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German Pages 241 Year 1998
Autonomie der staatlichen Schule und freies Schulwesen Festschrift zum 65. Geburtstag von J. P. Vogel
Abhandlungen zu Bildungsforschung und Bildungsrecht Herausgegeben von Frank-Rüdiger Jach und Siegfried Jenkner
Bandl
Autonomie der staatlichen Schule und freies Schulwesen Festschrift zum 65. Geburtstag von J. P. Vogel
Herausgegeben von
Frank-Rüdiger J ach Siegfried Jenkner
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Autonomie der staatlichen Schule und freies Schulwesen; Festschrift zum 65. Geburtstag von 1. P. Vogel / hrsg. von Frank-Rüdiger Jach ; Siegfried Jenkner. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Abhandlungen zu Bildungsforschung und Bildungsrecht ; Bd. 1) ISBN 3-428-09293-7
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany
© 1998 Duncker &
ISSN 1433-0911 ISBN 3-428-09293-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069
Vorwort Mit dieser Festschrift aus Anlaß seines 65. Geburtstages soll das wissenschaftliche Engagement von Johann Peter Vogel gewürdigt werden, das von Anfang seines öffentlichen Wirkens an dem Thema Bildungsfreiheit und Schulvielfalt gewidmet ist. Der Sammelband versteht sich zugleich als Beitrag zur aktuellen, sehr kontrovers geführten Diskussion zu diesem Thema. Die Auseinandersetzungen in Deutschland leiden allerdings bislang unter einer Verengung des Blickfeldes. Während in anderen europäischen Staaten Schulfreiheit und -vielfalt, Schulwahlrecht der Eltern sowie Selbständigkeit und Profilbildung der Schulen über die ganze Breite des Schulwesens unter Einbeziehung der Schulen in freier Trägerschaft behandelt werden, ist die Diskussion hierzulande weitgehend auf das staatliche Schulwesen beschränkt. Johann Peter Vogel gehört zu den wenigen, die diese verengte Sichtweise vermieden haben. Von seinem besonderen Interesse und Engagement für die Schulen in freier Trägerschaft her ist er stets um eine ganzheitliche, staatliche und freie Schulen gleichermaßen einschließende Betrachtung bemüht. Nur sie wird einem auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und chancengleiche Bildung verpflichteten Schulwesen gerecht. Dieser Ansatz wurde bereits in Vogels erster Publikation zum Recht der freien Schulen im Jahre 1970 deutlich. Hier hat er zunächst Autonomie und Gleichwertigkeit als Grundprinzipien zur Erfüllung der Privatschulgarantie des Art. 7 Abs. 4 und 5 GG herausgestellt und auf dieser Grundlage Leitlinien eines zeitgemäßen Gesetzes für Schulen in freier Trägerschaft entworfen. Zugleich hat er das Bedürfnis nach Selbständigkeit und Differenzierung auch für das staatliche Schulwesen betont, das zu einer Annäherung von staatlichen und freien Schulen und einem neuen, die bisherige Trennung überwindenden Rechtsrahmen führen müsse. Besondere Aufmerksamkeit in der Fachwelt fand Vogel 1988 mit einem Vortrag beim 11. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, in dem er die Frage behandelte, ob und inwieweit die Privatschulbestimmungen des Grundgesetzes ein Verfassungsmodell für das gesamte Schulwesen sein können. Aus der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 7 Abs. 4 GG, daß das Offensein des Staates für die Vielfalt der Formen und Inhalte, in denen Schule sich darstellen kann, den Wertvorstellungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entspricht, folgerte Vogel, daß ein so nachdrücklich in der Verfassungsordnung verankertes Prinzip über den be-
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grenzten Kreis der freien Schulen hinaus auch für die staatlichen Schulen gelten müsse. Aber erst in der Mitte der neunziger Jahre ist Bewegung in die deutsche Diskussion zur Refonn der Schulverfassung gekommen. An ihr hat sich Vogel u.a. 1995 mit seinen "Verfassungsrechtlichen Bemerkungen zur Verselbständigung der Schule" beteiligt, in denen er aus der Privatschulfreiheit nützliche Anregungen für eine größere Selbständigkeit und Selbstverantwortung aller Schulen gab. Max Webers Wort, daß Politik ein langsames starkes Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich bedeute, gilt auch und insbesondere für die Bemühungen zur Refonn der deutschen Schulverfassung. Johann Peter Vogel war und ist noch immer an diesen Bemühungen mit großem Engagement beteiligt; er hat sowohl die erziehungs- als auch die rechtswissenschaftliche Diskussion nachhaltig beeinflußt. Darüber hinaus nimmt er durch verantwortliche Positionen in verschiedenen pädagogischen und bildungspolitischen Organisationen (die im Anhang aufgeführt sind) mit Rat und Tat praktischen Einfluß auf die bildungspolitische Entwicklung, insbesondere zur Förderung des Schulwesens in freier Trägerschaft. Seine Leistungen und Verdienste in diesem Bereich bedürfen einer gesonderten Würdigung. Auch ein weiteres wichtiges Wirkungsfeld Vogels - seine musikwissenschaftlichen Aktivitäten - können im Rahmen dieser Festschrift nicht berücksichtigt werden; im Literaturverzeichnis sind aber wenigstens die einschlägigen Veröffentlichungen aufgeführt. Eine Geburtstagsfestschrift ist keine systematische Abhandlung zu einem bestimmten Themenbereich, sondern ein lose gebundener, bunter Strauß kollegialer Äußerungen, die im vorliegenden Fall aus bildungspolitischer. juristischer, pädagogischer und bildungsökonomischer Sicht mit unterschiedlichen Positionen und Aspekten auf je eigene Weise zum breiten Rahmenthema beitragen wollen. Nach einem einleitenden allgemeinen Überblick von Jenkner über Entwicklung und aktuelle Probleme der Schulverfassung in Deutschland geht Richter näher auf die Stellung der Privatschule in der gegenwärtigen Bildungsrefonndiskussion ein. Die anschließenden Beiträge von Geis und Hufen stellen aus rechtswissenschaftlicher Sicht zunächst die Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen der Autonomie staatlicher Schule durch die herrschende Auslegung der staatlichen Schulaufsicht in Art. 7 Abs. 1 GG und des Demokratieprinzips in Art. 20 Abs. 1 GG. Danach bemühen sich Jeand'Heur und Jach um eine systemgerechte Interpretation des Art. 7 Abs. 4 und 5. Bernd Jeand'Heur ist nach Abschluß seines Manuskripts gestorben; deshalb soll hier nicht nur sein letzter Aufsatz veröffentlicht, sondern auch seiner Person gedacht werden.
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Bernd Jeand'Heur hat sich im Schulverfassungsrecht insbesondere mit seinen methodenanalytischen Untersuchungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 7 Abs. 4 GG und seinen Ausführungen zur Bedeutung des Elternrechts für die Schullaufbahnentscheidung des Kindes verdient gemacht. Die internationale Reformdiskussion ist durch Beiträge von Vierlinger aus Österreich und Seiler aus der Schweiz vertreten. Das Beispiel Österreich zeigt bei ähruicher schulpolitischer Tradition gleiche Schwierigkeiten bei der Neugestaltung der Schulverfassung wie in Deutschland, doch haben in diesem Land die Reformbemühungen früher begonnen als bei uns. Die interessante und durch einen völligen Neuanfang besonders schwierige Reformentwicklung in Mittel- und Osteuropa ist leider nur durch einen Beitrag von Altermann über Lettland vertreten. Er bietet Einblicke in ein Land, dessen Schulwesen bei uns bisher ganz im Windschatten öffentlicher Aufmerksamkeit lag. Die beiden abschließenden Beiträge beziehen bildungsökonomische Aspekte in die Reformdiskussion ein.· Hardorp demonstriert ihren Nutzen für die Entwicklung schulischer Autonomie; Maurer erörtert neue Formen der Bildungsfinanzierung, die Vogel mit dem Modell des Bildungsgutscheins bereits 1971 in die deutsche Diskussion eingeführt hat. Diese Festschrift ist der erste Band einer neuen Schriftenreihe "Abhandlungen zu Bildungsforschung und Bildungsrecht" des Instituts für Bildungsforschung und Bildungsrecht e.V. in Hannover. In ihr sollen -
die politischen, rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen von Bildungsfreiheit und Schulvielfalt in nationaler und internationaler Perspektive behandelt,
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neue Selbstverwaltungsstrukturen und Sozialformen in staatlichen und freien Schulen dargestellt und analysiert sowie Bedeutung und Auswirkungen der europäischen Integration für Bildungsfreiheit und Schulvielfalt untersucht werden.
Mit den in loser Folge erscheinenden Publikationen möchte das Institut zur Ausdehnung der wissenschaftlichen Diskussion und Kommunikation auf diesem für die Zukunft unseres Bildungswesens wichtigen Gebiet beitragen. Die Herausgeber und Autoren der Festschrift hoffen und wünschen, daß sich Johann Peter Vogel noch lange an dieser Diskussion beteiligt und sie weiterhin mit seinen Beiträgen belebt. Hannover, im September 1997
Frank Rüdiger lach Siegfried lenkner
Inhaltsverzeichnis
Siegfried Jenkner Ist unsere Schulverfassung noch zeitgemäß? .......................................................... 1 Ingo Richter Die Privatschule als "Schule der Zukunfr'? .......................................................... 17 Max-Emanuel Geis Möglichkeiten und Grenzen schulischer Partizipationsregelungen am Beispiel der sogenannten Schulkonferenz ........................................................................... 31 Friedhelm Hufen Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen schulischer Selbstgestaltung ........................................................................................................................ 51 Frank-Rüdiger Jach Die Existenzsicherung der Institution Ersatzschulwesen in Zeiten knapper Haushaltsmittel- Umfang und Grenzen der Finanzhilfepflicht des Staates vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ......... 7 5 Bemd Jeand'Heurt Zulassung privater Grundschulen ........................................................................ 105 Rupert Vierlinger Der steinige Weg. der österreichischen Schule zur Autonomie ........................... 121 Ueli Seiler-Hugova Was ist zu tun, damit im Bildungswesen etwas in Bewegung kommt? .............. 141 Klaus Altermann Pädagogischer Pluralismus in der akademischen LehrerInnenbildung Ostmitteleuropas - am Beispiel Lettlands ................................................................ 157 Benediktus Hardorp Unternehmen Schule - zum Zusammenhang von Wirtschaftlichkeit, Selbstverwaltung und pädagogischem Handeln ............................................................ 175 Mathias Maurer Der Bildungsgutschein - Finanzierungsmodell für ein freies Bildungswesen .... 189 Lebenslauf Johann Peter Vogel ................................................................................. 225 Schrütenverzeichnis Johann Peter Vogel .................................................................. 227 Autorenverzeichnis .................................................................................................... 231
Ist unsere Schul verfassung noch zeitgemäß? 1 Von Siegfried Jenkner
J. Einleitung In der seit einigen Jahren wieder verstärkt geführten Diskussion um eine Bildungsreform nimmt die Schulverfassung eine zentrale Stellung ein, weil sich immer mehr die Einsicht durchsetzt, daß die inhaltliche und pädagogische Modemisierung der Schule eine Änderung ihrer rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen erfordert. Schon seit langem hat Johann Peter Vogel, dem diese Festschrift gewidmet ist, mit Kritik und Reformvorschlägen zugunsten einer freiheitlichen Schulverfassung an der Diskussion teilgenommen. Seine vor allem auf die Schulen in freier Trägerschaft bezogenen Ausführungen sollen hier ergänzt werden durch den vorrangigen Blick auf das staatliche Schulwesen. Die im Titel formulierte Frage wird im folgenden uneingeschränkt mit ,,Nein" beantwortet. Zur näheren Erläuterung und Begründung dieser Position werden zuerst in einem kurzen historischen Abriß die Entwicklung der Schulverfassung in Deutschland und die Diskussion um sie behandelt, -
dann die gegenwärtige Kritik von verschiedenen Ansätzen her dargestellt und dabei auch die internationale Diskussion und Entwicklung einbezogen
und schließlich die Konturen einer zeitgemäßen Schulverfassung skizziert. Zunächst muß der hier verwendete Begriff "Schulverfassung" erläutert werden wegen seiner unterschiedlichen Verwendung im Schulrecht. Üblicherweise wird er definiert als "die Gesamtheit der Rechtsnormen, die die innere (Hervorhebung S. J.) Organisation der Schule, ihre Organe und die Mitwirkung der an ihr beteiligten Personen regelt,,2. Es handelt sich hier also um die Schul1 Dieser Beitrag ist die überarbeitete und erweiterte Fassung eines Vortrags vor dem Deutschen Akademikerinnen-Bund in Hannover im November 1996. 2 Hans Heckel/Hermann Avenarius: Schulrechtskunde. Neuwied/Darmstadt, 6. Aufl. 1986, S. 66.
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betriebsverfassung. Welche Rechte aber von der Schule in Anspruch genommen und auf die Mitwirkenden verteilt werden können, hängt von den äußeren, rechtlich-administrativen Rahmenbedingungen ab, insbesondere vom Verhältnis Schule - Staat. Hier geht es um die SchuIsystemverfassung - und in diesem doppelten Verständnis von innerer und äußerer Schulverfassung wird der Begriff verwendet; auf beide Bereiche wird im folgenden eingegangen.
ll. Zur Entwicklung und Kritik der Schulverfassung in Deutschland Es hängt mit unserer schulrechtlichen und schulpolitischen Tradition zusammen, daß beim Begriff Schulverfassung zumeist nur an die innere Ordnung der Schule gedacht wird. Die äußere scheint bei uns seit langem geklärt und zudem verfassungsrechtlich festgeschrieben zu sein. Art. 7 Abs. I GG bestimmt, daß das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates steht. Diese Schulaufsicht wird aber - in Abweichung vom allgemeinen verwaltungsrechtlichen Aufsichtsbegriff - in der herrschenden Rechtslehre und auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung extensiv interpretiert als "Inbegriff der staatlichen Herrschaftsrechte über die Schule, nämlich die Gesamtheit der staatlichen Befugnisse zur Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens,,3. Diese umfassende staatliche Verfügungsgewalt über die Schule, die in unserer föderativen Ordnung bei den Ländern liegt, wird zusätzlich abgesichert über Art. 33 Abs. 5 GG, der auch die Tätigkeit in der Schule den "hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums" unterwirft. So ist in Deutschland die Schule traditionell die unterste unselbständige Instanz einer hierarchisch organisierten Schulverwaltungsbürokratie, die ein dichtes Netz von Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Schule geworfen hat, das der einzelnen Schule nur sehr begrenzte pädagogische und organisatorische Freiräume läßt. Dieser umfassende staatliche Herrschaftsanspruch auf die Schule stammt aus dem aufgeklärten Spätabsolutismus der zweiten HlUfte des 18. Jahrhunderts; er hat seinen repräsentativen Ausdruck gefunden in der berühmten Formulierung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794: "Schulen und Hochschulen sind Veranstaltungen des Staates". Die Besonderheit der deutschen Entwicklung liegt darin, daß sich dieses Staatsschulkonzept als äußert zählebig und resistent gegen alle Veränderungsbemühungen erwiesen hat.
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Das Konzept wurde von Anfang an kritisiert; bereits 1793 schrieb der bekannte Vertreter der Aufklärung und zeitweilige braunschweigische Schulrat Joachim Heinrich Campe, daß dort, " wo von Staats wegen angeordnete, privilegierte oder monopolisierte Schul- und Erziehungsanstalten sind, ... der fortschreitenden Verbesserung des Schul- und Erziehungswesens unüberwindliche Hindernisse im Wege liegen''''. 1996 wurden Campe zwei große Ausstellungen in Braunschweig und Wolfenbüttel gewidmet; sie behandelten aber nur den frühen StaatsschulbefÜTWorter und schwiegen über den späteren Staatsschulkritiker. In Auseinandersetzung mit dem absolutistischen Staatsgedanken ist für den Frühliberalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Prinzip der Bildungsfreiheit und die Entwicklung und Stärkung der gesellschaftlichen Selbstverantwortung und des lokalen und regionalen self-government auch im Schulwesen ein wichtiger Bestandteil liberaler Gesellschafts- und Staatsreform. Dieses Konzept beschränkt die Kompetenzen des Staates auf nur subsidiäre Unterstützung des Schulwesens sowie das Recht einer begrenzten Oberaufsicht. Für diese Verbindung von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht stehen große Namen der liberalen Staatslehre wie Carl von Rotteck, Robert von Mohl, Lorenz von Stein und berühmte Schulmänner wie Adolf Diesterweg, Karl Mager und Karl Friedrich Wilhelm Wander. Einen Schritt weiter ging der rheinische Pädagoge Friedrich Wilhelm Dörpfeld. Aus seiner Kritik der "Drei Grundgebrechen der hergebrachten Schulverfassung" (1869), in der er vor allem - ganz modem - die bürokratische Deformation der Staatsschule geißelte, entwickelte er in einer Reihe von Publikationen das Konzept von Schule als einer selbständigen öffentlich-rechtlichen Einrichtung in genossenschaftlicher Selbstverwaltung unter Einbeziehung der Eltern und Lehrer sowie von Vertretern der Kommune, des Staates und der Kirche. Dieses aus der demokratischen Tradition des rheinisch-calvinistischen Protestantismus stammende Reformkonzept konnte sich aber ebensowenig gegen die herrschende Staatsschullehre durchsetzen wie das kommunale Schulkonzept des Frühliberalismus5 • Das Scheitern der bürgerlichen Revolution in Deutschland ließ auch der Schulverfassungsreform keine Chance.
4 Joachim Heinrich Campe: Grundsätze der Gesetzgebung, die öffentliche Religion und die Nationalerziehung betreffend, dem französischen Nationalkonvent gewidmet. In: Schleswigsches Journal, Altona 1793, 1. Band, S. 136. S Vgl. dazu Siegfried Jenkner: Staatsschule - Gemeindeschule - Schulgemeinde. Die staats- und erziehungswissenschaftliche Diskussion zum Verhältnis von Schule und Staat im 19. Jahrhundert. In: Pädagogische Rundschau, St. Augustin 39 (1985) Heft 3, S. 333 ff.
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Aber selbst nach dem Ende des autoritären Obrigkeitsstaates und der Errichtung der ersten liberalen und demokratischen Republik in Deutschland erfolgte in der Schulverfassung kein grundlegender Wandel. Unter der neuen parlamentarisch-demokratischen Legitimation lebte die alte umfassende staatliche Verfügungsgewalt über die Schule fort; die in Art. 144 Abs. I WRV verankerte staatliche Schulaufsicht wurde weiterhin extensiv interpretiert: "Die Schulaufsicht ist ungeachtet ihres Namens nicht nur Aufsicht im engeren und eigentlichen Sinne. d.h. keine bloße Kontrolle einer von der Staatsverwaltung im Subjekt geschiedenen Selbstverwaltung ...• sondern mehr und etwas anderes: Leitung und Verwaltung der inneren Schulangelegenheiten durch den Staat,,6. Unter diesen Rahmenbedingungen hatten Refonnansätze in der Weimarer Republik wenig Entfaltungsmöglichkeiten; sie scheiterten zumeist oder wurden in den Privatschulbereich abgedrängt. Der zweite liberal-demokratische Neuanfang nach dem Ende des NSRegimes blieb ebenfalls ungenutzt. Die Besatzungsmächte hatten zwar in ihrer Kontrollratsdirektive Nr. 54 vom Juni 1947 die Demokratisierung der Schule und ihre Öffnung für gesellschaftlichen Einfluß gefordert. aber die westdeutschen Schulbehörden ignorierten diese Forderung und knüpften wieder an die hergebrachte Schulverfassung an. Refonnvorschläge für eine neue Rechtsfonn der öffentlichen Schule mit größerer Selbständigkeit kamen in den ersten Nachkriegsjahren interessanterweise aus der CDU7 ; sie konnten sich aber weder in der eigenen Partei noch darüber hinaus durchsetzen. Erwin Stein. Volksbildungsminister in der ersten hessischen Nachkriegsregierung aus SPD und CDU und späterer Bundesverfassungsrichter. fonnulierte auf dem ersten CDU-Bundesparteitag 1950 in Bad Harzburg die Forderungen an eine zeitgemäße Schulverfassung so: "Das Ziel einer modemen Unterrichtsverwaltung im Gegensatz zu der früheren Zeit muß sein. nicht immer neue Aufgaben an sich zu ziehen. sondern soweit wie möglich auf frei gewählte und zur Initiative entschlossene Bildungsträger zu übertragen ... Ein staatlich autoritativ nonniertes Unterrichts- und Erziehungswesen ist ein Unglück für jedes Volk ... Ein Volk. das die Verantwortung für seine Erziehung und Bildung dem Staate allein überläßt. erweist sich
6 Gerhard Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 19.8.1919. Berlin, 14. Auf!. 1933. Nachdruck Darmstadt 1965, S. 672. 7 Vgl. dazu Siegfried Jenkner: Entwicklung und Perspektiven der Schulverfassung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Bonn, Nr.27/89 vom 30. Juni 1989. S. 3 ff.
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als unmündig'.!! . Stein scheiterte allerdings mit einem diesen Prinzipien verpflichteten Gesetzentwurf im Hessischen Landtag. Ein neuer Reformversuch in der Bundesrepublik erfolgte zu Beginn der siebziger Jahre mit dem Bildungsgesamtplan des Deutschen Bildungsrates (von 1970) und den Empfehlungen seiner Bildungskommission (von 1973) zur verstärkten Selbständigkeit der Schule und Partizipation der Lehrer, Schüler und Eltern. Doch stellten beide Dokumente die traditionelle Rechtsstellung der Schule als unselbständiger Teil hoheitlicher Schulverwaltung nicht in Frage; die Reformen sollten innerhalb des traditionellen Rechtsrahmens erfolgen und ihn nicht überwinden. Die in die Schule verlagerten Entscheidungsprozesse brachten vor allem der Lehrerschaft einen Kompetenzzuwachs; Eltern und Schüler erhielten nur sehr begrenzte Beteiligungsrechte und Minderheitenpositionen in den Entscheidungsgremien zugebilligt. Das veranlaßte den Bremer Schulrechtier Lutz Dietze zu der sarkastischen Bemerkung, daß bei der Abkehr von der klassischen Schulanstalt nicht die Konturen einer pädagogischen, d.h. Eltern-Schüler-Lehrer-Schule sichtbar würden, sondern die Lehrer-LehrerLehrer-Schule9 • Aber auch der Kompetenzzuwachs der Lehrer hielt sich in Grenzen; die individuelle und kollektive pädagogische Freiheit blieb durch die administrativen und bearntenrechtlichen Vorgaben stark eingeschränkt. Das Reformprogramm war deshalb der Kritik ausgesetzt, daß es administrative Enthierarchisierung eher vortäusche als realisiere und damit das traditionelle staatspädagogische Konzept unangefochten weiter walte. Hinzu kam noch die nur zögerliche, partielle und unterschiedliche Umsetzung der Kommissionsempfehlungen in die Schulgesetze der Länder; auch stand oftmals der gesetzgeberische Aufwand im Widerspruch zum kargen sachlichen Ertrag. Die enttäuschenden Erfahrungen des Scheiterns aller Ansätze zu einer Überwindung der umfassenden staatlichen Verfügungsgewalt über die Schule sowie der häufige Leerlauf der offIZiellen Schulgremien haben in den achtziger Jahren zu der Frage geführt, ob es nicht einen anderen Weg zu einer demokratischen Schule gibt. Ansatzpunkt war die Einsicht, daß sich das Schulleben nicht nur in geregelter Willensbildung, sondern auch und vielfach in informellen Absprachen und von der Schulverfassung nicht erfaBten Initiativen abspielt. Diese Kommunikation und Kooperation machen die eigentliche pädagogische Kultur einer Schule aus; sie gilt es zu beleben und zu stärken. Die Erfahrung zeigte, daß dies möglich war: 8 Günter Scharfenberg (Hrsg.): Dokumente zur Bildungspolitik der Parteien in der Bundesrepublik 1945-1975. Berlin 1976, Band 2, S. 27 f. 9 Lutz Dietze: Von der Schulanstalt zur Lehrerschule. Verfassungsrechtliche Grundlagen und vorläufige Ergebnisse der Mitbestimmungsdiskussion im Schulwesen der Bundesrepublik Deutschland. Braunschweig 1976, S. 346.
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zum einen gab es bei aller administrativen Reglementierung mehr pädagogische Freiräume, als gemeinhin angenommen wurde; zum anderen war häufig eine Bereitschaft zum Engagement in diesem Bereich vorhanden und schließlich wurden neue Aktivitäten von der Schulaufsicht zunehmend akzeptiert oder zumindest toleriert. Mit den neuen Formen pädagogischer Selbstorganisation wurde zugleich der Begriff der Schul(betriebs)verfassung aus dem rechtlich-administrativen Kontext in den pädagogischen verschoben und von dort her neu bestimmt. Doch hatten auch diese Bemühungen nur begrenzten Erfolg; das Unterlaufen der offiziellen Schulverfassung konnte auf Dauer deren Reform nicht ersetzen.
m. Die internationale Diskussion um Schulfreiheit und -vielfalt
Gegenwärtig ist ein neuerlicher Aufbruch zur Umgestaltung der Schulverfassung zu verzeichnen. Es laufen mehrere gewichtige, voneinander unabhängige Argumentationsströme zusammen; außerdem wächst der Reformdruck durch neue internationale Entwicklungen. Neben die klassische demokratietheoretische Reformbegründung tritt immer mehr ein wirkungsvolles organisationstheoretisches Argument: die Einsicht, daß zentrale Verwaltungen immer weniger zur Steuerung der modernen komplexen Gesellschaft und zur Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben geeignet sind. Deshalb wird international die Forderung nach "Deregulierung" und "Dezentralisierung" erhoben, d.h. im Fall der Schulverwaltung: Abgabe von Funktionen nach unten bei gleichzeitiger Reduzierung der Regelungsdichte. Zusätzliche Anstöße kommen aus der Finanzpolitik: Die wachsende Staatsverschuldung zwingt in allen Bereichen zum Überdenken und zur Neuorganisation öffentlicher Aufgaben und Ausgaben. Gerade in der wohl noch längere Zeit anhaltenden Finanzkrise liegt eine Chance zur Durchsetzung der alten Forderung nach größerer Selbständigkeit und Selbstverantwortung der Schule. Diese Forderung wird gestützt durch die neuere internationale pädagogische Diskussion, die durch einen wichtigen Themenwechsel gekennzeichnet ist. Seit etwa einem Jahrzehnt stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit nicht mehr wie in den beiden Jahrzehnten zuvor die quantifizierenden und egalisierenden Aspekte der Bildungsreform, d.h. die Ausdehnung vor allem des weiterführenden Schulwesens und eine einheitliche curriculare sowie institutionelle Neugestaltung. Im Zuge dieser Reformen wurde nämlich deutlich, daß individueller Schulerfolg weniger von der Form des Schulsystems abhängig ist als vielmehr
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von den Besonderheiten der jeweiligen Schule. Damit trat die Einzelschule als zentraler Ort der Schulreform unter dem Aspekt der "Schulqualität" wieder in das Blickfeld des wissenschaftlichen und bildungspolitischen Interesses. In zahlreichen Erhebungen, Tagungen und Publikationen wurde der Frage nach den Merkmalen und Voraussetzungen guter Schulen nachgegangen. Die OECD hat 1989 unter dem Titel "Schools and Quality" eine die internationale Diskussion zusammenfassende Studie veröffentlicht, die seit 1991 auch in deutscher Sprache vorliegt'o. Aus der breiten Diskussion sollen hier nur einige im vorliegenden Zusammenhang wichtige Ergebnisse hervorgehoben werden. Gute Schulen sind gekennzeichnet durch 1) die Umsetzung des allgemeinen Bildungsauftrages in ein klares und charakteristisches SchulproflI, das auf die lokalen und sozialen Besonderheiten des jeweiligen Einzugsbereichs abgestimmt ist; 2) einen allgemeinen Grundkonsens aller an der Schule Beteiligten über die anzustrebenden Ziele und die Wege ihrer Realisierung; 3) eine führungs- und kommunikationsfähige Schulleitung, die die notwendigen Vorgaben durchsetzen kann, aber auch die Lehrer zu selbständiger Aktivität anzuregen vermag; 4) ein fachlich und pädagogisch qualifiziertes und engagiertes Lehrerkollegium, das kontinuierlich und vertrauensvoll zusammenarbeitet und dessen Mitglieder ihre pädagogische Freiheit individuell und kollektiv voll und verantwortungsbewußt nutzen; 5) einen in seinen Abläufen und Anforderungen transparenten Unterricht, der auf Persönlichkeitsförderung durch Leistung, Wert- und Sinnvermittlung abgestimmt ist und die speziellen Fähigkeiten des einzelnen Schülers angemessen berücksichtigt; 6) ein reichhaltiges gemeinschaftsförderndes SchuHeben mit einem breiten Angebot außerunterrichtlicher Aktivitäten; 7) die Öffnung des Unterrichts und des Schullebens insgesamt gegenüber der Arbeitswelt und dem gesellschaftlichen Umfeld mit dem Ziel, die Schule zu einem aktiven Teil des sie umgebenden Gemeinwesens zu machen;
10 Schule und Qualität. Ein internationaler OECD-Bericht. Frankfurt/Main 1991. Vgl. dazu auch Rupert Vierlinger (Hrsg.): Eine gute Schule - was ist das?, 10. Europäisches Symposium. Passau 1990. 2 FS Vogel
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8) last but not least die Einbeziehung der Eltern und Schüler als integrierter und verantwortlicher Teil der Schule durch umfassende Infonnation und Beratung sowie durch gleichberechtigte Beteiligung an den innerschulischen Entscheidungen. In dieser Auflistung steckt ein umfangreicher und anspruchsvoller Katalog von Erwartungen und Forderungen an die Schule, dem sie nur bei einer großen Selbständigkeit in curricularen, personellen und finanziellen Angelegenheiten gerecht werden kann. Dies erfordert im einzelnen: Die bisher auf Randgebiete beschränkten eigenen curricularen Gestaltungsmöglichkeiten müssen auf die zentralen Felder der Schularbeit ausgedehnt werden. Zur Erweiterung und Modifizierung des Bildungsangebots entsprechend den jeweiligen sozialen Erfordernissen und lokalen Möglichkeiten brauchen die Schulen Raum für eigene Variationen in der Lehrplangestaltung und Unterrichtsorganisation sowie in Prüfungs- und Notenregelungen. Die Entwicklung eines eigenen Schulprofils erfordert auch ein Entscheidungsrecht der Schule bei der Ergänzung des Kollegiums und bei der Besetzung leitender Positionen. Nur auf diesem Weg kann das spezifische pädagogische Schulkonzept dauerhaft gesichert und nach innen und außen überzeugend vertreten werden. Der Zuwachs an pädagogischer Eigenverantwortung bedarf der Absicherung durch eine größere finanzielle Dispositionsfreiheit. Durch Globalzuweisungen muß Schulen ennöglicht werden, eigene Prioritäten bei der Verwendung der insgesamt verfügbaren Mittel zu setzen. Diese größere Eigenverantwortung der Schule braucht eine breitere Legitimationsbasis. Die erweiterten Rechte der Lehrerschaft sind zu ergänzen um mehr substantielle Einflußnahme der Eltern und Mitwirkung der Schüler; außerdem müssen im Zeichen der Öffnung der Schule auch die außerschulischen Kooperationspartner angemessen beteiligt werden. Dies erfordert neuartige offene und flexible Organisations- und Entscheidungsstrukturen. Damit ändert sich auch das Verhältnis von Schule und Staat insgesamt. Die bisherigen Befugnisse der staatlichen Schulverwaltung müssen neu geregelt, d.h. quantitativ reduziert und qualitativ verändert werden. Die individuelle Profilierung der Schule und ihre Öffnung in das lokale Umfeld erfordern Kompetenzverlagerungen an die Gemeinde und an die einzelne Schule. Dieser Abgabe von Befugnissen stehen neue Anforderungen an die Schulverwaltung gegenüber: Sie soll die Schulen beraten und bei ihren Initiativen fördern. Das bedeutet den Wandel von der traditionellen Eingriffsverwaltung zu einer modernen Dienstleistungsverwaltung. Dazu ist aber auch erforderlich, daß die Schulaufsicht institutionell von der Verwaltung getrennt wird.
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Ein größerer Freiraum der staatlichen Schule wirkt sich auch auf die herkömmliche Unterscheidung von staatlichen und nichtstaatlichen ("privaten") Schulen aus. Diese Bildungseinrichtungen hatten ja schon bisher das Recht zur Selbstverwaltung und die Freiheit zur Realisierung eigener pädagogischer Konzeptionen. Wenn jetzt auch die staatlichen Schulen solche Möglichkeiten erhalten, nähern sich beide Schultypen einander an. Damit entfällt aber auch die bisherige Rechtfertigung finanzieller Ungleichbehandlung; die berühmte ,,Entschließung zur Freiheit der Erziehung in der europäischen Gemeinschaft" des Europa-Parlaments von 1984 mit ihrer Forderung nach finanzieller Gleichstellung von staatlichen und freien Bildungseinrichtungen ll gewinnt neue Aktualität - ebenso Johann Peter Vogels alte Forderung nach juristischer Gleichstellung in Form der Ausdehnung der Privatschulfreiheit des Grundgesetzes auf alle Schulen 12 •
IV. Neue Entwicklungen in Europa Das hier lediglich in seinen Grundzügen vorgestellte Konzept von Schulfreiheit und -vielfalt ist nicht nur ein Planspiel, sondern ein Stück weit bereits europäische Realität. Einige Länder sind in der Umwandlung ihrer Schulverfassung schon weit fortgeschritten, andere stecken noch in den Anfangen; insgesamt aber ist der Umwandlungsprozeß in West- und Osteuropa auf breiter Front im Gange. Das läßt sich besonders gut dokumentieren für die Europäische Gemeinschaft (jetzt Europäische Union), weil für sie 1992 eine vergleichende Untersuchung vorgelegt worden ist. Hinter dem etwas farblosen Titel "Verwaltungs- und Evaluierungsstrukturen von Primar- und Sekundarschulen in den zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft" verbirgt sich eine für unser Thema an- und aufregende Studie, die leider in Deutschland wenig beachtet worden ist. Auf die Fülle interessanter Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden; besondere Aufmerksamkeit verdient die abschließende
J J Alfred Fernandez/Siegfried Jenkner (Ed.): International Declarations and Conventions on the Right to Education and the Freedom of Education (English, Francais, Deutsch, Espafiiol). FrarlkfurtlMain 1995, S. 273 ff. 12 Johann Peter Vogel: Die Privatschulbestimmungen des Grundgesetzes - ein Verfassungsmodell fUr das gesamte Schulwesen? In: Neue Sammlung, Stuttgart 28 (1988) Heft 3, S. 367 ff.
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Zusammenfassung, die vier grundlegende Entwicklungstendenzen in den Schulverfassungen der Mitgliedstaaten hervorhebe 3 : 1) "Die Schule ist dabei, zur zentralen Einheit des Schulverwaltungssystems zu werden, sei es durch Übertragung von Zuständigkeiten des Bildungsministeriums (in traditionell zentralisierten Ländern) oder von regionalen oder lokalen Behörden (in traditionell dezentralisierten Ländern)." Die Autoren verweisen dazu auf größere Entscheidungsbefugnisse der Schulgremien vor allem in zwei Bereichen: in der curricularen Freiheit zur Entwicklung eigener Profile und Projekte, die auf die Besonderheiten der jeweiligen Schule und ihres lokalen und sozialen Umfelds abgestimmt sind; in einer größeren Dispositionsfreiheit über finanzielle und sonstige Ressourcen - bis hin zum englischen Extremfall, in dem die Schule selbst entscheiden kann, ob sie die Pauschalzuweisungen für mehr LehrersteIlen oder Sachausgaben verwenden will. 2) "Eltern und Vertreter des öffentlichen Lebens gewinnen verstärkten Einfluß auf die Festlegung der Zielsetzungen, die von der Schule (im Rahmen ihrer Autonomie) erreicht werden sollen, sowie auf die Kontrolle über deren Umsetzung und Ergebnisse." Hier geht es zum einen um eine größere Repräsentanz der Eltern in den schulischen Entscheidungsgremien und die Einbeziehung von Vertretern der lokalen Öffentlichkeit, zum anderen um den Wandel von bloßer Mitberatung zu voller Mitbestimmung. Auch die Schüler sind, allerdings in geringerem Umfang, in diesen Prozeß einbezogen. Auch hier nur ein Extrembeispiel: In den dänischen Schulkonferenzen haben die Eltern die absolute Mehrheit und entscheiden u.a. über den von den Lehrern ausgearbeiteten Schularbeitsplan, mit dem die staatlichen Rahmenvorgaben umgesetzt und ergänzt werden. 3) "Die Schulverwaltung (hier gemeint als Leitung der Einzelschule - S. J.) wird zu einem wichtigen Faktor bei der Definition von Strategien zur Ent-
13 Europäische Informationsstelle von EURYDICE (Hrsg.): Verwaltungs- und Evaluierungsstrukturen von Primar- und Sekundarschulen in den zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. BrUsse11992, S. 135 f.
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wicklung der Schulorganisation, zur Verbesserung ihrer Effektivität und zum Erreichen eines hervorragenden Leistungsniveaus." Dies führt vor allem zu einer Veränderung der Rolle des Schulleiters "vom bloßen Vertreter der zentralen oder lokalen Verwaltung (mit dem Schwerpunkt auf administrativen Aufgaben) zur pädagogischen Leitfigur der Schulgemeinschaft (mit dem Schwerpunkt auf den internen und externen Beziehungen)". Zugleich werden die Lehrer stärker in die Verantwortung für die Schule insgesamt einbezogen, sei es durch kollektive Selbstverwaltungsorgane oder Delegation von Aufgaben. Die veränderte Rolle des Schulleiters edordert auch ein anderes Auswahl- und Ernennungsvedahren unter Einbeziehung der Schule selbst. Auch hierzu nur ein Beispiel: In Portugal wird der Schulleiter der Grundschule bzw. der kollektive Leitungsrat der Sekundarschule von der jeweiligen Schulkonferenz gewählt. 4) "Die Stärkung der Schulautonomie und das Interesse an der Effektivität der schulischen Arbeit führen dazu, daß Fragen der Schulevaluierung größere Aufmerksamkeit gewidmet wird." Dem Zuwachs an Autonomie der Schule entspricht eine verstärkte öffentliche Rechenschaftspflicht. Neben die externe Aufsicht treten neue Formen schulischer Selbstkontrolle hinsichtlich der Umsetzung und des Erreichens der gesteckten Ziele. Die externe Kontrolle der staatlichen Schulaufsicht verlagert ihren Schwerpunkt von der klassischen Einzelfallkontrolle und Lehrerbeurteilung zur Beratung und Unterstützung sowie zur Bewertung des Schulbetriebs insgesamt. Angesichts der hier dargestellten Entwicklungen in der EG ist es nicht verwunderlich, daß die Bundesrepublik in der Studie schlecht abschneidet: Mit dem Hinweis auf die starke Zentralisierung in den Ländern und den nur geringen Autonomiegrad der Schulen wiederholt der Bericht einen Befund des OECD-Länderexamens von 1972. Im Bereich der Schulvedassung sind wir immer mehr in das Hintedeid der europäischen Entwicklung geraten. Der Rückstand hat sich auch in den letzten Jahren nicht wesentlich verringert, weil seit Beginn dieses Jahrzehnts in mehreren west- und osteuropäischen Staaten große Reformschritte gemacht wurden. Einen Überblick über die jüngste Entwicklung in Westeuropa bietet die neue Ausgabe der EU-Dokumentation über die Strukturen des Bildungswesens in der erweiterten EU sowie in den EFTAund EWR-Staaten 14 •
14 Europäische Kommission (Hrsg.): Strukturen der allgemeinen und beruflichen Bildung in der Europäischen Union. Brussel/Luxemburg 1995.
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Von den neuen EU-Mitgliedern verdient insbesondere Schweden unsere Aufmerksamkeit. Dieses Land war in den sechziger und siebziger Jahren das "Mekka" der deutschen Bildungsreformer, die sich von der schwedischen staatlich und zentral gesteuerten sowie egalitär ausgerichteten Schulpolitik Anregungen für die Bundesrepublik holen wollten. Doch erwies sich dieses System am Ende der achtziger Jahre immer mehr als unflexibel, ineffektiv und zu teuer; die strikt egalitäre Ausrichtung berücksichtigte zu wenig individuelle Fähigkeiten und Interessen, schränkte Wahlmöglichkeiten ein und damit auch die optimale Ausnutzung der Bildungspotentiale. Die Sorge um abnehmende Akzeptanz und internationale Wettbewerbsfähigkeit führte in den neunziger Jahren zu einer radikalen Reform, die durch Deregulierung, Dezentralisierung und freie Schulwahl gekennzeichnet ist. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden; die schwedischen Bemühungen um eine neue Ausbalancierung von individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnissen, von Schulfreiheit und öffentlicher Verantwortung in einem traditionell sozialstaatlich-egalitären Land sowie die Probleme ihrer Realisierung verdienen aber in der deutschen Diskussion mehr Aufmerksamkeit, als ihnen bisher gewidmet wurde. Ausdrücklich als Anregung für die Weiterentwicklung des deutschen Schulsystems war der earl Bertelsmann-Preis 1996 der Bertelsmann Stiftung dem Thema "Innovative Schulsysteme im internationalen Vergleich" gewidmet 1s • Gefragt wurde, welche Rahmenbedingungen in anderen demokratischen Staaten einen kontinuierlichen und innovativen Entwicklungsprozeß fördern, in denen die Schulen eigenverantwortlich ihre Qualität verbessern können. Die arn Wettbewerb beteiligten sieben europäischen und außereuropäischen Länder zeigten zwar unterschiedliche Reformstrategien, stimmten aber in wesentlichen Grundzügen überein: Die öffentliche Verantwortung für das Schulsystem ist weiterhin Grundlage der Entwicklung, aber zenrale Planung und Steuerung sind nicht mehr effektiv genug; der gesellschaftliche Bildungsauftrag muß in den Schulen eigenverantwortlich gestaltet und an der Lern- und Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen orientiert werden. Die qualitätsorientierte Selbststeuerung der Schulen erfordert die Einbeziehung aller am Schulleben Beteiligten, die systematische Kooperation mit dem gesellschaftlichen Umfeld sowie eine kontinuierliche Überprüfung vereinbarter Ziele.
IS Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): earl Bertelsmann-Preis 1996: Innovative Schulsysteme im internationalen Vergleich. Band 1: Dokumentation zur internationalen Recherche. Gutersloh 1996.
Ist unsere Schulverfassung noch zeitgemäß?
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V. Reformansätze in Deutschland In der Bundesrepublik ist zwar die Einsicht in die Notwendigkeit einer Schulverfassungsreform gewachsen, strittig sind aber noch immer ihr erforderlicher Umfang sowie die Form der Veränderung. In der seit einigen Jahren lebhaft geführten Diskussion lassen sich zwei Grundpositionen unterscheiden: zum einem die Absicht, die Reform im Rahmen der bisherigen Schulverfassung zu halten, das alte System zwar partiell zu modernisieren, aber nicht grundlegend zu ändern; den Schulen soll eine gewisse curriculare und finanzielle Dispositionsfreiheit und damit eine größere Eigenverantwortung zugestanden und der Aufgabenbereich der Schulaufsicht und -verwaltung entsprechend modifiziert werden. Diese Reformen begannen in den beiden Stadtstaaten Bremen und Hamburg; die Länder Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen folgten mit unterschiedlichen Maßnahmen im einzelnen. Da die Reforminitiativen im wesentlichen von den Ministerien und Schulverwaltungen ausgingen, stießen sie in den Schulen vielfach auf Skepsis und Mißtrauen; man zweifelte an einem wirklichen Reformwillen und fürchtete, daß sich angesichts der fmanziellen Schwierigkeiten der Länder die Schulverwaltungen nur aus der Verantwortung stehlen wollen. Dagegen steht die Einsicht, daß man die Chancen nutzen muß, wenn sie sich bieten; außerdem kann über die Verwendung knapper Mittel vor Ort sachgerechter entschieden werden. Es gibt zahlreiche Schulen, die die bisher zugestandenen Freiräume innovativ nutzen. Im Rahmen des bereits erwähnten Carl Bertelsmann-Preises 1996 ist auch ein Sonderpreis für innovative deutsche Schulen gestiftet worden. An diesem Wettbewerb nahmen 333 Schulen aus allen Bundesländern teil. Aus ihrer Vorstellung in der Dokumentation ergibt sich ein eindrucksvolles Bild von Kreativität und Engagement auch bei der Neugestaltung der Innen- und Außenbeziehungen der Schulen 16 ; die zweite Grundposition geht über die bloß systemimmanente Reform hinaus und zielt auf einen umfassenden Umbau der inneren und äußeren Schulverfassung ab. Dazu liegen bereits mehrere unterschiedliche Vorschläge vor. Am radikalsten ist die Forderung nach Privatisierung des gesamten Bildungswesens; der Staat soll nicht das Bildungsangebot, sondern die Bildungsnachfrage finanzieren 17 •
16 Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Schule neu gestalten. Dokumentation zum Sonderpreis "Innovative Schule". Gutersloh 1996. 17 Thomas Straubhaar: Die staatliche Bildungskatastrophe. Liberales Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung. Bonn 1996.
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Überwiegend wird jedoch an einem Bildungssystem in öffentlicher Verantwortung festgehalten - jedoch in neuer Gestalt: zum Beispiel durch Überführung der autonomen Schule aus der unmittelbaren Staatsverantwortung in ein System öffentlich-rechtlicher Schulkammern 18 . Mehr Gewicht als diese von Einzelpersonen vorgelegten Vorschläge dürfte eine andere Initiative haben: die 1995 veröffentlichten Empfehlungen der Bildungskommission NRW, eines vom Ministerpräsidenten des Landes berufenen Gremiums hochkarätiger Fachleute aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Aus dem breit angelegten Bildungsreformprogramm interessieren hier vor allem die Aussagen zur Schulverfassung. Sie sind eingebettet in ein pädagogisches Gesamtprogramm: Den Kommissionsempfehlungen liegt nach eigenen Worten "ein Verständnis von Schule zugrunde, das Schulbildung nicht nur als Weg zu vordefinierten Zielen versteht, sondern Schule als Lern- und Lebensraum auffaßt, in dem Bildung sich auch in eigenverantwortlicher Mitgestaltung ereignet. Hierzu brauchen die Schulen nicht nur tatsächlich erweiterten, sondern auch rechtlich gesicherten Freiraum zur Eigengestaltung,,19 . Im Mittelpunkt dieses Konzepts steht die Einzelschule als ,,relativ selbständige Handlungseinheit" , deren Rechte weit, die Rechte der Ebenen oberhalb der Einzelschule jedoch möglichst eng definiert werden sollen: Für die einzelne Schule ist vor allem ein größeres Maß an Gestaltungsfreiheit im pädagogischen Bereich vorgesehen; dies erfordert die Übertragung von zusätzlichen Entscheidungskompetenzen in den Bereichen Organisation, Personal und Verwaltung; die Schulen sollen die weiten staatlichen Rahmenvorgaben in einem eigenen Organisationsstatut konkretisieren und ausgestalten, wobei auch die Mitwirkungsmöglichkeiten der Lehrer, Eltern und Schüler zu erweitern sind; dem Zuwachs an Gestaltungsrechten muß aber eine Verpflichtung der Schulen zur Planung, Evaluierung und Rechenschaftslegung entsprechen; die Schulen sollen außerdem in geeigneter Form die Öffentlichkeit über ihr SchulprofIl und -programm informieren; die Verbindung zum gesellschaftlichen Umfeld soll durch einen Schulbeirat unterstützt werden. 18 Horst Hensel: Die Autonome Öffentliche Schule. Das Modell des neuen Schulsystems. Lichtenau/MUnchen 1995. 19 Bildungskommission NRW: Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft. Neuwied 1995, S. XXIV (Hervorhebung S. J.).
Ist unsere Schulverfassung noch zeitgemäß?
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Die Empfehlungen kritisieren die bisherige Trennung der Kompetenzzuweisungen: an das Land für die "inneren" und die Kommunen für die "äußeren" Schulangelegenheiten. Sie fordern statt dessen eine "ganzheitliche" Verantwortung für die Kommunen, die sich sowohl auf die pädagogische Förderung als auch auf die personellen Ressourcen bezieht. Die staatliche Gesamtverantwortung soll sich auf die Bestimmung der grundlegenden Ziele und Strukturen des Schulwesens, die Vorgabe der rechtlichen und materiellen Rahmenbedingungen sowie die Festlegung der Qualitätsstandards beschränken. Vor allem wird eine grundlegende Neugestaltung der staatlichen Aufsicht gefordert. Die Fachaufsicht soll von der Rechts- und Dienstaufsicht getrennt und einem eigenständigen pädagogischen Dienst übertragen werden, der nicht in die Behördenstruktur der allgemeinen Verwaltung eingegliedert ist und dem die Beratung und externe Evaluierung der Schulen obliegt. Für die erweiterte Selbständigkeit der Schule und Eigenverantwortung des Lehrpersonals sind der Beamtenstatus und das Laufbahnsystem nicht mehr angemessen; sie sollen durch ein tarifvertragliches Beschäftigungsverhältnis und Entgelt ersetzt werden. Mit ihren Empfehlungen überträgt die NRW -Kommission die bildungspolitisehen Grundprinzipien der Europäischen Union, ,,Respektierung der Vielfalt" und "Subsidiarität", auf die innerdeutsche Reformdiskussion20 ; auch die neue Rechtsstellung des Lehrers folgt den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, der es abgelehnt hat, den Lehrerberuf als eine hoheitliche Tätigkeit anzuerkennen, die Beamten vorbehalten bleiben muß. Die Diskussion um diese Reformforderungen ist im vollen Gange und wird sehr kontrovers geführt. Aus der Fülle der Pro- und Contra-Argumente soll hier nur ein gewichtiger Einwand herausgegriffen werden: daß einer grundlegenden Umgestaltung unserer Schulverfassung der (bereits eingangs erwähnte) Art. 7 Abs. 1 GG entgegenstehe. Tatsächlich aber widersprechen die Vorschläge nicht dem Wortlaut der Verfassung, der nur eine (nirgendwo bestrittene) Staatsaufsicht über die Schule vorsieht, sondern lediglich der traditionellen extensiven Interpretation des Aufsichtsbegriffs als umfassende Verfugungsgewalt des Staates über die Schule; Johann Peter Vogel hat diese Interpretation zu Recht als "etwas traditionsgebunden Überständiges" und noch deutlicher als ,,Fossil" bezeichnet21 • Es ist an der Zeit, daß endlich der allgemeine, engere verwal-
20 Vgl. dazu Siegfried Jenkner: ,,Respektierung der Vielfalt" und "Subsidiarität" als Grundprinzipien der Bildungspolitik in der Europäischen Gemeinschaft. In: Informationes Theologiae Europae. Internationales ökumenisches Jahrbuch für Theologie. Frankfurt/Main 1993, S. 163 ff. 21 Johann Peter Vogel: Verfassungsrechtliche Bemerkungen zur Verselbständigung der Schule. In: Zeitschrift für Pädagogik, Weinheim 41 (1995) Heft 1, S. 40 f.
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tungsrechtliche Aufsichtsbegriff auch auf das Schulwesen angewendet und damit ein Restbestand absolutistischer Staatstradition abgebaut wird. Notwendig ist ein Umdenken bei den Schulrechtlern - und bei allen sonstigen an Schule Beteiligten. Die Ausdehnung von Selbständigkeit und Selbstverantwortung der Schule stößt auch bei Lehrern und Eltern nicht nur auf Zustimmung. Der Abbau traditioneller Strukturen führt zu Verunsicherungen und Ängsten; die ungewohnten neuen Aufgaben verursachen Unbehagen, zumal sie mehr Engagement und Zeit erfordern. Außerdem verschwinden mit mehr Schulautonomie nicht alle bisherigen Probleme und Konflikte mit der Schulverwaltung; ein Teil von ihnen wird lediglich in die Schule selbst verlagert. Kontroversen über curriculare, personelle und finanzielle Fragen müssen jetzt in der Schule ausgetragen und sachgerecht gelöst werden; die Entscheidungen sind auch öffentlich zu verantworten. Dazu bedarf es zusätzlicher Qualifikationen bei allen Beteiligten, einer neuen Kommunikations- und Streitkultur sowie eines geschärften Verantwortungsbewußtseins. Alles dies stellt sich nicht von selbst ein, sondern muß - oft mühsam - gelernt werden. In- und ausländische Erfahrungen zeigen, daß dies möglich ist; und es ist notwendig, wenn wir die Grundprinzipien unserer liberal-demokratischen Gesellschafts- und Staatsordnung - Pluralismus und Subsidiarität - auch im Schulwesen voll verwirklichen und damit den Anschluß an die europäische Entwicklung wiedergewinnen wollen.
Die Privatschule als "Schule der Zukunft"? Von Ingo Richter
J. Über die Stellung der Privatschulen in der neueren Bildungsreformdiskussion
Johann Peter Vogel hat zum 75. Geburtstag von Hellrnut Becker im Jahre 1988 einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er die Frage stellt, ob die Privatschulbestimmungen des Grundgesetzes Modell für das gesamte Schulwesen sein könnten, und er hat diese Frage bejaht (Die Privatschulbestimmungen des Grundgesetzes - ein Verfassungsmodell für das gesamte Schulwesen? Neue Sammlung 1988, S. 367 ff.). Das war eine radikale Umkehrung der verfassungsrechtlichen Fragestellung des Art. 7 IV GG, der die Zulassung von Privatschulen als Ersatzschulen davon abhängig macht, daß sie in bestimmten Hinsichten nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen, daß also die Privatschulen bestimmten Maßstäben des öffentlichen Schulwesens entsprechen. Es war eine Herausforderung des öffentlichen Schulwesens, die Fragestellung umzudrehen und die Privatschulen als Vorbilder für das öffentliche Schulwesen zu bezeichnen. Doch diese Umdrehung hat durchaus Tradition wie wir sogleich sehen werden. Johann Peter Vogel stellt seine Frage nicht der Pädagogik, sondern der Verfassung. Er stellt fest, daß die Privatschulfreiheit des Grundgesetzes Vielfalt im Schulwesen gewährleisten soll. Das ist zweifellos richtig. Diese Vielfalt wird durch die Privatschulfreiheit i.S. von Art. 7 IV GG gewährleistet, denn grundrechtliehe Freiheit heißt stets Freiheit für die Verwirklichung unterschiedlicher Interessen. Verfassungsrechtlich abgesichert wird die Gewährleistung der Privatschulfreiheit erstens durch die Schulaufsicht i.S. von Art. 7 I GG, die durchaus auch die Privatschulen betrifft, denn sie ist darauf beschränkt sicherzustellen, daß die Privatschulen in ihren Bildungszielen, in ihren Einrichtungen und in der Ausbildung der Lehrer nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen. Eine solche Beschränkung der Schulaufsicht empfiehlt Vogel auch dem öffentlichen Schulwesen. Die Vielfalt wird zweitens dadurch gesichert, daß von den Privatschulen nicht gleichartige, sondern gleichwertige Leistungen und Ergebnisse verlangt werden, die von der Schulaufsicht im Rahmen des Prüfungs-
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wesens begutachtet werden. Auch eine solche Beschränkung der Harmonisierung des Schulwesens durch die Ausgestaltung des Prüfungs- und Berechtigungswesens empfiehlt Vogel dem öffentlichen Schulwesen. Während diese beiden Empfehlungen auf einer gewissen realen Basis im Verhältnis von Schulaufsicht und Privatschule beruhen, handelt es sich bei der dritten Empfehlung - die Schulfinanzierung von der institutionellen auf eine individuelle Finanzierung umzustellen, d.h. Bildungsgutscheine für die Eltern anstelle von Zuschüssen für die Schulen - eher um Spekulation, weil es hierfür auch im Privatschulwesen nur zaghafte Ansätze gibt. Die Vielfalt des Schulwesens, des öffentlichen wie des privaten, könnte in der Tat durch ..Choice", durch eine finanziell abgesicherte Schulwahl wirkungsvoll gewährleistet werden. Käme es zu einer solchen Privatschulfinanzierung, könnte man in der Tat fragen, ob diese nicht auch für das öffentliche Schulwesen ein Modell sein könnte. Doch davon sind wir einstweilen noch sehr weit entfernt. .. Das Bildungswesen" schreibt Vogel als letzten Satz seines Aufsatzes ..kann nur durch die Diskussion von Gegenmodellen, d.h. durch Bewußtseinsbildung verändert werden". Solche ..Gegenmodelle" zum öffentlichen Schulwesen sieht Vogel in den Privatschulen. Diese Denkrichtung besitzt in der deutschen Reformpädagogik Tradition. Schrieb doch der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen bereits im Jahre 1954 in seiner Empfehlung: ..In der gegenwärtigen Lage unseres Schulwesens ist es wichtig, daß neue pädagogische Gedanken in Freiheit erprobt werden. Privatschulen sind besonders geeignet und berufen, eigene und neue erzieherische und unterrichtliche Aufgaben zu erfüllen. Sie dienen damit zugleich der Fortentwicklung und Neugestaltung des gesamten Schulwesens" (Empfehlungen und Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen 1953-1965, Tuttlingen 1966, S. 49). Gilt dieses Credo der Reformpädagogik auch heute noch?
ll. "Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft" Unter diesem Titel veröffentlichte die Bildungskommission Nordrhein-Westfalen 1995 eine Denkschrift, die den gegenwärtigen Stand der Bildungsreformdiskussion zusammenfaßt und die damit ein eindrucksvolles Dokument einer neuerlichen Diskussion um die Reform des Bildungswesens geworden ist (Neuwied u.a.1995). Die Denkschrift tritt deutlich für eine weitgehende Reform des Bildungswesens ein und legt hierfür beachtliche Vorschläge auf der Grundlage eingehender Analysen einschließlich von Anregungen für die Gestaltung des weiteren Vorgehens vor. So sollte man vermuten, daß - dem re-
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fonnpädagogischen Credo folgend - den Privatschulen auch in diesen Diskussionen ein wichtiger Stellenwert eingeräumt wird, daß ihnen insbesondere im Entwicklungszusammenhang, in dem auf das Modell der Modellschulen zurückgegriffen wird, eine prominente Rolle zukommt. Angesichts solcher Erwartungen stellt der Leser erstaunt fest, daß die Kommission Privatschulen überhaupt nicht zu kennen scheint, daß sie sie jedenfalls kaum nennt, daß sie in ihnen kein Modell für die von ihr angeregten Entwicklungen sieht. Damit stellt sich die Frage, ob die Privatschule denn überhaupt noch irgendeine Bedeutung hat, wenn sie schon nicht Vorreiter der Entwicklung sein kann. Ausweislieh des Stichwortverzeichnisses kommen Privatschulen in der immerhin 340 Seiten starken Denkschrift überhaupt nur an drei Stellen vor: In einem Satz wird erwähnt, daß der Staat aufgrund der verfassungsrechtlichen Privatschulfreiheit kein Schulmonopol besitzt, daß die Verfassung vielmehr das Recht zur Errichtung privater Schulen gewährleistet und daß der Staat die Finanzierungsvoraussetzungen auch für private Schulen sicherstellen muß (S.184, 187, 212) - alles verfassungsrechtliche Banalitäten. Von einer bildungspolitischen Funktion der Privatschulen ist an keiner Stelle die Rede. Man kann und muß sich angesichts dieser interessanten Kehrtwendung der bildungspolitischen Diskussion die Frage stellen: Wie kommt das? War die Kommission so borniert, daß sie die mögliche Rolle der Privatschulen im Refonnprozeß übersehen hat? Oder empfiehlt die Kommission eine Bildungsrefonn, an der die Privatschulen nicht beteiligt sein können? Privatschulen sind z.Z. durchaus populär, die Schülerzahlen steigen, das Bundesverfassungsgericht hat ihre Existenz auch finanziell gesichert. Was ist also los mit den Privatschulen? Ich werde in den folgenden Bemerkungen die wesentlichen Vorschläge der NRW Bildungskommission kurz benennen und versuchen, die Frage zu beantworten, warum die Privatschulen für ihre Umsetzung nicht vorgesehen zu sein scheinen.
ill. Die Schule als "Haus des Lernens" Die Bildungskommission NRW hat unter diesem eingängigen Begriff Vorstellungen zur inneren Schulrefonn zusammengefaßt, die z.T. schon seit sehr langer Zeit in der Diskussion sind, die aber z.T. in ihrer Bedeutung heute anders gesehen werden als früher. Ich möchte die sehr umfangreichen Darlegungen und Anregungen der Kommission zunächst unter drei Gesichtspunkten zusammenfassen:
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1. Die Schule als Lern- und Lebensraum Die Kommission stellt diese Fonnel an den Anfang ihrer Beschreibung des "Hauses des Lernens" und übernimmt damit ein Konzept, das bereits Hartrnut von Hentig in den Mittelpunkt seines Buches "Die Schule neu denken" (1994) gestellt hatte. Die Schule als ,,Lernraum" soll ein neues Verständnis des Lernens überhaupt ennöglichen. ,,Lernen" soll danach Freude bereiten, soll intelligentes Wissen erzeugen, soll in fruchtbaren Lernumwelten stattfinden, soll zu einem Feedback führen, soll die Evaluation des Gelernten ennöglichen und vor allem das Lernen selber lehren. Die Schule als Lebensraum soll sowohl das selbständige wie das soziale Lernen fördern. Sie soll so zur Identitätsfindung beitragen sowie die Entwicklung stabiler sozialer Beziehungen ennöglichen.
2. Die Schule als lernende Organisation Als lernende Organisation soll sich die Schule selber Ziele setzen, Schwerpunkte bilden und Profil gewinnen. Sie soll eine Just Community bilden, in der die Lehrer nicht nur Wissensvennittler sind, sondern selber Teil der lernenden Organisation werden. Eine solche Schule soll die Begegnung von unterschiedlichen Menschen ennöglichen, die voneinander lernen. Sie soll in die Nachbarschaft einbezogen sein und aufgrund der Schwerpunktbildung ihren Platz in einem Netzwerk gleicher, aber doch auch unterschiedlicher profilierter Organisationen einnehmen.
3. Die Schule der modernen Pädagogik In dieser Schule sollen alte refonnpädagogische Forderungen verwirklicht werden: die Verbindlichkeit eines Kerncurriculums und die Vennittlung von Schlüsselqualifikationen, die Berücksichtigung des überfachlichen Lernens und die Vorbereitung auf ein lebenslanges Lernen, die Lösung vom traditionellen Bildungskanon zugunsten gesellschaftlicher Dimensionen des Lemens (Identität und soziale Beziehung, kulturelle Tradition, Natur - Kunst, Medien, Sprache und Kommunikation, Arbeit - Wirtschaft - Beruf, Demokratie und Partizipation, Ökologie), die Befreiung der Schule von starren Stundentafeln und die Aufgabe des 45-Minuten-Taktes. Neben diesen traditionellen refonnpädagogischen Ansätzen stellt die Kommission der Schule aufgrund veränderter gesellschaftlicher Bedingungen aber auch neue Aufgaben, nämlich erstens eine reflexive Koedukation von Mädchen und Jungen, die auf der Grundlage der Differenzhypothese Geschlechterhierarchien abbaut, zweitens eine Internationalisierung der Bildung, die der multikulturellen Gesellschaft der Bundesrepublik entspricht und drittens die Entwicklung von Medienkompetenz durch eine schulische Medienpädagogik, die auf das Lernen in der Infonnationsgesellschaft vorbereitet.
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Es ist nicht ganz einfach, die Frage zu beantworten, warum die Kommission bei der Darstellung dieses pädagogischen Programms die Privatschulen als Beispiel nicht herangezogen, warum sie sie bei der Verwirklichung als Vorbilder nicht empfohlen hat. Hierfür gibt es m.E. vier plausible Gründe:
l. Die Privatheit der Trägerschaft einer Schule im Unterschied zur staatlichkommunalen Trägerschaft ist angesichts dieses pädagogischen Programms nicht der entscheidende Gesichtspunkt. Es gibt Privatschulen, die diesen pädagogischen Forderungen näher stehen als die meisten öffentlichen Schulen, und es gibt Privatschulen, die ihm ferner stehen als die meisten öffentlichen Schulen. Die Privatschulen können in dieser bildungspolitischen Diskussion nicht als Einheit angesehen werden. 2. Die meisten Privatschulen sind angesichts dieses pädagogischen Programms in der gleichen Lage wie die öffentlichen Schulen. Für beide Schularten ist das von der Kommission betonte ,,Neue Lernen" eine Herausforderung. Die Privatschulen haben sich allerdings eher als die öffentlichen Schulen als Lern- und Lebensraum verstanden und auch entsprechend organisiert, weil für viele Privatschulen die Einbeziehung der Lebenswelten der Schülerinnen und Schüler pädagogisches Programm war und ist. 3. Einerseits waren viele Privatschulen - als Schulgemeinschaften von Schülern und Lehrern - immer lernende Organisationen i.S. der Kommissionsvorschläge, die die Kommission allerdings wegen ihres besonderen Charakters den öffentlichen Schulen als Modell nicht vorgeben konnte. Andererseits tun sich Privatschulen meist schwer, sich als Teil regionaler Netzwerke zu verstehen, die selber lernende Organisationen mit unterschiedlich strukturierten und profilierten Einzelschulen sein sollen. Privatschulen besitzen in der Regel nun einmal bereits aufgrund ihrer Zielsetzung und Gründung unverwechselbare Profile, die sie als Teil von Vielfalt, aber nicht als Knotenpunkte in Netzwerken erscheinen lassen. 4. Für viele reformpädagogische Forderungen waren und sind einige Privatschulen Vorbilder, sei es im Bereich der Curriculumreform oder der Unterrichtsorganisation. Doch dieses gehört zum Allgemeinwissen, so daß die Kommission es nicht für nötig befunden hat, die Privatschulen zu erwähnen, zumal sie andere Institutionen auch nicht als Vorbilder oder Modelle herausgestellt hat. Andererseits muß man sehen, daß die Lehrplanbindung der anerkannten Ersatzschulen unter den Privatschulen allem reformpädagogischen Elan immer wieder ärgerliche Grenzen gesetzt hat, so daß man es den Privatschulen nicht vorwerfen kann. daß sie nicht Vorbilder sein konnten. Sie durften es vielfach nicht sein. Trotz mancher vorbildlicher Arbeit von Privatschulen in der Vergangenheit und trotz der zukünftigen Umsetzung der pädagogischen Vorstellungen der
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Kommission in vielen Privatschulen wird man nicht sagen können: Wir haben
das "Haus des Lernens" schon, es ist die Privatschule! Denn einerseits ist für das Privatschulwesen die Konzeption der Kommission ebenso eine Herausforderung wie für das öffentliche Schulwesen und andererseits richteten sich die Blicke der Kommission doch in erster Linie auf das öffentliche Schulwesen, für das das "Haus des Lernens" Leitbild sein soll. Wenn das aber so ist, können
dann Privatschulen überhaupt "Häuser des Lernens" i.S. der Vorschläge der Kommission sein?
IV. Regional gestaltete Bildungslandschaften Die "Häuser des Lernens" sollen in "regional gestalteten Bildungslandschaften" gebaut werden; für private "Häuser des Lernens" scheint es in diesen Landschaften keine Bauplätze zu geben. Die von der Kommission gewählten anschaulichen Ausdrücke lassen zwei Ziele der Denkschrift erkennen, den Anspruch, das Bildungswesen in seiner Gesamtheit zu reformieren, und die Absicht, die Region zur Grundeinheit der Bildungsplanung zu machen. Beide Ansätze werfen die Frage nach der Stellung der Privatschulen in besonderer Weise auf.
1. Die Reform des Bildungswesens insgesamt Mit dem Begriff der "Bildungslandschaften" geht die Kommission weit über
das Schulwesen hinaus. Sie entwirft eine Reform des Bildungswesens insge-
samt. So bezieht sie insbesondere das duale System der beruflichen Bildung in ihre Überlegungen mit ein. Der Weiterbildung gilt die besondere Aufmerksamkeit der Kommission. Auch für die Lehrerbildung und für die Lehrerfortbildung macht die Kommission Vorschläge. Andererseits klammert die Kommission bestimmte Bereiche der Bildung gänzlich aus, insbesondere die vorschulische Kindererziehung, die außerschulische Jugendbildung sowie den Hochschulbereich. Wir wissen nicht, ob die Kommission diesen Einrichtungen die Bildungsqualität absprechen will oder ob es sich um eine weise Selbstbeschränkung handelt. Das Vorwort der Denkschrift spricht für die zweite Alternative. Die Kommission hat sich allerdings durchaus mit den Wechselbezüglichkeiten zwischen diesen Bereichen und dem Schul- und Ausbildungswesen beschäftigt und insbesondere mit den Bildungsgängen und den Übergängen. Insofern kann man durchaus sagen, daß die Kommission bei ihrer Arbeit das Bildungswesen insgesamt in den Blick genommen und sich auf das Schul- und Ausbildungswesen nicht beschränkt hat.
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Die Kommission bedient sich einer neueren Terminologie der Bildungspolitik, indem sie von Bildungsgängen und Bildungswegen ausgeht. "Bildungsgänge" strukturieren die "Bildungslandschaft"; sie sind die ,,Pfade im Dschungel" sozusagen. "Bildungswege" sind dagegen die Bildungslaufbahnen, die die Individuen angesichts dieser Bildungsgänge einschlagen, in ihnen gehen bzw. laufen, um eines der dort vorgesehenen Ziele zu erreichen. Neben der Strukturierung des Bildungswesens durch Bildungsgänge sind für eine solche Konzeption drei Fragen entscheidend: erstens die Frage nach den Zugängen zu den Bildungsgängen, zweitens nach den Übergängen zwischen den Bildungsgängen und drittens nach den Abschlüssen der Bildungsgänge. Die Bildungswege der Menschen hängen nämlich entscheidend davon ab, welche Zugänge sie wann erreichen können, welche Übergänge ihnen zwischen den Bildungsgängen offenstehen und welche Ziele sie in den Bildungsgängen erreichen können. Die Kommission bekennt sich zu drei Grundsätzen, die zueinander in einem gewissen Spannungsverhältnis stehen: erstens zum Berechtigungswesen, d.h. zu der Tatsache, daß in Deutschland in der Regel Abschlüsse von Bildungsgängen über die Zugänge zu weiterführenden Bildungsgängen oder zum Beruf entscheiden und nicht besondere Zulassungen, über die die aufnehmenden Einrichtungen entscheiden, zweitens aber, daß diese Berechtigungen nicht starr mit bestimmten Bildungsgängen verbunden sein sollen, sondern flexibel gestaltet und in unterschiedlichen Bildungsgängen erworben werden können, und schließlich drittens, daß ,,zeit" ein entscheidender Gestaltungsfaktor sowohl für die Bildungsgänge wie für die Bildungswege ist. Die Kommission hat die "Bildungszeit" überhaupt erst als wichtiges Element der Bildung entdeckt. In einer zeitlichen Flexibilisierung der Bildungswege, einer organisatorischen Flexibilisierung der Bildungsgänge unter Aufrechterhaltung des Berechtigungswesens sieht die Kommission wesentliche Grundsätze für die "Zukunft der Bildung". Da die Kommission ihren Blick auf das Bildungswesen insgesamt gerichtet hat, gehen ihre Vorstellungen unvermeidlich über den Bereich hinaus, in dem das private Schulwesen angesiedelt ist. Zwar spielen die Privatschulen in der Berufsausbildung eine große Rolle, aber eben gerade nicht im dualen System von betrieblicher und schulischer Berufsausbildung. sondern als schulische Alternative zum dualen System. Zwar gibt es private Hochschulen, insbesondere Fachhochschulen, aber für sie gelten entweder die allgemeinen Zugangsregeln, oder sie können als absolute Ausnahmeerscheinung in einem Gesamtkonzept vernachlässigt werden. In den vor-, außer- und nach schulischen Bereichen, in der Kinderbetreuung, der Jugendarbeit und der Weiterbildung, gibt es zwar überwiegend - private Trägerstrukturen, doch es handelt sich dabei nicht um 3 FS Vogel
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unsere Privatschulen, sondern im wesentlichen um die großen Wohlfahrtsorganisationen. Für diese gelten jedoch gänzlich andere Regelungen als für das private Schul- und Hochschulwesen. Im Gesamtzusammenhang der Bildungsreform, den die Kommission ins Auge gefaßt hat, besitzen die Privatschulen aus diesen Gründen eben doch nur sektorale Bedeutung. Bei der Strukturierung des Bildungswesens durch die institutionellen Bildungsgänge und die individuellen Bildungswege, durch Zugänge, Übergänge und Abschlüsse, insbesondere durch das Berechtigungswesen, muß man schlicht feststellen, daß den Privatschulen diese Strukturen vorgegeben sind. Entweder sie passen ihre Bildungsangebote in diese Strukturen des öffentlichen Bildungswesens ein und erlangen auf diese Art und Weise die Stellung der anerkannten Privatschulen, oder sie sehen bewußt von dieser Anpassung ab und fmden ihre "Kundschaft" trotzdem auf dem "Bildungsmarkt" . Mit dem Begriff der Gleichwertigkeit der Abschlüsse, die eine Gleichartigkeit der Bildungsgänge nicht voraussetzt, besitzen die Privatschulen zwar ein Instrumentarium, das ihre verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit sichert und sie trotzdem an den Segnungen des Berechtigungswesens teilnehmen läßt. Die Ausgestaltung der Struktur des Bildungswesens insgesamt liegt jedoch außerhalb der Reichweite der Privatschulen, auch außerhalb ihrer verfassungsrechtlich verbürgten Ansprüche. Die Kommission war deshalb auch nicht gehalten, angesichts eines solchen Vorverständnisses bei der Strukturierung des Bildungswesens auf die Privatschulen Rücksicht zu nehmen. Es bleibt allerdings durchaus eine Frage, ob ein solches Vorverständnis mit der Verfassung übereinstimmt - wovon sogleich zu handeln sein wird. 2. Die Regionalisierung der Bildungsplanung
Die Kommission entwirft in ihrer Denkschrift ein gestuftes System der Bildungsplanung. Grundeinheit ist die Einzelschule, das "Haus des Lemens", das seine Bildungsangebote und insbesondere seine Schwerpunke konzipiert und plant. Diese Bildungsangebote bilden dann zusammen in der Gemeinde das kommunale Bildungsangebot, das wiederum interkommunal mit anderen Gemeinden abgestimmt werden soll. Die Kommission greift in diesem Zusammenhang eine Idee auf, die die Schulverwaltungsreform seit vielen Jahrzehnten bewegt: die Überwindung der Trennung von inneren und äußeren Schulangelegenheiten. Das heißt, die Kommission schlägt ausdrücklich eine Beteiligung der kommunalen Träger an der Gestaltung der inneren Schulangelegenheiten vor, was ein sehr weitreichender Vorschlag ist. Alle diese kommunalen und interkommunalen Bildungsangebote werden sodann in der regionalen Bildungsplanung zusammengefaßt. Eine regionale Bildungskommission soll für diese Planung zuständig sein, und zwar nicht nur für die Planung im engeren Sinne, sondern auch für die Berichterstattung und Evaluation. Das Ziel dieser
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Bildungsplanung ist die Vollständigkeit der Bildungsangebote in der Region. Die Regionalisierung der Bildungsplanung soll so weit gehen, daß sogar ein regionaler Entwicklungsfonds gebildet wird, der für die finanzielle Steuerung der Bildungsangebote in der Regierung sorgt. Die Kommission sagt nicht, daß die privaten Angebote in die regionale Bildungsplanung einbezogen werden müssen, obwohl dies eigentlich selbstverständlich sein sollte. Die Kommission sagt nicht, daß die Privatschulen in den regionalen Bildungskommissionen vertreten sein müssen, obwohl dies gar nicht anders geht. Viel problematischer für die Privatschulen ist jedoch die Einbeziehung der kommunalen Schulträger in die Planung der inneren Schulangelegenheiten. Soll ihnen ein Einfluß auch auf die Planung der privaten Bildungsangebote eingeräumt werden und was wäre die verfassungsrechtliche Grundlage dafür? Oder sollen umgekehrt die privaten Schulträger an der Planung der öffentlichen inneren Schulangelegenheiten ebenso beteiligt werden? Hier liegt entweder eine Lücke im Konzept der Kommission vor oder sogar ein Denkfehler, der auch verfassungsrechtlich nicht unbedenklich ist. Die Kommission hat einen weitreichenden umfassenden Plan für eine Reform des Bildungswesens insgesamt vorgelegt und für die Bildungsplanung die Regionalisierung vorgeschlagen. Sie hat dabei ausschließlich das öffentliche Bildungswesen in den Blick genommen. Das war in gewisser Weise naheliegend, denn sie war vom Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen eingesetzt worden, der Vertreter des privaten Bildungswesens bei der Zusammensetzung der Kommission nicht berücksichtigt hatte. Doch war das politisch Verständliche auch das verfassungsrechtlich Richtige? Die Privatschulfreiheit des Art. 7 IV GG ist einerseits ein Grundrecht, ein Freiheitsrecht, von dem Individuum, Gruppen und Institutionen nach Belieben auf der Grundlage ihrer eigenen Mittel und Möglichkeiten Gebrauch machen können und insoweit braucht eine staatlich eingesetzte Kommission auf die Grundrechtsausübung keine Rücksicht zu nehmen, ja, es wäre sogar verfassungsrechtlich bedenklich, wollte sie die Inanspruchnahme des Freiheitsrechts staatlich verplanen. Andererseits enthält das Grundrecht aber auch eine institutionelle Garantie des Privatschulwesens, die den Staat dazu verpflichtet, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Grundrechts institutionell und finanziell zu gewährleisten. Unter dieser Voraussetzung darf der Staat "sein" Bildungswesen nicht ohne Berücksichtigung des Privatschulwesens konzipieren und planen, und auch von einer staatlich eingesetzten Kommission wird man eine gewisse Aufmerksamkeit für diese verfassungsrechtliche Tatsache erwarten dürfen. Zwischen dem Kinder- und Jugendhilferecht einerseits und dem Bildungsrecht andererseits besteht der grundsätzliche Unterschied. daß das Kinder- und Jugendhilferecht auf das Subsidiaritätsprinzip verpflichtet ist und das Bildungsrecht nicht. Im Kinder- und Jugendhilferecht gibt es darüber hinaus eine planerische Gesamtverantwortung der öffentlichen Gewalt, die die freien Angebote in ihre
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Planung einbeziehen muß. Vielleicht könnte hier ein Ansatz für die planerische Konzeption des Bildungswesens auf regionaler Ebene gefunden werden.
V. Steuerung durch Verselbständigung Die Kommission hat sehr weitgehende Vorschläge zur Verwaltungsreform im Bildungswesen vorgelegt. Diese Vorschläge laufen auf eine Verselbständigung der Schulen (Teilautonomie) bei Erltaltung staatlicher Verantwortung und Steuerung hinaus. Die Vorschläge gehen in der Schule weit über das hinaus, was der Bildungsrat und die Schulrechtskommission des Deutschen Juristentages Anfang der siebziger Jahre empfohlen hatten. Deren Empfehlung zur Verwaltungsreform waren seinerzeit nicht nur auf herbe Kritik gestoßen, sondern hatten auch die Wirksamkeit der Empfehlung im ganzen infiziert. Die Bildungskommission NRW hat sich erfreulicherweise von diesen historischen Reminiszenzen gänzlich freigemacht und ein in sich geschlossenes und im großen und ganzen überzeugendes Konzept zur Verwaltungsreform vorgelegt freilich auf einer völlig anderen Grundlage als der Bildungsrat und die Schulrechtskommission seinerzeit. Der Bildungskommission geht es im wesentlichen um eine wirkungsvolle Steuerung des Bildungswesens, die die Verantwortlichkeit des Staates für das Bildungswesen unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen erhält und stärkt und die Qualität der Leistungen des Bildungswesens sichert. Der Bildungsrat - und wohl auch die Schulrechtskommission dachte seinerzeit mehr an die Rechte der Beteiligten, der Lernenden und Lehrenden und ihre wirkungsvolle Mitbestimmung bei der Ausgestaltung ihres Arbeits- und Lebensbereiches; insofern konnte man diese Konzeptionen mit dem Begriff der "Demokratisierung" kennzeichnen. Die Bildungskommission NRW will drei institutionelle Zusammenhänge grundlegend reformieren: 1. Selbstgestaltung und Verantwortung der Einzelschule Die Kommission spricht sich für eine teilautonome Schule aus, der durch Delegation von Kompetenzen und Befugnissen pädagogische Freiheit gewährt wird. Die Einzelschule soll eine inhaltliche, finanzielle und personelle Selbständigkeit erhalten, die sie bisher nicht hatte. Die inhaltliche Selbständigkeit besteht in der Aufstellung eines Schulprogramms und einer schulspezifischen Stundentafel, wobei nur 60 % der Zeit durch das verpflichtende Kerncurriculurn festgelegt sein sollen. Die finanzielle Selbständigkeit besteht darin, daß die Schule für ihre Ausgaben - unter Einschluß der Personalausgaben - ein Pauschal budget erhält, mit dem sie selbständig wirtschaften kann. Die personelle
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Selbständigkeit besteht in der Personalwirtschaft, dem Personaleinsatz und der Personalführung und -entwicklung durch die Einzelschule. Bedingung für die Einräumung einer solchen Selbständigkeit ist eine Berichtspflicht sowie die Verpflichtung zur regelmäßigen Selbstevaluation. 2. Führung und Mitwirkung in der Einzelschule
Die Kommission stärkt die S teilung der Schulleitung in der Einzelschule. Das gilt insbesondere für die Personalführung und die Mittelbewirtschaftung. Dabei will die Kommission eine kollegiale Schulleitung durchaus zulassen. Die Stärkung der Stellung des Schulleiters ist eine notwendige Folge der Verselbständigung und eine Voraussetzung für das Funktionieren des Systems. Die Kommission verspricht sich von der Verselbständigung der Einzelschule und der Übertragung von Verantwortung auch eine Wiederbelebung der darniederliegenden schulischen Mitwirkung von Eltern und Schülern, die in Zukunft etwas zu sagen haben sollen. Eine solche Stärkung der Mitwirkung wäre gleichzeitig ein Gegengewicht angesichts der Stärkung der Schulleitung; insofern gehört beides zusammen. Jede Schule soll außerdem einen Beirat erhalten, in dem das lokale Umfeld der Schule vertreten sein soll. Wie wir bereits gesehen haben, soll die Einzelschule darüber hinaus in die Netzwerke der lokalen und regionalen Planung einbezogen werden. Damit ist sie starken Einflüssen von außen - insbesondere von seiten der kommunalen Träger - ausgesetzt. SchlieBlich eröffnet die Möglichkeit zur Einwerbung und Nutzung privater Mittel auch die private Einflußnahme Dritter auf Schule. Eine verselbständigte, wirkungsvoll geleitete, integriert mitbestimmte und lokal und regional verortete Schule wird etwas anderes sein als die "unselbständige Anstalt" der Vergangenheit, die wir kennen. 3. Staatliche Verantwortung und Gewährleistung
Dennoch - die staatliche Verantwortung für das Schulwesen bleibt erhalten.
Art. 7 I GG soll nicht zurückgenommen werden, der Staat soll sich jedoch auf
die Setzung eines Rahmens für das Handeln verselbständigter Einheiten beschränken, der die staatliche Verantwortung in ihrem Kern gewährleistet. Innerhalb dieses Rahmens heiBt die Devise: Steuerung auf Distanz mit anderen Mitteln als bisher. Fachaufsicht und Dienstaufsicht werden getrennt. Die bisherigen Aufgaben der Fachaufsicht werden auf einen pädagogischen Dienst übertragen, der innerhalb der Verwaltung ebenfalls verselbständigt werden soll. Die Qualitätssicherung der Bildung erfolgt im wesentlichen durch das Berichterstattungswesen sowie über externe Evaluation. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, daß die von der Kommission vorgeschlagene Flexibilisierung der Lehrerarbeitszeit sowie insbesondere die Lehrerbesoldung dem Staat beträchtliche
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Ingo Richter
neue Steuerungsmöglichkeiten eröffnen werden - ganz zu schweigen von der Steuerung durch das Berechtigungswesen, das - wie wir gesehen haben - nicht nur beibehalten, sondern sogar gestärkt werden soll. Die von der Kommission vorgeschlagene Reform der Bildungsverwaltung folgt modemen organisationssoziologischen und betriebswirtschaftlichen Überlegungen und nicht so sehr pädagogischen oder politischen Zielvorstellungen (zu den verschiedenen Konzeptionen der Autonomie s. Richter, Theorien der Schulautonomie, RdJB, Heft I, 1994, S.5). Ausgangspunkt und Zielsetzung dieser Konzeption ist die Steigerung der Effektivität und Effizienz staatlichen Handelns. Insofern handelt es sich um einen völlig anderen Ausgangspunkt als bei der staatlichen Begrenzung privaten HandeIns, z. B. bei der gesetzlichen und administrativen Gewährleistung der Privatschulfreiheit. Es mag so sein, daß sich die Ergebnisse durchaus annähern. Die staatliche Steuerung des öffentlichen Bildungswesens kann Formen annehmen, die der staatlichen Gewährleistung der Einhaltung der Genehmigungsbedingungen von Privatschulen ähneln. Johann Peter Vogels Hinweis auf diese Tatsache in dem einleitend genannten Aufsatz ist deshalb außerordentlich anregend und fruchtbar; er soll der Bewußtseinsbildung durch den Hinweis auf "Gegenmodelle" dienen, wie Vogel im letzten Satz seines Beitrags ausdrücklich sagt. Es handelt sich beim Privatschulwesen aber eben wirklich um ein Gegenmodell zum öffentlichen Schulwesen. Es mag sinnvoll und fruchtbar sein, das öffentliche Bildungswesen mit einem großen Wirtschaftsunternehmen zu vergleichen und es nach dessen Grundsätzen zu organisieren und zu führen, die aus der Betriebswirtschaftslehre stammen. Dennoch handelt es sich nach wie vor um Planung, Organisation, Steuerung und Leitung eines großen öffentlichen "Unternehmens", um Schulaufsicht i.S. von Art. 7 I GG. Es ist aber etwas völlig anderes, wenn der Staat die Wahrnehmung der Grundrechte durch die Bürger gewährleistet und begrenzt. Es ist eine Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, daß die Bürger ihre Grundrechte ausüben können, insbesondere wenn die Verfassung diese zu institutionellen Garantien ausgestaltet hat. Es ist ebenso Aufgabe des Staates, im Interesse der Gemeinschaft und der Bürger dieser Grundrechtsausübung Grenzen zu setzen, wenn dieses erforderlich ist. Doch weder bei der Gewährleistung noch bei der Begrenzung handelt es sich um "Planung, Organisation, Steuerung und Leitung" der Grundrechtsausübung durch den Staat. Eine solche Vorstellung wäre schlechterdings verfassungswidrig. Grundrechte sind und bleiben Gewährleistung bürgerlicher Freiheit, die einer staatlichen Planung und Leitung schlechterdings nicht zugänglich ist. Man mag es für ein "dogmatisches Unglück" halten, daß der unselige Begriff der "Schulaufsicht" in Art. 7 I GG beides bezeichnet und umfaßt, nämlich sowohl die Ausübung der staatlichen Schulhoheit wie auch die Gewährleistung und Begrenzung der privaten Grundrechtsausübung, die eigentlich überhaupt nichts miteinander gemein haben.
Die Privatschule als "Schule der Zukunft"?
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Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Die Bildungskommission NRW schlägt einen Lernbereich ,.Ethik, Religion, Weltanschauung" anstelle oder neben dem konfessionell gebundenen oder einen interkonfessionellen Religionsunterricht vor, und zwar mit der folgenden Begründung: "Zum modemen Leben gehört die immer intensiver werdende Wechselwirkung zwischen den Kulturen. Sich der eigenen kulturellen und religiösen Tradition und Geschichte zu vergewissern und die Kenntnis fremder kultureller Traditionen und Kultusgewohnheiten sind die Grundlage für das Zusammenleben in einer pluralistischen und multikulturellen Gesellschaft. Vertrautheit mit unterschiedlichen Denkansätzen, zum Beispiel in den Natur-, Gesellschafts- und Geisteswissenschaften, ist erforderlich, damit deren jeweilige Leistungen und Grenzen bei deren Bewältigung komplexer Probleme der modemen Zivilisation nutzbar gemacht werden können. In diesem Zusammenhang hat die Diskussion über Rolle und Gestaltung des Religionsunterrichts besondere Bedeutung. Der heute von den Religionsgemeinschaften eigenständig verantwortete Religionsunterricht trägt auch dazu bei, mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Wertvorstellungen vertraut zu machen und zu begründeten Orientierungen für das eigene Urteilen und Handeln zu führen. Eine zunehmende Zahl von Schülerinnen und Schülern wird durch diesen Religionsunterricht nicht mehr erreicht. Staat und Religionsgemeinschaften sollten ein unabhängig von Konfessionalität konzipiertes Lernangebot zu weltanschaulichen, religiösen und kulturellen Orientierungen in öffentlichen Schulen entwickeln. Die Verwirklichung dieses Zieles könnte erleichtert werden, wenn es den Einzelschulen ermöglicht würde, in Kooperation mit den Religionsgemeinschaften die überkommene Form des Religionsunterrichts zugunsten interreligiöser Kooperationsformen weiterzuentwickeln und dabei auch die Öffnung des Religionsunterrichts für nicht konfessionell gebundene Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen" (a.a.O .• S. 108 f.). Es ist eine verfassungsrechtlich zu beantwortende Frage, ob ein solcher Vorschlag im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts verwirklicht werden kann oder ob dazu eine Verfassungsänderung erforderlich ist. Das Bundesverfassungsgericht wird sich im Rahmen des Konfliktes um den Lernbereich ,.Lebensgestaltung - Ethik - Religion" und den Religionsunterricht in Branden burg in absehbarer Zeit damit zu beschäftigen haben. Es ist aber überhaupt keine Frage, daß Privatschulen ihre je eigene Vorstellung religiöser oder weltanschaulicher Erziehung verwirklichen können und daß ihnen der Staat weder einen konfessionell gebundenen noch einen überkonfessionellen Religionsunterricht noch gar irgendeinen weltanschaulichen Unterricht vorschlagen oder gar vorschreiben bzw. die Genehmigung als Ersatzschule von dieser Frage ab-
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hängig machen darf. Hier geht es um grundrechtliche Freiheit und nicht um staatliche Erziehung. Johann Peter Vogel ist nicht müde geworden, die Gesetzgeber und Verwaltungen der Länder darauf hinzuweisen, daß sie bei ihren Planungen ein Verfassungsrecht zugrunde legen müssen, das kein Staatsmonopol im Bildungswesen kennt, sondern eine pluralistische Struktur, in der die institutionell gewährleistete Privatschulfreiheit neben dem staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag steht. Für einen solchen Hinweis gibt - wie wir insbesondere im Zusammenhang von Planung und Regionalisierung gesehen haben - auch die Denkschrift "Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft" Anlaß. Andererseits müssen sich die Privatschulen aber auch die Frage gefallen lassen, wie sie sich selber in die sich verändernde Bildungslandschaft einordnen wollen, wie sie selber "Häuser des Lernens" werden wollen. Die beste Antwort auf diese Frage scheint mir immer noch das Grundgesetz selber zu geben, das Privatschulfreiheit gewährt, d.h. den Bürgern die Gestaltung eines vielfältigen Bildungswesens selber überläßt.
Möglichkeiten und Grenzen schulischer Partizipationsregelungen am Beispiel der sogenannten Schulkonferenz Von Max-Emanuel Geis
I. Einführung Der Gedanke einer verstärkten Einbeziehung und Mitwirkung der Bürger an Verwaltungsentscheidungen ist seit geraumer Zeit ein zentrales Element eines modemen, flexiblen und "menschlichen" Staats- und Verwaltungsverständnisses l . Ein Prototyp dieser Entwicklung, der den Partizipations gedanken schon vor vielen Jahren umgesetzt hatte, war die Institution Schule. Leitidee war es, einen Wandel im Verständnis der Schule von einer obrigkeitlichen Erziehungsanstalt zum Instrument einer Hinführung des jungen Menschen zur Selbstverantwortlichkeit herbeizuführen. Einer der Kernpunkte war zunächst die Kooperation von Eltern und staatlicher Schule, die das Bundesverfassungsgericht im Sinne praktischer Konkordanz zwischen Elternrecht und staatlichem Erziehungsauftrag in einer Reihe wichtiger Entscheidungen, namentlich in der Sexualkundeentscheidung 2 , vorgezeichnet hat. Ein zweites Element war der Gedanke, die Schüler als unmittelbar Betroffene ebenfalls an der Gestaltung des ,,Lebensraums" Schule zu beteiligen. Der Gedanke einer Einbeziehung aller am Bildungswesen Beteiligten bzw. davon Betroffenen erfuhr freilich unterschiedliche Akzentuierungen. Es soll in diesem Beitrag darauf verzichtet werden, die politischen - und großenteils sehr ideologisch geprägten - Stationen dieses Umbruchs seit Ende der 60er Jahre 1 Aus der umfangreichen Literatur vgl. nur K. Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S.821; E. Schmidt-Aßmann, Zum staatsrechtlichen Prinzip der Selbstverwaltung, in: Selmer/von MUnch, (Hg.), Gedächtnisschrift fUr Wolfgang Martens, 1987, S. 249 (252); w. Frotscher, Selbstverwaltung und Demokratie, in: v. Mutius (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft. Festgabe fUr Georg Christoph von Unruh, 1987, S. 127, (137 f.); R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 329; ders., HStR IV § 106 Rdn. 15 f. (23, 29 fL). 2 BVerfGE 47, 46.
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Max-Emanuel Geis
noch einmal nachzuzeichnen 3 • Festzuhalten ist: Bereits seit Beginn der 70er Jahre wurden im Gefolge der damaligen Demokratisierungseuphorie der Einzug von Selbstverwaltungsgremien auf allen Ebenen der bestehenden Schulhierarchie gefordert4 • Die Forderung nach einer umfassenden Demokratisierung von Staat und Gesellschaft wurde auf die Zwitterstellung der Schule als "staatliche Veranstaltung" einerseits, als "gesellschaftlicher Organismus" andererseits exemplarisch angewendetS • Mitentscheidungsrechte von Schülern und Eltern wurden als unmittelbare Konkretisierung des Demokratiepostulats als zwangsläufig postuliert. In der politischen Schlagwortkultur wird diese Entwicklung als Erweiterung der "schulischen Autonomie" geführt6 • Weit über die klassischen Elternbeiräte hinaus sollte eine Partizipation von Eltern und Schülern an wichtigen Entscheidungen der einzelnen Schule, aber auch auf der Ebene des Schulträgers gesichert werden. Nicht nur das Ventil des Privatschulwesens, sondern auch die "staatliche" Schule soll dadurch liberalisiert werden. Freilich ist (schulische) Autonomie ein derart schillernder Begriff, daß man nicht zulange im Abstrakten verweilen darf, sondern sich der konkreten verwaltungsrechtlichen Umsetzung zuwenden muß. Als zentrales Element der Partizipation bot sich die Einrichtung eines mehr oder weniger starken Selbstverwaltungsgremiums an, das in den meisten Ländern den Namen "Schulkonferenz" erhielt. Auch die berühmte Schulrechtskommission des Deutschen Juristentages befürwortete nachdrücklich deren Einführung1 • Bereits damals umstritten war freilich die konkrete Zusammensetzung dieser Konferenz: Während z.B. das Schulmitwirkungsgesetz des Landes Nordrltein-Westfalen von 1977/1994 und 3 Exemplarisch etwa H.-I. Gamm, Kritische Schule. Eine Streitschrift für die Emanzipation von Lehrern und Schillern, München 1970, S. 157 ff. (aus heutiger Sicht beinahe schon skurril); V. Lenhart (Hrsg.), Demokratisierung der Schule. Frankfurt (M.) 1972; die Gegenposition etwa bei W. Brezinka, Die Pädagogik der neuen Linken. München/Basel 1970 (5. Aufl. 1980), insb. S. 196 ff., alle mit weiteren Literaturnachweisen zusammenfassend die Denkschrift der Kommission ,,zukunft der Bildung - Schule der Zukunff' beim Ministerpräsidenten des Landes NRW, 1995, S. 13 ff. 4 Vgl. etwa die Entwürfe der SPD und der F.D.P. zu einem bad.-württ. Schulverwaltungsgesetz von 1970. in: Süddeutsche Schulzeitung 24 (1970) 331 ff. (444 ff.). und dazu V. Lenhart. Die Diskussion über Demokratisierung der Schule. Darstellung und Perspektiven. in: ders .• Demokratisierung ...• a.a.O .• S. 1 (18) (pn. 3). 5 So etwa W. PerscheI. Die Rolle des Rechts bei der Demokratisierung der Schule. in: Lenhart. Demokratisierung ...• a.a.O .• S. 103 (118 ff.) (pn. 4). 6 R. HoffmannlG. Lückert. Die Diskussion über Schulautonomie in Bremen. in: RdJB 1994. 269; krit. dazu H. Avenarius. Schulische Selbstverwaltung - Grenzen und Möglichkeiten, in: RdJB 1994.256. 1 Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages. Schule im Rechtsstaat, Band 1. 1981. S. 320 ff.
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das Hessische Schulverwaltungsgesetz von 1992 den Lehrern eine Stimmenmehrheit im Gremium sicherte, wurde in einigen anderen Ländern (Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz, Hamburg) eine "drittelparitätische" Besetzung durchgesetzt, die für die Vertreter der beteiligten "Gruppen", also Lehrer, Eltern und Schüler, je ein Drittel der Sitze vorsah. Neben der willkommenen Berufungsmöglichkeit auf das seinerzeitige Postulat einer egalitären Demokratisierung bot diese Version auch die Chance, der Macht der Lehrer, also der Repräsentanten des reaktionären Staates, im Sinne der 68er-Bewegung kräftig entgegenwirken zu können.
Mittlerweile sind - ausgehend von den sozialdemokratisch regierten Ländern als Vorreitern - entsprechende Gremien in allen Länderschulgesetzen einschließlich denen der "neuen" Länder institutionalisiert worden 8 •
ll. Die Schulkonferenz als Organ der Schulverwaltung eine Bestandsaufnahme 1. Aufgaben und Kompetenzen der Schulkonjerenz Die sog. Schulkonferenz soll nach dem Willen der meisten Landesgesetzgeber zentrales bzw. sogar "oberstes" Organ der schulischen Selbstverwaltung sein. In Bayern trägt sie den Namen "Schulforum" (Art.47 BayEUG), in Rheinland-Pfalz die Bezeichnung "Schulausschuß" (§ 38 SchulG RP). Bei aller äußerlichen Ähnlichkeit sind die Aufgaben und Kompetenzen des Organs "Schulkonferenz" (Schulforum, Schulausschuß) aber - je nach politischer Entstehungsgeschichte - recht unterschiedlich ausgestaltet. Die - von der Kulturhoheit der Lände.-9 gedeckte - Palette reicht von bloßen verfahrensmäßigen Beteiligungsrechten bis hin zu echten, bindenden Entscheidungskompetenzen. So beschränkt sich die Mitwirkung des Schulforums in Bayern nach Art. 47 Abs. 3 BayEUG auf ein Beratungs-, Empfehlungs- und Stellungnahmerecht zu Fragen, die Schüler, Eltern und Lehrer gemeinsam betreffen, so z.B. ein Stellungnahmerecht zu wesentlichen Fragen der Schulorganisation, zu Fragen der Schulwegsicherung und Unfallverhütung, zu schulischen Baurnaßnahmen, zum Erlaß von Haus- und Pausenordnungen. Entspricht die entscheidungsbefugte 8 § 47 SchulG BW; § 50 BerlSchulVerfG; § 16 MitwirkungsVO Brandenbg.; § 33 BremSchulVerwG; § 14 HambSchVG; § 128 HessSchulG; § 76 SchulG MV; §§ 23, 24 NdsSchulG ("Gesamtkonferenz"); § SchulMitwG NRW; § 44 SaarlSchulG; § 43 SächsSchulG; §§ 28, 29 SchulV Sachs.-Anh. ("Gesamtkonferenz"); § 91 SchulG SH; § 38 ThUrSchulG und §§ 41 f. ThUrSchuIO. 9 Hierzu M.-E. Geis, Die Kulturhoheit der Länder, Döv 1992,522 ff.
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Stelle einem Beschluß des Schulforums nicht, so muß dies begründet werden (Art. 47 Abs.4 BayEUG); weitergehende Bindungswirkungen sind nicht vorgesehen 10 • Ähnliche beschränkte Kompetenzen hat der Schulausschuß in Rheinland-Pfalz nach § 38 SchulG RP; hervorzuheben ist hier ein Anhörungsrecht bei Ausschluß eines Schülers oder dessen Androhung als Disziplinarmaßnahme (§ 38 Abs. 2 Zf. 4) und ein - verwaltungsverfahrensrechtlich interessantes - Anhörungsrecht bei Widersprüchen gegen Entscheidungen der Schule, wenn der Widerspruchsführer dies beantragt (Zf. 5). Die Hausordnung ist im Einvernehmen mit dem Schulausschuß herzustellen, dessen Fehlen jedoch durch die Entscheidung der Schulbehörde ersetzt werden kann (§ 38 Abs. 2). In den meisten Bundesländern sind jedoch der Schulkonferenz über solche formellen Beteiligungsrechte hinaus echte Entscheidungsrechte verliehen. So faßt etwa die Schulkonferenz in Baden-Württemberg nach § 47 Abs. 3, Abs. 7 SchulG BW für den Schulleiter und die Lehrer bindende Beschlüsse u.a. über die Eingehung von Schulpartnerschaften, die Unterrichtsverteilung auf fünf oder sechs Tage, den täglichen Unterrichtsbeginn, über allgemeine Angelegenheiten der Schülermitverantwortung, über diverse Stellungnahmen und über die Anforderung von Haushaltsmitteln gegenüber dem Schulträger. In anderen Bundesländern geht der Katalog noch erheblich weiter. In Berlin beschließt die Schulkonferenz u. a. auch über Grundsätze für Art und Umfang der Hausarbeiten und für die Raumverteilung, über Anträge auf Genehmigung von Schulversuchen und neuartigen Unterrichtsformen, über besondere Schulveranstaltungen; bemerkenswert ist, daß die Schulkonferenz hier sogar das Recht zur Abänderung von Beschlüssen der Gesamt(lehrer)konferenz zur einheitlichen Leistungsbeurteilung und zur Verwendung der zur eigenverantwortlichen Verwaltung zugeteilten Gelder hat ll . In weiteren Ländern entscheidet die Schulkonferenz u.a. originär über die Verwendung von Mitteln, die der Schule zur Eigenbewirtschaftung zugewiesen sind 12 • Grundsätzlich ist die Stellung der Schulkonferenz in den sozialdemokratisch regierten Ländern stärker ausgestaltet; so umfaßt der Katalog der Entscheidungskompetenzen der Schulkonferenz in § 129 des Hessischen Schulverwaltungsgesetzes vom 30 Juni 1992 13 19 Einzelziffern und der in § 92 des schleswig-holsteinischen Schulgesetzes sogar 23
10 FalckenberglSchiedermairlAmberg, Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen, 1988, Art.47 Anm. 8 mit Art. 45 Anm.2; vgl. auch BayVGH BayVBl. 1980, 244/245: kein Recht des Elternbeirats auf eine bestimmte Sachentscheidung. 11 § 50 BerlSchulVerfG; ähnlich auch § 16 MitwirkungsVO Brandenburg. 12 § 16 MitwirkungsVO Brandenburg. 13 HessGVBl. 1/15/1992, Nr. 240.
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Punkte. In Bremen wird sie in § 33 BremSchVwG als "oberstes Entscheidungsorgan" bezeichnet.
2. Der Dualismus von Schulleiter und Schulkonj'erenz Mit der Ausgestaltung der Schulkonferenz als Entscheidungsorgan stellt sich natürlich die Frage, wie sich die Kompetenzen der "klassischen" Schulleitung und der Schulkonferenz zueinand~r verhalten. Dieses Verhältnis wird insgesamt - ungeachtet naturgemäß erheblicher Abweichungen - deutlich inspiriert vom kommunalrechtlichen Vorbild Bürgermeister - Gemeinderat. So hat der Schulleiter gegenüber der Schulkonferenz regelmäßig die Befugnis, den Vollzug eines Beschlusses der Schulkonferenz, den er für rechtswidrig hält, auszusetzen und die Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde einzuholen (Beanstandungsrecht)14. Teilweise, so z.B. in Berlin 15 und in Schleswig-Holstein 16 , ist er auf diese interne, reine Rechtskontrollfunktion beschränkt. In anderen Ländern, wie z.B. in Baden-Württemberg und Bremen, hat der Schulleiter das Beanstandungsrecht auch dann, wenn er für die Ausführung eines Beschlusses der Schulkonferenz "die Verantwortung nicht übernehmen kann"; dies entspricht einer internen "fachaufsichtlichen" Kontrollfunktion 17 • Unterschiedlich ist auch das Verfahren nach einer Beanstandung ausgestaltet: In Baden-Württemberg und in Schleswig-Holstein hat sodann eine zweite Sitzung der Schulkonferenz stattzufinden, in der die Bedenken des Schulleiters behandelt werden 18 . In den meisten anderen Ländern tritt nach der Beanstandung sogleich die Schulbehörde auf den Plan. Dagegen hat der Schulleiter in keinem Landesschulgesetz ein unmittelbares Selbsteintrittsrecht, wenn er mit einem Beschluß der Schulkonferenz nicht übereinstimmt. Insgesamt zeigt die Entwicklung eine mehr oder weniger deutliche Abkehr von der klassischen, in die staatliche Verwaltungshierarchie eingegliederten Schulkonzeption hin zu einer dualistischen "Machtaufspaltung". Auch wenn die Schulkonferenz letztlich auf den Konsens mit Schulleiter und Schulbehörde angewiesen ist, hat sie doch ganz erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere dann, wenn sie Entscheidungsprozesse initiieren kann und nicht bloß auf eine reaktive Funktion beschränkt ist. § 22 Abs. 5 BerlSchulVerfG; VG Berlin, U. v. 14.6.1984, SPE n.P. 370 Nr. 17; OVG Berlin, U. v.19.12.1985, SPE n.F. 370 Nr. 18; Eiselt/Heinrich, Grundriß des Schulrechts in Berlin, 1990, S.88 mitFn. 12; § 21 Abs. 1 MitwirkungsVO Brandenbg. 16 § 96 Abs. 1 SchulG SH. 11 § 47 Abs. 7 SchulG BW; § 40 Abs. 1 Zf. 2 BremSchulVerwG. 18 § 47 Abs. 7 SchulG BW; § 96 Abs. 1 und 2 SchulG SH. 14
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3. Der Entwurf eines Hamburgischen Schulgesetzes vom 28.5.1996
Die zur Zeit aktuellste Schulrechtsänderung wurde durch den Entwurf eines Hamburgischen Schulgesetzes (HmbSG-E) vom 28.5.1996 eingeleitet 19 , das das Schulverfassungsgesetz 1973 und das Schulgesetz von 1977 ablösen sollte. Dieser Entwurf hatte zum Ziel, neben einer umfassenden Aktualisierung der rechtlich notwendigen Normierungen und der Anpassung der schulischen Organisation an geänderte soziale Verhältnisse vor allem die "Erziehungspartnerschaft" zwischen Elternhaus und Schule zu stärken. Neben den neu eingeführten Teilnahmemöglichkeiten von Eltern- und Schülervertretern an allen Lehrerkonferenzen war vor allem eine kompetenzielle Stärkung der schon bisher drittelparitätisch zusammengesetzten Schulkonferenz vorgesehen 20 • § 52 Abs. 1 erklärte sie zum "obersten Beratungs- und Beschlußorgan der schulischen Selbstverwaltung" und räumte ihr ein Befassungsrecht über alle wichtigen Angelegenheiten der Schule ein (Abs.2). § 53 des Entwurfs konstituierte einen (in der Endfassung beschnittenen) Katalog von Beschlußkompetenzen, der hier - auszugsweise - wiedergegeben sei: ,,( 1) 1Die Schulkonferenz beschließt mit einer Mehrheit von zwei Dritteln ihrer anwesenden Mitglieder auf der Grundlage von Vorlagen der Lehrerkonferenz über das Schulprogramm nach § 51 Absatz 2 Satz 2, insbesondere über 1. die Einrichtung fächerübergreifend zu unterrichtender Lernbereiche ... , 3. die Stunden- und die Pausenordnung, 4. die Kooperation mit anderen Schulen und außerschulischen Institutionen, 5. Maßnahmen zur Öffnung der Schulen gegenüber ihrem regionalen Umfeld, 6. Grundsätze der Verwendung der Personal- und Sachmittel, die der Schule zur eigenen Bewirtschaftung zur Verfügung stehen, im Rahmen ihrer Zweckbestimmung. 2Sie bewertet die Durchführun~ und den Erfolg der pädagogischen Arbeit der Schule nach § 51 Absatz 4. Beanstandet die Lehrerkonferenz mit einer Mehrheit von zwei Dritteln ihrer stimmberechtigten Mitglieder einen Beschluß der Schulkonferenz nach diesem Absatz, so ist entsprechend § 90 Absatz 2 zu verfahren21 • BUrgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - Drs. 15/5553. Drs. 15/5553, Begr., S. 30. 21 Diese Vorschrift sieht, wenn das beschließende Gremium seinen ursprünglichen Beschluß in einer weiteren Sitzung aufrechterhält, die Einholung der Entscheidung der Schulbehörde durch den Schulleiter vor. 19
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(2) Die Schulkonferenz beschließt ferner mit einer Mehrheit von zwei Dritteln ihrer anwesenden Mitglieder über einen Antrag 1. auf Einrichtung einer Integrationsldasse nach § 12 Absatz 2 Satz 122 , 2. auf Durchführung eines Schulversuchs23 oder Errichtung einer Versuchsschule24 oder auf Einrichtung besonderer Formen der Schulleitung gemäß § 10 Absatz 3 Satz 1 und § 97 Absatz 1 Satz
es ,
3. auf Führung der Schule als Ganztagsschule gemäß § 13 Absatz 1 Satz 3 oder auf Einrichtung von Betreuungsangeboten, 4. auf Einrichtung von integrierten Haupt- und Realschulklassen nach § 16 Absatz 3 Satz 2 26 , 5. auf Namensgebung für die Schule. (3) Die Schulkonferenz entscheidet mit einfacher Mehrheit über
1. die Hausordnung, 6. Grundsätze für die Überlassung von Räumen der Schule an Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und Schülerinnen und Schüler der Schule für andere als schulische Zwecke, 8. die Unterstützung einer Bewerberin oder eines Bewerbers für die Schulleitung gemäß § 93 Absatz 1 Satz 1 oder für eine FunktionssteUe gemäß § 96 Absatz 127 ." Nach § 55 setzt sich die Schulkonferenz aus dem Schulleiter und je nach Schulgröße 3-5 Vertretern des Eltern- und Schülerrats sowie der Lehrerkonferenz zusammen; dabei müssen die Schülervertreter mindestens der Jahrgangsstufe 7 angehören. 22 Es handelt sich um die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in ,,normale" Klassen. Einem solchen Beschluß muß die Schulbehörde nach § 12 Abs.2 Folge leisten, wenn die räumlichen, organisatorischen und personellen Voraussetzungen gegeben sind. Sie hat also kein Ermessen; die genannten Voraussetzungen sind vielmehr als unbestimmte Rechtsbegrife vollinhaltlich Uberprtlfbar. 23 Insbesondere neue Formen der Schulverfassung (Veränderungen der Schulorganisation oder der -inhalte). 24 Diese sollen - ähnlich wie Privatschulen - der Erprobung und Weiterentwicklung neuer Schulformen dienen. 25 Sogenannte ,,Kollegiale Schulleitung" und "Kollegiale Schulleitung auf Zeit". 26 Entsprechend § 16 Abs. 4 gilt Anm. 20 sinngemäß. 27 Nach § 94 Abs.l muß die Schulbehörde den unterstUtzten Kandidaten zum Schulleiter auf Probe (für 18 Monate) bestellen, es sei denn, daß die Lehrerkonferenz nach § 93 Abs. 1 S. 2 ihrerseits mit Zwei-Drittel-Mehrheit (I) einen abweichenden Gegenvorschlag macht; dann hat die Schulbehörde die Wahl zwischen beiden.
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Gegenüber den Kompetenzen der Schulkonferenz hat der Schulleiter die in § 90 des Gesetzesentwurfes vorgesehenen Kompetenzen: nach Abs. I das Beanstandungsrecht bei rechtswidrigen Beschlüssen und bei solchen, für die er die fachliche Verantwortung nicht übernehmen kann, und nach Abs. 2 die Pflicht, die Entscheidung der Schulbehörde einzuholen, falls sich auch einer weiteren Sitzung nach Beanstandung die Schulkonferenz nicht den Bedenken der Schulleiters anschließt. Desgleichen hat die Schulbehörde selbst die rechts-, fach- und dienstaufsichtlichen Befugnisse, freilich "unter Beachtung der Grundsätze der Selbstverwaltung". Sie kann im Rahmen dieser Aufgaben Anordnungen treffen und der Schulleitung sowie den Lehrkräften Weisungen erteilen. Unklar ist freilich, ob die "Grundsätze der Selbstverwaltung", wie die Formulierung es nahelegt, eine Einschränkung des Aufsichtsrechts bezüglich Beschlüssen der Selbstverwaltungsgremien bedeutet. Die Hamburger Senatsbehörde selbst hat dies in einer Stellungnahme verneint; diese Passage eröffne keinen "staatsfreien Raum", sondern verpflichte die Schulbehörde nur zu "behutsamem" Vorgehen, um die Zielvorgaben der Selbstverwaltung nach § 51 nicht zu gefährden 28 • Indes relativiert gerade diese verharmlosende Auslegung den Sinn des Gesetzes, spricht doch gerade § 52 Abs. 1 von der Schulkonferenz als dem obersten Gremium der schulischen Selbstverwaltung. Wie das letzte Beispiel zeigt, war dieser Schulgesetzentwurf schon im Vorfeld und sodann auch im Gesetzgebungsverfahren juristisch und pädagogisch heftig umstritten; in vier öffentlichen Sachverständigenanhörungen wurden überwiegend erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken geäußerr 9 • Die Bürgerschaft nahm das Gesetz schließlich in einer stark modifizierten Form an. Insbesondere wurde das von der Schulkonferenz zu beschließende Schulprogramm unter das Erfordernis der Genehmigung durch die Schulbehörde gestellt (§ 51 Abs.2 Satz 2 n.F.); gleichzeitig entfielen die Beschlußkompetenz für die Einrichtung integrierter Haupt- und Realschulklassen nach § 16 Abs. 3 Satz 2 n.F. und die Bindungswirkung eines Beschlusses zur Unterstützung einer Bewerberin oder eines Bewerbers um die Stelle des Schulleiters (§ 94 Abs. I n.F.).
28 Stellungnahme der Behörde fUr Schule, Jugend und Berufsbildung, in: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - Drs. 15nOOO, A 154, im Anschluß an ein Gutachten von Avenarius, ebda., A 165. 29 Vgl. die umfassende Dokumentation im Bericht des Schulausschusses in: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - Drs. 15nOOO vom 21.3.1997; vgl. auch Die Welt vom 4.1.1997, H I: "Schulgesetz: Eine verfassungswidrige Mogelpackung".
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ID. Das Problem der Legitimation der Schulkonferenz 1. Zur demokratischen Legitimation der Schulkonjerenz
Der vehemente politische Streit um das Hamburger Schulgesetz hat die Problematik der Legitimation von Selbstverwaltungsgremien noch einmal fokussiert vor Augen gestellt. Wie erwähnt, wurde die Institution "Schulkonferenz" in der allgemeinpolitischen Diskussion regelmäßig als Element (basis-)demokratischer Willensbildung qualifiziert. Diese Auffassung folgt offensichtlich einem vor allem in den Sozialwissenschaften und auch in der Politologie beheimateten extensiven Demokratieverständnis; Demokratie wurde und wird zur Forderung für die Gestaltung aller möglichen Institutionen und Vereinigungen, die in irgendeiner Form Macht ausüben 30 ,erhoben. Demokratie wird hier im Sinne einer Rechtfertigung autonomer "Selbstregierung" gesellschaftlicher Subeinheiten in eigenen Angelegenheiten gebraucht. Diese Auffassung ist mit dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes nicht vereinbar. Ungeachtet der Vielzahl der Demokratietheorien und der weitreichenden, oft diametralen Vorstellungen über Gestalt und Ausstrahlungskraft des Demokratieprinzips31 ist aus verfassungsrechtlicher Sicht festzuhalten: Demokratie im Sinne des Grundgesetzes bezeichnet die Regierungs- bzw. Herrschaftsform 32 , ist also Merkmal der verfaßten Staatsgewalt. Weitergehende Charakterisierungen als allgemeines analytisches Strukturprinzip oder gar als affirmatives Strukturgebot für die Gesellschaft im Sinne der Formeln von der Demokratie "als Lebensform,,33 oder der "Demokratisierung der Gesell30 Vgl. etwaR. Hartwich, Sozialstaatpostulat und gesellschaftlicher status quo, 1970, S. 362; NarrlNascJwld, Theorie der Demokratie, 1971, passim; Greiffenhagen (Hrsg.), Demokratisierung in Staat und Gesellschaft, 1973; F. Vilmar, Strategien der Demokratisierung, 2 Bde., 1973; D. Grosser, Demokratietheorie in der Sackgasse?, in: Achterberg, (Hrsg.), Öffentliches Recht und Politik. Festschrift rur H. U. Scupin zum 70. Geburtstag, 1973, S. 107 ff.; Zu den unterschiedlichen Konzeptionen G. Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, S. 78 ff.; für den Kulturbereich auch O. Schwencke, Demokratisierung des kulturellen Lebens, in: Hoffmann (Hrsg.), Perspektiven der kommunalen Kulturpolitik, 1974, S. 59 ff.; weit. Nachweise bei M.-E Geis, Kulturstaat und kulturelle Freiheit, 1990, S. 192 f. 31 Vgl. M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 138 ff. 32 K. Hesse, GrundzUge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1996, Rdn. 127 ff. (130); E.-W. Böckenförde, in: HStR I, § 22, Rdn. 8; K Stern, Staatsrecht, a.a.O., S. 629 ff. (631, 633) (Fn. 1); F. KirchJwf, Private Rechtssetzung, 1987, S. 112 f.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip ... , a.a.O., S. 171 ff. (Fn. 31). 33 Vgl. nur H. Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, S. 35 ff.; L. Roos, Demokratie als Lebensform, 1969; R. Bäumlin, Stw. ,,Demokratie", in: Evang. Staatslexikon I, 3. Aufl. 1987, Sp. 458 (466 f.); P. Hättich, Stw. ,,Demokratie", in: Staatslexikon I, Sp. 1182 (1184 f.). 4 FS Vogel
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schaft,,34 , wie es im Gefolge der seinerzeitigen Formel in der Regierungserklärung Willy Brandts "Mehr Demokratie wagen,,35 und oben erwähnten Demokratisierungseuphorie der späten sechziger und der siebziger Jahre verfochten wurde, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht abzulehnen. Nach dem unmißverständlichen Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 GG gilt: Träger demokratischer Legitimation kann allein das Volk als Ganzes sein36 . Von kleineren, abgegrenzten Einheiten des Volkes ("Teilvölkem") geht keine originäre demokratische Legitimationskraft aus37 . Ausnahmen gelten nur dann, wenn das Grundgesetz es selbst zuläßt. Die undifferenzierte Assoziation von Demokratie, Partizipation und BÜfgemähe unter dem Schlagwort "Basisdemokratie" täuscht daher eine Legitimation vor, die in dieser Form nicht bestehe8 • Demokratische Legitimation im staatsrechtlichen Sinne hat vielmehr zwei Komponenten: Zum einen muß die erforderliche ,,Legitimationskeue" - als Zurechnungszusammenhang vom Volk hin zur staatlicher Herrschaft - lückenlos hergestellt sein; dies erfolgt im Bereich der Verwaltung durch die Volkswahl des Parlaments, den Erlaß von Gesetzen, die Bestellung von Amtsträgem (organisatorisch-personelle Legitimation). Als zweite Komponente muß die demokratische Verantwortlichkeit als ,,Rückbindung" an das Volk durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung, die Verantwortlichkeit der Regierung vor dem Parlament und letztlich die Verantwortlichkeit des Parlaments vor dem Volk im nächsten Wahlakt gewährleistet sein (sachlich-inhaltliche Legitimation). Kontrolle als Korrelat von Verantwortung ist ein aus dem Demokratieprinzip abgeleitetes Verfassungsprin-
34 Umfangreiche Nachweise hierzu bei K. Stern, Staatsrecht, a.a.O .• S. 629 ff. (Fn. 1) mit Fnn. 262 ff.. und R. Hendler. Selbstverwaltung ...• a.a.O .• S. 315 (pn. 1) Fn. 61.; krit. U. Steiner. Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen. in: VVDStRL 42 (1984) 7 (32); ders. in: HStR Ill. § 86 Rdn.7. sowie M.-E. Geis. Die öffentliche Förderung sozialer Selbsthilfe. 1997. 106. 35 BT-Plen.prot. 6/5. Sitzung vom 28.10.1969. S. 20. 36 BVerfGE 83. 60 (73 ff.); D. Ehlers. Verwaltung in Privatrechtsform. 1984. S. 124 ff.; E. W. Böckenförde. in: HStR I. § 22 Rdn. 26. 29; E. Schmidt.Aßmann. Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff. in: AöR 116 (1991). S. 329 (350); R. Herzog. in: MaunZ/DUrig. GG. Art. 20 II. Rdn. 52 f.; M. Jestaedt. Demokratieprinzip .... a.a.O .. S. 204 ff. insb. 215 ff. (pn. 31). 37 BVerfGE 83. 60 (75); E. W. Böckenförde. in: HStR I. § 22 Rdn.9. passim; F. Kirchhof, Private Rechtssetzung. 1987. S.506. Vgl. auch BremStGH DOV 1992. S. 164. und dazu M. Jestaedt. Der Staat 32 (1993). S. 29 (32). 38 E. W. Böckenförde. in: HStR I. § 22 Rdn. 30; krit. auch W. Seibel. Der Staatsstil für Krisenzeiten: Selbststeuerung öffentlicher Aufgabenträger und das Problem der Kontrolle. in: Polit. Vierteljahresschrift 1987. S. 197 (213).
Möglichkeiten und Grenzen schulischer Partizipationsregelungen
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zip 39. Demokratische Legitimation etfolgt jeweils durch das gesamte Staatsvolk. Eine Ausnahme gilt nur für den kommunalen Bereich, da Art. 28 Abs. 1 S.2 GG insofern eine - nicht übertragbare - Sonderregelung trifft, die dem "Volk" auf Gemeinde- oder Kreisebene eine eigene Legitimation verleiht40 . Im übrigen ist es grundsätzlich vetfassungsrechtlich nicht zulässig, daß anstelle des Gesamtstaatsvolkes einer durch örtlichen oder einen sonstigen speziellen Bezug verbundenen, gesetzlich gebildeten kleineren Gesamtheit von Staatsbürgern (als "Teilvolk") demokratische Legitimationskraft zuerkannt wirrj.vatschulträger eine nicht unerhebliche Eigenleistung zur Unterhaltung ihrer Schulen zu erbringen haben'.s4 , feststellt, "daß jedenfalls die Erhöhung der Eigenleistung um 4 auf 10 % ... den verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen noch nicht sprengt"SS , so ist doch vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Zuschußsituation evident, daß die Zuschüsse vielfach unzulänglich sind und in einigen Ländern die Ersatzschulen in jüngster Zeit durch globale Kürzungen der Zuschüsse zusätzliche existenzbedrohende Einbußen erlitten haben. Soll die Existenzfahigkeit des Ersatzschulwesens strukturell mit einer hinreichenden Kalkulationsbasis für die Schulträger gesichert werden, so kann nach Ansicht des Verfassers die zulässige Eigenleistung maximal 15 bis 20 vom Hundert betragen. Hierbei gehen die Überlegungen davon aus, daß es sich um den Pro-Schüler-Kopf-Satz handelt, der den Eigenanteil des Schulträgers pro Schüler im Durchschnitt bestimmt und nicht mit dem zu zahlenden Schulgeld pro Schüler identisch ist. Dem Schulträger obliegt also die wirtschaftliche Verantwortung, dafür zu sorgen, daß dieser Pro-Schüler-Kopf-Satz erreicht wird. Dieser Betrag kann unter dem Gesichtspunkt des Sonderungsverbots nicht als Schulgeld pro Schüler als zulässig erachtet werden, sondern muß dynamisch betrachtet werden, da bei der Bestimmung des Eigenteils des Schulträgers ein allgemeinverbindlicher Richtsatz anzunehmen ist, im Rahmen des Sonderungsverbots jedoch die Anzahl der Kinder einer Familie, die eine solche Schule besuchen, mitberücksichtigt werden muß. Es obliegt hierbei der wirtschaftlichen Verantwortung des Schulträgers, daß dieser Schüler-pro-Kopf-Anteil auf der Basis eines sozial verträglichen Schulgeldes zuzüglich Eigenanteil erreicht wird. Wo dieses Schulgeld pro Schüler nicht ausreicht, muß der Schulträger entweder über Spenden oder Zuschüsse Dritter oder vorübergehend auch über Kredite seinen Eigenanteil tragen. Bei der Bestimmung dieses Eigenanteils muß aber berücksichtigt werden, inwieweit es dem Schulträger überhaupt möglich ist, solche zusätzlichen Einnahmen zu erzielen. Ist dies generell und strukturell ausgeschlossen, kann sich aus der Schutz- und Förderpflicht des Staates - entgegen der Annahme des Kammerbeschlusses - sehr wohl die Verpflichtung ergeben, sämtliche Kosten jenseits des zulässigen Schulgeldes zu bezuschussen, soweit es sich um laufende Kosten handelt.
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KlöpferlMesserschmidt, Privatschulfreiheit, a.a.O., S. 201. Ralf Bernhard, Zu den verfassungsrechtiichen Grenzen, a.a.O., S. 305. Ralf Bernhard, Zu den verfassungsrechtiichen Grenzen, a.a.O., S. 304
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Mit der Festlegung bestimmter prozentualer Grenzen, innerhalb derer dem Gesetzgeber sicher ein gewisser Gestaltungspielraum zuzugestehen ist, ist einerseits die Gestaltungsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers gewahrt, anderseits aber eine verobjektivierbare Bestimmung des Eigenleistungsanteils möglich, die eine sichere Kalkulationsbasis schafft, die von einem bezüglich der Kausalität nur schwer zu spezifizierendem Haushaltsdefizit Abstand nimmt und den bisherigen Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts zum Sonderungsverbot und einer angemessenen Eigenleistung Rechnung trägt. In diesem Kontext sei angemerkt, daß diese prozentuale Bestimmung des Eigenanteils im internationalen Vergleich noch unter dem Richtsatz von 85 vom Hundert liegt, der die Basis für die Bezuschussung der Schulen in freier Trägerschaft in den Ländern ist, die vergleichbar dem deutschen Verfassungsverständnis den Grundsatz der Privatschulfreiheit mit dem der sozialstaatlichen Sicherung der Chancengleichheit und allgemeinen Zugänglichkeit sichern wollen, wie z.B. in Dänemark, Norwegen, Finnland und Schweden, wo in den letzten Jahren die Schulgesetze novelliert wurden, um die Existenzsicherung des Schulwesens in freier Trngerschaft in einer Weise zu gewährleisten, die gleichzeitig dem dem Sozialstaatsgebot innewohnenden Prinzip allgemeiner Zugänglichkeit entspricht.
4. Die Bestimmung des zulässigen Schulgeldes unter dem Gesichtspunkt des Sonderungsverbots Nach Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG ist die Genehmigung für den Betrieb einer Ersatzschule zu verweigern bzw. zurückzunehmen, wenn durch das vom Schulträger erhobene Schulgeld eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern zumindest gefördert wird. Das Bundesverfassungsgericht geht in der sog. Wartefristentscheidunl6 davon aus, daß ein Schulgeld in der Größenordnung von monatlich 170 bis 190 DM nicht von allen Eltern getragen werden kann. Hierbei geht das Bundesverfassungsgericht in seiner Senatsrechtsprechung von einer Suspension des Sonderungsverbots während der Gründungsphase aus, weil beim Sonderungsverbot zwischen der Gründung einer Schule und der bloßen Nutzung, bei der erhöhte Anforderungen an das Sonderungsverbot zu stellen sind, zu unterscheiden sei. Diese Aussage in der Wartefristentscheidung wird allgemein dahingehend interpretiert, daß das Bundesverfassungsgericht damit Schulgelder in Höhe von 170 bis 190 DM für bestehende Schulen als verfassungswidrig ansieht,
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mit der Folge, daß die staatlichen Zuschüsse angesichts der Schulgeldsituation in den Bundesländern drastisch erhöht werden müßtenS7 • Bei einer systembezogenen erforderlichen typisierenden Betrachtungsweise ergibt sich demnach, daß selbst unter Berücksichtigung einer eventuellen Eigenleistung der Eltern, die über ein reines Schulgeld hinausgeht, eine monatliche Belastung, die 170 bis 190 DM im Durchschnitt pro Monat und Familie als Regelleistung für eine eingeführte Schule übersteigt, als nicht mehr verfassungsmäßig hinnehmbar anzunehmen, wenn nur damit die laufenden Kosten des Schulträgers kostendeckend beglichen werden könnten. Hierbei ist zugrunde gelegt, daß ein evidenter Verstoß gegen das Sonderungsverbot zumindest dann vorliegt, wenn der Betrag von 170 bis 190 DM Eigenleistung pro Familie erheblich, d.h. um mehr als 20 % überschritten wird. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur zulässigen Schulgeldhöhe bei der Prüfung einer Verletzung des Sonderungsverbots nicht darlegen, ob es sich auf das durchschnittliche Schulgeld pro Schüler oder auf das verfassungsrechtlich zumutbare Schulgeld pro Familie bezieht. Eine Konkretisierung des Sonderungsverbots setzt aber eine familienbezogene, d.h. auf das familiäre Gesamteinkommen bezogene Betrachtungsweise voraus, da nur diese die verfassungsrechtliche Beurteilung des Sonderungsverbots ermöglicht. Hierbei geht der Verfasser davon aus, daß z.B. ein Schulgeld von 150 DM pro Kind bei Familien mit mehreren Kinder einen Verstoß gegen das Sonderungsverbot begründen würde, ein Schulgeld von 150 DM bei einer Familie mit einem Kind jedoch nicht.
IV. Der Vorbehalt des Möglichen als Grenze der Förderungspflicht des Staates in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit der Finanzhilfeentscheidung von 1987 steht die Förderungspflicht des Staates für das private Ersatzschulwesen über die Beschränkungen durch das Erfordernis einer angemessenen Eigenleistung und die Sicherung lediglich des Existenzminimums 57 Benediletus Hardorp, Neue Maßstäbe in der staatlichen Finanzhilfe für Freie Schulen?, in: MüllerlJeand'Heur (Hrsg.), Zukunftsperspektiven, a.a.O., S.117, 147; Paul Theuersbacher, Die neueste Rechtsprechung, aa.O., S.497, 505; Johann Peter Vogel, Die Privatschulförderung vor dem Hintergrund der neuen Rechtsprechung Entwicklung des Finanzhilferechts, a.a.O., S. 167, 185.
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hinaus unter dem Vorbehalt dessen, was vernÜßftigerweise von der Gesellschaft verlangt werden kann 58 • Obgleich dieser Grundsatz verfassungsrechtlich unbestritten ist, bereitet seine Konkretisierung erhebliche Schwierigkeiten.
1. Die Rechtsfigur des .. Vorbehalts des Möglichen" und seine Bedeutung in der leistungsrechtlichen Judikatur Die Rechtsfigur des "Vorbehalts des Möglichen" hat die Finanzhilferechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der sog. Numerus-clausus-Rechtsprechung und der Begrenzung der aus Art. 12 Abs. 2 GO hergeleiteten, vom einzelnen einklagbaren Teilhaberechte entnommen. Grundrechtstheoretisch ist die Rechtsfigur des Vorbehalts des Möglichen derart unbestimmt, daß von Mutius schon in seiner Erörterung der Numerus-clausus-Entscheidung aus dem Jahre 1972 von einer "in ihrer mangelnden Bestimmtheit kaum noch zu überbietenden" Formulierung sprach und anzweifelte, ob diese ,.Leerformeln" durch Hinweise auf die Kompetenz des Gesetzgebers und dessen Bindung an Art. 109 Abs.2 und 91 a GG sowie durch die Übernahme seiner im Bereich staatlicher Teilhabegewährungen entwickelten "erst recht Geltung beanspruchenden Gemeinwohljudikatur" rational erfaßbare Konturen erlangen könne59 , so daß eine Konkretisierung erhebliche Probleme bereitet. Allgemein handelt es sich bei diesem Möglichkeitsvorbehalt um eine Orientierung an der Leistungsfähigkeit des Staates, die als Grenze der Verfassungsverwirklichung angesehen wird6o • Hierbei ist unbestritten, daß ein unbegrenztes, subjektives Anspruchsdenken auf Kosten der Allgemeinheit mit dem Sozialstaatsprinzip unvereinbar ist61 • Für die Interpretation des "Vorbehalts des Möglichen" muß aber sowohl der spezifische Normcharakter des Art. 7 Abs. 4 GO für eine sachgerechte systematische Bestimmung des Umfangs der Leistungspflicht herangezogen werden, als auch auf den konkreten Kontext der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts im Numerus-clausus-Urteil hingewiesen werden, um eine Fehlinterpretation zu vermeiden, die die Existenz der Institution des privaten Ersatzschulwesens gefährdet. BVerfGE 75, 40 (68). Albert von Mutius, Grundrechte als Teilhaberechte - zu den verfassungsrechtlichen Aspekten des "numerus clausus", VerwAreh 1973, 183, 191 f.; zur Kritik s. a. Alexander Cellarius, Die bundesdeutsche Rechtsprechung zur Problematik des numerus clausus aus der Sicht des sozialen Rechtsstaates. Frankfurt 1983, S. 20., Peter Häberle, Das Bundesverfassungsgericht im Leistungsstaat - Die numerus-clausus-Entscheidung vom 18.7.1972, DÖV 1972,729,734. 60 Siehe hierzu Stefan U. Hirtschulz, numerus clausus und Verfassungsverwirklichung. Berlin 1979, S. 335 m.w.N. 61 Alexander Cellarius, Die bundesdeutsche Rechtsprechung zur Problematik des numerus clausus, a.a.O., S. 18 f. 58
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Schon Häberle hat darauf hingewiesen, daß das dem Vorbehalt des Möglichen immanente "Wort vom 'Notwendigen und Möglichen' je nach Grundrecht der Differenzierung bedarf,62 , und schon Christian Starck hat 1976 ausgeführt,. daß trotz aller grundsätzlichen Bedenken gegen die Herleitung einklagbarer Teilhaberechte aus den Grundrechten, durch die die grundgesetzliche Haushalts- und Finanzkompetenz gefährdet wäre, weil "durchsetzbare Teilhaberechte letzten Endes dazu führen (würden), daß nahezu die gesamte Haushaltspolitik verfassungsrechtlich festgelegt wird,,63 , sich diese Beurteilung im Falle eines verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Privatschulfinanzierung grundlegend von anderen Teilhabeansprüchen unterscheidet und aus verfassungstheoretischer Sicht "keine Haushalts- und Finanzprobleme aufwirft ... [und] die Argumente gegen die Teilhabegrundrechte in diesem Fall nicht ein(greifen),,64 . Mit dem Vorbehalt des Möglichen soll originären Leistungsansprüchen, die als subjektives Recht unmittelbar aus der Verfassung abzuleiten sind, Einhalt geboten werden, um die Verantwortung und Gestaltungsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers zu achten65 . In diesem Kontext will das Bundesverfassungsgericht Schranken setzen, um nicht zugunsten individueller Anspruche die Funktionsfahigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu gefahrden 66 • Dies bedeutet, daß zwar Teilhaberechte wie staatliche Schutz- und Förderungspflichten unter dem Vorbehalt des Möglichen stehen67 , doch gleichwohl ist damit kein ,,Freibrief' für den Haushaltsgesetzgeber verbunden, sondern dieser hat sehr wohl unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine Abwägung der verschiedenen Gemeinschaftsbelange und dem an sich bestehenden Leistungsanspruch des Grundrechtsträgers vorzunehmen. Hierbei müssen bei einer Gefahrdung der Grundrechtsausübung durchaus andere sozialstaatliche Belange zuriicktreten68 . Peter Häberle, Das Bundesverfassungsgericht im Leistungsstaat, a.a.O., S. 729, 734. Christian Starck, Staatliche Organisation und staatliche Finanzierung als Hilfen zu Grundrechtsverwirklichungen?, in: ders. (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grund62 63
gesetz, Bd. 2. TUbingen 1976, S. 480, 518. 64 Ch. Starck, Staatliche Organisation und staatliche Finanzierung, a.a.O., S. 480, 525. 6S Siehe hierzu auch Peter J. Tettinger, das Grundrecht der Berufsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 108,92, 127 f. 66 BVerfGE 33,303 (334). 61 Rittstieg, Kommentar zum GG (Reihe Alternativkommentare), 2. Aufl. Neuwied 1989, Art. 12 Rdnr. 138. 68 So auch Cellarius trotz seiner die Dispositionsbefugnis des Haushaltsgesetzgebers grundsätzlich bejahenden Position bei möglichen Ansprüchen von Hochschulbewerbern im Rahmen des Art. 12 GG bei einer "wegen einer ständig größer werdenden Ablehnungsquote eskalierenden Situation", Alexander Cellarius, Die bundesdeutsche Rechtsprechung zur Problematik des numerus clausus, a.a.O., S.21; weitergehender Rolf Naujoks, numerus clausus - geschlossene Universität in einer offenen Gesellschaft?, Diss. Mainz 1972 S. 76 ff.; ders., Der innere numerus clausus, WissR 1974,221 ff.
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Überträgt man diese Grundsätze auf den Schutzbereich des Art. 7 Abs. 4 GG in seiner leistungsrechtlichen Komponente, so heißt dies, daß die Schulträger einen besonderen Anspruch auf Sicherung ihrer Existenzgrundlage haben. Kürzungsmaßnahmen sind zwar als solche in Haushaltsengpässen oder Notlagen zulässig, unterliegen jedoch einem strengen Maßstab. Dies gilt in jedem Falle für Kürzungen des Zuschußetats, kann aber auch einen Anspruch auf eine Erhöhung der Zuschußleistungen begründen, wenn ansonsten die Existenz der Privatschulen gefährdet ist. Hierbei sind an den Gesetzgeber strenge Darlegungspflichten zu stellen, wenn er der gebotenen Erhöhung bzw. Beibehaltung der bisherigen Leistungen nicht nachkommt. Danach kann bei einer Gefahrdung der Existenz der Institution auch in Zeiten angespannten Haushalts ein Anspruch nicht nur auf Beibehaltung, sondern auf Erhöhung der Zuschüsse bestehen. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welches im Numerus-clausus-Urteil betont hat, daß ungeachtet des Postulats des Vorbehalts des Möglichen Leistungsansprüche gegen den Staat nicht auf das jeweils Vorhandene beschränkt seien69 • Allein dann, wenn durch eine Erhöhung der Zuschüsse bzw. Nichtkürzung eine grobe finanzielle Einseitigkeit in der Haushaltsmittelvergabe im Sinne einer haushaltsrechtlich nicht tragbaren Belastung anzunehmen wäre, könnte eine Verletzung des Grundsatzes des Vorbehalts des Möglichen gerechtfertigt sein und etwaigen Leistungsansprüchen entgegenstehen. Insofern greift eine grundsätzlich bestehende Bindung des Haushaltsgesetzgebers an die Grundrechte, weil der Staat in erster Linie an seiner Verpflichtung zur Erfüllung der ihm verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben einschließlich der Erfüllung von Leistungsansprüchen festzuhalten hat. Ein Spielraum bleibt der Gesetzgebung erst nach der Erfüllung dieser pflichten70 • Insofern erweist sich der Wandel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Abkehr von einer leistungsrechtlichen Teilhabequalität der Grundrechte insgesamt hin zu einer normspezifischen Begründung von Schutzpflichten aufgrund des absoluten Ausnahmecharakters des Art. 7 Abs. 4 GG als striktere Bindung des Haushaltsgebers. Wären nämlich die Grundrechte insgesamt als mit Teilhabequalität im Sinne subjektiv einklagbarer Rechtsansprüche zu verstehen, würde dies womöglich bei der generellen Verpflichtung zur Normierung ganzer Leistungssysteme zu einer Gefahrdung des Staatshaushalts führen können71. Da aber Art. 7 Abs. 4 GG in seiner leistungsrechtlichen
70
BVerfGE 33, 303 (333). Bettina C. Elles, Die Grundrechtsbindung des Haushaltsgesetzgebers. Berlin 1996,
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Siehe auch Bettina C. Elles, Die Grundrechtsbindung, a.a.O., S. 53.
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Komponente eine Ausnahme im Grundrechtsensemble darstellt und bei Verweigerung staatlicher Leistungen in einzigartiger Weise in einer ansonsten eintretenden evidenten Gefährdung der Grundrechtsausübung wurzelt, zudem nach der Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch das Sozialstaatsprinzip verstärkt wird, wirkt hier die Grundrechtsbindung im Sinne eines finanziellen Beschaffungszwanges. Um dies zu verdeutlichen, ist es notwendig, sich die materiell-rechtliche Qualifizierung der staatlichen Finanzhilfe zu vergegenwärtigen. Weitläufig werden staatliche Zuschüsse an Schulen in freier Trägerschaft als "Subventionen" bezeichnet und die Grundsätze zur Gestaltungsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers hierauf angewendet. Der Anspruch auf staatliche Finanzhilfe unterscheidet sich jedoch grundlegend von staatlichen Subventionen, die - obgleich ein einheitlicher und allgemein gültiger Subventionsbegriff nicht existiert72 - dadurch gekennzeichnet sind, daß ihre Gewährung sowohl weitgehend in das Belieben des Gesetzgebers gestellt als auch durch das Prinzip der Befristung geprägt ist73 • Subventionen sind danach ihrem Wesen nach zeitlich begrenzt und jederzeit - im Rahmen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes, wie er vom Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 30, 392 (404) entwickelt und nunmehr in ständiger Rechtsprechung anerkannt ist - beendbar74 . Für Zuschüsse an Schulen in freier Trägerschaft gilt dies nicht. Finanzhilfeleistungen gemäß Art. 7 Abs.4 GG sind danach keine Subventionen im materiell-rechtlichen Sinne, weil ihre Gewährung einer verfassungsrechtlichen Leistungspflicht entspricht, nicht im Ennessen des Gesetzgebers und der Verwaltung liegen und auf Dauer ausgerichtet sind75 . Soweit in der früheren Literatur zum Subventionsrecht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts76 die Ansicht vertreten wurde, Art. 7 Abs.4 GG gebe den Privatschulen "einen Anspruch auf Gewährung von Subventionen,,77, so ist diese Auffassung spätestens mit der Finanzhilfeentscheidung des Bundesver72 Markus Nieder-Eichholz, Die Subventionsordnung, Berlin 1995, S. 20. 73 Vgl. z.B. Markus Nieder-Eichholz, Die Subventionsordnung, a.a.O., S. 122,236. 74 Siehe auch Wilhelm Henke, Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht. TUbingen 1979, S. 110. 7S Gegen die Qualifizierung als bloße Subvention auch Johann Peter Vogel, BEFf 23.7.2. 76 BVerwGE 23,347 (349); BVerwGE 27, 360. 77 Albert Bleckmann, Subventionsrecht. Stuttgart 1978, S. 32; Ernsl-Wolfgang Bökkenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, 1529, 1536; Peter Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVdSTRL 30 (1972) 137; a.A. (kein Anspruch auf "Subventionen" noch: Ernsl-Wolfgang Böckenförde, Grundrechtstheorie, a.a.O., S. 1529, 1531; Wolfgang Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, VVdSTRL 30,7,27,33m.w.N.
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fassungsgerichts aus dem Jahre 1987 78 überholt, womit der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers wesentlich stärker beschränkt wird als bei klassischen "Subventionen". Dementsprechend spricht das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung im Rahmen der Privatschulförderung nicht von einer Subvention, sondern einer ,,Förderungspflicht". Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Rechtsprechung im Finanzhilfeurteil eine Abkehr von seiner in der Numerus-clausus-Entscheidung79 entwickelten und auch im Hochschul-Urteil80 noch beibehaltenen grundrechtstheoretischen Begründung von Leistungsansprüchen im Sirme von Teilhaberechten vollzogen, indem das Gericht an die Anknüpfung hieran verzichtet und eine normspezifische Interpretation in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip entwickelt, die in die staatliche Schutz- und Förderungspflicht des privaten Ersatzschulwesens mündet, ohne daß der einzelne Schulträger hieraus einen subjektiven unmittelbar einklagbaren Rechtsanspruch auf die Gewährung von Zuschußleistungen herleiten kann 81 • Indem das Gericht eine Schutzbereichstheorie jenseits allgemeingültiger grundrechtstheoretischer Aussagen über die Teilhabequalität der Grundrechte an sich entwickelt, die durch die Komponenten der Gründungsfreiheit und der institutionellen Garantie des Ersatzschulwesens geprägt ist und den für die Schulgesetzgebung ausschließlich zuständigen Ländern die Verpflichtung auferlegt, "das private Ersatzschulwesen neben dem öffentlichen Schulwesen zu fördern und in seinem Bestand zu schützen", entwickelt das Bundesverfassungsgericht unabhängig von der Frage, ob es sich hierbei um originäre oder derivative Teilhabeansprüche handelt82 , eine objektive Förderungspflicht im Sirme einer Interventionsgarantie83 , die nicht nur einer Verobjektivierung zugänglich ist, sondern allen Befürchtungen eines "Ausuferns" leistungsrechtlicher Ansprüche durch eine allgemeine Weiterentwicklung grundrechtlicher Freiheiten von Abwehrrechten zu Teilhaberechten deutliche Grenzen setzt. Damit wird Art. 7 Abs. 4 GG zu einem grundrechtlichen Sonderfall, welcher nicht nur für die Begründung von Leistungsansprüchen, sondern auch für die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Schranken lei-
BVerfGE 75, 40. BVerfGE 33,303 (330 ff.). 80 BVerfGE 35, 79 (114 f.). 81 Siehe hierzu vor allem Michael Hund, Staatliche Schutzpflichten statt Teilhaberechte, in: Walther Fürst/Roman Herzog/Dieter C. Umbach, Festschrift für Wolfgang Zeidler, Berlin 1987, Bd. 2, S. 1445, 1149 ff.; Friedrich Müller, Die Positivität der Grundrechte, 2. Aufl. Berlin 1990 S. 120 ff. 82 Zur Diskussion hierUber s. vorstehend. 83 Siehe hierzu vor allem Michael Hund, Staatliche Schutzpflichten, a.a.O., S. 1445, 1450 f. 78
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stungsrechtlicher Ansprüche von Bedeutung ist. Wenn nämlich Art. 7 Abs. 4 GG einen einzigartigen Sonderfall leistungsrechtlicher Ansprüche darstellt, so sind die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter dem Gesichtspunkt einer allgemeinen Teilhabeproblematik entwickelten Grenzen des Vorbehalts des Möglichen anders zu gewichten als im Falle leistungsrechtlicher Ansprüche, die potentiell auch für alle anderen Grundrechte gelten. Insbesondere die Annahme einer Gefährdung der Haushaltshoheit des Gesetzgebers wird durch die in der Finanzhilfeentscheidung von 1987 entwickelten Kriterien der Boden entzogen. Darüber hinaus wird aber auch klar, daß der sog. Vorbehalt dessen, was der einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft verlangen kann, einer weitaus größeren Konkretisierung zugänglich ist als bei der Annahme eines universell bestehenden Teilhabecharakters der Grundrechte.
2. Andere wichtige Gemeinschajtsbelange und das Haushalts- und Budgetrecht des Gesetzgebers Nach dem Finanzhilfeurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1987 ist es allgemein anerkannt, daß der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers "im Interesse des Gemeinwohls auch die Befugnis (umfaßt), die nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Mittel für andere wichtige Gemeinschaftsbelange einzusetzen84 . So darf er bei notwendigen allgemeinen Kürzungen den Gesamtetat für das öffentliche und private Schulwesen herabsetzen und damit auch die Basis für den Einsatz öffentlicher Finanzmittel im staatlichen und privaten Bildungsbereich verändern,,85 . Jeand'Heur hat dies in seiner Analyse des Finanzhilfeurteils von 1987, daß "die Förderungspflicht von vornherein unter dem Vorbehalt dessen (steht), was vernünftiger Weise von der Gesellschaft erwartet werden kann", dargelegt86 . Als die Übernahme eines sog. Haushaltsvorbehalts aus der Numerus-claususJudikatur in die Rechtsprechung zu Art. 7 Abs.4 GG interpretiert Jeand'Heur, die im Normbereich des Art. 7 Abs. 4 GG nur modifiziert Anwendung finden könne, weil ,,- und hier könnte ein absoluter Sonderfall im Grundrechtskatalog vorliegen - aus dem normalen Gehalt des Grundrechts selbst (folgt), ... daß es gerade nicht im Belieben des Landesgesetzgebers liegt, ob er, unter haushaltsplanerischen Gesichtspunkten, die Unterstützung des Privatschulwesens "einfriert" oder gar zugunsten anderer, verfassungsrechtlich nicht abgesicherter BVerfGE 33,303 (335). 85 BVerfGE 75, 40 (68 f.). 86 Bernd Jeand' Heur, Methodenanalyse, freiheits- und leistungsrechtliche Konsequenzen des Finanzhilfe-Urteils, in Müller/Jeand' Heur (Hrsg.), Zukunftsperspektiven der Freien Schule, 2. Aufl. Berlin 1996, S. 55 f. 84
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Belange zurücksteUt87 ... Insofern wird in der Literatur und der Rechtsprechung zu Recht betont, daß die dem Landesgesetzgeber obliegende Leistungspflicht nicht unter einem einfachen Haushaltsvorbehalt steht88 • Unter Bezugnahme auf die vorstehenden Ausführungen zu einem etwaigen Haushaltsvorbehalt ist auch der Begriff der Berücksichtigung anderer wichtiger Gemeinschaftsbelange justitiabel. Danach sind sicher alle verfassungsrechtlich hergeleiteten Rechtspositionen und Leistungspflichten der staatlichen Privatschulförderung gleichrangig. Dieses umfaßt beispielsweise die Beamtenbesoldung und sonstigen Verpflichtungen aus Art. 33 Abs.5 GG. Andere wichtige Gemeinschaftsbelange sind also in erster Linie sozialstaatliehe Verpflichtungen im Rahmen der Daseinsvorsorge, die aus den objektiven Grundentscheidungen der Verfassung, wie sie in den Grundrechten z.B. in Art. 6 GO in der Pflicht, Ehe und Familie zu schützen (Abs. 1), jeder Mutter Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft zu gewähren (Abs.4) und den unehelichen Kindern die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern (Abs. 5) oder auch in den Teilhaberechten an Ausbildungsmonopolen des Staates im Rahmen des Art. 12 GG zum Ausdruck kommen, begründet werden. Der Begriff der anderen wichtigen Gemeinschaftsbelange ist danach nicht auf Kürzungen im Schulbereich beschränkt, muß aber diesen als wichtigen Gemeinschaftsbelang bei den gesetzgeberischen Entscheidungen besonders berücksichtigen. Hierbei ist zu vergegenwärtigen, daß Art. 7 Abs. 4 GG - wie auch Art. 6 Abs. 1 - eine Institutsgarantie enthält und damit einen besonders wichtigen Gemeinschaftsbelang darstellt. Klassische Subventionen sind - jedenfalls dann, wenn sie nicht primär einem der Ziele des Art. 109 Abs. 2 GG dienen - nicht in gleicher Weise verfassungsfeste Leistungspflichten des Staates wie der Anspruch auf Zuschüsse nach Art. 7 Abs.4 GG. Bevor der Staat jedoch diesen verfassungsfesten Pflichten nicht nachgekommen ist, sind diese vorrangig zu erfüllen, und der Gestaltungsspielrnum ist etwa bei der Vergabe von Subventionen beschränkt. Dies "bedeutet, daß der Haushaltsgesetzgeber zumindest diejenigen Reaktions- und Beschaffungsmöglichkeiten ausschöpfen muß, die ihm im Rahmen der Etatbewirtschaftung grundsätzlich zur Kompensation bestimmter Fehlentwicklungen zur Verfügung stehen. Erst wenn diese Mittel erschöpft sind, ist die Grenze 87 Bernd Jeand'Heur, Methodenanalyse, freiheits- und leistungsrechtliche Konsequenzen, a.a.O., S. 55 f. 88 Bernd Jeand'Heur, Methodenanalyse, freiheits- und leistungsrechtliche Konsequenzen, aa.O., S. 68, 76; Friedrich Müller, Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Schulgesetzgebung zur Regelung des Privatschulbereichs - ein Rechtsgutachten, veröffentlichte Privatkopie 1991; MüllerlPierothlFolunann, Leistungsrechte, a.a.O., S. 160 f.; VG LUneburg, Beschluß -IB 36/97 - v. 2.6.1997.
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des Möglichen erreicht. Wo die Grenze der Verpflichtung des Haushaltsgesetzgebers zur ..Mittelbeschaffung" im einzelnen zu sehen sind, bestimmt sich insbesondere an den bestehenden verfassungsrechtlichen Prioritäten,,89 . Damit kommt den Leistungsansprüchen aus Art. 7 Abs. 4 GG eine besondere Schutzqualität zu und ist eine Position zurückzuweisen, die dem Haushaltsgesetzgeber quasi durch die Hintertür die Möglichkeit eröffnet, unter Verweis auf politische Prioritätensetzung den Normcharakter des Art. 7 Abs. 4 GG auszuhebeln. In diesem Sinne ist es keinesfalls so, daß die Schutz- und Förderungspflicht ..vor allem und von vornherein" dem Gesetzgeber das uneingeschränkte Recht einräumt, die in der Tat nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Mittel für andere, nicht näher spezifizierte Gemeinschaftsbelange einzusetzen, die nicht gleicher Schutzintensität unterliegen, und dem Haushaltsgesetzgeber diesbezüglich einen weiten Freiraum einräumen90 • Da der Anspruch privater Ersatzschulen auf staatliche finanzielle Förderung kein einfacher Subventionsanspruch der Leistungsverwaltung, sondern ein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Anspruch ist, steht dieser nicht unter einem einfachen Gesetzesoder Haushaltsvorbehalt. Es ist vielmehr "Sache des Haushaltsgesetzgebers, bei der Einstellung von Mitteln in den Haushalt den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu genügen und - in Zeiten knapper Haushaltsmittel - zugunsten verfassungsrechtlich gebotener Vorhaben auf die Förderung anderer politisch lediglich wünschenswerter, jedoch nicht verfassungsmäßig abgesicherter Vorhaben zu verzichten,,91. Gleichwohl steht auch die Gewährung von Finanzhilfeleistungen dabei, wenn auch nicht unter einem Haushaltsvorbehalt, so doch unter einem Möglichkeitsvorbehalt, der sich im Gegensatz zur Annahme Vogels aber nicht nur auf eine Kürzung des Gesamtetats für staatliche und freie Schulen bei der Notwendigkeit allgemeiner Kürzungen erstreckf 2 , sondern auch andere, verfassungsmäßig gleichrangige Verpflichtungen des Staates in anderen Bereichen der staatlichen Daseinsvorsorge mitumfaßt. Zwar ist mit Klöpfer/Messerschmidt und der neueren Literatu~3 - auch wenn der Begriff der Subvention in diesem Zusammenhang durch den Begriff 89 Bettina C. Elles, Die Grundrechtsbindung, a.a.O., S. 214 90 In dieser Richtung insbesondere zu verstehen Paul Theuersbacher, Die neueste Rechtsprechung, a.a.O., S. 497, 504, der den Entscheidungsspielraum des Haushaltsgesetzgebers unsubstantiiert allgemein auf ..Ubrige" Belange ausweitet; vgl. auch Michael Hund, Staatliche Schutzpflichten, a.a.O., S. 1454, der den Leistungsanspruch letztlich lediglich in der Qualität eines dem derivativen Teilhaberecht vergleichbaren Gleichbehandlungsanspruch verstanden wissen will. 91 VG LUneburg - Beschluß - IB 36/97 - v. 2.6.1997. 92 Johann Peter Vogel, BEFT 23.7.2 93 Model/Müller, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 7 Rdnr. 12.
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der Finanzhilfe ersetzt werden muß, weil es sich um einen verfassungsrechtlich begründeten Leistungsanspruch und keine im Ermessen der Leistungsverwaltung liegende Subvention handelt - unbestritten, daß der "Bestandsschutz von Privatschulen nicht gleichzusetzen ist mit dem Bestandsschutz für Privatschulsubventionen" , gleichwohl aber ist bei geplanten oder schon erfolgten Kürzungen im Sinne einer Übergangsgerechtigkeit der Grundsatz des Vertrauensschutzes und des Übermaßverbots strikt zu beachten, weil "Kürzungen um beispielsweise 5 % leicht zu einer Verdoppelung der Eigenleistung der Privatschulträger führen können"94, die unter dem Gesichtspunkt der Genehmigungsvoraussetzungen, insbesondere des Sonderungsverbots, von erheblicher Bedeutung sein kann. So hat auch der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof - wenn auch im Rahmen des durch die Verfassung NRW als subjektives Recht auf Leistungen gewährleisteten Anspruchs - festgestellt, daß der Grundsatz des Vertrauensschutzes es gebiete, die "verfassungsrechtlich zulässige Eigenleistung nur schrittweise zu erhöhen", wobei auch das Gericht implizit von einer Grenze der zulässigen Eigenleistung ausgehf S • Hieraus folgt nicht nur, daß "es gerade nicht im Belieben des Landesgesetzgebers liegt, ob er, unter haushaltsplanerischen Gesichtspunkten, die Unterstützung des Privatschulwesens "einfriert" oder gar zugunsten anderer, verfassungsrechtlich nicht abgesicherter Belange zurückstellt,,96 , sondern ,,Finanzhilfe für Ersatzschulen darf deshalb nicht isoliert, sondern lediglich im Zeichen allgemeiner Haushaltskürzungen, und auch dann nur, wenn davon gleichfalls das öffentliche Schulwesen betroffen ist, gekürzt werden; jedoch ist der Bestand des Ersatzschulwesens jedenfalls, d.h. auch in einem solchen Fall, zu gewährleisten"97 . Keinesfalls aber ist es für den Landesgesetzgeber zulässig, einseitig Kürzungen zu Lasten der Institution des privaten Ersatzschulwesens vorzunehmen und das staatliche Schulwesen hiervon auszunehmen oder besserzustellen.
3. Die Sicherung des gesarntwirtschaftlichen Gleichgewichts gern. Art. 109 Abs. 2 GG als Grenze der Leistungspjlicht des Staates Die Rechtsprechung geht ferner davon aus, daß das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht des Art. 109 Abs. 2 GG die Grenze der Leistungspflicht des Klöpjer/Messerschmidt, Privatschulfreiheit, a.a.O., S. 201 VerfGH Nordrhein-Westfalen, DVBI. 1983,223,225. 96 Jeand'Heur, Methodenanalyse, freiheits- und leistungsrechtliche Konsequenzen, a.a.O., S. 76 91 Friedrich Müller, Die verfassungsrechtlichen Anforderungen, a.a.O., (Rechtsgutachten), S. 82. 94
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Staates bestimme. Dieser besagt, daß Bund und Länder bei ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen haben. Dieser Verweis auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht fmdet sich auch schon im Finanzhilfeurteil von 198798 und ist auch in der jüngeren Rechtsprechung in der sog. Wartefristentscheidung sowie dem jüngsten Kammerbeschluß übernommen worden 99 • Der Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts wird in Teilen der Literatur ungeachtet dessen, daß er rechtlich als unbestimmter Rechtsbegriff einen Beurteilungsspielraum einräumt und das Bundesverfassungsgericht von einem "unbestimmten Verfassungsbegriff' spricht1OO , als ,,Leerformel", bloßes "nationalökonomisches Postulat" oder "bloßer Programmsatz" charakterisiert101 . So ist der Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts "als nicht abschließende Konkretisierung der Staatsaufgabe Wohlstandsförderung undsicherung der Bürger ... seiner Natur nach dem Konflikt zwischen Allgemeininteressen und Partikularwohl ausgesetzt" und erfordert eine "Abwägung aller in Betracht kommenden Interessen ... , um bei Vorliegen von Zielkonflikten zu einer angemessenen Lösung zu kommen", doch gilt festzuhalten, daß "nur solche Interessen, die durch haushaltswirtschaftliche Maßnahmen mit Wirkung für die Gesamtwirtschaft berührt sein können, ... in die Abwägung einzustellen (sind)"102. Innerhalb dieses Rahmens eröffnet Art. 109 Abs. 2 GG "den staatlichen Entscheidungsträgern einen sehr großen Aktionsraum, innerhalb dessen inhaltliche Maßstäbe zur Beurteilung einer haushaltswirtschaftlichen Maßnahme als verfassungsgemäß oder verfassungswidrig nicht zur Verfügung stehen,,103. Dies impliziert nicht nur eine eingeschränkte lustitiabilität dieser Norm aufgrund der eingeräumten Beurteilungs- und Ermessensspielräume, sondern beinhaltet auch, daß "nur eine willkürliche und offensichtliche Mißachtung der Erfordernisses des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch eine schuldenpolitische Entscheidung ... als ein justitiabIer Verfassungsverstoß eingestuft werden (kann)"l04 . Hierbei obliegt dem Gesetzgeber die Verpflichtung, "Diagnosen, Intentionen und Prognosen offenzulegen, um so eine Kontrolle
BVerfGE 75,40 (68). BVerfGE 90, 107 (116). 100 BVerfGE 79, 311 (338 f.). 101 Rainer Prokisch, Die Justitiabilität der Finanzverfassung. Baden-Baden 1993,
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S. 139 m.w.N. 102 Rainer Prokisch, Die Justitiabilität, a.a.O., S. 154. 103 Wolfram Höfling, Staatsschuldenrecht. Heidelberg 1993, S. 240. 104 Wolfram Höfling, Staatsschuldenrecht, a.aO., S. 245.
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durch alle Betroffenen, insbesondere auch eine Mindestkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht, möglich zu machen"lOS . Dies bedeutet nicht nur, daß dem Gesetzgeber ein sehr weiter Spielraum zum Einsatz von Haushaltsmitteln zur Verfügung steht, ohne daß ihm der Vorwurf einer Mißachtung des Art. 109 Abs. 2 GG gemacht werden könnte, sondern im Umkehrschluß auch, daß sich der Gesetzgeber einer grundrechtlich verdichteten Leistungspflicht unter Hinweis einer möglichen Verletzung des Art. 109 Abs. 2 GG nur unter besonderen, einen Verstoß evident machenden Voraussetzungen entziehen kann. Erst bei einer Haushaltsnotlage, die die justitiabien Kriterien einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zur Folge haben müßte, kann die Leistungspflicht aus Art. 7 Abs. 4 GG in Frage gestellt werden. Insofern hätte der Gesetzgeber anhand des Staatshaushaltes darzulegen, daß eine solche evidente Verletzung des Art. 109 Abs. 2 GG bei einer Gewährung von Finanzhilfeleistungen eintritt. Hierbei wird Maßnahmen des Staates im Bereich der Haushaltseinsparungen durch die Vorschrift des Art. 7 Abs.4 GG in ihrer leistungsrechtlichen Komponente eine deutliche Grenze gesetzt. Wenn schon allgemein der Grundsatz gilt, daß die in Art. 109 Abs.2 GG begründete ,,Befugnis des Staates, Maßnahmen zur Verfolgung bestimmter Ziele auf hauswirtschaftlichem Gebiet zu ergreifen, ... allerdings ihre Grenze in den Grundrechten finde(t)"l06 , so sind diese Anforderungen durch den im Grundrechtsensemble einzigartigen leistungsrechtlichen Charakter des Art. 7 Abs. 4 GG i. V .m. dem Sozialstaatsprinzip in besonderer Weise gegenüber der Haushaltshoheit und dem Ermessen des Haushaltsgesetzgebers im Rahmen des Art. 109 Abs. 2 GG begrenzt. Danach kann nur unter einer ganz besonderen, Art. 109 Abs. 2 GG ansonsten verletzenden, Haushaltsnotlage unter strikter Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Beschränkung der Leistungspflicht des Staates in Erwägung gezogen werden 107 • Hierbei gilt, daß "der primäre Sanierungszweck ... allein nicht ausreichend zur Beeinträchtigung von Grundrechten ist"l!l! . Umgekehrt beinhaltet dies, daß für den Haushaltsgesetzgeber eine Pflicht zur Gewährung der Chance zur Grundrechtsausübung besteht 109 • Insofern ist auch die Realisierung der Leistungsansprüche aus Art. 7 Abs.4 GG ungeachtet des Vorbehalts des Möglichen im Rahmen des Art. 109 Abs. 2 GG keinesfalls ausgeschlossen, vielmehr ist zu bedenken, daß auch diese Leistungsansprüche - in Analogie zur Rechtsprechung Rainer Prokisch, Die lustitiabilität, a.a.O., S. 174. Prokisch, Die lustitiabilität, a.a.O., S. 143. 107 Vgl. hierzu Bettina C. Elles, Die Grundrechtsbindung, a.a.O., S. 102 ff. 108 Bettina C. Elles, Die Grundrechtsbindung, a.a.O., S. 121. 109 Siehe hierzu Bettina C. EIles, Die Grundrechtsbindung, a.a.O., S. 202, 208 f.
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des Bundesverfassungsgerichts zu ..originären Leistungsanspriichen" im Numerus-clausus-Urteil- nicht auf das jeweils Vorhandene beschränkt sind llo . Verfassungskonform kann der Vorbehalt des Möglichen auch unter dem Gesichtspunkt des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nur dann greifen, wenn unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine Beschränkung des Leistungsanspruchs unumgänglich ist.
1I0Vgl. BVerfGE 33, 303 (333). 8 FS Vogel
Zulassung privater Grundschulen Von Bernd Jeand'Heur t
I. Vorbemerkung Die wachsende Bedeutung des Privatschulwesens spiegelt sich in der Rechtsprechung wider, die in den vergangenen Jahren zunehmend Streitfälle auf diesem Rechtsgebiet zu entscheiden hatte! . Ging es anfangs in erster Linie um Fragen der Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen von Ersatzschulen gemäß Art. 7 Abs. 4 GG, traten später die zahlreichen Probleme im Umfeld der staatlichen Subventionierungspflicht des Privatschulwesens ins Zentrum der Auseinandersetzungen2 • Seit kurzem bildet die Genehmigung privater Volksschulen unter den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 5 GG einen weiteren und zukunftsträchtigen 3 Gegenstand der fachspezifischen Judikatur. Das Bundesverfassungsgericht hat diesbezüglich in seinem Beschluß vom 16.12.19924 eine Grundsatzentscheidung zur Anerkennung eines besonderen pädagogischen Interesses für die Zulassung privater Grundschulen im Sinne der ersten Alternative des Art. 7 Abs. 5 GG getroffen, welche Maßstäbe für die künftige Handha1 Vgl. nur den Überblick zur Privatschulrechtsprechung der 90er Jahre bei Theuersbacher, NVwZ 1991,125 ff., 132 ff.; 1993,631 ff., 634 ff.; 1995, 1178 ff., 1182 f. 2 Grundlegend BVerfGE 75, 40 ff.; s. dazu Mül/er/Jeand'Heur (Hrsg.), Zukunftsperspektiven der Freien Schule. Dokumentation, Diskussion und praktische Folgen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit dem Finanzhilfe-Urteil, 2. Auf!. 1996; s. dort zur neueren Verfassungsjudikatur auch Vogel, Entwicklung des Finanzhilferechts der Schulen in freier Trägerschaft vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8.4.1987 bis zu den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vom 9.3.1994, S. 167 ff. 3 Es ist nicht auszuschließen, daß sich kUnftig verstärkt religiöse und weltanschauliche Sekten auf insbesondere die zweite Alternative des Art. 7 Abs. 5 GG (Bekenntnisoder Weltanschauungsschule) berufen werden. Die Rechtsprechung mußte sich mit entsprechenden Konstellationen bereits mehrfach befassen; s. dazu Richler, NVwZ 1993, 1162 ff. mit kritischer Wtirdigung der dadurch ggf. auftretenden Folgeprobleme; ähnlich besorgt äußert sich Pieroth, RdJB 1990,448 ff., 451, differenzierend hingegen Theuersbacher, NVwZ 1993, S. 631 ff., 635. 4 BVerfGE 88, 40 ff.
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bung dieser Verfassungsnorm setzt. Zugleich weisen die Entscheidungsgründe, soweit sie die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe durch die vollziehende Gewalt und deren Nachprufbarkeit durch die Judikative thematisieren, über den engen Bezug des Privatschulrechts hinaus; sie sind von allgemeiner Relevanz für die Dogmatik des öffentlichen Rechts. Beiden Problemkreisen werde ich mich daher im folgenden zuwenden. Nach Darstellung des Fallbericbts und einigen grundsätzlichen Überlegungen zur Behandlung der Privatschulfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt eine Kommentierung der bereichsdogmatischen privatschulrechtlichen Aussagen des Beschlusses. Daran anknüpfend sollen die die Entscheidung prägenden Prämissen zur verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte angesichts des von den Behörden häufig geltend gemachten Beurteilungsspielraums bei der Auslegung unbestimmter Gesetzesbegriffe vorgestellt und hinterfragt werden. Zuletzt wird die Frage zu stellen zu sein, inwieweit die daraus zu gewinnenden allgemein-dogmatischen Positionsbestimmungen zur Lehre vom unbestimmten Rechtsbegriff nicht wiederum Einfluß auf die besondere Bereichsdogmatik des Art. 7 Abs. 5 GG nehmen müssen.
ll. Fallbericht Der Entscheidung des BVerfG ging eine in allen Instanzen erfolglose Klage auf Erlangung der von einem eingetragenen Schulträgerverein ("Freie Schule Kreuzberg") beantragten Genehmigung zur Errichtung einer privaten Grundschule voraus. Der zuständige Senator für Schulwesen hatte den Genehmigungsantrag abgelehnt, da es - nach Auffassung der Behörde - an dem nach Art. 7 Abs. 5 Alt. 1 GG erforderlichen besonderen pädagogischen Interesse fehlte. Ein solches sei, so der seinerzeitige Ablehnungsbescheid, schon deswegen nicht erkennbar, weil der Antragsteller ein pädagogisches Konzept vertrete, welches keine neuen, wissenschaftlich belegbaren Unterrichtsmethoden verfolge und zudem mit Teilen des Rahmenplans für die öffentlichen Grundschulen übereinstimme. Des weiteren lasse sich der Erfolg dieser Konzeption nur schwer prognostizieren. Mithin könne man das pädagogische Interesse an einer solchen Erprobung allenfalls einmalig anerkennen, was indes mit einer zuvor erteilten Zulassung einer Schule mit vergleichbarem Konzept, der "Vfa-Schule" in Tempelhof, bereits geschehen sei 5 • Die Vorinstanzen, zuletzt das BVerwG6 , s BVerfGE 88, 40 (42); s. zur Sachverhaltswiedergabe auch Pieroth/Kemm, JuS 1995, 780 ff. 6 BVerwGE 75,275 ff.
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sind dieser Begründung weitgehend gefolgt. Sie sahen sich zu einer abweichenden rechtlichen Wertung schon deswegen außerstande, weil der Unterrichtsverwaltung bei der Anerkennung eines besonderen pädagogischen Interesses ein Beurteilungsspielraum einzuräumen sei, der gerichtlich lediglich beschränkt überprüft werden könne und dessen Grenzen im vorliegenden Fall die Behörde nicht überschritten habe. Der vom Schulträgerverein hiergegen erhobenen Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG wegen Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 4 Satz 1 und Art. 19 Abs. 4 GG stattgegeben.
ill. Zur Grundrechtsqualität der Privatschulfreiheit Vergleicht man den Beschluß des BVerfG mit dem Urteil des BVerwG, so zeigen sich wesentliche Differenzen in der Beurteilung von zwei grundsätzlichen und entscheidungsrelevanten Problembereichen, die letztlich auch die unterschiedlichen Ergebnisse, zu denen die beiden Gerichte gelangen, erklärbar machen. Zum einen handelt es sich um die Frage, wieweit Art. 19 Abs.4 GG eine möglichst umfassende verwaltungs gerichtliche Kontrolle auch unbestimmter Rechtsbegriffe ermöglicht bzw. erfordert. Zum anderen ging der Streit um den freiheitsrechtlichen Charakter des Art. 7 Abs. 5 GG, der sich freilich erst in einer systematischen Gesamtschau mit Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG offenbart. Während das BVerwG bezüglich der Beantwortung beider Fragen einen eher "etatistischen", die obiektiv-organisationsrechtliche Seite der Verfassungsnormen betonenden, Standpunkt vertritt, betont das BVerfG die subjektiv öffentliche Individualrechtsqualität dieser Bestimmungen. Nur auf diesem Wege war es i.ü. möglich, der Instanzgerichtsbarkeit die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts zu Lasten des Beschwerdeführers vorzuhalten. Die unterschiedliche Argumentationsweise wird bereits anhand des Prüfungsaufbaus in den jeweiligen Entscheidungsgründen deutlich. Das BVerwG beginnt seine Erläuterungen mit einem Verweis auf die bis dato in der Literatur überwiegend anzutreffende Lehre vom Beurteilungsspielraum, die in concreto die Schulverwaltung dazu ermächtigen soll, die Auslegung des besonderen pädagogischen Interesses gemäß Art. 7 Abs. 5 Alt. 1 GG ohne eine spätere umfassende gerichtliche Nachprüfbarkeit vorzunehmen 7 • Die mit der Interpretation dieser Norm verknüpften spezifischen Problemstellungen erscheinen folglich als bloßer Annex der gerade postulierten These. Demgegenüber steht am Anfang der bundesverfassungsgerichtlichen Erwägungen der Normenverbund des Art. 7 Abs. 4 und 5 GG 8 , 7
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BVerwGE 75, 275 (276 m.w.N.). BVerfGE 88, 40 (45 ff.).
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an dessen subjektiv-rechtlichem Gehalt sowohl die Verwaltungspraxis als auch die Anforderungen an die judikative Prüfungskompetenz hinsichtlich der Behördenentscheidung zu messen sind. Denn wie weit die nach Art. 19 Abs. 4 GG erforderliche Kontrolle "durch die Fachgerichte zu gehen hat, bestimmt sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht", und dieses "ergibt sich hier unmittelbar aus dem Grundgesetz selbst (Art. 7 GG) mit der Folge, daß seine Auslegung vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich unbeschränkt zu prüfen ist,,9. Mithin rückt das BVerfG Art. 7 Abs.4 und 5 GG in den Vordergrund der Fallbearbeitung, der Rechtsstreit wird damit erst zum Grundrechtsstreit. Bezeichnenderweise hatte das BVerwG den gesetzessystematischen Bezug von Art. 7 Abs. 5 zu Abs. 4 GG nicht erkannt. Mehr noch: Es hat ihn expressis verbis verneint, weil "zur Auslegung des Art. 7 Abs. 5 GG ... nicht auf die Privatschulgarantie des Art. 7 Abs.4 Satz 1 GG zurückgegriffen werden (darf)". Vielmehr soll Art. 7 Abs.5 GG "eine für den Bereich der Volksschule (Grundschule) eigenständige Regelung" sein, "die selbständig neben Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG steht und die Errichtungsfreiheit des Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG zulässigerweise einschränkt"lO . Diese im einzelnen nicht weiter begründete und angesichts der Systematik des Art. 7 Abs. 4 und 5 GG um so merkwürdigere Auffassung wird vom BVerfG im Ergebnis richtig, jedoch ebenso ohne näheren Begründungsaufwand korrigiert, indem der Erste Senat in einem Satz klarstellt, das Grundrecht aus Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG sei "im Grundsatz auch für private Volksschulen im Sinne des Art. 7 Abs.5 GG verbürgt"ll. Gleichwohl erfolgt meines Erachtens hier die entscheidende Weichenstellung, von der alle weiteren Argumentationswege ihren Ausgangspunkt nehmen. Denn wenn man - wie das BVerwG - Art. 7 Abs.5 von Abs.4 GG abkoppelt, gerät die individualrechtliche Rechtsnatur der Errichtungsfreiheit von privaten Volksschulen, die doch nur eine besondere (unter zusätzlichen und nur insoweit "eigenständigen" Genehmigungsvoraussetzungen stehende) Ausprägung der Privatschulfreiheit in Art. 7 Abs.4 Satz 1 GG verkörpert, aus dem Blick. Umgekehrt wird man dann leicht dazu verleitet, den Normtext des Art. 7 Abs. 5 Alt. 1 GG so zu interpretieren, daß er einen "nur beschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum der Schulbehörde" konstituiert, da er "eindeutig darauf abstellt, ob die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt,,12. Letztlich wird durch diese isolierte Sichtweise des Art. 7 Abs. 5 GG die Grundrechtsausübung - ja, man weiß gar nicht, worunter man subsumieren soll BVerfGE 88,40 (45) mit Bezug auf BVerfGE 84, 34 (49). BVerwGE 75,275 (277); zutreffende Kritik dazu bei Geis, DÖV 1993,22 ff., 25. 11 BVerfGE 88, 40 (47); vgl. auch PierothlKemm, die dies als "selbstverständlich erscheinende ... Aussage" werten (Fn. 5). 12 BVerwGE 75, 275 (277) (Hervorheb. im Orig.). 9
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entweder einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterworfen oder von der Erteilung einer Ausnahmebewilligung abhängig gemacht13 • Diese in der Verwaltungsrechtsdogmatik gängigen Rechtsinstitute lassen sich indes nur bedingt auf Grundrechtsgewährleistungen übertragen. Selbst wo das aber bei Einzelgrundrechten möglich ist14 , kann eine daraus zu legitimierende Einschränkung der Freiheitsgarantie erst auf der Rechtfertigungsstufe erfolgen, setzt also prinzipiell zunächst eine Berufung des Grundrechtsträgers auf den Schutzbereich voraus. Es handelt sich mithin primär um ein Schrankenproblem. Mit anderen Worten: Auch hier ist von einer Vermutung zugunsten der Zulässigkeit der Grundrechtsausübung auszugehen, zumal nicht die Wahrnehmung der Freiheit, sondern der staatliche Eingriff in deren verbürgten Schutzbereich rechtfertigungsbedürftig ist. In der Sache stellt sich die Rechtslage bei der Privatschulfreiheit ganz ähnlich dar. Nur daß die besondere Normstruktur des Art. 7 Abs. 4 GG - und gleiches gilt infolge der systematischen Verknüpfung für Abs. 5 den Behörden und Gerichten im Hinblick auf eine beantragte Genehmigung von Ersatzschulen eine modifizierte Prüfungsabfolge abverlangt. Ausgangspunkt ist hierbei stets, wie nun das BVerfG verbindlich judiziertlS , die Grundrechtsgewährleistung in Art. 7 Abs.4 Satz 1 GG, deren Wahrnehmung zwar unter den spezifischen, auf Ersatzschulen referierenden, Genehmigungsvoraussetzungen in Satz 3 und 4 steht und die im Falle von privaten Grundschulen noch durch den Nachweis eines besonderen pädagogischen Interesses (Art. 7 Abs. 5, Alt. 1 GG) ergänzt werden muß, jedoch sind diese normtextuell intern vorgegebenen Prämissen ihrerseits wiederum im Lichte der Freiheitsgarantie, die auf ihre Interpretation ausstrahlt, zu konkretisieren. Sie verkörpern genau genommen keine der Grundrechtsausübung entgegenstehenden Schranken l6 , sondern Modalitäten des Freiheitsrechts, kurz: normative Ausgestaltungen des Schutzbereichs. Wer eine staatlich genehmigte Ersatzschule errichten möchte, kann dies unter Berufung auf Art. 7 Abs. 4 GG unter den dort genannten Bedingungen tun. Die Genehmigungsvoraussetzungen in Art. 7 Abs. 4 und 5 GG erfüllen somit keine grundrechts(ver)hindernde, sondern grundrechtslenkende Funktion. Darin zeigt sich die im Vergleich zu anderen Freiheitsverbürgungen, die regelmäßig um ihrer selbst willen gewährt werden, durchaus besondere Normprogrammatik der Privatschulfreiheit, welche vor dem Hintergrund der prinzipiellen staatlichen Schulhoheit und insbesondere zum Schutz der 13 Siehe zu beiden Rechtsfiguren z.B. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Auf!. 1995, § 9 Rdnr. 51 ff. bzw. 55. 14 Beispiele etwa bei Pieroth/Schlink, Grundrechte - Staatsrecht II, 12. Auf!. 1996, Rdnr.320. 15 Siehe nochmals BVerfGE 88, 40 (47). 16 Anders aber z.B. Geis, a.a.O., S. 25 m.w.N. (Fn. 10).
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Rechtsinteressen von Schülern, Eltern und Lehrern an Ersatzschulen gerechtfertigt ist. Die gemäß Art. 7 Abs. 4 GG einzuhaltenden Gleichwertigkeitskriterien kommen namentlich letzteren zugute. Soweit der Staat sie allerdings funktionalisieren will, um das Privatschulwesen der öffentlichen Schulveranstaltung im Sinne einer Gleichartigkeit anzupassen oder es ggf. in diese Richtung zu disziplinieren, hat das BVerfG solchen Versuchen spätestens seit der Finanzhilfe-Entscheidung 17 einen Riegel vorgeschoben. Dort ging man, dogmatisch konsequent, sogar noch einen Schritt weiter, indem aus dem systematischen Zusammenspiel von Freiheitsrecht (S. 1) und Genehmigungsvoraussetzungen (S. 3 und 4) eine staatliche Subventionspflicht zugunsten des Privatschulwesens abgeleitet wurde. Denn - so die damalige Argumentation des Gerichts - der Staat könne nicht einerseits die Ausübung des Grundrechts von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen und deren Einhaltung infolge der von ihm mitzuverantwortenden faktischen Verschärfungen der Genehmigungshürden zugleich ständig erschweren. Tue er das dennoch und werde dadurch das Grundrecht gewissermaßen notleidend, greife wenigstens - zur Sicherung der Wahrnehmungsmöglichkeiten der Freiheitsgewährung - eine Kompensationspflicht in Form öffentlicher Finanzhilfen für das Privatschulwesen 18 • Diese Schlußfolgerung war nur unter Betonung des freiheitsrechtlichen Charakters des Art. 7 Abs.4 Satz 1 GG möglich, welchen das BVerfG zugleich objektivrechtlich verstärkt, indem es die individual-rechtliche Seite noch durch die verfassungsrechtlich garantierte Institution des Privatschulwesens anreichert, die es mit der "Absage an ein staatliches Schulmonopol" und der Entscheidung für einen staatlichen Bestandsschutz zugunsten eines "schulischen Pluralismus" begründee 9 •
IV. Die bereichsdogmatischen Aussagen des BVerfG zur Interpretation des besonderen pädagogischen Interesses an privaten Grundschulen gemäß Art. 7 Abs. 5 GG Die referierten, die bisherige Privatschuljudikatur des BVerfG prägenden Überlegungen werden im Beschluß vom 16.12.1992 erneut aufgegriffen und BVerfGE 75,40 ff. Vgl. zu den Einzelheiten BVerfGE 75, 40 (66) sowie die Darstellung bei Jeand' Heur, Methodische Analyse, freiheitsrechtliche und leistungsrechtliche Konsequenzen des Finanzhilfe-Urteils, in: Müllerlders., a.a.O., S. 47 ff., 50 ff. (Fn. 2). 19 BVerfGE 75, 40 (61 f., 66); daneben stUtzt das Gericht seine Aussagen noch auf Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 4 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. 17
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nunmehr für die Konkretisierung des Normprogramms von Art. 7 Abs. 5 GG fruchtbar gemacht. Wie schon im Finanzhilfe-Urteil sieht sich das BVerfG vor die Aufgabe gestellt, einen Ausgleich zwischen subjektiv-rechtlichem Freiheitsgehalt bzw. objektiv-rechtlichen Bedingungen und Grenzen der Grundrechtswahrnehmung zu finden. Es bedient sich hierbei, und auch insofern lassen sich Parallelen zum Finanzhilfe-Judikat ziehen, der gängigen methodischen Auslegungselemente, die den Argumentationsweg strukturieren. Zunächst stellt das Gericht fest, daß weder eine isolierte Wortlaut-Betrachtung noch ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des Art. 7 Abs. 5 GG verläßliche Auskunft über den Regelungsgehalt der Norm zu geben vermögen 20 • Statt dessen sei auf ratiolegis-Gesichtspunkte abzustellen, die der Erste Senat im Ergebnis dann freilich an der freiheitsrechtlichen Dimension der Vorschrift mißt. Beide Aspekte stehen in einem latenten Widerspruch zueinander, der deshalb im Wege einer systematischen Inbezugsetzung beider Seiten aufgelöst werden muß. Das BVerfG sieht den Normzweck in der sozialstaatlich und egalitärdemokratisch motivierten Absicht, "die Kinder aller Volksschichten zumindest in den ersten Klassen grundsätzlich zusammenzulassen und private Volks- oder Grundschulen nur zuzulassen, wenn der Vorrang der öffentlichen Schulen aus besonderen Gründen zurückstehen muß,.21. Dies ist dann gegeben, wenn im Einzelfall nach Art. 7 Abs. 5, Alt. 1 GG ein besonderes pädagogisches Interesse anzuerkennen ist. Insofern setzt der individualrechtliche Grundrechtsgehalt des Art. 7 Abs.5 i.V.m. Abs.4 GG dem prinzipiellen Vorrang der öffentlichen Schule seinerseits Grenzen. Und zwar schon dergestalt, daß hinsichtlich des Vorliegens eines solchen besonderen pädagogischen Interesses der Schulbehörde keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit zukommt, in welche Richtung sie eine Fortentwicklung des Privatschulwesens zulassen will. "Das 'besondere pädagogische Interesse' ist vielmehr eine objektive Voraussetzung für die Genehmigung privater Volksschulen. Liegt es vor, muß die Unterrichts-
20 BVerfGE 88,40 (47 f.); zuvor erfolgt noch eine terminologische Gleichstellung, zu der sich das Gericht veranlaßt sah, da in verschiedenen Landesregelungen - so auch im hier einschlägigen Berliner Schulgesetz - der Begriff "Volksschule" nicht mehr verwendet bzw. durch den Ausdruck "Grundschule" ersetzt wird. Freilich hat sich dadurch in der Sache nichts geändert, so daß "der bloße Fortfall der Bezeichnung 'Volksschule' ... den im Schulgesetz geregelten Sachverhalt nicht schon dem Geltungsbereich des Art. 7 Abs. 5 GG (entzieht)" (S. 46). 21 BVerfGE 88, 40 (49 f.); denn - so fährt das Gericht fort - "es ist nicht ausgeschlossen, daß Privatschulen ein einseitiges Bild von der Zusammensetzung der Gesellschaft widerspiegeln und den SchUlern vermitteln, wenn sie nur von Kindern der Anhänger bestimmter pädagogischer, weltanschaulicher oder auch religiöser Anschauungen besucht werden. Bleiben gesellschaftliche Gruppen einander fremd, kann dies zu sozialen Reibungen führen, die zu vermeiden legitimes Ziel auch staatlicher Schulpolitik ist".
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verwaltung es anerkennen,,22. Der freiheitsrechtliche Charakter des Nonnenverbundes aus Art. 7 Abs.4 Satz 1 LV.m. Abs.5 GG konkretisiert sich mithin in Fonn von gebundenem Verwaltungshandeln. Vor diesem Hintergrund entwirft das BVerfG ein Modell zur Priifung der Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 5 GG. Danach obliegt dem Antragsteller im Zulassungsverfahren zunächst die "Darlegungslast" für das von ihm behauptete besondere pädagogische Interesse, welches er substantiiert vortragen muß, um der Schulverwaltung einen "Vergleich mit bestehenden pädagogischen Konzepten und eine prognostische Beurteilung seiner Erfolgschancen und der möglicherweise mit ihm verbundenen Risiken und Gefahren für die Entwicklung der Schüler" zu ennöglichen23 . Bei ihrer Entscheidung darf dann die Behörde im weiteren weder von einer einseitigen subjektiven Sicht des Antragstellers24 noch von eigenen überzogenen Anforderungen ausgehen. Die "Besonderheit" des jeweiligen pädagogischen Konzepts ist statt dessen "einerseits im Hinblick auf die öffentliche Volksschule, andererseits im Hinblick auf die schon genehmigten privaten Volksschulen zu bestimmen,a5, wobei das Nonnprogramm des Art. 7 Abs. 5, Alt. 1 GG "nur eine sinnvolle Alternative zum bestehenden öffentlichen und privaten Schulangebot voraus(setzt), welche die pädagogische Erfahrung bereichert und der Entwicklung des Schulsystems insgesamt zugute kommt,,26. Hier spielt der bereits im Finanzhilfe-Urteil entwickelte Gedanke des Bildungspluralismus hinein, den das Grundrecht der Privatschulfreiheit gewissennaßen als Nebenaspekt mitumfaßt und der die individualrechtliche Garantie objektiv-rechtlich ergänzt. Gleichwohl steht die subjektiv-rechtliche Komponente auch insoweit im Vordergrund, weshalb das BVerfG diesbezüglich eine moderate Interpretation für unabdingbar erklärt. So soll Art. 7 Abs. 5 GG gerade nicht voraussetzen, daß die fragliche pädagogische Konzeption
BVerfGE 88, 40 (50). BVerfGE 88, 40 (51). 24 BVerfGE 88, 40 (52): ,,Die Gleichsetzung des Eigeninteresses des privaten Betreibers mit dem 'besonderen pädagogischen Interesse' ließe Art. 7 Abs. 5 GG weitgehend leerlaufen, wenn jedes abweichende private Interesse schon als 'besonderes' verstanden wUrde. Eine solche Abweichung ergibt für sich noch keinen Grund fUr eine Durchbrechung des grundsätzlichen Vorrangs der öffentlichen Volksschule im Sinne von Art. 7 Abs. 5 GG". 25 BVerfGE 88, 40 (52) führt in diesem Zusammenhang aus, daß wegen des grundsätzlichen Vorrangs der öffentlichen Grundschule dem Begriff des "besonderen pädagogischen Interesses" kein Verständnis zugrunde gelegt werden darf, ..das eine flächendeckende Zulassung von privaten Grundschulen mit demselben Alternativkonzept erlaubt'. 26 BVerfGE 88, 40 (53). 22 23
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"in jeder Hinsicht neu oder gar einzigartig ist,,27. Ausreichend sei vielmehr, "daß ein pädagogisches Konzept wesentliche neue Akzente setzt oder schon erprobte Konzepte mit neuen Ansätzen von einigem Gewicht kombiniert", was selbst dann gewährleistet sein könne, wenn es bereits "in einer größeren Zahl privater Grundschulen erprobt und durchgeführt wird". Hieran anknüpfend lehnt das BVerfG eine enge zeitliche Begrenzung der Erprobung pädagogischer Konzepte in privaten Grundschulen, nach deren Abschluß diese entweder mangels Bewährung zu verwerfen oder in das gesamte Schulwesen zu übernehmen wären, ab. Denn "eine solche Beschränkung auf kurze Erprobungszeiten ist mit Wortlaut, Sinn und Zweck von Art. 7 Abs.5 GG nicht vereinbar"; Genehmigungen "sind grundsätzlich auf Dauer zu erteilen". Nur wenn die soeben referierten Grundsätze respektiert werden, sieht es das BVerfG als gesichert an, "daß sich auch im Grundschulbereich ein ... Prozeß dauernder gegenseitiger Anregungen zwischen privatem und öffentlichem Schulwesen ergibt, der beide Seiten durch lebendige Konkurrenz zu fortdauernden Anstrengungen um pädagogische Fortentwicklung veraniaßt"; ein Prozeß, der letztlich "im Sinne der Schulbestimmungen des Grundgesetzes (liegt)'.28 . Innerhalb dieser normativen Rahmenvorgaben, die das BVerfG aus Art. 7 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5, Alt. 1 GG ableitet, muß somit die Unterrichtsverwaltung prüfen, ob im Einzelfall ein Antragsteller ein "besonderes pädagogisches Interesse" nachzuweisen vermag. Hat somit der Erste Senat den Beurteilungspielraum der Schulbehörde sehr viel enger gezogen, als dies noch das BVerwG und die bis dato vorherrschende Lehre29 taten, stellt sich des weiteren die Frage, ob und inwieweit die Einzelfallentscheidung der staatlichen Schulverwaltung einer nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich ist. Die damit angesprochene Problematik wird namentlich dann relevant, wenn sich ein Antragsteller gegen einen negativen Behördenentscheid zur Wehr setzen und diesen gerichtlich korrigieren lassen möchte. 27 Daher konnte der Umstand, daß der Beschwerdeftlhrer ein pädagogisches Konzept verfolgte, das teils auf den Rahmenplan der öffentlichen Grundschule, teils auf Schulversuche rekurrierte bzw. in vergleichbarer Weise bereits Gegenstand eines anderen Genehmigungsverfahrens ("Ufa-Schule") war, ftlr sich allein betrachtet, dem pädagogischen Interesse noch nicht die Besonderheit nehmen; s. dazu BVerfGE 88, 40 (62 f.). 28 Alle Zitate in BVerfGE 88, 40 (53 ff.); das Gericht macht ferner explizit darauf aufmerksam, daß Art. 7 Abs. 5 GG nicht die Genehmigung von Privatschulen verhindern möchte, die unter günstigeren Bedingungen arbeiten können als die öffentlichen Schulen, zumal die Bestimmung das staatliche Schulwesen nicht vor engagierter Konkurrenz schütze. 29 Überblick bei Geis, a.a.O., S. 23 ff. (pn. 10); Pietzcker, JZ 1993,789 ff. bzw. in BVerwGE 75,275 (276).
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V. Behördlicher Beurteilungsspielraum und verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte Die diesbezüglichen Ausführungen in den Entscheidungsgründen zeichnen sich ebenso wie die Erläuterungen zur Konkretisierung des Art. 7 Abs. 5 GG durch eine Akzentuierung der Grundrechtsqualität der Fragestellung aus. Nur daß neben die materiell·rechtliche Garantie der Privatschulfreiheit nunmehr noch zusätzlich die Rechtsschutzgewährleistung aus Art. 19 Abs.4 GG tritt. Das in dieser Verfassungsnorm enthaltene Rechtsschutzpostulat öffnet nicht nur den Rechtsweg zu den Gerichten bei der Verletzung subjektiver Rechtspositionen durch die öffentliche Gewalt, sondern gebietet zugleich einen umfassenden und effektiven Rechtsschutz durch die Gerichte 30 • Primärer Prüfungsmaßstab für die Intensität der gerichtlichen Kontrolle ist damit Art. 19 Abs. 4 GG; da diese Vorschrift aber eine in hohem Maße normgeprägte Garantie verkörpert, die nicht selbst die zu schützenden subjektiven materiellen Rechtspositionen vermittelt, sondern diese gerade voraussetzt, richtet sich die Kontrolldichte notwendigerweise nach dem jeweils zugrundeliegenden materiellen Recht, welches etwa Gegenstand eines staatlichen Eingriffs geworden ise l . Das war im vorgehenden Falle Art. 7 Abs. 4 Satz I LV.m. Abs. 5 GG. In diesem Sinne folgert das BVerfG, die Verweigerung der Genehmigung einer privaten Volksschule mangels besonderen pädagogischen Interesses unterliege zwar prinzipiell nach Art. 19 Abs. 4 GG der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung, jedoch könne diese "nicht weiter reichen als die materiell-rechtliche Bindung der Unterrichtsverwaltung,,32. Nur soweit Art. 7 Abs.5 GG die Entscheidung der Schulbehörde als normativ gebundenes Verwaltungshandeln charakterisiere, greife mithin die umfassende Kontrollbefugnis der Fachgerichte. Dort aber, wo in die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "besonderes pädagogisches Interesse" nur schwer objektivierbare, wiewohl sachlich gerechtfertigte, einzelfallbezogene wertende Elemente in die Behördenentscheidung miteinfließen, stoße die justitielle Prüfungskompetenz an ihre Grenzen. Das BVerfG differenziert insofern, als "diese Eingrenzung ... allerdings nicht die Bedeutung des Begriffs "besonderes pädagogisches 30 Siehe dazu umfassend Schmidt-AßmannlGroß, NVwZ 1993, 617 ff., 618 m.w.N. Dort auch der zutreffende Hinweis, daß "nicht nur der rechtliche Ausschluß der gerichtlichen Kontrolle, sondern auch ihre faktische Verhinderung ... verfassungswidrig (ist). Das hat Vorwirkungen auf das Verwaitungsverfahren. Es stellt vor allem Anforderungen an die BegrUndung administrativer Entscheidungen". 3\ Auch dazu sowie zu den Einzelheiten Schmidt-AßmannIGroß, a.a.O., S. 618 (Fn.30). 32 BVerfGE 88, 40 (56).
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Interesse (betrifft). Seine Auslegung durch die Unterrichtsverwaltung ist gerichtlich in vollem Umfang nachprüfbar. Die Eingrenzung kann sich vielmehr nur auf die Bewertung eines pädagogischen Konzepts im konkreten Fall und die Abwägung mit dem Vorrang der öffentlichen Volksschule beziehen. Insoweit wäre es mit Art. 7 Abs. 5 GG nicht vereinbar, wenn die Gerichte ihre Auffassung an die Stelle der behördlichen setzten. Einen weitergehenden Freiraum gewährt Art. 7 Abs. 5 GG der Unterrichts verwaltung nicht,,33 . Auf diese Kompetenzabgrenzung wird noch zurückzukommen sein. Vorab gilt es jedoch zu konstatieren, daß das BVerfG in der hier zu besprechenden Entscheidung an seiner bisherigen Linie zur gerichtlichen Überprüfbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe und administrativer Beurteilungsspielräume festhält. Danach gewährt Art. 19 Abs.4 GG zwar einen lückenlosen Rechtsschutz, schließt jedoch - mit Blick auf die oben erwähnte Reichweite des materiell-rechtlichen Bindungsumfangs der Exekutive - "normativ eröffnete Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume der Verwaltung nicht von vornherein aus,,34. Der Erste Senat folgt mithin in der Sache (ohne dies terminologisch zu fixieren), wie bisher, der in der Literatur vertretenen normativen Ermächtigungs/ehre, die - im Sinne einer Regel-Ausnahme-Typisierung abweichend vom Grundsatz der vollständigen justitiellen Kontrolle nur ausnahmsweise legislativ eingeräumte Freiräume der Verwaltung anerkennt. Hierfür reicht in concreto die sog. Unbestimmtheit des Gesetzes allein freilich nicht aus. Vielmehr bedarf es "einer besonders nachzuweisenden normativen Einräumung eines administrativen Letztentscheidungsrechts". Denn "nicht der negative Aspekt der Unbestimmtheit des Gesetzes, sondern nur der positive Aspekt der besonderen Ermächtigung an die Verwaltung entscheidet über eine Reduktion des gerichtlichen Kontrollauftrages. Für die große Zahl der sozusagen normalen unbestimmten Rechtsbegriffe bewendet es dagegen bei dem Grundsatz vollständiger gerichtlicher Kontrolle,,35 . Das BVerfG prüft nun unter Zuhilfenahme dieser dogmatischen Konzeption, inwieweit Art. 7 Abs. 5 GG der Unterrichtsverwaltung einen solchen gerichtsfreien Beurteilungsspielraum anläßlich der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "besonderes pädagogisches Interesse" zugesteht. Der Fall weist allerdings eine Besonderheit gegenüber den bislang von der Rechtsprechung zu behandelnden SachkonstelBVerfGE 88, 40 (56). BVerfGE 88,40 (56) mit Bezug auf BVerfGE 61, 82 (111); 84, 34 (50); weitere Nachweise bei Geis, a.a.O., S. 24 (Fn. 10); Pietzcker, a.a.O., S. 789 (Fn. 29); SchmidtAßmalVlIGroß, a.a.O., S. 617 Anm. 1 (Fn. 30). 35 Alle Zitate aus Schmidt-AßmannlGroß, a.a.O., S. 621 (Fn. 30) dort auch Nachweise und Gegenstimmen zur normativen Ermächtigungslehre; s. dazu ferner Geis, a.a.O., S. 24 (pn. 10). 33
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lationen auf. Der das Nonnprogramm des Art. 19 Abs.4 GG lenkende maßgebliche Kontrollumfang ergibt sich nämlich vorliegend nicht aus einfachgesetzlichen Bestimmungen, sondern unmittelbar aus der Verfassung, aus der Privatschulfreiheit des Art. 7 Abs.4 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 GG. In derart grundrechtssensiblen Bereichen hatte die Verfassungsjudikatur schon früher hervorgehoben, "daß die Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle durch Einräumung eines Beurteilungsspielraums der Verwaltung um so weniger gerechtfertigt ist, je größer die Grundrechtsbezogenheit bzw. je intensiver der Grundrechtseingriff ist. Dahinter steht erkennbar dasselbe rechts staatlich-demokratische Anliegen, das zur Herausarbeitung des Parlamentsvorbehalts geführt hat. Dieser Beurteilungsaspekt ist hier zweifellos einschlägig. Bei der Anerkennung eines besonderen pädagogischen Interesses geht es für den Träger einer privaten Grundschule um Realisierung oder Nichtrealisierung seines Grundrechts aus Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG,,36. Im Unterschied zum BVerwG sah sich das BVerfG daher zurecht veranlaßt, einen besonders strengen Maßstab an die Gewährung gerichtsfreier Beurteilungsspielräume - zugunsten der Unterrichtsverwaltung, zumal diese "insofern keine neutrale Stellung einnimmt, als sie zugleich die Interessen der öffentlichen Schulen wahrnimmt, zu denen die Privatschulen in Konkurrenz treten"37, bzw. zu Lasten eines effektiven Rechtsschutzes des Grundrechtsträgers - anzulegen. In diesem Kontext verwendet der Senat, nachdem grammatische und historisch-genetische Konkretisierungselemente des Art. 7 Abs. 5 GG den Schluß auf eine nonnative Ermächtigung für einen nicht justitiabIen administrativen Beurteilungsspielraum nicht ohne weiteres zulassen38 , die ansonsten in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Kriterien 39 , welche für dessen Annahme sprechen könnten. 36 Pieroth/Kemm, a.a.O., S. 782 (Fn. 5) mit den entsprechenden Nachweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG sowie das Schrifttum. 37 BVerfGE 88, 40 (57). 38 BVerfGE 88, 40 (56 f.): ,,Der Wortlaut der Norm kann ... nicht ohne Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte gewürdigt werden. Fragen der gerichtlichen Kontrolldichte und möglicher Beurteilungsspielrilume der Verwaltung wurden weder zur Zeit ihrer erstmaligen Formulierung in der Weimarer Reichsverfassung noch bei ihrer Übernahme in das Grundgesetz erörtert. Es ist deshalb unwahrscheinlich, daß die Formulierungen damals in dem Bewußtsein gewilhlt wurden, dadurch könne der Rechtsschutz eingeschrilnkt werden. Offenbar sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß überhaupt ein Anerkennungsverfahren stattzufinden hat. Die Benennung der 'Unterrichtsverwaltung' als der organisatorisch berufenen Stelle hatte schon in der Weimarer Reichsverfassung keinen zusiltzlichen Aussagegehalt; im Grundgesetz ist sie nur als überkommene Formulierung beibehalten worden". Das BVerfG sieht in Art. 7 Abs. 5 GG offensichtlich insoweit lediglich eine Art Kompetenzzuweisung: Es soll überhaupt durch eine bestimmte staatliche Stelle entschieden werden, ohne daß aber zur Problematik der Reichweite der gerichtlichen Prüfungsbefugnis Stellung bezogen worden wilre. Andererseits möchte das BVerfG die Normtextformulierung aber auch nicht so ver-
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Als erstes referiert das Gericht auf den Aspekt der Bedeutung persönlicher Erfahrungen für die Verwaltungsentscheidung, der regelmäßig im Rahmen von Berufszulassungsprüfungen für einen weitreichenden Beurteilungsspielraum der zuständigen Behörde streitet. Anders als bei diesen Verfahren muß aber bei der Interpretation des besonderen pädagogischen Interesses gemäß Art. 7 Abs. 5 GG "nicht wegen des Gebots der Chancengleichheit auf persönliche Erfahrungen und Eindrücke des zur Entscheidung berufenen Behördenbediensteten oder den Vergleich von Leistungen zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückgegriffen werden". Vielmehr könne hinsichtlich der Auslegung des Art. 7 Abs.5 GG auf "Erkenntnisse aus dem Erfahrungsbereich der Schulbehörde" Bezug genommen werden, die "schriftlich festgelegt und einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich gemacht werden,,40. Auch aus der besonderen Fachkompetenz der Unterrichtsverwaltung sei ein der gerichtlichen Kontrolle entzogener Entscheidungsspielraum nicht begründbar, da die im Zusammenhang mit dem besonderen pädagogischen Interesse auftretenden Fachfragen, soweit sie die Beurteilung der Neuartigkeit solcher pädagogischer Konzepte oder deren Inbezugsetzung zu bereits erprobten Modellen betreffen, jedenfalls unter Zuhilfenahme unabhängiger Sachverständiger vor Gericht grundsätzlich beantwortet werden könnten. Ähnliches gilt - so das Gericht weiter - mit Blick auf die Komplexität bestimmter schwieriger fachlicher Bewertungen, die durch die Einschaltung eines Sachverständigen zumindest insoweit reduziert werden könne, "daß er dem Gericht ... eine bessere Einschätzung voneinander abweichender fachlicher Standpunkte ennöglicht". Dies sei indes ausreichend, um angesichts der Funktion des gerichtlichen Verfahrens, "zu einer klaren Herausarbeitung der konträren Standpunkte (zu; B.1.) führen und damit methodische Mängel fachlicher Bewertungen deutlicher hervortreten (zu; B.1.) lassen", die Annahme einer administrativen Einschätzungsprärogative auszuschließen41 . Endlich könne auch der Umstanden wissen, als ob sie "den Gerichten ... ein 'Letztentscheidungsrecht' in dem Sinne zukommen" lassen wolle, wonach "sie ihre Beurteilung an die Stelle der behördlichen Bewertung setzen könnten" (BVerfG, ebd., S. 57). Richtig zu dieser letzten Überlegung jedoch Pieroth/Kemm, a.a.O., S. 782 f. (Fn. 5) mit Bezug auf Müller, Juristische Methodik, 5. Aufl. 1993, S. 182 ff.: ,,Hier wird ... die Konkretisierungsfunktion (Indizfunktion) des Normtextes mit seiner Grenzfunktion verwechselt. Aus dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 5 Alt. 1 GG läßt sich i.S. der Konkretisierungsfunktion ein differenzierter Beurteilungsspielraum schon deshalb nicht ableiten, weil der Normtext selbst keine Differenzierungskriterien vorgibt. Wohl aber ist es mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar (i.S. der Grenzfunktion), einen historisch-genetisch, teleologisch oder systematisch begrUndeten differenzierten Beurteilungsspielraum anzunehmen". 39 Dazu i.e. bei Geis, a.a.O., S. 27 ff. (Fn. 10). 40 BVerfGE 88, 40 (57 f.). 41 BVerfGE 88, 40 (58 ff.).
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stand, daß die Entscheidung der Schulbehörde teilweise auf prognostischen Erkenntnissen beruhe, nicht von vornherein eine gerichtliche Überprüfung verhindern. Letztere beziehe sich dann jedenfalls auf die Frage, "ob der Sachverhalt zutreffend ermittelt und der Prognose eine geeignete Methode zugrunde gelegt worden ist. Positiv läßt sich auch dies regelmäßig nur feststellen, wenn die Ergebnisse einer solchen Prognose in der Verwaltungsentscheidung selbst oder den Verwaltungsvorgängen einleuchtend begründet sind,,42 . Insgesamt gelangt das BVerfG somit zu dem Ergebnis, daß weder aus dem Normtext des Art. 7 Abs. 5 GG noch unter Berücksichtigung der erwähnten Ausnahmetatbestände ein der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogener Beurteilungsspielraum der Schulbehörde anerkannt werden kann. Verwunderung muß daher die Schlußsequenz43 auslösen, die das Gericht seinen allgemeinen Ausführungen in den Entscheidungsgrunden anfligt. Dort wird nämlich die zuvor geknüpfte Argumentationskette relativ unvermittelt44 durchbrochen, indem der Senat eine volle gerichtliche Kontrolle der Entscheidung nach Art. 7 Abs. 5 GG letztlich doch noch verneint. Eine solche müsse ausscheiden, da die Vorschrift keine "hinreichend bestimmte(n) Vorgaben (Entscheidungsprogramme)" enthalte, weshalb sich ihre Interpretation nicht als eine "uneingeschränkt rechtsgebundene, auf einer rein fachlichen Beurteilung beruhende Entscheidung" darstellen lasse, sondern ,.Elemente wertender Erkenntnis ein (schließe), deren Ergebnisse nicht vollständig auf eine Anwendung der einschlägigen Verfassungsnorm zurückzuführen sind". Eine derartige Verwaltungsentscheidung verlange indes "eine Gewichtung unterschiedlicher Belange, für die Art. 7 Abs. 5 GG keine vollständige rechtliche Bindung" vorgebe, so daß sich insofern ein "Handlungsspielraum" der Exekutive eröffne, welchen diese ,,kraft ihrer eigenen verfassungsrechtlichen Legitimation ausflilIen" müsse, wobei sie zwar der "parlamentarischen, nicht aber einer gerichtlichen Kontrolle" unterliege45 . Insbesondere mit Blick auf diese überraschende Wendung hat der Beschluß des BVerfG im Schrifttum Skepsis sowie einen zwiespältigen Eindruck hinter-
42 BVerfGE 88,40 (60): ,,Die Unterrichtsverwaltung muß ... nachvollziehbar darlegen, auf welche Tatsachen und Erfahrungen aus ihrer eigenen Sphäre und auf welche wissenschaftlichen Erkenntnisse Dritter sie zur prognostischen Beurteilung zurUckgreift". 43 BVerfGE 88, 40 (61). 44 AngekUndigt hatte sich diese Kehrtwende freilich bereits auf S. 56 der EntscheidungsgrUnde; s. dazu bei Fn. 33. 45 BVerfGE 88, 40 (61); s. ferner die bei Pieroth/Kemm,a.a.O., S. 783 (pn. 5) gezogenen Verbindungslinien, die der Beschluß zur Kalkar- (BVerfGE 49,89 [125]) bzw. Stationierungsentscheidung (BVerfGE 68, 1 [88]) und den dortigen Bestimmungen des Verhältnisses zwischen Legislative und Exekutive aufweist.
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lassen46 . Einerseits wurde zwar die (weitere) Eingrenzung nichtjustitieller Freiräume in Bereichen der Grundrechtswahrnehmung begrüßt; andererseits mußte sich das BVerfG vorhalten lassen, hierbei auf halbem Wege stehen geblieben zu sein, da sich die "nach allen Einzelschritten der Begründung aufdrängende Schlußfolgerung, daß durch Art. 7 Abs. 5 Alt. I GG kein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist, ... nicht gezogen (wird),,41. Hinzu kommt, daß die Grenzen, die dem Beurteilungsspielraum der Verwaltung und damit ihrer (Un-)Kontrollierbarkeit gesetzt werden, kaum praktikabel erscheinen. Denn, wie "sollen 'Erkenntnisse aus dem Erfahrungsbereich der Schulverwaltung' ,die vollständig überprüfbar sein sollen, von 'Elementen wertender Erkenntnis' und der Gewichtung der für die Entscheidung maßgeblichen Belange, bei der der Verwaltung ein Spielraum verbleiben soll, unterschieden werden?,,48 . Man wird diesen kritischen Stimmen beipflichten müssen. Trotz der zweifellos vorhandenen Fortschritte, welche der Beschluß des BVerfG für die Weiterentwicklung der Grundrechtsdogmatik zur Privatschulfreiheit enthält, läBt sich eben die Gefahr nicht leugnen, daß im Einzelfall administrative Eingriffe in das Freiheitsrecht aus Art. 7 Abs.4 Satz 1 i.V.m. Abs.5 Alt. 1 GG im Ergebnis doch nicht abgewehrt werden könnten, soweit sich die Unterrichtsverwaltung auf wertende Entscheidungsaspekte bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "besonderes pädagogisches Interesse" beruft - und das Gericht ihr hierbei folgt.
VI. Zur problematischen Rechtsfigur des unbestimmten Rechtsbegriffs Neben diesen Bedenken wirft die Entscheidung des BVerfG aber noch eine andere, wiewohl eng mit der bisherigen Problematik verknüpfte, grundsätzliche Frage auf. Ihr liegt nämlich, vor allem in der Schlußpassage zur Abgrenzung der Kompetenzverteilung zwischen Exekutive und Judikative, ein Rechtsanwendungsmodell zugrunde, das nach Alternativen zu unterscheiden trachtet, in denen entweder eine Verwaltungsentscheidung nonnativ vollständig detenniniert (vollständig rechtlich gebunden) ist oder - zweite Möglichkeit - Raum für notwendige subjektive Wertungen (rechtlich unvollständig gebunden) zuläBt, 46 Siehe nur PierothlKemm, a.a.O., S. 783 f. (Fn.5); Pietzcker, a.a.O., S. 790 (Fn. 29) oder Theuersbacher, NVwZ 1993, 1178 Cf., 1182. 41 PierothlKemm, a.a.O., S. 784 (Fn. 5). 48 Diese Fragen stellen zurecht PierothlKemm, a.a.O., S. 784 (Fn. 5) mit Bezug auf die einschlägigen Textpassagen im BVerfG-Beschluß. 9 FS Vogel
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respektive voraussetzt. Nimmt man das BVerfG beim Wort, könnten bzw. dürften nur noch von subjektiven Bewertungselementen freie Behördenentscheidungen gerichtlich umfassend überprüfbar sein. Anders formuliert: Nur da, wo sich die Entscheidung mehr oder weniger unmittelbar aus dem Gesetzestext erschließen läßt, die Norm also sozusagen lediglich angewendet werden muß, läge ein derartiger Fall vor. Allein, gibt es, unbeschadet weniger Ausnahmen, solche Fälle überhaupt? Und liegt - weiter gefragt - nicht gerade auch der gängigen Differenzierung zwischen bestimmten bzw. unbestimmten Rechtsbegriffen (und der davon abhängig gemachten jeweiligen Reichweite der gerichtlichen Kontrolldichte) eine derartige Unterscheidung voraus? Gibt es mithin bestimmte Gesetzesbegriffe, deren Referenzbereiche objektiv vorgegeben und deshalb gerichtlich nachprüfbar erscheinen, so daß lediglich bei sog. unbestimmten Normtextbestandteilen subjektive bzw. wertende Auslegungselemente entscheidungsrelevant werden können - mit den beschriebenen Folgen bezüglich der Einschränkung des gerichtlichen Kontrollumfangs?
Der steinige Weg der österreichischen Schule zur Autonomie Von Rupert Vierlinger
I. Die Schule als "Politikum" eine historische Weichenstellung 1 Wer Wien besucht, begegnet auf Schritt und Tritt den Bauwerken aus der Kaiserzeit. Wer die legistische "Architektur" der österreichischen Schule betrachtet, findet sich ebenfalls von Zeitzeugen umgeben, die den Geist der Monarchie atmen. So brauchbar freilich die herrschaftlichen Gebäude aus vergangenen Jahrhunderten auch für die Zwecke des demokratischen Staates sind, so kontraproduktiv kann der gesetzliche Rahmen, den die Aristokratie erfunden hat, für die Schulung einer Jugend werden, die das demokratische Miteinander lernen soll. Als sich Maria Theresia anschickte, das Schulwesen aus dem Schoß der Kirche zu holen und es neu zu "beheimaten", hätte sie sich durchaus auch am liberalen Gesellschaftsvertrag des John Locke orientieren können, den dieser den Machtansprüchen des Aufgeklärten Absolutismus gegenübergestellt hat. Locke wollte, daß die Erziehung ans Haus gebunden sei bzw. an die väterliche "Gewalt" (im Gegensatz zum Zugriff der staatlichen Gewalt verstanden). Die habsburgische Landesmutter hielt sich aber lieber an ihren Zeitgenossen Montesquieu, der zwar auch kein Freund des Absolutismus war, von der Erziehung aber meinte, daß sie eine Funktion der Regierung zu sein habe (Oelkers, J., 1988). Anstelle der Schule als ,,Ecclesiasticum" wäre eine Schule als ,,Privatum" denkbar gewesen. Maria Theresia hat sie als "Politikum" definiert! Damit wurden die Prinzipien, die für den Aufbau der stehenden Heere und den Ausbau des Beamtenapparates galten, auch zu Regulativen für die Schule, und zwar nicht nur für diejenige, welche für die breite Masse der Untertanen neu geschaffen worden war. 1 Einschlägige Literatur: Seel, H., 1996, S. 41-82; Scheipel, J./Seel, H., 1987 und 1988; Engelbrecht, H., 1986/87.
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In zwei kmzen "historischen" Augenblicken gab es unter dem Druck revolutionären Aufbegehrens eine Tendenz zur Beteiligung der Basis: In seiner Regierungszeit von 1790-92 (vgl. Französische Revolution) beabsichtigte Leopold 11., einige Schritte zur Deregulierung zu tun. Freiherr von Martini hatte unter Duldung seines Gebieters für die Schulen das Recht vorgesehen gehabt, die Verwaltung des inneren Schul- und Studienbetriebes autonom zu organisieren und bei der Ergänzung der Lehrkörper Vorschläge zu machen (Lechner, E., 1981, S. 37). Als interimistische Antwort auf die revolutionären Ereignisse des Jahres 1848 wurde die Leitung der Mittel- und Hochschulstudien den Lehrkörpern übertragen, außerdem wurde der "Entwurf der Grundzüge des öffentlichen Unterrichtes" in der "Wiener Zeitung" veröffentlicht und damit gewissermaßen der Bevölkerung zur Begutachtung vorgelegt. Nach diesem Entwurf sollte die unmittelbare Leitung der Volksschulen einer paritätisch aus Lehrern und Gemeindevertretern zusammengesetzten Schulkommission übertragen werden2 • Die jeweils anschließende Restaurationsphase würgte diese Tendenzen in Richtung auf eine Schule als ,,Privatum" wieder ab und ging eine neue Liaison mit der Kirche ein, indem ihr die Schulaufsicht überantwortet wurde. Erst das Reichsvolksschulgesetz von 1869 setzte einen endgültigen Schlußstrich unter die kirchliche Schulaufsicht. Es zeigte die Handschrift der liberalen Partei, die im Reichsrat der nunmehr konstitutionell gewordenen Monarchie vorübergehend das Sagen hatte. In den gegenwärtigen Ausprägungen von Liberalismus fmdet die ,,Privatisierung" der Schule eine starke Lobby, im Kampfe der Alt-Liberalen gegen die klerikale Umarmung gab es dagegen nur die Flucht in den mächtigen Arm des Staates. "Der Staat", heißt es daher im Paragraph 9 dieses Jahrhundertgesetzes aus 1869, "übt die oberste Leitung und die Aufsicht auf das gesamte Unterrichts- und Erziehungswesen aus". Das Ministerium bildete die letzte Instanz der zentralen Schulverwaltung; in den Ländern wurden die Landesschulräte installiert, in den Bezirken - in Deutschland würden sie Kreise heißen - die Bezirksschulräte und an den Schulorten selbst die Ortsschulräte3 • 2 Höchst bemerkenswert fUr die damalige Zeit war die Idee des kurzfristig amtierenden Unterstaatssekretärs Ernst von Feuchtersleben, ein Progymnasium als eine Art Gesamtschule zu schaffen (Zusammenfassun~. von Untergymnasium, Unterrealschule und BUrgerschule), "um jedennann, auch dem Armsten, die Wege der Bildung zu eröffnen" (Seei, H., 1996, S. 77). 3 Die Ortsschulräte setzten sich aus gewählten Gemeindevertretern, dem Pfarrer, dem Schulleiter und dem Ortsschulaufseher zusammen, der auf Vorschlag des Ortsschulrates vom Bezirksschulrat bestimmt wurde. Sie wurden erst in der Zweiten Republik abgeschafft.
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Im Rahmen der Übergangsgesetze von 1920 wurde diese Struktur der Schulaufsicht in die 1918 ausgerufene Erste Republik Österreichs übernommen. Das Reichsvolksschulgesetz blieb mit den Novellierungen aus der Zwischenkriegszeit auch nach dem Hitler-Faschismus das legistische Fundament der österreichischen Schule und damit auch für einen extremen bildungspolitischen Paternalismus. Ulrich van Lith bezeichnet mit diesem Begriff die zentralstaatliche Steuerung, bei der sich der Staat nicht darauf beschränkt, die Einhaltung gewisser Mindeststandards zu gewährleisten, sondern auch den Lehrerbedarf plant, die Inhalte und die Organisation der Lehrerbildung bestimmt, den Zugang zum Lehrberuf reglementiert, die einzelnen Lehrkräfte den Schulen zuteilt, die Schulbücher einem komplizierten Genehmigungsverfahren unterwirft, Standards für den Schulbau fixiert, über die schulischen Organisationsund Entscheidungsstrukturen verfügt, die Klassengrößen, die Unterrichtsinhalte, die Unterrichtszeiten und vieles andere dekretiert (Lith, U. v., 1983, S. 7). Der nächste und letzte große Markstein, das umfassende Schulgesetz von 1962, hat die österreichische Schule in wesentlichen Bereichen modernisiert. Verwiesen sei auf die Gründung der pädagogischen Akademien als Ausbildungsstätten für die Pflichtschullehrer wie auch auf neue Schultypen der Sekundarstufe 11 und auf die Einführung der neunjährigen Schulpflicht. Am schulischen Paternalismus aber hat sich nichts geändert, auch wenn bei den Landesund Bezirksschulräten Kollegien geschaffen wurden, deren stimmberechtigte Mitglieder proportional nach den Ergebnissen der Landtagswahlen zu bestellen sind. Sie haben den Einfluß der politischen Parteien gesichert, was unter anderem in den Landesschulräten der fünf größeren Bundesländer bei der Ernennung von Präsidenten und Vizepräsidenten als politisch Verantwortlichen zum Ausdruck kommt. Mit dem Delegieren von Entscheidungsbefugnissen an die Basis aber hat die Errichtung der Kollegialorgane eher nichts zu tun! Die Verwaltungsbeamten haben die größere Rechtssicherheit begrüßt, die das Schulgesetzwerk 1962 gebracht hat, die Insider des unmittelbaren pädagogischen Geschehens aber beklagen das außerordentlich hohe Maß an Regelungsdichte, das sich in den Jahren seither noch verstärkt hat. Ein weiterer Grund zur Klage ist die neue Wertigkeit von Schulgesetzen: Die heftigen weltanschaulichen Kontroversen, die dem Schulgesetzwerk 1962 (mit Konkordatsänderung!) vorausgegangen sind, haben den politischen Willen ausformuliert, Schulgesetze mögen fürderhin Verfassungsrang haben. Um die alten Gesetze zu ändern oder neue zu beschließen, müssen also 50 Prozent der Abgeordneten im Parlament anwesend sein, und von diesen müssen zwei Drittel ein positives Votum abgeben. Das hat in der rückschauenden Betrachtung zu einem großen Reformstau geführt.
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11. Zentral verordnete Schulversuche "treten auf der Stelle" Zunächst hat es freilich nicht nach Refonnstau ausgesehen, denn in den 70er Jahren war auch in Österreich eine refonnfreudige Geschäftigkeit ausgebrochen. Den Anstoß gab einerseits die internationale Refonneuphorie, die auf dem Weg über die Deutsche Bundesrepublik: ("Bildung ist Bürgerrecht!" "Hebung der Begabungsreserven!" etc.) Österreich erreicht hat. Andererseits war es das Erschrecken über die Bewegung an der Basis: 1967 wurde über ein Schulvolksbegehren (das erste in der österreichischen Schulgeschichte!) die beschlossene Aufstockung des Gymnasiums auf neun Jahre zu Fall gebracht4 • Zum thematischen Schwerpunkt der Schulrefonn wurde mehr und mehr die Sekundarstufe I, die im Schulorganisationsgesetz aus 1962 ein traditionelles Erscheinungsbild erhalten hatte, während ihr die fortschrittlichen Kräfte Züge der Gesamtschule leihen wollten. 5 Charles Silbennan hat es aus seiner US-amerikanischen Erfahrung als den "größten Fehler" bezeichnet, eine Refonn von oben her zu kreieren, um nachher den Lehrern sagen zu müssen, wie man sie handhabt (Winkel, R., 1974, S.292). Die österreichische Schuladministration hat diesen Fehler begangen! Der Logik einer zentralistisch gesteuerten Schulverwaltung folgend, nahm die Hierarchiespitze der Administration die Refonn von allem Anfang an unter ihre Kontrolle. Zwar wurde ein Zentrum für Schulversuche gegründet, aber statt ihm Eigenständigkeit zu sichern, wurde es ans Gängelband des Ministeriums genommen. So ist ihm nicht einmal die wünschenswerte Kooperation mit den erziehungswissenschaftlichen Instituten der Universitäten freigestellt gewesen, geschweige denn die Einladung der Basis zu eigenständigen Entwürfen. Gleichsam als Aushängeschild gab es einen Stab wissenschaftlicher Betreuer. Gebildet wurde er freilich zum Großteil aus den Funktionären der Schulaufsicht auf Bezirks-(Kreis-)Ebene, in deren Katalog von Anstellungsbedingungen das wissenschaftliche Studium gar nicht vorgesehen ist. Sie verstanden sich mehr als Disseminatoren, weisungsgebunden nach oben und anordnungsgewohnt nach unten. Daß auf diese Weise gewissennaßen der Bock zum Gärtner gemacht worden war, entsprach durchaus der Intention, die das Ministerium mit 4 Wie ungeUbt die Bevölkerung mit den Instrumenten der direkten Demokratie damals noch gewesen ist, kommt darin zum Ausdruck, daß ein Gutteil der abgegebenen 340.000 Stimmen einem anderen neunten Schuljahr gegolten hat, nämlich dem neunten Pflichtschuljahr und hier besonders dem neu geschaffenen Polytechnischen Lehrgang. S Die Bandbreite der Reformvorhaben reichte von den Vorschulklassen Uber Fremdsprachen in der Grundschule bis zu einer Flexibilisierung in der Sekundarstufe 11 und von der Sonderschule bis zu einem schUlerfreundlicheren Berufsschulwesen.
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Hilfe des Schulversuchszentrums zu verwirklichen trachtete: Kontrolle der Umsetzung zentral-definierter und durchaus im politischen Proporz ausgehandelter Versuchspläne. Abweichungen wurden geradezu inquisitorisch verfolgt: Eine Sekundarstufe I mit unverfälschter Heterogenität, mit innerer Differenzierung und entsprechend radikaler Alternative in der Leistungsbeurteilung hatte nicht einmal an der Übungsschule einer pädagogischen Akademie eine Chance, regulär genehmigt zu werden. Das Ergebnis ist - um beim Beispiel der Sekundarstufe I zu bleiben - ein pädagogisch höchst bedenklicher Komprorniß geworden (Hauptschule mit Leistungskursen in den Hauptgegenständen), den sogar ein seinerzeitiger Exponent der Schulversuchsszene als "fragwürdige Operation an einem schulorganisatorischen Auslaufmodell" bezeichnet (SeeI, H., 1996, S.77).
m. Das Stiefkind Privatschule Wie sehr der Zentralismus in der österreichischen Schulgesetzgebung verankert ist und wie sehr die Administration ihren Dirigismus gegenüber eigenständigen Entwicklungen verteidigt, kommt auch in der Haltung gegenüber den Privatschulen zum Ausdruck. Das Privatschulgesetz, ein Teilbereich des Gesetzespaketes aus 1962, erlaubt die Errichtung einer Privatschule, wenn die Bedingungen hinsichtlich des Schulerhalters, der Leiter und Lehrer sowie der Schulräume und Lehrmittel erfüllt sind. Der Schulerhalter muß ein untadeliger österreichischer Staatsbürger sein 6 ,eine gesetzlich anerkannte Kirche bzw. Religionsgesellschaft oder eine Gebietskörperschaft (Gemeinde, Land) bzw. eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes (z.B. Kammern). Die Leiter und Lehrer (in der Regel wieder österreichische Staatsbürger) müssen eine einschlägige Lehrbefähigung vorweisen können oder eine vergleichbare sonstige Qualifikation besitzen. Der Schulerhalter muß nachweisen, daß neben den hygienischen Räumlichkeiten die zur Erfüllung des Lehrplanes notwendigen Lehrmittel und sonstigen Ausstattungen und Einrichtungen vorhanden sind. Daß der Staat diese Bedingungen für die Führung einer Schule vorgibt, wird ihm niemand als Omnipotenzgelüst auslegen. Es könnte höchstens gefragt werden, ob er sich überhaupt darum kümmern müsse, denn welche Elterngemeinde würde es nicht von sich aus tun, ehe sie ihre Kinder einer Schule überantwortet? In den Fragen der Finanzierung und der Verleihung von rechtswirksamen Zeugnissen zeigt sich aber dann der energische Zugriff der monopolbewußten 6 FUr Ausländer oder ausländische juristische Personen gibt es Ausnahmebestimmungen.
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Staatsrnacht: Bezahlt wird nach politischer Willkür: Weil Kreisky zu Beginn seiner Regierungszeit ein Naheverhältnis zur Kirche und ihren Gläubigen gesucht hat, wurde den konfessionellen Privatschulen die hundertprozentige Dekkung der Kosten des Lehrerpersonals gesetzlich zugesichert. Bei allen anderen privaten Schulträgern hängt es von der gönnerhaften Laune der Machthaber im Schulbereich ab, ob sie den einen oder anderen "Subventionsposten" bekommen oder nicht. Gleiches gilt - in diesem Fall für alle Privatschulen - hinsichtlich der finanziellen Unterstützung im Bau- und Einrichtungsbereich. Wollen die Schulen curriculare Eigenständigkeit bewahren, dann haben sie Schwierigkeiten, das Öffentlichkeitsrecht zu bekommen, denn dieses ist ganz wesentlich an die Erfüllung der staatlichen Lehrpläne gebunden. Ohne Öffentlichkeitsrecht ist es den Schulen nicht möglich, staatsgültige Zeugnisse auszustellen; ihre Schüler müssen sich bei "fliegenden Kommissionen", gebildet aus Lehrern und evtl. auch Aufsichtsbeamten des öffentlichen Schulwesens, zur Prüfung stellen. Diejenigen Privatschulen, die trotz dieser Auflagen ihre "ideologische" Eigenständigkeit bewahren, müssen von den Eltern relativ hohe Summen an Schulgeld verlangen. Das schlägt sich mit dem Prinzip der Steuergerechtigkeit, weil doch diese Eltern mit ihren Abgaben das öffentliche Schulwesen mitfmanzieren müssen. Es schlägt sich aber auch mit dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit, weil es den weniger begüterten Familien im Normalfali nicht möglich ist, ihre Kinder in private Schulen zu schicken. Dies gilt für die konfessionellen Schulen eher nicht, weil sie wegen der entfallenden Personalkosten das Schulgeld niedrig bemessen können. In Anbetracht der totalen "Verstaatlichung" im Personalbereich und der wegen des Öffentlichkeitsrechtes geforderten LehrplanIdentität ist bei den konfessionellen Schulen Österreichs ja durchaus die Frage erlaubt, ob ihnen denn das Attribut "privat" im internationalen Verstande von Privatschulen überhaupt noch zukommt.
IV. Der Staatsmann - ein schlechter Erzieher Die Kritik am Zentralismus der österreichischen Schule, an ihrer peniblen Steuerung durch ein hierarchisches System von Verwaltungsebenen könnte als libertinistische Unbotmäßigkeit oder auch als anarchistische Bürokratieschelte gedeutet werden. Die Triebkraft dieser Kritik wird aber von ganz anderen Motiven gespeist! Ihr Nährboden ist die Sorge um das Wesen des Pädagogischen und darum, ob es mit den Mitteln der bürokratischen Staatsverwaltung entsprechend kultiviert werden könne. Es ist die Sorge, die einen J. F. Herbart bereits an der Schwelle der Verstaatlichung des Schulwesens im deutschen Sprachraum umgetrieben hat, wenn er - in Horst Rumpfs Dramaturgie - den Repräsentanten des Staates verwundert hat fragen lassen: "Wie kann man auf den Gedanken kommen, der Staat mit seinen aufs Allgemeine hin orientierten
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Denk- und Verwaltungsmitteln ... sei zur Erziehung geeignet? Uns Staatsmännern, uns so von allgemeinen Formen Okkupierten, ausgerechnet uns wollt ihr den weichsten aller Stoffe, das menschliche Kind, zur Ausbildung empfehlen, zur langsamen, durch kaum unterscheidbare Stufen fortgehenden, durch die zarteste Liebe allein und durch den feinsten Kunstsinn möglichen Ausbildung? Wir dachten doch, ihr hättet einen klareren Begriff von einer Kunst und einer künstlerischen Sorgfalt! (Herbart, J. F., 1964/65, S. 143, bzw. Rumpf, H., 1986, S.31). Jedes Feld menschlicher Kulturtätigkeit hat seine eigenen Denkformen herausgebildet, die nicht ohne Schaden vermengt werden können. Dies gilt auch für die Denkformen der Bürokratie, die mit denen der Pädagogik nicht kompatibel sind: Die formale Organisation der Bürokratie legt soziale Distanz nahe - der Erziehungsprozeß ist auf emotional gestützte Identif'tkation angewiesen (Fend, H., 1980, S. 234). Der Bürokrat lebt im Geiste institutionalisierten Mißtrauens - der Erzieher hingegen ist auf risikoreiches Vertrauen angewiesen. Bürotechnik muß rationalisieren - die Pädagogik muß ihr Augenmerk auf eine andere Dimension richten, nämlich das Motivieren. Das bürokratische Funktionieren des Verwaltungsapparates basiert auf der möglichst perfekten Reglementierung aller Vorgänge; es hat eine Präferenz zur Vereinheitlichung und Kontrolle; es paßt optimal dort, wo es sich um uniforme Repetiertätigkeiten handelt - Unterricht und Erziehung dagegen leben vom persönlichen Anspruch und gelingen am besten im Dialog. Die Individualität des menschlichen Antlitzes kommt überall besser zum Ausdruck als dort, wo man in Reih' und Glied zu stehen hat. Die Trennung der Amtswaltung vom sterblichen Ich ist eine Vorbedingung für das Funktionieren der bürokratischen Organisationsform, die Max Weber "eine Erfindung gleich einer Maschine" genannt hat (Weber, M. 1972, S. 128). Wenn beispielsweise die Geschäfte der Finanz-, Justiz- und Militärverwaltung verläßlich und zeitgerecht erledigt werden sollen, dann darf es keine Beeinträchtigung durch menschliche Gefühle und Leidenschaften geben. Wegen der Spaltung von Amt und Person als Charakteristikum bürokratischen Handeins kann der Standesbeamte vor dem Gesetz gültige Ehen schließen, auch wenn er selbst von der Ehe nichts hält. Wie aber soU ein Lehrer für ein Lied begeistern können, das er selber nicht hören mag; für ein Buch, von dem er nicht fasziniert ist? Wie soll er zur Demokratie erziehen können, wenn er im Herzen Faschist ist? (Vierlinger, R. 1993,68,69). Der Schaden ist groß, den die "bürokratischen Erfindungen", die keine pädagogischen sein können, in der Schule anrichten. Er ließe sich mit zahlreichen
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Beispielen aus der phänomenologischen Unterrichtsforschung bebildern, welche die Irritationen dingfest macht, die das System auf das Schulleben im weitesten Sinne des Wortes ausübt (vgl. Vierlinger, R., 1995, S. 455-457). Die Rede von den unpädagogischen Nebenwirkungen der "bürokratischen Erfindungen" ist natürlich eine unerlaubte Verkürzung. Hinter dem durch das Verwaltungshandeln geschaffenen Erscheinungsbild der Schule stehen ja schließlich politische Vorstellungen von der Ordnung des sozialen Systems und damit einer je bestimmten Sozialisationsfunktion der Schule. Es sind Vorstellungen, die von der Notwendigkeit der frühen Selektion durchdrungen sind, sei es durch die Organisationsform der Schülergruppierung oder durch das Instrument der Leistungsbeurteilung. Und es sind Vorstellungen von uniformen methodisch-didaktischen Strategien, die sich mehr am kollektiven Gleichschritt orientieren als am Paßgang des Individuums. Letztlich sind es Zielvorstellungen, die der ständischen Gesellschaft in der vordemokratischen Zeit entsprochen haben und wie erratische Blöcke in die Demokratie mitgeschleppt worden sind. Weil diese Vorstellungen aber mit den Denkformen der Verwaltung bruchlos übereinstimmen, haben sich die Intentionen beider Systeme, die des politischen Lagers, das diese Ideologie trägt, und die der schulischen Verwaltungshierarchie, die ihr zu Diensten sein muß, zu einer Phalanx vereint, die sich bisher als schier unüberwindlich erwiesen hat7 • Wohl gibt es eine politische Minderheit mit anderen Zielvorstellungen, aber die bereits angesprochene fatale Entscheidung aus dem Jahre 1962, welche die Schulgesetze in den Verfassungsrang gehoben hat, paralysiert ihren Einfluß.
V. Erste Etüden einer Schulautonomie Mit dem letzten Dezennium des 20. Jahrhunderts kommt nun endlich (auch) in Österreich die Diskussion über Deregulierung und Schulautonomie auf breiter Front in Gang. Es läßt sich eine ganze Reihe von Kraftfeldern benennen, aus denen sie gespeist wird. Die wissenschaftliche Pädagogik hat seit langem auf das Defizit verwiesen, das der Schule erwächst, wenn die Kreativität der Lehrer durch den Dirigismus der Verwaltung eingeengt und die Lust am Funktionieren größer ist als die Lust am schöpferischen Prozeß (vgl. Vierlinger, R., 1976, S.9-17 und 1977, S.4-14)
7 ,,Eine einmal voll durchgeführte Bürokratie gehört zu denjenigen sozialen Gebilden, die am schwersten zu zertrümmern sind" (Weber, M., 1976, S. 572).
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Der Zusammenbruch der zentralen Planwirtschaft des Ostens hat durchaus auch zu einem kritischen Nachdenken über die Ordnung des Bildungswesens geführt, weil doch die Bildungsverfassung in Österreich (wie in zahlreichen deutschen Bundesländern) zum mittlerweile bankrotten Planungssystem des kommunistischen Machtblocks mehr Analogien aufgewiesen hat als zum marktwirtschaftlichen System des Westens (vgl. Lith, U. v., 1983, S. 43). Die Produktionssysteme der Wirtschaft haben die zentralen Steuerungsmodelle gegen Modelle der "lean production" ausgetauscht, in denen die Arbeitsteams vor Ort mit der Lösung anstehender Probleme betraut werden. Der Abstand zu ausländischen Schulentwicklungen wurde unübersehbar, die den Rückzug des Staates aus der monopolartigen Steuerungsfunktion. demonstrieren. Selbst in Schweden, das eine Bastion des Wohlfahrtstaates gewesen war, wurden dem Markt im Schulwesen die Tore geöffnet. Das Bemühen um den Beitritt zur Europäischen Union brachte eine ganz neue Hellhörigkeit gegenüber dem merklichen Ansteigen des Trends zu freien Schulen. Das Europäische Parlament hat doch in seiner "Entschließung zur Freiheit der Erziehung" 1984 den Staat verpflichtet, freie Schul- und Unterrichtswahl zu gestatten und in allen Schulen die dafür nötigen Einrichtungen zu sichern. Das österreichische Schulunterrichtsgesetz aus 1974 und seine seitherigen Novellierungen gestehen den Schulforen (Pflichtschulzeit) und Schulgemeinschaftsausschüssen (Sekundarstufe 11) ein gewisses Recht zur Mitsprache in Schulangelegenheiten zu, wodurch das Verwaltungsmonopol der Schulbehörde erstmals "angekratzt" wird: Es kommen nicht mehr alle Entscheidungen einem Verwaltungsakt gleich! Dasselbe gilt für die mittlerweile gestattete MitwiIkung des Lehrerkollegiums bei der Besetzung des Leiterpostens. Das für die Bildungspolitik massivste Argument war aber doch wohl die Finanzsituation, die zum Slogan von der beginnenden "Unfinanzierbarkeit des Schulwesens" führte. Während beispielsweise von 1986 bis 1995 die Schülerzahlen im gesamten Bundesgebiet von 1.196.590 auf 1.178.326 gesunken sind, ist die Zahl der Lehrer von 108.181 auf 119.254 (also um 10 %) gestiegen. Das Schulbudget hat sich in derselben Zeit von 41 Milliarden auf 66 Milliarden erhöht; das ist eine Steigerung um 61 %. In dieser Zwangslage haben sich die zwei großen Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP in ihrem Arbeitsübereinkommen von 1990 unter anderem "Dezentralisierung, Autonomie und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Schulen" zur Aufgabe gestellt. Verwirklicht wurde diese Aufgabe in der drei Jahre später beschlossenen Novelle des Schulorganisationsgesetzes (14. SCHOG-Novelle aus 1993).
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Wer freilich das Ausmaß der gewährten Autonomie bedenkt, dem kommt das Wort von den kreißenden Bergen und der Maus in den Sinn: "Der Bundesminister für Unterricht und Kunst hat die einzelnen Schulen zu ermächtigen", heißt es im 323. Bundesgesetzblatt, "in einem vorgegebenen Rahmen Lehrplanbestimmungen nach den örtlichen Erfordernissen ... zu erlassen." Mit den "schulautonomen" Bestimmungen soll den Schulen u.a. die Möglichkeit gegeben werden, schulstandortbezogene Ausbildungsschwerpunkte festzulegen, geringfügige Lehrplanänderungen vorzunehmen, unverbindliche Übungen und Freigegenstände zu definieren und - so weit es die Ressourcen erlauben die Eröffnung und Teilung von Schülergruppen vorzunehmen (223. Bgbl., § 6 [auf 1] und § 8a [2]). Die finanziellen Ressourcen für diese Veränderungen sind erwartungsgemäß nicht erhöht worden. Die angesprochenen Entscheidungen sind von den Schulforen und den Schulgemeinschaftsausschüssen zu treffen. Das Wort von den "schulautonomen Lehrplänen" klingt zunächst gut und läßt Assoziationen zu Ländern mit basisdemokratischen Schulsystemen aufkommen, in denen der von der Zentrale verbindlich vorgegebene Rahmen einen dünnen Folder ausmacht. Wie eifersüchtig dagegen die österreichische Schuladministration auch nach der "Autonomie-Novelle" über die Einheitlichkeit wacht, kommt im Nachsatz zum Ausdruck: "Sofern Schulen schulautonome Lehrplanbestimmungen erlassen haben, bei denen über die einzelne Schule hinausgehende Interessen der Schüler und Erziehungsberechtigten nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt worden sind, haben die Schulbehörden erster Instanz (Bezirks schulräte) die schulautonomen Lehrplanbestimmungen im erforderlichen Ausmaß aufzuheben und notfalls entsprechende zusätzliche Lehrplanbestimmungen zu erlassen." Die autonome Gestaltungsmöglichkeit der Stundentafeln umfaßt in den vier Klassen der Hauptschule je vier Wochenstunden, insgesamt also 16. Im gymnasialen Zweig der Sekundarstufe I sind es bloß acht Stunden, also je zwei pro Klasse. Damit dieses Jonglieren budgetneutral durchgeführt wird, haben die Schulen Kontingente von Lehrerwochenstunden anstelle von Dienstposten - zugewiesen bekommen. Die Schwerpunktbildung (z.B. musisch-kreativ, naturkundlich-technisch, interkulturell) darf nicht so weit gehen, daß beim Überstieg eines Schülers in eine andere Schule Schwierigkeiten entstünden. Welches "Richtscheit" der zentral verordnete Lehrplan nach wie vor bleibt, kommt auch in den Approbationsbestimmungen über die Schulbücher zum Ausdruck. Solange diese Form von Bücherzensur - ein säkularisierter kirchlicher Index? - nicht aufgehoben ist, sind ohnehin Zweifel am Glauben der Behörde an die Mündigkeit der Lehrer und Eltern angebracht.
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VI. Der gedämpfte Jubel an der Basis Das Zentrum für Schulentwicklung ist mit der Wirkungsanalyse der Autonomiereform beauftragt worden und hat ein "multiperspektivisches Evaluationskonzept" entwickelt. Das Kernstück bilden die Erhebung der Nutzung schulautonomer Handlungsspielräume und die Rezeption der Reform sowie ihre Auswirkungen auf das Innovationsklima an den Schulen8 (Bachmann, H. u.a., 1996, S. 143). Das positivste Ergebnis wird von kleinen Hauptschulen des ländlichen Raumes berichtet, in welchen das gesamte Kollegium als Initiativ- und Planungsgremium eine relativ große Bedeutung erlangt hat (S. 73). Im Bundesdurchschnitt sind 17,1 % der befragten Schulleute der Meinung, daß das Item "Durch die Möglichkeit der Mitgestaltung wird die Einsatzbereitschaft der Lehrer gefördert" genau stimme. Viel ist es ja nun nicht, aber 51,7 % sind wenigstens auch geneigt zuzustimmen; 9,7 % jedoch verneinen (S.96). 30 % der befragten HauptschuUehrer sagen, daß die Schule wieder mehr Spaß mache. In der AHS sind es nur 10 %. Die größere Bereitschaft zum Aufbruch, die bei HauptschuUehrern im Vergleich zu Lehrern an Allgemeinbildenden Höheren Schulen in mehreren Dimensionen festgestellt werden kann, hat wahrscheinlich mit dem größeren Problemdruck zu tun, der sich in den Hauptschulen wegen des Rivalitätskampfes mit den Gymnasien bereits eingestellt hat. Generell zeigt sich, daß die positiven Effekte der 14. SCHOG-Novelle (noch) weitgehend auf die relativ wenigen aktiven und engagierten Nutzer der gewährten Freiräume beschränkt bleiben. Die Schulen als Gesamtorganisationen oder Handlungseinheiten sind davon noch nicht sonderlich berührt. Gleiches gilt für die Lehr- und Lernkultur der Schule als ganzer (101). Ein Drittel der Befragten wirft der Schulbehörde vor, daß es ihr mit der Autonomie gar nicht ernst sei, sondern daß diese bloß die Sparpolitik kaschieren soll (S. 47)9 . Nicht besonders ernst scheint es auch den Präsidenten der Landesschulräte zu sein, wenn sie unter Autonomie bloße Dezentralisierung im Sinn haben. Diese verändert aber nicht die obrigkeitshörige Schieflage an der Basis und richtet die gekrümmten Rücken nicht auf: Für den Untertan ist es zu jeder 8 Die Datenbasis liefern eine bundesweite repräsentative Befragung und acht Fallstudien an ausgewählten Schulen. 9 Für Bernd Hackl ist die österreichische Schulautonomie kein folgerichtiger Bestandteil einer planmäßigen Schulreform, sondern "akutes Krisenmanagement" (Hackl,
B., LD.).
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Zeit ohne Belang geblieben, ob er unter der Knute des Zaren oder der des Fürsten gestanden ist. Was soll das eigentlich für ein Autonomiebegriff sein, wenn letztlich doch alles unter Aufsicht und Genehmigungspflicht der Behörde zu geschehen hat. Wenn außerdem nur Weniges freigegeben wird, wächst ja geradezu die Verunsicherung, "ob ich es denn recht mache und ob ich mich im Rahmen der Legalität bewege?", statt daß sie verschwende. Direktoren von Schulen, die sich in die Autonomiebewegung eingebunden haben, führen Klage, daß der bürokratische Aufwand groteskerweise zugenommen habe, statt abgenommen. - Das ist auch verständlich: Wenn die Aufsicht nicht zurückgenommen wird, wenn die Steuerungskompetenz bei der Behörde bleibt, vermehrt jede Aktivität an der Schule selbst das Ausmaß der "Hofberichterstattung" nach oben!
Nicht einmal die Eltern sind zufrieden, die doch in den Schulforen und Schulgemeinschaftsausschüssen Sitz und Stimme haben. Aber die Belange, die zur Abstimmung anstehen, scheinen für sie so belanglos zu sein, daß sie wenig Interesse zeigen. Ein Schulleiter mit Sinn für Übertreibung nennt das Schulforum gar ein "Abstimmungsorgan mit einer Effizienz von 0,00 periodisch". Die Praxis der Schulpartnerschaftsgremien wird in fast allen Fallstudien als ein "Schwachpunkt der Schulautonomie" angesehen (S. 77). Ähnliches gilt für die Mitwirkungsmöglichkeiten der Schüler (S. 70).
An mehreren Stellen weist die Evaluationsstudie darauf hin, daß in den "autonomen" Schulen die Konflikte im Kollegium häufiger und das Sozialklima schlechter geworden sind: In den Hauptschulen melden dies 30 % der Direktoren und in den ARS sogar 41 %. Die Bildung von "Innovationsgettos" innerhalb der Lehrkörper wirkt wie ein Spaltpilz: Viele "außenstehende Lehrer" betrachten das notwendige Engagement mit Skepsis, weil es mehr Arbeit bringe und die berufliche Unsicherheit vermehre. Außerdem fehle die entsprechende Ausbildung und Vorbereitung (47 % der Direktoren gestehen dies ein; bei den Lehrern sind es gar 78 %). Solche Argumente fallen zunächst auf den Berufsstand der Lehrer zurück. Ein Teil der Lehrerschaft hat sich nun einmal in der gegebenen Institution bequem eingenistet, in der Dienst nach Vorschrift genügt und in der das von der Gewerkschaft und der Personalvertretung geschaffene Schutzdach auch den leistungsunwilligen Berufsträger deckt. Solche Argumente zielen aber dennoch auch wieder auf die Administration selbst, weil sie ihr "Mündel" trotz aller Autonomie-Rhetorik nicht eigentlich freizugeben bereit ist. Erst wenn sich Schulen im Status echter Dienstleistungsbetriebe wiederfinden und der frische
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Wind des Marktes lO die abgestandene Luft der bürokratischen Rituale verdrängt, wird es zu dem notwendigen "Außendruck" (vgl. Altrichter, H./posch, P., 1996, S. 110) kommen, der es keinem mehr erlaubt, sich zu absentieren. Daß sich die Lehrerschaft dieser Zusammenhänge durchaus bewußt ist, kommt sowohl in zurückhaltenden Stimmen gegen die Marktorientierung zum Ausdruck wie in kritischen Äußerungen über die Kleinkariertheit der Autonomiespielehen. "Warum sollte sich die Erfolgsbilanz von Erziehung und Unterricht verbessern", schreiben die Kommentatoren der erhobenen Daten, "wenn etwa eine Hauptschule die Möglichkeit erhält, das Fach Physik/Chemie um einige Stunden zu verkürzen und dafür den fremdsprachlichen Unterricht zu intensivieren?" Hier von Autonomie zu reden ist Großsprecherei (S. 67). Bezeichnenderweise fordern 52 % eine Ausweitung der Autonomie, insbesondere budgetäre Selbstverwaltung (76 %). 80 % der Direktoren wünschen sich mehr Einfluß auf die Auswahl der neu einzustellenden Lehrer. Die Lehrer selbst sind diesbezüglich verständlicherweise zurückhaltender; immerhin halten es aber dennoch auch 55 % für richtig (S. 115). Die Verfasser der Studie resümieren, daß "die Eröffnung von Freiräumen alleine keine Reformaktivitäten an den Schulen" schafft (137). Sie ziehen aber nicht den radikalen - den an die Wurzel gehenden - Schluß, daß die Leine der Behörde gekappt gehört, sondern empfehlen der Behörde, sie möge flankierende Maßnahmen setzen: Aufbau eines bundesweiten Netzes von Beratern und Betreuern, wofür Ausbildungslehrgänge für Autonomieberater geschaffen werden sollen (S. 30). Statt der Forderung nach der Herausnahme zumindest einer der beiden mittleren Hierarchieebenen der Schulaufsicht wird also die "S teuerungskompetenz" der Schulbehörden betont. Damit befinden sie sich im Einklang mit der Intention der Schul politik und deren Festlegung im Arbeitsübereinkommen, das die Gesetzesnovellierung ausgelöst hat ll .
Vll. Schulverfassung nach dem Vertragsmodeil Behördliche Steuerung und Autonomie der Schule sind eine Art contradictio in se; "top down" und "bottom up" sind nun einmal konträre Richtungen. Dabei ist der Verwaltung kein grundsätzlicher Vorwurf zu machen. Was eine ordentliche Verwaltung ist, kann nicht anders, als für alles und jedes eine Verordnung Von der ,,sozialen" Absicherung wird noch zu reden sein! Das "goldene Wienerherz" pflegt solche Situationen mit dem Satz zu kommentieren: ,,Da muaß was g'schehn - da kann ma nix machn!" 10 11
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zu verabschieden, denn nach dem Legalitätsprinzip darf ein Verwaltungsakt (sinnigerweise) nur aufgrund von Gesetzen ausgeübt werden. Auch der Verweis auf die österreichische Staatsform als einer repräsentativen Demokratie scheint diese Vorgangsweise zu stützen: Das Volk "befrachtet" die Parlamentarier mit seinen Wünschen; diese erstreiten und beschließen das einschlägige Gesetzeswerk; die Verwaltung diktiert die Usancen des Vollzuges und überwacht deren Einhaltung. - Wer in diesem Denkmodell befangen ist, wird die Verrechtlichung unter Umständen durchaus bedauern, aber die Möglichkeit einer Alternative prinzipiell ausschließen. Aus der selbstverständlichen Entscheidung für den Rechtsstaat folgt aber keinesfalls immer auch die Entscheidung für eine Omnipotenz der Staatsverwaltung. Es ist nicht der schlechteste Rechtsstaat, der sich dem Prinzip der Subsidiarität verschreibt und die staatlichen Machtmittel nur dort ausspielt, wo die Aufgaben für die Selbsthilfe seiner Bürger zu umfassend sind. Die Schule jedenfalls kann zweifellos auch nach dem Vertragsmodell organisiert werden, das sich neben dem Verfassungs- und dem Verwaltungsmodell als mindestens gleichberechtigt anbietet, wenn das Staatsvolk Probleme zu lösen hat (vgl. Richter, 1., 1994, S. 182, 83). Daß die Verrechtlichung der Schule ein Irrweg ist, kommt in voller Deutlichkeit darin zum Ausdruck, daß sogar die Juristen davor warnen: So hat beispielsweise die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages 1981 in ihrem ,,Entwurf für ein Landesschulgesetz" die Reduktion der Steuerung durch die Unterrichtsbehörde verlangt. Um der Freiheit des einzelnen Lehrers und der Autonomie der einzelnen Schule willen, fordert sie die Umwandlung der Fachaufsicht in bloße Rechts- und Dienstaufsicht (Deutscher Juristentag, 1981). Der ehemalige Verwaltungsrichter Ferdinand Kopp hat dieser "Erkenntnis" mit der Behauptung zugearbeitet, daß es die Parlamente und auch die Gerichte überfordern würde, wollten sie die der Pädagogik eigenen Gesetzmäßigkeiten in Rechtssätzen ausdrücken. Wörtlich heißt es bei ihm: ,)e mehr eine Rechtsvorschrift Kernfragen der Pädagogik und der Anwendung pädagogischer Kenntnisse im konkreten Fall berührt, desto mehr stößt der Gesetzgeber an Grenzen, die er nicht überschreiten kann, ohne den Schul- und Bildungserfolg damit zu gefährden. Entsprechendes gilt für den Verordnungsgeber und die Gerichte" (Kopp, F., 1980, S. 29). In Übereinstimmung mit den Rechtsgelehrten fordert der Sozialphilosoph Jürgen Habermas, daß die Usurpation von lebensweltlichen Hoheitsgebieten durch formalrechtlich organisierte Mächte wieder rückgängig gemacht werden müsse und die Frontlinie zwischen der ,,Lebenswelt" und dem "System" neu zu definieren sei. Bestimmte soziale Aufgaben lassen sich nun einmal nicht oder nur sehr schlecht erledigen, wenn sie den kommunikativ strukturierten Handlungsbereichen entzogen und von verwaltungstechnisch strukturierten Funktio-
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närskadern vereinnahmt werden. Die Führungsaufgabe der Lehrer beim Auseinandersetzungsprozeß der Schüler mit bestimmten Kulturausschnitten ist der Prototyp eines lebensweltlichen und nicht formalrechtlich zu organisierenden Handlungsbereiches. "Die Bereiche der kulturellen Überlieferung, der sozialen Integration über Werte und Normen, der Erziehung, der Sozialisation der nachwachsenden Generation, sind, wenn ich das ontologisch sagen würde, ihrer Natur nach darauf angewiesen, daß sie über das Medium des kommunikativen Handelns zusammengehalten werden" (Habermas, J. 1985, S. 167-208, 189 u. 194).
VIll. Internationale Schützenhilfe für den Autonomiestandort Österreich Die Vergleichende Erziehungswissenschaft kann auf eine Reihe von nationalen Modellvarianten eines marktorientierten Schulsystems verweisen, auf welche die das gesamte gesellschaftliche System tragenden Ideologien in ähnlicher Weise durchschlagen wie auf die verschiedenen Modelle von Marktwirtschaft. Wenn den Marktmechanismen nicht straffe soziale Bandagen angelegt werden, ist dem Wildwuchs freie Bahn gegeben, und die Schwachen kommen unter die Räder. An dieser Frage entzündet sich beispielsweise der Streit über das Pro und Contra der Privatisierungsbewegung in den US-amerikanischen Schulen. Die Grundidee wird in dem zweifellos etwas saloppen Satz ausgesagt: Das Geld des Staates soll zur Beschulung der Kinder und nicht zur Erhaltung der Erziehungsbehörden (School Districts mit ihren Education Boards) verwendet werden (Bosco, J. J., 1996, S.923). Die Schulen sind demnach wie private Firmen für ihre Prosperität selbst verantwortlich. Schulen können aber auch von Betreiberfmnen (Agenturen) übernommen werden und gleichsam wie die Filialen einer Handelskette geführt werden 12 • Der Staat zahlt das Geld direkt an die Schule oder eben an die Betreiberfmna. Im ersten Fall wird von Independent-Schools gesprochen, im zweiten, bei dem die Unternehmergruppe 3 % des Betrages zurückbehalten darf, von Charter-Schools. Die Eltern bekommen den Status von Kunden, der sich vor allem in der Möglichkeit manifestiert, die Schule - zumindest in Ballungsräumen - frei wählen zu können. Damit ist der Wettbewerb zwischen den Schulen bzw. den Schul-"Unternehmem" gesichert, dessen Fehlen Chester Finn aus der Bush-Administration als den Grundfehler des Systems bezeichnet hat (Finn, Ch., 1991). Vom Wettbewerb verspricht man sich nicht nur, daß die Schulen auf die Bedürfnisse der Kinder achten, sondern 12
Spöttisch wird von .,McSchools" gesprochen.
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auch, daß sie billiger werden. (Im drastischen Vergleich werden z.B. die Kosten der Müllabfuhr in San Francisco - seit 1932 privatisiert - und New York staatlich - verglichen: 40 Dollar gegen 297 Dollar pro Einwohner!). Die Privatisierung hat viele Gesichter. Die auffälligste Erscheinung im Bereich des "For Profit Schoolings" ist Christopher Whittle mit seinen EdisonSchools, eine "nationwide" Kette, die ein Betreuungsangebot macht, das von den Krabbelstuben des ersten Lebensjahres bis zur Senior High School reicht. Der Schultag ist zeitlich deckungsgleich mit dem Werktag; das Schuljahr kennt keine fixen Ferienzeiten; der Urlaub der Lehrer wird in individuellen Verträgen ausgehandelt. Das 1991 verkündete riesige Programm ist mehrmals beschnitten worden, nicht weil es etwa nicht funktionieren könnte, sondern weil es unter massiven Druck der Lehrergewerkschaften gekommen ist, die um ihren Einfluß fürchten und bei den Mitgliedern die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes schüren (Whittle möchte ja schließlich auch "non licenced persons" aufnehmen). Im Falle dieser Edison-Schools ist das Schul-Establishment Bundesgenosse der "Unions", aber freilich aus anderen Gründen! (Vgl. die Streitschrift: Lowe, R./Miner, B. (Ed.), 1996). Erwartungsgemäß entspringen viele Argumente egoistischen Motiven der etablierten Lehrerschaft. Aber das eine, daß nämlich unter dem Aspekt der Gewinnmaximierung die Kinder zweitrangig werden könnten, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Befürworter hingegen weisen darauf hin, daß genau die Charter-Schools den Lehrern Gelegenheit geben würden, auf die Bedürfnisse der Schüler einzugehen, denn sie wären frei von den schwerfälligen und dysfunktionalen Richtlinien der staatlichen Behörden. Mittlerweile sind in 26 Staaten entsprechende Schulen in Betrieb genommen worden, zumeist aber mit (begrüßenswerten!) Auflagen wie: keine Selektion der Klientel, keine Diskrimination nach Rasse, Religion und Geschlecht, keine Einhebung von zusätzlichem Schulgeld von den Eltern. Der Kenner der englischen Schulszene - insbesondere nach dem EducationAct von 1988 - wird Parallelen entdecken (vgl. Vierlinger, R., 1993, S. 89124). Nicht zufällig finden sich bei den amerikanischen Planungsstrategen immer wieder Hinweise auf die Entwicklung in England. Wahrscheinlich ist es für Österreich mit seinen grundlegend anderen geschichtlichen Prägungen und seiner spezifischen gesellschaftspolitischen Struktur günstiger, sich bei einem verwandten System umzusehen, einer europäischen Demokratie etwa, in der die demokratischen Prinzipien aber nicht mehr vor der Schule haltmachen. In den Niederlanden beispielsweise sagt der Staat - und muß es seit 1917 sagen: "Schule, da hast du das Geld; für das pädagogische Programm, das du
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dir gibst, bist du selbst verantwortlich!" Die Selbständigkeit der rund 6300 regionalen Schulträger hat dazu geführt, daß dieses Land ein Eldorado für alle geworden ist, die auf engstem Raum eine Vielzahl von Reformprogrammen studieren wollen - von Maria Montessori bis Helen Parkhurst und von Peter Petersen bis Celestin Freinet - und selbstverständlich verschiedene Mixturen aus dem allen wie auch diverse Neuansätze. Vielfach wird fälschlich unser Begriff der Privatschule zur Charakterisierung dieses Systems herangezogen. Im Hinblick auf die Finanzen handelt es sich jedoch ausschließlich um staatliche Schulen. Im Hinblick auf die Selbständigkeit der pädagogischen Profilierung eignet ihnen allen der Status des Privaten an! Daß 70 % der Schulträger den beiden großen Konfessionen angehören und der Rest sogenannte Simultanschulen führt, ist bei diesem Stand der Dinge nicht mehr von Belang. Die Freiheiten der dänischen Schule reichen noch um ein halbes Jahrhundert weiter zurück, also bis zu ihren Vorkämpfern Grundtvig und Kohl, wenngleich wesentliche Teile derselben erst in unserem Jahrhundert gesetzlich festgelegt worden sind. Für die Besucher aus den deutschsprechenden Ländern im Donauraum klingen einige Informationen geradezu illusionär: Lehrpläne werden nicht als das definiert, was die Schüler zu lernen verpflichtet sind, sondern als das, worauf sie ein Recht haben, es gelehrt zu bekommen. - "Wenn sie geruhen, sich zu strapazieren!" mag der Gast versucht sein, sarkastisch hinzuzufügen. Alsbald wird er aber erstaunt sein über die disziplinierte Arbeitsatmosphäre, die er allenthalben antrifft. Das ist für ihn um so verwunderlicher, als es in der Folkeskole bis zum Ende der 9. Schulstufe - also noch bei den l5jährigen - keine Prüfungen in unserem Sinne gibt und bis knapp vorher auch keine Noten! In diesen und ihnen verwandten Schulsystemen sind die staatlichen Vorgaben für Unterricht und Erziehung und deren Rahmenbedingungen auf das beschränkt, was Johann Peter Vogel als ausreichend bezeichnet: den allgemeinen Zielkatalog, wie er in den Verfassungen der Länder aufscheint (vgl. die Bekenntnisse zum Wahren, Guten und Schönen, die Liebe (?) zum Vaterland, die Mündigkeit und einiges mehr), die Sicherstellung der notwendigen Einrichtungen und die niveauvolle Lehrerbildung (Vogel, J. P., 1988, S. 192). Damit zählt Vogel, der exzellente juristische Anwalt der freien Schulen Deutschlands, die für seine Klientel geltenden Minima auf. In seiner entwaffnenden Art fragt er freilich weiter, warum dieser Minimalkatalog nicht auch für das Regelschulwesen gelten dürfe, wenn doch an die Absolventen beider Institutionen prinzipiell die gleichen gesellschaftlichen Anspruche gestellt und diese von den Abgängern der freien Schulen zumindest nicht schlechter erfüllt werden. In den genannten Ländern - zu denen auch Schweden, Norwegen und einige andere europäische Länder zu zählen sind - sind Schulkuratorien, Schulvorstände, "Governing Bodies", also Schulregierungen oder wie diese im wesentlichen aus Lehrern und Eltern - zum Teil auch Schülern - zusammengesetzten
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Gremien heißen mögen, für die Geschicke der Schule verantwortlich. ("They ron the school", hat es ein englischer Gesprächspartner auf eine knappe Formel gebracht). Sie entscheiden über die Inhalte des Unterrichtes. Zentrale Lehrplanvorgaben sind längst Makulatur, es sei denn, daß sie sich als hilfreicher, sehr "durchsichtiger" Rahmen anbieten, der genützt werden kann oder auch nicht. Die Schulregierongen organisieren die Lehre von der Lehrfächerverteilung bis zu den zeitlichen Zäsuren im Schuljahr und zu der Stundenverteilung auf den Tag (Ganztags- oder Halbtagsschule). Sie haben auch das Recht, die Wochenstundenzahl innerhalb lockerer Eckdaten zu "manipulieren". Sie werben Lehrer an (vgl. die Stellenausschreibung im Education Supplement der Times, der Freitagsbeilage dieses renommierten Blattes) und schließen ihre Verträge mit den "curricularen Bestbietem" (im weitesten Sinne). Sie bestellen den Leiterzumeist auf Zeit. Schließlich verfügen sie über das Budget für sämtliche Anschaffungen - von den Lehrmitteln bis zum Inventar und zum Teil sogar bis zu den Baumaßnahmen. Daß Österreich mittlerweile mit den Niederlanden eine Bildungskooperation eingegangen ist, scheint ein gutes, hoffnungsträchtiges Omen zu sein.
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Was ist zu tun, damit im Bildungswesen etwas in Bewegung kommt? Von Deli Seiler-Hugova
I. Einführung Es ist eine Tatsache, daß in der Gesellschaft sich fast alles bewegt, verändert und umgestaltet, nur die Starrheit des Bildungswesens bleibt. Wir haben immer noch eine Schule, deren Erziehungsprinzipien jenen der letzten Jahrhunderte ähneln oder sogar mittelalterlichen und antiken Vorstellungen entspringen. Dabei sollte die Schule ihre SchülerInnen ja eigentlich mit Prinzipien der Zukunft begaben. Vorschläge, um die Schule in Theorie und Praxis zu reformieren, gibt es genug. Was hemmt jedoch diese Erneuerungsprozesse? Es sind dies die Träger der Schule selbst: der Staat sowie z. T. immer noch (oder im Osten wieder) die Kirche. Diese Träger haben (veraltete) Vorstellungen, wie die Schule sein soll, und von diesen Vorstellungen darf nicht abgewichen werden. Der "Beelzebub" Staat "befreite" die Schule im letzten Jahrhundert von der Kirche und vereinnahmte nun selbst die Organisation und die Inhalte der Bildung. Soll etwas Entscheidendes im Bildungswesen bewegt werden, so geht dies nur über die Befreiung der Schule von Kirche und Staat. Wer soll denn aber der neue Träger der Schule werden? Es sind dies konkret die SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern selbst, die ihre eigene Schule gemeinsam wählen, aber auch für ihre Organisation und ihre Inhalte verantwortlich sein sollen. Bildung ist eine Kunst. Andere Künste wie Malerei, Bildhauerei oder Literatur werden schon lange nicht mehr unter eine kirchliche oder staatliche Einheitswertvorstellung gezwängt. Gerade die Schule sollte aber ebenso ein Ort sein, wo kulturelle, künstlerische, ethische und wissenschaftliche Werte nicht nur reproduziert, sondern immer wieder auch neu produziert werden, durch die gestalterischen Kräfte aller Beteiligten. Und dazu ist der kreative Freiraum eben absolut notwendig. Die Befreiung der Schule von Staat und von Kirche ist aber nicht unproblematisch. Das erleben wir gerade im Osten, wo Gesellschaften plötzlich von ih-
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rem Vormund Kommunismus befreit wurden. Ein befreiter Sklave ist noch nicht frei! Die Freiheit ist nicht ein Zustand, sondern ein ständiger Prozeß, vor allem ein Lernprozeß. Die StudentInnenrevolte von 1968 im Westen konnte noch einfach die große Befreiung fordern. Inzwischen ist Ernüchterung bis hin zur Resignation eingetreten. Die Menschen waren für diese Ideale einfach noch nicht ideal genug. Gerade auch in anthroposophischen Bildungseinrichtungen wurde die Idee der Freiheit auf die Fahne geschrieben. Selbstverwaltet, ohne Direktor, sollte von unten allenfalls Macht nach oben delegiert werden. J ede(r) Mitarbeiterln sollte möglichst viel Freiraum für die Entfaltung seiner/ihrer Kreativität bekommen. Und tatsächlich gibt es viele Beispiele, wo starke Persönlichkeiten diese Freiheit auch zu nutzen verstanden. Andererseits gibt es gerade auch in den Waldorfschulen viel IneffIzienz, unklare Verantwortlichkeit, viel Reibungsverlust in den oft endlosen Diskussionen bis ein Konsens gefunden wird. Da wird heute auch in diesen Kreisen nach klaren Organisationsformen gesucht. Was wir brauchen, sind Organisationsformen, in denen die Kreativität zwar durch genügend Freiheit wachsen kann, in denen die Kreativität aber nicht durch zu viel Freiheit oder durch Fundamentalismus und Dogmatismus gleich wieder zerstört wird. Die Frage ist also nicht, wie wir die Schule von Staat und Kirche möglichst schnell befreien, sondern wie wir die Schule schrittweise aus der staatlichen und kirchlichen Bevormundung herauslösen. Es ist ganz wichtig, daß wir die an diesem Emanzipationsprozeß Beteiligten nicht sträflich überfordern. Veränderungen im Bildungswesen sind wie das Wechseln der Räder am fahrenden Zug, also ein nicht gerade einfaches Unterfangen. Es folgen nun Vorschläge, wie auf allen Ebenen - von der Mikroebene (Unterricht) über die Mesoebene (Staat) bis zur Makroebene (Menschheit) Impulse gegeben werden können, die synergetisch das Bildungswesen wirklich in Bewegung bringen werden. Mit Bildungswesen meine ich alle Stufen, also vom Kindergarten bis zur Hochschule und zur Erwachsenenbildung. Mit Schule meine ich den Ort, wo der Bildungsprozeß stattfindet.
D. Der Unterricht ist die Urzelle der Bildung Der Unterricht ist die Urzelle der Bildung. Dort geschieht fortlaufend das, was im Bildungsprozeß das Wesentliche ist: die Begegnung zwischen LehrerInnen und SchülerInnen sowie zwischen den SchülerInnen untereinander. Es sollte in jedem Unterricht, wie er auch geschieht, eine Haltung der gegenseitigen Hilfe (Kropotkin) aufkommen: Hier bemühen sich Menschen, etwas geistig
Was ist zu tun, damit im Bildungswesen etwas in Bewegung kommt?
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in Bewegung zu setzen. Und im besseren Fall werden alle Beteiligten, also Lehrende und Lernende, den Unterricht anders verlassen, als sie ihn betreten haben. Dabei sind die Lehrenden auch die Lernenden und die Lernenden auch die Lehrenden. Die LehrerInnen sind für ihre Arbeit auf vielfache Hilfeleistungen angewiesen, sei dies durch Lehrmittel, durch Hilfe von KollegInnen oder durch die Schulleitung oder externen Beratungen. Zusätzlich brauchen sie aber auch externe Hilfe durch Weiterbildung. Dies wäre auch eine Aufgabe für die LehrerInnen-Ausbildung der Hochschule. Die Bildungsforschung darf nicht mehr nur elfenbein turm artig sich selbst genügen. Sie soll etwas bewegen im konkreten Unterricht. Ihr Forschungsfeld ist der praktische Unterricht. Die Unterrichtenden sollten selbst zum Forschungsteam gehören. Sie sollten in die Universitäten kommen und dort von der Schulwirklichkeit berichten. Beispiel J: Universität Presov (Slovakei)
Diese Vernetzung erlebte ich 1993 in Presov, der ostslowakischen größten pädagogischen Fakultät. Die Hochschullehrer arbeiteten dort ganz konkret mit der nahen alternativen Schule von Spiska nova ves zusammen. Auch die Bildungsstätte Schlössli Ins war daran beteiligt. Unterrichtseinheiten wurden in Ins auf Video aufgenommen und dann dort in die Unterrichtsforschung miteinbezogen. Leider ist die alternative Schule in Spiska novas ves inzwischen aus politischen Gründen geschlossen worden. Unter dem autoritären Regime des jetzigen Regierungschefs der Slowaken wurde ein solches Experiment nicht mehr geduldet. Die Exponenten dieser Schule waren eben auch nicht in der Regierungspartei. Beispiel 2: Pluralistische LehrerInnenbildung
Wie eine Zusammenarbeit zwischen Universität, wo eine pluralistische Lehrerlnnenbildung stattfindet, und einer konkreten Institution, nämlich der Bildungsstätte Schlössli Ins, verwirklicht werden kann, soll hier kurz als Beispiel dokumentiert werden: Mit pluralistischer LehrerInnenausbildung meine ich, daß die auszubildenden StudentInnen mit verschiedensten pädagogischen Konzepten praktischer Art, mit Vertretern aktiver AlternativpädagogInnen (Waldorf, Montessori, Freinet, Jena-Plan usw.) in Kontakt kommen sollen und selbst nach Mentalität und Neigung "ihre" Pädagogik finden können. 1995 karnen über fünfzig Hochschullehrerlnnen aus Lettland auf Einladung vom Schlössli Ins in die Schweiz, um hier Regel- und Alternativschulen, universitäre LehrerInnenbildung usw. kennenzulernen. Im Sommer 1997 waren die LehrerInnen des germanistischen Lehrstuhls der Fremdsprachenfakultät aus Riga wieder im Schlössli Ins zu Besuch.
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Bereits wurde es durch diese Zusammenarbeit auch möglich, daß PestalozziTexte in die lettische Sprache übersetzt wurden und an einem wissenschaftlichen Kollegium das pädagogische Anliegen von Heinrich Pestalozzi der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Durch diese Zusammenarbeit mit den dort mitarbeitenden Persönlichkeiten anderer pädagogischer Konzepte, aber auch mit der wundervollen lettischen Kultur weiten sich der Blick und die Solidarität in der Institution Schlössli Ins. Die wichtigste Erfahrung, die ich dabei machte, ist, daß wir AlternativPädagogen so nicht nur inhaltlich etwas der Universität bringen konnten, sondern auch hochschuldidaktisch, indem wir in unseren Seminaren kognitiv, aber auch emotional und handlungsorientiert arbeiten konnten. Waldorfpädagogisch heißt, den Unterricht künstlerisch gestalten, indem Lehrinhalte anschließend mit Ton plastiziert, in Körperbewegungen (Tanz) umgesetzt, in Zeichnungen und Malereien visualisiert, in Sprache formuliert wird; also auch hier wieder anstelle von universitärer elfenbeinartiger Einfalt praxisorientierte Vielfalt.
Beispiel 3: Stanser-Erlebnisse bringen etwas in Bewegung Letztlich ist aber der Unterricht selber der Ort, wo so eigenständig wie möglich aus der konkreten Lehr- und Lernsituation heraus gehandelt werden soll. Diese Urzelle braucht eben jenen kreativen Freiraum, um geistige Prozesse in Gang bringen zu können. Der Unterrichtsraum sollte einem KünstlerInnenAtelier vergleichbar sein, wo auch solche künstlerischen Prozesse möglich sind, die als einmalig gelten können. Die LehrerInnen sollen mit den SchülerInnen innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers existentielle Erfahrungen machen, wie sie Heinrich Pestalozzi aus seiner Stanser-Zeit beschreibt. Dort war er allein und verlassen. Und doch lebte er so intensiv, daß ihm daraus tiefe Erkenntnisse erwuchsen. Stanser-Erlebnisse müssen die LehrerInnen immer wieder geistig bewegen können, auf daß der Unterricht zu einem existentiellen Erlebnis wird.
ill. Die Schule braucht eine eigene Identität
und ein qualifiziertes Management
Mit Schule meine ich irgendeine Bildungseinrichtung als Organisation. Die Schule faßt Unterrichtseinheiten zusammen, beschützt und fördert deren Bildungsprozesse, vermittelt durch klare Zielsetzung eine eigene Identität. Eine Schule könnte gerade in unserer pluralistischen und komplexen Welt ein Ort
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der Heimatfindung sein, worin sich sowohl LehrerInnen als auch SchülerInnen zuhause fuhlten. Jede Schule braucht ein organisatorisches und spirituelles Zentrum. In der Regel ist das die LehrerInnen-Konferenz. Dort sollte allwöchentlich am Lehrplan gearbeitet, über SchülerInnen gesprochen und die Schule organisiert werden. In den höheren Klassen sollte auch eine wöchentliche SchülerInnenKonferenz veranstaltet werden. Beispiel 4: Schülerlnnenkonjerenz
In der Bildungsstätte Schlössli Ins tun wir dies ab der 7. Klasse. Hier lernen die SchülerInnen vor einem größeren Forum (etwa 50 SchülerInnen) sich auszusprechen und einander zuzuhören. Sie üben den konstruktiven verbalen Streit: Verschiedene Meinungen zum gleichen Sachverhalt wahrzunehmen fördert die Persönlichkeitsbildung. Überdies lernen die SchülerInnen durch Selbstorganisation dieser Konferenz das Führen und Geführtwerden. LehrerInnen haben als BeobachterInnen im zweiten Teil der Konferenz Zutritt. Ich selbst nehme regelmäßig an den SchülerInnenkonferenz teil, um den gegenwärtigen Puls der SchülerInnen zu fühlen. Beispiel 5: Die Schule braucht Rituale
Sodann braucht jede Schule Rituale, durch die täglich, wöchentlich und jährlich die Menschen sich aufeinander abstimmen können. In diesen gemeinsamen Feiern und (Jahres-)Festen entsteht das, was als höheres Ganzes bezeichnet werden kann, als ein individueller Schul-Geist, der eben mehr ist als die Summe seiner Teile. In der Bildungsstätte Schlössli Ins sind diese Rituale seit 40 Jahren geradezu die wichtigsten Ereignisse, welche die Schule auch in schwierigsten Zeiten zusammenhielten. Wie aber wird die Schulleitung gegen innen und außen organisiert? Üblicherweise gibt es SchulleiterInnen und DirektorInnen mit mehr oder weniger Kompetenzen. In den Waldorfschulen gibt es vom Konzept her keine formellen DirektorInnen. Und doch rufen die komplexer werdenden Probleme auch dort nach Geschäftsführerlnnen usw. Über dreißig Jahre Tätigkeit an einer, wenn auch etwas anderen Waldorfschule, eben der Bildungsstätte Schlössli Ins, bringen mich dazu, für eine Schulleitung zu plädieren. Eine Schule braucht, wenn sie modem strukturiert werden soll, ein qualifiziertes Management nach innen und außen. Die LehrerInnen können sich nur beschränkt um das Ganze kümmern. Ihre ganze Kraft hat sich dem Unterricht hinzuwenden. Selbstverständlich soll die wöchentliche LehrerInnen-Konferenz ein Ort der Kraftschöpfung sein. Aber eben nur dies. Das darüber Hinausgehende soll einer Schulleitung
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(Einzelperson oder Kollektiv) übergeben werden können, die dafür auch die Fähigkeiten und die Kraft hat. Die Schulleitung sollte die Kompetenz haben, dafür zu sorgen, daß die Schule nach innen und außen als Ganzes erscheint. Jede Schule sollte ihr persönliches Gesicht, ihre eigene Identität, ihre klaren Wertvorstellungen haben. Für die Eltern, aber auch für die Öffentlichkeit sollte klar ersichtlich sein, um was für eine Schule es sich handelt. Das hat die Schulleitung zu verantworten. Neue LehrerInnen, neue SchülerInnen müssen wissen, was sie erwartet. Zu einem klaren Konzept braucht es die dazugehörigen LehrerInnen und SchülerInnen. Für die Kontinuität dieses Konzepts hat die Schulleitung zu sorgen. Die Waldorfschulen müßten noch lernen, wie sie nach innen und außen noch klarer die verantwortlichen Ansprechpersonen bestimmen. Die anderen Schulen, die selbstverständlich DirektorInnen mit Vollmachten haben, müßten schauen, wie vermehrte Kollegiumsbildung möglich wäre. Die Schulleitung hat die Schule als Ganzes zu bewegen. Sie knüpft Kontakte zu verwandten oder ganz anderen Schulkonzepten, um das eigene Schulkonzept weiter zu hinterfragen und zu entwickeln. Sie hat die lang- und mittelfristige Planung im Auge zu behalten. Sie schützt den Bildungsprozeß gegen außen, gegenüber den Eltern und den Behörden. Sie schaut, daß die Schule als Ganzes finanzierbar bleibt. Das Schulmanagement sollte von der selbstverständlichen und absolut notwendigen Innovationsfähigkeit wirtschaftlicher Betriebe lernen. Könnte so vielleicht auch die Schule - wie die Wirtschaft es tut - entwicklungsfahig werden? Die Schulleitung führt die Schule zwischen Konstanz und Veränderung. Dort, wo die Schule zu erstarren droht, werden neue Impulse hinein gegeben, dort, wo sie chaotisch sich auflösen will, sollen klare Strukturen geschaffen werden.
IV. Die Eltern brauchen freie Schulwahl Es sind primär die Eltern, die ihre Kinder in die Schule schicken. Sie wählen, wenn möglich, die ihnen als geeignet erscheinende Schule aus. Diese EIternebene wird in der Schweiz bei Staatsschulen auf die Gemeindeebene verlegt. Es sind deren politische Körperschaften, wie im Kanton Bern z.B. die Schulkommissionen, die sich für die Staatsschulen verantwortlich fühlen, für Gebäude, Anstellung und Lehrmittel. Um in der Schule Entscheidendes in Bewegung zu bringen, müßten jedoch auch die Staatsschulen ein eigenes Schulmanagement bekommen, mit Kompetenzen von Anstellungen und Entlassungen, von Konzeptentwicklung usw. Die Eltern brauchen auch eine freie Schul-
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wahl innerhalb der Staatsschule, indem sie ihre Schule, ihre LehrerInnen selber wählen dfufen, wie es in Tschechien heute der Fall ist. Das, was in der Wirtschaft gilt, muß auch in der Schule Einzug halten. Es geht nicht an, daß weiterhin in Kommissionen und Parlamenten über die beste Schule diskutiert und abgestimmt wird. Die Mehrheit hat in diesem Falle nicht recht. Niemals würde das Parlament in die Führung von Wirtschafts unternehmen hineinreden wollen. Der Staat hat nur für die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu sorgen. Für alles, was darüber hinausgeht, ist der Staat nicht geeignet. Seine VertreterInnen sind keine Pädagoglnnen. Es ist wichtig, daß die Eltern interessiert und engagiert an der Schule ihrer Kinder teilnehmen können.
Beispiel 6: Elternmitarbeit Es gibt z.B. in der Stadt Bern das Pestalozzi-Schulhaus, wo der Primarlehrer Zeno Zürcher eine Samstags-Schule veranstaltet. Da werden verschiedenste Ateliers angeboten, wo Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen Lehrende und Lernende sind. Viele Eltern haben viel zu bieten an praktischen, künstlerischen und intellektuellen Erfahrungen. Sie wollen weiterhin auch Lernende sein. Warum soll nicht auch hier, in der Schule ihrer Kinder, etwas geistig bewegt werden können? An vielen staatsunabhängigen Schulen helfen die Eltern aus der Not heraus, auch die Schulhäuser bauen, übernehmen praktische Arbeiten des Schulalitags. Hier wären auch für Staatsschulen materielle und geistige Ressourcen, die noch mobilisiert werden könnten. Die Organisation und das Schulkonzept sollen der Schulleitung überlassen bleiben: Wie die alternativen Freien Schulen der 68er Bewegung zeigen, sind mit diesen Fragen die Eltern überfordert. Die Eltern sind eine zu pluralistische Gruppe, um kontinuierlich einer Schule eine klare Führung und Konzept geben zu können.
V. Die heutige Gesellschaft ist pluralistisch und vielfältig Jede Schule ist eingebettet in eine Gesellschaft, die ganz bestimmte Wertvorstellungen hat. Doch ist die Gesellschaft zugleich auch pluralistisch. Sie unterteilt sich in verschiedene ethnische und sprachliche Gruppierungen. Der Versuch, all diesen gesellschaftlichen Gegebenheiten zugleich gerecht werden zu wollen, kann sich sehr lähmend auswirken. Solange die Staatsschule Allerweltsschule sein und es allen recht machen will, wird sie sich nicht auf ihr Eigenes besinnen können. Als Spielball verschiedenster gesellschaftlicher Kräfte wird sie die nötige Substanz zur Wandlung nicht finden können.
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Was wir in unserer modemen Zeit benötigen, ist die Anerkennung einer pluralistischen Gesellschaft. Einzelne ethnische, sprachliche oder andere Gruppierungen sollen ihre eigene Schule haben. Nur so können sich Synergien zwischen Teilen der Gesellschaft und ihrer Schule bilden. Wir verbrauchten bisher viel zu viele Kräfte, um herauszufinden, welches die beste Pädagogik, die beste Schule sei. Die beste Schule ist die, welche auch von den Gruppierungen getragen wird. In der Zeit der weltweiten Vernetzung und der weltweiten Völkerwanderungen müssen wir Strategien entwickeln, wie wir das gleichzeitige Anderssein in eine ganze Gesellschaft integrieren können. Das Multikulturelle entsteht nicht dadurch, daß wir Schulen machen, wo alles durcheinandergemischt ist. Aus Psychologie und Therapie ist bekannt, daß ich nur Fremdes integrieren kann, wenn ich mir selber sicher bin, wenn ich meine eigene Identität gefunden habe. Fundamentalismus und Dogmatismus übrigens gerade auch in Waldorfschulkreisen - krankt nicht an zuviel Eigenem, sondern an der ständigen Ängstlichkeit, das Eigene wieder zu verlieren. Wer sich seiner Sache sicher ist, muß das andere nicht ablehnen. Rassistische Separierung entsteht durch Verunsicherung. Wir müssen darum den ethnischen Gruppierungen ihr Eigenleben geben, damit sie sich sicher fühlen und so auch zum anderen finden können. Der Staat hat hier aber auch wiederum die Funktion, das einzelne Kind vor Mißbrauch dieser freien Schulwahl zu schützen.
VI. Der Staat ist kein Pädagoge Der Staat bildet den gesetzlichen Rahmen des Bildungsgeschehens. Er hat die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, daß innerhalb seines Territoriums Bildung lebenslang möglich wird. Für diese Aufgabe gibt der modeme Staat heutzutage viel Geld aus. Umstritten ist jedoch, mit welcher Effizienz er dies tut. Gerade aus wirtschaftswissenschaftlichen Kreisen wird heute darüber nachgedacht, ob es nicht besser wäre, wenn der Staat auf die Finanzierung des Bildungsangebots verzichten würde. Dem Staat bliebe dann nur die Finanzierung der Bildungsnachfrage. Dies würde eine Privatisierung des Bildungswesens bedeuten. i
I Haupt, ,,Refonn des Bildungswesens - Kontroverse Aspekte aus ökonomischer Sicht, 1992.
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Beispiel 7: Volksinitiativefür freie Schulwahl In diese Richtung ging auch die "Volksinitiative für freie Schulwahl", über die 1983 im Kanton Bern abgestimmt wurde. Ich selbst war deren Initiant. Im Initiativkomitee konnten Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, aber auch PädagogInnen von Staats- und Privatschulen versammelt werden. Die Forderung der Initiative lautete: ,,Eltern oder andere Erziehungsberechtigte, die ihre Kinder in einer Privatschule unterrichten lassen, haben Anspruch auf Rückerstattung der ausgewiesenen Kosten für Schulgelder und Lehrmittel bis zu demjenigen Betrag, den Staat und Gemeinden im Durchschnitt für gleichaltrige Kinder im gleichen oder vergleichbaren Schultypus der öffentlichen Schulen aufwenden (Investitions- und Betriebskosten). Das Nähere regelt ein Dekret. 2 (siehe Unterschriftenblatt) Durch diese Volksinitiative konnte festgestellt werden, wer im Kanton Bern für eine solche radikale liberale und pluralistische Schulverfassung schon damals zu haben war. Wir haben quer durch alle Parteien und ethnischen Gruppierungen viel Zustimmung bekommen. Immerhin war schließlich ein Fünftel der Abstimmenden für diesen Vorschlag. Und die Initiative strahlte über den Kanton Bern hinaus. Allerdings wurde die Idee erst in den letzten Jahren wieder neu aufgegriffen und in Zeitungen und Zeitschriften besprochen. 3 Heute wird viel gesprochen von Deregulierung, Privatisierung, Subsidiarität. Es ist nicht mehr exotisch, wenn vom Staat verlangt wird, daß er selbst nicht für Angelegenheiten verantwortlich sein soll, für die er als Institution gar nicht verantwortlich sein kann (Wirtschaft, Gesundheitswesen, Kultur usw.). Diese Verantwortung können nur die konkreten beteiligten Menschen übernehmen. Der Staat muß einzig Rahmenbedingungen schaffen, um einem überbordenden Egoismus und Fundamentalismus Einhalt zu gebieten. Staatsbehörden sind noch allzuoft in einem paternalistischen Denken befangen. Sie behandeln ihre BürgerInnen wie Kinder und sprechen ihnen ihre Mündigkeit ab. Gerade in der Schweiz sollen die BürgerInnen über komplexeste Fragen abstimmen, aber daß sie selbst wissen, welches die richtige Schule für ihre Kinder ist, wird ihnen nicht zugetraut. Allerdings soll auch eine in die Richtung gehende "freie Schulwahl" ein Prozeß sein: Der Staat kann als "Übergangslösung" für alle Eltern, die sich nach wie vor der väterlichen Staatsschule anvertrauen wollen, auch weiterhin die Regelschule anbieten. Nur für die schon mündigen oder sich mündig füh,,Freie Schulwahl für alle", Sonderheft der "Gegenwart" Nr. 4, 1980. "endlich", Die Zeitschrift für ein freies Bildungswesen, Chlini Schanz 92, 8260. Stein am Rhein.
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lenden BürgerInnen soll er den Freiraum anbieten für selbstverantwortete Schulen, ohne sie damit finanziell zu benachteiligen. Im Osten zeichnet sich gerade die Möglichkeit ab, daß auch innerhalb der Staatsschule Freiraum für Alternativ-Pädagogik entsteht. In dieser Hinsicht ist der Osten dem Westen voraus. Damit kann vermieden werden, daß AlternativSchulen nur als private Nischen-Schulen dastehen. Ob staatlich oder privat, jede Volksschule ist von öffentlichem Interesse. Dem Staat wäre viel von seiner Last abgenommen, wenn er nicht mehr für die (einheitlichen) Inhalte der Schulen verantwortlich wäre. Beispiel 8: Alternative Staatsschule in Tschechien
Ein Beispiel dazu erlebte ich in Pardubice (Tschechien). Dort arbeitete ich seit 1992 als pädagogischer Berater an einer staatlichen alternativen Schule. In dieser Schule (Kindergarten, 1.-9. Klasse) werden z. T. parellei, z. T. einzeln, Waldorfldassen geführt. Zur Zeit (Januar 1997) ist es der Kindergarten, 1., 2., 3. und 6. Klasse. Zudem arbeiten OberstufenlehrerInnen waldorfmäßig. Die LehrerInnen werden in Ins, Stuttgart oder tschechischen Seminaren seit Jahren zu WaldorfpädagogInnen weitergebildet. Ich selbst bin jährlich mindestens zweimal in diesem Schulhaus, um die dortige Lehrerschaft, aber auch auswärtige InteressentInnen, pädagogisch in ihrer Arbeit zu unterstützen. Der Direktor dieser Schule, Karel Skala, ist ein guter Organisator, besuchte unsere Schule in Ins und öffnet sich mehr und mehr einer kreativen Pädagogik. Er ließ das architektonisch wertvolle historische Schulhaus zu einer schülerfreundlichen Umgebung renovieren. Die Gänge und Schulzimmer sind mit Malereien und Werkarbeiten von SchülerInnen und LehrerInnen gestaltet, so daß hier das Kreative und Fröhliche auch seinen Platz hat. Dieses Projekt wird vom Pardubicer Bürgermeisteramt persönlich unterstützt. In Tschechien herrscht innerhalb der staatlichen Schulen "freie Schulwahl". Das heißt, es herrscht Konkurrenz unter den Schulhäusern. Die Eltern wählen die ihnen am besten scheinende Schule. Das Problem, genügend SchülerInnen an "seine" Schule zu bekommen, war zunächst das wichtigste Motiv des Schuldirektors, alternative (Waldorf-)Klassen zu eröffnen und Innovationsarbeit bei seinen LehrerInnen zu organisieren. Die freie Schulwahl innerhalb der Staatsschule ist natürlich auch mit Risiko behaftet. Die Schule ist von den Eltern und ihren Intentionen abhängig. Wollen Eltern halt nicht doch vor allem eine Begabtenschule, eine SportschuH~, Maturitätsvorbereitungsschule usw. Dieses Problem haben Privatschulen schon immer. Das Risiko vergrößert auch die Innovations-Freudigkeit, was eben gerade am Beispiel in Pardubice gezeigt werden konnte.
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Beispiel 9: Gesellschaft in Richtung Mündigkeit
Der Staat muß ein Interesse haben, seine BürgerInnen so weit es geht in die Mündigkeit zu führen. Dieses Postulat habe ich in einem 1980 erschienenen Aufsatz aufgestellt, der die Grundlage für die nachfolgende "Volks initiative für freie Schulwahl" darstellte. Es sei hier ein Auszug aus diesem Aufsatz beigefügt. Die darin geäußerten Überlegungen bilden die Kemgedanken auch dieser meiner heutigen Ausführungen. "Die modeme Gesellschaft ist mündig geworden, in den wichtigsten Lebensfragen selbst zu entscheiden. Durch die zunehmende Bewußtwerdung dieser Freiheitskraft der Mündigkeit wird auch der Wille zum kulturellen Pluralismus größer. Jeder will seine eigene Kultur schaffen. Wird diese Stoßkraft aber auf egalitärem staatlichen Kulturboden ausgefochten, dann entzweit sich unsere Gesellschaft immer mehr in eine Mehrheits- und Minderheitskultur, das heißt, einzelne Kulturgruppen versuchen, durch politische Aktionen an die Macht zu kommen. Dies aber entzweit und zersplittert unsere Gesellschaft in klassenkämpferische 'Boischewiki' bzw. 'Menschewiki'. An Stelle des Klassenkampfes brauchen wir jedoch Klassengemeinschaft. An Stelle der dialektischen Mitbestimmungskultur brauchen wir eine Dialogik der Partnerschaft. Partnerschaft aber bedeutet nicht Wunsch nach Zusammenschluß von Gleichem, sondern Gemeinschaft unter Ungleichem. Der Partner kann sich erst im Gegenüber ergänzen. Also nicht Dualität, sondern Polarität! Dieses Prinzip ist im föderalistischen eidgenössischen Wesen tief verwurzelt. Nicht totalitäre kulturelle Gleichschaltung entspricht eigentlich der Idee und der Wirklichkeit der Schweizerischen Eidgenossenschaft, sondern der Wille zur Vielfalt, zur blühenden Buntheit der Kultur in Sprache, religiösem Selbstverständnis, wirtschaftlicher Initiative, politischen Körperschaften usw. Kultur ist in ihrem Wesen föderativ und jeglicher Zentralisation abhold. Dieses schweizerische Vermächtnis darf nicht vergessen werden!
Wenn die Kultur durch Mehrheitsbeschlüsse diktiert wird, wird sie unser Volk mehr und mehr entzweien. Die Schweiz hat fertiggebracht, was anderen Ländern mißlungen ist: die Integrierung verschiedener Sprachkulturen in ein Ganzes. Es gibt keine größere Integrierungskraft als das Vertrauen in die Freiheit. Dies stimmt, obwohl gezeigt werden kann, daß dieses Vertrauen oft mißbraucht wird. Die heute geistig verunsicherte, dafür materiell sich total versichernde Gesellschaft glaubt mehrheitlich nur noch an die Freiheit, die der Staat jedem versichert. Mit dem Freiheitsbegriff ist freilich auch das Risiko des Mißbrauchs gegeben. Die Freiheit schließt durchaus das Recht auf Irrtum ein. Der Irrtum war aber noch nie ein Problem der (sich selbst korrigierenden) Vielfaltskultur, er ist nur fatal in der staatlichen Einheitskultur. Statt staatlicher kultureller Ein11 PS Vogel
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fältigkeit brauchen wir eine freie Vielfältigkeit, in der auch die Phantasie produktivaufblühen kann. Auch wenn die gegenwärtige Tendenz der Wohlfahrtsstaatlichkeit unser Volk immer abhängiger vom Staat macht, muß energisch dagegen angekämpft werden, daß die geschichtliche Freiheitsbewegung der Menschheit darin erstickt wird. Neue Entmündigung wollen wir nicht. Es soll das Ziel eines demokratischen Staates sein, das Volk von der Unmündigkeit in die Mündigkeit zu führen, um somit wieder klarzustellen, daß der Staat nur Mittel, aber niemals Selbstzweck sein darf.,,4
Vll. Übernationale Vernetzung oder der Geist weht, wo er will Es hat sich seit jeher gezeigt, daß das Bildungsgeschehen nicht halt macht vor den Grenzen der staatlichen Schulhoheit. Gerade in der Schweiz, wo die Schulgesetzgebung bis vor die Maturitätsprüfung in den Händen der Kantone ist, wird trotzdem intensivst über die (Kantons-)Grenzen geschaut, auch über die Schweizer Grenze hinaus. Schon Heinrich Pestalozzi strahlte mit seinem Institut in !fferten anfangs des letzten Jahrhunderts auf ganz Europa aus, bis nach Preußen und Petersburg. Heute wissen Kenner pädagogischer Fragen in der ganzen Welt von Pestalozzis Anliegen. Die in diesem Jahrhundert lebenden ReformpädagogInnen, wie z.B. Steiner, Montessori, Freinet, Geheb (Odenwaldschule), Wagenschein und Kükelhaus, sind in ihrer Wirkung keineswegs auf die Staatsgrenzen beschränkt geblieben. Der (geistige) Wind weht, wo er will. Beispiel 10: Internationale Waldorfbewegung
Eindrücklich ist die internationale Waldorfschulbewegung mit ihren über 700 Schulen auf sämtlichen Kontinenten. In der internationalen WaldorflehrerIhnnen-Konferenz (alle drei Jahre in Dornach) treffen sich KollegInnen aus Kapstadt, Finnland, Kanada, Israel, Indien usw. und sprechen aus demselben Waldorf-Impuls heraus. Hier wird konkrete internationale Solidarität erlebbar. Alle können voneinander lernen, im gleichen und im ganz andersartigen. So gibt es auch internationale Vereinigungen der Montessori- und der FreinetPädagogik.
4 "Alternative Schulen", Sonderausgabe der "Schweizerischen Lehrerzeitung" 1980, Verlag des Schweizerischen Lehrervereins. Zürich.
Was ist zu tun, damit im Bildungswesen etwas in Bewegung kommt?
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Beispiel 11 : European Forumfor Freedom in Education (EFFE) Das Europäische Forum für Freiheit im Bildungswesen bemüht sich um Zusammenarbeit im europäischen Raum, vor allem im Osten. Hier versammeln sich PädagogInnen, ErziehungswissenschaftierInnen und BildungsrechtlerInnen, die sich für mehr kreativen Freiraum in den verschiedenen Ländern einsetzen. Dieses ExpertInnen-Gremium trifft sich jedes Jahr im November in Witten (Ruhrgebiet). Im Frühling darauf veranstaltet es jeweils einen Kongreß. Dieser war bisher in Helsinki, Ljubljana, Prag, Bern, Oxford, Wien und Petersburg. Auf dem 13. EFFE-Kolloquium in Wien wurden schriftliche Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen bzw. den Plenumsdebatten vorgelegt:
Erklärung von Wien 1996. Auf Grundlage der allgemeinen Menschenrechte beschreibt die Erklärung von Wien die rechtlichen Bedingungen, die in einem europäischen Kontext mehr Freiheit im Bildungsbereich ermöglichen können. Dabei werden sowohl die Rechte von Eltern und LehrerInnen berücksichtigt als auch die der Kinder auf die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. In Grundzügen wird eine Gesetzgebung beschrieben. Thesen zur Bildungsjinanzierung. Das Thesenpapier stellt den Zusammenhang zwischen Schulautonomie und Bildungsfinanzierung her. "Pädagogische Autonomie und finanzielle Autonomie bedingen sich gegenseitig. Jedoch dürfen Bildungseinrichtungen nicht unter das Diktat der Kommerzialisierung geraten. Daher sind soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit bei der Ausgestaltung der Autonomie zu gewährleisten." Thesen zur Schulautonomie - europaweit. Hier wird begründet, weshalb Schulautonomie ein kulturelles, pädagogisches, demokratisches und organisatorisches Erfordernis ist. Die Einzelforderungen richten sich auf eine Neugestaltung der Schulaufsicht, auf Lehr- und Methodenfreiheit, administrative und finanzielle Autonomie, die diese Ziele fördern. Minderheiten im Bildungswesen - eine europäische Herausforderung. Schwerpunkt des Papiers sind die rechtlichen Bedingungen, die für die Situation von Minderheiten im Bildungsbereich zu schaffen sind, damit deren Diskriminierung beendet wird und eine fruchtbare Integration entstehen kann. Vorschläge zur Innovation der LehrerInnen-Ausbildung. Das Papier skizziert sehr kurz ein Leitbild für zukünftige LehrerInnen und listet Elemente für eine grundlegende Reform der LehrerInnen-Bildung in Europa auf. Zu diesen Elementen zählen u.a. die Orientierung der LehrerInnen-Ausbildung an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen statt an Fachsystematiken, eine enge Theorie-Praxis-Kopplung und eine Internationalisierung der Ausbildung. Die hier genannten Dokumente sind kostenlos erhältlich beim EFFE-Sekretariat in Witten.
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In den Plenumsveranstaltungen wurde über den Stand der Bildungsfreiheit in Europa, neue Formen der Bildungsfinanzierung, Schulautonomie, Bildung für Minderheiten und die Frage ,,Freiheit der Erziehung und gesellschaftliche Interessen: ein Konflikt?" referiert und debattiert. Neben den vielen Themen, die in den Arbeitsgruppen schon seit Jahren behandelt werden, setzten die Workshops, in die Jugendlichen ihre Fragen einbrachten, neue Akzente.
VIll. Die Menschheit braucht eine Weltorganisation für die Unterstützung des Bildungswesens Wenn wir im Bildungswesen arbeiten, so befassen wir uns mit dem Menschen im individuellsten und umfassendsten Sinne zugleich. Wenn wir Menschenkunde betreiben, denken wir zunächst nicht an die individuellen, konkreten Menschen. Heinrich Pestalozzi beschreibt in seinen "Nachforschungen" den menschheitlichen Menschen. Rudolf Steiner initüerte eine "Allgemeine Menschenkunde". Und doch wissen wir PädagogInnen, daß jede Pädagogik nur dann wirksam wird, wenn sie das IndividueUste im Menschen anspricht. Dieses Nadelöhr, diesen "Archimedischen Punkt" gilt es in jedem Menschen, gleichviel ob als Lernender oder Lehrender, in Bewegung zu bringen. Erst dadurch wird die Welt aus ihrer lethargischen Starrheit erlöst. Gelingt es uns, diesem Individual-Punkt, diesem integrierten Selbst den kreativen Raum zu geben, wird im Bildungswesen tatsächlich etwas in Bewegung kommen. Nur wenn ich mich selbst bewege, bewege ich etwas in der Welt. Allerdings bedarf es dazu eines dialogischen spirituellen Menschenbildes, im Sinne etwa von Heinrich Pestalozzi, Rudolf Steiner oder Martin Buber. Die Menschheit wird sich zusehends als Ganzheit bewußt. In der Ökologie ist schon lange klar geworden, daß nur eine ganze Menschheit diesen Planeten noch zu retten vermag. Wir brauchen auch eine Lobby für die Innenwelt der Menschheit. Sie ist durch den verödenden Konsumismus aufs Stärkste bedroht. Für den Tierschutz gibt es schnell Solidarität. Wo ist die Solidarität für a1l die LehrerInnen - vor allem Frauen - in der Welt, die oft schlecht bezahlt wichtigste Arbeit leisten? Wo ist die Unterstützung für all die Bildungssuchenden, die nach Kreativität im Unterricht lechzen? Wo ist die materielle Hilfeleistung für menschlichere Schulräume? Die Menschheit entwickelt sich zunehmend zu einem "Haufen" von Individuen, die jedes Jahr mehr Probleme schaffen, als sie lösen. Diese Defizite werden die Menschheit zugrunderichten. Noch immer wird mehr Geld ausgegeben, um sich gegenseitig umzubringen (Waffenproduktion) oder sich "zu Tode zu amüsieren" (Konsumismus), als eben für das Bildungswesen. Dabei würde diese Investition im Bildungswesen richtig eingesetzt mehr "Dividenden" brin-
Was ist zu tun, damit im Bildungswesen etwas in Bewegung kommt?
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gen als jegliche Aktie. Allerdings nicht kurzfristig, sondern langfristig. Diese Einsichten müßten durch eine nationale und internationale Lobby verteidigt werden. Ein ökologisches Verkehrswesen wird durch den Verkehrsclub (VCS) in der Schweiz unterstützt. Die Gefangenen werden durch Amnestie International vertreten. Die Umwelt wird durch Greenpeace vertreten. Wer vertritt das Bildungswesen? Eine solche internationale Organisation muß erst noch geschaffen werden! Darin müßten SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern sich versammeln, die das Bildungswesen jetzt und tagtäglich verändern wollen. Zur Rettung und zum Wohle der Menschheit.
Pädagogischer Pluralismus in der akademischen LehrerInnenbildung Ostmitteleuropas am Beispiel Lettlands Von Klaus Altennann
I. Einführung: Akademische LehrerInnenbildung neu denken Rudens Parka (lett.) - Der Herbst im Park Der Herbst auf meinem Schulweg. Ein Igel begrüßt mich. Ich bleibe stehen und wundere mich. Die Sonne scheint freundlich. "Du Schlafmütze", grollt plötzlich die Stimme des Lehrers. Das kleine Gedicht der lettischen Lehramtstudentin Uze Skutele, niedergeschrieben im Buch ..Hört das Schreien der Kinderseelen ..." (Altennann/Caure 1994), impliziert im hohen Maße das Nachdenken über die Fragen, worin die Aufgabe des Lehrers besteht und welche Berufsqualifikationen er für seine Arbeit benötigt. Die Aufgaben des Lehrers können überhaupt nur sinnvoll bestimmt werden im Rahmen der umfassenderen Frage nach Zweck und Funktion von Bildung und Erziehung. Die Grundfrage lautet dabei immer: Was braucht der Mensch, um Mensch werden und sein zu können? Sie fällt zusammen mit der Frage: Was braucht die Gesellschaft, um eine humane Gesellschaft zu werden und zu bleiben? Sie beinhaltet auch die Frage: Welcher pädagogischer Hilfen bedürfen die Heranwachsenden auf diesem komplizierten Weg? (vgl. Friedrich 1997). Die Beantwortung dieser Fragestellungen bedarf wissenschaftlicher Studien und Diskussionen zum Thema. Sie bedarf vor allen Dingen auch der theoretischen und praktischen Erfahrung in der Ausbildung von LehramtstudentenInnen sowie in der LehrerInnenweiterbildung.
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11. Innovation: Pädagogischer Pluralismus Innovationen in der LehrerInnenbildung sind im Rahmen des Gesamtprojektes einer pluralistischen Pädagogikausbildung zu erklären und zu verstehen. Pluralismus in der Ausbildung von zukünftigen LehrerInnen ist für uns eine Notwendigkeit, die besondere Anerkennung verdient. Pluralismus muß zugelassen und wenn nötig gefördert werden, damit die Alternativen für die sich entscheidenden LehramtstudentenInnen erfahrbar werden. Die StudentenInnen brauchen die Erfahrungen pluraler Möglichkeiten in dem Maße, daß sie ihre eigenen Überzeugungen nicht unreflektiert und einseitig aus den Traditionen heraus übernehmen. Unreflektierte IdentifIkation reicht offensichtlich in der heutigen Gesellschaft nicht mehr aus. In der Auseinandersetzung und im Gespräch mit anderen müssen die LehramtstudentenInnen ihre eigene Überzeugung überprüfen, sie klären und im eigenen Interesse vielleicht auch ändern. Dazu ist die Erfahrung freien Austausches zwischen unterschiedlichen Positionen, Konzeptionen etc. notwendig. Pluralismus ist für uns kein Ziel an sich, sondern eher die Vennehrung alternativer Überzeugungen. Daß im Zeitraum der Überwindung einer totalitären Einheitsüberzeugung in der LehrerInnenbildung Lettlands dabei besondere Aufgaben entstehen und daher die Förderung von alternativen Lösungen zu einer zentralen Aufgabe wird, ist nicht zu übersehen. Das bisher Gesagte gilt auch für die Schul- und Hochschuldiskussion, die wir gegenwärtig am Institut für Pädagogik/Psychologie der Universität Lettlands führen. Wir befinden uns damit im Kontext der breiten Diskussion um die LehrerInnenbildung seit Beginn der 90iger Jahre (vgl. Lersch 1996, S. 3). In deutlichen Repliken auf den Artikel: "Wozu ist die Schule da?" (Giesecke 1995, S. 93-104) wird versucht, diese Frage zu beantworten und Konsequenzen für die LehrerInnenbildung abzuleiten (vgl. Kucharz/Sörensen 1996, S. 94 ff.; Frommann 1996, S. 103 ff.; Edler 1996, S. 107 ff.; Diedrich 1996, S. 115 ff.; Leschinsky 1996, S. 125 ff.; von Henting 1996, S. 133 ff.; Giesecke 1996, S. 143 ff.; Fauser 1996, S. 151 ff. u.a.). In diesen wissenschaftlichen Diskursen werden aktuelle pädagogische Fragestellungen diskutiert, auch den Zeitgeist kann man dann und wann erkennen, nicht aber den pädagogischen Zeitgeist (vgl. Kucharz/Sörensen 1996, S. 101). Leider wird auch nicht die Frage beantwortet, ob die Kinder bei uns überhaupt eine Zukunft haben (Flitner 1996, S. 202). Nachdrücklich wird auch betont, daß eine Veränderung der Schule ohne eine Veränderung der LehrerInnenbildung nicht denkbar und nicht möglich ist. Der Traum von Ellen Key (1904, S. 275): ,,Ja, es müßte eine Sintflut der Pädagogik kommen", wurde bis heute nicht realisiert.
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ill. Erziehungswirklichkeit in postsozialistischen Staaten Wer soll eigentlich auf diese Fragen über die Schule und den Lehrer antworten? Wir glauben, daß sich hinter solchen scheinbar einfachen Fragestellungen das Wesentliche versteckt. Im weiteren Sinn widerspiegeln die Antworten unsere Auffassung von der Erziehung; im engeren Sinn gelten sie für uns als ein wichtiger Ausgangspunkt für jede Diskussion über die LehrerInnenbildung. Hier verbergen sich die kompliziertesten Fragen und Probleme der Erziehungswirklichkeit in postsozialistischen Staaten, die offenbar nur mit größter Mühe und Anstrengung gelöst werden können. Das ist auch deshalb so, weil im Mittelpunkt dieser Betrachtungen Erziehungsbeziehungen stehen, die komplexer als z.B. die in der klassischen deutschen Pädagogik betrachtet werden müssen. Zu den wichtigsten pädagogisch-psychologischen Inszenierungen innerhalb der Lebensgeschichte eines Individuums zählen ohne Zweifel jene, die Kinder in die Erwachsenenwelt einführen. Die Schule hat hierbei eine wichtige Aufgabe zu übernehmen. Ihr kommt die Rolle zu, den Kulturtransfer zu erleichtern. Junge Menschen an der Schwelle des Übergangs zum Erwachsenendasein benötigen einen Lebensraum, der sie schützt und diesen Entwicklungsprozeß begleitet. Andererseits ist die Schule beauftragt, Heranwachsenden Wissen und Kenntnisse sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln und ebenso soziale Tugenden (Hegel) zu lehren. Eine bürokratisch geordnete Regelhaftigkeit schulischer Lernprozesse fixiert und kontrolliert heute noch das Handeln aller Beteiligten. Jenseits der vorwiegend hierarchischen Strukturen entstehen aber im Schulteben spezifische Interaktionsformen, wo Kinder, Jugendliche und Lehrkräfte zueinander in Beziehungen treten. Ein schulklimatisch anregender Lernkosmos Schule trachtet danach, als sinnvoll eingeschätztes Handeln der Beteiligten zu habitualisieren, zu verallgemeinern, Regeln zu erarbeiten, als verbindlich zu erklären oder zu verändern. Dabei können dann bestimmte Szenarien schulischen Unterrichts individuell ein situationsspezifisches Set von Handlungsmustern abrufen. Der zweifache Auftrag der LehrerInnen, Lernprozesse zu realisieren und Erziehungsprozesse erfolgreich zu begleiten, scheint besser erfüllt zu werden, wenn sie diese Instrumente in ihrer Arbeit nutzen. Schulische Lernprozesse von Kindern und Jugendlichen erfolgreich zu gestalten bleibt nach wie vor die Hauptanforderung an das berufliche Können der LehrerInnen. Eine bewußte Dramaturgie des Unterrichts dürfte jedoch die Wissensvermittlung um die erzieherische Seite ergänzen. Bestimmte Rituale, auch scheinbar nebensächliche, geben den Heranwachsenden Sicherheit. Sie verwandeln incertitude in certitude (Grunder 1997, S. 17). Die Aufgabe des Lehrers besteht auch darin, Lernhilfen zu geben, damit sich die heranwachsende Generation in der Welt orientieren und die vielfältigen An-
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forderungen des Lebens bewältigen kann. Dazu gehören pragmatisches Wissen, begründete Erkenntnisse, vor allem aber Methoden und Strategien zur selbständigen Erschließung der Welt. Lernhilfen können aber nur erfolgreich gegeben werden, wenn fundamentale Erziehungsvoraussetzungen bestehen bzw. Erziehungsleistungen zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse des Menschen erbracht worden sind und auch im Lemkosmos Schule erbracht werden, um eine fruchtbare Lernsituation zu ermöglichen und den Lernwillen zu stärken. Das wird erreicht erstens durch sorgende, emotionale Zuwendung; diese drückt das vorbehaltlose ,,Ja" zum werdenden Menschen aus und gewährleistet allseitige Besorgung, die wichtigste Voraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung, zweitens durch Hilfen zur Entwicklung der Kommunikations- und Interaktionsfähigkeit sowie zur sozialen Integration (vgl. Friedrich 1997). Die professionelle Qualifikation des Lehrers umfaßt eine Vielzahl von Kompetenzen, nicht nur Sachkompetenz, Schülerkenntnis, methodisch-didaktische und kommunikative Kompetenz, sondern auch souveräne Selbstkritik. Letztere ist eine wesentliche Voraussetzung vertrauensvollen Umgangs im pädagogischen Feld und gewährleistet die Glaubwürdigkeit der pädagogischen Ambition. Sie soll in dem Sinne verstanden werden, in dem Salzmann sie in seinem "Ameisenbüchlein" interpretiert, als die Bereitschaft zur Selbstprüfung, ob Fehlverhalten der Schüler nicht auch durch den Erzieher verursacht worden sein könnte (vgl. Friedrich 1997).
IV. Pädagogische Innovationsprojekte an der Universität Lettlands in Riga Die genannten Teilqualifikationen sind im Rahmen der Möglichkeiten, die die individuelle Disposition des Pädagogen jeweils zuläßt, entwickelbar und trainierbar. Das bestätigen die Ergebnisse und Präsentationsveranstaltungen der Innovationsprojekte ,,Hochschuldidaktik", die wir seit 1994 an der Universität Lettlands in Riga mit Unterstützung unserer internationalen Kooperationspartner erfolgreich durchführen. Die Qualifikationen können jedoch nur pädagogische Wirkung zeitigen, wenn in der konkreten Anforderungssituation ein erzieherisches Verhältnis besteht. Dieses setzt seitens der Lehrer o.g. professionelle Qualifikationen voraus, zudem einen Vorschuß an Liebe und Vertrauen in die Schüler und zu den Schülern, seitens der Schüler vertrauensvolle Resonanz auf die pädagogische Intention und Inanspruchnahme der Impulse und Hilfen des Lehrers. Wenn diese Voraussetzungen bestehen, kann zurecht von pädagogischer Autorität gesprochen werden. Sie ermöglicht, daß im Wortsinne von Autorität eine Zunahme an Kompetenz und Mündigkeit beim Heranwachsenden erreicht und selb-
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ständiges Denken gefördert wird. Autorität im pädagogischen Raum ist dabei unvereinbar mit autoritärer Anmaßung, mit Machtdenken und Durchsetzung. Als Vorbild des Lehrers kann Sokrates gelten. Er hat dem Schüler widersprochen, wenn er sich an Schein wissen hielt, und ihn ermutigt auf dem Wege zu fundierter, eigenständig gewonnener Erkenntnis. Autorität kann der Lehrer nur solange sein, als er überlegene Sachkenntnis und/oder Anregungskraft hat oder durch ständiges Lernen immer wieder neu erwirbt. Stagnieren geistige Aktivität und menschliche Anteilnahme beim Lehrer, erlischt der Pädagoge in ihm (vgl. Friedrich 1997). Die Fragen nach der Schule, nach Innovationen in der LehrerInnenbildung haben in Lettland bei einigen Pädagogeninnen noch wenig persönliche Bedeutung. Sie bekommen aber eine persönliche Bedeutung, wenn diese Fragen zu persönlichen Problemen werden, die gelöst werden müssen. Dank dieser Tatsache existiert überhaupt die Möglichkeit für Veränderungen und Entwicklungen innerhalb der persönlichen Ansichten und Meinungen. Grundsätzlich besteht diese Möglichkeit bei allen Fragen, über die diskutiert wird. Die Pädagogik nimmt hier eine besondere Stellung ein, da prinzipiell alles diskutiert werden kann und muß. Gleichzeitig ist es Aufgabe der pädagogischen Wissenschaft, Wahrheiten zu schaffen und zu verfolgen. Dabei kann man eine paradoxe Erscheinung bilanzieren, daß eine pädagogische Konzeption, die Freiheit propagiert, ins Gegenteil umschlägt, weil ein bestimmtes Ideensystem zu einem Dogma, ja sogar zu einer Religion werden kann. Eine LehrerInnenbildung nach solcher Art und Weise würde sich nicht von dem Alten, Starren und Traditionellen unterscheiden. Das Lehramtstudium darf kein Sich-missionieren-Lassen vom Staat, von Anthroposophen, Montessorianhängern oder Freinetspezialisten sein. Die Schule ist die einzige Institution in der Gesellschaft, die sich mit dem Lernen beschäftigen kann. Die Schule muß ein Ort des Lernens werden, an dem die für das Lernen geschaffenen Bedingungen, die Genese des Lernenden gewährleisten müssen. In der Schrift "Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft" (Bildungskommission NRW 1995) wird von der Schule als einem "Haus des Lernens" (Flitner 1996, S. 2(0) gesprochen. Also nicht "Curriculumsverarbeitungskonzem, nicht Subsystem der Gesellschaft" (Flitner 1996) und unterschiedlicher pädagogischer Konzeptionen, sondern einfach Haus des Lernens und Haus der Begegnung. Dazu braucht man die LehrerInnen. Der Ausgangspunkt einer innovativen LehrerInnenbildung ist nicht das Lehren von zukünftigen Lehrern, sondern es müssen für die Lernenden sowie für die lernenden Lehrer notwendige Bedingungen geschaffen werden, die eine optimale pädagogische Arbeit gewährleisten können. Solch eine Betrachtungsweise kann zu einer theoretischen und praktischen Lösung bei Innovationen in der LehrerInnenbildung führen. Der pädagogische
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Horizont und das pädagogische Problembewußtsein der LehramtstudentenInnen darf niemals beschränkt oder eingeengt werden, so "als sollte ein Baum im Blumentopf wachsen" (Berg/VogeI1987).
V. Internationale Kooperationsarbeit Wir bilden an der Universität Lettlands LehramtstudentenInnen aus, die die unterschiedlichen pädagogischen Grundkonzeptionen in der Theorie und Praxis kennen, um daraus positive Anregungen zu entnehmen, die für die zukünftige pädagogische Tätigkeit relevant sind. Der spätere pädagogische Einsatz der LehramtstudentenInnen wird in Lettland vorwiegend an Staatsschulen erfolgen. Es ist durchaus denkbar und sogar wünschenswert, daß Elemente der Reformpädagogik in das Staatsschulwesen integriert werden. In Weingarten (Deutschland) erwerben z.B. auch LehrerInnen das offizielle MontessoriDiplom. Es gibt lange Wartezeiten. Diese LehrerInnen studieren MontessoriPädagogik für ihren Unterricht an staatlichen Schulen (Kerstins 1992). In den Pädagogikkursen und Projektwochen an der Universität Lettlands können die StudentenInnen und LehrerInnen (in der Weiterbildung) Waldorf-, Freinet- und Jenaplan-Pädagogik in Theorie und Praxis studieren. Diese Lehrveranstaltungen sind seit 1994 in die Curricula des Lehramtstudiums integriert. Dabei ist es für uns wichtig, daß die zukünftigen LehrerInnen die unterschiedlichen pädagogischen Konzeptionen durch Überzeugte erschlossen bekommen. Durch ein internationales Vertragswerk konnten SpezialistenInnen der Reformpädagogik und VertreterInnen von Bildungseinrichtungen und Bildungsinstitutionen für Lehrveranstaltungen an die Universität Lettlands verpflichtet werden. Diese Kontakte wurden ausschließlich über internationale Konferenzen, Seminare, Workshops etc. des Europäischen Forums für Freiheit im Bildungs wesen (E/F/F/E) hergestellt. Daß es bei dieser internationalen Kooperation noch ein gewaltiges Arbeitspotential zu erschließen gilt, sei hier nur kurz angemerkt. Die zielgerichtete Umsetzung der E/F/F/E-Deklaration ,,Empfehlungen zur Lehrer/innen-Bildung", die am 15. Mai 1997 während des 15. Internationalen E/F/F/E-Kolloquiums "The Teacher of the 21 st Century" in St. Petersburg (Rußland) einstimmig angenommen wurde, wird dabei in der akademischen LehrerInnenbildung zu einer wichtigen Aufgabe (vgl. E/F/F/EDeklaration von St. Petersburg "Empfehlungen zur Lehrer/innen-Bildung", St. Petersburg 1977). Ein Ziel der Pädagogiklehrveranstaltungen an der Universität Lettlands ist es, ein Arbeitsklima zu schaffen, in dem sich StudentenInnen und LehrerInnen wohl fühlen (vgl. Rutter 1980), Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung (v gl. Miller 1989) erreichen können und in dem sich "erziehungswissen-
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schaftliehe, fach wissenschaftliche und fachdidaktische sowie schulpraktische Studien so aufeinander ... beziehen, daß sich auf (im Studium erworbene) Reflexionsfähigkeit gegründete Handlungskompetenz im Arbeitsfeld Schule entwickeln kann" (vgl. Knab 1994, S. 73; Kommission Lehrerbildung RheinlandPfalz 1993, S. 6; Lersch 1996, S. 15). Vor dem Hintergrund einer Ausweitung der Anteile berufswissenschaftlicher Studien (vgl. Lersch 1996, S. 12) und somit einer weiteren Entwicklung und Festigung des pädagogischen Problembewußtseins der LehramtstudentenInnen an der Universität Lettlands ist es geboten, sich den aufgeworfenen Problemen und Aufgaben zu stellen und die Formulierung ..... verurteilt, frei zu sein" (Sartre 1977) aufzulösen und in der pädagogischen Praxis richtig zu gebrauchen, damit Pluralismus in der akademischen LehrerInnenbildung erziehungswissenschaftliches Denken und pädagogisches Handeln förderlich beeinflußt und Identitätsfindung entwickelt (vgl. Marotzki/Sünker 1992).
VI. Im Mittelpunkt steht der Mensch In allen diesen Diskussionen geht es um den Menschen. Ihm kann man helfen, daß er zu seinem schöpferischen Selbst findet, oder man wird ihm Unrecht tun auf allen Gebieten des menschlichen Zusammenlebens. Damit dies nicht geschieht, muß man ein angemessenes Bild vom Menschen haben. Soweit die unterschiedlichen pädagogischen Konzeptionen berechtigte Aspekte des Menschenwesens fördern, wird man Entsprechendes auch in ihnen finden. Nur kann es dabei nicht ausbleiben, und das ist menschlich durchaus verständlich, daß es sich dabei immer nur um Akzentuierungen von Teilaspekten handelt, die man im berechtigten Zusammenhang in allen pädagogischen Konzeptionen findet, wenn die Geduld zum Studium aufgebracht wird. Natürlich ist es optimaler, wenn man von den eigenen Erfahrungen ausgehen kann. Die PädagogenInnen können sich dann vehementer in der Praxis für ihre Ideen und Konzeptionen einsetzen, als wenn sie sich erst in die Gedankengänge eines anderen Menschen vertiefen müssen. Da wird die Niederringung von Antipathiekräften aufgerufen, während man mit den eigenen Erfahrungen meistens mehr Sympathie hat. Wir bitten das nicht als Überheblichkeit gegenüber Andersdenkenden aufzufassen. Das Problem der unterschiedlichen pädagogischen Konzeptionen ist nicht die Theorie, sondern das Problem ist, daß es viel zu wenig PädagogenInnen gibt, die der Nachfrage gerecht werden können. Wenn jemand sich für eine pädagogische Richtung nicht nur oberflächlich interessiert und in diesem Sinne auch kreativ arbeitet, dann ist das vollkommen in Ordnung. Jeder Mensch muß sich intensiv dafür interessieren, was er tut. Er wird dann auch die richtigen Einfälle haben, die ihm in der pädagogischen Praxis weiterhelfen werden. Dieser Pädagoge wird vermutlich fruchtbarer wirken als ein Lehrer, dem es an Phantasie
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fehlt, das Aufgenommene in der Praxis umzusetzen. Wichtig erscheint, daß die Pädagogik aus der Freiheit des Bildungswesens ihre Kraft und ihre Impulse bezieht. Nur so kann sich auch die bessere pädagogische Konzeption durchsetzen. Wenn wir uns mit den StudentenInnen um eine Vielfalt im Angebot der pädagogischen Konzeptionen bemühen, dann ist es für uns in dem o.g. Sinne kein vermeidbarer Umweg, um zum pädagogischen Ziel zu kommen. Jede Lehrerin und jeder Lehrer muß heute verstehen, daß mehr Liberalität im Pädagogischen und im Wertpluralismus auch mehr Mißbrauch durch jene bedeutet, die mit Freiheit nicht umgehen können. Pädagogik ist für uns dann ein ideales Medium in der Genese des Menschen, wenn sie richtig, d.h., wenn sie lebendig und entlastet von Zwängen und Dogmen eingesetzt wird. Mehr Bewußtmachung, Differenz und Andersheit; nicht Imitation, Assimilation und Selbstaufgabe sind heute gefordert, sondern beiderseitige kritische Sympathie und Toleranz, Pluralität und Multikulturalität (vgl. Villwock 1994, S. 14). Wir müssen die Aufgabe bewältigen, die Gleichzeitigkeit des anderen herzustellen, das Andersartige wahrnehmen, ohne den eigenen Standpunkt und die eigene Identität zu verlieren.
Vll. Pädagogik und Fremdsprachenunterricht In Lettland findet heute noch eine LehrerInnenbildung statt, die den LehramtstudentenInnen zwar theoretische Kenntnisse in Einzelwissenschaften vermittelt, sie aber nicht umfassend auf die Schulpraxis vorbereitet. Häufig werden sie praxisfern belehrt, ohne die Chance zu haben, bereits im Studienalltag der Universitäten solche Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erproben, die im späteren Berufsleben für sie von hohem Gebrauchswert sind. Die Fremdsprachenfakultät der Universität Lettlands bildet DeutschlehrerInnen bzw. ÜbersetzerInnen und DolmetscherInnen aus. Neue Curricula in der Ausbildung von DeutschlehrerInnen weisen aus, daß professionelle Kurse in der Zielsprache Deutsch gelehrt werden. Das betrifft auch alle Kurse in den Grundlagenfächern der Pädagogik sowie diverse Wahlkurse, die pädagogische Inhalte vertiefen helfen. Unsere Forschungsergebnisse belegen, daß StudentenInnen, die nach diesen Modalitäten ihr Studium absolvieren, über gute Sprachfähig- und Sprachfertigkeiten in der Zielsprache Deutsch verfügen und sich in der Spezialdisziplin Pädagogik gut verständigen und ausdrücken können. Damit wird nach Auffassung des Schreibers vorliegender Arbeit ein wichtiger philosophischer Aspekt deutlich, der die Forderungen des integrativen oder interkulturellen Fremdsprachenunterrichts mit den Gegebenheiten der Pädagogik verbindet; er betrifft zusätzlich zu den Fragen der konkreten Realisierung der Lernziele und ihres Um-
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fangs auch ihre Einordnung in ein umfassendes Weltbild, also ihren Stellenwert. Bewußtmachung der Differenz und Andersheit, kritische Sympathie und Toleranz, Pluralität und Multikulturalität sind notwendige Lernziele in der Ausbildung von zukünftigen LehrerInnen. Damit greift die Theorie des Sprachunterrichts ihre humanistischen Ziele wieder auf und findet gleichzeitig ihren Weg zurück in den Kontext der allgemeinen Pädagogik, den sie in Wahrheit ja gar nicht verlassen, nur allenfalls verdrängen kann. Sprachunterricht ist immer auch allgemeiner Unterricht; Methoden der Sprachvermittlung sind bewußt oder unbewußt immer auch allgemeine pädagogische Muster, die vermittelt und eingeprägt werden. Der Sprachlehrer hat damit neben der Aufgabe der Vermittlung von Fertigkeiten immer auch eine Verpflichtung zur Menschenbildung und damit eine allgemeine pädagogische Verantwortung. So kann der Fremdsprachenunterricht zum Modellfall einer humanistischen Pädagogik insgesamt werden, denn hier läßt sich in exemplarischer Weise der Umgang mit Fremdheit, Andersheit und dem eigenen Nichtverstehen lernen (v gl. Villwock 1994, S. 14 ff.).
vm. Leitideen für eine innovative LehrerInnenbildung Akzeptiert man diese Ausgangspositionen, die für eine innovative LehrerInnenbildung sprechen, so stellt sich die Frage der praktischen Realisierung. Nachfolgendes Kapitel faßt Ideen, Konzeptionen, Lösungsvorschläge und erste Forschungsergebnisse zusammen, die in internationalen Workshops und Arbeitsgruppen zur Reform der LehrerInnenbildung auf neun Kolloquia des Europäischen Forums für Freiheit im Bildungswesen (E/F/F/E) in verschiedenen europäischen Ländern diskutiert worden sind. Trotz unterschiedlicher Ausgangslagen in ihren Staaten sowie verschiedener pädagogischer Grundorientierungen wurde von den teilnehmenden Erziehungswissenschaftlerlnnen, LehrerbildnerInnen und LehrerInnen eine Verständigung über Defizite der in Europa praktizierten LehrerInnenbildung erreicht. Ein demokratisches plurales Bildungswesen ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung einer modemen, leistungsfähigen, freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft. Das gilt auch besonders für Lettland, denn nur ein solches Bildungswesen entspricht den Entwicklungen in modemen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften zur Individualisierung von Biographien, zur Vielfalt von Lebensentwürfen und zu Innovationen im wirtschaftlichen und kulturellen Bereich;
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hat eine wichtige präventive Funktion gegen totalitäre Ideologien und Herrschaftsanspruche; bringt immer wieder Innovationen in die Bildungspolitik und die Bildungsinstitutionen, kann aber auch gleichzeitig, modischen Trends zum Trotz, Erhaltenswertes in der Pädagogik bewahren; sichert den Schutz von Eltern, Kindern und Jugendlichen sowie von LehrerInnen ethischer, religiöser, weltanschaulicher und pädagogischer Minderheiten in Fragen der schulischen Erziehung und des Unterrichts. TrägerInnen eines demokratischen pluralen Bildungswesen können nur Menschen sein, die selbst freie Persönlichkeiten sind und gleichzeitig eine Ausbildung von höchster Qualität für ihre professionelle Tätigkeit haben. Sie müssen befähigt sein, die Einzigartigkeit jedes Kindes (und modifiziert jedes Studenten) wahrzunehmen und diese im Geiste von Freiheit, Toleranz und gesellschaftlicher Verantwortung zu fördern. Vor der skizzierten Ausgangslage und in der Absicht, die LehrerInnenbildung den modemen Erfordernissen entsprechend zu reformieren, haben wir in der Arbeitsgruppe ,.LehrerInnenbildung im E/F/F/E" zehn Leitideen für das Projekt "Innovative LehrerInnenbildung in Europäischer Kooperation" erarbeitet (E/F/F/E 1993/1994/1995/1996/1997). 10 Leitideenfür eine innovative LehrerInnenbildung
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Zur Freiheit ermutigen Pädagogische Pluralität erfahrbar machen Internationalität erleben Pädagogische Wahmehmungsfähigkeit vermitteln Selbstbildung ermöglichen Individuelle Lemwege eröffnen Kreativität fördern Alltagsdemokratie erproben Praxis integrieren
IO.Zu sozialer Verantwortung befähigen
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IX. Zur Freiheit ermutigen Pädagogisches Handeln braucht Freiheit von äußeren Zwängen und die innere Freiheit der PädagogenInnen, wenn sie die Heranwachsenden so fördern wollen, wie es ihrer Individualität und Menschenwürde entspricht. Um für diese Freiheiten eintreten zu können, brauchen die PädagogenInnen Mut, wenn sie sich in ihren Schulen und Universitäten gegen die Trägheit von Gewohnheiten, das Denken in eingefahrenen Gleisen, die Mißachtung der Würde des Kindes und die Benachteiligung ethischer, sozialer oder anderer Minderheiten zur Wehr setzen und für die umfassende Förderung jedes einzelnen Heranwachsenden eintreten wollen. Eine innovative LehrerInnenbildung läßt deshalb die Studierenden bereits im Studium die Erfahrungen von Freiheit machen. Dafür muß jeglicher Art von Dogmatismus eine Absage erteilt und ein Klima offenen geistigen Austausches hergestellt werden.
X. Pädagogische Pluralität erfahr bar machen Eine innovative LehrerInnenbildung muß den aktuellen Kenntnisstand der Erziehungswissenschaft vermitteln und gleichzeitig für unterschiedliche pädagogische Konzeptionen offen sein. Sie muß den Studierenden Gelegenheit geben, sowohl die traditionellen reformpädagogischen Strömungen als auch die neuen pädagogischen Bewegungen in Theorie und Praxis kennenzulernen. Weit verbreitet in Europa sind die Waldorf-, Montessori-, Freinet- und JenaplanPädagogik. Darüber hinaus gibt es viele reformbewußte Schulen in staatlicher und freier Trägerschaft, die weniger bekannt sind. Das gilt für die Freien Alternativschulen, die Landerziehungsheime in Deutschland, die Russischen AutorSchulen, die Schulen nach Josef Zsolnai in Ungarn u.a. Sie alle haben Theorien über die Kindheit, über das Lernen sowie praktische Erfahrungen aufzuweisen, die eine nationale und internationale Kooperation in der LehrerInnenbildung fruchtbar erscheinen lassen. Eine solche Zusammenarbeit darf aber nicht dazu führen, daß Profile verwischt werden. Nur von offenen, lebendigen Auseinandersetzungen sind gegenseitige Anregungen in theoretischen Diskursen und in der praktischen Erfahrung zu erwarten.
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XI. Internationalität erleben Eine internationale Kooperation im L€ ',muntstudiums erweitert den Horizont der beruflichen Kenntnisse. Das Erleben unterschiedlicher Kulturkreise fördert vor allen Dingen die Entwicklung eines Menschen- sowie eines pädagogischen Problembewußtseins. Die Internationalität der LehrerInnenbildung kann durch folgende Maßnahmen gefördert werden: regelmäßige S tudentenInnen- und DozentenInnenaustausche; Studienabschnitte können im Ausland absolviert werden; Organisation von internationalen Studienreisen; alle LehramtstudentenInnen sollen am Ende des Studiums zwei Fremdsprachen beherrschen.
Xll. Pädagogische Wahrnehmungsfähigkeiten vermitteln Es gehört zu den wichtigsten Fähigkeiten guter LehrerInnen, jeden Heranwachsenden auf dem Hintergrund seiner ethnischen, kulturellen und sozialen Einzigartigkeit erkennen zu können. Der Wille dazu und die Fähigkeiten dafür sollen u.a. durch Beobachtungen der Heranwachsenden und gleichzeitig durch die gemeinsame Arbeit in ihren Lebenswelten mit ihnen gefördert werden. Demselben Ziel dienen die Vermittlung von Kenntnissen der Anthropologie, Psychologie, Soziologie, des künstlerischen Handeins und Übens sowie Schulpraxiserfahrungen bereits in den ersten Studienjahren.
XIß. Selbstbildung ermöglichen Wichtig sind solche Bildungsprozesse, die die Menschen befahigen, sich ein eigenes freies Urteil zu bilden und in Verantwortung für sich selbst und andere zu handeln. Diese Mündigkeit läßt sich nicht plan voll anerziehen oder gar verordnen; sondern nur fördern, indem Lernprozesse als aktive Aneignung der geistigen und gegenständlichen Umwelt angeregt und ausgelöst werden. Statt Passivität bewirkende Belehrungen zu erteilen, muß eine innovative LehrerInnenbildung den Studierenden die Chance bieten, sich selbst zu bilden. Dabei ist es besonders wichtig, eine große Bandbreite von Anregungen zur Persönlichkeitsentwicklung sowie für den Erwerb professioneller Kompetenzen in Theorie und Praxis anzubieten. Einen festgeschriebenen Zwangskanon von Studien-
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inhalten ohne vielfaItige Auswahlmöglichkeiten darf es in der Zukunft nicht mehr geben. Zur Selbstbildung gehört auch Selbsterkenntnis. Deshalb müssen die Studierenden mit verschiedenen Formen der Selbstreflexion und Supervision vertraut gemacht werden. Das gilt besonders für die selbstkritische Antwort auf die Frage: "Warum werde ich LehrerIn?" Teamfähigkeit zu lernen ist ebenfalls eine wichtige Aufgabe der Selbstbildung. Teamarbeit fördert wichtige Merkmale einer freien Persönlichkeit und ist produktiver als isolierendes Konkurrenzverhalten.
XIV. Individuelle Lernwege eröffnen Die Wege und Umwege zur Bildung sind so individuell und zahlreich wie die Menschen selbst. Die LehramtstudentenInnen müssen die Möglichkeiten haben, ihre eigenen Interessen aufzuspüren und ihnen dann intensiv nachzugehen. Diese Individualisierung gilt auch für Lernmethoden und Lernorte, die innerhalb und außerhalb der Universität liegen können.
xv. Kreativität fördern Ebenso wie Bildung läßt sich Kreativität nicht verordnen, sondern nur fördern. Das kann durch Schulung von Wahmehmungs- und Ausdrucksfähigkeiten, durch Selbsterfahrungsprozesse, durch die sinnliche Erfahrung schöpferischen Tuns u.a. Formen der Inspiration erreicht werden.
XVI. Alltagsdemokratie erproben In der z.Z. an Universitäten und Hochschuleinrichtungen üblichen Hierarchie haben die LehramtstudentenInnen nur marginale Rechte der Mitwirkung, die zudem häufig juristisch überformalisiert sind. Eine derart eingeschränkte Mitwirkung ist wenig produktiv und effektiv. Eine innovative LehrerInnenbildung verlangt deshalb, daß die Studierenden die Möglichkeit haben, über wichtige, ihren Studienalltag betreffende Angelegenheiten mitzubestimmen. Das muß auch für die Studienangebote, Arbeitsformen etc. gelten. Solche demokratische Teilhabe fördert das Verantwortungsbewußtsein, lehrt in offenen
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Diskursen tolerantes Umgehen miteinander und ist gleichzeitig eine wichtige Voraussetzung für Teamfähigkeit im Berufsleben.
XVll. Praxis integrieren Eine innovative LehrerInnenbildung stellt das Kind und den Lernk:osmos Schule in den Mittelpunkt jedes pädagogischen Handeins. Deshalb ist die frühzeitige Integration der Praxis in das Studium unbedingt erforderlich. Die intensive Konfrontation der LehramtstudentenInnen mit der Schulpraxis eröffnet eine wichtige Chance zur Persönlichkeitsentwicklung, weil sie Anlässe zur Verarbeitung eigener Schulbiographien bietet und verantwortliches Handeln ermöglicht. Eine Integration der Praxis in das Studium mit erheblichen Zeitanteilen kann den wissenschaftlichen Teil des Lehramtstudiums befruchten, weil die Studierenden aus ihren eigenen Praxiserfahrungen heraus konkrete Fragestellungen in wissenschaftliche Diskurse einbringen können. Außerdem fördern schulpraktische Erfahrungen die Reflexion über Verhaltensveränderungen bei Kindern und Jugendlichen in modemen Industriegesellschaften und die daraus zu ziehenden Konsequenzen zur Qualitätsverbesserung der Schulen und die berufliche Rolle der LehrerInnen. Eine solche beabsichtigte enge Praxisintegration macht eine Veränderung in den Kooperationsformen zwischen Universität und Schule notwendig. Anzustreben ist ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen Hochschullehrerin und Lehrerin, die sowohl in den Schulen als auch in den Universitäten gleichzeitig wirken. Alternative Schulmodelle sind gleichberechtigt in diese Kooperation einzubeziehen.
XVIll. Zu sozialer Verantwortung befähigen Das Lehramtstudium soll dazu motivieren, vorhandene und im Studium erworbene Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Wohl der Mitmenschen einzusetzen, also soziale Verantwortung zu übernehmen. Den zukünftigen LehrerInnen muß bewußt werden, daß sie angesichts der gesellschaftlichen Umbruche und Wandlungsprozesse in allen Ländern Europas ein hohes Maß an Verantwortung für eine friedliche, wirtschaftliche, soziale sowie ökologische Zukunftsgestaltung tragen. Diese Verantwortung muß und soll den Studierenden bereits im Studium bewußt werden.
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XIX. Grundpositionen einer pluralistischen LehrerInnenbildung an der Universität Lettlands l. Die pädagogischen Lehrveranstaltungen an der Universität Lettlands sind grundsätzlich für alle lettischen Studenteninnen und für die lettischen LehrerInnen offen. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme begründet sich auf zwei zentrale Aufgabenstellungen im lettischen Bildungswesen, erstens auf eine Neuschreibung der Curricula für Lehramtstudenteninnen sowie Innovationen in der Hochschuldidaktik und zweitens auf die Weiterbildung der lettischen LehrerInnen. Das von uns für diese Zwecke gegründete "Anka-Zentrum der Universität Lettlands", ein pädagogisches Informations- und Konsultationszentrum, erreichte seit seiner Gründung am 10. Dezember 1994 bereits mehr als 1000 lettische Lehramtstudenteninnen und LehrerInnen (vgl. Altermann/Caure 1995, S. 1-40; 1996, S. 1-100; 1997, S. 1-160).
2. Die Studierenden müssen selbst entscheiden: "Wir werden LehrerInnen". Ihre innere Motivation muß sie zu diesem Schritt bewegen. Notwendig dazu ist eine Orientierungsphase in verschiedenen pädagogischen Einrichtungen bzw. Institutionen, die nach unterschiedlichen pädagogischen Konzeptionen arbeiten. Ein von uns aufgebautes internationales Pädagogik-Netzwerk ermöglicht Z.Z. für lettische LehramtstudentenInnen und LehrerInnen nachfolgende pädagogische Praktika: l/2jähriges Pädagogikpraktikum an der Bildungs- und Erziehungsstätte Schlössli Ins (Schweiz) für lettische LehramtstudentenInnen und LehrerInnen, realisiert in Kooperation mit der Bildungs- und Erziehungsstätte Schlössli Ins; -
Imonatiges Schulpraktikum für eine Seminargruppe (35 Studenteninnen) an verschiedenen Schulen in Deutschland, realisiert in Kooperation mit der Pädagogik-Kooperative Bremen (Deutschland); Imonatiges Schulpraktikum für lettische LehramtstudentenInnen und LehrerInnen in Deutschland, realisiert in Kooperation mit der JenaplanForschungsstelle der Universität Gießen (Deutschland);
-
Imonatige Bakkalaureus-Praktika für lettische LehramtstudentenInnen am Institut für Waldorf-Pädagogik Witten-Annen (Deutschland), realisiert in Kooperation mit dem Institut für Waldorf-Pädagogik Witten-Annen. Gleichzeitig ermöglicht das internationale Pädagogik-Netzwerk die Vorbereitung und Durchführung von Pädagogik-Projektwochen an der Universität Lettlands in Riga: •
2 Projektwochen Waldorf-Pädagogik (70 Stunden) pro Studienjahr für jeweils 150 StudentenInnen und LehrerInnen, Kooperationsprojekt mit
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dem Institut für Waldorf-Pädagogik Witten-Annen (Deutschland), der Bildungs- und Erziehungsstäue Schlössli Ins (Schweiz), der Universität Helsinki (Finnland) und dem Snellman-Colleg Helsinki) sowie der Christopherus-Schule Bochum (Deutschland); •
2 Projektwochen Freinet-Pädagogik (70 Stunden) pro Studienjahr für jeweils 150 StudentenInnen und LehrerInnen, Kooperationsprojekt mit der Pädagogik-Kooperative Bremen (Deutschland) sowie mit verschiedenen Schulen in den deutschen Bundesländern;
•
2 Projektwochen Jenaplan-Pädagogik (70 Stunden) pro Studienjahr für jeweils 150 StudentenInnen und LehrerInnen, Kooperationsprojekt mit der Jenaplan-Forschungsstelle der Universität Gießen (Deutschland) und der Schule "Mühlheimer Freiheit" in Köln (Deutschland).
Es wurde bereits erwähnt, daß die unterschiedlichen PädagogikKonzeptionen von SpezialistenInnen in Theorie und Praxis präsentiert werden. In Anerkennung ihrer bisherigen Arbeit mit LehramtstudentenInnen an der Universität Lettlands wurden für den Zeitraum ihrer Lehraufträge in der Pädagogik, die Erziehungswissenschaftler Ueli Seiler (Schweiz) und Walter Hövel (Deutschland) zu Gastprofessoren berufen. Die Universität Lettlands hat mit dieser Vorgehensweise in der pädagogischen Welt das bisher einmalige ModelIbeispiel geschaffen: die Anerkennung unterschiedlicher PädagogikKonzeptionen an einer staatlichen Universität. Die LehramtstudentenInnen der Universität Lettlands erhalten durch die Neustrukturierung der Curricula bereits in der Anfangsphase ihres Studiums die Möglichkeit, unterschiedliche pädagogische Konzeptionen in der Theorie und Praxis kennenzulernen und damit ihr pädagogisches Problembewußtsein zu vertiefen. Sie haben die Möglichkeit erhalten, sich den pädagogischen Herausforderungen an die Schule der Zukunft besser zu stellen (vgl. Lersch 1996, S. 12). 3. Grobstruktur des Lehramtstudiums an der Universität Lettland -
1. Studienjahr: Allgemeine Pädagogik/Erziehungsphilosophie/Pädagogische Praktika/Pädagogik-Projektwochen;
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2./3. Studienjahr: Allgemeine Didaktik/Fachdidaktik/Pädagogische Praktika/Pädagogik-ProjektwochenNertiefung pädagogischer Wahlthemen/Bakkalaureus-Seminare/Ausbildung in der gewählten Fächerkombination;
-
4. Studienjahr: Pädagogische Praktika/Vertiefung FachdidaktiktpädagogikProjektwochen/Bakkalaureus-Seminare/Ausbildung in der gewählten Fächerkombination.
Pädagogikstudium an der Universität Lettlands bedeutet Entwicklung und Festigung eines pädagogischen Problembewußtseins bei den LehramtstudentenInnen sowie Entwicklung und Festigung ihres Ziel-, Situations- und Methoden-
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bewußtseins. Das Endziel des Lehramtstudiums sind LehrerInnen mit sozialer, pädagogischer, fachlicher, instrumentaler und reflexibler Kompetenz (vgl.
E/F/FIE 1993/1994/1995/1996/1997).
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Unternehmen Schule zum Zusammenhang von Wirtschaftlichkeit, Selbstverwaltung und pädagogischem Handeln Von Benediktus Hardorp
I. Lernfeld Schulautonomie Wer Autonomie im Schulwesen will, muß Schule als Unternehmen denken lernen. Diese Einsicht verlangt, daß wir uns mit der Frage befassen, wie das Verständnis von "Schule als Unternehmen", wie Schule als soziales Lernfeld für Eltern und Lehrer, als Gestaltungsfeld für das ganze, zur Autonomie der Einzelschule strebende Schulwesen erschlossen werden kann. Für die Waldorfschulen, die aus der Erfahrung des Verfassers heraus hier als Beispiel dienen sollen, ist Autonomie von Schule zunächst einmal eine ganz gewöhnliche auch leidvolle - Tatsache, denn ohne ausreichende Eigenverantwortung, ohne wenigstens anfänglich gelebte Autonomie würde es diese Schulen gar nicht geben. Es geht bei ihnen also nicht um die Frage, ob sie diese Autonomie bejahen oder nicht; es geht bei ihnen vielmehr um die Frage, wie sie sie verstehen, wie sie an ihr und für sie lernen, wie sie damit leben. Davon sei hier berichtet.
ll. Wirtschaften wird schwer verstanden Schule stellt sich heute mit ihrer wachsenden Eigenverantwortung deutlich auch in das wirtschaftliche Leben unserer Gesellschaft herein und muß sich demgemäß fragen, wie sie damit zurechtkommt, wie sie damit zurechtkommen will. Um darauf sinnvoll einzugehen, ist es zweckmäßig, zunächst unser Verständnis von Wirtschaft grundsätzlich zu hinterfragen und es neu zu greifen. Unsere gegenwärtige Gesellschaft hat in dieser Hinsicht leider einen - für die hier vertretene Sicht - sehr veräußerlichten und daher nur begrenzt brauchbaren Begriff von Wirtschaftlichkeit und von Wirtschaften. Als Student der Wirtschaftswissenschaften lernt man bis heute - bewußtseinsverengend - immer noch, daß es im Wirtschaftsleben z.B. um "Gewinnmaximierung", im und für
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die Unternehmen um den "shareholder value" und ähnliches gehe, daß diese Wissenschaft auf das "rationale" Handeln der Menschen abstelle und daher den Beteiligten von vornherein - aus Gründen wissenschaftlicher Vereinfachung (und wie eine Erfahrungstatsache) unterstelle, daß unter solchem rationalen Handeln ein Handeln verstanden werden müsse, bei dem der einzelne (handelnde) Mensch ausschließlich auf seinen eigenen Vorteil achtet. Wenn alle Menschen sich gleichmäßig an diese "Vorgabe" halten, wird die soziale Welt, so scheint es, berechenbar - und für die Wissenschaft geeignet. Auf solche Berechenbarkeit - mit hohen mathematischen Abstraktionsgraden natürlich - setzt die heutige Wirtschaftswissenschaft; es scheint ihr ganzer Stolz zu sein, so vorzugehen. Sie verliert dabei, so hat man als Unbeteiligter den Eindruck, vor lauter Formeln oft ihr eigenes Objekt aus dem Auge. Man achtet viel zu sehr in diesem Vorgehen auf die innerseelische Befmdlichkeit der Menschen (mit dem Begriff des "Gewinnstrebens") - und hat damit unversehens eine Menge (meist unverstandener) Psychologie in dem praktizierten wirtschaftswissenschaftlichen Ansatz darinnen. Wir können uns hier nicht ausführlicher mit dieser - angeblich notwendigen wissenschaftlichen - Sichtweise der sozialen Welt auseinandersetzen, halten aber dafür, daß sie im Ergebnis das Bewußtsein der Menschen von den vielfältigen Tatsachen des Lebens und ihrem Verständnis eher ablenkt, statt es auf diese hin zu richten, daß es den denkenden Hinblick der Lernenden mehr verengt als erweitert. Der so gewonnenen verengten Begrifflichkeit sei hier entgegengestellt, was wir im folgenden unter "Wirtschaften" verstehen. Wir richten dabei, wie wir meinen, den Blick auf die Tatsachen des wirtschaftlichen Lebens, um sie (selbst) sprechen zu lassen - und dieses Sprechen zu hören.
ill. Wirtschaften ist Füreinandertätigsein Wie sehen diese Tatsachen aus? Menschen schaffen in vielfaItigen Arbeitsprozessen konsumierbare Werte für andere Menschen - und leben ihrerseits selbst von den für sie "wertvollen" Leistungen dieser anderen, die sie im Austausch oder durch intendierte Zuwendung erhalten: das ist der unbestreitbare Grundsachverhalt des modemen arbeitsteiligen Wirtschaftslebens. Menschen und Unternehmen letztere als verfaßte Menschengruppen verstanden - organisieren dieses Füreinandertätigsein durch gegenseitige Beauftragungen (zum Tätigsein) und regeln es - in dementsprechenden Abrechnungsverfahren und -formen - durch Preise, die die Gegenseitigkeit des Handelns und dessen jeweilige Relationen auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck bringen. Rein sachverhaltlich aber - und das sei hier als Wirtschaftsbegriff zugrunde gelegt - geht es in der Wirtschaft um Organisation und "Organisieren des werteschaffenden Füreinandertätigseins von Men-
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sehen" in einem dadurch gebildeten sozialen Zusammenhang (Organismus). Auf die Ausrichtung der dabei selbstverständlich mitspielenden Motive egoistischer oder altruister Art - kommt es erst in zweiter Linie an; auch egoistisch motivierte Menschen handeln nämlich tatsächlich - was sie eher bedrückt - für andere - und leben - was sie für ganz "nonnal" halten - von deren Leistungen. Wenn wir dieses Füreinandertätigsein in der Regel geldweise untereinander abrechnen, so können wir uns doch von vornherein und grundsätzlich klannachen, daß wir immer, wenn wir Geld ausgeben, über Lebensleistungen, über Lebenszeitergebnisse anderer Menschen verfügen. Wenn ein einzelner mit Geld Leistungen erwirbt, so sind sachverhaltlich immer andere Menschen für ihn tätig gewesen, haben ein Stück ihrer Lebenszeit in ihr Werk "gerinnen" lassen als Werte, die sie nun abgeben oder erwerben und für sich ge- oder verbrauchen können. Ob dies im Einzelfall in "verdienter" Weise oder aufgrund bezweifelbarer Methoden des Gelderwerbs geschieht - darauf kommt es zunächst (noch) nicht an. Das Austauschen von Leistungen und dessen Organisation sind hier wesentlich. Dies ist nämlich "Sache" oder Sachverhalt im wirtschaftlichen Leben. Unsere - bei genauerem Bedacht - daraus resultierende Verantwortung für die so für uns leistenden (tätigen) Menschen nehmen wir in der Regel seltener in den Blick; es genügt uns zumeist, daß wir - für unser Bewußtsein - zu recht über "unser" Geld verfügen dürfen. Wir können uns eben "was leisten", setzen unser "Privatvennögen" ein und sind darüber niemandem eine Rechenschaft schuldig - meinen wir gewöhnlich. Dennoch gibt es eine solche Verantwortung natürlich. Sie resultiert einfach daraus, daß andere Menschen für uns tätig sind. Irgendwann führt uns diese "Tatsache" wohl auch durch sich selbst zu der bewuBteren Frage danach, wie wir uns denn selbst in solcher Lage demgegenüber verhalten. Wir versuchen vielleicht zunächst, unser Handeln so einzurichten, daß wir selbst möglichst wenig Leistung geben und trotzdem möglichst viel Gegenleistung vereinnahmen; wir können aber genausogut versuchen (um gleich das andere Extrem zu nennen), möglichst viel zu geben und abzuwarten, was wir dafür selbst erhalten (in der Geschichte haben die Raubritter das eine und die Bettelmönche das andere erprobt!). Je nachdem, ob wir den einen oder den anderen Weg wählen, machen wir (entsprechend) andere Erfahrungen. Wer immer nur nehmen möchte von anderen, isoliert sich im Laufe der Zeit; man wendet sich von ihm ab, geht ihm wohl aus dem Weg. Wer dagegen besonders tüchtig und tätig für andere ist, wessen Leistungen infolgedessen für andere besonders wertvoll werden, der wird nicht mehr so leicht übersehen; er wird statt dessen zunehmend gesucht werden. Die anderen Menschen werden nämlich irgendwann anfangen, sich für Zustandekommen und Voraussetzungen dieser ihnen wertvoll erscheinenden Leistungen zu interessieren - und für deren Hervorbringer. Sie beginnen, sich für den zu sorgen, der erbringt; sie beginnen, ihn schlieBlich auch zu "versorgen". Wer viel für andere leistet, bleibt in der sozia-
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len Welt nicht unbeachtet. In davon unterscheidbarer Weise wird allerdings auch der beachtet, der viele Leistungen von anderen in Anspruch nimmt und sich bei seinen Gegenleistungsverpflichtungen übermäßig zurückhält oder sich ihnen womöglich ganz zu entziehen versucht.
IV. Unser Realeinkommen schaffen andere Wenn wir in unseren Schulen junge Menschen in das Leben unserer Gesellschaft einführen wollen, so sollten wir sie mit den Sachverhalten dieses Lebens bekanntmachen und sie diese verstehen lehren. Sie sind in der Regel aufgeschlossen dafür und bereit, sofort zu verstehen, daß immer andere Menschen für sie zuvor tätig gewesen sein müssen, wenn sie selbst eine wirtschaftliche Leistung empfangen, und daß dasjenige, was leistungsmäßig wiederum von ihnen ausgeht, anderen hilfreich sein, anderen nützen muß und soll. Eine Leistung wird im Wirtschaftsleben um so besser bewertet, je mehr sie den Bedarf des anderen trifft und ihm nützt. "Womit kann ich dienen?" - das ist die richtige (und tatsächlich oft gebrauchte) Grundfrage des wirtschaftlichen Lebens. Wer dauernd nur an seinen eigenen Erwerb denkt - während er für andere tätig ist, kann sich schlechter auf den Bedarf seiner Abnehmer, seiner Kunden, seiner ,,zielgruppe" konzentrieren. Er steht sich - beim Leisten - selbst ein Stück im Weg. Lehren wir junge Menschen also - nachdem wir es selber so sehen und machen gelernt haben -, auf den Prozeß des werteschaffenden Füreinandertätigseins von Menschen im Wirtschaftsleben zu achten, so verstehen sie rasch, daß sie in diesem Gesamtzusammenhang um so besser leben, je leistungsfähiger für andere sie selbst werden. Sie tragen durch ihre Zuwendung ja dazu bei, daß auch die anderen ihrerseits leistungsfähiger werden, so daß das Gesamtprodukt der werteschaffenden Tätigkeit von Menschen für andere Menschen - die Gesamtwertschöpfung, das Sozialprodukt der Gesellschaft - wächst. Denn wenn die Gesamtsumme der geschaffenen Werte zunimmt, kann letztlich auch mehr unter den Beteiligten, den "Gesellen", verteilt werden, sind bessere Voraussetzungen für Einkommenszuwendungen, Einkommenswidmungen an die Mitglieder dieser werteschaffenden Gesamtgemeinschaft gegeben, als wenn der Stil des (unvermeidlichen) Füreinandertätigseins arbeitender Menschen von innerer Zurückhaltung, vom Motiv der "Bezahlung", des Erhaltenwollens, nicht vom Motiv des Gebenkönnens und Gebenwollens bestimmt wird; ersteres wirkt dann bremsend auf die initiative Kraft. Es ist ja eine "Binsenwahrheit": Wenn eine Gruppe von Menschen - als Unternehmen organisiert - initiativ ist und viel Wertschöpfung bewirkt, so kann sie in der Folge auch mehr Einkommen bilden. Und was für ein einzelnes Unternehmen gilt, gilt genauso für eine Volkswirtschaft, gilt für die Weltwirtschaft, die Menschheitswirtschaft.
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V. Schule - eine Investition höherer Art Auch das Unternehmen Schule steht in diesem Leistungszusammenhang des Füreinandertätigseins und seiner gesellschaftlichen Organisation darinnen und bewirkt letztlich selbst wirtschaftliche Leistungsfähigkeit - auch wenn diese im Leben der Schüler erst phasenverschoben sehr viel später wirksam wird. Schule kann ihre Leistungen nicht unmittelbar und nicht zeitgleich mit den ihnen entsprechenden Gegenleistungen anderer tauschen, weil sie zunächst Leistungsfähigkeit veranlagen muß und veranlagt, die erst nach längeren Zeitphasen in konkrete (wirtschaftliche) Wertschöpfungsleistungen einmündet, d.h. konsumierbare Werte hervorbringt. Schule kann man insofern gesamtgesellschaftlich als einen Investitionsprozeß höherer Art verstehen, wenn man ihn wirtschaftlich - was nicht alles ist - begreifen will. Investitionen haben immer eine Wagnisseite; sie können kleine oder große Ergebnisse bewirken. Man kann das im Zeitpunkt der Investition - insbesondere im Bildungswesen - zwar mit Erwartungen begleiten, aber die späteren Ergebnisse noch nicht rechenhaft überschauen. Darum ist hier der Stil der freigebigen Zuwendung der älteren an die jüngere Generation wirtschaftlich sinnvoll und effektiv; das Leben sorgt wohl doch - ohne übertriebene Verwaltung - für den sachgerechten Ausgleich. Denn die Folgen von Leistungen und Zuwendungen bleiben ja im sozialen Organismus erhalten (und wirksam). Schulen und Lehrer dürfen ihre Leistungen für ihre Schüler nicht kurzfristig an Gegenleistungen wirtschaftlicher Art (oder an der "Bezahlung" durch ihre "Kunden") orientieren - aber an deren Bedarf. Sie können ihre Leistungen daher sinnvoll nur als gesellschaftlich-unternehmerischen Investitionsprozeß begreifen. Schule ist ein Unternehmen höchst investiver Art mit langfristigen Investitions- und Ausgleichsfrequenzen ("return on investment"). Dem ist die Finanzierungsform der Widmung (Schenkung) angemessener als die der Leihe. Die Volkswirtschaftslehre hat im übrigen längst gelernt, die Ertragsformen dieser Widmungen, den ökonomischen Effekt solcher Investitionen gesamtgesellschaftlich auch zu rechnen.
VI. Innengesteuerte Sozialgebilde sind autonom Nach diesem Blick auf das, was wir unter Wirtschaft sinnvollerweise verstehen können, müssen wir uns mit Phänomen und Begriff der Autonomie auseinandersetzen. Wann liegt im sozialen Leben Autonomie vor, wann ist ein soziales Gebilde autonom? Man kann darauf eine einfache und grundsätzliche Antwort geben: wenn eine soziale Gruppe im wesentlichen innengesteuert arbeitet. Es gibt soziale Gebilde, die im Rechtsverständnis (und tatsächlich) von außen gesteuert werden (man spricht dann z.B. von Schulen als "Anstalten" ohne eigene Rechtspersönlichkeit). Man kann andererseits aber auch auf soziale Gebil-
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de schauen, die Willen, Verantwortung und Befugnis zum Handeln in sich selbst hereingenommen, in sich selbst integriert haben, die sich etwas "herausnehmen", etwas unternehmen und insoweit innengesteuert erscheinen; man spricht dann von "Unternehmen". Unternehmen sind überwiegend (nicht völlig) innen gesteuert verfaßte soziale Gebilde. Kein soziales Gebilde lebt ganz für sich und könnte völlig autonom sein. Es ist zwar eine eigene (Innen-) Welt aber nie eine Welt für sich. Autonomieentwicklung ist daher mehr als ein Prozeß zu verstehen, der von einer ursprünglichen Außen steuerung sozialer Gebilde zu deren zunehmender Innensteuerung führt. Und dies erscheint für das Schulwesen der gegenwärtigen Gesellschaft ein sinnvolles und aktuelles Ziel zu sein. Um die zunehmende verantwortliche Innensteuerung von Schule geht es bei unserem Themenfeld "Autonomie". Sie will verstanden sein - und muß gelernt werden. Sie erfordert Mut. Wie lebt nun Autonomie einer sozialen Gruppe im einzelnen, wie kann man sie näher beschreiben? Nach meiner Erfahrung, die an anderer Stelle bereits ausführlicher dargestellt wurdel , kann man von sechs sozialen Grundprozessen sprechen, die zur Autonomie eines Unternehmens führen. Es sind zunächst drei aktiv gestaltende Prozesse und drei mehr die bestehenden sozialen Gebilde und ihre gegenseitigen Verhältnisse pflegende und erhaltende Prozesse. Wir wollen sie kurz skizzieren.
VII. Drei aktiv-gestaltende Autonomieprozesse Jede Autonomiebildung beginnt zunächst damit, daß eine Gruppe von Menschen sich in einem gemeinsamen Ziel findet. Man entdeckt in der Geburtsstunde sozialer Gruppen, daß trotz ganz individueller persönlicher Initiativentwicklung aller einzelnen sich gerade in den dabei jeweils individuell deutlich sich herausbildenden Initiativ-Zielen der Beteiligten eine Art "Schnittmenge" dieser Initiativen, eine Art gemeinsame (geistige) Zielmenge gefunden werden kann. Sie erwärmt die Beteiligten zur ersten Gemeinsamkeit einer Problem- oder Aufgabensicht und setzt damit die ersten ZielfindungsschriUe für das gemeinsame Vorhaben in Gang. Nennen wir das Gemeinte den Ziel[indungsprozeß des Unternehmens. Er bildet sich in der Regel im Zweckparagraphen (einer Vereinsbildung zum Beispiel), im "Gegenstand des Unternehmens" (in einem Gesellschaftsvertrag etwa) rechtsförmlich ab. Die Beteilig1 Vgl. vom Verfasser: ,,Elemente einer sozialen Baukunst" in: Der Mensch in der Gesellschaft. Stuttgart 1977; auch in: E. KapplerlTh. Knoblauch: Innovationen - Wie kommt das Neue in die Unternehmung? Gütersloh 1996, S. 153 ff.
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ten werden Mitglieder, Mitunternehmer oder Mitgesellschafter an diesem, durch ihre Zielsetzung definierten Unternehmen; jeder Beteiligte findet sein Ziel im gemeinsamen Ziel der Gruppe wieder. Hat dieser Zielfindungsprozeß zu einem festgestellten, formulierten Ergebnis geführt, so beginnt man sogleich danach deutlich zu bemerken, was einem noch alles für die Umsetzung dieses Zieles an Kompetenz fehlt. Man muß jetzt lernen, die Mittel und Fähigkeiten zu erwerben, die man für die Verwirklichung des alle Beteiligten motivierenden, vielleicht sogar begeisternden Zieles braucht. Die Gruppe wird ein lernendes System - und gerade das macht sie selbständig, macht sie ihrer Umwelt gegenüber autonomer. Wir können von einem gemeinsamen sozialen Lernprozeß sprechen, der auf den Zielfindungsprozeß (notwendig) folgt. Dieser Lernprozeß bedeutet, nicht nur als einzelner für sich etwas zu lernen, sondern als ganze Gemeinschaft, als soziales System, dazuzulernen und das so Gelernte dann in einen daraus folgenden gemeinsamen Leistungsprozeß einzubringen. Damit bekommt die Sache wiederum eine deutlich andere, neue Qualität. Jetzt kommt es nicht mehr darauf an, was man "beabsichtigt", was man "möchte" - und ob es gut oder schön ist, sondern darauf, was man kann. Die Gruppe verpflichtet sich gegenüber Dritten, etwas Bestimmtes zu leisten. Eine neugegründete, innovativ ansetzende Schule verspricht vielleicht, etwas Neues in das Feld des Unterrichtens, in das Leben von Schule und Erziehung einzubringen, es aber mindestens gleichwertig dem bisher Vorhandenen gegenüber zu machen: So lautet daher auch die Verfassungsvoraussetzung für Freie Schulen nach Art. 7 Abs.4 GG. Erbrachte Leistungen werden vom Abnehmer überall genau darauf geprüft, ob sie halten, was versprochen wurde. Hält eine industrielle Leistung nicht, was sie versprach, so sieht sich das Unternehmen Garantieverpflichtungen gegenüber Kunden ausgesetzt oder mit Mängelrügen und Schadensersatzforderungen konfrontiert. Im Bereich der Pädagogik sind die Folgen von guten oder schlechten Leistungen in der Sache - im Schicksal der Schüler - wohl noch viel weitgehender, wenn sie auch schwerer festzumachen und in ihren Folgen zu werten sind. "Rückrufe" sind ja auf diesem Felde nicht möglich! Wir haben - in aller Kürze - damit den dritten Prozeß - den des Leistens - benannt, der mit den vorgenannten Prozessen zusammen eine soziale Gruppe in ein selbstbestimmtes, lernendes, leistendes Leben führt, sie autonom und selbständig macht.
VID. Drei pflegend-erhaltende Autonomieprozesse Diesen drei aktiven Prozessen - der Zielfindung, des Lernens, des Leistens stehen drei andere Prozesse mehr "hörender", erhaltender, pflegender, stützender Art gegenüber. Dem Leisten steht das Aufnehmen, dem Abnehmen der Leistungen steht das Hinblicken auf das, was vom Leisten ausgeht, was dessen Qualität ist, gegenüber. Das "Echo" auf das Leisten interessiert jetzt. Ein Un-
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ternehmen muß die Wirkungen seiner Leistungen genau beobachten, ihr ,,Echo" seiner Quintessenz nach annehmen und als Anregung zu künftiger Leistungsverbesserung entsprechend berücksichtigen. Man spricht in der Industrie vielleicht vom "Marketing", von ,,Rückkoppelung". Im Bildungswesen wird solches Hören (der Schule) auf die Wirkung ihrer Leistungen noch viel wichtiger, weil sich Lebensspuren bildsam in das Wesen der Schüler einprägen, weil sich Fähigkeiten - oder mangelndes Können (auch das ist prägend) - so bilden. Der Lehrer selbst erlebt schon noch in der Schule das Echo der Schüler; der Busfahrer im Schulbus bemerkt eine andere Seite davon, die Eltern hören das Schulecho beim Mittagstisch, am Nachmittag erreicht es die Freunde und die soziale Umgebung. Schule teilt sich sehr rasch über ihre Schüler der Welt mit. Sie muß daher ungeheuer interessiert daran sein, dieses Echo sorgfaItig zu vernehmen, zu verstehen und es in sich aufzunehmen. Nur dadurch kann sie ihre Leistungen bestätigt finden, beurteilen - und für die Zukunft korrigieren. Wir können hier von einem Prozeß des sozialen Hörens sprechen, der eine Art sozialer Rückkoppelungsprozeß ist und das Auffangen der Wirkungen, die von den eigenen Leistungen ausgehen, das Echo der sozialen Umwelt auf diese Leistungen meint. Von ihm kann ungeheuer viel Anregendes ausgehen. Der nächste Prozeß kann als soziales Haushalten bezeichnet werden. Was ist damit gemeint? Ein Unternehmen kann auf Dauer in der Gesellschaft nur sicher leben, wenn es weiß, woher die Leistungen stammen, die es als Voraussetzungen seines eigenen Leistens und Lebens braucht. Woher kommen die Vorleistungen, die Rohstoffe, die wir verarbeiten? Welche Menschen haben uns vorgearbeitet, wie leben sie? Wie kommen andererseits unsere Umsätze zustande, die uns die Geldmittel für unsere weitere Existenz verschaffen, die uns fähig machen, den an unserem Werk Mittätigen ein (geldweises) Einkommen zuzuwenden? Woher kommen zudem die Finanzmittel- die kurzfristigen (Kredite) oder die langfristigen Widmungsmittel (Anleihen, Kapital z.B.) - , mit denen wir unsere Investitionsvorhaben finanzieren? Was macht die Menschen bereit, uns ihre (ersparten) Mittel auf Zeit zur Verfügung zu stellen oder unsere Leistungen abzunehmen und sie zu bezahlen? Wie gehen wir mit den uns so verfügbar werdenden Mitteln im Unternehmen um? Wenden wir im Umgehen mit ihnen die erforderliche Sorgfalt auf? Machen wir uns immer klar, daß wir, wenn wir etwas kaufen, über Leistungen anderer Menschen, über ein Stück von deren Lebenszeit verfügen? Wir leben ja niemals vom Geld selbst, sondern immer von dem, was wir für "unser" Geld erhalten; Geld ist immer nur "Tauschmittler", ist eine Zwischenform, die vielfaItige Leistungsaustauschprozesse untereinander abrechenbar macht, ist eine Art "volkswirtschaftlicher Buchführung'", die den Beteiligten ein ausreichendes Bewußtsein über den 2
Vgl. R. Steiner: Nationalökonomischer Kurs, GA 340, 12. Vortrag.
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Stand der Dinge verschaffen kann; wir legen daher Rechnung in Geldwerten (Wertmessungsfunktion des Geldes). Mit diesem Haushalteprozeß müssen wir umgehen lernen, wenn wir sozial autonom bleiben wollen, wenn wir uns unsere Selbständigkeit als Gruppe - als Unternehmen - auf Dauer erhalten wollen. Schließlich muß noch ein sechster Prozeß ins Auge gefaßt werden: das soziale Formgeben. Die Selbständigkeit eines sozialen Gebildes drückt sich für die soziale Umwelt unter anderem in seiner Rechtsform, in der dabei entstehenden Rechtsgrenze und eigenen Rechtsfähigkeit - z.B. in der Figur einer ,juristischen Person" - aus. Wir können als körperschaftlich verfaßte juristische Person selbständig sein, wir können es auch in der Gemeinschaftsform der Gesellschaft (im Sinne des bürgerlichen Rechts z.B. oder des Handelsrechts - als GbR oder ORG, KG etc.). Die Rechtsform ist aber nur eine deutliche Außengestalt des hier gemeinten Prozesses. Der Stundenplan einer Schule, die Regelung der Aufsicht auf dem Schulhof, das Aufeinanderabgestirnmtsein der kollegialen Beiträge, die nur zusammen die Bildungs- und Erziehungsleistung der Schule für ihre Schüler bewirken (als späterer Bildungswert von Schule): Alles das bedarf der ausreichenden Form, der verpflichtenden Vereinbarung. Die Schulgebäude stellen auf ihre Weise auch ein solches Formelement dar. Die Grenze des Grundstücks, die Einteilung der Wege und Flächen, der Zaun um das Schulgrundstück machen deutlich: Außen herrschen andere Gesetze als innen; hier innen ist etwas (von uns) Bestimmtes "zu Recht" geworden. Wer als Fremder das Schulgelände betritt, unterwirft sich den Regeln, die hier gelten (müssen). Die Formgebungskraft eines Sozialgebildes grenzt es deutlich und erlebbar gegenüber der sozialen Umwelt ab und formt es selbst durch. Wir haben den sechsten Prozeß damit beschrieben.
IX. Die "sieben Sachen" unternehmerischer Autonomie Ein weiterer kommt hinzu, der darin besteht, daß aus den genannten sechs Grundprozessen die individuelle Form ihres Zusammenklangs zu diesem einen Unternehmen entsteht, daß das Ganze gelingt. Jedes Unternehmen unterscheidet sich von anderen Unternehmen dadurch, daß es seine eigene individuelle Zielsetzung hat - auch wenn sie ähnlich sein mag der eines anderen Unternehmens. Keine Schule ist im Grunde genommen wie die andere, kein Unternehmen ist nur die Kopie eines anderen, weil sich in ihnen jeweils andere Menschen arbeitend verbinden, weil ein anderer Geist sie beflügelt. Wie der Leistungsprozeß eines Unternehmens und der Prozeß des Haushaltens miteinander verbunden sind, das charakterisiert zugleich die besondere Individualität dieses Unternehmens. Ein Industrieunternehmen darf z.B. fragen, ob der Kunde zahlungsfähig ist - und wann er zahlt. Ein Krankenhaus dagegen muß einen Ver13 FS Vogel
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letzten oder einen Hilfsbedürftigen aufnehmen und darf so gerade nicht (zuerst) fragen, weil es sich sonst wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen würde. Seelsorge wiederum kann man nicht mit einer Honorartabelle unter dem Arm beginnen; bei Bankleistungen dagegen wird niemand daran Anstoß nehmen. Das Koordinieren der sechs Grundprozesse ist, wie wir daraus erkennen, wiederum ein besonderer Prozeß für sich, der die sechs Grundprozesse harmonisiert und sie zu einem Ganzen macht. Man kann ihn daher den Prozeß der Koordination nennen. Alle Prozesse sind nicht so zu verstehen, daß sie bestimmten Menschen (Ämtern) zugeordnet werden (müßten), die sie für die anderen übernehmen und die andere so davon ausschließen. Im Gegenteil: Je mehr es gelingt, die gemeinten Prozesse in allen Beteiligten Menschen lebendig zu halten, um so gesünder wird sich die Autonomie des Unternehmens, seine unverwechselbare Form, entwickeln. Wenn bestimmte Funktionen bestimmten Menschen übertragen werden, so muß deren verantwortliche Sorge sein, wie sie die anderen in ihren Verantwortungsprozeß hereinnehmen können - nicht, wie sie diese davon ausschließen3 • Gerade die Fehler, die auf diesem Felde gemacht werden, belegen das Gesagte, machen es deutlich.
X. Individualitätsfördernde Wirkung schulischer Autonomie Wir haben so ein Stück weit präzisiert, was eine Schule zu einem Unternehmen macht, wodurch sie Autonomie gewinnt. Alle Schulen sind auf dem Wege zu ihrer Unternehmensgestalt; ein Teil von ihr ist bereits im Heute angekommen; ein wesentliches Stück des Zieles bleibt jedoch immer in der Zukunft! Je mehr Zielsetzungskraft. Lernwille. Leistungsvermögen im Unternehmen auftritt, je mehr Höifähigkeit auf das Echo, je mehr Sinn für den Wert der Leistungen anderer Menschen undje mehr die Verantwortung für den Umgang mit solchen Leistungen im Haushalten ausgebildet wird, je deutlicher das Ziel des Ganzen auch in seinen äußeren Formen zum Ausdruck kommt, desto kräftiger und deutlicher wird die Autonomiegestalt des Unternehmens Schule - letztlich jedes Unternehmens - erkennbar. Wer sich als Lehrer (oder Elternteil) einer Schulgemeinschaft eigene soziale Selbständigkeit im Urteilen und Handeln in diesem individualitätsfördernden Autonomieprozeß erwirbt, der kann auch andere - die Schüler - lehren, selbständig zu werden, der kann selbständige Persönlichkeiten in seinen Schülern heranbilden, der kann sie zur Freiheit erziehen. 3 Vgl. vom Verfasser dazu den Aufsatz: "Strukturelemente sozialen Bauens" in: DIE DREI 1997, S. 735 ff.
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Daß dieser Prozeß heute überall so deutlich ergriffen wird, kann Hoffnung für das künftige Leben der Gesellschaft erwecken.
XI. Rechnungslegung und schulische Autonomieerfahrung Blicken wir zum Schluß noch einmal anders auf die wirtschaftliche Dimension von Schule zurück: Sie lebt - wie wir uns vergegenwärtigt haben - von Leistungen anderer, sie leistet selbst für andere. Wie sich dieses schulische Leben in Etappenschritten ausbreitet, wie es in solchen Etappen bewußt gemacht werden kann, das kann uns z.B. die doppelte Buchführung als Rechenschaftslegungsform sozialer Gebilde erfassen helfen. Sie ist vor gut 500 Jahren, zum Beginn des 15. Jahrhunderts, im Renaissance-Zeitalter, als neue Bewußtseinsform gesellschaftlichen Lebens und gesellschaftlicher Prozesse entwickelt worden. Die berühmte Abhandlung des Franziskanerpaters Luca Pacioli über die doppelte Buchhaltung - erschienen 1494 in Venedig4 - legt dafür ein beredtes Zeugnis ab. Es war ein pädagogisches Buch für das kaufmännische Leben der damaligen Zeit, das aber in seinem Grundanliegen heute so aktuell ist wie damals. Warum? Was lehrt uns diese doppelte Buchführung? Wir erfassen das Leben eines sozialen Gebildes in einem bestimmten Zeitpunkt, in dem wir für dieses - und für diesen bestimmten Tag - eine Bilanz aufstellen. Alles, was das Unternehmen an Mitteln und Vermögenswerten hat, wird auf der Aktivseite dieser Bilanz verzeichnet; alles, was es an Verpflichtungen hat, was es anderen verdankt, worin es anderen noch verschuldet ist, das Fremdkapital, verzeichnet man auf der Passivseite. Die Passivseite der Bilanz weist aber zugleich auch aus, wieweit das Unternehmen sich schon von früheren Schulden (durch Gewinnerzielung) "entpflichtet" hat, wieweit es bereits entschuldet ist: Das Maß des selbstgeschaffenen Eigenkapitals (die Gewinnrücklagen) zeigen dies. Die Bilanz ist - mathematisch gesehen - ja eine Gleichung, deren unbestimmtes Feld, das gesuchte "X", im Eigenkapital liegt. Dieses Kapital bildet - mit den Ausdrucksmitteln der Rechnungslegung - den Eigenverantwortungsbereich des Unternehmens ab, es kennzeichnet das Ausmaß, in dem es (bis jetzt) gelungen ist, Verpflichtungen in Entpflichtungen überzuführen, Schulden zu tilgen, Freiraum des Handelns und Entscheidens damit zu erobern. Der Eigenkapitalbereich der Bilanz bildet nichts mehr von Weltverhältnissen ab - wie die Aktivseite der Bilanz dies tat - ; er bildet auch nichts an 4 Luca Pacioli: Abhandlung Uber die Buchhaltung. Stuttgart (poeschel) 1933, 1968 (und Neuauflagen).
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sozialer Verpflichtung, an sozialer Relation ab - wie die Verbindlichkeiten auf der Passivseite dies tun - ; er zeigt vielmehr das Ergebnis der geistigen Kontigurationskraft, die in diesem Unternehmen, das Unternehmensgeschehen und das Unternehmensvennögen gestaltend, es ordnend, wirksam war und wirksam ist. Wer über die Eigenart des Eigenkapitalpostens in der Bilanz nachdenkt, bemerkt, daß dieser Bilanzbereich nichts außen Befindliches, weltlich Vorhandenes mehr abbildet (schon gar keine "Summe Geld"). Es gibt keinen Aufbewahrungsort ("Tresor") im Unternehmen für das Kapital - es sei denn, man sieht das Unternehmen im ganzen; im Tresor wird vielmehr nur das "bare" Geld aufbewahrt - und das ist demzufolge auf der Aktivseite der Bilanz verzeichnet. Das "eigene" Kapital stellt man gerade dadurch fest, daß man alle anderen Posten der Bilanz - Anlagevennögen, Umlaufvennögen abzüglich Schulden - richtig abbildet und bewertet und daß man dann aus ihnen die "Summe" - wie die Lösung einer Gleichung - zieht. Im Eigenkapitalbereich wirkt die Kraft, die alles andere im Unternehmen so geordnet und gefügt hat. Das Eigenkapital ist, wie Pacioli es fonnuliert hat, "der Zufluchtsort" aller anderen Bilanzbereiche und Konten. Es wächst, wenn die in und mit ihm wirksame unternehmerische Kraft groß ist und sich den Gegebenheiten der Welt und des Unternehmens im Leben erfolgreich gewachsen zeigt; das Unternehmen arbeitet dann mit "Gewinn". Es wird dagegen weniger, es schwindet in seiner Substanz, wenn diese Kraft nachläßt; das Unternehmen macht dann "Verlust". Gewinn und Verlust weisen die Veränderungen des Eigenkapitalbereiches - als Folge unternehmerischer Stärke oder Schwäche des Handeins (im Vergleich zu den Gegebenheiten) - auf. Das Eigenkapitalkonto bildet Prozeßhaftes, Wirkendes ab; Kapital ist letztlich wirksames Agens, ist wirksamer Geists.
Xll. Buch-Führen als schulische AufgabensteIlung Eine Bilanz bildet also einerseits eine gewordene Situation ab - sie macht aber zugleich auch eine AufgabensteIlung für die im Unternehmen zusammengeschlossene Menschengruppe deutlich. Von Bilanz zu Bilanz geht der Weg der diese Bilanzen verbindenden Erfolgsrechnung - der Rechnung, die das Entstehen von Gewinn und Verlust aufzeigt. Aus der Zeitpunktrechnung der Bilanz und der Zeitraumrechnung der Ergebnisrechnung (Gewinn- oder Verlustrechnung) setzt sich der "lückenlose" Bewußtseinsprozeß des Haushaltens, der Prozeß der vollständigen kaufmännischen Rechnungslegung des Unternehmens zusammen. Diese Rechnungslegung ist selbst ein Instrument für SelbS
Vgl. "Was ist Kapital ... ?" in: DIE DREI 1997, S. 336 ff.
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ständigkeit, für Selbstverantwortung. Wer Selbstverwaltung in der Gesellschaft will, wer autonome Gebilde begründen und bewiIken will und die Gesellschaft insgesamt dadurch stabiler konstituiert sieht, der bedarf dafür des Mittels dieser Rechnungslegung, der muß ..Buch zu führen" bereit sein für und über das, was er tut, damit er nicht nur selbst weiß, wo er steht, sondern damit er es auch anderen darlegen, es sie lehren kann 6 • Rechnungslegung, Bilanzierung ist eine bewußte Ortsbestimmung im Schicksalsgang eines autonomen sozialen Gebildes - gleichgültig, ob es sich um ein Industrieunternehmen oder um eine Schule handelt. Beide brauchen es, um zu verstehen, woher sie kommen, wo sie jetzt stehen und wohin sie gehen; beide brauchen es zum Verständlich machen der Bedeutung dieses Unternehmens für seine soziale Umwelt. Beide müssen sich in diesem Sinne Rechenschaft geben und ihr je eigenes Lebens-Buch führen lernen; die Schule muß solche Buchführung in Zukunft als Bestandteil allgemeiner menschlicher Bildung auch lehren7 • Buchführung in diesem Sinne gehört zur praktischen Allgemeinbildung aller, die selbständig in der Gesellschaft wirken wollen. Autonomie kann es nur geben, wenn wir sie in die Hand nehmen, wenn wir sie als sinnvollen Prozeß unseres Lebens erkennen und ergreifen. Autonomie kann man nicht, wie man manchmal hört, ..gewähren"; man muß sie selber - ..allen Gewalten zum Trutz" - wollen. Schule muß dies zuerst für sich selbst verstehen und selber damit umgehen lernen, wenn sie deren Substanz der nachwachsenden Generation vermitteln will. Wer das Wagnis der Selbständigkeit selbst nicht auf sich nehmen will, kann auch kein Zeuge für sie sein, kann sie andere nicht lehren wollen. Autonomie ist am Ende immer Selbstverpflichtung und Tat.
6 Vgl. das Gespräch von Werner und Wilhelm hierüber in Goethes "Wilhelm Meister's theatralischer Sendung", 2. Buch, 8. Kapital, in dem Goethe die doppelte Buchführung als ..eine der schönsten Erfindungen des menschlichen Geistes" bezeichnet. 7 Vgl. BraterlMunz: Die pädagogische Bedeutung der Buchführung. Stuttgart 1994; oder vom Verfasser den Aufsatz ,.Lebensorientierung durch BuchfUhrung?" in: DIE DREI 1994, S. 1.007 ff.; auch in: E. KapplerlT. Scheytt: Unternehmensführung - Wirtschaftsethik - gesellschaftliche Evolution. GUtersloh 1995, S. 281 ff.
Der Bildungsgutschein Finanzierungsmodell für ein freies Bildungswesen Von Mathias Maurer
I. Einführung Auf den Namen Johann Peter Vogel stieß ich erstmals im Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt1 , das sich mit neuen Formen der Bildungsfinanzierung, insbesondere mit der im anglo-amerikanischen Raum verbreiteten Idee des Bildungsgutscheins (education voucher) befaßte? Es handelte sich um einen schon damals 20 Jahre zurückliegenden Beitrag in einer pädagogischen Fachzeitschrift.3 Darin skizziert Vogel auf dem Hintergrund der bundesrepublikanischen Reformbestrebungen im Bildungsbereich - man erinnere sich an die Empfehlung des Deutschen Bildungsrates Anfang der 70er Jahre, "die öffentliche Verantwortung für das Bildungswesen und die Bildungsfinanzierung grundsätzlich voneinander unabhängig zu machen,,4 - die möglichen Vor- und Nachteile eines gutscheinfinanzierten Schulwesens. Der Gutschein stand als Synonym für freie Schulwahl, fmanzielle Autonomie der einzelnen Schule, Stärkung der elterlichen Rechte, nachfrageorientierte Bildungsangebote, dezentralisierte Schulverwaltungen, schließlich sogar für gerechtere Chancengleichheit. Auf der anderen Seite wurde befürchtet, daß der Kommerzialisierung eines "geschützten" Grundrechtes Vorschub geleistet, elitäre Bestrebungen der Schulen sich Bahn brechen würden, Auslese die Chancengleichheit unterminieren, ja elterliche Pressure Groups, die einzelne Schulen drangsalierten könnten. - Freilich gingen die Gutscheinbefürworter von einem völlig anderen Begriff 1 Ein Forschungsprojekt im Auftrag des Bundes der Freien Waldorfschulen, inzwischen veröffentlicht: M. Maurer, Der Bildungsgutschein - Finanzierungsverfahren für ein freies Bildungswesen. Stuttgart 1994. 2 Am bekanntesten: M. Friedman, Kapitalismus und Freiheit. Stuttgart 1971. 3 J. P. Vogel, Der Bildungsgutschein. Eine Alternative der Bildungsfinanzierung, in: ,.Erziehungskunst", 11/1972, S.443 ff., und 12/1972, S. 484 ff.; zuvor erschienen in ,,Neue Sammlung" 6/1972. 4 Deutscher Bildungsrat, Strukturplan für das Bildungswesen. Stuttgart 1970, S. 260.
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von Chancengleichheit aus, den man als einen bildungspolitischen Paradigmenwechsel bezeichnen könnte: Chancengleichheit nicht durch die ungenügende Verteilung knapper Steuermittel nach dem Gießkannenprinzip, sondern die gezielte individuelle Förderung des einzelnen Nachfragenden. Der Grad der Chancengleichheit wird dabei nicht gemessen an dem, was eventuell von Angebotsseite alles unterlassen oder getan werden könnte, um Ungleichheiten zu verhindern, sondern daran, ob die besonderen Begabungen, Bedürfnisse auf der Nachfrageseite realisiert werden können. Der Bildungsgutschein ist - abgesehen von Beiträgen in einschlägigen Fachzeitschriften und gelegentlichen Zeitungsartikeln - nie wirklich in das Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt. Doch die Zeiten haben sich geändert: Heute werden Alternativen zum staatlichen Schulehalten um so diskussionswürdiger, je stärker der Rotstift in den öffentlichen Haushalten angesetzt wird. Doch ist in dieser Hinsicht die zur Zeit diskutierte Budgetautonomie der Einzelschule nicht als ein Ausdruck liberaler Tendenzen in der Bildungspolitik zu verstehen, sondern die schlichte Erfahrung lehrte: Das subsidiäre und selbstverwaltete Organisationsprinzip rechnet sich einfach "billiger". Amerikanische Studien weisen z.B. nach, daß die von staatlicher Bürokratie weitgehend entlasteten Privatschulen mit geringeren Finanzmitteln (z.T. nur ein Drittel der staatlichen Ausgaben pro Schüler) mindestens gleichwertige Ergebnisse erzielen wie staatliche. s Nach dem Forschungsbericht 1996 des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF)6 und dem Gesamtjahresabschluß des Bundes der Freien Waldorfschulen 1995 7 liegen z.B. die Kosten pro Schüler an deutschen Waldorfschulen im Schnit( um 15 Prozent unter den entsprechenden Ausgaben pro Schüler von Gymnasien und Gesamtschulen. Das Reizthema "Gutschein" erhitzte bildungsbürokratische Gemüter wohl auch deshalb so stark, weil es an manche Grundfesten des wohlfahrtsstaatlichen und bildungspolitischen Common Sense rüttelte. Doch dürfen Schlagworte wie freier Markt, Wettbewerb, Kommerzialisierung, Bildung als Ware, "der Kunde ist König", das "Aus" für die Chancengleichheit, Eliteschulen usw. nicht davon abhalten, die Grundidee als solche hinsichtlich ihrer konkreten Ausgestaltungsmöglichkeiten zu bedenken und nach Möglichkeiten Ausschau zu halten, 5 Vgl. B. S. Cooper/A. Gargan. Das amerikanische Privatschulwesen und seine neuere Entwicklung, in: Bildung und Erziehung, 2/1997, S. 206. 6 R. Haug, Schulausgaben im Vergleich VI, DIPF. Frankfurt 1996. 7 Waldorfschulen 1997 - Wie wirtschaftlich sind sie? Zur wirtschaftlichen Lage und Entwicklung der Freien Waldorf- und Rudolf-Steiner-Schulen in der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart, Mannheim 1997.
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wie sie "sozialverträglich" umgesetzt und befürchtete Folgen kompensiert werden könnten. In der bisherigen Diskussion ging es in erster Linie nicht um das Recht auf freie Schulwahl, das der Nachfrager mit entsprechender Kaufkraft mittels Gutschein auch fmanziell durchsetzen könnte - die freie Schulwahl wird in den meisten europäischen Ländern von Gesetzes wegen nicht unterbunden -, sondern darum, daß der Nachfrager selbst dariiber entscheiden soll, wohin die Gelder im Bildungswesen fließen sollen. Damit trifft der Gutscheingedanke einen empfmdlichen Nerv staatlichen Selbstverständnisses vom Schulehalten, müßte er doch auf seine finanzielle Verfügungs- und Verteilungsmacht verzichten. Denn die fmanzielle Souveränität des Bildungs-,,Nachfragers" kann sich nur darin ausdrücken, daß er der Schule seiner freien Wahl einen Leistungsauftrag samt den nötigen finanziellen Mitteln übergibt. Freie Schulwahl an sich würde ins Leere laufen, wenn sie gleichzeitig nicht auch über ein adäquates finanzielles Instrumentarium verfügen würde. Die Idee des Bildungsgutscheins lebt nicht im "luftleeren" Raum einer marktwirtschaftlich orientierten Dienstleistungsgesellschaft. Bildungsprozesse sind allokativ nicht zu fixieren, Bildung ist keine Ware, Lehrer, Schüler, Eltern keine Produktionsmittel. Der Bildungsgutscheingedanke im Bildungswesen steht vielmehr in einer historisch nachvollziehbaren, gesamtgesellschaftlichen Entwicklungslinie - zumindest in Deutschland - vom verwalteten zum mündigen Bürger, die ihre Parallele im finanziellen staatlichen Monopol, über die Einzelschule mit Budgethoheit bis hin zum "kaufkräftigen Bildungskonsumenten" hat. Insofern stellt dieser Gedanke eine konsequente Weiterentwicklung einer über eine staatliche Umverteilung von Steuergeldern, dann über Pauschalbeträge oder Defizitdeckungsverfahren an die einzelnen Schulen, schließlich über den einzelnen Bildungsnachfrager über ein Gutscheinsystem gesteuerte Finanzierungsform dar. Gegenwärtig befinden wir uns in einem labilen Übergangsstadium, weil das staatliche Bildungswesen sich selbst zu reformieren versucht und gleichzeitig an seinem eigenen Etatismus scheitert. Die Diskussion um die Schulautonomie zeigt, daß sich die Schule, besonders die staatliche, geschweige denn die Betroffenen selbst - sprich Eltern, Lehrer und Schüler - aus der staatlichen Bevormundung einfach verabschieden dürfen. Ein Beispiel für dieses Spagat gibt die Denkschrift ,,zukunft der Bildung - Schule der Zukunft" der nordrheinwestfälischen Bildungskommission ab. s Das Schulsystem als staatliches soll 8 Bildungskommission NRW (Hrsg.), Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft. Denkschrift der Kommission ,,Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft" beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen. Neuwied 1995.
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ebenso erhalten bleiben wie die staatliche Gesarntverantwortung dafür. Andererseits plädieren ihre Verfasser "für einen erheblichen Zuwachs an Gestaltungsrechten in den einzelnen Schulen, für eine erweiterte Kompetenz der Schulleitung insbesondere in den Bereichen Personal- und Mittelbewirtschaftung, für Mitwirkungsmöglichkeiten von Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern sowie Eltern am Schulgeschehen sowie für eigene Organisationsstatuten der einzelnen Schulen". "Spielräume· für finanzielle, personelle oder auch curriculare Eigengestaltung werden,,9 zwar eingeräumt, der konsequente nächste Schritt - daß sich staatliche Instanzen auf die Position einer reinen Rechtsaufsicht zurückziehen und die Betroffenen selbst Schule halten und fmanzieren - wird nicht vollzogen. Auch wäre es ein Mißverständnis anzunehmen, daß mit dem "Gutschein für die Schule" einseitig einer Privatisierung von Bildung und einem Markt für profitorientierte Schulen Vorschub geleistet werden soll. Der "Gutschein" entscheidet nicht die Frage, ob es in Zukunft marktwirtschaftliche oder zentralistisch gesteuerte staatliche Schulen gibt. Auch staatliche Schulen könnten an einem Gutscheinsystem teilnehmen. Der Gutschein zielt vor allem darauf ab, daß die einzelnen Schulen auch finanziell in die Lage versetzt werden, eigene pädagogische Profile zu entwickeln, die sie denjenigen bereitstellen, die sie nachfragen. Er soll nicht in gewinnbringender Absicht Schulen in Bildungsdiscounter oder in Edelboutiquen für die Bildungselite verwandeln, sondern pädagogische Alternativen ermöglichen, die "bezahlbar" werden, also eine pädagogische Vielfalt evozieren, die bisher noch in das Ghetto des Privatschulbereichs abgedrängt wird. Osborne und Gaebler bezeichnen dieses Feld zwischen Privatwirtschaft und Staat als "Dritten Sektor". Er stellt "das reichhaltige Netz aus freiwilligen Verbänden und nichtprofitorientierten, nichtstaatlichen Institutionen, die eine sehr wichtige Rolle in einer gesunden Sozialordnung spielen" dar. lO Der dritte Sektor erfüllt jene Aufgaben am besten, die geringen oder gar keinen finanziellen Gewinn bringen, die Mitgefühl und Hingabe für Menschen verlangen, die viel Vertrauen ihrer Kunden oder Klientel voraussetzen, die praktische, persönliche Aufmerksamkeit ... erfordern und die Durchsetzung moralischer Maßstäbe sowie einer Verantwortung für individuelles Verhalten einbeziehen. ll Glenn beschreibt die Schulen der Zukunft als "value commu9 Vgl. Ch. Rittelmeyer, Schulautonomie. Problemstellungen eines bildungspolitischen Zukunftsprojekts, in: Bildung und Erziehung, 2/1997, S. 125. 10 Ch. L. Glenn, Schulreformen und Schulautonomie im öffentlichen Sektor, in: Bildung und Erziehung, 2/1997, S. 156. 11 D. OsbornelT. Gaebler, Reinventing Government. Reading MA: Addison-Wesley 1992, S. 46, zit. in: Bildung und Erziehung, 2/1997, S. 157.
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nities", die das Prinzip der Zwangsgemeinschaft aufheben, indem sie einen freiwilligen Zusammenschluß von Menschen darstellen, die nicht gegen staatliche oder gesellschaftliche Interessen arbeiten; im Gegenteil: Sie nehmen diesen öffentlichen Auftrag in die eigene Hände und erfüllen ihn. "Wenn die soziale Form und das tägliche Leben einer Schule grundlegenden Überzeugungen entspringen und diese noch ausbauen, dann entsteht eine normative Kultur, die starke pädagogische Wirkungen zeitigt. Diese organisatorische Kohärenz läßt sich auf die Formel bringen: 'Gute Schulen besitzen ein charakteristisches Ethos'. (Bryk). Dies ist die Hoffnung, die sich in dem intensiven politischen Interesse an neuen Formen schulischer Autonomie und an der Freiheit für Eltern niederschlägt, solche Schulen auszuwählen, die ihren eigenen Überzeugungen daIiiber entsprechen, was das Beste für ihre Kinder iSt.,,12 - ,,Ein Großteil der Reformdiskussion zielt daher darauf ab, Instrumente und Modelle zu entwickeln, die an die Stelle der Lokalgemeinde eine virtuelle Gemeinde von religiös, weltanschaulich, bildungsphilosophisch oder in anderer Hinsicht gleichgesinnten Eltern und/oder Lehrern setzen und dieser erlauben, ohne finanzielle Nachteile ihre eigene Schule zu betreiben. Für den zugrundeliegenden Gedanken, daß unter den Bedingungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts die ideologische und soziale Kohäsion und Kohärenz, die die frühen amerikanischen Lokalgemeinden auszeichnete, nicht mehr auf lokaler, sondern nurmehr auf Basis von "value communities" (GIenn 1994) zu finden sei, spricht vieles. Und Modelle wie Vouchers, Charter Schools, Tax Credits oder auch radikale Dezentralisierung mögen hier wertvolle Instrumente sein.,,13 Nachweisbar führe das Recht auf freie Schulwahl weder zu inakzeptablen Einschnitten für die Interessen einzelner noch für das Allgemeinwohl. I4
11. Der Bildungsgutschein - Grundidee und Variationen Das Prinzip dieses Finanzierungsmodells ist denkbar einfach: Es sieht vor, daß jedes schulpflichtige Kind einen Gutschein erhält, dessen Wert aus dem durchschnittlichen Betrag (nach Schulform und Bildungsweg differenziert), der pro Schüler im staatlichen Schulwesen aufzuwenden ist, berechnet wird. Die Zuwendung der Mittel geschieht durch die Aushändigung eines Gutscheins
12 Ch. L. Glenn. Schulreformen, a.a.O., S. 169. Vgl auch lngo Krampen. Von der Privatschule zur BUrgergesellschaft, in ,,Erziehungskunst", 10/1994, S. 999. 13 H.-D. Meyer. Local Control und Schulautonomie. Amerikanische Erfahrungen, in: Bildung und Erziehung, 2/1997, S. 148 f. 14 Charles L. Glenn. Schulreformen, a.a.O., S. 162.
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(jur. vinkuliertes Namenspapier) an den Erziehungsberechtigten oder den volljährigen Schüler. Diese reichen ihn bei der Schule ihrer Wahl ein, die die erhaltenen Gutscheine bei der öffentlichen Hand einlöst. Gemeinsames Merkmal aller diskutierten Gutscheinmodelle ist, daß sie ein flexibles und technisch unterschiedlich ausgestaltbares Instrument der teilweisen oder kompletten Nachfragefinanzierung von Bildung über Steuergelder oder andere Mitgliedsbeiträge einer Solidargemeinschaft darstellen. Es gibt Berechnungen, die eine optimale Verwendung der eingesetzten Mittel in einem staatlich subventionierten Gutscheinsystem erwarten lassen. 15 Ziel ist es, daß sowohl die laufenden schulischen Aufwendungen als auch die staatlichen Administrationskosten erheblich verringert werden. Es gibt drei unterschiedliche Ansätze zur Festlegung des Wertes von Bildungsgutscheinen: a) den fixierten Wert, der unabhängig vom Vermögen und Einkommen festgelegt wird, b) der gegenläufig zum Vermögen und Einkommen gebildete Wert, c) der schulart- oder stufenbezogene Wert, der sich nach den durchschnittlichen Kosten vergleichbarer staatlicher Schulen oder nach der Gesamtheit aller Gutscheinempfanger richtet. Es gibt Modelle, die vorsehen, daß die Gutscheine durch private Mittel ergänzt werden (open end vouchers), oder auch solche, die dies explizit ausschließen (egalitärer Gutschein). Des weiteren gibt es Varianten, die den Wert des Gutscheins von bestimmten Leistungsgrößen (outputs) abhängig machen, und solche, die an den einzelnen Einsatzfaktoren (Qualifikation des Lehrers bzw. Schülers, Lehr- und Lernmittel, Gebäude etc.) bemessen werden. Zur neueren Entwicklung der Gutscheinidee haben vor allem zwei Modelle beigetragen, die im folgenden kurz skizziert werden sollen. Alle weiteren Modelle sind Variationen dieser beiden Hauptmodelle; sie unterscheiden sich im wesentlichen darin, ob auch Privatschulen eine Teilnahme möglich ist, ob die Schulen zusätzliche Schulgelder erheben dürfen und ob benachteiligte Bevölkerungsgruppen Gutscheine mit einem höheren Wert erhalten. 16
15 M. Pauly, Mixed Public and Private Financing of Education, in: American Economic Review, Bd. 57, 1967, S.213; s. a. T. StraubhaarlM. Winz, Reform des Bildungswesens. Kontroverse Aspekte aus ökonomischer Sicht. Bonn, Stuttgart, Wien 1992. 16 G. B. J. Attkinson, The Economics of Education. London 1983, S. 98 f.
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1. Der ungeregelte Bildungsgutschein
Nach Milton Friedman, einem der profiliertesten Verfechter des Marktgedankens im Bildungsbereich,17 müssen der Markt und die Wahl des Konsumenten darüber entscheiden, was produziert wird - da macht er keinen Unterschied zwischen Autos und Bildung. Der ungeregelte Gutscheintyp ist der umstrittenste und dadurch bekannteste Vorschlag zur Bildungsfinanzierung über ein Gutscheinsystem und sieht einen weitgehend wettbewerblieh gesteuerten Bildungsmarkt mit einigen wenigen ordnenden Staatsfunktionen bei freier Preisbildung vor. 18 Der Wert dieses Gutscheins ist für jeden Schulpflichtigen konstant, garantiert unabhängig von Einkommen und Vermögen ein staatlich fixiertes Minimum an Bildung und entspricht den jährlichen Durchschnittskosten vergleichbarer staatlicher Schulen pro Schiller. Den Schulen steht es frei, gewinnorientiert zu wirtschaften; auch haben sie freie Schülerwahl bei obligatem Angebot eines bestimmten Fächerkanons, wobei nur staatliche Schulen eine Schulplatzgarantie gewähren. Den Friedman-Vorschlag zeichnet der geringe Regulationsbedarf (staatliche Anerkennung, Mindestfacherkatalog, Mindeststandards) aus. Eine Folge dieses Systems könnte sein, daß die einzelnen Schulen jene Nachfrager herausfiltern (z.B. durch Leistungstests), die den vorgegebenen schulischen Ausbildungsprozeß möglichst reibungsfrei und mit Erfolg durchlaufen, d. h., ein "Gewinn" wäre nur über eine gelungene Selektion überdurchschnittlich begabter und lemwilliger Schüler zu erzielen. Das Friedman-Modell tritt unter Verzicht auf wohlfahrts- und sozialstaatliche Zielsetzungen am schärfsten einer staatlichen Regulierung entgegen. 19 2. Der geregelte Bildungsgutschein
1970 hat eine Forschergruppe in Harvard (Center for the Study of Public Policy, CSPP) einen 220-Seiten-Vorschlag im Auftrag des Office of Educational Opportunity (OEO) erarbeitet, der vor allem Rücksicht auf benachteiligte und unterprivilegierte Bildungsnachfrager nimmt. Das Fazit: Regulierte Gutscheine, die ergänzungsfähig sind, ergeben größtmögliche Wahlfreiheit bei größtmöglicher Chancengleichheit.20 Es wäre eine Fehleinschätzung - so Jencks -, mehr elterliche Mitverantwortung im schulischen Bereich über politiM. Friedman, Kapitalismus, a.a.O. 18 M. Friedman, Kapitalismus, a.a.O., S. 126. 19 Vgl. H. Levin, Privatschulen im GesellschaftsgefUge der USA, in: Alternative Schulen? in: D. Goldschmidt (Hrsg.), Alternative Schulen, a.a.O., S. 599 ff. 20 G. R. LaNoue, Educational Vouchers. New York, London. 1972, S. VI. 17
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sehe Prozeduren von oben herab zu erhoffen, denn eine wirksame Kontrolle schulischer Angelegenheiten könne nur durch die Eltern selbst durchgeführt werden. 21 Der innovative Schub und unternehmerische Anreiz, der durch Gutscheine auch auf staatliche Schulen ausgeübt werden würde - so seine These -, werde unter Einbeziehung des Privatschulsektors auch Raum für jene Bildungsarten einräumen, die bildungspolitisch nicht opportun sind ... Man kann nicht davon ausgehen, daß dadurch jedes Kind die Ausbildung erhält, die es wirklich braucht, aber es ist wahrscheinlich, daß es sie unter diesen Bedingungen eher erhält als unter den bestehenden. 22 Der Vorschlag von Jencks sieht im einzelnen folgende Regelungen vor: Eine Educational Voucher Agency (EVA), die sich aus Vertretern aller öffentlichen Schulen in privater oder staatlicher Trägerschaft zusammensetzt, verwaltet die Ausgabe der Gutscheine. Die EVA erhält alle Zuschüsse, die von Bund, Ländern und Kommunen für bildungsberechtigte Kinder vorgesehen sind, und zahlt nur an Schulen, die Gutscheine bei ihr einreichen. Der Grundwert des Gutscheins errechnet sich aus den Durchschnittskosten vergleichbarer staatlicher Schulen und kann im Bedarfsfall aus öffentlichen Mitteln ergänzt werden, besonders für Kinder, deren Eltern ein niedriges Einkommen haben. Für finanziell schwache Familien ist ein Ergänzungsschein mit gegenläufig zum Einkommen der Eltern gestaffeltem Wert vorgesehen. Der Wert des Ergänzungsscheines geht mit Annäherung an das Durchschnittseinkommen gegen null. Vorgesehen ist ein Maximalwert des Ergänzungsscheins bis zum Doppelten des Grundscheines. Dieses Modell sieht des weiteren eine staatliche Informations- und Beratungspflicht und eine öffentliche Rechnungslegung der Schulen vor. Einer möglichen Elitebildung und Diskriminierung bestimmter Einkommens- und Bevölkerungsgruppen will man bei Übernachfrage durch Verlosung von 50 Prozent der Schülerplätze begegnen. Liegt die Schule innerhalb eines bestimmten Schuldistrikts, sollen die Transportkosten generell vom Staat übernommen werden. Ein Gutscheinsystem kehrt die Zuweisungsverfahren der für Bildungszwekke bereitgestellten Mittel um, indem die zentral eingenommenen Steuergelder sofort und vollständig an die Eltern weitergegeben werden. Dadurch entsteht ein durch den Gutschein regulierter Markt, auf dem Schulen um Schüler wer21 C. Jencks/J. Areen, Education Vouchers. A Proposal for Diversity and Choice, in: G.R. LaNoue, Educational Vouchers, a.a.O., S. 49 ff. 22 C. Jencks/J. Areen, Education Vouchers. A Proposal for Diversity and Choice, in: G.R. LaNoue, Educational Vouchers, a.a.O., S. 51 f.
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ben und Schüler unter Schulen wählen. Um die negativen Folgen des freien Wettbewerbs zu vermeiden, ist es wichtig, daß jede Familie gleiche Wettbewerbschancen - sprich gleiche Kaufkraft - hat. Dies schließt die Möglichkeit selektiver, privater Ergänzungsleistungen aus. Die Zielsetzungen eines Gutscheinsystems lassen sich wie folgt zusammenfassen: -
Wahlfreiheit der Nachfrager und die Möglichkeit, aus dem "tracking system" des staatlichen Schulwesens auszuscheren (exit power); die Initiativen zu bildungsreformerischen Maßnahmen liegen in den Händen der Nachfrager; Förderung nichtstaatlicher Bildungsanbieter; das pädagogische Profil wird vom Nachfrage-Angebots-Verhältnis bestimmt, nicht von Politikern; Stärkung des finanziellen und politischen Einflusses des einzelnen Nachfragers auf eine restriktive Bildungspolitik;
-
Aufhebung des staatlichen Schulmonopols, Dezentralisierung des Schulsystems und Förderung der Schulvielfalt;
-
Abbau zentralistischer Entscheidungsstrukturen und Entbürokratisierung des Schule-Staat-Verhältnisses; Reduzierung des staatlichen Regelkatalogs;
-
das Bewußtsein der Nachfrager wird ausgabenorientiert, das der Anbieter verwendungsorientiert; dadurch wird zu einem sparsamen Umgang mit den finanziellen Ressourcen angeregt, und die Verantwortung der einzelnen Schule wächst; der Bildungsgutschein muß wertmäßig den individuellen Bedürfnissen des Nachfragers angepaßt werden können, um eine größtmögliche Chancengleichheit zu gewährleisten. Auch bei Problemschulen wären Sonderzuwendungen über Zusatzgutscheine vorzusehen; bei bestehender Informationspflicht könnte die Möglichkeit irreführender Werbung bestehen; dies ist jedoch nicht zu erwarten, da Fehlinformation sich durch nachlassende Nachfrage rächt; die Gefahr, die staatlichen Schulen würden zu Restschulen für Problemkinder verkommen, falls kein gleichwertiges privates Bildungsangebot vor Ort besteht, kann dadurch verhindert werden, daß auch staatliche Schulen in das Gutscheinsystem eingebunden sind.
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ill. Neuere Entwicklungen und Erfahrungen 1. Großbritannien
1976 wurde erstmals im Unterhaus über Bildungsgutscheine debattiert. Auslöser waren die staatliche Finanzkrise und die laut gewordene Unzufriedenheit der Eltern mit dem britischen Schulsystem. 1978 wurde eine erste empirische Studie (feasibility study) durchgeführt, in der die prinzipielle Anwendbarkeit von Vouchersystemen auf ihre Durchführbarkeit hin geprüft wurde. Die Voucherkarnpagne führte 1979 zu einer nationalen Petition für die Einführung von Gutscheinen. 1981 wurde eine Expertise in Kent County durchgeführt, wo man in einem kleinen Schulbezirk mit einem Voucherexperiment beginnen wollte. 23 Eine Umfrage ergab jedoch, daß nur 13 Prozent der befragten Eltern ihre Kinder auf eine andere Schule schicken würden, wenn sie mit einem Gutschein ihre Schule frei wählen dürften. 24 Auch die befragten Lehrer zeigten sich ablehnend gegenüber Voucherplänen; die Hälfte von ihnen lehnte es ab, an einer Gutscheinschule zu arbeiten. Hingegen erfuhr der Plan durch die Privatschulen weitgehende Unterstützung. Die meisten von ihnen wären bereit gewesen, an einem Voucherprogramm teilzunehmen, solange sie die Aufnahme der Schüler weiterhin hätten selbst regeln dürfen. Kurze Zeit später reagierte das Ministerium in eindeutig ablehnender Weise, da es erhebliche rechtliche und finanzielle Bedenken in bezug auf die Einsetzung und Durchführbarkeit eines Vouchersystems hatte. In "The Riddle of the Voucher", einer chronologischen Darstellung und scharfsinnigen Analyse der Voucherkarnpagne, die vom Institute of Economic Affairs (IEA) in London herausgegeben wurde, weist Arthur Seldon nach, daß die Auseinandersetzung um den Voucher ausschließlich von parteipolitischen Interessen beherrscht wurde. Seiner Ansicht nach verhindert allein die politische Kontrolle über das Bildungswesen die freie Wahl, die Effizienz und den allgemeinen Fortschritt der Schulen.25 Der Plan scheiterte 1983 an der massiven Opposition, die vor allem von der gewerkschaftlich organisierten Lehrerschaft ausging, welche ihren kontrollierenden Zugriff auf das Bildungswesen und ihre geregelten Bezüge, ja, ihren gesamten Berufsstand bedroht sah. 23 Education Vouchers in Kent, A Feasibility Study for the Education Department of Kent Country, 1978. 24 G. B. J. Attkinson, The Economics, a.a.O., S. 104. 2S A. Seldon (IEA), The Riddle of the Voucher, Hobart Paperback 21. London 1986.
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In jüngster Zeit läuft im Vorschulbereich die staatliche Finanzhilfe über Gutscheine. Das hatte zur Folge, daß die Vorschulen das Eintrittsaiter auf drei Jahre absenkten, um in den Genuß von Gutscheingeldern zu kommen. Da dieser Trend sich gegen eine gesunde Entwicklung des Kindes auswirkt, soll diese Form staatlicher Bezuschussung wieder abgeschafft werden. 26 2. Vereinigte Staaten
Die letzten Jahrzehnte der amerikanischen Bildungspolitik waren geprägt vom Streit über die Ursachen der sinkenden Bildungsqualität. Zunehmend wuchs die Erkenntnis, von zahlreichen Untersuchungen und Umfragen gestützt, daß staatliche Bürokratisierung die Eigenverantwortlichkeit der Schulen stark einschränkt und daß deren Leitung ungenügend für alle finanziellen und pädagogischen Entscheidungen verantwortlich ist. Es wurde immer deutlicher, daß sich die staatliche Bildungsverwaltung als ein ineffizienter Verteiler der für das Bildungswesen bereitgestellten Mittel und als der Verursacher disfunktionaler und ineffizienter Organisationsstrukturen erwies. 27 Clinton erhob die Bildungsmisere zur nationalen Angelegenheit ("Goals 2000"). Schon 1990 räumte der Jahreswirtschaftsbericht der Bildungsreform höchste Priorität ein. Durch die freie Schul wahl und den drastischen Abbau des bürokratischen Apparates sollten die Schulen zu aktivem Wettbewerb aufgefordert werden?8 In den USA gab und gibt es immer wieder Versuche, Bildungsgutscheine einzuführen. Die meisten wurden auf privater Basis initiiert, die aber keinerlei staatliche Unterstützung erhielten. 29 Auch die von staatlicher Seite propagierten Programme sind letztlich auf Anstrengung einzelner Bürgerinitiativen zur Abstimmung gekommen. G. R. LaNoue, Professor an der Columbia-Universität, äußerte sich skeptisch gegenüber staatlich aufgelegten Voucherprograrnmen. Er ist der Ansicht, daß die Ergebnisse einer Überprüfung anders ausgesehen hätten, wenn ein unabhängiges Marktforschungsinstitut verschiedene Vouchermodelle an verschiedenen Orten getestet hätte. Deshalb gebe Alum Rock - ein Voucherexperiment 26 Ch. Clouder von der Steiner Waldorf Schools Fellowship in einem unveröffentlichten Manuskript vom Mai 1997. 27 K. Adam, Vielfalt statt Einfalt. Die amerikanischen Schulen entdecken die Wahlfreiheit, FAZ vom 3.10.1989. Auch: ,,Multis wollen US-Schulsystem umkrempeln. In privaten Händen besser aufgehoben - Furcht vor Verlust der Wettbewerbsfähigkeit", Süddeutsche Zeitung vom 24.10.1989. 28 Süddeutsche Zeitung vom 24.10.1990. 29 The National Scholarship Center (Hrsg.), Just Doing H. First Annual Survey of the Private Voucher Movement in America. Washington 1994. 14
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Mitte der 70er Jahre - ein Beispiel dafür ab, daß "von oben" lancierte Innovationsbemühungen fast wirkungslos blieben, wenn sie bei Lehrern, Eltern und lokalen Schulverwaltungen nicht auf uneingeschränkte positive Resonanz stießen. 30 Selbst im Falle staatlich geförderter Voucherprogramme durch das Office of Economic Opportunity (OEO) war mit heftiger Opposition von der National Education Association (NEA) und der American Federation of Teachers zu rechnen. Man befürchtete, daß durch Vouchers die öffentlichen Schulen untersubventioniert, während nur die Privatschulen von einem derartigen System profitieren würden. Auch würden Vouchers die ethnischen, sozialen und ökonomischen Barrieren nicht abbauen, sondern weiter in die Höhe treiben. Dies liefe den Intentionen staatlicher Bildungspolitik entgegen. Die Voucherexperimente seien nichts anderes als ein unter dem Deckmantel der Förderung benachteiligter Bevölkerungsgruppen laufender Versuch, die staatlichen Wohlfahrtsleistungen zu privatisieren. Der Voucher sei ein Versuch, staatliche Gelder in die Privatschulen zu pumpen und das staatliche Schulwesen trockenzulegen. Des weiteren befürchtete man, daß durch Vouchers die Anzahl unqualifizierter Privatschulen sprunghaft in die Höhe schnellen würde und unseriöse Privatunternehmen sich auf dem "Erziehungsmarkt" tummeln würden, die nur an ihren Profit denken und Bildung wie Dosenbier verhökern. 31 Trotz der hochgehenden Wogen einer gegnerischen Bildungslobby plante man für 1975 im Bundesstaat New Hampshire ein weiteres Voucherexperiment, das allerdings nie zur Ausführung kam, da die staatlichen Zuschüsse ausblieben. 32 Auch in East Hartford, Connecticut, plante man eine staatlich finanzierte "Voucher-Demonstration", mit dem Unterschied, daß es den beteiligten Schulen nicht erlaubt werden sollte, zusätzliche Schulgelder zu erheben. 33 In Wisconsin wurden 1990 1.000 Schülerstipendien über je 2.500 Dollar für Kinder aus unteren Einkommensschichten angeboten, damit sie private, konfessionsungebundene Privatschulen besuchen können. Im Jahre 1992 schlug die Bush-Administration ein bundesweites Voucherprogramm mit 1.000 Dollar pro Schüler vor, das Kindern aus Familien mit mittleren und unteren Einkommen den Besuch staatlicher und nichtstaatlicher Schulen ermöglichen sollte.
G. R.lANoue, Educational Vouchers, .a.a.O., S. 142 ff. R. J. Lytle, A Parent's Voucher Plan. A New Way to Handle School Money, Farmimngton. Michigan 1975, S. 22. 32 R.J.Lytle, AParent's Voucher Plan, a.a.O., S.17. 33 R. J. Lytle, A Parent's Voucher Plan, a.a.O., S. 18. 30
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Der Bildungsgutschein - Finanzierungsmodell für ein freies Bildungswesen 201 In den Staaten Oregon, Colorado und Kalifornien wurde der Vorschlag, jedem schulpflichtigen Kind 2.500 Dollar für den Besuch einer Schule freier Wahl auszuhändigen, mit einer Zweidrittelmehrheit deshalb abgelehnt, weil er soziale Kriterien außer acht ließe. 34 In Kalifornien sollte Ende 1993 in einer Volksabstimmung über den Vorschlag entschieden werden, Gutscheine über 2.600 Dollar an die Eltern zu vergeben (Proposition 174-Act)35, die sie bei der Schule ihrer Wahl hätten einlösen können. 36 In einer Erstumfrage votierten 70 Prozent der Befragten für die Einführung von Gutscheinen. Nachdem die Lehrergewerkschaften mit einer 18Millionen-Dollar-Aktion eine massive Gegenkampagne starteten, ist die letzte Abstimmung im umgekehrten Verhältnis ausgefallen. Schließlich fehlten in South Carolina 1995 nur 3 Stimmen für die Einführung eines landesweiten Gutscheinsystems. 37 Der Druck auf die amerikanische Bildungspolitik wächst, je stärker das öffentliche Bildungssystem an die Grenzen seiner sozialen Leistungsfahigkeit stößt. Gutscheinsysteme und Privatspenden für die Ausbildung armer Schüler in privaten Schulen werden daher immer mehr in Betracht gezogen. Im Sommer 1990 erschien eine nicht nur in den USA vielbeachtete Studie von J. E. Chubb und T. M. Moe von der renommierten Brooking Institution in Washington D.C. 38 Ihre Untersuchungen bestätigen, daß dezentralisierte, "marktwirtschaftliche" Schulen aufgeschlossener gegenüber ihren Kunden (Schülern und deren Familien) waren und bessere Ergebnisse erzielten. Ihr Fazit lautete: ,,Je freier Schulen sind von externer Kontrolle - je autonomer, und je weniger sie von bürokratischen Zwängen abhängen -, desto wahrscheinlicher wird es, daß sie eine effektive Organisation haben. 39 .. Der Hauptgrund dafür, daß alle bisherigen Refonnversuche zur Rettung des amerikanischen Bildungssystems scheiterten, liegt - so die Autoren - an den sich selbst refonnierenden Instanzen, die in einer Demokratie systembeding34 E. Coons, Wahlfreiheit und Monopol in amerikanischen Schulen, RdJB 1/1994, S. 22 ff. 3S Vgl. Anlage-Management 11/1993; Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt 29.10.1993. 36 Deutsche Lehrerzeitung 48/1993. 37 Vgl. B. S. Cooper/A. Gargan, Das amerikanische Privatschulwesen, a.a.O., S. 208. 38 J. E. Chubb/T. M. Moe, Politics, markets and America's schools. Washington D.C., The Brookings Institution 1990. S. a J. Kiersch, Markt, Politik und Amerikas Schulen, ,.Erziehungskunst" 8/1993, S. 846 ff. 39 Siehe B. S. Cooper/A. Gargan, Das amerikanische Privatschulwesen, a.a.O.,
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terweise immer nur leistungsschwache Schulen hervorbringen können. In einer Demokratie könnten sich aber diese Instanzen (Ministerien, Behörden) - auch wenn sie innerhalb eines staatlichen Systems selber reformbedürftig seien nicht ernsthaft selbst reformieren. Eine" von oben" verordnete Schulautonomie stelle demnach nur ein weiteres subtiles Kontrollinstrument innerhalb eines nach wie vor bürokratischen Systems dar. Bürokratie und staatliche Kontrolle konterkarierten eine effiziente Organisation von Schule. Die Autoren stützen ihre Thesen auf umfangreiches Datenmaterial des High School and Beyond Survey und des Admißistrator and Teacher Survey. "So gelang es Sozialwissenschaftlern tatsächlich, den Grad der Bürokratisierung (z.B. "top-down"Kontrolle der öffentlichen Schulen) mit schlechten Schülerleistungen in Verbindung zu bringen", kommentierten Cooper und Gargan das umstrittene Buch.40 Auch Chubb und Moe setzen auf den Bildungsgutschein und den freien Markt, dessen Nachteile durch gesetzliche "Verbraucherschutzbestimmungen" und gestaffelte Zuschüsse etwa für behinderte oder sozial benachteiligte Kinder aufgefangen werden könnten. Ziel sei es, daß durch den Markt jene Selbstbestimmungs- und Selbsthilfekräfte entbunden werden, die durch eine ineffiziente Wohlfahrtsbürokratie nach dem Gießkannenprinzip gerade dort, wo sie am nötigsten gebraucht werden, gelähmt würden. M. Weiss vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) konzediert zwar in seiner Kritik an der Studie von Chubb und Moe ein Versagen staatlicher Bildungssteuerung; es ließe sich jedoch daraus keine überzeugende und befriedigende Funktionsübernahme durch den Markt - besonders hinsichtlich wohlfahrtsstaatlicher Zielsetzungen - ableiten. 41 Vor allem fehle es an empirischem Beweismaterial, um die beiden Steuerungsmodelle (Markt! Staat) miteinander vergleichen zu können. Weiss kritisiert den sog. Kontingenzansatz von Chubb und Moe, der die Unterschiede zwischen den Schulen in ihrer Leistungsfahigkeit von den unterschiedlichen äußeren Umweltbedingungen - sprich: Steuerungssystemen - abhängig macht. Weiss hält dieser These ein Ergebnis der ,,Effective-School"-Forschung entgegen, wonach die untersuchten staatlichen Schulen in ihren Leistungen und in ihrem "Innenleben" trotz formal gleicher Rahmenbedingungen - erheblich differierten.42 Daß Z.B. der Privatschulsektor in seinen schulischen Leistungen dem staatlichen überle-
40 Siehe B. S. Cooper/A. Gargan. Das amerikanische Privatschulwesen, a.a.O., S.208. 41 M. Weiss. Der Markt als Steuerungssystem im Schulwesen?, Zeitschrift für Pädagogik, 1/1993, S. 71 ff. 42 Vgl. M. Rutter et al. Fünfzehntausend Stunden. Weinheim, Basel 1980.
Der Bildungsgutschein - Finanzierungsmodell für ein freies Bildungswesen 203 gen sei, liege nicht an der Tatsache, daß Privatschulen mehr Autonomie besäßen, sondern daran, daß sie sich durch mehr oder weniger durchschaubare Selektion (z.B. finanziell, weltanschaulich) eine ihnen genehme Schülerpopulation zusammenstellen könnten, was sich eine staatliche Schule nicht erlauben dürfe. Daraus ließen sich nur sehr eingeschränkte Vergleichsmöglichkeiten beider Schulsysteme in bezug auf Effektivitätskriterien ableiten. Nur hinsichtlich der binnenorganisatorischen Profile (Ziele, Schulleitung, Lehrpersonal, Schulpraktiken) beider Schularten würden Schulen, die weniger außengesteuert sind, Vorteile in der Effizienz ihrer Organisation aufweisen. Weiss berücksichtigt dabei nicht die Frage, warum eine Selektion - zumindest in finanzieller Hinsicht - im Privatschulbereich stattfinden muß; die Finanzierungspraxis in den einzelnen US-Staaten ist zu unterschiedlich - die staatlichen Subventionen fallen in der Regel sehr gering aus -, um daraus einen Selektions vorwurf abzuleiten, den man den Schulen als Verursacher zuschreibt. Während Chubb und Moe die Effektivität staatlich lancierter Deregulationsmaßnahmen zur Förderung der schulischen Autonomie bezweifeln, setzt Weiss gerade auf die Wirksamkeit staatlicher Selbstrefonn.43 Staatliche Subventionen, die regelnd in das Verhältnis von Angebot und Nachfrage eingreifen, sind nur dort erforderlich, wo Marktversagen vorliegt. 44 Auch Weiss gesteht ein, daß "der auf die Erstellung 'mehrheitsfähiger' Leistungen festgelegte staatliche Sektor immer gegenüber dem Markt ins Hintertreffen geraten"45 muß, wenn es um die Bedienung differenzierter Konsumentenwünsche geht. Die Marktsteuerung entfalte jedoch nur dort ihre Vorteile, wo ein ausreichendes schulisches Angebot - wie z.B. in Ballungsräumen - gegeben sei. Aus Gründen standortbedingten Marktversagens ein flächendeckendes staatliches Zwangsangebot schulischer Bildung zu rechtfertigen geht m. E. weit über das gebotene Maß an Handlungsbedarf hinaus: Es wird angenommen, daß erstens Selbstregulative und Initiativen auf der Nachjrageseite ausbleiben und zweitens subsidiäre Lösungswege auf lokaler Ebene nicht möglich sind. Die Entscheidung für gesonderte Zuwendungen aus Mitteln der öffentlichen Hand muß nicht zwangsläufig über staatliche Stellen erfolgen, sondern könnte auch öffentlich-rechtlichen Körperschaften übertragen werden. Ein Gutscheinsystem 43 Vgl. M. MalenIR. T. Ogawall. Kranz, What do we know about school-based management? in: W. H. Clune/l. F. White (Hrsg.), Choice and Control in American Education, Vol. 2. London 1990. 44Vgl. B. Rosenberg, Public School Choice: Can we find the right balance? in: American Education 1989. 45 M. Weiss, Der Markt, a.a.O., S. 73.
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würde nicht ausschließen, daß über Ergänzungsleistungen für standortbenachteiligte oder kostenintensive Spezialschulen ("Ghettoschulen", Landschulen, heilpädagogische Schulen etc.) im konkreten Bedarfsfalle zugleich Anreiz und Ausgleich geschaffen werden könnte. Die Kontroverse zwischen "Wohlfahrts- und Marktideologen" zeigt, wie man sich von zwei entgegengesetzten Seiten einer Lösung der Bildungsmisere anzunähern versucht: Chubb und Moe über ein reguliertes Marktsystem, Weiss über ein dereguliertes Staats monopol. Allerdings bleibt in der Auseinandersetzung oft unberücksichtigt, daß Schulwahlfreiheit, Schulautonomie und Wettbewerb zwischen den Schulen noch keine Garantie für mehr Autonomie des einzelnen Nachjragers darstellt, wenn er über die zur Disposition stehenden finanziellen Mittel nicht selber voll verfügen kann.
3. Bundesrepublik Deutschland Unter den historisch nachvollziehbaren Bedingungen staatlichen Schulehaltens stoßen Vorschläge für eine freiheitlichere Finanzierungspraxis im deutschen Bildungswesen auf ein sehr gedämpftes öffentliches und politisches Interesse. Nur widerstrebend nähert man sich der Einsicht, daß eine staatliche Bildungsplanung kaum in der Lage ist, flexibel auf das wechselhafte "AngebotNachfrage"-Verhältnis im Bildungsbereich - sei es aus Gründen einer allgemeinen demographischen Entwicklung oder eines veränderten Bildungsverhaltens der Eltern - zu reagieren. Die Folge sind "Ad-hoc"- und ,,Ex-post"Entscheidungen, die dem gesellschaftlichen und demographischen Wandel hinterherhinken und zu ständigen Verteuerungen im Bildungsbereich führen. 46 Auch hier nähren permanente Kostensteigerungen und Ausgabenerhöhungen den Zweifel an der ökonomischen Effizienz staatlicher Bildungsfinanzierung. "Stand in der bildungsökonomischen Diskussion der 60er und frühen 70er Jahre ausschließlich der Markt als potentielles, aber damals nicht akzeptables Steuerungssystem der Bildungs- und Finanzierungsströme auf dem Prüfstand ihm wurde bei der Bereitstellung des Gutes Bildung generell Versagen unterstellt und daraus, wie es scheint vorschnell, auf die Notwendigkeit staatlicher Bereitstellung geschlossen -, so ist es heute eher der Staat.,,47 Das Mißtrauen in
46 Vgl. G. Bombach, Bildungsökonomie, Bildungspolitik und wirtschaftliche Entwicklung, in: Texte zur Bildungsökonomie, A. Hegelheimer (Hrsg.); mit Texten aus der BRD, CSSR, DDR, Großbritannien, Österreich, Schweiz, Ungarn und den USA. Frankfurt 1974, S. 3 ff. 47 D. Timmermann, GebUhrenfinanzierung der Hochschulausbildung. Allokative und distributive Aspekte, in: Brinkrnann: Probleme der Bildungsfinanzierung, Schriften des Vereins fUr Socialpolitik, N.F. Bd.146. BerJin 1985, S. 157.
Der Bildungsgutschein - Finanzierungsmodell für ein freies Bildungswesen 205 die staatliche Lenkung und Finanzierung hat seither stark zugenommen, so daß die Begriffe Markt, Subsidiarität, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung nicht nur bei Ökonomen, sondern auch bei Politikern aller Parteien und den Alternativbewegungen wieder höher im Kurs stehen. Während im anglo-amerikanischen Raum die Diskussion um die Bildungsnachfrage und deren Finanzierung in einer breiten Öffentlichkeit kontrovers geführt wird, kommt sie im deutschsprachigen Raum nur schleppend in Gang, von konkreten Umsetzungsversuchen ganz zu schweigen. Beiträge, die zu einer größeren politischen wie auch öffentlichen Akzeptanz des Bildungsgutscheins führen könnten, sind spärlich gesät. H. Albach plädierte in den 70er Jahren für die Einrichtung eines Bildungsfonds, dessen Mittel in Fonn von Arbeitgeberbeiträgen in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Lohn- und Gehaltssumme aufgebracht werden sollen.48 Johann Peter Vogels Beitrag für den Privatschulbereich49 liegt die prinzipielle Überlegung zugrunde, daß die öffentliche Verantwortung für das Bildungswesen und dessen Finanzierung getrennt sein sollten. Vogel hebt in der Beschreibung der Vorteile, die ein solches Finanzierungssystem hätte, darauf ab, daß durch ein Gutscheinsystem den aktuellen und drängenden Fragen des Schulwesens sowie innovativen Ansätzen wesentlich direkter und wirkungsvoller Ausdruck verliehen werden könnte. Die Kultusbürokratie und die lokalen Schulbehörden sind seines Erachtens zu schwerfällig, um auf gesellschaftliche Veränderungen oder auf ein verändertes Bildungsverhalten flexibel reagieren zu können. Ihre mangelnde Einsicht in den konkreten Schauplatz Schule zeige sich deutlich in einem erneuerungsfeindlichen Verwaltungsapparat. Die Entwicklung nichtstaatlicher Bildungseinrichtungen zeige auch, mit welcher Vehemenz in der heutigen Zeit bestimmte tradierte Erziehungsinhalte in Frage gestellt werden. Über eine autonome Finanzverwaltung der Schulen würde sich sehr bald zeigen, wessen die Schüler und Eltern wirklich bedürfen. Reinar Lüdeke führt drei Gründe an, die für eine Einführung des Bildungsgutscheins sprechen: a) unmittelbare Interessenwahrnehmung des Bildungsnachfragers bei der Kostenbildung, b) soziale Chancengleichheit durch differenzierte Zuschüsse und 48 H. Albaeh, Zur Finanzierung der beruflichen Bildung, in: Strukturwandel und makroökonomische Steuerung, S. Klatt/M. Willms (Hrsg.). Berlin 1975, S. 247 ff. 49 J. P. Vogel, Der Bildungsgutschein, in: Erziehungskunst 11/1972, S.443, 484; ders. in: D. Goldschmidt (Hrsg.), Alternative Schulen, S. 131; ders. in: Neue Sammlung 3/1988, S. 367.
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c) gegebenenfalls individuelle, leicht errechenbare Rückzahlungen nach Abschluß der Ausbildung. "Sollte es obendrein gelingen, durch diese Änderungen Illusionen bei den einzelnen und in der Gesellschaft über private und gesellschaftliche Kosten zu zerstören" ... , so wäre das als ein erwünschtes Nebenprodukt zu betrachten.so Es folgten nach mehr als 20jähriger Unterbrechung deutschsprachige Beiträge von E. Behrens für das staatlich-kommunale BildungswesensI, U. van Liths2 sowie T. StraubhaarIM. Winz aus bildungsökonomischd3 und B. Hardorp aus freiheitsrechtlicher SichtS4 • Für eine bundesweite Kontroverse sorgte die Düsseldorfer Untemehmensberatungsfinna Kienbawn, als sie im Auftrag des nordrhein-westfälischen Bildungsministers Anfang 1992 eine marktwirtschaftliehe Analyse des Schulsystems durchführte, mit dem Ergebnis, daß, wenn es weiter so wirtschafte, sein baldiger Bankrott bescheinigt werden müsse. Auch der "Dienstleistungsbetrieb Hochschule" sollte durch "ein professionelles Hochschulmanagement nach amerikanisehern Vorbild" in seiner Effizienz und Qualität gründlich saniert werden, indem er sich nach den Bedürfnissen der "Kunden" richte. Neben reinen UmverteilungsmaBnahmen, die allein schon 30 bis 40 Prozent Kosteneinsparungen brächten, setzt auch Kienbaum anstelle einer Einführung von Studiengebühren auf den Bildungsgutschein. ss Behrens hebt besonders die ordnungspolitischen Aspekte selbstbestimmter Bildung hervor. 56 Ihm schwebt eine Art kommunaler Bildungsgutschein vor, den die Gemeinden an jedes schulpflichtige Kind ausgeben. Ähnlich wie Weiss setzt er auf die Vorteile der wettbewerblichen Aspekte eines Gutscheinsystems innerhalb des staatlichen Schulwesens, ähnlich den Charter-Schulen in den USA und den Grant-maintained-Schulen in England. Allerdings wird für letztere die gewährte Budgethoheit - wie auch im Privatschulparadies Holland - mit 50 R. Lüdeke, Theorie der staatlichen Bildungsfinanzierung, in: Brinkmann, Probleme der Bildungsfinanzierung, a.a.O., S. 133. 51 E. Behrens, Der Bildungsgutschein - Von der Idee zur Praxis, Sonderdruck aus ,,Fragen der Freiheit", Heft 223. Bad Boll1993. 52 U. van Lith, Der Markt als Ordnungsprinzip des Bildungsbereichs. MUnchen 1985, S. 182 ff. 53 T. StraubhaarlM. Winz, Reform des Bildungswesens, a.a.O., S.111 ff. 54 B. Hardorp: Neue Maßstäbe in der Finanzhilfe fUr Freie Schulen? in: Schriften des Öffentlichen Rechts, Bd. 529: Zukunftsperspektiven der Freien Schule, F. MUlier (Hrsg.). Berlin 1988; ders. in: B. Engholm: Demokratie fängt in der Schule an. Frankfurt 1985, S. 169 ff. 55 Zit. nach ,,Erziehungskunsr' 6/7, 1992, S. 712. 56 Siehe E. Behrens, Der Bildungsgutschein - Von der Idee, a.a.O.
Der Bildungsgutschein - Finanzierungsmodell fUr ein freies Bildungswesen 207 der Aufgabe der curricularen Autonomie erkauft. Für die staatlich kontrollierte Unruhe im öffentlichen Sektor wird durch die Übernahme privater Komponenten gesorgt. 57 Behrens zeigt auf, daß durch Bildungsgutscheine finanzierte Schulen in staatlicher und kommunaler Trägerschaft bereits heute problemlos realisierbar seien. Nur wenn auch die sogenannte öffentliche Schule mittels Bildungsgutscheinen finanziert werde, könne sich der pädagogische Wettbewerb zwischen staatlichen und freien Schulen voll entfalten. Die Schulaufsicht hat sich auf eine reine Wettbewerbsaufsicht (Schutz vor unlauterem Wettbewerb) zu beschränken. 58 Während Vogel für eine Trennung zwischen der öffentlichen Verantwortung für das Bildungswesen und dessen Finanzierung plädiert59 , wohl wissend, daß auch nichtstaatliche Schulen einem öffentlichen Bildungsauftrag entsprechen können, kann man bei Behrens den Eindruck gewinnen, daß durch eine Selbstreform des staatlichen Schulwesens die finanzielle Gleichberechtigung anerkannter nichtstaatlicher Schulen überflüssig wird und kein Nachfragebedürfnis nach Schulen in nichtstaatlicher Trägerschaft mehr besteht. Während man Behrens' Vorschlag - ähnlich dem des Deutschen Bildungsrats (1965-1975 6°) - als eine Verfeinerung des staatlichen Steuerungsinstrumentariums interpretieren könnte, gehört es m. E. zur zentralen Zielvorstellung eines Gutscheinsystems, dem einzelnen Bürger selbst seine Rechte und Kaufkraft zurückzugeben, unabhängig davon, welche Schule er wählt. Der Bildungsgutschein zielt nicht in erster Linie auf die finanzielle Autonomie der Einzelschule, sondern auf die des einzelnen Nachfragers.
IV. Einzelne Aspekte von Gutscheinsystemen 1. Aujnahmeregelungen Es gibt verschiedene Vorschläge, wie unter Gutscheinsystemen die Aufnahme der Schüler in einer nicht diskriminierenden Weise geregelt werden kann. Meist wird in diesem Zusammenhang an Quotierungs- oder Losverfahren gedacht, die jedoch dem Ansatz einer frei gewählten Beziehung von Eltern und
57
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Vgl. B. S. CooperlA. Gargan, Das amerikanische Privatschulwesen, a.a.O., S. 208. E. Behrens, Der Bildungsgutschein - Von der Idee, a.a.O., S. 6. Vgl. J. P. Vogel, Der Bildungsgutschein, a.a.O.
60 Vgl. Deutscher Bildungsrat, Empfehlungen der Bildungskommission: Zur Reform von Organisation und Verwaltung im Bildungswesen. Teil I: Verstärkte Selbständigkeit der Schule und Partizipation der Lehrer, SchUler und Eltern. Bonn 1973.
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Schule stark zuwiderlaufen. Chancengleichheit wird damit dem rechnerischen Zufallsprinzip überlassen. Die sinnvollsten Aufnahmeverfahren sind sicherlich nicht jene, die im voraus bestimmte Aufnahmekriterien festlegen. Vielmehr sollte in einem Aufnahmegespräch überprüft werden, ob Eltern und Schüler zu einer bestimmten Schule passen (und die Schulen zu ihnen). Entscheidend ist, daß zwischen Eltern und Lehrern Konsens sowohl hinsichtlich des pädagogischen Ansatzes als auch des schulischen Ethos herrscht ("value communities"). Die Schüleraufnahme an Waldorfschulen z.B. geschieht in der Regel vor dem Beitragsgespräch, in dem die Höhe des Schulgeldes an einem Richtsatz orientiert, aber individuell festgelegt wird. Das heißt, finanzielle Erwägungen müssen keinen Einfluß auf die Aufnahme bzw. Ablehnung eines Schülers haben. So wie eine bestimmte Schule von einem bestimmten Nachfrager Zuspruch erfährt, erfährt der Nachfrager den Zuspruch einer Schule. Lehrer und Eltern werden dann zu gleichberechtigten Vertragspartnern, die sich zu bestimmten frei vereinbarten Bedingungen gegenseitig in die Pflicht nehmen. Kann eine Schule wiederholt nicht alle Schüler aufnehmen oder will sie sich nicht vergrößern, so sollten Schulneugründungen mittels staatlicher Finanzhilfe ermöglicht werden (z.B. durch modifIZierte Gründungsgutscheine oder durch Schulbaufonds). Um den "Verbraucher" vor unlauterem Wettbewerb zu schützen, besteht für Gutscheinschulen eine größtmögliche Informationspflicht, vor allem zur Offenlegung ihrer pädagogischen Zielsetzung sowie ihrer möglichen Abschlüsse. Des weiteren muß der Gutschein die Transportkosten der Schüler, die nicht in unmittelbarer Nähe der gewählten Schule wohnen, abdecken - anderenfalls würde das Recht, jede Schule innerhalb eines Einzugsgebietes oder einer zumutbaren Entfernung vom Wohnort besuchen zu dürfen, durch die für den Nachfrager gegebenenfalls unbezahlbaren Transportkosten ins Leere laufen. 2. Chancengleichheit
Einer der Haupteinwände gegen den Bildungsgutschein besteht darin, daß er die staatlich intendierte Chancengleichheit unterminiere und daß die staatlichen Schulen zu sozialen Auffangnetzen "gehandikapter" Schüler werden, weil sie von einer Schule, die darauf achten muß, für möglichst viele Eltern attraktiv und leistungsfähig zu sein, nicht aufgenommen werden. Christopher Jencks, Mitglied einer Forschergruppe vom Center for Educational Policy Research an der Harvard-Universität, kommt in seiner Untersuchung über die Chancengleichheit im amerikanischen Bildungswesen zu dem schlagenden Ergebnis: "Chancengleichheit durch Bildung ist eine Illusion.
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Selbst wenn das Schulwesen so grundlegend refonniert werden könnte, daß alle Kinder eine qualitativ gleiche Bildung erhalten, wären ihre Chancen im späteren Leben genauso ungleich verteilt wie heute.,,61 Jencks fand in seinen Langzeitstudien heraus, daß es für den individuellen Werdegang eines Schülers, sein Wissen und seine spätere berufliche Entwicklung unerheblich sei, wo er zur Schule gegangen ist. Ethnische, materielle, physische, mentale, geographische, individuelle oder schichtspezifische "Ungleichheiten ... lassen sich nur schwer mit einer Theorie der Chancengleichheit vereinbaren,,62, so das Ergebnis der Harvard-Studie. Jencks folgert daraus, daß "eine kostenlose Bereitstellung aller Bildungshilfen nicht genügen würde, um den tatsächlichen Besuch von Schulen und Colleges für alle Menschen gleichzumachen ... Wir können uns übrigens keine nicht auf Zwang beruhende Methode vorstellen, die Inanspruchnahme von Bildungsangeboten zu egalisieren.,,63 Damit entkräftete Jencks das Hauptargument der Gutscheingegner, daß das staatliche Schulwesen im Gegensatz zum privaten "automatisch" Chancengleichheit garantiere. Daß das nicht nur für das amerikanische, sondern auch für das Bildungswesen von zwölf weiteren Industriestaaten zutrifft, wird durch eine Studie von Y. Shavit und H. P. Blossfeld nachhaltig belegt.64 Unter Einbeziehung von zum Teil bis 1900 zurückreichenden Geburtsjahrgängen kommt diese breit angelegte bildungssoziologische Untersuchung zu dem Ergebnis, daß trotz zunehmender Bildungsbeteiligung unterer sozialer Schichten die herkunftsbezogenen Bildungschancen weitgehend unverändert geblieben sind. Bis auf zwei Ausnahmen (Schweden und Niederlande) kann von einer langfristigen Verbesserung durch strukturelle Bildungsrefonnen nicht gesprochen werden. Im Gegenteil: Shavit/Blossfelds Fazit lautet, daß die in allen Nationen zu beobachtende Bildungsexpansion die Fortdauer herkunftsbezogener Ungleichheit sogar begünstigt habe. Das ist insofern ein bemerkenswertes Ergebnis, als trotz der bestehenden politischen und kulturellen Unterschiedlichkeit der Länder die Ausweitung des Bildungssektors in fast allen Gesellschaftssystemen nicht zu dem erhofften Ergebnis, nämlich zu einer Venninderung der Unterschiede in den Bildungschancen, geführt hat. 61 Vgl. die Thesen von Chr. Jencks in: Chancengleichheit, Reinbek 1973, S. 390 f. 62
Chr. Jencks. Chancengleichheit, a.a.O., S. 59.
Ebenda. Y. Shavit/H. P. Bloss/eld (Hrsg.) Persistant Inequality, Changing Educational Stratification in Thirteen Countries. Boulder/Colorado 1993. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse ist in der Zeitschrift fUr Pädagogik, 1/1993, S. 25 ff., erschienen. Die Vergleichsstudie umfaßt folgende Länder: USA, BRD, Niederlande, Schweden, Großbritannien, Italien, Schweiz, Taiwan, Japan, Polen, Ungarn, CSFR, Israel. 63
64
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Chancengleichheit kann auch in dem Sinne aufgefaßt werden, daß Kinder mit unterschiedlichen Anlagen und Neigungen die je individuelle Förderung erfahren, die sie brauchen. Finanziell würde dies bedeuten, ein Verfahren einzurichten, das nicht angebots gelenkt funktioniert, sondern sich an konkreter Nachfrage und individuellem Bedürfnis orientiert. Durch einen Bildungsgutschein könnten nicht nur Schulen mit eigenen (pädagogischen) Profilen unterhalten und durch eine entsprechende Ausgestaltung, z.B. durch Ergänzungsgutscheine, gegründet werden, vielmehr würden gerade auch Eltern gehandikapter Kinder mit der Kaufkraft des Bildungsgutscheins in Händen jene Schulen nachfragen können, die ihre Kinder am optimalsten zu fördern in der Lage sind. Wie auch die Schweizer Bildungsökonomen T. Straubhaar und M. Winz feststellen, kommt die über ein staatliches Bildungssystem propagierte "Bildung für alle" am wenigsten dem Nachfrager selbst zugute. Die Behauptung, daß Chancengleichheit und soziale Gleichheit durch staatliche Finanzierung und staatliches Angebot gegeben seien, sei falsch und widerspreche sowohl der ökonomischen Logik als auch sozialen Zielsetzungen. 65 Der Effekt sei nur eine gewaltige und teure Um verteilung von Steuergeldern, mit denen über die Abschlüsse soziale Selektion betrieben werde.
3. Bildungsqualität und Qualitätskontrolle Eine der Hauptfragen in der Debatte ist, ob Gutscheine tatsächlich zu einer höheren Bildungsqualität führen. Die Befürworter des Gutscheins sehen in bezug auf Qualifikationen und Abschlüsse den Markt als idealen Ort, auf dem durch Wahlfreiheit und Nachfrage die "guten" Schulen gestützt und diejenigen, die "schlechte" Qualität liefern, ihre Pforten schließen müssen. Die vermutete Qualitätsverbesserung ergibt sich dabei aus der Nähe des Konsumenten zum Produzenten, so daß die Bedürfnisse des Nachfragers ohne große "Reibungsverluste" direkt in Leistungen umgesetzt werden können. Im schlimmsten Falle bringen unregulierte Gutscheine Interessengruppen hervor, die nicht in der Lage sind, die Bildung ihrer Kinder zu finanzieren, weil sie zu teuer ist. Dieser Fall tritt aber nur dann ein, wenn keine Ergänzungsleistungen vorgesehen und die Informationen ungenügend sind, um eine vernünftige Entscheidung bei der Wahl der Schule treffen zu können, oder wenn die investierten Geldmittel nicht zum gewünschten Bildungsziel führen. Um diese möglichen negativen Auswirkungen zu vermeiden, muß dem Staat bei der Finanzierung und den Ergänzungsmöglichkeiten, bei der Bereitstellung
65
T. StraubhaarlM. Winz, Refonn des Bildungswesens, a.a.O., S. 17 ff.
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eines gut ausgebauten Informationssystems für die Nachfrager, bei der Errichtung alternativer Schultypen und der Zulassung von Schulen ein minimales Mitspracherecht (in Form einer Rechtsaufsicht) eingeräumt werden. Dies darf jedoch nicht so weit gehen, daß von den privaten Bildungseinrichtungen verlangt wird, daß sie die Lehrinhalte staatlicher Schulen übernehmen. Einheitliche Lehrpläne und Lernmethoden untergraben die Vielfalt, die durch Gutscheine gerade erreicht werden soll. Die Bildungsqualität wird sich durch Gutscheine insofern erhöhen, als eine Schule bemüht sein muß, gute Bildung anzubieten, um Kundschaft zu halten und um neue werben zu können. Steht der "Hersteller" im Brennpunkt des Kundeninteresses, wird er es sich nicht leisten können, schlechte Qualität zu liefern. Schlechte Schulen kann sich deshalb nur leisten, wer fest im Sattel eines planwirtschaftlieh diktierten Angebots sitzt, auf das der Nachfrager mangels individueller Kaufkraft keinen Einfluß nehmen kann. 4. Elterliche Interessenwahrnehmung
Gutschein-Befürworter sind der Ansicht, daß Eltern am besten die Interessen ihrer Kinder vertreten können - und deren Interessen müssen nicht zwingend mit den Zielsetzungen eines staatlichen Bildungssystems übereinstimmen. Dem steht der paternalistische Einwand gegenüber, daß Eltern nicht immer die besten Interessenvertreter ihrer Kinder seien. Die Gutschein-Befürworter gehen dagegen davon aus, daß Eltern sehr wohl wissen, welche Art von Ausbildung ihre Interessen verwirklichen kann, und daß sie die Informationen und Zugangsvoraussetzungen kennen, um die Ausbildung auszuwählen, die sie für ihre Kinder suchen. Diese Annahme ist sicherlich insofern zutreffend, als das allgemeine Bildungsbewußtsein in den letzten Jahren erheblich gestiegen ist. Andererseits muß man auch davon ausgehen, daß es immer Eltern geben wird, die Entscheidungen fällen, welche den Fähigkeiten und Begabungen ihrer Kinder nicht gerecht werden. 66 Sich darauf zu verlassen, daß Eltern in allen Fällen die beste Interessenvertretung ihrer Kinder seien, ist genauso einseitig wie die Annahme, daß öffentliche Behörden und Einrichtungen am besten Sorge um das Wohl des Kindes und seine Bedürfnisse tragen könnten. Dennoch kann man davon ausgehen, daß Eltern in der Regel ihre intime Kenntnis in eine angemessenere Ausbildung ihrer Kinder umsetzen können als staatliche Behörden. Wie auch immer die elterliche Entscheidung ausfallen mag, es ist besser, 66 H. Levin. M. Harry, Educational Vouchers and Social Policy, Stanford Calif., Stanford Univ., Institute for Research and Educational Finance and Governance, 1979, S.17-20.
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wenn sie von jenen getroffen wird, die direkt davon betroffen sind. Denjenigen Eltern jedoch, die nicht gewillt sind, sich für die Bildung ihrer Kinder zu engagieren, wird es ziemlich gleichgültig sein, ob die Schule über Gutscheine finanziert wird oder nicht. 5. Staatlicher Regelungsbedarf Die gegenwärtige Diskussion bezeichnet den Gutschein als ein Mittel, Schulen zu "entrechtlichen", d.h., die Schulen sollen von hinderlicher Bürokratisierung entrümpelt werden. Ein minimaler staatlicher Regelkatalog könnte die finanziellen Aspekte dieses Vorhabens ausreichend spezifizieren, so z.B. durch einen festgelegten Sockelbetrag mit Ergänzungsmöglichkeiten sowie Kriterien dafür, was eine Schule ist. Die Befürworter von Gutscheinen gehen davon aus, daß das Ausmaß von gesetzlichen und bürokratischen Regelungen bei der Einsetzung von Gutscheinsystemen abnehmen wird. Ihre Gegner vertreten das Gegenteil; sie meinen, daß die staatliche Bürokratie zunehmen wird, da die Kontrolle vieler verschiedener Schulen komplizierter sein wird als in einem einheitlichen und zentral gesteuerten Schulsystem. Weder Befürworter noch Gegner von Gutscheinen ziehen dabei in Erwägung, ob Aufsicht und Kontrolle über das Schulwesen zwangsläufig Aufgabe des Staates sein muß. Denkbar wären auch nichtstaatliche lokale Kontrollorgane (Kammern o.ä.), die über die Einhaltung eines Regelkatalogs wachen. Bei Gutscheinsystemen könnten nicht nur staatliche Stellen, sondern öffentlich-rechtliche Körperschaften, in der auch die Kommune vertreten ist, über die Verteilung der Mittel wachen. Es ist anzunehmen, daß der Markt die staatlich verwaltete Finanzbürokratie abbaut und teilweise aus ihrer Verantwortung entläßt. Ob die Mittel effektiv, rational und angemessen eingesetzt werden - die Antworten auf diese Fragen wird jede einzelne Schule selbst (und nicht der Staat) geben müssen, da sie die Mittel in eigener Verantwortung einsetzt. Dem immer häufiger artikulierten Wunsch der Eltern nach Lehrplanfreiheit und nach einem vielfältigen Lernangebot stehen Lehrerverbände, Behörden, Gewerkschaften und Politiker sehr skeptisch gegenüber, würden sie doch unter einem Gutscheinsystem ein erhebliches Ausmaß an Einflußnahme und Machtausübung einbüßen. Deshalb werden sie es nicht versäumen, dafür zu sorgen, daß ihre Interessen und das, was sie für eine gute Erziehung und Bildung halten, durch die Gesetzgebung abgesichert werden. Da es neben einem bestimmten Anteil, der mit dem gegenwärtigen Bildungsangebot zufrieden ist, immer auch solche geben wird, deren Wünsche durch die bestehenden Auswahlmöglichkeiten nicht abgedeckt werden, wird auf öffentliche Bildungsplanung nicht völlig verzichtet werden können. Das
Der Bildungsgutschein - Finanzierungsmodell fUr ein freies Bildungswesen 213 Ausmaß, in dem der Staat versuchen wird, die Unterversorgung bestimmter Interessengruppen zu beheben und Rechtsverletzungen zu ahnden, wird den Umfang des staatlichen Verwaltungsaufwandes im Bildungswesen bestimmen.
V. Weitere Aspekte der Bildungsfinanzierung Tradierte Absolutheitsansprüche, pädagogisches Gleichartigkeitsdenken und eine ihnen entsprechende Verwaltungspraxis bedrohen jedwede Form nichtstaatlicher Initiative durch restriktive Auslegung der geltenden Gesetze. Trotz des Urteilsspruchs des Bundesverfassungsgerichts von 1987 hängt eine ausreichende Finanzierung des nichtstaatlichen Schulwesens, besonders der Schulen in freier Trägerschaft, von der politischen Willkür der Länderregierungen ab; und dies, obwohl das Gericht den nichtstaatlichen Schulträgern bescheinigte, daß sie den öffentlichen Bildungsauftrag mit erfüllen. Eine bis in die Finanzierungspraxis durchschlagende Anerkennung des freien Schulwesens als eines dem staatlichen gleichwertigen steht noch aus. Benachteiligend kommt hinzu, daß durch Steuern und Schulgelder die Eltern, deren Kinder eine nichtstaatliche Schule besuchen, doppelt zur Kasse gebeten werden. Durch das finanzielle Doppelengagement werden nicht nur die volle Wahrnehmung der elterlichen Rechte und die Ausübung eines Grundrechts beeinträchtigt; vielmehr spart der Staat als Vertreter der Solidargemeinschaft jenen Betrag ein, den er für Schulen in freier Trägerschaft aufzuwenden hätte. Gleichzeitig wird den "privaten" Schulen aufgrund der von ihnen selbst unverschuldeten, vielmehr aus der Förderungspraxis und -höhe aufgenötigten Erhebung von Schulgeldern der Vorwurf gemacht, daß sie eine ökonomisch privilegierte Gruppierung darstellen; d.h., die Unterlassung des Staates, angemessene Finanzhilfe zu leisten, wird in eine Privilegierung der Eltern "privater Eliteschulen" uminterpretiert. 67 Über eine fmanzielle Gleichstellung und eine autonome Finanzverwaltung aller Schulen - unabhängig von ihrer Trägerschaft - würde sich zeigen, was Schüler und Eltern wirklich benötigen. Ein Mittel, diesem Bedarf Ausdruck zu geben, wäre ein Bildungsgutscheinsystem, da es die auch in rechtlicher Hinsicht bestehende ,,zwangsbeziehung" einer bestimmten "Klientel" zu einer bestimmten Schule aufheben würde.
61 Vgl. L. Th. Lemper, Privatschulfreiheit. Zur Genese, Praxis und Chance eines Grundrechtes. Köln, Graz, Wien 1989, S. 165.
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Daß die Bildungschancen der Lernenden weder durch die Finanzierungskraft der jeweiligen Schulträger noch durch die der Lernenden selber bestimmt werden dürfen, darin waren sich der Deutsche Bildungsrat und die amerikanischen Kollegen von der Harvard-Universität einig. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Nur die staatlichen Schulen werden aus öffentlichen Mitteln voll finanziert, während Schulen in freier (privater) Trägerschaft nicht oder nur teilweise in diesen Genuß kommen. Um diesen Mißstand zu beheben, müssen staatliche und staatlich anerkannte (freie) Träger im Bildungswesen finanziell gleichberechtigt nebeneinander stehen, um ihren öffentlichen Bildungsauftrag auf je unterschiedliche Weise - erfüllen zu können. Unter der Voraussetzung, daß ein aus dem Grundrecht abgeleitetes Leistungsrecht eine Grundfinanzierung aller Schulen sichert, würde ein Gutscheinsystem das adäquate Finanzierungsverfahren bieten. 68 In Deutschland sieht Artikel 7 GG im Wortlaut keinen direkten Anspruch auf staatliche Unterstützung privater Schulen aus öffentlichen Mitteln vor. Es ist den Ländern vorbehalten, "im Rahmen ihrer rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten die Privatschulen unmittelbar oder mittelbar zu fördern und ihnen die gleichen Vergünstigungen zu gewähren wie den öffentlichen Schulen,,69 . Die neuere Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht bejaht jedoch eindeutig eine leistungsstaatliche Interpretation des Grundrechts auf Errichtungsfreiheit von Schulen in freier Trägerschaft und eine staatliche Schutzund Förderpflicht. Demnach besteht nach Art. 7, Abs. 4 eine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Bundesländer, anerkannte Ersatzschulen finanziell zu fördern (Finanzhilfepflicht). Diesem Urteil wird eine große rechtsgeschichtliche Bedeutung zugemessen, insofern es in Ableitung der sog. Interventionsgarantie eine Leistungspflicht des Staates zugunsten des Grundrechtsträgers bestätigte. 70 Des weiteren gilt das Recht zur Errichtung freier Schulen in Anlehnung an die bürgerlichen Individualgrundrechte71 als Ausdruck einer pluralistisch-demokratisch verfaßten Gesellschaft. "Das Grundgesetz respektiert damit von vornherein und bedingungslos Willen und Wahlfreiheit derjenigen Bürger, die als Eltern für Erziehung und Entwicklung ihrer Kinder eine nichtstaatliche Schule
68
Vgl. J. P. Vogel, Der Bildungsgutschein, in ,,Erziehungskunst" 11/1972, S. 36.
69 Zit. nach B. Pieroth et al (Hrsg.), Die staatliche Privatschulfinanzierung vor dem
Bundesverfassungsgericht. Baden-Baden 1988, S. 194. 70 F. Müller (Hrsg.), Zukunftsperspektiven der Freien Schulen, Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 529. Berlin 1988, S. 192. 71 Die da sind: Schutz und Würde des Menschen (Art. I, Abs. 1 GG); Entfaltung der Persönlichkeit in Freiheit und Selbstverantwortung (Art. 2 GG); Religions- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG); religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates (Art. 6, Abs. 2, Satz 1 GG); natUrliches Elternrecht (Art. 6 GG).
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mit individuellem Werthintergrund und (oder) originär geprägtem pädagogischem Konzept suchen."n Die staatlichen Bildungseinrichtungen finanziert der Staat über das Steueraufkommen. Die nichtstaatlichen Bildungseinrichtungen werden staatlich subventioniert, wenn sie als Ersatzschulen staatlich genehmigt und anerkannt sind - allerdings in unterschiedlicher Höhe und nach verschiedenen Finanzierungsverfahren. Die Palette reicht von Ausgabendeckungsverfahren und pauschalierten Schülerkopfsätzen bis hin zur Schulgelderstattung.73 Gedeckt, ersetzt und erstattet werden im Durchschnitt 65 Prozent der laufenden Sach- und Personalkosten einer anerkannten Schule. In der Regel reichen diese staatlichen Zuwendungen jedoch nicht aus, so daß die Schulen genötigt sind, Mittel aufzuwenden, die ihnen über Schulgelder, Spenden und private Stiftungsgelder zufließen. Die einzelnen Bundesländer sind dazu verpflichtet, aUen anerkannten Ersatzschulen in solchem Maße Finanzhilfe zu gewähren, daß eine Grundfinanzierung gesichert ist (sog. Existenzminimum). Der Staat garantiert, daß eine genehmigte Schule wirtschaftlich so abzusichern ist, daß sie die Genehmigungsvoraussetzungen einhalten kann (z.B. Sonderungsverbot). Eine staatliche Handlungspflicht besteht dann, wenn die Finanzierung einer anerkannten Schule aus eigener Kraft nicht zu leisten ist. Nach den Genehmigungsvoraussetzungen für die Errichtung einer Schule in freier Trägerschaft nimmt eine solche Schule "automatisch" den Status der Hilfsbedürftigkeit ein, um diesen Voraussetzungen entsprechen zu können. In der Finanzhilfepraxis haben sich folgende Finanzierungsverfahren durchgesetzt, die nicht nur eine (hinsichtlich der über die Vergabemodi Einzug haltende) staatliche Bevormundung begünstigen, sondern in ihrer Zuteilung ausnahmslos angebots- statt nachfrageorientiert sind. So z.B. beim Ausgabendeckungsverfahren, welches durch die detaillierte Ausweisungspflicht der schulischen Ausgaben einen direkten staatlichen Eingriff in den Haushalt der Schulen ermöglicht, bis hin zur Reglementierung und Standardisierung von Unterrichtsmitteln und der Ausstattung der Räume. In der Praxis hat sich gezeigt, daß dieses Verfahren finanztechnisch zeitraubend und aufwendig ist, hohe Verwaltungskosten verursacht und erfahrungsgemäß zu teilweise unsinnigen Ausgaben führt. Innovative Ansätze in bezug auf die Baulichkeiten, die Verwendung der Gelder für Lehr- und Lernmittel, die Anstellung und Gehälter haben in der Enge dieses bürokratischen Verfahrensansatzes, wodurch zwangs-
72 73
F. Müller, Zukunftsperspektiven, a.a.O., S. 193. F. Müller, Zukunftsperspektiven, a.a.O., S. 11.
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läufig ein nonnierender Einschlag stattfindet, kaum den notwendigen finanziellen Umsetzungsspielraum. Ein anderes Zuteilungsverfahren sind die sog. pauschalierten Schülerkopfsätze. Demnach bekommt jede Schule pro Schüler einen Pauschalbetrag, der sich an den durchschnittlichen Kosten einer vergleichbaren staatlichen Schule ausrichtet. Der Verwaltungsaufwand ist hier wesentlich geringer bei besserer Abstimmung der Nachfrage und des Angebotes: Sinkt (steigt) die Schülerzahl, so sinkt (steigt) die Finanzhilfe, wodurch die Kosten der Träger steigen (sinken). Bei genauerer Betrachtung muß man jedoch feststellen, daß dies nur ein Zwischenschritt hinsichtlich einer echten Nachfrager-Souveränität bedeuten kann, denn nicht der Nachfrager, sondern der Staat spricht in diesem Verfahren der Schule die finanziellen Mittel zu. Dagegen läge ein echter Fortschritt in Hinblick auf eine praktizierte Selbstbestimmung und Schulwahlfreiheit vor, wenn die Nachfrager (das sind in der Regel die Eltern) frei entscheiden könnten, welcher bestehenden oder neu zu gründenden Schule sie die Gelder zusprechen wollen. Durch die freie Verfügung über die finanziellen Mittel kann der Nachfrager seine eigenen Präferenzen wertmäßig zum Ausdruck bringen und damit das schulische Angebot mitgestalten. Nicht nur dies: Die effektiven Kosten von Bildung, die - kaschiert durch die Unentgeltlichkeit - tatsächlich bestehen, werden für den "Konsumenten" einerseits und den Schulträger andererseits durch den bewußten Umgang mit diesen Geldern transparent und sozial verantwortlich gehandhabt. Auf der Suche nach neuen Finanzierungsverfahren im Bildungsbereich ist ein beliebter, aber umstrittener Vorschlag dieser, daß über den freien Markt das Bildungskapital (z.B. über Darlehen) aufgebracht werden soUte. Der Kapitalmarkt soU als Garant der grundrechtlich verankerten Pflicht zur finanziellen Sicherung der Bildungsnachfrage fungieren. Daß die "frei flottierenden Kräfte" des Marktes, die "invisible hand", Rücksicht auf die wohlfahrtsstaatlichen Zielsetzungen (z.B. Chancengleichheit) nehmen, muß bezweifelt werden, da der Markt nicht in der Lage ist, wohlfahrtsstaatliche Funktionen zu erfüllen, ohne daß die Dynamik partikularer Wirtschaftsinteressen außer Kraft gesetzt werden müßte. Wie schon erwähnt, besteht im Falle von Marktversagen Handlungsbedarf, dem z.B. durch regulierte Gutscheinsysteme entsprochen werden könnte. Mit dem Bildungsgutschein bekäme der Nachfrager die Möglichkeit, in freier Entscheidung zu wählen und mitzuverwalten. Er verfügt damit nicht über "fremde" Gelder, auf die er einen unterschiedlich interpretierbaren Rechtsanspruch hat und die er je nach politischem Goodwill zugesprochen bekommt, sondern über seine "eigenen". Dies entspricht der verfassungsrechtlichen Intention freier Bildungsmöglichkeiten. 74
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Ein staatliches Schulsystem, das es sich zum Ziel gesetzt hat, Mindeststandards an Bildungsinhalten zu vermitteln, muß von dem nach Selbstbestimmung strebenden Bürger zwangsläufig als Bevormundung aufgefaßt werden. In Wahrnehmung und Ausübung eines Grundrechts muß es ihm freigestellt sein, welcher Schule er den Zuschlag erteilt. Mit dem Bildungsgutschein würde er jene Kaufkraft erhalten, die dieses Anliegen realisieren könnte, indem er selbst "seine" Schule finanziert. Die gemeinschaftliche Verantwortung für die Bildung nachwachsender Generationen darf sicherlich nicht der Willkür einzelner unterliegen; aber es ist durchaus denkbar, daß dieser gesamtgesellschaftlichen Verantwortung nicht ausschließlich durch ein staatliches Bildungsmonopol entsprochen wird. Die Bereitschaft einzelner Menschengruppen, selbsttätig Verantwortung im Bildungsbereich zu übernehmen, darf nicht daran scheitern, daß ihnen von staatlicher Seite das Recht auf Mitsprache und Mitgestaltung über eine restriktive Finanzierungspraxis de facto entzogen wird. Das heißt, die Ausübung und Wahrnehmung eines Grundrechts muß ein materielles und finanzielles Verfügungsrecht miteinschließen, dessen wertmäßiger geldlicher Ausdruck durch Bildungsgutscheine gegeben wäre. So könnte die Verantwortlichkeit für das Schulwesen jenen zurückgegeben werden, die davon direkt betroffen sind. Ein Gutscheinsystem hätte dabei nicht nur den Aspekten der individuellen Präferenz, der Persönlichkeitsentfaltung und der Wahrnehmung persönlicher Freiheitsrechte Rechnung zu tragen, sondern auch der ökonomischen Effizienz und der optimalen Verteilung der vorhandenen Mittel wie auch der Chancengleichheit, der freien Zugänglichkeit und dem Sonderungsverbot. Der Gedanke, daß eine Bildungseinrichtung auch ein wirtschaftliches Unternehmen darstellt, das sicherlich nicht gewinnorientiert, aber doch wirtschaftlich effizient mit den vorhandenen Mitteln umzugehen hat, fehlt fast völlig. Nicht nur, daß unfahige Bildungsanbieter nicht sanktioniert werden können, es fehlt aufgrund der Vorherrschaft des planwirtschaftlichen Elements im Bildungsbereich an finanzieller Leistungskontrolle und Kostentransparenz. Dadurch ver-
74 Was damit ausgesagt werden soll, beschreibt lach als einen Schritt vom staatlichen Schulsystem zu einem öffentlichen Schulwesen. Die durch das Privatschulwesen in seiner Vorreiterfunktion angestrebte Selbstverwaltung des Bildungs- und Erziehungswesens erfordert nicht nur die verfassungsrechtliche Anerkennung auf Anspruch staatlicher Subventionen, sondern die Instandsetzung der Träger dieser Institutionen als Grundrechtsträger. Vgl. F.-R. lach, Schulvielfalt als Verfassungsgebot. Berlin 1991, S.56.
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schiebt sich der Wettbewerb um knappe Ressourcen auf die Ebene des politökonomischen Verteilungskampfes, d. h. des Wettbewerbs um öffentliche Zuwendung, und die Bildungsanbieter (in der Mehrheit die staatlichen Schulen) erhalten, da Nachfrager keine Kaufkraft besitzen, keinerlei verhaltens- und ausgabensteuernde Signale.7s Die Folge ist, daß neben einer fehlerhaften staatlichen Bildungsplanung, die auf die Unwägbarkeiten des demographischen Wandels, des Arbeitsmarktes und der individuellen Präferenzen nur sehr schwerfällig zu reagieren vermag, eine optimale Nutzung knapper Mittel nahezu ausgeschlossen ist. Nach T. Straubhaar und M. Winz seien staatliche Um verteilungen nur dort gerechtfertigt, wo das Gerechtigkeitsziel (Chancengleichheit) durch individuelles Verhalten nicht erreicht werden kann. Das Efjizienzziel ist dagegen nur durch ein Finanzierungsverfahren zu erreichen, das die individuellen Fähigkeitspotentiale des Nachfragers voll zur Entfaltung bringen kann. 76
VI. Europäisches Bildungssystem und Gutscheine Mit der Einführung des europäischen Binnenmarktes stehen die Bildungssysteme der Mitgliedsstaaten der Europäische Union vor groBen Herausforderungen. Mit der Entstehung eines "einheitlichen Wirtschaftsraumes ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Kapital und Dienstleistungen gewährleistet"77 sein soll, werden - wenn auch von nur wenigen Ländern bisher in seinem Ausmaß und seinen Auswirkungen voll erkannt der bildungspolitische Handlungsbedarf und die Erarbeitung möglicher Lösungsansätze akut. Ein ,,Europa der Bürger" wird ohne ein effizientes gesamteuropäisches Bildungssystem, d.h. ohne den radikalen Abbau von Behinderungen in der Freizügigkeit und einer zunehmenden Öffnung national gewachsener Bildungsstrukturen kaum entstehen können. 78 In Deutschland begegnet man dieser Herausforderung mit Studien- und Schulzeitverkürzungen, der Ausarbeitung international vergleichbarer Curricula und extensiven Austauschprogrammen. Ein Schwerpunkt der WeiterentwickVgl. T. Straubhaar/M. Winz. Reform des Bildungswesens, a.a.O., S. 18 f. T. Straubhaar/M. Winz. Reform des Bildungswesens, a.a.O., S. 28 f., 62 f. 77 R. Baur. Herausforderungen des europäischen Binnenmarktes für das Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Ein Gutachten. Schriftenreihe Studien zur Bildung und Wissenschaft, Bd. 91. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.). Bonn 1991, S. III. 78 R. Baur, Herausforderungen des europäischen Binnenmarktes, a.a.O., S. 83 f. 7S
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lung liegt im "Ausbau eines differenzierten Ausbildungsangebots, das die Anpassungsmöglichkeiten an die individuellen Fähigkeiten, Lernmöglichkeiten und Neigungen der Bildungsnachfrager ... erweitert,,79. Der EU-Vertrag eröffnete aber nur beschränkte Möglichkeiten zur Durchführung einer gemeinsamen Bildungspolitik.8o Auch die allgemein gehaltenen Leitlinien der EU-Kommission, der Bildungsbehörden der einzelnen Mitgliedsstaaten sowie die Aktionsprogramme zur Internationalisierung von Schule und Hochschule, die den grenzüberschreitenden Austausch fördern sollen, ändern daran nichts. Obgleich der EU durch die Maastrichter Verträge erstmals gewisse Kompetenzen im Bereich der allgemeinen schulischen Bildung eingeräumt wurden (Art. 126 EG-Vertrag), gilt es auch nach der Neufassung des EU-Vertrages "festzuhalten, daß das gegenwärtige primäre Gemeinschaftsrecht keine ausreichende Rechtsgrundlage für ein umfassendes Tätigwerden der EG im Bereich der allgemeinen schulischen Bildung darstellt ... ,,81 Unter Anerkennung des Subsidiaritätsprinzips und der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten in allen Angelegenheiten der allgemeinen Bildungspolitik sprach sich der Ministerrat der EU 1989 gegen eine mögliche direkte Einflußnahme aus. Andererseits gehört es zu den wichtigsten Zielsetzungen europäischer Bildungspolitik, Verfahren zu entwickeln, damit in den Mitgliedsstaaten Reformen und Umstrukturierungen der Bildungssysteme in voller Kenntnis der Erfahrung anderer Mitgliedsstaaten geplant werden können und damit, wo es angebracht ist, die Kooperation der Systeme erleichtert wird. Wie werden die Mitgliedstaaten - bei voller Anerkennung der eigenen kulturellen Identität - auf die durch zunehmende Mobilität im Bildungs- und Beschäftigungssystem unausweichlichen Zentralisierungsmaßnahmen europäischer Bildungsverwaltung und Bildungsfinanzierung reagieren? Wie schwierig wird sich die Übertragung von Hoheitsrechten der Mitgliedsländer unter Wahrung ihrer Souveränität auf Organe der Europäischen Union vollziehen?82 Die Verbindung von nationalen Komponenten und Freizügigkeit gilt als äußerst problematischer Aspekt europäischer Bildungspolitik. 83 Wie soll ein "bewegliches Europa, in dem die Freizügigkeit von Menschen und Ideen, die Anerken79 Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.), Berufsbildungsbericht. Bad Honnef 1989, S. 1. 80 R. Baur, Herausforderungen des europäischen Binnenmarktes, a.a.O., S. 90. 81 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 1988, Nr. 177/5. 82 Vgl. N. Lorenz. Die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Gemeinschaft, Europäische Hochschulschriften Bd. 993. Frankfurt, Bern, NewYork, Paris 1990, S. 378 f., 398 f., 418 f. 83 Vgl. J. Handoll. Foreign Teachers and Public Education, in: B. de Witte: European Cornmunity Law. Baden-Baden 1989, S. 3. 15 FS Vogel
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nung von Bildungsabschlüssen ... nicht nur auf wenige initiative Gruppen beschränkt" ist,84 realisiert werden, ohne "die individuellen Fähigkeiten, Lernmöglichkeiten und Neigungen der Bildungsnachfrager" zu vernachlässigen? Als eine wesentliche Voraussetzung der Freizügigkeit gilt die Aufhebung restriktiver Genehmigungsverfahren und der Abbau der bürokratischen Aufsicht.8s Damit wird ein bildungspolitisch hochbrisantes Terrain beschritten: Wird Freizügigkeit innerhalb der Beschäftigungssysteme nicht nur konzediert, sondern als conditio sine qua non der Realisierung eines europäischen Binnenmarktes angesehen, so wird dies auf die Bildungssysteme der Mitgliedsstaaten einen erheblichen Druck ausüben, insofern sie ihre jeweils unterschiedliche Rechts- und Finanzierungspraxis gegenüber allen schulischen Einrichtungen liberalisieren müßten. Die Anerkennung schulischer Vielfalt und Schulwahlfreiheit auf EU-Ebene setzt damit die Anerkennung schulischer Vielfalt und Schulwahlfreiheit auf nationaler Ebene voraus. Diese bildungspolitische Herausforderung erfährt eine besondere Zuspitzung durch das nicht unproblematische Verhältnis von staatlichen und nichtstaatlichen Bildungseinrichtungen in einigen Mitgliedsländern, in denen man z.T. noch weit davon entfernt ist, von einer wirklichen Gleichwertigkeit z.B. in bezug auf die ausgeübte Rechts- und Finanzpraxis, die Anerkennung der Abschlüsse und Hochschulzulassung zu sprechen. Wie schon die bisher langwierigen binationalen Verhandlungen über Entsprechungsverfahren im Bildungsbereich zeigen, ist der praktische Wert derartiger Festsetzungen stark umstritten, da sie die Freizügigkeit innerhalb der verschiedenen Bildungs- und Beschäftigungssysteme immer wieder zu unterlaufen drohen. ,,Es besteht weitgehend Konsens, daß eine Angleichung der nationalen Bildungs- und Ausbildungssysteme innerhalb der EU nicht anzustreben ist, .. . deshalb ist eine großzügige und weitgehende wechselseitige Anerkennung .. . der Abschlüsse erforderlich, sonst wird von der Freizügigkeit letztlich doch ein Zwang zur Angleichung ausgehen.,,86 Freizügigkeit innerhalb eines europäischen Wirtschaftsraumes hat zur Voraussetzung die Freizügigkeit innerhalb eines europäischen Bildungsraumes, der alle staatlichen, anerkannten und genehmigten Schulen umfaßt. So gibt es in einigen Mitgliedsstaaten bis heute noch keinen rechtsverbindlichen Anspruch auf staatliche Subventionen für Schulen in nichtstaatlicher Trägerschaft auf nationaler, geschweige denn auf EU-Ebene. Den EU-Bestimmungen ist jedoch zu entnehmen, daß migrierende Schüler und Studenten im Rahmen bestehender 84 85
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Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 1989, Nr. C 277/6. R. Baur, Herausforderungen des europäischen Binnenmarktes, a.a.O., S. 125. R. Baur, Herausforderungen des europäischen Binnenmarktes, a.a.O., S. 137.
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Ausbildungsbeihilfen nicht benachteiligt werden dürfen. 87 Selbst wenn die Mitgliedstaaten ausländischen Bildungsnachfragern in vollem Umfang finanzielle Unterstützung gewährten, wird es zu erheblichen Abstimmungsproblemen hinsichtlich der unterschiedlichen Förderpraxis der Länder kommen. Deshalb ist es naheliegend, daß entsprechende Finanzierungskonzepte der EU, die es dem Bildungsnachfrager erlauben, ein grenzüberschreitendes Bildungsangebot nicht nur wahrzunehmen, sondern auch zu fmanzieren, erarbeitet werden. Mit der Freizügigkeit innerhalb eines "europäischen Schulhauses" wird es schlecht bestellt sein, wenn der einzelne Bildungsnachfrager (nicht die Bildungseinrichtung) keine europaweit geregelte finanzielle Förderung erhält. 88 Mit zunehmender grenzüberschreitender Mobilität der Arbeitnehmer müssen diese Finanzierungsverfahren flexibel genug gehandhabt werden können, um den individuellen beruflichen und schulischen Präferenzen der Arbeitnehmer/Bildungsnachfrager entsprechen zu können. So hat das Europäische Parlament in der "Entschließung zur Freiheit der Erziehung in der Europäischen Gemeinschaft,,89 aus dem Jahre 1984 die Anerkennung folgender Grundsätze beschlossen: " ... 7. die Freiheit der Erziehung und des Unterrichts beinhaltet das Recht, eine Schule zu eröffnen und Unterricht zu erteilen, die freie Schul- und Unterrichtswahl; ... Sache des Staates ist es, die dafür nötigen Einrichtungen öffentlicher und freier Schulen zu ermöglichen; 8. frei gegründete, staatlich anerkannte Schulen verleihen die gleichen Berechtigungen wie die staatlichen Schulen; 9. aus dem Recht der Freiheit der Erziehung folgt wesensnotwendig die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, die praktische Wahrnehmung dieses Rechts auch finanziell zu ermöglichen und den Schulen die zur Durchführung ihrer Aufgaben und zur Erfüllung ihrer Pflichten erforderlichen öffentlichen Zuschüsse ohne Diskriminierung der Organisatoren, der Eltern, der Schüler oder des Personals zu den gleichen Bedin-
87 B. de Witle (Hrsg.), European Community Law of Education. Baden-Baden 1989,
S.I1.
88 B. de WiUe (Hrsg.), European Community Law, a.a.O., S. 74. 89 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft, 1984, Nr. C 104/69 - 71. Die Ent-
schließung ruht auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 (Art. 26), dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 (Art. 13), dem Internationalen Übereinkommen gegen die Diskriminierung im Erziehungsbereich von 1960 (Art. 4 u. 5), der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 (Art. 9; und Zusatzprotokoll Art. 2), der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (Urteil v. 7.12.1976, Serie A Nr. 23) und der Gemeinsamen Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zum Schutz der Menschenrechte von 1977 (ABI. Nr.C.103).
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gun gen zu gewähren, wie sie die entsprechenden öffentlichen Unterrichtsanstalten genießen." Der EU-Ministerrat forderte des weiteren für die Ausführung dieser Grundsätze "die gegenseitige Anerkennung der Schulabschlüsse, Diplome und sonstigen Prüfungszeugnisse, wobei die von staatlichen und staatlich anerkannten Schulen verliehenen Berechtigungen gleich zu behandeln sind", und die Sicherung voller "Freizügigkeit der Schulabsolventen innerhalb der Gemeinschaft ohne Diskriminierung zwischen Schülern staatlicher und staatlich anerkannter Schulen ... ,,90 Der Verfassungsentwurf zur Europäischen Union postuliert in Art. 60 die Festlegung gemeinsamer oder vergleichbarer Ausbildungsziele,91 wobei eine gemeinsame Bildungspolitik nicht die Standardisierung von Lehrmethoden und Lehrplänen bedeuten muß. 92 Darüber hinaus sieht der Entwurf den effizientesten Einsatz öffentlicher Mittel bei gleicher oder besserer Zweckerfüllung vor. 93 Nach Art. 5 (Grundfreiheiten) und Art. 12 (Soziale Rechte) hat jeder Unionsbürger das Recht auf freie Schulwahl und auf schulische Bildung.94 Auf der Basis eines europäischen Steuersystems9S zur Erfüllung dieser Rechte sieht Art. 77 einen Finanzausgleich vor,96 wobei eine Diskriminierung des Arbeitnehmers innerhalb der EU durch gleiche steuerliche und soziale Vorteile ausgeschlossen werden sol1. 97 In Rücksicht auf die Verschiedenartigkeit nationaler Bildungssysteme wie auch die Vielfalt unterschiedlicher pädagogischer Konzepte ist der Bildungsgutschein ein Finanzierungsverfahren, das dem Gedanken der "Vielfalt in der Einheit" und der Freizügigkeit des Bildungsnachfragers nicht nur zwischen den verschiedenen Schularten, seien sie staatlich oder privat, entsprechen würde; ein solches Finanzierungsverfahren würde es ermöglichen, mit größtmöglicher Effizienz die individuellen Mobilitäts- und Bildungswünsche des Nachfragers über die nationalen und kulturellen Grenzen der Schulsysteme hinweg zu realisieren.
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Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft, 1984, Nr. C 104/69-71.
91 Aus J. SchwarzeIR. Bieber (Hrsg.), Eine Verfassung fUr Europa. Von der Europäi-
schen Gemeinschaft zur Europäischen Union. Baden-Baden 1984, S. 347. 92 J. Handoll, Foreign Teachers, a.a.O., S. 69. 93 J. Schwarze et al, Eine Verfassung für Europa, a.a.O., S. 575. 94 J. Schwarze et al, Eine Verfassung CUr Europa, a.a.O., S. 583, 586. 95 J. Schwarze et al, Eine Verfassung CUr Europa, a.a.O., S. 612. 96 J. Schwarze et al, Eine Verfassung für Europa, a.a.O., S. 485. 97 B. de Witte (Hrsg.), European Community Law, a.a.O., S. 73.
Der Bildungsgutschein - Finanzierungsmodell für ein freies Bildungswesen 223 Um eine volle Beweglichkeit zwischen den Schularten und Bildungssystemen zu gewährleisten, müßten alle anerkannten Schulen berechtigt sein, Bildungsgutscheine anzunehmen und einzulösen. Das heißt, neben der vollen Realisierung der Unterrichtsfreiheit muß eine europäische Bildungspolitik auf volle Gewährleistung der finanziellen Gleichbehandlung aller staatlichen und staatlich anerkannten Schulen abzielen. Wie schon in den USA angedacht, wo eine zentrale Agentur (Educational Voucher Agency [EVA)) die Mittelaufbringung verwalten würde, könnte auf EU-Ebene eine zentrale Finanzstelle eingerichtet werden, die mit der Finanzierung von Bildung über Bildungsgutscheine beauftragt ist. Um einem Mißverständnis vorzubeugen: Diese Zentralstelle bildet die Gewähr, daß die erforderlichen Mittel von den einzelnen Mitgliedsstaaten aufgebracht werden und nicht wie und wofür sie im konkreten Einzelfall ausgegeben werden sollen letzteres entscheidet der Nachfrager mit dem Bildungsgutschein vor Ort. Eine zentrale Verteilung der Ressourcen nach einheitlichen Beurteilungsgrundlagen (z.B. durch Anerkennung eines einheitlichen Curriculums), die über den Rahmen einer bloßen Rechtsaufsicht hinausgingen, widerspräche vollkommen der Idee des Bildungsgutscheins, da die finanzielle mit der inhaltlichen Zentralisierung der Verfügungsrnacht einherginge, subsidiären Aufbau von "unten" unterbinden und die föderale Vielfalt aufheben würde. Wie ein europaweites Gutscheinsystem aussehen könnte, soll folgendes Beispiel zeigen: Die Eltern eines schulpflichtigen Kindes erhalten von der Kommune einen Gutschein, den sie bei der Schule ihrer Wahl einreichen. Dieser Gutschein hat EU-weite Gültigkeit. Dabei ist es völlig unerheblich, ob ein Holländer, der in Spanien lebt, oder ein Deutscher, der in Deutschland bleibt, der Schule seiner Wahl den Gutschein aushändigt. Ähnlich einem Studienbuch könnte ein Schulbuch den Bildungsweg des Schülers dokumentieren, woraus die Ansprüche auf finanzielle Bildungsleistungen entnommen werden können. Die gewählte Schule reicht dann diesen Gutschein bei der zentralen Finanzagentur ein, die wiederum die erforderlichen Mittel der Schule zuweist. Beim heutigen Stand der EDV und der Möglichkeit, ohne Einschränkungen in der gesamten EU Zahlungen formlos zu leisten, wäre dies ein verwaltungstechnisch unkomplizierter Vorgang. Die Verwaltungskosten werden sich auf ein Minimum reduzieren, da der Gang des Nachfragers zu der Schule seiner Wahl an keinerlei behördliche Durchführungsverfahren gebunden ist: Der mündige "Bürger Europas" verwaltet sich selbst. Der Wert des Gutscheins ergibt sich aus der Art gleichwertiger Erziehungs- und Bildungsleistungen der Schu-
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len,98 wobei die Unentgeltlichkeit prinzipiell unangetastet bleiben müßte. Die erforderlichen Mittel fließen der Agentur durch Beiträge zu, die sich am Bruttosozialprodukt der Mitgliedsstaaten orientieren. Herrscht Konsens "über die Rahmenbedingungen (minimale inhaltliche Anforderungen an bestimmte Unterrichtsfacher, Bildungspflicht, Rechtsaufsicht) und über die Höhe des (nationalen) Bildungsbudgets, aus dem die Bildungsscheine zu finanzieren sind", so könnten Bildungsgutscheine "die Integration der nationalen Bildungssysteme in ein europäisches Bildungssystem erleichtem,,99.
98 Im Ralunen eines vereinbarten Finanzspielraums mUßten Wertdifferenzierungen nach dem Grad der unterschiedlichen Kostenniveaus der Schulen möglich sein; z.B. sind heilpädagogische Einrichtungen kostenintensiver als Schulen im Primarbereich. Auch müßten Differenzierungen innerhalb einer Schule möglich sein, da ein Oberstufenschtiler teurer ist als ein UnterstufenschUler. 99 U. van Lith, Der Markt als Ordnungsprinzip, a.a.O., S. 209.
Lebenslauf Johann Peter Vogel 13.10.1932 geboren als Sohn des Neurologen Prof. Dr. Paul Vogel und Annemarie Vogel, geb. Trautmann, in Heidelberg. Grundschule in Berlin und Heidelberg, danach humanistisches Kurfürst-Friedrich-Gymnasium Heidelberg, dort 1953 Abitur. 1953 juristisches Studium in Heidelberg und München. Daneben Studien in Musikwissenschaft. 1957 Erste juristische Staatsprüfung, 1961 Zweite juristische Staatsprüfung vor dem LandesjustizprUfungsamt BadenWUrttemberg. 1960 Promotion zum Dr. jur. mit einer rechtshistorischen Arbeit bei dem Strafrechtler und Rechtshistoriker Prof. Dr. Eberhard Schmidt, Heidelberg. 1961 Eintritt in die Rechtsanwaltskanzlei Hellrnut Becker, Kressbronn/Bodensee, spezialisiert auf Bildungsrecht und die Beratung von Schul- und Hochschuleinrichtungen, vor allem in freier Trägerschaft; in diesem Zusammenhang ein halbes Jahr Tätigkeit als Jurist, Lehrer und Erzieher an den Schulen Schloß Salem (1961/62). Seit 1962 verheiratet mit Dr. phil. Edelinde Vogel, geb. Huhn; zwei Kinder. 1963 mit der Ernennung Hellrnut Beckers zum Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Berlin, Übernahme der Rechtsanwaltspraxis, nun in Berlin; zunächst (1963-1970) auch noch Mitarbeit am Institut. Beratung und Vertretung von Schulen in freier Trägerschaft, ihren Arbeitsgemeinschaften und Verbänden sowie ärztlicher Gesellschaften, z.B. 1963-1987 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft freier Schulen in Baden-Württemberg; 1964-1971 Sekretär des Erziehungsdirektoriums der John F. Kennedy-Schule, Berlin; 1965-1980 Justitiar der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapie, Psychoanalyse und Tiefenpsychologie; 1982-1991 Justitiar des Berufsverbandes Arzt in Krankenhaus und Behörde, Berlin; 1993-1995 Justitiar der Vereinigung Internationaler Schulen in Deutschland.
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Tätigkeiten und Mitgliedschajten Geschäftsführer der (Bundes-)Arbeitsgemeinschaft freier Schulen (seit 1970), Geschäftsführer, später (1993) Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Vereinigung Deutscher Landeniehungsheime (seit 1964), Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft freier Schulen in Niedersachsen (seit 1973), Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft freier Schulen im Land Brandenburg (seit 1993). Ständige Beratung des Bundes der Freien Waldorfschulen (seit 1963) und des Bundesverbandes Deutscher Privatschulen (seit 1977). Dozententätigkeit am Erziehungswissenschaftlichen Fachbereich der Philipps-Universität Marburg (seit 1980) und Honorarprofessur (seit 1985). Zusammen mit H. Knudsen Herausgeber der Loseblattsammlung "Bildung und Eniehung in freier Trägerschaft" (seit 1982). Mitherausgeber der Zeitschrift ,,Recht der Jugend und des Bildungswesens" (seit 1986). Mitherausgeber der Zeitschrift ,,Pädagogische FUhrung" (seit 1989). Verschiedene Ehrenämter in den Trägervereinen und -stiftungen einzelner Landeniehungsheime, u. a. -
Mitglied des Vereins Landeniehungsheim Marienau Herbst 1964 (im Vorstand seit 1970). Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Landschulheim Schondorf (seit 1969).
Mitglied des Landesschulbeirats Niedersachsen (seit 1978). Mitglied im GrUndungsvorstand der Deutschen Gesellschaft fUr Bildungsverwaltung (1979 bis 1981). Mitglied des Wissenschaftlichen Kolloquiums des Bundes der Freien Waldorfschulen (seit 1986). Grtindungsvorsitzender des Vereins Internationale Schule Berlin-Potsdam 1989 bis 1996, danach weiterhin im Vorstand. Mitglied des Präsidiums der Hans-Pfitzner-Gesellschaft, MUnchen (seit 1968). Mitglied im GrUndungsvorstand der Viktor von Weizsäcker-Gesellschaft e.V., Heidelberg (seit 1994). 1994 Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande.
Schriftenverzeichnis Auswahl Bildungspolitische und schulrechtliche Themen 1. Die Rechtsstellung der ärztlich nicht vorgebildeten Psychotherapeuten DÖV 1964,82 ff.
2. Kein gutes Modell (zur Schuljahresumstellung). Der Monat 1967, Heft 222, 81 ff. 3. Zu einem Recht der freien Schule. RdJB 1970, 11 ff.
4. Zum Strukturplan fUr das Bildungswesen. Auszug und Kommentar (zusammen mitJose[Homeyer). Lünen 1971. 5. Kap. 1.11; 1.2; 1.3 in Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen (Hrsg.): Freie Schule. Stuttgart 1/1972, 2/1976. 6. Mitbestimmung in der Schule. Neue Sammlung 1972, 216 ff.
7. Öffentliche Verantwortung und freie Initiative. In: Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen (Hrsg.): Freie Schule 11. Stuttgart 1972, 27 ff. 8. Der Bildungsgutschein - eine Alternative der Bildungsfinanzierung. Neue Sammlung 1972,514 ff.
9. Die neue Privatschulgesetzgebung. RdJB 1974, 34 ff. 10. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Schulsachen. RdJB 1976, 240 ff. 11. Mitbestimmung in der Schule. In: Böhm (Hrsg.): Der SchUler. Bad Heilbrunn, 1977. 12. Rechtsfragen bei Gründung und Betrieb Freier Schulen. In: BorchertlDerichsKunstmann (Hrsg.): Schulen, die ganz anders sind. Frankfurt! Main, 1979. 13. Goldener Käfig oder Förderung Freier Initiativen? In: GoldschmidtlRoeder (Hrsg.): Alternative Schulen? Stuttgart 1979, 131 ff. 14. Der Status der Schulen in freier Trägerschaft nach dem Entwurf des Deutschen Juristentags für ein Landesschulgesetz. RdJB 1981,214 ff. 15. Verfassungswille und Verwaltungswirklichkeit. RdJB 1983, 170 ff.
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Schriftenverzeichnis Johrum Peter Vogel
16. Die Schule Birklehof als Ausgangspunkt schulpolitischer Aktivität für Landerziehungsheime und Schulen in freier Trägerschaft. In: 50 Jahre BirklehofLanderziehungsheime: Initiativen und Erfahrungen wn Beispiel Birklehof. 17 ff. 17. Rechtsstellung der Schulen in freier Trägerschaft. In: Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen (Hrsg.): Handbuch Freie Schulen. Reinbek 1984, 39 ff., 2/1988 und 3/1993. 18. Ersatzschulen im Aufbau - Genehmigung und Finanzhilfeanspruch. DÖV 1984, 541 ff. 19. Das Recht der Schulen und Heime in freier Trägerschaft (Grundriß des Privatschulrechts). Neuwied 1/1984, 2/1991, 3/1996 20. Rechtlicher Rahmen und Finanzierung. In: E. Stein (Hrsg.): Wir grUnden eine freie Schule. Köln 1985, 109 ff. 21. Die Bestandsgarantie des Art. 7 (4) Satz 1 GG. DVBI. 1985, 1214 ff. 22. Kap. 1 (Die Gesetzgebung der Länder und der Stand der Debatte in Wissenschaft und Rechtsprechung) und 5 (Folgerungen für die Praxis der Länder, der Schulträger und Schulen) in Fr. Müller (Hrsg.): Zukunftsperspektiven der Freien Schule. Berlin 1/1988. In 2/1996 zusätzlich Kap. 6 (Entwicklung des Finanzhilferechts der Schulen in freier Trägerschaft von BVerfGE vom 8.4.1987 bis BVerfGE vom 9.3.1994). 23. Die Privatschulbestimmungen des Grundgesetzes - ein Verfassungsmodell für das geswnte Schulwesen? Neue Swnmlung 1988,367 ff. 24. Regelungen aus falschem Bewußtsein. RdJB 1988, 329 ff. 25. Zulassungsvoraussetzungen für private Grundschulen. RdJB 1989,299 ff. 26. Die Bedeutung des freien Schulwesens in der Bundesrepublik Deutschland. In: Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Anstöße zur Schulpolitik. 1989, 36 ff. 27. Anfragen der Waldorfschule an die Schulwesen- und Schulbetriebsverfassung. In: Bohnsack/Kranich (Hrsg.): Erziehungswissenschaft und Waldorfpädagogik. Weinheim 1990,335 ff. 28. Die rechtliche Stellung der Internationalen Schulen in der Bundesrepublik Deutschland. Bildung und Erziehung 1991, 351 ff. 29. Ersatz- und Ergänzungsschule. DÖV 1992,505 ff. 30. Das Recht der Schulen in freier Trägerschaft in den neuen Bundesländern. RdJB 1992, 305 ff. 31. Erscheinungsbilder und Entwicklungslinien der Schulen der Reformpädagogik heute. In: W. D. Hasenclever (Hrsg.): Wege der Erziehung zum ökologischen Humanismus. Frankfurt/M. 1993,35 ff.
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32. Errichtung und Finanzierung von Ersatzschulen. RdJB 1995. 33. Autonomie der Schule. Zf. Pädagogik 1995.
Musikwissenschaftliehe Themen 1. Gefährdete Dokumentation. Neue Sammlung 1965, 578 ff. 2. Annäherung an Pfitzner. In: Hans-Pfitzner-Gesellschaft (Hrsg.): Festschrift zum 100. Geburtstag Hans Pfitzners. München 1969, 11 ff. 3. Die "Grazer Fantasie" von Franz Schubert. Die Musikforschung 1971, 168 ff.
4. Der "progressive" Theoretiker und der ,,konservative" Komponist. Die Musikforschung 1972, 258 ff. 5. Die böhmischen "Klassiker". Musica 1973, 124 ff. 6. Das K1avierwerk. In: Cahn/Osthoff/Vogel (Hrsg.): Gerhard Frommel. Tutzing 1980. 7. Das Lied ,,Nachts" von Hans Pfitzner. In: W. Osthoff (Hrsg.): PfitznerSymposion 1982. Tutzing 1984,217 ff. 8. Die Wiederbelebung der Klaviersonate im 20. Jahrhundert. Musica 1985, 353 ff. 9. Richard Strauss und Hans Pfitzner in Berlin. Der Bär von Berlin, Jahrbuch 1987, 125 ff. 10. Pfitzner, Symphony cis-moll op. 36 a. Einleitung zur Taschenpartitur. Eulenburg Nr. 1521, 1988. 11. Pfitzner, Concerto for Piano and Orchestra Es-dur op. 31. Einleitung zur Taschenpartitur. Eulenburg Nr. 1820, 1987. 12. Hans Pfitzner (Biographie). Reinbek 1989. 13. Thomas Mann und Hans Pfitzner. NZfM 1989,10 ff. 14. Pfitzner, Streichquartett cis-moll (Analyse). München 1991. 15. Chorwerke von Hans Pfitzner. Begleitheft zur CD. cpo 1994. 16. Pfitzners Streichquartette. Im Jahrbuch 1995 der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, S. 317 ff. 17. " ... mehr Stimmungsmache als Stimmung". Mörike-Lieder von Hugo Wolf und Hans Pfitzner. Die Musikforschung 1996, S. 35 ff. 18. DetIev von Liliencrons Gedicht "Sehnsucht", vertont von Hans Pfitzner und Richard Strauss. Musica 1996, S. 98 ff. 19. Außerdem etwa 50 Plattenbesprechungen und kleinere Beiträge für Musica und Mitteilungsblätter der Hans-Pfitzner-Gesellschaft.
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Herausgeberschajten 1. Bildung und Erziehung in freier Trägerschaft Loseblattausgabe. Neuwied seit
1983. 2. Zeitschrift ,,Recht der Jugend und des Bildungswesens". Neuwied seit 1975 (zusammen mit anderen). 3. Sammlung schul- und prUfungsrechtlicher Entscheidungen. Neuwied seit 1983 (zusammen mit anderen). 4. Zeitschrift ,,Pädagogische Führung". Neuwied seit 1991 (zusammen mit anderen). 5. GerhardFrommel, Klaviersonate V. Süddeutscher Musikverlag, 1996. Stand: 1.7.1996