bestehen, allerdings für sie nur dann, wenn die Vorstandsmitglieder die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gröblich verletzt haben. Im gesamten Bereich der Geschäftsführung können Vorstandsmitglieder demnach heute den Gläubigern der Gesellschaft ersatzpflichtig sein. Indessen fragt es sich, ob eine Haftung auch besteht, wenn der Vorstand zur Ausführung eines gesetzmäßigen Hauptversammlungsbeschlusses verpflichtet ist. Eine Ausführungspflicht besteht nach dem bei der Aktienrechtsreform 1965 neu eingefügten § 83 Abs. 2 AktG bei den Beschlüssen, die von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßt worden sind12. Es ist klar, daß eine Ausführungspflicht für den Vorstand nicht bestehen kann, wenn der Besdiluß gesetzwidrig ist und der Vorstand nach § 93 Abs. 2 AktG schon gegenüber der Gesellschaft und daher erst recht gegenüber den Gläubigern haftet. Eine Ausführungspflidit setzt, wie sich aus dem Zusammenhang mit § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG ergibt, stets einen gesetzmäßigen Besdiluß voraus. Aber auch dann ist es nicht zu rechtfertigen, den Vorstand als zur Ausführung eines Beschlusses, den die Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßt hat, für verpflichtet anzusehen, wenn sich für die den Besdiluß ausführenden Vorstandsmitglieder möglicherweise eine Haftung gegenüber den Gläubigern nach § 93 Abs. 5 ergibt, weil ihnen gegenüber sich die Vorstandsmitglieder auch auf einen gesetzmäßigen Besdiluß der Hauptversammlung nidit berufen können. Dabei ist zu beachten, daß eine Ersatzpflicht ein Vorstandsmitglied nur treffen kann, wenn es der Gesellschaft durch eine pflichtwidrige Handlung einen Schaden zugefügt hat. An einem pflichtwidrigen Handeln gegenüber der Gesellschaft wird es jedoch grundsätzlich fehlen, wenn das Vorstandsmitglied 1 1 Das allgemeine Abstellen des Gesetzes auf Beschlüsse der Hauptversammlung beruht darauf, daß bei einer Beschränkung auf gesetzmäßige Beschlüsse der Eindruck erweckt werden konnte, als ob gesetzwidrige Beschlüsse zum Haftungsausschluß führen. 1 2 Nach der Begründung RegE (KropfT S. 104) zu § 83 stellt Absatz 2 klar, daß der Vorstand verpflichtet ist, die sich aus dem Beschluß der Hauptversammlung ergebenden Ausführungshandlungen vorzunehmen.
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einen Hauptversammlungsbeschluß ausführt, zu dessen Ausführung es nach § 83 Abs. 2 AktG verpflichtet ist. D a es sich um Beschlüsse handeln muß, die von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßt worden sind, sind es — vom Fall des § 119 Abs. 2 AktG abgesehen — keine Beschlüsse über reine Geschäftsführungsfragen, sondern über andere Maßnahmen, insbesondere Beschlüsse, die den rechtlichen oder wirtschaftlichen Aufbau der Gesellschaft treffen, wie Satzungsänderungen, Kapitalerhöhungen, Kapitalherabsetzungen. In diesen Fällen, in denen der Vorstand nach § 83 Abs. 2 A k t G zur Ausführung eines Beschlusses verpflichtet ist, kann in der Ausführung allein noch kein pflichtwidriges Verhalten des Vorstandsmitglieds liegen, sondern nur darin, daß sich das Vorstandsmitglied unabhängig von dem Inhalt und den Wirkungen des Beschlusses eine selbständige Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft hat zuschulden kommen lassen. Für den Inhalt und die Wirkungen eines von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßten gesetzmäßigen Beschlusses trifft das ausführende Vorstandsmitglied keine Haftung, weil die Entscheidung insoweit ausschließlich bei der Hauptversammlung liegt. Dem Vorstand kommt bei diesen Beschlüssen nur eine willensausführende Funktion zu, so daß sich sein Verantwortungsbereich auch auf diese Funktion beschränkt. Wäre ein Vorstandsmitglied auch für den Inhalt und die Wirkungen eines Beschlusses verantwortlich, den die Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit erlassen hat, so müßte es auch das Recht haben, zur Vermeidung seiner persönlichen Ersatzpflicht die Ausführung eines solchen Beschlusses zu verweigern. Das aber liefe darauf hinaus, daß die Hauptversammlung in einer ihr vom Gesetz zugewiesenen Angelegenheit keine ausschließliche Kompetenz hätte, sondern auf die Billigung des Vorstands angewiesen wäre. Gerade die Regelung des neu in das Aktiengesetz 1965 eingefügten § 83 Abs. 2 zeigt aber, daß der Vorstand zur Ausführung gesetzmäßiger und von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßter Beschlüsse verpflichtet sein soll. Er handelt dann aber durch die Ausführung eines solchen Beschlusses nicht pflichtwidrig. Damit entfällt eine Haftung nicht nur gegenüber der Gesellschaft, sondern auch gegenüber den Gläubigern. Denn jede Haftung eines Vorstandsmitglieds setzt nach § 93 Abs. 2 AktG voraus, daß es seine Pflichten gegenüber der Gesellschaft schuldhaft verletzt hat und dieser dadurch ein Schaden entstanden ist. Die Anwendungsbereiche beider Vorschriften sind demnach im Ansatz wie folgt zu bestimmen: Der Vorstand ist im Hinblick auf § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG nur dann verpflichtet, einen von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßten Beschluß aus-
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zuführen, wenn der Beschluß auch gesetzmäßig ist. Insoweit ist § 83 Abs. 2 AktG zu ergänzen. Vorstandsmitglieder, die einen gesetzmäßigen Beschluß der Hauptversammlung ausführen, sind im Hinblick auf § 83 Abs. 2 AktG nur dann von ihrer Ersatzpflicht befreit, wenn der Beschluß von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßt wurde. Insoweit ist § 93 Abs. 4 Satz 1 zu ergänzen. Bei Ausführung nicht nur gesetzwidriger, sondern auch gesetzmäßiger Beschlüsse wird demnach die Ersatzpflidit eines pflichtwidrig handelnden Vorstandsmitglieds weder der Gesellschaft noch den Gläubigern gegenüber ausgeschlossen, wenn es sich um Beschlüsse handelt, die von der Hauptversammlung außerhalb des Rahmens ihrer Zuständigkeit gefaßt worden sind. Diese Abgrenzung entspricht dem Grundsatz, daß der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung leitet (§ 76 Abs. 1 AktG). Beschlüsse der Hauptversammlung, die den Vorstand nicht binden, können ihn, wenn er sie befolgt, nicht von seiner Verantwortung befreien. Nur den Vorstand bindende Beschlüsse der Hauptversammlung vermögen seine Haftung nach § 93 Abs. 2 AktG auszuschließen. Es ist daher im folgenden zu erörtern, unter welchen Voraussetzungen der Vorstand an einen Hauptversammlungsbeschluß gebunden ist.
IV. Bindende Beschlüsse 1. Wie sich aus § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG ergibt, ist die Grundvoraussetzung für einen den Vorstand bindenden Beschluß der Hauptversammlung, daß er gesetzmäßig ist. Bei gesetzwidrigen Beschlüssen kann eine Verpflichtung zur Ausführung niemals bestehen, da sich die Vorstandsmitglieder durch deren Ausführung nach § 93 Abs. 2 AktG ersatzpflichtig machen würden. Gesetzmäßig ist ein Hauptversammlungsbeschluß, wenn er weder nichtig noch anfechtbar ist13. Die Vorstandsmitglieder müssen daher zur Vermeidung einer Ersatzpflicht vor Ausführung eines Hauptversammlungsbeschlusses prüfen, ob er nach § 241 AktG nichtig oder wegen Verletzung des Gesetzes oder der Satzung nach § 243 AktG anfechtbar ist. Ein Problem ergibt sich daraus, daß anfechtbare Beschlüsse durch den Ablauf der Anfechtungsfrist rückwirkend unanfechtbar werden und damit dauernd gültig sind. Streitig ist, ob sie dann auch als gesetzmäßig " Schilling in Großkomm. AktG § 93 Anm. 33; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlidier Stimmrechtsmadit bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 41 Fn. 13; Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen bei Aktiengesellschaften, 1924, S. 10 ff.
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im Sinne des § 93 Abs. 4 Satz 1 anzusehen sind, so daß sie, wenn sie von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßt wurden, das Handeln der den Beschluß ausführenden Vorstandsmitglieder decken. Manche meinen, die materielle Rechtswidrigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses werde durch den formalen Ablauf der Anfechtungsfrist nicht überwunden; der Beschluß bleibe gesetzwidrig, so daß sich die ausführenden Vorstandsmitglieder nicht zu ihrer Entlastung auf den Beschluß berufen können, wenn der Gesellschaft durch die Ausführung ein Schaden entsteht 14 . Aber dann könnte der Vorstand auch nicht nach § 83 Abs. 2 AktG zur Ausführung eines unanfechtbar gewordenen Beschlusses verpflichtet sein. Der Unanfechtbarkeit käme daher keine praktische Bedeutung zu. Das wäre ein sachwidriges Ergebnis. Dem Sinn und Zweck der Anfechtbarkeit entspricht es, daß der zunächst nur bedingt wirksame Beschluß bei nicht fristgerechter Anfechtung unbedingt wirksam wird. Dann muß er vom Vorstand auch grundsätzlich ausgeführt werden 15 . Nur dann ist eine Haftung der Vorstandsmitglieder, die einen unanfechtbar gewordenen Beschluß ausführen, zu bejahen, wenn sie es pflichtwidrig unterlassen haben, den Beschluß durch Anfechtung zu beseitigen (§ 243 AktG)1®. Eine Verpflichtung zur Anfechtung erwächst dem Vorstand jedoch nicht schon allein aus der Anfechtbarkeit des Beschlusses. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Ausführung des Beschlusses geeignet ist, die Gesellschaft zu schädigen. Da es eine grundsätzliche Pflicht des Vorstands ist, die Interessen der Gesellschaft zu wahren, ist er bei einem die Gesellschaft schädigenden Beschluß auch als verpflichtet anzusehen, den Beschluß anzufechten oder darauf hinzuwirken, daß der Beschluß unanfechtbar wiederholt wird. Das Anfechtungsrecht steht zu diesem Zweck nicht nur dem Vorstand als solchem, sondern auch jedem einzelnen Vorstandsmitglied zu (§ 245 Nr. 4, 5 AktG). Ob demnach eine Verpflichtung zur Anfechtung besteht, läßt sich nur nach Lage des Falles unter dem Aspekt einer möglichen Schädigung der Gesellschaft beurteilen. Ferner muß ein die Anfechtung nach § 243 AktG rechtfertigender Grund vorhanden sein. Ein Hauptversammlungsbeschluß ist nicht schon deshalb anfecht-
14 Mertens in Kölner Kommentar §93 Anm. 58; Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1957, S. 269; Golling, Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder für ihre Geschäftsführung innerhalb der nicht konzerngebundenen AG, 1969, S. 31 ff. 15 Gleiches gilt, wenn die Anfechtungsklage rechtskräftig abgewiesen wird. 14 Schilling in Großkomm. AktG Anm. 33 b; Baumbach-Hueck, Aktiengesetz, 13. Aufl. 1968, § 243 Rdn. 12; Godin-Wilhelmi, Aktiengesetz 3. Aufl., § 93 Anm. 22; Möhring-Tank, Handbuch der AG, Tz. 240; Zempelin, AcP 155, 227; Zöllner, a. a. O., S. 41 f.; Geßler JW 37, 497/501.
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bar, weil seine Ausführung die Gesellschaft schädigt. Das gilt auch dann, wenn die Gesellschafter unter Außerachtlassung der ihnen obliegenden Sorgfaltspflicht abgestimmt haben 17 . Die Anfechtungsgründe des § 243 AktG sind ausschließlicher Natur und lassen sich nicht auf Beschlüsse erstrecken, deren Ausführung die Gesellschaft schädigt. Bestand daher für den Vorstand keine Verpflichtung zur Anfechtung, so hat er nach § 83 Abs. 2 AktG den unanfechtbar gewordenen Beschluß auszuführen, vorausgesetzt, daß die Hauptversammlung ihn im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßt hatte. Die gesellschaftsschädlichen Wirkungen eines solchen Beschlusses hat der Vorstand nicht zu verantworten, da es ihm insoweit an Kompetenz fehlt. Er ist an den gesetzmäßigen und von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßten Beschluß gebunden und handelt daher durch seine Ausführung nicht pflichtwidrig, mag sich auch der Beschluß schädlich für die Gesellschaft auswirken. Hatte der Vorstand es jedoch pflichtwidrig unterlassen, den Beschluß anzufechten, so sind die den unanfechtbar gewordenen Beschluß ausführenden Vorstandsmitglieder, wenn der Gesellschaft ein Schaden entsteht, ersatzpflichtig, und zwar sowohl der Gesellschaft als auch unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 5 AktG den Gläubigern gegenüber. Die Pflichtwidrigkeit der Vorstandsmitglieder liegt in der pflichtwidrigen Unterlassung der Anfechtung des gesellschaftsschädlichen Beschlusses. Können sich aber die Vorstandsmitglieder durch die Ausführung eines unanfechtbar gewordenen Hauptversammlungsbeschlusses oder durch Duldung seiner Ausführung ersatzpflichtig machen, so besteht auch für sie keine Ausführungspflicht nach § 83 Abs. 2 AktG. Erst an einen erneut von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßten gesetzmäßigen Beschluß wäre der Vorstand gebunden. Anders ist die Rechtslage bei nichtigen Beschlüssen zu beurteilen. Sie sind auch dadurch, daß ihre Nichtigkeit nicht mehr nach § 242 AktG geltend gemacht werden kann, nicht gesetzmäßig geworden18. Den Vorstand trifft daher im Hinblick auf § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG auch keine Verpflichtung zur Ausführung nach § 83 Abs. 2 AktG. Führen Vorstandsmitglieder einen solchen Beschluß doch aus, so handeln sie objektiv pflichtwidrig und grundsätzlich auch schuldhaft, so 17
Baumbach-Hueck, a . a . O . , § 243 Rdn. 7; Hueck, a . a . O . , S. 10; Mertens in Kölner Kommentar § 9 3 Anm. 61; a. M. Zöllner, a . a . O . , S. 41 ff., 326 ff., der die Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen über § 243 AktG hinaus ausdehnt, im Ansdiluß an Horrwitz, Das Recht der Generalversammlungen der Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, Berlin 1913, S. 19 ff. 18 Zöllner, a . a . O . , S. 42 Fn. 12; Mertens in Kölner Kommentar § 8 2 Anm. 58; a. M. B G H Z 33, 175/178 f.
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daß sie für eine Schädigung der Gesellschaft dieser nach § 93 Abs. 2 AktG und unter den Voraussetzungen des Abs. 5 auch den Gesellschaftsgläubigern ersatzpflichtig sind. 2. Gebunden ist der Vorstand an gesetzmäßige Beschlüsse nur dann, wenn sie von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßt worden sind. Die Ausführung soldier Beschlüsse, zu der der Vorstand nach § 83 Abs. 2 A k t G verpflichtet ist, stellt keine Pflichtwidrigkeit dar. Eine Ersatzpflicht besteht weder gegenüber der Gesellschaft noch unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 5 AktG gegenüber den Gesellschaftsgläubigern. Es fehlt bereits an einer pflichtwidrigen Handlung. Für welche Beschlußfassungen die Hauptversammlung zuständig ist, ergibt sich aus § 119 AktG. Die Zuständigkeit erstreckt sich danach außer auf die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder, der Abschlußund Sonderprüfer, auf die Entlastung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder und die Verwendung des Bilanzgewinns, vornehmlich auf Beschlüsse über den satzungsmäßigen Aufbau oder die Kapitalgrundlage der Gesellschaft. Über Fragen der Geschäftsführung kann die Hauptversammlung nach § 1 1 9 Abs. 2 AktG nur entscheiden, wenn der Beschluß auf Verlangen des Vorstands gefaßt wird. Nur dann hat sie daher bei einer Geschäftsführungsmaßnahme im Rahmen ihrer Zuständigkeit gehandelt. Das schließt nicht aus, daß die Hauptversammlung über eine Frage der Geschäftsführung auch einen Beschluß faßt, wenn der Vorstand ihre Entscheidung nicht verlangt hat. Ein solcher Beschluß ist nicht gesetzwidrig 19 ; er ist jedoch für den Vorstand nicht bindend 20 . Vorstandsmitglieder, die einen für sie unverbindlichen Beschluß ausführen, sind daher nicht nach § 93 Abs. 4 Satz 1 von ihrer Ersatzpflicht befreit, wenn die Gesellschaft durch die Ausführung des Beschlusses einen Schaden erleidet. Es besteht kein Grund, sie von ihrer Verantwortung zu befreien, wenn die Hauptversammlung zwar einen gesetzmäßigen, den Vorstand aber in keiner Weise bindenden Beschluß über eine Frage der Geschäftsführung gefaßt hat. Nur wenn der Vorstand nach § 119 Abs. 2 AktG die Entscheidung verlangt hat, kann die Hauptversammlung über eine Frage der Geschäftsführung bindend beschließen. Der Vorstand ist an die von ihm 19 Schilling in Großkomm. AktG § 93 Anm. 32 a verneint einen gesetzmäßigen Besdiluß, wenn die Hauptversammlung ohne Verlangen des Vorstands über eine Frage der Geschäftsführung beschließt; ebenso Baumbach-Hueck, a. a. O., § 93 Rdn. 12. Aber um einen Besdiluß nadi § 119 Abs. 2 AktG handelt es sidi in diesem Falle nicht. 2 0 So auch Schilling in Großkomm. AktG § 93 Anm. 32 a.
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selbst über Fragen der Geschäftsführung herbeigeführten Beschlüsse der Hauptversammlung dann ebenso gebunden wie an alle sonstigen nicht den Bereich der Geschäftsführung betreffenden Beschlüsse, die von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit (§ 119 Abs. 1 AktG) gefaßt worden sind 21 . Das gilt auch dann, wenn der Beschluß von dem Vorschlag des Vorstands abweicht 22 . Nach § 83 Abs. 2 A k t G trifft daher den Vorstand auch die Pflicht, einen auf sein Verlangen von der Hauptversammlung über eine Geschäftsführungsmaßnahme gefaßten gesetzmäßigen Beschluß auszuführen. Es besteht kein Anlaß, den § 83 Abs. 2 A k t G entgegen seinem Wortlaut auf solche Beschlüsse nicht anzuwenden. Eine Besonderheit besteht bei Beschlüssen der Hauptversammlung über Geschäftsführungsfragen nur insofern, als der Besdiluß noch nicht die Geschäftsführungsmaßnahme selbst ist, diese vielmehr vom Vorstand noch vorzunehmen ist, der sie ohne den Appell an die Hauptversammlung auch allein hätte vornehmen können. Darin liegt ein grundsätzlicher Unterschied gegenüber Maßnahmen der Hauptversammlung, die nicht Geschäftsführungsfragen betreffen und nur von der Hauptversammlung kraft ihrer Zuständigkeit, niemals aber allein vom Vorstand vorgenommen werden können. Es sind dies Beschlüsse über Satzungsänderung, Kapitalerhöhung und -herabsetzung, Auflösung, Abschluß eines Unternehmensvertrages, Eingliederung, Verschmelzung, Vermögensübertragung und Umwandlung. Die Ausführung dieser Beschlüsse durch den Vorstand erstreckt sich auf ihre technische Durchführung, wie ζ. B. eine Anmeldung zum Handelsregister. Eine Pflichtwidrigkeit kann in der bloßen Ausführung solcher Beschlüsse nicht liegen, es sei denn, daß Vorstandsmitglieder unabhängig von dem Inhalt und den Wirkungen des Beschlusses ihre Pflichten schuldhaft verletzen. Anders liegt es bei Beschlüssen der Hauptversammlung über Geschäftsführungsfragen. Audi wenn der Beschluß als solcher gesetzmäßig ist und von der Hauptversammlung auf Verlangen des Vorstands gefaßt wurde, schließt er ein pflichtwidriges Verhalten der Vorstandsmitglieder nicht schlechthin aus. Das ist bei den schwerwiegenden Verstößen in den Fällen des § 93 Abs. 3 AktG evident, ist aber nach § 93 Abs. 5 Satz 2 AktG auch anzunehmen, wenn Vorstandsmitglieder die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften
21 Baumbach-Hueck, a. a. O., § 93 Rdn. 12; Scblegelberger-Quassowski, AktG 1937, § 103 Anm. 6 ; a. M. Godin-Wilhelmi, AktG § 93 Anm. 22. 22 Schilling in Großkomm. AktG § 9 3 Anm. 36; Mertens in Kölner Kommentar § 9 3 Anm. 7 ; Baumbach-Hueck, a . a . O . , § 8 3 Rdn. 5; Golling, a . a . O . , S. 86 ff.; a. M. Godin-Wilhelmi, AktG § 9 3 Anm. 22, § 1 1 9 Anm. 6, die eine Bindung des Vorstands an Beschlüsse nadi § 1 1 9 Abs. 2 wegen der eigenverantwortlichen Leitungsbefugnis verneinen; ebenso v. Godin J W 38, 1146.
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Geschäftsleiters gröblidi verletzen. Dann ist zwar, wenn sie sich auf einen gesetzmäßigen Beschluß der Hauptversammlung berufen können, ihre Haftung nach § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG gegenüber der Gesellschaft, nicht aber nach Abs. 5 auch gegenüber den Gläubigern ausgeschlossen. Läuft daher eine von der Hauptversammlung auf Verlangen des Vorstands beschlossene Geschäftsführungsmaßnahme offensichtlich den Interessen der Gesellschaft zuwider, so daß ihre Vornahme eine grobe Verletzung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters darstellt, so besteht für den Vorstand auch keine Verpflichtung nach § 93 Abs. 2 AktG zur Vornahme der Maßnahme. Bindend sind für den Vorstand nur Beschlüsse der Hauptversammlung, durch deren Ausführung sich die Vorstandsmitglieder nicht ersatzpflichtig machen. Die Beschlüsse müssen gesetzmäßig und von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßt sein. Bei Beschlüssen der Hauptversammlung über Fragen der Geschäftsführung nach § 119 Abs. 2 AktG ist aber eine H a f t u n g der Vorstandsmitglieder auch bei gesetzmäßigen Beschlüssen möglich, wenn sie durch ihre Ausführung die Gesellschaft — sei es durch Verstöße gegen § 93 Abs. 3 AktG, sei es durch eine gröbliche Verletzung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters — schädigen. Von solchen Pflichtverletzungen kann selbst ein gesetzmäßiger und von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßter Beschluß die Vorstandsmitglieder nicht schlechthin freizeichnen. Aus dem Erfordernis gröblicher Pflichtverletzung folgt, daß es sich ebenso wie in den Sonderfällen des Abs. 3 um Verstöße handelt, bei denen es offensichtlich ist, daß die Gesellschaft durch die Ausführung der Maßnahme geschädigt wird 23 . Eine Ersatzpflicht kann dann zwar nach § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG gegenüber der Gesellschaft ausgeschlossen sein24, nicht aber nach Abs. 5 auch gegenüber den Gläubigern. Rechtliche Bedeutung gewinnt demnach § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG im Verhältnis zur Gesellschaft nur bei gesetzmäßigen Beschlüssen der Hauptversammlung über Fragen der Geschäftsführung, die sie auf Verlangen des Vorstands nach § 119 Abs. 2 AktG trifft. Bei Verstößen gegen § 93 Abs. 3 AktG sowie bei gröblicher Verletzung der Sorgfaltspflichten entfällt eine H a f t u n g der Vorstandsmitglieder gegenüber der Gesellschaft, nicht aber gegenüber den
23 Schilling in Großkomm. AktG § 93 Anm. 37, der für den Fall, daß eine Schädigung der Gesellschaft durch Ausführung des Beschlusses offensichtlich erkennbar ist, eine Ausnahme von dem Grundsatz der Verbindlidikeit eines Hauptversammlungsbeschlusses anerkennt. i4 Bejaht man audi in diesem Fall eine H a f t u n g gegenüber der Gesellschaft, so kommt dem Haftungsausschluß nach § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG keine praktische Bedeutung zu; die Vorschrift wäre entbehrlich.
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Gläubigern. Soweit aber eine Haftung eintritt, besteht auch keine Verpflichtung zur Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 83 Abs. 2 A k t G , mögen sie auch gesetzmäßig und von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßt worden sein.
V. Unzulässige Berufung auf gesetzmäßige Beschlüsse 1.
Auf einen gesetzmäßigen und von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefaßten Beschluß kann sich ein Vorstandsmitglied zum Ausschluß seiner Ersatzpflicht nach § 93 Abs. 4 Satz 1 A k t G niemals berufen, wenn es selbst den Beschluß schuldhaft unter Mißachtung der Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters herbeigeführt hat, ζ . B. durch falsche oder leichtfertige oder ungenügende Informationen 2 5 , oder es pflichtwidrig unterlassen hat, die Hauptversammlung auf die nachteiligen Folgen des Beschlusses hinzuweisen 26 . Die Berufung auf den gesetzlichen Haftungsaussciiluß ist dann rechtsmißbräuchlich (§ 242 B G B ) . Nicht nötig ist, daß Vorstandsmitglieder den Beschluß arglistig herbeigeführt haben. Zur Ausführung eines von ihm pflichtwidrig herbeigeführten Hauptversammlungsbesdilusses ist der Vorstand nicht verpflichtet. E r hat vielmehr die Hauptversammlung über den richtigen Sachverhalt zu unterrichten, damit sie entscheidet, ob der Besdiluß aufgehoben oder aufrechterhalten werden soll. 2. Die Berufung auf einen gesetzmäßigen Besdiluß der Hauptversammlung ist Vorstandsmitgliedern aber auch verwehrt, wenn sich die Umstände, die zur Zeit der Beschlußfassung vorlagen, nachträglich erheblich verändert haben und die Ausführung des Beschlusses unter den veränderten Umständen für die Gesellschaft schädlich ist 27 . In einem solchen Fall ist der Vorstand verpflichtet, von der Ausführung des Beschlusses zunächst abzusehen. E r wird unverzüglich eine erneute Entscheidung der Hauptversammlung darüber einzuholen haben, ob sie an dem Besdiluß trotz der veränderten Umstände festhält. H a n delt es sich um einen Beschluß über eine Frage der Geschäftsführung, 2S Schilling in Großkomm. AktG § 93 Anm. 34; vgl. auch RGZ 46, 61; RG JW 30, 2691. 2« BGHZ 15, 78; Würdinger, Aktien- und Konzernredit, 2. Aufl. 1966 § 2 1 VI l b . 27 Schilling in Großkomm. AktG § 93 Anm. 38.
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den die Hauptversammlung auf Verlangen des Vorstands nach § 119 Abs. 2 AktG gefaßt hat, so ist der Beschluß, wenn sich der Sachverhalt nachträglich verändert hat, für den Vorstand nicht mehr bindend. Ihm obliegt die alleinige Entscheidung, ob die Geschäftsführungsmaßnahme gemäß dem Beschluß der Hauptversammlung auszuführen ist oder nicht. Eine Zuständigkeit der Hauptversammlung nach § 119 Abs. 2 AktG besteht für diesen Fall nicht mehr. Gleiches gilt, wenn nach Ausführung eines Beschlusses der Hauptversammlung zu entscheiden ist, ob infolge veränderter Umstände die Maßnahme wieder rückgängig zu machen ist.
Zum Beratungsgeheimnis im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft HANS HENGELER
Die Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder des Aufsichtsrats (AR) einer Aktiengesellschaft ist im Laufe des letzten Jahrzehnts im Schrifttum mehrfach behandelt worden 1 . Audi der Jubilar hat sich in Gutachten und in der Literatur mit Umfang und Grenzen der Verschwiegenheitspflicht der AR-Mitglieder befaßt. Dabei hat er das Beratungsgeheimnis besonders hervorgehoben und festgestellt, daß die Verschwiegenheitspflicht auch für Gegenstand, Verlauf und Ergebnisse der Beratungen des A R bestehe, weil es für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in diesem Gremium und mit dem Vorstand sowie für eine sachgerechte Willensbildung notwendig sei, daß freie Meinungsäußerungen durch die Schweigepflicht ermöglicht und geschützt würden 2 . Vornehmlich mit diesem Beratungsgeheimnis, das in der Praxis von besonderem Belang ist, beschäftigt sich dieser Beitrag nun etwas näher. Dabei wird von dem Regelfall ausgegangen, daß die Gesellschaft Träger eines Unternehmens ist. I.
Das AktG, dessen Bestimmungen im folgenden ohne ausdrückliche Gesetzesangabe angeführt werden, regelt in § 116 durch Verweisung auf den für Vorstandsmitglieder geltenden § 93 die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der AR-Mitglieder. Die grundlegende Bestimmung ist Absatz 1 des § 9 3 : Die Verwaltungsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Die Verschwiegenheitspflicht der Verwaltungsmitglieder würde sich zwar schon aus ihrer Treupflicht und der aus dieser fließenden Sorgfaltspflicht im Sinne des § 93 Absatz 1 Satz 1 ergeben. Der Gesetzgeber hat aber gut daran getan, diese Pflicht in § 93 Absatz 1 Satz 2 (in Verbindung mit § 116) zu konkretisieren. Es fallen darunter 1 Vgl. u . a . Meyer-Landrut in AG 1964 S. 325; Spieker in N J W 1965 S. 1937; Veith in N J W 1966 S. 526; Isele in „Das Unternehmen in der Rechtsordnung", Festgabe für Kronstein, 1967, S. 107; Gutaditen Gester vom 1. 8. 1969, erstattet für den Hauptvorstand der Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik (als Manuskriptdruck veröffentlicht); Kittner in Z H R 1972 S. 208; v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972. 2 Schilling in Großkomm. AktG, 3. Auflage 1971, § 93 Anm. 11.
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a) alle Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, b) alle vertraulichen Angaben, die dem AR-Mitglied durch seine Tätigkeit im A R bekannt geworden sind. 1.
Leider wird vielfach der Unterschied zwischen dem „Geheimnis" der Gesellschaft und der „vertraulichen Angabe" nicht ausreichend beachtet und beides schlechthin in den Begriff des „Vertraulichkeitscharakters" vermischt. Dieser Mangel haftet teilweise auch dem Gutachten Gester a. a. O. an, obwohl auf Seite 4 ff., 9 ff. der Unterschied durchaus erkannt wird (vgl. etwa Seite 15 ff.). Kittner 3 will den Worten „vertrauliche Angaben" gegenüber dem Geheimnisbegriff überhaupt keine eigenständige Bedeutung zumessen und meint, die vertraulichen Angaben seien vom Begriff des Geheimnisses mit umfaßt 4 . Diese Deutung kann nicht gebilligt werden. Die besondere, sogar an erster Stelle stehende Anführung der „vertraulichen Angaben" in § 93 Absatz 1 Satz 2 neben den Gesellschaftsgeheimnissen wäre überflüssig und unverständlich, wenn dieser Begriff nur einen Unterfall des umfassenderen Begriffs des Geheimnisses darstellte 5 . Wenn Spieker® und andere Wert auf die Klarstellung legen, daß die Strafnorm des § 404 Absatz 1 Nr. 1 nur die Geheimhaltung von Geheimnissen, nicht aber auch von vertraulichen Angaben schützt, so wird damit der Unterschied zwischen beiden Begriffen vorausgesetzt und anerkannt. Ein Geheimnis der Gesellschaft kann vorliegen, ohne daß dessen Kenntnisnahme auf einer vertraulichen Angabe zu beruhen braucht7. Umgekehrt brauchen vertrauliche Angaben nicht ein Geheimnis der Gesellschaft zu betreffen 8 . 2.
Die Verschwiegenheitspflicht betrifft zunächst schlechthin alle „Geheimnisse der Gesellschaft", also nicht etwa nur die lediglich beispielshalber besonders genannten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. „Geheimnis" ist nach dem Wortsinn alles, was anderen nicht bekannt ist und — darin unterscheidet sich das Geheimnis vom bloßen A. a. O. S. 222 bis 225. So auch Baumbach-Hueck, AktG, 13. Auflage 1968, § 404 Anm. 5. 5 So mit Recht v. Stebut a. a. O., S. 59 Anm. 6 gegen Baumbach-Hueck a. a. O. § 4 0 4 Anm. 5, abweichend von diesem auch Meyer in AG 1966 S. 109, 115, und Godin-Wilhelmi, AktG, 4. Auflage 1971, § 93 Anm. 5. • NJW 1965 S. 1944. 7 Dietz, Betriebsverfassungsgesetz 1952, 4. Auflage 1967, § 76 Anm. 16. 8 Vgl. v. Stebut a. a. O. S. 58. 3 4
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Unbekanntsein einer Tatsache — nach dem Willen des Geheimnisträgers nicht bekannt werden soll. Unter welchen Voraussetzungen eine Tatsache noch als „unbekannt" gelten kann, ist neuestens von v. Stebut 9 sorgfältig untersucht worden. Seinen Ergebnissen kann beigepflichtet werden. Daneben gehört zum Geheimnisbegriff der Geheimhaltungswille der Gesellschaft, d. h. der Wille, das Unbekannte nicht über den Kreis der Eingeweihten hinaus nach draußen dringen zu lassen. Dieser Geheimhaltungswille braucht nicht ausdrücklich geäußert zu werden. Er muß auch nicht auf ein bestimmtes Geheimnis gerichtet, kann vielmehr von allgemeiner Art sein10. Nach der Lebenserfahrung spricht sogar eine Vermutung dafür, daß das, was ein bisher unbekanntes Internum der Gesellschaft ist, dem Kreis der Eingeweihten vorbehalten sein soll und also von dem Geheimhaltungswillen umschlossen ist11. Im Fall einer nicht offenkundigen Tatsache ist dem Einwand, es habe der Wille zur Geheimhaltung gefehlt, stets mit größtem Mißtrauen zu begegnen. Im Recht des unlauteren Wettbewerbs wird nicht selten angenommen, zum Begriff des „Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses" (§17 UWG) gehöre außer dem Unbekanntsein und dem Geheimhaltungswillen auch noch das Bestehen eines objektiven Interesses des Berechtigten an der Geheimhaltung („Interessentheorie" im Gegensatz zur „Willenstheorie") 12 . Es wird dies audi in der Weise ausgedrückt, daß die Geheimhaltung vor den Wettbewerbern „wichtig" sein13, daß das Geheimgehaltene für die Wettbewerbsfähigkeit des Inhabers Bedeutung haben 14 oder doch für die Geheimhaltung „ein vernünftiger Grund" bestehen müsse15. Diese Auslegung des wettbewerbsrechtlichen Begriffs des Geschäftsoder Betriebsgeheimnisses wird von manchen einfach auf den Begriff des Gesellschaftsgeheimnisses im Sinne des § 93 Absatz 1 Satz 2 übertragen. Dabei wird mitunter das Interesse als begriffsnotwendig stark hervorgehoben. Es liegt die Annahme nicht fern, daß dies gelegentlich geschieht, um anschließend den Schweigepflichtigen einen möglichst » A. a. O. S. 6 ff. 10 Vgl. v. Stebut a. a. O. S. 28. 11 Vgl. Ulmer-Reimer, Das Redit des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der Europäisdien Wirtsdiaftsgemeinsdiaft III, 1968, Nr. 310; Reimer, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, 3. Auflage 1954, 100. Kapitel, Anm. 2 S. 752; vgl. audi ν. Stebut a. a. O. S. 22, 29. 18 Vgl. dazu den Nachweis bei Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, Band 1, 10. Auflage 1971, § 17 UWG Anm. 2 und v. Stebut a. a. O. S. 30 f. mit Nachweis in Fußnoten 83 und 85. » Vgl. RGZ Band 149 S. 329, 334. 14 Baumbach-Hefermehl a. a. O. § 17 UWG Anm. 6. 18 Vgl. Isele a. a. O. S. 112.
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weiten Spielraum für eine persönliche Ermessensentscheidung darüber einzuräumen, wo sie selbst nach der Interessenlage die Grenze ihrer Verschwiegenheitspflicht zu ziehen haben. Darauf wird sogleich noch einzugehen sein. Stark betonen Hensche und Kittner das Interesseerfordernis. Hensche1® ist der Auffassung, zum Begriff des Geheimnisses im Sinne des § 93 Absatz 1 Satz 2 gehöre ein „berechtigtes, schutzwürdiges wirtschaftliches Interesse an der Geheimhaltung". Kittner 17 hält das berechtigte Interesse des Unternehmens am Nichtbekanntwerden, die Geheimhaltungsbedürftigkeit und Geheimhaltungswürdigkeit, für das entscheidende Merkmal, das zu dem Unbekanntsein und dem subjektiven Geheimhaltungswillen hinzutreten müsse. Über das Vorliegen oder Fehlen dieses Merkmals will er dann das einzelne Verwaltungsmitglied befinden lassen18. Im übrigen haben sich im Sinne der Interessentheorie u. a. auch Dietz 19 , Fitting-Auffarth-Kaiser 20 , Isele21 und Gester22 geäußert. Nun sind gegen die einfache Übertragung von Kriterien des Geheimnisbegriffs, die für das Recht des unlauteren Wettbewerbs gelten sollen, auf die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht Bedenken anzumelden 23 . Einmal kennt das Wettbewerbsrecht nur den engeren Begriff des „Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses", während § 93 Absatz 1 Satz 2 alle Geheimnisse der Gesellschaft umfaßt. Außerdem ist der Schutzzweck des Wettbewerbsrechts insofern beschränkter, als er die Abwehr unlauteren Wettbewerbs im Auge hat und Nachteile in der Wettbewerbsfähigkeit sowie damit in Zusammenhang stehende Beeinträchtigungen wirtschaftlicher Art hintanhalten will, während bezüglich der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht kein Anhalt für eine derartige Einschränkung besteht. Im übrigen ist es aber nicht einmal für das Wettbewerbsrecht richtig, daß das (nachzuweisende) Bestehen eines berechtigten Interesses an der Geheimhaltung als Tatbestandsmerkmal dem Begriff des „Geheimnisses" innewohnt. Die Interessentheorie beruht auf der ErGeheimhaltung bestehe, so könne eine Angelegenheit nicht willkürlich 16
Mitbestimmungsgespräch 1971 S. 111, 115. A. a. O. S. 222, 224 f., 229, 239 f. 18 Siehe a. a. O. S. 242 f. 19 A. a. O. § 55 Anm. 3, allerdings zu dem Begriff der „Betriebs- und Gesdiäftsgeheimnisse" im Sinne des § 55 Absatz 1 BetrVG 1952 und im wesentlichen gestützt auf Stimmen zum Recht des unlauteren Wettbewerbs. 20 Betriebsverfassungsgesetz, 10. Auflage 1972, § 79 Anm. 3 zu dem Begriff der „Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse" im Sinne des § 79 Absatz 1 BetrVG 1972 unter Heranziehung von Entscheidungen zum Wettbewerbsrecht. 21 A . a . O . S. 112, wo ein vernünftiger Grund für die Geheimhaltung verlangt wird. 22 A. a. O. S. 9. a Zutreffend v. Stebut S. 53 f. 17
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wägung, wenn objektiv kein wie immer geartetes Interesse an einer zum Geheimnis gemacht werden 24 . Sie krankt aber an dem Mißverständnis, zu einem Merkmal des Begriffs des „Geheimnisses" zu machen, was in Wahrheit nur den Schutz des Geheimnisses betrifft, nämlich einen Einwand gegen die Ausübung der Rechte aus einem Geheimnis darstellen kann. Besteht für ein Unternehmen schlechterdings unter keinerlei Gesichtspunkt auch nur das geringste Interesse an der Geheimhaltung einer Tatsache, die an und für sich geheim ist, so würde ein Sichberufen auf dieses Geheimnis und das Verlangen nach seiner weiteren Geheimhaltung zum Nachteil eines anderen willkürlich sein, da es durch den Zweck der Schutznorm (Hintanhaltung jeder Möglichkeit eines Nachteils aus einer Offenbarung) nicht gedeckt wäre. Der Ausübung des Rechts auf Geheimnisschutz stünde das Verbot des Rechtsmißbraudis, der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Daraus folgt aber nicht, daß das Interesse ein Tatbestandsmerkmal des Geheimnisses ist, dessen Vorhandensein von dem darzulegen wäre, der sich auf die Geheimhaltungspflicht berufen will 25 . Die Frage, ob begrifflich ein Geheimnis besteht, und die Frage, ob etwa willkürlich und rechtsmißbräuchlich handelt, wer die Aufrechterhaltung des Geheimnisses verlangt und damit an eine Grenze des Geheimnissc&«ize5 stößt, sind zwei zu unterscheidende Fragen. Diese Erkenntnis ist nicht nur rein theoretischer Art, sie hat audi praktische Bedeutung. Wenn das Geheimhaltungsinteresse ein Merkmal des Geheimnisbegriffs wäre, so wäre dessen Inhaber genötigt, für jeden Einzelfall, in dem er den Geheimnisschutz anruft, ein Interesse an der Geheimhaltung darzulegen. So liegt die Sache aber eben nicht. Wer ein ihm gesetzlich zustehendes Recht ausübt, handelt grundsätzlich in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung. Bezeichnet ein anderer diese Haltung als willkürlich, so ist es Sache dieses anderen, hier des zur Verschwiegenheit Verpflichteten, den Rechtsmißbrauch, d. h. das Fehlen jeglichen Geheimhaltungsinteresses, darzulegen2®. In diesem Sinne des Mißbrauchsverbots sind wohl u. a. zu verstehen für das Wettbewerbsrecht: BGH in LM § 17 U W G Nr. 2 (mit Nachweis) = G R U R 1955 Seite 424, 425; Ulmer-Reimer a. a. O. Nr. 311; Reimer a. a. Ο. 100. Kapitel Anm. 1 und 2; besonders überzeugend Degen in MuW 1927/28 Seite 432; für das Aktienrecht: nicht ganz deutlich v. Stebut Seite 32 ff., der aber jedenfalls auf Seite 47 zu dem Urteil kommt, es bestehe kein Anlaß, den Geheimnisbegriff dadurch einzuengen, daß das Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft in jedem Einzelfall genau geprüft und nur dann anerkannt werde, wenn es 84
Vgl. etwa Fitting-Auffarth-Kaiser a. a. O. § 79 Anm. 3.
Vgl. audi BGHZ Band 29 S. 113, 117 ff. w Vgl. BGHZ a. a. O. M
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schutzwürdig sei. Im übrigen kommt bei der Bestimmung des Begriffs des Geheimnisses das Wesensmerkmal des Interesses bei einer Vielzahl von Stimmen nicht vor 2 7 . Ein Mißbrauch des Geheimnisschutzes wegen Fehlens jeglidien Unternehmensinteresses wird kaum je gerügt werden können. Denn es ist allenfalls in krassen Ausnahmefällen einmal denkbar, daß ein Wille zur Geheimhaltung einer unbekannten Tatsadie zu verzeichnen, auch das geringste Interesse daran aber schlechterdings zu verneinen ist 28 . Das gilt um so mehr, als der Begriff des Interesses hier im weitesten Sinne zu verstehen ist. Jede — auch entfernte — Möglichkeit, daß die Offenbarung zu irgendeinem Nachteil führt, reicht aus. Der Nachteil muß nicht ein Vermögensschaden der Gesellschaft sein. Alles, was dem Unternehmenswohl irgendwie abträglich sein oder werden kann, bringt ein Interesse an der Geheimhaltung mit sich, ζ. B. audi die Möglichkeit, daß R u f und Ansehen des Unternehmens eine Einbuße erleiden, daß eine unbegründete Unruhe in der Belegschaft oder unter den Aktionären entsteht oder daß Ordnung und Friede im Betrieb gestört werden. Alle derartigen Vorkommnisse sind übrigens regelmäßig geeignet, auch wirtschaftliche Belange des Unternehmens zu verletzen 29 . Aber auch rein immaterielle Werte sind nicht weniger schutzwert als materielle 30 . Die Schlußfolgerung, die Entstehung jeglichen Nachteils sei mit Sicherheit ausgeschlossen, wird nach alledem höchst selten erlaubt sein. Diese Feststellungen zeigen zugleich, daß — bei Licht betrachtet — überhaupt nur der Vorstand der Gesellschaft zu beurteilen vermag, bezüglich welcher unbekannten Tatsachen die Fortsetzung der Geheimhaltung angebracht ist, wenn jede Möglichkeit eines Nachteils von dem Unternehmen ferngehalten werden soll. Es ist ausgeschlossen, daß der A R oder gar ein einzelnes Mitglied dieses Organs abschließend zu beurteilen vermögen, welches Wissen, das bisher nur einem beschränkten Kreis von Eingeweihten anvertraut ist, im Interesse des Unternehmens diesen Kreis nicht verlassen darf, also von Gesellschafts wegen als Geheimnis zu wahren ist 31 . Dazu gehört die 2 7 Ζ. B. nicht bei RG in J W 1929 S. 3087 Nr. 23, 3088; RG in J W 1936 S. 2081 Nr. 17; RG in MuW 1937 S. 225, 226; RG in J W 1938 S. 3050 Nr. 28; RG in GRUR 1939 S. 308, 311; BGH in LM § 17 UWG Nr. 2 mit Nachweis = GRUR 1955 S. 424, 425; Rosenthal-Leffmann, UWG, 9. Auflage 1969, § 17 Anm.9; Degen in MuW 1927/28 S. 432; Baumbach-Duden, HGB, 20. Auflage 1972, § 90 Anm. 1 A ; Baumbach-Hueck a. a. O. § 404 Anm. 5. 2 8 Vgl. audi v. Stebut a . a . O . S.40, 44 und 51; Ulmer-Reimer a . a . O . Nr. 311; Reimer a. a. O. 100. Kapitel Anm. 2. 2 9 Vgl. v. Stebut a. a. O. S. 40. 8 0 Vgl. v. Stebut a. a. O. S. 40 ff., 47. " Vgl. dazu audi Veith a. a. O. S. 527.
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Kenntnis von Einzelfaktoren und Zusammenhängen, über die in einem Gesamtüberblick nur der Vorstand als Unternehmensleitung verfügt, der in alle Einzelheiten Einblick genießt, der die Geschäftspolitik bestimmt (vgl. auch § 90 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1) und der in den Geschäftsführungsangelegenheiten den Willen der Gesellschaft bildet. Nur ihm kann es obliegen, in einer geschäftspolitischen Entscheidung nach seinem pflichtmäßigen Ermessen darüber zu befinden, ob ein Geheimnis zur Vermeidung von irgendwelchen Nachteilen für das Unternehmen zu wahren ist oder freigegeben werden kann. Folgerichtig ist denn auch im Aktienrecht nach ganz überwiegender Meinung der Vorstand der „Herr" und „Hüter" der Gesellschaftsgeheimnisse32. Die Richtigkeit dessen ergibt sich auch daraus, daß der Vorstand es ist, a) dem das Recht eingeräumt ist, im Falle eines Bruchs der Verschwiegenheitspflicht durch den AR oder ein AR-Mitglied den Antrag auf Strafverfolgung nach § 404 Absatz 1 Nr. 1 zu stellen (§ 404 Absatz 3 Satz 3), b) der als Arbeitgeber den Umfang der Geheimhaltungsbedürftigkeit gegenüber den Mitgliedern des Betriebsrats und der sonstigen betriebsverfassungsrechtlichen Organe bestimmt (vgl. namentlich § 79 BetrVG 1972), c) der in weiteren Fällen darüber zu entscheiden hat, ob und inwieweit Interna der Gesellschaft nach draußen dringen können (§ 131 Absatz 3; § 160 Absatz 4 Satz 3; § 334 Absatz 4 Satz 3). In diesen Zusammenhang gehört namentlich, daß die Auskunftsberechtigung der Aktionäre nach § 131 sich nicht gegen den AR oder gar einzelne seiner Mitglieder, sondern nur gegen den Vorstand richtet, der — und zwar als Gesamtvorstand — die Entscheidung über die Erteilung oder Verweigerung der Auskunft zu treffen hat. Es ist nicht vorstellbar, daß über das, was geheimzuhalten ist, bei einer Aktiengesellschaft unterschiedliche Instanzen, unter Umständen in entgegengesetztem Sinn, zu entscheiden hätten. Nicht unwichtig ist ferner, daß die Strafnorm des § 404 Absatz 3 danach unterscheidet, ob a) der AR oder ein Mitglied des AR oder aber b) ein Mitglied des Vorstandes die Verschwiegenheitspflicht verletzt hat. Der Fall, daß der gesamte M Vgl. u. a. Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Auflage 1970, S. 1520 mit eingehendem Nachweis in Fußnote 5 7 b ; Schilling a. a. O. § 9 3 Anm. 11; Brönner in Großkomm. AktG, 3. Auflage 1970, § 168 Anm. 7 ; Isele a. a. O. S. 1 2 7 ; Veith a. a. O. S. 528 f.; Eutebach, Die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft, Dissertation Köln 1969, S. 3 9 ; grundsätzlich auch Spieker in N J W 1965 S. 1943 für die Offenbarung an Belegschaft, Anteilseigner und Öffentlichkeit (ausgenommen den Betriebsrat).
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Vorstand die Tat begangen haben könnte, wird (im Gegensatz zum gesamten A R ) nicht in Betracht gezogen, weil vom Willen des Gesamtvorstands überhaupt abhängt, ob etwas als ein Geheimnis der Gesellschaft zu wahren ist. In keinem Fall steht dem AR und schon gar nicht dessen einzelnen Mitgliedern das Recht zu, ein Geheimnis aus der Verschwiegenheitspflicht herauszunehmen. Spieker 33 hat wiederholt angenommen, nicht der Vorstand, sondern der AR könne durch Beschluß über die Verschwiegenheitspflicht seiner Mitglieder befinden. Dies liefe auf eine unzulässige Verschiebung der aktienrechtlichen Zuständigkeiten hinaus 34 . Wohl mag ein Beschluß des A R , der einen an sich der Verschwiegenheitspflidit unterliegenden Gegenstand „freigibt", zwar nicht die objektive Pflichtverletzung, wohl aber das Verschulden des einzelnen AR-Mitglieds ausräumen können 35 . Gelegentlich wird geltend gemacht, der Geheimhaltungswille des Vorstands könne für die Verschwiegenheitspflicht des A R und seiner Mitglieder nicht maßgebend sein, weil der Vorstand als Unternehmensleiter der Überwachung durch den A R unterliege und nicht die Aufgabe habe, seinerseits den A R zu überwachen36. Kittner 3 7 meint, die Frage, ob ein AR-Mitglied über bestimmte Dinge des A R reden dürfe, habe nidits damit zu tun, ob darin ein Akt der Geschäftsführung liege; Zuständigkeitserwägungen könnten zum Bestehen einer Verschwiegenheitspflicht nichts beitragen. Hier werden mehrere MißVerständnisse deutlich. Wenn der für die Bildung des Geheimhaltungswillens allein zuständige Vorstand aus Gründen der Zweckmäßigkeit Wert auf das Erhaltenbleiben des Gesellschaftsgeheimnisses legt, so liegt darin keine Maßnahme einer Überwachung des AR, sondern ein Akt der Geschäftsführung. Der Vorstand macht sich bei Erfüllung einer eigenen Aufgabe nicht zum „Überwacher" des AR. Sofern der A R (als Kollegium) die Nichtspreisgabe eines Geheimnisses durdi den Vorstand aus Gründen des Unternehmenswohls als pflichtwidrig meint beanstanden zu können, mag er dagegen mit den Mitteln der Überwachung einschreiten. Keinesfalls ist es ein erlaubtes Mittel der Überwachung des Vorstands durch den AR, auch gegen den erkennbaren Willen des Vorstands der Verschwiegenheitspflicht unterliegende Tatsachen an N J W 1965 S. 1938, 1939, und Mitbestimmungsgespräch 1964 S. 5, 7. Mit Recht anderer Ansicht auch Gester a. a. O. S. 7; Veith a. a. O. S. 527. 3 5 Vgl. Veith a. a. O. S. 527; Mertens in Kölner Kommentar zum Akt G, 1970, § 93 Anm. 37. 3 0 So u. a. wohl Eutebach a. a. O. S. 19 und Spieker in Mitbestimmungsgesprädi 1962 S. 54 und 1964 S. 7. 3 7 A. a. O. S. 248. 33 34
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die Aktionäre, die Belegschaft oder gar die Öffentlichkeit herauszutragen. Schwer verständlich ist die Argumentation Kittners a. a. O. Wenn ein einzelnes AR-Mitglied anderen eine Information erteilt, so ist das natürlich kein Akt der Geschäftsführung, der nicht einmal dem Gesamt-AR zustünde, wohl aber bei Bruch der Verschwiegenheitspflicht unerlaubt. Die Verhaltensnorm des § 93 Absatz 1 Satz 2 setzt den Begriff des Geheimnisses voraus. Dessen Bestimmung gehört nicht zu den Aufgaben des AR oder seiner Mitglieder, geschweige denn, daß der Begriff von dem subjektiven Ermessen der AR-Mitglieder abhinge. Er ist vielmehr etwas, wofür es vorgegebene objektive Kriterien gibt, zu denen der Geheimhaltungswille des Vorstands (nicht des AR) gehört. AR-Mitglieder machen sich einer Pflichtverletzung schuldig, wenn sie ihr Urteil an die Stelle der Wertung des Vorstands setzen. Zu einem anderen Ergebnis kann nur der kommen, der es fehlerhaft der eigenen Ermessensentscheidung des einzelnen AR-Mitglieds überlassen will, ob ein Geheimnis vorliegt. Gerade darauf zielen einige der der Arbeitnehmerseite nahestehenden Autoren ab. Es würde aber zu verhängnisvollen Wirkungen führen und letzten Endes die völlige Auflösung der Verschwiegenheitspflicht zur Folge haben, wenn diese Pflicht nichts anderes bedeuten würde, als was eine neuere Richtung aus ihr machen möchte. Es liefe dies darauf hinaus, daß das einzelne AR-Mitglied je nach seinem Informationsstand, seinen Zielsetzungen, Wertvorstellungen und Beurteilungsmaßstäben die Grenzen seiner Verschwiegenheitspflicht selbst bestimmt. Das einzelne AR-Mitglied soll nach dieser Ansicht überlegen, welchen Schaden oder Nutzen eine Bekanntgabe der nicht offenkundigen Tatsache für die Interessen der Kapitalgeber einerseits und für diejenigen der Arbeitnehmer andererseits hätte. Sodann soll es Sache des Mitglieds sein, die jeweiligen positiven oder negativen Interessenbefunde gegeneinander abzuwägen und aus dem Resultat einer solchen Abwägung das Unternehmensinteresse zu definieren, an dem die Möglichkeit zur Bekanntgabe schließlich zu messen sei38. Es soll Aufgabe jedes AR-Mitglieds sein, sich zu bemühen, die Entscheidung dieses „Zielkonflikts" unter Einbeziehung aller „Teilinteressen" zu treffen 39 und danach zu entscheiden, ob eine Tatsache geheimzuhalten sei40. Dabei soll ihm „auf der subjektiven Seite ein erheblicher Spielraum" seines Ermessens zustehen 41 . Wie sehr dabei die Grenzen 38
So Kittner a. a. O. S. 240. » Kittner a. a. O. S. 243. 40 Kittner a. a. O. S. 243. 41 Kittner a. a. O. S. 243.
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der Verschwiegenheitspflicht verschwimmen, zeigt die gleichzeitige Feststellung, eine verbindliche Richtschnur, wie die Lösung dieses Zielkonfliktes jeweils zu finden sei, existiere nicht42. Ein Vorwurf soll dem AR-Mitglied nur zu machen sein, wenn „einzelne der beteiligten Interessen bei der Interessenabwägung entweder mißbräuchlich aus der Überlegung ausgeklammert werden oder der Entscheidung sachfremde Motive zugrunde liegen"43. Nimmt man hinzu, daß selbst beim Entstehen objektiver Nachteile für die Gesellschaft eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht nur dann vorliegen soll, wenn das daraus resultierende Interesse an einer Geheimhaltung auch gegenüber dem berechtigten Informationsinteresse der Arbeitnehmer — auf das noch einzugehen sein wird — höher zu bewerten sei44, so bliebe damit von der Verschwiegenheitspflicht nicht viel übrig 45 . Demgegenüber ist daran festzuhalten, daß eine Tatsache, die ein Geheimnis darstellt (oder unter den Begriff der vertraulichen Angaben fällt), vom AR und seinen Mitgliedern geheimzuhalten ist. Was ein Geheimnis ist, hängt nicht vom Ermessen des zur Verschwiegenheit Verpflichteten ab. Es gibt hier keinen Spielraum eigener Entscheidung. Der zur Verschwiegenheit Verpflichtete kann nicht „selbstherrlich" darüber befinden, ob und wieweit seine Pflicht besteht. Es kann hier Flume 46 angeführt werden: „Bei einem Gesetz ist es selbstverständlich, daß der Inhalt seiner Geltung nidit nadi dem jeweiligen tatsächlichen Verständnis der von ihm Betroffenen, d. h. derjenigen, für welche es gilt, bestimmt werden kann. Denn damit würde das Gesetz bei einem unterschiedlichen Verständnis der durch es Betroffenen als allgemein geltende Regelung aufgehoben."
Gewiß muß jedes AR-Mitglied, das anderen Informationen erteilen will, bei Fehlen von Richtlinien (etwa in Satzung oder Geschäftsordnung) zuvor selbst prüfen, ob ein Geheimnis der Gesellschaft (oder eine vertrauliche Angabe) es daran hindert. Es ist jedoch ein Fehlschluß, wenn angenommen wird, das objektive Vorhandensein eines Gesellschaftsgeheimnisses (oder einer vertraulichen Angabe) sei irgendwie vom subjektiven Ermessen des Verpflichteten abhängig, namentlich auch von dessen abwägendem Urteil darüber, die Bekannt42
Kittner a. a. O. S. 242. Kittner a. a. O. S. 243. 44 Kittner a. a. O. S. 233. 45 Ebenso wie Kittner oder doch in ähnlichem Sinn nehmen Stellung Hensche a . a . O . S. 115; Gester a . a . O . S. 6, 10; Gramm, Die Stellung, Verantwortlichkeit und Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter im AR der AG nadi dem Betriebsverfassungsgesetz und Aktiengesetz, Dissertation Göttingen 1964, S. 25 f. 46 Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Redits, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, 1965, § 16 1 c S. 293. 43
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gäbe welcher Angelegenheiten für das Unternehmensinteresse schädlich, gleichgültig oder gar förderlich sei und wo im einzelnen Fall ein übergeordnetes Interesse den Vorrang verdiene. Das AR-Mitglied kann an der gesetzlichen Verhaltensnorm nicht deuteln und die Grenzen seiner Verschwiegenheitspflicht nicht anders ziehen, als der gesetzliche Begriff sie normiert. Es findet die geheimzuhaltenden Sachverhalte vor. Subsumiert ein Mitglied einen Sachverhalt unrichtig, indem es für sich Gesellschaftsgeheimnis (und vertrauliche Angabe) zu Unrecht verneint, so ist das in jedem Fall objektiv eine Verletzung seiner Verschwiegenheitspflicht. Es kann sich dann gegenüber einem Schadensersatzanspruch der Gesellschaft oder sonstigen Maßnahmen allenfalls noch mit Argumenten auf der subjektiven Seite verteidigen, wobei die Beweislast bei ihm liegt (§ 93 Absatz 2 Satz 2). Außerdem drohen ihm Abberufung (§ 103 Absatz 1 und 3) und Bestrafung (§ 404 Absatz 1 Nr. 1). Der Gesellschaft ist allerdings damit wenig gedient, daß die falsche Ansicht des AR-Mitglieds über die Grenzen seiner Verschwiegenheitspflicht zu dessen Lasten geht, da der rechtswidrige Bruch der Verschwiegenheitspflicht mit all seinen Folgen sich nicht rückgängig machen läßt. 3. Mit dem Begriff der „vertraulichen Angabe" im Sinne des § 93 Absatz 1 Satz 2 hat es eine andere Bewandtnis als mit dem des „Geheimnisses". Dem Wortsinn und dem allgemeinen Verständnis nach gehört hierher alles, was unter der Auflage oder in der Erwartung vertraulicher Behandlung (also in der Erwartung, daß der Empfänger davon nach dritter Seite keinen Gebrauch macht) einem anderen mitgeteilt oder sonstwie offengelegt wird. Dabei ist nicht einmal notwendig, daß diese Erwartung ausdrücklich geäußert wird. Sie kann auch stillschweigend erklärt werden oder sich aus dem Zusammenhang, in dem die Angabe gemacht wird, und aus der Natur der Sache ergeben47. Wenn jemand einem anderen Angaben in der Erwartung macht, daß diese vertraulich behandelt werden, steht dem Unterrichteten keine Entscheidung darüber zu, ob für die erwartete Vertraulichkeit ein hinreichender Grund vorliegt. Der Grund für die Verschwiegenheitspflicht ist in solchen Fällen in erster Linie das schutzwürdige Vertrauen des Mitteilenden auf diskrete Behandlung der unter dem Siegel der Verschwiegenheit gemachten Angaben 48 .
47 Vgl. zum Begriff der vertraulidien Angabe namentlidi Godin-Wilhelmi § 93 Anm. 5. 48 Vgl. audi Spieker in Mitbestimmungsgespräch 1964 S. 5, 7.
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Die Annahme Gesters49 ist irrtümlich, es gebe einen objektiven, allgemeingültigen Maßstab für die Vertraulichkeit einer Angelegenheit nicht und das AR-Mitglied müsse von Fall zu Fall prüfen, ob tatsächlich Anhaltspunkte für den Vertraulichkeitscharakter vorlägen und bei der gebotenen „abwägenden" Beurteilung „überwögen". Was eine „vertrauliche Angabe" ist, steht in jedem Fall fest und für irgendeine abwägende Würdigung ist kein Raum. Die Auffassung Gesters leidet darunter, daß sie irrtümlich davon ausgeht, der Begriff der „vertraulichen Angaben" sei durch den der „vertraulichen Angelegenheiten" zu ersetzen50. Sie setzt sich damit darüber hinweg, daß das Gesetz ausdrücklich von „vertraulichen Angaben" spricht, und verwischt den Unterschied zwischen soldien Angaben und dem Begriff der Gesellschaftsgeheimnisse. Wie sehr die Grenzen verschwimmen, erweist sich bei Spieker51, wo der Versuch einer Abgrenzung zwischen nicht vertraulichen und vertraulichen Angelegenheiten gemacht wird, genaue Konturen aber nicht sichtbar werden. Dieser Schutz vertraulicher Angaben gilt auch für Informationen, die der Vorstand den AR-Mitgliedern in der Voraussetzung vertraulicher Behandlung erteilt. Stammen Angaben vertraulichen Charakters von einem Außenstehenden, so genießt dieser Dritte als Anvertrauender Schutz. Der aktienrechtliche Schutz vertraulicher Angaben bringt aber nicht eine Verschwiegenheitspflicht im Interesse Dritter mit sich. Schutzobjekt ist auch hier die Gesellschaft. Jedoch wird in aller Regel ein mittelbares Interesse der Gesellschaft daran bestehen — und zwar namentlich im Hinblick auf ihr Ansehen und ihre Vertrauenswürdigkeit —, daß die Verwaltungsmitglieder, denen in dieser Eigenschaft von anderer Seite Angaben vertraulichen Charakters gemacht worden sind, das Gebot der Vertraulichkeit beachten52.
II. Im Hinblick auf die besondere Bedeutung der dem AR zugewiesenen Aufgaben und die weitgehende Berichtspflicht des Vorstands über alle wichtigen Interna der Gesellschaft (vgl. namentlich § 90) ergibt sich von selbst, daß Gegenstand, Verlauf und Ergebnisse der Beratungen des AR der Verschwiegenheitspflicht unterliegen53. 49
A . a . O . S.4, 5, 15, 17. A. a. O. S. 4 vor und in Fußnote 4. So auch v. Stebut a. a. O. S. 64 f. und Henscbe a . a . O . S. 115. 61 N J W 1965 S. 1940. 52 Vgl. audi ν. Stebut a. a. O. S. 66; Eutebad) a. a. O. S. 14 f. 5S Vgl. namentlich Schilling a. a. O. § 93 Anm. 11. 50
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1.
Der Vorstand könnte dem AR nicht so ausführlich und so vorbehaltlos berichten, wie es erforderlich ist, wenn er damit rechnen müßte, daß sein Bericht oder Teile davon sich am nächsten Tag in der Presse finden. Im übrigen ist für jedes Gremium solcher Art, in dem wichtige Entscheidungen vorbereitet und beschlossen werden, die Wahrung des Beratungsgeheimnisses eine Notwendigkeit. Wenn für Entscheidungen in Kollegien nach Art des AR oder für deren Vorbereitung die Verschwiegenheitspflicht nicht streng gilt, so wird damit „die Chance der Beratung zerstört, die Möglichkeit wohlerwogener Entscheidungen abgeschnitten"54. Es besteht ein hohes Interesse daran, daß im AR alles, was zu seinen Aufgaben gehört, vorbehaltlos und unvoreingenommen verhandelt werden kann, so daß durch freie Meinungsäußerung eine edite Diskussion und eine offene Austragung gegensätzlicher Auffassungen möglich ist. Das ist nicht zuletzt auch zum Zweck einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen AR und Vorstand dringend geboten. Wer auch immer vom AR oder Vorstand das Wort ergreift, soll und will nicht gewärtigen müssen, daß irgendein Mitglied des AR nach seinem Ermessen davon draußen berichtet. Ein für das Wohl des Unternehmens erforderliches aufgeschlossenes und fruchtbringendes Gespräch wäre nicht gewährleistet, wenn jeder Teilnehmer damit rechnen müßte, daß seine Stellungnahme in bestimmten Fragen und namentlich sein Verhalten bei Abstimmungen nach draußen getragen wird. Es könnte sonst auch nicht ausbleiben, daß manche, die sich im AR äußern, ihre Stellungnahme von dem abhängig madien, was die Wirkung „draußen" sein und wie diese ihr Persönlichkeitsbild außerhalb des Kreises der Teilnehmer beeinflussen könnte. Allein was das AR-Mitglied bei sachlicher Prüfung für im Wohl des Unternehmens liegend erachtet — und zwar langfristig, nicht für den Augenblick —, soll die Richtschnur seiner Stellungnahme sein. Das gilt für alle Mitglieder. Für die Anteilseignervertreter darf ζ. B. nicht maßgebend sein, was vielleicht ein größerer Teil der derzeitigen Aktionäre gern verwirklicht sähe, sondern was dauerhaft dem Unternehmenswohl dient und damit allerdings schließlich auch den Aktionären (nicht weniger als den Arbeitnehmern) zustatten kommt. In genau der gleichen Weise hat das Wohl des Unternehmens den Arbeitnehmervertretern als Leitbild zu dienen, das letzten Endes der Belegschaft nützt, selbst wenn Teile der Arbeitnehmer kurzfristig anderen Lösungen den Vorzug geben möchten. Kein AR-Mitglied soll die Besorgnis haben müssen, durch seine Haltung bei seinen Wählern an Geltung und ~M Dolf Sternberger in FAZ vom 24.9.1971.
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„Beliebtheit" zu verlieren, wenn seine Stellungnahme draußen bekannt würde. Daraus folgt: Im AR zu sachgerechten Entschließungen zu gelangen, wird nur möglich sein, wenn die Beratungen, also Gegenstand, Verlauf und Ergebnisse (namentlich auch die Abstimmungen) der AR-Sitzungen, völliger Diskretion unterliegen. Im anderen Falle wäre die Funktionsfähigkeit des AR ernstlich gefährdet. Es besteht mithin ein hohes Interesse der Gesellschaft daran, daß regelmäßig aus den Beratungen nichts nach draußen dringt, so daß allein daraus auf den Willen des Vorstands zur Geheimhaltung geschlossen werden kann. Gerade das aber ist das Merkmal eines Geheimnisses der Gesellschaft. Obendrein trifft auch der Begriff der vertraulichen Angaben zu. Die AR-Mitglieder wollen sicher sein, daß aus ihren Sitzungen nichts nach draußen getragen wird. Das gleiche gilt für die Mitglieder des Vorstands, die regelmäßig an den AR-Sitzungen teilnehmen und durch mündlichen Bericht sowie schriftliches Material die Unterlagen für die Entschließungen des AR liefern. AR- und Vorstandsmitglieder erwarten also die Einhaltung der Vertraulichkeit als selbstverständlich. Sie müssen sich auf die Vertraulichkeit der Verhandlungen verlassen können, ohne sie jedesmal ausdrücklich als vertraulich bezeichnen zu müssen. Alles dies bedeutet natürlich nicht, daß Angelegenheiten allein schon deshalb der Verschwiegenheitspflicht unterliegen, weil im AR über sie gesprochen worden ist. Was ohnehin allgemein bekannt ist, gehört nicht hierher 55 . 2.
Zu Unrecht wendet sich Kittner5® gegen den Schutz eines solchen Beratungsgeheimnisses. Es sei ausgeschlossen, so meint er, interne Angelegenheiten des AR nur deswegen als geheimhaltungspflichtig zu kennzeichnen, damit eine kollegiale vertrauliche Verhandlungsatmosphäre dieses Gremiums gewährleistet sei. Eine derartige Vorstellung werde vielleicht der persönlichen Erwartung bestimmter an einer ARSitzung Beteiligter entsprechen; sie bewege sich damit im nicht normierten Bereich persönlicher, zwischenmenschlicher Beziehungen, lasse sich jedoch nicht auf die einzelnen am Unternehmen beteiligten Interessen zurückführen, deren substantielle Betroffenheit allein den Inhalt der der Gesellschaft gegenüber bestehenden Verschwiegenheitspflicht bestimme. Dabei will er die Entscheidung, was gegen das Interesse des Unternehmens verstoße, auch hier allein dem einzelnen AR-Mitglied 55
Mit Recht allerdings zur Vorsicht mahnend Veith a. a. O. S. 527. « A. a. O. S. 238 ff.
s
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überlassen. Der Schutz „vertraulicher Angaben" wird so völlig vernachlässigt und für den Begriff des geschützten „Geheimnisses" ist, wie dargetan, der Nachweis eines Interesses an Geheimhaltung nicht erforderlich. Vor allem aber: Nirgendwo mehr als hier liegt auf der Hand, daß ein hohes Interesse der Gesellschaft an der Einhaltung des Beratungsgeheimnisses besteht. Was zum Prozeß der Willensbildung des A R im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben gehört, ist ein Internum des Unternehmens, nicht für die Außenwelt bestimmt und jede Abweichung davon muß zu einer ernstlichen Störung des Vertrauens und damit der sachgerechten Erfüllung der Organpflichten des A R und seiner Einzelmitglieder führen. Selbst Spieker, der fehlerhaft annimmt, Vertraulichkeit sei nicht die Regel, sondern die Ausnahme 57 , erkennt wenigstens an, innere Angelegenheiten des A R selbst bedürften in der Regel vertraulicher Behandlung, um unnötige persönliche Spannungen zu vermeiden, schwebende Verhandlungen nicht zu stören und überhaupt eine kollegiale und sachgemäße Beratungsatmosphäre zu erhalten; es folge dies aus Wesen und Sinn der Kollegialentscheidung und aus der Notwendigkeit, die persönliche Unabhängigkeit der AR-Mitglieder in der Willensentscheidung zu wahren. Da im AR nicht geheim abgestimmt werde, werde ζ. B. die Tatsache, daß ein bestimmtes Mitglied in diesem, ein anderes im entgegengesetzten Sinn abgestimmt habe, vertraulich zu behandeln sein 58 . So richtig diese Erkenntnis ist, so wenig verständlich bleibt von ihrer Grundlage aus allerdings, daß Spieker Mitteilungen der Arbeitnehmervertreter im A R an Betriebsrat und Gewerkschaften von der Verschwiegenheitspflicht ausnehmen will 59 . Hiervon wird sogleich die Rede sein.
III. Soweit Verschwiegenheitspflicht besteht, gilt sie gleichmäßig für alle Mitglieder des A R . Namentlich gibt es keinen Unterschied zwischen den Anteilseignervertretern und den Arbeitnehmervertretern. 1.
Der A R ist nach dem hier allein eingreifenden Aktienrecht 60 weder ein Ausschuß der Hauptversammlung, also der Aktionäre, noch ein 5 7 Mitbestimmungsgesprädi 1964 S. 7 ; ferner N J W 1965 S. 1939. Ebenso Rumpff in Mitbestimmungsgesprädi 1966 S. 151, 152. 5 8 Handbuch für Aufsiditsräte, 1958, Band 1 S. 260; Mitbestimmungsgesprädi 1964 S. 7; vgl. dazu audi Eutebach a. a. O. S. 20 f. 5 8 So u. a. in Handbuch für Aufsiditsräte a. a. O. S. 260 f. Vgl. Dietz a. a. O. Vorbem. vor § 76 Anm. 2 und Anm. 19, ferner § 76 Anm. 5 ff.
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Organ der betriebsverfassungsrechtlichen Belegschaft. Zufolge der nämlichen gesellschaftsrechtlichen Rechtsstellung haben alle AR-Mitglieder die gleichen Pflichten und Rechte. § 4 Absatz 3 Satz 1 des Mitbestimmungsgesetzes und § 5 Absatz 4 des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes in Verbindung mit dieser Vorschrift bestätigen dies ausdrücklich. Aber auch im einfach mitbestimmten AR sind nach allgemeiner Meinung sämtliche Mitglieder in jeder Beziehung gleichermaßen berechtigt und der Gesellschaft zur Treue und Sorgfalt verpflichtet. Sie haben alle bei Ausübung ihrer Befugnisse die Interessen der Gesellschaft, die sich, wenn diese Träger eines Unternehmens ist, mit dem Wohl des Unternehmens decken, zur obersten Richtschnur zu wählen 61 und tragen dafür allenthalben die gleidie Verantwortung 62 . Daran ändert es nichts, daß die Arbeitnehmervertreter im Rahmen des unternehmerischen Willensbildungsprozesses in besonderem Maße (wie es im übrigen auch die Pflicht der Aktionärvertreter ist) ihr Augenmerk auf die Belange der Belegschaft richten werden. Im Konfliktsfall müssen sie sich jedenfalls für die übergeordneten Interessen des Unternehmens entscheiden, weil sie, wenn auch von den Arbeitnehmern gewählt, gesellschaftsrechtliche Organmitglieder sind63. Die Verpflichtung auf das Wohl des Unternehmens ist nicht erst durch die Mitbestimmung herbeigeführt worden, hat für den AR vielmehr immer gegolten. Der AR muß mit Mitbestimmung und ohne diese grundsätzlich seine Geschäfte selbständig und weisungsfrei zum Nutzen des Unternehmens führen, und zwar gegebenenfalls auch gegen den Willen der Anteilseigner und sogar einer Anteilseignermehrheit. Bei einem Widerspruch zwischen den Interessen der Aktionäre und dem Wohl des Unternehmens geht das letztere vor 64 . Es gibt durchaus ein Gesamtinteresse des Unternehmens, das über dem Indivi61
Vgl. dazu audi § 6 Absatz 2 Satz 2 des Mitbestimmungsgesetzes. Zur Gleichstellung aller AR-Mitglieder vgl. u . a . Isele a . a . O . S. 115 mit eingehendem Nachweis in Fußnote 26; Baumbadi-Huedk a. a. O. Anhang nach § 96 Anm. 35 und 37 sowie § 111 Anm. 4; Schilling a. a. O. § 116 Anm. 8; Meyer-Landrut in Großkomm. AktG, 3. Auflage 1971, § 96 Anm. 1; Hueck-Nipperdey a. a. O. •S 1518 f. mit Nachweis in Fußnote 54; Dietz a . a . O . § 7 6 Anm. 11, 13 und 15; Fitting-Auffartb-Kaiser a . a . O . Anhang § 7 6 BetrVG 1952 Anm. 124 bis 126; Möhring-Tank, Handbuch der Aktiengesellschaft, 1967, Band I Tz. 333; Müller, Fälle der Interessenkollision bei Arbeitnehmervertretern im AR, Dissertation Köln 1968, S. 17; Spieker in Handbuch für Aufsichtsräte, 1958, Band 1 S. 250, 299 f.; BAG in AP Nr. 7 zu § 13 KSchG. 83 Vgl. etwa Meyer-Landrut in Großkomm. AktG a. a. Ο. § 111 Anm. 5; Sc&i'/Zmg a . a . O . § 1 1 6 A n m . 9 ; Fitting-Auffarth-Kaiser a . a . O . Anhang § 7 6 BetrVG 1952 Anm. 126; Dietz a . a . O . § 7 6 Anm. 15 mit Nachweis; Spieker in Handbuch für Aufsichtsräte a. a. O. S. 300; Müller a. a. O. S. 62 mit Nachweis in Fußnote 4 und 5. M Vgl. u. a. Dietz a. a. O. § 76 Anm. 15. 62
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dualinteresse der Aktionäre (aber auch über demjenigen der Arbeitnehmer) steht. Im übrigen haben die verschiedenen Aktionärgruppen häufig unterschiedliche oder gar entgegengesetzte Interessen. Die einen kennen nur ein Dividendeninteresse, also ein Interesse an starken Ausschüttungen, die anderen — vielleicht aus spekulativer Tendenz — ein reines Kursinteresse, wieder andere sind allein an einem kontinuierlichen Wachstum des Unternehmens der Gesellschaft interessiert und wollen eine ständige innere Stärkung des Unternehmens durch Bildung von Eigenkapital, namentlich für Investitionen. Es gibt insofern kein einheitliches Interesse der Aktionäre. Der AR hat — ebenso wie der Vorstand — die Geschäfte nicht nach dem mutmaßlichen Willen von Aktionären zu führen oder gar einseitig der einen oder anderen dieser Tendenzen den Vorrang einzuräumen, vielmehr das — langfristig verstandene — Interesse des Unternehmens als solchen zu berücksichtigen. Dazu gehört sicher auch, die Belange der Belegschaft im Auge zu behalten. Wer in diesem Sinn dem Besten des Unternehmens dient, fördert damit dauerhaft die Interessen sowohl der Aktionäre als auch seiner Arbeitnehmer, die alle gleichermaßen an der gedeihlichen Entwicklung des Unternehmens, an seiner Erhaltung und Stärkung interessiert sind65. Angesichts der völlig gleichen Rechte- und Pflichtenlage aller ARMitglieder unterscheiden sich die Arbeitnehmervertreter von den durch die Aktionäre gewählten und entsandten Mitgliedern allein durch die Art ihrer Auswahl 66 . Die Bezeichnung „Vertreter der Arbeitnehmer" bezieht sich nur auf den Bestellungsvorgang, nicht auf die Aufgaben der von Arbeitnehmerseite bestellten AR-Mitglieder 67 . Der Begriff ist genau genommen mißverständlich 68 , denn die „Vertreter" der Arbeitnehmer im AR sind weder gesetzliche Vertreter der Arbeitnehmer noch deren Bevollmächtigte, die namens der Arbeitnehmerschaft Erklärungen mit Wirkung für und gegen diese abzugeben hätten. Sie stehen auch nicht in einem Auftragsverhältnis zur Belegschaft, zum Betriebsrat oder zu den Gewerkschaften und unterliegen keinerlei Weisung, sind vielmehr ganz unabhängig. Es gilt für sie insofern nichts anderes als für die von den Aktionären gewählten und entsandten AR-Mitglieder, die keine Beauftragten der Aktionäre sind und gleichfalls ihre Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahrVgl. u. a. Htteck, Die Stellung der Arbeitnehmervertreter im AR, in: Zwei Vorträge zum Arbeitsredit, 1960, S. 13, 14; Müller a. a. O. S. 79. ββ So mit Recht Diet ζ a. a. Ο. § 76 Anm. 15. 87 So wörtlich Fitting-Auffarth-Kaiser a. a. O. Anhang § 76 BetrVG 1952 Anm. 126. 68 Fitting-Auffarth-Kaiser a.a.O.; ferner Dietz a . a . O . §76 Anm. 15; Müller a. a. O. S. 29; Schilling in RdA 1954 S. 441, 445. 65
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zunehmen haben 69 . § 4 Absatz 3 Satz 2 des Mitbestimmungsgesetzes und § 5 Absatz 4 des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes in Verbindung mit dieser Vorschrift stellen ausdrücklich klar, daß alle AR-Mitglieder an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind. Es gilt dies aber nach allgemeiner Ansicht audi im Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes70. Im Gegensatz zu § 76 Absatz 1 BetrVG 1952 spricht denn auch das jüngere Gesetz, nämlich das Aktiengesetz, richtiger von „AR-Mitgliedern der Arbeitnehmer" und „AR-Mitgliedern der Aktionäre" (§ 96 Absatz 1, § 101 Absatz 1). Lediglich aus Gründen der Einfachheit wird im folgenden der Begriff der „Arbeitnehmervertreter" weiter verwendet. 2. Audi was die Verschwiegenheitspflicht angeht, verbietet die einheitliche Pfliditenlage aller AR-Mitglieder eine Differenzierung zwischen Arbeitnehmervertretern und Anteilseignervertretern71. Fällt eine Angelegenheit unter die Verschwiegenheitspflicht, so ist darüber von allen AR-Mitgliedern gegenüber jedem Dritten, also gegenüber sämtlichen Personen und Stellen außerhalb des AR und des Vorstandes, Stillschweigen zu bewahren. Die Versdiwiegenheitspflidit besteht auch gegenüber Aktionären, die zufolge eines Entsendungsrechts (§ 101 Absatz 2) Mitglieder in den AR entsandt haben, und ferner gegenüber Mehrheitsaktionären. Der Großaktionär hat nach dem Gesetz nicht mehr Rechte als die übrigen Aktionäre 72 . Daß der Vorstand in manchen Fällen aus seiner Vorstandsverantwortung mit dem Großaktionär vertraulich Fühlung nimmt, wird nicht zu umgehen sein, ζ. B. wenn es sich darum handelt, sich der Stimmen des Großaktionärs für vom Vorstand als notwendig betrachtete Hauptversammlungsbe69 Vgl. u. a. Meyer-Landrut in Großkomm. AktG a. a. O. § 96 Anm. 1; Dietz a . a . O . §76 Anm. 13; Eutebach a.a.O. S. 8; Georg Schröder in Festschrift für Gessler, 1970, S. 171, 182; Müller a. a. O. S. 29; Spieker in Handbudi für Aufsichtsräte a . a . O . S. 141; BAG in AP Nr. 7 zu § 13 KSdiG und Kücbenhoff in Anm. dazu; BFH vom 27. 7.1972, V R 136/71, veröffentlicht im Handelsblatt Nr. 173 vom 7.9.1972 S. 9. 70 Neben den bereits erwähnten Stimmen vgl. hierzu audi Müller a. a. O. S. 27. 71 Vgl. Isele a. a. O. S. 114; Dietz a. a. O. § 76 Anm. 16; Schilling in Großkomm. AktG a . a . O . §93 Anm. 11; Godin-Wilhelmi a . a . O . §116 Anm. 3; FittingAuffarth-Kaiser a . a . O . Anhang §76 BetrVG 1952 Anm. 125; Meyer-Landrut in Großkomm. AktG a. a. O. § 96 Anm. 1; Baumbach-Hueck a. a. O. Anhang nadi § 9 6 Anm. 37; Meyer-Landrut in AG 1964 S.326; Veith in NJW 1966 S.529; grundsätzlich audi Gester a. a. O. S. 3. 72 Janberg in AG 1965 S. 191, 193; Wilhelmi in Handbudi des Aufsichtsrats, 1972, Tz. 493; wohl mag es sein, daß das Problem der Versdiwiegenheitspflidit im Konzern nodi einer besonderen Untersuchung bedarf. So Obermüller-Werner-Winden, AktG, 1965, S. 52.
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schlüsse (etwa Kapitalerhöhung, Verschmelzung oder dergleichen) zu versichern oder beispielsweise auch den Abschluß eines Know-howVertrags mit dem Unternehmen des Großaktionärs zu erreichen. Mit der ausdrücklichen Ermächtigung des Vorstands kann dabei unter Umständen auch einmal ein AR-Mitglied nützliche Dienste leisten. Aber das steht auf einem anderen Blatt; es ändert an der grundsätzlichen Verschwiegenheitspflicht auch dem Großaktionär gegenüber nichts. Lediglich für einen einzigen Sonderfall schränkt das Gesetz die Verschwiegenheitspflicht ein, und zwar für AR-Mitglieder, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den AR gewählt oder entsandt worden sind (§ 394). Im Hinblick auf diese Lockerung der Pflicht der betreffenden AR-Mitglieder unterwirft das Gesetz aber in § 395 Absatz 1 und 2 die Angehörigen der Verwaltung der Gebietskörperschaft, denen die Berichte dienstlich zugänglich werden, einer besonderen aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht, die im wesentlichen derjenigen der AR-Mitglieder entspricht. Die Verletzung dieser Verschwiegenheitspflicht ist nach § 353 b StGB strafbar und kann nach § 839 BGB, Art. 34 GG zu Schadensersatzansprüchen führen 73 . Aus dem Ausnahmecharakter der §§ 394, 395 ergibt sich zugleich, daß in sonstigen Fällen das Informationsinteresse anderer, und zwar selbst öffentlich-rechtlicher Stellen, die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht nicht zurückdrängt 74 . Die §§ 394, 395 wären überflüssig, wenn ζ. B. auch ein AR-Mitglied, das Repräsentant des Mehrheitsaktionärs oder einer Großbank ist, deren Informationsinteresse sicher nicht geleugnet werden kann, berechtigt wäre, ohne Beachtung seiner gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht Berichte zu erstatten, oder wenn gar gegenüber den Wählern oder Entsendern im Hinblick auf deren Interesse an Unterrichtung allemal die Verschwiegenheitspflicht entfiele7*.
IV. 7
Kittner ® und andere wollen die in III dargestellte Rechtslage nicht gelten lassen. 1.
Von Kittner wird es zunächst als „interessant" befunden, daß die Feststellung der gleichen Rechtsstellung aller AR-Mitglieder hinsichtlich der Verschwiegenheitspflicht in erster Linie dazu benutzt werde, 73
Vgl. Baumbach-Hueck a. a. O. § 395 Anm. 3. Vgl. Mertens a. a. O. § 93 Anm. 40. 75 Vgl. v. Stebut a. a. O. .S 132, 137. 7 « A. a. O. S. 209 ff. 74
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auf die Bindungen der Arbeitnehmervertreter hinzuweisen, und daß die Diskussion sich im Grunde nur um die Verschwiegenheitspflicht der Arbeitnehmervertreter drehe77. Nun liegt die Erklärung hierfür nicht fern. Einmal ist nicht zu verkennen, daß Anteilseignervertreter regelmäßig kaum derartigen Versuchungen zur Nichtbeachtung der Verschwiegenheitspflicht ausgesetzt sein werden, wie es bei den Arbeitnehmervertretern der Fall ist, zumal diese häufig zugleich Betriebsratsmitglieder und aktive Gewerkschaftler sind78. Im übrigen ist die Diskussion nicht einmal dadurch ausgelöst worden, daß im Zuge der Mitbestimmung Arbeitnehmervertreter in den AR eintraten — hier genügte in einschlägigen Veröffentlichungen der bloße Hinweis darauf, daß die Verschwiegenheitspflicht auch für sie Geltung habe —, sondern vielmehr dadurch, daß die Arbeitnehmerseite in zahlreichen Veröffentlichungen und in der Praxis die Tendenz zeigte, die Verschwiegenheitspflicht gerade für die Arbeitnehmervertreter stark zu lockern79. Diese Tendenz mußte um so mehr besorgte Reaktionen auslösen, als — was auch Kittner nicht verkennt 80 — jede Information eines Arbeitnehmervertreters an die Belegschaft, aber auch an Betriebsrat oder an Gewerkschaften, unmittelbar oder mittelbar zwangsläufig in die Öffentlichkeit getragen wird, was beispielsweise bei der Information eines Großaktionärs „hinter den geschlossenen Türen der jeweiligen Vorstandsetage" 81 nicht der Fall sein würde. 2. Für den Versuch, die Verschwiegenheitspflicht stark zu verwässern, bildet gerade Kittner ein Beispiel. Er vertritt die Ansicht, die rechtliche Gleichstellung von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern hinsichtlich der Verschwiegenheitspflidit führe zu einer Ungleichheit, weil die faktischen Verhältnisse bei beiden Gruppen unterschiedlich lägen. Die Anteilseignervertreter stünden im Verhältnis zu der „von ihnen repräsentierten Seite" in wesentlich geringerem Maße vor der „Notwendigkeit", Informationen über das Unternehmen weiterzugeben82. In ihrer Auswirkung treffe deshalb die Regelung in §§ 116, 93 Absatz 1 Satz 2 in erster Linie die Arbeitnehmervertreter im AR. Dies wird damit begründet, für eine „sinnvolle und adäquat aus" A. a. O. S. 209 f. 78 Hirsch, Der Strafrechtssdiutz und die strafreditlidie Haftung der Arbeitnehmervertreter im AR der AG, Dissertation Köln 1966, S. 122. n Vgl. namentlich die mehreren Veröffentlichungen von Spieker, das mehrfath angeführte Gutachten Gesters vom 1. 8.1969 sowie die im folgenden behandelten weiteren Stimmen. 80 A. a. O. S. 210. 81 Kittner a. a. O. S. 210 f. 82 A. a. O. S. 219.
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geübte Mitbestimmung" sei die Information der Arbeitnehmer über die Tätigkeit der Mitbestimmungsträger unerläßlich83. Die Arbeitnehmer bedürften ihrerseits der Information, um »die über die Mitbestimmung vermittelte Teilhabe am Unternehmensverband adäquat auszufüllen" 84 . Daraus wird die Schlußfolgerung gezogen, eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht sei nur dann zu bejahen, wenn der Gesellschaft aus der Weitergabe von Informationen objektive Nachteile entstünden und überdies das Interesse an Geheimhaltung auch gegenüber dem berechtigten Informationsinteresse der Arbeitnehmer höher zu bewerten sei85. In diesem Zusammenhang beruft sich Kittner darauf, eine solche immanente Begrenzung des Geheimnisschutzes durch entgegenstehende Informations- oder Verwertungsinteressen werde vom BGH anerkannt 86 . Dieser Argumentation fehlt die Überzeugungskraft. Zunächst geben die ins Feld geführten Entscheidungen des BGH für die von Kittner aufgestellte These nichts her, eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht könne durch das Interesse anderer an Information zurückgedrängt werden. Kittner verkennt aber auch den Sinn der Mitwirkung von Arbeitnehmervertretern im AR. Dieser liegt darin, daß Repräsentanten der Arbeitnehmerschaft an der Willensbildung in dem Gesellschaftsorgan AR teilhaben sollen, nämlich — gleichberechtigt mit den Anteilseignervertretern — an den wichtigen Beratungen und Entschließungen des AR teilnehmen und auf sie Einfluß nehmen können. Die Arbeitnehmervertreter sind auf diese Weise in den Entscheidungsprozeß in Sachen der Unternehmensleitung eingeschaltet. Die strikte Beachtung der Verschwiegenheitspflicht durch sie ist, worauf Veith 87 zutreffend hinweist, das notwendige Korrelat der Beteiligung der Arbeitnehmer an der bedeutungsvollen Arbeit der Aufsichtsräte. Es verdient durchaus Widerspruch, wenn von Hensche88 der Standpunkt eingenommen wird, der AR sei „ein Organ zur Austragung kollektiver Interessenkonflikte durch die Vertreter verschiedener Interessengruppen", ein „politisches Entscheidungsorgan" für die „(unternehmens-)politische Austragung von Gruppenkonflikten". Diese Auffassung läuft auf eine Denaturierung des AR als eines editen gesellschaftsrechtlichen, an der Unternehmensführung beteiligten ω
A. a. Ο. S. 214. A . a . O . S. 214, 232, 251. 86 A. a. Ο. S. 233. 8 · A. a. Ο. S. 231 unter Bezugnahme auf BGH in NJW 1955 S. 463 Nr. 6, BGHZ Band 24 S. 72, 76 ff., 83, BGHZ Band 38 S. 391, 396. 87 A. a. O. S. 529. 88 Mitbestimmungsgespräch 1971 S. 113. 84
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Organs hinaus und verlagert auf ihn zuständigkeitswidrig Aufgaben, die auf ganz anderer Ebene erfüllt werden müssen und auch tatsächlich erfüllt werden. 3.
In keinem Fall werden Mitglieder in den AR gewählt, um einem Informationsbedürfnis ihrer Wähler Genüge zu tun. Eine soldie Information gehört weder auf der Arbeitnehmervertreterseite noch etwa auf der Aktionärvertreterseite zu den Obliegenheiten des AR, geschweige denn einzelner AR-Mitglieder. Die Arbeitnehmervertreter wie die Aktionärvertreter sind im AR, um an dessen Verhandlungen und Entscheidungen mitzuwirken, ihre Argumente vorzubringen, Anträge zu stellen und ihre Stimme mit in die Waagschale zu werfen, nidit aber zu dem Zweck, Informationen nach draußen zu geben. Durch die Mitwirkung von Repräsentanten der beiden Gruppen im AR soll nicht den Wählern eine zusätzliche Unterrichtungsquelle über Vorgänge in der Unternehmensleitung eröffnet werden. 4.
Auch der Gedanke, die Arbeitnehmer als Wähler müßten kontrollieren können, ob die von ihnen gewählten Arbeitnehmervertreter im AR das von ihnen erwartete Verhalten an den Tag legten, und diese Kontrolle könne nur auf der Grundlage von Informationen an die Kontrollierenden ausgeübt werden, vermag den Bruch der Verschwiegenheitspflicht nicht zu rechtfertigen. Wie oben dargelegt, besteht zwischen den Arbeitnehmervertretern und den Wählern oder dem Betriebsrat kein Rechtsverhältnis, geschweige denn ein Abhängigkeitsverhältnis, kraft dessen die Arbeitnehmervertreter rechenschaftspflichtig und zur Auskunft darüber, mit welchen Problemen sie im AR zu tun haben und wie diese bewältigt werden, verpflichtet wären. Demgemäß kennt das Gesetz auch eine Haftung der Arbeitnehmervertreter gegenüber der Belegschaft nicht89. Die Arbeitnehmerseite hat also kein Recht auf Information durch die AR-Mitglieder. Einer freiwilligen Unterrichtung steht aber die Verschwiegenheitspflidit entgegen. 5.
Kittner 90 spricht audi davon, mit der Verschwiegenheit der Arbeitnehmervertreter gegenüber der Belegschaft sei tendenziell stets eine Schwächung der Solidarität zwischen den Arbeitnehmervertretern und den von ihnen im AR repräsentierten Arbeitnehmern verbunden. Dieser Gesichtspunkt ist in dem hier behandelten Zusammenhang 89 00
Vgl. Spieker in Handbudi für Aufsiditsräte a. a. O. S. 302. A. a. O. S. 219.
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jedoch genauso fehl am Platze, wie wenn man von einer „Solidarität" zwischen Anteilseignervertretern und den Aktionären sprechen wollte, die die Verschwiegenheitspflicht einschränke. Alle AR-Mitglieder sind dem Wohl des Unternehmens als solchen verpflichtet und können nicht aus dem Gefühl der „Solidarität" oder um deren Erhaltung willen vertrauliche Angaben und Geheimnisse an ihre Wähler ausplaudern. 6. Gelegentlich klingt auch die Besorgnis an, die Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht könne einer Wiederwahl der betreffenden Arbeitnehmervertreter hinderlich im Wege stehen. In diese Richtung weist ζ. B. die Parallele zum allgemeinen politisdien Bereich mit dem Hinweis, es hänge vom Grad der Information ab, ob der einzelne Bürger sein Stimmrecht optimal nützen könne91. Diese Parallele zum Bereich der Politik ist verfehlt, ganz abgesehen davon, daß für die Beratungen der Regierung auch ein strenges Vertraulichkeitsprinzip gilt 92 . In diesen Zusammenhang gehört auch der Hinweis93, § 76 Absatz 5 BetrVG 1952 gebe den wahlberechtigen Arbeitnehmern die Möglichkeit, durch einen Dreiviertelmehrheitsbeschluß die Bestellung von Arbeitnehmervertretern zum AR vorzeitig zu widerrufen, ohne daß dieser Beschluß einer Begründung bedürfe94. Daraus ergebe sich die Verantwortlichkeit der Arbeitnehmervertreter gegenüber Belegschaft und Betriebsrat. Dabei wird daran vorbeigesehen, daß eine vorzeitige Abberufungsmöglichkeit, die keine disziplinarische Maßnahme ist 95 , für sämtliche AR-Mitglieder besteht. Auch AR-Mitglieder, die als Anteilseignervertreter von der Hauptversammlung gewählt worden sind, können vor Ablauf der Amtszeit durch einen nicht näher zu begründenden Beschluß mit Dreiviertelmehrheit von den Aktionären abberufen werden (§ 103 Absatz 1). Ein AR-Mitglied, das aufgrund der Satzung von einem Aktionär in den AR entsandt worden ist (§ 101 Absatz 2), kann sogar von dem Entsendungsberechtigen allein jederzeit abberufen und durch ein anderes ersetzt werden (§ 103 Absatz 2 Satz 1). Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß irgendein AR-Mitglied von der Verschwiegenheitspflicht insoweit befreit sei, als es sonst Gefahr laufe, von verstimmten Aktionären oder einer verärgerten Arbeitnehmersdiaft abberufen zu werKittner a. a. O. S. 215. § 22 Absatz 3 der Geschäftsordnung der Bundesregierung; vgl. Das Deutsche Bundesrecht I A 19 a S. 5. 98 Rump ff a . a . O . S. 152. 9 4 Vgl. audi § 11 des Mitbestimmungsgesetzes und § 10 des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes. 9 5 Vgl. Fitting-Auffarth-Kaiser a. a. O. Anhang § 76 BetrVG 1952 Anm. 98. 91
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den9®. Keinem Anteilseignervertreter und keinem Arbeitnehmervertreter steht im Hinblick auf die „Gefahr" der Abberufung ein Recht zur Mißachtung der Verschwiegenheitspflicht zu. Diese Situation darf nicht verwechselt werden mit den Fällen eines echten Interessenkonflikts, der ausnahmsweise einmal eintreten kann, ζ. B. wenn ein A R Mitglied berechtigte eigene Ansprüche gegenüber der Gesellschaft nicht durchsetzen oder unberechtigte Ansprüche der Gesellschaft nicht abwehren kann, ohne ein Internum der Gesellschaft preiszugeben 97 . 7. Um seinen von dem hier gewonnenen Ergebnis abweichenden Standpunkt zu rechtfertigen, zieht Kittner 98 eine Parallele zum Auskunftsrecht des Aktionärs in der Hauptversammlung (§§ 131, 132). E r verweist darauf, diese gesetzliche Regelung trage einerseits der Tatsache Rechnung, daß der Aktionär der Information bedürfe, um seine Rechte sinnvoll wahrnehmen zu können, ziehe diesem Informationsbedürfnis aber andererseits eine Grenze da, wo der Gesellschaft nicht unerhebliche Nachteile drohten. Den Gedanken, daß hier ein Geheimhaltungsinteresse notfalls dem Informationsinteresse „weichen" müsse, will Kittner auch auf die Verschwiegenheitspflicht des A R übertragen. Ersichtlich werden hier zwei ganz unterschiedliche Dinge in einen unpassenden Zusammenhang gebracht. Der Vorstand (nicht der A R ) ist in der Hauptversammlung den Aktionären grundsätzlich auskunftspflichtig, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen (Auskunftsverlangen eines Aktionärs in der Hauptversammlung über Angelegenheiten der Gesellschaft, soweit es zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist — § 131 Absatz 1 Satz 1 —). In diesem Rahmen ist also das Informationsinteresse der Aktionäre grundsätzlich anerkannt. Nur ausnahmsweise hat der auskunftspflichtige Vorstand ein Recht zur Verweigerung der Auskunft, wenn einer der Fälle des § 131 Absatz 3 Nr. 1 bis 5 vorliegt. Das Mitglied eines A R dagegen ist grundsätzlich zur Verschwiegenheit über alle vertraulichen Angaben und Gesellschaftsgeheimnisse verpflichtet, und zwar in der Hauptversammlung und bei jeder anderen Gelegenheit. Das ist eine ganz andere Lage als diejenige des in der Hauptversammlung dem Grundsatz nach auskunftspflichtigen Vorstands. In keinem Fall unterliegt die Beurteilung, ob eine Auskunft nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung geeignet ist, der Gesellschaft einen nicht unerheblichen Naditeil zu-
•e Vgl. audi v. Stebut a. a. O. S. 138. •7 Allgemeine Meinung; vgl. v. Stebut a. a. O. S. 139 ff. 8 8 A. a. O. S. 235 ff.
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zufügen (§131 Abs. 3 N r . 1), dem abwägenden Ermessen des ARMitglieds. Das Informationsinteresse der Aktionäre kann immer nur gegenüber dem Vorstand (Gesamtvorstand) verfolgt werden (§ 131). Für AR-Mitglieder kann sich infolgedessen die Frage überhaupt nicht stellen, ob ein Informationsinteresse der Aktionäre ihre Verschwiegenheitspflicht einzuschränken in der Lage sei. Sicher geht auch das Informationsinteresse der Aktionäre oder einzelner von ihnen weiter, als das Gesetz ihre Unterrichtung durch den Vorstand vorschreibt und zuläßt. Aber dieses Interesse ist in keinem Fall geeignet, Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht zu rechtfertigen. In ähnlidi unrichtiger Weise wie bei Kittner findet sich eine unzutreffende Anlehnung an die Auskunftsberechtigung der Aktionäre in der Hauptversammlung bei Zempelin". Dieser will den Arbeitnehmervertretern das Recht zubilligen, der Arbeitnehmerschaft in demselben Umfang Beridit zu erstatten, wie dies der Vorstand gegenüber den Aktionären zu tun berechtigt sei. So richtig es ist, daß die Verschwiegenheitspflicht des AR-Mitglieds sich nicht auf das erstreckt, was der Vorstand selbst in der Hauptversammlung den Aktionären sowie AR-Mitgliedern (vgl. § 118 Abs. 2) und damit der Öffentlichkeit preisgegeben hat, so unmöglich ist es, den AR-Mitgliedern vorweg eine Beurteilung zu überlassen, was ein Vorstand in einer nädisten Hauptversammlung nach § 131 an Auskünften erteilen müßte. Das einzelne AR-Mitglied kann sein Ermessen nicht an die Stelle der Entscheidung des Gesamtvorstands in einer künftigen Hauptversammlung oder gar des Gerichts (§ 132) setzen und seinerseits den Rahmen einer künftigen Auskunftspflicht des Vorstands bestimmen, um danach zu entscheiden, was es selber vorab anderen preisgeben darf. Dabei ist auch in Betracht zu ziehen, daß schon ein vorzeitiges Bekanntwerden f ü r die Gesellschaft nachteilig sein kann. Der de lege ferenda gemachte Vorschlag der Biedenkopf-Kommission 100 , eine Einschränkung der Verschwiegenheitspflicht des AR in Anlehnung an §131 vorzunehmen, läuft auf eine von der Systematik des AktG her unzulässige Verwischung der Grenzen zwischen den Organkompetenzen hinaus (Vorwegnahme der Entschließung des Gesamtvorstands der Gesellschaft durch einzelne AR-Mitglieder). 8.
Eine Ausnahme von der umfassenden Verschwiegenheitspflicht besteht auch nicht für Auskünfte an den Betriebsrat. Das Gegenteil wird seit der Veröffentlichung von Spieker in N J W 1965 Seite 1937, 1941, »» AcP Band 155, 1956, S. 210, 237. Mitbestimmung im Unternehmen, 1970, Bundestagsdrucksadie VI/334 S. 96.
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öfter geltend gemacht. Am weitesten geht hier Hensdie 101 : Die Verschwiegenheitspflicht gegenüber Betriebsratsmitgliedern entfalle jedenfalls in solchen Fragen, die in den Aufgabenbereich des Betriebsrats fielen; das sei aus dem Zweck der Unternehmensmitbestimmung abzuleiten, die den Arbeitnehmern unter anderem über die betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse hinaus auch hinsichtlich der Unternehmenspolitik Kontrollrechte einräumen solle; damit die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats sinnvoll ergänzt werden könnten, sei eine ungehinderte Kommunikation zwischen AR-Mitgliedern und Betriebsrat erforderlich. Ähnlich meint Spieker102, Mitteilungen, die der Arbeitnehmervertreter gegenüber dem Betriebsrat oder den Gewerkschaften im Rahmen vertrauensvoller Zusammenarbeit mache, seien keine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht; sie dienten nur der Verhinderung von Mißverständnissen und der Aufrechterhaltung des Vertrauens zwischen der Arbeitnehmerschaft und der Unternehmensleitung 103 . Mindestens will Spieker ein Recht der Unterrichtung des Betriebsrats (und wohl auch der Gewerkschaften) bejahen, wenn ein „berechtigtes Interesse" des Betriebsrats vorliege, wie ζ. B. in dem Fall, daß im AR über die bevorstehende Stillegung eines größeren Unternehmensteils Beschluß gefaßt werde und der Betriebsrat sich auf die kommenden Schwierigkeiten einstellen müsse, deren Bewältigung im Interesse der Belegschaft eine seiner vornehmsten Aufgaben sei104. Dem ist entgegenzuhalten, daß es in keinem Fall eine Aufgabe des Organs AR, geschweige denn eines einzelnen AR-Mitglieds ist, der Verschwiegenheitspflicht unterliegende Angelegenheiten unter Abwägung berechtigter oder nicht berechtigter Interessen des Betriebsrats an diesen zu offenbaren 105 . Die Unterriditung des Betriebsrats obliegt allein dem Arbeitgeber. Das ist die Gesellschaft, deren Arbeitgeberfunktionen allein von dem Vorstand als geschäftsführendem Organ, nicht aber vom AR oder gar dessen Einzelmitgliedern wahrgenommen werden 106 .
101 Mitbestimmungsgespräch 1971 S. 115, wo übrigens bemerkt wird, daß diese Auffassung der herrschenden Lehre widerspricht. 102 Handbuch für Aufsichtsräte a. a. O. S. 260 f.; Mitbestimmungsgespräch 1962 S. 55. 108 Ebenso jedenfalls dem Grundsatz nach Gutachten Gester S. 12 und HansBöckler-Gesellsdiaft, Die Mitbestimmung im AR, 1966, S. 119 f. 104 Vgl. Spieker in Mitbestimmungsgespräch 1962 S. 55, in NJW 1965 S. 1941 und in Mitbestimmungsgespräch 1967 S. 90. 105 So mit Recht Isele a. a. O. S. 127. 10 « So richtig Isele a. a. O.; Veith a. a. O. S. 529; Godin-Wilhelmi a. a. O. § 116 Anm. 3; Hueck-Nipperdey a. a. O. S. 1520 mit Nachweis in Fußnote 57 b.
Zum Beratungsgeheimnis im Aufsichtsrat einer AG
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Gester 107 , der grundsätzlich die Auffassung Spiekers zum Ausgangspunkt wählt, scheint allerdings letzten Endes die Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht allein auf den Fall beschränken zu wollen, daß der unterrichtungspflichtige Vorstand die Rechte des Betriebsrats durch Vorenthaltung notwendiger Informationen verletzt und der Betriebsrat angesichts der besonderen Dringlichkeit der Angelegenheit oder ihrer Bedeutung für die Arbeitnehmer ein berechtigtes, schutzwürdiges Interesse hat, dessen Befriedigung zugleich dem Unternehmensinteresse dient. In einem solchen Fall werde man, so meint Gester, die Arbeitnehmervertreter im AR jedenfalls nach vorheriger Ankündigung im AR und fruchtloser Aufforderung an den Vorstand für berechtigt ansehen können, die »zur Klärung der Lage erforderlichen" Informationen dem Betriebsrat zu erteilen. Der Vorstand soll mit der Aufforderung an ihn Gelegenheit erhalten, gemäß § 55 Abs. 1 BetrVG 1952 (jetzt BetrVG 1972 § 79) die Gegenstände der Information gegenüber dem Betriebsrat ausdrücklich als geheimhaltungspflichtig zu bezeichnen108. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Auch in solchen Fällen kann sich der AR nicht und noch weniger ein einzelnes AR-Mitglied (auch nicht ein Arbeitnehmervertreter im AR, dem gegenüber den anderen AR-Mitgliedern irgendwelche Sonderrechte nicht zustehen) an die Stelle des Vorstands setzen und Aufgaben erfüllen, die allein diesem obliegen. Dem Vorstand muß es vorbehalten bleiben, unter Beachtung der Vorschriften des BetrVG den Umfang der von ihm dem Betriebsrat und den sonstigen betriebsverfassungsrechtlichen Organen zu erteilenden Informationen, aber auch den Zeitpunkt einer Unterrichtung zu bestimmen. Darauf, daß dies sachgemäß geschieht, kann in aller Regel vertraut werden, da die Aufrechterhaltung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat usw. zu den wesentlichen Pflichten des Vorstands gehört. Wenn wirklich einmal ein Vorstand dieser Pflicht nicht nachkommen würde, kann jedes AR-Mitglied die Angelegenheit im AR zur Sprache bringen, so daß dieser den Vorstand zur Ordnung rufen und im Rahmen seiner Überwachungspflicht auf den Vorstand im Sinne einer Erfüllung von dessen Pflichten einwirken kann. Mit Recht werden, wie Veith 109 bemerkt, insbesondere die Arbeitnehmervertreter im AR ihre Aufgabe nidit zuletzt darin sehen, Verletzungen betriebsverfassungsreditlidier Pflichten durch den Vorstand im AR zur Verhandlung zu bringen und auf eine entsprechende Beschlußfassung und deren Verwirklichung zu A. a. O. S. 13 f.; ähnlich Hans-Böckler-Gesellschaft a. a. O. S. 120. Ähnli