Badende Männer: Der nackte männliche Körper in der skandinavischen Malerei und Fotografie des frühen 20. Jahrhunderts [1. Aufl.] 9783839420935

Der Strand wird zum Atelier, der männliche Körper zum Motiv, eine Kunsthalle zum Schwimmbad. Das Buch präsentiert mit Ed

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German Pages 336 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Dankeschön
1. Einleitung
Zugänge und theoretisch-methodische Annäherungen
Material und Vorgehensweise
Akt und Geschlecht
Körperkult und Vitalismus
Baden und Badende
Kategorien kultureller Differenzierungen
2. Gesundheit, Krankheit und badende Männer: Edvard Munch
2.1. Akte, Badende und der Körper des Künstlers
Åsgårdstrand 1904: Badende junge Männer
Gesundheit, Krankheit und Baden 1904-07
Warnemünde 1907: Badende Männer
Zensur: Badende Männer in Hamburg
2.2. Inszenierungen von Gesundheit und Lebenskraft
Badende Männer in Kristiania 1910
Badende Männer als Lebensalter-Triptychon
2.3. Gesundheit und Krankheit in der Munchrezeption
Badende Männer: Lebenskraft und Manneskraft
2.4. Badende und der männliche Akt bei Munch
Akt oder nackt: Alter und Sexualität
Badende zwischen Antike und Hygiene
Akt und Vitalismus bei Munch
3. Homoerotik und männliche Badende: Eugène Jansson
3.1. Männliche Akte und der »Bruch« in der Biografie
Janssons Badende: Inszenierung des Blicks
Bruch, Krise, Neuanfang
Die zerstörten Badenden Jungen
Erschöpfung und Lebenskraft
3.2. Zeitgenössische Rezeption
Akt und Nacktheit: Uppsala 1907
Exzentrizität und männlicher Akt: Göteborg 1911
Eine Ausstellung als Schwimmhalle: Stockholm 1912
Soldatische Männlichkeit: Retrospektive 1918
3.3. Gesunde und kranke Körper
Krankheit und Disziplinierung
Gesundheit und Freiluftkultur
Krankheit, Exzess und Homosexualität
3.4. Kulturkampf um Janssons Sexualität 1997/98
›Schwuler‹ Blick im Fernsehen
Pro und Contra in der Presse
3.5. Sexualität und Kunstgeschichtsschreibung
Beweis und Gegenbeweis
Der nackte Jüngling in der Tür
Selbstporträt: Dandy oder Engel?
3.6. Heteronormativität und der männliche Akt
Ehe und Familie
Entsexualisierung und Misogynie
Männlichkeit und Kunstgeschichtsschreibung
4. Naturburschen: Badende bei J.A.G. Acke
4.1. Männlicher und weiblicher Akt im Waldtempel
4.2. Badende im Tageslicht
4.3. Leben in den Schären – »natürliche Nacktheit«
Einheit von Künstler, Kunst und Natur
Acke als Naturbursche
Drei Männer auf einer Klippe
Natürlichkeit und Naturalisierung
4.4. Gesunder Künstler – gesunde Bilder?
4.5. Klasse und Geschlecht: männliche und weibliche Modelle
Künstler und Modell: Freundschaft und Ehrbarkeit
Sexismus und Heteronormativität
4.6. Alter und (A-)Sexualität: italienische Knaben und erwachsene Skandinavier
Unschuld und Kindlichkeit
Der italienische Knabe als frische Brise und Durchbruch
(Haut-) Farbe
4.7. Exkurs: Italienische Knaben, dänische Strände und nordische Körper bei J.F. Willumsen
Italien, Körper und Kunst
Haut und Haar
Badende und Wilde
Akt und Allegorie: nordische Körper
4.8. Nordische Körper?
5. Die nackte Wahrheit? Fotografie und männliche Badende
5.1. Künstler als Knipser – badende Männer und Intermedialität
5.2. J.A.G. Acke und Fotografie
Meereslauscher
Östrasalt
Morgenluft
Sandhamn
Fotografie und (Auto-)Biografie bei Acke
5.3. Eugène Jansson und Fotografie
Das Badehaus in Fotografie und Malerei
Fotografie und (Auto-)Biografie bei Jansson
5.4. J.F. Willumsen und Fotografie
Fotografie und Erleben
Badende Jungen in Amalfi
Fotografie und Tourismus
Fotografie und Remedialisierung
5.5. Edvard Munch und Fotografie
Fotografie und (Selbst-)Porträts
Dokumentation oder Fiktion?
Selbstporträts in Innenräumen
Munch und Marat
Fotografie und Badende
Der Künstler als Badender
5.6. Abschluss: Autobiografische Prozesse
6. Literaturverzeichnis
Archive
Zeitungen und Zeitschriften
Sonstige Quellen und Forschungsliteratur
7. Abbildungsverzeichnis
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Badende Männer: Der nackte männliche Körper in der skandinavischen Malerei und Fotografie des frühen 20. Jahrhunderts [1. Aufl.]
 9783839420935

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Lill-Ann Körber Badende Männer

Image | Band 38

Lill-Ann Körber (Dr. phil.) lehrt und forscht am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin.

Lill-Ann Körber

Badende Männer Der nackte männliche Körper in der skandinavischen Malerei und Fotografie des frühen 20. Jahrhunderts

Als Dissertation angenommen an der Philosophischen Fakultät II der Humboldt-Universität zu Berlin im Februar 2010. Gedruckt mit Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein, der Johanna und Fritz Buch Gedächtnisstiftung und des Nordeuropa-Instituts der HumboldtUniversität zu Berlin.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Edvard Munch mit Pinsel und Palette am Strand von Warnemünde, 1907. Munch-Museum Oslo. © Munch-Museum Oslo 2012. Lektorat & Satz: Philipp Bailleu und Lill-Ann Körber Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2093-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Dankeschön | 9 1.

Einleitung | 13

Zugänge und theoretisch-methodische Annäherungen | 16 Material und Vorgehensweise | 19 Akt und Geschlecht | 25 Körperkult und Vitalismus | 31 Baden und Badende | 36 Kategorien kultureller Differenzierungen | 40 2.

Gesundheit, Krankheit und badende Männer: Edvard Munch | 45

2.1. Akte, Badende und der Körper des Künstlers | 45 Åsgårdstrand 1904: Badende junge Männer | 49 Gesundheit, Krankheit und Baden 1904-07 | 57 Warnemünde 1907: Badende Männer | 60 Zensur: Badende Männer in Hamburg | 63 2.2. Inszenierungen von Gesundheit und Lebenskraft | 65 Badende Männer in Kristiania 1910 | 65 Badende Männer als Lebensalter-Triptychon | 67 2.3. Gesundheit und Krankheit in der Munchrezeption | 73 Badende Männer: Lebenskraft und Manneskraft | 78 2.4. Badende und der männliche Akt bei Munch | 84 Akt oder nackt: Alter und Sexualität | 84 Badende zwischen Antike und Hygiene | 91 Akt und Vitalismus bei Munch | 93 3.

Homoerotik und männliche Badende: Eugène Jansson | 97

3.1. Männliche Akte und der »Bruch« in der Biografie | 97 Janssons Badende: Inszenierung des Blicks | 97 Bruch, Krise, Neuanfang | 100

Die zerstörten Badenden Jungen | 103 Erschöpfung und Lebenskraft | 105 3.2. Zeitgenössische Rezeption | 109 Akt und Nacktheit: Uppsala 1907 | 110 Exzentrizität und männlicher Akt: Göteborg 1911 | 113 Eine Ausstellung als Schwimmhalle: Stockholm 1912 | 117 Soldatische Männlichkeit: Retrospektive 1918 | 123 3.3. Gesunde und kranke Körper | 127 Krankheit und Disziplinierung | 127 Gesundheit und Freiluftkultur | 133 Krankheit, Exzess und Homosexualität | 135 3.4. Kulturkampf um Janssons Sexualität 1997/98 | 139 ›Schwuler‹ Blick im Fernsehen | 140 Pro und Contra in der Presse | 143 3.5. Sexualität und Kunstgeschichtsschreibung | 148 Beweis und Gegenbeweis | 148 Der nackte Jüngling in der Tür | 151 Selbstporträt: Dandy oder Engel? | 153 3.6. Heteronormativität und der männliche Akt | 159 Ehe und Familie | 159 Entsexualisierung und Misogynie | 162 Männlichkeit und Kunstgeschichtsschreibung | 164 4.

Naturburschen: Badende bei J.A.G. Acke | 167

4.1. Männlicher und weiblicher Akt im Waldtempel | 167 4.2. Badende im Tageslicht | 169 4.3. Leben in den Schären – »natürliche Nacktheit« | 171 Einheit von Künstler, Kunst und Natur | 171 Acke als Naturbursche | 173 Drei Männer auf einer Klippe | 178 Natürlichkeit und Naturalisierung | 181

4.4. Gesunder Künstler – gesunde Bilder? | 183 4.5. Klasse und Geschlecht: männliche und weibliche Modelle | 186 Künstler und Modell: Freundschaft und Ehrbarkeit | 186 Sexismus und Heteronormativität | 191 4.6. Alter und (A-)Sexualität: italienische Knaben und erwachsene Skandinavier | 194 Unschuld und Kindlichkeit | 194 Der italienische Knabe als frische Brise und Durchbruch | 196 (Haut-) Farbe | 199 4.7. Exkurs: Italienische Knaben, dänische Strände und nordische Körper bei J.F. Willumsen | 201 Italien, Körper und Kunst | 201 Haut und Haar | 204 Badende und Wilde | 206 Akt und Allegorie: nordische Körper | 208 4.8. Nordische Körper? | 211 5.

Die nackte Wahrheit? Fotografie und männliche Badende | 219

5.1. Künstler als Knipser – badende Männer und Intermedialität | 222 5.2. J.A.G. Acke und Fotografie | 224 Meereslauscher | 225 Östrasalt | 228 Morgenluft | 232 Sandhamn | 234 Fotografie und (Auto-)Biografie bei Acke | 237 5.3. Eugène Jansson und Fotografie | 241 Das Badehaus in Fotografie und Malerei | 242 Fotografie und (Auto-)Biografie bei Jansson | 246 5.4. J.F. Willumsen und Fotografie | 250 Fotografie und Erleben | 252 Badende Jungen in Amalfi | 253

Fotografie und Tourismus | 256 Fotografie und Remedialisierung | 261 5.5. Edvard Munch und Fotografie | 265 Fotografie und (Selbst-)Porträts | 268 Dokumentation oder Fiktion? | 273 Selbstporträts in Innenräumen | 276 Munch und Marat | 279 Fotografie und Badende | 286 Der Künstler als Badender | 292 5.6. Abschluss: Autobiografische Prozesse | 298 6.

Literaturverzeichnis | 307

Archive | 307 Zeitungen und Zeitschriften | 307 Sonstige Quellen und Forschungsliteratur | 309 7.

Abbildungsverzeichnis | 325

Dankeschön

An Stefanie von Schnurbein, Betreuerin, Chefin, Mentorin und so vieles mehr. Für deine Brillanz, Geduld, Großzügigkeit, Gründlichkeit, Offenheit, dein Vertrauen, deine Ideen und deinen guten Rat, deine Unterstützung in allen Lebenslagen. Mir hätte nichts Besseres passieren können. An Antje Wischmann für das engagierte Zweitgutachten und die äußerst angenehme Zusammenarbeit in allen möglichen Kontexten. An die Kolleginnen und Kollegen und Gäste am Nordeuropa-Institut, die über die letzten Jahre kamen, gingen und da sind, für (sehr viel) Freud und (wenig) Leid und für wohltuenden Rückhalt: Katharina Bock, Florian Brandenburg, Jan Brockmann, Charlotta Brylla, Mette Buchardt, Marzena DĊbska-Buddenhagen, Izabela Dahl, Kjetil Duvold, Jana Eder, Aris Fioretos, Olaf Haagesen, Jan Hecker-Stampehl, Bernd Henningsen, Karina Henschel, Helge Høibraaten, Kjetil Jakobsen, Ella Johansson, Christina Just, Monika Krisp, Matthias LangheiterTutschek, Katarina Löbel, Tomas Milosch, Richard Mole, Ute Mousa, Heike Peetz, Clemens Räthel, Christian Rebhan, Lena Rohrbach, Stephan Michael Schröder, Juli Szymetzko, Ebbe Volquardsen, Kirsten Wechsel, Ebba WittBrattström und Reinhold Wulff. Ihr alle habt auf die eine oder andere Weise – in Form von Gutachten, Diskussionen, informellem Austausch, praktischer Unterstützung, Da- und Beisammensein – zum Gelingen dieses Projekts beigetragen, das ja Teil eines größeren Ganzen ist. Danke, Tomas, für deine immer offene Tür. Danke für euren Scharfsinn, Humor und euer Interesse auch für allerlei Nicht-Wissenschaftliches, Christina, Clemens, Ebbe und Florian. Danke für Besuche im Büro und ermutigende Umarmungen zwischendurch. Danke Kati, für eine neben Schreibwahn, Abgabefristen und Disputationen sehr vergnügliche Zeit. An die Kolleginnen und Kollegen in Skandinavien, die über die Jahre mein Interesse rund um nackte Männer geteilt haben. Pål Bjørby für eine allererste Exposé-Konsultation in einer Kopenhagener Kneipe und für ein nie nachlassen-

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des Interesse an meinem Projekt und Fortkommen. Signe Endresen und Patrik Steorn für die produktive und nette Zusammenarbeit im Netzwerk Akt und Nacktheit in Skandinavien um 1900. Patricia G. Berman, Alison Chang, Lasse Jacobsen, Karen Lerheim, Erik Mørstad, Hilde M. Rognerud, Gerd Woll und Ingebjørg Ydstie für wissenschaftliche Aktivitäten, Reisen und Austausch rund um Munch und das Munch-Museum in Oslo: für Unterstützung in Bibliothek, Archiv und mit Bildmaterial, für Symposien in Oslo und New York und für alles um die Ausstellung Livskraft zu Munch, Badenden und Vitalismus. Getrude Hvidberg-Hansen und Gertrude Oelsner für Spirit of Vitalism. Anne Birgitte Rønning für die Gender and Value in Art and Aesthetics-Konferenz. Christine Hamm für eine Einladung an die Universität Bergen. Ann-Sofie Ohlander für das Forschungsprojekt Kulturelle Differenzierungen von Gesundheit und Krankheit und die Einladung nach Örebro. Die Linné-Universität in Växjö für die Konferenz Bodies–Arts–Crossroads und die Universität Agder für The Gendered Body. Aesthetics and Experience. Dag Heede für den Austausch guter Geschichten. An Claes Moser für Informationen und Material über J.A.G. Acke. An Lisbeth Lund und Camilla Eva M. Autzen vom J.F. Willumsen-Museum in Frederikssund. An die Liljevalchs Konsthall, das Stockholmer Nationalmuseum, die Kungliga biblioteket und die Universitätsbibliothek in Lund für die reibungslose Archivarbeit. An Rune Gade für die Debatte über Willumsens Fotografie. An Sami Supply, Restaurator am Ateneum in Helsinki, der Sandspuren auf Munchs Badende Männer entdeckte. An alle Beteiligten an der Georg Brandes Skole, einer leider nicht mehr existierenden Graduiertenschule für Skandinavistik an der Universität Kopenhagen: Für zwei sehr produktive Schreib-Aufenthalte, viele tolle Seminare, viele Kopenhagen-Reisen zu Beirats- und Vorstandssitzungen, das ǽInternatǼ am Lago Maggiore, unzählige schöne Essen, Begegnungen und nicht zuletzt ein stabiles Netzwerk und Freundschaften. Danke für damals und heute an Birgitte Anderberg, Annette Doll, Mads Julius Elf, Maja Mons Bissenbakker Fredriksen, Rasmus Øhlenschlæger Madsen, Klaus Müller-Wille, Jakob Stougaard-Nielsen, Erik Svendsen, Jacob Wamberg, Katarina Yngborn, Louise Zeuthen, Nikolaj Zeuthen und allen voran an Pil Dahlerup, Torben Jelsbak und Lasse Horne Kjældgaard. An das Svenska Institutet für die Förderung zweier Forschungsaufenthalte in Stockholm zur Vorbereitung und Durchführung meines Vorhabens. An SWEA (Swedish Women’s Educational Association International) für den Preis für Forschung über schwedische Sprache, Gesellschaft und Literatur 2006. An die Rosa Luxemburg Stiftung für die großzügige Förderung meines Studiums und meiner Promotion.

D ANKSAGUNG

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An die Skandinavistik-Kolleginnen und -Kollegen im In- und Ausland, die sich für die badenden Männer, aber auch für neuere Projekte, interessiert haben und interessieren. Es ist immer wieder eine große Freude, Teil dieser community zu sein. An die Mitglieder meiner Promotionskommission für wohlwollende Professionalität. An die Philosophische Fakultät II für das angenehme Arbeitsklima. An Merle Ziegler für die bildrechtliche Beratung. An Philipp Bailleu für entscheidende Handgriffe bei der Manuskripterstellung. An meine immer wieder wunderbaren Studierenden für ihre Neugier. An alle Freundinnen und Freunde, ohne die das Leben weniger reich, weniger bunt, schlicht weniger lebenswert wäre. Habt Dank für alle Gespräche, allen Spaß, alle Abenteuer, alles Verständnis, alle Zuneigung: Anna Dyrko, Julia Faisst, Anke Küsel, Kerstin Poehls, Merle Ziegler und bereits Genannte aus nah und fern. Danke, Henning Ziegler, für die Jahre mit dir. Danke auch an alle anderen, die ich in den vergangenen Jahren in Berlin und auf Reisen kennenlernen oder deren Bekanntschaft ich weiter pflegen durfte und die mein Leben bereichert haben. An meine geliebte Familie für Geborgenheit, unerschütterliches Vertrauen und bedingungslose Liebe: Lill Hailer, die dieses Buch leider nicht mehr in Händen halten durfte, Kersti und Rolf Körber, Nils Körber, Paula, Alex und Anna, Sven Hailer und Diane, alle ǽCalwerǼ und Margit und Jacques Larue. Letztere haben entscheidend dazu beigetragen, dass dieses Buch nun existiert. Wie schön, dass es euch gibt.

1. Einleitung

Im Sommer 1907 malt Edvard Munch (1863-1944) am Strand von Warnemünde sein monumentales Badende Männer (Abb. 1, S. 48). Fotos dokumentieren den Arbeitsprozess und die leicht bis gar nicht bekleideten Körper des Künstlers und seines Modells. Als Munch das Bild im Herbst in Hamburg ausstellen will, wird es wieder abgehängt, der Galerist fürchtet einen Skandal. Im Frühjahr desselben Jahres präsentieren Eugène Jansson (1862-1915) und J.A.G. Acke (1859-1924) auf einer Ausstellung des Studentenvereins Verdandi in Uppsala zum ersten Mal die männlichen Akte, an denen beide seit einiger Zeit arbeiten. Ihnen wird große Aufmerksamkeit zuteil, sind in der schwedischen Malerei doch bis zu diesem Zeitpunkt nur wenige nackte Körper zu sehen, geschweige denn nackte Männer in Lebensgröße. Ackes Östrasalt (Abb. 16, S. 179) mit drei nackten Männern auf einer Klippe hängt also in Uppsala, und Jansson malt in Stockholm das Badehaus der Marine und damit viele weitere badende Männer (Abb. 8, S. 98). In Dänemark arbeitet seit einigen Jahren Jens Ferdinand Willumsen (1863-1958) an einem monumentalen Bild mit badenden Kindern und Jugendlichen (Abb. 19, S. 202). Im Sommer 1907 ist er vermutlich dabei, Skizzen und Fotografien aus dem italienischen Amalfi im Hinblick auf eine in das dänische Skagen verlegte Strandszene zu überarbeiten. In Stockholm wird 1907 der Kunsthandwerker und Unternehmer Nils Santesson wegen homosexueller Handlungen ‹ ‡‹‡ —ˆǦ •‡Š‡ ‡””‡‰‡†‡ ”‘œ‡•• ˜‡”—”–‡‹Ž– und landet im Gefängnis von Långholmen. In Santessons Nachlass wiederum werden Jahre später Fotos von Eugène Jansson aus dem Badehaus der Marine gefunden, die den Künstler nackt zwischen den anderen Badegästen zeigen. Die Bilder stellen fast das einzige biografische Material über den Künstler dar. Der Rest wurde nach seinem Tod von seinem Bruder vernichtet, der ihn vermutlich vor posthumen Verfolgungen schützen wollte – Homosexualität war nach wie vor illegal. In dieser Momentaufnahme aus dem Jahr 1907 manifestiert sich die Komplexität der Situation, in der die Bilder badender Männer einiger skandinavischer

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Künstler am Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, die ich im Folgenden als Knotenpunkte medialer, sozialer und kultureller Praktiken präsentieren und diskutieren werde. Zu den Serien badender Männer, deren Einbettung in ihren historischen, kulturellen und medialen Kontext ich darstellen werde, zähle ich neben der Malerei auch Skizzen und Fotografien. Den Werkgruppen bei Munch, Jansson, Acke und Willumsen ist gemeinsam, dass sie ungefähr im gleichen Zeitraum entstehen, dass sie von den Künstlern und ihren Rezipienten als Bruch in Leben und Werk konzeptualisiert werden, und dass die Fotografie – darunter bei allen Künstlern fotografische Selbstporträts als Badende – im Vergleich mit dem restlichen Werk und dem von Zeitgenossen eine herausragende Rolle spielt. Badeszenen sind in der visuellen Kultur um die Jahrhundertwende 1900 sehr präsent. Abgesehen von Fotografien aus dem Kontext von Sport, Nudismus und Bäder- und Strandkultur sind – um nur einige wenige zu nennen – schon ab den 1870er Jahren Paul Cézanne (1839-1906) und später Pablo Picasso (1881-1973), Max Liebermann (1847-1935) und die Brücke-Maler, besonders Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938), Erich Heckel (1883-1970) und Otto Mueller (1874-1930), sowie in Skandinavien Peder Severin Krøyer (1851-1909) und Anders Zorn (1860-1920) herausragende Vertreter eines über die Jahrhunderte hinweg äußerst beliebten, künstlerisch-stilistische Innovationen stets reflektierenden und der Aktmalerei zuzurechnenden Motivs. Neu und spezifisch für den skandinavischen Kontext am Anfang des 20. Jahrhunderts, wo das Bademotiv chronologisch besonders konzentriert und weit verbreitet ist, sind die Darstellung des Körpers in einem realistischen Modus und der besondere Fokus auf den männlichen Akt und das Erwachsenenalter. Weiterhin entfalten sich in den skandinavischen Ländern die mit den Badenden diskursiv und lebenspraktisch verknüpften Themenkomplexe, von Gesundheit und Sport über Geschlecht, (Homo-) Sexualität und Begehren und der medialen Repräsentation von Körpern bis hin zur Frage nach der Funktion und Verantwortung von Kunst und Künstlerschaft in der Gesellschaft, mit besonders großer Durchschlagskraft. Die visuelle Verbindung von Mensch und Natur, die hier über nackte Badende in einer Landschaft erfolgt, erreicht dabei eine so große Resonanz, dass die Bilder nach wie vor im Rahmen eines nation oder region branding funktionalisiert werden können: Die Figur des Badenden scheint die für Fremd- und Selbstbild gleichermaßen potente Vorstellung eines natürlichen Skandinaviersœ—˜‡”Ú”’‡”.1

1

In Ingeborg Becker (Hg) (2005): ›Schönheit für alle‹ – Jugendstil in Schweden. Berlin: Bröhan-Museum werden Badebilder von J.A.G. Acke und Anders Zorn (18601920) als Beispiele für eine behauptete Naturnähe der Skandinavier herangezogen.

1. E INLEITUNG |

15

Der Ausgangsfrage nach den Bedeutungen malerischer und fotografischer Repräsentationen badender Männer – darunter die Künstler selbst – in den Jahren um 1910 nähere ich mich aus verschiedenen Perspektiven: Was bedeuten die Bilder für die Künstler, für ihr Selbstverständnis, ihre Selbstinszenierung? Was bedeuten sie für die zeitgenössische Rezeption, die sich mit neuen Interpretationen des Aktgenres konfrontiert sieht und sich mit der Verknüpfung von Kunst und aktuellen sozialen Praktiken wie Baden und Sport im Hinblick auf Nacktheit und Körperdarstellung auseinandersetzen muss? Was bedeuten sie für die Rezeption heute, die sich vor dem Hintergrund von Gender und Queer Studies und nach dem proklamierten Tod des Autors oder seiner Wiederauferstehung neu mit dem Körper beschäftigt, ihn als kulturelle Konstruktion entlarvt zu haben meint, aber sich nach wie vor mit einer großen Faszination für biografische Details und insbesondere für körperliche Befindlichkeiten von Künstlern konfrontiert sieht? Was bedeuten sie für die Medien- und Bildwissenschaft und deren Konzeptualisierungen des Verhältnisses zwischen Malerei und Fotografie, wenn die aus beiden Medien bestehenden Werkgruppen oder Serien als multimediale Projekte betrachtet werden, und damit die mit dem Unterschied zwischen den Medien assoziierten Grenzen zwischen privat und öffentlich, Professionalität und Dilettantismus, Akt und Nacktheit ins Wanken geraten? Was bedeutet es für die Wahrnehmung der skandinavischen Kunst, die sich bis heute über Labels wie Nordic Light, also über an bestimmte klimatische und topografische Gegebenheiten geknüpfte Vorstellungen von Reinheit, Natürlichkeit und Authentizität, definiert und vermarkten lässt, wenn sich diese Vorstellungen als Ergebnisse kultureller Differenzierungsprozesse darstellen lassen?2

Zum Versuch eines nation branding über die Aktmalerei siehe Lill-Ann Körber (2006): »Tillbaka till naturen? Nakna kvinnliga och manliga kroppar i svenska och norska badbilder kring sekelskiftet 1900«, Valör 2/3, S. 42-59. 2

Ein zentraler Ort für die gleichzeitige Beschreibung des Phänomens und die Etablierung des Konzepts von Nordic oder Northern Light war die gleichnamige von Kirk Varnedoe kuratierte Ausstellung in New York Anfang der 80er Jahre, die erheblichen Anteil an der internationalen Wahrnehmung skandinavischer Kunst und vor allem Landschaftsmalerei hatte: Kirk Varnedoe: Northern Light. Realism and Symbolism in Scandinavian Painting, 1880-1910. New York: Brooklyn Museum, 1982. Schon um die Jahrhundertwende 1900 bediente sich der schwedische Schriftsteller Ola Hansson im Hinblick auf ein nation branding der Landschaft und Landschaftsmalerei und beförderte damit die Popularität des Kulturstandorts Norden maßgeblich. Vgl. Cecilia Lengefeld: Der Maler des glücklichen Heims. Zur Rezeption Carl Larssons im wilhelminischen Deutschland. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, 1993. Für die

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Meine Untersuchung bewegt sich von der Ebene des Dargestellten, also der Frage nach Motiv und Genre, über die Ebene der Darstellung in Form von Aspekten der Medialisierung und Ästhetisierung von Körpern über die Bilder hinaus, berücksichtigt dabei Körper- und Mediendiskurse und umfasst auf einer übergreifenden Ebene auch Fragen nach Konzeptualisierungen von Kunst und Künstlerschaft. Eine zentrale Frage, die ich an die Bilder richte, bezieht sich auf ihre Funktion in den Narrativen, die von Zeitgenossen und bis heute von Leben und Werk der Künstler entworfen werden. Mit erzählerischen, anekdotischen Strukturen beschäftige ich mich sowohl in Bezug auf Darstellungen von Leben und Werk, die in meinem Untersuchungszeitraum ein zentrales Genre von Kunstgeschichtsschreibung und Kunstkritik ausmachen, als auch im Hinblick auf die Badebilder, die ich als multimediale autobiografische Projekte interpretieren möchte. Meines Erachtens können hier Prozesse der Inszenierung, Fiktionalisierung und Medialisierung von Biografie und Autobiografie beobachtet werden. Mich interessiert, inwiefern in diesen Prozessen Vorstellungen von Männlichkeit und Künstlerschaft verhandelt werden und inwiefern dem Körper allgemein und dem Körper des Künstlers im Besonderen eine zentrale Rolle zugeschrieben wird. Wie werden dabei das Motiv der Badenden und das Genre des Akts aktualisiert und funktionalisiert? Welche Differenzierungskategorien kommen zum Tragen? Welche Rolle spielt die Medialität von Malerei und Fotografie für die Verhandlung des Verhältnisses von Körper und Kunst? Zugänge und theoretisch-methodische Annäherungen Als Repräsentationen des Badens und nackter Körper sind die Bilder zentral in einem Kontext zu verorten, in dem zu Anfang des 20. Jahrhunderts Gesundheit und Krankheit, Natürlichkeit und Artifizialität sowie Sexualität, Geschlecht, Hautfarbe, Alter, Beruf und Klasse neu verhandelt werden. Im Zusammenhang mit den von mir untersuchten Bildern und Künstlern lässt sich beobachten, wie der Körper auch im Kunstdiskurs eine neue Bedeutung erhält und wie darüber

Konstruktion nationaler und regionaler Identität über Landschaftsmalerei in Bezug auf Nordeuropa siehe auch Karin Alexis (1997): »Culture and Identity: Regionalism and Nationalism in Late Nineteenth- and Early Twentieth-Century Swedish Painting«, in: Berit I. Brown (Hg.): Nordic Experiences: Exploration of Scandinavian Cultures. Westport, CO; London: Greenwood Press, S. 235-259 sowie Michelle Facos (1998): Nationalism and the Nordic Imagination. Swedish Art of the 1890s. Berkeley; Los Angeles; London: University of California Press.

1. E INLEITUNG |

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eine Verknüpfung von Künstlerschaft und Männlichkeit aktualisiert wird.3 Die körperliche Bedingtheit des künstlerischen Schaffensprozesses scheint Künstler und Rezipienten gleichermaßen zu interessieren. Aspekte von Sexualität und Begehren, Gesundheit, Krankheit und Fitness werden in Bezug sowohl auf die dargestellten Körper als auch auf die Körper der Künstler in den Blick genommen und diskutiert, wobei oft eine Identifikation zwischen beiden beobachtet werden kann. Meines Erachtens wird über eine neue Assoziierung von Künstlerschaft und Kreativität mit körperlicher Gesundheit das Bedeutungsspektrum für intellektuelle Männlichkeit erweitert. In einer Wechselwirkung zwischen Kunstund Körperdiskursen und -praktiken der Zeit, die sich in einer Aktualisierung des Aktgenres äußert, werden dem männlichen Körper neue Bedeutungen zugeschrieben und wird er neu in den Kunstdiskurs integriert. Wenn am Anfang des 20. Jahrhunderts das Aktgenre eine Aktualisierung erfährt, besteht ein zentraler Aspekt in einer Evaluierung der traditionellen Gegenüberstellung von Akt und Nacktheit. Im Zusammenhang mit den Zensurfällen fordert die zeitgenössische Rezeption eine Maskierung, Transzendierung von Nacktheit durch die Kunst ein. Auf Grund ihrer spezifischen Referentialität, ihres als unmittelbar wahrgenommenen Realitätsbezugs, wird der Aktfotografie in noch höherem Maß das Vermögen abgesprochen, den nackten Körper in Kunst überführen zu können. Der bis ins 20. Jahrhundert hinein umstrittene Kunststatus der Fotografie sowie die Vorstellung ihrer indexikalischen Qualität spiegeln sich in der Rezeption der von mir untersuchten Bilder bis heute, wenn die Fotografien der Künstler in wissenschaftlichen oder populären Texten lediglich als Vorlagen im Arbeitsprozess oder als Dokumentation von Leben und Werk Berücksich-

3

Auf die diskursive und institutionalisierte Verbindung von Künstlerschaft, Geniekult und Männlichkeit hat die feministische Kunstwissenschaft seit den 1970er Jahren hingewiesen. Vgl. der grundlegende Essay von Linda Nochlin (1971): »Why have there been no great women artists?«, ARTnews 70:1, S. 22-39 und S. 67-71 sowie Irit Rogoff (1988): »Er selbst – Konfigurationen von Männlichkeit und Autorität in der deutschen Moderne«, in: Ines Lindner u.a. (Hg.): Blickwechsel. Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit in Kunst und Kunstgeschichte. Berlin: Reimer, S. 21-40, Lisa Tickner (1992): »Men’s Work? Masculinity and Modernism«, Differences 4:3, S. 133, Sigrid Schade, Silke Wenk (1995): »Inszenierungen des Sehens: Kunst, Geschichte und Geschlechterdifferenz«, in: Hadumod Bußmann, Renate Hof (Hg.): Genus. Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften. Stuttgart: Kröner, S. 340-407 und Beate Söntgen (1996): »Den Rahmen wechseln. Von der Kunstgeschichte zur feministischen Kulturwissenschaft«, in: Beate Söntgen (Hg.): Rahmenwechsel: Kunstgeschichte als feministische Kulturwissenschaft. Berlin, S. 7-23.

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tigung finden. Eine Neubewertung der Fotografie im Werk der Künstler, wie ich sie im Hinblick auf ihr Zusammenwirken mit der Malerei in biografischen und autobiografischen Projekten vornehme, führt zu einer neuen Untersuchung von Referentialität. Ich beobachte die Zusammenführung von Malerei und Fotografie in Narrativen über Leben und Werk der Künstler unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen spezifischen Medialität. Ich konzeptualisiere Malerei und Fotografie nicht als »fiction and nonfiction«,4 Akt und Nacktheit nicht als artifiziell versus authentisch, sondern untersuche mit diesen Paarungen unterschiedliche Modi der Repräsentation von Körpern und damit verknüpfte Fragen nach Authentizität. Authentizität verstehe ich dabei als Effekt der Repräsentation, nicht als der Repräsentation zu Grunde liegendes Wirklichkeitsprinzip. Eine Authentizitätserzeugung durch die Verschränkung verschiedener Medien erscheint in dem von mir beschriebenen Kontext als zentrale Strategie der Narrativisierung von Leben und Werk. Ich möchte das Verhältnis von Malerei und Biografie im Sinn einer Fiktionalisierung der letzteren und damit im Hinblick auf eine Inszenierung von Künstlerschaft neu bewerten. Mein Interesse an Biografie richtet sich also nicht auf die Überprüfung einer Kongruenz von Fakt und Fiktion, sondern auf Prozesse der Ästhetisierung, Medialisierung und damit auch Fiktionalisierung. Biografie erscheint in diesem Zusammenhang als Erzählung, als Text, der zu anderen Texten und Bildern in einem intertextuellen Verhältnis steht. Gleichzeitig mit dem ontologischen Status von Biografie und Fotografie möchte ich schließlich auch die Dichotomisierung von Realität und Inszenierung zur Debatte stellen: An Hand meiner Beispiele kann ich zeigen, wie über visuelle und schriftliche Erzählungen Biografien erst produziert und als solche lesbar werden. Mein Anliegen entspricht dem von der US-amerikanischen Kunsthistorikerin Abigail Solomon-Godeau konstatierten Bedarf an »more histories of the bodyin-representation«, deren Komplexität man nur durch eine multiperspektivische Untersuchung gerecht werden könne.5 Meine Vorgehensweise lässt sich als von Diskursanalyse inspirierte Motivforschung beschreiben, die ästhetische mit medien- und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen verbindet. Ich sehe die Bilder als visuelle in einem Geflecht von anderen sprachlichen und visuellen Äußerungen und betrachte den Prozess ihrer Entstehung als kulturelle und soziale Praxis: Wenn ich die Bilder – Malerei und Fotografie – analysiere und mit den

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Timothy Dow Adams (2000): Light Writing & Life Writing. Photography in Autobiography. Chapel Hill, London: University of North Carolina Press, S. 21.

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Abigail Solomon-Godeau (1997): Male Trouble. A Crisis in Representation. London: Thames&Hudson, S. 14.

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Künstlerbiografien, der Rezeptionsgeschichte und zeitgenössischen kulturellen und sozialen Strömungen kontextualisiere, stellt sich folglich das Verhältnis zwischen Text und Kontext nicht als dichotomisches und nicht im Sinn einer einseitigen Einflussnahme dar, sondern als Verflechtung, über die Bedeutungen für Körper, Künstlerschaft und die beteiligten Medien verhandelt und generiert werden. Über Motivanalyse und Rezeptionsforschung hinaus sehe ich die Arbeit als Beitrag zu einer Kulturgeschichte der Nacktheit, zur Geschichte und Theorie der Fotografie in ihrem Verhältnis zur Malerei, zu einer kunstwissenschaftlichen Diskussion über den Akt als Repräsentation des nackten Körpers sowie zu einer »Genderforschung als Bildwissenschaft«, die laut Katharina Sykora ein »wichtiges Instrumentarium« darstellt, »um eine heute wie vor hundert Jahren äußerst virulente Frage jeweils neu zu beantworten, nämlich diejenige nach Konstitution und Dekonstruktion von Autorschaft in den visuellen Künsten, die immer geschlechtlich kodiert ist«.6 Material und Vorgehensweise Mein Material besteht zuallererst aus Gemälden und Fotografien der vier Künstler, denen mit Ausnahme von J.F. Willumsen je ein Kapitel gewidmet ist. Edvard Munch, Eugène Jansson und J.A.G. Acke stechen unter den Malern von Badenden hervor, weil sie erwachsene Männer in den Blick nehmen, ein Umstand, auf den mein zentrales Erkenntnisinteresse gerichtet ist. Willumsen malt badende Kinder und Jugendliche, allerdings ist er auf der Ebene von Arbeitsprozessen, kulturellen Kategorisierungen und Medientransfers zwischen Fotografie und Malerei mit den anderen vergleichbar, wie in einem Exkurs in Kapitel 4 sowie in Kapitel 5, Die nackte Wahrheit?, erörtert werden wird. Die Bilder interpretiere ich vorranging innerhalb eines Geflechts von Texten, die vor allem von den Künstlern selbst und ihren Rezipienten stammen und durch Ansätze aus der mit Ausnahme von Munch im Umfang begrenzten Forschungsliteratur sowie der internationalen Theoriebildung mit Fokus auf Körper, Geschlecht und Mediengeschichte ergänzt werden. Mein Erkenntnisinteresse ist aus übergreifenden Reflexionen über Kunst, Geschlecht, Körper und Repräsentation gespeist; hingegen werden Fragestellungen, Thesen und Schlussfolgerungen aus dem Quellenmaterial entwickelt. Mit der Auswahl der Künstler erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Repräsentativität. In Skandinavien – und selbstverständlich anderswo – haben sich noch viele andere Künstler und wenige Künstlerinnen im gleichen

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Katharina Sykora (2001): »Verlorene Form – Sprung im Bild. Gender Studies als Bildwissenschaft«, kritische berichte 29:4, S. 13-19, hier: S. 16.

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Zeitraum mit Badenden beschäftigt, die ich hier nicht berücksichtigen, aber wenigstens einige wenige nennen kann. Aus Schweden stammt Anders Zorn mit seiner umfangreichen Serie üppiger weiblicher Badender in schwedischen Landschaften. Der Däne Oscar Matthiesen (1861-1957) malte 1906 das kuriose monumentale Bild Schonische Dragoner reiten zu Bade, das im Ystader Militärmuseum aufbewahrt wird, nackte lebensgroße Kavalleristen auf ihren Pferden am Strand. Astri Welhaven-Heiberg (1881-1967) platziert beinahe als einzige Frau weibliche Badende in der Landschaft. Schon vor der Jahrhundertwende malte der Impressionist Peder Severin Krøyer badende Jungen am Strand des norddänischen Skagen. Für Finnland ist Verner Thomé (1878-1953) als ein etwas späterer wichtiger Vertreter des Bademotivs zu nennen; von ihm stammen weibliche Akte am Meer und nackte Kinder am Strand. Hervorzuheben wären außerdem folgende Vertreter des Akts in Malerei und Skulptur, die sich in Bezug auf Themen, künstlerischem Anliegen und Modi der Körperdarstellung mit den hier beschriebenen Bildern und Kontexten überschneiden: Gustav Vigeland (1869-1943) mit massenhafter gewaltiger Nacktheit in Bronze und Stein v.a. im von ihm gestalteten und nach ihm benannten Skulpturenpark in Oslo; Thorvald Erichsen (1868-1939) in Norwegen mit rätselhaften männlichen Akten in undefinierbaren Innenräumen; in Finnland Magnus Enckell (1870-1925) mit männlichen Akten zwischen Mythologie und Realismus und Gunnar Sadolin (1874-1955) als Hauptfigur der selbst ernannten ǹGriechen von RefsnæsǸ, die mit mäßigem Erfolg im kühlen Dänemark einen antikisierendmediterranen Lebensstil zu pflegen versuchten. Einen Überblick bieten zwei Katalogbücher und eine Dissertation: Auf Norwegisch Lebenskraft. Der Vitalismus als künstlerischer Impuls 1900-1930, ein Munchs Badende Männer kontextualisierender Ausstellungskatalog von 2006; für die visuelle Kultur Schwedens Patrik Steorns Nackte Männer und für Dänemark der umfangreiche interdisziplinäre Sammelband Lebenslust. Gesundheit – Schönheit – Stärke in dänischer Kunst 1890-1940, der eine Ausstellung 2008 begleitete.7

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Ingebjørg Ydstie (2006): Livskraft. Vitalismen som kunstnerisk impuls 1900-1930. Oslo: Labyrinth Press; Patrik Steorn (2006): Nakna män. Maskulinitet och kreativitet i svensk bildkultur 1900-1915. Stockholm: Norstedts akademiska förlag; und Gertrud Hvidberg-Hansen, Gertrud Oelsner (Hg.) (2008): Livslyst. Sundhed – Skønhed – Styrke i dansk kunst 1890-1940. Fuglsang, Odense: Fuglsang Kunstmuseum&Odense Bys Museer, auf Englisch: The Spirit of Vitalism. Health, Beauty and Strength in Danish Art, 1890-1940. Kopenhagen: Museum Tusculanum Press 2011.

1. E INLEITUNG |

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Munch, Jansson, Acke und Willumsen werden immer wieder als Protagonisten der Strömung genannt.8 Außer ihrer herausragenden Stellung im Kontext, die auch mit der Größe und Bedeutung ihrer entsprechenden Werkgruppen begründet werden kann, waren deren Komplexität und Multimedialität, bei allen wiederkehrende Themenkomplexe, die Reflexion zeitgenössischer Badepraktiken sowie die den Künstlern gemeinsame über die Bilder funktionierende Verschränkung von Leben und Werk Ausschlag gebend für meine Auswahl. Im Vergleich zu Munch sind die anderen Künstler wenig und vor allen Dingen nicht international erforscht. Mit Ausnahme zweier großer Retrospektiven von Jansson und Willumsen im Pariser Musée d’Orsay 1999 bzw. 2006 sind Jansson, Acke und Willumsen selten im Ausland zu sehen gewesen und werden hauptsächlich vom Publikum und der Kunstwissenschaft im eigenen Land zur Kenntnis genommen.9 Abgesehen von wenigen Katalogen liegt nur begrenzt Forschungsliteratur auf Englisch, Deutsch oder anderen nicht-skandinavischen Sprachen vor.10 Munchs Malerei ist über unzählige internationale Ausstellungen und Publikationen und seit 2008 über einen vierbändigen Gesamtkatalog zugänglich.11 Willumsens Malerei ist vom ihm gewidmeten Museum und der dänischen Kunstgeschichte gut aufgearbeitet. Für Jansson hat sich in den letzten un-

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Das gilt für Gunnar Sørensens »Vitalismens år?« von 1981 (Cras S. 26-42), der als Gründungstext der Vitalismusforschung in Skandinavien gelten kann, genauso wie für den dänischen Literaturwissenschaftler Sven Halse, auf dessen grundlegenden Aufsatz »Vitalisme – fænomen og begreb« (Kritik 37:171, S. 1-7) sich die aktuelle Forschung immer wieder bezieht.

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Eugène Jansson (1862-1915). Nocturnes suédois (Ausst. Kat.). Paris: Musée d’Orsay 1999; Willumsen 1863-1958, un artiste danois: du symbolisme à l’expressionisme. Paris: Musée d’Orsay 2006.

10 z.B. Anne Schulten (2009): Eros des Nordens: Rezeption und Vermittlung skandinavischer Kunst im Kontext der Zeitschrift Pan, 1895-1900. Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang, v.a. S. 144-48; Niels Kayser Nielsen (2005): »Painting the New Body: Four Nordic Artists 1900-1914«, in: Ders.: Body, Sport and Society in Norden. Essays in Cultural History. Aarhus: Aarhus University Press, S. 64-82. Kayser Nielsens Buch trägt Janssons Bild Badehaus der Marine von 1907 auf dem Cover. Außer den genannten Katalogen aus Paris liegt in englischer Übersetzung vor: Leila Krogh (1995): Fiction & reality. J.F. Willumsens photographs. Frederikssund: J.F. Willumsens Museum. 11 Gerd Woll (Hg.) (2008): Edvard Munch: samlede malerier. Catalogue raisonné. 4 Bde. Oslo: Cappelen Damm. Englische Ausgabe: Gerd Woll (Hg.) (2009): Edvard Munch: complete paintings. Catalogue raisonné. 4 Bde. London: Thames&Hudson.

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gefähr zehn Jahren ein reges Interesse von Öffentlichkeit und Forschung entwickelt. Seine Bilder hängen in den Museen Thielska Galleriet und Prins Eugens Waldemarsudde in Stockholm. Im Zusammenhang mit Retrospektiven 1998 in der Kunsthalle Liljevalchs und 2012 in Prins Eugens Waldemarsudde wurden zwei umfangreiche Kataloge und eine Monografie herausgegeben, die das gesamte malerische Werk abbilden.12 Zur Popularität Janssons trägt auch sein Status als Schwulenikone bei, der dazu führt, dass seine Bilder auch außerhalb des Kunstkontexts rezipiert und veröffentlicht werden.13 Ackes Bilder sind am schlechtesten zugänglich. Sie hängen zwar im Göteborger Kunstmuseum und sind in der Sammlung des Stockholmer Galeristen und Sammlers Claes Moser repräsentiert, die früher in Vaxholm und Ljusterö in den Stockholmer Schären, jetzt in Önningeby auf Åland gezeigt wird, sind aber nur selten, wenn überhaupt je abgedruckt worden. Außer einem Gedenkband von 1960 und zwei Ausstellungskatalogen von 1979 und 1991, beide aus Prins Eugens Waldemarsudde, gibt es kaum Publikationen, die sich zentral mit Acke beschäftigen.14 Auch in Bezug auf Vorgehensweise und Struktur der Arbeit orientiere ich mich am Material. So ist im Vergleich mit der geringen Aufmerksamkeit für Ackes Bilder in der heutigen Forschung und Kritik die gegenwärtige Rezeption Janssons so umfangreich und interessant im Hinblick auf meine Fragestellungen, dass sie eine ausführliche Darstellung und Analyse lohnte.

12 Inga Zachau (1997): Eugène Jansson. Den blå stadens målare. Lund: Signum, Lollo Fogelström, Erika Holm & Folke Lalander (Hg.) (1998): Eugène Jansson 1862-1915. Stockholm: Liljevalchs konsthall sowie Göran Söderlund, Patrik Steorn & Anna Meister (2012): Eugène Jansson. Blå skymning och nakna atleter. Stockholm: Carlsson Bokförlag/Prins Eugens Waldemarsudde. 13 Ein wichtiger Text über Jansson stammt aus einem Sammelband über die Geschichte der Stockholmer Schwulenszene: Göran Söderström (Hg.): Sympatiens hemlighetsfulla makt. Stockholms homosexuella 1860-1960. Stockholm: Stockholmia, S. 210-45. Siehe auch Erik Andersson (1994): »En homosexuell succession«, Ord&Bild 6, S. 100-103. 14 Henning Hammargren (Hg.) (1960): J.A.G. Acke. En minnesskrift. Stockholm: Gebers; J.A.G. Acke 1859-1924 (o.Hg.). Stockholm: Prins Eugens Waldemarsudde 1979; J.A.G. Acke (o.Hg.). Stockholm: Prins Eugens Waldemarsudde 1991. Außerdem: Jonas Gavel (1985): »Om J. Axel G. Ackes målning I skogstemplet frå 1900«, in: Margaretha Rossholm Lagerlöf, Birgitta Sandström (Hg.): Studier i konstvetenskap tillägnade Brita Linde. Stockholms universitet: Institutionen för konstvetenskap, S.82-94.

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Die Fotografie der Künstler wird erst in letzter Zeit von der Forschung und in Ausstellungen mit berücksichtigt und dient dort meist zur biografischen Rahmung der Malerei. Nur bei Munch, dessen Fotografien ein künstlerischer Wert zugeschrieben wird, hat sich die Forschung den Fotos im Hinblick auf ästhetische Fragestellungen gewidmet und nicht nur, wie bei den anderen Künstlern der Fall, zum Zweck des Aufschlusses über deren Privatleben und Arbeitsprozesse.15 Die Fotos sind zum Teil von den Künstlern selbst aufgenommen, zum Teil von anderen, zum Teil sind Fotograf oder Fotografin nicht feststellbar. Munch ist wiederum der einzige, dessen Status als Fotograf im künstlerisch-professionellen Sinn überhaupt zur Debatte steht; die Aufnahmen der anderen werden als Amateur- oder Knipserfotos behandelt.16 Von Einzeldarstellungen abgesehen ist der bildende Künstler als Amateurfotograf bisher sehr selten in den Blick von Forschung und Ausstellungspraxis genommen worden.17 Die Funktion von Fotogra-

15 Zu Munch und Fotografie zuletzt: Angela Lampe, Clément Chéroux (Hg.) (2012): Edvard Munch. Der moderne Blick. Ostfildern: Hatje Cantz. Außerdem: Arne Eggum (1987): Munch og fotografi. Oslo: Gyldendal; Arne Eggum (1988): »Edvard Munchs fotografier«, in: Arne Eggum, Bodil Stenseth (Hg.): Skandinavisk kunst og fotografi. Oslo: Labyrinth Press, S. 115-37; Dorothy Kosinski (1999): »Edvard Munch and Photography«, in: Dies. (Hg.): The Artist and the Camera. Degas to Picasso. New Haven, London: Yale University Press, S. 194-211; J.A. Schmoll, gen. Eisenwerth (1973): »Munchs fotografische Studien«, in: Henning Bock, Günter Busch (Hg.): Edvard Munch. Probleme – Forschungen – Thesen. München: Prestel, S. 187-225; Rolf Söderberg (1989): Edvard Munch. August Strindberg. Fotografi som verktyg och experiment. Stockholm: Alfabeta. Zu J.A.G. Acke und Fotografie: Svante Hedin (1979): »Som förlagor till målningar«, in: J. A. G. Acke 1859-1924, S. 48-77. Zu J.F. Willumsen und Fotografie: Leila Krogh (1995): Fiktion og virkelighed. J.F. Willumsens fotografier. Frederikssund: J.F. Willumsens Museum. Siehe auch: Marianne Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn. Fra skitse til færdigt billede. Frederikssund: J.F. Willumsens Museum. Zu Jansson und Fotografie gibt es bisher keine eigene Studie, siehe aber: Eman (1999): »Bröderna Jansson« und Steorn (2006): Nakna män. 16 Zur Amateurfotografie und zur Figur des Knipsers siehe Timm Starl (1995): Knipser. Die Bildgeschichte der privaten Fotografie in Deutschland und Österreich von 1880 bis 1980. München, Berlin: Koehler&Amelang; »Im Gespräch: Timm Starl, Kurator der Ausstellung »Knipser« im Münchner Stadtmuseum«, Rundbrief Fotografie 2:3 (1995): S. 24-26; Gunnar Schmidt (2008): »Dilettantische Ästhetik«, www.medienaesthetik.de/ medien/dilettantism.html. 17 Dorothy Kosinski (1999) (Hg.): The Artist and the Camera. Degas to Picasso. New Haven: Yale University Press.

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fie im Hinblick auf autobiografische Projekte ist oft in Verbindung mit der Autobiografie als literarisches Genre, kaum aber in Verbindung mit bildenden Künstlern untersucht worden.18 Zum Teil sind die von mir untersuchten Fotos in Ausstellungskatalogen oder wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht, zum Teil handelt es sich um bislang unveröffentlichtes Material, das ich in Archiven, Museen und Bibliotheken gesichtet und akquiriert habe.19 Weiteres Untersuchungsmaterial besteht aus Briefen, Zeichnungen und Notizen der Künstler, die wiederum bisher nur zum Teil über Veröffentlichungen zugänglich sind.20 Zu Übrigem hatte ich Zugang über das Munch-Museum in Oslo,

18 Vgl. Paul Jay (1994): »Posing: Autobiography and the Subject of Photography«, in: Kathleen Ashley u.a. (Hg.): Autobiography and Postmodernism. Amherst: University of Masachusetts Press, S. 191-211, Linda Haverty Rugg (1997): Picturing Ourselves. Photography and Autobiography. Chicago, London: The University of Chicago Press; Dow Adams (2000): Light Writing & Life Writing; Susanne Blazejewski (2002): Bild und Text – Photographie in autobiographischer Literatur. Würzburg: Königshausen & Neumann. Zu Fotografie und Autobiografie bei Munch: Clément Cheroux (2012): »ǹSchreib dein Leben!ǹ Fotografie und Autobiografie«, in: Lampe, Chéroux (2012): Edvard Munch. Der moderne Blick, S. 44-71. 19 Munchs Fotografien befinden sich im Besitz des Munch-Museums in Oslo, wo ich sie sichten konnte. Fotos von Jansson und Acke habe ich in der Königlichen Bibliothek in Stockholm gesichtet, Willumsens Fotografien im J.F. Willumsen-Museum in Frederikssund in Dänemark. Weiteres fotografisches Material stand mir in der Kunsthalle Liljevalchs, im Polizeihistorischen Museum und im Nationalmuseum in Stockholm zur Verfügung sowie in der Bibliothek der Universität Örebro. 20 Briefwechsel und Notizen Munchs sind in recht großem Umfang publiziert worden. Siehe z.B. Edvard Munch, Gustav Schiefler (1987-1990): Briefwechsel. 2 Bände. Hamburg: Verein für Hamburgische Geschichte und für die Notizen, eher als Lesebücher denn als wissenschaftliche Edition: Poul Erik Tøjner (2000): Munch. Med egne ord. Oslo, Kopenhagen: Press, Edvard Munch (2000): Geniets notater. Oslo: Geelmuyden.Kiese und auf Englisch: J. Gill Holland (2005) (Hg.): The private journals of Edvard Munch: We are flames which pour out of the earth. Madison, Wisconsin: University of Wisconsin Press. Seit 2011 steht ein Großteil der Texte von Edvard Munch als digitales Archiv zur Verfügung: http://www.emunch.no. Eine Auswahl von Ackes Notizen ist publiziert von Gerd Rissler (1960): »Ur Ackes skissböcker«, in: Hammargren: J. A. G. Acke. En minnesskrift, S. 99-105. Die wenigen überlieferten schriftlichen Äußerungen Janssons werden berücksichtigt in: Zachau (1997): Eugène Jansson, sowie in Eman (1999): »Bröderna Jansson«. Willumsens Äußerungen, die

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das J.F. Willumsen-Museum in Frederikssund und über den Acke-Sammler und -Experten Claes Moser. Es gibt kein eigenes Museum für Eugène Jansson. Die Rezeptionsgeschichte, die für mich in Bezug auf Munch, Jansson und Acke relevant war, war bis auf die im Munch-Museum dokumentierte nur über Archive in Museen zu erschließen sowie über Zeitungs- und Zeitschriftenarchive in Bibliotheken.21 Alle Übersetzungen aus dem Schwedischen, Dänischen und Norwegischen stammen von mir. An Hand einiger Themenkomplexe will ich im Folgenden den jeweiligen Forschungsstand, den historischen und kulturellen Kontext sowie meinen eigenen Fokus erläutern. Akt und Geschlecht Im Zusammenhang mit dem Akt, der künstlerischen Repräsentation nackter Körper, findet eine konzentrierte und komplexe Verhandlung von Körper, Begehren und Künstlerschaft statt.22 Der Akt wird traditionell als Überführung des Körpers in Kunst, damit als Bemeisterung von Natur und als Transzendierung von als natürlich aufgefasster Nacktheit verstanden.23 Dieses Paradigma wird über Mythen wie das von Pygmalion und Galathea sowie bis ins 20. Jahrhundert hinein über Selbstporträts tradiert, die jeweils das Verhältnis zwischen einem männlichen Künstler und einem weiblichen, meist jüngeren, unbekleideten und aus einer niedrigeren sozialen Schicht stammenden Modell schildern.24 Ein Beispiel für ein solches Selbstporträt wäre das Selbstporträt mit Modell (1896) von Anders Zorn, einem schwedischen Zeitgenossen der hier behandelten Maler. Das Selbstporträt zeigt den Künstler frontal mit Kittel, Pinsel und Palette, den Blick

für die Badebilder relevant sind, sind in Auszügen wiedergegeben in: Krogh (1995): Fiktion og virkelighed und Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn. 21 Außer den den Künstlern eingerichteten Museen waren für mich das Acke-Archiv im Nationalmuseum in Stockholm und die Kunsthalle Liljevalchs relevant, da dort wichtige Ausstellungen unter Beteiligung von Acke und Jansson am Anfang und am Ende des Jahrhunderts stattfanden. Die im Anhang genannten Zeitungen und Zeitschriften habe ich in der entsprechenden Abteilung der Universitätsbibliothek in Lund, in der Königlichen Bibliothek in Stockholm und in der Staatsbibliothek Berlin gesichtet. 22 Einen der neuesten Überblicke über den Akt in der Moderne bietet Richard Leppert (2007): The Nude. The Cultural Rhetoric of the Body in the Art of Western Modernity. Boulder, Colorado: Westview Press. 23 Vgl. Kenneth Clark (1956): The Nude: A Study of Ideal Art. New York: MJF Books. 24 Zur Geschichte des Modells siehe Susan Waller (2006): The Invention of the Model. Artists and Models in Paris, 1830-1870. London: Ashgate.

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des Betrachters selbstbewusst entgegnend. Im Hintergrund ist als weiteres Attribut des Künstlers ein deutlich jüngeres, unter einer Pelzstola unbekleidetes weibliches Modell zu sehen. Über die Anwesenheit eines Modells wird hier Künstlerschaft, Meisterschaft und materieller Erfolg demonstriert. Die Heteronorm im Verhältnis zwischen Künstler und Modell ist so einflussreich und beständig, dass im Katalog Munch und seine Modelle kein einziges seiner männlichen Modelle erwähnt wird, dass Kunsthistoriker bis in jüngste Zeit den teilweise als sexistisch zu bezeichnenden Blick auf weibliche Modelle kritiklos übernehmen und männliche Akte ebenfalls bis vor Kurzem von Forschung und Ausstellungspraxis unberücksichtigt bleiben.25 Letzteres war 2010/11 in der Ausstellung Akt im Munch-Museum in Oslo zu beobachten, die als einzige männliche Akte wenige frühe Skizzen und Munchs Kleopatra und

25 Vgl. Johann-Karl Schmidt, Ursula Zeller (Hg.) (1993): Edvard Munch und seine Modelle. Stuttgart: Hatje-Cantz. Beispiele für einen unhinterfragten und tendenziell heterosexistischen Blick auf weibliche Modelle wären Hans Henrik Brummer (1994): Till ögats fröjd och nationens förgyllning – Anders Zorn. Stockholm: Norstedts, z.B. S. 15, und Reinhold Heller (1999): »›Ich glaube, ich male nur noch Frauen‹ – die Aktdarstellung im Werk von Edvard Munch«, in: Ingrid Mössinger (Hg.): Edvard Munch in Chemnitz. Chemnitz: Kunstsammlungen, S. 285-292, hier: S. 289-91. Für eine Analyse der Argumentation siehe Körber (2006): »Tillbaka till naturen?«. Der der traditionellen Aktsituation nachempfundene Blick auf weibliche Modelle wird in der Munch-Rezeption offenkundig. Es hat immer ein großes Interesse für Munchs Verhältnis zu Frauen gegeben, das an Hand seiner Malerei zu deuten versucht wurde. Seine Bilder von Männern sind, wenn überhaupt, nicht als solche behandelt worden, wodurch Männlichkeit als Thema ausgeschlossen wurde. Für eine kritische Re-Vision des Themas ›Munch und die Frauen‹ und die Herstellung von Künstlerschaft über die heteronormative Künstler-und-Modell-Konstellation siehe Patricia G. Berman (1997): »Woman, ›Woman‹, and the Genesis of an Artist’s Myth«, in: Patricia G. Berman, Jane Van Nimmen (Hg.): Munch and Women. Image and Myth. Alexandria, VA: Art Services International, S. 11-40. Munchs Bilder von Männern werden erstmals als solche analysiert von Patricia G. Berman (1993): »Body and body politic in Edvard Munch’s Bathing Men«, in: Kathleen Adler, Marcia Pointon (Hg.): The Body Imaged. The Human Form and Visual Culture Since the Renaissance. Cambridge, New York: Cambridge University Press, S. 71-83. Für eine Ausweitung auf verschiedene Phasen des Werks siehe Lill-Ann Körber (2004): Männlichkeit, Arbeit und Nation bei Edvard Munch. Unpublizierte Magisterarbeit, Humboldt-Universität zu Berlin und dies.: »Munch and Men: Work, Nation, and Reproduction in Edvard Munch’s Later Works«, in: Erik Mørstad (Hg.): Edvard Munch. An Anthology. Oslo: Unipub, S. 163-178.

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der Sklave (1915) zeigte, für das Munch einen mit einem Zirkus nach Norwegen gereisten Afrikaner als Modell beschäftigte.26 Das Verhältnis zwischen Künstler und männlichem Modell wird gemeinhin nur dann in den Blick genommen, wenn, wie bei Jansson, davon ausgegangen werden kann, dass es sich auch um ein sexuelles handelt. Mich interessiert hier, ob und wie auch über den männlichen Akt Künstlerschaft demonstriert und hergestellt werden kann und ob und inwiefern im Verhältnis von männlichem Maler und männlichem Modell Differenzierungs- und Hierarchisierungskategorien wie Alter, soziale Schicht oder Kleidung und damit verbundene Machtverhältnisse zum Tragen kommen.27 Die Badebilder tragen dazu bei, in den skandinavischen Ländern, wo es vor dem Ende des 19. Jahrhunderts keine ausgeprägte Tradition der Aktmalerei gibt, ein neues Genre zu etablieren. Aktzeichnen, auf Schwedisch »Zeichnen nach lebendem Modell« (»teckning efter levande modell«) wurde seit ihrer Gründung auch an den skandinavischen Kunstakademien unterrichtet, aber die erworbenen Kenntnisse in Anatomie und Körperbehandlung wurden vor allem im Hinblick auf die international über Jahrhunderte hinweg als wichtigste angesehene Bildgattung angewendet, die Historienmalerei.28 Die meisten Akte vor Anders Zorn, der als erster dezidierter Aktmaler Schwedens, wenn nicht Skandinaviens, gehandelt wird, sind Skizzen aus dem Unterricht an den Akademien, die selten ausgestellt wurden.29 Womöglich ist es auf diesen Umstand zurückzuführen,

26 Zu Munchs Kleopatra und der Sklave siehe Alison Chang (2010): Negotiating Modernity: Edvard Munch’s Late Figural Work, 1900-1925. Unveröffentlichte Dissertation, University of Pennsylvania, S. 63-109 und dies. (2012): »Beyond the Myth of the Dark Continent: Edvard Munch’s Images of Sultan Abdul Karim«, in: Adrienne Childs, Susan Libby (Hg.): The Spectacle of Blackness: Representing Blacks in European Art of the Long Nineteenth Century. Farnham: Ashgate [in Vorbereitung]. 27 Um diese Aspekte konzentriert herausarbeiten zu können, beschränke ich mich mit wenigen Ausnahmen auf Bilder von Männern von männlichen Künstlern. Ich bin mir über die damit verbundenen Auslassungen und Unsichtbarmachungen im Klaren: eine mögliche Wiederfestschreibung der männlichen Künstlerschaft, eine unter Umständen nicht hinreichend problematisierte Bindung von Männlichkeit an einen männlichen Körper sowie eine oft zu Recht beklagte Privilegierung männlicher gegenüber weiblicher Homosexualität. 28 Vgl. Eva-Lena Bengtsson (1994): Levande modell. Stockholm: Konstakademien, z.B. S. 49. 29 Ebd. Bengtsson bezeichnet Zorn hier als »selbstverständlichen Abschluss« (»Den självklara avslutningen«) der – außerhalb der Akademien nicht existenten – Geschichte der schwedischen Aktmalerei im 19. Jahrhundert.

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dass der Begriff Akt in Skandinavien selten verwendet wird und wenig zum Thema geforscht worden ist.30 Erst am Ende des 19. Jahrhunderts wurden Frauen zum Aktzeichnen an den Akademien zugelassen. Der Unterricht fand nach Geschlechtern getrennt statt. Teilweise bis in die 1940er Jahre hinein mussten männliche Modelle ihre Geschlechtsteile bedecken. Künstlerinnen malten und stellten in Folge dessen noch seltener als ihre männlichen Kollegen Akte aus.31 Die Norwegerin Astri Welhaven Heiberg ist meines Wissens die einzige – allerdings kaum bekannte – Künstlerin in Skandinavien, die in dem von mir untersuchten Zeitraum in größerem Umfang weibliche Badende malt.32 Eine Revision und Neubewertung des Akts erfolgt ab dem Ende der 1970er Jahre, oft in Auseinandersetzung mit der normativen Darstellung in Kenneth Clarks einflussreicher Geschichte des Akts, The Nude, von 1956. Margaret Walters führt in The Nude Male eine feministische Kritik an Clark und der Akttradition durch. Letztere besteht für Walters, die nicht trennscharf zwischen dem Körper und seiner Repräsentation unterscheidet, darin, den weiblichen Körper zu disziplinieren und je nach Vorliebe des Künstlers und seiner Zeit zu »deformieren«, für den männlichen Akt darin, das seit der Antike bestehende »pattern of perfection« und eine »constant norm« ständig zu wiederholen, mit dem Ziel, die Machtverhältnisse zu sichern.33 Feministische Analysen der Repräsentation weib-

30 Vgl. Signe Endresen, Lill-Ann Körber, Patrik Steorn (2006): »Förord«, Valör 2-3, S. 1-3. Diese Sondernummer der schwedischen kunstwissenschaftlichen Zeitschrift Valör ist ein Resultat der Arbeit eines vom Nordischen Institut für Geschlechterforschung (NIKK) 2004-06 gefördeten Forschernetzwerks Akt und Nacktheit in Skandinavien um 1900. 31 Zum institutionellen und auch diskursiven Ausschluss von Frauen aus der Kunst siehe für den schwedischen und skandinavischen Kontext Bengtsson (1994): Levande modell; Eva-Lena Bengtsson, Barbro Werkmäster (2005): Kvinna och konstnär i 1800talets Sverige. Lund: Signum. Außerdem Nochlin (1971): »Why have there been no great women artists?«. 32 Vgl. Signe Endresen: »Akt-motivet i Norge, ca. 1900-1925. Et motiv med variasjoner«, Valör 2-3, S. 27-41. 33 Margaret Walters (1978): The Male Nude: A New Perspective. London: Paddington Press, S. 13. Für eine Kritik an der Tradition des weiblichen Akts siehe auch Heather Dawkins (2002): The Nude in French Art and Culture 1870-1910. Cambridge, New York: Cambridge University Press; Lynda Nead (1992): The Female Nude. Art, Obscenity, and Sexuality. London, New York: Routledge und Silvia Eiblmayr (1993): Die Frau als Bild. Der weibliche Körper in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Berlin: Reimer.

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licher Körper, die sich oft an Ansätzen aus der Filmwissenschaft, allen voran an dem seit Laura Mulveys einflussreichem Aufsatz »Visual Pleasure and Narrative Cinema« (1975) so produktiven Konzept des male gaze, orientierten, sind für ein Verständnis des Verhältnisses von Repräsentation, Geschlecht und Macht von großer Bedeutung.34 Problematisch ist aus heutiger Sicht an vielen vor allem frühen Texten die Tendenz, Männlichkeit, den männlichen Körper und seine Repräsentationen als statische Größen zu behandeln und damit womöglich den weiblichen im Gegensatz zum neutral, unveränderlich und als ganz vorgestellten männlichen Körper als exzessiv und grenzüberschreitend festzuschreiben. Mit Ausnahme von Klaus Theweleits bis heute einflussreichen Männerphantasien (1977/78) wird erst seit ungefähr Mitte der 90er Jahre, im Zusammenhang mit der sich verbreitenden Männlichkeitsforschung, in großem Umfang der Fokus auch auf den männlichen Körper und dessen Repräsentationen betreffende Disziplinierungsprozesse sowie Blick- und Machtverhältnisse gelenkt.35 Etwas zeitversetzt gegenüber einer feministischen Kritik an der Akttradition und im Kontext der Debatten um Homosexualität, AIDS und Aktfotografen wie Robert Mapplethorpe findet eine Aufarbeitung des männlichen Akts statt.36 Veröffentlichungen zum männlichen Akt aus den Jahren um 1990 reagieren oft

34 Vgl. Laura Mulvey (1999): »Visual Pleasure and Narrative Cinema«, in: Leo Braudy, Marshall Cohen (Hg.): Film Theory and Criticism. Introductory Readings. Oxford, New York: Oxford University Press, S. 833-844 [1975]. 35 Neben Klaus Theweleit (2000): Männerphantasien 1+2. München, Zürich: Piper [1977/78] vgl. z.B. Claes Ekenstam (1993): Kroppens idéhistoria: disciplinering och karaktärsdaning i Sverige 1700-1950. Hedemora: Gidlund; Jens Ljunggren (1996): »Nation-building, Primitivism and Manliness: The Issue of Gymnastics in Sweden Around 1800«, Scandinavian Journal of History 21, S. 101-120; Michael Anton Budd (1997): The Sculpture Machine. Physical Culture and Body Politics in the Age of Empire. London: Macmillan; Jens Ljunggren (1999): Kroppens bildning: Linggymnastikens manlighetsprojekt 1790-1914. Eslöv: Symposion: Jonathan Watson (2000): Male Bodies: Health, Culture and Identity. Buckingham: Open University Press; Steorn (2006): Nakna män; Patrik Steorn (2006): »Maskulinitetens poser kring 1900. Den primitiva och den bildade manskroppen«, Valör 2-3, S. 60-75. 36 Vgl. z.B. Peter Weiermair (1987): Das verborgene Bild. Geschichte des männlichen Akts in der Fotografie des 19. und 20. Jahrhunderts. Wien: Ariadne; Allan Ellenzweig (1992): The Homoerotic Photograph. New York: Columbia University Press; Edward Lucie-Smith (1998): Adam: the Male Figure in Art. London: Weidenfeld&Nicolson; Peter Weiermair (Hg.) (2004): Nude. Ideal and Reality from the Invention of Photography to Today. Florenz: ArtificioScira.

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ebenfalls auf das Konzept eines male gaze und versuchen es für eine Bestimmung der weiblichen und/oder homosexuellen Betrachterposition fruchtbar zu machen.37 Seither entstehen viele Veröffentlichungen zu männlichen Körpern in Kunst und Populärkultur, die erstens das statische Konzept eines männlichen heterosexuellen Blicks aufbrechen, indem sie aufzeigen, wie vielfältig und komplex Blickbeziehungen zwischen hetero- oder homosexuellen Männern sein können, und zweitens die Vielfalt von Repräsentationen des männlichen Körpers betonen.38 Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts sind für eine Untersuchung von Repräsentationen und Inszenierungen männlicher Körper deshalb interessant, weil sie zwischen einem Forschungsschwerpunkt auf dem Fin de Siècle und damit verbundenen ›Krisen der Männlichkeit‹39 und einem weiteren Fokus auf dem

37 Vgl. z.B. Clay Steinman (1992): »Gaze out of Bounds. Men Watching Men on Television«, in: Steve Craig (Hg.): Men, Masculinity, and the Media. Newbury Park: Sage, S. 199-214; Peter Lehman (2007): Running Scared: Masculinity and the Representation of the Male Body. Detroit, MI: Wayne State University Press [1993]; Tamar Garb (2002): »The Forbidden Gaze: Women Artists and the Male Nude in Late NineteenthCentury France«, in: Nicolas Mirzoeff (Hg.): The Visual Culture Reader. London, New York: Routledge, S. 617-624. 38 Vgl. z.B. Maurizia Boscagli (1996): Eye on the Flesh. Fashions of Masculinity in the Early Twentieth Century. Boulder, Oxford: Westview Press; Mechthild Fend (Hg.) (2004): Männlichkeit im Blick: visuelle Inszenierungen in der Kunst seit der Frühen Neuzeit. Köln u.a.: Böhlau; Rune Gade (Hg.) (2001): Maskulinitet – køn og kunst. Kopenhagen: Informations Forlag; Martin Myrone (2005): Bodybuilding: Reforming Masculinities in British Art 1750-1810. New Haven: Yale University Press; Abigail Solomon-Godeau (1997): Male Trouble. A Crisis in Representation. London: Thames&Hudson; Thomas Waugh (1996): Hard to Imagine: Gay Male Eroticism in Photography and Film from their Beginnings to Stonewall. New York: Columbia University Press. 39 Zu Männlichkeit um die Jahrhundertwende 1900 z.B.: Ida Blom (1996): »Nation – Class – Gender. Scandinavia at the Turn of the Century«, Scandinavian Journal of History 21, S. 1-16; Claudia Bruns (2008): Politik des Eros. Der Männerbund in Wissenschaft, Politik und Jugendkultur (1880-1934). Köln u.a.: Böhlau; Hannelore Bublitz (Hg.) (1998): Das Geschlecht der Moderne. Genealogie und Archäologie der Geschlechterdifferenz. Frankfurt a. M., New York: Campus; Birgit Dahlke (2006): Jünglinge der Moderne. Jugendkult und Männlichkeit in der Literatur um 1900. Köln u.a.: Böhlau; Claes Ekenstam (2000): »Manlighetens kriser & kransar: mansbilder och känsloliv vid tre sekelskiften«, in: Anita Göransson (Hg.): Sekelskiften och kön. Strukturella övergångar år 1800, 1900 och 2000. Stockholm: Prisma, S. 57-96.

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soldatischen und faschistischen Körper40 von der Forschung erst seit Kurzem in den Blick genommen werden. Ein aktueller Zweig der Männlichkeitsforschung, in den meine Lesart von Munchs Opfermotiven einzuordnen wäre, beschäftigt sich mit der Frage, ob eine ›Krise der Männlichkeit‹ als Privileg zu verstehen sei und eher Macht erhaltend als Macht gefährdend wirke.41 Krisenhafte und martialisch auftretende Männlichkeiten wären somit nicht als Gegensätze, sondern als unterschiedliche Strategien der Krisenbewältigung und Sicherung gesellschaftlicher Privilegien zu werten. Körperkult und Vitalismus Seit wenigen Jahren ist in Skandinavien und Deutschland in Forschung und Ausstellungspraxis ein transdisziplinäres Interesse am Kontext von Lebensreform, Vitalismus, Sport und damit verbundenen Körperkonzepten zu beobachten. In und für Deutschland liegt der Schwerpunkt dabei auf der Freikörperkultur um die Jahrhundertwende 1900 sowie auf Disziplinierungen des Körpers im Zusammenhang mit den politischen Entwicklungen im Dritten Reich.42 In Skandi-

40 Zum ›gepanzerten‹ männlichen Körper z.B. Theweleit (2000): Männerphantasien; Paula Diehl (Hg.) (2006): Körper im Nationalsozialismus: Bilder und Praxen. München: Fink; Elke Frietsch, Christina Herkommer (Hg.) (2009): Nationalsozialismus und Geschlecht: zur Politisierung und Ästhetisierung von Körper, ›Rasse‹ und Sexualität im ›Dritten Reich‹ und nach 1945. Bielefeld: transcript. 41 Stefanie von Schnurbein (2001): Krisen der Männlichkeit. Schreiben und Geschlechterdiskurs in skandinavischen Romanen seit 1890. Göttingen: Wallstein Verlag; Elahe Haschemi Yekani (2011): The Privilege of Crisis. Narrativities of Masculinities in Colonial and Postcolonial Literature, Photography and Film. Frankfurt a.M.: Campus. Siehe auch Abigail Solomon-Godeau (1997): Male Trouble. A Crisis in Representation. London: Thames and Hudson. 42 Kai Buchholz u.a. (Hg.) (2001): Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900. 2 Bände. Darmstadt: Häusser. Darin z.B. Klaus Wolbert: »›Unbekleidet‹ oder ›ausgezogen‹? Die befreite Nacktheit in der Kunst«, Band 2, S. 369-372 und ders.: »Das Erscheinen des reformerischen Körpertypus in der Malerei und Bildhauerei um 1900«, S. 215-222; Michael Grisko (Hg.) (1999): Freikörperkultur und Lebenswelt. Studien zur Vor- und Frühgeschichte der Freikörperkultur in Deutschland. Kassel: Kassel University Press, darin Oliver König: »Die Nacktheit beim Baden«, S. 43-68, Uwe Schneider: »Nacktkultur im Kaiserreich«, S. 69-113; Oliver König (1990): Nacktheit. Soziale Normierung und Moral. Opladen: Westdeutscher Verlag; Karl Toepfer (1998): Empire of Ecstasy: Nudity and Movement in German Body Culture 1910-35. Berkeley: University of California Press; Michael

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navien stellt sich die Frage nach nationalistischen und rassistischen Implikationen des Körperkults zu Beginn des 20. Jahrhunderts über eine Rezeption von und Beteiligung an entsprechenden Diskursen, wie ich es für J.A.G. Acke, Eugène Jansson, Willumsen und auch Anders Zorn zeigen werde.43 Der Zusammenhang von Repräsentationen des männlichen Körpers mit einem als kollektiv imaginierten Körper der Nation im Kontext von Nationsbildungsprozessen in Norwegen nach der Auflösung der Union mit Schweden 1905 ist im Hinblick auf Munchs männliche Badende, Bauern und Arbeiter schon Gegenstand der Forschung geworden.44 Außerdem werden, allerdings einen Zeitraum jenseits des von mir untersuchten betreffend, über die Körper- und Sportkonzepte auch Stellungnahmen zum nationalsozialistischen Regime in Deutschland verhandelt.45 Insgesamt sind in der skandinavischen Forschung politische gegenüber auf Körperpraktiken bezogenen und ästhetischen Fragestellungen untergeordnet, was man an anderer Stelle, vielleicht im Hinblick auf mit Vorstellungen eines ›Nordischen Exzeptionalismus‹ verbundene Unschuldsnarrative, näher untersuchen könnte.46

Hau (2003): The Cult of Health and Beauty in Germany: A Social History, 1890-1930. Chicago: University of Chicago Press; Maren Möhring (2004): Marmorleiber. Körperbildung in der deutschen Nacktkultur 1890-1930. Köln u.a.: Böhlau; Chad Ross (2005): Naked Germany: Health, Race, and the Nation. Oxford: Berg. 43 Zu Rassismus bei Zorn siehe beschwichtigend Brummer (1994): Till ögats fröjd och nationens förgyllning und kritisch Körber (2006): »Tillbaka till naturen?«, S. 55. 44 Berman (1993): »Body and body politic in Edvard Munch’s Bathing Men«; Körber (2004): Männlichkeit, Arbeit und Nation bei Edvard Munch und dies. (2006): »Munch and Men«. 45 Eine zentrale Figur ist hier der dänische ›Turnvater‹ und ›Hitlerfreund‹ Niels Bukh. Vgl. Hans Bonde (2006): Gymnastics and Politics. Niels Bukh and Male Aesthetics. Kopenhagen: Museum Tusculanum. 46 Das Konzept eines Nordischen Exzeptionalismus bezieht sich auf die mit Unschuldsnarrativen verbundene und zur Herstellung kollektiver Identitäten herangezogene Idee einer Sonderstellung der nordischen Länder im Hinblick auf internationale politische und kulturelle Phänomene wie beispielsweise Kolonialismus und Postkolonialismus, aber auch die behauptete Neutralität gegenüber militärischen und faschistischen Regimes. Vgl. z.B. Lars Jensen u.a. (Hg.) (2010): Nordic Colonial Mind (= KULT; 7). Roskilde: Institut for Kultur og Identitet, Mai Palmberg (2009): »The Nordic Colonial Mind«, in: Suvi Keskinen u.a. (Hg.): Complying with Colonialism. Gender, Race and Ethnicity in the Nordic Region. Farnham: Ashgate, S. 35-50, Ebbe Volquardsen (2011): Die Anfänge des grönländischen Romans. Nation, Identität und subalterne Ar-

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Viele Publikationen der letzten Jahre beschäftigen sich mit dem Sport, den damit verbundenen Körperkonzepten und deren geschlechtlicher Konnotierung, oft in Bezug auf die Erfinder gymnastischer Schulen wie Pehr Henrik Ling in Schweden (1776-1839) sowie J.P. Müller (1866-1938) und Niels Bukh (1880-1950) in Dänemark.47 Auch andere Aspekte der Reformbewegungen wie Nudismus und Kritik von Moderne und Urbanität sind in den letzten Jahren vermehrt untersucht worden.48 Die weitaus wichtigsten Impulse zur Erforschung des Vitalismus in Skandinavien, der nach Sven Halse philosophische, lebenspraktische und künstlerische Aspekte verbindet, gehen von der Kunst- und Literaturwissenschaft aus.49 Wie bereits erwähnt, enstanden die zwei bisher umfassendsten Publikationen zum Thema, die die aktuelle Forschung im Gebiet repräsentieren, im Zusammenhang mit Ausstellungen im Munch-Museum in Oslo sowie in den Kunstmuseen in Fuglsang und Odense in Dänemark.50 Erstere hatte die kunstund kulturhistorische Kontextualisierung von Munchs Bildern badender Männer zum Ziel, letztere gibt mit Beiträgen aus vielen verschiedenen Disziplinen einen Überblick über den Vitalismus als kulturelles Phänomen mit Fokus auf dänischer Kunst. Auch in der Literaturwissenschaft, im Hinblick auf Sonderausgaben von

tikulation in einer arktischen Kolonie. Marburg: Tectum, S. 37-43 sowie Lars Jensen, Kristín Loftsdóttir (Hg.) (2012): Whiteness and postcolonialism in the Nordic region: exceptionalism, migrant others and national identities. Farnham: Ashgate. 47 Ekenstam (1993): Kroppens idéhistoria; Ljunggren (1999): Kroppens bildning; Kayser Nielsen (2005): Body, Sport and Society in Norden; Bonde (2006): Gymnastics and Politics; Rune Slagstad (2008): (Sporten). En idéhistorisk studie. Oslo: Pax. 48 Martin Stolare (2003): Kultur och Natur. Moderniseringskritiska rörelser i Sverige 19001920. Göteborgs universitet: Historiska institutionen; Olle Strand (2005): Sol, hälsa, glädje. En bok om naturismen i Sverige. Uppsala: Naturistföreningen Nakenkultur. 49 Sven Halse (2004): »Vitalisme - fænomen og begreb«, Kritik 171, S. 1-7; Sven Halse (2006): »Vitalismen: flere tilløb til en begrebsdiskussion«, Kritik 38:182, S. 119-125; Sven Halse (2008): »Den vidtfavnende vitalisme«, in: Gertrud Hvidberg-Hansen, Gertrud Oelsner (Hg.): Livslyst. Sundhed – Skønhed – Styrke i dansk kunst 1890-1940. Fuglsang, Odense: Fuglsang Kunstmuseum, Odense Bys Museer, S. 46-57 (englische Ausgabe: Dies. (Hg.) (2011): The Spirit of Vitalism. Health, Beauty and Strength in Danish Art, 1890-1940. Kopenhagen: Museum Tusculanum Press). 50 Ingebjørg Ydstie (2006): Livskraft. Vitalismen som kunstnerisk impuls 1900-1930. Oslo: Labyrinth Press. Darin von mir: »Sunnhet versus homoerotikk? Badende menn, nakenhet og den mannlige akt rundt 1905«, S. 79-93; Hvidberg-Hansen, Oelsner (2008): Livslyst. Darin von mir: »Seksualitet, æstetik og den mandlige vitale krop«, S. 218-231.

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Zeitschriften oder auf individuelle oder kollektive Forschungsprojekte hat die Vitalismusforschung in Skandinavien, v.a. in Norwegen und Dänemark und gern im Zusammenhang mit kanonisierten Autoren wie Knut Hamsun (1859-1951), Johannes V. Jensen (1873-1950) und in einer späteren Generation Tarjei Vesaas (1897-1970) in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt.51 In Schweden ist in diesem Zusammenhang der Schriftsteller, Naturschützer und Protagonist der Heimatbewegung (hembygdsrörelsen) Karl-Erik Forsslund (1872-1941) neu gelesen worden.52 Meines Erachtens greifen Ansätze und Thesen der Vitalismusforschung dann zu kurz, wenn sich bei motivhistorischen Untersuchungen von als idealtypisch verstandenen Visualisierungen oder Verbalisierungen von Lebenskraft, Gesundheit und Baden dem vermeintlich dargestellten Feiern von Lebenslust angeschlossen wird ohne den Kontext für deren individuelle Repräsentation und die damit verbundenen Ein- und Ausschlussprozesse zu berücksichtigen. Kurz: Man liest so bezeichnete vitalistische Bilder und Texte als spontanen Ausdruck von Natürlichkeit und Lebensfreude, die Summe aus den Elementen Sonne, Bewegung und gesundem Körper. Meine Rückfragen dazu wären: Wie genau wird dieser Eindruck erzeugt? Welche künstlerischen Prozesse führen zu den Bildern, die so rezipierbar werden? Welche Körper können als vitalistisch gelten? Und auf Seite der Betrachter: Worüber spricht man in Bezug auf die Bilder, worüber nicht? Womöglich gibt es eine Schattenseite der beschworenen sonnendurchfluteten Lebenslust, nämlich rassistische, sexistische oder homophobe Implikationen in der Bestimmung dessen, was als vitalistisch, und – man mag es kaum

51 Z.B. eine Sondernummer zu Vitalismus der dänischen Zeitschrift Kritik 37:171 (2004); zu Johannes V. Jensen z.B. der Arbeitskreis »Johannes V. Jensen und die vitalistische Strömung« auf der Skandinavistik-Tagung ATDS in Wien 2011 (»Johannes V. Jensen og den vitalistiske strømning«), teilweise publiziert in: Anders Thyrring Andersen, Per Dahl & Aage Jørgensen (Hg.) (2011): På tværs af grænser. Johannes V. Jensen i europæisk og genremæssigt perspektiv. Universität Amsterdam: Institut für Skandinavistik. Siehe darin v.a. Sophie Wennerscheid: ǽǹ ˜ƒ†‡”†‹ †„‹Ž†‹‰•”ƒˆ–ǡ•‹†‡ †‡ ‹‡ ƒ Š‘Ž†‡ ‡”†‡ ‘’’‡ǫǸ ”ƒˆ–‡• ƒ„‹˜ƒŽ‡•‡” ‹ ‘Šƒ‡• Ǥ ‡•‡• Kongens FaldǼǡ Ǥͳ͸ͻǦͺ͵. Für Überblicksdarstellungen zur dänischen und norwegischen Literatur siehe Anders Ehlers Dam (2010): Den vitalistiske strømning i dansk litteratur omkring år 1900. Aarhus: Aarhus Universitetsforlag; Eirik Vassenden (2012): Norsk vitalisme: litteratur, ideologi og livsdyrking 1890-1940. Oslo: Scandinavian Academic Press. 52 Ann-Sofi Ljung Svensson: »Berget, ynglingen och solen. Ett vitalistiskt motiv hos Karl-Erik Forsslund«, Tidskrift för litteraturvetenskap 3 (2007).

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denken – in der Folge als lebenstüchtig, taugt. Mein Ansatz hier wird also sein, bei der Analyse so genannter vitalistischer Malerei nicht nur die Ebenen des Dargestellten und der Darstellung sowie den kulturellen Kontext als Quelle einseitiger Einflussnahme zu beachten, wie es oft der Fall ist: der Künstler habe ein wenig Nietzsche gelesen und gebe an der Staffelei am Strand spontan seiner Lebensfreude Ausdruck. Stattdessen möchte ich die Repräsentation der Körper auf Differenzierungs- und Disziplinierungsprozesse sowie Machtverhältnisse hin überprüfen. So verstehe ich eine heterosexuelle, natürliche und gesunde Männlichkeit nicht, wie so oft, als Ausgangspunkt, sondern als zu erzielender Effekt so genannter vitalistischer Malerei. Die Badebilder um 1900 stehen im Zusammenhang mit der Freiluftkultur, in Skandinavien mit dem sehr gebräuchlichen Begriff Freiluftleben (friluftsliv) bezeichnet, die in diesen Jahren ihren großen Durchbruch erfuhr.53 In Bezug auf die Bilder hat Freiluftkultur sowohl eine stilistische als auch eine kontextuelle Bedeutung. Manche der Bilder sind, inspiriert vom plein air im Sinne des französischen Impressionismus, im Freien gemalt, andere werden, obschon im Atelier entstanden, als Freilichtmalerei inszeniert: die Künstler fotografieren sich oder werden beim Malen am Strand fotografiert.54 Die Freilichtmalerei wird mit anderen Praktiken des Freiluftlebens kombiniert, allen voran mit Bad und Sport. Diese Verknüpfung von Kunst und Baden als soziale Praktiken, von Aktmalerei und Gesundheitsdiskurs, die auf der Ebene der Künstlerbiografien sowie im Hinblick auf einen Interpretationsrahmen der Zeitgenossen und bis heute erfolgt, scheint mir spezifisch für den skandinavischen Kontext, für die hier präsentierten Künstler und ihre Rezeption zu sein. Die Akte wenden sich demnach von der Tradition mythologischer und biblischer Stoffe ab, die Anlass und Rechtfertigung für Aktmotive boten, und werden oft in einer als authentisch nordisch verstandenen Natur inszeniert. Das gilt insbesondere für die Schärenlandschaft, wo Acke und Zorn die meisten ihrer Badenden malen. Neben der Inszenierung der Körper, die das Zentrum meines Interesses darstellt, wäre auch ein Fokus auf den Kontext skandinavischer Landschaftsmalerei lohnenswert, werden die Akte doch mitunter als Porträts skandi-

53 Vgl. z.B. Ann Katrin Pihl Atmer (1987): Sommarnöjet i skärgården: sommarbebyggelse i Stockholms inre skärgård 1860-1915. Stockholm: Kommitéen för Stockholmsforskning und dies. (1998): Livet som leves där måste smaka vildmark. Sportstugor och friluftsliv 1900-1945. Stockholm: Stockholmia. 54 Cecilia Lengefeld (2001): »Stockholm und Berlin. Zur Ausstellungspolitik der Avantgarde um 1900«, in: Ortrud Gutjahr (Hg.): Attraktion Großstadt um 1900. Individuum – Gemeinschaft – Masse. Berlin: Berlin-Verlag Spitz, S. 211-220.

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navischer Landschaften rezipiert.55 Während der Nationalromantik des 19. Jahrhunderts wurde unter anderem von der so genannten Düsseldorfer Schule mit dem Norweger Johan Christian Dahl (1788-1857) an der Spitze die nordische Landschaft als Motiv etabliert. Die Erhabenheit Norwegens und die Idylle Schwedens sind beispielsweise in den Versionen von Dahl und Carl Larsson (1853-1919) berühmt geworden und sind als imaginierte Geografien und als Topoi im Skandinavientourismus und -branding zu betrachten. Bekanntlich beruhen Dahls norwegische Landschaften ursprünglich nicht auf Beobachtung vor Ort, sondern auf eine Umwidmung schweizerischer Landschaften. Transfers von Landschaften und damit deren performative Hervorbringung kann man, wie ich zeigen werde, auch bei Willumsen beobachten, wo mit einer Übersetzung des Badethemas von Italien nach Dänemark auch eine Bedeutungsverschiebung erfolgt. Baden und Badende Badende sind im kunsthistorischen Kontext im oder am Wasser stehende, liegende oder sitzende Akte. Nur wenige Badende baden oder schwimmen tatsächlich. Oft ist nicht einmal Wasser zu sehen, sondern die Akte werden in einer Landschaft inszeniert. Neben dem Motiv der Venus anadyomene, die Schaumgeburt der Venus, gehören vor allem die biblischen Motive der Susanna oder Bathseba im Bade zu einer Tradition von Bildern von Frauen, die sich waschen oder aus dem Wasser steigen. Beide biblischen Erzählungen thematisieren Sexualität und insbesondere Voyeurismus: Das Begehren des Mannes wird durch die heimliche Betrachtung der badenden Frau geweckt. Traditionell werden also Frauen als Blickobjekte und ein heterosexueller männlicher Blick vorausgesetzt, was sich im Titel eines vor wenigen Jahren erschienenen Bands spiegelt: Die Badende. Voyeurismus in der abendländischen Kunst.56 Im 19. Jahrhundert wurden weibliche Badende oft in orientalischen Badehäusern inszeniert.57 Die für das europäische Publikum exotisch erscheinende Umgebung legitimierte die Inszenierung weißer Frauen als erotische Objekte.58 Badeszenen in Interieurs werden

55 Vgl. Becker (2005): Schönheit für alle, wo Ackes Meereslauscher in das Kapitel »Landschaftsmalerei – Melancholie und Traum des Nordens« eingeordnet wird. 56 Jacques Bonnet (2006): Die Badende. Voyeurismus in der abendländischen Kunst. Berlin: Parthas. 57 Wichtige Vertreter sind Jean Auguste Dominique Ingres (1780-1867) und Jean-Léon Gérôme (1824-1904). 58 Vgl. Anke Spötter (2005): »Picassos Badende im Spiegel ihrer Motivgeschichte«, in: Ina Conzen (Hg.): Picasso. Badende. Stuttgart: Staatsgalerie: S. 194-207.

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Toilette bezeichnet.59 In Skandinavien transformiert Anders Zorn am Ende des 19. Jahrhunderts das Motiv der weiblichen Badenden und der Toilette im Hinblick auf Darstellungen des Badens im Freien oder auch in der Sauna als moderne kulturelle Praxis und modifiziert die Badenden dem entsprechend auch in stilistischer, praktischer und motivischer Hinsicht. Männliche Badende sind weit seltener. Die Beschränkung auf mythologische Figuren wird gegen Ende des 19. Jahrhunderts unter anderem von Paul Cézanne und in den USA von Thomas Eakins (1844-1916) aufgehoben, die, wenn auch stilistisch völlig unterschiedlich, ihre Badenden in Landschaften inszenieren.60 Männer bei der Toilette, also Badende in Innenräumen, sind besonders selten, was die US-amerikanische Kunstwissenschaftlerin Linda Nochlin darauf zurückführt, dass deren als erotisiert und passiv wahrgenommene Position weiblich oder zumindest unmännlich konnotiert ist.61 Die einzige Badeszene in einem Innenraum, die im Folgenden eine Rolle spielen wird, ist eine Fotografie von Edvard Munch aus Dr. Jacobsons Klinik in Kopenhagen (Abb. 44, S. 280). Abgesehen von diesem Beispiel interessiert mich vor allen Dingen die für das Motiv der Badenden spezifische Inszenierung von Akten in einer Landschaft, und zwar das für das erste Jahrzehnt nach der Jahrhundertwende 1900 in Skandinavien besonders auffällige Phänomen in der Kunst, badende Männer. Diese Häufigkeit männlicher Akte und insbesondere Badender ist angesichts der Dominanz des weiblichen Akts während des ganzen 19. Jahrhunderts überra-

59 Als bekannter moderner Vertreter wäre Edgar Degas (1834-1917) zu nennen. 60 Zu Cézannes Badenden vgl. Gottfried Boehm (1989): »Ein Paradies aus Malerei. Hinweise zu Cézannes Badenden«, in: Mary Louise Krumrine (Hg.): Paul Cézanne. Die Badenden. Basel: Kunstmuseum: S. 13-27; Tamar Garb (1996): »Visuality and Sexuality in Cézanne’s Late Bathers«, Oxford Art Journal 19:2, S. 46-60; Guido Messling (2005): »Wahlverwandtschaften: Badende bei Picasso und Cézanne«, in: Conzen: Picasso. Badende, S. 180-191. Zu Eakins vgl. Jennifer Doyle (2006): Sex Objects and the Dialectics of Desire. Minneapolis: Minnesota University Press, darin: »Sex, Sodomy, and Scandal: Art, and Undress, in the Work of Thomas Eakins«, S. 1544; Pål Bjørby (2006): »Mannlig akt og mannskroppens estetik«, Valör 2-3, S. 5-26. 61 Vgl. Linda Nochlin (2006): »The Man in the Bathtub. Picasso’s Le Meutre and the Gender of Bathing«, in: Dies.: Bathers, Bodies, Beauty. The Visceral Eye. Cambridge, London: Harvard University Press, S. 99-152. Einige der wenigen Bilder von Männern bei der Toilette stammen von Gustave Caillebotte (1848-1894). Siehe dazu Tamar Garb (2002): »Masculinity, Muscularity, and Modernity in Caillebotte’s Male Figures«, in: Norma Broude (Hg.): Gustave Caillebotte and the Fashioning of Identity in Impressionist Paris. New Brunswick, NJ: Rutgers University Press, S. 175-196.

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schend. Die männlichen Badenden finden sich jetzt bei Impressionisten, Expressionisten, Realisten und in der abstrakt-kubistischen Malerei, im visuellen Kontext der Lebensreform und in dem der wachsenden homosexuellen Subkulturen, in Genreszenen, in Darstellungen eines imaginierten Arkadiens wie auch in den für die Zeit vielleicht typischsten Strandszenen. Was für einen internationalen europäischen Kontext gilt, gilt in besonderem Maß auch für Dänemark. Hier wird im betreffenden Zeitraum an Hand des Bademotivs ein großes Spektrum an Kontexten und Bedeutungen des männlichen Körpers und des männlichen Akts verhandelt: von Skulptur, die das Konzept eines Theweleitschen Körperpanzers zu illustrieren scheint, über allegorische und mythologische Motive und ein kurioses Nachspielen antiker griechischer Kultur bei den so genannten Griechen in Refsnæs bis hin zu den typischen Badeszenen, die die Entdeckung des Strands als Lebensraum verhandeln.62 Mit Ausnahme der Brücke-Künstler und weniger anderer Beispiele sind die Badeszenen nach Geschlechtern getrennt und entsprechen insofern der zeitgenössischen öffentlichen Freizeit- und Badekultur. Einzelstudien zeigen, dass die repräsentierten Nacktbadeszenen fast immer Projektionen oder Inszenierungen sind.63 Entgegen dem Eindruck, den man durch die Rezeption des umfangreichen Bildmaterials aus dem Kontext der Reformbewegungen erhält, wurde der Nudismus nur von einer vergleichsweise kleinen Gruppe und eher im privaten Kontext praktiziert. Die Badenden sind also weniger zur Kategorie der Freilichtmalerei im engeren Sinn zu zählen als zur Aktmalerei, die ein in Interieur oder Land-

62 Zu der Gruppe junger Dänen, die in den 1890er Jahren einige Sommer lang eine imaginierte antike Lebensart pflegten, aber an der Toga als für dänische Sommer ungeeigneter Bekleidung scheiterten und das Vorhaben auf Grund von Krankheit abbrechen mussten, siehe Hanne Honnens de Lichtenberg (1978): »Hellenerne på Refsnæs«, in: Hakon Lund (Hg.): En bog om kunst til Else Kai Sass. Kopenhagen: Forum, S. 399-412. Für das Spektrum männlicher Akte in Dänemark vgl. Körber (2008): »Seksualitet, æstetik og den mandlige vitale krop« und den gesamten Katalog Livslyst/The Spirit of Vitalism. 63 Edvard Munch konnte – soweit man die Gegebenheiten rekonstruieren kann – nur mit Sondergenehmigung und außerhalb der Öffnungszeiten im Strandbad von Warnemünde arbeiten. Vgl. Annie Bardon (1999): »Warnemünde – wie Edvard Munch das Seebad 1907-1908 erleben konnte«, in: Dies. u.a. (Hg.): Munch und Warnemünde 1907-1908. Rostock, Oslo: Labyrinth Press, S. 9-23. Hans-Henrik Brummer schreibt in Bezug auf Zorns Badende in den Stockholmer Schären: »Spontane Nacktbäder waren auf dem Dalarö der Sommergäste vermutlich nicht üblich«. Brummer (1994): Till ögats fröjd och nationens förgyllning, S. 138.

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schaft arrangiertes Modell darstellt. Die meisten der hier präsentierten Bilder entstanden nach Skizzen und Fotografien im Atelier. Der Eindruck von Spontaneität und Dynamik entspricht somit nicht notwendigerweise dem Arbeitsprozess, sondern ist als erwünschter Effekt der Inszenierung zu verstehen. Das Baden in Luft, Sonne und Wasser als zentraler Bestandteil der um die Jahrhundertwende von den Reformbewegungen angestrebten Lebensführung ist an anderer Stelle und aus anderen disziplinären Perspektiven ausführlich erörtert worden.64 Im Hinblick auf künstlerische Repräsentationen des Badens ist wichtig, dass der Strand in der Zeit erst als Ort kollektiver Erfahrungen und damit als neuer Ort »des Schauens« etabliert wird, als Ort des Blickens auf das grenzenlose und damit erhabene Meer wie auch auf Aspekte des menschlichen Lebens, die sich der (partiellen) Nacktheit wegen nur am Wasser zeigen.65 Mich interessieren hier also die Repräsentation und Reflexion der zeitgenössischen Badekultur, die damit verbundene Aktualisierung von Akt und Badendemotiv sowie die über die Selbstinszenierung der Künstler als Badende erfolgende Verhandlung der Bedingungen für und Bedeutungen von Künstlerschaft, die ich exemplarisch untersuche. Das Baden als Praxis und Diskurs und die damit verknüpften Vorstellungen und Differenzierungen von Gesundheit und Krankheit stellen nicht nur den historischen und kulturellen Hintergrund für meine Analyse der Bilder dar, sondern werden im Hinblick auf deren Funktionalisierungen in den visuellen und textuellen Erzählungen über Leben und Werk der Künstler in die Untersuchung miteinbezogen. Auf diese Weise kann ich zeigen, dass Gesundheit, Lebenskraft und eine hegemoniale Männlichkeit nicht nur, wenn überhaupt, ein Motiv der Künstler sind, sondern wie diese Konzepte über Prozesse der Medialisierung und Ästhetisierung verhandelt und miteinander verschränkt werden.66

64 Z.B. in vielen Texten in Buchholz u.a. (2001): Die Lebensreform sowie in: Grisko (1999): Freikörperkultur und Lebenswelt. Zum Baden als kulturelle und soziale Praxis siehe auch Charles Sprawson (2002): Ich nehme dich auf meinen Rücken, vermähle dich dem Ozean. Die Kulturgeschichte des Schwimmens. Hamburg: marebuchverlag, Susan Anderson, Bruce Tabb (Hg.) (2002): Water, Leisure, and Culture. European Historical Perspectives. Oxford u.a.: Berg sowie Christopher Love (Hg.) (2007): Splashing in the Serpentine. A Social History of Swimming in England 1800-1918. London, New York: Routledge. 65 Michael Ott, Elisabeth Tworek (2006): SportsGeist. Dichter in Bewegung. Zürich, Hamburg: Arche, S. 40. 66 Zum Konzept einer hegemonialen Männlichkeit, das sich für die Männlichkeitsforschung als sehr produktiv erwiesen hat, siehe Robert W. Connell (1995): Masculinities. Berkeley, Los Angeles: University of California Press.

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Kategorien kultureller Differenzierungen Meine exemplarische und eng am Material argumentierende Analyse zeigt, dass eine dichotomische Unterscheidung von Norm oder Ideal versus Abweichung in Bezug auf die repräsentierten Körper nicht hinreichend ist. Diese sind vielmehr Produkte von Differenzierungsprozessen, die auf interdependenten Kategorien beruhen, die wiederum jeweils unterschiedlich gewichtet sind. Im Medialisierungsprozess, der von badenden Jungen am Strand des italienischen Amalfi zu J.F. Willumsens monumentalem Sonne und Jugend (Abb. 20, S. 203) führt, scheinen Hautfarbe und damit verknüpfte Zuschreibungen und Orte eine große Rolle zu spielen. Im Narrativ um J.A.G. Ackes badende Männer, dessen Ursprung ebenfalls in der Begegnung mit einem italienischen Jungen verortet wird, sind neben den den Süden und den Norden betreffenden Zuschreibungen Fragen nach Alter und nach Natürlichkeit versus Artifizialität zentral. Die Erzählung von Edvard Munch und dem Bildcluster um Badende Männer verwebt auf komplexe Weise Alter, Klasse, Sexualität und vor allem Differenzierungen zwischen Gesundheit und Krankheit. Bei Eugène Jansson schließlich, dem einzigen der Künstler, bei dem in Bezug auf die Darstellung von Besuchern eines Badehauses von Idealisierung und Normierung im engeren Sinn die Rede sein kann, werden Ein- und Ausschlüsse über eine Verzahnung von Gesundheit und Krankheit, soziale und auf Alter bezogene Distinktionen sowie vor allem Hetero- und Homosexualität argumentiert. Mit Blick auf die Forschungsliteratur ist zu konstatieren, dass der Themenkomplex um Männlichkeit, Begehren und Sexualität hauptsächlich dann interessierte, wenn, wie bei Jansson der Fall, von einem erotischen Begehren dem männlichen Modell gegenüber ausgegangen werden konnte. Wie ich im Kapitel über Jansson ausführen werde, spalten sich die in seine Rezeption einzuordnenden Texte in zwei Lesarten auf, eine Spaltung, die erst im Zusammenhang mit dem neuesten Ausstellungskatalog Eugène Jansson: Blaue Dämmerung und nackte Athleten überwunden zu sein scheint.67 In Folge der ersteren Lesart ist Jansson als Pionier zu betrachten, der es gewagt habe seine homosexuelle Neigung zu visualisieren, obwohl er damit Grenzen der Legalität überschritt.68 Jans-

67 Göran Söderlund, Patrik Steorn (2012): Eugène Jansson. Blå skymning och nakna atleter. Stockholm: Carlssons Bokförlag/Prins Eugens Waldemarsudde. 68 Vgl. Eman (1999): »Bröderna Jansson« und Bjørby (2006): »Mannlig akt og mannskroppens estetikk«. Zur Geschichte und Kriminalisierung homosexueller Männer im von mir untersuchten Zeitraum siehe für ganz Skandinavien Jens Rydström, Kati Mustola (Hg.) (2007): Criminally Queer. Homosexuality and Criminal Law in Scandinavia, 1842-1999. Amsterdam: Aksant. Für Schweden siehe Söderström

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sons Badende und Turner würden dem zufolge in einer Tradition männlicher Akte stehen, über die eine visuelle Genealogie homosexueller Männer hergestellt wird.69 Die letztere, als heteronormativ zu bezeichnende Lesart hat die Tendenz, Janssons Homosexualität zu verleugnen und zugleich zu behaupten, Sexualität spiele bei der Interpretation von Kunstwerken und in der Kunstgeschichtsschreibung keine Rolle. Heterosexualität als Norm und als Grundbedingung künstlerischen Schaffens, wie im Zusammenhang mit dem Aktgenre allerorten zu beobachten, wird gleichzeitig unsichtbar gemacht und als Norm bestätigt sowie Homosexualität als Abweichung festgeschrieben.70 Bei den anderen Künstlern finden sich im Material kaum Hinweise auf einen Homosexualitätsverdacht. Die Abwesenheit der Thematisierung von (Homo-) Sexualität und Begehren in der Rezeption lässt sich allerdings als Ergebnis unterschiedlicher und im Folgenden zu präsentierender Strategien deuten, mit deren Hilfe auf andere Differenzierungskategorien und damit auf andere Ebenen der Verhandlung ausgewichen werden kann. Bei Munch wird eine angenommene grundsätzliche Andersartigkeit im Rahmen eines dichotomisch strukturierten, aber uneindeutigen und sich verschiebenden Gesundheits- und Krankheitsparadigmas verhandelt. Im Zusammenhang mit Ackes Badenden werden Konzepte von Natur und Natürlichkeit zentral und lassen sich im Hinblick auf Körper, Nacktheit und Sexualität Naturalisierungs- und Normalisierungsprozesse beobachten.

(1999): Sympatiens hemlighetsfulla makt sowie Jens Rydström (2003): Sinners and Citizens: Bestiality and homosexuality in Sweden, 1880-1950. Chicago: The University of Chicago Press. Für die Situation in Dänemark siehe Wilhelm von Rosen (1993): Månens kulør: Studier i dansk bøssehistorie 1628-1912. Kopenhagen: Rhodos und Henning Bech (1988): Når mænd mødes: homoseksualiteten og de homoseksuelle. Kopenhagen: Gyldendal. Für Norwegen siehe Runar Jordåen (2003): Frå synd til sjukdom? Konstruksjonen av mannleg homoseksualitet i Norge 1886-1950. Unpublizierte Magisterarbeit, Universität Bergen. In Dänemark wurde Homosexualität 1933 entkriminalisiert, in Schweden 1944 und in Norwegen erst 1972. In Dänemark wurde Homosexualität bis 1972 als psychische Krankheit gewertet, in Norwegen und Schweden bis 1979. 69 Zu einer solchen Genealogie, über die eine Geschichte der Homosexualität erzählt wird, siehe Göran Söderström (1999): »Homoerotiken i konsten – konst och konstnärer«, in: Ders. (Hg.): Sympatiens hemlighetsfulla makt, S. 268-308 und Gerhard Härle u.a. (Hg.) (1997): Ikonen des Begehrens. Bildsprachen der männlichen und weiblichen Homosexualität in Literatur und Film. Stuttgart: Metzler. 70 Vgl. v.a. Zachau (1997): Eugène Jansson.

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Der Begriff der Homosozialität, der sich seit Eve Kosofsky Sedgwicks Between Men (1985) als außerordentlich produktiv erwiesen hat, bietet einen Ansatz, um den Dualismus zwischen Homo- und Heterosexualität zu überwinden und Beziehungen zwischen Männern stattdessen als komplexes Kontinuum zu beschreiben.71 Tatsächlich gilt für den Zeitraum nach der Jahrhundertwende 1900, dass die diskursive Verbindung von Homosexualität, Degeneration und Verweiblichung an Bedeutung verliert, damit verknüpfte Differenzierungen zwischen Gesundheit und Krankheit nicht mehr eindeutig sind und sich im Kontext von Sport und Lebensreform die Frage nach der Schönheit des männlichen Körpers neu stellt. Ästhetiken und Praktiken in Bezug auf den männlichen Körper in homo- und heterosexuellen Gemeinschaften nähern sich einander an, was einerseits einen Raum für fließende Übergänge zwischen Homosozialität und Homosexualität eröffnet, andererseits aber auch neue Grenzziehungen in Form von Homophobie zur Folge haben kann.72 Die Verleugnung von Janssons Homosexualität noch zu Ende der 1990er Jahre lässt sich als ein Fall der bei Sedgwick so genannten »homosexual panic« beschreiben.73 Die Verhandlung Janssons als Schwulenikone kann ebenfalls problematisch sein, wenn seine Badenden und Turner im Hinblick auf Motiv- und Genregeschichte nicht kontextualisiert, und in deren Besprechung die Ebenen von Repräsentation und Fiktionalisierung nicht berücksichtigt werden. Meine Arbeit ist ein Versuch, die Ein- und Ausschlussprozesse nachzuvollziehen, die den als ›heteronormativ‹ und als ›homonormativ‹ zu bezeichnenden Lesarten zu Grunde liegen.74 Thomas Waugh fragt in seinem Buch über Homoerotik in Fotografie und Film: »Wouldn’t it be fascinating to see a nonheterosexist history of male culture […]? Or better still, a history of eroticism in general, compiled without sexism

71 Eve Kosofsky Sedgwick (1985): Between Men. English Literature and Male Homosocial Desire. New York: Columbia University Press und Dies. (1990): Epistemology of the Closet. Berkeley, Los Angeles: University of California Press. 72 Vgl. Kosofsky Sedgwick (1985): Between Men, S. 1. 73 Ebd., S. 83-96. 74 Mit Homonormativität meine ich nicht in erster Linie eine u.a. von Lisa Duggan und Jasbir Puar beanstandete neoliberale und unpolitische Lebensweise schwuler Männer, sondern die Reduktion eines komplexen Phänomens auf die Kategorie Homosexualität. Vgl. Lisa Duggan (2002): »The New Homonormativity: The Sexual Politics of Neoliberalism, in: Russ Castronovo, Dana Nelson (Hg.): Materializing Democracy: Toward a Revitalized Cultural Politics. Durham: Duke University Press, S. 175-194 und Jasbir K. Puar (2006): »Mapping U.S. Homonormativities«, in: Gender, Place, Culture: A Journal of Feminist Geography 13:1, S. 67-88.

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or homophobia?«75 Nun sind die von mir untersuchten männlichen Badenden keine Pornografie im engeren Sinn – das wäre ein eigenes Thema –, aber zu einer nicht-heterosexistischen Geschichte der Beziehungen zwischen Männern möchte ich dennoch gern einen Beitrag leisten. Bei der nun folgenden Präsentation badender Männer bei Edvard Munch, Eugène Jansson und J.A.G. Acke stehen zunächst in jeweils eigenen Kapiteln deren Malerei und ihre Kontextualisierung, vor allem mit autobiografischem, biografischem und anderem auf Ausstellungen bezogenem Material, im Fokus, bevor im abschließenden Kapitel die Maler selbst auf Fotografien als Badende erscheinen.

75 Waugh (1996): Hard to Imagine, S. 19.

2. Gesundheit, Krankheit und badende Männer: Edvard Munch

2.1. A KTE , B ADENDE

UND DER

K ÖRPER

DES

K ÜNSTLERS

Edvard Munchs Badende Männer (Badende menn) von 1907 (Abb. 1), das gemeinhin als zentrales Werk einer großen Gruppe männlicher Badender gilt, ist seit den ersten Jahren nach seiner Entstehung nur selten ausgestellt worden. Erst im Zusammenhang mit einem Aufsatz von Patricia Berman von 1994 und mit dem aktuellen Interesse für vitalistische Strömungen in Skandinavien sind Munchs Badende wieder häufiger Gegenstand von Ausstellungen und wissenschaftlichen Untersuchungen geworden.1 Das Desinteresse an Munchs Männerakten im Sonnenlicht ist unter anderem damit zu erklären, dass Munch, so Patricia Berman, meist als Maler der Frauen, der Angst und der Dekadenz verstanden worden ist.2 Die Voreingenommenheit in der Munchrezeption bezieht sich dabei gleichermaßen auf die Kategorie Geschlecht und auf Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit. In beiderlei Hinsicht unterscheidet sich Badende Männer radikal von den als paradigmatisch wahrgenommenen und bekanntesten Munchbildern. Das Bild verweist auf Freiluft- und Freikörperkultur, auf die Beschäftigung mit Gesundheit und Ästhetik des männlichen Körpers und auf die künstlerische Untersuchung der visuellen Effekte gleißenden Sonnenlichts.

1

Berman (1993): »Body and body politic in Edvard Munch’s Bathing Men«; Ydstie (2006): Livskraft.

2

Patricia G. Berman (1994): »(Re-) Reading Edvard Munch. Trends in the Current Literature«, in: Scandinavian Studies 66, S. 45-67; Patricia G. Berman (1997): »Woman, »Woman«, and the Genesis of an Artist’s Myth«, in: Berman, Van Nimmen: Munch and Women, S. 11-40.

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Edvard Munchs Beschäftigung mit dem männlichen Akt begann dem Kurrikulum an den Kunstakademien im 19. Jahrhundert entsprechend während seiner verhältnismäßig kurzen formalen Ausbildung in Kristiania, heute Oslo, und Paris. Akademische Aktstudien sind zum Beispiel aus dem Jahr 1889 überliefert. Munch war mit einem nationalen Künstlerstipendium nach Paris gereist, wo er vier Monate lang bei dem Historien- und Porträtmaler Léon Bonnat (1833-1922) Aktzeichnen studierte. Den Zeichnungen ist anzusehen, dass sie im Unterrichtskontext nach einem professionellen Modell angefertigt wurden – ein neutraler Blick ist auf Anatomie und das Spiel von Licht und Schatten fokussiert. Munchs männliche Akte nach seiner Ausbildungszeit lassen sich grob in drei einander überlappende Gruppen aufteilen: Selbstporträts, Badende und die Akte im Fries zur Ausschmückung des Osloer Universitätsfestsaals. Munch hat sich außergewöhnlich oft als Akt selbst porträtiert. Wenn Iris Müller-Westermann in der Einleitung zum Katalog Munch selbst (Munch själv, 2005) schreibt, kaum ein anderer Künstler habe sich selbst so schonungslos behandelt und sich in einer solchen Weise selbst entblößt wie Munch in seinen Selbstporträts, kann letzteres auch wörtlich verstanden und auf die Nacktheit auf vielen Selbstporträts bezogen werden.3 Zur Gruppe dieser Selbstporträts als Akt können auch etliche Fotografien gezählt werden, auf die ich in Kapitel 5 näher eingehen werde. Die Selbstporträts überlappen mit der Gruppe der Badebilder insofern, als sie teilweise aus demselben Kontext stammen und, wie die Aufnahme vom Warnemünder Strand auf dem Umschlag (Abb. 55, S. 293), Munch als aktiven Teilnehmer an der Bade- und Freiluftkultur inszenieren. Der Künstler ist hier zwar wie auf traditionellen Künstlerporträts mit seinen Attributen Palette, Pinsel und Leinwand ausgestattet. Die Distanz aber, die sonst durch Leinwand und Pinsel markiert wird, wird hier dadurch deutlich verringert, dass der Künstler bis auf einen Lendenschurz nackt ist wie sein Modell. Tatsächlich stammen fast alle männlichen Akte, darunter viele Skizzen für spätere Gemälde, aus dem Kontext der um die Jahrhundertwende aufblühenden Badekultur. Munch zeigt sich in Briefen begeistert von der Fülle an Motiven, die sich ihm in den Strandbädern und Badehäusern darbietet, wo er sich in erster Linie in der Sommerfrische und aus Gesundheitsgründen aufhält. Im chronologischen Verlauf ist interessant zu beobachten, dass er zunächst weibliche und männliche Akte parallel malt und ausstellt, als zentrale Werke dann nur badende Männer im Monumentalformat präsentiert, um im Zusammenhang mit den Auladekorationen und späteren Serien von Badenden wieder mit männlichen und weiblichen Akten parallel zu arbeiten.

3

Iris Müller-Westermann (2005): Munch själv. Stockholm: Moderna Museet, S. 15.

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Munch machte sich an die Ausarbeitung von Entwürfen, sobald er 1909 von dem Wettbewerb für die Ausschmückung der Universitätsaula erfahren hatte. Dabei griff er auf frühere Zeichnungen von Badenden zurück, darunter auf Skizzen aus einem Berliner Badehaus vom Winter 1906/07. Die Motive lassen sich also auf Skizzen aus dem zeitgenössischen Bademilieu zurückführen, sind aber der Alltagskultur entzogen, um sich in einer zeitlosen Sphäre wiederzufinden, wo sie – wie auch der alte Mann in Geschichte und die Alma Mater auf zwei der drei Haupttafeln – allegorische Figuren darstellen. Diese Verbindung von Alltags- und Volkskultur und Allegorie kennzeichnet Munchs Konzept für die Aulaausschmückung und ist, wie zu zeigen sein wird, auch wesentlich für das Verständnis seiner Badenden. Weitere Serien von männlichen und weiblichen Badenden entstanden bis kurz vor dem Tod Edvard Munchs und jeweils im Zusammenhang mit Aufenthalten am Meer oder in Badehäusern. Das für das Motiv charakteristische Verhältnis von Körper und Landschaft scheint in den späteren Serien zugunsten der Landschaft verschoben. Eine Reihe von Bildern von 1914 und 1915 sind nach der Landschaftsformation benannt und beschreiben im Titel die abgeschliffenen Felsen, auf Norwegisch svaberg, auf denen die Badenden liegen und sitzen. Zwei Bilder aus dieser Serie sind mit Hochsommer überschrieben – wieder treten die nackten Körper hinter die geographisch-klimatische Situation zurück. Die Verschränkung mit Fotografie und Selbstporträt sowie der Aspekt der Körperinszenierung, die Schwerpunkt dieses Buchs bilden, sind in der hier berücksichtigten und im Folgenden im Zentrum stehenden Phase in weitaus höherem Maß ausgeprägt und angelegt – die Badenden dominieren das Geschehen auf der Bildfläche.

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Abb.1: Edvard Munch: Badende Männer (1907/08)

Ich werde im Folgenden erörtern, inwiefern bei Munchs männlichen Badenden das Interesse für Akt und Anatomie mit dem für Hygiene und Medizin sowie für den eigenen Körper und Männlichkeit verschränkt sind. Mit den Badenden knüpft Munch an ein traditionelles Motiv an, das er über den Bezug zum Baden als moderne mit Hygiene und Gesundheit verbundene kulturelle Praxis aktualisiert. Im Zusammenhang mit dem männlichen Akt wird die Bedeutung von Gesundheit und Krankheit für Männlichkeit und Künstlerschaft verhandelt. Ich werde die Analyse von Bildern aus der Serie badender Männer mit der Auswertung von Briefwechseln, Rezensionen, Zeitungsdebatten sowie Forschungsliteratur ergänzen und so den Entstehungs- und Rezeptionskontext umfassend darstellen. Dabei stellt sich die Frage, wie sich die Bilder und Texte zueinander verhalten: Wie werden die Bilder vom Künstler selbst, von Freunden und Bekannten, von Journalisten und der Munchforschung in Leben und Werk des Künstlers eingeordnet? Wie ich zeigen werde, ergibt sich ein Narrativ von einem Künstler, der einen Krankheitszustand, der sich in seiner Kunst niederschlage, durch Lebens- und Schaffenskraft überwindet. Der Ausbruch an Lebenskraft, Gesundheit und Optimismus, als der die Bilder oft gedeutet werden, ist dabei nicht als ein biografisches Moment zu verstehen, sondern als eine Inszenierung, zu der neben den

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Bildern und Fotografien auch die Äußerungen des Künstlers sowie seiner Rezipienten beitragen. Die Inszenierung trägt dazu bei, das Konzept von Kraft in Bezug auf Munchs Künstlerschaft umzudeuten. Statt der Kraft der Zerstörung, der Sexualität und des Verfalls, die allerdings die Inszenierung immer wieder unterbrechen, steht nun die Lebens- und Schöpferkraft, die Strahlkraft des Genies im Vordergrund. Wenn ich mich nun Munchs Serie badender Männer zwischen 1904 und 1911 zuwende, werde ich deren Entstehungs-, Ausstellungs- und Rezeptionsgeschichte chronologisch nachvollziehen. Dabei beginne ich mit dem Bild Badende junge Männer (Badende unge menn) von 1904 aus Åsgårdstrand (Abb. 2) und verfolge das Thema der Badenden über die zentralen Badende Männer (1907) aus Warnemünde bis hin zum Triptychon der Lebensalter, ausgestellt in Helsinki 1911 (Abb. 1, 5 und 6, S. 48, 69). Ich werde herausarbeiten, wie die Kunstkritik hinsichtlich des Akt- und Nacktheitsparadigmas argumentiert, wie die Bilder in eine Erzählung von Schöpferkraft und Künstlerschaft eingebettet werden und welche Konzepte von Gesundheit und Krankheit im Zusammenhang mit Kreativität und Männlichkeit verhandelt werden. Åsgårdstrand 1904: Badende junge Männer Munch verbrachte fast jeden Sommer ab 1889 in Åsgårdstrand am Oslofjord und die Sommer 1907 und 1908 in Warnemünde an der deutschen Ostseeküste. Auch seine Häuser in Norwegen, wo er ab 1909 wohnte und arbeitete, lagen nahe am Meer, wo er, wie er es in vielen Briefen ausdrückt, seine Nerven zu kurieren können glaubte. Die Badebilder können fast alle einem konkreten Ort zugeordnet und deshalb auch datiert werden. Das erste monumentale Bild badender Männer, unterschiedlich als Badende menn, Badende gutter, Badende Jungen oder, in Gerd Wolls den Standard setzenden Gesamtkatalog von 2008, als Badende junge Männer bezeichnet, entstand 1904 in Åsgårdstrand und wurde in einer großen Munch-Retrospektive im Dioramagebäude in Kristiania im Oktober desselben Jahres erstmals ausgestellt (Abb. 2).4 Bei der Konzeption des Bildes nahm Munch direkten Bezug auf sein Bild Badende Knaben, wie auch das Pendant Badende Mädchen zwischen 1897 und 1901 entstanden. Diese beiden früheren Bilder zeigen jeweils mehrere spielende und schwimmende Kinder im Wasser, das die gesamte Bildfläche ausfüllt. Die Figuren sind von Wellen, Wasserpflanzen und Spiegelungen ihrer Körper eingerahmt. Während die vier badenden Mädchen im Vordergrund von Badende Mädchen nur bis zum Knie im Wasser stehen und lediglich die Unterschenkel

4

Vgl. Kneher (1994): Edvard Munch in seinen Ausstellungen, S. 199-201.

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des am weitesten links stehenden Mädchens sowie die Körper der schwimmenden Figuren am oberen Bildrand unter Wasser zu sehen und grünlich verfärbt sind, sind die Körper der beiden schwimmenden Jungen in Badende Knaben weitgehend verfärbt und verzerrt dargestellt. Während das Sonnenlicht die aus dem Wasser herausragenden Körper sowohl der Mädchen als auch des links stehenden Jungen konturiert, modelliert und gegenüber dem Wasser heraushebt, scheint die Bewegung im Wasser in Verbindung mit den Reflexionen des Lichts die Körper im Wasser zu verformen, sie werden eins mit den Wellen und den Wasserpflanzen, die sich alle im selben Rhythmus bewegen. Der frontal zur Betrachterin gerichtete Junge rechts im Bild erinnert bereits mehr an einen Frosch als an einen Menschen, gibt sich der optischen Metamorphose durch Wasser, Sonne und Wellen hin. Abb. 2: Edvard Munch: Badende junge Männer (1904)

In Badende junge Männer von 1904 ergänzt Munch die schwimmenden, vogeloder amphibienartigen Figuren im Wasser, die von Wellen, Steinen und Pflanzen umgeben sind, mit einem neuen Bildabschnitt, dem Vordergrund, der eine Uferlinie abbildet. Auf dem Streifen zwischen Wasser und Strand sind insgesamt sechs stehende Figuren abgebildet, von denen zwei frontal der Betrachterin zugewandt sind. Die Reflexe des flirrenden Sonnenlichts auf den Körpern sind durch Schatten und Konturen in Gelb, Orange bis hin zu Rot und Violett gekennzeichnet. Dadurch bildet sich das vollständige Spektrum an Komplementärkontrasten der von der Sonne beschienenen Körper gegenüber den blauen Was-

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serpartien, den grünen sich im Wasser befindenden Körperpartien und den violett leuchtenden Steinen am Ufer. Die Körper sind nicht nur in Partien oberhalb und unterhalb der Wasserlinie aufgeteilt, sondern auch in mehr oder weniger sonnengebräunte Körperteile. Kopf, Nacken, Hals und Hände aller Figuren sind stark gebräunt, während das blasse Gesäß der Figur in der Mitte, die das Zentrum des Bilds ausmacht, der Körperteil zu sein scheint, der am wenigsten mit der Sonne in Berührung kommt. Während die schwimmenden Figuren noch sehr an das frühere Badende Knaben erinnern – die Figur rechts oben im Bild ist übernommen und noch weiter abstrahiert –, scheinen die stehenden Figuren zum Vordergrund hin immer älter zu werden, bis die größte Figur links vorn dem Betrachter als erwachsener Mann entgegen tritt. Das Bild könnte mit einigem Recht als Lebensalter- oder aber Evolutionsdarstellung gedeutet werden, scheint es doch, als ob die jungen Männer einer Art Ursuppe entsteigen, wo Kinder sich kaum von Fröschen oder Vögeln unterscheiden und sich die einzelnen Spezies nur allmählich ausdifferenzieren, damit uns als Krone der Schöpfung der junge Mann mit stolz in die Hüften gestemmten Händen entgegentritt. Die charakteristische Uferlinie mit ihrem leichten Schwung nach rechts oben und ihren violett schimmernden Steinen, die Munch hier mit in der Sonne strahlenden Körpern bevölkert, kennt man aus vielen anderen Bildern Munchs, wo sie die Kulisse für ganz andere Szenen bildet. Das bekannte Melancholie zum Beispiel zeigt die Landschaft in einer vollkommen anderen Stimmung. Die Steine leuchten violett im Mond- und nicht im Sonnenschein, das Meer ist im Zwielicht von graublauer Farbe, die Schatten, die das Bild kennzeichnen, sind nicht gelb, sondern dunkel, und der Protagonist ist nicht dem Betrachter zugewandt, sondern nach innen gekehrt. Munch nimmt hier eine radikale Verschiebung vor von Zwielicht zu Sonnenlicht, von Mondschein zu Sonnenbräune, von Isolation zum kollektiven Vergnügen im Wasser, von der Einsamkeit des Menschen in der Natur zu seinem Verschmelzen mit ihr. Im Zusammenhang mit seinen ersten Badenden beschäftigt sich Munch mit den visuellen Effekten in der Sonne flimmernder Luft, mit deren Reflexen im Wasser und mit der dadurch hergestellten Einheit des menschlichen Körpers mit der belebten und unbelebten Natur. Die menschlichen Körper nähern sich in Form und Farbe Tieren und Pflanzen an. Das Wasser erscheint als Ursprung der Lebewesen. Dennoch liegt der Fokus zunehmend auf der Darstellung der Körper. Einerseits kann das Wasser die Körper in amphibienartige Wesen verwandeln, andererseits scheint Badende junge Männer nahezulegen, dass dem Wasser eine Kraft innewohnt, die die männlichen Figuren gestärkt, gebräunt und athletisch dem Bad entsteigen lässt. Das Wasser bekommt in diesen Bildern eine mythische Qualität, indem Assoziationen mit einer Ursuppe oder dem Jungbrunnen

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aufgerufen werden. Gleichzeitig wird auf die medizinisch-hygienische Dimension des Badens hingewiesen, wie sie um die Jahrhundertwende 1900 weite Verbreitung erfuhr. Beide Dimensionen des Wassers und Badens, eine zeitlos-entgrenzende sowie eine historisch konkrete, finden sich auch in den Berichten von Munch und seinen Freunden über den Sommer 1904 in Åsgårdstrand. Munchs Briefe an seinen Verwandten und Freund, den Maler Ludvig Ravensberg (1871-1958), erzählen von seiner Sommerfrische und damit vom Kontext, in dem Badende junge Männer entstand: Derweil steht hier eine gewaltige Leinwand und wartet darauf, mit den muskulösen Männern bevölkert zu werden, die am Wasser der Piperbucht umherwandern – […] Der Salat tut alles dafür, trotz der Trockenheit die schwarze Erdkruste zu überwinden – Hier werden bei Bad, Boxen und Steinwerfen die Muskeln trainiert. Gierløff kommt vielleicht am Samstag – Kommt also alle, auch der magere aber herrliche Held Jappe Nilssen. Dein Edvard Munch.5

Als Bestandteile des Sommeraufenthalts werden Sport und Bad, Sonne und Trockenheit, das Malen und das Beisammensein mit Freunden genannt. Die muskulösen Männer aus Munchs Brief sind in dreifacher Hinsicht bedeutend: sie stellen gleichzeitig die Kulisse für den Strandurlaub, Munchs Motiv und das erstrebenswerte Trainingsziel dar. Munch verknüpft den Strand als modernen ›Ort des Schauens‹ und des Sporttreibens sowohl mit seiner Kunst als auch mit der eigenen körperlichen Betätigung.6 Alles findet im Rahmen einer männlichen Gemeinschaft statt. Frauen, in Form von Munchs Haushälterin und nicht näher bezeichneten Flirtpartnerinnen, werden erst auf einer Postkarte an Ravensberg vom 12. Juli erwähnt, in dem Munch unter der Überschrift »Die Macht der Triebe« einen Tagesablauf entwirft: 8 Uhr Gesang von der Treppe. ½ 9 Uhr Steinewerfen. 9 Uhr Ringen, Boxen. ½ 10 Uhr Schießübungen. 10 Uhr Die Götter tauchen in die Wellen ein. ½ 11 Uhr Sonne und Sand-

5

»Imidlertid står et umådeligt Lærred ventende på at blive befolket med de muskelstærke Mænd der vandrer omkring Pipervikens Vande – [...] Salaten gjør alt forat komme over Jordens sorte Muld tiltrods for Tørken – Her øves Musklerne ved Bad Boxing og Stenkasing [sic] Gierløff kommer muligt Lørdag – Kom altså alle også den mavre men herlige Helt Jappe Nilssen. Din Edvard Munch«. Brief von Munch an Ludvig Ravensberg aus Åsgårdstrand, 23.6.04. Munch-Museum Oslo (MM N 2807).

6

Vgl. Ott, Tworek (2006): SportsGeist, S. 40.

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bad. 11 Uhr Der Trost der Götter [Munchs Haushälterin in Åsgårdstrand, LAK] verkündet auf der Treppe, dass es Frühstück gibt: Eier, Eier, nochmals Eier. ½ 12 Uhr Malen. 12 Uhr Flirt mit wilden Mädchen. ½ 1 Uhr Absinth. 1 Uhr Appetit. ½ 2 Uhr Wunderliche Zeichen in Sonne und Mond. 2 Uhr Die Mägen der Götter knurren. ½ 3 Dinér Salat mit Hähnchensteak, grüner Salat, Gurkensalat, Olivenöl, Stachelbeergrütze mit Sahne. 3 Uhr Flirt. ½ 4 Uhr Flirt (Fortsetzung folgt!) ½ 11 Konzert.7

In diesem Plan wird der Kunst nur sehr wenig Zeit, nämlich genau eine halbe Stunde, eingeräumt. Die im ersten Brief genannte Leinwand scheint noch länger warten zu müssen. Die anderen Aspekte scheinen wichtiger zu sein, allen voran das Wohlbefinden der potenziell muskulösen Männer, von Munch und seinen Freunden. Munch beschreibt hier wieder einen als typisch zu bezeichnenden Strandurlaub, der körperliche Aktivität und Erholung mit einer hedonistischen Lebensweise verbindet. Es ist interessant zu beobachten, wie das Malen in den Tagesablauf eingebettet wird. Im Tagesprogramm taucht es gleichwertig mit Tätigkeiten wie »Steinewerfen« oder »Sonne und Sandbad« auf. Aus dem ersten zitierten Brief ist zu ersehen, dass das Malen auch auf der Motivebene organisch mit den anderen Aspekten des Strandurlaubs verbunden zu sein scheint. Die Verbindung von Strandleben, Munchs Malen und den badenden Männern wird auch in Christian Gierløffs Buch Edvard Munch selbst von 1953 dargestellt. Wie im Brief von Munch an Ravensberg angekündigt, kam Gierløff, Stadtplaner, Volkswirt und Autor (1879-1962), Munch besuchen und beschreibt retrospektiv seine »Impression von Åsgårdstrand«, die seither häufig zitiert worden ist: Die Sonne hat den ganzen Tag gebrannt, und wir ließen sie brennen. Munch hat ein bisschen an einem Badebild gemalt, aber den größten Teil des Tages blieben wir von der Sonne überwältigt in tiefen Sandmulden ganz unten am Fjordufer liegen, zwischen den großen Steinen, und ließen unsere Körper alle Sonne in sich aufsaugen, die sie bekommen konn-

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»Drittens Vælde [...] Kl. 8 Sang fra trappen. Kl. ½ 9 Stenkastning. Kl. 9 Brytning, boksning. Kl. ½ 10 Skydeøvelser. Kl. 10 Guderne neddukker i bølgerne. Kl. ½ 11 Sol & sandbad. Kl. 11 Gudernes trøst forkynder frokost fra trappen: Æg, æg og atter æg. Kl. ½ 12 Maling. Kl. 12 Flirt med brogede piger. Kl. ½ 1 Absinth. Kl. 1 Appetit. Kl. ½ 2 Underlige Tegn i sol og maane. Kl. 2 Gudernes maver knurrer. Kl. ½ 3 Dinér Salat med kyllingsteg, grønsalat, agurk-salat, huile d’olive, stikkelbærsgrød m. fløde. Kl. 3 Flirt Kl. ½ 4 Flirt (Forts. følger!) Kl. ½ 11 Konsert«. Postkarte von Munch an Ludvig Ravensberg aus Åsgårdstrand vom 12. Juli 1904. Munch-Museum Oslo (MM N 2809).

54 | B ADENDE MÄNNER ten. Niemand fragt hier nach einem Badeanzug, die warmen Böen des Juliwindes sind die einzigen Kleidungsstücke zwischen uns und der Sonne. Dies ist die Wollust der Taubheit, wir schaffen nichts, wünschen nichts, nehmen nichts wahr, nichts außer der Seligkeit des Tages, – das Wohlbefinden ist zügellos, scheintot begraben sind wir von Sand und Sonne, lassen die Kugel rollen wie und wohin sie will. Eine Bö hat die Leinwand von der Staffelei geblasen. Mit langen Abständen können wir uns wohl die paar Umdrehungen hinunter in die etwas kühlere See wälzen, oder – und das ist die allergrößte Anstrengung – einen flachen Stein über die Meeresoberfläche hüpfen lassen. [...] Sinnestrunken von Sonne und Jasmin – bis am Abend, wenn der Zauber gelöst wird – und wir erwachen von unserem schlaflosen Sommertagsschlummer, todmüde vom Ausruhen, entkräftet vor angesammeltem Kraftüberschuss, und wälzen uns hinüber zu unseren Jacketts, bedecken damit unsere Nacktheit.8

Gierløff beschreibt hier eine Nähe der nackten Körper zu den Elementen, die in Munchs Badenden verbildlicht wird. Die Körper sind von Sonnenlicht durchdrungen, so dass sie zu strahlen scheinen. Die Nähe der Körper zur Natur wird durch eine Ambivalenz zwischen Aktivität oder Lebenskraft und einer Trägheit gekennzeichnet, die bei Gierløff mit Taubheit, Müdigkeit und Kraftlosigkeit bis hin zum Tod verbunden wird. Die Leinwand mit den badenden Männern ereilt das gleiche Schicksal: Zunächst vom Juliwind und Munchs Pinsel »ein bisschen« gestreichelt, fällt sie neben die sonnenbadenden Herren in den Sand. Im nächsten Abschnitt heißt es: »Das Badebild liegt da, wohin es gefallen ist, mit

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»Solen har stekt hele dagen, og vi lot den steke. Munch har malt litt på ett badebilde, men mesteparten av dagen ble vi liggende, overveldet av solen, i dype sandholer helt nede i fjordkanten, mellom de store rullesteinene, og lot kroppene våre drikke inn all den sol de kunne overkomme. Ingen spør etter badedrakt her, julivindens varme blaff er de eneste kledebon mellom oss og solen. Dette er dovenskapens vellyst, vi gider intet, ønsker intet, fornemmer intet, intet annet enn dagens salighet, – velværet er tøylesløst, skinndød begravne er vi i sand og sol, lar kloden rulle som og hvorhen den vil. Et blaff har blåst lerretet ned av staffeliet. Med lange mellomrom kan vi nok velte oss de par vendingene ned i den litt svalere sjøen, eller – og det er den aller høyeste anstrengelsen – la en flat stein skjene utover havflaten. [...] Sansedrukne av sol og sjasmin – , til mot kvelden da fortryllelsen løses –, og vi våkner av vår søvnløse sommerdagssøvn, dødstrette av å hvile, avkreftede av alt det innsamlede kraftoverskudd, og velter oss bort til våre kavaier, dekker med dem vår nakenhet«. »Impresjon av Åsgårdstrand«, Christian Gierløff (1953): Edvard Munch selv. Oslo: Gyldendal, S. 156-169, hier: S. 156.

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der Nase zwischen den Steinen«.9 Auch auf dieser Ebene werden die nackten Körper auf der Leinwand beziehungsweise die Leinwand selbst mit den nackten Körpern von Munch und seinen Freunden verglichen: sie wird den Elementen ausgesetzt, wird von Sonnenlicht durchdrungen und von Sand begraben. Von den muskulösen Männern aus dem ersten Brief ist hier nicht mehr die Rede. Die Lust am Training und an Bewegung scheint einer wohligen Kraftlosigkeit gewichen zu sein. Die Einbettung der Körper in die Landschaft, die über Farbe und runde Formen erreicht wird, wird in Badende junge Männer stärker betont als die Anatomie trainierter Körper. Auch in der Erzählung Gierløffs herrschen runde Formen vor: von Steinen, Felsen und Sandmulden in konzentrischen Kreisen ausgehend erreichen sie in Form der Sonne kosmische Dimensionen. Der Umgang mit Nacktheit ist bei Gierløff unmittelbar an die Naturelemente gebunden: Der Wind wird als einziges Kleidungsstück beschrieben und erst bei Sonnenuntergang, als die Verzauberung nachlässt, scheinen die Herren ihrer Nacktheit bewusst zu werden und sie mit ihren Jacketts zu bedecken. Im Text heißt es im Anschluss an diese Stelle weiter: »Bald geht die Sonne unter, die Abendluft erfrischt den Geist und bringt das Blut etwas in Schwung«.10 Der Tag im Sonnenschein scheint den Geist hingegen zu lähmen und den Menschen auf eine träge Körperlichkeit zurückzuwerfen. Gleich in der Hitze vegetierenden Tieren spielt die Frage nach mit Nacktheit verbundener Scham oder Schamlosigkeit keine Rolle. Erst die Abendbrise weckt die Männer aus ihrer Lähmung oder Bewusstlosigkeit, mit der Folge der Erkenntnis ihrer Nacktheit. Baden und Badende bei Munch laden zu sowohl einer Darwinschen als auch einer biblischen Lesart von Nacktheit ein – angelegt ist bei beiden Anfangserzählungen die Menschwerdung als Erkenntnis und Überwindung des Nacktseins; Kulturalität wird markiert durch das Anziehen, durch Bekleidung, in der Kunst: durch den Akt. Badende junge Männer wurde trotz lähmender Hitze fertig und laut Jan Knehers Übersicht erstmals im Oktober 1904 in einer Retrospektive im DioramaGebäude in Oslo, damals Kristiania, ausgestellt.11 Keine Rezension zur Ausstellung geht explizit auf Badende junge Männer ein. Nichts weist also darauf hin, dass die Akte Anstoß erweckten oder kontrovers diskutiert wurden. Vergleicht man diesen Umstand mit den Debatten um die nächste Version von Badende Männer von 1907 wird deutlich, dass die unterschiedliche Rezeption auf die Bil-

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»Badebildet ligger der det falt, nesegrus ned i steinene«, ebd., S. 157.

10 »Snart går solen ned, kveldsluften frisker opp ånden og setter litt fart i blodet«, ebd., S. 156. 11 Kneher (1994): Edvard Munch in seinen Ausstellungen, S. 199-202.

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der selbst zurückzuführen ist. Die hier herausgearbeiteten Aspekte der Komposition und der Körperdarstellung scheinen dafür verantwortlich, dass die Nacktheit der badenden Männer auf dem Bild nicht als problematisch wahrgenommen wurde. Der wichtigste Gesichtspunkt ist der, dem Munch und Gierløff in ihren Berichten über den gemeinsamen Strandurlaub Ausdruck verleihen: die Einbettung des nackten Menschen in den Kreislauf der Natur sowie die Einbettung des Aktmalens in den Tagesablauf am Strand. Die Körper erscheinen als Teil der Natur und als solcher natürlich in ihrer Nacktheit. Der Fokus scheint eher auf Lichteffekten auf den Körpern, auf Wasserreflexen und auf den Formen von Vegetation und Strand zu liegen als auf dem modellierten Körper selbst. Vermutlich haben die Zeitgenossen das Bild wie Gierløff seinen Text verstanden – als »Impression aus Åsgårdstrand«, als Ausdruck eines flüchtigen Moments, das Festhalten einer Szene aus dem Strandleben. Strand und Bad waren als kulturelle Räume und Praktiken bereits so weit verbreitet, dass das Bild bei den meisten Betrachtern Assoziationen wecken konnte, die mit Gierløffs Impressionen übereinstimmen mochten. Die sonnengetränkten Körper auf Badende junge Männer konnten mit dem Ausnahmezustand erklärt werden, den Gierløff als Bewusstseinsminderung und Willenlosigkeit beschreibt, und der Empfindungen wie Scham außer Kraft setzt. Diese letztere kulturell vermittelte und erlernte Reaktion auf Nacktheit sei, so Gierløff, nicht mehr relevant, wenn der Körper mit all seinen Sinnen auf das Erleben seiner selbst und der Natur gerichtet ist. Das Bad etabliert sich als kulturelle Praxis, wo Grenzen gesellschaftlich erwünschten Verhaltens sowie die Zugehörigkeit des Menschen zur Natur verhandelt werden. Michael Ott und Elisabeth Tworek weisen auf die Bedeutung von Strand und Ufer als »Grenzräume(n) der Kultur« hin, die »dem Menschen sein Doppelwesen« widerspiegeln, »sein Zugehören zur Natur, der er durch die Kultur doch fremd geworden ist«.12 Ott und Tworek betonen den »unmittelbar körperlichen Bezug zum Elementaren von Wind und Wellen« beim Bad und bei anderen Wassersportarten. Dadurch würden Strand und Bad »auch erneut Orte des Schauens – nicht nur des Blickens aufs unbegrenzte Meer, sondern auf eine Lebendigkeit von Menschen, die sich nur am Wasser zeigt«.13 Munchs Bild Badende junge Männer und Gierløffs Text über seine Entstehung sind Diskursen und Praktiken um Strand und Baden um die Jahrhundertwende zuzuordnen. Auch hier werden Grenzen verhandelt, vor allen Dingen aber in Form von Entgrenzungen zwischen dem nackten Körper und der ihn umge-

12 Ott, Tworek (2006): SportsGeist, S. 39. 13 Ebd., S. 39f.

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benden Natur. Wie erwähnt könnte man Badende junge Männer als Darstellung eines natürlichen Evolutionsprozesses und somit der Lebenskraft oder Lebendigkeit von Menschen deuten. Das Bild reflektiert zwar das Baden als moderne kulturelle Praxis, blendet kulturelle Elemente wie Badeanzug oder Badekappe oder aber einen trainierten Körper auf der Motivebene jedoch aus. Die Körper erscheinen anonym, alters- und zeitlos. Die Nacktheit der Körper kann so als unbewusst und natürlich imaginiert werden. Gesundheit, Krankheit und Baden 1904-07 Der nächste erhaltene Brief an Ludvig Ravensberg vom Herbst 1904 bezeugt, dass die gute Laune, das körperliche Training und die eingesogene Sonne keine nachhaltige Wirkung zeigten: »Ich bin elend und erkältet – es war unmöglich, im Haus zu wohnen – wegen des Zugs – es gab ja keine Tür«.14 Briefe aus den folgenden Jahren geben Aufschluss darüber, dass keine emotionale und gesundheitliche Stabilisierung eingetreten war. Die Jahre bis 1909 sind von häufigen Ortswechseln und Rastlosigkeit geprägt. Munch versucht an unterschiedlichen Orten und mit unterschiedlichen Methoden seine angeschlagene Gesundheit wiederherzustellen. Im Frühling 1905 schreibt er an seinen Sammler und Freund, den Juristen Gustav Schiefler (1857-1935) in Hamburg: Ich hoffe die Sommer wird mein nervöse Erregung heilen – leider fühle ich es ein ernste Sache ist – Ich war einmal im Kurhaus und es wiederholte sich dieselbe Geistesstörung – Es wird wohl nötig ein kraftige Kur bei Lahmann [laut Schiefler Naturheilkundler bei Dresden, LAK] zu machen – wenn ich ruhig hier lebe und regelmässig bade bin ich gut – Meine künstlerische Arbeitslust und Kraft ist doch rege.15

An Ravensberg schreibt er aus Klampenborg nördlich von Kopenhagen im August 1905: »Ich bin fest entschlossen, mich jetzt von dem Knacks zu kurieren, den mir Höhere Töchter hinterhältig zugefügt haben – Ich habe mich entschieden, auf das Land in Deutschland zu fahren«.16 Den Rest des Jahres verbrachte

14 »Jeg er skral og forkjølet – Huset var umulig at bo i – for træk – der var jo ikke Dør«, Munch an Ludvig Ravensberg am 12. November 1904. Munch-Museum Oslo (MM N 2813). 15 Munch an Gustav Schiefler, undatiert, Frühling 1905. In: Edvard Munch, Gustav Schiefler (1987): Briefwechsel. Bd. 1: 1902-1914. Hamburg: Verein für Hamburgische Geschichte, S. 121. 16 »Nu har jeg besluttet bestemt at kurere mig for det knæk Rigmandspiger humskelig skaffet mig – Jeg har bestemt mig til at tage ned et steds på landet i Tydskland«. Brief

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er tatsächlich in Deutschland, ohne jedoch eine geeignete Behandlung zu finden. Die salzhaltige Luft, Bestandteil einer Kur in Bad Kösen, scheint ihm verseucht und eine der Gesundheit eher abträgliche Wirkung zu haben: »ich bin von Millionen feindlicher Bazillen umgeben – es zeigt sich, dass das hier ein verdecktes Katarrhsanatorium ist.«17 Aus Chemnitz schreibt er Ende September: »Ich habe mit regelmäßiger Gymnastik begonnen, was wohl gut ist«, und plant als nächstes in einer »Wasserkuranstalt« abzusteigen.18 Gustav Schiefler, der Munch im Dezember in Bad Elgersburg in Thüringen besuchte, schreibt von dort an seine Frau Luise: »Er fühlt sich recht wohl hier und sieht auch gut aus. Mit seinen Nerven scheint es aber bös ausgesehen zu haben. […] Übrigens ist er hier nicht in ärztlicher Behandlung sondern nimmt nur so Fichtennadelbäder.«19 Es scheint typisch für Munchs Kuren gewesen zu sein, dass er sie sich selbst verordnete, es eigentlich nie eine Diagnose gab und er die nächste Behandlung probierte, bevor die alte hätte anschlagen können. Das Baden zieht sich allerdings wie ein roter Faden durch diese Jahre körperlichen Leidens und die Odysee durch Kurbäder und Sanatorien. Im Winter 1906/07 befindet sich Munch in Berlin und schreibt an Herbert Esche (1874-1962), einen Chemnitzer Textilfabrikanten, bei dessen Familie Munch 1905 gelebt und gearbeitet hatte: »Es ist mir diesmal besser gegangen – Ich schulde es gute Rathen einer Nervenarztes Ich habe gute Pillen bekommen für Herz – und was besonders auch hilft – Ein Bischen Schlittschulaufen und Schwimmen in Bassin mit Wassertemperatur 20.«20 Auch an Schiefler schreibt er: »Ich schwimme regelmäßig es ist für mich das beste Mittel.«21 Die anfangs genannten Skizzen aus einer Badeanstalt in Berlin weisen darauf hin, dass Munch in diesem Winter tatsächlich schwimmen

von Munch an Ludvig Ravensberg aus dem Taarbæk Hotel in Klampenborg, Dänemark vom 3. August 1905. Munch-Museum Oslo (MM N 2830). 17 »Jeg er omgivet af Millioner fiendtlige Baciller – Her viser det sig at være et fordækt Katarrhsanatorium«. Munch an Ludvig Ravensberg aus Bad Kösen, 11. September 1906. Munch-Museum Oslo (MM N 3338). 18 »Jeg har begyndt med regelmæssig Gymnastik hvilket vel er bra – [...] jeg tar ind der på en Vandkuranstalt«. Brief von Munch an Ludvig Ravensberg aus dem CarolaHotel in Chemnitz vom 24. September 1905. Munch-Museum Oslo (MM N 2835). 19 Gustav Schiefler an Luise Schiefler aus Elgersburg, 30. Dezember 1905. In: Munch, Schiefler (1987): Briefwechsel, Bd. 1, S. 139. 20 Munch an Herbert Esche am 11. Februar 1907 aus Berlin. Brief in Privatbesitz (PN 27). 21 Munch an Gustav Schiefler aus Berlin, ungefähr am 3. März 1907. In: Munch, Schiefler (1987): Briefwechsel. Bd. 1, S. 297.

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ging, vielleicht auf Anraten eines Arztes. Wie auch in Åsgårdstrand einige Jahre zuvor verbindet Munch seine Motivsuche und -findung mit Freizeitvergnügen und Körperpflege. Während er sich seiner Gesundheit widmete, konnte er gleichzeitig seinem Interesse für den Akt und das Motiv der Badenden nachgehen. Munchs Aufenthalt in Warnemünde an der deutschen Ostseeküste in den Jahren 1907 und 1908 stellt den Höhepunkt im Hinblick auf die Verschränkung von Badereise und den männlichen Badenden dar. Der Aufenthalt war wiederum mit der Hoffnung auf Genesung verbunden: »Ich hoffe, dass ein langer und ruhiger Aufenthalt hier in der Seeluft allmählich meine inneren Gebrechen in den Griff bekommt.«22 Nach mitteldeutschen Gebirgen in den Jahren zuvor scheint Munch nun das Meer zu bevorzugen. Die seinen Gesundheitszustand betreffenden Nachrichten aus Warnemünde sind allerdings recht widersprüchlich. An Elisabeth Förster-Nietzsche, Schwester des verstorbenen Philosophen, dessen Porträt Munch im Jahr zuvor gemalt hatte, schreibt er: »Mir geht es viel, viel besser – wozu vieles beigetragen hat – Die Meerluft ist mir sehr gut bekommen«.23 Ebenso positiv klingt ein Brief an Ernest Thiel (1859-1947), Bankunternehmer und Kunstsammler in Stockholm, einen Tag später: »Ich habe mich außerordentlich gut erholt. Ruhe, frische Luft und gute ökonomische Verhältnisse haben große Dinge erreicht – Ich lebe von Hafergrütze, Milch und Brot und Fisch – Diese Diät habe ich im Sommer begonnen. Die Nerven waren sowohl in den Augen als auch im Magen in Unordnung – Ich fühle mich jetzt wie neugeboren«.24 Einschränkend bemerkt Munch in einem früheren Brief an Thiel: »In Warnemünde werden die Nerven besser, aber ich habe einen schlimmen Rheumatismus bekommen«.25 Und im Jahr darauf macht ihm neben den körperlichen Be-

22 »Jeg håber et langt og roligt Ophold her i Søluft skal omsider få bugt med mine indre Skavanker«. Munch an Ludvig Ravensberg aus Warnemünde am 30. Mai 1908. Munch-Museum Oslo (MM N 2860). 23 Munch an Elisabeth Förster-Nietzsche aus Warnemünde am 20. September 1907. Abschrift im Munch-Museum Oslo, Original im Goethe- und Schillerarchiv Weimar (PN 86). 24 »Jeg har her kommet mig overordentlig. Ro, frisk Luft og gode økonomiske forhold har gjort store Ting – Jeg lever av Havregrød Melk og Brød og Fisk – Denne Diæt begyndte jeg med da i sommer. Nerverne var i Uorden både i Øjnene och Maven – Jeg er nu som gjenfødt«. Munch an Ernest Thiel aus Warnemünde am 21. September 1907. Thielska Galleriet (PN 1167). 25 »I Warnemünde blir Nerverne bedre men jeg har fået en slem Reumatisme –«. Munch an Ernest Thiel aus Lübeck am 20. Juli 1907. Thielska Galleriet (PN 1160).

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schwerden auch die Einsamkeit zu schaffen: »Ich hänge hier ziemlich alleine rum – und davon wird man ja auch melancholisch«.26 Eine ähnliche Ambivalenz hinsichtlich der Bewertung von Diät und Ruhe zeigt sich in einem Brief an seine Tante Karen Bjølstad, der er stets ausführlich von seinem Befinden berichtet: Ich lebe hier sehr ruhig und hygienisch. Lange Zeit hatte ich einen Magenkatarrh – der möglicherweise nervöser Art war […] Fleisch habe ich fast den ganzen Sommer nicht gegessen – hauptsächlich Hafergrütze, Fisch und Milch – Kannst Du so lieb sein und mir ein gutes Stück gepökelte Keule schicken? […] Du weißt sicher, was ich meine – dieses richtig feste gespickte Fleisch, das man mit dem Schnitzmesser schneidet.27

Auffällig ist insgesamt, dass Munch in jedem Brief auf seine Beschwerden und seinen Gesundheitszustand eingeht, auch wenn er die jeweiligen Empfänger kaum kennt und mit ihnen eher in einem geschäftlichen denn freundschaftlichen Verhältnis steht. Unter einem Magenkatarrh litt Munch auch, als ihn Gustav Schiefler in Warnemünde besuchte. Dieser kommentiert Munchs Fixierung auf sein körperliches Befinden in einem Brief nach Hause: »Er ist hypochonder, klagt über Schmerzen im Rücken, weiß nicht, obs Rheumatismus oder Sodbrennen ist, er kann sich aber nicht entschließen, zum Arzt zu gehen. Typus: hypochondrischer Junggeselle.«28 Warnemünde 1907: Badende Männer Der Aufenthalt in Warnemünde und damit der Entstehungskontext von Badende Männer sind von der Auseinandersetzung des Künstlers mit Gesundheit und Krankheit geprägt. Wie ich zeigen werde, findet die Beschäftigung mit Gesundheit und Krankheit des Künstlers auch ihren Niederschlag in der Rezeption des Bildes. Das gesunde Leben, weswegen sich Munch nach Warnemünde begeben hatte, erscheint in den Briefen als ambivalentes Unterfangen: die Seeluft tut zwar

26 »Jeg går her och suller ganske alene – og det blir man jo også melankolsk af«. Munch an Ernest Thiel aus Warnemünde am 12. Mai 1908. Thielska Galleriet (PN 1180). 27 »Jeg lever her meget roligt og hygienisk. Jeg havde en længre Tid mavekatarrh – der muligtvis var nervøs [...] Kjød har jeg ikke spist omtrent hele Sommer – mest Havregrød, Fisk og Melk – Vil Du være så snil at sende mig et godt Stykke Spekelaar? [...] Du forstår vel hvad jeg mener – sånt rigtig fast Spikkekjødt som man skjærer med Tollekniven«. Munch an Karen Bjølstad aus Warnemünde am 24. September 1907. Munch-Museum Oslo (MM N 929). 28 Gustav Schiefler an Luise Schiefler aus Warnemünde am 6. August 1907. In: Munch, Schiefler (1987): Briefwechsel. Bd. 1, S. 253.

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den Nerven gut, ruft aber auch Rheumatismus hervor; Ruhe und Einsamkeit beruhigen ebenfalls die Nerven, lassen den Künstler aber auch melancholisch werden; die asketische vegetarische Lebensweise kann die Sehnsucht nach einem fetten Stück Fleisch nicht verhindern. Was aus den Briefen aber hervorgeht, ist Munchs intensive Beschäftigung mit dem eigenen Körper, mit dessen Funktion und Dysfunktion. Diese Untersuchung des eigenen, männlichen Körpers ist gleichzeitig auch Munchs künstlerisches Projekt in denselben Monaten: Munchs Badende beruhen gleichermaßen auf einem Interesse an der Funktion und Ästhetik des nackten Körpers. An Badende Männer (Abb. 1, S. 48) fällt zunächst auf, dass der Hintergrund, die Landschaft, vor der sich die abgebildeten Männer bewegen, aus waagrechten Streifen aufgebaut ist, die wiederum mit diagonalen Pinselstrichen gefüllt sind. Neben dem Strand im Vordergrund und dem Meer ist deutlich eine Horizontlinie zu erkennen. Es ergibt sich gegenüber Badende junge Männer von 1904 (Abb. 2, S. 50), wo der Übergang zwischen Meer und Himmel nicht zu sehen ist, ein größerer Bildausschnitt. Die runden Formen, aus denen auf Badende junge Männer die Körper der Männer sowie die sie umgebenden Landschaftselemente aufgebaut sind, sind durch kantige Formen und Linien ersetzt. Wie in der früheren Variante gibt es mehrere Figurengruppen. Rechts im Hintergrund sieht man eine Gruppe Figuren sich zwischen den Wellen bewegen. Am rechten Bildrand stehen insgesamt drei Figurengruppen hintereinander in verschiedenen Streifen, aus denen das Meer aufgebaut ist. Durch die Größenunterschiede wird eine Tiefenwirkung aufgebaut, die so auf dem früheren Bild nicht vorhanden ist. Die am weitesten im Vordergrund und im Profil stehende Figur rechts befindet sich auf einer Bildebene mit der zentralen Gruppe zweier Männer, die sich weit ausschreitend frontal auf den Betrachter zuzubewegen scheinen. Die Gruppe wird weiter verdichtet durch eine dritte Figur, die sich hinter den beiden nach rechts zu bewegen scheint. Der Blick des Betrachters wird durch eine Rückenfigur, von der in der unteren linken Bildecke lediglich die rechte Schulter und der Hinterkopf zu sehen sind, und die wohl erst 1908 hinzugefügt wurde, in den Bildraum und auf die Gruppe der frontal stehenden Männer geleitet. Die Farbgestaltung ist ähnlich wie bei der früheren Version. Die Strandpartie ist aus Ocker- bis Grüntönen, der Übergang in Violett- bis Brauntönen, das Meer aus Grün- und Blautönen und der Himmel aus Blau- bis Grautönen aufgebaut. Im starken Kontrast dazu stehen die Körper, die im Fall der drei vollständig zu sehenden Figuren im Vordergrund noch stärker als in der früheren Version mit dunkelblauen bis schwarzen Konturen vom Hintergrund abgegrenzt sind. Im Vergleich zum früheren Bild, wo mehr mit Farbflächen gearbeitet wurde, weisen die Körper eine viel stärkere Binnenstrukturierung auf. Muskeln und Schlüssel-

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beine werden herausmodelliert, Brustwarzen und Körperbehaarung angedeutet. Die beiden zentralen Figuren sind individualisiert wiedergegeben: Die linke Figur trägt einen Vollbart, die rechte ist durch Schnurrbart und hohe Stirn gekennzeichnet. Die veränderte Körperbehandlung bewirkt vor allem eines: Das Alter der Figuren wird spezifiziert, die Figuren wirken erwachsener als die aus runden Formen aufgebauten, glatteren Körper auf Badende junge Männer. Während in der früheren Version durch die verzerrten, animalisch oder pflanzenartig anmutenden Körper im Wasser eine fast märchenhafte Atmosphäre entsteht, ist das Bild von 1907 durch seine Dynamik geprägt. Während die Figuren im früheren Bild stehen oder sich wie Wasserpflanzen von den Wellen wiegen lassen, schreiten die Figuren in der späteren Version energisch voran: die Oberschenkel ihrer zum Schritt ausholenden Beine sind in der Bewegung von der Sonne angestrahlt, die Arme bewegen sich parallel zu den Beinen. Der dynamische Eindruck wird durch die diagonal angeordneten Pinselstriche auf dem ganzen Bild sowie durch die flüchtig skizzierten Körper unterstützt, vor allem der transparenten Rückenfigur im Vordergrund – ein fotografischer Effekt, sieht die Figur doch so aus, als sei sie während der Belichtungszeit in das Bild gelaufen. Der Vergleich der beiden Varianten von Munchs badenden Männern gibt erste Hinweise darauf, weshalb sich die Rezeption der beiden Bilder radikal unterscheiden sollte. Das frühere Bild hatte zwar in der modernen Badekultur seinen Referenzpunkt, die Darstellung der Körper und ihr Verwobensein mit der sie umgebenden Natur wiesen aber eher auf eine zeitlose, fast mythisch zu nennende Einheit von Mensch und Natur hin. Die neue Version nimmt mit ihrem Fokus auf Alter, Individualität, Dynamik und Muskularität der Körper einen viel stärkeren Bezug auf den modernen kulturellen Raum des Strands und des Bads. Durch die betonten Konturen wird der Entgrenzung zwischen Körper und Landschaft entgegengewirkt. Die Körper scheinen sich von der Bildfläche zu erheben und ragen in Lebensgröße in den Betrachterraum hinein. Es ist unmissverständlich, dass hier der männliche Körper das eigentliche Bildthema ist, und nicht, wie in der früheren Version, das Erlebnis des Bads und der Verschmelzung mit der Natur. Es ist zu vermuten, dass die Darstellung der Körper als historisch konkrete und in ihrer aufrechten dynamischen Haltung selbstbewusste dazu führte, dass ihre Nacktheit nicht mehr als natürlich und selbstvergessen wahrgenommen wurde. Der Strand wird hier als Ort des Schauens thematisiert. Der nackte männliche Körper als Objekt des Schauens musste aber erst etabliert werden.

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Zensur: Badende Männer in Hamburg Am 30. Oktober 1907 wurde im Kunstsalon Clematis in Hamburg eine Munchausstellung eröffnet. Zu diesem Zweck hatte Munch einige aktuelle Werke, darunter das soeben fertig gestellte Badende Männer, an die Besitzer, das Ehepaar Heldt, geschickt; allerdings wurde es dort nie ausgestellt. Gustav Schiefler schildert in seinem Tagebuch und in Briefen an Munch die Vorgänge: Ich gehe nachmittags in den Salon Clematis und lasse mir das Bild mit den badenden Männern zeigen: es steht im Keller. Es ist sehr stark, sehr unvoreingenommen und natürlich. Als Modell haben die beiden Badewärter in Warnemünde gedient: sie kommen in Frontalansicht – ganz unbekleidet, aus dem Wasser den Strand herauf. Herr Heldt hat große Bedenken, ob er es dem Hamburger Publikum zumuten könne, da es in seiner Ungeschminktheit brutal wirke. Ich meinerseits plädiere gegen diese Prüderie. Warum sollen Männerakte anstößiger sein als nackte Frauen? Es ist noch ein zweites Badebild mit schwimmenden Figuren da.29

Einen Tag später geht er im nächsten Tagebucheintrag nochmals auf den Vorgang ein: »Bei einem abermaligen Besuche im Salon Clematis überzeuge ich mich, daß die Badenden Männer nicht mit ausgestellt sind. Herr Newman – so berichtet Herr Heldt – habe gemeint, er könne sich dadurch die Polizei auf den Hals holen. Sieg der bürgerlichen Gesellschaftsmoral über die freie Kunst.«30 Es lohnt sich, ausführlich zu zitieren, was Schiefler ein paar Tage später an Munch schreibt: Leider muß ich mittheilen, daß meine Bemühungen, Ihre badenden Männer der Ausstellung einverleibt zu sehen, doch vergeblich gewesen sind. Herr Heldt hat das Bild noch verschiedenen Herren gezeigt, von denen er auch annehmen durfte, daß sie sich für Ihre Arbeit interessiren, und die meisten – sagte er – hätten gemeint, daß das Bild in weiten Kreisen des Publicums Entsetzen hervorrufen würde und dem Salon dadurch empfindlichen geschäftlichen Schaden zufügen könnte. Herr Newman hätte sogar geäußert, es könnte ihm die Polizei auf den Hals ziehen. Merkwürdig, merkwürdig und vom Standpunkte der Kulturentwicklung interessant. An nackten Frauen findet man nun nichts Anstößiges mehr. Man steht in Gesellschaft anderer Frauen davor und unterhält sich darüber. Nackte Männer sind noch ungewohnt […]. In 20 Jahren wird man ebenso darüber lachen wie jetzt darüber, daß 1873 die National-Gallerie Böcklins Triton und Nereide als unanständig zurückgewiesen hat. Aber was ist dabei zu thun?

29 Tagebucheintrag von Gustav Schiefler, 30. Oktober 1907. In: Ebd., S. 259. Bei dem zweiten Badebild handelt es sich vermutlich um Badende junge Männer. 30 Tagebucheintrag von Gustav Schiefler, 31. Oktober 1907. In: Ebd., S. 260.

64 | B ADENDE MÄNNER Es hat mich außerordentlich interessirt zu sehen, wie die Wirkung des Gemäldes auf Ihre anderen Sachen war. Sie sahen fast zahm, zierlich, altmeisterlich-fein dagegen aus. Ich meine etwas so starkes haben Sie noch nicht gemalt. Auch das frühere aufgerollte Bild mit der [sic] badenden Männern wirkt – um ihr Wort zu gebrauchen – fast etwas patentlich daneben. Für das Publikum ist es aber wohl – auch abgesehen von der »Anstößigkeit« des Nackten zu stark. Auch mir war es, als wenn ich einen Rippenstoß kriegte.31

Bemerkenswert ist an dem Vorfall und an Schieflers Reaktion mancherlei: Zunächst ist das Adjektiv ›stark‹ als Beschreibung des Bildes interessant. Schon am Anfang des Jahres notiert Schiefler in seinem Tagebuch zu den jüngsten Werken Munchs, es sei »eine junge, eine jugendlich-männliche Kunst mit schönen, starken, aber etwas draufgängerischer Farbengebung [sic].«32 (Zu) stark bezieht sich somit auf die Malweise, auf die deutlich sichtbare Pinselführung, auf die dargestellten Körper sowie indirekt auf den Künstler selbst. Ich werde später darauf zurückkommen, wie sich in diesem Zeitraum die Rezeption Munchs wandelt, hin zu einer Anerkennung seiner Kunst als von einer produktiven Lebenskraft geprägte. Der Vorwurf der Unsittlichkeit ist ebenfalls eine nähere Betrachtung wert. Wie Schiefler bemerkt, war das Publikum nicht an männliche Akte gewöhnt. Wenn das Problem als ein sittliches wahrgenommen wurde, bedeutet das, dass das Bild als sexuell explizit verstanden wurde. Aus dem Vorgang der Zensur, über den wir nur aus dem Briefwechsel mit Schiefler wissen, geht nicht hervor, ob die Sittenwächter, die der Galerist Heldt zu Rate zieht, nur die Damen oder auch die Herren des Hamburger Bürgertums vor dem Anblick bewahren wollen. Ist letzteres der Fall, müsste man annehmen, die Herren seien sich einer homoerotischen Komponente des Bilds bewusst gewesen. Das Problem wäre damit nicht nur die mangelnde Bekanntschaft des Publikums mit dem männlichen Akt, sondern der neue gesellschaftliche Hintergrund, vor dem die Repräsentation männlicher Nacktheit bewertet wird. Unklar ist auch, wo die Anstößigkeit, von der Schiefler und auch die anderen Betrachter ausgehen, lokalisiert wird: im begehrenden Blick oder in den dargestellten Körpern selbst? Schieflers Bemerkungen ist zu entnehmen, dass das Problem an der Darstellung der Körper lag: die neue Version von Badende Männer erklärt er im Vergleich zur früheren sogleich zur viel ›stärkeren‹. Badende junge Männer von 1904 benennt er als »Badebild mit schwimmenden Figuren«, wobei, wie ich beschrieben habe, gleich viele stehende Figuren abgebildet sind. Die frontalen Figuren in der neuen Version erscheinen als so präsent, dass darüber die früheren verblassen.

31 Gustav Schiefler an Munch am 3. November 1907. In: Ebd., S. 261. 32 Tagebucheintrag Gustav Schiefler am 15./16. Februar 1907. In: Ebd., S. 226.

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2.2. I NSZENIERUNGEN VON G ESUNDHEIT UND L EBENSKRAFT Badende Männer in Kristiania 1910 Nach dem Vorfall in Hamburg wartete Munch einige Jahre, bis er Badende Männer wieder ausstellte. Das war 1910 im Dioramagebäude in Kristiania der Fall. In den Rezensionen wird Badende Männer nicht in besonderer Weise beachtet. Größere Aufmerksamkeit wird Geschichte gewidmet, einem Entwurf für das Fries zur Ausschmückung der Universitätsaula. Die Besucher zeigen sich insgesamt von der Fülle und der Kraft, die aus den Werken spricht, positiv überwältigt, was auf einen Umschwung in der Rezeption Munchs in Norwegen nach seiner Rückkehr im Jahr zuvor hinweist. Nur eine Rezension im Dagbladet geht im Zusammenhang mit der gesamten Ausstellung näher auf Badende Männer ein: Nichts ist dem Seherblick des Malers, Dichters und Philosophen Munch entgangen. Alles bekommt seinen Ausdruck. Das klopfende blutgefüllte jugendliche Leben und die verwelkte Grauheit des Alters. Die tausend Stimmungen der Seele, von der hellsten Freude bis zur schwärzesten Verzweiflung und Angst. […] Es gibt viel Neues in der Ausstellung. Das Lebenssymbol, das große frische Badebild, vielleicht Munchs trefflichstes, ist nun vollendet.33

Im gesamten Spektrum von Munchs Kunst, die laut dem Rezensenten alle Aspekte des Lebens abdeckt, identifiziert jener Badende Männer als »Lebenssymbol«. Im Spektrum der Lebensalter und Stimmungen wäre Badende Männer vermutlich auf der Seite der vor Kraft strotzenden Jugend, jedenfalls aber auf der Seite der ›hellen Freude‹ angeordnet. Der Rezensent im Morgenbladet geht zwar nicht auf Badende Männer ein, aber auf frühere Versionen von Badende Jungen: Schauen Sie sich die zwei kleinen Jungen auf dem großen, sommerfrischen Badebild an. Sehen Sie in derselben Bildserie, wie brillant der junge Mann gezeichnet ist. Diejenigen Maler, die sich mit Aktzeichnen beschäftigt haben, wissen diese Figur sicher wertzuschät-

33 »Intet er undgaat maleren, digteren og filosofen Munchs seerblik. Alt faar sit uttryk. Det bankende blodfyldte ungdomsliv og alderdommens visne graahet. Sjælens tusinde stemninger, fra den lyseste glæde til den sorteste fortvilelse og angst. [...] Der er meget nyt paa utstillingen. Livssymbolet, det store friske badebillede, kanske Munchs ypperste, er nu fuldført«, Dagbladet, 5. März 1910.

66 | B ADENDE MÄNNER zen, die mit so überlegener Flinkheit und Sicherheit skizziert ist. Es gibt nicht viel Krankes in diesem Bild.34

Es ist bemerkenswert, dass der Rezensent in diesem Zusammenhang nur Jungen und einen jungen Mann, nicht aber die erwachsenen Männer aus Badende Männer erwähnt. Ein weiterer Rezensent äußert sich denn auch kritisch über Munchs Männerakte: Mehr als jeder andere unserer Maler betreibt er das Studium der nackten Figur. […] Allerdings malt der Künstler nicht jede Hautfarbe gleich gut. Für Männerhaut, gröbere Haut, sonnengebräunte und gegerbte Haut hat er, so scheint es mir, keine glückliche Hand, aber Frauenhaut und allgemein zarte Haut malt er so, dass es eine Lust für das Auge ist.35

Aus den Äußerungen lässt sich entnehmen, dass die Lust am Schauen für den weiblichen Akt reserviert ist. Für das Malen von attraktiver Frauenhaut gibt es demnach eine Konvention, die von Munch erfüllt wird. Ähliches gilt wohl für glatte, helle Kinderhaut, die vom Rezensenten des Morgenbladet, wie oben erwähnt, mit Gesundheit assoziiert wird. Es sind die erwachsenen männlichen Körper in Badende Männer, deren Haut von Munch mit einer viel größeren Konzentration auf Textur und Details ausgestattet wird, die in der frühen Rezeption von Badende Männer als Objekte lustvollen Schauens abgelehnt werden oder gar als Objekt der Beschreibung gar nicht auftauchen. Im Gegensatz zur als glatt, zart, weiß und unbehaart imaginierten Haut von Kindern und Frauen ist die Oberfläche des männlichen Körpers als Blickobjekt nicht etabliert. Es hängt demnach nicht von der glücklichen Hand des Künstlers ab, ob ein männlicher Körper als reizvoll zu betrachten ist, da dieser von vorn herein nicht mit einer »Lust für das Auge« in Verbindung gebracht wird. In den Rezensionen der Diorama-Schau 1910 wird deutlich, dass die Betrachter Munchs Beschäftigung mit

34 »Se de to Smaagutter i det store, sommerfriske Badebillede. Se ogsaa i samme Billedserie, hvor glimrende den unge Mand er tegnet. Malerne som har strævet med Akttegning vet nok, at vurdere denne Figur, som er ridset op med saa overlegen Raskhet og Sikkerhet. Der er ikke meget sykt i det Billede«, Morgenbladet am 21. März 1910. Welche Bilder der Rezensent meint, kann nicht mehr mit Sicherheit nachvollzogen werden. Vgl. Kneher: Edvard Munch in seinen Ausstellungen, S. 292f. und 491. 35 »Mere end nogen av vore andre malere dyrker han studiet av den nøkne figur. [...] Det er dog ikke alslags lød, kunstneren maler godt. Mandslød, grovere lød, – barket, solbrændt og hærdet hud maler han ikke heldig synes mig, men kvindehud, og i det hele tat sart hud, maler han, saa at det er en lyst for øjet«, Morgenposten am 5. April 1910.

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dem Akt wahrnehmen und sie grundsätzlich auch gutheißen. Ebenso deutlich wird jedoch, dass die Reaktionen auf die männlichen Badenden sehr ambivalent sind. Ein Teil der Rezensenten hebt die ›Gesundheit‹ des Sujets hervor und deutet damit an, dass das Kranke in Munchs Kunst überwunden oder beigelegt sei. Damit heben sie Badende Männer aber auch auf eine symbolische Ebene und entgehen der Frage nach der Nacktheit der Körper. Andere vermeiden es, näher auf just dieses Bild einzugehen. Wenn der weibliche Akt unmittelbar mit einer Lust für das Auge verbunden ist, wie ist dann mit dem männlichen Pendant umzugehen? Badende Männer als Lebensalter-Triptychon 1908, also im Jahr, nachdem Badende Männer in Hamburg abgelehnt wurde, entwickelt Munch die Idee, das Bild zu einem Pentaptychon zu erweitern. An Gustav Schiefler schreibt er aus Warnemünde: »Das grosze Badebild werde ich wohl zu ein grosze dekoratives Bild machen – Zwei Gemälde auf jeder Seite zufügen – Auf den einen Seite – Kindheit und Jugend auf der anderen Alterthum – In Mitte alzo Mann in voller Kräften«.36 In den darauf folgenden Jahren entstanden viele Skizzen für Darstellungen der Lebensalter vom krabbelnden Kleinkind (Abb. 3) über Jugendliche, erwachsene und alternde Männer bis hin zum abgemagerten Greis (Abb. 4). Als fünfteiliges Bild wurden die Badenden nur ein oder zwei Mal ausgestellt. Als Triptychon häufiger, darunter im Ateneum in Helsinki 1911 unter dem Titel Die Lebensalter, wobei Badende Männer links von Jugend (Ungdom; Abb. 5) und rechts von Alter (Alderdom; Abb. 6) flankiert wurde.

Abb. 3 & 4: Edvard Munch: Kindheit (1908) & Greis (1908)

36 Munch an Gustav Schiefler am 26. Juni 1908 aus Warnemünde. In: Munch, Schiefler (1987): Briefwechsel. Bd. 1, S. 285.

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Munchs Vorliebe für Serien, die er als Friese konzeptualisiert und in Ausstellungen oft auch entsprechend hängt, ist bekannt.37 Mit dem Lebensfries, einem lebenslangen Projekt mit prozesshaftem Charakter, hatte er sich schon jahrelang beschäftigt, und 1909 fing er an, sich über die Ausschmückung der Universitätsaula in Kristiania Gedanken zu machen, wo ja auch ein interner Zusammenhang zwischen den Bildern bestehen sollte. Darüber hinaus gab es mit der Frau in drei Stadien – so der Titel nur einer von vielen Varianten desselben Themas – bereits ein Bild, das als Darstellung der Lebensalter interpretiert werden konnte, als Stadien im Sinne von Zuständen im (Liebes-) Leben einer Frau. Es kann nur spekuliert werden, ob die Einbettung von Badende Männer in eine Lebensalterdarstellung und damit in ein kunsthistorisch etabliertes Motiv eine Reaktion Munchs auf die Schwierigkeiten in Hamburg darstellte. Mit dieser Strategie hätte Badende Männer in den Augen der Betrachter mehr Sinn ergeben, die Nacktheit der Figuren wäre durch den Hinweis auf eine zeitlose, universale Bedeutung teilweise legitimiert worden.38 Dass das Triptychon so auch verstanden wurde, zeigt eine Rezension der Ausstellung im Ateneum: »Und wie über die Alltäglichkeit hinaus gesteigert sind nicht die ›Lebensalter‹, deren Gestalten sich stolz wie antike Kolonnen gegenüber dem sonnenbeleuchteten Meer im Sturm abzeichnen. Dieses visionäre Element bei Munch rechtfertigt, erklärt seine summarische Technik«.39 In den Augen des Rezensenten sind die badenden Männer genau dem Alltagsrealismus enthoben, der dem Kritiker in Kristiania missfallen hatte; die sonnenverbrannte und wettergegerbte Haut scheint dem untergeordnet. Das Etikett der Lebensalter

37 Dass Munch selbst Witze über seine Vorliebe für Friese machte, geht aus einem Tagebucheintrag von Schiefler vom 31. Dezember 1907 hervor. Nach einer von Munch durchzechten Nacht trifft Schiefler ihn morgens in Berlin an: »Er war übrigens in sprudelndster Weinlaune, und ein guter Witz jagte den anderen. ›Wissen Sie, ich bin jetzt ein Friseur geworden, weil ich immer Friese male‹«. In: Ebd., S. 267. 38 Darstellungen der Lebensalter waren dem Publikum der Jahrhundertwende von Hans von Marées (1837-1887) Lebensalter (1877/78), Arnold Böcklins (1827-1901) Frühlingstag (Die drei Lebensalter) (1883) oder Gustav Klimts (1862-1918) Die drei Lebensalter (1905) wohlbekannt. Die bekanntesten Lebensalterdarstellungen stammen aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit, vgl. z.B. Hans Baldung Grien (1484 oder 85-1545), Giorgione (1478-1510) oder Tizian (ca. 1490-1576). 39 »Och hur stegrad öfver hvardagligheten är ej »Lifsalderne« hvarest gestalterna stolta som antika kolonner teckna sig mot solbelyst haf i storm. Det blir just det visionära elementet hos Munch, som berättigar, förklarar hans summariska teknik«. Sigurd Frosterus: »Den norska utställningen«, Nya Pressen am 8. April 1911.

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allein scheint die in den Augen der Hamburger Betrachter ungeschminkte und brutale Alltäglichkeit in der Darstellung zu überwinden. Ohne ebendieses Etikett wäre der Rezensent vielleicht nicht darauf gekommen, die nackten Körper mit antiken Säulengängen zu vergleichen, einem Inbegriff klassischer Regelmäßigkeit und traditioneller Formensprache. Abb. 5 & 6: Edvard Munch: Jugend (1910) & Alter (1908)

Verglichen mit der vorsichtigen Besprechung des Bildes in Kristiania im Jahr zuvor weckten Badende Männer und das gesamte Triptychon in Helsinki einen Sturm an aufgebrachten Reaktionen: Im Vordergrund steht ein großes Triptychon mit dem Titel Die Lebensalter, das die Kunst des Meisters in all ihrem rücksichtslosen, genialischen Persönlichkeitsstreben vorführt. Welch himmelsstürmender Trotz im Kolorit und in der Darstellung der nackten Figuren; der Mann in seinen drei Lebensaltern! Aber welch reizvolles Motiv! Das Triptychon wird zweifelsohne Opposition und Unzufriedenheit bei vielen erregen, aber das ist ja immer der Fall mit Munchs Kunst.40

40 »Främst står en stor triptyk, kallad Lifsåldrarna och visande mästarens konst i all dess hänsynslösa, genialiska personlighetssträfvan. Hvilket himmelsstormande trots i koloriten och behandlingen af de nakna gestalterna; mannen i hans tre åldrar! Men vilken tjusning i motivet! Triptyken kommer otvifvelaktikt, att framkalla opposition och missnöje hos många men så är ju alltid fallet med Munchs konst«. Axel Marcus

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Der Kritiker antizipiert hier schon nach dem Presserundgang die Debatte, die losbrach, als das Ankaufskomitee beschloss, Badende Männer für das Ateneum für 10 000 Finnmark zu erwerben. Einer der vielen Kritiker schreibt in einem Leserbrief: »Für mich gibt es keine andere Erklärung für diesen merkwürdigen Ankauf als die alte Geschichte von ›Des Kaisers neue Kleider‹. Die Bedeutung des Gemäldes ist mir unbegreiflich. […] Schlimmer noch […] ist das schlechte Vorbild, das diese zusammengepfuschte Arbeit zweifelsohne für unsere jungen Künstler sein wird«.41 Die Kritiker beziehen sich meist auf die Malweise, darauf, dass das Bild unfertig und nachlässig gemalt sei. Bemerkenswert ist aber der Vergleich mit Des Kaisers neue Kleider, einem Märchen des dänischen Dichters Hans Christian Andersen (1805-75) von 1837, dessen Implikationen dem Leserbriefschreiber womöglich nicht ganz klar waren. Denn ohne dass es ausgesprochen wird, bezieht sich die Kritik auch auf das skandalöse Sujet, auf die Nacktheit der abgebildeten Figuren.42 Eine Kolumne in einem Satiremagazin verdeutlicht durch eine Zusammenstellung der Argumente rasender Kritiker, wie sich das Urteil gleichermaßen gegen Malweise und Motiv richtet, und dass Badende Männer in den Augen vieler Betrachter die Ansprüche an einen Akt nicht erfüllte: »Welche Zeichnung, welche Farben, welche Oberflächenbehandlung […] und welche Aktmodelle! Wie unfähig, verzerrt, unfertig, nachlässig, wie plump und ohne Rasse! Bauernmalerei, bäuerlich in der abschätzigen Bedeutung des Wortes.«43 Verglichen mit den Munch wohlgesonnenen Kunstkritikern, die die Idee des Lebensaltertriptychons überzeugt hatte, ist es interessant zu beobachten, dass die Debatte über den

Tollet: »Den norska utställningen. Innan portarna öppnas«. Hufvudstadsbladet am 19. Februar 1911. 41 »För mig finnes icke någon annan förklaring på detta märkliga inköp, än den gamla historien om ›Kejsarens nya kläder‹. Ofattlig är för mig målningens betydelse [...] Det är [...] värre ännu med det dåliga föredöme detta tillfuskade arbete otvifvelaktigt skall blifva för våra unga konstnärer«. Wallter Runeberg in Allmänhetens spalt, Hufvudstadsbladet am 15. April 1911. 42 Zu diesem Schluss kommt auch Timo Huusko in seinem Artikel über die Rezeption von Badende Männer in Finnland: »Im Spannungsfeld von Kunst und Trieb. Edvard Munch, Badende Männer und Finnland«, in: Bardon u.a. (1999): Munch und Warnemünde 1907-1908, S. 113-115. 43 »Hvilka teckningar, hvilka färger, hvilka bestrykningssätt […] och hvilka modeller för aktstudierna! Huru okunningt, snedvridet, ofärdigt, vårdslöst, huru klumpigt och utan ras! Bondemåleri, bondskt i ordets nedsättande betydelse«. Kolumne von »Koblått« im Satireblatt Fyren am 18. März 1911.

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Ankauf erst dann richtig entbrannte, als feststand, dass nur die Mitteltafel, also Badende Männer, angekauft werden sollte. In der öffentlichen Erklärung der Ankaufskommission als Reaktion auf die empörte Kritik wurde das Bild als Die Badenden bezeichnet. Diese Umbenennung wird in einer Kolumne in den Åbo underrättelser sarkastisch kommentiert: Das mit dem Namen des Bildes ist interessant. Zuerst hieß es Die Lebensalter, dann Die Badenden, ein reizender Gedankensprung. Möglicherweise wird »Die badenden Lebensalter« der endgültige Titel. Das Bild ist ja übrigens nur ein Drittel eines größeren Werks. Dies veranlasste einen Onkel zu der gemurmelten Feststellung: »Ein Drittel Mönch [Wortspiel Munch-munk, Norwegisch für Mönch; LAK], da ist was verkehrt, das gibt es nicht.«44

Eine weitere Kolumne widmet sich in ironischer Bezugnahme auf die Erklärung der Kommission dem Ankauf von Badende Männer: Nach der Lektüre dieser herausragenden Verteidigung muss man es beinahe bedauern, dass nicht noch mehr für das Kunstwerk bezahlt wurde oder dass das ganze Triptychon angekauft wurde. Unter Berechnung der Fläche der Seitentafeln hätten sie für 7 500 Finnmark per Stück erworben werden können, womit die ganze Herrlichkeit lumpige 25 000 gekostet hätte. Wie sich die Sache nun entwickelt hat, ist Herr Munch ja schlechterdings dazu gezwungen, eine neue Mittelpartie zu malen, damit kein so interessantes Lebensalter wie das Mittelalter fehlt. Vielleicht gibt der Zehntausender ihm aber genügend ›dekorativen Schwung‹ und sicher viel singende ›Farbfreude‹, damit er in einer halben Stunde das Nötige zusammenbasteln kann.45

44 »Intressant är det med tavlans namn. Först hette den Livsåldrarna, sedan Badarne, ett förtjusande tankesprång. Möjligen skall ›De badande livsåldrarna‹ bliva den slutliga skylten. Bilden är ju f.ö. blott en tredjedel av ett större verk. Detta gav en farbror anledning att mumla: ›En tredjedels munk, det är nog på tok, förekommer inte‹.« Kolumne in Åbo underrättelser vom 30. April 1911. 45 »Efter läsandet av detta utmärkta försvar måste man nästan beklaga, att det icke betalades mera för konstverket eller att hela triptyket inköptes. Med beräkning av sidostyckenas areal hade de bort kunna förvärvas för 7,500 fmk pr styck, vadan hela härligheten hade kostat lumpna 25,000. Såsom saken nu har utvecklat sig blir hr Munch ju så illa tvungen att måla ett nytt mittparti, på det att icke en så intressant livsålder som medelåldern må saknas. Kanske dock att tiotusenlappen ger honom ›dekorativ flykt‹ tillräckligt och nog mycket ›sjungande färgglädje‹ för att han skall kunna på en halvtimme knåpa ihop det behövliga«. Kolumne von Bäsk, in Åbo underrättelser am 16. April 1911. Der Kolumnist zitiert hier die Erklärung der Antellschen

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In einem fiktiven Dialog zwischen einem Mitglied des Komitees und einem Kritiker wird das Problem folgendermaßen zusammengefasst: D: »Wir haben zum billigen Preis von 10 000 Mark die kolossale Leinwand Die menschlichen Lebensalter des norwegischen Malers Munch angekauft«. »Die Herren haben tatsächlich bloß ein Lebensalter gekauft. Dann war das Geld zu Ende. Von den anderen beiden getrennt kann es nicht als kolossal bezeichnet werden und ist in jedem Fall seines bereits von Anfang an äußerst mageren gedanklichen Inhalts beraubt.«46

Das zeitgenössische Publikum hatte demnach trotz der Kritik an der Malweise das Triptychon als Lebensalterdarstellung verstanden und akzeptiert. Dieser Bedeutung ›beraubt‹ wirkte es auf die Kritiker als Kunstwerk ›merkwürdiger Art‹.47 In der Debatte um das in Inhalt und Malweise ›nicht gut zu verstehende‹ Bild wurde sowohl auf Munchs angenommene politische Haltung als auch auf eine ›Krankheit‹ des Künstlers und seiner Kunst angespielt:48 »[…] wir brauchen starke, gesund lebende Künstlerpersönlichkeiten mit reinem Herzen, die eine tiefe Verantwortung für die Verwaltung ihrer Begabungen spüren.«49

Delegation, veröffentlicht am 12. April 1911 in Nya Pressen und am 19. April 1911 in den Åbo underrättelser. 46 »D: ›Vi ha för det billiga priset 10,000 mark inköpt den norska målaren Munchs kolossalduk De mänskliga lifsåldrarna‹. ›Herrarna ha faktiskt köpt blott en lifsålder. Pengarna togo slut med denna. Skild från de två öfriga kan den icke kallas kolossal och är i hvarje fall helt beröfvad sitt redan ursprungligen ytterst magra tankeinnehåll‹«. Leserbriefseite des Hufvudstadsbladet vom 21. April 1911. 47 »[…] två större dukar [ein Porträt von Gustav Schiefler, das 1909 angekauft worden war sowie Badende Männer, LAK], af hvilka den senare är af märkvärdigt slag«. Leserbrief in Nya Pressen, 25. April 1911. 48 »Den stora triptyken ›Lifsaldrene‹ är då icke [...] väl förstådd«. Anton W:son Lindfors in Tammerfors Nyheter vom 8. April 1911. »Hans ställning i den norska konsten såsom dess yttersta vänsterman«. Axel Marcus Tollet im Hufvudstadsbladet vom 25. März 1911. 49 »[…] vi behöfva starka, renhjärtade, sundt lefvande konstnärspersonligheter, som djupt känna ansvaret för sina gåvors förvaltande«. Nya Pressen am 19. April 1911.

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2.3. G ESUNDHEIT UND K RANKHEIT IN DER M UNCHREZEPTION Die Begriffe Gesundheit und Krankheit werden in der Munchrezeption und im Schreiben über Kunst um die Jahrhundertwende allgemein als Parameter für die Bewertung von Künstler und Kunst verwendet. Dabei wird sowohl vom mutmaßlichen Zustand des Künstlers auf seine Kunst als auch von der Malweise auf die Verfassung des Künstlers geschlossen. Der Höhepunkt der Pathologisierung von Munch war bereits in den 1890er Jahren erreicht, als der Arzt Johan Scharffenberg in Anlehnung an Max Nordaus Entartung (1892) wissenschaftlich nachzuweisen versuchte, dass Munchs Kunst auf Geisteskrankheit hinweise. Der norwegische Schriftsteller Bjørnstjerne Bjørnson (1832-1910) blies in das gleiche Horn, als er die Vergabe von Künstlerstipendien an Munch in aller Öffentlichkeit mit dem Argument kritisierte, es handle sich dabei nicht um eine »Krankenkasse«.50 Diese Krank-Schreibung Munchs ist nach wie vor ein dominanter Bestandteil der Rezeption. Patricia Berman führt diesen Fokus auf die physische und psychische Devianz des Künstlers auf das Paradigma der ›genialen Außenseiter‹ zurück, das um die Jahrhundertwende 1900 unter anderem von dem Kunsthistoriker, -kritiker und Autor Julius Meier-Graefe (1867-1935) vertreten wurde, der eine Genealogie von Michelangelo bis Munch entwarf. Die Abweichung von gesellschaftlichen Normen im Hinblick sowohl auf ›gute Kunst‹ als auch auf Gesundheit stellte demnach eine Voraussetzung für das Kunstschaffen Munchs dar. Die Verknüpfung von Krankheit und Genie in der Kunstrezeption führte laut Berman sogar dazu, dass die zweite Hälfte von Munchs Werk, die nicht mehr eindeutig als ›krank‹ eingestuft werden kann, viel weniger bekannt ist: »if Munch was no longer plagued by illness, he was no longer ›Munch‹.«51 Briefen und den oben zitierten Beobachtungen Gustav Schieflers zufolge leisteten Munchs Verhalten und seine hypochondrischen Neigungen den Verdächtigungen Vorschub, wenn er sich nicht gar aus strategischen Gründen, bewusst das Mysterium um den genialen Außenseiter ausnützend, selbst als Verrückter in-

50 »Men nu er vore få og yderst tarvelige kunstnerstipendier aldeles ikke en slags sygekasser; at bruge dem til det er at føre dem på afveje«. Bjørnstjerne Bjørnson im Dagbladet am 16. Dezember 1891. Zitiert nach: Ragna Stang (1982): Edvard Munch. Mennesket og kunstneren. Oslo: Aschehoug, S. 82. 51 Berman (1994): »(Re-)Reading Edvard Munch«, S. 51. Vgl. auch Patricia Berman (1996): »The Invention of History: Julius Meier-Graefe, German Modernism, and the Genealogy of Genius«, in: Françoise Forster-Hahn (Hg.): Imagining Modern German Culture: 1889-1910. Washington D.C., S. 91-105.

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szenierte, wie dies Reinhold Heller im Bezug auf die Rezeption von Der Schrei herausgearbeitet hat.52 Begeistert stürzte sich die Presse im Herbst 1908 auf die Nachricht, Munch befinde sich in einer Nervenklinik in Kopenhagen. Es finden sich Schlagzeilen wie »Das unruhige Künstlerblut. Edvard Munch in Nervenklinik« oder »Norwegischer Maler geisteskrank«.53 Die Journalisten fangen sogleich an, den Grund für den Klinikaufenthalt zu diagnostizieren: Man hat schon lange gemerkt, dass der norwegische Maler Edvard Munch auf eine nervöse Krise zusteuerte, und nun hat ein Freund veranlasst, dass er in Professor Jacobsens Nervenklinik hier in der Stadt eingeliefert wurde. […] Die Meinungen, inwiefern er als Genie betrachtet werden soll, gehen weit auseinander, aber es ist ihm in jedem Fall gelungen, mit seiner rücksichtslosen Malweise und seiner drastischen Darstellungskunst die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.54

Der Artikel in Socialdemokraten geht noch weiter: »In der letzten Zeit ist Munch von einer heftigen Nervosität geplagt worden, die sich in der merkwürdigen Vorstellung äußerte, dass er überall, wo er ging und stand, von Polizeibeamten umgeben sei. Im Übrigen war es Munch, der vor einigen Jahren an der ›berühmten norwegischen Schlägerei‹ im Hotel Bristol teilnahm.«55 Christian Gierløff

52 Reinhold Heller (2006): »›Could Only Have Been Painted by a Madman,‹ Or Could It?«, in: Kynaston McShine (Hg.): Edvard Munch. The Modern Life of the Soul. New York: The Museum of Modern Art, S. 16-33. 53 »Det orolige kunstnerblod. Edvard Munch paa Nerveklinik«, Folkets Avis am 5. Oktober 1908, »Norsk Maler sindssyg«, in Aftenbladet am selben Tag. 54 »Man har længe mærket, at det bar hen mod en nervøs Krise med den norske Maler Edvard Munch, og nu har en Ven af ham foranladiget at han er bleven indlagt paa Professor Jacobsens Nerveklinik her i Byen. [...] Meningerne om, hvorvidt han skal betragtes som et Geni, er meget delte, men han har i alt Fald formaaet at henlede Opmærksomheden paa sig i allerhøjeste Grad ved sin hensynsløse Malemaade og sin drastiske Fremstillingskunst«. Aftenbladet, 5. Oktober 1910. 55 »I den senere Tid er Munch bleven plaget af en hæftig Nervøsitet, som gav sig Udslag i den besynderlige Forestilling, at han alle Vegne, hvor han gik og stod, var omgiven af Politibetjente. Det var forøvrigt Munch, der for nogle Aar siden deltog i det ›berømte norske Slagsmaal i Hotel Bristol‹«. Socialdemokraten, 6. Oktober 1908. Der Autor spielt hier auf eine Schlägerei zwischen Munch und dem norwegischen Schriftsteller Andreas Haukland (1873-1933) im Jahr 1905 in Kopenhagen an, die in der Presse ausführlich behandelt wurde.

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sah sich schon wenige Tage später dazu veranlasst, im Dagbladet einen langen Artikel über einen Besuch in der Klinik zu veröffentlichen, um die öffentliche Meinung über Munchs Geisteszustand zurechtzurücken: »Ich glaubte Sie seien krank, es steht in allen Blättern, dass sie so furchtbar krank sind?« Munch lächelt. »Natürlich bin ich krank, aber solange ich mich erinnern kann, war ich nicht mehr so gesund!« Er strahlt vor Gesundheit, lächelt vor Wohlbefinden und hat ganz schwarzes Haar bekommen! Als ich ihn vor einem Jahr das letzte Mal gesehen habe, war er müde, […] mager, und seine Byronschen Locken lagen platt und grau am Kopf an, – – und nun saß er da im Bett, ›Der schönste Mann Norwegens‹, selbstbewusst und lächelnd, und in einem verzauberten Tanz um seinen Kopf standen die Locken schwarz wie Ebenholz, sie standen ab und schlugen Purzelbäume vor übermütiger Lebenskraft und Übermut. »Ja, das ist der Sommer in Warnemünde!«, sagte Munch, »noch nie habe ich eine solche Wiederauferstehung zum Leben gesehen, ich wurde schlicht und einfach niemand anders als Olav Tryggvason, der da unten endlich aus dem Meer auftauchte, an Land ging und einen Krug Rostocker Mumme auf das Wohlergehen der Stadt trank. Die Deutschen hatten noch nie etwas so Dreistes wie diesen Norweger gesehen!«, sagte Munch und lachte. […] »Aber mein Lieber, Olav Tryggvason, Sie machen dann aber eine komische Figur in einer Nervenkuranstalt…«56

Im Rest des Interviews, das Gierløff in der Klinik mit Munch führt, geht es um Munchs Verhältnis zu Norwegen. Munch geht ausführlich auf die Anfeindungen ein, mit denen er in seinem Heimatland konfrontiert sei, mit dem Ergebnis, dass er sich dort nie wieder zuhause fühlen könne. Dennoch fällt die Episode in Ja-

56 »– Jeg trodde, De var syk, det staar i alle bladene, at De er saa skrækkelig syk? Munch ler. – Javist er jeg syk, men jeg har ikke været saa frisk paa det jeg kan huske! Han straaler av bare velvære, og han har faat ganske sort haar! Sidst jeg saa ham, det er et aar siden, var han træt, […] mager, og hans byronske lokker laa flate og graa om hodet, – – og nu sat han der i sengen, ›Norges vakreste mand‹, trygg og leende, og i en trollet dans om hans hode stod lokkerne sorte som ibenholt, de struttet og de slog krøll paa sig av bare overmodig livskraft og kaathet. – Ja, det er sommeren i Warnemünde! sa Munch, jeg har aldrig set make til gjenopstandelse til livet, jeg blev simpelthen ingen anden end selve Olav Tryggvason, som endelig dukket op av havet dernede og gik iland og drak et krus Rostocker Mumme paa byens velgaaende. Tyskerne hadde aldrig set noget saa tjækk som denne nordmanden! […] – Men kjære Dem, Olav Tryggvason, De gjør da en rar figur paa en nervekuranstalt…«. Christian Gierløff: »Brev til Dagbladet«, Dagbladet am 8. Oktober 1908.

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cobsens Klinik zeitlich mit einem Wechsel in der Rezeption Munchs in Norwegen zusammen. Noch während er sich in Kopenhagen befindet, wenige Wochen nach Gierløffs Artikel, erreicht ihn die Nachricht, dass er den St. Olavs-Orden verliehen bekommen hat, die größte nationale Auszeichnung. Trotz seiner Skepsis gegenüber ›solchen Orden‹ versteht Munch die Auszeichnung als »eine Hand, die mir von meinem Land gereicht wurde.«57 Im Frühjahr 1909 richteten Jappe Nilssen (1870-1931) und Jens Thiis (18701931), der eine Kunsthistoriker, -kritiker und langjähriger Freund Munchs, der andere einflussreicher Kunsthistoriker und Museumsdirektor, bei Blomqvist in Kristiania eine große Retrospektive Munchs aus, die zu einem großen Erfolg wurde.58 Kurz vor der Eröffnung hatte Munch an Jappe Nilssen geschrieben: »Doch sollte ich aufgrund meiner Krankheit diesmal keine Kriegsausstellung machen.«59 Aus dem Brief geht hervor, dass sich Munch genau darüber im Klaren war, welche seiner Bilder schon früher einen Sturm der Entrüstung provoziert hatten, und dass mit dieser Ausstellung in Kristiania kurz vor seiner geplanten Rückkehr mit Norwegen Frieden schließen wollte, sei es auch nur, um die eigene Gesundheit zu schonen.60 Indes spielten Krankheit und Gesundheit nicht nur in Munchs Argumentation eine Rolle, sondern dienten weiterhin und verstärkt als Parameter für die Bewertung von Munchs Kunst in der Rezeption seiner Ausstellungen in diesem und den folgenden Jahren. Die Bewegung geht dabei, parallel zu dem unter anderem von Munch selbst und Gierløff beschriebenen Heilungsprozess, von Krankheit zu Gesundheit, von Schwäche und Degeneration zu Lebenskraft, Stabilität und Erneuerung. In der Rezeption wird dabei kaum zwischen dem Künstler und seinen Bildern unterschieden. Mit Hilfe von Wettermetaphern wird eine Atmosphäre beschrieben, die beides umfasst. Der Kritiker Sigurd Frosterus schreibt im Zusammenhang mit einer Munchausstel-

57 » Med Hensyn til Ordenen ved Du jeg aldrig har sat Pris på sådanne – dog syns jeg dennegang det var som en Hånd der raktes mig fra mit Land en hånd der raktes mig fra mit land.« Munch an Jappe Nilssen am 27. Oktober 1908. Nationalbibliothek (PN 710) 58 Vgl. auch Kneher (1994): Edvard Munch in seinen Ausstellungen, S. 286. 59 »Dog bør jeg på grund af min Sygdom ikke lave en Krigsudstilling dennegang.« Munch an Jappe Nilssen am 27. Februar 1909. Nationalbibliothek (PN 720). 60 Zu Munch als strategischem Planer von Ausstellungen und Verkäufen siehe Tina Yarborough (1995): Exhibition Strategies and Wartime Politics in the Art and Career of Edvard Munch, 1914-1921. Unveröffentlichte Dissertation, University of Chicago und Dies. (2006): »Public Confrontations and Shifting Allegiances: Edvard Munch and the Art of Exhibition«, in: McShine (Hg.): Edvard Munch, S. 64-77.

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lung in Helsinki im Januar 1909: »Krankhaft nervös seit der Kindheit, zum Mann gereift in einer sinnlichen Treibhausatmosphäre, dekadent aus Veranlagung, dekadent aus Neigung […] Man kann seine Lebenseinstellung interessant oder nicht finden, kränklich oder gesund; seine Malerei besteht unabhängig von ihrem gedanklichen Inhalt.«61 Zwei Jahre später steht in einem Leserbrief im Zusammenhang mit der bereits beschriebenen Ausstellung im Ateneum in Helsinki: Verständige Leute haben eingesehen, dass man einen Maler wie Munch und eine ganze Strömung, die sich auf ihn beruft, nicht mit einem ›Pfui‹ oder einer leichtsinnigen Attestierung einer Geistesstörung abfertigen kann. […] Hier führen einige Treppenstufen hinab in den größten Saal, und schon vom obersten Absatz der Treppe wird der Blick von Munchs Triptychon geblendet, das dort unten an der gegenüber liegenden Wand hängt.62

Torsten Stjernschantz entfernt sich im Zusammenhang mit Munchs BadendeTriptychon noch weiter von der Verknüpfung Munchs mit Dekadenz und einer schwülen Treibhausatmosphäre: Jetzt haben sich die Leidenschaften beruhigt, und vielleicht sticht Munchs großes Bild nicht mehr so vielen wie ein Nagel in das Auge. Dessen alte Freunde sind ihm treu und freuen sich weiterhin an der Farbenfreude und Großartigkeit in der Konzeption, an der frischen Brise in der Ausführung, und dass ein großer Künstler in unserer Galerie gut vertreten ist und mit ihm eine wichtige, wenn auch extreme, Strömung durch einen extremen Repräsentanten.63

61 »Sjukligt nervös från barndomen, mognad till man i en sinnlig drivhusatmosfär, dekadent till anläggning, dekadent av böjelse [...] Man må finna hans livsåskådning intressant eller ej, sjuklig eller sund; hans måleri består oberoende av tankeinnehållet«, Nya Pressen, 8. Januar 1909. 62 »Förståndigt folk har insett, att det icke går an att avfärda en målare som Munch och en hel riktning, som bygger på honom, med ett ›usch‹ eller ett lättsinnigt intyg om mental rubbning. [...] Här föra några trappsteg ner till den största salen, och redan från trappans översta avsats bländas synen av Munchs triptyk, som hänger på motsatta väggen där nere«, Leserbrief in Aftenposten, 5. April 1911. 63 »Nu ha lidelserna lagt sig och kanske Munchs stora tafla icke mera sticker som en nagel i ögat på så många. Dess gamla vänner äro den trogna och fröjdas fortsättningsvis åt färgglädjen och stormulenheten i konceptionen, åt den friska fläkten i utförandet och åt att en stor konstnär blifvit väl företrädd i vårt galleri och med honom en betydelsefull om också extrem riktning genom en extrem representant«.

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Badende Männer: Lebenskraft und Manneskraft Stjernschantz verbindet Munchs Kunst metaphorisch also nicht mehr mit einer stickigen Treibhausatmosphäre, sondern mit einer »frischen Brise«. In vielen Rezensionen ab ungefähr 1910 wird Munchs Schaffen als dynamisch beschrieben und mit Lebenskraft, Fruchtbarkeit und Männlichkeit verknüpft. So schreibt der Kritiker von Verdens Gang über Munchs Ausstellung im Dioramagebäude 1911: »Der niemals ruhende Künstler sucht nach immer neuen Ausdrucksmitteln für sein fantastisches Genie! Man wird überwältigt! Es gibt ja auch frühere Arbeiten, aber fast die Hälfte ist neu, und nebenbei arbeitet er im Festsaal der Universität an seinen Entwürfen! Welch eine Arbeitskraft!«64 Am selben Tag schreibt Jappe Nilssen in Dagbladet: Edvard Munch befindet sich nun im Alter seiner vollen Manneskraft. Noch nie hat sich seine Begabung prächtiger entfaltet als jetzt, noch nie erschien seine Kraft größer. In der norwegischen Kunst ragt er wie ein mächtiger Baum aus all dem ihn umgebenden Unterholz empor. Er ist nicht allein der beste und fruchtbarste Maler, den wir haben, sondern auch der unbeugsamste und männlichste.65

Wie bereits angemerkt ist es Spekulation, ob der offensichtliche Umschwung in Munchs Rezeption, der neben Munch-Freunden wie Jappe Nilssen auch andere Rezensenten erfasst, mit den männlichen Akten und insbesondere mit Badende Männer in Verbindung gebracht werden kann. Dass Badende Männer in diesen Jahren Munch aber sehr am Herzen lag, dass er das Bild ausstellen wollte und er es nicht zu denjenigen zählte, auf die er im Hinblick auf eine wohlwollendere Aufnahme beim Publikum lieber verzichtete, geht aus Briefen an die Bekannten hervor, die die Ausstellungen ausrichteten. So schreibt er an Sigurd Høst (1866-

Torsten Stjernschantz: »Konstsamlingarna i Ateneum. Nyförvärfven af utländsk konst«. Undatiert, o.O., Archiv im Munch-Museum, Oslo. 64 »Det er den aldrig hvilende kunstner, som søker efter altid nye uttryksmaater for sit fantastiske geni! Man blir overvældet! Der er jo ogsaa arbeider fra ældre tider, men nesten halvparten er nyt, og ved siden av holder han paa med sine utkast i Universitetets festsal! For en arbeidskraft!«, Verdens Gang, 1. April 1911. 65 »Edvard Munch staar nu i sin kraftigste manddoms alder. Aldrig har hans skaperevne utfoldet sig pragtfuldere end nu, aldrig [har] hans kraft syntes større. I den norske kunst raker han op som et vældig træ over al underskogen omkring. Han er ikke alene den ypperste og frodigste maler, vi eier, han er ogsaa den steileste og mandigste«. Jappe Nilssen in Dagbladet, 1. April 1911.

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1939) in Bergen, einen Pädagogen und langjährigen Unterstützer, im Zusammenhang mit einer Ausstellung im Frühsommer 1909: Die Bilder werden wohl gerade aufgehängt; wie in Kristiania möchte ich einzelne der gewagtesten Bilder nicht ausstellen – wie Cupido, die zwei Kokotten, Weihnachtsabend im Bordell – Gewiss wurden sie widerstandslos in Helsinki und Kopenhagen ausgestellt – aber wie gesagt – was diese betrifft, bin ich einverstanden – Das Badebild muss unbedingt ausgestellt werden – und insgesamt alle außer den 3 genannten.66

Nach der Zensur in Hamburg musste Munch sich darüber im Klaren gewesen sein, dass auch Badende Männer zu den ›gewagtesten‹ Bildern gehörte und das Potenzial besaß, eine erneute Debatte zu entfachen, was sich zwei Jahre später in Helsinki auch bestätigte. Dennoch opferte er lieber die Bilder von Prostituierten als das Bild, das auszudrücken schien, was ihn aktuell beschäftigte. Nach der Ausstellung in Bergen wird Sigurd Høst in seiner Beobachtung einer ›sonnigen Phase‹ von Munch bestätigt: »Danke für den Brief – wie schön, dass Du die Gemälde magst – die sonnenreichen Farben haben es Dir ja schon immer am meisten angetan – und meine Kunst schwingt sich ja von der Hölle des Todes und des Leidens in den Himmel des Sonnenreichs.«67 Verbunden mit dem ›Sonnenreich‹ war für Munch auch die Erinnerung an den Sommer in Åsgårdstrand 1904, wo Badende junge Männer entstanden war. Während seines Klinikaufenthalts im Winter 1908/09 denkt er daran zurück und schreibt an Christian Gierløff: »Ich freue mich außerordentlich darauf, die für mich wirklich einmalig schönen Tage in Åsgårdstrand zu wiederholen, wo Du und Ludvig und ich die Sonne auf uns schienen ließen.«68

66 »Billedene er vel nu under Ophængning; som i Kristiania er jeg villig til at lade enkelte af de mest vovede Billeder ikke udstille – som Cupido, de to Cocotter – Julaften i Bordel – Disse har vistnok uden Modstand været udstillet i Helsingfors og Kjøbenhavn – men som sagt – jeg er villig for disses vedkommende – Badebilledet må absolut udstilles – og idethele alle uden de 3 nævnte«. Munch an Sigurd Høst aus Kragerø, Ende April/Anfang Mai 1909. Munch-Museum Oslo (MM N 3260). 67 »Tak for Brevet – det var morsomt at Du liker Malerierne – Du har jo altid blevet mest tat af de solrige Farver – og min Kunst svinger sig jo fra Dødens og Lidelsens Helvete til Solrikets Himmel«. Munch an Sigurd Høst aus Kragerø am 29. Mai 1909. Munch-Museum Oslo (MM N 3261). 68 »Jeg gleder mig overordentlig til at kunne gjentage de virkelig for mig enestaaende hyggelige Dage i Aasgaardstrand hvor Du og Ludvig og jeg lod Solen skinne paa os«.

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Die Freude an der Sonne, der Munch in diesem Brief Ausdruck verleiht, hat gleichzeitig etwas Nostalgisches und etwas Hoffnungsvolles und ist in jedem Fall mit Gesundheit und Männlichkeit verbunden. Kurz vor der Abreise aus Kopenhagen schreibt er an Sigurd Høst: Ich habe einige gefährliche frühe Herbststürme gehabt – die das beste Mannesalter gestohlen haben – den Mittsommer – Hier im Herbst sind dicke Äste vom Baum abgebrochen […] und jetzt bin ich ja Invalide, und Kant sagt, dass es gut für einen Künstler ist – der gealtert ist – ein bisschen Geld zu haben – das ersetzt in Vielem die Kraft und Freude der Jugend.69

Munch, zu diesem Zeitpunkt 45 Jahre alt, zeigt sich hier überzeugt, den Zenit seiner Manneskraft überschritten zu haben. Zufällig verwendet er dieselbe Metapher wie Jappe Nilssen zwei Jahre später in seinem Artikel in Dagbladet: ein Baum, der bei Munch gerupft erscheint, bei Nilssen stetig wächst und alle überragt. Nostalgisch blickt Munch auf die Sommer in Åsgårdstrand und Warnemünde zurück, die er mit dem Höhepunkt an Gesundheit, Sommer und Männlichkeit zu verbinden scheint. Seine Verknüpfung von Lebensalter, Jahreszeit und Männlichkeit in Bezug auf die eigene Biografie ist dabei aufschlussreich, bildet sie doch eine Parallele zum in denselben Jahren ausgearbeiteten Triptychon der Lebensalter. Wie erwähnt hatte Munch in einem Brief an Schiefler das Triptychon mit folgenden Worten beschrieben: »In Mitte alzo Mann in voller Kräften«.70 Im Katalog Munch und Warnemünde von 1999 vergleicht Arne Eggum, früher Direktor des Munch-Museums, das Arrangement aus dem Triptychon mit einem fotografischen Selbstporträt Munchs (Abb. 7). Aufgenommen im Flur des Hauses, das er 1907 in Warnemünde gemietet hatte, zeigt es den Künstler in aufrechter Haltung gehend zwischen zwei Bildern, die im selben Jahr entstanden waren, Kind auf der Straße links und Alter Mann in Warnemünde rechts.

Munch an Christian Gierløff aus Kopenhagen am 27. November 1908. Zitiert nach: Gierløff (1953): Edvard Munch selv, S. 289. 69 »Jeg har havt nogle farlige tidlige Høststorme – der tog væk Manddommens bedste Tid, Midtsommeren – Her i Høst røg svære Grene af Træet [...] og nu er jeg jo invalid, og Kant siger at det er godt for en Kunstner – der er ældet – at have noget Mynt – det erstatter i mangt Ungdommens Kraft og Glæder«. Munch an Sigurd Høst aus Kopenhagen am 4. April 1909. Abschrift im Munch-Museum Oslo, Original in Privatbesitz (PN 1204). 70 Munch an Gustav Schiefler am 26. Juni 1908, in: Munch, Schiefler (1987): Briefwechsel. Bd. 1, S. 285.

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Eggum bezeichnet es als »bemerkenswert, daß Munch« bei der Konzeption des Triptychons der Lebensalter »zur Fotografie von sich selbst […] zurückkehrt«. Munch selbst stehe darauf »›in vollen Kräften‹ zwischen dem Gemälde der Kinder links und dem des alten Mannes rechts«. 71 Mit der Anordnung der Tafeln im Triptychon erinnert Munch an Altartafeln und an traditionelle Darstellungen der Lebensalter. Gleichzeitig scheint es ihm aber auch darum zu gehen, einen künstlerischen Ausdruck für den Höhepunkt männlicher Schaffenskraft zu finden. Abb. 7: Edvard Munch im Flur des Hauses Am Strom 53 in Warnemünde (1907)

Er entwirft ein Modell, in dem eine Analogie zwischen dem Lebenszyklus und dem Kreislauf der Natur in den Jahreszeiten etabliert wird. Badende Männer entspricht diesem Modell, indem es den Mann ›in vollen Kräften‹ und im Hochsommer zeigt. Das Bild trägt demnach eine Bedeutung, die über seinen flüchtigen, impressionistisch anmutenden Charakter hinausweist. Interessant ist nun aber, wie Munch das, was von den Rezensenten als ›gedanklicher Inhalt‹ bezeichnet wird, mit seiner eigenen Biografie verwebt. Wie man den Zitaten entnehmen kann, würden die Rezensenten Munch aufgrund seiner aktuellen Schaffenskraft mit den Männern auf Badende Männer identifizieren. Munch selbst scheint sich in diesen Jahren in einer permanenten Verhandlung mit sich selbst

71 Arne Eggum (1999): »Munch und Warnemünde«, in: Bardon u.a.: Munch und Warnemünde 1907-1908, S. 25-45, hier: S. 42.

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befunden zu haben, wo der eigene Körper zu verorten sei. Wenn man der Argumentation von Arne Eggum folgen möchte, scheint es, als probiere er in der genannten Fotografie aus, wie es aussieht und sich anfühlt, den eigenen Körper in die Position des Mannes in seinen besten Jahren zu bringen. Auch in den Fotografien vom Strand in Warnemünde posiert Munch als einer der badenden Männer. Vom Ergebnis, also von der Eignung seines Selbst-Bilds als Verkörperung und Darstellung des Höhepunkts an Manneskraft, zeigt er sich aber wenig überzeugt. Die Wettermetaphorik fortführend könnte man die Klage in dem zitierten Brief an Sigurd Høst damit beschreiben, dass Munch den Zenit schon überschritten zu haben glaubt: statt der gleißenden Hochsommersonne umgeben ihn die ersten Herbststürme. Als Voraussetzung für die Manneskraft, in deren vollem Besitz er sich nicht mehr wähnt, identifiziert er die Gesundheit. Wie aus den zahllosen Briefen hervorgeht, in denen er seinen Gesundheits- und meistens Krankheitszustand schildert, besteht dabei eine große Unsicherheit hinsichtlich der Frage, was Gesundheit überhaupt sei. Ist es die bloße Abwesenheit körperlicher Beschwerden, die Folge eines maßvollen Lebenswandels oder schlicht ein Moment des Wohlbefindens? Askese oder Genuss im Bezug auf Essen und Alkohol? Hat Munch in Warnemünde streng Diät geführt und darüber seiner Tante Karen Bjølstad berichtet, schreibt er ihr nun aus der Klinik in Kopenhagen: »Ich bekomme täglich ein Bad und soll so viel wie möglich essen, um Fleisch um die Nerven zu legen.«72 Wie auch im Interview mit Christian Gierløff behauptet er bereits wenige Wochen nach Beginn der Kur, der »gesündeste Mensch der Welt« zu sein.73 Ob diese Heilung tatsächlich auf die Behandlungen zurückzuführen ist, die laut Briefen an die Tante aus Elektrischen Lichtbädern, Fichtennadelbädern, Massagen und Luftkuren besteht – »ich liege eingepackt an offenen Fenstern« –,74 ob es der Entzug vom Alkohol ist, die Ruhe und Abgeschiedenheit in der Klinik, oder ob ein Placeboeffekt aufgrund der Tatsache eintrat, dass sich endlich einmal für längere Zeit um seinen Körper gekümmert wurde, kann nicht

72 »Jeg får daglig Bad og skal spise så meget som muligt forat lægge Kjød om Nerverne«. Munch an Karen Bjølstad aus Kopenhagen, 1908. Munch-Museum Oslo (MM N 939). 73 »Her går nu kuren i fuld gang – jeg elektriseres, masseres og bades hver Dag [...] Det mærkelige er at jeg i legemlig Henseende er blevet det sundeste Menneske på Jorden og tåler Kulde og Væden.« Munch an Karen Bjølstad aus Kopenhagen, 27. Oktober 1908. Munch-Museum Oslo (MM N 941). 74 Ebd. Vgl. auch den Brief an Karen Bjølstad vom 5. Dezember 1908, wo er »Furunålsbad«, »Elektriske Lysbad« und die Luftkur (»lægges indpakket ved åbne vinduer«) erwähnt. Munch-Museum Oslo (MM N 945).

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nachvollzogen werden. Zumindest scheint die Hoffnung, die schönen Tage in Åsgårdstrand wiederholen zu können, sich erfüllt zu haben. Neben seinem eigenen päppelt Munch wohl auch die Körper seiner Freunde auf. Christian Gierløff schreibt Ende Juli 1907 bei Munch in Kragerø an Ludvig Ravensberg: Lieber Freiherr! Hier ist die Fotografie […]: so sah ich aus, bevor ich zu Munch auf Skrubben kam (so dünn und flach und unterernährt) und so sehe ich nach nur sechs Wochen Aufenthalt bei Munch aus (so strotzend gesund und munter). […] Munch musste übrigens auch auf dem Bild noch ein wenig zulegen; er hat den ganzen Körper übermalt, sodass er nun in einem besseren Verhältnis zu deinem jetzigen Leib steht.75

Aus Kragerø an der Küste von Telemark, Munchs erstes Zuhause nach seiner Rückkehr nach Norwegen, schreibt er wieder viele Briefe, in denen er betont, wie gut ihm die Seeluft und die Ruhe tue, allerdings unter anderen Voraussetzungen. Er schreibt an Hanni Esche in Chemnitz, die Frau des Fabrikanten Esche, die 1905 zuerst zu ihm Kontakt aufgenommen und ihn eingeladen hatte: »Ich male fleissig und bin neugierig wie es mit der alkoholfreie Malerei gehen wird.«76 Neben dem Verzicht auf Alkohol deutet ein weiteres Indiz Munch zufolge auf eine Besserung seiner Gesundheit hin: »Ich mach fortdauernd bestimmte Fortschritte in Gesundheit – Erstemal nach lange Zeit habe ich Damenbesuch gehabt – Ich habe eine junge Frau aus Kristiania gemalt – Es ist ganz gut gegangen«.77 Ob Munch bei diesem Damenbesuch seine künstlerische Schaffenskraft oder seine Manneskraft im engeren Sinn erprobt, erfahren wir nicht. Aus seiner Korrespondenz geht aber in jedem Fall hervor, dass sich Munch auch in den Jahren nach dem Klinikaufenthalt intensiv sowohl mit der eigenen körperlichen Verfassung als auch mit der Darstellung gesunder männlicher Körper befasst.

75 »Her er fotografiet; det viser, som det heter i […] skrivelærerattester: saaledes saa jet ut før jeg kom til Munch paa Skrubben (saa tynd og flad och underernæret) og saaledes ser jeg ut efter kun 6 ukers ophold hos Munch (saa osende sund og kjæk og kjuk). […] (Munch har forresten været nødt til at lægge litt paa maleriet ogsaa; han har malt over hele kroppen, saa det nu staar i et bedre forhold til din nuværende korpus)«. Christian Gierløff an Ludvig Ravensberg am 22. Juli 1909 aus Kragerø bei Munch, der ein Porträt von Ravensberg gemalt hatte. Munch-Museum Oslo. 76 Munch an Johanna Luise Esche, 14. Juli 1907 aus Kragerø. Abschrift im MunchMuseum Oslo, Original in Privatbesitz. 77 Munch an Gustav Schiefler am 6. November 1911, in: Munch, Schiefler (1987): Briefwechsel. Bd. 1, S. 384.

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2.4. B ADENDE

UND DER MÄNNLICHE

A KT

BEI

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Akt oder nackt: Alter und Sexualität Das Thema Gesundheit und Krankheit ist bei Munch eng mit der Frage nach Männlichkeit und nach dem Alter des jeweiligen männlichen Körpers verknüpft. Wenn Munch sich für das Mannesalter, den ›Mann in vollen Kräften‹ interessiert, und diese Manneskraft bildlich umsetzen möchte, bedeutet das, dass er auch fast zwangsläufig gegen die Konventionen verstößt, die für die Aktmalerei um 1900 galten. Zwei Faktoren spielen in der Debatte um Munchs Badende eine besonders große Rolle: Erstens die Nacktheit an sich, die, verbunden mit einer nicht-idealisierenden Malweise ›ungeschminkt‹ und ›brutal‹ auf das zeitgenössische Publikum wirkte; und zweitens Geschlecht und Alter der Figuren. Auf den ersten Punkt werde ich weiter unten zurückkommen. Das wundervolle Ölgemälde »der badende Knabe« hängt in meinem Zimmer und wirkt da ganz großartig. Wir hatten zuerst befürchtet, er würde schon durch seine Größe auf die Umgebung drücken, aber nichts davon, er durchsonnt den Raum mit seiner jugendlichen Kraft und Elasticität und täuscht über die Eintagsfliege »Mensch« hinweg. Natürlich erregt er viel Anstoß, aber in den Kreisen der Künstler und Kunstfreunde begeisterte Freude,

schreibt Luise Schiefler, die Ehefrau Gustav Schieflers, mit der ihr eigenen Eloquenz und großem Kunstverstand Ende 1913 an Munch.78 Die Schieflers hatten 1912 oder 1913 mit Jugend (Abb. 5, S. 69) eine der Seitentafeln von Munchs in Helsinki ausgestelltem Triptychon erworben, im Übrigen eine für die Ausstellung neu angefertigte Version, nachdem er eine erste schon 1909 verkauft hatte. Schiefler erwähnt zwar den Anstoß, den das Bild wecke. Im Gegensatz zu Badende Männer hatte es bei öffentlichen Ausstellungen sowohl mit Jugend als auch mit den Badenden, die Kinder, Jungen oder Jugendliche zeigten, keine Probleme gegeben, die über eine generelle Kritik an der Malweise hinausgingen. Die Jugendlichkeit und ›Elasticität‹, die Schiefler als Merkmale des Jungenakts nennt, sind wohl der entscheidende Unterschied. Die jugendlich glatte unbehaarte Haut sowie die kindlichen Proportionen des Körpers führten dazu, dass man diesen als a- oder präsexuell betrachten konnte. Dies darf als Ursache dafür angenommen werden, dass viele zeitgenössische Künstler für ihre männlichen Akte Jungen als Modelle wählten. Die Kunsthistorikerin Barbara Buenger hebt das Alter der Figuren auch als zentralen Unterschied zwischen Munchs Badende Männer und dem zwei Jahre früher entstan-

78 Luise Schiefler an Munch am 30. November 1913, in: Ebd., S. 486.

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denen monumentalen Bild Junge Männer am Meer des jungen Max Beckmann (1884-1950) heraus.79 1906 wurde Junge Männer am Meer mit einem Preis des Deutschen Künstlerbundes ausgezeichnet, einem Stipendium für einen Aufenthalt in der Villa Romana in Florenz. Worauf lässt sich der unmittelbare Erfolg für Beckmann zurückführen, der in einer großen Diskrepanz zur Zensur von Munchs Bild ein Jahr später steht? Buenger zufolge handelt es sich einerseits um einen großen Unterschied in der Malweise. Während Munchs Bild in den Debatten der groben Pinselstriche und ungleichmäßigen Behandlung der Leinwand wegen als unfertig und nachlässig gezeichnet betrachtet wurde, lassen Beckmanns Jünglinge auf eine gründliche akademische Ausbildung im Aktzeichnen schließen; die Körper sind illusionistisch modelliert, muten skulptural an, der Pinselduktus ist kaum erkennbar, die Figuren scheinen weichgezeichnet. In den Augen vieler konservativer Zeitgenossen beherrschte Beckmann im Gegensatz zu Munch sein Handwerk. Der zweite Unterschied bezieht sich auf Alter und Sexualität. Beckmanns Figuren haben mit Buengers Worten »asketische« Körper.80 Nur bei zwei von sechs jungen Männern im Bildvordergrund sind die – unbehaarten – Geschlechtsteile zu sehen. Die einzige Figur, die frontal zur Betrachterin steht, dreht den Kopf fast demonstrativ zur Seite. Weder zu den Betrachtern noch zwischen den Jünglingen auf dem Bild wird Blickkontakt hergestellt. Eine sitzende, die Augen abschirmende Figur, schaut in eine unbestimmte Ferne. Die jungen Männer wirken in sich versunken, eher mit Kontemplation beschäftigt denn mit dem Hier und Jetzt, dem Strand und ihrem Körper. Meist bekommt man nur den Rücken zu sehen, in Posen, die nicht zu einer Interaktion mit den Betrachtern einladen. Das unterscheidet Junge Männer am Meer von Munch, dessen Figuren auf die Betrachterin zuzuschreiten scheinen, sodass man meint, kaum ausweichen zu können. Der Blick wird auf die Merkmale gelenkt, die ihre Körper als erwachsen auszeichnen: die vom Aufenthalt im Freien gegerbte Haut, die einem Rezensenten negativ auffiel, die Körper- und Gesichtsbehaarung, die ausgeprägte Muskulatur sowie die Genitalien. Buenger zieht den Schluss, dass beide Bilder die Wichtigkeit körperlicher und geistiger Vitalität für Kunst und Leben zum Thema haben. Bei Munch jedoch liege diese Vitalität »more explicitly in male sexual potency, which he stressed by representing two of his robust men in full frontal strides and by accentuating their genitals and the color of their extremities.«81

79 Barbara Buenger (1983): »Beckmann’s Beginnings. Junge Männer am Meer«, in: Pantheon 41, S. 134-144. 80 Ebd., S. 134. 81 Ebd., S. 142.

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Die sexuelle Potenz, mit der der Betrachter von Badende Männer konfrontiert wird, verhindert demnach eine Kontemplation des Motivs und der Atmosphäre des Bildes. In Junge Männer am Meer wird diese kontemplative Stimmung von den Figuren geradezu vorgeführt. Munchs erwachsene Männer funktionieren nicht als Bildobjekte, auf denen der betrachtende Blick ruhen könnte. Munchs künstlerisches Interesse an Männlichkeit und Manneskraft, das er auf der Ebene des Motivs, der Körperinszenierung und der zur Anwendung kommenden kraftvollen Palette und Pinselführung umsetzt, ist zu dem Zeitpunkt noch nicht mit den Erwartungen an die Aktmalerei vereinbar, wie Schiefler akkurat bemerkt: »Nackte Männer sind noch ungewohnt.«82 Im März 1905 notiert Gustav Schiefler nach einem Zusammentreffen mit Munch in sein Tagebuch: »Wir sprachen über Nuditäten in Kunstwerken, und er bedauerte, daß sie so leicht gemein wirken oder doch so verstanden würden.«83 Das Zitat stammt aus der Zeit vor den Debatten um Badende Männer, dennoch spricht Munch aus Erfahrung. Ein Beispiel für ein anderes heftig umstrittenes Bild sind die Varianten von Der Kuss, die Munch seit Anfang der 90er Jahre in Malerei und Grafik anfertigte. Über seine erste Begegnung mit Munch in Berlin im Jahr 1902 schreibt Schiefler wiederum in sein Tagebuch: Wir verabreden, uns um 1 Uhr in der Druckerei von Felsing zu treffen, wo er mir seine Kupferplatten und Radierungen zeigen will. Dort sehen wir die Abzüge miteinander durch. Er ist etwas verlegen, wenn nackte Gestalten kommen. Die überschlägt er und meint, es seien Akte, die mich nicht interessieren. Als er aber sieht, daß ich sie nicht anstößig finde, schenkt er mir ein Exemplar des wundervollen Kusses, auf dem die zwei nackten Menschen in Umarmung stehen […] Er sagte, da haben Sie ein Blatt, dessen Ausstellung mir in Kristiania verboten war. Man habe gemeint, es sei schon an sich nicht schön, wenn zwei nackte Menschen sich so küßten, empörend aber erscheine es, wenn sie sich dabei noch an das Fenster stellten.84

An Schieflers Tagebucheinträgen ist einiges bemerkenswert. Zunächst die Wortwahl. Es ist von ›nackten Gestalten‹ die Rede, von ›Nuditäten‹ und von ›Akten‹. Es ist interessant, dass Schiefler nicht den Begriff Akte wählt, wenn er davon spricht, dass sie leicht anstößig wirkten, und dass Munch sie verlegen weggelegt habe. Es ist also das ›Nackte‹ daran, das mit diesen Reaktionen ver-

82 Gustav Schiefler an Munch am 3. November 1907, in: Munch, Schiefler (1987): Briefwechsel. Bd. 1, S. 261. 83 Gustav Schiefler in seinem Tagebuch am 15. März 1905, in: Ebd., S. 115. 84 Gustav Schiefler in seinem Tagebuch am 31. Dezember 1902, in: Ebd., S. 43 und 45.

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bunden ist, nicht das Genre des Akts an sich. Munch hingegen bezeichnet seine Drucke laut Schiefler als Akte, verortet sie durchaus innerhalb des Genres. Er erkennt einen Unterschied darin, wie die Bilder ›wirken‹ und wie sie ›verstanden werden‹. Ersteres hinge dann mit den Qualitäten des Bilds selbst zusammen, letzteres mit der Rezeption. Dieses Verständnis hat nicht notwendigerweise mit dem Kunstwerk zu tun, sondern ist mit Moralvorstellungen allgemeiner Art verknüpft, wie aus Schieflers Bericht aus der Kupfer- und Kunstdruckerei Felsing hervorgeht. Dass es ›an sich nicht schön‹ sei, wenn ›zwei nackte Menschen sich so küßten‹, impliziert eine verbreitete Auffassung, die nicht erst durch die Abbildung einer solchen Szene durch Munch zustande kommt. Sehr interessant dabei ist die Steigerung im letzten Teil des Satzes, dass es noch schlimmer sei, die Küssenden stellten sich an ein Fenster. ›Empörend‹ wird die Szene also erst, wenn ein potenzieller Betrachter hinzukommt, während der Kuss im Privaten oder Verborgenen lediglich ›nicht schön‹ sei, also im Grunde nur einem negativen ästhetischen Urteil unterworfen ist. Bemerkenswert ist die Schlussfolgerung, die man aus dieser Argumentation ziehen kann, nämlich dass sich die Betrachter von Munchs Kunstwerken als Betrachter einer intimen Szene wahrnehmen und als Voyeure ertappt fühlen könnten. Durch das Fenster in Der Kuss werden in den Augen der Betrachter also sowohl eine Guckkastenbühne, auf der sich die private Szene abspielt, als auch ein Zuschauerraum erschaffen. Der Widerstand gegen die ›nackten Gestalten‹ ist also wiederum nicht in deren Nacktheit selbst zu verorten, sondern im Blick auf diese Nacktheit, im Auge des Betrachters. Ähnliches könnte für Munchs berühmte Madonna angenommen werden. Hier gibt es nicht einmal ein Fenster zwischen Betrachter und dem nackten weiblichen Körper. Wenn es sich wirklich um eine Frau in sexueller Ekstase, im Moment der Empfängnis, handeln sollte, wie es Aussagen von Munch als eine mögliche Interpretation nahelegen, wäre der Betrachter unmittelbar an der Szene beteiligt: der Bildausschnitt entspricht der Perspektive des (männlichen) Sexualpartners während des Geschlechtsakts. Falls das zeitgenössische Publikum die Bilder wirklich so verstand, muss es affektiv mit Gefühlen wie Scham, Peinlichkeit und Schuld reagiert haben.85 Der

85 Vgl. Gustav Schiefler in seinem Tagebuch am 28. Dezember 1903, in: Ebd., S. 71: »Er findet es begreiflich, daß wir die Madonna nicht haben ausstellen wollen. Er meint, so etwas könne in der Tat für junge Mädchen gefährlich sein. Ebenso der Kuß. Er selbst sieht aber in diesen Darstellungen den Ausdruck eines heiligen Gefühls.« Schiefler hatte vorgeschlagen, die Madonna in der Ausstellung von Munchs Grafik in Hamburg unter dem Namen »Annunziata« zu führen. Vgl. Brief an Munch vom 24. November 1907, ebd., S. 69. Mit dem neuen Titel würde vereindeutigt, dass es

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Betrachter selbst musste sich entblößt, ausgezogen und an das eigene sexuelle Begehren erinnert fühlen, das vom Künstler entlarvt und vorgeführt wird. Diese möglichen emotionalen Reaktionen entsprechen genau dem, was Kenneth Clark 1956 in seinem Standardwerk zur Aktmalerei und -skulptur, The Nude: A Study in Ideal Form, als Kennzeichen des Nackten im Gegensatz zum Akt formuliert: »To be naked is to be deprived of our clothes, and the word implies some of the embarrassment most of us feel in that condition.«86 Er fährt fort: It is widely supposed that the naked human body is in itself an object upon which the eye dwells with pleasure and which we are glad to see depicted. But anyone who has frequented art schools and seen the shapeless, pitiful model that the students are industriously drawing will know this is an illusion. The body is not one of those subjects which can be made into art by direct transcription – like a tiger or a snowy landscape […] A mass of naked figures does not move us to empathy, but to disillusion and dismay. We do not wish to imitate; we wish to perfect.87

Munch will nun weder imitieren im Sinne einer illusionierenden Malerei noch perfektionieren, und mit beidem tun sich die Zeitgenossen schwer. Mag uns Clarks Argumentation aus der Nachkriegszeit heute problematisch und veraltet erscheinen, beschreibt er vermutlich präzise, was den zeitgenössischen Verständnisrahmen für Munchs Kunst ausmachte. Der Anblick sollte nicht peinlich sein und formlose Körper wollte man schon gar nicht sehen. Der Betrachter wollte weder des erbaulichen Anblicks eines perfekten Körpers beraubt noch düpiert werden, indem er an die eigene imperfekte Nacktheit erinnert wurde. Die Kunstwissenschaftlerin Lynda Nead geht davon aus, dass der Betrachter bei Clark immer als männlich gedacht ist. Clark argumentiere, so Nead, implizit dafür, durch den Akt die heterosexuelle Männlichkeit des Betrachters zu stärken, einerseits durch Identifikation mit dem perfektionierten männlichen Akt und andererseits durch Legitimierung des Begehrens für den weiblichen Körper, wiederum durch dessen Perfektionierung durch den Akt.88

sich um den Moment der Empfängnis handle. Reproduktive Sexualität wäre vielleicht akzeptabler gewesen als ein weiblicher Orgasmus um der Lust Willen. Darüber hinaus legt »Annunziata« nahe, die dargestellte Empfängnis sei eine unbefleckte. Ich wage zu bezweifeln, dass man das Publikum damit hätte überzeugen können. 86 Clark (1956): The Nude, S. 3. 87 Ebd., S. 5f. 88 Vgl. Nead (1992): The Female Nude.

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Viele der bisher zitierten Aussagen von Munch-Rezipienten, ob kritisch oder begeistert, weisen ebenfalls auf eine Distinktion zwischen ›nackt‹ und ›Akt‹ hin. Bemerkenswert ist dabei der bereits zitierte Vergleich zwischen Badende Männer und Hans Christian Andersens Märchen Des Kaisers neue Kleider im Zusammenhang mit dem Ankauf des Bildes in Helsinki 1911. »Unbegreiflich« ist für den Leserbriefschreiber im Hufvudstadsbladet »die Bedeutung des Bilds«,89 in monumentalem Format werde nichts von Bedeutung ausgesagt. Der durch die Betitelung des Triptychons als Die Lebensalter alludierte allegorische Gehalt ist demnach, wie des Kaisers Kleider, lediglich im Blick des wohlwollenden Betrachters existent, aber kann die Blöße nicht bedecken. Wie der Körper des Kaisers im Märchen sei das Bild also unbekleidet, nackt, in Clarks Worten »deprived of […] clothes«.90 Das ›Nackte‹ bezieht sich einerseits auf die anti-illusionistische Malweise, die die nackte Leinwand stellenweise durchschimmern lässt. Andererseits bezieht sich der Vergleich, ob intentional oder nicht, aber auf das Motiv. Die dargestellten nackten Körper sind im Verständnis des Leserbriefschreibers nicht »re-formed«, wie es sich nach Clark für einen Akt gehört.91 Also stellen sie für ihn keine Objekte dar, »upon which the eye dwells with pleasure and which we are glad to see depicted.«92 Stattdessen sind die Körper ›nackt‹, was Abstoßung, »disillusion and dismay« hervorruft.93 Der mit Munchs Kunst sehr sympathisierende Gustav Schiefler beschreibt die badenden Männer, beziehungsweise die Reaktion seiner kritischen Zeitgenossen, mit ähnlichen Formulierungen. Auch er bezeichnet die Körper als »unbekleidet«; das Bild habe auf den Galeristen in Hamburg »in seiner Ungeschminktheit brutal« gewirkt.94 Auch Schiefler nimmt Munchs Bilder nackter Körper nicht als Akte in dem Sinne war, dass der Akt die nackten imperfekten Körper ›bekleide‹. Clarks Verständnis des Akts könnte durchaus als Schminke verstanden werden, als etwas, das zwischen einem nackten Körper und dem Betrachter steht und vermittelt, etwas, das den Betrachter vor dem Anblick der ›nackten Wahrheit‹ schützt. Deshalb ist das Moment des An- und Auskleidens

89 »För mig finnes icke någon annan förklaring på detta märkliga inköp, än den gamla historien om ›Kejsarens nya kläder‹. Ofattlig är för mig målningens betydelse«, Hufvudstadsbladet, 15. April 1911. 90 Clark (1956): The Nude, S. 3. 91 Ebd. 92 Ebd., S. 5. 93 Ebd., S. 6. 94 Gustav Schiefler an Munch am 30. Oktober 1907, in: Munch, Schiefler (1987): Briefwechsel. Bd. 1, S. 259.

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im Zusammenhang mit dem Akt besonders aufgeladen. Wenn der Akt bereits die Bekleidung darstellt, bedarf es keiner weiteren Kleidung. Ist diese vorhanden oder ist der Prozess des An- oder Auskleidens selbst dargestellt, ist die Illusion des sich selbst genügenden, in sich geschlossenen Körpers, des Akts, gebrochen, und es wird wieder auf seine Nacktheit und damit verbunden auf seine sinnlichen Empfindungen verwiesen: Nur ein nackter Körper spürt Kälte, kann von der Sonne verbrannt werden, Erregung fühlen. Auch in dieser Hinsicht bricht Munch mit den Genrekonventionen, indem er den Prozess des An- und Auskleidens immer mit thematisiert. Der ›ungeschminkte‹ Eindruck von Badende Männer ist unter anderem auf die je nach Körperteil unterschiedliche Hautfarbe zurückzuführen, die auf einen mal mehr, mal weniger bekleideten Aufenthalt in der Sonne schließen lässt. Die Kleidung hat einen deutlich sichtbaren Abdruck auf den Körpern hinterlassen, die damit ihre neutrale Glätte verlieren.95 Aus den Jahren 1916-19 stammt ein Stehender Akt, der insofern außergewöhnlich ist, als er einer von wenigen Munchschen männlichen Akte in einer Innenraumszene ist. Hier wird ein Mann gezeigt, der in der Mitte eines nicht näher bezeichneten Zimmers steht und im Begriff ist, sich sein einziges Kleidungsstück, ein grünes Hemd, über den Kopf zu ziehen. Der Akt ist mit einer Mischtechnik aus Fettstift und Aquarell gearbeitet. Es handelt sich um eine kolorierte Zeichnung, wobei hauptsächlich der Körper gezeichnet und nur mit wenigen Linien der Raum angedeutet ist. Das Thema des Be- und Entkleidens wird durch die verwendete Technik verdoppelt: Das grüne Kleidungsstück, nur aus den gezeichneten Konturen und aquarellierten Schatten bestehend, wirkt – und ist – auf den klarer modellierten Körper gemalt. Das Bild reflektiert also den Prozess, mit dem die Malerei einen nackten Körper ›anziehen‹ kann. Der Blick der Betrachterin auf den nackten Unterleib wird durch die gespreizten Beine der Figur, die leichte Untersicht und vor allem dadurch verstärkt, dass die Figur in dem Moment, bevor das Hemd über den Kopf gezogen wird, die Augen geschlossen hält. Im nächsten Augenblick wird kein Blickkontakt mehr möglich sein, der Blick auf den Körper ist freigegeben. Das Bild verbindet also eine sehr private Szene mit einer Reflexion des Blicks auf einen nackten Körper. Die Betonung des anti-illusionistischen Charakters des Kleidungsstücks, der Verweis auf die eigene Medialität, macht deutlich, dass der Rest des Körpers auch ›ungeschminkt‹ und ›unbekleidet‹ ist. ›Dies ist kein Hemd‹, könnte man in Anlehnung an René Magrittes berühmtes La trahision des images (Ceci n'est pas une pipe) (1929) sagen, sondern ganz offensichtlich eine (rudimentäre) Zeichnung eines Hemds. Der Blick auf eine inti-

95 Vgl. Körber (2006): »Sunnhet versus homoerotikk?«.

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me Szene, in der ansonsten keine Zuschauer vorhanden sind, lässt den Betrachter zum Voyeur und den alltäglichen Akt des Ausziehens zu einem Striptease werden. Munch führte das ca. 50 x 70 cm kleine Bild nie in Öl aus, was ihm einen offiziellen Status verliehen hätte. Stattdessen ist das Bild in eine Sammlung von Skizzen zum Thema Körperpflege einzuordnen, die Munch im Zusammenhang mit Entwürfen für die Ausschmückung des Universitätsfestsaals anfertigte. Badende zwischen Antike und Hygiene Patricia Berman stellt in ihrem Artikel »Mens sana in corpore sano: Munchs vitale Körper« den Zusammenhang zwischen einem Sonnenkult in Lebensphilosophie und Körperkultur um 1900 her, der sich in Munchs Auladekoration niedergeschlagen habe.96 Am Beispiel der Figur eines stehenden, sich am Arm reibenden Mannes wird noch einmal deutlich, wie Munch von Beobachtungen der zeitgenössischen Badekultur ausgeht, um die daraus hervorgehenden Skizzen ihrem kokreten Kontext zu entheben und sie in neue überhistorische Zusammenhänge einzuordnen. Eine Skizze aus einem Berliner Badehaus von 1907 zeigt den Oberkörper eines sich den linken Arm waschenden Mannes vor einem Schwimmbecken. Das gleiche Motiv verwendet Munch dann in einem Entwurf für das Aulafries, Männer, die sich der Sonne entgegen strecken. Der Mann ist symmetrisch zu einer parallel zum linken Bildrand stehenden weiteren Figur rechts im Bild platziert. Die Körper der beiden männlichen Figuren bilden mit weiteren liegenden und sitzenden Figuren Halbkreise, die sich mit den Strahlen der Sonne im Bildzentrum zu konzentrischen Kreisen verbinden. Der Mann reibt sich zwar den Arm, diesmal den rechten, dennoch würde man nicht davon ausgehen, dass er sich wäscht. Wie der Titel schon sagt, streckt er sich der Sonne entgegen, der ausgestreckte Arm lenkt den Blick der Horizontlinie entlang auf die Sonne zu. Munch greift hier allerdings nicht nur auf eine eigene Skizze zurück, sondern auf eine antike Skulptur, Lysippos’ Apoxyomenos (ca. 330 v. Chr.), ein Athleten darstellend, der sich Öl vom Körper kratzt. Patricia Berman zeigt nun, wie diese Figur in einem Hygienehandbuch um 1900 als Illustration für den Goldenen Schnitt dient.97 Der sich den – wiederum linken – Arm reibende Mann taucht sodann auch im endgültigen Entwurf für die Auladekoration auf. Von den pulsierenden Sonnenstrahlen beleuchtet steht er auf einer Klippe. Munch führt den um 1900 immens populären Hygiene- und Badediskurs somit mit antiken Aktdar-

96 Patricia Berman (2006): »Mens sana in corpore sano: Munchs vitale kropper«, in: Ydstie: Livskraft, S. 45-60. 97 Ebd., S. 48 und 51.

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stellungen in einem monumentalen ›Sonnenfries‹ zusammen, das Lebensphilosophie und Hygienediskurs zwar reflektiert, aber in klassisch anmutender Weise über seine Gegenwart hinausweist. Der Apoxyomenos als Beispiel für den Goldenen Schnitt weist auf die Verschränkung eines künstlerischen Anatomieinteresses mit dem medizinischhygienischen Diskurs hin, die für den männlichen Akt in den Jahren nach 1900 und für Munch von großer Bedeutung ist. Es handelt sich um eine Zeit, in der vor allem Aktfotografien aus dem Bade-, Sport- und Nudismuskontext den Markt überschwemmen. Antike Skulpturen erlangten in diesem Zusammenhang neue Bedeutung, da sie als Referenzpunkt die Akte dem Vorwurf der Unanständigkeit entheben konnten. Antike Skulpturen galten als der Akt schlechthin, da sie als Medium des Idealen und damit einer neutralen Körperlichkeit und Universalität angesehen wurden. Dies wird in der Renaissance durch einen der berühmtesten männlichen Akte überhaupt, den in geometrische Formen eingepassten Vitruvianischen Mann von Leonardo da Vinci von 1492, reflektiert, der den Anspruch vermittelt, der männliche Körper sei das Maß aller Dinge. Dieser Anspruch auf Neutralität und Universalität bedeutet die Tilgung individueller Kennzeichen, von Hinweisen auf soziale Schicht, Sexualität und Alltag. Obwohl diese Ansprüche mit der Moderne langsam aufgegeben wurden, man am Anfang des 20. Jahrhunderts auch in Skandinavien schon Realismus und Naturalismus verdaut hatte, beruft sich die konservative Kunstrezeption nach wie vor auf ähnliche Kategorien, wie man der Kritik an Munchs Verweigerung von Illusionismus und Idealisierung entnehmen kann. Mit den Lebensreformbewegungen traten allerdings neue Strömungen auf den Plan, die den nackten Körper neu deuteten. Natürlichkeit und Nähe zur Natur wurden als gleichwertig mit der Idealisierung bewertet, die bisher die Repräsentation nackter Körper geprägt hatte. Neue medizinisch-hygienische Erkenntnisse führten dazu, dass Nacktheit im Rahmen eines Strebens nach persönlicher Gesundheit, aber innerhalb streng bewachter Grenzen, legitim wurde. Am Beispiel der partiellen Sonnenbräune von Munchs Figuren auf Badende Männer (Abb. 1, S. 48) kann man gut erkennen, wie die Diskurse über Akt und Gesundheit sich in der Zeit überschnitten. Die Linien an Hals und Armen, die die sonnengebräunten Partien vom blassen Oberkörper trennen, werden zu mehrdeutigen Zeichen. Von den zeitgenössischen Betrachtern konnten sie einerseits als Hinweis auf die körperlich arbeitenden sozialen Schichten verstanden werden, was für Munchs Modell, einen Badewärter, durchaus zutraf. Im Freien körperlich arbeitende Menschen hatten im Kontext naturalistischer Strömungen oder in Genremalerei, nicht aber zur Darstellung erbaulicher Schönheit, als Bildobjekt dienen können. Andererseits weist Patricia Berman darauf hin, dass Sonnen-

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bräune in den Jahren nach 1900, als auch die ersten öffentlichen Strandbäder etabliert wurden, erstmals als Zeichen für die oberen Gesellschaftsschichten verstanden werden konnte, für diejenigen, die es sich finanziell und zeitlich leisten konnten, in die Sommerfrische zu fahren und sich hedonistisch um das eigene Wohlbefinden zu kümmern.98 Der Strand, vormals ohne weitere ökonomische Bedeutung, wurde zum (Sehnsuchts-) Ort einer neuen Freizeitkultur und eines neuen Gesundheitsbewusstseins für eine zumeist urbane Elite.99 Aus dieser Situation heraus entstand die Rezeption von Munchs badenden Männern, die sie einerseits als anstößig im Sinne von Clarks Begriff von Nacktheit und andererseits als Verkörperung dessen las, was in Folge der Lebensreformbewegungen ein neues Bewusstsein für den Körper schaffen sollte. Munchs Badende reflektieren in diesem Sinne sowohl ein künstlerisches als auch ein biografischmedizinisches Interesse am Körper in den Jahren nach der Jahrhundertwende. Akt und Vitalismus bei Munch Wenn Munchs Akte nun als nackt im Sinne Clarks beschrieben wurden, bedeutet das selbstredend nicht, dass die Körper realer oder wahrer wären als beispielsweise Jacques-Louis Davids (1748-1825) klassizistische Akte, die illusionierend und der Historienmalerei dienend dem Paradigma entsprechen. Nacktheit ist vielmehr als Effekt von Munchs Körperinszenierung zu verstehen, für die er den neuen Status von Nacktheit und Natürlichkeit aktueller Gesundheitsdiskurse heranzieht. Insofern ist es als problematisch zu erachten, wenn Munch eine vitalistisch-lebensfreudige Phase zugeschrieben wird, eine gesundheitlich stabile Phase oder aber eine Phase der Sehnsucht nach Gesundheit, aus der die Badenden hervorgegangen seien, die somit eine Illustration gesundheitsförderlicher Bestrebungen des Künstlers selbst darstellten. Stattdessen muss der performative Charakter der Badenden in Betracht gezogen werden: Meines Erachtens besteht der von Sven Halse so genannte künstlerische Vitalismus nicht aus der Abbildung, sondern aus einer Inszenierung und Repräsentation von Gesundheit und Männlichkeit.100 Die repräsentierte Gesundheit koinzidiert nicht mit einer persönlichen; um hier eine Kongruenz zu behaupten, müsste man die Chronologie zurechtbiegen und Munchs übrige Produktion ausblenden. Interessant ist stattdessen, wie in diesen Jahren, vielleicht mittels der Badenden, ein Wandel in Munchs

98 Patricia Berman: »Munch and the New Cult(ure) of the Sun«, Vortrag im Rahmen eines Symposiums zur Ausstellung Lebenskraft: Der Vitalismus als künstlerischer Impuls 1900-1930 am Munchmuseum, Oslo am 10. März 2006. 99 Vgl. auch Berman (2006): »Mens sana in corpore sano«, S. 53. 100 Vgl. Halse (2004): »Vitalisme – fænomen og begreb«, S. 3.

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Rezeption herbeigeführt wird, die sich nun an Metaphern aus dem Umfeld des Vitalismus und der Lebensreform bedient: Es ist nun von Lebenskraft, Schaffenskraft und gar Verjüngung die Rede, die Krankheit scheint in den Augen der Rezipienten überwunden.101 Es stellt sich die Frage, welcher Art Munchs Vitalismus ist, wie er inszeniert wird und welche Rolle er für die Rezeption Munchs spielt. Auch wenn Munch über die glücklichen Momente in Åsgårdstrand spricht, drückt er im Vergleich mit Freunden wie Gierløff selten hedonistischen Genuss aus. Munchs gesundes Leben, zumal nach dem Klinikaufenthalt in Kopenhagen, hat eher asketischen und moralischen Charakter, wie er es in einem Brief an Sigurd Høst schildert: »Ich bin in den Orden ›Nichts anrühren‹ eingetreten. Nikotinfreie Zigarren – Alkoholfreie Getränke – Giftfreie Frauen (Weder unverheiratete oder verheiratete) – Du wirst mich also als einen richtig langweiligen Onkel antreffen.«102 Darauf, dass Munch dem neuen Regime der Selbstdiziplinierung auch mit Humor begegnete, weist das Wortspiel im Brief hin: das norwegische »gift« heißt sowohl »Gift« als auch »verheiratet«. Man fragt sich, ob Munch nur im Hinblick auf Gesundheit und Wohlbefinden auf Alkohol verzichtet oder dies zumindest behauptet, oder ob die maßvolle Lebensweise auch von außen an ihm herangetragen wurde. Wieso sieht er sich als Künstler veranlasst, sich als Anhänger eines – um wieder Sven Halses Terminologie aufzugreifen – pragmatischen Vitalismus103 und als gesundheitsbewusst zu zeigen? Aus der Rezeptionsgeschichte geht hervor, dass Munchs Kunst aus diesen Jahren im Gegensatz zu früheren Werken als der Welt, dem Hier und Jetzt zugewandt verstanden wurde. Etwa zur gleichen Zeit wie die Badenden, verstärkt ab der Rückkehr nach Norwegen, entstanden auch Landschaften und Bilder von Bauern. Ein Rezensent schreibt explizit, dass »Munch in seinen Landschaften gesünder und verständlicher« sei als »in seinen

101 Vgl. auch Gustav Schiefler in einem Brief an Munch am 11. Mai 1910: »Wenn dann aber gar noch wie gestern Kunstblätter von Ihnen kommen und ich nicht nur Ihre Buchstaben, sondern auch die künstlerische Handschrift sehe, das ist immer eine wahre Erquickung für mich. Sie glauben nicht, welch einen prickelnden, ich möchte sagen in Ekstase versetzenden Reiz Ihre Blätter auf mich haben. Sie wirken belebend, verjüngend«. In: Munch, Schiefler (1987): Briefwechsel. Bd. 1, S. 379. 102 »Jeg har gået ind i Ordenen ›Ikke røre Noget‹: Nicotinfrie Cigarer – Alkoholfrie Drikke – Giftfrie Kvinder (Hverken ugifte eller gifte) – Så Du vil træffe mig som en rigti kjedelig onkel«. Munch an Sigurd Høst am 31. März 1909 aus Kopenhagen. Munch-Museum Oslo (MM N 3257). 103 Vgl. Halse (2004): »Vitalisme – fænomen og begreb«, S. 3-6.

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Kompositionen«.104 Mit letzteren spielt der Rezensent auf Munchs symbolistische Malerei an, die als ohne Bindung an die sichtbare Realität und als aus einem kranken Geist entsprungen verstanden wurden. Sie galten als Zeichen von Weltabgewandtheit, Selbstbezogenheit und nicht zuletzt Melancholie. Es ist interessant zu beobachten, wie sich die Bewertung von Munchs Selbstbezogenheit wandelt, sobald er sich dem Körper in einer konkret erfahrbaren Umgebung zuwendet. Vom Geist, dem Sitz der Melancholie, wird das Interesse auf den Körper verlagert. Die Rezipienten reagierten positiv auf die Bewegung von Innen nach Außen. Die neuen Landschaften wurden als unmittelbarer, konkreter und gesünder verstanden als Munchs Symbolismus. Wird Munch in den Jahren nach der Jahrhundertwende vom Maler der Seele zum Maler des Körpers?105 Im Verständnis der Rezipienten schien das bis heute oft zitierte Credo ǽich male nicht, was ich sehe – sondern was ich sahǼ106 zugunsten einer Hinwendung zur Gegenwart, zum Sichtbaren aufgegeben. Der Tempuswechsel ist für die Rezeption von großer Bedeutung. ›Was ich sehe‹ ist grundsätzlich nachvollziehbar, kann einer kollektiven Erfahrung entspringen. Das Motiv der Fruchtbarkeit wurde im Aulafries nun in der konkreten Darstellung von Mutterschaft in Alma Mater, anhand des Körpers einer stillenden Frau, umgesetzt, wohingegen die Madonna, ein von einem Ornament aus Spermien und einem Embryo umgebener totenkopfähnlicher Akt, vielen zeitgenössischen Rezipienten fremd geblieben war. In Zeiten der Nationsbildung – Norwegen hatte 1905 mit der Auflösung der Personalunion mit Schweden seine Unabhängigkeit erlangt – ließ die Konjunktur des Absinth trinkenden Bohemiens und des Außenseitergenies spürbar nach. Munchs Badende sind gleichzeitig geprägt von einer Hinwendung zur Gegenwart und zu das Volk bewegenden Trends und von einer obsessiven Beschäftigung mit der Befindlichkeit des eigenen Körpers. Die Dramaturgie in Munchs Werk beruht auf einer einzigartigen Wechselwirkung zwischen individuellem Befinden und Bestreben und unerhörter Sensibilität und Reflexionsvermögen dem Zeitgeist gegenüber. Provokation wirkt nur, wenn das individuell verfolgte Projekt auf ein kollektives Bewusstsein, den sprichwörtli-

104 »Men alligevel er Munch i sine landskaber mere sund og forstaaelig end in sine kompositioner«. Rezension einer Munchausstellung in Bergen, Bergens Tidende, 9. Juni 1909. 105 Vgl. der Titel der großen Munch-Retrospektive im Museum of Modern Art in New York, Februar bis April 2006: The Modern Life of the Soul. 106 ǽJeg maler ikke det jeg ser men det jeg såǼ Munch selbst datiert diese Aussage, die als Teil eines künstlerischen Manifests verstanden wird, auf 1889 oder 1890 und zitiert sie in der Folge häufig. Siehe z.B. die Notiz MM N 63, Munch-Museum Oslo.

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chen Nerv trifft; nur dann kann etwas, kann jemand ›seiner Zeit voraus‹ sein. Nach seiner Rückkehr nach Norwegen 1909 holte die öffentliche Meinung auf. Nachzuvollziehen, wann und weshalb die symbolistische Malerei die Landschaften in der Gunst des Publikums wieder überholte, wäre ein anderes Thema. Hinter Munch lagen nun stürmische Jahre, in denen er zur Ergründung des männlichen Körpers aktuelle Trends im Hinblick auf Hygiene, Gesundheit, Sport, Bad und Strandurlaub, Geschichte und Bedeutung der Aktmalerei, antike Körperinszenierungen sowie Beobachtungen eigener körperlicher Zustände heranzog und miteinander verwob. Die Badenden weisen zugleich autobiografische, kunsthistorische und den Zeitgeist betreffende Aspekte auf. In Kapitel 5 werde ich dieser Verschränkung von Leben und Kunst noch weiter nachspüren, indem ich sie um die Dimension des Medientransfers zwischen Fotografie und Malerei erweitere.

3. Homoerotik und männliche Badende: Eugène Jansson

3.1. M ÄNNLICHE A KTE UND DER »B RUCH «

IN DER

B IOGRAFIE

Janssons Badende: Inszenierung des Blicks Eugène Jansson war mit nächtlichen Stockholmer Stadtansichten bekannt geworden. 1904 befanden sich bereits einige der Bilder im Besitz von Museen wie dem Nationalmuseum in Stockholm oder in Privatsammlungen wie die von Klas Fåhraeus, des Bankiers Ernest Thiel (heute: Thielska Galleriet) oder des »Malerprinzen« Prinz Eugen von Schweden (heute: Prins Eugens Waldemarsudde) in Stockholm. Nach einem ökonomisch schwierigen Beginn seiner Laufbahn war Jansson zu diesem Zeitpunkt ein erfolgreicher Künstler. Dann gab er das Stadtmotiv auf, stellte mehrere Jahre nicht aus und kehrte 1907 mit monumentalen Bildern männlicher Badender und Turner in die Öffentlichkeit zurück. Paradigmatisch für Janssons Badende und damit für seine zweite Werkphase ist sein erstes Badebild, Das Badehaus der Marine (Flottans badhus) von 1907 (Abb. 8). Das Bild hat die beträchtlichen Maße von zwei Mal drei Metern und hängt seit seiner Fertigstellung in der Thielska Galleriet. Der größte Teil der Bildfläche wird von einem Schwimmbecken und den es umgebenden Kolonnaden eingenommen. Der Betrachterstandpunkt befindet sich auf der einen Längsseite des Schwimmbeckens, von wo aus im Vordergrund sich sonnende Badende, die gegenüberliegende Längsseite, die Querseite des Beckens rechts sowie über den zum Schwimmbad gehörenden Gebäuden ein Ausschnitt des Himmels und die Spitze eines bewaldeten Hügels zu sehen sind.

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Abb. 8: Eugène Jansson: Das Badehaus der Marine (1907)

Das Schwimmbad ist sehr gut besucht: An allen Seiten des Beckens stehen, liegen und sitzen nackte Badende, und im Hintergrund sind auch einige bekleidete Matrosen zu sehen. Von der Querseite rechts ragt ein von einer zentralen sich an einen Pfosten lehnenden Figur fast verdecktes Sprungbrett über das Becken. Die Blicke aller Figuren am Beckenrand sind auf den Springer gerichtet, der mit ausgebreiteten Armen vogel- oder flugzeuggleich über dem Becken zu schweben scheint. Klein wie die springende Figur ist, wird der Blick des Betrachters nur mittelbar, über die Blickrichtung der zuschauenden Figuren, auf sie gelenkt. Der Fokus des Betrachters ist zunächst auf die nackten lebensgroßen Körper im Vordergrund gerichtet. Die Körper und ihre Schatten sind teilweise vom unteren Bildrand so angeschnitten, dass Bild- und Betrachterraum ineinander überzugehen scheinen. Der Betrachter – denn es scheint sich um ein Schwimmbad nur für Männer zu handeln – wird als Teil der Zuschauermenge etabliert. Neben der springenden Figur scheinen auch die Figuren im Vordergrund, deren Nähe zum Betrachter durch ihre Lebensgröße und den sich auf denselben Planken befindenden Betrachterstandpunkt hergestellt wird, die Blicke auf ihre Körper zu erwarten. Ihre zum Becken gewandten Körperseiten sind von Sonnenlicht angestrahlt. Durch das Spiel von Licht und Schatten und die Konturierung in komplementärem Blau werden die Körper vom Hintergrund abgesetzt und modelliert. Ihre Plastizität wird weiter dadurch hervorgehoben, dass sie jeweils unterschiedliche Posen dem Betrachter gegenüber einnehmen, der den männlichen Körper

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wie eine von allen Seiten sichtbare Skulptur betrachten kann. So wendet die zentral stehende Figur ihren Rücken zum Betrachter, während die an einem Pfosten weiter rechts lehnende Figur mit dem Oberkörper frontal zum Betrachter steht und die zwei am rechten Bildrand stehenden Figuren in Seitenansicht mit unterschiedlicher Drehung des Körpers zu sehen sind. Auch von den liegenden Figuren ist einmal der Rücken und einmal der Oberkörper zum Betrachter gewandt. Bei den meisten Figuren ist nur der Hinterkopf zu sehen; die Gesichter der anderen, die alle vom Betrachter ab- und zum Becken gewandt sind, sind nur angedeutet. Der Blick des Betrachters wird also nicht erwidert, sondern kann ungestört über die posierenden Körper wandern. Als Fokussierungspunkte bieten sich dabei die Hinterteile der links vorn liegenden und der zentral stehenden Figur an, die vom Sonnenlicht modelliert sind. Das Gesäß der stehenden Figur befindet sich fast genau in der Bildmitte. Aber im Gegensatz zu traditionelleren Darstellungen männlicher Badender, die Rückenfiguren bevorzugen, sind auch die Geschlechtsteile der drei am rechten Bildrand stehenden Figuren beleuchtet und damit, das Schamhaar eingeschlossen, deutlich sichtbar. Das Bildthema scheint nicht in erster Linie Sport, Bad und Bewegung zu sein, wie der Historiker Niels Kayser Nielsen meint, dem zufolge Jansson ein Vertreter einer »essence of sport« sei.1 Die einzige sich bewegende Figur, der Springer, ist dafür im Verhältnis zu klein und zu wenig gegenüber dem Hintergrund hervorgehoben. Das Sprungbrett ist erst auf den zweiten Blick zu identifizieren. Der Blick auf den Springer muss über den Blick der anderen Zuschauer vermittelt werden. Es stellt sich also die Frage, ob nicht das Schauen oder der Blick selbst eigentliches Bildthema sind, worauf die Verdopplung des Blicks auf den Springer und das statische Posieren der Figuren im viel detaillierter ausgearbeiteten Vordergrund hinweisen. In Ermangelung anderer Fokussierungsmöglichkeiten – auch der Blick über den Horizont scheint nur Füllmaterial zu zeigen – ist der Betrachter gezwungen, sich mit dem massenhaft und in monumentaler Größe auftretenden nackten Männerkörper und dem Blick auf dieses für die bildende Kunst der Zeit so ungewöhnliche Bildobjekt auseinanderzusetzen. Wie ist nun diese Wende in Janssons Werk von menschenleeren Straßen zu überbevölkerten Schwimmbädern aufgenommen worden?

1

Im Gegensatz zu anderen Malern, die im Hinblick auf die männlichen Akte vor allem ästhetische Fragestellungen mit Bezug auf Körper und Landschaft beschäftigen würden, sei Jansson von »the joy of being able to paint the strength and competence of the human body« angetrieben. Kayser Nielsen (2005): Body, Sport and Society in Norden, S. 79 und 81.

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Bruch, Krise, Neuanfang Laut der Kunstkritikerin Gunilla Grahn-Hinnfors sind »wenige Motivwechsel [...] in der Kunstgeschichte so dramatisch wie Eugène Janssons Übergang von blauen menschenleeren Stadtlandschaften zu Akten von jungen Männern in grellem Sonnenlicht«. Sie spricht in ihrer Rezension von 1998 von einer »Kehrtwendung« des Malers im Jahr 1904.2 Einen abrupten Übergang zur Aktmalerei, wenn auch chronologisch nicht ganz korrekt, konstatiert Andreas Lindblom schon 1918 in Stockholms Dagblad angesichts einer Janssonretrospektive: Plötzlich, irgendwann um 1908, entdeckt Jansson den Menschen. Mit der für ihn charakteristischen gewaltigen Intensität malt er jetzt nur Menschen und fast nur nackte. Ab dieser Zeit produziert er fast ausschließlich Athleten- und Badendebilder, in denen die Lichtintensität weiter und weiter getrieben wird. Gleichzeitig wachsen die Leinwände, manchmal bis zu einzigartiger Höhe. Es ist, als wolle das Licht alle Grenzen sprengen.3

Die Rezensenten der ersten Retrospektive Janssons nach 80 Jahren in der Kunsthalle Liljevalchs in Stockholm 1998 konstatieren ebenfalls einen Bruch oder eine Krise. Carl-Johan Malmberg schreibt in Svenska Dagbladet, das Auffallendste am Überblick über das Gesamtwerk sei »der drastische Wechsel in Janssons Malerei um 1906; auf die blaue Stockholmsmalerei folgen die nackten Jünglinge, Athleten, Badenden; auf das Licht der Dämmerung folgt Tageslicht; menschenleere Motive werden durch Figuren ersetzt.«4 Bengt Lagerkvist erzeugt mit seiner Darstellung der Übergangsperiode in der Zeitschrift Kulturens Värld einen Spannungsbogen und weckt Neugier auf die Ursache für den Bruch:

2

»Få motivskiften i konsthistorien är så dramatiska som Eugène Janssons övergång från blå människotomma stadslandskap till nakenstudier av unga män i skarpt solljus«, es handle sich um eine »helomvändning 1904«, Gunilla Grahn-Hinnfors: »Utanförskap som drivkraft«, Göteborgsposten, 5. Februar 1998.

3

»Plötsligt, någon gång omkring 1908, upptäcker Jansson människan. Med den för honom karaktäristiska, våldsamma intensiteten målar han nu bara människor, och så godt som bara nakna. Från denna tid producerar han nästan uteslutande atlet- och badtavlor, i vilka ljusintensiten drives allt längre och längre. Samtidigt växa dukarna ut, stundom till en enastående höjd. Det är, som om ljuset ville spränga alla gränser«, Andreas Lindblom in Stockholms Dagblad, 22. März 1918.

4

»det drastiska skiftet i Janssons måleri omkring 1906; det blå Stockholmsmåleriet efterträds av de nakna ynglingarna, atleterna, badarna; skymningsljuset följs av dagsljus; folktomma motiv ersätts med figurer«, Carl-Johan Malmberg: »Inget är sig likt efter Jansson«, Svenska Dagbladet, 21. Januar 1998.

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Aber jetzt, wo die Fahnen in der Österlånggatan eingeholt worden sind, hört Eugène Jansson auf auszustellen. Er isoliert sich in seinem Atelier, zeigt nichts, und die Kollegen fragen sich, ob er verrückt geworden sei [...] Eugène Jansson kam mit seiner Aktmalerei [...]. Akte, das sollten weibliche Modelle sein, schön oder mollig wie Zorns, gerne die empfindlichsten Partien bedeckend. Aber das hier! Splitternackte Matrosen, die ihre großzügig bemessenen Geschlechtsorgane vorzeigten, und darüber hinaus in Massenauflage und kolossalem Format! Was war passiert?5

Auch Gunilla Grahn-Hinnfors fragt nach der Ursache für den Motivwechsel: »Warum hört ein Künstler, der nach jahrelanger Schufterei an der Staffelei endlich Aufmerksamkeit und einen gewissen Verkaufserfolg erlangt hat, auf zu malen? Warum zieht er sich mehrere Jahre lang zurück um zu zeichnen? Warum gibt er seinen früheren Motivbereich ganz auf um sich ihm nie wieder zuzuwenden?«6 Der Historiker Greger Eman beschreibt, wie Zeitgenossen den Bruch als »Krise« konzeptualisiert und Janssons darauf folgende »Exzentrizität« beklagt hätten.7 In einem Interview des Kunsthistorikers Sixten Strömboms mit dem Künstler Fritz Lindström anlässlich der Recherche zu seiner Geschichte des Stockholmer Künstlerverbands wird Janssons »Krise« unmittelbar mit seinen Aktmodellen, den Matrosen, in Verbindung gebracht: »Lindström berührte die merkwürdige Krise in Janssons Leben. Er fragte sich, was die Matrosen für ihn bedeutet haben könnten. Niemand wusste es.«8

5

»Men nu, sedan fanorna sänkts i Österlånggatans skymning, slutar Eugène Jansson att ställa ut. Han isolerar sig i sin ateljé, visar ingenting och kollegorna undrar om han blivit galen [...]. Eugène Jansson kom med sitt nakenmåleri [...]. Naket borde vara kvinnliga modeller, vackra eller mulliga som Zorns, gärna skylande de känsligaste partierna. Men detta! Spritt språngande nakna flottister som demonstrerade sina väl tilltagna könsorgan, och dessutom i massupplaga och kolossalformat! Vad hade hänt?«, Bengt Lagerkvist (1997): »Var han rädd för människor, Blåmålaren som bar på det mest förbjudna?«, Kulturens Värld 12:4, S. 22-29, hier: S. 28. Lagerkvist spielt hier auf Janssons letzte Stadtansicht an, Österlånggatan (1904).

6

»Varför slutar en konstnär, som efter många års slit vid staffliet äntligen fått uppmärksamhet och en viss försäljningsframgång, att måla? Varför drar han sig tillbaka i flera år för att teckna? Varför överger han helt sin tidigare motivkrets för att aldrig återkomma till den?«, Göteborgsposten, 5. Februar 1998.

7

Vgl. Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S. 212.

8

»Lindström berörde den egendomliga krisen i Janssons liv. Han undrade vad flottisterna kunde ha betytt för honom. Det var det ingen som visste«, Interview Sixten Strömboms mit Fritz Lindström, Archiv zur Geschichte des Künstlerverbands, Natio-

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Janssons »merkwürdige Krise« – die eigentlich keine war, widmete er sich doch intensiv und produktiv der Erarbeitung neuer Motive und neuer künstlerischer Mittel – hatte schon bei seinen Zeitgenossen Spekulationen ausgelöst. 1920 erschien die erste Biografie über Jansson. Danach ebbte das Interesse an dem Künstler ab, das erst im Zusammenhang mit zwei Publikationen und deren gegensätzlicher Lesart von Janssons Werk sowie einer Retrospektive in der Kunsthalle Liljevalchs in Stockholm in den Jahren 1997/98 stärker denn je wiederkehrte. Während Jansson einerseits in die Geschichte Homosexueller aufgenommen und beinahe zu einer Ikone stilisiert wird, wird in der traditionelleren Kunstgeschichtsschreibung, vor allen Dingen in Inga Zachaus Biografie von 1997, seine Homosexualität beziehungsweise ihre Relevanz für die Deutung geleugnet. Zu beiden Zeitpunkten – zu Lebzeiten des Künstlers und Ende der 90er Jahre – entzündete sich eine Kontroverse über Jansson genau an der Interpretation des Bruchs in seinem Werk und am Neuanfang mit den männlichen Akten. Mit einer neuen Jansson-Ausstellung 2012 und dem begleitenden Katalog scheint die Kontroverse nun beigelegt; ein Zeichen dafür, dass in Schweden ein schwuler Künstler die Gemüter nicht mehr erhitzt, sondern Homosexualität oder Sexualität im Allgemeinen als einer von mehreren Parametern in der Analyse und Bewertung hinzugezogen werden kann – aber auch nicht muss.9 Die Debatte darum, wie die Akte zu verstehen seien, hat dabei immer auch um die Frage gekreist, wie der Künstler zu verstehen sei und welche Rolle sein Körper im Zusammenhang spiele. Carl-Johan Malmbergs Vorschlag in Svenska Dagbladet, Janssons Motivwechsel entweder auf biografischer oder aber auf ästhetischer Ebene nachzugehen, Leben und Kunst also zu trennen, ist von kaum jemandem aufgegriffen worden.10 Janssons Körper und die der abgebildeten Männer scheinen nicht separat behandelt werden zu können. Hätte Jansson statt der nackten Männer plötzlich Stilleben gemalt, hätte das vermutlich nur wenige Kunsthistoriker und Kritiker interessiert, schon gar nicht die Öffentlichkeit. So aber scheinen künstlerisches Schaffen und die Kunstgeschichtsschreibung als Ganzes zur Debatte zu stehen: Wer wird als Künstler anerkannt und kanonisiert? Kann und darf Sexualität eine Rolle spielen? Welche Bedeutung wird dem männ-

nalmuseum Stockholm. Zitiert nach: Ebd. Das Interview war Teil der Recherche zu Strömboms zweibändiger Geschichte des Künstlerverbands: Konstnärsförbundets historia I (Till och med 1890). Stockholm: Bonniers 1945 und Nationalromantik och radikalism. Konstnärsförbundets historia 1891-1920. Stockholm: Bonniers 1965. 9

Göran Söderlund, Patrik Steorn, Anna Meister (2012): Eugène Jansson. Blå skymning och nakna atleter. Stockholm: Carlsson Bokförlag/Prins Eugens Waldemarsudde.

10 Svenska Dagbladet, 21. Januar 1998.

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lichen Akt im Zusammenhang mit Homosexualität zugeschrieben? Wie heteronormativ sind Kunst und Kunstgeschichtsschreibung? Wie verlaufen darauf bezogene Normalisierungsprozesse? Diesen Fragen werde ich im Folgenden an Hand von ausgewählten Bildern Janssons und einer Analyse seiner Rezeption nachgehen. Die zerstörten Badenden Jungen Von den Anhängern der These, dass Janssons Werk aus zwei miteinander unvereinbaren Teilen bestehe, bleibt meist unbeachtet, dass sich Jansson schon in den 1880er Jahren mit dem Akt und insbesondere mit dem Motiv männlicher Badender beschäftigte. Dabei trägt das Bild Das Sommerbad/Badende Jungen (Sommarbadet/Badande pojkar; 1884) (Abb. 9) schon den Gegenstand der späteren Kontroversen in sich, vor allem das Potenzial sowohl einer ›vitalistischen‹ als auch einer homoerotischen Lesart. Erstere wird von Inga Zachau vertreten, der zufolge das Bild eine »nordische Sommeridylle in Reinform« vermittelt.11 Der »herrlich sonnige Sommertag« überstrahlt in ihrer Interpretation alle merkwürdigen Details auf dem Bild und sich darum rankende Anekdoten, die sie zwar erwähnt, aber deren erotische Anspielungen sie nicht zur Kenntnis nimmt.12 Am auffälligsten an Das Sommerbad ist die nackte Figur eines Jungen im Zentrum des Bildes, dem man von hinten bei einem Kopfsprung vom Sprungbrett zuschaut, so dass der Blick direkt auf sein Gesäß gelenkt wird. Zachau findet lediglich »die unschöne Position« bemerkenswert, die abzubilden »wahrhaft schwierig sowohl aus technischer als auch aus ästhetischer Perspektive« sei.13 In Zachaus Augen ist es damit nur die künstlerische Herausforderung, die »den Betrachter dazu bringt, die Augen aufzusperren«.14 Pål Bjørby weist hingegen darauf hin, dass die zentrale Platzierung eines Jungenhintern ein Topos des männlichen Akts im 19. Jahrhundert sei, der als Kodierung von Homoerotik verstanden werden könne. Besonders an Janssons Bild seien die Perspektive und die Blickverhältnisse zwischen den Figuren, die einen homoerotischen Blick auch des Betrachters auf primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale markieren und damit thematisieren.15 Zachau deutet den Blick auf die zentrale Figur als Neid,

11 »Målningen andas nordisk sommaridyll när den är som skirast«, Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 201. 12 »Det är en härligt solig sommardag«, ebd. 13 »Att avbilda en människa i den osköna positionen [...] är sannerligen vanskligt såväl ur teknisk som estetisk synvinkel«, ebd. 14 »som får åskådaren att spärra upp ögonen«, ebd. 15 Bjørby (2006): »Mannlig akt og mannskroppens estetikk«, S. 19f.

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habe der springende Junge doch das Wettrennen darum gewonnen, wer am schnellsten im Wasser sei.16 Abb. 9: Eugène Jansson: Sommerbad/Badende Jungen (1884)

Um einen Entwurf für das Bild rankt sich die Anekdote, Janssons Mutter habe in einem Zustand geistiger Verwirrung das Bild zerstört, indem sie die nackte Figur in der Mitte herausgeschnitten habe. Erst 1994 wurde der herausgeschnittene Teil in einer Privatsammlung wiedergefunden.17 Die dominante Mutter und Janssons Angst, ihr mochten Gerüchte nicht näher bestimmter Art über ihn zu Ohren kommen, sind wiederkehrende Elemente in der Janssonrezeption. Inwiefern es »ein Zufall oder Absicht« gewesen sei, dass die Mutter ausgerechnet die nackte männliche Figur mit betontem Gesäß ausschnitt, ist laut Zachau »unmöglich zu sagen«.18 Von einem Zusammenhang des Eingetroffenen mit Nacktheit und Sexualität lenkt sie weiterhin ab, indem sie die Frage stellt, »wieviele Bilder« wohl »der Schere zum Opfer gefallen« seien.19 Darauf, dass die Figur als problematisch erachtet wurde und Eugenia Janssons ikonoklastische Attacke kein Zufall war, deutet allerdings die Tatsache hin,

16 Vgl. Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 201. 17 Vgl. Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S.210 und Anmerkung 8. Vgl. auch Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 201. 18 »Huruvida detta är en slump eller en tanke är omöjligt att säga«, Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 201. 19 »fråga sig hur många målningar som fallit offer för saxen«, ebd.

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dass die Figur ein zweites Mal vom Künstler selbst retuschiert, also zensiert wurde. Das Bild Am Klavier (Vid pianot; 1886) (Abb. 10) zeigt ein Klavier spielendes Mädchen in Rückenansicht. Über dem Klavier hängt Das Sommerbad – ohne die nackte Figur im Zentrum. Abb. 10: Eugène Jansson: Am Klavier (1886)

Erschöpfung und Lebenskraft Schon 20 Jahre bevor Jansson seine letzte Stadtansicht malte und von 1905-1908 an der Kunstschule des Künstlerverbands Aktzeichnen unterrichtete, hatte er sich also sowohl mit dem Bademotiv als auch mit der Thematisierung des Blicks auf Körper beschäftigt. Der Akt war also nichts, was er plötzlich entdeckt hatte, bevor er 1907 mit der Ausstellung von Nackter Jüngling am Türpfosten (Naken yngling vid dörrpost; 1906) (Abb. 12, S. 151) in Uppsala seinen Motivwechsel demonstrierte. Berichten von Zeitgenossen zufolge gab es überdies nichts, was er »lieber machte als Badehäuser zu besuchen: es scheint sogar, als verbringe er mehr Zeit im Wasser als im Atelier.«20 Inwiefern wird der Bruch dennoch, wie in den bereits zitierten Rezensionen, als drastisch oder dramatisch wahrgenommen? Wie wird er beschrieben und erklärt?

20 »han heller gjorde än besökte badhusen: han tycks till och med tillbringa mer tid i vattnet än i sin ateljé«, Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S. 223.

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Die Abkehr von den menschenleeren dämmrigen Stadtlandschaften wird oft damit erklärt, das Motiv sei erschöpft gewesen, wobei die Formulierungen nahe legen, dass es sich dabei eigentlich um die Erschöpfung des Künstlers handle. Sein künstlerischer Werdegang wird als körperliche Bewegung aus den düsteren Straßen seiner Stadtbilder heraus in das Sonnenlicht der Badebilder beschrieben: »Er musste gespürt haben, dass die Gasse eine Einbahnstraße war, und er hinaus musste, nach draußen ins Sonnenlicht, um nicht wie eine Blume im Herbarium zu verwelken«.21 Ein ähnliches Bild des Drangs nach Befreiung und Hinwendung zum Leben entwirft Nils Wollin schon 1918 in einer Rezension: »Der Künstler ist mit dem Schrecklichen konfrontiert, dass er alle Möglichkeiten ganz ausgeschöpft hat. Aber in ihm brennt eine siedende Vitalität.«22 Janssons Schöpferkraft scheint zur Debatte zu stehen, und diese ist nach Ansicht der Rezipienten unmittelbar mit seiner körperlichen Kraft verbunden. Gunnar Sørensen zufolge war es deshalb »nahe liegend, dass er in der Umgebung, wo er früher seine körperliche Gesundheit erworben hatte, Kraft zu suchen«, als »er jetzt den Verlust seiner künstlerischen Kraft befürchtete«.23 Als Grund dafür, dass Jansson sich erst jetzt, dann aber konsequent der Aktmalerei zuwandte, wird zunächst der Tod der Mutter angegeben, die gegen die große Anzahl an nackten Figuren sicher einiges einzuwenden gehabt hätte.24 Außerdem habe sich Jansson erst mit zunehmendem materiellem Erfolg Modelle leisten können.25 Zachau führt in Anlehnung an Strömbom auch eine Italienreise als mögliche Inspiration an, allerdings, wie Eman bemerkt, ohne zu berücksichtigen, dass »Italien um die Jahrhundertwende, wie auch viel früher, eine Art Mekka für homosexuelle

21 »Han måste ha känt att gränden var en återvändsgränd och att han måste ut, ut i solljuset för att inte vissna som en herbarieblomma«, Lagerkvist (1997): »Var han rädd för människor?«, S. 28. 22 »Konstnären står inför det förfärliga, att han helt uttömt alla möjligheter. Men i honom brinner en sjudande vitalitet«, Nils Wollin: »Från minnesutställningen på Liljevalchs konsthall«, Aftonbladet, 10. April 1918. 23 »Når han nå fryktet tap av sin kunstneriske kraft var det nærliggende å søke styrke i de omgivelserne hvor han tidligere hadde vunnet sin legemlige sunnhet«, Sørensen (1981): »Vitalismens år?«, S. 35. 24 Vgl. Lagerkvist (1997): »Var han rädd för människor?«, S. 28. 25 Vgl. Prins Eugen (1936): »Konstnärsförbundets män. Minnen och intryck av Prins Eugen. Prins Eugen berättar«, Ord&Bild, S. 467, zitiert nach: Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 206.

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männliche Künstler war«.26 In den Versuchen, den Bruch in Janssons Werk und Leben zu erklären, wird aber hauptsächlich der oben angesprochene Diskurs um Kraft und Energie, um Gesundheit und Krankheit aufgerufen, der sich gleichermaßen auf Janssons neues Motiv und sein körperliches Befinden bezieht. Der Motivwechsel wird von einem Rezensenten 1918 als wahre Entfesselung an Schaffenskraft beschrieben, »mit einer Konsequenz, einem Zusammenhang und einem energischen Willen, die man erst jetzt voll erfasst [...]. Immer größere Kraft und Energie liegt in den Bildern.«27 In Nils Wollins Rezension zur selben Ausstellung wird deutlich, dass die Rezipienten nicht zwischen der Energie des Künstlers, der dargestellten männlichen Figuren oder deren Niederschlag in der Malweise unterscheiden: Mit unerschütterlichster Energie geht er die neuen Probleme an. Gewaltige Leinwände werden aufgespannt, wo er den nackten männlichen Körper unter stärksten muskulösen Anspannungen wiederzugeben sucht. [...] Wie man die letzte Produktion auch beurteilen mag – mit Respekt muss man der Vitalität begegnen, die in diesen seinen letzten Jahren zum Ausdruck kam.28

Bei Zachau wird der männliche Akt für Jansson gar zu einer Frage um Leben und Tod, die darüber hinaus noch eine religiöse Dimension bekommt: Vielleicht könnte er durch die Studie dieser Inkarnation von Vitalität den Schlüssel zur Gesundheit, ja selbst zum Lebensfunken, finden. Künstlerisch hoffte er, dass die Aktmalerei der Funke sei, der das erlöschende Licht in ihm wieder entzünden könne. Auch in dieser Hinsicht sah er im Motiv mit größter Wahrscheinlichkeit einen Erlöser.29

26 »Italien under sekelskiftet, liksom långt tillbaka, var något av ett Mecca för homoerotiska manliga konstnärer«, Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S. 221. Vgl. Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 206. 27 »men en konsekvens, ett sammanhang och en energisk vilja, som man först nu fullt fattar [...]. Det blir allt mera kraft och energi i målningen«, Gotthard Johansson: Rezension der sogenannten Gedächtnisausstellung in der Kunsthalle Liljevalchs 1918, Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning, 26. März 1918. 28 »med oryggligaste energi ger han sig i kast med de nya problemen. Väldiga dukar slås upp, där han söker återge den nakna manliga kroppen under de kraftigaste muskulösa anspänningar. [...] Hur den sista produktionen än må värdesättas – med vördnad måste man betrakta den vitalitet, som tog sig uttryck under dessa hans sista år«, Nils Wollin: »Från minnesutställningen på Liljevalchs konsthall«. 29 »Kanske skulle han kunna finna nyckeln till hälsan, till själva livsgnistan via studiet av denna inkarnation av vitalitet. Konstnärligt hoppades han att figurmåleriet skulle

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Zachau bezieht sich hier auf ein konkretes Bild, den ersten Akt, den Jansson ausstellte: Nackter Jüngling am Türpfosten. Wie ich später noch erläutern werde, ist das Bild als Janssons programmatischstes verstanden worden, mit dem er sich als Pionier homoerotischer Kunst präsentiert habe. Unstrittig ist mittlerweile, dass Knut Nyman, Janssons langjähriger Lebensgefährte, für das Bild Modell stand. An anderer Stelle spricht Zachau von der Aktmalerei als Janssons »innigstem Wunsch« und von der »Sehnsucht« danach, Akte malen zu können.30 Obwohl sie die dargestellte männliche Figur als Janssons Lebensretter und Erlöser bezeichnet, geht sie den Schritt nicht weiter, eine nahe liegende homosexuelle Orientierung anzuerkennen. Andere Forscher und Rezensenten, die sich an der Debatte um Janssons Akte 1997/98 beteiligen, deuten diese als Befreiung im Rahmen eines Coming-outs, dessen Codes zu Janssons Lebzeiten aber nur von Eingeweihten verstanden werden konnten.31 Der Bruch in Janssons Leben und Werk stimme vom Zeitpunkt her »allzu gut mit dem Durchbruch der homosexuellen Identität in den schwedischen Medien« überein »um nur ein Zufall sein zu können«.32 Einige Homosexuelle hätten in der Zeit ihre Stimme erhoben, und Jansson habe dies mit seinen künstlerischen Mitteln getan.33 Bevor ich näher auf die Debatte eingehe, werde ich im nächsten Abschnitt den Umgang zeitgenössischer Rezipienten mit Janssons Badenden behandeln. Auch diese konstatieren bereits einen »Hunger« Janssons, der im Hinblick auf die Aktmalerei und die Bewegung männlicher Körper zum Tragen komme, und formulieren damit vorsichtig, dass dem ein homosexuelles Begehren zu Grunde liegen könnte.34 Bei Tor Hedberg wird es 1927 besonders deutlich ausgedrückt:

bli den gnista som åter kunde tända det slocknande ljuset inom honom. Även i det avseendet såg han med största sannolikhet en frälsare i motivet«, Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 212. 30 »innersta önskan«, »längtan«, ebd., S. 206. 31 Vgl. u.a. Lagerkvist (1997): »Var han rädd för människor?, Grahn-Hinnfors: »Utanförskap som drivkraft«, Malmberg: »Inget är sig likt efter Jansson«. 32 »alltför väl med den homosexuella identitetens genombrott i svenska media […] för att helt kunna vara en slump«, Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S. 221. 33 Vgl. ebd., S. 222. Als Beispiele für Homosexuelle, die sich in der Zeit öffentlich äußerten, nennt Eman den Zeitungsredakteur Victor Hugo Wickström (1856-1907), den Dichter Ivar Conradson (1884-1968), den Schriftsteller Gustaf Otto Adelborg (18831965), den Schriftsteller Vilhelm Ekelund (1880-1949) und den Künstler Gösta Adrian-Nilsson (1884-1965). 34 Janssons »hunger efter allt mera samlad, komplicerad rörelse av många kroppars rytm«, Nils Wollin: »Från minnesutställningen på Liljevalchs konsthall«.

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Ich weiß aus seinem eigenen Mund, dass er sich immer nach dem menschlichen Körper gesehnt hat, immer davon geträumt hat, sich auch der Aktmalerei zu widmen, aber ganz einfach nicht die Mittel dazu hatte, diese Sehnsucht zu befriedigen. Jetzt konnte er es, und nun widmete er sich der neuen Aufgabe mit der für ihn charakteristischen, alles andere verschlingenden Hingabe.35

Habe es sich bei der Zuwendung zu dem neuen Motiv um ein »Begehren nach Erneuerung« gehandelt? Bei Hedberg ist die Antwort: »Ganz sicher.«36 In Hedbergs Formulierung ist die erotische Metaphorik – die erotische Dimension von Janssons männlichen Akten – kaum wegzudeuten. Zu einer Zeit, als homosexuelle Handlungen noch strafbar sind, scheint aber Janssons Begehren nicht als homoerotisches bezeichnet werden zu können. Ich werde mich also der Frage widmen, inwiefern Janssons Motivwahl als in Bezug auf Sexualität und Begehren abweichend verhandelt wird, und auf welche Differenzierungskategorien ausgewichen wird, wenn jene nicht benannt werden können.

3.2. Z EITGENÖSSISCHE R EZEPTION Zu Janssons Lebzeiten fanden in Schweden drei Gruppenausstellungen des Künstlerverbands statt, in denen Janssons Akte und Badende ausgestellt wurden: 1907 bei der Studentenvereinigung Verdandi in Uppsala, in Göteborg 1911 und die so genannte Olympische Ausstellung im Jahr 1912, die gleichzeitig mit den Olympischen Spielen in Stockholm stattfand. Drei Jahre nach Jansson Tod fand in der Stockholmer Kunsthalle Liljevalchs eine so genannte Gedächtnisausstellung über vier ehemalige Mitglieder des Künstlerverbands, darunter Jansson, statt. Im selben Zeitraum erschienen auch die beiden ersten und bis 1997 einzigen überblicksartigen Texte über Janssons Leben und Werk: ein längerer Aufsatz des Kunstsammlers und Kunstkritikers Klas Fåhraeus in Janssons To-

35 »jag vet det ur hans egen mun, att han alltid längtat till människokroppen, alltid drömt om att få ägna sig även åt figurmåleriet, men helt enkelt icke haft medel att få tillfredsställa denna längtan. Nu kunde han det, och nu ägnade han sig åt den nya uppgiften med den för honom karakteristiska, allt annat uppslukande hängivenheten«, Tor Hedberg (1927): Minnesgestalter. Stockholm: Bonniers, S. 135. 36 »begär att förnya sig? Helt säkert«, ebd., S. 134.

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desjahr 1915 und eine Monografie des Kunsthistorikers Nils Wollin 1920.37 Im Folgenden werde ich die zeitgenössische Rezeption von Janssons Akten an Hand von Rezensionen der genannten Ausstellungen chronologisch nachzeichnen und durch die Überblickstexte von Fåhraeus und Wollin ergänzen. Ich konzentriere mich dabei auf die Frage, wie über die Akte und Badenden gesprochen wurde, und was sich daraus für zeitgenössische Diskurse über Akt, Nacktheit, Baden und den Zusammenhang zwischen Sexualität, Geschlecht und Kunst schlussfolgern lässt. Gibt es Hinweise auf Janssons Homosexualität? Kommt eine heterosexuelle Norm der Kunstgeschichtsschreibung zum Tragen? Akt und Nacktheit: Uppsala 1907 Hätte ein unbekannter Künstler mit Bildern wie Janssons Badenden debütiert, wäre er womöglich auf einhellige Ablehnung gestoßen. Waren Janssons Stockholm-Bilder und ihre van Goghsche Anmutung anfangs umstritten, war ihr künstlerischer Wert um 1905 bereits anerkannt und die Bilder befanden sich in wichtigen Sammlungen und Museen. Es war also kein Unbekannter, der 1907 Nackter Jüngling am Türpfosten unter dem Titel Modellstudie ausstellte, damit große Aufmerksamkeit erweckte und Überraschung auslöste: J.A.G. Ackes Östrasalt (Abb. 16, S. 179), das in Uppsala auch zum ersten Mal ausgestellt wurde, sowie Modellstudie seien die Arbeiten, »die das Interesse am allerstärksten auf sich vereinen«.38 Auch in einer anderen Rezension heißt es, Modellstudie »konkurriere um das größte Interesse der Besucher«.39 Die Rezension in der lokalen Upsala Nya Tidning beginnt gleich mit der Beobachtung, »Janssons einzige ausgestellte Leinwand« sei »wohl vermutlich diejenige, die dem Betrachter die größte Überraschung bereitet«.40 Modellstudie wird also durchaus positiv aufgenommen. Besondere Aufmerksamkeit wird in den Rezensionen von 1907 der Tatsache zuteil, dass mit Acke und Jansson gleich zwei Künstler Akte ausstellen, ein

37 Klas Fåhraeus (1915): »Eugène Jansson«, Ord & Bild 24:9, S. 467-80, Nils Wollin (1920): Eugène Janssons måleri. Försök till gruppering och analys. Stockholm: Sveriges allmänna konstföreningen. 38 »som samla intresset allra starkast«, »Från konstutställningarne i Upsala och Stockholm«, Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning, 6. April 1907. 39 »täflar om de besökandes största intresse«, »Konsten kommer med våren. Konstnärsförbundets utställning in Uppsala«, Stockholms Tidning, 5. April 1907. 40 »Eugen Janssons [sic] enda utställda duk är väl förmodligen den som mäst bereder åskådaren öfverraskning«, Erik Hedén: »Konstutställningen«, Upsala Nya Tidning, 10. April 1907.

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Genre, das schwedische Künstler mit der Ausnahme von Anders Zorn und Carl Larsson ansonsten »systematisch zu vermeiden pflegen«, wie Dagens Nyheter schreibt.41 Auch Karl Wåhlin bemerkt in Stockholms Dagblad, dass die schwedische Malerei sich trotz des akademischen Aktstudiums kaum mit dem nackten Körper beschäftigt hat. Als einzige Ausnahme nennt Wåhlin Anders Zorn, der aber nur weibliche Akte male und sich nur für »das Fleisch, den Leib, das Volumen« interessiere, nicht für »den Rhytmus der Form und das Ausdrucksvermögen von Bewegung.«42 Insofern sei es von Bedeutung, dass sich Künstler »der Darstellung des männlichen Körpers zugewandt haben, der natürlich gleich große Möglichkeiten künstlerischer Behandlung bietet wie der weibliche.«43 Der männliche Akt sei insofern sogar als künstlerisch wertvoller zu erachten, als der Künstler keine Rücksicht auf »Versuchungen« nehmen müsse und sich konzentrierter den künstlerischen Herausforderungen widmen könne.44 Janssons Kollegen könnten sich ein Beispiel nehmen, meint auch der Rezensent in Dagens Nyheter: »Aktstudium ist immer gesund und sollte nicht nur von Schülern betrieben werden.«45 Der Rezensent in Stockholms Tidning findet den Titel des Bilds, Modellstudie, gar »viel zu bescheiden für dieses glänzende Werk«.46 Die Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning findet Modellstudie »beeindruckend als Beweis der Herrschaft über die nackte Form, die dieser Künstler sich durch mehrere Jahre langes Studium angeeignet hat.«47 Bei der Herr- oder Meisterschaft über das neue Genre sind sich die Rezensenten und Rezensentinnen uneinig. Einige betonen das jahrelange intensive

41 »pläga systematiskt undvika«, »Våra vårutställningar i Stockholm och Uppsala. Hos Konstnärsförbundet«, Dagens Nyheter, 7. April 1907. 42 »hans intresse är hullet, köttet, volymen, ej formens rytm och rörelsens uttrycksförmåga«, Karl Wåhlin: »Konstnärsförbundets utställning 2«, Stockholms Dagblad, 28. April 1907. 43 »riktat sig på framställningen af den manliga kroppen, som naturligtvis erbjuder lika stora möjligheter till konstnärlig behandling som den kvinnliga«, Stockholms Dagblad, 28. April 1907. 44 »ej så många frestelser till sidohänsyn«, Stockholms Dagblad, 28. April 1907. 45 »modellstudium är alltid hälsosamt och bör idkas ej blott af skoleleverna«, Dagens Nyheter, 7. April 1907. 46 »alldeles för blygsamt för detta lysande verk«, Stockholms Tidning, 5. April 1907. 47 »imponerande som prof på det herravälde öfver den nakna formen denne konstnär genom flera års trägna studier tillvunnit sig«, Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning, 6. April 1907.

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Studium, das zum ersten Resultat geführt habe,48 meinen aber, es handle sich, wie der Titel andeute, lediglich um eine »Studie«.49 Der Körper sei »summarisch und grob behauen gestaltet«. In einer Kolumne schreibt Anna Branting, der dargestellte und ihr zufolge »arme schiefe« Jüngling sei ausgelacht worden, wäre er von einem Schüler oder einer Dame und nicht von einem anerkannten Künstler gemalt worden.50 Einig sind sich die Rezensionen darin, dass der erste Versuch im neuen Genre viel versprechend sei und zur Erwartung »größerer Dinge« Anlass gebe.51 In den Rezensionen wird also lediglich die Art und Weise debattiert, wie der dargestellte Körper gestaltet ist, nicht aber seine Nacktheit an sich. Janssons Motivwahl wird im Gegenteil begrüßt, füllen seine Akte doch eine Lücke in der zeitgenössischen schwedischen Kunst. Genau in diesem Kontext, als Akt, wird Modellstudie verstanden. Dabei ist wichtig, dass der Raum, in dem sich der nackte Jüngling auf dem Bild befindet, als Atelier wahrgenommen wird.52 Der Titel Modellstudie ist vielleicht strategisch gewählt worden, um einer Debatte oder gar einem Skandal vorzubeugen. Beide Elemente des Titels sind von Bedeutung: »Modell« identifiziert den nackten Mann auf dem Bild als ebensolches, das in einem professionellen Verhältnis zum Künstler steht. »Studie« legt nahe, dass dem Bild ein Status als Versuch, als Provisorium zugeschrieben wird: Der nackte Körper scheint nicht zum Selbstzweck abgebildet worden zu sein. Die Elemente Atelier, Modell und Aktzeichnen waren den Kritikern aus den Akademien und der künstlerischen Praxis wohl bekannt. Das Aktzeichnen wurde als wichtig oder, siehe die schon zitierte Rezension, gar als »gesund« erachtet.53 In der Tradition der Akademien war die Beherrschung des Aktzeichnens Voraussetzung für die Historienmalerei, die bis in das 19. Jahrhundert hinein die Hierarchie der Bildgattungen anführte. Die Kritiker, die den Status von Janssons Bild als Studie festschreiben, scheinen auf einen solchen nächsten Schritt zu warten, vielleicht auf die Bekleidung der nackten Körper? Dass Janssons Bild mit dem durchaus kontroversen Motiv eines illusionistisch gezeichneten nackten

48 Vgl. Tor Hedberg: »Konstnärsförbundets utställning i Uppsala«, Svenska Dagbladet, 13. April 1907; Upsala Nya Tidning, 10. April 1907. 49 Vgl. Svenska Dagbladet, 13. April 1907; Stockholms Dagblad, 28. April 1907. 50 Vgl. Anna Branting: »Tur och retur till konstutställningen«, Dagens Nyheter, 12. April 1907. 51 »större saker«, Stockholms Tidning, 5. April 1907. Siehe auch Upsala Nya Tidning, 10. April 1907 und Stockholms Dagblad, 28. April 1907. 52 Vgl. Upsala Nya Tidning, 10. April 1907. 53 Vgl. Dagens Nyheter, 7. April 1907.

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Manns in einem Türrahmen nicht skandalisiert wurde, beruht also auf der Unterscheidung zwischen nackt und Akt, die dem Verständnis der Kunstkritiker entsprach und von Jansson oder seinen Kollegen durch die Betitelung des Bilds entscheidend befördert wurde. Ein weiterer Aspekt der positiven Rezeption von Janssons Bild bezieht sich auf die dem Kunstdiskurs zu Grunde liegenden und hier fortgeschriebenen Vorstellungen von Geschlecht und Kunst. Der Kommentar der Journalistin Anna Branting, der Akt sei verlacht worden, falls er von einer Künstlerin gestammt habe, lässt die Verknüpfung von Männlichkeit und Künstler- oder Meisterschaft deutlich werden.54 Vorstellungen von Männlichkeit innerhalb einer heterosexuellen Norm werden in allen untersuchten Rezensionen vermittelt. So wird stets die – wie bereits sowohl dem schwedischen als auch dem deutschen Begriff zu entnehmen ist – männlich konnotierte »Herrschaft über die nackte Form« betont.55 Die Transformation des Nackten in einen Akt wird als Beherrschung von Fleisch und Versuchungen konzeptualisiert, wie es dem Aktparadigma und der Vorstellung einer soldatischen, unterwerfenden Männlichkeit entspricht. So erfordere der männliche Akt »erzieherische Kraft und Härte«,56 und das Bild sei Resultat »Jahre langer beharrlicher Studien«.57 Der Künstler wird auf diese Weise mit einer rationalen, disziplinierten und disziplinierenden, heterosexuellen Männlichkeit identifiziert. Exzentrizität und männlicher Akt: Göteborg 1911 In der Rezeption der Uppsalaer Ausstellung von 1907 tritt die Nacktheit des männlichen Körpers auf Modellstudie also hinter die Paradigmen von Akt und heterosexueller Männlichkeit zurück. In den Berichten über die nächste Ausstellung 1911 in Göteborg, in der Jansson zum ersten Mal in großem Rahmen seine Badenden präsentierte, findet wieder eine Verhandlung von Männlichkeit, Akt und Kunst statt. Gleichzeitig scheint sich aber eine gewisse Irritation unter den Kritikern zu verbreiten. Wieder erregen Janssons Bilder, Badebild (Badtavla) (Abb. 11) und Matrosenball, große Aufmerksamkeit. Sie repräsentieren »wohl am stärksten einen neuen Einschlag« auf der Ausstellung des Künstlerverbands,58 und besonders Badebild sei viel diskutiert.59 Der vollständige Motiv-

54 Vgl. Dagens Nyheter, 12. April 1907. 55 Vgl. Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning, 6. April 1907. 56 »uppfostrande kraft och hårdhet«, Stockholms Dagblad, 28. April 1907. 57 »flera års trägna studier«, Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning, 6. April 1907. 58 »nog starkast nya uppslag«, J.A.: »Konstnärsförbundets utställning«, Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning, 25. April 1911.

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wechsel Janssons ist für viele nach wie vor eine Überraschung: »Derjenige, der den größten Schritt von seinem früheren Ich vollzogen hat, ist Eugen [sic] Jansson«.60 Abb. 11: Eugène Jansson: Badebild (1908)

Badebild entstand 1908, ein Jahr später als das zu Anfang besprochene Badehaus der Marine. Es wurde von Klas Fåhraeus, neben Ernest Thiel Janssons wichtigster Mäzen, angekauft und hat heute einen unbekannten privaten Besitzer. Die Szene ist die gleiche: Der größte Teil des Bildraums wird wieder vom Schwimmbad mit seinen nackt am Beckenrand stehenden, liegenden und sitzenden Besuchern eingenommen. Diesmal befindet sich der Betrachterstandpunkt auf der Querseite des Beckens unmittelbar am Ende des Sprungbretts. Wieder hat ein Springer soeben vom Brett abgehoben und schwebt mit zur Seite ausgebreiteten Armen in der Luft über dem Becken. Wieder folgen ihm alle Blicke der anderen Badenden und auch des Betrachters. Der Blick des Betrachters ist wieder zwischen den im Vordergrund stehenden und liegenden Figuren, die ihre

59 »hans mycket omtalade stora badhusscen«, Edvard Alkman: »Festutställningen på Valand«, Dagens Nyheter, 27. April 1911. Derselbe Artikel wurde schon in Göteborgsposten am 25. April 1911 publiziert. 60 »Den som tagit det längsta steget från sitt forna jag är Eugen [sic] Jansson«, Erik Wettergren: »Konstnärsförbundet i Göteborg«, Stockholms Dagblad, 30. April 1911.

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muskulösen Körper in unterschiedlicher Ansicht dem Zuschauer darbieten, und dem Springer geteilt. Dieser ist in kurioser Perspektive und in extremer Verkürzung von hinten zu sehen. Neben den zur Seite ausgebreiteten Armen und den Fußsohlen sieht man so hauptsächlich den Penis der Figur, auf den auch die Blicke der am Sprungbrett wartenden drei zentralen Figuren im Vordergrund gerichtet sein müssen. Wieder scheint hier – sind die Rezipienten für diese Interpretation offen – die Lust am Posieren und am Schauen wichtiger zu sein als die Lust an der Bewegung als Thema der Darstellung eines Schwimmbads. Im Vergleich mit den Rezensionen von 1907 häufen sich die Bemerkungen über die Exzentrizität Janssons. Vor allen Dingen die Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning betont Janssons Dreistigkeit. Der Künstler habe »stets zur Avantgarde gehört, zu jenen, die vor kühnen Ansätzen nicht zurück schreckten«.61 Er habe in der Zwischenzeit bewiesen, dass er »nicht ganz so verrückt sei« wie viele zunächst gedacht hätten.62 Bei seinem neuen Projekt, der Aktmalerei, folge er aber wieder »vollkommen seinem eigenen Kopf mit der hart entschlossenen Energie, die ihm zu eigen ist. Er hat, wenn man es so ausdrücken darf, einen stärkeren »sezessionistischen« Dämon als die meisten seiner Kameraden.«63 Begriffe wie »dreist« und »mutig« tauchen in fast allen Rezensionen auf.64 Wieder wird Janssons Kunstschaffen mit Vorstellungen einer soldatischen wie auch einer diszipliniert arbeitenden Männlichkeit in Verbindung gebracht: es sei »in hohem Maß Studium und Arbeit, ein gewaltiger Kampf mit Problemen«.65 Badebild sei von »der frischen und verwegenen Perspektive und der männlichen Hand« getragen.66 Janssons Bilder seien »eine künstlerische Kraftprobe«.67 Einige der Rezensenten sind begeistert vom Resultat: »Welch ein Studium des Nackten!«68 Andere deuten Janssons Energie und Kühnheit eher negativ als Verbis-

61 »städse hört till avantgardet, till dem, som icke dragit sig för dristiga ansatser«, Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning, 25. April 1911. 62 »icke fullt så tokig«, Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning, 25. April 1911. 63 »fullkomligt sitt eget hufvud med den hårdt slutna energin, som är honom egen. Han har, om uttrycket tillåtes, en starkare »secessionistisk« dämon än flertalet av sina kamrater«, Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning, 25. April 1911. 64 Vgl. Dagens Nyheter, 27. April 1911; Stockholms Dagblad, 30. April 1911. 65 »i hög grad studium och arbete, en väldig kamp med problem«, August Brunius: »Konstnärsförbundet i Göteborg«, Svenska Dagbladet, 30. April 1911. 66 »den friska och djärfva synen och det manliga handlaget«, Stockholms Dagblad, 30. April 1911. 67 »ett konstnärligt kraftprof«, Dagens Nyheter, 27. April 1911. 68 »hvilket studium af det nakna!«, Dagens Nyheter, 27. April 1911.

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senheit und Exzentrizität. So heißt es bei Brunius in Svenska Dagbladet über »die Aktmalerei, die sein neuer Pathos geworden« sei, im Vergleich mit Acke habe sie »nicht diese glückliche Leichtigkeit, diesen einnehmenden Zug genialer Improvisation«.69 Mit der Bemerkung über Janssons sezessionistischen Dämon wird darüber hinaus auf eine Abweichung oder gar Abspaltung von einer konsensualen Gemeinschaft von Künstlern und Öffentlichkeit angespielt. Ohne dass es explizit geäußert würde, kann man einige der Bemerkungen über Janssons Badende auch als Anspielungen auf deren homoerotischen Gehalt verstehen. Die wiederholte Betonung seiner Kühnheit oder Dreistigkeit kann auch auf ein abweichendes Verhalten in dieser Hinsicht hinweisen. An anderer Stelle wird deutlicher, dass die nackten Körper auf Badebild Unbehagen auslösen. Erik Blomberg schreibt: »Alle diese Körper und Pfeiler bilden eine fürchterliche Unordnung«. Sie seien »brutal« im Kolorit und wirken auf ihn abstoßend.70 Edvard Alkman, der von den »prachtvollen nackten Männern« eigentlich begeistert ist, bemerkt: »Es soll nicht bestritten werden, dass das Bild fragwürdige Details hat.«71 Gleichzeitig werden vorsichtig Zweifel an der Männlichkeit des Vorhabens formuliert, die darauf schließen lassen, dass sich die Diskussionen über die Bilder auch auf einen Homosexualitätsverdacht bezogen. So schreibt Alkman im Anschluss an seine Bemerkung über die fragwürdigen Details, das »malerische Problem« sei »dergestalt, dass es mehr als eines Manns bedürfe um es zu lösen, und in einzelnen Aspekten ist es nicht vollständig gelöst«.72 Erik Blomberg, der schon von den Badenden abgestoßen war, ist es auch von der Figur im Vordergrund auf Matrosenball: »Für diejenigen, die ihn schon wiederholt als Modell mit seinem süßen Ausdruck gesehen haben, wird diese Wirkung von Unmännlichkeit etwas unbehaglich, insbesondere da er der einzige ist, der dem Betrachter ganz zugewandt ist«.73 Der »sezessionistische Dämon«, Janssons

69 »det figurstudium som blifvit hans nya patos«, »har icke denna lyckliga lätthet, detta intagande drag af genial improvisation«, Svenska Dagbladet, 30. April 1911. 70 »Alla dessa kroppar och stolpar bilda en ryslig oreda«, »brutala«, »stötte dessa mig«, Erik Blomberg: »Konstnärsförbundets utställning«, undatiert und ohne Angabe der publizierenden Zeitung, Archiv der Kunsthalle Liljevalchs, Stockholm. 71 »praktfulla nakna män«, »Det skall ej förnekas att taflan har diskutabla detaljer«, Dagens Nyheter, 27. April 1911. 72 »Det måleriska problemet är sådant att det skall mer än karlatag till för att lösa det, och i enstaka poänger är det ej fullt löst«, Dagens Nyheter, 27. April 1911. 73 »För dem som sett honom återkomma ett par gånger som modell med sitt söta uttryck, blir denna verkan af omanlighet litet obehaglig, i all synnerhet då han är den ende, som vänder sig helt mot åskådaren«, Blomberg: »Konstnärsförbundets utställning«.

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»eigener Kopf« scheint sich, so legen es die Rezensionen mehr oder weniger vorsichtig nahe, nicht nur auf die künstlerische Avantgarde, sondern womöglich auch auf eine abweichende Lebensführung zu beziehen.74 Eine Ausstellung als Schwimmhalle: Stockholm 1912 1912 fanden die Olympischen Sommerspiele in Stockholm statt. Parallel dazu wurde eine provisorische Kunsthalle errichtet, in der die Künstlervereinigung eine große Gruppenausstellung durchführte. Jansson war ausschließlich mit Bildern aus seiner aktuellen Schaffensphase, mit den Badenden, Turnern und Akrobaten, vertreten. Wieder erregten die Bilder viel Aufmerksamkeit, waren sie in Stockholm früher doch nur im Rahmen von Privatsammlungen und noch nie in so großer Auswahl gezeigt worden. Wieder finden die Rezensenten die Veränderung bemerkenswert. Axel Gauffin schreibt in Stockholms Dagblad, man könne kaum fassen, dass es ein und derselbe Künstler sei, der zehn Jahre zuvor Nachtansichten Stockholms gemalt habe und nun »das gesunde und ungezwungene Leben der Matrosen« schildere, »wenn nicht von der Wiege bis zum Grab, dann zumindest vom Bad bis zum Ballsaal.«75 In der Rezension in Dagens Nyheter, in der die Besprechung von Janssons Bildern fast drei von fünf Spalten einnimmt, bemerkt Harald Brising: »Vielleicht ist die Veränderung nirgendwo größer als bei Eugène Jansson«.76 Neben den Bildern von Prinz Eugen, als Sammler, Mäzen, aber auch selbst als Künstler tätig, macht Jansson den größten Eindruck auf August Brunius: »Am beeindruckendsten als Ganzes ist Eugène Janssons großer großzügig gehängter Saal«.77 In Tor Hedbergs großem Artikel über die Ausstellung in der Zeitschrift Konst och konstnärer wird die Ambivalenz deutlich, mit der die Zeitgenossen die Akte und Badenden Janssons beurteilten: Am merkwürdigsten ist zweifellos Eugène Janssons Beitrag, meiner Überzeugung nach dazu geeignet, in der schwedischen Kunstgeschichte epochebildend zu wirken. Denn mit dieser Ausstellung hat die männliche Gestalt, verwegen und souverän, ihren Einzug in die

74 Vgl. Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning, 25. April 1911. 75 »matrosens sunda och otvungna lif, om inte från vaggan till grafven så åtminstone från badet till balsalen«, Axel Gauffin: »Konstnärsförbundets utställning II«, Stockholms Dagblad, 28. Juni 1912. 76 »Kanske är förändringen ingenstädes större än hos Eugène Jansson«, Harald Brising: »Konstnärsförbundets sommarutställning«, Dagens Nyheter, 21. Juni 1912. 77 »Mest imponerande som helhet äro Eugène Janssons stora spatiöst hängda sal«, August Brunius: »Lokalen«, Svenska Dagbladet, 5. Juni 1912.

118 | B ADENDE MÄNNER schwedische Malerkunst gehalten, nicht als mehr oder weniger akademische Modellstudie, sondern frei lebend, in Spiel, Anstrengung oder Ruhe.78

Den männlichen Akten wird große Bedeutung für die schwedische Kunstgeschichte beigemessen, haben sie doch kaum Vorgänger. Gleichzeitig werden sie als »märklig« beschrieben, was sowohl als bemerkenswert als auch als merkwürdig im Sinne von komisch oder abweichend verstanden werden kann. Wichtiger aber ist an Hedbergs Aussage, dass er von der Bewertung als Modellstudie, wie es für die Ausstellung 1907 der Fall gewesen war, abrückt. Hedberg übertritt die Grenze zwischen Nacktheit und Akt, die für das Verständnis von Modellstudie/Nackter Jüngling am Türpfosten zunächst so wichtig gewesen war, indem er die Figuren als »lebend« beschreibt. Mit den Badenden hat Jansson demnach einen bemerkenswerten Schritt vollzogen: den Schritt aus dem Atelier, aus dem konventionellen Verhältnis zwischen Künstler und Modell hinaus in das wirkliche Leben, in den öffentlichen Raum. Indem Hedberg in seiner Formulierung den nackten Figuren auf Janssons Bildern Subjektstatus zuspricht, lässt er bei der Deutung seiner Aussage einen Spielraum zu: Ist hier wirklich die Rede von den nackten männlichen Figuren, oder meint Hedberg, dass mit den Bildern zum ersten Mal Männlichkeit zur Debatte stehe? Bezieht sich die Kühnheit und Verwegenheit auf den Künstler selbst, der sein Interesse für den nackten männlichen Körper auch außerhalb des Ateliers oder der Akademie öffentlich zur Schau stellt? Schließlich könnte Hedberg auch Janssons Selbstporträt von 1910 (Abb. 13, S. 154) meinen, auf dem sich der Künstler, dem Betrachter frontal zugewandt, souverän einen Weg durch die ihn umgebenden nackten Badenden bahnt. Wie auch 1911 dreht sich die Kontroverse um Janssons Akte um die nackten Körper und ihre Bedeutung. Wieder wird Männlichkeit auf unterschiedlichen Ebenen verhandelt: wie oben als Eigenschaft der männlichen Figuren auf den Bildern, im Zusammenhang mit Janssons künstlerischem Schaffensprozess sowie implizit in der Diskussion der künstlerischen Form, der Monumentalität der Bilder. Die Rezensenten bewundern wieder Janssons »voraussetzungslose, reso-

78 »Märkligast är utan tvifvel Eugène Janssons insats, enligt min öfvertygelse ägnad att bilda epok i svensk konsthistoria. Ty med denna utställning har den manliga gestalten, djärft och suveränt, gjort sitt inträde i svensk målarkonst, icke som mer eller mindre akademisk modellstudie, utan fritt lefvande, i lek, ansträngning eller hvila«, Tor Hedberg (1912): »Konstnärsförbundets utställning sommaren 1912«, Konst och konstnärer 3:8, S. 85-89, hier: S. 90.

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lute Kühnheit«.79 Er habe sich »auf eine Aufgabe« eingelassen, »vor der andere zurück geschreckt hätten«: Er strebe eine »Vereinigung von Bewegung und Farbe« an, ein Unternehmen, das »bloß mit unerhörter Arbeit oder in begnadeten Augenblicken glücken kann.«80 Auch Tor Hedberg lobt Jansson für seine heroische Pionierleistung auf dem Gebiet des männlichen Akts: Diese Kunst sei »die eigene persönliche Eroberung des Künstlers, erlangt während eines mehrjährigen ununterbrochenen, intensiven Studiums, und man sollte sich vor der bereits erreichten Meisterschaft verbeugen.«81 Janssons Heroismus bezieht sich nach Ansicht der Rezensenten auch auf das Format und den damit verbundenen Anspruch der Bilder, auf deren Monumentalität: »besonders in dem kolossalen Badebild haben wir etwas, das Anspruch auf das allzu missbrauchte Schlagwort Monumentalmalerei erheben kann. Denn hier ist alles in Groß gesehen, deshalb passte das Gemälde auch am besten in einem Raum von kolossalen Dimensionen.«82 Auch August Brunius behandelt Janssons Badebilder unter der Überschrift »Die Monumentalwerke«: »Ihre monumentale Kraft wirkt heute noch gleich stark wie nach Fertigstellung der ersten Badeszene in Thielska Galleriet.«83 Die schiere Größe der Bilder und des künstlerischen Unternehmens lässt Janssons Badeszenen in den Augen der Kritiker eine Erhabenheit innewohnen, die männlich-heroisch konnotiert ist. In der Kunstgeschichte traditionell geschlechtlich konnotiert ist das Begriffspaar Form und Materie, das auch in den hier untersuchten Rezensionen oft zum Tragen kommt. Brunius spricht von einem »verbissenen Griff um die Form«, die Janssons Aktmalerei präge.84 Laut Axel Gauffin stellt Jansson seine Figuren in

79 »förutsättningslös, resolut djärfhet«, Dagens Nyheter, 21. Juni 1912. 80 »gett sig i lag med en uppgift för hvilken andra skulle ha ryggat tillbaka«, »förening av rörelse och färg«, »blott med oerhördt arbete eller i benådade ögonblick kan lyckas«, Dagens Nyheter, 21. Juni 1912. 81 »konstnärens egen personliga eröfring, vunnen under flera års oafbrutna, intensiva studium, och man skall böja sig för det redan nådda mästerskapet«, Hedberg (1912): »Konstnärsförbundets utställning sommaren 1912«, S. 90. 82 »särskildt i den kolossala badtaflan ha vi något som verkligen kan göra anspråk på det alltför missbrukade slagordet monumentalmålning. Ty här är allting sedt i stort, därför passade också taflan bäst i ett rum af kolossala dimensioner«, Dagens Nyheter, 21. Juni 1912. 83 »Deras monumentala kraft verkar än i dag lika starkt som när den första badscenen stod färdig i Thielska Galleriet«, August Brunius: »Monumentalverken«, Svenska Dagbladet, 9. Juni 1912. 84 »vresiga grepp om formen«, Svenska Dagbladet, 9. Juni 1912.

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einer statischen Balance dar, »die nur durch die Entwicklung der ganzen gymnastischen Kultur und der dem Willen unterworfenen Muskelkraft des männlichen Körpers« erlangt werden könne.85 Der Fokus auf den Willen scheint hier wichtig zu sein: »Gerade durch das Aufsuchen des seelischen Moments der Handlung wird das Interesse des Betrachters erhöht und erweitert.«86 Wo das gelungen sei, »ist es wirklich der Sieg des Geists über die Materie, der verherrlicht« werde.87 Wieder scheint hier die Opposition von Akt und Nacktheit aufgerufen: Geist und Wille, hier eindeutig ein männliches Prinzip, wird mit Form verknüpft, die die Materie, den Körper, mit einer Kraftanstrengung geradezu unterwerfe. Allerdings wird die Dominanz der Form bei Jansson nicht einhellig begrüßt. Teilweise »herrscht die Form unumschränkt«,88 die Effekte seien eher skulptural als malerisch.89 Das äußert sich laut den Rezensenten beispielsweise darin, dass die Figuren eher wie sogenannte Muskelmänner oder Écorchés aussähen, nur aus Muskeln und Sehnen bestehende anatomische Modelle ohne Haut.90 Die mangelnde Aufmerksamkeit gegenüber der »Stoffbehandlung«,91 also gegenüber den Oberflächen und vor allen Dingen der Haut, wird bei einigen Rezensenten beklagt, handelt es hierbei doch um die Domäne der Malerei schlechthin. Indem die Hautlosigkeit von Janssons Figuren beklagt wird, wird wieder das Aktparadigma aufgerufen, denn unter der Haut, mit der der Akt traditionell den nackten Körper bekleidet, kommt eben dieser allzu offensichtlich zum Vorschein. Zum ersten Mal in der Rezeption von Janssons Badenden wird hier Anstoß an der Nacktheit der Figuren genommen und öffentlich formuliert. So schreibt Tor Hedberg, dass »man anfangs vor der viel zu aufdringlichen Körper-

85 »vunnet endast genom utvecklandet af den manliga kroppens hela gymnastiska kultur och viljebestämda muskelkraft«, Stockholms Dagblad, 28. Juni 1912. 86 »Just genom uppsökandet af den manliga kroppens hela gymnastiska kultur och viljebestämda muskelkraft förhöjes och vidgas betraktarens intresse«, Stockholms Dagblad, 28. Juni 1912. 87 »är det verkligen andens seger öfver materien, som förhärligas«, Stockholms Dagblad, 28. Juni 1912. 88 »råder formen enväldigt«, Svenska Dagbladet, 9. Juni 1912. 89 Vgl. Carl David Moselius (1912): »Konstnärsförbundets utställning«, Det nya Sverige 6, S. 400-408, hier: S. 405. 90 Vgl. Stockholms Dagblad, 28. Juni 1912. 91 »stoffbehandlingen«, Dagens Nyheter, 21. Juni 1911.

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lichkeit zurückschreckt, der allzu nackten, fast hautlosen Modellierung«.92 Auch Carl David Moselius schreibt über Janssons »roh naturalistische« Körperbehandlung, es gebe »eine unkünstlerische Aufdringlichkeit in der Auffassung« des Motivs selbst.93 Der Anstoß, den Moselius nimmt, wird gleich zu Anfang seiner Besprechung von Janssons Anteil an der Gruppenausstellung deutlich, wo er schreibt, sein Saal sehe in jenem Jahr aus »wie die Schwimmhalle in einem größeren Herrenbadehaus […] nackte Kerle wohin man schaut, in allen möglichen und unmöglichen Stellungen.«94 Moselius unterscheidet nicht mehr zwischen den Figuren auf den Bildern und Besuchern eines Badehauses, ein Zeichen dafür, dass er sie nicht als Akte wahrnimmt, sondern als nackt. Der Vorwurf einer ›unkünstlerischen Aufdringlichkeit‹ impliziert sowohl einen Vorwurf mangelnder Distanz des Künstlers zum Gegenstand der künstlerischen Darstellung als auch ein Übertreten der Grenze im Verhältnis zwischen den Figuren und dem Betrachter. Beides verstößt gegen das Aktparadigma, das ein rein künstlerisches Interesse am Modell vorgibt und dem zufolge ein kontemplativer ungestörter Blick des Betrachters auf den dargestellten Körper ermöglicht werden soll. Die Lebensgröße und damit Monumentalität der Körper wird hier nicht mehr als männlich und heroisch wahrgenommen, sondern als grenzüberschreitend und damit abstoßend. Das Abweichende in Janssons Badeszenen wird hier nicht, wie man im Hinblick auf die zeitgenössische Wahrnehmung von Homosexualität und Homosexuellen vermuten könnte, als weiblich konzeptualisiert und formuliert, sondern im Gegenteil als Übererfüllung männlich konnotierter Prinzipien wie Form, Monumentalität, Wille und harte Arbeit. Die Rezensenten vermissen das Malerische, die ›Materie‹ des Bilds wie die Farbe, aber auch den Stoff, der zum Bild werden kann, wie Luft, Licht, Haut und damit verbundene Sinnes- und Gemütszustände. Wenn sie auftauchen, werden sie emphatisch beschrieben: »das Spiel der Atmosphäre um die hellen Körper, das Spiel von Reflexen und Schatten, die alle diese Sonnenbader zu einer schimmernden und luftigen Einheit modellieren

92 »man i begynnelsen ryggar för den alltför påträngande kroppsligheten, den alltför nakna, nästan hudlösa modelleringen«, Hedberg (1912): »Konstnärsförbundets utställning sommaren 1912«. 93 »rått naturalistisk […] en okonstnärlig närgångenhet i själfva uppfattningen«, Moselius (1912): »Konstnärsförbundets utställning«. 94 »som simhallen i ett större herrbadhus […] nakna karlar hvart man ser, i alla möjliga och omöjliga ställningar«, ebd.

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und zusammenschmelzen.«95 Laut Gauffin hat Badehaus der Marine von 1907 noch die von ihm bevorzugten fließenden Linien, während es sich bei Badebild von 1908 schon um »energisch durchgeführte Aktstudien« handelt, die eben genannte Eigenschaften nur in geringem Maß aufweisen.96 Auch Harald Brising wünscht sich, der Künstler habe ein Auge für »die Farbabstufungen sowohl von Konturen und Materie, ja, überhaupt für alle Relativität in Form und Farbe« gehabt.97 Der Rezensent von Svenska Dagbladet schreibt, »man sehnt sich unfreiwillig nach […] der frohen Unbeschwertheit, dem Genuss zusätzlich zur Arbeit«.98 Im Vergleich mit anderen Badenden, mit J.F. Willumsens Sonne und Jugend (Abb. 20, S. 203), das im selben Jahr auf der freien Kunstausstellung in Kopenhagen zu sehen war, vermisst er »Fröhlichkeit«, »die berauschende Begegnung mit Wasser, Sonne und Luft«, im Vergleich mit Ackes Östrasalt (Abb. 16, S. 179) »die heidnische Glücksstimmung«.99 Im Gegensatz zu diesen für alle nachvollziehbaren Erfahrungen und Stimmungen dominiere bei Jansson »ein für den Betrachter im Allgemeinen fremdes Fachinteresse«.100 Hedberg meint hier wohl das Interesse für Sport und Gymnastik, aber es scheint auch der Verdacht eines Interesses für den männlichen Körper anzuklingen, das über das berufliche hinausgehe. Wenn er schreibt, Jansson habe nie etwas gemalt, »was ihm nicht nahe gelegen hatte, was nicht schon zuvor im Gedächtnis und in der Fantasie sein Eigen war«, dass er auf diese Weise auch »das Nackte« entdeckt habe, »nicht bei einem angeheuerten Modell, sondern bei den badenden Matrosen auf Skeppsholmen«,101 scheint das ein Hinweis auf eine Verschränkung von Leben und Werk, von privater Fantasie, Lebensfüh-

95 »den konstnärliga förvandlingen, atmosfärens spel kring de ljusa kropparne, reflexernas och skuggornas lek, som modellera och smälta samman alla dessa solbadare till en skimrande och luftigt helhet«, Stockholms Dagblad, 28. Juni 1912. 96 »energiskt fullföljda aktstudier«, Stockholms Dagblad, 28. Juni 1912. 97 »både för konturens och materians färgskiftningar, ja, öfverhuvudtaget för all relativitet i form och färg«, Dagens Nyheter, 21. Juni 1912. 98 »längtar man ofrivilligt till […] den glada bekymmerslösheten, njutningen ofvanpå arbetet«, Svenska Dagbladet, 9. Juni 1912. 99 »glädjen«, »det berusande mötet med vatten, sol och luft«, »den hedniska lyckostämningen«, Svenska Dagbladet, 9. Juni 1912. 100 »ett för åskådaren i allmänhet främmande fackintresse«, Hedberg (1912): »Konstnärsförbundets utställning sommaren 1912«. 101 »som icke varit honom närliggande, som icke förut i minnet och fantasien varit hans tillhörighet […] icke hos en hyrd modell, utan hos de badande matroserna på Skeppsholmen«, ebd., S. 90.

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rung und Freizeitgestaltung und einem der wichtigsten Genres der Kunst zu sein. Hedbergs Hinweis auf die Verwandtschaft von Janssons Bildern mit der griechischen Antike trägt nicht dazu bei, die Ambivalenz zwischen heroischer Männlichkeit und Homosexualität zu verwischen, die von den Rezensenten bei Jansson wahrgenommen und von ihnen vermittelt wird. Im Gegenteil verdeutlicht sein Verweis auf griechische Vasen, deren Bekanntheit er voraussetzt, einer eingeweihten Leserschaft erst den homoerotischen Gehalt von Janssons Badebildern.102 Grundsätzlich schwanken die Rezensionen von 1912 zwischen einer Anerkennung von Männlichkeit und einem Vorwurf, diese werde übertrieben, oder – setzt man Janssons Homosexualität voraus – überkompensiert. Während die Darstellung eines einzelnen trainierten und wohlgeformten Männerkörpers der zeitgenössischen Verhandlung einer heroischen Männlichkeit entsprechen konnte, wirkte eine Menge von ihnen, »nackte Kerle, wohin man blickt«, offenbar aufdringlich und abschreckend.103 So lässt sich erklären, weshalb Janssons Akte umso mehr Irritiation hervorriefen, je mehr er davon ausstellte: ein einzelner Akt 1907, ein Badendebild 1911 und ein ganzer Saal voller nackter Männer 1912.104 Soldatische Männlichkeit: Retrospektive 1918 In den Rezensionen zur sogenannten Gedächtnisausstellung, die 1918 in der Kunsthalle Liljevalchs in Stockholm stattfand und eine Retrospektive Janssons als einem von vier verstorbenen Mitgliedern des Künstlerverbands zeigte, ist – obschon nur drei Jahre nach dem Tod Janssons – schon mit zeitlicher Distanz von der Irritation die Rede, die vor allen Dingen Janssons Malerei ausgelöst habe. Andreas Lindblom ruft entsprechend in Stockholms Dagblad aus: »wieviele Stürme die meisten dieser Werke umbraust haben!«105 Und auf Jansson bezogen bleibt er »verwundert« stehen: »Ist es möglich? War er wirklich so groß?«106 Tatsächlich zeigen sich die Kritiker versöhnlich und voller Anerkennung: Waren die Künstler »zu Lebzeiten umstritten, so ist diese Ausstellung gut geeignet,

102 Vgl. ebd., S. 91. 103 »nakna karlar hvart man ser«, Moselius (1912): »Konstnärsförbundets utställning«, S. 405. 104 Vgl. Hedberg (1912): »Konstnärsförbundets utställning sommaren 1912«, S. 90. 105 »hur många stormar ha ej en gång brusat kring flertalet av dessa verk!«, Andreas Lindblom:

»De

fyra

i

konsthallen.

En

blick

över

den

imponerande

minnesutställningen«, Stockholms Dagblad, 22. März 1918. 106 »i förundran. Är det möjligt? Var han verkligen så stor?«, Stockholms Dagblad, 22. März 1918.

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nach ihrem Tod ihre Bedeutung festzumachen.«107 Anspielungen auf den homoerotischen Aspekt von Janssons Akten finden sich in den Rezensionen 1918 kaum. Wie auch in den beiden Überblickstexten über Jansson von 1915 und 1920 dominiert hier das Bild von Jansson als »Kraftmaler«.108 Dagens Nyheter schreibt beispielsweise, die 60 Werke von Jansson »beleuchten mit aller wünschenswerten Kraft seine ganze Entwicklung und geben einen unbeschreiblich starken Eindruck seiner Bedeutung«.109 Die Interpretation der Akte als Ausdruck einer kriegerischen Männlichkeit, die auch schon im Zusammenhang mit den früheren Ausstellungen wichtig ist, kommt hier zur vollen Entfaltung. In der Rezension in Nya dagligt allehanda wird deutlich, dass eine starke Männlichkeit gleichzeitig auf Künstler, Kunst und die nackten Figuren bezogen wird: Eugène Jansson ist derjenige, dessen Geist und Persönlichkeit diese Ausstellung beherrschen […] Im großen Saal in der Mitte treffen sich alle seine nackten Männer, Turner und Athleten, von deren braungebrannten Körpern es wie eine strahlende Hymne an die Stärke, an die Kraft der Muskeln und Spannkraft der Glieder aufsteigt, ein olympischer Festzug der Sieger. Der Eindruck ist überraschend, überwältigend. Erst hier, wo alle diese Aktgemälde […] in einem geräumigen, für sie günstigen Ausstellungsraum versammelt sind, sieht man, welche gewaltige Monumentalität diese letzte Phase des Künstlers aufweist.110

107 »Ha de varit omstridda i livet, så är denna utställning välägnad att ytterligare slå fast deras betydelse efter döden«, Kolumne von »Yvette« in Svenska Dagbladet, 23. März 1918. 108 »kraftmålaren«, Klas Fåhraeus (1915): »Eugène Jansson«, Ord&Bild 24:9, S. 467480, hier: S. 469. 109 »belysa med all önskvärd styrka hela hans utveckling och ge ett obeskrivligt starkt intryck av hans betydenhet«, Karl Asplund über die Ausstellung in der Kunsthalle Liljevalchs, Dagens Nyheter, 22. März 1918. 110 »Eugène Jansson är den, hvilkens ande och personlighet behärskar denna utställning […] I den stora midtsalen ha alla hans nakna män, gymnaster och atleter från hvilkas bruna kroppar stiger som en strålande hymn till styrkan, musklernas kraft och lemmarnas spänstighet, stämt möte, ett olympiskt festtåg af segervinnare. Intrycket är öfverraskande, öfverväldigande. Först här, där alla dessa naket-taflor […] samlats i en fri rymd i ett stort, för dem gynnsam utställningsrum, ser man hvilken väldig monumentalitet,

detta

kostnärens

sista

skede

ger«,

Gotthard

Johansson:

»Minnesutställningen i Liljevalcks [sic] konsthall«, Nya dagligt allehanda, 24. März 1918.

3. E UGÈNE J ANSSON

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Wie schon früher wird hier eine Metaphorik der Herrschaft und Überwältigung verwendet, die unmittelbar mit der kräftigen Männlichkeit der Akte in Verbindung gebracht wird, bei der verschwimmt, ob sie sich beim Sport oder aber im Kampf bewiesen hat. In anderen Rezensionen wird die Kampfmetaphorik, durch häufige Anwendung von Superlativen verstärkt, noch direkter auf den Künstler bezogen: Mit einem Mut, der von der Allgemeinheit nicht verstanden wird, […] kämpfte er unerschrocken weiter […] Mit unbeugsamster Energie stürzt er sich auf die neuen Fragestellungen. Gewaltige Leinwände werden aufgespannt, auf denen er den nackten männlichen Körper unter stärksten muskulösen Anspannungen wiederzugeben sucht.111

Die größere Betonung einer kriegerischen oder kämpferischen Männlichkeit gegenüber 1912 und den früheren Ausstellungen kann vielleicht auf den Ersten Weltkrieg zurückgeführt werden. Obwohl Schweden nicht direkt beteiligt war, scheint zumindest eine metaphorische Aufrüstung ihre Spuren hinterlassen zu haben. Von diesem Kontext scheinen auch die Lesarten der Janssonbiografen Klas Fåhraeus und Nils Wollin geprägt, wenn letzterer schreibt, man müsse »bloß Germane« sein, um Janssons Ausdrucksweise zu verstehen,112 und Fåhraeus meint, Jansson habe sich mit seinen Akten, also dem nackten menschlichen Körper, der »Urquelle der arischen Kunst« bedient.113 Janssons nackte Männerkörper aus einem militärischen Umfeld, die ein Ideal disziplinierter, trainierter und normierter Körper vermitteln, haben Teil an einer Ästhetisierung des männlichen Körpers als Körperpanzer, wie sie sich in der visuellen Kultur der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts etablierte und von nationalistischen oder faschistischen Regimes und Strömungen ideologisch aufgeladen und instrumentalisiert wurde. Körperpraktiken in Sport und Militär gingen bei der Konstruktion von »Marmorleibern«, so ein Buchtitel der Historikerin Maren Möhring, mit künstlerischen Aktdarstellungen einher.114 Auch im Schweden der 10er und 20er Jahre konnten Janssons Akte offenbar als Projektionsflä-

111 »Med ett mod, vilket ej förstås av allmänheten, för att vid första tillfälle slå ned eller höja till skyarna, kämpade han oförskräckt på […] Med oryggligaste energi ger han sig i kast med de nya problemen. Väldiga dukar slås upp, där han söker återge den nakna manliga kroppen under de kraftigaste muskulösa anspänningar«, Nils Wollin: »Från minnesutställningen på Liljevalchs konsthall«, Aftonbladet, 7. April 1918. 112 »blott german«, Aftonbladet, 7. April 1918. 113 »urkällan för den ariska konsten«, Fåhraeus (1915): »Eugène Jansson«, S. 474. 114 Vgl. Möhring (2004): Marmorleiber.

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che für nationalistische oder rassistische Ideen dienen, beziehungsweise Vorstellungen vom rassisch überlegenen Nordeuropäer transportieren und befördern. Dass Janssons Bilder innerhalb dieses Verständnisrahmens nicht über die genannten Hinweise hinaus diskutiert wurden, mag am frühen Tod des Künstlers 1915 und an der darauf folgenden faktischen Unterbrechung der Rezeptionsgeschichte bis in die 1980er Jahre hinein liegen. Nicht alle jedoch schließen sich der Begeisterung für Janssons Akte an. August Brunius drückt in seiner Kritik für Svenska Dagbladet zwar seine »Bewunderung für die Hingabe an die Arbeit bei diesem unermüdlichen Künstler« aus, für dessen »kühne und zähe Arbeit, sich eine neue Formenwelt anzueignen«, bezeichnet es aber als »tragisch«, dass »etwas Pathetisches […] dem Träumer und Melodiker die Macht genommen« habe.115 Wie schon in früheren Rezensionen wird Jansson eine disziplinierte Schaffenskraft zugeschrieben. Allerdings mündet diese laut Brunius im Fall der Badebilder nicht immer in Kunst: »Unbestritten konnte er auch in ein paar Fällen Kunst aus seinem neuen Studium machen«.116 Grundsätzlich aber kritisiert er »die Badebilder, wo die Wirklichkeit sich allzu nah aufdrängt.«117 Wieder scheint hier der Akt mit der Nacktheit in Widerstreit zu geraten: Nur »in ein paar Fällen« schreibt Brunius den Badenden den Status von Kunst, von Akten zu. In anderen Fällen dränge sich seiner Meinung nach die Wirklichkeit – in Form von Nacktheit – auf und störe die Kontemplation. Ähnlich argumentiert ein Leserbriefschreiber in Handelstidningen, der die »derben, fast draufgängerisch kräftigen Figurenbilder« kritisiert, von denen einige ihm »eher als akademische »Akte« denn als fertige Gemälde« erscheinen.118 Dass hier Akte fertigen Gemälden gegenübergestellt werden, ist wohl wiederum dem Umstand geschuldet, dass es außerhalb der Akademien keine Akttradition gab und Akte grundsätzlich als etwas Provisorisches verstanden

115 »beundran för arbetshänförelsen hos denne outtröttlige konstnär«, »djärva och sega arbete för att underlägga sig en ny formvärld«, »tragiskt«, »något patetiskt som […] tog makten från drömmaren och melodikern«, August Brunius: »Två konstnärsbanor. Från minnesutställningen i Liljevalchs konsthall«, Svenska Dagbladet, 4. April 1918. 116 »Obestridligen har han också vid ett par tillfällen kunnat göra konst av sitt nya studium«, Svenska Dagbladet, 4. April 1918. 117 »badtavlorna, där verkligheten tränger sig alltför nära på«, Svenska Dagbladet, 4. April 1918. 118 »kärva, nästan gåpåareaktigt kraftiga figurbilder […] snarare som akademiska »acter« än som färdiga tavlor«, »Från Stockholms konstvärld. Minnesutställning hos Liljevalchs. Brev till Handelstidningen«, Handelstidningen, undatiert (Archiv der Kunsthalle Liljevalchs, Stockholm).

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wurden. Die als derb bezeichneten nackten Körper widersprechen in der Auffassung des Leserbriefschreibers dem Status als fertiges Bild, als Kunst. Im selben Leserbrief wird der Besorgnis darüber Ausdruck verliehen, dass man in einer »Massenausstellung für die Allgemeinheit« Werke zeigt, die »eine kränkliche Prägung aufweisen«.119 Auch wenn damit vielleicht eher die Bilder des psychisch kranken Ernst Josephson in derselben Ausstellung gemeint sind, wird in diesem Kontext eine ambivalente Bewertung der Kraft deutlich, die sich nach Meinung der Kritiker in Janssons Akten äußert. Die Kraft scheint männlich und mit Gesundheit konnotiert und positiv bewertet, wenn sie in Sieg und/oder Kunst mündet, wenn sie überwältigt und beherrscht. Wird diese Kraft aber als aufdringlich und derb wahrgenommen, wird sie im Verhältnis zum künstlerischen Ergebnis als übertrieben erachtet, erscheint sie abstoßend und ungesund. Das sich um die Kraft des Künstlers, seine Kunst und die nackten Badenden ergebende Spannungsfeld zwischen Gesundheit und Krankheit hat seinen Ursprung neben dem zeitgenössischen Interesse für eine sportliche oder soldatische Männlichkeit in der Biografie des Künstlers. Im folgenden Kapitel werde ich darauf eingehen, weshalb und inwiefern das Thema von Gesundheit und Krankheit die Janssonrezeption bis heute beschäftigt.

3.3. G ESUNDE

UND KRANKE

K ÖRPER

Krankheit und Disziplinierung Nils Wollin, der 1920 die erste Monografie über Jansson schreibt,120 ist der erste, der die körperliche Verfassung des Künstlers als maßgebliche Bedingung seines künstlerischen Schaffens darstellt und als Erklärungsmuster für Janssons abrupten Motivwechsel etabliert. Wollins Biografie liest sich teilweise wie ein Auszug aus einer Krankenhausakte. Er beruft sich dabei nicht auf eine vorliegende Diagnose, sondern stellt diese im Wesentlichen selbst. Die Information über Janssons Krankheiten scheint nicht mit der üblichen Kunstgeschichtsschreibung zu kollidieren, sondern im Gegenteil ihr unbestrittener Bestandteil zu sein. Wollins Fokus auf Janssons körperliche Verfassung hängt vielleicht auch mit dem von ihm zu Anfang der Monografie formulierten Dilemma von Janssons »starker Begrenzung und nach Außen hin so uninteressantem Leben« zusammen.121 Da

119 »massutställning för allmänheten«, »bär en sjuklig prägel«, »Från Stockholms konstvärld«. 120 Nils Wollin (1920): Eugène Janssons måleri. 121 »hans starka begränsning och till det yttre så ointeressanta liv«, ebd., S. 1.

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kaum Dokumente vorhanden sind, die Aufschluss über die psychischen Bedingungen von Janssons Kunstschaffen geben könnten,122 wendet sich Wollin einem weiteren »Innen«, dem Körper des Künstlers, zu. Nachdem Wollin Janssons Krankheiten diagnostiziert hat, spekuliert er auf eine Therapie durch Hygiene, Sport und Luftbad, wie es zeitgenössischen Behandlungsmethoden entsprach: Ein schweres Nierenleiden führte nämlich zu einer Schrumpfniere, und die Ärzte sagten voraus, dass er keine zwanzig Jahre alt werden würde. Eine kleine Chance zur Rettung sollte in einer äußerst hygienischen Lebensweise mit frischer Luft, Gymnastik und Baden liegen. Nur dank der Energie, die er bei der Durchführung dieses Programms an den Tag legte, gelang es seiner Physis, den Fond an Kräften zu erlangen, der ihn rettete.123

Später im Text, als es um eine Erklärung für Janssons neues Motiv, die männlichen Badenden, geht, werden Krankheit und körperliche Schwäche des Künstlers und die potenzielle Heilung durch Sport und Bad wieder aufgerufen: Als Folge seiner Krankheit war er ja schon als Jüngling dazu genötigt, oft die Badehäuser zu besuchen, um dort durch das Leben an der frischen Luft eine kräftigere Physis zu erlangen. Früh wurde er deshalb in dieses Milieu nackter Körper in sportlicher Betätigung gezwungen. Es wurde immer mehr zu einer Lebensgrundlage für den körperlich beeinträchtigten Künstler, sich an den Übungen zu beteiligen. Als ihm dann klar wurde, dass die künstlerische Form, die er bis dahin gepflegt hatte, ausgeschöpft war, lag es natürlich am nächsten, die Welt künstlerisch umzusetzen zu suchen, mit der er mit seinem physischen Ich so lange in Kontakt gestanden hatte.124

122 Vgl. Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S. 210 und 236-238 und Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 92f. 123 »Ett svår njurlidande resulterade nämligen i skrumpnjure, och läkarna förutspådde, att han ej skulle nå tjugoårsåldern. En svag möjlighet till räddning skulle ligga i ett ytterst hygienisk levnadssätt med frisk luft, gymnastik och badning. Endast tack vare den energi, han lade i dagen vid genomförandet av detta program, lyckades han tillvinna sin fysik den fond av krafter, som räddade honom«, Wollin (1920): Eugène Janssons måleri, S. 7. 124 »Till följd av sin sjukdom nödgades han ju redan som yngling ofta besöka badhusen för att där genom friluftsliv kunna tillvinna sig en kraftigare fysik. Tidigt tvingades han därför in i denna miljö av nakna kroppar i idrottslig verksamhet. Allt mer växte det till ett livsvillkor för den fysiskt undermålige konstnären att delta i övningarna. När det så stod klart för honom, att den konstnärliga form, han tidigare odlat, var

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Wollin stellt hier zwei kausale Zusammenhänge her, die in seiner Nachfolge und bis in die jüngste Vergangenheit Eingang in die Janssonrezeption gefunden haben: die Notwendigkeit des Badehausbesuchs aus Gesundheitsgründen und die daraus resultierende Beschäftigung mit dem Motiv der Badenden und dem männlichen Akt. Rhetorisch wird diese Interpretation mit Formulierungen wie »genötigt/gezwungen sein«, »Lebensgrundlage«, »natürlich am nächsten liegen« in ihrer Stichhaltigkeit verstärkt. Verstärkt wird allerdings auch das Bild vom Künstler als krank und schwach, wenn nicht gar behindert. Ein nicht aus äußerer Notwendigkeit entspringendes Interesse für das Motiv des nackten männlichen Körpers wird ausgeschlossen. Das Baden wird ausschließlich mit Sport und Gesundheit verbunden, das Badehaus als ›Ort des Schauens‹ nicht berücksichtigt. Letzteres wäre bei der Aktmalerei, deren Grundlage das präzise Beobachten des nackten Körpers ist, nahe liegend. Indem Wollin den Aspekt des körperlichsportlich Erfahrbaren fokussiert, lenkt er vom Visuellen, vom Blick auf den nackten Körper, ab. Die Rezipienten befinden sich in einem Dilemma, das Tor Hedberg ebenfalls in den 20er Jahren formuliert: »als Aktmaler hat er nur einen Konkurrenten, Zorn. Aber Zorn schildert ausschließlich die weibliche Gestalt. Eugène Jansson gleichermaßen ausschließlich die männliche Gestalt.«125 Mit dem Hinweis auf Anders Zorn weist Hedberg auf einen Zusammenhang zwischen Akt und Voyeurismus hin, der bei Zorn nie ein Geheimnis war.126 Inger Fredriksson gibt ihrem feministisch-kritischen Buch über Zorn den Untertitel Ein Essay über das männliche Auge, und meint damit einen begehrenden heterosexistischen Blick auf den weiblichen Körper.127 Wie geht man nun mit Janssons Blick auf den männlichen Körper um, wenn man ihn nicht als lustvoll, fasziniert oder begehrend beschreiben kann? Wollin, und in seiner Nachfolge viele andere, wählen eine Kontextualisierung in Gesundheitsdiskursen und Freiluftkultur. Eine Faszination für den männlichen Körper, seine Ästhetik und Kraft, war innerhalb dieses Verständnis-

uttömd, låg det honom därför helt naturligt närmast att söka konstnärligt omsätta den värld, han med sitt fysiska jag så länge stått i kontakt med«, ebd., S. 117. 125 »som naketmålare har han endast en medtävlare, Zorn. Men Zorn är uteslutande den kvinnliga gestaltens skildrare. Eugèn Jansson lika uteslutande den manliga gestaltens«, Hedberg (1927): Minnesgestalter, S. 135. 126 Vgl. Brummer (1994): Till ögats fröjd och nationens förgyllning; Bengtsson (1994): Levande modell; Inger Fredriksson (1984): Anders Zorn – Mannen, Mästaren, Myten. En essä om det manliga ögat. Stockholm: Öppna Ögon; Körber (2006): »Tillbaka till naturen?«. 127 Fredriksson (1984): Anders Zorn.

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rahmens zu Anfang des 20. Jahrhunderts erlaubt und sogar im Trend, wie Patrik Steorn in seinem Buch Nackte Männer (Nakna män) von 2006 ausführt.128 Der gesunde und sich sportlich betätigende nackte männliche Körper sowie das bewundernde Zuschauen konnten auch eine heterosexuelle Männlichkeit bestätigen. In einer Rezension der Ausstellung des Künstlerverbands 1907 in Uppsala, bei der Jansson und Acke zum ersten Mal ihre männlichen Badenden ausstellten, verbindet der Kritiker in Stockholms Dagblad den männlichen Körper und den männlichen Akt direkt mit Gesundheit und Kraft, während der weibliche Akt als krank beschrieben wird: Es kommt leicht etwas Ungesundes, Absichtliches und Ekelhaftes in eine Kunst, die sich ausschließlich mit dem Frauenkörper beschäftigt – man kann sehen, wohin das führt, wenn man ein paar Jahrgänge der französischen Publikation »Le Nu au Salon« durchblättert, wo die banalen Schönheitslinien und das einschmeichelnde Lächeln unendlich oft wiederholt wird, während man andererseits lange nach etwas suchen muss, das den Eindruck von Achtung vor der Natur und Interesse für künstlerische Probleme erweckt. Derjenige, der die männliche Gestalt darstellt, hat daneben nicht so viele Versuchungen zu berücksichtigen, die Aufgabe trägt etwas von rauem und nüchternem Ernst, von erzieherischer Kraft und Härte in sich.129

Die Rezension gibt darüber Aufschluss, dass Jansson seine Akte in einem kulturellen und sozialen Klima malt, das nicht nur von Heteronormativität, sondern auch von Vorstellungen einer soldatischen Männlichkeit geprägt war. Im Gegensatz zum weiblichen Akt, der dem bloßen Vergnügen diene, wird den Bildern männlicher Badender oder Sportler ein erzieherischer Wert zugeschrieben. Aufgerufen ist eine Disziplinierung des Körpers, die selbst in und durch die Kunst erfolgen soll, eine Disziplinierung, der sich Jansson angeblich selbst unterwarf und die ihn als männlich qualifizierte. Den Zusammenhang zwischen Männlichkeit, Gesundheit, einem künstlerischen Blick und nicht zuletzt einem Hinweis

128 Vgl. Steorn (2006): Nakna män. 129 »Det blir lätt något osundt, afsiktligt och kväljande i en konst, som sysslar uteslutande med kvinnokroppen – man kan se hvart det leder genom att bläddra i några årgångar af den franska publikationen »Le Nu au Salon«, där de banala skönhetslinjerna och de inställsamma leendena upprepas i oändlighet, medan man däremot får leta länge efter något som ger intryck af vördnad för naturen och intresse för konstnärliga problem. Framställaren af den manliga figuren har ej så många frestelser till sidohänsyn, uppgiften har något af kärft och nyktert allvar, af uppfostrande kraft och hårdhet i sig«, Stockholms Dagblad, 28. April 1907.

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auf nationale oder regionale Identität stellt auch Wollin in Bezug auf eines von Janssons Badebildern her: Trotz vieler und offensichtlicher Mängel wirkt es dennoch beeindruckend, vor allen Dingen dank der männlich gesunden Sicht des Künstlers auf die Umgebung. Der gesunden Sonnen- und Luftanbetung des Nordländers hat er hier im großen Stil einen befreienden Ausdruck verliehen.130

Wollins Verknüpfung von Janssons Gesundheitsproblemen und seinen Badebildern setzt sich bis in die jüngste Rezeption fort. Laut Teddy Brunius, der hier nicht zwischen dem Körper des Künstlers und seinen Badebildern unterscheidet, war für »Eugène Janssons Malerei [...] das Bad der Marine eine Quelle der Gesundheit«.131 Weiter schreibt er: »Selbst schwächlich, verehrt er die Stärke der Männer und versucht selbst ein bisschen athletisch zu werden.«132 Kenne man den »persönlichen Hintergrund«, sei das »ergreifend«, meint Brunius.133 Die abgebildeten Badenden wären damit unerreichbare Identifikationsfiguren oder verbildlichte Fantasien für den Künstler, der bei Brunius als krank festgeschrieben und in der Reihe der Badenden als Außenseiter markiert wird. Als in mehrerer Hinsicht benachteiligten Außenseiter stellt auch Bengt Lagerkvist Jansson dar: »Er litt auch unter anderen Schwierigkeiten außer der Armut: er starb fast an Scharlach und wurde von der Behinderung sein ganzes Leben lang geplagt. Darüber hinaus Kurzsichtigkeit und ein ernstes Nierenleiden – nein, er war kein Sonntagskind«.134 Lagerkvist bezieht sich in der Aufreihung von Janssons Krankheiten vermutlich auf Zachau, die von allen die größte Anzahl an Krankheiten und Behinde-

130 »Trots många och uppenbara brister verkar den dock imponerande först och främst tack vare konstnärens manligt friska syn på omvärlden. Det är något av nordbons sunda sol- och luftdyrkan, han har givit ett storstilat och befriande uttryck«, Wollin (1920): Eugène Janssons måleri, S. 123. 131 »För Eugène Janssons måleri var flottisternas bad en hälsokälla«, Teddy Brunius (1998): »Eugène Jansson Blåmålaren«, Månadsjournalen 1, S. 62-67, hier: S. 64. 132 »Han dyrkar i sin klenhet styrkan hos männen och försöker själv att bli en smula atletisk«, ebd., S. 67. 133 »Det är gripande om man känner till den personliga bakgrunden«, ebd. 134 »Han drabbades också av andra svårigheter utom fattigdomen: han blev halvdöd efter scharlakansfeber och plågades av handikappet hela sitt liv. Dessutom närsynthet och ett allvarligt njurlidande – nej, han var inget livets söndagsbarn«, Lagerkvist (1997): »Var han rädd för människor?«, S. 26.

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rungen feststellen kann. Sie nennt einen Herzfehler, eine Ablösung der Netzhaut und Scharlach.135 Die bei Wollin erwähnte Schrumpfniere habe nicht verifiziert werden können, die Akte im Sabbatsberg-Krankenhaus verzeichne nur eine chronische Nierenentzündung.136 Auch der »Grad an Funktionseinschränkung« durch die Nieren- und Herzprobleme ist Zachau »unbekannt«.137 Dafür kann mit weiteren Behinderungen aufgewartet werden: »Leider erlitt Eugène als Folge des Scharlach einen weiteren gesundheitlichen Schaden: eine ernste Gehörminderung«.138 Er habe mit dem Klavierunterricht aufhören müssen und sei von der Musik entfremdet worden, habe später allerdings wieder erfolgreich das Klavierspiel wieder aufnehmen können.139 Auf einem Selbstporträt von 1880 entdeckt Zachau allerdings noch eine Behinderung – der Künstler trägt eine Brille: »Außer an den Folgen des Scharlach litt er, einem Selbstporträt aus der Zeit nach zu urteilen, offensichlich an Kurzsichtigkeit – eine unglückliche Behinderung für einen werdenden Künstler«.140 Auf keinem anderen Bild, ob Selbstporträt oder Fotografie, ist Jansson mit Brille zu sehen, seine Kurzsichtigkeit wird auch an keiner anderen Stelle erwähnt. Es ist also anzunehmen, dass sie keine ernstzunehmende Beeinträchtigung des Künstlers darstellte. Indem Zachau den Blick auf Janssons Krankheiten und körperliche Defekte lenkt, markiert und verstärkt sie seine Abweichung von der Norm, von einer gesunden und starken Männlichkeit. Auch bei Lagerkvist heißt es: »Wie anders war doch Eugène [...]: schmächtig, schweigsam in größeren Gesellschaften«.141 Jansson wird mit Carl Larsson, »Charmeur und von allen geliebter Gesellschaftsmensch« und mit Anders Zorn, »der mit seinem ganzen Gepolter natürlich eine Urkraft war, gegen die niemand ankonnte«, verglichen.142 Während Lagerkvist aber Janssons Homosexualität beziehungsweise de-

135 Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 15. 136 Ebd. 137 »graden av insufficiens är okänd«, ebd., S. 78. 138 »Dessvärre drabbades Eugéne av ännu en skada till följd av scharlakansfebern: en allvarlig hörselnedsättning«, ebd., S. 15. 139 Ebd. 140 »Förutom sviterna av scharlakansfebern hade han, att döma av ett självporträtt från tiden, uppenbarligen drabbats av närsynthet – ett olyckligt handikapp för en blivande konstnär«, ebd., S. 18f. 141 »Hur annorlunda var inte Eugène [...]: spenslig, tystlåten i större sällskap«, Lagerkvist (1997): »Var han rädd för människor?«, S. 26. 142 »charmör och sällskapsmänniska älskad av alla«, »som med all sin bufflighet naturligtvis var en urkraft som ingen rådde på«, ebd.

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ren Verbergen dafür verantwortlich macht, dass er »anders« und Außenseiter gewesen sei und deshalb nicht der Männlichkeit eines Anders Zorn entsprochen habe, führt Zachau das Anderssein allein auf Janssons Krankheit zurück. Wie ich später erläutern werde, gibt sie Janssons Krankheit oder Behinderung auch als Grund dafür an, dass er nie heiratete.143 Es wird also deutlich, dass Zachau eine Norm in Bezug auf Gesundheit und heterosexuelle Männlichkeit voraussetzt und fortschreibt. Paradoxerweise wird gerade durch ihre Verleugnung von Homosexualität ein homosexueller Künstler als abweichend und krank weiter marginalisiert. Gesundheit und Freiluftkultur Gesundheit und Krankheit als Deutungsrahmen für Janssons Badende stehen auch dann zur Verfügung, wenn die Bilder kontextualisiert werden. Wurde Jansson früher als Einzelphänomen bewertet, werden die Badebilder in den letzten Jahren verstärkt als künstlerischer Audruck des Vitalismus verstanden,144 und Jansson sei nicht der einzige Vertreter: »Es gibt massenhaft dieser Art vitalistischer Kunst«.145 In diesem Zusammenhang werden die Bilder also nicht mehr als schockierend dargestellt, sondern als Trend am Anfang des 20. Jahrhunderts: Wie auch seine Zeitgenossen GAN, Acke, Pauli und Vigeland berief Jansson sich auf einen vitalistischen Trend in der Zeit und fing mit antiken Idealen im Rücken an, nackte Männer, athletische Körper zu malen. Eine gesunde Seele in einem gesunden Körper war das geltende Motto, und die Olympischen Spiele in Stockholm 1912 trugen zum Interesse an Freiluftleben und physischen Aktivitäten bei.146

143 Vgl. Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 77f. 144 Vgl. Sørensen (1981): »Vitalismens år?«; Halse (2004): »Vitalisme – fænomen og begreb«; Ydstie (2006): Livskraft. 145 »Der findes masser af den slags vitalistisk kunst«, Henrik Wivel: »Manden med det blå blik«, Berlingske Tidende, 28. Februar 1998. 146 »På samma sätt som hans samtida GAN, Acke, Pauli och Vigeland tog Jansson fasta på en vitalistisk trend i tiden och började måla nakna män, atletiska kroppar med antika ideal i ryggen. En sund själ i en sund kropp var mottot för dagen och Stockholmsolympiaden 1912 spädde på intresset för friluftsliv och fysiska aktiviteter«, Anna Gunnert: »Blå timmens målare«, Norrländska Socialdemokraten, 5. März 1998. Gunnert nennt hier außer J.A.G. Acke auch die Künstler Gösta Adrian Nilsson, genannt GAN (1884-1965), Georg Pauli (1855-1935) und Gustav Vigeland (1869-1943).

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Auch Teddy Brunius ordnet Jansson einer Reihe von Künstlern zu, die »Natur und Gesundheit« ausdrücken wollten: »Eugène Janssons Bilder von den Männern im Schwimmbad sind Teil eines langjährigen Strebens danach, die Natur und die gesunden Körperbewegungen der Menschen wiederzugeben«.147 Brunius entdramatisiert Janssons Badebilder weiterhin, indem er Bad und Freiluftleben als kollektive – auch mediale – Erfahrung präsentiert: »Heute ist dieses Bestreben selbstverständlich. Heutzutage bedarf es keiner Verwegenheit mehr, nackt ins kalte Meerwasser zu springen, da wir alle Film über Film über die gesunde schwedische Jugend gesehen haben, die gleichermaßen gut gelaunt liebt und badet«.148 Was Brunius hier herunterspielt ist die Tatsache, dass auf Janssons Bildern nicht heterosexuell »geliebt und gebadet« wird, wie das beispielsweise im paradigmatischen Ingmar-Bergman-Film Sommer mit Monika (Sommaren med Monika; 1953) der Fall ist. Sind homosexuelle schwedische Männer in gleichem Maß gesund und natürlich? Diejenigen Rezipienten, denen zufolge Jansson mit seinen Badebildern ein Kind seiner Zeit war,149 scheinen oft von einer hetero- und/oder asexuellen Männergemeinschaft auszugehen. Nur mutwillig wird die Möglichkeit eines homoerotischen Begehrens in Erwägung gezogen. So schreibt Anna Gunnert, die Bilder zeigten »ein männliches paradiesisches Dasein, das mit beinahe homoerotischen Vorzeichen geschildert wird. Sonnenlicht spielt auf den Körpern, und wohl noch nie waren Männerkörper so schön wie vor dem Schwanensprung direkt in das Kaltwasserbecken des Badehauses der Marine«.150 Ein Paradies ohne

147 »Natur och hälsa ville konstnärerna uttrycka. [...] Eugène Jansssons bilder av männen i friluftsbadet ingår i en lång strävan att återge naturen och människornas hälsosamma kroppsrörelser«, Brunius (1998): »Eugène Jansson Blåmålaren«, S. 67. 148 »Numera är denna strävan självklar. Att gå naken ner i det kalla havsvattnet är ingen djärvhet längre i våra dagar, då vi alla har avnjutit film efter film med hälsosam svensk ungdom som älskar och badar med samma goda humör«, ebd. 149 z.B. »Tiden var olympisk« (»Die Zeit war olympisch«), Dan Sjögren: »Stockholmsnätter i blått ljus«, Provinstidningen Dalsland, 24. Februar 1998; »Kroppskultur låg i tiden« (»Körperkultur war zeitgemäß«), Inga Zachau zitiert von Magdalena Nordenson: »Eugène Jansson fascinerar«, Hälsinglands tidning, 24. Februar 1998; »Det sunda livet och den ideala människokroppen låg i tiden« (»Gesundes Leben und der ideale menschliche Körper war zeitgemäß«), Niels Hebert: »Med kroppen i tiden«, Arbetarbladet, 9. Februar 1998. 150 »en manlig paradisisk tillvaro som skildras med närmast homoerotiska förtecken. Solljuset spelar över kropparna och aldrig har väl manskroppar varit så sköna som

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Eva scheint zwar denkbar, dass die Männergemeinschaft aber Ausdruck homoerotischen Begehrens sein könnte, wird bei Gunnert durch das »beinahe« in ihrer Formulierung in Zweifel gezogen oder abgeschwächt. Der bereits erwähnte Historiker Niels Kayser Nielsen erklärt in seinem Buch Body, Sport and Society in Norden Janssons Homosexualität für irrelevant. Was zähle, sei einzig und allein die Repräsentation einer »Essenz des Sports«:151 »What tempts Jansson is the joy of being able to paint the strength and competence of the human body. […] The fact that all this has a more or less acknowledged connection with homosexuality (as the gossip at the time hinted) is irrelevant in this context«.152 Die Formulierung ist in ihrer Widersprüchlichkeit aufschlussreich: Kayser Nielsen spricht von der »Tatsache« einer Verbindung, schwächt diese Aussage aber dadurch ab, dass er die Tatsache als »mehr oder weniger bestätigte« und als Gerücht bezeichnet. Das Vergnügen an sportlicher Betätigung und deren Repräsentation scheint für Kayser Nielsen mit einem offen zur Schau gestellten erotischen Vergnügen an den Körpern selbst unvereinbar. Ein erotisches Interesse scheint ein als neutral angenommenes Interesse an der Essenz des Sports zu beeinträchtigen und wird deshalb gleichzeitig angezweifelt und für irrelevant erklärt. Krankheit, Exzess und Homosexualität Henrik Wivel begegnet Janssons Badebildern im Gegensatz dazu in der dänischen Tageszeitung Berlingske Tidende mit phallischen Metaphern, die sich der von ihm so genannten »opulenten, schwulen Körperentfaltung« ironisch oder aber herablassend nähert: »nach der Jahrhundertwende wurde Eugène Jansson von Vitalismus und einem neuen männlichen Geist bewegt und suchte den Beginn des 20. Jahrhunderts mit einem veritablen Erguss von Bildern maskuliner Jünglinge in ihrer nackten Pracht zu potenzieren«.153 Wivel leugnet nicht das erotische Potenzial von Janssons Bildern. Allerdings scheint er Janssons Produktion von nackten männlichen Körpern, die er metaphorisch mit einer Ejakulation

inför svanhoppet rakt ner i kallvattenbassängen i Flottans badhus«, Norrländska Socialdemokraten, 5. März 1998. 151 Jansson sei »a representative for the essence of sport«. Kayser Nielsen (2005): Body, Sport and Society in Norden, S. 79. 152 Ebd. 153 »oppulente, bøssede kropsudfoldelse«, »efter århundredskiftet gik der vitalisme og ny maskulin ånd i Eugène Jasson, som søgte at potensere starten på det 20. århundrede i en veritabel rejsning af billeder af maskuline ynglinge i nøgen pragt«, Berlingske Tidende, 28. Februar 1998.

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vergleicht, für exzessiv zu halten, auf jeden Fall aber nicht ernst zu nehmen. Wivels Formulierung legt nahe, dass er Janssons männliche Akte mit einer sexuellen Obsession in Verbindung bringt. Ähnliche Aussagen, wenn auch in Bezug auf Sexualität weniger eindeutig, finden sich in der Janssonrezeption schon früh. So schreibt der Kritiker Karl Asplund in einer Rezension 1918 über Jansson: »Gewiss passierte ihm gegen Ende seiner Laufbahn etwas analog mit Josephsons Wahnsinn, als er seine besten Kräfte den kolossalen Leinwänden mit männlichen Modellen widmete, [...] wahnsinnig als Gemälde in Monumentalformat«.154 Achtzig Jahre später äußert sich Bengt Lagerkvist ähnlich, wenn er Janssons Motivwechsel mit dem Carl Fredrik Hills (1849-1911) vergleicht: »In Carl Fredrik Hills Fall bewirkte die Geisteskrankheit die Veränderung, in Eugène Janssons Fall etwas Anderes – das ihn dazu brachte, die Stadt als Motiv zu verlassen und stattdessen riesige Leinwände mit nackten Marinesoldaten zu füllen«.155 Wie Magnus Ringgren schreibt, haben die Männer auf Janssons Bildern nichts mit dem »Stereotyp des schuldbeladenen Sodomiten« zu tun, das die Wahrnehmung homosexueller Männer um die Jahrhundertwende prägte.156 Die Männer sind nicht degeneriert und nicht sichtbar krank, sondern entsprechen im Gegenteil einem Ideal auch heterosexueller Männlichkeit. Auch Janssons Produktion der Bilder wird, im Gegensatz zum Körper des Künstlers, nicht als passiv, schwach oder kränklich beschrieben, sondern mit der Vorstellung einer unbeugsamen Schaffens- und Willenskraft verbunden. Janssons »Wahnsinn« bezieht sich also nicht auf eine Depression oder auf Halluzinationen, wie es Ernst Josephson attestiert wird, sondern eher auf eine Manie oder Obsession, einer exzessiven Kraftentfaltung, die teilweise, wie bei Tor Hedberg, mit militärischen Metaphern beschrieben wird:

154 »Visserligen hände det honom mot slutet av hans bana något analogt med Josephsons vansinne, då han ägnade sina bästa krafter åt de kolossala dukarna av manliga modeller, [...] vansinniga som tavelkonst i monumentalformat«, Dagens Nyheter, 22. März 1918. Der Kritiker Asplund vergleicht Jansson hier mit Ernst Josephson (1851-1906), der in derselben Ausstellung vertreten war und unter psychischen Krankheiten litt. 155 »I Carl Fredrik Hills fall var det sinnessjukdomen som åstadkom förändringen, i Eugène Janssons fall något annat – det som fick honom att lämna staden som motiv och istället fylla jättedukar med nakna flottister«, Lagerkvist (1997): »Var han rädd för människor?«, S. 24. 156 Vgl. Magnus Ringgren (1986): »Sodoms Kerberos - kring en målning av Eugène Jansson«, Hjärnstorm 25/26, S. 70-73, hier: S. 72.

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Diese Sonnenbäder und damit verbundenen gymnastischen Übungen waren anfangs ein Regime, das er sich auferlegt hatte um den Folgen einer in der Kindheit erworbenen Krankheit entgegenzuwirken; sie wurden allmählich zu einer tyrannischen Gewohnheit und bestimmten sogar seine künstlerische Entwicklung. Es gelang ihm erstaunlicherweise sogar, seinen im Grund genommen schwachen und zerbrechlichen Leib zu stärken, aber, intensiv in all seinen Vorhaben, übertrieb er es vielleicht. Einmal traf ich ihn eine halbe Stunde lang im Strömbad – mindestens die halbe Zeit stand er auf dem Kopf.157

Nicht nur beim Sport übertrieb es Jansson laut Hedberg, auch in Bezug auf den künstlerischen Prozess habe er nicht Maß gehalten, sondern exzessiv gearbeitet. Er malte demnach in einer ununterbrochenen, inspirierten Anspannung aller seiner seelischen und körperlichen Kräfte. Jede einzelne dieser, so rein, so mächtig, so wehmütig oder so pathetisch singenden Leinwände ist die Frucht eines intensiven Schaffensfiebers, ist das Resultat einer Kraftäußerung, die streng genommen über das Maß seine schwachen Kräfte hinaus ging und ihn eine Zeit lang sogar geistig und körperlich zusammenbrechen ließ.158

Janssons Krankheit, sein »Fieber«, besteht demnach aus einer exzessiven Kraftausübung in Bezug auf Sport und Kunst. Ein ähnlicher Kraftdiskurs spielt auch in Klas Fåhraeus’ kurzem Überblick über Janssons Leben und Werk von 1915 eine große Rolle. Die Kraftentfaltung bei Jansson würde Fåhraeus allerdings nicht als exzessiv, sondern als einer von ihm propagierten nationalen militärischen und teilweise explizit rassistischen Ordnung angemessen beschreiben. Fåhraeus ist einer der wenigen Zeitgenossen

157 »Dessa solbad och därmed sammanhängande gymnastiska övningar voro från början en regim som han ålagt sig själv för att motverka sviterna av en i barndomen ådragen sjukdom; de blevo så småningom en tyrannisk vana och kommo till och med att verka bestämmande på hans konstnärliga utveckling. Han lyckades även på ett förvånande sätt stärka sin i grunden svaga och bräckliga kroppshydda, men, intensiv i allt vad han företog sig, drev han det kanske till överdrift. Jag hade en gång en halvtimmes sällskap med honom i Strömbadet – åtminstone halva tiden stod han på huvudet«, Hedberg (1927): Minnesgestalter, S. 128f. 158 »i en oavbruten, inspirerad anspänning av alla sina själs- och kroppskrafter. Var och en av dessa, så rent, så mäktigt, så vemodigt eller så patetiskt sjungande dukar är frukten av en intensiv skaparfeber, är resultatet av en kraftyttring, som strängt taget var över hans svaga krafters mått, och som även lämnade honom en tid andligt och kroppsligt ledbruten«, ebd., S. 130.

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Janssons, der dessen Homosexualität beinahe offen benennt, wenn auch entsprechend damaliger Vorstellungen eines dritten Geschlechts oder eines invertierten Begehrens. Bei Fåhraeus ist Janssons Neigung das einzig Kranke, dem aber durch Willenskraft und Disziplin beizukommen sei: »wenn er in seinem eigenen Wesen eine schwache, in gewisser Hinsicht halb weibliche Veranlagung wahrnahm, wurde eine Abhärtung dieses empfindsameren Teils seiner Natur die Parole für die Selbsterziehung, an der er Zeit seines Lebens unbeugsam festhielt«.159 Innerhalb eines nationalistischen und rassistischen Diskurses macht Fåhraeus Janssons »Wikingergemüt« für seine Willenskraft verantwortlich.160 Mit seinen Aktstudien habe Jansson nach der »Urquelle arischer Kunst« gesucht und bilde die »von der urnordischen Luft gestählten Jünglingsgestalten« ab.161 Die Verbindung von nordischer Rasse und Männlichkeit kann in Fåhraeus’ Vorstellung dann auch Homosexualität »heilen«: »Als Mensch weist Jansson Gegensätze auf, die unter Einfluss eines edlen glühenden Willens zu einer festen und männlichen Einheit verschmolzen werden. Bei ihm, wie auch bei einem Thorild, einem Ling, einem Andrée, wird der Stahl des schwedischen Charakters in hoher Qualität geschmiedet.«162 Ein Diskurs um Gesundheit und Krankheit wird in Bezug auf Jansson in mehrerer Hinsicht aufgerufen, wobei seine – verleugnete – Homosexualität immer eine Rolle zu spielen scheint. Mit Inga Zachaus Monografie als Höhepunkt werden Jansson immer neue Krankheiten und Behinderungen zugeschrieben und er damit als Außenseiter markiert. Die Bade- und Athletenbilder sowie auch der künstlerische Prozess werden als obsessiv und wahnsinnig beschrieben. Eine Neigung zum Exzess wird Jansson auch in Bezug auf das Sporttreiben zuge-

159 »när han i sitt eget väsen skönjde en vek, i vissa avseenden halvt kvinnlig läggning, blev ett härdande av denna ömmare del av hans natur en lösen för den självuppfostran, som han i hela sitt liv oböjligt vidhöll«, Fåhraeus (1915): »Eugène Jansson«, S. 478. 160 »vikingalynnet«, ebd. 161 »urkällan

för

den

ariska

konsten«,

»de

i

en

urnordisk

luft

stålsatta

ynglingagestalterna«, ebd., S. 474 und 476. 162 »Som människa uppvisar Jansson motsatser, som under inflytande av en ädelt glödande vilja sammansmältas till en fast och manlig enhet. Hos honom som hos en Thorild, en Ling, en Andrée smiddes stålet i den svenska karaktären till en hög kvalitet«, ebd., S. 480. Fåhraeus nennt hier den Schriftsteller, Kritiker und Philosophen Thomas Thorild (1759-1808), den »Vater der schwedischen Gymnastik« Pehr Henrik Ling (1776-1839) und den Ingenieur und Nordpolfahrer Solomon August Andrée (1854-1897) als weitere Beispiele für den »schwedischen Charakter«.

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schrieben, wodurch der positive Effekt auf seine Gesundheit wieder in Frage gestellt wird. Nicht zuletzt wird um die Jahrhundertwende Homosexualität im Rahmen einer Frage nach Gesundheit und Krankheit konzeptualisiert. Man kann also vermuten, dass mit den Krankheitsmetaphern in Bezug auf Janssons Lebensstil und seine Kunst gleichzeitig ein Verdachtsmoment in Bezug auf seine sexuelle Orientierung formuliert wird. Zur Debatte steht also auch Janssons Männlichkeit, die offenbar nur in Kombination mit Heterosexualtität mit Gesundheit konnotiert wird und, wie ich bei Munch gezeigt habe, als Voraussetzung anerkannter Künstlerschaft gilt.

3.4. K ULTURKAMPF

UM

J ANSSONS S EXUALITÄT 1997/98

Im Zusammenhang mit der großen Janssonaustellung in der Kunsthalle Liljevalchs in Stockholm 1998 entwickelte sich eine Mediendebatte um die Rezeption des Künstlers. In den Rezensionen über die Ausstellung und den zugehörigen Katalog wird oft auch auf die ungefähr gleichzeitig erschienenen Publikationen hingewiesen, die gegensätzliche Lesarten von Janssons männlichen Akten vertreten. Die Kunsthistorikerin Inga Zachau mit ihrer bereits erwähnten Tendenz zur Heteronormalisierung Janssons sowie Historiker aus dem Umkreis der Publikation Die heimliche Macht der Sympathie. Stockholms Homosexuelle 1860-1960 (Sympatiens hemlighetsfulla makt. Stockholms homosexuella 18601960) sind die ProtagonistInnen in einer Debatte, die von einem Journalisten gar als »Kulturkampf« bezeichnet wurde.163 Artikel über Jansson erschienen in den meisten Tageszeitungen Schwedens, in monatlich erscheinenden Kulturzeitschriften wie Kulturens värld und Månadsjournalen sowie in Stadtmagazinen. Leserbriefe zum Thema wurden veröffentlicht. Für das schwedische Fernsehen wurde 1997 eine Sendung über Jansson produziert, die während des Höhepunkts der Debatte Anfang 1998 noch einmal gezeigt wurde. Diskutiert wird hier nicht in erster Linie Janssons Kunst, sondern der Bruch in seinem Werk, bei dem angenommen wird, es habe sich um einen Bruch in seinem Leben gehandelt. Die Interpretation der Akte steht zur Debatte: Es sind [...] diese Bilder, denen im Zusammenhang mit der Eröffnung der Ausstellung die größte Aufmerksamkeit zuteil wurde, ja, die fast zum Gegenstand eines Kulturkampfs geworden sind. Malte Jansson die Männer, weil er homosexuell war und gerade anfing, diese

163 Lars Jonsson: »Kulturstrid om Eugène«, QX, Februar 1998.

140 | B ADENDE MÄNNER Seite seines Selbst aufzuwerten, oder handelte es sich nur um Ästhetik und Freiluftvitalismus?164

Verhandelt werden das Begehren des Künstlers und damit auch sein Körper, der mit den abgebildeten Körpern auf den Badebildern in Verbindung gebracht wird. ›Schwuler‹ Blick im Fernsehen Die von Olle Holm 1997 für das schwedische Fernsehen produzierte Sendung Mein ist die Nacht (Natten är min) über Eugène Jansson nimmt ihren Ausgangspunkt in den aktuellen Publikationen über den Künstler. Die Kunsthistorikerin Inga Zachau, der Kunstkritiker und frühere Museumsdirektor Ulf Linde und der Journalist und Historiker Greger Eman kommen zu Wort, damit die Protagonistinnen und Protagonisten der Debatte. Ausschnitte aus Einzelinterviews wechseln sich mit Janssons Bildern, Fotografien aus Janssons Leben und kurzen Filmeinspielungen ab. So werden Luftaufnahmen von Stockholmer Gewässern und Häusern in Janssons frühere Bilder geblendet. Am interessantesten aber sind kurze scheinbar eigens für die Sendung aufgenommene Filme von sich nachts im Park küssenden Matrosen. Ein kurzer Ausschnitt wird gleich am Anfang der Sendung gezeigt, wodurch auf der Bildebene deutlich wird, dass die Sendung eine schwule Perspektive auf Jansson einnimmt und damit die Sichtweise von Greger Eman und seinen Kollegen vertritt. Auf der Ebene der Wortbeiträge werden die unterschiedlichen Interpretationen so geordnet, dass sie aufeinander aufzubauen scheinen und nebeneinander stehen bleiben. Eine direkte Konfrontation findet nicht statt. Jansson wird zunächst über sein Selbstporträt Jag (Ich) von 1901 vorgestellt, das den Künstler in einem abgedunkelten und kahlen Raum mit Blick durch die Fenster auf das nächtliche Stockholm, sein damaliges Hauptmotiv, zeigt. Als Voice-over hört man verschiedene anonyme Kommentare über Jansson und erfährt von einer »zurückhaltenden Sehnsucht« in Janssons Bildern.165 Inga Zachau spricht in einem ersten Interviewausschnitt davon, Janssons künstlerische »Berufung lebe

164 »Det är [...] dessa målningar som fångat den största uppmärksamheten i samband med utställningens öppnande, ja närmast blivit föremål för en kulturstrid. Målade Jansson männen för att han var homosexuell och just hade börjat uppvärdera den sidan av sig själv eller handlade det bara om estetik och friluftsvitalism?«, QX, Februar 1998. 165 »återhållen längtan«, Natten är min. Om Eugène Janssons måleri, SVT 1997.

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ein eigenes Leben. Es blieb nur, dieser Berufung zu folgen«.166 Sie zeichnet das Bild von einem Getriebenen mit dem eisernen Willen ein Nietzscheanischer Übermensch sein zu wollen, von einem von Lebensangst geplagten Asketen. Ulf Linde geht in einem weiteren Wortbeitrag von Janssons Blau aus, das er einer »Gedankenwelt um das Blau« zuordnet, dem auch die Redewendungen »l’heure bleue« oder »to feel blue« angehören.167 Janssons Kunst sei also eine »Stimmungsmalerei«, die von Wehmut, Melancholie und Sehnsucht geprägt sei. Mit einem Wechsel von Filmaufnahmen von Stockholm in der Dämmerung und Janssons Dämmerungsbildern wird in der Sendung diese künstlerische Phase abgeschlossen, woraufhin der »Bruch« im Werk inszeniert wird: Auf Janssons letztes Stadtbild, Österlånggatan, folgen die gefilmte Szene mit den sich küssenden Matrosen im Park, zeitgenössische Schwarzweißfotografien von Matrosen und Fotografien von Jansson im Badehaus. Es heißt, »von jetzt an« habe »er sein Leben in den Badehäusern« verbracht, »den nackten Männerkörper in vollem Tageslicht« malend.168 In der Sendung erklärt Greger Eman die Veränderung in Janssons Leben und Werk mit dessen Homosexualität, worauf die Szenen mit den sich küssenden Matrosen bereits von Anfang der Sendung an anspielen. Laut Eman prägt Janssons Homosexualität nicht nur die zweite künstlerische Phase der männlichen Badenden, sondern auch die Stadtansichten in der Dämmerung: Jansson beschreibe hier eine Zeit und einen Raum, wo sich Homosexuelle aufhalten konnten, obwohl Homosexualität kriminalisiert war; eine Tageszeit, zu der andere Flaneure nicht mehr auf der Straße waren. In den Jahren um 1904 habe sich Janssons Persönlichkeit und Kunst stark gewandelt. Er habe bewusst helle auffällige Kleidung getragen und sei viel ausgegangen, habe »gesehen werden wollen«.169 Janssons Wandlung, die Eman mit einer Schmetterlingsmetapher beschreibt, falle zeitlich mit dem massenmedialen »Durchbruch der Homosexualität« in Schweden zusammen.170 Als alle Zeitungen im Zusammenhang mit Prozessen gegen Homosexuelle über Homosexualität schrieben, sei es leicht gewesen, sich eine homosexuelle Identität zu schaffen,

166 »kallelsen levde ett eget liv. Det var bara att följa den kallelsen«, Inga Zachau in Natten är min. 167 »tankevärld kring blått«, Ulf Linde in Natten är min. 168 »från och med nu tillbringade han sitt liv på badhusen målande den nakna manskroppen i fullt dagsljus«, Natten är min. 169 »vill synas«, Eman in Natten är min. 170 »homosexualitetens genombrott«, Eman in Natten är min.

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wenn er sie früher nicht gehabt habe.171 Auf die Interpretation der Bewegung vom Zwielicht ins Tageslicht als Janssons Coming-out folgt in der Sendung Janssons Bild Matrosenball mit einem Zoom auf die Gesichter der Matrosen. Knut Nyman, der von 1906 bis 1913 mit Jansson zusammen lebte, wird als Modell für einen der Matrosen, für eine Rückenfigur auf einem der Badebilder und als einer der trainierenden Athleten präsentiert. Auch Janssons erster Akt, das programmatische Nackter Jüngling am Türpfosten (Abb. 12, S. 151), sei mit Nyman als Modell gemalt worden. Wie schon erwähnt, steht hier ein nackter Mann in einer Tür, die zu einem Raum führt, in dem einige von Janssons früheren Bildern an der Wand hängen. Eman schließt sich Magnus Ringgrens Interpretation aus Aftonbladet an, Jansson wolle hier ausdrücken, man müsse den Gegenstand seiner – künstlerischen und persönlichen – Leidenschaft erst beiseite schieben, um zu seiner früheren Kunst gelangen zu können. Janssons Blick auf die älteren Bilder werde durch den begehrenden Blick auf den nackten Männerkörper geprägt, was er dem Publikum hier vermitteln oder von ihm erzwingen wolle. Das letzte in der Sendung gezeigte Bild ist auch Janssons letztes, Zirkusszene (Cirkusscen; 1913/14). Hierauf folgt nur noch ein Ausschnitt aus der bei Janssons Beerdigung gehaltenen Rede, die die anfangs genannte Sehnsucht wieder ins Zentrum stellt. Olle Holms Fernsehproduktion lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die auch von Zachau und Linde erwähnte, aber bei ihnen unbestimmt bleibende Sehnsucht mit Janssons unerfülltem oder erzwungenermaßen verstecktem homoerotischen Begehren zusammenhänge. Die Liebessehnsucht, von der Inga Zachau auch in ihrem Buch über Jansson spricht, wird im Film eindeutig als Sehnsucht nach homosexueller Liebe präsentiert. Obwohl Zachau und Linde dieser Interpretation kaum uneingeschränkt zustimmen würden, wird hier ein schwuler Blick geradezu inszeniert. Am Anfang werden Janssons Nachtansichten auf eine Weise in die Szene mit den sich küssenden Matrosen geblendet, dass der Eindruck entsteht, es handle sich um einen Zoom in das Bild, als seien die Matrosen versteckte Elemente desselben. Auf Janssons Matrosenball zoomt die Kamera auf die Gesichter der Matrosen und das Gesäß einer der Rückenfiguren und ignoriert die auf dem Bild vorhandenen Frauenfiguren. Die zeitgenössischen Fotografien von Grüppchen von Matrosen erscheinen im Zusammenhang mit den eingespielten Filmszenen eindeutig als Aufnahmen aus der Schwulenszene. Die Schmetterlingsmetapher, der zufolge sich Jansson erst mit den Akten befreit und entfaltet habe, richtet sich gegen jene Kritiken, die die Stadtansichten

171 »lätt att skaffa en homosexuell identitet under den här perioden om han inte hade den tidigare«, Eman in Natten är min.

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als Höhepunkt seines Schaffens ansehen. Die visuelle Verbindung vom Zwielicht auf Janssons Bildern mit den Matrosen im Park macht deutlich, dass das von Ulf Linde fokussierte Blau eindeutig mit Hinblick auf ein verstecktes Begehren zu verstehen sei. Innerhalb des Verständnisrahmens des Films ist Zachaus These von Janssons Berufung, die eine individuelle Entscheidungsfreiheit nicht zuließe, nicht mehr haltbar. Die Akte erscheinen vielmehr als Produkte einer Entscheidung, die in Bezug auf Kunst und Leben getroffen wurde. Zachaus Versuch, in ihrem Schreiben über Jansson Sexualität und Begehren auszuklammern, scheitert hier am vom Film präsentierten Narrativ eines Coming-out. Da sie nur am Anfang auftritt und ihre Meinung zu Janssons sexueller Neigung nicht zur Sprache kommt, scheint ihre Interpretation in das Narrativ integriert. Das Coming-out, in Bildern wie dem eines Schmetterlings und eines Hinaustretens ins Tageslicht inszeniert, erscheint als überzeugende und gar einzig mögliche Deutung des Bruchs in Janssons Leben und Werk. Während der Film eindeutig mit der Darstellung in Die heimliche Macht der Sympathie sympathisiert, ist die Presse zur Ausstellung und zu den Publikationen in zwei Lager gespalten. Pro und Contra in der Presse Die Journalisten, die überall im Land über den Fall Jansson berichten, scheinen sich in zwei Lager aufzuteilen, die in ihrer Bewertung der beiden Werkphasen den Polen der Fernsehsendung entsprechen. Der Kunstkritiker der Provinstidningen Dalsland schreibt: »Ich gehe herum [...] und bedaure, dass er nicht im Blauen bleibt. Seine Nachtbilder der Stadt sind makellos«.172 Auch die Kritikerin der Sundsvalls Tidning macht ihre Präferenz für Janssons frühere »Prächtige Blaumalerei«, so die Überschrift, deutlich: »Im Zentrum stehen natürlich die blauen Stockholmsschilderungen aus dem Zeitraum 1892-1904 [...]. Vor allen Dingen die »Blaumalerei« hat Eugène Jansson einen beständigen Platz in der schwedischen Kunstgeschichte geschaffen, und vor allem durch sie hat der Künstler seine Identität erlangt.«173 Mit der Präferenz für die früheren Bilder Janssons geht meist eine Abwertung der Akte und ihrer Bedeutung einher. Oft werden sie in den Kontext von Sport, Gesundheit und dem Streben nach einem idealen Körper gestellt: »Die Zeit war olympisch, und man liebte diese

172 »Jag går rundt [...] och sörjer att han inte blir kvar i det blå. Hans nattbilder av staden är makalösa«, Provinstidningen Dalsland, 24. Februar 1998. 173 »I centrum står naturligtvis de blå Stockholmsskildringarna från perioden 1892-1904 [...]. Det är framför allt »blåmålningarna« som givit Eugène Jansson en bestående plats i den svenska konsthistorien och det är främst genom dem som kostnären fått sin identitet«, »Magnifika blåmålningar«, Sundsvalls Tidning, 4. Februar 1998.

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Bilder von Gewichthebern, Akrobaten, Athleten, turmspringenden Männern und Matrosen.«174 Der Rezensent stellt die Rezeptionsgeschichte hier sehr vereinfacht dar und unterschlägt die homoerotische Dimension der Bilder, die sie von den damals tatsächlich äußerst beliebten Bildern und Fotografien von Sportlern unterscheiden. Auch der Rezensent in Arbetarbladet schreibt über Janssons Akte: »Meistens turnen, baden und posieren sie. Das gesunde Leben und der ideale menschliche Körper lagen in der Zeit. […] Eugène Jansson war ein fanatischer Turner«.175 Der Rezensent meint aber auch, die Akte seien »geschickt, aber propagandamäßig« gemalt.176 Auch ein anderer Rezensent hat »Assoziationen mit den deutschen 30er Jahren«.177 Aus der historischen Distanz und einer Kenntnis der Kunstgeschichte im Dritten Reich und in anderen totalitären Regimes heraus sehen die Rezensenten die Akte Janssons als Präfigurationen von Körperkult und Propagandakunst ab den 20er Jahren. Die Rezensentin von Sundsvalls Tidning wird aus einem anderen Grund, auf Grund der offenbaren Faszination für die nackten Körper, von Janssons Körperkult abgestoßen: »später war er offensichtlich besessen vom nackten Männerkörper, dessen innewohnender Stärke und Schönheit [...]. Er schildert ihre sonnenbeschienenen Körper im Badehaus der Flotte und im Trainingsraum [...] in meinen Augen eine viel zu offen dargelegte Besessenheit und Heroisierung reflektierend.«178 Andere Teilnehmer an der Debatte kritisieren Äußerungen wie diese als homophob.179 Die Kritik richtet sich vor allem an Inga Zachau, die außer ihrer Monografie über Jansson auch den umfangreichsten Katalogtext zur Ausstellung

174 »Tiden var olympisk och man älskade dessa bilder av stångstötare, tyngdgymnaster, akrobater, atleter, simhoppande män och matroser«, Provinstidningen Dalsland, 24. Februar 1998. 175 »De gymnastiserar, badar och poserar i största allmänhet. Det sunda livet och den ideala människokroppen låg i tiden. […] Eugène Jansson var en fanatisk gymnast«, Arbetarbladet, 9. Februar 1998. 176 »skickligt, men propagandamässigt«, Arbetarbladet, 9. Februar 1998. 177 »associationer till tyskt trettital«, Lars Fischbach: »Blåmålaren på Liljevalchs«, Östgöta Correspondenten, 20. Januar 1998. 178 »han blev efterhand till synes besatt av den nakna manskroppen, dess inneboende styrka och skönhet [...]. Han skildrar deras solbelysta kroppar i flottans badhus och i träningslokalen [...] i mina ögon reflekterande en alltför öppet redovisad besatthet och heroisering«, Sundsvalls Tidning, 4. Februar 1998. 179 Vgl. Jean Gitenet (1998): »Eugène Jansson, hon eller han? Apropå en heterosexistisk kommentar«, Lambda nordica 4:1, S. 43-49.

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bei Liljevalchs verfasst hat.180 Auch die Monografie weist in ihrem Titel Jansson als den »Maler der blauen Stadt« aus und spricht den männlichen Akten damit einen geringeren Stellenwert zu.181 Als Kuratorin der Ausstellung bei Liljevalchs übernahm Zachau viele Führungen und war Ansprechpartnerin der Medien. Ihr wurde also eine Deutungsmacht über das Werk zuteil, die sich in Zitaten ihrer Aussagen in der Presse niederschlägt. So schreibt Hälsingslands tidning: »Es gab das Gerücht, Eugène Jansson sei homosexuell. Das ist bis heute umstritten. »Ich glaube nicht, dass er es war«, sagt Inga Zachau [...]. »Es gibt keine Beweise für eine solche Neigung, und er stritt es selbst ab.««182 Kritiker werfen Zachau vor, sich widersprüchlich zu Janssons Sexualität zu äußern beziehungsweise die Unklarheit in dieser Hinsicht im Rahmen einer heterosexuellen Norm zu deuten: Bei Gesprächen behauptet sie [...], ausgehend von den Fakten, die sie im Rahmen ihrer Studie über Jansson habe sammeln können, nichts Bestimmtes über seine Sexualität wissen zu können. Im Gegensatz dazu hatte Zachau, wie mir mitgeteilt wurde, fünf Minuten zuvor bei Liljevalchs während einer öffentlichen Führung gesagt, dass sich nur am Anfang des Jahrhunderts das Gerücht verbreitet habe, Jansson sei homosexuell.183

Nicht-Wissen, so der Vorwurf, würde als Heterosexualität gedeutet, sofern keine anders lautenden Beweise vorlägen. Weiter wird Zachau vorgeworfen, dem Thema des männlichen Akts bei Jansson so nicht gerecht werden zu können: »Mangels dessen, was Inga Zachau Beweise für Janssons Homosexualität nennt,

180 Zachau (1997): Eugène Jansson; Inga Zachau (1998): »Eugène Jansson. Den blå stadens målare«, in: Lollo Fogelström u.a. (Hg.): Eugène Jansson 1862-1915. Stockholm: Liljevalchs konsthall, S. 9-55. 181 Zachau (1997): Eugène Jansson. In beiden Büchern werden die Akte in einem weitaus geringeren Umfang präsentiert als die Stadtansichten, obwohl beide Phasen ungefähr gleich lang und gleich produktiv waren. 182 »Rykten gick at Eugène Jansson var homosexuell. Det är än idag omtvistat. - Jag tror inte han var det, säger Inga Zachau. Han var ett sjukligt barn, och ägnade sig mycket åt kroppsövningar för att bli stark. Kroppskultur låg i tiden. Det finns inga belägg för en sådan läggning och han förnekade det själv«, Hälsinglands tidning, 24. Februar 1998. 183 »Vid samtal hävdar hon [...] att utifrån de fakta hon kunnat hämta in till sin studie över Jansson kan hon inte veta något bestämt om hans sexualitet. Tvärtemot detta hade Zachau, enligt uppgift, på Liljevalchs fem minuter tidigare, under en rundvandring för publik, sagt att det bara handlade om ryktesspridning vid seklets början att Jansson var homosexuell«, QX, Februar 1998.

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hält sie es für das Beste, sich mit halberdichteten Weisen am Thema vorbeizuschleichen, statt das Interesse des Künstlers, Männer abzubilden, als absolut zentrales Thema sowohl in seinem Leben als auch in seinem Werk anzuerkennen.«184 Eine ähnliche Meinung vertritt auch Gunilla Grahn-Hinnfors in Göteborgsposten: Sie verknüpft sein Leben und Werk, aber kehrt die Homosexualität unter den Teppich und verpasst damit eine wichtige Perspektive auf seine späten Bilder von Marinesoldaten. [...] So zu tun, als ob Eugène Janssons Homosexualität nichts mit seiner späten Motivwahl zu tun habe, ist ungefähr wie zu behaupten, die Mademoiselles d’Avignon hätten keinen Zusammenhang mit Picassos Bordellbesuch in der Carrer d’Avignyo.185

Grahn-Hinnfors weist nicht nur auf die problematische Heteronormativität, sondern mit ihrem Picassovergleich und damit der Anspielung auf Prostitution auch auf die damit einhergehende Asexualisierung Janssons hin. Zachau kehre, so kann man Grahn-Hinnfors deuten, nicht nur Janssons Homosexualität, sondern Sexualität und Begehren überhaupt unter den Teppich. Der Journalist Dodo Parikas, einer der Autoren von Die heimliche Macht der Sympathie, spricht in Sydsvenskan beide Aspekte an. Als Referenzrahmen nennt er nicht, wie GrahnHinnfors, den weiblichen Akt und seinen kulturellen Kontext um die Jahrhundertwende, sondern die homosexuelle Subkultur bis heute: Dass ein männlicher Künstler um die Jahrhundertwende den gesamten späteren Teil seines Lebens dem Malen von und dem Umgang mit jungen Matrosen widmete, löst bei mir, der ich mich seit den 70er Jahren in einer homosexuellen Kultur bewegt habe, unzweideutige Assoziationen aus. [...] Zachaus Texte bilden ein gegenwärtiges Standardwerk zu Eugène Jansson. Leider bekommt der Leser darin ein Bild vom Künstler aus einer Perspektive vermittelt, die erotische Spannung zwischen Männern kategorisch ausschließt. [...] Was das Kulturhauptstadtsjahr angeht, bedeutet das auch, dass ein großes Event um eine aus

184 »I brist på det Inga Zachau kallar belägg på Janssons homosexualitet anser hon det bäst att smyga förbi ämnet med halvkvädna visor istället för att se konstnärens intresse för att avbilda män som ett absolut centralt tema i båda hans liv och verk«, Dodo Parikas: »Sippt om nakenmåleri«, Sydsvenskan, 2. Februar 1998. 185 »Hon kopplar ihop hans liv och verk men sopar homosexualiteten under mattan och misar därmed en viktig infallsvinkel till hans sena målningar av flottister. [...] att låtsas som om Eugène Janssons homosexualitet inte hade med hans sena motivval att göra är ungefär som att påstå att Flickorna från Avignon inte har något samband med Picassos bordellbesök på Carrer d’Avinyo«, Göteborgsposten, 5. Februar 1998.

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homosexueller Perspektive interessante Person vollkommen unnötigerweise entsexualisiert wird.186

Jessica Kempe deutet Janssons Akte in På stan, dem Stadtmagazin von Dagens Nyheter, radikal anders als Zachau, nämlich im positiven Sinn pornografisch: »Der erste Saal hier bricht vor lauter nackter Marinesoldaten und lüstern gemalter Hintern fast zusammen, vital und berauscht wie die Gayszene seit eh und je.«187 Außer der Forderung nach Anerkennung von Erotik und einem begehrenden Blick thematisiert Parikas aber auch den Umgang der Kunstgeschichtsschreibung mit Sexualität und vor allem Homosexualität. Dass mit der Frage nach der Sexualität eines Künstlers auch der Umgang von Kunstkritik und Kunstwissenschaft damit zur Debatte steht, geht aus einem Leserbrief aus Anlass von Parikas’ zitiertem Artikel aus Sydsvenskan hervor. Dort schreibt eine Leserin: »Wird Eugène Janssons Kunst anders interpretiert, wenn er nun homosexuell war? Wenn ja, warum? [...] Ich habe als Künstlerin viele nackte Frauen gemalt, aber deshalb bin ich doch nicht gleich homosexuell!«188 Wie soll die Kunstgeschichtsschreibung also mit Homosexualität umgehen? Hieran scheinen sich die Geister in der Janssonrezeption Ende der 90er Jahre zu scheiden. Das eine Lager sieht Janssons Homosexualität als existentielle Bedingung für seine Kunst und hält es für fahrlässig, diesen Aspekt seiner Biografie bei der Interpretation nicht zu berücksichtigen. Das andere Lager gibt vor, Leben und Werk trennen zu wollen: die Sexualität eines Künstlers habe mit dem Kunstwerk nichts zu tun. Es wird an einer Trennung zwischen Körper und Geist

186 »Det faktum att en manlig konstnär vid sekelskiftet ägnade sig hela den senare delen av sitt liv åt att måla av och umgås med unga matroser ger mig som sedan 70-talet har rört mig i en homosexuell kultur otvetydiga associationer. [...] Zachaus texter utgör ett nutida standardverk om Eugène Jansson. Tyvärr får läsaren där en bild av konstnären sedd genom glasögon som fullständigt uteslutar erotisk laddning mellan män. [...] När det gäller kulturhuvudstadsåret innebär det också att ett stort evenemang kring en ur homosexuellt perspektiv intressant person avkönats fullständigt i onödan«, Sydsvenskan, 2. Februar 1998. 187 »Den första salen här dignar under nakna flottister och lystet målade skinkor, vitala och rusiga som någonsin gaykulturens«, Jessica Kempe: »Eugène Jansson«, DN På stan, 20. Februar 1998. 188 »Tolkas EJ:s konst annorlunda om han nu var homosexuell? Varför i så fall? [...] Jag har som konstnär avbildat många nakna kvinnor, men inte är jag homosexuell för den skull!«, Leserbrief in Sydsvenskan, 13. Februar 1998 zu Parikas’ Artikel vom 2. Februar.

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festgehalten, der zufolge die Kunst ein Produkt von Ideen sei. Dabei scheint es mir aber nur der Aspekt des homoerotischen Begehrens zu sein, der ausgeklammert wird, ist doch das Interesse an Janssons gesundheitlichem Zustand und auch an sexuellen Ausschweifungen anderer heterosexueller Künstler gleichbleibend groß. Mit dem weiblichen Akt männlicher Künstler ist ein heterosexuelles Begehren auf eine Weise strukturell verknüpft, die dieses Begehren allgegenwärtig macht und als nicht bemerkenswert erscheinen lässt. Die starke Reaktion auf männliche Akte männlicher Künstler – und, wie oben, weibliche Akte von Künstlerinnen – weist auf eine dem Aktgenre zu Grunde liegende Heteronormativität und damit verbundene Homophobie hin.

3.5. S EXUALITÄT

UND

K UNSTGESCHICHTSSCHREIBUNG

Beweis und Gegenbeweis Bereits an einem im Fall Jansson grundlegenden Problem der Kunstgeschichtsschreibung macht sich der Umgang mit Homosexualität bemerkbar. Im Gegensatz zu Acke, dessen Korrespondenz vollständig erhalten und in Archiven einsehbar ist, ist kaum eine Forschungsgrundlage über Jansson erhalten. Für diese Tatsache machen Zachau und Eman Janssons Bruder Adrian verantwortlich, der die gesamte Korrespondenz und weitere Dokumente verbrannt haben soll.189 Beide zitieren ein Interview Sixten Strömboms mit dem Künstler Rikard Lindström, der als erster von der Vernichtung der Briefe berichtet. Während Zachau nur den Abschnitt zitiert, der aussagt: »Er hielt es nicht für angemessen, sie der Nachwelt zu erhalten«, geht das Zitat bei Eman folgendermaßen weiter: »Sie hatten einiges über Modelle und über seine merkwürdigen Ansichten über Kunst enthalten«.190 Zachau fordert, man »müsse Adrian Janssons Pietätsgefühl respektieren«, womit sie darauf hindeutet, dass es etwas auch aus heutiger Sicht Verbergens-

189 Vgl. Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 92f und Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S. 210 und 236-238. 190 »Han ansåg det ej lämpligt att bevara dem till eftervärlden«, Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 92 und weiter: »De hade innehållit en hel del om modeller och om hans besynnerliga åsikter om konst«, Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S. 236. Beide zitieren ein Interview Sixten Strömboms mit Rikard Lindström vom 25. Januar 1939, Archiv des Künstlerverbands, Nationalmuseum Stockholm.

3. E UGÈNE J ANSSON

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wertes im Nachlass gegeben habe.191 Gleichzeitig mit dem Aufruf, Janssons Bruder und seine Tat zu respektieren, wertet sie dessen Urteilsvermögen herab, indem sie behauptet, er habe sich, wie auch der Mutter im Zusammenhang mit der Zerstörung von Das Sommerbad, vorwirft, im Zustand geistiger Verwirrung befunden: »Er war ein netter alter Mann, aber wurde schnell immer seniler. Das scheint in der Familie gelegen zu haben, denkt man an die Mutter, die dasselbe Schicksal ereilte. Natürlich kann die Erklärung für Adrian Janssons Handlung nur in seiner weichenden psychischen Balance liegen.«192 Zachau greift hier auf das oben beschriebene Erklärungsmuster um Krankheit und Naturalisierung zurück, um Gründen für die Zerstörung der Briefe auszuweichen, die mit Janssons Homosexualität zu tun haben könnten. Ihre Spekulation wird rhetorisch durch das autoritäre »natürlich« bekräftigt. Bei Eman trifft man auf ein gegensätzliches Bild von Adrian Jansson und dessen Verbrennungsmaßnahme. Er erscheint hier nicht als geistig unzurechnungsfähig, sondern im Gegenteil als verantwortungsbewusst und vorsichtig: »Adrian war es nach Eugènes Tod daran gelegen, alle Spuren zu beseitigen, die dazu führen konnten, dass der Charakter des Verhältnisses des Bruders zu jungen Marinesoldaten zukünftig an die Öffentlichkeit gelangen würde [...] Bei Adrians Maßnahmen, den guten Ruf des Bruders zu schützen, handelte es sich natürlich um Vorsichtigkeit in der allerbesten Absicht.«193 Eman zufolge wusste er genau was er tat, da er selbst homosexuell und mit Nils Santesson befreundet gewesen sei, der 1907 wegen homosexueller Handlungen verurteilt wurde. Von dessen Beispiel sei ihm bekannt gewesen, »dass das Urteil der Gesellschaft Homosexuellen gegenüber hart und schonungslos war.«194 Bei einer Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit Santessons Verhaftung und Prozess hatte die Polizei sämtliches Material beschlagnahmt, das als Beweis

191 »Samtidigt måste man respektera Adrian Janssons pietetskänsla«, Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 93. 192 »Han var en hygglig gammal man men blev snabbt allt mera senil. Detta förefaller ha legat i släkten med tanke på att modern rönte samma öde. Naturligtvis kan den enda förklaringen till Adrian Janssons handlade ligga i hans vikande psykiska balans«, ebd. 193 »Adrian blev efter Eugènes död mån om att sopa undan alla spår, som skulle kunna leda till att karaktären av broderns relationer med unga flottister någon gång i framtiden nådde offentligheten. [...] Adrians agerande för att trygga broderns goda rykte, handlade naturligtvis om en försiktighet i största välmening«, Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S. 236f. 194 »att samhällets dom var hård och skoningslös mot homosexuella«, ebd., S. 237.

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für die ihm vorgeworfenen homosexuellen Handlungen dienen konnte. Adrian Janssons Vorsichtsmaßnahme, die Korrespondenz seines Bruders zu verbrennen, habe also zum Ziel haben können, den Ruf des Künstlers sowie auch seine eigene Haut zu retten.195 Zachau schreibt selbst, Adrian Jansson habe von Freunden den Spitznamen »Hadrianus« bekommen.196 Allerdings führt sie nicht aus, dass der römische Kaiser Hadrian (76-138) und sein jugendlicher Geliebter Antinous beliebte Referenzpunkte der schwulen Subkultur sind und waren.197 Homosexuelle nannten ihre Geliebten gern Antinous.198 Der Spitzname »Hadrianus« ist wohl als eindeutiger Hinweis darauf zu erachten, dass Adrian Jansson soweit möglich offen homosexuell lebte. Der nackte Jüngling in der Tür Der unterschiedliche Umgang mit Janssons Homosexualität beziehungsweise deren Verleugnung zeigt sich neben den Badebildern auch an dem Bild, das als Janssons erster Akt auf der Ausstellung des Studentenverbands Verdandi in Uppsala 1907 gezeigt wurde, das in anderen Zusammenhängen bereits besprochene Nackter Jüngling am Türpfosten (Abb. 12). Die Leinwand hat die Form einer Rundbogentür, und das Bild zeigt einen Durchgang von einem Innenraum in einen anderen. Die Bildkanten rechts und links entsprechen den Türpfosten, die untere Bildkante schneidet die Türschwelle an. Auf der Schwelle steht ein nackter Mann frontal zum Betrachter und lehnt sich mit den ausgestreckten Armen auf Kopfhöhe links und rechts an den Türrahmen. Das Bild scheint also selbst eine Tür zu sein, durch die der Mann dem Betrachter entgegen kommt. Im Zimmer hinter ihm sind hinter einem Kronleuchter drei große Gemälde zu sehen. Der Mann steht entspannt im Kontrapost, der Gesichtsausdruck ist ernst, der

195 Vgl. ebd., S. 237f. 196 Vgl. Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 192. 197 Vgl. Göran Söderström (1999): »Homoerotiken i konsten - konst och konstnärer«, in: Ders.: Sympatiens hemlighetsfulla makt, S. 268-308, hier: S. 276. Vgl. auch Marita Keilson-Lauritz (1997): »Ganymed trifft Tadzio. Überlegungen zu einem ›Kanon der Gestalten‹«, in: Härle u.a.: Ikonen des Begehrens, S. 23-39. 198 In Sympatiens hemlighetsfulla makt wird z.B. über den schwedischen Philosophen und Philosophieprofessor Pontus Wikner (1837-1888) berichtet, der seinen früheren Schüler und bedeutend jüngeren Geliebten Antinous nannte. Vgl. Söderström: Sympatiens hemlighetsfulla makt, S. 66-68. Vgl. auch das kaum rezipierte Drama Antinous (1906) des dänischen Autors Palle Rosenkrantz (1867-1941), der heute höchstens als erster dänischer Krimischriftsteller und als Namensgeber eines Preises für Kriminalliteratur bekannt ist.

3. E UGÈNE J ANSSON

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Blick in die Ferne gerichtet. Licht strahlt den muskulösen Körper von hinten an, so dass er nach vorn verschattet ist, die Konturen aber gelblich weiß markiert sind. Die leuchtenden Konturen an Arm, Brustkorb, Hüfte, Hals und Wangenknochen sowie die sich an den Körperkonturen entlang zu schmiegen scheinenden Pinselstriche verleihen dem Körper eine Art Aura. Durch den Kontrast der sich im Schatten befindenden und zum Betrachter oder gewandten Vorderseite des Körpers gegenüber dem lichten Zimmer im Hintergrund ergibt sich eine Ambivalenz dahingehend, was das eigentliche Bildobjekt ist: der Körper, der durch eine Aura hervorgehoben aber verschattet ist, oder der hell erleuchtete und durch den glitzernden Kronleuchter und die verschiedenfarbigen Bilder lockende Raum dahinter, von dem wir nur einen Ausschnitt sehen und wo hinein uns durch den Körper im Durchgang der Weg versperrt ist. Abb. 12: Eugène Jansson: Nackter Jüngling am Türpfosten (1906)

Die im Bild liegende Ambivalenz hat, wie erwähnt, seit der ersten Ausstellung kontroverse Reaktionen hervorgerufen. Sie entsprechen der Bedeutung, die jeweils den männlichen Akten für Janssons Künstlerschaft zugemessen wird. Da die Bilder im Hintergrund als drei von Janssons Stadtansichten identifiziert wer-

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den können,199 stehen diese, einer mehrere Jahre zuvor abgeschlossenen Phase zugehörend, mit dem neuen Motiv der männlichen Akte in unmittelbarer Konkurrenz. Wollin sieht den Fokus auf den Raum mit den älteren Werken gerichtet, und scheint sich über den im Weg stehenden jungen Mann zu ärgern: Der ganze Körper und der Gesichtsausdruck des Manns wirken so nachdrücklich gleichgültig gegenüber dem malerischen Leben, das der Künstler dem hellen Raum im Hintergrund mit seinen grün schattierten Wänden und leicht angedeuteten Gemälden seiner malerischen Periode eingegossen hat. Wie gern möchte das Auge die dunkle Figur als bloße Silhouette und den Farbakkord im Hintergrund mit der glitzernden Kristallkrone als Wesentliches betrachten. Zog es den Künstler nicht selbst mit seiner heißeren Sehnsucht dort hinein, wo er das Beste und Echteste seiner selbst wiederfinden könnte? Wäre er nicht widerstandslos dort hinein gestürzt, wenn der nackte Körper nicht wie ein drohender Kerberos da gestanden hätte?200

Wollin scheint in seinem Text einen derartigen Widerwillen gegen den nackten Körper zu entwickeln, dass er ihn als Eindringling und Bedrohung für Janssons Leben sieht und darüber zu vergessen scheint, dass der Künstler sich offensichtlich dafür entschieden hat, dieses Bild zu malen und auszustellen. Befriedigt stellt Wollin als Kompromiss fest, dass Jansson die Figur immerhin vor den »malerischen Hintergrund« gestellt habe: »Sein altes Ich konnte er also nie ganz verleugnen«.201 Die Dämonisierung der jungen Männer, die in Janssons Leben und in seiner Kunst auftauchen, liegt in Verlängerung von Wollins weiter oben wiedergegebener Auffassung, Jansson habe sich dem Motiv nur unter Zwang und Nötigung zugewandt. Wollin scheint nicht wahrhaben zu wollen, dass eine heiße Sehnsucht auch auf den zentralen Körper im Bild gerichtet sein könnte,

199 Vermutlich Motiv aus Timmermannsgatan (Motiv från Timmermansgatan; 1899), Tausend Reflektionen (Mille reflets; 1903) und Sonnenaufgang (Soluppgång; 1903). 200 »Hela kroppen och mannens ansiktsuttryck verka så innerligt indifferenta mot det måleriska liv, konstnären ingjutit i fondens ljusa rum med i grönt schatterade väggar och lätt antydda tavlor från hans måleriska period. Hur gärna vill ej ögat betrakta den mörka figuren som blott silhuett och fondens färgackord med den glimmande kristallkronan som väsentlighet. Drogs ej konstnären själv med sin hetare längtan dit in, där han skulle återfinna det bästa och äktaste hos sig själv? Hade han ej oemotståndligt störtat dit in, om ej den nakna kroppen stått där som en hotande Kerberos?«, Wollin (1920): Eugène Janssons måleri, S. 119. 201 »Sitt gamla jag kunde han sålunda aldrig helt förneka«, ebd., S. 120.

3. E UGÈNE J ANSSON

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und der Idee eines Gefallens an oder Begehrens nach diesem Körper feindlich gegenüberzustehen. Magnus Ringgren deutet 1986 aus einer emanzipatorischen Perspektive der Homosexuellenbewegung heraus das Bild genau umgekehrt. Sein Ausgangspunkt ist Wollins Analyse, und er stimmt ihm dahin gehend zu, dass man »den jungen Mann handgreiflich« zur Seite schieben müsse, um die Bilder im Hintergrund ansehen zu können.202 Aber genau darin liegt für ihn die symbolische Bedeutung von Janssons Bild. Der nackte Mann stehe mit dem Rücken zur Vergangenheit, die damit in den Hintergrund rückt. Der nackte Männerkörper stehe dem Betrachtenden unverdeckt und schamlos gegenüber und sei vom Muster des schuldbeladenen Sodomiten befreit.203 Der »trompe-l’oeil-Charakter«204 des Bildes trage zur haptischen Qualität des dargestellten Körpers bei. Indem er die vom dargestellten Körper ausgehende Anziehungskraft ausstelle, sei Eugène Jansson der »bahnbrechende Pionier der schwedischen homosexuellen Kunst«.205 Eine weitere Ambivalenz des Bilds bezieht sich auf die Repräsentationsebenen. Ist der dargestellte Körper »wirklicher« als die Bilder im Bild, die im Hintergrund wiedergegebenen Gemälde? Stellt Jansson damit eine Trennung von Leben und Kunst her? Carl-Johan Malmberg meint in Svenska Dagbladet das Gegenteil: seiner Meinung nach sind Körper und Bilder gleichermaßen sorgfältig wiedergegeben und teilen denselben ästhetischen Raum. Die Akte sollen also gleichermaßen als Kunst wahrgenommen und respektiert werden.206 Laut Malmberg ist das Bild aber auch ein Hinweis auf die erotische Qualität der früheren Stadtansichten. Die Gegenwart des nackten Manns zwinge zu einer neuen Perspektive auf die früheren Bilder: vielleicht ist er die Lösung des Rätsels, welcher Art die Sehnsucht ist, die in den Stadtbildern ihren Ausdruck findet?207 Selbstporträt: Dandy oder Engel? Ein weiteres Bild, das in Bezug auf Janssons Homosexualität kontrovers diskutiert worden ist, ist sein Selbstporträt im Badehaus der Marine (Självporträtt i

202 »den unge mannen handgripligen«, Ringgren (1986): »Sodoms Kerberos«, S. 73. 203 Ebd. 204 »trompe-l’oeil-karaktär«, Svenska Dagbladet, 21. Januar 1998. 205 Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S. 221. Er bezieht sich auf die Analyse von Ringgren (1986): »Sodoms Kerberos«. 206 Vgl. Svenska Dagbladet, 21. Januar 1998. 207 Ebd.

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Flottans badhus; 1910) (Abb. 13).208 Das Bild zeigt den Künstler in weißem Anzug, mit Sandalen und Strohhut. Er scheint frontal auf die Betrachterin oder den Betrachter zuzugehen, der Blick ist in die Ferne gerichtet. Die Augenpartie ist durch den Hut verschattet, und man erkennt einen Sonnenbrand auf Nase und Wangen. Der Künstler befindet sich am Rand des Schwimmbads, das auch auf Badehaus der Marine oder Badebild zu sehen ist. Hinter ihm sitzen und stehen viele nackte Männer. Zwei Matrosen und ein sitzender Mann links neben dem Künstler sind als Rückenfiguren abgebildet, zwei sich an Pfosten lehnende Männer am linken oberen Bildrand scheinen dem Künstler nachzuschauen. Abb. 13: Eugène Jansson: Selbstporträt (1910)

Das Selbstporträt zeigt den Künstler nicht malend oder skizzierend. Er ist also nicht offenkundig aus beruflichen Gründen im Badehaus. Der Künstler ist Teil desselben Bildraums wie die Badenden, aber scheint ihn in Richtung des Betrachterraums zu verlassen. Die Badenden schauen ihm nach, während er ihnen den Rücken zu- und den Blick in die Ferne wendet. Wie Jan Håfström es in einer Rezension ausdrückt, wirkt der »Mann im weißen Anzug [...] eigenartig malplacé

208 Siehe auch Bengt Olvång (1987): »Eugène Jansson: Självporträtt«, in: Ulf Johnsson (Hg.): Porträtt porträtt. Stockholm: Rabén och Sjögren, S. 131-134.

3. E UGÈNE J ANSSON

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– als spiele er im falschen Stück«.209 Sowohl Be- als auch Entkleidung werden in Bezug auf Jansson und besonders in Bezug auf sein Selbstporträt von den Zeitgenossen kommentiert. Das Selbstporträt zeigt den Künstler in genau dem Aufzug, mit dem er bei seinen Künstlerkollegen Aufsehen und Ärger erregte. So schreibt Richard Bergh aus Sandhamn in den Stockholmer Schären im Sommer 1903 an Karl Nordström: Er wohnt hier auf Sandhamn mit seiner Mama und Adrian und Stomatol und Azymol in einem Loch. Zum Teufel, er wohnt ja im großen Badhotel. Er läuft in seinen weißen Kleidern herum, kupferbraun im Gesicht und mit braunen Sandalen, sehr fein, aber er malt nicht. Die Mutter ist noch verwirrter als sonst – Adrian auch und nicht zuletzt Fotogén. Stomatol und Azymol --- nein danke.210

»Fotogén« war Janssons Spitzname – das an seinen Vornamen angelehnte schwedische Wort für Petroleum und damit eine Anspielung auf die auf den Stadtbildern prominenten Straßenlampen sowie die von ihm verwendete mit Terpentin verdünnte Farbe. »Stomatol und Azymol«, schwedische Marken für Zahncreme und Haarwasser, stammen aus einem Liedtext, den Bergh im Jahr zuvor anlässlich von Janssons 40. Geburtstag gedichtet hatte und der dessen extravaganten Geschmack auf die Schippe nimmt.211 Vielleicht bezieht er sich in diesem Zusammenhang nur auf diesen Reim (die Namen reimen sich auf das schwedische Wort für Loch, »hål«), vielleicht spielt er auf Janssons in den Augen der Kollegen übertriebenes Interesse an Körperpflege an, vielleicht wurde Jansson aber auch von zwei Bekannten oder Modellen begleitet, die ihn zu Berghs Ärger vom Malen abhalten.212 Karl Nordström schreibt zurück: »Fotogén ist zurzeit ja unmöglich. Verdammt werde ich wütend, wenn du nur seine dre-

209 »Mannen i den vita kostymen verkar egendomligt malplacé – som om han spelade i fel pjäs«, Jan Håfström: »Endast den nakna sanningen«, Dagens Nyheter, 6. Februar 1998. 210 »Han bor här på Sandhamn med sin mamma och Adrian och Stomatol och Azymol i något hål. För tusan han bor ju i stora badhotellet. Han går omkring i sina hvita kläder, kopparbrun i synen och med bruna sandaler, nog så fin, men målar icke. Modern är mer än vanligt virrig – och Adrian med och Fotogén icke minst. Stomatol och Azymol --- nej fan«, Richard Bergh an Karl Nordström am 19. August 1903. Archiv des Künstlerverbands, Nationalmuseum Stockholm. Zitiert nach: Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S. 230. 211 Vgl. Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 191f. 212 Vgl. Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S. 230f.

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ckigen Sandalen und die weißen Kleider erwähnst«.213 Janssons Kleider scheinen ein Ausdruck seiner Exzentrizität zu sein, die den darin übereinstimmenden zeitgenössischen Äußerungen zufolge mit Janssons Motivwechsel einherging. Es ist auch sein Äußeres, das Jansson in diesen Jahren als Schmetterling erscheinen lässt, der seinen Kokon verlassen habe.214 Auch Tor Hedberg nennt »das fast immer ziegelfarben braungebrannte Gesicht«, den »etwas trippelnden, übertrieben federnden Gang« und seinen Auftritt bei Einladungen »in offenen Sandalen, ohne Strümpfe« als Kennzeichen Janssons in jenen Jahren und bezeichnet ihn als einen »fanatischen Sonnenbader«.215 Patrik Steorn weist darauf hin, dass Janssons sich mit seinem Aufzug als Vertreter lebens- und kleidungsreformerischer Bewegungen zeigt.216 Auf einer Fotografie von einem Maskenball, der von Ernest und Signe Thiel ausgerichtet wurde, erscheint der braungebrannte Jansson im Matrosenkostüm, während fast alle anderen Männer Frack tragen – er sei als sein Lieblingsmotiv verkleidet, so Steorn.217 Die Quellen stimmen darin überein, dass Jansson sich in diesen Jahren immer mehr den Badehäusern und damit den Matrosen und Marinesoldaten zuwandte und sich gleichzeitig den Aufgaben im Künstlerverband entzog, was, wie obigen Zitaten zu entnehmen ist, Ärger hervorrief. Auch privat scheint er mit seinen Modellen ausgegangen zu sein, ob er sie nun im Badehaus traf oder sie abends ausführte. Knut Nyman, ein Marinesoldat, der wie erwähnt für Nackter Jüngling am Türpfosten Modell stand, zog 1906 bei Jansson ein und lebte bei ihm, bis er 1913 heiratete. Diese Wohn- oder Lebensgemeinschaft wird sehr unterschiedlich beurteilt. In Sixten Strömboms Notiz von einem Interview mit Rikard Lindström heißt es, Janssons Freundschaft mit dem Architekten Gunnar Morssing und seiner Frau Ise sei an dessen »Exzentrizität« zerbrochen:

213 »Fotogén är ju omöjlig nu för tiden. Förbanne mig blir jag inte arg, bara du talar om hans skitna sandaler och hvita kläder«, Karl Nordström an Richard Bergh im August 1903, Archiv des Künstlerverbands, Nationalmuseum Stockholm. Zitiert nach: Ebd., S. 212. 214 Vgl. Eman in Natten är min. 215 »Det nästan alltid till tegelfärg solbrända ansiktet«, »den något trippande, överdrivet spänstiga gången«, »i genombrutna sandaler, utan strumpor«, »fanatisk solbadare«, Hedberg (1923): Tre svenska målargenier, S. 9. Vgl. auch Hedberg (1927): Minnesgestalter, S. 125. 216 Steorn (2012): »Stadens män och modeller«, S. 113. 217 Steorn (2012): »Stadens män och modeller«, S. 121.

3. E UGÈNE J ANSSON

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Als er einmal eingeladen wurde, fragte er in letzter Minute: »Darf ich Knutte mitbringen?« Als die Gastgeberin fragte, wer Knutte sei, erfuhr sie, dass er Marinesoldat war. Da Knutte deshalb nicht willkommen war, verlor Jansson die Lust zu kommen.218

Die Exzentrizität, deretwegen die Freundschaft angeblich zerbrach, bezog sich vielleicht nicht auf Nymans Beruf, sondern in erster Linie auf die Art seiner Verbindung zu Jansson. Zachau, die Nyman bei seinem Spitznamen nennt, als kenne sie ihn persönlich, interpretiert das Verhältnis dahin gehend, dass »Knutte wie ein Ziehsohn betrachtet wurde«.219 In Zachaus Interpretation des Selbstporträts verweist die Kleidung des Künstlers nicht auf eine Identität als Dandy und Pionier der homosexuellen Kunst in Schweden,220 sondern bewirkt, »trotz des provokanten Motivs«, dass »das Bild eine Art arkadische Unschuld« ausstrahle: Der Künstler trägt das weiße Gewand der Unschuld, und die unbekleideten Gestalten hinter ihm scheinen in ihrer natürlichen Nacktheit vollkommen unbekümmert zu sein. Hier soll daran erinnert werden, dass Nacktheit in der klassischen Kunst das Fehlen von Verkleidungen in Form von Lüge, Falschheit, Vorstellung bedeutete – also Unschuld wie im Paradies vor dem Sündenfall.221

Im Selbstporträt werden auf komplexe Weise Bedeutungen von Nacktheit und Akt, Bekleidung und Verkleidung verhandelt. Im Zitat wird lediglich der Kon-

218 »Janssons excentricitet«, »Vid ett tillfälle, då han blev bjuden frågade han i sista stunde: »Får jag ta Knutte med mig?« När värdinnan frågade vem Knutte var, fick hon reda på att han var flottist. Då Knutte därför ej var välkommen, förlorade Jansson lusten att komma«, Interview Sixten Strömboms mit Rikard Lindström am 25. Januar 1939, Archiv des Künstlerverbands, Nationalmuseum Stockholm. Zitiert nach: Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 215. 219 »Knutte betraktades som en fosterson«, ebd., S. 215. Zachau bezieht sich in ihrer Formulierung auf ein Interview Sixten Strömboms mit Fritz Lindström 1939, Archiv des Künstlerverbands, Nationalmuseum, zitiert ebd. 220 Vgl. Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S. 214 und 221. 221 »Trots det provocerande motivet utstrålar bilden något av en arkadisk oskuldsfullhet. Konstnären bär oskuldens vita dräkt och de oklädda gestalterna bakom honom förefaller vara fullständigt obekymrade i sin naturliga nakenhet. Här bör erinras om att nakenhet i den klassiska konsten innebar avsaknad av förklädnader i form av lögn, falskhet, föreställning – således oskuldsfullhet som i Paradiset före syndafallet«, Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 182.

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trast zwischen Nacktheit und Bekleidung hervorgehoben, der allerdings nicht so eindeutig ist, wie er hier erscheint. Meines Erachtens beruht der Effekt des Bilds genau auf der Ambivalenz zwischen Imaginationen von Natürlichkeit und Unschuld auf der einen Seite und Akt und Anzug als Verkleidung auf der anderen Seite, damit auf einer Reflexion des Aktgenres: Ist der Akt eine Repräsentation unschuldiger und natürlicher Nacktheit oder selbst Maske, Verkleidung, Schminke? Die Überlegung betrifft bei Jansson nicht nur bekleidete Körper, sondern auch die Idealisierung und Normierung nackter Körper. Existiert Nacktheit überhaupt, im Sinne von Vorstellungen von Natürlichkeit und Ursprünglichkeit, jenseits kultureller Überformungen? Mir scheint der Kontrast zwischen Be- und Entkleidung auf Janssons Selbstporträt auf eine Reflexion von Medialisierungs- und Repräsentationsprozessen hinzuweisen, die Nacktheit wie auch Kleidung als Projektionsflächen und als Orte von Zuschreibungen offenkundig werden lässt. Das Selbstporträt legt nahe, den bei Zachau genannten Gegensatz von Natürlichkeit und Verkleidung, von Authentischem und Falschem aufzubrechen und sowohl Akt als auch Anzug als Körperinszenierungen zu verstehen. Im Rahmen dieser Inszenierungen verhandelte Identitäten wären weder Maskerade – wie Janssons Kollegen Anzug, Hut und sonnengebräunte Haut offenbar verstanden – noch authentisch im Sinn von etwas Natürlichem jenseits der Repräsentation. Mit dem Verweis auf Thomas Manns zwei Jahre später entstandenen Roman Der Tod in Venedig (1912) bietet der dänische Kunsthistoriker Henrik Wivel eine Interpretation an, die einen möglichen gemeinsamen schwulen Subtext sowie die Ambivalenz des Bilds gerade hinsichtlich seines Umgangs mit Nacktheit und Lust berücksichtigt. Auch der Roman spielt im Bademilieu und lotet die Möglichkeit und Unmöglichkeit homoerotischen Begehrens im Spannungsfeld von Jugend und Alter, Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod, Strand und Urbanität, Natürlichkeit und Artifizialität, Reinheit und Dreck aus: »Mitten in der potenzierten Lebensentfaltung findet sich der Tod, mitten in der demonstrativen Gesundheit gedeiht die Dekadenz. Mitten in der Lust – die Unschuld.«222 Mit diesen Spannungsfeldern scheint ein Terrain beschrieben, in dessen Rahmen Jansson und Mann fast gleichzeitig die Bedingungen für die Formulierung und Visualisierung homosexuellen Begehrens überprüfen.

222 »Midt i den potenserede livsudfoldelse findes døden, midt i den demonstrative sundhed trives dekadencen. Midt i lysten – uskylden«, Berlingske Tidende, 28. Februar 1998.

3. E UGÈNE J ANSSON

3.6. H ETERONORMATIVITÄT

UND DER MÄNNLICHE

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A KT

Eine Analyse der Rezeption Janssons, wie ich sie vorgenommen habe, gibt Aufschluss über Normalisierungsprozesse in der Kunstgeschichtsschreibung. Verhandelt wird die Frage, wie ein Künstler sein soll, um kanonisiert werden zu können. Unter welchen Umständen wird ein Künstler oder eine Künstlerin in einen nationalen oder internationalen Kanon aufgenommen? Welche Ein- und Ausschlussprozesse finden statt? Wie tragen Kunstkritik und Kunstgeschichtsschreibung dazu bei, einen Künstler der Norm anzupassen? Bei Jansson steht die heterosexuelle Norm der Kunstgeschichtsschreibung im Vordergrund, die sich, wie oben dargestellt, unterschiedlich äußern kann. Von einer Verleugnung der homoerotischen Qualität von Janssons Bildern bis hin zur Bevorzugung der ersten und der damit einhergehenden Nichtbeachtung der zweiten Hälfte seines Werks reichen Ausschlussprozesse, die als Ausdruck von Homophobie verstanden werden können. Außer den bereits genannten Beispielen sei hier angeführt, dass die Akte im Gegensatz zu einer großen Ausstellung der Stadtbilder in Paris meines Wissens noch nie im Ausland ausgestellt wurden, dass sie in der Thielska Galleriet oder in Prins Eugens Waldemarsudde über Jahrzehnte hinweg kaum zu sehen waren und im Gegensatz zu den früheren Werken oft nicht mit Erklärungen versehen waren.223 Göran Söderström schreibt, 1960 sei Badehaus der Marine in der Thielska Galleriet mit der ausdrücklichen Begründung abgehängt worden, der Museumsdirektor sei sich des homoerotischen Inhalts bewusst geworden.224 Die Normalisierungsprozesse bei Jansson beziehen sich aber nicht nur auf Sexualität, sondern auch auf Geschlecht und Klasse. Wie ich zeigen werde, ergibt sich ein komplexes Geflecht aus Versuchen der Remaskulinisierung und Verbürgerlichung, aus Misogynie, Homophobie und einer heterosexuellen Reproduktionsnorm. Ehe und Familie Alle Elemente sind in Zachaus ausführlicher Diskussion der Ursachen für Janssons Ehelosigkeit vorhanden. Die Möglichkeit, dass Jansson nicht heiraten wollte – aus welchen Gründen auch immer – sieht sie nicht vor. Als Erklärung für

223 Vgl. die Ausstellung Eugène Jansson. Nocturnes Suédois im Musée d’Orsay in Paris 1999 und den zugehörigen gleichnamigen Katalog. Zur Ausstellungspraxis in Prins Eugens Waldemarsudde und Thielska Galleriet in Stockholm vgl. Ringgren (1986): »Sodoms Kerberos«, S. 70f. 224 Söderström (1999): »Homoerotiken i konsten«, S. 307f.

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sein abweichendes Verhalten auch in dieser Hinsicht führt sie seinen schlechten Gesundheitszustand an: In dieser Zeit waren bekanntlich viele Ehen Vernunftehen, wo die Vor- und Nachteile der Vertragspartner auf der Goldwaage gewogen wurden. Gute Gesundheit bürgte für ein gutes Arbeitsvermögen, das wiederum der Weg zu einem erträglichen Leben war. Es war schwierig, mit einem schlechten Gesundheitszustand zurecht zu kommen, da wirksame Arzneimittel in großem Umfang fehlten. Deshalb war Krankheit ein ernstes Hindernis auf dem Heiratsmarkt. Eugène Jansson war dazu verurteilt, sich mit dem Tod als Lebenspartner zufrieden zu geben.225

Zachau verknüpft hier die Normen von heterosexueller Ehe und Gesundheit. Sowohl Kranke als auch Homosexuelle müssen im Umkehrschluss von dieser Norm abweichen. Obwohl Zachau nicht weiß, »wie ernst Eugène Janssons Gehörminderung zu dieser Zeit eigentlich war«, konstatiert sie, dass es für den darunter Leidenden eine Tatsache sei, »sich unvermeidlich irgendwo in der Peripherie jeglichen menschlichen Zusammenlebens zu befinden.«226 Abgesehen davon, dass Zachau in der Passage Schwerhörige und Kurzsichtige – wortwörtlich – marginalisiert, indem sie beides als kaum zu überwindende Hindernisse einer Partnerschaft darstellt, scheint sie sich nicht zu fragen, weshalb Janssons Beschwerden und Behinderungen den Menschen nichts ausmachten, die um ihn waren, beispielsweise Knut Nyman, den Zachau als potenziellen Lebenspartner nicht zur Kenntnis nimmt. Aus der Perspektive der Norm einer heterosexuellen Ehe schließt Zachau auf drastische Art und Weise, zur Ehefrau gebe es nur eine Alternative: den Tod. Wie weiter oben erwähnt, behauptet Zachau auf der Grundlage einer Interviewnotiz von 1939 – also vor der Entkriminalisierung von Homosexualität –,

225 »Vid denna tid var som bekant många äktenskap resonemangspartier där kontrahenternas för- och nackdelar vägdes på guldvåg. God hälsa borgade för god arbetsförmåga vilket i sin tur var vägen till ett drägligt liv. Dålig hälsa var svår att komma till rätta med eftersom verksamma läkemedel i stor utsträckning saknades. Därför var dålig hälsa ett allvarligt hinder på äktenskapsmarknaden. Eugène Jansson var dömd att få nöja sig med Döden som Livskamrat«, Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 78. 226 »Hur allvarligt Eugène Janssons hörselnedsättning vid denna tid egentligen var vet vi inte«, »att oundvikligen befinna sig någonstans i periferin av all mänsklig samvaro«, ebd., S. 77f.

3. E UGÈNE J ANSSON

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Jansson habe Knut Nyman wie einen Ziehsohn behandelt.227 Diese Einpassung in heterosexuelle Familienstrukturen dient bei Zachau meines Erachtens dazu, Janssons marginale Position im Hinblick sowohl auf Sexualität als auch auf Klasse zu normalisieren. So heißt es, er habe ein »ausgezeichnetes Verhältnis zu den Familien von Freunden gehabt. Besonders aufmerksam war er gegenüber den Kindern und brachte ihnen gern Süßigkeiten mit, wenn er zu Besuch kam«.228 Eine ganze Seite lang erzählt Zachau vom »warmen Kontakt zwischen Vater und Sohn«, den Jansson bei seinem Kollegen Karl Nordström und dessen Sohn Sven erleben konnte. Dieses Erlebnis habe Jansson veranschaulicht, »was ein Sohn für einen Vater bedeuten kann.« Zachau spekuliert weiter: »Vielleicht fühlte er dann manchmal einen Stich des Bedauerns.«229 Die Absenz eigener Kinder wird als Mangel betrachtet. Ein Ergebnis dieser heterosexuellen Reproduktionsnorm ist, dass bei Jansson eine Sehnsucht nach einer eigenen Familie, nach eigenen Kindern vermutet wird. Die Fokussierung auf eine heterosexuelle reproduktive Sexualität verhindert in Zachaus Text die Option, dass das Verhältnis zwischen Jansson und dem jüngeren Nyman ein anderes gewesen sein könnte als das zwischen Vater und Sohn. Jansson und seine Kollegen werden als bürgerlich dargestellt. Statt auf der Bohème liegt Zachaus Fokus auf Häuslichkeit und Familienleben. So entschuldigt sie die Tatsache, dass Jansson mit viel jüngeren Matrosen und Marinesoldaten ausging, damit, die Kollegen seien alle »etablierte Familienväter« gewesen.230 Im Rahmen heterosexueller bürgerlicher Familienstrukturen liegt Zachaus Interpretation nach auch ein zweiter Grund für Janssons Ehelosigkeit: »In seiner Rolle als pater familias sah es Eugène Jansson sicher als selbstverständlich an, dass er in erster Linie auf Mutter und Bruder und erst dann auf seine eigenen eventuellen Heiratswünsche Rücksicht nehmen würde. Vielleicht vertrat er auch die religiöse Ansicht, diese seine Nächsten seien ihm anvertraut worden«.231

227 Vgl. ebd., S. 215. 228 »han hade också utmärkta relationer till vännernas familjer. Han var särskilt omtänksam mot barnen och hade gärna med sig godsaker till dem när han kom på besök«, ebd., S. 90. 229 »den varma kontakten mellan far och son«, »Kanske kände han då ibland ett stygn av saknad«, »klarläggande av vad en son kan betyda för en far«, ebd., S. 215. 230 »etablerade familjefäder«, ebd., S. 225f. 231 »I sin roll som pater familias såg Eugène Jansson det säkert som en självklarhet att han i första hand skulle ta hänsyn till mor och bror i andra hand till sina egna eventuella önskemål om äktenskap. Kanske hade han också något av den religiösa synen att han hade anförtrotts dessa sina närmaste«, ebd., S. 80.

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Durch die religiöse Dimension, die nirgendwo anders in Zachaus Buch eine Rolle spielt, verleiht sie der angeblichen Bedeutung von Familie für Jansson noch größeren Nachdruck. Auch hier wird Jansson einer Vaterrolle zugesprochen, die ihn in Zachaus Narrativ mit größerer Verantwortung, Autorität und damit auch bürgerlicher Männlichkeit ausstattet. Im Rahmen dieses Narrativs wird auch Janssons Sexualität neutralisiert. So heißt es schon bei Nils Wollin 1920 über ein auf ihn wenig überzeugend wirkendes Bild eines heterosexuellen Liebespaars, Jansson sei der »am wenigsten erotische unter den Künstlern«.232 Bei Zachau tritt die Entsexualisierung oft in Form von Metaphern um Unschuld und Reinheit auf, wie es auch bei dem Selbstporträt mit weißem Anzug im Badehaus der Fall ist. Über Am Meer (I havsbandet; 1897) schreibt sie beispielsweise, »Der Himmel ist blau, unschuldig rein wie der Blick in jungen blauen Augen.«233 Entsexualisierung und Misogynie Wie man sieht, bezieht sich die Entsexualisierung Janssons nicht nur auf eine Abwendung des Homosexualitätsverdachts, sondern auf eine Verleugnung von Sexualität überhaupt, die aber wiederum dazu dienen kann, von Janssons Homosexualität abzulenken. Janssons Desinteresse an weiblichen Modellen und dem weiblichen Akt wird gar mit den darzustellenden Körpern begründet, die als abstoßend geschildert werden: Ein besonders üppiges weibliches Modell ist […] in Rückenansicht abgebildet, wie es auf einem kleinen Klappstuhl sitzt, der fast in ihrem üppigen Hinterteil verschwindet. Ein anderes weibliches Modell ist schlank und wohlgeformt wie eine junge Weidenrute. Das erste Modell ist mit größter künstlerischer Einfühlung abgebildet, jeder Fettwulst – ihrer gibt es viele – ist studiert und naturgetreu wiedergegeben. […] Diese beiden reichen aus um zu verstehen, weshalb Eugène Jansson männliche Modelle bevorzugte. Sowohl die schlappe Fettleibigkeit der ersten als auch der linienschöne Körper der zweiten sind total uninteressant. Der schwache, weiche Frauenkörper war wohl nichts für einen expressionistischen Künstler von Eugène Janssons Kaliber. Darüber hinaus war er ein innovativer Künstler, und eine neue Perspektive auf die Schilderung des Frauenkörpers zu entwickeln müsste nach Jahrhunderten seiner Ausbeutung so gut wie unmöglich sein. Der Männerkörper war hingegen eine Art terra inkognita.234

232 »den minst erotiske bland konstnärer«, Wollin (1920): Eugène Janssons måleri, S. 26. 233 »Himlen är blå, oskuldsfullt ren som blicken i unga blå ögon«, ebd., S. 108. 234 »En synnerligen yppig kvinnlig modell är dock avbildat bakifrån, sittande på en liten fällstol som nästan försvinner i hennes frodiga bakdel. En annan kvinnomodell är slank och välväxt som en ung vidja. Den första modellen är avbildad med största

3. E UGÈNE J ANSSON

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Zachau entsexualisiert den Künstler hier, indem sie die künstlerischen als einzige Beweggründe für die Aktmalerei zulässt. Faszination oder Lust an nackten Körpern wird auch in Bezug auf weibliche Modelle und weibliche Akte nicht in Betracht gezogen. Die Argumente gegen eine Beschäftigung Janssons mit dem weiblichen Akt aus künstlerischen Gründen sind aber genauso wenig stichhaltig. Die Kunstgeschichte weist genügend Beweismaterial dafür auf, dass weder der weibliche Akt als Genre jemals erschöpft war noch dass sich der weibliche Akt und eine expressionistische Malweise widersprechen würden. Noch absurder wird Zachaus Argumentation, wenn sie spekuliert, Jansson habe potenziellen erotischen Avancen der weiblichen Modelle ausweichen wollen und deshalb nur männliche Akte gemalt: »Hin und wieder Angeboten für Modellsitzungen mit oder ohne »Vergnügen« ausgesetzt gewesen zu sein wäre sowohl dem eingefleischten Junggesellen als auch dem ernsthaften Künstler wohl hochgradig lästig gewesen.«235 Die Entsexualisierung Janssons scheint an dieser Stelle ein noch wichtigeres Projekt zu sein als der oben beschriebene Versuch, ihn in die Logik heterosexueller Paarbildung einzuordnen. Jansson wird gar als potenzielles Opfer von Verführung oder Vergewaltigung durch weibliche Modelle präsentiert, die zum Ziel haben sollen, seine Lebensführung und Künstlerschaft zu korrumpieren. Die Dämonisierung der weiblichen Modelle und ihrer abjekten Körper steht allerdings im Widerspruch zum Verhältnis von Künstler und Modell zu Janssons Lebzeiten. Wie Eva-Lena Bengtsson schreibt, wurde an die Künstler kein Anspruch an sexuelle Zurückhaltung in Bezug auf ihre Modelle gestellt.236 Dass das Modell »(erotisch) großzügig« sei, gehört Bengtsson zufolge zu den »Jahrhunderte alten

konstnärliga inlevelse, varje fettvalk – de är legio – är studerad och naturtroget återgiven. [...] Dessa båda räcker gott för att förstå varför Eugène Jansson föredrog manliga modeller. Såväl den förstas slappa fetma som den andras linjesköna kropp är totalt ointressanta. Den veka, mjuka kvinnokroppen var nog ingenting för en expressionistisk konstnär av Eugène Janssons kaliber. Dessutom var han en nyskapande konstnär och att skapa någon ny infallsvinkel på skildrandet av kvinnokroppen torde vara hart när omöjligt efter århundraden av exploatering. Manskroppen var däremot något av ett terra inkognita.« ebd., S. 208. 235 »Att då och då även råka ut för offerter avseende modellsittningar med eller utan »nöje« skulle nog i hög grad ha besvärat såväl den inbitne ungkarlen som den allvarligt syftande konstnären«, ebd. 236 Vgl. Bengtsson, Werkmäster (2005): Kvinna och konstnär, S. 170.

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Vorstellungen darüber, was im Verhältnis Künstler-Modell natürlich sei«.237 Der fließende Übergang zwischen der Tätigkeit als Modell und der als Prostitutierte war – so lässt sich vermuten – nur in wenigen Fällen der sexuellen Begierde des Modells geschuldet und weit mehr der gesellschaftlichen Realität von Frauen aus der Arbeiterklasse sowie zeitgenössischen Vorstellungen über weibliche Sexualität.238 Mit ihrer Dämonisierung von Weiblichkeit entspricht Zachaus Argumentation Projektionen und Ängsten in Bezug auf vampirische, alles – Stühle und womöglich auch schwächliche Künstler – verschlingende Frauen, wie sie um die Jahrhundertwende 1900 weit verbreitet waren. Bei der Angst vor einer weiblichen Übermacht und damit auch vor einer drohenden Feminisierung von Männern kann es sich, und das scheint mir bei Zachau der Fall zu sein, auch um einen Aspekt von Homophobie handeln. Da Janssons Biografie wegen seiner Krankheit und mangels Ehefrau und Vaterschaft nicht allzuviel Material für ein Narrativ heroischer heterosexueller Männlichkeit liefert, muss diese scheinbar ex negativo konstruiert werden. Beschreibt Zachau weiter vorn im Buch noch ausführlich die unüberwindbar scheinenden Hindernisse für Janssons Eheglück, erscheint es später angesichts von Zachaus Angebot an potenziellen entweder monströs fetten, langweiligen oder sexuell aufdringlichen Ehefrauen tatsächlich als heroisches Moment und als Beweis für Janssons Anstand und Ernsthaftigkeit, dass er sich gegen das drohende Elend entschied. Männlichkeit und Kunstgeschichtsschreibung Janssons Leben und Werk geben Anlass zu einer Reihe von Remaskulinisierungsversuchen: Nachdem die Suche nach einer Ehefrau im Rahmen von Zachaus Narrativ scheitern muss, wird stattdessen Janssons eingefleischtes Junggesellendasein zu einem Beweis seiner Männlichkeit. Dass es Zachau wirklich um Janssons (heterosexuelle) Männlichkeit geht, die ihn ihrer Auffassung nach vielleicht erst zu einem Künstler machen, wird in mehreren Formulierungen deutlich. An einer Stelle beschreibt sie die Pinselstriche, mit der Jansson die Vitalität seiner Heimatstadt wiedergegeben habe: »Dies ist für mich das Sinnbild vorzüglichster männlicher Kraft, konstruktiv und aufgeklärt, dies ist das Sinnbild für

237 »sekelgamla tankar om vad som är naturligt i förhållandet konstnär-modell«, »(erotiskt) generös«, Bengtsson (1994): Levande modell, S. 3. 238 Vgl. Hollis Clayson (1991): Painted Love. Prostitution in French Art of the Impressionist Era. New Haven, London: Yale University Press.

3. E UGÈNE J ANSSON

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den männlichen Aspekt Stockholms.«239 Männlichkeit wird also, in traditionellem Sinn, mit Kraftentfaltung, Rationalität und Herrschaft (über künstlerische Mittel) verknüpft. So fasst Zachau auf der vorletzten Seite ihrer Monografie, im Rahmen ihrer Beschreibung von Janssons Tod, auch dessen Leben und Werk zusammen. Für der männlichen Kraft entgegengesetzte Schwächen, darunter eine Schwäche für Männer, ist in Zachaus Verständnisrahmen kein Platz. Jansson habe für die Seinen Verantwortung übernommen, habe für das gekämpft, was er für richtig hielt, habe seinen Körper abgehärtet und trainiert, habe also in jeder Hinsicht nach Kraft gestrebt: »Eugène Jansson hatte immer angestrebt, in jeder Hinsicht Mann zu sein.«240 Interessant ist die Tatsache, dass eine heteronormative Kunstgeschichtsschreibung in Bezug auf Jansson erst mit Inga Zachaus Monografie 1997 einen Höhepunkt erreicht. Zu Lebzeiten Janssons hatte der potenziell homoerotische Gehalt seiner Akte außer den erwähnten Sticheleien, Gerüchten und Anspielungen meines Wissens keine Konsequenzen. Die Bilder verkauften sich gut an wichtige Sammler und Mäzene, es gab keine Fälle von Zensur und keine in der Öffentlichkeit ausgetragenen Debatten. Wie dargelegt, gibt es seit den ersten Biografen Fåhraeus und Wollin die Tradition, die Akte im Kontext von Sport und Badekultur sowie Gesundheit und Krankheit zu interpretieren, sie damit zu entsexualisieren und Janssons Männlichkeit hervorzuheben. Bei einer Analyse der zeitgenössischen Rezeption gilt es aber stets zu berücksichtigen, dass homosexuelle Handlungen einen Straftatbestand darstellten, und ein öffentlich geäußerter Verdacht einer Denunziation gleichgekommen wäre. Das konnte selbstverständlich nicht im Interesse beispielsweise Fåhraeus’ gelegen haben, der selbst ein Sammler Janssons war. Erst bei Zachau gewinnt das Beharren auf Janssons heterosexueller Männlichkeit an Vehemenz. Sie greift lieber auf nicht zu belegende Spekulationen über sein Privatleben, seine Wünsche und Gefühle zurück als seine Homosexualität anzuerkennen. Außer einer persönlichen Homophobie bietet sich eine grundsätzliche heteronormative Struktur der Kunstgeschichtsschreibung als Erklärung an. Während das Sexualleben eines heterosexuellen Künstlers für die Interpretation seines Werks irrelevant erscheint, scheint ein homosexueller Künstler, wenn überhaupt, dann nur als homosexueller Künstler kanonisiert werden zu können. Die bemer-

239 »Detta är för mig sinnebilden av manlig kraft när den är som bäst, konstruktiv och upplyst, detta är sinnebilden av Stockholms manliga aspekt«, Zachau (1997): Eugène Jansson, S. 145. 240 »Eugène Jansson hade alltid strävat efter att vara man i alla bemärkelser«, ebd., S. 238.

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kenswerte Zweiteilung von Janssons Werk ist Ursache für eine offenkundige Irritation der Rezipienten. Sie verhindert, dass Jansson als Landschaftsmaler oder aber als im Kontext von Urbanitäts- und Urbanisierungsdiskursen kanonisiert werden kann. Auffällig sind die Bestrebungen Janssons Akte und deren Bedeutung zu marginalisieren. So konstatiert Gunilla Grahn-Hinnfors hinsichtlich eines Katalogbeitrags: »Ulf Linde verlässt sehr bewusst die biografische Spur und er schert sich auch nicht um die späten Bilder, sie wären problematischer in seinen Deutungsrahmen einzufügen.«241 Es scheint befürchtet zu werden, dass bei einem homosexuellen Künstler Sexualität und Begehren, also Aspekte biografischer Art, alle anderen Gesichtspunkte verdecken, so dass keine objektive Analyse der künstlerischen Praxis mehr möglich sei.242 Dies verrät aber, dass mit einer vermeintlich objektiven kunsthistorischen Praxis immer auch Konstruktionen des heterosexuellen Künstlers sowie eines Genres wie der Landschaftsmalerei als neutral einhergehen.243 Der ǹKulturkampfǸ um Jansson und seine nackten Männer wird nach seinem Höhepunkt Ende der 90er Jahre sachte beigelegt, nicht zuletzt dank sachlicher und kundiger Intervention des Kunst- und Modewissenschaftlers und Kurators Patrik Steorn, der sich seit einigen Jahren um ein queering der schwedischen Kunstgeschichte und Kunstgeschichtsschreibung verdient gemacht hat.244 2012 erscheint dann eine Publikation, die eine Versöhnung der beiden Aspekte von Janssons Werk bereits im Titel markiert: Eugène Jansson. Blaue Dämmerung und nackte Athleten.245

241 »Ulf Linde väljer mycket medvetet bort det biografiska spåret och han struntar också i de sena målningarna, de skulle vara mer problematiska att infoga i hans tolkningsram«, Göteborgsposten, 5. Februar 1998. 242 Das gilt in der Geschichte der Kunst lange Zeit auch für die Künstlerschaft von Frauen. Vgl. z.B. Söntgen (1996): »Den Rahmen wechseln«. 243 Vgl. z.B. Steve Adams, Anna Gruetzner Robins (Hg.) (2000): Gendering Landscape Art. Manchester: Manchester University Press. 244 Patrik Steorn: »Eugène Jansson och den svenska konsthistoriens sexualitet«, Lambda Nordica 3, S. 61-71. 245 Söderlund u.a. (2012): Eugène Jansson. Blå skymning och nakna atleter.

4. Naturburschen: Badende bei J.A.G. Acke

Johan Axel Gustaf Andersson, der sich ab 1904 JAG oder J.A.G. Acke nannte, begann seine Karriere als Landschaftsmaler. Sein bevorzugtes Motiv war die Landschaft auf Inseln und am Meer. Aufgewachsen in Stockholm und an der dortigen Kunstakademie ausgebildet verbrachte er die für seine Kunst prägenden Jahre 1886 bis 1892 auf Åland. Dort schloss er sich der Künstlerkolonie Önningeby an, wo Freilichtmalerei betrieben wurde.1 Mit seiner Frau, der Künstlerin Eva Topelius (1855-1929), die er auf Åland kennengelernt hatte, lebte er nach 1892 abwechselnd in den finnischen und schwedischen Schären. 1901 ließen sie sich in Vaxholm in den Stockholmer Schären nieder, verbrachten die Sommer aber auf verschiedenen Inseln im so genannten äußeren Schärengarten. Zentral für den Kontext dieses Buchs ist Ackes Serie von Fotografien und Gemälden badender Jungen und Männer im und am Wasser, die ungefähr ab 1904 entsteht und die oft zu Ackes Variante von Marinemalerei gezählt wird. Jedoch beschäftigen ihn schon früher, im Zusammenhang mit dem kuriosen Bild Waldtempel (Skogstemplet; 1900), die Inszenierung von nackten Körpern in einer Landschaft sowie die Auseinandersetzung mit den körperlich-geschlechtlichen Bedingungen von Aktmalerei, wie sie später auch für die männlichen Badenden wichtig werden.

4.1. MÄNNLICHER UND WEIBLICHER AKT IM WALDTEMPEL Waldtempel zeigt einen nackten Mann und eine nackte Frau in einer düsteren Waldlandschaft. Der Mann, als Rückenfigur zu sehen, scheint nach der in Pose sitzenden Frau eine Skulptur zu modellieren. Der Akt ist hier also nicht nur

1

Vgl. Kjell Ekström: »Önningebykolonin. En bortglömd konstnärsgemenskap från landskapsmåleriets

guldålder«,

in:

Tidskriften

http://www.abo.fi/skargarden/2001-4/ekstrom.htm

Skärgård

24:4

(2001).

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Genre, sondern auch Thema des Bilds. Waldtempel gehört zu einer Phase von Ackes Werk, auf die die Zeitgenossen recht ratlos reagierten. In seiner Geschichte der schwedischen Kunst des 19. Jahrhunderts bezeichnet Georg Nordensvan 1928 den Inhalt des Bildes als »gelinde gesagt unklar«.2 Acke selbst schreibt 20 Jahre später, »das eigentliche Motiv des Bildes« sei »die feurige Spannung des Mannes vor seinem Werk« gewesen.3 Folgt man der rückwirkenden Interpretation des Künstlers, handelt es sich tatsächlich um eine Bearbeitung des Themas Akt mit besonderem Fokus auf das Verhältnis zwischen Künstler und Modell. Der Künstler wird dabei nicht als solcher, sondern als »Mann« benannt; Mann und Künstler fallen in eins. Bezieht sich nun die feurige Spannung auf das nackte weibliche Modell oder aber auf die nach ihr gefertigte Skulptur? Begehrt der Künstler im Bild sein Modell oder sein Kunstwerk? Waldtempel scheint Ackes bildliche Version des Pygmalion-Mythos zu sein: Bei Ovid, wohl der bekanntesten Bearbeitung des Stoffs, wird die aus Elfenbein geschnitzte Aktskulptur unter den liebkosenden Händen des zypriotischen Bildhauers Pygmalion zum Leben erweckt. Das Kunstwerk ist kein Artefakt mehr, sondern eine Schöpfung. Acke verweist hier auf die sinnliche und erotische Dimension des Akts. Im Vergleich mit anderen Darstellungen von Künstler und Modell, meist Porträts und Selbstporträts, ist es als bemerkenswert zu erachten, dass Acke neben dem Modell auch den männlichen Künstler nackt zeigt. Die feurige Spannung ist demnach nicht nur als Geisteszustand zu verstehen, sondern hat eine körperliche Dimension. Diese Dimension ist beim Akt implizit immer vorhanden, wird aber selten zum Bildthema.

2

»lindrigast sagt oklart«, Georg Nordensvan (1928): Svensk konst och svenska konstnärer i nittonde århundradet. II. Från Karl XV till sekelslutet. Stockholm: Bonniers, S. 441.

3

»tavlans egentliga motiv« sei »mannens eldiga spänning inför sitt verk«, J.A.G. Acke (1919): »Ingen vet vad en målare sliter«, in: Ders.: Osannolika historier. Stockholm: Bonniers, S. 65-68, hier: S. 66. In dieser Geschichte, Teil einer Sammlung autobiografischer Anekdoten, wird eine lustige und womöglich frei fantasierte, in ihrer ironischen Distanz zur Kunst aber interessante Erklärung dafür gegeben, weshalb die männliche Figur auf Waldtempel so angespannt erscheint. Demnach wird der Künstler auf dem Weg zum Atelier – einem Schuppen auf einer Wiese – von einem Stier verfolgt, der außen wartet und die Hütte immer wieder rammt. Der Malprozess, bei dem Acke sich selbst mit Hilfe eines Spiegels als Modell verwendet, ist deshalb immer wieder von Stierkampfszenen unterbrochen: »Der verdammte Stier hatte den Mann zur äußersten Anspannung getrieben« (»Den förbannade tjuren hade drivit honom till helspänn«), S. 66.

4. J.A.G. A CKE

| 169

Auf Waldtempel sind Künstler und Modell gleichermaßen Bildobjekte. Wird sonst über den Status von Be- und Entkleidung eine Hierarchie zwischen (männlichem) Künstler und (weiblichem) Modell hergestellt, geschieht dies hier lediglich über die Darstellung der Körper. Während der männliche Künstler als Rückenfigur gezeigt wird, der Körper in verkrampfter und dem Betrachter abgewandter Haltung, kniet das weibliche Modell dem Betrachter zugewandt im Vordergrund. Durch die helle Haut und das helle Haar wird die Figur aus dem Bildhintergrund herausgehoben. Sie hat die Augen geschlossen, neigt den Kopf nach hinten und hält das lange Haar mit den angewinkelten, vom Körper abgespreizten Armen nach hinten. Die Körperhaltung lädt den Blick des Betrachters ein, sich frei über den Oberkörper zu bewegen. Dem Betrachter wird die gleiche Perspektive eingeräumt wie dem Künstler, wenn er nicht gar bevorzugt wird. Der Betrachter kann somit die »feurige Spannung« der Künstlerfigur nachvollziehen und nacherleben und geht eine Koalition mit dem Künstler ein, der sowohl auf dem Bild als auch in Ackes Beschreibung eindeutig als männlich festgelegt wird. Ein male gaze, ein männlicher Blick, auf die als Modell, Skulptur, Motiv und – nimmt man den Verweis auf Pygmalion ernst – Geliebte vervielfältigte weibliche Figur wird etabliert. Der Blick richtet sich aber auch auf den entblößten Künstler in unbequemer Haltung, dessen souveräne Herrschaft über die Szene in Frage gestellt wird.

4.2. B ADENDE

IM

T AGESLICHT

Einige Jahre später beschäftigt sich Acke wieder mit dem Akt. Der Tempel, in dem dem nackten Körper und dem Kunstschaffen gehuldigt wird, ist diesmal keine düstere Lichtung im Wald, sondern das Meer in vollem Tageslicht. Neben dem Akt greift Acke damit auch auf die frühere Beschäftigung mit dem Leben am Meer und auf Inseln zurück und er beginnt die Kombination aus Akt und Marinemalerei zu entwickeln, die seither als charakteristisch für den Künstler gewertet wird. Erstes Modell für die neuen Akte in der freien Natur ist Fausto, Ackes italienischer Adoptivsohn, den Acke und seine Frau 1903 bei sich aufnehmen. Dieses Ereignis wird als Beginn einer neuen künstlerischen Phase und damit als künstlerischer Durchbruch gewertet. So schreibt der Galerist und Sammler Claes Moser auf der Website des von ihm initiierten J.A.G. AckeMuseums in Önningeby auf Åland über das Jahr 1904: »Freiluftvitalismus und

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koloristischer Durchbruch mit Fausto als Modell in den Schären«.4 Moser spielt dabei auf die ersten Bilder dieser neuen Phase an, Fausto am Meer (Fausto i havsbandet) (Abb. 14) und Fausto nudo (Abb. 18, S. 198) von 1904.

Abb. 14: J.A.G. Acke: Fausto am Meer (1904)

Der Kunstkritiker Erik Blomberg vertritt in seinem Bericht von der Gedächtnisausstellung kurz nach Ackes Tod die Meinung, Acke habe erst mit der Marinemalerei, zu der er bei Acke neben Bildern von Meer und Booten auch die Akte am Meer zählt, zu sich selbst gefunden.5 Auch der Kunsthistoriker Erland Lagerlöf konstatiert mit den »Schilderungen aus den Stockholmer Schären« eine »außergewöhnlich durchgreifende Veränderung« von Ackes Werk, die er als »Veränderung hin zu Klarheit und Stärke« bezeichnet und die sich ihm zufolge neben dem neuen Motiv auch auf Farbe, Technik, Pinselduktus und damit Struktur der Bilder bezieht.6 Dass Ackes maritime Bilder lange ihre Aktualität wahren

4

»Friluftsvitalism och koloristiskt genombrott med Fausto som modell i skärgården«,

5

»Riktigt sig själv blir Acke först med marinerna«. Erik Blomberg: »J.A.G. Acke.

http://www.jagackemuseum.se/?q=content/biografi Minnesutställningen öppnades i går i Konstakademien«, Stockholms-Tidningen, 25. September 1925. 6

»Det är en utomordentligt genomgripande förändring Ackes konst nu genomgår. Att det är en förändring till klarhet och styrka förstår man om man tar en överblick över

4. J.A.G. A CKE

| 171

und als Hauptwerke Ackes gelten können, betont auch der Schriftsteller und Kunsthistoriker Karl Asplund. In Bezug auf frühere Bilder wie Waldtempel schreibt er: »Die zeitbezogene Romantik und der Symbolismus altern vielleicht schnell. Ackes Meeresbilder, stark und frisch von Sommer und Salzluft inspiriert, haben bessere Bedingungen, jung zu bleiben.«7

4.3. LEBEN IN DEN SCHÄREN – »NATÜRLICHE NACKTHEIT« Einheit von Künstler, Kunst und Natur Alle Rezipienten Ackes sind sich in der Erklärung dafür einig, weshalb die Bilder vom Meer im Vergleich zu seinem restlichen Werk am überzeugendsten wirken: Acke male hier seine natürliche Umgebung, wodurch Künstler, seine Kunst und die Natur eins werden. Im Erinnerungsbuch über Acke von 1960 heißt es: »Sein gesundes Leben in den Schären zwischen Klippen und Felseninseln führte nicht nur ihn selbst, sondern auch seine Kunst mit der Natur zusammen«.8 Gerd Rissler bestätigt in derselben Publikation diese Beobachtung: Dies waren Ackes Schären. Was sie für ihn als Menschen und Künstler bedeuteten, kann nicht überschätzt werden. [...] Zu sagen, dass Acke und die Schären kongenial waren, kann an den Haaren herbeigezogen wirken, aber ich glaube nicht, dass es eine Übertreibung ist. Das ständig Wechselnde, Übermütige, das Signum der Schären, ist auch das Ackes, das Glitzernde und Frische, aber auch Unruhige und Launische.9

de närmaste årens målningar. Det är inte bara färgen som har förändrats, själva målningstekniken har blivit en annan. De väl synliga penseldragen är snabba och korta, inte som ofta tidigare, polerat utslätade; målningarna har fått en helt ny struktur. Motiviskt sett får nu skildringarna från Stockholms skärgård en allt mer framträdande plats i Ackes konst«. Erland Lagerlöf: »Målaren J.A.G. Acke«, Studiekamraten 44:3 (1962), S. 41-46, hier: S. 43. 7

»Denna tidsbetonade romantik och symbolism åldras kanske lätt. Ackes havsmålningar, starkt och friskt inspirerade av sommar och saltluft har större betingelser för att förbli unga«. Karl Asplund (1960): »J.A.G. Acke – ett hundraårsminne«, in: Hammargren: J.A.G. Acke, S. 12.

8

Ragnar Josephson (1960): »Acke i John Josephsons Konstsamling«, in: Hammargren: J.A.G. Acke, S. 179-181, hier: S. 179: »Hans friska liv i skärgården bland kobbar och skär förde inte blott honom själv, men även hans konst samman med naturen«.

9

Gerd Rissler (1960): »Acke och skärgården«, in: Hammargren: J.A.G. Acke, S. 106113, hier: S. 106: »Den skärgården var Ackes. Vad den betytt för honom som

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Welchen Einfluss die Umgebung sogar auf Ackes künstlerische Mittel gehabt haben soll, fasst Erland Lagerlöf zusammen: »Acke hatte einen für ihn natürlichen Motivkreis gefunden, wodurch er auch mit seinem Ausdrucksmittel, seiner Form und vor allem seiner Farbe, zurecht kam.«10 Auffällig an den zitierten Passagen ist ein Konsens hinsichtlich der Identifizierung von historischer Person und Künstler. Kausale Zusammenhänge zwischen dem Leben des Künstlers und seiner Kunst zu erläutern ist zu Ackes Lebenszeit und in der Kunstgeschichtsschreibung noch viele Jahrzehnte später üblich, was sich im gängigen Genre der Leben-und-Kunst-Monographien und artikel niederschlägt. Es ist darüber hinaus bemerkenswert, dass nahezu alle Rezipienten einer emotionalen und identifikatorischen Verbindung zu Acke und seiner Kunst Ausdruck verleihen. Dieser affektive Zugang spiegelt sich auch in den bevorzugten Publikationsformen: Es gibt ein von Weggefährten verfasstes Erinnerungsbuch, aber keine im engeren Sinne akademische Abhandlung. Die totale Identifizierung von historischer Person und Künstler in Ackes Fall übersteigt das übliche Maß, indem sogar Form und Farbe der Bilder auf die Lebensumstände des Malers zurückgeführt werden. Das verbindende Glied zwischen Künstler, Bildern und künstlerischen Mitteln ist den Rezipienten zufolge die Natur. Die Natur tritt hier im Sinne eines konkreten Ortes – der Schären – auf, aber auch im Sinne von Natürlichkeit, einer scheinbar direkt an Natur geknüpfte Eigenschaft. Die Schären erscheinen als Ort, der Ackes Künstlerschaft erst ermöglicht. Die Produkte der Künstlerschaft seien »natürliche« Resultate der Verbindung des Künstlers mit dem Ort. Dabei scheint letztere Verbindung substanzieller zu sein als die Kunst selbst. Den Rezipienten zufolge verhält es sich bei Acke anders als bei Künstlern, die zuerst Künstler sind und sich dann auf der Suche nach Motiven und Inspiration einem Ort zuwenden. Bei Acke kommt, so lassen sich die Aussagen zusammenfassen, der Ort zuerst; die Kunst ist ein Nebenprodukt anderer ortsbezogener Beschäftigungen und Zerstreuungen. Das Glück, das er auf Grund der behaupteten Charakterähnlichkeit in den Schären erfährt, ist demnach nicht bloß

människa och konstnär kan inte överskattas. [...] Att säga att Acke och skärgården är kongeniala, kan verka sökt men jag tror inte att det är överord. Det ständigt skiftande, överdådiga, som är skärgårdens signum, är också Ackes, det glittrande och friska men också oroliga och nyckfulla.« 10 Erland Lagerlöf (1979): »J.A.G. Acke 1859-1924«, in: Bo Lindwall (Hg.): J.A.G. Acke 1859-1924. Stockholm: Prins Eugens Waldemarsudde, S. 2-41, hier: S. 10: »Acke hade funnit en för honom naturlig motivkrets och därmed kom han också tillrätta med sitt uttrycksmedel, sin form och framför allt sin färg«.

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Inspiration zu einem neuen Motiv, sondern löst die Schöpferkraft erst aus. Der Künstler trägt zu der Interpretation bei, der zufolge er in erster Linie Naturmensch und erst in zweiter Linie Künstler sei, indem er aus seinen Prioritäten keinen Hehl macht. In einem Brief an seine Frau Eva und den Adoptivsohn Fausto schreibt er 1910: »Die Segelfahrt ist vorüber, jetzt ist das Malen an der Reihe, dann komme ich fröhlich und gesund zu euch, sobald ich kann.«11 Laut Erland Lagerlöf waren »Lebensbejahung und Liebe zur Natur [...] zwei der stärksten Pole in seinem Dasein.«12 Im Folgenden möchte ich der These nachgehen, dass die behauptete Nähe Ackes zur Natur eine Naturalisierung seiner männlichen Akte zur Folge hat oder sogar anstrebt. Diese Naturalisierung bezieht sich auf die mit den Schären verbundene Freiluft- und Freizeitkultur sowie auf den Aspekt von Gesundheit, die ich in den nächsten Abschnitten erläutern werde. In den darauf folgenden Abschnitten werde ich Ausschlüsse und Normierungen aufzeigen, die mit der Naturalisierung von Ackes Akten einhergehen. Dabei werde ich besonders Fragen nach Sexualität, Heteronormativität und der Rolle von Hautfarbe, Geschlecht, Alter und sozialer Herkunft der Figuren auf Ackes Akten in den Blick nehmen. Acke als Naturbursche Ein zentraler Aspekt im Prozess, der dazu führt, dass Ackes Akte als uneingeschränkt natürlich und anständig wahrgenommen worden sind, ist in deren Zusammenhang mit der Freiluftkultur in den Schären und immer wieder aufgerufenen Verhältnis des Künstlers zu Wasser und frischer Luft zu suchen. Laut dem Kritiker und Kunstsammler Klas Fåhraeus mochte Acke keine Kartenspiele und keine Salons: »Er zog das Leben an der frischen Luft mit Kameraden und Sportsmännern vor«.13 Einige Rezipienten scheinen geradezu erleichtert über den Bruch im Werk Ackes, das nun besser zu seiner Person zu passen scheint, und versichern sich mit der rhetorischen Wendung »gewiss« der Zustimmung aller Leser und Leserinnen: Gewiss hatten sich einige seiner früheren Gemälde einen mystischen symbolischen Inhalt vorgenommen [...] aber der überwiegende Eindruck, den man vom Menschen Acke be-

11 »Seglatsen är gjord, nu är det målningens tur, sen kommer jag glad och frisk till er så snart jag kan.« J.A.G. Acke an Eva und Fausto Acke am 22. Juni 1919. 12 »Livsbejakelse och naturälskan var två av de starkaste polerna i hans tillvaro.« Lagerlöf (1979): »J.A.G. Acke 1859-1924«, S. 4. 13 »Han föredrog friluftsliv med kamrater och sportsmän«, Klas Fåhraeus (1925): »J.A.G. Acke«. Sonderdruck aus Ord&Bild, S. 147-158, hier: S. 158.

174 | B ADENDE MÄNNER kam, war doch der des extrovertierten Lebensbejahers mit dem munteren Gemüt eines Jungen und der Liebe zu Natur und Leben an der frischen Luft.14

Ähnlich äußert sich Erland Lagerlöf: »gewiss dominieren Sonne und Freude seine Gemälde«.15 Im Vorwort zum Katalog einer Ackeretrospektive 1925 stellt Karl Asplund Ackes Akte in unmittelbaren Zusammenhang mit seinem Lebensstil: Seine Gemälde vom Meer und den Schären, wo er im Sommer als tüchtiger Seemann auf seiner Yawl segelte oder in Gesellschaft mit fröhlichen und urlaubenden Schriftstellern das ausgelassenste Versalphabet dichtete oder das schwimmende ›Smörgåsbord‹ erfand, sind lyrische Improvisationen über Luft und Wellen und gesunde nackte Menschen.16

Das Segeln kehrt in Erzählungen über Acke ständig wieder, und dem Segeln entlehnte Metaphern werden verwendet, um sowohl Acke als auch seine Arbeit und seine Bilder zu beschreiben. So schreibt wiederum Karl Asplund in seinem Nachruf in Svenska Dagbladet: »Wie launenhaft er auch über die getrennten Meere der Kunstarten gekreuzt ist, wie übermütig schnell er auch über Stag gegangen ist und neue Kurse eingeschlagen hat, nie hatte er eine abendliche Windstille um sein Fahrzeug, sondern ständig frischen wechselnden Wind«. Von Segelmetaphern geht Asplund im selben Text in eine Metaphorik des Wetters über. Ackes schöpferisches Universum beschreibt er als »blaue flirrende Sommerluft mit segelnden fantastischen und sorglosen Ideenwolken und schnell umschla-

14 »Visserligen hade ju en hel del av hans tidigare målningar företett ett mystiskt symboliskt innehåll [...] men det övervägande itryck, man fick av människan Acke, var ju den utåtriktade livsbejakaren med det muntra gosselynnet och den intensiva kärleken till natur och friluftsliv«, Einar Westerberg (1960): »Ackes död«, in: Hammargren: J.A.G. Acke, S. 182-186, hier: S. 185. 15 »visst är det solen och glädjen som dominerar hans målningar«, Lagerlöf (1979): »J.A.G. Acke 1859-1924«, S. 6. 16 »Hans målningar från havet och skärgården, där han som duktig sjöman seglade sin yawl om sommaren eller i sällskap med glada och sommarlediga pennans män diktade det uppsluppnaste versalfabet eller uppfann det flytande smörgåsbordet, äro lyriska improvisationer om luft och vågor och friska nakna människor«, Karl Asplund (1925): »Förord«, in: Ders. (Hg.): Minnesutställning över J.A.G. Acke. Stockholm: Kungliga Akademien för de fria konsterna, S. VII.

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genden Impulswinden«.17 Im Nachruf in Aftonbladet ist von Acke als einer »frischen Brise« in seiner Zeit und seiner Umgebung die Rede.18 In einem dritten Nachruf werden ebenfalls Assoziationen aufgerufen, die weit über die Visualität von Ackes Kunst hinausgehen: »seine Liebe zum Meer führte ihn zur erfolgreichen Arbeit mit der Marinemalerei, wobei seine Farbe zu klingenden Harmonien von gischtbespritztem Licht getrieben wurde, und seine wogende, saugende Linienführung ihren stärksten Ausdruck gewann«.19 Abb. 15: J.A.G. Acke: Meereslauscher (1909)

Wasser und Luft werden als Ackes Elemente beschrieben.20 Nicht nur ihre visuelle Qualität, sondern auch die damit verbundenen Geräusche, Gerüche und Gefühle spielen den Rezipienten zufolge eine große Rolle im Verständnis von Ackes Kunst. Die Argumentation wird von dem Titel eines Akts, Meereslau-

17 »Hur nyckfullt han kryssat över konstarternas skilda hav, hur övermodigt snabbt han gått över stag och tagit nya kurser, aldrig har han haft kvällsbleket kring sin farkost, utan ständigt friskt växlande vind. [...] blå tindrande sommarluft med seglande fantastiska och sorglösa idémoln och hastigt kantrande impulsvindar«, Karl Asplund: »J.A.G. Acke död«, Svenska Dagbladet, 6. September 1924. 18 »Han var överraskningarnas, infallens, improvisationens man, som verkade som en frisk fläkt i sin tid och sin omgivning«, Gotthard Johansson: »J.A.G. Acke död«, Aftonbladet, 6. September 1924. 19 »J.A.G. Acke död«, Nya Dagligt Allehanda, 6. September 1924. 20 Vgl. Karl Asplund (1960): »J.A.G. Acke – ett hundraårsminne«, in: Hammargren: J.A.G. Acke, S. 9-15, hier: S. 10 (Nachdruck aus Svenska Dagbladet zum 100. Geburtstag Ackes, 5. April 1959).

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scher (Havslyssnaren; Abb. 15), bestätigt, der auf ein synästhetisches Naturerlebnis anspielt. Oft wird Ackes Vertrautheit mit dem Wasser betont, die vom Inselleben und Segeln herrühre.21 Seine Darstellung des Meers beruhe deshalb nicht auf der Umsetzung des Gesehenen, sondern auf eigenem Erleben: Mit den Meerbildern hat es etwas Spezielles auf sich, das man kaum anders ausdrücken kann, als dass Acke derjenige schwedische Künstler ist, der besser als jeder andere das Meer nicht nur gemalt, sondern die Launen des Meers verstanden und sich daran erfreut hat. Sein Meer ist nicht von außen betrachtet, von einem festen Punkt an Land, mit einem kalten und beobachtendem Blick, sondern sozusagen von mittendrin; das ist ein Stück echter Seemannsfreude.22

Aus Ackes Vertrautheit mit dem Wasser leiten die Rezipienten eine Naturtreue in seiner Darstellung ab. Im Zusammenhang mit einer Ausstellung in Göteborg schreibt ein Rezensent: Vom Meer holt Acke seine in künstlerischer Hinsicht besten Motive. Auf der einen Längsseite der Ausstellung sehen wir eine Reihe ebensolcher, alle durch Saft und Kraft ausgezeichnet, die den Betrachter durch ihre einfache ungekünstelte Darstellungsweise unfreiwillig frappieren. Es ist nicht zu verkennen, dass der Künstler diese schäumenden und weißgefleckten Wellen wirklich gesehen und naturgetreu abgebildet hat.23

21 Mit einer Anspielung auf Ackes Alkoholkonsum formuliert Karl Asplund: »Acke war wohl auch tief mit dem Wasser vertraut, nicht das, das er manches Mal mit edleren Getränken mischte, sondern die Ostsee« (»Men nog var Acke också djupt förtrogen med vattnet, inte det som han någon gång blandade med ädlare drycker utan Östersjön«). Ebd. 22 »Det är något säreget med desa hafstaflor, som man har svårt att uttrycka på annat sätt än att Acke är den svenske konstnär som bättre än någon annan, icke målat hafvet, men förstått och och gladt sig åt hafvets lynnen. Hans haf är icke sedt utifrån, från en fast punkt på landbacken, med en kall och iakttagande blick, utan sedt mitt i det så att säga; det är ett stycke genuin sjömansglädje [...]«, August Brunius in Svenska Dagbladet, 30. April 1911 im Zusammenhang mit einer Ausstellung des Künstlerverbands in Göteborg. 23 »Det är också från hafvet, som Acke nu hämtar sina i konstnärligt hänseende bästa motiv. Å ena långväggen på utställningen se vi en rad dylika, alla utmärkta för en must och kraft, som ofrivilligt frapperar åskådaren genom sitt enkla okonstlade framställingssätt. Man kan icke misstaga sig på, att konstnären i verkligheten sett och naturtroget återgifvit dessa fräsande och hvitlappade vågor«, »Ackes tafvelutställning

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Die Betonung der Wirklichkeitstreue ist insofern bemerkenswert, als gerade in dieser Hinsicht an Acke stets Kritik geübt worden war. Nun, da er mit den Motiven vom Meer zu seinem ›natürlichen Motivkreis‹ gelangt war, um oben genanntes Zitat noch einmal aufzugreifen, wird anerkannt, dass er auch diesen Aspekt in den Griff bekommen habe. In den Rezensionen wird eine kollektive Erfahrung von Meer, Schären und dem Segeln aufgerufen, die es den Rezensenten möglich zu machen scheint, den Realitätsgehalt zu beurteilen. Die Naturtreue bezieht sich dabei nicht nur auf die oben genannten Wellen, sondern Asplund zufolge auch auf Bilder wie Morgenluft (Morgonluft; 1911) (Abb. 26, S. 233): Ein blau verschleierter Sommermorgen mit flimmerndem Licht über dem Wasser; die Yawl beginnt spielerisch zu schlingern, und ein Junge hängt in den Wanten und streckt sich jubelnd nach dem schönen neuen Tag aus. [...] Man hat kritisch gefragt, ob das Bild »absolut naturtreu« sei – das ist es, denn so sorglos schön kann das Leben an einem Sommermorgen in den Schären schimmern.24

Wieder geht die Besprechung von Ackes Kunst über den visuellen Aspekt hinaus. Naturtreue bezieht sich demnach nicht nur auf die mimetische Abbildung von Natur, sondern auf die Vermittlung von körperlicher Erfahrung, die Acke besonders gut gelinge. In dieser Bedeutung ist die behauptete Naturtreue und die damit einhergehende Gegenüberstellung der Begriffe Natur und Kultur/Kunst im Bezug auf die Badenden besonders relevant. So schreibt Asplund in Svenska Dagbladet über Ackes Selbstporträt auf Torsvi (Självporträtt på Torsvi; 1918), das den Künstler in eine At Bademantel mit Kapuze eingewickelt zeigt, es stelle den Künstler zwar in einer konventionellen Pose dar, sei »aber nicht gekünstelt, denn die Pose war wohl in gewisser Hinsicht die Natur des Künstlers«.25 Die Natur und damit Natürlichkeit des Künstlers wird betont und gleichzeitig die Kunst abgewertet, indem sie in Form des pejorativen Begriffs Künstlichkeit zu Natur in Opposition gesetzt wird. Die Natur scheint das Medium des Künstlers also nicht

på Valand«. wahrscheinlich Mai 1915. Undatiert und ohne Angabe des Erscheinungsorts, Archiv der Kunsthalle Liljevalchs, Stockholm. 24 »En blå beslöjad sommarmorgon med kvillrande ljus över vattnet; yawlen börjar kränga lekfullt och en gosse hänger i vantet och sträcker sig jublande mot den sköna nya dagen [...] Man har kritiskt undrat om målningen är »absolut natursann« - det är den, ty så sorglöst skönt kan livet skimra en sommarmorgon i skärgården«, Svenska Dagbladet, 6. September 1924. 25 »men icke konstlad, ty posen var nog i viss mån konstnärens natur«, Svenska Dagbladet, 6. September 1924.

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nur zu beeinflussen, sondern gar zu überwinden. Das gilt, wie ich zeigen werde, in besonderem Maße für die Badenden, für Ackes Akte. Drei Männer auf einer Klippe Östrasalt (Abb. 16) wird gemeinhin als ein Hauptwerk unter Ackes Meerbildern angesehen,26 da es das emotionale und gewissermaßen auf einer Wesensgleichheit beruhende Verhältnis des Künstlers zur Natur reflektiere: Im Sommer 1905 begann Acke draußen auf Ornö mit einem Bild, das eines seiner intensivsten und verliebtesten Bilder aus den Schären werden sollte, nämlich Östrasalt. Man kann sagen, dass es Ackes Sicht auf die Natur zusammenfasst: die salzige Luft am Meer, die Frische des Windes und der Mensch, der die Natur mit allen Sinnen erlebt.27

Ähnlich äußert sich Birger Baeckström in einem Artikel aus Anlass des 60. Geburtstag des Künstlers 1919: Eine salzige und frische Brise wirbelt die kornblauen Wellen auf, vor denen die nackten Figuren in einem gelben Ton wie vergoldete Statuen stehen. Etwas im flinken und lebhaften Faktor des Wassers muss Acke wohl besonders gelockt haben, aber sicher hat er auch Gefallen am Wind selbst und an seiner Würze gefunden.28

An beiden Zitaten ist bemerkenswert, dass sie sich mit Begriffen wie »verliebt«, »locken« und »Gefallen« Metaphern um romantische Liebe und Begierde bedienen, sich dabei allerdings lediglich auf die Darstellung der Landschaft beziehen

26 Vgl. Erik Blomberg: »J.A.G. Acke. Minnesutställningen öppnades i går i Konstakademien«, Stockholms-Tidningen, 20. September 1925: »›Östrasalt‹, das Bild aus dem Göteborger Museum mit den drei nackten Männern in der Brandung, ist das Hauptwerk der Gruppe« (»›Östrasalt‹, Göteborgs museums målning med de tre nakna männen i bränningarna, är huvudverket i denna grupp«). 27 »Sommaren 1905 påbörjade Acke ute på Ornö en målning, som skulle bli en av hans mest intensiva och förälskade bilder från skärgården, nämligen ›Östrasalt‹. Den kan sägas sammanfatta Ackes natursyn: havets sälta, vindens friskhet och människan som upplever naturen med alla sinnen«, Lagerlöf (1979): »J.A.G. Acke 1859-1924«, S. 12. 28 »Men det är i alla fall en salt och frisk blåst som rör om i hans kornblåa böljor, mot hvilka de nakna figurerna står i en guld ton som förgylda statyer. Det är väl något i vattnets kvicka och lifliga faktor som särskildt lockat Acke, men säkert har han också funnit behag i själfva blåsten och sältan«, Birger Baeckström (1919): »J.A.G. Acke«, Hvar 8 Dag 30, S. 466 und 478.

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und das eigentliche Motiv, die drei nackten männlichen Figuren, ausklammern. In Lagerlöfs Katalogtext wird der Mensch zur Natur in Beziehung gesetzt, wobei die Körper selbst keine Erwähnung finden. In dieser Lesart, die eine Einheit von Mensch und Natur betont, überwindet die Natur wiederum den Akt, die künstlerische Gestaltung des Körpers. In Baeckströms Acke-Huldigung wird explizit eine Opposition von Kunst und Natur etabliert und durch die Gegenüberstellung von lebendiger Natur und unbelebter, da metallischer Kunst, noch verstärkt. Der Kritiker gesteht Acke kein Interesse am Körper zu. Die Figuren erscheinen in dieser Darstellung nur als Staffage, während das eigentliche Thema und Interesse die Landschaftsmalerei betreffe – eine Verschiebung gegenüber großen Teilen der Aktmalerei und Badende-Tradition, wo Landschaft oder Interieur lediglich die Bühne bereiten für das eigentliche Spektakel des nackten Körpers. Abb. 16: J.A.G. Acke: Östrasalt (1906)

Der Titel des Bilds, eine Wortneuschöpfung oder ein Wortspiel mit »Östersjö« (Ostsee) und »sälta« (Würze oder Salzigkeit, auf Meeresluft bezogen), legt einen Fokus auf die Besonderheit und das Erleben der geschilderten Landschaft nahe. Auf dem Bild selbst stehen die drei nackten männlichen Figuren klar im Zentrum, strukturieren sie doch die Bildkomposition. Das dunkelblaue Meer füllt die Bildfläche bis auf einen schmalen hellblauen Himmelsstreifen und eine angedeutete Landfläche am Horizont aus. Die Horizontlinie als horizontal strukturierendes Element kehrt im unteren Bilddrittel in Form knapp über die Wasseroberfläche ragender Felsen wieder. Auf diesen stehen, von links nach rechts etwas nach hinten versetzt, die drei Figuren in aufrechter Haltung. Ihre Köpfe schließen fast genau mit der Horizontlinie ab, so dass aus den vertikal ausgerichteten Körpern

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und den horizontalen Linien eine Gitterstruktur entsteht, die nur durch die Dynamik der Wellen aufgelockert wird, die Strudel bildend die Felsen umspülen. Die Körper werden von der links oben zu vermutenden Sonne stark beschienen und vom Wasser reflektiert. Die exponiertesten Körperteile leuchten gelb bis orange und weiß und sind blau konturiert. Durch die gegenseitige Reflexion von Körpern und Wasser wird eine Beziehung zwischen beiden hergestellt, die durch den Komplementärkontrast jedoch spannungsvoll aufgeladen wird. Beide oben zitierten Deutungen sind berechtigt: Auf der Ebene der bildnerischen Gestaltung werden sowohl eine Einheit von menschlichem Körper und Natur als auch ihre Distanz nahegelegt. Die Figur links steht mit dem Rücken zum Betrachter, das sonnengebräunte Gesicht ist im Profil mit nach rechts gewandtem Kopf zu sehen. Die rechte Hand fasst hinter dem Rücken das linke Handgelenk. Die beiden Arme und damit die Schulterblätter werden nach unten gezogen, so dass die angespannte Rückenund Nackenmuskulatur deutlich zu sehen ist. Auch die Gesäß- und Beinmuskeln scheinen angespannt, Beine und Fersen aneinander gepresst. Es entsteht der Eindruck, die Anspannung sei nötig, um den Körper in kühlem Wind und auf der wellenüberspülten Klippe in Balance zu halten. Auf dem nächsten Felsen steht eine weitere Figur, deren Körper dem Betrachter frontal zugewandt ist. Die Arme sind ebenfalls hinter dem Rücken verschränkt, das Gesicht wie auch bei der ersten Figur zum rechten Bildrand gedreht. Die Figur steht im Kontrapost und scheint sich mit dem rechten Spielbein auf der kleinen, rutschig wirkenden Standfläche auszubalancieren. Die Figur ganz rechts weist eine ähnliche Körperhaltung auf. Die Beine sind noch etwas weiter gespreizt, damit bei der Drehung des Oberkörpers zum rechten Bildrand hin ein Abgleiten verhindert wird. Auch die dritte Figur schaut nach rechts, wobei die Blickrichtung vom rechten Arm betont wird, der quer über dem Oberkörper liegt. Der linke an der Körperseite liegende Arm verstärkt den Eindruck, der Körper solle notdürftig vor dem Wind geschützt werden. Die Figuren ähneln sich in ihrem Körperbau, nur die Figur rechts ist durch ihren Bart individualisiert. Acke montiert für Östrasalt drei Figuren, deren Posen er, wie ich in weiter unten ausführlich darlegen werde, auch fotografisch erprobt (Abb. 24 und 25, S. 229). Jede Figur wird auf ihrer eigenen Klippe platziert. Alle Figuren blicken in dieselbe Richtung. Es wird aber keine Blickbeziehung zwischen ihnen etabliert, sondern geradezu vermieden: die Figuren wenden sich den Rücken zu. Auch die Körper beziehen sich, abgesehen von der ähnlichen Körperhaltung der beiden rechten Figuren, nicht aufeinander. Die Figur rechts wendet sich durch die Drehung des Oberkörpers und die Haltung des rechten Arms von den beiden anderen ab. Die Figur links scheint mit den hinter dem Rücken verschränkten

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Händen ihren Körper in eine andere Richtung zu ziehen. Die Arme der Figur in der Mitte sind gar nicht zu sehen. Auch hier wird der gestische Bezug auf die anderen Figuren vermieden. Die Figuren wirken auf ihren einzelnen Felsen, die sich nicht zu einer Klippe verbinden, wie Zaunpfähle aufgereiht. Sie sind nicht als Gruppe konstitutiert. Es wird der Eindruck vermittelt, als sei das Naturerlebnis ein individuelles, als sei jede einzelne Figur den Naturelementen ausgesetzt. Es ist nicht zu erkennen, ob die Figuren ihre Augen geöffnet haben. Die Münder sind deutlich sichtbar geschlossen. Die Figuren kommunizieren weder untereinander noch mit dem Betrachter, von dem sie teilweise die Körper, in jedem Fall aber die Gesichter abwenden. Der tosende Wind, so könnte man folgern, zwingt die Figuren dazu, sich auf die Balance der Körper und auf die haptische und audiovisuelle Erfahrung, die hier keine kollektive oder soziale ist, zu konzentrieren. Die Figur in der Mitte ist die einzige, die ihren Körper zu präsentieren scheint, indem die Brust nach vorn und die linke Hüfte zur Seite gedrückt werden. Dennoch scheint es hier nicht um einen Blick auf einen Körper zu gehen. Dieser ist im Bild nicht angelegt und wird sogar vermieden. Betrachter nehmen die Körper nicht als Objekte des Blicks wahr, sondern werden eher dazu ermuntert, sich mit den Figuren zu identifizieren und ihr sinnliches Erlebnis nachzuvollziehen. Das Bild scheint zu vermitteln, dass Sinnlichkeit kein von den Körpern ausgehender visueller Reiz sei, sondern das körperliche Naturerlebnis, das hier visuell umgesetzt werde. So wurde das Bild offenkundig auch von den oben zitierten Rezipienten verstanden, in deren Formulierungen eine Metaphorik des Begehrens, wenn nicht von Körperlichkeit, dann in jedem Fall von Sexualität abgekoppelt ist. Die Integration der nackten Körper in den Fokus auf Landschaft oder Natur kann als Naturalisierungsprozess beschrieben werden, mit dem eine Asexualisierung der dargestellten nackten Körper einhergeht. Natürlichkeit und Naturalisierung Im Narrativ über Ackes männliche Akte, an dem er selbst und seine Rezipienten mitschreiben, hat der Begriff der Naturalisierung zwei miteinander verschränkte Bedeutungen. Einerseits kann damit die Einbettung der Körper in die allen Aussagen zufolge bedeutendere Darstellung der Landschaft beschrieben werden. Andererseits bezieht sich Naturalisierung hier auf eine Neutralisierung und auch Normalisierung der nackten Körper, die zu Folge haben, dass ihre Nacktheit nicht als bemerkenswert wahrgenommen wird. Das gilt gleichermaßen für die Entstehungszeit und bis in die gegenwärtige Rezeption. Bis heute werden die Bilder nicht als Akte bezeichnet, sondern beispielsweise im Katalog zur Ausstellung Schönheit für alle im Berliner Bröhan-Museum 2005 unter der Rubrik

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»Landschaftsmalerei – Melancholie und Traum des Nordens« geführt.29 Die Naturalisierung von Ackes Akten hat meines Erachtens auch dazu geführt, dass sie im Gegensatz zu Munchs und Janssons Badenden nie zensiert oder skandalisiert wurden, im Gegensatz zu Jansson die Sexualität des Künstlers nie zur Debatte stand und im Hinblick auf seine Kunst nie als diskussionswürdig erschien. Nie ist gefragt worden, weshalb die Körper nackt sind oder weshalb sie so aussehen, wie sie aussehen. Zusätzlich zu den bereits genannten tragen einige Elemente im Narrativ über den Künstler grundlegend zur Naturalisierung und Asexualisierung der Akte bei: Ackes Charakterisierung als kindlich und naiv sowie der immer wieder genannte Aspekt des Spiels haben zur Folge, dass der Künstler als authentisch wahrgenommen und gleichzeitig die Kontrolle über sein Medium infrage gestellt wird. Bei Klas Fåhraeus wird Acke 1925 wie folgt charakterisiert: Mit einem intimen Kontakt zur Natur und einem offenen Sinn für alles Menschliche war Acke auf eine naive Weise ein guter Mensch. Seine Güte war nicht auf Prinzipien gegründet, er hatte keinen Anspruch darauf, ein Muster an Tugendhaftigkeit zu sein, er war gut aus dem Impuls einer sonnenhellen und kindlich frommen Psyche heraus.30

Erland Lagerlöf bemerkt in Bezug auf Morgenluft (Abb. 26, S. 233), in dem Bild vereinige sich »das, was er mit seiner Kunst wollte, das Spielerische, die Freude, die Kraft«.31 Die Betonung von »Impulsen« und von einem »offenen Sinn« lässt deutlich werden, dass die Kritiker Ackes Kunst nicht als Resultat harter Arbeit oder rationaler Erwägungen wahrnehmen, sondern als Ergebnis persönlicher Eigenschaften, der Umgebung und »natürlicher« Prozesse, die als »Instinkt« beschrieben werden können: »Tief in seinem Wesen trat deutlicher als bei anderen der instinktive Naturmensch zutage.«32 Tor Hedberg äußert sich in einem Nachruf ähnlich, wenn er schreibt, Acke habe seiner Farbe »eine Frische, ein Unbe-

29 Vgl. Becker (2005): Schönheit für alle. 30 »Med en intim kontakt med naturen och ett öppet sinne för allting mänskligt var Acke naivt god. Hans godhet var icke byggd på principer, han gjorde icke anspråk på att vara ett dygdemönster, han var god av ett solljust och barnafromt psykes impuls«, Fåhraeus (1925): »J.A.G. Acke«, S. 158. 31 »Här förenas det han ville med sin konst, lekfullheten, glädjen, kraften«, Lagerlöf (1979): »J.A.G. Acke 1859-1924«, S. 6. 32 »På djupet av hans väsen framträdde mera tydligt än hos andra den instinktiva naturmänniskan«, Fåhraeus (1925): »J.A.G. Acke«, S. 155.

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wusstes und eine Vitalität verliehen, die einen persönlichen Stempel tragen«.33 In der Konstruktion Ackes als Naturmensch, die für die Rezeption seines Werks und seiner Akte eine grundlegende Rolle spielt, werden also das beinahe Animalische, das Kindliche, das Spielerische und das Vitale verknüpft. Letzteres ist im Hinblick auf zeitgenössische Debatten um den männlichen Akt in Verbindung mit (Homo-) Sexualität besonders wichtig. In Verbindung mit Munch und Jansson habe ich gezeigt, welchen Einfluss eine Krank- oder Gesundschreibung des Künstlers auf die Rezeption von Akten haben konnte. Im Gegensatz zu den beiden wird Acke einmütig gesund erklärt, woraufhin auch seine Kunst und nicht zuletzt die dargestellten Körper als gesund wahrgenommen wurden.

4.4. G ESUNDER K ÜNSTLER –

GESUNDE

B ILDER ?

Ein ganzes Spektrum an Synonymen zum Begriff »gesund« taucht in der Rezeption Ackes auf, von »vital« bis »frisk«, was auf Schwedisch sowohl frisch als auch gesund bedeuten kann. Bei Lagerlöf klingt bereits an, dass die Vitalität, die dem Künstler selbst zugeschrieben wird, auch als Aussage seiner Kunst verstanden wird: »Fast das ganze Werk zeugt von dieser positiven Lebenseinstellung, einer starken gesunden Freude. Acke war ein Träumer und Visionär, aber er war auch ein Freiluftmensch, ein vitaler Lebensbejaher, der in seinem Segelboot die Herrlichkeit des Sommers mit allen Sinnen erlebte.«34 In einer bereits weiter oben zitierten Besprechung von Ackes Meerbildern anlässlich seines 100. Geburtstags, darunter Fausto am Meer (Abb. 14, S. 170) und das Selbstporträt in Torsvi, verwendet Karl Asplund wiederholt das Wort »gesund« oder ähnliche Begriffe, ergänzt durch Metaphern um Kraft und Stärke: Ackes Meerbilder, stark und frisch inspiriert von Sommer und Meerluft, haben, von einer gesunden natürlichen Schöpferkraft durchströmt, eine bessere Voraussetzung dafür jung zu bleiben. Gibt es ein frischeres und unkonventionelleres Selbstporträt als das, bei dem das braungebrannte lachende Gesicht beduinenartig aus dem Badelaken hervorlugt, oder

33 »han kunde förlåna den en friskhet, en omedvetenhet och vitalitet, som bär det personligas stämpel«, Tor Hedberg, Dagens Nyheter, 6. September 1924. 34 »Nästan allt hans verk vittnar om denna positiva livsinställning, en stark sund glädje. Acke var drömmare och visionär, men han var också friluftsmänniska, en vital livsbejakare, som i sin segelbåt upplevde sommarens härlighet med alla sinnen«, Erland Lagerlöf (1962): »Målaren J.A.G. Acke«, Studiekamraten 44:3, S. 41-46, hier: S. 41.

184 | B ADENDE MÄNNER einen Knabenkörper, der mit größerer gesunder Sommerfrische gemalt ist als Faustos Am Meer von 1904? Auf Östrasalt von 1906 stehen drei starke und gesunde Männer auf der umspülten Klippe, es gibt keine Symbolik, aber es ist eine herrliche Hymne an das gesunde Leben.35

In der zitierten Passage ist nicht immer klar, worauf sich die Gesundheit bezieht, wem oder was die Eigenschaft zugeschrieben wird, gesund zu sein: den Bildern, der Schöpferkraft, dem Malen, den dargestellten Körpern oder dem Leben an sich? Die Aussage legt dennoch nahe, dass Gesundheit eine körperliche Eigenschaft sei, die sich bei Acke auf seine Schaffenskraft und Malweise sowie auf die von ihm gemalten Körper auswirke. Letztere werden auf diese Weise mit Ackes eigenem gesunden und jung gebliebenen Körper identifiziert. Dieser Körper und seine Konstitution sind in der Rezeption außerordentlich präsent. Beinahe als kurios zu bezeichnen ist beispielsweise die Tatsache, dass auch ein Arzt, Einar Westerberg, gebeten wurde, für das von Henning Hammargren 1960 herausgegebene Gedenkbuch einen Text zu schreiben. Westberg war Marinearzt in Vaxholm und wurde hinzugerufen, als Acke an einem Herzanfall starb. In seinem Beitrag erklärt er seine Fassungslosigkeit angesichts des plötzlichen Tods, sei Acke kurz zuvor doch noch so gesund und jungenhaft gewesen wie immer. Westberg erinnert sich an eine Episode, die in Bezug auf Ackes Badende besonders relevant erscheint: Im Freundeskreis wird diskutiert, ob man trotz schlechten Wetters und kalten Windes ein Bad wagen sollte, aber als Acke kam, gab es seinerseits überhaupt keinen Zweifel daran, und ich kann mich heute noch genau daran erinnern, wie er mit einem eleganten Sprung von der Klippe am Strand kopfüber in das Wasser tauchte. Ich kann mich auch mit größter Deutlichkeit daran erinnern, wie ich mich, gleichzeitig sehr von seiner kecken Vitalität beeindruckt, fragte, ob es wirklich so empfehlenwert sei, dass sich ein 65-Jähriger auf diese Weise in das nasse

35 »Ackes havsmålningar, starkt och friskt inspirerade av sommar och saltluft har större betingelser för att förbli unga, genomströmmade som de är av en sund naturlig skaparkraft. Finns det ett friskare och mera okonventionellt självporträtt än hans med det brunbrända skrattande ansiktet beduinartatt frånstickande ur badlakanet, eller en pojkkropp målad med mera sund sommarfriskhet än Faustos I havsbandet 1904? I Östrasalt 1906, står tre starka och friska män på den omspolade hällen, där finns ingen symbolik men det är en härlig hymn till det sunda livet«, Asplund (1960): »J.A.G. Acke – ett hundraårsminne«, S. 12.

4. J.A.G. A CKE

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Element beförderte. Aber so war Acke, ein verwegener Freiluftmensch mit jugendlichem Gemüt und Wikingerherz.36

Das Interessante an Westbergs Erinnerungen ist nicht nur die Tatsache, dass sich ein Arzt zusammen mit Kunsthistorikern und Künstlern im selben Buch äußert, sondern dass sich ihre Aussagen über den Künstler decken. Auch wenn die Kunsthistoriker über Ackes Kunst schreiben, enthalten ihre Äußerungen dieselben Elemente. Seine Badenden scheinen unmittelbare Verwandtschaft mit dem badenden Künstler selbst zu besitzen. Zwischen der vitalen Körperlichkeit des Künstlers und der seiner Figuren wird ein kausaler Zusammenhang hergestellt, der bis heute kaum hinterfragt wird. Bekräftigt wird der Zusammenhang nicht zuletzt durch den Künstler selbst, der sich in Szenen wie der geschilderten als vital und alterslos inszeniert und Gesundheit und Natürlichkeit ‰‡™‹••‡”ƒé‡ ƒŽ•‡”ˆ‘”ƒ…‡ƒ—ˆˆòŠ”–. Neben seiner Kunst trägt Acke auch mit seinen anderen Beschäftigungen, vor allem mit Baden und Segeln, zu einem vitalistischen Gesundheitsdiskurs bei. Da die Rezipienten übereinstimmend auf die Person und den Körper des Künstlers fokussiert sind, entgeht ihnen, wie Lagerlöf in seinem Überblick über die Ackerezeption 1960 feststellt, dass andere Künstler sich zur selben Zeit mit ähnlichen Themen beschäftigen. Was in den Rezensionen nicht behandelt würde, sei »die freiluftvitalistische Tendenz, die nun ein dominierender Einschlag in Ackes Kunst« geworden sei.37 Der Vergleich mit Jansson und Munch zeigt, dass der als Vitalismus gefasste Gesundheitsdiskurs vom Befinden eines einzelnen Körpers abgekoppelt ist und vielmehr einen rhetorischen Fundus darstellt, mit dessen Hilfe am Anfang des 20. Jahrhunderts über Kunst und insbesondere über die neuen männlichen Akte und Badenden geschrieben und erzählt werden kann. Auch die Rezipienten, die die bei Lagerlöf so genannte freiluftvitalistische Tendenz ignorieren, bedienen sich ihrer Rhetorik. Auch viele derjenigen Wissen-

36 »Men när Acke kom, fanns det för hans del icke någon som helst tvekan, och jag har än i dag en mycket klar minnesbild av, hur han med ett elegant hopp från strandklippan dök på huvudet i vattnet. Jag erinrar mig även med största tydlighet, hur jag, samtidigt som jag var mycket imponerad över denna hans käcka vitalitet, frågade mig själv, om det verkligen var så tillrådligt att en 65-åring på detta sätt förpassade sig i det våta elementet. Men sådan var Acke, en oförvägen friluftsmänniska med gosselynne och vikingahåg«, Westberg (1960): »Ackes död«, S. 183. 37 »var den friluftsvitalistiska tendens, som nu blivit ett dominerande inslag i Ackes konst«, Erland Lagerlöf (1960): »Ackes konst i kritikernas ljus«, in: Hammargren: J.A.G. Acke, S. 196.

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schaftler, die heute den skandinavischen Vitalismus wiederentdecken, deuten Ackes Bilder als Ausdruck einer vitalen Lebenskraft, ohne zu berücksichtigen, dass die Bilder selbst zur Konstruktion dieser Lebenskraft und des damit verbundenen Gesundheitsdiskurses beitragen. Es scheint notwendig, Gesundheit und Kraft in Bezug auf Ackes Badende nicht als etwas körperlich Verankertes oder aus der Lebensphilosophie Übernommenes zu begreifen, sondern als Ergebnis von Grenzziehungsprozessen, in denen festgelegt wird, was als gesund und lebenskräftig gilt und was nicht. Diese Differenzierungsprozesse können von unterschiedlichen Kategorien ausgehend untersucht werden. Zunächst werde ich erörtern, welche Rolle Klasse und Geschlecht in Bezug auf die Badenden spielen.

4.5. K LASSE

UND G ESCHLECHT : MÄNNLICHE UND WEIBLICHE M ODELLE

Künstler und Modell: Freundschaft und Ehrbarkeit Im Vergleich zu Munch oder Anders Zorn ist bei Acke bemerkenswert, dass er für seine Akte nie professionelle Modelle, sondern ausschließlich Bekannte beschäftigte. Wie oben erwähnt, stand er mit Hilfe eines Spiegels selbst Modell für Waldtempel und mit Hilfe der Fotografie auch für Östrasalt. Die anderen Modelle für Östrasalt waren, wie ebenfalls erwähnt, der Komponist Sigurd von Koch und der Künstler Rikard Lindström. Für Meereslauscher stand – beziehungsweise lag – der Student Sigge Häggberg Modell, wie einem in diesem Zusammenhang entstandenen Foto zu entnehmen ist (Abb. 23, S. 226). Inspiration für die gesamte Serie von Badenden und erstes Modell soll Ackes italienischer Adoptivsohn Fausto gewesen sein.38 Da es außerhalb der Kunstakademien keine Tradition des männlichen Akts und damit auch kaum professionelle männliche Modelle gab, ist nachzuvollziehen, weshalb Acke für die männlichen Badenden sich selbst oder Freunde als Modelle verwendete, zumal wenn er während der Sommerfrische weitab der Stadt malte. Darüber hinaus ist, wie im Kapitel über Fotografie ausgeführt, die Verschränkung von Leben und Werk, Privatem und Beruflichem, wesentlicher Bestandteil aller hier berücksichtigen Inszenierungen der Verknüpfung von Baden und Kunst. Munch und Jansson rekrutierten ihre Modelle auch dort, wo sie ihr Motiv auffanden: am Strand und im Badehaus. Auffälliger ist die Tatsache, dass Martha Rydell-Lindström (1878-1956), die Ehefrau

38 Vgl. z.B. Erland Lagerlöf (1991): »Sol, vind och hav«, in: J.A.G. Acke. Stockholm: Prins Eugens Waldmarsudde, S. 9-15, hier: S. 11.

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von Ackes Freund und Künstler Rikard Lindström, sich bereiterklärte, für Sonnenwind (Solvind; 1910) (Abb. 17) Modell zu stehen, Ackes einziges Bild einer weiblichen Badenden. Rydell-Lindström war selbst Künstlerin, Autorin und Journalistin. Sie war als Teil einer der ersten Generationen von Frauen, die zum Studium zugelassen wurden, an der Stockholmer Kunstakademie ausgebildet worden und hatte klassische Bildungsreisen nach Italien, Frankreich und Deutschland hinter sich. Dennoch brachte ihr Modellstehen für Acke Komplikationen mit sich, die nahelegen, dass Nacktheit nicht generell als so neutral und natürlich wahrgenommen wurde wie von der Ackerezeption vermittelt. Abb. 17: J.A.G. Acke: Sonnenwind (1910)

Die besondere Bewandtnis mit der Nacktheit eines weiblichen Körpers im Kontext des Modellstehens geht aus der Erwähnung der Entstehung von Östrasalt und Sonnenwind in den publizierten autobiografischen Erzählungen von Rikard Lindström und Martha Rydell-Lindström hervor. Bei Rikard Lindström heißt es lediglich, Acke habe sich zwei Sommer lang in Morotsvik aufgehalten und »sein Bild Östrasalt mit den drei Männern vor dem Meer gemalt. Modelle waren Acke selbst, Sigurd von Koch sowie der Unterzeichnende«.39 Rydell-Lindström schildert das Entstehen von Sonnenwind deutlich ausführlicher:

39 »målade sin tavla »Östrasalt« med de tre männen mot havet. Modellerna voro Acke själv, Sigurd von Koch samt undertecknad«, Rikard Lindström (1941): Landkänning. Stockholm: Bonniers, S. 13.

188 | B ADENDE MÄNNER Auf Huvudskär sollte gemalt werden!! Rikards bester Freund Acke sollte Martha in natura malen und Eva sollte unsere Anstandsdame sein. Das alles nahm man sehr genau!! [...] Bald kam das Malen in Gang und ich stand stundenlang an eine vom Wasser abgeschliffene Klippe gelehnt und dachte darüber nach, wie glücklich ich war... Zuletzt gab es doch Schwierigkeiten wegen meiner vorher selbstverständlichen Nacktheit. Eva fand, das Bild sollte eher ein Brust- als ein Ganzkörperbild werden! Vielleicht fehlte ein Tuch um die Hüften? ... vielleicht ein Badelaken? ... Die Kritik verwirrte Acke ... würde durch das eine oder andere Tuch nicht die Natürlichkeit riskiert?40

Der mit dem Ehepaar befreundete Dichter Verner von Heidenstam, der mit Ackes befreundet war, sah das unfertige Bild in Ackes Atelier. Laut RydellLindström schrieb er darauf in einem Brief an Eva Acke: »Zieht ihr was an, sonst kommt sie nie ins Museum!«41 Die Zitate knüpfen in vielerlei Hinsicht an das traditionelle Paradigma des weiblichen Akts an, das die Kunsthistorikerin Eva-Lena Bengtsson als »Jahrhunderte alte Vorstellungen darüber, was im Verhältnis Künstler – Modell als natürlich gilt« folgendermaßen beschreibt: »Der Künstler ist Mann und heterosexuell, das Modell ist fröhlich und (in erotischer Hinsicht) großzügig und sieht die Nacktheit als Teil eines naturbejahenden Vitalismus«.42 Während in diesem Fall sowohl der Künstler Acke als auch das Modell, Rydell-Lindström, die Nacktheit des Modells als natürlich und selbstverständlich zu vermitteln versuchen, zeigen die nacherzählten Kommentare der Ehefrau des Künstlers und von Heidenstams, dass das zumindest im Hinblick auf die Präsentation in Kunstinstitutionen als problematisch erschien: Der sinnlich wahrnehmende – in Kenneth Clarks Sinne »nackte« – Körper soll im Transfer von privaten in professionelle oder institutionelle Kontexte bekleidet und beschnitten werden, als Akt daherkommen.

40 »Det skulle målas på Huvudskär!! Rikards käraste vän Acke skulle måla Martha in natura och Eva skulle vara vårt förkläde. Mycket noga med det hela!! Snart kom målningen i gång och jag stod timtals lutad mot en vattenslipad klipphäll och tänkte på hur lycklig jag var... Sist började dock ett slags krångel om min förut självklara nakenhet. Tavlan borde bli mer halv- än helfigur! tyckte Eva. Kanske fattades ett draperi om höften? ... kanske ett badlakan? ... Kritiken förvirrade Acke ... skulle inte naturligheten äventyras genom ett eller annat tygskynke?«, Martha Rydell-Lindström (1951): Med livets färger. En bok om Rikard Lindström. Stockholm: Bonniers, S. 70. 41 »Ha kläder på ‘na, eljest kommer hon aldrig på museet!«, ebd. 42 »Konstnären är man och heterosexuell, modellen är glad och (erotiskt) generös och ser nakenheten som en del av en naturbejakande vitalism«, Bengtsson (1994): Levande Modell, S. 5.

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In Rydell-Lindströms Erzählung über ihr Modellstehen wird – wie in den Texten über Acke und seine Akte im Allgemeinen – Nacktheit mit Natürlichkeit und Freiheit verbunden. Über diesen Zusammenhang schreibt Bengtsson: »das nackte Modell wird auch mit dem Mythos vom sorglosen Bohèmeleben fern von bürgerlichen Konventionen verbunden, ein Mythos, der natürlich auch an den positiven Wert von Befreiung gekoppelt ist«.43 In Bezug auf Sonnenwind erscheint das Freiheitspostulat als ambivalent.44 Einerseits sind die weiblichen Badenden von Acke und Zorn von biblischen oder mythologischen Deutungsrahmen oder vom orientalistischen Dekor der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts befreit. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Mode ist auch die mit Badeund Freiluftkultur und Lebensreform einhergehende Befreiung des weiblichen Körpers vom Korsett relevant. Martha Rydell-Lindström war als Journalistin berufstätig und schildert hier öffentlich und selbstbewusst das genüssliche Erleben ihres Körpers. Andererseits können die Badenden, insbesondere bei Zorn, am Anfang des 20. Jahrhunderts nicht losgelöst vom Paradigma des weiblichen Akts betrachtet werden. Die finanzielle und sexuelle Ökonomie im Verhältnis von Künstler und Modell hatte noch Bestand, wenigstens auf der Ebene der öffentlichen Wahrnehmung und Kunstrezeption. Rydell-Lindström erzählt selbst von einem Modell, die sich in einer weniger selbstbestimmten Lage befand als sie selber: Das professionelle Modell kommt 1914 mit in den Familienurlaub, da Rikard Lindström auch Akte malen will: »Armes kleines Modell! Weder unser Kindermädchen noch andere Mädchen auf der Insel wollten mit einer zu tun haben, die nackt Modell stand.« Rydell-Lindström nennt sie, die einsam auf der Insel umherstreifen musste, wenn Lindström sie gerade nicht »verewigen« wollte, »die Missverstandene«.45 Die Gerüchte über die Ehrbarkeit von Lindströms Modell, die hier als Missverständnis bezeichnet werden, weisen darauf hin, dass Modelle grundsätzlich als leichte Mädchen wahrgenommen wurden, die Prostituierte oder zumindest

43 »den nakna modellen kopplas också samman med myten om det sorglösa bohemlivet, fjärran från borgerliga konventioner, en myt som naturligtvis också kan knytas till positiva värderingar om frigörelse«, ebd. 44 Vgl. Körber: »Tillbaka till naturen?«, für eine Diskussion der These, die weiblichen Badenden hätten zur Emanzipation von Frauen beigetragen. 45 »Stackars lilla modellen! Varken vår jungfru eller andra flickor på ön ville ha sällskap med en som »stod naken«. Utan minsta eget initiativ fick den missförstådda ensam ströva omkring och peta på hönsen med en liten pinne när ej Rikard förevigade henne på sina dukar«, Rydell-Lindström (1951): Med livets färger, S. 99.

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Geliebte des Künstlers seien. Dazu trug die Herkunft der meisten Modelle aus niedrigen sozialen Schichten bei. Über den Freizügigkeitstopos in Bezug auf Modelle aus der Arbeiterklasse schreibt die Kunsthistorikerin Hollis Clayson in ihrem Buch über Prostituierte in der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts: »The difference drawn between the sexuality of the honest woman and that of the loose woman was, to a degree, a social distinction masquerading as a sexual one: the distinction was equally that between bourgeois and proletarian female sexuality«.46 Eine soziale Differenzierung von Frauen geht demnach mit einer sexuellen einher, bzw. wird von der einen Kategorisierung auf die andere geschlossen. Vor dem Hintergrund dieses Diskurses über die Sexualität von Modellen sind Ackes Wahl einer verheirateten Bekannten mit bürgerlicher Herkunft als Modell und die Gegenwart seiner Ehefrau als Anstandsdame bemerkenswert. Eine vergleichbare Situation gibt es im zeitgenössischen Kontext selten: Dort wird meist streng zwischen Akten und Porträts unterschieden; die Modelle für letztere werden namentlich genannt, diejenigen für erstere bleiben meist unbekannt und unbenannt. Wenn Rydell-Lindström in ihrem Buch Acke als treu, anständig und naiv beschreibt, dient ihr dies vermutlich dazu, ihr Modellstehen zu rechtfertigen und zu entschärfen. An einer anderen Stelle ihres Buchs betont sie die Strenge ihrer eigenen Mutter und wie »wohlerzogen« sie im Vergleich zu anderen Bohemiens sei.47 Die Situation, in der Rydell-Lindström für Sonnenwind Modell steht und die von den Zeitgenossen und bis heute im erotischen Deutungsrahmen für den weiblichen Akt interpretiert werden kann, wird von den Beteiligten effektvoll entschärft, nämlich mit dem Hinweis auf die Eigenschaften, die Acke auch in anderen Zusammenhängen zugeschrieben werden: Natürlichkeit, Unschuld und Unbescholtenheit. Wie die anderen Meerbilder auch kann Sonnenwind als eine der »natürlichen Früchte des keuschen und warmen Umgangs seiner Seele mit der Natur, die er liebte« gedeutet werden, wie es in der Rezension einer Retrospektive 1925 heißt.48 Die Naturalisierung und damit Legitimation von Ackes Akten erstreckt sich somit auch auf sein Verhältnis zu Frauen und auf die Ehe. Im Vergleich zu Anders Zorn, der sich selbst zum Frauenhelden stilisiert, dessen Ehefrau triftigen Grund zur Eifersucht habe, wenn er mit einem Modell an Bord lange Segeltouren unternimmt oder auf Reisen geht, erscheinen Ackes weibliche Akte als we-

46 Hollis Clayson (1991): Painted Love. Prostitution in French Art of the Impressionist Era. New Haven: Yale University Press, S. 13. 47 Rydell-Lindström (1951), S. 64. 48 »naturliga frukter av hans själs kyska och varma umgänge med den natur han älskade«, o. A.: »Acke i minneshallen«, Göteborgsposten, 5. November 1925.

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nig bedrohlich für den ehelichen Frieden. Die Ehe von Acke und Eva wird grundsätzlich als harmonisch und liebevoll beschrieben. Nur selten werden Probleme berührt, dessen größtes demnach Ackes Alkoholkonsum darstellte. Tor Bonnier, Sohn der berühmten Verlegerfamilie, schreibt 1962 über Erinnerungen aus seiner Kindheit über Acke und dessen »süße, grazile Frau Eva«: »Seine Frau und meine Mutter hatten alle Mühe dieser Welt, ihn vom Glas fernzuhalten; es ging nicht. Die Abendessen, bei denen Acke dabei war, endeten fast immer mit Evas Tränen und dass er in mein Zimmer befördert werden musste, um dort ein paar Stunden zu schlafen.«49 In allen anderen Erwähnungen von Ackes Alkoholkonsum wird dieser verharmlost und werden die Konsequenzen für die Familie nicht genannt. Sexismus und Heteronormativität Die unterschiedliche Beurteilung der Ehe ist auffällig. Während Frauen Eva Ackes Einsatz für Mann und Familie betonen, wird sie von Männern, die die Ackerezeption bis heute dominieren, herablassend behandelt. So schreibt Pauline Sandler, Privatlehrerin des Sohnes Fausto: Das Haus Akleja erfüllte in keinster Weise moderne Ansprüche an Bequemlichkeit. [...] Solange es möglich war, sowohl eine Köchin als auch ein Hausmädchen anzustellen, ging alles leicht und routiniert, aber später musste sich Eva zeitweise mehr anstrengen als es ihrer Gesundheit zuträglich war.50

Auch Gerd Rissler schreibt über Eva Acke, sie habe »wie die meisten Künstlerehefrauen all die Sorgen und Verantwortung für das alltägliche Leben tragen« müssen.51 Selbst war sie als Tochter des finnlandschwedischen Dichters Zacha-

49 »hans söta graciösa fru Eva [...] Hans fru och min mor hade all möda i världen att försöka hålla undan glasen för honom; det gick inte. De middagar då Acke var med slutade nästan alltid med Evas gråt och att han fick forslas till mitt rum för att sova några timmar«, Tor Bonnier (1962): »Några barndomsminnen«, Julstämning, S. 3445. 50 »Villa Akleja fyllde på intet sätt nyare krav på bekvämlighet. [...] Så länge det fanns möjlighet att anställa både kokerska och husjungfru gick allt lätt och rutinmässigt, men senare fick Eva tidvis anstränga sig mera som var nyttigt för hennes hälsa«, Pauline Sandler (1960): »Acke – Eja – Ackleja«, in: Hammargren (Hg.): J.A.G. Acke, S. 54-91, hier: S. 72. 51 »som likt de flesta konstnärshustrur fick bära vardagslivets allehanda bekymmer och ansvar«, Rissler (1960): »Acke och skärgården«, S. 112.

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rias Topelius in einem für die Zeit ungewöhnlichem Maß gefördert worden, was Bildung und künstlerische Ausbildung betraf. Nach der Heirat mit Acke, den sie in der Künstlerkolonie Önningeby auf Åland kennengelernt hatte, stellte sie ihr eigenes künstlerisches Schaffen hinter das ihres Mannes zurück und betrieb keine professionelle Karriere, obwohl sie formal besser ausgebildet war. Während Rikard Lindström mit einigem Pathos schreibt, Eva sei »Frau und Mutter dieses unruhigen aber so hellen Kinds« gewesen,52 macht ihr genau das der Kunsthistoriker Sixten Strömbom zum Vorwurf. In einer unpublizierten Notiz im Archiv des Stockholmer Künstlerverbands, dessen Geschichte Strömbom in den 60er Jahren in zwei Bänden publizierte, schreibt er über Eva Acke: »Sah älter aus als sie war. Führte ein strenges Regiment. War eher Mutter als Ehefrau. Acke hatte es sicher nicht lustig.«53 Strömboms Notiz ist ein Beispiel für einen als sexistisch zu betrachtenden Diskurs über Acke, in dem über ein male bonding die Verbindung von Männlichkeit und Künstlerschaft bestätigt und eine heteronormative Lesart etabliert werden. Beide sind Voraussetzungen für die beschriebene Naturalisierung der männlichen Akte. Sigge Bergström gibt in seinem Artikel im Acke-Gedenkbuch einen Dialog vor Ackes Porträt von Greta Bonnier (1917) wieder. Demnach bricht der Kommandant und Freiherr Rosenblad, Vorsitzender des Ankaufskomitées eines Kunstvereins, vor dem Bild in Lachen aus: »»Siehst du nicht«, sagte er, »das ist ja ein Transparent!« Ja, wenn man es genau anschaute, musste man ihm Recht geben. Zweifellos hatte die betreffende Dame unter ihrem dünnen Sommerkleid keinen Faden am Körper.«54 Wie auch die oben erwähnte Bemerkung von Heidenstams über die Nacktheit der Figur auf Sonnenwind kann auch dieser Dialog als Ausdruck eines male bonding gelesen werden, in dem sich über das heterosexuelle Begehren des Künstlers und der Betrachter verständigt wird. Ähnliches gilt für die Fantasien eines weiteren Rezipienten:

52 »varit både kvinna och moder åt detta oroliga men så ljusa barn«, Lindström (1960): »Vännerna Acke och Rikard«, S. 144. 53 »Såg äldre ut än hon var. Förde ett strängt regemente. Var mera mor än maka. Acke hade nog inte så roligt«, Notiz von Sixten Strömbom am 21. März 1959, J.A.G. AckeArchiv im Nationalmuseum Stockholm. 54 » – Ser du inte, sade han, det är ju en transparang! Ja, när man granskade den noga, så måste man ge honom rätt. Det var ingen tvivel om, att damen ifråga inte hade en tråd på kroppen under den tunna sommarklänningen«, Sigge Bergström (1960): »Sådan jag minns Acke«, Hammargren: J.A.G. Acke, S. 162-64, hier: S. 162.

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Habe den Künstler Acke bei der Arbeit gesehen, wie er auf der Leinwand mit Farbe ein menschliches Wesen des Schöpfers wiedergibt; am liebsten in der Gestalt einer jungen, frühlingshaft frischen Frau. Ich kann mir vorstellen, dass ein kleines hellblondes Mädchen, an einen knospenden Krokus erinnernd, auch ein dankbares Motiv für den Pinsel des Künstlers Acke wäre.55

Bei diesem Zitat wird allein durch die Formulierung deutlich, dass es sich eher um eine Projektion als um eine Beschreibung von Ackes Werk handelt. Es ist nicht klar, ob sich das »am liebsten« auf die Vorliebe des Künstlers oder aber auf die des Betrachters und Autors der Zeilen bezieht. Von der Fantasie eines weiblichen Akts getragen wagt es »Thomas«, dem Künstler ein Motiv vorzuschlagen, das in der Realität eine nicht allzu große Rolle im Werk spielt. Meiner Kenntnis nach existiert von Acke kein Bild mit einem kleinen hellblonden Mädchen. Als »junge frühlingshaft frische Frau« kann man die weiblichen Akte auf Waldtempel oder Fröja mit den Katzen (Fröja med kattorna; 1919) nur bezeichnen, wenn man die düstere Umgebung in Waldtempel oder Fröjas dämonisches Lächeln ausblendet. »Thomas« spezifiziert nicht den Zeitpunkt seines Besuchs bei Acke; vielleicht meint er Das Möwenmädchen (Måsflickan), das mit Eva Topelius als Modell aber schon vor der Hochzeit entstand. Darüber hinaus erwähnt »Thomas« keinen der das Werk dominierenden männlichen Akte, obwohl sie zu dem Zeitpunkt alle schon existierten, oft ausgestellt und besprochen worden waren und nicht zuletzt in der Villa Akleja an der Wand hingen, die »Thomas« sich brüstet mehrfach betreten zu haben. Die Bemerkungen von »Thomas«, von Heidenstam, Strömbom und Bergström machen offenkundig, dass die Ackerezeption von einem männlichen heterosexuellen Blick geprägt ist. Von den Lesern wird erwartet, dass sie diesen Blick teilen und sich über die Bemerkungen amüsieren. Es wird ein Machtverhältnis im Hinblick auf Geschlecht und Sexualität fortgeschrieben, wie es der Tradition des weiblichen Akts und der Kunstgeschichte bis in jüngste Zeit entspricht. Das Bild von Ackes Werk wird dem entsprechend vereindeutigt. Die Vorstellung einer heterosexuellen und implizit polygamen Männlichkeit Ackes trägt insofern zur Naturalisierung der männlichen Badenden bei, als ein homoerotischer und damit als un-natürlich begriffener begehrender Blick auf die nack-

55 »Sett konstnären Acke i arbete med att på duken i färger återge någon av skaparens mänskliga varelser; hälst i skepnad av någon ung, vårlikt frisk kvinna. En liten ljusblond flicka, påminande [sic] om en outsprucken crockus föreställer jag mig också skall vara ett tacksamt motiv för artisten Ackes pensel«, »Thomas«: »Människor jag mött. VII«, Vaxholms Tidning, 5. April 1924.

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ten männlichen Körper ausgeschlossen wird. Darüber hinaus wird die künstlerische Tätigkeit von Frauen in Ackes Umfeld selten erwähnt. Frauen tragen, wenn auch selbstbewusst, nur als Modelle, meist für weibliche Akte bei – im Fall des Porträts von Greta Bonnier eher unfreiwillig. Die privilegierte Deutungsmöglichkeit ist die oben präsentierte, nämlich die einer Identifikation des Betrachters mit den männlichen Körpern im Hinblick auf Naturerleben und Vitalität sowie mit einem männlich-heterosexuellen Blick auf die weiblichen Körper. Eine ernstzunehmende alternative Perspektive und ein einzigartiges Dokument stellt jedoch Martha Rydell-Lindströms Bericht dar: Ein Modell schildert das Erleben ihres eigenen nackten Körpers beim Gemaltwerden als Glück, Freiheit und Genuss.

4.6. A LTER UND (A-)S EXUALITÄT : ITALIENISCHE K NABEN UND ERWACHSENE S KANDINAVIER Unschuld und Kindlichkeit Eine weitere Möglichkeit, das Motiv der Badenden in erotischer Hinsicht zu entschärfen, bestand für Acke und seine Zeitgenossen darin, Kinder abzubilden. Nacktheit von Kindern vor der Geschlechtsreife erschien recht unproblematisch in einer Zeit, in der Pädophilie und kindliche Sexualität erst allmählich, im Rahmen einer Rezeption psychoanalytischer Theorien, thematisiert wurden. Ein glatter und unbehaarter Körper einerseits und ein kindlicher, spielerischer Geist andererseits konnten als asexuell imaginiert werden – was nicht bedeutet, dass eine dahingehende Ambivalenz nicht intendiert werden konnte. Die Verbindung von Kindlichkeit, Unschuld und Nacktheit kommt bei Acke in beiderlei Hinsicht zum Tragen. Die Unschuld und Asexualität nackter Körper wird bei Acke, wie oben erwähnt, auch dadurch erreicht, dass er selbst als Kind dargestellt wird und ihm kindliche Eigenschaften zugeschrieben werden. Sigge Bergström meint, ihm sei im Künstlerverband nicht die Wertschätzung zuteil geworden, die er verdient habe: »Ich habe das Gefühl, dass er selten ernst genommen wurde und vom ernsten Karl Nordström und nachdenklichen Richard Bergh als aufgekratzter und unberechenbarer Junge betrachtet wurde«.56 Sogar bei seiner Beerdigung soll Acke vom Pfarrer August Lindh folgendermaßen beschrieben worden sein:

56 »Jag har en känsla av att han merendels togs på skämt och betraktades som en sprallig och oberäknelig pojke av den allvarlige Karl Nordström och den tankedjupe Richard Bergh«, Bergström (1960): »Sådan jag minns Acke«, S. 164.

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Ein kindliches Gemüt, eine jugendliche Fantasie, die ihre Schätze auf spielerische und sorglose Weise in alle Winde zerstreute. [...] Ein Kinderherz, ein kindlicher Geist, hell und einnehmend, der unbekümmert das Glitzern der Sonne und das Spiel der Wellen spiegelt, mit dem großen erstaunten Blick der Kinderaugen auf die unerschöpflichen und sich ständig erneuernden Wunder des Lebens.57

Das von Lindh hervorgehobene Erstaunen ähnelt Ackes Verwunderung darüber, dass jemand an der Nackheit der Figur auf Sonnenwind Anstoß nehmen könnte und sein Beharren auf der Natürlichkeit nackter Körper, von dem Martha RydellLindström berichtet. Die Unbekümmertheit angesichts nackter Körper und der Aspekt des Spielerischen kehren in einer weiteren Anekdote wieder, die Susanne Lindström, die Tochter von Rikard Lindström und Martha Rydell-Lindström, im Acke-Gedenkbuch aus Kindheitserinnerungen nacherzählt. Demnach erzählt Acke an einem Abend auf den Schären »eifrig und hingerissen von der Schönheit einer Marmorvenus«, die man bei Ausgrabungen in Italien gefunden habe: »Acke beschrieb die Statue gründlich, aber gab nach einer Weile den eitlen Versuch auf. Stattdessen riss er sich die Kleider vom Leib und stellte sich splitternackt als Venus posierend vor mich, damit ich ihre Herrlichkeit voll und ganz erfassen konnte.«58 An den Beispielen wird deutlich, dass in Erzählungen über Acke auf eine Unterscheidung zwischen Akt und Nacktheit im traditionellen Sinne, wie ich sie in der Formulierung bei Kenneth Clark referiert habe, verzichtet wird. Dieser Unterscheidung würde eine Erkenntnis von Nacktheit zugrunde liegen, wie sie in der Erzählung vom Sündenfall die Phase unschuldiger und kindlicher Nacktheit beendet. In den genannten Anekdoten wird Acke dieser unschuldigen und damit der Scham vorausgehenden Phase zugeordnet und als kindlich charakterisiert. Innerhalb dieses Referenzrahmens wird Nacktheit nicht

57 »Ett gosselynne, en ynglingafantasi, som lekfull och sorglös strödde sina skatter för alla vindar. [...] Ett barnahjärta, ett barnasinne, ljust och intagande, obekymrat speglande solens glitter och vågornas lek, med barnaögats stora förvånade blick på livets outtömliga och ständigt sig förnyande under«, o. A.: »Jag Ackes jordfästning«, o. O., 11. September 1924. J.A.G. Acke-Archiv im Nationalmuseum Stockholm. 58 »Acke berättade ivrigt och hänfört om skönheten hos en marmorvenus, man något år förut funnit vid grävningar i Italien. Acke beskrev noggrant statyn men uppgav efter en stund försöket såsom fåfängt. I stället slängde han av sig kläderna och ställde sig splitter naken framför mig poserande som Venus, på det jag fullt och helt skulle fatta hennes dejlighet«, Rikard Lindström: »J.A.G. Acke«, zitiert von Susanne Lindström (1960): »Vännerna Acke och Rikard«, in: Hammargren: J.A.G. Acke, S. 139-145, hier: S. 142.

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mit Scham, Sexualität oder etwas im pejorativen Sinn Primitivem konnotiert, sondern mit Natürlichkeit, Lebensfreude und Authentizität. Der italienische Knabe als frische Brise und Durchbruch Im Gegensatz zu Akten mit erwachsenen Figuren, deren Nacktheit, wie bei Sonnenwind, zu unterschiedlichen Auslegungen und damit Kontroversen einlädt, scheint es bei Kinderakten kein Verständigungsproblem zu geben. Der kindliche Körper kann – im hier überblickten geographischen und kulturhistorischen Kontext – als sich in einem Zustand vor einer kulturellen Überformung von Nackheit befindlich imaginiert werden und scheint aufgrund der angenommenen Natürlichkeit und Ursprünglichkeit dazu geeignet, genau diese Konzepte zu verkörpern. Allerdings kann sich der kindliche Körper auf Grund der Imagination einer natürlichen und schamlosen Nacktheit auch als Projektionsfläche eignen, deren Attraktivität in einem Pendeln zwischen Unschuld und Erotik besteht.59 Im Narrativ über Ackes Badende wird die Begegnung mit einem kindlichen Körper zum auslösenden und befreienden Moment einer neuen Phase, wodurch er im Hinblick auf die Aktmalerei seine aus der akademischen Ausbildung stammende »Tristesse angesichts kalt weißer Gipsskulpturen« überwinden könne.60 Erland Lagerlöf beschreibt diese Wendung als ”ŽÚ•—‰und als Überwindung einer Krise: 1904 wurde zu einem Jahr der Erneuerung und der neuen Möglichkeiten für Acke. Nach Waldtempel war er eine Zeit lang arbeitsunfähig und unsicher über seine Kunst gewesen. Jetzt bekam er die Lust zu Malen zurück und dies aus mehreren Gründen. Das Ehepaar Acke war bis dahin zu seiner großen Enttäuschung und Sorge kinderlos gewesen. Jetzt nehmen sie plötzlich und ziemlich unerwartet einen kleinen italienischen Jungen, Fausto Padovini, als ihren Adoptivsohn bei sich auf. Der Junge kam wie eine frische Brise über Villa Akleja, ihr Zuhause in Vaxholm. Sein lebhaftes südländisches Temperament veränderte bald das zuvor ziemlich ruhige Haus.61

59 Zu dieser Ambivalenz zwischen Unschuld und Erotik: James R. Kincaid (1992): ChildLoving. The Erotic Child and Victorian Culture. New York, London: Routledge. 60 »tristessen inför kallt vita gipsstatyer«, Erland Lagerlöf (1962): »Målaren J.A.G. Acke«, Studiekamraten 44:3, S. 41-46, hier: S. 41. 61 »1904 blev ett förnyelsens och de nya möjligheternas år för Acke. Efter Skogstemplet hade han en tid varit arbetsoförmögen och osäker om sin konst. Nu återfick han lusten att måla och det av flera skäl. Makerna Acke hade hittills till sin stora besvikelse och sorg varit barnlösa. Nu mottar de plötsligt och ganska oväntat en liten italiensk pojke, Fausto Padovini, som sin adoptivson. Pojken kom som en frisk fläkt till Villa Akleja,

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Den Sommer verbringt die Familie auf der Insel Ornö: Jetzt lockte es Acke, vor diesem sommerlichen Hintergrund Akte zu malen. Fausto stand Modell, und man kann [...] sich fragen, ob nicht der Ziehsohn Acke zu der sonnengesättigten Malerei inspirierte, die seine Kunst das ganze Jahrzehnt über dominiert. Auf jeden Fall findet sich seine schmächtige Jungengestalt auf den allerersten Versuchen in diesem Genre wieder.62

Tor Hedberg stimmt der Interpretation zu, wenn er den Übergang zum Motiv der Badenden als Durchbruch »zum klaren, fließenden Sonnenlicht während eines immer vertrauteren Umgangs mit dem Meer« beschreibt: »Es sieht fast so aus, als sei sein Ziehsohn, Fausto, der Vermittler gewesen«.63 Die Akte, die Acke mit Fausto als Modell malte, sind unter anderen Fausto am Meer (Abb. 14, S. 170), Fausto nudo (Abb. 18) und später Morgenluft (Abb. 26, S. 233). Pauline Sandler, die bereits erwähnte Privatlehrerin Faustos, beschreibt die erste Begegnung mit ihm folgendermaßen: »Es zeigte sich, dass der Schüler in spe ein schöner junger Römer mit dunklen Augen, braunen Locken, warmer Sonnenbräune und stolzer Haltung war, alles, was sich eine Mutter wünscht vorzeigen zu können.«64 Offensichtlich bezog sich das Vorzeigenwollen auch auf den Vater Faustos. Genau die von Sandler genannten Merkmale, die dunklen Locken und die gebräunte Haut, spielen auf Ackes Bildern eine große Rolle. Auf Fausto am Meer steht die Figur eines Jungen mit gespreizten Beinen und durchgestreckten Knien auf einer Klippe, der Kopf mit den angedeuteten Gesichtszügen und dem in der Sonne golden glänzenden Haar ist dem Betrachter zugewandt. Die Hände sind hinter dem Nacken verschränkt. Die Ellbogen und der ganze Oberkörper sind nach vorn gedrückt. Das Bild zeigt also eine Figur mit einer stolzen Haltung, von der auch bei Sandler die Rede ist.

deras hem i Vaxholm. Hans livliga sydländska temperament förändrade snart det tidigare ganska tysta huset«, Lagerlöf (1991): »Sol, vind och hav«, S. 11. 62 »Nu lockades Acke att måla naket mot denna sommarfond. Fausto stod modell och man kan [...] fråga sig om inte fostersonen kom att inspirera Acke till det solmättade måleri som under hela decenniet dominerar hans konst. I alla händelser är det hans spensliga gestalt som återfinns på de allra första försöken i denna genre«, ebd. 63 »till det klara, flödande solljuset, under ett allt förtroligare umgänge med havet. Det ser nästan ut som om hans fosterson, Fausto, varit förmedlaren«, Hedberg (1927): Minnesgestalter, S. 142. 64 »Eleven i spe visade sig vara en skön ung romare med mörka ögon, bruna lockar, varm solbränna, stolt hållning, allt vad en mamma skulle kunna önska sig att få visa upp«, Sandler (1960): »Acke – Eja – Ackleja«, S. 54.

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Die Aussagen scheinen nahezulegen, dass Ackes produktive Phase, die von Vielen als Höhepunkt seines Schaffens bezeichnet wird, nicht nur durch die Ankunft Faustos ausgelöst wurde, sondern besonders durch die Tatsache, dass er Italiener war und sein Körper dem entsprechenden Merkmale aufwies. Die Verbindung des ihm zugeschriebenen südländischen Temperaments mit der als sonnengesättigt beschriebenen Kunst scheint auf der Hand zu liegen. Fausto mit seinem dunklen Haar und der dunklen Haut scheint die Kraft der Sonne zu verkörpern, die Thema der Bilder ist. Gerd Rissler zufolge hatte Acke schon 1892 die Absicht, »nackte Jungen« zu malen. Der Versuch scheiterte demnach an der Weigerung der potenziellen Modelle, für Aktmalerei zur Verfügung zu stehen.65 Anders sieht es bei Fausto aus, über den geschrieben wird, er habe eine »stolze Haltung« und damit eine Freude am Posieren. Abb. 18: J.A.G. Acke: Fausto nudo (1904)

65 Vgl. Rissler (1960): »Acke och skärgården«, S. 110. Rissler zitiert einen Brief von Eva an Acke vom 9. August 1892: »Hier gibt es auch flache Klippen, wo Acke nackte Jungen malen will« (»Här fins också låga klipphällar, der Acke skall måla nakna pojkar [sic]«). Rissler schreibt weiter: »Dass die Schärenjungs sich der Aktmalerei gegenüber ziemlich skeptisch zeigten, geht aus einer Zeile aus einem späteren Brief hervor: »Das erste Modell glitt wie eine Plötze in die See und rannte weg«« (»Att skärgårdspojkarna ställde sig tämligen skeptiska mot nakenmåleriet, framgår av en rad ur ett senare brev: »Första modellen gled som en mört i sjön och sprang sin väg««), ebd.

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Wie Fausto am Meer zeigt auch Fausto nudo einen Jungen in aufrechter Haltung mit herausgestreckter Brust, diesmal in Rückenansicht. Durch die linke in die Hüfte gestemmte Faust und den rechten nach oben gestreckten und angewinkelten Arm wird insbesondere die Rücken- und Schultermuskulatur betont. Durch die Streckung des Rückens sind auch die Bein- und Gesäßmuskeln angespannt. Genau diese Muskeln werden von der Sonne hell beschienen. Die sich auf dem Körper abzeichnenden Schatten sind in Rot- und Grüntönen gehalten und verstärken den Eindruck vom Körper als kleinem Speicher warmer Sonnenkraft. (Haut-) Farbe Die Kraftrhetorik, die Lagerlöfs Beschreibung vom Wendepunkt in Ackes Kunst prägt, scheint den Bildern, die Acke den Quellen zufolge mit Fausto als Modell malte, zu entsprechen. Die Kraft, die die Figur des Jungen verkörpert, wird durch den Aspekt des Lichts und der Farbe ergänzt, die, wie ich behaupten möchte, mit der Hautfarbe des Jungen verknüpft ist. Lagerlöf fährt fort, den Wendepunkt in Ackes Schaffen auf formaler Ebene zu beschreiben: Als Folge der neuen Thematik, für die das Sonnenlicht eine herausragende Rolle spielte, veränderten sich auch Ackes rein malerische Ausdrucksmittel radikal. Das gilt insbesondere für seine Farbe. [...] In den 90er Jahren wurde sie bleicher und bekam manchmal einen fast anämischen Anstrich. Gegen Ende des Jahrzehnts bekam sie freilich etwas von ihrer früheren Kraft zurück, aber erst jetzt, im Sommer 1904, wurde das zu einem klaren Wendepunkt, eine Renaissance der Farbe. Jetzt spielen die reinen ungemischten Farben eine immer größere Rolle in Ackes Malerei. Weg sind die abgetönten leisen Farben der 90er Jahre, weg sind die Mystik und die symbolhaltige Stimmungsmalerei. Jetzt triumphieren das Licht und die Sonne.66

Das Interessante an den reinen Farben, die Lagerlöf hier mit Licht und Sonne in Verbindung bringt, ist, dass es um die Spektralfarben geht, die Figuren mit

66 »Som en följd av det nya ämnesområdet, där solljuset spelade en framträdande roll, förändrades också Ackes rent måleriska uttrycksmedel radikalt. Särskilt gäller detta hans färg. [...] Under 90-talet blev den blekare och fick ibland en nästan anemisk anstrykning. Mot slutet av decenniet återfick den visserligen något av sin forna kraft, men det var först nu sommaren 1904 som det blev en klar vändpunkt, en färgens renässans. Nu spelar de rena oblandade färgerna en allt större roll i Ackes måleri. Borta är 90-talets nedtonade tysta färger, borta är mystiken och det symbolfyllda stämningsmåleriet. Nu är det ljuset och solen som triumferar«, Lagerlöf (1991): »Sol, vind och hav«, S. 11.

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unterschiedlicher Hautfarbe zugeordnet zu sein scheinen. Wie erwähnt tauchen bei Fausto nudo und Fausto am Meer Grün- und Rottöne sowohl als Schatten auf den Körpern als auch bei der Modellierung der Klippen auf. Ein anderer Komplementärkonstrast dominiert Östrasalt und Meereslauscher, die hellhäutige und blonde Figuren zeigen. Dieser Kontrast von Gelb und Blau wird als charakteristisch für Ackes Kunst erachtet und als Anspielung auf die schwedische Flagge verstanden: »Der Anschlag in Gold und Blau wird Ackes koloristischer Glücksgriff, und er wiederholt ihn wieder und wieder«, schreibt die StockholmsTidningen,67 und auch ein anderer Kritiker erwähnt die »blaugelben Nationalfarben« in Meereslauscher.68 Susanne Lindström bezieht die Farben nicht explizit auf die Flagge, aber auf die nordische Landschaft: »Sonnengeglitzer über blauem Meer, Gelb und Blau in allen möglichen Zusammensetzungen – nordische frische Lebensfreude jenseits jeglicher Dekadenzbewunderung.«69 Wenn die Bilder von Fausto als Beginn von Ackes maritimer Phase genannt werden, wird selten erwähnt, dass auf Fausto nudo gar kein Wasser und auf Fausto am Meer nur ein transparenter grauer Schleier als Meer die Klippe umspült, auf der die Figur steht. Der Gelb-Blau-Kontrast kommt hier also noch gar nicht zu Tragen und wird erst mit den erwachsenen Figuren entwickelt. Die Bilder von Fausto, dem italienischen dunkelhäutigen Knaben, passen also noch nicht in das Paradigma der schwedischen Farben oder der nordischen Natur, das von den Kunstkritikern ab den ersten Ausstellungen aufgegriffen wird. Die Verkörperung von Sonnenlicht und Lebenskraft wird im Lauf der Jahre von erwachsenen hellhäutigen Skandinaviern übernommen. Statt der Faszination für den Anderen, dunkelhäutigen Körper scheint es jetzt um darum zu gehen, einen nordischen Körper zu identifizieren.

67 »Anslaget i guld och blått blir Ackes koloristiska lyckokast, och han upprepar det gång på gång«, Stockholms-Tidningen, 20. September 1925. 68 Vgl. »Konstnärsförbundets utställning«, o.O., o. Datum, im Zusammenhang mit einer Ausstellung des Konstnärsförbundet in Göteborg 1911. J.A.G. Acke-Archiv, Nationalmuseum Stockholm. 69 »solglitter över blått hav, gult och blått i alla möjliga sammansättningar – nordisk frisk livsglädje helt bortom dekadansbeundran«, Lindström (1960): »Vännerna Acke och Rikard«, S. 139.

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4.7. EXKURS: ITALIENISCHE KNABEN, DÄNISCHE STRÄNDE UND NORDISCHE KÖRPER BEI J.F. WILLUMSEN Italien, Körper und Kunst Jens Ferdinand Willumsens Serie von Badenden entsteht zwischen 1902 und 1910. Der Arbeitsprozess führt von Fotografien italienischer Jungen am Strand von Amalfi zu monumentalen Gemälden blonder Jugendlicher am Strand von Skagen an der Nordspitze Dänemarks. Die Arbeit am Motiv führt Willumsen damit von einem der bevorzugten Ziele von Bildungs- und Künstlerreisen in Italien zu dessen Pendant in Dänemark. Der Fischerort Skagen hatte sich seit den 1870er Jahren zur wohl bedeutendsten Künstlerkolonie Skandinaviens entwickelt. Die so genannten Skagenmaler studierten die besonderen Lichtverhältnisse, die Strandlandschaft und den Alltag der Fischer und malten plein air; an diesen Kontext knüpft Willumsen an. Die Analogien zu Ackes Badenden sind es wert genauer erläutert zu werden. Wie bei den anderen Künstlern wird die Beschäftigung mit dem Akt und dem Badendemotiv als Markierung eines Aufbruchs verstanden. Italien und insbesondere die nackten badenden Jungen am Strand von Amalfi seien die Inspiration für ein neues Motiv und für eine künstlerische Erneuerung gewesen: »Das Ganze fing im Sommer 1902 an. Willumsen war noch nie in Italien gewesen und wollte dem in einem Alter von 39 Jahren Abhilfe schaffen. Er befand sich sowohl persönlich als auch künstlerisch in einer Übergangszeit«.70 Was passierte, als Willumsen die badenden Jungen beobachtete, wird von den Kunsthistorikern Henrik Wivel und Marianne Wirenfeldt Asmussen mit biologischen und religiösen Metaphern beschrieben. Bei Wivel heißt es, die Idee für das neue Motiv sei 1902 am Strand von Amalfi »empfangen« worden.71 Wirenfeldt Asmussen schreibt, Willumsen habe eine neue Sicht auf Natur und Menschen erlangt, die in Badende Kinder am Strand von Skagen (Badende børn på Skagens strand; 1909) (Abb. 19) »freigesetzt« worden sei; das Bedeutungsspektrum des von ihr verwendeten dänischen Worts »forløse« reicht dabei von »erlösen« bis »entbinden«.72

70 »Det hele begyndte i sommeren 1902. Willumsen havde aldrig været i Italien og ville i en alder af 39 år råde bod på dette. Han befandt sig både personligt og kunstnerisk i en brydningsperiode«, Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn, S. 8. 71 »undfanget«, Henrik Wivel (2005): J.F. Willumsen. Kopenhagen: Aschehoug, S. 32. 72 »forløst«, Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn, S. 10.

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Abb. 19: J.F. Willumsen: Badende Kinder am Strand von Skagen (1909)

Auch die frühere Direktorin des J.F. Willumsen-Museums Leila Krogh verbindet eine religiöse Metaphorik mit der um Körper, Fortpflanzung und Geburt. Sie identifiziert den Künstler mit den Badenden auf den Bildern, wenn sie jugendliche Lebenskraft und eine Einheit von Natur und Mensch als verbindende Elemente zwischen Biografie und Kunst herausarbeitet und die Phase in Leben und Werk als Wiedergeburt bezeichnet: Selbst war Willumsen in den Bergen und am Meer in so nahem Kontakt zu Natur wie nie zuvor. Durch seine Liebe und seinem Verhältnis zu Edith Wessel war er auch in nahem Kontakt zu seinem eigenen Körper. Nahe der Vierzig befand er sich in einer Art Wiedergeburtsphase, in der er sich Motiven zuwandte, in denen er sich spiegeln konnte. Seine eigene Lebenskraft war auf einem Höhepunkt, mit einem Überschuss an Lebensglück. Er empfand selbst eine jugendliche Freude an Erneuerung und Reinigung, und seine eigene Freude, die auch körperlich gewesen sein mag, ließ ihn die Körper der Jungen verehren.73

Willumsen selbst gibt darüber Auskunft, dass es vor allem ein Junge gewesen sei, der ihn zu dem Motiv der Badenden inspiriert habe, nämlich ein Junge, der

73 »Selv var Willumsen som aldrig før i tæt kontakt med naturen, i bjergene og ved havet. Gennem sin forelskelse og sit forhold til Edith Wessel var han også i nær kontakt med sin egen krop. Nær de fyrre var han i en form for genfødsel, hvor han orienterede sig mod motiver, han kunne spejle sig i. Hans egen livskraft var på et højdepunkt med et overskud af livslykke. Han var selv i en ungdommelig glæde med fornyelse og renselse, og hans egen glæde, som også må have været kropslig, fik ham til at dyrke drengenes kroppe«, Krogh (1995): Fiktion & virkelighed, S. 90.

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einen Rückwärtssalto machen konnte.74 Eine Fotografie von einem solchen Salto, ausgeführt von einem Sprungbrett, hatte er in einer seiner 14 Mappen vorliegen, in denen er seit den 1890er Jahren Bilder aus Zeitungen und Zeitschriften sammelte und die er als sein »künstlerisches Gedächtnis« bezeichnete.75 Der Rückwärtssalto ist auf vielen Skizzen aus Italien abgebildet. Vermutlich vom Herbst 1902 stammt auch eine kleine Gipsskulptur mit demselben Motiv. Auf Badende Kinder am Strand von Skagen und Sonne und Jugend (Sol og ungdom; 1910) (Abb. 20) findet sich die Figur am linken Bildrand wieder. Willumsen scheint also besonders am Motiv sich bewegender Figuren interessiert gewesen zu sein. Abb. 20: J.F. Willumsen: Sonne und Jugend (1910)

Wie auch bei Eugène Jansson hebt der Historiker Niels Kayser Nielsen das Moment der Bewegung und des Sports hervor, dessen künstlerische Umsetzung Willumsen interessiert habe: »Willumsen shared the great contemporary interest in the body, but he did so in his own dynamic fashion. For him the painting is more important than the motif. The body and its movement interest him above all as form.«76 Kayser Nielsens Lesart ist insofern interessant, als er von einer biografischen Deutung abrückt und stattdessen die Aufmerksamkeit auf das Interesse an der künstlerischen Darstellung des sich bewegenden Körpers lenkt, das

74 Vgl. Jens Ferdinand Willumsen (1953): Mine erindringer fortalt til Ernst Mentze. Kopenhagen: Berlingske forlag, S. 149. 75 »kunsteriske hukommelse«, vgl. Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn, S. 18. Die Fotografie aus der Sammelmappe ist ebd. auf S. 23 abgebildet. Die Mappen befinden sich im Archiv des J.F. Willumsen-Museums in Frederikssund. 76 Kayser Nielsen (2005): Body, Sport and Society in Norden, S. 74.

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Willumsen mit vielen Zeitgenossen teilt. In einem wichtigen Aspekt ist Kayser Nielsen aber zu ergänzen: Neben der Form scheint Willumsen sich auch in besonderem Maß für die Ästhetik der Körper interessiert zu haben. Haut und Haar An den italienischen Knaben, die der Serie als Inspiration und erste Modelle dienten, faszinieren Willumsen besonders Haut und Hautfarbe, wie aus Notizen deutlich hervorgeht: »Sie waren ziemlich bronzebraun, weil sie den ganzen Tag nackt herumliefen, und sie sahen so schön aus gegen das blaue Meer und den weißen blendenden Sand am Strand«.77 Ähnlich äußert sich Edith Wessel, Willumsens Lebensgefährtin und spätere Frau: »Sie waren von der Sonne dunkel gebräunt, und als sie im Wasser hinauf- und hinunter rannten, glänzten die kleinen nackten Körper blank, was den prachtvollen Bau und die Muskulatur ihrer kleinen Leiber noch stärker hervorhob.«78 Auch in der Forschungsliteratur werden die Körper der badenden Jungen und ihre Hautfarbe beschrieben. So heißt es an einer Stelle, Willumsen habe in Amalfi die ersten »nackten, sonnengoldenen Jungen« gezeichnet.79 Später im selben Text ist noch einmal von den »sonnenbraunen, glänzenden italienischen Jungen« die Rede.80 Den Körpern wird hier eine erotische Qualität zugesprochen, die im Zusammenhang mit ihrer dunklen Hautfarbe zu stehen scheint und den malerisch interessanten farblichen Kontrast zur Umgebung weiter auflädt. Der Aspekt der Hautfarbe und damit der ethnischen Zugehörigkeit ist besonders interessant, wenn man die Berichte, Fotografien und Skizzen aus Amalfi mit den erst einige Jahre später entstandenen Hauptwerken der Serie vergleicht. Schon aus dem Titel der von Willumsen so genannten Generalprobe, Badende

77 »De var ganske bronsebrune af at løbe der nøgne hele Dagen, og de saa saa smukke ud imod det blaa Hav og det hvide blændende Sand på Strandbredden«, von Hand verfasster Entwurf von J.F. Willumsens Memoiren im Archiv des J.F. WillumsenMuseums in Frederikssund. Der Bogen ist mit »Første Rejse til Italien 1902« (Erste Reise nach Italien 1902) überschrieben. 78 »De var mørkt brunede af Solen, og naar de løb op og ned i Vandet glinsede de snaa nøgne Kroppe blankt, og det fremhævede yderligere den pragtfulde Bygning og Muskulatur af deres smaa Legemer«, Biografiemanuskript, das auf der Korrespondenz zwischen J.F. Willumsen und Edith Willumsen 1899-1914 basiert, S. 99. Zitiert nach: Krogh (1995): Fiktion & virkelighed, S. 89. 79 »de nøgne, solgyldne drenge«, Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn, S. 11. 80 »de solbrune, glinsende italienske drenge«, ebd., S. 17.

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Kinder am Strand von Skagen, geht hervor, dass die Szene von Amalfi in den Norden verlagert worden ist.81 Zwar sind die Körper der Kinder auf den fertigen Bildern auch braun gebrannt, aber ihr Haar ist eindeutig blond. Aus den goldenen italienischen Knaben sind gesunde Nordeuropäer in der Sommerfrische in Skagen geworden. Der Übergang wird auf zwei Skizzen besonders gut sichtbar, die im Sommer 1909 in Skagen entstanden (Abb. 21 und 22). Die Skizzen sind mit einer Größe von jeweils ungefähr 100 x 60 cm schon recht groß und entsprechen in etwa den Größenverhältnissen der Figuren auf den fertigen Bildern. Sie stellen jeweils eine Figur aus der fertigen Komposition dar: der laufende Junge ganz links sowie der laufende Jugendliche in der Mitte der zentralen Dreiergruppe. Abb. 21 & 22: J.F. Willumsen: Laufender nackter Junge (1909) & Laufender nackter Junge vor einer blauen Meeresfläche (1909)

Auf dem fertigen Bild sind beide blond und scheinen, insofern bei den aus kurzen Pinselstrichen zusammengefügten Körpern davon die Rede sein kann, mittel- oder nordeuropäisch helle Haut zu haben, die durch Pinselstriche in Rosatönen markiert wird. Auf den Skizzen hingegen sind diese Markierungen nur bei der jüngeren Figur und nur an wenigen Stellen zu finden. Der junge Mann, der dem Betrachter seinen von der Sonne abgewandten Rücken zudreht, hat hingegen einen dunklen bronzefarbenen Hautton. Interessanterweise sind gerade die Köpfe der beiden Figuren auf den Skizzen als einzige Körperteile nur aufge-

81 Willumsen bezeichnete Badende Kinder am Strand von Skagen (1909) als Generalprobe für Sonne und Jugend (1910), wobei letzteren Titel Willumsens Kollege Lauritz Tuxen (1853-1927) erfunden haben soll.

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zeichnet und damit weiß gelassen. Kennt man die Fotografien von Amalfi und die fertigen Bilder, drängt sich die Frage auf, ob der Künstler zu dem Zeitpunkt noch schwankte, welche Haarfarbe er den Figuren geben sollte. Badende und Wilde Das Verhältnis des Künstlers zu seinen italienischen Modellen stellt sich als ambivalent dar. Einerseits findet in Bezug auf den ungezwungenen Umgang mit Nacktheit und Natur eine Identifikation statt, die laut Willumsens Aufzeichnungen darin mündet, dass der Künstler und seine Freundin mit den Jungen baden gehen und sich die Hautfarben sogar angleichen: Wenn ich vormittags mit dem Malen fertig war, ging ich mit den Jungen ins Wasser und lag danach im Sand und ließ mich braten. Aus Laken machte ich eine Art Badehaus für meine Frau, und in einem improvisierten Badeanzug ging sie auch ins Wasser. Manchmal schwammen alle um die Wette. Später wurden wir ebenso braun wie die Jungen. Das war Sport und Camping, bevor es in Mode gekommen war.82

Eine bisher unpublizierte, wahrscheinlich in Amalfi aufgenommene Fotografie zeigt Willumsen selbst als stolzen Badenden mit gestreifter Badehose am Strand (Abb. 56, S. 301). Es wird davon ausgegangen, dass sich Willumsen in der rückwärts springenden Figur weit draußen im Meer zwischen den beiden ältesten Figuren auf Badende Kinder am Strand von Skagen beziehungsweise auf Sonne und Jugend selbst porträtiert habe. Er sei so gleichzeitig Zuschauer und Teilnehmer der Szene.83 Das spräche für eine Selbstinszenierung des Künstlers als Badender, wie man sie auch bei Munch, Jansson und Acke beobachten kann. Aus Skagen sind keine Aufnahmen von einem badenden Willumsen überliefert. Hingegen liegt ein fotografisches Künstlerporträt vor, das diesem Genre und dem Aktparadigma insofern wieder entspricht, indem es den bekleideten Künstler mit Palette und Staffelei zeigt, wie er am Strand einen weiblichen Akt malt –

82 »Naar jeg om Formiddagen var færdig med at male gik jeg i Vandet med Drengene og laa bagefter paa Sandet og lod mig bage. Jeg lavede en slags Badehus af Lagner til min Kone, og i en improviseret Badedragt gik hun ogsaa i Vandet. Og sommetider svømmede alle omkap. Vi blev efterhaanden ligesaa brune som Drengene. Det var Sporting og Kamping førend dette var kommet paa Mode«, von Hand verfasster Entwurf von J.F. Willumsens Memoiren im Archiv des J.F. Willumsen-Museums in Frederikssund. Der Bogen ist mit »Første Rejse til Italien 1902« (Erste Reise nach Italien 1902) überschrieben. 83 Vgl. Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn, S. 20.

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eine Skizze für die einzige weibliche Figur auf den großen Badebildern (Abb. 57, S. 302).84 Im Gegensatz zum gemeinsamen Bad in Amalfi ist in der späteren Skagener Phase die Hierarchie zwischen Künstler und Modell visuell wiederhergestellt. Diese Hierarchie ist die andere Seite im ambivalenten Verhältnis des Künstlers zu seinen italienischen Modellen. Die Hierarchie hat, wie Willumsen es selbst formuliert, eine ethnisch oder rassisch begründete Dimension. Die Unordentlichkeit, Unzuverlässigkeit und Schlampigkeit, die Willumsen den Italienern zuschreibt, äußere sich nicht zuletzt in ihrer Kleidung. Der Künstler spricht verächtlich über die Nachlässigkeit der Südeuropäer, erkennt jedoch einen Vorteil im Hinblick auf sein künstlerisches Projekt: es ist ein Vorteil hier, dass die Leute hier so halbnackt herumlaufen. Man bekommt viel Gelegenheit, Formen zu sehen und sie zu vergleichen, sie gehen alle barfuß und manche Männer laufen mit nackten Beinen herum, bis ganz nach oben – wo sie zusammengewachsen sind –. Ich bin seit einem halben Dutzend Tagen hier, ausschließlich um nackte sonnengebräunte Jungen Freiluft zu malen. Unten am Strand rennen sie den ganzen Tag nackt herum und werden von der Sonne ziemlich braun gebrannt.85

Willumsen hat zweifellos ein künstlerisches Interesse daran, »Formen zu sehen und sie zu vergleichen«. Ein Studium in einem Kopenhagener Atelier an Hand professioneller Modelle hat dafür offenbar nicht ausgereicht. Der plein airAspekt, das Freiluftstudium von Szenen des Alltagslebens, scheint wesentlich gewesen zu sein. Eine weitere wichtige Dimension scheint in der Faszination für Körper zu liegen, die sich in Bezug auf Klassen- und ethnische Zugehörigkeit unterscheiden und damit als exotisch gelten können. Die Nacktheit der Italiener

84 Es handelt sich dabei um eine Skizze für die Figurengruppe ganz rechts auf den fertigen Bildern, die ein ein kleineres Kind auffangendes Mädchen zeigt. Die weiblichen Figuren wurden der Komposition alle erst im Hinblick auf die Generalprobe und das endgültige Sonne und Jugend hinzugefügt. Auf den Fotografien von Amalfi sind ausschließlich badende Jungen zu sehen. 85 »der er en Fordel her, idet Folk gaa saa halvnøgne her. Man faar rig Lejlighed til at se Former og sammenligne dem, De gaa alle med bare Fødder og mange Mænd kan gaa med nøgne Ben helt op til – hvor de er vokset sammen –. Jeg har været her en halv Snes Dage, udelukkende for at tegne nøgne, solbrændte Drenge i fri Luft. Nede ved Stranden render de nøgne om hele Dagen og brændes ganske brune af Solen«, Jens Ferdinand Willumsen an Alice Bloch, 23. Juni 1902, Det Kongelige Bibliotek, Kopenhagen. Zitiert nach: Leila Krogh (Hg.) (1987): Løvens breve. J.F. Willumsens breve til Alice Bloch 1899-1923. Frederikssund: J.F. Willumsens museum, S. 29.

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erstreckt sich sogar auf Körperteile, die Willumsen lieber zwischen Gedankenstrichen umschreibt als sie auszusprechen. Gerade im Hinblick auf das NichtVerstecken bestimmter Körperteile wird Willumsens zwischen Abstoßung und Faszination schwankende Haltung deutlich. Mit der Vorstellung und Distanzierung vom Südeuropäer als Primitivem, Halb-Wildem geht auch eine Vorstellung vom Nordeuropäer als Zivilisiertem einher. Letztendlich qualifizieren sich die italienischen Jungen, die vom Künstler mit kleinen Geldbeträgen entlohnt wurden und die Edith Wessel während der langen Belichtungszeiten in manchen Positionen stützen musste, nicht als Motiv für Willumsens Malerei. Willumsen schreibt im Entwurf zu seinen Memoiren: »Ich machte ein paar gute Aquarelle von den Jungen, die im darauf folgenden Frühjahr 1903 auf der Freien Ausstellung ausgestellt wurden; aber die Kopenhagener begriffen sie nicht und die Kritik schwieg.«86 Hatten die Zuschauer und Kritiker ähnliche Assoziationen hinsichtlich schmutziger Füße und potenzieller Unanständigkeit wie Willumsen selbst? Schon 1904 waren Kompositionsskizzen fertig, die in den wesentlichen Elementen fast vollständig den monumentalen Bildern von 1909 und 1910 entsprechen. Jene wurden anhand von Skizzen im Atelier fertig gemalt. Es gibt also Anlass anzunehmen, dass Willumsen nicht auf Grund von zusätzlichen Skizzen vom Skagener Strand Haut- und Haarfarbe verändert hat. Womöglich handelt es sich um eine Inszenierung nordischer Körper, die eine wohlwollendere Reaktion des dänischen Publikums zum Ziel hatte.87 Akt und Allegorie: nordische Körper Die Verschiebung von dunkelhäutigen Modellen hin zu blonden Figuren auf den fertigen Bildern kann im Rahmen des Aktparadigmas als eine Verschiebung von nackt zum Akt im oben erläuterten Clarkschen Sinne beschrieben werden. Die Körper am Strand von Amalfi wären – in den Augen von Willumsen und seinen Zeitgenossen – nackt im Sinne von unbekleidet, von nachlässiger Kleidung und dem Verzicht auf das Bedecken Anstoß erweckender Körperteile, von wenig erhebender Alltäglichkeit. Die Körper der Badenden Kinder am Strand von Skagen erhalten hingegen eine überzeitliche, im Titel Sonne und Jugend gar allegorische

86 Von Hand verfasster Entwurf von J.F. Willumsens Memoiren im Archiv des J.F. Willumsen-Museums in Frederikssund. 87 Es existieren mehr als 200 Skizzen und Fotografien aus dem Arbeitsprozess mit den Badenden. Auch Marianne Wirenfeldt Asmussen schließt daraus, dass alles »gründlich kalkuliert« und »die Inszenierung bis ins kleinste Detail geplant« gewesen sei (»nøje kalkuleret […] iscenesættelsen er bestemt indtil den mindste detailje«), Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn, S. 22.

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Qualität. Henrik Wivel beschreibt das Thema der Bilder als »die Eroberung des Raums durch die Menschenkinder«.88 Tatsächlich könnten Badende Kinder am Strand von Skagen und Sonne und Jugend als Darstellung einer Urszene evolutionärer Menschwerdung und auch als Darstellung der Lebensalter interpretiert werden, krabbeln doch die kleinsten Kinder am Strand, während die ältesten schon muskulöse Manneskraft demonstrieren. Interessant ist der Aspekt, dass Willumsen während seines Aufenthalts in Amalfi auch die konservierten Leichen von Pompeji studierte und skizzierte. Möglicherweise sei es ihm um die Erforschung einer Lebenskraft gegangen, die sogar den Tod überdauert und sich im Körper manifestiert.89 Das Meer habe in Willumsens Universum, so Wivel, die Funktion, dieser Lebenskraft freien Lauf zu lassen, damit sie sogar, wie in den rückwärts springenden Figuren, die Schwerkraft überwinde.90 Eine allegorische Lesart scheint bei den Skizzen und Fotografien aus Amalfi nicht zu funktionieren. Zunächst mag das an unterschiedlichen Zuschreibungen hinsichtlich von Medialität und Kunststatus liegen, wonach nur durch die Malerei ein Transfer von ›nackt‹ zu ›Akt‹ erreicht werden kann. Der Unterschied bezieht sich aber auch auf differierende Bedeutungen von Nacktheit: bei den italienischen Kindern wird sie als Ursprünglichkeit mit Tendenz zum Primitiven ausgelegt, die eine zwischen Anziehung und Abstoßung pendelnde Reaktion hervorruft. Die Nacktheit der dänischen Badenden auf den großen Gemälden hingegen wird als in Kunst überführt und als Ausdruck einer vitalistischen Epiphanie verstanden. Einige der italienischen Jungen sind auf den Fotos im Ausziehen begriffen oder tragen halb heruntergerutschte Unter- oder Badehosen. Für die Figuren auf Badende Kinder am Strand von Skagen oder Sonne und Jugend scheint keine Kleidung zu existieren, wie für sie auch Alltag, Armut und Sexualität keine Gültigkeit zu besitzen scheinen. Der nordische Körper wird als vitalistischer Körper inszeniert und etabliert, als Symbol für »Lebensfreude, Gesundheit und Sonnenlicht«, Begriffe, mit denen Willumsen selbst sein künstlerisches Projekt beschrieben hat.91 Die Bilder aus Zeitungen und Zeitschriften, die Willumsen in seinen Mappen sammelte, bezeichnete er als »Material für eine vergleichende Menschenschilderung«.92 Im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen ging es Willumsen nicht in erster Linie um den Vergleich von Physiognomien, sondern um Bewegungs- und

88 »menneskebørnenes erobring af rummet«, Wivel (2005): J.F. Willumsen, S. 31. 89 Vgl. ebd., S. 33. 90 Vgl. ebd., S. 34. 91 Vgl. Sørensen (1981): »Vitalismens år?«, S. 27. 92 »Materiale til sammenlignende Menneskeskildring«, J.F. Willumsen an Johan Rohde, 10. Dezember 1900, zitiert nach: Krogh (1995): Fiktion og virkelighed, S. 118.

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Ausdrucksstudien. Ulla Hjorth kontextualisiert in ihrem Buch J.F. Willumsen in Europa sein Vorhaben dennoch in zeitgenössischen Rassenideologien. Der Grund für Willumsens Interesse an der Rassenlehre sei bei einem Aufenthalt in den USA 1900 gelegt worden. Der »Amerikaner« sei bei ihm »gleichbedeutend mit dem angelsächsischen oder Nordamerikaner. Dieser Typ repräsentierte Gesundheit, Stärke und dynamische Entwicklung. Das Gegensätzliche – das Negative –, das Stillstand oder geradezu Elend und Krankheit mit sich führte, war oft gleich bedeutend mit nicht-nordischen und nicht-europäischen Rassen«, so Hjorth.93 Die Verknüpfung des Gesunden mit dem Nordischen sowie die Verknüpfung der gegensätzlichen Begriffe habe Willumsen für den Rest seines Lebens beibehalten: »Der Nordeuropäer repräsentierte also für Willumsen nicht nur seelische Tiefe und Poesie, sondern auch seelische und körperliche Gesundheit und Schönheit.«94 Die badenden Kinder am Strand von Skagen verkörpern eine Vorstellung vom nordischen Körper als gesund, stark und jugendlich-dynamisch. Der gesunde vitalistische Körper ist, so ist aus Willumsens Bilderserie und dem zu Grunde liegenden Arbeitsprozess zu folgern, einer als homogen imaginierten blonden Volksgruppe zugeordnet. Den dunkelhäutigen und dunkelhaarigen Südeuropäern werden erstrebenswerte Natürlichkeit und Ursprünglichkeit sowie Sinnlichkeit und hitziges Temperament zugeschrieben und dienen kunstschaffenden Mittelund Nordeuropäern als Inspiration. Sogenannte Genremalerei beruht auf der Darstellung exotisierter Menschen und ihrem Alltag; aus den Fotos und Skizzen aus Amalfi hätten also auch Genreszenen enstehen können. Als Allegorie aber, die auf einer Imagination universeller Gültigkeit beruht, sind in Bezug auf soziale Schicht und Ethnizität markierte Körper kaum zu gebrauchen. Die Abspaltung vom Kontext der ursprünglichen Bildidee und damit von Körpern, die von einer nordeuropäischen Norm abweichen, vollzieht sich bei Willumsen im Lauf eines langjährigen und intensiven Arbeitsprozesses. Im gleichen Prozess wird der nordische Körper als Bedeutungsträger und Symbol innerhalb eines vitalistischen Kontexts etabliert. Erst über zwanzig Jahre später fügt Willumsen in einer kuriosen Strandszene, Die Nackten auf der Strandpromenade (De nøgne på strandpromenaden; 1933), Menschen unterschiedlicher Hautfarbe wieder auf einem Bild zusammen.

93 »ensbetydende med den angelsaksiske eller nordiske amerikaner. Denne type repræsenterede sundhed, styrke og dynamisk udvikling. Det modsatte – det negative – der førte stilstand eller ligefrem elendighed og sygdom med sig, var ofte ensbetydende med ikke-nordiske og ikke-europæiske racer«, Hjorth (2006): J.F. Willumsen i Europa, S. 26f. 94 Ebd., S. 28.

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4.8. N ORDISCHE K ÖRPER ? Im Zusammenhang mit zwei Ereignissen im Sommer 1896 findet eine Verknüpfung zwischen Nacktheit, Männergemeinschaft und einer sich aus disparat erscheinenden Quellen speisenden Feier von Schwedisch- oder Nordischsein statt. Im Juni wird auf der Insel Blå Jungfrun vor Kalmar Verner von Heidenstams Hochzeit mit Olga Wiberg gefeiert. Erland Lagerlöf beschreibt die Hochzeit, bei der das Who’s Who der schwedischen Kulturszene anwesend war, wie folgt: Lange erinnerte man sich der Nacht hier draußen auf dem Meer mit Efeu bekränzten und von flammenden Fackeln beschienenen Frauen und Männern in weißen Togen um das Brautpaar, das auf der schwedischen Flagge kniete. Hier trafen sich die Schwärmerei des Neuidealismus für Hellas, der nietzscheanische Übermenschen-Gedanke und die schwedische Nationalromantik in einer prachtvollen Synthese.95

Das Szenario wiederholt sich in parodistischer Weise einige Wochen später auf Sandhamn, wo sich Heidenstam und Acke mit anderen Freunden wiedertrafen. Fotografien zeigen, dass die Männer diesmal statt von Efeu von Algen bekränzt waren und statt Togen gar nichts trugen (Abb. 28, S. 235). In einem AckeKatalog von 1979 heißt es, man habe »ungezwungenen Umgang gepflegt«96: »Die Herren badeten und amüsierten sich.«97 Die Ehefrauen, die auf Sandhamn dabei gewesen sein sollen, werden nicht erwähnt. Svante Hedin bezeichnet in seinem Katalogtext die Fotografien, auf die ich in Kapitel 5 zurückkommen werde, als »vielleicht die natürlichsten Bilder überhaupt von einigen unserer später meist gefeierten Dichter«.98 1934 müssen die Bilder in einer Ausstellung zu sehen gewesen sein, denn Dagens Nyheter berichtet von der Vernissage, man könne »auf einem frühen Schärenbild mit Badenden mittlerweile berühmte Hun-

95 »Länge mindes man natten här ute i havet med murgrönsbekransade kvinnor och män i vita togor upplysta av flammande tjärbloss kring brudparet som knäböjde på den svenska flaggan. Här möttes nyidealismens svärmeri för Hellas, den nietzscheanska övermänniskotanken och den svenska nationalromantiken i en praktfull syntes«, Lagerlöf (1979): »J.A.G. Acke 1859-1924«, S. 20. 96 »Man umgicks otvunget om somrarna i Stockholms skärgård«, ebd. 97 »Herrarna badade och roade sig«, Svante Hedin (1979): »Som förlagor till målningar«, in: Lindvall: J.A.G. Acke, S. 48-77, hier: S. 70. 98 »Kanske de mest naturliga bilderna någonsin av några av våra senare mest uppburna diktare«, Hedin (1979): »Som förlagor till målningar«, S. 70.

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dertkilopaschas sehen [...], wie sie in einer Zeit waren, als sie sich noch trauten Nacktkultur zu betreiben.«99 Im Zusammenhang mit den Bildern und Ereignissen scheinen Vorstellungen von einem nordischen Körper verhandelt zu werden, gar von schwedischen Übermenschen mit griechisch-antikem Anstrich. Aus der Männergemeinschaft an Intellektuellen und Künstlern werden dabei, wie ich zu zeigen versuchen werde, nicht nur Frauen, sondern auch Angehörige anderer ethnischer Gruppen sowie Juden ausgeschlossen zu werden. Die Konstruktion eines nordischen Körpers beruht dabei auf zwei Aspekten: Auf der Abgrenzung gegenüber dem Anderen einerseits und auf der Naturalisierung, Neutralisierung und Normalisierung des Eigenen andererseits. Gerd Risslers Analyse von Ackes unpublizierten Notizen zeigt, dass Ackes Badende vor diesem Hintergrund verstanden werden können: Aber Acke wollte mehr als lediglich seiner eigenen Lebenslust Ausdruck zu verleihen. In seiner Kunst gibt es einen deutlichen Zug von Verkündung. [...] Die nackten Gestalten auf den Leinwänden von den Schären [...] sind nicht nur Menschen in glücklichem sommerlichem Spiel mit Wind und See. Sie [...] sind alle Symbole und Ausdrücke von Ackes Traum vom »feinen Menschen«, dem äußersten Exponenten der Entwicklung, dem Rassenmenschen, der mit sensibleren Sinnen »ein herrlicheres Leben« wahrnimmt und selbst verkörpert.100

Vergleicht man die von Rissler in Henning Hammargrens Erinnerungsbuch veröffentlichten Aphorismen mit Ackes im Nationalmuseum in Stockholm aufbewahrten Notizbüchern wird allerdings deutlich, dass Rissler die problematischen Aussagen ausgelassen hat. Ihr Artikel ist ein Versuch, den in den Notizen zum Ausdruck kommenden Rassismus damit zu entschuldigen, diese seien »lediglich Entwürfe«, seien in ihrer Form zwar »von seiner Persönlichkeit geprägt, bauten

99 »på en tidig skärgårdsbild med badande kan man få se numera berömda hundrakilospampar sådana de voro på den tid de ännu vågade bedriva nakenkultur«, Signatur »Col.«: »Vacker vernissage«, Dagens Nyheter, 16. November 1934. 100 »Men Acke ville något mer än ge uttryck åt sin egen livsförälskelse. Det finns ett klart drag av förkunnelse i hans konst. [...] De nakna gestalterna på dukarna från skärgården [...] är inte bara människor i lycklig sommarlek med vind och sjö. De [...] är alla symboler och uttryck för Ackes dröm om »människan den fina«, den yttersta exponenten för utvecklingen, rasmänniskan, som med känsligare sinnen uppfattar och själv är uttryck för »ett härligare liv«, Gerd Rissler (1960): »Ur Ackes skissböcker«, in: Hammargren: J.A.G. Acke, S. 99-105, hier: S. 100.

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in ihrem Inhalt aber auf Ideen auf, auf denen die Diskussion um die Jahrhundertwende beruhte.«101 Die Erläuterung und Rechtfertigung wird wie folgt fortgesetzt: Zu seinem ganzen Wesen Aristokrat und Individualist, in Kultur und soziale und ökonomische Unabhängigkeit hineingeboren, betrachtet Acke die Probleme von Gesellschaft und Menschen reichlich einseitig. Aber nimmt er so harte Worte wie Tiermensch und Pöbel in den Mund, wendet er sich nicht gegen die einzelnen Menschen. Wie die meisten Künstler war Acke offen für alle richtigen und echten Menschen ungeachtet ihres gesellschaftlichen Status.102

Rissler antwortet allerdings nicht auf die Frage, was für Acke ein »richtiger und echter Mensch« wäre. In einer der unpublizierten Notizen schreibt Acke, die Entwicklung gehe aus »vom Tiermensch mit dem Übermenschen zum Ziel«.103 Es sei die Aufgabe des »Rassemenschen«, »die Führung zu übernehmen. die Entwickelten das Leben genießen lassen. es ist ihr Recht und die anderen der große Haufen. lasst sie wenigstens zufrieden sein. sie sind nur Menschenmaterial [Groß- und Kleinschreibung wie im Original, LAK]«.104 Weiter heißt es in Ackes Notizen: »Die Alleinherrschaft des Rassemenschen reinigt das Menschenunkraut von der guten Saat, so wird das Wachstum des Menschen auf der Welt stärker und besser«.105 Der Rasse- oder Übermensch zeichnet sich laut Acke vor

101 »Anteckningarna i skissböckerna är bara utkast. Till formen är de präglade av hans personlighet men till innehållet bygger de på de idéer, som bar upp diskussionen omkring sekelskiftet«, ebd., S. 99. 102 »Till hela sitt väsen aristokrat och individualist, född till kultur och till socialt och ekonomiskt oberoende, ser Acke väl ensidigt på samhällets och människors problem. Men tar han så hårda ord som djurmänniska och pöbel i sin mun, är det inte mot de enskilda människorna han riktar sig. Som de flesta konstnärer var Acke öppen för alla riktiga och äkta människor oberoende av samhällsställning«, ebd. 103 »Utvecklingen går från djurmenniskan till öfvermeniskan som mål«, Acke in Notizheft XII, J.A.G. Acke-Archiv, Nationalmuseum Stockholm. 104 »Det är rasmenniskans uppgift att taga ledningen. låta de utväcklade njuta livet. det är deras rätt och de andra den stora hopen. låt dem åtminstone vara nöjda. de äro ändast menniskomatrial«, Acke in Notizheft XII, J.A.G. Acke-Archiv, Nationalmuseum Stockholm. 105 »Rasmenniskans alenarådande rensa menniska ogräs från de goda fröna så blir menniskans tillväxt på Jorden starkare och bättre«, Acke in Notizheft XII, J.A.G. Acke-Archiv, Nationalmuseum Stockholm.

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allem durch Gesundheit, Bildung und Intelligenz aus: »Die Reform ist durchgeführt, wenn alle glauben gesund und recht zu denken«.106 Hindernisse für eine entsprechende Entwicklung seien »Mangel an Denken, abgestumpftes Gefühl und Mangel an feinerer Sinnlichkeit. Diese Eigenschaften sind die des Rassemenschen«.107 Ackes Rassenideologie scheint mir problematischer zu sein als von Rissler dargestellt, deuten Bilder wie die von der Reinigung von menschlichem Unkraut oder vom »Menschenmaterial« doch durchaus auf Euthanasiegedanken hin. Dass Acke auch darüber nachdachte, wie die Herrschaft der »Rassemenschen« in einem Nationalstaat konkret vor sich gehen könnte, nämlich über die Beschränkung von Bürgerrechten, geht aus folgendem Zitat hervor: »Sollen die Arbeiter und Juden Wahlrecht in einem Land besitzen? Sie sollen nur internationales Wahlrecht erhalten und anstreben«.108 Ackes Notizen und Risslers Analyse zufolge geht es Acke um den »richtigen und echten Menschen«. Damit wird ein Konzept von Authentizität angedeutet, das im Schweden der Jahrhundertwende und in den nationalromantischen Bewegungen in Skandinavien überhaupt eine große Rolle spielte und mit dem Land und mit bestimmten als besonders authentisch wahrgenommenen Landstrichen verbunden wurde. Die Schären sind einer davon. Wie Eva Acke 1892 in einem Brief schreibt, handelt es sich dabei um »einen der charakteristischsten Gesichtszüge in diesem großen reich schillernden Wesen, das nordische Natur genannt wird«.109 Anders Zorn lebte abgesehen von seinen vielen Reisen in seiner Heimat Dalarna, die lange als das authentische Schweden galt.110 Laut Hans-Henrik Brummer, langjähriger Direktor unter anderem des Zorn-Museums in Mora und von Prins Eugens Waldemarsudde in Stockholm, förderte Zorn die Traditionen

106 »Reformationen är genomförd då alla tro sig tänka sundt och rätt«, Acke in Notizheft XII, J.A.G. Acke-Archiv, Nationalmuseum Stockholm. 107 »Hinderen äro brist på tanke, för slö känsla och brist på finare sinnlighet. Dessa egenskaper tillhöra rasmenniskan«, Acke in Notizheft XII, J.A.G. Acke-Archiv, Nationalmuseum Stockholm. 108 »Skola de arbetare och Judar ega rösträtt i ett land? De skola endast erhålla och sträfva efter internationellt rösträtt«, Acke in Notizheft XII, J.A.G. Acke-Archiv, Nationalmuseum Stockholm. 109 »ett av de mest karakteristiska anletsdragen i detta stora rikt skiftande väsen som kallas nordisk natur«, Eva Acke in einem Brief aus Sandhamn 1892, zitiert nach: Rissler (1960): »Acke och skärgården«, S. 110. 110 Vgl. Ralph Tuchtenhagen (2005): »Aus den Tälern zu nationalen Höhen. Dalarna als schwedische Ideallandschaft im 19. Jahrhundert«, NORDEUROPAforum 15:1, S. 6388.

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seiner Heimat in einer Weise, dass er den Dorfbewohnern eine finanzielle Förderung von Tanzveranstalten nur dann gewährleistete, wenn die Jugend in Tracht kam – die Mode war allerdings längst schon weiter. Auch sein Haus in Mora, den bis heute zu besichtigenden Zorngården, baute er in einem Stil, der Traditionen eher erfindet als wiederspiegelt. Das authentisch Nordische – offensichtlich überlappen hier Nation und Region als Kategorien im Identitätskonstruktionsprozess – strebte er auch mit seinen weiblichen Akten an, für deren Natürlichkeit er berühmt wurde. Brummer zufolge sollten Zorns Modelle nicht allzu sonnengebräunt sein, sondern mit heller Haut und hellen Haaren einem schwedischen »Rassetyp« entsprechen: ihre »helle Haut« sei nämlich »nicht nur ästhetisch interessant, sondern auch nordisch schön«.111 Frauen anderer ›Rassen‹ ließ sich Zorn auf seinen Reisen für Studienzwecke nackt vorführen – einer Verewigung in seiner Malerei würdig waren sie nicht. Der Umgang mit Hautfarbe im Kontext der Badenden von Zorn, Acke und Willumsen erscheint als ambivalent; die Wahrnehmung von Weißsein schwankt zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Zunächst scheint die eigene weiße Hautfarbe als neutral beziehungsweise gar nicht wahrgenommen zu werden, was der von der Kritischen Weißseinsforschung vertretenen These der »invisibility of whiteness as a racial position in white […] discourse« entspräche:112 »Other people are raced, we are just people«.113 Diese Selbstwahrnehmung als rassisch unmarkiert führt demnach zu einer Konstruktion des Weißen als universell menschlich, was die machtvollste Position überhaupt sei, so Richard Dyer in White.114 Im Vergleich mit der neutral erscheinenden und damit unsichtbaren weißen Hautfarbe wirkten alle Anderen als umso ›farbiger‹. Paradoxerweise, oder als Teil der gleichen Logik, geht mit der Neutralisierung von Weißsein hier auch eine Konstruktion und damit Sichtbarmachung des spezifisch Nordischen als Weiß einher. Bei den Künstlern kommen unterschiedlichen Strategien in Bezug auf Körperinszenierungen zur Anwendung. Ein Beispiel wäre die bereits präsentierte kontrastive Hervorhebung von Haut- und Haarfarben bei Acke und Willumsen.

111 »rastyper […] ljusa hy var inte bara estetiskt intressant utan också nordiskt skön«, Brummer (1994): Till ögats fröjd, S. 270. 112 Richard Dyer (1997): White. London, New York: Routledge, S. 3. 113 Ebd., S. 1. 114 Vgl. ebd., S. 2. Siehe auch: Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr (2008): Das Privileg der Unsichtbarkeit: Rassismus unter dem Blickwinkel von Weißsein und Dominanzkultur. Wien: Braumüller.

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Eine weitere Strategie, die Weißsein gleichzeitig unsichtbar macht und symbolisch oder gar ideologisch auflädt, kann die Etablierung einer Lichtmetaphorik sein,115 wie sie im Zusammenhang mit Acke sehr präsent ist. Licht wird hier mit Reinheit und mit einer gasförmigen Struktur verknüpft. Acke wird an einer Stelle als der Luftgeist Ariel charakterisiert,116 »Reinheit und Licht« werden als die Elemente seines Gemüts genannt.117 Auch die Badenden werden in Besprechungen als luftig und von Licht durchflutet beschrieben. Wenn die weißen nordischen Körper als von schmutziger Materie gereinigt wahrgenommen werden, erscheinen die Körper der Anderen umso präsenter in ihrer von dunkler Farbe gesättigten Substanz, die, wie Willumsen bemerkt, mit Himmel und Strand kontrastiert. Die nordischen Badenden werden als gereinigt, erneuert und verjüngt imaginiert. In dieser ›Reinform‹ kann der nordische Körper als vitalistisches Symbol oder als Allegorie auf Lebenskraft und Gesundheit funktionieren. Die Untersuchung der Badenden von Acke und im Vergleich dazu von Zorn und Willumsen zeigt, dass diese Symbole einer nordischen Lebenskraft und Naturnähe keineswegs neutrale Körper sind. Sie werden in Ein- und Ausschlussprozessen entlang der miteinander verschränkten Achsen von Geschlecht, Hautfarbe und ›Rasse‹, Sexualität und Begehren sowie Gesundheit und Krankheit erst konstituiert und mit der entsprechenden Bedeutung aufgeladen. Produkt des Prozesses ist ein nordischer Körper, der in seiner imaginierten Homogenität und Universalität bis heute in über die bildende Kunst hinausreichenden Kontexten wirkmächtig ist. Im Zusammenhang mit den Präsentationen und Diskussionen von Bildern badender Männer habe ich vielfältige Verflechtungen von Motiv und Genre betreffenden Narrativen mit autobiografischen und biografischen Erzählungen aufgezeigt. Inszenierungen der dargestellten Körper überlappen in vielen dieser Er-

115 Vgl. Lill-Ann Körber (2004): »Whiteness in Fredrika Bremers Hemmen i den nya världen«, in: Henk van der Liet, Astrid Surmatz (Hg.): Postkoloniale tilgange til Nordisk rejselitteratur. Sonderausgabe der Tijdschrift voor Skandinavistiek 25:2, S. 41-63. Siehe auch Jana Husmann-Kastein (2006): »Schwarz-Weiß: Farb- und Geschlechtssymbolik in den Anfängen der Rassenkonstruktionen«, in: Gabriele Dietze u.a. (Hg.): Weiß – Weißsein – Whiteness. Kritische Studien zu Gender und Rassismus. Frankfurt a.M.: Peter Lang, S. 43-60. 116 Vgl. Karl Asplund (1960): »J.A.G. Acke – ett hundraårsminne«, in: Hammargren: J.A.G. Acke, S. 9-15, hier: S. 10. Nachdruck aus Svenska Dagbladet, 5. April 1959. 117 »Renhet och ljus voro dess element«, Rede des Pfarrers August Lindh am Begräbnis Ackes, zitiert nach: o.A.: »Jag Ackes jordfästning«, o.O., 11. September 1924, J.A.G. Acke-Archiv, Nationalmuseum Stockholm.

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zählungen mit Inszenierungen von Künstlerschaft und damit mit Repräsentationen der Körper der Künstler selbst. Die geschilderten Differenzierungsprozesse lassen sich oft auf beides beziehen. Mit einem Fokus auf Fotografie im Kontext der Badenden werde ich im Folgenden die Differenzierungsprozesse um eine mediale Dimension erweitern. Damit nehme ich ein zentrales Moment der Überschneidung zwischen Leben und Werk in den Blick, als das die Fotografie gemeinhin wahrgenommen wird.

5. Die nackte Wahrheit? Fotografie und männliche Badende

Edvard Munch, Eugène Jansson, J.A.G. Acke und J.F. Willumsen sind im Rahmen ihrer künstlerischen Tätigkeit einer Gruppe zuzuordnen, die gleichzeitig mit dem Medium Fotografie, spätestens aber mit der Erfindung und Verbreitung der Handkamera entstand: dem Amateurfotografen oder Knipser.1 Sie hatten keine formale Ausbildung in Fotografie absolviert und keiner der Künstler wies innerhalb des eigenen Werks der Fotografie einen mit der Malerei gleichrangigen Status zu. Ihre Fotografien sind erst in jüngster Zeit überhaupt ausgestellt worden, und mit der Ausnahme weniger Publikationen ist ihnen auch in der Forschung bis vor Kurzem kaum Aufmerksamkeit zuteil geworden. Ein Grund hierfür ist in der die Fotografie seit ihrer Erfindung begleitende Debatte über ihren Kunststatus zu sehen, die unter anderem zu lautstarken Abgrenzungsversuchen von Seiten der Künstler und Berührungsängsten von Seiten der Kunstwissenschaft geführt hat. Erst seit Ende der 1980er Jahre hat man sich in Ausstellungskatalogen und Monografien mit dem Verhältnis von Fotografie und Malerei in Bezug auf die behandelten Künstler beschäftigt. Dabei wurde früher der Fokus vor allen Dingen auf die Rolle der Fotografie im Arbeitsprozess gelegt.2 Einige neue Pu-

1

Vgl. Elizabeth C. Childs (1999): »The Photographic Muse«, in: Kosinski: The Artist and the Camera, S. 24-33, hier: S. 25. Siehe auch Timm Starl (1995): Knipser. Die Bildgeschichte der privaten Fotografie in Deutschland und Österreich von 1880 bis 1980. München, Berlin: Koehler&Amelang und Dorothy Kosinski (1999): »Vision and Visionaries: The Camera in the Context of Symbolist Aesthetics«, in: Dies.: The Artist and the Camera, S. 12-23.

2

Hedin (1979): »Som förlagor till målningar«; Eggum (1987): Munch og fotografi; Ders. (1988): »Edvard Munchs fotografier«, in: Eggum, Stenseth (Hg.): Skandinavisk

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blikationen kontextualisieren die Maler nun in ihrem medialen Umfeld und berücksichtigen dabei vor allen Dingen auch die Fotografie.3 Einen ersten Ansatz zur Systematisierung des Materials und damit der vergleichenden Betrachtung der Aktfotografie von Munch, Jansson, Acke und Willumsen unternimmt Ingebjørg Ydstie 2006 im Katalog Livskraft.4 Bei allen präsentierten Künstlern ist hinsichtlich der Serien badender Männer die Fotografie ein wesentlicher Bestandteil sowohl des Arbeitsprozesses als auch des künstlerischen Produkts. Zwei Aspekte sind dabei besonders auffällig. Erstens wurde die Fotografie von den Künstlern im Zusammenhang mit den Badenden in viel größerem Umfang verwendet als in anderen Werkphasen. Die Verbindung von Fotografie und Freiluft-, Sport- und Badekultur ist dabei kein singuläres Phänomen, sondern war im Gegenteil zu Anfang des 20. Jahrhunderts weit verbreitet. Dem entsprechend lautet eine Ausgangsthese der Publikation zur Ausstellung SportsGeist auch, der Raum des Sports zu Anfang des 20. Jahrhunderts sei immer »ein medial vermittelter« gewesen, die »Epoche des Sports« sei »auch eine der Bildmedien Fotografie, Film und Fernsehen«, der Sport sei somit nicht von medialen Diskursen und Praktiken der Zeit zu trennen.5 Der Kunsthistoriker Klaus Wolbert bezeichnet im zweibändigen Übersichtswerk Die Lebensreform die Fotografie als »das wichtigste Medium der Nacktkultur«.6 Auch Patrik Steorn stellt in seinen Untersuchungen zum männlichen Akt in Schweden fest, dass die Badekultur vor allem mit Hilfe der Fotografie dokumentiert und gestaltet worden sei.7 Er vertritt die These, das Fotografieren sei sogar Teil des Rituals um Freiluftleben und Baden gewesen, eigne sich das Medium doch in besonderem Maß dafür, »den Eindruck von Leben und Spontaneität« zu vermitteln und zu verstärken, den es zu erzielen und zu pflegen galt.8 Der erwünschte »Effekt von Vitalität« werde noch größer, wenn das Foto von einem »Mitbader« aufge-

kunst og fotografi, S. 115-37; Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn; Krogh (1995): Fiktion og virkelighed. 3

Söderlund, Steorn, Meister (2012): Eugène Jansson; Lampe (2012): Edvard Munch – Der moderne Blick.

4

Ydstie (2006): »Eksponert – mannsakten som fotografisk erfaring«, in: Dies.:

5

Tworek, Ott (2006): SportsGeist, S. 12.

6

Klaus Wolbert (2001): »›Unbekleidet‹ oder ›ausgezogen‹? Die befreite Nacktheit in

Livskraft, S. 130-147.

der Kunst«, in: Kai Buchholz u.a. (Hg.): Die Lebensreform, Band II, S. 369-72, hier: S. 371. 7

Steorn (2006): Nakna män, S. 110.

8

»intrycket av liv och spontanitet«, ebd., S. 112 und 114.

5. F OTOGRAFIE

UND MÄNNLICHE

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nommen sei.9 Aufgerufen ist hier die Vorstellung vom Baden als Gemeinschaftserlebnis, dem eine Hierarchie zwischen Fotograf und Fotografiertem, damit zwischen Bildsubjekt und -objekt oder zwischen Künstler und Modell wie in der Malerei abträglich wäre. In diesem Zusammenhang kommt der zweite bemerkenswerte Aspekt hinsichtlich der Verwendung von Fotografie durch die Künstler zum Tragen, nämlich die Tatsache, dass von Munch, Acke, Jansson und Willumsen fotografische Porträts und Selbstporträts existieren, die sie als Badende inszenieren. Anhand der Fotografien, in denen die Künstler also mehr oder weniger direkt selbst als Modelle für ihre Badebilder auftreten, lässt sich das Verhältnis von Kunst und Körper, das bereits in den vergangenen Kapiteln untersucht wurde, in einer weiteren Dimension betrachten: Bedingt durch die ihr eigene Medialität und Referentialität können die Fotografien und in der Folge auch damit in Verbindung stehende Gemälde als Teil autobiografischer Projekte interpretiert werden, die die Künstler verfolgen und in deren Zentrum der eigene männliche Körper steht. Die Fotografien scheinen die Funktion einer Selbstvergewisserung zu übernehmen, die über die Reflexion von Künstlerschaft hinausgeht und die Künstler über das gemeinsame Motiv hinaus verbindet. Eine Identität konstituierende Funktion ist nach Timm Starl wichtigstes Merkmal der von ihm so bezeichneten »Knipserfotografie«.10 Im Zusammenhang mit der Aktfotografie zum hier fokussierten Zeitpunkt stellt sich die zentrale Frage, ob sich das Verhältnis von Fotografie und Malerei analog zum Verhältnis zwischen ›nackt‹ und ›Akt‹ beschrieben werden kann. Kann in der Wahrnehmung der Künstler und ihrer Rezipienten die Fotografie den nackten Körper in einen Akt transformieren, oder bleibt der Transfer in eine von Raum und Zeit losgelöste Sphäre, vom Körper zum Symbol oder zur Allegorie – so die gängige Definition des Akts –, der Malerei und Skulptur vorbehalten? Die Geschichte der Fotografie ist kaum ohne ihre Verflechtung mit der Geschichte der Pornografie zu denken: »the immediacy and virulence of the reaction against the photographic nude confirms«, so Thomas Waugh, »the existence of the erotic reading of the nude«.11 Viele Aspekte der Medialität von Fotografie, seien es ihre besonderen Produktions-, Distributions- und Konsumstrukturen oder ihre (lange Zeit fehlende) institutionelle Verankerung, führen dazu, dass der

9

»medbadare«, »effekten av vitalitet«, ebd., S. 112.

10 Starl (1995): Knipser, z.B. S. 22. 11 Thomas Waugh (1996): Hard to Imagine: Gay Male Eroticism in Photography and Film from their Beginnings to Stonewall. New York: Columbia University Press, S. 62.

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nackte Körper mit seinen auf sensorische Perzeption und physische Prozesse bezogenen Implikationen ›am Bild haften bleibt‹, wie Roland Barthes es in seinem Essay La Chambre claire ausdrückt.12 Diese spezifische Referentialität gilt es im Hinblick auf die mit den Badenden einhergehende Verhandlung von Privatheit und Öffentlichkeit, von Leben und Werk und vom Verhältnis unterschiedlicher medialer Repräsentationen von Körpern zu untersuchen. Für die Fotografien badender Männer bei Munch, Acke, Jansson und Willumsen scheint mir kennzeichnend zu sein, dass Künstler und Knipser zusammenfallen. Einerseits weisen die Fotografien auf die zielgerichtete Beschäftigung mit Motiv und Komposition und damit auf die Position des Künstlers als Bildsubjekt und auf das Verhältnis von Künstler und Modell hin. Andererseits sind die Fotos Dokumente biografischer Situationen, die soziale Beziehungen und den Blick auf den eigenen Körper inszenieren. Die Fotografien verschränken also öffentliche und private Szenen und Rollen und reflektieren Bedeutungen von Künstlerschaft auf persönlicher und professioneller Ebene sowie in der öffentlichen Wahrnehmung. Im Folgenden werde ich erläutern, welche Rolle die Fotografie im Arbeitsprozess der Künstler spielt und in welchem Verhältnis Fotografie und Malerei jeweils zueinander stehen. Mit einer Untersuchung der Funktionalisierung von Fotografie im Rahmen autobiografischer Projekte werde ich abschließend die Frage nach der Einbettung der Badenden in biografische und autobiografische Narrative noch einmal neu stellen.

5.1. K ÜNSTLER ALS K NIPSER – BADENDE M ÄNNER UND I NTERMEDIALITÄT Die von Dorothy Kosinski 1999 für das Museum of Modern Art in San Francisco kuratierte Ausstellung The Artist and the Camera und der von ihr herausgegebene Katalog widmen sich systematisch der Verwendung der Fotografie durch Künstler der klassischen Moderne. Wie Kosinski in ihrem einleitenden Aufsatz bemerkt, haben sich Ausstellungen und Publikationen zuvor entweder nur mit jeweils einem Künstler oder aber mit der Ebene beschäftigt, die sie als am wenigsten interessant bezeichnet, nämlich die Verwendung eigener Fotografien oder die anderer Fotografen durch Künstler als Skizze oder als Vorlage für Gemälde. Als bemerkenswerter erachtet sie die »multiple significances and uses of the photograph, and, most important, the fluidity that exists between photog-

12 Vgl. Barthes (1985): Die helle Kammer, S. 14.

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raphy, painting, and sculpture«.13 Beide Aspekte, die vielfältige Bedeutung und Verwendungsweise von Fotografie sowie die fließenden Übergänge und Wechselwirkungen zwischen den Medien, spielen im Hinblick auf die hier besprochenen Künstler eine Rolle. Die sich ergebenden intermedialen Phänomene können nicht auf eine konsekutive und lineare Abfolge von vorbereitender beziehungsweise dokumentierender Fotografie und fertigem Bild – hier meist in Öl – reduziert werden. Damit zusammenhängend kann auch der Status der Fotografie nicht auf Versuche von Dilettanten reduziert werden, deren Medium im Grunde ein anderes sei. Hier kann mit Gewinn an den Ansatz von Timm Starl angeknüpft werden, der den Knipser nicht als unzulänglichen Fotografen definiert, sondern die von ihm so genannte Knipserfotografie als Genre mit eigenen Konventionen, Zielen und Zwecken präsentiert.14 Nach Starl handelt es sich bei der Knipserfotografie, die um 1890 mit der Entwicklung und Verbreitung der ersten Handkamera entsteht,15 um eine private Form der Mediennutzung, bei der es nicht in erster Linie um eine Beherrschung des Mediums nach Maßgaben eines ausgebildeten Berufsstands geht. So stehen bei der Analyse nicht »ästhetische oder technische Merkmale, sondern die funktionellen Aspekte« im Vordergrund.16 Die Funktion des Knipsens beziehe sich vor allem darauf, »Momente des eigenen Daseins bildlich aufzuzeichnen«.17 Die private Fotografie zeichne sich durch ihre »kommunikative Seite« aus, weil sie oft im Kreis von Familie und Freunden betrieben werde, und über die Auseinandersetzung mit Erinnerungen soziale Beziehungen verhandelt würden.18 Künstler stellen eine besondere Gruppe in Bezug auf die Knipserfotografie dar, die bei Starl nicht gesondert betrachtet wird. Als Profis im Hinblick auf visuelle Medien gehen sie mit Komposition, Licht und Farbe anders um als andere »Dilettanten« oder »Liebhaberphotographen«, wie es laut Starl im zeitgenössischen Diskurs heißt.19 Die Künstler, die sich der Fotografie bedienen, sind nur in Bezug auf die Medientechnologie Amateure oder Autodidakten, nicht aber in Bezug auf visuelle Ausdrucksformen. Da die Fotografie bei allen hier untersuchten Künstlern in direktem Zusammenhang mit ihrer künstlerischen Tätigkeit steht, möchte ich sie – vielleicht paradox – als professionelle Knipser bezeichnen. Das Spezifische im

13 Kosinski (1999): »Vision and Visionaries«, Anmerkung 3, S. 22. 14 Starl (1995): Knipser. 15 Siehe auch Childs (1999): »The Photographic Muse«, S. 29. 16 Starl (1995): Knipser, S. 21. 17 Ebd., S. 22. 18 Ebd. 19 Ebd., S. 14.

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Verhältnis eines bildenden Künstlers zur Kamera drückt der Kunsthistoriker Joseph Adolf Schmoll in Bezug auf Munch mit den schönen Worten aus, dessen Fotos seien Produkte eines »technischen Outsiders und genialen Augenmenschen«.20 Der Ansatz, die Fotos als Produkte von Knipsern zu deuten, hat den Vorteil, dass die Fotografien weder auf ihre Funktion als Hilfsmittel oder Dokumente reduziert noch als der Malerei gleichrangige Kunstwerke betrachtet werden müssen, sondern als eigenes Genre in spezifischer Verschränkung mit der Malerei interpretiert werden können. Ich möchte mich Starls Einschätzung anschließen, dass es »den Einbruch des Intimen ins Öffentliche durch das Medium der Fotografie und mit Hilfe der Fotografie« manifestiere, wenn in jüngeren Ausstellungen mit dem Ziel der Kontextualisierung private Fotografien von Künstlern ausgestellt werden oder mit Fotografie arbeitende Künstler sich »der Geste des Knipsers bedienen«.21 Als Imaginationen oder als Teil medialer Inszenierungen kommt auch hier der kommunikative Aspekt privater Fotografie zum Tragen, indem entweder Kommunikationssituationen dokumentiert werden oder eine Kommunikationssituation zwischen Betrachter und Künstler als Ausgangspunkt für einen gemeinsamen Erinnerungsprozess etabliert zu werden scheint.

5.2. J.A.G. A CKE

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Laut Svante Hedin, dessen Artikel im Ausstellungskatalog zur Acke-Retrospektive 1979 die einzige gesonderte Veröffentlichung zu J.A.G. Ackes Fotografien darstellt, verwendete der Künstler »die Kamera als Skizzenbuch«.22 Claes Moser schreibt im Katalog von 1991, Acke habe seine Bilder »mit der Kamera als Gefährten« komponiert.23 Aus den Jahren 1896 bis ungefähr 1920 sind 439 Glasnegative mit ungefähr ebenso vielen Kontaktabzügen erhalten, die sich zum großen Teil im Acke-Archiv in der Königlichen Bibliothek in Stockholm befinden. Hedin konstatiert, es sei oft schwierig, zwischen »Arbeits- und Familienbildern« zu unterscheiden, vor allem deswegen, weil Acke mit Vorliebe Freunde, Fami-

20 Joseph Adolf Schmoll, gen. Eisenwerth (1973): »Munchs fotografische Studien«, in: Henning Bock und Günter Busch (Hg.): Edvard Munch. Probleme – Forschungen – Thesen. München: Prestel, S. 187-225, hier: S. 200. 21 Starl (1995): Knipser, S. 21. 22 »kameran som skissbok«, Hedin (1979): »Som förlagor till målningar«, S. 53. 23 »med kameran som ledsagare«, Claes Moser (1991): »J.A.G. Acke«, in: J.A.G. Acke. Stockholm: Prins Eugens Waldemarsudde, S. 17-46, hier: S. 41.

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lienmitglieder und sich selbst als Modelle verwendete.24 Über den Arbeitsprozess ist kaum Genaues bekannt. Es kann sein, dass sich Acke auch von Fotografien inspirieren ließ, die nicht in erster Linie als Entwürfe oder Vorlagen gedacht waren. Da sich seine Produktivität als Maler in Grenzen hielt, kann es auch sein, dass einige der erhaltenen Fotografien als Vorlagen gedacht waren, dann aber nie als Gemälde realisiert wurden. Auch die Chronologie des Arbeitsprozesses lässt sich kaum nachvollziehen. Sind die Ölbilder, als plein-air-Malerei, auch an Ort und Stelle entstanden, gleichzeitig mit den Fotografien? Bedeutet das, dass Acke vom Modell gemalt hat und die Fotografien zur Dokumentation der Situation dienten? Oder sind beide Stadien, das Fotografieren und das Malen, durch einen Zeitraum von der Dauer der Bildentwicklung voneinander getrennt? Meereslauscher Ein Hinweis auf das unklare chronologische Verhältnis zwischen Fotos und Bildern ist die schwierige Datierung von beiden. So heißt es im Katalog von 1991, Acke habe Meereslauscher (Abb. 15, S. 175) 1909 begonnen.25 Im Katalog Lebenskraft (Livskraft) werden die dort so genannten fotografischen Vorlagen für Meereslauscher auf den Juni 1910 datiert.26 Im Katalog von 1991 wiederum heißt es, Acke habe in Mariefred am See Mälaren im Spätsommer 1910 »das Modell für Meereslauscher« gemalt.27 Die endgültige Version sowie eine vorbereitende Studie werden im selben Katalog auf 1909 datiert.28 Für mich ist hier nicht eine korrekte Datierung entscheidend, sondern die Tatsache, dass Ackes Fotografie zumindest in diesem Fall nur unzureichend als Skizze oder Vorlage beschrieben ist, impliziert dies doch eine chronologische Ordnung, bei der das Gemälde auf die Fotografie folgt. Wenn die ersten Skizzen schon im Jahr vor der Fotografie entstanden sind, die Fotografie aber ungefähr gleichzeitig oder gar nach der endgültigen Version des Gemäldes, kommt ihr ein anderer Status im Bildprozess zu, als es die Bezeichnung einer Vorlage zu vermitteln mag. Die Fotografie wäre vielmehr die Realisierung einer Bildidee in einem weiteren Medium, wobei die spezifische Medialität von Fotografie dem Bild eine neue Dimension hinzufügt und die Fotografie immer noch ein Zwischenstadium im Arbeitsprozess darstellen kann. Ackes Fotos mit Hedin als arrangierte Augen-

24 »arbets- och familjebilder«, Hedin (1979): »Som förlagor till målningar«, S. 74. 25 Vgl. J.A.G. Acke (1991). Stockholm: Prins Eugens Waldemarsudde, S. 13 und 48. 26 Vgl. Ydstie (2006): Livskraft, S. 143 und 155. 27 »modellen till Havslyssnaren«, J.A.G. Acke (1991), S. 48. 28 Vgl. ebd., S. 88f.

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blicksbilder zu benennen,29 ist meines Erachtens zutreffend: Der Künstler, der an der Komposition eines Bildes arbeitet und zu diesem Zweck ein Modell im Raum arrangiert, ist in jenem Moment identisch mit dem Knipser, der mit der Kamera einen Augenblick seines Lebens festhält. Eine der Fotografien, die im Zusammenhang mit Meereslauscher entstand, zeigt einen auf einer Klippe ausgestreckten, auf seiner linken Körperseite liegenden Mann (Abb. 23). Sigge Häggberg, ein Student und Freund der Familie, wurde während der Sommerfrische bei Mariefred am See Mälaren fotografiert. Der Körper bildet eine Linie zwischen dem die untere Bildhälfte ausfüllenden Felsen und dem ruhigen Gewässer im Bildhintergrund, das am Horizont mit einem bewaldeten Uferstreifen abschließt, auf dessen Mitte ein Haus zu sehen ist. Der Körper des Mannes erstreckt sich fast über die gesamte Bildbreite. Die rechte Körperseite und das Gesicht sind dem Fotografen beziehungsweise dem Betrachter zugewandt. Der Oberkörper stützt sich auf den rechten angewinkelten Arm, wobei die Muskeln im Körper nicht angespannt zu sein scheinen. Sofern die verschatteten Augen eine Deutung der Blickrichtung zulassen, scheint der Blick in die Ferne gerichtet und nicht auf einen Gegenstand oder den Fotografen fokussiert. Abb. 23: Sigge Häggberg bei Mariefred (1910)

Das Bild ist präzise komponiert und durch seine horizontalen Achsen geprägt, die sich von vorn nach hinten in einer Felsspalte, dem liegenden Körper, der Ufer- und der Horizontlinie wiederholen. Das Haus im Hintergrund, die Körpermitte sowie eine Pfütze im Bildvordergrund bilden eine vertikale Achse, die

29 Vgl. Hedin (1979): »Som förlagor till målningar«, S. 56.

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das Bild genau in zwei Hälften unterteilt. Die Mitte des liegenden Körpers ist gleichzeitig das Bildzentrum. Die Diagonalen im auf den unteren Arm aufgestützten Körper und in der Uferlinie verleihen dem strengen Bildaufbau eine leichte Dynamik, verhindern aber nicht den Eindruck, es handle sich um eine friedliche, ruhige Szene. Der Liegende scheint sich nach einem Bad auf dem Felsen auszuruhen, sich von der Sonne trocknen und die Gedanken schweifen zu lassen. Der sich an den Felsen schmiegende Körper scheint sich in die natürlichen Formationen der Landschaft einzufügen und vermittelt zwischen Bildvorder- und -hintergrund. Mensch und Natur, so der Eindruck, koexistieren friedlich. Ein Zusammenhang zwischen Fotografie und Malerei ist offensichtlich, wenn auch nicht belegt werden kann, ob Acke sich im Atelier der Fotografie als Vorlage bedient oder aber sein Modell entsprechend der Bildidee oder früher entstandener Skizzen inszeniert hat. Fotografie und Gemälde stimmen hinsichtlich der Körperhaltung der männlichen Figur, ihrer Platzierung auf dem Übergang zwischen dem Felsen im Bildvordergrund und der Wasserfläche im Bildhintergrund, hinsichtlich der Form der Klippe und ihrem ungefähren Anteil an der Bildfläche sowie der horizontalen Orientierung des Bildaufbaus überein. Der markanteste Unterschied zur Fotografie, der den Ausdruck des Bilds deutlich verändert, sind das fehlende Ufer und damit die fehlende Horizontlinie auf dem Gemälde. Der Felsen befindet sich nun in einer Wasserfläche, die keine andere Begrenzung hat als die Bildränder: Der Bildausschnitt scheint ein Ausschnitt aus einer unendlichen Wassermasse zu sein. Die zum unteren Bildrand parallele Felsspalte aus der Fotografie kehrt wieder, was darauf hindeutet, dass sich Acke bei der endgültigen Version von Meereslauscher doch am Foto orientiert hat. Auf dem Gemälde scheint die Linie aber den Felsen auch nach unten vom Wasser abzugrenzen, die Wellen brechen sich an der Klippe. Im Gegensatz zur Fotografie, wo der Fotograf ebenfalls auf der Klippe gestanden zu haben scheint, und somit der Bildraum in den Betrachterraum übergeht, scheint man vom Standpunkt des Betrachters den Felsen mit dem liegenden Mann nicht trockenen Fußes erreichen zu können. Die Klippe ist auf allen Seiten von Wasser umgeben, was die Position des Liegenden ungleich prekärer erscheinen lässt als auf der Fotografie. Zu diesem Eindruck trägt bei, dass das Wasser aufgewühlt ist. Die Uferlinie ist durch einen Wellenkamm ersetzt, und die Welle scheint über die ganze Breite des Bilds von hinten auf die Klippe zuzurollen. An beiden seitlichen Bildrändern spritzt Gischt am Felsen hoch, und von vorn scheint das Wasser die Klippe zu überspülen. Die Bewegung der Wellen von links vorn bis unter den liegenden Körper kann an Hand der blauen breiten schräg verlaufenden Pinselstriche nach-

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vollzogen werden. Der Körper selbst wirkt im Vergleich zur Fotografie auch dynamisiert, wozu vor allem zwei Details beitragen: statt eines Steins liegt nun die linke Hand des Manns neben seinem Kopf, und der rechte Ellbogen liegt nicht am Körper und am Felsen an, sondern ist abgewinkelt. Das Abstützen auf der zur Faust geballten Hand versetzt den ganzen Körper in Spannung. Die Muskeln in Arm, Rücken und Oberschenkel sind mit Pinselstrichen modelliert und werden durch das im Verhältnis zur Fotografie verstärkte Spiel mit Licht und Schatten und die hellen Sonnenflecken betont. Während sich der Körper auf dem Foto ruhig an den Felsen schmiegt, scheint die Figur des Meereslauschers von einer Welle auf den Felsen geworfen worden zu sein oder sich unter Aufbietung aller Körperkraft auf die Klippe gerobbt zu haben. Im Vergleich zur Fotografie fällt also die größere Dynamik im Körper, in der Landschaft und im Verhältnis von beidem zueinander auf, die durch den verkleinerten und verdichteten Bildausschnitt gesteigert wird. Durch die Maßnahmen verändert Acke nicht nur den Ausdruck, sondern auch das Thema des Bilds. Der liegende Akt in einer Landschaft aus der Fotografie wird im Gemälde existenziell aufgeladen. Das Bild stellt Fragen nach dem Verhältnis von Mensch und Natur, nach Augenblick und Ewigkeit, nach Leben und Tod. Mit dem Hilfsmittel der Fotografie kann Acke Körper- und Landschaftsdarstellung studieren. Er übernimmt die Körperhaltung, die Platzierung des Körpers in der Landschaft sowie grundlegende Elemente der Komposition. Die Fotografie ist kein Schnappschuss, sondern sorgfältig komponiert. Symbolisch aufgeladen wird der Körper aber erst im Prozess der Übertragung in ein anderes Medium. Östrasalt Ein ähnliches Prinzip verfolgt Acke schon 1906 bei Östrasalt (Abb. 16, S. 179). Eine Reihe von Fotografien, die in den Katalogen als fotografische Vorlagen für Östrasalt bezeichnet werden,30 entstand im Juni 1906 auf Ornö in den Stockholmer Schären, wo Ackes Bekannter, der Komponist Sigurd von Koch, ein Sommerhaus besaß. Im selben Jahr stellte Acke zwei Versionen des Gemäldes fertig. Die Chronologie ist wieder unklar. Laut Claes Moser malte Acke eine erste Version plein air auf Ornö. Das Bild habe Acke in zwei Teile geschnitten und die linke Hälfte von Koch geschenkt, der dafür Modell gestanden hatte. Das Bild ist in Rot mit »Eine Studie für Östrasalt« überschrieben, in der linken oberen Bildecke Sigurd von Koch gewidmet und in der rechten oberen Bildecke auf »Ornö 1906« datiert und vom Künstler signiert. Erst nach dem Tod von Kochs und Ackes habe der Maler Rikard Lindström, Modell für die dritte Figur, die Teile

30 Vgl. z.B. J.A.G. Acke (1991), S. 39 und Ydstie (2006): Livskraft, S. 80, 143 und 155.

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wieder zusammengefügt, wodurch die »drei Freunde« wieder »verbrüdert wurden«, habe eine fehlende Partie fertig gemalt und das Bild in der linken unteren Bildecke signiert.31 Moser gibt keine Auskunft darüber, wer von beiden in Rot unter die Figuren Namen und Berufsbezeichungen der Modelle geschrieben hat. In Bezug auf die zweite Version, die seit 1907 im Besitz des Göteborger Kunstmuseums ist, widersprechen sich die Angaben im selben Katalog. Während das zweite Östrasalt laut Katalog ebenfalls auf Ornö gemalt wurde, schreibt Moser in seinem Beitrag, Acke habe es in seinem Atelier in Vaxholm fertig gestellt.32 Abb. 24 & 25: J.A.G. Acke auf Ornö (1906)

Welche Rolle die Fotografien im Arbeitsprozess spielten, ist wieder unklar. Wenn sie schon auf Ornö als Vorlage dienten, muss Acke sie selbst in einer eigenen Dunkelkammer entwickelt oder sie nach Stockholm geschickt oder gebracht haben. Alles ist auf Grund der Lage in den Schären und der Entfernung von Stockholm eher unwahrscheinlich und hätte eine zeitliche Verzögerung mit sich gebracht. In Vaxholm, näher an Stockholm und ein im Vergleich größerer Ort, wäre beides eher denkbar, hier hätte Acke auch nur aus dem Gedächtnis oder auf der Grundlage von Skizzen oder der ersten Version malen können. Als

31 »Därmed förbrödrades åter de tre vännerna på den överspolade hällen«, Moser (1991): »J.A.G. Acke«, S. 39f. 32 Vgl. J.A.G. Acke (1991), S. 87 sowie Moser: »J.A.G. Acke«, im selben Katalog, S. 40.

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ein anderes Szenario ist vorstellbar, dass Sigurd von Koch und Rikard Lindström gleichzeitig für Fotografie und Malerei Modell standen und die Fotografien eher als Dokumentation dienen sollten. In diesem Fall wäre unsicher, wie Acke mit seinem Selbstporträt verfahren wäre, das die Grundlage für die dritte Figur darstellt. Die chronologische Reihenfolge von Fotografie und Malerei erscheint mir wieder als weniger wichtig als die Feststellung, dass Acke einmal mehr die Fotografie zur Inszenierung und zum Studium von Körpern nutzt, was beides auf Östrasalt zum Tragen kommt, wo er die drei einzelnen Körper und Studien zu einer Figurengruppe zusammenfügt. Im Vergleich zu Meereslauscher spielen die Fotos in Bezug auf die Komposition des Gemäldes nur eine untergeordnete Rolle. Eine Fotografie zeigt von Koch auf einer flachen Klippe am Ufer mit Blick auf das Meer. Das untere Drittel des Bilds wird von einer Rasenfläche ausgefüllt, im mittleren steht die Figur zwischen Bäumen und Büschen auf der linken und einem kleinen Segelboot auf der rechten Seite. Nach oben wird das Bild von einer Baumkrone vor dem Himmel abgeschlossen, die mit dem Segelmast einen Rahmen um die Figur bildet. Von Koch ist als Rückenfigur mit auf dem Rücken verschränkten Händen und nach rechts gewendetem Gesicht zu sehen, wie sie auf Östrasalt wiederkehrt. Auf einer zweiten Aufnahme ist von Koch in der gleichen Pose auf einem Felsen in einer steinigen Bucht fotografiert, wobei diesmal der Blick gegen das Ufer gerichtet ist. Wie auf der ersten Fotografie drittelt Acke die Bildfläche vertikal. Die Figur steht genau auf der durch den höchsten Baum gegen den Horizont markierte Mittelachse und vermittelt zwischen Bildvorder- und -hintergrund. Zwei weitere Fotografien zeigen den Künstler selbst. Ob es sich um fotografische Selbstporträts per Selbstauslöser handelt, oder ob einer der Freunde die Kamera bedient hat, lässt sich kaum rekonstruieren. Acke steht auf einem der Fotos in der Pose der Figur ganz rechts auf Östrasalt auf zwei Steinen vor einem Baum am rechten Bildrand (Abb. 25). Im Vordergrund ist der beginnende sandige Uferstreifen, im Hintergrund sind zwischen Felsen und Wiesen zwei Häuser zu sehen. Die zweite bisher unpublizierte Aufnahme zeigt Acke im Verhältnis zur ersten und zu Östrasalt spiegelverkehrt in Nahaufnahme mit unterhalb der Knie angeschnittenen Beinen (Abb. 24). Auch hier verbindet die durch den Körper gehende, durch einen Segelmasten am rechten oberen und einen Pfosten am linken unteren Bildrand verstärkte vertikale Achse den Bildvordergrund am Ufer mit dem Horizont. Spiel- und Standbein sind jeweils deutlich markiert, der Kopf zu einer Seite gedreht und ein Arm zur selben Seite über den Oberkörper zum anderen Oberarm gelegt.

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Auf Östrasalt kombiniert Acke die beiden männlichen Figuren, die er auch auf den Fotos inszeniert, mit einer dritten zu einer Gruppe, wobei die Figuren nicht durch Blickkontakt verbunden und in ihren Körperhaltungen und ausrichtungen auch nicht aufeinander bezogen sind. Wieder fällt der Bildvordergrund weg, der sich auf den Aufnahmen auf festem Land befindet, und der Betrachterstandpunkt wird ins Wasser verlegt. Die Figuren stehen auf auf allen Seiten von Wasser umgebenen und von Wasser überspülten Klippen. Sie erinnern an Skulpturen auf Sockeln, was durch den komplementärfarbigen Kontrast zwischen Körpern und Meer verstärkt wird. Das Motiv der Felsen als Sockel kehrt auf den Fotografien wieder, wo die Körper jeweils auf Steinen, Felsen oder Klippen platziert und damit aus der Umgebung herausgehoben werden. Der Transformationsprozess zwischen den Medien führt zu einer Reduktion von Farbe, Form und Motiv auf Östrasalt. Die vereinheitlichten, bis auf die Köpfe entindividualisierten Körper leuchten vor dem monochromen Hintergrund. Die Komposition ist strenger als auf den Fotos: Zwei horizontale Achsen, die die Klippen im vorderen Bilddrittel und die Horizontlinie mit dem schmalen Himmelsstreifen bezeichnen, werden von den drei aufrecht stehenden Figuren verbunden. Es entsteht eine Art Gitter, in dem die Figuren wirken, als seien sie wie Zaunpfähle aufgereiht. Die Landschaft ist nur durch einige angedeutete Inseln am Horizont markiert und somit, wie die Figuren, entindividualisiert und universalisiert. Auf Östrasalt sind Landschaft und Figuren ihrem topografischen und historischen Kontext enthoben, was ein erweitertes Bedeutungsspektrum ermöglicht. Während die Figur auf Meereslauscher in eine Erzählung, beispielsweise eines Schiffbruchs, eingebettet sein könnte, bleibt bei Östrasalt völlig unklar, wo die Figuren herkommen, was sie tun und was als nächstes passieren könnte. Sie scheinen dem Meer samt Klippen entstiegen, ohne nass geworden oder geschwommen zu sein. Sie erscheinen vielmehr als von Raum und Zeit unabhängige Allegorien auf das Verhältnis von Mensch und Natur, von Individuum und Universum. Durch die drei ähnlichen, sich nur durch die Köpfe und Posen unterscheidenden Körper wird der Effekt vervielfältigt und damit gesteigert. Unabhängig von der Chronologie erscheinen die Fotografien als Zwischenstufe zwischen der biografischen Situation und den allegorischen Bildern. Sie sind keine Schnappschüsse, bei denen kein Wert auf die Form gelegt würde, aber erlangen auch nicht den Status von Kunst wie Ackes Gemälde, die sich durch ihre Vielfalt von Bedeutungen und Deutungsmöglichkeiten auszeichnen. Angelehnt an Dorothy Kosinskis Befund im Hinblick auf Fernand von Khnopffs Verwendung der Fotografie könnte man Ackes Fotos als erste Stufe der Fiktionalisierung bezeichnen, als »an additional level of unreality […] between representa-

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tion and reality«.33 Der Bildaufbau, die Posen und die Sockel, auf denen die Modelle inszeniert werden, dienen als Markierungen der Distanz zur Realität, wie Kosinski an anderer Stelle erläutert.34 Gleichzeitig werden aber Elemente in die Bilder eingefügt, die die Anbindung an eine tatsächlich stattgefundene Situation markieren und als Realitätseffekte lesbar werden. Am deutlichsten wird das durch die Bildunterschriften auf der ersten Version von Östrasalt, wo den Figuren Namen zugeordnet werden. Die Figuren werden als der Künstler selbst und zwei seiner Freunde und Kollegen identifiziert, wodurch das Bild eine dokumentarische und biografische Dimension erhält. Morgenluft Ein weiteres Beispiel für die Verschränkung von Privatleben und Kunst im Transfer zwischen Fotografie und Malerei sind diejenigen Freiluft- und Meermotive mit Figuren, für die Ackes Adoptivsohn Fausto Modell stand. Für Morgenluft (Abb. 26) gilt Ähnliches wie für Meereslauscher und Östrasalt: Gegenüber der Fotografie ist das Hauptmotiv, ein nackter Junge, der auf der Außenkante eines kleinen Segelboots balanciert, sich mit dem rechten Arm an einem Seil festhält und mit dem linken in Richtung des Fotografen oder Betrachters winkt, vergrößert (Abb. 27). Steine, ein Teil eines Stegs im Vordergrund und bewaldete flache Inseln im Hintergrund der Fotografie sind auf dem Ölbild zu Gunsten einer Reduktion auf das Motiv vor einem monochromen Hintergrund, in dem Wasser und Himmel ineinander übergehen, weggelassen. Die Wasserfläche zwischen zwei Inseln, wie sie für die Stockholmer Schären typisch ist, ist auf dem Ölbild erweitert und scheint unendlich. Obschon Boot und Figur einen größeren Teil der Bildfläche einnehmen, scheinen beide den Elementen mehr ausgesetzt zu sein. Fern von Festland und anderen Menschen scheint der winkende Junge eher mit dem gleißenden Sonnenlicht und dem Wind zu kommunizieren als mit einem Betrachter, dessen Standpunkt auf dem Gemälde nicht definiert ist, während er sich auf der Fotografie auf einem an Felsen befestigten Steg verorten lässt. Wieder wird im Transfer zwischen den Medien ein Narrativ aufgebrochen beziehungsweise hinzugefügt, je nachdem, welche Annahmen man über die Chronologie zu Grunde legt. Von den besprochenen Fotografien könnte das Foto zu Morgenluft am ehesten als Schnappschuss bezeichnet werden. In Timm Starls Termi-

33 Dorothy Kosinski (1999): »The Gaze of Fernand Khnopff«, in: Dies.: The Artist and the Camera, S. 142-55, hier: S. 148. Fernand von Khnopff (1858-1921) war Maler und Bildhauer und gilt als Hauptvertreter des belgischen Symbolismus. 34 Vgl. Kosinski (1999): »Vision and Visionaries«, hier: S. 17.

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nologie und in dem von ihm besprochenen Kontext könnte die Fotografie als Dokumentation des Urlaubsvergnügens durch einen Knipser gedeutet werden:35 Ein Vater beobachtet vom Ufer aus die ersten Segelversuche des Sohns und fotografiert ihn dabei für das Familienalbum. Das ans Ufer gerichtete Winken des Jungen impliziert eine Kommunikation mit dem Beobachter und Knipser und ein gemeinsames Erlebnis, das aufgezeichnet und als Erinnerung bewahrt wird. Der private Kontext und die Kommunikationssituation, beides Merkmale der Knipserfotografie, werden in Morgenluft umgedeutet beziehungsweise weggelassen. Es ist irrelevant, wo das Boot herkommt und wohin es unterwegs ist. Bewegung und Gestik der Figur sind keiner anwesenden oder implizit anwesenden Person zugewandt, sondern können eher als Ausdruck eines Lebensgefühls verstanden werden. Abb. 26 & 27: J.A.G. Acke: Morgenluft (1911) & Fausto auf einem Segelboot (undatiert)

35 Vgl. die Abschnitte »Naturerlebnis, Fahrradtour und Alpenfahrt« und »Auf Reisen« in Starl (1995): Knipser, S. 57-70.

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Sandhamn In Ackes Nachlass befindet sich eine weitere Serie von Fotografien von Badenden, die in weniger direktem Zusammenhang mit seiner Malerei stehen. Sie wurden schon 1896 auf der Insel Sandhamn im äußeren Stockholmer Schärengarten geknipst, wo Acke mit den Schriftsteller- und Malerkollegen Verner von Heidenstam (1859-1940), Gustaf Fröding (1860-1911), Albert Engström (18691940) und Birger Mörner (1867-1930) und ihren Ehefrauen einige Sommerwochen verbrachte. Letztere sind nicht auf den Fotos zu sehen und werden auch in den Erinnerungen an Sandhamn kaum erwähnt. Erland Lagerlöf schreibt im Katalog zur Acke-Retrospektive 1979 über die Freundschaft zwischen Acke und Heidenstam: »Im Sommer traf man sich zwanglos in den Stockholmer Schären«.36 Der Sommer 1896 hatte mit Heidenstams Hochzeitsfeier begonnen, und auf Sandhamn wurde weiter gefeiert. Lagerlöf schreibt dazu: »Hier tanzten die Herren nackt mit Tang bekränzt«.37 Lagerlöf scheint hier nicht die tatsächlichen Vorgänge zu beschreiben, sondern vielmehr die Fotos, die zusammen mit Ackes autobiografischer Textsammlung Unwahrscheinliche Geschichten (Osannolika historier) den nackten Tanz dokumentieren und die wichtigsten Quellen für Lagerlöf und Claes Moser darstellen. Auch Moser nennt in seinem Katalogtext nur die männlichen Freunde, mit denen Acke das »Sommerleben in wahrem dionysischem Geist« gelebt habe: »die Herren tanzten nackt bekränzt im Wald. Das wurde von Acke gründlich mit Fotografien dokumentiert«.38

36 »Man omgicks otvunget om somrarna i Stockholms skärgård«, Erland Lagerlöf (1979): »J.A.G. Acke 1859-1924«, in: Bo Lindwall (Hg.): J.A.G. Acke 1859-1924. Stockholm: Prins Eugens Waldemarsudde, S. 2-41, hier: S. 20. 37 »Här dansade herrarna nakna bekransade med tång«, ebd. 38 »i sann dionysisk anda […] herrarna dansade nakna, bekransade i skogen. Något som nogsamt dokumenterats i fotografier av Acke«, Moser (1991): »J.A.G. Acke«, hier: S. 32.

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Abb. 28: Verner von Heidenstam und Gustaf Fröding in Sandhamn (1896)

Da Acke selbst auf den Bildern zu sehen ist, ist die Kamera wohl von Hand zu Hand gewandert. Abzüge der Bilder finden sich in Birger Mörners und in Ackes Nachlass.39 Die zweite Quelle für die Geschehnisse des Sommers sind Ackes Unwahrscheinliche Geschichten, die 1919, also über zwanzig Jahre nach dem Sommer auf Sandhamn, publiziert wurden und deren Wahrheitsgehalt schon durch den Titel in Frage gestellt wird.40 In Ackes Erzählung wird die Anekdote über die nackt badenden und im Wald wandernden Männer weiter fiktionalisiert. So bekommt Verner von Heidenstam den Namen einer seiner literarischen Figuren, Hans,41 und Acke dichtet über das ungezwungene Beisammensein: »Im Wald, wo die Kiefern rauschen / gingen wir so nackt und hell. / Im Wald, wo die Nadeln stechen / Zuschauer hatten wir keine«.42 Es bleibt unklar, ob das Gedicht im Zusammenhang mit der beschriebenen Situation entstanden ist oder erst im Kontext der Erinnerung, aus dem die Sammlung von illustrierten Anekdoten hervorgeht. Auch die beiden Anekdoten, die sich auf den Sommer auf Sandhamn beziehen, sind mit Illustrationen versehen. Zwei Illustrationen zeigen identifi-

39 Der Nachlass von Birger Mörner befindet sich in der Bibliothek der Universität Örebro; das J.A.G. Acke-Archiv in der Königlichen Bibliothek in Stockholm. 40 J.A.G. Acke (1919): Osannolika historier. Stockholm: Bonniers. 41 Nach Verner von Heidenstam: Hans Alienus (1892). 42 »I skogen, där fururna susa / vi gingo så nakna och ljusa. / I skogen, där barrena stinga / åskådare hade vi inga«, Acke (1919): Osannolika historier, S. 53.

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zierbar Heidenstam, Engström und die anderen, wie sie sich im Wasser auf das »schwimmende Smörgåsbord«, ein schwimmendes Buffet, zubewegen, das in der Erzählung als Erfindung jenes Sommers präsentiert wird.43 Eine dritte Zeichnung zeigt drei Frauen, die am Strand ein Picknick vorbereiten, und die Männer, die aus dem Hintergrund im Anmarsch sind. Abb. 29: J.A.G. Acke: Illustration aus Unwahrscheinliche Geschichten (1919)

Am interessantesten ist die vierte Zeichnung, für die eine der Fotografien als Vorlage gedient zu haben scheint (Abb. 29). Sie zeigt zwei mit Algen bekränzte Herren, die im Wasser einen Reigen aufführen. Sie scheinen bis zur Brust im Wasser zu stehen oder einander zugewandt zu schwimmen. Die Fotografie mit dem gleichen Motiv zeigt Gustaf Fröding und Verner von Heidenstam bis zum Nabel im Wasser stehend, die Köpfe sowie Heidenstams Schultern mit Girlanden aus Algen geschmückt (Abb. 28). Die Oberkörper sind dem Fotografen, und die Gesichter einander zugewandt, so dass die Körper mit den ausgebreiteten Armen, die durch den Bildrand angeschnitten sind, ebenfalls eine Girlande bilden, die vom linken zum rechten Bildrand reicht. Heidenstam fasst Fröding am Ellbogen an, sodass der Eindruck eines Tanzes entsteht, den die beiden Männer aufführen. Die Körper scheinen dabei die Bewegung der kleinen Wellen aufzugreifen, die die Körper umspielen. Auf der Fotografie sind am Horizont andere Schäreninseln sowie ein Boot zu sehen. Wie bei den Ölbildern reduziert Acke auf seiner in Blau, Gelb und Grau aquarellierten Zeichnung den Bildausschnitt. Das Ufer am Horizont und damit eine dominante horizontale Achse werden weggelassen. Stattdessen sind im Hintergrund zwei in einem Haufen von Algen kaum auszumachende Köpfe eingefügt: mit ein paar Linien skizzierte Porträts

43 J.A.G. Acke (1919): »Smörgåsbordet«, in: Ders.: Osannolika historier, S. 57-60.

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von Engström und Acke. Die Figur links reckt den rechten Arm angewinkelt in die Höhe und nicht horizontal von sich. Statt einer Girlande bilden die Körper mit den Köpfen im Hintergrund einen Kreis, sodass das Bild eher als die Fotografie traditionellen Tanzdarstellungen entspricht. Auch die Wellen sind in konzentrischen Kreisen um die Körper angeordnet. Die Bildfläche ist nicht voll ausgenutzt, sondern Wellen und Himmel laufen als durch das Aquarell transparente Flecken in runden Formen zu den Rändern hin aus. Aus dem Rechteck der Fotografie ist, passend zum Genre einer Illustration, eine Vignette geworden. Durch den Transfer in Bezug auf Medium und Genre und die damit verbundenen Veränderungen im Detail verschiebt sich auch die Bedeutung. Auf der Zeichnung befinden sich die Körper bis zur Brust, also tiefer als auf der Fotografie, im Wasser. Von den beiden Figuren im Hintergrund sind zwischen Algen nur die Köpfe zu sehen. Auch bei den beiden Figuren im Vordergrund sind nicht nur, wie auf der Fotografie, die Köpfe und bei Heidenstam die Schultern bedeckt, sondern die Algen winden sich bei der Figur rechts um den ganzen Oberkörper und fallen bei der linken Figur über Schultern und Rücken. Die Figuren scheinen gerade eben aufgetaucht zu sein, scheinen sich im Medientransfer in Meermänner verwandelt zu haben. Zu dem Eindruck trägt bei, dass mit dem Boot und dem Landstrich im Hintergrund die Referenzen auf einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit verschwunden sind. Nach der Maskerade, die die beiden Männer auf der Fotografie aufführen, ist auf der Zeichnung mit den Anspielungen auf Märchen und Sagen eine weitere Stufe der Fiktionalisierung erreicht. Wie auch bei Meereslauscher und Östrasalt zu beobachten, findet im Prozess der Medialisierung eine Fiktionalisierung von Autobiografie statt, wobei die Fotografie unabhängig von der Reihenfolge im Arbeitsablauf eine erste Stufe darstellt. Fotografie und (Auto-)Biografie bei Acke Aus dem zeitlichen Abstand zwischen fotografischer Aufnahme und Veröffentlichung der Unwahrscheinlichen Geschichten lässt sich eine weitere Funktion von Fotografie schlussfolgern, nämlich die der Herstellung bildlicher Erinnerungen, wie Starl das Hauptanliegen der Knipser beschreibt.44 Im Fall Ackes, der mit den Unwahrscheinlichen Geschichten eine Art Autobiografie schreibt und illustriert, scheint die Fotografie als visuelles Gedächtnis funktioniert zu haben. Die Zeichnung mit den algenbekränzten Männern zeigt, wie an Hand der Serie aus Sandhamn eine biografische Begebenheit rekonstruiert und inszeniert wird. Der Status der unterschiedlichen medialen Realisierungen hinsichtlich ihrer Referentiali-

44 Vgl. Starl (1995): Knipser, S. 20.

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tät und Fiktionalität ist dabei als komplex und in Bezug auf die Zeichnung als geradezu paradox zu bewerten. Das Aquarell mischt gezeichnete Porträts mit einer fotografischen Vorlage und verweist mehrfach auf die Realität, indem es sich auf den indexikalischen beziehungsweise ikonischen Charakter von Fotografie und Porträtkunst und deren Eignung zur Verifizierung von Personen und biografischen Momenten bezieht. Gleichzeitig unterlaufen die oben erwähnten Veränderungen gegenüber der Fotografie deren Funktion als Referenz auf die biografische Wirklichkeit. Die Leserinnen und Leser, die die Fotografien nicht kennen, sehen hinsichtlich ihrer Referentialität keinen Unterschied zwischen den Illustrationen. Im Hinblick auf die Funktionalisierung in einem autobiografischen Projekt spielen Unterschiede in Bezug auf Medialität, Medialisierungsprozesse und Remedialisierung aber eine große Rolle. Die Zuschreibung eines je nach Medium unterschiedlichen ontologischen Status lässt sich auch im Katalog zur Ausstellung in Prins Eugens Waldemarsudde 1991 beobachten. Wie schon im Katalog von 1979, wo Ackes Fotografie mit Svante Hedins oben genanntem Artikel ein ganzer Beitrag gewidmet ist, sind auch hier Fotografien publiziert. Während Svante Hedin aber auf die Verbindung zwischen Fotografie und Malerei eingeht und das Verhältnis zwischen den Medien im Arbeitsprozess untersucht, dient die Fotografie hier als Illustration des Beitrags von Claes Moser.45 Die Fotos sind in kleinem Format am Rand des Beitrags abgedruckt, mit Bildunterschriften versehen, aber nicht datiert. Weder bei den Farbtafeln noch im Katalog selbst, dem Verzeichnis der ausgestellten Werke, sind die Fotos berücksichtigt. Die Fotografien werden hier also in ihrer dokumentarischen Funktion verwendet. Ihr Status als Kunstwerke wird nicht verhandelt. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass sie die Wahrheit über Ackes Leben vermitteln können. Sie werden Teil der Biografie innerhalb des für die Kunstgeschichtsschreibung klassischen Genres der Leben-und-Werk-Darstellung, als die beide Beiträge im Katalog betrachtet werden können. Die Fotos, von den oben beschriebenen sogenannten Vorlagen für Gemälde über Familienporträts und Bilder von der Hochzeit Heidenstams und dem gemeinsamen Sommeraufenthalt auf Sandhamn bis hin zu einem Foto, das Acke beim Malen von Waldtempel zeigt (Abb. 30), dienen hier dazu, eine Verbindung von Leben und Werk herzustellen.

45 Vgl. Hedin (1979): »Som förlagor till målningar« und Moser (1991): »J.A.G. Acke«.

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Abb. 30: J.A.G. Acke malt Waldtempel (1900)

Ackes Fotografien werden also nicht nur, wie in Unwahrscheinliche Geschichten, Teil eines autobiografischen, sondern auch eines biografischen Projekts. In Unwahrscheinliche Geschichten bleibt der Status der Fotografie ambivalent, weil einerseits ihre Dokumentations- und Erinnerungsfunktion zum Tragen kommt, durch die Überführung in das Genre märchenhafter Geschichten andererseits aber auch ihre potenziell fiktionale und inszenierende Qualität thematisiert wird. Im Zusammenhang mit dem Katalogtext von Claes Moser, der zwar mit Fotos illustriert ist, im Text selbst aber nicht auf sie hinweist, wird die Abbildung von Wirklichkeit durch die Fotografie nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil wird durch die Kombination von Biografie und Fotografie der Anspruch bekräftigt, Faktisches über den Künstler vermitteln zu wollen. Dabei wird weder auf den jeweils unterschiedlichen Kontext eingegangen, in dem die Fotos entstanden sind, noch auf ihre unterschiedliche Funktion. Knipser, Künstler und Privatmann fallen zusammen. Das ist kein Zufall, sondern, wie im Kapitel über Ackes Malerei dargestellt, ein Merkmal der Texte, die sich mit Acke beschäftigen und einen kausalen Zusammenhang zwischen seiner Lebensweise und umgebung und seiner Kunst herstellen. Die Verschränkung von Leben und Kunst würde sich demnach auf der Medienebene auch auf die Fotografie erstrecken, wo zwischen Knipserei in privaten Situationen und dem Arbeitsprozess nicht unterschieden würde. Unbeachtet bleibt bei diesem Ansatz die Inszenierung von Künstlerschaft und Autobiografie in und mit der Fotografie, auf die die Autorinnen und Autoren in

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The Artist and the Camera sowie neuere Veröffentlichungen zu Autobiografie und Fotografie hinweisen. In Bezug auf Acke spielt nur Svante Hedin auf die Inszenierung von Künstlerschaft an, wenn er die Fotografie, die Acke beim Malen an Waldtempel zeigt, als »eigenartiges Selbstporträt« bezeichnet und schreibt, Acke habe damit dem »fotografischen Arbeitsbild« selbst eine weitere Dimension hinzugefügt.46 Das Foto, das unkommentiert auch im Katalog von 1991 abgedruckt ist, zeigt Acke in Rückenansicht, nur mit einem Nachthemd bekleidet und auf einem Absatz an der Wand stehend, wie er an Waldtempel malt. Laut der Bildunterschrift bei Hedin stammt die Aufnahme von Acke selbst, wäre ein mit Selbstauslöser aufgenommenes Selbstporträt.47 Es entspricht dem Genre des Künstlerporträts insofern, als es den Künstler mit seinem Werkzeug wie Leinwand, Pinsel und Palette und beim Ausüben seiner künstlerischen Tätigkeit zeigt. Obwohl man wegen des Nachthemds darauf schließen könnte, dass es sich bei der Aufnahme um einen spontanen nächtlichen Einfall handelt, ist sie wohl kein Schnappschuss, sondern wurde sorgfältig komponiert und inszeniert. Die Leinwand, die den größten Teil der Bildfläche ausfüllt, wirkt als Bild im Bild. Acke in seinem weißen Nachthemd und mit den nackten Beinen korrespondiert mit den zwei hell leuchtenden lebensgroßen Aktfiguren in seinem Bild. Seine Hand mit dem Pinsel befindet sich genau auf der Achse zwischen den Köpfen der männlichen Figur links und der weiblichen Figur rechts. Der untere Rand des Nachthemds entspricht ungefähr dem unteren Rand der Leinwand, sodass der Oberkörper ein Teil des Bilds zu sein scheint. Zu dem Eindruck trägt bei, dass Acke nicht auf dem Fußboden und nicht auf der auf dem Fußboden vor der Leinwand stehenden Trittleiter steht, sondern in etwas instabiler Position auf der breiten Fußleiste an der Wand. Er scheint die Distanz zum Bild verringern und in den Bildraum klettern zu wollen. Acke inszeniert sich als Schöpfer seiner Malerei und seiner Figuren. Er ist aber nicht zum Betrachter gewandt und posiert vor und mit dem Rücken zu seinem Bild oder seinem Modell, wie es bei vielen traditionellen Selbstporträts der Fall ist, sondern inszeniert sein Eintauchen in die eigene Bildwelt sowie eine Selbstvergessenheit im künstlerischen Schaffensprozess. Die Distanz zwischen Leben und Kunst wird verringert. Das Kunstschaffen erscheint als einer von vielen spontanen Einfällen in Ackes Leben und scheint keiner Planung zu bedürfen – das gilt für die Arbeit an Waldtempel genau wie für die Erfindung des schwimmenden Buffets. Meines Erachtens kommt genau hier die Fotografie ins

46 »fotografiska arbetsbild«, »säreget självporträtt«, Hedin (1979): »Som förlagor till målningar«, S. 76. 47 Vgl. ebd., S. 77.

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Spiel: Acke bedient sich der Knipserfotografie zur Inszenierung von Spontaneität, Unbefangenheit und Unabhängigkeit von Traditionen, Institutionen und Habitus, die einen zentralen Aspekt seiner Künstlerschaft ausmacht.

5.3. E UGÈNE J ANSSON

UND

F OTOGRAFIE

Auch für Eugène Janssons Serie badender Männer spielt die Fotografie eine große Rolle, die es im Folgenden zu erläutern gilt. Da kein Nachlass überliefert ist, finden sich Fotografien von Jansson in keinem eigens angelegten Archiv, sondern in Unterlagen und Publikationen des Stockholmer Künstlerverbands, in dessen Vorstand Jansson tätig war, sowie im Nachlass des bereits erwähnten Kunsthandwerkers Nils Santesson, dem wegen homosexueller Handlungen 1907 ein viel beachteter Prozess gemacht wurde.48 Aus welchen Jahren die Aufnahmen stammen und wie und wann sie in Santessons Besitz gelangten ist unklar. Der Historiker Greger Eman vermutet, dass er sie zu einem unbestimmten Zeitpunkt nach Janssons Tod von dessen Bruder Adrian bekommen hatte, mit dem Santesson befreundet war, und der möglicherweise einen Teil des Nachlasses in gute Hände geben wollte, bevor er den Rest vernichtete. Die Fotografien, die alle nackte Badende und Turner und darunter Jansson selbst zeigen und aus dem Badehaus der Marine auf Skeppsholmen oder aus Janssons Atelier stammen, stellen fast das einzige überlieferte Material über Jansson dar, das in den Augen der Zeitgenossen potenziell kompromittierend hätte wirken können. Eman meint, dass sie wohl die Tatsache rettete, dass sie im Zusammenhang mit Janssons öffentlich zugänglicher Kunst gesehen werden konnten.49 Einige Fotos zeigen Jansson selbst zwischen anderen Badenden im Badehaus, manche sind Schnappschüsse ohne bestimmten Fokus, auf wieder anderen posieren die Männer im Badehaus, die teilweise auch gleichzeitig Janssons Modelle waren, für den Fotografen. Ungeklärt bleiben muss in den meisten Fällen, wer der Fotograf war. Unklar bleibt auch, inwieweit und in welchem Umfang Jansson die Fotografie für seine Malerei nutzte, ob er die Fotos von sich und anderen in den Arbeitsprozess miteinbezog. Einige der Bilder kann Jansson dazu verwendet haben, das Motiv der Badenden im Hinblick auf Körperdarstellungen und Komposition auszuloten, andere scheinen zumindest für Bildausschnitte als Vorlage gedient zu

48 Santessons Nachlass befindet sich heute in der Königlichen Bibliothek in Stockholm. Zu Santesson vgl. Greger Eman (1999): »Nils Santessons femtioåriga helvete«, in: Söderström: Sympatiens hemlighetsfulla makt, S. 246-267. 49 Vgl. Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S. 237.

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haben. Wie schon bei Acke wird aber deutlich, dass das Knipsen im Badekontext mit der künstlerischen Tätigkeit einerseits und mit der Dokumentation biografischer Situationen andererseits verschränkt ist. Wieder überlappen sich die Sphäre der Künstlerschaft mit dem Baden als soziale und kulturelle Praxis: Im Zusammenhang mit den Fotos ist der Künstler gleichzeitig auch Badender und Knipser beziehungsweise Geknipster. Janssons Modelle für seine Aktmalerei sind gleichzeitig Mitbader und Freunde, was wieder auf Funktion und Kontext des Knipsens verweist. Die private Sphäre der Interaktion mit Freunden überlappt mit dem halböffentlichen Raum des Ateliers und dem öffentlichen Raum des Badehauses. Das Badehaus in Fotografie und Malerei Badehaus der Marine (Abb. 8, S. 98), Badebild (Abb. 11, S. 114) und Schwimmbecken (Badsump; 1911) (Abb. 31) sind drei Variationen eines Motivs: ein Kopfsprung vom Beckenrand oder Sprungbrett, der von den anderen Badenden am Rand des Schwimmbeckens im Badehaus aufmerksam verfolgt wird. Bildausschnitt, Perspektive und Größe der springenden Figur sind jeweils unterschiedlich gewählt. Badehaus der Marine zeigt den Springer im Profil als kleine Figur im oberen linken Bildviertel, waagerecht über dem Becken und sogar über dem nach oben offenen Badehaus schwebend, vor dem Hintergrund von Himmel und Baumkronen. Der Betrachterstandpunkt befindet sich auf einer der Längsseiten des Beckens, unter überdachten Kolonnaden und hinter einigen der zuschauenden Männer, die am Beckenrand liegen oder sich an die Pfosten lehnen, die das Bild vertikal strukturieren. Auf Badebild liegt der Betrachterstandpunkt direkt hinter dem Sprungbrett, das sich – im Gegensatz zu Badehaus der Marine – auf einer der Längsseiten des Beckens zu befinden scheint. Sprungbrett, Becken und Springer sind von hinten in extremer Verkürzung dargestellt, was allerdings im Hinblick auf die Größenverhältnisse nicht mit den Zuschauenden am linken Bildrand korrespondiert.50

50 Nils Wollin äußert hinsichtlich der von ihm als mangelhaft bewerteten Komposition, man fürchte »den Augenblick«, wenn die springende Figur »mit der gegenüber liegenden Wand des Badehauses kollidiere« (»emotser man med fruktan det ögonblick, då den ska kollidera med badhusets motsatta vägg«), Nils Wollin (1920): Eugène Janssons måleri. Försök till gruppering och analys. Stockholm: Sveriges allmänna konstföreningens publikationer, S. 122.

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Abb. 31: Eugène Jansson: Schwimmbecken (1911)

Wieder stehen und liegen einige Badende zwischen dem Betrachterstandpunkt und dem Springer, der auch diesmal vor dem Hintergrund des Himmels über Becken und Badehaus schwebt. Vom Körper der springenden Figur sind aus der Perspektive von unten und hinten und auf Grund der perspektivischen Verkürzung lediglich die ausgebreiteten Arme, die Fußsohlen und die Vorderseite der Beine sowie der Penis zu sehen. Auf Schwimmbecken ist ein anderer Bildausschnitt aus Vogelperspektive zu sehen. Das Becken, in dem zum ersten Mal viele Figuren schwimmen, füllt den größten Teil der Bildfläche aus. Am oberen Bildrand ist der Beckenrand zu sehen, wo in einer langen Reihe viele Matrosen stehen, teils nackt, teils mit Uniformen bekleidet. Der Betrachterstandpunkt ist nicht sichtbar definiert, sondern scheint sich an dem Beckenrand zu befinden, von wo aus eine der Figuren einen Kopfsprung gewagt hat. Der Springer taucht gerade kopfüber ins Wasser ein. Zu sehen sind wieder die ausgebreiteten Arme sowie die Vorderseite von Rumpf und Beinen.51

51 Auch hier sorgt sich Wollin, der die in Schwimmbecken als expressionistisch zu betrachtenden Abweichungen von der Wirklichkeitsabbildung grundsätzlich als Fehler bewertet, um den Springer, dessen Kopf nicht durch die Arme geschützt sei. Vgl. ebd., S. 124.

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Abb. 32: Eugène Jansson als Springer im Badehaus der Marine (1900)

Die wiederkehrende Figur des Springers ist im Zusammenhang mit der Fotografie insofern interessant, als in der Besprechung der Bilder die Frage nach der indexikalischen Qualität der Fotografie zum Tragen kommt. Während der Kunstkritiker Nils Wollin behauptet, ein solcher Sprung sei nicht möglich, da ein Springer immer seinen Kopf schützen würde, beweisen die Fotos von Jansson, dass der sogenannte Schwanensprung, ein Kopfsprung mit ausgebreiteten Armen, im Badehaus der Marine geübt und vorgeführt wurde (Abb. 32).52 Die Fotografien können Wollin nicht zur Verfügung gestanden haben, als er 1920 seine Monografie schrieb, da sie erst Jahrzehnte später nach Santessons Tod in der Königlichen Bibliothek der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und erst noch später, Ende der 1990er Jahre, im Zug eines Publikationsprojekts über die Geschichte schwulen Lebens in Stockholm von Historikern wiederentdeckt wurden. Die Fotografie ist hier in zweierlei Hinsicht interessant: Einerseits im Hinblick auf die ihr zugeschriebene Funktion und Qualität, Beweise für oder ein Zeugnis über ein Ereignis liefern zu können, und andererseits hinsichtlich ihres Potenzials, sogar für das Auge Unsichtbares dokumentieren und sichtbar machen zu können. Laut Dorothy Kosinski stellt die Fotografie um die Jahrhundertwende 1900 für Künstler nicht nur ein effizientes technisches Werkzeug dar, sondern steht paradigmatisch für sich neu stellende Fragen visueller Wahrnehmung, denen

52 Vgl. ebd., S. 124. Zum Foto als Beweis für den Schwanensprung siehe auch Eman (1999): »Bröderna Jansson«, S. 225.

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»ein Verlust des Vertrauens in traditionelle Wahrnehmungskonzepte und […] das menschliche Sehvermögen« zu Grunde liege.53 Die Frage nach der Wahrhaftigkeit fotografischer Abbildung resultierte in der Folge der chronofotografischen Aufnahmen von Eadweard Muybridge (1830-1904) und Étienne-Jules Marey (1830-1904) in dem von Douglas Nickel in The Artist and the Camera so formulierten Paradoxon, dass die Kamera festhalten könne, was »unsichtbar für menschliche Betrachter und deshalb unmöglich empirisch zu beweisen« sei, dass sie gleichzeitig aber Authentizität und Faktizität garantieren könne.54 Im Fall der Aufnahme von Janssons Schwanensprung und Wollins Behauptung, die Darstellung des Sprungs auf dem Gemälde sei unwahr und unrealistisch, könnte das bedeuten, dass Jansson das Foto als Vorlage benutzt hat, um etwas zu malen, was er mit dem bloßen Auge nicht wahrnehmen und somit auch nicht skizzieren konnte. Wollins Reaktion entspräche dann den von dem Fotografiehistoriker Beaumont Newhall beschriebenen Reaktionen der Zeitgenossen auf Muybridges und Mareys Momentaufnahmen, diese seien unglaubwürdig, weil das Auge diese Momente innerhalb einer Bewegung nicht wahrnehmen könne.55 Bei Eman wiederum wird die Fotografie als Beweis für die Glaubwürdigkeit von Janssons Darstellung herangezogen. Wichtiger als die Frage, ob der Sprung so stattgefunden hat oder nicht, beziehungsweise danach, ob und wie Jansson die Fotos als Vorlagen verwendet hat, ist die Frage nach der Inszenierung des Sprungs in der Malerei. Im Vergleich zur Fotografie findet eine Monumentalisierung und Heroisierung des Motivs statt, die sich besonders am Verhältnis zwischen Körpern und Raum, an der Platzierung des Springers sowie am Einfügen eines Vordergrunds manifestiert. Die Dimensionen des Schwimmbads auf Das Badehaus der Marine und Badebild sind verglichen mit der Fotografie ungleich größer, auch wenn man vom größeren Bildausschnitt und der veränderten Perspektive absieht. Das Becken scheint größer und tiefer, die Kolonnadengänge höher und tiefer, der Abstand zwischen Springer und Sprungbrett größer. Vom Standpunkt des Fotografen auf einer der Längsseiten des Schwimmbeckens aus gesehen ragen nur Kopf und Hände des Springers über das Dach des Badehauses hinaus. Auf den Ölbildern

53 »loss of confidence in traditional concepts of perception and […] human sight«, Kosinski (1999): »Vision and Visionaries, S. 14. 54 »invisible to human observers and therefore incapable of empirical verification«, Douglas R. Nickel (1999): »Photography and Invisibility«, in: Kosinski: The Artist and the Camera, S. 34-41, hier: S. 38. 55 Vgl. Beaumont Newhall (1998): Geschichte der Photographie. München: Schirmer/ Mosel, S. 127f.

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ist der fiktive Standpunkt weiter nach hinten und unten verlegt, so dass der Springer jeweils weit über dem Becken und sogar über dem Badehaus zu schweben scheint, was Wollin zu der spöttischen Bemerkung veranlasst, die Figur lasse sich leicht mit einem Flugzeug verwechseln.56 Zwischen und hinter den Pfosten finden viel mehr Männer Platz als dies der Fotografie zu entnehmen wäre. Sie scheinen in mehreren Reihen hintereinander zu stehen. Zusammen mit den Figuren im Bildvordergrund bilden sie eine riesige Zuschauerschaft, die das Badehaus mehr als Arena und den Sprung mehr als Vorführung denn als Freizeitvergnügen wirken lässt. Zur monumentalen Wirkung trägt in besonderem Maß auch die Vereinheitlichung und Vervielfachung der Körper bei. Während auf den Fotos Männer jeden Alters, bekleidet und unbekleidet, mit unterschiedlicher Statur und Hautfarbe zu sehen sind, scheint auf Das Badehaus der Marine und Badebild ein athletischer Körper unendlich oft vervielfältigt worden und lediglich in unterschiedlichen Posen zu sehen zu sein. Mit mehreren Mitteln erreicht Jansson so eine Verlagerung der Aufmerksamkeit vom Springer auf die Zuschauer. Die springenden Figuren sind im Verhältnis viel kleiner. Stattdessen wird in beiden Bildern ein Vordergrund eingefügt, der einen großen Teil der Bildfläche einnimmt. Die im Vordergrund stehenden, liegenden und sitzenden lebensgroßen Figuren befinden sich zwischen Betrachter und dem Springer, so dass letzterer überhaupt erst wahrgenommen wird, wenn man die Blicke der Zuschauer im Bild nachvollzieht. Das Verhältnis von Sprung und Beobachtung wird im Vergleich mit der Fotografie genau umgekehrt: In der Malerei präpariert Jansson das Zuschauen als eigentliches Motiv heraus, der Sprung stellt nur noch den Anlass des Schauens dar. Fotografie und (Auto-)Biografie bei Jansson Im Hinblick auf eine Deutung der aus Fotografie und Malerei bestehenden Serie badender Männer als autobiografisches Projekt ist besonders interessant, dass einige Fotos Jansson selbst als Springer zeigen. Laut Greger Eman könnten die Gemälde deshalb als Selbstporträts bezeichnet werden: Die Figur des »Eugène, für immer in der Luft hängen geblieben, im Zentrum der Aufmerksamkeit einer Menge junger Männer«, ließe sich womöglich als »eine herausragende Illustration seiner Seele« deuten.57 Vielleicht muss man das Selbstporträt – das sich nur über

56 Vgl. Wollin (1920): Eugène Janssons måleri, S. 122. 57 »den Eugène som blivit för evigt hängande i luften, i centrum för en mängd ynglingars uppmärksamhet […] den yppersta illustrationen av hans själ«, Eman (1999): »Bröderna Jansson«, hier: S. 225.

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die Fotografie erschließt – nicht in einem psychologischen Deutungsrahmen betrachten – Eman meint selbst, die Interpretation könne weit hergeholt sein.58 Im Zusammenhang mit einer weiteren Paarung aus Fotografie und Malerei, Janssons Selbstporträt (im Badehaus der Marine) von 1910 (Abb. 13, S. 154, und 33), halte ich den Hinweis auf eine autobiografische Dimension aber dennoch für relevant. In Kapitel 3 bin ich auf den Eindruck von Isolation eingegangen, der das Selbstporträt kennzeichnet: Der Künstler bewegt sich in der Pose und Kleidung eines Flaneurs zwischen nackten Badenden, ist gewissermaßen fehl am Platze. Relevant für diese Beobachtung ist auch ein Vergleich mit zwei Fotografien, die als Vorlage für das Selbstporträt gedient haben könnten. Abb. 33: Eugène Jansson im Anzug im Badehaus der Marine (undatiert)

Auf dem ersten Foto steht Eugène Jansson in seinem weißen Anzug auf den Planken am Rand des Schwimmbeckens. Die Perspektive ist fast dieselbe wie auf dem Porträt. Allerdings ist das Badehaus bis auf einen weiteren Spaziergänger mit Strohhut im Hintergrund leer. Jansson scheint sich hier von der Kamera abzuwenden, seine linke Körperhälfte ist nach hinten gedreht. Der Blick ist ebenso vom Strohhut verschattet wie auf dem Gemälde. Wenn davon auszuge-

58 Vgl. ebd.

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hen ist, dass Jansson das Foto als Vorlage für das Selbstporträt verwendet hat, hat er im Vergleich zum Foto die zentrale Figur so nahe an die vordere Bildkante gerückt, dass der große Zeh des vorderen linken Fußes schon in den Betrachterraum hineinzuragen scheint. Die Figur des Künstlers steht auf dem Selbstporträt genau auf der Mittelachse, hat also eine noch zentralere und stabilere Position und drückt damit größere Autorität aus. Die größte Veränderung ist jedoch, dass der Künstler seine Einsamkeit auf der Fotografie beseitigt, indem er das Schwimmbad bevölkert. Das Bild scheint im Grunde aus zwei Fotografien zusammengesetzt: dasjenige mit der Figur des Künstlers im weißen Anzug, das vielleicht außerhalb der regulären Öffnungszeiten aufgenommen wurde, und ein weiteres, bereits erwähntes, das den Künstler aus ähnlicher Perspektive als Rückenfigur nackt inmitten einer Menge anderer Badender zeigt. Darauf, dass Jansson auch die zweite Fotografie als Vorlage gedient hat, deutet auch die Figur eines Badenden mit vor dem Oberkörper verschränkten Armen links hinter der Figur des Künstlers hin, der sowohl auf der Fotografie als auch auf dem Gemälde zum Betrachtenden blickt. In der Zusammenschau mit den Aufnahmen aus dem Badehaus bekommt die oben ausgeführte Interpretation des Selbstporträts von 1910 als Reflexion des Aktgenres eine weitere mediale Dimension. Auf der Fotografie sind, dem zeitgenössischen Verständnis des Mediums entsprechend, alle Badenden und der Künstler ›nackt‹. Die Nacktheit wird durch den Medientransfer in Akte, in Kunst, transformiert. Im gleichen Prozess konstituiert sich der Künstler, indem er sich ›anzieht‹. Der Medientransfer bedeutet also auch einen Übergang zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, Freizeit und Beruf, zwischen einer als demokratisch zu bezeichnenden Nacktheit und der durch die Bekleidung des Künstlers markierten Hierarchie zwischen Künstler und Modell. Das Gefüge wird aber komplexer, weil das Selbstporträt keine Attribute zeigt, die den Künstler als Künstler ausweisen, sondern ihn als Spaziergänger genau auf der Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit präsentiert. Durch die Kleidung wird eine Distanz etabliert, die durch das nicht gezeigte Künstler-Modell-Verhältnis gleichzeitig relativiert wird. Wir bekommen keinen Badenden zu sehen, aber auch keinen Künstler, sondern eine Flaneurfigur mit einem zwiespältigen Verhältnis zu ihrer Umgebung. Das Bild ist im Hinblick darauf ambivalent, ob die Zugehörigkeit des Künstlers zum Milieu im Badehaus demonstriert – ›ich weiß wo ich herkomme‹ – oder aber eine Distanz markiert wird. Einerseits wendet der Künstler den Badenden den Rücken zu, lässt sie beim Vorwärtsschreiten sozusagen hinter sich. Andererseits erinnert die Pose an Knipserfotos vor einer Sehenswürdigkeit, auf welchen die fotografierte Person zur Kamera gewandt stolz auszudrücken

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scheint: ›ich bin hier gewesen‹. In der Tat wirkt die Figur des Künstlers in seiner Freizeitkleidung auf Gemälde und Foto wie ein Tourist, es fehlt nur die Kamera auf dem Bauch. Löst die Figur des knipsenden und geknipsten Touristen um die Jahrhundertwende die des Flaneurs ab? Bei beiden Figuren geht es um die Verbindung von Schauen, Konsum und die Verführung durch das Gesehene; beim Flaneur durch Waren im Schaufenster, beim Touristen durch Werbung von Reiseveranstaltern und Postkarten, die sich wiederum der Fotografie bedienen.59 Durch Fotos angelockt, will der Tourist absurderweise genau dasselbe Motiv selbst aufnehmen – die Knipserfotografie ist womöglich als endlose Schleife von Reproduktionen zu betrachten. Gleichzeitig werden die Deutungshoheit über das Sehenswerte sowie dessen Distribution demokratisiert. In mehrerer Hinsicht scheint im Fall von Janssons Badebildern die Fotografie in die Malerei einzudringen, und zwar auf eine Weise, die das kausale und konsekutive Verhältnis von fotografischer Vorlage und malerischem Endprodukt weit überschreitet. Im Transfer zwischen den Fotos und den Gemälden aus dem Badehaus erhält das Geknipste, mit der Kamera Dokumentierte und mit dem Blick durch die Linse Konsumierte, Kunststatus. Das für den Knipser Sehensund Dokumentationswerte wird sehenswert auch für Konsumenten von Kunst, wodurch zwei an die jeweilige Medialität geknüpfte Diskurse und Praktiken des Schauens und Konsumierens aufeinander prallen. Einerseits geht es um eine fotografische Bildpraxis, die an Konsumgüter aus der Tourismus- und Kameraindustrie geknüpft ist und in Form von Alben, Diaabenden und inzwischen Facebook, Instagram usw. Erinnerungen an Familie und Freunde pflegt und der – im Fall sozialer Netzwerke im Internet freilich wackligen – Privatsphäre zugehört. Auf der anderen Seite wird der Konsum von Malerei gemeinhin als Kontemplation einer von Alltagskultur und ökonomischen Zwängen scheinbar entzogenen Kunst im für diesen Zweck reservierten öffentlichen Raum praktiziert beziehungsweise konzeptualisiert. Der Medientransfer von der Fotografie zur Malerei geht mit einem Transfer vom Privaten ins Öffentliche einher, wie es Barthes beschreibt, dem zufolge »das Zeitalter der Photographie [...] genau dem Einbruch des Privaten in den öffentlichen Raum« entspreche. Das Private werde »als solches öffentlich konsumiert«.60 Im Fall von Janssons nackten Badenden und vor allem im Fall des Selbstporträts ist es womöglich das an die Knipserfotografie geknüpfte Private, Erlebte, Dokumentierte, das in der Malerei durchscheint und das von Barthes als

59 Vgl. Starl (1995): Knipser, S. 19. 60 Barthes (1985): Die helle Kammer, S. 109.

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das Noema, das Wesen der Fotografie bezeichnet wird: »Es-ist-so-gewesen«.61 Mit anderen Worten: Der Blick auf das für den Knipser Sehenswerte scheint seine Spur nicht nur auf den Fotos, sondern auch auf den Ölbildern hinterlassen zu haben. Wie auch Nackter Jüngling am Türpfosten (Abb. 12, S. 151) weist das Selbstporträt aus dem Badehaus eine Art Trompe l’oeil-Effekt auf. Dieser lässt sich in der Zusammenschau mit den Fotografien als ein Angebot an den Betrachter lesen, den Blick auf das Motiv nachzuvollziehen, und zwar nicht den Blick eines mit den Insignien Pinsel, Palette und Staffelei ausgerüsteten Künstlers, sondern den eines Knipsers, der mittels seiner eigenen körperlichen Anwesenheit bezeugt, dass ›es so gewesen ist‹. Dieses bei Barthes so genannte »einzigartige Haftenbleiben« des Referenten,62 das zu biografischen Lesarten bei Jansson einlädt, ist allerdings eher als malerischer Effekt zu verstehen denn als Handreichung, wenn man darüber Aufschluss erhalten möchte, was tatsächlich passiert ist.

5.4. J.F. W ILLUMSEN

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Willumsen ist derjenige der hier präsentierten Künstler, dessen Arbeitsprozess am präzisesten dokumentiert worden ist, dessen Verwendung von Fotografie zunächst am eindeutigsten erscheint und dessen Fotografien dem WillumsenMuseum eine eigene Publikation wert waren.63 In einer weiteren Publikation kann die Arbeit an Badende Kinder am Strand von Skagen (Abb. 19, S. 202) »von der Skizze bis zum fertigen Bild« nachvollzogen werden, wobei auch viele Fotografien berücksichtigt sind.64 Willumsen hatte schon 1893 in Chicago seine erste Kamera gekauft. In der Folge fotografierte er vor allem seine Familie, sich selbst und seine Umgebung. Dazu kamen die Dokumentation seiner eigenen Kunstwerke sowie Fotos von potenziellen Motiven für seine Malerei. Insgesamt entstanden ca. 750 Fotografien, vor allem in der Zeit bis 1904. Laut Leila Krogh betrachtete Willumsen die Aufnahmen nicht »als Kunstwerke, sondern als ein Mittel zu deren Erzeugung«, also als »praktisches Werkzeug«.65 Zu Willumsens

61 Ebd., S. 87. 62 Ebd., S. 14. 63 Krogh (1995): Fiktion & virkelighed. 64 Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn. 65 »som kunstværker, men som et middel til frembringelsen af disse«, »praktisk redskab«, Krogh (1995): Fiktion & virkelighed, S. 8. Genau diesen Punkt, die Reduktion von Willumsens Verwendung von Fotografie als Werkzeug, kritisiert der Kunst-

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Lebzeiten wurden die Fotografien nie ausgestellt. Neben seinen eigenen Aufnahmen beschäftigte sich Willumsen auch in anderer Form mit der Fotografie. Er kaufte Fotos und schnitt sie aus Zeitschriften aus, sortierte sie nach Motiven und klebte sie in eine seiner vierzehn umfangreichen Sammelmappen ein, die er als sein »künstlerisches Gedächtnis« bezeichnete.66 Hier sind bereits viele Aspekte der Medialität von Fotografie angesprochen, wie sie zumindest dem zeitgenössischen Diskurs entsprechen: die Debatte über den Kunststatus der Fotografie, ihre Reproduzierfähigkeit und damit Verbreitung durch Massenmedien, ihre Motive aus dem Bereich von Familie und Freizeit, sowie ihre Funktion als visuelles Gedächtnis, die an das ›Haftenbleiben‹ des Referenten geknüpft ist. Ist Willumsen ein Knipser, bei dem die Funktionen von Fotografie und Malerei – oder anderen von ihm betriebenen Kunstformen – klar getrennt sind? Im Katalog Fiktion & Wirklichkeit etabliert Krogh eine Polarität zwischen den Medien, die, wie schon aus dem Katalogtitel hervorgeht, an den ontologischen Status von Fotografie gebunden ist: In den Fotografien vermittelt Willumsen ein Bild seiner konkreten Umgebung. In den Kunstwerken verarbeitet er seine Untersuchungen und Überlegungen und gelangt zu seiner spezifischen Vorstellung eines Themas. Die Fotografien zeigen Willumsens Wirklichkeit, und die Kunstwerke sind seine Fiktion. Und gleichzeitig sind die Fotografien eine Informationsquelle über Willumsens Leben, Selbstverständnis, Familie, Wohnorte, Ateliers und einzelne Werke.67

wissenschaftler Rune Gade in seiner Rezension der Ausstellung Fiktion & Wirklichkeit im J.F. Willumsen-Museum 1995 (ǽ‡ Þ‰‡ —•–‡”Ǥ Ǥ Ǥ ‹ŽŽ—•‡• ˆ‘–‘‰”ƒˆ‹‡””—‡”‡”‡‡†˜‹•—‡ŽŽ‡”‡––‡•‘”‡ˆ‘”Šƒ•ƒŽ‡”‹‡”ǡInformationǡ ͺǤȀͻǤ —Ž‹ ͳͻͻͷǼȌǤ  †‡” ‘Ž‰‡ †‹•—–‹‡”‡ —‡ ƒ†‡ —† †‹‡ —”ƒ–‘”‹ ‡‹Žƒ ”‘‰Š ‘–”‘˜‡”• ò„‡” †‡ –ƒ–—• †‡” ‘–‘‰”ƒˆ‹‡ „‡‹ ‹ŽŽ—•‡ǣ ‘ŽŽ ƒǡ ™‹‡ ”‘‰Š˜‘”•…ŠŽ¡‰–ǡ†‡ò•–Ž‡”„‡‹œ‡‹––›’‹•…Š‡‘”–‡Š‡ǡ†ƒ•• ‘–‘‰”ƒˆ‹‡ ‡‹‡—•–•‡‹ǡ ‘†‡”ǡ•‘ ƒ†‡ǡ†‹‡—ˆƒŠ‡ƒŽ•‹Ž†ˆ‹†—‰‡‡”•–‡Š‡ǡ †‹‡†‹‡—••ƒ‰‡†‡•ò•–Ž‡”•‘–‡”ƒ”‹‡”‡ǫ Vgl. Leila Krogh: ǽ ‘–‘‰”ƒˆ‹‡–•‘ ”‡†•ƒ„Ǥ Ǥ Ǥ‹ŽŽ—•‡ „‡–”ƒ‰–‡†‡ ‹‡ •‹‰ •‡Ž˜ •‘ ‡ ˆ‘–‘‰”ƒˆ‹• —•–‡”Ǽǡ InformationǡͳͶǤ —Ž‹ͳͻͻͷǡ—‡ ƒ†‡ǣǽ‹ŽŽ—•‡‘‰ˆ‘–‘‰”ƒˆ‹‡–ǤƒŽƒ–ƒ‰‡ —•–‡”‡ ’¤ ‘”†‡–ǡ ¤” ŠƒȀŠ— ›–”‡” •‹‰ ‘ •‹– ˜§”ǫǼǡ Informationǡ ͳ͹Ǥ —Ž‹ ͳͻͻͷǤ 66 »kunstneriske hukommelse«, Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn, S. 18. 67 »I fotografierne giver Willumsen et billede af sine konkrete omgivelser. I kunstværkerne indarbejder han sine undersøgelser og overvejelser og når frem til sin

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Krogh stellt weder den indexikalischen Charakter noch den Informationswert von Fotografie in Frage. Der Weg von der Lebensrealität über deren Dokumentation durch Fotografie bis hin zum Kunstwerk als Endprodukt stellt sich bei ihr als linearer Prozess dar. Die Fotografien »zeigen« und »sind«, verweisen also unmittelbar auf die konkrete Wirklichkeit. Dem Zitat ist zu entnehmen, dass Krogh die Fotografien der Sphäre der Wirklichkeit zuschreibt: Der Prozess der Fiktionalisierung begänne demnach erst nach, und nicht mit der Fotografie. So eindeutig ist Kroghs eigenes Urteil an anderer Stelle aber auch nicht. Nur ein paar Seiten weiter beschreibt sie die sorgfältige Inszenierung von Familienfotos, fotografischen Selbstporträts sowie von Aufnahmen von Wohnungen und Ateliers.68 Zu Willumsens Verwendung unterschiedlicher Medien schreibt sie, dass er das, was »die Fotografien zeigen«, nicht »ebenso gut in einem anderen Medium« habe ausdrücken können.69 Fotografie und Erleben Wenn Krogh also meint, es sei mit Hilfe der Fotografien möglich, »eine Reihe von Erzählungen in Willumsens Leben und Kunst anschaulich zu machen, die bisher nicht beleuchtet worden sind«,70 muss es meines Erachtens in Ergänzung zu Kroghs grundlegender Forschung darum gehen, den Anteil der Fotografien an den Erzählungen herauszuarbeiten und damit zu untersuchen, inwieweit die Aufnahmen und das Medium Fotografie die Erzählungen erst produzieren. Der Körper des Künstlers figuriert in den Texten von Krogh und Wirenfeldt Asmussen über die badenden Kinder als zentrale Instanz. Dem Arbeitsprozess an der Serie der Badenden wird eine Erfahrungs- und Erlebnisdimension hinzugefügt, die an den Körper des Künstlers geknüpft ist. So heißt es, Willumsen sei in der entsprechenden Phase in engerem Kontakt mit der Natur gewesen als je zuvor.71 Die Betonung von Körperlichkeit geht hier über biografische Bezüge im Zusammenhang mit anderen Werkgruppen weit hinaus. Wie bereits erwähnt, be-

særlige forestilling om et emne. Fotografierne viser Willumsens virkelighed, og kunstværkerne er hans fiktion. Og samtidig er fotografierne en kilde til information om Willumsens liv, selvopfattelse, familie, boliger, atelierer og enkelte værker«, Krogh (1995): Fiktion & virkelighed, S. 6. 68 Vgl. ebd., S. 11. 69 »Det, fotografierne viser, kunne han ikke have udtrykt ligeså godt i et andet medie«, ebd., S. 12. 70 »Det er muligt ved hjælp af fotografierne at anskueliggøre en række fortællinger i Willumsens liv og kunst, som hidtil ikke har været belyst«, ebd., S. 6. 71 Ebd., S. 90.

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dienen sich sowohl Krogh als auch Wirenfeldt Asmussen einer Schwangerschafts- und Geburtsmetaphorik, wenn sie schreiben, die Idee zum Bild sei 1902 in Amalfi »empfangen« worden,72 und Willumsens Lebensphase als »eine Art von Wiedergeburt« bezeichnen.73 In der Verlängerung dieser Metaphern würden die Bilder als Resultate eines körperlichen Reproduktionsprozesses wahrgenommen. Meines Erachtens besteht eine direkte Verbindung zwischen der zentralen Rolle, die dem Körper des Künstlers zugeschrieben wird, und dem Medium der Fotografie. Mit anderen Worten: Ohne die Existenz der Fotografien würden Arbeitsprozess und Bilder anders konzeptualisiert. Die erwähnte Erlebnisdimension bezieht sich auf unterschiedliche Aspekte der Medialität von Fotografie. Ein Aspekt wäre der die Urlaubsfotografie betreffende Teil des Knipserdiskurses. Die Fotografie dokumentiere demnach, was der Tourismus verspreche: Ausbruch aus dem Alltag, Freiheit, eine Besinnung auf sich selbst und den eigenen Körper, neue Erlebnisse und Erfahrungen. Willumsens Fotografien wären demnach nicht nur ein Glied im Prozess vom Motiv zur Malerei, sondern auch eine Verbindung von Freizeit und Arbeit. Die Fotografie, und zwar die Fotografie als Spur des tatsächlich Erlebten und Dagewesenen, stellt ein (auto-)biografisches Moment in der Dokumentation des Arbeitsprozesses dar. Aus den Formulierungen von Krogh und Wirenfeldt Asmussen geht hervor, dass sie nicht zwischen Willumsen als Person und seinem Auftreten als Künstler unterscheiden. Die Verwischung der unterschiedlichen Stufen im Medialisierungs- und Fiktionalisierungsprozess scheint mir hier ein Effekt der Fotografie selbst zu sein. Badende Jungen in Amalfi Im Archiv des Willumsen-Museums in Frederikssund befinden sich 23 undatierte Fotografien von badenden Jungen am Strand von Amalfi, die aus den Jahren 1902 und 1904 stammen. Es ist nicht überliefert, ob Willumsen die Idee zu den Badenden schon vor dem Amalfiaufenthalt hatte und die ersten Bilder im Hinblick auf die künstlerische Bearbeitung des Motivs aufnahm, oder ob diese als Urlaubsfotos zu betrachten sind, die den Beginn einer schnell darauf erfolgenden künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Bademotiv darstellen. Krogh teilt die Fotografien je nach Grad der Inszenierung in Gruppen ein. Ihr zufolge gibt es Fotos vom Strand, die »nicht inszeniert« seien, sondern alltägliche Tätigkeiten dokumentierten:74 einige Aufnahmen von ins Wasser rennenden Jungen, bei

72 »blev undfanget«, Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn, S. 7. 73 »en form for genfødsel«, Krogh (1995): Fiktion & virkelighed, S. 90. 74 »ikke iscenesatte«, ebd., S. 89.

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denen unklar ist, ob Willumsen sie dazu aufgefordert hat oder nicht, sowie eine Reihe von Fotos der Jungen in bestimmten Posen, für die sie der Künstler angeleitet und auch bezahlt habe. Für eines der letzteren Fotos sei ein nackter Junge »präzise […] instruiert« worden, und es sei deutlich, »wie sehr Willumsen sein Motiv inszeniert hat«.75 Krogh scheint eine Theatermetaphorik also dann zu verwenden, wenn sie von einer Anordnung und Anleitung entsprechend der künstlerischen Intention Willumsens ausgeht. Ganz konsistent ist ihre Verwendung der Begriffe Szene und Inszenierung jedoch nicht. Auf den »nicht inszenierten« Fotos hielten sich die Kinder auf dem Strand und im Wasser auf, und die Boote seien auf den Strand hinauf gezogen »wie ein Teil der Alltagsszenerie«.76 Die Formulierung deutet darauf hin, dass die Trennung von Fiktion und Wirklichkeit aus dem Titel von Kroghs Katalogbuch, die nahe legt, dass Fiktion für Malerei und Fotografie für die Wirklichkeit stehe, so nicht aufrecht erhalten werden kann. Der Strand von Amalfi wird sowohl von Krogh als auch von Willumsen selbst als Szene oder Bühne wahrgenommen und beschrieben. Strand und Berge wären, um in der Metaphorik zu bleiben, Kulisse für die Inszenierung der badenden Jungen. Die Wahrnehmung von Amalfi als Bühne und Kulisse verweist auf die Medialisierung von italienischer Landschaft und italienischen Fischerdörfern, die schon lange vor Willumsen und vor allem in der Malerei erfolgt ist, die im Sinn sowohl von Werbung als auch von Dokumentation stets ein wichtiger Aspekt des Tourismus gewesen ist und die, so kann vermutet werden, Willumsen erst nach Amalfi gelockt hat. Durch ihre Medialisierung werden Landschaft, Architektur, Menschen und Boote erst als pittoresk wahrnehmbar, worauf schon der etymologische Ursprung des Wortes aus dem lateinischen pictus, gemalt, oder pictor, Maler, hindeutet: als sozio-ästhetische Kategorie ist Landschaft nicht ohne deren künstlerische Gestaltung denkbar und lenken Genrekonventionen aus der Landschaftsmalerei Wahrnehmung und Erleben von Landschaft.77 Diese reziproken Prozesse greifen auch, wenn es um die Schilderung lokaler Lebensweisen in landschaftlicher Umgebung geht – ein Ort und seine Bewohner werden als Genreszene wahrnehm- und lesbar. Willumsens laut Krogh »nicht inszenierte« Fotos sind also eher als Remedialisierung von Land-

75 »hvor præcist en nøgen dreng er instrueret«, »hvor meget Willumsen har iscenesat sit motiv«, ebd., S. 82. 76 »som en del af hverdagssceneriet«, ebd., S. 89. 77 Siehe z.B. Ludwig Trepl (2012): Die Idee der Landschaft. Eine Kulturgeschichte von der Aufklärung bis zur Ökologiebewegung. Bielefeld: transcript.

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schafts- und Genremalerei zu betrachten, worauf Krogh mit ihrer Formulierung einer »Alltagsszenerie« selbst hindeutet.78 Die Bezeichnung als »nicht inszeniert« wird spätestens dann brüchig, wenn man sich die so benannten Fotos genauer anschaut. Eine Fotografie mit dem Titel Kinder bei einem Boot am Strand bei Amalfi (Abb. 34) ist genau in der Hälfte durch die Horizontlinie geteilt, die Meer und Himmel trennt. Der Standpunkt des Betrachters befindet sich auf dem Strand, der ungefähr das untere Drittel der Bildfläche ausfüllt. Vom rechten Bildrand ragt ein bewaldeter und mit Wohnhäusern und Kirchen bebauter Berg ins Meer. Die Uferlinie führt die Horizontlinie nach rechts weiter, wo eine Bucht zu liegen scheint, die mit dem rechten Bildrand abschließt. Ankernde Boote vermitteln zwischen dem Strand im Bildvorder- und dem Berg im Hintergrund. Ein Ausläufer des Bergs, der eine Halbinsel zu bilden scheint, trifft auf der Fotografie fast genau in der Bildmitte auf das Meer. Der Meeresstreifen im Bildmittelgrund wird vertikal genau von einem am Strand liegenden und mit Segeltuch überspannten Holzboot ausgefüllt. Abb. 34: Kinder bei einem Boot am Strand bei Amalfi (1902 oder 1904)

Ein Jugendlicher oder Mann in weißem Hemd und nach oben gekrempelten Hosen hält das Boot an den Stangen fest, die das Segeltuch tragen. Ein Mädchen steht rechts daneben am Strand und hält ihren gerafften Rock in den Händen. Ein Junge in gestreiftem Badeanzug sitzt auf dem Rand des Boots, während ein wei-

78 Zum Begriff der Remedialisierung siehe Jay David Bolter, Richard Grusin (1999): Remediation. Understanding New Media. Cambridge, Mass.: MIT Press.

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terer Junge nur mit einer kurzen Hose bekleidet bis zu den Hüften im Wasser steht und sich am Bootsrand festhält. Was das Bild abgesehen von der erläuterten sorgfältigen Komposition als ǹinszeniertǸ hervorhebt, ist die Tatsache, dass drei der vier fotografierten Personen direkt in die Kamera schauen. Wie Wirenfeldt Asmussen schreibt, kann in der Zeit wegen der notwendigen Belichtungszeit von Schnappschüssen kaum die Rede sein.79 Um ein so scharfes Bild zu erzeugen, müssen die Kinder einige Zeit still gestanden haben. Das Innehalten in der Bewegung und ihr frontaler Blick erzeugen den Eindruck, als habe der Fotograf ihnen Anweisungen zugerufen. Das Bild wirkt wie eine Postkarte, die alle Elemente dessen vereint, was aus der Perspektive eines nord- oder mitteleuropäischen Touristen und dessen Adressaten als malerisch gilt: eine in das Medium der Fotografie übertragene Kombination von Landschafts- und Genremalerei. Die Postkarte führt dabei eine Tradition und Funktion weiter, die schon vor der Erfindung der Fotografie bestand, aber durch die Medialität der Fotografie aktualisiert und verdeutlicht wird: der an die Adressaten gerichtete Beweis, an einem Ort gewesen zu sein, sowie die sich eher auf den Absender beziehende Erinnerungs- und Selbstvergewisserungsfunktion. Fotografie und Tourismus Willumsen scheint bei seinen Strandbildern aus Amalfi von der Tradition der Bildungs- und Künstlerreisen nach Italien und deren Spuren in der Landschaftsmalerei gleichermaßen beeinflusst zu sein wie von den Genreszenen des britischen Malers Henry Scott Tuke (1858-1929), der in den 1890er Jahren das Motiv badender Kinder und Jugendlicher im Boot etablierte. Für das Motiv braun gebrannter italienischer Jungen und Jugendlicher gibt es selbst in der Fotografie Vorgänger. Neben dem deutschen Fotografen Wilhelm von Gloeden (1856-1931), der in Taormina auf Sizilien in den 1890er Jahren mehr oder weniger pornografische antikisierende Fotos von jungen Männern gleichermaßen als Souvenirs an bildungsbürgerliche Italienreisende wie auch an ein schwules Publikum verkaufte, wurde das Genre auch von gewöhnlichen Fotostudios gepflegt.80 Ein Beispiel für eine solche Fotografie aus einem römischen Studio, die allem Anschein nach sowohl als Vorlage für Künstler – als so genannte académie – als auch als schwule Pornografie vermarktet wurde,81 habe ich auch in Willumsens Fotografiesammlung gefunden. Am interessantesten erscheinen mir die Fotografien Willumsens, auf und mit denen kunst- und kulturhistorische Traditionen mit den zeitgenössischen kulturellen Prak-

79 Vgl. Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn, S. 18. 80 Zu Wilhelm von Gloeden: z.B. Waugh (1996): Hard to Imagine, v.a. S. 71-102. 81 Vgl. ebd., S. 61f.

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tiken des Tourismus und des Badens verschmelzen. Während das bereits beschriebene Foto einen recht großen Bildausschnitt zeigt und Distanz zum Bildobjekt wahrt, was zum Eindruck eines Postkartenblicks beiträgt, rückt die Kamera in anderen Fotos viel näher an das Motiv der Badenden heran. Die Perspektive wechselt von der eines Beobachters und Dokumentierenden zu der eines unmittelbar am Geschehen Beteiligten. Abb. 35: »Situationsbild« mit Kindern am Strand von Amalfi (1902 oder 1904)

Auf einer Fotografie, die in Kroghs Katalog mit Situationsbild vom Strand bei Amalfi (Abb. 35) betitelt ist, ist das Panorama gegenüber den Kindern bei einem Boot stark verkleinert worden. Gezeigt wird derselbe Strandabschnitt mit Bucht und Berg im Hintergrund, wobei vom Meer nur ein schmaler Streifen und vom Himmel nur ein kleiner Ausschnitt zu sehen ist. Statt von einem distanzierten Betrachterstandpunkt aus eine Übersicht zu haben, befinden wir uns hier auf Augenhöhe mit den Jungen, die den Strand bevölkern. Der Fotograf scheint zwischen den Jungen gekniet zu haben, von denen einer mit gerunzelter Stirn und halb geöffnetem Mund den Blick durch die Kamera erwidert. Der Bildausschnitt scheint zunächst willkürlich gewählt, befinden sich die meisten der Jungen doch in Bewegung und wenden der Kamera den Rücken zu. Der Blick wird aber klar auf zwei Bezugspunkte gelenkt: auf die Rückenfigur am linken Bildrand, ein Junge mit Strohhut und hinter dem Rücken verschränkten Armen, sowie auf einen sich an- oder ausziehenden Jungen mit langem hellem Hemd und Hut, der genau in der Bildmitte platziert ist. Der Körper des Jungen mit Strohhut ist an Kopf, linker Schulter und von den Knien abwärts von den Bildrändern beschnitten, was den Betrachterraum mit dem Bildraum verschmelzen zu lassen scheint. Der nach

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rechts gedrehte und den Jungen in der Bildmitte zugewandte Kopf verstärkt die den Blick in das Zentrum des Bildes lenkende und zwischen Vorder- und Hintergrund vermittelnde Funktion der Figur. Der Junge in der Bildmitte kontrastiert durch die helle Kleidung, die von der Sonne noch zusätzlich beleuchtet zu sein scheint, mit den braun gebrannten Körpern der anderen, während der dunkle Hut wiederum einen Kontrast zum Hemd bildet. Der Fokus auf die beiden Jungen mit Hut richtet sich aber nicht nur auf die Kontraste, sondern auch auf das Moment des An- und Ausziehens, beziehungsweise auf das An- oder Ausgezogensein. Die Nacktheit der anderen liegenden und hockenden, einen Halbkreis um den Jungen mit hellem Hemd bildenden Jungen wird hervorgehoben. Der Blick richtet sich auf ihre dunkle, teilweise vom Wasser glänzende Haut, unter der sich Muskeln, Rippen und Schulterblätter abzeichnen. Abb. 36 & 37: Badende Jungen am Strand von Amalfi 1 & 2 (1902 oder 1904)

Die Aufnahme zeigt also kein Postkartenpanorama, sondern eine Badeszene mit besonderem Interesse für die dargestellten Körper in unterschiedlichen Posen und für das Moment der Be- und Entkleidung. Letzteres Motiv, das Verhältnis von nackter Haut und sie bedeckendem, oft gestreiftem Stoff, kehrt in vielen von Willumsens Fotos wieder. Eine unpublizierte Fotografie (Abb. 36) zeigt zwischen zwei badenden und einem bekleidet am Strand sitzenden Kind zwei Jungen, die hintereinander in Richtung Kamera gehend beide ihre Badehosen hoch- oder hinunterziehen, als seien diese beim Toben im Wasser heruntergerutscht, oder als wollten beide ihre nassen Hosen ausziehen. Es existiert ein weiterer Abzug der Fotografie, der die beiden zentralen Figuren stark vergrößert und deshalb unscharf wiedergibt (Abb. 37). Die Verdopplung und dadurch Betonung des Motivs des An- oder Ausziehens sowie das halb erigierte Glied des dritten stehenden Jungen auf dem ersten Abzug erotisieren die Badeszene zu dem Grad, dass unter Um-

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ständen deshalb auf eine Veröffentlichung verzichtet wurde. Ein als Augenblickssituation vom Strand bei Amalfi betiteltes Foto zeigt auf seiner zentralen vertikalen Achse die Figur eines nackten, in ein helles und auf einer Seite gestreiftes Tuch gewickelten Jungen, dessen Kopf vom oberen Bildrand abgeschnitten ist. Das zeltartig um den Körper geworfene und im Wind flatternde Tuch ist durch seine Bewegung an den Kanten unscharf. Unter dem Tuch sind nur nackte und nasse Füße und Hüften zu sehen. Der Blick durch die Kamera wird durch eine Zuschauerfigur ergänzt, einen mit Hemd, Hose und Hut bekleideten auf der linken Bildhälfte sitzenden Jungen. Auf einer weiteren Fotografie mit dem Titel Zwei im Sand auf dem Strand von Amalfi liegende Jungen (Abb. 38) sind die Motive von Bewegung und Ruhe, Nacktheit und Bekleidung miteinander verknüpft. Die liegende Figur eines nackten Jungen, der den Kopf auf seinen linken Arm gestützt hält und den Blick nach unten richtet, wird mit einem Jungen hinter ihm kontrastiert, der einen gestreiften Badeanzug trägt, gerade dabei ist sich aufzurichten und den Blick zur Kamera wendet. Die beiden Körper sind auf dem Abzug mit Bleistift eingerahmt, so dass davon ausgegangen werden kann, dass Willumsen in dem Bildausschnitt einige Motive kristallisiert sah, an denen er im Hinblick auf seine in der Malerei zu realisierenden Badeszenen arbeitete. Abb. 38: Zwei im Sand auf dem Strand von Amalfi liegende Jungen (1902 oder 1904)

Willumsens Aufnahmen vom Strand in Amalfi verweisen auf mehrere Funktionen der Fotografie. Erstens fungiert sie als Souvenir und stellt damit eine Remedialisierung der Vedute dar, Stadt- oder Landschaftsansichten in Malerei oder Druckgrafik. Zweitens dokumentiert sie das Alltagsleben an einem aus Perspek-

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tive des Knipsers exotischen Ort und remedialisiert in dieser Funktion die Genremalerei. Mit dem letztgenannten Bild kommt eine weitere Funktion der Fotografie bei Willumsen hinzu. Diese am direktesten auf den Arbeitsprozess bezogene Funktion lässt sich noch besser auf einer Fotografie mit dem Titel Sechs laufende Jungen auf dem Strand bei Amalfi (Abb. 39) nachweisen, wo der Künstler mit Bleistift weitere Figuren eingezeichnet und den relevanten Bildausschnitt mit einem Rahmen markiert hat. Das Foto zeigt ein ähnliches Panorama wie das erste beschriebene Bild: die untere Hälfte des durch Horizont- und Uferlinie in zwei gleich breite horizontale Streifen geteilten Bilds nehmen Meer und Strand ein. Sechs nackte Jungen rennen vom rechten Bildvordergrund, also über den Strand, in Richtung Meer, wobei sie sich weiter von der Kamera entfernen. Abb. 39: Sechs laufende Jungen auf dem Strand bei Amalfi

Einer der Jungen ist schon am Ufer angekommen und scheint sich, obwohl er einen Hut trägt, mit ausgebreiteten Armen ins Wasser stürzen zu wollen. Durch die Bewegung in der langen Belichtungszeit sind die Körperkonturen unscharf. Dass einer der Jungen beim Laufen über die linke Schulter einen Blick zur Kamera wirft, deutet darauf hin, dass sich die Kinder über das Beobachtet- und Fotografiertwerden im Klaren sind, wenn sie vom Fotografen nicht sogar zum Lauf über den Strand aufgefordert worden sind. So wenig wie die Aufnahme genau datiert werden kann ist bekannt, wann Willumsen sie mit Bleistiftzeichnungen und -markierungen versehen hat. Mit den hinzugefügten Figuren ist der Bildaufbau von Badende Kinder am Strand von Skagen (Abb. 19, S. 202) und

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Sonne und Jugend (Abb. 20, S. 203) sehr ähnlich. Die mittlere Gruppe mit einer nach links und einer zum Meer gewandten Figur scheint von der Fotografie auf die Gemälde übernommen worden zu sein. Zwei weitere Gruppen fügt Willumsen mit Bleistift ein: Zwei sich an den ausgebreiteten Händen haltende Figuren links und eine ein kleineres Kind umarmende Figur rechts der zentralen Gruppe. Der Junge mit Hut direkt am Ufer wird durch eine gezeichnete größere Figur ersetzt und durch eine links davon in die Wellen springende ergänzt. Die neuen Figuren tauchen in der Gesamtkomposition alle auf. Wieder ist die Chronologie unklar: Entwickelt Willumsen aus der Fotografie heraus die Komposition, oder erprobt er diese an Hand der Aufnahme, nachdem die einzelnen Elemente schon vorher mit Hilfe von Skizzen erarbeitet worden sind? Das Beispiel zeigt, dass nicht hinreichend geklärt werden kann, wie Willumsen konkret mit Fotografie arbeitete. Es zeigt aber auch, dass die Frage nach der chronologischen Ordnung – ob die Fotos also als Vorlage dienten oder nicht – unter Umständen die am wenigsten interessante in diesem Zusammenhang ist. Statt die Fotos als Nebenprodukt im Arbeitsprozess oder als Vorstufe endgültiger Bilder zu betrachten, ist es lohnender, die damit verwobenen anderen Funktionen und Aspekte der Medialität von Fotografie und das bei Krogh zentral stehende Verhältnis von ǹFiktion und WirklichkeitǸ in den Blick zu nehmen. Eine dieser mehrdeutigen Funktionen bezieht sich auf die Dokumentation. Die Fotografien vom Strand von Amalfi dokumentieren gleichzeitig den Arbeitsprozess und Willumsens Italienreise. Im Zusammenhang mit der Fotografie und deren Realitätseffekt scheinen also Privatperson und Künstler zu verschmelzen. Auch die Funktion der Fotografie als »Werkzeug« und als künstlerisches »Mittel« ist ambivalent.82 Einerseits arbeitet Willumsen konkret mit, durch und sogar auf den Aufnahmen. Andererseits verweisen die Fotos auf eine Auseinandersetzung mit ihrem Medium oder mit Fragen der Medialität im Allgemeinen. Insbesondere die Fotografien, die Willumsen zusätzlich mit Zeichnungen bearbeitet hat, lenken den Blick auf Prozesse der Medialisierung, Intermedialität und Remedialisierung. Fotografie und Remedialisierung Meines Erachtens kann das von Jay David Bolter und Richard Grusin entwickelte Konzept der Remedialisierung auf Willumsens Fotografie übertragen werden, wodurch sich verschiedene Dimensionen des Mediums erschließen lassen. Das Konzept der Remedialisierung beschreibt Übersetzungen und Bezüge zwischen Medien. Gegenüber anderen Konzeptualisierungen von Intermedialität und ins-

82 »redskab«, »middel«, Krogh (1995): Fiktion & virkelighed, S. 8.

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besondere Medientransfers besteht der Vorteil des Begriffs darin, dass Medien nicht ontologisch begründet und als nicht voneinander abgeschlossen gedacht werden: »all mediation is remediation«, alle Medialisierung ist Remedialisierung.83 Bolter und Grusin skizzieren Remedialisierung als Prozess, dem immer eine Medienreflexion innewohne. Ein zentraler Aspekt von Remedialisierung in der Formulierung von Bolter und Grusin ist ein paradoxales Verhältnis von Unmittelbarkeit und Hypermedialität. Einerseits grenzten sich Medien, von der Einführung der Zentralperspektive in der Renaissancemalerei über Fotografie und Film bis hin zu den digitalen Medien, gegenüber ihren Vorgängern immer wieder durch eine Behauptung einer größeren Realitätsnähe ab, was als Versuch der Verschleierung ihrer Medialität gewertet werden könne, also als »attempts to achieve immediacy by ignoring or denying the presence of the medium and the act of mediation«, indem die Medien danach strebten, den Raum des Betrachters mit dem Raum der Medienhandlung zu vereinen.84 Andererseits vervielfältigen sich gleichzeitig die medialen Schichtungen, so dass der Prozess der Medialisierung und Remedialisierung sichtbar und die Faszination für Medien offenbar wird. Dieses Phänomen bezeichnen Bolter und Grusin als Hypermedialität: »Although each medium promises to reform its predecessors by offering a more immediate or authentic experience, the promise of reform inevitably leads us to become aware of the new medium as a medium. Thus, immediacy leads to hypermediacy.«85 Der Begriff Remedialisierung ist deshalb gut auf die aus Zeichnungen, Malerei und Fotografien bestehende Serie badender Kinder bei Willumsen anzuwenden, weil nicht kausale und konsekutive Zusammenhänge im Sinn einer eindeutigen Einflussnahme fokussiert werden, sondern eine performative Generierung von Bedeutung für die beteiligten Medien. Welche Bedeutung insbesondere der Fotografie bei Willumsen zugeschrieben wird, ist also von der zeitlichen Abfolge von Fotos, Zeichnungen und Malerei unabhängig. Das Paradox zwischen Unmittelbarkeit und Hypermedialität, das nach Bolter und Grusin mit Prozessen der Remedialisierung einhergeht, lässt sich auch bei Willumsen nachweisen. Die Fotografien versprechen eine größere Authentizität, Transparenz und damit Unmittelbarkeit als die Malerei. Dieses Versprechen wird von der Forschungsliteratur aufgegriffen, wenn das Motiv der Badenden in direkte Verbindung mit Erfahrungen und Erlebnissen des Künstlers gebracht wird. Bei Krogh heißt es dazu,

83 Bolter, Grusin (1999): Remediation, S. 55. 84 Ebd., S. 11. 85 Ebd., S. 19.

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Willumsen habe in der Phase Motive gewählt, »in denen er sich spiegeln konnte«.86 Nimmt man einen indexikalischen Charakter von Fotografie und Spiegelbild an, was Krogh offensichtlich tut, könnten die Fotos von den Badenden und insbesondere das Porträt von Willumsen in Badehose (Abb. 56, S. 301) hier die Funktion als Spiegel übernehmen. Der gegenüber der Malerei größere Realitätsbezug wird von Krogh sogar mit einem Ausrufezeichen markiert. Für die Figur des einen Rückwärtssalto schlagenden Jungen ganz links auf Badende Kinder am Strand von Skagen habe Willumsen »selbstverständlich keine Aufnahme gemacht. Das ist eine unmögliche Position auf einem Strand, deshalb ist sie nicht fotografiert worden!«87 Wie der Katalog über Willumsens Badende nahe legt, habe Willumsen stattdessen die Fotografie eines Turmspringers als Inspiration oder Vorlage benutzt, die in eine seiner Mappen mit Zeitungsausschnitten eingeklebt ist.88 Einerseits wird über die Fotografie der Wirklichkeitsstatus der Malerei verhandelt: Fiktiv ist, wofür es keinen fotografischen Beweis gibt. Andererseits wird – wie beim sogenannten Schwanensprung bei Jansson – mit Hilfe der Fotografie festgehalten, was das bloße Auge nicht erkennen kann. Die Fotografie beweist, was sonst unter Umständen als fiktiv gelten würde. Das Versprechen von Unmittelbarkeit und Authentizität wird also nicht eingelöst, sondern im Gegenteil auf Medialität und Medialisierung verwiesen. Die Funktion von Fotografie als Dokumentation und Beweis von körperlichen Erfahrungen wird eingefordert und eine geringere Mittelbarkeit als bei Malerei postuliert, dabei wird aber ständig auf die Möglichkeiten und Grenzen des Mediums eingegangen. Die Beschäftigung mit dem und Faszination für das Medium Fotografie, wie sie sowohl für Willumsen in Bezug auf eigene Fotos und die anderer als auch für seine Rezeption konstatiert werden kann, deutet gemeinsam mit der multimedialen Serie badender Kinder auf das bei Bolter und Grusin so bezeichnete Phänomen der Hypermedialität hin. Wie weiter oben herausgearbeitet, weisen die Fotos stets Spuren von Medialisierung und Remedialisierung auf, seien es Hinweise auf die Präsenz eines Fotografen, das Rekurrieren auf Landschaftsmalerei bei postkartenähnlichen Kompositionen oder die an die Genremalerei angelehnte Inszenierung von Figuren und Figurengruppen in ihrer landschaftlichen Umgebung. Für den Diskurs über die Fotografie bei Willumsen gilt also, was Bolter und Grusin für Mediendiskurse der Gegenwart feststellen, nämlich

86 »hvor han kunne spejle sig i«, Krogh (1995): Fiktion & virkelighed, S. 90. 87 »selvsagt ikke taget noget fotografi af. Det er en umulig stilling på en strand, sa derfor er den ikke fotograferet!«, ebd. 88 Vgl. Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn, S. 23.

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ein ambivalentes oder paradoxes Verhältnis zwischen »the transparent presentation of the real and the enjoyment of the opacity of media themselves«:89 Gibt die Fotografie Aufschluss über eine dargestellte Wirklichkeit oder verweist sie nur auf sich selbst? Meines Erachtens ist diese Ambivalenz charakteristisch für den Knipserdiskurs im Allgemeinen und das Ineinanderfließen von Kunst und Leben bei Willumsen und den anderen Künstlern im Kontext des Badens im Besonderen. Die immer wiederkehrende Behauptung, die Inspiration für die Bildgruppen der Badenden speise sich aus der Quelle unmittelbaren Erlebens, also einem als genussvoll und befreiend empfundenen engen Kontakt zur Natur und dem eigenen Körper, ist, vielleicht paradoxerweise, bei allen Künstlern mit der Medialisierung des Erlebten durch die Fotografie verbunden. Ist Erleben gar nicht mehr denkbar ohne dessen Medialisierung, vor allem in Form von Fotografie? Braucht man eine Kamera, um das Erlebte als solches zu inszenieren, zu dokumentieren und dadurch letztlich erst zu erzeugen? Timm Starl und die amerikanische Autorin und Kultur- und Fotografietheoretikerin Susan Sontag haben, vor allem in Bezug auf den Zusammenhang von Fotografie und Tourismus, dahin gehende Überlegungen formuliert.90 Beide weisen darauf hin, dass sich die Fotografie, wie Sontag schreibt, »in tandem« mit dem Tourismus als eine der paradigmatischen modernen Aktivitäten entwickelt habe: »It seems positively unnatural to travel for pleasure without taking a camera along. Photographs will offer indisputable evidence that the trip was made, that the program was carried out, that fun was had.«91 In letzter Konsequenz bedeutet das, dass die Reise, das Programm, der Spaß nur im fotografischen Beweismaterial, also in ihrer medialisierten Form, überdauern: »A way of certifying experience, taking photographs is also a way of refusing it – by limiting experience to a search for the photogenic, by converting experience into an image, a souvenir.«92 Wieder scheint sich das Versprechen von Authentizität zu Gunsten einer Medienrealität aufzulösen, Unmittelbarkeit untrennbar mit Hypermedialität verknüpft zu sein. Damit wäre auch das seit den Anfängen der Tourismusindustrie und bis heute geltende Versprechen authentischer Erlebnisse von Mensch und – gerade im Kontext von Bad und Meer – Natur in Frage ge-

89 Bolter, Grusin (1999): Remediation, S. 21. 90 Vgl. Starl (1995): Knipser und Susan Sontag (2001): On Photography. New York: Picador [1977]. 91 Sontag (2001): On Photography, S. 9. 92 Ebd.

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stellt: »the habit of photographic seeing […] creates enstrangement from, rather than union with, nature.«93 Weiter oben habe ich auf Leila Kroghs Ansinnen Bezug genommen, mit Hilfe der Fotografien »eine Reihe von Erzählungen in Willumsens Leben und Kunst« anschaulich machen zu wollen.94 Da schon im Titel der Publikation der Gegensatz zwischen Wirklichkeit und Fiktion angelegt ist, kann man davon ausgehen, dass sie damit Erzählungen hinter den Bildern meint, dass die Fotos also darüber Aufschluss geben könnten, was zu den Bildern geführt hat. Die Fotografien würden damit eine wahre Begebenheit erzählen und das Versprechen von Unmittelbarkeit einlösen. Dem gegenüber steht Kroghs eigene Beobachtung der sorgfältigen Inszenierung von Fotografien bei Willumsen, die meines Erachtens auf diejenigen Fotos ausgeweitet werden muss, die Krogh als ›nicht inszeniert‹ bezeichnet. Demnach würde es sich um eine medialisierte Erzählung handeln, eine Erzählung in Bildern, in einer multimedialen Serie von Bildern. Den medientheoretischen Überlegungen von Bolter, Grusin, Sontag und anderen folgend möchte ich behaupten, dass es sich auch um eine Erzählung über Bilder, über Medien und Medialisierung handelt. Die (auto-)biografische Erzählung über den Italienurlaub und über das damit verbundene Verschmelzen persönlicher Wünsche und körperlicher Bedürfnisse mit künstlerischen Interessen wäre somit gleichzeitig eine Erzählung von den medialen Möglichkeiten des Erzählens selbst.

5.5. E DVARD M UNCH

UND

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Edvard Munch kaufte 1902 seine erste Kamera, eine Kodak-Handkamera, wie sie Amateurfotografen um die Jahrhundertwende zum ersten Mal massenhaft zur Verfügung stand. Munchs Fotos entstanden in zwei Phasen, von 1902 bis 1908/09 und zwischen 1926 und 1932. Wie Arne Eggum in seinem umfangreichen Katalogbuch Munch og fotografi nachweist, setzte sich Munch aber auch sonst intensiv mit der Fotografie und deren Verhältnis zu seinen anderen Medien auseinander.95 Laut Timm Starl ist es typisch für Knipser, dass »berufsfotografi-

93 Ebd., S. 97. 94 Krogh (1995): Fiktion & virkelighed, S. 6. 95 Eggum (1987): Munch og fotografi.

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sche Produkte« in den »privaten Bildkosmos« integriert werden.96 Eggum kann zeigen, dass unter anderem Postkarten, Porträtfotografien und Fotos aus Fotoautomaten, wie sie um die Jahrhundertwende beispielsweise in Hotelfoyers aufgestellt wurden, in Munchs Bildkosmos und in ein komplexes Geflecht mit seiner Malerei und Grafik sowie eigenen Aufnahmen eingehen. Munch fotografierte seine Umgebung, seine Kunst, seine Modelle und vor allen Dingen sich selbst. Die Fotos können Dokumentation, Vorlage, Porträt oder Kunstwerke sein, wobei die Funktionen nicht eindeutig geklärt werden können und ständig überlappen. Von allen genannten Künstlern ist der Status der Fotografie bei Munch am schwierigsten zu bestimmen, gerade weil er das Medium auf vielfältige Art und Weise nutzt. Munch ist ein Knipser, insofern er sich die Technik selbst aneignet, die Fotos nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind, er Situationen und Orte der eigenen Biografie dokumentiert und damit einem von Gunnar Schmidt in Anlehnung an Starl so genannten »Erinnerungsbegehren« folgt.97 Gleichzeitig kann er mit Recht als einer der innovativsten skandinavischen Fotografen seiner Zeit bezeichnet werden, der systematisch die Ausdrucksmöglichkeiten des Mediums erforscht und mit Belichtungszeiten, Doppelbelichtung, Unschärfen und Zufällen bei der Bildentwicklung experimentiert. Die Ambivalenz kehrt im Titel einer Munch mit dem schwedischen Schriftsteller August Strindberg (1849-1912) vergleichenden Publikation, Edvard Munch. August Strindberg. Photography as a Tool and an Experiment (1989),98 wie auch im wohl ersten Text über Munchs Fotografie wieder, einem Aufsatz aus einem deutschen Sammelband aus den 70er Jahren.99 Darin stellt Josef Adolf Schmoll Munchs Fotos als »technisch […] mangelhaft« und »mit amateurhaften Fehlern« behaftet,100 aber auch als »persönlichste schöpferische Leistungen« dar.101 Die Aufnahmen sind laut Schmoll gleichzeitig »mißlungen« und »von größter Aussagekraft«.102 Schmoll zufolge beherrscht Munch sein Medium nur auf Amateurniveau, ist aber in der Lage, ein

96 Timm Starl (1995): »Im Gespräch: Timm Starl, Kurator der Ausstellung »Knipser« im Münchner Stadtmuseum«, in: Rundbrief Fotografie 2:3, S. 24-26, siehe auch: http://www.foto.unibas.ch/~rundbrief/les71.htm. 97 Gunnar Schmidt (2008): »Dilettantische Ästhetik«, www.medienaesthetik.de/medien/dilettantism.html. 98 Rolf Söderberg (1989): Edvard Munch. August Strindberg. Fotografi som verktyg och experiment. Photography as a Tool and an Experiment. Stockholm: Lucida. 99 Schmoll (1973): »Munchs fotografische Studien«. 100 Ebd., S. 200. 101 Ebd., S. 219. 102 Ebd., S. 197.

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fotografisches »autonomes Dokument« zu produzieren, das »durch kein anderes Medium ersetzbar oder gar übertreffbar vorgestellt werden« könne.103 Schmoll findet letztendlich keine Antwort auf die von ihm selbst gestellte Frage nach »Absicht?«, ob also bestimmte Effekte in den Fotos auf die Intention des Künstlers oder auf dessen Unvermögen zurückzuführen sind.104 Die Ambivalenz ließe sich zusammen mit der von Schmoll vorausgesetzten Opposition von Fotografie und Malerei in Bezug auf ihren Kunststatus und ihre Referenz zur Wirklichkeit auflösen. Bei Schmoll heißt es, im Hinblick auf die »Umsetzung in das grafische oder malerische Werk« sei das »Verhältnis zum fotografischen Bilde […] exakt das gleiche wie unmittelbar vor der Natur«.105 Die Funktion von Fotografie wäre demnach eine präzise Wiedergabe von Natur, während Malerei und Grafik diese transzendierten. Mit der Ausnahme oben genannter autonomer Bildfindungen interpretiert Schmoll Munchs Fotos als Vorlagen und Dokumentationen. Damit geraten die Medialisierung durch und die Medialität von Fotografie aus dem Blick. Weil Schmoll den unmittelbaren Wirklichkeitsbezug von Fotografie nicht in Frage stellt, schließt er die Möglichkeit aus, es könne sich bei den von ihm konstatierten Mängeln um inszenierte Fehler oder die Reflexion einer spezifischen fotografischen Ästhetik handeln. Folgt man der Terminologie Gunnar Schmidts, ist Munchs Fotografie ein hervorragendes Beispiel für eine Ästhetik des Dilettantischen, die den Zwischenraum zwischen Kunst und Nicht-Kunst sowie zwischen Kunst und Leben erkundet, indem sie die Analogie von »Gesten, Handlungen und Motive(n)« in Alltagsleben und avantgardistischer Kunstpraxis fest- und zugleich herstellt.106 Schmidt bezieht sich in seiner Argumentation auf Jacques Rancière, dem zufolge mit der modernen Kunst ein normatives Regime von Repräsentierbarkeit von einem »ästhetischen Regime« unter den Vorzeichen des Realen und Sinnlichen abgelöst wird.107 In der Folge sei eine erhöhte Sensibilität für das Alltägliche und schließlich für das Dilettantische festzustellen. Nicht nur könne die »unkünstlerische Knipserfotografie […] als Material in die Kunst eingehen«, sondern es könne »die Entscheidung gefällt werden […], diese Bilder als Kunst zu betrach-

103 Ebd., S. 198. 104 Ebd., S. 200. 105 Ebd., S. 220. 106 Schmidt (2008): »Dilettantische Ästhetik«. 107 Vgl. Jacques Rancière (2007): Das Unbehagen in der Ästhetik. Wien: Passagen Verlag und (2005): Politik der Bilder. Berlin: Diaphanes, zitiert nach: Schmidt (2008): »Dilettantische Ästhetik«.

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ten«.108 Meines Erachtens findet in Munchs Fotografie ein Austausch zwischen »Bildpraktiken […] von Laien« und avantgardistischen Kunstpraktiken statt, wie Schmidt sie auch aktuell beispielsweise in der so genannten Lomografie erkennt.109 Fotografie und (Selbst-)Porträts Beide Bildpraktiken scheinen in Munchs fotografischen Selbstporträts zum Tragen zu kommen. Auch in der Malerei hat sich Munch intensiv oder fast obsessiv mit Selbstporträts beschäftigt, wie zuletzt 2005 in der Ausstellung Munch själv (Munch selbst) und dem zugehörigen Katalog dokumentiert, die allerdings die Fotografie kaum berücksichtigen.110 In Munchs fotografischen Nachlass sind die Selbstporträts im Verhältnis zu anderen Motiven stark überrepräsentiert. Selbst wenn, wie Schmoll vermutet, viele Fotos verloren sind oder vernichtet wurden, ist der Bestand an Selbstporträts auffallend. Ihre Bewahrung erklärt Schmoll mit einem biografischen Interesse.111 Die Bedeutung der Fotografie für das Genre liegt Schmoll zufolge »in ihrem Wesen und in der technischen Entwicklung des Verfahrens« begründet.112 Im Gegensatz zum Spiegelbild liefere das fotografische Positiv ein seitenrichtiges Bild. Für wichtig hält Schmoll auch die Erfindung des Selbstauslösers Ende des 19. Jahrhunderts, dessen sich Munch oft bediente.113 Über diese Aspekte der Medialität von Fotografie hinaus stellt sich meines Erachtens die Frage, ob nicht eine Analogie zwischen Medium und Genre vorliegt, die sich auf die Erkundung des Raums zwischen Leben und Kunst bezieht. Sowohl Fotografie als auch Selbstporträt weisen ein jeweils spezifisches Verhältnis zur repräsentierten Realität auf. Beide können der, wie es bei Schmoll heißt, »Selbstbespiegelung« und Selbstinszenierung dienen.114 In beiden Fällen handelt es sich, so kann man behaupten, um eine Fiktionalisierung von Leben. Die Funktion im Rahmen von Selbstbefragung und Selbstinszenierung erfüllt – darauf weisen alle Texte über Munchs Fotografien hin – das fotografische

108 Schmidt (2008): »Dilettantische Ästhetik«. 109 Ebd.. Der Begriff Lomografie geht auf eine Kleinbildkamera des St. Petersburger Herstellers Lomo zurück, bezeichnet inzwischen aber eine durch Kameras mit minimalistischen Funktionen erzielte Schnappschussästhetik, die seit den 1990er Jahren sowohl in der Alltagskultur als auch in der künstlerischen Praxis zum Einsatz kommt. 110 Iris Müller-Westermann (2005): Munch själv. Stockholm: Moderna Museet. 111 Schmoll (1973): »Munchs fotografische Studien«, S. 198. 112 Ebd., S. 195. 113 Vgl. Ebd. 114 Ebd.

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Selbstporträt in herausragender Weise, insbesondere wenn es sich, wie es meines Erachtens bei Munch der Fall ist, einer dilettantischen Ästhetik bedient. Durch das Zusammenspiel von Medium, Genre und Ästhetik des Dilettantischen wird in mehrerer Hinsicht eine Illusion, Fiktion und auch Inszenierung des Intimen und Persönlichen erreicht. Die Fotografie wäre demnach keine Dokumentation des Persönlichen, sondern wiese darauf hin, dass Dokumentation immer auch Inszenierung ist und demnach nicht zum Erfassen von Wahrheit dienen kann. Ähnlich argumentiert auch Dorothy Kosinski in ihrem Aufsatz über Munch im Katalogbuch The Artist and the Camera, wo sie schreibt, es sei offenkundig, dass Fotografien niemals nur ein Reportage-Medium für Munch gewesen seien und stets mehr als simple narrative Fragmente seines Lebens.115 Seine fotografischen Experimente wiesen auch auf die Faszination für die zeitgenössische spiritistische Fotografie hin, die Munch mit August Strindberg teilte. Munchs Fotos seien »charged with the excitement of capturing that invisible, the hunt for a reality beneath the surface«.116 Es lässt sich konstatieren, dass sich Munchs Fotografie von seiner Malerei und Grafik weder im Zusammenhang mit der Reflexion über Sichtbarkeit und Sichtbarmachung noch in Bezug auf Inkaufnahme und Herbeiführung von Zufällen und Unfällen unterscheidet. Kosinski zufolge lässt sich Munchs Fotografie mit dem Hinweis auf den biografischen Kontext oder formale Experimente nur unzureichend beschreiben. Ihrer Meinung nach zeichnet sich Munchs Gebrauch des Mediums durch eine Bereitschaft aus, ein die Grenzen ihrer konventionellen Verwendung überschreitendes Potenzial zu erkennen und zu nutzen.117 Munch lade uns ein, seine Fotos als »symptoms of an entirely redefined notion of what constitutes the nature of vision, of its subjectivity« zu lesen. Sie geben darüber Aufschluss, dass Wahrnehmung und Optik nicht mehr als vorhersehbare, rationale, objektive Phänomene bewertet würden.118 Damit würde Munch auch die objektive Wiedergabe von Wirklichkeit durch die Fotografie, ihre Dokumentationsfähigkeit, radikal in Frage stellen. Kosinski hält es nicht für Zufall, dass Munch sich genau dann der Fotografie zuwendet, wenn seine Lebens- und Schaffenskraft durch Krankheit beeinträchtigt erscheint, wie es im Zusammenhang mit seinem Zusammenbruch und Klinikaufenthalt in Kopenhagen 1908/09 sowie mit einer Augenkrankheit 1927 der Fall war. Die dann entstehenden fotografischen Selbstporträts verbinden Unschärfe mit einer eingeschränkten Wahrnehmung des Selbst: »The new

115 Vgl. Kosinski (1999): »Edvard Munch and Photography«, S. 205. 116 Ebd., S. 200. 117 Vgl. ebd., S. 211. 118 Vgl. ebd.

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notion of optics readily coincides with dysfunction, just as it embraced the traces of the supernatural or the accidental.«119 Munchs Fotografie markiert einen Transfer von Leben zu Kunst. Sie verhandelt die Subjektivität von Wirklichkeit und Wahrnehmung und reflektiert die Medialisierung und Fiktionalisierung von Leben, von realen Personen und Sinneswahrnehmungen. In diesem Rahmen füllt die Fotografie verschiedene Funktionen aus. Ohne Anspruch auf einen unmittelbaren Zugang zu einer objektiven Wahrheit zu erheben, dient sie als Orientierung für weitere Stufen der Fiktionalisierung oder dokumentiert und reflektiert den Medialisierungsprozess. Sie kann, beispielsweise in Bezug auf Komposition, die Bedingungen für Bilder in anderen Medien ausloten und eigenständige Bildfindungen präsentieren. Die Beziehungen von Leben und Kunst können sich vielfältig darstellen: als Identifikation von Künstler und Figuren, als Übertragung von Räumen und Raumwahrnehmung in beiden Sphären, im Hinblick auf die Rolle von Kunst im Leben und vor allem in Bezug auf eine Inszenierung als Künstler. Ein Genre, das auf einen Transfer von Leben und Kunst verweist, und in dem bei Munch folgerichtig die Fotografie eine große Rolle spielt, ist das Porträt. Viele von Munchs Porträts haben Fotos als Ausgangs- und Orientierungspunkt, darunter Porträts von Stéphane Mallarmé (1896), Henrik Ibsen (1897), Friedrich Nietzsche (1905-06) und dessen Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche (1906). Teilweise sind die Fotografen unbekannt, teilweise handelt es sich um offizielle fotografische Porträts oder Postkarten, wie im Fall von Mallarmés Foto, einer weit verbreiteten Aufnahme des französischen Fotografen Nadar (1820-1910). Eggum und Kosinski zeigen, wie Munch im Transfer von Fotografie zu Malerei Komposition und Ausdruck modifiziert hat.120 Ähnlich wie bei Willumsen ist das Verhältnis von Fotografie und Malerei aber auch hier komplizierter als das von Vorlage und Endprodukt. Eggum kann in mehreren Fällen zeigen, dass die vermeintliche fotografische Vorlage nach der Malerei entstanden ist, z.B. im Fall des Porträts von Felix Auerbach (1906). Wie Briefen zu entnehmen ist, hat Munch nach Fertigstellung des Porträts Auerbach und seine Frau gebeten, ihm ein Foto »in selber Stellung des Bildes« zu schicken, damit er die eine Zigarre haltende linke Hand des Porträtierten verbessern könne.121

119 Ebd. 120 Arne Eggum (1987): »Portrett og fotografi«, in: Ders.: Munch og fotografi, S. 65-92; Kosinski (1999): »Edvard Munch and Photography«, S. 197-200. 121 Eggum (1987): »Portrett og fotografi«, S. 90. Eggum zitiert hier aus einem undatierten Brief von Munch an Auerbach.

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Auch im Fall von Munchs Selbstporträt mit Pinseln (1904) ist die Ähnlichkeit mit einer ein halbes Jahr jüngeren Aufnahme aus der Bibliothek des Fabrikanten Herbert Esche in Chemnitz nicht darauf zurückzuführen, dass Munch das Foto als Vorlage verwendet hat.122 Im Gegenteil scheint es, als habe Munch ausprobiert, ob sich die Konventionen für ein mit Pinsel und Palette attributiertes Künstlerselbstporträt auch auf die Fotografie übertragen ließen, ob sich also die Fotografie gleichermaßen zur Selbstinszenierung eigne. Laut Eggum hat die Munchliteratur lange darauf beharrt, dass die Fotografie als Vorlage gedient habe, und als Beleg oft sogar die Aufnahme seitenverkehrt abgebildet, damit die Pinsel in die gleiche Richtung zeigen wie auf dem Gemälde.123 Die Deutung kann als symptomatisch dafür gelten, dass der Fotografie im Vergleich zur Malerei nach wie vor ein geringerer Status in Bezug auf originäre Bildfindungen zugeschrieben wird. Noch interessanter erscheinen mir aber die Fotos, die die Porträtierten und den Künstler neben den oft lebensgroßen Porträts zeigen und deren Häufigkeit auf Munchs Interesse an dieser Form des Bilds im Bild schließen lassen. Die ersten Aufnahmen dieser Art wurden vermutlich von der Mutter Ellen Warburgs aufgenommen, als Munch deren Porträt 1905 fertig gestellt hatte. Die Mutter war laut Eggum als Anstandsdame dabei, als Warburg, später in Auschwitz umgebrachte Tochter einer Altonaer Bankiersfamilie, Modell stand.124 Eines der Fotos zeigt Warburg, wie sie in gleicher Kleidung und Haltung wie auf dem Porträt neben dem lebensgroßen Bild steht. Das Porträt scheint gegen eine Wand gelehnt, und Warburg steht vor einer weiteren Leinwand oder einem hellen Vorhang, der vielleicht als Hintergrund für das Porträt verwendet wurde. Es ergibt sich der Effekt, dass uns Warburg zwei Mal gerahmt gegenüber zu stehen scheint. Das Porträt und das Modell vor dem Hintergrund entsprechen dabei genau den zwei Bildhälften. Das Foto ist gleichzeitig eine Dokumentation des Resultats und des Arbeitsprozesses. Man nimmt doppelt die Perspektive des Künstlers ein, indem man rechts den Blick auf das Modell und links den Blick auf das im Entstehen begriffene Porträt nachvollziehen kann. Der Effekt ist verwirrend, da man sich nicht sicher sein kann, ob das Porträt Warburgs Haltung kopiert, oder ob Warburg die Haltung auf dem Porträt nachstellt. Es werden Fragen nach Original und Kopie, nach Identität, Authentizität und Repräsentation aufgerufen: Wer ist die wahre Ellen Warburg? Die Figur vor der Stellwand oder die Figur auf dem Porträt in Öl? Unterscheiden sich die doppelt

122 Vgl. ebd., S. 80. 123 Vgl. ebd. 124 Vgl. ebd.

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repräsentierten Figuren in Bezug auf ihre Referentialität? Auf der zweiten Aufnahme nimmt der Künstler mit Pinsel und Palette ausgestattet Warburgs Platz ein. Die Illusion des ersten Fotos ist dadurch gebrochen, dass der Bildausschnitt leicht verändert wurde. Munch ist darüber hinaus größer als Warburg und steht auf dem Foto weiter links, so dass die Figur des Künstlers über die weiße Stellwand hinausragt und mit dem Seitenrand des Porträts überlappt. Im Gegensatz zu Warburg erscheint die Figur nicht gerahmt, nicht als Bild im Bild. Der Raum, in dem der Künstler sich befindet, ist klar vom Bildraum getrennt. Der Künstler steht in wörtlicher Bedeutung über seinem Bild. Das erste Foto macht Warburg zum zweiten Mal nach dem Porträt zum Bild, fiktionalisiert sie sozusagen doppelt: Die doppelte Repräsentation weist auf den Akt der Repräsentation selbst hin. Das zweite Foto scheint eher eine doppelte Präsentation zu sein, präsentiert den Künstler beim Präsentieren seines Werks. Er erscheint als Urheber, nicht als Teil der Fiktion. Abb. 40: Edvard Munch und Dr. Jacobson vor dessen Porträt (1909)

Ähnliche künstlerische Verfahren liegen einer Fotografie aus der Klinik des Arztes Daniel Jacobson in Frederiksberg in Kopenhagen zu Grunde. Das für die Aufnahme verwendete schmale Hochkantformat eignet sich durch eine Analogie

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zu den Proportionen des menschlichen Körpers besonders gut für Fotografien der lebensgroßen Porträts, worauf auch Arne Eggum hinweist.125 Der porträtierte Jacobson und der Künstler, wieder mit Pinsel und Palette, rahmen das Porträt von 1909 selbst ein. Der Arzt nimmt, die Fäuste in die Seiten gestemmt und mit nach oben gerecktem Kinn, die Haltung ein, in der er gemalt wurde. Die Unschärfe weist darauf hin, dass Jacobson während der Belichtungszeit seinen Kopf bewegt haben muss. Der entstandene Eindruck, ein viel beschäftigter Jacobson habe sich nur kurz Zeit nehmen können, verstärkt die im Porträt hervorgehobenen Eigenschaften von Stolz, Tatkraft und Dynamik. Das Foto ist leicht von unten aufgenommen, so dass Jacobsons Körperhaltung noch aufrechter erscheint. Der Künstler hat aus seiner auf dem Foto wiedergegebenen Perspektive nicht den ganzen Körper seines Gegenübers im Blick und kann ihn nicht aus der geringen Distanz heraus gemalt haben. In ihrer Inszenierung des Arbeitsprozesses, die den Künstler zeigt, wie er mit erhobenem Pinsel sein Modell studiert, ist die Aufnahme als klassisches Künstlerporträt zu betrachten. Das die Proportionen eines Körpers nachahmende Format verstärkt den Eindruck, das Foto zeige eine Gruppe von nicht nur zwei, sondern drei Figuren. Eggum bezeichnet Jacobson und den im selben Zeitraum fotografierten Helge Rode nicht ohne Grund als »Hauptakteure« der aufgenommenen Szenen.126 Wieder wird an Hand der Fotografie die Frage von Authentizität und Inszenierung verhandelt: Wer ist der echte(re) Jacobson? Der durch Malerei oder der durch Fotografie repräsentierte? Wenn sowohl Malerei als auch Fotografie eine Person zum Akteur, zu einer Figur machen, gibt es dann eine authentische Person jenseits der Repräsentation? Die Fotografie scheint das Porträt mit Leben aufzuladen und gleichzeitig die realen Personen zu fiktionalisieren. Dokumentation oder Fiktion? Die Verwischung von Realitätsebenen auf und mit der Fotografie kann in einer Serie vom Sommer 1909 besonders gut nachvollzogen werden. Ein Foto der Serie wurde bereits in Kapitel 2 erwähnt: Es zeigt Ludvig Ravensberg neben seinem Porträt und steht so im Zusammenhang mit einem Vergleich, den Christian Gierløff zwischen dem echten und dem porträtierten Ravensberg anstellt. Gierløff kommentiert in einem Brief die Diskrepanz zwischen der vom Porträt und von der Fotografie repräsentierten Leibesfülle Ravensbergs, die er auf einen mehrwöchigen wohltuenden Aufenthalt bei Munch zurückführt. Gierløff behauptet, Munch habe den Ravensberg des Porträts danach auch etwas zunehmen

125 Vgl. ebd., S. 91. 126 Rode und Jacobson seien »»hovedaktørene« i fotografiene«, ebd.

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lassen müssen, um Repräsentation und Repräsentiertes wieder in Deckung zu bringen: »Munch war übrigens dazu genötigt, auch etwas auf die Malerei aufzutragen; er hat den ganzen Körper übermalt, so dass es jetzt in einem besseren Verhältnis zu deinem gegenwärtigen Korpus steht«.127 Das norwegische »lægge på« bezeichnet dabei sowohl das Zunehmen an Körpergewicht als auch das Auftragen von Farbe. Ob sich das Gewicht dem Bild anpasst oder umgekehrt, ob also zuerst der echte Ravensberg oder seine Repräsentation zunimmt, macht für das Funktionieren des Wortspiels keinen Unterschied. Das Foto von Ravensberg neben seinem Porträt, das wie auch die oben genannte Fotografie aus der Kopenhagener Klinik in seinem schmalen Hochkantformat menschliche Proportionen nachahmt, scheint, führt man die Logik weiter, nicht Original und Abbild, sondern zwei Doppelgänger zu zeigen: Zwei Figuren stehen nebeneinander im Garten. Der Unterschied, dass die eine zwei und die andere drei Dimensionen hat, wird auf dem Foto nivelliert. Abb. 41: Edvard Munch im Atelier von Skrubben/Kragerø zwischen Porträts seiner Freunde (1909-1910)

Weitere Aufnahmen der Serie aus dem Garten und im Atelier von Skrubben, Munchs Haus in Kragerø, inszenieren den Künstler in scheinbar direkter Kom-

127 »Munch har forresten været nødt til å lægge litt paa maleriet ogsaa; han har malt over hele kroppen, saa det nu staar i et bedre forhold til din nuværende korpus«, Christian Gierløff an Ludvig Ravensberg am 22. Juli 1909. Zitiert nach: Eggum (1987): Munch og fotografi, S. 141.

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munikation mit den Figuren auf seinen Porträts. Ein Foto zeigt Munch zwischen den lebensgroßen Porträts von Ludvig Ravensberg und Jappe Nilssen. Beide Porträts sind im Garten aufrecht aufgestellt. Munch hält das Porträt von Jappe Nilssen mit der linken Hand auf Schulterhöhe, mit einer Geste, als stütze er einen guten Freund. Eine weitere Aufnahme aus dem Atelier zeigt Munch in dunklem Anzug, umgeben von den aufrecht an die Wand gelehnten Porträts von – von links nach rechts – Jappe Nilssen, Christian Gierløff, Ravensberg und noch einmal Nilssen (Abb. 41). Munchs rechter Arm ist angewinkelt, als wolle er eine mündliche Erklärung mit dieser Geste unterstreichen. Der Körper des Künstlers füllt genau die Lücke zwischen den Porträts von Gierløff und Ravensberg aus. Auf einem dritten Foto sind die Porträts zusammen geschoben, aber Munch nimmt wieder den Platz dazwischen ein. Die linke Hand in die Hosentasche geschoben, steht er mit dem Rücken zur Kamera und wendet sich wie im Gespräch seinen porträtierten Freunden zu. Wie in den oben erwähnten Lebensalterdarstellungen, zwei Jahre früher entstanden, sind die Figuren, darunter Munch, als Triptychon oder vierteiliges Bild angeordnet, wobei der Künstler immer die Position der zentralen Tafel einnimmt. Durch die Platzierung innerhalb der traditionell rigiden an Altartafeln orientierten Ordnung der Bilder scheint die reale Person in die Sphäre der Kunst und der Repräsentation überführt zu werden. In derselben und deshalb paradoxen Bewegung scheint, so legt die Inszenierung nahe, den Porträts von ihrem Schöpfer Leben eingehaucht zu werden. Nicht nur haben die Porträts die Dimensionen und Proportionen menschlicher Körper, sondern der Künstler fasst und schaut sie an, als kommuniziere er mit ihnen. Wenn Arne Eggum schreibt, Munch habe in diesem Sommer seine Freunde in monumentalen Ganzkörperporträts verewigt, »ǹdie Leibgarde meiner KunstǸ, wie er sie selbst bezeichnete«, ist angesichts der Fotos plötzlich nicht mehr klar, ob mit der Leibgarde die Freunde oder deren Porträts gemeint sind, ob es sich um eine Leibgarde für oder innerhalb von Munchs Kunst handelt.128 Porträtiert oder erschafft er seine Leibgarde? Steht er als Künstler außerhalb und über der Fiktion, oder ist er Teil davon? Die Fotos kommen als Dokumentation des Alltags eines Künstlers daher, zeigen Resultate seiner Arbeit und Freunde und weisen darüber hinaus amateurhafte Züge auf: Schatten verdecken Teile von Bildern, und die Bildausschnitte scheinen unkontrolliert. Auf dem Foto von Ravensberg neben seinem Porträt sind die Beine von beiden zu Gunsten eines unnnötig großen Himmelsstreifens abgeschnitten, auf der Munch als Rückenfigur zeigenden Aufnahme ein Porträt von Jappe Nilssen zu Gunsten eines die Komposition störenden Fensters. Die

128 »min Kunsts livvakt« som han selv betegnet dem«, ebd., S. 140.

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Knipserästhetik wird aber, wie gezeigt, mit Elementen eines modernen Kunstdiskurses kombiniert, darunter die Aktualisierung und Remedialisierung einer traditionellen Formensprache und eine Reflexion des Verhältnisses von Leben und Kunst. Wie Gunnar Schmidt für andere Kontexte herausgearbeitet hat, verschmelzen meines Erachtens auch hier zwei Bildpraktiken zu einer Ästhetik des Dilettantischen. Selbstporträts in Innenräumen Eine Gruppe von Fotografien lässt sich mit Selbstporträts in Innenräumen überschreiben und kombiniert Melancholikerfiguren mit klaustrophobisch wirkenden Räumen. Solche männlichen Figuren, in sich gekehrt und versunken, tauchen in Munchs Malerei und Grafik zu allen Zeiten auf, die bekanntesten Beispiele sind die vielen Versionen von Melancholie und Selbstbildnis mit Weinflasche (Selvportrett med vinflasken; 1906). Letzteres wird mit den fotografischen Selbstporträts in Verbindung gebracht. Während Eggum sie als eigenständige Bildfindungen in einem weiteren Medium verhandelt, verweist Schmoll Anfang der 70er Jahre die Fotografie noch auf ihren Platz, indem er sie als Vorstudien zu fertigen Gemälden bezeichnet.129 Die unhinterfragte Annahme, es könne sich bei den Fotografien nur um Vorlagen handeln, die Voraussetzung eines konsekutiven Verlaufs also, bei dem die Fotografie nur die Erprobungsphase darstelle, führt zu einer kuriosen Unterlassung: Weil beide Male die rechte Körper- und Gesichtshälfte einer sitzenden Figur zu sehen ist, vergleicht er das Gemälde mit einem seitenverkehrten Abzug (Abb. 43). Der korrekte Abzug, auf dem der Künstler nach links gewandt im Profil zu sehen ist, die linke Hand mit der Schussverletzung auf dem Oberschenkel gespreizt präsentiert,130 ist bei Schmoll gar nicht abgedruckt (Abb. 42). Im Katalog zur Ausstellung Edvard Munch. Der moderne Blick sind hingegen beide Abzüge einander gegenübergestellt. Der zugehörige Text weist darauf hin, Munch habe die fotografischen Selbstporträts als eine Art Spiegel genutzt.131 Dies könnte der Grund dafür sein, dass Munch sich dafür entschieden hat, das Bild zwei Mal abzuziehen, einmal mit Fotografie- und einmal mit Spiegeleffekt.

129 Vgl. Schmoll (1973): »Munchs fotografische Studien«, S. 196. 130 Dorothy Kosinski weist, wie andere, auf die Obsession mit der verletzten Hand hin, die in Munchs Bildern in den Jahren nach 1902 zum Ausdruck kommt. Vgl. Kosinski (1999): »Edvard Munch and Photography«, S. 205f. 131 Clément Chéroux: »»Schreib dein Leben!« Fotografie und Autobiografie«, in: Angela Lampe, Clément Chéroux (Hg.) (2012): Edvard Munch. Der moderne Blick. Ostfildern: Hatje Cantz, S. 46-71, hier: S. 53.

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Abb. 42 & 43: Selbstporträt in einem Zimmer auf dem Kontinent 1 & 2 (um 1906)

Schmoll weist auf die wichtige Rolle hin, die die Fotografie für die Untersuchung des Verhältnisses von Körper und Raum und dessen symbolischer Aufladung bei Munch hat. Auf den beiden Fotos ist die Kamera, vermutlich mit Selbstauslöser, nah neben dem sitzenden Künstler und auf Sitzhöhe postiert, wodurch eine Untersicht auf den schlaff, wie gelähmt auf einem Stuhl sitzenden Körper und das Gesicht im Profil erreicht wird. Der Fluchtpunkt liegt nicht auf Augenhöhe des Sitzenden oder des Betrachters, sondern tiefer auf Höhe des Betts und Nachttischs im Hintergrund. Durch die gewählte Perspektive ist direkt oberhalb des Kopfs des Sitzenden auch ein Teil der Zimmerdecke sichtbar. Eine Lichtquelle scheint links außerhalb des Bildausschnitts zu liegen und beleuchtet den Sitzenden frontal. Es ist aber kein Fenster zu sehen, sondern nur eine verschlossene Tür an der hinteren Wand. Durch den Standpunkt der Kamera ist die Figur im Vergleich zum Raum sehr groß. Der Raum scheint zu schrumpfen und den Körper einzuschließen. Dieser scheint sich unter dem Druck gar aufzulösen, wird transparent, ein Effekt, der durch eine Bewegung während der Belichtungszeit erzeugt wird. Die beiden fotografischen Selbstporträts sind nur Beispiele für eine Serie klaustrophobisch wirkender Interieurs in Fotografie und Malerei, die den Künstler als Melancholiker inszenieren, und zwar in einer Bildtradition, die direkt auf die wohl berühmteste Version von Albrecht Dürer verweist: eine sitzende Figur in gebeugter Körperhaltung mit in die Ferne beziehungsweise nach innen gerichtetem Blick, die Hände untätig im Schoß liegend, der umgebende Raum angefüllt oder gar überfüllt mit symbolisch aufgeladenen Requisiten. In Verbindung sowohl mit den anderen Bildelementen als auch mit anderen Bildern bei Munch lassen sich die Requisiten als Symbole kaum positiv deuten: Das Bett ist kein heimeliger Ort von Ruhe und Erholung, sondern ein Ort der Konfrontation mit Ängsten und Einsamkeit, die auf anderen Aufnahmen zu se-

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hende Reisetruhe ist nicht als Zeichen für ein mit Freude angetretenes Abenteuer zu verstehen, sondern als Hinweis auf Rastlosigkeit und Isolation in einer fremden Umgebung. Innenräume stellen bei Munch keine Orte von Geborgenheit und Kommunikation dar. Ob im Selbstbildnis mit Weinflasche, in der 1907 entstandenen Serie Das grüne Zimmer oder im viel späteren Selbstporträt zwischen Uhr und Bett (Selvportrett mellom klokken og sengen; 1940-42): Die Figuren scheinen eingezwängt zwischen Einrichtungsgegenständen, Wänden, Fußboden und Zimmerdecke, und selbst bei mehreren Figuren findet keine Interaktion, keine Kommunikation statt. Die Innenräume scheinen eine innere Isolation zu spiegeln, die Grenze nach außen wird jeweils nicht durchbrochen. Eggum weist mit Recht darauf hin, dass es unmöglich und auch unwichtig sei zu sagen, ob eine Fotografie den Ausgangspunkt für Malerei oder auch Grafik dargestellt habe oder umgekehrt, »aber in jedem Fall können beide als bildlicher Ausdruck dessen verstanden werden, was Munch mit den Worten ǹdie kleine Hölle, die sich in meinem Inneren niedergelassen hatǸ beschreibt«.132 Die wahrscheinlich 1906 in einer nicht identifizierten Wohnung enstandenen fotografischen Selbstporträts weisen Unregelmäßigkeiten auf. Aufgrund von Bewegungen vor der Linse sind die Körper teilweise unscharf, transparent und von einer Art Aura umgeben, die Körper sind nicht zentral platziert, sondern angeschnitten, und Säuretropfen bei der von Munch selbst vorgenommenen Entwicklung verursachten Flecken. Alle Elemente können als Hinweis auf Munchs Dilettantismus als Fotograf, aber auch als Formexperimente und Stilmittel verstanden werden. Die genannten, bei Schmoll so bezeichneten »Mängel« sind meines Erachtens als künstlerischer Eingriff in das Verständnis der Fotografie als schlichtes Abbild der Wirklichkeit zu verstehen.133 Erstens verweisen diese Störungen auf die Medialität von Fotografie, auf spezifische Arbeits- und Entwicklungsprozesse und damit auf den Status als Repräsentationen. Zweitens deuten die sichtbaren Störungen einer mimetischen Lesart darauf hin, dass wir es im Zusammenhang mit den fotografischen Selbstporträts nicht mit einer Verbindung von Leben und Werk im Sinn einer Vermittlung biografischer Wahrheit zu tun haben, sondern mit einer Fiktionalisierung von Leben. Unterstützt wird die Interpretation durch die Inszenierung des Künstlers als Melancholiker. Auch sie stellt eine Form von Fiktionalisierung dar, die weniger Aufschluss gibt über Munchs psychische Disposition als über die visualisierte Reflexion von Künstlerschaft, Schaffenskraft und Geniekult.

132 »men i alle fall kan begge sies å være et billedmessig uttrykk for – som Munch uttrykker det – »det lille Helvede der har behaget at tage Ophold i mit Indre««, Eggum (1987): Munch og fotografi, S. 122. 133 Schmoll (1973): »Munchs fotografische Studien«, S. 195 und 192.

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Munch und Marat Eine weitere Fiktionalisierung in Form einer Identifikation mit historischen und symbolisch aufgeladenen Figuren stellt die bereits erwähnte Fotografie aus Jacobsons Klinik in Kopenhagen dar, die Munch bis auf ein um die Hüften geschlungenes Handtuch nackt auf einer Pritsche liegend neben einer Badewanne zeigt (Abb. 44). Die Kamera ist nah am Kopfende der Pritsche platziert, auf der sich Munch auf seinen linken Unterarm stützt, den Blick frontal in die Kamera gerichtet. Durch die kurze Distanz zwischen Kamera und Oberkörper sind der Körper und der ganze Raum in extremer Verkürzung gezeigt. Das Badezimmer wirkt wie eine Zelle, der von der Kamera abgewandte Unterkörper »unnatürlich schmächtig«.134 Oberkörper und Kopf sind etwas unscharf, was vermutlich wieder auf eine Bewegung vor der Kamera zurückzuführen ist, vielleicht in Verbindung mit der Betätigung des Selbstauslösers. Schmoll hebt das fotografische Selbstporträt als »Selbstzeugnis Munchs von größter Aussagekraft« hervor.135 Es ist so gut wie das einzige Foto, dem Schmoll zugesteht, nicht durch ein Bild in einem anderen Medium ersetzt werden zu können. Dennoch bekommt das Foto bei Schmoll keinen Kunststatus zuerkannt, sondern wird, dem Fotografiediskurs entsprechend, als »Dokument« bezeichnet. Die Kamera werde »zum Kontrollgerät einer Selbstanalyse«. Das Foto sei »mehr als ein optischer Test in Sekundenschnelle«. Man gewinne »einen Einblick in den seelischen Zustand des großen Künstlers in einer bis in den Kern seiner Persönlichkeit reichenden Krise seines Lebens, den nur diese Fotografie der vom Maler eingestellten Kamera mit dem Selbstauslöser zu vermitteln mag.«136 Schmoll schreibt der Fotografie also zu, eine größere Nähe zu ihrem Objekt zu besitzen und zu vermitteln als jedes andere Medium. Er scheint von einer Intimität auszugehen, bei der es kaum eine Rolle spielt, ob der Betrachter ein Foto oder aber die fotografierte Person direkt vor sich hat. Nur so kann er von der »Scheu« sprechen, »in dieses Bild noch tiefer einzudringen«.137 Gleichzeitig betont Schmoll den technischen Aspekt der Fotografie, wenn er die Kamera als »Kontrollgerät« bezeichnet und erwägt, ein Foto könne ein »optischer Test« sein.138 Die Szene, in der das Foto entstanden ist, hat in Schmolls Darstellung eher den Charakter eines Experiments denn eines gelenkten künstlerischen Schaffensprozesses. Das Foto sei auch, so legt es Schmoll nahe, »in einer Vier-

134 Ebd., S. 197. 135 Ebd. 136 Ebd. 137 Ebd., S. 197f. 138 Ebd., S. 197.

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telstunde des Unbeobachtetseins durch Ärzte und Personal der Klinik« aufgenommen worden.139 Abgesehen davon, dass Munch wohl kaum zufällig eine Kamera bei sich trug, als er sich in Dr. Jacobsons Klinik verschiedenen Anwendungen unterzog, schon gar nicht beim Baden, tragen auch andere Aspekte dazu bei, dass die Fotografie nicht als spontanes mechanisches Abbild, sondern im Zusammenhang mit Selbstinszenierung und Fiktionalisierung interpretiert werden sollte. Abb. 44: Edvard Munch »à la Marat« neben der Badewanne bei Dr. Jacobson (1908/09)

Arne Eggum bringt die Fotografie mit zwei Motivfeldern in Verbindung: mit traditionellen Darstellungen von Christus nach der Kreuzabnahme sowie mit Darstellungen des getöteten Revolutionärs Jean-Paul Marat seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Beide Motive gehören zu den wenigen Darstellungen männlicher nackter Körper in der westlichen Kunstgeschichte der letzten Jahrhunderte und beide Male steht die Verwundbarkeit dieses Körpers im Zentrum der bildlichen Erzählung. In allen Fällen haben wir es mit Repräsentationen verletzter, kranker oder toter männlicher Körper zu tun. Über visuelle Analogien innerhalb von Munchs Werk oder mit Beispielen aus der Kunstgeschichte wird der auf Munchs Fotografie abgebildete Körper als verletzt, als Opfer, lesbar. Die Figur eines Manns als Opfer kehrt im ganzen Werk Munchs wieder, sei es als Opfer

139 Ebd.

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der Untreue einer geliebten Frau wie in Eifersucht oder eines weiblichen Vampirs. Ab ca. 1902 bekommt das Motiv eine neue Dimension: Ab diesem Zeitraum, in den auch die legendär gewordene Schussverletzung von Munchs linker Hand fällt, werden die männlichen Opfer oft nackt, liegend und mit einer sichtbaren körperlichen Verletzung dargestellt. Der Akt der Verletzung selbst ist nie zu sehen, und auch die Art der Verletzung ist meist nicht konkret zu erkennen. Ein frühes Beispiel ist Auf dem Operationstisch (På operasjonsbordet) von 1902/03 (Abb. 45): Ein nackter Mann liegt auf einer Pritsche. Sein Körper bildet eine diagonale Achse von der rechten unteren zur linken oberen Bildecke, wobei die vom Betrachterstandpunkt weiter entfernten Beine in perspektivischer Verkürzung dargestellt sind. Die linke auf der Brust liegende Hand scheint verletzt zu sein, auf dem Laken ist ein großer, leuchtend roter Blutfleck zu sehen. Links der Pritsche steht eine weibliche Figur mit weißer Schürze, eine Schüssel voller Blut in den Händen tragend. Rechts hinter der Liege stehen weitere Figuren in weißen Kitteln, hinter einer Art Fenster in der rechten oberen Ecke scheint eine Menschenmenge zu stehen und den wehrlosen Verletzten zu begaffen. Bis auf die der Hauptfigur sind keine Gesichtszüge ausgeführt. Der Mann und seine Verletzungen sind entblößt, der öffentlichen Zurschaustellung und einem anonymen Publikum ausgeliefert. Mit der expressiven Aufladung des nackten Körpers durch perspektivische Verkürzung knüpft Munch vor allem an Andrea Mantegnas berühmte Beweinung Christi (um 1490) aus der Renaissance an. Nur wird hier der der leblose Körper nicht versorgt und beweint, sondern bar jeder Empathie angestarrt. Abb. 45: Edvard Munch: Auf dem Operationstisch (1902/03)

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In drei Phasen, 1906, 1907/08 und 1930, greift Munch für seine Analyse des Verhältnisses von männlichem Opfer und Täterin auf die historische Episode der Ermordung von Jean-Paul Marat im Kontext der Französischen Revolution zurück. Der Schriftsteller und Politiker, einer der Anführer der Jakobiner, wurde 1793 von der Adligen Charlotte Corday in seiner Badewanne getötet. Berühmter als die Episode selbst ist wohl das im gleichen Jahr enstandene Gemälde von Jacques-Louis David (1748-1825), ein Freund und politischer Weggefährte Marats, zu erachten, das den Ermordeten in seiner Badewanne ikonenhaft zum Märtyrer der Revolution stilisiert. 1906 entwickelt Munch das Motiv des liegenden Verletzten von Auf dem Operationstisch durch Einführung einer Täterinnenfigur weiter. Nacheinander entstehen Mord, Mörderin und die erste so betitelte Version von Marats Tod (alle 1906). 1907 malt Munch Marats Tod I (Marats død I; Abb. 46) und Marats Tod II, die im Hinblick auf das verbindende Element einer grünen Tapete im Bildhintergrund gemeinhin zur Serie Das grüne Zimmer gezählt werden. Marats Tod I entspricht in der diagonalen Verkürzung des auf einem weißen Laken liegenden nackten Körpers einer seitenverkehrten Variante von Auf dem Operationstisch: Ein Mann liegt mit weit ausgebreiteten Armen auf einem blutbefleckten Bett, das den Großteil der linken Bildhälfte ausmacht. Zwischen dem Bett und einem runden Tisch in der vorderen rechten Bildecke eingeklemmt steht eine nackte Frau frontal zum Betrachter. Blut ist geflossen, aber weder sind eindeutig die Art der Verletzung noch die stehende Frau als Täterin zu identifizieren. Nicht Historienmalerei, also die historisch korrekte oder mythisch überhöhte Darstellung einer Szene, steht hier im Vordergrund, sondern das Interesse für die Figurenkonstellation, vor allen Dingen für Figurationen männlichen Leidens und männlicher Opfer. Als Munch 1930 das Motiv noch einmal aufnimmt, stellt er eine Frau mit Hut neben eine männliche nackte in einer Badewanne sitzende Rückenfigur und kommt damit dem historischen Ereignis näher denn je: Charlotte Corday soll bei ihrer politisch motivierten Tat einen Hut getragen haben. Wieder lässt sich hier beobachten, wie Munch sein Motiv Schritt für Schritt entwickelt: Zunächst porträtiert er sein Modell Birgit Prestøe mit Hut im Garten, nennt zwei weitere Versionen dann Charlotte Corday und fügt die Badewanne mit männlicher Marat-Figur hinzu (alle 1930).

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Abb. 46: Edvard Munch: Marats Tod I (1907)

Die Ähnlichkeiten im Hinblick auf Motiv und Komposition legen eine Interpretation der Bilder als eine über fast 30 Jahre in verschiedenen Medien ausgeführte Serie nahe. Auf dem Operationstisch wäre im Rahmen der Serie eine frühe, und das sieben Jahre später entstandene Foto aus Dr. Jacobsons Klinik eine spätere Darstellung des körperlich und – so kann angenommen werden – auch seelisch verletzten Mannes, dessen Verwundungen durch seine Nacktheit bloßgestellt und dadurch noch deutlicher sichtbar gemacht werden. Mit dem wiederkehrenden Hinweis auf den von einer Frau ermordeten Marat sowie mit dem visuellen Verweis auf die ikonographische Tradition der Kreuzabnahme und Beweinung Christi wird der Figur die Bedeutung des Opfers und Märtyrers hinzugefügt. Das männliche Opfer bei Munch scheint generell Anteile beider Figuren in sich zu vereinen: den im- oder expliziten Hinweis auf eine Täterin und damit auf eine konkrete Verletzung sowie das Opfer um einer Sache Willen im Sinne eines Märtyrertums. Mit Ausgangspunkt in dem fotografischen Selbstporträt neben der Badewanne und der Marat-Serie interpretiert Arne Eggum auch Auf dem Operationstisch als eines von Munchs Selbstporträts.140 Die Fotografie aus der Kopenhagener Klinik markiere »das Ende der Epoche« in Munchs Leben, die mit Auf dem Operationstisch und anderen visuellen Auseinandersetzungen mit dem Munchs Hand

140 Vgl. Eggum (1987): Munch og fotografi, S. 115.

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verstümmelnden Revolverschuss von 1902 begonnen habe, und Munch stelle sich hier »à la Marat« selbst dar.141 Eggum lässt hier die späteren Marat-Bilder außer acht. Diese kommen zwar nicht als Selbstporträts daher, greifen aber die Badewanne aus der Fotografie wieder auf, die damit zum Referenzpunkt für eine Deutung der Serie im Rahmen eines autobiografischen Projekts und für eine Reflexion von Künstlerschaft wird. Die Fotografie wäre weit mehr als die Dokumentation einer temporären biografischen Situation, nämlich eine Identifikation des Künstlers mit historischen oder mythologischen Figuren männlicher Opfer, die über männliche Akte in einer westlichen Bildtradition erfolgt, und damit eine Verbindung von Kunst- und Opferdiskurs: Der Künstler wird als Opfer inszeniert – opfert sich für die Kunst? Im Zusammenhang mit dem Foto neben der Badewanne in Dr. Jacobsons Klinik kann zweierlei festgehalten werden: eine Fiktionalisierung biografischer Situationen und eine Inszenierung und damit Generierung von Bedeutungen für Künstlerschaft. Beides ist gleichzeitig als Auseinandersetzung mit Männlichkeitskonzepten zu lesen. Diese kommen gerade im Zusammenhang mit der Inszenierung des Künstlers als Marat zum Tragen. Der amerikanischen Kunsthistorikerin Linda Nochlin zufolge ist Jacques-Louis Davids Marats Tod »perhaps the most famous bathtub painting of all time, although rarely considered in the context of the bather genre.«142 Das Marat-Motiv sei eine der sehr wenigen Darstellungen männlicher Figuren in der visuellen Tradition der sogenannten Toilette, d.h. des Badens oder sich Waschens in Innenräumen, seit dem 18. Jahrhundert.143 Der erotische Reiz des Motivs speise sich traditionell aus der inszenierten Unwissenheit der weiblichen Hauptfiguren, dass sie bei der Toilette beobachtet werden.144 Beispiele hierfür wären Darstellungen der biblischen Erzählungen von Susanna oder Bathseba im Bade oder orientalistische Badeszenen wie Jean Auguste Dominique Ingres’ Tondo Türkisches Bad (1862), dessen runde Form das Schlüsselloch, durch das heimlich beobachtet wird, gleich mit thematisiert.145 Diese Position als doppeltes Objekt des Blicks – für Betrachter innerhalbund außerhalb des Bilduniversums – würde laut Nochlin für männliche Figuren als ungewöhnlich und unerwünscht erachtet: »The topos relates figure and water

141 »slutten på den epoken«, ebd., S. 138. 142 Nochlin (2006): Bathers, Bodies, Beauty, S. 140. 143 Vgl. ebd., S. 108. 144 Vgl. ebd., S. 116. 145 Vgl. Jacques Bonnet (2006): Die Badende. Voyeurismus in der abendländischen Kunst. Berlin: Parthas.

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in a too passive, even abject, way and is deemed unsuitable for the representation of the virile subject«.146 Munchs Männerfiguren der Marat-Serie sind, folgt man der Argumentation, in mehrerer Hinsicht als unmännlich markiert: durch ihre wehrlose Position in der Horizontalen, das Ausgesetztsein gegenüber Blicken, die Verletzungen beziehungsweise Krankheiten sowie die zusätzliche als Demütigung aufzufassende Tatsache, Opfer einer Frau zu sein. Dorothy Kosinski deutet die Faszination für Verletzungen, die sich in der Serie äußere, biografisch als Folge von Munchs obsessiver Beschäftigung mit der Verstümmelung der eigenen Hand.147 Das Narrativ von der Verstümmelung, dem Leiden und damit einer Krise der Männlichkeit scheint mir aber durch die Zurschaustellung des Leidens gleichzeitig gebrochen zu werden. Viele Autorinnen und Autoren haben, spätestens seit Abigail Solomon-Godeaus Male Trouble. A Crisis in Representation, darauf hingewiesen, dass Repräsentationen einer entmachteten und androgynen Männlichkeit, Bilder männlicher Impotenz und Schwäche, wie sie in der westlichen Moderne regelmäßig wiederkehren, nicht notwendigerweise eine Schwächung von Männlichkeit und der Privilegien von Männern anzeigen, sondern im Gegenteil zu einer Erweiterung des Spektrums vorstellbarer Identitätsmarkierungen und damit zur (Wieder-) Herstellung dieser Privilegien beitragen können.148 Eine Krise und deren öffentliche Zurschaustellung und Debatte seien demnach selbst ein Privileg bevorzugter Subjektpositionen, die ungeachtet einer postulierten Krise den Diskurs bestimmen.149 Meines Erachtens laden Munchs Bilder verstümmelter und scheinbar machtloser Männer zur öffentlichen Debatte über Männlichkeit und deren Krise um die Jahrhundertwende 1900 ein, die oft mit einer Dämonisierung von Weiblichkeit einhergeht. Wie Solomon-Godeau schon für die Zeit der Französischen Revolution beobachtet hat, tritt die als schwach und gar verweiblicht markierte Männerfigur historisch nie allein auf, sondern parallel mit Figuren, die einem virilen Männlichkeitsideal entsprechen. Solomon-Godeaus These hierzu ist, dass Repräsentationen von Männern in bestimmten Kontexten einem breiten Spektrum homosozialen Begehrens und Formen eines male bonding entsprechen,

146 Nochlin (2006): Bathers, Bodies, Beauty, S. 108. 147 Vgl. Kosinski (1999): »Edvard Munch and Photography«, S. 205f. 148 Vgl. Solomon-Godeau (1997): Male Trouble, S. 11. Siehe v.a. auch Schnurbein (2001): Krisen der Männlichkeit. 149 Die These von der Krise der Männlichkeit als Privileg wird z.B. vertreten von: Elahe Haschemi Yekani (2011): The Privilege of Crisis: Narratives of Masculinities in Colonial and Postcolonial Literature, Photography and Film. Frankfurt a.M.: Campus.

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»securing social and political solidarity between men while implicitly rationalizing, or naturalizing, women’s exclusion from the body politic.«150 In Munchs Kunst und auch in seinen Fotos sehe ich ebenfalls ein breites Spektrum an Männerfiguren vertreten, die sowohl traditionell männliche als auch traditionell weibliche Positionen repräsentieren. Es scheint, als würde das Spektrum, das in der von Solomon-Godeau untersuchten Phase vor allen Dingen die Figuren des androgynen Epheben und des Heroen umfasst, ein gutes Jahrhundert später emphatisch um die Figur des Leidenden erweitert. Das Leiden an der Zersplitterung des modernen Subjekts wird männlich konnotiert,151 ohne dass die gesellschaftlichen Machtverhältnisse sich entsprechend drastisch verändern würden. Wie ich an anderer Stelle gezeigt habe, erstreckt sich die Inszenierung von Männlichkeiten als prekär und instabil dabei nicht nur auf Figuren von Leiden, Opfer und Entmännlichung, sondern auch auf Repräsentationen einer vermeintlichen Überwindung der Krise.152 Das trifft meines Erachtens in hohem Maß auf Munchs Serie badender Männer zu, die ich weiter oben als Inszenierungen von Gesundheit und trotz Lebenskrise ungebrochener, männlich konnotierter Schaffenskraft gedeutet habe. Fotografie und Badende In Munchs Serie badender Männer geht auch eine Reihe von Fotografien ein, die in den Jahren von 1904 bis 1908 in Åsgårdstrand und Warnemünde entstanden. Zunächst entsprechen diese den Merkmalen, die Linda Nochlin – im Gegensatz zur Toilette – als für die Repräsentation eines virilen Subjekts für geeignet erachtete herausarbeitet: »if men are depicted bathing, it is usually out-of-doors, in themes of athleticism or with token icons of virility provided.«153 Im Gegensatz zu den passiv liegenden leblosen und in klaustrophobischer Enge eingezwängten Figuren der Marat-Serie zeigen die Fotos aufrecht stehende und gehende Männer in Gärten und am Strand. Mit der Ausnahme eines Fotos von Ludvig Ravensberg und zweier Fotos aus Warnemünde vom dortigen Bademeister handelt es sich um fotografische Selbstporträts als Akte. Wie für die meisten dieser Fotografien ist unklar, welche Rolle sie genau im künstlerischen Prozess spielen: ob sie den Bildfindungen in der Malerei vorausgehen, als eigene Bildfindungen gelten können, den Arbeitsprozess dokumentieren, und ob sie öffentlichen oder privaten Status haben. Oft scheinen sich Status und Bedeutung im intermedialen Transfer zu verschieben.

150 Solomon-Godeau (1997): Male Trouble, S. 13. 151 Vgl. Schnurbein (2001): Krisen der Männlichkeit, S. 9f. 152 Vgl. Körber (2004): Männlichkeit, Arbeit und Nation bei Edvard Munch. 153 Nochlin (2006): Bathers, Bodies, Beauty, S. 110.

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Abb. 47: Selbstporträt als Akt, Åsgårdstrand (1903)

Auf einem Foto von 1903 steht Munch in Schrittstellung von Bäumen und Büschen umgeben im Garten seines Hauses in Åsgårdstrand (Abb. 47). Die linke Faust ist in die Hüfte gestemmt, während der rechte Arm von einem Schwert verlängert nach oben gestreckt wird, wobei der Blick dem Arm folgt. Die durch den Körper führende vertikale Achse entspricht der Mittelachse im Bildaufbau. Weitere Achsen, die den sonst statisch und skulpturartig erscheinenden Körper dynamisieren, führen von der Schwertspitze, die fast den oberen Bildrand erreicht, über Arm und Schultern bis zum linken Ellbogen, und von dort aus über die linke Leiste das rechte Bein entlang. Durch den starken Kontrast gegenüber dem im Schwarzweißabzug dunkel und homogen erscheinenden Blattwerk im Vorder- und Hintergrund scheint der Körper weiß und wie angestrahlt, dadurch einer Skulptur noch ähnlicher. Munch stattet sein fotografisches Selbstporträt mit Referenzen auf mit dem Akt und damit mit Stilisierungen des nackten menschlichen Körpers verknüpften kunsthistorische Genres, Motive und Traditionen aus: Die Pose mit nach oben gestrecktem Arm erinnert z.B. an antike Sportler- oder Kriegerskulpturen, an allegorische Figuren aus Malerei und Skulptur wie die New Yorker Freiheitsstatue oder Eugène Delacroix’ La Liberté (1830), oder aber an das Motiv des Lichtgebets aus dem Kontext der Lebensreform, das in der Version von Hugo Höppener

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alias Fidus (z.B. 1894) international wohl die größte Verbreitung erfahren hat.154 Alle Beispiele, im Fall der Allegorie das Genre im Allgemeinen, operieren mit unterschiedlichen Bedeutungen von Nacktheit, die Munch in sein fotografisches Selbstporträt als Akt inkorporiert, sei es das Feiern der Kraft, Schönheit und Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers, das Postulat einer überindividuellen Qualität, die den nackten Körper als geeignetes Medium abstrakter Ideen und Ideale erscheinen lässt, oder seien es Vorstellungen von Natürlichkeit, aus denen sich die Reformbewegungen der Jahrhundertwende speisen und die wiederum von den Reformbewegungen perpetuiert werden. Das fotografische Selbstporträt ist hier nicht nur ein Mittel der Selbstbefragung, sondern Träger intermedialer und kunsthistorischer Verweise sowie als Kommentar zur semantischen Aufladung von Nacktheit im Akt zu verstehen. Als radikalen Gegenentwurf zur Pose des Sportlers, Kriegers oder prototypischen Vitalisten, die Gesundheit, Athletik und Männlichkeit verspricht, und die Munch in den ab 1903 entstehenden Bildern badender Männer weiter verfolgt, entwickelt er im selben und darauf folgenden Jahr das Selbstporträt in der Hölle (Selvportrett i helvete; Abb. 48) und weitere fotografische Selbstporträts aus dem Garten in Åsgårdstrand (Abb. 49-51). Die allen Beispielen gemeinsame Kontrastierung eines weißen, nackten, nur an Kopf und Hals gebräunten Oberkörpers mit einem dunkleren Hintergrund lässt die Akte als Serie lesbar werden. Dabei werden wieder unterschiedliche Bedeutungen von Nackheit zwischen Stärke und Schwäche, Gesundheit und Verwundbarkeit erprobt und damit ein existenzieller Kontrast zwischen Leben und Tod aufgespannt. Im Selbstporträt in der Hölle scheint der Hintergrund in Flammen zu stehen. Munch entwickelt hier ausgehend von einem Selbstporträt als Akt die apokalyptische Vision eines in seiner Blöße und Blässe verwundbaren, vor Schreck erstarrten und starrenden Menschen in unbestimmbarer feindlicher Umgebung.

154 Zum Motiv des Lichtgebets im deutsch-skandinavischen Kontext siehe Johan Flemberg (2002): »Carl Milles’ Solsångaren«, Konsthistorisk tidskrift 71:3, S. 125-141 und Ann-Sofi Ljung Svensson (2007): »Berget, ynglingen och solen. Ett vitalistiskt motiv hos Karl-Erik Forsslund«, Tidskrift för litteraturvetenskap 37:3, S. 39-55.

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Abb. 48 & 49: Selbstporträt in der Hölle (1903) & Selbstporträt als Akt, Halbfigur (1904)

Eine Reihe von Fotografien aus Munchs Garten in Åsgårdstrand, darunter eine Aufnahme von Ravensberg mit bloßem Oberkörper und zwei Aktaufnahmen von Munch, werden auf das Jahr 1904 datiert. Eine Aufnahme ist ein Brustbild von Munch im Halbprofil, die man, würde die Datierung nicht für eine andere Reihenfolge sprechen, für eine seitenverkehrte Vorlage für das Selbstporträt in der Hölle halten würde. Auf dem zweiten Foto ist Munch von den Knien an aufwärts frontal zu sehen, die Augen geschlossen. Auch Ravensberg scheint die Augen zuzukneifen. Hände und Köpfe sind auf den Bildern wieder sichtbar dunkler gebräunt als der Rest des Körpers. Die Körper erscheinen vor dem dunklen Hintergrund, den Bäumen und Büschen im Garten, hell und weiß. Trotz ihrer Nacktheit, die Natürlichkeit und Nähe zur Natur suggerieren könnte, bleiben sie Fremd-Körper in dieser Umgebung. Im Vergleich zum Selbstporträt mit Schwert sind die Referenzen zu Darstellungen vitaler männlicher Körper gebrochen. Die schmalen Körper sind ohne Spannung, unter der weißen Haut zeichnen sich kaum Muskeln ab. Die Arme hängen schlaff herunter oder sind höchstens lässig ohne sichtbaren Kraftaufwand in die Hüfte gestemmt. Dies sind keine Aufnahmen von vor Gesundheit und Tatkraft strotzenden nackten Männern, wie sie im zeitgenössischen Kontext von Lebensreform und Nudismus massenhaft verbreitet wurden. Eher erscheinen sie als Erinnerung an Zeiten und Räume, die die Reformbewegungen abzulösen angetreten sind: als unfitte Gestalten aus dem Fin de Siècle, aus ihrem urbanen und nächtlichen Lebensraum in die ländliche Idylle verfrachtet, wo sie das Sonnenlicht nur blinzelnd oder mit geschlossenen Augen ertragen können.

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Abb. 50 & 51: Selbstportät als Akt, Åsgårdstrand (1904) & Ludvig Ravensberg in Munchs Garten in Åsgårdstrand (1904)

Arne Eggum nimmt an, dass die Aufnahmen in Vorbereitung zu Badende junge Männer entstanden sind, an dem Munch in jenem Sommer arbeitete (Abb. 2, S. 50).155 Auch das fertige Bild hat er im Garten von Åsgårdstrand fotografiert. Wenn die fotografischen Aktporträts von 1904 die Körperhaltung von Selbstporträt in der Hölle nachahmten, werden die blassen Körper mit tief gebräunten Gesichtern und in die Hüften gestemmten Händen nun in einen ganz anderen Sinnzusammenhang gestellt. Wie ich in Kapitel 2 gezeigt habe, ist das Meer in Badende junge Männer zwar wie die Hölle ein mythischer, aber in seiner metaphorischen Aufladung als Jungbrunnen oder Ursuppe im Zyklus von Leben und Tod am anderen Pol zu positionierender Ort. Munch nimmt wahrscheinlich auf eines der Fotos aus dem Garten in Åsgårdstrand Bezug, wenn er Anfang Juli in munterem Ton an Ravensberg schreibt: »Als ich ein Profilbild meiner Figur sah, entschloss ich mich nach Beratung mit meiner Eitelkeit, die für Steinewerfen, Speerwerfen und Baden aufgewendete Zeit zu verlängern.«156 Als Modell für die muskulösen Männer auf Badende Männer, das drei Jahre später in Warnemünde entstand (Abb. 1, S. 48), scheint Munch aber nicht auf seine Trainingserfolge vertraut zu haben, sondern beschäftigte den Bademeister des Strandbads, der zusammen mit Munch selbst

155 Vgl. Eggum (1987): Munch og fotografi, S. 115. 156 »Da jeg så et Profilbillede af min Figur beluttede jeg efter Samraad med min Forfængelighet at forlænge Stenkastningens Spydkastningens og Badets Timer.« Edvard Munch an Ludvig Ravensberg am 1. Juli 1904. Munch-museet Oslo: MM N 2808.

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auf einer weiteren Serie von Fotografien in Szene gesetzt wird. Die Fotos weisen wieder einen hybriden Status zwischen Vorlagen, Dokumentation und eigenen Bildfindungen auf. Sie sind vor und neben einem Bretterzaun aufgenommen, der – das lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren – das Strandbad Warnemünde vom öffentlichen Strand oder die Strandabschnitte für Frauen und Männer trennte.157 Bei zwei Bildern der Serie (Abb. 53 und 54) handelt es sich um Selbstporträts vor dem Hintergrund des Bretterzauns, einem vermutlich zum Strandbad gehörenden Gebäude und einem Holzturm, der möglicherweise zur Überwachung des Strands diente. Abb. 52,53 & 54:Männliches Modell am Strand, Selbstporträt als Akt I und Selbstporträt als Akt II (alle 1907):

Selbst wenn die Bilder nur zum Zweck des Körperstudiums aufgenommen wurden, wirkt es merkwürdig, dass nicht Strand und Meer, sondern nichts sagende Holzkonstruktionen den Hintergrund bilden. Munch ist, beide Male im Halbprofil, einmal von hinten und einmal von vorn, in der gleichen Pose zu sehen: die Beine gespreizt und durchgestreckt, beide Arme mit abgewinkelten Ellbogen in die Hüften gestemmt, der Oberkörper aufrecht und ein wenig nach hinten gelehnt. Wenn Munch ironisch bemerkt hatte, er müsse sich mehr körperlich betätigen, scheinen diese Maßnahmen, sofern sie in die Tat umgesetzt wurden, drei Jahre später noch kaum Früchte getragen zu haben. Im Vergleich zu der sehr kurz ra-

157 Auf die Geschlechtertrennung am Strand von Warnemünde weist Annie Bardon hin: Annie Bardon (1999): »Warnemünde – wie Edvard Munch das Seebad 1907-1908 erleben konnte«, in: Dies.: Munch und Warnemünde 1907-1908, S. 9-23. Siehe auch Angelika Fischer, Bernd Erhard Fischer & Petra Schmidt Dreyblatt (2011): Edvard Munch in Warnemünde. Berlin: Edition A.B. Fischer, S. 4 und 14. Bardons Recherchen erscheinen hier zuverlässiger als Eggums Angabe, die Aufnahmen stammten vom Nudistenstrand. Vgl. Eggum (1987): Munch og fotografi, S. 133.

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sierten und blassen Figur auf den Bildern von 1904 wirkt er zwar braun gebrannter und weniger ausgemergelt, aber dennoch nicht wie die »Apotheose über den vitalen Menschen«, als die Eggum Badende Männer liest.158 Diese Vorgabe erfüllt eher der Bademeister als Modell, der auf einer Aufnahme allein und auf Munchs fotografischem Selbstporträt mit Pinsel und Palette am Strand in Warnemünde (Abb. 55) im Hintergrund neben dem Künstler und seiner Leinwand zu sehen ist. Beide Bilder zeigen ihn in der gleichen Pose: im Profil und in Schrittstellung, als würde er im Schreiten über den Strand von rechts nach links innehalten. Das Gewicht des Körpers ist auf das rechte leicht angewinkelte Bein verlagert. Der rechte Arm ist parallel zum rechten Oberschenkel nach vorn gestreckt. Linkes Bein, linker Arm, Oberkörper und Kopf bilden eine leicht in die Gehrichtung gekippte Achse. Trotz der Schrittstellung stehen beide Füße mit den ganzen Fußsohlen auf der Erde, was die Haltung statisch und etwas verkrampft wirken lässt. Die Herausforderung, Bewegung auf die Leinwand zu bannen, ist schon in der gleichzeitig dynamischen und eingefrorenen Pose des Modells vorweggenommen. Der Kontrast zwischen dem blassen Oberkörper und stark gebräunten Partien wie Kopf, Hals und Unterarme ist groß und gibt darüber Aufschluss, dass es sich bei dem Modell um einen sich häufig leicht bekleidet im Freien aufhaltenden Menschen handelt. Die sich deutlich abzeichnenden Muskeln an Armen, Beinen und Oberkörper weisen darüber hinaus auf eine körperliche Konstitution hin, wie sie Munch bei seiner kritischen Begutachtung an sich selbst nicht feststellen kann. Die Körper der Badenden Männer entsprechen denn auch viel mehr dem, was Munch an seinem Modell, und nicht an sich selber, studieren konnte. Der Künstler als Badender Die zentrale Aufnahme der Serie ist aber ein Selbstporträt mit Pinsel und Palette neben dem in Entstehung befindlichen Badende Männer (Abb. 55). Munch steht mit einem Lendenschurz bekleidet genau auf der zentralen Bildachse. Die gespreizten Beine wiederholen die Zeltform, die sich hinter der schräg gegen eine Holzwand gelehnten Leinwand ergibt. Munchs Körper füllt auf dem Bild fast genau diesen Zwischenraum aus. Die Sonne beleuchtet den Körper genau von vorn, so dass sich ein Schatten bildet, der von der unteren Kante der Leinwand in zwei Hälften geteilt wird.159 Körper und Schatten bilden auf diese Weise einen

158 »apoteose over det vitale menneske«, Eggum (1987): Munch og fotografi, S. 133. 159 Die Schatten sind so kurz, dass ich Annie Bardons Auffassung widersprechen möchte, die Serie badender Männer (zu denen ich auch die Fotos zählen möchte) sei nach

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spitzen Winkel, der der unteren linken Ecke der Leinwand entspricht und Körper und Leinwand in eine enge Verbindung treten lässt. Durch die Komposition wird auf die gemeinsamen Proportionen von Leinwand und darauf abgebildeten Körpern sowie dem Körper des Malers hingewiesen, so dass die Lebensgröße der Badenden Männer über das monumentale Format hinaus mit Bedeutung aufgeladen wird. Die Badenden Männer auf der Leinwand, wie auch das Modell im Hintergrund am linken Bildrand, das wie ein perspektivisch verkleinerter Doppelgänger des Malers wirkt, erscheinen als Statisten in der Selbstinszenierung des Malers. Abb. 55: Edvard Munch mit Pinsel und Palette am Strand von Warnemünde (1907)

In der sorgfältigen Komposition des Bilds, das den Künstler als zentrale Figur mit den üblichen Attributen wie Leinwand, Pinsel, Palette und Modell umgibt, erscheint die Fotografie als klassisches Selbstporträt. In das Selbstporträt sind allerdings viele irritierende Elemente eingebaut. Zunächst zeigt es den Künstler zwar an seinem, wenn auch temporären, Arbeitsplatz, der in diesem Fall aber kein Atelier ist, sondern der Strand. Der Künstler ist auch nicht bekleidet, wie es den Konventionen entspräche, sondern unterscheidet sich lediglich durch den das Nötigste bedeckende Lendenschurz von seinem Modell, bei dem Experten

den regulären Öffnungszeiten des Strandbads, also erst gegen Abend, entstanden. Vgl. Bardon (1999): »Warnemünde«.

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allerdings debattieren, ob er nicht nachträglich auf das Bild retuschiert worden sei.160 Ob Retusche oder nicht: Das gegenüber den anderen Aufnahmen der Serie vom Warnemünder Strand hinzugefügte Tuch deutet darauf hin, dass Munch der Fotografie im Gegensatz zur restlichen Serie potenziell eine öffentliche Verwendung zugedacht haben könnte, sich die Bilder innerhalb der Serie also im Hinblick auf ihre Funktion unterscheiden. Munch inszeniert sich hier aber nicht nur als Künstler, sondern auch als Badender und als potenzielles Modell. Nicht nur über die Komposition, sondern auch auf der Ebene der Körperinszenierung wird eine Identifikation von Künstler, Modell und Motiv erreicht. Über diese visuellen Analogien erfolgt eine biografische Aufladung des Motivs, wird das geknipste Ereignis im Leben künstlerisch inszeniert und werden Leben und Werk so miteinander verschränkt. Badende Männer wird, in einem der Marat-Serie ähnlichen Prozess, über die Fotografie als Selbstporträt lesbar. Damit sei nicht gesagt, dass wir beim Betrachten von Badende Männer die Wahrheit über Munch erfahren oder die Kenntnis von Munchs Biografie eine eindeutige Interpretation des Bilds ermögliche. Im Gegenteil trägt die Fotografie bei Munch dazu bei, das Verhältnis von Leben und Werk und letztlich auch den referentiellen Status von Selbstporträts zu verunklären, zu verkomplizieren und damit zu hinterfragen, was angesichts des gemeinhin angenommenen indexikalischen Charakters von Fotografie paradox erscheinen mag. In mancherlei Hinsicht muss der dokumentarische Wert des Fotos in Frage gestellt werden. Munch-Forscher debattieren darüber, ob Badende Männer tatsächlich plein air am Strand entstanden ist, wie es die Aufnahme nahe legt, oder im Atelier. Man kann nicht rekonstruieren, wie Munch die zwei auf zweieinhalb Meter große Leinwand täglich von seinem gemieteten Haus an den Strand und zurück beförderte. Der Restaurator des Kunstmuseums Ateneum in Helsinki, das Badende Männer seit 1911 besitzt, bestätigte mir, dass er bei der Reinigung des Gemäldes Sandspuren in der Farbe gefunden habe. Offenbar interessierte sich Munch, der seine Gemälde oft Wind und Wetter aussetzte und das als »Rosskur« bezeichnete,161 gerade für den Effekt, den Wind und Sand auf seine Repräsentation von

160 Auf diese Debatte geht Eggum ein; vgl. Eggum (1987): Munch og fotografi, S. 133. Lasse Jacobsen, Leiter der Bibliothek des Munch-Museums, wo auch die Fotografiesammlung untergebracht ist, hat sich auf meine Nachfrage hin das Foto noch einmal angeschaut und ist der Meinung, Munch habe sich für die Aufnahme tatsächlich ein Tuch umgebunden. 161 Unter anderem gibt Rolf Stenersen einige Zitate von Munch wieder, in denen er erzählt, wie er seine Bilder einer Rosskur, »hestekuren«, aussetzt. Vgl. Rolf Stenersen (1964): Edvard Munch. Nærbilde av et geni. Oslo: Gyldendal, S. 37 und 71.

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Wind und Sand haben könnten, und verzahnte Leben und Werk sogar auf der Materialebene miteinander. Ein indexikalisches Verhältnis läge dann eher im Verhältnis von materiellen Gegebenheiten und Motiv vor als im Prozess der Repräsentation der Gegebenheiten durch die Fotografie. Das Foto ist auch deshalb kein Schnappschuss vom tatsächlichen Malprozess, weil Munch vor und neben der Leinwand stehend weder zum Modell noch zur Leinwand blickt, sondern in die Ferne. Stellte er sich hinter die Leinwand, könnte er das Modell gar nicht sehen. Im abgebildeten Stadium kann Munch, abgesehen von der transparenten Rückenfigur, die nach der Aufnahme eingefügt worden sein muss – Gerd Woll zufolge erst 1908162 –, nur noch kleinere Korrekturen an Badende Männer vorgenommen haben. Dazu bedarf es eines Modells höchstens in genau der abzubildenden Pose; hier ist das Modell aber im Profil zur Kamera ausgerichtet, nicht frontal zur Leinwand. Wir wissen nicht, in welchem zeitlichen Abstand die Fotos der Serie entstanden sind, alles deutet aber darauf hin, dass sie direkt nacheinander aufgenommen wurden: Das Foto des Bademeisters wirkt wie ein vergrößerter Ausschnitt aus dem Porträt des Künstlers mit Leinwand, Pinsel und Palette. Wenn sie gleichzeitig entstanden sind, ist es, konträr zu Eggums Vermutung, angesichts des fast fertigen Bildes nicht »wahrscheinlich«, dass die anderen drei Fotos »als Studien für das Badebild« entstanden sind.163 Munch hätte die Bilder entwickeln (lassen) und mit an den Strand nehmen müssen. Wie man bei Willumsen sehen konnte, dienen die Fotos im Arbeitsprozess eher zur grundsätzlichen Klärung der Komposition und dem Studium von Anatomie und Posen von Figuren. Über dieses Stadium sind Munchs Badende Männer zum Zeitpunkt der Aufnahme längst hinaus. Zudem würde sich die Frage stellen, wozu Munch fotografische Vorlagen in kleinem Format braucht, wenn er direkt vom Modell in Lebensgröße arbeiten kann. Die genaue Funktion der Fotos im Arbeitsprozess scheint nicht geklärt werden zu können und muss deshalb hinterfragt und woanders vermutet werden. Wie bei den anderen Künstlern stellt es eine Reduktion des Mediums Fotografie und dessen Verwendung und Erforschung dar, wenn allein dessen abbildende Qualität und somit nur die Rolle als Vorlage oder Dokumentation in Betracht gezogen wird. Bei Munch scheint mir eine performative Funktion von Fotografie, die gemeinhin wenig berücksichtigt wird, die wichtigste zu sein. Bei den Strandbildern aus Warnemünde, vor allen Dingen dem Selbstporträt mit Pinsel und Palette, geht es meines Erachtens um eine Verbindung von Künstler- und Körperinszenierung, die im Medium Fotografie auf Grund des als unmittelbar

162 Woll (2008): Edvard Munch: samlede malerier, S. 756. 163 »trolig som studier til badebildet«, Eggum (1987): Munch og fotografi, S. 133.

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wahrgenommenen Realitätsbezugs eine neue Dimension erreicht. Das fotografische Selbstporträt ist für die Jahrhundertwende ein neues Genre, da es in dieser Form erst seit der Entwicklung des mechanischen Selbstauslösers möglich ist. Für das Selbstporträt am Strand von Warnemünde greift Munch mit dem fotografischen Künstlerporträt und der lebensreformerischen Aktfotografie zwei aktuelle Genres oder Kontexte auf und integriert sie in sein Projekt der Selbstbefragung und -inszenierung. Das Tuch um die Hüften, das Munch auf der Fotografie mit Leinwand und Pinsel trägt, gibt wie erwähnt Anlass zur Annahme, dass der Aufnahme eine breitere Öffentlichkeit zugedacht wurde als den anderen Bildern der Serie. Da Munch bei Porträtaufträgen oft mit offiziellen Fotografien und Postkarten arbeitete, war ihm als Selbstvermarktungsstrategen das dahin gehende Potenzial der Fotografie klar.164 Mit dem Selbstporträt aus Warnemünde als Inszenierung des Künstlers in Aktion erprobt er ein Genre, das seinen Höhepunkt möglicherweise einige Jahrzehnte später in Hans Namuths Fotos des Malers Jackson Pollock (1912-56) beim so bezeichneten Action Painting gefunden hat, und die vielleicht größere Verbreitung gefunden haben und bekannter sind als Pollocks Bilder selbst.165 Munch kombiniert das Genre des fotografischen Künstlerporträts mit der Aktfotografie aus dem Kontext von Lebensreform und Nudismus, deren Inszenierung gesunder und natürlicher Menschen enorm weite Verbreitung in der zeitgenössischen visuellen Kultur fand.166 Durch die Verzahnung von Künstlerund Körperdiskurs erfährt ersterer eine Aufladung um Aspekte eines »souci de soi«, der Sorge um sich selbst, die der Schweizer Historiker Philip Sarasin in Anlehnung an Michel Foucault als zentral für Körper- und Hygienediskurse in der Moderne herausarbeitet.167 Beide Prinzipien – der einer kleinen Elite angehörende intellektuelle Künstler als öffentliche Figur sowie der gesunde athletische

164 Munchs Porträts von Stéphane Mallarmé (1896), Henrik Ibsen (1896/97) und Friedrich Nietzsche (1907) gehen auf Fotografien oder Postkarten zurück. Zu Munch als Karrierestrategen vgl., wie weiter oben genannt, z.B. Yarborough (1995): Exhibition Strategies and Wartime Politics und Dies. (2006): »Public Confrontations and Shifting Allegiances«. 165 Bei einer unspezifizierten Google-Bilder-Suche nach Jackson Pollock halten sich unter den ersten Treffern die Aufnahmen von Hans Namuth (1915-90) vom Sommer 1950 und Pollocks Gemälde die Waage. 166 Vgl. z.B. Buchholz (2001): Die Lebensreform, S. 369-72, Möhring (2004): Marmorleiber, Böhlau und Steorn (2006): Nakna män. 167 Vgl. Philip Sarasin (2001): Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 17651914. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

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anonyme Mann als Vertreter breiter und durch die Lebensreform bewegter Gesellschaftsschichten – werden durch die beiden Männer auf dem Foto repräsentiert. Die beiden Männerfiguren stehen gleichzeitig für zwei Männlichkeitskonzepte. Das männliche Modell auf dem Selbstporträt ist eine weitere Irritation gegenüber traditionellen Künstlerdarstellungen wie beispielsweise Anders Zorns in der Einleitung genanntes paradigmatisches Selbstporträt mit Modell, dessen Inszenierung von Künstlerschaft auf der Differenz zwischen männlichem bekleidetem Künstler und weiblichem unbekleideten Modell beruht. Das asymmetrische Machtverhältnis zwischen Künstler und Modell, das sich traditionellerweise entlang der Opposition zwischen Mann und Frau, Blicksubjekt und -objekt, Bekleidung und Nacktheit, intellektueller Elite und Arbeiterklasse aufspannt, ist hier subtiler inszeniert und codiert und dadurch weniger eindeutig. Beide Männer posieren auf dem Bild und sind im Profil zu sehen. Während wir bei Zorn den Blick des Künstlers erwidern, ihn so als zentrale Figur anerkennen und es uns nahe gelegt wird, uns mit seinem ansonsten auf das Modell gerichteten Blick zu identifizieren, ist Munch auf der Aufnahme gleichzeitig Subjekt und Objekt des Blicks. Auch hier wird der Blick zunächst auf die zentral stehende Figur des Künstlers und von dort aus nach beiden Seiten zum Modell und zur Leinwand gelenkt. Im Gegensatz zu Zorn, wo der Künstler mit seinem ausladenden Malerkittel entkörperlicht scheint und als Schöpfer der Szene inszeniert wird, wird der Künstler bei Munch auch in seiner körperlichen Präsenz sichtbar. Auch im Hinblick auf die Komposition erscheint der Körper des Künstlers als Dreh- und Angelpunkt des künstlerischen Schaffensprozesses. Es ist die körperliche Dimension des Kunstschaffens, die durch Zorns Malerkittel verschleiert wird, hier aber in Szene gesetzt und durch die Entblößung des Körpers verstärkt wird. Wie sonst nur bei Modellen, steht der nackte Körper des Künstlers zur Beobachtung und Begutachtung zur Verfügung. Mit der Hinterfragung von Kunst als geistigem Prinzip steht auch die Hierarchisierung der Körper zur Debatte. Der Künstler ist zwar Herr der Szene, abbildenswert erscheint aber nicht sein eigener, sondern der trainierte und somit dem Ideal eher entsprechende Körper des Modells. Der Lendenschurz des Künstlers und die partielle tiefe Körperbräune des Modells sind, abgesehen von Attributen und Positionierung im Bild, die einzigen Hinweise auf die Kategorien, entlang derer traditionell eine Hierarchie zwischen Künstler und Modell etabliert wird: der Grad der Bekleidung und die soziale Schicht. Die Bedeutung beider Kategorien wird im Kontext der von mir untersuchten Fotografien der Künstler als Badende verhandelt. Erstrebenswert scheint nicht die Position des Bekleideten, Blassen, geistig Tätigen und damit verbundene Vorstellungen einer intellektuellen Männ-

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lichkeit. Die Bilder badender Männer weisen auf eine visuelle Privilegierung von Merkmalen männlicher Körper hin, die bislang mit Arbeiterklassemännlichkeiten assoziiert worden waren.168 Diese Merkmale werden auf den Fotografien in die Selbstinszenierung der Künstler inkorporiert. Mit den Fotografien und der damit verbundenen Selbstinszenierung der Künstler geht meines Erachtens eine Verhandlung und Neuverortung von sowohl Künstlerschaft als auch von Männlichkeit einher. Das Bedeutungsspektrum von beidem wird mit dem Kontext von Bad, Strand, körperlicher Aktivität und Gesundheit erweitert. Künstlerschaft wird nicht nur als geistiges Prinzip schöpferischen Schaffens verstanden, sondern in seiner körperlichen Bedingtheit und Verortung untersucht.

5.6. A BSCHLUSS : A UTOBIOGRAFISCHE P ROZESSE Im Kontext der Bildserien badender Männer bei den von mir untersuchten Künstlern ist in Bezug auf Fotografie zweierlei bemerkenswert: einerseits die Tatsache, dass im Zusammenhang mit den Bildern überhaupt so viel, von allen Künstlern selbst und mehr als in Verbindung mit anderen Werkgruppen fotografiert wird, und andererseits, dass es in allen Fällen auch fotografische Selbstporträts gibt. Beides ist meines Erachtens ein Hinweis darauf, dass die Fotografie im Arbeitsprozess im Sinn eines Begehrens nach Referentialität hinzugezogen wird. Die Frage nach der Einordnung der Badebilder in Narrative von Leben und Werk bekommt mit der Fotografie also noch eine weitere Dimension. In der Forschung ist oft auf die Analogie von Fotografie und (Auto-)Biografie hingewiesen worden. Diese Verbindung möchte ich im Folgenden im Zusammenhang mit den von mir untersuchten Künstlern und ihrer Fotografie erörtern, und dabei oben gemachte Beobachtungen im Hinblick auf die Fotos zusammenführen. Dabei interessiert mich die Debatte über den ontologischen Status von Fotografie und Autobiografie weniger als die Funktion von Fotografie in einem, wie Linda Haverty Rugg es nennt, autobiografischen Prozess.169 Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Autobiografie und Fotografie geht in den letzten Jahren hauptsächlich von der Literaturwissenschaft aus. Dabei wird Autobiografie meist als literarisches Genre verstanden, und die Beziehung zwi-

168 Zur Etablierung von Arbeiterklassemännlichkeit als neuem Ideal um die Jahrhundertwende 1900 am Beispiel des Boxers Eugene Sandow siehe Steorn (2006): Nakna män, S. 60-62 und 71-80. 169 Vgl. Rugg (1997): Picturing Ourselves, S. 6.

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schen Text und Bild sowie die Funktion von Fotografie in Autobiografien untersucht. Timothy Dow Adams erweitert das Genre der Autobiografie um Tagebücher, Briefe, Bekenntnisliteratur, oral history, Dokumentationen und Reiseberichte, schließt aber »photographs without texts« explizit als seinen Untersuchungsgegenstand aus, d.h. die Fotografie selbst als Autobiografie, wie sie mich hier interessiert.170 Die Analogie zwischen Autobiografie und Fotografie besteht in der gemeinsamen spezifischen Verbindung zum repräsentierten Objekt, die beides über sich selbst hinausweisen lässt und dabei einen Realitätseffekt erzielt. Auch die Rezeptionsgeschichte von beidem verläuft, wie Susanne Blazejewski schreibt, »geradezu parallel«, von »der fast naiven Identifikation des literarischen oder photographischen Abbildes mit der Realität […] bis zum modernen Gattungs- und Medialitätsbewusstsein«.171 Aber auch wenn wir laut Rugg gelernt haben, den Realitätseffekt zu hinterfragen, indem wir die sprachlichen und visuellen Zeichen als höchst unklar und unzuverlässig lesen, beruhe das Verständnis von Fotografie und Autobiografie auf einem Begehren, Texte oder Bilder als lesbare Referenzen auf eine (einst) lebende Person anzuerkennen.172 Dieses Begehren nach Referentialität scheinen Produzenten und Rezipienten von Fotografie und Autobiografie zu teilen und scheint auf den Körper als zentrale Kategorie gerichtet zu sein. Das gilt insbesondere für fotografische Porträts und Selbstporträts, die in ihrer Repräsentationsfunktion eine besonders starke Analogie mit Biografie und Autobiografie aufweisen. Fotografie im Rahmen von – aber auch als – Autobiografie kann der Selbstvergewisserung dienen. Fotografien als physische Evidenz verankerten, so Rugg, das Subjekt in der physischen Welt und insistierten auf der nachprüfbaren Anwesenheit eines verkörperten und substanziellen Individuums.173 Für die Seite der Rezipienten gilt die physische Evidenz durch Fotografien gleichermaßen: »they come to the rescue of autobiographical referentiality through the presentation of the author’s body in the world.«174 Für die von mir untersuchten Künstler, deren Werkgruppen badender Männer ein komplexes Verhältnis von Malerei und Fotografie in Bezug auf Referentialität aufweisen, gilt Ähnliches wie für die Autoren bei Rugg, die ihre Autobiografien mit Fotografien ergänzen: »The integration of photographs into the auto-

170 Dow Adams (2000): Light Writing & Life Writing, S. xi und xx. 171 Susanne Blazejewski (2002): Bild und Text – Photographie in autobiographischer Literatur. Würzburg: Königshausen&Neumann, S. 99. 172 Vgl. Rugg (1997): Picturing Ourselves, S. 13. 173 Vgl. ebd., S. 2. 174 Ebd., S. 1.

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biographical act highlights the presence of the author’s body, and seems to claim the body as the source and focus of the autobiographical text.«175 Mit der Fotografie wird der Körper der Künstler als zentraler Fokus in die Werkgruppen eingeführt, die wiederum als autobiografisches Projekt interpretierbar werden. Es ergibt sich ein komplexes Verhältnis zwischen den Bildern und dem »body that both constructs and is constructed by them«.176 Während der ontologische Status des Körpers als Referenzobjekt ungeklärt bleiben muss, entsteht mit dem bildlich repräsentierten Körper eine neue Untersuchungsebene. Über die Repräsentation des Körpers wird eine Geschichte über den Autor – und bei mir über den Künstler – erzählt. Man kann so weit gehen zu sagen, dass über Bilder und Texte, das heißt über ihre Medialisierung, eine Biografie erst hergestellt wird. Das autobiografische Projekt, so Paul de Man als einer derjenigen, die den Realitätseffekt von Autobiografie am effektivsten hinterfragt haben, »may itself produce and determine the life«.177 Wie auch andere Knipser machen sich Autoren und Künstler dabei den so genannten Albumeffekt zu Nutzen.178 Der Aspekt der Selbstvergewisserung durch die Fotografie wird durch die Zusammenstellung oder Aneinanderreihung von Fotografien, beispielsweise in einem Album, durch den damit einher gehenden Entwurf einer Geschichte verstärkt.179 Die Kombination von Bildern schafft »eine visuell gesicherte, nachweisbare Lebensgeschichte« und situiert das Individuum »in einem bedeutungsvollen, kohärenten Lebenszusammenhang«, der als Erzählung strukturiert ist.180 Meines Erachtens kann die Berücksichtigung dieser Funktion von Fotografie und von Sequenzen von Fotografien die Frage zu beantworten helfen, welche Funktion Fotografie wiederum im Werk der von mir untersuchten Künstler und

175 Ebd., S. 14. 176 Ebd., S. 9. 177 Paul de Man (1984): »Autobiography as De-Facement«, in: Ders.: The Rhetoric of Romanticism. New York: Columbia University Press. Zitiert nach Rugg (1997): Picturing Ourselves, S. 9. 178 Vgl. Yves W. A. Clemmen (1994): Photographic Construct and Narrative Imagination: an Approach in Contemporary French and American Literatures. Unveröffentlichte Dissertation, University of Illinois at Urbana-Champaign, S. 51. Zitiert nach: Blazejewski (2002): Bild und Text, S. 84. 179 Vgl. Michael J. Shapiro (1988): The Politics of Representation: Writing Practices in Biography, Photography, and Political Analysis. London: University of Wisconsin Press, S. 128. Zitiert nach: Blazejewski (2002): Bild und Text, S. 83. 180 Blazejewski (2002): Bild und Text, S. 83f.

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insbesondere im Zusammenhang mit den Badebildern als multimediale autobiografische Projekte erhält. Ich gehe erstens davon aus, dass über die Fotografie eine Verbindung von Leben und Werk hergestellt wird, die die Künstlerbiografie als Narrativ lesbar macht, und dass das Genre der Leben-und-Werk-Erzählung gleichzeitig kommentiert und im Sinn einer Selbstinszenierung kontrolliert wird. Zweitens werden bei der Berücksichtigung der Fotografie der Fokus auf den Körper des Künstlers als Referenzobjekt sowie die medialen Aspekte seiner Repräsentation deutlicher erkennbar. Bei Willumsen ist eine narrative Struktur bereits in der seriellen Arbeitsweise angelegt. Die Werkgruppe mit Bildern badender Männer und Jungen ist während einer neunjährigen Periode entstanden. Eine zeitliche Dimension entfaltet sich im Vergleich der Skizzen, Fotografien, der Sammlung an Aktfotos in Willumsens Sammelmappen und den Gemälden. Besonders deutlich wird sie in der nachträglichen Bearbeitung von Fotos mit Bleistift. Die Dimension eines autobiografischen Projekts erhält die Gruppe an Bildern, wenn man sie mit Tagebucheinträgen, Briefen und vor allem mit dem fotografischen Porträt von Willumsen in Badehose am Strand von Amalfi (Abb. 56) kontextualisiert. Abb. 56: J.F. Willumsen als Badender am Strand von Amalfi (1902)

Alles trägt dazu bei, den Künstler und seinen Körper in dem Geschehen zu verorten, das er skizziert, fotografiert und malt. Auch die Fotos der Jungen am Strand dokumentieren die körperliche Anwesenheit des Künstlers oder legen sie zumindest nahe. Mit den Fotos ist die Möglichkeit angelegt, die Badebilder als Medialisierung und Fiktionalisierung von Erlebnissen und Erfahrungen zu deuten. Das Begehren nach Referentialität ist auch in der Rezeption auf den Körper des Künstlers gerichtet. Die Badebilder werden mit einer neuen Liebe des Künst-

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lers und mit einer damit neu erwachten Körperlichkeit in Verbindung gebracht. Über schriftliche Äußerungen und die Fotografie werden die Badebilder in ein romantisches Narrativ eingebettet, das einen behaupteten Bruch in Leben und Werk erklären soll. Das Narrativ von Leben und Werk ist an die Medialität von Fotografie gebunden, da hier der private Kontext der Knipserfotografie mit dessen Repräsentation biografischer Situationen mit einer Repräsentation des Arbeitsprozesses und insbesondere des Verhältnisses zwischen Künstler und Modellen verknüpft wird. Mit dem ontologischen Status von Fotografie steht schließlich auch die Dichotomie von Realität und Inszenierung zur Debatte. Es erscheint müßig und unmöglich, Kriterien zu entwickeln, die den Grad der Selbstdarstellung im Vergleich eines Fotos vom malenden Willumsen am Strand von Skagen (Abb. 57) mit einem gemalten Selbstporträt auf einem Ausstellungsplakat und dem der Fotos vom Strand in Amalfi messen könnten. Eine Dokumentation von Leben und Werk erscheint gleichzeitig immer als Inszenierung von Autobiografie und Künstlerschaft. Abb. 57: J.F. Willumsen malt am Strand von Skagen (1906 oder 1909)

Bei J.A.G. Acke steht der Körper als Referenzobjekt im Zentrum des Interesses sowohl der Badebilder als auch deren Rezeption. Die fotografischen Porträts und Selbstporträts, die Acke selbst, seine Freunde und seinen Sohn als Modelle präsentieren, können als integraler Bestandteil des bei Rugg so genannten autiobio-

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grafischen Prozesses verstanden werden.181 Sie verweisen auf die körperliche Anwesenheit des Künstlers und etablieren diese als Voraussetzung für die Badebilder. Das Begehren der Rezipienten nach dem Körper des Künstlers als Garant für Referentialität kommt darin zum Ausdruck, dass Gesundheit und Natürlichkeit Ackes zum zentralen Bezugspunkt der Darstellungen von Leben und Werk werden. Wieder wird ein Narrativ von Leben und Werk über ein inter- und multimediales autobiografisches Projekt hergestellt. Im Hinblick auf das Geflecht von Malerei, Fotos und schriftlichen Äußerungen Ackes, vor allem in seinem Buch Unwahrscheinliche Geschichten, lässt sich wieder feststellen, dass Fotografie zur Erzeugung von Referentialität und Authentizität funktionalisiert wird. Auch bei Eugène Jansson werden über den Körper des Künstlers Leben und Werk zu einem Narrativ verbunden. Die Fotos aus dem Badehaus der Marine sowie auch das Selbstporträt von 1910 (Abb. 13, S. 154) sind zentrale Momente eines autobiografischen Prozesses. Beide verweisen auf die Präsenz des Künstlers im Badehaus und inszenieren ihn gleichzeitig als Künstler und als Badenden. Das Baden und das Fotografieren beziehungsweise Fotografiertwerden können als soziale und kulturelle Praktiken zur Verortung und Identitätsbildung gedeutet werden. Das Badehaus als Treffpunkt und der Albumeffekt zur Herstellung und Dokumentation alternativer sozialer Strukturen sind im Kontext der homosexuellen Subkultur der Zeit sicher als besonders wichtig zu erachten. Auch in der Janssonrezeption manifestiert sich ein Begehren nach Referentialität im Interesse für Janssons Körper im Kontext seines Sporttreibens im Badehaus, seiner Kleidung und seiner männlichen Bekanntschaften. In Ermangelung schriftlicher Quellen verlässt sich die Rezeption heute im Wesentlichen auf die Fotoserien, wenn sie von Leben und Werk Janssons erzählen möchte. Hier lässt sich beobachten, wie der Albumeffekt dazu genutzt wird, im Rahmen eines biografischen Projekts ein Leben zu erzählen und damit erst herzustellen. Bei Edvard Munch sind Leben und Werk auch ohne die Fotografie als Narrativ strukturiert. Eine erzählerische Struktur lässt sich beispielweise in den zyklisch angelegten Serien wie dem so genannten Lebensfries,182 aber auch an den so zahlreichen Selbstporträts erkennen. Bei beidem ist durch die Referenzen auf den Künstler und andere real existierende Personen und Modelle eine Lesart als

181 Vgl. Rugg (1997): Picturing Ourselves, S. 6. 182 Vgl. z.B. Arne Eggum (2000): Edvard Munch: The Frieze of Life From Painting to Graphic Art. Oslo: Stenersen. [Originalausgabe: Arne Eggum (1990): Edvard Munch: livsfrisen fra maleri til grafikk. Oslo: Stenersen]

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autobiografisches Projekt in Form einer Art visuellen Tagebuchs angelegt.183 Der eigene Körper als Objekt von Repräsentation und künstlerischer Untersuchung nimmt bei Munch eine zentrale Stellung ein. Besonders bei Munchs männlichen Akten lässt sich ein Interesse an der Medialisierung körperlichen Erlebens beobachten, an der die Fotografie und noch spezifischer das fotografische Selbstporträt einen wichtigen Anteil haben. Gleichzeitig ist Munch ein Paradebeispiel für Selbstinszenierung. Viele Munchforscherinnen und -forscher stimmen darin überein, dass über die Selbstporträts kein Blick auf eine authentische Person freigegeben wird, sondern uns der Künstler je nach Kontext, Zeit und Strategie in unterschiedlichen und unterschiedlich radikalen Rollen vorgeführt wird.184 Ein Leben wird aufgeführt, wobei – um der Maskeradetheorie seit Joan Rivière zu folgen – sich hinter den Rollen keine wahre heimliche Identität verbirgt, der man auf die Spur kommen könnte.185 Die über Bilder, sei es Malerei, Grafik oder Fotografie, und einen enorm umfangreichen schriftlichen Nachlass erzählte medialisierte Identität ist die einzige, auf die zugegriffen werden kann, und ist womöglich die einzig existente. Innerhalb der autobiografischen Projekte wird die Fotografie im Hinblick auf ein Versprechen von Referentialität und Authentizität funktionalisiert. Dieses Versprechen kann aber nur bedingt eingelöst werden. Laut Linda Haverty Rugg liegt autobiografischen Projekten immer eine Ambivalenz zu Grunde, »the awareness of the autobiographical self as decentered, multiple, fragmented, and divided against itself in the act of observing and being; and the simultaneous insistence on the presence of an integrated, authorial self, located in a body, a place, and a time.«186 Die Fotografie spiele eine paradoxe Rolle, da sie beide Aspekte unterstütze. Sie lasse einerseits das Subjekt das Selbst als Objekt erfahren

183 Für eine Lesart von Selbstporträts als Tagebuch vgl. Dow Adams (2000): Light Writing & Life Writing, S. 235. 184 Vgl z.B. Heller (2006): »Could Only Have Been Painted by a Madman« und Patricia Berman (1993): »Edvard Munch’s Self-Portrait with Cigarette: Smoking and the Bohemian Persona«, Art Bulletin 75:4, S. 627-646. Zuletzt Patricia Berman (2008): »Edvard Munchs mange liv«, in: Gerd Woll (Hg.): Edvard Munchs samlede malerier. Catalogue raisonnée. 4 Bände. Oslo: Cappelen Damm, Band IV, S. 1277-1293. 185 Vgl. Liliane Weissberg (Hg.) (1994): Weiblichkeit als Maskerade. Frankfurt a.M.: Fischer. Claudia Benthien (Hg.) (2003): Männlichkeit als Maskerade: kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Köln u.a.: Böhlau, alle in Bezug auf Joan Rivière (1929): »Womanliness as Masquerade«, The International Journal of Psychoanalysis 10, S. 303-313. 186 Rugg (1997): Picturing Ourselves, S. 2.

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und vervielfältige es dabei: Das Subjekt ist »not only this image, but this one, this one, and that one«.187 Andererseits bestehe sie »on something material, the embodied subject, the unification […] of author, name, and body.«188 In Bezug auf autobiografische Projekte repräsentiere die Fotografie also sowohl eine »disassociation« als auch einen Versuch der »reconciliation or reintegration«.189 Identität werde gestiftet, verifiziert und gleichzeitig in Frage gestellt.190 Die von mir untersuchten multimedialen autobiografischen Projekte erscheinen – vor allem durch ihre Integration von Fotografie – als mehrdeutig. Der Körper des Künstlers ist klares Zentrum des Interesses. Aber gerade dieser Körper steht uns nur in medialisierter, vervielfältigter und auch fiktionalisierter Form zur Verfügung. Bekommt hier, dem Begehren des Publikums entsprechend, der Künstler ein Gesicht, einen Körper, womit die Autorität des autobiografischen Subjekts gewährleistet oder wiederhergestellt wäre? Oder werden die Fotografien als »the world’s most effective masks« funktionalisiert und weisen darauf hin, dass es den Körper, auf den sich das Begehren richtet, gar nicht gibt?191 Und warum sind diese Fragen in Bezug auf die Bilder badender Männer so drängend? An anderer Stelle habe ich bereits darauf hingewiesen, dass die Frage nach der Fragmentierung des modernen Subjekts unmittelbar an die Verhandlung von Männlichkeiten geknüpft ist. Die Zersplitterungserfahrung in der Moderne kann auch, besonders für die Zeit um die Jahrhundertwende 1900, als Krise der Männlichkeit konzeptualisiert werden.192 Die Angst vor Fragmentierung äußert sich auch in Phantasmen von Reinheit und Ganzheit, die im Hinblick auf ein Hypermännlichkeitsphantasma wiederum an den männlichen Körper gebunden werden.193 Repräsentationen des männlichen Körpers können also zwischen einem

187 Ebd., S. 13. 188 Ebd. 189 Ebd., S. 14. 190 Vgl. auch Blazejewski (2002): Bild und Text, S. 77, die hier auf Sontag (2001): On Photography verweist. 191 Rugg (1997): Picturing Ourselves, S. 14. 192 Vgl. Bublitz (1998): Geschlecht der Moderne; Schnurbein (2001): Krisen der Männlichkeit. 193 Vgl. Albrecht Koschorke (2000): »Die Männer und die Moderne«, in: Wolfgang Asholt, Walter Fähnders (Hg.): Der Blick vom Wolkenkratzer. Avantgarde – Avantgardekritik – Avantgardeforschung. Amsterdam: Rodopi, S. 141-162. Zum Ganzheitsphantasma als Kompensation von Fragmentierungserfahrungen siehe auch Gerhard Plumpe (1990): Der tote Blick. Zum Diskurs der Photographie in der Zeit des Realismus. München: Fink.

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Ausdruck von Instabilität und Fragmentierung und Imaginationen eines ganzen Körpers pendeln. Die hier präsentierten Badebilder sind als Versuch gelesen worden, den Imaginationen von Ganzheit zu entsprechen, wobei das Bad auf metaphorischer und lebenspraktischer Ebene als reinigendes, als Akt der Hygiene, interpretiert werden kann. Das künstlerische Genre, der Akt, ist ebenfalls ganz unmittelbar in diesem Spannungsfeld zu verorten, wird hier doch traditionell konkret am Phantasma eines ganzen geschlossenen Körpers gearbeitet. Aufregung um Akte entsteht immer genau dann, wenn dieses Phantasma nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Das entscheidende Moment ist wieder die Referentialität, die beim Akt in Form der Anwesenheit eines nackten Körpers im künstlerischen Prozess immer schon angelegt ist. Der Akt beruht auf der Referenz auf einen nackten Körper, versucht diese aber gleichzeitig zu verschleiern. Bei den männlichen Badenden wird das Paradigma von Akt und Nacktheit zusehends brüchig. Über Selbstporträts in unterschiedlicher Form sowie über die vielfältigen Transfers zwischen Malerei und Fotografie wird ständig auf den nackten Körper, und zwar auf den nackten Körper des Künstlers, als Referenzobjekt verwiesen. Verortet man die Gemälde männlicher Badender in einem als autobiografisches Projekt deutbaren Gewebe aus Bildern und Texten, lässt sich beobachten, wie gleichzeitig und einander bedingend die Grenzen zwischen Akt und Nacktheit, zwischen Malerei und Fotografie in Bezug auf ihre Referentialität sowie letztlich auch zwischen Text und Kontext durchlässiger und letztlich in Frage gestellt werden: Die Fotografie löst ihr Versprechen der nackten Wahrheit nicht mehr ein, sondern wird im Hinblick auf eine Selbstinszenierung funktionalisiert. Die gemalten Akte können nur bei einer oberflächlichen Lesart, die zu Grunde liegende Differenzierungsprozesse unberücksichtigt lässt, der Illusion von Ganzheit, Reinheit und einer unangefochtenen heterosexuellen männlichen Norm dienstbar gemacht werden. Der Blick auf Medialisierungsprozesse legt darüber hinaus nahe, das Verhältnis zwischen Leben und Werk als ein intertextuelles zu begreifen. Gemälde, Fotografien, Skizzen, Notizen, Briefe, Anekdoten, Rezensionen und Leben-und-Werk-Darstellungen fügen sich zu visuellen und verbalen Narrativen, die vom Körper des Künstlers erzählen, die den Körper des Künstlers erzählen. Alles liegt bloß und bleibt opak. Nackt oder Maske? Die Künstler entblößen sich ganz, und gleichzeitig gar nicht.

6. Literaturverzeichnis

Archive

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A BBILDUNGEN

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Abb. 12 Eugène Jansson: Nackter Jüngling am Türpfosten (Naken yngling vid dörrpost). 1906. Öl/Leinwand, 144 x 90 cm. Prins Eugens Waldemarsudde Stockholm. Göran Söderlund, Patrik Steorn (2012): Eugène Jansson. Blå skymning och nakna atleter. Stockholm: Carlssons , S. 78. Abb. 13 Eugène Jansson: Selbstporträt (Självporträtt). 1910. Öl/Leinwand, 203 x 110 cm. Nationalmuseum Stockholm. Göran Söderlund, Patrik Steorn (2012): Eugène Jansson. Blå skymning och nakna atleter. Stockholm: Carlssons, S. 110. Abb. 14 J.A.G. Acke: Fausto am Meer (Fausto i havsbandet). 1904. Öl/Leinwand, 56 x 67,5 cm. Privatsammlung. JAG Acke. Stockholm: Prins Eugens Waldemarsudde 1991, S. 63. Abb. 15 J.A.G. Acke: Meereslauscher (Havslyssnaren). 1909. Öl/Leinwand, 86,5 x 158 cm. Privatsammlung. JAG Acke. Stockholm: Prins Eugens Waldemarsudde 1991, S. 67. Abb. 16 J.A.G. Acke: Östrasalt. 1906. Öl/Leinwand, 113 x 175 cm. Göteborgs Konstmuseum. Gertrud Hvidberg-Hansen, Gertrud Oelsner (2008) (Hg.): Livslyst. Sundhed –Skønhed – Styrke i dansk kunst 1890-1940. Fuglsang, Odense: Fuglsang Kunstmuseum, Forlaget Odense Bys Museer, S. 228. Abb. 17 J.A.G. Acke: Sonnenwind (Solvind). 1910. Öl/Leinwand, 92 x 122 cm. Privatsammlung. JAG Acke. Stockholm: Prins Eugens Waldemarsudde 1991, S. 68. Abb. 18 J.A.G. Acke: Fausto nudo. 1904. Öl/Leinwand, 59 x 107 cm. Nationalmuseum Stockholm. Gertrud Hvidberg-Hansen, Gertrud Oelsner (2008) (Hg.): Livslyst. Sundhed –Skønhed – Styrke i dansk kunst 1890-1940. Fuglsang, Odense: Fuglsang Kunstmuseum, Forlaget Odense Bys Museer, S. 227.

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Abb. 19 Jens Ferdinand Willumsen: Badende Kinder am Strand von Skagen (Badende børn på Skagens strand). 1909. Öl/Leinwand, 265 x 425 cm. J.F. Willumsens Museum Frederikssund. Gertrud Hvidberg-Hansen, Gertrud Oelsner (2008) (Hg.): Livslyst. Sundhed –Skønhed – Styrke i dansk kunst 1890-1940. Fuglsang, Odense: Fuglsang Kunstmuseum, Forlaget Odense Bys Museer, S. 229. Abb. 20 Jens Ferdinand Willumsen: Sonne und Jugend (Sol og ungdom). 1910. Öl/Leinwand, 265 x 425 cm. Göteborgs Konstmuseum. Ingebjørg Ydstie (Hg.) (2006): Livskraft. Vitalismen som kunstnerisk impuls 1900-1930. Oslo: Munch-Museum, S. 14. Abb. 21 Jens Ferdinand Willumsen: Laufender nackter Junge (Løbende nøgen dreng). 1909. Öl/Leinwand, 60,6 x 100 cm. J.F. Willumsens Museum Frederikssund. Marianne Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn fra skitse til færdigt billede. Frederikssund: J.F. Willumsens Museum, S. 16. Abb. 22 Jens Ferdinand Willumsen: Laufender nackter Junge vor einer blauen Meeresfläche (Løbende dreng foran en blå havflade). 1909. Öl/Leinwand, 61 x 101 cm. J.F. Willumsens Museum Frederikssund. Marianne Wirenfeldt Asmussen (1990): Willumsens Badende børn fra skitse til færdigt billede. Frederikssund: J.F. Willumsens Museum, S. 17. Abb. 23 Sigge Häggberg bei Mariefred (Vorlage für Meereslauscher). 1910. Fotografie, moderne Kopie. Kungliga biblioteket, Stockholm. Ingebjørg Ydstie (Hg.) (2006): Livskraft. Vitalismen som kunstnerisk impuls 1900-1930. Oslo: Munch-Museum, S. 143. Abb. 24 J.A.G. Acke auf Ornö (Vorlage für Östrasalt). 1906. Fotografie, moderne Kopie. Unbekannter Fotograf. Kungliga biblioteket, Stockholm. Ingebjørg Ydstie (Hg.) (2006): Livskraft. Vitalismen som kunstnerisk impuls 1900-1930. Oslo: Munch-Museum, S. 143.

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Abb. 25 J.A.G. Acke auf Ornö (Vorlage für Östrasalt). 1906. Fotografie, moderne Kopie. Privatsammlung. © Claes Moser. Abb. 26 J.A.G. Acke: Morgenluft (Morgonluft). 1911. Öl/Leinwand, 103 x 192 cm. Nationalmuseum Stockholm. © Nationalmuseum Stockholm. Abb. 27 Fausto auf einem Segelboot. Undatiert. Fotografie, moderne Kopie. Privatsammlung. © Claes Moser. Abb. 28 Verner von Heidenstam und Gustaf Fröding in Sandhamn. 1896. Fotografie. Unbekannter Fotograf. Nachlass Birger Mörner, Universitätsbibliothek Örebro. © Universitetsbiblioteket Örebro. Abb. 29 J.A.G. Acke: Illustration aus Unwahrscheinliche Geschichten (Osannolika historier). Ca. 1919. Aquarell. Privatsammlung. © Claes Moser. Abb. 30 J.A.G. Acke malt Waldtempel. 1900. Fotografie, moderne Kopie. Privatsammlung. © Claes Moser. Abb. 31 Eugène Jansson: Schwimmbecken (Badsump). 1911. Öl/Leinwand, 202 x 301 cm. Peter Nahum-Sammlung, Leicester Galleries London. Göran Söderlund, Patrik Steorn (2012): Eugène Jansson. Blå skymning och nakna atleter. Stockholm: Carlssons , S. 118. Abb. 32 Eugène Jansson als Springer im Badehaus der Marine. Ca. 1900. Fotografie, moderne Kopie, 9 x 14,9 cm. Nils Santessons Archiv, Königliche Bibliothek Stockholm. Ingebjørg Ydstie (Hg.) (2006): Livskraft. Vitalismen som kunstnerisk impuls 1900-1930. Oslo: Munch-Museum, S. 120.

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Abb. 33 Eugène Jansson im Anzug im Badehaus der Marine. Undatiert. Fotografie, moderne Kopie, 9 x 14,9 cm. Nils Santessons Archiv, Königliche Bibliothek Stockholm. Göran Söderström (Hg.) (1999): Sympatiens hemlighetsfulla makt. Stockholms homosexuella 1860-1960. Stockholm: Stockholmia, S. 215. Abb. 34 Kinder bei einem Boot am Strand bei Amalfi. 1902 oder 1904. Fotografie, 13 x 18 cm. J.F. Willumsens Museum Frederikssund. Leila Krohg (1995): Fiktion og virkelighed. J.F. Willumsens fotografier. Frederikssund: J.F. Willumsens Museum, S. 87. Abb. 35 »Situationsbild« mit Kindern am Strand von Amalfi. 1902 oder 1904. Fotografie, 13 x 18 cm. J.F. Willumsens Museum Frederikssund. Leila Krohg (1995): Fiktion og virkelighed. J.F. Willumsens fotografier. Frederikssund: J.F. Willumsens Museum, S. 88. Abb. 36 Badende Jungen am Strand von Amalfi. 1902 oder 1904. Fotografie, 13 x 18 cm. J.F. Willumsens Museum Frederikssund. © J.F.Willumsens Museum Frederikssund Abb. 37 Badende Jungen am Strand vom Amalfi. Vergrößerung eines Ausschnitts. 1902 oder 1904. Fotografie, 13 x 18 cm. J.F. Willumsens Museum Frederikssund. © J.F.Willumsens Museum Frederikssund Abb. 38 Zwei Jungen am Strand von Amalfi. Bleistiftmarkierungen auf Fotografie. 1902 oder 1904. Bleistiftmarkierungen auf Fotografie, 12 x 17 cm. J.F. Willumsens Museum Frederikssund. Leila Krohg (1995): Fiktion og virkelighed. J.F. Willumsens fotografier. Frederikssund: J.F. Willumsens Museum, S. 84. Abb. 39 Sechs laufende Jungen auf dem Strand von Amalfi. 1902 oder 1904. Fotografie mit Bleistiftzeichnung, 11,4 x 16,6 cm. J.F. Willumsens Museum Frederikssund. Gertrud Hvidberg-Hansen, Gertrud Oelsner (2008) (Hg.): Livslyst. Sundhed – Skønhed – Styrke i dansk kunst 1890-1940. Fuglsang, Odense: Fuglsang Kunstmuseum, Forlaget Odense Bys Museer, S. 239.

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Abb. 40 Edvard Munch und Dr. Jacobson vor dessen Porträt. 1909. Fotografie, unbekannter Fotograf. Munch-museet Oslo. B 882 (F) Gerd Woll (Hg.) (2008): Edvard Munch samlede malerier. Catalogue raisonné. 4 Bände. Band I, S. 21. Abb. 41 Edvard Munch im Atelier von Skrubben/Kragerø zwischen Porträts seiner Freunde. 1909-10. 8,6 x 8,8 cm. Munch-museet Oslo. F 80. © Munch-museet, Oslo. Abb. 42 Selbstporträt in einem Zimmer auf dem Kontinent I. Um 1906. Fotografie, Gelatinesilberabzug, 9 x 9 cm. Munch-museet Oslo. F 44 -1. Edvard Munch. Der moderne Blick. Ostfildern: Hatje Cantz/Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main 2012, S. 56. Abb. 43 Selbstporträt in einem Zimmer auf dem Kontinent II. Um 1906. Fotografie, Gelatinesilberabzug, seitenverkehrt. 8,3 x 8,7 cm. Munch-museet Oslo. F 45 -1. Edvard Munch. Der moderne Blick. Ostfildern: Hatje Cantz/Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main 2012, S. 57. Abb. 44 Edvard Munch »à la Marat« neben der Badewanne bei Dr. Jacobson. 1908/09. Fotografie, Gelatinesilberabzug, 8,1 x 9,3 cm. Munch-museet Oslo. F 71. © Munch-museet, Oslo. Abb. 45 Edvard Munch: Auf dem Operationstisch (På operasjonsbordet). 1902/03. Öl/Leinwand, 109 x 149 cm. Munch-museet Oslo. Woll 2008: Kat. 550. Gerd Woll (Hg.) (2008): Edvard Munch samlede malerier. Catalogue raisonné. 4 Bände. Band II, S. 581. Abb. 46 Edvard Munch: Marats Tod I (Marats død I). 1907. Öl/Leinwand, 150 x 200 cm. Munch-museet Oslo. Woll 2008: Kat. 767. Gerd Woll (Hg.) (2008): Edvard Munch samlede malerier. Catalogue raisonné. 4 Bände. Band II, S. 759.

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Abb. 47 Selbstporträt als Akt, Åsgårdstrand. 1903. 8,6 x 8,2 cm. Munch-museet Oslo. F 28. Ingebjørg Ydstie (Hg.) (2006): Livskraft. Vitalismen som kunstnerisk impuls 1900-1930. Oslo: Munch-museet, S. 82. Abb. 48 Edvard Munch: Selbstporträt in der Hölle (Selvportrett i helvete). 1903. Öl/Leinwand, 82 x 66 cm. Munch-museet Olso. Woll 2008: Kat. 556. Gerd Woll (Hg.) (2008): Edvard Munch samlede malerier. Catalogue raisonné. 4 Bände. Band II, S. 585. Abb. 49 Selbstporträt als Akt, Halbfigur. 1904. Fotografie, moderne Kopie, 8,6 x 8,7 cm. Munch-museet Oslo. F 33. Ingebjørg Ydstie (Hg.) (2006): Livskraft. Vitalismen som kunstnerisk impuls 1900-1930. Oslo: Munch-museet, S. 128. Abb. 50 Selbstporträt als Akt, Åsgårdstrand. 1904. Fotografie, moderne Kopie, 7,9 x 10,4 cm. Munch-museet Oslo. F 32. Arne Eggum (1987): Munch og fotografi. Oslo: Gyldendal, S. 116. Abb. 51 Ludvig Ravensberg in Munchs Garten in Åsgårdstrand. 1904. Fotografie, gelb getöntes Kollodiumpapier, 8,9 x 9 cm. Munch-museet Oslo. F 37. Arne Eggum (1987): Munch og fotografi. Oslo: Gyldendal, S. 116. Abb. 52 Männliches Modell am Strand, Warnemünde. 1907. Fotografie, moderne Kopie, 7,9 x 8,7 cm. Munch-museet Oslo. F 67. Ingebjørg Ydstie (Hg.) (2006): Livskraft. Vitalismen som kunstnerisk impuls 1900-1930. Oslo: Munch-museet, S. 132. Abb. 53 Selbstporträt als Akt I, Warnemünde. 1907. Fotografie, moderne Kopie, 8,2 x 8,5 cm. Munch-museet Oslo. F 65. Ingebjørg Ydstie (Hg.) (2006): Livskraft. Vitalismen som kunstnerisk impuls 1900-1930. Oslo: Munch-museet, S. 86.

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Abb. 54 Selbstporträt als Akt II, Warnemünde. 1907. Fotografie, moderne Kopie, 8,8 x 11,9 cm. Munch-museet Oslo. F 66. Ingebjørg Ydstie (Hg.) (2006): Livskraft. Vitalismen som kunstnerisk impuls 1900-1930. Oslo: Munch-museet, S. 132. Abb. 55 Edvard Munch mit Pinsel und Palette am Strand von Warnemünde. 1907. Fotografie, Kollodiumpapier, 7,9 x 8,7 cm. Munch-museet Oslo. F 64. Gerd Woll (Hg.) (2008): Edvard Munch samlede malerier. Catalogue raisonné. 4 Bände. Band I, S. 18. Abb. 56 Jens Ferdinand Willumsen als Badender am Strand von Amalfi. 1902. Fotografie. J.F. Willumsens Museum Frederikssund. © J.F.Willumsens Museum Frederikssund. Abb. 57 Jens Ferdinand Willumsen malt am Strand von Skagen. 1906 oder 1909. Fotografie, 8,4 x 10,9 cm. J.F. Willumsens Museum Frederikssund. Gertrud Hvidberg-Hansen, Gertrud Oelsner (2008) (Hg.): Livslyst. Sundhed – Skønhed – Styrke i dansk kunst 1890-1940. Fuglsang, Odense: Fuglsang Kunstmuseum, Forlaget Odense Bys Museer, S. 244.

Alle Gemälde im Munch-Museum: © Munch-museet / Munch-Ellingsen Gruppen / VG Bild Kunst 2013. Alle Fotografien von Edvard Munch: © Munch-museet. Alle Fotografien und Gemälde von J.A.G. Acke aus Claes Mosers Privatsammlung: © Claes Moser. Wo nicht anders angegeben, beziehe ich mich auf das Bildzitatrecht.

Image Burcu Dogramaci (Hg.) Migration und künstlerische Produktion Aktuelle Perspektiven August 2013, ca. 370 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2365-9

Lilian Haberer, Annette Urban (Hg.) Bildprojektionen Filmisch-fotografische Dispositive in Kunst und Architektur Juli 2013, ca. 220 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1711-5

Katja Hoffmann Ausstellungen als Wissensordnungen Zur Transformation des Kunstbegriffs auf der Documenta 11 April 2013, 500 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2020-7

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Image Guido Isekenmeier (Hg.) Interpiktorialität Theorie und Geschichte der Bild-Bild-Bezüge Mai 2013, ca. 290 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2189-1

Annette Jael Lehmann Environments: Künste – Medien – Umwelt Facetten der künstlerischen Auseinandersetzung mit Landschaft und Natur Mai 2013, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1633-0

Thomas Strässle, Christoph Kleinschmidt, Johanne Mohs (Hg.) Das Zusammenspiel der Materialien in den Künsten Theorien – Praktiken – Perspektiven Mai 2013, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2264-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Birgit Wagner, Christina Lutter, Helmut Lethen (Hg.)

Übersetzungen Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2012

2012, 128 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2178-3 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 12 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]

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