Automobilmanagement: Die Automobilhersteller im Jahre 2020 9783486717341, 9783486704334

Die Autoren Jens Diehlmann und Joachim Häcker geben einen Ausblick auf die Zukunft der globalen Schlüsselindustrie Autom

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German Pages [286] Year 2012

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Automobilmanagement: Die Automobilhersteller im Jahre 2020
 9783486717341, 9783486704334

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Automobilmanagement von

Jens Diehlmann

Ernst & Young Europe

Prof. Dr. Dr. Joachim Häcker

Deutsches Institut für Corporate Finance

2., vollständig überarbeitete Auflage

Oldenbourg Verlag München

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Christiane Engel-Haas, M.A. Herstellung: Constanze Müller Titelbild: Joachim Häcker Einbandgestaltung: hauser lacour Gesamtherstellung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-486-70433-4 eISBN 978-3-486-71734-1

Vorwort Wo steht der Automobilstandort Deutschland heute, 125 Jahre, nachdem hierzulande das Automobil erfunden wurde, und drei Jahre nach der großen Krise von 2009? Welche Perspektiven bieten sich den deutschen Unternehmen in einer globalisierten Welt, die geprägt ist von hoher Volatilität, technologischen Umbrüchen und sich verknappenden Ressourcen? Die deutsche Automobilindustrie ist derzeit im weltweiten Vergleich so gut wie selten zuvor aufgestellt. Gerade die vergangene Krise hat deutlich gemacht, dass die hiesigen Unternehmen in puncto Innovationskraft und Flexibilität – sowohl bei den Produkten als auch bei den Prozessen – weltweit führend sind. Qualität und Innovationskraft, gepaart mit der Kraft starker, weltweit präsenter Marken (vgl. Kapitel 2): Das ist es, wofür „Made in Germany“ derzeit steht. Dabei zeigt sich einmal mehr, dass das Premiumsegment der Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg der deutschen Automobilindustrie ist. Deutschland bzw. „Made in Germany“ ist an sich schon eine Premiummarke. Und die Erfahrung zeigt, dass die Autokäufer in aller Welt bereit sind, für Premiumprodukte auch entsprechende Preise zu zahlen (vgl. Kapitel 10). Doch die Freude über die in den Jahren 2010 und 2011 überaus positive Geschäftsentwicklung in der deutschen Automobilindustrie darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Branche vor großen, ja epochalen Herausforderungen steht – sowohl, was die Technologie betrifft, als auch, was das Selbstverständnis und das eigene Geschäftsmodell angeht. Da ist zum einen der Trend zu Elektromobilität, der in diesem Buch in Kapitel 4 ausführlich analysiert wird. Dieser Trend stellt eine enorme technologische Herausforderung dar und bedeutet nicht weniger, als dass das Auto zum Teil neu erfunden werden muss. Erhebliche Investitionen sind nötig, und noch weiß niemand genau, wohin die Reise geht – also wann und ob diese Investitionen sich überhaupt amortisieren werden. Auch wenn die deutschen Automobilhersteller erst mit etwas Verspätung intensiv in das Thema Elektromobilität investiert haben, kann festgehalten werden, dass sie im Gegensatz dazu bei der Entwicklung alternativer Mobilitätskonzepte (vgl. Kapitel 7) weltweit eine Vorreiterrolle einnehmen. Eng mit diesem Thema verbunden ist der Wandel des Geschäftsmodells, weg vom reinen Automobilhersteller, hin zum Mobilitätsdienstleister im weiteren Sinne. Hier finden sich die Unternehmen plötzlich im Wettbewerb mit leistungsfähigen Unternehmen aus anderen Branchen – Telekommunikation, Energieversorgung oder Informationstechnologie –, mit denen gleichzeitig ganz neuartige Partnerschaften und strategische Allianzen (vgl. Kapitel 3) geschlossen werden müssen. „Vernetzte Mobilität“ stellt die Unternehmen vor die Aufgabe, sich als Dienstleister neu zu definieren, ohne dabei die Kernkompetenzen im Bereich der Fahrzeugtechnologie aus den Augen zu verlieren. Dieser Schwenk zu neuen Geschäftsfeldern und -modellen könnte das Gesicht der Branche mittelfristig entscheidend verändern. Gerade am Automobilstandort Deutschland besteht ein einzigartiges Netzwerk aus Herstellern, Zulieferern und Wissenschaft. Auf dem Weg vom weltweit führenden Premiumhersteller zum Anbieter von Premiummobilität sind neue Kooperationen – einschließlich eines offenen Austauschs von know-how – zwingend notwendig.

VI

Vorwort

Ausschlaggebend für die Veränderungen sind auch die gewandelten Bedürfnisse junger Verbraucher und ihre veränderte Einstellung zum Automobil: Die Menschen wollen zwar mobil sein und werden dafür auch weiterhin ein Auto nutzen. Das heißt aber nicht, dass sie es besitzen wollen – sie könnten es auch leihen, mieten, teilen. Was heißt das zukünftig für die Automobilhersteller? Gehen ihnen ihre (marken-)treuen Kunden verloren? Wer „besitzt“ den Autokunden der Zukunft? Wird es der Autobauer bleiben, oder brechen branchenfremde Dienstleistungs- und Technologieunternehmen in die Domäne der Automobilhersteller ein? Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat unterm Strich den Automobilstandort Deutschland wie keinen anderen Standort auf dieser Welt gestärkt. Das Thema „Finanzen“ ist in den Blickpunkt gerückt und hier hat die deutsche Automobilindustrie ihre Hausaufgaben gemacht. Sei es im Bereich der Automobilfinanzdienstleister (vgl. Kapitel 6), eines strategischen Währungsmanagements (vgl. Kapitel 8) als auch was eine sinnvolle Interpretation der übergeordneten Ausrichtung am Shareholder Value betrifft (vgl. Kapitel 9). Wo steht der Automobilstandort Deutschland im Jahre 2020 (vgl. Kapitel 10)? Ihm werden beste Perspektiven bescheinigt – aber nur, wenn wir uns nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen, sondern vielmehr an unseren Stärken – einem einzigartigen Netzwerk und hervorragend ausgebildeten Köpfen – weiter arbeiten, verstärkt aus Branchensilos heraus aufeinander zugehen sowie vertrauensvoll und innovativ auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre, Ihr Claus-Peter Wagner Country Lead Partner / Financial Services Mitglied der Geschäftsführung Ernst & Young GmbH und Peter Fuß Senior Advisory Partner Automotive GSA (Germany, Switzerland, Austria) Ernst & Young

Inhaltsverzeichnis 1

Die automobile Wertschöpfungskette

1

2

Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

5

2.1

Executive Summary .................................................................................................. 5

2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3

Begriffsdefinition und Rahmen ................................................................................. 6 Begriffsdefinition: Marke und Markenwert .............................................................. 6 Ziel des Kapitels ....................................................................................................... 7 Aufbau und Vorgehen ............................................................................................... 7

2.3 2.3.1 2.3.2

Funktion und Nutzen einer Marke ............................................................................ 7 Funktionen einer Marke im Automobilsektor ........................................................... 7 Nutzen einer Marke im Automobilsektor .................................................................. 9

2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3

Markenperzeption ................................................................................................... 11 Markenarchitektur im Automobilbereich ................................................................ 11 Marke aus Sicht der Kunden ................................................................................... 12 Marke aus Sicht der Arbeitnehmer .......................................................................... 14

2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.2.1 2.5.2.2 2.5.2.3 2.5.3 2.5.3.1 2.5.3.2 2.5.4 2.5.5

Markenwert und Markenbewertung ........................................................................ 17 Einführung in die Markenbewertung ...................................................................... 17 Methoden der Markenbewertung ............................................................................ 18 Verschiedene Methoden zur Markenwertberechnung – ein Überblick ................... 18 Brand Census .......................................................................................................... 19 Interbrand-Methode ................................................................................................ 24 Vor- und Nachteile der vorgestellten Bewertungsmethoden ................................... 30 Vorteile .................................................................................................................... 30 Nachteile ................................................................................................................. 30 Vergleich von Marktkapitalisierung und Markenwert ............................................. 31 Entwicklung der Markenwerte im Automobilsektor ............................................... 34

3

Strategische Allianzen im Automobilbereich

3.1

Executive Summary ................................................................................................ 37

3.2 3.2.1 3.2.2

Begriffsdefinition .................................................................................................... 37 Strategische Allianzen vs. M&A Begriffe ............................................................... 37 These ....................................................................................................................... 39

37

3.3 M&A oder strategische Allianzen – der VW-Porsche Case .................................... 40 3.3.1 Porsches Übernahmestrategie im Überblick ........................................................... 40 3.3.1.1 Phase 1: VW-Beteiligung liegt unter 20% .............................................................. 41

VIII

Inhaltsverzeichnis

3.3.1.2 Phase 2: Heranschleichen an die 30%-Hürde ..........................................................42 3.3.1.3 Phase 3: Überschreitung der 30%-Hürde und Schaffung der Porsche Automobil Holding SE als Dachgesellschaft .............................................................................42 3.3.1.4 Phase 4: Annäherung an die 75%-Hürde .................................................................42 3.3.2 Woran die Übernahme scheiterte .............................................................................43 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 3.4.6 4

Warum strategische Allianzen und nicht M&A die Automobilindustrie in der Zukunft dominieren werden ....................................................................................46 Volkswagen und Suzuki ...........................................................................................47 BMW und SGL Carbon ...........................................................................................48 Daimler und Renault/Nissan ....................................................................................48 BMW und MyCityWay ............................................................................................49 BMW und Sixt .........................................................................................................49 Beurteilung der partnerschaftlichen Ansätze ...........................................................50 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten der Automobilbranche am Beispiel von Elektrofahrzeugen

53

4.1

Executive Summary .................................................................................................53

4.2

Begriffsdefinition und Abgrenzung .........................................................................54

4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3

Treiber für die zukünftige Entwicklung der globalen Automobilbranche ...............55 Umwelttreiber ..........................................................................................................55 Wettbewerb ..............................................................................................................59 Herausforderungen ..................................................................................................63

4.4 4.4.1 4.4.1.1 4.4.1.2 4.4.1.3 4.4.1.4 4.4.2 4.4.2.1 4.4.2.2 4.4.2.3 4.4.2.4 4.4.2.5 4.4.2.6

Elektrofahrzeuge ......................................................................................................64 Technologische Entwicklung ...................................................................................64 Alternative Antriebstechnologien ............................................................................64 Technologie des Elektrofahrzeugs ...........................................................................65 Konkurrenzprodukte bzw. -entwicklungen ..............................................................67 Stärken und Schwächen von Elektrofahrzeugen ......................................................71 Absatzmärkte und ihre künftige Entwicklung .........................................................78 Auswahl- und Analysekriterien ...............................................................................78 USA .........................................................................................................................78 Europa .....................................................................................................................83 Japan ........................................................................................................................89 China .......................................................................................................................93 Indien .......................................................................................................................96

5

Produktpolitik in den BRIC-Staaten

5.1

Executive Summary ...............................................................................................101

5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4

Gegenstand der Betrachtung ..................................................................................101 Status quo des Automobilvertriebs in den BRIC-Staaten ......................................101 Die vier Ps – Produkt als kritischer Erfolgsfaktor .................................................104 Standardisierung oder Integration und Adaption bzw. Differenzierung .................105 Stellenwert der Produktanpassung für Automobilhersteller ..................................106

101

Inhaltsverzeichnis

IX

5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4

Bedeutung der BRIC-Staaten für die Automobilindustrie .................................... 107 Brasilien ................................................................................................................ 107 Russland ................................................................................................................ 108 Indien .................................................................................................................... 109 China ......................................................................................................................111

5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4

Kundenbedürfnisse und -anforderungen in den BRIC-Staaten ..............................111 Brasilien .................................................................................................................111 Russland ................................................................................................................ 113 Indien .................................................................................................................... 116 China ..................................................................................................................... 118

5.5

Handlungsempfehlungen ...................................................................................... 120

6

Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

6.1

Executive Summary .............................................................................................. 125

6.2

Grundlagen und Abgrenzungen ............................................................................ 125

6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.4.1 6.3.4.2 6.3.4.3 6.3.4.4 6.3.5

Wie lässt sich der Markt für automobile Finanzdienstleistungen klassifizieren? .. 126 Herstellerverbundene vs. nicht-herstellerverbundene Finanzdienstleister ............ 126 Markenfinanzierung vs. Fremdmarkenfinanzierung der CFCs ............................. 128 Konzernrechtliche Einbindung und rechtliche Abgrenzung der CFCs ................. 128 Die klassischen Produktbereiche der CFCs .......................................................... 129 Retail-Leasing ....................................................................................................... 129 Retail-Finanzierung .............................................................................................. 130 Händlerfinanzierung (Wholesale Finance) ........................................................... 130 Flottengeschäft ...................................................................................................... 131 Strategische Relevanz der CFCs ........................................................................... 132

6.4

Leasing und Finanzierung heute – Der Leasing- und Finanzierungsmarkt im Überblick ......................................................................................................... 133

6.5 6.5.1 6.5.2 6.5.2.1 6.5.2.2 6.5.3

Welche aktuellen Geschäftsansätze verfolgen die CFCs ...................................... 135 Der Klassische Captive Finance Ansatz ................................................................ 135 Advanced Automotive Banking Ansatz ................................................................ 136 Mobilitätsnahe Dienstleistungen ........................................................................... 136 Mobilitätsneutrale Dienstleistungen ..................................................................... 138 Cross-Selling und Cross-Over im automobilen Finanzdienstleistungssektor ....... 139

6.6 6.6.1 6.6.2 6.6.2.1 6.6.2.2 6.6.2.3

125

CFC – Quo vadis? ................................................................................................. 141 Die strategischen Handlungsoptionen der CFCs ................................................... 141 Die Handlungsfelder für die entwickelten Automobilmärkte der Triade .............. 141 Forcierung der Finanzierung von Gebrauchtfahrzeugen ....................................... 141 Entwicklung bzw. Erweiterung des Geschäfts mit Flottenkunden ........................ 142 Einführung bzw. Erweiterung des Angebots an Produkten mit Risk Adjusted Pricing ..................................................................................... 142 6.6.2.4 Gründung von Bankzweigniederlassungen ........................................................... 143 6.6.2.5 Umfirmierung in eine Bankholding-Company ..................................................... 144 6.6.2.6 Überarbeitung der Governance Strukturen und Operatingkonzepte ..................... 145

X

Inhaltsverzeichnis

6.6.2.7 Optimierung der Bereiche Refinanzierung, Liquiditätssteuerung und Risikomanagement gemeinsam mit dem Automobilhersteller ..............................146 6.6.3 Handlungsempfehlungen für die neuen Wachstumsmärkte ...................................147 6.6.3.1 Aufbau von Finanzierungsgesellschaften in Brasilien, Russland, Indien und China ...................................................................................................147 6.6.3.2 Neue Operationsstrategien für die Wachstumsmärkte ...........................................148 6.6.4 Erfolgsversprechende Antworten auf die neuen Mobilitätstrends .........................148 6.6.4.1 Nutzenbasierter Mobilitätszugang über Carsharing ...............................................149 6.6.4.2 Location Based Services – Der Einstieg in fahrzeugungebundene Mobilitätsdienstleistungen .....................................................................................151 6.6.4.3 Die Erweiterung des Flottenmanagements – Corporate Carsharing: Das SiemensModell ...................................................................................................................152 6.6.5 Neue Leasingmodelle im Bereich der Elektrofahrzeuge .......................................153 6.6.5.1 Aufteilung des Leasing für Batterie und Fahrzeug ................................................154 6.6.5.2 Chancen und Risiken im Bereich der Elektromobilität .........................................155 7

Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

157

7.1

Executive Summary ...............................................................................................157

7.2

Darstellung der Begrifflichkeiten ..........................................................................158

7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5 7.3.6 7.3.7

Determinanten zukünftiger Mobilitätsbedürfnisse ................................................160 Entwicklungsfelder in der Gesellschaft .................................................................160 Moralische Entwicklungen ....................................................................................160 Ökonomische Entwicklungen ................................................................................162 Demografische Entwicklungen ..............................................................................164 Urbane Entwicklungen ..........................................................................................169 Ökologische Entwicklungen ..................................................................................171 Technologische Entwicklungen .............................................................................173

7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3

Konzepte im Bereich Mobilität .............................................................................175 Mobilitätskonzept – Mu by Peugot ........................................................................175 Mobilitätskonzept – „Better Place“ .......................................................................177 Mobilitätskonzept – „PRT 2getthere“ ....................................................................179

7.5 7.5.1 7.5.2 7.5.3

Ausblick – neuartige Mobilitätskonzepte ..............................................................180 „Car Packaging and Pooling“ – mobiles Nutzenkonzept .......................................181 Kombination von „Better Place“ & „PRT“ – neuartiges Mobilitätskonzept .........183 Zukünftige potentielle Wettbewerber der Automobilhersteller ..............................187

8

Strategisches Währungsmanagement für Automobilhersteller

8.1

Executive Summary ...............................................................................................189

8.2 8.2.1 8.2.1.1 8.2.1.2 8.2.2

Grundlagen ............................................................................................................190 Begriffsabgrenzung ...............................................................................................190 Währung ................................................................................................................190 Währungsmanagement ..........................................................................................191 Fokus des Kapitels .................................................................................................191

189

Inhaltsverzeichnis

XI

8.3 8.3.1 8.3.2

Gründe und aktuelle Herausforderungen für Währungsmanagement ................... 192 Gründe für Währungsmanagement ....................................................................... 192 Aktuelle Herausforderungen an das Währungsmanagement von Automobilherstellern ...................................................................................... 193

8.4 8.4.1 8.4.2 8.4.3

Aufbau und Ausführung des Währungsmanagements .......................................... 194 Währungsmanagementbezogene Aufbauorganisation beim Automobilhersteller . 194 Währungsmanagementbezogene Ablauforganisation beim Automobilhersteller .. 195 Bankenpolitik ........................................................................................................ 197

8.5 8.5.1 8.5.2 8.5.3 8.5.3.1 8.5.3.2 8.5.4

Instrumente im Währungsmanagement von Automobilherstellern ....................... 198 Überblick über die verfügbaren Finanzinstrumente .............................................. 198 Forwards und Futures ........................................................................................... 199 Optionen ............................................................................................................... 200 Optionen im Überblick ......................................................................................... 200 Range Options ...................................................................................................... 201 Swaps .................................................................................................................... 201

8.6 8.6.1 8.6.2 8.6.2.1 8.6.2.2 8.6.3 8.6.3.1 8.6.3.2 8.6.4 8.6.4.1 8.6.4.2 8.6.4.3

Internationale Strategien für Automobilhersteller ................................................. 201 Natural Hedging .................................................................................................... 202 Internationales Cash Management ........................................................................ 203 Techniken zur Cash Flow-Optimierung ................................................................ 204 Investition des Bargeldüberschusses ..................................................................... 204 Internationale Investitionsplanung von Automobilherstellern .............................. 206 Investitionsplanung aus verschiedenen Perspektiven ........................................... 206 Parameter für die Investitionsplanung von Automobilherstellern ......................... 207 Financial Hedging ................................................................................................. 208 Wechselkursprognose ........................................................................................... 208 Berechnung der Exposures ................................................................................... 209 Management der Exposures .................................................................................. 209

9

Shareholder Value-Maximierung im Automobilsektor

9.1

Executive Summary .............................................................................................. 211

9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4 9.2.5

Begriffsdefinitionen .............................................................................................. 211 Shareholder Value versus Stakeholder Value ........................................................ 211 Automobilhersteller und Automobilindustrie ....................................................... 212 Strategisches Finanzmanagement ......................................................................... 213 Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung ....................................................... 213 Erwartungen .......................................................................................................... 215

9.3 9.3.1 9.3.1.1 9.3.1.2 9.3.1.3 9.3.2 9.3.2.1 9.3.2.2

Shareholder Value Maximierung in der Automobilindustrie bis heute ................. 216 Kapitalmarkt ......................................................................................................... 216 Börsennotierung .................................................................................................... 216 Informationsverfügbarkeit .................................................................................... 218 Wertpapiertransaktionen ....................................................................................... 220 Rechnungslegungsstandards ................................................................................. 220 Nationale Rechnungslegungsstandards am Beispiel des HGB ............................. 221 Internationale Rechnungslegungsstandards am Beispiel von IFRS ...................... 222

211

XII

Inhaltsverzeichnis

9.3.3 9.3.3.1 9.3.3.2 9.3.3.3 9.3.3.4

Unternehmensstrategie ..........................................................................................223 Unternehmensziele ................................................................................................223 Wachstumsstrategie ...............................................................................................225 Managementvergütung ..........................................................................................226 Corporate Social Responsibility ............................................................................227

9.4 9.4.1 9.4.1.1 9.4.1.2 9.4.1.3 9.4.2 9.4.3 9.4.3.1 9.4.3.2 9.4.3.3 9.4.3.4

Shareholder Value-Maximierung der Automobilwirtschaft im Jahr 2020 .............228 Kapitalmarkt ..........................................................................................................228 Börsennotierung .....................................................................................................229 Informationsmanagement ......................................................................................229 Wertpapiertransaktionen ........................................................................................230 Rechnungslegungsvorschriften ..............................................................................230 Unternehmensstrategie ..........................................................................................230 Unternehmensziele ................................................................................................230 Wachstumsstrategie ...............................................................................................233 Managementvergütung ..........................................................................................234 Corporate Social Responsibility ............................................................................235

10

Automobilindustrie vs. Mobilitätsindustrie im Jahr 2020

10.1

Traditionelle Marken verschwinden – Lokale Marken werden etabliert ...............238

10.2

Ökologische und nachhaltige Regelungen setzen die Rahmenbedingungen .........238

10.3

Neue Mobilitätsanforderungen der Kunden nehmen an Bedeutung zu .................238

10.4

Neue Mobilitätsanbieter erobern den Markt ..........................................................239

10.5

Das vernetzte Fahrzeug wird zum Informationsund Kommunikationsinstrument ...........................................................................239

10.6

Strategische Allianzen sind der Schlüssel zum Wettbewerbsvorsprung ................240

10.7

Triade war gestern, BRIC ist heute und Schwellenländer sind morgen .................240

10.8

Tier-2- und Tier-3-Automobilzulieferer werden sich neu ausrichten .....................240

10.9

Elektromobilität – es gibt nicht den einen Weg .....................................................241

10.10

Die Automobilhersteller schaffen ein globales Markenerlebnis ............................241

11

Literatur

237

243

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26: Abbildung 27: Abbildung 28: Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31: Abbildung 32: Abbildung 33: Abbildung 34: Abbildung 35: Abbildung 36: Abbildung 37: Abbildung 38: Abbildung 39: Abbildung 40: Abbildung 41: Abbildung 42: Abbildung 43: Abbildung 44: Abbildung 45: Abbildung 46: Abbildung 47: Abbildung 48:

Die automobile Wertschöpfungskette und Unternehmensführungspyramide................................. 2 Bedeutung der Markenprägung........................................................................................................ 9 Nutzen einer Marke aus Unternehmenssicht ................................................................................. 10 Globale Markenleitbilder der Automobilmarken des VW-Konzerns............................................ 11 Die Markenarchitektur von BMW ................................................................................................. 12 Deutsche Autobauer dominieren – Fans der jeweiligen Facebook-Seite in Mio. ........................ 13 Prozess des Cognitive Mapping ..................................................................................................... 14 Gründe für offen bleibende Stellen in Unternehmen..................................................................... 15 Idealtypischer Präferenzbildungsprozess bei der Arbeitgeberwahl............................................... 16 Arbeitgeber-Ranking bei Ingenieuren............................................................................................ 16 Brand Decision Funnel................................................................................................................... 20 Markenstärkeindex deutscher Premium-Automobilmarken.......................................................... 21 Transfer bei Premium-Marken....................................................................................................... 22 Transfer im Volumen-Segment...................................................................................................... 22 Kalkulation der Markenstärke-Anteile........................................................................................... 23 Evaluierung des Markengewinn-Potenzials................................................................................... 23 Markenwerte nach dem Brand Census........................................................................................... 24 Methodische Schritte der Markenbewertung nach Interbrand ...................................................... 25 Ermittlung des Economic Profit..................................................................................................... 26 Stellenwert der Marke am Unternehmensvermögen in verschiedenen Branchen......................... 27 Bedeutung der Automarke an relevanten Nachfragefaktoren im Roadster-Segment ................... 28 Schritte zur Berechnung des Markenwerts (in Mio. €) nach der Interbrand Methode.................. 29 Vergleich von Markenwert und Marktkapitalisierung am 16.09.2010 ......................................... 33 Markenwert im Interbrand-Ranking der Automobilhersteller (2001–2010)................................. 34 Ausprägungen strategischer Allianzen........................................................................................... 37 Entwicklung der in den Medien veröffentlichten Beteiligungsquoten von Porsche an VW........................................................................................................................ 41 Absatzrückgang von Porsche, Vergleich 1. Halbjahr 2007/2008 mit 1. Halbjahr 2008/2009.................................................................................................................... 44 Porsches Erlöse aus Aktienoptionsgeschäften 1. Halbjahr 2008/2009.......................................... 44 Umwelttreiber................................................................................................................................. 55 PKW-Dichte – Vergleich Industriestaaten und Entwicklungsländer ............................................ 56 Prozentualer Anteil der in Städten lebenden Bevölkerung nach Regionen von 1950–2030 ............................................................................................................................... 57 CO2-Ausstoß nach Regionen 2005–2030 ...................................................................................... 58 Wettbewerbskräfte nach Porters Fünf-Kräfte-Modell ................................................................... 59 Marktführer und potenzielle neue Konkurrenten nach Ländern in 2010 ...................................... 61 Antriebsentwicklungen................................................................................................................... 65 Vor- und Nachteile verschiedener Batterien.................................................................................. 66 Biokraftstoffe.................................................................................................................................. 69 Übersicht der CO2eq-Bilanzen der alternativen Kraftstoffe ........................................................... 69 Stärken und Schwächen der Evs .................................................................................................... 73 Übersicht der CO2-Bilanzen in 2008.............................................................................................. 76 Beispiele aktueller bzw. zukünftiger EV-Modelle ...................................................................... 77 Übersicht der analysierten Kriterien nach Regionen ..................................................................... 79 Absatzentwicklung in den USA 2005–2010.................................................................................. 80 Marktanteile in den USA in 2010 .................................................................................................. 81 Absatz nach Segmenten – USA 2010 ............................................................................................ 81 Marktanteile der Antriebsarten 2025 in Nordamerika..................................................................... 82 Absatzentwicklung in Westeuropa 2005–2020 ............................................................................. 83 Absatzentwicklung einzelner EU-Länder 2005–2010................................................................... 84

XIV Abbildung 49: Abbildung 50: Abbildung 51: Abbildung 52: Abbildung 53: Abbildung 54: Abbildung 55: Abbildung 56: Abbildung 57: Abbildung 58: Abbildung 59: Abbildung 60: Abbildung 61: Abbildung 62: Abbildung 63: Abbildung 64: Abbildung 65: Abbildung 66: Abbildung 67: Abbildung 68: Abbildung 69: Abbildung 70: Abbildung 71: Abbildung 72: Abbildung 73: Abbildung 74: Abbildung 75: Abbildung 76: Abbildung 77: Abbildung 78: Abbildung 79: Abbildung 80: Abbildung 81: Abbildung 82: Abbildung 83: Abbildung 84: Abbildung 85: Abbildung 86: Abbildung 87: Abbildung 88: Abbildung 89: Abbildung 90: Abbildung 91: Abbildung 92: Abbildung 93: Abbildung 94: Abbildung 95: Abbildung 96: Abbildung 97: Abbildung 98: Abbildung 99: Abbildung 100: Abbildung 101: Abbildung 102: Abbildung 103: Abbildung 104: Abbildung 105: Abbildung 106: Abbildung 107:

Abbildungsverzeichnis Absatzentwicklung in Zentral- und Osteuropa 2006–2020 ........................................................... 85 Marktanteile in Europa in 2010...................................................................................................... 85 Absatz nach Segmenten – Europa – Jan.–Nov. 2010 .................................................................... 86 Marktanteile der Antriebsarten 2025 in Europa............................................................................... 87 Absatzentwicklung in Japan 2005–2020........................................................................................ 90 Marktanteile in Japan in 2010 ........................................................................................................ 90 Absatz nach Segmenten – Japan 2010 ........................................................................................... 91 Marktanteile der Antriebsarten 2025 in Japan und Korea................................................................ 92 Absatzentwicklung in China 2005–2020 ....................................................................................... 93 Marktanteile in China Jan.–Sept. 2010 .......................................................................................... 94 Absatz nach Segmenten – China 2010........................................................................................... 94 Marktanteile der Antriebsarten 2025 in China................................................................................. 95 Absatzentwicklung in Indien 2005–2020....................................................................................... 96 Marktanteile in Indien – April 2010–März 2011 ........................................................................... 97 PKW-Dichte (pro 1.000 Einwohner) Stand 2008 .......................................................................... 98 Absatz nach Segmenten – Indien 2010 .......................................................................................... 98 Internationale Neuzulassungen von Automobilen ....................................................................... 102 Internationales Engagement des BMW Konzerns ....................................................................... 102 Internationales Engagement des VW Konzerns........................................................................... 103 Die vier Ps des Marketings........................................................................................................... 104 Arten des internationalen Marketings .......................................................................................... 105 Produktion und Vertriebszahlen von Fahrzeugen 1990 bis 2009 ................................................ 107 Entwicklung ULCC 2007–2020................................................................................................... 110 Regionaler Bedeutungswandel in der Automobilindustrie .......................................................... 111 Kundenbedürfnisse in den BRIC-Staaten und Implikationen für die Automobilindustrie ......... 123 Übersicht der zwölf herstellerverbundenen Finanzdienstleister mit ihren Marken..................... 127 Konzernstrukturen der Volkswagen AG, Daimler AG und BMW AG (Stand 2010)................. 129 Überblick: Spektrum im Fuhrparkmanagement........................................................................... 131 Zusammenfassung der strategischen Bedeutung der CFCs......................................................... 132 Zugang Neuwagen nach Volumen 2008–2010 (in Mio. Euro) ................................................... 133 Zugang Neuwagen nach Einheiten 2008–2010 (nach Einheiten)................................................ 134 Top 5 Leasing-Märkte in Europa (in Mrd. Euro)......................................................................... 134 Produktpalette der CFCs .............................................................................................................. 135 Schematischer Aufbau von Full-Service-Leasing und Flottenmanagement ............................... 137 Expansionsmöglichkeiten für CFCs............................................................................................. 138 Schematische Darstellung von Cross-Selling und Cross-Over.................................................... 139 Trend zu höherwertigen Fahrzeugen............................................................................................ 140 Kaufverhalten im Neuwagengeschäft .......................................................................................... 140 Darstellung einer typischen Unternehmensstruktur der OEM..................................................... 143 Beispiel einer CFC-Bankholding ................................................................................................. 145 Entwicklung der Credit-Default-Swaps (CDS) in der Autoindustrie .......................................... 147 Ausgewählte gesellschaftliche Entwicklungsfelder..................................................................... 160 Bevölkerungsentwicklung in Deutschland................................................................................... 165 Bevölkerungsentwicklung und Altersstruktur ............................................................................. 165 Bevölkerung nach Altersgruppen................................................................................................. 167 PKW-Bestand nach Haltergruppe ................................................................................................ 168 Mobilitätsaspekte und deren abgeleitete Bedürfnisse.................................................................. 180 Car Package zur Kombination von Autoklassen nach Bedarf ..................................................... 183 Tauschvorrichtung von „Better Place“ zum schnellen Wechsel von Batterien........................... 185 Die Verbindung von Finanzderivaten und Instrumenten des Währungsmanagements............... 191 Währungsmanagement im Organigramm .................................................................................... 195 Sicherungsstrecke in Monaten eines Beispiel-Automobilherstellers .......................................... 197 Vorteile der wichtigsten Finanzinstrumente im Währungsmanagement..................................... 199 Möglichkeiten des Natural Hedgings........................................................................................... 203 Automobilhersteller der Triade & Tata als Beispiel der Newcomer der Emerging Markets .................................................................................................................. 213 Integrierendes Nachhaltigkeitsdreieck ......................................................................................... 214 Börseneinführungen und Streubesitzanteile der Automobilhersteller......................................... 217 Entwicklung der Aktienkurse von Automobilherstellern seit 1990 ............................................ 218 Offenes Xetra-Orderbuch für die BMW-Stammaktie (ISIN DE0005190003) am 27.06.2011, 13:29 Uhr ............................................................................................................ 219

Abbildungsverzeichnis Abbildung 108: Abbildung 109: Abbildung 110: Abbildung 111: Abbildung 112: Abbildung 113: Abbildung 114: Abbildung 115:

XV

Zentrale Unterschiede zur Bewertung von Vermögensgegenständen in HGB und IFRS........... 221 Selbsterhaltungsziel...................................................................................................................... 223 Wirtschaftliche und soziale Ziele der Automobilhersteller ......................................................... 224 Produkt-Markt-Matrix.................................................................................................................. 225 Volumenstrategie.......................................................................................................................... 226 Geschäftsberichte der VW AG nach der Regulierung der Vorstandsvergütungen ..................... 227 Beispiele spezieller CSR Projekte................................................................................................ 228 Vergleich der Unternehmensziele unter Berücksichtigung der drei Nachhaltigkeitsdimensionen ........................................................................................................ 233

1

Die automobile Wertschöpfungskette

Der VW Golf ist das beliebteste Auto in Deutschland. Laut einer im Handelsblatt veröffentlichten Verkaufshitliste haben 258.000 Kunden im Jahre 2011 einen VW Golf gekauft. Auf dem vorletzten Platz dieser Hitliste landete mit 33 neuen Zulassungen der Lexus LS. Dabei zeigte sich, dass weder die umfangreiche Ausstattung, die hervorragende Verarbeitung und Zuverlässigkeit noch der innovative Hybridantrieb der japanischen Luxuslimousine zu mehr Verkäufen verhelfen konnte. Das bescheidene Abschneiden des Lexus zeigt deutlich, dass sich gerade ein Paradigmenwechsel bei der Nutzung von PKWs ereignet. Es stehen immer mehr die Wirtschaftlichkeit und das Image der Marke im Vordergrund. Produktqualität ist nach wie vor sehr wichtig, aber die Auswahlkriterien der Nutzer verschieben sich. In der ersten Auflage des Buchs haben wir die automobile Wertschöpfungskette aufgezeigt. Sie beginnt mit Forschung & Entwicklung. Danach stehen die Aktivitäten der Automobilzulieferer und die integrierte Vertriebslogistik und Fertigungssteuerung im Vordergrund. Nachdem das Fahrzeug fertig montiert ist, erfolgt der Verkauf des Autos. Daraufhin kommt es zu den folgenden drei Meilensteinen im Finanzbereich: Finanzierung und Leasing, Versicherung und Services sowie Mobilitätsdienstleistungen. Im Anschluss daran stehen After Sales, Reparatur und Wartung sowie das Remarketing im Fokus. Am Ende der Wertschöpfungskette erfolgt die Entsorgung. Aktuell ergeben sich zahlreiche Herausforderungen für das Automobilmanagement. Wir sind auf vier wichtige aktuelle Änderungen innerhalb der automobilen Wertschöpfungskette eingegangen.1 Im Bereich Forschung & Entwicklung stehen die Automobilhersteller vor interessanten strategischen Entwicklungsmöglichkeiten. Insbesondere sind hier Elektrofahrzeuge zu nennen. Ferner ergeben sich aktuell sehr interessante Chancen zu Absatzsteigerungen in den BRICStaaten. Drittens stehen die automobilen Finanzdienstleister vor einem großen Wandel in Ihrer Leistungspalette, um auch weiterhin maßgebliche Wertbeiträge für den Automobilhersteller liefern zu können.2 Schließlich – und das stufen wir als zentralen Aspekt ein – verändern sich aktuell die Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte drastisch. Zusätzlich zur Veränderung innerhalb der Wertschöpfungskette kommt es zu neuen strategischen Herausforderungen auf der Ebene des Gesamtunternehmens. Vor diesem Hintergrund 1

2

Wir möchten uns bei der Firma Ernst & Young für die zahlreichen Researchaktivitäten und das Funding des Buchs bedanken. Insbesondere sind hier Herr Christopher Ley und Frau Michelle Lo hervorzuheben. Hervorzuheben ist ferner insbesondere Herr Nikolaj de Lousanoff (Zalando), der mit seiner analytischen Denkweise die Struktur des Buchs wesentlich geprägt hat. Unser Dank gilt ebenfalls dem Verlag Oldenbourg und seinen Mitarbeitern, insbesondere Frau Engel-Haas, für die stets angenehme, kompetente und konstruktive Zusammenarbeit. Auf Seite 169 der ersten Auflage wird die Aufteilung der Wertschöpfungskette nach ihren Wertbeiträgen detailliert aufgezeigt.

2

1 Die automobile Wertschöpfungskette

ist der Wertschöpfungskette in Abbildung 1 zusätzlich eine Unternehmensführungspyramide (Strategie) übergeordnet. Auf der dritten strategischen Ebene, der Finanzstrategie, geht es für die global agierenden Automobilhersteller darum, das Währungsmanagement zu optimieren. Während Aktivitäten, wie das Natural Heding in den Aufgabenbereich der Unternehmensführung fallen, wird sich der Bereich Finanzen auf Elemente des Währungsmanagements, wie das Financial Hedging fokussieren. Die Frage, mit wem man strategische Partnerschaften eingeht, ist von übergeordneter Bedeutung und muss entlang der gesamten automobilen Wertschöpfungskette beantwortet werden. Auf Ebene 2 der Unternehmensführungspyramide geht es für das Management darum, zukünftige Trends im Automobilbereich abzuleiten und die Marke dementsprechend zu positionieren. Als Oberziel ergibt sich auf Ebene 1 die Shareholder Value Optimierung. Effizientes Wirtschaften im Rahmen der automobilen Wertschöpfungskette ist insbesondere auf COO und CTO-Ebene sicherzustellen. Die Ebenen 1–3 der Unternehmensführungspyramide sind primär dem CEO und CFO zuzuordnen.

Abbildung 1: Die automobile Wertschöpfungskette und Unternehmensführungspyramide Quelle: Eigene Darstellung

Aus Abbildung 1 erhalten wir somit folgende Struktur des Buchs: Kapitel 1: Die automobile Wertschöpfungskette Kapitel 2: Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller Kapitel 3: Strategische Allianzen im Automobilbereich

1 Die automobile Wertschöpfungskette

3

Kapitel 4:

Strategische Entwicklungsmöglichkeiten der Automobilbranche am Beispiel von Elektrofahrzeugen Kapitel 5: Produktpolitik in den BRIC-Staaten Kapitel 6: Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel Kapitel 7: Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte Kapitel 8: Strategisches Währungsmanagement für Automobilhersteller Kapitel 9: Shareholder Value Maximierung im Automobilsektor Kapitel 10: Automobilindustrie versus Mobilitätsindustrie im Jahr 2020 Mit dieser Erweiterung wird unser Buch „Automobilmanagement“ zu einem Lehrbuch mit gleichzeitig hohem Praxisbezug. Warum ein weiteres Buch bzw. Lehrbuch über die Automobilindustrie? Im deutschsprachigen Markt haben wir uns insbesondere mit folgenden, unserer Ansicht nach herausragenden Büchern beschäftigt (nach Alphabet geordnet): •

Abschied vom Massenmarketing: Systemmarken und Beziehungen erobern Märkte, von Ferdinand Dudenhöffer; • Automobil-Marketing: Navigationssystem für neue Absatzstrategien, von Willi Diez; • Automotive Management: Strategie und Marketing in der Automobilwirtschaft, von Bernhard Ebel, Markus B. Hofer, Jumana Al-Sibai; • Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie: Herausforderungen und Perspektiven, von Willi Diez • Grundlagen der Automobilwirtschaft, von Willi Diez, Heribert Meffert und Hannes Brachat; • Markenmanagement: Identitätsorientierte Markenführung und praktische Umsetzung, herausgegeben von Heribert Meffert, Christoph Burmann, Martin Koers; • Mehrmarkenhandel – Chance oder Risiko?: Ein Leitfaden für den erfolgreichen Mehrmarkenhändler, von Willi Diez und Stefan Reindl; • Tradition und Marke: Erfolgsfaktoren in der Automobilindustrie, von Willi Diez, Peter Tauch, Delius Klasing. All diese Bücher analysieren sehr gut einzelne betriebswirtschaftliche Aspekte der automobilen Wertschöpfungskette. Die Aspekte in Ihrer Gesamtheit inklusive der Unternehmensführungsstrategie wurden bisher jedoch nicht dargestellt. Die aktuellen globalen Herausforderungen an die Automobilindustrie machen unserer Ansicht nach jedoch eine ganzheitliche Betrachtungsweise notwendig. Zusätzlich haben gerade die jüngsten Turbulenzen an den globalen Kapital- und Devisenmärkten mit Ihren deutlichen Auswirkungen auf die Realwirtschaft gezeigt, dass das Thema „Finanzen“ auch und gerade in der Automobilindustrie eine immer wichtigere Rolle einnimmt. Die Finanzkrise hat tiefgreifende Veränderungen in der gesamten Automobilindustrie bewirkt und deutlich gemacht, dass sich die Anforderungen an Automobilhersteller nicht nur aus technologischer Sicht deutlich gewandelt haben. Selbstverständlich ist nach wie vor der Technikansatz in der automobilen Wertschöpfungskette dominierend. Es geht immer noch darum, technische Innovationen im Auto umzusetzen und den Kundenpräferenzen damit im Markt erfolgreich Rechnung zu tragen. Selbstverständlich geht es auch darum, die eigene Marke als solches sehr gut zu positionieren (siehe Kapitel 2) sowie neuen Mobilitätsbedürfnissen durch entsprechende Mobilitätskonzepte zu begegnen (siehe Kapitel 7). Am Ende des

4

1 Die automobile Wertschöpfungskette

Tages sind die Automobilhersteller jedoch Unternehmen, die um die Gunst der Aktionäre gegen zahlreiche Unternehmen aus den verschiedensten Sektoren antreten. Sie müssen Shareholder Value kreieren, da sonst der Aktienkurs fällt. Insbesondere seit die Krise im Bankensektor im Jahre 2008 zu einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise führte, wurden die realwirtschaftlichen Risiken für die Automobilindustrie sowohl auf der Produktionsseite (z. B. Entlassungen, Kurzarbeit etc.), auf der Marketingseite (z. B. Budgetkürzungen) wie auch auf der Qualitätsseite (Kostendruck versus Qualitätsstandard), deutlich. Die jüngste Vergangenheit zeigt jedoch auch am Beispiel des VW Konzerns, welche strategischen Chancen ein steigender Shareholder Value bietet. Den aktuell fast allmächtig erscheinenden „Shareholder Value“ haben wir in Kapitel 9 kritisch beleuchtet. Unabhängig davon, zu welchem Schluss man in der Shareholder Value Diskussion kommt, zeigt sich eindeutig, dass sich in den letzten Jahren die Weltwirtschaft und Politik in Richtung „Finanzen“ verschoben haben. Während noch vor 20 Jahren die Prozesskette „Beschaffung – Produktion – Absatz“ galt und stiefmütterlich das „Schmiermittel Finanzen“ erwähnt wurde, ist heutzutage aus dem Schmiermittel ein „Dominiermittel“ geworden. Dieser Tendenz tragen wir mit dem in Abbildung 1 dargestellten Aufbau des Buchs Rechnung. Unsere Analyse ist mit der Hoffnung verbunden, dass sich die Automobilunternehmen in Zukunft gegen den aktuellen Trend, nicht zu sehr als Finanzunternehmen begreifen. Der Fall Porsche hat gezeigt, wozu eine zu starke Hinwendung zu finanzwirtschaftlichen Instrumenten im Automobilsektor führen kann. Die Jahrzehnte lange Erfolgsgeschichte von Porsche beruhte auf hervorragenden Autos und einer nachhaltigen – und nicht quartalsgetriebenen – Unternehmensstrategie. Der übermäßige Einsatz komplexer Finanzinstrumente zur Umsetzung der Unternehmensstrategie läutete mit dem Versuch Volkswagen zu übernehmen, das Ende der Selbstständigkeit von Porsche im Jahre 2010 ein. Wir hoffen auf eine nachhaltige Steigerung des Shareholder Value in der Automobilindustrie und wollen mit diesem Buch einen Beitrag hierzu leisten. Wir haben uns bemüht, das Buch sowohl für den wirtschaftlich, als auch politisch interessierten Leser in allgemein verständlicher Sprache zu schreiben. Es richtet sich aber auch an den Expertenkreis. Hierunter sind Manager im Finanzbereich von Unternehmen, Controlling- und Strategieabteilungen, Wirtschaftsprüfer, Finanzdienstleister und Unternehmensberater zu verstehen. Wissenschaft und Wirtschaftspraxis sollen hier miteinander verbunden werden. Da das Buch auch in englischer Sprache erscheint, freuen wir uns darauf, dass unsere „holistische Betrachtungsweise des Automobilmanagements“ weltweit bei den führenden Automobilherstellern, Automobilzulieferern und automobilen Finanzdienstleistern Eingang und hoffentlich Verwendung findet. Gemäß des Mottos des Deutschen Institut für Corporate Finance „die Verbindung von Wissenschaft und Praxis“ freuen wir uns, im akademischen Bereich der noch jungen Disziplin „Automobilwirtschaft“, „Automotive“ bzw. „Automobilmanagement“ einen Beitrag zu leisten.

2

Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

2.1

Executive Summary

In diesem Kapitel wird dargestellt, wie Marken monetär bewertet werden können und welcher Zusammenhang zwischen dem Markenwert eines Unternehmens und der Marktkapitalisierung besteht.3 Kernaussagen des Kapitels: 1. Bei einem Vergleich zwischen den Markenwerten und der Marktkapitalisierung der untersuchten Unternehmen wird deutlich, dass der industrieübergreifende Markenwert der 30 wertvollsten Marken weltweit laut Interbrand durchschnittlich einen Anteil von ca. 25% der Marktkapitalisierung ausmacht. 2. Der durchschnittliche Anteil des Markenwerts an der Marktkapitalisierung der Automobilhersteller (hier: Toyota, Mercedes Benz, BMW und Honda), die sich unter den 30 wertvollsten Marken befinden, liegt im Gegensatz zu anderen Branchen bei ca. 40%. 3. Mercedes Benz, BMW, Honda, Porsche, Audi und Hyundai konnten in den letzten zehn Jahren eine positive Entwicklung des Markenwerts verzeichnen. Abweichend davon mussten Toyota und Ford starke Imageverluste hinnehmen. Dies äußerte sich in fallenden Markenwerten. 4. Neue Antriebsformen führen dazu, dass die technischen Produktspezifikationen der einzelnen Modelle immer ähnlicher ausfallen. Dadurch wird die Kaufentscheidung der Kunden immer mehr vom Image der Marke abhängig sein. 5. Gerade für die Automobilhersteller ist es wichtig, ein effizientes Markenmanagement zu betreiben und verstärkt Investitionen in die Marke zu tätigen. Beispiele hierfür sind Sponsoring-Maßnahmen oder die Eröffnung von Automobilmuseen.

3

Wir bedanken uns bei Frau Nathalie Dirian und Frau Corina Schwarz für Ihre Unterstützung zu dem Themenkomplex „Marke und Markenbewertung“. Deren Aktivitäten haben erst das Gelingen dieses Buchs ermöglicht.

6

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

2.2

Begriffsdefinition und Rahmen

2.2.1

Begriffsdefinition: Marke und Markenwert

Der Begriff „Marke“ kann von verschiedenen Punkten betrachtet und auf unterschiedliche Art und Weise definiert werden. Weiterhin kann durch verschiedene Bewertungsmethoden der Wert der Marke bzw. der Markenwert berechnet werden. Im Rahmen dieses Kapitels und speziell vor dem Hintergrund der zentralen Bedeutung für die gesamte automobile Wertschöpfungskette ist die folgende Definition des Begriffs „Marke“ nach Pepels am besten geeignet: „Unter einer Marke versteht man allgemein die formale Kennzeichnung von Waren und Dienstleistungen (Produkten) oder Unternehmen, die Interessenten deren Herkunft anzeigt, um sie bei ihnen zu identifizieren und zu profilieren sowie von Produkten anderer Herkunft / anderen Unternehmen abzugrenzen. Eine Marke bildet zugleich die Persönlichkeit (‚das Gesicht‘) eines Produkts/Unternehmens und spiegelt gegebenenfalls die Werthaltungen ihrer Verwender wider.“4 Diese Definition beinhaltet alle Facetten, die eine Marke bzw. der Begriff der Marke im Zusammenhang mit Wettbewerb, Konkurrenzkampf und Wahrnehmung der Produkte eines Unternehmens, speziell auch auf den Automobilsektor bezogen, darstellt. Demzufolge bestimmt die Marke eines Produkts nachhaltig, wie ein Produkt oder eine Dienstleistung wahrgenommen wird oder darüber hinaus sogar, ob das Produkt gekauft oder die Dienstleistung in Anspruch genommen wird oder nicht. Wie entsteht aber aus einer Marke ein Markenwert? Um diese Frage beantworten zu können, muss zuerst der Begriff „Markenwert“ definiert werden. Der Begriff Markenwert wird oft durch die Begriffe Markenkraft oder Markenstärke ersetzt. Er beschreibt den monetären Wert einer Marke, der im Englischen oft auch als „Brand Equity“ oder „Brand Value“ bezeichnet wird. Um den Wert, die Kraft oder die Stärke einer Marke berechnen zu können, werden verschiedene quantitative aber auch qualitative Methoden herangezogen. Diese Methoden zur Bemessung des Markenwerts müssen sich jedoch starker Kritik aussetzen. Oft können wichtige Faktoren, die zur Berechnung benötigt werden, nicht hundertprozentig genau bestimmt werden, wie zum Beispiel die „umsatzrelevanten Aufwendungen“ oder ähnliche, meist subjektive Werte.5 Automobilhersteller, auch Original Equipment Manufacturer (OEM) genannt, beziehen einen Teil ihrer Bauteile von unterschiedlichen Zulieferern und integrieren diese in die eigenen Erzeugnisse. Die Vermarktung und der Verkauf erfolgen ebenfalls über den OEM. Ein Premiumhersteller ist ein OEM, der im oberen Preissegment tätig ist und sich vor allem durch die Technologie und Qualität seiner Fahrzeuge sowie auch durch seinen Kundenservice von seinen Konkurrenten unterscheidet. Die von den Premiumherstellern produzierten PKWs gehören zumeist zur oberen Mittelklasse bis hin zur Luxusklasse. Das Pendant dazu sind Volumenhersteller. Diese sind eher im unteren Preissegment angesiedelt und benötigen aufgrund der geringen Margen hohe PKW-Auslieferungen bzw. Absät-

4 5

Vgl. Pepels, W. (2008), S. 136. Vgl. Pepels, W. (2008), S. 136ff.

2.3 Funktion und Nutzen einer Marke

7

ze. Die produzierten Fahrzeuge von Volumenherstellern sind in der Regel im Klein- und Mittelklassesegment zu finden.

2.2.2

Ziel des Kapitels

Aus der oben genannten Problematik der genauen Bestimmung des Markenwerts resultiert das Ziel des Kapitels. Wie kann die Marke als zentraler Wertbestandteil im Automobilsektor angesehen werden, ohne die Markenstärke bzw. den Markenwert genau definieren, berechnen oder bestimmen zu können? Die Absicht dieses Kapitels ist es, diese Frage, zumindest soweit dies möglich ist, zu beantworten. Die Berechnung eines Markenwerts im Allgemeinen und bezogen auf den Automobilsektor wird durch verschiedene Methoden erläutert. Weiterhin wird auf die Bedeutung der Marke und des Markenwerts genauer eingegangen. Abschließend wird der Wert einer Marke mit dem Market Value of Equity, also der Marktkapitalisierung, verglichen.

2.2.3

Aufbau und Vorgehen

Das Ergebnis dieses Kapitels ist es, den Wert einer Marke berechnen bzw. bestimmen zu können, um die Relevanz der Marke speziell im Automobilsektor darzustellen. Neben der Berechnung des Markenwerts wird der Wert einer Marke im Automobilsektor auch durch andere Faktoren genauer bestimmt und beleuchtet. Diese Faktoren sind unter dem Begriff Markenperzeption zusammengefasst. Sie beinhalten die Markenarchitektur in der Automobilbranche, die Sicht der Kunden sowie die Sicht der Arbeitnehmer (Employer-Branding) auf die Marke. Im vorausgehenden Punkt 2.3 soll weiterhin auch die Funktion und der Nutzen einer Marke im Allgemeinen definiert werden, um auf das Thema einzuleiten. Kernstück des Kapitels ist jedoch die Erläuterung von zwei Methoden zur Berechnung des Markenwerts. Ein Vergleich der Werte aus der Interbrand Methode mit der dazugehörigen Marktkapitalisierung schließt zusammen mit einer Darstellung der Entwicklung der Markenwerte im Automobilsektor dieses Kapitel ab.

2.3

Funktion und Nutzen einer Marke

2.3.1

Funktionen einer Marke im Automobilsektor

Vor dem Hintergrund der Vielzahl an Produkten und Dienstleistungen im 21. Jahrhundert spielt eine starke Marke eine immer größere Rolle für ein Unternehmen. Gerade im Automobilsektor hält die Marke einen hohen Stellenwert inne. Da das Automobil in vielen Ländern als Prestigeobjekt gilt, ist vor allem die Differenzierungsfunktion von enormer Bedeutung.6 Den Käufern ist es wichtig, sich durch das Fahrzeug von anderen abzusetzen. Somit stellt die Marke ein Statussymbol dar.7 Auf Grund ähnlicher Technologie und Ausstattung im Automo-

6 7

Vgl. Göttgens, O., Böhme, T. (2005), S. 44 und S. 49. Vgl. Göttgens, O., Böhme, T. (2005), S. 49.

8

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

bilsektor, bietet die Marke neben dem Design für die Hersteller eine der letzten Möglichkeiten, sich von der Konkurrenz zu differenzieren.8 In diesem Zusammenhang dient die Marke dem Kunden zur Erleichterung der Kaufentscheidung. Durch den Kauf eines Autos ordnet sich der Käufer selbst in eine bestimmte soziale Kategorie ein. Die Marke stellt also im Rahmen des Kaufprozesses eine Orientierungshilfe dar. Dies wird auch als Leuchtturmfunktion der Marke bezeichnet. Die Marke gibt dem Kunden Aufschluss darüber, was er von einem bestimmten Auto erwarten kann.9 Vor allem weil das Automobil zu den hochpreisigen Wirtschaftsgütern zählt, muss beim Kunden ein Gefühl des Vertrauens erzeugt werden, um ihn zum Kauf zu bewegen. Er muss sich gewiss sein, dass er sich auf die durch die Marke versprochenen Eigenschaften verlassen kann.10 Ein solches Vertrauen kann besonders durch persönliche Erfahrungen der Kunden mit der Marke erreicht werden. Eine starke Bindung an eine Marke ist meist an ein bestimmtes Erlebnis mit dem Produkt gekoppelt. Dadurch werden im Bewusstsein des Kunden Emotionen geweckt, die er fortan mit der Marke verbindet. Durch die zahlreichen Eindrücke, die täglich auf den Menschen wirken, wird es jedoch immer schwerer ein spezifisches Ereignis zu kreieren, das die Aufmerksamkeit eines (potenziellen) Kunden weckt. Somit stehen die Automobilhersteller vor der Herausforderung, ihre Produkte auf neuen, innovativen Wegen dem Kunden näher zu bringen. Das wird von den Automobilherstellern vor allem durch Interaktion des (potenziellen) Kunden mit der Marke erreicht. In der VW-Autostadt oder der BMWWelt beispielsweise wird so die Marke in Szene gesetzt und beim Kunden ein bleibender Eindruck geschaffen. Durch die Interaktion mit der Marke und den Produkten kommt es zur Kundenbindung. Studien belegen, dass sich Konsumenten bereits im Kindesalter unbewusst an eine Marke binden. Haben bereits die Eltern oder sonstige Bezugspersonen des Kunden Produkte einer bestimmten Marke genutzt, so fühlt er sich emotional mit der Marke verbunden. Er vertraut und verlässt sich stärker auf diese Marke, als auf Marken, die er erst seit kurzer Zeit kennt, was Abbildung 2 verdeutlicht. Diese Kunden zeigen zudem eine gesteigerte Loyalität sowie erhöhte Zufriedenheit. Somit ist die Funktion der Kundenbindung für Unternehmen von großer Bedeutung.11 Damit die Automobilhersteller die Effekte der Kundenbindung nutzen können, müssen bereits Kinder, als zukünftige potenzielle Kunden, mit der Fahrzeugmarke in Kontakt gebracht werden. Dieser Anforderung werden die Automobilhersteller, wie beispielsweise BMW oder Audi, u. a. in Form von Spielzeugautos gerecht.12 Durch eine starke Bindung an die Marke erreicht ein Unternehmen schließlich, dass sich die Kunden mit der Marke identifizieren. Der Identifikationsfunktion kommt speziell in konjunkturschwachen Zeiten eine besondere Bedeutung zu. Während einer schlechten wirtschaftlichen Lage vertrauen die Käufer vor allem auf bekannte Qualität und suchen in der Marke Sicherheit. Somit ist eine starke Marke auf Grund des Identifikationsbedürfnisses der Kunden nicht so anfällig in Krisensituationen wie ein Unternehmen mit No-Name-Produkten.13 8 9 10 11 12 13

Vgl. Häusler, J., Stucky, N. (2003), S. 13. Vgl. Esch, F.-R., Knörle, C. (2008), S. 96. Vgl. Göttgens, O., Böhme, T. (2005), S. 49. Vgl. Diehl, S., et al. (2009), S. 40. Vgl. Diehl, S., et al. (2009), S. 41. Vgl. Häusler, J., Stucky, N. (2003), S. 13.

2.3 Funktion und Nutzen einer Marke

9

Abbildung 2: Bedeutung der Markenprägung Quelle: Diehl et al. (2009), S. 40

2.3.2

Nutzen einer Marke im Automobilsektor

Bereits die Funktionen einer Marke lassen den enormen Nutzen einer gut geführten Unternehmensmarke erahnen. Durch die Bindung der Kunden an die Marke und damit an die Produkte des Unternehmens gelingt es, Eintrittsbarrieren für potenzielle Konkurrenten zu schaffen. Sind die Kunden bereits auf eine bestimmte Marke fixiert, ist es für neue Anbieter auf dem Markt sehr schwer, Fuß zu fassen. Dies gilt vor allem für den Automobilsektor, in dem Status und Prestige eine wichtige Rolle spielen und besonders durch die Marke verkörpert werden. Doch nicht nur potenzielle Rivalen werden zurückgedrängt. Durch eine starke Markenführung erlangt ein Unternehmen auch Wettbewerbsvorteile gegenüber der bereits bestehenden Konkurrenz. Einen Überblick über den Nutzen der Marke aus Unternehmenssicht gibt Abbildung 3. Da sich die Kunden im Rahmen des Fahrzeugkaufs meist schon im Voraus auf eine bestimmte Marke festgelegt haben, sinkt so die Wahrscheinlichkeit für einen Automobilhersteller, Kunden an Wettbewerber zu verlieren.14 Es wird also eine geringere Abwanderungsrate (engl. Churn-Rate) erreicht. Die geringe Abwanderungsquote und die hohe Wahrscheinlichkeit von Folgekäufen tragen dazu bei, dass ein Markenanbieter im Automobilbereich einen höheren Marktanteil erzielen kann als ein Anbieter mit einer schwachen Marke. Der Marktanteil kann zudem durch Neukundengewinnung erhöht werden. Da eine starke Marke Vertrauen bei den potenziellen Käufern weckt, wird außerdem die Neukundenakquise erleichtert.15

14 15

Vgl. Häusler, J., Stucky, N. (2003), S. 13. Vgl. Göttgens, O., Böhme, T. (2005), S. 44.

10

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

Gesteigerte Umsatzerlöse

Höherer Marktanteil

Nutzen einer Marke aus Unternehmenssicht

Geringere Kosten

Niedrigere Churn-Rate

Abbildung 3: Nutzen einer Marke aus Unternehmenssicht Quelle: Eigene Darstellung

Daneben beeinflusst eine starke Markenführung auch die Umsätze eines Unternehmens positiv. So lässt sich beispielsweise für Fahrzeuge einer positiv belegten Marke ein Preispremium durchsetzen.16 Die Kunden akzeptieren dabei einen höheren Preis für ein Auto auf Grund der Marke. Des Weiteren kann der Automobilhersteller Zusatzprodukte derselben Marke anbieten und so effizientes Cross-Selling betreiben.17 BMW beispielsweise realisiert Zusatzgeschäfte, indem das Unternehmen zu den verkauften Autos auch Finanzierungs- und Leasingprodukte durch die BMW-Bank anbietet.18 Finanzierungs- und Leasingprodukte bieten außerdem die Möglichkeit, Up-Selling Potentiale zu realisieren. Unter dem Begriff des UpSelling versteht man im Automobilbereich das Verkaufen höherwertiger Fahrzeug- bzw. Ausstattungsversionen als Effekt einer gezielten Absatzförderung durch den Einsatz von Finanzprodukten.19 So kann der Automobilhersteller neben dem eigentlichen Produkt höherwertige Zusatzausstattungen oder eine stärkere Motorisierung verkaufen. Weiter kann BMW aber auch den Vorteil nutzen, dass langjährige Kunden innerhalb des Konzerns von einem günstigeren Modell auf ein preislich höher angesiedeltes Modell umsteigen können, z. B. von einem BMW 1er auf einen BMW 3er. Obwohl es zunächst zeit- und kostspielig ist, eine Marke aufzubauen und bekannt zu machen, kann sie auf lange Sicht doch zu Kosteneinsparungen führen. So ist es für Unternehmen mit einer starken Marke einfacher und damit weniger kostspielig, neue Kunden anzuwerben oder sich vor der Konkurrenz zu behaupten.20 16 17 18 19 20

Vgl. Bamert, T. (2004), S. 51. Vgl. Göttgens, O., Böhme, T. (2005), S. 44. Vgl. BMW Bank (2011). Vgl. Ueno, S. (2006), S. 5. Vgl. Göttgens, O., Böhme, T. (2005), S. 44.

2.4 Markenperzeption

11

2.4

Markenperzeption

2.4.1

Markenarchitektur im Automobilbereich

Wichtig für die Markenarchitektur im Automobilsektor ist die Wahl der richtigen Markenstrategie. Das bedeutet, dass durch die Wahl der richtigen Markenstrategie der Wachstumsprozess sowohl in die Breite wie auch in die Tiefe ermöglicht wird. Zielsetzung muss es sein, mit der Markenstrategie die spezifischen Kundenpräferenzen adressieren zu können. Eine Möglichkeit der Ausgestaltung einer Markenarchitektur ist die Wahl einer Mehrmarkenstrategie. Bei der Mehrmarkenstrategie besteht das Automobilunternehmen bzw. der Automobilkonzern aus einer Dachmarke und mehreren Submarken. Der Vorteil dieser Strategie ist, dass der potenzielle Kunde eine breite Auswahl zwischen verschiedenen, unter der Dachmarke verbundenen Submarken treffen kann und nicht ein Fahrzeug bzw. Produkt einer konkurrierenden Marke wählen muss. So müssen Kunden, die innerhalb einer Submarke nicht das passende Produkt finden, nicht zu einer Konkurrenzmarke wechseln, sondern können innerhalb einer anderen Submarke, die zur Dachmarke gehört, ein Modell ihrer Wahl finden.21 Das weltweit führende Beispiel für solch eine Mehrmarkenstrategie ist der VW-Konzern. In Abbildung 4 ist der Aufbau des VW-Konzerns mit seinen Submarken dargestellt. Die Nutzfahrzeugsparte von VW ist ebenfalls Teil des Konzerns, sie wird hier allerdings ausgeblendet. Innerhalb der einzelnen Submarken gibt es verschiedene Fahrzeugklassen.

Marken des Volkswagen-Konzern

Das Auto

Vorsprung durch Technik

Auto emocción Simply clever

Der ultimative Sportwagen

There is no substitute

The Sporting Grand Tourer

Le pur sang des automobiles

Pride and Trust

Abbildung 4: Globale Markenleitbilder der Automobilmarken des VW-Konzerns Quelle: Volkswagen AG (2009)

Ziel des Volkswagen-Konzerns ist es, Produkte für möglichst alle Konsumentengruppen anzubieten. Diese Strategie wird neben der Mehrmarkenstrategie auch als Vollsortimentsstrategie bezeichnet. Das bedeutet, dass der Volkswagen-Konzern alle Produktformen vom Kleinwagen (z. B. VW Vox) über die SUV (Sport Utility Vehicle) Klasse (z. B. Audi Q 7) bis hin zum Sportwagen (z. B. Porsche, Bugatti Veyron) oder schweren LKWs abdeckt. Eine differenzierte Form der Mehrmarkenstrategie wird zum Beispiel von der BMW AG betrieben. Hier stellt das Unternehmen selbst die Dachmarke dar. Neben den Marken Mini und Rolls-Royce sowie der BMW-Motorradmarke steht die Marke BMW mit ihren Submar21

Vgl. Esch, F.-R. (2010), S. 12.

12

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

ken selbst im Mittelpunkt. Als Submarken werden die einzelnen Fahrzeugklassen bzw. -typen wie der 3er BMW oder der 5er BMW etc. bezeichnet. Der Aufbau dieser Mehrmarkenstrategie wird in Abbildung 5 veranschaulicht.

Dachmarke

Submarke

3er BMW

5er BMW

6er BMW

7er BMW



Abbildung 5: Die Markenarchitektur von BMW Quelle: Esch, F.-R. (2010), S. 518

Der Unterschied zu VW liegt hier darin, dass bei BMW die einzelnen Fahrzeugtypen als jeweilige Submarke bezeichnet und von dem Unternehmen auch als solche unterschiedlich beziehungsweise einzeln beworben werden. Durch die Etablierung neuer Submarken zielt BMW darüber hinaus darauf ab einen unterschiedlichen Kundenkreis anzusprechen, um somit zukünftig eigenständige „Marken“ wie z. B. den BMW 1er als Jugendauto oder die X-Klassen wie den BMW X1 bis X6 als SUV klassifizieren zu können.

2.4.2

Marke aus Sicht der Kunden

Eine wichtige Sichtweise, aus der der Wert einer Marke definiert werden kann, ist die der Kunden. Diese subjektive Einschätzung bezüglich des Werts einer Marke ist mitunter die Wichtigste, da die Kunden darüber entscheiden, ob das Produkt bzw. die Dienstleistung gekauft wird, oder nicht. Im Fall der Automobilbranche ist das Image eines Autoherstellers durchaus mit ausschlaggebend, für welches Auto sich ein Kunde entscheidet. Eine aktuellen Studie der Zeitschrift WuV – Werben und Verkaufen zeigt, dass die deutschen Autobauer mit ihren Marken, ausgehend von der Mitgliederzahl ihrer Unternehmensseite auf Facebook, weit vorn im Kampf um die Anerkennung der potentiellen Kunden liegen. Diese Studie zeigt, dass für ein Unternehmen beziehungsweise eine Marke das virale Marketing bereits sehr wichtig ist und immer wichtiger wird. Das Leben, speziell von jungen Menschen, findet heute zum großen Teil virtuell statt und darauf sollte auch im Marketing bzw. im Markenmanagement eingegangen werden. Der im April 2011 veröffentlichten Statistik zufolge ergeben sich die in Abbildung 6 dargestellten Mitgliederzahlen der jeweiligen FacebookSeiten für die Automobilhersteller.

2.4 Markenperzeption

13

Abbildung 6: Deutsche Autobauer dominieren – Fans der jeweiligen Facebook-Seite in Mio. 22 Quelle: Werben und Verkaufen (2011)

Wenn auch dieses Ranking keine direkte Aussagekraft bezüglich der Kaufentscheidung der Kunden hat, kann die Statistik doch als ein Hinweis auf die subjektive Einschätzung der potenziellen Kunden betrachtet werden. Im Folgenden wird genauer auf eine Methode zur Darstellung der Sicht der Kunden auf die Marke eingegangen. Diese Methode wird als Cognitive Mapping bezeichnet und steht für die Ermittlung der aus Sicht der Kunden mit der Marke assoziierten positiven und negativen Attribute.23 Der Prozess des Cognitive Mapping wird in Abbildung 7 bildhaft dargestellt. Der Prozess besteht aus fünf Schritten. Im ersten Schritt werden freie Assoziationen mit der Marke gesammelt, welche dann im zweiten Schritt mit Hilfe eines Triadentests verarbeitet werden. Der Triadentest kann auch als Ähnlichkeitsvergleich bezeichnet werden. Es werden also die Ähnlichkeiten der Assoziationen und ihre Struktur ermittelt, aus denen dann eine Liste von Triaden entsteht.24 Aus dem Ähnlichkeitsvergleich wird dann im dritten Schritt eine Distanzmatrix entwickelt, die alle Übereinstimmungen und die Struktur der Assoziationen aufzeigt. 22 23 24

Vgl. Werben und Verkaufen (2011): Facebook-Ranking: Deutsche Automarken belegen Spitzenplätze. 29. April 2011. [online]. Vgl. Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 62. Vgl. Grunwald, T. (2007), S. 33f.

14

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

Aus der Distanzmatrix entsteht durch eine Korrespondenzanalyse im fünften und letzten Schritt das Markenmolekül. In der Korrespondenzanalyse werden gleiche bzw. ähnliche Assoziationen eines bestimmten Bereichs identifiziert, die dann im Markenmolekül dargestellt werden.25

F

Abbildung 7: Prozess des Cognitive Mapping Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 62

Deutlich wird diese Methode der Darstellung von subjektiven Empfindungen – speziell der Kunden – anhand eines Beispiels, hier BMW. Die Kernassoziationen mit BMW sind laut des Cognitive Mapping sowohl Freude am Fahren als auch gute Motoren. Diese beiden Assoziationen werden auch als Kerneigenschaften der Marke BMW durch das Cognitive Mapping identifiziert. Weitere positive Eigenschaften, die durch Assoziationen der Kunden hervorgerufen werden, sind Dynamik, Schnelligkeit und Eleganz der Fahrzeuge sowie Technik, Sicherheit, Zuverlässigkeit und Komfort durch Qualität. Neben den positiven werden jedoch auch negative Assoziationen mit der Marke BMW hervorgerufen. Diese sind unter anderem Arroganz der Fahrer und Überteuerung der Produkte. Dies kann soweit führen, dass BMW-Fahrer auch als „Angeber“ angesehen werden. Die aber doch überwiegend positiven Assoziationen mit BMW werden sogar auch auf das Bundesland Bayern im Allgemeinen übertragen. So assoziieren dem Cognitive Mapping zufolge viele Kunden das Bundesland Bayern an sich mit den Attributen Motoren, Qualität und Technik.26 Anhand des Beispiels wird gezeigt, dass mit dem Cognitive Mapping spontane Assoziationen mit einer Marke dargestellt werden können. Im besten Fall, wie bei BWM, unterstützt das Cognitive Mapping ein gezieltes Marken-Assoziationsmanagement. Bei BMW kann der Erfolg daran gemessen werden, dass die Kernassoziation genau dem aktuellen Werbeslogan von BMW entspricht – Freude am Fahren.27

2.4.3

Marke aus Sicht der Arbeitnehmer

Neben der Wahrnehmung der Marke bzw. des Unternehmens aus Sicht der Kunden spielt auch die Wahrnehmung der potentiellen oder auch bereits bestehenden Mitarbeiter eine im25 26 27

Vgl. Grunwald, T. (2007), S. 35. Vgl. Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 62. Vgl. Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 62.

2.4 Markenperzeption

15

mer wichtigere Rolle. Diese Sicht des Begriffs Marke bildet im vorliegenden Kapitel nicht den Schwerpunkt, jedoch wird auch dieser wichtige Aspekt der Marke und ihrer Bewertung nicht außer Acht gelassen. An Bedeutung gewinnt die Marke aus Sicht der Arbeitnehmer speziell vor dem Hintergrund des steigenden Fachkräftemangels in Deutschland und Europa. Bereits 2010 fehlten allein im deutschen Mittelstand rund 1,9 Millionen Fachkräfte, mit weiter steigender Tendenz.28 Speziell in den Bereichen Maschinenbau und Elektrotechnik bewerben sich meist zu wenig qualifizierte Mitarbeiter, um alle offenen Stellen zu besetzen, wie Abbildung 8 deutlich zeigt.

% % % % % % Abbildung 8: Gründe für offen bleibende Stellen in Unternehmen Quelle: BIBB Report 10/09 (2009)

Der Report zeigt, dass das Empfinden der potentiellen Arbeitskräfte, speziell das der Fachkräfte, eine nachhaltige Auswirkung auf das Unternehmen haben kann. Wird die Marke des Unternehmens aus der Sicht der Mitarbeiter nicht wertgeschätzt, werden dort potentielle, neue Kräfte weniger Veranlassung verspüren, sich auf eine offene Stelle zu bewerben. Somit kann die Wahrnehmung der Marke bzw. des Unternehmens bereits den Wettlauf um engagierte und qualifizierte Fachkräfte und damit über den zukünftigen Erfolg bzw. Misserfolg eines Unternehmens entscheiden.29 Um die oben stehende These zusätzlich mit Theorie zu stützen wird nachfolgend kurz auf den Prozess der Präferenzbildung bei der Arbeitgeberwahl nach Petkovic eingegangen. In Abbildung 9 ist dieser Prozess graphisch illustriert.

28 29

Vgl. BIBB Report 10/09 (2009). Vgl. BIBB Report 10/09 (2009).

16

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

Abbildung 9: Idealtypischer Präferenzbildungsprozess bei der Arbeitgeberwahl Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Petkovic, M. (2008), S. 15

In Abbildung 9 ist zu erkennen, dass bereits sehr früh, im ersten Schritt, der Eingrenzung auf das Awareness Set, und im zweiten Schritt, der Eingrenzung auf das Processed Set, die Entscheidung gegen ein Unternehmen und damit gegen seine Marke gefällt werden kann. Um dem vorzubeugen, sollten speziell Unternehmen der Automobilbranche, die sehr stark auf qualifizierte Fachkräfte angewiesen sind, ein Augenmerk darauf legen, die Marke des Unternehmens auch in diesem Bereich positiv darzustellen. Dies kann durch ein verstärktes Angebot an Praktika bereits während der Studienzeit der potentiellen Arbeitskräfte geschehen, aber auch durch das Teilnehmen an Unternehmensbörsen an Hochschulen und Universitäten. Diese Form der Markenbewertung wird häufig auch als Employer-Branding bezeichnet.30 Die Frage, die sich nun vor dem Hintergrund dieses Kapitels stellt, lautet: Wie schneiden die Automobilmarken (Hersteller und Zulieferer) aus Sicht der Arbeitnehmer als Arbeitgeber ab? Rang

Unternehmen

Prozent der Befragten

1

BMW

17,0

2

Audi

16,3

3

Porsche

13,2

4

Siemens

12,9

5

Robert Bosch

10,9

6

Daimler

9,2

Abbildung 10: Arbeitgeber-Ranking bei Ingenieuren Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Wirtschaftswoche (2011)

30

Vgl. Petkovic, M. (2008), S. 15ff.

2.5 Markenwert und Markenbewertung

17

Um dies beantworten zu können, wird eine Studie aus dem Jahr 2011 herangezogen, in der verschiedene Gruppen von Arbeitnehmern ihre bevorzugten Arbeitgeber nannten. Speziell bei Ingenieuren ist zu erkennen, dass die Wahl am häufigsten auf Automobilhersteller und ihre Zulieferer fällt, wie Abbildung 10 deutlich zeigt. Andere Arbeitnehmergruppen, die innerhalb der Studie befragt wurden, waren Wirtschaftswissenschaftler, Informatiker und Naturwissenschaftler. Diese Gruppen bewerteten den Automobilsektor als weniger attraktiven Arbeitgeber als die Gruppe der Ingenieure.31

2.5

Markenwert und Markenbewertung

2.5.1

Einführung in die Markenbewertung

In diesem Kapitel wird vor allem auf den Wert einer Marke eingegangen. Zunächst jedoch stellt sich die Frage, weshalb eine Markenbewertung durchgeführt wird. In den letzten Jahrzehnten gewann der Wert einer Marke stark an Bedeutung und spielte besonders bei M&AProzessen eine wichtige Rolle. Im Rahmen von Unternehmenstransaktionen trägt der Markenwert zu einem gesteigerten Goodwill bei. Während 1981 noch 82% des Übernahmepreises für ein Unternehmen mit Substanzwerten hinterlegt waren, machte dieser Anteil bereits 1988 nur noch 56% aus. Diese Entwicklung zeigt deutlich, dass die Käufer bereit sind, mehr für immaterielles Vermögen, wie beispielsweise einen Markennamen, zu zahlen.32 Auch im Automobilsektor ist eben dieser Trend zu erkennen, was an dem Beispiel der Rolls RoyceAkquisition durch BMW deutlich wird. Am Ende zahlreicher Verhandlungen zwischen der BMW AG, der Volkswagen AG und Rolls Royce im Jahr 1998 wurde folgendes Ergebnis erzielt: VW kaufte Rolls Royce Motor Cars für £ 430 Mio., überließ dabei jedoch gewisse Teile, wie beispielsweise den Markennamen, BMW. Die Marke Rolls Royce kostete BMW £ 40 Mio. Im Rahmen eines komplexen Deals zwischen VW und BMW erhielt BMW schließlich 2003 auch das Recht über die Produktion der Rolls Royce Fahrzeuge, während VW das Werk in England und der Markenname der Bentley Modelle zugesprochen wurden.33 Die Transaktion zeigt die enorme Wertschätzung einer Luxusmarke wie Rolls Royce im Automobilbereich. Somit ist also ein Ziel der Markenbewertung, einen angemessenen Kaufpreis für eine Transaktion zu ermitteln, in dem auch der Markenwert berücksichtigt wird. Ein weiterer Zweck der Markenbewertung liegt in der Optimierung des Markenmanagements. Durch die Ermittlung des Markenwerts erhält das Unternehmen wertvolle Informationen, auf Grund derer es beispielsweise interne Entscheidungen bezüglich der zukünftigen Kommunikationsstrategie treffen kann.34 Jedoch muss hierbei nach den Teilmärkten, in denen die Marke präsent ist, unterschieden werden. Während beispielsweise die Marke Mercedes Benz im PKW-Segment sehr stark ist und Kunden ihre Kaufentscheidung vom Vertrauen in die Marke abhängig machen, spielt der Markenname Mercedes Benz im LKW-Segment primär eine wichtige Rolle im Hinblick auf die

31 32 33 34

Vgl. Wirtschaftswoche (2011). Vgl. Häusler, J., Stucky, N. (2003), S. 6. Vgl. Buerkle, T. (1998). Vgl. Häusler, J., Stucky, N. (2003), S. 8.

18

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

Identifikation mit Qualität. Ein Firmenkunde wird seine Entscheidung jedoch in diesem Segment maßgeblich auch vom Preis und bestimmten Produktspezifikationen abhängig machen.35

2.5.2

Methoden der Markenbewertung

2.5.2.1

Verschiedene Methoden zur Markenwertberechnung – ein Überblick

Im Laufe der Zeit hat sich eine Vielzahl an Methoden zur Markenbewertung entwickelt.36 Insbesondere sind folgende Markenbewertungsmethoden hervorzuheben, wobei die diese Ansätze verwendenden Firmen jeweils in Klammern gesetzt sind: • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

360 Degree Brand Stewardship (Ogilvy & Mather) Advanced Brand Valuation (PricewaterhouseCoopers Corporate Finance) BBDO Brand Equity Evaluator (BBDO) Brand Ambassador-Ansatz (Brand Consultants) Brand Assessment System (Gesellschaft für Konsumforschung) Brand Census (Konzept & Markt) Brand Performance System (Konzept & Markt) BrandStock Brand-Value-Creation-Ansatz (Boston Consulting Group) Brand Wheel (Bates) BrandZ CAPO (&Equity) Conversion Model (TNS Emnid) facit (facit-Marketingforschung) Genetische Code der Marke (Institut für Markentechnik) Grey Tools (Grey) icon Brand Navigator (icon Brand Navigation Group) Implizites System (TNS Worldwide) Interbrand Ansatz (Interbrand Zintzmeyer & Lux) Ipsos*Builder (Ipsos) Marken Monopol-Ansatz (McKinsey & Company) Marken Wesen-Modell (Publicis Sasserath Brand Consultancy) Market Router (Sturm und Drang) Morphologische Analyse (rheingold Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen) Promicheck (Promikativ) res+ (we do communication) Strategic Brand Management (Roland Berger Strategy Consultants) Semion brand€valuation-Ansatz (semion brand-broker) The Big Picture (McCann-Erickson) WISA (Technische Universität Berlin) Y&R Brand Asset Valuator (Young & Rubicam)

35

Vgl. Häusler, J., Stucky, N. (2003), S. 12. Vgl. Schimansky, A. et al. (2004), S. 28ff.

36

2.5 Markenwert und Markenbewertung

19

Die obige Aufzählung zeigt, dass es „die Markenbewertungsmethode“ an sich nicht gibt. Die zahlreichen Ansätze kommen zu unterschiedlichen Markenwerten und somit sind die veröffentlichten Ergebnisse nicht als objektiv anzusehen. Dass eine exakte Offenlegung der Methode in der Regel nicht erfolgt, untermauert den subjektiven Charakter der jeweiligen Markenwerte. In einem Fall ist ein Unternehmen „auf Platz 1 gesetzt“ – ein anderes Mal findet sich das Unternehmen nicht mehr in den Top 10. Zur Erläuterung der Berechnung des Markenwerts im Automobilsektor werden der Brand Census und das Interbrand-Verfahren ausgewählt. Die Interbrand-Methode ist das international bekannteste Verfahren und hat sich seit mittlerweile zehn Jahren am Markt etabliert. Seit 2001 veröffentlicht das Unternehmen die 100 wertvollsten Marken in einem Ranking. In diesen Top 100 Marken ist seit Beginn der Rankings immer auch eine große Anzahl an Automobilherstellern enthalten. Während sich die Interbrand-Methode stark auf die markenrelevanten Umsätze bezieht, wird im Brand Census der Fokus auf Markenstärke und Marktgewinn gelegt. Um den Markenwert auch adäquat aus einer völlig anderen Perspektive abzubilden, wird mit dem Brand Census ein weiteres bekanntes Verfahren in die Darstellung aufgenommen.

2.5.2.2

Brand Census

Der Markenstärkeindex als Basis Die Markenbewertung mit Hilfe des Brand Census basiert auf der Wahrnehmung der Marke durch den Kunden. Das Modell ist damit stark an der Nachfrageseite orientiert. Da die Höhe eines Markenwerts vor allem von der Wahrnehmung der Kunden abhängt, wird im Rahmen des Brand Census zunächst die Beziehung der Kunden zur Marke gemessen. In diesem Schritt wird also das Customer Based Brand Equity gemessen. Dabei kommt es besonders auf die folgenden Größen an:37 • • • • •

Bekanntheit der Marke Markenimage Kauf der Marke Markenzufriedenheit Markenloyalität

Die fünf aufgeführten Punkte zeigen auf, wie intensiv die Marke in den Köpfen der Menschen verankert ist. Mit dem Ziel, die Markenstärke zu ermitteln, hat sich Brand Census an diesen Größen orientiert. Mit Hilfe des Markentrichters, des sogenannten Brand Decision Funnels, wird die Markenstärke letztendlich gemessen. Dazu wird eine repräsentative Befragung durchgeführt, in der die gestützte Bekanntheit, die Vertrautheit, das Relevant Set sowie Kauf, Zufriedenheit und Loyalität abgefragt werden.38

37 38

Vgl. Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 59. Vgl. Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 59.

20

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

Abbildung 11: Brand Decision Funnel Quelle: Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 59

Auf Basis des Brand Decision Funnels werden dann jeder Trichterstufe die prozentualen Anteile zugeordnet, die sich aus der Befragung ergeben. Im Anschluss wird eine Gewichtung der Markentrichterstufen durchgeführt. Durch spezifische Berechnungen wird festgestellt, wie wichtig eine bestimmte Stufe für die gesamte Markenstärke ist. In einem nächsten Schritt werden die durch die Befragung ermittelten Prozentanteile der einzelnen Trichterstufen mit deren prozentualer Gewichtung multipliziert. Letztendlich werden die so errechneten Werte über die Trichterstufen hinweg aufsummiert, um einen tatsächlichen Wert für die Markenstärke zu erhalten. Dieser Vorgang ist in Abbildung 11 dargestellt. Eine Markenstärke von 100 würde also bedeuten, dass eine Marke stets von 100% der Befragten gekannt, bevorzugt und gekauft wird. Die Marke müsste auf allen Trichterstufen den Höchstwert von 100% erreichen, was jedoch unrealistisch ist. Dies wird auch bei der Ermittlung des Markenstärkeindex berücksichtigt, um zu geringe Indexwerte zu vermeiden. Dazu wird zunächst die Markenstärke einer Best Practice Marke errechnet, die widerspiegelt, welcher Wert höchstens in einer bestimmten Branche erreicht werden kann. Die ermittelte Markenstärke der untersuchten Marken wird anschließend in Bezug zur Markenstärke der Best Practice Marke gesetzt. Dadurch findet eine Normierung statt.39 Die in Abbildung 12 dargestellte Markenstärkeermittlung für die deutschen Premium-Automobilhersteller Mercedes Benz, BMW sowie Audi wurde mit Hilfe einer CATI-Befragung (Computer Aided Telephone Interviewing) durchgeführt. Die CATI-Befragung ist eine computergestützte telefonische Befragung der Probanden. An dieser Umfrage nahmen im Jahre 2006 1.000 Autofahrer innerhalb Deutschlands teil. Hinsichtlich des Markenstärkeindex hatte Audi einen Vorsprung gegenüber den anderen beiden Marken. Mit 91 Punkten war Audi somit die stärkste der hier aufgeführten Automobilmarken.40

39 40

Vgl. Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 60. Vgl. Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 60.

2.5 Markenwert und Markenbewertung

21

Abbildung 12: Markenstärkeindex deutscher Premium-Automobilmarken Quelle: Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 61

Die grau und gelb hinterlegten Werte geben die Transferraten an. Sie zeigen auf, wie viel Prozent der Befragten auch noch in der nächsten Trichterstufe mit einer positiven Antwort vertreten sind. So sagt die Transferrate von Zufriedenheit zu Loyalität beispielsweise aus, welcher Anteil derjenigen, die mit der Marke zufrieden sind, sich ihr gegenüber auch loyal verhalten. Im vorliegenden Beispiel wird deutlich, dass BMW die höchsten Transferraten zwischen Kauf und Zufriedenheit sowie zwischen Zufriedenheit und Loyalität aufweist. Dies zeigt, dass Kunden, die ein Automobil der Marke BMW kaufen, meist sehr zufrieden damit sind und beim nächsten Kauf wieder auf BMW zurückgreifen würden. Jedoch weist BMW die geringste Transferrate zwischen dem Relevant Set und einem Kauf auf. Der Wert zeigt, dass weniger Kunden, die BMW in die engere Auswahl genommen hatten, tatsächlich ein Fahrzeug der Marke BMW erwerben, als Kunden, die Mercedes Benz bevorzugen und dann ein Automobil der Marke Mercedes Benz kaufen. Die Transferraten bei Mercedes Benz jedoch lassen umgekehrte Schlussfolgerungen zu. Hier bestehen die Probleme eher darin, die Kunden nach dem Kauf zufrieden zu stellen und sie zur Markentreue zu bewegen.41 Durch eine Studie der BBDO Consulting konnte belegt werden, dass die Hersteller angesehener Automobilmarken im Premiumsegment Schwierigkeiten haben, ihre Kunden durch das positive Image letztendlich zum Kauf zu bewegen.42 Dies wird in Abbildung 13 deutlich. Abbildung 14 zeigt die Situation der Automobilmarken des Volumensegments. Diese haben vor allem die Schwäche, dass sie trotz ihres hohen Bekanntheitsgrads nur sehr geringe Imagewerte erzielen.43 41 42 43

Vgl. Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 60. Vgl. BBDO Consulting (2002). Vgl. Göttgens, O., Böhme, T. (2005), S. 48.

22

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

Volumen-Segment

Premium-Marken 98

98

66 51 29

21

23

Abbildung 13: Transfer bei Premium-Marken Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Göttgens, O., Böhme, T. (2005), S. 48

uf Ka

Im ag Ka e u er ei ts ch a

Be

ka nn t

he

it

uf Ka



u er

ei ts

ch a

ag e Im Ka

Be

ka nn th e

it

6

Abbildung 14: Transfer im Volumen-Segment Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Göttgens, O., Böhme, T. (2005), S. 48

Somit dient die Ermittlung des Markenstärkeindex nicht nur der Berechnung eines monetären Markenwerts, sondern stellt auch den Ausgangspunkt für ein effizientes Markenmanagement dar. Ermittlung des Markenwerts Auf Basis des errechneten Markenstärkeindex kann im Anschluss ein monetärer Markenwert ermittelt werden. Dazu setzt man den Markenstärkeindex einer bestimmten Marke ins Verhältnis zu der Summe der Markenindizes aller für die Branche relevanten Marken. Dadurch erhält man einen prozentualen Anteil, der angibt, welchen Beitrag eine Marke zu der Stärke aller relevanten Marken eines Bereichs leistet.44 Abbildung 15 verdeutlicht dieses Vorgehen für das Beispiel der Automobilbranche. In einem nächsten Schritt wird das Gewinnpotenzial des Markts den entsprechenden Marken zugeordnet. Hierzu ist es zunächst erforderlich, das Marktvolumen der ausgewählten relevanten Marken zu kennen. Im Beispiel der Automobilindustrie lag dieser Wert laut Franzen und Burkhardt für das Jahr 2006 bei € 75 Mrd. Von diesem Betrag ausgehend wird der potenzielle Marktgewinn kalkuliert. Dazu wird lediglich die durchschnittliche prozentuale Profitabilität des Markts betrachtet. Franzen und Burkhardt ziehen dazu den durchschnittlichen EBIT heran. Dieser lag bei den ausgewählten relevanten Marken der Automobilbranche bei ca. 7% für das Jahr 2006. Somit ergibt sich ein geschätzter Marktgewinn von € 5,25 Mrd. Der Marktgewinn wird dann, wie Abbildung 16 zeigt, gemäß der Markenstärke-Anteile auf die betrachteten Marken verteilt.45

44 45

Vgl. Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 62. Vgl. Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 62.

2.5 Markenwert und Markenbewertung

23

Abbildung 15: Kalkulation der Markenstärke-Anteile Quelle: Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 62

Abbildung 16: Evaluierung des Markengewinn-Potenzials Quelle: Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 62

Somit hatte die Marke Audi gemäß dieser Methode ein Gewinnpotenzial von € 593 Mio. Damit das Verfahren letztendlich zu einem tatsächlichen monetären Markenwert führt, wird das errechnete Gewinnpotenzial einer Marke abgezinst. Dabei wird vereinfacht von einer unendlichen Lebensdauer der Marke ausgegangen und eine risikofreie Rendite von 5% angenommen. Die Diskontierung erfolgt anhand folgender Formel:46

Markenwert =

46

Gewinnpotenzial × 100 Zinssatz

Vgl. Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 62.

24

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

Dadurch ergaben sich für das Jahr 2006 die folgenden Markenwerte: Gewinnpotenzial

Markenwert

Audi

€ 593 Mio.

€ 11,9 Mrd.

BMW

€ 546 Mio.

€ 10,9 Mrd.

Mercedes

€ 572 Mio.

€ 11,4 Mrd.

Abbildung 17: Markenwerte nach dem Brand Census Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 62

Wie in Abbildung 17 ersichtlich ist, erzielte Audi nach dem Brand Census einen Markenwert von € 11,9 Mrd. Damit schneidet Audi nach dieser Methode am besten ab. Für Mercedes Benz ergab sich ein Wert von € 11,4 Mrd. und BMW bildete mit einem Markenwert von € 10,9 Mrd. das Schlusslicht der drei betrachteten Automobilmarken.

2.5.2.3

Interbrand-Methode

In den 80er Jahren fanden viele Merger und Akquisition-Prozesse statt, bei denen der Preis, welcher für ein Unternehmen gezahlt wurde, oft den Substanzwert der Firma überschritten hat. Auf Grund dieser Entwicklung wurde immer deutlicher, dass neben dem Substanzwert auch noch eine andere Größe maßgeblichen Einfluss auf den Wert eines Unternehmens hat.47 Die Methode zur Berechnung des Werts einer Marke wurde von dem Unternehmen Interbrand 1988 in Zusammenarbeit mit der London Business School neu aufgefasst und speziell durch den Fall Rank Hovis McDougalls in England geprägt. Rank Hovis McDougalls ist ein englischer Backwarenproduzent mit qualitativ hochwertigen Produkten und einer hoch angesehenen Marke. Dieser suchte 1988 nach einer effektiven Methode, sich vor einer Übernahme durch Goodman Fielder Watthie zu schützen. Durch die neu entwickelte Interbrand-Methode konnte der Wert der Marke von Rank Hovis McDougalls nachvollziehbar bestimmt werden. Er bildete die Basis für die Bilanzierung des selbst geschaffenen Markenwerts als immaterieller Vermögensgegenstand. Diese Neuerung der Accounting Standards, die 1989 offiziell in England eingeführt wurde, half dem Unternehmen seine Kennzahlen zu verbessern, günstigere Kredite zu bekommen und sich letztendlich erfolgreich vor einer feindlichen Übernahme zu schützen.48 Durch die Interbrand-Methode wurde auch das Markenmanagement neu definiert. Demnach sind zwei Hauptziele durch ein effizientes Markenmanagement zu erfüllen. Zuerst soll durch ein nachhaltiges Management der Marke ein potentieller Verkaufs- bzw. Kaufwert bei einem M&A-Prozess erreicht werden. Zudem müssen Bilanzierungs- und Finanzierungsfragen innerhalb des Managements verlässlich geklärt werden können. Das bedeutet, dass durch die Optimierung des Markenwerts eine effiziente Finanzierung und eine optimierte Bilanzierung geschaffen werden soll. Das zweite Ziel ist die Optimierung der Markeninvestitionen und eine nachhaltige Steigerung des Markenwerts durch das Markenmanagement.49 47 48 49

Vgl. Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 434. Vgl. Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 435ff. Vgl. Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 435.

2.5 Markenwert und Markenbewertung

25

Innerhalb der Interbrand-Methode wird der Markenwert als Vermögenswert definiert, der die Funktion der Kundenbindung erfüllt. Die Basis der Interbrand-Methode ist aber der Ertragswert einer Marke, also die durch die Marke generierten Erträge. Diese zu bestimmen ist der Kern der Interbrand-Methode. Schimansky und Stucky beschreiben den Nutzen einer Marke auf die folgende Art und Weise. „Um den Nutzen der Marke für ihren Besitzer erfassen zu können, wird der Markenwert als gegenwärtiger Wert (Net Present Value) derjenigen zukünftigen Erträge definiert, die alleine auf das Vorhandensein der Marke zurückgeführt werden können.“50 Demnach werden also die Erträge eines Unternehmens grundsätzlich in markenrelevante und nicht-markenrelevante Umsätze aufgeteilt. Der Prozess der Interbrand-Methode zur Bestimmung des Markenwerts Grundsätzlich kann der Ansatz in drei Hauptphasen sowie einen vorgelagerten und einen nachgelagerten Arbeitsschritt eingeteilt werden, wie in Abbildung 18 dargestellt wird.

Abbildung 18: Methodische Schritte der Markenbewertung nach Interbrand Quelle: Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 438

Bevor die drei Hauptanalysen durchgeführt werden können, ist ein sehr wichtiger Schritt, die Produkte einer Marke bzw. eines Unternehmens in einzelne Segmente einzuteilen. Dieser 50

Vgl. Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 435.

26

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

Schritt dient vor allem der Transparenz der Markenwertberechnung, da speziell im Automobilbereich viele Kaufentscheidungen durch Emotionen bestimmt werden, die je nach Fahrzeugmodell bzw. Submarke unterschiedlich sein können, selbst innerhalb der gleichen Marke, beispielsweise bei BMW. Nach dem Kernteil der Interbrand-Methode wird dann die Wertschätzung der Marke durch die Kunden materialisiert oder auch bewertet und ein monetärer Markenwert bestimmt. Erster Prozessschritt: Segmentierung Bei der Segmentierung geht es hauptsächlich darum, die Produkte eines Unternehmens in homogene Subgruppen einzuteilen. Für diese Subgruppen werden dann alle folgenden Prozessschritte einzeln durchgeführt. Die Segmentierung ist deshalb wichtig, weil die unterschiedlichen Produkte einer Marke ein unterschiedlich hohes Ansehen bei den Kunden haben und damit grundsätzlich in so genannte Submarken eingeteilt werden können. Diese lösen bei den potentiellen Kunden unterschiedliche Emotionen aus, was zu einer unterschiedlichen Bewertung der einzelnen Submarken bzw. Subgruppen führt.51 Zweiter Prozessschritt: Finanzanalyse zur Isolierung des ökonomischen Gewinns Der zweite Prozessschritt kann durch die unten nachfolgende Abbildung 19 beschrieben werden. Umsätze / Erträge der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung –

Nicht Markenrelevante Umsätze

=

Markenrelevante Umsätze



Operative Kosten (Personal-, Marketing- & Administrationskosten)



Goodwill-Abschreibungen & Sondereinflüsse

=

EBIT (Earnings before Interest and Tax)



Steuern & Kapitalkosten (ermittelt durch WACC52)

=

Economic Profit

Abbildung 19: Ermittlung des Economic Profit Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 439f

Wichtig ist hier, dass die Finanzanalyse auf die Werte einer Planungs-Gewinn- und Verlustrechnung gestützt wird. Diese Planung geht in den meisten Fällen über fünf Jahre. Der wichtigste Faktor bei diesem Prozessschritt ist die Ermittlung der markenrelevanten Umsätze. Auf diesen Faktor kann jedoch an dieser Stelle nicht genauer eingegangen werden, da keine nachhaltigen Informationen zu diesem Prozessschritt von Interbrand veröffentlicht wurden bzw. werden. Im Allgemeinen kann aber gefolgert werden, dass der durch die Finanzanalyse ermittelte Economic Profit die Fähigkeit einer Marke zum Ausdruck bringt, einen ökonomischen Wert zu schaffen.53

51 52 53

Vgl. Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 438. WACC = Weighted Average Cost of Capital (gewichtete Kapitalkosten). Vgl. Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 439f.

2.5 Markenwert und Markenbewertung

27

Dritter Prozessschritt: Bestimmung des Anteils der Marke am Unternehmensvermögen Wurde im zweiten Schritt der Anteil der Marke an den Umsätzen des Unternehmens berechnet, so wird in diesem Schritt der Anteil der Marke an den Vermögensgegenständen des Unternehmens ermittelt. Dies geschieht durch die Ermittlung der Nachfragefaktoren. In diesem Schritt wird das Nachfrageverhalten der Kunden nach den einzelnen Produkten der Segmente untersucht. „Die Nachfrage nach der Unternehmensleistung, konkret dem Produkt oder der Dienstleistung, entsteht durch Faktoren, die immer im Vermögen des Unternehmens gründen.“54 Zu diesen gehören die Qualität, das Design, der Preis und weitere Faktoren, die durch das Unternehmensvermögen maßgeblich beeinflusst werden. Dass der Markenwert bei unternehmensinternen Entscheidungen nicht vernachlässigt werden sollte, wird in Abbildung 20 deutlich. Die Tabelle zeigt, dass die Marke in der Automobilindustrie im Jahre 2008 einen Anteil von 40% am Economic Profit ausmachte, während sich dieser Wert in der Chemiebranche auf gerade einmal 10% belief.55

Abbildung 20: Stellenwert der Marke am Unternehmensvermögen in verschiedenen Branchen Quelle: Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 440

Die Bestimmung des Ausmaßes an Einflussnahme der Marke auf das Unternehmensvermögen wird durch zwei analytische Schritte bestimmt. Zum einen durch eine Analyse der 54 55

Vgl. Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 440. Vgl. Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 440.

28

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

Marktforschungsdaten, eine sogenannte Sekundäranalyse und zum anderen durch die Befragung von Unternehmensvertretern und Hauptabnehmern bzw. Hauptverwendern der Produkte. Diese Befragungen werden anhand von Nachfragefaktoren durchgeführt. Abbildung 21 gibt einen Überblick über bedeutende Nachfragefaktoren der Automobilindustrie, anhand derer der Anteil der Marke am Unternehmensvermögen bestimmt wird.

Abbildung 21: Bedeutung der Automarke an relevanten Nachfragefaktoren im Roadster-Segment Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 442

Sind die Faktoren bestimmt, werden sie durch die beiden Analyseschritte quantifiziert und zu einem Anteil am Unternehmensvermögen zusammengesetzt. Durch die quantitative Bestimmung des Economic Profit und des Anteils der Marke am Unternehmensvermögen sind nun alle Faktoren berücksichtigt worden die auf den finanziellen Status Quo der Marke hinweisen.56 Vierter Prozessschritt: Ermittlung des Markenrisikos und der Diskontrate In diesem Schritt wird zuerst durch eine Wettbewerbsanalyse die Markenstärke ermittelt. Dadurch wird dann das Markenrisiko und im Endeffekt die Diskontrate bestimmt, mit der der Economic Profit und der Anteil der Marke am Unternehmensvermögen abgezinst werden müssen. Um die Markenstärke ermitteln zu können, werden Befragungen von Marktteilnehmern durchgeführt. Der erste Faktor der bestimmt wird, lautet, wie dynamisch der relevante Absatzmarkt des Produkts ist. Hierzu zählen Wachstumsprognosen für den Markt, die allgemeine Wettbewerberstruktur und das Marktvolumen, die dann in der Kennzahl Marktdynamik zusammengefasst werden. Ein zweiter Faktor ist die Stabilität der Marke, also die Reaktionen 56

Vgl. Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 443.

2.5 Markenwert und Markenbewertung

29

der Marke auf vergangene Veränderungen am Markt. Wichtig sind hier empirische Daten, die aufzeigen, wie sehr sich die Marke unverändert am Markt durchgesetzt hat. Weitere Faktoren sind die Marktführerschaft, also wie viel Einfluss die Marke auf den Markt hat, der Trend der Marke, die Entwicklung der Marke in der Vergangenheit und die Unterstützung der Marke durch das Unternehmen an sich. Im Zuge der Globalisierung ist ein immer wichtiger werdender Faktor, der Grad der Internationalisierung der Marke. Durch diesen Faktor wird die Diversifikation des Risikos auf verschiedene regionale Märkte bestimmt. Ein letzter Faktor ist der Schutz der Marke. Hier wird beschrieben, wie gut die Marke rechtlich abgesichert ist.57 2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

Markensegment-Umsatz

440

480

500

520

550

580

620

Abzüge betriebsnotwendiger Kosten

(374)

(408)

(425)

(442)

(468)

(493)

(527)

EBIT

66

72

75

78

82

87

93

Steuerabzüge 33%

(22)

(24)

(25)

(26)

(27)

(29)

(31)

NOPAT

44

48

50

52

55

58

62

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

Operatives Vermögen

220

240

250

260

275

290

310

Abzüge Kapitalkosten 5%

(11)

(12)

(13)

(13)

(14)

(15)

(16)

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

Ökonomischer Gewinn

33

36

37

39

41

43

46

Markenerträge (bei Stellenwert: 45%)

15

16

17

18

18

19

21

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

1,0

1,15

1,32

1,52

1,75

2,01

15

14

12

11

10

2003

2004

2005

2006

2007

Diskontrate 15% Diskontfaktor Diskontierte Markenerträge 2001

2002

Wert bis zum Jahr 2007

62

Rente (Wachstum = 2%)

16

Gegenwartswert des Markensegments

78

Abbildung 22: Schritte zur Berechnung des Markenwerts (in Mio. €) nach der Interbrand Methode Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 447

57

Vgl. Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 443f.

30

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

Fünfter Prozessschritt: Ermittlung des monetären Markenwerts Sind alle Faktoren bestimmt, werden sie durch eine quantitative Methode zu einer Markenrisikoprämie zusammengefasst. Daraufhin wird dann die Diskontrate aus dem marktspezifischen Risiko (Risk Free Rate of Return) und der spezifischen Markenrisikoprämie errechnet. Mit dieser Diskontrate werden dann in einem folgenden Schritt der Economic Profit und der Anteil der Marke am Unternehmensvermögen abgezinst, um den monetären Wert der Marke zu ermitteln.58 Anhand des Beispiels in Abbildung 22 ist das gesamte monetäre Verfahren zusammenfassend dargestellt.59 Die durch die Interbrand Methode ermittelten Werte für Marken werden jährlich publiziert und sind öffentlich erhältlich.

2.5.3

Vor- und Nachteile der vorgestellten Bewertungsmethoden

2.5.3.1

Vorteile

Beide Methoden bieten für Unternehmen die Möglichkeit, ihrer Marke einen monetären Wert zuzuordnen. Dieser Wert kann einerseits dazu dienen, den Wert der Marke im Vergleich zu Konkurrenzmarken zu sehen und auf Basis dessen weitere unternehmensinterne Entscheidungen, beispielsweise das Marketing betreffend, zu fällen. Andererseits kann der Markenwert auch für Externe, wie zum Beispiel Kaufinteressenten von Bedeutung sein. Bei Unternehmenstransaktionen kann dadurch ggf. ein Verkaufspreis weit über dem des Substanzwerts erzielt werden. Im Rahmen der Berechnung der Markenwerte können überdies Problemfelder identifiziert werden. Der Brand Census lässt mit Hilfe der Transferraten von einer Trichterstufe zur nächsten erkennen, an welchen Stellen wesentliche Defizite der Marke liegen. Ist beispielsweise die Transferrate von Vertrautheit zu engere Auswahl sehr gering, so ergeben sich daraus Ansatzmöglichkeiten für das Management. Auch die Interbrand Methode lässt anhand der Ergebnisse der Markenstärkebewertung Schlüsse auf Problembereiche der Marke ziehen. Zudem ist die Interbrand-Methode eine der wenigen Methoden, die sich in den letzten zehn Jahren global durchsetzen konnte.60 Dies verleiht einem Markenwert, der mit der InterbrandMethode ermittelt wurde, Glaubhaftigkeit und Vertrauen.

2.5.3.2

Nachteile

Einer der wesentlichen Nachteile der Verfahren zur Markenbewertung stellt der Mangel an öffentlich zugänglicher Information dar. Speziell im Bereich der quantitativen Methoden zur Berechnung der markenrelevanten Umsätze tritt dieses Problem auf. Für Externe ist schwer nachvollziehbar, wie Interbrand und andere Bewertungsunternehmen den genauen Wert der

58 59 60

Vgl. Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 446. EBIT = Earnings before Interest and Taxes; NOPAT = Net Operating Profit after Taxes. Vgl. Schimansky, A., Stucky, N. (2004), S. 456.

2.5 Markenwert und Markenbewertung

31

markenrelevanten Umsätze ermittelt haben. Dasselbe Problem stellt sich bei Interbrand auch bei der Berechnung des Anteils der Marke am Unternehmensvermögen. Zur Berechnung des Markenwerts nach dem Brand Census werden die Markenstärkeindizes aller relevanten Marken der Branche bewertet. Auch hier bietet sich ein großer Interpretationsspielraum bezüglich der Frage, welche Marken relevant sind. Aufgrund der fehlenden öffentlich verfügbaren Informationen, kann somit nicht mit 100%iger Genauigkeit nachvollzogen werden, wie die qualitativen Faktoren in monetäre Werte überführt wurden. Ein weiterer Nachteil des Brand Census liegt in der Verteilung des Marktgewinns auf die einzelnen Marken. Es wird angenommen, dass das Gewinnpotenzial in Zukunft gleich bleibt und die Marken stets gleich stark bleiben. Gerade der Automobilsektor ist aber ständigen Neuerungen und Veränderungen ausgesetzt. Somit ist es unrealistisch anzunehmen, dass sich der Marktgewinn und die Markenstärke in Zukunft nicht ändern. Abschließend kann festgehalten werden, dass jede Methode zur Berechnung des Markenwerts ihre eigenen Vor- und Nachteile mit sich bringt. Durch die Vielzahl der Methoden wird die Markenbewertung jedoch häufig in Frage gestellt, da durch jedes Verfahren ein unterschiedlicher Markenwert ermittelt wird. Wie dieses Kapitel zeigt, führen die beiden vorgestellten Methoden zu stark unterschiedlichen Ergebnissen. Beispielsweise bewertet Interbrand die Marke BMW mit ca. € 16 Mrd. Nach dem Brand Census ergibt sich lediglich ein Wert von € 11 Mrd.61 Aus den verschiedenen ermittelten Markenwerten kann nicht endgültig ein allgemein gültiger Wert festgestellt werden.

2.5.4

Vergleich von Marktkapitalisierung und Markenwert

Obwohl es zahlreiche Methoden zur Markenbewertung gibt und diese mit den oben genannten Nachteilen verbunden sind, bieten sie dennoch eine Möglichkeit, den Wert einer Marke näherungsweise abzuschätzen. In diesem Kapitel gilt es nun herauszufinden, ob der Markenwert dem Market Value of Equity eines Unternehmens entspricht. Der Market Value of Equity wird in diesem Kapitel durch die Marktkapitalisierung dargestellt. Um zu analysieren, welchen Teil der Marktkapitalisierung der Markenwert ausmacht, wird der Wert der 30 wertvollsten Marken laut Interbrand ins Verhältnis zur Marktkapitalisierung des jeweiligen Unternehmens gesetzt. Die Markenwerte – basierend auf dem am 16. September 2010 veröffentlichten Interbrand Ranking – werden mit der entsprechenden Marktkapitalisierung desselben Tags verglichen. Es ist anzumerken, dass einige Marken zu Unternehmen gehören, die mehrere sehr starke Marken im Produktportfolio haben. Dies ist beispielsweise der Fall bei Gillette. Die bekannte Marke ist dem Unternehmen Procter & Gamble zuzuordnen. Vergleicht man den Markenwert von Gillette mit der Marktkapitalisierung von Procter & Gamble muss man also berücksichtigen, dass noch weitere starke Marken, wie zum Beispiel Wella, Ariel oder Pringles, den Unternehmenswert beeinflussen. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Vergleich des Werts der Marke Nescafé und der Marktkapitalisierung des Unternehmens Nestlé. Auch der Market Value of Equity von Nestlé wird von anderen bekannten Marken, wie S. Pellegrino, Nestea oder Häagen-Dazs, mitbestimmt. Dadurch lässt sich erklären, weshalb die beiden genannten

61

Vgl. Franzen, O., Burkhardt, A. (2006), S. 62.

32

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

Marken Gillette und Nescafé nur einen Anteil von 14% und 7% an der Marktkapitalisierung des zugehörigen Unternehmens haben. Im Durchschnitt erreichte der monetäre Markenwert der wertvollsten 30 Marken laut Interbrand 25,76% der Marktkapitalisierung des jeweiligen Unternehmens. Das bedeutet, dass der Wert der Top 30 Marken im Vergleich zu deren Market Value of Equity bei etwa einem Viertel lag. Zudem ist zu beobachten, dass der prozentuale Teil des Markenwerts an der Marktkapitalisierung mit sinkendem Markenwert nachlässt. Während das Verhältnis bei den zehn wertvollsten Marken noch bei 32% liegt, machen die Marken von Platz 21–30 lediglich 23% am Market Value of Equity aus. Dieser Sachverhalt verdeutlicht auch, dass ein hoher Markenwert nicht gleichzeitig eine hohe Marktkapitalisierung nach sich zieht. Obwohl Disney Platz 9 der wertvollsten Marken einnimmt, weist das Unternehmen nur eine Marktkapitalisierung von US$ 64 Mrd. auf. J.P. Morgan dagegen ist zwar mit knapp US$ 162 Mrd. an der Börse notiert, findet sich allerdings lediglich auf Platz 29 der wertvollsten Marken wieder. Konzentriert man sich bei der Betrachtung auf die Marken der Automobilhersteller, so ist zu erkennen, dass drei der vier Automarken, die unter den 30 wertvollsten Marken vertreten sind, einen Marktwert aufweisen, der über dem Durchschnitt liegt. Toyota weist mit 21% den geringsten Wert beim Vergleich zwischen Markenwert und Marktkapitalisierung auf, was auf die hohe Marktkapitalisierung zurückzuführen ist. BMW liegt mit einem Wert von 61% weit über dem Durchschnitt, was einerseits durch die im Vergleich zu den anderen Automobilherstellern geringe Marktkapitalisierung begründet werden kann. Andererseits zeugt der hohe Prozentsatz auch von der Stärke der Marke. Der hohe Markenwert BMWs im Vergleich zu dessen Marktkapitalisierung zeigt, dass das Markenmanagement von großer Bedeutung ist. Investitionen in die Marke, wie beispielsweise der Bau der BMW-Welt, können also durchaus zu einer gesteigerten Marktkapitalisierung beitragen und dürfen nicht unterschätzt werden. Weitere Marken des Automobilsektors, die in den 100 wertvollsten Marken laut Interbrand vertreten sind, sind beispielsweise Ford und Volkswagen. Ford belegt mit einem Markenwert von US$ 7,2 Mrd. Platz 50 des Rankings. Dies entspricht 16% der Marktkapitalisierung. Volkswagen erreichte mit einem Markenwert von US$ 6,9 Mrd. Platz 53. Im Verhältnis zur Marktkapitalisierung stellt der Markenwert 23% dar. Die niedrigeren Prozentsätze im Vergleich zu den Top 30 Marken bestätigen, dass der Anteil am Market Value of Equity mit schlechter werdender Platzierung im Ranking sinkt. Des Weiteren setzt sich der VolkswagenKonzern, wie auch Nestlé und Procter & Gamble, aus mehreren starken Marken zusammen. Audi (Platz 63) und Porsche (Platz 72) zählen ebenfalls zu den 100 wertvollsten Marken laut Interbrand, wurden allerdings einzeln bewertet. Die Marktkapitalisierung des VolkswagenKonzerns bezieht sich also auch auf diese Marken. Insgesamt kann festgehalten werden, dass der Wert einer Marke in der Automobilbranche eine wichtige Rolle spielt. Die Markenwerte von Toyota, Mercedes Benz, BMW und Honda machen im Durchschnitt 39% an deren Marktkapitalisierung aus. Dadurch wird deutlich, wie wichtig es für die Automobilhersteller ist, ein effizientes Markenmanagement zu betreiben. Die beschriebenen Ergebnisse sind in der nachfolgenden Abbildung 23 tabellarisch dargestellt.

2.5 Markenwert und Markenbewertung

33

Markenwert laut Interbrand in $m

Market Cap in $m

Marktwert im Verhältnis zu Market Cap

Platz

Marke

1

Coca Cola

70.452

128.877,22

54,67%

2

IBM

64.727

155.051,40

41,75%

3

Microsoft

60.895

822.532,10

7,40%

4

Google

43.557

121.704,80

35,79%

5

General Electric

42.808

168.222,54

25,45%

6

McDonald's

33.578

75.818,14

44,29%

7

Intel

32.015

98.189,33

32,61%

8

Nokia

29.495

144.368,05

20,43%

9

Disney

28.731

63.887,77

44,97%

10

Hewlett-Peckard

26.867

339.643,00

7,91%

11

Toyota

26.192

121.900,52

21,49%

12

Mercedes Benz

25.179

59.049,80

42,64%

13

Gillette

23.298

166.648,07

13,98%

14

Cisco

23.219

120.198,30

19,32%

15

BMW

22.322

36.440,50

61,26%

16

Louis Vuitton

21.860

64.128,80

34,09%

17

Apple

21.143

255.759,50

8,27%

18

Marlboro

19.961

93.994,43

21,24%

19

Samsung

19.491

73.649,75

26,46%

20

Honda

18.506

62.304,10

29,70%

21

H&M

16.136

355.352,30

4,54%

22

Oracle

14.881

127.664,70

11,66%

23

Pepsi

14.061

210.574,72

6,68%

24

American Express

13.944

48.614,51

28,68%

25

Nike

13.706

29.123,07

47,06%

26

SAP

12.756

58.232,75

21,91%

27

Nescafé

12.753

175.007,50

7,29%

28

IKEA

12.487

29

J.P. Morgan

12.314

161.608,60

7,62%

30

Budweiser

12.252

68.053,80

18,00%

nicht börsennotiert

Abbildung 23: Vergleich von Markenwert und Marktkapitalisierung am 16.09.2010 62 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Interbrand (2010) und Bloomberg (2010)

62

Anmerkung: die Marktkapitalisierung der BMW AG wurde mit dem Wechselkurs von 1,3075$/€ (Stand: 16.09.2010) umgerechnet.

34

2 Die Marke als zentraler Wertbestandteil der Automobilhersteller

2.5.5

Entwicklung der Markenwerte im Automobilsektor

Wie Abbildung 24 deutlich zeigt, sind zahlreiche Automobilhersteller in den Top 100 des Interbrand-Rankings zu finden. Einige von ihnen, wie z. B. Toyota oder auch Mercedes Benz, befinden sich bereits seit 2001 in der Aufstellung der 100 wertvollsten Marken der Welt, die jährlich veröffentlicht wird.

Markenwert im Interbrand-Ranking der Automobilhersteller (2001-2010)

$ Mrd. 40 35 30 25 20 15 10 5 0 2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

Toyota

Mercedes Benz

BMW

Honda

Ford

VW

Audi

Hyundai

Porsche

2009

Nissan

2010



Abbildung 24: Markenwert im Interbrand-Ranking der Automobilhersteller (2001–2010) Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Interbrand (2010), (Stand: 16.09.2010)

Es wird deutlich, dass sowohl Toyota als auch Ford im Laufe der Zeit im Wert ihrer Marke hohe Einbußen zu tragen hatten. So fällt der Wert von Ford von ca. US$ 30 Mrd. in 2001 auf nur ca. US$ 7,5 Mrd. in 2010. Einflussfaktoren für den kontinuierlichen Verfall des Markenwerts können u. a. ein schlechtes Markenmanagement, eine schlechter werdende Qualität der Produkte oder andere negative Informationen sein. Ein weiteres Negativbeispiel dieser Branche stellt Toyota dar. Seit der Rückrufaktion 2008, die bis 2010 anhielt und von der ca. 1,53 Mio. Autos, vor allem in den USA, Japan und Europa betroffen waren, fällt der Markenwert kontinuierlich. Dies zeigt, wie stark sich ein Qua-

2.5 Markenwert und Markenbewertung

35

litätsverlust in Kombination mit negativen Pressemeldungen auf das Image der Marke des Unternehmens auswirken kann.63 Dieser negative Trend, der bei Toyota zu erkennen ist, kann fatale Auswirkungen auf das Unternehmen in der Zukunft haben. Im Hinblick auf neuartige Antriebsformen, wie zum Beispiel Elektroantriebe, werden die Unterschiede in den einzelnen Motoren der Automobilhersteller immer geringer ausfallen. Es ist zu erwarten, dass die Kaufentscheidung der Kunden immer mehr vom Image der Marke abhängig sein wird und nicht mehr primär von den technischen Produktspezifikationen. Abbildung 23 zeigt, dass in der Automobilindustrie der Anteil des Markenwerts, berechnet durch die Interbrand-Methode, durchschnittlich höher ist, als der durchschnittliche Anteil in anderen Sektoren. So weist beispielsweise BMW einen Markenwert von über 60% der Marktkapitalisierung aus. Dies bedeutet, dass über die Hälfte der Marktkapitalisierung im Markenwert begründet ist. Abbildung 24 veranschaulicht, dass der Markenwert von BMW speziell auch von 2006 auf 2008 eine Steigerung erfahren hat, von ca. US$ 20 Mrd. auf fast US$ 25 Mrd. Diese Steigerung kann auch auf die Ende 2007 eröffnete BMW-Welt zurückzuführen sein. Durch dieses Instrument der Kundenbindung und damit auch des Markenmanagements soll zusätzlich das Erlebnis der potentiellen Kunden mit der Marke erweitert und verinnerlicht werden. Trotzt des durchschnittlich hohen Anteilswerts an der Marktkapitalisierung weisen die Automobilhersteller auch eine hohe Volatilität bzw. Schwankung in den prozentualen Teilen auf. Das bedeutet, dass zum Beispiel das Unternehmen Honda, das im Volumenmarkt tätig ist, nur einen Markenwert-Anteil von ca. 29% an der Marktkapitalisierung aufweist. BMW – ein Unternehmen welches im hochpreisigen Segment tätig ist – weist im Vergleich einen Wert von über 61% auf. Dies lässt auf die These schließen, dass speziell im Hochpreissegment der Automobilbranche der Stellenwert der Marke bereits sehr hoch ist und in der Zukunft noch einen höheren Wert einnehmen wird. Durch den Vergleich der Markenwerte im Automobilbereich wird somit betont, dass ein effizientes Markenmanagement und ein gezieltes Marketing in Zukunft immer wichtiger werden.

63

Vgl. Weltonline (2010).

3

Strategische Allianzen im Automobilbereich

3.1

Executive Summary

Strategische Allianzen im Automobilsektor werden in Zukunft immer wichtiger für die Automobilhersteller werden. Im Gegensatz zu Fusionen und Übernahmen werden diese deutlich an Bedeutung gewinnen. So ist die Zahl der eingegangenen strategischen Allianzen seit dem Jahr 2009 stark angestiegen. Dies ist insbesondere auf den bereits weit fortgeschrittenen Konsolidierungsprozess innerhalb der Branche zurückzuführen. Neben den klassischen brancheninternen Allianzen wird sich der Trend hin zu branchen- bzw. industrieübergreifenden Allianzen weiter fortsetzen, wie das Beispiel BMW und MyCityWay zeigt. Der Begriff der strategischen Allianz umfasst Eigenkapitalbeteiligungen bis zu 20% mit vertraglich vereinbarter Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen, aber auch separat gegründete Unternehmen wie Joint Ventures.64

3.2

Begriffsdefinition

3.2.1

Strategische Allianzen vs. M&A Begriffe

Da in der Automobilbranche bereits ein hoher Grad an Konsolidierung erreicht ist, gewinnen strategische Allianzen zunehmend an Bedeutung. Die nachfolgende Abbildung 25 gibt einen Überblick über sämtliche Ausprägungen strategischer Allianzen. Die Analyse des Abschnitts 3.2.1 basiert auf De Pamphilis (2005).

Strategische Allianzen Netzwerkallianzen

Joint Venture Firmenallianzen

Franchise Allianzen Eigenkapitalbeteiligung

Lizenzierung

Abbildung 25: Ausprägungen strategischer Allianzen Quelle: In Anlehnung an De Pamphilis (2005) 64

Wir bedanken uns bei Herrn Benjamin Müller für seine Unterstützung zu dem Themenkomplex „Strategische Allianzen“. Seine Aktivitäten haben sehr zu dem Gelingen dieses Buchs beigetragen.

38

3 Strategische Allianzen im Automobilbereich

Die wichtigsten Formen strategischer Allianzen sind: • • • • • •

Joint Ventures Firmenallianzen Eigenkapitalbeteiligung Lizenzierung Franchise Allianzen Netzwerkallianzen

Je nach Ausprägung sind unterschiedliche Auswirkungen hinsichtlich Kontrolle, Ausstiegsmöglichkeiten, Ressourceneinsatz sowie der Risiko- und Gewinnaufteilung zu berücksichtigen.65 Joint Ventures: Diese sind kooperative Gemeinschaftsunternehmen, die von zwei oder mehreren unabhängigen Unternehmen gebildet werden, um gemeinsame strategische oder finanzielle Ziele zu erreichen. Joint Ventures sind rechtlich selbstständige Unternehmungen, in denen jeder Gesellschafter seine eigene Identität und Unabhängigkeit bewahrt. Firmenallianzen: Im Vergleich zu Joint Ventures sind diese keine rechtlich selbstständigen Unternehmungen. Firmenallianzen werden in der Automobilindustrie überwiegend zu dem Zweck gebildet, Wissen in folgenden Bereichen gemeinsam zu nutzen: • • • •

Forschung & Entwicklung Marketing Technologie Einkauf & Beschaffung

Firmenallianzen können im Zeitablauf allerdings auch zu Joint Ventures führen. Beteiligungen: Bei dieser Form der strategischen Allianz beteiligt sich ein Unternehmen in Form einer Minderheitenbeteiligung (üblicherweise 5–20%) an einem anderen Unternehmen. Teilweise besitzt der Minderheiteninvestor eine Call-Option, die es ihm ermöglicht, seine Beteiligung aufzustocken. Lizenzierung: Es bestehen zwei Arten der Lizenzierung: •

Lizenzierung einer speziellen Technologie, eines Produkts oder eines Prozesses, um Chancen wahrnehmen zu können • Handelslizenzen, wobei ein Unternehmen einem Hersteller von z. B. Konsumgütern Nutzungsrechte einräumt Ein Lizenzvertrag legt üblicherweise fest, wofür Nutzungsrechte eingeräumt werden, wie und wo diese genutzt werden können und wie lange der Lizenznehmer ermächtigt ist, diese zu nutzen. Im Gegensatz zu Joint Ventures und Firmenallianzen als Unterform des großen Blocks der strategischen Allianzen kommt es hier nicht zu einer Teilung von Risiko und Ertrag. Die Lizenzierung stellt eine recht risikolose Form der strategischen Allianzen dar, die eine Anfangsinvestition erfordert.

65

Vgl. Ernst, D., Häcker, J. (2006), S. 6ff.

3.2 Begriffsdefinition

39

Franchise-Allianzen: Darunter sind Netzwerke zu verstehen, in denen Unternehmen durch mehrere Lizenzverträge verbunden sind. Die Lizenzvereinbarungen räumen hierbei meistens Rechte für die Nutzung von Gütern und Dienstleistungen ein. Netzwerkallianzen: Hierbei handelt es sich um Verbindungsallianzen von Unternehmen, die häufig internationale Grenzen überschreiten. Solche Vereinbarungen können dazu führen, dass zwei Unternehmen in einem Markt zusammenarbeiten, während sie in einem anderen konkurrieren. Solche Allianzen werden meistens dazu genutzt, um sich Fähigkeiten von sich nähernden, aber dennoch unterschiedlichen Industrien zugänglich zu machen (z. B. Computer- und Multimediabranche).66 Alle diese Ausprägungen strategischer Allianzen implizieren, dass maximal 20% der Anteile erworben werden. Neben dieser Gruppe strategischer Allianzen gibt es noch die Zusammenarbeit in Form von Fusionen und Übernahmen, auch Mergers & Acquisitions, genannt. Gemäß §271 HGB besteht eine Beteiligung bzw. Akquisition wenn der Käufer mindestens 20% des Nennkapitals des Zielunternehmens erwirbt. Im Falle einer Fusion schließen sich zwei Unternehmen zusammen oder verschmelzen in eine neu gegründete Unternehmung. In der Vergangenheit wurden dabei die Synergieeffekte überschätzt oder aber kulturelle Unterschiede unterschätzt. In Zeiten der Globalisierung fanden nicht zuletzt im Automobilsektor zahlreiche Übernahmen und Fusionen statt. Einer der größten Fusionen in diesem Zusammenhang war der Zusammenschluss der Daimler Benz AG und der Chrysler Motor Corporation. Beide fusionierten im Jahr 1998 zu Daimler Chrysler, trennten sich aber aufgrund von erheblichen Problemen einige Jahre später wieder.

3.2.2

These

Zahlreiche Übernahmen aus der Vergangenheit haben dazu geführt, dass mittlerweile eine Gruppe von rund 15 großen Automobilherstellern besteht, welche für nahezu 100% der weltweiten Automobilproduktion verantwortlich zeigen. Daher scheint es unwahrscheinlich, dass es zukünftig noch zu zahlreichen weiteren Übernahmen im großen Stil kommen wird. Nach der VW-Porsche Transaktion scheint das Potenzial für Großübernahmen im Automobilsektor fast erschöpft. Aus Corporate Finance-Sicht hat diese Transaktion eine Sonderrolle eingenommen, weshalb im Folgenden speziell auf die VW-Porsche-Transaktion in den Jahren 2005–2009 näher eingegangen wird. Da die Automobilhersteller immer wieder Schwachpunkte in der automobilen Wertschöpfungskette entdecken werden, die noch Potenzial für eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit sorgen, wird man sich weiter auf die Suche nach potenziellen Partnern machen, die dieses Know-how im Austausch zur Verfügung stellen können. Dieses Erfordernis ergibt sich alleine schon durch die Heterogenität der Branche an sich. Solche Kooperationen werden künftig vor allem in Form strategischer Allianzen ablaufen. Letztlich werden auf dem globalen Markt einige wenige, sehr große Automobilhersteller bestehen bleiben. Diese werden sich dann 66

Vgl. Ernst, D., Häcker, J. (2011), S. 6ff.

40

3 Strategische Allianzen im Automobilbereich

teilweise gegenseitig durch strategische Allianzen in den entsprechenden Bereichen unterstützen. Daneben werden strategische Allianzen zum großen Teil auch branchenübergreifend stattfinden.

3.3

M&A oder strategische Allianzen – der VW-Porsche Case

Eine genaue Darstellung der VW-Porsche Corporate Finance Transaktion findet sich in Teil 2 der ersten Auflage des Buchs „Automobilmanagement“.

3.3.1

Porsches Übernahmestrategie im Überblick

Vieles deutet darauf hin, dass Porsche von Beginn an den Plan verfolgte, VW zu übernehmen. Der damalige Vorstandsvorsitzende Wendelin Wiedeking und der Leiter der Finanzabteilung, Holger Härter, hatten eine detaillierte Übernahmestrategie ausgearbeitet und sie den Familien Porsche und Piëch und damit auch Ferdinand Piëch vorgelegt. Diese sah vor, dass Porsche überwiegend mittels Optionsgeschäften Anteile an VW erwirbt. Dadurch ergaben sich fünf Vorteile: 1. Porsche wusste, basierend auf dem Ausübungspreis der Optionen, wie viel pro Stammaktie aufgebracht werden musste und konnte das Kostenmanagement besser planen. 2. Kaufoptionen verpflichten nicht zum Kauf. Wenn VW-Wertpapiere günstiger am Markt zu erwerben waren, konnte Porsche die Optionen verfallen lassen. 3. Bis Anfang 2007 mussten Kaufoptionen mit Bezugsrecht nicht bei der BaFin gemeldet werden, sollte durch ihren Besitz eine Meldeschwelle erreicht oder überschritten werden. 4. Cash-gesettelte Kaufoptionen mussten auch nicht nach 2007 bei der BaFin deklariert werden, falls durch ihren Besitz eine Meldeschwelle erreicht oder überschritten wird. 5. Bis zum Zeitpunkt der Ausübung der Optionen wusste niemand, auf wie viele VW-Anteile Porsche Zugriff hatte. Die Übernahmestrategie war in vier Phasen untergliedert: Phase 1 Phase 2 Phase 3 Phase 4

VW-Beteiligung liegt unter 20% Heranschleichen an die 30%-Hürde Überschreitung der 30%-Hürde und Schaffung der Porsche Automobil Holding SE als Dachgesellschaft Annähern an die 75%-Hürde

Abbildung 26 stellt die Phasen der Beteiligung grafisch dar, basierend auf den Beteiligungsquoten, die in den Medien und in den Porsche Pressemitteilungen veröffentlicht wurden. Im Folgenden wird Porsches Agieren in den einzelnen Phasen näher erläutert.

41

Phase 1

Phase 2

Phase 3

Phase 4

3.3 Der VW-Porsche-Case

Abbildung 26: Entwicklung der in den Medien veröffentlichten Beteiligungsquoten von Porsche an VW 67 Quelle: Eigene Darstellung

3.3.1.1

Phase 1: VW-Beteiligung liegt unter 20%

Mit dem VW-Einstieg im September 2005 legte Porsche den Grundstein für den folgenden Übernahmeversuch. Wiedeking bezeichnete das Engagement als strategisches Investment, welches zur Sicherung der bestehenden Kooperationsverträge und zur Wahrung der Selbstständigkeit Porsches vollzogen wurde. Was der Manager damals nicht sagte war, dass Porsche an Einfluss gewinnen wollte, um bei der Sanierung VWs mitzuwirken. Wiedeking, der Porsche auf Erfolgskurs gebracht hatte, schien der richtige Mann dafür zu sein. Aber damit er seine Vorstellungen bei VW auch umsetzen konnte, benötigte er mehr Einfluss. Wiedeking und Härter setzten beim Erwerb der VW-Anteile von Beginn an auf Optionsgeschäfte. Dadurch wurden die gesetzlich festgelegten Meldeschwellen von 5%, 10% und 15% umgangen. Porsche besaß bei Bekanntgabe der VW-Beteiligung bereits 5% der Anteile. Im nächsten Schritt stockte es diese auf 18,5% auf. Sowohl die Beteiligung über 5% als auch die Erhöhung auf 18,5% zog keine Meldepflicht nach sich. Daher ist anzunehmen, dass die Minderheitsbeteiligung entweder über Cash-gesettelte Kaufoptionen oder durch Kaufoptionen mit Bezugsrecht vollzogen wurde. Denn bis Januar 2007 war der Besitz von Kaufoptionen mit Bezugsrecht nicht mitteilungspflichtig, selbst wenn der Inhaber eine der oben erwähnten 67

Die Abbildung basiert unter anderem auf folgenden Quellen: Porsche-se.com (2008), Porsche erhöht seine VW-Beteiligung auf 35,14%; Porsche-se.com (2008), Porsche-Aufsichtsrat gibt grünes Licht für Mehrheitsbeteiligung an VW; Porsche-se.com (2008), Porsche strebt Beherrschungsvertrag an; Porsche-se.com (2009), Beteiligung an Volkswagen wird auf über 50% aufgestockt.

42

3 Strategische Allianzen im Automobilbereich

Meldeschwellen überschritt. Damit kein Marktteilnehmer Verdacht schöpfte, kann davon ausgegangen werden, dass Härter seine Optionsgeschäfte mit mehreren Banken abgeschlossen hatte. Alle Geldinstitute hielten VW-Aktien zur Kurssicherung und blieben unter der damaligen gesetzlichen Meldeschwelle von 5%. Nach Ausübung der Kaufoptionen veräußerten die Banken ihre VW-Aktien und Porsche baute seinen Anteil auf 18,5% aus, ohne zuvor eine Stimmrechtsmitteilung abgegeben zu haben.

3.3.1.2

Phase 2: Heranschleichen an die 30%-Hürde

Zeitgleich mit der Bekanntgabe der Minderheitsbeteiligung über 18,5% bei VW ließ Porsche verlauten, dass das Engagement in keinem Fall in einem Umfang erweitert werden sollte welcher zur Abgabe eines Pflichtangebots an die übrigen VW-Aktionäre führen würde. Fünfzehn Monate später trat genau dieser Fall ein. Dabei kaufte Porsche die VW-Anteile nicht direkt, sondern agierte erneut über Optionsgeschäfte. Auf diese Weise schlich sich der Sportwagenbauer innerhalb eines Jahres an die 30%-Hürde heran. Die anfänglichen 18,5% wurden auf über 21% erhöht. Im November 2006 übte das Unternehmen Optionen auf ca. 4% der VW-Stammaktien aus und hielt über 25%. Zwei Tage später kamen weitere 2,3% hinzu und erhöhten die Beteiligung auf 27,4%.

3.3.1.3

Phase 3: Überschreitung der 30%-Hürde und Schaffung der Porsche Automobil Holding SE als Dachgesellschaft

Im März 2007 wurde die 30%-Hürde nach Ausübung einer weiteren Option überschritten und Porsche hielt 30,9% an VW. Das darauffolgende Pflichtangebot für die verbliebenen 69,1% der VW-Stammaktien und für die VW-Vorzugsaktien beschränkte sich auf den gesetzlich festgelegten Mindestpreis. Manche Marktteilnehmer interpretierten das niedrige Pflichtangebot als einen Beleg für das tatsächliche Desinteresse Porsches an einer Übernahme VWs. In Wirklichkeit machte dieser Schritt den Weg frei, sich im Verborgenen eine Mehrheitsbeteiligung an VW anzueignen. Denn laut Gesetz muss ein offizielles Übernahmeangebot nur einmal abgegeben werden. Porsche konnte sich nun in aller Stille an die nächste Meldeschwelle von 50% heranschleichen. Ein weiteres Indiz, das für die Übernahme VWs durch Porsche sprach, war die vollzogene Umfirmierung der Porsche AG in eine Societa Europea, die Ende Juni 2007 von den Anteilseignern beschlossen und 5 Monate später ins Handelsregister eingetragen wurde. Die Schaffung der Dachgesellschaft stellte die Weichen für eine schnelle Integration VWs in den Porsche-Konzern. Ferner minderte die Neugestaltung der Mitbestimmungsvereinbarung den Einfluss der VW-Führung und der VW-Arbeitnehmervertreter auf die Leitung des angestrebten Konzerns.

3.3.1.4

Phase 4: Annäherung an die 75%-Hürde

Nach Abgabe des öffentlichen Pflichtangebots zur VW-Übernahme wies Porsche Berichte zurück, die auf eine Erhöhung der Beteiligung auf über 75% spekulierten.

3.3 Der VW-Porsche-Case

43

Im Hintergrund erwarb Porsche jedoch immer mehr Anteile an VW über den Abschluss von Optionsgeschäften. Im März 2008, ein Jahr nach Abgabe des Pflichtangebots, legte Porsche offen dar, eine Mehrheitsbeteiligung an VW anzuvisieren.68 Im September desselben Jahres erhöhte das Unternehmen die VW-Beteiligung auf 35,14%.69 Einen Monat später gab eine Porsche-Pressemitteilung bekannt, das Unternehmen hielte 42,6% der stimmberechtigten VW-Anteile und Cash-gesettelte Kaufoptionen auf weitere 31,5%. Somit kam Porsche auf 74,1%. Desweiteren verkündete Porsche, im Laufe des Jahres 2009 die Beteiligung auf über 75% anheben zu wollen und den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages anzustreben.70 In diesem Fall hätte Porsche Zugriff auf die liquiden Mittel von VW gehabt, um die entstandenen Übernahmekosten zu begleichen. Es gelang Härter wiederholt, eine Meldeschwelle zu umgehen. Da die Cash-gesettelten Optionen kein Bezugsrecht der Aktie beinhalteten, sondern auf Barausgleich ausgelegt waren, musste Porsche keine Stimmrechtsmitteilung herausgeben, obwohl der Umfang der Kaufoptionen die 50%-Meldeschwelle übertraf. Abermals machten Härter und Wiedeking ihre Geschäfte mit verschiedenen Banken, die bei Ausübung der Kaufoptionen die Differenz zwischen Strike Price und tatsächlichem Marktwert an Porsche abführen mussten. Die Banken verfügten über VW-Aktien zur Kurssicherung. Diese Aktien veräußerten sie nach der Durchführung des Optionsgeschäfts an der Börse, um die Verluste aus den Ausgleichszahlungen zu decken. Als Abnehmer bot sich erneut Porsche an. Auf diese Weise konnte das Unternehmen auf einen Schlag Zugriff auf beinahe 75% der VW-Stammaktien erlangen.

3.3.2

Woran die Übernahme scheiterte

Porsche stützte die geplante VW-Übernahme auf drei Annahmen, die sich allesamt nicht erfüllten und dadurch das Vorhaben zum Scheitern brachten: 1. Profitabilität und Liquidität des operativen Geschäfts entwickeln sich konstant weiter 2. Das VW-Gesetz wird komplett abgeschafft 3. Die Banken gewähren finanzielle Mittel in Form von Krediten ANNAHME 1 Porsche gelang es über Jahre hinweg neue Rekorde aufzustellen. Der Absatz nahm stetig zu und Profitabilität und Liquidität stimmten. Selbst der Einstieg bei VW konnte die Liquidität nicht langfristig belasten. Durch die Ausgabe von Hybridanleihen und eines Eurobonds wurden neue liquide Mittel freigesetzt. Zu Beginn des Jahres 2009 zeigten sich allerdings die negativen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf Porsches Absatz. Dieser fiel innerhalb eines Jahres um 26,7% auf 34.266 Fahrzeuge.71

68 69 70 71

Vgl. Porsche-se.com (2008), Porsche-Aufsichtsrat gibt grünes Licht für Mehrheitsbeteiligung an VW. Vgl. Porsche-se.com (2008), Porsche erhöht seine VW-Beteiligung auf 35,14%. Vgl. Porsche-se.com (2008), Porsche strebt Beherrschungsvertrag an. Vgl. Porsche SE (2009), S. 4.

44

3 Strategische Allianzen im Automobilbereich

18.116

Rest der Welt

24.897

11.998

Nordamerika

16.209

4.152

Deutschland

5.630

0

5.000

10.000

15.000

20.000

25.000

Jan. 09

30.000

Jan. 08

Abbildung 27: Absatzrückgang von Porsche, Vergleich 1. Halbjahr 2007/2008 mit 1. Halbjahr 2008/2009 72 Quelle: Eigene Darstellung

Obige Abbildung 27 verdeutlicht, dass der Absatzrückgang alle Märkte im nahezu gleichen Umfang betraf und zwischen 26,3% und 27,2% lag. Als Reaktion auf die geminderte Nachfrage drosselte Porsche die Produktion.73 Der Einbruch des Absatzes manifestierte sich im generierten Umsatz, welcher im Halbjahresfinanzbericht 2009 um 12,78% zum Vorjahr sank.74 Trotzdem gelang es Porsche, den ausgewiesenen Gewinn mehr als zu vervierfachen.75 Dies glückte aufgrund der aus den Optionsgeschäften mit VW-Aktien realisierten Erlösen von € 6,8 Mrd., die sich auf das Vorsteuerergebnis niederschlugen und in der nachfolgenden Abbildung 28 dargestellt sind.76

Abbildung 28: Porsches Erlöse aus Aktienoptionsgeschäften 1. Halbjahr 2008/2009 Quelle: Porsche SE (2009), S. 22, 23

Allerdings hing der positive Ertrag der Cash-gesettelten Optionen vom weiteren Verlauf des VW-Kurses ab und konnte schnell verpuffen. Zusätzlich zum geminderten Umsatz fiel die Nettoliquidität drastisch wegen des Aufstockens der VW-Anteile von 30% auf über 50%, auf ein Minus von € 9 Mrd.77 Porsche konnte die Übernahme nicht mehr aus eigenen Mitteln vorantreiben. 72

73 74 75 76 77

Die Abbildung basiert unter anderem auf folgenden Quellen: Porsche-se.com (2008), Porsche erhöht seine VW-Beteiligung auf 35,14%; Porsche-se.com (2008), Porsche-Aufsichtsrat gibt grünes Licht für Mehrheitsbeteiligung an VW; Porsche-se.com (2008), Porsche strebt Beherrschungsvertrag an; Porsche-se.com (2009), Beteiligung an Volkswagen wird auf über 50% aufgestockt. Vgl. Porsche SE (2009), S. 5. Vgl. Porsche SE (2009), S. 12. Vgl. Porsche SE (2009), S. 12. Vgl. Porsche SE (2009), S. 5. Vgl. Porsche SE (2009), S. 6.

3.3 Der VW-Porsche-Case

45

ANNAHME 2 Nachdem der EuGH Teile des VW-Gesetzes als rechtswidrig beanstandet hatte, verabschiedete der Bundestag im November 2008 dessen Neuauflage. Demnach wurden die speziellen Entsenderechte für Vertreter des Bundes und des Landes Niedersachsen in den VWAufsichtsrat (§ 4 Abs. 1 VW-Gesetz) aufgehoben. Ferner war jeder Aktionär ab sofort berechtigt, seine vollen Stimmrechtsanteile auszuüben und musste diese nicht länger auf 20% beschränken, wie es bis dato § 2 Abs. 1 des VW-Gesetzes vorgeschrieben hatte. Bestimmte Hauptversammlungsbeschlüsse bedurften jedoch nach wie vor der Zustimmung von über 80% der stimmberechtigten Anteile. Somit blieb die Sperrminorität unverändert bei 20% erhalten und das Bundesland Niedersachsen hatte weiterhin ein Vetorecht. Trotz Protesten von Seiten Porsches und der EU-Kommission bezeichnete die Bundesregierung die Neuregelung als rechtskonform. Da der EuGH lediglich die Kombination des § 4 Abs. 3 mit dem § 2 Abs. 1 kritisiert hatte, nicht aber die Paragraphen selbst, reichte es aus den § 2 Abs. 1 abzuschaffen, um eine Verbindung der zwei Paragraphen auszuschließen und auf diese Weise dem Urteil des EuGH Folge zu leisten. Porsche wurde dadurch der Weg zum Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags und folglich der Zugriff auf VWs liquide Mittel verbaut, mit denen sie die Übernahmekosten hätten begleichen können. Ferner konnte das Unternehmen keine qualifizierte Mehrheit erreichen, die für die rechtliche Zustimmung der VW-Übernahme notwendig gewesen wäre. ANNAHME 3 Unter normalen Umständen hätten die Banken Porsche mit dem nötigen Kapital versorgt. Aber seit Ausbruch der Finanzkrise wurden neue Maßstäbe zur Kreditvergabe eingeführt. Dies hatte das Unternehmen im Frühjahr 2009 bei der Refinanzierung der € 10 Mrd. zu spüren bekommen. Ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der neuen Festlegung der Kreditkonditionen spielte Porsches Verhalten gegenüber den Banken. Der Sportwagenhersteller nutzte den im März 2008 gewährten Kredit nicht zum Ausbau der VW-Anteile, sondern legte ihn zu einer hohen Rendite an. Damit erwirtschaftete Porsche mehr finanzielle Mittel, als für die Zinszahlungen fällig wurden, was dazu führte, dass das Verhältnis zu den Banken sich merklich abkühlte. Hinzu kam, dass Porsche über keine Liquidität verfügte (€ 9 Mrd. Liquiditätsdefizit) und das operative Geschäft zu schwächeln begann. Des Weiteren geisterte die mögliche Übernahme VWs durch Porsche über Jahre hinweg durch die Medien. Banken waren sich der bestehenden Risiken bewusst. Vor allem als klar war, dass Porsche nicht auf die finanziellen Mittel VWs zugreifen konnte um bestehende Kredite zurückzuzahlen, beschlossen die Banken, dem Unternehmen kein weiteres Kapital bereitzustellen. Zum Ende des Jahres 2009 wurden die Weichen für die vollständige Übernahme Porsches durch die Volkswagen AG im Rahmen der Aufsichtsratssitzungen beider Unternehmen gelegt. Im letzten Schritt erfolgte die Eingliederung von Porsche als zehnte Marke in den VW-Konzern.78 Seit 2010 verfolgt der Übernahmeversuch von Porsche bei Volkswagen auch die Gerichte auf beiden Seiten des Atlantiks. So läuft in den USA seit Anfang 2011 ein Berufungsverfahren, in dem 39 Hedgefonds den Stuttgarter Autobauer auf mehrere Milliarden Schadenersatz wegen

78

Vgl. Zeit.de (2009).

46

3 Strategische Allianzen im Automobilbereich

Investorentäuschung verklagen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt ebenfalls gegen die Vorstände Wiedeking und Härter wegen möglicher Marktmanipulationen. Seit Oktober 2011 liegt nunmehr eine weitere Schadenersatzklage von Anlegern über mehr als eine Milliarde Euro beim Landgericht Braunschweig vor.79 Es ist zu erwarten, dass der Fall Porsche und Volkswagen aufgrund seiner Komplexität und wirtschaftlichen Tragweite noch einige Jahre die betroffenen Unternehmen und Gerichte beschäftigen wird.

3.4

Warum strategische Allianzen und nicht M&A die Automobilindustrie in der Zukunft dominieren werden

Nachdem die Automobilindustrie aufgrund der Finanzkrise starke Umsatzeinbußen in 2008 und 2009 zu verzeichnen hatte, verbuchte die Branche 2010 bereits wieder starke Umsatzzuwächse. So übertraf die globale Produktion mit rund 70 Millionen Einheiten sogar das Vorkrisenniveau und stieg gegenüber 2009 um 21% an. Dabei ist über die Hälfte des Wachstums auf die Boom-Regionen im asiatisch-pazifischen Raum zurückzuführen und hier insbesondere auf China und Indien. Um eine nachhaltige Wachstumsstrategie verfolgen zu können ist es daher unumgänglich für die Automobilhersteller, in diesen Märkten vertreten zu sein80. Teilweise sind strategische Allianzen und nicht M&A die einzige Möglichkeit, Zugang zu einem Markt zu erhalten. So ermöglichte z. B. die chinesische Regierung ausländischen Herstellern bis vor kurzer Zeit den Marktzutritt nur über ein Joint Venture mit einem chinesischen Hersteller. Neben den strategischen Entwicklungsmöglichkeiten im Bereich des bestehenden Produktportfolios auf neuen Märkten geht es vor allem auch darum, neue Produktbereiche zu erschließen. So geht z. B. gerade in Deutschland, aber auch in anderen wichtigen Märkten der Trend zunehmend hin zum Low cost-Segment81. Speziell die deutschen Automobilhersteller haben ihre Stärken allerdings eher im Premiumsegment und sind daher auf strategische Allianzen mit Automobilherstellern angewiesen, die mit ihrem Produktportfolio im Kleinwagenbereich erfolgreich vertreten sind. Darüber hinaus befindet sich die Automobilbranche möglicherweise an einem Scheideweg. Sicher ist, dass das Automobil in seiner derzeitigen Form nicht zukunftsträchtig sein wird. Der wichtigste Rohstoff heutiger Verbrennungsmotoren wird auf absehbare Zeit knapp und damit teuer werden. Zusätzlich stehen die Unternehmen unter dem Druck, emissionsarme Flotten zu produzieren und somit einen entscheidenden Beitrag zur Schonung der Umwelt zu leisten. Derzeit ist noch nicht abzusehen, welche Antriebstechnologie sich zukünftig durchsetzen wird. Strategische Allianzen bieten daher aus Sicht der Unternehmen eine gute Möglichkeit, das notwendige Know-how für Zukunftstechnologien gewinnen zu können bzw. die dafür notwendigen Investitionen auf mehrere Schultern zu verteilen. Denn insbesondere den deutschen Autobauern fehlt in den Schlüsselbereichen der Elektroantriebs-, der Batterie- und der

79 80 81

Vgl. Handelsblatt.com (2011). Vgl. Kuhnert, F., Niederdrenk, R., Maser, J.C. (2011), S. 10f. Vgl. PricewaterhouseCoopers (2011).

3.4 Warum strategische Allianzen in der Zukunft dominieren werden

47

Kohlefasertechnik das notwendige Know-how.82 Diesen Unternehmen bleibt daher nichts anderes übrig, als strategische Partnerschaften einzugehen, um sich so die notwendige Expertise zeitnah aneignen zu können83. Zusätzlich sind die Automobilhersteller bestrebt, das Risiko bei der Entwicklung solcher Technologien auf mehrere Partner verteilen zu können. Beispielhaft werden im Folgenden einige der interessantesten industrieübergreifenden und brancheninternen strategischen Allianzen mit Ihren zu Grunde liegenden strategischen Überlegungen aufgezeigt: Volkswagen und Suzuki, BMW und SGL Carbon, Daimler und Renault/ Nissan sowie BMW mit MyCityWay und Sixt.

3.4.1

Volkswagen und Suzuki

Im Herbst 2009 ging der größte deutsche Automobilhersteller Volkswagen eine strategische Partnerschaft in Form einer Überkreuzbeteiligung mit dem japanischen Automobilhersteller Suzuki Motor Corporation ein. In diesem Zusammenhang erwarb VW 19,9% des japanischen Herstellers für € 1,7 Mrd.84 Suzuki wiederum nutzte die Hälfte des Verkaufserlöses um sich mit 2,5% an den Wolfsburgern zu beteiligen85. Als Ziel wurde von VW genannt, von der führenden Rolle Suzukis im Klein- und Kleinstwagenbereich profitieren zu können. Wichtige Komponenten sollten gemeinsam entwickelt werden und sowohl bei Marken von Volkswagen als auch Suzuki Anwendung finden. Suzuki hingegen interessierte sich vorwiegend für das Wolfsburger Know-how im Bereich verbrauchsarmer Dieselmotoren, aber auch alternativer Antriebstechnologien, wie etwa dem Hybrid- oder Elektromotor. Darüber hinaus sollen mittels der strategischen Partnerschaft geographische Schwächen kompensiert werden. Während VW traditionell stark im europäischen und südamerikanischen Raum vertreten ist, kann Suzuki auf eine gute Marktposition im asiatischen Raum zurückgreifen und hat hier insbesondere im Klein- und Kleinstwagensegment einen hohen Marktanteil86. Mit einem Marktanteil von 37,2% im Jahr 2011 im japanischen Kleinwagensegment ist Suzuki äußerst stark vertreten und konnte auch in anderen wichtigen asiatischen Märkten wie China (+44%) und Indien (+21%) deutlich zulegen87. Obwohl Volkswagen einen hohen Marktanteil in China aufzuweisen hat, haben die Wolfsburger speziell in Indien und anderen wichtigen asiatischen Automobilmärkten noch Nachholbedarf. Allerdings kam es zuletzt zu Unstimmigkeiten in der Kooperation zwischen den beiden Herstellern. Beide Parteien werfen sich Vertragsverletzungen vor. Suzuki hatte sich daran gestört, nicht die erhofften Vorteile im Know-how Transfer erhalten zu haben, während VW sich übergangen sah, da die Japaner bei Fiat Dieselmotoren bestellt hatten. Suzuki forderte sogar die Trennung der Suzuki-Anteile durch den VW-Konzern. Wie sich der Konflikt entwickelt, bleibt abzuwarten.

82 83 84 85 86 87

Vgl. Reuter, W. (2011), S. 1. Vgl. Reuter, W. (2011), S. 1. Vgl. Hucko, M. (2010). Vgl. Manager Magazin online (2010). Vgl. Ziesche, B. (2010). Vgl. Suzuki Motor Corporation (2010), S. 6f.

48

3 Strategische Allianzen im Automobilbereich

3.4.2

BMW und SGL Carbon

Im Hinblick auf die wachsende Relevanz von CO2-Emissionen für die Erreichung der weltweiten Klimaschutzziele und der derzeit noch sehr beschränkten Reichweite von Elektroautos, gewinnt das Gesamtgewicht eines Autos immer mehr an Bedeutung. Mit dem Ziel, Stahlund Aluminiumkomponenten zunehmend durch Karbon ersetzen zu wollen, ist BMW eine strategische Partnerschaft mit dem weltweit führenden Hersteller von Karbonprodukten SGL Carbon eingegangen. Der bayerische Automobilhersteller und SGL Carbon gründeten 2009 ein Joint Venture zur Herstellung von Karbonfasern und textilen Halberzeugnissen. BMW ist mit 49%, die SGL Group mit 51% an dem Gemeinschaftsunternehmen beteiligt88. Im Frühjahr 2011 wurde das neue hochmoderne Karbonfaserwerk des Joint-Ventures mit einem Investitionsvolumen von US$ 100 Mio. in Moses Lake, Washington State (USA) fertig gestellt. Die dort entwickelten Teile sollen im Mega City Vehicle bzw. im BMW i3 verwendet werden89,90. Im März des Jahres 2011 beteiligte sich unerwartet Volkswagen mit 8% (per Oktober 2011 lag der Anteil bei ca. 9,9%91) am Kohlefaserspezialisten und überraschte damit den Automobilhersteller aus München. Volkswagen stieg damit zum zweitgrößten Aktionär hinter der Hauptaktionärin Susanne Klatten auf, die mit ihrer Beteiligungsgesellschaft Skion 22,25% der Anteile hielt und auch Großaktionärin beim VW-Rivalen BMW ist92. Nach dem VW Einstieg erhöhte Frau Klatten ihren Anteil auf knapp 27% und sicherte sich so eine Sperrminorität. Volkswagen verfolgt mit der Beteiligung an SGL Carbon das gleiche Ziel wie BMW und sieht im Thema Leichtbau einen wichtigen Schlüssel zur Reduzierung von Emissionen und Verbrauch93.

3.4.3

Daimler und Renault/Nissan

Im Frühjahr 2010 beschlossen die Daimler AG und die Renault/Nissan Allianz, eine strategische Partnerschaft in Form einer Überkreuzbeteiligung einzugehen94. Die Kapitalbeteiligungen beschränkten sich auf jeweils 3,1% der Anteilsscheine. Die japanisch/französische Allianz erhielt einen Anteil von 3,1% an der Daimler AG, die Stuttgarter wiederum beteiligten sich jeweils mit 3,1% an Renault und Nissan. Die Kooperation konzentriert sich schwerpunktmäßig auf eine gemeinsame Architektur im Kleinwagensegment, den Antriebsstrang sowie eine Zusammenarbeit bei leichten Nutzfahrzeugen95. Der neue Smart fortwo, die viersitzige Variante der gleichnamigen Marke sowie das neue Modell des Renault Twingo sollen auf einer gemeinsam entwickelten Plattform basieren. Im Bereich des gemeinsamen Antriebsstrangs liegt der Fokus auf verbrauchsarmen Diesel- und Benzinmotoren. Renault wird kleinere Drei- und Vierzylinder Aggregate an Daimler liefern, die dann als Basis für kleinere Mercedes-Modelle dienen sollen. Im Gegen88 89 90 91 92 93 94 95

Vgl. ATZ online (2009). Vgl. SGL Group (2010). Vgl. SGL Group (2011). Vgl. FTD (2011). Vgl. Manager Magazin online (2011). Vgl. Telebörse (2011). Vgl. Daimler AG (2010). Vgl. Daimler AG (2010).

3.4 Warum strategische Allianzen in der Zukunft dominieren werden

49

zug liefern die Schwaben größere Vier- und Sechszylinder Motoren an das Nissan Tochterunternehmen für Premiumfahrzeuge der Marke Infinity. Im Bereich der leichten Nutzfahrzeuge will Daimler sein Portfolio 2012 um ein weiteres Modell ergänzen. Das neue Einstiegsmodell soll auf Basis von Renault-Modellen entstehen und in einem französischen Renault-Werk gefertigt werden. Durch das Generieren von zusätzlichem Absatzvolumen, einer verbesserten Auslastung der Daimler- und Renault-/Nissan-Werke und der Teilung der Investitionskosten versprechen sich beide Seiten erhebliche Kosteneinsparungen. Daimler und Renault/Nissan rechnen mit einem Einsparpotential von jeweils € 2 Mrd. für die nächsten fünf Jahre, welche allein nur durch Synergieeffekte erzielt werden könnten.96 Zusätzlich verspricht sich die Daimler AG vom Know-how Renaults im Kleinwagensegment profitieren zu können. Genau wie VW hat auch Daimler hier großen Nachholbedarf und ist auf strategische Partnerschaften angewiesen. Renault hingegen verspricht sich u. a. einen Imagevorteil durch die Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Hersteller für Premiumfahrzeuge.

3.4.4

BMW und MyCityWay

Ganz im Gegensatz zu den klassischen strategischen Partnerschaften innerhalb des Automobilsektors ging BMW im Februar 2011 eine Partnerschaft mit dem US-amerikanischen Software-Hersteller MyCityWay ein. Diese Beteiligung, dessen Höhe US$ 5 Mio. betrug97, zeigt deutlich auf, wohin der Weg technologieorientierter, industrieübergreifender Allianzen gehen könnte. Als Eigenkapitalgeber fungierte die kurz zuvor in New York gegründete Risikokapitalgesellschaft BMW i Ventures. Durch diese Gesellschaft erhofft sich der BMW Konzern Zugriff auf vielversprechende Konzepte im Bereich neuartiger Mobilitätsdienstleistungen.98 Mittels der entwickelten Applikation MyCityWay lassen sich zahlreiche Informationen zu diversen Städten auf einem Smartphone wie beispielsweise dem iPhone von Apple anzeigen. So kann z. B. der schnellste Weg zu einem bestimmten Ziel ermittelt oder unterschiedliche Geschäfte und Restaurants in der Nähe gefunden werden. BMW möchte mit dieser Lösung auf die sich verändernden Mobilitätsbedürfnisse in den so genannten Megacities reagieren und neue Bereiche der fahrzeugunabhängigen Mobilitätsleistungen adressieren.99 Speziell mit MyCityWay verfolgt BMW das Ziel, anhand von alternativen Mobilitätsdienstleistungen neue Kundengruppen für die Marke gewinnen zu können und dem aufstrebenden Gebiet fahrzeugungebundener Mobilität Rechnung zu tragen.

3.4.5

BMW und Sixt

Eine weitere tiefgreifende Veränderung für den Automobilsektor zeichnet sich schon jetzt in den Köpfen der jüngeren Generation ab. Laut einer Studie von Zipcar verliert das Auto gerade in der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen zunehmend an Bedeutung. So stimmten 35% der Befragten der These zu, dass in der heutigen Zeit ein Automobil mit erheblichen Unter96 97 98 99

Vgl. Spiegel online (2010). Vgl. Wauters, R. (2011). Vgl. Börse Express (2011). Vgl. Bimmer Today (2011).

50

3 Strategische Allianzen im Automobilbereich

haltskosten verbunden ist. 45% gaben zu, von Zeit zu Zeit das Auto in der Garage stehen zu lassen und aus Umweltgründen auf alternative Transportmöglichkeiten auszuweichen.100 Um diese Entwicklung profitabel mitgestalten zu können, setzen einige Automobilhersteller zunehmend auf das Konzept des Car Sharing. So startete die Daimler AG im Jahre 2008 das Car Sharing-Projekt „Car2Go“ in Ulm und weitete dieses Angebot kurz darauf in den USA in Austin, Texas aus. Mittlerweile sind die City-Smarts auch in Hamburg und Düsseldorf, Amsterdam, Wien und Lyon sowie in Vancouver, Washington D.C. und San Diego nutzbar.101 Die bisher größte Offensive eines Herstellers im Sektor Car Sharing startete die BMW AG im Frühjahr 2011. Zusammen mit dem Autovermieter Sixt bietet BMW seit April 2011 800 Minis und 1-er BMW in München und Berlin für Car Sharing an. An dem Joint Venture „DriveNow“ sind beide Unternehmen zu jeweils 50% beteiligt. BMW bringt hierfür die Automobile sowie die Technologie im Auto selbst ein. Sixt stellt sein Know-how im Bereich des Service und der Vermietung, der IT-Infrastruktur und eines flächendeckenden Netzwerks zur Kundenregistrierung zur Verfügung. Die Fahrzeuge können für 29 Eurocent pro Minute inklusive Sprit und Versicherung gemietet werden.102 Feste Stationen sind dabei ebenso wenig vorgesehen wie ein Autoschlüssel103. Über das Internet oder das Smartphone können verfügbare Fahrzeuge lokalisiert und gebucht sowie mit Führerschein und integriertem Chip gestartet werden. BMW zielt mit dieser Partnerschaft auf die immer größer werdende Zielgruppe der Autofahrer ab, die kein eigenes Fahrzeug besitzen und möchte diese an die eigenen Markenfahrzeuge heranführen.

3.4.6

Beurteilung der partnerschaftlichen Ansätze

In den vergangenen Jahren haben strategische Allianzen immer mehr an Bedeutung gewonnen und werden auch zukünftig immer wichtiger werden. Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass in der Automobilindustrie der Konsolidierungsprozess weitestgehend abgeschlossen erscheint. Darüber hinaus sind gerade die deutschen Premiumhersteller auf partnerschaftliche Kooperationen angewiesen, da diese im Bereich des Kleinstwagensegments traditionell schwach aufgestellt sind. Ohne in diesem Bereich global vertreten zu sein wird z. B. Volkswagen das ehrgeizige Ziel, zum weltgrößten Autokonzern aufzusteigen, nicht erreichen können. Zusätzlich gilt es, sich auf die verändernden Kundenanforderungen einhergehend mit einer sich stetig ändernden Mobilitätsumwelt einzustellen. Gerade bei der Entwicklung der teuren Batterien für Elektroautos fehlt den meisten Automobilherstellern schlicht das Know-how, diese zu entwickeln. Eine strategische Allianz bietet daher die Möglichkeit, vom Fachwissen des Partners profitieren zu können und die Entwicklungskosten auf mehrere Schultern zu verteilen, ohne dabei eine feste Bindung wie im M&A-Bereich eingehen zu müssen. Zudem ist eine strategische Partnerschaft oftmals der kostengünstigere Weg.104 Auf der anderen Seite bergen strategische Allianzen allerdings auch Gefahren für die jeweiligen Partner. So können im Laufe der Kooperation Unstimmigkeiten bei der Verwendung der 100

Vgl. Zipcar (2011). Vgl. Car2Go (2012). 102 Vgl. DriveNow (2011). 103 Vgl. Krix P. (2011). 104 Vgl. Spiegel online (2010). 101

3.4 Warum strategische Allianzen in der Zukunft dominieren werden

51

Erträge oder bei der Aufteilung der jeweiligen Kompetenzbereiche entstehen. Es droht unter Umständen ein langer Zermürbungskampf zu entstehen, der die Partnerschaft stark belasten und das Fortbestehen der Partnerschaft gefährden kann.105 Beispielsweise hat Suzuki nach nur etwas mehr als einem Jahr bereits Probleme bei der Partnerschaft mit Volkswagen eingeräumt. Die Unternehmen hätten sich noch nicht auf einen gemeinsamen Weg geeinigt. Derzeit fände lediglich „eine Harmonisierung der Kulturen statt“.106 Die Automobilbranche durchläuft derzeit einen großen Wandel und wird auch zukünftig weitere tiefe Veränderungen erfahren. Aufgrund des bereits weit vorangeschrittenen Konsolidierungsprozesses werden die Automobilhersteller zunehmend über strategische Allianzen in den wichtigsten technologischen Bereichen zusammenarbeiten. Neben den traditionellen brancheninternen Allianzen werden zunehmend auch branchenübergreifende Allianzen eingegangen werden. Auch wenn diese Art der Zusammenarbeit große Vorteile bringt, sollten die Automobilhersteller die Nachteile keinesfalls außer Acht lassen und sich gerade vertraglich früh absichern.

105 106

Vgl. Reuter, W. (2011), S. 2. Hucko, M. (2010).

4

Strategische Entwicklungsmöglichkeiten der Automobilbranche am Beispiel von Elektrofahrzeugen

4.1

Executive Summary

Das vorliegende Kapitel befasst sich mit der Analyse der Stärken und Schwächen der Elektrofahrzeuge und der Untersuchung der Potenziale für eine Substitution der herkömmlichen PKWs durch Elektrofahrzeuge auf verschiedenen Absatzmärkten bis 2020. Es ist gut möglich, dass sich die Elektromobilität als Alternative zum herkömmlichen Verbrennungsmotor langfristig durchsetzen wird, lediglich der Zeitpunkt des Durchbruchs als Substitut ist derzeit noch ungewiss. •











Ein Grund für die Marktdurchdringung der Elektrofahrzeuge ist das steigende Umweltbewusstsein sowohl der Bevölkerung als auch der meisten Staaten und Regierungen. Die steigende Knappheit an Rohöl und damit verbunden die steigenden Benzinpreise sind wesentliche Treiber für die Entwicklungsbemühungen in puncto Elektroantriebe. Die größten Störfaktoren sind bislang die geringe Reichweite, die fehlende Infrastruktur und die hohen Anschaffungskosten für Elektrofahrzeuge. Die Etablierung der Infrastruktur wird durch verschiedene staatliche Maßnahmen und Förderprogramme vorangetrieben. Die Kunden erwarten eine höhere Reichweite sowie konkurrenzfähige Preise zu herkömmlichen Autos. Es werden zunehmend mehr Kooperationen zwischen Automobilherstellern und Zulieferern eingegangen, um die Herausforderungen und Probleme für eine Marktdurchdringung durch Elektrofahrzeuge zu meistern. Diese umfassen vor allem die Bereiche der Materialentwicklung und -produktion sowie Kooperationen zu speziellen Hybrid-/ Elektrofahrzeugkomponenten (Batterien). Der Anteil der Elektrofahrzeuge am gesamten Automobilabsatz in 2025 wird in den Ländern USA, Europa und Japan zwischen 40–50% prognostiziert. Da diese Märkte bereits im Hinblick auf den Automobilabsatz gesättigt sind, wird es zu einer Substitution von Fahrzeugen mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren durch Elektrofahrzeuge kommen. Der immer noch relativ geringe Motorisierungsgrad sowohl in China als auch in Indien ermöglicht auch weiterhin hohe Wachstumsraten. Der Prognose zufolge dürfte in China der Anteil der Elektrofahrzeuge am gesamten Automobilabsatz in 2025 ca. 33% betragen. In Indien werden die Elektrofahrzeuge wohl eher eine untergeordnete Rolle spielen. Dies ist auf die hohen Anschaffungskosten mit dem geringen Pro-Kopf-Einkommen, der fehlenden Infrastruktur sowie fehlender staatlicher Anreize zurückzuführen.

54

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge



In Russland und Brasilien werden die Elektrofahrzeuge voraussichtlich nur eine geringe Bedeutung haben, da diese Länder hohe inländische Rohstoffvorkommen besitzen und ebenfalls eine fehlende Infrastruktur aufweisen. Parallel zur Entwicklung der Elektrofahrzeuge werden weiterhin auch alternative Antriebsformen und Kraftstoffe erforscht und entwickelt werden.107

4.2

Begriffsdefinition und Abgrenzung

Die veränderten Rahmenbedingungen in der globalen Automobilindustrie, wie beispielsweise strengere Umweltauflagen oder auch die Urbanisierung, erfordern insbesondere seitens der Automobilhersteller eine Reaktion mit adäquaten Strategien, um weiterhin am Markt bestehen zu können. Als Strategie wird die langfristige Ausrichtung auf die Unternehmensziele mit entsprechenden Maßnahmen und Ressourcen verstanden.108 Zu den strategischen Entwicklungsmöglichkeiten der Automobilbranche werden Veränderungen der adressierten Absatzmärkte, Verbesserungen bzw. Entwicklungen von Produkten sowie die Anpassungen der Geschäftsmodelle gezählt. Zur Automobilbranche zählen zum einen die Automobilhersteller und zum anderen die Automobilzulieferer. Die Automobilhersteller stehen im direkten Kontakt zu den Kunden, deren Sichtweise hier vertreten wird. Die betrachteten strategischen Entwicklungsmöglichkeiten beziehen sich demzufolge nur auf die Automobilhersteller. Aufgrund der tiefgreifenden Verflechtung der Automobilhersteller mit der Zuliefererindustrie speziell im Thema Elektromobilität werden die strategischen Entwicklungen nur gemeinsam zum Erfolg führen. Im Rahmen dieses Kapitels wird speziell das Elektrofahrzeug (auch genannt Electric Vehicle, kurz EV) als strategische Entwicklungsmöglichkeit betrachtet. Aufgrund der Betrachtungsperspektive für Endkonsumenten wird an dieser Stelle unter einem EV von einem Personenkraftwagen (im Folgenden: PKW) ausgegangen. Dieser PKW wird zumindest teilweise durch elektrische Energie von Batterien betrieben. Die elektrisch betriebenen Motorräder und Nutzfahrzeuge werden in diesem Kapitel nicht näher analysiert. Es wird ausschließlich der Massenmarkt für Elektromobilität untersucht. Die Hybridtechnologie findet Berücksichtigung, da sie als Übergangslösung bis zum vollständig elektrischen Fahrzeug angesehen wird. Neben der reinen technischen Entwicklung von EVs und ihren damit verbundenen Stärken und Schwächen werden auch einige Märkte und ihre Entwicklung untersucht. Zu diesen Märkten gehören die Triade-Märkte, bestehend aus den USA, Europa und Japan sowie zwei der BRIC-Staaten, China und Indien. Abschließend werden zwei Kooperationen von BMW vorgestellt, um die bereits in Umsetzung befindlichen strategischen Entwicklungsmöglichkeiten exemplarisch an einem Premiumhersteller darzustellen.

107

Wir bedanken uns bei Frau Katharina Hubele und Frau Amna Musemic für Ihre Unterstützung zu dem Themenkomplex „Elektrofahrzeuge“. Deren Aktivitäten haben erst das Gelingen dieses Buchs ermöglicht. 108 Vgl. Johnson, G., Scholes, K., Whittington, R. (2006), S. 9.

4.3 Treiber für die zukünftige Entwicklung der globalen Automobilbranche

4.3

Treiber für die zukünftige Entwicklung der globalen Automobilbranche

4.3.1

Umwelttreiber

55

Die globale Automobilbranche sieht sich zukünftig mit gravierenden gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Veränderungen konfrontiert. Es ist für die Automobilhersteller essenziell, künftige Treiber und Konsumenten- bzw. Gesellschaftstrends rechtzeitig zu identifizieren und ihre strategische Ausrichtung daran anzupassen. Von besonderer Bedeutung für die strategischen Entwicklungen im Sektor Elektromobilität sind die zukünftigen Mobilitätstrends, Technologien, Umweltschutz/-politik, Wachstumsmärkte sowie die Urbanisierung. Nachfolgende Abbildung 29 stellt die Umwelttreiber nochmals grafisch dar.

Mobilität

Umwelttreiber

Umwelt

Technologie

Abbildung 29: Umwelttreiber Quelle: Eigene Darstellung

Mobilität Die zukünftige Entwicklung der Mobilität wird für die globale Automobilbranche von großer Bedeutung sein. Die Automobilhersteller müssen sich den Herausforderungen der sich wandelnden Mobilitätsbedürfnisse sowie der künftig steigenden Mobilitätsnachfrage stellen. Die stetig ansteigende Weltbevölkerung impliziert ein erheblich höheres Verkehrsaufkommen und einen steigenden Motorisierungsgrad. Bereits heute leben über 7 Milliarden Menschen109 auf der Erde und es lässt sich insbesondere in den Industrieländern eine hohe PKW-Dichte feststellen. In den OECD-Ländern entfallen auf 1.000 Einwohner durchschnittlich 558 PKWs (siehe Abbildung 30). Nach Einschätzungen der Vereinten Nationen wird sich das Bevölkerungswachstum rasant fortsetzen. Die Weltbevölkerung für das Jahr 2030 wird auf 8,3 Mrd. geschätzt.110 Das verfügbare Einkommen wird in zahlreichen Weltregionen und insbesondere in den BRIC-

109 110

Vgl. United Nations – Department of Economic and Social Affairs (2011). Vgl. United Nations – Department of Economic and Social Affairs (2011).

56

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge Wachstum 2000

2010

2020

2030

2000–2020

PKW/1.000 P.

PKW/1.000 P.

PKW/1.000 P.

PKW/1.000 P.

PKW/1.000 P.

OECD

520

558

633

724

39,2%

Nicht-OECD

190

241

326

436

129,5%

BRIC + Indonesien

29

42

88

146

403,4%

Andere

50

54

67

83

66%

Global

131

144

180

225

71,8%

Region Industriestaaten

Entwicklungsländer

Abbildung 30: PKW-Dichte – Vergleich Industriestaaten und Entwicklungsländer Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 13; P = Personen

Staaten erheblich ansteigen.111 Die „Food and Agriculture Organization of the United Nations“ (FAO) geht in einer Studie von einem jährlichen Wachstum von 5% des Pro-KopfEinkommens in den asiatischen Ländern aus.112 Mit der steigenden Weltbevölkerung und dem steigendem verfügbaren Einkommen wird dementsprechend der Motorisierungsgrad enorm zunehmen. Aus Abbildung 30 wird deutlich, dass alleine für die BRIC-Staaten und Indonesien ein Anstieg des PKW-Bestands vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2030 um 403,4% prognostiziert wird.113 Diese dynamische Entwicklung würde bedeuten, dass sich alleine in China die PKW-Dichte bis 2030 verzehnfacht.114 Neben dem quantitativen Zuwachs der Motorisierung werden zudem alternative Mobilitätsformen und -konzepte in den Vordergrund treten. Die Einstellung der Kunden zum PKW wird sich insbesondere in den Triade-Märkten angesichts der stetig steigenden Ölpreise und der zunehmenden Sensibilisierung der Kunden für Umweltbelange ändern. Der PKW wird auch weiterhin eine hohe Bedeutung in der täglichen Mobilität aufweisen, jedoch als Statussymbol zunehmend an Bedeutung verlieren. Der Kunde verlangt zukünftig verstärkt an seine persönliche Situation angepasste individuelle Mobilitätslösungen. Es steht nicht mehr der Besitz, sondern vielmehr die Nutzung des PKWs im Vordergrund.115 Zukünftig werden verstärkt alternative Mobilitätsformen und -konzepte wie zum Beispiel Mietwagen, Car Sharing oder Kombinationen mit der Bahn bzw. dem Öffentlichen Personennahverkehr von den Kunden in Anspruch genommen. Dieser Trend wird von der zunehmenden Urbanisierung der Weltbevölkerung verstärkt. Nach den Prognosen von „United Nations – Department of Economic and Social Affairs“ 111

Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 8. Vgl. United Nations – Department of Economic and Social Affairs (2011). 113 Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 13. 114 Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 7. 115 Vgl. Winterhoff, M., et. al (2009), S. 33; Roland Berger Strategy Consultants, Amrop (2011), S. 3, 18f. 112

4.3 Treiber für die zukünftige Entwicklung der globalen Automobilbranche

57

100 90 80

Percentage urban

70 60 50 40 30 20 10 0 1950

1960

1970

1980

1990

2000

2010

2020

2030

Years

Africa

Asia

Europe

Latin America and the Caribbean

Northern America

Oceania

Abbildung 31: Prozentualer Anteil der in Städten lebenden Bevölkerung nach Regionen von 1950–2030 Quelle: United Nations Population Fund (2006), S. 11

(UNDESA) werden bis zum Jahr 2050 etwa 70%116 der gesamten Weltbevölkerung in Städten leben (siehe Abbildung 31). Die Stadtgröße bzw. Siedlungsdichte wird daher für das zukünftige Verkehrsaufkommen sowie für das Transportmittel Auto von größerer Relevanz sein.117 In den ländlichen Gebieten wird die PKW-Dichte, wegen der schlechteren Angebote des ÖPNV, weiterhin höher als in den Städten sein.118 Aus diesen unterschiedlichen Trends werden sich zukünftig neue Mobilitätstypen ableiten lassen, mit teils grundlegend neuen Mobilitätsbedürfnissen.119 Umweltschutz Der steigende Motorisierungsgrad resultiert zum einen aus einer Verdopplung120 des globalen Energiebedarfs bis zum Jahr 2050 und zum anderen aus einer starken Erhöhung der Kohlendioxid-Emissionen. Der zukünftige CO2-Ausstoß der BRIC-Staaten und der europäischen OECD-Länder lässt sich anschaulich anhand der folgenden Abbildung 32 darstellen. Es wird deutlich, dass sich die CO2-Emissionen in China drastisch erhöhen werden. China wird mit einem Anteil von ca. 30%121 in 2030 für den höchsten CO2-Ausstoß verantwortlich sein. Dies ist durch den zunehmenden Wohlstand und den enormen Energiebedarf bedingt.

116 117 118 119 120 121

Vgl. United Nations – Department of Economic and Social Affairs (2009). Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 12. Vgl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (2011). Vgl. Winterhoff, M., et. al (2009), S. 7ff. Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 7. Vgl. Butler, R. A. (2005).

58

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

14.000 12.000

United States /a OECD Europe

10.000

Russia China

8.000

India Brazil

6.000 4.000 2.000 0 2005

2006

2007

2015

2020

2025

2030

Abbildung 32: CO2-Ausstoß nach Regionen 2005–2030 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Butler, R. A. (2005)

Eine Reduktion der CO2-Emission um 50% ist für die beabsichtigte Begrenzung der Erderwärmung auf 2 Grad erforderlich. Die EU verfolgt das ehrgeizige Ziel die Emissionen im Vergleich zu 1990 bis 2050 um 80%122 zu reduzieren. Einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung dieses Klimaziels muss der Verkehrssektor leisten. Bereits im Jahr 2008 betrug der weltweite Anteil des Verkehrs an den gesamten CO2Emissionen 22%123 und war somit neben dem Energiesektor der Hauptverursacher der schädlichen Treibhausgase. Die Verknappung des Rohstoffvorkommens an Rohöl wird durch die zunehmende Motorisierung beschleunigt. Auch wenn immer wieder neue Erdölfelder entdeckt und gefördert werden, kann es mittelfristig nach Einschätzungen der Internationalen Energie Agentur (IEA) zu einem Versorgungsengpass von Erdöl kommen, sollten nicht ausreichend neue Erdölvorkommen in signifikanter Größe neu erschlossen werden. Durch staatliche Maßnahmen und internationale Klimaabkommen versuchen die Regierungen der voranschreitenden Erderwärmung entgegen zu wirken. Diese Maßnahmen sollen Anreize für die Forschung und Entwicklung alternativer Technologie sowie der Konzeption neuer Mobilitätslösungen schaffen. Eines der wichtigsten Umweltabkommen ist das 1997 unterzeichnete und 2005 in Kraft getretene Kyoto Protokoll. 141 Länder haben sich verpflichtet, ihre Treibhausgase bis 2012 um 5% gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren.124 Technologie Zur Bereitstellung einer nachhaltigen Mobilität bedarf es insbesondere Innovationen, die den technologischen Fortschritt vorantreiben und den Einsatz alternativer Kraftstoffe sowie neuer Antriebstechnologien ermöglichen.125 Technologische Fortschritte in der Informations- und Kommunikationsindustrie beeinflussen die Automobilbranche dabei immens. Die Forschung und Entwicklung von rechnergestützten Assistenzsystemen werden die Fahrer zunehmend bei der Steuerung ihrer Fahrzeuge unter122

Vgl. Der Natur-Blog (2011). Vgl. International Energy Agency (2010), S. 9. 124 Vgl. Winterhoff, M., et. al (2009), S. 7. 125 Vgl. Winterhoff, M., et. al (2009), S. 7. 123

4.3 Treiber für die zukünftige Entwicklung der globalen Automobilbranche

59

stützen. Sensoren beispielsweise nehmen umfangreiche und zeitnahe Informationen der Straßenlage auf und übermitteln ein Gesamtbild des Straßenverkehrs in Echtzeit. Fahrassistenz- und Navigationssysteme machen das Autofahren bereits sicherer und bequemer. Die Nachfrage nach ganzheitlichen Service- und Supportleistungen wie beispielsweise Medienintegration oder Online Verbindungen wird erheblich steigen. Die Online Vernetzung der PKWs untereinander wird es zukünftig ermöglichen, potenzielle Unfallquellen zu identifizieren und Unfälle zu vermeiden.126

4.3.2

Wettbewerb

Neben den Umwelttreibern ist der zweite wesentliche Einflussfaktor für die strategischen Entwicklungen im Bereich der Elektromobilität der Wettbewerb. Die Analyse der auf die Automobilhersteller wirkenden Wettbewerbskräfte erfolgt nach Porters Fünf-Kräfte-Modell. Das Fünf-Kräfte-Modell analysiert die Ursachen des Wettbewerbs und trifft auf diese Weise Vorhersagen über die zukünftige Entwicklung der Branche und des Markts.127 Die fünf untersuchten Kräfte hängen voneinander ab wie Abbildung 33 verdeutlicht.128

Rivalität unter exiserenden Webewerbern

Verhandlungsmacht der Lieferanten

Verhandlungsmacht der Abnehmer

Bedrohung durch neue Webewerber

Bedrohung durch Substute

Abbildung 33: Wettbewerbskräfte nach Porters Fünf-Kräfte-Modell Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Porter, M.E. (2008)

Rivalität unter den existierenden Wettbewerbern Am globalen Automobilmarkt besteht ein großer Wettbewerb zwischen konkurrierenden Herstellern mit ähnlichen Produkten. Alle Marktteilnehmer ringen um die Erhöhung ihrer Marktanteile.129 126

Vgl. Verband der Automobilindustrie (b), S. 19. Vgl. Porter, M. E. (1999), S. 9ff. 128 Vgl. Porter, M.E. (2008). 129 Vgl. Johnson, G., Scholes, K., Whittington, R. (2006), S. 85. 127

60

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

Der Automobilmarkt der Triade-Länder befindet sich in der Reife- bzw. in der Sättigungsphase. In dieser Phase ist Wachstum nur auf Kosten der Konkurrenz möglich. Dies hat zur Folge, dass vielfach ein Preiskampf entsteht und nur niedrige Margen generiert werden können. Dagegen ist die Automobilindustrie in den BRIC-Staaten in der Wachstumsphase, in der Wachstum noch originär erreicht werden kann.130 Die Produktdifferenzierung der Automobilhersteller beeinflusst die Wettbewerbsintensität. Ein Auto lässt sich durch Design, Qualität, Ausstattung und das Markenbewusstsein der Abnehmer differenzieren. Die verfolgte Strategie der Automobilhersteller, Volumen- oder Premiumhersteller, spielt eine entscheidende Rolle. Die Unternehmen mit demselben Strategieansatz stehen als direkte Konkurrenten zueinander. Aufgrund der hohen Kapital- und Anlageintensität bestehen in der Automobilindustrie hohe Marktaustrittsbarrieren. Die hohen Marktaustrittsbarrieren sowie die enorme Bedeutung des Automobilsektors für die Wirtschaftskraft vieler Industrienationen verhindern eine Reduzierung der Überkapazitäten. Dies führt zu einer fortschreitenden Rivalität zwischen den Wettbewerbern.131 Bedrohung durch neue Wettbewerber Neue Wettbewerber am Markt schaffen zusätzliche Kapazitäten und neue Produkte. Insgesamt entsteht durch die Erhöhung der Kapazitäten in der Regel ein Preisverfall, der wiederum einen Kostendruck und eine reduzierte Profitabilität zur Folge hat. Inwieweit die neuen Wettbewerber eine Bedrohung darstellen, hängt zum einen von den Markteintrittsbarrieren und zum anderen von den Reaktionen der bisherigen Konkurrenten ab. Für die neuen Wettbewerber im Automobilsektor stellen insbesondere die Vertriebskanäle, der Kapitalbedarf für den Markteintritt, die fehlenden Kostenvorteile durch Skaleneffekte, Produktdifferenzierungen und fehlende technologische Erfahrungen die größten Barrieren für den Markteintritt dar.132 Aus Russland und Brasilien sind keine neuen Wettbewerber zu erwarten. In 2010 besaß AvtoWAZ (Lada) einen Marktanteil von ca. 27%133 in Russland und ist somit der dortige Marktführer. Fiat SpA konnte sich 2010 in Brasilien mit einem Marktanteil von 23,1% gegenüber Volkswagen mit einem Marktanteil von 22,7% durchsetzen.134 Abbildung 34 gibt einen Überblick über die derzeitigen Marktführer sowie mögliche neue Wettbewerber in den BRICStaaten. Der indische Automobilmarkt ist überwiegend von traditionellen Automobilherstellern und Joint Ventures geprägt. Der Marktführer ist Maruti Suzuki mit einem Marktanteil von etwa 49% in 2010135. Der nächst größere Marktteilnehmer, Hyundai Motor, folgt erst mit einen Marktanteil von etwa 14%136. Als ein neuer potenzieller Konkurrent gilt Tata Motors, deren

130 131 132 133 134 135 136

Vgl. Johnson, G., Scholes, K., Whittington, R. (2006), S. 85f. Vgl. Johnson, G., Scholes, K., Whittington, R. (2006), S. 85. Vgl. Johnson, G., Scholes, K., Whittington, R. (2006), S. 81f. Vgl. Eichner, S. (2011). Vgl. Caradvice (2010). Vgl. Japan Automobile Manufacturer Association (JAMA) (2011). Vgl. German Trade & Invest (2011c), S. 2f.

4.3 Treiber für die zukünftige Entwicklung der globalen Automobilbranche Land

Marktführer

Mögliche neue Wettbewerber

Brasilien

Fiat SpA ca. 23,1%

Noch keine potentiell neuen Konkurrenten

Russland

AvtoWAZ (Lada) ca. 27%

Noch keine potentiell neuen Konkurrenten

Indien

Maruti Suzuki ca. 49%

Tata Motors

China

VW ca. 10,2%

Geely, Chery, BYD

61

Abbildung 34: Marktführer und potenzielle neue Konkurrenten nach Ländern in 2010 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Eichner, S. (2011); Caradvice (2010); Japan Automobile Manufacturer Association (JAMA) (2011); German Trade & Invest (2011c), S. 2f; German Trade & Invest (2011e)

Marktanteil in 2010 14%137 betrug. Tata Motors konnte sich weiterhin durch den Zukauf der Marken Rover und Jaguar den Eintritt in die Triade-Märkte sichern. In China wird der Automobilsektor bislang noch von der chinesischen Regierung reguliert. Ausländische Automobilhersteller hatten bisher nur durch Joint Ventures Zugang zum Markt. Der Marktführer in 2010 war trotzdem ein europäischer Konzern – VW mit 10,2%.138 Der chinesische Herstellermarkt besteht aus vielen chinesischen Automobilherstellern mit geringen Marktanteilen. Die von der chinesischen Regierung geplante Konsolidierung soll die chinesischen Automobilhersteller auf fünf reduzieren. Potenzielle neue Konkurrenten stellen Chery, BYD und Geely dar. Unter diesen Konkurrenten ist insbesondere Geely hervorzuheben. Das Unternehmen ist der erste staatlich unabhängige Automobilhersteller der nach dem Kauf von Volvo ebenfalls den Zugang in die TriadeMärkte geschafft hat. Beide lokalen Wettbewerber verfügen über genügend Kapital, insbesondere durch staatliche Unterstützungsprogramme, um mittelfristig eine bedeutende Rolle auf dem chinesischen Markt zu spielen. Bei der Produktdifferenzierung sind vor allem für die Hersteller aus China die Qualität und Ausstattung sowie das Markenbewusstsein der Kunden wichtig. Die jeweiligen Qualitätsanforderungen der Kunden können den Markteintritt erschweren. Bestehende Defizite können die neuen Wettbewerber allerdings durch günstige Preise ausgleichen und somit die Kunden von ihren Produkten überzeugen. Bedrohung durch Substitute Die Nachfrage für das ursprüngliche Gut kann sich durch gleichwertige Güter reduzieren. Für das Automobil können sich Substitute wie der öffentliche Personennahverkehr ergeben, beispielsweise Bus, Bahn, Trambahn oder U-Bahn. In Verbindung mit der künftig zunehmenden Urbanisierung wird die PKW-Dichte in den Städten immer mehr abnehmen. Die zurzeit weit verbreiteten Otto- und Dieselmotoren werden langfristig durch alternative Antriebstechnologien ersetzt werden. Vom Wandel zu alternativen Antriebskonzepten und Kraftstoffen werden sowohl die BRIC-Staaten sowie die Triade-Märkte gleichermaßen betroffen sein.

137 138

Vgl. German Trade & Invest (2011c), S. 2f – von 01.04.2010 bis 31.03.2011. Vgl. German Trade & Invest (2011e) – 01.01.2010 bis 30.09.2010.

62

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

Verhandlungsmacht der Abnehmer Das Wettbewerbsverhalten der Abnehmer ist typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass die Käufer die Preise zu drücken versuchen oder höhere Qualitäts- und Serviceanforderungen für denselben Preis verlangen. Die zukünftige Mobilitätsnachfrage und die Kundenanforderungen in den einzelnen Märkten werden sich unterschiedlich entwickeln. Es ist zu erwarten, dass in den traditionellen Märkten der Automobilabsatz eher stagnieren wird, während eine steigende Nachfrage nach individueller Mobilität in den BRIC-Staaten wahrscheinlich ist. Für das Jahr 2025 wird erwartet, dass ca. 31%139 der weltweiten Automobilproduktion auf dem chinesischen Markt abgesetzt werden. Die Veränderungen der Mobilitätsnachfrage in den einzelnen Absatzmärkten sind auch durch unterschiedliche Käuferpräferenzen und Kundenanforderungen geprägt. In den Triade-Märkten spielt unter anderem die demographische Entwicklung eine wichtige Rolle. Die immer älter werdende Gesellschaft hat besondere Mobilitätsbedürfnisse, welche u. a. auch für die Gestaltung der PKWs von Bedeutung sind. Für diese spezielle Kundengruppe sind Sicherheit, Komfort sowie die Ausstattung der Autos mit Fahrassistenzsystemen und Navigationsgeräten relevant.140 Für die Abnehmer in den BRIC-Staaten stellen u. a. Finanzierungslösungen, die Funktionalität und die Robustheit der Autos spezielle Kundenbedürfnisse dar. Für das Kleinwagensegment wird das größte Wachstumspotenzial bis 2025 prognostiziert.141 Die Gründe dafür sind, dass die Kleinwagen mit den aktuellsten technologischen Innovationen ausgestattet sind und aufgrund ihrer Größe einen effizienteren Benzinverbrauch haben. Künftig wird allerdings auch im Kleinwagensegment in den BRIC-Staaten ein Preisdruck seitens der Abnehmer erwartet. Verhandlungsmacht der Lieferanten Die Lieferanten verfügen über die Macht, die Preise zu erhöhen oder die Qualität des Produkts maßgeblich zu beeinflussen. Sie sind dann mächtig, wenn die abnehmende Automobilbranche für den Zulieferer kein wichtiger Kunde ist, das Produkt des Lieferanten für das Unternehmen bzw. für die abnehmende Branche einen wesentlichen Beitrag leistet, die Produkte der Lieferanten differenziert sind oder hohe Wechselkosten entstehen und die Vorwärtsintegration als möglich angesehen werden kann.142 Die Lieferanten der Automobilbranche sind allerdings zum großen Teil selbst von den Herstellern abhängig. Die Automobilhersteller machen oftmals einen sehr hohen Anteil am Umsatz aus und sind Abnehmer großer Mengen. Mit einem differenzierten Produktangebot steigt die Abhängigkeit der Automobilhersteller von den Lieferanten. Die Zulieferunternehmen sind immer tiefer in die Wertschöpfungskette der Automobilhersteller integriert und bieten meist für das Unternehmen speziell angefertigte Einzelteile und Komponenten an. Die Lieferanten hätten Verhandlungsmacht, wenn sie konzentrierter aufgestellt wären als die gesamte Branche. In der Automobilbranche sind allerdings die Automobilhersteller konzent139

Vgl. Roland Berger Strategy Consultants, Amrop (2011), S. 10. Vgl. Newsclick (2009). 141 Vgl. Roland Berger Strategy Consultants, Amrop (2011), S. 16. 142 Vgl. Porter, M. E. (1999), S. 35f. 140

4.3 Treiber für die zukünftige Entwicklung der globalen Automobilbranche

63

rierter aufgestellt. In den letzten Jahren hat die Konsolidierung in der Lieferantenbranche kontinuierlich zugenommen, sodass die verbliebenen Zulieferer ihre Machtposition etwas verstärken konnten. Eine Verhandlungsmacht aufgrund der Vorwärtsintegration ist eher unwahrscheinlich, da die finanziellen Ressourcen hierfür nicht vorhanden sind und die strategischen Möglichkeiten vielfach nicht gegeben sind. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Verhandlungsmacht der Lieferanten als Wettbewerbskraft in der Automobilindustrie die geringste Bedeutung hat.

4.3.3

Herausforderungen

Die Automobilhersteller stehen vor der Herausforderung des sich wandelnden Mobilitätsbedarfs in den einzelnen Absatzmärkten. Für die Automobilhersteller werden durch die gesättigten traditionellen Märkte zukünftig die wachsenden Emerging Markets für den Absatz immer wichtiger. In diesen Märkten liegt aufgrund des bisher niedrigen Motorisierungsgrads ein hoher Nachholbedarf an Mobilität. Die Automobilhersteller müssen speziell in diesen Märkten versuchen den unterschiedlichen Kundenbedürfnissen beziehungsweise den einzelnen Mobilitätstypen gerecht zu werden. Faktoren wie Nachhaltigkeit, individuelle Mobilitätslösungen sowie Kosten werden für die Kunden immer bedeutender. In den Triade-Märkten wird das Auto zunehmend als Gebrauchsgegenstand gesehen und weniger als Statussymbol. Anstatt des Besitzes wird zukünftig die Nutzung des Autos im Vordergrund stehen. Die Automobilhersteller müssen zunehmend individuelle Mobilitätslösungen anbieten. Die Anpassung des Produkt- bzw. Dienstleistungsportfolios ist notwendig, um die optimale Einbindung des PKWs an andere Mobilitätsformen zu gewährleisten.143 In den BRIC-Staaten wird das Auto weiterhin als Statussymbol wahrgenommen, da der Besitz eines PKWs keine Selbstverständlichkeit ist. Die Automobilhersteller stehen im Massenmarkt allerdings vor der Herausforderung kostengünstige Kleinwagen bei gleicher Qualität zu produzieren. In den BRIC-Staaten stehen weiterhin Kundenbedürfnisse wie Funktionalität oder Finanzierbarkeit im Vordergrund. Es lässt sich ein Trend erkennen, dass für die Mobilität geringere Mittel zur Verfügung stehen oder die Budgetprioritäten verlagert werden. Diese Entwicklung resultiert in einer verstärkten Nachfrage nach PKWs in den kostengünstigeren Segmenten (Kleinwagensegmenten). Bereits heute wird das Low cost-Segment besonders in Indien und China stark nachgefragt. Die Automobilhersteller stehen vor der Herausforderung des beschriebenen „Downtrading“ sowie des „Downsizing“. Selbst innerhalb des Premiumsegments werden daher kleinere, leichtere und verbrauchsärmere PKWs entwickelt werden müssen. Alle Automobilhersteller versuchen zunehmend das Kleinwagensegment zu bedienen, um den Kundenanforderungen zu entsprechen und in den aufstrebenden BRIC-Märkten präsent zu sein. Dies dient ebenso der Kompensation der bestehenden Überkapazitäten in den traditionellen Märkten. Für die Premiumhersteller ist es hierbei besonders wichtig, in den wachsenden BRIC-Märkten vertreten zu sein. Sie müssen neue Produktdifferenzierungsmerkmale entwickeln, um sich weiterhin von den Volumenherstellern zu differenzieren. Die Volumenhersteller sehen sich vor die Herausforderung gestellt, dass der Wettbewerbsdruck durch Anbieter insbesondere aus China und Indien verstärkt werden könnte. 143

Vgl. Winterhoff, M., et. al (2009), S. 16.

64

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

Die Präsenz in den umkämpften Volumenmärkten des Low cost-Segments birgt die Gefahr des Preiskampfs bzw. der sinkenden Margen für die Automobilhersteller. Die veränderten Kundenpräferenzen werden für die Automobilhersteller mit enormen Forschungs- und Entwicklungskosten verbunden sein. Ein veränderter Wertewandel der Gesellschaft mit zunehmender Sensibilisierung für Umweltschutzbelange und die Kraftstoffpreisentwicklung erfordern den Einsatz alternativer verbrauchs- bzw. emissionsreduzierter Antriebsformen. Strengere Umweltauflagen seitens der Politik werden die Automobilhersteller mit zusätzlichen Kosten belasten, die nicht zuletzt die produzierten PKWs verteuern werden. Für die Förderung alternativer Antriebstechnologien werden in vielen Staaten umfassende finanzielle Unterstützungen zur Verfügung gestellt werden müssen. Zukünftig werden die Automobilhersteller im Spannungsfeld einerseits der stetig steigenden Entwicklungs- und Fertigungskosten und zum anderen des stagnierenden Marktvolumens in den Triade-Märkten stehen.144 Diese Veränderungen werden sich auf die Geschäftsmodelle der einzelnen Automobilhersteller auswirken. Dazu gehören unter anderem die Festlegung der zukünftigen Positionierung am Absatzmarkt und die genaue Definition der Zielgruppensegmente entsprechend der abgeleiteten Mobilitätstypen in den einzelnen Absatzmärkten. Die Anpassung des Leistungsangebots wird insbesondere den Ausbau des Dienstleistungsangebots umfassen, da die Nachfrage nach ganzheitlichen Service- und Supportleistungen steigen wird. Diese zusätzlichen Dienstleistungsangebote müssen entsprechend an die Wertschöpfungskette angepasst und die Kernkompetenzen neu definiert werden. Die notwendigen Kompetenzen können entweder aus eigener Kraft oder durch Kooperationen, strategischer Allianzen oder Partnerschaften aufgebaut werden. Solche globalen Zusammenarbeiten beinhalten den Transfer von Wissen und Ressourcen. Die schnellere Erschließung der Absatzmärkte wird durch die Ausnutzung von Synergieeffekten ermöglicht. Angesichts der voranschreitenden Globalisierung und der Anpassung des Innovations- und Entwicklungsportfolios werden solche Zusammenarbeiten speziell im Bereich der Elektromobilität zukünftig sowohl innerhalb als auch außerhalb der Automobilbranche vermehrt stattfinden.145

4.4

Elektrofahrzeuge

4.4.1

Technologische Entwicklung

4.4.1.1

Alternative Antriebstechnologien

Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln die Umwelttreiber und der Einfluss des Wettbewerberverhaltens auf die strategischen Entwicklungen der Automobilhersteller dargestellt wurden, wird nachfolgend das Thema Elektrofahrzeuge vertiefend behandelt. Bereits im Jahr 1900 existierten elektrisch-, benzin- und dampfbetriebene Autos. Elektrofahrzeuge wiesen damals eine geringere Leistungsstärke auf und konnten sich, wie auch die dampfbetriebenen Fahrzeuge, nicht durchsetzen.146 Nur das benzinbetriebene Fahrzeug wurde aufgrund des schnell voranschreitenden technologischen Wandels weiterentwickelt und trat seinen Siegeszug um die Welt an. 144

Vgl. Winterhoff, M., et. al (2009), S. 14. Vgl. Winterhoff, M., et. al (2009), S. 14. 146 Vgl. Motavalli, J. (2010), S. 22. 145

4.4 Elektrofahrzeuge

65 Antriebsentwicklungen

Antriebstechnologien

HEV

EV (inkl. Hybrid)

Brennstoff -zelle

PHEV

Reines EV

Alternative Kraftstoffe

Verbrennungsmotor

Biokraftstoff

Ethanol

Wasserstoff

Erdgas (CNG)

Autogas (LPG)

Biodiesel

Abbildung 35: Antriebsentwicklungen Quelle: Eigene Darstellung

Die veränderten Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts, wie beispielsweise begrenzte Rohölreserven, strengere Emissionsvorschriften sowie das geänderte Umweltverhalten der Konsumenten machten ein Umdenken der Automobilhersteller notwendig und forcierten die Entwicklung neuer Antriebstechnologien, alternativer Kraftstoffe sowie der Technologie der Elektromotoren. Abbildung 35 gibt einen Überblick der aktuell relevanten Antriebsentwicklungen. Die Hybridtechnologie wird häufig als eigenständige Technologie beschrieben. Da sie aber einen Elektromotor beinhaltet, wird sie im Rahmen dieses Kapitels zu den EVs gezählt.

4.4.1.2

Technologie des Elektrofahrzeugs

Elektrofahrzeuge werden in die verschiedenen Arten der „Hybridelektrofahrzeuge“ (im Folgenden: HEV), „Plug-in Hybridelektrofahrzeuge“ (im Folgenden: PHEV) oder reinen EVs unterteilt. Ein HEV ist ein Fahrzeug, das von einem Verbrennungsmotor und einem Elektromotor angetrieben wird. Der Beitrag des Elektromotors variiert von einem „Mikrohybrid“, über einen „Mildhybrid“ bis hin zu einem „Vollhybrid“.147 Der Mikrohybrid liefert die Energie für das Anfahren des Autos, während der Mildhybrid bereits einen Beitrag zur Leistungs- und Effizienzverbesserung leistet. Das Fahren ohne die Verwendung des Verbrennungsmotors ist generell bei einem Vollhybrid möglich.148 Die Batterien der EVs werden über mechanische Energie durch die ungenutzte Leistung des Verbrennungsmotors oder durch den Elektromotor als Generator aufgeladen. Ein PHEV ist ein Vollhybrid, dessen Verbrennungsmotor zur Erhöhung der Reichweite verwendet wird. Der Verbrennungsmotor übernimmt entweder den Antrieb des Fahrzeugs, sobald die Batterie entladen ist, oder er lädt die Batterie auf, welche dann weiterhin den Motor betreibt.149 Als Energiequellen dienen dem PHEV herkömmlicher Kraftstoff sowie Strom.150 Das reine EV verwendet als Antrieb hingegen ausschließlich einen Elektromotor und muss demzufolge mit elektrischer Energie aufgeladen werden. 147

Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 34. Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 34. 149 Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 34. 150 Vgl. Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, Fraunhofer IAO, WRS (2010), S. 7. 148

66

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

Einige Experten sehen die HEV und PHEV als eine Übergangslösung hin zum reinen EV. Sie gehen davon aus, dass sich mittel- bis langfristig die reinen EVs, auch gegenüber Konkurrenzprodukten, durchsetzen werden. Besonders bedeutend für die strategischen Entwicklungen der Elektrofahrzeuge sind die Themenstellungen der zu verwendenden Batterietechnologie, der notwendigen innovativen Materialen zur Fahrzeugherstellung sowie die benötigte Infrastruktur. Auf all diese Bereiche wird nachfolgend kurz eingegangen. Batterie Die Batterie ist neben dem Elektromotor eine der wesentlichsten Komponenten eines EVs. Das Ziel einer leistungsfähigen Batterie ist eine hohe Reichweite. Die Reichweite wird bislang – aufgrund der Herausforderungen in puncto Speicherkapazität – noch von der Größe der Batterien bestimmt und hat daher auch erhebliche Auswirkungen auf den Preis des PKWs.151 Es gibt unterschiedliche Arten von Batterien, die in EVs verwendet werden können. Die nachfolgende Abbildung 36 gibt einen Überblick über die Nickel-Metallhybrid-, Blei-Säure- sowie Lithium-Batterien und zeigt Vor- und Nachteile auf. Die Lithium-IonenBatterien gelten derzeit als die geeignetsten Batterien für EVs. Dies liegt zum einen an ihrem hohen Optimierungs- bzw. Entwicklungspotenzial und zum anderen an der besseren Kombination aus Sicherheit, Energie- und Leistungsdichte.152 Vorteile

Nachteile

Blei-Säure-

• Ausgereifte Technik

• Geringe Energiedichte

Batterien

• Geringe Sicherheitsprobleme

• Hohes Gewicht

• Gute Recyclingmöglichkeit

• Neigung zur Säureschich- • Flüssigsäurebatterien tung (Standard)

Lithium-

• Hohe Energiedichte

• Hohe Selbstentladung

• Lithium-Polymer154

Batterien

• Leistungsfähig

• Aufwendiges Batteriemanagement

• Lithium-Ionen (Standard)

• Aufwendige Sicherheitsvorkehrungen

• Lithium-Eisenphosphat

• Sehr hohe Kosten

• Lithium-Manganoxyd

• Flexible, vielfältige Gehäuseformen • Hohe Zyklenfestigkeit (Ladung/Entladung) Nickel-

• Robust

Batteriearten 153

• Blei-Gel-Batterien • AGM-Batterien

• Lithium-Kobaltoxyd

• Geringe Energiedichte

Metallhybrid- • Zuverlässig • Hohe Zyklenfestigkeit Batterien Abbildung 36: Vor- und Nachteile verschiedener Batterien Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an ADAC Fahrzeugtechnik (2011), S. 8ff

151

Vgl. Greeno, S. (2010), S. 36. Vgl. ADAC Fahrzeugtechnik (2011), S. 8. 153 Eine hohe Energiedichte ist relevant für eine hohe Reichweite, während eine hohe Leistungsdichte (W/kg) relevant für eine schnelle Aufladung ist. Beides kann nicht gleichzeitig maximiert werden. Vgl. hierzu Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, Fraunhofer IAO, WRS (2010), S. 11. 154 Lithium-Polymer-Batterien sind vor allem bei geringer Platzverfügbarkeit von Vorteil. Sie sind jedoch ca. 10% teurer als Lithium-Ionen-Batterien. 152

4.4 Elektrofahrzeuge

67

Material Die Batterie hat auch Einfluss auf das verwendete Material zur Fahrzeugherstellung, denn für die benötigten Leistungen sind die derzeit verfügbaren Batterien relativ schwer. Eine Lithium-Ionen-Batterie müsste für eine Reichweite von 500 km 540 kg wiegen, während für dieselbe Reichweite eine Füllmenge an Diesel mit einem Gewicht von lediglich 33 kg benötigt wird.155 Die Automobilhersteller versuchen dem dadurch verursachten Leistungsschwund entgegenzuwirken. Die Verwendung leichterer Materialien zur Fahrzeugherstellung stellt eine mögliche Lösung dar. Diese Materialien müssen trotzdem noch die Sicherheitstests bestehen und demzufolge auch eine gewisse Stärke besitzen.156 Karbonfasern beispielsweise sind ca. 30% leichter als Aluminium und sogar 50% leichter als Stahl.157 Infrastruktur Für die Massentauglichkeit der EVs ist eine entsprechende Infrastruktur mit Lade- und Tauschstationen erforderlich.158 In China, einem der potentiell größten Absatzmärkte für EVs wird es beispielsweise als einfachste und sparsamste Möglichkeit angesehen, die notwendige Ladeinfrastruktur in bestehende Tankstellen zu integrieren. Allerdings müsste hierfür eine Schnellaufladung oder der Austausch der Batterie möglich sein.159 Die Alltagstauglichkeit solcher Tauschstationen muss noch erprobt werden. Die Firma Better Place ist auf diesem Gebiet ein Vorreiter und installiert seit Anfang 2011 zunächst in Israel und Dänemark sowie Ende 2011 auch in Australien ein Netzwerk an Tauschstationen. Der Autohersteller RenaultNissan liefert hierzu 100.000 EVs als Testfahrzeuge.160 Neben diesen öffentlichen Lade- bzw. Tauschstationen ist es weiterhin erforderlich, dass die Batterien auch von zu Hause durch spezielle Installationen aufgeladen werden können.161 Neben den Aufladestationen muss auch ein entsprechendes Stromnetz verfügbar sein. Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang wird sein, wie die Aufladung abgerechnet wird. Derzeit wird daran gearbeitet, geeignete Abrechnungsmodelle zu entwickeln. Denkbar wäre eine Abrechnung über die Hausnebenkosten, über die Stromrechnung oder separat.162 Hier sind die Automobilindustrie, Energieversorger und unabhängige Integratoren aufgefordert zusammenzuarbeiten, um geeignete Lösungen zu finden.163

4.4.1.3

Konkurrenzprodukte bzw. -entwicklungen

Antriebstechnologien Brennstoffzelle Die Brennstoffzelle ist in der Lage, ohne die Verwendung eines Verbrennungsmotors oder einer Batterie, einen PKW effizient anzutreiben. Hierzu wird die chemische Energie der ver155 156 157 158 159 160 161 162 163

Vgl. ADAC Motorwelt (2011), S. 20. Vgl. The Engineer (2010), S. 2. Vgl. BMW Group (2011d), S. 20. Vgl. ADAC (o. J.d), Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 76. Vgl. Xinhua’s China Economic Information Service (2010), S. 1. Vgl. Ross, A. (2010), S. 1. Vgl. Industrial Minerals (2010), S. 2. Vgl. Ernst & Young (2011), S. 49f. Vgl. Industrial Minerals (2010), S. 2.

68

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

wendeten Kraftstoffe extrahiert und in Strom umgewandelt. Als Kraftstoffe werden entweder reiner Wasserstoff oder wasserstoffreiche Kraftstoffe, wie zum Beispiel Compressed Natural Gas (CNG), verwendet. Die Höhe der Umweltverschmutzung leitet sich aus dem verwendeten Kraftstoff und dessen Herstellung ab. Die Reichweiten von Brennstoffzellen-PKWs sind konkurrenzfähig zu den von herkömmlichen PKWs.164 Als Hindernis besteht für diese Technologie die fehlende Infrastruktur sowie die aufwendige Herstellung der Kraftstoffe und der Brennstoffzelle.165 Mercedes-Benz ist der prominenteste Automobilhersteller, der auf diese Technologie setzt. Bereits in den 90er Jahren wurden Brennstoffzellen in der Mercedes-Benz Busflotte erprobt. Seit der Jahrtausendwende erproben nahezu alle bedeutenden Automobilhersteller die Brennstoffzelle in Konzeptfahrzeugen oder haben sogar schon mehrere Fahrzeuggenerationen in der Erprobung. Eine besondere Kampagne zur Verdeutlichung der Alltagstauglichkeit der Brennstoffzellen als Fahrzeugantrieb startete Mercedes-Benz im Januar 2010 mit dem Start der Mercedes-Benz F-Cell World Drive. Zielsetzung war es, in 125 Tagen ca. 30.000 km rund um die Welt in drei Fahrzeugen der B-Klasse zurückzulegen. Dieses Projekt wurde überaus erfolgreich abgeschlossen. Verbrennungsmotor Zielsetzung aller Automobilhersteller ist es, die bestehende Technologie der Verbrennungsmotoren ebenfalls weiter zu verbessern. BMW entwickelt beispielsweise Motoren mit drei anstatt mit sechs Zylindern. Aufgrund des geringeren Gewichts des Dreizylinders und der erhöhten Effizienz kann der Kraftstoffverbrauch weiter reduziert werden.166 In der Automobilbranche herrscht die Ansicht, dass die Einsparpotenziale bezüglich des Kraftstoffverbrauchs sowie des Schadstoffausstoßes bei den Verbrennungsmotoren noch nicht ausgeschöpft wurden. Das Verbesserungspotenzial für die nächsten 10 Jahre wird auf etwa 25%167 geschätzt. Die Vorteile dieser Entwicklung sind das Vorhandensein der notwendigen Infrastruktur sowie die Vertrautheit der Kunden aber auch der Automobilhersteller mit dieser Technologie.168 Die Kunden zeigen folglich keine Berührungsängste. Der Nachteil ist, dass weiterhin Kraftstoffe wie Diesel, Benzin oder Mischungen mit Biokraftstoffen verwendet werden. Somit kann die Abhängigkeit von Rohöl nicht signifikant verringert werden. Alternative Kraftstoffe Biokraftstoffe Entsprechend des verwendeten Rohmaterials zur Herstellung der Biokraftstoffe werden Biokraftstoffe der ersten und der zweiten Generation unterschieden. Abbildung 37 gibt einen Überblick dieser beiden Kraftstoffarten. Zur Produktion der ersten Generation werden die Früchte von Pflanzen und für die zweite Generation die Reste von Pflanzen, Gras oder Holz verwendet. Zu diesen Kraftstoffen zählen zum Beispiel Biodiesel und Ethanol.169 164 165 166 167 168 169

Vgl. Guilford, D. (2010), S. 2. Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009) S. 36 und 41. Vgl. Prem, M. (2011b). Vgl. Verband der Automobilindustrie (b), S. 29. Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 48. Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 29.

4.4 Elektrofahrzeuge

69

Biokraftstoffe

1. Generation

2. Generation

Pflanzenfrüchte

z. B. Mais

z. B. Getreide

Pflanzenreste

z. B. Raps

Holz

z. B. von Zuckerrohr

z. B. Soja

Gras

z. B. von Weizen

Abbildung 37: Biokraftstoffe Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 29f.

Die Verbrennung dieser Kraftstoffe verursacht nicht mehr Schadstoffe als vorher durch die Pflanzen absorbiert wurde.170 Die bei der Produktion entstehenden Schadstoffe müssen allerdings ebenfalls mit berücksichtigt werden. Die gesamte CO2eq-Bilanz171 für Ethanol, welches aus Weizen mit Hilfe von Braunkohle hergestellt wird, ist beispielsweise schlechter als bei gewöhnlichem Benzin. Wird hingegen Ethanol aus Zuckerrohr verwendet, kann der CO2eqAusstoß im Vergleich deutlich reduziert werden. Abbildung 38 stellt die Kraftstoffbilanzen für Biokraftstoffe, Wasserstoff sowie Erdgas und Autogas gegenüber. Es wird deutlich, dass vor allem Biokraftstoffe der zweiten Generation den Schadstoffausstoß erheblich verringern. Wasserstoff

Biokrastoffe Ethanol aus Weizen (erstellt durch Braunkohle)

H2 aus Elektrolyse (mit Erdgas-Strom)

Ethanol aus Weizen (Weizenstroh)

H2 aus Elektrolyse (mit Kohlekrawerken)

Ethanol aus Holz

H2 aus Elektrolyse (mit Windkra)

Ethanol aus Zuckerrohr

H2 aus Benzin (Brennstoffzelle)

Benzin 0

20

40

60

C-H2* aus Erdgas (Brennstoffzelle) 80 100 120 140 160 180 200 g CO /km 2eq L-H2** aus Erdgas (Verbrennungsmotor)

Biodiesel (BTL)

C-H2 aus Erdgas (Verbrennungsmotor)

Biodiesel aus Raps

Diesel

Biodiesel aus Sonnenblumen

Well to Tank***

Benzin

Diesel Tank to Wheel**** 0

20

40

60

80 100 120 140 160 180 200 g CO2eq/km

0

50

100 150 200 250 300 350 400 450 g CO2eq/km

Erdgas und Autogas *C-H2 = Wasserstoff in Gasform

LPG

** L-H2 = Wasserstoff in flüssiger Form *** Well to Tank = CO2eq-Emissionen bei der Bereitstellung des Krastoffs bis zum Einfüllen im Tank

LNG

**** Tank to Wheel = CO2eq-Emissionen beim Verbrauch des Krastoffs in Fahrzeugen

CNG Diesel Benzin 0

20

40

60

80

100 120 140 160 180 200 g CO /km 2eq

Abbildung 38: Übersicht der CO2eq-Bilanzen der alternativen Kraftstoffe Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Concawe, EUCAR, European Commission JRC (2007), S. 23, 28, 30, 35f., 43, 50, 53

170 171

Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 29. CO2eq beinhaltet die Schadstoffe CO2, CH4 und N2O.

70

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

Die Biokraftstoffe der ersten Generation haben den Nachteil, dass sie gegebenenfalls auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion hergestellt werden. Bisher besteht noch nicht die technische Möglichkeit, Biokraftstoffe der zweiten Generation in ausreichendem Maße herzustellen, sodass noch weitere Innovationen nötig sind.172 Wasserstoff Wasserstoff (auch Hydrogen genannt) muss durch technische Prozesse, wie die Elektrolyse oder die Gasreformierung, aus Wasser erzeugt werden. Die benötigte reine Form existiert in der Natur nicht. Dieser Kraftstoff findet sowohl in Verbrennungsmotoren als auch in der Brennstoffzelle Anwendung. Die Verwendung von Wasserstoff in Kombination mit einer Brennstoffzelle erscheint sinnvoller, da hier eine höhere Effizienz bzw. ein höherer Wirkungsgrad besteht.173 Wasserstoff erzeugt bei der Verwendung als Kraftstoff keine Emissionen. Bei der Produktion von Wasserstoff entstehen allerdings Schadstoffe. Diese variieren entsprechend des Herstellungsprozesses und der verwendeten Energiequelle. Aus Abbildung 38 wird ebenfalls deutlich, dass mit Elektrolyse produzierter Wasserstoff aus Windkraft nahezu keine Emissionen erzeugt. Wasserstoff, der durch Elektrolyse in Verbindung mit Kohlekraftwerken erzeugt wird, verursacht hingegen deutlich höhere Emissionen. Ein Hindernis ist derzeit noch die fehlende Infrastruktur sowohl für die Erzeugung als auch für das Betanken der PKWs und in Verbindung mit der Brennstoffzelle die hohen Kosten.174 Eine andere Problematik ist die Befürchtung der Kunden, dass Wasserstoffautos bei Unfällen nicht sicher genug seien. Dies ist auf die hohe Entzündbarkeit von Wasserstoff zurückzuführen. Erdgas (CNG und LNG) Erdgas kann in zwei Formen als Kraftstoff verwendet werden, flüssig (Liquified Natural Gas – LNG) oder komprimiert in Form von Gas (Compressed Natural Gas – CNG). Wie viel Einsparungen beim Schadstoffausstoß möglich sind, hängt vom verwendeten Motor und der Antriebstechnologie ab. Es gibt drei Arten von Erdgasfahrzeugen. „Monovalente Erdgasfahrzeuge“ werden ausschließlich durch Erdgas angetrieben, während das „Bi-Fuel“-Fahrzeug sowohl mit Erdgas als auch mit Benzin fahren kann. Das Benzin dient als Reserve und kann nicht gleichzeitig mit dem Erdgas verwendet werden. PKWs mit „Zweistoffmotoren“ verwenden als primären Kraftstoff ein Luft-Erdgasgemisch und nur für die Zündung des Motors Dieselkraftstoff. Experten sind der Ansicht, dass es noch mehrere Jahrzehnte nach dem Aufbrauchen der Erdölvorkommen Erdgas geben wird. Eine Knappheit ist vorerst nicht zu befürchten. Für den Endverbraucher lassen sich durch den Einsatz von Erdgasfahrzeugen die Tankkosten um bis zu zwei Drittel reduzieren.

172

Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 30f. sowie S. 40. Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 35f. sowie S. 38. 174 Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 36ff. 173

4.4 Elektrofahrzeuge

71

Propan und Butan (LPG) Die Gase Propan und Butan, welche bei der Förderung und Herstellung von Erdöl und Erdgas entstehen, werden unter Druck kondensiert und gemischt. Dadurch entsteht das Autogas, auch Liquified Petroleum Gas (LPG) genannt. Entsprechende technische Änderungen am Verbrennungsmotor ermöglichen die Verwendung von LPG als Kraftstoff. LPG kann ebenfalls in Bi-Fuel-Fahrzeugen eingesetzt werden. Durch die Verwendung von LPG können die Kraftstoffkosten, im Vergleich zu herkömmlichen benzin- oder dieselbetriebenen PKWs, um bis zu 50% verringert werden. Autogas hat den Vorteil gegenüber Erdgas, dass eine bis zu dreimal größere Reichweite bei gleicher Menge erreicht werden kann, während beim Erdgas ein geringerer Schadstoffausstoß erfolgt. Zusammenfassung Werden die verschiedenen Alternativen und ihre möglichen Entwicklungen bis zum Jahr 2020 betrachtet, werden voraussichtlich die Hybridfahrzeuge, als Bestandteil der Elektromobilität sowie die Verbrennungsmotoren den Automobilmarkt beherrschen. • Verbrennungsmotoren basieren auf einer bekannten Technologie und ihr Einsparungspotenzial ist noch nicht ausgeschöpft. • Hybridfahrzeuge dienen als Übergangslösung, bis die reinen EVs dem Massenmarkt zur Verfügung gestellt werden. Sie bieten durch die Kombination von alter und neuer Technologie Sicherheit, Zuverlässigkeit und eine Verringerung der CO2eq-Emissionen. • Reine Elektrofahrzeuge müssen im Bereich des Infrastrukturausbaus, der Batterien, der verwendeten Materialien und der damit verbundenen Kosten weitere Fortschritte erreichen, bevor sie für den Massenmarkt tauglich werden. • Biokraftstoffe der zweiten Generation bedürfen noch weiterer Forschung und Entwicklung, bis sie für den Massenmarkt in ausreichendem Maße hergestellt werden können. • Die Antriebsart Wasserstoff in Verbindung mit der Brennstoffzelle wird wahrscheinlich bis 2020 die Kosten nicht im notwendigen Maße reduzieren können, um für den Massenmarkt finanzierbar zu sein. • Erdgas und Autogas bieten als Alternative generell die geringsten Einsparmöglichkeiten bei den Emissionen und befriedigen daher nicht das gestiegene Umweltbewusstsein der Kunden.

4.4.1.4

Stärken und Schwächen von Elektrofahrzeugen

Zur Bewertung der strategischen Entwicklungsmöglichkeiten im Bereich der Elektrofahrzeuge ist es notwendig, die Stärken und Schwächen zu analysieren. Abbildung 39 gibt einen aktuellen Überblick der Stärken und Schwächen von Elektrofahrzeugen für das Jahr 2011 anhand unterschiedlicher Kriterien. Die Kriterien werden im Anschluss nochmals ausführlicher dargestellt.

72

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

Kriterien Reichweite

175

Stärken

Schwächen

- Durchschnittliche Fahrt pro Tag (an 290 Tagen im Jahr) < 40 km

- durchschnittlich 150 km (im Winter die Hälfte)

- Neue Geschäftsmodelle:

- Kundenerwartungen:

- mobile Aufladestation Angel Car®

- 100 km: 10%

- flexibler Tausch von PKWs

- 200 km: 20% - 500 km: 31,5% - Reichweitenangst der Kunden

Infrastruktur (Auflade- bzw. Tauschstationen)

- EVs können als Zwischenspeicher für die Optimierung der Auslastung des Stromnetzes dienen

- Nachfrage nur bei ausreichender Infrastruktur - Investitionen in Infrastruktur nur bei ausreichender Nachfrage - Fehlende Standardisierung der Anschlüsse bzw. Batterien

Aufladedauer

- Verbesserung des Batteriemanagementsystems Æ schnellere Aufladung möglich - mehrere Lademöglichkeiten: Arbeit, Einkaufen, öffentliche Plätze, zu Hause

Kosten

- Preise für Batterien werden voraussichtlich sinken

- Bis zu zweimal höhere Anschaffungskosten

- Batterieleasing Æ PKW wird ähnliche Anschaffungskosten wie herkömmliche PKWs haben

- Großteil der Kosten entfällt auf die Batterie

- Geringere Wartungsaufwendungen, da weniger komplexe Motoren

Lebensdauer der Batterien

- Aufladung dauert bis zu acht Stunden - Veränderung des Aufladeverhaltens der Kunden

- Amortisation der höheren Anschaffungskosten dauert ca. acht Jahre

- Geringere „Tankkosten“

- Geringe Bereitschaft der Kunden höhere Preise zu zahlen (nur für umweltschonendes Fahren)

- Wiederverwendung der Batterien sowie Recycling der Materialien möglich

- Lebensdauer der Batterie ist geringer als die Lebensdauer der PKWs - Verlust von ca. 20% der ursprünglichen Kapazität während der Lebensdauer - Negative Beeinflussung des Restwerts des EVs, da ein Wechsel der Batterie hohe Kosten verursacht

Gewicht

175

- Gewichtseinsparung des EVs durch Leicht- - Sehr hohes Gewicht der Batterien bau und neue Materialien (Karbonfasern, - Neue Materialien zur Gewichtsreduzierung Aluminium und Magnesiumtechnologien) sehr teuer und teilweise noch nicht für die Massenproduktion verfügbar

Reichweite bezeichnet die maximale Distanz des Fahrzeugs, bis die Batterie wieder aufgeladen werden muss.

4.4 Elektrofahrzeuge Kriterien

Stärken

Akzeptanz der

- Mögliche Sicherheitsgewinnung durch Zertifizierungen

Kunden

Lärmreduzierung Designmöglichkeiten Emissionsfreies Fahren

- Studie von Better Place zeigt ein relativ hohes Interesse der Kunden an EVs – in fünf untersuchten Ländern zwischen 30–57%

73 Schwächen - Unsicherheiten wegen der o.g. Probleme - Informationsbedarf über Elektromobilität und EVs

- Deutlich geräuschärmer bei Geschwindigkeiten bis zu 30 km/h

- Gefahr, nicht von anderen Verkehrsteilnehmern wahrgenommen zu werden

- Design der EVs orientiert sich an Sicherheitsaspekten und nicht mehr an der Mechanik

- Kunden übertragen ihre Erwartungen, falls EVs sich im Design nicht von herkömmlichen PKWs unterscheiden

- Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix steigt

- Grad der Emissionsfreiheit hängt vom getankten Strom und seiner Herstellung ab

- Höherer Wirkungsgrad

- Wesentlich niedrigere Energiedichte der Batterie im Vergleich zu anderen Antriebsstoffen

Abbildung 39: Stärken und Schwächen der Evs Quelle: Eigene Darstellung176

Stärken und Schwächen Reichweite Die Reichweite von Elektrofahrzeugen hängt maßgeblich von der Größe der Batterien, den Witterungsbedingungen sowie der Fahrweise ab.177 Zur Neutralisierung der Reichweitenängste der Kunden muss sowohl an der Leistung der Batterien, der Ladeinfrastruktur wie auch an der Ladedauer geforscht werden. Ein Beispiel des Ausmaßes dieser Angst zeigen die Versuche mit kleinen Flotten von Smart EVs und Mitsubishi i-MiEVs. In diesen Feldversuchen waren 93% der Smart EV Fahrer nicht bereit, ein Elektrofahrzeug zu fahren, wenn die Batterie weniger als 50% geladen war.178 Eine Möglichkeit diese Reichweitenangst zu reduzieren ist die Einführung von Angel Car®, das von dem Schweizer Unternehmen Nation-E AG entwickelt wurde. Hierbei handelt es sich um eine mobile Aufladestation, die beispielsweise in Abschleppwagen eingebaut werden kann. Die Batterie kann mit diesem System in weniger als 15 Minuten für eine Reichweite von bis zu 30 km aufgeladen werden, um so zur nächsten Aufladestation zu gelangen.179

176

Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Verband der Automobilindustrie (2011), S. 7, 14, 16, 25f; Pehnt, M., Höpfner, U., Merten, F. (2007), S. 4; ADAC Fahrzeugtechnik (2011), S. 2; Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 33, 64, 76, 78f; Pitour, M. (2010); LaMonica, M. (2010), S. 2; Greeno, S. (2010), S. 46, 68ff, 75ff, 83f; Better Place (2009); The Engineer (2010), S. 2; Industrial Minerals (2010), S. 3. 177 Vgl. Verband der Automobilindustrie (b), S. 25. 178 Vgl. Murphy, M. (2010), S. 1. 179 Vgl. Business Wire (2010a).

74

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

Infrastruktur Derzeit fehlt ein weitreichendes und umfassendes Netz von Auflade- bzw. Tauschstationen. Immer mehr Energieversorger arbeiten mit den Automobilherstellern zusammen, da auch sie das Potenzial der EVs für sich erkannt haben. Die Batterien der EVs können weiterhin auch als Zwischenspeicher dienen, wenn die Energieproduktion größer als der Verbrauch ist. Dies ist vor allem bei der Verwendung von regenerativen Energien wie beispielsweise Wind und Solar der Fall. Übersteigt der Strombedarf die Produktion, kann die gespeicherte Energie aus den Batterien zurückgespeist werden. Schätzungen gehen davon aus, dass 2,5 Mio. EVs ausreichend sind, um die Stromfluktuationen in Deutschland auszugleichen.180 Das von der Europäischen Kommission geförderte Projekt „Green eMotion“ soll die Kompatibilität der Aufladesysteme innerhalb Europas fördern um auch grenzüberschreitende Elektromobilität sicherzustellen. Ziel des vierjährigen Projekts ist die Vorbereitung des europäischen Massenmarkts auf Elektrofahrzeuge. Erarbeitet werden Konzepte für die Standardisierung der Anschlüsse sowie für die Abrechnung über die Landesgrenzen hinaus. Die Zusammenarbeit wird durch 42 Partner aus Energieversorgung, Städten und Kommunen, dem Automobilbereich, Forschungsinstituten und Hochschulen sowie weiteren Mitgliedern finanziert und durchgeführt.181 Aufladedauer Die Aufladung der Batterie an einem 230 Volt-Anschluss dauert, abhängig von der Größe der Batterie und dem Grad der Entladung, bis zu acht Stunden.182 Zur Verbesserung der Ladezeit kann das Batteriemanagementsystem weiter optimiert werden, damit mehr elektrische Energie verarbeitet werden kann. Hierzu hat beispielsweise Leo Motors Inc., ein koreanisches Unternehmen, ein leistungsfähiges Batteriemanagementsystem entwickelt. Mithilfe eines Schnellauflademodus könnte eine 30 kW Batterie statt in zwei Stunden in 15 Minuten wieder aufgeladen werden. Diese Entwicklung wird derzeit durch Batterie- und EV-Hersteller auf seine Funktionsfähigkeit getestet.183 Kosten Eine Vergleichsrechnung des ADAC zwischen dem Peugeot 107 (mit Verbrennungsmotor) und dem Peugeot iON (EV) ergab, dass die Anschaffungskosten beim EV 96,3% der Gesamtkosten ausmachen. Im Gegensatz dazu beträgt der Anteil der Anschaffungskosten an den gesamten Kosten beim Benziner nur 73,7%.184 Die Betriebskosten machen entsprechend 26,3% der Gesamtkosten aus. Die Anschaffungskosten von EVs können bislang noch bis zu zweimal höher185 ausfallen als die von herkömmlichen PKWs. In Deutschland wird beispielsweise ein Chevrolet Volt für

180 181 182 183 184 185

Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 53, 75, 78, Motavalli, J. (2010), S. 2. Vgl. Green eMotion (2011a), Green eMotion (2011b). Vgl. Greeno, S. (2010), S. 38. Vgl. Business Wire (2010a). Vgl. ADAC Fahrzeugtechnik (2011), S. 7. Vgl. Murphy, M. (2010), S. 2.

4.4 Elektrofahrzeuge

75

€ 41.950186 angeboten während das Model Chevrolet Cruze (Grundausstattung) bei einem Preis von € 14.990187 liegt. Bislang entfallen noch ca. 30 bis 50%188 der Kosten eines EVs auf die Batterie. Eine Kilowatt Stunde an Leistung kostet für das Jahr 2011 umgerechnet ca. € 800189. Ausgehend von einem mittelgroßen PKW, der 20 kWh Leistung erfordert, errechnet sich ein Batteriepreis von € 16.000. Aktuelle Prognosen deuten darauf hin, dass die Preise bis 2020 auf ca. € 250 bis € 300 fallen könnten, jedoch wird die Batterie trotzdem einen hohen Anteil am Preis des EVs ausmachen.190 Die bislang noch deutlich höheren Anschaffungskosten für Elektrofahrzeuge stellen damit das größte Hindernis für die Massenmarkttauglichkeit der EVs dar. Lebensdauer der Batterien Die Lebensdauer einer Batterie hängt von verschiedenen Faktoren ab, beispielsweise von klimatischen Bedingungen, wie oft sie aufgeladen wird und wie viel Energie bei den einzelnen Ladevorgängen aufgeladen wird.191 Das Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung sieht die Verbesserung der kalendarischen Lebensdauer der Batterien von sieben Jahren auf mehr als zehn Jahre als wesentlich für eine erfolgreiche Marktdurchdringung an.192 Die Forschung nach besseren Materialien bzw. -kombinationen und Batterie- bzw. Lademanagementsystemen dient der Verlängerung der Lebensdauer sowie der Verringerung des Kapazitätsabbaus.193 Bis zu 98%194 des Lithiums in den Batterien können beispielsweise erneut verwendet werden, was die Attraktivität deutlich steigert. Gewicht Bei herkömmlichen PKWs machen allein 40% die Karosserie und 25% das Fahrwerk vom Gewicht des PKWs aus.195 Dies sind somit die Bereiche, in denen Innovationen die größten Einsparpotentiale bringen können. Diese Potenziale bestehen ebenso für EVs und sollen zum Beispiel durch die Verwendung von Leichtbautechniken ausgeschöpft werden. Hierzu werden neue Materialien verwendet, die zwar leichter sind, aber trotzdem noch ihre Widerstandskraft besitzen und damit die notwendige Sicherheit für die Insassen bieten. Beispiele für solche Materialien sind Karbonfasern, Aluminium und Magnesiumtechnologien.196 Emissionsfreies Fahren Vor dem Hintergrund des steigenden Umweltbewusstseins der Kunden ist dem „Emissionsfreien Fahren“ eine besondere Beachtung zu schenken. Ein EV produziert während der Fahrt 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196

Vgl. Chevrolet (2011). Vgl. Chevrolet (o. J.). Vgl. Greeno, S. (2010), S. 82. Vgl. Verband der Automobilindustrie (b), S. 11 und S. 25. Vgl. Verband der Automobilindustrie (b), S. 11 und S. 25. Vgl. Verband der Automobilindustrie (b), S. 25. Vgl. Fraunhofer ISI, S. 3ff. Vgl. Verband der Automobilindustrie (b) , S. 11. Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 64. Vgl. Verband der Automobilindustrie (b), S. 16. Vgl. Verband der Automobilindustrie (b), S. 16.

76

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

keine CO2-Emissionen. Die gesamte CO2-Bilanz des EVs ist jedoch verbunden mit der Herstellung des geladenen Stroms. Abbildung 40 verdeutlicht die Unterschiede in den CO2Bilanzen. Der Strom aus erneuerbaren Energien enthält beispielsweise ca. 5g CO2/km, während der deutsche Strommix in 2008 einen Wert von etwa 105g CO2/km aufweist.197 Im Gegensatz dazu entsteht bei der Herstellung von Strom aus Steinkohle der höchste Wert mit ca. 190g CO2/km.198 Der Grad der Emissionsfreiheit von EVs hängt somit maßgeblich vom verwendeten Strom ab.

Abbildung 40: Übersicht der CO2-Bilanzen in 2008 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 33

Schätzungen gehen für das Jahr 2020 von einem 30-prozentigen Anteil erneuerbarer Energien am gesamten Strommix199 in Deutschland aus. Dies kann die CO2-Emissionen des deutschen Strommix deutlich reduzieren. EVs sind in der Lage, 80–100%200 der Energie zu verwenden. Verbrennungsmotoren verwenden hingegen effektiv bis zu 50%201 des Treibstoffs. Durch den mechanischen Prozess im Verbrennungsmotor geht die restliche Energie verloren. Verbrennungsmotoren haben folglich einen deutlich niedrigeren Wirkungsgrad und brauchen für dieselbe Leistung mehr Treibstoff.202 Die geringere Reichweite der EVs liegt an der niedrigeren Energiedichte. Diese beträgt beispielsweise bei den Dieselkraftstoffen ca. 11.800 Wh/kg, während die von LithiumIonen-Akkus nur einen Wert von 120–140 Wh/kg erreicht.203 197 198 199 200 201 202 203

Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 33. Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 33. Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 78. Vgl. Verband der Automobilindustrie (b), S. 7. Vgl. Verband der Automobilindustrie (b), S. 7. Vgl. Verband der Automobilindustrie (b), S. 7. Vgl. Leschus, L., Stiller, S., Vöpel, H. (2009), S. 64.

204

205

Batterie wird extra geleast mit € 79 pro Monat. Batterie wird extra geleast mit € 49 pro Monat. Hybrid Hybrid Hybrid Hybrid Hybrid Reines EV Reines EV Reines EV Reines EV Reines EV Reines EV

Hybrid Hybrid

Prius

Chevrolet Volt

Jazz Hybrid

CR-Z

Insight

iOn

C-Zero

Fluence Z. E.

ZOE

Twizy Urban

e6

F3DM

Active E

Active Hybrid X6

Active Hybrid 7

Toyota

GM

Honda

Honda

Honda

Peugeot

Citroen

Renault

Renault

Renault

BYD

BYD

BMW

BMW

BMW

-

-

160 km

-

330 km

100 km

160 km

185 km

150 km

150 km

-

-

-

600 km

-

-

Reichweite

219 g/km

231 g/km

0 g/km

-

0 g/km

0 g/km

0 g/km

0 g/km

0 g/km

0 g/km

101 g/km

117 g/km

104 g/km

-

92 g/km

89 g/km

CO2-Emission

Höchst-

250 km/h

236 km/h

145 km/h

160 km/h

140 km/h

80 km/h

140 km/h

135 km/h

130 km/h

130 km/h

182 km/h

200 km/h

175 km/h

161 km/h

180 km/h

180 km/h

geschwindigkeit

-

-

4-5 h

-

-

3,5 h

6-8 h

6-8 h

6h

6h

-

-

-

3h

-

-

(normal)

Aufladen

-

-

-

-

5

2

5

5

4

4

5

4

5

4

5

5

# Sitze

€ 105.900

€ 103.000

-

-

-

204 205

-

-

-

2008

2009

2012 € 7.690

2012

99

2012 € 26.180

98

2010

-

-

-

2011

-

-

führung

Marktein-

€ 35.165

Leasing € 499

€ 19.990

€ 21.990

€ 18.900

€ 41.950

€ 25.750

€ 22.950

Kaufpreis

Abbildung 41: Beispiele aktueller bzw. zukünftiger EV-Modelle Quelle: Eigene Darstellung. In Anlehnung an öffentlich zugängliche Informationen von Toyota, Chevrolet, Honda, Peugeot, Citroen, Renault, BYD sowie BMW Deutschland

Reines EV

Hybrid

Hybrid

Auris

Toyota

Art

Modell

OEM

4.4 Elektrofahrzeuge 77

78

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

Abbildung 41 gibt einen Überblick ausgewählter Elektrofahrzeuge und Ihrer Spezifika von unterschiedlichen Herstellern. Hinsichtlich seiner Reichweite von 330 km sticht sicherlich das e6 von BYD deutlich hervor. Die anderen reinen EVs erreichen nur eine Reichweite zwischen 100 bis 185 km. Die Hybrid-Fahrzeuge von BMW stechen durch vergleichsweise hohe CO2-Emissionen heraus. Die Begründung hierfür liegt in der hohen Motorleistung. Der BMW Active Hybrid X6 hat beispielsweise 485 PS, während der Toyota Auris nur über 136 PS verfügt.

4.4.2

Absatzmärkte und ihre künftige Entwicklung

4.4.2.1

Auswahl- und Analysekriterien

Im Rahmen der Darstellung der strategischen Entwicklungen im Bereich der Elektrofahrzeuge kommt neben der Stärken- und Schwächenanalyse insbesondere der Bewertung der zukünftigen Absatzmärkte eine besondere Bedeutung zu. Neben den großen Absatzmärkten Europa, USA und Japan werden im Folgenden auch China und Indien in die Betrachtung mit einbezogen. Aufgrund der Tatsache, dass in den Ländern Russland und Brasilien ein relativ hohes Rohstoffvorkommen existiert, ist zu erwarten, dass die elektrische Antriebsform eher eine untergeordnete Rolle spielen wird. Eine Übersicht der analysierten Kriterien zeigt die Abbildung 42. Bei den Kriterien Absatzzahlen sowie prognostiziertes jährliches Wachstum wurde in Europa zwischen Westeuropa sowie Zentral- und Osteuropa unterschieden. Dies ist auf die unterschiedlichen Entwicklungen in diesen Märkten zurückzuführen. Die sehr hohen Wachstumsraten von China und Indien in den vergangenen Jahren sind besonders auffällig. Eine Erklärung hierfür sind die bis dato geringe PKW-Dichte sowie die steigenden Pro-Kopf-Einkommen.

4.4.2.2

USA

Wachstum der Automobilbranche Absatzzahlen Der amerikanische Absatzmarkt konnte sich nach den schwerwiegenden Einbrüchen in den Jahren 2008 und 2009 im Jahr 2010 leicht erholen. Abbildung 43 zeigt, dass im Jahr 2010 eine Trendumkehr mit 5,6 Mio. verkauften PKWs206 erreicht werden konnte. Dies entspricht einer Steigerung von 4,3%207 zum Vorjahr. Die zunehmende Nachfrage lässt sich zum einen auf eine leichte wirtschaftliche Erholung sowie auf die technisch neuentwickelten Fahrzeugmodelle u. a. auch der amerikanischen Automobilhersteller zurückführen.208 Der Aufwärtstrend konnte sich 2011 im ersten Quartal weiter fortsetzen. Mit 1,5 Mio. abgesetzten PKWs konnte eine Steigerung von rund 18% zum Vorjahreszeitraum erreicht werden.209 Trotz der leichten Erholung des Absatzmarkts in 2010 und der positiven Entwicklung in 2011 wird erwartet, dass es noch einige Zeit dauert, bis das Vorkrisenniveau erreicht wird. 206

Vgl. WardsAuto (2011). Vgl. WardsAuto (2011). 208 Vgl. German Trade & Invest (2011e), S. 1. 209 Vgl. German Trade & Invest (2011b). 207

4.4 Elektrofahrzeuge Kriterien

79 USA

Europa

Japan

China

Indien

Absatzzahlen in 2010 Mio. Einheiten

5,64

West: 12,98 Zentral & Ost: 0,82

4,21

13,76

1,95

Prognostizierte Absatzzahlen in 2020 Mio. Einheiten

7,57

West: 14,97 Zentral & Ost: 1,13

3,69

41,49

6,70

Prognostiziertes jährliches Wachstum bis 2020

3,00%

West: 1,44% Zentral & Ost: 3,30%

–1,32%

11,67%

11,47%

Marktanteile des Markt213 führers in 2010

18,8% GM

21,3% VW

33,6% Toyota

10,2% 214 VW

45,0% 215 Maruti Suzuki

Potenziale (PKW-Dichte 2008)

444

470

454

12

8

Größe der PKWs in 2010 (größter Anteil)

27,8% Mittelklasse

43,4% 218 Kleinwagen

35,8% Kleinwagen

41,0% Kompaktwagen

43,0% Kleinstwagen

Anteil der EVs in 2025

42%

48%

46%

33%

n/a

Forschung & Entwicklung

Ja

Ja

Ja

Ja

n/a

Kaufanreize

Ja

Teilweise

219

Ja

Ja

Nein

Steuererleichterungen

Ja

Teilweise

221

Ja

n/a

Ja

Gesamtbeurteilung der Entwicklungschancen bis 2020

Mittel

Groß

Groß

Groß

Mittel

Wachstum der Branche 210

217

216

211

212

Regierungsunterstützung

220

Abbildung 42: Übersicht der analysierten Kriterien nach Regionen Quelle: Eigene Darstellung (basierend auf öffentlich zugänglichen Informationen)

Für die zukünftige Absatzentwicklung von PKWs und „leichten LKWs“222 wird in den USA ein marginales Wachstum erwartet. Der Neuwagenverkauf beschränkt sich größtenteils auf die Ersatzbeschaffung. Dies ist auf den hohen Motorisierungsgrad zurückzuführen. Schätzun-

210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 222

Betrifft die verkauften PKWs – unabhängig davon, ob es sich um herkömmliche PKWs oder EVs handelt. Gemessen am Absatz April 2010–März 2011. Gemessen am Absatz April 2010–März 2011. Betrifft die verkauften PKWs – unabhängig davon, ob es sich um herkömmliche PKWs oder EVs handelt. Gemessen am Absatz Jan.–Sept. 2010. Gemessen am Absatz April 2010–März 2011. Basierend auf die 27 Mitgliedsstatten der EU. Unabhängig davon, ob es sich um ein Elektrofahrzeug oder einen herkömmlichen PKW handelt. Gemessen am Absatz Jan.–Nov. 2010. Von den Staaten abhängig, beispielsweise in Frankreich und Großbritannien vorhanden. Beispielsweise Erlass der Kraftfahrzeugsteuer oder Anmeldegebühren. Von den Staaten abhängig, beispielsweise in Frankreich, Großbritannien und Deutschland vorhanden. Light vehicles = Pkws und leichte LKWs Gewichtsklassen 1 bis 3 (bis zu 6,4 t) vgl. German Trade & Invest (2011b), S. 1.

80

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

Mio. Einheiten 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 2005 Absatz in Mio. Wachstum in % p.a.

7,66

Absatzentwicklung in den USA 2005-2010

Wachstum 10% 5% 0% -5% -10% -15% -20%

2006 7,76 1,33%

2007

2008

2009

7,56

6,77

5,40

-2,57% -10,49% -20,21%

2010

2015

2020

5,64

6,53

7,57

4,34%

3,00%

3,00%

-25%

Abbildung 43: Absatzentwicklung in den USA 2005–2010 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an WardsAuto (2011)

gen gehen davon aus, dass ein durchschnittliches jährliches Absatzwachstum von ca. 3%223 bis 2025 zu erwarten ist. Nach dieser Berechnung würden rund 7,6 Mio. PKWs224 auf dem amerikanischen Markt im Jahr 2020 abgesetzt werden. Der Absatz von PKWs mit alternativem Antrieb wird in Amerika mit milliardenschweren Förderprogrammen unterstützt. Ein durchschnittliches Absatzwachstum von ebenfalls 3% wird als realisierbar angesehen. Marktanteile Im Jahr 2010 teilten drei Automobilhersteller (General Motors, Ford und Toyota) zusammen etwa 50%225 des Markts unter sich auf. Wie aus Abbildung 44 deutlich wird, war General Motors (GM) im Jahr 2010 mit einem Marktanteil von etwa 19%226 Marktführer. Die „großen Drei“ aus Detroit – General Motors, Ford und Chrysler – konnten sich durch staatlich unterstützte Restrukturierungsmaßnahmen nach der Finanz- und Wirtschaftskrise neu positionieren. Dies erfolgte beispielsweise bei GM durch die Reduktion der Produktpalette und der Fokussierung auf Hybridfahrzeuge wie den „Volt“.227 Auch europäische Hersteller konnten verglichen zum Vorjahr 2010 ihren Marktanteil in den USA verbessern. Volkswagen (VW) beispielsweise erzielte eine Steigerung um etwa 9%228. Auf dem amerikanischen Automobilmarkt könnten die heimischen Hersteller zukünftig Marktanteile insbesondere an asiatische Konkurrenten verlieren.

223 224 225 226 227 228

Vgl. Roland Berger Strategy Consultants, Amrop (2011), S. 17. Vgl. WardsAuto (2011). Vgl. WardsAuto (2011). Vgl. WardsAuto (2011). Vgl. German Trade & Invest (2011b), S. 1. Vgl. WardsAuto (2011).

4.4 Elektrofahrzeuge

81

Marktanteile in den USA in 2010

22,4%

GM

18,8%

Ford Toyota

7,7%

Honda

16,4%

Chrysler 9,2%

Nissan 10,5%

15,0%

Sonstige

Abbildung 44: Marktanteile in den USA in 2010 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an WardsAuto (2011)

Potenziale Die PKW-Dichte im Jahr 2008 erreichte 444 PKWs auf 1.000 Einwohner. Innerhalb der Triade-Märkte bzw. in den OECD-Staaten wird sich der Motorisierungsgrad nach Expertenmeinung bis 2030 jährlich um durchschnittlich 1,3%229 erhöhen. Aufgrund der bereits bestehenden hohen PKW-Dichte sind in diesen gesättigten Märkten keine signifikanten Absatzbzw. Motorisierungspotenziale absehbar. Größe der gekauften PKWs Abbildung 45 zeigt den PKW-Absatz in den USA im Jahr 2010 anhand der jeweiligen Segmente. Die Kompakt- und Mittelklassewagen erzielten zusammen etwa 50%.230 Trotz der Rohölpreisentwicklung betrug der Anteil des Kleinwagensegmentes nur 3% während das Segment der SUV/Pickup mit mehr als 20% deutlich größer ausfiel.231 Absatz nach Segmenten - USA 2010 6,30%

7,70% Mittelklasse 27,80%

Kompaktwagen SUV/Pickup

12,60%

Luxuswagen Kombiklasse 20,80%

Sonstige 24,80%

Abbildung 45: Absatz nach Segmenten – USA 2010 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an J. D. Power (2011), S. 2

229

Vgl. Leschus, L.; Stiller, S.; Vöpel, H.; u. a. (2009), S. 13. Vgl. J.D. Power (2011), S. 2. 231 Vgl. J.D. Power (2011), S. 2. 230

82

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

Antrieb der gekauften PKWs in 2025 Optimistische Szenarien gehen davon aus, das der Anteil an Hybrid- und reinen Elektrofahrzeugen in den USA im Jahr 2025 bei bis zu 42% aller Neuzulassungen liegen könnte.232 Abbildung 46 zeigt, dass Verbrennungsmotoren zwar weiterhin mit 58% den Markt für Neuzulassungen dominieren werden, alternative Antriebsformen jedoch deutlich an Marktanteil gewinnen werden.233

Abbildung 46: Marktanteile der Antriebsarten 2025 in Nordamerika Quelle: In Anlehnung an Roland Berger Strategy Consultants, VDMA (2011), S. 12

Regierungsunterstützung Die amerikanische Regierung hat im internationalen Vergleich die umfangreichsten und umfassendsten Förderprogramme für Elektromobilität beschlossen. Die US-Regierung strebt damit das Ziel an, bis 2015 eine Million EVs234 auf amerikanische Straßen zu bringen. Ein weiteres Ziel ist die Marktführerschaft in dieser Technologie. Die immensen Investitionen in diese Branche sollen zukünftig Arbeitsplätze schaffen und die Konjunktur stärken. Die zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel betragen etwa € 22 Mrd.235 Im Rahmen des amerikanischen Konjunkturprogramms wurden im Jahr 2009 für die Erforschung und Entwicklung von Elektro- und Hybridfahrzeugen sowie für deren Komponenten, Fördergelder für unterschiedliche Pilotprojekte in Höhe von US$ 2,4 Mrd.236 bereitgestellt. Den Herstellern von Elektro- und Hybridfahrzeugkomponenten sind weitere Hilfen und Steuerbefreiungen in Höhe von US$ 1,5 Mrd.237 in Aussicht gestellt. In einzelnen Bundesstaaten wurden weitere finanzielle Mittel in Form von Zuschüssen und Steuererleichterungen für die Elektromobilität bereitgestellt. Je nach Bundesstaat werden Gutscheine oder Rabatte beispielsweise für Ladestationen, Strom oder Umrüstkosten gewährt. Ferner werden Steuererleichterungen wie die Freistellung von der Kraftfahrzeugsteuer bewilligt.238 Käufer eines Chevrolet Volt können so beispielsweise eine Steuergutschrift von bis zu US$ 7.500239 erhalten.

232 233 234 235 236 237 238 239

Vgl. Roland Berger Strategy Consultants, VDMA (2011), S. 12. Vgl. Roland Berger Strategy Consultants, VDMA (2011), S. 12. Vgl. US Department of Energy (2011). Vgl. German Trade & Invest (2010d). Vgl. German Trade & Invest (2010d). Vgl. German Trade & Invest (2010d). Vgl. German Trade & Invest (2010d). Vgl. Münchner Merkur (2011).

4.4 Elektrofahrzeuge

83

Der Staat Kalifornien förderte die Elektromobilität im Jahr 2011 besonders stark. Von dem „California Air Resources Board“ (CARB) wurden Käufer eines Elektrofahrzeugs zunächst mit einer Prämie in Höhe von US$ 5.000240 unterstützt. Im Rahmen des „Clean Vehicle Rebate Project“ (CVRP) wurden auch für emissionsarme Fahrzeuge US$ 5.000241 genehmigt. Addiert man zu diesen Förderungen die Steuergutschrift in Höhe von US$ 7.500, ergab sich eine gesamte Kaufprämie in Höhe von US$ 12.500 für das Jahr 2011.242 Das Kalifornische Förderprogramm ist nach kurzer Zeit so gut angelaufen, dass die Kaufprämien wahrscheinlich in absehbarer Zeit auf US$ 2.500243 herabgesetzt werden müssen.

4.4.2.3

Europa

Wachstum der Automobilbranche Absatzzahlen Der traditionelle westeuropäische Absatzmarkt244 ist im Krisenjahr 2008 deutlich zurückgegangen. Staatliche Regierungsunterstützungen, wie beispielsweise die Abwrackprämie in Deutschland, konnten aber weitere Absatzrückgänge in 2009 abfangen. Der in Abbildung 47 ersichtliche erneute Absatzrückgang im Jahr 2010 ist im Wesentlichen auf das Auslaufen der staatlich gestützten Förderprogramme zurückzuführen. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2011 wurden ca. 5,8 Millionen PKWs245 in Westeuropa abgesetzt. Eine deutliche Verbesserung zum Vorjahreszeitraum ist unter anderem auch aufgrund der immensen Staatsverschuldungen im Euroraum und den damit verbundenen Unsicherheiten an den Kapitalmärkten im Euro-

Mio. Einheiten 16

Absatzentwicklung in Westeuropa 2005-2020

Wachstum 4% 2%

15

0%

14

-2%

13

-4% -6%

12 11 Absatz in Mio. Wachstum in % p.a.

-8% 2005 14,50

2006

2007

2008

2009

2010

2015

2020

14,76

14,79

13,56

13,67

12,98

13,94

14,97

1,78%

0,21%

-8,33%

0,77%

-5,05%

1,44%

1,44%

-10%

Abbildung 47: Absatzentwicklung in Westeuropa 2005–2020 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Association Auxiliaire de l’Automobile (AAA) (2011a)

240 241 242 243 244

245

Vgl. DailyGreen (2011). Vgl. DailyGreen (2011). Vgl. Münchner Merkur (2011). Vgl. DailyGreen (2011). Westeuropäischer Absatzmarkt: Beinhaltet die EU 15 Länder (Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlanden, Portugal, Spanien, Schweden, Vereinigtes Königreich Großbritannien) sowie die EFTA-Staaten (Island, Norwegen und Schweiz). Vgl. Association des Constructeurs Européens d’Automobiles (ACEA) (2011).

84

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

Absatzentwicklung einzelner EU-Länder 2005-2010

Mio. Einheiten 4 3 2 1 0

2005

2006

2007

2008

2009

2010

France

2,07

2,00

2,06

2,05

2,30

2,25

Germany

3,32

3,47

3,15

3,09

3,81

2,92

Italy

2,24

2,33

2,49

2,16

2,16

1,96

Spain

1,53

1,63

1,61

1,16

0,95

0,98

Uk

2,44

2,34

2,40

2,13

1,99

2,03

Abbildung 48: Absatzentwicklung einzelner EU-Länder 2005–2010 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Association Auxiliaire de l’Automobile (AAA) (2011a)

raum, nicht in Sicht. In einigen Ländern Westeuropas – und hier insbesondere in Deutschland mit einem Wachstum gegenüber dem Vorjahreszeitraum von 13%246, ist zwar ein Aufwärtstrend erkennbar, jedoch ist fraglich, in wie weit dieser mittelfristig weiter anhalten kann. Expertenschätzungen sehen die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten für den PKWAbsatz zwischen lediglich 0,4%247 und 1,4%248 in den kommenden Jahren bis 2020. Die umfangreichen Regierungsunterstützungen der einzelnen Mitgliedsländer zur Förderung der Elektromobilität lassen ein jährliches Wachstum von 1,4%249 plausibel erscheinen. Abbildung 48 zeigt im Detail die Absatzentwicklungen der Länder Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und Großbritannien für die Jahre 2005–2010. Die enge wirtschaftliche Verzahnung dieser Länder innerhalb Westeuropas wird durch die nahezu identische Entwicklung im Betrachtungsraum deutlich. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen im Rahmen der Staatsschuldenkrise Europas, sollten diese Erkenntnisse in die Überlegungen einbezogen werden. In den Absatzzahlen der zentral- und osteuropäischen Länder (die zehn neuen EU-Mitgliedsstaaten, sog. EU 10)250 lassen sich die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009 deutlich erkennen. Abbildung 49 zeigt den Absatzrückgang von nahezu 27%251 sehr deutlich. Für die zukünftige Entwicklung des Absatzmarkts in Zentral- und Osteuropa wird ein durchschnittliches Wachstum von etwa 3,3% erwartet. Ein Grund ist sicherlich der noch immer 246 247 248 249 250 251

Vgl. Association des Constructeurs Européens d’Automobiles (ACEA) (2011). Vgl. Roland Berger Strategy Consultant, Amrop (2011), S. 10. Vgl. KB Investment & Securities (2010), S. 9. Vgl. KB Investment & Securities (2010), S. 9. EU 10: Bulgarien, Tschechische Republik, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien. Vgl. Association Auxiliaire de l’Automobile (AAA) (2011a).

4.4 Elektrofahrzeuge

Mio. Einheiten 1,4 1,2 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 Absatz in Mio.

85

Absatzentwicklung in Zentral- und Osteuropa 2006-2020

2006

2007

2008

2009

2010

2015

1,06

1,21

1,18

0,86

0,82

0,96

1,13

14,56%

-2,56%

-27,15%

-4,75%

3,30%

3,30%

Wachstum in % p.a.

2020

Wachstum 20% 15% 10% 5% 0% -5% -10% -15% -20% -25% -30%

Abbildung 49: Absatzentwicklung in Zentral- und Osteuropa 2006–2020 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Association Auxiliaire de l’Automobile (AAA) (2011a)

relativ geringere Motorisierungsgrad in diesen Ländern, der auch in Zukunft signifikante Neuanschaffungen erfordert. Marktanteile Die Absatzzahlen in den EU27 Mitgliedsstaaten sowie in Island, der Schweiz und Norwegen für das Jahr 2010 werden, nach Marktanteilen der Automobilhersteller aufgegliedert, in Abbildung 50 dargestellt. Sehr gut zu erkennen ist, dass die Volkswagen Gruppe mit 21,3%252 deutlicher Marktführer ist. Grundsätzlich dominieren auf dem europäischen Absatzmarkt die heimischen Automobilhersteller. Die drei marktstärksten europäischen Automobilhersteller (Volkswagen, PSA, Renault) teilen etwa 45%253 des gesamten Markts unter sich auf. Auf absehbare Zeit ist keine ernst zu nehmende Konkurrenz von asiatischen oder amerikaniMarktanteile in Europa in 2010 21,3% Volkswagen

28,9%

PSA Renault Ford 13,4%

General Motors Fiat

7,6%

Sonsge 10,2%

8,8% 9,8%

Abbildung 50: Marktanteile in Europa in 2010 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Association Auxiliaire de l’Automobile (AAA) (2011b)

252 253

Vgl. Association Auxiliaire de l’Automobile (AAA) (2011b). Vgl. Association Auxiliaire de l’Automobile (AAA) (2011b).

86

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

schen Herstellern zu erwarten. Selbst Toyota/Lexus als weltweit immer noch größter Automobilhersteller hielt nur einen geringen Marktanteil von 4,4% im Jahr 2010.254 Potenziale Eine hohe PKW-Dichte des europäischen Markts ist bei der Betrachtung des Motorisierungsgrads erkennbar. In den 27 europäischen Mitgliedsstaaten kommen etwa 470 PKWs auf 1.000 Einwohner.255 Die PKW-Dichte pro 1.000 Einwohner in den westeuropäischen Ländern ist jedoch bei weitem höher. In Deutschland etwa entfallen auf 1.000 Einwohner 508 PKWs.256 Hier ist ein deutliches Wachstum nicht zu erwarten. Bei den zentral- bzw. osteuropäischen Ländern dagegen sind aufgrund der geringeren PKW-Dichte (etwa 400 PKWs pro 1.000 Einwohner)257 signifikante zukünftige Wachstumspotenziale möglich. Größe der gekauften PKWs Die Betrachtung des Automobilabsatzes im Jahr 2010 nach Segmenten in Abbildung 51 zeigt, dass den größten Anteil mit etwa 72% die Klein- bis unteren Mittelklassenfahrzeuge ausmachten. Das Kleinwagensegment konnte, verglichen zu den Vorjahren, deutlich zulegen. Dies ist maßgeblich auf die Förderprogramme der Regierungen in den Krisenjahren 2008 und 2009 zurück zu führen. Der Anteil der oberen Mittel- und Premiumklasse konnte nur geringfügig gesteigert werden. Absatz nach Segmenten - Europa Jan.-Nov. 2010 10,9%

0,2%

Kleinwagen 16,1%

Untere Mielklasse 43,4%

Obere Mielklasse Premiumklasse Sonsge

29,4%

Abbildung 51: Absatz nach Segmenten – Europa – Jan.–Nov. 2010 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Association des Constructeurs Européens d’Automobiles (ACEA)

Antrieb der gekauften PKWs in 2025 Auf dem gesamteuropäischen Markt überwiegt derzeit noch der Anteil der neu zugelassenen PKWs mit einem Verbrennungsmotor. Alleine der Dieselmotor hatte in den westeuropäischen Absatzmärkten einen Anteil von etwa 50% bis zum dritten Quartal in 2010. Der Anteil der

254

Vgl. Association Auxiliaire de l’Automobile (AAA) (2011b). Vgl. Eurostat (2011). 256 Vgl. Eurostat (2011). 257 Vgl. Eurostat (2011). 255

4.4 Elektrofahrzeuge

87

EVs am gesamten PKW-Bestand im deutschen Automobilmarkt betrug weniger als 0,01%. Bis zum 01.01.2011 wurden lediglich 2.307 von insgesamt etwa 42 Mio. PKWs elektrisch angetrieben.258 Bis 2025 soll der Anteil der Fahrzeuge mit elektrischem Antriebsstrang deutlich erhöht werden und einen Anteil von etwa 48%259 der Neuzulassungen ausmachen. Abbildung 52 zeigt, dass der Anteil des rein elektrischen Antriebs am gesamten PKW Bestand im Jahr 2025 etwa bei 12%260 erwartet wird.

Abbildung 52: Marktanteile der Antriebsarten 2025 in Europa Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Roland Berger Strategy Consultants, VDMA (2011), S. 12

Regierungsunterstützung Die Europäische Kommission versucht durch die Bereitstellung finanzieller Mittel insbesondere die Forschung und Entwicklung von EVs zu fördern. In der „Green Car Inititative“ im Rahmen des Konjukturprogramms von 2009 stellt die Europäische Kommission eine Milliarde Euro261 für die Erforschung von alternativen Technologien und effizienten Energie-Infrastrukturen bereit. Die Europäische Investment Bank (EIB) vergibt Kredite in Höhe von € 4 Mrd.262 für die Unterstützung der Innovationsentwicklung und für die Forschung. Im März 2011 wurden weitere € 24,2 Mio.263 im Rahmen der europaweiten Initiative „Green eMotion“ zur Förderung der Elektromobilität verabschiedet. Diese Maßnahme soll den „Verkehr-2050-Fahrplan“ unterstützen. Laut diesem sollen die CO2-Emissionen bis 2050 um 60% verringert werden.264

258 259 260 261 262 263 264

Vgl. Münchner Merkur (2011). Vgl. Roland Berger Strategy Consultants, VDMA (2011), S. 12. Vgl. Roland Berger Strategy Consultants, VDMA (2011), S. 12. Vgl. Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, Fraunhofer IAO, WRS (2010). Vgl. Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, Fraunhofer IAO, WRS (2010). Vgl. EUROPA (2011). Vgl. EUROPA (2011).

88

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

Frankreich Die französische Regierung verabschiedete im Rahmen des „Pacte Automobile“ 2009 ein Förderprogramm bis 2012 in Höhe von € 400 Mio. 265 Im selben Jahr wurden € 50 Mio.266 in den Demonstrations-Fonds eingezahlt. Dieser Fonds dient der Forschung und Entwicklung von EVs. Frankreich hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2020 zwei Millionen EVs267 auf die Straße zu bringen. Für die Entwicklung umweltschonender „emissionsarmer Produkte“ werden zusätzlich Kredite in Höhe von € 250 Mio. zur Verfügung gestellt. Der Kauf eines Elektroautos mit einem CO2-Ausstoß von weniger als 60 g/km wird mit € 5.000 subventioniert. Fahrzeuge mit einem CO2-Ausstoß von weniger als 135 g/km erhalten einen Zuschuss von € 2.000.268 In beiden Fällen darf der Zuschuss 20% des Gesamtpreises nicht übersteigen.269 Deutschland In Deutschland sollen bis 2020 rund eine Million EVs270 auf den Straßen fahren. Die Bundesregierung hat im Rahmen des Konjunkturpakets II € 500 Mio.271 für die Entwicklung und Erforschung der Elektromobilität bis 2011 zur Verfügung gestellt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt mit weiteren € 160 Mio.272 insbesondere die Batterieerforschung und das Energiemanagement im Fahrzeug.273 Bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahre 2012 werden eine Milliarde Euro274 für weitere Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen investiert. Das am 18.05.2011 verabschiedete Regierungsprogramm Elektromobilität sieht im Gegensatz zu Programmen in vielen anderen Ländern keine direkten Zuschüsse für den Kauf von Elektrofahrzeugen vor. Es beschränkt sich auf nicht-monetäre Anreizmaßnahmen. Insbesondere werden straßenrechtliche Maßnahmen ergriffen, um die EVs zu fördern. Dazu gehören beispielsweise Sonderparkplätze, Aufhebung von Zufahrtsverboten für EVs, Freigabe von Busspuren oder Sonderfahrspuren für EVs.275 Steuerliche Anreize zum Beispiel bei der Dienstwagenbesteuerung sollen die Förderung der Elektromobilität ebenfalls unterstützen. Es ist geplant, bis zum 31.12.2015 erstmals zugelassene Fahrzeuge, die einen CO2-Typprüfwert unter 50g/km aufweisen, für zehn Jahre von der Steuer zu befreien.276

265 266 267 268 269 270 271 272 273 274 275 276

Vgl. ABC Carbon (2010). Vgl. ABC Carbon (2010). Vgl. ABC Carbon (2010). Vgl. ABC Carbon (2010). Vgl. ABC Carbon (2010). Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Bmwi) (2011), S. 11. Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Bmwi) (2011), S. 7. Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Bmwi) (2011), S. 14. Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Bmwi) (2011), S. 13. Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Bmwi) (2011), S. 20. Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Bmwi) (2011), S. 48f. Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Bmwi) (2011), S. 50.

4.4 Elektrofahrzeuge

89

Großbritannien In Großbritannien wurden in den letzten Jahren verschiedene Fördermaßnahmen für EVs beschlossenen. Fahrzeughaltern wird die Kraftfahrzeugsteuer erlassen, sofern ihr Fahrzeug den CO2-Ausstoß von 100g/km unterschreitet. Die britische Regierung verabschiedete ein Förderprogramm von ₤ 230 Mio.277, so dass die Käufer von Elektro- und Hybridfahrzeugen einen Zuschuss von 25%278 des Einkaufspreises erhalten. Der maximale Zuschussbetrag beträgt ₤ 5.000.279

4.4.2.4

Japan

Wachstum der Automobilbranche Absatzzahlen Für den japanischen Automarkt konnte bereits einige Jahre vor der Wirtschaftskrise eine leichte Stagnation festgestellt werden. Diese setzte sich bis zum Jahr 2009 fort. Absatzeinbrüche verglichen mit denen in Westeuropa oder den USA sind nicht im selben Ausmaß erfolgt. Die Stagnation auch in den Jahren vor der Finanz- und Wirtschaftskrise verdeutlicht die nachhaltige Sättigung des japanischen Automobilmarkts. Wie Abbildung 25 zeigt, erholte sich der Absatz in 2010, zwar verglichen zum Vorjahr, um etwa 7%280, dies lag jedoch vor allem an den staatlichen Fördermaßnahmen, wie beispielsweise der Abwrackprämie. Erschwerend für die heimische Automobilindustrie kam noch hinzu, dass sich auch die Produktion nach den Naturkatastrophen im Frühjahr 2011 halbierte.281 Das Erdbeben, der Tsunami und die Reaktorkatastrophe in Fukushima im Jahr 2011 zerstörten wichtige Produktionsstätten der Automobilhersteller und der Zulieferer ebenso wie Teile der Infrastruktur des Landes.282 Der Ausblick für die Entwicklung des japanischen Automobilmarkts ist sehr ungewiss. Die Produktion läuft schleppend aufgrund von Lieferengpässen bei Kraftfahrzeugteilen und Komponenten. Dies beeinflusst zum Teil sogar auch ausländische Automobilhersteller, da diese auf wichtige Zulieferteile aus Japan angewiesen sind.283 Vor der Naturkatastrophe wurde eine negative durchschnittliche Wachstumsrate von minus 1,3% bis 2015 erwartet.284 Aufgrund der rückläufigen konjunkturellen Erwartungen für die Jahre 2011 und 2012 wird dieser Wert auch für die Prognose der in Abbildung 53 dargestellten Absatzentwicklung in Japan bis 2020 herangezogen.

277 278 279 280 281 282 283 284

Vgl. German Trade & Invest (2010a). Vgl. German Trade & Invest (2010a). Vgl. German Trade & Invest (2010a). Vgl. Japan Automobile Manufacturer Association (JAMA) (2011). Vgl. Japan Automobile Manufacturer Association (JAMA) (2011). Vgl. German Trade & Invest (2011d), S. 2. Vgl. German Trade & Invest (2011d), S. 2. Vgl. KB Investment & Securities (2010), S. 9.

90

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

Absatzentwicklung in Japan 2005-2020

Mio. Einheiten 5 4 3 2 1 0 Absatz in Mio. Wachstum in % p.a. pa

2020

Wachstum 10% 8% 6% 4% 2% 0% -2% -4% 4% -6% -8%

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2015

4,75

4,64

4,40

4,23

3,92

4,21

3,94

3,69

-2 25% -2,25%

-5 20% -5,20%

-3 92% -3,92%

-7,19% -7 19%

7 35% 7,35%

-1 32% -1,32%

-1 32% -1,32%

Abbildung 53: Absatzentwicklung in Japan 2005–2020 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Japan Automobile Manufacturer Association (JAMA) (2011)

Marktanteile Der japanische Absatzmarkt wird historisch immer von einheimischen Automobilherstellern dominiert. Deren Marktanteil betrug 2010 etwa 95%.285 Mit einem signifikanten Eintritt ausländischer Konkurrenten ist auch in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Abbildung 54 zeigt, dass Toyota mit etwa 33% der deutliche Marktführer in 2010 war. Honda mit 14,3% und Nissan mit 13,4% Marktanteil folgen mit deutlichem Abstand.286 Marktanteile in Japan in 2010 11,3% 4,6% 33,6%

Toyota Honda

11,3%

Nissan Suzuki Daihatsu Mazda Sonsge

11,5%

14,3% 13,4%

Abbildung 54: Marktanteile in Japan in 2010 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Japan Automobile Manufacturer Association (JAMA) (2011)

285 286

Vgl. Japan Automobile Manufacturer Association (JAMA) (2011). Vgl. Japan Automobile Manufacturer Association (JAMA) (2011).

4.4 Elektrofahrzeuge

91

Potenziale Die Stagnation des Automobilmarkts der letzten Jahre ist neben der konjunkturellen Schwäche in Japan auch auf den bereits fortgeschrittenen Motorisierungsgrad zurückzuführen. In Japan entfielen im Jahr 2008 auf 1.000 Einwohner etwa 454 PKWs. Es werden sich zukünftig keine großen Wachstumspotenziale ergeben, da der Markt bereits gesättigt ist. Die Neuwagenkäufe werden zum Großteil Ersatzbeschaffungen sein. Größe der gekauften PKWs Die Neuwagenkäufe im japanischen Markt werden anhand der verkauften Größe in Klein-, Standard- und Minifahrzeuge unterteilt. Abbildung 55 zeigt, dass sich der japanische Automobilmarkt nahezu gleichmäßig auf die drei Segmente aufteilt.287 Absatz nach Segmenten - Japan 2010

30,5% 35,8% Small Standard Mini

33,7%

Abbildung 55: Absatz nach Segmenten – Japan 2010 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Japan Automobile Manufacturer Association (JAMA) (2011)

Antrieb der gekauften PKWs in 2025 Im Geschäftsjahr 2008/2009 fuhren bereits eine Million Hybridfahrzeuge288 auf den japanischen Straßen. Dies entsprach etwa 1,7% des gesamten Automobilbestands. Im Jahr 2010 war der Toyotas Prius mit 316.000 Fahrzeugen289 das am häufigsten verkaufte Hybridfahrzeug. Rein elektrisch angetriebene Fahrzeuge sind zwar seit 2009 neu auf dem japanischen Markt erschienen, jedoch konnten bislang nur wenige Tausend abgesetzt werden.290 Bereits heute steht Japan wegen seiner langjährigen Erfahrung mit Hybridfahrzeugen und der jahrelangen Erforschung leistungsfähiger Batterien an der Spitze der Elektromobilität.291 Zukünftig soll in Japan neben den klassischen Verbrennungsmotoren verstärkt der Einsatz alternativer Antriebstechnologien Anwendung finden. Schätzungen gehen davon aus, dass

287

Vgl. Japan Automobile Manufacturer Association (JAMA) (2011). Vgl. German Trade & Invest (2011d), S. 3. 289 Vgl. German Trade & Invest (2011d), S. 2. 290 Vgl. German Trade & Invest (2011d), S. 3. 291 Vgl. German Trade & Invest (2010e). 288

92

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

der Anteil von Elektro- bzw. Hybridfahrzeugen im Jahr 2025 bei etwa 46%292 liegen könnte. Abbildung 56 gibt einen Überblick über die erwarteten Marktanteile der Antriebsarten im Jahre 2025 in Japan und Korea.

Abbildung 56: Marktanteile der Antriebsarten 2025 in Japan und Korea Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Roland Berger Strategy Consultants, VDMA (2011), S. 12

Regierungsunterstützung Die japanische Regierung hat für die Verbreitung von elektrischen Fahrzeugen zwei umfassende Förderprogramme verabschiedet. Das japanische Wirtschaftsministerium stellte im Jahr 2010 Fördergelder für Busse, Taxen und Dienstwagen in Höhe von ¥ 10,4 Mrd. (etwa € 9 Mio.)293 zur Verfügung. Im Rahmen des „Clean Energy Vehicle Promotion Program“ wurden weitere Fördergelder in Höhe von ¥ 13,7 Mrd. (etwa € 12 Mio.)294 für die Privaten Haushalte bereitgestellt. Für den Kauf von Elektro- und Hybridfahrzeugen sowie anderen umweltfreundlichen Fahrzeugen werden zudem Kaufprämien gewährt. Die Höhe der Zuschüsse richtet sich nach dem Fahrzeugtyp.295 Beim Kauf eines Nissan Leaf wird beispielsweise ein Zuschuss in Höhe von ¥ 770.000 (etwa € 6.700) gewährt. Der I-MIEV von Mitsubishi wird mit ¥ 1,14 Mio. (etwa € 10.000) bezuschusst.296 Neben den finanziellen Anreizen wurden auch steuerliche Befreiungen beschlossen. Die Kaufsteuer entfällt beispielsweise ganz und die Gewichtssteuer wird erst nach drei Jahren fällig. In manchen Regionen werden Elektroautos zudem für mehrere Jahre von der Kraftfahrzeugsteuer befreit.297

292 293 294 295 296 297

Vgl. Roland Berger Strategy Consultants, VDMA (2011), S. 12. Vgl. German Trade & Invest (2010c). Vgl. German Trade & Invest (2010c). Vgl. German Trade & Invest (2010c). Vgl. German Trade & Invest (2011d), S. 3; verwendeter Wechselkurs € 1 = ¥ 114,1. Vgl. German Trade & Invest (2010e).

4.4 Elektrofahrzeuge

4.4.2.5

93

China

Wachstum der Automobilindustrie Absatzzahlen Der chinesische Absatzmarkt erlebte seit 2005 einen deutlichen Boom. Nachdem der chinesische Automobilmarkt im Jahr 2009 mit 13,6 Mio. abgesetzten PKWs erstmals der größte Automobilmarkt weltweit war, konnte der Wert im Jahr 2010 mit einer Wachstumsrate von über 33% nochmals deutlich auf über 18 Mio. Fahrzeuge erhöht werden.298 China hat die USA als weltweit führender Automobilmarkt abgelöst.299 Nach Expertenschätzungen wird sich der Automobilabsatz in China mit durchschnittlichen Wachstumsraten von über 11% in den kommenden Jahren weiterentwickeln (siehe Abbildung 57).300

Abbildung 57: Absatzentwicklung in China 2005–2020 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an China Association of Automobile Manufacturers (CAAM) (2011)

Marktanteile Auf dem stark umkämpften chinesischen Markt dominieren amerikanische und europäische Automobilhersteller. Viele der ausländischen Hersteller konnten sich seit einigen Jahren durch Joint Ventures auf dem chinesischen Markt etablieren. Die chinesische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt die Konsolidierung der zahlreichen einheimischen Hersteller zu forcieren um die Dominanz der ausländischen Hersteller einzudämmen und zukünftig konkurrenzfähiger zu werden. Abbildung 58 gibt einen Überblick der Marktanteile im Jahr 2010 in dem Volkswagen Marktführer mit einem Anteil von 10,2%301 war.

298

Vgl. German Trade & Invest (2011e). Vgl. Auto motor und sport (2011). 300 Vgl. KB Investment & Securities (2010), S. 9. 301 Vgl. German Trade & Invest (2011e). 299

94

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge Marktanteile in China Jan.-Sept. 2010 10,2% 6,0%

Volkswagen Hyundai-Kia

5,9%

General Motors 4,3%

Toyota

3,8%

Nissan

3,6%

66,2%

Honda sonsge

Abbildung 58: Marktanteile in China Jan.–Sept. 2010 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an German Trade & Invest (2011e)

Potenziale Für den chinesischen Markt sind aufgrund des geringen Motorisierungsgrads zukünftig enorme Wachstumspotenziale zu erwarten. In 2008 entfielen auf 1.000 Einwohner gerade einmal 12 PKWs. Da der Neubeschaffungsbedarf aufgrund der sehr geringen PKW-Dichte besonders hoch ist, kann er als Motor für den Automobilabsatz angesehen werden. Größe der gekauften PKWs Die in Abbildung 59 dargestellte Aufteilung der Fahrzeugsegmente für das Jahr 2010 zeigt, dass Kompakt- und Kleinwagen mit einem Marktanteil von ca. 60% den chinesischen Markt dominierten. 302 Innerhalb des Gesamtmarkts konnten alle Fahrzeugsegmente ein Wachstum verzeichnen. Mit einem Anteil von 14%303 konnten auch Sport Utility Vehicles (SUV) einen deutlichen Zuwachs verzeichnen und mittlerweile Position 3 einnehmen. Absatz nach Segmenten - China 2010 4%

5%

6%

Kompaktwagen Kleinwagen 41%

12%

SUV/Pickup Mielklassewagen Kleinstwagen Minivan

14%

Sonsge 18%

Abbildung 59: Absatz nach Segmenten – China 2010 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an J. D. Power (2011), S. 2

302 303

Vgl. J.D. Power (2011), S. 2. Vgl. J.D. Power (2011), S. 2.

4.4 Elektrofahrzeuge

95

Antrieb der gekauften PKWs in 2025 Für den Zeitraum bis 2025 wird erwartet, dass weiterhin PKWs mit Verbrennungsmotoren den chinesischen Automobilmarkt dominieren werden. Der Anteil der voll hybriden PKWs wird zukünftig auf 10%304 geschätzt. Für milde Hybridfahrzeuge wird das geringste Absatzpotenzial prognostiziert. Die nachfolgende Abbildung 60 zeigt die erwarteten Marktanteile der Antriebsarten in China für das Jahr 2025.

Abbildung 60: Marktanteile der Antriebsarten 2025 in China Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Roland Berger Strategy Consultants, VDMA (2011), S. 12

Regierungsunterstützung Die chinesische Regierung hat sich ehrgeizige Ziele für die zukünftige Entwicklung der Elektromobilität gesetzt. China strebt nichts anderes als die weltweite Marktführerschaft für alternative Antriebsformen an. Bis 2015 soll eine Jahreskapazität von einer Million Elektround Hybridfahrzeugen erreicht werden. Bis zum Jahr 2020 sollen sogar fünf Millionen EVs auf chinesischen Straßen unterwegs sein.305 Zur Erreichung dieses ehrgeizigen Ziels plant die chinesische Regierung etwa € 11 Mrd. in die Entwicklung zu investieren. Ein Zusammenschluss von 16 staatseigenen Automobilherstellern sowie Energieunternehmen wurde gegründet. Es wird auf eine bessere Verknüpfung der Forschung und Entwicklungsmaßnahmen der einzelnen Produzenten von Elektro-, Hybrid und Brennstoffzellenfahrzeugen abgezielt. Dies soll die Entwicklung einheitlicher Technologiestandards wie beispielsweise genormter Stecker oder einheitlicher Ladeinfrastrukturen beschleunigen.306 Die chinesische Regierung subventioniert Elektrofahrzeuge bislang mit RMB307 60.000 (etwa € 6.500) und Hybridfahrzeuge mit RMB 50.000 (etwa € 5.400).308 Effiziente Antriebstechnologien erhalten ca. € 1 Mrd.309 an Investitionen, während weitere Pilotprojekte in

304 305 306 307 308 309

Vgl. Roland Berger Strategy Consultants, VDMA (2011), S. 12. Vgl. German Trade & Invest (2011a). Vgl. German Trade & Invest (2011a). Renminbi Yuan. Vgl. German Trade & Invest (2011a); verwendeter Wechselkurs € 1 = RMB 9,2. Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, Fraunhofer IAO, WRS (2010), S. 37.

96

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

mehr als 13 chinesischen Regionen nochmals ca. € 2 Mrd. an Fördergeldern zur Verfügung gestellt bekommen.310

4.4.2.6

Indien

Wachstum der Automobilbranche Absatzzahlen Der indische Automobilmarkt konnte in den letzten Jahren ein überdurchschnittliches Wachstum verzeichnen. Selbst im Krisenjahr 2008/2009 kam es im indischen Markt zu keinem Absatzrückgang. Der Aufwärtstrend hat sich vielmehr, wie Abbildung 61 zeigt, auch im Jahr 2009 fortgesetzt. In 2010 wurden nahezu 2 Millionen PKWs verkauft. 311 Die Steigerung entsprach etwa 25%312 im Vergleich zum Vorjahr. Im ersten Quartal 2011 zeigte sich im Vergleich zum Vorjahr nochmals eine Verbesserung um rund 29%.313 Dies ist auf die konjunkturelle Entwicklung, das steigende Einkommen sowie die geplanten Fördermaßen Indiens zurückzuführen.314 Bei den abgesetzten PKWs handelt es sich aufgrund des sehr niedrigen Motorisierungsgrads überwiegend um Neubeschaffungen. Für die kommenden Jahre wird weiterhin mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 11,5% gerechnet.315

Abbildung 61: Absatzentwicklung in Indien 2005–2020 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Society of Indian Automobile Manufacturers (SIAM) (2011); Geschäftsjahr ist von April bis März

310 311 312 313 314 315

Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, Fraunhofer IAO, WRS (2010), S. 37. Vgl. Society of Indian Automobile Manufacturers (SIAM) (2011). Vgl. Society of Indian Automobile Manufacturers (SIAM) (2011). Vgl. Society of Indian Automobile Manufacturers (SIAM) (2011). Vgl. German Trade & Invest (2011c), S. 2. Vgl. KB Investment & Securities (2010), S. 9.

4.4 Elektrofahrzeuge

97

Marktanteile Im indischen Markt dominierten 2010 weiterhin einheimische Automobilhersteller den Markt. Allerdings kann festgestellt werden, dass diese Hersteller in der Regel Joint Ventures mit traditionellen Herstellern unterhielten. Aus Abbildung 62 geht hervor, dass Maruti Suzuki mit einem Marktanteil von fast 45% deutlicher Marktführer in Indien war.316 Europäische Automobilhersteller spielen in Indien schon seit Jahren eine nur untergeordnete Rolle. Der Marktanteil von Volkswagen betrug beispielsweise im Jahr 2010 nur etwa 2%.317 Zukünftig soll sich dies ändern. Die europäischen und amerikanischen Hersteller wollen ihren Absatz in Indien erhöhen und sich in diesem umkämpften Markt stärker etablieren.

Abbildung 62: Marktanteile in Indien – April 2010–März 2011 Quelle: In Anlehnung an J. D. Power (2011), S. 2

Potenziale Für die künftige Entwicklung des indischen Markts ergeben sich, aufgrund des geringen Motorisierungsgrads, ebenfalls enorme Wachstumspotenziale. Im Jahr 2008 entfielen auf 1.000 Einwohner nur acht PKWs. Abbildung 63 macht deutlich, dass im internationalen Vergleich der analysierten Märkte, Indien die niedrigste PKW-Dichte aufweist. Die Nachfrage nach Mobilität wird sich zukünftig jedoch überdurchschnittlich entwickeln. Dies ist zu einem großen Teil auf die stetig wachsende Mittelschicht und deren Einkommensentwicklung sowie die generell positiven Wirtschaftsaussichten für Indien als Schwellenland zurückzuführen.

316 317

Vgl. German Trade & Invest (2011c), S. 2f. Vgl. German Trade & Invest (2011c), S. 2f.

98

4 Strategische Entwicklungsmöglichkeiten: Beispiel Elektrofahrzeuge

PKW-Dichte (pro 1.000 Einwohner) Stand 2008 500 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 EU27

Japan

USA

Südkorea

Russland

Brasilien

China

Indien

Abbildung 63: PKW-Dichte (pro 1.000 Einwohner) Stand 2008 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Eurostat

Größe der gekauften PKWs Günstige Kleinst- und Kleinwagen sind als Einstiegsmodelle die beliebteste Neuwagenanschaffung. Deren Anteil betrug 2010 etwa 80%.318 Die Absatzzahlen im Premium- bzw. Luxussegment sind – wie aus der nachfolgenden Abbildung 64 hervorgeht – mit 2%319 relativ gering. In diesem Segment werden für 2011 allerdings Zuwächse bis zu 42% erwartet.320 Absatz nach Segmenten - Indien 2010 2% 1% 4%

4% Kleinstwagen Kleinwagen

10% 43%

SUV/Geländewagen Kompaktwagen Minivan Luxuswagen/Premiumwagen Mittelklasse

36%

Abbildung 64: Absatz nach Segmenten – Indien 2010 Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an J. D. Power (2011), S. 2

318

Vgl. German Trade & Invest (2011c), S. 2. Vgl. German Trade & Invest (2011c), S. 2. 320 Vgl. German Trade & Invest (2011c), S. 2. 319

4.4 Elektrofahrzeuge

99

Regierungsunterstützung Die meisten Automobile in Indien werden mit Erdgas oder Diesel angetrieben. Elektrische Fahrzeuge spielen in Indien eine nur untergeordnete Rolle. Die Förderung von Elektromobilität wurde bislang eher vernachlässigt. Es sind hier vor allem Zweiräder, für die die elektrische Antriebsform von Bedeutung ist. In 2009/2010 wurden schätzungsweise 80.000 elektrische Fahrzeuge321, fast ausschließlich Zweiräder, gefertigt. Die indische Regierung plant jedoch zukünftig Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität. Bislang gibt es nur vereinzelte Subventionen für die Automobilbranche. Die Einfuhrzölle in Höhe von 14%322 wurden beispielsweise für Komponenten von Elektrofahrzeugen, wie Batterien oder Ladegeräte, bis zum Jahr 2013 aufgehoben. Das Elektrofahrzeug wird in Indien dennoch weiterhin eine geringe Bedeutung haben. Dies lässt sich anhand der hohen Anschaffungskosten sowie der Kundenpräferenzen zum günstigen Kleinstwagen begründen.323 Zusammenfassung Die größten Entwicklungschancen im Bereich der Elektromobilität ergeben sich für den chinesischen Automobilmarkt. Es werden überdurchschnittliche Wachstumsraten für den PKW-Absatz allgemein und ein relativ hoher Anteil der EVs an den verkauften Fahrzeugen bis 2025 prognostiziert. Förderlich für diese Entwicklung sind die umfangreichen Regierungsmaßnahmen. Die Marktdurchdringung mit Elektrofahrzeugen wird in allen Triade-Märkten ein höheres Ausmaß annehmen. Da der Sättigungsgrad in diesen Märkten weit fortgeschritten ist, wird ein Austausch von herkömmlichen Fahrzeugen gegen elektrisch betriebene Fahrzeuge vollzogen werden. Zudem wird die Elektromobilität in diesen Ländern besonders gefördert. Die geringste Bedeutung für den Durchbruch der Elektrofahrzeuge bietet Indien. Die fehlende Unterstützung seitens der Regierung sowie das geringe Einkommensniveau im internationalen Vergleich verhindern die Verbreitung der Elektrofahrzeuge.

321

Vgl. German Trade & Invest (2010b). Vgl. German Trade & Invest (2010b). 323 Vgl. German Trade & Invest (2010b). 322

5

Produktpolitik in den BRIC-Staaten

5.1

Executive Summary

Während die traditionellen Automobilmärkte in Westeuropa, Nordamerika und Japan stagnieren oder gar rückläufig sind, verzeichnen die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) hohe jährliche Wachstumsraten.324 Folglich gewinnen die BRIC-Staaten für die deutschen Automobilhersteller immer mehr an Bedeutung. Ziel dieses Kapitels ist es, die optimale Vertriebs- und Produktstrategie für die einzelnen BRIC-Staaten abzuleiten und Handlungsempfehlungen aufzuzeigen.325

5.2

Gegenstand der Betrachtung

5.2.1

Status quo des Automobilvertriebs in den BRIC-Staaten

Der seit einigen Jahren anhaltende wirtschaftliche Aufstieg der BRIC-Staaten zeigt seine positiven Effekte nunmehr auch für die Automobilindustrie. Bei der Betrachtung der globalen Absatzzahlen der letzten Jahre wird deutlich, dass die Märkte der BRIC-Staaten, wie vielfach prognostiziert, deutliche Wachstumsraten verzeichnen konnten. Abbildung 65 gibt einen Überblick der größten Automobilabsatzmärkte anhand der Zahl der Neuzulassungen. Zu erkennen ist, dass abgesehen von Russland die Märkte in Brasilien, Indien und in besonderem Maße in China, beträchtliche Steigerungen im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2008 aufweisen. Keiner der traditionellen Automobilmärkte wie Deutschland, USA oder Japan kann ein solch enormes Wachstumstempo aufweisen. Dies zwingt die global tätigen Automobilhersteller ihre Zielmärkte neu auszurichten und sich weitere Standbeine in den BRIC-Staaten zu schaffen.326 Allerdings müssen auch die BRIC-Staaten differenziert betrachtet werden. Denn schon heute halten es Experten für sehr wahrscheinlich, dass in den kommenden fünf Jahren auch dort Überkapazitäten in der Automobilindustrie entstehen werden.327 Aufgrund der Attraktivität der BRIC-Staaten sowohl für Premium- als auch für Volumenhersteller, werden beide Kategorien von Automobilherstellern im Folgenden betrachtet um ggf. Unterschiede in den Anforderungen an die Marktbearbeitung herauszuarbeiten. Exemplarisch werden an einigen Stellen sowohl Volkswagen als auch BMW als Stellvertreter dieser beiden Kategorien herangezogen, weswegen zunächst der Status quo dieser Hersteller in den BRICStaaten beleuchtet werden soll. 324

Vgl. Avantalion (2012). Wir bedanken uns bei Frau Karolina Engenhorst, Frau Michaela Kraus und Frau Michaela Mittelstädt für Ihre Unterstützung zu den Themenkomplexen „Produktpolitik und BRIC-Staaten“. Deren Aktivitäten haben erst das Gelingen dieses Buchs ermöglicht. 326 Vgl. Thiele, M. (2010), S. 8. 327 Vgl. KPMG (2010a), S. 11. 325

102

5 Produktpolitik in den BRIC-Staaten

Abbildung 65: Internationale Neuzulassungen von Automobilen Quelle: Scotiabank (2012)

BMW BMW bedient den Automobilmarkt in den BRIC-Staaten bislang mit einem „herkömmlichen“ Händlernetzwerk, wie es zum Beispiel auch aus Deutschland bekannt ist. Hierbei wird von Fall zu Fall individuell abgewogen, ob das Autohaus von BMW selbst in Form einer BMW Niederlassung geführt wird oder aber ein eigenständiger Händler Automobile von BMW auf eigenes Risiko vertreibt. Es sind die gleichen Strukturen vorhanden wie auch in Deutschland und auch die Entscheidungskriterien weichen nicht erwähnenswert ab. Der Fokus wird auf die städtischen Regionen gelegt, da in ländlichen Gebieten der BRIC-Staaten kein bzw. nur ein sehr geringes Potenzial für den Automobilabsatz gesehen wird.328 Land

Art

Engagement

Indien

Montage

Channai

China

Entwicklung

Bejing

Werk

Shenyang

Produkt

5er, 3er Limousine

Vertrieb Russland

Montage

Kaliningrad

Vertrieb Brasilien

Vertrieb

Abbildung 66: Internationales Engagement des BMW Konzerns Quelle: Eigene Darstellung nach Zahlenmaterial von BMW (2010b), Unternehmensprofil – Standorte 328

Vgl. BMW (2010a).

5.2 Gegenstand der Betrachtung

103

In China verfügt BMW sowohl über einen Fertigungs- als auch einen Entwicklungsstandort. In Indien agiert BMW über einen externen Partner und betreibt eine eigene Montagelinie. In Russland operiert eine eigene Gesellschaft, über die BMW den Vertrieb abwickelt, wie auch in der Gesellschaft in Brasilien. Um den Anforderungen dieser aufstrebenden Märkte gerecht zu werden, erweiterte der Automobilkonzern sein Vertriebsnetz in den BRIC-Staaten. Insgesamt wurden in diesen Ländern im Jahr 2010 ca. 100 neue Betriebe eröffnet. In Abbildung 66 ist der Status quo für BMW zum Ende des Jahres 2010 nochmals zusammengefasst. Volkswagen Auch beim Volkswagen Konzern, zu dem sowohl Volumen- als auch Premiummarken gehören, zeichnet sich was die Distribution anbelangt, grundsätzlich kein anderes Bild ab als bei BMW. Auch hier wird auf ein Händlernetzwerk Wert gelegt, das unter der jeweiligen Landesgesellschaft aufgebaut wird.329 Abbildung 67 stellt dar, welche Marken bzw. Produkte in den einzelnen der BRIC-Staaten per Ende 2010 gefertigt wurden. Volkswagen unterhält in allen BRIC-Ländern eigene Vertriebsniederlassungen, wobei auch hier der Fokus auf urbane Regionen gelegt wird. Land

Art

Indien

Werk

Pune

Skoda Fabia, VW Polo

Werk (Skoda)

Aurangabad

Fabia, Octavia, Superb, Jetta, Passat, A4, A6

Werk

Shanghai

Fabia, Octavia, Superb, Polo, Lavida, Santana, Passat, Touran, Motoren

Partner

Changchun

Partner

Chengdu

Partner

Dalian

Werk

Jiading

Getriebe

Werk

Loutang

Motoren

Werk

Nanjing

Werk

Anchieta

China

Brasilien

Russland

Engagement

Produkte

Gol, Saveiro, New Saveiro, Polo (Classic), Parati, T2, Motoren, Getriebe, Gießerei

Werk

Curitiba

Fox, Golf

Werk

Sao Carlos

Motoren

Partner

Sao Paulo

Motoren, Achsen, Fahrerhäuser, LKW, Busfahrgesellschaften

Werk

Taubaté

Gol, Voyage

Werk

Kaluga

Tiguan, Octavia, SKD Modelle, VW Nutzfahrzeuge, Audi

Abbildung 67: Internationales Engagement des VW Konzerns Quelle: Eigene Darstellung nach Zahlenmaterial von Volkswagen (2010a)

329

Vgl. Volkswagen (2010a).

104

5 Produktpolitik in den BRIC-Staaten

Bezüglich der Vertriebsstruktur der beiden Hersteller BMW und VW in den betrachteten Märkten ist anzumerken, dass der Faktor der Kundenbindung sowohl im Sales- wie auch im After-Sales-Bereich eine große Rolle spielt. Denn beim Kauf eines „High-Interest Products“ wie z. B. einem Auto welches mit hohen Investitionskosten sowie einer langen Nutzungsdauer verbunden ist, wird weltweit besonderer Wert auf die persönliche Beratung gelegt. Dieser Faktor kann als ausschlaggebender Grund für das Festhalten an der Vertriebsstrategie speziell für den lokalen Markt angesehen werden.

5.2.2

Die vier Ps – Produkt als kritischer Erfolgsfaktor

Die in Abbildung 68 dargestellten vier Ps, die im Marketing als Marketingmix bezeichnet werden, stellen die Gesamtheit steuerbarer taktischer Werkzeuge für das Hervorrufen bestimmter Reaktionen der Kunden in einem Zielmarkt dar.

Abbildung 68: Die vier Ps des Marketings Quelle: Eigene Darstellung

Mit „Price“ ist die Preisstrategie gemeint. Hierbei können zum Beispiel Hochpreis- oder Penetrationsstrategien angewandt werden. „Place“ ist die Art und der Ort des Vertriebs oder Vertriebsnetzwerks, der, um beim Beispiel Automobilindustrie zu bleiben, in der Form eines Händlernetzwerks stattfinden kann. „Promotion“ bezeichnet die einsetzbaren Werbeinstrumente, wie zum Beispiel Fernsehwerbung. In den nachfolgenden Betrachtungen liegt der Schwerpunkt auf dem „P“, das für „Product“ steht. Das Product umfasst in unserer Definition neben dem originären Automobil an sich, auch alle zusätzlich angebotenen Leistungen des Unternehmens. Im Fall der Automobilhersteller, z. B. die über den herstellerverbundenen Finanzdienstleister angebotene Finanzierung

5.2 Gegenstand der Betrachtung

105

oder den Ersatzteilhandel. Somit umfasst „Product“ die Gesamtheit aller Güter und Dienstleistungen, die ein Unternehmen im Portfolio hat.330 Vor allem beim Produkt Automobil bieten sich eine ganze Reihe von Anpassungs- und Kombinationsmöglichkeiten an. Dies hat einerseits den Vorteil, dass spezifisch auf Kundenwünsche eingegangen werden kann, aber andererseits auch den Nachteil, dass unter anderem in der Produktion sehr hohe Kosten entstehen können. Denn mit jeder Kombinationsmöglichkeit nimmt der Grad der Standardisierung ab. Im folgenden Abschnitt wird auf die Standardisierung und Adaption gesondert eingegangen.

5.2.3

Standardisierung oder Integration und Adaption bzw. Differenzierung

Je nach Grad der Standardisierung und Differenzierung wird im Marketing von vier Arten der Herangehensweise an einen ausländischen Markt gesprochen. Die folgende Abbildung 69 stellt diese Möglichkeiten dar:

Abbildung 69: Arten des internationalen Marketings Quelle: In Anlehnung an Sheth, J. N, Parvatiyar, A. (2001)

Der Begriff der Standardisierung steht hier für die organisatorische Eingliederung einer ausländischen Gesellschaft in das international agierende Mutterunternehmen. Die Differenzierung bezeichnet im Gegensatz dazu den Grad der Anpassung des Marketingmix an lokale bzw. nationale Kundenbedürfnisse.

330

Vgl. Kotler, P., Armstrong, G. (2010), S. 18.

106

5 Produktpolitik in den BRIC-Staaten

Bei einem geringen Standardisierungs- und Differenzierungsgrad wird von einem internationalen Marketingansatz gesprochen. Dieser wird meist bei kleinen bis mittleren Unternehmen angewendet, da diesen oftmals nicht die für einen weiteren Ausbau notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Wird stark standardisiert, so wird von globalem Marketing gesprochen. Stellvertretend dafür kann das Beispiel der Coca Cola Company stehen. Der Softdrink beruht weltweit auf dem gleichen Rezept und die lokalen Gesellschaften orientieren sich weitgehend an der amerikanischen Muttergesellschaft. Multinational trifft dann zu, wenn das Marketing zu einem hohen Grad an die lokalen Bedürfnisse angepasst ist und die lokale Gesellschaft zugleich weitgehend unabhängig bleibt. Transnationales Marketing lohnt sich meist nur für sehr große Konzerne, da hier eine starke Eingliederung der nationalen Gesellschaften sowie eine differenzierte Gestaltung des Marketings stattfindet. Das klassische Beispiel dafür ist McDonalds. Dieses 4P-Modell wird, was die Komponente der Differenzierung anbelangt, meist zur Betrachtung des gesamten Marketing Mixes herangezogen. Jedoch steht hierbei vorwiegend das Produkt im Mittelpunkt. In diesem Kapitel soll vor allem darauf eingegangen werden, welche Möglichkeiten im Rahmen der Produktdifferenzierung für einen Automobilhersteller bestehen. Dabei wird insbesondere auf das multinationale Marketing eingegangen und die organisatorische Betrachtung außen vor gelassen. Die in diesem Zusammenhang, als multinational bezeichneten Ansätze, könnten unter entsprechendem Hinzuziehen der organisatorischen Ebene auch als transnational definiert werden. Höhere Marktanteile und Renditen sind oft strategisches Ziel der Produktadaptionen. Wenn ein international agierendes Unternehmen sein Produktkonzept nicht an lokale Gegebenheiten des Markts anpasst, ahmen oftmals lokale Wettbewerber das Produkt nach und schneiden es auf die speziellen Kundenbedürfnisse im jeweiligen Markt zu. Daher stellen höhere Marktanteile und Renditen strategische Ziele der Produktadaption dar.331 Einer umfangreichen Produktanpassung an lokale Besonderheiten allerdings, stehen die damit verbundenen hohen Kosten sowie ggf. auch die Verwässerung der Marke gegenüber. Umfangreiche Neuentwicklungen können gravierende Effekte auf die Unternehmensrendite haben, da vielfach hohe Entwicklungskosten notwendig sind. Entscheidend für den Erfolg ist es, eine Balance zwischen Adaption und Standardisierung zu finden. Hierbei ist zu gewährleisten, dass Kundenbedürfnisse bedient werden ohne die Kostenseite unverhältnismäßig ansteigen zu lassen.

5.2.4

Stellenwert der Produktanpassung für Automobilhersteller

Aufgrund der hohen Entwicklungs- und Fertigungskosten in der Automobilindustrie ist es von großer Bedeutung optimierte Prozesse zu implementieren. Außerdem ist genauestens abzuwägen, wann und in welchem Ausmaß adaptiert bzw. standardisiert werden muss, um rentabel bleiben zu können.332 Ein Spannungsfeld besteht jedoch dadurch, dass gerade bei einem Auto, das hohe Anschaffungskosten mit sich bringt, das Produkt den spezifischen Kundenbedürfnissen entsprechen sollte.333 Diese Notwendigkeit der Produktanpassung an die 331

Vgl. Kotler, P. (2009), S. 286ff. Vgl. Janovsky et al. (2011). 333 Vgl. Haslbeck, A. (2006), S. 18f. 332

5.3 Bedeutung der BRIC-Staaten für die Automobilindustrie

107

spezifischen Kundenwünsche in den lokalen Märkten sehen Entscheider als eine große Herausforderung für ihr Unternehmen an.334 Nachfolgend werden einige Beispiele für mögliche Produktanpassungen von Automobilherstellern speziell für eine erfolgreiche Marktbearbeitung in den immer bedeutender werdenden BRIC-Staaten, aufgezeigt.

5.3

Bedeutung der BRIC-Staaten für die Automobilindustrie

5.3.1

Brasilien

Der größte Produktionsstandort deutscher Automobilhersteller ist schon seit 2006 Brasilien. Bereits 2009 gehörte er zu den fünf größten Automobilproduktionsstandorten der Welt.335 Seit 2004 wird von einer aufkommenden makroökonomischen Stabilität gesprochen, die Brasilien zu hohen Wachstumsraten und Investitionen verhilft. Die Bemühungen der letzten Jahre und der damit verbundene Investitionsaufwand beginnen sich sukzessive auszuzahlen. Die Margen werden höher, auch im Vergleich zu anderen Regionen.336 Die Brasilianer sind bekannt dafür, ihr Auto fast so zu verehren wie die Deutschen. Man spricht davon, dass die nachgeholte Modernisierung in den 1930er bis 1960er Jahren zusammen mit den Folgen der Neoliberalisierung der 1990er Jahre, Brasilien langsam aber sicher einer Vorreiterrolle in der Entwicklung der zukünftigen Automobilindustrie näher bringt.337

Abbildung 70: Produktion und Vertriebszahlen von Fahrzeugen 1990 bis 2009 Quelle: Vgl. Keese, S. (2010), S. 5

334

Vgl. KPMG (2010a), S. 24. Vgl. Keese, S. (2010), S. 11. 336 Vgl. Keese, S. (2010), S. 4. 337 Vgl. Gegner, M. (2008), S. 216f. 335

108

5 Produktpolitik in den BRIC-Staaten

Abbildung 70 zeigt die unterschiedlichen Entwicklungsphasen des Automobilabsatzes in Brasilien seit 1990 und seine positive Entwicklung.

5.3.2

Russland

Der russische Automobilmarkt ist erst seit Ende der 1990er Jahre für ausländische Unternehmen geöffnet und damit der jüngste, von ausländischen Herstellern erschlossene Markt unter den BRIC-Staaten. Dies bedeutet zwar einerseits, dass ein großes Absatzpotential besteht, andererseits aber auch, dass die Entwicklung des Markts nur schwer vorhersehbar ist.338 Auch erschwert die starke Abhängigkeit von externen Faktoren wie beispielsweise der Preisentwicklung bei Rohstoffen eine Prognose über die Marktentwicklung speziell in Russland.339 Die Unberechenbarkeit des russischen Markts zeigte sich auch im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise. In der ersten Jahreshälfte 2008 wurden in Russland mehr Automobile verkauft als in Deutschland, dem bis dato größten Automobilmarkt Europas. Dies führte dazu, dass zahlreiche Experten prognostizierten, dass Russland spätestens 2009 Deutschland als größten Automobilmarkt Europas ablösen könnte.340 Jedoch brach der Absatz auf dem russischen Markt in der zweiten Jahreshälfte drastisch ein. Diese Entwicklung verstärkte sich 2009 weiter. Der Absatz im Automobilsektor ging nochmals um 50% im Vergleich zum Vorjahr zurück.341 Ein Hauptgrund für den Absatzeinbruch waren die, bedingt durch die Finanzkrise, verschlechterten Kreditkonditionen für Neuwagenkäufe. Denn in Russland werden 50% der Autokäufe über Kredite finanziert. Des Weiteren sank die Kaufkraft in Russland aufgrund steigender Arbeitslosigkeit und niedrigerer Reallöhne.342 Am stärksten betroffen waren die japanischen Marken. So brach beispielsweise der Absatz von Toyota um 63% ein. Im Vergleich zu anderen Volumenherstellern schlug sich VW gut und hatte nur einen Umsatzeinbruch von 28% zu verkraften. Damit war Volkswagen mit 94.018 verkauften Autos immer noch zweiterfolgreichster ausländischer Automobilanbieter343. Von der Wirtschaftskrise weit weniger betroffen waren Premiumhersteller. So hatte BMW nur einen Absatzeinbruch von 11% zu vermelden.344 Um den russischen Automobilmarkt wieder anzukurbeln, wurde im März 2010 die Abwrackprämie eingeführt. Der Käufer erhielt für die Verschrottung eines mindestens 10 Jahre alten Wagens ein Zertifikat über RUR 50.000, die er sich jedoch nur auf den Kauf eines in Russland gefertigten Autos anrechnen lassen konnte.345 Für die Zukunft wird erwartet, dass sich der russische Automobilmarkt wieder erholen wird. Allerdings werden voraussichtlich erst 2014 die Verkaufszahlen von 2008 erreicht werden.346

338 339 340 341 342 343 344 345 346

Vgl. Lange, N.S., Mauerer, S. (2010), S. 16. Vgl. Lange, N.S., Mauerer, S. (2010), S. 5. Vgl. Hones, B. (2010), S. 1. Vgl. Lange, N.S., Maurer, S. (2010), S. 16. Vgl. Schulze, G. (2009), S. 1. Vgl. Hones, B. (2010), S. 2. Vgl. Root, S. (2010), S. 6. Vgl. Broese, M. (2010), S. 42. Vgl. Lange, N.S., Mauerer, S. (2010), S. 16.

5.3 Bedeutung der BRIC-Staaten für die Automobilindustrie

109

Inwieweit Russland tatsächlich Deutschland als größten und wichtigsten Automobilmarkt Europas ablösen kann, bleibt derzeit noch offen. Für ein langfristiges Wachstum des russischen Markts sprechen zahlreiche Faktoren. Zum einen ist der russische Fuhrpark relativ alt, über 50% der Autos sind älter als 10 Jahre.347 Zum anderen ist die PKW-Dichte in Russland, im Vergleich zu anderen Ländern Westeuropas wie etwa Deutschland oder Frankreich, relativ niedrig.348 Für ausländische Hersteller ist der russische Markt auch deshalb so attraktiv, weil die Gewinnmargen höher sind als in Westeuropa. Dies liegt unter anderem daran, dass die Händler aufgrund der hohen Nachfrage bei ausländischen Modellen keine Rabatte gewähren müssen.349 Außerdem kaufen russische Kunden ausländische Marken vorwiegend mit zahlreichen Extras, wodurch die Hersteller ihre Margen ebenfalls erhöhen können.350 Für den russischen Automobilmarkt spricht ebenfalls die im Vergleich zu den anderen BRIC-Staaten niedrigere Wettbewerbsdichte.351 Der russische Industrie- und Handelsminister Christenko schätzt, dass das Marktvolumen für Neuwagen bis 2020 auf 3,6 Mio. anwachsen wird. Martin Winterkorn, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, prognostiziert für 2018 sogar ein Marktvolumen von bis zu 5,6 Mio. Automobilen in Russland.352 Zum Vergleich fielen die Absätze im Rekordjahr 2008 mit 2,8 Mio. Fahrzeugen und 2009 mit ca. 1,4 Mio. Fahrzeugen relativ bescheiden aus.353 Der Anteil ausländischer Hersteller am russischen Automobilmarkt hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen.354 Dieser Entwicklung versucht der russische Staat seit 2009 aktiv entgegenzutreten, indem die beiden russischen Hersteller Avtovaz und GAZ subventioniert werden. So erhielt allein der Lada-Hersteller Avtovaz bis November 2009 € 1,67 Mrd. vom russischen Staat an finanzieller Unterstützung.355 Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Subventionierungen auf die Wettbewerbsfähigkeit ausländischer Hersteller auswirken werden. Da die russischen Hersteller bisher nur wenig Geld in neue Technologien und neue Fahrzeugmodelle investiert haben, bestehen berechtigte Zweifel, ob sie langfristig mit westlichen Herstellern konkurrieren können.356

5.3.3

Indien

Seit einigen Jahren ist China der größte Wachstumsmarkt unter den BRIC-Staaten. Einige Prognosen gehen jedoch davon aus, dass Indien bis 2020 China als Nummer eins abgelöst haben wird. Bis zum Jahr 2035 wird Indiens Bevölkerung 1,45 Milliarden Menschen betra-

347 348 349 350 351 352 353 354 355 356

Vgl. Tselikov, S. (2007), S. 8. Vgl. Ernst & Young (2010), S. 9. Vgl. Tselikov, S. (2007), S. 9. Vgl. Revill, C. (2008), S. 1. Vgl. Capgemini (2009), S. 10. Vgl. Hones, B. (2010), S. 1. Vgl. Schulze, G. (2009), S. 12. Vgl. Begley, J. (2008), S. 7. Vgl. Willershausen, F. (2010), S. 2. Vgl. Broese, M. (2010), S. 44.

110

5 Produktpolitik in den BRIC-Staaten

Abbildung 71: Entwicklung ULCC 2007–2020 Quelle: Mayer, S., Rattey, F., Pleins, R. (2007) Mega-Markt für Ultra-Low-cost, S.1ff

gen und somit über der von China liegen. Diese beiden Entwicklungen bieten nicht nur viele Möglichkeiten, sondern auch einige Risiken für ausländische Automobilhersteller.357 Gerade der Markt der so genannten Ultra-Low-cost Cars (ULCC), die in einem Preissegment zwischen US$ 2.500 und US$ 5.000 liegen, wird in Indien bis zum Jahr 2020 drastisch ansteigen.358 Die Anzahl der indischen Bürger, die eine Kaufkraft von US$ 2.500 bis US$ 5.000 besitzen, betrug 2008 schon 208 Millionen. Es wird erwartet, dass diese Zahl bis 2020 auf 439 Millionen ansteigen wird. Abbildung 71 zeigt die erwartete weltweite Entwicklung des ULCC Marktsegments in den für dieses Fahrzeugsegment größten Absatzmärkten.359 Neben der großen Anzahl von Menschen mit geringem Einkommen gibt es immer mehr junge Inder, die die Möglichkeiten nutzen, durch Bildung wirtschaftlich aufzusteigen. Gerade diese Bevölkerungsgruppe bildet die wachsende Mittelschicht Indiens. Die Mittelschicht wird zwar weiterhin preissensitiv reagieren und kostengünstige Basismobilität präferieren, jedoch in zunehmendem Maße auch Wert auf die Zuverlässigkeit eines Autos legen.360 Diese Kundengruppe stellt den idealen Markt für Low-cost Cars oder günstige Mittelklassefahrzeuge dar. Neben der sehr stark wachsenden Mittelschicht gibt es in Indien auch eine einkommensstarke Schicht, welche die Zielgruppe für luxuriöse Fahrzeuge darstellt.361 Folglich bietet der indische Automobilmarkt großes Absatzpotential sowohl für Volumen- als auch Premiumhersteller.

357

Vgl. Reiche, L. (2010). Vgl. Lange, N.S., Mauerer, S. (2010). 359 Vgl. Lange, N.S., Mauerer, S. (2010). 360 Vgl. Soellner, F.N., Rattey, F., Stolle, W. (2006), S. 1f. 361 Vgl. Roeder, A. (2009), S. 46ff. 358

5.4 Kundenbedürfnisse und -anforderungen in den BRIC-Staaten

5.3.4

111

China

Einen erfolgreichen Markteintritt in China zu erreichen, ist für jeden Automobilhersteller von sehr großer Bedeutung. China machte im Jahr 2008 53% des gesamten Absatzvolumens der BRIC-Staaten aus. Bis zum Jahr 2016 wird sogar mit einem Wachstum auf bis zu 61% gerechnet.362 Es ist besonders entscheidend, sich möglichst rasch auf dem chinesischen Markt zu etablieren bzw. dort eine aktive Rolle zu spielen, wenn bis zum Jahr 2020 immer mehr einheimische Automobilhersteller in diesen Markt eintreten und diesen übernehmen wollen. Wie in Abbildung 72 zu sehen ist, nehmen Experten an, dass der Anteil an chinesischen Automobilhersteller in den nächsten Jahren signifikant ansteigen wird.

Abbildung 72: Regionaler Bedeutungswandel in der Automobilindustrie Quelle: Mayer, S., Rattey, F., Pleins, R. (2007), S.1ff

5.4

Kundenbedürfnisse und -anforderungen in den BRIC-Staaten

5.4.1

Brasilien

Infrastruktur und klimatische Gegebenheiten Aufgrund der ökonomischen Entwicklung in den 1930er bis 1960er Jahren, der Neoliberalisierung seit den 1990er Jahren und der damit einhergehenden grundsätzlich neuen und autoaffinen Städteplanung hat das Auto in Brasilien einen stetigen Bedeutungszuwachs erlangt.363 Die Architektur der heutigen Megacities in Brasilien lässt vor allem eine Verkehrsart zu, das Auto. Städte haben hier kein mit den europäischen Standards vergleichbares Netz öffentlicher 362 363

Vgl. Lange, N. S., Mauerer, S. (2010), S. 20ff. Vgl. Gegner, M. (2008), S. 213ff.

112

5 Produktpolitik in den BRIC-Staaten

Verkehrsmittel, selbst die Hauptstadt Brasília verfügt nur über eine Metrolinie. Fußgänger und Fahrradfahrer bewegen sich auf den Straßen unter höchster Gefahr. Denn die Städte haben fast ausschließlich Schnellstraßen. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad ist man hier lediglich unterwegs, wenn man sich kein Auto leisten kann, weil es sogar tagsüber als sehr gefährlich gilt ohne Auto zu verkehren. Selbst für eine Strecke von einem Kilometer wird daher oftmals ein Fahrzeug verwendet.364 Außerhalb der aktuell 14 großen Millionenmetropolen wie beispielsweise Sao Paulo, Rio de Janeiro oder Brasilia, dominieren überwiegend schlecht ausgebaute Straßen. Auf der mehr als 8,5 Mio. km2 großen Landesfläche finden sich überwiegend tropische bis subtropische Regionen. In einigen Landesteilen, speziell im Amazonasbecken, fallen allerdings auch enorme Niederschlagsmengen. Diese spezifischen klimatischen Gegebenheiten stellen die Automobilhersteller hinsichtlich ihrer Produktangebote vor große Herausforderungen. Eine breite Aufstellung und folglich die Bildung von Untermarken wird notwendig sein, um das gesamte Spektrum Brasiliens mit seinen jeweiligen wirtschaftlichen und klimatischen Verhältnissen abzudecken. Zielgruppensegmente Bei einer wirtschaftlichen Gesamtleistung (BIP) von US$ 2,1 Mrd. lag das durchschnittliche Pro-Kopf Einkommen bei US$ 11.127 im Jahre 2010.365 Trotz der enormen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes in den vergangenen Jahren, liegt der Prozentsatz der als arm zu bezeichnenden Bevölkerungsschicht immer noch deutlich über 20% bezogen auf die Gesamtbevölkerung von ca. 195 Millionen Einwohnern.366 Der Anteil der städtischen Bevölkerung liegt bei ca. 51%. Längst ist das Auto in Brasilien zu wesentlich mehr als nur einem Fortbewegungsmittel geworden, da es auch den Status des Besitzers anzeigt. Deshalb werden Autos dazu herangezogen, sich von der unteren Schicht abzugrenzen und einen sozialen Aufstieg zu dokumentieren. Wer in Brasilien ohne Auto ist, gehört der informellen Schicht der Gesellschaft an und kann erst wieder auf einen Aufstieg hoffen, wenn er am Boom des Fortbewegungsmittels Nummer eins teilnehmen kann. Insbesondere die obere Mittelschicht und die Oberschicht versuchen sich darüber hinaus durch den Besitz von exklusiven Fahrzeugen, nochmals deutlich von der unteren Mittelschicht zu differenzieren.367 Hinzu kommt, dass in Brasilien Erfolg oftmals nicht nur über Selbstdefinition erfolgt, sondern über sichtbare Statussymbole.368 Auf dem brasilianischen Automobilmarkt sind in erster Linie die Volumenhersteller angesprochen. Sie sind in Bezug auf die großen Bevölkerungsschichten mit niedrigen oder mittleren Einkommen in der Lage, entsprechend kostengünstige Fahrzeuge abzusetzen.369 Im Bereich der ländlichen Bevölkerung liegen, bedingt durch die schlechte Infrastruktur, die größten Chancen u. a. für SUVs.

364 365 366 367 368 369

Vgl. Gegner, M. (2008), S. 213ff. Vgl. Weltbank (2011). Vgl. Weltbank (2012). Vgl. Gegner, M. (2008), S. 213ff. Vgl. Fuchs, C.-M. (2006), S. 284. Vgl. Meyer, D. (2006), S. 4.

5.4 Kundenbedürfnisse und -anforderungen in den BRIC-Staaten

113

Länderspezifische Anforderungen Die weltweit an erster Stelle stehenden und von Herstellern wahrgenommenen Kundenbedürfnisse hinsichtlich der Umweltverträglichkeit des Autos sind Effizienz und Umweltfreundlichkeit.370 Im Fall Brasiliens stehen diese Kundenbedürfnisse noch keineswegs so im Fokus wie in den europäischen Ländern. Weit mehr im Mittelpunkt stehen die beim Fahrzeugkauf entstehenden Anfangsinvestitionen sowie die entsprechenden Folgekosten. Insbesondere für die deutschen Automobilhersteller bedeutet diese Kostensensitivität, dass reine Kostenoptimierung an bestehenden Modellen nicht ausreichen wird, um die Preissensitivität der Autokäufer zu treffen. Notwendig wäre vielmehr, Automobile in einem deutlich niedrigeren Preissegment anzubieten. Einige Autohersteller, z. B. aus Indien und China könnten hierbei als Vorbild betrachtet werden.371 Also fehlt bisher eine dritte Klasse der deutschen Automobilindustrie, nämlich die der Super-Low-Cost Anbieter.372 Konsequent weiter gedacht sind ebenfalls die Folgekosten gemeint, die nicht auf dem europäischen VW Niveau rangieren dürfen. Hierfür sollte vor allem Richtung Weiterentwicklung der Antriebstechnologien gedacht werden und auch bei diesem Punkt gilt die Notwendigkeit zur Innovation der bisher verfügbaren Technologien. Vor allem in Brasilien ist an Antriebstechnologien mit Ethanol zu denken. Denn hier werden 45,5% des weltweiten Zuckerrohrabbaus betrieben, welcher als Grundlage für die Herstellung von Ethanol verwendet wird.373 Dies führt bei einem nur zehnprozentigen Anteil im Kraftstoffmix zu einer Verminderung der CO2 Emissionen um bis zu 20% und zu einem um bis zu 13% geringeren Kohlenmonoxidausstoß. Die Firma Bosch hat bereits ein FlexFuel System entwickelt, mit dem es möglich ist, das Auto nicht nur mit einem bestimmten Kraftstoff zu fahren, sondern zu variieren.374 Ein breiter Einsatz dieses Systems ist sowohl den Premium- als auch den Volumenherstellern zu empfehlen. VW investierte zwischen 2006 und 2011 rund eine Milliarde Euro in Brasilien, wobei der Großteil davon in die Adaption der Produkte floss. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es in der Automobilindustrie aus zwei Gründen absolut notwendig sein wird, wesentlich innovativer an Neuentwicklungen heranzugehen und nicht nur lediglich evolutionär in der Produktentwicklung vorzugehen. Erstens, um sich Margen erhalten zu können und somit nicht aufgrund des stetig steigenden Preiskampfs unrentabel zu werden. Und zweitens, um den Kunden von sich zu überzeugen und im starken Konkurrenzkampf der Automobilisten nicht der Verlierer zu sein. Dies gilt insbesondere für Brasilien, weil hier das Einkommensniveau recht gering ist und somit keine hohen Preise erzielt werden können. Darüber hinaus wird auch der Konkurrenzdruck immer größer werden. Immer mehr Hersteller werden sich hier ansiedeln und somit ist in absehbarer Zeit mit Überkapazitäten zu rechnen.

5.4.2

Russland

Infrastruktur und klimatische Gegebenheiten Durch die Klimabedingungen in Russland werden dort an ein Auto ganz besondere Ansprüche gestellt. Das Auto muss in der Lage sein, selbst bei Minusgraden von bis zu 40 oder 370

Vgl. KPMG (2010b). Vgl. Meyer, D. (2006), S. 1. 372 Vgl. Deck, S. (2009). 373 Vgl. Gegner, M. (2008), S. 226f. 374 Vgl. Meyer, D. (2006), S. 2. 371

114

5 Produktpolitik in den BRIC-Staaten

50 Grad Celsius anzuspringen. Diese Temperaturen erfordern weiterhin eine starke Heizung, und Scheiben und Spiegel sollten außerdem beheizbar sein, um ein Anfrieren zu vermeiden. Ein Allradantrieb wird in Russland in den ländlichen Regionen ebenfalls präferiert. Den Mercedes S600 gibt es beispielsweise nicht in der Allradausführung, wodurch er selbst in Moskau so gut wie unverkäuflich ist.375 Gerade bei Kleinwagen gibt es in den genannten Bereichen noch viel Ausbaupotential. Ein weiteres Problem in Russland ist die Infrastruktur. Sehr viele Straßen sind nur sehr schlecht ausgebaut und teilweise fehlen wichtige Straßenverbindungen sogar ganz.376 Aufgrund der schlechten Straßenverhältnisse und der Wetterbedingungen herrscht in Russland eine große Nachfrage nach großen und hochwertigen Geländewagen. So sind schätzungsweise 18% der in Russland verkauften Autos Geländewagen, wohingegen der Anteil in Westeuropa lediglich 8% beträgt.377 Natürlich müssen auch die „normalen“ Automodelle an die Straßenverhältnisse in Russland angepasst werden, wie z. B. durch spezielle Reifen und Radaufhängungen. Auf diesen Punkt wird unter 5.4.3 Indien noch genauer eingegangen. Zielgruppensegmente Russland hat eine sehr reiche Oberschicht, welche ihren Reichtum gerne offen zur Schau stellt. So findet man in keiner anderen Stadt mehr Maybachs und Luxuslimousinen als in Moskau.378 In Russland kommt dem Konsum generell eine hohe soziale Funktion zu.379 Russen möchten ihren Wohlstand offen zur Schau stellen.380 Hierbei stellt das Auto für alle Bevölkerungsschichten ein sehr wichtiges Statussymbol dar. Daher sind russische Käufer zum Teil bereit, über 50% ihres jährlichen Einkommens für ein Auto auszugeben während beispielsweise in den USA die Mehrheit der Käufer weniger als 25% ihres jährlichen Einkommens für ein Auto ausgibt.381 Vorwiegend werden westliche Marken auf dem russischen Automobilmarkt bevorzugt.382 Dies geht sogar soweit, dass die Mehrheit der russischen Konsumenten die Ansicht vertritt, dass ein gebrauchtes westliches Auto besser sei, als der Neuwagen eines russischen Herstellers.383 Dies liegt unter anderem daran, dass die Qualität russischer Produkte oft zu wünschen übrig lässt, da Forschung und Entwicklung wegen des mangelnden Wettbewerbs in der Sowjetunion lange vernachlässigt wurden.384 Der Preis eines Automobils wird in Russland als ein Indikator für die Qualität herangezogen. Dies bedeutet, dass teure Produkte mit guter Qualität gleichgesetzt werden. Ebenso werden bekannte, westliche Marken mit Qualität verbunden.385 Besonders beliebt sind dabei große Fahrzeugmodelle. So stellte Martin Winterkorn bei einem Russlandbesuch in 2008 fest: „…at 375 376 377 378 379 380 381 382 383 384 385

Vgl. Geiger, T. (2008). Vgl. Guyette, J. (2008), S.69f. Vgl. Revill, C. (2008), S.1. Vgl. Geiger, T. (2008). Vgl. Busse, N. (2006). Vgl. Amann, S. (2006). Vgl. Capgemini (2009), S. 7. Vgl. Clarke, I. (2002), S. 27. Vgl. Busse, N. (2006). Vgl. Schmid, S. (2004), S. 167ff. Vgl. Schmid, S. (2004), S. 215f.

5.4 Kundenbedürfnisse und -anforderungen in den BRIC-Staaten

115

the moment, the Russians love big cars such as the Audi A8, the Phaeton, Touareg and Passat.“386 Aufgrund des hohen Ansehens westlicher Marken und der Tatsache, dass ihnen diese jahrzehntelang vorenthalten waren, möchten russische Kunden dieselben Modelle, die auch in Europa, Japan und den USA verkauft werden, erwerben.387 Ein speziell für den russischen Markt angefertigtes Auto wird es daher vor allem im Premiumsegment auf dem russischen Markt schwer haben. Schon seit 2007 kündigte VW immer wieder an, ein „Billigauto“ auf dem russischen Markt herausbringen zu wollen. Jedoch wurden die Pläne immer wieder verworfen. Anfang Juni 2010 meldete VW dann aber, eine VW Polo Limousine mit dem Namen Polo Sedan exklusiv für den russischen Markt herauszubringen. Das Besondere an dem Wagen ist, dass er speziell an die Bedürfnisse des russischen Markts angepasst wurde. Der Preis wird bei € 10.000 beginnen.388 Russische Kunden kaufen selten Autos in der Grundausstattung. Sie legen besonderen Wert auf Zubehör und eine hochwertige Ausstattung.389 Es herrscht eine große Nachfrage nach speziellen Lackierungen, audiovisueller Elektronik, Lichtern, etc. 390 Daher ist es notwendig, auch bei Kleinwagen zahlreiche Extras anzubieten. Länderspezifische Anforderungen Russland zählt zu den Ländern mit der weltweit höchsten Unfallrate. Laut einer Studie der OECD verunglücken 939 von 1 Million Autofahrern tödlich in Russland. Damit schneidet Russland unter den OECD Staaten am schlechtesten ab. In Deutschland gibt es beispielsweise nur 90 Verkehrstote pro eine Million Fahrzeuge. Trotz dieser erschreckenden Zahlen stellt bis jetzt nur für 8% der russischen Käufer Sicherheit ein Kaufkriterium dar.391 Aus diesem Grund wird das Thema Sicherheit bisher von den Herstellern auch nicht aufgegriffen. Es wird z. B. nicht mit Sicherheitstechniken wie ESP oder Airbags geworben.392 Doch gerade aufgrund der hohen Unfallzahlen bietet der Bereich Sicherheit ein großes Potential und die Möglichkeit, sich vor allem von der günstigen aber qualitativ schlechten, russischen Konkurrenz abzuheben. Daher wäre es an dieser Stelle Aufgabe des Marketings, dem Kunden zu vermitteln, welcher Mehrwert ihm durch den Einsatz moderner Technik in punkto Sicherheit entsteht. Vorstellbar wäre beispielsweise eine Kampagne mehrerer Autohersteller, die darauf aufmerksam macht, wie z. B. durch Airbags Leben gerettet werden können. Der Benzinverbrauch eines Wagens ist bis jetzt nur für 5% der Käufer ein Kaufkriterium. Das Thema Umweltschutz spielt in Russland nahezu keine Rolle und wird auch in der Öffentlichkeit kaum diskutiert.393 Auch aufgrund der oben angesprochenen klimatischen Bedingungen, der Vorliebe nach großen Autos und der Größe des Landes haben alternative Antriebstechno386 387 388 389 390 391 392 393

Kurylko, D. (2008) S. 20. Vgl. Lange, N. S., Mauerer, S. (2010), S. 17 sowie Schmid, S. (2004), 160ff. Vgl. Razumovskaya, O. (2010). Vgl. Revill, C. (2008), S. 1. Vgl. Guyette, J. (2008), S. 70. Vgl. Ernst &Young (2007), S. 19. Vgl. Santer, B. (2008). Vgl. Ernst &Young (2007), S. 19.

116

5 Produktpolitik in den BRIC-Staaten

logien einen schweren Stand in Russland. Es ist daher zu bezweifeln, dass russische Käufer bereit wären, mehr Geld für Autos mit alternativen Antrieben auszugeben.

5.4.3

Indien

Infrastruktur und klimatische Bedingungen Ein großes Problem in Indien ist die teilweise sehr schlechte Verkehrsinfrastruktur, die erschreckend weit hinter der Entwicklung der indischen Hightech Branchen wie der Informations- und und Kommunikationsindustrie liegt. Nur etwa die Hälfte des ca. 3,3 Millionen Kilometer langen Straßennetzes ist asphaltiert. Somit muss auch die Bauweise der Fahrzeuge an diese Gegebenheiten angepasst werden.394 Besonders die durch den unebenen Fahrbahnbelag beanspruchten Bauteile wie z. B. Unterboden, Stoßdämpfer und Reifen benötigen besonderen Schutz. Man könnte hier das Problem durch einen zusätzlichen Geländemodus oder durch Zusatzeinbauten lösen oder auch wie schon in den Punkten 5.4.1 Brasilien und 5.4.2 Russland angesprochen, durch spezielle Reifen und Radaufhängungen. Auf diesen Punkt wird unter 5.4.4 China noch genauer eingegangen. In den USA ist seit 2003 gesetzlich vorgegeben, dass bei Neuwagen ein Reifendruckkontrollsystem eingebaut sein muss. Bei einem solchen Kontrollsystem, wird der aktuelle Reifendruck unter Berücksichtigung der Reifentemperatur des Fahrzeugs überwacht.395 Ist der Luftdruck zu gering, wird z. B. beim „Intelligent Tire System“ von Continental direkt Meldung an das Fahrzeugcockpit und somit an den Fahrer gegeben. Der optimal an das Fahrzeug und die Rahmenbedingungen wie z. B. Wetter angepasste Luftdruck hilft dem Fahrer benzinsparend zu fahren und vermindert den Reifenverschleiß. Zusätzlich ist ein zu geringer Luftdruck häufig Ursache für Unfälle und Reifenpannen. Dies stellt besonders in den ländlichen Gebieten Indiens ein Problem dar, wo die nächste Reparaturwerkstatt weit entfernt sein kann. Zusammen mit einem „Runflat-Reifen“, der auch immer mit einer Reifendruckkontrolle ausgestattet sein muss, könnte man aber selbst bei einer Reifenpanne gewährleisten, dass der Fahrer bis zur nächsten Reparaturmöglichkeit weiterfahren kann. Runflat-Reifen sind Reifen mit integrierter Notlaufeigenschaft, bei denen ein zusätzliches Gummielement im Reifeninneren das Einfallen des Reifen bei Druckverlust verhindert.396 Immer mehr Automobilhersteller bieten Runflats ab Werk an, da das Nachrüsten kostenintensiver und oft nicht möglich ist. Einen anderen Ansatz hat die Firma Michelin gewählt. Sie bietet seit 1998 einen luftleeren Reifen an, bei dem ein auf die Felge montierter Stützring nach einer Reifenpanne die Weiterfahrt über eine Distanz von bis zu 200 km bei 80 km/h trotz völligem Druckverlust erlaubt. Bei einem solchen Reifensystem wäre ein Reifendruckkontrollsystem nicht notwendig.397 Diese beiden Reifentechnologien sind besonders für Märkte wie Indien und China mit ihren teilweise unzureichenden Straßennetzen und schlechten Straßenbelägen interessant. Hier wäre zu überlegen, solche Reifensysteme standardmäßig ab Werk einzubauen, weil es kostengünstiger und das Handling einfacher zu gestalten ist. 394

Vgl. Logwin (2009), S. 5ff. Vgl. Wiesinger, J. (2009). 396 Vgl. Wiesinger, J. (2009). 397 Vgl. Sandor, J. (2010). 395

5.4 Kundenbedürfnisse und -anforderungen in den BRIC-Staaten

117

Zielgruppensegmente Der Wunsch vieler Inder ist es, eine Grundmobilität zu erlangen.398 Bevölkerungsseitig ist in Indien immer noch die untere Einkommensschicht vorherrschend, somit müssen der Preis für ein Fahrzeug sowie seine Betriebskosten niedrig sein.399 In den Low-cost-Segmenten sind die Margen sehr gering und der Druck, die Kosten gering zu halten, äußerst hoch. Um die Herstellungskosten so niedrig wie möglich zu halten, reicht es nicht aus, vorhandene Modelle, die nicht von Anfang an als ein Ultra-Low-cost-Car oder Low-cost-Car konzipiert wurden, einfach nur abzuspecken. Zur nachhaltigen Realisierung von Kosteneinsparungen kann es empfehlenswert sein, die Produktion direkt nach Indien auszulagern oder zumindest teilweise dorthin zu verlegen. So können durch niedrigere Löhne zum einen die Herstellungskosten direkt gesenkt werden, zum anderen sind die Transportwege kürzer und somit auch kostengünstiger. Auch fallen in Indien hohe Einfuhrzolle für „fertige“ Fahrzeuge an. Daher würde es sich selbst dann lohnen, wenn ein Automobilhersteller nur die Endmontage in Indien durchführen lässt. Durch hochwertige Standardmodelle, die genau auf die Bedürfnisse des indischen Markts angepasst werden, können neben Einsparungen auch schnellere Entwicklungszyklen erreicht werden.400 Trotz geringer Gewinnmargen und hohem Kostendruck werden in Zukunft Automobilhersteller vermehrt in das Segment der Ultra-Low-cost oder Low-cost-Cars investieren, um so einen Einstieg in die stark wachsenden Märkte der BRIC-Staaten zu haben. Ebenso führt der Kostendruck dazu, dass sich die Automobilhersteller verstärkt mit kostengünstigen Alternativen und Ideen auseinandersetzen und so revolutionäre Werkstoffe, Module und Prozesse entstehen.401 Neben den eher einkommensschwachen Schichten gibt es in Indien auch eine einkommensstarke Schicht, die sich auch den Luxus eines eigenen Fahrers leisten kann.402 Hier sollte der Automobilhersteller auf diesen Sachverhalt reagieren, indem er besonders große Fonds mit viel Raumfreiheit oder Langversionen der Modelle anbietet. Länderspezifische Anforderungen Die indische Ober-, Mittel- und Unterschicht ist in ihren Anforderungen an ein Fahrzeug der chinesischen Bevölkerung sehr ähnlich. Doch im Gegensatz zu China mit der Ein-KindPolitik, ist Indien immer noch ein Land der Großfamilien. Somit sollte ein Fahrzeug für den indischen Massenmarkt aufgrund der Verkehrssituation in den Städten, zwar recht kompakt gebaut sein jedoch auch genügend Platz für bis zu fünf Personen und Gepäck bieten.403 Eine weitere Besonderheit des indischen Markts ist die Farbauswahl bei Automobilen. In Indien werden einfache, elegante und nicht zu kräftige Farben bei Autos bevorzugt. Diese Vorliebe hat auch Volkswagen bedacht, als die Farbvarianten für den speziell für den indi-

398 399 400 401 402 403

Vgl. Soellner, F.N., Rattey, F., Stolle, W. (2006), S. 1. Vgl. Scheider, W.-H. (2007). Vgl. Scheider, W.-H. (2007). Vgl. Wyman, O. (2007), S. 20f. Vgl. Roeder, A. (2009), S. 46ff. Vgl. Kakar, S., Kakar, K. (2006), S. 196.

118

5 Produktpolitik in den BRIC-Staaten

schen Markt entwickelten Polo zusammengestellt wurden. Hauptfarben sind hier Weiß, Silber, Schwarz und als Trendfarbe ein traditionelles kräftiges Rot.404 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der indische Markt in vielen Punkten die gleichen Anforderungen an ein Automobil stellt wie die anderen BRIC-Staaten. Durch die indische Kultur ergeben sich aber auch spezifische Wünsche, wie z. B. Raumfreiheit oder Farbauswahl. Diese Punkte können aber recht einfach durch Anpassung der europäischen Modelle und anschließende Standardisierung für den indischen Markt realisiert werden.

5.4.4

China

Infrastruktur und klimatische Bedingungen Obwohl China in den letzten Jahrzehnten sehr viel in seine Infrastruktur investiert hat, stellen die baulich schlechten, teilweise nicht asphaltierten Straßen, gerade in den zahlreichen ländlichen Gebieten eine besondere Herausforderung für Fahrzeuge dar. Besonders Unterboden, Stoßdämpfer, Reifen, Lenkung und Bremsen werden durch die schlechte Qualität der Straßen beansprucht. Aufgrund der zum Teil unbefestigten Straßen sind Scheibenbrüche durch die vermehrt auftretenden Steinschläge an der Tagesordnung. Um die genannten Bauteile besonders zu schützen, sollten die Fahrzeuge mit einem zusätzlichen Unterbodenschutz versehen werden. Bei Stoßdämpfern und Reifen sollte sowohl auf hohe Qualität als auch auf Reifen mit gröberen Profilen Wert gelegt werden. Eine weitere Möglichkeit wäre, einen zusätzlichen Geländemodus einzubauen, der eine Alternative zu Off-Road-Modellen darstellt. Bei einem solchen Geländemodus könnten Hersteller Funktionsweisen von bereits existierenden Offoder All-Road Modellen, wie z. B. dem Toyota Land Cruiser oder auch dem Porsche Cayenne, übernehmen. Toyota verbesserte die Off-Road-Qualitäten des Land Cruiser durch drei Assistenzsysteme: Ein „Multi-Terrain-Select-System“ passt auf Knopfdruck das Fahrverhalten des Motors sowie das Ansprechen der Bremsen wählbar an den jeweiligen Untergrund an. Mit der sogenannten „Crawl Control“ lassen sich fünf verschiedene Geschwindigkeitsstufen einstellen, ohne dass der Fahrer in schwierigem Gelände Gas oder Bremse bedienen muss. Des Weiteren regelt die dynamische Fahrwerkskontrolle „KDSS“ (Kinetic Dynamic Suspension System) des Land Cruisers die Wirkung der Stabilisatoren an Vorder- und Hinterachse und verringert dadurch die Wankneigung der Karosserie bei Kurvenfahrten. Porsche setzt beim Modell Cayenne besonders auf zwei Technologien: Zum einen, das „Porsche Traction Management“ (PTM), welches aus einem aktiven Allradantrieb mit elektronisch geregelter, kennfeldgesteuerter Lamellenkupplung, dem automatischen Bremsendifferenzial (ABD) und der Antriebsschlupfregelung (ASR) besteht. Die Off-Road-Fähigkeit des Fahrzeugs wird gesteigert, da das PTM zusammen mit dem Porsche Stability Management (PSM) für die verschiedenen Untergründe und Fahrsituationen jeweils die entsprechende Verteilung der Antriebskraft auf Hinter- und Vorderachse vornimmt.405 Das Porsche Active Suspension Management (PASM) übernimmt beim Cayenne die Aufgabe des Toyota KDSS. Abhängig vom Zustand und der Art der Fahrbahn sowie der Fahrweise wird durch elektroni-

404 405

Vgl. Roeder, A. (2009), S. 46ff. Vgl. Porsche (2010a).

5.4 Kundenbedürfnisse und -anforderungen in den BRIC-Staaten

119

sche Verstellung des Stoßdämpfersystems aktiv und kontinuierlich die Dämpferkraft geregelt, um Schwankungen der Karosserie zu vermindern.406 Diese Assistenzsysteme wurden zwar speziell für geländetaugliche Fahrzeuge entwickelt, könnten aber auch in Ländern wie China in ihrer Wirkungsweise auch standardmäßig in Serienproduktionen verwendet werden. Zielgruppensegmente Die Anforderungen, welche die chinesischen Nutzer an ihre Automobile stellen, überschneiden sich in vielen Punkten mit denen der indischen Käufer. Wie in den übrigen BRIC-Staaten ist das Land in eine wohlhabende Oberschicht und eine breite Unterschicht geteilt. Jedoch entwickelt sich seit den letzten Jahren auch immer mehr eine mittlere Einkommensschicht und die Löhne steigen rapide.407 Diese drei Einkommensschichten stellen insbesondere im High Interest-Bereich wie z. B. bei Automobilen ganz unterschiedliche Ansprüche an das Produkt. So leistet sich gerade die chinesische Oberschicht in den durch Stau geplagten Großstädten gerne den Luxus eines eigenen Chauffeurs. Für diese Kunden stehen Status und Luxus, den man auch gerne zeigt, im Vordergrund und die Kosten des Automobils eher im Hintergrund. Um ihren hohen Komfortansprüchen gerecht zu werden, bietet es sich an, Automobile mit besonders großem Fonds oder Langversionen einer Fahrzeugserie anzubieten. So schafft man im Wageninneren genügend Platz für die von dieser Käuferschicht gewünschten und auch geforderten Sonderausstattungen und Zusatzeinbauten wie z. B. eines Entertainmentsystems oder auch eines Einbaukühlschranks. Im Gegensatz zu der oberen Käuferschicht sind für die chinesische Mittelschicht andere Produkteigenschaften kaufentscheidend. Diese Käuferschicht hat sich in China erst in den letzten Jahren entwickelt. Die Einkommensverhältnisse in China werden sich weiterhin rasant verbessern, so dass diese Schicht zukünftig auch eine wichtige Zielgruppe gerade für Kleinwagen und Mittelklassefahrzeuge sein wird.408 Da ihr Einkommen noch deutlich unter dem der Oberschicht liegt, ist dieses Kundensegment sehr preissensitiv. Diese Zielgruppe möchte ein funktionales und preisgünstiges Automobil, das ihr Bedürfnis nach Mobilität erfüllt. Für sie steht hierbei aber immer noch das Preis-Leistungs-Verhältnis im Mittelpunkt.409 Die Problematik dabei ist, das Bedürfnis des Kunden nach einem kostengünstigen aber mit aktueller Technik ausgestatteten Fahrzeug, zu befriedigen. Dies lässt sich für die Automobilhersteller vor allem durch Standardisierung und den Verzicht auf Sonderausstattungen lösen. Länderspezifische Anforderungen Die Einwohner in den chinesischen Megastädten sind ständiger Verkehrsbelastung und Smog ausgesetzt. Um die Luftverschmutzung in den Städten zu vermindern, hat die chinesische Regierung ein neues Emissionsgesetz beschlossen, welches ab 2013 gelten soll. Des Weiteren forciert China auch stark den Einsatz von Fahrzeugen mit Elektroantrieb. So soll neben der Umweltentlastung auch der Import von Rohöl bzw. Kraftstoffen reduziert werden.410 406

Vgl. Porsche (2010b). Vgl. Müller, V. (2010). 408 Vgl. Mayer, S., Rattey, F., Pleins, R. (2007), S. 1ff. 409 Vgl. Soellner, F.N., Rattey, F., Stolle, W. (2006), S. 1ff. 410 Vgl. Höhn, J. (2009), S. 10. 407

120

5 Produktpolitik in den BRIC-Staaten

Beim Kauf eines Hybrid- oder Elektroautos erhält der Käufer vom Staat eine Prämie von bis zu US$ 8.000.411 Auf der Shanghai Motor Show 2009 stellten fast alle chinesischen Automobilhersteller mindestens ein Hybrid- oder ein Elektroauto als Konzept- oder teilweise sogar als Serienfahrzeug vor.412 Auch deutsche Hersteller planen Elektroantriebe für den chinesischen Markt. Zum Beispiel plante BMW 2011 eine Flotte auf Basis der Elektroentwicklung „BMW Concept Active E“ in China einzusetzen. Auch soll laut Nortbert Reithofer (Vorstandsvorsitzender der BWM AG) bis 2013 das Megacity Vehicle entwickelt werden. Dieses Stadtauto mit reinem Elektroantrieb soll speziell den Bedürfnissen eines Singles in einer Millionenstadt gerecht werden. Gerade in den über 40 Millionenstädten in China muss ein Fahrzeug, insbesondere von einem Premiumhersteller wie BMW, nicht große Reichweiten zurücklegen können, sondern chic, klein, leicht, wendig, praktisch und sicher sein. Aufgrund der noch hohen Herstellungskosten eignen sich diese Fahrzeuge nur für die Zielgruppe der Oberschicht.413 Allgemein sollten aber sowohl Premium- als auch Volumenhersteller in die Weiterentwicklung unterschiedlicher Antriebstechnologien investieren, um so weitere Marktanteile in China zu sichern und in Zukunft durch gesenkte Produktionskosten auch günstigere Elektroautos anbieten zu können. Folglich muss für den chinesischen Markt kein komplett neues Modell entwickelt werden. Bereits bestehende Modelle können geringfügig modifiziert oder insbesondere im Luxusbereich, mit zusätzlichen Sonderausstattungen angeboten werden um den chinesischen Kundenansprüchen gerecht zu werden.

5.5

Handlungsempfehlungen

Abbildung 73 fasst die vorgestellten Möglichkeiten im Rahmen eines multi- (gegebenenfalls auch trans-) nationalen Ansatzes, noch einmal zusammen: Bedürfnisse / Anforderungen

Implikationen

Brasilien Infrastruktur und klimatische Bedingungen • Sehr gute Straßenverhältnisse in den Großstädten und sehr schlechte auf dem Land



• • • •

411

Vgl. Höhn, J. (2009), S. 10. Vgl. Gottwald, A. (2009), S. 16ff. 413 Vgl. Höhn, J. (2009), S. 10. 412

Breites Produktspektrum mit Kombinationsmöglichkeiten und entsprechendem Einfluss auf den Preis Verstärkter Unterboden und Stoßdämpferschutz Assistenzsysteme wie Geländemodus Reifendruckkontrollsystem Runflat-Reifen

5.5 Handlungsempfehlungen

121

Bedürfnisse / Anforderungen Zielgruppensegmente • Große Mittel- bzw. Unterschicht mit geringen Einkommen aber sehr hohem Bedürfnis nach Mobilität



Starkes Differenzierungsbedürfnis der oberen Mittelschicht und Oberschicht von den unteren Schichten

Länderspezifische Anforderungen • Starke Umweltverschmutzung vor allem in den Megacities

Implikationen • •

Hoher Bedarf an Low-cost Fahrzeugen Folgekosten der Fahrzeuge sollten gering sein (Antriebstechnologien optimieren)



Optische Anpassung der Fahrzeuge (Luxussegment)



Effizienz und Umweltfreundlichkeit sowie Verträglichkeit der Fahrzeuge steigern



Extras wie z. B. beheizbare Scheiben und Spiegel möglicherweise in die Grundausstattung der russischen Modelle übernehmen Allradantrieb bei allen Modellen

Russland Infrastruktur und klimatische Bedingungen • Klima: extreme Minusgrade in einzelnen Regionen

• •

Sehr schlechte Infrastruktur: Straßen sind schlecht oder gar nicht vorhanden



• • • • Zielgruppensegmente • Einkommensstarke Oberschicht



Angebot an Geländewagen ausbauen, Kombinationsmöglichkeiten aus herkömmlichen Modellen und Geländewagen anbieten Verstärkter Unterboden und Stoßdämpferschutz Assistenzsysteme wie Geländemodus Reifendruckkontrollsystem Runflat Reifen Angebot an Luxuslimousinen weiter ausbauen, vorhandene Modelle eventuell an Russlands klimatische Bedingungen z. B. durch Allradantrieb anpassen

122

5 Produktpolitik in den BRIC-Staaten Bedürfnisse / Anforderungen



Das Auto ist ein sehr wichtiges Statussymbol für alle Schichten und daher hohe Zahlungsbereitschaft

Implikationen •

• •

Autos werden von allen Schichten selten in Grundausstattung sondern mit zahlreichen Extras gekauft

Länderspezifische Anforderungen • Bisher geringes Bedürfnis an Sicherheitstechniken trotz hoher Unfallrate

• •

Benzinverbrauch bisher kein Kaufkriterium kein bzw. geringes Interesse an alternativen Antrieben

• •

Kein Ultra-Low-cost Car speziell für den russischen Markt anbieten, sondern für die Unter- und Mittelschicht eher einen hochwertigen Kleinwagen Marken weiter stärken und ausbauen Autos in Russland generell mit höherwertiger Grundausstattung anbieten zahlreiche Extra- und Zubehörmöglichkeiten anbieten. Auch bei Kleinund Mittelklassewagen



Mehrwert von Sicherheitstechniken muss Kunden vermittelt werden, z. B. durch Werbekampagnen



Vorerst keine alternativen Antriebe in Russland anbieten; weiterhin Fokussierung auf Verbrennungsmotoren

• • • •

Verstärkter Unterboden und Stoßdämpferschutz Assistenzsysteme wie Geländemodus Reifendruckkontrollsystem Runflat Reifen

• •

Große Fonds, Langversionen Möglichkeit von Zusatzeinbauten

Indien Infrastruktur und klimatische Bedingungen • Unterentwickelte Infrastruktur

Zielgruppensegmente • Einkommensstarke Oberschicht



Wachsende Mittelschicht



Klein- und Mittelklassefahrzeuge



Niedriges Durchschnittseinkommen

• •

Low-cost und Ultra-low-cost cars Niedrige Betriebskosten

Länderspezifische Anforderungen • Indische Farbvorlieben



Spezielle Farbpalette mit gedeckten Farben und kräftigem Rot





Trotz geringer Fahrzeuggröße Raumfreiheit

Großfamilien

5.5 Handlungsempfehlungen

123

Bedürfnisse / Anforderungen

Implikationen

China Infrastruktur und klimatische Bedingungen • Schlechte Infrastruktur

Zielgruppensegmente • Einkommensstarke Oberschicht

• • • •

Verstärkter Unterboden- und Stoßdämpferschutz Assistenzsysteme wie Geländemodus Reifendruckkontrollsystem Runflat-Reifen

• •

Große Fonds, Langversionen Möglichkeit von Zusatzeinbauten



Wachsende Mittelschicht



Klein- und Mittelklassefahrzeuge



Niedriges Durchschnittseinkommen

• •

Low-cost und Ultra-low-cost cars Niedrige Betriebskosten



Effizienz und Umweltfreundlichkeit der Fahrzeuge steigern Entwicklung von alternativen Antriebswegen

Länderspezifische Anforderungen • Starke Umweltverschmutzung vor allem in den Mega-cities: neues Emissionsgesetz 2013



Abbildung 73: Kundenbedürfnisse in den BRIC-Staaten und Implikationen für die Automobilindustrie Quelle: Eigene Darstellung

Aus der Übersicht über die Kundenbedürfnisse in den einzelnen Ländern und den beispielhaft dargestellten Implikationen für Produktadaptionen, lassen sich die folgenden Handlungsempfehlungen für die Automobilbranche in den BRIC-Staaten ableiten: 1. Infrastruktur: In allen BRIC-Staaten sollte aufgrund der mangelnden Infrastruktur standardmäßig auf die Robustheit des Fahrzeugs geachtet werden. Dies würde dazu beitragen, den Grad der Standardisierung zu erhöhen und somit die Kosten der Produktion zu senken. 2. Zielgruppensegmente: Generell kann festgestellt werden, dass außer in Russland, Wert darauf gelegt werden sollte, eine starke Differenzierung in mehrere Segmente vorzunehmen. Vor allem in Brasilien, Indien und China sollte erhöhte Entwicklungsarbeit in neue und kostengünstige Prozesse und Materialien zur Senkung der Produktionskosten und Weitergabe dieser an den Kunden in Form eines Ultra-low-cost-Cars erfolgen. Ein großes Potenzial besteht hierbei für Volumenhersteller, wie z. B. den Volkswagen Konzern, die mit der Entwicklung eines Low-cost-Cars ein völlig neues Segment erschließen könnte. Die wachsende Oberschicht in allen vier BRIC-Staaten strebt danach, sich von der Mittel- und Unterschicht zu differenzieren, indem sie ihren Status und Reichtum über luxuriöse Automobile offen zur Schau stellt. Diesem Bedürfnis kann durch umfangreiche

124

5 Produktpolitik in den BRIC-Staaten

Sonderausstattungen, wie Entertainmentsysteme oder andere Luxusausstattungen Rechnung getragen werden. Hier besteht ein großes Potenzial insbesondere für Hersteller im Premiumsegment wie z. B. BMW. Die hier genannten Produktadaptionen sind für alle BRIC-Länder ähnlich und bieten daher Standardisierungspotenzial innerhalb dieser vier Staaten. Jeder der vorgestellten Staaten weist jedoch auch länderspezifische Bedürfnisse auf, deren Umsetzung in Form einer Produktadaption auf Wirtschaftlichkeit überprüft werden sollte. Dies ist notwendig, um sich Marktanteile in den wachsenden BRIC-Staaten zu sichern.

6

Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

6.1

Executive Summary

Der Markt für automobile Finanzdienstleistungen entwickelte sich in den vergangenen Jahren zu einer der größten Ertragsquellen für die Automobilhersteller. Die Unternehmensbereiche, die diesen Markt bedienen, die sogenannten Captive Finance Companies oder herstellerverbundenen Finanzdienstleister haben ihre Produktportfolien sukzessive von klassischen Leasing- und Finanzierungsprodukten über Bankprodukte wie zum Beispiel Einlagengeschäften bis hin zu mobilitätsnahen Dienstleistungsprodukten erweitert. In den großen Automobilabsatzmärkten wie den USA, Europa und Japan liegen die Aufgaben der CFCs primär in der Absatzförderung und Kundenbindung. Im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise kam den CFCs als strategischem Instrumentarium zur Refinanzierung der Hersteller eine immer größere Bedeutung zu. Ferner sind sie gerade bei der Expansion der Hersteller in die neuen Wachstumsmärkte Indien und China unverzichtbar. Denn dort ist zum großen Teil die Finanzinfrastruktur noch nicht gegeben. Die aktuellen Veränderungen innerhalb der Automobilindustrie im Bereich der Elektromobilität sowie die veränderten Mobilitätsbedürfnisse der Kunden machen es für Automobilhersteller und ihre herstellerverbundenen Finanzdienstleister unumgänglich, ihre bestehenden Geschäftsmodelle den neuen Mobilitätstrends anzupassen und ihre Produkte und Dienstleistungen entsprechend zu erweitern. Da für Autofahrer die Nutzung gegenüber dem Besitz eines Fahrzeugs einen immer größeren Stellenwert einnimmt, ist dem dadurch veränderten Mobilitätsbedürfnis durch neue Konzepte wie Car Sharing, Location Based Services oder Corporate Car Sharing, Rechnung zu tragen. Durch die Entwicklung neuer Antriebstechnologien werden Elektrofahrzeuge in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Neue, maßgeschneiderte Finanzierungsund Leasingprodukte sind von herstellerverbundenen Finanzdienstleistern kurzfristig zu entwickeln, um sich strategisch auch in diesem neuen Geschäftssegment zu positionieren.414

6.2

Grundlagen und Abgrenzungen

Captive Finance Company (CFC) Unter einem herstellerverbundenen Finanzdienstleister wird in der Automobilwirtschaft der zu einem Hersteller zugehörige Geschäftsbereich verstanden, der originäre und derivative

414

Wir bedanken uns bei Helena Ehrstein, Oliver Elsoud, Klaus Wassermann und Andrea Zedlitz für ihre Unterstützung zum Themenkomplex Finanzierung und Leasing von CFCs im Wandel. Deren Aktivitäten haben erst das Gelingen dieses Buchs ermöglicht.

126

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

Finanzdienstleistungen am Markt anbietet.415 Diese Dienstleistungen beziehen sich direkt oder indirekt auf das Kraftfahrzeug und werden in der Regel über Spezialunternehmen am Markt angeboten. Im Gegensatz zu Universalbanken, die das gesamte Spektrum an Bankund Finanzdienstleistungsgeschäften anbieten, fokussieren sich die CFCs besonders auf Produkte im Finanzierungs- und Leasingumfeld.416 Je nach angebotenem Produktportfolio, landesspezifischen Anforderungen oder strategischer Ausrichtung treten die CFCs in Form von Leasing- oder Finanzierungsgesellschaften, Flottengesellschaften oder Automobilbanken in den jeweiligen Märkten auf. Für die nachfolgenden Analysen werden unter dem Begriff der CFCs alle genannten Spezialunternehmen verstanden. Sofern CFCs auch Bankprodukte anbieten wollen (die überwiegende Zahl der im deutschen Markt tätigen CFCs tut oder beabsichtigt dies), unterliegen sie dem deutschen Kreditwesengesetz und benötigen eine Banklizenz. Darüber hinaus müssen sie den Begriff „Bank“ im Firmennamen führen. Daraus resultierend entwickelte sich der Begriff der sogenannten „Autobank“ als Spezialbegriff zur Abgrenzung dieses Segments in der Finanzdienstleistungsindustrie. Konzernrechtlich sind die CFCs überwiegend rechtlich selbstständige Tochtergesellschaften oder Unternehmensbereiche innerhalb des Konzerns.417 Die gängigsten Rechtsformen sind hierbei die „AG“ und die „GmbH“. Die deutschen herstellerverbundenen Finanzdienstleister firmieren global unter den Bezeichnungen BMW Financial Services, Daimler Financial Services und Volkswagen Financial Services. Im deutschen Markt sind sie unter anderem mit den operativen Einheiten BMW Bank GmbH, Mercedes-Benz Bank AG und Volkswagen Bank GmbH präsent. Aufgrund der Tatsache, dass der deutsche Markt für automobile Finanzdienstleistungen als einer der am weitesten entwickelten Märkte angesehen wird, werden die nachfolgenden Analysen stellvertretend an ihm vorgenommen. Vorteilhaft für die Analysen ist zum einen, dass die deutschen Automobilfinanzdienstleister ihre global verantwortlichen Zentralen im Heimatmarkt haben und zum anderen die für den Markt zuständigen operativen Einheiten alle eine Banklizenz besitzen. Weiterhin werden sowohl die neuen Produkte in den Bereichen alternativer Mobilitätskonzepte und Elektromobilität vielfach im deutschen Markt pilotiert. Die Bedeutung dieser Charakteristika des deutschen Automobilfinanzdienstleistungsmarkts wird in den nächsten Abschnitten verdeutlicht.

6.3

Wie lässt sich der Markt für automobile Finanzdienstleistungen klassifizieren?

6.3.1

Herstellerverbundene vs. nicht-herstellerverbundene Finanzdienstleister

Aufgrund seiner profitablen Geschäftschancen hat der Markt für automobile Finanzdienstleistungsprodukte in den vergangenen Jahren einen enormen Zulauf an Marktteilnehmern bekommen. Neben den herstellerverbundenen Finanzdienstleistern, die im Folgenden näher

415

Vgl. Lorenz, J. (2001), S. 29. Vgl. Kratzer, J., Kreuzmair, B. (2002), S. 21. 417 Vgl. Stenner, F. (2010), S. 1ff. 416

6.3 Wie lässt sich der Markt für automobile Finanzdienstleistungen klassifizieren?

127

Abbildung 74: Übersicht der zwölf herstellerverbundenen Finanzdienstleister mit ihren Marken Quelle: Arbeitskreis der Banken und Leasinggesellschaften der Automobilwirtschaft (2011)

betrachtet werden, sind in den letzten Jahren auf diesem Markt auch eine Vielzahl nichtherstellerverbundene Finanzdienstleister aktiv geworden. Der Bundesverband deutscher Leasinggesellschaften e.V. vereinigt den Großteil aller in Deutschland vertretenen Leasinganbieter. Darunter befinden sich allein 112 Unternehmen, die sich auf das Leasinggeschäft mit PKW und teilweise auch Nutzfahrzeugen spezialisiert haben.418 Bekannte Beispiele dieser unabhängigen Finanzdienstleister sind: ALD Lease Finance GmbH, Deutsche Leasing AG oder KBC Lease GmbH & Co. KG.419 Auch Tochtergesellschaften bekannter Geschäftsbanken in Deutschland bieten Leasing- und Finanzierungslösungen für private und gewerbliche Kunden im Automobilbereich an. Diese sind beispielsweise die Deutsche Bank, die ING-DiBa oder die Sparkassen.420 Der Arbeitskreis der Banken und Leasinggesellschaften der Automobilwirtschaft vereinigt die zwölf größten herstellerverbundenen Finanzdienstleister, durch die ein Großteil aller etablierten Automobilhersteller in Deutschland vertreten ist.421 Diese zwölf Unternehmen sind mit den dazugehörigen, von ihnen vertretenen Automarken in Abbildung 74 dargestellt. Gegenüber den Non-Captive verschafft die Herstellernähe den CFCs besonders im Neuwagensegment Wettbewerbsvorteile. So bieten sich neben der Übertragung des positiven Markenimags des jeweiligen Herstellers am point of sale (Verkaufsstelle beim Autohändler) während des Finanzierungsgesprächs auch Vorteile bei der Konditionengestaltung. Außer der Möglichkeit der Querfinanzierung mit den Automobilherstellern zur Gestaltung attraktiver Neuwagenkonditionen und dem Informationsvorsprung bei der Ansetzung des Restwerts werden darüber hinaus u. a. modellspezifische Sonderkonditionen zur Absatzförderung angeboten. Aus Sicht der CFC kommt dem Netz an Vertragshändlern eine besonders strategische Bedeutung zu. Trotz der starken Vielfalt an Informationsmöglichkeiten steht der Vertragshändler als Ansprechpartner beim Autokauf immer noch an erster Stelle. Damit eröffnet sich für die CFC die Möglichkeit, an dieser wichtigen Schnittstelle zwischen dem Kunden und dem Automobilhersteller ihre Leasing- und Finanzierungsprodukte erfolgreich zu platzieren und den Wettbewerbsvorsprung gegenüber den Non-CFCs zu nutzen und weiter auszubauen.

418

Vgl. Bundesverband deutscher Leasinggesellschaften e.V. (2011). Vgl. Bundesverband deutscher Leasinggesellschaften e.V. (2011). 420 Vgl. Jünigk, T. (2009), S. 26. 421 Vgl. Arbeitskreis der Banken und Leasinggesellschaften der Automobilwirtschaft (2011). 419

128

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

6.3.2

Markenfinanzierung vs. Fremdmarkenfinanzierung der CFCs

Das primäre Ziel der CFCs ist es, mit ihrer Finanzprodukt- und Dienstleistungspalette die Absatzförderung des Konzerns sicherzustellen. In enger Zusammenarbeit mit den Konzernmarken verstärken die CFCs auch die Kundenbindung an die Fahrzeugmarken und unterstützen Privat- und Geschäftskunden sowie Händler. Die Unterschiede im Markenauftritt der CFCs lassen sich ebenfalls sehr gut an deutschen CFCs im Heimatmarkt festmachen. So tritt die Volkswagen Financial Services AG im deutschen Markt mit den operativen Tochtergesellschaften Volkswagen Bank GmbH, Volkswagen Leasing GmbH und Volkswagen Versicherungsdienst GmbH auf. Über diese Gesellschaften bietet VW Financial Services den Kunden Finanzierungs- und Leasingprodukte sowie Versicherungen und Direct Banking für die Marken Volkswagen, Audi, Seat und Skoda an. Das Finanzierungsgeschäft für Neu- und Gebrauchtwagen wird durch die Volkswagen Bank GmbH mit den eigenständigen Marken Volkswagen Bank, Audi Bank, Seat Bank, Skoda Bank und AutoEuropa Bank geführt. Im Gegensatz dazu bietet BMW Financial Services im deutschen Markt seine Finanzierungs-, Leasing- und Bankprodukte für alle drei Konzernmarken BMW, Mini und RollsRoyce ausschließlich über die BMW Bank GmbH an. Ein differenzierter Markenauftritt ist hier nicht Teil der Unternehmensstrategie. Mit der Neuregelung der Gruppenfreistellungsverordnung von 2002 haben sich für die Captives neue Herausforderungen im Bereich der Finanzierung von Fremdmarken ergeben. Die Verordnung gewährleistet die Liberalisierung des europäischen Automobilmarkts, indem sie Händlern die Möglichkeit bietet, Verkaufs- und Serviceniederlassungen europaweit unabhängig vom Automobilhersteller zu eröffnen.422 Seither ist die Anzahl an „Auto-Megadealern“ kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2007 wurde bereits jedes siebte Auto in Deutschland über einen sogenannten „Mehrmarkenhändler“ verkauft.423 Für die CFCs rückte daher seit dieser Zeit zwangsläufig auch das Thema der Fremdmarkenfinanzierung stärker in den Fokus. Einerseits ergab sich über eine Finanzierung durch Mehrmarkenhändler die Chance, ein erhebliches Potential an Fremdmarkenfahrern zu erreichen. Andererseits sind Mehrmarkenhändler als Zielgruppe natürlich auch im Fokus anderer CFCs und non-Captives mit der Gefahr, dass Teile des Kundenbestands an Wettbewerber verloren werden können. Klare Strategie der deutschen CFCs im Bereich der Fremdmarkenfinanzierung ist es, keine Kannibalisierung mit den Konzernmarken zu unterstützen. Zu diesem Zweck haben sie einen ausschließlich Internet basierten Marktauftritt unter neutralen Markenbezeichnungen (BMW Bank mit Premium Financial Services, Volkswagen Bank mit AutoEuropa Bank) gewählt. Die Mercedes-Benz Bank hat ihre Webseite Creditracer mittlerweile eingestellt und das Angebot in die eigene Webseite integriert.

6.3.3

Konzernrechtliche Einbindung und rechtliche Abgrenzung der CFCs

Mit Blick auf die drei deutschen Automobilkonzerne, Daimler AG, BMW AG und Volkswagen AG werden die wesentlichen Unterschiede in der Einbindung und rechtlichen Abgren422 423

Vgl. Brachat, H., Dietz, W., Reindl, S. (2011), S. 131ff. Vgl. Institut für Automobil Wirtschaft (2008).

6.3 Wie lässt sich der Markt für automobile Finanzdienstleistungen klassifizieren?

Daimler AG

Volkswagen AG

Volkswagen Financial Services AG

Volkswagen Bank GmbH

Automobile

Daimler Financial Services AG

BMW AG

Automobile

BMW Bank GmbH

MercedesBenz Bank AG

Volkswagen Leasing GmbH

129

Alphabet Fuhrpark Managemen t GmbH

BMW Leasing GmbH

100%

BMW Vertriebs GmbH 2%

MercedesBenz Leasing GmbH

MercedesBenz Banking Services GmbH

98%

BMW Vertriebs GmbH & Co. OHG

Abbildung 75: Konzernstrukturen der Volkswagen AG, Daimler AG und BMW AG (Stand 2010) Quelle: Eigene Darstellung

zung ihrer CFCs im Gesamtkonzern dargestellt (vgl. Abbildung 75). Die Betrachtung des Status quo zur Einbindung und rechtlichen Abgrenzung der CFCs ist u. a. relevant für die Möglichkeiten zur Umsetzung von Bankzweigniederlassungen und die Internationalisierung der CFCs, auf die in späteren Abschnitten näher eingegangen wird. Bei Volkswagen und Daimler ist das Geschäftsfeld der Finanzdienstleistungen global in rechtlich selbständigen Tochtergesellschaften zusammengefasst. Die Daimler Financial Services AG und die VW Financial Services AG treten als eigene juristische Person auf und wickeln ihr operatives Geschäft in den jeweiligen Ländern in der Regel über Tochtergesellschaften ab. Im Gegensatz dazu ist die Bezeichnung BMW Financial Services eine Geschäftsbezeichnung der BMW Bank GmbH und eine Sparte innerhalb der BMW AG. Die operativ tätigen BMW Financial Services Einheiten sind in ihren jeweiligen Ländern in unterschiedlicher Form mit dem Automobilhersteller verbunden (Abteilung, Tochtergesellschaft o. a.). Je nach Einordnung und strategischem Selbstverständnis des Gesamtkonzerns gestaltet sich auch der externe Auftritt unterschiedlich. So wird z. B. die VW Financial Services AG als eigenständiger Teilkonzern mit eigenem Geschäftsbericht und sehr detailliertem und aussagekräftigem Internetauftritt geführt. Die Daimler Financial Services AG und die BMW Bank GmbH werden als Subsegment im Geschäftsbericht der Automobilhersteller geführt und machen beim Internetauftritt nur rudimentäre Angaben.

6.3.4

Die klassischen Produktbereiche der CFCs

6.3.4.1

Retail-Leasing

Die zwei relevantesten Leasingformen im Automobilgeschäft sind das Operating- und das Finance-Leasing. Beide Formen unterscheiden sich hauptsächlich in der Übernahme des Investitionsrisikos, d. h. des Restwertrisikos.424 Anwendung finden die beiden Formen je nach Moti424

Vgl. Göller, K. (2008), S.119ff.

130

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

vation des Leasingnehmers und Verwendung des Leasingobjekts. Besonders für Firmenkunden sind die unterschiedlichen rechtlichen, bilanziellen und steuerlichen Aspekte von Interesse bei der Auswahl des Leasingprodukts. Beim Operating-Leasing handelt es sich um einen kurzfristigen, jederzeit kündbaren Mietvertrag. Das Investitions- und Zahlungsrisiko liegt beim Leasinggeber, d. h. bei der CFC. Da der Leasinggeber an einer Weitervermietung interessiert ist, werden Wartungs- und Instandhaltungskosten von der CFC übernommen.425 Im Gegensatz hierzu wird beim Finance-Leasing das Investitionsobjekt zunächst gemietet und anschließend gekauft. Folglich handelt es sich um einen Mietkauf. Das Investitionsrisiko liegt beim Leasingnehmer, der auch für Wartung und Instandhaltung verantwortlich ist.426

6.3.4.2

Retail-Finanzierung

Neben dem Leasing sind bei der Automobilfinanzierung weiterhin die Standardfinanzierung und die Schlussratenfinanzierung von zentraler Bedeutung. Kennzeichnend für die Finanzierung ist die höhere monatliche Belastung des Kreditnehmers, da nicht nur die Fahrzeugnutzung, sondern Kaufabsichten im Vordergrund stehen. Die Standardfinanzierung stellt einen klassischen Darlehensvertrag dar. Über monatlich festgelegte Raten wird die für den Fahrzeugkauf notwendige gesamte Kreditsumme in einem festgelegten Zeitraum abbezahlt.427 Solange der Kreditvertrag besteht, handelt es sich zwischen dem Kreditnehmer und dem Kreditinstitut lediglich um ein „Leihverhältnis“, das ein Recht der Nutzung einräumt. Die Eigentums-Übertragung des finanzierten Fahrzeugs an den Kreditnehmer erfolgt nach vollständiger Tilgung der Darlehenssumme. Bei der Schlussratenfinanzierung hat der Kunde aufgrund des flexiblen Aufbaus dieser Finanzierungsform am Ende der Laufzeit die Möglichkeit, zwischen dem Kauf, einer Schlussratenfinanzierung oder der Rückgabe des Fahrzeugs zu wählen (sog. Drei-Wege-Finanzierung).

6.3.4.3

Händlerfinanzierung (Wholesale Finance)

Zentraler Vertriebskanal der Automobilhersteller ist die eigene Handelsorganisation. Zur Finanzierung des vom Händler übernommenen Fahrzeugbestands bedarf es einer speziellen Finanzierungsform. Die Händlerfinanzierung hat zum Ziel, dem Händler die Finanzierung der Lagerfahrzeuge, der Betriebsmittel und Investitionskredite zu ermöglichen. Dies erfolgt über die Captive Finance Companies.428 Da die Automobilhersteller und die Handelsbetriebe sich in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis befinden, ist es die Rolle der CFCs, mit einer sichergestellten Finanzierung die Automobilhandelsbetriebe am „point of sale“ beim Absatz zu unterstützen. Die CFCs spielen mit ihren Angeboten zur Händlerfinanzierung eine entscheidende Rolle, damit die Handelsorganisation die laufende Geschäftstätigkeit mit Neu-, Gebraucht- und Vorführwagen aufrechterhalten kann.

425

Vgl. Städtler, A. (2009), S. 18f. Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2009). 427 Vgl. Olfert, Reichel (2005), S. 143. 428 Vgl. Stenner, F (2010), S. 214f. 426

6.3 Wie lässt sich der Markt für automobile Finanzdienstleistungen klassifizieren?

131

Mit der bereits genannten Liberalisierung durch das GVO-Gesetz von 2002 sowie der Fokussierung auch anderer Wettbewerber auf das Geschäftsfeld der Automobilfinanzierung ist der Wettbewerb im Bereich der Händlerfinanzierung deutlich intensiver geworden. Non-Captives penetrieren diesen Markt mit attraktiven Konditionen und Provisionssystemen. Um das ergebnisunterstützende Geschäft der Händlerfinanzierung (durchschnittlicher Anteil von 15% bis 25% am Forderungsvolumen429) aufrechtzuerhalten, sind die CFCs zunehmend gefordert, nicht nur den Endkunden, sondern auch den Händlern attraktive Konditionen zu offerieren.

6.3.4.4

Flottengeschäft

Unter Flottengeschäft oder Fuhrparkmanagement versteht man die systematische Planung, Ausgestaltung und Steuerung einer Fahrzeugflotte für Firmenkunden.430 Es umfasst alle strategischen und operativen Aufgaben die erforderlich sind, um einen Fuhrpark zu betreiben. Hierzu können im Einzelnen die Fuhrparkanalyse, Fuhrparkorganisation sowie die Fuhrparkverwaltung hinzugezählt werden.431 Durch Nutzung dieses Services bleibt dem Firmenkunden die Administration der gesamten Firmenflotte erspart. Abbildung 76 veranschaulicht die Aufgaben des Fuhrparkmanagements im Detail. Fuhrparkanalyse

Fuhrparkorganisation

Fuhrparkverwaltung

Ist-Analyse:

Fahrzeugauswahl / Fahrzeugbeschaffung

Rechnungskontrolle:

ß Reparaturkosten ß Fahrzeugkosten

Fahrzeugzulassung / Fahrzeuglogistik

ß Prüfung, Buchung, Archivierung von Belegen

Fahrzeugauswahl:

Finanzierungsalternativen / Vertragsartengestaltung

Reporting:

ß Benziner / Diesel / alternative Antriebe (Hybrid, Erdgas, etc.)

Serviceleistungen

ß Kostenverläufe, Fahrzeugvergleiche

Car Policy:

Fahrzeugverwertung

ß Dienstwagenregelung ß Dienstwagenüberlassungsvertrag Versicherung: ß Überbrückung bestehender und Entwicklung neuer Versicherungskonzepte Werkstattauswahl: ß freie Werkstätten / Regiewerkstätten Aussonderungsplanung: ß Austausch bestehender Fahrzeuge

Abbildung 76: Überblick: Spektrum im Fuhrparkmanagement Quelle: Stenner, F. (2010), S. 115

429

Vgl. Stenner, F (2010), S. 214f. Vgl. Stenner, F (2010), S. 115. 431 Vgl. Stenner, F. (2010), S. 115f. 430

132

6.3.5

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

Strategische Relevanz der CFCs

Das Konzept in der Automobilwirtschaft, Finanzdienstleistungen als Teil der „DownstreamStrategy“ anzubieten, hat sich in den letzten Jahren als lukratives Geschäft erwiesen. Unter Downstream-Strategy versteht man die Strategie der CFCs, eine langfristige Kundenbindung über den Fahrzeugkauf hinaus aufzubauen. Zwischen 1997 und 2008 hat sich das Forderungsvolumen aus Leasing und Finanzierung in Deutschland mehr als verdoppelt und belief sich im Jahr 2008 auf mehr als € 88 Mrd. Die Penetrationsrate, welche den Anteil der über Kredit- oder Leasing finanzierten Autokäufe an den insgesamt zugelassenen Fahrzeugen einer Marke misst, stieg in Deutschland von 39% im Jahr 2004 auf durchschnittlich 46,2% im Jahr 2008 an.432 Erstmals wurden somit im Jahr 2008 mehr als vier von zehn Neuwagen in Deutschland über herstellerverbundene Automobilfinanzdienstleister finanziert oder verleast. Diese Entwicklung zeigt auf, dass den CFCs innerhalb der Konzerne ein hohes Maß an strategischer Bedeutung zukommt. Gründe für die wachsende Bedeutung der CFCs sind unter anderem der stagnierende Automobilmarkt, die globalen Überkapazitäten der Automobilhersteller, die sinkende Profitabilität der Hersteller und Händler sowie die steigende Wettbewerbsintensität.433 Mit den CFC verfolgen die Automobilhersteller das konzernstrategische Ziel, ihre Aktivitäten auf profitable Geschäftsfelder im Finanzdienstleistungssektor zu diversifizieren. Über ihre Finanztöchter generieren die Automobilhersteller Zusatzerträge, die auch in Krisenzeiten als Ergebnisstabilisatoren dienen. So konnte beispielsweise die Finanztochter des Daimlerkonzerns im für den Automobilhersteller sehr schwierigen Jahr 2008 einen Gewinn von € 457 Mio. verbuchen, was einem Anteil von mehr als 32% am Gesamtergebnis des Konzerns entsprach.434 Ein wesentlicher Grund für die aktuelle Popularität der CFCs kann auch in der „One-StopShopping-Mentalität“ der Kunden gesehen werden. Demnach präferiert der moderne Kunde Steigerung der Profitabilität

Nachhaltige Wachstumstreiber

Stabilisierung des Konzernergebnisses

Erhöhung der Kundenbindung

Absatzförderung

Abbildung 77: Zusammenfassung der strategischen Bedeutung der CFCs Quelle: Eigene Darstellung 432

Vgl. Arbeitskreis der Banken und Leasinggesellschaften der Automobilwirtschaft (2009). Vgl. Roland Berger Strategy Consultants (2005), S. 9. 434 Vgl. Daimler Group AG (2008). 433

6.4 Leasing und Finanzierung heute

133

neben dem Fahrzeug auch individuell maßgeschneiderte Produkte von der Finanzierung bis zur Entsorgung aus einer Hand. Die CFCs unterstützen somit nicht nur die Automobilität, sondern ermöglichen dem Kunden nunmehr auch die finanzielle Mobilität. Besonders durch die ergänzenden Finanzdienstleistungen und das effektive Kundenbeziehungsmanagement wird die Markenloyalität gestärkt und somit die Kundenbindung erhöht, was wiederum langfristig das Wiederkaufverhalten des Kunden positiv beeinflusst (vgl. Abbildung 77).

6.4

Leasing und Finanzierung heute – Der Leasingund Finanzierungsmarkt im Überblick

Der deutsche Leasing- und Finanzierungsmarkt wird von herstellerverbundenen Finanzdienstleistern dominiert. Diese hielten in 2010 einen Marktanteil von 68% aller geleasten und finanzierten Neufahrzeuge (2009: 63%).435 Das Vertragsvolumen aus Leasing- und Finanzierungsgeschäften betrug ca. € 84 Mrd. (−6% ggü. Vorjahr). Davon wurden € 24 Mrd. mit Neuverträgen erwirtschaftet (−7%). In Abbildung 78 werden die Neuzugänge der Leasing- und Finanzierungsgeschäfte mit ihren Volumina aufgeteilt nach Privat- und gewerblichen Kunden dargestellt. Im selben Jahr wurden in Deutschland 2,9 Mio. Fahrzeuge neu zugelassen. Der Vertragsneuzugang an finanzierten und geleasten Fahrzeugen betrug 1,1 Mio. Damit ergibt sich für die Captives eine Penetrationsrate der Leasing- und Finanzierungsneuverträge gemessen an den

Zugang Neuwagen (privat und gewerblich) 18,000

16,691

16,000

14,555

14,493

Werte in Mrd. €

14,000 11,590

12,000 10,003

9,848

10,000

FINANZIERUNG

8,000

LEASING

6,000 4,000 2,000 0,000 2008

2009

2010

Abbildung 78: Zugang Neuwagen nach Volumen 2008–2010 (in Mio. Euro) Quelle: Arbeitskreis der Banken und Leasinggesellschaften der Automobilwirtschaft (2010a)

435

Im folgenden: Arbeitskreis der Banken und Leasinggesellschaften der Automobilwirtschaft (2010b).

134

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

Abbildung 79: Zugang Neuwagen nach Einheiten 2008–2010 (nach Einheiten) Quelle: In Anlehnung an Arbeitskreis der Banken und Leasinggesellschaften der Automobilwirtschaft (2010a)

gesamten Neuzulassungen von 38% für das Jahr 2010. Die Entwicklung der Leasing- und Finanzierungsneuverträge in den Jahren 2008–2010 ist in Abbildung 79 dargestellt. Im Jahr 2010 wurde im privaten Sektor ein deutlicher Rückgang verzeichnet. Die Anzahl der Neufahrzeuge ging sowohl im Bereich der Finanzierungsverträge (−38%, 405.443) als auch der Leasingverträge (−37%, 82.457) stark zurück. Demgegenüber verlief das gewerbliche Geschäft sehr positiv. Die Zahl der finanzierten Neufahrzeuge betrug hier 121.962 (32%) und auch die Leasingneuverträge stiegen auf 511.643 (11%).

Abbildung 80: Top 5 Leasing-Märkte in Europa (in Mrd. Euro) Quelle: Bundesverband deutscher Leasinggesellschaften e.V. (2010)

6.5 Welche aktuellen Geschäftsansätze verfolgen die CFCs

135

Der gesamte europäische Leasingmarkt ist in 2010 um 4% gewachsen und erreichte ein Volumen von € 224 Mrd. (2009: € 210 Mrd.) bei einem Neuzugang von 4.886.284 Verträgen.436 Im Bereich des Fahrzeugleasings lag das Wachstum bei 8% gegenüber dem Vorjahr. Im gewerblichen Leasinggeschäft gab es ebenso ein Wachstum, wenn auch moderat, mit rund 3%, was darauf zurückzuführen ist, dass nur wenige Unternehmen ihre Fahrzeugflotten erneuerten. Abbildung 80 zeigt, dass Deutschland innerhalb der Top 5 Leasing-Märkte Europas die Spitzenposition einnimmt. Insbesondere das gewerbliche Fahrzeugleasing ist in Deutschland beliebt, da Unternehmen bilanzielle und steuerliche Vorteile durch das Leasen ihrer Fahrzeugflotte erlangen. Weiterhin gibt es in Deutschland die meisten Anbieter von Leasingprodukten was dazu führt, dass ein diversifiziertes Angebot an Leasingmöglichkeiten, im Markt angeboten wird.

6.5

Welche aktuellen Geschäftsansätze verfolgen die CFCs

Zur Ableitung strategischer Handlungsoptionen der CFCs ist eine vorherige Analyse der aktuellen Geschäftsansätze unerlässlich. Im Bereich der automobilen Finanzdienstleistungen kann zwischen den beiden grundsätzlichen Geschäftsansätzen des „klassischen Captive Finance Ansatzes“ und dem „Advanced Automotive Banking Ansatzes“ unterschieden werden. Abbildung 81 stellt die wesentlichen Produkte des klassischen Captive Finance Ansatzes denen des Advanced Automotive Banking Ansatzes gegenüber. Captive Finance Ansatz • Leasing − Operating Leasing − Finance Leasing • Finanzierung − Standardfinanzierung − Schlussratenfinanzierung − Händlerfinanzierung

Advanced Automotive Banking Ansatz

Advanced Automotive Banking Ansatz

• Mobilitätsnahe Finanzdienstleistungen

• Mobilitätsneutrale Finanzdienstleistungen

− Full-Service-Leasing − Flottenmanagement − Kfz-Versicherung − Wartungsverträge

− Direktbankgeschäft − Allgemeinversicherung − Kreditkarten − Wertpapierprodukte

Abbildung 81: Produktpalette der CFCs Quelle: Eigene Darstellung

6.5.1

Der Klassische Captive Finance Ansatz

Im klassischen Captive Finance Ansatz liegt der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit auf der Absatzförderung über Leasing- und Finanzierungsprodukte an Privat- und Firmenkunden. Die Captives konzentrieren sich in diesem Geschäftsansatz auf die Bereitstellung von Finanzierungslösungen an Endkunden über den primären Vertriebskanal der konzerneigenen 436

Vgl. Leaseurope (2010a).

136

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

Handelsorganisation des point-of-sale. In der Regel steht die Finanzierung der Konzernmarken im Neuwagengeschäft im Zentrum der Marktbearbeitung. Neben der herkömmlichen Kreditfinanzierung hat dabei das Leasinggeschäft in den letzten Jahrzehnten massiv an Bedeutung gewonnen. Der klassische Captive Finance Ansatz wird oftmals beim Einstieg in einen neuen Markt mit eigener Finanzierungs- oder Leasinggesellschaft gewählt.

6.5.2

Advanced Automotive Banking Ansatz

Seit Mitte der 90er Jahre erweitern die herstellerverbundenen Finanzdienstleister ihr Produktportfolio sukzessive entlang der Wertschöpfungskette, vermehrt um Bankdienstleistungen. Mit der Weiterentwicklung ihrer Produktpalette und der Intensivierung der Kundenbindungsaktivitäten entwickelten sich die Captives hin zum sogenannten Advanced Automotive Banking Ansatz. Das Angebotsportfolio umfasst dann zusätzlich noch mobilitätsnahe und mobilitätsneutrale Dienstleistungen wie z. B. Direktbankprodukte, aber auch Versicherungsund Wertpapierprodukte. Von zentraler Bedeutung für die Entwicklungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen der Captives ist ihre strategische und geschäftspolitische Marktpositionierung. Die Marktpositionierung sowie das angebotene Produktportfolio einer Captive unterscheiden sich teilweise signifikant von Land zu Land. Den Markterfordernissen folgend haben die drei deutschen Automobilbanken ihre Produktund Dienstleistungspalette durch weitere Angebotsbausteine kontinuierlich erweitert. Zielsetzung war und ist es, neue Zielgruppen für den Konzern zu entdecken und an die Konzernmarken heranzuführen. Neben der Erschließung neuer Kundengruppen und damit Ertragsquellen lag eine weitere Zielsetzung darin, sich über die Wahl der angebotenen Bankprodukte auch neue Refinanzierungsquellen zu eröffnen (z. B. Tages- und Termingelder). Mit kontinuierlicher Erweiterung der Finanzdienstleistungsangebote gelang es den Automobilbanken mit dem Advanced Automotive Banking Ansatz, sich in einem gewissen Maße von der Automobilkonjunktur unabhängiger zu machen und neben Zinseinnahmen auch Provisionserlöse zu generieren. Von besonderem Interesse, auch für die Neupositionierung der Autobanken durch Gründung von Bankzweigniederlassungen im europäischen Ausland, auf die im späteren noch näher eingegangen wird, ist ihre Positionierung im Heimatmarkt. Dabei ist zu unterscheiden, ob sich die CFC dem Kunden gegenüber als Erst- oder Zweitbank positioniert. Der Marktauftritt der Volkswagen Bank AG unterstreicht exemplarisch die geschäftspolitische Ausrichtung, dem Kunden gegenüber als Erstbank aufzutreten, indem sie z. B. Girokonten und sogar Geldautomaten anbietet. Die Mercedes-Benz Bank AG und die BMW Bank GmbH positionieren sich hingegen als Zweitbankverbindung in Deutschland mit klarem Fokus auf ausgewählte Produkte.

6.5.2.1

Mobilitätsnahe Dienstleistungen

Das Portfolio der mobilitätsnahen Dienstleistungen beinhaltet Angebote, die einen direkten Bezug zum Kerngeschäft des Automobilherstellers haben. Es handelt sich demnach um Zusatzleistungen für Fahrzeuge. Das zunehmende Bedürfnis des „One-Stop-Shopping“ der Privat- und Geschäftskunden fordert die CFCs verstärkt auf, ihre Angebote am Point-of-sale zu personalisieren und zu erweitern. Zu den mobilitätsnahen Dienstleistungen gehören insbesondere Kfz-Versicherungen, Flottenmanagement und Full-Service-Leasing.

6.5 Welche aktuellen Geschäftsansätze verfolgen die CFCs

137

Kfz-Versicherung Gemessen am gesamtdeutschen Versicherungsmarkt werden über Kfz-Versicherungen ca. 11,3% aller Beiträge eingenommen. Dies entsprach im Jahr 2010 einer Summe von € 20,16 Mrd.437 Auch zahlreiche CFCs bieten Kfz-Versicherungsprodukte bereits als Vermittler an. Diese bieten für die CFC neben der Prämieneinnahme die Option, im Falle einer Schadensregulierung den Erstkontakt mit dem Kunden zu nutzen, um weitere Service- und Reparaturleistungen aus dem Konzern heraus erbringen zu können. Insbesondere dem Trend, Reparaturen außerhalb der Vertragswerkstätten durchführen zu lassen, wird hier versucht entgegenzuwirken. Die Erträge aus dem Service- und Ersatzteilverkauf sind mittlerweile essentieller Bestandteil der Gewinngenerierung der Automobilhersteller. Das Geschäft mit Versicherungen bietet auch zukünftig ein hohes Wachstumspotenzial für die CFCs, weil die Penetrationsraten in diesem Produktbereich noch relativ gering sind.438 Full-Service-Leasing und Flottenmanagement Das Full-Service-Leasing baut auf dem Operating Leasing auf. Full-Service-Leasing Angebote umfassen neben dem reinen Leasing noch weitere Dienstleistungen der CFCs wie

Full-Service-Leasing

Flottenmanagement

Operating-Leasing

Operating-Leasing

Wartung und Reparatur Reifenservice Kfz-Versicherung Schadensabwicklung Tankkartenmanagement

Wartung und Reparatur Reifenservice Kfz-Versicherung Schadensabwicklung Tankkartenmanagement

Fahrzeugbeschaffung Fahrerbetreuung Fahrzeugrücknahme Rechnungsmanagement Flottenreporting Abbildung 82: Schematischer Aufbau von Full-Service-Leasing und Flottenmanagement Quelle: Eigene Darstellung 437 438

Vgl. Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (2011). Vgl. Arbeitskreis der Banken und Leasinggesellschaften der Automobilwirtschaft (2006).

138

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

Reifenservice, Tankkartenmanagement, Versicherungs- oder Schadenmanagement. Vor allem Firmenkunden nutzen das Full-Service-Leasing und das darüber hinausgehende Flottenmanagement. Mit der Dienstleistung des Flottenmanagements bietet die CFC gewerblichen Kunden umfangreichen Service rund um den genutzten Fuhrpark. Dem Kunden werden administrativ aufwendige Aufgaben wie Fuhrparkanalyse, Fahrzeugbeschaffung und –betreuung, Abrechnung sowie Reporting abgenommen.439 In Abbildung 82 ist der schematische Aufbau des Operating-Leasing, ergänzt um zusätzliche Service-Bausteine bis hin zum Flottenmanagement, dargestellt.

6.5.2.2

Mobilitätsneutrale Dienstleistungen

Der Begriff mobilitätsneutrale Dienstleistungen bezieht sich auf Dienstleistungen, die nicht unmittelbar in Bezug zum Kerngeschäft der Automobilhersteller d. h. dem Fahrzeug stehen. Unter den in Deutschland vertretenen CFCs bieten u. a. VW Financial Services AG, BMW Financial Services und Daimler Financial Services AG umfangreiche mobilitätsneutrale Dienstleistungen an. Auf dem deutschen Markt verfügen mittlerweile nahezu alle Captives über eine Banklizenz für ihre operativen Einheiten. Nach dem deutschen Kreditwesengesetz ermöglicht ihnen dies, die gesamte Produktpalette an Bank- und Finanzdienstleistungsgeschäften anzubieten. Insbesondere das Geschäft mit Direktbankprodukten (u. a. Tagesgeld, Termingeld und Sparpläne) hat in den vergangenen Jahren deutlich an Bedeutung für die CFCs gewonnen. Durch den Aufbau des Einlagengeschäfts können sich die CFCs wie bereits beschrieben sehr günstig refinanzieren. Abbildung 83 gibt einen exemplarischen Überblick der Produktangebote von klassischen Leasing- und Finanzierungsprodukten bis hin zu mobilitätsneutralen Dienstleistungen.

0RELOLW\ 6HUYLFHVRWKHU DGGLWLRQDO 6HUYLFHV )LQDQFH 6HUYLFHV ,QVXUDQFH

6HUYLFH

&OXEV

7LFNHW 6HUYLFH 7UDYHO6HUYLFH

&DU6KDULQJ %RQXV 6\VWHPV

7UDYHO ,QVXUDQFH &DU,QVXUDQFH

)XQGLQJ )LQDQFLQJ )OHHW0DQDJHPHQW

&UHGLW&DUG

6SDUH3DUWV 5HSDLUV

&DU QHZXVHG

%ULQJDQG &ROOHFW 6HUYLFH 1DYLJDWLRQ 6\VWHPV

$LUSRUW 6HUYLFH

0DLQ3URGXFW

0RELOH SKRQHV

$GGRQ 3URGXFWV 6HUYLFLQJ

/HDVLQJ

'ULYHU 7UDLQLQJ 0RUWJDJHV

/LIH,QVXUDQFH

Abbildung 83: Expansionsmöglichkeiten für CFCs Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Daimler Chrysler (2004)

439

Vgl. Stenner, F. (2010), S. 115ff.

,QWHUQHW

0HUFKDQGLVLQJ

6.5 Welche aktuellen Geschäftsansätze verfolgen die CFCs

6.5.3

139

Cross-Selling und Cross-Over im automobilen Finanzdienstleistungssektor

Im heutigen stark umkämpften Automobilmarkt ist ein professionelles und nachhaltiges Customer-Relationship-Management (CRM) unverzichtbar, um die Ertragspotentiale aus der Kundenbasis zu heben. Im Rahmen der Einführung weiterer Bankprodukte eröffneten sich für die CFC neue Möglichkeiten hinsichtlich des Cross-Selling und der Methode des CrossOver (vgl. Abbildung 84). Ziel des Cross-Selling ist es, bestehende Leasing- und Finanzierungskunden auch an die neuen Bankprodukte heranzuführen und umgekehrt. Kernziel der Cross-over Methodik ist es, im Rahmen von CRM-Aktivitäten Nicht-Markenfahrer als Nutzer der Markenfahrzeuge des Konzerns zu gewinnen. Unter Kenntnisnahme der Tatsache, dass die Mehrzahl der Einlagenkunden der deutschen Automobilbanken Fremdmarkenfahrer sind, verbirgt sich hinter dem Konzept des Cross-Over und des Cross-Selling erhebliches Ertragspotenzial.440 &URVV6HOOLQJ

&DSWLYH)LQDQFH$QVDW]

$GYDQFHG$XWRPRWLYH %DQNLQJ$QVDW]

&URVV2YHU

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2(0

Abbildung 84: Schematische Darstellung von Cross-Selling und Cross-Over Quelle: DaimlerChrysler (2004)

Im Gegensatz zu Bankprodukten liegt der Schwerpunkt der CRM-Aktivitäten in den klassischen Leasing- und Finanzierungsprodukten im ausschöpfen sogenannter Up-Selling Potentiale. Unter dem Begriff des Up-Selling versteht man in der Automobilwirtschaft das Verkaufen höherwertiger Fahrzeug- bzw. Ausstattungsversionen als Effekt einer gezielten Absatzförderung bei Leasing- oder Finanzierungsverträgen.441 Das Angebot einer günstigen monatlichen Rate anstatt der Einmalzahlung des Gesamtbetrags soll beim Kunden den Up-Selling Effekt bewirken, d. h. in der Praxis entscheidet sich der Kunde oftmals für z. B. eine höhere Fahrzeugmotorisierung oder Zusatzausstattungen als ursprünglich geplant. Zwischen 2005 und 2007 stieg der von Kunden durchschnittlich bezahlte Neuwagenpreis in Deutschland um 8,8% (vgl. Abbildung 85). Deutlich erkennbar ist auch der Anstieg der durchschnittlichen Finanzierungssumme am Neuwagenpreis um 12,7% für den gleichen Zeitraum.442 Begründen lässt sich dieser Anstieg u. a. durch die Zurückhaltung der Händler bei der Rabattvergabe für Barkäufer während der Boomphase bis 2007. Im Gegensatz zum Barkauf gewähren Autohändler bei Finanzierungs- oder Leasingabsichten des Kunden zwischen 0,1% und 4% weniger Rabatt. Gleichzeitig erhöht sich der Fahrzeugpreis um 0,5% bis 5% durch Up-Selling-Effekte.443

440

Vgl. IBM (2009). Vgl. Ueno, S. (2006), S. 5. 442 Vgl. Arbeitskreis der Banken und Leasinggesellschaften der Automobilwirtschaft (2009). 443 Vgl. Lorenz, J. (2001b), S. 88ff. 441

140

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

114 15.100

25.970

% 14.300 Durschnittliche Finanzierungssumme Durchschnittlicher Neuwagenpreis

24.480 13.400

23.880

Abbildung 85: Trend zu höherwertigen Fahrzeugen Quelle: Arbeitskreis der Banken und Leasinggesellschaften der Automobilwirtschaft (2009a)

Wie stark der Einfluss des Finanzierungs- und Leasingangebots der CFCs auf den Kunden ist, beschreibt eine Studie des Arbeitskreises der Banken und Leasinggesellschaften der Automobilwirtschaft zum Kaufverhalten von Neuwagen (vgl. Abbildung 86). Vergleicht man Kunden der CFCs und Kunden anderer Kreditinstitute zeigt sich, dass die CFCs das Kaufverhalten wesentlich stärker beeinflussen und damit einen wertvollen Beitrag für die Automobilhersteller leisten.

Aufgrund des Finanzierungs- / Leasingangebots hat der Kunde ...

29%

... das Auto früher als vorgesehen gekauft

29%

... einen Neuwagen statt eines Gebrauchten gekauft

20%

21% ... eine bessere / umfangreichere Ausstattung gewählt 47% 33%

0

5

10

15

20

25

Kunden anderer Banken

30

35

40

45

Kunden der Autobanken

Abbildung 86: Kaufverhalten im Neuwagengeschäft Quelle: Arbeitskreis der Banken und Leasinggesellschaften der Automobilwirtschaft (2009)

50

6.6 CFC – Quo vadis?

6.6

CFC – Quo vadis?

6.6.1

Die strategischen Handlungsoptionen der CFCs

141

In den vorangegangenen Abschnitten wurden neben einem Marktüberblick insbesondere die Geschäftsmodelle und Produktportfolien der herstellerverbundenen Finanzdienstleister vorgestellt. Daraus leiten sich für die Zukunft einige Fragen ab: • • • • • •

Welche unmittelbaren Handlungsfelder gibt es für die Captives in den entwickelten Automobilmärkten USA, Europa und Japan, um die von ihnen erwarteten positiven Ergebnisbeiträge für die Muttergesellschaften nachhaltig zu erwirtschaften? Wie können die Automobilhersteller die CFC als strategisches Instrumentarium in ihre Initiativen in den Wachstumsmärkten einbetten? Welche Geschäfts- und Operating-Modelle sind erfolgversprechend für die Captives der Zukunft? Welche Handlungsempfehlungen lassen sich für die neuen Wachstumsmärkte ableiten? Welches sind die erfolgsversprechenden Antworten auf die neuen Mobilitätstrends? Welche Geschäftschancen bietet das Thema Elektromobilität für Automobilfinanzdienstleister?

6.6.2

Die Handlungsfelder für die entwickelten Automobilmärkte der Triade

6.6.2.1

Forcierung der Finanzierung von Gebrauchtfahrzeugen

Trotz massiver staatlicher Maßnahmen zur Stabilisierung der Neuwagenabsätze in den etablierten Automobilmärkten der Triade (USA, Europa und Japan) sind die Volumina auf einem Niveau angekommen, das um ca. 20% niedriger ist als im Rekordjahr 2007. Die prognostizierten Wachstumsraten für dieses Segment lassen eine Erholung in den nächsten Jahren ebenfalls nicht erkennen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sollten die Captives ihren Fokus deutlicher auf den Markt für Gebrauchtwagenfinanzierungen legen. Mit Blick auf die Gebrauchtwagenpenetrationsrate der drei großen Captives in Deutschland von ca. 30% wird deutlich, dass dort enormer Nachholbedarf besteht.444 Kernbestandteile eines umfassenden Konzepts sollten unter anderem sein: • • • • •

444

Positionierung der Vertriebsprozesse für Gebrauchtwagenfinanzierungen als integraler Bestandteil der End-of-Term- sowie Remarketingprozesse Aufbau spezifischer Trainingskonzepte für die Handelsorganisationen Entwicklung spezifischer Leasing- und Finanzierungsprodukte inkl. Pricingkonzepte sowie Servicekomponenten für das Gebrauchtwagensegment Implementierung eines passenden Incentivierungsprogramms für die Handelsorganisation Entwicklung geeigneter IT-Lösungen am point-of-sale (Internet oder Handel), welche die Vertriebsprozesse im Bereich der Gebrauchtwagenfinanzierung optimieren

Vgl. IBM (2009).

142

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

6.6.2.2

Entwicklung bzw. Erweiterung des Geschäfts mit Flottenkunden

Aktuellen Zahlen zufolge befindet sich das Flottengeschäft mit gewerblichen Kunden im Aufwind. Im Vorjahresvergleich konnte für das Jahr 2011 ein Wachstum der Neuzulassungen im relevanten deutschen Flottenmarkt von 16,9% realisiert werden.445 Die Entwicklung des Flottengeschäfts mit gewerblichen Kunden hängt wie kein zweiter Markt von der Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Umfelds ab. Wann sich die Volkswirtschaften in den großen Automobilmärkten wieder stabilisiert haben, um einen Wachstumspfad einschlagen zu können, ist derzeit schwer vorherzusagen. Um die Krise zu nutzen besteht für die CFCs die Herausforderung, neue Strategien, Geschäftsmodelle und Fahrzeuge zu positionieren. Wesentliche Bausteine in der Entwicklung des Flottengeschäfts müssen folgende sein: • • • • •

Anpassung der Flottenfahrzeuge an die neuen ökologischen Rahmenbedingungen Erweiterung der bestehenden Servicebausteine im Flottengeschäft, um eine weitgehende Entlastung der Firmenkunden zu gewährleisten Erweiterungen der Angebote für Klein- und Kleinstflotten (1–19 Fahrzeuge) Einführung von länderübergreifendem Flottenmanagement für Groß- und Kleinkunden, um der sich weiterentwickelnden Internationalisierung der Kunden Rechnung zu tragen Positionierung von Angeboten für Mehr-Marken Flotten

6.6.2.3

Einführung bzw. Erweiterung des Angebots an Produkten mit Risk Adjusted Pricing

Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat nicht nur den Bereich der Neuwagenfinanzierung hart getroffen sondern auch die Kreditausfallraten deutlich ansteigen lassen. Lagen die durchschnittlichen Kreditausfallrisiken bei ca. 1–2% in den letzten Jahren so ist zukünftig ein deutlicher Anstieg mit entsprechenden negativen Auswirkungen auf die Ergebnisse der Captives zu erwarten. Um dieser Prognose Rechnung zu tragen sind die Captives gefordert Ihr Angebot an Leasing- und Finanzierungsverträgen mit differenzierenden Zinskonditionen deutlich auszubauen oder in einigen Fällen sogar erstmals zu etablieren. Das Konzept von risikoadjustierten Preisen berücksichtigt neben den gängigen Parametern zur Konditionenfestlegung wie u. a. Refinanzierungs- und Abwicklungskosten besonders stark auch das kundenindividuelle Kreditausfallrisiko. Ziel ist es mit einem differenzierenden Ansatz die Kundenbonität in die Konditionengestaltung stärker einfließen zu lassen. Schwerpunkte bei der erfolgreichen Einführung von Risk-Adjusted Pricing Konzepten sind neben mathematischen Modellen zur Berechnung des potentiellen Kreditausfallrisikos, die u. a. durch die Einführung von Basel II gefördert wurden, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll u. a.: • • • •

445

Zielprozessdefinition am point-of-sale zur Integration des Risk-Adjusted Pricings in den Verkaufsprozess Aufbau eines spezifischen Kommunikationskonzepts für die Handelsorganisation Entwicklung eines strategischen Marketingkonzepts für die neuen Konditionenmodelle Konzeption eines begleitenden Sicherheitenkonzepts welches die Möglichkeit einer Konditionensenkung bei Bereitstellung geeigneter Sicherheiten umfasst

Vgl. Dataforce news (2011).

6.6 CFC – Quo vadis?

6.6.2.4

143

Gründung von Bankzweigniederlassungen

Mit der Einführung des europäischen Passes im Jahr 1996 ist es Kreditinstituten der Europäischen Union erlaubt, Zweigniederlassungen in einem EU-Mitgliedsstaat mittels eines vereinfachten Zulassungsverfahrens zu gründen. Die Gründung einer Bankzweigniederlassung kann seit dieser Zeit aus dem Heimatland heraus ohne großen administrativen und kostenintensiven Aufwand vollzogen werden. Für die Autobanken und Ihre Konzernmuttergesellschaften bietet die Gründung von Bankzweigniederlassungen eine Vielzahl strategischer Möglichkeiten. Die Automobilhersteller können sich mit dem Aufbau eines Netzes an Bankzweigniederlassungen ihrer Autobanken z. B. neue strategische Möglichkeiten für ein integriertes Liquiditäts-, Refinanzierungs- und Risikomanagement erschließen. Bedingt durch die verhältnismäßig hohe Sparquote in Deutschland eignet sich dieser Markt sehr gut für Angebote aus dem Bereich der Direktbankprodukte wie Tages- oder Termingelder. Insbesondere zu Beginn des Jahres 2009 konnten die Autobanken der deutschen Automobilhersteller mit attraktiven Einlagenkonditionen Kundengelder in erheblichem Umfang einsammeln. Sofern ein Netz an Bankzweigniederlassungen aufgebaut wird, können diese Kundengelder als günstige Refinanzierungsmittel für Leasing- und Finanzierungsverträge mit Endkunden sowie für die Händlerfinanzierung auch im Ausland genutzt werden. Die nachfolgende Abbildung 87 zeigt zum einen exemplarisch die Einbettung einer Autobank mit Zweigniederlassungen in den Konzernverbund und zum anderen die aufgezeigten Refinanzierungsvarianten.

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Abbildung 87: Darstellung einer typischen Unternehmensstruktur der OEM Quelle: Eigene Darstellung

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144

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

Besonders in Zeiten verschärfter Kreditvergabestandards scheint das Konzept der Refinanzierung über Direktbankeinlagen aufzugehen. Die Platzierung einer Anleihe des Daimlerkonzerns am Kapitalmarkt im Jahr 2009 erforderte bonitätsbedingte Zinsaufwendungen von 4–9%, wohingegen die Konditionen für Direktbankeinlagen in Form von Tagesgeld gleichzeitig nur 1,9% betrugen.446 Weitere Vorteile bestehen in einer zentralen, konzernweiten Mittelsteuerung sowie einem vergrößerten, europaweiten Kreditportfolio, welches für ABS-Transaktionen genutzt werden kann. Beide Bereiche dienen der Kostensenkung und dem Risikomanagement und werden später nochmals aufgegriffen. Die Daimler Financial Services hat im Mai 2008 erstmals eine europäische Zweigniederlassung der Mercedes-Benz Bank AG in Spanien eröffnet. Auch VW Financial Services ist derzeit bereits in acht Ländern mit Zweigniederlassungen der VW-Bank GmbH in Europa vertreten. So ist Daimler Financial Services mit Finanzierungsgesellschaften in 39 Ländern vertreten, jedoch nur in Spanien, Polen und Russland über die Zweigniederlassungen der deutschen Autobank (Mercedes-Benz Bank AG). Folgende wesentliche Bereiche sind im Rahmen einer Analyse zum Aufbau von Bankzweigniederlassungen vorab für das Zielland zu untersuchen: • • • • • •

Steuerliche und rechtliche Rahmenbedingungen Aufsichtsrechliche Bestimmungen Portfolioentwicklung im Leasing- und Finanzierungsgeschäft Anforderungen an die Aufbau- und Ablauforganisation im Bereich Liquiditäts-, Refinanzierungs- und Risikomanagement Informationstechnische Umsetzung Strategie des Markteintritts: Neugründung einer Bankzweigniederlassung vs. Kauf bzw. Übernahme einer bestehenden Finanzierungs- oder Leasinggesellschaft

6.6.2.5

Umfirmierung in eine Bankholding-Company

Erst im Zuge der schweren Krise auf den internationalen Finanzmärkten ist das amerikanische Konzept zur Umfirmierung von CFCs in Bankholding-Companies in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Unter einer Bankholding-Company versteht man ein Konstrukt, unter dessen Schirm eine oder mehrere Banken zusammengefasst sind und das von der FED (Federal Reserve Bank – Zentralbank der Vereinigten Staaten) reguliert wird (vgl. Abbildung 88). Bankholding-Companies machen Zugeständnisse seitens der Kapitalanforderungen und Kontrollmechanismen, die auch für andere Geschäftsbanken gelten. Im Gegenzug erhalten sie vereinfachten Zugang zu Staatshilfen. Seit Ausbruch der Verwerfungen auf den Finanzmärkten haben viele namhafte amerikanische Unternehmen den Umstrukturierungsprozess in eine Bankholding-Company vorgenommen. Darunter sind z. B. Goldman Sachs, American Express und GMAC. Am Fall GMAC wird deutlich, dass die Umfirmierung nicht ohne Konsequenzen für die gegenwärtigen Anteilseigner bleibt. Denn diese müssen wesentliche Kontrolle in Form von Besitzanteilen auf bestimmte Zeit an einen unabhängigen staatlichen Treuhänder abgeben. Bis Ende 2008 hielten das Private Equity Unternehmen Cerberus und der Autokonzern General Motors 51% bzw. 49% am Finanzdienstleister GMAC. Mit Erlan446

Vgl. Daimler Group (2009).

6.6 CFC – Quo vadis?

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Abbildung 88: Beispiel einer CFC-Bankholding Quelle: Eigene Darstellung

gen des Bankholding-Status reduzierten sich diese Anteile auf 33% bzw. 10% und GMAC konnte seither auf Gelder aus dem US$ 700 Mrd. schweren amerikanischen Bankenrettungsfonds zurückgreifen.447 Darüber hinausgehend wurde GMAC verpflichtet, sein Produktportfolio zu differenzieren und Finanzangebote für jedermann zugänglich zu machen. Auch für die europäischen CFCs würde eine Umfirmierung zu einer Bankholding-Company neue Perspektiven bezüglich Flexibilität der internen und externen Refinanzierung eröffnen. Eine Umfirmierung erleichtert den grenzüberschreitenden Mitteltransfer wesentlich, denn die Bankholding ist als zentral übergeordnetes Konstrukt anzusehen. Eine Umfirmierung in Europa würde jedoch nur vor dem Hintergrund angepasster rechtlicher Rahmenbedingungen Sinn machen. Eine detaillierte Analyse auch unter Berücksichtigung der Punkte aus dem Themenkomplex Bankgründung ist daher unverzichtbar bevor eine so weitreichende Entscheidung wie die Umfirmierung in eine Bankholding-Company umgesetzt wird.

6.6.2.6

Überarbeitung der Governance Strukturen und Operatingkonzepte

Die Marktbearbeitung der Captives ist bislang geprägt von einer Vielzahl lokaler Landesgesellschaften, die weitestgehend unabhängig voneinander agieren. Je nach strategischer Ausrichtung verfügen die Captives über global verantwortliche Headquarter, die in der Regel im 447

Reuters Deutschland (2009).

146

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

Heimatland der Konzernmutter angesiedelt sind (Daimler Financial Services in Berlin, BMW Financial Services in München und VW Financial Services in Braunschweig). Teilweise sind zusätzlich noch Regionalkonzepte, schwerpunktmäßig zur Koordination der Bereiche Vertrieb und Marketing organisatorisch umgesetzt. Die entsprechenden Operating-Modelle umfassen in der Regel alle Organisationseinheiten entlang der Prozessabläufe (u. a. Vertrieb, Antragsbearbeitung, Vertragsmanagement, Finanzen, Controlling, Risikomanagement, Rechnungswesen, Personal, Recht und Informationstechnologie). Schwachpunkt nahezu aller global tätigen Captives ist aufgrund ihrer dezentralen Struktur im Vergleich zu Wettbewerbern aus dem Bankenumfeld eine verhältnismäßig hohe Kostenstruktur mit geringen Skaleneffekten. Die Begründung dafür liegt in der gegenüber anderen Banken zum Teil deutlich höheren Eigenleistung entlang der kompletten Wertschöpfungskette im Leasing- und Finanzierungsbereich. Dies bedeutet für die Captives, dass sie aufgrund rückläufiger Neuwagenfinanzierungsraten speziell in den Kernmärkten der Triade zukünftig in Kostenprobleme geraten können. Insbesondere aufgrund der wachsenden regionalen Konvergenz der aufsichtsrechtlichen, steuerlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen bestehen durch die Umsetzung folgender Maßnahmen Einsparpotentiale: • • • • •

Umsetzung neuer Governance-Konzepte auf globaler oder regionaler Ebene Zentralisierung von Funktionen in den Bereichen Finanzen, Controlling und Rechnungswesen Aufbau grenzüberschreitender Shared Services Center für die Bereiche Customer Relationship, Vertragsmanagement und Rechnungswesen auf Basis harmonisierter Geschäftsprozesse Harmonisierung und Standardisierung der Informationstechnologie auf globaler oder regionaler Ebene für die Bereiche Wholesale Finance, Retail Finance sowie Accounting und Business Analytics Überprüfung der Kerneigenleistungsquote und ggf. Outsourcing von Prozessteilen oder kompletten Prozessen und Services

6.6.2.7

Optimierung der Bereiche Refinanzierung, Liquiditätssteuerung und Risikomanagement gemeinsam mit dem Automobilhersteller

Mit Bezug auf die Wirtschaftskrise 2009 ist festzustellen, dass die Refinanzierungskosten an den Kapitalmärkten trotz weltweit historisch niedriger Leitzinsen deutlich angestiegen sind. In besonderem Maße wurde die gesamte Automobilbranche aufgrund der Absatzkrise von teureren und teilweise auch schwierig zu erlangenden Fremdfinanzierungsmöglichkeiten getroffen. Auch für die CFCs stiegen die Refinanzierungskosten deutlich an, weil erstens die kreditgebenden Banken von höheren Kreditausfällen im Portfolio der CFCs ausgingen, zweitens war davon auszugehen, dass sich die Liquidität der CFCs aufgrund der sinkenden Nachfrage nach Leasing- und Finanzierungsverträgen reduzieren wird. Erschwerend kam für die CFCs die zum Teil direkte Abhängigkeit vom Rating des Automobilherstellers hinzu. Eine Verschlechterung des Ratings des Automobilherstellers bewirkte eine unmittelbare Erhöhung der Refinanzierungskosten für die CFC. Auf dem hart umkämpften Markt für automobile Finanzdienstleistungen stellte dies einen enormen Wettbewerbsnachteil gegenüber unabhängigen Finanzierern dar.

6.6 CFC – Quo vadis?

147

350

300

250

200

150

100

50

0 03 03 03 03 03 0 03 03 03 03 03 03 03 03 03 03 03 3/ /0 /0 /0 /0 /0 /1 /0 /0 /0 /0 /1 /0 /0 /0 /0 /0 01 5/ 9/ 1/ 5/ 9/ 3/ 1/ 7/ 1/ 7/ 3/ 3/ 5/ 7/ 9/ 1/ /2 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 0 06 08 06 07 07 08 06 06 08 08 06 07 07 08 07 07 06

VW CDS EUR SR 5Y Curncy PEUG CDS EUR SR 5Y Curncy BMW CDS EUR SR 5Y Curncy

RENAUL CDS EUR SR 5Y Curncy DCX CDS EUR SR 5Y Curncy

Abbildung 89: Entwicklung der Credit-Default-Swaps (CDS) in der Autoindustrie Quelle: Deutsche Bank Equity Research (2008)

Um die Entwicklung der Renditeaufschläge zu verdeutlichen, empfiehlt sich der iTraxx Europe Index. In diesem Index sind die 125 am meisten gehandelten „credit default swaps“ in Europa abgebildet (vgl. Abbildung 89). Dies verdeutlicht die prekäre Lage, in der sich die CFCs und im Besonderen die Automobilhersteller in diesen Jahren befanden. An dieser Stelle wird die zunehmende strategische Bedeutung der CFCs für die Automobilhersteller besonders deutlich. Mit der Umsetzung und Kombination einiger der dargestellten strategischen Handlungsoptionen für die CFC, wie z. B.: • • •

Gründung von Bankzweigniederlassungen, Ausbau alternativer und eigenständiger Kapitalmarktzugänge und einem ausgefeilten und integrierten Liquiditäts-, Refinanzierungs- und Risikomanagement können die Automobilhersteller die sicher noch einige Jahre anhaltende Krisenzeit in den großen Absatzmärkten, insbesondere aus Finanzierungssicht, deutlich besser überstehen.

6.6.3

Handlungsempfehlungen für die neuen Wachstumsmärkte

6.6.3.1

Aufbau von Finanzierungsgesellschaften in Brasilien, Russland, Indien und China

Seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahre 2008 sind insbesondere die BRICStaaten der Wachstumsmotor für die globale Automobilindustrie. Die hervorragenden Absatzzahlen der US-amerikanischen, deutschen und japanischen Automobilhersteller in den Jahren 2010 und 2011 stützten sich im Speziellen auf die Verkaufserfolge in China. Die Erwartungen gehen für die kommenden Jahre bis 2015 weiterhin von hohen Zuwachsraten im Neuwagenabsatz in den BRIC-Staaten aus.

148

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

Von den deutschen Automobilherstellern sind die Daimler AG und die BMW AG sowohl mit der Automobil- wie auch mit der Finanzdienstleistungssparte bislang nur schwach in den BRIC-Ländern vertreten. VW hingegen ist, bedingt durch das breitere Fahrzeug- und Markenportfolio, in China und Brasilien deutlich besser vertreten. Vor allem in den einkommensschwachen BRIC-Ländern mit hohem Finanzierungsbedarf ist ein begleitender Markteintritt durch die CFC aus unserer Sicht für die Automobilhersteller zielführend und erfolgsversprechend. Ziel der CFCs muss es daher sein, in diesen Wachstumsländern durch angepasste und attraktive Finanzierungskonditionen, z. B. in Form von Mikrokrediten für Kleinwagen, Marktanteile und Neukunden zu gewinnen. Lokale Anforderungen und rechtliche Rahmenbedingungen des jeweiligen Landes schränken den Markteintritt und die Handlungsfreiheit der CFCs zum Teil noch ein. Um beispielsweise in China Finanzierungsgeschäfte zu tätigen, bedarf es bislang noch einer Kooperation mit einem lokal ansässigen Unternehmen. Während die CFCs in den traditionellen Regionen geringes Wachstumspotenzial erwarten müssen und vornehmlich das Ziel der Kundenbindung verfolgen, können sie in den Wachstumsländern insbesondere die Aufgabe der Kundenneugewinnung übernehmen.

6.6.3.2

Neue Operationsstrategien für die Wachstumsmärkte

Sofern der Einstieg mit eigenen lokalen Finanzierungs- und Leasinggesellschaften in den bevölkerungsstarken Wachstumsländern der BRIC-Staaten ins Auge gefasst wird, sind einige Besonderheiten hinsichtlich der Strategie zu beachten. Zu diesen Besonderheiten zählen unter anderem: • • • • •

Sehr hohe zu erwartende jährliche Wachstumsraten an Neufinanzierungen Sehr geringe Anzahl an Softwareanbietern mit Lösungen für das Leasing- und Finanzierungsgeschäft Zum Teil große und kontinuierliche Veränderungen im Aufsichtsrecht aufgrund der sich erst entwickelnden Finanzdienstleistungsmärkte Fehlende Ressourcen mit den entsprechenden Fachkompetenzen Hoher Anteil an manuellen Prozessen aufgrund fehlender Technologie

Unter Berücksichtigung aller o. g. Punkte ist für die CFCs die Entwicklung einer eigenständigen Operationsstrategie für die Wachstumsmärkte unverzichtbar. Bestandteile einer solchen Strategie könnten beispielsweise sein: • • • • • •

Kooperation mit anderen Captives auf lokaler Ebene in ausgewählten Geschäftsprozessen Gründung von gemeinsamen IT-Services Gesellschaften mit anderen CFCs für den Betrieb, die Wartung und Weiterentwicklung ihrer Software Auslagerung von Geschäftsprozessen an lokale Banken Auslagerung der IT an IT-Dienstleister Grenzüberschreitende Kooperation mit anderen Konzerngesellschaften Grenzüberschreitender Aufbau von Ressourcen mit Spezial Know-how

6.6.4

Erfolgsversprechende Antworten auf die neuen Mobilitätstrends

Eine der größten Herausforderungen für automobile Finanzdienstleister besteht darin, Finanzierungslösungen zu entwickeln, die neue Mobilitätstrends adressieren. Besteht die Aufgabe

6.6 CFC – Quo vadis?

149

der Hersteller darin, ökologische und energieeffiziente Fahrzeuge zu entwickeln, so sind die Captives gefordert neue Finanzierungslösungen für die Mobilitätskonzepte der Zukunft zu entwickeln. So sehr der Wunsch der Hersteller nach Unterstützung einer individuellen Mobilität der Bevölkerung durch privaten PKW-Absatz nachvollziehbar ist, so kritisch muss dieser Wunsch aus Klimaschutz und Ressourcensicherung betrachtet werden. Eine Motorisierung der gesamten chinesischen Bevölkerung im gleichen Maße, wie sie in den USA der Fall ist, erscheint damit wenig wünschenswert. Insbesondere durch die gestiegenen Treibstoffpreise und strengere Umweltvorschriften hat sich auch das Bewusstsein der Kunden für ihre Kaufentscheidung verändert. So werden beispielsweise hochmotorisierte Fahrzeuge und SUVs aus umweltbewusster Betrachtungsweise immer kritischer gesehen, da sie einen hohen CO2Ausstoß und Kraftstoffverbrauch aufweisen.448 Welchen Beitrag können nun die automobilen Finanzdienstleister im Kontext der neuen Mobilitätstrends leisten? Die bislang eher vom tatsächlichen Besitz eines Fahrzeugs ausgehenden Finanzprodukte müssen sich zum einen deutlich stärker hin zu einer nutzungsorientierten Abrechnung entwickeln. Zum anderen, sind auch Angebote zu entwickeln die den neuen Mobilitätstrends und in diesem Zusammenhang der mobilen Internetnutzung Rechnung tragen. Nachfolgend werden drei erfolgsversprechende Angebote vorgestellt die das Produktportfolio der Automobilfinanzdienstleister deutlich erweitern können. Im einzelnen handelt es sich dabei um Carsharing, Location Based Services sowie Corporate Carsharing.

6.6.4.1

Nutzenbasierter Mobilitätszugang über Carsharing

Viele Autofahrer speziell in den entwickelten Industrienationen haben ein neues Mobilitätsverständnis für sich definiert. Durch die gute Vernetzung öffentlicher Verkehrsmittel und mangelnde Parkmöglichkeiten in den Großstädten verliert der Besitz eines eigenen Fahrzeugs zunehmend seinen Reiz. Um ihre individuellen Mobilitätsbedürfnisse dennoch spontan befriedigen zu können, haben einige Anbieter das Konzept des Carsharing entwickelt. Als Carsharing wird „ […] die organisierte, gemeinschaftliche Nutzung von Kraftfahrzeugen“449 bezeichnet. Besonders geeignet ist Carsharing für Menschen in Ballungsgebieten, die nicht täglich auf ein eigenes Fahrzeug angewiesen sind. Es kann dort als Ergänzung zum öffentlichen Personennahverkehr der jeweiligen Städte bzw. der Deutschen Bahn genutzt werden. Die Vorteile für Nutzer sind vor allem monetärer Natur.450 Kosten fallen nur dann an, wenn der Kunde das Fahrzeug auch tatsächlich nutzt. Für Personen, die nur selten Bedarf an einem Fahrzeug haben, ist dies weitaus kostengünstiger als der Besitz eines eigenen Fahrzeugs. Weitere Vorteile sind eine gewisse Unabhängigkeit von den Kraftstoffpreisen sowie der enthaltene Wartungs-, Reinigungs- und Reparaturservice. Auch die Flexibilität des Fahrzeugtyps ist für den Kunden von Vorteil. Im Gegensatz zum Autokauf kann bei vielen Carsharing-Anbietern für jede Gelegenheit die richtige Fahrzeuggröße gewählt werden.451

448

Vgl. Bernhart, W., Zollenkop, M. (2011), S. 281. Bundesverband Carsharing e.V. (2011b). 450 Vgl. Bundesverband Carsharing e.V. (2011a). 451 Vgl. ADAC (2011a). 449

150

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

Welche Chancen bieten sich nun für die Automobilhersteller und ihre herstellerverbundenen Finanzdienstleister im Rahmen des Carsharing. Für die Captives bietet sich speziell die Abwicklung des Zahlungsverkehrs für den Hersteller an. Neben der reinen Provisionsgenerierung kann dieser Service auch als eine gute Plattform zur Kundenakquise und Kundenbindung genutzt werden. Wenn es den Automobilherstellern gelingt, die Kunden ihres eigenen Carsharing Angebots von den dort gefahrenen Fahrzeugen ihres Unternehmens zu überzeugen, kann dies ein entscheidendes Argument bei einem späteren Verkaufsangebot eines Fahrzeugs sein. Dabei muss für die Automobilhersteller bei eigenbetriebenen Carsharing Programmen neben der Produktqualität, der Markenbindung auch die Zielerreichung im Bereich Servicequalität im Vordergrund stehen. Genau für diesen Bereich kann der herstellerverbundene Finanzdienstleister seinen Mehrwert einbringen. Durch eine erfolgreiche und langfristige Servicebeziehung bietet sich die Chance, eine Vielzahl an Kundeninformationen zu sammeln und gegebenenfalls neue Mobilitätsbedürfnisse und die entsprechenden Angebote abzuleiten. Die Automobilhersteller haben erkannt, dass der Besitz von Kundendaten insbesondere junger, vom Carsharing begeisterter Menschen zukünftige Absatzpotentiale für ihre Markenfahrzeuge schaffen kann. Aus dem strategischen Blickwinkel betrachtet, ermöglicht die Einführung von Carsharing den Automobilherstellern die Chance, Marktanteile der Mietwagenfirmen für sich zu gewinnen und daraus weiteres Kapital zu schlagen. Personen, die kein eigenes Fahrzeug besitzen, aber dennoch zu bestimmten Gelegenheiten mobil sein wollen, haben bisher meist ein Fahrzeug für einen ganzen Tag anmieten müssen. Carsharing bietet ihnen die Möglichkeit, die Mietdauer ihren Bedürfnissen anzupassen. Erweitern die Hersteller die Anmietzeit beispielsweise mit Hilfe von speziellen Langzeittarifen für ihr Carsharing, könnte sogar ein Konkurrenzszenario gegen Mietwagenbetreiber möglich sein. Ein weiterer Aspekt, der für die Einführung von Carsharing durch Automobilhersteller und ihre Finanzdienstleister spricht, ist das große Potential und die Wachstumschancen durch Firmenkunden. 13% der jährlich in Deutschland gereisten Personenkilometer werden bei Dienstreisen zurückgelegt. Hiervon wird ein Großteil mit dem Auto zurückgelegt. Unternehmen die keine eigene Fahrzeugflotte unterhalten, können durch Nutzung von CarsharingAngeboten ein großes Einsparpotential realisieren.452 Zur Stabilisierung ihres Kerngeschäfts eröffnet das Carsharing den Automobilherstellern weiterhin die Möglichkeit auch den Gebrauchtwagenmarkt mit einzubeziehen. So könnten Gebrauchtfahrzeuge, bei schlechter wirtschaftlicher Lage des Gebrauchtwagenmarkts, der eigenen Carsharing Flotte zur Verfügung gestellt werden. Geografisch gesehen bieten insbesondere die aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens enormes Potential für Carsharing. Abgesehen von einer sehr kleinen reichen Bevölkerungsschicht kann sich ein Großteil der Bevölkerung mittelfristig kein eigenes Fahrzeug leisten. Nichtsdestotrotz besteht hier die Nachfrage nach einem gewissen Maß an individueller Mobilität. Für die einkommenschwachen Bevölkerungsschichten bietet Carsharing die Möglichkeit, mobil zu sein. Die Automobilhersteller können sich durch ein entsprechendes Angebot dieses große Potential sichern. Ein zu beachtendes Risiko für Automobilhersteller ist der mögliche Konkurrenzdruck. Da Markteintrittsbarrieren bei diesem Konzept gering sind und die Rentabilität hoch ist, drängen 452

Vgl. Bundesverband Carsharing e.V. (2010).

6.6 CFC – Quo vadis?

151

immer mehr neue, herstellerungebundene Anbieter auf den Carsharing-Markt. Diese können den Automobilherstellern Marktanteile abnehmen und das Geschäft unrentabel machen. Es kann also daraus geschlossen werden, dass das Konzept des Carsharing sowohl für die Automobilhersteller wie auch für ihre herstellerverbundenen Finanzdienstleister auf verschiedene Arten eine gute Chance darstellt, sich eine alternative Ertragsquelle zu schaffen und zukünftige Absatzmöglichkeiten zu sichern.

6.6.4.2

Location Based Services – Der Einstieg in fahrzeugungebundene Mobilitätsdienstleistungen

„LBSs are services accessible with mobile devices through the mobile network and utilizing the ability to make use of the location of the terminals. LBS provide specific, relevant information based on the current location to the user.“453 Eine Erweiterung des Angebotsportfolios der Automobilhersteller durch Location Based Services kann eine weitere Erlösquelle für sie selbst und ihre Finanzdienstleister im Bereich alternativer Mobilitätskonzepte bieten. Die BMW AG hat sich als erster Automobilhersteller dazu entschlossen, umfassend in alternative und nachhaltige Mobilitätslösungen zu investieren. Zu diesem Zweck wurde eigens die neue Submarke BMWi im Februar 2011 ins Leben gerufen, in der sowohl Aktivitäten mit Elektrofahrzeugen wie auch Mobility Services gebündelt werden.454 Zielsetzung ist es einerseits, ein ganzheitliches Mobilitätskonzept für ihre Kunden zu gestalten und andererseits, auch neue und mobilitätsunabhängige Erlösquellen für das Unternehmen zu generieren.455 Der dazu in New York gegründete BMWi Ventures Fund soll mit bis zu US$ 100 Mio. ausgestattet werden. Erstes Investment des BMWi Ventures Fund war der in New York beheimatete Anbieter von Location Based Services „MyCityWay“. Die Beteiligung erstreckte sich über ein Volumen von US$ 5 Mio.456 Durch die Investition in diese Technologie ist es für BMW möglich, auch Personen, die kein eigenes Fahrzeug besitzen, den Service eines umfassenden Mobilitäts- und Informationsdienstleisters anzubieten. Jeder MyCityWay-Nutzer kann sich auf Wunsch stets die nächstgelegenen Attraktionen, Freizeitmöglichkeiten oder Ähnliches auf seinem Smartphone anzeigen lassen. Es ist beispielsweise möglich, sich unterwegs das nächstgelegene Kino anzeigen zu lassen, Programminformationen abzurufen und gleichzeitig Tickets zu reservieren. BMW fungiert über MyCityWay als Vermittler zwischen den Anbietern und Kunden. Erfolgt über die Applikation ein Kontakt zwischen den beiden Parteien, muss der Anbieter eine Provision an MyCityWay entrichten. Folglich wird der Automobilhersteller anteilig an der Provision beteiligt. Zukünftig könnte MyCityWay dahingehend erweitert werden, dass Dienstleistungen direkt über die Applikation bezahlt werden können. Die herstellerverbundenen Finanzdienstleister könnten dabei die komplette Abwicklung der Zahlungen durchführen und dadurch neue Erträge erwirtschaften. Solche alternative Mobilitätsplattformen für Dienstleistungen bieten den Automobilherstellern ebenfalls eine dauerhafte und langfristige Werbeplattform. Durch geschickte Auswertung 453

Reichenbacher, T. (2004), S. 40. Vgl. BMW i (2011). 455 Vgl. GreenTech (2011). 456 Vgl. Techcrunch (2011). 454

152

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

der Interessen kann zum Beispiel bestimmten Zielgruppen Werbung für das Unternehmen und seine vielfältigen Produkte zugestellt werden. Bei der Suche nach Attraktionen in München wird beispielsweise das BMW Museum und die BMW Welt stets an einer der oberen Stellen aufgeführt. Auf diese Weise findet eine direkte Markenpositionierung mit dem Ziel statt, das Interesse der Nutzer an der Marke BMW zu wecken. Andere Unternehmen, die ihre Produkte als eines der ersten von vielen Suchergebnissen angezeigt haben möchten, sind darüber hinaus meist bereit, dafür eine zusätzliche Gebühr zu bezahlen. Dies kann zu weiteren Erlösen für den Automobilhersteller aus seiner neuen Plattform führen. In einer Zukunftsvision ist ebenso die Erweiterung um ein Reiseoptimierungsprogramm, welches dem Nutzer durch LBS immer den schnellsten, kostengünstigsten oder ggf. CO2effizientesten Weg, unabhängig vom gewählten Transportmittel, zu seinem Wunschziel aufzeigt denkbar. Der Automobilhersteller könnte diese Funktion mit seinem eigenen onlinebasierten Carsharing oder Mietwagenportal vernetzen und damit einen umfassenden Kundenservice aus einer Hand gewährleisten. Peugeot hat einen ersten Schritt in diese Richtung unternommen und bietet über seine Plattform „Mu by Peugot“ die Anmietung von Autos, Nutzfahrzeugen, Zubehör, Roller sowie Fahrräder des Automobilherstellers in ausgewählten Städten an.457 In Verbindung mit einem Carsharing Konzept würde eine solche Plattform dem Nutzer zu jeder Zeit die individuell bestmögliche Form der Mobilität anbieten können. Im ganzheitlichen Gedanken der Mobilitäts- und Informationssysteme verbirgt sich eine immense Chance für die Automobilhersteller und ihre Finanzdienstleister, sich hier in Zukunft zu positionieren. Was jetzt noch wie Zukunftsmusik klingt, mag den Kunden in 2020 als Standarddienstleistung erscheinen.

6.6.4.3

Die Erweiterung des Flottenmanagements – Corporate Carsharing: Das Siemens-Modell

Als drittes vielversprechendes Mobilitätskonzept mit Hilfe dessen die Automobilhersteller und ihre Finanzdienstleister das bestehende Geschäft speziell im Bereich des Flottenmanagements für große Firmenkunden erweitern können, ist das Corporate Carsharing. Die Siemens AG startete in 2010 einen Feldversuch zum Thema Elektromobilität unter Zuhilfenahme ihrer eigenen Mitarbeiter. Das Unternehmen stellte 100 Elektrofahrzeuge zur Verfügung, die von den Mitarbeitern zu günstigen Konditionen auch außerhalb ihrer Arbeitszeit privat genutzt werden konnten. Im Gegenzug erhielt das Unternehmen relativ günstig die nötigen Feedbackdaten, um das Thema Elektromobilität zu verbessern. Der Nutzen der Siemens AG lag hierbei in der Erprobung von Elektromobilität im Alltag. Die Nutzer waren verpflichtet, ihre Erfahrungen und Verbesserungsvorschläge an die Entwickler des Unternehmens zu melden.458 So entstand eine Win-Win-Situation für die Siemens AG und ihre Mitarbeiter. Im Bereich alternativer Mobilitätskonzepte ist es denkbar, dass weitere Unternehmen ihren Mitarbeitern die hauseigene Firmenflotte in einer Art Carsharing für die Nutzung über Nacht oder an den Wochenenden zur Verfügung stellen. Das Unternehmen kann so aus einer Flotte, die in diesen Zeiträumen für gewöhnlich ungenutzt auf dem Hof steht, zusätzliche Einnahmen generieren. Der Vorteil der Mitarbeiter liegt dabei in der Möglichkeit, zu günstigen Konditionen und bei Bedarf ein Fahrzeug zu erhalten. Dieses wird beispielsweise für einen 457 458

Vgl. Mu by Peugeot (2011). Vgl. Siemens AG (2011).

6.6 CFC – Quo vadis?

153

Großeinkauf am Abend nach der Arbeit entliehen und am nächsten Morgen auf dem Weg zur Arbeit wieder abgegeben. Die Abrechnung der jeweiligen Nutzungskosten kann durch eine Verrechnung mit dem Gehalt der Angestellten erfolgen. Auch ein Öffnen und Schließen des Fahrzeugs durch die Unternehmenschipkarte, die in vielen Unternehmen an die Mitarbeiter vergeben wird, ist dabei möglich. Bislang übernehmen die Automobilhersteller in der Regel nur die Bereitstellung der Fahrzeugflotten für Unternehmen und der herstellerverbundene Finanzdienstleister das Flottenmanagement. Die Unternehmen müssen ihrerseits stets bemüht sein, die Kosten bzw. die Größe der unternehmenseigenen Fahrzeugflotte auf einem Minimum zu halten. Sofern es möglich ist, einen Teil der Kosten durch das erläuterte Konzept zu decken, kann der Notwendigkeit der Kostenminimierung begegnet werden. Dies hätte für die Automobilhersteller den Vorteil, dass die Gefahr einer Reduzierung der Fahrzeugflotte durch das Unternehmen ggf. vermieden werden kann. Da eine Abrechnung von privaten Nutzungskosten der Flottenfahrzeuge in der Regel einen immensen Mehraufwand für das betroffene Unternehmen bedeutet, bietet sich hier für den herstellerverbundenen Finanzdienstleister die Chance diesen Service für den Kunden im Rahmen eines erweiterten Flottenmanagement zu übernehmen. Insbesondere die Bereitstellung von Elektromobilität für Unternehmen bietet für die Automobilhersteller großes Wachstumspotential im Bereich des Corporate Carsharing. Elektromobilität ist Bestandteil einer zukünftigen, umweltbewussten und kostenreduzierten Mobilität. Speziell umweltbewusste Unternehmen werden versuchen, ihre Flotte diesem Trend anzupassen und diese Fahrzeuge zur privaten Nutzung auch ihren Mitarbeitern anzubieten. Im Management und der Abwicklung dieser neuen Wertschöpfungskette liegt damit deutliches Potential für den Automobilhersteller und seinen herstellerverbundenen Finanzdienstleister. Als erster herstellerverbundener Finanzdienstleister, ist die BMW-Tochter Alphabet, mit ihrem Angebot „AlphaCity“ umfassend in dieses Geschäftsmodell eingestiegen.459

6.6.5

Neue Leasingmodelle im Bereich der Elektrofahrzeuge

Das Bestreben der heutigen Gesellschaft ist zunehmend von Nachhaltigkeit geprägt. In Anbetracht der globalen Erwärmung, der Verknappung fossiler Ressourcen und der Angst vor atomaren Katastrophen hat in den Köpfen der Menschen ein Umdenken stattgefunden. Das Ziel ist es, eine Zukunft zu gestalten, in der die Ressourcen ökologisch, CO2-neutral und sparsam genutzt werden. Unter anderem mit dem Elektrofahrzeug will die Automobilindustrie dem Nachhaltigkeitsgedanken folgen und eine neue Form der Mobilität schaffen. Wie bereits dargestellt weisen Elektrofahrzeuge bisher einige Defizite in Bezug auf den Preis, die Reichweite sowie die infrastrukturelle Versorgung auf. Für Automobilhersteller ergibt sich daraus die Herausforderung, die Elektrofahrzeuge unter den gegebenen Bedingungen mit neuen Finanzierungs- bzw. Leasinglösungen zu vermarkten. Von besonderer Bedeutung sind dabei die wirtschaftliche Ausgestaltung des Leasings sowie die damit einhergehenden Chancen und Risiken.

459

Vgl. alphabet.de (2011).

154

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

6.6.5.1

Aufteilung des Leasing für Batterie und Fahrzeug

Elektrofahrzeuge stellen derzeit die zukunftsweisende Technologie dar. Sie gelten nicht nur als „sauber“ verglichen mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren, sondern folgen dem in der Gesellschaft weitverbreiteten Nachhaltigkeitstrend. Auf dem Markt sind bereits zahlreiche Elektrofahrzeuge erhältlich, wenn auch zu weitaus höheren Anschaffungspreisen als herkömmliche Fahrzeuge. Ursächlich hierfür sind die hohen Batteriekosten. Weiterhin ist die Lebensdauer der Batterien derzeit auf wenige Jahre beschränkt. Den Kauf von Elektrofahrzeugen ziehen folglich noch die wenigsten Autokäufer in Betracht. Eine Möglichkeit, die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen zu steigern, kann die finanzielle Entkopplung der Batterie vom Fahrzeug bieten. Dabei kaufen Kunden das Fahrzeug quasi leer (ohne Batterie) zum herkömmlichen Anschaffungspreis und leasen zusätzlich die Batterie über z. B. den herstellerverbundenen Finanzdienstleister. Der Automobilhersteller oder ein Drittanbieter übernimmt dabei die Anschaffung und Wartung der Batterie sowie die anschließende Entsorgung. Der Vorteil durch das separate Leasing der Batterie liegt für den Kunden ganz klar in der Kostenreduktion gegenüber einem Kauf sowie der permanenten Verfügbarkeit der Batterie. Aktuell bietet Renault den Kangoo in der emissionsfreien Version für € 23.800 zuzüglich € 85,68 monatlicher Leasingrate an (Laufzeit: 48 Monate, jährliche Laufleistung: 10.000 km, inkl. Mehrwertsteuer).460 Damit ist der Kangoo im Vergleich zum gleichen Modell mit Dieselmotor rund € 9.000 teurer. Zusätzlich beträgt der Gesamtleasingaufwand der Batterie über die Nutzungsdauer hinweg € 4.113.461 Aus Sicht der Automobilhersteller ist es fraglich, inwieweit es für sie profitabel sein kann, die Investitionskosten der Batterie auf sich zu nehmen und für die Wartung und Instandhaltung aufzukommen. Bei einer Gegenüberstellung der Leasingeinnahmen des obigen Beispiels mit den Anschaffungskosten der Batterie scheint es auf den ersten Blick ein unwirtschaftliches Geschäft zu sein. Im Folgenden soll eine einfache Beispielrechnung Aufschluss über die Bedingungen für eine Rentabilität des Batterieleasings geben. Folgende Annahmen werden zu Grunde gelegt:462 Die Lebensdauer der Batterie beträgt t Jahre. In diesem Zeitraum werden die Erträge und Aufwendungen wie folgt definiert: • • • • •

460

Kosten der Batterie pro Energieeinheit: x1 €/Wh Wartungskosten der Batterie pro Energieeinheit pro Jahr: p €/Wh/Jahr Jährliche Leasingeinnahmen: x €/Wh/Jahr Einnahmen durch Recycling der Batterie pro Energieeinheit: q €/Wh (Nachdem die Batterie im Fahrzeug ausgedient hat, kann sie z. B. für kleinere Elektrizitätsnetze verwendet werden) Die jährliche Verzinsung der Erträge erfolgt mit α

Vgl. Renault.de (2012). Vgl. Renault.de (2012). 462 Vgl. Li, Z., Ouyang, M. (2011), S. 3224f. 461

6.6 CFC – Quo vadis?

155

Die Gesamtleasingeinnahmen C sind folglich: C = x+

x

+

x

(1 + α ) (1 + α )

2

+

x

(1 + α )

3

+…

x (

)

(

)

(1 + α ) t −1

Die Einnahmen bei Entsorgung der Batterie betragen: Q=

q (1 + α )t

Die Wartungskosten der Batterie betragen: P = p+

p

+

p

(1 + α ) (1 + α )

2

+

p

(1 + α )

3

+…

p

(1 + α ) t −1

Unter Berücksichtigung dieser Faktoren kann mit dem Verleasen von Batterien nur Gewinn gemacht werden, wenn C + Q − P − x1 > 0 .

6.6.5.2

Chancen und Risiken im Bereich der Elektromobilität

Elektrofahrzeuge sollen die zukünftige Mobilität prägen. Allerdings weist der heutige Stand der Elektromobilität erhebliche Defizite auf, woraus sich für die Automobilhersteller Chancen und Risiken ergeben. Derzeit kann noch keine großflächige Abdeckung mit Batterieladestationen gewährleistet werden. Dies kann einer von vielen Gründen sein, weshalb Elektrofahrzeuge noch keinen großen Anklang bei Autokäufern gefunden haben. Hier bietet sich für die Automobilhersteller die Chance durch strategische Allianzen mit Energieversorgern, ihr Geschäftsmodell auf die Bereitstellung der Infrastruktur auszuweiten.463 Dazu gehört zusätzlich zu den Ladestationen das Angebot von Werkstätten für die Wartung und Reparatur von Elektrofahrzeugen. Indem Automobilhersteller diesen Teil der Wertschöpfungskette integrieren, könnten sie langfristig gesehen enorme Erträge erzielen. Ein weiteres Defizit ist die geringe Reichweite der Elektrofahrzeuge. So hält die durchschnittliche Autobatterie derzeit bei sparsamer Fahrweise nur ca. 100–150 km.464 Laut einer Umfrage des ADAC würden sich daher nur 10% der Befragten mit dieser Strecke zufrieden geben.465 Weiterhin beschleunigen Verbrauchsfaktoren wie die Geschwindigkeit, das Zuschalten von Klimaanlage oder Heizung sowie externe Faktoren wie die Außentemperatur die Entladung der Batterie. Eine längere Fahrt auf der Autobahn ist somit bei heutigem Stand der Technik kaum möglich. Allerdings sollte die Reichweite in Großstädten kein Ausschlusskriterium darstellen. Die Automobilhersteller könnten durch Kooperationen mit dem öffentlichen Nahverkehr oder Parkhausbetreibern Ladestationen installieren, an denen Besitzer von Elektrofahrzeugen ihr Fahrzeug abstellen und laden können während sie ihre Erledigungen durchführen.466 In 463

Vgl. Roeder, R. (2011), S. 27. Vgl. Elektroauto-Fahren (2011). 465 Vgl. ADAC (2011b). 466 Vgl. Roeder, R. (2011), S. 28. 464

156

6 Das Geschäftsfeld der Automobilfinanzdienstleister im Wandel

einigen Großstädten Deutschlands hat sich dieses Modell bereits etabliert. Da ohnehin in den Innenstädten ein akutes Parkplatzproblem herrscht, schaffen eigens für Elektrofahrzeuge konzipierte Park & Ride-Parkplätze Entlastung. Das kalifornische Unternehmen Better Place kann hinsichtlich der nicht ausreichenden Anzahl an Ladestationen und dem Reichweitenproblem einen Lösungsansatz liefern.467 Das Konzept des Unternehmens besteht darin, ein Netzwerk von automatischen Batteriewechselstationen aufzubauen. Der Fahrer muss hierzu das Elektrofahrzeug lediglich auf eine spezielle Plattform fahren, auf der der weitere Vorgang vollautomatisch erfolgt. Unterhalb des Fahrzeugs wird die leere Batterie entfernt und durch eine aufgeladene Batterie ersetzt. Die leeren Batterien werden in einem unterirdischen Lager gewartet und für den Wiedereinsatz aufgeladen. Die Dauer des Batteriewechsels beträgt ca. zwei Minuten. Mit einer großflächigen Implementierung der Wechselstationen beispielsweise in Tankstellen würde die geringe Reichweite der derzeitigen Batterien keine Rolle mehr spielen. Die Autofahrer könnten einfach bei Bedarf die nächste Tankstelle anfahren und nach wenigen Minuten mit einer vollen Batterie weiter fahren. Für Automobilhersteller besteht die Möglichkeit einer Kooperation mit Better Place wie es beispielsweise Renault vormacht.468 Renault wird ab 2012 in Australien ein Elektrofahrzeug auf den Markt bringen, das in Zusammenarbeit mit Better Place entwickelt wurde und über einen Wechselakku verfügt, der mit den Batteriewechselstationen kompatibel ist. In diesem Modell wird das Elektrofahrzeug ohne Batterie bei Renault gekauft, während die Batterie von Better Place geleast wird. Automobilhersteller könnten durch die Auslagerung des Batterieleasings an ein Unternehmen wie Better Place Vorteile hinsichtlich der wegfallenden Anschaffungskosten der Batterien erlangen. Durch eine großflächige Abdeckung mit Wechselstationen in den Städten, könnte den Kunden ein weiteres Kaufargument für Elektrofahrzeuge geliefert werden. Allerdings stehen insbesondere deutsche Automobilhersteller dem Konzept von Better Place kritisch gegenüber.469 Sie befürchten, dass eine frühzeitige Standardisierung der Autobatterien die Forschung beeinträchtigt. Weiterhin möchten die Automobilhersteller ihre Individualität sichern, indem sie sich nicht den einheitlichen Anforderungen des Fahrzeugunterbaus fügen. Unter Abwägung der oben genannten Punkte lässt sich schlussfolgern, dass die Elektromobilität in Zukunft zahlreiche Ertragsaussichten auch unter dem Blickwinkel von Leasing und Finanzierungsangeboten bietet. Den Automobilherstellern und ihren verbundenen Finanzdienstleistern bietet sich die Chance, als Wegbereiter aktiv an der Gestaltung zukünftiger Mobilitätskonzepte und Infrastrukturen zu partizipieren. Sie sollten es nicht versäumen, sich dem Nachhaltigkeitstrend anzuschließen und ihn wirtschaftlich mitzugestalten. Die herstellerverbundenen Finanzdienstleister sollten den Wandel im klassischen Leasing und Finanzierungsgeschäft erkennen und ihre Produkte auch auf die neuen Entwicklungen des E-Markts zuschneiden.

467

Vgl. Better Place (2011). Vgl. Mein Elektroauto (2011). 469 Vgl. Mein Elektroauto (2010). 468

7

Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

7.1

Executive Summary

Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für Automobilhersteller besteht darin, die neuen Mobilitätsanforderungen ihrer Kunden frühzeitig zu erkennen, um geeignete Mobilitäts- bzw. mobile Nutzenkonzepte zu entwickeln und anzubieten. Die Ergründung der dynamischen Mobilitätsbedürfnisse gelingt ausgehend von der Analyse ihrer Determinanten, der wesentlichen gesellschaftlichen Entwicklungsfelder Moral, Ökonomie, Demografie, Urbanisierung, Ökologie und Technologie. Die veränderte Moral in der Gesellschaft enthält dabei das Bedürfnis nach umweltschonender Mobilität. Die Vorstellung vom Automobil als Statussymbol erodiert und das Automobil wandelt sich mehr und mehr zum reinen Zweckerfüllungsgegenstand. Dies wirkt trendverstärkend auf alternative Nutzenkonzepte wie z. B. Leasing oder Carsharing, die an Bedeutung gewinnen. Da der individuelle Fahrzeugbesitz für den „Konsum“ von Mobilität nicht länger von Nöten ist, ergeben sich signifikante ökonomische Herausforderungen für Automobilhersteller. Vor dem Hintergrund demografischer Veränderungen, wie z. B. der steigenden Zahl an kleineren Haushalten und einer alternden Bevölkerung in den großen Industrienationen, wird sich die Bereitschaft und die Nachfrage nach alternativen Mobilitäts- und mobilen Nutzenkonzepten einerseits, und nach einfacher und altersgerechter Mobilität andererseits erhöhen. Auch die anhaltende weltweite Urbanisierung und die daraus resultierende zunehmende Verkehrsdichte werden den Ruf nach sauberer Mobilität, nach Lebensraum und kleinen effizienten Automobilen oder alternativen Mobilitätslösungen verstärken. Die technologische Entwicklung hat bereits völlig neue Bedürfnisse wie die allgegenwärtige Vernetzung über das Internet, erhöhte Sicherheitsanforderungen seitens des Kunden, einen höheren Unterhaltungswert sowie steigende Effizienz in Bezug auf neue Mobilitäts- und mobile Nutzenkonzepte determiniert. Die Analyse bereits realisierter bzw. in Planung befindlicher Konzepte (z. B. „Mu by Peugeot“, „Better Place“, „Carsharing“, „PRT 2getthere“ sowie „BMWi“) zeigt, dass diese bereits in der Lage sind bzw. sein werden, Antworten auf zukünftige Mobilitätsbedürfnisse zu geben. Eine spannende Frage ist, welche neuen, noch nicht existierenden Mobilitäts- bzw. mobilen Nutzenkonzepte den Kundenbedürfnissen in der Zukunft ebenfalls gerecht werden könnten? Als ein Zukunftsbeispiel eines mobilen Nutzenkonzepts wird später das duale Konzept „Car Packaging and Pooling“ erläutert. Mit „Car-Package“ könnte der Mobilitätskunde ein gemäß seiner individuellen Mobilitätsbedürfnisse zugeschnittenes Fahrzeugpaket erwerben und die Fahrzeuge abwechselnd, zeitlich flexibel nutzen. Durch den zweiten Baustein „Car Pooling“ könnten die nicht genutzten Fahrzeuge wiederum von anderen Nutzern gemietet werden. Dieses Konzept würde Lösungen für gleichzeitig mehrere gesellschaftliche Entwicklungs-

158

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

felder bieten. Auch das zweite, eher visionäre Mobilitätskonzept, richtet sich an den zukünftigen Determinanten aus, indem es die Mobilitätskonzepte „Better Place“ und „PRT“ kombiniert und ergänzt. Der aktuelle und zukünftig voranschreitende Wandel im Bereich Mobilität wird von den Automobilherstellern ähnliche Überlegungen verlangen, um sich im Wettbewerb um Mobilitätskunden gegen potenzielle Konkurrenz aus anderen Segmenten der mobilen Wertschöpfungskette, die aufgrund der veränderten Mobilitätsbedürfnisse eine vermehrte Existenzberechtigung erhalten, behaupten zu können.470

7.2

Darstellung der Begrifflichkeiten

Definition Mobilität In der Literatur sind zahlreiche Definitionen des Begriffs Mobilität zu finden. Neben der lateinischen Bezeichnung mobilitas, die „Beweglichkeit, Gewandheit, Wankelmut“ bedeutet, gibt es z. B. folgende Definition: „Mobilität ist allgemein die Bewegung von Personen und Sachen. Diese können sich physisch, geistig oder sozial bewegen.“471 Eine weitere Definition für Mobilität findet sich auch bei Bähr (1983): „[Die] Mobilität bezeichnet den Wechsel eines Individuums zwischen definierten Einheiten eines Systems.“472 Das bedeutet, dass sich etwa ein Mensch in der Bewegung von einem zu einem anderen Ort befindet. Wie auch Kristofferson & Ljungberg anführen wird die Mobilität heute oftmals in Verbindung mit einem Hilfsmittel wie beispielsweise dem Auto gesehen, das dem Menschen bei der Fortbewegung hilft, und ihn somit über die eigenen körperlichen Fähigkeiten hinaus mobil hält. In Anlehnung an Kristofferson & Ljungberg verstehen wir unter Mobilität die physische Fortbewegung mittels Hilfsmittel. Definition Bedürfnis Unter einem Bedürfnis verstehen wir allgemein einen „Sammelbegriff für materielle und nicht-materielle Dinge oder Zustände, die für Individuen unumgänglich sind oder von ihnen angestrebt werden. Elementare Bedürfnisse dienen der Selbsterhaltung und der Sicherheit des Individuums. Erlernte (Sekundär-)Bedürfnisse beziehen sich auf die soziale Anerkennung, die Selbstachtung und die Selbstverwirklichung. Bedürfnisse variieren zwischen unterschiedlichen Kulturen, unterliegen immer psychologisch-subjektiver Empfindung und Einschätzung und unterscheiden sich daher gravierend hinsichtlich der erforderlichen Menge oder Intensität und dem individuellen Grad der Bedürfnisbefriedigung.“473

470

Wir bedanken uns bei den Herren Daniel Bickert, Markus Lechner und Mathias Wesinger für Ihre Unterstützung zu dem Themenkomplex „Mobilitätsbedürfnisse und -konzepte“. Deren Aktivitäten haben erst das Gelingen dieses Buchs ermöglicht. 471 Montes de Oca (2007), S. 4. 472 Bähr, J. (1983), S. 277. Laut Kristofferson & Ljungberg (1999) kann der Begriff Mobilität nur sehr schwierig oder kaum korrekt definiert werden, da entweder gewisse Umstände fehlen oder die Definition zu wage ist. Gleichwohl kann die Mobilität relativ einfach durch etliche Beispiele beschrieben werden. Trotz dieser Aussage lassen sich in der Literatur einige Definitionen zur Mobilität finden. 473 Schubert, K., Klein, M. (2006), S. 25.

7.2 Darstellung der Begrifflichkeiten

159

Definition Mobilitätsbedürfnis Unter Mobilitätsbedürfnis verstehen wir in diesem Kapitel das „Bedürfnis des Menschen nach Bewegung und Raumüberwindung sowie der Möglichkeit, Güter, Dienstleistungen und Informationen räumlich zu verändern und zu bewegen. Abgesehen von dem individuellen Wunsch des Menschen sich zu bewegen, in den Urlaub zu fahren oder Freizeitaktivitäten an unterschiedlichen Orten zu genießen, motiviert sich das Bedürfnis nach Mobilität auch aus der Möglichkeit zur Befriedigung von Grundbedürfnissen, wie der Erlangung von Nahrung und Kleidung oder der Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes.“474 Definition Konzept Konzept im Sinne dieses Kapitels bedeutet Entwurf für ein neues Produkt oder einen neuen Service. Während der Konzeptentwicklung wird ein Konzept von einem groben Entwurf in eine stärker ausgearbeitete Produktdefinition umgesetzt. Ein Konzept enthält strukturierte und unstrukturierte Informationen über den Produktentwurf. Im zugehörigen Konzeptentwicklungsprozess wird eine Lebenszyklussicht auf die Informationen angelegt.475 Definition Mobilitätskonzept Ein Mobilitätskonzept kann nicht nur für eine große Umwelt und Gesellschaft als ganzheitlicher Ansatz, sondern auch in einem mikroökonomischen Ansatz, wie etwa in einem Betrieb, definiert werden. Das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr Baden-Württemberg versteht demnach unter Mobilitätskonzept folgendes: „Betriebliche Mobilitätskonzepte beinhalten Ziele und Maßnahmen eines Unternehmens zur wirtschaftlichen und umweltverträglichen Abwicklung des unternehmensbezogenen Verkehrs“,476 worunter beispielsweise auch der Pendlerverkehr oder der Kundendienstverkehr fallen können. Gleiches gilt auch für die makroökonomische Ebene. Dabei wird in einem Gebiet (bspw. einer Gemeinde, einer Stadt oder einem Land) ein Konzept für die Umsetzung von (privater) Mobilität etabliert, das wie auf betrieblicher Ebene Umwelteinflüsse oder andere Ziele (bspw. auch zur Gewinngenerierung eines Unternehmens) berücksichtigt. Dieses Konzept kann beispielsweise im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs liegen, aber auch ganz neue Nischen bedienen, um den Menschen in seiner Mobilität zu unterstützen. Dabei muss der Begriff des Mobilitätskonzepts, das sich mehr auf eine Umwelt und auf einen ganzheitlichen Ansatz bezieht, von einem mobilen Nutzenkonzept abgegrenzt werden, das eher den Menschen beispielsweise als Dienstleistungsempfänger und Nutzer, in den Mittelpunkt stellt. Definition mobiles Nutzenkonzept Abgrenzend zum bereits definierten Mobilitätskonzept wird unter einem mobilen Nutzenkonzept ein Konzept verstanden, das nicht neue Arten und Wege der Mobilitätsbeschreitung an sich zum Gegenstand hat, sondern vielmehr die Nutzung bereits bestehender Mobilitätsalternativen umfasst. Ein mobiles Nutzenkonzept tangiert somit nicht die Anzahl der vorhandenen Mobilitätslösungen, sondern erweitert die Nutzungsalternativen. Konzepte dieser Art 474

Vgl. Weinreich (2003), S. 43. Vgl. SAP (2010a): Alternative Definition: Konzept: „Konzept heißt die Beschreibung bzw. den Entwurf der Funktionsweise von Systemen.“ nach Enzyklo (2010). 476 Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr Baden-Württemberg (2010). 475

160

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

beinhalten auch Dienstleistungen, die den Menschen als Nutzer in den Mittelpunkt stellen und es ihm ermöglichen, Mobilität zu nutzen, ohne dabei selbst Eigentümer eines Fortbewegungsmittels zu werden.

7.3

Determinanten zukünftiger Mobilitätsbedürfnisse

7.3.1

Entwicklungsfelder in der Gesellschaft

Ihre Bedürfnisse nach Mobilität können Menschen durch die Inanspruchnahme verschiedener Mobilitätskonzepte bzw. mobiler Nutzenkonzepte erfüllen. Dabei wird dasjenige Konzept zum Einsatz kommen, durch welches die Bedürfnisbefriedigung am besten erreicht werden kann. Zur Entwicklung geeigneter Konzepte sind die Mobilitätsbedürfnisse der Zukunft auf ihre spezifischen Merkmale hin zu ergründen. Zunächst gilt es in Erfahrung zu bringen, von welchen Determinanten diese Bedürfnisse beeinflusst werden. Von diesen Determinanten, die unterschiedlichen Entwicklungen in der Gesellschaft Rechnung tragen, kann dann auf die Mobilitätsbedürfnisse der Zukunft geschlossen werden. Eine Übersicht ausgewählter Entwicklungsfelder in einer Gesellschaft liefert Abbildung 90. Im Folgenden liegt der Fokus der bedeutenden Determinanten zukünftiger Mobilitätsbedürfnisse auf den gesellschaftlichen Entwicklungsfeldern Moral, Ökonomie, Demografie, Urbanisierung, Ökologie und Technologie.

Abbildung 90: Ausgewählte gesellschaftliche Entwicklungsfelder Quelle: Eigene Darstellung

7.3.2

Moralische Entwicklungen

Moralische Entwicklungen heute Betrachtet man die geschichtliche Entwicklung eines Landes oder allgemein einer Gesellschaft kann man erkennen, dass sich individuelle aber auch gruppenspezifische Faktoren wie Werte, Moral, kulturelles Leben, Emotionen, Vorstellungen und ähnliche Eigenschaften in einem ständigen Wandel befinden. Versuchte man die moralischen Werte zweier Generatio-

7.3 Determinanten zukünftiger Mobilitätsbedürfnisse

161

nen miteinander zu vergleichen, so würde man sicherlich zu dem Ergebnis kommen, dass sie sich nicht stringent entwickeln. Manche moralischen Wertevorstellungen haben sich aus subjektiver Sicht gebessert, manche haben sich verschlechtert, gleich ist nur, dass sich die Moral im Ganzen verändert hat. Viele moralische Vorstellungen orientieren sich heutzutage an dem Bewusstsein, sich politisch korrekt und ökologisch richtig zu verhalten. Publiziert werden oft Beispiele von Menschen, die sich entgegen der gesellschaftlichen Moralvorstellungen verhalten und mehr auf das eigene Wohl als auf das der Gesellschaft und der Allgemeinheit achten. Das heutige ökonomische Bild ist deshalb oft geprägt durch ein Denken für eigene Ansprüche und den eigenen Nutzen, Arbeit, privates Leben und die eigene Familie sind dabei wichtiger als soziales Engagement, gesellschaftliche Integration oder Gruppenbewusstsein. Diese Entwicklung wird durch die Landflucht verstärkt, weil die Anonymität der Großstadt immer mehr einen moralischen Wandel in der Gesellschaft bewirkt. Moralische Entwicklungen morgen Gerade durch die globalen Herausforderungen der heutigen Gesellschaft, wie beispielsweise die Klimaveränderungen, explodierendes Bevölkerungswachstum und die Verknappung an natürlichen Ressourcen, ist es notwendig, dass sich die Allgemeinheit damit auseinandersetzt und sich diesen Problemen stellt. Ein Einzelner kann kaum etwas an einer ökologischen Verschmutzung oder den Abgaswerten ändern, die das Weltklima bedrohen. Nur gemeinsam, an einem Strang ziehend, kann etwas bewegt und verändert werden. Die Moral vieler muss sich in Zukunft in Richtung der „Responsibility“, der Verantwortung gegenüber der Welt und der Gesellschaft entwickeln. Keime dieser Entwicklung sind bereits weltweit sichtbar und könnten auch in Zukunft weiter sprießen. Insbesondere in Bezug auf die Mobilität hat sich bereits und muss sich weiterhin Grundlegendes ändern, um die obigen Ziele zu verfolgen. Auswirkung der moralischen Entwicklungen auf die Mobilität War es beispielsweise vor 50 Jahren noch gesellschaftlich völlig anerkannt in der Öffentlichkeit, in Lokalen oder bei gesellschaftlichen Anlässen zu rauchen, so hat sich mittlerweile eine immer größer werdende gesellschaftlich moralische Abneigung gegenüber dem Rauchen entwickelt, so dass mittlerweile Rauchverbote zum Schutz der Nichtraucher in öffentlichen Einrichtungen erlassen wurden. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in Bezug auf die Mobilität abzeichnen. Während beispielsweise in den USA früher die Vorstellungen über ein Auto noch in Richtung Größe, Leistung und Hubraum gingen, besinnt man sich heutzutage vielerorts mehr auf benzinsparende und kompakte Autos, insbesondere im Stadtverkehr. Auch die emotionale Strahlkraft des Autos als Statussymbol scheint zu schwinden, meint der Managementberater Peter Kruse, der dies als Ergebnis eines Tiefeninterviews von Konsumenten bekräftigt. Das Auto habe demnach in Design und Emotion an Anziehungskraft verloren. Dabei seien vor allem die Oberklassefahrzeuge noch weiter von den Idealvorstellungen entfernt als die Kleinfahrzeuge.477 Eine moralische und auch emotionale Veränderung ist allerdings nicht autonom, sondern weitestgehend beeinflusst von externen Einflüssen. Durch mehr Aufklärung, Knappheit der Ressourcen, Bewusstsein über die Verantwortung gegenüber unseren Nachkommen, Kostenbewusstsein, ökologische Faktoren, technischen Fortschritt und andere Fakten verändern sich 477

Vgl. Schneider, M. (2010).

162

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

auch Vorstellungen über Mobilität, die Art wie man sich fortbewegen will und was dabei als richtig und was als falsch erachtet wird. Die menschliche Moralvorstellung lässt sich dabei in zwei Richtungen unterscheiden. Zum einen moralisches Handeln, das in der Realität gelebt wird und moralische Regeln, die der Gesellschaft, etwa durch die Politik und Gesetzgebung auferlegt, und insofern als „gültig“ angesehen werden.478 Beide Moralbewegungen zusammen ergeben die Art des moralischen Denkens und Handelns in der jeweiligen Gesellschaft. Die Automobilindustrie kann davon allerdings direkt nur ersteres erreichen; gesetzliche Vorgaben muss sie erfüllen, etwa die Abgasnormen, Lärmrichtlinien oder Sicherheitsbestimmungen. Im moralischen Handeln dagegen kann sie die Kunden und die Gesellschaft direkt erreichen. So wird seit einigen Jahren eine Verbindung aus Emotion als markentypische Ausprägung des Herstellers verbunden mit dem Bewusstsein zur gesellschaftlichen „Responsibility“ – sprich der Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit – forciert. Dies liefert beispielsweise eine Palette an Argumenten für Design und Fahrspaß, aber auch gleichzeitig für emissionsarme Fortbewegung durch alternative Antriebe moderner Motorenkonzepte wie Hybrid-Antrieb oder Elektromotoren.479 Die Kunst der Automobilindustrie besteht folglich darin, dem Kunden durch das Produkt und dessen Image – sprich durch Werbung und Kommunikation – das Gefühl zu geben, sowohl den moralischen Vorstellungen ökologisch richtiger Verhaltensweise zu entsprechen und ohne dabei Fahrspaß und Komfort des Autofahrens einzubüßen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Auto und die Bedürfnisse an Mobilität von einer Veränderung der Werte und der Moral determiniert werden. Das Automobil muss nicht mehr nur den Stellenwert eines Statussymbols erfüllen, sondern kompakt, unscheinbar und zweckerfüllend scheinen die neuen Devisen zu sein. Dies gepaart mit den moralischen Vorstellungen eines ökologischen Verantwortungsbewusstseins rückt deutlich in den Fokus. Der Mensch möchte umweltschonend mobil sein, das Auto sollte folglich emissionsarm oder gar emissionslos fahren können. Allerdings muss gerade dieser Gedanke über die gesamte Wertschöpfungskette hin betrachtet werden. Dies bedeutet, dass auch die Energie, die ein Auto benötigt, klimaneutral produziert wird, um den moralischen Aspekt der ökologischen Responsibility gänzlich zu erfüllen.

7.3.3

Ökonomische Entwicklungen

Ökonomische Entwicklungen heute Die Ökonomie hat sich im Laufe der Zeit enorm verändert. In der modernen Gesellschaft wird es als selbstverständlich angesehen, in der Lage zu sein, jegliche Güter, sei es Dienstleistung oder Konsumware, kaufen zu können.480 Dabei muss es nicht einmal das eigene Geld sein, auch ein Leben mit Kreditfinanzierungen und Darlehen ist in vielen Ländern üblich. In der Gesellschaft wird großer Wert auf Eigentum gelegt. Der Aufbau von Vermögen zur Altersvorsorge, der Hauskauf aber auch die Anschaffung von Statussymbolen wie eines Autos werden in der Gesellschaft als wichtig empfunden. Unternehmen können durch hohe Spezialisierungsgrade und Automatisierung Konsumgüter sehr billig anbieten. Durch den Einsatz von Maschinen schrumpfen einerseits Personalkosten und Fehlerpotenzial, anderseits steigen Energiekos478

Vgl. Thieme, S. (2007), S. 1. Vgl. Allgayer, F. (2009), S. 34. 480 Vgl. van Suntum, U. (2005), S. 3. 479

7.3 Determinanten zukünftiger Mobilitätsbedürfnisse

163

ten und der Aufwand für Informationstechnologien. Auch der unternehmerische Wettbewerb wird, bedingt durch das Fallen globaler Wirtschaftsbarrieren und international operierender Finanzinvestoren intensiver. Blickt man in die Zukunft und auf damit zusammenhängende Studien, so lässt sich ein Wandel im ökonomischen Verständnis nicht bestreiten. Ökonomische Entwicklungen morgen Die Ökonomie von morgen bedingt einen Wandel im Denken und Handeln der Gesellschaft, wie es bereits durch die moralische Entwicklung und deren Auswirkungen auf die Mobilität dargestellt wurde. Der renommierte Yale-Ökonom Robert Shiller sieht die alten ökonomischen Strukturen bröckeln, gerade in Zeiten, in denen es immer wieder zu Schocks und Wirtschaftskrisen kommt. Er sieht beispielsweise die Notwendigkeit, die aktuellen Marktstrukturen zu verändern. Der Weg führe demnach davon weg, dass das Zusammenkommen von Angebot und Nachfrage dominieren und der Staat nur ein allgemeines Wettbewerbs- und Verbraucherrecht dafür formuliert. Eine neue Wirtschaftsstruktur müsse erforscht werden, um auch den neuen Ansprüchen an die Ökonomie gerecht zu werden.481 Auch das Konsumverhalten der Gesellschaft unterliegt einer permanenten Veränderung. Gerade im Investitionsgüterbereich ist der Trend erkennbar, dass sich das Konsumverhalten vom alleinigen privaten Eigentum entfernt und zur kollektiven bzw. gemeinsamen Nutzung eines finanzintensiven Konsumgutes hin entwickelt. Auswirkung der ökonomischen Entwicklungen auf die Mobilität Die Anpassung oder die Lenkung moralischer Vorstellungen ist jedoch nicht losgelöst vom ökonomischen Aspekt des Wirtschaftens zu sehen. Für den Bereich der Automobilindustrie bedeutet dies, dass zum Beispiel moralgedeckte Entwicklungen wie alternative Antriebskonzepte ökonomisch vertretbar und somit bezahlbar sein müssen. Die ökonomische Betrachtung muss dabei von zwei Seiten beleuchtet werden. Von Bedeutung ist einerseits, die wirtschaftlich sinnvolle Produktion des Automobils seitens der Automobilhersteller und andererseits, der wirtschaftliche Aspekt des Kunden, der das Fahrzeug erwerben möchte. In Zeiten der freien Marktwirtschaft und des Shareholder Value ist es vor allem für Großunternehmen, wie die Automobilhersteller, immens wichtig, eine ökonomisch sinnvolle Herstellung zu garantieren. Vor allem Faktoren wie steigende Lohnforderungen, höhere Ressourcenpreise, staatliche und soziale Abgaben und der Ruf nach Rendite erzeugen einen ungemeinen Kostendruck, der auf den Verantwortlichen lastet und ökonomisch abgefedert werden muss. Bereits kleinste Veränderungen an einem Serienwagen können Millionen an Kosteneinsparungen bedeuten. Gleichzeitig steigt der Konkurrenzkampf unter den Herstellern immer weiter. Durch effiziente Logistiksysteme können weltweit operierende Hersteller die Märkte mit ihren Autos versorgen. Vor allem die Billigproduktionen aus Osteuropa oder dem asiatischen Raum bedeuten für deutsche Hersteller insbesondere im Mittelklassesektor eine große Konkurrenz. Marken wie beispielsweise Dacia aber auch Toyota oder Mitsubishi versprechen gute Autos zu günstigen Preisen. Zahlreiche Automobilhersteller haben allerdings auch das Problem jahrelanger erheblicher Überkapazitäten – wodurch eine ökonomisch optimale Unternehmensführung und Produktion kaum möglich ist. Die Branche versucht sich hier immer weiter zu diversifizieren und vor allem in den Bereich der Zukunftstechniken zu investieren. 481

Vgl. Röpke, W. (2009).

164

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

Denn auch der Absatzmarkt der bisherigen Fahrzeugtypen destabilisiert sich zunehmend, unter anderem bedingt durch die großen finanzwirtschaftlichen Krisen in den letzten Jahren. So konnte beispielsweise die japanische Autogruppe um Toyota, Daihatsu und Hino 2009 nicht die angestrebten mehr als 10 Millionen Fahrzeuge verkaufen, sondern lediglich 8,24 Millionen und damit auch 700.000 Fahrzeuge weniger als im Vorjahr. Die verunsicherte Automobilindustrie vermutet hinter den Nachfrageeinbußen allerdings mehr als eine krisenbedingte Kaufzurückhaltung.482 Dies zeigt, wie sehr moralische, ökologische oder besonders ökonomische Einflüsse nicht nur das allgemeine Kaufverhalten von Kunden für Konsumgüter beeinflussen, sondern auch unmittelbar die Automobilindustrie betreffen. Durch sie müssen alternative Mobilitätslösungen und Mobilitätskonzepte entwickelt werden, um nicht den Anschluss an die sich verändernden Kundenpräferenzen zu verlieren. In Zeiten einer Weltwirtschaftskrise, angeschlagenen Banken und Staaten sind Kunden vermehrt darauf bedacht, zum einen den Lebensabend finanziell abzusichern, weniger auszugeben oder für weniger Geld alternative Produkte zu finden. Zum anderen überlegt sich der Kunde auf Basis urbaner Trends oder alternativen Mobilitätskonzepten, wie beispielsweise dem Carsharing, ob die Investition in einen Autokauf überhaupt noch individuell sinnvoll ist, oder ob der Kunde mehr Nutzen aus Leasing oder dem Teilen eines Autos ziehen kann. Der Weg zu alternativen Mobilitäts- und Antriebskonzepten führt letztendlich nur über die wirtschaftliche Machbarkeit. Im Bereich der Elektromobilität ist man maßgeblich auf die Entwicklung neuer Speichertechnologien angewiesen. Die aktuelle Lithium-Ionen-Generation ist bislang noch so teuer, dass dieser Markt wohl auf eine Miet- und Leasingnachfrage hinauslaufen wird. Beispielsweise werden momentan fahrzeugtaugliche Batteriezellen bei 500−600 EUR/kWh taxiert, ein wirtschaftlich serientauglicher Wert wäre allerdings erst ab 300 EUR/kWh erreicht.483 Zusammenfassend ist es für die Automobilindustrie von enormer Bedeutung, die sich verändernden Mobilitätsbedürfnisse der Kunden frühzeitig zu erkennen und gleichzeitig Entwicklungen zu forcieren, um auch grundlegende ökonomische Veränderungen in der Gesellschaft bedienen zu können. Die Serienreife von emissionsfreien Elektroautos muss erst noch erreicht werden. Neue Speicherlösungen sind erforderlich um an die Effizienz eines Verbrennungsmotors heranzureichen. Gleichzeitig sind Strategien zu entwickeln, mit denen dem Trend der Abkehr vom individuellen Fahrzeugbesitz begegnet werden kann. Hierbei besteht die Herausforderung, Lösungen zu entwickeln, die sich nahtlos in die automobile Wertschöpfungskette des Automobilherstellers integrieren lassen, damit der Markt für alternative Nutzungskonzepte, nicht durch andere Anbieter besetzt wird.

7.3.4

Demografische Entwicklungen

Demografische Entwicklungen heute Die Einwohnerzahl Deutschlands hat über eine lange Zeit stetig zugenommen. Abbildung 91 zeigt, dass der Höchststand im Jahr 2002 mit ca. 82,54 Mio. erreicht wurde und die Bevölkerungszahl seitdem leicht rückläufig ist. 482 483

Vgl. Canzler, W., Knie, A. (2009), S. 3. Vgl. Buller, U., Hanselka, H. (2009), S. 2.

7.3 Determinanten zukünftiger Mobilitätsbedürfnisse

Abbildung 91: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland Quelle: dpa, Statistisches Bundesamt (2009)

Abbildung 92: Bevölkerungsentwicklung und Altersstruktur Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung (2011)

165

166

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

In einer eigenen Schätzung teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit, dass in 2011 nach acht Jahren das erste Mal die Bevölkerung wieder leicht anstieg. Den Grund hierfür führt das Statistische Bundesamt allerdings auf eine positive Wanderungsbilanz zurück, wie Abbildung 91 verdeutlicht.484 Mit heute rund 81,8 Mio. Einwohnern, die sich auf 357.114 km2 verteilen, ist Deutschland eines der am dichtesten besiedelten Länder der Welt. Zwar besteht bereits seit 1972 für Deutschland jährlich ein Geburtendefizit (Differenz aus Geburten und Sterbefällen), d. h. die Anzahl der Sterbefälle übersteigt die Geburten. Dennoch blieb die Bevölkerungszahl durch einen konstanten jährlichen Wanderungsüberschuss relativ stabil. Neben dieser Entwicklung befindet sich Deutschland schon länger in einem Prozess demografischer Alterung, verursacht durch die seit Jahrzehnten sinkenden Geburtenzahlen und die beständig steigende Lebenserwartung, wie in Abbildung 92 zu sehen ist. Demografische Entwicklungen morgen Wie bereits beschrieben, ist ein entscheidender Erfolgsfaktor der Automobilhersteller die Adressierung der Kundenbedürfnisse bzw. der Mobilitätsbedürfnisse der Zukunft. Um diese realistisch ableiten zu können ist auch die zukünftige Demografie als bedeutender Nachfragefaktor zu berücksichtigen und zu analysieren. Denn es besteht ein enger Zusammenhang zwischen zentralen Kenngrößen von PKW-Mobilität und der Bevölkerungsentwicklung.485 Es stellt sich dabei zunächst die Frage, wie sich die Bevölkerung und deren Strukturen entwickeln werden, um letztendlich die hieraus resultierenden Mobilitätsansprüche antizipieren zu können. Auf diese Weise kann es der Automobilindustrie gelingen, rechtzeitig einzulenken und voraussehbare Kundenwünsche in Zukunft zufriedenzustellen. Es ist zu erwarten, dass die künftige demografische Entwicklung in Deutschland geprägt sein wird durch einen anhaltenden und sich verstärkenden Bevölkerungsrückgang, aufgrund weiter sinkender Geburtenzahlen bei gleichzeitiger Zunahme der Sterbefälle, da die stark besetzten Jahrgänge ein hohes Alter erreichen werden. Der Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes zufolge kann dieses wachsende Geburtendefizit nicht durch eine Nettozuwanderung ausgeglichen werden, so dass ein Rückgang der Bevölkerungszahl bis zum Jahr 2060 auf ungefähr 65 bzw. 70 Millionen prognostiziert wird (abhängig von den jeweiligen Schätzwerten)486. Dieser Rückgang geht mit starken Verschiebungen in der Altersstruktur, wie Abbildung 93 zeigt, einher. So wird jeder dritte Bewohner (34% der Bevölkerung) im Jahr 2060 mindestens 65 Jahre alt sein und etwa 14% 80 Jahre und älter. Eine bedeutende Beachtung gilt es den Menschen im Erwerbsalter (hier: von 20 bis 65 Jahren) zu schenken. Diese, besonders auf Mobilität angewiesene Bevölkerungsgruppe, wird schrumpfen und altern. Ihre Anzahl wird von heute knapp 45 Millionen auf 37 Millionen im Jahr 2030 bzw. auf 32 Millionen im Jahr 2060 sinken.487 Des Weiteren erfasst der demografische Wandel Deutschlands auch die Zahl und Struktur der privaten Haushalte, die als besonders wichtige Konsumenten sowie Erwerber von langlebigen Investitionsgütern wie Automobilen gelten. Vor 50 Jahren betrug die durchschnittliche 484

Vgl. Zeit (2011). Vgl. Shell Deutschland Oil GmbH (2009), S. 8. 486 Vgl. Statistisches Bundesamt (2009), S. 3. 487 Vgl. Statistisches Bundesamt (2009), S. 5ff. 485

7.3 Determinanten zukünftiger Mobilitätsbedürfnisse

167

Abbildung 93: Bevölkerung nach Altersgruppen Quelle: Statistisches Bundesamt (2009), S. 17

Haushaltsgröße noch rund drei Personen, heute sind es noch zwei Personen pro Haushalt. Eine Fortsetzung dieses Trends zu kleineren Haushalten wird prognostiziert. Dies bedeutet, dass Ein- und Zweipersonenhaushalte weiter an Bedeutung gewinnen werden.488 Auswirkung der demografischen Entwicklungen auf die Mobilität Ausgehend von den oben aufgezeigten Bevölkerungsvorausberechnungen für Deutschland, also einem steigenden Durchschnittsalter der Gesellschaft bzw. dem steigenden Anteil von Menschen in höheren Altersgruppen, ist die Frage zu stellen, ob dadurch Motorisierung (Verhältnis von PKW-Bestand zu Bevölkerung) und Mobilität zukünftig automatisch sinken müssten.489 Schließlich führt der wachsende Anteil der Älteren der Gesellschaft zu künftig älteren Mobilitätsteilnehmern (Autofahrern, Fußgängern, Radfahrern und Nutzern von Bussen und Bahnen) im Verkehrsraum. Prognosen zufolge soll durch die Zunahme der Seniorenanzahl und der Zunahme der Führerscheinbesitzer unter den Senioren der Anteil der 60-jährigen und älteren Automobilisten an der Gesamtbevölkerung steigen (von ca. 12 % im Jahre 1950 auf 24 % im Jahre 2025).490 Auch das Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel erachtet die zukünftig ältere Bevölkerung für mobiler als ihre vorherigen Generationen.491 Zu berücksichtigen ist außerdem der Altersstruktureffekt, d. h. dass die Verkehrsausgaben je nach Altersklasse variieren. So geben jüngere und mittlere Altersgruppen überdurchschnittlich viel Geld für Mobilitätszwecke aus, wohingegen die Ausgaben in höherem Alter deutlich abnehmen. Daher ist davon auszugehen, dass aufgrund der älter werdenden Bevölkerung die Verkehrsausgaben insgesamt und somit auch für das Automobil sinken werden. Dieser Entwicklung entgegen wirkt der Kohorteneffekt. Er bedeutet, dass spätere Jahrgänge (Kohorten) 488

Vgl. Shell Deutschland Oil GmbH (2009), S. 15f. Vgl. Shell Deutschland Oil GmbH (2009), S. 4. 490 Vgl. Reiter (1997), S. 218f. 491 Vgl. Canzler et al. (2009), S. 1. 489

168

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

Abbildung 94: PKW-Bestand nach Haltergruppe Quelle: Shell Deutschland Oil GmbH (2009), S.25

mobiler sind als frühere und vergleichsweise mehr Geld für Mobilität ausgeben. Trotz eines Anhaltens dieses Kohorteneffekts, wird er die Altersstruktureffekte nicht vollständig ausgleichen können, da ältere Menschen nur unterdurchschnittliche Verkehrsausgaben tätigen.492 In seiner PKW-Studie befasste sich der Mineralölkonzern Shell mit den möglichen Konsequenzen des demografischen Wandels für Auto-Mobilität in Deutschland. Eine Leitfrage war hierbei, wie es sein kann, dass PKW-Motorisierung und -Mobilität in einer stabilen Wirtschaft, Gesellschaft und Bevölkerung weiter wachsen und wie sich Auto-Mobilität in Deutschland, ausgedrückt in PKW-Motorisierungsgrad(en) und Fahrleistungen, vor dem Hintergrund des demografischen Wandels bis zum Jahre 2030 weiter entwickeln könnte. Dabei kam Shell zu wichtigen verkehrswirtschaftlichen Ergebnissen. So wird erwartet, dass die PKW-Motorisierung unter den Frauen zukünftig noch deutlich ansteigen wird (von heute etwa 340 auf gut 430 PKW je 1.000 Frauen), während sie bei den Männern nur gering ansteigt (von heute knapp 700 auf etwa 715 im Jahr 2030). Abbildung 94 zeigt, dass die Prognose davon ausgeht, dass der gesamte PKW-Bestand von 47 Mio. Fahrzeugen im Jahr 2009 auf 49,5 Mio. im Jahr 2030 ansteigen wird. Für den Bereich der PKW-Neuzulassungen wurde dabei von einem Volumen von 3 bis knapp 3,5 Mio. pro Jahr ausgegangen. Insgesamt kann trotz demografischen Wandels von einer hohen Nachfrage nach AutoMobilität bis zum Ende des Betrachtungszeitraums im Jahr 2030 ausgegangen werden. Hinsichtlich der wachsenden Bedeutung von Frauen und älteren Autofahrern, kleineren Haushalten, weniger Kindern und weniger Jüngeren werden sich allerdings die Mobilitätsbedürfnisse wandeln. Im Vordergrund werden dabei Änderungen des Automobils im Hinblick auf Nutzung und Bedienung, Ausstattung, Sicherheit und Komfort, aber auch im alltäglichen Straßenverkehr stehen.493

492 493

Vgl. Shell Deutschland Oil GmbH (2009), S. 17. Vgl. Shell Deutschland Oil GmbH (2009), S. 42.

7.3 Determinanten zukünftiger Mobilitätsbedürfnisse

169

Aufgrund der demografischen Tendenzen ist von einem veränderten Mobilitätsverhalten, d. h. der Art und Weise der Mobilität sowie von anderen Mobilitätsanforderungen auszugehen. Dabei kann bei der Beschreibung von zukünftigen Mobilitätsbedürfnissen älterer Menschen nicht einfach auf frühere ältere Generationen Bezug genommen werden. Stattdessen muss der Wandel der Voraussetzungen von einer Senioren-Generation zur nachfolgenden berücksichtigt werden. Denn heutige ältere Menschen sind als Mobilitätsteilnehmer „verkehrserfahrener“ als frühere Generationen. Folglich hat jede neue Senioren-Generation ihre ganz besonderen Mobilitätsprobleme und -bedürfnisse. Allgemein betrachtet werden die Mobilitätsbedürfnisse einer älteren Gesellschaft durch altersbedingte Veränderungen des psychophysischen Leistungsvermögens bestimmt. Hierzu zählen u. a. ein nachlassendes Sehvermögen, eingeschränkte motorische Beweglichkeit, langsameres Leistungstempo bei der Informationsverarbeitung, Entscheidung und Ausführung einer geplanten Handlung, verminderte Belastungsfähigkeit und schnellere Ermüdung. Daher könnten die Bedürfnisse nach einer seniorengerechteren Ausstattung der Kraftfahrzeuge, mit einer größeren Gewichtung von Sicherheits- und Komfortmerkmalen verbunden mit Einfachheit, steigen.494 Automobile mit Eigenschaften wie ergonomischen Einstiegs-, Belade- und Sitzlösungen, visuelle Hilfen für eine gute Sicht bei Nacht und Regen, einfache Bedienungsmöglichkeiten auch für komplexe Funktionen und Geräte, zeitloses Design oder Seiten- und Rückfahrkamera, Automatikgetriebe, Tempomat, elektronische Hilfen und Spiegelsysteme zum Ein- und Ausparken könnten zunehmend an Bedeutung gewinnen.495 Diese technischen Innovationen können es den Automobilherstellern ermöglichen, ihr Absatzpotential, insbesondere im höheren Alterssegment, auszubauen.

7.3.5

Urbane Entwicklungen

Urbane Entwicklungen heute Auch die Betrachtung der urbanen Entwicklung ist als relevant anzusehen, da sich in Städten ein Großteil der Mobilität abspielt. Diese Entwicklung ist weltweit sehr stark durch eine voranschreitende Urbanisierung geprägt. Darunter verstanden wird die Verstädterung, d. h. die Vermehrung, Ausdehnung oder Vergrößerung von Städten nach Zahl, Fläche oder Einwohnern, sowohl absolut als auch im Verhältnis zur ländlichen Bevölkerung beziehungsweise zu den nicht-städtischen Siedlungen.496 Mittlerweile leben mehr als die Hälfte aller Menschen in Städten. Von besonderer Bedeutung für alternative Mobilitätskonzepte sind die sog. Megacities mit über 10 Mio. Einwohnern. Ihre Anzahl hat sich in den letzten 20 Jahren vervierfacht und es wird von einer weiteren Verdopplung in den nächsten zwei Jahrzehnten ausgegangen.497 Urbane Entwicklungen morgen Die Ausbreitung und das Wachstum von Städten zählen zu den Megatrends des 21. Jahrhunderts. Bereits im Jahr 2015 werden 40% der gesamten Weltbevölkerung in Städten mit mehr 494

Vgl. Limbourg, M. (1999). Vgl. Oliver Wyman Studie (2010). 496 Vgl. Bähr, J. (2008). 497 Vgl. Shell Deutschland Oil GmbH (2009), S. 11. 495

170

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

als einer Million Einwohnern leben und sogar 17% in Städten, mit mehr als fünf Millionen Einwohnern.498 Das Thema Megastädte betrifft v. a. die Wachstumsregionen Südamerikas und Asiens, in denen der Umzug großer Bevölkerungsteile in urbane Gebiete stark voranschreitet und rund zwei Drittel der weltweiten Megastädte liegen.499 Auswirkung der urbanen Entwicklungen auf die Mobilität Die in Zukunft zahlreicheren Ballungsräume und Megacities werden neue Mobiliätskonzepte begründen, die alle Mobilitätsformen, allen voran das Automobil, weltweit beeinflussen werden. Durch die Verstädterung steigen sowohl der lokale Transportbedarf von Waren und Gütern als auch von Menschenströmen, so dass sich große Städte Gedanken über neue mobile Lösungen machen müssen. Andernfalls drohen chronische Überlastungen der Straßen sowie eine zunehmende Unfallquote. Höheres Verkehrsaufkommen bzw. Verkehrsdichte könnte vor allem in infrastrukturell schlecht ausgestatteten Megastädten zu verringerten Durchschnittsgeschwindigkeiten von Autos führen. Schon heute müssen arbeitstätige Menschen, z. B. in Sao Paulo, Lagos, Bangkok oder Peking extrem lange Fahrtzeiten zur Arbeitsstelle in Kauf nehmen. Hier sind die Menschen – über die angegebenen Durchschnittszeiten hinaus – nicht selten zwei Stunden unterwegs. Neben weiten Wegen von der Peripherie zum Zentrum, schränkt auch der innerstädtische Dauerstau die städtische Mobilität stark ein und ist für ein extrem niedriges Durchschnittstempo im Stadtverkehr verantwortlich.500 Die Schaffung von ausreichenden Abstell- sowie Parkplätzen wird ebenfalls eine große infrastrukturelle Herausforderung für Megacities darstellen. Mit dem stärkeren Verkehrsaufkommen ist außerdem eine stärkere Umweltbelastung verbunden. Möglicherweise muss gerade in Millionenstädten zukünftig aus Umweltschutzgründen auf Automobile, die Abgase emittieren, aufgrund strenger Gesetzesvorschriften verzichtet werden. In einigen deutschen Städten besteht bereits seit einigen Jahren die Pflicht zur Führung einer Umweltplakette mit dem Ziel, die innerstädtische Feinstaubbelastung zu mindern und Autos, die bestimmte Emissionsgrenzen überschreiten, sukzessive aus den Stadtkernen zu verbannen. Die Ablösung des Verbrennungsmotors durch alternative Antriebstechniken in Stadtzentren, welche individuelle Mobilität gewährleisten, scheint unausweichlich zu sein. Eine entscheidende Frage für die Automobilhersteller ist, wie die Menschen im Alltag dieser Großstädte ihre Mobilität organisieren werden bzw. welche Anforderungen sie daran stellen. So werden auch die Anforderungen an ein Automobil unter den o. g. Bedingungen morgen anders sein als heute. Die Reaktion der Verkehrsteilnehmer auf ein gestiegenes Verkehrsaufkommen auf den Straßen ist möglicherweise das vermehrte Ausweichen auf alternative Beförderungsmittel, wie z. B. Schienenfahrzeuge (U-Bahn, S-Bahn, Zug etc.), die von Staus nicht betroffen sind. Städte könnten als Konsequenz das Angebot des ÖPNV attraktiver gestalten und somit mehr Verkehrsteilnehmer weg vom eigenen Automobil in Stadtbusse etc. locken. Diejenigen Mobilitätsteilnehmer, die die eigene individuelle Mobilität betonen, werden vermutlich eher das Bedürfnis nach kleineren und flexibleren Kraftfahrzeugen entwickeln, um den bei hoher Verkehrsdichte erhöhten Energieverbrauch abzumildern und ihre Park- und Abstellmöglichkeiten zu verbessern. Neue Mobilitätsbedürfnisse könnten z. B. auch der einfache Wechsel 498

Vgl. Oliver Wyman Studie (2010). Vgl. Kauschke, P., Reuter, J. (2009). 500 Vgl. Ribbeck, E. (2003). 499

7.3 Determinanten zukünftiger Mobilitätsbedürfnisse

171

zwischen Fahr- und Entspannungsposition, die Betonung der Unterhaltungs- und Kommunikationsfunktionen, Infotainment & Vernetzung, Automatisierung von Stop-and-Go-Situationen und der Schutz vor Smog sein.501

7.3.6

Ökologische Entwicklungen

Ökologische Entwicklungen heute Ölkatastrophen, Überschreiten von Ozongrenzwerten, von Pestiziden belastetes Obst und Gemüse, giftige Phenole in Kinderspielzeug oder auch die Diskussion über Feinstaubbelastungsgrenzen, all dies hat zu einer Verunsicherung sowie einer Sensibilisierung bezüglich des Themas „Ökologie und Nachhaltigkeit“ in den Bevölkerungen der großen Industrienationen geführt. Nachhaltige Landwirtschaft, fairer Handel sowie Herkunfts- und Verarbeitungsgarantien rücken als Kaufkriterien mehr und mehr in den Vordergrund der Konsumenten. Die Bereitschaft in der Bevölkerung, soziale Verantwortung zu übernehmen und das Bewusstsein durch die Veränderung des eigenen Verhaltens die Ökologie positiv zu beeinflussen, hat deutlich zugenommen. Da der Klimawandel die Weltbevölkerung mittlerweile auf allen Teilen der Erde direkt tangiert, hat ein globales Umdenken seinen Anfang genommen. Auch in Deutschland sind die Auswirkungen der ökologischen Veränderungen zu spüren, so hat sich die Zahl der Naturkatastrophen, seien es Überschwemmungen, Stürme oder Hitzeperioden, seit 1970 bereits verdreifacht.502 Klimaforscher sind sich dabei größtenteils einig, dass diese Wetterextreme in Zukunft weiter zunehmen werden und sehen den wachsenden Ausstoß klimawirksamer Gase in die Atmosphäre, allen voran CO2, als Hauptursache dieser Entwicklung. Das Bewusstsein als Industrienation zu den Hauptproduzenten der klimaschädlichen Gase zu gehören, hat gerade in Deutschland zu einem Aufrütteln der Bevölkerung und vor allem der Politik geführt. Die Einführung von Luftverschmutzungszertifikaten, die Förderung von Wärmeschutzdämmungen oder regenerativer Energieerzeugung, seien nur als Beispiele des politischen Engagements genannt, um der Klimaveränderung entgegenzuwirken.503 Anzumerken ist hierbei, dass das Klimabewusstsein in der breiten Bevölkerung zwar vorhanden ist, jedoch die Bereitschaft persönliche Verhaltensweisen zu ändern oder klimafreundliche Technologien zu verwenden, meist nur in Kombination mit wirtschaftlichen Vorteilen und finanziellen Anreizen angenommen wird.504 Nicht zuletzt wegen der steigenden Rohölpreise hat der Bürger das eigene Automobil als Stellschraube identifiziert, um zwar auch seinen eigenen Beitrag zur Verbesserung der Klimabilanz zu leisten, aber vorrangig ökonomische Vorteile zu generieren. So determiniert der Verbrauch eines Automobils mittlerweile ebenso stark wie Preis, Marke und Design den Kaufentscheid eines Kunden. Durch diesen bereits größtenteils vollzogenen Nachfragewandel in den Industrieländern sowie regulatorische Maßnahmen seitens der Politik, z. B. strengere CO2 Emissionsgrenzwerte, sind die Automobilhersteller gezwungen, ihre Produkte hinsichtlich Effizienz und Ökologie zu optimieren. Dies geschieht seit einigen Jahren durch das verstärkte Vorantreiben der Entwicklung des Hybridantriebs, der modernen Biokraftstoffe, der Brennstoffzelle, des Wasserstoffantriebs, der Elektromobilität sowie durch Verbesserung des Wirkungsgrads der bestehenden Verbrennungsmotoren. 501

502 503 504

Vgl. Oliver Wyman Studie (2010). Vgl. Schmitt, T. (2009). Vgl. Bode, S. et al. (2007), S. 29f. Vgl. Schöller, O. et al. (2007), S. 568.

172

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

Ökologische Entwicklungen morgen Betrachtet man die prognostizierten Automobilwachstumsraten weltweit, so ist dies generell ein positiver Ausblick für die Automobilhersteller. Denn die Nachfrage nach individueller Mobilität wird global weiterhin zunehmen. So wird prognostiziert, dass sich bis 2030 die PKW-Dichte in China, einem der stärksten Wachstumsmärkte, mehr als verdreifachen wird (auf ca. 115 Fahrzeuge pro 1000 Einwohner). In Deutschland hingegen, stellvertretend für andere Industrienationen, werden bis 2020 noch leichte Wachstumsraten für PKWs, gefolgt von einer anschließenden Stagnation, erwartet. Um also aus ökologischer Sicht zukünftig angestrebte Klimaziele weltweit realisieren zu können, müssen insbesondere die automobilen Schwellenländer stärker in den Innovationsprozess „grüner Technologien“ integriert und das generelle Umweltbewusstsein gestärkt werden. Momentan verhält sich die Nachfragestruktur in der Automobilbranche in den stark wachsenden Schwellenländern noch konträr zu den Industrienationen. Denn dort werden primär stark motorisierte Automobile nachgefragt.505 Doch auch hier wird es, auch getrieben durch politische Kräfte, zu einem Wandel kommen und kommen müssen. Auswirkungen der ökologischen Entwicklung auf die Mobilität Das Automobil wird mehr und mehr in den Konflikt zwischen attraktiver individueller Fortbewegung und der Problematik der Umweltbelastung geraten. Ein Verzicht großer Teile der Bevölkerung auf die individuelle Mobilität ist nicht vorstellbar und somit muss dieses Spannungsverhältnis dadurch gelockert werden, dass neue Technologien den Umweltaspekt im Fahrzeug integrieren. Für den Bürger und sein Mobilitätsbedürfnis könnte zukünftig nicht nur die Frage „ob“, sondern ebenfalls „wie“ er von A nach B gelangt in den Vordergrund rücken. Die Nachfrage nach neuartigen Mobilitätskonzepten wird zunehmen. Für etablierte Automobilhersteller bedeutet dies, dass die Karten in der Automobilbranche neu gemischt werden. Neue Anbieter können, ohne große Markteintrittsbarrieren, beispielsweise in den Markt der Elektroautomobile treten. Denn Wettbewerbsvorteile aufgrund jahrzehntelanger Optimierung von Motoren und Antriebssystemen schlagen in diesem komplett neuen Feld kaum zu Buche. Des Weiteren werden insgesamt neue Imagefelder zur Positionierung von bisherigen Marken gefunden und besetzt werden müssen. Dies liegt daran, dass bisherige Differenzierungsmerkmale wie Motorleistung oder Fahrwerkseigenschaften in Zukunft nicht mehr die primäre Rolle spielen oder um im Beispiel der Elektromobilität zu bleiben wohl eine Differenzierung in diesen Bereichen kaum noch möglich ist. Für die etablierten Hersteller besteht die Herausforderung darin, die neuen Entwicklungen mit ausreichenden Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen zu versehen, ohne gleichzeitig die Optimierung der bestehenden Konzepte und damit die aktuelle Nachfrage zu vernachlässigen. Generell kann festgestellt werden, dass der ökologische Aspekt, unter dem Aspekt der gesamtgesellschaftlichen Befriedigung von Mobilitätsbedürfnissen, immer mehr an Bedeutung gewinnen wird, momentan bereits einen der wichtigsten Trendtreiber repräsentiert und von der Automobilindustrie weiter forciert werden muss. Im Hinblick auf die ökologischen Bedürfnisse der Konsumenten, müssen jedoch grüne Antriebstechnologien wie der Elektromotor im Ganzen betrachtet werden. Denn der potentielle Käufer wird diese Technologie nur vollends akzeptieren, wenn der zur Aufladung notwendige Strom aus regenerativen Energiequellen erzeugt wird. Hierfür sind beispielsweise Kooperationen zwischen Energie- und Automobil505

Vgl. Katzensteiner, T. (2008), S. 66.

7.3 Determinanten zukünftiger Mobilitätsbedürfnisse

173

herstellern langfristig denkbar. Den Klimawandel und die zunehmende Umwelt- und Luftverschmutzung im Kopf, könnte sich die momentan auf die individuelle Mobilität beschränkte ressourcenschonende Denkweise der Konsumenten, zukünftig auch auf Gebiete wie die Luftfahrt und den LKW-Verkehr ausweiten und dadurch die Bedürfnisse abermals neu determinieren. Sollte es wider Erwarten so kommen, dass der Kunde die grünen Technologien vorerst nicht annimmt, wird er es dennoch vor dem Hintergrund der weltweiten Umweltbelastung langfristig wohl tun müssen.

7.3.7

Technologische Entwicklungen

Technologische Entwicklungen heute Keiner der vorher genannten Punkte hat in den letzten Jahrzehnten das soziale Leben und die Bedürfnisse der Bürger derart stark verändert wie die technologische Entwicklung. Die Entwicklung des Internets und die Vernetzung der Teilnehmer bieten die Möglichkeit zum Informationsaustausch zu jeder Zeit und an jedem Ort und das binnen Sekunden. „Social-“ und „Business Networking“ ersetzen mehr und mehr den persönlichen Kontakt und ermöglichen es, eine Vielzahl von Kontakten gleichzeitig zu pflegen. E-Business gewinnt immer mehr an Stellenwert. Egal ob Reisen, Arzneibedarf oder Kleidung, der Einkauf über das Internet ist einfach, schnell und unabhängig von Ladenöffnungszeiten. Durch die Vernetzung mit Firmensystemen ist es auch möglich, im Rahmen eines „Home Office-Konzepts“ von zu Hause aus zu arbeiten und damit Kosten und Zeit zu sparen. Musik, Filme, Bücher oder die neueste Zeitung, auch die Entertainment Sparte des Internets bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Der Zugang zum Internet repräsentiert in den meisten Industrienationen – vor allem bei der Bevölkerung zwischen 12 bis 54 Jahren – mittlerweile ein grundlegendes Bedürfnis und verwurzelt sich mehr und mehr im sozialen Leben.506 Es ist somit nicht verwunderlich, dass die Zahl der „Offliner“, sprich derjenigen, die das Internet nicht nutzen, von Jahr zu Jahr abnimmt und in Deutschland nur mehr bei ca. 28% in 2009 lag.507 Ein wesentlicher Katalysator für den rasanten Aufstieg des Internets sind die Entwicklungen in der Kommunikationstechnologie. Durch die Vernetzung und die Integration neuster Technologien in den sogenannten „Smartphones“ haben sich diese Geräte zu mobilen Informationscentern entwickelt. Wesentliche Grundsteine für die Entwicklungen in der mobilen Informationstechnologie sind dabei die Fortschritte im Bereich der Speichertechnologien sowohl für Daten wie auch für Energie. Die Lithium-Ionen-Technologie und deren kontinuierliche Weiterentwicklung ermöglichen es, Energie kompakt und in leichten Akkus zu speichern. Auch in der Automobilindustrie ist dies der Motor für neue Entwicklungen. Elektroautos, die in der Vergangenheit aufgrund geringer Akkukapazitäten und extrem schwerer Akkus als kaum zukunftsfähig betrachtet wurden, werden nun auch tauglich für den Massenmarkt. Elektromotoren sind dabei mit einer Effizienz von bis zu 99% sehr attraktiv gegenüber konventionellen Verbrennungsmotoren (Wirkungsgrad 25−35%). Bis jedoch die Technik vollends ausgereift ist, arbeiten die Automobilhersteller parallel an der Weiterentwicklung der Verbrennungsmotoren. So konnte deren Effizienz durch elektronische Direkteinspritzung und Downsizing (Verkleinerung des 506 507

Vgl. Czajka, S., Mohr, S. (2009). Vgl. Statista (2010).

174

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

Motors bei gleicher Leistung) bereits deutlich gesteigert werden (ca. 15%)508. Ingenieure der Firma Bosch schätzen das weitere Effizienzsteigerungspotenzial der Verbrennungsmotoren auf 25–30% bis 2015.509 Weitere technische Entwicklungen in der Automobilindustrie wie die mobile Navigation gehören heute sicherlich schon zum Standard, genauso wie die integrierten Bluetooth Freisprechanlagen, die es ermöglichen, jederzeit während der Fahrt zu telefonieren. Intelligente Systeme, die eine Kommunikation zwischen den Fahrzeugen ermöglichen, um beispielsweise Unfälle zu vermeiden und Systeme die mittels Kamera das Umfeld scannen, um Gefahrensituationen selbstständig auszuweichen oder das Einparken selbstständig vornehmen, gehören bei zahlreichen Automobilherstellern, insbesondere im Premiumsegment, schon heute zum Repertoire. Sie zielen darauf ab, die individuelle Mobilität für den Nutzer sicherer und einfacher zu machen. Um Kundenbedürfnisse auch in Zukunft abdecken zu können und sich von der Konkurrenz zu differenzieren, sind solche technologischen Innovationen unverzichtbar. Technologische Entwicklungen morgen Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) verfasste in seinem „Technological Review 2010“ die 10 wichtigsten technologischen Entwicklungen der Zukunft über alle Branchen hinweg. Hierzu zählten unter anderem Suchmaschinen mit Realtimesuche, die es ermöglichen, in Echtzeit nachzuvollziehen, wann wie viele Einträge zu welchem Thema erstellt wurden. Andere technologische Megatrends sehen die Experten in „Grünem Beton“ der CO2 speichern kann, „social TV“, einer Kombination aus Fernsehen und sozialem Netzwerk sowie einer Weiterentwicklung der Smartphones in die 3D-Ebene. Für die Automobilhersteller sicherlich am interessantesten ist die Entwicklung eines „Solarkraftstoffs“, bei dem Mikroorganismen Diesel oder Ethanol durch Sonneneinstrahlung produzieren. Alle diese Entwicklungen werden sicherlich das soziale Leben beeinflussen und in Zukunft prägen. Die technologischen Komponenten zukünftiger Mobilitätskonzepte werden detaillierter in den nachfolgenden Abschnitten beleuchtet. Auswirkungen der technologischen Entwicklungen auf die Mobilität Betrachtet man die Gesellschaft insgesamt, so sind einige technologische Megatrends, wie die zunehmende Vernetzung über das Internet, nicht mehr aus dem sozialen Leben wegzudenken und müssen auch bei Entwicklungen im Bereich der individuellen Mobilität als wegweisendes Kundenbedürfnis zukünftig berücksichtigt werden. Die Elektromobile einiger Hersteller beinhalten bereits sprachgesteuerte Kommunikations- und Navigationssysteme sowie den Zugang zum Internet (z. B. KIA/UVO). Insgesamt gesehen sind zwei verschiedene Entwicklungsrichtungen zu erkennen, die zukünftig von Automobilherstellern weiter forciert werden. Zum einen die Entwicklungen, die darauf abzielen, das Fahren insgesamt sicherer, einfacher, spektakulärer und interaktiver zu machen. Zum anderen diejenigen Entwicklungen, die darauf ausgelegt sind, die Effizienz zu steigern und neue Antriebstechniken voran zu treiben. Beide Entwicklungen determinieren das zukünftige Erfolgspotenzial der Automobil508

Als Vergleichsbasis wurde folgendes herangezogen: Standardmotor, eingebaut in ein typisches europäisches Auto mit 1 400 Kilogramm Gewicht, mit Saugrohreinspritzung rund 100 Kilowatt Leistung, vier Zylinder und zwei Liter Hubraum, Verbrauch 7,7 Liter Benzin pro 100 Kilometer und CO2 Ausstoß 182 Gramm pro Kilometer. 509 Vgl. Leonhard, R. (2009).

7.4 Konzepte im Bereich Mobilität

175

hersteller und es ist zu betonen, dass wirklich beide Richtungen abgedeckt werden müssen. Eine einseitige Ausrichtung kann zwar kurzfristigen Erfolg bedeuten, aber langfristig kann weder die „grüne Antriebstechnik“ auf technologische Innovationen, noch die technologische Neuerung auf alternative Antriebsarten verzichten. Mobilität muss in Zukunft sowohl grüner, als auch technologisch ausgefeilter werden. Wohin der Weg der technologischen Entwicklungen in Zukunft genau geht ist schwer einzuschätzen. Im Nachfolgenden Abschnitt werden einige innovative Mobilitätskonzepte vorgestellt, die einen Einblick in die aktuellen Trends und Entwicklungen geben sollen.

7.4

Konzepte im Bereich Mobilität

7.4.1

Mobilitätskonzept – Mu by Peugot

Was ist „Mu by Peugot“ Mit dem Konzept „Mu“ startete der Automobilhersteller Peugeot in fünf französischen Städten (Paris, Lyon, Brest Nantes, Rennes) und der deutschen Hauptstadt Berlin im Februar bzw. Mai 2010 ein neuartiges mobiles Nutzenkonzept. Der Kunde erhält nach Registrierung im Internet und nach Bezahlung einer Anmeldegebühr von € 10 eine Prepaidkarte, die er ebenfalls im Internet mit sogenannten „Mu-Punkten“ aufladen kann. Ein Punkt entspricht dabei umgerechnet 20 Cent. Diese Punkte können nun bei ausgewählten Peugeot Händlern gegen verschiedene Mobilitätslösungen oder bestimmtes Zubehör zur Miete eingetauscht werden. Ziel ist es, dem Kunden je nach Mobilitätsbedürfnis die passende Lösung aus dem Unternehmensportfolio anbieten zu können. So umfasst die Angebotspalette 18 verschiedene Automobile, zwei Scooter, zwei Fahrräder und acht verschiedene Zubehörteile, wie beispielsweise Schneeketten, eine Dachbox oder ein Navigationssystem. Unabhängig davon, ob ein Cabrio für eine Spritztour, ein Fahrrad für den Wochenendausflug, ein Scooter für den Stadtverkehr oder ein Transporter für den Umzug gemietet wird, die Kosten werden nur anhand des zeitlichen Gebrauchs in Rechnung gestellt. Bereits inkludiert sind eine Vollkaskoversicherung und eine unbegrenzte Kilometeranzahl. Tankkosten müssen selbst getragen werden. Um jedoch diesen Kostenfaktor, den Umweltaspekt und das gestiegene Umweltbewusstsein ebenfalls zu berücksichtigen, wurde das Konzept um das Elektromobil I-on, das Elektrofahrrad e-City und den Elektroroller e-Vivacity erweitert. Zielsetzung ist es weiterhin auch sogenannte Partnerangebote zu integrieren. In Anlehnung an das Miles & More-Modell der Star Alliance Gruppe für den Luftverkehr, können dann Bonuspunkte für die Inanspruchnahme bestimmter Angebote kooperierender Partner erworben werden, die anschließend im Rahmen des Mu-Konzepts eingelöst werden. Inzwischen wurde das Projekt auf die Städte Brüssel, London, München, Hamburg, Madrid und Mailand ausgedehnt und das Händlernetzwerk kontinuierlich ausgebaut. Auf welche Herausforderungen gibt „Mu by Peugot“ eine Antwort? Das Konzept entstand aus dem Gedanken heraus, dem Kunden ein höheres Maß an Flexibilität zu bieten und dabei einen Wertewandel in der Gesellschaft aufzugreifen,510 nämlich den, dass das eigene Automobil als Statussymbol an Bedeutung verliert. Gleichzeitig jedoch bleibt 510

Vgl. Kilimann, S. (2010).

176

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

das weiterhin bestehende Bedürfnis nach individueller Mobilität unangetastet. Das Leben in der Großstadt lässt das eigene Automobil mehr und mehr zu einer Belastung werden. Nicht vorhandene bzw. teure Parkplätze, Staus in den Hauptverkehrszeiten oder Vandalismus durch Parken auf offener Straße, all dies soll „Mu by Peugeot“ mit der Wahl der geeigneten Mobilitätslösung vergessen machen. So macht es beispielsweise Sinn, für den Stadtverkehr auf einen Scooter zu wechseln und für Langstrecken auf eine bequeme Limousine umzusteigen, die dann nach Rückkehr bequem auf dem Händlerparkplatz abgestellt wird. Mu gibt somit eine Antwort auf die zunehmende Verstädterung und die daraus resultierenden mobilen Herausforderungen sowie den bereits teilweise vollzogenen Wertewandel. Auch ökonomische Kriterien beinhaltet das System. Denn das Auto auf Abruf für längere Strecken außerhalb der Stadt, den Urlaub oder zur Abendunterhaltung, kombiniert mit der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, erlauben nicht nur maximale Flexibilität, sondern umgehen den teuren Kauf eines eigenen Automobils bei gleichem Mobilitätsangebot. Abrundend für dieses Konzept ist die Integration eines Elektromobils, das die ökologischen Vorstellungen der Bevölkerung trifft und auch hier die teure Anschaffung umgeht. Peugeot schafft mit „Mu“ fast einen Rundumschlag und deckt mit dem Konzept einen großen Teil zukünftiger Herausforderungen ab. Was sind Vorteile von „Mu by Peugot“ Das Konzept stellt sich dem Problem, dass viele Bürger nicht mehr die finanziellen Mittel haben bzw. nicht bereit sind, sich selbst ein Automobil anzuschaffen. Dem Nutzer bietet es die Möglichkeit, immer die neuesten Modelle bei Bedarf abzurufen, ohne dabei den Nachteil des hohen Wertverlusts beim Kauf eines Neuwagens eingehen zu müssen. Bei der Auswahl der kooperierenden Händler wurde darauf geachtet, dass diese mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen sind, um die Kosten der Nutzung durch Taxitransporte nicht unnötig in die Höhe zu treiben. Die Abwicklung, die über das Internet erfolgt, ist dabei einfach gehalten und gewährt im Zuge der immer weiter voranschreitenden Vernetzung eine schnelle Umsetzung. Bisherige Peugeot Kunden profitieren zusätzlich von den Zubehörangeboten, die unabhängig vom Ausleihen eines PKWs genutzt werden können. Durch geplante Kooperationen, regionale Erweiterungen und die Integration des Umweltaspekts zeigt das Konzept, dass es variabel konstruiert ist und sich jederzeit an wandelnde Bedürfnisse anpassen kann. Was sind Nachteile von „Mu by Peugot“ Die Nachteile des Konzepts liegen ganz klar darin, dass nur eine bestimmte Auswahl an Händlern kooperiert und der gemietete Gegenstand immer wieder zum Händler zurückgebracht werden muss, bei dem er ausgeliehen wurde. Reine Vermietstationen, beispielsweise an Flughäfen oder Bahnhöfen und wie bei anderen Konzepten üblich, gibt es nicht und sind auch nicht angedacht. Das Ausleihen und die Rückgabe sind somit nur zu den Öffnungszeiten der Handelspartner möglich. Für den Nutzer ist als Nachteil auch anzuführen, dass das Konzept lediglich auf Peugeotprodukte beschränkt bleibt, damit nur ein bestimmter Nutzerzirkel angesprochen wird und Kostenvorteile, die durch Ansprache einer breiteren Masse entstehen würden, nicht generiert und an den Kunden weiter gegeben werden können. Das Projekt hat außerdem die Schwäche, dass eine länderübergreifende Nutzung zumindest bislang nicht möglich ist und somit Kunden mit der deutschen „Mu Prepaid Card“ die französischen Angebote nicht nutzen können. Des Weiteren werden auf der Internetseite zwar Partnerangebote angesprochen, jedoch gibt es diese de facto noch nicht.

7.4 Konzepte im Bereich Mobilität

177

Fazit von „Mu by Peugot“ Peugeot vermarktet „Mu“ als völlig neues Mobilitätskonzept, das, wenn man es genauer betrachtet, neben der Prepaidkarte und der Möglichkeit des Leihens von Zubehörteilen, zumindest momentan nichts Neues bietet. Das Mieten von Fahrzeugen war bisher schon möglich und rein preislich ist das Angebot von Peugeot verglichen mit herkömmlichen Autovermietern in etwa derselben Preisspanne anzutreffen. Sicherlich auch aufgrund des ausgefeilten Marketingkonzepts war der Start in Paris sehr erfolgreich und Peugeot konnte in 3 Monaten mehr als 1.000 neue Kunden akquirieren. Erfreulich für Peugeot ist dabei sicherlich die Tatsache, dass es sich dabei auch um Nutzer von anderen Marken handelte,511 bei denen Peugeot nun die Chance hat, sie von der eigenen Produktpalette zu überzeugen. Insgesamt scheint, dass der Kunde nach neuen Wegen sucht, um sein Mobilitätsbedürfnis zu befriedigen und mangels Alternativen das Konzept, trotz erheblicher Einschränkungen, dankend annimmt. Durchsetzen wird sich das Konzept jedoch nur, wenn es weiter an Flexibilität gewinnt, starke Kooperationspartner findet, preislich attraktiver wird und eine länderübergreifende Nutzung möglich macht.

7.4.2

Mobilitätskonzept – „Better Place“

Was ist „Better Place“ Der Gründer und frühere SAP-Manager Shai Agassi startete Ende 2007 die Umsetzung seiner Idee, einer flächendeckenden Infrastruktur für den Betrieb von Elektrofahrzeugen im Massenmarkt. Dieses Mobilitätskonzept stützt sich vollumfänglich auf die Elektromotorentechnologie. Zielsetzung von „Better Place“ ist es, dass der Kunde ein Elektrofahrzeug eines beliebigen Herstellers ohne Akku erwirbt und der Akku durch Better Place bereitgestellt wird. Im Geschäftsmodell von Better Place rechnet das Unternehmen nur die tatsächlich vom Nutzer gefahrenen Kilometer ab. Um der Reichweitenproblematik der Elektrofahrzeuge zu begegnen baut Better Place ein flächendeckendes Netz an Ladestationen auf und kooperiert mit Tankstellenbetreibern. Die Tankstellen haben dabei die Aufgabe, eine Vielzahl an Batterien für Automobile zu lagern und zu laden. Geht die Speicherenergie der Speicherzellen in einem Automobil zur Neige, so fährt der Kunde eine nächstgelegene Tankstelle an. Dort hat er entweder die Möglichkeit, seine Batterie per Hochspannungsladung aufzuladen oder in einer vollautomatischen Umrüstvorrichtung die Batterie zu ersetzen. Dies dauert nur wenige Minuten. Erste Pilotprojekte gingen 2011 in den Ländern Dänemark, Israel und Australien an den Start.512 Auf welche Herausforderungen gibt „Better Place“ eine Antwort? Gemäß der Philosophie von ‚Better Place‘513 stellt sich das Konzept vor allem den Problemen des endlichen Ölvorrats, dem sehr volatilen Ölpreis, der Luftverschmutzung und des Klimawandels. Diese sind die ökologisch-moralischen Aufhänger, um Kunden von einem „sauberen Automobil“ und dem Umweltnutzen zu überzeugen. Allerdings muss man auch hier argumentieren, dass, solange die Energieerzeugung nicht vollständig durch erneuerbare 511

Vgl. Kilimann, S. (2010). Vgl. Better Place (2010a). 513 Vgl. Better Place (2010b). 512

178

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

und emissionsarme Verfahren erfolgt, der ökologische Umweltschutzaspekt abgeschwächt werden muss. Die Endlichkeit des Öls dagegen gilt als Fakt. Letztendlich bedient das Konzept darüber hinaus noch weitere Herausforderungen. Gerade im Bereich der E-Mobilität und der Speicherzellentechnik bestehen die Bequemlichkeitsprobleme, dass die Ladung einer Batterie unter Umständen sehr lange Zeit in Anspruch nehmen kann (je nach Spannung der Ladestation bis zu 13,5 Stunden – allerdings benötigt man auch im Hochspannungsbereich von 370 Volt immer noch rund 3,5 Stunden für die Ladung einer durchschnittlichen Autospeicherzelle). Gleichzeitig sind die langen Ladezeiten mit dem Problem der geringen Reichweite verbunden. Hier zeigt sich der Aufhänger, um den Kunden nur wenig umgewöhnen zu müssen. Der Autofahrer muss auch bei der Nutzung des Verbrennungsmotors darauf achten, dass er beim zur Neige gehen des Benzins eine Tankstelle anfahren kann. Dies muss der Kunde auch bei ‚Better Place‘ tun, allerdings etwas häufiger aufgrund der noch begrenzten Reichweite. Nichts desto trotz dauert der Lade- bzw. Tauschvorgang nur wenige Minuten bis der Kunde wieder mit einer neuen Batterie weiterfahren kann. Was sind Vorteile von „Better Place“ Das Konzept stellt sich mit dem Problem der geringen Reichweite und der langen Ladezeit genau den beiden Fakten, die momentan noch als wesentlicher Nachteil von Elektrofahrzeugen gesehen werden. Diese Probleme zu umgehen oder besser umzuschichten würde den Verkaufsargumenten für Elektrofahrzeuge starke Vorteile verschaffen, da sie die ökologischen Aspekte weiter unterstützen. Ein weiterer Vorteil dieses Konzepts ist seine verhältnismäßig einfache Realisierbarkeit. Je weiter der technologische Fortschritt im Bereich der Batterien und Elektromobilleistung voranschreitet, desto attraktiver wird das Konzept für den alltäglichen Gebrauch. Was sind Nachteile von „Better Place“ Die Nachteile von „Better Place“ sind unter anderem die hohen Kosten, die während der Umsetzungsphase entstehen. Zusätzlich wird der für die Batterien notwendige Strom derzeit noch nicht ausreichend umweltbewusst erzeugt und somit einem Null-Emissionsanspruch noch nicht gerecht. Auch der Lagerbedarf der Batterien könnte Tankstellenbetreiber vor ein Problem stellen. Die ständige Versorgung und das ausreichende Vorhandensein von Batterien werden vor allem bei Voranschreiten des Konzepts hin zum Mainstream immer schwieriger, teurer und anspruchsvoller. Fazit von „Better Place“ Unter den momentan laufenden und angedachten Konzepten für neuartige Mobilität scheint der Ansatz von ‚Better Place‘ als einer der am schnellsten zu realisierenden. Es kann auf bereits bestehende Technologie im Bereich der E-Mobility zurückgegriffen, vom zunehmenden technischen Fortschritt profitiert und vor allem die bereits bestehende Tankstelleninfrastruktur genutzt werden. In Anlehnung an saisonale Benzinverbrauchsstatistiken können sich auch Speicherzellenanbieter sowie Tankstellen sehr gut auf Nachfragespitzen vorbereiten. Je vollumfänglicher die Energieerzeugung und -bereitstellung auf emissionsarme Techniken umgestellt wird, desto attraktiver und umsetzbarer wird das Projekt.

7.4 Konzepte im Bereich Mobilität

7.4.3

179

Mobilitätskonzept – „PRT 2getthere“

Was ist „PRT 2getthere“ „Personal Rapid Transit“ (PRT) ist ein urbanes energieeffizientes Personentransportsystem bestehend aus kleinen und sehr leichten Kabinen mit Platz für bis zu 3 Personen. Mit diesen Kabinen können Passagiere führerlos, d. h. computergesteuert, unterirdisch, in der Ebene oder erhöht auf Führungsbahnen zu ihrem individuellen Zielort innerhalb des PRT-Netzes fahren. Das Beschleunigen und Abbremsen erfolgt elektrisch durch ein magnetisches Feld auf den Führungsbahnen. Das PRT kann eine maximale Geschwindigkeit von bis zu 60 km/h erreichen. Die computergestützte Fortbewegung sorgt dafür, dass der Passagier auf schnellstem Wege zum Ziel gelangt und dass Kollisionen mit anderen Kabinen vermieden werden, indem das System für Sicherheitsabstände zwischen den Kabinen sorgt und Gleissysteme auf unterschiedlichen Höhen ansteuert. Ein- und Ausstiegsstationen befinden sich nicht auf der Hauptstrecke, sondern abseits von diesen auf Nebenbahnen, so dass insgesamt eine ununterbrochene Fahrt zum Ziel möglich ist. Leere Kabinen warten an den Stationen, bis Fahrgäste ankommen und zugestiegen sind, und nicht umgekehrt. Hauptzweck ist es, dass Passagiere selbst entscheiden können, wann und wo sie hinfahren möchten und, dass sie sofort nach Ankunft an einer PRT-Station in einer Kabine abfahren können. Das Konzept ist somit nicht fahrplangetaktet und es gibt keine festgelegten Routen. Auf welche Herausforderungen gibt „PRT 2getthere“ eine Antwort PRT ist vor dem Hintergrund steigender Verkehrsaufkommen und damit verbundener Emissionen, in erster Linie in sehr großen Städten, ein geeignetes Personentransportsystem. Denn die Fortbewegung erfolgt emissionsfrei und durch das flexibel ausbaubare Netzsystem werden keine Straßen verstopft. Dieses Mobilitätskonzept ist besonders für Personen geeignet, die relativ kurze Distanzen, z. B. zwischen anderen ÖPNV oder Verkehrsknotenpunkten überbrücken möchten und für die Zeit sowie Ruhe und Privatsphäre während der Fahrt eine große Rolle spielen. Was sind Vorteile von „PRT 2getthere“ Der Fahrgast gelangt in kleinen Kabinen an sein selbstbestimmtes Ziel und muss sich dabei nicht an einem Fahrplan orientieren, wodurch eine gewisse Individualität der Fortbewegung entsteht. Hierbei braucht er nicht auf andere Verkehrsteilnehmer und Verkehrssituationen zu achten. Da die Fahrzeuge klein und leicht sind, ist die benötigte Infrastruktur (Fahrbahnen und Stationen) kostengünstig. Die leichten Kabinen sorgen im Verhältnis zum PKW für einen relativ geringen Energieverbrauch. Dies wird durch das übergeordnete Leitsystem, das den Verkehrsfluss optimiert, ergänzt. Die energiesparende Antriebstechnologie stellt ebenfalls eine umweltfreundliche Alternative zum PKW dar. Vorteilhaft sind außerdem die durch die umfangreiche Computersteuerung, im Vergleich zum Automobilverkehr, geringere Kollisions- bzw. Unfall- sowie Staugefahr. Was sind Nachteile von „PRT2getthere“ Die mögliche Distanz, die zurückgelegt werden kann ist abhängig von der Dimension der PRT-Infrastruktur, so dass weite Entfernungen nur in großen Systemen zurückgelegt werden können. Nachteilig ist außerdem die, im Gegensatz zu bestehenden ÖPNV-Lösungen, relativ geringe Personenkapazität die das PRT transportieren kann.

180

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

Fazit von „PRT 2getthere“ Vom PRT Konzept ist nicht zu erwarten, dass es das Auto verdrängen wird. Vielmehr bietet dieses System eine Alternative zu den bisherigen „überlasteten“ Verkehrssystemen in Großstädten bzw. Ballungszentren. Überfüllte Busse, S-Bahnen und Staus können dadurch entlastet bzw. vermieden werden. Durch das Reisen wie in einem privaten Auto mit entsprechender Privatsphäre, kann es in Großstädten eine sinnvolle Alternative zum Automobil darstellen. Besonders geeignet ist der Einsatz dieses Transportmittel z. B. in Büroparks, Vorstädten oder in dicht bebauten Innenstädten.

7.5

Ausblick – neuartige Mobilitätskonzepte

Die Darstellung der verschiedenen Aspekte, die auf die allgemeine Mobilität Einfluss haben können, hat gezeigt, dass sich durch deren Entwicklung verschiedene neue Bedürfnisse ergeben, denen sich die Automobilhersteller stellen müssen. Dabei ist es sehr schwer, alle potentiellen Bedürfnisse unter einem neuartigen Mobilitätskonzept zu vereinen. Unterschiedliche Aspekte können das gleiche Bedürfnis bedingen, und somit ein Bedürfnis als besonders wichtig erscheinen lassen. Nachfolgend werden zwei neuartige Mobilitätskonzepte vorgestellt, mit denen die in Abbildung 95 dargestellten Bedürfnisse adressiert werden können.

Abbildung 95: Mobilitätsaspekte und deren abgeleitete Bedürfnisse Quelle: Eigene Darstellung

7.5 Ausblick – neuartige Mobilitätskonzepte

7.5.1

181

„Car Packaging and Pooling“ – mobiles Nutzenkonzept

Was ist „Car Packaging and Pooling“ Das Konzept „Car Packaging und Pooling“ besteht grundsätzlich aus zwei Teilen, deren Einzelelemente als mobile Nutzenkonzepte auch separat bestehen können. In dieser Ausführung ist das Car Pooling aus dem Car Packaging abgeleitet. Deshalb wird zu Beginn das Car Packaging vorgestellt und zum Car Pooling übergeleitet. Das Konzept „Car-Package“ stellt ein mobiles Nutzungskonzept dar, das von Automobilherstellern, aber auch von Autohäusern angeboten werden kann, die in direktem Kundenkontakt stehen. Dem Kunden wird dabei die Möglichkeit gegeben, statt dem Einzelkauf eine Automobilkombination auszuwählen und diese als Paket zu erwerben. Preislich sollte dieses Paket deutlich unter dem Einzelkauf der beiden Fahrzeuge liegen. Je nach Bedürfnisstruktur und Nutzenvorstellung kann der Kunde zwischen mehreren Varianten wählen, z. B. die Sommer-Winter-Kombination. Der Grundgedanke ist hierbei der Wechsel vom Sommermobil (beispielsweise ein Cabriolet) auf ein Wintermobil (beispielsweise ein SUV). Der Kunde kann die Fahrzeuge zeitlich flexibel kombinieren oder jeweils für einen bestimmten Zeitraum nutzen. Die Kombination lässt sich beliebig erweitern und ist letztendlich auch die treibende Preisdeterminante. So wären auch Arbeitsund Urlaubsvarianten denkbar, bei denen der Nutzer für die normale Jahres- und Arbeitszeit einen sparsamen Kleinwagen und für den Urlaub einen großen und geräumigen PS-starken Kombi erhält. Integrieren ließe sich auch eine globale Variante. Befindet sich ein Kunde für absehbare Zeit in einem anderen Land, so könnte er vor Ort ein eigenes Auto, bereits angemeldet und auf ihn zugelassen bereitgestellt bekommen, während er den heimischen Wagen für diese Zeit an den Automobilhersteller zurückgibt. Ein Ausstieg aus dem Modell soll durch Rück- bzw. Zuschlagzahlungen für das günstigere bzw. teurere Modell jederzeit möglich sein. Dieses wird vom Nutzer erworben, kann weiter genutzt oder veräußert werden. Um nun eine optimale Verwendung für den nicht genutzten Zweitwagen zu realisieren, kommt das Car Pooling ins Spiel. Der Kunde kann mit seinem Zweitwagen zwei Varianten wählen, entweder die der exklusiven Nutzung (teureres Package) oder er überlässt dem Automobilhersteller den Zweitwagen zur Weitervermietung. Dies hat für den Kunden den Vorteil, dass sein Package günstiger wird und er an den Einkünften durch die Vermietung partizipieren würde. Nicht genutzte PKWs aus Car Packages könnten beispielsweise an Bahnhöfen oder anderen hoch frequentierten und mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbaren Plätzen, auf sogenannten Car Pooling-Plätzen bereitgestellt werden. Zugang zu diesen Pooling-Plätzen hat nur der Personenkreis der Automobilhersteller-Poolingkunden. Diese erhalten eine Automobilhersteller-interne Mobilitätskarte, die ihnen Zugang zu diesen Plätzen gestattet. Über ein Eincheckterminal meldet sich der Kunde an und wählt eines der vorhanden Fahrzeuge zur Miete aus. Er erhält den Schlüssel und kann nun das abgestellte Fahrzeug nutzen. Das Fahrzeug ist während des Parkzustandes an ein Fehlerdiagnosegerät angeschlossen und muss bei Rückgabe auch wieder angeschlossen werden. Wird dabei ein Fehler festgestellt, erfolgt eine Meldung an den nächstgelegenen Automobilhändler der das Fahrzeug zur Reparatur abholt. Aufgetankt werden müssen die Fahrzeuge durch den Nutzer immer dann, wenn der Tankinhalt ein Drittel unterschreitet. Die Bezahlung läuft dabei bargeldlos über die Karte des Automobilhändlers und die Abrechnung über den exakten Verbrauch wird mittels elektronischem Anschluss des Autos während der Parkposition ermittelt. Letztendlich erfolgt die Abbuchung nach Nutzungsdauer und exaktem Verbrauch zu Lasten des Nutzers. Die Nutzungsgebühr wird anteilig entweder dem Packagekunden oder dem

182

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

Automobilhersteller bzw. dem verwaltenden Autohändler gutgeschrieben. Der Poolingkunde als Mobilitätsnutzer kann aus den für ihn am Poolingplatz bereitstehenden PKWs auswählen. Via Internet kann der Fahrzeugbestand auf den verschiedenen Plätzen laufend abgerufen und Fahrzeuge auch vorreserviert werden. Zur Steigerung der Attraktivität des Pooling sind auch Kooperationen mit weiteren Anbietern vorstellbar. So könnte beispielsweise die Mobilitätskarte auch Kreditkartenfunktionen haben und ähnlich dem Miles & More-Modell Punkte auf Einkäufe gutgeschrieben werden, die dann global in „Mobilität“ eingelöst werden könnten. Auf welche Herausforderungen gibt „Car Packaging and Pooling“ eine Antwort Das Konzept kann als flexibel ausgestaltetes Konzept auf eine Reihe zukünftiger Bedürfnisse eine Antwort geben. Durch individuelle Ausgestaltung der einzelnen Mobilitätskonzepte können Zielgruppen spezifisch angesprochen werden und auf gesellschaftliche Trends schnell und zeitnah reagiert werden. Ist dem Nutzer das Bedürfnis nach Sparsamkeit und Umweltfreundlichkeit wichtig, könnte er beispielsweise eine Kombination aus Elektroroller oder Elektroauto für den alltäglichen Stadtgebrauch und einer Hybridlimousine für Langstrecken, beispielsweise für den Urlaub, wählen. Auch könnte durch Anpassung der Pakete auf demographische Verschiebungen eingegangen werden und Fahrzeugpakete mit speziellen Sonderausstattungen wie Einstiegshilfen offeriert werden. Insgesamt würde das Konzept dem Trend folgen, dass die Nutzung der individuellen Mobilität immer mehr in den Vordergrund rückt und das Bild des Automobils als Statussymbol mehr und mehr verblasst. Um den ökologischen Gesichtspunkt stärker zu integrieren, könnten die Poolingplätze auch mit Solartankstellen ausgestattet werden und, falls Elektromobile vom Kunden nicht im Package gebucht und zur Verfügung gestellt werden würden, zur Miete durch den Automobilhersteller platziert werden. Das Konzept stellt sich insgesamt den urbanen Herausforderungen der Zukunft. Fahrzeuge, die nicht benötigt werden blockieren keine innerstädtischen Parkplätze mehr, innerstädtisch wird eventuell ganz auf Mobilität verzichtet werden oder eventuell auf einen Kleinwagen umgestiegen. Die Effizienz der Nutzung von fossilen Brennstoffen könnte erhöht und Lärm und Smogbelastung in Großstädten reduziert werden. Welche Vorteile hat „Car Packaging and Pooling“ Bei den Vorteilen ist zwischen gesellschaftlichen, kundenbezogenen und herstellerbezogenen Vorteilen zu differenzieren. Der Packaging Kunde zieht sicherlich den Nutzen daraus, dass er Mobilität nach Maß nutzen kann ohne gleichzeitig mehrere Fahrzeuge erwerben zu müssen. Das System ist dabei theoretisch unbegrenzt erweiterbar und kann auf Kundenwünsche und gesellschaftliche Trends sofort reagieren. Durch die Flexibilität des Systems könnte im Rahmen der Globalisierung auf das globale Vertriebsnetz der Automobilhersteller zurückgegriffen werden und statt eines Mietwagens während der Urlaubszeit auf ein Poolingcar jeweils vor Ort zurückgegriffen werden. Auch könnten durch Vernetzung und spezielle Smartphone-Applikationen die nächstgelegenen Poolingplätze lokalisiert und deren Erreichbarkeit durch den ÖPNV illustriert werden. Mobilität würde als flexibles und kurzfristiges Gut jederzeit zur Verfügung stehen. Gesellschaftlich würde sich der Vorteil ergeben, dass sich die Autoanzahl in Innenstädten und damit auch die nachteiligen Effekte reduzieren würden. Herstellerbezogene Vorteile wären die effizientere Nutzung des globalen Vertriebsnetzes, die Generierung von Zusatzumsätzen durch den Paketverkauf, die markenspezifische Werbewirkung in Städten über die Poolingplätze, die Bindung des Kunden an die eigene Marke und der Einstieg und die Schaffung von Zusatzerträgen durch vertikale Differenzierung im Markt der Autovermieter.

7.5 Ausblick – neuartige Mobilitätskonzepte

183

Welche Nachteile hat „Car Packaging und Pooling“ Der wesentliche Nachteil des Car Packaging und Pooling liegt in der komplexen und kostenintensiven Individualisierung sowie im effizienten Management des Fuhrparks. Weitere Nachteile sind die benötigte Anzahl an kooperierenden Autohändlern, Verfügbarkeit attraktiver Poolingplätze sowie die für das Gesamtkonzept notwendigen Investitionen in die Infrastruktur. Fazit des Car-Packaging und Pooling Um sich von der Konkurrenz zu distanzieren und Antworten auf künftige Mobilitätsbedürfnisse zu geben, ist es aus Sicht der Autohersteller unabdingbar neue Konzepte zu entwickeln. Jedes Konzept birgt auch Risiken und ist mit Kosten verbunden. Car-Packaging und Pooling kann in ausgewählten Kundensegmenten, aufgrund der vielen Vorteile die das Konzept birgt, als Investition in die Zukunft und zur Sicherung der Unternehmenstätigkeit angesehen werden. Vorteile bei der Umsetzung haben dabei sicherlich Anbieter eines breiten Sortiments, da diese in Punkto Auswahl und Kundenkontaktmöglichkeiten auf eine breitere Basis zurückgreifen können. Veranschaulicht ist das Konzept in Abbildung 96. Eine flächendeckende wirtschaftliche Umsetzung des Konzepts erscheint derzeit jedoch wenig wahrscheinlich.

Abbildung 96: Car Package zur Kombination von Autoklassen nach Bedarf Quelle: Eigene Darstellung

7.5.2

Kombination von „Better Place“ & „PRT“ – neuartiges Mobilitätskonzept

Das zuletzt aufgezeigte Mobilitätskonzept beschäftigt sich mit einem Konzept neuartiger und zukünftig denkbarer Mobilität. Es umfasst neue Technologien und Infrastrukturen, die zwar erst noch geschaffen werden müssten, dies jedoch theoretisch mit dem heutigen technischen

184

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

Know-how bereits möglich wäre. Betrachtet man die im vorhergehenden Abschnitt gesammelten Bedürfnisse nochmals etwas genauer, so kristallisieren sich gewisse Hauptbedürfnisse der heutigen Gesellschaft heraus. Diese sind: •

Abhängigkeit vom Öl vermeiden: Die Gesellschaft muss sich über kurz oder lang von dieser Abhängigkeit entfernen und neue, nachwachsende oder dauerhaft verfügbare Energieformen zur Fortbewegung wählen, da das Öl und andere nicht-nachwachsende Rohstoffe endlich sind. • Ökologisches Bewusstsein: Die Gesellschaft muss sich der Notwendigkeit zur Beantwortung der ökologischen Fragen zum Klimawandel stellen, den Treibhauseffekt aufhalten und Abgase vermeiden; dies bedingt für die Automobilindustrie das Ende des heutigen Verbrennungsmotors und einen Weg hin zum Null-Emissions-Vehikel. • Steigende Urbanisierung: Der Trend zu den Megacities scheint unaufhaltbar. Die Landflucht geht voran, die Bevölkerungsdichte wie auch die Verkehrsdichte in Großstädten nimmt immer mehr zu, während der Platz abnimmt. Ein Weg hin zur verkehrsarmen aber dennoch mobilen Stadt scheint unausweichlich. • Demografische Entwicklung: Die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen steigt kontinuierlich an und gleichzeitig werden Familien in den großen Industrienationen immer kleiner. Dies erfordert im Fall der älteren Generationen, dass die Mobilität vor allem einfacher werden muss, um altersgerechte Anforderungen erfüllen zu können. Ein optimales Mobilitätskonzept wäre folglich eines, das diese vier Hauptelemente der Bedürfnisentwicklungen in sich vereint. Betrachtet man bereits bestehende Konzepte, so fällt auf, dass es bereits theoretische Alternativen gibt, die einen Großteil dieser Bedürfnisse abdecken können. Insbesondere der Ökologie-Aspekt mit dem Bewusstsein, weg vom Öl zu müssen und hin zur Null-Emission ist bereits in vielen Studien verankert. Eine optimale Lösung könnte in der Kombination der Vorzüge bestehender Konzepte zu einem neuen sich unterstützenden Konzept führen. Was ist das kombinierte Mobilitätskonzept Das hier vorgeschlagene Mobilitätskonzept ist eine Kombination aus zwei bereits bestehenden und in diesem Kapitel behandelten Mobilitätskonzepten. Sie wurden im Vorfeld ausgewählt, da sie viele der oben beschriebenen Bedürfnisse abdecken. Die Kombination dieser beiden Konzepte soll die oben angeführten vier Hauptelemente der Bedürfnisbefriedigungen decken und wird im Folgenden näher erläutert, um eine Vorstellung des Ansatzes zu ermöglichen. Das oben dargestellte Konzept „Better Place“ stellt sich insbesondere den beiden ersten Faktoren, Abhängigkeit vom Öl vermeiden und dem ökologischen Bewusstsein. Durch die Kombination der Elektroautos mit einer Tankstelleninfrastruktur und der darin verbauten Technologie, die für die Elektromobilität äußerst wichtigen Speichereinheiten automatisch zu wechseln, stellt man sich zwei Problematiken. Zum einen nicht weiterhin vom Öl abhängig zu sein, und zum anderen das Bedürfnis zu bedienen, ökologisch verträglich im NullEmissionsbereich Auto zu fahren. Zwingende Voraussetzung ist dabei, dass auch der benötigte Strom ökologisch sinnvoll emissionsarm hergestellt wird. Diese Problematik wird hier allerdings nicht weiter thematisiert. Das Konzept „PRT 2getthere“ stellt sich primär den zwei letzten Bedürfnissen und ist gleichzeitig der visionäre Teil des Mobilitätskonzepts und somit auch dieses Kapitels. Einerseits wird das Problem der steigenden Urbanisierung aufgegriffen, nämlich dass Innenstädte gro-

7.5 Ausblick – neuartige Mobilitätskonzepte

185

ßer Megacities immer enger, dichter und durch ein hohes Verkehrsaufkommen auch immer gefährlicher werden. Andererseits ist diese Art der Fortbewegung auch besonders für ältere Menschen geeignet. Durch Kombination der eigenen Mobilität mit der eines Massensystems, das Fahrzellen oder Autos automatisch in unterirdischen Rohrsystemen oder auf der Straße transportiert, ist die Einfachheit der Mobilität nicht zu übertreffen. Der Mensch selbst braucht nicht mehr einzugreifen, die Fahrgastzelle bewegt sich „von alleine“ fort und bringt den Nutzer zu seinem gewünschten Zielpunkt. Dies würde demographisch bedingten Gefahren im Straßenverkehr vorbeugen. Gerade in Bezug auf den Megacity-Trend stellt dieses Konzept eine Zukunftsvision dar, in der sich die Mobilität auf die einzigen noch freien Räume der Städte, den Luftraum und den Untergrund, bezieht und diese erschließt. Gleichzeitig ist der Mensch als Risikofaktor ausgeschlossen, da er selbst das Fahrzeug nicht mehr steuert. Auf welche Herausforderungen gibt das Mobilitätskonzept eine Antwort Die Kombination beider Konzepte nutzt deren Hauptelemente. Zum einen wird eine große Tankstelleninfrastruktur aufgebaut. Dabei können aktuelle Tankstellennetze genutzt oder modernisiert werden. Die Technologie von „Better Place“ hilft, die aktuellen Probleme und Schwachstellen der Nutzung von elektrobetriebenen Motoren, den Batteriezellen, zu überbrücken. Durch die vollautomatisierte und schnelle Austauschbarkeit der Batterien in den Tankstellen wird die Notwendigkeit längerer Stopps während einer Fahrt, um die Batterien zu laden, ersetzt. Abbildung 97 zeigt die im Konzept von „Better Place“ zum Einsatz kommende Tauschvorrichtung von Batterien. Im eigenen Haushalt können Batterien natürlich nach wie vor per Kabel aufgeladen werden. Alternativ könnte auch ein Zusatzprodukt zur Angebotsverbreiterung etabliert werden, indem man ähnliche Tauschvorrichtungen der Tankstellen in privaten Garagen integriert, um Batterien schnell zu wechseln. Die ausgewechselten Batterien können dann parallel aufgeladen werden und sind bei Bedarf einsatzbereit. Die visionäre Komponente des Konzepts ist die Kombination mit der Philosophie des urbanen Mobilitätskonzepts. Autos werden dabei so umgerüstet, dass sie in Städten autonom fahren können. Hierzu bieten sich zwei Lösungsmöglichkeiten an:

Abbildung 97: Tauschvorrichtung von „Better Place“ zum schnellen Wechsel von Batterien Quelle: cleantechblog (2009)

186

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

• •

Vollautomatisiertes urbanes softwaregestütztes Verkehrssystem Neues, automatisiertes Infrastrukturnetz zur allgemeinen Fortbewegung (z. B.: unterirdisch) Beide Lösungsmöglichkeiten befassen sich mit der Herausforderung, die Verkehrssituationen und die damit zusammenhängenden Probleme in Großstädten weitestgehend zu verbessern oder zu lösen. An dieser Stelle soll auf die erste Variante eingegangen werden, da sie hier als am Umsetzbarsten angesehen wird und Teile der erforderlichen Technologie bereits bestehen. Einige Modelle von Automobilherstellern können bereits heute vollautomatisiert fahren; Hilfestellungen wie ein vollautomatisierter Parkassistent sind bereits serienreif umgesetzt. Die Problematik überfüllter Straßen, schlechter Verkehrsflüsse und Unfällen, die zusätzlich den Verkehr stocken lassen, stellt Großstädte vor immense Probleme. Mittels des vollautomatisierten urbanen softwaregestützten Verkehrssystems könnte der Faktor Mensch ausgegrenzt und ein den aktuellen Straßen- und Verkehrsverhältnissen angepasstes Softwaresystem zum Einsatz kommen. Die Funktionsweise könnte dabei wie folgt sein: Autos werden einheitlich mit einer Software ausgestattet. Gleichzeitig wird ein sehr umfangreiches und hochtechnologisches System entwickelt, mit dem sich ein urbanes Straßenverkehrssystem steuern lässt. Nähert sich ein Fahrer mit seinem Auto einer Großstadt, so wird der PKW, vergleichbar mit einem Autopilot, erfasst und ab sofort innerhalb des Systems in der Stadt geleitet. Der Fahrer muss ab diesem Zeitpunkt nicht mehr eingreifen. Er kann die gewünschte Destination oder Umgebung angeben, die er erreichen will oder wo er parken möchte. Das System leitet ihn, und alle anderen Verkehrsteilnehmer auf den innerstädtischen Straßen und sonstigen Verkehrssystemen vollautomatisch. Dabei kann das System jegliche Faktoren, die den Verkehrsfluss beeinträchtigen, wie Geschwindigkeit, Ampelschaltung, Navigation und ähnliches planen, ermitteln und ausführen, um optimal durch die Stadt zu navigieren. Wichtig bei der Umsetzung dieser Konzeptkombinationen ist, dass eine große Harmonisierung stattfindet. Automobilhersteller und Mobilitätsanbieter müssen dabei sehr intensiv zusammenarbeiten, um ein überregionales, funktionstüchtiges städtisches Konzept zu etablieren. Dabei ist eine einheitliche Hardware-Lösung der Umtauschtechnologie von Batteriezellen, über eine einheitliche Ladetechnologie, bis hin zu einer einheitlichen und kombinierbaren Softwarelösung notwendig. So könnten die Automobilhersteller auf der einen Seite weiterhin ihre unterschiedlichen Marken und Produktvarianten herstellen, mit dem Unterschied, dass sie bezogen auf bspw. Batteriewechseltechnologien oder auch Softwareausstattung gezwungen wären, zu kooperieren. Durch die Verwendung von Normtechnologien und -teilen könnten Produktionseinsparungen und andere Synergien erreicht werden, da etwa Fahrgestell oder Batterieaufhängung für die gesamte Automobilindustrie einheitlich entwickelt und produziert werden könnten. Vorteile des Mobilitätskonzepts Die Vorteile des kombinierten Konzepts sind breit gefächert. Der Kunde ist dabei nicht mehr von schwankenden Ölpreisen, dem Ölnachschub oder allgemein von der Ölindustrie abhängig. Er kann billigen Strom „tanken“ und somit den großen Kostenvorteil nutzen. Die schnelle Tauscheigenschaft der Batterien birgt den Vorteil der uneingeschränkten Reichweite ohne lange Wartezeiten. Die Abhängigkeit von Tankstellen wird nicht direkt als Nachteil angesehen, da auch jetzt Tankstellen zur Erhaltung der Mobilität angesteuert werden müssen. Ein weiterer Vorteil des Konzepts ist auch, dass die Tankstelleninfrastruktur bereits vorhanden

7.5 Ausblick – neuartige Mobilitätskonzepte

187

ist. Sie müssten nur aufgerüstet und mit der Tauschtechnologie ausgestattet werden. Hier wären auch Kombinationen mit Solarkollektoren und ähnlichen stromerzeugenden Technologien denkbar, um das Laden der Batterien erstens zu unterstützen, und zweitens evtl. mit der Zukunftstechnologie „smart grid“ zu kombinieren. Dabei werden Speichereinheiten mit dem Stromnetz kombiniert, um Verbrauchsspitzen leichter und kostengünstiger auffangen zu können. Insgesamt bietet das Konzept als generelle Vorteile, dass in Städten Smog und Abgase vermieden, Lärm verringert, Staus durch eine geplante Verkehrsführung vorgebeugt und der Verkehrsfluss aufrecht erhalten werden. Nachteile des Mobilitätskonzepts Wie bei anderen Konzepten auch, sind die mit der Umsetzung einhergehenden Voraussetzungen als Nachteil zu bewerten. Die Errichtung der Tankstelleninfrastruktur, die Normierung der relevanten Fahrzeugteile über die gesamte Automobilbranche hinweg, der Kostenaufwand oder die Komplexität eines urbanen eigenständigen Verkehrssystems bilden große Hindernisse, die die Entwicklung noch lange behindern werden. Auch die Herstellung des Stroms auf ökologisch nachhaltige Weise, um das Bedürfnis der Null-Emission nicht nur beim Auto, sondern auf Makroebene umzusetzen, wird die Gesellschaft noch vor große Herausforderungen stellen. Eine einheitliche Integration des Lade- und Tauschsystems für Batteriezellen in den Produktionszyklus aller Hersteller und zusätzlich die Integration eines einheitlichen Softwaresystems, findet ebenfalls im bestehenden Grundsatz der freien Marktwirtschaft und des freien Wettbewerbs nicht gerade einen optimalen Nährboden. Fazit des Mobilitätskonzepts Die Entwicklung eines bedarfsgerechten Systems zur Lenkung des innerstädtischen Verkehrs und damit der Vermeidung von Staus, Unfällen oder hohen Abgaswerten erscheint im Zuge der fortschreitenden Urbanisierung alternativlos. Aber auch die Vorteile des ‚Better Place‘Ansatzes mit der ökologischen Nutzung sauberer Mobilität und geräuscharmem Verkehr lässt sich sehr gut nachvollziehen. Das Bedürfnis nach sauberen Städten zeigt sich beispielsweise auch an den neuen Umweltplaketten und eingerichteten (Stadt-)Umweltzonen. Mit den ersten Schritten in Richtung dieses Konzepts kann sowohl ein Schritt in Richtung der grünen Stadt gemacht werden, als auch die Verantwortung gegenüber der Umwelt berücksichtigt werden. Der Automobilhersteller kann durch Synergieeffekte Kosten sparen, von der globalen oder nationalen Aufwertung konventioneller Automobile profitieren und den steigenden Bedarf des Elektromobilitätsmarkts bedienen und folglich weiteren Absatz generieren.

7.5.3

Zukünftige potentielle Wettbewerber der Automobilhersteller

Wie bereits mehrfach angedeutet, werden bei der Entwicklung neuer Mobilitätskonzepte die Karten auf dem Automobilmarkt neu gemischt. Derzeitig spezialisierte Nischenanbieter aus Nachbarbranchen wie beispielsweise der Batterieproduktion könnten bei Verschiebung der Marktverhältnisse hin zum Elektroauto, einen rasanten Aufstieg erleben und sind als Experten in ihrem Fachgebiet als potentielle vertikale Differenzierer nicht außer Acht zu lassen. Sie können sich bereits jetzt mit ihren vollen Ressourcen auf die Bedienung künftiger Felder konzentrieren, wohingegen die Automobilhersteller ihre Hauptressourcen weiterhin zur Bedienung der aktuellen Nachfrage aufwenden müssen. Jahrelange Wettbewerbsvorteile und

188

7 Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätskonzepte

Markteintrittsbarrieren drohen bei der Etablierung völlig neuer Konzepte zu bröckeln. Daher muss durch die Automobilhersteller der Markt-, Trend-, und Wettbewerbsanalyse auch mit Bezug auf zukünftige potentielle Wettbewerbsfelder höchste Priorität beigemessen werden. Kommt es zu einer Etablierung ähnlicher Nutzenkonzepte wie „Car Packaging und Pooling“, gilt es auch hier, Vorreiter zu sein und frühzeitig Markteintrittsbarrieren aufzubauen. Potentielle ernst zu nehmende Konkurrenten könnten auf diesem Feld die Autovermieter werden. Erstens drängt das Konzept in deren Markt und zweitens haben Autovermieter bereits globale Vertriebsnetze und eine markenübergreifende, dem Kunden einen Mehrnutzen bietende Vertriebsnetzwerke. Wird die Mobilität als Gut an sich weiter wie bisher an Bedeutung gewinnen und die Bedeutung des eigenen Automobils weiterhin an Bedeutung verlieren, könnten Autovermieter die ersten sein, die schnell und effizient mit flexiblen Nutzenkonzepten den Markt abdecken. Daher gilt es aus Sicht der Automobilhersteller dieser Entwicklung frühzeitig vorzubauen.

8

Strategisches Währungsmanagement für Automobilhersteller

8.1

Executive Summary

Einer der größten Risikofaktoren für international tätige Automobilhersteller ist das Wechselkursrisiko. Für Automobilhersteller mit hohen Exportquoten ist das Währungsmanagement unerlässlich geworden. Die Auswirkungen des Kurses, zu dem ein Hersteller seine Devisen in die Inlandswährung tauschen kann – dem sogenannten Transferkurs – auf das Unternehmensergebnis sind sehr groß. Je besser der Transferkurs für das Unternehmen, desto besser das Unternehmensergebnis. Das zweite Ziel des Währungsmanagements ist das Absichern („Hedgen“) eines Transferkurses, um so die Wechselkursschwankungen für das Unternehmen möglichst gering halten zu können. Eine geringe Volatilität im Transferkurs ist wichtig für das Unternehmen, um Planungssicherheit zu erzielen. Um das Risiko schwankender Wechselkurse reduzieren zu können, müssen Automobilhersteller in einem ersten Schritt ihre Wechselkursrisiken identifizieren. Diese resultieren vorwiegend aus: • Fremdwährungsfakturierung • Aufnahme von Fremdkapital • Umrechnung bei Konsolidierung im Konzernabschluss Diese Risiken können mit Hilfe von Natural Hedging gesenkt werden. Natural Hedging kann durch Anpassung der Kosten- an die Erlösstruktur und umgekehrt erfolgen. Die Anpassung der Kostenstruktur an die Erlösstruktur kann bezüglich der Beschaffungspolitik über lokale Zulieferer, bezüglich der Standortwahl über den Aufbau eigener Fertigungsstätten im jeweiligen Land oder Completely Knocked Down (CKD) Fertigung sowie über die Vertragsgestaltung erfolgen. Währungsmanagement spielt aber auch im Cash Management und bei der internationalen Investitionsplanung eine wichtige Rolle. Im Cash Management sind dabei Strategien für: • Pooling • Netting • Blocked Funds von Bedeutung. Bei der Investitionsplanung sind vor allem politische Risiken zu berücksichtigen, die sich auf das Währungsmanagement auswirken. Mit Hilfe dieser Strategien wird für jede Fremdwährung ein Nettoexposure aufgestellt, welches vom Unternehmen abgesichert werden kann. Für dieses Restrisiko muss der Automobilhersteller eine geeignete Strategie finden. Diese hängt von der Risikoaversion des Unternehmens ab. Automobilhersteller mit einer höheren Marge sind oft bereit, hinsichtlich der Wechselkursschwankungen ein höheres Risiko einzu-

190

8 Strategisches Währungsmanagement für Automobilhersteller

gehen. Dies spiegelt sich dann in der Wahl der Finanzinstrumente zur Währungsabsicherung wieder. Die am häufigsten eingesetzten Finanzinstrumente sind: • Forwards • Options • Range Options • Swaps Der Einsatz dieser Instrumente zur Reduzierung von Wechselkursrisiken wird als Financial Hedging bezeichnet. Für den Währungsmanager stellt sich die Frage, nach welcher Strategie Sicherungen abgeschlossen werden. Die Strategien unterscheiden sich nach der Auswahl der Absicherungsinstrumente, nach den Handlungsempfehlungen und nach weiteren Vorgaben wie Mindestsicherungsstrecken.514

8.2

Grundlagen

8.2.1

Begriffsabgrenzung

8.2.1.1

Währung

Eine Währung beschreibt und ordnet das gesamte Geldwesen eines Staates. Sie legt das Münz- und Notensystem innerhalb des Währungsraums fest. Der Währungsraum beschreibt den Geltungsbereich einer Währung. Eine Währung macht das Transferieren von Waren und Dienstleistungen, ohne eine Gegenleistung in Form von anderen Waren oder Dienstleistungen bringen zu müssen, möglich. Die Währung beschreibt eine bestimmte Art des Geldes. Die meisten Währungen werden an den internationalen Devisenmärkten gehandelt. Als Wechselkurs wird der Preis bezeichnet, der sich an den Devisenmärkten ergibt.515 Wechselkurse haben einen starken Einfluss auf die Leistungsbilanz und zählen daher zu den wichtigsten Preisen in einer offenen Volkswirtschaft. Die Schwankungen einer Währung wirken sich auf den Import und Export eines Staates aus, und dies beeinflusst wiederum die Wertschöpfung eines Staates und das damit verbundene Wachstum und den Wohlstand. Die Nachfrage nach Importen und Exporten, welche gerade für Automobilhersteller immens wichtig ist, wird von den relativen Preisen beeinflusst. Diese Preise werden mit Hilfe von Wechselkursen vergleichbar gemacht. Eine wichtige Rolle im internationalen Devisenhandel spielt die Freigabe des Dollarkurses im Jahre 1973 in den meisten westeuropäischen Staaten und in Japan. So wurden die Wechselkurse flexibel. Zu diesem Zeitpunkt entstand auch der Begriff des freien Floatens, welches im Gegensatz zu fixierten Wechselkursen stand. Kleinere Staaten versuchten lange einen fixen Wechselkurs zu behalten. Dies erwies sich mit der Zeit als immer schwieriger, da internationale Kapitalbewegungen immer schneller abliefen und auch die Kontrolle des Wechselkurses komplizierter wurde.516

514

Wir bedanken uns bei Herrn Felix Nunninger für seine Unterstützung zu dem Themenkomplex „Währungsmanagement“. Seine Aktivitäten haben erst das Gelingen dieses Buchs ermöglicht. 515 Vgl. Schricker W., Rubin E. (2001), S. 134. 516 Vgl. Eichengreen, B., Rennert, U., Rhiel, W. (2000), S. 183ff.

8.2 Grundlagen

8.2.1.2

191

Währungsmanagement

Der Begriff Währungsmanagement wird definiert als die Steuerung, Quantifizierung, Prognose und Kontrolle der Transaktions- und Translationsrisiken als Teil der allgemeinen Währungsrisiken bzw. Wechselkursrisiken eines Unternehmens. Die auftretenden Wechselkursrisiken lassen sich auch in Transaktionsrisiken und Translationsrisiken unterteilen. Transaktionsrisiken entstehen durch die Verbindung mit Lieferanten und Kunden in anderen Währungsräumen. Sie werden auch als das operative Wechselkursrisiko bezeichnet. Translationsrisiken treten bei der Währungsumrechnung zum Beispiel für die einzelnen Tochtergesellschaften auf.517 Der Begriff Währungsmanagement beschreibt somit insgesamt das Management von Fremdwährungen im Unternehmen. Besonders wichtig ist das Währungsmanagement für Unternehmen mit einer hohen Exportquote in Länder mit Fremdwährungen. Hierzu zählen die Automobilbranche und insbesondere die deutschen Automobilhersteller. Von der deutschen PKWProduktion gingen 2010 75,9% ins Ausland. Dies ist die weltweit höchste PKW-Exportquote.518 Zur Steuerung, Quantifizierung, Prognose und Kontrolle des Wechselkursrisikos wird auf die Volatilitäten, die Korrelationen der Wechselkurse und die offene Devisenposition abgestellt. Die offene Devisenposition wird auch als Exposure bezeichnet und wird je nach Fremdwährung unter Berücksichtigung aller bilanziellen und außerbilanziellen Lieferansprüche und Lieferverpflichtungen ermittelt. Die zeitliche Struktur der bestehenden Devisenpositionen wird für das Swapsatzrisiko berücksichtigt.

8.2.2

Fokus des Kapitels

Das Ziel dieses Kapitels ist es, einen Überblick über das strategische Währungsmanagement für Automobilhersteller zu geben. Dazu wird der Aufbau des Währungsmanagements bei einem Automobilhersteller, die Instrumente zur Währungsabsicherung sowie im Hauptteil die

Abbildung 98: Die Verbindung von Finanzderivaten und Instrumenten des Währungsmanagements Quelle: Eigene Darstellung

517 518

Vgl. Breuer (2000), S. 93ff. Vgl. Verband der Automobilindustrie (2011).

192

8 Strategisches Währungsmanagement für Automobilhersteller

Strategien im Währungsmanagement eines international agierenden Automobilherstellers beschrieben. Auf Basis der Literatur wird eine Verbindung zwischen den Instrumenten die zur Währungsabsicherung zur Verfügung stehen und den Strategien in den Bereichen Natural Hedging, Financial Hedging, internationales Cash Management und internationale Investitionsplanung hergestellt. Es soll die Bedeutung von Währungsmanagement in allen Bereichen des internationalen Finanzmanagements aufgezeigt werden. In den Bereichen Cash Management und Investitionsplanung werden Parameter aufgeführt, die das strategische Währungsmanagement von Automobilherstellern beeinflussen. In den Bereichen Natural und Financial Hedging werden Strategien und Lösungen zur Reduzierung des Wechselkursrisikos dargestellt. Die Verbindung ist in Abbildung 98 dargestellt.

8.3

Gründe und aktuelle Herausforderungen für Währungsmanagement

8.3.1

Gründe für Währungsmanagement

Zunächst stellt sich die Frage, wieso ein Automobilhersteller Währungsmanagement durchführen sollte. Der Hauptgrund zur Durchführung von Währungsmanagement ist die Risikoreduzierung. Ein Automobilhersteller beispielsweise möchte das Risiko reduzieren, dass sich der Wechselkurs eines Landes, in das er Autos exportiert, für ihn verschlechtert. Ein einfaches Beispiel soll dies verdeutlichen. Die BMW AG verkauft in den USA ein Fahrzeug für US$ 50.000. Diesen Betrag will sie nun in Euro umtauschen, denn die meisten ihrer Personal- und Materialkosten muss sie in Euro leisten. Steht der EUR/USD Kurs nun bei 1,20 (Stand: Juni 2010), so bekommt die BMW AG für das verkaufte Fahrzeug umgerechnet € 41.666,67. Steht der Kurs jedoch bei EUR/USD 1,40 (Stand: März 2011), so bekommt die BMW AG für das gleiche Fahrzeug nur € 35.714,28. Das sind fast 15% Unterschied, welcher bei sehr enger Kalkulation und den geringen Margen in der Automobilindustrie enorme Auswirkungen hätte. Gründe für das Währungsmanagement von Automobilherstellern sind insbesondere die hohen Wechselkursrisiken durch: a. Hohe Exportquoten b. Fremdwährungsfaktura c. Aufnahme von Fremdkapital d. Umrechnung bei Konsolidierung im Konzernabschluss Ad a) Hohe Exportquote: Da der Export der wichtigste Wachstumsfaktor der deutschen Volkswirtschaft ist, spielen Wechselkursschwankungen für Unternehmen eine wichtige Rolle, allen voran für Unternehmen aus der Automobilindustrie. Mit Hilfe des Währungsmanagements will der Automobilhersteller genau dieses Risiko reduzieren bzw. kontrollieren. Dazu muss ein Unternehmen seine Wechselkursrisiken identifizieren. Diese Risiken können unterschiedlicher Natur sein. Je nach Unternehmensstrategie unterscheiden sich diese selbst innerhalb der Automobilindustrie.

8.3 Gründe und aktuelle Herausforderungen für Währungsmanagement

193

Ad b) Fremdwährungsfaktura: Ein Risiko entsteht beispielsweise durch die Fakturierung in einer anderen als der funktionalen Währung, also durch das Stellen einer Rechnung über erfolgte Lieferungen und/oder Leistungen in einer Fremdwährung. Das Risiko für den Rechnungssteller – hier den Automobilhersteller – besteht darin, dass sich der entsprechende Wechselkurs bis zur Zahlung negativ entwickelt und das Unternehmen so weniger Geld erhält, als geplant war. Einfachstes Beispiel hierfür ist der Verkauf eines Fahrzeugs in einem Land mit einer anderen Währung. Ad c) Aufnahme von Fremdkapital: Ein weiteres Risiko entsteht durch die Aufnahme von Fremdkapital in Euro für Investitionen außerhalb des Eurolandes. Nimmt beispielsweise die Daimler AG einen Kredit in Euro für eine Investition in China auf, besteht die Gefahr, dass sich der EUR/CNY Kurs negativ entwickelt und sie für ihre Euros nicht genug Renminbis für die Investition erhalten. Ad d) Umrechnung bei Konsolidierung im Konzernabschluss: Auch die Umrechnung der funktionalen Währung von Erträgen und Aufwendungen ausländischer Tochtergesellschaften bei der Konsolidierung im Konzernabschluss in die Berichtswährung birgt Wechselkursrisiken.519 Konsolidiert beispielsweise die Volkswagen AG die Erträge und Aufwendungen der Volkswagen Australia im Konzernabschluss, so ist sie den Schwankungen des EUR/AUD Kurses ausgesetzt.

8.3.2

Aktuelle Herausforderungen an das Währungsmanagement von Automobilherstellern

Hedge Accounting: Fallstudien zeigen, dass das Fremdwährungshedging innerhalb des Währungsmanagements lediglich zur Absicherung von bestimmten Risikopositionen eingesetzt wird und nicht zur Spekulation.520 Ein Grund hierfür ist sicher auch die Internationale Rechnungslegung (IFRS) und der zuständige Passus IAS 39. So dürfen nur die Derivate als sogenanntes „Hedge Accounting“ bilanziert werden, die tatsächlich zur Deckung der offenen Risikopositionen dienen. Kommt es zu einer Übersicherung, wurde also ein höherer Betrag abgesichert als letztendlich benötigt wird, darf der Überschuss nicht als „Hedge Accounting“ bilanziert werden, sondern muss zum beizulegenden Zeitwert (fair value) bewertet werden. Dieser kann wiederum eine sehr starke Volatilität aufweisen. Doch das Hauptziel des Währungsmanagements ist es, eben solche Risiken und Schwankungen zu vermeiden, um Planungssicherheit zu erzielen. Werden die Volumina der abgeschlossenen Sicherungsgeschäfte untersucht, lässt sich erkennen, welche hohe Bedeutung der Einsatz von Währungsderivaten für international handelnde Konzerne hat. Die Volkswagen AG zeigte beispielsweise ein Volumen abgeschlossener Sicherungsgeschäfte in 2007 in Höhe von € 34 Mrd. auf. Globalisierung: In Zukunft wird das Thema „Fremdwährungsrisiko“ und die Absicherung dieses Risikos aufgrund der zunehmenden Globalisierung für international agierende Konzerne eine immer wichtigere Rolle spielen. Vor allem der Boom in China ist für das Währungsmanagement von Automobilherstellern eine große Herausforderung. Einerseits durch 519 520

Vgl. Bloss, M. et al. (2009), S. 12ff. Vgl. Bloss, M. et al. (2009), S. 27.

194

8 Strategisches Währungsmanagement für Automobilhersteller

die großen Volumina, die abgesichert werden müssen, andererseits durch die politischen und kulturellen Gegebenheiten in China. So gibt es strenge Auflagen im Umgang mit der Chinesischen Währung Renminbi. Doch nicht nur in China, sondern auch in Ländern wie Brasilien oder Argentinien werden immer mehr Fahrzeuge verkauft und damit steigt das Währungsrisiko. Zwar ist durch die Einführung des Euros die Zahl der unterschiedlichen Währungen in Europa zurückgegangen und wird in Zukunft auch noch weiter zurückgehen, doch gleichzeitig entstehen überall auf der Welt neue Absatzmärkte für die Automobilindustrie. So muss ein Unternehmen wie die BMW AG inzwischen auch Sicherungsgeschäfte für Thailändische Baht abschließen. Auch die geringere Liquidität der Währung kleinerer Volkswirtschaften wie beispielsweise der Norwegischen Krone ist für das Währungsmanagement eine Herausforderung. Hier kann sich der Kurs nach Anfrage eines Preises für ein Termingeschäft nur aufgrund der Nachfrage eines Unternehmens verändern. So ist es hier stets wichtig, nur kleinere Volumina zu handeln. Insbesondere seit dem Beginn der Staatsschuldenkrise ist das Währungsmanagement durch die großen Volatilitäten im Euro vor neue große Herausforderungen gestellt worden. Natural Hedging: Aktuell versuchen die Automobilhersteller, das „Natural Hedging“ auszubauen. Die Währungsrisiken sollen möglichst „natürlich“ abgesichert werden. Dies geschieht zum Beispiel durch Bezahlung von Rohstoffen in Fremdwährungen wie US-Dollar oder Schweizer Franken. Das Stellen von Rechnungen in einer fremden Währung wird auch als Fremdwährungsfaktura bezeichnet. Auch die Verlagerung der Produktion in Länder mit hohen Absatzzahlen trägt zum „Natural Hedging“ bei. Denn dann können Personal- und andere Kosten in der jeweiligen Währung bezahlt werden. Durch das sogenannte „Netting“, also das Saldieren von Erträgen und Aufwendungen einer Fremdwährung sinkt der Betrag der überschüssigen Fremdwährung (Exposure). Der Saldo wird dann als Netto-Exposure bezeichnet und beschreibt den Betrag, der vom Währungsmanagement mit Hilfe von Sicherungsderivaten abgesichert werden muss.

8.4

Aufbau und Ausführung des Währungsmanagements

8.4.1

Währungsmanagementbezogene Aufbauorganisation beim Automobilhersteller

Das Währungsmanagement bei einem Automobilhersteller ist meistens dem Bereich „Treasury“ unterstellt. Abbildung 99 zeigt die simplifizierte und verallgemeinerte Organisation des Währungsmanagements eines Automobilherstellers. In diesem Beispiel ist das Währungsmanagement im Group Treasury angesiedelt. Das Group Treasury ist wiederum dem Konzernfinanzwesen unterstellt und dieses dem Finanzvorstand. Weitere Abteilungen, die mit dem Währungsmanagement zusammenarbeiten, sind beispielsweise ausländische Treasury Center. Für einen europäischen Automobilhersteller liegen diese aktuell meistens in Singapur und New York. Diese Center sollen einen 24h-Handel möglich machen und die Märkte rund um die Uhr überwachen. Des Weiteren ist es in einigen Märkten wichtig, auch lokal vor Ort präsent zu sein, um mit den einheimischen Banken direkt verhandeln zu können. Eine weitere wichtige Abteilung im Währungsmanagementprozess ist die des Finanzcontrollings. Dieses überwacht das Währungsmanagement, wertet die abgeschlossenen Geschäfte aus und analysiert die Ergebnisse.

8.4 Aufbau und Ausführung des Währungsmanagements

195

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