Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge: Versuch einer allgemeinen Theorie des self-executing treaty auf rechtsvergleichender Grundlage [1 ed.] 9783428418084, 9783428018086


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German Pages 334 Year 1970

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Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge: Versuch einer allgemeinen Theorie des self-executing treaty auf rechtsvergleichender Grundlage [1 ed.]
 9783428418084, 9783428018086

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 123

Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge Versuch einer allgemeinen Theorie des self-executing treaty auf rechtsvergleichender Grundlage

Von

Albert Bleckmann

Duncker & Humblot · Berlin

ALBERT

BLECKMANN

Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge

S c h r i f t e n zum ö f f e n t l i c h e n Band 123

Recht

Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge Versuch einer allgemeinen Theorie des self-executing treaty au! rechtsvergleichender Grundlage

Von Dr. Albert Bleckmann

DUNCKER

&

HUMBLOT

/

BERLIN

Alle Hechte vorbehalten © 1970 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1970 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH.» Berlin 61 Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis Abkürzungen

12

Einführung

15

Erstes Kapitel Z u m Stand von Lehre und Rechtsprechung auf nationaler und internationaler Ebene I. Staaten, in denen völkerrechtliche Verträge mit dem Abschluß des Vertrages innerstaatliche Geltung erlangen 17 1. Belgien 17 2. Bundesrepublik Deutschland . . . 20 3. Frankreich 22 4. Griechenland 24 5. Italien 24 6. Luxemburg 33 7. Niederlande 34 8. Österreich 34 9. Schweiz 38 10. U S A 41 : I I . Staaten, in denen Völkerrechtsverträge grundsätzlich keine innerstaatliche Geltung erlangen I I I . Die 1. 2. 3.

Rechtsprechung der internationalen Gerichte Der Ständige Internationale Gerichtshof Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Literatur und Rechtsprechung, die für alle Staaten einheitliche Regeln der innerstaatlichen Anwendbarkeit entwickeln wollen

41 44 44 45 47

Zweites Kapitel Der Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge À. Definitionskategorien der unmittelbaren Anwendbarkeit I. Rechtsfolgedeflnitionen

50 50

6

Inhaltsverzeichnis I I . Voraussetzungsdefinitionen

50

I I I . Globaldefinitionen

52

IV. Gegenseitige Zuordnung der Definitionskategorien

52

B. Einordnung der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge in eine allgemeine Theorie der Anwendbarkeit von Hechtssätzen: unmittelbare Anwendbarkeit i m Völker- und im Landesrechtsraum

55

C. Innerstaatliche Geltung und innerstaatliche Anwendbarkeit

57

I. Einbeziehung der innerstaatlichen Geltung i n die innerstaatliche Anwendbarkeit

59

I I . Einbeziehung der innerstaatlichen Anwendbarkeit in die innerstaatliche Geltung

61

D. Die innerstaatlichen Anwendungsformen des Vertragsvölkerrechts . .

66

I. Einführung in das Problem I I . Übersicht über die „Prozeßpositionen" des Vertragsrechts

66 69

1. „Prozeßpositionen" des materiellen Vertragsrechts a) Der Vertrag als Angriffsgegenstand b) Der Vertrag als Maßstab der Rechtmäßigkeit innerstaatlicher Rechtsakte c) Der Vertrag als Anspruchsgrundlage

71 76

d) Die vertragliche Aufhebung innerstaatlichen Redits: zur „Kollisiansfähigkeit" der Verträge

77

2. Prozeßpositionen des prozessualen Vertragsrechts

70 70

82

3. Vertragsanwendung auf Vorfragen

82

4. Die „mittelbare" Anwendung des Vertragsrechts a) Die Einbeziehung des Vertrags in innerstaatliches Recht ·. b) Die vertragskonforme Auslegung

83 84 85

I I I . Begründung subjektiver Rechte oder Anwendung durch ein bestimmtes Organ?

92

1. Einführung in das Problem 92 a) Verhältnis zwischen der makro- und mikrojuristischen Ebene 94 b) Verhältnis zwischen dein prozeßrechtlichen und den materiellen Kategorien 94 2. Welche der vier Begriffe soll man der unmittelbaren Anwendbarkeit zugrunde legen? a) Die Bestimmung der Rechtsfolge b) Begründung subjektiver Rechte als Voraussetzung der unmittelbaren Anwendbarkeit

95 95 98

Inhaltsverzeichnis E. Ist nur das Völkerrecht oder auch das Landesrecht Maßstab der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge? — Die „Präexistenztheorie" 103 F. Terminologische und Methodenfragen I. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse I I . Methodenfragen

108 108 108

I I I . Terminologische Fragen

110

1. Die Spezifizierung der Anwendungsformen

110

2. Terminologische Abgrenzung der innerstaatlichen Geltung von der innerstaatlichen Anwendbarkeit 112

Drittes Kapitel Die innerstaatliche Anwendbarkeit als Rechtsinstitut I. Die Einheit des Sachproblems I I . Das Verhältnis der Anwendbarkeit zu anderen Rechtsinstituten 1. „Anwendung" und „Nichtanwendung"

116 117 117

2. Die Einbeziehimg der innerstaatlichen Anwendbarkeit i n andere Rechtsinstitute 121 I I I . Die Zuordnung des Rechtsinstituts „innerstaatliche Anwendbarkeit" zum Völkerrecht oder zum Landesrecht 123 IV. Bestimmung des für die Beurteilung der innerstaatlichen Anwendbarkeit zuständigen Landesrechts: Kollisionsnormen für die innerstaatliche Anwendbarkeit 129

Viertes Kapitel Die Voraussetzungen d'et innerstaatlichen Anwendbarkeit: Methodenfragen I. Zum Zweck eines Vergleichs der Voraussetzungen der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge i n den einzelnen Staaten 138 I I . Zur Einteilung der Voraussetzungsdefinitionen

142

1. Subjektive und objektive Theorien

143

2. „Rechtsgrund" und „Voraussetzungen" der Anwendbarkeit

143

I I I . Ist der Vertrag in seiner Gesamtheit oder jede einzelne Vertragsbestimmung Gegenstand der Prüfung der Anwendbarkeit? 147 1. Stand der Lehre und Rechtsprechung

148

8

Inhaltsverzeichnis 2. Analyse und Würdigung

»

149

a) Voraussetzungen der innerstaatlichen Anwendbarkeit, die ihrer Natur nach notwendig die Prüfung des Gesamtvertrags verlangen 150 b) Prüfung des Gesamtertrages zwecks „Erhellung" der anzu^ wendenden Vertragsbestimmungen 151 c) Rückwirkimg der Nichtanwendbarkeit einzelner Vertragsbestimmungen auf die Anwendbarkeit anderer Vertragsvorschriften 152

Fünftes Kapitel Die subjektiven Voraussetzungen der innerstaatlichen Anwendbarkeit I : Der auf die innerstaatliche Anwendung gerichtete Wille der Vertragsparteien (Vertragswillenstheorien) I. Zum Stand der Lehre und Rechtsprechung

157

1. Objektive und subjektive Formulierung der Voraussetzungen der innerstaatlichen Anwendbarkeit 157 2. Die geforderte Willensrichtung

158

3. Die Feststellung dieses Willens

159

4. Der Vertragswille als notwendige Voraussetzung der innerstaatlichen Anwendbarkeit 159 I I . Analyse der Vertragswillenstheorien

160

1. Auf die Anwendung gerichteter Parteiwille

161

2. Auf die Voraussetzungen dieser Anwendung gerichteter Parteiwille 163 3. Grade der gewollten Wirkungsunmittelbarkeit I I I . Würdigung der Vertragswillenstheorien

.

. . . 164 165

1. Die Auswirkung der Vertrags Willenstheorien auf die innerstaatliche Anwendbarkeit 165 a) Der Adressat der Völkerrechtsverträge

165

b) Auswirkungen des Monismus und des Dualismus auf das Problem des Völkerrechtsadressaten: Vermutungen für und gegen einen auf die innerstaatliche Anwendung gerichteten Parteiwillen , 167 2. Zur Begründung subjektiver Rechte .

174

a) Begründung subjektiver Rechte im Völker- und im Landesrechtsraum 174 b) Die subjektive und die objektive Konstruktion der Begründung innerstaatlicher subjektiver Rechte 176 c) Begründung innerstaatlicher subjektiver Rechte durch das Völkerrecht oder nur durch das Landesrecht? 178 d) Die Begründung subjektiver Rechte als notwendige Voraussetzung der innerstaatlichen Anwendbarkeit 179

Inhaltsverzeichnis Sechstes Kapitel Die subjektiven Voraussetzungen der innerstaatlichen Anwendbarkeit Π : Der auf die innerstaatliche Anwendung gerichtete Wille des nationalen Gesetzgebers I. Das Zustimmungsgesetz

186

1. Die Zustimmungsformeln a) Wortlaut der Zustimmungsformeln b) Tragweite der Zustimmungsformeln c) Zustimmungsformeln, die von der Regel abweichen

186 186 188 190

2. Die Veröffentlichung des Vertrages

194

3. Gesetzliche Aus- und Durchführungsbestimmungen a) Regelung der Zuständigkeit und des Verfahrens für die innerstaatliche Durchführung materieller Vertrags Vorschriften b) Ausführungsbestimmungen, die materiell-rechtliche Vertragsvorschriften ergänzen oder konkretisieren c) Die ausdrückliche Aufhebung vorheriger Gesetze im Zustimmungsgesetz d) Gesetzliche Hervorhebimg der Grundrechtsbeschränkung e) Ermächtigung zu Rechtsverordnungen i m Zustimmungsgesetz

196

I I . Ein- und Durchführungsverordnungen

197 201 206 207 208 210

1. Die Einführung der Verträge ins innerstaatliche Recht durch Rechts- oder VerwaltungsVerordnungen 211 2. Konkrete Anwendungsbefehle in Ein- und Durchführungsverordnungen 214 3. Verwaltungsverordnungen I I I . Anwendungsbefehle in allgemeinen Gesetzen 1. Unmittelbare Anwendungsbefehle

218 219 219

2. Gesetze, deren Regelung nach dem Willen des Gesetzgebers hinter Verträgen zurücktritt 223 3. Schutz völkerrechtlicher Verpflichtungen des Staates durch allgemeine Gesetze 225 4. Der allgemeine gesetzliche Vertragsvorbehalt

226

5. Die Tragweite der verschiedenen Gesetzesklauseln

227

Siebentes Kapitel Die objektiven Voraussetzungen der innerstaatlichen Anwendbarkeit Ί. Die Pflichtentheorie

233

1. Darstellung der Pflichtentheorie

233

2. Analyse der Pflichtentheorie

237

Inhaltsverzeichnis

10

3. Würdigung der einzelnen Voraussetzungen der Pflichtentheorie a) Verfassungsrechtliche Beschränkung des nationalen Gesetzgebers hinsichtlich der auswärtigen Gewalt b) Völkerrechtliche Schranken des nationalen Gesetzes c) Beschränkung der Anwendbarkeit auf Verträge, die Gesetzgebungspflichten begründen? d) Anwendbarkeit von Verträgen, die Rechte des eigenen Staates begründen? e) Anwendbarkeit von Verträgen, die Pflichten und Redite dritter Staaten begründen? f) Ausschluß der Anwendbarkeit von Verträgen, deren Materie nicht in den nationalen Gesetzesvorbehalt fällt? I I . Die Normentheorie

238 238 240 241 241 243 243 244

1. Stand der Lehre und Rechtsprechung

244

2. Analyse und Würdigung der Normentheorie a) Der völkerrechtliche Rechtssatzbegriff aa) Universalität der Herkunft bb) Begründung „objektiven" Rechts cc) Allgemeinheit des Inhalts

246 246 249 249 250

b) Der nationale Gesetzesbegriff (1) Nur allgemeine Regelung Gesetz i m landesrechtlichen Sinn? (2) Beschränkung der Angriffsmittel auf allgemeine Regeln durch das nationale Verfahrensrecht? (3) Eingriff in Freiheit und Eigentum?

253 253 253 254

c) Umdeutung der Normentheorie 254 d) Rückführung der Anwendbarkeit auf andere Rechtsflguren 255 3. Ausschluß der „reinen Rechtsgeschäfte" a) Stand der Lehre und Rechtsprechung b) Analyse und Kritik

258 258 260

I I I . Die politischen Verträge: Einwirkung der Theorien des „acte de gouvernement" und der „political acts" auf die innerstaatliche Vertragsanwendung 262 1. Gründe für den Ausschluß der innerstaatlichen Anwendbarkeit politischer Verträge a) Sicherung des Freiheitsraums des eigenen Staates b) Schutz der Souveränität fremder Staaten c) Unfähigkeit des nationalen Richters, politische Verträge richtig anzuwenden d) Völkerrechtsverhältnisse, die ihrer Art nach nur mit völkerrechtlichen Verfahren durchgesetzt werden können

265 265 267 268 270

2. Die Umsetzung dieser Motive i n Rechtsinstitute 270 a) Die Staatenimmunität 270 b) Ausschluß der Anwendung bestimmter Verträge durch die allgemeinen innerstaatlichen Normen über die Sachkompetenz der Gerichte 271

Inhaltsverzeichnis c) Ausschluß der Anwendbarkeit von Verträgen durch die Theorie des acte de gouvernement 272 d) Ausschluß der Vertragsanwendung durch die Theorie der „Inadäquanz der innerstaatlichen Durchsetzungsmittel 44 279 I V . Verträge, die sich ihrem Wortlaut nach an die Staaten wenden . . 287 V. Verträge, die sich ihrem Wortlaut nach an den Gesetzgeber wenden: Die Notwendigkeit eines innerstaatlichen Aktes 290 1. Stand der Lehre und Rechtsprechung

290

2. Analyse

292

3. Würdigung

294

4. Innerstaatliche Anwendung als Sanktion der Untätigkeit des Gesetzgebers? 299 V I . Notwendigkeit eines völkerrechtlichen Ausführungsaktes

303

V I I . Die Materie der Verträge

304

V I I I . Die hinreichende Bestimmtheit der Vertragsvorschriften

305

1. Die Einwirkung innerstaatlicher Rechtsprinzipien auf die innerstaatliche Anwendbarkeit 305 2. Die Rechtsgrundlage des Bestimmtheitsprinzips

308

3. Die Tragweite des Bestimmtheitsgrundsatzes a) Schwierigkeit der Einfügung der Verträge ins Recht b) Ermessensspielraum des Staates c) Fehlende Präzisierung und Detaillierung

312

Literaturverzeichnis

nationale

313 314 315 322

Abkürzungen = anderer Ansicht a. Α. = aaO. am angeführten Ort = Absatz Abs. = Abschn. Abschnitt = AJIL American Journal of International L a w = Anmerkung Anm. = Artikel Art. = Archiv des öffentlichen Rechts AöR = AVR Archiv des Völkerrechts = AWD Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters = BAnz. Bundesanzeiger BayVerfGH = Bayerischer Verfassungsgerichtshof = BB Der Betriebs-Berater = Bd. Band = Bundesfinanzhof BFH = Entscheidungen des Bundesfinanzhofs BFHE BGB Bürgerliches Gesetzbüch = BGBl. Bundesgesetzblatt = BGE Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichtes = BGH Bundesgerichtshof = BGHSt. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen = Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BGHZ — BStBl. Bundessteuerblatt = BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts = BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts = C. A. Cour d'Appel = Cour de cassation bzw. Corte di cassazione Cass. = CDE Cahiers de droit européen = CE Conseil d'Etat = D. Recueil Dalloz = d. h. das heißt = D. H. Dalloz hébdomadaire = D. L . R Dominion L a w Reports = DÖV Die öffentliche Verwaltung = D. P. Dalloz périodique = DVB1. Deutsches Verwaltungsblatt = EFG Entscheidungen der Finanzgerichte = EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch EGH = Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften = Europäische Menschenrechtskonvention EMRK = Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG = Vertrag über die Gründung der Europäischen WirtschaftsEWGV gemeinschaft = folgende f. = Finanzgericht FG

Abkürzungen F. Supp. GATT GG GRUR — Ausi. G. U. IPR JBL JCP JdT

Jg.

JORF JUS JW JZ Kap. LG Lit. MDR MUV NJW no Nr. OGH OLG ÖVerfGH Pas. RabelsZ RdC Ree. RG RGDIP RGSt. RGZ Rspr. RsprEGH RVO RzW S. S. SEW Slg. StGB StIGH Trib. civ. U. S. VerfGH vgl.

13

Federal Supplement General Agreement on Tariffs arid Trade Bonner Grundgesetz = Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Auslandsteil = Gazzetta Ufficiale della Repubblica Italiana = Internationales Privatrecht = Juristische Blätter = Juris — Classeur Périodique. La Semaine Juridique = Journal des Tribunaux = Jahrgang = Journal officiel de la République française = Juristische Schulung = Juristische Wochenschrift = Juristenzeitung = Kapitel = Landgericht = Literatur = Monatsschrift für Deutsches Recht = Vertrag über die Gründung der Montanunion = Neue Juristische Wochenschrift = numéro = Nummer = Oberster Gerichtshof = Oberlandesgeridit = österreichischer Verfassungsgerichtshof = Pasicrisie beige = Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recueil des Cours de l'Académie de Droit International de la Haye Recueil des décisions du Conseil d'Etat statuant au contentieux = Reichsgericht = Revue Générale de Droit International Public = Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen = Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen = Rechtsprechung Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften. Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes = Rechtsverordnung = Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht = Seite = Recueil Sirey = Sociaal Economische Wetgeving = Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes = Strafgesetzbuch = Ständiger Internationaler Gerichtshof = Tribunal civil = Supreme Court Reporter = Verfassungsgerichtshof = vergleiche =

=

Abkürzungen

14 vo W. L. R. ZaöRV ζ. B. zit. ZVR ZPO

= =

= =

= =

Verordnung Weekly L a w Reports Zeitschrift für ausländisches öffentliches Redit und Völkerrecht zum Beispiel zitierte (-s, -r) Zeitschrift für Völkerrecht Zivilprozeßordnung

Einführung Völkerrechtliche Verträge können von nationalen Organen im innerstaatlichen Rechtsraum nur angewendet werden, wenn sie (1) durch einen Akt des hierfür zuständigen nationalen Organs in die innerstaatliche Rechtsordnung eingeführt worden (Transformation, Vollzugsbefehl, Bedingung der innerstaatlichen Wirksamkeit) und (2) ihrem Inhalt nach zu einer solchen Anwendung vor allem durch die nationalen Gerichte geeignet sind (innerstaatliche oder unmittelbare Anwendbarkeit, Problem des self-executing treaty). Die Lehre vom Verhältnis des Völkerrechts zum Landesrecht hat sich lange Zeit im wesentlichen auf den ersten dieser beiden Problemkreise konzentriert. Die Frage der innerstaatlichen Anwendbarkeit der Völkerrechtsverträge, die durch die europäischen Gemeinschaftsverträge wachsende Aktualität gewinnt, wurde dagegen bisher nur selten behandelt. Das scheint weitgehend in der Auffassung seinen Grund zu finden, daß der Begriff und die Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit theoretisch nicht näher erfaßt werden können, daß vor allem auch die Lösungen von Staat zu Staat zu verschieden sind, um eine allgemeine Theorie zu gestatten. Die vorliegende Arbeit will dieses Vorurteil widerlegen. Ausgehend von einer umfassenderen Rechtsvergleichung, bemüht sie sich um eine allgemeine Theorie der innerstaatlichen Anwendbarkeit. Angesichts des heutigen Standes der Lehre und Rechtsprechung ist eine solche Aufgabe ebenso reizvoll wie gefährlich. Einerseits betritt die Arbeit trotz der verdienstvollen Vorarbeiten der Fédération internationale pour le Droit européen weitgehend juristisches Neuland, in dem auch die gesichert scheinenden Grundlagen sich häufig als trügerisch erweisen sollen. Da die innerstaatliche Anwendbarkeit aus dem Zusammenspiel völkerrechtlicher mit zahlreichen nationalen Rechtsprinzipien fließt, mußte der Verfasser andererseits häufig Problemkreise anschneiden, die er mit Rücksicht auf den gebotenen Umfang nur oberflächlich behandeln konnte. Deshalb konnte die Arbeit streckenweise nur ein Gerippe, Grenz- und Hinweisschilder für eine vertiefte Einzelforschung liefern. Auf der anderen Seite hat sich wohl gezeigt, daß ein solcher Vorgriff heute schon möglich ist. Angesichts der verwirrenden Vielfalt der Definitionen der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge erschien es zur Einführung in die Problemstruktur und die verschiedenen Lösungs-

16

Einführung

möglichkeiten erforderlich, in einem ersten Kapitel kurz den Stand der Lehre und Rechtsprechung in den einzelnen Staaten aufzuzeigen. Anschließend wird versucht, die Struktur des Begriffs der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge aufzuhellen und sie als Institut des nationalen Verfassungsrechts zu verstehen. Die vielfältigen Definitionen der Voraussetzungen der innerstaatlichen Anwendbarkeit werden in den folgenden Kapiteln auf einige wenige echte Theorien reduziert. Um diese Theorien klar herauszuarbeiten, war es wegen der mangelnden theoretischen Vertiefung der Problemstellung bei den einzelnen Autoren und Gerichtsentscheidungen meist notwendig, die in Lehre und Rechtsprechung verwendeten Definitionsformeln wörtlich wiederzugeben. Die Entscheidung zwischen den verschiedenen Theorien, welche die Voraussetzungen der innerstaatlichen Anwendbarkeit festlegen, wird durch die Stellungnahme zu den verschiedenen Konstruktionen des Verhältnisses des Völkerrechts zum Landesrecht nur in geringem Umfang präjudiziert. Das zeigt sich schon in der Tatsache, daß die verschiedenen Theorien sich quer durch alle Lager ziehen. So wird etwa die „Vertragswillenstheorie", nach der nur solche Vertragè innerstaatlich anwendbar sind, welche diese innerstaatliche Rechtsfolge anzielen, sowohl von Monisten als auch von Dualisten, und hier wiederum im Rahmen der Transformations- wie der Vollzugslehre vertreten. Deshalb baut die vorliegende Arbeit zumindest nicht primär auf einer Untersuchung dieser Konstruktionen auf, behandelt die Auswirkungen dieser Theorien auf die innerstaatliche Anwendbarkeit vielmehr am jeweils geeigneten Ort. Dabei wird sich übrigens zeigen, daß im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Auffassung der Dualismus und insbesondere die Transformationslehre vôlkerréchtsfreundlicher als der Monismus ist, weil nur die dualistischen Lehren zu einer optimalen innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge gelangen. Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Professor Dr. Hermann Mosler, dem Direktor des Instituts, und Herrn Professor Dr. Karl Doehring, Wissenschaftlichem Mit-r glied am Institut, für ihre ständige freundliche Unterstützung danken. Ein ganz besonderes Anliegen ist mir, Herrn Ministerialrat Dr. J. Broermann für die Großzügigkeit zu danken, mit der er diese Arbeit in die Schriftenreihe seines Hauses aufgenommen hat. Heidelberg, den 1. April 1970

Albert

Bleckmann

Erstes Kapitel

Zum Stand von Lehre und Rechtsprechung auf nationaler und internationaler Ebene Bevor in den folgenden Kapiteln der Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge abgegrenzt, die Möglichkeit einer alle Staaten umfassenden einheitlichen Lehre der innerstaatlichen Anwendbarkeit und die hierbei anzuwendende Methode dargelegt und schließlich auf Grund dieser Methode jede Voraussetzung der innerstaatlichen Anwendbarkeit überprüft wird, soll hier zunächst der Stand der Lehre und Rechtsprechung zur innerstaatlichen Anwendbarkeit in den einzelnen Staaten und auf internationaler Ebene dargelegt werden. Diese Ubersicht soll dem Leser zeigen, welches Problem zur Diskussion steht, in welchen Staaten dieses Problem eine Rolle gespielt hat und welche Ansätze zu einer Lösung bisher gefunden wurden. Sie kann und will weder alle Staaten noch die gesamte Praxis, Rechtsprechung und Literatur jedes behandelten Staates erfassen; mangels einer entsprechenden Aufbereitung durch die nationale Literatur wäre dies für die meisten Staaten auch gar nicht möglich. Die Aufteilung nach Staaten empfiehlt sich, weil die Literatur und Rechtsprechung meistens selbst nur die Praxis, Literatur und Rechtsprechung ihres eigenen Landes berücksichtigt, und weil so der oft gehörten Behauptung Rechnung getragen wird, jedes Land habe zu diesem Problem seine eigenen Regeln entwickelt. Durch diese Aufteilung soll aber nicht a priori unterstellt werden, daß die innerstaatliche Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge durch das Landesrecht geregelt wird. Um die theoretische Möglichkeit einer Regelung durch das Völkerrecht aufzuzeigen, soll im Anschluß an die nationale kurz die internationale Rechtsprechung zur innerstaatlichen Anwendbarkeit aufgezeigt werden. I . Staaten, in denen völkerrechtliche Verträge mit dem Abschluß des Vertrages innerstaatliche Geltung erlangen

1. Daß die Gerichte in Belgien 1 nur Verträge anwenden können „qui pourraient lier individuellement des Belges", scheint schon in 1 Vgl. die Arbeiten von Hayoit de Termicourt, vonKyaw, Masquelin, Muûls , Rolin, Smets und DeVisscher; ferner die Berichte der „Commission

2 Bleckmann

18

1. Kap.: Lehre und Rechtsprechung

Art. 68 Abs. I I der belgischen Verfassung impliziert zu sein, der für diese Verträge die Zustimmung der Kammern verlangt 2 . Muûls schließt diese Regel aus der Kompetenzbeschränkung der Gerichte auf den Schutz der „droits civils". Es müsse sich also um Verträge handeln „qui affectent les droits civils" 3 oder „qui avaient entendu conférer à leurs ressortissants des droits civils dont ils pourraient alors se prévaloir directement 4 sur le plan interne" 5 . „En conclusion, on peut admettre que les tribunaux sont compétents pour appliquer les traités internationaux dans la mesure où les stipulations de ceuxci affectent les droits civils6." Ob das der Fall sei oder ob der Vertrag nur die Beziehungen zwischen den Vertragspartnern regle 7, richte sich nach derem Willen 8 , dem „objet du traité" 9 , aber auch nach der „volonté du Roi investi du pouvoir de faire les traités" 10 . In diesem Zusammenhang wird die Unterscheidung zwischen den Individualrechte begründenden „traités normatifs" 11 und den „traités de droit public" 1 2 eingeführt, die grundsätzlich nur die Beziehungen zwischen den Staaten regeln. Merkwürdigerweise scheint die belgische Lehre dabei übersehen zu haben, daß mit den „droits civils et politiques" nur die Kompetenz der ordentlichen Gerichte begrenzt wird 1 3 , diese Begriffe also zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Verträgen etwa durch den Conseil d'Etat nichts aussagen. Diesem Einwand wird die von Masquelin ausgearbeitete Theorie 14 gerecht, die überdies einen Grund für die Beschränkung der unmittelbaren Anwendung liefert. Nach diesem Autor hat das Zustimmungsgesetz in Belgien nicht die Wirkung einer Transformation; es verleihe vielmehr dem Vertrag nur eine „gesetzesd'étude" und der Association belge pour le droit européen („Colloque européen", S. 159 ff.). 2 Masquelin , „Contrôle", S. 6; Trib. civ. Bruxelles 7. 5.1952, JdT 1952, S. 868. 3 Vgl. Muûls , S. 481, und den Bericht der Commission d'études, S. 17, der darauf hinweist, daß die Gerichte bei Vorfragen zu einem „litige de droit privé ou de droit public" auch „dispositions purement politiques de traités internationaux" anwenden könnten. 4 Muûls, S. 485. 5 Muûls , S. 481. 6 Muûls , S. 487. 7 Daß solche Verträge nicht unmittelbar anwendbar sind, hat die Cour de Cassation in einem Urteil vom 13.4.1964 (Pas. 1964 I 849) festgestellt. 8 Muûls, S. 481, 485. 9 Muûls , S. 482. 30 Muûls, S. 487. Auf den Willen des Gesetzgebers hebt die in Anm. 2 zitierte Entscheidung ab. 11 Hayoit de Termicourt; Masquelin, „Le contrôle"; ähnlich Cass. 8.1.1925 (Pas. 1101) die von „dispositions de droit privé" spricht. 12 Masquelin , „Le contrôle"; S. 4; Muûls , S. 483. 13 Art. 92 f. der Verfassung: A. Buttgenbach, Manuel de droit administratif, 1959, S. 432 ff. 14 „Traités internationaux", Nr. 289 ff.

I. Staaten, in denen Verträge innerstaatliche Geltung erlangen

19

ähnliche" Wirkung. Diese Wirkung könne nun niemals bei rein rechtsgeschäftlichen, sondern nur bei den sogenannten „traités-lois" eintreten, die einen „caractère matériellement législatif" besäßen. Soweit diese normsetzenden Verträge ihre innerstaatliche Anwendbarkeit vorsähen, habe die gesetzliche Zustimmung die Wirkung, diesen auf die Anwendung gerichteten Vertragswillen zu verwirklichen. Enthalte der Vertrag aber nur eine entsprechende Pflicht zur Gesetzgebung, sei der Vertrag nicht unmittelbar anwendbar. I n einer Entscheidung vom 13. März 1964 vertrat der Conseil d'Etat eine ähnliche Auffassung 15 : „Considérant que l'article 2 de la convention (vom 18.10.1950 über den Vogelschutz), invoqué par le requérant, n'énonce pas de prohibition formelle, mais porte , . . . doivent être protégés: a) au moins pendant la période de reproduction, tous les o i s e a u x . . q u ' i l résulte de ces termes que l'article 2 n'énonce pas une règle de droit positif , mais constitue un engagement souscrit par les parties contractantes de prendre, chacune en ce qui la concerne, s'il y échet, les mesures législatives ou réglementaires propres à assurer l'exécution; que pareil engagement ne saurait, par lui-même, déroger aux lois et aux règlements; qu'il n'a d'autre portée que de lier l'Etat belge aux autres parties contractantes; que l'article 2 ne crée aucun droit ni aucune obligation pour les individus ." „Considérant que l'absence de caractère normatif de la convention apparaît d'ailleurs à l'article 5, aux termes duquel les Hautes Parties contractantes s'engagent à prohiber les procédés ci-dessous énumérés..." „Considérant que vainement le requérant fait valoir que la convention de Paris a été publiée au Moniteur belge et que son entrée en vigueur a été annoncée par la même voie; que ces publications n'ont pu conférer à la convention une valeur normative ..." (Hervorhebungen vom Verfasser) Sofern die parlamentarische Zustimmung und die Veröffentlichung vorliegt, wenden die ordentlichen Gerichte dagegen sehr häufig internationale Verträge an, ohne deren unmittelbare Anwendbarkeit ausdrücklich zu prüfen 16 . Immerhin hat auch die Cour de Cassation die15

Pas. 1964 I V 127. Vgl. die unter dem Stichwort „Conventions" in Pasicrisie, Tables zitierten Entscheidungen. Insbesondere trug etwa die C. A. Liège in einer Entscheidung vom 23.5.1952 (Pas. 1952 I I 64) keine Bedenken, Art. 34 der Mannheimer revidierten Rheinschiffahrts-Akte vom 17.10.1868 anzuwenden, und hat die Cour de Cassation in einer Entscheidung vom 21.9.1959 (Pas. 1960 I 98) die Art. 8 und 14, ferner in einer Entscheidung vom 20.7.1962 (Pas. 1962 I 1238) den Art. 6 der E M R K angewendet, um einerseits die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung, andererseits die Form einer Zeugenver10

2*

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1. Kap.: Lehre und Rechtsprechung

ses Problem klar erkannt und rein rechtsgeschäftlichen Verträgen die Anwendung versagt 17 . I n einer Entscheidung vom 8. Januar 1925 hat das Gericht darüber hinaus der engeren Lehre von Muûls entsprechend nur „dispositions de droit privé" in völkerrechtlichen Verträgen der Anwendung für fähig gehalten 18 . 2. Auch in der Bundesrepublik Deutschland wenden die ordentlichen Gerichte und die Verwaltungsgerichte sehr häufig völkerrechtliche Verträge an, ohne ausdrücklich auf die Frage einzugehen, ob diese Abkommen ihrer Natur, ihrem Inhalt und Wortlaut sowie dem Willen der Vertragspartner nach unmittelbar anwendbar sind 19 . Immerhin hat auch hier das Reichsgericht 20 dieses Problem frühzeitig erkannt und durch eine häufig verwendete Formel zu lösen versucht, die in Lehre 2 1 und Rechtsprechung bis in die jüngste Zeit auf einhellige Zustimmung gestoßen ist und deshalb zu einer einheitlicheren Theorie als in Belgien führen konnte: „Soweit eine Vorschrift nach Inhalt, Zweck und Fassung ohne weiteres, d.h. ohne daß es noch eines weiteren völkerrechtlichen oder staatsrechtlichen Aktes bedarf, privatrechtliche Folgen auszulösen geeignet ist, kann sich der einzelne darauf berufen." Die Lehre hat diese Formel auf öffentlich-rechtliche Folgen (Wirkungen) ausgedehnt22 und im wesentlichen dahin konkretisiert, daß der Vertragswortlaut dem innerstaatlichen Verfassungsprinzip der Rechtssicherheit genügen, also hinreichend bestimmt sein muß 2 3 . Sie hat darüber hinaus versucht, dieser Formel in der allgemeinen Theorie über das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht den ihr gebührenden Platz zuzuweisen: So werden nach dieser Lehre nur diejenigen Vertragsbestimmungen transformiert oder erstreckt sich der Vollzugsbefehl nur auf solche Vertragsbestimmungen 24, die „transfornehmung durch den Vorderrichiter zu überprüfen, ohne ausdrücklich auf die Frage einzugehen, ob diese Vertragsbestimmungen ihrem Inhalt nach zur unmittelbaren Anwendung geeignet sind. Zur Anwendbarkeit der Art. 30 ff. E W G V vgl. Trib. civ. Brüx., 9. 6.1966, Pas. 1966 I I I 120. 17 Vgl. Anm. 7. 18 Vgl. Anm. 11. lft Vgl. die zahlreichen Entscheidungen zum Vertragsrecht in Fontes Juris Gentium, Ser. A Sect. 2, Tom. 1—3. 20 RGZ 117, 284; 119, 156 ff., 162; 121, 7 ff., 9; 124, 204 ff, 205. 21 M i t dem Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit haben sich vor allem die Arbeiten von Bernhardt (S. 28 ff.), Boehmer (S. 2 ff., 76 ff.), Doehring (S. 54 ff.), Mosler („Praxis", S. 19 ff., und „Application", S. 625 ff.), Mohr (S. 61 ff.), Partsch („Anwendung des Völkerrechts" S. 19 ff., 31, 106), Pigorsch (S. 82), Rudolf (S. 171 ff, 207), Triepel (Völkerrecht und Landesrecht, S. 9 ff, 21 ff, 111 ff.) und Walz (Völkerrecht und staatliches Recht, S. 214 ff.) befaßt. 22 Vgl. Mosler, „Praxis", S. 19. 23 Siehe Kap. V I I , Abschn. V I I I . 24 Zur Auseinandersetzung zwischen der Transformations- und der Vollzugslehre vgl. die Arbeiten von Mosler, Partsch, Boehmer und Rudolf.

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mationsfähig", „transformabel", „umformungsreif", „vollzugsfähig", „vollzugsreif", „anwendungsreif", „anwendungsfähig", „zur unmittelbaren Anwendung geeignet", „self-executing" sind, die also bereits fertig ausgeprägte, vollziehbare Rechtssätze enthalten 25 und sich so unmittelbar an die staatlichen Rechtsanwendungsorgane und Rechtsunterworfenen richten 26 ; Bestimmungen, deren innerstaatliche Durchführung eines weiteren Rechtssatzes bedürfen, können dagegen nicht anwendungsreif sein 27 . Während das Reichsgericht mehr auf die Geeignetheit der Vertragsbestimmungen abstellte 28 , geht die neuere Tendenz in der Bundesrepublik dahin, ebenso wie etwa in Belgien neben diesem objektiven Element einen entsprechenden Willen der Vertragsparteien zu fordern. So hat der Bundesgerichtshof, der die Formel des Reichsgerichts zunächst unverändert übernommen hatte 29 , sie in neueren Entscheidungen 30 stark subjektiviert: „Die in dem Abkommen enthaltenen Vorschriften können danach unmittelbar privatrechtliche Wirkungen ausüben, wenn Inhalt, Zweck und Fassung der einzelnen Vorschriften mit voller Klarheit die Annahme zuläßt, daß eine solche Wirkung gewollt sei." (Hervorhebung vom Verfasser) Die Lehre hat sich dieser neueren Auffassung angeschlossen31. So führt etwa Bernhardt aus 32 : 25

Boehmer, S. 8. Partsch, „Anwendung des Völkerrechts", S. 106. Mosler, aaO, oben Anm. 22. 28 Entgegen der Ansicht von Boehmer (S. 8 ff.) hat das R G trotz seiner „objektiven" Formel den Willen der Vertragsparteien stets stark berücksichtigt. So entschied das Gericht am 8.10.1895 (RGZ 36, 183), daß die Vertragspartner der Elbschiffahrtsakte sich nur untereinander und nicht auch den Flußbenutzern gegenüber zur Unterhaltung des Wasserlaufs verpflichten wollten und wies deshalb eine Schadensersatzklage ab. I n seiner Entscheidung vom 2. 5.1929 (RGZ 124, 204) ließ das Gericht keinen Zweifel, daß der ausdrückliche vertragliche Ausschluß der innerstaatlichen Anwendbarkeit für den nationalen Richter verbindlich sei. Daß die nur auf den ersten Blick völlig objektive Formel des R G — wie das angesichts der Unterstreichung von Inhalt, Zweck und Fassung des Vertrages seltbsverständlich sein dürfte — audi subjektive Elemente enthält, zeigte sich schließlich deutlich in einer Entscheidung vom 29.3.1928 (RGZ 121, 7) die nach der Wiedergabe dieser Formel die mangelnde „Eignung" zur innerstaatlichen Anwendung dahin konkretisierte, daß die Art. 74 Abs. 2 und 297 i des Versailler Vertrages „nur eine zwischenstaatliche Regelung enthielten, keineswegs aber den deutschen Staatsangehörigen selbst einen Anspruch (auf Entschädigung) gegen das Reich geben wollten". — Die neue Formel des B G H stellt also nur eine Nuancenverschiebung dar, und der B G H beruft sich deshalb zu Recht auch auf die Entscheidungen des RG. 29 B G H Z 11,135 ff., 138. 30 B G H Z 17,309; 18, 22 ff, 25. 31 Dagegen soweit ersichtlich nur Boehmer, S. 8 ff, Anm. 23. 32 S. 25,83 f. 26

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„Soweit zwischenstaatliche Vereinbarungen überhaupt eine bestimmte Ausgestaltung des innerstaatlichen Bereichs anstreben, können sie entweder selbst zur direkten innerstaatlichen Anwendung bestimmte und geeignete Vorschriften enthalten oder aber den Staaten die Vertragsdurchführung durch besondere interne Maßnahmen, die nur in der Zielsetzung und in den Umrissen festgelegt sind, überlassen... Anwendungsfähigkeit liegt dann vor, wenn eine internationale Vereinbarung zu direkter innerstaatlicher Anwendung vorgesehene und geeignete Bestimmungen — Normen oder Verwaltungsvorschriften — enthält... Nicht anwendungsfähig sind alle Verträge, die die von den Partnern versprochene Ausgestaltung des innerstaatlichen Bereichs besonderen internen Maßnahmen vorbehalten (Hervorhebungen vom Verfasser) Ähnlich verlangt Rudolf, daß eine Transformation „nötig" sei, der Vertrag den innerstaatlichen Vollzug „intendiere". 3. Nach Ansicht der französischen Lehre 3 3 a ist ein Vertrag nur dann „directement applicable", wenn er „établit directement, par luimême, une règle de droit nouvelle" 34 , „des règles déterminées créant des droits et des obligations pour les individus" 35 . Der Zweck („l'objet") des Vertrages müsse also darauf gerichtet sein „d'édicter des normes applicables dans les rapports existants soit entre sujets des Etats parties, soit dans les rapports entre les particuliers et les autorités administratives" 36 , „d'affecter directement les individus" 37 . Er dürfe also nicht nur „régir les rapports politiques entre les gouvernants des Etats parties" 38 . Letzteres soll aber der Fall sein, wenn der Vertrag nur eine Verpflichtung zur Gesetzgebung enthält 39 . Die französische Rechtsprechung hat sich, soweit ersichtlich, bis in die jüngste Zeit nur ganz selten mit diesem Problem ausdrücklich befaßt, obwohl zumindest die Zivilgerichte die mit Zustimmung des Parlaments geschlossenen und ordnungsgemäß veröffentlichten Verträge stets angewendet haben. Allerdings konnte das Problem hier vielleicht deshalb lange Zeit im Dunkeln bleiben, weil die Lehre vom 33 S. 171 ff. 33U vgi # d i e Arbeiten von Dehaussy, Gervais, Kiss t Mestre , Preuss („French System") und Rousseau („Traités"); ferner den französischen Bericht für das „Colloque européen", S. 235 ff. 34 Mestre , S. 254; Preuss , „French System", S. 653. 35 Dehaussy, „Les traités". 36 Dehaussy, aaO, S. 702. 37 Rousseau, „Traités", S. 234. 38 Dehaussy aaO., S. 702. 39 Kiss, Nr.'llOl, ' S. 564*; Mestre , aaO, Preuss , „French System", S. 653, Rousseau „Traités", S. 212.

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„acte de gouvernement" in weitem Umfang Streitigkeiten mit internationalen Bezugspunkten überhaupt von der Kompetenz des Richters ausschließt oder doch die richterliche Anwendung von Verträgen an die Auslegung durch das Außenministerium bindet 40 . Immerhin verbietet nach älteren Entscheidungen der Cour de Cassation und neueren Urteilen des Conseil d'Etat die Lehre vom „acte de gouvernement" in gewissen Fällen nicht nur die selbständige Interpretation, sondern auch die Anwendung von Verträgen 41 . Auf der anderen Seite hat der Conseil d'Etat in seiner Entscheidung Pétalas vom 3. Februar 1956 42 dem Außenministerium die Auslegungsfrage vorgelegt, ob die Bestimmungen des Art. 13 des griechisch-französischen Auslieferungsvertrages 43 vom 29. März —11. April 1906 „ne créent pas seulement des obligations entre les gouvernements signataires de la convention susmentionnée, mais qu'elles ont été introduites dans cet acte diplomatique au profit des individus menacés d'extradition, lesquels peuvent ainsi s'en prévaloir pour obtenir l'annulation de la décision (d'extradition) prise à leur encontre . . . " I n seiner Entscheidung Girard vom 18. Juni 195844 hat der Conseil d'Etat die Anfechtungsklage gegen eine Verordnung als unbegründet abgewiesen, die den technischen Aufbau privater Radiostationen regelt: „Cons. qu'il résulte clairement des termes de la convention signée à Atlantic City le 20 octobre 1947 . . . ainsi que de la convention signée à Buenos-Aires le 22 décembre 1952 que ces textes n'ont pas eu pour effet de limiter les pouvoirs des autorités nationales des pays signataires de réglementer les télécommunications sur leur territoire dès lorsque, dans l'exercice de ce pouvoir, les dites autorités ne prennent aucune disposition contraire aux engagements internationaux qu'elles ont souscrits au nom de leur pays; qu'en particulier les articles 80 et 395 du règlement des radio-communications annéxé à la convention précitée d'Atlantic-City, qui admettent l'usage parallèle des appareils à modulation de fréquence et 40 Vgl. zur Rechtsprechung etwa des Conseil d'Etat in internationalen Fragen neuerdings Gervais; Batailler , „Conseil d'Etat", S. 239 ff.; Bleckmann , „Französisches Zustimmungsgesetz". 41 Siehe unten Kap. V I I , Abschn. I I I 2 c. 42 Ree., S. 44. 43 Die Vorschrift lautet: „Si l'individu réclamé et arrêté dans les conditions du présent traité n'est pas livré et amené dans les trois mois après son arrestation, il sera remis en liberté et ne pourra plus être réclamé pour la même cause." 44 Ree, S. 360. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit einzelner Bestimmungen des EWG-Vertrages vgl. die Urteile des Conseil d'Etat vom 27.1. und 10.2.1967 bei: G.Camus — A. Bleckmann, CDE 1968, S. 575 ff, 579, 583.

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1. Kap.: Lehre und Rechtsprechung

des appareils à modulation d'amplitude, n'ouvrent aucun droit aux personnes résidant sur le territoire d'un pays donné à l'égard des autorités nationales de ce pays; qu'ils ne sauraient en conséquence prévaloir sur la législation interne française relative aux télécommunications sur le territoire français ..." Nach Ansicht des Conseil d'Etat setzt die unmittelbare Anwendbarkeit von Verträgen also voraus, daß die Vertragsparteien subjektive Rechte der Individuen begründen wollten. 4. Ähnliche Formeln wie in Frankreich werden auch in Griechenland verwendet 45 : Soll ein Vertrag unmittelbar anwendbar sein, dürfe er nicht „viser uniquement ou principalement les rapports d'Etat à Etat, comme les traités politiques" 46 . Sein „objet" müsse vielmehr sein, „de régler des rapports non entre Etats, mais entre les citoyens des Etats concernant leurs propres intérêts privés" 47 . Wenn der Vertrag ferner nur „termes généraux" oder „directives générales" beinhaltet, bedürfe er eines Durchführungsgesetzes 48. 5. Nach Ansicht der italienischen Lehre 49 kann der für die innerstaatlichen Wirkungen erforderliche Vollzugsbefehl („ordine d'esecuzione ") nur ergehen, wenn der Vertrag internationale Normen enthält, deren Inhalt unmittelbar ins innerstaatliche Recht übernommen werden kann 5 0 , oder wenn er internationale Normen enthält, aus denen der Inhalt entsprechender innerstaatlicher Normen abgeleitet werden kann 5 1 . Das soll nicht der Fall sein, wenn es sich nur um eine staatliche Verpflichtung zur Gesetzgebung52 oder um internationale Normen handelt, die unvollständig geblieben sind 53 . Hier wird die unmittelbare Anwendbarkeit also als notwendige Voraussetzung der Befugnis verstanden, den Vertrag durch den Vollzugsbefehl innerstaatlich anwendbar zu machen. Das ist nur sinnvoll, wenn der Vollzugsbefehl dahin ausgelegt werden müßte, daß er stets ohne Rücksicht auf den Inhalt des konkreten Vertrages dessen Anwendung befiehlt. Eine solche Auffassung scheint in der Tat manchen Entscheidungen der Untergerichte zugrunde zu liegen, die sich 45

Vgl. die Arbeiten von Patras und Valticos. Valticos , „Traités en Grèce", S. 205. 47 Patras, S. 360. 48 Valticos, aaO., S. 213. 49 Vgl. die Arbeiten von Per assi (S. 27 ff.), la Pergola (S. 114, 186), Sereni (S. 299 ff.) und den italienischen Bericht für das „Colloque européen" (S. 117 ff.). 50 Perassi, aaO.: „delle norme internazionali dalle quali sia possibile ricavare il contenuto di quelle interne da immettere nell'ordinamento interno". 51 La Pergola, aaO. 52 Perassi , aaO. 53 La Pergola, aaO., und die dort zitierte Literatur. 46

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selbst bei Verträgen, deren Anwendbarkeit recht zweifelhaft erscheint, allein auf den Anwendungsbefehl stützen. So führt etwa ein Urteil des Mailänder Berufungsgerichts vom 7. Juli 1967 aus 54 : „Das GATT wurde durch das Gesetz Nr. 295 vom 5. April 1960 auf dem Territorium der Republik Italien unmittelbar anwendbar gemacht (All'Accordo GATT venne data piena ed intera esecuzione... con la legge ...). Durch dieses Gesetz wurde der Vertrag, der vorher nur für die Republik Italien als Völkerrechtssubjekt Verpflichtungen gegenüber den anderen Vertragsstaaten begründen konnte, mit der Folge zu einer Rechtsquelle innerstaatlichen Rechts, daß er die abweichenden (innerstaatlichen) Normen aufhob oder änderte. Deshalb wurden mit dem Inkrafttreten des genannten Gesetzes alle steuerrechtlichen Unterscheidungen zwischen italienischen Erzeugnissen und solchen Produkten, die aus den Mitgliedstaaten des G A T T eingeführt werden, aufgehoben, und die ausländischen Erzeugnisse genossen deshalb dieselbe steuerrechtliche Behandlung wie die italienischen Produkte.. Selbst wenn nun der innerstaatliche Ausführungsbefehl tatsächlich dahin verstanden werden müßte, daß er die unmittelbare Anwendung der betreffenden Verträge befiehlt, könnte die Überschreitung der Befugnis zum Erlaß von Anwendungsbefehlen durch die (vom Verfassungsgericht oder von jedem Gericht feststellbare?) Nichtanwendbarkeit der Verträge sanktioniert sein, welche keine Norm im obigen Sinne enthalten 55 . Schon die Tatsache, daß diese Frage weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur ausführlich untersucht wird, zeigt nun, daß der Versuch, die Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit als Bedingung des Vollzugsbefehls anzusehen und dem Vollzugsbefehl selbst den Willen zur Anordnung der unmittelbaren Anwendbarkeit zu unterstellen, nicht richtig sein kann. Wie 54 I I diritto negli scambi internazionali, 6 (1967), S. 233. Dieses Urteil bestätigte eine Entscheidung des Tribunale civile di Milano vom 29.4.—13.10. 1966 (Il diritto negli scambi internazionali, 5 [1966], S. 291) und wurde selbst wiederum durch das Urteil der Corte di Cassazione vom 6.7.1968 (Il Foro italiano 1968, S. 2462 = I l diritto negli scambi internazionali, 7 [1968], S. 504 ff.: dort auch die italienische Literatur zu dieser Frage) bestätigt. Keines dieser drei Urteile ging auf die unmittelbare Anwendbarkeit des hier zur Entscheidung stehenden Art. I I I Abs. 2 G A T T (steuerliche Inländergleichheit) ein, die bekanntlich vom B F H (15.10.1959, BStBl. 1959 I I I , S. 486 ff, 489; 26.7.1961, BStBl. 1961 I I I . S. 411 ff, 415) ohne nähere Begründung, neuerdings vom F G Hamburg (23.9.1965, E F G 1966, S. 41) wegen ihrer Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen (allgemeine Rechtsunsicherheit, Gefährdung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips) abgelehnt wurde. 55 So wohl Sereni, a a O , nach dem der Vollstreckungsbefehl „ungeeignet" (inidoneo) ist, nicht anwendungsfähigen Verträgen innerstaatliche Wirkungen zu verleihen.

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im folgenden zu zeigen ist, sieht auch die italienische Rechtsprechung denn im Vollzugsbefehl nur den Transformator des Vertragsrechts in innerstaatliches Recht und prüft die unmittelbare Anwendbarkeit völlig unabhängig von diesem Befehl. Der Vollzugsbefehl will also mit anderen Worten auch in Italien nicht bedingungslos die unmittelbare Anwendbarkeit anordnen. Etwas anderes kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil der italienische Gesetzgeber jedem zustimmungsbedürftigen Vertrag ohne Rücksicht auf dessen Inhalt die „Vollstreckungsklausel" zuordnet. Gerade das italienische Beispiel zeigt also sehr deutlich, daß man „Vollstreckungsbefehle" wie alle Zustimmungsgesetze sehr vorsichtig auslegen muß 5 6 . Die italienische Rechtsprechung hat in weitem Umfang ordnungsgemäß mit einem innerstaatlichen Vollstreckungsbefehl versehene und veröffentlichte Abkommen — insbesondere etwa Verträge über das internationale Privat- und Prozeßrecht, Auslieferungs- und andere Rechtshilfeverträge sowie Niederlassungsabkommen — angewendet, ohne die Anwendungsfähigkeit ausdrücklich zu prüfen 57 . Daß damit nicht gesagt werden sollte, daß der Vollstreckungsbefehl diese Prüfung überflüssig macht, ergibt sich aus einer Anzahl von Entscheidungen, die allerdings im Gegensatz zur Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland sehr unterschiedliche Wege einschlagen. In einer Entscheidung vom 29. Mai 1884 ging die Corte di Cassazione 58 ähnlich wie die belgische Lehre dieses Problem aus dem Blickwinkel der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte an, die auch hier durch eine innerstaatliche Regelung auf die Erkenntnis über ein „diritto civile ο politico" beschränkt ist, während die Entscheidung über reine Interessen, die durch einen Hoheits- oder Gestionsakt des Staates berührt werden, in die Zuständigkeit der Verwaltung einschließlich der Verwaltungsgerichte fällt 5 9 ; während jedes Recht ein Interesse voraussetze, werde ein Interesse nur dann zum Recht, wenn es als solches vom Gesetz anerkannt und garantiert werde. Diese Erkenntnis wird dann auf die internationalen Verträge angewendet: „Grundsätzlich ist jeder internationale Vertrag ein rein politischer Akt, der sich als solcher der richterlichen Beurteilung entzieht. Die Zweckmäßigkeitsgründe, aus denen heraus er abgeschlossen wurde, 56

Wie hier Anzilotti und der italienische Bericht für das „Colloque européen", S. 117). I m einzelnen unten Kapitel V I . 57 Vgl. die unter den Stichworten „Convenzioni internazionali" und „Diritto internazionale pubblico" im Repertorio generale annuale del Foro italiano aufgeführten Entscheidungen, ferner etwa Cass. 7.6.1956, Rivista di diritto internazionale 40 (1957), S. 257. 58 I I Foro italiano, 1884 I, S. 531 ft. 59 Vgl. hierzu C. Vitta, Diritto amministrativo, Bd. I I , 1955, S. 539 ff.

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können allein vom Repräsentanten der Nation ausgelegt werden; die Notwendigkeit ihn anzuwenden oder seine Verletzung abzugleichen findet ihre Sanktion schließlich in der bewaffneten Auseinandersetzung. Aber dieses Prinzip läßt eine Ausnahme zu, wenn der Vertrag ein bestimmtes Privatinteresse schützt, den Angehörigen des vertragschließenden Staates ein bestimmtes Recht zuerkennt; da sich die Angehörigen in diesem Falle von dem Augenblick an, in dem der Vertrag zum Staatsgesetz wird, auf den Vertragsteil berufen können, der sie angeht, kann er auch vom Richter beurteilt werden." Hier sieht man noch deutlicher als in Belgien die enge Verbindung dieser „Kompetenztheorie" der unmittelbaren Anwendbarkeit mit der ihrer Herkunft nach französischen Lehre vom „acte de gouvernement", und die Verbindung dieser Lehre mit den Begriffen des „droit civil et politique" einerseits, des „traité de droit public" andererseits. Diese Verbindung läßt sich auch in späteren Urteilen deutlich aufzeigen. So hat die Corte di Cassazione in einer Entscheidung vom 5. Dezember 1893 eo die Anwendung von Verträgen abgelehnt, die in die Sphäre des öffentlichen Rechts fallen („fanno parte del diritto pubblico"), so daß es nicht möglich ist, sich im Rechtsstreit auf sie zu berufen („che siano prodotti in giudizio"). I n einer Entscheidung vom 6. November 1909 61 hat es dasselbe Gericht abgelehnt, die Rechtmäßigkeit einer Auslieferung durch Österreich-Ungarn an dem mit diesem Staat bestehenden Auslieferungsvertrag zu messen, und dies nicht etwa, weil ein italienisches Gericht niemals die Rechtmäßigkeit fremden Staatshandels überprüfen dürfe („foreign act of State") oder weil die Widerrechtlichkeit der Auslieferung keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit des nachfolgenden italienischen Strafverfahrens habe („male captus bene detentus"), sondern weil der Richter zur Anwendung und Auslegung dieses Vertrages nicht berechtigt sei. Zum Nachweis beruft sich das Gericht auf die Regierungsbegründung zu dem die Auslieferung betreffenden Art. 9 des italienischen Strafgesetzbuchs, in der es heißt: „Der Richter darf der Auslegung der internationalen Verträge nicht vorgreifen. Diese Auslegung stellt ein souveränes Recht der Vertragsstaaten dar und umfaßt notwendig die Befugnis, die Verträge in der Weise und mit den Normen auszulegen und anzuwenden, welche sie für nützlich und zweckmäßig erachten." 60 Com. die Olginate c. Com. di Calolzio, Legge 1894 I, S. 1; Corte S. Roma 1893 I , S. 490. 61 I I Foro italiano, 1909 I I , S. 107.

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Ebenso hat das T. S. G. in einer Entscheidung Bienenstech vom 17. August 1917 62 ausgeführt, daß die Auslegung und Anwendung internationaler Verträge in die ausschließliche Zuständigkeit der Regierung falle. Diese Auffassung ist auf heftigen Widerstand der Lehre gestoßen63 und scheint heute wenigstens in dieser extremen Form und mit der Begründung aus dem „acte de gouvernement" aufgegeben zu sein, wie sich aus der Tatsache ergibt, daß die Corte di Cassazione gerade Auslieferungsverträge ohne Bedenken anwendet 64 . I n einer gemäßigten Form und unter Berufung auf die Begründung subjektiver Rechte scheint sie allerdings noch vertretbar zu sein. So bestehen auch heute etwa keine Bedenken, mit der Entscheidung des Tribunale di Roma vom 2. Juni 1899 65 aus dem Wortlaut und dem Sinn eines mit Brasilien geschlossenen Entschädigungsvertrages vom 19. November 1896 zu schließen, daß dieser Vertrag die Verteilung einer von Brasilien geleisteten Entschädigungszahlung unter die durch eine brasilianische Revolution geschädigten italienischen Staatsbürger ohne jegliche Haftung gegenüber Brasilien oder den Geschädigten völlig dem freien Ermessen der italienischen Regierung überließ, so daß die Geschädigten aus diesem Vertrag keine Rechte ableiten können. Diese vorsichtigere Behandlung der unmittelbaren Anwendbarkeit zeigt sich in einer neueren Entscheidung des Kassationshofs vom 26. November 1964 66 : Ein italienischer Staatsangehöriger hatte vor den italienischen Gerichten eine Forderung gegen die albanesische Niederlassung einer italienischen Bank eingeklagt. Diese Forderung war durch ein albanisches Gesetz enteignet worden. Der Kläger machte geltend, dieses Gesetz überschreite die im Art. 79 des italienischen Friedensvertrages hingenommene alliierte Enteignungsbefugnis. Der Kassationshof wies die Klage ab, weil Italien im Ausführungsvertrag mit Albanien auf Einwendungen gegen die Anwendung dieses Artikels verzichtet habe. Auf den Einwand, daß dieser Vertrag, der seinem Wortlaut nach nur das Verhältnis zwischen den beiden Staaten betrifft 67 , auf italienische Staatsangehörige nicht anzuwenden sei, entgegnete das Gericht: 62

Riv. dir. proc. pen. 1918, S. 75. Vgl. den Kommentar unter der Entscheidung des Kassationshofs in Anm. 61; ferner Anzilotti, „Competenza". 64 Vgl. etwa die Entscheidung vom 21.11.1912 ( I l Foro italiano, 1913 I I , S. 203). 65 Miscione c. Finanze, Temi rom. 1900, S. 90; vgl. auch Cass. 7.10.1952, I l Foro italiano, 1953 I, S. 482. ββ Corte di Cassazione, I l Foro italiano 1964, S. 2074. 67 Art. 11 Abs. 2 dieses Vertrages lautet: „Aucune prétention ne pourra plus être avancée de la part des deux hautes parties contractantes au sujet de l'application de l'article 79 du traité de paix." 63

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„Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, daß dieser internationale Vertrag die Hohen Vertragschließenden Parteien und nicht die einzelnen Staatsangehörigen binde. Bekanntlich binden die Verträge die vertragschließenden Staaten unter sich und können die Staatsangehörigen nur durch das innerstaatliche Recht verpflichtet und berechtigt werden; wenn ihnen aber ein Akt des hierfür zuständigen Staatsorgans in Erfüllung der aus dem Vertrag entstehenden Verpflichtungen des Staates als einheitliches Rechtssubjekt gegenüber den anderen Staaten innerstaatliche Geltung verliehen hat, verpflichten die hierin enthaltenen Normen und Vertragsverpflichtungen alle Staatsangehörigen ebenso wie die Staatsorgane, ganz gleich, ob es sich hierbei um Gerichte oder Verwaltungsbehörden handelt." (Hervorhebungen vom Verfasser) Diese Ausführungen könnten nun zwar dahin verstanden werden, daß jeder innerstaatlich eingeführte Vertrag unmittelbar anwendbar sei. Liest man aber die im Text hervorgehobenen Stellen auf dem Hintergrund der vorherigen Rechtsprechung, scheint das Gericht zu fordern, daß der Vertrag eine Verpflichtung zur innerstaatlichen Einführung seiner Bestimmungen begründe und „Normen" enthalte. Neuere Entscheidungen zur unmittelbaren Anwendbarkeit sind im Bereich der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit allerdings sehr selten 68 . Hinzuweisen ist etwa auf ein Urteil des Tribunale supremo militare vom 7. Dezember 1951 69 . Dieses Gericht führt zunächst aus, daß der Vollstreckungsbefehl dem Art. 16 des Friedensvertrages 70 die Natur und Rechtskraft eines innerstaatlichen Gesetzes („la natura e forza propria delle norme della legislazione interna") verliehen habe und unterstreicht dann, daß es sich um eine vollständige, der unmittelbaren Anwendung durch den Richter fähige Norm handle: „Esso contiene una norme completa suscettibile di diretta ed immediata applicazione da parte degli organi giurisdizionali." Auch der Consiglio di Stato wendet Völkerrechtsverträge häufig an, ohne ihre Anwendungsfähigkeit ausdrücklich zu prüfen 71 . Insbeson68 Zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Art. 30 ff. E W G V vgl. Corte di Appello di Roma 26.3.1968 (Il diritto negli scambi internazionali, 7 [1968], S. 540, Anm. Astolfi ). 69 Giust. pen, 1952 I I , S. 451. 70 Art. 16 des Friedensvertrages lautet: „L'Italie ne persécutera ni n'inquiétera les ressortissants italiens, notamment les membres des forces armées, pour le seul fait d'avoir, au cours de la période comprise entre le 10 juin 1940 et la date d'entrée en vigueur du présent Traité, exprimé leur sympathie envers la cause des Puissances Alliées et Associées ou d'avoir mené une action en faveur de cette cause." 71 So etwa in der Entscheidung vom 29.9.1962 (Il Consiglio di Stato. Rassegna di Giurisprudenza e Dottrina, 13 [1962 I 2], S. 1430) das Niederlassungsabkommen mit San Marino.

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dere bei seiner ebenfalls den Art. 79 des Friedensvertrages betreffenden Rechtsprechung handelt es sich aber nur um eine „mittelbare" Anwendung von Verträgen, für die Sonderregeln gelten können. In der Tat hatte das Gericht hier über Entschädigungsklagen zu befinden, die unmittelbar auf italienische Gesetze (vor allem das Gesetz Nr. 1050 vom 29.10.1954) gestützt waren, welche gemäß Art. 79 Abs. 3 des Friedensvertrages für die durch die Alliierten gemäß Art. 79 Abs. 1 durchgeführten Enteignungen eine Entschädigung einführten. I n diesem Rahmen hat der Staatsrat untersucht, ob eine vorläufige Sequestration 72 und die Nichtigerklärung italienischen Eigentumserwerbs während der Besatzungszeit73 Konfiskationsmaßnahmen nach Art. 79 Abs. 1 des Friedensvertrages und den betreffenden bilateralen Ausführungsabkommen darstellten und deshalb gemäß den italienischen Gesetzen zu entschädigen waren. Ausdrücklich hat sich der Consiglio di Stato dagegen mit der unmittelbaren Anwendbarkeit des EWG-Vertrages befaßt. In seiner Entscheidung vom 7. November 1961 74 hat er die Einführung einer Importlizenz wegen des Verstoßes gegen Art. 31 dieses Vertrages aufgehoben: „Schließlich muß der Einwand der Verwaltung zurückgewiesen werden, die Verbote des EWG-Vertrages könnten nur Verpflichtungen zwischen den Staaten und nicht auch rechtlich geschützte Positionen (posizione giuridicamente tutelate) zugunsten der Angehörigen der Mitgliedstaaten begründen. Hier muß hervorgehoben werden, daß das Gesetz Nr. 1203 vom 14. Oktober 1957 die Ratifikation der Römischen Verträge genehmigte und die innerstaatliche Ausführung befahl (con la legge . . . è stata autorizzata la ratifica ed è stata data piena ed intera esecuzione agli accordi internazionali di Roma ...), und daß es zur Durchführung („attuazione") des Artikels 31 . . . keiner

späteren

innerstaatlichen

Norm

der

italienischen

Rechtsordnung bedurfte, da diese Vorschrift durch die in Ausführung der Entscheidungen des Rates der OEEC erfolgte Notifikation der Liste der liberalisierten Produkte konkretisiert (verwirklicht: „adempiuto") worden ist. I n der Tat wurde durch die Ratifikation und den Vollzugsbefehl in unsere Rechtsordnung eine Norm aufgenommen, die eine Änderung der nach Art. 31 konsolidierten Warenliberalisierung verbietet; und Art. 31 gibt dem durch die . . . Ablehnung einer Importlizenz verletzten Staatsangehörigen ein In72

Consiglio di Stato 11.3.1960, aaO., 11 (1960 I 2), S. 874. Consiglio di Stato 28.4.1959, aaO., 10 (1959 I 1), S. 529. Vgl. auch Consiglio di Stato 10.11.1965, Diritto internazionale, 21 (1967), S. 198, und 8 3.1967, aaO, 18 (1967 II), S. 599. 74 Consiglio di Stato 7.11.1962, aaO, 13 (1962 I 2), S. 1882. 73

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teresse, die Mängel dieses Verwaltungsaktes oder der diesem zugrunde liegenden Verordnung (circolare) wegen des Fehlens einer gesetzlichen Grundlage für eine solche Einschränkung anzugreifen. Übrigens sieht der EWG-Vertrag selbst vor, daß sich die betroffenen („interessate") juristischen oder natürlichen Personen und nicht nur die Mitgliedstaaten oder die Organe . . . der Gemeinschaft auf die Vertragsvorschriften berufen können (Art. 173 ...), und der Vertrag berücksichtigt dabei auch den Fall der Streitigkeiten über die Auslegung des Vertrages vor den innerstaatlichen Gerichten der Mitgliedstaaten..." (Hervorhebungen vom Verfasser) Wie die oben zitierte Entscheidung des Kassationshofs vom 26. November 1964 könnte auch dieses Urteil des Staatsrates dahin ausgelegt werden, daß alle Verträge und insbesondere der EWG-Vertrag allein kraft des Vollstreckungsbefehls innerstaatlich in ihrem ganzen Umfang unmittelbar anwendbar seien. Doch ist die Feststellung, daß eine innerstaatliche Ausführungsnorm nicht erforderlich sei, so eng mit der folgenden (impliziten) Prüfung der Bestimmtheit des Art. 31 verbunden, daß eine solche Auslegung fraglich erscheint; und überdies wird — allerdings nur subsidiär und mit einer der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 75 entsprechenden Begründung, welche für den EWG-Vertrag in seiner Gesamtheit eingreift — auch auf den Willen der Vertragspartner eingegangen. Auch die Corte costituzionale schließlich hat völkerrechtliche Verträge häufig angewendet, ohne ihre Anwendungsfähigkeit ausdrücklich zu prüfen. Hervorzuheben sind hier zunächst zwei Verfassungsstreitigkeiten zwischen dem Staat und den Regionen. I n der Entscheidung vom 9. April 1963 76 hat der Verfassungsgerichtshof ein Gesetz aufgehoben, das die Region Sizilien ohne Einhaltung des Informationsverfahrens nach Art. 93 EWG-Vertrag erlassen hatte. Zur Begründung führte das Gericht aus, völkerrechtliche Vertragspflichten Italiens begrenzten auch dann die Gesetzgebungskompetenz der Regionen, wenn dies in dem jeweiligen Regionalstatut nicht ausdrücklich hervorgehoben sei. I m Urteil vom 18. März I960 7 7 hatte umgekehrt die Region Bozen ein die Sprachenfrage regelndes Staatsgesetz wegen Verstoßes gegen das Gruber-de Gaspari-Abkommen vom 5. September 1946 angegriffen. Der Gerichtshof führte aus, daß die Regionen sich im Verfassungsstreit gegen den Staat nur auf eine Verletzung ihres Statuts und von Verfassungsnormen stützen können, die sich gleich75 76 77

Siehe unten I I I 2. Giurisprudenza costituzionale 1963, S. 213. Giurisprudenza costituzionale 1960, S. 537.

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1. Kap.: Lehre und Rechtsprechung

zeitig als eine Verletzung ihrer Kompetenzsphäre darstellte. Artikel 10 der Verfassung, nach welchem sich die italienische Rechtsordnung den allgemeinen Normen des Völkerrechts anpaßt, beziehe sich nicht auf einzelne Vertragspflichten; überdies könne sich die Region dem Staat gegenüber nicht auf diesen Artikel berufen, weil die Einhaltung des allgemeinen Völkerrechts in die Sphäre der Beziehungen zwischen dem Staat und den anderen Völkerrechtssubjekten falle, in denen die Regionen keine Rechtsstandschaft hätten („sfera nella quale le regioni non hanno ingerenza"). Die Verletzung des Völkerrechtsvertrages könne schließlich auch nicht über Art. 4 des Statuts 78 geprüft werden, weil diese Bestimmung zwar die Gesetzgebungskompetenz der Region gegenüber dem Staat beschränke, nicht aber die Kompetenzen des Staates gegenüber der Region. Dies bedeute natürlich nicht, daß der Staat frei sei, das Pariser Abkommen nicht einzuhalten, sondern nur, daß die Pflicht zur Einhaltung nicht in das verfassungsrechtliche Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und den Regionen falle („che l'obbligo dell'osservazione di tali impegni non ha rilevanza costituzionale tra lo stato e la predetta regione"). Wenn diese Pflicht schließlich auch keine verfassungsrechtliche Bedeutung habe, so habe sie dennoch auch in den Beziehungen mit der Region ein gewisses Gewicht, indem sie einmal die regionale Gesetzgebungskompetenz beschränke, zum anderen aber zur Auslegung des Statuts herangezogen werden müsse, das ganz sicher auch zur Verwirklichung dieses Abkommens ergangen sei („partielle Anwendbarkeit"). I m Urteil vom 10. März 1966 79 hat sich die Corte costituzionale dagegen ausdrücklich mit der unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge befaßt. Zur Entscheidung stand die Frage, ob das Zustimmungsgesetz zum italienischen Friedensvertrag insoweit gegen den Gleichheitssatz und vor allem die EigentumsschutzklauseP0 der italienischen Verfassung verstoße, als im Art. 76 Abs. 5 dieses Vertrages Italien auf jeden Anspruch aus den Kriegsgefangenenkonventionen — hier aus dem die Entlohnung der Gefangenen regelnden Art. 34 der Genfer Konvention von 1929 — verzichtet hatte. Auf den Einwand der Regierung, die Klage sei unzulässig, weil die Gefange78 I m Art. 4 der Legge costituzionale vom 26.2.1948 (Statuto speciale per il Trentino — Alto Adige) heißt es: „Die Region kann in Ubereinstimmung mit der Verfassung und den Prinzipien der Rechtsordnung des Staates sowie unter Beachtung der internationalen Verpflichtungen und der nationalen Interessen in folgenden Materien Gesetze erlassen: . . 79 Giurisprudenza costituzionale 1966, S. 199; ein Auszug dieser Entscheidung wurde in der Rivista di diritto internazionale, 49 (1966), S. 390, veröffentlicht. 80 Vgl. hierzu A. Bleckmann, Das Eigentum im italienischen Verfassungsrecht, ZaöRV 27 (1967), S. 94 ff.

I. Staaten, in denen Verträge innerstaatliche Geltung erlangen

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nenkonventionen nur das Verhältnis zwischen den Staaten, nicht aber auch zu den Gefangenen regelten, führte das Gericht aus: „Im Gegenteil muß angenommen werden, daß selbst wenn die internationalen Verträge nach der italienischen Rechtsordnung nicht ipso iure und unmittelbar Wirkungen im innerstaatlichen Raum erzeugen, sie diese Wirkung durch geeignete Maßnahmen erlangen, von denen als häufigste der Vollstreckungsbefehl benutzt wird. Auch können Verträge, welche die Vertragsstaaten verpflichten, die ihrer Macht unterworfenen Individuen rechtlich in einer bestimmten Weise zu behandeln (trattati i quali impegnino gli Stati contraenti a disporre un certo trattamento giuridico nei confronti di soggetti sottoposti alla loro potestà di impero), sobald sie in die nationale Rechtsordnung dieses Staates eingeführt sind, echte subjektive Rechte zugunsten derjenigen begründen, in deren Person der betreffende Tatbestand eintritt. Es besteht kein Grund, diese Prinzipien nicht anzuwenden, wenn es sich bei den Individuen, auf welche sich die Pflichten der Vertragsstaaten beziehen, um Kriegsgefangene handelt, weil es gerade die Funktion der diese Behandlung regelnden Verträge ist, ihnen einen echten „status" zu geben, der in unterschiedlichem Umfang und mit verschiedenen juristischen Mitteln gesichert ist." Gerade Art. 34 der Genfer Konvention von 1929 wolle den Kriegsgefangenen aber einen Anspruch auf Entlohnimg mit dem Charakter eines echten Rechtes gewähren. Damit wollte der Gerichtshof aber nur hervorheben, daß die Kriegsgefangenen sich auf diese Vorschrift berufen können. Denn bei der Prüfung der Begründetheit der Klage führte er aus, daß Art. 34 eben nicht unmittelbar einen Anspruch auf einen Mindestlohn begründe, diese Vorschrift vielmehr durch besondere Akte und vor allem durch einen Vertrag zwischen den betreffenden Staaten ausgefüllt werden müsse: Es handle sich also noch nicht um einen durch die Eigentumsschutzklausel der italienischen Verfassung gedeckten Vermögenswert. 6. I n Luxemburg haben die Gerichte lange Zeit hindurch Verträge ohne nähere Prüfung unmittelbar angewendet 81 . Erst in jüngster Zeit hat das Tribunal correctionnel dem Art. 6 der Europäischen Menr schenrechtskonvention die Eigenschaft einer „stipulation directe" abgesprochen82 und das Tnbunal de commerce ausgeführt, Art. 86 des 81 Vgl. den luxemburgischen Bericht für das „Colloque européen" (S. 137 ff.) und Pescatore . 82 Entscheidung vom 24.10.1960, wiedergegeben bei Janssen-Pevtschin/ Vélu/Vanwelkenhuyzen , La convention de sauvegarde des droits de l'homme et des libertés fondamentales et le fonctionnement des juridictions belges, in: Chronique de politique étrangère, 15 (1962), S. 199 ff„ 215.

3 Bleckmann

1. Kap.: Lehre und Rechtsprechung

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EWG-Vertrages sei „conçu en des termes trop généraux et trop imprécis pour que le tribunal puisse admettre que cet article soit, dans Tintention des Etats contractants, self-executing, et qu'il confère des droits et impose des devoirs immédiatement aux individus" 83 . 7. I n den Niederlanden 84 ist die Beschränkung der Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge in den neuen Art. 65 und 66 der Verfassung verankert worden. Nach Art. 65 haben vertragliche Bestimmungen, „die ihrem Inhalt nach jedermann verpflichten können", diese verbindliche Kraft, nachdem sie bekanntgemacht worden sind. Hierunter werden nur völkerrechtliche Bestimmungen gezählt, die für den einzelnen Staatsbürger unmittelbar Rechte und Pflichten begründen 85 . Das soll der Fall sein, wenn die Verträge sich unmittelbar an die Individuen oder die Gerichte und nicht an die Regierung oder die Legislative wenden 86 . Die Verträge sollen sich aber an die gesetzgebende Körperschaft wenden, wenn ihre Bestimmungen einer „mise en vigueur ultérieure, à effecteur par les organes de l'Etat" bedürfen 87 . 8. Neben den Vereinigten Staaten und den Niederlanden ist die Lehre von den self-executing treaties in Österreich 88 am weitesten entwickelt. Bekanntlich ist hier die Diskussion in den letzten Jahren durch Urteile des Obersten Gerichtshofs 89 und des Verfassungsgerichtshofs 90 entfacht worden, welche den Art. 27 des österreichischen Staatsvertrags für unmittelbar anwendbar, den Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention dagegen nicht für unmittelbar anwendbar hielten. Die heftige Reaktion der Lehre führte zu einer Neufassung der einschlägigen Verfassungvorschriften. Nunmehr kann der Gesetzgeber im Zustimmungsgesetz bestimmen, daß der Vertrag durch den Erlaß besonderer Gesetze zu erfüllen ist 9 1 . Wenn das Zustimmungsgesetz eine solche Klausel enthält, ist der Vertrag nicht 83

Bei Batailler, „Juge interne", S. 749. Vgl. die Arbeiten von Erades, Erades-Gould (S. 297 ff., 316 ff.), Bauer (151 f.), van Panhuys, Tammes und Zimmermann (S. 203) sowie den niederländischen Bericht für das „Colloque européen" (S. 49 ff.). 85 Bauer, S. 151. 86 Erades-Gould, S. 321, 325. Auf den Willen der Vertragsparteien stellt insoweit der niederländische Bericht ab; dort auch weitere Literatur und Rechtsprechung. 87 Panhuys, „Révision constitutionnelle", S. 348 f. 88 Vgl. die Arbeiten von Ermacora, von Grüningen, Klecatsky, Pfeifer, Vasak („Self-executing treaties"), Walter und G. Winkler. 89 Ο G H 4.2.1960, Entscheidungen in Zivil- und Justizverwaltungssachen, Bd. 33 (1960), Nr. 15, S. 32 = JB1. 83 (1961), S. 27. 90 ÖVerfGH 27. 6.1960, JB1. 83 (1961), S. 352. 91 Bedarf der Vertrag der parlamentarischen Zustimmung nicht, kann der Bundespräsident anläßlich des Abschlusses bestimmen, daß der Vertrag durch Verordnungen zu erfüllen sei. 84

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unmittelbar anwendbar. Fehlt eine solche Festlegung, wird der Vertrag durch das Zustimmungsgesetz grundsätzlich in innerstaatliches Recht transformiert, kann aber auch dann von den Gerichten nur angewendet werden, wenn und soweit er dieser Anwendung fähig ist 9 2 . Ausgehend von der Rechtsprechung der obersten Gerichte verlangt die Lehre als Voraussetzung hierfür das Vorliegen subjektiver und objektiver Bedingungen: Einmal müsse der Vertrag seine immittelbare Anwendung im innerstaatlichen Rechtsraum durch die Begründung subjektiver Rechte und Pflichten anstreben 98 , zum anderen müsse er die nach rechtsstaatlichen Grundsätzen erforderliche Bestimmtheit besitzen 94 . Da somit die Anwendungsfähigkeit völkerrechtlicher Verträge auch heute in Österreich noch Bedeutung besitzt, soll hier die Entwicklung der Rechtsprechung und insbesondere das Verhältnis zwischen den genannten subjektiven und objektiven Voraussetzungen etwas eingehender dargelegt werden. Auch in Österreich ist die Lehre von der immittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge älter als die zitierte Literatur und Rechtsprechung annehmen läßt. Wenn sich auch hier zahlreiche Entscheidungen finden lassen, welche — übrigens diese innerstaatliche Anwendung kaum intendierende — Verträge ohne ausdrückliche Prüfung der Anwendungsfähigkeit anwenden 95 , wird in anderen Urteilen gerade diese Frage ausführlich untersucht: Dabei steht ebenfalls nicht der Anwendungswille des Vertrages, sondern die Bestimmtheit seiner Vorschriften im Mittelpunkt der Analysen. Dies gilt etwa für ein Urteil des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahre 1923 96 , in dem zu entscheiden war, ob ein zwischen den österreichischen Nachfolgestaaten geschlossenes Abkommen über den Status der Südbahngesellschaft österreichische Gesetze aus den Jahren 1874 und 1877 aufgehoben hatte, nach denen die gemeinsame Vertretung bestimmter Aktionärsgruppen durch einen öffentlich bestellten Kurator wahrgenommen wurde. Das Gericht stellte zunächst fest, daß infolge der im Anschluß an Laband als „allgemeiner Gesetzesbefehl" bezeichneten Genehmigung durch den Nationalrat der Staatsvertrag „allge92 Nach einer anderen Auffassung ist das Fehlen dieser Klausel dahin zu deuten, daß der Gesetzgeber die unmittelbare Anwendbarkeit angeordnet habe; ist der Vertrag zur Anwendung nicht geeignet, soll das Zustimmungsgesetz wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden können. Zu dieser Auffassung siehe unten Kapitel V I , Anm. 4. 93 G. Winkler; O G H aaO. 94 Ermacora; von Grüningen; Klecatsky; Pfeifer. 05 Vgl. etwa O G H aaO., Bd. 6, 1924, Nr. 22, S.46; Nr. 149, S. 333 ff.; Nr. 398, S. 921 (zu Art. 244, 248, 256, 265 des Staatsvertrages von Saint-Germain). 96 O G H aaO., Bd. 5, 1923, Nr. 316, S. 765 ff.

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1. Kap. : Lehre und Rechtsprechung

mein verbindliche Kraft auch nach innen (für Behörden und Untertanen") erlangt habe und ging dann auf die unmittelbare Anwendbarkeit dieses Abkommens ein: „Es fragt sich nun, ob dieser allgemeine Gesetzesbefehl genügt, lim auf Grund der Bestimmungen der .geschlossenen Staatsverträge ohne weitere Ausführungsvorschnft in vorliegender Sache zu entscheiden. Die Frage ist zu bejahen. Der springende Punkt ist, ob ein Anlaß sei, die bisher auf Grund der bestehenden Gesetze verfügte Kuratel noch weiter aufrecht bestehen zu lassen, und darüber bestehen erschöpfende und in Einzelheiten gehende Bestimmungen. Hervorzuheben sind in dieser Richtung aus den Übereinkommen die Art. 4 Abs. 6, Art. 5 Abs. lb, Art. 30 Abs. 3 und 4, über die Vertretung der Priorität und der Südbahngesellschaft. Ein Zweifaches geht aus diesen Bestimmungen hervor: 1. daß der Fall, „in welchem sich ergibt, daß die Rechte der Prioritäre wegen eines Mangels einer gemeinsamen Vertretung gefährdet oder die Rechte eines anderen in ihrem Gange gehemmt würden", nunmehr nicht mehr vorliegt 97 , 2. daß, selbst angenommen der Fall, die Anwendung der Gesetze von 1874 und 1877 für das Rechtsverhältnis zwischen den Prioritäten und der Südbahngesellschaft ausgeschaltet ist." (Hervorhebungen

vom Verfasser)

Schon in diesem Urteil wurden also bei einer Aufhebung innerstaatlicher Gesetze durch Verträge besonders scharfe Anforderungen an die Bestimmtheit dieser Abkommen gestellt. Noch ausgeprägter wird diese Tendenz, wenn es sich um die Aufhebung des Zivil- oder Strafrechts oder der entsprechenden Verfahrensordnungen handelt. Das zeigt sich in einem anderen Urteil aus dem Jahre 1923 98 : „Die Revision behauptet zu Unrecht, daß § 64 ABGB (Ehehindernis des Katholizismus und der Religionsverschiedenheit) durch Art. 66 des Staatsvertrages von Saint-Germain-en-Laye vom 10. September 1919 StGBl. Nr. 303/20 aufgehoben worden sei. Denn dieser Bestimmung, welche allerdings im Art. 149 des Bundes-Verfassungsgesetzes vom 1. September 1920, BGBl. Nr. 1, gleich dem ganzen Abschnitt 5, I I I . Teil des Staatsvertrages als Verfassungsgesetz erklärt wurde, kommt nur die Bedeutung zu, daß keinem Staatsbürger wegen seines Religionsbekenntnisses bürgerliche oder poli97 Hier greift also das Gesetz nicht mehr ein, weil der Vertrag seinen T a t bestand ausschließt. Den umgekehrten Fall finden w i r in der Entscheidung des OGH, Nr. 22, S. 46, in Anm. 95: „Es ist aus diesem Grunde die A n wendbarkeit des Art. 271 (des Friedensvertrages) wegen Fehlens der von ihm selbst gesetzten Voraussetzungen nicht möglich." 98 O G H aaO., Bd. 6, 1924, Nr. 398, S. 021 ff.

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tische Rechte versagt werden dürfen. Keineswegs haben aber die Verfasser des Staatsvertrages neue Privatrechtsnormen über die Ehe aufgestellt. Das geht einerseits aus dem Wortlaut des Art. 62 des Staatsvertrages, andererseits aus der allgemein anerkannten Tatsache hervor, daß Österreich die Stellung eines souveränen Staates vorbehalten blieb." Es liegt ganz in der Linie dieser Rechtsprechung, wenn der Verfassungsgerichtshof dem Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention die unmittelbare Anwendung im Sinne der Änderung des vorhergehenden innerstaatlichen Rechts mangels ausreichender Bestimmtheit versagt": „Dem Verfassungsgerichtshof scheint es nicht zweifelhaft zu sein, daß die Unbestimmtheit der wenigen im Art. 6 enthaltenen Begriffe, die einer ausgebauten zivil- und strafrechtlichen Ordnung gegenüberstehen, zu dem Schluß führt, daß Artikel 6 lediglich programmatische Grundsätze aufstellt, die der Gesetzgeber zu verwirklichen und weiter einzuhalten hat, die aber für sich allein noch kein unmittelbar anwendbares Recht sind..." Beide Entscheidungen versagen den vertraglichen Grundrechtsbestimmungen also die Wirkung auf die „ausgebaute Zivil- und Strafrechtsordnung". Die Unterschiede zwischen beiden Urteilen sind dabei eher rechtstechnischer, also formeller Natur: Während der Verfassungsgerichtshof die Anwendung der Menschenrechte mangels Bestimmtheit ablehnt, kommt der Oberste Gerichtshof offensichtlich aus ähnlichen Bedenken zu einer beschränkenden Auslegung des Vertrages, den er also an sich „anwendet I n all diesen Entscheidungen spielte der auf die unmittelbare Anwendung gerichtete Wille der Vertragsparteien eine untergeordnete Rolle. Dieser Wille wurde, soweit ersichtlich, nur in den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs stark herausgestrichen, welche aus den Bestimmungen der Verträge echte Redite auf bestimmte Leistungen gegen den Staat oder Dritte ableiten wollten: Auch hier handelt es sich also um einen besonderen Fall der Anwendung von Staatsverträgen. Hier sei insbesondere auf die schon zitierte Entscheidung vom 4. Feburar I960 1 0 0 hingewiesen, in welcher der Gerichtshof unter Berufung nicht nur auf österreichische, sondern auch auf deutsche und amerikanische Entscheidungen, ja auf die Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs die friedensvertraglichen Entschädigungsbestimmungen nur dann für immittelbar anwendbar hielt, wenn dies dem Willen der Vertragspartner entspreche. 00 100

Siehe oben Anm. 90. Siehe oben Anm. 89.

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1. Kap. : Lehre und Rechtsprechung

9. Auch die Schweizer Lehre hat das Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Vierträge frühzeitig erkannt. So führt etwa J. Blumer in seinem 1887 erschienenen Handbuch des schweizerischen Bundesstaatsrechts 101 aus: „Andererseits normieren aber die Staatsverträge auch persönliche Rechtsverhältnisse der Landesangehörigen... Es geschieht dies auf dem Gebiet des Privat- und Straf rechts, wie des öffentlichen Rechts. So wenn durch Staatsverträge festgestellt wird, unter welchen Bedingungen seitens der beidseitigen Landesangehörigen Eigenthum an Fabrik und Handelsmarken, an literarischen, künstlerischen und gewerblichen Erzeugnissen erworben werden könne, in welcher Weise die Fischerei in Grenzgewässern oder die Holznutzung in Grenzwäldern ausgeübt werden dürfe usw. Wenn die Staatsverträge zugleich zum Schutz des Eigenthums . . . besondere strafrechtliche Rechtssätze aufstellen, so kann jeder der betheiligten Landesangehörigen, auch in dieser Richtung, Rechte aus dem Staatsvertrag ableiten und solche persönlich vor den Gerichten geltend machen. Ebenso können Private das Klagrecht geltend machen für sogenannte Individualrechte, die durch Staatsvertrag zugesichert wurden, wie bezüglich Niederlassung, Gerichtsstand, Gleichbehandlung (Schutz der persönlichen, der Glaubens- und Gewissensfreiheit usw.). Unrichtig ist daher der beliebte Satz, daß Staatsverträge nur unter den kontrahierenden Staaten Rechte schaffen. Es kommt ganz darauf an, in welcher Richtung Rechte durch den Staatsvertrag geschaffen werden sollten. Dies kann auch bezüglich persönlicher Rechte der Landesangehörigen der Fall sein, was schon in Art. 113 Ziff. 3 der schweizerischen Bundesverfassung ausdrücklich anerkannt ist, indem diese Verfassungsvorschrift den Privaten die Befugnis einräumt, wegen Verletzung von Staatsverträgen den Schutz des Bundesgerichts anzurufen." (Hervorhebungen vom Verfasser) Nach Fleiner-Giacometti 102i tritt „mit der völkerrechtlichen Verbindlichkeit eines Staatsvertrages für die Schweiz . . . automatisch auch die staatsrechtliche Verbindlichkeit des Staatsvertrages rechtssetzender Natur e i n . . . , insofern er unmittelbar anwendbar ist, . . . also zu seiner Anwendbarkeit nicht des Erlasses innerstaatlicher Rechts101

Bd. I I 2 (III), S. 352. S. 829, Anm. 66; S. 832. Etwas abweichend: Fleiner, S. 755. — I m Message du Conseil fédéral à l'Assemblée fédérale sur la V I I e session de la conférence internationale du Travail du 7 juin 1926 (Feuille fédérale, Bd. 78, [19261] S.8511Ï., 872) wird dargelegt, daß die vertragliche Gleichstellung ausländischer mit inländischen Arbeitern unmittelbar anwendbar sei, wenn diese Vorschriften „ne nécessitent pas l'élaboration de dispositions d'exécution". 102

I. Staaten, in denen Verträge innerstaatliche Geltung erlangen

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sätze bedarf. I m anderen Fall sind dann die entsprechenden Bundesgesetze, eventuell auf Grund einer Partialrevision der Bundesverfassung, bzw. Vollziehungsverordnungen zu erlassen . . . Staatsverträge rechtssetzender Natur sind dann nicht unmittelbar anwendbar, wenn sie lediglich Richtlinien aufstellen, nach denen sich die Gesetzgebung der Vertragskontrahenten richten soll . . . Analog erlangen auch die rechtsgeschäftlichen Staatsverträge mit der völkerrechtlichen auch staatsrechtliche Verbindlichkeit, d. h. die Behörden sind zu ihrer Vollziehung verpflichtet, wobei der Inhalt der Verpflichtung sich aus dem Staatsvertrag ergibt..." Aubert m sieht dagegen nur die Verträge als unmittelbar anwendbar an, die nicht nur „directement qu'un petit nombre d'organes étatiques", sondern „les particuliers d'une façon immédiate" betreffen. Er verlangt, daß der Vertrag „contient des règles générales qui s'adressent aux particuliers". Wie die Gerichte anderer Staaten, wendet auch das Bundesgericht sehr häufig völkerrechtliche Verträge, insbesondere aus dem Gebiet des Zivil- und Zivilprozeßrechts, des Steuerrechts und vor allem des Auslieferungsrechts an, ohne die Anwendungsfähigkeit ausdrücklich zu überprüfen 104 . Soweit ersichtlich, hat das Bundesgericht sich erst in einer Entscheidung vom 26. Oktober 1955 105 ausdrücklich mit dieser Frage befaßt; hier handelte es sich um die Anwendbarkeit eines Fürsorgevertrages zwischen verschiedenen Kantonen (Konkordat) auf das Rechtsverhältnis zwischen einem Kanton und einer hilfsbedürftigen Privatperson: „Der Kanton Basel-Stadt bestreitet die Zulässigkeit der Beschwerde mit der Behauptung, die IVS sei kein Konkordat im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. b OG. Was zur Begründung angeführt wird, läuft aber nicht auf die Verneinung des Charakters eines Konkordates, als vielmehr auf eine Bestreitung der Rechte hinaus, die die Beschwerdeführerin axis dem Konkordat herleiten möchte. Es wird eingewendet, die I V S begründe nur gegenseitige Rechte und Pflichten der Kantone, aber keine Rechte der Privaten; sie habe rechtsgeschäftlichen, nicht rechtssetzenden Charakter." Das Bundesgericht ordnet das Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit in die allgemeine prozeßrechtliche Kategorie der Beschwerdelegitimation (Klagebefugnis) ein: „Ob das Konkordat Rechte begründet, könnte höchstens in Betracht fallen für die Frage der Legitimation zur Beschwerde... Diese erle103 v g l a u c h den interessanten Aufsatz von Burckhardt. 104 v g l hierzu die Register der amtlichen Sammlung. Auslieferungsverträge: 17.5.1961, BGE 87 (1961 I), S. 134; 12.7.1961, BGE 87 (1961 I), S. 191. los BGE 81 (1955 I), S. 351.

1. Kap.: Lehre und Rechtsprechung

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digt sich aber hier damit, zung behauptet wird und leitet werden. 0(b dies zu sachliche Begründetheit nicht die prozeßrechtliche

daß in der Beschwerde eine Rechtsverletdamit Rechte aus dem Konkordat hergeRecht oder Unrecht geschieht, betrifft die oder Unbegründetheit der Beschwerde, Frage nach dêr Legitimation."

In der Entscheidung vom 23. Mai 1962 106 hatte das Bundesgericht im Rahmen einer Privatbeschwerde gegen Kantonalrecht wegen eines Verstoßes gegen internationale Verträge über die Vereinbarkeit eines zwischen den Anliegerkantonen des Bodensees geschlossenen Ausführungsabkommens („Règlement" genannt) zur Bodenseekonvention mit dieser Konvention zu entscheiden. Das Gericht führte aus: „Le recourant allègue en outre que les articles 37 ss. de la Convention sont assimilables à des dispositions de droit fédéral, qu'ils règlent complètement la location des bateaux sur le lac Léman et ne laissent aucune place pour des dispositions cantonales complémentaires . . . Toute disposition de ce genre — et notamment les arts. 36 et 53 du Règlement, qui sont du droit cantonal — violerait donc l'art. 39 précité et se heurterait à la force dérogatoire du droit fédéral. a) L'art. 84 a 1. 1 litt, c OJ ouvre la voie du recours de droit public contre les décisions ou arrêtés cantonaux pour violation des traités internationaux... b) Selon les principes du droit des gens, un traité international engage les puissances contractantes . . . Lorsqu'il s'agit d'un traité conclu par la Conférence et qui crée des règles de droit, il devient, à ce moment aussi, obligatoire de plein droit pour les autorités et citoyens, pourvu qu'il soit directement applicable. I l s'incorpore en même temps au droit fédéral ... Les conventions internationales qui contiennent ainsi des clauses obligatoires pour les citoyens peuvent être complétées par des dispositions d'exécution . . . c) L'art. 39 de la Convention crée une règle de droit obligatoire pour les autorités et les citoyens de chacun des Etats contractants . . . Mais il n'en reste pas moins qu'elle doit être explicitée et précisée en vue de son application . . . Le recourant affirme donc à tort que, sur la location de bateaux, la Convention contient une réglementation complète, qui ne comporterait aucune lacune, ni omission et serait applicable sans aucun complément. 106

BGE 89 (1962 I), S. 86.

I . Staaten, in denen Verträge

ine Geltung erlangen

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d) . . . Les dispositions du règlement . . . ont été établies par un accord conclu entre les gouvernements de plusieurs cantons . . . Cet accord ne lie pas seulement les cantons eux-mêmes , qui Vont souscrit, il contient, bien plus, des règles qui s'appliquent directement aux citoyens soumis à la souveraineté territoriale des Etats contractants ... e) I l reste à savoir si le règlement viole l'article 39 de la Convention. Cette question appelle la négative. En effet, la Convention fixe uniquement le minimum des exigences auxquelles doivent satisfaire les embarcations pour avoir accès aux eaux nationales de l'un des Etats contractants. Elle n'empêche pas chacun d'eux de soumettre à des règles plus sévères la navigation sur les bateaux soumis à la souveraineté pour l'immatriculation..." 10. I n den Vereinigten Staaten 107 steht seit der berühmten Entscheidung Foster v. Neilson m fest, daß nur „self-executing treaties" als „supreme law of the land" vom Richter unmittelbar angewendet werden dürfen: „A self-executing treaty is one which furnishes by its own terms . . . a rule of Law for the executive branch of the Government, the courts, the States, or for private individuals. An executory, or nonself-executing treaty, is one which explicitly or implicitly requires implementation by some executive or legislative agency, either Federal or State, before it can become a rule for the courts or the private individuals 109 ." Self-executing sind Verträge also dann, wenn sie zu ihrer innerstaatlichen Durchführung keines besonderen Gesetzes bedürfen. Kriterium hierfür ist einerseits der auf die unmittelbare Anwendung gerichtete Wille der Vertragspartner, wie er im Wortlaut („terms") des Vertrages zum Ausdruck gelangt und bei bestimmten Verträgen vermutet wird; zum anderen darf der Vertrag nicht in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Kongresses eingreifen. I I . Staaten, in denen Völkerrechtsverträge grundsätzlich keine innerstaatliche Geltung erlangen

Auf den ersten Blick scheint das Problem der Anwendungsfähigkeit völkerrechtlicher Verträge nur in den Staaten auftreten zu kön107 Ygi d i e Arbeiten von Balbastro, Erades-Gould (S. 297 ff.), Dickinson , Evans, Gordon, Hackworth, Henry, Hudson, Moore, Preuss („Human Rights"), Reiff und Quincy Wright , ferner: Ch. P. Anderson, Treaties as Domestic Law, A J I L 29 (1935), S. 472 ff.; Quiincy Wright, Treaties as L a w in National Courts w i t h Special Reference to the United States, Indiana L a w Journal, 32 (1956), S . l f f . 108 Foster v. Neilson (1829) 2 Peters 253, S. 314. 109 Evans, „Some Aspects", S. 68.

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1. Kap.: Lehre und Rechtsprechung

nen, in denen diese Abkommen grundsätzlich innerstaatliche Geltung erlangen. Das scheint durch die Tatsache bestätigt zu werden, daß etwa die britische Literatur und Rechtsprechung sich mit dieser Frage noch niemals ausdrücklich beschäftigt haben 110 . Eine tiefergreifende Untersuchung zeigt aber die Verkehrtheit dieser Auffassung. Zunächst scheint die übliche Unterscheidung zwischen den Staaten, in denen die Verträge „automatisch" anwendbar werden, und den Staaten, in denen dies nicht der Fall ist, recht oberflächlich zu sein. Geht man dem Problem der innerstaatlichen Wirkung von Verträgen etwa in Großbritannien 111 näher nach, dann zeigt sich, daß Verträge nur dann eines speziellen Einführungsgesetzes bedürfen, wenn sie bestimmte Rechte des Individuums berühren: andere Verträge werden vom Richter ohne einen solchen Einführungsakt innerstaatlich angewendet, insbesondere dann, wenn es sich um in die Prärogative der Krone fallende Abkommen handelt oder wenn das nationale Gericht nach britischer Auffassung einen internationalen Charakter (Prisengerichte) besitzt 112 . Ferner können auch andere Verträge ohne einen solchen Einführungsakt etwa bei der vertragskonformen Auslegung innerstaatlichen Rechts mittelbar innerstaatliche Wirkungen entfalten 1 1 3 . Und schließlich ist in den Staaten der automatischen innerstaatlichen Geltung ebenso wie in Großbritannien bei den meisten Verträgen ein spezieller Einführungsakt (Transformationsgesetz oder Vollstreckungsbefehl) erforderlich. Der Unterschied zwischen beiden Staatengruppen liegt somit allein in der Form dieser Einführung: I n der Tat kann in Großbritannien die einfache parlamentarische Zustimmung zur Ratifikation niemals zur innerstaatlichen Geltung führen. Erforderlich ist vielmehr, daß ein Gesetz entweder selbst die innerstaatlichen Wirkungen ausdrücklich anordnet oder aber die Krone zu einer solchen Regelung durch „order 110 Eine Ausnahme stellt Oppenheim, Bd. I, S. 829, § 520, dar, der sich aber mit der amerikanischen Rechtsprechung beschäftigt. 111 Für andere Staaten, in denen Völkerrechtsverträge grundsätzlich keine innerstaatliche Geltung erlangen, vgl. R. Lapidoth, De la valeur interne des traités internationaux dans le droit israélien. R G D I P 63 (1959), S. 65 ff., 221 ff.; C.B. Bourne, The Canadian Bar Review, 39 (1951), S. 969ff.; E. Hambro, The Theory of Transformation of International L a w in Norwegian Law, in: Law, State, and International Legal Order, Essays in Honor of Hans Kelsen, Edited by Salo Engel — Rudolf A. Métall, 1964, S. 97 fï.; Serensen. 112 Vgl. hierzu McNair, aaO.; M.Lefébure, The Application of International L a w in the English Courts, ZaöRV 17 (1956/7), S. 568 ff. Zur Anwendung von Verträgen durch die britischen Prisengerichte vgl. die bei A. Bleckmann, „Zamora-Fall", Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, 1962, S. 879, zitierte Literatur und Rechtsprechung. 113 McNair, „Application", S. 270 ff.; Oppenheim, S.857, Anm. 1; Mann, „Treaties".

I . Staaten, in denen Verträge

ine Geltung e r l a n g e n 4 3

in council" ermächtigt und eine solche Order die innerstaatlichen Wirkungen ausdrücklich festlegt. Diese Regelung kann nun sehr unterschiedlich ausfallen. I m allgemeinen setzt das Gesetz oder die Order das Völkerrecht innerstaatlich durch, indem sie das entsprechende innerstaatliche Recht unmittelbar ändern. So dehnte etwa der „Act to enable effect to be given to an International Convention for the Suppression of Counterfeiting Currency, Signed on behalf of His Majesty at Geneva on the 20 April 1929, to apply to foreign coin certain enactments relating to British coin, and to assimilate the penalties for importing and exporting counterfeit coin" 114 , um diesem Vertrag innerstaatliche Wirkung zu verleihen ( . . . „And whereas it is expedient to give effect to the said Convention") bestimmte britische Strafvorschriften über die Fälschung britischen Oeldes auf die ausländischen Währungen aus. Daneben gibt es aber Zustimmungsgesetze, die einzelne Vertragsvorschriften unmittelbar ins britische Recht einführen. So bestimmte etwa Art. 1 des „Act to carry into effect a Treaty of Washington Act, 1872" 115 : „As soon as the law required to carry into operation, on the part of the United States of America, the articles set out in the schedule to this act has been passed by the Congress of the United States, and come into force, all Acts of Parliament and law which operate to prevent the said articles from taking full effect shall, so far as they so operate, be suspended and have no effect during the period mentioned in the article numbered thirty-three in the schedule to this act 1 1 6 ." Dem Gesetz sind die entsprechenden Artikel des Vertrages beigefügt. Soweit nun der Vertragswortlaut selbst ins innerstaatliche Recht eingeführt wird, stellt sich das Problem der Anwendungsfähigkeit dieser Bestimmungen. Das wurde sehr klar von den Orders in Council 114

Vom 10.7.1935, 25 & 26 Geo. 5 c. 25. 35 & 36 Vict. c. 36. — Zahlreiche weitere Beispiele sind bei E. Meier (S. 139 ff.) und bei D. Lasok, Les traités internationaux dans le système juridique anglais, R G D I P 70 (1966), S. 961 ff., 987 ff. zitiert. Darunter finden sich auch Gesetze, welche bestimmte Verträge positiv ins englische Recht einführen und nicht nur das entgegenstehende Recht aufheben (Formel: „The above recited convention is hereby confirmed, and shall be deemed to have full force and operation, anything in the said act or in any other act of Parliament notwithstanding"). 116 Art. X X X I I I lautet: „The foregoing Articles . . . of this Treaty, shall take effect as soon as the laws required to carry them into operation shall have passed by the Imperial Parliament of Great Britain, by the Parliament of Canada . . . on the one hand, and by the Congress of the United States on the other. Such assent having been given, the said articles shall remain in force for the period of ten years ..." 115

44

1. Kap.: Lehre und Rechtsprechung

gesehen, welche auf Grund einer Ermächtigung in den Zustimmungsgesetzen zu den nach 1945 geschlossenen Friedensverträgen die jeweilige Section I dieser Verträge unmittelbar ins britische Recht einführten 1 1 7 . I n diesen Orders heißt es jeweils: „ . . . Now therefore, His Majesty, in Pursuance of the said Section and of all other powers enabling Him in that behalf, is pleased, by and with the advice of His Privy Council, to order, and it is hereby ordered, as follows: 1. So far as they are by their nature capable of so doing the provisions of the Treaty set out in the First Schedule hereto shall be and have effect as law and for the purpose of carrying out those provisions the following provisions shall have effect: . . . " (Hervorhebungen vom Verfasser) Π Ι . Die Rechtsprechung der internationalen Gerichte

Die Darstellung der nationalen Rechtsprechimg zur unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge könnte den Eindruck erwecken, daß die dieses Problem regelnden Rechtsätze ausschließlich im nationalen Recht beheimatet sind. Um die Möglichkeit einer internationalen Verankerung dieser Regeln aufzuzeigen, soll im folgenden die internationale Rechtsprechung zu dieser Frage kurz dargelegt werden, die ihrer Natur entsprechend Völkerrecht und nicht Landesrecht anwendet. 1. Der Ständige Internationale Gerichtshof hat in seinem Gutachten Nr. 15 vom 3. März 1928 im Falle der Freien Stadt Danzig ausgeführt 1 1 8 : „The point in dispute amounts therefore to this: Does the Beamtenabkommen, as it stands, form part of the series of provisions governing the legal relationship between the Polish Railways Administration and the Danzig officials who have passed into its service...? The answer to this question depends upon the intention of the contracting Parties. It may be readily admitted that, according to a well established principle of international law, the Beamtenabkommen being an international agreement, cannot, as such, 117 Vgl. Statutory Instruments 1948 I, Peace Treaty Bulgaria (Order 3187), Finnland (3203), Hungary (3211), Italy (3228), Roumania (3245). Zur Anwendung dieser Orders vgl. King's Bench Division, June 27 to July 30 (195) 1951, Bank voor Handel en Scheepvaart v. Slatford, A l l England L a w Reports 1951 I I , S. 779. — Nach Mann („Treaties", S. 46, Anm. 54) ist zwar der Terminus self-executing treaty in Großbritannien nicht üblich, ohne den zugrunde liegenden Begriff aber auch dort nicht auszukommen. 118 Publication de la Cour, série A . B . no. 28, S. 17; vgl. auch Marek, S. 38 fi., 59 f.

III. Die Rechtsprechung der internationalen Gerichte

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create direct rights and obligations for private individuals. But it cannot be disputed that the very object of an international agreement, according to the intention of the contracting Parties, may be the adoption by the Parties of some definite rules creating individual rights and obligations and enforceable by the national courts. That there is such an intention in the present case can be established by reference to the terms of the Beamtenabkommen . . . The wording and general tenor of the Beamtenabkommen show that its provisions are directly applicable as between the officials and the Administration . . . The Court therefore arrives at the conclusion that, in the intention of the contracting Parties, the relations between the Polish Railways Administration and the Danzig officials should be governed by the Beamtenabkommen, the provisions of which constitute part of what the High Commissioner calls the »contract of service4 and that, consequently, the Danzig officials have . . . a right of action (vor den Danziger Gerichten!) against the Polish Railways Administration for the recovery of pecuniary claims based on the Beamtenabkommen." 2. Der Gerichtshof der europäischen Gemeinschaften hat in Anlehnung an dieses Gutachten des Ständigen Internationalen Gerichtshofs in mehreren Urteilen 1 1 9 entschieden, daß die Frage, ob die Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrages in dem Sinne unmittelbare Wirkung im innerstaatlichen Recht haben, daß die Einzelnen hieraus Rechte herleiten können, die vom nationalen Richter zu beachten sind, vom Geist dieser Vorschriften, von ihrer Systematik und von ihrem Wortlaut her, also durch Vertragsauslegung zu beurteilen ist. Dieser Auslegung unterzieht der EGH aber nicht die einzelne Vertragsvorschrift, deren Anwendung jeweils zur Entscheidung steht. Der EGH hat vielmehr die grundsätzliche unmittelbare Anwendbarkeit des EWG-Vertrages in seiner Gesamtheit bejaht, weil das Ziel dieses Vertrages auf die Schaffung eines gemeinsamen Marktes ge119 Urteile vom 5.2.1963 (RS 26/62 van Gend & Loos, RsprEGH, I X [1963], S . l f f . , 24 ff.), 15.7.1964 (RS 6/64 Costa X ENEL, RsprEGH, X [1964], S. 1251 ff.), 16.6.1966 (RS 57/65 Lütticke, RsprEGH, X I I [1966], S. 257 ff., 265 ff.), 3.4.1968 (RS 28/67, RsprEGH, X I V [1968], S. 214 ff., 230 ff.). Zum Problem der innerstaatlichen Anwendbarkeit der europäischen Verträge äußern sich die meisten Arbeiten zum Verhältnis des europäischen Rechts zum nationalen Recht nur sehr knapp. Eingehender wurde diese Frage behandelt von: Batailler , („Juge interne"), Bleckmann („Art. 95 EWGV" und „Kompetenzbild"), Bülow, Dumon („Commission Européenne"), Ehle (aaO., und: Interdependenz zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht, N J W 1965, S.2231), Erades („Applicabilité directe"), Everling, G.Meier, Moehring, Prasch, Vogel-Polsky, Wohlfarth (Europäische und deutsche Rechtsordnung, Beiträge zum internationalen Wirtschaftsrecht und Atomenergierecht, 1965, S. 160 ff.), Zweigert, und im „Colloque européen" (S. 9 ff., 62 ff., 118 ff., 159 ff., 248 ff. und 260 ff.).

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1. Kap.: Lehre und Rechtsprechung

richtet sei, dessen Funktionieren die der Gemeinschaft angehörigen Einzelnen unmittelbar betreffe, so daß der Vertrag mehr sei als ein Abkommen, das wechselseitige Verpflichtungen zwischen den vertragschließenden Staaten begründe. Dieses Ergebnis folge auch aus der Übertragung von unmittelbar auf die Einzelnen bezogenen Hoheitsbefugnissen auf die Gemeinschaftsorgane und aus der Mitwirkung der Einzelnen am Europäischen Parlament und am Wirtschafts- und Sozialausschuß. Schließlich setze auch Art. 177 EWG-Vertrag, der die einheitliche Auslegung des Vertrages durch die nationalen Gerichte gewährleisten solle, voraus, daß der Bürger sich vor den nationalen Gerichten auf das Gemeinschaftsrecht berufen können solle. Aus alledem sei zu schließen, daß die Gemeinschaft eine neue Rechtsordnung darstelle, zu deren Gunsten die Staaten, wenn auch nur in begrenztem Rahmen, ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben, eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen seien. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Gemeinschaftsrecht wolle daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlege, auch Rechte verleihen. Solche Rechte entstünden nicht nur, wenn der Vertrag dies ausdrücklich bestimme, sondern auch auf Grund von eindeutigen Verpflichtungen, die der Vertrag den Einzelnen wie auch den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft auferlege. Hierzu sei es erforderlich, aber auch ausreichend, daß sich die Vertragsvorschriften, aus der solche Rechte hergeleitet werden, ihrem Wesen nach dazu eigneten, unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den ihrem Recht unterworfenen Einzelnen zu erzeugen. Die unmittelbare Anwendbarkeit der einzelnen Vertragsvorschrift folgert der E G H also nicht aus dem hierauf gerichteten Willen der Vertragsparteien, sondern aus ihrer objektiven Eignung zu dieser Anwendung. Diese Eignung wird vom EGH beim Vorliegen folgender Voraussetzungen angenommen: Die Vertragsbestimmung darf den Mitgliedstaaten zunächst keinen Entscheidungsspielraum hinsichtlich des Zeitpunktes, des Inhalts und der Form der Durchführung belassen. Die Vorschrift darf ferner durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt sein und zu ihrer Erfüllung oder Wirksamkeit keiner weiteren Handlungen der Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft bedürfen. Sie muß vollständig, klar und rechtlich vollkommen sein. Daß sie sich ihrem Wortlaut nach an die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaftsorgane richtet, schließt ihre unmittelbare Anwendbarkeit nicht aus. Auch die Tatsache, daß der Vertrag allgemein oder hinsichtlich einer bestimmten Vertragspflicht der Kommission und den Mitgliedstaaten besondere Erzwingungsrechte,

III. Die Rechtsprechung der internationalen Gerichte

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vor allem die Klage vor dem EGH einräumt, führt nicht zum Ausschluß der unmittelbaren Anwendbarkeit. Diese Verfahren dienten der Beachtung des Gemeinschaftsrechts, während die Verfahren vor dem nationalen Richter den Schutz der Individualrechte zum Ziel hätten: beide Verfahren unterschieden sich somit nach ihrem Gegenstand, ihren Zielen und ihren Wirkungen. I m Einzelnen hat der EGH vor allem für die Unterlassungspflichten der Mitgliedstaaten (Art. 12, 37 Abs. 2, 53 EWG-Vertrag) festgestellt, sie seien „ihrem Wesen nach" für eine solche Anwendbarkeit „vorzüglich geeignet". Der E G H hat aber zu erkennen gegeben, daß er auch die unmittelbare Anwendbarkeit anderer staatlicher Vertragsverpflichtungen, etwa der Pflicht zur Aufhebung nationalen Rechts (Art. 95 Abs. 3 EWG-Vertrag) anerkenne. Nicht für unmittelbar anwendbar hat er die Pflicht der Staaten angesehen, die Gemeinschaftsorgane von bestimmten Gesetzgebungsvorhaben zu unterrichten (Art. 93, 102 EWG-Vertrag). Auch Art. 97 EWG-Vertrag hält er für nicht anwendbar, weil er den Mitgliedstaaten einen Entscheidungsspielraum einräume. 3. Mit Ausnahme der oben zitierten Entscheidung des österreichischen OGH vom 14. Februar I960 1 2 0 , die nicht nur die österreichische, sondern auch die internationale und die Rechtsprechung anderer Staaten heranzieht, berufen sich die nationalen Gerichte bei der Untersuchung der unmittelbaren Anwendbarkeit in aller Regel nur auf die jeweilige nationale Literatur und Rechtsprechung. Auch in der Literatur werden häufig nur die nationalen Präzedenzfälle berücksichtigt. I n neuerer Zeit läßt sich aber — wohl hervorgerufen durch die Problematik der europäischen Verträge — eine gewisse „Internationalisierung" der Literatur feststellen, die entweder generell oder auf bestimmte Konventionen bezogen die unmittelbare Anwendbarkeit in Anlehnung an die internationale Rechtsprechung nicht mehr nur für ein bestimmtes Land mit Berufung auf die dortige Literatur und Rechtsprechung untersucht. a) Ohne Bezug auf einen bestimmten Vertrag und ein konkretes Land versucht etwa DeVisscher 1219 das Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit zu lösen. Nachdem er den Unterschied zwischen der Einführung der Verträge ins innerstaatliche Recht und der unmittelbaren Anwendbarkeit dargelegt hat, fährt er fort: „Dans le premier cas, la question étant d'ordre interne demande à être réglée par le droit constitutionnel de chaque Etat. Dans le 120

Siehe oben Anm. 89. „Tendances internationales", S. 559; vgl. auch Dehaussy , „Les traités", S. 183 ff.; Vasak , „Self-executing treaties". 121

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1. Kap.: Lehre und Rechtsprechung

second cas, la question est d'ordre international puisque sa solution ne peut être trouvée que dans l'interprétation de la volonté des parties contractantes." Diese Ausführungen schließen sich also ganz der Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes an, die sich auf die Prüfung des Willens der Vertragsparteien beschränkt. Andere Autoren verlangen neben diesem Willen — offenbar im Anschluß an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs oder an nationale Präzedenzien — eine ausreichende Bestimmtheit der Vertragsnormen. Dies gilt etwa für Bernhardt, der fordert, daß die internationale Vereinbarung zu direkter innerstaatlicher Anwendung vorgesehen und geeignet sei 1 2 2 , und für Dumon123: „Le postulat, selon lequel les règles d'un traité qui s'adressent aux Pouvoirs législatif et exécutif ne sont pas directement applicables pour les tribunaux, ne peut donc être admis; il s'agit d'une part, de se livrer à une interprétation de ces règles afin de déterminer si, dans l'intention des Hautes Parties Contractantes, elles sont en même temps destinées aux individus, et, d'autre part, de rechercher si la disposition en cause se suffit à elle-même, si elle nécessite ou non une mesure d'application internationale ou nationale pour être viable, c'est-à-dire, pour pouvoir être effectivement appliquée." Auch Ganshof van der Meersch verlangt für die Definition des selfexecuting treaty eine entsprechende Willensrichtung der Parteien und die ausreichende Bestimmtheit des Vertrages 124 . b) Sehr häufig sind auch Untersuchungen über die unmittelbare Anwendbarkeit bestimmter Konventionen, in welchen entweder nur der auf eine solche Anwendung oder auf die Begründung subjektiver Individualrechte gerichtete Parteienwille oder aber auch die ausreichende Bestimmtheit generell, d. h. ohne Bezugnahme auf ein konkretes Land, analysiert wird. Hier kann erneut auf die Literatur zu den Europäischen Gemeinschaftsverträgen, aber auch auf die umfangreiche Literatur zur Europäischen Menschenrechtskonvention 125, die Europäische Sozialcharta 126 und die internationalen Arbeitskonvenr tionen 127 hingewiesen werden. 122

Siehe oben Anm. 32. „Conflits", S. 26, und die dort zitierten Definitionen. 124 S. 348 ff. 125 Ygi e t W a die Arbeiten von Buergenthal, Comte, Golsong, Guradze, Mattil, Morvay, Partsch, Pfeifer, Winkler und das „Menschenrechtskolloquium". 126 Vgl. hierzu Bleckmann, „Sozialcharta", S. 388 ff., und die dort zitierte Literatur. 127 Vgl. die bei Bleckmann aaO. zitierte Literatur. 123

Zweites Kapitel

Der Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge Die vorangehende Ubersicht über Literatur und Rechtsprechung zeigt, wie verschieden in den einzelnen Staaten und auf der Völkerrechtsebene das Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit angegangen wird. Die Unterschiede sind manchmal so erheblich, daß man sich fragen kann, ob hier überhaupt noch dasselbe Problem gemeint ist 1 . Auf der anderen Seite zeigen sich aber erstaunliche Parallelen, die bis zur völligen Übereinstimmung in der Formulierung gehen können: Das spricht dann wieder für die Einheit des Problems und gewisser Lösungen und damit für die Möglichkeit einer allgemeinen Lehre oder sogar eines in allen Staaten zumindest in einzelnen Punkten einheitlichen völkerrechtlichen oder landesrechtlichen Rechtssatzes für die unmittelbare Anwendbarkeit. Bevor über diese Fragen aber endgültig entschieden werden kann, erscheint es notwendig, den Gegenstand einer solchen Lehre oder eines solchen Rechtssatzes, eben die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge näher zu definieren. Staatenpraxis, Rechtsprechung und Literatur verwenden nun den Terminus „unmittelbare Anwendbarkeit" in höchst verschiedenem Sinn. Hier kann es sich natürlich nicht darum handeln, allen denkbaren oder auch nur den in Praxis und Literatur tatsächlich verwendeten Bedeutungen dieses schillernden Begriffs nachzugehen2 und überdies mit denen des ihm weitgehend verwandten, meist sogar völlig gleichgesetzten, aber ebenso unbestimmten Begriffs des „selfexecuting treaty" zu vergleichen. Das Thema dieser Arbeit soll vielmehr nur schrittweise von anderen möglichen Bedeutungen abgegrenzt werden.

1 Sehr skeptisch zur Möglichkeit einer allgemeinen Lehre ist Ophüls („Colloque européen", S. 203) und der französische Bericht für das „Colloque européen" (S. 237). 2

Weitere Bedeutungen bei Astolfi

4 Bleckmann

(173 f.), Ophüls aaO. und Prasch.

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2. Kap.: Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit A . Definitionskategorien der unmittelbaren A n w e n d b a r k e i t

Dabei erscheint zunächst der Hinweis erforderlich, daß die bisherigen Versuche einer Begriffsbestimmung 3 die Notwendigkeit verkannt haben, zwischen verschiedenen Definitionsarten zu unterscheiden. In der Tat finden sich in Rechtsprechung und Literatur Definitionen, die teils nur die Anwendung, teils die Voraussetzungen der Anwendung festzulegen bestrebt sind: I . Rechtsfolgedefinitionen

So stößt man einmal auf Definitionen, welche den Begriff der Anwendung näher zu bestimmen suchen. Da die Anwendung eine innerstaatliche „Wirkung" der Verträge darstellt, sprechen die Berichte zum „Colloque européen" 4 treffend davon, daß man die „effets internes" der Völkerrechtsabkommen näher bestimmen müsse, die mit der „applicabilité immédiate" gemeint seien. Wenn die unmittelbare Anwendbarkeit durch einen einheitlichen Völker- oder landesrechtlichen Rechtssatz geregelt wäre, würde es sich hier also um auf die Anwendung als Rechtsfolge der Anwendbarkeit ausgerichtete Definitionen, kurz: um Rechtsfolgedefinitionen handeln. Dasselbe ist gemeint, wenn in der Literatur von auf die „Sanktion" ausgerichteten Definitionen der unmittelbaren Anwendbarkeit die Rede ist 5 ; da hier aber eine Rechtsverletzung nicht zur Frage steht, halte ich diese Bezeichnung für weniger glücklich. I I . Voraussetzungsdefinitionen

Auf der anderen Seite finden sich Definitionen, welche die Voraussetzungen der so bestimmten Rechtsfolge „Anwendung" festlegen und die deshalb im folgenden Voraussetzungsdefinitionen genannt werden sollen. I n diese Kategorie fallen die meisten Definitionen der unmittelbaren Anwendbarkeit. Solche Voraussetzungsdefinitionen liegen etwa vor, wenn unter den „self-executing treaties" nur solche Verträge verstanden werden, bei denen der Wille der Vertragsparteien auf die unmittelbare Anwendung gerichtet ist, die einen rechtssetzenden Charakter haben oder die hinreichend bestimmt sind. 3 Umfassende Definitionsversuche finden sich etwa bei Ophüls und Prasch. Die nur partiellen Definitionsversuche werden an den entsprechenden Stellen abgehandelt. 4 Vgl. S.lOf., 117f., 138 ff.; Mann („Treaties", S. 43 ff.): „certain effects". 5 So Salomonson t „Colloque européen", S. 264 f., der aber die Notwendigkeit nicht sieht, die Rechtsfolge genau festzulegen, auf die sich die einzelnen Voraussetzungen der Anwendbarkeit beziehen. Von „Unrechtsfolgen" spricht in diesem Zusammenhang auch Wengler, Bd. I. f S. 447 ff.

Α. Definitionskategorien der unmittelbaren Anwendbarkeit

51

Dabei ist es häufig nicht ganz klar, ob eine bestimmte Definition nur die Anwendung oder auch deren Voraussetzungen näher festlegen soll. Das gilt, wie im einzelnen später noch näher ausgeführt wird, vor allem für die auf eine Einwirkung auf das objektive Recht oder auf subjektive Rechtspositionen abhebenden Definitionen. Beispiele für Rechtsfolgedefinitionen und für den manchmal stufenlosen Übergang zwischen Rechtsfolge- und Voraussetzungsdefinitionen finden sich wiederum beim „Colloque européen": Hier sollen einige der dort aufgestellten Definitionen wiedergegeben werden, wie sie von Dumon zusammengefaßt wurden 6 : (1) Sont des dispositions directement applicables celles qui, dans Tordre interne, déterminent la position juridique des sujets de droit. Le sont ainsi notamment les dispositions susceptibles d'être invoquées par les sujets de droit à l'appui d'une demande, d'une défense ou d'une exception et qui doivent en conséquence être appliquées par les autorités et les juridictions nationales. (2) Sont des dispositions directement applicables celles qui produisent dans les Etats membres les mêmes effets que ceux des normes internes, sans qu'il soit encore besoin d'une norme ultérieure de droit national d'exécution. (3) Sont des dispositions directement applicables celles qui sont destinées à produire leurs effets à l'intérieur des Etats membres, sans intervention supplémentaire d'une autorité législative ou exécutive; il s'agit, en d'autres termes, de dispositions qui instituent des normes juridiques directement opérantes, créant des droits que les tribunaux doivent garantir ou des obligations qu'ils doivent sanctionner. (4) Constituent, dans le droit communautaire, des dispositions directement applicables celles dont les ressortissants des Etats contractants peuvent se prévaloir pour les faire reconnaître et sanctionner par les autorités et les juridictions nationales. Versteht man unter der „Rechtsfolge" die Anwendung des Vertrages durch bestimmte Organe in einem bestimmten Verfahren, dann enthalten drei dieser vier Definitionen neben der Rechtsfolge („application, garantie, reconnaissance, sanction par les autorités et les juridictions nationales") auch die hierauf bezogenen Voraussetzungen. Versteht man dagegen unter der „Rechtsfolge" die Einwirkung des Vertrages auf bestimmte individuelle prozeß- oder materiellrechtliche Rechtspositionen („détermination de la position juridique, dispositions susceptibles d'être invoquées par les sujets de droit à l'appui d'une 6

4*

„Colloque européen", S.273f. = Dumon, „Conflits".

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2. Kap. : Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit

demande, d'une défense ou d'une exception et qui doivent en conséquence être appliquées par les autorités et les juridictions nationales in der ersten Definition; dispositions . . . créant des droits que les tribunaux doivent garantir ou des obligations qu'ils doivent sanctionner" in der dritten Definition; „dispositions . . . dont les ressortissants des Etats contractants peuvent se prévaloir pour les faire sanctionner et reconnaître par les autorités et les juridictions nationales" in der vierten Definition), dann schmelzen die Voraussetzungen insbesondere dann stark zusammen, wenn man berücksichtigt, daß einige andere Voraussetzungsdefinitionen wie „dispositions . . . qui produisent dans les Etats membres les mêmes effets que ceux des normes internes" (Definition 2), „dispositions qui instituent des normes juridiques directement opérantes" (Definition 3) sehr weitgehend nur eine globale Umschreibung des Problems der unmittelbaren Anwendbarkeit darstellen. I I I . Globaldefinitionen

Auch diese globalen Umschreibungen sind nun aber sehr nützlich. I n der Tat versuchen sie, die Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit generell zusammenzufassen und von anderen Voraussetzungen abzuheben, die zwar für die Anwendung durch den Richter ebenfalls erforderlich sind, aber wie etwa die Notwendigkeit eines parlamentarischen Zustimmungsgesetzes oder der Veröffentlichung des Vertrages nicht unter die Kategorie der unmittelbaren Anwendbarkeit fallen. Diese Globaldefinitionen können wie etwa die „Anwendungsfähigkeit" oder der Hinweis auf eine bestimmte „Natur des Vertrages" inhaltlich relativ unbestimmt bleiben oder aber wie etwa die „Anwendungsreife" auf einzelne Voraussetzungen — hier vor allem die objektive Voraussetzung der hinreichenden Bestimmtheit der anzuwendenden Vertragsvorschriften — hinweisen. I V . Gegenseitige Zuordnung der Definitionskategorien

Eine vollkommene Definition der unmittelbaren Anwendbarkeit, welche die allgemeine Lehre von der unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge anstreben sollte, würde nun Rechtsfolgen und Voraussetzungen in der Weise verbinden, daß bestimmte Voraussetzungen auf eine bestimmte Rechtsfolge bezogen und außerdem das Verhältnis zwischen den einzelnen Voraussetzungen geklärt wird. Von einer solchen vollkommenen Definition ist die Lehre von der unmittelbaren Anwendbarkeit aber noch sehr weit entfernt. Voraussetzungen und Rechtsfolgen verbindende Definitionen finden sich in der Tat nur sehr selten und sind außerdem zumeist entweder zu un-

Α. Definitionskategorien der unmittelbaren Anwendbarkeit

53

bestimmt oder hinsichtlich der Voraussetzungen und/oder der Rechtsfolgen lückenhaft. Zu unbestimmt und unvollständig sind aber meistens auch die einzelnen bisher aufgestellten Rechtsfolge- und Voraussetzungsdefinitionen; insbesondere weiß man bei den einzelnen Voraussetzungdefiftitionen häufig nicht genau, ob sie alle Voraussetzungen umfassen wollen und auf welche Rechtsfolge sie abgestellt sind. Diese Unbestimmtheit erschwert die Feststellung, ob die in den verschiedenen Staaten, ja ob die innerhalb desselben Staates aufgestellten Definitionen dieselben Voraussetzungen und Rechtsfolgen meinen 7 . Der hierdurch entstehende Eindruck völliger Auflösung wird noch dadurch verstärkt, daß die unmittelbare Anwendbarkeit häufig nicht als besondere Rechtskategorie, sondern im Rahmen anderer Rechtsinstitute, wie etwa der Zuständigkeit der Gerichte 8, der Klagebefugnis 9 und des acte de gouvernement 10 abgehandelt wird und denselben Voraussetzungen in den verschiedenen Staaten oder sogar in den verschiedenen Abhandlungen und Entscheidungen im selben Staat völlig unterschiedliche Prinzipien unterlegt werden. So kann eine allgemeine Lehre der unmittelbaren Anwendbarkeit die Einheit ihres Sachproblems in weitem Umfang vorerst nicht beweisen, sondern nur postulieren. Trotzdem erscheint ein solcher Versuch nicht nur sinnvoll, sondern unbedingt erforderlich. Um dies zu zeigen, muß kurz auf die Mängel der bisherigen Praxis, Rechtsprechung und Literatur eingegangen werden. Liest man die zur unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge ergangenen internationalen und vor allem nationalen Entscheidungen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß trotz der stereotypen Verwendung bestimmter Definitionsformeln die Entscheidung häufig im Irrationalen verbleibt 11 . Das wiederum ist nur eine Folge und ein Indiz der mangelnden dogmatischen Durchdringung des Problems, die sich zum Teil aus der oben dargelegten, häufig gar nicht bewußt gewordenen Vieldeutigkeit des Begriffs der unmittelbaren Anwendbarkeit und des self-executing treaty, vor allem aber wohl aus der Tatsache ergeben, daß Praxis und Rechtsprechung, aber auch die Literatur zu 7 Ophüls, „Colloque européen", S. 203: „Den Gegensatz zwischen unmittelbarer und mittelbarer Wirkimg einer Norm findet man manchmal in diesem, manchmal in jenem Begriffsmerkmal. Welches diese Merkmale sind, wird meistens nicht in ausdrücklichen Definitionen, sondern nur implicite und in Ausführungen ad hoc ausgesprochen. Auch gehen die Gesichtspunkte ineinander über, kreuzen und kombinieren sich." 8 Vgl. die angeführte belgische und italienische Rechtsprechung und Lehre. 9 Vgl. die Rechtsprechung in Italien und in der Schweiz. 10 Vgl. die Rechtsprechimg in Frankreich und in Italien. 11 So ausdrücklich der luxemburgische Bericht für das „Colloque européen" (S. 147).

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2. Kap. : Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit

dieser Frage weitgehend noch in einem nationalen „Kästchendenken" befangen ist: I n der Tat wird die unmittelbare Anwendbarkeit in jedem Staat weitgehend nur unter Berücksichtigung der jeweiligen nationalen Rechtsprechung und Literatur abgehandelt. Da in den meisten Staaten nur relativ wenige Entscheidungen zu dieser Frage vorliegen, die überdies regelmäßig immer nur bestimmte Einzelpunkte des Gesamtproblems betreffen, fehlte der deshalb häufig noch recht oberflächlichen Literatur das notwendige Anschauungsmaterial, um die Vielgestaltigkeit des Problems zu erfassen. Die folgende Arbeit soll nun zeigen, daß diese Lage sich schlagartig ändert, sobald man die Gesamtheit des auf internationaler und vor allem nationaler Ebene angefallenen Materials heranzieht. Die Problematik wird dann in ihrer vielgestaltigen Struktur deutlich erkennbar, eine große Zahl möglicher Anwendungsformen und Voraussetzungen lassen sich erkennen, trennen und würdigen. Auch hier zeigt sich wieder einmal die Wahrheit der Ausführungen Max Salomons 12: „Rechtsvergleichung ist Vergleichung von Lösungen eines einheitlichen Problems... So wird die einzelne Problemlösung, und mehr noch werden die Lösungen in ihrer Gesamtheit zu einem Paraklet. Nicht nur, daß die reichliche Fülle möglicher Lösungen es erleichtert, eine andere Lösung zu finden; ihnen kommt heuristischer Wert vor allem auch um deswillen zu, weil sie allererst ermöglichen, das Problem selbst ins Auge zu fassen (Hervorhebungen vom Verfasser) Methodisch läßt sich die Vergleichung der Definitionen der unmittelbaren Anwendbarkeit nur dahin lösen, daß man einerseits die möglichen Rechtsfolgen und die möglichen Voraussetzungen getrennt herausarbeitet (Analyse) und andererseits die einzelnen Voraussetzungen zueinander und vor allem zu den einzelnen Rechtsfolgen in eine sinnvolle Beziehung setzt (Synthese): Die Schwierigkeiten, die Grenzen und der juristische Wert einer solchen Methode können allerdings erst später voll eingesehen werden. Den einzelnen Anwendungsformen sind möglicherweise verschiedene Voraussetzungen zuzuordnen. Dieses Problem ist dahin zu lösen, daß man jeweils eine „Variable" festlegt und dieser festgelegten „Größe" dann die entsprechenden „Größen" der anderen „Variablen" zuordnet: Man kann also entweder zunächst bestimmte Anwendungsformen festlegen und dann fragen, welche Voraussetzungen für diese 12

Grundlegung der Rechtsphilosophie, 2. Aufl. 1925, S.33; zitiert nach Zippelius, Problemjurisprudenz und Topik, NJW 1967, S.2229 (2233).

Β. „Anwendbarkeit" im Völker- und im Landesrechtsraum

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Anwendungsform zu verlangen sind, oder umgekehrt eine bestimmte Voraussetzung festlegen und untersuchen, in welcher Weise ein dieser Voraussetzung entsprechender Vertrag innerstaatlich angewendet werden kann. Aus praktischen Gründen wird im folgenden die erste Methode befolgt. I n diesem Kapitel wird zunächst untersucht, was unter der unmittelbaren Anwendung zu verstehen ist. Hier werden also in erster Linie die verschiedenen Rechtsfolgedefinitionen der unmittelbaren Anwendbarkeit abgehandelt. Gleichzeitig soll im Sinne einer Globaldefinition festgelegt werden, welche Voraussetzungskategorien generell von der Theorie der unmittelbaren Anwendbarkeit erfaßt werden und welche Voraussetzungen anderen Rechtsinstituten zuzuordnen sind. In den folgenden Kapiteln werden dann die auf diese Anwendungsformen bezogenen Voraussetzungen untersucht, also die unterschiedlichen Voraussetzungsdefinitionen abgehandelt. Da eine allgemeine Theorie der Anwendbarkeit möglichst alle im folgenden zu entwickelnden Anwendungsformen umfassen sollte, wird bei der Prüfung der einzelnen Voraussetzungen wiederum eine gewisse Variabilität eingeführt: Es wird also jeweils dargelegt, inwieweit die jeweilige Voraussetzung bei anderen Anwendungsformen zu beachten ist. B. Einordnung der innerstaatlichen A n w e n d b a r k e i t völkerrechtlicher Verträge i n eine allgemeine Theorie der A n w e n d b a r k e i t von Rechtssätzen: unmittelbare A n w e n d b a r k e i t i m V ö l k e r - und Landesrechtsraum

Die Anwendbarkeit von Rechtssätzen stellt sich im weitesten Sinne als ein Problem der allgemeinen Rechtslehre dar, dem man in allen Rechtsordnungen begegnet. So stellt sich im innerstaatlichen Recht die Frage, ob etwa die Grundrechtsbestimmungen der nationalen Verfassungen nur Programmsätze oder die Gesetzgebung, die Rechtsprechung und die Verwaltung unmittelbar bindendes Recht enthalten 1 3 . Auch soweit dieses allgemeine Problem auf Völkerrechtssätze begrenzt wird, sind weitere Unterscheidungen erforderlich, bis man zum "self-executing treaty" vorstößt. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, daß es Völkerrecht der verschiedensten Arten gibt und daß andererseits das Völkerrecht im 13 Vgl. hierzu etwa die einschlägigen Kommentare zu Art. 1 Abs. I I I G G und die Formulierungen in den deutschen Länderverfassungen. Daß sich bei ihrer Quelle nach innerstaatlichen Rechtssätzen ähnliche Probleme wie bei der Frage nach der Anwendbarkeit von Völkerrecht stellen, haben auch Dickinson , Grabitz (S. 44), Ophüls („Colloque européen", S. 203 ff.) und van Panhuys („Nederlandse Grondwet", S. 49), Verdross („Menschenrechtskolloquium", S. 48), Wengler (Bd. I , S. 462 Anm. 2) hervorgehoben.

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2. Kap.: Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit

Völker- und im Landesrechtsraum angewendet wird. So stellt sich etwa die Frage, ob das allgemeine Völkerrecht, die Beschlüsse internationaler Organisationen und das Vertragsrecht im Völkerrechtsraum durch bestimmte internationale Organe wie Schiedsgerichte, Gerichte, Kommissionen oder in der je besonderen Rechtssphäre einer internationalen oder supranationalen Organisation durch bestimmte Organe dieser Rechtssubjekte unmittelbar angewendet werden kann 1 4 , ob also etwa der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gewisse Bestimmungen der Gemeinschaftsverträge ohne vorherige Konkretisierung durch Akte der Kommission oder des Ministerrats oder ob die Kommission diese Vorschriften ohne vorherige Konkretisierung durch Akte des Ministerrats oder gar durch Verträge zwischen den Mitgliedstaaten anwenden oder vollziehen kann. Hier interessiert nur das andere Problem, inwieweit das Völkerrecht (und insbesondere die Verträge) von den innerstaatlichen Organen im innerstaatlichen Raum angewendet werden kann. Damit wird, wie schon angedeutet, die Frage nach den Wirkungen oder der „Position" des Vertragsrechts im innerstaatlichen Recht gestellt. Diese Frage nach den „effets internes" völkerrechtlicher Verträge gliedert sich nun wiederum in die drei großen Problemkreise der innerstaatlichen Geltung oder der Einführung des Völkerrechts in das Landesrecht 15 , des Ranges des Völkerrechts in der Hierarchie der innerstaatlichen Normen und des eigentlichen Problems der Anwendbarkeit 16 . Hier interessiert nur das letzte Problem. Es dürfte nun ohne nähere Begründung einleuchten, daß die Probleme der unmittelbaren Anwendbarkeit von Rechtssätzen irgendwie miteinander in Verbindung stehen und daß es deshalb eines Tages möglich sein könnte, eine allgemeine Theorie der Anwendbarkeit von Rechtssätzen aufzustellen. Nur scheint mir, daß man diese Aufgabe 14 Z u diesen Fragen vgl. Erades, „Applicabilité directe", S. 230, und „Colloque européen", S. 10, 43 ff., 54, 146 ff., 117 ff. Die dort erfolgte Begrenzung der Fragestellung auf die Anwendbarkeit der Europäischen Verträge durch die europäischen Organe scheint allerdings etwas eng zu sein: So sieht etwa vonderHeydte (Völkerrecht, Bd. 1, 1958. S.293) im Selbstbestimmungsrecht einen „Rechtsgrundsatz, der keine Norm und subjektive Rechte begründet, sondern nur die Grundlage von Normen bildet." 15 Zur Unterscheidung zwischen den Problemen der innerstaatlichen Geltung und der innerstaatlichen Anwendbarkeit siehe unten C. 16 Diese Unterteilung des Gesamtproblems der „effets internes des traités" stützt sich auf die Ausführungen von Erades „Colloque européen" (S. 10 f.) und des luxemburgischen Berichts für das „Colloque européen" (S. 144) ; die Zusammenfassung aller drei Problemkreise in die umfassende Kategorie der „effets internes" oder der „Position des Völkerrechts im Landesrecht" deutet an, daß bestimmte Fragen in allen drei Unterfällen ähnliche Lösungen verlangen, und ermöglicht so die Übernahme gewisser Lösungen aus dem einen in den anderen Bereich (siehe etwa Kap. I I I , Abschn. I I I ) .

C. Innerstaatliche Geltung und innerstaatliche Anwendbarkeit

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nicht deduktiv, sondern nur induktiv lösen kann, daß man also zunächst die Anwendbarkeit bestimmter Rechtssätze in einer bestimmten Rechtsordnung untersuchen muß. Dies gilt um so mehr, als, wie im einzelnen noch näher zu zeigen sein wird, die Anwendbarkeit von Rechtssätzen nicht nur von der Struktur dieser Rechtssätze, sondern auch von dem Verhältnis dieser Rechtssätze zu der Rechtsordnung, in welcher sie jeweils anzuwenden sind, ja von der Struktur dieser Rechtsordnung selbst und insbesondere von der Stellung des anwendenden Organs in dieser Rechtsordnung abhängen. Diese Strukturen aber sind so verschieden, daß man weder die für einen Bereich geltenden Regeln ohne weiteres auf den anderen Bereich übertragen noch aus der Anwendbarkeit eines Rechtssatzes in einem Bereich auf die Anwendbarkeit in einem anderen Bereich schließen kann. Deshalb scheint es mir etwas gefährlich, die Anwendbarkeit des Völkerrechts im Völker- und im Landesrechtsraium als ein- und dasselbe Problem anzusehen17. Nur eine Faustregel scheint mir ferner zu sein, daß ein Vertrag jedenfalls dann nicht innerstaatlich anwendbar ist, wenn ihm „schon" auf der völkerrechtlichen Ebene die Anwendbarkeit fehlt 18 . Das schließt natürlich nicht aus, daß man bei der Untersuchung der Anwendbarkeit bestimmter Rechtssätze in einem bestimmten Bereich sich stets vor Augen hält, daß es sich nur um einen Unterfall eines umfassenderen Problems handelt. So erscheint es möglich, unter Beachtung der möglichen Strukturverschiebungen gewisse Lösungen aus dem einen Bereich im anderen Bereich anzuwenden; so werden wir etwa die Frage der notwendigen Bestimmtheit völkerrechtlicher Verträge auch anhand der Regeln lösen, die für die Anwendung von ihrer Quelle nach innerstaatlichem Recht im innerstaatlichen Rechtsraum gelten 19 . C. Innerstaatliche Geltung u n d innerstaatliche A n w e n d b a r k e i t

Wie schon angedeutet, müssen auch bei der Anwendung oder beim Vollzug völkerrechtlicher Verträge im innerstaatlichen Rechtsraum nun wieder zwei große Problemkreise unterschieden werden, die ebenfalls häufig unter der gemeinsamen Bezeichnung der „unmittelbaren Anwendbarkeit" oder des „self-executing treaty" unterschiedslos zusammengefaßt oder sogar miteinander verwechselt werden 20 . 17 So etwa der niederländische Bericht für das „Colloque européen", S. 54, mit Bezugnahme auf Lagrange. 18 So der niederländische Bericht für das „Colloque européen", S. 54. 19 Siehe unten Kap. V I I , Abschn. V I I I . 20 Die Notwendigkeit einer Trennung beider Probleme unterstreichen etwa Astolfi (S. 273 f.), Burckhardt (S. 148), Dehaussy („Les traités"), Dumon

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2. Kap.: Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit

Es handelt sich einmal um das hier nicht weiter interessierende Problem, ob und wie völkerrechtliche Verträge allgemein im innerstaatlichen Raum Geltung erlangen, ob also der Akt des völkerrechtlichen Vertragsschlusses einschließlich des parlamentarischen Zustimmungsgesetzes ausreicht, um bei einer streng monistischen Konstruktion auf Grund einer entsprechenden Völkerrechtsnorm oder auf Grund des Vertragswillens oder bei dualistischen Konstruktionen auf Grund einer entsprechenden Norm des innerstaatlichen Verfassungsoder Gewohnheitsrechts oder auf Grund des Zustimmungsgesetzes den Vertrag als solchen oder in ein Gesetz transformiert in den innerstaatlichen Rechtsraum einzuführen, oder ob nach dem Vertragsschluß ein zusätzlicher innerstaatlicher Einführungsakt erforderlich ist. Dieses Problem der grundsätzlichen innerstaatlichen Geltung völkerrechtlicher Verträge ist im Gegensatz zu dem hier zu behandelnden Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit 21 sowohl für die einzelnen Staaten als auch rechtsvergleichend 22 hinreichend bearbeitet worden und soll hier deshalb nicht weiter vertieft werden. Die im ersten Kapitel dieser Arbeit zusammengestellte Literatur und Rechtsprechung zeigt aber, daß diese grundsätzliche Geltung des Völkerrechts im innerstaatlichen Recht nicht immer auch zur innerstaatlichen Anwendung führt, daß vielmehr in allen Staaten neben der Einführung an Wortlaut, Inhalt, Zweck und Willensrichtung des Vertrages bestimmte Anforderungen gestellt werden. Hier schält sich also neben der grundsätzlichen Einführung der Verträge in das innerstaatliche Recht ein zweites Sachproblem heraus, das zwar mit dem der grundsätzlichen Einführung in einer noch näher aufzuzeigenden Weise eng verbunden, von ihm aber logisch und — wie die Darstellung der unmittelbaren Anwendbarkeit im ersten Kapitel einerseits und etwa die rechtsvergleichenden Arbeiten zur Einführung des Völkerrechts ins Landesrecht andererseits zeigen — vor allem auch praktisch getrennt werden kann. („Commission européenne"), Schnorr (S. 183 ff.), Vasak („Self-executing treaties"), DeVisscher („Tendances internationales", S. 599), sowie der luxemburgische (S. 142), der belgische (S. 163) und der französische (S. 235) Bericht für das „Colloque européen". — Nicht getrennt sind beide Probleme etwa bei Ophüls („Colloque européen, S. 203 ff.). 21 Soweit ersichtlich, ist das Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit rechts vergleichend nur auf dem „Colloque européen" und in den Arbeiten von Bleckmann („Sozialcharta"), Erades-Gould (S. 297 ff.), Morvay und Walz (S. 214 ff.) behandelt worden. 22 Die Probleme der Einführung des Vertragsrechts ins innerstaatliche Recht sind rechtsvergleichend etwa von Bernhardt (S. 28 ff.), P. Lardy (La force obligatoire du droit international en droit interne, 1966), Mosler („Application", S. 625 ff.), Preuss („Self-executing treaties"), Schnorr. SeidlHohenveldern („Transformation"). Vasak („Droits de l'homme") und De Visscher („Tendances internationales") behandelt worden.

C. Innerstaatliche Geltung und innerstaatliche Anwendbarkeit

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So können also die innerstaatliche Geltung und die unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit als zwei selbständige, nebeneinanderstehende Voraussetzungen der innerstaatlichen Anwendung begriffen werden. Auf der anderen Seite finden sich aber auch starke Tendenzen, die innerstaatliche Geltung in die unmittelbare Anwendbarkeit und vor allem umgekehrt die unmittelbare Anwendbarkeit in die innerstaatliche Geltung einzubeziehen. Dabei werden beide Problemkreise in aller Regel zwar zunächst durchaus voneinander geschieden, doch wird dann doch wieder die eine Kategorie als Voraussetzung der anderen aufgefaßt und so in dieses andere Rechtsinstitut miteinbezogen: I . Einbeziehung der innerstaatlichen Geltung in die innerstaatliche Anwendbarkeit

Die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit kann sich nach unserer Auffassung logisch nur stellen, soweit der Vertragswortlaut grundsätzlich innerstaatliche Geltung erlangt, also die erste Frage nach der Einführung des Vertrages in den innerstaatlichen Rechtsraum positiv beantwortet ist. I n diesem Sinne ist die innerstaatliche Geltung der Verträge eine logische Voraussetzung der innerstaatlichen Anwendbarkeit. Das ändert nichts daran, daß innerstaatliche Geltung und innerstaatliche Anwendbarkeit zwei selbständige, nebeneinanderstehende Voraussetzungen der innerstaatlichen Anwendung bilden. Trotzdem kann diese Zuordnung der beiden Probleme natürlich bei einer unkritischen Betrachtung die Einbeziehung der innerstaatlichen Geltung in die innerstaatliche Anwendbarkeit nahelegen 23 . Hierfür bieten sich drei Ansatzpunkte an. Einmal könnte man die Anwendbarkeit mit der Anwendung identifizieren. Dann umfaßt dieses Problem der Anwendung oder Abwendbarkeit im weiteren Sinne einmal das Problem der Einführung des Vertragsrechts ins innerstaatliche Recht, zum anderen das Problem der Anwendbarkeit im engeren Sinne 24 . Den zweiten Ansatzpunkt für die Einbeziehung der innerstaatlichen Geltung in die unmittelbare Anwendbarkeit bieten die häufig verwendeten Formeln, nach denen das Völkerrecht dann unmittelbar anwendbar ist, wenn seine Anwendung keines weiteren innerstaatlichen Aktes bedarf 25 . Faßt man hier den Begriff des „weiteren innerstaat23 Manchmal wird auch das Rangproblem in die unmittelbare Anwendbarkeit einbezogen. Dann wird gefragt, ob „der Vertrag in dem Sinne unmittelbar anwendbar ist, daß er nationalem Recht vorgeht". 24 Die „Anwendung" des Völkerrechts hängt daneben natürlich noch von weiteren Voraussetzungen, wie etwa der Veröffentlichung der Verträge, ab. 25 Vgl. etwa die von Dumon wiedergegebenen Definitionen (oben A 2).

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2. Kap.: Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit

liehen Aktes" so weit, daß er auch den Einführungsakt umgreift, dann sind zustimmungsbedürftige, aber ohne Zustimmungsgesetz geschlossene Verträge nicht unmittelbar anwendbar 26 . Die Einbeziehung der innerstaatlichen Geltung in die unmittelbare Anwendbarkeit wird drittens nahegelegt, wenn man wie etwa in den Formeln von der „unmittelbaren Begründung subjektiver Rechte" 27 die Unmittelbarkeit der Vertragseinwirkung auf das innerstaatliche Recht zu stark unterstreicht 28 . Durch diese Einbeziehung der innerstaatlichen Geltung in das Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit wird die Analyse beider Problemkreise stark erschwert. Wir halten deshalb beide Fragenkreise auseinander und fragen nur, ob die Unterschiede in der Konstruktion des Verhältnisses des Völkerrechts zum Landesrecht Auswirkungen auch auf das selbständige Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit haben: Das erste Kapitel hat nun gezeigt, daß die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge immer nur dann auftritt, wenn der Wortlaut des Vertrages selbst auf irgendeine Weise innerstaatliche Geltung erlangt. Für das ob der Problematik spielt es also keine Rolle, ob man der monistischen oder einer dualistischen Konzeption und im Rahmen des Dualismus der Transformations· oder der Vollzugslehre zuneigt. So ist es insoweit ohne Belang, ob der Vertragsinhalt wie etwa in Frankreich 29 , in den Niederlanden 30 , in der Schweiz 81 und in den Vereinigten Staaten 32 ohne Transformation und Vollzugsbefehl als Vertrag bzw. supreme law of the land, wie in Belgien 33 und Luxemburg 34 auf Grund eines innerstaatlichen Vollzugsbefehls (?) ebenfalls als Vertrag, wie in Italien 3 6 , 26

So Sibert, Bd. I, S. 267. So begreift etwa Sibert (Bd. I, S. 265) in das mit der Begründung subjektiver Rechte gleichgesetzte Problem der „applicabilité directe" auch die Frage nach dem Einführungsakt ein. Zur Tendenz des Begriffes vom subjektiven Recht, alle Voraussetzungen der Anwendung zu umfassen, siehe unten D I U . 28 So insbesondere Ophüls („Colloque européen", S. 203 ff.), der dann mehrere Grade der „Unmittelbarkeit" (britisches und amerikanisches System sowie Verhältnis der europäischen Verträge zum nationalen Recht) unterscheidet; ähnlich Prasch (S. 40 ff.). 29 Basdevant, Mestre und Rousseau („Traités"). 30 Erades („International Agreements") und van Panhuys. 31 Aubert, Fleiner-Giacometti (S. 829), Freymond (S. 120) und Guggenheim (S. 34 f.). 32 Erades -Gould (S. 237). 33 Muûls und Masquelin. 34 Pescatore. Operassi (S. 26 ff.), la Pergola (S. 114); Corte costituzionale 10.3.1966, Rivista di diritto internazionale, 49 (1966), S.390. 27

C. Innerstaatli che Geltung und innerstaatliche Anwendbarkeit

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Österreich 86, Griechenland 87 und — nach der früher herrschenden Auffassung — in der Bundesrepublik Deutschland38 auf Grund eines Transformationsaktes als Gesetz bzw. Verordnung oder wie in Großbritannien durch Übernahme in ein spezielles Transformationsgesetz innerstaatliche Geltung oder Wirkung erlangt. Diese Konstruktionsunterschiede können sich aber möglicherweise auf das wie der Problematik, also auf die einzelnen Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit oder auf deren Anwendung (Vermutungssysteme) auswirken 8 9 .

Π . Einbeziehung der innerstaatlichen Anwendbarkeit in die innerstaatliche Geltung

Daß umgekehrt die unmittelbare Anwendbarkeit der Verträge eine Voraussetzung ihrer innerstaatlichen Geltung ist, wird wohl von der Mehrzahl der deutschen und italienischen Autoren behauptet. Nach dieser Auffassung werden nur die Verträge oder Vertragsteile transformiert oder erstreckt sich der Vollzugsbefehl nur auf die Verträge oder Vertragsteile, die unmittelbar anwendbar und damit transformationsfähig, transformationsreif, transformierbar, vollzugsfähig, vollziehbar sind 40 . Gegenstand der Transformation 41 oder des Vollzugsbefehls sind also nur die unmittelbar anwendbaren Vertragsteile; Transformation oder Vollzugsbefehl sind aber notwendige Voraussetzungen der innerstaatlichen Geltung. Die Einbeziehung der unmittelbaren Anwendbarkeit in die innerstaatliche Geltung scheint aber auch für die Theorie nahezuliegen, welche die „applicabilité directe" auf den „caractère intrinsèque" der 36

Walter und von Grüningen. Valticos („Traités en Grèce"). Zur Auseinandersetzung mit dieser Lehre vgl. Partsch („Anwendung des Völkerrechts") und Boehmer. 39 Vgl. Kap. V, Abschn; I I I 1 b. 40 Für die deutsche Lehre vgl. etwa Partsch („Anwendung des Völkerrechts", S. 20), Pigorsch (S. 82 ff.), Rudolf (S. 174, 207) und Wengler (Bd.I, S. 467 ff.). Für die italienische Lehre vgl. den italienischen Bericht für das „Colloque européen" (S. 117); „Mais Tordre d'exécution qui est en général contenu dans toute loi portant autorisation de ratifier un instrument international, ne suffit pas toujours pour réaliser Vinsertion directe dans Tordre interne des dispositions contenues dans un instrument international, opération qui a pour conséquence que ces dispositions peuvent être invoquées par tout citoyen et opposées à tout citoyen,. Cet effet ultérieur, qui ne se produit évidemment que si Tordre d'exécuter existe, ne se réalise que si elle résulte du contenu spécifique de chaque traité" (Hervorhebung vom Verfasser). 41 So behandelt etwa Wengler (aaO.) alle Fragen der unmittelbaren A n wendbarkeit unter der allgemeinen Überschrift „Gegenstand der Transformation". 37

38

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2. Kap.: Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit

Verträge zurückführt. Nach dieser Lehre, die im einzelnen später zu untersuchen ist 4 2 , ist nicht nur Gegenstand der Prüfung der unmittelbaren Anwendbarkeit allein der Vertragswortlaut, sondern müssen auch die Maßstäbe dieser Prüfung dem Vertrage selbst (Wille der Parteien) entnommen oder wenigstens allein aus dem Völkerrechtsraum gewonnen werden. So stellt sich das „self-executing" als eine innere Eigenschaft („caractère intrinsèque") der Verträge dar, die völlig unabhängig von den Strukturen der nationalen Rechtsordnungen besteht, diesen Rechtsordnungen also (im Völkerrechtsraum) „vorgegeben" ist. Diese „préexistence" des self-executing Charakters vor der Einführung ins nationale Recht führt zu einer Umkehrung des oiben hervorgehobenen logischen Verhältnisses; die Frage der innerstaatlichen Geltung kann sich nur für „self-executing treaties" 43 stellen. Eine solche Begrenzung des Transformations- oder Vollzugsgegenstands und damit der innerstaatlichen Geltung geht aber nun wohl zu weit. Denn das Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit stellt sich bekanntlich auch bei den ihrem Ursprung nach innerstaatlichen Rechtsnormen 44 und es ist nicht einzusehen, warum zwar diese innerstaatlichen Normen, nicht aber Völkerrechtsverträge zur inneren Rechtsordnung gehören sollen, wenn sie den Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit nicht genügen. Fragen, die auch beim innerstaatlichen Recht auftreten, sollten also nicht schon bei der Transformation oder sonstigen Einführung ins innerstaatliche Recht gestellt werden. Die Beschränkung der Transformation oder des Vollzugsbefehls und damit der innerstaatlichen Geltung auf die transformations- oder vollzugsfähigen Vertragsbestimmungen hat insbesondere dann große Nachteile, wenn der Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit auf eine bestimmte Form der Anwendung — etwa die durch den Richter — ausgerichtet und damit begrenzt ist 4 5 . Denn völkerrechtliche Ver42

43

Siehe unten E.

Vgl. etwa den belgischen Bericht für das „Colloque européen " (S. 166)

sowie die unten Anm. 159 zitierten Autoren. 44 Siehe oben Anm. 13. Die deutschen Verfassungen enthalten durchwegs einen Schlußartikel, nach dem die betreffende Verfassimg an einem bestimmten Datum „in Kraft tritt" (vgl. etwa Art. 145 Abs. I I GG). Damit ist genau das gemeint, was hier mit der „innerstaatlichen Geltung" bezeichnet wird: Denn alle Verfassungsbestimmungen sind eben nicht unmittelbar anwendbar i m hier verwendeten Sinne, wie sich deutlich etwa aus Art. 1 Abs. I I I G G ergibt. Ähnlich regelt § 142 Abs. I des Beamtenrahmengesetzes vom 22.10.1965 (BGBl. I S. 1754) dessen „Inkrafttreten" generell, und sind trotzdem die Vorschriften seines Kapitels I im Gegensatz zu denen des Kapitels I I nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nicht unmittelbar anwendbar. 45 Zu den Anwendungsformen siehe unten D.

C. Innerstaatliche Geltung und innerstaatliche Anwendbarkeit

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träge können ebenso wie innerstaatliche Rechtssätze eine Anzahl anderer Wirkungen im inneren Rechtsraum entfalten, die durch eine zu enge Begrenzung des Transformations- oder Vollzugsgegenstandes a limine ausgeschlossen würden, wenn man für sie nicht auf eine solche Transformation oder einen solchen Vollzugsbefehl verzichtet. Da dieser Verzicht dogmatisch einwandfrei nur in seltenen Fällen — etwa für die vertragskonforme Auslegung innerstaatlichen Rechts46 — möglich oder sogar geboten erscheint 47, muß man deshalb grundsätz46

Z u den Formen der „mittelbaren" Anwendung siehe unten D 4 . Allerdings lassen sich Ansatzpunkte für einen weitgehenden Verzicht auf die innerstaatliche Geltung und damit die Transformation denken, die sämtlich die strenge Trennung zwischen der Völker- und Landesrechtssphäre insoweit durchbrechen, als sie notwendig zu dem Ergebnis führen, daß innerstaatliche Organe i m innerstaatlichen Bereich unmittelbar Völkerrecht „als solches" anwenden oder vollziehen. So könnte man etwa in Analogie zum IPR, in dessen Rahmen der Richter fremdes Recht anwendet, das ebenfalls durch die verweisende Kollisionsnorm nicht zum eigenen Recht wird (das ist allerdings nicht unbestritten; vgl. zur italienischen Lehre, nach der das ausländische Recht durch die Kollisionsnorm in die eigene Rechtsordnung aufgenommen wird, die Arbeiten von Jagmetti, S. 16, 50 ff., 171, Knittel, S. 21 ff. und vanPraag, S. 61 ff.) annehmen, daß bei Vorfragen (so Wengler, S. 468 Anm. 2, und vor allem Anzilotti, „Giudizi", S. 410 ff.) oder bei bestimmten auf die Verletzung des Völkerrechts gestützten Prozeßarten (vgl. etwa die schweizerische Rechtsprechung) der Richter unmittelbar Völkerrecht anwendet. — Nur scheinbar weiter gehen die Monisten, nach denen die innerstaatlichen Organe stets das Völkerrecht als solches anwenden. I n welchem Verfahren dieses Völkerrecht innerstaatlich vollzogen wird, bestimmen auch dann die nationalen Verfahrensordnungen und insbesondere die nationalen Zuständigkeitsregeln (Verdross, Zur Konstruktion des Völkerrechts, Z V R 8 [1914], S. 329 ff.; Kelsen, aaO., S. 11 f.; Grassi , aaO., S. 112). Für den Dualisten ist das Völkerrecht vor der Transformation kein innerstaatliches Recht, an das die nationalen Organe im Innenraum allein gebunden sind; die nationalen Zuständigkeitsregeln befehlen weder die unmittelbare Anwendbarkeit des Völkerrechts noch transformieren sie dieses in Landesrecht. Auch der Monismus aber kann auf die innerstaatliche Geltung nicht verzichten, wenn er die Zuständigkeiten des nationalen Gesetzgebers ernst nimmt. Da die Verletzung der die Zustimmung des Gesetzgebers vorsehenden Verfassungsregeln die völkerrechtliche Geltung der Verträge regelmäßig nicht berührt, muß er — wie in Frankreich — die innerstaatliche Geltung (Wirkung) von der völkerrechtlichen Geltung trennen. Da auch die innerstaatliche Geltung nach monistischer Auffassung auf dem Vertragswillen oder einer Völkerrechtsnorm beruht, ordnet allerdings das Zustimmungsgesetz die innerstaatliche Geltung nicht an, sondern stellt es sich allein als eine Bedingung der innerstaatlichen Geltung (acte-condition) dar, die wiederum wie beim Dualismus eine Voraussetzung bestimmter innerstaatlicher Rechtswirkungen ist. Nach einer neueren Ansicht (H. Strebel, Das Völkerrecht als Gegenstand von Verweisungen und Begriffsübernahmen, von Kollisionsregeln und Rezeption i m nationalen Recht, ZaöRV 28 [1968], S. 503 ff.) verzichtet die Lehre vom Vollzugsbefehl auf die innerstaatliche Geltung, begründet der Vollzugsbefehl also nur die unmittelbare Anwendbarkeit und nicht die innerstaatliche Geltung. Zumindest für die Änderung der innerstaatlichen Rechtsordnung durch das Völkerrecht kann aber nicht auf den Gedanken verzichtet werden, daß das Völkerrecht in irgendeiner Form (in oder neben der nationalen Rechtsordnimg) im innerstaatlichen Raum steht (nach Rudolf, 47

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2. Kap.: Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit

lieh schon dann von einer Transformation oder von einer „abstrakten" (d.h. hinsichtlich der Anwendungsformen noch nicht näher bestimmten) Vollziehbarkeit ausgehen, wenn der Vertrag auch nur irgendeine Wirkung im innerstaatlichen Rechtsraum hat, darf man die Transformation also nur dann ablehnen, wenn der Vertrag ersichtlich keinerlei innerstaatliche Wirkungen haben kann. Wegen der Unübersichtlichkeit der möglichen Wirkungen ist eine solche allgemeine Aussage aber α priori sehr schwierig, ganz abgesehen davon, daß es keinem Rechtsanwendungsorgan zuzumuten ist, alle möglichen Wirkungen, die für den von ihm zu entscheidenden Fall gar keine Bedeutung haben, im einzelnen zu untersuchen. Sofern man die immittelbare Anwendbarkeit in die Transformation einbezieht, muß eine solche α priori-Aussage aber möglich sein, weil die Staatsorgane, welche hinsichtlich einer bestimmten, im konkreten Fall relevanten Anwendungsform die Anwendbarkeit ablehnen wollen, diese Ablehnung sonst nie in die notwendig allgemeine Aussage kleiden könnten, der Vertrag sei nicht transformiert worden. Der Begriff der Transformation wird damit für die Praxis unbrauchbar. Der Begriff der Transformation oder der („abstrakten" 48 ) Vollziehbarkeit und damit auch der Begriff der innerstaatlichen Geltung würde aber durch die Einbeziehung der unmittelbaren Anwendbarkeit auch für die Dogmatik problematisch. Ein bestimmter Vertrag kann nämlich hinsichtlich einzelner Anwendungsformen anwendbar sein, hinsichtlich anderer Anwendungsformen nicht. Insbesondere könnten bestimmte Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit nur für bestimmte Anwendungsformen gefordert werden: so muß etwa ein Vertrag, wenn er vom Richter angewendet werden soll, wesentlich bestimmter sein als beim Vollzug durch die Verwaltung, der ein Ermessensspielraum zustehen könnte 49 . Während die unmitaaO., S. 214, hat das Völkerrecht einen Rang nur dann, wenn es in der Rechtsordnung steht). Das zeigt gerade die Analogie zum IPR, auf die Strebel abhebt; denn die fremden Rechtssätze, die das I P R innerstaatlich anwendbar macht, ändern das nationale Recht niemals ab. Überdies kann es sich beim Zustimmungsgesetz regelmäßig nur um einen abstrakten A n wendungsbefehl handeln, der die konkreten Anwendungsformen offen läßt; diese abstrakte Anwendbarkeit deckt sich aber nach den obigen Ausführungen mit der innerstaatlichen Geltung i m obigen Sinn. 48 Selbst wenn das Zustimmungsgesetz als Vollzugsbefehl begriffen wird, ordnet dieser Befehl doch einerseits keine bestimmten Rechtswirkungen, andererseits den Vollzug nicht bedingungslos, sondern nur insoweit an, als der Vertrag unmittelbar anwendbar ist. Deshalb kann das Zustimmungsgesetz nicht als konkreter, sondern nur als abstrakter Vollzugsbefehl gedeutet werden. Er ordnet dann nicht die unmittelbare Anwendung, sondern nur die innerstaatliche Geltung an (vgl. auch oben Kap. I, 15, und unten Kap. VI). 49 Vgl. Kap. V I I , Abschn. V I I I .

C. Innerstaatliche Geltung und innerstaatliche Anwendbarkeit

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telbare A n w e n d b a r k e i t n u n auf einzelne solcher Anwendungsformen bezogen w e r d e n k a n n („der V e r t r a g ist i n dem Sinne unmittelbar anwendbar, daß der Einzelne v o r dem Richter einen Anspruch gegen den Staat hat"), ist der Begriff der innerstaatlichen Geltung einer solchen Relativierung nicht fähig. I h m können also n u r die Voraussetzungen zugeordnet werden, die w i e die Transformation bzw. der Vollzugsbefehl für innerstaatliche Rechtswirkungen allgemein z u fordern sind. A l l e anderen Voraussetzungen sind dagegen der u n m i t t e l baren A n w e n d b a r k e i t zuzuordnen 5 0 . Aus diesen G r ü n d e n m u ß m a n annehmen, daß alle V e r t r ä g e 5 1 , denen das P a r l a m e n t zugestimmt hat oder die auf andere Weise i n die innere Rechtsordnung eingeführt w o r d e n sind, in vollem Umfang transformiert werden u n d damit i n vollem Umfang innerstaatliche Geltung erlangen 5 2 . Nach dieser Lehre w e r d e n also die verschiedenen Sachprobleme der innerstaatlichen G e l t u n g u n d der unmittelbaren A n w e n d b a r k e i t auch von selbständigen Rechtsinstituten erfaßt, w ä h rend nach der Ansicht der zitierten deutschen u n d italienischen A u t o r e n die unmittelbare A n w e n d b a r k e i t entweder ganz oder doch zumindest hinsichtlich gewisser Voraussetzungen i n die Frage nach der innerstaatlichen G e l t u n g einbezogen w i r d . 50

Vgl. Bleckmann, „Kompetenzbild", S. 111 f. So ist die innerstaatliche Geltung nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil der Vertrag sich nur an den nationalen Gesetzgeber wendet. Ob der Gesetzgeber innerstaatlich gebunden und vom Richter kontrolliert werden kann, ist also i m Rahmen der unmittelbaren Anwendbarkeit zu untersuchen. Allerdings mag es Extremfälle geben, in denen es schon an der innerstaatlichen Geltung fehlt. Das ist aber nicht schon für die von Sorensen („Menschenrechtskolloquium", S. 24) hervorgehobenen Verträge anzunehmen, die (wie Bündnisverträge und Abkommen über die Lieferung von Kriegsmaterial) „ihrer Natur nach außerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnung der Staaten stehen", also „weder ihrem Gegenstand noch ihrem Inhalt nach die Sphäre des nationalen Rechts berühren". Auch insoweit kann man nämlich fragen, ob die nach außen handelnden Staatsorgane durch den Vertrag auch innerstaatlich gebunden oder ermächtigt sind (Burckhardt). Es gibt aber Vertragsbestimmungen, die aus Völker- oder staatsrechtlichen Gründen (Bindung eines fremden Staates gegenüber seinen Angehörigen ) nicht zu innerstaatlichem Recht werden können. Diese Fragen werden weiter unten (Kap. V I I , Abschn. I) zwar im Rahmen der innerstaatlichen Anwendbarkeit abgehandelt, könnten aber genauso gut i m Rahmen der innerstaatlichen Geltung untersucht werden. 52 So Astolfi (S. 173 f.), Burckhardt (S. 148), Grabitz (S. 44), van Panhuys („Nederlandse Grondwet", S. 49), der französische Bericht für das „Colloque européen" (S. 235: „II convient d'abord de distinguer nettement la procédure d'introduction des traités dans l'ordre interne des effets des traités une fois incorporés dans cet ordre"), die österreichische Lehre (I.Kap., Anm.88), der deutsche B G H (BGHZ 15, 22 ff., 25, und 26. 2.1963, RzW 1963, S. 525 f.) und das F G Hamburg (23.9.1965, E F G 1966, S.41). Der B G H nimmt zum Problem der innerstaatlichen Geltung meistens mit der Wendung Stellung, der Vertrag habe „die Kraft eines Bundesgesetzes" erlangt, und prüft dann völlig unabhängig von dieser ersten Frage in einem zweiten Schritt, ob dieser Vertrag seinem Inhalt und Zweck nach unmittelbar anwendbar ist. 51

5 Bleckmann

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2. Kap.: Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit

Damit finden wir auch den Schlüssel zu den verschiedenen Begriffen der innerstaatlichen Geltung. In der bisherigen Darlegung wurde darunter nur die grundsätzliche verfassungsrechtliche Entscheidung der Einführung von Verträgen in den innerstaatlichen Rechtsraum verstanden, so daß die weitere Frage offenblieb, ob für die innerstaatliche Geltung der Einführungsakt bzw. der Vollzugsbefehl ausreicht oder nur die Verträge innerstaatliche Geltung erlangen, welche den Anforderungen der unmittelbaren Anwendbarkeit genügen. Mit der Entscheidung über diese weitere Frage ist nun notwendig ein jeweils unterschiedliches Verständnis der innerstaatlichen Geltung verbunden. Die hier abgelehnte deutsche Theorie muß in der Tat unter der innerstaatlichen Geltung der Verträge verstehen, daß die Verträge irgendwelche, aber immer bestimmte und konkrete Wirkungen im innerstaatlichen Rechtsraum wie etwa die Anwendbarkeit durch den Richter in einem bestimmten Verfahren oder die Begründung subjektiver Rechte entfalten, während die hier vertretene Auffassung mit dem „Inkrafttreten" nur die Vorstellung verbindet, daß die Völkerrechtsverträge „irgendwie im innerstaatlichen Rechtsraum stehen", ihre Anwendung also insbesondere nicht mehr durch den Dualismus der Rechtsordnungen ausgeschlossen wird, ohne auch schon nach bestimmten konkreten Wirkungen in dieser Rechtsordnung zu fragen. D . D i e innerstaatlichen Anwendungsformen des Vertragsvölkerrechts I . Einführung in das Problem

Oben wurde zwischen der Anwendbarkeit der Verträge im Völkerund im Landesrechtsraum unterschieden 53. Dabei handelt es sich nur um eine erste grobe Annäherung, die in jedem Rechtsraum hinsichtlich der einzelnen Anwendungsformen näher konkretisiert werden muß. Hier interessiert auch weiterhin nur der innerstaatliche Raum. I n der Tat gibt es nun innerstaatliche Organe der unterschiedlichsten Art, die völkerrechtliche Verträge in den unterschiedlichsten Verfahren auf die unterschiedlichsten Parteien oder Rechtsverhältnisse im unterschiedlichsten Sinne anwenden. Es gibt also so verschiedene Formen der Anwendung oder des Vollzugs, daß es sehr gewagt erscheint, a priori davon auszugehen, daß für alle diese unterschiedlichen Anwendungsformen dieselben Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit gelten. So wird man etwa für den Vollzug durch den Gesetzgeber 54 oder die Regierung andere Voraussetzungen 63

Siehe oben B. Der Vertragsvollzug durch den Gesetzgeber wird in der Regel der unmittelbaren Anwendbarkeit gerade entgegengesetzt. Dennoch stellen sich 54

D. Die innerstaatlichen Anwendungsformen des Vertragsvölkerrechts

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fordern müssen als für den Vollzug durch die Verwaltung oder gar die Rechtsprechung. I m Rahmen der Rechtsprechung können im Zivil-, Straf-, Verwaltungs-, Disziplinar- und Verfassungsstreit jeweils andere Voraussetzungen für die unmittelbare Anwendbarkeit eingreifen. Auch die verschiedenen Kategorien der am Streit beteiligten Parteien (Individuen und hier wieder eigene und fremde Staatsangehörige 55; der eigene oder fremde Staaten oder diesen unter- und eingeordnete juristische Personen des öffentlichen Rechts; internationale Organisationen) können die Lösung unserer Frage beeinflussen. Und schließlich können Völkerrechtsnormen ebenso wie innerstaatliches Recht in ganz unterschiedlichem Sinne angewendet werden. Die Notwendigkeit einer solchen Konkretisierung der Anwendungsformen der Verträge wird erst in neuerer Zeit allmählich erkannt. Wenn man etwa in Frankreich recht früh gesehen hat, daß der Conseil d'Etat völkerrechtliche Verträge je nach der Stellung dieser Abkommen im Verfahren 56 völlig unterschiedlich behandelt, wurde diese Einsicht doch nicht eindeutig und systematisch für die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit verwertet. Soweit ersichtlich, hat vielmehr zunächst Wengler 57 darauf hingewiesen, daß man für die unmittelbare Anwendbarkeit zwischen verschiedenen innerstaatlichen „Sanktionen" oder „Unrechtsfolgen" unterscheiden müsse, worunter er einerseits bestimmte materielle Rechtsfolgen wie Nichtigkeit, Schadensersatz, Strafen, andererseits die verschiedenen Verfahrensarten versteht 58 . Zum endgültigen Durchbruch gelangte die Theorie der „Anwendungsformen" oder „effets internes" erst auf dem „Colloque européen". Hier hob der luxemburgische Bericht hervor, daß es — je nachdem die Verpflichtung den Staat „dans sa compétence législative, bei einem weiteren Verständnis dieses Begriffs ähnliche Probleme wie beim Vollzug durch den Richter: Darf der Gesetzgeber den Vertrag vollziehen oder bedarf es erst noch konkretisierender Akte auf der internationalen Ebene; muß der Gesetzgeber den Vertrag vollziehen, ist er also an diesen Vertrag (innerstaatlich) in der Weise gebunden, daß der Nichtvollzug oder der vertragswidrige Vollzug zu irgendeiner innerstaatlichen Sanktion führt? Für die Einbeziehung des Vollzugs durch den Gesetzgeber vor allem van Panhuys („Nederlandse Grondwet"). 55 Bekanntlich hat die Rechtsprechung lange gezögert, den eigenen Staatsangehörigen gegen den eigenen Staat einen Anspruch aus von diesem geschlossenen Verträgen zuzusprechen (für die amerikanische Rspr. vgl. Baibastro t aaO., S. 565). Auch heute scheint dieses Bedenken in beschränktem Umfang zumindest für die Frage weiterzubestehen, ob Individuen auf der Völkerrechtsebene solche Rechte erwerben können (hierzu den franz. Bericht zum „Colloque européen", S. 237). 56 Zu dieser Frage siehe unten I I . 57 S. 447 ff., 449 ff. 58 Für frühere Ansätze in der Schweizer Lehre vgl. Blumer (I.Kap., Anm. 101) und Burckhardt. 5*

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2. Kap.: Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit

exécutive ou judiciaire" treffe, verschiedene „gradations des effets internes" gebe 59 . Erades unterstrich, daß ein Vertrag „certains effets dans Tordre communautaire" haben könne, „sans que la juridiction communautaire puisse l'appliquer" 60 . I m niederländischen Bericht wurde dargelegt, daß einige Verträge zwar in den Beziehungen zwischen verschiedenen Individuen („rapports de droit privé"), nicht aber in den Beziehungen der Individuen zu ihrem Staat („rapports de droit public") anwendbar seien 61 . Der eigentliche Streit entzündete sich aber an der schon von Prasch behandelten Frage, ob man unter „self-executing treaties" nur solche Verträge verstehen soll, die ein Individualrecht begründen oder ob man darauf abstellen sollte, daß der Richter oder die Verwaltung die Verträge anwenden müssen62. Trotzdem handelte es sich nicht um eine Streitfrage allein über den Umfang des Terminus „self-executing treaty" oder „applicabilité directe", also um die Frage, ob man auch die nicht Individualrechte begründenden, aber vom Richter oder von den Verwaltungsbehörden anzuwendenden Verträge noch als „selfexecuting" bezeichnen könne. Denn die Stellungnahme für oder gegen die Notwendigkeit einer Individualrechtsbegründung ging Hand in Hand mit dem Streit um die „Präexistenztheorie", also mit der Frage, ob man bei der Entscheidung über die unmittelbare Anwendbarkeit nur den Vertragswortlaut oder auch die innerstaatlichen Strukturen und vor allem die Kompetenz- und Verfahrensvorschriften berücksichtigen müsse. Obwohl dieses Problem nicht ausdiskutiert wurde, kann man festhalten, daß die Mehrheit der Teilnehmer sich zwar für die Individualrechtsbegründung entschied, dabei aber gerade auch die innerstaatlichen Verfahrensvorschriften berücksichtigt wissen wollte. I m Rahmen dieser Arbeit ist es natürlich nicht möglich, alle die genannten Anwendungsformen einzeln zu untersuchen. Eine Systematik dieser Anwendungsformen müßte dabei von den genannten Unterscheidungen nach den Organen, den Verfahrensarten, den Rechtsverhältnissen und Parteien sowie den „Prozeßpositionen der Verträge" ausgehen. Was hierunter zu verstehen ist, soll im folgenden näher untersucht werden. Anschließend wird auf die sehr strittige Frage eingegangeen, ob man auf die Anwendung oder auf die Begründung von Individualrechtspositionen abstellen sollte. 59

S. 138 ff. S. 10 f. 61 S. 56 ff. 62 S. 47 f., 51 (niederländischer Bericht), S. 138 ff. (luxemburgischer richt), S. 169 (belgischer Bericht) und vor allem S. 257 ff. (Diskussion). eo

Be-

D. Die innerstaatlichen Anwendungsformen des Vertragsvölkerrechts

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I I . Ubersicht über die „Prozeßpositionen" des Verlagsrechts

Auf die Tatsache, daß die völkerrechtlichen Verträge im Verfahren eine höchst unterschiedliche „Prozeßposition" einnehmen könnten, daß man also zwischen verschiedenen „Anwendungsarten" unterscheiden muß, hat soweit ersichtlich zuerst die französische Lehre aufmerksam gemacht. So führt etwa Vir ally aus 63 : „II nous faudra donc examiner les règles suivies par le Conseil d'Etat chaque fois qu'un accord international est invoqué devant lui. Or, les conditions dans lesquelles il peut être amené à se prononcer sont fort diverses . On peut lui demander, tout d'abord, d'examiner la régularité d'un traité, soit pour l'annuler ou pour annuler les mesures prises pour son application , soit pour faire apparaître un droit à indemnité au profit du requérant On peut l'engager à appliquer un accord international afin de résoudre la question de droit qui lui est soumise. On peut, enfin, l'inviter à interpréter un tel accord..." Hier wird das untersuchte Problem von der „Verfahrensposition" des Vertrages aus angegangen. Daneben ist auch eine rein materiellrechtliche Betrachtungsweise möglich, bei der man entsprechend den Kategorien Virallys zwischen der Rechtmäßigkeit des Vertrages, dem Vertrag als Maßstab der Rechtmäßigkeit innerstaatlicher Rechtsakte mit den beiden Unrechtsfolgen Nichtigkeit und Schadensersatz und dem Vertrag als Anspruchsgrundlage unterscheiden könnte. Diesen doppelten „approach " einmal vom materiellen, einmal vom Prozeßrecht her finden wir bei dem Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit immer wieder. So kann man prozeßrechtlich von der „Anwendung" oder materiellrechtlich von der „Einwirkung auf die Rechtsordnung" und von „Sanktionen" oder „Unrechtsfolgen" sprechen sowie auf materiellrechtliche oder prozeßrechtliche („Recht, sich auf den Vertrag zu berufen") Individualrechte abstellen. Ohne daß auf dieses Problem hier schon näher eingegangen werden kann 6 4 , soll doch darauf hingewiesen werden, daß bei der unmittelbaren Anwendbarkeit Fragen des materiellen und des Prozeßrechts untrennbar miteinander verküpft sind, so daß die beiden „approaches " im wesentlichen nur eine Nuancenverschiebung darstellen und grundsätzlich zu 63 „Traités internationaux". — Vgl. auch die von Erades („Self-executing", S. 845) und Tammes („Verdragsbepalingen") aufgezählten Anwendungsformen. Auch nach Mann („Treaties", S. 29) muß zwischen verschiedenen „purposes for which a treaty may be invoked in a given case" unterschieden werden. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit der nationalen Grundrechte in den verschiedenen Anwendungsformen vgl. Bundesverfassungsgericht 29.1. 1969, D Ö V 1969, S. 345. 64 Vgl. hierzu unten Kap. I I I , A b s c h n . I I l .

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2. Kap. : Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit

denselben Ergebnissen führen. Für das hier untersuchte Problem bedeutet das, daß man sich für die Methode entscheiden kann, die bessere oder umfassendere Einteilungskriterien liefert. Die im folgenden aufgestellte und für das Problem der Anwendbarkeit wesentliche Unterscheidung zwischen Haupt- und Vorfragen kann nur prozeßrechtlich ausgedrückt werden; andere Unterscheidungen können wiederum nur materiellrechtlich formuliert werden. Deshalb wird — der Unbestimmtheit des französischen Terminus „effets internes" entsprechend — im folgenden die prozeßrechtliche Betrachtungsweise beibehalten und in diesem Rahmen soweit wie notwendig auf Unterscheidungen des materiellen Rechts zurückgegriffen. 1.

„Prozeßpositionen"

des m a t e r i e l l e n

Vertragsrechts

Das materielle Vertragsrecht kann soweit ersichtlich drei verschiedene „Prozeßpositionen" einnehmen, die im folgenden am Beispiel des Art. 79 des italienischen Friedensvertrages erläutert werden sollen: Diese Vorschrift deckt einerseits alliierte Enteignungsmaßnahmen gegen italienische Staatsangehörige und verpflichtet andererseits den italienischen Staat zu einer entsprechenden Entschädigung. a) Der Vertrag

als Angriffsgegenstand

I m Gerichtsverfahren kann zunächst die Rechtmäßigkeit eines Völkerrechtsvertrages oder des Abschlußverfahrens in Frage gestellt werden: Der Völkerrechtsvertrag bildet hier den Angriffsgegenstand des Verfahrens. Wegen der Mediatstellung des nationalen Richters zum Völkerrecht und des Ranges der Verträge im nationalen Recht wird dabei der Vertrag regelmäßig nur indirekt über den Einführungsakt und vor allem das Zustimmungsgesetz angegriffen werden können, kann dieser Vertrag meist nur am Verfassungsrecht gemessen werden und werden meist nur die Verfassungsgerichte zuständig sein 65 . Denkbar wäre also etwa, daß das italienische Zustimmungsgesetz zum italienischen Friedensvertrag vor dem italienischen Verfassungsgerichtshof insoweit mit der Begründung angegriffen wird, es verstoße gegen die Eigentumsgarantie des Art. 42 der italienischen Ver66 Zur Normenkontrolle über Zustimmungsgesetze in Deutschland vgl. BVerfGE 1, 410; 4, 162; 6, 294; 12, 220; 25.6.1968, N J W 1968, S: 1467; E. Kaufmann, „Normenkontrollverfahren"; für Italien A. d'Atena. Problemi relativi al controllo di costituzionalità delle norme di adottamento di trattati internazionali, Giurisprudenza costituzionale, 12 (1967), S. 592 ff.

D. Die innerstaatlichen Anwendungsformen des Vertragsvölkerrechts

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fassung 66, als dieses Gesetz sich auf Art. 79 des Vertrages bezieht 67 . Soweit wie in der Bundesrepublik Deutschland eine individuelle Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze und damit auch Zustimmungsgesetze zugelassen ist, wird in der Regel für deren Zulässigkeit gefordert werden, daß der Vertrag selbst in die Grundrechte des Klägers eingreift. Damit ist über die unmittelbare Anwendbarkeit hinaus gemeint, daß der Rechtseingriff nicht erst durch einen individuellen Akt der Verwaltung oder Rechtsprechung, sondern schon durch das Gesetz selbst herbeigeführt wird: Dieser Begriff der unmittelbaren Einwirkung setzt also einerseits die unmittelbare Anwendbarkeit der Verträge voraus 68 , fordert aber darüber hinaus das Vorliegen weiterer Voraussetzungen 69. Hier ist die unmittelbare Anwendbarkeit also in eine umfassendere Prozeßvoraussetzung einbezogen. Würde ein solcher Vertrag etwa vor dem französischen Conseil d'Etat angegriffen, wäre die Klage gegen diesen „acte de gouvernement " selbst dann unzulässig, wenn der Vertrag unmittelbar anwendbar wäre; andererseits wird der Begriff des „acte de gouvernement" aber auch zur Abgrenzung der unmittelbaren Anwendbarkeit herangezogen70, so daß dieselben Prinzipien einmal eine selbständige Prozeßvoraussetzung tragen, zum anderen bei der unmittelbaren Anwendbarkeit zu berücksichtigen sind. b) Der Vertrag als Maßstab der Rechtmäßigkeit innerstaatlicher Rechtsakte Der Vertrag kann ferner als Maßstab der Rechtmäßigkeit innerstaatlicher Rechtsakte dienen. Hierbei kann es sich um Hoheitsakte (Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsakte, innerdienstliche Weisungen usw.) oder um Akte von Privatrechtspersonen (insbesondere um privatrechtliche Rechtsgeschäfte) handeln. Die Rechtswidrigkeit kann dabei ferner die Gültigkeit dieser Akte beeinträchtigen oder zum Schadensersatz führen. Soweit es sich nun um privatrechtliche Akte handelt, wird manchmal nicht gefordert, daß der Vertrag innerstaatlich gelte und unmitββ Vgl. Bleckmann, Das Eigentum i m italienischen Verfassungsrecht, ZaöRV 27 (1967), S.94ÎÏ. 67 Vgl. die Entscheidung der Corte costituzionale vom 10.3.1966 in Kap. I , Anm. 79. 68 Es scheint mir also nicht ganz richtig zu sein, wenn Ophüls („Colloque européen", S. 203 ff.) und Prasch (S. 40) das Beispiel des Eingriffs in Grundrechte zwar als eine weitere Möglichkeit der Abgrenzung der Begriffe „mittelbar — unmittelbar" anführen, aber vom Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit völlig trennen. 69 Zum unmittelbaren Eingriff der Verträge in Grundrechte vgl. BVerfGE 1, 10; 1, 97. 70 Siehe unten Kap. V I I , Abschn. I I I .

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2. Kap.: Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit

telbar anwendbar sei. So wird etwa angenommen, daß privatrechtliche Rechtsgeschäfte wegen eines Verstoßes gegen den ordre public auch dann nichtig sind, wenn der den Maßstab bildende Völkerrechtsvertrag innerstaatlich nicht gilt oder nicht unmittelbar anwendbar ist 7 1 . Auch private Schadensersatzansprüche scheinen manchmal aus der Verletzung von unmittelbar nicht anwendbaren Verträgen zu fließen 72. Der Grund hierfür ist in der Tatsache zu suchen, daß die 71

Der Supreme Court of Ontano hat in seiner Entscheidung Re Drummond Wren ([1945] 4 D . L . R . 675; [1945] 2 D . L . R . 250, 260) die in die kanadische Rechtsordnung nicht eingeführte UN-Charta neben anderen Dokumenten rechtlichen (NATO-Vertrag) und nichtrechtlichen Charakters (Entschließungen des World Trade Union Congress, Resolution against Discrimination adopted by Latin-American States in Mexico City 1945, Reden de Gaulies und Churchills) herangezogen, um nachzuweisen, daß ein privatrechtlicher Vertrag, der den Landverkauf an Juden verbot, gegen die public policy verstieß und deshalb nichtig war. Eine spätere Entscheidung des kanadischen Court of Appeal (Re Noble and Wolf, [1948] 4 D . L . R . , 123) hat allerdings die Festlegung der public policy dem Gesetzgeber vorbehalten (vgl. C.B.Bourne, The Canadian Bar Review 30 [1951] S. 969; Tammes, „Verdragsbepalingen", S. 74). Mann („Treaties", S. 44 ff.) spricht sich unter Berufung auf ein britisches Urteil (Regazioni v. K.C.Settria [1944] Ltd. [1957] 3 W. L. R. 752) für diesen „indirect effect « nicht eingeführter Verträge aus, weil der Staat sich nicht auf die Verletzung seiner Völkerrechtspflichten berufen dürfe, w i l l diesen Wirkungen aber enge Grenzen ziehen, um die Zuständigkeit des Gesetzgebers zu wahren. — Das R G (RGZ 102, S. 106 ff.) hat es dagegen abgelehnt, den Waffenstillstandsvertrag vom 11.11.1918 als Verbotsgesetz anzusehen, dessen Verletzung das Rechtsgeschäft nach § 134 BGB nichtig macht, weil dieses Abkommen mangels verfassungsmäßiger Zustimmung und Veröffentlichung „vom Standpunkt des deutschen bürgerlichen Rechts aus überhaupt nicht Gesetz geworden ist". — Ist der Vertrag eingeführt, kann er allerdings, selbst wenn er nur einen sich an den Gesetzgeber wendenden Programmsatz enthält, in der Form unmittelbar anwendbar sein, daß ein Rechtsgeschäft, welches mit dem Programm gänzlich unvereinbar ist, wegen Verletzung des ordre public und ähnlicher Generalklauseln des staatlichen Rechts ungültig ist (Rudolf, S. 208; Wengler, S. 462). Auch in den Niederlanden fällt unter die Art. 1371 und 1373 des Zivilgesetzbuches nur ein innerstaatlich geltender Vertrag („Colloque européen", S. 56; „Werkgroep", S. 550 f.). 72 I n Art. 1401 des niederländischen Zivilgesetzbuchs wird der Schadensersatz an die Verletzung einer Sorgfaltspflicht geknüpft. Solche Sorgfaltspflichten, die aus der Verkehrsübung erwachsen können, werden auch aus unmittelbar nicht anwendbaren Vertragsbestimmungen abgeleitet („Colloque européen", S. 60, „Werkgroep", S. 550 f.; H. F. van Panhuys, Reflecties over volkenrechtelijke reflexen, Nederlands Juristenblad, 28 [1963], S.73ff., 124 ff. und die dort zit. Lit. und Rspr.). Eine Ausnahme gilt für Verträge, die sich nur an den Gesetzgeber wenden (van Panhuys, „Nederlandse Grondwet", S. 45). Nach Tammes („Verdragsbepalingen", S. 74, mit weiterer Lit. und Rspr.) begründet dagegen die reine Staatenverpflichtung, interne Strafvorschriften zu erlassen, unmittelbar zwar nicht die Strafbarkeit, wohl aber die Unrechtmäßigkeit der Handlung. Dasselbe gelte, wenn Private gegen politische Verträge verstießen, deren Erfüllung in erster Linie dem Staat obliegt (Rechtswidrigkeit eines Überfalls auf indonesisches Staatsgebiet!). — Der innerstaatlichen Geltung und unmittelbaren Anwendbarkeit entbehrende Verträge können für die Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze herangezogen werden (K. H. Friauf, Die Notwendigkeit einer verfassungs-

D. Die innerstaatlichen Anwendungsformen des Vertragsvölkerrechts

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ordre public-Klausel und die Schadensersatztatbestände in vielen Staaten — insbesondere aber in den Gesetzbüchern, die vom französischen Code civil beeinflußt sind — außerordentlich weit gefaßt sind und weniger auf die Übertretung des (nationalen) objektiven Rechts als auf die Verletzung von Sorgfaltspflichten abstellen, die aus reinen Tatsachen (Verkehrssitte, Brauch) abgeleitet werden können. Ob ein Verstoß gegen einen innerstaatlich nicht eingeführten und unmittelbar nicht anwendbaren Vertrag die genannten Rechtsfolgen hat, ist also in erster Linie eine Frage der Auslegung der betreffenden zivilrechtlichen Vorschriften; auf der anderen Seite darf die Auslegung des Vertrages zumindest nicht ergeben, daß bürgerlich-rechtliche Rechtswirkungen ausgeschlossen sein sollen. I n Deutschland scheinen so die §§ 134, 823 ff. BOB mit ihrer Verweisung auf ein „Gesetz" 75 für die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften bzw. für den Schadensersatz zumindest die innerstaatliche Geltung, wahrscheinlich darüber hinaus zumindest eine partielle unmittelbare Anwendbarkeit 74 zu fordern; der § 823 BGB verlangt ferner ein „Recht" bzw. die Verletzung eines „Schutzgesetzes" und damit die vertragliche Begründung einer subjektiven Rechtsposition. Dagegen kann wahrscheinlich auch die bewußte Verletzung rein völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik einen die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts begründenden Verstoß gegen die guten Sitten darstellen (§ 138 BGB) 7 5 . konformen Auslegung i m Recht der westeuropäischen Gemeinschaften, AöR 85 [1960], S. 224 ff., 227; B G H 12.7.1968, N J W 1968, S. 2103). 73 Nach Art. 2 EGBGB ist „Gesetz" jede Rechtsnorm, d. h. aber wohl nur jede Norm des nationalen Rechts. Als Schutzgesetz ist ein Vertrag also nur dann anzusehen, wenn er innerstaatlich gilt (RGZ 155, 257) und unmittelbar anwendbar ist (Tammes, „Grondwet", S. 601; Schlochauer, S. 22). Noch enger will der B G H (BGHZ 30, 74 ff.) dem Art. 4 und 60 M U V trotz innerstaatlicher Geltung und unmittelbarer Anwendbarkeit keine Rechtswirkungen nach §§ 134 und 823 Abs. 2 BGB zugestehen, weil der Vertrag keine bürgerlich-rechtlichen Wirkungen erzeugen will. 74 Der Vertrag braucht insbesondere nur so bestimmt zu sein, daß ein Verstoß festgestellt werden kann. 75 I m Anschluß an das RG, nach dem die Verletzung eines Allgemeininteresses eine sittenwidrige Handlung nach § 138 BGB darstellen kann (K. Simitis, Gute Sitten und ordre public, 1960), hat der B G H (BGHZ 34, 169; 24.5.1962, NJW 1962, S. 1436 = M D R 1962, S. 719 = AW D 1962, S.208) in der Umgehung amerikanischen Embargorechts, das auch dem deutschen Interesse diene, eine sittenwidrige Handlung gesehen (vgl. Wiethölter in: Jaenicke-Wiethölter, „Internationaler ordre public", S. 163, mit rvgl. Material). Kommt es also auf die innerstaatliche Geltung und Anwendbarkeit des verletzten Rechts in Deutschland nicht an, begründet die Verletzung reiner Völkerrechtspflichten dann die Sittenwidrigkeit, wenn der Vertrag ein deutsches Allgemeininteresse schützt, möglicherweise auch, wenn er fundamentale Rechtsgrundsätze enthält (sogenannter „internationaler ordre public", vgl. Jaenicke aaO., S. 82 ff.; für die „Kriegslieferungsverträge" — Verstoß gegen das völkerrechtliche Angriffsverbot — vgl. OG D D R

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2. Kap. : Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit

Etwas anders ist die Lage bei den Hoheitsakten. So könnte etwa in Frankreich die Enteignung der italienischen Staatsbürger vor dem Conseil d'Etat, in Italien die generelle oder zumindest die individuelle Entschädigungsregelung vor dem Verwaltungsgericht mit der Begründung angefochten werden, sie verstoße gegen Art. 79 des italienischen Friedensvertrages. Auch in anderen Staaten finden wir solche auf eine Vertragsverletzung gestützte Anfechtungsklagen, insbesondere etwa gegen die Auslieferung, die Ausweisung oder die Verweigerung der fremdenrechtlichen Genehmigungen recht häufig; mit der Zuerkennimg von Grundrechten durch internationale Verträge weitet sich die Möglichkeit solcher Anfechtungsklagen auf alle Verwaltungsakte aus 76 . Während bei den Privatakten die Frage, ob ein Verstoß gegen nicht unmittelbar anwendbare Verträge zu den genannten Rechtsfolgen führt, dem materiellen Recht zu entnehmen ist, wird bei den Hoheitsakten zumindest die Aufhebbarkeit weitgehend im Prozeßrecht geregelt. Grundsätzlich wird dabei, wie im ersten Kapitel dargelegt, in den meisten Staaten verlangt, daß die Verträge unmittelbar anwendbar sind, obwohl diese Frage in vielen Entscheidungen nicht ausdrücklich untersucht wird. I m Ganzen entsteht der Eindruck, daß an die unmittelbare Anwendbarkeit dabei nicht dieselben strengen Voraussetzungen angelegt werden wie in den Fällen, in welchen der Vertrag eine unmittelbare Anspruchsgrundlage etwa für eine bestimmte Leistung des Staates bilden soll. Insbesondere scheint es auszureichen, wenn die Vorschrift punktuell so bestimmt ist, daß man einen Verstoß feststellen kann, während der positive Rechtsanspruch eine jedes Ermessen ausschließende, umfassende vertragliche Präzisierung voraussetzt. Eine Beziehung der Norm Und damit auch des Vertrages zum Kläger wird nicht in allen Staaten gefordert. So muß etwa in der Bundesrepublik Deutschland die Norm, auf deren Verletzung sich der Kläger beruft, für diesen eine subjektive Rechtsposition begründen, während es in Frankreich ausreicht, wenn der AJct nur die tatsächlichen Interessen des Klägers berührt. Hierbei handelt es sich aber um eine Voraussetzung des Prozeßrechtsinstituts „Klagebefugnis", das mit dem Rechtsinstitut „unmittelbare Anwendbarkeit" in Konkurrenz tritt. Es entsteht also die Frage, ob man diese Probleme auch bei Verträgen dem allgemeinen Prozeßrechtsinstitut zuordnen oder ob man für Verträge das besondere Rechtsinstitut der unmittelbaren Anwend8.11.1950, Neue Justiz 1951, S.26; 21.2.1951, OGZ 1, 100; ablehnend O L G Hessen, 14.1.1949, N J W 1949, S. 583). 76 Zur E M R K vgl. Morvay.

D. Die innerstaatlichen Anwendungsformen des Vertragsvölkerrechts

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barkeit auch insoweit beibehalten soll. Die Rechtsprechung scheint sich für die erste Lösung entscheiden zu wollen 77 . Maßstab innerstaatlicher Akte kann der Vertrag unter gewissen Voraussetzungen aber auch im Verfahren vor dem Verfassungsgericht werden. Hier kann als Prüfungsmaßstab unmittelbar allerdings meist nur das innerstaatliche und noch enger das Verfassungsrecht herangezogen werden 78 . Selbst wenn man den Verträgen den Rang und die Qualität von Verfassungsrecht abspricht 79, kann das Vertragsrecht aber mittelbar zu einem solchen Maßstab werden. So können einmal die Verträge der Interpretation entsprechender innerstaatlicher Verfassungsbestimmungen dienen: die EMRK kann so zur Auslegung der Grundrechte 80 , die Europäische Sozialcharta zur Interpretation der Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes herangezogen werden 81 . Zum anderen kann die Verfassung auch bestimmte Völkerrechtssätze oder völkerrechtliche Rechtspositionen in sich aufnehmen oder zumindest mit einer zusätzlichen Garantie versehen: so etwa die Eigentumsschutzklausel vertraglich begründete Vermögensrechte 82, andere Verfassungsbestimmungen möglicherweise Rechtsinstitutionen, die ganz oder teilweise durch völkerrechtliche Verträge geregelt sind 83 . Und schließlich kann das Verfassungsrecht innerstaatliche Organe an die internationalen Verpflichtungen des betreffenden Staates binden: so besteht in Italien die regionale Gesetzgebungskompetenz nur im Rahmen der Verpflichtungen der Italienischen Republik 84 . 77 So sehr klar das Urteil des Schweizer Bundesgerichts vom 26.10.1955 (Kap. I, Anm. 105). I m einzelnen wird diese Frage unten I I I behandelt. 78 So kann in der Bundesrepublik Deutschland die Verfassungsbeschwerde nicht auf die Verletzung der E M R K gestützt werden (BVerfGE 4, 111; 6, 440; 9, 39; 10, 271; BayVerfGH 3.7.1961, N J W 1961, S. 1619; Herzog, D Ö V 1959, S. 44; Scheuner, „Menschenrechtskolloquium", S. 209; a. A. Guradze, D Ö V 1960, S. 286 mit Erwiderung Herzog). Anders in Österreich (vgl. VerfGH 28. 9.1964, Slg. 1964, S. 500; 14.10.1965, Slg. 1965, S. 618). 79 Bekanntlich ist in der Bundesrepublik vergeblich versucht worden, Verfassungsrang und -qualität von Verträgen über den Grundsatz „pacta sunt servanda" dem Art. 25 G G zu entnehmen (hierzu vgl. vor allem F. Klein, Die Europäische Menschenrechtskonvention und Art. 25 des Bonner Grundgesetzes, Festschrift für R. Laun, Jahrbuch für Internationales Recht, 11 [1962], S. 149). 80 BVerfG 15.12.1965, JZ 1966, S. 146; B G H Z 27, 285. 81 Vgl. Bleckmann, „Sozialcharta", S.403. 82 Vgl. die Entscheidimg der Corte costituzionale vom 10.3.1966 (Kap. I , Anm. 79). 83 Soweit man die Konkordate zu den Völkerrechtsverträgen zählt, kann hier etwa auf die Art. 7 ff. der italienischen Verfassung verwiesen werden; hierzu neuerdings: A .Bernardini, Problemi di rinvio e di adattamento nell'articolo 7 della costituzione, Rivista di diritto internazionale, 51 (1968), S. 273 ff.; G. Catalano, Osservazioni sull' art. 20 della costituzione, I l diritto ecclesiastico, 75 (1964), S. 353; G. Fragola, I patti lateranensi sono norme costituzionali? Rivista amministrativa della Repubblica Italiana, 118 (1967), S. 337 ff.; S.Lariccia, Giurisprudenza costituzionale, 12 — Monisme ou dualisme? Les rapports des traités et de la loi en Grèçe (spécialement à propos des conventions internationales du travail), in: Revue hellénique de droit international, 11. Jg., 1958, S.203ff. („Traités en Grèce"). — Les conventions internationales du travail devant le juge français, in: Revue critique de droit international privé, Bd. 53, 1964, S. 41ff. („Traités en France"). Vasak, K.: La Convention européenne des Droits de l'homme, Paris 1964 („Droits de l'homme"). — Was bedeutet die Aussage, ein Staatsvertrag sei „self-executing"? in: Juristische Blätter, Bd. 83, 1961, S. 621 ff. („Self-executing treaties").

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