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German Pages 170 Year 2014
Karin Kaudelka, Gregor Isenbort [Hg.] Altern ist Zukunft. Leben und Arbeiten in einer alternden Gesellschaft
Kar in Kaudel k a, Gregor I senbor t [Hg.]
Altern ist Zukunft Leben und Arbeiten in einer alternden Gesellschaft
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtlich strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Beiträge dieses Bandes geben ausschließlich die Meinungen der Autorinnen und Autoren wieder.
Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagfoto: Harald Hoffmann, Mühlheim a. d. Ruhr (Hintergrund: Ausschnitt aus „Der Turm zu Babel“ in der DASA, Wandkonzept: Barbara Wilhelmi, Ausführung: Eva Ohlow) Lektorat und Redaktion: Helga Reuter-Kumpmann, Berlin Satz: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2752-7 PDF-ISBN 978-3-8394-2752-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt 9
Karin Kaudelka Einleitung
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Gerd Göckenjan Altern und Tätigsein Gegenseitigkeitsbeziehungen zwischen Alt und Jung in Geschichte und Diskurs
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Katja Gentinetta Doppelte Alterung – dreifache Verweigerung Die Schwierigkeiten des gesellschaftspolitischen Diskurses über Alter und Arbeitsmarkt
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Andreas Kruse Altern in der beruflichen und nachberuflichen Zeit Das höhere und hohe Alter als Gestaltungsaufgabe begreifen
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Clara Schlichtenberger Selbstaktualisierung und ermöglichende Strukturen Talkrunde 1
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Götz Richter Der Mensch im Mittelpunkt Arbeitsgestaltung für den demografischen Wandel
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Hans Martin Hasselhorn Arbeit, Alter, Gesundheit Determinanten der Erwerbsteilnahme
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Michael Falkenstein Körperliche und geistige Fitness älterer Beschäftigter erhalten und fördern
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Maria von Welser Altern ist Zukunft Alles ist möglich – aber immer muss mit spitzem Bleistift gerechnet werden
101 Clara Schlichtenberger Herausfordernde Arbeit als Element der alternsgerechten Arbeitsbedingungen Talkrunde 2
103 Beate Beermann Die Demografie-Strategie der Bundesregierung
109 Gerhard Naegele und Michael Hüther Warum brauchen wir eine Demografiepolitik?
119 Margaret Heckel Aus Erfahrung gut Wie die Älteren die Arbeitswelt erneuern
123 Clara Schlichtenberger An Lebensphasen orientierte Arbeitsmarktpolitik und ihre Rahmenbedingungen Talkrunde 3
125 Claudia Vogel Aktives Altern Freiwilliges Engagement vor und nach dem Eintritt in den Ruhestand
131 Werner Eichhorst Beschäftigungsfähigkeit als ein zentraler Faktor eines längeren Erwerbslebens
143 Simone Scherger und Anna Hokema Arbeiten müssen, können oder wollen? Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze in Deutschland
159 Martin Vogler Zukunft der Arbeit Zur Rente mit 70 gibt es keine Alternative
163 Clara Schlichtenberger Die Verschiebung des Renteneintrittsalters und die Forderung nach Flexibilisierung Talkrunde 4
167 Die Autorinnen und Autoren und die Diskutierenden
Karin Kaudelka
Einleitung I. „Altern ist Zukunft!“ – für jedes Individuum und für die Gesellschaft gleichermaßen. Wir werden älter, weniger und bunter. Insbesondere die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15 – 64 Jahre) ist davon stärker betroffen als die Gesamtbevölkerung.1 Was bedeutet der demografische Wandel, über den in den letzten Jahren gern, viel und oft berichtet wird, für unsere Lebens- und Arbeitswelt? Ist er wirklich, wie so manche Schreckensszenarien nahelegen, eine Bedrohung für die Wirtschaft und die Sozialkassen? Oder birgt er – als Herausforderung verstanden – auch Chancen für individuelle Entwicklungen und Wachstum? Kann er die Gesellschaft bereichern? Die demografische Entwicklung ist in der Arbeitswelt spürbar angekommen und stellt uns vor große und immer neue Herausforderungen. Diesen Wandel gilt es kreativ, innovativ und – fußend auf den Ergebnissen umfangreicher Grundlagenforschung – verantwortlich zu gestalten. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin erforscht bereits seit einigen Jahren den Zusammenhang von „Arbeit, Altern und Gesundheit“. Das betrifft auch Fragen der Arbeitplatzgestaltung in Bezug auf die Gesunderhaltung von älteren Beschäftigten. Darüber hinaus wird mit der Verlängerung des Erwerbslebens das kontinuierliche Monitoring der Arbeitsfähigkeit eine wichtige neue Aufgabe. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ist weiterhin der Verbesserung des Wissensstandes über diese Zusammenhänge in den Betrieben verpflichtet. Als bildungsaktiver Lernort widmet sich die DASA Arbeitswelt Ausstellung dem für die derzeitige und künftige Arbeitswelt brennend aktuellen Thema im Rahmen der Symposienreihe „Constructing the future of work“ – als registriertes Projekt des Wissenschaftsjahres 2013 „Die demografische Chance“ und in ideeller Partnerschaft mit ddn „Das Demographie-Netzwerk“. 1 Dies zeigt eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Nürnberg. Vgl. Johann Fuchs, Doris Söhnlein: Projektion der Erwerbsbevölkerung bis zum Jahr 2060, IAB-Forschungsbericht 10/ 2013.
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Fachleute aus der Alternsforschung und der Arbeitsmedizin, der Soziologie, der Neurologie und der Psychologie diskutierten am 7. und 8. November 2013 in der DASA mit Journalistinnen und Journalisten und rund 170 Gästen aus unterschiedlichen Berufsfeldern über die Chancen und Risiken einer alternden Arbeitsgesellschaft und die Demografie-Strategie der Bundesregierung. Einigkeit bestand in der allgemein positiven Sicht auf das Alter heute. Angela Merkel hatte bereits während des Bundestagswahlkampfs im Sommer 2013 öffentlichkeitswirksam in der Zeitschrift BRIGITTE erklärt, das wichtigste Politikfeld, das es nach der Wahl anzugehen gelte, sei aus ihrer Sicht der demografische Wandel. Die „gewonnenen Jahre“2 nach der Beendigung des aktiven Erwerbslebens und vor der Unterstützungs- und Pflegebedürftigkeit seien neu zu definieren. Auch die sogenannte „rush hour“ des Lebens mit Berufsund Familienpflichten könne zugunsten von Lebens- und Arbeitsqualität entzerrt werden, und die Generation 50plus könne durchaus noch neue Karrieren starten. Das Alter von 60 bis 80 Jahren nennt der englische Historiker Peter Laslett das „dritte Alter“ – nach der Kindheit und Jugend und nach dem Erwachsenenleben mit Berufskarriere und Elternschaft. Dies sei eine Phase der persönlichen Errungenschaften, der Freiheit und Erfüllung3, bevor das eigentliche hohe Alter (ab 80 Jahren) mit neuen Abhängigkeiten beginne. Die Menschen in dieser dritten Phase ihres Lebens definierten sich sozial, nicht biologisch, sie befänden sich in der Regel in guter psychischer und körperlicher Verfassung und zeichneten sich idealiter durch Aktivität und Produktivität, durch Kompetenz und Weisheit aus. Menschen im Alter von 70 Jahren mit der mentalen und physischen Verfassung von heute 50jährigen würden länger produktiv am Erwerbsleben teilhaben können. Ein kürzlich gestartetes europäisches Forschungsprojekt mit Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaftswissenschaften, der Soziologie und der Demografie, der Medizin und der Naturwissenschaften aus 29 Institutionen und 13 europäischen Ländern nimmt die Chancen der längeren Lebenszeit für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in den Blick.4 Darüber, inwieweit dies tatsächlich dem Arbeitsmarkt zugutekommt, gehen allerdings die Vorstellungen von Arbeitnehmerschaft und Arbeitgebern weit 2 So der Titel der Empfehlungen der Akademiengruppe Altern in Deutschland, hg. von Jürgen Kocka und Ursula M. Staudinger, 2009. 3 Peter Laslett, The emergence of the third age. Ageing and society (1987) bzw. Das Dritte Alter. Historische Soziologie des Alterns, Weinheim-München 1995. 4 „Mopact“ (Mobilizing the potential of active ageing in Europe); geplantes Projektende: Anfang 2017; Etat: 5,9 Mio Euro.
Einleitung
auseinander. Eine repräsentative Umfrage der GfK5 zum Thema „Arbeit und Alter“, im Auftrag der Initiative Beruf und Familie, einer Tochter der gemeinnützigen Hertie-Stiftung, kam im Januar 2014 zu folgenden Ergebnissen: Von den 45 bis 60 Jahre alten Beschäftigten wollen nur 28% bis zur gesetzlichen Rente voll erwerbstätig bleiben, während 61% der Arbeitgeber davon ausgehen, dass ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bis zum Schluss ganztags arbeiten werden. Hier gibt es offenbar eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem vorherrschenden Bild vom Altern, den individuellen Präferenzen und den ökonomischen Notwendigkeiten.
II. Das DASA-Symposium „Altern ist Zukunft!“ wurde von der politischen Philosophin Dr. Katja Gentinetta engagiert und kenntnisreich moderiert. Zum Auftakt lieferte Prof. Dr. Andreas Kruse, Direktor des Instituts für Gerontologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, einen umfassenden Parcours durch die Geistesgeschichte zur Definition und Phänomenologie des Alters. Die Entwicklungs- und Veränderungspotentiale und die Vulnerabilität im höheren Lebensalter, die körperlichen und kognitiven (Plastizität) wie die emotionalen und motivationalen Potentiale (Anpassungsfähigkeit, Resilienz) stehen in engem Zusammenhang mit Bildung und Stimulation, Motivation und Sinnerfahrung. Der verantwortliche Autor der Altenberichte der Bundesregierung zeigte auf, wie wichtig die persönliche Entfaltung, die „Selbstaktivierung“, im Alter ist, und betonte, dass die Art und Weise, wie und wie schnell wir altern, in hohem Maße von der Arbeitswelt abhängig seien. Ältere wollten sich als Teil der Gesellschaft auch im Arbeitsleben sinnvoll einbringen und entsprechende Wertschätzung erfahren. Der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Gerd Göckenjan (Universität Kassel) beleuchtete die historische Perspektive des Alters. Vor 1900 habe der Begriff „Leistung“ die Diskurse zum Alter mehr bestimmt als der Begriff „Arbeit“. Mit der Entwicklung des Sozialstaats bis hin zur sogenannten Großen Rentenreform 1957 hätten sich für immer weitere Teile der Gesellschaft sich die sozialen Parameter für „Alter“ verändert. Wie sehr die politischen Rahmenbedingungen das Alter beeinflussen, machte dieser Blick zurück klar, der sich anschließend den Perspektiven im Umgang mit Alter auf dem Arbeitsmarkt zuwandte.
5 Gesellschaft für Konsumforschung, das größte deutsche Marktforschungsinstitut, weltweit die Nummer 4 der Branche.
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Drei Vortragende aus der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), zu der die DASA gehört, berichteten aus ihren Forschungsfeldern: Prof. Dr. Hans Martin Hasselhorn und Dr. Götz Richter stellten dar, wie zentral Gestaltungsspielräume bei der Arbeit, eine lernförderliche Arbeitsumgebung und individuelle Anpassungen der Arbeit an den Menschen – und nicht umkehrt – für die Motivation und den Erhalt der Gesundheit der Beschäftigten sei. Der Arbeitsmediziner Prof. Hasselhorn stellte ein neues Denkmodell zur Erwerbsteilhabe vor und plädierte für eine Differenzierung zwischen Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und Motivation zur Erwerbsteilhabe, wobei die beiden letztgenannten Faktoren zu womöglich anders gewichteten Interventionen seitens der Politik führen müssten. Der Sozialwissenschaftler Dr. Richter argumentierte vor dem Hintergrund des unumstrittenen Bedarfs von Unternehmen an leistungsfähigen und motivierten Mitarbeitenden engagiert für eine alternsgerechte Arbeitsgestaltung – wie flexible Arbeitszeitmodelle, kräfteschonende Verfahren und organisatorische Maßnahmen – und präsentierte beispielhafte Lösungen aus der betrieblichen Praxis. Neben den Sozialpartnern, den Unternehmen und ihren Beschäftigten seien Politik und Gesetzgebung auf allen Ebenen gefragt, um eine demografiefeste Arbeitswelt zu schaffen. Zu diesem Ergebnis sei auch die von der Robert-Bosch-Stiftung eingesetzte Kommission „Zukunft der Arbeitswelt“6 gekommen. Die Arbeits- und Organisationspsychologin Dr. Beate Beermann charakterisierte die derzeitige Netzwerkarbeit mit vielerlei Akteuren in der Demografie-Politik. Mit ihrer Demografie-Strategie reagiere die Bundesregierung auf die weitreichenden Folgen der demografischen Entwicklung für weite Lebensbereiche in ressortübergreifender Abstimmung. Für die Arbeitswelt bedeute das, die menschengerechte Gestaltung der Arbeit zu forcieren, betriebliche Gesundheitsförderung auszubauen, die Beschäftigten zukunftsfähig zu qualifizieren und für eine „Kultur des längeren Arbeitens“ zu werben. Prof. Dr. Gerhard Naegele – Forschungsgesellschaft für Gerontologie e.V. und Direktor des Instituts für Gerontologie an der TU Dortmund – plädierte ebenfalls für eine umfassende, politikfeldübergreifende Demografie-Politik auf mehreren Ebenen. Über die Frage, wie diese ausgestattet sein solle, gingen die Meinungen hingegen auseinander. Wie viel ungenutztes Potential im Hinblick auf die Beschäftigung älterer Menschen steckt, zeigte Dr. Werner Eichhorst vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit aus Bonn. Er verwies auf die Unternehmensseite, wo sich 6 Im März 2013 legte diese Kommission ihre umfangreiche Studie „Die Zukunft der Arbeitswelt. Auf dem Weg ins Jahr 2030“ vor.
Einleitung
bereits heute zahlreiche gute Beispiele für eine kreative Begegnung des demografischen Wandels finden lassen. Im „Demographie Netzwerk ddn“, dem Partner des Symposiums, sind solche Unternehmen entsprechend verbunden. Die Leiterin der Nachwuchsforschungsgruppe „Erwerbstätigkeit jenseits der Altersgrenze in Deutschland und Großbritannien“ an der Universität Bremen, Prof. Dr. Simone Scherger, stellte am Beispiel von Rentnerinnen und Rentnern in Großbritannien und Deutschland die Ergebnisse einer qualitativen Studie vor. Diese betrachtet im differenzierenden Vergleich zwischen diesen beiden Ländern, wer aus welchen Gründen auch nach dem Eintritt des Rentenalters weiterarbeiten will oder muss. Schließlich stellte Prof. Dr. Michael Falkenstein die Ergebnisse seiner Untersuchung „PFIFF: Programm zur Förderung und zum Erhalt intellektueller Fähigkeiten für ältere Arbeitnehmer“ vor. Der Experte vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund machte eindrücklich klar, wie Ältere durch entsprechende Trainings fit und kognitiv leistungsfähig bleiben. Durch die altersgerechte Gestaltung der Arbeit könne man den zwangsläufig biologischen Veränderungen begegnen. Maßnahmen wie ein ausgewogenes Sportund Ernährungsprogramm, der gezielte Umgang mit Stress und die Förderung kognitiver Fähigkeiten könnten zu einer deutlichen Verbesserung der Gesundheit und der Arbeitsfähigkeit älterer Beschäftigter beitragen. Entscheidend sei, ältere Menschen aktiv im Arbeitsmarkt zu halten und auch die Unternehmen weiter zu motivieren, ihre Gesunderhaltung zu fördern. Die Referierenden und die Diskutantinnen und Diskutanten – darunter die TV-Journalistin und Publizistin Maria von Welser, die Journalistin und Autorin Margaret Heckel, Dr. Claudia Vogel vom Deutschen Zentrum für Altersfragen (Berlin) und Martin Vogler, ehemaliger Chefredakteur der „Westdeutschen Zeitung“ (Düsseldorf ), die auch mit kurzen Beiträgen in diesem Band vertreten sind – sprachen sich insgesamt für eine möglichst frühzeitige Prävention am Arbeitsplatz aus, für den Ausbau und die Sicherung gesunder Arbeitsbedingungen sowie für die Förderung von Fortbildung und Motivation im Rahmen der Tätigkeiten. Insbesondere Frau Heckel betonte immer wieder die Wirksamkeit des vorherrschenden Altersbildes: Solange das von der Lebenswirklichkeit längst überholte Defizitmodell – ältere Beschäftigte seien ersetzbar, nicht belastbar, verbraucht – noch in den Köpfen vorherrsche, sei der Blick verstellt auf das ungenutzte Potential älterer Beschäftigter, die neben bisher nicht oder in Teilzeit arbeitenden Frauen und Zuwanderern eine wichtige und ungenutzte Quelle zur Behebung des Fachkräftemangels darstellten. Eine Vielzahl von Studien habe ergeben, dass Menschen über 50 durchaus leistungsfähig, produktiv, kreativ
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und innovativ seien – vorausgesetzt, sie erfahren angemessene Wertschätzung7, und vorausgesetzt, die Motivation8 und die spezifischen Lernvoraussetzungen Älterer9 werden berücksichtigt. Wer allerdings darauf nicht eingehe, dürfe sich über fehlendes Engagement nicht beklagen.10 Unter den Bedingungen einer steigenden Lebenserwartung und einer durchschnittlich besseren Gesundheit brachte Vogler ein gesetzliches Renteneinstiegsalter mit 70 Jahren ins Gespräch. So argumentierte jüngst auch das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in seiner Studie „Produktiv im Alter“ mit Blick auf Pläne in Großbritannien: „Künftig müssen Menschen länger arbeiten. Aber das ist eigentlich unproblematisch. Denn die Generation der Babyboomer und ihre Nachfolger sind im Alter nicht nur gesund und einsatzfähig, sie sind auch sehr gut ausgebildet. Ihre Kompetenzen sind für den Arbeitsmarkt interessant, und für viele von ihnen bedeutet Arbeit persönliche Erfüllung.“11 Gleichzeitig wiesen die Experten ebenso wie die Gäste aus dem Publikum auf die Vielzahl derzeitiger Schwierigkeiten im Umgang mit älteren Beschäftigten hin. Stichworte wie Lebenssicherung im Alter, Altersarmut12, Altersdiskriminierung13 und ein gesundheitlich und psychisch belastendes Berufsleben wurden nicht ausgeblendet. So ergaben sich an beiden Tagen kontroverse Dis7 Laut einer Umfrage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, über die die damalige Ministerin von der Leyen auf einer Tagung zur „Qualität der Arbeit“ im Dezember 2010 berichtete. 8 Sog. Generativitätsmotive: Weitergabe von Wissen und Erfahrungen an Jüngere (statt Konkurrenzkampf). 9 Stichworte: kristalline versus fluide Intelligenz; Wertschätzung von Erfahrungswissen; während Ältere genau wissen wollen, was sie warum lernen sollen, nehmen Jüngere Wissen aller Art eher ungefiltert auf. 10 So bilanzierte bereits 2010 Fred Marchlewski von der Unternehmensberatung Accenture, Kronberg, anlässlich der Auswertung des Programms „Perspektive 50plus“, wie die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 08./ 09. 06. 2013 berichtete. 11 Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts, im Dezember 2013. 12 Vgl. OECD-Rentenbericht vom November 2013 und den zeitgleich vom Statistischen Bundesamt, der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Wissenschaftszentrum Berlin WZB und dem Wirtschaftsforschungsinstitut DIW herausgegebenen Datenreport 2013. 13 Eine Auswertung des Programms „Perspektive 50plus“ des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung aus dem Sommer 2013 zieht eine ernüchternde Bilanz: Ältere Arbeitslose über 50 haben bisher in der Einstellungspraxis kaum eine Chance auf einen Arbeitsplatz – trotz Fachkräftemangels hatten nur 16 Prozent ein Beschäftigungsverhältnis, das länger als sechs Monate andauerte.
Einleitung
kussionen um die Köpfe (wer soll arbeiten), die Zeiten (bis wann und wie soll gearbeitet werden) und den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und Lebensqualität.
III. Die Zukunft der Arbeit und der Arbeitsgesellschaft wird seit langem vielerorts diskutiert. Warum hat sich die DASA als Ausstellungshaus der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aktiv in diese breit geführte Debatte eingeschaltet, und was ist ihr spezifischer Beitrag? Über die Jahre hinweg hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales – jenseits von Tagespolitik und Arbeitsmarktfragen und über alle politischen Richtungen hinweg – immer wieder wichtige Impulse für das langfristige Denken über die Zukunft der Arbeit gesetzt. Die DASA, die zum Geschäftsbereich des BMAS gehört, greift diesen Dialog gern auf und fungiert als Forum für eine breite gesellschaftliche Debatte zu diesem Thema. Als bildungsaktiver Lernort thematisiert die DASA den Lebensraum Arbeitswelt in künstlerischer Szenografie. Das DASA-Publikum erfährt mit allen Sinnen, welche Auswirkungen die Arbeitswelten der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft auf die arbeitenden Menschen hatten, haben und haben können. Unter den fünf Leitbegriffen Mensch – Arbeit – Technik – Gesundheit – Kultur wirbt die DASA, eine bundesweit ausstrahlende Einrichtung mit Sitz in Dortmund, für eine Arbeitswelt, in der der Mensch mit seinen Fähigkeiten und Belangen im Vordergrund steht. Die DASA umfasst ca. 13.000 qm Ausstellungsfläche und erreicht jährlich etwa 200.000 Besucherinnen und Besucher. Mit ihrem hohen Anteil an jugendlichem Publikum trägt sie besonders zur nachhaltigen Förderung der Eigenverantwortung und Zufriedenheit im Arbeitsleben bei. Neben der Dauerausstellung liefert sie vor allem mit Veranstaltungen und Sonderausstellungen Beiträge zur Debatte über Mensch und Arbeit in unserer Gesellschaft. Die DASA erreicht ihre Zielsetzung mit modernsten Methoden des Ausstellungswesens: Die Inhalte werden erlebnisorientiert, anregend und spielerisch, zugleich didaktisch und wissenschaftlich angemessen vermittelt, fachlich verbindlich und mit hohem gestalterischem Anspruch dargestellt sowie durch künstlerische Interpretationen der Thematik begleitet. Ein breites Spektrum an Veranstaltungen ergänzt den Diskurs um die Ausstellungsinhalte und wirkt als zeitgemäße Belebung der DASA im Sinne eines Forums über die Themen der Arbeitswelt. Dies gilt in besonderem Maße für eine Reihe wissenschaftlicher Symposien zu aktuellen arbeits- und sozialpolitischen Fragen unter der Überschrift „Constructing the future of work“. Das innovative Tagungsformat, in dem junge
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Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit den Nestoren ihrer Fachgebiete diskutieren, und die Vielfalt der Beiträge aus unterschiedlichen wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Perspektiven schaffen Raum für anregende Debatten und eröffnen dem Publikum eine Übersicht über die zahlreichen Facetten der Themen. Die Symposien verfolgen das Ziel, einen Diskurs in eine breite, sozialpolitisch interessierte Öffentlichkeit zu tragen, der in seiner Interdisziplinarität anderswo so nicht stattfindet.
Gerd Göckenjan
Altern und Tätigsein Gegensei t igkei t sbeziehungen z w ischen Al t und Jung in Geschichte und Diskur s
Meine Aufgabe ist es, zu den Gegenwartsthemen eine entferntere Perspektive beizutragen. Daraus sollten sich Tiefenschärfen in Bezug auf Altbekanntes ergeben. Ich gehe von Altersbildern, Diskursen über das Alter, aus und ziehe dann sozialhistorische Sachbestände hinzu.
1 . Der Al ter sdiskur s Altersbilder – diskursive Vorstellungen über das Alter – haben in den vergangenen Jahren vermehrte Aufmerksamkeit bekommen und sind inzwischen auch in das Repertoire der Politikziele aufgenommen worden (Sechster Altenbericht 2010; Ehmer, Höffe 2009). Ich werde im Folgenden argumentieren, dass Altersdiskurse, und hier die verwandten Altersbilder, in der Geschichte die Bedeutung hatten, über Generationsbeziehungen und damit ein gelungenes Leben, zu orientieren.1 Diese Vorstellungen bleiben über lange Zeiträume relativ ähnlich, sie wurden immer wiederholt und variiert. Altersdiskurse haben ihren Kernbereich in der Traktat-Literatur also in Ratgebern, Predigten, pädagogischen Schriften, moralischen Erzählungen. Der Widerhall, die Wirkungen dieser Diskurse, finden sich in vielen Literaturgattungen, vor allem biographische Literatur ist sehr hinweiskräftig. Altersdiskurse wenden sich an alte Leute wie junge Leute, sie wenden sich an alle gleichzeitig Lebenden. Schaut man durch die deutschsprachige Traktat-Literatur, zeigt sich, dass die Formulierungen des gelungenen Lebens historisch nicht immer gleich sind. Konstant aber bleibt das Motiv der Alterehrung, das immer zugleich die Gegenforderung einschließt, dass das Alter der Ehre wert sein soll. So heißt es schon im 16. Jahrhundert, das Alter sei zu ehren, nicht 1
Wenn nicht anders angemerkt, beziehe ich mich auf meine Studie: Göckenjan 2000.
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Gerd Göckenjan
wegen der vielen Jahre, sondern aufgrund der Verdienste für Tugend und Sitte. Dabei ist es nicht erst eine Aufgabe im Alter, Verdienste für Tugend und Sitte anzusammeln, sondern eine Aufgabe des gesamten Lebens. In all diesen Vorstellungen des richtig getanen, ganzen Lebens, geht es eben nicht um ein „gutes“ Leben, wie wir uns heute ein gelungenes Leben vorstellen, um ein Selbstverwirklichungs- vielleicht Wohlfühl-Leben. In allen Diskursen bis um 1900 geht es um „Tun“, um „Arbeit“ – und dieses Tun, diese Arbeit, wird für Andere verrichtet. Alter wird immer und ausschließlich in Gemeinsamkeits-, in Gegenseitigkeits-Beziehungen gesehen, Alter war ein Kollektiv-Konzept, es transportiert keine persönlichen oder privaten Vorstellungen. Wir sind heute an eine andere Art Altersbilder gewöhnt – individualisierte, sozialpolitisch abgesicherte. Sie sind nicht selten von Medienleuten erfunden, sie zielen auf individuelle Einstellungen und Verhaltensweisen. Am deutlichsten ist die Differenz vielleicht in den Termini der grundlegenden Erwartungen an das Alter: Die Diskurse bis 1900 sind streng und einfach, sie fordern Pflichten ein, ohne die Alter kein Anrecht auf Rechte hat. Die Diskurse der Gegenwart sind blumig und unverbindlich. Es werden Alters-Potentiale und Chancen statuiert, die wahrgenommen und gewürdigt werden sollen. Diese Potentiale gelten als gesellschaftlich relevant und werden vage mit Zukunft assoziiert. Die Aktivierung solcher Potentiale allerdings soll auf Freiwilligkeit und persönlichen Entwicklungswünschen beruhen. Gut wohlfahrtsstaatlich gedacht, seien diese Alten-Potentiale im Sinne von Teilhaberechte zu schützen und mit öffentlichen Geldern zu fördern. Vorgestellt sind gesellschaftliche Verpflichtungen „für Alte“, keine Pflichten „der Alten“ (Sechster Altenbericht 2010, etwa S.269ff.). Derlei Überlegungen sind älteren Verhältnissen völlig fremd. Das über Jahre hofierte Konzept der „aktiven Senioren“ wäre Betrachtern vor 1900 schlicht unverständlich gewesen. Woran liegt das? Wir sind heute daran gewöhnt, Alter mit Rentenalter, also mit dem Ausscheiden aus der Berufstätigkeit, gleichzusetzen. Aber das Ausscheiden zuvor hatte eine negative Konnotation. Das Rentenalter hieß 1957 nicht zufällig „Ruhestand“. Das Konzept beinhaltete, das jetzt alles getan und nichts mehr zu tun sei und – vor allem – nichts mehr getan werden könne. Die Arbeitskraft sei ausgeschöpft, betreffende Personen sind für gesellschaftlich relevante Tätigkeiten nicht mehr zu gebrauchen, sie müssen daher durch Transferzahlungen erhalten werden. Alter wird aus Strukturbedingungen der Erwerbsarbeit definiert. „Wohlverdienter Ruhestand“ war das Kampfkonzept, mit dem 1957 die Lebenshaltungskosten deckende Rente durchgesetzt wurde, gegen Positionen, die das Subsidaritätsprinzip hochhalten wollten (Göckenjan 2007). Alter, mit 63 oder 65 Jahren beginnend und von ausreichenden Transferzahlungen lebend, aber für unfähig gehalten, den (Erwerbs-) Tätigkeiten des Erwachsenenlebens zu ge-
Altern und Tätigsein
nügen, ist historisch ein neues Phänomen. Und die Einführung war umstritten. Erst seit der sog. Großen Rentenreform von 1957 gibt es diese institutionalisierte Lebenszäsur für den größten Teil der deutschen Bevölkerung. Die Große Rentenreform von 1957 muss als Epochenschwelle für Altersdiskurse und das Leben im Alter angesehen werden. Die Vorstellungen von Alter und einem gelungenen Leben werden nach 1957 vollständig andere. Alter, vorher und nachher, sind geradezu unterschiedliche soziale Figurationen. Die gravierendsten Unterschiede betreffen den Komplex Arbeit und Tätigsein, hier liegt nicht zuletzt ein Schlüssel zum Verständnis der Epochenschwelle 1957.
2. Kont inui t ä t ser war t ungen im Lebensver l au f In theologischer Sicht, die das kulturelle Deutschland lange geprägt und angeleitet hat, ist das Leben Mühe und Arbeit: „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon.“ Was die Bibel da sagt, ist selbstverständlich und für Jeden jederzeit nachvollziehbar. Es ist das ganze Leben gemeint, nicht ein Leben bis zum Rentenalter. Natürlich ist nicht Erwerbsarbeit gemeint sondern die Anstrengungen und Lasten des Lebens allgemein. Diese Sicht leitet alle Altersdiskurse vor 1900. Die beiden hier wichtigsten Aspekte sind: Kontinuität des Lebens und Reziprozität, das aufeinander Verwiesensein der gleichzeitig Lebenden. Zunächst Lebenskontinuität. Es handelt sich um das zentrale, orginäre Interesse alter Leute, solange ihre Kräfte nicht vollständig erschöpft sind, und oftmals über diese Linie hinaus. Das ist heute so, und das war sicherlich nie anders. Lebenskontinuität aber ist nichts, auf das man Anspruch hat, oder was man geschenkt bekäme – sagen die Teilnehmer der Diskurse unisono. Lebenskontinuität will erkämpft, erarbeitet sein, zuletzt gegen Ende des Lebens, gegen das Alter und trotz des Alterns. Cicero formuliert diese Lebenssicht vorbildlich in seinem „Cato der Ältere“, ein unendlich einflussreicher Text: „Zur Wehr setzen... muss man sich gegen das Alter, und seine Gebrechen muss man durch Umsicht ausgleichen. Kämpfen wie gegen eine Krankheit muss man gegen das Alter.“ Sagt er, und schärfer noch: „Dem Alter ist aber keine bestimmte Grenze gesetzt, und das Leben in ihm ist gerechtfertigt, solange man seine Pflicht erfüllt und für sich sorgen kann und zwar dem Tod zum Trotz.“ Dieser Text gehörte zum Kernbestand des gebildeten Bürgertums bis zum Ende der klassischen Bildung. Alter hat sich hier für seine statussi-
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chere Fortexistenz zu rechtfertigen, und kann das nur durch Pflichterfüllung. Alter steht in der Pflicht gegenüber den Nachkommen, der Öffentlichkeit und dem Nachruf. Der Gedanke, dass Leben im Alter sich zu rechtfertigen hat und sich nur durch Tätigsein rechtfertigen kann, wird immer wieder aufgenommen. Z.B. in einem „Altersgelübde“ eines alten Pfarrers von 1838: „Ist gleich mein Tagwerk bald vollendet und vielleicht die Nacht nicht mehr fern, wo ich nicht mehr wirken kann, so will ich doch bis dahin, dass mein Auge bricht, mit angestrengter Kraft fortfahren… (folgt lange Aufzählung der Verpflichtungen in denen er sich sieht, GG)… damit, wenn die Scheidungsstunde von diesem mir schön gewesenen Erdenleben kommen wird, ich meinen Geist mit Freude und Zuversicht in die Hände meines himmlischen Vaters empfehlen kann, und nicht fürchten darf, dass einst ein Fluch meine Asche beunruhige, oder eine Verwünschung meinen Grabhügel schände.“ (Göckenjan 1993, 7) Die Instanzen der Rechtfertigung sind weiterhin da, der Gestus ist aber kleiner und milder, wie es den Zeitumständen und der Soziallage entspricht. Ganz anders Jakob Grimm (der ältere der beiden Märchen-Grimms), der 1860 seine berühmte Rede über das Alter hält. Ihm liegt die theologische Rahmung fern. Er ist jetzt 75 Jahre alt, ein Philologie-Professor. Es sieht das Alter einer modernen Leistungsethik verpflichtet, es geht um die Kontinuität des akademischen Lebens. Und so fragt er: „Warum sollte das alter strengen arbeiten sich nicht mehr gewachsen fühlen, weshalb untauglich dafür geworden sein? Seine rüstkammern stehn ja angefüllt, an erfahrung hat es -jahr aus jahr ein- immer mehr in sie eingetragen.“ Und Grimm gesteht durchaus zu, dass die Jungen schneller sind und es einfacher haben, aber: „die alte biene kommt spät, aber sie kommt doch.“ (Grimm 1864, 205) Und zum Ende: „Solange uns die sonne leuchtet, ist zeit des wirkens bis unsre tage ausgelebt und wie einzelne tropfen vom dach niedergefallen sind.“ (S.209) Diese Beispiele aus den Diskursen mögen genügen. Immer wird diese kollektiv geteilte Denkform formuliert: Leben, das ganze Leben, ist Tätigsein! Wir dürfen davon ausgehen, dass es sich hierbei um Selbstverständlichkeiten älterer Gesellschaftsformationen handelt. Die in den jeweiligen Lebenskreisen erwarteten Aufgaben und Pflichten enden erst mit dem Tod. Wenn diesen Aufgaben und Pflichten nicht mehr nachgekommen werden kann, tritt der soziale Tod ein – und der physische Tod ist dann nicht fern.
3. Ökonomische Gr undbedingungen Recht betrachtet ist die Vorstellung lebenslangen Tätigseins kein ideologisches Konzept, sondern soziales Schicksal, denn es entspricht ökonomischen Grund-
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bedingungen. Das betrifft die große Masse der Bevölkerung und nicht nur die sozialen Unterschichten. Es ist typisch für alle Gesellschaften vor dem Einsetzen der Industrialisierung und lange noch während dieser, dass Lebensressourcen kollektiv besessen sind. Alle Familienmitglieder, Dorfgemeinschaften, Mitglieder von Gewerken und Zünften haben von den gleichen Ressourcen zu leben. Die Lebensgrundlagen sind nicht ohne weiteres auszudehnen. Die Personen, die von diesen leben wollen, müssen sich diesen anpassen – nicht umgekehrt. Auch Stelleninhaber, wie etwa Pfarrer, Schreiber, Hofmusiker, haben ihre Stellen nicht individuell, sondern in kollektiver Nutzung. Der Kollektivcharakter von Lebensressourcen gibt die Rahmenbedingungen für die Lebenschancen Aller, die zur gleichen Zeit leben. Die Denkform des lebenslangen Tätigseins entspricht schlicht den ökonomischen Selbstverständlichkeiten des gemeinsamen Lebens. In jedem Fall sind Besitz und Ansprüche aufrecht zu erhalten, zu pflegen und, wann immer möglich, in der Generationenfolge weiter zu geben. Im Zweifel ist niemand aus diesen Verpflichtungen entlassen. Daher wird es nicht als Härte angesehen, dass ganz alte Greise und Greisinnen zu „tagwerkeln“ haben. Es ist Ausweis ihrer ehrsamen Lebensführung. Auch wenn Personen Anspruch auf öffentliche Unterstützung haben wollen, haben sie ihre Bereitschaft, tätig zu sein, unter Beweis zu stellen. Es ist bis zum Ende des 19. Jahrhunderts selbstverständlich, dass etwa Pastoren, Lehrer oder Professoren bis zur Erschöpfung ihrer Fähigkeiten im Dienst sind. Man stirbt aus der täglichen Arbeit, auf dem Katheter etwa – wenn man Glück hat! Auch wenn die Bismarcksche Arbeiter- Rentenversicherung 1891 eine Altersrente ab 70 Jahren einführt, ist die Idee nicht, Erwerbstätige älter als 70 Jahre von Erwerbsarbeit zu befreien, sondern ihre gesunkene Erwerbsfähigkeit etwas auszugleichen. Man kann sagen: Jedes Kontinuitätsinteresse der Alten kann sich mit den Lebensinteressen der Jungen treffen. Die Interessen können sich aber auch höchst empfindlich stoßen. Es ist behauptet worden, dass das Kampfgetümmel zwischen den Generationen um Lebenschancen durch alle Jahrhunderte schalle. Diese Einschätzung ist aber wohl nicht zutreffend.
4. Gegensei t igkei t sbeziehungen Leben heißt, in Gegenseitigkeitsbeziehungen stehen. Das wird heute zu oft übersehen. Geben und Nehmen in einem umfassenden Sinne. Im Zusammenleben der Generationen hat niemand völlige Handlungsfreiheit, niemand ist unabhängig oder selbständig. Alles Tätigsein in älteren Lebensformen ist Investition in Gegenseitigkeit – in familiäre Beziehungen, in das Ansehen in Nachbarschaft und Gemeinde, in Anerkennung gegenüber Obrigkeiten.
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Unter älteren Verhältnisse ist es selbstverständlich, dass die Gegenseitigkeitsbeziehungen zwischen den Generationen nicht auf Liebe und Sympathie beruhen – jedenfalls nicht zuallererst –, sondern auf sachlichen Rationalitäten. In den besitzenden Schichten sind es die Alten, die die Macht haben, weil sie über die gemeinsamen Ressourcen bestimmen. Die Alten befehlen, die Jungen gehorchen, das ist die Standardsicht in den Altersdiskursen seit dem 16. Jahrhunder, dem Beginn der Rede über das Alter in unseren deutschen Quellen. Die Alten haben die Macht und sie sollen Autorität sein, dass ist die weitgehend unangefochtene Denkform bis um 1900. Sitte und Anstand geben die Regeln des unmittelbaren Zusammenlebens. Altersdiskurse, wie sie sich in den Textgattungen der frühen Traktat-Literatur finden, nehmen diese Regeln und Normen auf, wiederholen und variieren sie. Die hier wichtigsten Strategien der Diskurse polarisieren sehr stark: Das Alter wird gelobt, und es wird gescholten. Die Strategie des Alterslobs geht auf Platon zurück und bestimmt: Die Alten seien erfahren, tugendsam, ehrwürdig und weise. Die Strategie der Altersschelte geht auf Aristoteles zurück und bestimmt: Die Alten seien bösartig, misstrauisch, ängstlich, geldhörig und geschwätzig. Beide Strategien sind in den Traktaten immer präsent, wenngleich historisch in unterschiedlicher Gewichtung. Beide Strategien zusammen bilden den Alterserwartungscode. Denn Alter – das Alter der besitzenden Schichten – hat zwar die soziale Macht, aber sie hat diese nach Sitte und Anstand auszuüben. Sitte und Anstand sind nichts Persönliches oder Individuelles – es handelt sich um gesellschaftliche Normen, sie repräsentieren gesellschaftliches Regelungsinteresse. Alter, die Alten spielen im gesellschaftlichen Regelungsinteresse eine doppelte Rolle, die von den Thematisierungsstrategien angesprochen sind: Alter repräsentiert gesellschaftlich wichtige Werte wie Erfahrung, Weisheit, Urteils- und Leistungsfähigkeit und symbolisiert damit Dauer, Kontinuität und Ordnung. Aber das Alter symbolisiert genauso das Gegenteil, die Gefährdung dieser Werte. Alter steht für unerwünschte Umstände und Dispositionen, für Unfähigkeit, Erstarrung, Verfall und Tod. Und in dieser Rolle steht Alter für einen notwendigen Generationswechsel. Alter ist beides: Kontinuität und Gefährdung von Kontinuität. Damit ist der Alterserwartungs-Code (in den Formulierungen des 18. Jahrhunderts) ganz einfach: Das Alter ist würdig und aller Ehre wert, aber nur das Alter, das sich nicht selbst entehrt, nur das Alter, das sich der Ehre würdig erweist. Würdig aber ist es am Ende nur dann, wenn es nachfolgedienlich ist, wenn es seine ureigene Disziplin, Zucht und Ordnung zu halten, auch auf sich selbst anwendet. Und das heißt: Wenn die Autorität des Alters dienende Autorität ist. In den Formulierungen des 18. Jahrhundert ist die Idee der Altersrhetoriken am deutlichsten: Alter ist eine soziale Leistung, die für die nachfolgenden Generationen, für Gemeinschaft und Gesellschaft erbracht werden muss.
Altern und Tätigsein
Doch was kann der Diskurs erreichen? Wer begrenzt die Macht der Alten, falls sie die Macht haben und diese nicht angemessen ausüben? Immer wieder wird dieses Problem durchgespielt: Sie erinnern sich an das König-Lear-Motiv, wie es von Shakespeare inszeniert wird: König Lear ist ein Drama einfältiger Machtausübung und die drastische Strafe dafür: „Du hättest nicht alt werden sollen, eh’ du klug geworden bist“, heißt es gerichtet an die Adresse des alten Königs, der mit der Machtübergabe an seine Lieblingstochter ein letztes Mal seine Macht missbraucht. Oder Sie werden an Erzähltraditionen denken, etwa die Geschichte vom alten Großvater und seinem Enkel (in der Grimmschen Fassung): „ein steinalter Mann dem die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm“. Alter ist hier die Provokation des Verfalls, die man ignorieren und verstecken möchte. Auch hier ist die Moral personifiziert: Der Enkel ist die Instanz, die proklamiert, dass sich Fehlverhalten in Generationsbeziehungen rächen werden. Also doch: Kampf der Generationen durch alle Jahrhunderte? Nicht, wenn das Leben gelingt. Der Diskurs beschreibt nur das mögliche Scheitern, um das Scheitern zu vermeiden. Zusammenleben der Generationen heißt Investition in Gegenseitigkeit, und das von Anfang an. Zusammenleben bildet habitualisierte Dispositionen, potentiell durchaus verlässliche Gegenseitigkeit. Allerdings können diese so entstehenden Verpflichtungen unter Umständen hart sein für die Folgegenerationen: Sie haben abzuwarten und sich in die zur Verfügung stehenden Arrangements einzufügen. Vorindustrielle Gesellschaften sind Gesellschaften mit gerontokratischen Regeln (Thomas 1988). Aber die Regelungsdominanz der Alten hat ein Ende. Das Ende, das Alter beginnt, wenn die üblichen Aufgaben nicht mehr angemessen durchgeführt werden können. Das reflektiert etwa die „Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste“ von 1819: Das „mittlere Alter“ sei vorbei, heißt es da, wenn Rechte und Pflichten nicht mehr ausgeübt werden können; falls das aber möglich sei, dauere das mittlere Alter bis zum Tod (Göckenjan 2009, 240). Vielfältiges Material zeigt das: Man kann sich früh alt fühlen, Symptome des Alters zeigen oder in der Generationsfolge „der Alte“ sein – entscheidend ist aber einzig und allein die Fähigkeit, Rollenerwartungen zu erfüllen. Das mittlere Alter ist das Erwachsenenalter, sagt das Zitat von 1819, das hohe Alter ist der Lebensrest, der durchlebt wird, wenn die Rollen des Erwachsenenlebens nicht mehr ausgeübt werden können. Das hohe Alter ist nicht mehr Tun, sondern Warten. Sozialgeschichtliches Material zeigt übrigens, dass durchaus Chancen Älterer bestanden, bis zum Lebensende alle Erwachsenenrollen einigermaßen angemessen auszuüben, selbst für die kleineren besitzenden Schichten – etwa mit Hilfe der umfassenden Verfügbarkeit von Dienstpersonal. Lohnarbeitende und absinkende Schichten dagegen waren dominant auf Familienbindungen
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bzw. Selbstverantwortlichkeit für Lebensressourcen verpflichtet. Allerdings galt noch sehr lange das Diktum „alle müssen leben“, und so gab es ein breites Spektrum von Hilfs- und Marginaltätigkeiten, die – oftmals gegen Naturalleistungen – ausdrücklich Alten vorbehalten waren und von Privatleuten, Kommunen und industriellen Arbeitgebern bereitgestellt wurden.
5. Rück zug, Rück t r i t t Aus dem Vorhergehenden lässt sich auf Folgendes schließen: Auch Personen, die aus ihren Alltagsgeschäften zurücktreten, sind nicht plötzlich frei, nichts zu tun. Vielmehr forderten Ansehen und Respekt der sozialen Umgebung, öffentlich anerkannten Tätigkeiten nachzugehen. Für die vorindustrielle Zeit gilt in großen Linien: Je wohlhabender die Familie ist und je disponibler das Besitztum, umso eher können Personen ihre üblichen Tätigkeiten aufgeben. Ein solcher Entschluss kann viele Gründe haben. Großkaufleute sind für dieses Vorgehen prädestiniert, sie können Teile ihrer Einflussbereiche übergeben. Biographische Darstellungen verweisen darauf, dass damit aber kein „Ruhestand“ eintritt: die Geschäftstätigkeit wird reduziert, andere Tätigkeitsarten werden aufgenommen. Auf derartige Hintergründe dürfte die deutsche Spruchweisheit zielen, die fordert: „Die Jungen zur Tat, die Alten zum Rat.“ Der freiwillige Rückzug ist in den weniger begüterten Schichten – aber nicht unbedingt nur in diesen – ganz oft wenig freiwillig, sondern wird durch drängende Nachfolgeprobleme erzwungen. In den meisten Bereichen der vorindustriellen Zeit müssen die Alten abtreten, damit die Jungen die ihnen zukommenden Positionen einnehmen, dann heiraten und eine Familie gründen können. Hier regeln nur gute Sitten und Herkommen - und guter Wille aller Beteiligten –, wann und unter welchen Bedingungen die Alten zurücktreten. Denn der Rücktritt bedeutet ökonomische und Status-Verluste. Die persönliche Lebenskontinuität ist beschnitten. Die Alten treten zurück zugunsten der Lebenskontinuität der Familie, des Hofes, des Gewerbes – das individuelle Interesse hat dem kollektiven nachzustehen. Alle Generationen haben diese Denkform zu leben. Für diese so entscheidende Passage gab es Konventionen, etwa zur bäuerlichen Hofübergabe oder zur Weitergabe von Verwaltungsstellen. Sie wurden nach den jeweiligen Umständen angewandt. Die Konventionen zu Hofübergabe waren oft sehr detailliert. Und sie benachteiligten meist, zumindest in den förmlichen Regelungen, die Jüngeren durch harte Auflagen. Nicht nur im bäuerlichen Bereich, überall galt der Leitspruch: Man darf sich nicht ausziehen, bevor man sich hinlegt, es also tatsächlich ans Sterben geht.
Altern und Tätigsein
Auf die Passage zielen die Altersdiskurse, indem sie den Konfliktparteien ihr Verhalten spiegeln und angemessenes Verhalten einfordern. Sie stellen dar, was passiert, wenn die Alten und die Jungen ihre Pflichten verabsäumen. Entsprechend tobt der Kampf in den Diskursen. Immer geht es um das Einhalten von Pflichten, sie sind reziprok: Ein ganzes Leben ist für die Alten nur mit den Jungen gemeinsam möglich. Die Jungen haben am Ende die Übermacht, aber wenn sie diese nicht gut einrichten, werden sie von ihren eigenen Kindern ähnlich missachtet werden: Das Gleichnis von Großvater und Enkel. Einigermaßen friedliche Umgangsformen haben offenbar die Beziehungen der Generationen bestimmt, nicht offener Kampf. Sicherlich weniger aufgrund der Überzeugungskraft der Diskurse als aufgrund der zwingenden Vernunft des Zusammenlebens
6. Individual isier ung der Lebensgr undl agen Dieses Zusammengekettet-Sein der Generationen ändert sich langsam seit der 2. Hälfte des 19.Jahrhunderts. Für unser Thema gilt: Was zunächst Verhalten von Oberschichten ist, wird bald auch von den begüterten Schichten des Bürgertums berichtet. Wenn die Lebensgrundlagen „individualisiert“ werden, ändern sich auch die Verpflichtungen. Man geht keinen Geschäften mehr nach, wenn man diese gut verkauft und die Erlöse gut angelegt hat, man „privatisiert“, wird Rentier. Diese Rentiers, die von Kapital- oder Wirtschaftserträgen leben, werden im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in den großen Städten eine eigene soziale Figur. Hier, in den Rentiers der besitzenden Schichten finden wir das soziale Muster der heutigen Senioren. Jene leben ausschließlich von Geldzahlungen nicht mehr aus der Naturalienwirtschaft. Hierdurch ist der Individualisierungsgrad des Lebens so groß, dass Lebensstile sich nicht unbedingt nach Herkommen zu richten brauchen. Allerdings beginnt die Kritik an Rentiers als eine unnütze, ja parasitäre Schicht, sobald sie als solche in Erscheinung treten. Wie es scheint, nimmt der Druck, als Arbeitstätig ausgewiesen zu sein, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eher zu. Auch Rentiers der besitzenden Schichten widmen sich Aufgaben und Arbeitsverpflichtungen. Häufig werden ehrenamtliche Tätigkeiten eingenommen – im politischen, kulturellen und wohlfahrtsbezogenen Leben –, die im Kaiserreich noch nicht institutionalisiert und professionalisiert sind. Es ist auch die große Zeit der Privatgelehrten. Der Großkaufmann Gottfried Ludolf Camphausen etwa zieht sich 1868 aus seinem Geschäftsleben zurück und widmet sich in seiner eigenen Sternwarte der Astronomie. Der Industrielle Gustav
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von Mevissen legt 1880 alle Wirtschaftstätigkeiten nieder und wird Vertreter der Stadt Köln im preußischen Herrenhaus in Berlin – eine ehrenamtliche Tätigkeit. Für Camphausen dauert diese „nachberufliche Lebensphase“ noch 19, für Mevissen noch 22 Jahre. Individualisierte Lebensgrundlagen erlauben vielfältige Ausgestaltungen. Dabei mag Arbeitsethik hoch gehalten werden, dennoch mögen Tätigkeiten rein symbolische Bedeutung haben oder Liebhabereien sein. Es wird vieles geben, was sich von den Beschäftigungen der heutigen, wohlhabenden Senioren wenig unterscheidet. Schon recht früh ist hier auch Reisen eine Lieblingsbeschäftigung. Ein ehemaliger Hof-Apotheker, der 1824 seine Apotheke mit 68 Jahren an seinen Sohn verkauft, berichtet von ausgedehnten Deutschlandreisen. Der aus dem Großbürgertum stammende Theologe von Hase legt 1883 in seinem 83. Lebensjahr – auch jetzt noch nicht ganz freiwillig – seine Professur nieder und setzt seine jährlichen Bildungs- und Kurreisen nach Italien auch in den folgenden Jahren fort. Zuletzt hier Franziska Tiburtius, eine der ersten deutschen Ärztinnen. Sie gibt 1907, mit 64 Jahren, ihre Privatpraxis in Berlin auf, weil sie einem schleichenden Altersverfall, wie sie sagt, vorbeugen will. Sie schreibt dazu: „Einer tätigen Natur wird das Altwerden nicht leicht, es ist schwer aus dem Strom beiseite zu treten und das rasche Leben an sich vorbeifluten zu sehen… Man weiß, dass ‚der Tag anderer’ kommt und schult sich in der Entsagung, die vom Alter verlangt wird… Ich wusste, dass für alte Leute gewöhnlich mit dem Beruf das Rückgrat des Lebens genommen ist, und dass dann der Zusammenbruch eintritt. Um Ruhe zu ertragen (sic.!) braucht man auch noch ein gewisses Ausmaß an Kräften. Ich ging auf Reisen...“ In den sieben Jahren bis zum Kriegsausbruch ist sie vordringlich auf Reisen: ein Winter in Rom, fünf Monate in Nordamerika, einige Wintermonate auf Sizilien, in Palästina und Ägypten usw. Aber sie ist keine Spaß-Seniorin heutigen Zuschnitts. Jedenfalls nennt sie ihre Reisen „gut wirkende Surrogate“. Mit Kriegsbeginn, sie ist 71, stellt sie sich nochmals als Ärztin, jetzt der öffentlichen Gesundheitsversorgung, zur Verfügung und bleibt dort – offenbar bis zum Kriegsende. Ihre Autobiographie (1925) beendet sie so: „Und nun schaue ich in das späte Abendrot und sehe ruhigen Herzens der friedlichen Nacht entgegen. Mein Leben ist köstlich gewesen, denn es ist Mühe und Arbeit gewesen.“ Sie stirbt 1927 im Alter von 84 Jahren.
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7. Al ter der lohnar bei tenden Schichten Es ist festzuhalten: Ein „individualisiertes Alter“ kann, unter früheren Verhältnissen, nur von Vermögenden gelebt werden. Die Lohnarbeitenden- und die absinkenden Schichten sind dagegen weiterhin abhängig von kollektiven Arrangements. Familieneinkommen muss sinkende Löhne im Alter ausgleichen, später dann tragen Renten zum Familieneinkommen bei. Für diese Schichten wird es nach 1900 immer schwerer, im fortschreitenden Alter Erwerbsquellen zu finden. Die ersten beiden Dezennien des 20. Jahrhunderts sehen eine zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die 1920er Jahre dazu eine forcierte Rationalisierung der Industrie – beides trägt dazu bei, die traditionellen Lebens- und Tätigkeitsräume für Alte und Leistungsgeminderte einzuschränken. In den 1920er Jahren wird erstmals „Altersarbeitslosigkeit“ thematisiert und bis zum Ende der Weimarer Zeit das „in Lohn und Brot halten“ älterer Arbeitnehmer gefordert und mit entsprechenden Projekten experimentiert. Es wird z.B. zu diesem Zweck 1921 eine „Altershilfe des Deutschen Volkes“ gegründet. Später werden Versuche kommunaler Arbeitsfürsorge initiiert. Es gibt einzelne Vorzeigeprojekte wie die Alters- und Invalidenwerkstätten der Gelsenkirchener Bergwerks AG. Alle diese Versuche scheitern oder werden spätestens in der NSZeit eingestellt. Nach 1945 finden wir das Gleiche: Alte und Leistungsgeminderte werden auch bei anziehender Konjunktur in den 1950er Jahren ausgemustert, und es gibt eine Wiederholung der älteren Diskussionen. Die Forderungen können jetzt sehr viel offensiver sein: Die Industrie soll allgemein die Produktionsbedingungen umgestalten, entsprechend den Möglichkeiten älterer Arbeitnehmer. Altersgerechte Technologien einzuführen, wird in den folgenden Jahrzehnten immer wieder gefordert. Ohne jeden Erfolg – soweit ich sehe. Wie hat man sich das vorzustellen? Wie ist das möglich, dass die Gesellschaft – trotz aller politischen Veränderungen nach 1900 – dauerhaft so resistent ist gegenüber den Alten der lohnarbeitenden Schichten? Weder die Bismarckschen Arbeiterversicherungen noch die große Rentenreform 1957 sind ursächlich zur Begünstigung von Alten eingeführt worden, sondern aufgrund allgemeiner gesellschaftspolitischer Kalküle. Hierzu ist vieles zu sagen. Der wichtigste Punkt ist wohl folgender: Alter ist biografisch erwartbar, wird in praktischen und ideologischen Konventionen vorformuliert, und es gibt für die Betroffenen keinen guten Grund, von diesem alten Kanon abzuweichen: Nur lebenslange Investitionen in Gegenseitigkeit sichern ein vollständiges Leben. Noch am Vorabend der Rentenreform stellt eine empirische Studie fest: Junge Arbeiter wissen sehr genau, dass sie im Alter ein schweres Leben haben
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werden. Aber sie sind sich sicher, damit zurecht zu kommen – mit den traditionellen Strategien:im Familienverbund, mit Nebentätigkeiten und Subsistenzarbeit, also mit der Verwertung handwerklicher Fähigkeiten, im Nutzgarten, in der Kleintierzucht usw. (Friedeburg, Welz 1958). Wie immer, und in allen Zeiten vorher, wurde die Notwendigkeit solcher Arrangements in der Gesellschaft als allgemeine Denkform akzeptiert, frühzeitig bedacht und wenn möglich vorbereitet.
8. Schlussbemer kung Die Entwicklung des Sozialstaates hat die Abhängigkeiten der Generationen voneinander nicht nur entspannt, sondern den Eindruck vermittelt, dass es diese überhaupt nur noch sehr abstrakt gibt. Dem entspricht, dass die politiknahe Altersbilder-Diskussion glauben möchte, die Existenzfähigkeit einer Gesellschaft beruhe auf den Potentialen oder Aspirationen der Alten, die daher sorgfältig behütet werden müssten. Es ist bezeichnend, dass diese Politiknahe Altersbilder Diskussion ohne jeden Bezug auf die Rentenfinanzierung stattfindet (Sechster Altenbericht 2010). Ganz so, als hätte diese mit gesellschaftlichen Ressourcen und Reziprozitätsbeziehungen zwischen arbeitenden und Renten beziehenden Populationen nichts zu tun. Entgegen den immer wiederkehrenden Mahnungen von Ökonomen und Rentenexperten, die Finanzierbarkeit der alternden Gesellschaft sicherzustellen, werden Renten als rein fiskalisches Problem verstanden. Es führt dazu, dass in der politischen Öffentlichkeit diese ökonomischen Abhängigkeitsbeziehungen aktuell wieder aus wahltaktischen Gründen ignoriert werden können („Rentenpaket“ der neuen Großen Koalition; SZ 17.1.2014; FAZ 28.1.2014). Man möchte glauben, alle Sozialleistungstranfers seien politische Verfügungsmasse und nicht etwa abhängige Variablen der aktuellen gesellschaftlichen Reichtumsproduktion. Entsprechend gilt es als unfein, eine direkte Beziehung zwischen den Lebenschancen der jungen und der alten Generationen herzustellen, insofern solche Betrachtungen Altersinteressen systematisch in Frage stellen. In historischer Perspektive sollte deutlich geworden sein, wie sehr das heutige Alter, als ein hochgradig individualisierter, gesellschaftlich finanzierter Lebensstil ohne irgendwelche gesellschaftlichen Pflichten, das Konzept einer umfassend reichen Gesellschaft ist. In einer solchen lässt sich vieles fordern und wünschen – die vordringliche Sicherung von Alterslebensstilen oder das sozialpolitische Anrecht auf optimistische, Hochglanz ausstrahlende Altersbilder. Ernst wird es erst, wenn die Reichtumsproduktion nachlässt und sich zeigt, dass die Wunsch-Konten maßlos überzogen sind.
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Li ter a tur Cicero: Cato der Ältere. Über das Greisenalter. Ehmer, Josef, Höffe, Otfried (Hg.) (2009): Bilder des Alterns im Wandel. Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina. Stuttgart. Friedeburg, Ludwig von, Welz, Friedrich (1958): Altersbild und Altersvorsorge der Arbeiter und Angestellten. Frankfurt/M. Göckenjan, Gerd: Alter – Ruhestand – Generationsvertrag? In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 17/93, 23.April 1993, S. 3-10. Göckenjan, Gerd (2000): Das Alter würdigen. Altersbilder und Bedeutungswandel des Alters. Frankfurt/M. Göckenjan, Gerd: Zur Wandlung des Altersbildes seit den 1950er Jahren im Kontext und als Folge der Großen Rentenreform von 1957. In: Deutsche Rentenversicherung. Berlin, 2-3/ 2007, S. 125-142. Göckenjan, Gerd (2009): Vom ‚tätigen Leben’ zum ‚aktiven Alter’. Alter und Alterszuschreibungen im historischen Wandel. In: Van Dyk, Silke, Lessenich, Stephan ( Hg.): Die jungen Alten. Frankfurt/M. 2009, S. 235-255. Grimm, Jacob (1864): Rede über das Alter (1860). In: Ders.: Kleinere Schriften, 1. Bd., Berlin. Sechster Altenbericht; Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland – Altersbilder in der Gesellschaft. (2010) Berlin Thomas, Keith (1988): Lebensalter und Autorität (zuerst 1976). In: Ders.: Vergangenheit, Zukunft, Lebensalter, Berlin, S. 38-67.
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Doppelte Alterung – dreifache Verweigerung Die Schw ier igkei ten des gesell scha f t spol i t ischen Diskur ses über Al ter und A r bei t smar k t
Über kaum ein anderes Thema gibt es derart viele Studien wie über die demographische Entwicklung. Die Tatsache, dass wir länger leben und damit als Gesellschaft älter werden – die sog. „doppelte Alterung“ – ist seit Jahren, ja seit Jahrzehnten mit zuverlässigen Studien unterlegt. Gleichzeitig gibt es kaum ein Problem, dass derartigen Widerstand provoziert wie die Anpassung der Altersvorsorge und auch des Arbeitsmarkts an diese Entwicklung. Um die Dimensionen an nur einer Rechnung zu dokumentieren: Hätte man das Rentenalter in der Schweiz seit Einführung der staatlichen Altersvorsorge, der Alters- und Hinterbliebenenversicherung AHV, im Jahr 1948 jährlich an die steigende Lebenserwartung angepasst, läge es heute bei mindestens 72 Jahren.1 Die Rechnung dürfte für Deutschland ähnlich ausfallen, und so gesehen ist auch die Rente mit 67 in Deutschland ein Tropfen auf den heißen Stein. Warum weigern sich Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bis heute gleichermaßen und hartnäckig, entsprechende Korrekturen in Angriff zu nehmen? Ein wesentlicher Grund dürfte darin liegen, dass trotz bekannter Zahlen und Fakten jeder Bereich seine je eigene Sichtweise hat, aus der er die Sachlage beurteilt, und seine spezifischen Argumente anbringt, mit denen er seine Anpassungs(un)willigkeit begründet. Daraus ergibt sich eine Blockade, in der niemand den ersten Schritt wagen will.
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Gentinetta, Katja; Christina Zenker (2009): Die AHV – eine Vorsorge mit Alterungsblindheit. NZZ libro Verlag Zürich.
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Die Logik der W ir t scha f t Die Wirtschaft denkt seit jeher und auch hier in der Logik von Kosten und Nutzen. Unter diesem Gesichtspunkt wählt sie aus: und zwar lieber die jungen, frischen, gut ausgebildeten Arbeitskräfte, während sie die älteren, vielleicht schon etwas müden Angestellten frühzeitig entlässt. Das ist nachvollziehbar, denn ältere Arbeitskräfte sind angeblich teurer. Als Grund dafür werden neben der rückläufigen Produktivität auch die klassische, eben steigende Lohnlaufbahn, bedingt durch die Belohnung der Amtszeit und – in der Schweiz – die höheren Sozialabgaben, angeführt. Genau diese Argumente aber orientieren sich an teilweise veralteten Parametern oder gar Mythen. Sowohl der Produktivitätsrückgang älterer Arbeitnehmer2 als auch die höheren Kosten für ihre Beschäftigung3 sind widerlegt bzw. relativiert. Dennoch hält die Wirtschaft an dieser Argumentation fest – möglicherweise mit Blick auf ein anderes ökonomisches Paradigma: das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Solange noch keine Knappheit herrscht an jüngeren Arbeitskräften – die Personenfreizügigkeit im EU-Binnenmarkt hat ein zusätzlich Angebot geschaffen – gibt es noch keinen Grund, aufwändige Umstellungsprozesse, die letztlich sämtliche Unternehmensbereiche betreffen, einzuleiten und umzusetzen. Schließlich beherzigen die Unternehmen ein weiteres für sie sehr günstiges ökonomisches Gesetz: die Externalisierung der Kosten. Da die Altersvorsorge mehrheitlich von der Öffentlichkeit finanziert wird, ist sie eine willkommene Institution zur Abwälzung des finanziellen Aufwands an die Allgemeinheit.
Das Ver hal ten der Pol i t ik Betrachten wir das Verhalten der Politik, stoßen wir auf ein ähnliches Muster. Die politischen Eliten kennen die Daten, wissen um die Probleme, aber schieben das Problem vor sich her. Die Aufgabe der Politik ist es, für eine gute Ordnung zu sorgen, das Gemeinwohl im Auge zu behalten und sich auf legitimierte Grundlagen zu stützen. All das ist mit der gegenwärtigen Altersvor2
Vgl. dazu Margaret Heckel (2013): Aus Erfahrung gut. Wie die Älteren die Arbeitswelt erneuern. Edition Körber-Stiftung; oder auch Börsch-Supan, Axel; Ismail Düzgün; Matthias Weiss: Altern und Produktivität: Zum Stand der Forschung. Mannheimer Forschungsinstitut Ökonomie und Demographischer Wandel, 732005.
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Vgl. dazu u.a. Stößel, Dieter (2008): Was Ältere tatsächliche kosten. In: Personalmagazin 05/08, S. 52-54.
Doppelte Alterung – dreifache Verweigerung
sorge (noch) möglich. Die Abgabenlast der Erwerbstätigen ist offenbar gerade noch tragbar, die Rentnerinnen und Rentner haben, solange sie ihre Rente regelmäßig erhalten, keinen Grund zur Klage, und das installierte System der Altersvorsorge gehört zu den Grundpfeilern der westlichen Demokratien. Neben dieser Orientierung an der Wohlfahrt aber kennen die Entscheidungsträger in der Politik auch eine andere Logik. Sie sind zwar dem Gemeinwohl verpflichtet, betrachten dies jedoch, aus nachvollziehbarem politischen Kalkül, nicht in der langen Frist – und um die ginge es in der Altersvorsorge –, sondern unter dem Gesichtspunkt der nächsten Wahl. Noch wurde kein Politiker dafür belohnt, dass er seinen Wählern etwas wegnimmt; Geschenke sind beliebter, selbst wenn sie tückisch sind. So beschert uns die frühere Senkung des gesetzlichen Rentenalters heute massive Probleme. In der Schweiz begründet mit der üblicherweise jüngeren Ehefrau, die gerne gleichzeitig mit ihrem Mann in Rente geht, wurde das Rentenalter für Frauen sukzessive auf 63 gesenkt. Heute liegt es bei 64, und erst mit der geplanten Reform „Altersvorsorge 2020“ scheint eine Erhöhung auf 65 zumindest diskutabel. In Deutschland wurde die Senkung des Rentenalters Ende der 1990er Jahre gar als Arbeitsmarktmaßnahme verkauft: Unter dem Druck der hohen Arbeitslosigkeit sollte der frühzeitige Rücktritt aus dem Erwerbsleben jüngeren Arbeitnehmern Platz machen.4 – Es ist also nicht so, dass die heutigen Probleme mit der Altersvorsorge lediglich in der Natur der demographischen Entwicklung liegen. Nein: sie beruhen auf – folgenschweren – politischen Entscheiden, die einmal gefällt wurden, weil sie mehrheitsfähig waren. Gerade hier offenbart sich ein weiteres politisches Dilemma. Die finanzielle Last der Altersvorsorge trägt in umlagefinanzierten Systemen die erwerbstätige Generation. In der Tat ist diese Generation denn auch Objekt zahlreicher politischer Maßnahmen, die ebenfalls in die Kategorie „Geschenke“ gehören: Familiengeld, Kindergeld, Auffangnetze für Alleinerziehende, letztlich aber auch Lohnzuschüsse und Mindestlöhne versuchen Schwierigkeiten der Erwerbstätigengeneration aufzufangen. Würde man Arbeitnehmer und -geber hingegen von Abgaben zugunsten der Altersvorsorge entlasten, hätte man, freilich etwas verkürzt gesagt, zwei Fliegen auf einen Schlag. Mit anderen Worten: Auch die Politik folgt ihrer Logik, indem sie das Gemeinwohl im Auge behält. Allerdings tut sie dies mit Mitteln der Symptombekämpfung, weil die Beseitigung der längerfristig schädlichen Ursachen angesichts der demographischen Verschiebung praktisch unmöglich geworden ist.
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„IG Metall schlägt einen Tariffonds für früheren Beginn der Rente vor.“ Berliner Zeitung, 10. Oktober 1998.
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Der Diskur s in der Gesell scha f t Auch die Haltung der Gesellschaft – der Definition Peter Sloterdijks folgend „ein Kollektiv, dem es gelingt, gemeinsam Unruhe zu bewahren“5 ist diesbezüglich widersprüchlich. Dabei nehmen die Medien eine zentrale Funktion ein, indem sie „täglich und stündlich neue Erregungsvorschläge unterbreiten (...), die sich an die Sentimentalität, die Angstbereitschaft und die Indiskretion der Gesellschafter wenden.“6 Eine dieser großen Unruhen ist freilich die Altersvorsorge; und jede Ankündigung seitens der Politik, sie zu reformieren, ist als „Erregungsvorschlag“ unter dem Schlagwort „Sozialabbau“ ein sicherer Wert. Auch dies ist nachvollziehbar. Bürgerinnen und Bürger von demokratisch verfassten Gesellschaften verstehen sich zuallererst als Autoren der Gesetze und Urheber der Institutionen, mithilfe derer sie ihr Zusammenleben organisieren. Das System der Altersvorsorge, dem sie einmal direkt (in der Schweiz) zugestimmt oder das sie indirekt (in Deutschland) bestätigt haben, ist aus ihrer Perspektive also legitimiert; die Leistung, die sie daraus beziehen können, verstehen sie als Garantie. Reformvorschläge klingen deshalb zunächst einmal wie ein Betrug an einem geleisteten Versprechen; in jedem Fall bedürfen sie ihrer Zustimmung. Gleichzeitig reagieren Individuen in ihrer Rolle als Arbeitnehmerinnen und Konsumenten, also aus ökonomischem Kalkül. Sie blicken auf ihr persönliches oder ihr Haushaltseinkommen und sind naturgemäß kaum gewillt, ohne zwingende Gründe auf einen Teil dessen zu verzichten. Ebenso interessant wie diese nachvollziehbare Argumentation sind die Widersprüche, die den gesellschaftlichen Diskurs in diesem Thema ganz wesentlich prägen. Von meist identischen Absendern wird die frühe Verrentung ebenso hochgehalten wie die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer; umgekehrt aber gilt ein längerer Verbleib im Arbeitsleben als ebenso unzumutbar wie eine vorzeitige Entlassung. Zu diesem Widerspruch gesellt sich außerdem das gerne gehegte Missverständnis, Arbeit könne wie ein Kuchen zwischen Alt und Jung verteilt werden. Auch hier sprechen sowohl die ökonomische Theorie als auch die empirischen Evidenzen dagegen. Schließlich spielen psychologische Muster eine nicht unerhebliche Rolle. Man weiß heute, dass Verluste stärker wiegen als potenzielle Gewinne, selbst wenn letztere „wertvoller“ wären, also einen größeren Nutzen oder geringere Kosten in Aussicht stellen.7 Dies schlägt sich im Reformwiderstand nieder. 5
Sloterdijk, Peter (2011): Stress und Freiheit. Suhrkamp Verlag, S. 12.
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ebd. S. 12-13.
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Vgl. dazu Kahneman, Daniel (2011): Schnelles Denken, langsames Denken. Siedler Verlag.
Doppelte Alterung – dreifache Verweigerung
Menschen präferieren die Gegenwart, das Gewohnte und tun sich mit Veränderungen schwer. Es gibt sogar Hinweise dafür, „dass negative Entwicklungen stärker bedauert werden, wenn sie Resultat einer eigenen Handlung sind, als wenn sie lediglich eine Folge passiven Abwartens darstellen.“8 Nur so ist zu verstehen, warum Bürgerinnen und Bürger gerade in Veränderungsprozessen ihre Autorschaft verweigern und sich um ihre demokratische Verantwortung drücken.
Kr ise oder Konsens? Die Summe des Zusammenspiels dieser drei Systeme und ihrer Diskurse ist eine Gemengelage aus rationaler Kalkulation, teilweise bewusster Ignoranz und natürlicher Trägheit. Jedes der drei Systeme folgt seiner eigenen Logik, hört auf seine eigenen Schlüsselakteure und glaubt seinen eigenen wissenschaftlichen Grundlagen, die außerdem mit der Lebenswelt stimmig sind. Das Resultat ist ein Kampf der Schlagworte, aus dem es keinen Ausgang gibt. Letztlich gibt es zwei Möglichkeiten, mit dieser Blockade umzugehen. Entweder, man wartet auf eine wirkliche Krise – spürbare Knappheit der Arbeitskräfte und leere öffentliche Kassen –, oder man versucht rechtzeitig, die Weichen anders zu stellen. Dass Krisen als Katalysatoren wirken können, belegen zahlreiche Beispiele.9 Die andere Variante, eine „demographische Wende“ zu erreichen, ist die vorausschauende und breiter angelegte Veränderung der Diskursparameter. Angesichts der Deutlichkeit der Fakten und auch bereits stattfindender Entwicklungen in die richtige Richtung müsste es gelingen, neue Diskursallianzen zu schmieden, in denen „Partikularinteressen in Gemeinschaftsinteressen transformiert (...) und umgekehrt vermeintliche Gemeinschaftsinteressen als 8
Heinemann, Friedrich et al. (2008): Psychologie, Wachstum und Reformfähigkeit. ZEW Wirtschaftsanalysen, Bd. 88, Nomos Verlag, S. 28.
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Die amerikanischen Social Security stand 1982 knapp vor dem Aus, als unter Reagan das Rentenalter auf 67 erhöht, die Beitragssätze stark angehoben und für wohlhabende Rentner eine Steuerpflicht eingeführt wurde. Bis heute erzielt das System große Überschüsse. Auch dem aus sozialpolitischer Sicht unverdächtigen Schweden gelang 1994 unter größtem finanziellen Druck eine Wende: Mit der Einführung des Non-Financial Defined Contribution System NDC wurde sichergestellt, dass sowohl das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Rentnern als auch steigende Lebenserwartung in die Berechnung der Rentenhöhe einfließen. Gentinetta, Katja, Christina Zenker (2009): Die AHV – eine Vorsorge mit Alterungsblindheit. NZZ libro Verlag Zürich, S. 85 ff.
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die Einzelinteressen weniger entlarvt“10 werden können. Anstrengungen in diese Richtung sind vorhanden, wenn man an die großangelegte Demografiestrategie der deutschen Bundesregierung denkt. Möglich sind wirksame Reformen jedoch nur, wenn es gelingt, einen neuen Konsens zu finden, der die angestammten Widersprüche überwindet und als Basis für einen tatsächlichen Transformationsprozess dienen kann.
10 Albrecht, Thorsten; Benjamin Mikfeld (2013): Blockierte Diskurswelten und mögliche Diskursallianzen für eine „bessere Gesellschaft“; In: Kellermann, Christian; Henning Meyer (Hg.): Die Gute Gesellschaft. Soziale und demokratische Politik im 21. Jahrhundert. Suhrkamp Verlag Berlin, S. 134 - 158.
Andreas Kruse
Altern in der beruflichen und nachberuflichen Zeit Das höhere und hohe Al ter al s Ges t al t ungs au f gabe begr ei f en
1 . Ges t al t ung des Al terns „Doch werde ich alt nicht, ohne dass ich ständig Vieles lerne.“ Diese Aussage des griechischen Staatsmannes, Lyrikers und Philosophen Solon (640 bis 560 v. Chr.) deutet die – durch viele empirische Untersuchungen belegte – Erkenntnis an, dass im Alternsprozess Veränderungspotentiale im Hinblick auf Lernen und Denken gegeben sind, die eine Grundlage für die Fähigkeit zur Lösung neuartiger Aufgaben und Anforderungen bilden. Auch wenn die Geschwindigkeit, mit der neue Aufgaben und Anforderungen gelöst werden, im Alter zurückgeht, auch wenn die Veränderungspotentiale im Alter nicht jenes Ausmaß erreichen wie in jüngeren Lebensaltern, so darf daraus nicht geschlossen werden, dass diese Potentiale nicht mehr gegeben wären, dass die für jede Veränderung notwendige neuronale Plastizität im Alter nicht mehr existiere. Neben diesen Veränderungspotentialen sind auch Selbstgestaltungspotentiale zu nennen, die ihrerseits Grundlage für die Fähigkeit des Individuums bilden, das Leben an selbstdefinierten Zielen und Leitbildern sowie an subjektiv bedeutsamen Werten und Normen auszurichten – dieses Potential zur Selbstgestaltung besteht dabei über die gesamte Lebensspanne. Angesichts der Tatsache, dass im hohen Alter vielfach soziale Rollen fortfallen, die die Lebenssituation des Individuums in früheren Lebensabschnitten geprägt haben, gewinnt der Aspekt der Selbstgestaltung zusätzlich an Bedeutung: Dem Individuum ist nun die Aufgabe gestellt, in noch stärkerem Maße als früher subjektiv bedeutsame Ziele zu definieren, deren Verwirklichung das Erleben von Stimmigkeit wie auch die Erfahrung von Sinn zu vermitteln vermag. Schon von daher ist die seelisch-geistige und soziale Entwicklung im hohen Alter nicht nur als Potential zu verstehen, sondern auch als Aufgabe, ja als Notwendigkeit. Diese Aussage gewinnt weiter an Gewicht, wenn man sich vor Augen führt, dass im hohen Alter die körperliche Verletzlichkeit (die sich in einer erhöhten Auftretenswahrscheinlichkeit von chronischen
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Erkrankungen und Funktionseinbußen zeigt), die kognitive Verletzlichkeit (die sich in Einbußen der Informationsverarbeitungs- und Wahrnehmungsgeschwindigkeit sowie der Inhibitionsfähigkeit widerspiegelt), und zum Teil auch die emotionale Verletzlichkeit (im Falle hoher psychischer Belastungen) zunehmen. Für die Umsetzung der Veränderungs- und Selbstgestaltungspotentiale ist zum einen die Offenheit des Individuums für Neues grundlegend, das heißt, eine innere Haltung oder Einstellung, die vom Interesse an neuen Erfahrungen und Erkenntnissen bestimmt ist, zum anderen eine Umwelt, die an den Erkenntnissen, Erfahrungen und schöpferischen Kräften des Individuums interessiert ist – ganz im Sinne des von Bertold Brecht (1898-1956) 1938 verfassten Gedichts „Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“, dessen letzter Vers wie folgt lautet: „Aber rühmen wir nicht nur den Weisen Dessen Name auf dem Buche prangt! Denn man muß dem Weisen seine Weisheit erst entreißen. Darum sei der Zöllner auch bedankt: Er hat sie ihm abverlangt.“ Mit diesen Zeilen ist angedeutet, dass allein das Gegebensein von reflektierten Erfahrungen und Erkenntnissen nicht genügt; diese können erst dann ihren Nutzen entfalten, wenn die Umwelt Interesse an ihnen zeigt und sie abruft. Damit ist bereits ein erster Hinweis auf das Arbeiten in Generationenteams gegeben, das uns an späterer Stelle noch ausführlich beschäftigen wird. In solchen Teams können ältere Menschen erfahren, dass nachfolgende Generationen an ihrem Wissen, ihren Erfahrungen, ihren Handlungsstrategien lebendiges Interesse zeigen, und damit sind bedeutende motivationale Grundlagen für Engagement, Offenheit und fortgesetztes Lernen gegeben.
2. Kompetenzen äl terer Ar bei t nehmer und dar aus resul t ierende Anforder ungen an Unternehmen Die Erhöhung der Beschäftigungsquote älterer Menschen stellt eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung dar. Produktivität, Innovations- und Konkurrenzfähigkeit werden in Zukunft immer stärker von der Leistungsfähigkeit und -motivation älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abhängen. Entsprechende Potentiale müssen in stärkerem Maße erkannt, entwickelt und genutzt werden. Die in den letzten Jahren beschlossenen und aktuell diskutierten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zur Verbesserung von
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Rahmenbedingungen der Beschäftigung älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen zu einer effektiveren Nutzung von Potentialen des Alters in der Arbeitswelt bei, werden allein aber nicht ausreichen, um die mit der fortschreitenden Alterung des Erwerbspersonenpotentials für eine nachhaltige Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland notwendige Partizipation Älterer auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen. Hier stellt sich für die Unternehmen die Aufgabe, lebenszyklusorientierte Arbeitsmodelle zu entwickeln, d.h. Arbeitsbedingungen, Arbeitsanforderungen und Qualifizierungsangebote so zu gestalten, dass Leistungsfähigkeit und -motivation erhalten, im Alternsprozess auftretende Schwächen kompensiert und potenzielle Stärken entwickelt werden können (Kruse, 2009). Ältere Arbeitnehmer sind nicht weniger, sondern anders leistungsfähig als jüngere. Vor dem Hintergrund zahlreicher empirischer Studien lassen sich die beruflichen Stärken älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammenfassend wie folgt charakterisieren: Hohe Kompetenz im Umgang mit komplexen, vertrauten Situationen, starke Entscheidungs- und Handlungsökonomie, ausreichende Vorbereitung von Entscheidungen, weit reichende Zeit- und Zielplanung, Überblick über vertraute Arbeitsgebiete sowie über effektive kognitive und handlungsbezogene Strategien zur Bewältigung von Problemsituationen, Erkennen eigener Leistungsmöglichkeiten und -grenzen, hohe Motivation im Falle einer als bedeutsam eingeschätzten Tätigkeit, hohe Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber, hohe soziale Kompetenz, zeitliche Verfügbarkeit. Rückgänge in der Merkfähigkeit, in der Wahrnehmungsgeschwindigkeit, in der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung sowie im schlussfolgernden Denken können im Allgemeinen durch Stärken in der erfahrungs- und wissensbasierten Intelligenz (die auch mit dem Begriff der Pragmatik der Intelligenz umschrieben wird) kompensiert werden. In Bezug auf potenzielle Effekte von Aktivierung, Übung und Training ließ sich zeigen, dass bis in das Alter zahlreiche kognitive Fertigkeiten reaktiviert, gelernt und mit Erfolg trainiert werden können (zusammenfassend in Kruse & Schmitt, 2006). Altersunterschiede zugunsten jüngerer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden sich vor allem bei der Lösung ganz neuer Aufgaben, also bei einem Mangel an Erfahrung mit dem entsprechenden Aufgabengebiet. Zudem lassen sich in kognitiv stark belastenden Berufen alterskorrelierte Einbußen finden: Hier kann Erfahrung nicht mehr Defizite in der Mechanik der Intelligenz ausgleichen. Und schließlich finden sich Kompensationsgrenzen in jenen Aufgabenbereichen, die in besonders hohem Maße von der Verarbeitungskapazität beeinflusst sind. In Berufen, in denen geschwindigkeitsbezogene und psychomotorische Fähigkeiten betont werden, hohe physische Leistungen erbracht werden müssen und die Tätigkeit nur auf wenige Handgriffe beschränkt bleibt, sind mit Beginn des fünften Lebensjahrzehnts Einbußen der Arbeitsfähigkeit
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erkennbar. In Berufen mit hohen psychischen und kognitiven Belastungen findet sich mit Beginn des sechsten Lebensjahrzehnts ein wachsender Anteil von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die im Vergleich zu früheren Messzeitpunkten schlechtere Leistungen erbringen. Schließlich lassen die Befunde die Folgerung zu, dass mit zunehmendem Lebensalter die individuellen Unterschiede in der Arbeitsfähigkeit deutlich ansteigen. In der öffentlichen Diskussion ist immer noch die Tendenz einer Verallgemeinerung über die Gruppe der älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erkennbar; es wird zu wenig berücksichtigt, dass im Alternsprozess individuelle Unterschiede nicht zurückgehen, sondern weiter zunehmen (Kruse & Schmitt, 2004). Zu dieser Heterogenität trägt bei, dass in den verschiedenen Dimensionen der Person (der körperlichen, der seelischen, der geistigen und der sozialen Dimension) sehr verschiedenartige Alternsprozesse zu beobachten sind, so dass »Altern« nicht als eindimensionales und homogenes, sondern vielmehr als mehrdimensionales und komplexes Phänomen verstanden werden muss. Damit ist zugleich angedeutet, dass bereits durch frühe Intervention im Unternehmen und Betrieb – Training, Weiterbildung, Jobrotation, Gesundheitsförderung – Alternsprozesse früh positiv beeinflusst werden. Mit anderen Worten: Frühe Investition in Flexibilität, Plastizität und Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirkt sich positiv auf deren spätere berufliche Leistungen aus. Eine alternsfreundliche Intervention beginnt aus diesem Grunde bei Tätigkeitsbeginn einer Mitarbeiterin bzw. eines Mitarbeiters und nicht erst im mittleren oder gar im hohen Erwachsenenalter.
3. Förder ung und Er hal t ung von Flexibil i t ä t Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, der sich vor allem in der Schrumpfung wie auch in der Alterung der Bevölkerung widerspiegelt, wird argumentiert, dass die heute bestehenden Probleme auf dem Arbeitsmarkt – zu denen unter anderem zu zählen sind: eine Arbeitslosenquote von 7,0 Prozent, in der Gruppe der 55- bis 65-Jährigen von 7,8 Prozent (Durchschnittswerte für 2012), und eine Teilzeitarbeitsplatzquote von 20 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (Stand Januar 2013) – in den kommenden Jahren zwangsläufig zurückgehen werden. Diese Argumentation scheint Unternehmen und Betriebe von der Aufgabe zu befreien, notwendige Personalentwicklungsmaßnahmen zu entwerfen und einzuleiten, die auf die Sicherung einer ausreichend qualifizierten Belegschaft gerichtet sind. Dass diese Argumentation aufgrund ihrer Vereinfachung sehr problematisch und zudem mit Risiken verbunden ist, verdeutlicht die folgende Aussage: „Oft wird behauptet, dass die Bevölkerungsalterung die derzeitige Massen-
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arbeitslosigkeit automatisch abbauen wird, da Erwerbstätige relativ zur Bevölkerung knapp werden. Diese Behauptung ist nur in ihrer Tendenz korrekt, übersieht jedoch eine mögliche Diskrepanz zwischen dem Arbeitskräftebedarf und den vorhandenen Qualifikationen. Es ist damit zu rechnen, dass sich die zu erwartende zusätzliche Nachfrage nach Arbeitskräften auf dem höher qualifizierten Segment des Arbeitsmarktes abspielt, während hingegen auf dem gering qualifizierten Segment die Nachfrage stagniert oder weiter abnimmt.“ (Börsch-Supan, 2006, S. 113) Mit anderen Worten: Im Hinblick auf die Sicherung eines ausreichend qualifizierten, flexiblen und produktiven Erwerbspersonenpotentials sind Personalentwicklungsmaßnahmen von großer Bedeutung. Ein Schwerpunkt ist dabei vor allem auf die Förderung und Erhaltung von Flexibilität zu legen, die sich in der Fähigkeit ausdrückt, den Arbeitsplatz zu wechseln und neue berufliche Anforderungen zu meistern. Aus der mit dem demografischen Wandel verbundenen Alterung des Erwerbspersonenpotentials ergibt sich die Notwendigkeit, die heutigen älteren Belegschaften so zu qualifizieren, dass sie bis zu ihrem Berufsaustritt ein ausreichendes Maß an Flexibilität und Innovationsfähigkeit zeigen, um die veränderten Anforderungen in der Arbeitswelt produktiv bewältigen zu können. Dabei ist von der Erkenntnis auszugehen, dass Bildungsmaßnahmen auch bei älteren Frauen und Männern erfolgreich umgesetzt werden können, da die notwendige Plastizität im sechsten und siebten Lebensjahrzehnt gegeben ist. Darüber hinaus sind lebenszyklusorientierte Arbeitsmodelle zu entwickeln, also Strategien, die darauf zielen, bereits heute die künftigen älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so zu qualifizieren, dass die Leistungspotentiale nicht nur lange erhalten bleiben, sondern sich auch kontinuierlich differenzieren können – und zwar bis zum Berufsaustritt. Bereits heute müssen bei jungen Frauen und Männern Qualifizierungsinitiativen erfolgen, durch die diese in die Lage versetzt werden, auch in 20 bis 30 Jahren flexibel, produktiv und kreativ zu sein. Durch diese Investitionen werden (physische, psychische, kognitive, sozialkommunikative) Ressourcen aufgebaut, die zum einen Grundlagen für die Stärken im hohen Alter bilden, zum anderen dazu beitragen, dass alterskorrelierte Verluste später eintreten und zudem eher kompensiert werden können.
4. Neuorganis a t ion des Lebensl au f s Die Beschäftigungsfähigkeit der älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist spezifischen Risiken ausgesetzt, wie empirische Ergebnisse zu einem alterstypisch höheren Krankheits-, Qualifikations- und Motivationsrisiko belegen (Naegele, 2010). Dabei sind jedoch die jeweiligen Risiken vielfach nicht
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explizit alternsbedingt, das heißt, allein oder hauptsächlich Merkmale des Lebensalters (Hüther, 2010). Vielmehr sind sie das Ergebnis spezifischer berufs- und tätigkeitsbezogener Karriereverläufe, die sich vielfach erst in späteren Stadien des Erwerbslebens als alterstypische Beschäftigungsrisiken und -probleme manifestieren. Eine zentrale Maßnahme zur Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bildet deren Integration in betriebliche oder überbetriebliche Weiterbildungsmaßnahmen, die zu ergänzen sind durch Anpassungen der Arbeitsplätze an die bestehenden Kompetenzprofile – wobei hier keinesfalls nur von herabgesetzten, sondern gerade mit Blick auf die beruflichen Potentiale älterer Frauen und Männer von gewandelten Anforderungen zu sprechen ist – sowie durch eine stärkere Akzentuierung primär- und sekundär-präventiver Maßnahmen (Sonntag & Stegmaier, 2007). Im Kern bedeutet dies eine veränderte Organisation des Lebenslaufs bzw. spezifischer Phasen des Lebenslaufs (Kruse, 2009). Die Forderung nach einer Neuorganisation des Lebenslaufs – im Sinne einer Auflockerung der starren Sequenz Lehrjahre, Erwerbstätigkeit und Ruhestand – wird in Deutschland erst allmählich umgesetzt. Vor allem jene Frauen und Männer integrieren Lernen und Beruf, die über ein höheres Bildungsniveau wie auch über höhere intellektuelle, motivationale und finanzielle Ressourcen verfügen. Zudem ist die Integration von Lernen und Beruf vorwiegend in der Zeit vom dritten bis zum fünften Lebensjahrzehnt erkennbar. „Im Alter von über 50 Jahren ist das Bild jedoch weit weniger positiv. Das Stereotyp von Arbeit als Erwerbsarbeit dominiert nach wie vor das berufliche Weiterbildungsverhalten.“ (Staudinger & Baumert, 2007, S. 256f.) Dabei könnte gerade eine gesellschaftlich sehr viel stärker verwirklichte und auch geförderte Integration von Lernen und Beruf in allen Phasen des Erwachsenenalters Möglichkeiten zur Überwindung starrer Altersgrenzen und zu einem flexibleren Übergang vom Beruf in die nachberufliche Zeit eröffnen: „Die Durchbrechung traditioneller Erwerbsbiografien durch den Wechsel von Arbeitszeiten, Fortbildungszeiten und Freizeiten beinhaltet Chancen, individuelle Erfahrungen von einem Bereich in den anderen zu übertragen und gleichzeitig bestehende chronologisch bzw. versicherungsrechtlich gesetzte Altersgrenzen zu überwinden, also länger im Erwerbsleben zu verbleiben.“ (Behrend, 2002, S. 28) Entsprechend fordert die Expertenkommission zur Erstellung des Fünften Altenberichts der Bundesregierung (2006), dass die flexiblere Gestaltung des Übergangs von der Erwerbs- in die Nacherwerbsphase in ein Gesamtkonzept der flexiblen Gestaltung der gesamten Lebensarbeitszeit eingebettet wird, die auch den sich ändernden Bedürfnissen und Interessen der Beteiligten entspricht. Zu dieser flexiblen Gestaltung rechnet sie auch die Weiterbildung älterer Erwerbstätiger, die es den älteren Versicherten ermöglicht, länger im Erwerbsleben zu verbleiben.
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5. Zus ammenar bei t in al ter sgemischten Teams (Gener a t ionenteams) Neben der Altersteilzeit und der Einbeziehung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in betriebliche Weiterbildungsangebote werden altersgemischte Teams von Unternehmen am häufigsten als Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genannt. In empirischen Studien ließen sich Vorteile altersgemischter Teams im Hinblick auf die Produktivität nachweisen – dies im Wesentlichen für Arbeitsprozesse, in denen sich jüngere und ältere Beschäftigte mit ihren spezifischen Stärken gegenseitig ergänzen können, also für Arbeitsprozesse, die auf der einen Seite hohe Anforderungen an Geschwindigkeit, Merkfähigkeit, Lösen neuartiger Probleme stellen, auf der anderen Seite Überblick und intensive Kooperation erfordern. Hier können die älteren Beschäftigten ihre spezifischen Potentiale einbringen und erhalten zudem die Möglichkeit, an der Einführung von Innovationen (in Bezug auf Produkte wie auch in Bezug auf Strategien) zu partizipieren. In diesem Zusammenhang ist die empirisch fundierte Aussage bedeutsam, wonach Produktivität nicht allein beeinflusst ist von der physischen und kognitiven Leistungsfähigkeit der Beschäftigten sowie von betrieblichen Bildungsangeboten, sondern auch von der Erfahrung und Ausgeglichenheit sowie vom persönlichen Beitrag der Beschäftigten zum Betriebsklima. Zudem erweisen sich altersgemischte Teams und Organisationsformen als Einflussfaktoren von Produktivität. Vor dem Hintergrund dieses Befundes wird betont, dass sich der Beitrag der älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Wertschöpfung – der sich gerade auch in der Erfahrung, der Ausgeglichenheit bei Konflikten und der positiven Wirkung auf das Betriebsklima zeigt – eher im Ergebnis der Gesamtgruppe manifestiert und weniger in der isolierten Messung individueller physischer und kognitiver Leistungen oder der Belastungsfähigkeit. Aus diesem Grunde ist das durchschnittliche Alter eines Teams als eine bedeutende Größe zu werten (Börsch-Supan, Düzgün & Weiss, 2006). Eine weitere Möglichkeit der Förderung und Nutzung von Potentialen älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besteht in der Übernahme von Verantwortung in Mentor-Mentee-Beziehungen (Blickle, 2000). Mit dem Begriff Mentor werden Personen beschrieben, die ein persönliches Interesse daran haben, einer weniger erfahrenen Person – Protegé oder Mentee – Unterstützung bei ihrer beruflichen Entwicklung anzubieten. Dabei nimmt der Mentor drei Funktionen wahr: eine karrierebezogene, eine psychosoziale wie auch eine rollenmodell- oder vorbildfunktionsbezogene Funktion. Mentor-Mentee-Beziehungen lassen sich dabei im Sinne von komplementären Entwicklungsbeziehungen deuten: Mentor und Mentee können in ihrer Beziehung jene Entwick-
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lungsaufgaben lösen, die ihnen in ihrer jeweiligen Lebensphase gestellt sind: Ein junger Mensch steht vor der Aufgabe, zur beruflichen Identität zu finden, ein älterer Mensch hingegen vor der Aufgabe, Verantwortung für nachfolgende Generationen wahrzunehmen und damit Generativität in einem weiteren Sinne zu verwirklichen (siehe dazu Erikson, 1998). Potentielle Mentoren sind nicht selten mit einem Stagnationsproblem konfrontiert: Sie haben beruflich das Meiste erreicht und müssen nun akzeptieren, dass sie die letztmögliche berufliche Entwicklungsstufe erreicht haben. Gerade in einer solchen Situation stellt die Wahrnehmung einer neuen Aufgabe, die gesellschaftlich und individuell als sinnerfüllt gedeutet wird, eine bedeutende Bereicherung dar, die sich auch positiv auf das Selbstkonzept auswirkt. Frauen und Männer übernehmen dann eher die Rolle eines Mentors, wenn bei ihnen ein starkes Altruismusmotiv erkennbar ist, wenn sie davon überzeugt sind, im konkreten Fall Befriedigung, Wissen und Erfahrung weitergeben zu können, wenn sie Loyalität gegenüber dem Unternehmen empfinden und wenn Aussicht auf Respekt durch den Mentee wie auch durch das Unternehmen besteht (Blickle & Schneider, 2007). Dabei steigen Nachwuchskräfte mit mentoraler Unterstützung im Gegensatz zu nicht mentorierten Personen in der Organisation schneller auf, sie zeigen höhere Laufbahnzufriedenheit, Laufbahnbindung und Arbeitszufriedenheit. Ein für gerade für das Arbeiten in Generationenteams sowie für die Mentor-Mentee-Beziehungen fruchtbares Verständnis von Bildung findet sich in der Schrift „L’immatériel. Connaissance, valeur et capital“ des französischen Soziologen André Gorz (2003): „Die körperlich-sinnlichen Wahrnehmungen, die körperlich bedingten Gefühle, Affekte, Bedürfnisse, Erwartungen, Ängste schwingen in den intellektuellen Tätigkeiten immer mit. Ohne ihr Mitwirken fehlt die Fähigkeit zu beurteilen, zu interpretieren, sinnvolle Entscheidungen zu treffen, aus Erfahrungen zu lernen. Ohne ihr Mitwirken bleibt von der Intelligenz nur die Fähigkeit zu rechnen, zu kombinieren, zu analysieren, Informationen zu speichern: die Maschinen-Intelligenz.“ (S. 84) Dieses Verständnis von Bildung ist umfassend konzipiert: Bildung ist danach ein Prozess, der alle Qualitäten der Persönlichkeit anspricht und sich nicht allein auf kognitive Qualitäten beschränkt. Neben den kognitiven Qualitäten sind emotionale, empfindungsbezogene, sozial-kommunikative, alltagspraktische und körperliche Qualitäten angesprochen. Erst wenn diese ausdrücklich in ein Bildungskonzept aufgenommen werden, kann von der Bildung der Person gesprochen werden. Diesem Verständnis folgend, ist ein mehrdimensionaler Bildungsbegriff wichtig, der kognitive und emotionale Elemente ebenso wie körperliche Elemente betont, der zugleich auf das gesundheitliche und seelische Wohlbefinden, auf die Reflexion des eigenen Erlebens und Handelns, auf die Reflexion des eigenen Alternsbildes sowie auf die gedanklich-emotionale Vorwegnahme (Antizipation) der eigenen Zukunft gerichtet ist. Dieses umfas-
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sende Bildungskonzept erweist sich als hilfreich für das Arbeiten in Generationenteams. Denn es gründet auch auf der Kommunikation von Erkenntnissen und Erfahrungen, die im Umgang mit Anforderungen des Lebens gewonnen wurden, in ihm spielt auch die Persönlichkeit der Lernenden mit ihrer Biografie eine wichtige Rolle, was vor allem dann stimulierend wirkt, wenn alte und junge Menschen gemeinsam an einem konkreten Projekt arbeiten oder wenn alte Menschen Patenschaften für junge Menschen in Bildung und Beruf wahrnehmen.
6. Gesellschaf tliche Reser vier theit gegenüber dem Alter Auch wenn die populäre These eines für westliche Gesellschaften charakteristischen Ageism (Butler, 1969) nicht haltbar ist, und die gemeinhin getroffene Aussage, in unserer Gesellschaft werde das Alter abgelehnt, in dieser verallgemeinernden Form folglich unzutreffend ist, kann doch von einer tief greifenden Reserviertheit gegenüber dem Alter gesprochen werden. Diese spiegelt sich im Bereich der Arbeitswelt insbesondere in einer lange Zeit beliebten Frühverrentungspraxis, einer vergleichsweise geringen Ausschöpfung des Beschäftigungspotentials älterer Menschen, einem für Ältere erhöhten Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit und einer im Alter geringeren Weiterbildungsbeteiligung. Zudem verdeutlicht der aktuelle Diskurs über die Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme, der primär Risiken des Alters und die aus diesen vermeintlich resultierenden finanziellen Belastungen für die Gemeinschaft einseitig betont, die Reserviertheit gegenüber dem Alter. Eine differenzierte und fundierte Auseinandersetzung mit den Potentialen wie auch mit der Verletzlichkeit im Alter ist hier allenfalls in Ansätzen erkennbar, vor allem aber unterbleibt eine kritische Auseinandersetzung mit den Folgen nicht verwirklichter, weil nicht abgerufener Potentiale des Alters für unsere Gesellschaft. Mit Blick auf das bürgerschaftliche Engagement zeigt sich, dass das Engagement älterer Menschen vielfach nicht gewürdigt wird, vor allem aber, dass ältere Menschen nach wie vor viel zu selten als mitverantwortliche Bürger und Bürgerinnen angesprochen werden, auf deren Beitrag unsere Gesellschaft nicht verzichten kann.
7. Zugang äl terer Menschen zum öf fent l ichen Raum Für das Verständnis von Altersbildern bedeutsam ist nicht nur deren Einfluss auf die Erhaltung oder Wiederherstellung eines selbstverantwortlichen Le-
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bens im Alter. Genauso wichtig ist die Frage, inwieweit Altersbilder die Erhaltung oder Wiedergewinnung eines mitverantwortlichen Lebens fördern oder behindern, wobei unter Mitverantwortung der Zugang zum öffentlichen Raum und dessen aktive Mitgestaltung verstanden werden. Der öffentliche Raum beschreibt in den Worten von Hannah Arendt (1960) jenen Raum, in dem sich Menschen in ihrer Vielfalt begegnen, sich in Worten und Handlungen austauschen, etwas gemeinsam beginnen – dies im Vertrauen darauf, von anderen Menschen in der Einzigartigkeit des eigenen Seins erkannt und angenommen zu werden, sich aus der Hand geben zu können. Dabei ist bei älteren Menschen nicht selten die Sorge erkennbar, gerade im Falle körperlicher Einschränkungen von anderen Menschen abgelehnt, auf das Körperliche reduziert, in den seelisch-geistigen und sozialkommunikativen Qualitäten nicht mehr erkannt und anerkannt zu werden – somit aus dem öffentlichen Raum ausgeschlossen zu sein, diesen nicht mehr mitgestalten und damit Teilhabe nicht mehr verwirklichen zu können. Das mitverantwortliche Leben wird dabei von den meisten älteren Menschen als Quelle subjektiv erlebter Zugehörigkeit, von Wohlbefinden, von persönlichem Sinnerleben verstanden. Nicht allein die soziale Integration ist für ältere Menschen bedeutsam, sondern auch und vor allem das aktive Engagement für andere Menschen, vor allem der nachfolgenden Generationen. Gerade in diesem Engagement kann sich das Generativitätsmotiv verwirklichen, in dem das Bedürfnis nach symbolischer Unsterblichkeit zum Ausdruck kommt (McAdams, Josselson & Lieblich, 2006). Hier sei auf die Bedeutung der Bezogenheit des Individuums auf andere Menschen hingewiesen, deren Verwirklichung für das Lebensgefühl des Menschen in allen Lebensaltern wichtig ist. In den Arbeiten des Philosophen Emmanuel Levinas (1995) wird der unbedingte Anspruch des Anderen hervorgehoben, der dem eigenen Anspruch vorgeordnet sei. Damit wird der Fürsorge, der Mitverantwortung, dem Engagement des Individuums für andere Menschen besondere Bedeutung für das gelingende Leben beigemessen. Mit Blick auf das Alter lässt sich diese Aussage noch weiter konkretisieren, und zwar in Richtung auf die erlebte Verantwortung älterer Menschen für nachfolgende Generationen. Warum liegt diese Konkretisierung nahe? Sie ergibt sich vor dem Hintergrund der Ressourcen, die ältere Menschen im Lebenslauf entwickelt haben und die sie auch in den Dienst der nachfolgenden Generationen stellen können. In diesem Kontext gewinnt das von Erik Homburger Erikson eingeführte Konstrukt der Generativität besondere Bedeutung: Die von Erikson angesprochene innere Beschäftigung mit der Zukunft nachfolgender Generationen wie auch mit der Frage, in welcher Weise diese durch eigenes Handeln gefördert werden kann (Erikson, 1998), lässt sich auch im Sinne einer spezifischen Ausgestaltung der Bezogenheit – nämlich als Übernahme von Mitver-
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antwortung – interpretieren. Eine ganz ähnliche Deutung lässt auch die Theorie der sozioemotionalen Selektivität (Carstensen & Lang, 2007) zu, die hervorhebt, dass Menschen gerade im hohen und sehr hohen Alter dazu neigen, ihr soziales Netzwerk bewusst zu reduzieren und auf jene Personen zu konzentrieren, denen sie sich emotional besonders nahe fühlen und denen sie etwas für ihren Lebensweg mitgeben können.
8. Ein umf assender Produk t ivi t ä t sbegr i f f In einem ähnlichen thematischen Zusammenhang steht dabei die Selbstdeutung des eigenen Lebens als „Werk“, wie Simone de Beauvoir es in verschiedenen Beiträgen hervorgehoben hat (zum Beispiel de Beauvoir, 1970). Nur dann, so die Autorin, werden Menschen ihr Leben als Werk begreifen können, wenn ihnen die Möglichkeit gegeben ist, in der Kommunikation mit anderen Menschen das eigene Leben zu reflektieren und dabei das lebendige Interesse der Anderen an diesem Leben zu spüren. Und nur unter dieser Bedingung kann etwas von diesem Werk an nachfolgende Generationen weitergegeben werden, kann sich die eigene Produktivität noch einmal entfalten (siehe auch Rosenmayr, 2011). Die in der psychologischen und soziologischen Altersforschung erhobene Forderung, gerade mit Blick auf Alter von einem umfassenden Produktivitätsbegriff auszugehen, der Produktivität nicht nur mit Leistungen in der Arbeitswelt gleichsetzt, sondern jede Form der Bereicherung anderer Menschen als Ausdruck von Produktivität versteht, findet hier ein bemerkenswertes Beispiel (siehe auch Staudinger, 1996). Als weitere Beispiele könnten die vielfältigen Formen bürgerschaftlichen Engagements genannt werden, in denen Ältere ihr Wissen, ihre kritisch reflektierten Erfahrungen – die ja bedeutender Teil ihres Lebens sind – an Jüngere weitergeben und dabei erfahren, wie sehr jüngere Menschen dieses Wissen, diese Erfahrungen schätzen (Lehr, 2011). An dieser Stelle ist eine Definition des Potentialbegriffs hilfreich, die Soeren Kierkegaard in seinem Essay „Die Krise und eine Krise im Leben einer Schauspielerin“ (1984) gegeben hat. Er unterscheidet darin zwei Formen der Metamorphose – wobei mit dem Begriff der Metamorphose das Verständnis von Altern als kontinuierlichem Prozess wie auch die Ablehnung der Vorstellung von Alter als einer eindeutig abgrenzbaren, eigenständigen Lebensphase angedeutet wird: Die Metamorphose der Kontinuierlichkeit, die Metamorphose der Potenzierung. „Die Metamorphose der Kontinuierlichkeit wird sich im Lauf der Jahre gleichmäßig ausbreiten über den wesentlichen Umfang der Aufgaben innerhalb der Idee der Weiblichkeit; die der Potenzierung wird sich im Lauf der Jahre
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immer intensiver zu derselben Idee verhalten, die, wohlgemerkt ästhetisch verstanden, im höchsten Sinne die Idee der Weiblichkeit ist.“ (S. 105) Dabei geht er von folgender Beziehung zwischen Metamorphose und Altern aus: „Jedes Jahr wird den Versuch darauf machen, seinen Satz von der Macht der Jahre zu beweisen, aber die Perfektibilität und die Potentialität werden siegreich den Satz der Jahre widerlegen.“ (S. 106) Es ist für die potentialorientierte Sicht des Alters von großem Wert, zwischen diesen beiden Metamorphosen zu differenzieren: Die erste (Kontinuierlichkeit, Perfektibilität) bezieht sich auf seelisch-geistige Kräfte, die wir heute als Erfahrungswissen und Überblick umschreiben. Die zweite (Potentialität) hingegen legt besonderes Gewicht auf die schöpferischen Kräfte im Prozess der Vervollkommnung einer Idee, eines Werkes oder eines persönlich bedeutsamen Daseinsthemas. Dabei gewinnt die Potentialität gerade im Hinblick auf die Abrundung und Vervollkommnung von grundlegenden Ideen und Zielen der Person große Bedeutung.
9. Vermeidung eines einsei t igen Bel as t ungsdiskur ses über Al ter Gesellschaftliche, kulturelle und politische Perspektiven auf das Alter sollten nicht allein von Belastungsdiskursen bestimmt sein, sondern auch Potentialdiskurse auf- und ernstnehmen, wie diese in Wissenschaft, Praxis und Politik gegenwärtig geführt werden (siehe Beiträge in Hüther & Naegele, 2012). Die in unserer Gesellschaft nach wie vor dominanten Belastungsdiskurse übersehen regelmäßig, dass das Lebensalter allein keine Aussage über Selbstständigkeit und Selbstverantwortung, über Kreativität und Produktivität eines Menschen erlaubt: Von der wachsenden Anzahl älterer Menschen kann nicht auf eine proportionale Zunahme finanzieller Belastungen geschlossen werden. Dies nicht nur wegen der Heterogenität des Alters, sondern vor allem auch angesichts der Tatsache, dass der Verlauf von Alternsprozessen gesellschaftlich wie individuell gestaltbar ist: Durch die Schaffung engagementförderlicher Strukturen kann die Gesellschaft einen Beitrag zur Förderung des mitverantwortlichen Lebens älterer Menschen leisten – in der Arbeitswelt, in der Zivilgesellschaft –, und zwar eines mitverantwortlichen Lebens, das von älteren Frauen und Männern als sinnstiftend und bereichernd erlebt wird. Die Schaffung gesundheits- und kompetenzförderlicher Strukturen – im Sinne der Stärkung von Bildung, Prävention und Rehabilitation für alle Altersgruppen und für alle Sozialschichten – leistet dabei einen bedeutenden Beitrag zur Erhaltung von Gesundheit, Selbstständigkeit und Selbstverantwortung so-
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wie zur Verarbeitung gesundheitlicher und funktioneller Einbußen bis ins hohe oder sehr hohe Alter. Im Kontext von engagement-, gesundheits- und kompetenzförderlichen Strukturen können sich im Lebenslauf emotionale, kognitive, sozialkommunikative, alltagspraktische und körperliche Ressourcen entwickeln und weiterentwickeln, die die Grundlage für ein persönlich sinnerfülltes, schöpferisches und sozial engagiertes Altern bilden. Gestaltungsfähigkeit und Gestaltungswille des Individuums enden nicht mit einem bestimmten Lebensalter, sondern bilden ein über die gesamte Lebensspanne bestehendes Entwicklungspotential. Entscheidend für dessen Verwirklichung sind die in der Biografie entwickelten Ressourcen des Individuums, gesellschaftliche Strukturen, die die Aufrechterhaltung, Weiterentwicklung und Nutzung dieser Ressourcen fördern, sowie Alters-, Generationen- und Menschenbilder, die sich positiv auf die individuelle Motivlage auswirken.
10. Integr a t ion der Potent ialund Ver let zl ichkei t sper spek t ive Vor dem Hintergrund der Gestaltungsfähigkeit und des Gestaltungswillens des Individuums, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und individuellen Potentiale des Alters erscheint der einseitige Belastungsdiskurs als Anachronismus. An die Stelle eines einseitigen Belastungsdiskurses sollte vielmehr ein Diskurs treten, der zwei Perspektiven miteinander verbindet: die Potentialperspektive einerseits, die Verletzlichkeitsperspektive andererseits. Nun wäre es falsch, würde man die Potentialperspektive und die Verletzlichkeitsperspektive immer streng voneinander zu trennen. Vielmehr ist es gerade im sehr hohen Alter notwendig, diese beiden Perspektiven miteinander zu verbinden, zu integrieren: Auch im Falle deutlich erhöhter Verletzlichkeit zeigen viele Frauen und Männer bemerkenswerte Potentiale, so zum Beispiel ein bemerkenswertes Lebenswissen, eine ausgeprägte psychische Widerstandsfähigkeit und die Fähigkeit, trotz der deutlich erhöhten Verletzlichkeit eine akzeptierende oder sogar positive Lebensperspektive zu bewahren. Und umgekehrt darf im „jungen“, im dritten Lebensalter nicht übersehen werden, dass Menschen trotz zahlreicher Entwicklungspotentiale durchaus eine erhöhte körperliche Verletzlichkeit aufweisen können: Die kontinuierlich zunehmende Auftretenshäufigkeit von Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen wie auch von Tumoren im siebten und achten Lebensjahrzehnt deuten auf die erhöhte Verletzlichkeit auch im dritten Alter hin. Dabei ist allerdings diese Verletzlichkeit in Form und Ausprägung nicht mit jener zu vergleichen, die im vierten Alter, also im sehr hohen Alter zu beobachten ist.
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Im Kontext einer wissenschaftlichen Annäherung an das Alter sind die beiden Aspekte – Potentiale und Verletzlichkeit – zu untersuchen. In Abgrenzung von einer einfachen Defizitsicht des Alters vertreten wir hier die wissenschaftlich fundierte Annahme, dass die verschiedenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Funktionen im hohen und sehr hohen Lebensalter sehr unterschiedliche Entwicklungsverläufe zeigen – im seelisch-geistigen Bereich können speziell die erfahrungsgebundenen Fähigkeiten und Fertigkeiten eine weitere Zunahme und Differenzierung zeigen, während jene der Informationsverarbeitung, der Umstellung und der Anpassung an neue Anforderungen eher Verluste erkennen lassen (Kruse & Schmitt, 2010). Weiterhin sind die interindividuellen Unterschiede im Alternsprozess hervorzuheben: Menschen unterscheiden sich – bedingt durch genetische Prädisposition, durch körperliche, seelisch-geistige und soziale Entwicklungsprozesse im Lebenslauf, durch erfahrene oder fehlende Anregung und Förderung im Lebenslauf – erheblich in ihrem Altern. Potentiale und Verletzlichkeit stehen in einem individuell spezifischen Verhältnis, wobei dieses Verhältnis auch durch die soziale Schichtzugehörigkeit – und dies bedeutet immer auch: durch die Bildungs-und Berufsbiografie – vermittelt ist. Die Integration einer Potential- und Verletzlichkeitsperspektive relativiert die Gültigkeit von Belastungsszenarien (Kruse, 2013a), denn die zunehmende Anzahl alter, auch sehr alter Frauen und Männer ist nicht nur mit wachsenden Anforderungen an die sozialen Sicherungssysteme verbunden, sondern auch mit einem wachsenden Humanvermögen unserer Gesellschaft, sei dies in der Arbeitswelt, sei dies in der Zivilgesellschaft. Sie legt zudem Bildungs-, Präventions-, Therapie- und Rehabilitationsangebote für alle Altersgruppen und deren Ausbau speziell in sozioökonomisch benachteiligten Schichten nahe: Die Ermöglichung von Bildungsprozessen und die Stärkung der Verhaltens- und Verhältnisprävention sind für die Potentialentwicklung und Potentialverwirklichung wie auch für die Vermeidung und bessere Kontrolle von Krankheiten und Selbständigkeitseinbußen wichtig. Diese zweifache Perspektive – die Potentialperspektive einerseits, die Verletzlichkeitsperspektive andererseits – ist prinzipiell in allen Lebensaltern einzunehmen, sie gewinnt aber im hohen und sehr hohen Alter angesichts der in dieser Lebensphase erkennbar zunehmenden körperlichen Verletzlichkeit besondere Bedeutung. Diese gilt es zu berücksichtigen, ohne das Alter allein oder primär aus der Perspektive der Verletzlichkeit zu betrachten; vielmehr sind immer die möglichen Stärken, die Entwicklungspotentiale mitzudenken, die sich zum Teil gerade in der psychischen Verarbeitung der Verletzlichkeit zeigen. Wenn wir die Potential- und Verletzlichkeitsperspektive des Alters zusammenschauen und nach einem Beispiel suchen, das für seelische und geistige Entwicklungspotentiale auch bei hoher körperlicher Verletzlichkeit spricht, so fällt der Blick auf den Komponisten Johann Sebastian Bach (1685-1750). In dem
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Buch „Die Grenzgänge des Johann Sebastian Bach – Psychologische Einblicke“ (Kruse, 2013b) habe ich die körperliche, die seelische und die geistige Entwicklung dieses Komponisten in den letzten Jahren seines Lebens ausführlich dargestellt. Johann Sebastian Bach litt in diesen Jahren an einem Diabetes mellitus Typ II (dieser wurde durch eine Skelettanalyse bei der Umbettung des Leichnams Anfang der 1950er Jahre nachgewiesen), der seinerseits mit Schädigungen der Nervenzellen und Sinneszellen einherging; weiterhin waren bei ihm stark ausgeprägte motorische Läsionen erkennbar, die ihn mehr und mehr daran hinderten, seine Kompositionen selbst aufzusetzen (hier war er auf die Unterstützung durch seine Schüler angewiesen); schließlich traten eine Erblindung sowie ein Schlaganfall hinzu. Trotz dieser körperlichen Verletzlichkeit unterrichtete Johann Sebastian Bach Schüler (was damals hieß, diese bei sich aufzunehmen): Ein eindrucksvolles Beispiel freundschaftlich gemeinter Sorge für die junge Generation, die ihrerseits das Fundament intergenerativen Arbeitens bildet. Trotz dieser Verletzlichkeit arbeitete er an zwei Werken, die mit zu den größten gehören, die in der europäischen Kompositionsgeschichte je geschaffen wurden: der „Kunst der Fuge“ (BWV 1080) und der „Missa in h-Moll“ (BWV 232). Die h-Moll-Messe führte er zum Abschluss, die „Kunst der Fuge“ blieb unvollendet, da sich Bach am Ende seines Lebens intensiv mit der h-Moll-Messe befasste und nicht mehr die Zeit fand, den 14. Kontrapunkt in Gänze niederzuschreiben (bzw. niederschreiben zu lassen). Die „Kunst der Fuge“ wird in der Musikwissenschaft auch aufgrund ihres „experimentellen“ Charakters als ein außergewöhnliches Werk eingestuft (Johann Sebastian Bach entfaltet in diesem Werk die unterschiedlichsten Fugentechniken, er entwickelt in diesem Werk geradezu eine „Fugenlehre“ für nachfolgende Musikergenerationen), die h-Moll-Messe erfährt ihrer umfassenden Gesamtanlage, der Vielfalt der Kompositionsformen, der eindrucksvollen Passung von Wort und Musik und ihrer ästhetischen Wirkung wegen eine derartige Bewertung. Nun muss man wissen, dass sich Johann Sebastian Bach am Ende seines Lebens vor allem mit dem „Credo in unum deum“ und dem „Confiteor in unum baptisma“ beschäftigt hat, also mit zwei Teilen der Missa, die in besonderer Weise auf seinen Glauben an den Großen Gott verweisen. In beiden Sätzen baut er über das jeweilige Cantus firmus-Motiv eine Fuge auf, die jeden Hörer und jede Hörerin in ihren Bann zieht: Hier wird das Ich glaube (credo), hier wird das Ich bekenne (confiteor) mit einer musikalischen Kraft deklamiert, dass man nie glauben würde, ein körperlich hoch verletzlicher, die Endlichkeit schon sehr deutlich spürender Mensch hätte diese Sätze geschrieben. Die darin zum Ausdruck kommende, seelisch-geistige Energie kontrastiert mit der immer schwächer werdenden körperlichen Leistungsfähigkeit. Dies zeigt, dass selbst im Angesicht des eigenen Todes Entwicklungsschritte vollzogen werden können – so bei Johann Sebastian Bach die Bekräftigung seines Glaubens an den Großen Gott bei zunehmender Gewissheit, bald zu sterben.
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Andreas Kruse
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Clara Schlichtenberger
Selbstaktualisierung und ermöglichende Strukturen Talkrunde 1, moderier t von Katja Gentinet t a mi t Margaret Heckel , Maria von Wel ser und Göt z Richter
Noch unter dem Eindruck des inspirierenden Vortrags von Andreas Kruse, der eine Enttabuisierung des Alters und eine „Selbstaktualisierung“ als Vorbereitung auf die sich ändernde aktive Alternszeit und ihre Alternsbilder forderte, führte Margaret Heckel aus, dass die Enttabuisierung des Alterns auch eine Abkehr vom „defizitären“ Alternsbild als einer von Verzicht und Vergreisung geprägten Phase mit sich bringen müsse. Über eine Million ÜberHundert-Jährige werden von der UNO für 2069 prognostiziert. Mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit werden die jetzt geborenen Kinder das Alter von hundert Jahren erreichen. Dieser Paradigmenwechsel, dass ein hundertjähriges Leben fast zur Normalität wird, werde die Lebenswelt im 21. Jahrhundert gravierend verändern. Das bedeute auch, dass man das Berufsleben anders denken müsse. Man wisse inzwischen aber auch aus neueren Forschungen, dass Arbeitnehmer im Lauf ihres Lebens mit unterschiedlich starker Motivation zur Arbeit gingen, was ja auch intuitiv nachvollziehbar sei, da jüngere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vielfach eine Karriere aufbauen möchten. Firmen, die die sich ändernden Lebensumstände und die Gesundheit in den sich ändernden Lebensphasen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Gestaltung der Arbeitsumstände berücksichtigen, arbeiteten meist produktiver und hätten eine bessere Position in ihrer Branche. Als ein Beispiel aus ihrer Publikation führt Frau Heckel die Automobilfirma BMW an, die in ihren Montagestrassen jeden einzelnen Arbeitsplatz nach ergonomischen Gesichtspunkten klassifiziert und in ein rotierendes System überführt hat. Durch einen Wechsel während der Schicht werden so auf die Dauer belastende Positionen bei einzelnen Arbeitsschritten den Beschäftigten nur zeitlich begrenzt „zugemutet“. Auch von jüngeren Mitarbeitern werde dieses System gerne angenommen, und sie seien auch die Ersten, die die Wiederaufnahme dieses Systems einforderten, wenn
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Clara Schlichtenberger
es aufgrund besonderer Umstände gelegentlich ausfiele. Dies sei eines der Beispiele, die zeigten, dass das, was in einem betrieblichen Rahmen für „Ältere“ entwickelte würde, auch sinnvoll für Jüngere sei. Im Weiteren verwies Margaret Heckel auf die amerikanische Plattform „Encore.org“, die Angebote der Vernetzung anbietet, die im Alter von 50 oder 60 Jahren einen neuen, weiteren Berufsweg einschlagen, Unternehmen beraten oder gar gründen. Ziel der NGO ist ein Paradigmenwechsel: Wenn sich Über50-Jährige künftig zum Abendessen oder auf Partys treffen, sollen sie die anderen nicht nach ihrem Beruf fragen, sondern nach ihrem „Encore“ – ihrem zweiten, neuen Beruf. Als der Traum des „Goldenen Ruhestandes“ in dem tief von der Krise gezeichneten Amerika zerplatzte, sei klar geworden, dass man die verbleibenden Jahrzehnte anders und produktiver gestalten müsse. In vielen Branchen und vielen Regionen Deutschlands gehe man sowohl einem Fachkräftemangel wie auch einer Vollbeschäftigung entgegen. Dadurch nehme die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer mit jedem Jahr zu, und so sei es nun der richtige Zeitpunkt, die Debatte um die „Humanisierung der Arbeitswelt“ wieder aufzunehmen. Götz Richter ergänzte, dass von Betrieben mit mehr als fünfhundert Mitarbeitern schon viele Initiativen zum alternsgerechten Arbeiten entwickelt würden. In Kleinbetrieben liefe auch einiges informell, was dann in „ermöglichende“ Strukturen münde. Vor allem müsse eine Modernisierung stattfinden, die die Humanisierung der Arbeitswelt mit einschließe, die aber auch darüber hinausginge. Man müsse die verschiedenen Systeme auch in der Sozialversicherung zusammen denken und auf das Potential des längeren aktiven Lebens ausrichten. Richter berichtete aus einem EU-Forschungsprojekt, bei dem er die deutsche Sektion leite, das sich mit dem Generationenverständnis in sieben EULändern im Vergleich beschäftige. Als erstes Ergebnis sei festgehalten worden, dass die Vorstellung von „Generation“ sich aufweiche, da historische und politische Wegmarken (sowie gesellschaftliche Großereignisse) nicht oder kaum mehr als gravierend im Generationenverständnis festgestellt würden. Ausreichend Daten aus den neuen Bundesländern hätten nicht zur Verfügung gestanden. Nur für Ungarn wäre der gesellschaftliche und politische Wandel als Zäsur nachweislich mit einem Generationenverständnis verknüpft. Maria von Welser ergänzte, dass die „rush hour“ des Lebens entzerrt werden müsse. Die Familienphase beginne immer später, und auch Männern müsse ohne Karriereknick größere Auszeiten zugestanden werden, die dann vor der Rente wieder „angehängt“ werden müssten. Das würde dem drohenden dramatischen Facharbeitermangel vorbeugen helfen, und die Einkommensverhältnisse zwischen Männern und Frauen langfristig etwas egalisieren.
Götz Richter
Der Mensch im Mittelpunkt A r bei t sges t al t ung f ür den demogr a f ischen Wandel
Zwei Fragen sollen in diesem Beitrag aufgeworfen und diskutiert werden, bevor ich zum Fazit komme. Erstens: Was bedeutet der demographische Wandel für die Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials? Und zweitens: Woran sollte sich die Arbeitsgestaltung für alternde Belegschaften orientieren?
Auswir kungen des demogr aphischen Wandel s au f die Ent wicklung des Er wer bsper sonenpotent ial s Während in den Jahren von 1990 bis 2010 das Erwerbspersonenpotential kontinuierlich leicht anstieg (von rund 43 auf knapp 45 Millionen), zeichnet sich nun – beginnend zwischen 2010 und 2015 – eine deutlich rückläufige Entwicklung ab. Diese Entwicklung kann je nach den Konstellationen, die man antizipiert, unterschiedlich verlaufen. Drei unterschiedliche Szenarien machen das deutlich1: Das erste Szenario geht davon aus, dass die Erwerbsquoten konstant bleiben und keine Einwanderung stattfindet. Bei dieser Annahme würde das Erwerbspersonenpotential bis 2030 auf ca. 35 und bis 2050 auf ca. 26 Millionen sinken. Das zweite Szenario geht von einer steigenden Erwerbsquote aus, kalkuliert aber ebenfalls keine Immigration ein. Bei dieser Variante läge das Erwerbspersonenpotential bis 2050 jeweils um ca. zwei Millionen über dem des ersten Szenarios. Nur wenn man – wie in einem dritten Szenario – von einem jährlichen Wanderungssaldo von 100 000 Personen und einer steigenden Erwerbsquote
1
Fuchs, J.; Söhnlein, D.; Weber, B. (2011): Projektion des Arbeitskräftepotentials bis 2050: Rückgang und Alterung sind nicht mehr aufzuhalten. (IAB-Kurzbericht, 16/2011), Nürnberg.
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ausgeht, ließe sich das Erwerbspersonenpotential langfristig erhöhen (2030 um ca. 4, 2050 um ca. 6 Millionen verglichen mit dem ersten Szenario). Wenn man – bezogen auf das dritte Szenario – die Entwicklung der Altersstruktur für die Zeitspanne von 1990 bis 2050 berechnet, würde sich das Erwerbspersonenpotential folgendermaßen entwickeln: Während sich das Potential der Jüngsten (15 bis 29 Jahre) über die gesamte Periode von knapp 15 auf ca. 6 Millionen verringern würde, setzte bei den 30- bis 49-Jährigen die Verringerung nach einem anfänglichen Anstieg erst um 2005 ein (von etwa 24 auf ca. 15 Millionen). Auffallend anders verliefe die Entwicklung bei den 50 bis 64 Jahre alten Erwerbspersonen: Von 1990 bis 2020 stiege ihre Zahl um rund 5 Millionen an, bevor sie dann bis zum Ende der Periode allmählich wieder abfiele. Zurzeit wächst also die Beschäftigungsquote der über 50-Jährigen stärker als die gesamte Beschäftigungsquote. Die demografische Entwicklung verläuft heute und in Zukunft jedoch regional sehr unterschiedlich. Neben schrumpfenden Regionen wird es weiterhin Regionen geben, in denen Bevölkerung und Erwerbspersonenpotential stagnieren oder wachsen. Auch in den verschiedenen Berufsgruppen sind unterschiedliche Entwicklungen zu erwarten. In einem von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin initiierten Projekt der Universität Rostock im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit ist die demografische Entwicklung in zwölf Berufsordnungen untersucht worden. Dabei sind zwei generelle Trends deutlich geworden: Ein Beschäftigungszuwachs lässt sich überhaupt nur in den Altersgruppen ab 40 Jahren nachweisen, und ältere Beschäftigte bleiben länger im Beruf. (Tivig2 et al., 2013) u.a. untersuchen die Alterung in folgenden Berufsgruppen: •
•
Fertigungsberufe: Chemiebetriebswerker und Zerspanungsmechaniker (Dreher und Fräser); ingenieurtechnische und naturwissenschaftliche (MINT-)Berufe: Elektroingenieure, sonstige Ingenieure (insbesondere Wirtschaftsingenieure), Chemiker und Chemieingenieure, Physiker, Physikingenieure und Mathematiker; Gesundheits- und Pflegeberufe: Krankenschwestern, Krankenpfleger und Hebammen, Helfer in der Krankenpflege, Erzieher und Kinderpfleger; kaufmännische Berufe: Bankfachleute, Buchhalter.
2
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin / INQA (Hg.) (2013): Tivig,
•
•
T.; Henseke, G.; Neuhaus, J.: Berufe im Demografischen Wandel. Alterungstrends und Fachkräfteangebot, Dortmund/Berlin, http://www.inqa.de/SharedDocs/ PDFs/DE/Publikationen/berufe-im-demografischen-wandel.pdf?__blob=publicationFile
Der Mensch im Mittelpunkt
Die Autoren kommen, zusammengefasst, zu folgenden Ergebnissen: • •
• •
Bis 2020 altern alle untersuchten Berufe. Die zwölf untersuchten Berufsordnungen sind gemessen am Anteil 55+-Jähriger an den Beschäftigten im Zeitraum von 1993 bis 2011 alle gealtert. Lag diese Alterung1993 noch im Bereich 2 bis12 Prozent, waren es 2011 bereits 12 bis 24 Prozent, und für 2020 zeigt die Projektion 16 bis 35 Prozent an. o Der demografische Wandel erklärt rund ein Drittel bis drei Viertel der Alterung im Zeitraum von 1993 bis 2011, strukturelle Veränderungen (wie veränderte Muster der Erwerbsbeteiligung von Frauen) erklären den Rest. o Die Verschiebungen in den Altersstrukturen lassen in den meisten Berufen den „Fußabdruck“ der geburtenstarken Jahrgänge erkennen: Die am stärksten besetzten Altersstufen verlagerten sich aus dem Bereich von rund 25 bis 33 Jahren in 1993 hin zu dem Bereich von 42 bis 50 Jahren in 2011. Beschäftigungszuwachs fand generell nur bei den über 40-Jährigen statt Ältere Beschäftigte verbleiben länger im Beruf als früher. o Die Berechnungen der Abgangswahrscheinlichkeiten Älterer aus dem Beruf ergaben, dass sich die mittlere Dauer des Verbleibs 55-Jähriger im Beruf zwischen den Geburtsjahrgängen 1939 und 1945 um 0,6 bis 2,6 Jahren erhöht hat. Die Abgangsraten 60 bis 64-Jähriger aus dem Beruf nach Einführung der Frühverrentungsabschläge gingen entweder direkt und zum Teil drastisch zurück oder folgten nach Senkung und Wiederanstieg einem sinkenden Trend. Dennoch wird es bis 2020 voraussichtlich hohe Abgangszahlen zu ersetzen geben, für die in den wenigsten der zwölf ausgewählten Berufe ausreichend Nachwuchs vorhanden sein dürfte.
Der Anteil Älterer steigt also in allen Berufen, doch mit deutlichen Unterschieden zwischen den Berufsordnungen. Diese Tendenz bestätigen auch Untersuchungen der Universität Duisburg/Essen. Danach geht die seit ca. zehn Jahren steigende Alterserwerbsbeteiligung wesentlich auf verlängerte Erwerbsphasen zurück. In der Altersspanne von 52 bis 58 Jahren ist kaum mehr ein altersbedingter Rückgang der Erwerbsbeteiligung zu beobachten. Damit hat sich das Bild seit den 1990er Jahren stark verändert 3.
3
IAQ Altersübergangsreport 01/2014 (Brussig, M.; Ribbat, M.): Entwicklung des Erwerbsaustrittsalters. Anstieg und Differenzierung, http://www.iaq.uni-due.de/ auem-report/2014/2014-01/auem2014-01.pdf
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Ergänzend muss gesagt werden, dass die Zahl derer, die erst mit 65 in Altersrente gehen, seit fünf Jahren steigt und 2010 40 Prozent der Bevölkerung dieses Alters betraf. Allerdings kommt nur ein Drittel von ihnen aus einer stabilen Erwerbstätigkeit. Die anderen befanden sich vorher in anderen, nichtstabilen Lebenslagen4. Inzwischen nimmt jedoch der Anteil derjenigen, die aus stabiler Erwerbstätigkeit in die Rente übergehen, zu. Zusammengefasst stellt sich die Situation so dar: Die Zahl der Erwerbspersonen wird (ohne Zuwanderungssaldo) sinken und der Anteil der Älteren in den Belegschaften steigt bereits jetzt und dieser Anstieg wird sich fortsetzen. Diese Entwicklung vollzieht sich regional, sektoral und nach Berufsgruppen unterschiedlich. Die Diversität der Belegschaften nimmt nicht nur wegen der Alternsprozesse zu, sondern auch durch verändertes Erwerbsverhalten von Frauen. Diese Entwicklungen sind natürlich auch bei der Gestaltung der Arbeit zu berücksichtigen.
Ar bei t ssy s temges t al t ung f ür al ternde Belegscha f ten Die Gestaltung der Arbeitssysteme5 für ältere Erwerbstätige lässt sich nachhaltig durch Strategien beeinflussen, die die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit über den Erwerbsverlauf erhalten. Die Arbeitswissenschaft hat dafür unterschiedliche Strategien entwickelt6: Die „korrektive Arbeitsgestaltung“ zielt auf die Beseitigung erkannter Mängel in Arbeitssystemen und versucht, diese nachträglich zu beheben, gewissermaßen zu reparieren. Die „präventive Arbeitsgestaltung“ berücksichtigt die Erkenntnisse über mögliche Ursachen von Schädigungen und Beeinträchtigungen des Wohlbefindens und der Arbeitsfreude bei der Konzeption von neuen Arbeitssystemen und Arbeitsabläufen. Bei der „präventiven Arbeitsgestaltung“ geht es um die vorwegnehmende Vermeidung gesundheitlicher Schädigungen und psycho-sozialer Beeinträch4
Brussig, M. (2011): Zwischen Erwerbsaustritt und Renteneintritt: „Gelingende“ und „prekäre“ Altersübergänge. In: Deutsche Rentenversicherung 66 (2), S. 143160.
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Von einem Arbeitssystem spricht man, wenn die Elemente Arbeitsperson(en), Arbeitsauftrag, Arbeitsaufgabe, Input, Output, Arbeitsmittel, Arbeitsobjekte und Umwelteinflüsse im Zusammenhang betrachtet werden. Nach: Schlick, C.M.; Bruder, R.; Luczak, H. (2010): Arbeitswissenschaft. Berlin.
6
Schuler, H. (Hg.) (2007): Lehrbuch der Organisationspsychologie, Bern, Huber, Kap. 1, S. 9-17.
Der Mensch im Mittelpunkt
tigungen. Die entsprechenden arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse werden bei der Planung von Arbeitssystemen und -abläufen berücksichtigt. Die „prospektive Arbeitsgestaltung“ entwickelt Strategien zur Schaffung von Arbeitstätigkeiten, die die Persönlichkeit der Beschäftigten, ihre fachlichen und sozialen Potenziale fördern. Die „differenzielle Arbeitsgestaltung“, ermöglicht es den Beschäftigten, zwischen verschiedenen Arbeitsstrukturen zu wählen. Dabei entstehen Angebote für individuell unterschiedliche Präferenzen, Leistungs- und Erfahrungsprofile. Die „dynamische Arbeitsgestaltung“ geht darüber hinaus, indem sie bestehende Arbeitsstrukturen erweitert und auch ganz neue schafft. Auf diese Weise kann sie den Beschäftigten, deren Lebens- und Berufsverlauf sich verändert, jeweils adäquate berufliche Möglichkeiten anbieten. Die „altersgerechte Arbeitsgestaltung“ orientiert sich an den spezifischen Fähigkeiten und Bedürfnissen einer Altersgruppe und bietet, falls erforderlich, kompensatorische Maßnahmen an. Die „alternsgerechte Arbeitsgestaltung“ berücksichtigt den Alterungsprozess aller Beschäftigten. Sie setzt im Sinne einer prospektiven Perspektive darauf, schon die Jungen zu schützen und nicht erst abzuwarten, bis Beeinträchtigungen und Schädigungen zu gesundheitlichen und kompetenzbezogenen Defiziten führen.
Ar bei t und Al tern Bei der Analyse des Zusammenhangs zwischen Arbeit und Altern lassen sich drei Ebenen unterscheiden: die des Individuums, des Betriebs und der Branche. Ausgangspunkt ist die Vorstellung vom arbeitsinduzierten Altern. Sie geht davon aus, dass es unterschiedliche Dynamiken des Alterns gibt, Dynamiken, die durch die Arbeit und die Arbeitsumgebungen ausgelöst werden und sich verzögernd oder beschleunigend auf das Altern auswirken. Die Dynamik von Alterungsprozessen resultiert aus der Art der Belastung und Beanspruchung bei der Arbeit7. Wenn Leistungsprobleme auftreten, ist also in der Regel nicht das kalendarische Alter die Ursache. Immer muss auch die Frage aufgeworfen werden, wie die Arbeitssysteme gestaltet sind. Das ist natürlich insofern schwierig, als diese ihre Wirkung auf die Beschäftigten über einen langen Zeitraum hin entfalten, oftmals schleichend, und die Auswirkungen vielfach zunächst latent bleiben, 7
Hacker, W.: Leistungsfähigkeit und Alter. O. J., abgerufen im Internet am 27.05.2014 unter http://doku.iab.de/grauepap/2003/lauf_hacker_vortrag.pdf.
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sich erst allmählich manifestieren und häufig nicht mit drastischen Einschnitten einhergehen. Auch Einschränkungen der Fähigkeit und der Bereitschaft zu lernen sind weniger auf das kalendarische Alter als auf das Fehlen kontinuierlicher Lernanforderungen und Lernangebote in der Arbeit zurückzuführen. Qualifikationen und Kompetenzen, die im Arbeitsprozess nicht genutzt und angewendet werden können, drohen verloren zu gehen. „Das größte Lernhindernis ist eine Tätigkeit, in der es objektiv nichts zu lernen gibt.“8 Bei der Gestaltung der Arbeitsaufgaben darf also nicht nur auf die wirtschaftlichen Effekte geschaut werden, sondern auf den Erhalt der Arbeitsfähigkeit gerichtete präventive Wirkungen müssen ebenfalls betrachtet werden. „Lernen wird durch Lernen gelernt. Das Fördern intellektueller Fähigkeiten älterer Arbeitnehmer im Arbeitsprozess selbst setzt eine lernförderliche Arbeitsgestaltung voraus.“9 Lernen ist keine Anhäufung von Faktenwissen, sondern der Aufbau und Erhalt der Fertigkeit zur Bewältigung von Anforderungen. Lernen wird hier als Ressource verstanden, die die aktive Bewältigung von neuen Anforderungen ermöglicht. Lernen bedeutet auch, dass im Betrieb gezielt generationsübergreifende Kooperation und Kommunikation hergestellt wird und dadurch ein Austausch zwischen gesättigtem Erfahrungswissen und neuen theoretischen Erkenntnissen ermöglicht wird10. Ein wichtiger Aspekt des Alterns von Beschäftigten ist die Unterscheidung zwischen intraindividuellen und interindividuellen Veränderungen: Intraindividuelle Veränderungen, die sich auf Merkmale eines Individuums zu unterschiedlichen Zeiten seiner Biografie beziehen, werden in der Arbeitswelt u.a. von den verschiedenen Phasen in einem laufbahnbezogenen Lebenszyklus beeinflusst. Dabei scheint ein allgemeines Modell, das vier Phasen unterscheidet, plausibel zu sein11: Während der ersten „Phase der Einführung“, des Eintritts in den Beruf, die mit der Sozialisation im Betrieb und dem 8
Hacker, W.; Richter, P. (1990): Psychische Regulation von Arbeitstätigkeiten. Ein Konzept in Entwicklung. In: Frei, F.; Udris, I. (Hg.): Das Bild der Arbeit. Bern, Huber, S. 125-142.
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Hacker, W. (2010): Arbeitswelt im Wandel. Herausforderungen an die geistige Leistungsfähigkeit älter werdender Arbeitender. In: Freude, G.; Falkenstein, M.; Zülch, J. (Hg.): Förderung und Erhalt intellektueller Fähigkeiten für Arbeitnehmer. Abschlussbericht des Projekts „Pfiff“. Berlin, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, S. 59-70.
10 Richter, G. (2009): Flexibilität durch lebenslagenorientierte Personalpolitik. In: Richter, G. (Hg.): Generationen gemeinsam im Betrieb. Individuelle Flexibilität durch anspruchsvolle Regulierungen. Bielefeld. 11 Graf, A. (2011): Lebenszyklusorientierte PE als Ausgangspunkt für den Erhalt der
Der Mensch im Mittelpunkt
Aufbau der Bindung an ihn einhergeht, steigen die individuellen Leistungen und Potenziale stark an. Dieser deutliche Anstieg setzt sich gewöhnlich in einer „Phase des Wachstums“, der beruflichen Karriere, fort, bevor – in einer „Phase der Reife“ – die Leistung sich meist auf einem hohen Niveau einpendelt. In allen Phasen sind individuelle Abweichungen von der üblichen Laufbahn möglich, ganz besonders in der vierten und letzten Phase des Berufslebens, einer „Phase der Sättigung“. Man kann davon ausgehen, dass jede dieser Phasen zu Veränderungen der Persönlichkeit, der fachlichen Kompetenz und auch des sozialen Umfeldes führt. Denn es geht immer um Weichenstellungen, an denen es verschiedene Entwicklungsoptionen gibt, die in der einen oder anderen Form bewältigt und entsprechend verarbeitet werden müssen. Es zeigt sich, dass Alter und Lebenszyklus miteinander gekoppelt sind. Doch auch wenn solche Denkmodelle zum Zusammenhang von intraindividuellen Veränderungen und Arbeit vielerlei Plausibilitäten enthalten, bleiben noch viele offene Fragen, die erforscht werden müssen. Die interindividuellen Veränderungen, die die Unterschiede der Merkmale zwischen Individuen betreffen, zeichnen sich mit zunehmendem Alter immer stärker ab. Liegen die psychische und die physische Leistungsfähigkeit von jungen Erwerbstätigen noch relativ nah beieinander, so fächern sich die individuellen Unterschiede mit zunehmendem Alter immer weiter auf12. Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO) führt folgende Faktoren auf, die die individuelle Leistungsfähigkeit beeinflussen13: – – – – – –
private Lebensführung Sozialisation, Ausbildung Selbstkonzept, Fremdkonzept bisherige Tätigkeiten (Belastungen, Training) Leistungsanforderungen in der Arbeit Lernanregungen durch die Arbeit
Für die interindividuellen Veränderungen besteht genau wie für die intraindividuellen noch großer Forschungsbedarf. Es ist auch schwierig und methodisch sehr anspruchsvoll, diese komplexen Kompensations- und Arbeitsmarktfähigkeit. In: Seyfried, B. (Hg.): Ältere Beschäftigte. Zu jung, um alt zu sein. Konzepte – Forschungsergebnisse – Instrumente, Bielefeld. 12 Maintz, G. (2003): Arbeit bis 67? Überlegungen aus arbeitsmedizinischer Sicht. Dortmund http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/artikel09.html 13 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin / INQA (Hg.) (2010): Mit Prävention die Zukunft gewinnen. Strategien für eine demographiefeste Arbeitswelt, Dortmund/Berlin.
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Wechselverhältnisse zu erforschen, die erst in der Gegenwart verstärkte Aufmerksamkeit finden.
Zum St and der al ter sspezi f ischen bet r iebl ichen Ma ßnahmen Altersspezifische Maßnahmen sind auf betrieblicher Ebene sehr uneinheitlich verbreitet. Sie variieren je nach der Branche nach dem Zeitpunkt der Gründung des Betriebs und der Einstellung der Beschäftigten. Sie variieren selbstverständlich auch nach der Art der Tätigkeit und in Funktion der Veränderung der Arbeitsmittel und Arbeitsprozesse. Auf der Ebene der Branchen gibt es zunehmend Tarifverträge, die Standards setzen und dazu führen, dass die Themen der alter(n)sgerechten Arbeitsgestaltung allmählich auch in den Betrieben ankommen14 – in der Stahlindustrie seit 2006, in der Volkswagen-AG seit 2007, in der Chemieindustrie seit 2008, bei der Deutschen Post seit 2011, bei der Deutschen Bahn seit 2012 oder beim öffentlicher Personennahverkehr seit 2013. Insgesamt jedoch liegt die Verbreitung von altersspezifischen Maßnahmen – besonders die Ausstattung der Arbeitsplätzen, Anpassungen der Anforderungen und altersgemischte Arbeitsgruppen – im Bereich unterhalb von 10 Prozent. Möglichkeiten zur Altersteilzeit und die Einbeziehung Älterer in die Weiterbildung sind dabei am stärksten verbreitet15. Diese Situation erklärt sich zum großen Teil aus der Struktur der Betriebe: Insgesamt 95 Prozent haben weniger als 50 Beschäftigte. Nur jeder zehnte Betrieb mit weniger als 20 Beschäftigten ergreift altersspezifische Maßnahmen, während 92 Prozent der Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten dies bereits tun. Handlungsbedarf besteht also besonders im klein- und kleinstbetrieblichen Sektor. Insgesamt lassen sich bei der Arbeitsgestaltung in der Industrie in den letzten zehn Jahren folgende Trends feststellen16: 14 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin / INQA (Hg.) (2011): Altersdifferenzierte und alternsgerechte Betriebs- und Tarifpolitik. Eine Bestandsaufnahme betriebspolitischer und tarifvertraglicher Maßnahmen zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit. Dortmund/Berlin. http://www.inqa.de/SharedDocs/PDFs/ DE/Publikationen/inqa-42-betriebs-und-tarifpolitik.pdf?__blob=publication File 15 Leber, U.; Stegmaier, J.; Tisch, A. (2013): Altersspezifische Personalpolitik. Wie Betriebe auf die Alterung ihrer Belegschaften reagieren. (IAB-Kurzbericht, 13/2013), Nürnberg. 16 Kuhlmann, M. (2009): Perspektiven der Arbeitspolitik nach der Krise. Entwick-
Der Mensch im Mittelpunkt
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eine Retaylorisierung, also eine verstärkte Arbeitsteilung und Standardisierung von Arbeitsprozessen, eine Vermarktlichung, bei der der Druck des Marktes ungefiltert an Abteilungen und Beschäftigte weitergegeben wird, eine Subjektivierung, bei der hohe fachliche und kommunikative Ansprüche an die Individuen gestellt werden, eine Prekarisierung, durch die die Beschäftigungsverhältnisse zunehmend von der Normalarbeit abweichen.
Wenn man die Betrachtung des Zusammenhangs von Arbeit und Altern auf der individuellen Ebene, die Verbreitung altersspezifischer Maßnahmen in den Betrieben und die Trends der Arbeitsgestaltung zusammenfasst, ergibt sich folgende Zwischenbetrachtung: Die Dynamik der Alterung wird maßgeblich durch die Arbeitsbedingungen und Arbeitsorganisationen bestimmt. Alterung führt individuell zu Veränderungen und kollektiv zu wachsender Diversität. Problembewusstsein und Lösungskompetenz gibt es vorwiegend in Branchen mit starken industriellen Beziehungen und in größeren Betrieben. Tarifpolitik kann ein wirksamer Hebel für Verbesserungen sein. Auch Netzwerke – wie das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2006 gegründete ddn, „Das Demografie Netzwerk“ –, in denen sich Unternehmen organisieren, haben die Relevanz dieses Feldes entdeckt und arbeiten daran. Sie fördern die Übertragung von Lösungskompetenz von dem einen Unternehmen ins andere. Die Trends der Arbeitsgestaltung berücksichtigen das Altern der Belegschaften bislang allerdings kaum.
Al ter sgerechte Ar bei t sges t al t ung Eine Arbeitsgestaltung, die allen Altersgruppen gerecht wird, sollte sich an den Merkmalen einer „vollständigen Arbeitstätigkeit“ orientieren. Das bedeutet, dass die Beschäftigten jeden Alters die Möglichkeit haben, ihre Arbeitsziele selbst zu setzen, ihre Handlungen selbständig vorzubereiten und ihre Arbeitsmittel auszuwählen. Darüber hinaus sollten sie ihre Handlungen im Nachhinein korrigieren können (Ausführungsfunktion) und schließlich auch eine eigene Kontrolle und ein Feedback zum Resultat der Arbeitstätigkeit17 haben.
lungslinien und Handlungsbedingungen. In: WSI-Mitteilungen, Jg. 62, Nr. 12, S. 675-682. 17 Hacker, W. (1986): Arbeitspsychologie. Bern.
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Selbstverständlich geht es auch darum, „alterskritische Arbeitsanforderungen“ zu reduzieren – also jene Arbeitsanforderungen, die zu einer erhöhten Altersdynamik beitragen und das arbeitsbedingte Voraltern fördern18. Sowohl physische als auch psychische Belastungen können diese negativen Folgen haben. Zu den physischen Belastungen zählen einerseits geringe (körperliche) Anforderungen, Bewegungsmangel und langes Sitzen und andererseits zu schwere Arbeit, zu starke Muskelbelastungen, Zwangshaltungen, Vibrationen und Lärm. Bei den psychischen Belastungen wirken sich bestimmte Defizite – fehlendende Handlungs- und Entscheidungsfreiheit und Monotonie – ebenso nachteilig auf den Alterungsprozess aus wie ein Übermaß an Anforderungen – wie Daueraufmerksamkeit, Zeit- und Leistungsdruck, Ärger mit Kolleginnen und Kollegen und fehlende Anerkennung. Wenn man diese alterskritischen Arbeitsanforderungen mit dem Gestaltungsziel, eine optimale Belastung zu erreichen, verändern möchte, sind die Konzepte des finnischen Arbeitswissenschaftlers Juhani Ilmarinen19 hilfreich. Er fordert einen Ausgleich zwischen Ressourcen und Anforderungen. Ein solcher Ausgleich zwischen verschiedenen Dimensionen, der das Ziel hat, die Beschäftigten gesund und leistungsfähig zu erhalten, kann auf sehr unterschiedlichen Ebenen stattfinden: So kann eine Aufwertung einfacher Tätigkeiten mit niedrigen qualifikatorischen und hohen körperlichen Anforderungen bei manchen Beschäftigten den Erhalt und den Aufbau eines guten körperlichen Zustands bewirken. Bei anderen hingegen können Verschleiß und der Abbau der Ausgangsqualifikationen ebenso die Folge sein wie sinkende geistige Flexibilität und eine Verminderung der Lernfähigkeit. Komplexe Tätigkeiten mit hohen qualifikatorischen und niedrigen körperlichen Anforderungen können zum Erhalt oder zum Aufbau geistiger Flexibilität und zum Erhalt der Lernfähigkeit führen. Bei Überforderung jedoch können die gleichen Tätigkeiten Stress hervorrufen. Außerdem gehen solche komplexen Tätigkeiten vielfach mit dem Abbau körperlicher Leistungsfähigkeit einher. Ein anderer Ansatz setzt auf die positive Wirkung von Handlungs- und Tätigkeitsspielräumen. Die sogenannte SOK-Strategie20 beschreibt Prozesse der 18 Ein Handlungsleitfaden zur Identifikation alterskritischer Arbeitsbedingungen findet sich unter http://www.lago-projekt.de/downloads.html 19 Ilmarinen, J.; Tempel, J. (Hg.) (2002): Arbeitsfähigkeit 2010. Was können wir tun, damit Sie gesund bleiben? Hamburg. 20 Baltes, P. B.; Baltes, M. M. (1990): Psychological perspectives on successful aging: The model of selective optimization with compensation. In: Baltes, P. B.; Baltes, M. M. (Eds.): Successful Aging. Perspectives from the Behavioral Sciences (pp. 1-33). New York: Cambridge University Press.
Der Mensch im Mittelpunkt
Ressourcengenerierung und –allokation als adaptive Mechanismen erfolgreichen Alterns: – – –
„S“ steht für „Selektion“, für die individuelle Auswahl von Teilaufgaben („Bei meiner Arbeit erledige ich immer zuerst die wichtigsten Aufgaben.“) „O“ steht für „Optimierung“, für die Vorbereitung auf Teilaufgaben („Man muss seinen Körper fit halten, dann kann man auch diese Arbeit machen.“) „K“ steht für „Kompensation, für den Ausgleich zwischen Phasen starker und weniger starker Beanspruchungen („Ich gleiche einseitige Arbeitsbelastungen aus.“)
Untersuchungen bei Beschäftigten in der Krankenpflege21 haben gezeigt, dass dort, wo die Prinzipien der SOK-Strategien trainiert und anschließend praktiziert werden, körperliche Funktionsbeeinträchtigungen durch die Arbeit wesentlich besser kompensiert werden können als dort, wo das nicht der Fall ist. Zur altersgerechten Arbeitsgestaltung gehört auch ein weiterer wichtiger Aspekt: die lernförderliche Arbeitsgestaltung. Arbeitstätigkeiten mit Lernangeboten bewirken, dass neue Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben und damit auch die Leistungsvoraussetzungen erhalten werden. Das Erhalten und Entwickeln der Lernkompetenz – der Lerntechniken, der Lernkontrolle und der Lernorientierung – sollte Teil der Arbeitsorganisation sein und es sollte zu den Kompetenzen der Führungskräfte zählen, diese „mentale Fitness“ zu fördern.22
Fazi t Die Zahl der Erwerbspersonen wird sinken und der Anteil der Älteren in den Belegschaften und auf dem Arbeitsmarkt wird steigen, allerdings verläuft die Entwicklung regional, sektoral und nach Berufsgruppen unterschiedlich. Die Diversität der Belegschaften wird, auch durch das veränderte Erwerbsverhalten von Frauen, zunehmen. Bei der Arbeitsgestaltung für die gesamte Arbeitslebensspanne muss es differenzierte Maßnahmen für interindividuelle Unterschiede geben. Es muss 21 Müller, A. u.a. (2013): Sucessful Aging Strategies in Nursing: The Example of Selctive Opitimization with Compensation. In: Schlick, C. M.; Frieling, F.; Wegge, J.(Hg.): Age-differentiated Work Systems. Heidelberg – New York – Dordrecht – London. 22 Richter, G.; Stamov Roßnagel, C. (2013): Lernkompetenz als Erfolgsfaktor. In: FAZ vom 18.04.2013.
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zu einer Anpassung der Arbeit an die Menschen kommen. All das funktioniert nicht ohne die Beteiligung, die Partizipation, der Beschäftigten. Sie müssen befragt und ihre Vorschläge in die Verbesserung der Arbeitssysteme, der Arbeitsgestaltung, der Gesundheitsförderung und der Qualifizierung eingearbeitet werden. Zahlreiche Konzepte, Instrumente und Netzwerke, insbesondere das Unternehmensnetzwerk ddn, bieten reiche Quellen für solche Strategien. Der Text entstand aus dem Mitschnitt meines Vortrags, den Helga ReuterKumpmann redigierte.
Hans Martin Hasselhorn
Arbeit, Alter, Gesundheit De terminanten der Er wer bs teil nahme 1
Dieser Beitrag wird sich viel mit Gesundheit befassen, deren Bedeutung jedoch relativieren. Denn er geht einer Frage nach, die in der jetzigen demografischen Lage grundlegend erörtert werden muss: Welche Faktoren bestimmen, ob ältere Beschäftigte am Erwerb teilhaben oder nicht. Nach einer kurzen Einleitung mit Zahlen, Daten und Fakten werde ich ein Denkmodell zu „Determinanten der Erwerbsteilnahme“ vorstellen, um dann einige Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.
1 . Demogr a f ische Gr undl agen Wie die folgende Übersicht der OECD von 2011 zeigt, gibt es in Europa beträchtliche Unterschiede, was das reguläre Renteneintrittsalter von Erwerbstätigen, ihre Pensionsjahre und die Lebenserwartung bei regulärem Renteneintrittsalter betrifft. Abbildung 1
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Der Text entstand aus dem Mitschnitt eines Vortrags und wurde von Helga ReuterKumpmann erstellt.
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Anhand der Zahlen für die Frauen will ich dies illustrieren: Die höchste Lebenserwartung haben die Französinnen (87,0 Jahre). Ihr Renteneintrittsalter beträgt 60,5 Jahre. Besonders auffällig in dieser Grafik sind die Daten zu Italien und Norwegen: In beiden Ländern ist die Lebenserwartung von Frauen bei regulärem Renteneintrittsalter mit 86,3 Jahren gleich hoch. Das reguläre Renteneintrittsalter findet in Italien (mit 59,0 Jahre) jedoch acht Jahre früher statt als in Norwegen (mit 67,0 Jahren). Also unterscheidet sich auch die Anzahl der Jahre in Rente (27,3 Jahre in Italien und 19,3 in Norwegen). Bemerkenswert ist auch, dass in den Ländern mit der geringsten Lebenserwartung (Ungarn mit 81,4 und die Slowakei mit 81,6 Jahren) das Renteneintrittsalter relativ niedrig ist (59,0 bzw. 57,0 Jahre). Bei den sieben Ländern, in denen Frauen regulär mit 65 Jahren in Rente gehen, liegt die Lebenserwartung der deutschen Frauen (85,7 Jahre) nach Schweden und Finnland an dritter Stelle; sie leben im Mittel noch 20,7 Jahre im Ruhestand. Angesichts des Anstiegs der Lebenserwartung stellt sich für die Politik die Frage, wie eine so deutlich älter werdende Gesellschaft weiterhin wirtschaftlich stabil bleiben kann. Zwei Schritte sind dabei besonders in der Diskussion: die Erhöhung des Erwerbsautritts- bzw. des Renteneintrittsalters und die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung in den höheren Altersgruppen. Die folgende Grafik zeigt das Renteneintrittsalter in den europäischen OECD-Ländern (in 2011) und ggf. beschlossene Erhöhungen: Abbildung 2
Arbeit, Alter, Gesundheit
Finnland, Island, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal und Schweden hatten (wenigstens bis zum Jahr 2011) keinerlei Anhebung des Renteneintrittsalters in Planung. Die stärkste Anhebung – jeweils um 10 Jahre – wird in den kommenden Jahren in Griechenland und Italien erfolgen. Italien und Dänemark werden nach dieser Grafik die Länder mit dem höchsten künftigen Renteneintrittsalter für Männer und Frauen sein: 69 Jahre. In acht Ländern lag 2011 das Renteneintrittsalter der Frauen zum Teil deutlich unter dem der Männer. In Österreich, der Slowakei und der Schweiz soll es künftig auf das unverändert bleibende Niveau der Männer angehoben werden. In den fünf anderen Ländern soll das geplante Renteneintrittsalter der Frauen bis auf das ebenfalls zu erhöhende Renteneintrittsalter der Männer erhöht werden. Insgesamt bemühen sich laut dieser Grafik 16 OECD-Länder darum, Frauen länger im Erwerbsleben zu halten, und 13 von ihnen möchten zugleich das Berufsleben der Männer verlängern. Man weiß schon heute, dass dieses Bestreben vielerorts erfolgreich war. Gleichermaßen erfolgreich waren die Länder, wenn es darum ging, einen höheren Anteil von Personen im Erwerbsleben zu halten. Auf dem Gipfeltreffen der europäischen Regierungschefs im Jahr 2000 in Lissabon war als Ziel vorgegeben worden, dass bis 2010 mehr als 50 Prozent der 55 bis 64-Jährigen in Lohn und Brot sein sollten. Insgesamt waren es damals im europäischen Schnitt nur 37 Prozent. Wobei – wie die nächste Grafik zeigt – damals schon vier EU-Länder (Schweden, Dänemark, Großbritannien und Portugal) diese Zielvorgabe überschritten hatten. Abbildung 3
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Zwölf Jahre später hatte sich die Zahl der Länder mit einem Anteil von über 50 Prozent an Erwerbstätigen im Alter von 55 bis 64 Jahren mehr als verdoppelt: Abbildung 4
Neu hinzugekommen waren – neben den baltischen Ländern – die Niederlande, Deutschland und Malta. Doch auch in fast allen anderen europäischen Ländern gab es in der Altersgruppe von 55 bis 64 Jahren 2012 deutlich mehr Erwerbstätige als im Jahr 2000. Der gesamteuropäische Schnitt war auf knapp 49 Prozent angestiegen. Aus dem deutlichen Zuwachs der Erwerbstätigenquote, der in Deutschland in diesen zwölf Jahren stattfand, sollte man jedoch nicht voreilig schließen, dass damit die Lage am Arbeitsmarkt für die Zukunft gesichert sei. Deutlich wird das beim Betrachten der Vorschau auf die Arbeitskräfte und den Arbeitskräftebedarf in Deutschland:
Arbeit, Alter, Gesundheit
Abbildung 5
Das abgebildete Erwerbspersonenpotential umfasst alle Personen im erwerbsfähigen Alter, die dem Arbeitsmarkt theoretisch zu Verfügung stehen, einschließlich der Arbeitslosen und der Personen, die ohne Erwerbstätigkeit zuhause bleiben. Nicht eingerechnet sind erwerbsgeminderte Menschen. Die Grafik zeigt einen aktuellen Wendepunkt: Waren in 2013 noch 45 Millionen Personen verfügbar, so wird die Zahl allein bis 2030 um 7 Millionen schrumpfen. Demgegenüber soll der Bedarf an Arbeitskräften jedoch wenigstens bis 2025 konstant bleiben. Für manche Arbeitgeber würde eine solche Entwicklung bedeuten, dass sie sich in Zukunft nicht mehr überlegen werden, wie sie sich von älteren Beschäftigten trennen, sondern wie sie diese produktiv einsetzen können.
2. Das „l idA Modell der Er wer bs teil habe im höheren Er wer bs al ter “ Wenn wir also davon ausgehen, dass wir, was das Erwerbspersonenpotential angeht, an einem demografischen Scheidepunkt stehen, stellt sich natürlich die Frage, welche Faktoren es ermöglichen, so viele ältere Beschäftigte wie möglich im Erwerbsleben zu halten. Dieser Frage gehen wir – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
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Arbeitsmedizin aber auch anderer Forschungsinstitute – in einer großen Kohortenstudie nach. Das Thema „leben in der Arbeit“ – lidA – hat dieser Studie den Namen gegeben. Uns als Arbeitswissenschaftler interessieren insbesondere die Arbeit, die Gesundheit und deren Zusammenhänge. Welche Aspekte der Arbeit spielen bei der Erwerbsteilhabe in höherem Alter eine Rolle? Es gibt eine Reihe von Studien zur Frage, welche Arbeitsfaktoren die spätere Erwerbsteilhabe beeinflussen. Untersucht wurden u.a. die Faktoren: – – – – – – – – – – – –
Entscheidungsspielraum körperliche Arbeitsanforderungen „Arbeitsstress“ quantitative Arbeitsanforderungen soziale Unterstützung Arbeitszufriedenheit Arbeitsplatzunsicherheit Rollenkonflikte bei der Arbeit Konflikte abwechslungsreiche Arbeit Arbeitskomplexität Belohnungen
Doch letztendlich sind es nur zwei Faktoren, bei denen man durchgehend einen Bezug zur späteren Erwerbsteilhabe findet: der Entscheidungsspielraum bei der Arbeit und die körperlichen Arbeitsanforderungen. Zu den anderen Punkten gibt es entweder zu wenige Studien oder zum Teil widersprüchliche Ergebnisse. Die Gesundheit von älteren Beschäftigten ist einerseits auf die Erwerbsoder Arbeitshistorie zurückzuführen, wird aber andererseits zu einem großen Teil auch durch individuelle Komponenten bestimmt.
Arbeit, Alter, Gesundheit
Abbildung 6
Die Weichen für die künftige Gesundheit werden durchaus nicht erst im Erwerbsleben gestellt. Das geschieht teilweise schon viel früher und ist auch auf den jeweiligen sozioökonomischen Status zurückzuführen. Hier zeigt sich bereits ein kompliziertes Geflecht von Zusammenhängen. Eine zentrale Frage in dem Denkmodell ist, ob wirklich – wie meist angenommen – die Gesundheit die zentrale Determinante für die spätere Teilhabe am Erwerbsleben ist. Die folgende Grafik lässt begründeten Zweifel daran aufkommen. Abbildung 7
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Eigene Hochrechnungen aktueller Befragungsergebnisse bezogen auf die Gesamtbevölkerung zeigen, dass fast ein Drittel der befragten 9 Millionen Erwerbstätigen im Alter von 51 bis 65 Jahren über eine schlechte Gesundheit klagt, und dass etwas mehr als die Hälfte der 5,9 Millionen Nicht-Erwerbstätigen sich nach eigenen Aussagen guter bis sehr guter Gesundheit erfreut. Wenn 3 Millionen kranke Ältere arbeiten und 3 Millionen gesunde Ältere nicht arbeiten, dann kann es nicht (nur) die Gesundheit sein, die zum vorzeitigen Erwerbsaustritt führt. Die Ergebnisse einer qualitativen Studie, die Pond et al. (2010) in Neuseeland durchführten, können hier einiges erklären. Auf der Basis von Interviews beschrieben sie drei „gesundheitsbedingte Ausstiegspfade“ aus dem Erwerbsleben: 1. Der „Verschlechterungs-Pfad” umschreibt den Ausstiegspfad, den man im Allgemeinen mit Gesundheit in Verbindung bringt: Eine akute oder chronische Verschlechterung des Gesundheitszustandes führt dazu, dass man die Erwerbstätigkeit verlässt. Bei den Interviews fällt allerdings auf, dass die Befragten nie erklärten, wegen der verschlechterten Gesundheit aus dem Erwerbsleben ausgestiegen zu sein, vielmehr äußerten sie, dass sie wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes nicht mehr ihre Arbeitsleistung bringen konnten und deshalb die Berufstätigkeit verlassen mussten. 2. Beim „Schutz-Pfad” sind die Betroffenen um ihre künftige Gesundheit besorgt und möchten sie schützen. Manche, die diesen Ausstiegsweg wählen, sehen Arbeit als ein konkretes Gesundheitsrisiko (oft „Arbeitsstress“), andere erleben sie als Hindernis für eigene Gesundheitsmaßnahmen. Für diese Menschen bedeutet das Rentendasein also entweder der Wegfall von (Stress-)Belastung und/oder die Möglichkeit, nun mehr für die eigene Gesundheit tun zu können. 3. Der „Maximierungs-Pfad“ umschreibt den Ausstiegsweg, bei dem Menschen sich entscheiden, das Erwerbsleben noch bei guter Gesundheit hinter sich lassen, um noch andere Ziele erreichen können, also ihr Leben zu „optimieren“. Pond et al. unterscheiden hier zwei Varianten: Die erste Variante wählen Personen, die – so lange sie sich gesundheitlich hierzu in der Lage fühlen – noch tun wollen, was sie schon immer tun wollten, zum Beispiel „mit ihren Enkeln auf Bäume klettern.“ Die zweite Variante steht für Personen, die nach einem „health shock” aus dem Erwerbsleben aussteigen. Sie haben entweder am eigenen Leib eine vorübergehende Bedrohung ihrer Gesundheit erfahren oder bei ihnen na-
Arbeit, Alter, Gesundheit
hestehenden Menschen ein schlimmes gesundheitliches Ereignis (schwere Krankheit, plötzlicher Tod) miterlebt. Wenn man die Ergebnisse dieser Studie zusammenfasst, kann man sagen: Schlechte Gesundheit führt zu Erwerbsausstieg, wenn Menschen nicht mehr arbeiten können oder wenn sie Angst vor Verschlechterung der Gesundheit haben. Gute Gesundheit kann dann zum Erwerbsausstieg führen, wenn Menschen nicht mehr arbeiten wollen, um ihr Leben zu genießen, oder wenn sie Angst vor der Verschlechterung ihrer Gesundheit haben. Und schließlich führt schlechte Gesundheit dann nicht zum Erwerbsausstieg, wenn die Menschen arbeiten können, wollen oder müssen. Der letzte Aspekt – „arbeiten müssen“ – ist weitgehend ein finanzieller, auf den später eingegangen wird. Die beiden anderen Möglichkeiten werden als determinierende Faktoren in das lidA Modell integriert. „Kann ich arbeiten?“ verweist auf die Arbeitsfähigkeit älterer Beschäftigter und „Will ich arbeiten?“ auf ihre Motivation, erwerbstätig zu sein. Abbildung 8
Der Begriff „Arbeitsfähigkeit“ stellt einen Bezug her zwischen den persönlichen Ressourcen eines Individuums (z.B. die körperlichen, geistigen und sozialen Kompetenzen) einerseits und der Arbeit (z.B. die materielle und soziale Gestaltung des Arbeitsplatzes und die Art der Anforderungen) andererseits. Die Situation ist optimal, wenn Übereinstimmung herrscht zwischen
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den jeweiligen Ressourcen und den Arbeitsanforderungen. Ist das nicht der Fall, ist die Arbeitsfähigkeit gefährdet. Wenn jedoch bei verminderten individuellen Ressourcen von älteren Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmern die Arbeit an deren Zustand angepasst wird, kann ein neues Gleichgewicht, eine neue Form der Arbeitsfähigkeit, geschaffen werden. Auch der Begriff der „Motivation“ bedarf – wie er hier verstanden wird – einer Erklärung. Keineswegs ist damit die Arbeitszufriedenheit gemeint, sondern vielmehr die Antwort auf die Frage: „Möchte ich überhaupt noch erwerbstätig sein oder nicht?“ Dieser Faktor sei anhand einer amerikanischen Studie skizziert: Dort wurden Leute, die ihr Unternehmen verlassen haben, danach gefragt, welcher Faktor sie am ehesten in dem Betrieb gehalten hätte. An erster Stelle stand die Antwort: „Wenn meine Vorgesetzten mir gesagt hätten, dass sie mich brauchen.“ Die folgende Frage lautete: „Wann hätten sie ihnen das sagen sollen?“ Im Durchschnitt lautete die Antwort, dass das vor zwei Jahren hätte passieren müssen. Die Abbildung 8 zeigt noch einen weiteren Faktor, der die Erwerbsteilhabe in hohem Maße mitbestimmt, das „Privatleben“. Das geschieht auf verschiedenen Wegen: Eine wichtige Rolle spielt dabei zum Beispiel, ob der oder die Beschäftigte in einer Partnerschaft lebt oder nicht. Ist das nicht der Fall, findet der Erwerbsausstieg oft später statt. In Partnerschaften wird der Erwerbsausstieg vielfach koordiniert. Das kann in die Richtung gehen, dass beide länger arbeiten, es kann aber auch zu einer Verkürzung der Erwerbstätigkeit führen. Eine dänische große Rentenversicherung hat den Rentenausstieg des Jahrgangs 1947 untersucht und dabei folgendes festgestellt: Wenn in einer Partnerschaft der oder die Erste aus dem Erwerbsleben ausschied, schied der/die Partner/in mit einer Wahrscheinlichkeit von 47 Prozent innerhalb der nächsten zwölf Monate ebenfalls aus. Das traf für die Zeit zu, als es in Dänemark noch eine großzügige vorzeitige Ruhestandsregelung gab. Seit deren Abschaffung suchen die Menschen andere Möglichkeiten, um ebenfalls vorzeitig aus dem Erwerbsleben auszusteigen, z.B. über Langzeitkrankschreibungen. Ein weiterer für die Erwerbsteilhabe relevanter Aspekt ist die Pflegebedürftigkeit des Partners. Nach den Befunden einiger Studien bleiben die pflegenden Partner oder Partnerinnen eher zuhause, während sie nach anderen Studien signifikant häufiger bewusst im Erwerbsleben bleiben. Die Erklärung dieser Unterschiede hat vermutlich viel mit gesellschaftlichen Erwartungshaltungen zu tun, aber auch mit den sozialen Rahmenbedingungen, z. B. dem Pflegeversorgungs-System. Neben den partnerschaftlichen Bindungen können auch andere private Beziehungen eine Rolle spielen bei der Entscheidung für oder gegen einen vorzeitigen Ruhestand: oft die Versorgung von pflegebedürftigen Eltern.
Arbeit, Alter, Gesundheit
Abbildung 9
Die auf dieser Grafik hinzugekommenen Aspekte – die finanzielle Notwendigkeit und die gesetzlichen Regelungen, die den Zeitpunkt des Ausstiegs aus dem Erwerbsleben bestimmen – vervollständigen das lidA Denkmodell. Diese wichtigen Faktoren sind ihrerseits Teil eines komplexen Bezugssystems. Das bedeutet vielfach, dass Menschen, die eigentlich nicht mehr arbeiten wollen (fehlende Motivation) oder es nicht mehr können (eingeschränkte Arbeitsfähigkeit), dennoch ihr Beschäftigungsverhältnis fortsetzen müssen, weil sie den Einnahmeverlust einer vorzeitigen Berentung nicht tragen können.
3. Schluss folger ungen Das hier vorgelegte Modell relativiert – wie eingangs gesagt – die Bedeutung, die die Gesundheit der älteren Erwerbsbevölkerung auf den Zeitpunkt des Ausstiegs aus dem Erwerbsleben hat. Es führt zu der Erkenntnis, dass die Arbeitsfähigkeit und die Arbeitsmotivation der künftigen älteren Erwerbsbevölkerung für die soziale und wirtschaftliche Stabilität Deutschlands entscheidend sein werden (in beiden Faktoren spielt u.a. auch die Gesundheit eine Rolle). Das lidA Denkmodell ist gekennzeichnet durch viererlei Charakteristika: Der erste Punkt ist die Komplexität des Modells: Die Erwerbsteilnahme im höheren Erwerbsalter wird bestimmt durch ein komplexes Zusammenspiel sehr unterschiedlicher Faktoren: des Privatlebens, des sozioökonomischen
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Status, der Arbeit, des Lebensstils, der Motivation, der Gesundheit und der Arbeitsfähigkeit und schließlich der Finanzen und der Gesetzgebung. Alle Faktoren hängen zusammen und bedingen einander. Gleichzeitig zeigt das Modell Möglichkeiten der Kompensierung von Belastungen auf. Zweitens belegt dieses Modell den Prozess-Charakter des Erwerbsausstiegs. Dieser ist kein plötzliches Ereignis, sondern stellt einen Ablauf dar. So beeinflusst z.B. der sozioökonomische Status die Leistungsfähigkeit in der Jugend, die Wahl der Ausbildung und die berufliche Tätigkeit und diese wiederum beeinflusst die körperliche und die psychische Gesundheit. So werden schon manchmal früh die Weichen gestellt für einen vorzeitigen Austritt aus dem Berufsleben. Das führt natürlich dann auch zur Frage: „Wo kann und soll man intervenieren, früher oder später?“ Drittens muss man feststellen, dass freiwilliger und vorzeitiger Erwerbsausstieg immer individuell ist. Meist bewirken nicht einzelne Faktoren, sondern ein individuell geprägtes Faktoren-Netz den Einstieg in den Ruhestand. Doch viertens sind auch die sehr individuell bedingten Situationen gleichzeitig eingebettet in einen festen, staatlich oder sonst strukturell vorgegebenen Rahmen. Dies sind nicht zuletzt die Rentengesetzgebung oder die finanzielle Alterssicherung. Zum Schluss sollen einige der Handlungsperspektiven dargestellt werden, die das Modell für die Politik und die Unternehmen impliziert. Abbildung 10
Für die Politik stellen sich natürlich die Fragen, ob sich dieses komplexe System überhaupt effektiv beeinflussen lässt und an welcher Stelle man in den Prozess eingreifen kann. In welchem Alter der Beschäftigten sollte man
Arbeit, Alter, Gesundheit
intervenieren, um eine möglichst hohe Erwerbsteilhabe künftiger Gruppen älterer Beschäftigter zu sichern, bei 25, 35 oder 45 Jahren? Oder schon bei den ganz Jungen? Andererseits verdeutlicht das Modell, dass, wenn Rentenregelungen den vorzeitigen Ausstieg verhindern, sie auch dazu führen, dass mehr Personen im Arbeitsleben verbleiben, die dies eigentlich nicht mehr können und/oder nicht mehr wollen. Abbildung 11
Für die Unternehmen könnte das Denkmodell aufzeigen, dass Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit der Beschäftigten kaum ausreichen werden, um sie länger im Erwerbsleben zu halten. Stattdessen ist (auch) bei der Arbeitsfähigkeit und bei der Motivation, erwerbstätig zu bleiben, anzusetzen. Beides setzt langfristiges Denken und Handeln des Unternehmens voraus.
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Körperliche und geistige Fitness älterer Beschäftigter erhalten und fördern Al ter, A r bei t und Rente
Eine der wichtigsten Herausforderungen der modernen Zivilisation und insbesondere der Arbeitswelt ist der demografische Wandel. Bis zum Jahr 2015 wird die Zahl jüngerer Erwerbstätiger bis 29 Jahre auf ca. 20 Prozent zurückgehen und danach stagnieren. 2020 wird die Gruppe der über 50-Jährigen die größte Arbeitnehmergruppe innerhalb der Erwerbspersonen stellen (nach Lehr 2013). Zudem wird das Renteneinstiegsalter immer mehr ansteigen. Dies bedingt eine verlängerte Lebensarbeitszeit, d.h. Ältere sind zunehmend länger in der aktiven Arbeitsphase. Hinzu kommen Wandel der Arbeitsanforderungen (Zeitdruck, Arbeitsverdichtung, repetitive Arbeit) sowie politische, wirtschaftliche und soziale Probleme (z.B. Wirtschaftskrisen, Existenzangst, Kurzarbeit, Einkommensverluste). Immer mehr Ältere müssen also immer länger unter zunehmend erschwerten Bedingungen arbeiten. Hieraus ergibt sich zwingend die Notwendigkeit, die Gesundheit und die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer bis zum Renteneintritt und darüber hinaus zu erhalten und zu fördern. Der Arbeitsfähigkeitsindex (ABI) oder workability index (WAI) misst die subjektiv empfundene eigene Arbeitsfähigkeit (Freude & Hasselhorn 2008). Der WAI nimmt im Alter ab, jedoch mit großer individueller Streuung (Ilmarinen 1999). Während jüngere Beschäftigte im WAI im Mittel relativ homogen hohe Werte erreichen, streuen die Werte bei älteren Beschäftigten sehr stark von sehr hoch bis sehr niedrig (Abb.1).
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Abbildung 1
Dies deutet darauf hin, dass es Einflussfaktoren auf die Arbeitsfähigkeit gibt, die über mehr oder weniger lange Zeit auf Menschen einwirken. Diese können für verschiedene Individuen eine unterschiedliche Stärke haben (Dosiseffekt), und sie können bei verschiedenen Menschen aufgrund ihrer verschiedenen Empfindlichkeit für diese Faktoren (Vulnerabilität) individuell unterschiedliche Wirkungen haben.
Baus teine der Ar bei t s f ähigkei t Alles menschliche Verhalten, z.B. die Arbeit, wird durch Basis-Kompetenzen („Funktionen“) ermöglicht. Diese können in vier große Bereiche unterteilt werden, nämlich in sensorische Funktionen (vor allem Sehen und Hören), in mentale (kognitive) Funktionen (z.B. Aufmerksamkeit und Gedächtnis), in motorische Funktionen und in emotionale und motivationale Funktionen (z.B. Ängstlichkeit, Arbeitsmotivation). Die Grundfunktionen interagieren, um komplexe Handlungen und Arbeitsleistungen hervorzubringen. Beim Sortieren z.B. sind z.B. Motivation (weiter machen, auch wenn es langweilig ist), Sehen, Aufmerksamkeit, Hemmung von Fehlhandlungen und Motorik beteiligt. Die mentalen (kognitiven) Funktionen bestimmen unsere Intelligenz. Intelligenz lässt sich nach Horn & Cattell (1966) in zwei große Bereiche aufteilen, kristalline und fluide Intelligenz. Kristalline Intelligenz ist durch Sachwissen, Erfahrung, und Sprachkompetenz gekennzeichnet. Fluide Intelligenz besteht aus Funktionen, die Informationen kurzfristig speichern und verarbeiten und komplexe Handlungen steuern. Hierzu gehören v.a. das schnelle Verarbeiten von Information, das Kurzzeitgedächtnis (das Einspeichern und Wiedergeben von Information), das Arbeitsgedächtnis (das Einspeichern und Verändern von Information), der Wechsel zwischen mehreren Aufgaben, die Suche von Infor-
Körperliche und geistige Fitness älterer Beschäftigter erhalten und fördern
mation, die Unterdrückung von Störinformation, die Planung von Handlungsabläufen, das logische Denken sowie das Erkennen und Unterdrücken eigener Fehlhandlungen. Moderne Arbeit ist durch Zeitdruck, Mehrfachbelastungen, häufige Wechsel, unerwartete Veränderungen, komplexe Arbeitsumgebungen etc. gekennzeichnet und stellt daher immer größere Anforderungen an die fluide Intelligenz.
Ver änder ungen von Funk t ionen über die Lebensspanne (Abb. 2) Das früher vorherrschende Defizitmodell ging davon aus, dass mit zunehmendem Alter praktisch alle Funktionen nachlassen. Inzwischen weiß man, dass dies nicht stimmt, weder für alle Funktionen noch für alle Menschen. Das neuere Kompetenzmodell stellt zum einen fest, dass sich die verschiedenen Funktionen bei einem einzelnen Menschen mit dem Alter sehr unterschiedlich verändern, und zwar nicht nur negativ, sondern auch positiv. Die emotionale und soziale Kompetenz und damit die Kommunikations-, Kooperations- und Konfliktlösungsfähigkeit, sowie Zuverlässigkeit, Besonnenheit, und Qualitätsbewusstsein verbessern sich in der Regel mit zunehmendem Alter. Die kristallinen kognitiven Funktionen, wie Wissen, Erfahrung, Expertise, und Sprachkompetenz verbessern sich ebenfalls bis zu einem gewissen Alter oder bleiben mindestens konstant. Andererseits lassen sensorische und motorische Funktionen mit dem Alter deutlich nach, und zwar zum Teil schon ab dem frühen Erwachsenenalter. In geringerem Maße verschlechtern sich auch die fluiden kognitiven Funktionen. Allerdings ist ihr Rückgang mit dem Alter höchst unterschiedlich für verschiedene Menschen (die dünnen roten Kurven in der Abbildung symbolisieren die Spannbreite). Es gibt also Menschen, die mit 60 Jahren noch exzellente fluide Funktionen haben, während sie bei anderen sehr deutlich nachgelassen haben.
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Ver änder ungen einzel ner Funk t ionsbereiche mi t dem Al ter Emotionen: Die emotionale Befindlichkeit verändert sich deutlich mit dem Alter. Eine große Telefonbefragung von 340.000 US-Bürgern zwischen 18 und 85 Jahren im Jahre 2010 zeigte, dass das allgemeine Wohlbefinden vom 18. bis zum 50 Lebensjahr leicht abnimmt, während es ab Mitte 50 deutlich ansteigt. Negative Emotionen wie Sorge und Wut nehmen ab Mitte 50 deutlich ab. Insgesamt zeigt sich also eine klare Verschiebung hin zu positiven Emotionen. Ältere nehmen offenbar negative Reize schwächer wahr als Jüngere (Mather et al. 2004). Sinneswahrnehmung: Schon im mittleren Erwachsenenalter machen sich Beeinträchtigungen des Sehens und Hörens, im höheren Alter auch des Schmeckens, Riechens und Tastens bemerkbar. Beim Sehen entsteht zunächst die bekannte Alterssichtigkeit, die eine Brille für das Nahsehen nötig macht. Daneben gibt es subtilere Veränderungen: Beispielsweise ist das periphere Sehen mit zunehmendem Alter eingeschränkt, d.h. Ältere haben zunehmend Schwierigkeiten beim Erkennen von seitlichen Objekten am Arbeitsplatz und im Straßenverkehr, wie z.B. von überholenden Autos. Die Blendempfindlichkeit nimmt infolge einer Trübung der optischen Medien bereits ab einem frühen Alter kontinuierlich zu; hierdurch bestehen Beeinträchtigung bei Blendung und Reflexen, z.B. durch direktes Licht und Spiegelungen am Arbeitsplatz. Hörprobleme gehören zu den größten Handicaps im Alter. Ältere haben Probleme beim Hören hoher Frequenzen und beim Verstehen von Sprache, vor allem unter Störbedingungen. Hierdurch haben Ältere zunehmend Verständnis- und Kommunikationsprobleme unter Alltagsbedingungen, wie z.B. bei Hintergrundgeräuschen im Restaurant oder auf Bahnhöfen, bei undeutlicher oder akzenthaltiger oder zu schneller Sprache, und wenn mehrere Sprecher gleichzeitig reden. Fluide kognitive Funktionen: Zu den im Alter nachlassenden Funktionen gehören zum einen bestimmte Gedächtnis-Aspekte, die Suche von Information, die Unterdrückung von Störinformationen und aktuell unangemessenen Handlungen, die Ausführung von Doppelaufgaben und das logische Denken. Das nachlassende Gedächtnis (Abb. 3) betrifft das sogenannte episodische Gedächtnis, d.h. die Erinnerung an kurz zurückliegende persönliche Ereignisse oder an den Kontext von Erinnerungen. Schlechter wird auch das prospektive Gedächtnis, d.h. die Erinnerung an die Ausführung zuvor geplanter Handlungen. Deutlich beeinträchtigt ist auch das sogenannte Arbeitsgedächtnis, d.h. die kurzzeitige Abspeicherung, Transformation und Erinnerung von Information. Im Gegensatz hierzu bleibt das semantische Gedächtnis (Wissen und Erfahrungen) als Basis der kristallinen Intelligenz im Alter sehr lange stabil. Das
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sogenannte prozedurale Gedächtnis, also Fertigkeiten wie Radfahren, Schwimmen oder die gelernte Bedienung einer Maschine, bleibt schließlich in der Regel lebenslang unbeeinträchtigt. Abbildung 3
Diese Funktionsveränderungen führen im Alter zum Vergessen von bereits durchgeführten Handlungen oder der Ausführung eigentlich geplanter Handlungen. Typisch ist, das Ältere vergessen, dass sie eine Mail schon beantwortet haben, oder sie überhaupt zu beantworten. Ältere haben oft Probleme, Gesuchtes zu finden, vor allem, wenn es unter vielen anderen Dingen versteckt ist. Dies betrifft z.B. Verkehrsschilder, bestimmte Textpassagen oder Gegenstände auf einem unaufgeräumten Schreibtisch. Die Unterdrückung unangemessener Handlungen und irrelevanter Informationen ist bei Älteren beeinträchtigt. Dies kann dazu führen, dass eine gewohnheitsmäßige Handlung auch dann ausführt wird, wenn sie aktuell nicht angemessen ist. Besonders deutlich ist das Problem Älterer, unwichtige Reize zu stark zu beachten, so dass sie ablenkbarer sind. Dies erklärt auch einen Teil ihrer Probleme beim Hören. Ältere haben Probleme, mehrere Tätigkeiten gleichzeitig auszuführen (Multitasking). Ältere vernachlässigen meist die für sie aktuell weniger wichtige Teilaufgabe. Typisch ist, dass Ältere z.B. beim Fahren die Umgebung oft nur noch schlecht wahrnehmen, wenn sie sich mit dem Beifahrer unterhalten.
Einf luss f ak toren au f f luide kogni t ive Funk t ionen Der altersbegleitende Rückgang fluider kognitiver Funktionen ist, wie schon in Abb. 2 gezeigt individuell sehr unterschiedlich. Dies liegt daran, dass verschiedene Faktoren Einfluss auf diese Funktionen und damit die geistige Fit-
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ness und Gesundheit nehmen. Die genetische Ausstattung eines Menschen hat einen deutlichen Einfluss und ist nicht änderbar. Andere Faktoren sind Bildung, Lebensstil, körperliche Aktivität, Ernährung, Stress und äußere Faktoren wie die psychische Belastung und die Arbeit. Die meisten dieser Faktoren sind beeinflussbar, wie z.B. Ernährung, Arbeit, Stress und körperliche Aktivität. Ernährung: Verschiedene Nahrungsmittel und die in ihnen enthaltenen Wirkstoffe haben offenbar einen deutlichen Einfluss auf die körperliche und vor allem auf die geistige Leistungsfähigkeit und die Entwicklung von Demenzen. Dies sind vor allem farbige Gemüse, Fisch und bestimmte Getränke (Kaffee, Grüntee, Kakao, Rotwein). Die im Wesentlichen für die kognitionsfördernde Wirkung verantwortlichen Stoffe sind Antioxidantien und bestimmte Fettsäuren (Omega-3). Ältere, die eine mediterrane Diät zu sich nehmen oder viel Fisch essen, sind mental fitter als Ältere, die dies nicht tun (Scarmeas et al. 2006; Morris et al. 2003). Körperliche Aktivität: Verschiedene wissenschaftliche Studien belegen einen besseren kognitiven Status bei körperlich aktiven als bei passiven Menschen, insbesondere bei Älteren. In einer klassischen Testaufgabe (Stroop-Aufgabe) brachten langjährig sportlich aktive Männer weit bessere Leistungen als unsportliche Männer. Zudem zeigten die älteren Sportler während der Aufgabenbearbeitung eine Mehraktivierung des Stirnhirns (präfrontaler Kortex; Gajewski und Falkenstein). Sportliche Aktivität steigert auch bei bisher passiven Älteren die geistige Fitness (Colcombe & Kramer 2003; Voelcker-Rehage et al. 2010). Ganz nebenbei führt körperliches Training natürlich auch zu einer Verbesserung der körperlichen Fitness. Stress: Stress ist ein Bündel von automatischen Körper-Reaktionen auf eine herausfordende und meist als aversiv erlebte Belastungssituation. Stress setzt das Hormon Cortisol frei, welches verschiedene Körper-Reaktionen induziert, die als Ziel die bestmögliche Bewältigung der herausfordernden Situationen haben. Akuter Stress fördert daher auch viele kognitive Funktionen. Dauerstress (chronischer Stress) kann hingegen kognitive Funktionen beeinträchtigen (z.B. Marin et al. 2011). Die allgemeinen gesundheitlichen Auswirkungen von Stress sind bei älteren Menschen meist schwerwiegender als bei jüngeren Menschen. Auf Alltagsstress reagieren Ältere oft durch sehr starken Blutdruckanstieg (Uchino et al. 2006). Dies führt zu einer Verdickung der Blutgefäßwand, was wiederum zu Arteriosklerose führen kann. Andererseits erleben Ältere Alltagsstress subjektiv meist weniger stark als Jüngere. Hier besteht also eine Diskrepanz zwischen Körper-Reaktion und Erleben. Dadurch besteht das Risiko, dass Ältere die negativen Wirkungen von Stress auf ihren Körper unterschätzen und ihr Stressverhalten daher nicht revidieren. Arbeitsstress wirkt sich nicht nur während der aktiven Phase schädlich aus, sondern erhöht zusätzlich die
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Wahrscheinlichkeit einer Demenz im Alter (Andel et al. 2012). Stress kann also körperlich und geistig sofort oder verzögert krank machen! Arbeit: Der Altersverlauf kognitiver Funktionen wird stark von der Art der Arbeit und der Anzahl von Jahren, die man bestimmte Arbeiten durchgeführt hat, beeinflusst. Negative Effekte entstehen, wenn langjährige monotone Arbeit durchgeführt wurde, die kognitive Funktionen kaum beansprucht (Rowe & Kahn 1998), oder wenn Menschen Nacht- und Schichtarbeit leisten müssen (Rouch et al. 2005). Hingegen fördert anregende Arbeit geistige Fitness (z.B. Bosma et al. 2003). Eine französische Arbeitsgruppe erfasste bei über 2000 Beschäftigte über einen Zeitraum von zehn Jahren die kognitive Leistungsfähigkeit und befragte die Teilnehmer zum Grad der mentalen Stimulation durch ihre tägliche Arbeit (Marquié et al. 2010). Bei hoher kognitiver Stimulation durch die Arbeit zeigte sich über die zehn Jahre eine Zunahme der kognitiven Leistungsfähigkeit. Anregende Arbeit lässt also die geistige Fitness im Verlauf von zehn Jahre sogar steigen! Unsere eigene Arbeitsgruppe führte zusammen mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) das Projekt PFIFF durch (Freude et al. 2008; 2009; Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2012). Ein wichtiges Arbeitspaket war die Messung fluider Funktionen (Aufgabenwechsel, Arbeitsgedächtnis, Fehlererkennung) bei Beschäftigten eines großen Automobilherstellers (Wild-Wall et al. 2009; Gajewski et al. 2010a). Die Beschäftigten wurden nach Arbeitstyp und Alter in vier Gruppen eingeteilt: Fließband versus Service; Junge versus Ältere. Die Älteren arbeiteten bereits über 20 Jahre im gleichen Tätigkeitsbereich. Abbildung 4
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Abb. 4 zeigt die wesentlichen Ergebnisse: Ältere reagierten in der Testaufgabe insgesamt etwas langsamer als Jüngere. Ältere Servicemitarbeiter machten die wenigsten Fehler; ältere Bandarbeiter reagierten am langsamsten und machten die meisten Fehler. Eine Analyse der Hirnstromaktivität zeigte deutliche Beeinträchtigungen des Arbeitsgedächtnisses und der Fehlerdetektion. Die langjährig flexibel Beschäftigten waren hingegen geistig überraschend fit und zeigten weit geringere Veränderungen der kritischen Hirnfunktionen. Diese Ergebnisse bestätigen die positive Wirkung abwechslungsreicher Arbeit auf die geistige Fitness. Schlechte Arbeit kann noch später im Rentenalter die Entwicklung von Demenzen begünstigen (z.B. Kröger et al. 2008; Andel et al. 2012; Jorm et al. 1998). In einer neueren Studie des renommierten Karolinska-Instituts (Wang et al. 2012) wurden ca. 1000 gesunde Ältere über sechs Jahre beobachtet, ob sie eine Demenz entwickelten. Zusätzlich gab es Informationen über die Art der Arbeit in ihrer aktiven Zeit. Es zeigte sich, dass niedrige Handlungsspielräume, hohe Belastungen und geringe geistige Anforderungen bei der Arbeit mit höherem Risiko einer Demenz im Alter einhergehen.
Förder ung ment aler Kompetenz Zur Förderung mentaler und körperlicher Gesundheit sind zunächst betriebliche Maßnahmen notwendig („Verhältnisprävention“): die Reduktion der Arbeitsmenge und des Zeitdrucks, ein anspruchsvolles Aufgabenprofil, kurz- und langfristiger Wechsel zwischen Tätigkeiten (Rotation), hohe Autonomie und Handlungsspielräume und eine gesicherte Arbeitsperspektive. Hierdurch werden auch Stressoren vermindert. Weiterhin sollten ergonomische Maßnahmen getroffen werden, die für Ältere sehr wichtig sind, aber auch Jüngeren nützen. Hierzu gehören gute Beleuchtung, große Schrift und klare Hinweisreize. Darüber hinaus sollte Weiterbildung auch für Ältere obligatorisch sein, die allerdings altersgerecht gestaltet werden muss. Auf der Kommunikations-Ebene sind gute Führung, Gratifikationen und soziale Anerkennung und insgesamt ein vertrauensvolles Klima der Kooperation notwendig. Gutes Führungsverhalten hat eine zentrale Bedeutung für die Reduktion von Stress und für die Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit älterer Beschäftigter (Ilmarinen 1999). Ergänzend zu den arbeitsbezogenen Maßnahmen sollten individuelle Maßnahmen getroffen werden. Im Rahmen des Projekts PFIFF wurde hierzu eine umfangreiche Literatur-Recherche durchgeführt. Förderliche Maßnahmen für die kognitive Kompetenz sind danach Ernährung, körperliche Aktivität, Stressmanagement sowie mentale Aktivität (Freude et al. 2008).
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Die oben beschriebene Wirkung bestimmter Nahrungsmittel auf die geistige Fitness sollte zu einem Umdenken bei der Ernährung im privaten Umfeld Anlass geben. Im betrieblichen Kontext sollten hirngesunde Nahrungsmittel bei der Zusammenstellung des Kantinenessens berücksichtigt werden. Hinsichtlich körperlicher Aktivität bietet sich als betriebliche Maßnahme selbst organisierter regelmäßiger Sport oder breit organisierter Betriebssport an. Beides sollte durch entsprechende Anreize wie teilweise Durchführung während der Arbeitszeit und/oder finanzielle Boni für Teilnehmende gefördert werden. Zum besserten Umgang mit Stressoren bietet sich als individuelle Maßnahme ein Stressmanagement-Training auf verschiedenen Ebenen an. Auf der Ebene der Stressoren wird versucht, äußere Belastungen und Anforderungen im privaten und im beruflichen Bereich zu verringern oder zu verändern (Situationsänderung). Auf der persönlichen Ebene wird kognitive Stressbewältigung betrieben: Eigene Stress erzeugende und verstärkende Einstellungen und Bewertungen werden bewusst gemacht und verändert, und persönlichkeits-stärkende Einstellungen und Verhaltensregeln eingeübt. Schließlich kann körperliche und physische Erregung durch Entspannungstraining gedämpft und abgebaut werden. Kognitive Aktivität und kognitives Training: Durch kognitiv fordernde und vielgestaltige Arbeit werden fluide Funktionen permanent trainiert. Die meisten Tätigkeiten sind jedoch monoton, mit den oben beschriebenen negativen Folgen. Zum Ausgleich bietet sich kognitives Training an. Kognitives Training sind zum einen komplexere Spiele (wie Schach) oder Rätsel (z.B. Sudoku, Kakuro). Zur Erhöhung der Motivation und der Effizienz empfiehlt es sich jedoch, kognitives Training auf einem PC oder Smartphone zu absolvieren. Hierdurch lassen sich dynamische und spielerische Elemente implementieren und Schwierigkeiten an die aktuelle Leistung des Trainierenden anpassen. Neuere Forschungsergebnisse konnten zeigen, dass sich durch kognitives Training am PC nicht nur die Kompetenz in einzelnen kognitiven Funktionen, sondern auch die Leistung in Alltagssituationen verbesserte. Beispielsweise konnten ältere Fahrer durch ein Aufmerksamkeitstraining ihre Fahrleistungen verbessern und länger aktiv fahren (Edwards et al. 2009). In einer Studie mit Senioren in Dortmund konnte gezeigt werden, dass sich die mentale Fitness der Teilnehmer durch PC-basiertes kognitives Training deutlich verbesserte (Gajewski et al. 2010b; Gajewski & Falkenstein 2012; Wild-Wall et al. 2012). Ein gutes PC-gestütztes Training sollte unterschiedliche Übungen enthalten, die verschiedene fluide kognitive Funktionen beanspruchen und damit trainieren (multimodales Training). Zudem sollten die Aufgaben einen spielerischen Charakter haben, und die Schwierigkeit sollte fortlaufend an die aktuelle Leistung des Trainees angepasst werden. Essenziell ist eine ständige Leistungsrückmeldung. Eine solche Trainingsgestaltung bewirkt hohe Motivation und die Bereitschaft und Möglichkeit, selbständig weiter zu trainieren.
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PF IFF 2: ein kombinier tes Förderprogr amm f ür äl tere Beschä f t igte Das Ziel der zweiten Phase des Projekts PFIFF (PFIFF 2; BAuA 2012) war die Verbesserung der emotionalen und kognitiven Kompetenz älterer Beschäftigter mit monotoner repetitiver Tätigkeit und dadurch eine Förderung der emotionalen Gesundheit und mentalen Leistungsfähigkeit auf breiter Ebene. Damit sollte die Basis für die spezielle und allgemeine Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer verbessert werden. Art und Dauer der Maßnahmen: Teilnehmer der Maßnahme waren mittelalte und ältere Beschäftigte (40+) eines großen Automobilherstellers, die seit vielen Jahren repetitive Tätigkeiten verrichten. Die Hälfte der Teilnehmer erhielt ein vielschichtiges (multimodales) kognitives Training in größeren Gruppen über 26 Sitzungen. Die zweite Hälfte (die später trainiert wurde) erhielt das gleiche Training, allerdings um acht Sitzungen verkürzt. Bei dieser Gruppe wurde stattdessen ein Stressmanagementtraining von acht Sitzungen vorgeschaltet, so dass die Trainingsdauer in Stunden exakt gleich gehalten wurde. Konzept des kognitiven Trainings waren gezielt ausgewählte PC-gestützte Aufgaben. Durch unmittelbare Rückmeldung, fortwährende Adaptation an die aktuelle Leistung und spielerischen Charakter wurde die Motivation der Teilnehmer maximiert. Die Teilnehmer wurden angehalten, auch zu Hause weiter zu trainieren. Bei beiden Trainingsgruppen zeigten sich infolge des kognitiven Trainings klare Verbesserungen in den meisten fluiden kognitiven Funktionen. Insbesondere die bei PFIFF 1 bei älteren am Fließband Beschäftigten gefundene hohe Fehlerrate und Beeinträchtigung der Fehlerdetektion (Abb. 4) verringerten sich stark: Die Fehlerrate sank auf die Hälfte, und die Intensität der Fehlerdetektion (Ne) stieg auf über das Doppelte an. Durch das Training konnte also die beeinträchtigte Leistung in dieser Aufgabe und die zugrunde liegende Hirnfunktion normalisiert werden. Das Erleben und die Verarbeitung von Stressoren verbesserten sich bei der kombinierten Trainingsgruppe (mit Stressmanagement-Training) im Vergleich zur reinen kognitiven Gruppe in fast allen stressbezogenen Fragebögen. Ebenso verringerte sich die körperliche Stressreaktion in der Kombinationsgruppe, jedoch nicht in der reinen Kognitionsgruppe. Die Verbesserungen blieben auch mindestens drei Monate nach dem Training stabil. Die Ergebnisse zeigen also, dass kognitives Training kognitive Funktionen bei älteren Beschäftigten mit ungünstiger Tätigkeit verbessern kann, insbesondere diejenigen Funktionen, die am stärksten beeinträchtigt waren. Wird das kognitive Training mit Stressmanagement-Training kombiniert (bei gleicher Gesamtstundenzahl), verbessert sich darüber hinaus die subjektive und objektive Stressverarbeitung.
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Als Konsequenz aus den Ergebnissen empfiehlt sich also die Kombination von kognitivem Training und Stressmanagement-Training. Beide Trainings sollten durch erfahrene Trainer angeleitet werden, und das kognitive Training sollte zu Hause weitergeführt werden, wobei die PC Voraussetzung ist. Das Stresstraining sollte nur durch erfahrenen Diplom-Psychologen durchgeführt werden. Strategisches Ziel des Projekts PFIFF ist die möglichst weite Verbreitung des kombinieren Trainings oder des kognitiven Trainings in verschiedenen Betrieben, bei denen repetitive einseitige Arbeit im Vordergrund steht (Fließbandarbeit, Verpackung, Kassieren, Nähen). Zur adäquaten Umsetzung und Durchführung des Trainings ist eine Schulung betriebsinterner Trainer ratsam. Zusammenfassung: Mit zunehmendem Alter verändern sich sensorische, motorische und mentale (kognitive) Funktionen. Die kognitiven Veränderungen sind individuell extrem unterschiedlich. Dies ist durch vielfältige Einflussfaktoren auf die kognitive Fitness bedingt, insbesondere die Art der Arbeit und die Arbeitssituation. Hieraus lassen sich Maßnahmen zur Förderung der geistigen Fitness älterer Beschäftigter ableiten. Externe Maßnahmen sind gute Arbeit und Führung und damit die Reduktion von Stressoren. Individuelle Maßnahmen sind Ernährung, individuelles Stressmanagement und körperliche wie geistige Aktivität. Es konnte gezeigt werden, dass solche Fördermaßnahmen messbaren Einfluss auf die Stressverarbeitung und die mentale Fitness haben, wodurch die emotionale und mentale Kompetenz und damit die Beschäftigungsfähigkeit der Teilnehmenden nachhaltig verbessert werden.
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Altern ist Zukunft Alles is t mögl ich – aber immer mus s mi t spi t zem Bleis t i f t ger echne t wer den
Keiner soll behaupten, es sei leicht … Der Ausstieg oder Umstieg in das dritte Leben ist ein dickes Brett. Für diesen Lebensabschnitt, den ich nur ungerne „Ruhe-Stand” oder „Pensions-Alter” nenne, gilt es vieles zu bedenken. Wie will ich dann leben? Wird das Geld reichen? Bleibe ich gesund? Werde ich noch eingebunden sein in Netzwerke, noch zu tun haben mit Menschen, die ich mag? Da ist der 75-jährige Professor, der sich nicht ausrangieren lassen möchte. Für ihn ist der Ruhestand diskriminierend. Er marschierte vor Gericht. Mit dem Grundgesetz in der Aktentasche. Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig gab ihm Recht, und er darf seitdem weiter lehren und forschen. Oder die jetzt 54-jährige ehemalige Altenpflegerin, jetzt Kinderpflegerin. Fest angestellt, aber mit einem Zusatzjob. Weil es nicht reicht, und sie jetzt schon weiß, dass sie nach 35 Jahren Einzahlung in die gesetzliche Rentenkasse im besten Fall 800 Euro herausbekommt. Sie rechnet mit jedem Cent. Zwei Lebensgeschichten, die die ganze Bandbreite des Themas beleuchten. Der Professor muss nicht so diszipliniert rechnen. Bei ihm wird es allemal ausreichen. Die Pflegerin gehört zu den derzeit rund 8,1 Millionen Menschen im Niedriglohnsektor. Sie wird im Ruhestand nicht mehr für sich selbst sorgen können. Das war einst politisch gewollt. Der Niedriglohnsektor sollte bei der Integration von Arbeitslosen eine wichtige Rolle übernehmen. Aber jetzt wird deutlich: Weder die gesetzliche, noch die private und auch nicht die betriebliche Altersvorsorge hilft diesen Lohngruppen. Unsere Kinderpflegerin kann schon gar nicht irgendetwas zurücklegen für ihr Alter. Bei ihr ist schon jetzt alles „randgenäht“. So zeichnet sich mit der Festlegung auf einen Mindestlohn im Koalitionsvertrag der neuen Regierung eine Lösung für all die im Niedriglohnbereich Beschäftigten ab. Vor allem auch, damit sie ihm Alter von ihrer Rente wirklich leben können. Nur – das Ganze greift ja erst 2015. Die Kinderpflegerin wird dabei immer älter, die Zeit bis zur Rente immer knapper. Und der Betrag, der ihr dann zusteht wächst keinesfalls an. Sie wird im Alter also einen Zu-
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Maria von Welser
schuss vom Staat beantragen müssen. Ein bitterer Gang zu den Ämtern steht ihr bevor. Unwürdig, wenn man sein ganzes Leben lang gearbeitet hat. Aber noch geht die Mehrzahl der Deutschen wohl abgesichert in den Ruhestand. Noch leben „nur“ zwei Prozent der Alten in Altersarmut. (Aber Tausende wagen es wohl nicht, sich zu melden, um eine Aufstocker-Hilfe zu bekommen. Das weiß man auch.) Doch unabhängig von der wirtschaftlichen Seite im dritten Leben muss auch eine menschliche, eine emotionale Komponente einbezogen werden. Umfragen bestätigen, was Menschen nach der aktiven Arbeitszeit beschäftigt: Was mache ich in meinem „dritten Leben“. Eine lange Zeit, die sich da vor einem auftut. Werden doch Frauen heute durchschnittlich 87 und Männer 78 Jahre alt. Die Mehrzahl der Deutschen ist in diesem einst biblischen Alter heute zudem so gesund wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Und irgendwann ist die Wohnung aufgeräumt, sind die Schränke neu sortiert, der eventuell vorhandende Garten in bestem Zustand. Was, wenn das Korsett der Arbeit wegfällt, und man nie mehr um 6 Uhr aufstehen muss? 23 Millionen Deutsche engagieren sich in Ehrenämtern. Eine unglaublich hohe Zahl. Die Aufgaben reichen von Nachbarschaftshilfe über Granny Au pair im Ausland bis zur Mitarbeit in Kleiderkammern, Hilfsorganisationen oder in der Kommunalpolitik. Die eine liest Kindern mit Migrationshintergrund in der Nachbarschaft Märchen vor, der andere besucht einsame alte Menschen mit Kuchen und hört ihnen einfach nur zu. Das ist wunderbar, ein Glück, wenn eine Gesellschaft wie die unsere das leisten kann und mag. Und noch ein Plus: Ein Drittel der Menschen im Ruhestand überstützt heute Kinder und Enkel. Mit Zeit, mit Geld, mit Nähe. Nur jeder 16. Bürger in Deutschland meint außerdem, dass die Alten auf Kosten der Jungen lebten. Das sind gute Nachrichten. Das zeigt, dass Familienbindungen tragen, auch wenn oft der Verlust die alten Form der Großfamilie beklagt wird. Unabhängig von all diesen positiven Signalen bleibt die Frage für jede Einzelne und jeden Einzelnen wichtig: Was dann? Der Professor wird weiter lehren und forschen, vermutlich bis zu seinem Lebensende. Der ist also versorgt … Für die Kinderpflegerin wird es vermutlich einsam. Sie hat keine Kinder, keine Enkel. Sie muss sich mit ihrem wenigen Geld neue Aufgaben, neue Felder suchen. Aber es gibt sie, wenn ein wenig Schwung für diese Jahre weiter vorhanden ist. Da wundert es dann nicht, wenn die Altersteilzeit für Millionen als ein guter Übergang in die Rentenzeit erscheint. Damit man sich an den langsameren Gang gewöhnen kann. Nach neuen Aufgaben Ausschau halten mag. Es ist einfach auch menschlicher, nicht von hier auf jetzt mit der lebenslangen Aufgabe und Arbeit aufhören zu müssen. Ein bisschen weniger, das aber länger, und alles für die gleiche Summe Geld. Das könnte eine gute Vision sein.
Altern ist Zukunft
Da schließt sich dann der Kreis wieder zu unserer Kinderpflegerin, die als Geringverdienerin eingestuft werden muss. Nicht ohne Grund warnt hier die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), dass vor allem in Deutschland die Geringverdiener im Vergleich zu Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen in den meisten anderen Industriestaaten schlecht fürs Alter abgesichert sind. Wobei ein Zusatz in diesem Gutachten einräumt: „Die prognostizierten Renten gaben allerdings nur begrenzt Auskunft darüber, ob Menschen im Ruhestand ein finanziell sorgenfreies Leben führen können.“ Da wird dann auch wieder klar: Die finanzielle Situation hat zwar einen entscheidenden Einfluss auf die Qualität dieses „dritten Lebens“. Aber eben nicht nur. Wie gesagt: es ist in dickes Brett, das es zu bohren gilt.
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Clara Schlichtenberger
Herausfordernde Arbeit als Element der alternsgerechten Arbeitsbedingungen Tal k r unde 2, moder ier t von K a t ja Gent ine t t a mi t Mar ia von Wel ser, Ger d Göckenjan und Hans Mar t in Has sel horn
Katja Gentinetta rekurrierte zunächst auf den Vortrag von Hans Martin Hasselhorn, der die These vertrat, dass es nicht nur der Gesundheitszustand sei, der uns hindere länger zu arbeiten, sondern dass auch die Motivation eine große Rolle spiele. Gerd Göckenjan führte aus, dass nicht nur unklar sei, was Gesundheit sei, sondern in breitem Umfang auch, was Krankheit sei, zudem sei auch nicht sicher, ob letztere ein Erwerbsunfähigkeitsgrund sei oder nicht. Maria von Welser sah ebenfalls in der Motivation ein wichtiges Element, da, wenn man beruflich etwas relativ gern mache, man auch relativ gesund sei. Außerdem sei die Angst, bei einer Frühverrentung in ein tiefes seelisches Loch zu fallen, ein retardierendes Element. Hasselhorn wies darauf hin, dass Unternehmen, Politik und Rentenversicherungen gleichermaßen ein Interesse daran haben müssten zu erfahren, warum ältere Menschen im Erwerbsleben bleiben möchten oder nicht. Human Ressource Management und Führungsfragen würden da wohl eine Rolle spielen. Gentinetta wandte sich an Göckenjan, der im historischen Kontext gezeigt habe, dass „Leben“ tätig sein heiße, und „Alter“ die Verpflichtung in sich berge, eine soziale Leistung für die Gesellschaft zu erbringen. Ob es nicht an der Zeit sei, zu einem solchen Altersbild zurückzukehren? Göckenjan wies darauf hin, dass wir mittlerweile vollkommen unterschiedliche, gesellschaftliche Zustände hätten, die man nicht wie an Stellschrauben wieder zu diesem Altersbild zurückführen könne. Den Hintergrund bilde immer die Frage nach dem Reichtum einer Gesellschaft. Das individualistische
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Clara Schlichtenberger
„Freizeit-Alter“ hätten wir, solange wir es uns leisten könnten, sonst wären andere Formen von „Alt-Sein“ von Bedeutung. Hasselhorn betonte, dass die Flexibilität beim Erwerbsaustrittsalter derzeit abnehme. Es sei eine Flexibilitätsdebatte zu erwarten. Er verwies erneut auf den motivierenden Charakter von „herausfordernder Arbeit“, die der stärkste prädiktive Faktor für den Erwerbsverbleib im höheren Alter sei, oft sogar wichtiger als finanzielle Aspekte. Des Weiteren frage er sich, ob diese Flexibilisierung nicht eine Stellschraube sei, die wirklich Auswirkungen auf die Lebenssituation einer älteren Gesellschaft haben könnte. Die Versuche, an diesen Stellschrauben zu drehen oder die Industrie an die Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen anzupassen und alternsgerechte Technologien zu entwickeln, hätten, so Göckenjan, bisher keine großen Erfolge gezeigt. Der Eintritt ins Rentenalter habe die Funktion der Konfliktreduktion zwischen den Generationen. Letztendlich, so ergänzte er, seien hier aber doch keine Sozialtechnokraten gefordert, die entsprechende Programme „designen“, um Menschen länger in Arbeit zu halten. Alternsbilder würden sich nicht nach Belieben ändern lassen, sondern sie seien Orientierungskonzepte, die sozialisiert würden.
Beate Beermann
Die Demografie-Strategie der Bundesregierung Der demografische Wandel beschreibt die gesellschaftlichen Veränderungen, die sich aufgrund der Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung ergeben. Ausgehend von der Überzeugung, dass die Anforderungen, die sich daraus ergeben, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellen, sind alle Ministerien in ihrem Kompetenzbereich vor neue Aufgaben gestellt. Um eine systematische und koordinierte Bearbeitung dieser Querschnittsaufgaben sicherzustellen, wurde von der Bundesregierung die Demografie-Strategie unter Federführung des Bundesministeriums des Innern ins Leben gerufen. Die Zielsetzung der Strategie ist es, „jedem Einzelnen entsprechend seiner Lebenssituation und seines Alters Chancen zu eröffnen, seine Potentiale und Fähigkeiten zu entwickeln und seine Vorstellungen vom Leben zu verwirklichen...“ (Jedes Alter zählt, 2012; www.bundesregierung.de). Dabei sind die „Rahmenbedingungen in allen Lebensbereichen der Familie über die Bildung, das Arbeitsleben und Ehrenamt bis hin zur Gesundheit so (zu) gestalten, dass sie den Erfordernissen des demografischen Wandels Rechnung tragen...“ (Jedes Alter zählt, 2012; www.bundesregierung.de) Aus dieser Zieldefinition wird der integrative Ansatz des Vorgehens deutlich. Es sollen unterschiedliche Phasen und Bereiche des Lebens verknüpft werden, der Demografische Wandel als integrativer Bestandteil der Handlungsfelder aller Politikbereiche. Dieses systematische Vorgehen erscheint problemangemessen.
Ressor t übergrei fende Ak t ivi t ä ten Um die Kernkompetenzen der Einzelressorts optimal zu nutzen, wurden Arbeitsgruppen zu relevanten Kernthemen gebildet. Dabei stehen die Verzahnung der Teilaufgaben und die systemische Betrachtung des komplexen Themenfeldes im Zentrum. Die Federführung der Arbeitsgruppen wurde dementsprechend nach inhaltlichen Gesichtspunkten den Einzelressorts zugeordnet:
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Beate Beermann
Familie als Gemeinschaft stärken (Leitung BMFSFJ1) Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten (Leitung BMAS2) Selbstbestimmtes Leben im Alter (BMFSFJ, BMG3) Lebensqualität in ländlichen Räumen und integrative Stadtpolitik (Leitung BMVB4S, BMELV5) e. Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sichern (Leitung BMAS, BMWi6, BMBF) f. Handlungsfähigkeit des Staates erhalten (Leitung BMI7) a. b. c. c.
Neben Schwerpunkten in den Gestaltungsfeldern Infrastruktur, Familie, Bildung etc. geht eine wesentliche Bedeutung des demografischen Wandels von seinen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Arbeitswelt aus. In Zukunft werden wir zum einen mit durchschnittlich älteren Beschäftigten auf hohem Niveau produktiv und innovativ sein müssen. Zum anderen wird der Anteil junger Beschäftigter, insbesondere auch im Bereich der Fachkräfte, deutlich abnehmen. Dieser Entwicklung begegnet die Bundesregierung u.a. mit der schrittweisen Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Diese Maßnahme kann allerdings nur dann zum Erfolg führen, wenn die Beschäftigten auch tatsächlich bis zu dieser Altersgrenze gesund und leistungsfähig sind. Um den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit zu unterstützen, setzt das Ministerium auf flankierende Maßnahmen, die an sehr unterschiedlichen Stellgrößen ansetzen. Eine zentrale Aufgabe ist es, die Befähigung der Beschäftigten zur Erwerbsteilhabe langfristig und vorausschauend zu unterstützen. Dieser Schwerpunkt spiegelt sich in der Zielsetzung der Arbeitsgruppe „AGB: Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten“ sowie der Gruppe „AGE: Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sichern“ wider. Ihrer Grundausrichtung folgend wurden die Arbeitsgruppen im Kernbereich dem BMAS zugeordnet.
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Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
2
Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
3
Bundesministerium für Gesundheit.
4
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
5
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
6
Bundesministerium für Wirtschaft.
7
Bundesministerium des Innern.
Die Demografie-Strategie der Bundesregierung
Die Ar bei t sgr uppe „Mot ivier t, qual i f izier t und gesund ar bei ten“ Umfängliche gesellschaftliche Veränderungen, wie sie der demografische Wandel mit sich bringt, sind nur dann erfolgreich zu bewältigen, wenn die sich daraus ergebenden Veränderungen auch von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden. Bezogen auf die Entwicklung von Veränderungsstrategien bedeutet dies, dass die Einbeziehung relevanter Akteure des Gestaltungsfeldes die Erfolgswahrscheinlichkeit „echter“ Umsetzung notwendiger Maßnahmen erhöht. Dabei spielen sowohl die sich durch die Einbeziehung relevanter Akteure ergebende Betrachtung differenzieller Problemperspektiven als auch das für die Umsetzung notwendige Commitment eine bedeutsame Rolle. Im Handlungsfeld „Arbeit“ bzw. „Beschäftigung“ sind folgerichtig eine Vielzahl von Partnern einzubeziehen (www.bundesregierung.de). In diesem Zusammenhang kommt der Einbeziehung der Sozialpartner eine besondere Relevanz zu. Dementsprechend übernehmen sie in der Arbeitsgruppe „Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten“ die Rolle der Co-Moderatoren (Deutscher Gewerkschaftsbund, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände). Beteiligte Ministerien sind neben dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales – in der Federführung – das Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das Bundesministerium des Innern. Um das Ziel „Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten“ operativ fassbarer zu machen, wurde es auf fünf Handlungsfelder runtergebrochen (Jedes Alter zählt, 2012): 1. 2. 3. 4.
Gesundheit erhalten und fördern, Risiken vermeiden oder minimieren Qualifizierung und Weiterbildung im gesamten Lebenslauf ausbauen Rahmenbedingungen für ein längeres Arbeiten gestalten Für eine Kultur des längeren Arbeitens sensibilisieren, Bewusstseinswandel herbeiführen und Kooperation der Akteure verstärken 5. Lebensleistung in der Rente belohnen, Vorsorge für das Alter honorieren Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) unterstützt das BMAS fachlich. Die Unterstützung der BAuA ist fokussiert auf die Themenbereiche, in denen sie aufgrund ihrer Kernkompetenzen spezifische Expertise ausweisen kann (Handlungsfelder 1, 2, 3). Dieser Kernkompetenz entsprechend steht die menschengerechte Gestaltung der Arbeit (siehe die Beiträge Richter und Hasselhorn in diesem Band) im Zentrum. Daraus ergeben sich die primären Handlungsfelder alters- und alternsgerechter Gestal-
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Beate Beermann
tung der Arbeit mit dem Ziel der Förderung von Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit. Hier kommt neben der Umsetzung des bekannten Gestaltungswissens den Herausforderungen durch „ Neue Arbeitsformen und spezifischen Arbeitsorganisationsformen“ besondere Bedeutung zu. Die Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsschutz auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung und Förderung.
Sy s tema t ische und ins t i t u t ionelle Ver zahnung Zur Optimierung des systematischen Vorgehens werden unterschiedliche Handlungs- und Themenfelder im Verantwortungsbereich des BMAS verknüpft. Interventionsmöglichkeiten und integrative Ansatzpunkte ergeben sich über das Zusammenbringen von Aktivitäten der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA), von Aktivitäten der Kampagne Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) sowie der federführend vom BMAS geleiteten Arbeitsgruppe Betriebliches Gesundheitsmanagement. Damit ergeben sich auch auf dieser Ebene deutliche Synergieeffekte. Die übergreifend angelegte Demografiestrategie ermöglicht bzw. erfordert das synergetische Zusammenbinden vorhandener Aktivitäten und stellt damit nicht nur unter dem Aspekt der zeitnahen Interventionsmöglichkeiten auch einen ressourcenschonenden Ansatzpunkt dar.
E xkur s Im Rahmen der Demografie-Strategie kommt dem Monitoring der Arbeitswelt im Sinne einer systematischen Beobachtung der Entwicklungen eine besondere Bedeutung zu. Die Forderung nach einem ressortübergreifenden Monitoringsystem ist ebenfalls Bestandteil der Demografie-Strategie. Ziel eines systematischen Monitoringsystems ist die Beobachtung der Entwicklung des Arbeitsmarktes und der Beschäftigten im Kontext „demografischer Wandel“. Dabei sollen primär vorhandene Konzepte und Datenbestände genutzt werden. Aktuell liegen je nach Ausrichtung und inhaltlichen Schwerpunkten unterschiedliche Datenbestände zum „Arbeitsweltmonitoring“ mit dem spezifischen Fokus des demografischen Wandels in unterschiedlichen Institutionen vor. In Tabelle 1 sind die Institutionen dargestellt8. Wie aus der Aufstellung 8
Primäre Berücksichtigung von Ressortforschungseinrichtungen.
Die Demografie-Strategie der Bundesregierung
deutlich wird, handelt es sich auch hier – folgerichtig – um Institutionen, die Kernkompetenzen aus unterschiedlichen Ressorts mitbringen und auch institutionell unterschiedlichen Ressorts zugeordnet sind. Abbildung 1: Ressortforschungseinrichtungen mit Datenbeständen zum Thema „Demografischer Wandel und Arbeitswelt“ BiB
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung
Bundesministerium des Innern
IAB
Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
RKI
Robert Koch-Institut
Bundesministerium für Gesundheit
BiBB
Bundesinstitut für Berufsbildung
Bundesministerium für Bildung und Forschung
DZA
Deutsches Zentrum für Altersfragen
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Staba
Statistisches Bundesamt
Bundesministerium des Innern
Bestandteile des Monitorings sind die thematischen Aspekte: – – – – – – –
Beschäftigtenpotenziale (Eintritt in den Arbeitsmarkt bis zum Ausscheiden) Unternehmen in Deutschland Qualifizierung Entwicklung des Arbeitsmarktes Entwicklung der Anforderungen in der Arbeitswelt Entwicklung des gesundheitlichen Befindens inkl. BK, Rente ...
Fazi t : Das Thema „Demografischer Wandel“ stellt neue gesellschaftliche Anforderungen, die unterschiedliche politische Gestaltungsfelder betreffen. Um eine systematische Bewältigung der Anforderungen zu ermöglichen, ist eine Verzahnung der unterschiedlichen Handlungsfelder und -ebenen zwingend notwendig. Für den Bereich der Beschäftigung koordiniert das BMAS die Aktivitäten unter Einbeziehung unterschiedlicher Ministerien, Gestaltungsakteure wie Sozialpartner aber auch Sozialversicherungsträger wie Rentenund Krankenversicherung und betriebliche und überbetriebliche Akteure. Die BAuA unterstützt die Aktivität durch ihre fachliche Expertise.
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Beate Beermann
Li ter a tur Bundesregierung (2012): Jedes Alter zählt. www.bundesregierung.de www.sozialgesetzbuch.de www.demografie-portal.de
Gerhard Naegele und Michael Hüther
Warum brauchen wir eine Demografiepolitik? 1. Der demografische Wandel ist eine beachtliche Herausforderung für die Bundesrepublik Deutschland, doch nichts, was die Gesellschaft schrecken muss. Es gibt hinreichend Gestaltungspotential, vorausgesetzt, sie reagiert entsprechend – auch institutionell. Allerdings greift eine isolierte, an klassischen Ressortzuständigkeiten ausgerichtete Politik zu kurz, sie verengt den Handlungsbereich insbesondere auf die Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik. Die demografischen Herausforderungen umfassen weit mehr als Altern und Schrumpfen der Bevölkerung. Damit sind nämlich nur die globalen Trends benannt. Unter demografiepolitischer Perspektive gilt es auch, die dazugehörigen Differenzierungen und Folgen zu adressieren: Dreifaches Altern, Feminisierung, Singularisierung, relevante Veränderungen in den Wohn- und Lebensformen, Migration, ethnisch-kulturelle Differenzierung der Bevölkerung und des Alters, regionale Unterschiede und Besonderheiten, „Verinselung“ von Schrumpfung und Wachstum und insgesamt der ökonomischen Bewältigungsmöglichkeiten, potenzielle negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des „Standortes Deutschland“, nicht zuletzt globale Finanzierungsprobleme unter den Bedingungen von Alterung und Bevölkerungsrückgang. Mit schlüssigem und umfassendem Handeln lassen sich die Chancen des demografischen Wandels mobilisieren und die Herausforderungen bewältigen (Heinze & Naegele [Hg.] 2011). 2. Demografische Veränderungen betreffen sowohl die Gesellschaft als Ganzes als auch den einzelnen (nicht nur älter werdenden) Menschen. Insofern ist der demografische Wandel eine gesellschaftliche wie individuelle Gestaltungsaufgabe zugleich. Allerdings sind den individuellen Gestaltungspotentialen enge Grenzen gesetzt, etwa durch Position im Lebenslauf, sozialen Status, ethnisch-kultureller Zugehörigkeit oder Regionalität. Dennoch müssen beide Perspektiven in einer politisch überzeugenden Konzeption von Demografiepolitik gleichermaßen gewürdigt werden, zumal auch wegen bestehender Interdependenzen: So ist „demografiepolitisches“ staatliches Eingreifen und Handeln auch deshalb legitim, da individuelles
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Gerhard Naegele und Michael Hüther
Handeln häufig „kollektiver Rationalität zuwiderläuft“ und die Kumulation riskanter individueller Entscheidungen gravierende gesellschaftliche Folgen haben kann: „Individuelle Entscheidungen sind kollektiv nicht neutral“ (Hüther 2013, 123). Demografiepolitisches Handeln hat allerdings auch Grenzen, nämlich immer dann, wenn es in die Privatheit der Menschen geht: Z.B. hat die Entscheidung für oder gegen Kinder bei den Paaren zu verbleiben. Eine auch sonst wie geartete Fertilitätspolitik (vergleichbar mit der in Deutschland historisch höchst anrüchigen „Bevölkerungspolitik“) darf es nicht geben. Vielmehr geht es um die Wahlfreiheit für den/die Einzelne/n, d.h. um deren Sicherstellung durch demografiepolitische Beeinflussung jener Strukturen, welche die individuelle Wahlfreiheit in gesellschaftlich unerwünschter Weise beeinträchtigen. 3. Demografiepolitik ist mehr als Familien-, Alten- oder Migrationspolitik. Auf der gesellschaftlichen Ebene geht es insbesondere um politische Gestaltung und Steuerung von Familie und Generationen, Wohnen, Infrastruktur, Zuwanderung, Arbeit und Wirtschaft, Alterssicherung, Gesundheit und Pflege sowie der entsprechenden Versorgungssysteme einschließlich der jeweiligen Zuständigkeit und der Finanzierungserfordernisse sowie ihrer stabilen ökonomischen Absicherung. Dabei geht es in erster Linie um das Aufzeigen von Handlungsoptionen und ihrer Folgeabschätzungen. Diese können sich sowohl auf die Hauptfaktoren des demografischen Wandels selbst (also Geburten, Alterung und Migration) als auch auf seine Konsequenzen beziehen. Hinzuweisen ist auch auf die Herausforderung einer nachhaltigen Finanzierung. Unter den Bedingungen von Alterung und Bevölkerungsrückgang die Stärkung der Wachstumspotentiale einer Volkswirtschaft voranzutreiben, gehört mit zum Kern einer zukunftsbezogenen Demografiepolitik. Vorsorgende Demografiepolitik muss auch deshalb nachhaltig Wachstumsdynamik mobilisieren, um den Handlungsspielraum künftiger Generationen so groß wie möglich zu machen. 4. Demografiepolitik analysiert unter Aspekten seiner politischen Gestaltbarkeit das gesamte Spektrum des demografischen Wandels und der von ihm zentral berührten Bereiche einschließlich der Korrektur von solchen Maßnahmen, die als nicht angemessen eingestuft werden. Die „Baustellen“ einer Demografiepolitik sind weit breiter und umfassender gefächert als die in den Ressortzuständigkeiten der von der Bundesregierung in ihrer Demografiestrategie als zuständig betrachteten beteiligten Ministerien festgelegten Aufgaben (s.u.). Von daher stellt sich die Frage, ob nicht eine ressortübergreifende und mehrebenenorientierte, d.h. alle Ebenen des Bundesstaates einbeziehende, Demografiepolitik erforderlich wäre, die als eigenständiges
Warum brauchen wir eine Demografiepolitik?
Politikfeld zu konzeptualisieren wäre. Demografiepolitik kann dabei als Versuch bezeichnet werden, den demografischen Wandel umfassend, konsistent in einer integrierten Perspektive und insbesondere nachhaltig politisch zu adressieren. Ein dazu kurzfristig wirkendes, aber perspektivisch unerlässliches Instrument wäre ein unabhängig zusammengesetzter Sachverständigenrat Demografie, auch mit einer unabhängigen Finanzierung (z.B. Stiftungen). Mittelfristig müssen die Ideen eines eigenständigen Demografieministeriums sowie eine Bund, Länder und Kommunen gleichermaßen umfassenden Strategie (Hüther & Naegele 2012, 375) zur Debatte stehen (s.u.). 5. Damit ist die an dieses Papier gestellte Frage „Warum brauchen wir eine auf die geschilderten Herausforderungen bezogene eigenständige Demografiepolitik?“ im Kern bereits positiv beantwortet. Auch, weil ein „weiter so“ („muddling through“), ein „Durchlavieren“ (Heinze 2012; 53), wie es typisch war bis vor etwa drei Jahren, unverantwortlich wäre. Dies hat wohl auch die Bundesregierung mit ihrer Demografiestrategie erkannt (Friedrich 2012). Aber warum erst jetzt? Schon 2002 war mit dem Abschlussbericht der Bundestags-Enquete-Kommission „Demografischer Wandel“ (Deutscher Bundestag 2002) auf das aufmerksam gemacht und mit Zahlen belegt worden, was wir heute mit dem demografischen Wandel als politische Herausforderung assoziieren. Zu fragen ist, warum speziell bei dem demografischen Wandel hierzulande so ein immenser „time lag“ zwischen Problemwahrnehmung und politischen Reaktionen konstatiert werden kann? Auch kann es nicht trösten, dass dies auch international so war und ist: Alan Walker (2009) spricht in diesem Zusammenhang von einem „structural lag“ zwischen der demografischen Entwicklung und den gesellschaftlichen Institutionen, d.h. ihren gesellschaftspolitischen Reaktionen und Vorkehrungen auf bzw. für die Herausforderungen des kollektiven Alterns der Bevölkerung. Aber selbst vor diesem Hintergrund sind – wie ein internationaler Vergleich zeigt – andere Staaten in der konzeptionellen und institutionellen Verankerung des Themas sehr viel weiter als Deutschland (Hüther 2013, 121). 6. Nachdem die Bundesregierung im November 2011 ihren ersten Demografiebericht veröffentlicht, im April 2012 ihre Demografiestrategie vorgestellt und eine entsprechende Agenda aufgerufen hat, scheint der Zug in Richtung „Eigenständige Demografiepolitik in Deutschland“ gestartet zu sein. Doch der Eindruck ist nur vordergründig richtig. Eine Demografiestrategie ersetzt noch lange keine eigenständige Demografiepolitik. Auch ist die inhaltliche Herangehensweise bereits massiv in die Kritik geraten. So schreibt z.B. das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (2013, 7): „Die Inhalte der jetzigen Demografiestrategie der Bundesregierung lassen klare Zielvorgaben
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und eine darauf und vor allem aufeinander abgestimmte langfristige Politikkonzepte vermissen. Zwar hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr ein Werk gleichen Namens vorgelegt. Doch dieses ist ein kleinteiliges Sammelsurium aus Programmen und Initiativen, die ohnehin schon existieren. Das Papier formuliert Ziele, die in keinem Verhältnis zu den (Realisierungs-)Möglichkeiten stehen.“ 7. Der Bochumer Sozialwissenschaftler Rolf Heinze hat, gleich nachdem die Demografiestrategie der Bundesregierung erkennbar Fahrt aufgenommen hatte, vor der Gefahr einer nur symbolischen Politik gewarnt und befürchtet, dass unter dem Label der Demografiepolitik nunmehr die alten politischen Themen und Ziele weiterverfolgt, also lediglich „alter Wein in neuen Schläuchen“ angeboten würde (Heinze 2012). Es würde zum Fortbestand der in Deutschland so lange Zeit dominanten „demografischen Blindheit“ beitragen, wenn man nunmehr die „alten“ Themen (etwa im Bereich der sozialen Sicherung, der Familienpolitik oder der Bildungspolitik) lediglich neu „demografisch aufmischte“. Vielen scheinen auch die politische Zuordnung zum Bundesinnenministerium, die zu geringe Bedeutung der weiteren politischen Ebenen im föderalistischen System der Bundesrepublik oder die primär appellative Würdigung der Zivilgesellschaft als zu wenig angemessen. Zweifel bestehen auch daran, dass Demografiepolitik im Rahmen der klassischerweise für die Politik in der Bundesrepublik typischen institutionellen (ressortspezifischen) Abschottung im Rahmen einer allgemeinen Fragmentierung des politisch-administrativen Systems erfolgen kann. Demgegenüber schlagen Hüther & Naegele (2012) vor, statt einer – wie in der Demografiestrategie der Bundesregierung angelegt – ressortspezifischen Behandlung der jeweils demografisch relevanten Themen dies vielmehr im Rahmen einer intelligenten, auf einer querschnittlichen und möglichst auch noch alle Ebenen unseres föderalistischen Systems einbeziehenden und von daher nicht nur integrierten, sondern mehrdimensionalen Problemsicht beruhenden institutionalisierten Koordination zu tun. Dass der demografische Wandel ein bislang nahezu einzigartiges politisches Querschnittsthema ist, das bereits Anfang der 1990er Jahre die Einrichtung einer Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages – und die werden nun mal aufgabengemäß für herausragende und einzigartige ressortübergreifende, die Gesamtgesellschaft betreffende Themen eingerichtet – legitimiert hat, sollte uns heute erst recht dazu legitimieren, dies auch institutionell zu verankern. 8. Dabei muss die in diesem Konzept an prominenter Stelle geforderte föderalistische Verantwortung insbesondere die Rolle der Kommunen hervorheben. Wie sollte es auch praktisch gehen, demografische Megathemen anders
Warum brauchen wir eine Demografiepolitik?
anzugehen und zu gestalten, wenn nicht unter Einbezug der Lebenswelten der Menschen? Und hier ist die kommunale Ebene unmittelbar gefragt, auch jenseits der ihr verfassungsrechtlich zugewiesenen Daseinsvorsorge nach Art. 28 II GG. Allerdings fängt deren Sich-Aufstellen und Bereitmachen für demografische Herausforderungen gerade erst an. Aber auch hier ist zu fragen: Wie viele Kommunen haben Demografiebeauftragte, haben Stabsstellen und, wenn ja, was ist ihr Aufgabenbereich, wo sind sie angesiedelt und was müssen sie noch alles machen? Bogumil, Gerber & Schickentanz (2012) haben überzeugend aufgezeigt, welche faktische Bedeutung die Kommunen bei der Bewältigung des demografischen Wandels haben. Ihr Resümee lässt sich dabei eins zu eins auf die Bundesebene übertragen: „Durch den demografischen Wandel stehen die Kommunen vor enormen politischen Gestaltungsaufgaben, da vor allem die Grundlagen kommunaler Daseinsvorsorge ins Schwanken geraten. Basierend auf einer der der jeweiligen Kommune angemessenen Problemdiagnose sollte in den Kommunen ein möglichst integratives Stadtplanungskonzept (Demografiegestaltung) erarbeitet werden, welches dialogorientiert möglichst viele Akteure miteinander vernetzt und auch vor der Öffnung zu inter- und intrakommunalen Kooperation nicht zurückschreckt.“ Und der entsprechende Text schließt mit dem lapidaren Satz: „ All dies ist aber leichter gesagt als getan“ (ebenda, 277). 9. Die jetzigen Konturen einer nationalen Demografiestrategie fokussieren neben bevölkerungspolitischen Zielsetzungen insbesondere die Arbeitsmarkt-, die Familien- und die Sozialversicherungspolitik im engeren Sinne. Dagegen bleiben übergeordnete Themenstellungen wie eine nachhaltige Klärung der Generationenperspektive, ein demografiefestes neues Verhältnis von Rechten und Pflichten in der Gesellschaft, die Würdigung stark veränderter Lebensverläufe sowie die allgemeine Daseinsvorsorge, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse auch in regionaler Perspektive unberücksichtigt: •
Bei der Klärung der Generationenperspektive muss es Demografiepolitik um einen fairen Ausgleich zwischen den Generationen gehen, sollte auf Generationengerechtigkeit und -solidarität abgehoben werden. Demografiepolitik ist somit immer auch Generationenpolitik. Diese ist auf Bundesebene bislang nicht institutionalisiert, obwohl sich bereits die EnqueteKommission Demografischer Wandel 2002 für eine Regelüberprüfung der Folgen von Politikhandlungen für das Generationenverhältnis ausgesprochen (Deutscher Bundestag 2002) und der 6. Bundesaltenbericht sogar die Umbenennung des Familienministeriums in ein Generationenministerium diskutiert hat (BMFSFJ 2010). Immerhin sind der kleine und der große Ge-
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nerationenvertrag zentrale Fundamente unseres Zusammenlebens und der Finanzierung unserer sozialen Sicherung. Abbildung 1: Zusammenhänge einer Demografiepolitik
Quelle: Hüther & Naegele (2012): 375
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Auch der Verweis auf neue Rechte und Pflichten in einer Gesellschaft des langen Lebens verlangt – auch mit Blick auf die Generationenperspektive – ein ausgewogenes Verhältnis von Pflichten und Rechten in einer bevölkerungsstrukturell anders zusammengesetzten Gesellschaft. Es geht um eine neue Verantwortungsteilung zwischen den Generationen. Angespro-
Warum brauchen wir eine Demografiepolitik?
•
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chen sind alle Generationen gleichermaßen. Dabei muss eine auf Generationensolidarität fußende Demografiepolitik darauf achten, die jeweiligen Generationen entsprechend ihrer je spezifischen Leistungsfähigkeit möglichst gleich zu belasten. In diesem Zusammenhang stehen Junge wie Alte gleichermaßen in der Verantwortung. Für beide gibt es nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Die junge Generation sollte vor allem mehr Bildung und mehr Zukunftsinvestitionen erwarten können, muss sich aber im Gegenzug selbst auf mehr Lernen, neue Erwerbsmuster und mehr berufliche Mobilität und Flexibilität einstellen und nicht zuletzt auch mehr Bereitschaft für ein Leben mit Kindern aufbringen. Die älteren Generationen wiederum dürfen sich nicht primär in ihrer Rolle als Rentenempfänger und „Ruheständler“ definieren, sondern müssen stattdessen sehr viel stärker bereit sein, mehr Verantwortung für das eigene Leben („Selbstverantwortung“) wie für das anderer sowie insbesondere der nachrückenden Generationen („Mitverantwortung“) zu übernehmen, müssen sich verabschieden von „Versorgungsmentalität“ und Ruhestandsdenken“, wobei die Verletzlichkeit des sehr hohen Alters hier natürliche Grenzen setzt, vielmehr solidarischen Schutz aller erfordert (Naegele 2010). Vor dem Hintergrund stark verlängerter, veränderter, variabler und destandardisierter (mit neuen sozialen Risiken insbesondere in kritischen Übergängen verbundener) Lebensläufe kommt einer lebenslauforientierten Demografiepolitik die Aufgabe zu, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der/die Einzelne demografisch veränderte Lebensphasen, Lebenslagen und damit verbundene individuelle Herausforderungen und Bedrohungen nicht nur zufriedenstellend bewältigen, sondern den demografischen Wandel auch an- und ernstnehmen und entsprechend selbst mitgestalten kann. Daraus leitet sich die demografiepolitische Handlungsoption ab, die Verantwortung des/der Einzelnen für die Gestaltung seines/ihres eigenen Lebenslaufs abzusichern – eingebettet in eine übergeordnete Vorleistungsverpflichtung der Gesellschaft (Naegele 2011). Die Sicherung der Daseinsvorsorge und gleichwerter Lebensverhältnisse als Aufgabe von Demografiepolitik gehört ebenfalls zur Vorleistungsverpflichtung des Staates, in bewusstem Verweis auf eine Interpretation zum Subsidiaritätsprinzip des katholischen Sozialethikers Oswald von Nell-Breuning (BMFSFJ 2006). Es gilt zum einen, durch geeignete Rahmenbedingungen die einzelnen Gesellschaftsmitglieder zu befähigen, die individuelle Gestaltungsaufgabe demografischer Wandel zu meistern. Die regionale Perspektive einzunehmen meint, regionale Besonderheiten demografischer Prozesse und die in diesem Zusammenhang bereits offenkundig gewordenen neuen Ungleichheiten demografiepolitisch aufzugreifen.
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Gerhard Naegele und Michael Hüther
10. Zum Konzept einer eigenständigen Demografiepolitik gehört auch, nicht nur Vertrauen in die gesellschaftlichen Institutionen die jeweiligen kollektiven Vorleistungsverpflichtungen aufzubauen, sondern auch Vertrauen in die eigenen Kräfte, d.h. im Sinne des 5. Bundesaltenberichtes, in die Selbst- und Mitverantwortung aufzubauen. Adressiert sind dabei alle Generationen gleichermaßen und die Zivilgesellschaft insgesamt. Die inzwischen vor allem in der wissenschaftlichen Debatte um das Älterwerden der Gesellschaft populär gewordene Warnung vor der sog. „Altersaktivierung“ erscheint vor diesem Hintergrund eher kontraproduktiv denn hilfreich.
Quellen und Li ter a t ur Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung (2013): Anleitung zum Weniger sein. Vorschlag für eine Demografiestrategie. Berlin, Eigenverlag. BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) (2006): Fünfter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Potentiale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft. Berlin. BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) (2010): Sechster Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland: Altersbilder in der Gesellschaft. Berlin. Bogumil, Jörg; Gerber, Sascha; Schickentanz, Maren (2012): Handlungsmöglichkeiten kommunaler Demografiepolitik. In: Hüther, Michael; Naegele, Gerhard (Hg.): Demografiepolitik. Herausforderungen und Handlungsfelder. Wiesbaden, Springer, S.259-283. Deutscher Bundestag Deutscher Bundestag (2002). Schlussbericht der Enquête-Kommission „Demographischer Wandel – Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik“. Drucksache 14/8800, 14. Wahlperiode. Berlin. Friedrich, Hans Peter (2012): Die Demografiestrategie der Bundesregierung. In: Hüther, Michael; Naegele, Gerhard (Hg.): Demografiepolitik. Herausforderungen und Handlungsfelder. Wiesbaden, Springer, S. 46-48. Heinze, Rolf G. (2012): Anpassung oder Gestaltung? Institutionelle und kulturelle Erblasten in der Demografiepolitik. In: Hüther, Michael; Naegele, Gerhard (Hg.): Demografiepolitik. Herausforderungen und Handlungsfelder. Wiesbaden, Springer, S. 49-70. Hüther, Michael (2013): Überlegungen zu einer Demografiepolitik. In: Bäcker, Gerhard; Heinze, Rolf G. (Hg.): Soziale Gerontologie in gesellschaftlicher Verantwortung. Wiesbaden, Springer, S.121-332. Hüther, Michael; Naegele, Gerhard (Hg.) (2012): Demografiepolitik und Demo-
Warum brauchen wir eine Demografiepolitik?
grafiestrategie – Was notwendig ist. In: dieselben (Hg.): Demografiepolitik. Herausforderungen und Handlungsfelder. Wiesbaden, Springer, S. 365-378. Naegele, Gerhard (2010): Kollektives demographisches Altern und demographischer Wandel – Auswirkungen auf den „großen“ und „kleinen“ Generationenvertrag. In: Heinze, Rolf G.; Naegele, Gerhard (Hg.): Einblick in die Zukunft. Gesellschaftlicher Wandel und Zukunft des Alterns. Dortmunder Beiträge zur Sozial- und Gesellschaftspolitik, 61. LIT-Verlag, Berlin, S. 389409. Naegele, Gerhard (2011): Soziale Lebenslaufpolitik – Grundlagen, Analysen und Konzepte. In: Naegele, Gerhard (Hg.): Soziale Lebenslaufpolitik. Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, S. 27-85. Walker, Alan (2009): The Emergence and Application of Active Ageing in Europe. Journal of Ageing and Social Policy, Vol. 21, 2009, S. 75-93.
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Margaret Heckel
Aus Erfahrung gut W ie die Äl ter en die A r bei t s wel t erneuern
Ein Jahrzehnt noch, dann werden an den Bändern des Automobilbauers BMW vier von zehn Mitarbeitern über 50 Jahre alt sein. Bei der Softwareschmiede SAP wird es deutlich mehr 55-Jährige als 35-Jährige geben. Und bei der Berliner Stadtreinigung wird ein Drittel der rund 3.000 Müllmänner über 60 Jahre alt sein. In den deutschen Unternehmen bahnt sich eine Zeitenwende an. Der so lange vorherrschende Jugendkult geht zu Ende. Selbst wenn es den Firmen hier und da gelingt, junge Zuwanderer aus allen Erdteilen nach Deutschland zu locken, bleibt der grundsätzliche Befund eindeutig: Ältere werden in Fabriken und Büros immer wichtiger. Durch den demografischen Wandel nimmt die Zahl jüngerer Mitarbeiter beständig ab. Die Bundesagentur für Arbeit erwartet bereits Mitte der 2020er Jahre rund 6,5 Millionen erwerbsfähige Personen weniger als heute. Einen wichtigen Teil dieser Lücke werden Frauen und Männer füllen, die mindestens bis 67, vielleicht aber auch noch länger im Berufsleben bleiben. Noch kümmern sich allenfalls fünf Prozent der Firmen um ihre älteren Mitarbeiter, schätzt Thomas Zwick von der Universität Würzburg. Dabei würde sich dies sicher lohnen. Denn Firmen, die heute schon gute Lösungen für die alternden Belegschaften anbieten, sind in der Regel produktiver, kreativer und innovativer als viele ihrer Wettbewerber. Über vier Jahre hinweg hat beispielsweise der Demografie-Forscher Axel Börsch-Supan junge und alte Mitarbeiter bei DaimlerChrysler beobachtet. Als Indikator für deren Produktivität hatten der Wirtschaftsprofessor und Direktor des Munich Center for the Economics of Aging (MEA) und sein Team die von den Mitarbeitern in der Produktion gemachten Fehler bestimmt. Nachdem sie 1,2 Millionen Daten gesammelt und ausgewertet hatten, wartete eine echte Überraschung auf die Forscher: Zwar machten die Älteren tatsächlich mehr Fehler. Doch die waren längst nicht so gravierend wie die ihrer jüngeren Kollegen. Und als das Forscherteam die Fehler mit den Folgekosten für die Produktion verrechnete, waren es ganz klar die Jungen, die den größeren
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Schaden angerichtet hatten. „Die Produktivität der älteren Mitarbeiter ist am Ende höher als die der jungen“, sagte Börsch-Supan. Das hat vor allem mit dem über viele Lebensjahrzehnte angesammelten Erfahrungswissen zu tun. Die Wissenschaftler nennen das die sogenannte „kristalline Intelligenz“. Der Münsteraner Wirtschaftspsychologie-Professor Guido Hertel hält sie für die Ausgangsbasis für Kreativität: „Sie brauchen dafür Grundlagen, keiner kann aus dem Nichts heraus kreativ sein.“ Sind die Älteren ganz im Gegenteil zur landläufigen Meinung dann sogar vielleicht die „besseren“ Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen? Weniger gestresst, offener im Umgang mit den Kollegen, mehr am Erfolg des Unternehmens interessiert? Auf jeden Fall setzen sie andere Prioritäten als jüngere Kollegen. „Es ist sehr wichtig, den Prozess des Alterns zu verstehen“, sagt Hertel. Die Bedeutung von Autonomie, Wertschätzung und die Würdigung der persönlichen Kompetenz nehme mit dem Alter deutlich zu. Ebenfalls bedeutender werden sogenannte Generativitätsmotive. „Es wird wichtiger, etwas Bleibendes zu schaffen und an die Jüngeren weiterzugeben“, erklärt der Psychologe, „auch das korreliert mit dem positiven Erleben der Arbeit.“ Je älter Berufstätige werden, desto besser können sie sich zudem selbst einschätzen. „Sie können dadurch beispielsweise besser mit Stress und Belastungen umgehen“, sagt Hertel. Zwar nehme die physische Leistungsfähigkeit mit den Jahren tatsächlich ab, doch viel langsamer als immer gedacht. Außerdem werde die reine Körperkraft für die Leistungsfähigkeit eines Mitarbeiters tendenziell immer weniger wichtig. „Auch gibt es viele Möglichkeiten der Kompensation, eine ergonomische Arbeitsgestaltung oder auch die Verlagerung von Tätigkeiten“, rät Hertel. So hat Anton Plenkers den von der Politik immer wieder strapazierten Dachdecker einfach vom Dach herunter geholt und ihm eine neue Aufgabe am Schreibtisch angeboten. „Wir haben den erfahrenen Mitarbeiter im Büro eingesetzt, bei der Planung und in der Kundenbetreuung“, sagt der Inhaber eines vierköpfigen Handwerksbetriebs im nordrhein-westfälischen Meerbusch. Das Siegerländer Familienunternehmen Hering Bau setzt auf altersgemischte Teams: Während die Jüngeren eher die körperlich schweren Arbeiten ausführen, steuern die Älteren ihre jahrelangen Erfahrungen bei. Die Kombination ist ein Erfolgsschlager. Hering Bau arbeitet viel im Gleisbau, wo Strecken nur nachts ausgebessert werden können und es auf jede Minute ankommt. Thomas Zwick von der Universität Würzburg kann dies sogar wissenschaftlich bestätigen. Der Ökonomie-Professor hat fünf Demografie-Maßnahmen darauf getestet, wie sie die Produktivität einer Firma am stärksten erhöhen. „Altersgemischte Teams wirken sehr gut, ebenso besondere ergonomische
Aus Erfahrung gut: Wie die Älteren die Arbeitswelt erneuern
Maßnahmen“, sagt er. Und auch altersadäquate Änderungen im Tätigkeitsprofil hätten sich als produktivitätssteigernd herausgestellt. Keine Auswirkungen hatten hingegen Altersteilzeitmodelle und auch Weiterbildung. Der Grund dafür liegt nach Ansicht von Zwick aber in der falschen Handhabung dieser Instrumente: „Altersteilzeit funktioniert nicht, weil es meistens als Blockmodell genommen wird. Weiterbildung funktioniert wahrscheinlich derzeit noch nicht, weil sie nicht auf die Älteren zugeschnitten ist.“ Tatsächlich wird Altersteilzeit in Deutschland derzeit fast ausschließlich als sogenanntes „Blockmodell“ genutzt: Die Mitarbeiter arbeiten eine Zeitlang in Vollzeit für ein reduziertes Gehalt. Danach steigen sie komplett aus, beziehen aber das reduzierte Gehalt bis zum Rentenbeginn weiter. Eigentlich war die Altersteilzeit ursprünglich zur Flexibilisierung des Übergangs in den Ruhestand gedacht. Jeder sollte selbst entscheiden können, ob er mit 61 vielleicht nur noch zu 70 Prozent arbeiten will. Es ist außerordentlich schade, dass dieses Ziel (noch) nicht erreicht wurde. Denn Zeitmodellen, die sich an den Lebensphasen der Mitarbeiter orientieren, gehört die Zukunft. Der Messtechnikhersteller Endress+Hauser Wetzer im idyllischen Allgäu beispielsweise hat die Arbeitszeiten seiner 350 Mitarbeiter komplett freigegeben. Jeder kann kommen und gehen, wann er will. Wenn im Winter die Sonne scheint und der Schnee gut ist, ist es hier völlig normal, dass etliche Mitarbeiter ihre Mittagspause auf der Loipe verbringen oder den Nachmittag zum Skifahren nutzen. Weil das Präzisionsunternehmen sehr viele zeitkritische Aufträge hat, die gegebenenfalls auch innerhalb von 24 Stunden erledigt werden müssen, hat es die festen Arbeitszeiten aufgegeben und setzt nun auf Vertrauen: Die Mitarbeiter erledigen die Arbeit, wann immer sie anfällt und können ansonsten frei über ihre Arbeitszeit verfügen. Nicht nur an jedem einzelnen Tag, sondern passend zur jeweiligen Lebensphase können Mitarbeiter der Trumpf GmbH im schwäbischen Ditzingen über ihre Arbeitszeit bestimmen. Das Familienunternehmen ist ein Pionier bei den sogenannten lebensphasenorientierten Arbeitszeitmodellen: Jüngere ohne Kinder können so richtig ranklotzen und bis zu 43,63 Wochenstunden arbeiten. Kommt Nachwuchs, kann die Arbeitszeit beliebig reduziert werden. Und wer mal ganz raus möchte, kann sich Auszeiten von bis zu zwei Jahren ansparen. Ein besonderes Angebot macht den Sensorhersteller SICK AG im Schwarzwald als Arbeitgeber attraktiv: Wer dort eine Führungsposition innehat, kann ohne finanzielle und hierarchische Nachteile in eine Fachposition wechseln – und umgekehrt. So soll auch Spitzenkräften ermöglicht werden, für eine gewisse Zeit etwas anderes kennenzulernen und leichter zwischen Führungs- und Fachverantwortung hin- und herzuwechseln. Und das seit vielen Jahren schon auf den demografischen Wandel fokussierte Chemieunternehmen BASF hat für die unterschiedlichen Generationen in der Firma nun sogar ein eigenes Haus
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Margaret Heckel
gebaut – das „Work-Life-Management-Zentrum“. Dort können sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Pflegemöglichkeiten für Familienangehörige informieren und eine Vielzahl anderer Beratungsdienstleistungen rund um Arbeit und Familie abrufen. Das 5.500 Quadratmeter große Zentrum steht den BASF-Beschäftigten in Ludwigshafen seit Herbst 2013 zur Verfügung. Ausgestattet ist es auch mit einem modernen Fitnesszentrum, denn bei älter werdenden Belegschaften rückt die Gesundheit in den Fokus. Ob sie wollen oder nicht: Firmen müssen sich künftig auch darum kümmern, ihr Personal gesund zu halten und zu gesundem Verhalten zu ermuntern. Wie aber sieht ein zielführendes Gesundheitsmanagement aus? Den jeweiligen Unternehmen entsprechend fallen sie natürlich unterschiedlich aus: Beim Marzipan-Hersteller Niederegger in Lübeck werden die Bänder für ein paar Minuten angehalten, damit sich die Mitarbeiter recken und strecken können. Die Berliner Stadtreinigung BSR macht ausgesprochen gute Erfahrungen mit Gesundheitslotsen – Mitarbeitern, die sich freiwillig in den Themenbereichen gesundes Leben und Arbeiten haben schulen lassen und die nun ihre Kollegen und Kolleginnen am Kaffeeautomaten oder in der Umkleide immer wieder mal kurz und individuell ansprechen, und sei es nur mit der Frage, ob die Laufsportgruppe nicht doch etwas für sie sei. Bei dem Sauerländer Familienunternehmen Phoenix Contact gibt es einen „Ein-Stunden-Check“, mit dem alle Mitarbeiter ihre Fitness testen können. Bei Handlungsbedarf bietet das Unternehmen in Zusammenarbeit mit einem externen Dienstleister maßgeschneiderte Trainingsprogramme an. „Personalentwicklung für den Körper“, nennt das der Geschäftsführer Personal Gunther Olesch. Für den Marktführer für Elektrosteckverbindungen lohnt sich das auf alle Fälle: Die errechnete Rendite liegt bei 15,8 Prozent. Maßnahmen für Ältere rechnen sich, denn sie sind mindestens genauso leistungsfähig wie Jüngere. Wo sie Wertschätzung erfahren, sind sie oftmals sogar produktiver. Ältere verfügen über einen über Jahrzehnte hinweg aufgebauten Erfahrungsschatz, haben ihre Gefühle besser im Griff, sind zuverlässig und gewissenhaft. Sie sind: aus Erfahrung gut.
Clara Schlichtenberger
An Lebensphasen orientierte Arbeitsmarktpolitik und ihre Rahmenbedingungen Tal k r unde 3, moder ier t von K a t ja Gent ine t t a mi t Bea te Beer mann, Mar gar e t Heckel, Ger har d Naegele
Katja Gentinetta fasste die Positionen in den Vorträgen von Beate Beermann und Gerhard Naegele wie folgt zusammen: Beermann fordere eine die unterschiedlichen Ressorts übergreifende Demografiestrategie, während Naegele ein eigenständiges Ressort fordere. Margaret Heckel merkte aus ihrer Position als Journalistin an, dass es immer in der Öffentlichkeit stehender Personen bedürfe, die einen Wandel vorantreiben oder politische Reformvorhaben mit ihrer Person ein Gesicht geben würden. Es brauche also auch eine Inszenierung und dies stelle auch die Forderung nach einem Demografieministerium dar. Naegele stimmte ihr zu und fand die Idee zumindest diskussionswürdig, einen derartigen Funktionsträger für die Öffentlichkeit systematisch aufzubauen. Beermann hielt fest, dass in allen Politikfeldern, ob Steuer-, Bildungs-, Familien- oder Migrationspolitik, Elemente der Demografiepolitik mitzudenken seien. Der Gestaltungsauftrag durch die demografische Entwicklung ziehe sich wie ein roter Faden durch die Aufgaben der Einzelressorts. Naegele konstatierte neben dem fehlenden Impuls eine institutionelle Abschottung im fragmentierten Politiksystem, die der gemeinsamen Entwicklung einer Strategie entgegenstehe. Auch sehe er eine Gefahr darin, dass die Problematik auf ökonomische und arbeitsmarktpolitische Fragen reduziert würde. Damit würden Fragen nach der Generationensolidarität und –gerechtigkeit und die Neuverhandlung von Werten endgültig ad acta gelegt. Geänderte Rahmenbedingungen für die Gestaltung individueller Lebensläufe zu schaffen, sei ohne Grundsatzdiskussion nicht möglich.
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Clara Schlichtenberger
Beermann machte noch einmal deutlich, dass in der Vergangenheit das Renteneintrittsalter unabhängig von im Arbeitskontext bestehenden Belastungssituationen „universell“ festgelegt wurde. Sie plädierte für Lebensarbeitsmodelle, die sowohl die unterschiedlichen Lebensphasen mit ihren unterschiedlichen Anforderungen berücksichtigen als auch einen Zusammenhang zwischen Belastungssituationen in der Arbeit und einem Alterszeitarbeitsmodell herstellen. Naegele merkte an, dass die Altersgrenzenentscheidungen historisch von den vollen oder eher leeren Rentenkassen abhängig gemacht worden seien. Er fragte, ob nicht eine Lebenslaufpolitik aufgrund der geänderten Variabilität und der Diskontinuität von Lebensläufen notwendig sei als Vorläuferin für eine Demografiepolitik? Auch gehe es darum, in stärkerem Maße für die Akzeptanz für solche Maßnahmen bereits im Vorfeld zu sorgen, damit es nicht (wie z.B. beim Pflegezeitgesetz), einfach nicht in Anspruch genommen werde. Heckel verwies auf die wichtige Funktion von flankierenden Anreizstrukturen zu gesetzlichen Initiativen. Im Weiteren führte sie das Beispiel von Günther Schmid – ehemals WZB – an, der ein Modell entwickelt hatte1, nach dem man einen Teil der Arbeitslosenabgaben schon mit Beginn der Ausbildung auf eine Art persönliches „Entwicklungskonto“ einzahle. So sei ein gewisses Guthaben anzusparen, dass man dann zur persönlichen Fortbildung nutzen könne und das ansonsten der Allgemeinheit zugutekäme. Nach ihrer Einschätzung würde die Mehrheit dieses Guthaben nicht verfallen lassen.
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Eine gute Zusammenfassung findet sich in: Naegele, Gerhard (Hg.) (2010): Soziale Lebenslaufpolitik. Springer, Wiesbaden, S. 333-351.
Claudia Vogel
Aktives Altern Fr ei w ill iges Engagement vor und nach dem Eint r i t t in den Ruhes t and
1 . Einlei t ung Einer bezahlten Arbeit oder einer in der Regel unentgeltlichen freiwilligen Tätigkeit nachzugehen, sind zwei Möglichkeiten, um bis ins hohe Alter aktiv zu sein – wenn die Rahmenbedingungen stimmen (vgl. Nowossadeck; Vogel 2013). Unabhängig davon, ob Aufgaben in Form von Erwerbstätigkeit oder in Form des freiwilligen Engagements übernommen werden, ermöglicht Arbeit in modernen Gesellschaften soziale Teilhabe. Für die Einzelnen gehen sowohl bezahlte Arbeit als auch Freiwilligenarbeit häufig einher mit dem Eingebundensein in eine Gemeinschaft und dem Kontakt zu anderen Menschen – Jüngeren und Älteren –, oftmals bedeutet die übernommene Aufgabe zugleich Sinngebung und Strukturierung des Alltags. In jedem Lebensalter, auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze für den Renteneintritt, kann eine berufliche oder nachberufliche Tätigkeit das Gefühl vermitteln, gebraucht zu werden und Verantwortung zu tragen. Gleichzeitig eröffnet Arbeit die Gelegenheit, neue Erfahrungen zu machen, etwas Neues hinzuzulernen und sich weiterzubilden. Für die Gesellschaft bedeuten produktive Tätigkeiten der Individuen einen Wohlfahrtsgewinn. Die Gesellschaft profitiert insbesondere vom Erfahrungswissen der Älteren, das sie im beruflichen Alltag ebenso einsetzen wie im freiwilligen Engagement. Ältere beteiligen sich aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft, gleichzeitig leisten sie wichtige Unterstützung in der Familie, etwa bei der Betreuung von Enkelkindern oder Pflegebedürftigen, sowie private Hilfe für Freunde und Nachbarn. Die Produktivität der Älteren insgesamt ist beträchtlich und sie kommt sowohl den Individuen als auch der Gesellschaft zu Gute (vgl. Künemund 2006). Vor dem Hintergrund der schrittweisen Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre für die im Jahr 1964 Geborenen und dem faktisch gestiegenen Renteneintrittsalters sind die Zunahme des freiwilligen Engagements sowie der Anstieg
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Claudia Vogel
der Erwerbsbeteiligung von Personen, die bereits das Ruhestandsalter erreicht haben, zusammen zu betrachten (vgl. Grabka 2013; Nowossadeck; Vogel 2013). Während die wachsende Erwerbsbeteiligung von Personen, die bereits die Regelaltersgrenze für den Übergang in den Ruhestand erreicht haben, vor dem Hintergrund wachsender Altersarmut vielfach kritisch diskutiert wird, geht der Blick auf das freiwillige Engagement von Personen, die sich in der zweiten Lebenshälfte befinden, meist mit einer deutlich positiveren Bewertung einher. In der Tat ist davon auszugehen, dass die Zahl der von Armut betroffenen Älteren künftig steigen wird (vgl. Motel-Klingebiel; Vogel 2013). Eine Verschlechterung der finanziellen Situation im Alter bleibt aber auch für die Beteiligung im freiwilligen Engagement nicht folgenlos, sondern könnte zu einer Umkehr des positiven Trends steigender Engagementquoten bei älteren Menschen und zu einer Verschlechterung der materiellen Bedingungen aktiven Alterns führen.
2. Freiwill iges Engagement Bei den Personen, die sich kurz vor dem oder bereits im Ruhestand befinden, ist bereits heute eine hohe Engagementbeteiligung festzustellen: 36 Prozent der 55- bis 64-Jährigen und 33 Prozent der 65- bis 74-Jährigen sind laut Freiwilligensurvey 2009 engagiert. Im Vergleich: Die Engagementquote über alle Altersgruppen von 14 bis 99 Jahren liegt ebenfalls bei 36 Prozent (BMFSFJ 2010).1 Die Engagementquote gibt den Anteil der Menschen an der Bevölkerung an, die sich freiwillig engagieren. Sie ist im Zeitvergleich von 1999 zu 2009 in allen hier betrachteten Altersgruppen gestiegen, insbesondere bei den 65- bis 74-Jährigen (Abb. 1). Allerdings handelt es sich beim freiwilligen Engagement in der Regel nicht um „Vollzeit“-Tätigkeiten, die Mehrheit der Engagierten verwendet darauf bis zu fünf Stunden pro Woche. Künftig könnte die Beteiligung im freiwilligen Engagement noch stärker ausfallen, da die Menschen nicht nur durchschnittlich länger leben, sondern auch mehr gesunde Jahre im Ruhestand verbringen können – wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
1
Mehr Informationen zum Deutschen Freiwilligensurvey unter www.deutscherfreiwilligensurvey.de (Letzter Zugriff: 11. März 2014).
Aktives Altern: Freiwilliges Engagement
Abbildung 1: Anteil freiwillig Engagierter nach Altersgruppen
Quelle: Deutscher Freiwilligensurvey 1999 und 2009, gewichtet, eigene Berechnung
Wie in der Erwerbsarbeit finden sich auch im freiwilligen Engagement Unterschiede nach Geschlecht: Frauen engagieren sich häufiger für andere, etwa für ältere Menschen oder für Kinder und Jugendliche, Männer üben insgesamt etwas häufiger freiwillige Tätigkeiten aus, die sich an keinen speziellen Personenkreis richten (vgl. Hagen; Vogel 2012). Am häufigsten sind Männer der hier betrachteten Altersgruppen im Bereich Sport und Bewegung engagiert, Frauen hingegen im sozialen Bereich inklusive des Gesundheitsbereichs, der mit dem Lebensalter zunehmend wichtiger wird, sowie im kirchlichen Bereich. Die Ergebnisse zu geschlechtsspezifischen Unterschieden im Engagement spiegeln eine traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wider, die auch in anderen Bereichen unserer Gesellschaft wie in Beruf und Familie zum Tragen kommt.
3. Diskussion Das Europäische Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen 2012 zielte darauf ab, aktives Altern auf drei Gebieten zu fördern: der bezahlten Beschäftigung bis zum Übergang in den Ruhestand oder möglicherweise darüber hinaus; der gesellschaftlichen Teilhabe etwa durch ehrenamtliche Tätigkeiten oder familiale Unterstützungsleistungen; auf dem Gebiet der eigenständigen Lebensführung, um bei guter Gesundheit bis ins hohe Alter selbständig zu bleiben.2 Dass wir alle länger arbeiten sollen, ist erklärtes politisches Ziel. Dass manche tatsächlich auch länger arbeiten wollen, zeigt sich an der Diskussion um die Legitimität und Sinnhaftigkeit einer allgemeingültigen Regelaltersgrenze und damit einhergehenden Fragen der 2
http://europa.eu/ey2012/ey2012.jsp?langId=de (Letzter Zugriff: 11. März 2014).
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Claudia Vogel
Altersdiskriminierung. Dass manche faktisch auch länger arbeiten müssen, hängt nicht unerheblich von der Verteilung der Alterseinkommen ab. Ob wir aber auch länger arbeiten können, hängt von den Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft ab. In ihrem Beitrag zur Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze hat Scherger zu Recht darauf verwiesen, dass nicht allein finanzielle Motive für eine Erwerbstätigkeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze ausschlaggebend sind. Im Gegenteil könnten sogar dieselben Mechanismen für ein frühzeitiges unfreiwilliges Ausscheiden aus der Erwerbsarbeit und für ein hohes Risiko der Armut im Alter verantwortlich sein. Bezüglich des freiwilligen Engagements scheint in diesem Kontext bedeutsam zu sein, die hohe Kontinuität der Lebensführung vor und nach dem Eintritt in den Ruhestand zu beachten. Beispielsweise konnten Scherger, Nazroo und Higgs (2011) zeigen, dass Engagierte ihre freiwilligen Tätigkeiten, die sie bereits während des Erwerbslebens ausgeübt haben, tendenziell auch nach dem Übergang in den Ruhestand weiterführen. Dies schließt natürlich nicht aus, dass auch neue Tätigkeiten im Ruhestand aufgenommen werden. Allerdings weisen Scherger und Kollegen auch darauf hin, dass sich gesundheitliche Einschränkungen gleichermaßen negativ auf die Erwerbsbeteiligung und die Engagementbeteiligung der Betroffenen auswirken. Insbesondere mit Blick auf die große Gruppe der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besteht die Herausforderung darin, sowohl die gesundheitlichen Ressourcen zu erhalten als auch die finanziellen Ressourcen im Sinne von ausreichenden individuellen Alterseinkommen zu ermöglichen, um gesellschaftliche Teilhabe bis ins hohe Lebensalter zu fördern. Dies bedeutet auch, Armut im Alter zu vermeiden, von der nach wie vor hauptsächlich Frauen betroffen sind. Soziale Ausgrenzung und Einsamkeit als Folgen von Armut bringen soziale Kosten mit sich, die wiederum an anderer Stelle von der Gesellschaft getragen werden müssen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich jemand ehrenamtlich engagiert, der sich um die Miete für den nächsten Monat sorgen muss; anders formuliert, man muss es sich leisten können, sich freiwillig zu engagieren (vgl. Vogel; Künemund 2014). Besser als auf einen neuen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu setzen, der die Individualisierung sozialer Risiken nur bedingt kompensieren kann, wäre es wahrscheinlich, die Erwerbs- und Einkommensmöglichkeiten direkt zu verbessern, auch über die Stärkung des umlagefinanzierten Rentensystems, um Armut im Alter zu vermeiden und den Rentnerinnen und Rentnern von morgen ebenfalls ein aktives Altern zu ermöglichen.
Aktives Altern: Freiwilliges Engagement
Li ter a tur BMFSFJ (Hg.), (2010): Hauptbericht des Freiwilligensurveys 2009. Zivilgesellschaft, soziales Kapital und freiwilliges Engagement in Deutschland 19992004-2009. Berlin, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Grabka, M. M. (2013): Aktives Altern – Erwerbstätigkeit und bürgerschaftliches Engagement im Rentenalter. WSI Mitteilungen, 66(5), S. 329-337. Hagen, C.; Vogel, C. (2012): Freiwilliges und generationenübergreifendes Engagement von Frauen und Männern – Analysepotenziale und Weiterentwicklung des Deutschen Freiwilligensurveys. Informationsdienst Altersfragen 39(3), S. 3-9. Künemund, H. (2006): Partizipation und Engagement älterer Menschen. In: Deutsches Zentrum für Altersfragen (Hg.), Gesellschaftliches und familiäres Engagement älterer Menschen als Potenzial. Expertisen zum Fünften Altenbericht der Bundesregierung, Münster, LIT Verlag. S. 283-431. Motel-Klingebiel, A.; Vogel, C. (2013): Altersarmut und die Lebensphase Alter. In: C. Vogel; A. Motel-Klingebiel, A. (Hg.): Altern im sozialen Wandel: Die Rückkehr der Altersarmut?. Wiesbaden: Springer S. 463-480. Nowossadeck, S.; Vogel, C. (2013): Aktives Altern: Erwerbsarbeit und freiwilliges Engagement. Report Altersdaten 2/2013. Deutsches Zentrum für Altersfragen, Berlin. Scherger, S.; Nazroo, J.; Higgs, P. (2011): Leisure activities and retirement: Do structures of inequality change in old age? Ageing & Society, 31(1), 146-172. Vogel, C.; Künemund, H. (2014): Armut im Alter. In: S. Frech; O. Groh-Samberg (Hg.), Armut in Wohlstandsgesellschaften. Schwalbach am Taunus, Wochenschau Verlag, S. 123-136.
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Werner Eichhorst
Beschäftigungsfähigkeit als ein zentraler Faktor eines längeren Erwerbslebens1 Einlei t ung Der demogr a f ische Wandel is t eine f undament ale Ver änder ung. 1
Für die künftige Entwicklung des Arbeitsmarktes in Deutschland sowie in weiteren Zusammenhängen auch in Europa und weltweit stellen der demografische Wandel und die damit einhergehenden Veränderungen der Erwerbsbevölkerung und ihrer Altersstruktur – neben der fortschreitenden Globalisierung und technologischen Innovationen – eine zentrale Herausforderung dar. Damit wird die Entwicklung und Pflege der Beschäftigungsfähigkeit von Erwerbspersonen (und indirekt auch von Unternehmen) eines der Themen sein, die in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen werden. Vielen europäischen Staaten und gerade auch Deutschland steht eine Situation bevor, in der Arbeitskräfte deutlich knapper werden und das Durchschnittsalter der Erwerbstätigen massiv ansteigen wird. Das bedeutet aus Sicht der Personalrekrutierung, dass es wesentlich weniger junge Nachwuchskräfte geben wird, die über eine duale Berufsausbildung verfügen oder als Universitäts- oder Fachhochschulabsolventen für die Unternehmen gewonnen werden können. Jedes einzelne Unternehmen, aber auch die Gesellschaft insgesamt, wird sich künftig mehr noch als in der Vergangenheit mit bestimmten Potentialen, Gruppen und Problemen auseinandersetzen müssen, die in den letzten zehn oder zwanzig Jahren nicht so sehr im Fokus standen und mehr oder weniger klar vernachlässigt worden sind. Dabei sind insbesondere die Potentiale weiblicher Erwerbspersonen zu beachten. Die Frage, was in diesem Bereich zu erreichen ist, ist eines der wichtigen Themen, 1
Überarbeitete Fassung eines Vortrags beim DASA-Symposium „Altern ist Zukunft!“ in Dortmund am 8. November 2013.
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Werner Eichhorst
mit denen sich das Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit beschäftigt. Gleiches gilt für ein zweites zentrales Thema, die Verlängerung des Erwerbslebens und einem damit verbundenen späteren Renteneintritt. Auch hier haben sich die politischen Rahmenbedingungen in den letzten Jahren deutlich geändert. Dies hat bereits unmittelbare Implikationen auf der Ebene der Unternehmen, aber auch der Individuen gezeigt. Drittens ist auch das große Thema der Migration und Integration als zusätzliches Handlungsfeld zu beachten. Ein Handlungsfeld, das zunehmend sowohl in Deutschland als auch in vielen anderen europäischen Staaten an Bedeutung gewinnen wird, um mit den Konsequenzen des demografischen Wandels und der Verknappung des Erwerbsangebots besser zurechtzukommen. Deutschland spürt bereits jetzt die Auswirkung des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme. Tatsächlich steht aber in absehbarer Zukunft eine weit darüber hinausgehende Verknappung der verfügbaren Erwerbspersonen bevor. Im Wesentlichen wird dies zum Ende dieser Dekade und dann in den 2020er Jahren massiv zu Buche schlagen. Im Moment gibt es in Deutschland etwa 42 Millionen Erwerbstätige, und davon werden nach allen vorliegenden Prognosen etwa 6 Millionen in den nächsten 15 Jahren wegfallen. Das sind etwa 15 Prozent. Folglich kann binnen eines Jahrzehnts etwa jeder siebte derzeitig Beschäftigte nicht mehr ohne Weiteres adäquat ersetzt werden. Es besteht deshalb die klare Notwendigkeit, die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen und Potentiale wesentlich intensiver zu nutzen und zu mobilisieren. Das hat massive Veränderungen in der Politik, in der Personalpolitik und auch für die Individuen zur Folge. Nicht überall sind die Zeichen der Zeit erkannt worden, und umso wichtiger ist es, auf die Notwendigkeit des Wandels in Politik, Arbeitswelt und individueller Lebensplanung hinzuweisen. Dabei kann Beschäftigungsfähigkeit das Leitmotiv sein, um den Unternehmen qualifizierte und produktive Arbeitskräfte zu sichern und gleichzeitig im individuellen Lebensverlauf erwerbstätig sein zu können und dadurch Einkommen, Altersvorsorge und gesellschaftliche Integration zu erreichen.
Handlungs felder und Potent iale Eine Expertenkommission der Robert Bosch-Stiftung, die sich mit dem Thema „Arbeitswelt 2030“ beschäftigt hat, hat in ihrem 2013 erschienenen Bericht drei zentrale Handlungsfelder für die erfolgreiche Bewältigung des demografischen Wandels aufgezeigt und im Hinblick auf die Konsequenzen für Politik, Unternehmen und jeden Einzelnen diskutiert:2 2
Klös et al. (2013).
Beschäftigungsfähigkeit als ein zentraler Faktor eines längeren Erwerbslebens
1. „Köpfe“: Wohnbevölkerung/Erwerbsbevölkerung 2. „Zeit“: Arbeitsvolumen/Erwerbstätigkeit 3. „Produktivität“: Bildung/Qualifikation/Innovation Zum ersten Punkt muss die wichtige Frage, was durch Migration erreicht werden kann, beantwortet werden. Hier hat Deutschland zwar in den letzten Jahren deutlich an Attraktivität gewonnen, was die gewachsenen Netto-Migrationssalden belegen, jedoch ist hier keine leichte Prognose möglich, und die weitere Entwicklung hängt von der relativen Attraktivität Deutschlands als Zielland für Zuwanderung ab. Das möglicherweise größere und leichter zu mobilisierende Potential liegt vermutlich eher im zweiten Segment, also bei der Arbeitszeit und bei der Erwerbstätigkeit. Als drittes Handlungsfeld muss die Produktivität, also das Ergebnis von effizienter Arbeitsorganisation, technologischem Fortschritt sowie Aus- und Weiterbildung und Innovationen betrachtet werden, um die vorhandenen Ressourcen, gerade die Personalressourcen, wesentlich besser nutzen zu können. Das führt dann letztlich wieder auf den Punkt der Beschäftigungsfähigkeit, denn nur wer beschäftigungsfähig ist, sowohl als Arbeitgeber als auch als Erwerbstätiger, kann entsprechend stärker in den Arbeitsmarkt eingebunden werden bzw. entsprechend Arbeitsplätze schaffen und erhalten, mit denen man in Situationen eines verschärften demografischen Wandels produktiv sein kann. Wenn man sich die derzeit erwerbstätige Bevölkerung nach ihrem Erwerbsstatus in Deutschland anschaut, stellt man fest, dass es auf jeden Fall noch ein großes Potential im Bereich der Erwerbstätigkeit gibt. Die Beschäftigungsquoten – insbesondere im höheren Lebensalter und bei Frauen – könnten deutlich höher sein. Viele Frauen sind zwar erwerbstätig, jedoch nur in Teilzeit. Der Teilzeitanteil bei Frauen ist in Deutschland unverhältnismäßig groß, und viele Frauen, die derzeit in Teilzeit oder in Minijobs arbeiten, arbeiten weit unterhalb ihrer Qualifikation und ihrer gewünschten Arbeitszeit. Das birgt ein erhebliches zusätzliches Arbeits- und Fachkräftepotential. Zwar hat die Erwerbstätigkeit älterer Arbeitskräfte in Folge veränderter renten- und arbeitsmarktpolitischer Bedingungen bereits in Deutschland stark zugenommen, dennoch nimmt sie nach wie vor im höheren Lebensalter und bereits vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter deutlich ab. So befinden sich viele Personen entweder in den Sozialleistungen oder stehen dem Erwerbsprozess letztendlich gar nicht zur Verfügung. Zusammenfassend gibt es zwei wesentliche Potentiale: das weibliche und das der älteren Arbeitskräfte. Für die Frauen bedeutet dies insbesondere die Verlängerung der Arbeitszeiten aus dem Teilzeitbereich in den Vollzeitbereich hinein. In der erwähnten Studie für die Robert Bosch-Stiftung sind diese Potentiale durchgerechnet worden, um herauszufinden, welche zusätzlichen Erwerbsper-
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sonen und Arbeitsvolumina mobilisiert werden müssten. Dies ist zunächst eine rein quantitative Betrachtung dessen, was an zusätzlicher Erwerbstätigkeit und Arbeitszeit durch geänderte Bedingungen im politischen Raum und auch in den Unternehmen mobilisiert werden kann. Ausgehend vom Status quo steht ein massiver Rückgang der Erwerbstätigen bis 2030 bevor, in der Größe von etwa 6 Millionen Erwerbstätigen, die verloren gehen. Jedoch können die einzelnen Stellgrößen relativ stark durch arbeitsmarkt- und sozialpolitische sowie durch unternehmerische und individuelle Entscheidungen beeinflusst werden. Hierbei ist der Renteneintritt als ganz wichtige Größenordnung zu nennen, was auch wieder sehr viel mit Beschäftigungsfähigkeit im höheren Lebensalter zu tun hat. Auch die Erhöhung der Erwerbsquote der über 60-Jährigen auf etwa das Niveau der Personen zwischen 55 und 60 Jahren, würde eine erhebliche Zahl von möglichen Erwerbstätigen aktivieren. Hierbei sind nicht Alterskohorten gemeint, die kurz vor dem Renteneintritt stehen. In einem weiteren Szenario wurde abgeschätzt, wie sich eine Halbierung der Differenz der Erwerbsquote der Frauen zu der der Männer auswirken würde. Das alles zusammen bietet ein erhebliches Potential, die verfügbaren Köpfe, die erwerbstätig sein könnten, in Deutschland bis 2030 etwa auf dem Niveau zu stabilisieren, das wir derzeit haben. Abbildung 1: Übersicht der vorausberechneten Erwerbspersonenzahl
Quelle: Ehing und Moog (2013)
Zusätzlich wurden auch Berechnungen angestellt, die zeigen, dass eine Anhebung der Arbeitszeiten aus den Teilzeitbereichen in den Vollzeitbereich
Beschäftigungsfähigkeit als ein zentraler Faktor eines längeren Erwerbslebens
hinein ein beachtliches zusätzliches Potential bietet – und zwar ohne eine Verlängerung der Arbeitszeiten im Vollzeitbereich, bei dem Deutschland bereits jetzt eine vergleichsweise lange effektive Wochenarbeitszeiten aufweist – im Gegensatz zur Teilzeit, bei der im Mittel nur geringe Stundenzahlen erreicht werden. Wenn ein Drittel der Frauen und Männer, die derzeit in Teilzeit arbeiten, in eine Vollzeitbeschäftigung gebracht würden, wäre es sogar möglich, die verfügbaren Arbeitsvolumina bis 2030 zu vergrößern. Um das zu sichern muss natürlich einiges erreicht werden, vor allem im Bereich der derzeitigen Anreize, Teilzeitarbeit zu verrichten (Minijobs und Ehegattensplitting) und natürlich auch im Bereich Matching zwischen Qualifikation und Arbeitsplätzen. Ein kleiner Wermutstropfen wird sein, dass nach 2030 die Situation noch einmal ein Stück schwieriger wird, weil dann eben diese Potentiale schon mobilisiert sein werden, während die demografische Veränderung noch einmal an Schärfe gewinnen wird. Abbildung 2: Übersicht der Arbeitszeitszenarien: Arbeitsvolumen
Quelle: Ehing und Moog (2013)
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Beschä f t igungs f ähigkei t al s Schlüssel Beschäftigungsfähigkeit ist die zentrale Variable für die künftige Entwicklung der Erwerbstätigkeit. Beschäftigungsfähigkeit ist aus zweierlei Hinsicht wichtig. Zum einen geht es hier tatsächlich um die Möglichkeit und die Fähigkeit, eine Beschäftigung aufzunehmen oder fortzuführen, gerade auch in Zeiten des permanenten und beschleunigten technologischen und strukturellen Wandels. Auf der anderen Seite ist Beschäftigungsfähigkeit aus Sicht der Unternehmen durchaus eine wesentliche Stellgröße für die Produktivität und auch für die Leistungsfähigkeit im Arbeitsprozess. Wenn man den Begriff der Beschäftigungsfähigkeit ein Stück erweitert, muss man sagen, dass auch die Unternehmen beschäftigungsfähig sein müssen. Sie müssen letztlich die Zeichen der Zeit so weit erkennen, dass sie mit den vorhandenen Potentialen und Personalressourcen produktiv umgehen können. Erst dann können sie sich unter den veränderten Bedingungen als beschäftigungsfähige und damit wettbewerbsfähige Arbeitgeber präsentieren, die Personal für sich gewinnen und dieses produktiv nutzen, halten und weiterqualifizieren können. Das erfordert massive Veränderungen sowohl im Bereich der Politik und teilweise auch im Bereich der Tarifpolitik als auch, und vor allem, im Bereich der unternehmerischen Personalpolitik. Beschäftigungsfähigkeit bedeutet ein erfolgreiches Matching zwischen Erwerbstätigen und den verfügbaren Beschäftigungsmöglichkeiten.
Ver änder te ins t i t u t ionelle Rahmenbedingungen und ihre Ausw ir kungen Deutschland hat lange Zeit eine Politik betrieben, die den Arbeitsmarkt eher verkleinert und verschiedene Gruppen eher aus dem Arbeitsmarkt fern gehalten hat. Hier sind jedoch in den letzten Jahren einige Rahmenbedingungen deutlich verändert und dadurch die Arbeitsangebote erhöht worden. Das gilt im Bereich der Frauen, aber auch im Bereich der Aktivierung der Arbeitslosen und insbesondere auch im Bereich der Älteren. Hier wurde über die letzten 10 bis 15 Jahre massiv die Möglichkeit zum vorzeitigen Renteneintritt zurückgefahren. Das zeigt sich unmittelbar in veränderten Erwerbsquoten der Älteren. Schließlich ist auch die Zuwanderungspolitik zu nennen. Auch in diesem Bereich hat Deutschland einiges bewegt. Jedoch waren diese Anpassungen nicht so weitgehend, wie man es sich vielleicht aus Sicht des demografischen Wandels und aus Sicht der Arbeitsmarktpolitik wünschen würde. Der Arbeitsmarkt ist inzwischen so flexibel geworden, dass wesentlich mehr Personen überhaupt in Beschäftigung gebracht werden. Auch dieser
Beschäftigungsfähigkeit als ein zentraler Faktor eines längeren Erwerbslebens
Punkt trägt dazu bei, die Auswirkungen des demografischen Wandels zu lindern und eben überhaupt Beschäftigung zu schaffen. Es wird Berufserfahrung bzw. Arbeitserfahrung vermittelt, die dann in weitergehende produktive Tätigkeiten münden kann. Insgesamt steigen die Beschäftigungsquoten der Älteren in Europa – und in Deutschland steigen sie mit am stärksten (Abb. 3). Die Beschäftigungsquote in Deutschland ist von unter 40 Prozent in 2003 auf über 60 Prozent in 2012 gestiegen. Die Konsequenzen auf die Beschäftigungsquoten der Älteren, welche auf der Frühverrentungspolitik seit den späten 1970er Jahren beruht, sind nun mehr als ausgeglichen. Auch das Erwerbsaustrittsalter rückt in Europa nach hinten und Deutschland befindet sich mit auf dem aufsteigenden Pfad (Abb. 4). Diese Entwicklung ist ebenfalls hilfreich für die Bewältigung des demografischen Wandels. Auch interessant und zunehmend in Diskussion stehend ist die Tatsache, dass mehr und mehr Personen über 65 Jahren erwerbstätig sind. Das betrifft sowohl Rentner, die einen Minijob haben, als auch viele höher qualifizierte Selbstständige, die einfach über das klassische Renteneintrittsalter von 65 Jahren hinaus, weiterarbeiten. Abbildung 3: Erwerbstätigenquoten der 55 bis 64-Jährigen
Quelle: Eurostat
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Abbildung 4: Effektives Erwerbsaustrittsalter
Quelle: Eurostat
Weiterhin gibt es auch noch große Potentiale im Bereich des Beschäftigungsniveaus von geringer Qualifizierten. Diese sind in Deutschland, aber auch in vielen anderen europäischen Staaten, wesentlich weniger stark in den Arbeitsmarkt eingebunden. Hier ist vor allem eine Qualifikation sicher zu stellen und zu schauen, inwieweit eine stabilere und produktivere Erwerbsbeteiligung genau dieser Personen gewährleistet werden kann. Auch das lebenslange Lernen bietet ein weiteres erhebliches Potential. Deutschland nimmt in dieser Kategorie keine gute Position ein (Abb. 5). Weiterbildung ist in Deutschland eher ein Thema für Jüngere und eher höher Qualifizierte. Das bedeutet auch, dass deren Beschäftigungsfähigkeit eher gepflegt und weiterentwickelt wird als die der mittleren und höheren Jahrgänge. Auch bedarf es mehr Bemühungen um die Beschäftigungsfähigkeit jener Personen, die vielleicht nicht zu den besten Leistungsträgern in Betrieben gehören, aber bei denen natürlich auch entsprechende Potentiale vorhanden sind. Gleichzeitig besteht gerade für diese Gruppe ein hohes Risiko, dass der Erwerbsverlauf durch betriebliche Umstrukturierungen, durch Strukturwandel, irgendwann abbrechen kann. Diese Personen haben dann im höheren Lebensalter größere Probleme, Arbeit zu finden.
Beschäftigungsfähigkeit als ein zentraler Faktor eines längeren Erwerbslebens
Abbildung 5: Teilnahme an allgemeiner und beruflicher Bildung der 55 bis 64 Jährigen
Quelle: Eurostat
Was kann also noch im Bereich der Beschäftigungsfähigkeit politisch, unternehmerisch und auf der individuellen Ebene getan werden? Die Politik hat sicher ständigen Anpassungsbedarf. Hier sind besonders die Ausbildungssysteme zu nennen, die stärker modularisiert werden müssen, um auch im fortschreitenden Lebensalter weitere Qualifikationen zu ermöglichen. Bereits jetzt ist eine gewisse Tendenz zu beobachten, präventiver an die Arbeitsmarktpolitik heranzugehen. Schwächere Schulabgänger ohne Abschluss oder mit fehlenden Abschlüssen müssen in Zukunft noch effektiver unterstützt werden, um ihnen so den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Hier tut sich einiges, aber das ist sicher ein Punkt, der noch deutlich an Bedeutung gewinnen muss. Ein Thema, das im Moment noch ein Schattendasein führt, und zwar klar zu Unrecht, ist die systematische Weiterentwicklung im Bereich der Weiterbildung. Hier fehlen noch geeignete Kofinanzierungs- und Organisationsmodelle und auch überhaupt besser wirksame Initiativen, um gerade jene Personen in die Weiterbildung einzubeziehen, die derzeit weder an individuell noch betrieblich initiierter Weiterbildung teilnehmen, um ihre Beschäftigungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Neben Investitionen der Unternehmen bzw. der Tarifpartner und der beteiligten Individuen ist eine Beteiligung der Arbeitslosenversicherung vertretbar, weil dadurch auch Arbeitslosigkeit vermieden wird. Ebenfalls muss die Vermeidung von Erwerbsminderung und das frühzeitige Aussteigen durch Erwerbsminderungsrenten genannt werden. Dies ist vor allem ein Thema unternehmerischer Praxis, aber auch der Politik, die Anreize setzen muss, um entsprechende Probleme erst gar nicht entstehen zu lassen. Und als letzter Punkt: der Ausbau von Dienstleistungen, um auch die Beschäftigungsfähigkeit jener Personen zu gewährleisten, die sich mit der Pflege und mit der Kinderbetreuung beschäftigen müssen.
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Ver änder ungen am Ar bei t smar k t und die dar aus ent s tehenden Her aus forder ungen Die Unternehmen müssen jetzt umdenken. Hierbei ist es wichtig, Beschäftigungsfähigkeit weiter zu definieren und Gruppen prinzipiell als beschäftigungsfähig und auch als ausbildungsfähig zu erachten, die bislang oft ein Schattendasein am Arbeitsmarkt geführt haben. Das ist ein Thema, auf das sich die Unternehmen einstellen müssen. Sie müssen bestimmte Routinen und auch Auswahlkriterien hinterfragen und betriebliche Karrieren in Zukunft anders als bisher gestalten, damit eine längerfristige Bindung erreicht wird. Vor allem sind Betriebe auch in der Verantwortung, wesentlich mehr im Bereich Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun, um entsprechende Belastungssituationen und Betreuungsengpässe aufzufangen. Das kann in absehbarer Zeit nicht allein durch politische und wohlfahrtsstaatliche Programme aufgefangen werden, sondern die Unternehmen sind hier unmittelbar selbst gefragt. Sie müssen die Beschäftigungsfähigkeit ihrer Angestellten sichern, indem sie entsprechende Unterstützung organisieren bzw. vermitteln, vielleicht aber auch kofinanzieren. Im Bereich Produktivität und Beschäftigungsfähigkeit geht es im Wesentlichen darum, die Arbeitswelt deutlich altersgerechter zu gestalten. Schließlich geht die Leistungsfähigkeit nicht zwangsläufig mit dem Alter zurück, sofern entsprechende unterstützende Maßnahmen realisiert werden. Hierbei gibt es zunehmend mehr gute Beispiele, was die flexible Arbeitsgestaltung und insbesondere auch, was den Abbau von körperlichen Belastungen in der verarbeitenden Industrie angeht. Ebenfalls gibt es einige interessante Beispiele aus der Gesundheitspolitik und der Veränderung von technisch belastenden Arbeitsabläufen, durch die eine längere Beschäftigungsfähigkeit gewährleistet werden kann. Schließlich ist auch eine systematischere Aus- und Weiterbildung entscheidend. Neben der physischen Belastung der Arbeit ist auch die psychische Belastung, gerade in Bezug auf die Arbeitsverdichtung zunehmend Bestandteil der Diskussion. Heutzutage stellt die psychische Belastung eine weitaus größere Gefahr für die Beschäftigungsfähigkeit dar als die körperliche, welche insbesondere beim verarbeitenden Gewerbe in den letzten Jahrzehnten erfolgreich bekämpft wurde. Häufige Ursache für eine psychologisch bedingte Erwerbsminderung ist vor allem die Arbeitsverdichtung, aber auch die fehlende soziale Unterstützung am Arbeitsplatz. Bei diesem Thema sind im Wesentlichen auch die Unternehmen gefragt. Übermäßige Belastungen und nicht zu bewältigende Situationen sind zu entschärfen, um ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu ver-
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meiden. Aus der Forschung kennt man einige wesentliche Stellgrößen, die sehr viel zu tun haben mit der betrieblichen Arbeitssituation und dem Betriebsklima und die wesentlich dazu beitragen können, dass solche Situationen nicht entstehen. Das Führungsverhalten, das kollegiale Umfeld und die Arbeitsorganisation müssen in diesem Zusammenhang als eine ganz wesentliche Voraussetzung betrachtet werden. Zusätzlich bieten flexible Arbeitszeitmodelle die Möglichkeit, die Freizeit und die Arbeitszeit besser in Einklang zu bringen, wodurch insbesondere außerbetriebliche Spannungsfelder entschärft werden können. Teil dieser präventiven Maßnahmen sollte auch eine betriebliche Gesundheitspolitik sein, welche durch Untersuchungen und Beratungen zu einer frühzeitigen Diagnostik beiträgt und im Krankheitsfall zusätzliche Angebote zur Verfügung stellt. Auch Individuen müssen beschäftigungsfähig bleiben. Aus ihrer Sicht schon, weil das eine ganz wesentliche Voraussetzung ist, um überhaupt an diesem zunehmend auf hohe Produktivität ausgerichteten Erwerbsleben erfolgreich teilhaben zu können. Die Anforderungen an die Individuen steigen tendenziell und es gibt eine gewisse Polarisierung auf dem Arbeitsmarkt. Auf der einen Seite haben die Hochqualifizierten mehr Gestaltungsmöglichkeiten, aber auch zunehmend mehr Gestaltungsverantwortung. Sie müssen mehr Eigenverantwortung übernehmen und sich den vielleicht etwas stressigeren und dynamischeren Arbeitsabläufen stellen. Das hat zur Folge, dass psychische Dispositionen und auch die Fähigkeit zum Selbstmanagement an Relevanz gewinnen, um selbst den Überblick zu bewahren und die Beschäftigungsfähigkeit für längere Zeit sicherzustellen. Ein anderer Punkt ist sicher auch die Bereitschaft, sich zu verändern und am lebenslangen Lernen teilzuhaben. Bei jenen, die am lebenslangen Lernen entweder aus individuellem Antrieb oder auch betrieblicher Initiative nicht so sehr partizipieren, sind durchaus auch Tarifpartner und die Politik gefragt. In diesem Fall müssen sie etwas für die Beschäftigungsfähigkeit tun, um das Risiko von Arbeitslosigkeit oder auch das Risiko von gering entlohnter und auch instabiler Beschäftigung zu vermeiden. Diese wichtigen Punkte sollen uns aber nicht davon abhalten, insgesamt ein eher positives und optimistisches Bild des demografischen Wandels und auch des Wandels der Arbeitswelt zu entwerfen.
Fazi t Im Wesentlichen sind die Ressourcen vorhanden, um den demografischen Wandel erfolgreich bewältigen zu können – sie müssen nur noch besser genutzt werden. Das ist vielleicht leichter gesagt als getan, weil es nämlich massive Veränderungen in den Unternehmen, in der gesamtgesellschaftlichen
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Politik und auch auf der Ebene der Sozialpartner und der Tarifpartner impliziert. Die derzeitige Situation ist jedenfalls noch nicht so, dass alle Weichen richtig gestellt sind, und man dem demografischen Wandel gelassen entgegensehen kann. Die staatlichen Rahmensetzungen waren in den letzten Jahren durchaus günstig – aber die neuen rentenpolitischen Entscheidungen stellen einen klaren Fehler dar. Das wesentliche Innovationspotential befindet sich gleichwohl auf der Ebene der Unternehmen. Die größeren und die weiter vorausschauenden Arbeitgeber haben hier schon einige Initiativen gestartet, teilweise auch in Tarifverträgen – wenn man beispielweise an die Metall- und die Chemieindustrie oder an die Bahn denkt. Dort sind inzwischen auch Demographie-Tarifverträge in Kraft. Es tut sich also schon einiges, aber viele Unternehmen haben das Thema noch nicht systematisch erkannt. Sobald jedoch konkreter Handlungsdruck entsteht, wenn eben keine Fachkräfte mehr gewonnen werden können, wenn es tatsächlich knapp wird, dann werden die Unternehmer ganz massiv Anreize haben zu reagieren. Besser ist es natürlich, rechtzeitig an dieser Stelle anzusetzen, weil dies für Unternehmen im Wettbewerb mit anderen, sowohl auf der Produktionsseite als auch auf der Seite der Personalgewinnung, klare Vorteile hat. Interessante Vorbilder sind auf jeden Fall schon heute in Deutschland und im europäischen Umfeld vorhanden.
Li ter a tur Ehing, D.; Moog, S. (2013): „Erwerbspersonen- und Arbeitsvolumenprojektionen bis ins Jahr 2060“, Journal for Labour Market Research, 46(2), S. 167-182. Klös, H-P.; Bellmann, L.; Bomsdorf, E.; Ehing, D.; Eichhorst, W.; Moog, S.; Schuster, M. (2013): „Arbeitsmarkt“. In: Rump, J.; Walter, N. (Hg.): Arbeitswelt 2030 – Trends, Prognosen, Gestaltungsmöglichkeiten. Stuttgart, Schäffer Poeschel Verlag, S. 33-54.
Simone Scherger und Anna Hokema
Arbeiten müssen, können oder wollen? Er wer bs t ä t igkei t jensei t s der Rentengr en ze in Deu t schl and
1 . Einf ühr ung Immer mehr Menschen im Rentenalter gehen einer bezahlten Erwerbstätigkeit nach. In den Jahren 2002 bis 2012 hat sich die Zahl der Erwerbstätigen, die 65 Jahre alt und älter sind, von 419.000 auf 826.000 fast verdoppelt. Dies entspricht einer Zunahme des Anteils der Erwerbstätigen unter den ab 65-jährigen Männern von 4,4 auf fast 7 Prozent (Statistisches Bundesamt). Vor dem Hintergrund der Rentenreformen der letzten beiden Jahrzehnte wird – etwa in den Medien – oft davon ausgegangen, dass dieser Trend eng mit steigender Altersarmut zusammenhängt. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über Muster, Bedingungen und Gründe von Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze und stellt dazu einschlägige Befunde der deutschen Forschung dar, die sich erst seit wenigen Jahren genauer empirisch mit dem Phänomen auseinandersetzt. Dabei liegt der Schwerpunkt der Betrachtung auf dem Querschnitt, also nicht auf der Erklärung des zeitlichen Trends – die zeitliche Momentaufnahme lässt aber Rückschlüsse auf (mögliche) Triebkräfte dieser Entwicklung zu.
2. T heoret ische Über legungen: Er wer bs t ä t igkei t im Ruhes t and al s Abweichung vom ins t i t u t ional isier ten Lebensl au f Die Lebensphase des Ruhestands ist Teil des modernen institutionalisierten Lebenslaufs (Kohli 1985), dessen Herausbildung als normatives Modell für große Teile der Bevölkerung in Deutschland (und anderen westlichen Gesellschaften) erst einige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossen war. Die über Arbeitsmärkte organisierte individuelle Erwerbsarbeit bildet den Drehund Angelpunkt dieses normativen Modells. Konkret reguliert und organi-
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siert es den Ablauf des individuellen Lebens insbesondere durch die Vorgaben des Bildungssystems, des Erwerbssystems und des Sozialstaats. Dies gilt vor allem für Männer; für Frauen beinhaltet das traditionelle Standardmodell des Lebenslaufs die (Haupt-)Verantwortung für die familiale Reproduktion und damit einen weniger starken faktischen und normativen Bezug auf das Erwerbssystem. Trotzdem erfolgt auch die Absicherung der Lebensrisiken von (Ehe-)Frauen indirekt über Erwerbstätigkeit, nämlich die des Ehemannes. So lässt sich zumindest das traditionelle Modell des modernen Lebenslaufs beschreiben, das spätestens seit den 1980er/90er Jahren mit dem deutlichen Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Frauen und vielfältigeren Formen der Arbeitsteilung zwischen (Ehe-)Partnern an Geltungskraft eingebüßt hat. Auch die mit der Institutionalisierung des Lebenslaufs aus dem Erwerbssystem kategorisch ausgegliederten Lebensphasen der Kindheit und Jugend bzw. des Ruhestands bleiben normativ und strukturell auf die Erwerbsphase bezogen: Kindheit und Jugend bereiten mit Schule und Ausbildung auf die Erwerbsphase vor; der Ruhestand stellt ein effizientes System der Ausgliederung von Arbeitskräften dar, das individuell und/oder kollektiv, kapitalgedeckt oder im Umlagesystem finanziert und über früher im Lebenslauf erbrachte produktive Leistungen normativ begründet wird. Dass der Ruhestand sich als eigenständige und erwartbar längere Lebensphase herausbilden konnte, beruht dabei auch auf der deutlich verlängerten individuellen Lebenserwartung und der Konzentration des Todesereignisses im höheren Alter (vgl. Kohli 1985). Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze stellt eine Abweichung vom solcherart institutionalisierten Lebenslauf dar: Bezahlte Arbeit wird über die gesetzliche Altersgrenze hinaus fortgeführt oder nach dieser wieder aufgenommen, womit das institutionalisierte Verlaufsprogramm zeitlich nicht eingehalten und die Definition des Ruhestands als erwerbsfrei aufgeweicht wird. Erst die Aufklärung der Ursachen dieser (zunehmenden) Ausnahmen von der Regel des erwerbsfreien Ruhestands erlaubt ihre gesellschaftspolitische Bewertung. Als Erklärungsfaktoren können dabei auf der individuellen Ebene grob erstens individuelle Fähigkeiten zu arbeiten, zweitens der Wille zu arbeiten (aus welchen Gründen auch immer) sowie drittens individuelle Arbeitsgelegenheiten genannt werden (ausführlicher vgl. Scherger et al. 2012: 20; für ein theoretisches Modell der Arbeitsfähigkeit vgl. Peter & Hasselhorn 2013 sowie Hasselhorn in diesem Band). Während erstens die individuellen Arbeitsfähigkeiten (physische und mentale) Gesundheit sowie Qualifikationen, Wissen und Fertigkeiten umfassen, können zweitens in Bezug auf den Willen zu arbeiten finanzielle und nicht-materielle Gratifikationen wie soziale Anerkennung und Kontakte, Spaß an der Arbeit oder die Weitergabe von Wissen unterschieden werden. Beide Arten von Gründen hängen eng mit der bisherigen Erwerbskarriere und der familial-privaten Lebenssituation zusammen. Arbeitsgelegenhei-
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ten werden drittens vom Zusammenspiel zwischen individuellen Arbeitsfähigkeiten und Erwerbsverlauf, der Struktur und Situation des Arbeitsmarkts und den Arbeitsbedingungen in den Betrieben geprägt. Die individuellen Einflüsse auf Arbeit jenseits der Rentengrenze sind eingebettet in das jeweilige Regime des institutionalisierten Lebenslaufs, welches insbesondere über Renten- und Erwerbssysteme sowie über altersbezogene Normen (z. B. Altersbilder) und Regulationen auf die Aufnahme oder Fortführung von Arbeit jenseits der Rentengrenze einwirkt.1 Schon diese kurze Skizze (ausführlicher vgl. Scherger et al. 2012, Schmitz 2014) macht deutlich, dass der Zusammenhang von Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze mit individuellen Ungleichheitspositionen komplex ist und nicht auf eine Richtung des Zusammenhangs reduziert werden kann. Auf der einen Seite neigen arme Rentnerinnen und Rentner vermutlich eher zu Erwerbstätigkeit, weil sie einen stärkeren Bedarf an zusätzlichem Einkommen haben; gleichzeitig sind ihre Arbeitsmarktchancen und ihre Gesundheit im Alter eher schlechter. Auf der anderen Seite haben privilegierte Ältere, die früher in höheren beruflichen Positionen gearbeitet haben, vermutlich kaum stärkere finanzielle Motive zu arbeiten, erhalten in ihrer Tätigkeit aber potentiell hohe nicht-materielle Gratifikationen etwa in Form von sozialer Anerkennung; zudem sind ihre Gesundheit und ihre Arbeitsmarktchancen im Schnitt besser. Bevor wir diese Zusammenhänge anhand konkreter Indikatoren empirisch näher beleuchten, skizzieren wir zunächst den institutionellen Hintergrund, vor allem die Grundzüge des Rentensystems.
3. Ins t i t u t ioneller Hintergr und: Das deu t sche Rentensy s tem und jüngs te Reformen Zentraler Teil des deutschen Systems der Alterssicherung ist die gesetzliche Rentenversicherung, die die Mehrheit aller Erwerbstätigen absichert (für einen Überblick über das System der Altersvorsorge vgl. Bäcker et al. 2010: 377-503, Boeckh et al. 2011: 339-371). Ausnahmen betreffen vor allem Beamte, für die ein eigenes System der Altersversorgung existiert, und Selbstständige, die meist nur privat oder (im Falle der Professionen) berufsständisch abgesichert sind, obwohl für kleine Selbstständige die Absicherung über die gesetzliche Rentenversicherung möglich ist. Die gesetzliche Rentenversiche1
Um die Rolle dieser Institutionen und von Wohlfahrtskulturen für Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze näher zu bestimmen, werden systematische Vergleiche zwischen Ländern vorgenommen, in denen sich diese Institutionen und Kulturen unterscheiden (vgl. beispielhaft Scherger et al. 2012 und Scherger 2013).
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rung ist als Sozialversicherung organisiert und folgt dem Äquivalenzprinzip: Die Höhe der Beiträge ist abhängig von der Höhe des Einkommens, und dem entspricht auch die relative Höhe des späteren Renteneinkommens. Auf diese Weise sollte traditionell die Sicherung des Lebensstandards im Alter gewährleistet sein. Ansprüche auf Zahlung der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten auch Personen, die Kinder versorgt oder andere Personen gepflegt haben, sowie im Todesfall des Versicherten hinterbliebene Ehepartner und Kinder. Neben der gesetzlichen Rentenversicherung spielt für die traditionellen industriellen Kernbelegschaften, de facto vor allem westdeutsche Männer, die betriebliche Altersvorsorge eine gewisse, indes nachgeordnete Rolle. Dagegen ist die private Altersvorsorge für Rentnerinnen und Rentner kaum bedeutsam (mit den obengenannten Ausnahmen). Das gesetzliche Rentensystem und die Regelungen zum Rentenübergang waren in den vergangenen zwei Jahrzehnten grundlegenden Reformen ausgesetzt (für einen Überblick vgl. z.B. Schulze & Jochem 2007). Diese dienten dem übergreifenden Ziel der Stabilisierung bzw. der Senkung der Rentenbeiträge und damit zusammenhängend der Erhöhung der Erwerbstätigenquote der 55- bis 65-Jährigen. Einige der Änderungen wirken sich bereits auf das Rentenzugangsgeschehen und die Renten insbesondere von Neurentnerinnen und -rentnern aus. Viele weitere, wie etwa die gerade erst beginnende Anhebung des Rentenalters in der gesetzlichen Rentenversicherung2 (vgl. Brussig 2012), der Ausbau der privaten Altersvorsorge durch ihre staatliche Förderung (u.a. Riester-Rente) und die parallele Rentenabsenkung in der gesetzlichen Rentenversicherung werden ihre Wirkung erst bei zukünftigen Älteren vollends entfalten. Heutige (Neu-)Rentnerinnen und -rentner sind vor allem vom Auslaufen der meisten vorzeitigen Rentenarten (etwa Altersrente für Frauen und nach Arbeitslosigkeit), von der Anhebung der entsprechenden Altersgrenzen auf zumeist 65 Jahre und den zusammen mit diesen Änderungen eingeführten Abschlägen bei vorzeitigem Rentenbezug betroffen (Brussig 2010). Diese Abschläge haben zusammen mit den insgesamt diskontinuierlicheren Erwerbsbiographien der letzten Rentenzugangskohorten dazu geführt, dass die Rentenzahlbeträge in der gesetzlichen Rentenversicherung in den untersten Einkommensgruppen im Schnitt sinken (Frommert & Himmelreicher 2013, vgl. auch Brussig 2012).3 Dies wird auch nicht durch betriebliche und private 2
Die Anhebung der Altersgrenzen ist inzwischen auch (zumindest prospektiv) in fast allen anderen Teilsystemen der Altersvorsorge neben der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgt.
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Dies gilt eher für (insbesondere ostdeutsche) Männer als für Frauen: In den jüngeren Frauenkohorten steigen die Rentenansprüche tendenziell, da ihre familienbedingten Unterbrechungen kürzer sind als bei den älteren.
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Alterseinkommen kompensiert, die tendenziell bei Besserverdienenden verbreiteter sind (Frommert & Himmelreicher 2013). Diese Dynamik wird sich in zukünftigen Rentenzugangskohorten wahrscheinlich verschärfen (vgl. Trischler & Kistler 2011), wenn die Verbreitung privater und betrieblicher Absicherung weiterhin stark ungleich verteilt bleibt (für das Beispiel der Riester-Rente vgl. Lamping & Tepe 2009). Für Rentnerinnen und Rentner vor der gesetzlichen Altersgrenze (im Jahr 2014: 65 Jahre und 3 Monate) gelten strenge Grenzen für Hinzuverdienste durch Einkommen aus Arbeit: Ab einem Arbeitsverdienst von über € 450 werden nur noch Teilrenten gezahlt, für die jeweils eigene, komplexer hergeleitete Zuverdienstgrenzen gelten (Deutsche Rentenversicherung 2013); nach Erreichen der Altersgrenze kann unbegrenzt hinzuverdient werden. Rentnerinnen und Rentner mit sehr geringen Einkommen haben unter bestimmten Bedingungen Anspruch auf die bedarfsgeprüfte Grundsicherung im Alter. Im Jahr 2012 erhielten 2,7 Prozent der Älteren diese Leistung (Statistisches Bundesamt 2014a), allerdings ist der Anteil derer, die ein Recht auf diese Leistung hätten, sie aber nicht in Anspruch nehmen, vermutlich etwa doppelt so hoch (Becker 2012, auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels). Verdienen Grundsicherungsempfängerinnen oder -empfänger ein zusätzliches Erwerbseinkommen, so wird dieses vom ersten Euro an angerechnet und nur ein sehr kleiner Teil darf behalten werden (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2010).
4. Er wer bs t ä t igkei t jensei t s der Rentengrenze: Ver brei t ung und individuelle Char ak ter is t ik a Unter denjenigen, die im Alter von 65 Jahren und älter noch (oder wieder) erwerbstätig sind, müssten erwerbstätige Rentenempfängerinnen und -empfänger im engeren Sinne von denjenigen unterschieden werden, die arbeiten und keine Rentenzahlungen empfangen, sei es, weil sie keinerlei (auf eigener Erwerbstätigkeit basierende) Ansprüche haben, oder weil sie den Rentenempfang aufschieben.4 In Deutschland bilden die arbeitenden Rentenempfängerinnen und -empfänger die große Mehrheit derer, die im Rentenalter 4
In der gesetzlichen Rentenversicherung wird der Aufschub von Rentenzahlungen durch Renten-Aufschläge von 0,5 Prozent pro Monat belohnt. Der Anteil derer, die diese Regelung nutzen, ist klein; nach Auskunft eines Mitarbeiters der Deutschen Rentenversicherung (E-Mail-Auskunft im Jahr 2012) sind darunter viele, die von dieser Regelung nur ‚versehentlich‘ profitieren, da sie ihre (aufgrund von langer Selbständigkeit, Aufenthalten im Ausland o. ä.) sehr geringe gesetzliche Rente verspätet beantragt haben.
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noch erwerbstätig sind; die anderen beiden Gruppen sind sehr klein (Scherger et al. 2012: 37). Außerdem arbeiten natürlich auch manche Rentenempfängerinnen und -empfänger unter 65 Jahren, die hier aber nicht im Fokus stehen. Diese Konzentration auf das Rentenalter im strengeren Sinne impliziert den partiellen Ausschluss von transitorischer Erwerbstätigkeit. Die Anteile arbeitender Personen variieren, je nachdem, auf Basis welcher Daten, Definitionen und Altersgruppen die Betrachtung erfolgt. Hier und im Folgenden wird – sofern keine andere Quelle genannt wird – auf eigene Berechnungen auf Grundlage der Daten des Deutschen Alterssurvey zurückgegriffen.5 Nach diesen Berechnungen waren im Jahr 2011 unter den 65- bis 85-jährigen Männern 10,6 Prozent erwerbstätig, unter den Frauen waren es mit 5,6 Prozent nur etwa halb so viele. Diese Anteile erscheinen niedrig, da sie auf alle bis zum Alter von 85 Jahren bezogen sind; bei Betrachtung der 65- bis 69-Jährigen sind es jedoch schon etwa 21,9 Prozent der Männer und 11,4 Prozent der Frauen, die arbeiten. Dabei ist in Großstädten, in Süddeutschland sowie in Westdeutschland der Anteil arbeitender Älterer höher als auf dem Lande, in Nord- und in Ostdeutschland (vgl. Scherger et al. 2012: 38). Im Vergleich zu ihren nicht-arbeitenden Altersgenossen zeichnen sich die Personen, die im Rentenalter noch arbeiten, durch eine Reihe von Besonderheiten aus6: Sie sind – wenig überraschend – gesünder als ihre Altersgenossen, häufiger geschieden (insbesondere die Frauen) und verfügen im Schnitt über bessere schulische und berufliche Qualifikationen (vgl. Scherger et al. 2012, Scherger 2013).7 Neben Bildung sind insbesondere die frühere berufliche Position und die finanzielle Situation von Belang für die Frage, in welcher Weise Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze mit individuellen Ungleichheitspositionen zu5
Der Deutsche Alterssurvey ist eine Wiederholungsbefragung der älteren deutschen Bevölkerung von 40 bis 85 Jahren (ausführlicher vgl. Engstler et al. 2013). Falls nicht anders angegeben, wurden die Querschnittsdaten aus dem Jahr 2011 verwendet. Die Angaben wurden gewichtet, um systematischen Antwortausfall auszugleichen.
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Hier werden nur die wichtigsten Charakteristika berichtet, und zwar vor allem diejenigen, deren abweichende Verteilung sich auch in multivariaten Modellen als signifikant erwiesen hat. Die multivariate Überprüfung ist deswegen wichtig, weil viele der betrachteten Merkmale mit dem Lebensalter zusammenhängen. So handelt es sich etwa beim unterdurchschnittlichen Anteil Verwitweter an den Erwerbstätigen allein um einen Alterseffekt.
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Die Befunde in diesen Texten beruhen auf Daten aus dem Jahr 2008, die neueren Daten aus dem Jahr 2011 zeigen jedoch die gleichen Zusammenhänge (eigene Berechnungen).
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sammenhängt. Was die frühere berufliche Klasse angeht, so sind Ältere, die vor ihrer Verrentung in einer Tätigkeit der oberen Dienstklasse oder als (kleine) Selbstständige gearbeitet haben, häufiger noch erwerbstätig als Angehörige anderer beruflicher Klassen (Abbildung 1). Abbildung 1: Anteile Erwerbstätiger nach früherer beruflicher Klasse
Quelle: Deutscher Alterssurvey, Welle 4 (2011), eigene Berechnungen mit Befragten ab 65 bis 85, gewichtet. Ungewichtetes n=2267.
Zwar sagt diese frühere berufliche Klasse nichts darüber aus, welche Tätigkeit die Älteren nach Erreichen der Rentengrenze ausüben; in sehr vielen Fällen, insbesondere bei den hochqualifizierten Dienstklassen und bei den Selbstständigen, dürfte diese Tätigkeit aber mit der früheren identisch oder dieser sehr ähnlich sein. Die obere Dienstklasse umfasst dabei zum Beispiel leitende Angestellte und hohe Beamte8 (einschließlich Hochschullehrer) sowie die freien Professionen (z. B. angestellte Ärzte und Apotheker); kleine Selbstständige sind sowohl die Inhaber kleiner Betriebe als auch freiberuflich tätige, also solo-selbstständige Personen. Neben der Nachfrage nach den entsprechenden Tätigkeiten, der für diese Klassen im Schnitt höheren beruflichen Anerkennung sowie der vielleicht stärkeren Identifikation mit dem Beruf spielen möglicherweise bei den teilweise schlecht abgesicherten kleinen 8
Eigene Berechnungen mit dem Alterssurvey zeigen indes, dass Beamte im Allgemeinen und im Vergleich zu (früheren) Angestellten, Arbeitern und Selbstständigen eher seltener im Alter arbeiten.
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Selbstständigen auch finanzielle Gründe eine Rolle für ihre häufigere Tätigkeit. Zudem werden Selbstständige auch nicht entlassen, wenn sie die Altersgrenze erreichen. Unterdurchschnittlich häufig arbeiten jenseits der Rentengrenze Personen, die früher un- und angelernten Tätigkeiten nachgegangen sind oder einfachen (etwa Facharbeiter-)Berufen. Dies ist wahrscheinlich vor allem darauf zurückzuführen, dass diese Gruppen häufiger als andere gesundheitlich beeinträchtigt sind, schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und im Falle des Empfangs von Grundsicherung im Alter strenge Hinzuverdienstgrenzen zu beachten haben. Zur Frage, ob Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze mit bestimmten Einkommenslagen, insbesondere Einkommensarmut zusammenhängt, liegen bisher nur einige wenige und unsystematische Befunde vor. Eindeutig etwas häufiger verbreitet ist Erwerbstätigkeit bei Älteren aus Haushalten, die Schulden haben, oft für eine noch nicht abbezahlte Immobilie (vgl. Scherger et al. 2012 sowie eigene Berechnungen mit aktuelleren Daten). Was das Haushaltseinkommen angeht, so zeigt Brenke (2013: 10) mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels für 2011, dass etwa ein Drittel der Haushalte von Erwerbstätigen im Rentenalter ohne das Erwerbseinkommen unter die Armutsrisikogrenze rutschen würde (vgl. auch Hokema & Lux 2015). Hochfellner und Burkert (2013) kommen mit Daten der Deutschen Rentenversicherung und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu dem Ergebnis, dass Personen mit einer niedrigen Zahl von Entgeltpunkten in der Rentenversicherung im Alter eher arbeiten. Allerdings betrachten die Autorinnen keine weiteren Einkommen und keine haushaltsbezogenen Faktoren. Damit bleibt hier offen, ob es sich bei diesen Versicherten mit wenigen Entgeltpunkten nicht teilweise um solche Älteren handelt, die zeitweise selbstständig waren oder noch sind. Diese verfügen oft noch über andere Quellen der Alterssicherung und zeigen ohnehin eine höhere Neigung zu Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze, und das wahrscheinlich nicht allein aus finanziellen Gründen (vgl. auch Walther 2013). Weiterhin erhöhen in den Analysen von Hochfellner und Burkert (2013) frühere Zeiten der Arbeitslosigkeit von mehr als zwei Jahren die Neigung zu Erwerbstätigkeit im Rentenalter. Dieser Effekt wird mit zunehmender (früherer) Zeit in Arbeitslosigkeit wieder geringer, vor allem bei Frauen, was auf die schlechteren Erwerbschancen derer mit sehr diskontinuierlichen Erwerbsverläufen hindeutet. Bei genauerer Betrachtung finden sich also deutliche Hinweise, dass Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze in manchen Fällen (auch) aus finanziellen Gründen geleistet wird. Hier besteht allerdings weiterer Forschungsbedarf.
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5. Umf ang und Ar t der Tä t igkei ten Die überwiegende Mehrheit der über 65-jährigen Erwerbstätigen geht einer Teilzeit-Beschäftigung nach, darunter viele Mini-Jobs – in den Daten des Sozio-oekonomischen Panels beträgt dieser Anteil etwa zwei Drittel (Brenke 2013: 6-7), in denen des Deutschen Alterssurvey fast 80 Prozent (eigene Berechnungen). Was die Arbeitsformen und -tätigkeiten Erwerbstätiger im Rentenalter angeht, so sind nach Brenke (2013: 7) im Jahr 2011 etwa 40 Prozent von ihnen selbstständig tätig (darunter knapp zwei Drittel ohne Angestellte), und noch einmal zehn Prozent als mithelfende Familienangehörige – es bestätigt sich also, dass viele Selbstständige ihre Tätigkeit wahrscheinlich über die Rentengrenze hinaus fortsetzen. In Bezug auf die berufliche Struktur der Erwerbstätigen ab 65 Jahren sind einerseits Führungskräfte und akademische Berufe überrepräsentiert, andererseits, etwas weniger deutlich, auch Dienstleistungsberufe/Verkäufer und Hilfsarbeitskräfte (Brenke 2013: 7 mit Eurostat-Daten, ähnlich vgl. Scherger et al. 2012: 52 mit älteren Daten des Sozio-oekonomischen Panels). Sektoral betrachtet sind die Älteren im Vergleich zu den anderen Erwerbstätigen überdurchschnittlich häufig in der Landwirtschaft, in Handel- und Großhandel und in immobilienbezogenen, unternehmensbezogenen sowie weiteren Dienstleistungen tätig (Scherger et al. 2012: 50 – auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels 2009). Gleichzeitig fällt die verarbeitende Industrie als Sektor ins Auge, in dem deutlich unterdurchschnittlich viele Erwerbstätige ab 65 Jahren arbeiten.
6. Subjek t ive Gr ünde von Er wer bs t ä t igkei t jensei t s der Rentengrenze Alles in allem unterstreichen diese Befunde, dass die Formen von Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze sehr vielfältig sind; dafür spricht auch, dass in den letzten zehn Jahren die Zahl erwerbstätiger Älterer in fast allen Berufen (außer bei den Handwerks- und sonstigen Berufen) deutlich gestiegen ist (Brenke 2013: 7). Obwohl es einige Ältere gibt, deren Einkommen ohne die Erwerbstätigkeit gering wäre, deutet auf Basis der berichteten Befunde wenig darauf hin, dass finanzielle Motive die einzige oder wichtigste Triebkraft der Zunahme von Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze sind. Nach den Gründen für ihre Erwerbstätigkeit befragt, geben zwar etwa 30 Prozent der arbeitenden Rentner und 50 Prozent der Rentnerinnen9 „ihre 9
Die Fragen nach den Gründen wurden nur erwerbstätigen Rentenempfängern und -empfängerinnen gestellt.
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gegenwärtige finanzielle Situation“ als Grund an; indes nennen insgesamt nur etwa sechs Prozent allein diesen Grund (s. Abbildung 2). Das heißt, dass die meisten dieser Befragten auch noch mindestens einen weiteren Grund für ihre Tätigkeit nennen, etwa „Spaß an der Arbeit“ (von insgesamt mehr als 72 Prozent genannt), „Kontakt zu anderen Menschen“ (Männer: knapp 50 Prozent, Frauen: gut 60 Prozent) sowie „möchte weiterhin eine Aufgabe haben“ (insgesamt etwa 58 Prozent). Abbildung 2: Gründe für Arbeit nach der Rentengrenze (nur arbeitende Rentenempfänger, Mehrfachantworten möglich)
Daten: Deutscher Alterssurvey, Welle 4 (2011), eigene Berechnungen, gewichtet. Ungewichtetes n=185.
Ein sehr ähnliches Bild liefert unsere eigene qualitative Interview-Studie10, in welcher die befragten arbeitenden Rentnerinnen und Rentner alles in allem und trotz manchmal nicht günstiger Arbeitsbedingungen von der sehr positiven Erfahrung ihrer Tätigkeit berichten. Das Gleiche gilt auch für viele kleine Selbstständige (Walther 2013). Zwar erfüllen diese Studien nicht den 10 Die hier berichteten Befunde sind Ergebnisse des qualitativen Teilprojekts der Emmy Noether-Nachwuchsforschungsgruppe „Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze in Deutschland und Großbritannien“ am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen. Für die qualitative Studie, auf deren deutsches Subsample sich die obigen Anmerkungen beziehen, wurden insgesamt 49 Leitfadeninterviews mit arbeitenden deutschen und britischen Rentenempfängerinnen und -empfängern geführt. Die vor allem von Anna Hokema erarbeiteten Ergebnisse werden im Jahr 2015 als Buch erscheinen (vgl. auch Hokema & Lux 2015).
Arbeiten müssen, können oder wollen?
Anspruch der Repräsentativität und ihre Fallauswahl ist potentiell selektiv (z. B. in Richtung positiv erfahrener Arbeit); sie zeigen aber dennoch die große Vielfalt finanzieller und nicht-finanzieller Motive auf, die sich häufig individuell und manchmal in ambivalenter Weise mischen. Nicht-finanzielle Motive umfassen dabei die schon genannten (Spaß an der Arbeit, soziale Kontakte, eine Aufgabe haben) und andere mit dem Arbeitsinhalt verknüpfte Gründe, z. B. den Sinn, der in der Arbeit gesehen wird. Zudem werden als subjektive Triebfedern oft die Weitergabe von Kenntnissen und Fähigkeiten an jüngere Generationen, der Wunsch, sich durch Arbeit gesund zu halten und die Tagesstrukturierung durch die Arbeit genannt. Gemäß diesen qualitativen Ergebnissen müssen auch finanzielle Motive ausdifferenziert werden. Während sich andeutet, dass eine kleine Gruppe in dem Sample arbeitender Älterer ohne ihre Arbeitseinkommen arm im engeren Sinne wäre (deren kleiner Anteil aber aufgrund der erwähnten möglichen Selektivitäten keine verallgemeinernden Schlüsse zulässt), erzählen darüber hinaus auch andere, mehr oder weniger gut situierte Befragte von finanziellen Motiven. Dabei ist für viele der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner der Wunsch zentral, den bisherigen Lebensstandard (etwa mit bestimmten Hobbys oder Reisen) zu halten: Es geht dann weniger um abzuwendende Armut als um relative Einkommensverluste aufgrund des Eintritts in den Ruhestand, wobei ausgehend vom eigenen Lebensstil die subjektive Bewertung der finanziellen Lage als (nicht) ausreichend ausschlaggebend ist. Zudem kann der Wunsch eines Zubrots durch spezielle Bedarfe, etwa die finanzielle Unterstützung von Verwandten, bedingt sein.
7. Schluss folger ungen und Ausbl ick Die Antwort auf die im Titel gestellte Frage, ob Erwerbstätige jenseits der 65 arbeiten wollen, müssen oder können, ist komplex. Bei einer Minderheit arbeitender Rentnerinnen und Rentner spielen finanzielle Notwendigkeiten im Sinne von drohender Armut zwar eine Rolle, bei der Mehrheit ist indes der Wunsch nach Erwerbstätigkeit aus anderen Gründen bedeutender, seien es die positiv erfahrene Arbeit oder der Wunsch nach einem kleinen Zusatzeinkommen. Am höchsten ist die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze dort, wo starke individuelle Motive zur Erwerbstätigkeit mit guten Arbeitsfähigkeiten und vorhandenen Arbeitsgelegenheiten (also bestehender Nachfrage nach den betreffenden Tätigkeiten) zusammentreffen – etwa bei Hochqualifizierten und kleinen Selbstständigen. In Zukunft wird wahrscheinlich auch die Erwerbsneigung schlecht abgesicherter geringer Qualifizierter zunehmen, die noch in der
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Simone Scherger und Anna Hokema
Lage sind, beispielsweise in einfachen Dienstleistungstätigkeiten zu arbeiten. Sowohl die (bisher langsam) wachsende Altersarmut als auch die in manchen Gruppen zunehmenden relativen Einkommensverluste beim Übergang in den Ruhestand tragen also wahrscheinlich zum Anstieg von Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze bei – und dies wird sich künftig vermutlich fortsetzen. Aufgrund der Rentenreformen wird sich zudem das durchschnittliche faktische Rentenalter weiter erhöhen und möglicherweise der gesetzlichen Altersgrenze annähern, was auch die Wahrscheinlichkeit von Erwerbstätigkeit danach erhöht. Gleichzeitig ist die derzeitige Generation von Rentnerinnen und Rentnern im Mittel so gesund und gut ausgebildet wie keine Generation zuvor. Über den stärkeren Wunsch nach Arbeit sowie bessere Arbeitsfähigkeiten und Arbeitsgelegenheiten begünstigt auch dies die Verbreitung von Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze, insbesondere angesichts der verbesserten Arbeitsmarktlage der vergangenen Jahre und der veränderten Bedingungen für geringfügige Beschäftigung. Schließlich mögen auch gewandelte Ansprüche der jüngst in den Ruhestand eingetretenen Generationen an die Lebensphase Alter mit einem erhöhten Wunsch nach fortgesetzter Erwerbstätigkeit einhergehen. Damit ist indes nicht gesagt, dass Arbeit jenseits der Rentengrenze oder auch nur bis zur Rentengrenze für alle Älteren möglich oder gar wünschenswert sei. Insbesondere in Bezug auf die Arbeitsfähigkeiten im Alter und die betrieblichen Möglichkeiten einer längeren Beschäftigung bis zur Altersgrenze oder über diese hinaus bestehen weiterhin viele Hindernisse zum einen praktischer Art, etwa der alters- und alternsgerechten Gestaltung von Arbeitsplätzen und des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Zum anderen erschweren auch individuelle Einstellungen die (Weiter-)Beschäftigung von Älteren, wenn z. B. bei Personalverantwortlichen insbesondere bei der Neueinstellung von Älteren oft noch negative Altersstereotype wirken, die zu Altersdiskriminierung führen können. Fortbestehende, sich möglicherweise sogar verschärfende soziale Ungleichheiten in den Möglichkeiten und Fähigkeiten, lange erwerbstätig zu bleiben, lassen sich nur bei Berücksichtigung aller dieser Faktoren bekämpfen. Dabei kommt der sozialpolitischen Institution des Ruhestands und einem angemessen ausgestalteten System der Altersvorsorge trotz allen Wandels weiterhin eine Schutzfunktion insbesondere für diejenigen zu, die nicht länger arbeiten können – darüber hinaus aber auch eine Orientierungsfunktion für alle anderen. Den nach einem langen produktiven Arbeitsleben als „verdient“ wahrgenommenen und normativ verankerten Ruhestand im Allgemeinen und für alle infrage zu stellen, würde an den (normativen) Grundlagen und der Legitimität des heutigen Wohlfahrtsstaates rühren.
Arbeiten müssen, können oder wollen?
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Simone Scherger und Anna Hokema
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Arbeiten müssen, können oder wollen?
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Martin Vogler
Zukunft der Arbeit Zur Rente mi t 70 gibt es keine Al terna t i ve
Schon aus demografischen Gründen müssen die Menschen künftig länger arbeiten. Außerdem ist das sogar gut für sie. Auch wenn viele diese These provozierend finden mögen – sie stimmt. Müllmann halten die wenigsten für einen attraktiven Beruf. Die Bezahlung ist eher durchschnittlich, der Körper leidet unter einseitiger Belastung – und das mit der Arbeit an der frischen Luft klingt in diesem Zusammenhang eher makaber. Also darf man den Job im orangen Overall niemandem zumuten? Okay, dann schaffen wir als Gutmenschen halt die „Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft“, so die offizielle Berufsbezeichnung, einfach ab. Die Konsequenzen einer solch naiven Entscheidung wären klar. Da nicht jeder selbst seinen Müll fachgerecht entsorgen wollte und könnte, würden unsere Städte rasch im Dreck versinken. Nur die Ratten wären glücklich. Jeder begreift: Wir brauchen die wackeren Müllwerker, damit unser Zusammenleben weiter funktioniert. Was die meisten beim Müll-Thema einsehen, ignorieren sie hingegen, sobald es um die Rente geht. Da kochen Emotionen hoch. Es sei doch eine Unverschämtheit, wenn Deutsche bald bis 67 arbeiten sollen. Das komme einem Verstoß gegen die Menschenrechte gleich. Und da zitiert mit Sicherheit ein Moralapostel das überstrapazierte Beispiel des Dachdeckers, der in seinem Alter nicht mehr in luftiger Höhe herumkraxeln kann. Das mag im Einzelfall zutreffen. Und natürlich darf man so argumentieren. Nur – mit Verlaub – es ist dumm und falsch. Zumal auch ein Rentenalter von 67 nicht genügen wird. Denn genauso wie unsere Gesellschaft nicht vermeiden kann, dass sie Müll produziert, darf sie die Augen nicht vor der demografischen Entwicklung verschließen. Die Tatsachen sind ganz simpel: Während ein im Jahr 1900 geborener Mann auf durchschnittlich 40 Lebensjahre hoffen konnte, sind es hundert Jahre später angeblich 75 Jahre (bei Frauen liegen die Zahlen bei ähnlicher Tendenz etwas höher). Natürlich sind diese Werte nur bedingt belastbar, weil sie etwa durch die früher extrem hohe Kindersterblichkeit verzerrt sind und auch hoffentlich künftig Kriegstote nur noch eine verschwindende Rolle spielen.
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Martin Vogler
Doch wir können seriös davon ausgehen, dass derzeit die durchschnittliche Lebenserwartung immerhin alle vier Jahre um etwa ein Jahr zunimmt. Für die meisten, die bei guter Gesundheit davon profitieren, ist das wunderbar. Wir kennen sie alle, diese braungebrannten Senioren, die in jugendlichgrellen Freizeitklamotten auf ihren Fahrrädern die Flüsse entlang strampeln und sich anschließend in Cafés und Biergärten stärken. Toll. Gönnen wir es ihnen. Das Dumme an den wackeren, lebenslustigen und extrem fitten Rentnern ist nur, dass sie nicht nur von ihren persönlichen Ersparnissen leben, sondern aus betrieblichen Versorgungskassen, der gesetzlichen Rentenversicherung oder als Beamte direkt vom Staat Geld bekommen. Und je länger wir alle leben, desto länger ist auch die Zeit, in der wir solche Leistungen empfangen. Und das muss finanziert werden. Wie soll das gehen? Indem man die immer weniger werdenden jungen Menschen weiter quält und deren Beiträge zur Rentenversicherung explodieren lässt? Indem man alles aus Steuermitteln finanziert? Alles Unsinn. Man kann gerade auch bei der nachwachsenden Generation die Daumenschrauben nicht unendlich fester drehen. Spätestens bei 25 Prozent Beitragssatz für Rentenkassen würde sie rebellieren, die Leistung verweigern, in die Selbstständigkeit oder ins Ausland flüchten. Bei 30 Prozent drohten vorrevolutionäre Zustände. Spätestens dann wäre nicht nur der Generationenvertrag der Rentenversicherung gestört. Jeder intelligente Mensch muss begreifen, dass das Versorgungsproblem nur dadurch zu lösen ist, dass die Menschen länger arbeiten, also länger in die Rentenversicherung einbezahlen. Sie „sparen“ damit mehr Geld an – auch wenn unser Generationenvertrag genau genommen etwas anders funktioniert –, und außerdem reduziert sich damit automatisch die Lebensphase, in der man Leistungen erhält. Diese Rechnung ist unglaublich simpel – und trotzdem wollen sie selbst viele gebildete Menschen nicht wahr haben. Da es zum späteren Rentenbeginn keine Alternative gibt, müssen wir uns lediglich mit der Frage befassen, wie unsere Gesellschaft mit den älteren Arbeitnehmern umgeht. Natürlich wird kaum ein 67- oder später 70-Jähriger in der Lage sein, acht Stunden am Tag Mülltonnen zu schleppen und hinter dem Müllwagen her zu rennen. So weit ist die Fitnesswelle doch nicht gediehen – und wird es wahrscheinlich auch in zehn Jahren nicht sein. Aber die Arbeitswelt kann und muss sich darauf einstellen, dass ältere Menschen Jobs in ihrem Metier bekommen, die sie auch erledigen können. Teilzeitlösungen können da ebenfalls attraktiv sein. Die Wirtschaft wird daran sehr interessiert sein, erwachsen ihr doch durch das höhere Rentenalter unbezahlbare Vorteile. Sie behält das enorme Wissen langjähriger Mitarbeiter, das ihr bisher in leichtsinnig-verschwenderischer Ma-
Zukunft der Arbeit: Zur Rente mit 70 gibt es keine Alternative
nier entzogen wird. Je weiter die Spezialisierung in der Arbeitswelt fortschreitet, desto wichtiger ist es nämlich, das Knowhow auch älterer Berufstätiger weiterhin zu nutzen. Und die betroffenen Menschen? Richtig eingesetzt, werden sich die meisten glücklich schätzen, weiterhin gebraucht zu werden. Denn die Mär von der Rente als ewigem, glücklichen Urlaub hat längst ausgedient. Anders als früher, als Rentner wohl wirklich alt und müde waren, sind sie heute weiterhin sehr gerne aktiv. Sie beginnen etwa nochmal ein Studium – oft zum Leidwesen der jungen Studenten – oder engagieren sich ehrenamtlich. Alles wunderbar. Doch oft steckt da nur die Furcht vor der großen Leere im Alltag dahinter. Spätestens wenn sie anfangen, sich künstlich mit Sudoku oder ähnlichen Spielereien vermeintlich fit zu halten, ist der Punkt erreicht, an dem klar wird: Diese Leute wären glücklich, wenn sie weiterhin im normalen Berufsleben gebraucht und gerne auch gefordert würden, statt den Gang zum Supermarkt als gesellschaftlichen Höhepunkt des Tages zu empfinden. Allerdings: Wir alle müssen schon aus demografischen und finanziellen Gründen länger arbeiten, aber wir können Bedingungen schaffen, dass wir es mit viel Freude tun.
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Clara Schlichtenberger
Die Verschiebung des Renteneintrittsalters und die Forderung nach Flexibilisierung Tal k r unde 4, moder ier t von K a t ja Gent ine t t a mi t Cl audia Vogel, Simone Scher ger, Werner Eichhor s t und Mar t in Vogler
Katja Gentinetta verwies auf die Aussage von Simone Scherger, dass die Motivation länger zu arbeiten, nicht eindeutig nur finanzielle Beweggründe habe. Es gäbe zwar einige, die aus finanziellen Gründen gezwungen seien, weiter zu arbeiten, aber vielen ginge es auch um die kleinen Extras, die man sich dadurch leisten könne. Claudia Vogel wies darauf hin, dass Altersarmut häufig gesundheitsbedingt sei: Wer aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müsse, könne die geringe Rente in der Regel auch nicht durch Erwerbstätigkeit im Ruhestand kompensieren. Außerdem sei im Alter armutsgefährdet, wer langjährig in Teilzeit beschäftigt gewesen sei und über den gesamten Erwerbsverlauf zu geringe Beiträge in die Rentenversicherung geleistet habe. Dies beträfe hauptsächlich Frauen. Einen weiteren Anteil an Altersarmut habe lebenslange Teilzeitbeschäftigung, die zu wenig Erwerbstätigkeit im Lebenslauf führe. Martin Vogler betonte die Notwendigkeit, das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre auszudehnen, da die demografische Entwicklung langfristig gar nichts anderes zuließe. Mit dem drohenden Arbeitskräftemangel, der immer höheren Lebenserwartung und dem Anspruch, den Großteil des Rentenbedarfs durch staatliche Mittel abzudecken, bliebe überhaupt keine Alternative. Vogel wies darauf hin, dass bei der Gestaltung des längeren Lebens nicht nur thematisiert werden müsse, wer erwerbstätig ist und wer nicht, sondern auch, in welchem Umfang einem Erwerb nachgegangen wird. Wenn man über
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Clara Schlichtenberger
Personen spreche, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze noch erwerbstätig sind, dann spreche man in der Regel nicht über vierzig oder fünfzig Wochenarbeitsstunden, sondern über Personen, die in Teilzeit oder geringfügig beschäftigt seien. Sie fordere eine Diskussion darüber, wie man die Zeit vor oder nach der Erreichung des Rentenalters, z.B. durch Teilzeitmöglichkeiten, gestalten könne, in Projektphasen und in Phasen der Nichterwerbstätigkeit, die man z.B. zur Weiterbildung nutzen könne. Man müsse dieses System der Fehlanreize verlassen, die z.B. Frauen zur permanenten Teilzeitarbeit in Minijobs o.ä. ermuntere und damit deren Altersarmut fördere. Gleichzeitig müsse die Betreuungsinfrastruktur zugunsten einer Gesellschaft in annähernder Vollbeschäftigung geändert werden. Wenn Frauen generell besser bezahlt würden, würden sie voraussichtlich auch häufiger in Vollzeit arbeiten. Vogler ergänzte, dass aus seiner Sicht der starre Renteneintritt ein riesiges Problem sei, das nicht nur die Unternehmen, sondern auch vor allem die Politik fordere. Letztere müsse für die Rahmenbedingungen für flexiblere Zuverdienstmöglichkeiten sorgen und/oder eine „Teilverrentung“ ermöglichen. Verbindlichkeiten sowohl bei der staatlichen wie bei den privaten Rentenprognosen seien ja sowieso relativ oft nicht eingehalten worden, wie wir alle schmerzlich erfahren hätten. Werner Eichhorst entgegnete, dass die Ausrichtung der Gesellschaft auf ein verändertes und flexibleres Renteneintrittsalter eine latente und offene „Baustelle“ bleiben würde. Unternehmen müssten dafür sorgen, dass es attraktiver sei, weiter zu arbeiten. Es sei wahrscheinlich attraktiver und auf jeden Fall besser entlohnt, in der angestammten Tätigkeit oder in dem Beruf zu bleiben als in irgendeinem Minijob. Man solle wegkommen von einer Personalpolitik für Ältere und eher eine „alternsgerechte“ Personalpolitik für alle Gruppen anstreben, dann würde auch eine Stabilisierung von Erwerbsverläufen besser funktionieren. Vielleicht würde es künftig lediglich eine Art Mindestalter für den Renteneintritt geben – evtl. frühestens mit der Erreichung des 60. Lebensjahres und spätestens mit dem 80. Lebensjahr – und dazwischen sei dann alles möglich. Scherger betonte, dass es ja eine spezielle Gruppe sei, die gerne länger arbeiten würde. Aber generell sollte z.B. die Kinderbetreuung und sollten die mit dieser einhergehenden (Einkommens-) Risiken in Form von geringeren Renten gerechter zwischen Männern und Frauen aufgeteilt werden, und z.B. die Möglichkeit der Teilzeitarbeit für Männer verbessert werden. In diesem Zusammenhang wäre es vielleicht sinnvoller, die Renteneinkommen auf Haushaltsebene zu betrachten. Die Orientierungswirkung der klassischen fixen Altersgrenze sei immer noch sehr hoch, da diese Grenze über dreißig oder vierzig Jahre fest etabliert war, und deswegen seien strukturelle Änderungen nicht so einfach. Eine Stellschraube, daran etwas zu ändern, sei evtl. auch das deutsche
Die Verschiebung des Renteneintrittsalters und die Forderung nach Flexibilisierung
Ausbildungssystem, das zwar in seiner Dualität nicht ausgehebelt werden sollte, aber in seinem Spielraum aktiv erweitert werden könne in Bezug auf die Förderung der Weiterbildung, der Aufstiegsfortbildung und der Studienmöglichkeiten für Menschen mit Ausbildung.
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Die Autorinnen und Autoren und die Diskutierenden
Dr. Beate Beermann, Leiterin des Fachbereichs „Grundsatzfragen und Programme“ an der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund Dr. Werner Eichhorst, Direktor Arbeitsmarktpolitik Europa am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA), Bonn Dr. med. Michael Falkenstein, Professor an der Technischen Universität Dortmund, Leiter des Projektbereichs „Altern Kognition und Arbeit“ am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung (IfADo), Dortmund Dr. Katja Gentinetta, selbständige Politikphilosophin und -beraterin, CoGründerin und Partnerin bei GENTINETTA*SCHOLTEN Wirtschaft Politik Gesellschaft, Lehrbeauftragte an den Universitäten St. Gallen und Zürich und an der Hochschule Luzern, Moderatorin der „Sternstunde Philosophie“ am Schweizer Fernsehen, Lenzburg, Schweiz Dr. Gerd Göckenjan, Professor für Gesundheitspolitik im FB 1, Humanwissenschaften, Institut für Sozialwesen an der Universität Kassel Dr. Hans Martin Hasselhorn, apl. Professor, Facharzt für Arbeitsmedizin, Leiter des Forschungsbereichs „Arbeit und Gesundheit“ an der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Berlin Margaret Heckel, Journalistin und Autorin mehrerer Demografiebücher, frühere Politikchefin der „Financial Times Deutschland“, der „WELT“ und der „Welt am Sonntag“, Berlin Anna Hokema, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen, Emmy Noether-Nachwuchsforschungsgruppe „Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze in Deutschland und Großbritannien“, Bremen
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Altern ist Zukunft! Leben und Arbeiten in einer alternden Gesellschaft
Michael Hüther, Honorarprofessor an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Oestrich-Winkel, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln Dr. Karin Kaudelka, Strategische Kuratorin „Arbeit und Gesellschaft“ in der DASA Arbeitswelt Ausstellung, Dortmund Dr. Andreas Kruse, Professor für Gerontologie an der Universität Heidelberg, Leiter des dortigen Instituts für Gerontologie, Heidelberg Dr. Gerhard Naegele, Professor für Soziale Gerontologie an der Technischen Universität Dortmund (em.) und Leiter der dortigen Instituts für Gerontologie, Dortmund Dr. Götz Richter, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund Dr. Simone Scherger, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen, Leiterin der von der DFG-finanzierten Emmy Noether-Nachwuchsforschungsgruppe „Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze in Deutschland und Großbritannien“, Bremen Dr. Clara Schlichtenberger, Wissenschaftliche Publizistin, Fachberaterin der DASA Arbeitsweltausstellung, Tübingen Dr. Claudia Vogel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Freiwilligen-Survey (FWS) am Deutschen Zentrum für Altersfragen, Berlin Martin Vogler, Publizist in Düsseldorf, zuvor unter anderem Chef vom Dienst beim Wirtschaftsmagazin Capital und Chefredakteur der Westdeutschen Zeitung Maria von Welser, Publizistin und TV-Journalistin, Erfinderin des ZDF-Frauenjournals ML Mona Lisa, Hamburg
Sozialtheorie Johannes Angermuller, Martin Nonhoff, Eva Herschinger, Felicitas Macgilchrist, Martin Reisigl, Juliette Wedl, Daniel Wrana, Alexander Ziem (Hg.) Diskursforschung Ein interdisziplinäres Handbuch (2 Bde.) September 2014, 1264 Seiten, kart., 2. Bde. im Schuber, zahlr. Abb., 44,99 €, ISBN 978-3-8376-2722-0
Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Commons Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat (2. Auflage) Mai 2014, 528 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2835-7
Joachim Renn Performative Kultur und multiple Differenzierung Soziologische Übersetzungen I September 2014, 304 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2469-4
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Sozialtheorie Franka Schäfer, Anna Daniel, Frank Hillebrandt (Hg.) Methoden einer Soziologie der Praxis Dezember 2014, ca. 360 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2716-9
Hilmar Schäfer (Hg.) Praxistheorie Ein soziologisches Forschungsprogramm Januar 2015, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2404-5
Rudolf Stichweh Inklusion und Exklusion Studien zur Gesellschaftstheorie (2., erweiterte Auflage) Januar 2015, ca. 250 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-2294-2
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