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German Pages 465 Year 1996
WERNER BERG
Allgemeine Entwicklungslogik und nationale Eigenständigkeit im lndustrialisierungsprozeß
Volkswirtschaftliche Schriften Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. J, Broermann t
Heft 455
Allgemeine Entwicklungslogik und nationale Eigenständigkeit im Industrialisierungsprozen Der Fall des britischen Kohlenbergbaus im Vergleich (1830 - 1947)
Von
Werner Berg
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Berg, Werner: Allgemeine Entwicklungslogik und nationale Eigenständigkeil im Industrialisierungsprozess : der Fall des britischen Kohlenbergbaus im Vergleich (1830- 1947) I von Werner Berg.Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Volkswirtschaftliche Schriften ; H. 455) Zug!.: Freiburg (Breisgau), Univ., HabiL-Sehr., 1993 ISBN 3-428-08495-0 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0505-9372 ISBN 3-428-08495-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @!
Vorwort Die vorliegende Studie ist die überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Jahre 1993 vom Gemeinsamen Ausschuß der Philosophischen Fakultäten der Universität Freiburg angenommen wurde. Ihre Veröffentlichung nehme ich gerne zum Anlaß, meinen alten Freiburger Lehrern Gottfried Schramm und Hugo Ott für langjährige Anregung, Förderung und Unterstützung zu danken. Ebenfalls mit Dankbarkeit schaue ich auf das ungebrochene Interesse und die Hilfsbereitschaft zurück, die dieser Arbeit in den verschiedenen Phasen ihrer Entstehung zuteil wurden. Hier sind insbesondere die Herren Professoren Lord Ralf Dahrendorf (Oxford), Dieter Groh (Konstanz), Reinhart KoseHeck (Bielefeld), Eric J. Hobsbawm (London), Wolfgang J. Mommsen (Düsseldorf), Hans Möller und Reinhard Spree (beide München) zu nennen; ein später Dank gilt auch Glanmor Williams (Swansea) und L. John Williams (Aberystwyth), die mir geholfen haben, Eingang in die Verhältnisse des walisischen und britischen Bergbaus zu finden. Es ist mir weiterhin eine angenehme Pflicht, zum Teil alte Dankesschulden bei folgenden Biblotheken abzutragen, ohne deren Entgegenkommen und Verständnis auch diese Arbeit nicht hätte geschrieben werden können; es handelt sich vor allem um die Bergbau-Bücherei in Essen, insbesondere Herrn Kroll, sowie die Bibliotheken des National Coal Board, des Ministry of Minesund der Institution of Civil Engineers in London. Nicht zuletzt habe ich verschiedenen Institutionen für finanzielle Unterstützung zu danken: der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Gewährung eines zweijährigen Forschungsstipendiums, ebenso der Hans Merensky-Stiftung (Hamburg) und dem Daimler Benz-Fonds im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft für weitere Hilfen. Freiburg i. Br., im Juni 1995 Werner Berg
Inhaltsverzeichnis I.
Einleitung: Erkenntnisinteresse und Operationalisierung . . . . . . . . . . . 1. Die Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung und Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ziele, Begriffe und Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Theoretische Ausgangspunkte und konzeptionelle Schlußfolgerungen 5. Empirische Basis und inhaltliche Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . .
9 9 11 21 33 45
li.
Die natürlichen Bedingungen und das Wirken der bergwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Teufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Vorkommen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Kapitalbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Lebensdauer und Abbaugebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Betriebsausdehnung, Produktionskosten und Produktivität . . . . . . 7. Die Größe der Betriebe und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die Karteliierung und ihre Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55 55 58 61 66 68 70 77 89
liI. Die systembedingte Aneignung: Die Gesetze und Elemente des freien Marktes und ihr Wirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Boden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Absatzmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93 93 111 130 148
IV. Fazit: Natürliche Bedingungen und systembedingte Aneignung. . . . . . .
157
V.
161 162 169 176 181 184 195 196 226 233 240
Die 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
technische Aneignung: Entwicklung und Einsatz der Technik . . . . Die Eroberung der Tiefe: Wasserhaltung, Beleuchtung und Bewetterung Der unterirdische Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zutagefördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Transport übertage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Aufbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Abbaumethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die maschinelle Kohlegewinnung: Der problematische Fortschritt... Die Erzeugung und Verwendung von Energie . . . . . . . . . . . . . . . Die unmittelbaren Folgen des Einsatzes der Technik . . . . . . . . . . Das Verständnis von Technik und Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . .
8
Inhaltsverzeichnis
VI. Eigengewicht, Wirkungsmacht und Reichweite der sachlichen Strukturen auf den Gang der industriellen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die natürlichen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 . Die bergbauliche Betriebsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Konjunkturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Herrschaft der Gesetze des freien Marktes . . . . . . . . . . . . . . a) Das Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Boden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 . Der Absatzmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 . Der Zuliefermarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die betriebliche Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
259 263 273 280 288 289 294 298 320 370 376 382
..
387
. . . . .
390 391 396 413 425
Tafel I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tafel II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tafel III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
441 443 445
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Das Resultat: Industrialisierung und nationaler Sonderweg . . . . . . . 1. Die Repräsentativität des Kohlenbergbaus: Das Beispiel anderer Industrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Textilindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Eisenindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die chemische Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Elemente und Abläufe der Industrialisierung . . . . . . . . . . .
. . . . .
Anhang
Abkürzungsverzeichnis AER AfSS CIC CM GBAG GG EHR ICTR IME
American Economic Review Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Coal Industry Commission The Colliery Manager and Journal of Mirring Engineenng Gelsenkirebener BergwerksAG. Geschichte und Gesellschaft Economic History Review The Iron and Coal Trades Review Transactions of the Institution of Mirring Engineers
Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Minutes of Proceedings of NACM the National Association of Colliery Managers Transactions of the North of NEIME England Institution of Mining Engineers NEIMME Transactions of the North of England Institution of Mining and Mechanical Engineers Rheinisch-Westfälisches KohRWKS lensyndikat Transactions of the South SWIE Wales Institute of Engineers
JNS
I. Einleitung: Erkenntnisinteresse und Operationalisierung 1. Die Fragestellung Der Industrialisierungsprozeß, sein Verlauf, seine Begleiterscheinungen und seine Folgewirkungen, haben weltweit - zu Recht - sowohl aus lokaler, regionaler wie nationaler Perspektive eine kaum mehr überschaubare Fülle von Darstellungen gefunden. Darüber hinaus existiert auf anderer Ebene eine Reihe von Theorien, Modellen und Konzepten, die gleichsam die einzelnen Industrialisierungserfahrungen auf allgemeinerer Stufe einzufangen und zusammenzufassen suchen. Die Frage danach aber, warum industrielle Entwicklung überhaupt und sodann warum eine- in meist nationalem Bezugsrahmen-so beschaffene stattfand, ist, falls überhaupt angegangen, ebenso häufig gestellt wie verschieden beantwortet worden. Wo der Frage nach dem Wie so ausführlich nachgegangen wird und werden kann, da, so könnte der Beobachter meinen, kann doch eine gründlichere Beantwortung des Warum - zumindest auf Dauer - nicht ausbleiben. Können, wenn schon - vorläufig - nicht die Darstellungen, nicht die zahllosen, nach Kilometern zählenden, historischen Quellen hierüber Auskunft geben? Die Antwort auf diese scheinbar einfache und daher fast herausfordernde Frage muß zunächst sein: Falls dort überhaupt direkte oder indirekte Aussagen zu dieser Problematik vorkommen, sind sie ebenso partikular, subjektiv wie parteiisch. Und jede seriöse wissenschaftliche Darstellung muß sich weigern, solche Aussagen unbefragt und unkontrolliert zu übernehmen. Denn zur Beantwortung der Frage nach dem Warum und: warum auf diese Weise, muß notwendigerweise der Bezugsrahmen erweitert werden: systematisch, chronologisch und schließlich territorial: von der Region zur Nation, und- vergleichend - von der einen Nation zur anderen. Warum hier eine industrielle Entwicklung auf diese Weise, dort auf eine andere, und beim dritten auf eine wiederum andere Art, schließlich: warum hier eine industrielle Entwicklung und dort keine? Die industrielle Entwicklungslogik, wie sie in vielen ökonomischen Theorien dargestellt wird und diesen selbst zugrunde liegt, suggeriert, daß beim Vorhandensein oder dem Zur-Verfügung-Stellen der Produktionsfaktoren Boden, Kapital, Arbeit und - spätestens noch von Management und Knowhow eine industrielle Entwicklung zustande kommt und zugleich: daß sie - von Region zu Region und von Land zu Land - sehr ähnlich, wenn nicht völlig gleichförmig
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I. Einleitung: Erkenntnisinteresse und Operationalisierung
abläuft. Zumindest aber geht sie davon aus, daß der Endzustand dieser Entwicklung überall- mehr oder weniger - der gleiche sein wird. Wenn dies auch irgendwann in Zukunft der Fall sein sollte, so haben wir diesen Zustand auch in Ländern mit annähernd gleicher Stufe der industriellen Entwicklung selbst heute noch keineswegs erreicht, und die Geschichtsmächtigkeit dieses >>Zwischen«- oder >>Übergangsstadiums« ist mehr als evident. Ja, viele Phänomene und Probleme erklären sich gerade erst durch die Unterschiede zwischen Regionen und Nationen. Und diese Unterschiede, so wissen wir, existierten und existieren nicht nur im materiellen, sondern mit gleicher Vehemenz auch im institutionell-organisatorischen und im immateriell-mentalen Bereich. Wie kommt es nun, so stellt sich die Frage, daß die überall am Werk befindliche, so mächtige Herrschaft der Logik des industriellen Entwicklungsprozesses zunächst einmal- und dies zumindest für lange Zeit- solche Unterschiede zuläßt, darüberhinaus aber sogar auch generiert und bestehen läßt? Weil, so die einfache Antwort, sich der Industrialisierungsimpuls auf die jeweiligen regionalen bzw. nationalen ebenso wie die zeitlichen Befindlichkeiten• einzulassen hat, ja diese zunächst einmal zum Einsatz bringen muß. Zu diesen Befindlichkeiten gehört nicht nur die jeweils spezifische Ausformung der Produktionsfaktoren, sondern auch alle, oder doch fast alle Institutionen und Regelungen sowie viele der übrigen materiellen wie immateriellen Werte. Erst die konkrete, jeweils spezifische >Vermischung< von Industrialisierungsimpuls, gleichgültig ob er von außen oder von innen kommt, und den regionalen, nationalen oder zeitlichen Befindlichkeiten erzeugt den - jeweils spezifischen - industriellen Prozeß. Selbst wenn die industriellen Impulse gleich stark sind, muß das Ergebnis: der industrielle Prozeß, von der jeweiligen Ausprägung der nationalen, regionalen und zeitlichen Spezifika mitgeprägt, also: unterschiedlich sein. Ob und wie lange diese Unterschiede im Industrialisierungs- und umfassender: Modernisierungsprozeß erhalten bleiben, geringer, aber auch wieder größer werden können, hierüber läßt sich derzeit wohl nur spekulieren, zumindest aber keine empirisch begründete Aussage machen. Das für die Gegenwart gezeichnete Bild der industriellen oder auch: postindustriellen Gesellschaft jedenfalls scheint alles andere als allgemeingültig und verbindlich2, dasjenige für die Zukunft vollends ebenso unzuverlässig wie wechselhaft zu sein. 3 Um herauszufinden, ob und in welchem Maße der industrielle Prozeß, sein Gang und seine Richtung, von sektoralen, also industriespezifischen, von nationalen, 1 2
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Diese Begrifflichkeit verdanke ich einer Anregung von Prof. K. Borchardt (München). Vgl. hierzu etwa: W.J. Mommsen, Britain and Germany 1800 to 1914. Two Developmental Paths Towards lndustrial Society, 1986, S. 27-30; S. B. Sau!, lndustrialisation and De-Industrialisation? The Interaction of the German and British Economies before the First World War, 1980. Vgl. hierzu z. B. nur so unterschiedliche Entwürfe wie die von J. K. Galbraith (The Affluent Society, 1958 1; The New Industrial State, 19671) und von M.J. Piore und Ch. Sabel (The Second Industrial Divide. Possibilities for Prosperity, 1984).
2. Abgrenzung und Durchführung
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von übernationalen oder aber von universell gültigen Faktoren und Phänomenen des industriellen oder auch industriekapitalistischen Systems abhängig sind, setzen wir das Mittel des Vergleichs ein. Der hier vorgenommene Vergleich hat jedoch, um zum Ziele zu führen, einer bestimmten zusätzlichen Methodik zu folgen: Einerseits muß er den gleichen Industriezeig oder Sektor in verschiedenen Ländern, andererseits verschiedene Industriezweige desselben Landes, aber auch anderer Länder einander gegenüberstellen, und zum dritten kann er die verschiedenen Vergleichsgegenstände nicht mit gleicher Gründlichkeit und Ausführlichkeit behandeln. Gewissermaßen als Kern der Untersuchung soll hier der Sektor des Kohlenbergbaus in Großbritannien dienen, dem zunächst insbesondere der deutsche Bergbau, hier vor allem der Ruhrbergbau, und sodann die Bereiche der Textilindustrie, der Eisenindustrie und der chemischen Industrie gegenübergestellt werden. Das Ziel des hier anvisierten Vergleichs geht über die Öffnung des Blicks auf alternative Entwicklungsmöglichkeiten und -wege sowie über die Feststellung von Ähnlichkeiten und Unterschieden hinaus: Er soll- empirisch begründeteMöglichkeiten der Verallgemeinerung einerseits und der Abgrenzung und Individualisierung andererseits schaffen, strebt mithin also Einordnung, Deutung und Typenbildung an.
2. Abgrenzung und Durchführung Eine Sichtweise wie die hier dargelegte geht aus von der - tatsächlichen oder nur theoretisch-methodisch begründeten - Existenz von gleichsam diachronen, im Verein mit und parallel zum Industrialisierungsimpuls wirkenden Strukturen (der allgemeinen wirtschaftlich-industriellen Entfaltung, des Wachstums, aber auch seines Gegenteils) und sozusagen quer hierzu verlaufenden synchronen Strukturen (der jeweils auftretenden regionalen, nationalen und zeitlichen Befindlichkeiten), wobei der Begriff >Strukturen< längerfristig wirksame Erscheinungen und Entwicklungen bezeichnen soll, die durch den einzelnen Menschen oder auch Gruppen von Menschen nicht oder nur langsam zu beeinflussen und verändern sind. Es fällt nicht leicht, einen solchen Ansatz in die Methodik der Disziplinen einzuordnen, die sich üblicherweise mit solchen Thematiken beschäftigen: der Ökonomie und der Wirtschaftsgeschichte, ja in vielen Punkten steht der hier gewählte Ansatz gleichsam quer zu den dortigen Konzeptionen. Während nämlich die Ökonomie zwar grundsätzlich synchron orientiert ist, beschäftigt sie sich, oftmals auf der Grundlage von - hinzukommend: idealisierten- Modellen, in der Regel mit wirtschaftlichen (System-)Zusammenhängen und Wechselwirkungen auf meist hoher Aggregations-, Abstraktionsund Allgemeinheitsebene gemäß der Fragerichtung: Was geschieht wenn ... ? Die Wirtschaftsgeschichte dagegen legt ihr Hauptaugenmerk auf den diachronen Ablauf und betrachtet die jeweilige Entwicklung, sei es Erfolg, sei es Teil-
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I. Einleitung: Erkenntnisinteresse und Operationalisierung
oder Mißerfolg, gleichsam von hinten als abgeschlossenen, fertigen Prozeß. Auch die stärkere Beriicksichtigung der Institutionen durch den Property-Rights-Ansatz4 und der Neuen Institutionellen Ökonomie5 sowie die Umstrukturierung der Betrachtungsweise weg von der herkömmlichen Aufteilung nach Wirtschaftssektoren (wie Landwirtschaft, Industrie usw.) hin zu den Produktionsfaktoren (wie Kapital, Arbeit etc.)\ sicherlich wichtige Aufbruche in die richtige Richtung, vermögen vorläufig an diesem Gesamtbild nicht viel zu ändern. Anhand von Parametern und Indices quantitativen und qualitativen Wachstums erscheint hier die wirtSchaftlich-industrielle Entwicklung oft genug als selbsttätiger, gleichsam automatischer Prozeß7, für den die Berücksichtigung der synchronen Strukturen weder notwendig noch wünschenswert ist. Eine solche Sicht- und Vorgehensweise hat ihre Konsequenzen. Es kann nicht, zumindest aber nicht hinreichend differenziert und intersubjektiv transmissibel erklärt werden, warum die Industrialisierung- bei in etwa gleichem Anfangsimpuls - in der einen Region oder dem einen Land im Gegensatz zu einer jeweils anderen Region oder einem anderen Land früh oder spät, erfolgreich oder erfolglos, schnell oder langsam, in der einen oder der anderen Richtung verlief und einen spezifischen Charakter annahm.
Als Einstieg und Übersicht vgl. hierzu: A. Schüller, Hrsg., Property Rights und ökonomische Theorie, 1983; vgl. auch bereits die Überlegungen von: M. Dobb, Entwicklung des Kapitalismus. Vom Spätfeudalismus bis zur Gegenwart, (1946) 1963, S. 38-43. 5 Zum Ansatz der sog. Neuen Institutionellen Ökonomie vgl. etwa: T. W. Hutchison, lnstitutionalist Economics Old and New, in: Journal of Institutionaland Theoretical Economics 140, 1984, S. 20-29; R.H. Coase, The New lnstitutional Economics, in: ebd., S. 229-231; O.E. Williamson, Reflexions on the New Institutional Economics, in: ebd., 141, 1985, S. 187-195; unter Einbeziehung der property rights vgl. auch: W. Elsner, Ökonomische Institutionenanalyse. Paradigmatische Entwicklung der ökonomischen Theorie und der Sinn eines Rückgriffs auf die ökonomische Klassik am Beispiel der Institutionenanalyse (»Property Rights«), 1986, bes. S. 195ff.; R. Richter, Sichtweise und Fragestellungen der Neuen Institutionenökonomik, in: Zeitschr. f. Wirtschafts- u. Sozialwissenschaften 110, 1990, S. 371-391; C. Wischermann, Frühindustrielle Unternehmensgeschichte in institutionalistischer Perspektive, in: GG 19, 1993, S. 453-474, 'S. 453-457. Gegenüber der weitgefaßten und bisher weitgehend im Theoretischen verharrenden, dem amerikanischen Sprachgebrauch folgenden Verwendung des Begriffes •Institution< läßt die nachfolgende empirische Untersuchung, wie deutlich werden wird, eine Differenzierung dieses wohl zunächst als System allgemein verbindlicher gesellschaftlicher Normen und Regelungen zu verstehenden Komplexes, welche den wirtschaftlichen Prozeß tragen und formen, als wünschbar erscheinen. Unter >InstitutionenSonderwege< vermuten. Denn schlagen nicht gerade in industriellen Systemen ökonomische Faktoren und Prozesse in soziale und politische Phänomene und Entwicklungslinien um? Unter weitgehender Ausblendung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Organisation(en) sowie unter Hintansetzung regionaler Unterschiede, aber unter der oben geschilderten Einbeziehung anderer Industriezweige, sollen daher im weiteren an einem ebenso überschaubaren wie langfristig verfolgbaren Beispiel: dem britischen Kohlenbergbau - in vergleichender Perspektive insbesondere zum deutschen -, die Faktoren: natürliche Bedingungen, Boden, Kapital, Arbeit, Absatzmarkt, Technik, Management und Staat im einzelnen, in ihren Wechselwirkungen und in ihren Auswirkungen auf den spezifischen Industrialisierungsprozeß untersucht werden. Dieses Vorgehen, zusammen mit einer weiteren Einschränkung des U ntersuchungsfeldes, kommt dem traditionellen ökonomischen Denk- und Analysemodell entgegen. In Unterscheidung zwischen persönlichen und sachlichen Faktoren beschränken wir uns im Nachfolgenden - weitgehend - auf die letzteren11. Zwar wäre es u.E. von nicht geringerem Interesse und in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung, den >persönlichen Produk-tionsfaktorenAufholgeist< als
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Vgl. hierzu: D. S. Landes, Der entfesselte Prometheus. Technologischer Wandel und industrielle Entwicklung in Westeuropa von 1750 bis zur Gegenwart, 1973, S. 311.
2. Abgrenzung und Durchführung
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spezifische Produkte des Rückständigkeitskomplexes gehören zu dieser Skala. Angesichts dieser Vielzahl und Verschiedenartigkeit der angebotenen Erklärungsfaktoren scheint heute mehr noch als vor nunmehr zwei Jahrzehnten das Urteil David Landes' zuzutreffen, das dieser am Abschluß seiner umfassenden Diskussion des Themas fällte: >>Wenn die Meinungsverschiedenheiten andauern werden, so zunächst deshalb, weil der Gegenstand der Geschichtswissenschaft so komplex und der wiederholten Analyse des Laboratoriums so unzugänglich ist, daß es unmöglich ist und wohl auch bleiben wird, das Gewicht der vielen Determinanten der ökonomischen Entwicklung genau zu bestimmen.« 13 Diese Feststellung trifft auch für unsere Untersuchung zu. Auch hier kann es trotz allen Trachtens nach Authentizität nicht darum gehen nachzuweisen, wie Landes weiter schreibt, »daß eine bestimmte Deutung von Geschehnissen die einzig denkbare istnicht so stark wie die ... anderen Bereiche von der neuen Technik berührt« wurde. 16 Grundsätzlich jedoch kann - nach unseren Feststellungen - offensichtlich gelten, daß, bei sonst gleichen Voraussetzungen, der Aufwand an Technik sich umgekehrt proportional zur Gunst der natürlichen Bedingungen verhält; und daß zum zweiten der Übergang zum Tiefbau, und dies können wir gleichsam als Kriterium für den Eintritt des - alten - Kohlenbergbaus in die industrielle Phase annehmen, nur durch den Einsatz größerer, komplizierterer und teurerer technischer Mittel ermöglicht wurde. Nachdem dieser Schritt getan war, trat die Technik sozusagen den -lange Zeit wenig erfolgreichen - Kampf gegen die Wirkung des >Gesetzes vom abnehmenden Ertrag bei der Urproduktion< an. Dampfmaschinen und Eisenbahn gehören zur ersten Periode dieser Entwicklung, Elektro- und andere Motoren, Förderbänder, Schrämmaschinen und Abbauhämmer, aber auch die Gewinnung von >Nebenprodukten< für die Chemie, ebenso wie von Gas und elektrischem Strom zur zweiten. Die für jede industrielle Entwicklung so wichtigen >forward and backward linkages< sind sowohl in produktmäßiger wie in Hinsicht auf die überbetriebliche Arbeitsteilung damit vorhanden; lediglich über ihre relative Bedeutung mag man diskutieren. Ansonsten erreichte die ebenfalls für die Ausbreitung des industriellen Prozesses so wichtige Spezialisierung und (überbetriebliche) Arbeitsteilung17 im Bereich des Bergbaus oft nur mit Bergbautechnik befaßte Zulieferfirmen (meist des Maschinenbaus), die ihrerseits allerdings nach der Ausweitung ihres Absatzmarktes über die Grenze ihrer Region hinaus bis hin zum Export in andere Länder strebten. Hier wiederum waren häufig diejenigen die Erfolgreicheren, die - wie in Deutschland - am frühesten und intensivsten mit den größeren, von der Natur gestellten Problemen konfrontiert waren. Der Kohlenbergbau und seine technisch-wirtschaftlichen Bedürfnisse und Möglichkeiten bewirkten jedoch nicht nur ,forward and backward linkages< und erhöhten somit die überbetriebliche Arbeitsteilung, sondern drängten oft genug gleichsam zur gegenteiligen Entwicklung. Gerade nämlich auch aus technisch-wirtschaftlichen Gründen kam es zur horizontalen und vertikalen Konzentration von Betrieben und Unternehmen, einer zusätzlichen Form wirtschaftlichen Wachstums. Aber auch über diese eher unmittelbar technisch-ökonomischen Tendenzen hinaus entfaltete der Kohlenbergbau als gleichsam >alte< oder vielmehr ,frühe>Wirkliche«, aber auch weitgehend einheitliche - I.ndustrie 18 Strukturen, die
Landes, Der entfesselte Prometheus, S. 51. Vgl. etwa: D.C. North, S. 674, 676. 18 Die traditionelle Unterscheidung zwischen Industrie und Bergbau, die sich darauf bezieht, daß der Bergbau- als Teil der Urproduktion- weder eigentlich produziert (sondern nur abbaut) 16
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I. Einleitung: Erkenntnisinteresse und Operationalisierung
für die nachfolgenden >neuen< Industrien, ebenso wie für die Haltung des Staates gegenüber Industrie und Industrialisierung, vorbildlich und wegweisend waren. Und diese Vorreiterrolle konnte der Kohlenbergbau spielen, weil und je mehr er die Eigenschaften auch der nachfolgenden Industrien auf sich vereinigte: hohe Arbeits-, aber insbesondere Kapitalintensität, große Betriebe und Unternehmen 19, hohes Ausbildungsniveau des Managements. Er war nicht nur dazu fähig, Betriebe und Unternehmen von riesigen Ausmaßen, sondern auch Kartelle und Interessenverbände herauszubilden, die einen unübersehbaren Grad von Macht und Einfluß auf breiter ökonomischer, sozialer und politischer Ebene ausübten. Sodann konnte der Bergbau strukturell neue Beziehungen zu den Banken etablieren und diese für eine (neue) Rolle und Funktion im Industrialisierungsprozeß gewinnen. Dasselbe trifft für den Staat und seine Interventionsbereitschaft auf wirtschaftlicher, sozialer und politischer Ebene zu. Nicht zuletzt konnte der Bergbau schließlich zur Verbesserung und Spezialisierung des Ausbildungssystems beitragen. Fest steht jedenfalls, daß der Kohlebergbau in all diesen - für die Ausbildung industrieller Systeme so wichtigen - Richtungen Kräfte entfaltet hat und hiermit den meisten anderen Industrien vorangegangen ist. Wie sehr er hierzu imstande war und also prägend wirken konnte, hängt - so werden wir im weiteren sehen - insbesondere von den naturgegebenen Bedingungen und vom zeitlichen Ausgangspunkt seiner industriellen Entwicklung ab. Die weitgehende Beschränkung der Untersuchung auf den Kohlebergbau zum Zweck einer größeren Überschaubarkeit und differenzierteren und genaueren Analyse begrenzt naturgemäß die zu machenden Aussagen und ihre Gültigkeit zunächst einmal auf diesen spezifischen Industriezweig. Die besondere Situation und Bedeutung des Kohlenbergbaus sowohl innerhalb der Gesamtökonomie als auch für den Prozeß der Herausbildung >modernerCharaktermaske< oder bloße[n] Personifikation der ökonomischen Prozesse ... , zu deren Entstehung und Wirkungsweise ... [sie] selbst nichts Selbständiges>indispensable for successful industrial development>obviously play a pivotal role in any industrialization effortnach unten< sowie des mangelnden Verständnisses der veriinderten Verhältnisse von Autorität und Abhängigkeit, von Information, Kommunikation und Kompetenz. Zum zweiten waren und sihd solche Konzeptionen tendenziell unfähig, die konkrete, langfristig-historische Entwicklung einzufangen und abzubilden sowie- drittensVergleiche zwischen Nationen, Regionen, ja von Unternehmen zu Unternehmen zuzulassen, kann doch der jeweilige U nternehmensaufbau, mehr aber noch die Verteilung der jeweiligen Komp'etenzen mehr oder weniger unterschiedlich sein. Zum vierten schließlich verstellt ein solcher Ansatz den Blick auf die Mechanismen, Strukturen und >Ideologien< der Umweltverarbeitung auf Seiten des Managements. Selbst die wenigen neueren Studien zur Unternehmensstruktur und -Verwaltung vermögen an diesen prinzipiellen Mängeln kaum etwas zu ändern. Noch heute gilt weitgehend, was vor nunmehr drei Jahrzehnten festgehalten wurde: »Attention still falls largely on the behavior and motives of hourly paid and clerical workers in the organization. When management is studied at all it is almost exclussively in terms of decision-making. Surprisingly, there has been relatively little interest in either motives or behavior of management outside this area ... We have virtually no studies of what management actually does.«25 In der Tat scheint es ebenso erfolgversprechend wie an der Zeit, von der abstrakten, definitiv-normativen Ebene wieder auf diejenige des Tuns und der das Han-
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M. Haire, General Issues, in: ders., Hrsg., Modern Organization Theory, 1959, S. 15. Vgl. etwa auch noch: H.A. Simon, Rational Decision Making in Business Organizations, in: ders., Models of Bounded Rationality, Bd. 2:. Behavioral Economics and Business Organization, 1982, S. 474---494; H. Gospel, Managerial Structure and Strategies: An lntroduction, in: ders./C.R. Littler, Hg., Managerial Strategies and Industrial Relations. An Historical and Comparative Study (1983), 19862, S. 1-24, bes. S. 1-6.
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I. Einleitung: Erkenntnisinteresse und Operationalisierung
dein leitenden Anschauungen des Managements zurückzukehren26. Bereits im Jahre 1956 hatte Clark Kerr festgestellt: >>Managerial >ideologies< or approaches have been much neglected as compared with >labor ideologies< and >State ideologiesideologies< of labor movements and political parties.Verarbeitung< hierbei insgesamt am Werk ist. Eine solche Vorgehensweise simuliert einerseits die konkrete, aktuelle Handlungssituation, andererseits und gleichzeitig sucht sie - überindividuelle - Regelmäßigkeiten, typische Denk- und Verhaltensweisen, Kontinuität und Wandel in dem dahinter liegenden geistigen Orientierungs- und Deutungsmuster ausfindig und sichtbar zu machen. Diese Methodik führt eine Reihe von lmplikationen und Konsequenzen mit sich. Durch die >realistische< Reduktion auf die situativ-aktuelle Handlungssituation, auf das nämlich, was für das jeweilige Handeln (agere) Bedeutung hat, auf das Challenge-Response-Schema, kann sie zunächst einmal absehen von der entfernter liegenden Umwelt dieser Handlungssituationen, also etwa von den materiell-organisatorischen (Betriebs- und Unterneh"mensaufbau) und den mentalen Verarbeitungsstrukturen (wie Qualität und Art der Ausbildung und des Wissens/0 Klugheit und Betriebsklima). Oder wie ein amerikanischer Beobachter knapp festhielt: »The administrator may be wise or foolish, fair or prejudiced.reaktionäreine Verlagerung von den materiellen Werten Kapital und Produktionsmittel zu den immateriellen Werten Know-how und Kreativität>Entscheidungen nur intuitiv zu treffen«, 36 macht umso deutlicher aufmerksam auf Hintergrund und Herkunft dieser Intuition. Management-Handeln und -verhalten ist - und war - eben weder völlig frei noch völlig determiniert. Einerseits, so wird sich im Nachfolgenden in aller Deutlichkeit zeigen- sind das Gewicht und die Durchschlagskraft der sachlichen Faktoren, Verhältnisse und Befindlichkeiten nicht zu unterschätzen. Zum zweiten beschränkt die in vielen Situationen meist knappe Zeit noch zusätzlich den ohnehin jeweils begrenzten Informationsstand und die Informationsmöglichkeiten.37 Andererseits aber existieren, beginnend bereits mit der Möglichkeit der unterschiedlichen Bewertung und Bündelung der sachlichen Fakto-
Die Bedeutung und der eigenständige Beitrag des Managements wird auch betont bei: M. Müller, Organisationsformen, S. 11. 34 So etwa der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Daimler-Benz AG, Edzard Reuter, auf dem Weltwirtschafts-Forum in Davos 1990, wiedergegeben nach: Stuttgarter Zeitung Nr. 30, 6. Februar 1990, s. 9. 35 F. Stoebe, Der Mensch in neuem Glanz, in: Management-Wissen. Magazin der Führungskräfte 3/1986, s. 69-76, s. 72. 36 So Edzard Reuter (vgl. Anmerk. 34). 37 So hieß es bereits im Jahre 1930 über die Rolle des Betriebsleiters im britischen Bergbau: »Practical mining is full of incident, and the mine manager is required to make important decisions quickly (often in an atmosphere of emotion) on any question affecting mining.« Vgl. Mines Department, Report to the Secretary for Mines of the Committee appointed by him to inquire into the qualifications and recruitment of Officials of Mines under the Coal Mines Act, 1930, s. 34. 33
3. Ziele, Begriffe und Modelle
27
ren, Handlungs- und Entscheidungsspielräume38, die durch gestalterische Vorstellungen, Fach- und Sachwissen, sowie allgemeiner: durch Strategien, >Philosophien< und >Ideologien< ausgefüllt werden müssen. 39 Auch das ohnehin bereits ebenso problematische wie sterile, ebenso fragwürdige wie freischwebende Bild des >homo oeconomicusRandbedingungen< Handlungs- und Entscheidungsspielräume und -freiheiten der Manager von Außenstehenden häufig überschätzt werden, so ist der so oft und so lange vernachlässigte,41 handlungsorientierte Ideenhaushalt deswegen so wichtig, weil es von ihm- abgesehen von der Organisation der Management-Funktion42 - letztlich abhängt, ob bestehende oder entstehende Freiräume und Möglichkeiten sowohl in der jeweiligen Situation als auch für die langfristige Entwicklung von Unternehmen und Gesamtindustrie erkannt und genutzt werden. Von diesem Kern von allgemeineren Haltungen, Orientierungen und Denkweisen nämlich hängen Anpassungs- und Gestaltungsfähigkeit, Flexibilität, Lernund Wandlungsfähigkeit ebenso ab wie der Glaube an (und die Bereitschaft zu) Planbarkeit, Manipulierbarkeit und Durchsetzungsfähigkeit auch gegenüber
Dies treffe gerade auch, so schreibt Carl Kaysen, für Großunternehmen zu, in denen »the constraints imposed by market forces are loose, and the scope for managerial choice is considerable«. In gleichem Sinne stellte O.E. Williamson zusammenfassend fest: "The importance of managerial discretion in the operations of the !arge corporation has been widely recognized.« Vgl. C. Kaysen, The Corporation: How Much Power? What Scope?, in: E. S. Mason, Hrsg., The Corporation in Modern Society, 1960, S. 90; 0 . E. Williamson, Managerial Discretion and Business Behavior, in: AER 53, 1963, S. 1032-1057, S. 1032. 39 Konkrete und bewußte •EntscheidungshoriwnteGesetzmäßigkeiten>Räuber am Weg, der bewaffnet hervorbricht und dem Müßiggänger die Überzeugung abnimmt«. Die ungewöhnlich großzügige Verwendung von Zitaten hat jedoch nicht nur allgemein eine möglichst große Quellennähe und das Überzeugen des Lesers auf einem bisher weitgehend unerforschten Gebiet zum Ziel, sondern sucht den bereits angesprochenen, für die vorliegende Studie so wichtigen, subjektiven Faktor herauszudestillieren, ihn gleichsam wie eine Folie von den >>objektiven Verhältnissen« abzulösen, Verhältnisse, die ja gerade, so sahen wir schon, der Gestaltung durch das Subjekt bedürfen. Und da uns die Aussagen nicht nur von Augenzeugen, sondern darüber hinaus in reichem Maße gerade von Seiten
43
Zu der äußerst nützlichen Unterscheidung zwischen der •personenbezogenenSachbezogenenRationalität< des - mit Abstand beobachtenden und urteilenden - Richters, Historikers oder Theoretikers ist hier gefragt, sondern die der Akteure und Zeitgenossen selbst. Dem Forscher bleibt dann die Aufgabe, die von den Beteiligten vorgenommenen Situationsdefinitionen und durch sie vermittelten Informationen in seine umfassendere Fragestellung zu integrieren und gleichsam deren Entwicklung und Verfertigung für die Gewinnung längerfristiger Tendenzen und übergreifender Analysen, eben unter Einschluß des subjektiven Faktors, zu nutzen. Es handelt sich also hier nicht einfach um das für empirische Arbeiten normale Vorgehen des Sammelns und Vorführens von Belegen und insgesamt von möglichst exakten und tragfähigen Grundlagen, sondern darüber hinaus darum, den Prozeß des Erlebens und Definierens, der Selektion, Strukturierung und Beherrschung der Umwelt auf Seiten der Akteure mit dem Ziel der Urteilsbildung und des Handelns, kurz: die mentale und - zum Teil- materielle Konstruktion der gesellschaftlichen (und ökonomischen) Wirklichkeit, d.h. von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sichtbar und nachvollziehbar zu machen. Von den Akteuren (oder möglichst nahen Zeugen) hergestellte Zusammenhänge sollen wiedergegeben und - zunächst - eben nicht zerschlagen, die Zurechnung und der beigemessene Stellenwert der Einzelfaktoren aufgezeigt und die explizit wie implizit vorhandenen, zunächst oft nur latenten, Orientierungen, Haltungen und Überzeugungen freigelegt werden. Wichtig für das Handeln der Beteiligten und dessen Beurteilung ist eben der Nachweis, daß, zu welchem Grade und in welcher Weise sie sich der Probleme und Problemlagen bewußt wurden und bewußt waren, wie sie ihre Vergangenheit, vor allem aber ihre Gegenwart und Zukunft sahen und beurteilten45 • Der 44
45
Vgl. hierzu etwa: R. Koselleck, Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Sematik geschichtlicher Zeiten, 1979, S. 107-121. Damit soll in keiner Weise etwa behauptet oder angedeutet werden, daß der Akteur die Ergeh· nisseseines Handeins kenne. Typisch ist vielmehr, daß der Akteur sein Handeln in eine offene, eben unbekannte Zukunft zu richten hat, ein Faktum, das seinerseits, zusammen mit der nur begrenzt bekannten Gegenwart, umso mehr- hypothetisch gelagerte, gerade mental konstrui· erte - Orientierungshilfen (und ihre Produktion) notwendig macht. Gleichwohl ist die Stiglersche Feststellung »The individual knows the ,facts>eine genaue Untersuchung der spezifischen Natur der Entwicklung der kapitalistischen Industrieproduktion«50 in den einzelnen Ländern aufzunehmen. Anband der dargelegten Vorgehensweise soll ein solcher Versuch am konkreten Beispiel des britischen Steinkohlenbergbaus im Zeitraum zwischen etwa 1830 und 1947 im folgenden unternommen werden.
4. Theoretische Ausgangspunkte und konzeptionelle Schlußfolgerungen Jede wissenschaftliche Darstellung folgt, ob sie dies explizit macht oder nicht, einer bestimmten Methodik, und diese Methodik hängt ab von und verbindet Ausgangspunkt und Ziel der Untersuchung. Gleichwohl könnte der Einwand gemacht werden: Was sollen all diese theoretischen >Trockenübungen< und die auf sie verwendeten Mühen, wir benötigen unsere Kräfte für die Aufarbeitung der - reichlich fließenden - Quellen, denn diese enthalten ohnehin alles oder alles Wissenswerte. Bereits im Vorhergehenden sahen wir jedoch, wie eng die jeweiligen Untersuchungsergebnisse von den - expliziten oder impliziten theoretisch-methodischen Vorgaben abhängig sind. So reichlich die Quellen auch fließen mögen und so gut die jeweilige Quellenlage auch sein mag, so notwen50
So D. F. Crew, Bochum. Sozialgeschichte einer Industriestadt, 1980, S. 13.
3 Berg
34
I. Einleitung: Erkenntnisinteresse und Operationalisierung
dig beginnt das Hinzutun von Seiten des Forschers schon mit der Wahl und Auswahl, mit der Organisation und Kombination des Quellenmaterials und geht weiter zu seiner Bewertung und Interpretation. Gesellschaftliche, noch dazu: historische, Fakten und Ereignisse geben selbst weder Auskunft über ihren jeweiligen Stellenwert noch existiert eine gesicherte und allgemein akzeptierte Basis zur Herstellung von bewertenden Bezügen und Zusammenhängen. Vermutete Zusammenhänge und Hypothesen können daher nur >>belegtbewiesenScheinwerfermodells< oder durch kontrollierende Quervergleiche, verbleibt der historisch-gesellschaftlichen Argumentation daher ein hoher Grad von Subjektivität, ja Beliebigkeit.51 Abgesehen von anderen Folgen, so etwa der möglichen Instrumentalisierung gesellschaftswissenschaftlicher Erkenntnis, bringt dies für den (überindividuellen} Wissenschaftsbetrieb selbst, seine Aussagen und seinen Fortschritt, ein nicht geringes Maß an Unbestimmtheit und Unsicherheit mit sich. 52 Um unseren Fall zum Beispiel zu nehmen: In allen sich industrialisierenden bzw. industrialisierten Ländern existier(t)en prinzipiell dieselben Kräfte, Faktoren und Institutionen. Warum aber gibt es in allen betroffenen Ländern trotzdem eine unterschiedliche Entwicklung und ein - zumindest vorläufig - verschiedenartiges Ergebnis? Wie kommen diese Unterschiede zustande und weiter: Worin und woraus besteht also der jeweilige konkrete »Sonderweg«? Diese Fragen lassen sich eben erst, so sahen wir bereits oben, durch eine explizite und detaillierte Gegenüberstellung und durch die hierzu notwendigen methodischen Hilfsmittel annähernd beantworten. Um den Grad an Subjektivität und Unsicherheit zu reduzieren, sind daher klar definierte und möglichst konstant zu haltende Begriffe, Konzepte, Typen, Modelle und Theorien vonnöten, die nicht nur zur Durchführung einer bestimmten Untersuchung dienen, sondern darüber hinaus die Kommunikation zwischen den Wissenschaftlern zu leiten und mithin auch die Tradition und den Fortschritt der Wissenschaft zu ermöglichen imstande sind.53 Da diese allgemeineren theoretischen Konstrukte ihrerseits nicht ohne leitende Ziele erstellt und übernommen werden können, geben sie zwangsläufig implizit oder explizit zugleich auch Auskunft über die bewußten oder unbewußten Werte und Ziele der Forscher.54 Obwohl man sich in der Vergangenheit häufig nicht daran gehalten hat, spricht vieles, so etwa die Erleichterung des Zugangs und der Kontrolle sowie des Vgl. etwa: R. Dahrendorf, Gesellschaft, S. 29. Vgl. hierzu insgesamt auch: N . Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie, 1969, S. 57-59. 53 Vgl. Th.S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 1973. 54 Vgl. hierzu etwa auch: B. Moore, Soziale Ursprunge von Diktatur und Demokratie. Die Rolle der Grundbesitzer und Bauern bei der Entstehung der modernen Welt, 1974, S. 599f.
51
52
4. Theoretische Ausgangspunkte und konzeptionelle Schlußfolgerungen
35
- manchmal mühsamen und zunächst einmal verwirrenden - Durchgangs durch das Material (und seine Details) für Autor und Leser, der sich- zurechtmit der Frage auseinandersetzen möchte, was er denn jeweils lernen will und soll, zusätzlich für die bewußte und möglichst weitgehende Offenlegung und Formulierung der gesetzten Normen und angestrebten Ziele. Wissenschaftliche, methodisch-theoretisch gesteuerte Vorgehensweise sowie Zugänglichkeit und Interesse von Seiten der Öffentlichkeit müssen sich daher nicht von vornherein und automatisch ausschließen 55 • Im Gegenteil könnte z. B. gerade durch die Konstruktion und Verwendung übersichtlicher und klarer Modelle Interesse geweckt und - nachhaltiges - Lernen erleichtert werden. Insgesamt könnte und sollte man es als die besondere Aufgabe der Geschichtswissenschaften, sei es der Wirtschafts-, Sozial- oder auch politischen Geschichte, gerade in ihrer Rolle als strikt empirische, d.h. sich mit vergangenen Phänomenen befassende Wissenschaften, ansehen, das Lernen nicht auf das Element der simplen Wiederholung von ähnlichen oder gar gleichen Phänomenen oder Situationen im historischen Kontinuum, die es ohnehin nicht geben kann, zu lenken, sondern auf den allgemeinen, beispielhaften Modellcharakter spezifischer historischer Situationen, etwa der Frage nachgehend: Welche Situation, welcher Kranz von Bedingungen und welches Handeln haben welches Resultat bzw. Resultate hervorgebracht? Im vorliegenden Falle nun gilt unser Hauptaugenmerk dem Problem des Ausmaßes von Bedingtheit oder Freiheit von Handlungen und Entwicklungen, der Existenz und Reichweite von Gesetzmäßigkeiten und Eigengesetzlichkeiten in nationaler, regionaler und industriespezifischer Hinsicht. Eine weiterführende Frage ist dabei, ob und in welchem Maße die wirtschaftliche und gesellschaftliche Industrialisierung ein unaufhaltsamer Prozeß mit unveränderbarer Richtung ist, ob und in welchem Maße also beide von den jeweiligen Zeitgenossen nur jeweils reproduziert und perpetuiert werden und welche - wahrgenommenen oder nicht wahrgenommenen - Möglichkeiten und Chancen des Eingriffs und der Veränderbarkeit es jeweils gab. Um die hier gestellten Fragen mit einiger Zuverlässigkeit und Präzision beantworten und um Zusammenhänge und Ursachen freilegen zu können, bedarf es notwendigerweise, so sahen wir bereits oben, zugleich der diachronen wie der synchronen Untersuchungsrichtung. Beide stehen ihrerseits in einem bestimmten Kontext gesellschaftswissenschaftlicher Reflexion. Der eindeutige Vorrang kam und kommt dabei traditionell der diachronen Blickweise zu. Ausgehend vom 55
3•
In deutlicher Kritik am jüngst erschienen Buch von G.A. Ritter und K. Tenfelde, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich 1871-1914, 1992, schrieb V. Ullrich noch kürzlich, »daß es auch darauf ankommt, Geschichte publikumsfreundlich darzustellen, damit sie über den exklusiven Kreis von Spezialisten hinaus Interesse finden kann«. Vgl. V. Ullrich, in: Die Zeit, Nr. 16, 10. April 1992, s. 27.
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I. Einleitung: Erkenntnisinteresse und Operationalisierung
gleichsam linearen Fortschrittsdenken der Aufklärung56 wurde diese Sichtweise insbesondere vom Historismus weitertransportiert, der vor allem in Deutschland typischerweise vom weitgehend entpolitisierten und in die Innerlichkeit abgedrängten Bürgertum getragen wurde. Darüber hinaus hat, so hielt Waldemar Besson fest, der >>rasche Wechsel der Herrschaftsformen seit 1918, der angesichts der beamteten Position der meisten Historiker tief auch in die persönlichen Lebensbereiche eingriff, ... die antiquarischen Tendenzen nur verstärkt>Kontingenz historischer ProzesseAuswegsekundären SystemeSituationsdeterminiertheit< (Th. Schieder) überspannt, und hierin, wie Hans Mommsen schreibt, lange Zeit »die Gefahr eines >SoziologismusTatsache< bereits an sich, wie derselbe Autor darlegt, »ein zusammengedrängter Komplex von Willensakten, Zusammenhängen, Bedingungen und Zwecken, das heißt die Reduzierung eines vieldimensionalen Wirkungszusammenbanges auf ein dafür repräsentatives, typisches Ereignis«.62 Gerade die- gleichsam in doppelter Hinsicht quer zum Prozeßdenken stehende - Kategorie des Handelns, sei es von Seiten von Individuen, sei es von Seiten 60
61 62
Hier zit. nach: A. Gerschenkron, Wirtschaftliche Rückständigkeit in Historischer Perspektive, in: H.-U. Wehler, Hrsg., Geschichte und Ökonomie, 1973, S. 121-139, S. 121. H. Mommsen, Art. Sozialgeschichte, in: W. Besson, Hrsg., Fischer-Lexikon Geschichte, s. 313-322, s. 313f. Ders., Art. Historische Methode, in: ebd., S. 78-91, S. 82.
38
I. Einleitung: Erkenntnisinteresse und Operationalisierung
der Staaten, die nicht selten selbst als Individualitäten begriffen wurden, spielte eigentlich eine wichtige Rolle in der deutschen Geschichtsschreibung, wenn die Darstellung dieses Handeins oftmals auch nur - skeptische, ironisierende oder resignierte - politische Ersatzhandlung darstellte, Geschichtsschreibung also, die, wie Waldemar Besson schrieb, nur >>Umgang mit den großen Akteuren der Weltgeschichte aus dem Blickwinkel der stillen Gelehrtenstube«63 war. Die deutsche Historiographie stand somit eigentlich >>in der Tradition des deutschen Idealismus, der die spontane Tat des freien Individuums in den Mittelpunkt seines Weltverständnisses gerückt hatteGeschichte als Prozeß der Verwirklichungen der >sittlichen Mächte>Wohl entwickelt sichdas besondere Leben nach eingepflanzten Gesetzen aus seinem geistigen Grunde; sich selber gleich bewegt es sich durch die Zeitalter fort. Unaufhörlich aber steht es doch auch unter allgemeinen Einflüssen, die auf den Gang der Entwicklung mächtig einwirken.
Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen< einschließt, 70
71
Zit. nach: Besson, S. 110. H. Apel, Verwandtschaft, Gott und Geld. Zur Organisation archaischer, ägyptischer und antiker Gesellschaft, 1982, S. 10.
40
I. Einleitung: Erkenntnisinteresse und Operationalisierung
ist - in Form des Quervergleichs -das In-Rechnung-Stellen des - gleichzeitigen - Nebeneinander verschiedener Bereiche unabdingbar. Um beispielsweise die jeweilige Herausbildung, den spezifischen Charakter und die Handlungsorientierung von Gewerkschaften oder auch Unternehmerverbänden erklären zu können, reicht es nicht aus, sich auf die jeweilige innere Entwicklung, die >EvolutionRandbedingungen< bilden. Dieselbe Vorgehensweise, also die Sichtung und Bestimmung des Kranzes von >UmweltbedingungenRationalität>einseitig autoritäre[n] Tradition des militärisch-bürokratischen ObrigkeitsstaateS>Richtigkeit«, die sich - scheinbar - durch eine sich fortsetzende Isolierung kleiner und kleinster Bereiche ergibt, wird in und mit der Verfolgung dieser Maxime umso ,falscher>Wenn wir die Probleme unserer Zeit wirklich verstehen wollen, brauchen wir einen weiten Bezugsrahmen. Insulares Denken beschränkt das Erkenntnisvermögen. Insular ist aber nicht nur ein in geographischen Grenzen befangenes Denken: es stellt nicht nur ein räumliches, sondern auch ein zeitliches Problem dar. Alle wirtschaftspolitischen Entscheidungen beziehen sich auf Kombinationen einer Reihe relevanter Faktoren. Der Beitrag des Historikers besteht darin, auf potentiell relevante Faktoren und potentiell bedeutsame Faktorenkombinationen hinzuweisen, die in einem begrenzteren Erfahrungsfeld nur schwer zu erkennen wären.,/ 3 Eine >integrierte Methodik>ZU einer realistischen Gesamtschau zu gelangen«/5
75
So W.A. Lewis und G. Stigler, in bezugauf den Staat. Vgl. Wirtschaftswoche, 3. Febr. 1984, S. 96; für die Technik vgl. H .J. Bruton, Contemporary Theorizing on Economic Growth, in: B.F. Hoselitz u.a., Theories of Economic Growth, 1960, S. 239-298; S. Kuznets, Economic Growth and Structure, 1965, S. 4f.; vgl. auch bereits W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 1972, S. 22.
44
I. Einleitung: Erkenntnisinteresse und Operationalisierung
Diesen immer lauter, immer dringlicher werdenden Bedürfnissen haben die Gesellschaftswissenschaften, und insbesondere die Geschichtswissenschaft, nachzukommen, wollen sie nicht, wie bereits jüngst in der Überschrift einer großen Tageszeitung zu lesen war, auf Dauer von der Geschichte überrollt und in die gesellschaftliche Ecke des Irrelevanten und Unmaßgeblichen, des Unerheblichen, ja des Belanglosen, abgedrängt werden. Kurzfristige Effekthascherei, die Suche nach Spektakulärem und allzu starke, einseitige Rücksichtnahme auf Gegenwartsinteressen, seien diese nun nationaler, regionaler oder parteilicher Provenienz, vermögen diese Tendenz auf Dauer nicht zu verhindern. Im Gegenteil unterminieren diese unvermeidlich den professionellen Standard und Status ebenso wie die professionelle Solidarität der Gesellschaftswissenschaftler. Und ist nicht gerade die Geschichtswissenschaft - durch das für sie typische Verbinden von Individualität und Kollektivität, von Allgemeinem und Besonderem, von Abstraktion und Konkretheit sowie durch die zu Gebote stehende Tiefe und Breite des historischen Raums und seiner Erscheinungen - in besonderem Maße dazu imstande, die genannten Bedürfnisse zu befriedigen?6 Und ist nicht gerade sie als »das Gewissen der KulturWenn die letzten Zauberer tot sindstürzt der Himmel auf die Erde. Auch die Sonne und die Sterne fallen herunter, und alles wird dunkel seinTransactions of the Institution of Mining Engineers< [IME] (1889-1948) und weiterhin die parallel hierzu erschienenen Serien der Zeitschrift >The Colliery Managerand Journal of Mining Engineering< [CM] (1885-1901) und die >Minutes of Proceedings of the National Association of Colliery Managers< [NACM] (1903-1942), zusammen mit einzelnen Jahrgän-
80
Vgl. etwa: K. Wiedenfeld, Das Persönliche im modernen Unternehmertum, 19202, S. 13 f; und P. L. Payne, Industrial Entrepreneurship and Management in Great Britain, in: P. Mathias/ M.M. Postan, Hrsg., The Cambridge Economic History of Europe, Bd. VII/I, S. 180-230, S. 182. Auch Ch. Buchheiin, der sich der in anderem Zusammenhang von R. E. Caves u. a. aufgestell· ten Forderung anschließt, »die mikroökonomische Basis von historischer Veränderung herauszuarbeiten«, muß bei der Beschreibung der Ausgangslage seiner Untersuchung feststellen: >>Dabei kann jedoch aufgrund der Quellenlage nur in Einzelfällen auf die Ebene der Aktionen bestimmter Firmen und Personen zurückgegangen werden, obwohl das theoretisch in viel größerem Umfang erwünscht gewesen wäre.The Iron and Coal Trades Review< (ICTR), >Engineering< und >Colliery Engineering>Einheit, die in der Eigenwirtschaft der Kopf des einen Leiters realisiert«, gewahrt81 • Konsequenterweise teilt die geschilderte Vorgehensweise den Gegenstandsbereich unserer Forschungen in drei Abteilungen auf: in diejenige der - sachlichen - Vorbedingungen und des Gegenstandsbereichs des Unternehmerischen Entscheidungshandelns, in diejenige der tatsächlichen Verarbeitung und Umsetzung und schließlich in diejenige der Resultate der getroffenen oder auch: vermiedenen Entscheidungen. Um die jeweils subjektive oder auch objektiv-prozessuale Rationalität der getroffenen Entscheidungen und verfolgten Politik beurteilen zu können, ist es nötig, die Entscheidungsgrundlagen, d. h. hier: die Gegebenheiten und die jeweilige Befindlichkeit des ökonomisch-technischen Bereichs möglichst genau zu kennen und nachzuvollziehen. Auswahl, Kombination und Problemdefinition der relevanten Faktoren werden durch die gewählte
81
Vgl. Eucken, Grundsätze, S. 17.
5. Empirische Basis und inhaltliche Ausrichtung
47
Methodik dabei gleichsam den historischen Akteuren selbst überlassen. Die intensivere Erforschung dieses Bereichs, so wird sich·im Laufe der Untersuchung herausstellen, ist jedoch nicht nur zu diesem engeren Zweck vonnöten, sondern ist zugleich auch für das Verständnis von Funktionsweise und Entwicklung des wirtschaftlich-industriellen Prozesses überhaupt von, wie uns scheint, zentraler Bedeutung. Dies trifft nicht etwa nur für den britischen Bergbau, den Bergbau überhaupt, die britische Industrie insgesamt, sondern durch indirektes Rückschließen auch etwa für die deutsche oder die Industrien anderer Länder zu. Am Exempel des britischen Kohlenbergbaus werden auf diese Weise die in Frage kommenden Faktoren benannt und untersucht, deren relative Bedeutung festgestellt, ihr Zusammen- oder Gegeneinanderwirken analysiert und schließlich die spezifische Art und Weise der Inbeziehungsetzung zu und der Vermittlung zwischen den verschiedenen Faktoren bestimmt. Dabei stoßen wir in fast allen Bereichen auf die Tatsache, daß diese, angefangen von den natürlichen Bedingungen bis hin zur Entwicklung und Anwendung von Technik, noch nirgendwo in der notwendigen Intensität und über lange Zeiträume untersucht worden sind, und daß auf einigen Gebieten, wie im Bereich der Technik und ihrer Entwicklungsbedingungen82 oder auch der Rolle des Marktes in der industriellen Organisation,83 völliges forscherisches Neuland betreten wird. Hier stellen sich etwa die Fragen: In welchem Maße prädestinieren die von der Natur gegebenen Bedingungen bereits den Gang der industriellen Entwicklung? Inwieweit wird auch der Einsatz der Technik von ihnen bestimmt und in welchem Verhältnis stehen die übrigen sachlichen Faktoren zu ihnen? Und weiter: Welchen Verhältnissen und Regeln unterlag das aktuelle Handeln der jeweiligen historischen Akteure? Sodann werden wir unausweichlich zu der Frage geführt, was denn eigentlich das, was man leichthin und selbstverständlich als >KapitalismusIndustriekapitalismusMarktwirtschaftUnorganisierteOrganisierte(re)n Kapitalismus< unterschied und schließlich in diesen überging.
82
83
Vgl. hierzu: V. Döhl, Die Rolle von Technikanbietern im Prozeß systemischer Rationalisierung, in: B. Lutz, Hrsg., Technik in Alltag und Arbeit. Beiträge der Tagung des Verbunds Sozialwissenschaftliche Technikforschung (Bonn, 29./30.5.1989), 1989, S. 147-166, und weitere dortige Beiträge. ·Die Rolle des Marktes im Kontext der modernen industriellen Organisation ist noch eine offene Frage.« So M. Uvy-Leboyer, Hierarchical Structure, Rewards and Incentives in a Large Corporation: The Early Managerial Experience of Saint Gobain, 1872-1912, in: N . Horn/ J. Kocka, Hrsg., Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1979, S. 451-475, S. 475.
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I. Einleitung: Erkenntnisinteresse und Operationalisierung
Die zweite Abteilung des genannten Drei-Stufen-Modells umfaßt das Entscheidungshandeln der zuständigen innerbetrieblichen Instanzen, mithin also die Brechung, die die außerbetrieblichen sachlichen Gegebenheiten an dieser - im doppelten Sinne des Wortes: kritischen- Nadelöhr-Stelle des wirtschaftlich-industriellen Prozesses erfahren. Lassen sich im Prozeß der Verarbeitung und Umsetzung der jeweiligen >Umweltbedingungen< typische mentale Strukturen erkennen? Verändern sie sich? Und wenn ja: Wie und wann kommen sie selbst und ihre Veränderungen zustande? In welchem Verhältnis stehen sie zu ihrer gegenwärtigen, vergangenen, aber auch zukünftigen Umwelt? Die dritte und letzte Abteilung des Modells hat die Resultate der Entscheidungen und des Handeins zum Inhalt. Entsprachen die Ergebnisse ihres Handeins (oder Unterlassens) auch langfristig ihren Erwartungen? Und, so die wohl zentrale Frage: In welchem Verhältnis stehen die Entscheidungs- und Handlungsergebnisse der zuständigen betrieblichen Instanzen zu Verlauf, Richtung, Ziel und Tempo der tatsächlich sich vollziehenden bzw. sodann vollzogenen industriellen Entwicklung? Hätte es evtl. Handlungsalternativen, andere Lösungsmöglichkeiten anstehender Probleme gegeben? Wurden diese wahrgenommen, und wenn ja, warum wurden sie verworfen? Die allgemeine Konzeption des relativen Eigengewichts und der Verschränkung von diachronen und synchronen Strukturen konkretisiert sich in der vorliegenden Untersuchung im vorgehend entwickelten Modell industriellen Managements. Dieses Leitungs- und Entscheidungshandeln definiert sich als die Verarbeitung und Kombination der jeweiligen industriell relevanten Umwelt und ihrer einzelnen Faktoren und Bereiche. Hieraus ergeben sich zugleich vier Konsequenzen: 1. Das Gewicht und die Relevanz von Vergangenheit und Gegenwart, von diachronen und synchronen Strukturen, wird durch die jeweiligen Akteure selbst bestimmt. Hierbei folgen wir dem Satz: >>Die Gegenwart schließt soviel vom Vergangenen ein, als davon noch aktuell ist, d.h. für das Handeln (agere) Bedeutung hat.« 84 2. Definition und Auswahl, BündeJung und Einschätzung der jeweils relevanten Probleme, Faktoren und Bereiche nehmen die Akteure selbst vor. 3. Durch diese Tätigkeit ordnet sich das Management selbst in die Reihe der synchronen Strukturen ein und schafft zugleich die Grundlage zur Bewertung seiner Qualität und seines Gewichts.
84
SoL. v. Mises, Nationalökonomie. Theorie des Handeins und Wirtschaftens, 1940, S. 79 (Nach: H. Bergson, La pensee et le mouvant, 1934, S. 190 ff).
5. Empirische Basis und inhaltliche Ausrichtung
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4. Durch das Separieren und Nebeneinanderordnen der verschiedenen Fakto-
ren und Bereiche wird deren jeweiliger Einfluß auf das Ergebnis: den Prozeß der industriellen Entwicklung und den jeweiligen >nationalen Sonderweg< sowie die hinter beiden liegenden Gesetzmäßigkeiten und Eigengesetzlichkeiten sichtbar.
Es ist nunmehr an der Zeit, etwas über die Funktion zu sagen, welche der ökonomischen Theorie im allgemeinen oder auch einzelner ihrer Elemente in der hier vorgenommenen Untersuchung zukommen soll. Dabei sollte sogleich nicht vergessen werden, daß die in Frage stehende klassische oder neoklassische ökonomische Theorie, die seither fast flächendeckend die Welt erobert hat, selbst das Produkt gerade der britischen Industrialisierung war. Obwohl die klassische oder auch neoklassische ökonomische Theorie nicht oder zumindest nicht eindeutig zwischen einer sachbezogenen und einer personenbezogenen Dimension wirtschaftlichen Managements unterscheidet, ja gerade weil sie die letztere eher >UnterbelichtetAbbildung< und Analyse überhaupt ermöglicht werden und Quellenaussage und Interpretation voneinander unterschieden werden können. Die Projektion von zentralen Elementen der - nach wie vor herrschenden - ökonomischen Theorie auf die Realität, ein methodisches Vorgehen, das anstelle der ansonsten oft vorgenommenen quantitativen nunmehr eine gleichsam •qualitative Formalisierung< auf mittlerer Abstraktionsebene praktiziert, wird dabei nicht mit der Absicht einer NerwässerungUmdeutungRückbindung< und Orientierung der Realität und der mannigfachen Formen ihres Erscheinungsbildes an die Normen der -vorgegebenen- Theorie85 • Dies ermöglicht es, jeweils nationale Realitäten aus dem wenig oder kaum reflektierten Reservoir nationaler >Selbstverständlichkeiten< zu identifizieren, herauszulösen und - eben auf der tragenden Basis der theoretischen Kategorien - mit den Realitäten anderer Länder zu vergleichen, mit dem Blick auf Ähnlichkeiten, Unterschiede und funktionale Äquivalente sowie auf die zueinander wie auch zur Theorie bestehende Nähe oder Entfernung.
2. Es soll keine Verifizierung oder Falsifizierung der ökonomischen Theorie oder einzelner ihrer Annahmen und Aussagen gezielt angestrebt werden, sondern ein bloßes Gegenüberstellen und Aneinander-Messen von Theorie und Wirklichkeit. Der Theorie wird also gleichsam der Spiegel der Realität vorgehalten.
3. Gleichwohl kann und soll durch dieses Vorgehen aufmerksam gemacht werden auf die normativen und realhistorischen Bindungen und Grundlagen der ökonomischen Theorie und die Folgen, die sich durch die Übernahme und Verwendung ihrer Kategorien und Denkmodelle - sowohl auf Seiten der
ss Vergleichbare Vorgehensweisen finden sich etwa in der »behavioral theory of the firm«, die sich zum Ziel setzt, das tatsächliche Verhalten der Entscheidungsträger innerhalb des Unternehmens möglichst zutreffend und genau zu beschreiben und die Bedeutung der Abweichungen von den neoklassichen Verhaltensannahmen für die Funktionsweise des ökonomischen Systems aufzuzeigen, sowie in der Neuen Institutionellen Ökonomie, deren Vertreter »use standard economic theory to analyse the working of these institutions and to discover the part they play in the operation of the economy«. Vgl. R.H. Coase, The New Institutional Economics, S. 230. Zur »behavioral theory of the firm• vgl. H.A. Simon, Administrative behavior, 1947, und R. M. Cyert/J.G. March, A Behavioral Theory of the Firm, 1963. In gewisser Weise handelt es sich bei diesem Verfahren um die Wiederaufnahme und eine Art von produktiver Weiterentwicklung der alten, längst entschiedenen Konkurrenz zwischen der klassischen, britischen Ökonomie, die zu allgemeinen Aussagen über die Welt durch deduktives Vorgehen von theoretischabstrakten Vorgaben zu gelangen trachtet, und der deutschen Schule der- historischen- Nationalökonomie, die induktiv vom Studium spezifischer historischer Fälle zu Aufstellung allgemeiner Gesetze von wirtschaftlichen Vorgängen vorzudringen suchte. Zum Wert des wissenschaftsgeschichtlichen Rückgriffs im allgemeinen und im Bereich der (neo-)klassischen ökonomischen Theorie im besonderen (sowie zum Verlust von bereits gewonnenen Erkentnissen und Perspektiven in der wissenschaftlichen Tradition) vgl. jüngst die Untersuchung von: W. Elsner, Ökonomische Institutionenanalyse, S. 1-28.
5. Empirische Basis und inhaltliche Ausrichtung
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beteiligten Akteure als auch des zu- und rückschauenden Beobachters - ergeben. Durch ein Aufzeigen und Bewußtmachen der spezifischen Art des >>Begreifens«, des Zuordnens und Beurteilens, kurz: der so unabdingbar notwendigen wie unausweichlich erfolgenden, gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit86, soll und kann der hier gewählte Ansatz beitragen zu einer Bewußtwerdung des Werkzeugs und der Strukturen der Erkenntnis, zu einer, um Foucaults Begrifflichkeit zu paraphrasieren, >Archäologie< der Deutungs-, Ordnungs- und Handlungs-, insgesamt also: »Vorstellungs-Welten« sowie deren Verlauf und Wandel. Da, wie bereits Walter Eucken feststellte, >>Stets und überall ... alles wirtschaftliche Handeln auf Plänen« basiert87 , ist gerade die Konstitution und Konstruktion jener Welten von maßgeblicher Bedeutung für die Art der Lösung der in der Realität auftauchenden Probleme. So etwa liegt bereits allen Entscheidungen auf individual- oder auch gesamtwirtschaftlicher Ebene notwendigerweise und unausweichlich die -lösungsrelevante - Kombination, und damit: Einordnung und Bewertung, einer Reihe von für relevant gehaltenen Faktoren zugrunde. Schon Adam Smith hatte zu diesen gedanklichen Konstruktionen unmißverständlich und in aller Deutlichkeit festgehalten: »Those theories have had a considerable influence, not only upon the opinions of men of learning, but upon the public conduct of princes and sovereign states«88 • Und weiter: »Nations tolerably weil advanced as to skill, dexterity, and judgement, in the application of labour have followed very different plans in the general conduct or direction of it; and those plans have not all been equally favourable to the greatness of its produce.«89 Wer Vorzüge und Qualitäten, aber gerade auch Hindernisse, Hemmungen und Gefahren eines bestimmten Wirtschaftssystems und einer spezifischen Wirtschaftsweise ausmachen will, muß sich in den Mechanismus und die Funktionsweise des Systems selbst hineinbegeben. Was läge angesichts des privatwirtschaftlich-kapitalistischen Systems näher, als dieses Zusammenwirken aus der Perspektive der Individualwirtschaften zu untersuchen, die ja in eindeutig dominierendem Maße die Akteure und Teilorgane dieses Systems sind. Aus dieser spezifischen Perspektive der Verschränkung von Individual- und Gesamtwirtschaft, von Mikro- und Makroebene90, stellt die vorliegende Untersuchung - notwendigerweise - einen besonderen und, so hoffen wir, aussage86
87
88 89
90
4*
Vgl. hierzu: P.L. Berger/Th. Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie (1966), 1980; P.L. Berger/B. Berger/H. Kellner, The Homeless Mind. Modernization and Consciousness, 1973. Eucken, S. 26. A. Smith, An lnquiry into the nature and causes of the Wealth ofNations (1776), Hg. v. E. Cannan, 19652 , S. LIX. Ebd. Zur zu unterscheidenden (und oft nicht unterschiedenen) Rationalität beider Ebenen vgl. bereits die RezensionS. Pollards von D.N. McCloskey, Hrsg., Essays on a Mature Economy: Britain after 1840, 1840-1930, 1971, in: English Historical Review 87, 1972, S. 589-593.
52
I. Einleitung: Erkenntnisinteresse und Operationalisierung
kräftigen Beitrag insbesondere zu der inzwischen vergleichsweise alten, aber nach wie vor wenig theoretisch und methodisch strukturierten Diskussion91 wirtschaftlichen Wachstums und industrieller Dynamik92 einerseits sowie industriellen Abstiegs93 und des >entrepreneurial decline>The Coal Question« im Jahre 1865 jedem informierten Briten klar, daß »The greatness of England much depends upon the superiority of her coal, in cheapness and quality, over that of other nations.«3 Und noch mehr als ein halbes Jahrhundert später hatte John Maynard Keynes bekanntermaßen ergänzt: >>The Empire was in reality built an coal and iron, rather than an blood and fire.« Zugleich galt grundsätzlich aber das zur Mitte des 19. Jahrhunderts von J ohn Stuart Mill formulierte >Gesetz vom abnehmenden Ertrag bei der Urproduktion>Mining industry, ... , usually yields an increase of produce at a more than proportiona1 increase of expense. It does worse, for even its customary annual produce requires to be extracted by a greater expenditure of labour and capital. As a mine does not reproduce the coal or ore taken from it, not only are all mines at last exhausted, but even when they as yet show no signs of exhaustion, they must be worked at a continually increasing cost. Shafts must be sunk deeper, galleries driven farther, greater power applied to keep them clear of water, the produce must be lifted from a greater depth or conveyed a greater distance. The law of diminishing return applies, therefore, to mining in a still more unqualified sense than to agriculture.« 5 Auf dem Hintergrund dieser systematischen Überlegungen wird der lange andauernde historische Vorteil des britischen Kohlenbergbaus und damit der britischen Volkswirtschaft insgesamt umso deutlicher. Abgesehen von der häufigen Nähe der Lagerungsstätten zur Meeresküste sicherten leichte Erreichbarkeit, Qualität und Vielfalt der britischen Kohle über Jahrhunderte hin einen weiten Absatzmarkt, der für manche Sorten- wie etwa JME Trans. 10, 1895/96, S. 420. So Sir William Armstrong, Address to the British Association of Newcastle im Jahre 1863, zit. nach: W.S. Jevons, The Coal Question, 18662, S. 32. 4 Vgl. hierzu auch: W.S. Jevons, The Coal Question, S. 61-63; 0 . v. Zwiedineck-Südenhorst, Krit ische Beiträge zur Grundrentenlehre, 1911. 5 J. S. Mill, Principles of Political Economy (1848), 1965, S. 184f. 2
3
57
1. Die Ausgangsläge
der walisischen Dampfkohle - einen monopolartigen Charakter annahm und bis in die 1930er Jahre behielt.6 Die Ursprünge der britischen Eisenindustrie lagen wie in Wednesbury in South Staffordshire oft an Stellen, »where there being but little earth lying over the measure of coal, the workmen rid off the earth and dig the coal under their feet, and carry it out in wheelbarrows, there being no need for windlass, rope, or corf«. 7 Noch zur Mitte des 19. Jahrhunderts hieß es in einem Unternehmensbericht aus Südwales: »From the depth of the Cwm Avon Valley, many Millians of Tons of this excellent and varied fuel are easily obtainable, without steam power, by levels and drifts striking at once into the sides of the Hills.« 8 Und selbst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts konnte noch festgestellt werden, daß - abgesehen vom finanziellen Risiko - >>Üwing to the peculiar geological structure of South Wales almost anybody could sink a pit within the borders of the coalfield with an assurance that they would strike coal.«9 Auch die Standortvorteile innerhalb des Landes hielten, wie die nachfolgende Zusammenstellung anzudeuten vermag, lange an. Produktion und Konsum von Koks für die Eisenverarbeitung nach Regionen im Jahre 191710
Bezirk
Anteil (in %) Produktion Konsum
Durham, Northumberland, Cleveland Yorkshire, Midlands Südwales Shropshire, Staffordshire, Worcestershire, Warwickshire Cumberland Lancashire, Cheshire, Nordwales Schottland Insgesamt
39 31 12
36 24
5
9 14
4
8
5
5
4
4
100
100
»They were richly endowed by nature with an essential commodity, which in some respects, at least, gave them a monopoly.• Vgl. NACM 1935/36, S. 705. 7 Dr. Plot's Natural History of Staffordshire, zit. nach Jevons, S. 73; vgl. auch ähnliche Stellen bei: R. N . Boyd, Coal pits and pitmen, 18952 ???, S. 39, 42, 154. 8 Penrice and Morgan MSS., Doc. 9261: Repon circulated by the Governor and Company of Copper Miners in England, 1842, zit. nach: J. H. Morris/Williams, The South Wales Coal Industry, 1841-1875, 1958, s. 51. 9 NACM, Trans. 1923/24, S. 211; vgl. auch ebd., 1935/6, S. 654. 10 Zusammengestellt nach deJCI Angaben bei: F. H. Hatch, The iron and steel industry of ehe United Kingdom under War conditions. A record of the work of ehe iron and steel production depart6
58
li. Die natürlichen Bedingungen
Noch nach Abschluß des Ersten Weltkriegs konnte ein gut informierter Beobachter am schottischen Beispiel ausführen: »The rapid depletion of the Lanarkshire coal reserves is a very serious matter for the heavy coal-consuming industries of the Clyde valley and for the ship-building and engineering works dependent on thern.« 11 Umgekehrt demonstriert dies die Bedeutung der Lager- und Fundstätten der Ko.hle für die - ihrerseits folgenreiche 12 - frühe Dezentralisierung insbesondere der Eisen- und der eisenverarbeitenden Industrien in Großbritannien.
2. Die Teufe Bei Teufen von weniger als 100m, meist weniger als 50 m 13 , war es vor 1800 die allgemeine Praxis, »to sink shallow pits- two (oder mehr14) in about every 100 square yards - and in those sinkings there was very little bricking clone; they got down to the coal and worked it out over a given area, and after that they proceeded to make other sinkings, of a similar character. The raising of the coal was clone by a horse-gin, some working with one and some with two horses.«15 So besaß 1773 die Sheffield Park Colliery in Süd-Yorkshire elf Zechen, die durchschnittlich nur 120m von einander entfernt lagen16, und bis zum Jahre 1811 waren auf der Berechtsamen-Fläche der Pontoppike Colliery in Co. Durharn von 1.200 acres nicht weniger als 33 Zechen >>at no great distance from each other« niedergebracht worden. 17 Und für die nachfolgende Zeit berichtete ein anderer Beobachter: »In olden times the pits were placed 200 or 300 yards apart, but at the time under consideration (um 1850) they were sunk at a distance of 2 or 3 miles from each other.By the time the face of work is two or three hundred yards ment of the Ministry ofMunitions, 1919, S. 98f. Die Angaben für den Koks zur Eisenverarbeitung allgemein (Produktion) und für den ausgesprochenen Hüttenkoks (Konsum), der ca. 80% des ersteren ausmachte, sind in der Tabelle gleichgesetzt. II F. H. Hatch, S. 102. 12 Vgl. hierzu etwa: S. Yonekawa, The Strategy and Structure of Cotton and Steel Enterprises in Britain, 1900-39, in: K. Nakagawa, Hrsg., Strategy and Structure of BigBusiness. Proceedings of the First Fuji Conference (1974), S. 217-257, S. 231; R. lwata, Marketing Strategy and Market Structure in Three Nations: The United States, The United Kingdom, and Japan, in: ebd., s. 177-195, s. 186f. 13 Vgl. NACM 1917/18, S. 23; 1920/21, S. 110; 1941/42, S. 159-173; CM 1890, S. 178. Selbst im traditionsreichen Revier von Durharn und Northumberland erreichten die Teufen im Jahre 1810 nicht mehr als 55-110m. Vgl. hierzu: ICTR 51, 1896, S. 830. 14 Vgl. M. W. Flinn, The History of the Brltish Coallndustry, Bd. 2, 19852 , S. 50. ts NACM 1908/09, S. 221. t6 Vgl. M. W Flinn, S. 50. t 7 CM 15, 1899, S. 11. ts R.N. Boyd, S. 151.
2. Die Teufe
59
from the shaft, the expenses of conveyance are so great upon the ton raised, that it actually becomes eheaper to make a new plant, and sink new shafts, even when the old plant is best situated for the transmission of the minerals to the works, canal, or railway; by which additional plants more surface land is destroyed, and new tramways are required to be laid down.«19 Im Ruhrgebiet dagegen, wo die insgesamt tieferliegenden Flöze fast von vornherein oder zumindest weit früher zum Tiefbau und den hierzu erforderlichen kostspieligen Anlagen zwangen, versuchte man anfänglich das gleiche Kostenproblem auf seine Weise zu lösen: der unumgängliche tiefe Schacht wurde gleichzeitig von mehreren Unternehmen finanziert und genutzt. 20 Noch in den Jahren nach 1900 erinnerte sich ein britischer Bergingenieur daran, selbst eine Reihe von Bergwerken gesehen zu haben, »where horse-gins were used, and where there was no engine at alL>that from the first blow of the pick the mine began to be remunerative«5\ waren die Flözverhältnisse in Großbritannien ungünstiger. Im Jahre 1924 stammten 19% der amerikanischen Kohlenförderung aus Flözen unterer Mächte von weniger als 1,20 m und 60% aus solchen von mehr als 1,80 m, während in Großbritannien 50% der geförderten Kohle aus Flözen mit weniger als 1,20 m und Jevons, S. 71. So D.S. Landes, Der Entfesselte Prometheus, 1973, S. 195. 49 Ebd. Vgl. auch G. Wilkie, The Manufacture of Iron in Great Britain, with remarks on the employment of capital in iron-works and collieries, 1857, S. 6. 5o John Finlay, in: IME 101, 1941142, S. 431; NACM 1919/20, S. 124. 51 IME 19, 1899/1900, S. 132. 52 CM 1885, S. 209. 53 Vgl. W.D. Holford, in: IME 23, 1901/ 02, S. 322. 54 Vgl. N . W. Hughes, in: IME 24, 1902/03, S. 232. 47
48
64
II. Die natürlichen Bedingungen
nur 10% aus solchen von über 1,80 m stammten.55 Die durchschnittlichen Teufen und Flözmächtigkeiten zeigt die folgende Zusammenstellung.56 Durchschnittliche Teufe und Flözmächtigkeit des Kohlenbergbaus in den USA, Großbritannien und im Ruhrgebiet im Jahre 1924 (m)
Ver.Staaten: Weichkohle Hartkohle Großbritannien Ruhrbezirk
Teufe
Flözmächtigkeit
80 126 312 600
1,60 2,03 1,27 1,00
Entgegen den häufig geäußerten Befürchtungen der Zeitgenossen, verschlechterten sich die naturgegebenen Vorteile - zumindest soweit sie Teufe und Flözmächtigkeit betreffen- jedoch, wie die noch nachfolgende Tabelle zeigt, nur langsamY Verteilung der britischen Kohleförderung nach Teufe und Flözmächtigkeit im Jahre 1924 (in%) m
yards Unter
50 50 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1.000 1.100 1.200
Insgesamt
55 56
57
bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis
100 200 300 400 500 600 700 800 900 1.000 1.100 1.200 1.300
unter 0,60
0,60 bis 1,20
1,20 bis 1,80
über 1,80
zusammen
0,46 1,06 1,72 0,72 0,36 0,12 0,09 0,02 0,01 0,01
-
1,97 4,27 9,88 10,45 7,63 4,18 2,58 2,08 0,95 0,32 0,19 0,04 0,01
0,14 0,30 1,17 1,41 1,33 1,12 1,29 2,10 0,86 0,12 0,17 -
-
0,85 1,54 5,57 8,33 6,74 5,86 5,28 3,00 2,35 1,21 0,08 0,02 0,04 0,00
-
3,42 7,17 18,34 20,91 16,06 11,28 9,24 7,20 4,17 1,66 0,44 0,06 0,05 0,00
4,57
44,55
40,87
10,01
100,00
-
NACM 1926/27, S. 174. Nach: E.Jüngst, S. 14. Tabelle nach: IME 98, 1939/40, S. 261.
-
65
3. Die Vorkommen
Immerhin kamen auch im Jahre 1924 noch mehr als 50% der gesamten britischen Kohleförderung aus Flözen mit einer Mächtigkeit von über 1,20 m. Noch zur gleichen Zeit galt nicht nur für Südwales, was ein Bergingenieur zum Ausdruck brachte: >>The working of thin seams bad been left alone in South Wales, but this question would now have to be faced.« 58 Die Auswirkungen der naturgegebenen Verhältnisse waren ebenso grundlegend wie chancengewährend, ebenso unausweichlich wie umfassend. Nicht nur nahm mit dem fortschreitenden Abbau der Kohle insgesamt die Teufe zu und - bereits beginnend in den 1890er Jahren insbesondere mit dem schottischen Bergbaudie Mächtigkeit der Flöze ab, die Natur sorgte, wie die im Anhang beigefügte Gegenüber- und Zusammenstellung von Betrieben, Flözen, Teufen und Flözmächtigkeiten, eindringlich zeigt59, zugleich auch dafür, daß die Bedingungen, unter denen die Kohle zu gewinnen war, ebenso sehr von Revier zu Revier, von Betrieb zu Betrieb (auch innerhalb der Unternehmen), von Flöz zu Flöz wie sogar innerhalb desselben Flözes variieren konnten und tatsächlich variierten. 60 Welche Unterschiede verschiedene Flözmächtigkeiten in Kosten und Leistung auch noch im maschinenintensiven Bergbau der 1920er Jahre verursachen konnten, mag ein Beispiel aus dem Ruhrbergbau zeigen. Auf einem Bergwerk betrugen hier die Gewinnungskosten pro t bei Flözen von 40-55 cm rd. 8 M, bei solchen von 70 cm 6 M und bei solchen von 1,20 m bis 1,50 m nur 4 M; der Leistungsertrag pro Mann und Schicht erreichte jeweils 1 t, 1,5 t bzw. 2 t. 61 Aus den Naturgegebenheiten in der Mächtigkeit und Anlage der Flöze folgten darüber hinaus auch die Unterschiede in der Art der Bearbeitung62 , in Alter und - da bestimmte Kleinbetriebe 63 oder nur ein Flöz oder mehrere gleichzeitig64 den Abbau ermöglichten bzw. zuließen - in Größe der Betriebe. 58
59 60
61 62
D.L. Thomas, in: NACM 1923/ 24, S. 217. Vgl. Anhang. Vgl. hierzu auch die entsprechende Aussage von J. C . Blake, in: NACM 1933/ 34, S. 445. Der südwalisische Bergbau zum Beispiel stellte in den 1930er Jahren ein Siebtel der nationalen Gesamtförderung, benötigte aber ein Drittel des gesamten Grubenholzverbrauches. Vgl. hierzu: NACM 1939/40, s. 493. Vgl. 0. Stegemann, Die Bauwürdigkeit der Steinkohlenf!öze, in: Glückauf 65, 1929, S. 37-40, S. 38. Vgl. etwa die über die Verwendung von Sprengstoffen gesammelten Daten (Nach: CM 13, 1897, S. 154).
63 64
South Wales 1886 1:4,5
Durharn 1886 1:3,6
Northumberland 1886 1897 3: 1 7:1
Verhältnis von mit und ohne Sprengung gewonnener Kohle Verhältnis von in Stein und in 1,8: 1 1:2 1:2,3 1:6 Kohle abgefeuenen Schüssen Tonnen gewonnener Kohle pro 12,8 7,9 2,7 1,8 abgefeuenem Schuß Vgl. hierzu: CM 1889, S. 18. Vgl. hierzu zum Beispiel die folgende Äußerung eines Bergingenieurs aus dem Jahre 1894: »In Yorkshire wehavenot often the opponunity, as in Nonhumberland and Durham, of working
5 Berg
66
li. Die natürlichen Bedingungen
4. Der Kapitalbedarf Die mit der Erschöpfung der höhergelegenen (und besseren) Flöze zunehmende Teufe zog eine Reihe unvermeidbarer Konsequenzen nach sich: zunächst ein höherer Aufwand an Kapital und laufenden Kosten sowie eine größere Dauer der Abteufarbeiten. War das Abteufen eines Schachts wohl bis in die zweite Häfte des 19. Jahrhunderts hinein meist eine Sache von Wochen oder Monaten, so konnte es in der Zeit danach leicht eine solche von Jahren werden.65 In den Jahren um 1900 wurde für Abteuf- und Aufschließungsarbeiten eine Zeit von fünf bis sechs Jahren wohl für normal gehalten. 66 Im Ruhrbergbau dagegen wurde diese Phase bereits für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts durchschnittlich auf acht Jahre berechnetY Bereits das Abteufen des Monkwearmouth-Bergwerks ab 1826 hatte bis zur Teufe von 500 m neun, insgesamt aber aufgrund besonderer Schwierigkeiten zwanzig Jahre gedauert. Und die Dukinfield Deep Pit benötigte bis auf eine Tiefe von 700 m von Juni 1849 bis März 1859. Dabei beliefen sich die Kosten für die neunjährigen Abteufarbeiten des ersten Schachtes auf 1,6-2 Mill. Mark. 68 Gleichzeitig soll etwa in Süd-Staffordshire das Abteufen und Einrichten einer Doppelschachtanlage die Summe von 60.000-80.000 M kaum überstiegen haben, während die Tiefbauzechen des Nordostens bereits 1 Mill. M erforderten.69 Doch waren dies für jene und die Folgezeit schon vergleichsweise hohe Kosten. Denn zur gleichen Zeit konnten für ein kleines Bergwerk nur einige tausend Mark ausreichen. Betrugen zum Beispiel in Südwales die Abteufkosten eine Schachtes von 180m im Jahre 1836 etwa 28.000 M, so waren es bei einer Schachtteufe von 480 m am Ende des Jahrhunderts ca. 260.000 M. 70 Zum letzteren Zeitpunkt (bis 1913) kostete das Abteufen von Schächten von 600-800 m Tiefe in Yorkshire und Nottinghamshire etwa 200.000 M. 71 Im Jahre 1918 schließlich wurde die Anlage von zwei miteinander verbundenen Schächten mit einer Teufe von 1.000 m auf 1,2 Mill. M. berechnet.72 Allein für die
several seams of nearly the same quality lying near together, thus at Ashington colliery five seams are all being more or less worked at the present time, the deepest of which is no more then 500 feet (165m) from the surface.• Vgl. !ME 8, 1894/95, S. 290. 65 Vgl. NACM 1913/14, S. 358; 1917/18, S. 26; CM 1889, S. 18. 66 Vgl. !ME 23, 1901102, S. 274. 67 Vgl. C.-L. Holtfrerich, Quantitative Wirtschaftsgeschichte des Ruhrkohlenbergbaus im 19. Jahrhundert, 1973, S. 121. 68 Vgl. hierzu: CM 13, 1897, S. 16, und Jevons, S. XIII; auch die Angaben bei: R. L. Galloway, A history of coal mining in Great Britain, 19692, S. 206-210. 69 Vgl. hierzu: A.J. Taylor, The Coal Industry, in: R. Church, Hrsg., The Dynamics of Victorian Business, 1980, S. 46-62, S. 55. 70 Berg, S. 140. 71 Church, S. 312. 72 Vgl. !ME 61, 1918/19, S. 216.
4. Der Kapitalbedarf
67
Wiederherstellung eines 500 m tiefen Schachtes nach einem Grubenbrand wurden im Jahre 1900 240.000 M aufgewandt. 73 Der Gesamtaufwand zur Errichtung eines Bergwerks (einschließlich Maschinen) zum Beispiel in Südwales wurde 1838 auf 68.000-70.000 M, in den 1840er Jahren auf 140.000-280.000 M und im Jahre 1907 auf 1 Mill. M geschätzt. 74 Hier wie auch in Staffordshire, Derbyshire und Schottland genügte ein Unternehmenskapital in den 1830er und 1840er Jahren von 60.000-120.000 M, und um 1860 besaßen die größeren Unternehmen, die nicht für den lokalen Absatz über Land arbeiteten, ein Kapital zwischen 180.000 M und 500.000 M. 75 Ab den 1880er Jahren jedoch war es offensichtlich leicht, für die Anlage eines Bergwerks 2-3 Mill. M auszugeben76, und nach 1900 wurde die Summe von 5 Mill. M für normal gehalten.77 Die Ausnahme bildete wohl das Hilton-Bergwerk der Holly Bank Co. Ltd., für das in den Jahren vor 1922 20 Mill. M aufgewandt worden waren.78 Im von der Natur weniger begünstigten Ruhrbergbau dagegen wurden von Anfang an noch weit höhere finanzielle Mittel notwendig. Das im Zeitraum zwischen 1850 und 1870 pro Zeche benötigte Kapital betrug durchschnittlich nicht weniger als 3 Mill. M, und im Jahre 1904 stand zum Beispiel bei einem Unternehmen der GBAG die größte Einzelanlage mit 17 Mill. M, die kleinste mit 3,5 Mill. M zu Buche. In den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges kostete hier die Neuschaffung einer Doppelschachtanlage ca. 40 Mill. M, im Jahre 1921 - als Folge der Inflation - bereits 600 Mill. M. Das durchschnittliche Grundkapital der Aktiengesellschaften im Ruhrbergbau, das zwischen 1840 und 1859 bereits 2,8 Mill. M und von 1870 bis 1875 8,8 Mill. M betragen hatte, war bis zum Jahre 1900 auf 12,5 Mill. M und bis 1911 auf 18,7 Mill. M angestiegen. 79 Bereits in den 1890er Jahren berechnete man in Großbritannien, daß durchschnittlich 10M pro t jährliche Förderung als Anlagekapitalfür ein Bergwerk aufgewandt werden müsse. 80 Und im Vergleich zum Lohnaufwand faßte ein schottischer Bergingenieur die historische Entwicklung des Kapitaleinsatzes im britischen Kohlenbergbau folgendermaßen zusammen: In den 1820er Jahren ent-
n Vgl. CM 17, 1901, S. 256.
Berg, S. 140. Vgl. auch die Angaben bei: R.H. Walters, The Economic and Business History of the South Wales Steam Coal Industry, 1840-1914, 1977, S. 89-92. 75 Church, S. 121f.; vgl. auch die Zahlenangaben bei: A.J. Taylor, The Coal Industry, 1980, S. 51. 76 Vgl. CM 1885, S. 129; 1888, S. 126; IME 1892/93, S. 3f.; auch: Mitchell, S. 44f. 77 Vgl. hierzu: CM 1894, S. 110; NACM 1904/05, S. 307. 78 NACM 1922/23, S. 496f. 79 Vgl. hierzu Berg, S. 65, 84; H. v. Beckerath, Kräfte, Ziele und Gestaltungen der deutschen Industriewirtschaft, 1924, S. 75. Im Jahre 1928 berechnete das Schmalenbach-Gutachten die Anlagekosten für eine Zeche mit einer Höchstförderung von 500.000 t auf 22,7 Mill. M, mit einer solchen von 1 Mill. t auf 36,6 Mi!!. M. Vgl. E. Schmalenbach u. a., Gutachten über die gegenwärtige Lage des Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbaus, 1928, S. 25, und Anlage XI. so Vgl. G.P. Bidder, in: CM 1894, S. 110.
74
s•
68
li. Die natürlichen Bedingungen
sprach der Wert eines Unternehmens der Lohnsumme von zwei Monaten der in ihm Beschäftigten, zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Lohnsumme von zwölf Monaten, Mitte der 1920er Jahre aber bereits von achtzehn Monaten. 81 Auf diese Weise stieg auch - parallel zu und infolge der Abnahme der naturgegebenen Vorteile und des zunehmenden Einsatzes von Maschinen - das insgesamt im britischen Kohlenbergbau investierte Kapital zunächst langsam, dann aber rascher an. Während der bekannte Bergingenieur John Buddle im Jahre 1829 in den Bergwerken um Newcastle am Tyne angelegte Kapital auf 30 Mill. M schätzte und das um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Northumberland und Durharn investierte Kapital, das ebenfalls im Jahre 1828 auf 42-44 Mill. M geschätzt worden war, auf 260 Mill. M berechnet wurde82, schätzte man das insgesamt im britischen Bergbau investierte Kapital um die Jahrhundertwende auf 2 Mrd. M, im Jahre 1913 auf 2,8 Mrd. M und bereits in der Mitte der 1920er Jahre auf 4 Mrd. M83 • Allein vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Jahre 1931 sollen mehr als 2 Mrd. M angelegt worden sein.84
5. Lebensdauer und Abbaugebiet Die mit der Größe der Anlagen steigenden Kosten erzwangen eine Ausweitung von Abbaugebiet und Betriebsdauer. Wie oben dargestellt, war es im britischen Bergbau lange Zeit möglich und üblich, kleine Bergwerke mit niedrigen Schächten anzulegen, die erreichbaren Kohlenvorräte abzubauen, um sodann einen neuen Schacht abzuteufen. Ebenso wie es später üblich war, »to transfer the machinery to a new unit«, >>when faults, irregular boundary or other physical difficulties reduce output below the economicallimitlike George Stephenson in early youth, have bad there homes more than once moved and broken up by the working out of a collieryMany leases are for terms of from thirty to fifty years, during which time it is estimated that the coal will be all exhausted.«90 Um 1930 wurde die Lebenserwartung bei der Coventry Colliery, des derzeit tiefsten und größten Bergwerks in Warwickshire, auf 80 Jahre, eines anderen Betriebs auf 60-70 Jahre, geschätzt. 91 Zur gleichen Zeit rechnete man im Ruhrbergbau bereits aber mit einer Betriebsdauer von nicht weniger als 100 Jahren. 92 Bereits 1835 formulierte John Buddle in aller Klarheit: >>Where a pit costs from [, 10,000 to [, 20,000 sinking we cannot afford to sink a shaft every ten or twenty acres« (40.470-80.940 m2).93 Die steigenden Anlagekosten zwangen zu einer größeren Stetigkeit (und geringeren Mobilität) der Betriebe und gleichzeitig zu einer Vergrößerung der unterirdischen Abbaugebiete. Waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts Grubenfelder von 10-15 acres (40.47060.705 m 2) eine häufige Erscheinung9\ so wurden noch zur Jahrhundertmitte solche von 50 acres (202.350 m 2) für durchaus normal gehalten.95 In Nordengland lagen sie durchschnittlich zwischen 500 und 2.000 acres (2.023.5008.094.000 m 2), in Lancashire und Wales zwischen 25 und 250 acres (101.175101.750 m2) und in Staffordshire oft nicht mehr als zwischen 10 oder 20 acres (40.470-80.940 m2). 96 Insgesamt galt wohl die Aussage: >>A royalty of 500 acres (2.023.500 m2) was a !arge take, and the majority were of much smaller area.«97 Im letzten Viertel des Jahrhunderts wuchsen die reservierten Abbaugebiete häufig auf eine Größe von 500-1.000 acres (2.023.500-4.047.000 m 2) an98 , doch besaßen auch schon Unternehmen wie die Pantoppike Colliery in den 1820er Jahren mit ihren 33 Schächten eine Berechtsame von 1.200 acres (4.856.400 m2). 99
NEIME 10, 1861/62, S. 29; IME 13, 1896/97, S. 220. Vgl. hierzu die Angaben in: NACM 1911/12, S. 248; 1928/29, S. 289; IME 1898/99, S. 114; CM 15, 1899, S. 220; 17, 1901, S. 82; Church, S. 354, 541. 90 IME 60, 1920/ 21, S. 71. 91 Vgl. NACM 1932/33, S. 443; 1925/ 26, S. 252. 92 Vgl. hierzu: H . 0. Dixon, German mining and its organization, in: IME 76, 1928/ 29, S. 22. 93 Special Committee on Accidents in Mines, 1835, Frage 2012, zit. nach: Flinn, S. 88. 94 Vgl. Flinn, S. 88. 9s NEIME, Trans. 1861/62, S. 29. 96 Vgl. R.N. Boyd, Coal pits, S. 144f. (nach Blackwell-Bericht, 1850). 97 IME 24, 1902/ 03, S. 188. 9 8 Vgl. hierzu die Angaben in: CM 1885, S. 15; 1890, S. 200; 1897, S. 171; 1900, S. 301; IME 15, 1897/98, S. 119. Gleichzeitig aber besaß die bedeutende Powell Duffryn Coal Co. in Südwales in den 80er Jahren bereits ein Abbaufeld von ca. 20 Mill. m2 (5.000 acres). Vgl. CM 1885, S. 80. 99 Vgl. CM 1899, S. 11.
88 89
70
II. Die natürlichen Bedingungen
Obwohl auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in manchen Revieren wie in Staffordshire - in Schottland sogar regelmäßig - noch Grubenfelder von 200300 acres (809.400-1.214.100 m2) existierten 100, begannen sich bei denneueren Betrieben nunmehr solche von 5.000-10.000 acres (20.235-40.470 m2) 10', ja bis zu 26 km2, 102 durchzusetzen. Im Ruhrbergbau dagegen, wo die Felder durchweg meist in Einheiten von ca. 1-2 Mill. m 2 (oft 2,2 Mill. m2) vergeben wurden, erreichte die Berechtsame vieler Unternehmen bereits in den Jahren vor 1860 häufig 2-5 Mill. m2, in Ausnahmefällen sogar 12-17 Mill. m2, in der Zeit nach 1900 leicht 30-60 Mill. m2 und in den 1930er Jahren bis zu 200 und 300 Mill. m2 • 103
6. Betriebsausdehnung, Produktionskosten und Produktivität Zunehmende Teufen und Grubenfelder brachten unvermeidlich wachsende Anfahrts- und Transportwege für Beschäftigte, Kohle und sonstige Materialien mit sich. Und dieses Wachstum vollzog sich in einem Maße, wie es selbst die unmittelbar beteiligten Bergingenieure kaum für möglich hielten. Innerhalb von sechs Jahren stieg in einem großen Bergwerk in der Zeit nach 1900 der durchschnittliche Transportweg für Kohle von 2,82 km auf 3,75 km, also um fast 1 km an. 104 Und allein das Einfahren (bis zum Schachtboden) einer Untertagebelegschaft von 500 Mann in einer Zeche mit einer Teufe von 550 m kostete um die Jahrhundertwende mehr als 30 Minuten der Arbeitszeit.105 Waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Strecken vom Schachtboden bis zum Arbeitsort häufig ebenso nah wie von einem Schacht zum anderen, also von vielleicht etwa 25 m bis zu 200 m, so existierten zur gleichen Zeit auch bereits Gruben mit Entfernungen von mehr als 400 m. 106 Ebenso lang (330370 m) konnten noch in den 1830er Jahren die Gänge eines Bergwerks sein. 107 Zur Jahrhundertmitte waren Entfernungen von 550-750 m, welche die jugendlichen Schlepper mit ihrer Kohlenlast zu überwinden hatten, normal. 108 Um die Wende zum 20. Jahrhundert verlangten ältere Bergwerke von den Arbeitern Vgl. CM 1886, S. 307; IME 49, 1914/ 15, S. 494; IME 27, 1903/04, S. 73; 23, 1901/2, S. 273. Vgl. hierzu die Angaben in: NACM 1911112, S. 227; 1920/ 21, 5.168; 1919/20, S. 164 (2.000 acres); 1925/26, S. 395 (1.200 acres); 1932/33, S. 443; IME 56, 1918/ 19, S. 216; 50, 1915/ 16, S. 503. 102 A. Bryan, in: IME 101, 1941142, S. 288. Im Falle von Betrieben mit nur einem abbaubaren Flöz wurden jedoch bereits etwa 50 km2 für notwendig gehalten. Vgl. IME 33, 1906/07, S. 343. 103 Vgl. hierzu die Angaben in: Gebhardt, Ruhrbergbau, und: Die Entwicklung des Niederrheinisch-Westfälischen Steinkohlen-Bergbaus, Bd. X, 1904, S. 247f., 255, 268-278. 104 Vgl. IME 40, 1910/11, S. 176. 1os Vgl. IME 21, 1900/01, S. 309. 106 Vgl. hierzu die Angaben in: NACM 1941142, S. 164f.; IME 1902/03, S. 243; CM 1892, S. 195. 107 Moses Morris, in: NACM 1903/04, S. 51. 108 John Unsworth, in: NACM 1905/06, S. 296; 1913/14, S. 215.
1°0 101
71
6. Betriebsausdehnung, Produktionskosten und Produktivität
in der Regel einen Fußmarsch von 1-1 1/2 Stunde zur Arbeitsstelle, die neuerenvon nur einer Viertelstunde109, und bereits die folgende Tabelle für das Jahr 1871 zeigt die von Zeche zu Zeche und von Flöz zu Flöz bestehenden großen Unterschiede - zwischen 110m und 2,5 km -, die bei den unterirdischen Anfahrts- und Transportwegen existierten. 110 Teufe und Entfernungen untertage in britischen Bergwerken im Jahre 1871 Name
Rosebridge Colliery Pendleton Colliery Pendleton Colliery Astley Pit, Dukinfield Astley and Tildesley Colliery Bank Colliery Low Side Colliery Anderton Hall Colliery Bradleyfold Colliery Wynnstay Colliery (North Wales) Haford Colliery Haford Colliery Clifton Hall Colliery Ryhope Colliery Seaham Colliery
Ort
Streb Abbau Abbau Abbau Streb Abbau Abbau Streb Abbau Abbau Abbau Abbau Abbau Abbau Abbau
Teufe (m)
Entfernung v. Schacht (m)
730 630 675 675 366 275 150 275 165 360 553 442 500 475 608
277 1.600 665 540 1.860 110 536 550 1.390 560 178 357 1.154 2.525 2.010
In der Zeit nach 1900 galten bei großen Bergwerken Distanzen von bis zu 3,2 km als normal und in den 1930er und 1940er Jahren schließlich waren Entfernungen von Schachtboden und Arbeitsplatz zwischen 4,5 km und 6,5 km und eine zu ihrer Überwindung aufzuwendende Zeit von 11/2 Stunden (für beide Wege) keine Seltenheit. 111 Die von einem Rettungstrupp aufzubringende Zeit berechnete man bei einer Entfernung von knapp 2 km auf 36 Minuten, von knapp 4 km auf 54 Minuten.l12 Und zur gleichen Zeit konnten die größeren moderVgl. hierzu: NACM 1907/08, S. 352f.; 1931/32, S. 35. Vgl. auch die- nach Bergrevieren geordneten - durchschnittlichen Zeitangaben für die Jahre 1890 und 1905 bei: B. R. Mitchell, Economic development of the British coal industry, 1800-1914, 1984, S. 144. uo Nach: Report of the Commissioners appointed to inquire in the Several Matters Relating to Coal, 1871, Bd. 1, S. 86f., zit. in: IME 21, 1900/01, S. 64. 111 Vgl. IME 35, 1907/08, S. 448; NACM 1920/21, S. 63; 1921122, S. 65; 1931/32, S. 35; 1941/42, s. 154; 1935/36, s. 133f. 112 NACM 1941/42, S. 70.
109
72
II. Die natürlichen Bedingungen
nen Bergwerke unterirdische Strecken mit mehr als 80 km, ja in einem Fall in Südwales sogar über 270 km (170 miles) und Bahnlinien mit einer Gesamtlänge von mehr als 50 km aufweisen. 113 Das Anwachsen der Entfernungen untertage und die zu ihrer Überwindung notwendigen Anlagen und erforderliche Zeit, ebenso wie die Instandhaltung von Gängen und Anlagen, brachten - wie John Stuart Mill es bereits im voraus in seinem Gesetz vom abnehmenden Ertrag bei der Urproduktion formuliert hatte - eine anhaltende Steigerung der Produktionskosten mit sich. Welche Rolle hierbei unterschiedliche Teufe und Flözmächtigkeit spielte, zeigt ein Beispiel aus dem Jahre 1900: Bei einem Flöz mit einer Mächtigkeit von 50 cm und einer Teufe von 700 m betrugen die Lohnkosten der Untertagebeschäftigten zwischen 4 s. 9 d. und 5 s. pro t Förderung, bei einem Flöz mit einer Mächtigkeit von 76 cm und einer Teufe von 250 m bis 850 m zwischen 5 s. 9 d. und 6 s. pro t 114 , wiesen also eine Differenz von genau 1M auf. Für die zeitliche Entwicklung wurde zu Ende des 19. Jahrhunderts allgemein geschätzt, daß »notwithstanding the various improvements which have been effected in mining operations during the last half-a-century, the average cost of raising coal today, irrespective of fluctuations in wages, is probably 15 per cent., above what it was fifty years ago.« 115 Diese Schätzung unterstreicht erneut die Langsamkeit der Bewegung, mit der der britische Bergbau seine relative Privilegiertheit einbüßte. Doch konnte wie die nachfolgende Tabelle zeigt - diese Bewegung zumindest im Einzelfall auch ein rascheres Tempo annehmen. 116
m IME 101, 1941/42, S. 288; NACM 1934/35, S. 27 (für Südwales); NACM 1925/26, S. 289. Umge·
kehrt gibt es auch hier Hinweise für das nur allmähliche Schwinden der natürlichen Vorteile des britischen Bergbaus. So stellte ein schottischer Bergingenieur erst in den 1930er Jahren fest: »Indeed, the position seemed to be that they must anticipate a gradual increase in working costs owing to the increasing distances of the coal from the shafts. That not only meant increased hauJage charges, but increased road maintenance, ventilation, lighting etc.«. Vgl. NACM 1934/35, s. 371. 114 Vgl. IME 20, 1900/01, S. 141. 115 So T. Forster Brown, Our Coal Supplies, in: CM 15, 1899, S. 220. Zur Kostenentwicklung allgemein vor 1914 vgl. Church, S. 496-511; Mitchell, S. 282-291. 116 Aus: Isaac Hodges, Increase of working-costs in coal-mines during the past half-centrury, the rate of increase, and the causes there-of, in: IME 40, 1910/ 11, S. 168-175, S. 169, 172.
73
6. Betriebsausdehnung, Produktionskosten und Produktivität
Anteil und Zunahme der Produktionskosten der Whitwood Collieries in den Jahren 1860, 1885 und 1910 Anteile der Produktionskosten (in%) 1860 1885 1910
Zunahme der Produktionskosten (in %) 1860-1885 1860-1910
a) STANLEY MAIN-FLÖZ Löhne Untertage Übertage
51,1 13,1
50,0 10,7
57,5 8,8
15,5 1,2
58,4 3,6
Löhne insgesamt
64,2
60,7
66,3
16,7
62,0
11,3 3,6
14,3 3,6
10,0 3,1
4,8 1,2
4,8 2,4
4,8 3,0
5,3 3,6
6,2 3,7
2,4 1,7
7,1 4,1
10,1
12,5
8,8 1,9
6,5
6,5 3,6
100,0
100,0
100,0
33,3
90,5
b) HAIGH MOOR-FLÖZ Löhne l]ntertage Ubertage
51,1 12,8
51,7 11,7
57,8 9,2
14,9 2,1
53,3 4,3
Löhne insgesamt
63,9
63,4
67,0
17,0
59,6
12,8 3,2
13,3 3,3
10,4 2,9
4,2 1,1
6,4 2,1
4,2 2,6
5,0 3,3
5,8 3,5
2,1 1,6
6,4 3,7
13,3
11,7
8,7 1,7
1,6
2,6 3,2
100,0
100,0
100,0
27,6
84,0
Allgemein Materialien Zechenselbstverbrauch u. Bergmannskohle Steuern u. Abgaben Betriebsführung u. allg.Kosten Pacht Unfallversicherung Gesamt
Allgernein Materialien Zechenselbstverbrauch u. Bergmannskohle Steuern u. Abgaben Betriebsführung u. allg. Kosten Pacht Unfallversicherung Gesamt
Während der Anteil der Lohnkosten an den gesamten Produktionskosten sich zwischen 1860 und 1910 nicht dramatisch verschob, waren es gerade die Lohnkosten, die in diesem Zeitraum- insbesondere ab 1885- weitaus am stärksten vor allen anderen Kostenelementen, nämlich um rd. 60%, anstiegen, davon während des ersten Vierteljahrhunderts nur um rd. 17%. Daß hierbei nicht nur Lohnsteigerungen, sondern gerade auch die >rasch gestiegenen< Kosten für nicht direkt
74
li. Die natürlichen Bedingungen
produktive >>Nebenarbeiten>Continental costs were high relatively to ours; the capital expenditure per ton raised per annum was much higher, but a large proportion of the money was expended on the surface.« 120 Obwohl sich hier bereits die unterschiedliche Verteilung von Unter- und Übertageanlagen andeutet, mit der wir uns im Rahmen der innerbetrieblichen Investitionstätigkeit noch später zu beschäftigen haben, künden diese Aussagen von der nach wie vor bestehenden natürlichen Begünstigung des britischen Bergbaus. Dies wird umso deutlicher, als die Produktionskosten hier niedriger, die Löhne aber bedeutend höher als in den anderen europäischen Ländern, wenn auch niedriger als in den USA, waren. Durchschnittsjahreslöhne aller Kategorien von Bergarbeitern, 1888-1890121 1888
Großbritannien Frankreich Belgien Lüttich Ruhrgebiet Saargebiet
1889
1890
[.
s.
d.
[.
s.
d.
[.
s.
d.
49 45 36 39 43 42
16 5 4 10 3 2
0 10 2 0 0 0
60 47 38 41 47 46
6 18 16 8 1 13
0 4 8 4 0 0
71 53
16 17
0 7
48 53 55
1 7 14
8 0 0
-
Als Ergänzung seien hier noch die Wochenlöhne von (männlichen) erwachsenen Arbeitern hinzugefügt. Ebd., S. 176; vgl. auch NACM 1934/35, S. 371. Zur Entwicklung von Produktionskosten und Löhnen bis 1913 vgl. auch die Tabelle bei: Church, S. 500. 118 Vgl. IME 66, 1923/24, S. 62; für ein bestimmtes Flöz wurden die Produktionskosten im Jahre 1879 sogar mit nur 1 s. 3.54 d. angegeben. Vgl. NACM 1925/ 26, S. 73. 119 So der im Ruhrbergbau tätige Steiger Georg Werner, in: ders., Zwei Kumpel, 1932, S. 121f. 12o NACM 1912/13, S. 612. 12 1 Nach: IME 6, 1893/94, S. 25. Die sprunghafte Lohnsteigerung innerhalb von drei Jahren demon· striert den Erfolg der Streikbewegungen des Jahres 1889 in allen Ländern. 117
75
6. Betriebsausdehnung, Produktionskosten und Produktivität
Durchschnittliche Wochenlöhne von erwachsenen Bergarbeitern im Jahre 1883 122
USA (Massachusetts) Großbritannien (Lancashire) Deutschland (Ruhrgebiet) Frankreich
s.
d.
55 30 21 18
6 0 6 9
Nach Tagesverdiensten der Arbeher sieht der Vergleich schließlich folgendermaßen aus: Durchschnittliche Tageslöhne von eigentlichen Bergarbeitern und Schleppern im Jahre 1893 123 Bergarbeiter England Österreich Frankreich Belgien Deutschland
6 s. bis 6 s. 4 d. 2 s. 8 d. 3 s. 6 d. 2 s. 6 d. bis 2 s. 8 d. 3 s. bis 3 s. 6 d.
Schlepper 4 s. 9 d. bis 5 s. 2 s. 8 d. 2 s. 7 d.
Das Ausmaß der Rückläufigkeit der natürlichen Vorteile des britischen Bergbaus zeigte sich nicht nur in steigenden Produktionskosten, sondern spiegelte sich in hohem Maße auch in der spätestens ab ca. 1890 bis 1921 scheinbar unaufhaltsam fallenden Produktivität wider. 124 Vgl. CM 1885, S. 27. Nach den Angaben des Kongresses der Bergarbeiter-Internationale in London im Jahre 1893, in: IME 10, 1895/96, S. 421. 124 Die Tabelle ist zusammengestellt nach den Angaben bei: Church, S. 474 (1842-1913); B. Supple, The History of the British Coal lndustry, Bd. 4: 1913-1946: The Political Economy of Decline, 1987, S. 176f., 317; N.K. Buxton, Coalmining, in: ders./D.H. Aldcroft, Hrsg., British industry between the wars. lnstability and industrial development 1919-1939, 1979, S. 47-78, S. 60, 67; IME 104, 1944/45, S. 24. Für die Leitung pro Mann und Stunde geht Church neuerdings interessanterweise für die Zeit bis 1913 von einer gleichbleibenden, wenn nicht (bis 1890) steigenden Produktivität aus. Doch stehen seine Berechnungen (vgl. S. 474ff., 546-549) auf unsicherem empirischen Boden. Vor allem aber suchen diese offensichtlich um Leistungswille und Leistungsintensivität bemühten Berechnungen die Leistungsbedingungen wie zunehmende unterirdische Entfernungen und die Instandhaltung der Wege auszuschließen, Elemente, die für unsere, auf den Ertrag hin ausgerichtete Interpretation gerade von besonderer Bedeutung sind. Hier ist vor allem die zu Ende unseres Untersuchungszeitraums gleichsam als Resultat getroffene Feststellung eines Bergingenieurs besonders erwähnenswert: »The number of men engaged in keeping the coal-faces and roads open for work and in attending to machinery, in relation to the men actually employed in coal122 123
76
II. Die natürlichen Bedingungen
Produktivität im britischen Bergbau, 1842-1943 Zeitraum
1842-9 1850-9 1860-0 1870-9 1880-9 1890-9 1900-8 1909-13 1914 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1927 1928 1929 1930 1932 1936 1937 1938 1943
Förderung pro pro ~ann u. Jahr (t) 280,6 302,1 310,8 292,2 329,5 290,4 286,4 259,6 196 187 (144) 217 229 220 221 245 253 270 262
Förderung pro u. Schicht (t)
~ann
1,36 1,39 1,40 1,45 1,41 1,25 1,27 1,11 1,02 0,78 0,73 0,72 0,90 0,89 0,88 0,92 1,03 1,06 1,08 1,08 1,10 1,18 1,17 1,15 1,03
Erst ab dem Jahre 1922 vermochte insbesondere die zunehmende Maschinisierung vor Ort (Schrämmaschinen und Schüttelrutschen), diese Tendenz zu stoppen und allmählich in ihr Gegenteil zu verkehren. Gegenüber der sinkenden Produktivität war man lange Zeit offensichtlich hilflos. Den zunächst allmählich, dann rapide steigenden Produktionskosten, die lange Zeit auch nicht durch den Einsatz von Maschinen aufzuhalten waren, versuchte man allerdings durch eine gesteigerte Förderung, das heißt durch die Verteilung der festen Betriebskosten auf eine größere Produktion, entgegenzu-
getting, has increased to such an extent that the annual output per man emlpoyed undergwund has lessened in spite of the fact that economies have been made in other directions and of fulltime working of the mines.>StallsStalls« benötigt. 127
7. Die Größe der Betriebe und Unternehmen Angesichts der natürlichen Bedingungen und des Entwicklungsstands der Technik hatten sich die Betriebe in bezug auf Förderung und Beschäftigtenzahl im Jahrhundert vor 1850 anscheinend nicht sehr verändert. Während des gesamten Zeitraums konnten die größeren ebenso gut 50, 100 wie 500 Arbeiter beschäftigen.128 Noch um die Jahrhundertmitte wurden die Bergleute häufig in >>pit sets« gerechnet, >>twenty to forty colliers being an average pit set«l2'J; und selbst bei den größeren Betrieben zählte die Tagesförderung etwa 200-300 t, >>although they were equal to drawing ,from 400 t to 500 t daily at each pit«> ••• when they were endeavouring to reduce cost by increasing output, and that was the fact that in a stagnant market only a certain amount of coal could be absorbed, and if they flooded the market, although they decreased their cost by a penny, they might decrease the merchant's price by a shilling.« 144 Wenngleich diese wachsende Konkurrenz auf lokaler und regionaler Ebene, in der Zeit bis nach dem Ersten Weltkrieg für die einzelnen Betriebe und Unternehmen nicht ohne Folgen blieb, so konnten erst die veränderten Bedingungen nach 1921 die vollen Konsequenzen der Verhältnisse zeigen und zu Bewußtsein bringen, die dem britischen Bergbau seit seinem Übergang zum Tiefbau zugrunde lagen. Der expandierende weltweite Absatzmarkt und die steigende Nachfrage gestatteten dem britischen Bergbau bis 1921 ein Preisniveau145, das es weitgehend ermöglichte, die unaufhaltsam steigenden festen und laufenden (vor allem Lohn-)Kosten 146 zu decken und darüber hinaus einen- wenn auch konjunkturell stark schwankenden - Gewinn abzuwerfen. 147 Erst die reduzierte Nachfrage und das - auch politisch bedingte - Schrumpfen des Weltmarktes der 1920er und 1930er Jahre ließ die finanzielle Lage vieler Bergbauunternehmen prekär werden, zumal jetzt offenbar wurde, daß auch bei stark sinkenden Kohlenpreisen - trotz vehementer Maschinisierung - die Produktionskosten, die nicht die Lohnkosten beinhalteten, bei weitem nicht in gleichem Maße gesenkt werden konnten wie Preise oder Löhne. 148
Vgl. NACM 1908/9, S. 34. Vgl. hierzu: Church, S. 52-59; B.R. Mitchell, S. 271- 278; Supple, S. 8-11. 146 Vgl. Church, S. 496-510; Mitchell, S. 282-291; Supple, S. 164-7, 174-176. 147 Vgl. Mitchell, S. 292-309; Church, S. 521-534; Supple, S. 174-176. 148 Vgl. hierzu die Angaben in: M. W. Kirby, The British Coal Mining Industry, 1870-1946, 1977, s. 67, 115, 139.
144
145
6 Berg
82
II. Die natürlichen Bedingungen
Gesamtförderung, Export, Produktionskosten und finanzielles Ergebnis des britischen Bergbaus, 1920-1938
Jahr 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938
Gesamt- Export Lohnkosten förde- (Mi!!. t) (pro t) rung (Mill.t)
Andere Kosten (pro t)
Gesamtkosten (pro t)
Einnahmen (pro t)
Gewinn/ Verlust (pro t)
229,5 163,3 246,6 276,0 267,1 243,2 126,3 251,2 237,5 257,9 243,9 219,5 208,7 207,1 220,7 222,3 228,5 240,4 227,0
8 s. 7 s. 6 s. 5 s. 5 s. 5 s. 4s. 4 s. 4 s. 4 s. 4 s. 4 s. 4 s. 4 s. 4 s. 4 s. 4 s. 4 s. 5 s.
34 26 18 17 18 17 17 15 14 13 13 13 13 13 12 12 13 14 16
-
-
24,9 64,7 64,2 79,5 61,7 50,8 20,6 51,1 50,1 60,3 54,9 42,7 38,9 39,1 39,6 38,7 34,5 40,3 35,8
25 s. 9 1/2 d. 18 s. 9 d. 12 s. 1 3/ 4 d. 12 s. 4 1/ 4 d. 13s.3d. 12 s. 9 1/2 d. 12 s. 4 d. 10 s. 7 1/2 d. 9 s. 5 3/4 d. 9 s. 2 d. 9 s. 3 3/ 4 d. 9 s. 2 3/4 d. 9 s. 0 3/4 d. 8 s. 9 1/2 d. 8 s. 7 1/4 d. 8 s. 6 1/2 d. 9 s. 2 d. 9 s. 9 3/4 d. 10 s. 6 d.
4 d. 4 1/2 d. 0 d. 3d. 4 1/ 4 d. 1 3/ 4 d. 11d. 11 1/2 d. 8 1/2 d. 4 1/2 d. 5 d. 6 d. 7 1/4 d. 6 1/4 d. 4 1/4 d. 5 1/4 d. 6 d. 10 3/4 d. 7 d.
s. s. s. s. s. s. s. s. s. s. s. s. s. s. s: s. s. s. s.
1 1/ 2 d. 1 1/ 2 d. 1 3/ 4 d. 7 1/ 4 d. 7 1/4 d. 11 1/4 d. 3 d. 7 d. 2 1/4 d. 6 1/ 2 d. 8 3/ 4 d. 8 3/ 4 d. 8d. 3 3/ 4 d.. 11 1/ 2 d. 11 3/ 4 d. 8. d. 8 1/ 2 d. 1 d.
25 s. 10 d. 19 s. 1 1/ 2 d. 19 s. 9 1/2 d. 19 s. 9 1/4 d. 17 s. 1 d. 15 s. 9 d. 15 s. 1 1/4 d. 13 s. 3 1/4 d. 13 s. 11 d. 14 s. 1 d. 14 s. 0 1/ 4 d. 13 s. 10 d. 13 s. 6 1/ 2 d. 13s.4d. 13 s. 6 d. 14s.7d. 15 s. 11 1/ 4 d. 17 s. 4 d.
-0 s. 3 1/ 2 d. +0 s. 11 3/4 d. +2 s. 2 1/ 4 d. +1 s. 2 d. ·0 s. 10 1/ 4 d. ·1 s. 6 d. -0 s. 5 3/ 4 d. -0 s. 11 d. +0 s. 4 1/ 2 d. +0 s. 4 1/4 d. +0 s. 3 1/ 2 d. +0 s. 2 d. +0 s. 2 3/ 4 d. +0 s. 4 1/ 2 d. +0 s. 6 1/ 4 d. +0 s. 11 d. +1 s. 2 3/ 4 d. +1 s. 3d.
Eine Möglichkeit, der zunehmenden Konkurrenz auf dem Absatz - wie auf dem Arbeitsmarkt entgegenzuwirken, und - auch hierdurch - die Verkaufspreise der Kohle zu erhöhen und die Produktionskosten auf vielfältige Weise zu senken, bildete die Zusammenfassung von mehreren Betrieben bzw. Unternehmen zu jeweils größeren Unternehmenskomplexen. Auch die übrigen Vorteile lagen auf der Hand: eine - womöglich - stärkere technische Zusammenfassung und Zusammenarbeit der Einzelbetriebe und hierdurch eine Zentralisierung und Verbilligung der technischen Anlagen und ihrer Anschaffungs-, Unterhaltungs- und Arbeitskosten, durch größere Abnahme Vergünstigungen auf dem Zuliefermarkt, eine Verteilung des mit der Größe der Betriebe zunehmenden Risikos (im Falle von natürlichen Hindernissen, Unglücken, Streiks etc.), Konjunkturausgleich durch das Anbieten mehrerer Kohlensorten sowie durch das gleichzeitige Betreiben von Inlands- und Auslandsabsatz, Austausch von Maschinen, Ausgleich gegenüber der sinkenden Rentabilität und der Erschöpfung älterer Betriebe ebenso wie die Verfügung über ein größeres Kapitalvolumen, das die Beschaffung moderner Anlagen zur rechten Zeit wie auch manchmal den Aufbau einer eigenen Handelsorganisation ermöglichte. 149
149
Vgl. hierzu etwa: Supple, S. 375, und Berg, S. 134-137.
7. Die Größe der Betriebe und Unternehmen
83
Ebenso wie sich die Anschaffung bestimmter Maschinen und Anlagen erst ab einer gewissen Betriebs- bzw. Unternehmensgröße rentierte, so waren bestimmte Handelsgeschäfte oft erst bei reichlicher Kapitalausstattung möglich. So war es für ein Unternehmen in Südwales, das Anthrazitkohlen nach Kanada exportierte, in den Jahren um 1930 »nicht unüblich«, Außenstände von bis zu einer halben Mill. Pfund Sterling zu haben. 150 Auch vor der kritischen Wende von 1921 war eine Reihe von Unternehmen bestrebt, diese Vorteile zu nutzen. Doch besitzen wir für die Zeit vor 1913 nur eine Zusammenstellung für Südwales, die den Zusammenschluß mehrerer Betriebe zu Unternehmen zeigt.m Hiernach besaßen dort bereits im Jahre 1874 55 Unternehmen mehr als eine Schachtanlage, während insgesamt 220 Zechen zu Unternehmen gehörten, die mehr als einen Betrieb besaßen. 1916 waren es 60 Unternehmen mit mehr als einer Schachtanlage und 249 Betriebe, die zu konzentrierten Unternehmen gehörten. Jedes konzentrierte Unternehmen besaß hier im Jahre 1874 durchschnittlich 4,0, im Jahre 1916 4,3 Schachtanlagen. Auch in anderen Revieren stieg offensichtlich die Tendenz zu konzentrierten und damit in ihrem Umfang zunehmenden U nternehmen. 152 Die zehn, nach Beschäftigten größten britischen Bergbauunternehmen, 1894 und 1913 1894 Ocean Coal (Südwales) Lambton (NO) William Baird (Schottland) John Bowes (NO) Wigan Coal and Iron (Lancs.) David Davies and Son (Südwales) Bolckow Vaughan (NW) Nixon's Navigation (Südwales) Powell Duffryn (Südwales) Dowlais (Südwales)
15o 151 152
6•
Vgl. NACM 1932/33, S. 618. Vgl. Berg, S. 128.
Nach Church, S. 400.
1913 7.917
Powell Duffryn (Südwales)
14.779
7.500 7.405
Lambton (NO) Fife (Schottland)
13.905 13.853
6.535 6.303
William Baird (Schottland) Harton (NO)
11.408 10.196
5.743
GKN (Dowlais) (Südwales)
9.929
5.743 5.351
Bolckow Vaughan (NO) Ashington (NO)
9.463 8.985
5.113 4.652
Wigan Coal and Iron (Lancs.) Nixon's Navigation (Südwales)
8.928 8.887
84
li. Die natürlichen Bedingungen
In den zwanzig Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges verdoppelte sich jeweils durchweg die Beschäftigungszahl der zehn größten britischen Bergbauunternehmen ebenso wie offensichtlich die der übrigen, kleineren Unternehmen. Wie groß aber die Unterschiede hierbei zwischen den einzelnen Revieren waren, zeigt die folgende Zusammenstellung. 153 Die nach untertage Beschäftigten größten britischen Bergbauunternehmen in ihren Revieren, 1895-1899 Reviere
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Ost-Schottland West-Schottland Newcastle Durharn Yorkshire und Lincolnshire Manchester Liverpool Midland
9. Nord-Staffordshire 10. Süd-Staffordshire 11. Südwesten 12. Südwales
Name des Unternehmens
The Fife Coal Co., Ltd. William Baird and Co., Ltd. The Harton Coal Co., Ltd. The Lambton Collieries, Ltd. J. & J. Charlesworth, Ltd. The Bridgewater Trustees Wigan Coal and Iron Co., Ltd. The Staveley Coal and Iron Co., Ltd. The Shelton Iron, Steel, and Coal Co., Ltd. The Cannock and Rugeley Colliery Co. J. Lancaster and Co., Ltd. The Ocean Coal Co., Ltd.
Durchschnitt!. Anzahl der Beschäftigten 3.026 6.470 3.690 7.119 3.520 2.933 3.915 3.689 1.628 1.414 2.957 6.390
Die jeweils größten Unternehmen in den Aufsichtsbezirken Westschottland, Durharn und Südwales z.B. besaßen mehr als das Vierfache an Untertagebeschäftigten im Vergleich zu denjenigen in Nord- und Südstaffordshire und etwa das Doppelte derjenigen in Ostschottland, Newcastle, Yorkshire, Manchester und im Südwest-Bezirk. Zwar nahmen die Unternehmen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in ihrem Umfang sprunghaft zu, doch erhöhte sich der Konzentrationsgrad an Produktion und Beschäftigten hierdurch kaum. Im Jahre 1894 wiesen die zehn größten Bergbauunternehmen 9%, 1913 10% aller im Bergbau Beschäftigten auf. 154 Und in den fünfzig größten Unternehmen arbeiteten 1894 28 %, 1913 31 % der Beschäftigten. 155 Auch auf regionaler Ebene änderte sich kaum etwas. Die zehn tsJ Aus: C M 17, 1901, S. 175. Vgl. Church, S. 399. ISS Ebd., s. 401.
154
85
7o Die Größe der Betriebe und Unternehmen
größten Kohleproduzenten beschäftigen dort jeweils etwa 30-40% aller im Bergbau Tätigen. 156 Die zehn größten Unternehmen besaßen im Jahre 1913 durchschnittlich im Ost-Midlands Laucashire West-Midlands
8.510 Beschäftigte 8o157 60206 40915
Nordosten Südwales Schottland Yorkshire
40821 Beschäftigte 40290 20664
Für die Zeit ab 1913liegen uns genauere Angaben zur Unternehmensgröße und zum Konzentrationsgrad vor. 157 Größenverteilung britischer Bergbauunternehmen nach Beschäftigtenzahl, 1913-1938 Größenklassen (Beschäftigte) 1913 1-99 100-499 500-999 1.000-20999 3. 000-4 0999 5.000-9 0999 10.000 und mehr 1924 1-99 100-499 500-999 1.000-20999 3o000-4o999 So000-9.999 10.000 und mehr 1938 1-99 100-499 500-999 1.000-20999 3. 000-4 0999 5o000-9o999 100000 und mehr
Unternehmen
Zu den Unternehmen gehörige Bergwerke [] Anzahl %
Anzahl
%
7,561 74,207 114,56 376,258 225,468 216,837 63,534
1,6 6,8 10,5 34,6 20,7 19,9 5,8
25,79 253,27 716,01 1.783,21 3.887,38 6.994,74 12.706,80
411,04 1.088,427
100,0
756,38
16,386 59,756 100,321 308,887 233,592 274,989 121,753
1,3 4,9 8,3 25,4 19,2 22,6 10,0
23,18 252,14 732,27 1.391,38 30959,19 60874,73 30528,11
00,0
484,92 1.215,684
100,0
861,52
722 220 149 329 152 143 155
38,6 11,8 8,0 17,6 8,1 7,6 8,3
17,38 142,12 495,68 784,07 999,93 886,83 929,76
12,546 31,266 73,857 257,960 151,989 126,816 144,113
1.870
100,0
427,03
798,547 100,0
Anzahl
%
681 293 160 211 58 31 5
47,3 20,4 11,1 14,7 4,0 2,2 0,3
1,11 1,47 1,81 2,67 4,28 8,52 19,00
759 430 289 563 248 264 95
28,7 16,2 10,9 21,3 9,4 10,7 3,9
1.439
100,0
1,84
20648
100,0
707 237 137 222 59 40 9
50,1 16,8 9,7 15,7 4,2 2,8 0,6
1,12 1,41 1,69 2,30 4,24 6,75 13,56
789 333 232 511 250 270 122
1.411
100,0
1,78
20507
5 129 102 148 39 18 9
57,0 12,5 9,9 14,3 3,8 1,7 0,9
1,23 1,71 1,46 2,22 3,89 7,94 17,22
1.034
100,0
1,81
I
- Durchschnittliche Anzahl von Bergwerken pro Unternehmen [] Durchschnittliche Beschäftigtenzahl pro Bergwerk III - Durchschnittliche Beschäftigtenzahl pro Unternehmen E
157
23,14 172,57 396,41 668,31 909,15 821,35 668,78
31,5 20,77 13,3 179,45 9,3 432,42 20,4 604,48 10,0 934,37 10,8 1.018,48 4,9 997,98
I
156
Beschäftigte
Nach ebdo, So 4020 Übernommen aus und berechnet nach Supple, So3030
[[[
21,30 1,6 3,9 242,37 9,2 724,09 1.742,97 32,3 19,0 30891,15 15,9 70045,34 18,0 160012,56 772,29
86
II. Die natürlichen Bedingungen
Bereits vor der Wende im Jahre 1921 gehörten viele Bergwerke konzentrierten Unternehmen an. Insgesamt standen im Jahre 1913 1.439 Unternehmen 2.648 Bergwerke gegenüber, die zu jenen gehörten. Dieser Gesamtdurchschnitt von 1,84 konnte jedoch, wie die Tabelle zeigt, von einer Unternehmensgrößenklasse zur anderen stark variieren. Stieg die durchschnittliche Anzahl der konzentrierten Betriebe in den ersten drei Größenklassen (bis zu 3.000 Beschäftigten) nur allmählich an, so verdoppelte sie sich jeweils in den vier letzten Klassen. So besaßen die Unternehmen von 3.000-5.000 Beschäftigten durchschnittlich mehr als 4, die mit 5.000-10.000 Beschäftigten 8,5 und diejenigen mit mehr als 10.000 Beschäftigten durchschnittlich 19 Bergwerke. Entsprechend war die Staffelung der durchschnittlichen Beschäftigtenzahl der Unternehmen. Jedoch besaßen die größeren Unternehmen nicht automatisch auch die größten Bergwerke. Die durchschnittlich größten Betriebe besaßen mit Abstand die Unternehmen mit einer Beschäftigtenzahl zwischen 3.000 und 5.000 Mann, sodann zwischen 5.000 und 10.000 Mann, also die Unternehmensgrößen, die gleichzeitig- mit Ausnahme derjenigen mit mehr als 10.000 Mann- den geringsten zahlenmäßigen Anteil der Bergwerke (ein Fünftel) auf sich vereinigten. Die Größenklasse zwischen 1.000 und 3.000 Mann sowie über 10.000 wies mit 668 Mann durchschnittlich die gleiche Betriebsgröße auf, Größenklassen von Unternehmen, die zusammen etwa ein Viertel aller Bergwerke auf sich vereinigten. Über die Hälfte aller Betriebe (55,8 %) aber wurde von den Unternehmen mit weniger als 1.000 Beschäftigten gestellt, eine Größenklasse, die durchschnittlich zugleich die kleinsten Unternehmen wie die kleinsten Bergwerke aufwies. Auch nach der Wende von 1921 blieb der erreichte Konzentrationsgrad langfristig erhalten, doch insgesamt verlieh diese Phase der Konzentrationstendenz keine große Beschleunigung. Während die Zahl der konzentrierten Betriebe durchschnittlich in allen Unternehmen bis auf diejenigen mit unter 500 Beschäftigten zurückging, stieg nur in der größten Größenklasse (mehr als 10.000) deren Anteil und die durchschnittliche Unternehmens- wie Betriebsgröße deutlich an. Dagegen nahmen die Betriebe und Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten in ihrem Umfang durchschnittlich ab. Die folgende Zusammenstellung der Größenverteilung der Unternehmen nach der Jahresförderung bestätigt und vervollständigt das bisher gezeichnete Bild der Konzentration. 158
158
Coal17/18 (Coal Mines Reorganisation Commission Meeting 5, Paper 4, Agenda 5, 20 Nov. 1935); nach: Supple, S. 305. Die Durchschnittszahlen sind vom Autor selbst berechnet.
87
7. Die Größe der Betriebe und Unternehmen
Größenverteilung britischer Bergbauunternehmen nach der Jahresförderung, 1935* Förderung (in 1.000 t}
Unternehmen Anzahl %
Produktion (1.000 t} %
Durchschnitt!. Produktion pro Unternehmen (1.000 t)
Unter 10 10-100 100-500 500-1.000 1000-2.000 über 2.000
522 149 172 68 40 21
53,7 15,4 17,5 7,0 4,1 2,1
1.168 5.867 44.649 48.446 53.950 68.157
0,5 2,6 20,1 21,8 24,3 30,7
2 39 260 712 1.348 3.246
Insgesamt
972
100,0
222.237
100,0
229
* (Stichprobe) Von einer repräsentativen Stichprobe von 972 Unternehmen im Jahre 1935 stellten mehr als zwei Drittel der Unternehmen (69%) mit bis zu 100 tJahresförderung nur 3% der Gesamtproduktion. Dagegen stellten kaum mehr als ein Achtel der U nterehmen ( 13,2%) mit einer Jahresförderung von mehr als 500.000 t mehr als drei Viertel (76,8 %) der gesamten Produktion. Die 21 größten Unternehmen besaßen eine durchschnittliche Jahresproduktion von 3,2 Mill. t, die kleinste Größenklasse mit 522 Unternehmen eine solche von 2.000 t. Wie bei der Zahl der Beschäftigten waren auch hier die regionalen und lokalen159 Unterschiede beträchtlich. Die Regionen mit den durchschnittlich größten Unternehmen waren im Jahre 1935: 160 South Yorkshire North Derbyshire & Nottinghamshire Northumberland & Durharn South Wales & Monmouthshire Schottland
813.000 t 682.000 t 668.000t 530.000 t 486.000 t.
Den zur Mitte der 1930er Jahre erreichten Konzentrationsgrad dokumentiert auch die folgende_ Zusammenstellung.
Zu dem zum Teil erheblichen Ausmaß von Konzentrationen und sonstigen Verbindungen auf lokaler Ebene vgl. Church, S. 306-308, 372-375, und Supple, S. 374-376. 160 POWE 22/85, nach: Supple, S. 369.
159
88
II. Die natürlichen Bedingungen
Die neun größten britischen Bergbauunternehmen oder eng verflochtenen Gruppen im Jahre 1935161 Powell Duffryn Associated Collieries
mit
10,1 Mi!!. t
William Baird & Co und Bairds & Dalmellington
mit
4,6 Mi!!. t
Lambton, Hetton und Joicey Collieries
mit
4,0 Mi!!. t
Amalgamated Anthracite, Henderson's Welsh Anthracite u. Welsh Anthracite
mit
3,7 Mi!!. t
Manchester Colleries
mit
3,6 Mill. t
Bolsover Colliery
mit
3,4 Mi!!. t
Amalgamated Denaby Collieries
mit
3,4 Mi!!. t
Fife Coal Co
mit
3,4Mill. t
Ocean Coal, Burnyeat Brown und United National Colleries
mit
3,1 Mi!!. t.
Zum Vergleich wiesen die Unternehmen im Ruhrbergbau bereits im Jahre 1912 eine durchschnittliche Förderung von 1,2 Mill. t (und eine Belegschaft von 4.365 Mann), die 17 >reinen< Kohlenbergwerks-Aktiengesellschaften von mehr als 2 Mill. t auf. 162 Im Jahr 1938 besaß hier ein Drittel der Schachtanlagen eine Jahresproduktion von jeweils mehr als 1 Mill. t. 163 Trotz des ab 1921 zunehmenden Drucks auf die Rentabilität blieb der britische Kohlenbergbau eine - auch im Vergleich zu anderen Industrien - wenig konzentrierte Industrie. Auch die auf wachsenden Zusammenschluß ausgerichteten Maßnahmen des Staates, der sich hierdurch eine höhere Rentabilität des Bergbaus versprach, 164 vermochten hier nicht allzu viel auszurichten. Zwar sank auch unter dem enormen wirtschaftlichen Druck- die Zahl der Betriebe und Unternehmen im Zeitraum zwischen 1913 und 1938 um ca. 40%, doch existierten auch zum letzteren Zeitpunkt immerhin noch 1.034 Unternehmen und 1.870 Bergwerke. Warum nun, so stellt sich die Frage, wurde auf diese an sich bestehende Möglichkeit, durch Konzentration von Produktionseinheiten - neben anderen Vorteilen - eine stärkere Rationalisierung des Betriebes und insgesamt eine Reduzierung der Produktionskosten zu erreichen, so selten - im Vergleich etwa zum Bergbau des Ruhrgebiets oder Oberschlesiens - zurückgegriffen? Zunächst waren
Colliery Untertakings in Great Britain ... 1935, Statement B: POWE 22/ 85, nach: Supple, S. 307. Berg, S. 77, 82. 163 Gebhardt, S. 494. 164 Vgl. hierzu insgesamt: Supple und Kirby. 161
162
8. Die Karteliierung und ihre Probleme
89
die naturgegebenen Unterschiede zwischen den einzelnen Betrieben und Unternehmen so groß, daß sie sich in bezug auf das technische und finanzielle Ergebnis kaum miteinander vergleichen ließen. Der bestehende Großbetrieb erwirtschaftete bei weitem nicht immer bessere Resultate als der Kleinbetrieb 16S, der neue, kapitalbelastete, nicht immer bessere als der alte, aber schuldenfreie. Parallel zu diesen Feststellungen sank der Glaube der Zeitgenossen, daß durch eine weitere Konzentration der technischen und wirtschaftlichen Einheiten sich eine Verbesserung des finanziellen Ergebnisses erreichen lasse, zumal in dieser Phase nach 1921 eher an eine Verminderung als an eine Expansion der Produktion zu denken war. Und neben den Zweifeln der Beteiligten, wie groß denn Betriebe und Unternehmen eigentlich werden dürften, um noch leit- und dirigierbar zu sein, (eine Frage, die nicht zu der hier zu diskutierenden sachlichen, sondern zur personenbezogenen Dimension des Managements gehört), war es wohl nicht zuletzt das fehlende Kapital, das dazu nötig gewesen wäre, aus einer bloßen Zusammenlegung eine durchgehende Zentralisierung und Rationalisierung der Betriebe und Unternehmen mit dem erwünschten finanziellen Effekt werden zu lassen. 166
8. Die Karteliierung und ihre Probleme Eine weitere, mit der im vorhergehenden behandelten Tendenz der »amalgamation« jedoch auf mehrfache Weise zusammenhän&enden Möglichkeit, die Kohlenpreise zu erhöhen, war diejenige der Ausschaltung oder Einschränkung der Konkurrenz durch Kartellierung. In den gerade durch das Fehlen von Transportmitteln eingegrenzten Märkten des 18. und der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts waren solche Versuche häufig in ihrer Dauer und in ihren wirtschaftlichen Resultaten für die Bergbauunternehmen von bemerkenswertem Erfolg gekrönt, so etwa die >Grand AllianceLimitation of the VendJoint Durharn and Northumberland Coal Owners Association< von 1805 bis nach 1830. 167 Gerade das Beispiel des >Limitation of the VendMining Association of Great Britain< {MAGB), der zentralen Unternehmerorganisation, von 1919, die gesamte britische Kohlenproduktion durch eine einzige Absatwrganisation zu vermarkten. 171 Beide Pläne fanden jedoch keinen Anklang bei den Bergbauunternehmern. Auch unter den veränderten Bedingungen der ·1920er Jahre zeigten die Unternehmer zunächst kein Interesse an kartellartigen Abmachungen. Erst im Jahre 1927, als klar wurde, daß auch die nach dem Streik von 1926 verlängerte Arbeitszeit und die gesenkten Löhne die finanzielle Lage der Unternehmen nicht ausschlaggebend verbessern konnten, daß andererseits aber eine weitere Kürzung der Löhne nicht möglich war, fanden sich die Unternehmer - unter dem Ansporn des Staates und der Gewerkschaften - zu Kartellabmachungen auf regionaler Ebene bereit. Sowohl in den exportorientierten Revieren wie Südwales und Schottland, sowie Northumberland und Durham, wo man sich bisheraufgrundder internationalen Konkurrenzsituation in ausländischen Märkten und der insofern wünschbaren Flexibilität der Preise am stärksten gegen Kartelle gewehrt hatte, als auch im erweiterten Gebiet der Midlands, das auch Yorkshire, Lancashire und Cheshire umfaßte, wurden jeweils gemeinsame Absatzvereinbarungen getroffen. Obwohl und zum Teil gerade weil die Abmachungen sich von Region zu Region - aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage und Kompromißfähigkeit der Unternehmer- unterschieden, erwiesen sie sich alle als nicht von großer Lebensdauer. Die grundsätzlichen Mängel waren allen gemeinsam: die anhaltende Konkurrenz der Nichtmitglieder, obwohl diese nur 10-20% der jeweiligen Gesamtförderung innehatten, die mangelnde Kontrolle der festgesetzten Mengen- und Preislimitierungen, die anhaltende Konkurrenz der Reviere auf dem BinnenVgl. M. W. Kirby, The British Coal Mining Industry, 1870-1946, 1977, S. 9; Church, S. 70; NACM 1911/ 12, S. 691f.; für Südwales ~gl. insbesondere R.H. Walters, The Economic and Business History, S. 339-345, und Berg, S. 150-152. 170 Vgl. hierzu: Kirby, S. 9f.; Berg, S. 150. 171 A Suggested Scheme for the Reconstruction of the Coal Mining Industry, 15. Febr. 1919, nach: B. Supple, The History, S. 208. 16 9
8. Die Karteliierung und ihre Probleme
91
wie auf dem Exportmarkt, wie auch insgesamt die unkoordinierte Politik der einzelnen Gebiete. Gerade hier setzte noch eine neue Initiative der Unternehmer an, bevor jedoch diese und die anderen Bemühungen vom kurzfristigen Aufwind der Konjunktur im Jahre 1929 gleichsam hinweggeblasen wurden. 172 Gemessen an den Erfahrungen im Ruhrgebiet vor Gründung des RheinischWestfälischen Kohlensyndikats (RWKS), das vielen Beteiligten in Großbritannien auch in den 20er und 30er Jahren nach wie vor beispielgebend vor Augen stand, 173 war dies wohl ein wichtiger, aber äußerst kurzer Lernprozeß gewesen. War nach jahrzehntelangen Anläufen auf dem relativ abgegrenzten Absatzmarkt des Ruhrbergbaus im Jahre 1893 im RWKS eine Vereinigung von 141 Unternehmen mit 172 Bergwerkengelungen,174 so wären im britischen Bergbau, aufgrundder mangelnden Abgrenzbarkeit der Regionen, in den 1920er Jahren- wie wir oben sahen- mehr als 1.400 Unternehmen (also das Zehnfache) mit insgesamt fast 2.500 Bergwerken hierzu nötig gewesen. Und im Gegensatz zur Erfahrung des Ruhrbergbaus wurde Karteliierung hier oft als Schutzglocke begriffen, unter der gerade auch kleinere und weniger rentable Betriebe und Unternehmen am Leben erhalten wurden und die daher den Prozeß der ••amalgamation« behinderte. 175 Angesichts der ökonomischen (und sozialen) Situation der 1920er und 1930er Jahre blieb dem britischen Kohlenbergbau nicht die Zeit des Lernens, die er selbst - wie der Ruhrbergbau - in der günstigeren Zeit vor 1921 gehabt hätte. Der Druck der Verhältnisse erforderte rasches Handeln, das Erfolg versprach. Und Erfolg - so wird aus dem bisherigen deutlich - konnten nur Maßnahmen versprechen, die den geplanten Einrichtungen Universalität und Permanenz verliehen. Beides, so wurde offenbar, konnte nur durch ein gewisses Ausmaß an Zwang erzielt werden. Diese Ziele, so wurde auch vielen Beteiligten zu Ende der 20er Jahre klar, konnten nur durch Maßnahmen des Staates erreicht werden. Das im Jahr 1930 von der Regierung eingebrachte und vom Parlament verabschiedete Berggesetz verpflichtete die Industrie dazu, ein zentrales und 17 DistriktKomitees einzurichten, um die Förderung zu regulieren und - im Fall der Distrikt-Komitees- Niedrigstpreise festzulegen. Obwohl die Abstimmung von Förderung und Absatz nunmehr erstmals auf nationaler Ebene angegangen wurde, stellten sich schon bald nach dem Inkrafttreten der Abmachungen insbesondere zwei Mängel heraus: Angesichts des Fehlens von selbständigen VerkaufsZum Ganzen vgl. Supple, S. 195, 209-212; Kirby, S. llfr-120. Hinzu kamen die Vielzahl und die unterschiedliche Konjunkturabhängigkeit der verschiedenen Kohlensorten und -qualitäten. Vgl. hierzu: A.M. Neumann, Economic Organization of the British Coal Industry, 1934, S. 76f. 173 Vgl. hierzu: Supple, S. 258 f. 174 Vgl. Berg, S. 67, 77. 175 Vgl. Kirby, S. 120, 128, 134f.; Supple, S. 302, 399f. 172
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II. Die natürlichen Bedingungen
einrichtungen wurde die Übertretung der Mindestpreisregulierungen äußerst leicht gemacht und durch die Aktivitäten des Handels geradezu herausgefordert. Da weiterhin der Zentralrat nicht ermächtigt war, in die Festlegung der Preise einzugreifen, wurde die Konkurrenz zwischen den Distrikten - aufgrund der unterschiedlichen Preise - eher noch verstärkt. Erst aufgrund der Entschiedenheit des Staates, weiteren Zwang auszuüben, einigten sich die Bergbauunternehmer mit Wirkung vom 1. Jan. 1935 auf eine zentrale Abstimmung der Mindestpreise durch den Zentralrat und - um auch diese Möglichkeit der Konkurrenz zu dämpfen - auf die Festlegung von separaten Quoten für den Inlandund Auslandabsatz. Im Jahr 1936 schließlich erfolgte der letzte Schritt in der Komplettierung des Kartellgefüges. Der Staat, seinerseits unter dem Druck der Lohnforderung von Seiten der Arbeiter und Gewerkschaften, verpflichtete die Unternehmer auf die Einrichtung von zentralen Verkaufsorganisationen auf Distriktebene. Obgleich auch hierbei noch Unterschiede zwischen den verschiedenen Bezirken bestanden, 176 waren somit schließlich die langen Bemühungen um eine Abstimmung von Produktion und Absatz im britischen Kohlenbergbau in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre vorläufig und unter deutlichem Hervortreten einer zentralistischen Tendenz abgeschlossen, die zugleich Endpunkt alter und Brücke zu neuen Entwicklungen, insbesondere der schließliehen Nationalisierung im Jahre 1947, war.
176
Zum Ganzen vgl. Supple, S. 296-298; Kirby, S. 138-145; W. R. Garside, Adjusting to Decline: Coalmining and the Rationalization Movement in Interwar Britain, in: K. Tenfelde, Hrsg., Sozialgeschichte des Bergbaus im 19. und 20. Jahrhundert, 1992, S. 321-331. Zu den bedeutend weniger weitgehenden Eingriffen des Staates in anderen Industrien vgl. C. A. Wurm, Der Staat als Organ der Rationalisierung und industriellen Reorganisation in Großbritannien, 1919-1938, in: K. Rohe/G. Schmidt, Hrsg., Krise in Großbritannien? Studien zu Strukturproblemen der britischen Gesellschaft und Politik im 20. Jahrhundert, 1987, S. 89-133, S. Tolliday, Steel and Rationalisation Policies, 1918-1950, in: B. Elbaum/W. Laronick, Hrsg., The Decline of the British Economy, 1986, S. 82-108, S. 100-104, und W. Laronick, The Cotton Industry, in: ebd., s. 18-50, s. 33f.
111. Die systembedingte Aneignung: Die Gesetze und Elemente des freien Marktes und ihr Wirken Gegenüber den gleichsam immanenten Gesetzmäßigkeiten bergbaulicher Betriebsweise, die - wie wir im Vorhergehenden sahen- im Laufe der Entwicklung insbesondere auf dauerhafte, längerfristige Orientierungen und Bedürfnisse hinzielten, existierte sozusagen eine >>äußere>A coal-mine appears in effect to be nothing but an underground railway of exactly the sam,e nature as the underground railways in London. These tunnels are used for the conveyance of goods and passengers, and in the case of electric railways, are provided with hydraulic lifts, which are exactly similar in principle to the shafts of a coal-mine. The chief difference is that coal-mines are not constructed under Parliamentary powers for public use, but under private arrangements between the owner of the soil and the colliery-proprietor. Instead of carrying goods and passengers in return for fares and tolls fixed by Parliament, the underground tunnels and rails are constructed and used by the colliery-proprietor for the carriage of coal belonging to the landowner, who enters into a contract by which the whole risk and expense of getting, raising and selling the coal is thrown upon the contractor by whom the line is constructed and who pays hirnself in kind and gives the landowner a fixed net price for the coal«. 3 Anstelle der gleichmäßigen, festliegenden und dariiberhinaus: bescheidenen Bergwerksabgabe an den Staat in Deutschland und Frankreich4 trat hier die freie Abmachung zwischen Grundbesitzer und Bergbauwilligem. Das hierbei geltende Prinzip war weitgehend unbestritten: ••Üwners of mineral property 2
3 4
Vgl. hierzu etwa auch: A. Arndt, Bergbau und Bergbaupolitik, 1894, S. 6f., 26-52; W. Berg, Der französische Staat an der Wende zum Liberalismus, 1986, S. 5-7. Es würde zu weit führen, hier jeweils auf das formal bestehende, inhaltlich und faktisch aber an vielen Stellen beschränkte Prinzip der Bergbaufreiheit, d. h. des Rechtes auf Verleihung an den Erstfinder, einerseits und auf die Praxis der staatlichen Konzessionsvergabe andererseits näher einzugehen. Vgl. IME 18, 1899/1900, S. 232f. So betrug die Mindest-Bergbauabgabe pro t in der Zeit um 1890 in: Großbritannien 2 1/2 d. Westschottland 3 d. Ostschottland 4 d. Nonhumberland & Durharn 4 d. Südwales 4 d. Yorkshire 4 d. Ruhrgebiet 1 3/4 d. Belgien unter 1 1/2 d. Frankreich Die in den Herstellungskosten für eine Tonne Roheisen enthaltenen Bergwerksabgaben wurden zur gleichen Zeit in Großbritannien auf 3 s. bis 6 s. 3d., in Frankreich und Deutschland auf 6 d. bis 1 s. geschätzt. In Preußen wurden die staatlichen Bergwerksabgaben im Jahre 1893 aufgehoben. Vgl. IME 6, 1893/94, S. 28; CM 1887, S. 9 (nach Royal Commission on the Depression of Trade, 1886); Berg, Wirtschaft, S. 120.
1. Der Boden
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have, of course, as free a hand in dealing with their minerals as capitalists have in dealing with their money, and they must be expected to endeavour to make the best terms they can for the wares that they have to sell.«5 Diese Rechtslage bedeutete zunächst, daß der Grundbesitzer freie Hand hatte zu bestimmen, ob überhaupt und zu welchen Bedingungen er die unter seinem Grundstück liegenden Bodenschätze zum Abbau freigab. Dies brachte es zugleich mit sich, daß Unsicherheit darüber herrschte, welche Partien eines größeren Kohlenfeldes überhaupt dem Bergbau offenstanden. Und die überlieferten Fälle zeigen, daß solche Ablehnungen vorkamen, sei es, weil der jeweilige Eigner keine Industrieanlagen auf seinem Grundstück duldete,6 weil er Beschädigungen der Oberfläche befürchtete, aufgrund seines vorgerückten Alters/ oder auch, weil die gebotene Entschädigung ihm zu niedrig erschien und er auf ein besseres Angebot wartete.8 Auch war die Entscheidung darüber offen, in welchem Umfang und auf welche Dauer wie auch zu welchen Konditionen und nach welchen Prinzipien die kohleführenden Partien jeweils verpachtet wurden. Und grundsätzlich ergab sich natürlich aus der Rechtslage, daß es eine große Zahl von Grundbesitzern gab, die Mineralien unter ihren Grundstücken besaßen und dadurch zumindest zum Teil entscheidenden Einfluß auf die bergbauliche Entwicklung einzelner Unternehmen wie auch des ganzen Landes nehmen konnten. 9 Im Jahre 1919 gab es in Großbritannien 3.789 Royalty-Empfänger, die ihre Bodenschätze an ungefähr 1.452 Unternehmen mit insgesamt 3.129 Zechen verpachteten,10 und im Jahre 1938 wurden über 30.000 Grundstückseinheiten zur Entschädigung der für die Nationalisierung vorgesehenen Mineralien angemeldet.11 Die Größen dieser Einheiten variierten von einem Grundstückseigner zum anderen wie auch von Region zu Region stark, wie sich bereits deutlich aus den Zahlungen ergibt, die sie erhielten. Anläßlich der Tätigkeit eines parlamentarischen Komitees wurde im Jahre 1850 bekannt, »that whereas the colliery leases in the north averaged from 500 to 2.000 acres, in Lancashire and Wales they were 25 to 250 acres, and in Staffordshire often not more than 10 or 20 M.H. Mills, in: IME 12, 1896/97, S. 95 Vgl. IME 23, 1901/02, S. 274. 7 Vgl. 1ME 69, 1924/25, S. 479. 8 IME 23, 1901/02, S. 147, 277; 24, 1902/03, S. 240; 69, 1924/25, S. 492; CM 1893, S. 203. 9 Im Unterschied etwa zu Deutschland konnte sich hieraus auch die wichtige und interessante Scheitelsituation entwickeln, die dem Adel, der typischerweise häufig über Grundbesitz verfügte, als Element einer vormodernen Gesellschaftsordnung, wie etwa auch bei der Anlage von Kanälen und Eisenbahnen, wichtige Einflußmöglichkeiten auf die Entwicklung der industriellen Gesellschaft eröffnete und hierdurch zugleich - als Folge der nicht unbeträchtlichen neuen Einkünfte - seine Existenz verlängerte. Zum Vergleich siehe auch Mommsen, Britain and Germany 1800 to 1914, 1986, S. Sf. Zu den Einkommensquellen der britischen Aristokratie vgl. S.G. Checkland, The rise of industrial society in England, 1815-1885, 1964, S. 281ff. 1o Vgl. CIC 1919, Bd. 3, S. 230 Plate 35 c, App. 78. 11 Vgl. Coal Act 1938. Reports of the Coal Commission for the years 1938 und 1939 (PP 1939-40 V), S. 4, zit.: nach Supple, S. 405. 5 6
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III. Die systembedingte Aneignung
acres.« 12 Und während im Jahre 1919 7 Grundbesitzer jeweils mehr als 1,5 Mill. M bekamen, erhielten 2.546, also etwa zwei Drittel, weniger als 10.000 M pro JahrY Das oft geringe Ausmaß der Grundstücke brachte es mit sich, daß viele Bergbauunternehmen, die nur in Ausnahmefällen selbst große Grundstücke ankauften und in ihren Bergwerksrechten zum Teil wieder weiterverpachteten14, insbesondere auchangesichtsihres unvermeidlich wachsenden Umfangs mit einer größeren Anzahl von Grundbesitzern, und das heißt auch: mit entsprechend unterschiedlichen Interessen15, Vertragsbedingungen und -Iaufzeiten, gleichzeitig zu tun hatten, mit Grundbesitzern, die obendrein noch mit unterschiedlichsten Rechtstiteln ausgestattet sein konnten. 16 Durchschnittlich hatte ein Unternehmen nach zeitgenössischen Feststellungen mit etwa fünf, im Extremfall jedoch mit bis zu fünfzig Grundbesitzern umzugehen: Im Jahre 1925 z.B. hatten rd. 35% der Unternehmen mit fünf und mehr Grundeigentümern Verträge abgeschlossen, während nur rd. 22% innerhalb der Grenzen eines einzigen Eigentümers blieben. 17 Diese Verhältnisse wechselten jedoch von Region zu Region mit dem jeweiligen Vorherrschen von - meist adligem - Großgrundbesitz wie in Nordengland und von kleineren Grundstücken, die sich durchaus in der Hand von Bergarbeitern, Metzgern und Pfarrern befinden konnten18 , wie etwa in Yorkshire und den Midlands. 19 Denn insbesondere die kleineren Grundbesitzer bereiteten nicht nur durch ihre bloße Anzahl die größten Schwierigkeiten.20 Die ausbleibende Kooperationsbereitschaft gerade dieser Kleineigen-
R.N. Boyd, S. 144f. CIC 1919, ebd. 14 So heißt es in einer Beschreibung der Onilwyn and Seven Sisters Anthracite Collieries in Südwales: »Until1914 mostly leasehold coal was mined, but in that year the present Mr. Bevan's father purchased at a public auction the freehold mineral with some surface property known as the Miers estate for the sum of [, 325.000, comprising 5.700 acres of minerals in the Dulais Valley and 2.600 acres in the Amman district, and from the latter area the Gwauncaegurven and other neigbouring collieries work part of their outputs. Today (1939) the total mineral holding for the group in the Dulais Valley aggregates between the present proprietors' freehold and other owners' leasehold, 8.000 acres, with ample reserves for the future ... No. 2 Rhondda [seam is] leased to other companies.« Vgl. NACM 1939/40, S. 441f. Für die Kohle- und Eisen(erz) gemeinsam fördernde und verarbeitende Carron Company vgl. J. T. Ward, Landowners and Mining, in: ders./ R.G. Wilson, Hrsg., Land and Industry. The Landed Estate and the Industrial Revolution, 1971, S. 63-116, S. 85; für Leicestershire und Warwickshire vgl. auch die Angaben bei: B. Fine/L. Harries, T he Peculiarities of the British Economy, 1985, S. 295f. 1s Vgl. !ME 24, 1902/03, S. 240. 16 Vgl. hierzu: IME 23, 1901/02, S. 273. 17 CIC 1925, S. 77; ebd., Bd. 3, S. 238. CIC 1919, ebd. Umgekehrt konnte es zugleich vorkommen, daß verschiedene Flöze unterhalb derselben Oberfläche an unterschiedliche Bergbauunternehmen verpachtet wurden. Vgl. D. N. McCloskey, International differences in productivity? Coal and steel in America and Britain before World War I, in: ders., Hrsg., Essays on a Mature Economy, S. 285-304, S. 292f. 18 Vgl. hierzu: !ME 69, 1924/25, S. 492; CM 1886, S. 307. 19 Vgl. !ME 69, 1924/25, S. 500. 20 Vgl. die Stellen in: IME 23, 1901/02, S. 272f.; 33, 1906/ 07, S. 240; 69, 1924/ 25, S. 479. 12
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1. Der Boden
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tümer bedeutete, neben dem Verbleiben der ohnehin erforderlichen unterirdischen Grenzwände, nicht nur den - einstweiligen oder dauerhaften - Verlust der jeweiligen Bodenschätze, sondern konnte zugleich auch eine Komplizierung, Verteuerung und Verzögerung des Abbaus der umherliegenden Mineralien mit sich bringen. 21 Doch war es gerade in der Nähe dieser kleineren Grundstücke in den bergbaulich bereits entwickelten Regionen, wo- nach dem Urteil eines Bergingenieurs - >>One may expect the first sinkings to be chosen, because they are near to boundary-faults, and prudent miners will naturally select sites contiguous to the already proved and worked coal-field rather than plunge into the unknown regions of the unproved coal-field.«22 Und schließlich bewirkte das System der freien Verfügung über die Bodenschätze anstelle der eigentlich notwendigen und von den Bergingenieuren gewünschten Zusammenarbeit23 häufig eine Konkurrenz, insbesondere wiederum der kleineren Grundbesitzer untereinander, in zugleich mehrfacher Hinsicht. Bei der geplanten Inangriffnahme eines neuen Kohlenfeldes wartete der eine auf den anderen, um - im Falle einer erfolgreichen Bohrung und des Nachweises abbauwürdiger Kohle- bessere Konditionen zu erzielen, als seinem Nachbarn gewährt worden waren. War dieser Fall jedoch eingetreten, so forderte jeder Grundbesitzer, daß der Schacht auf seinem Land wiedergebracht werde und seine Mineralien zuerst abgebaut würden, obwohl bergtechnische Gründe es jedem Bergingenieur nahelegten, >>that the more distant areas from the shaft should be the firsttobe worked«.24 Der Wert eines solchen Grundstückes stieg darüber hinaus nicht nur durch die fällig werdenden Abgaben für die unterirdischen Durchfahrtsrechte vonseitender Nachbargrundstücke, sondern, im Falle des Auslaufens des jeweiligen Vertrages, schlicht durch die Existenz des Schachtes. So war es gewöhnlich derjenige Grundstückseigner, so berichten jedenfalls Morris und Williams für Südwales, >>whose land was most largely taken«, der >>Could insist on the pits being sunk an his land even where this was not technically the most suitable situation«.25 Die uneingeschränkte Herrschaft der Gesetze des freien Marktes auf dem Gebiet des Grundbesitzes brachte unausweichlich eine kurzfristige Perspektive, eine Verunsicherung und Wechselhaftigkeit sowie oft eine Erschwerung und Verteuerung der Arbeitsweise und schließlich eine zeitweise oder endgültige Verschwendung von Bodenschätzen mit sich.26 Wie hoch diese Vergeudung war, die sich 21
IME 16, 1898/99, S. 112f.; 24, 1902/03, S. 241; 53, 1916/17, S. 117; NACM 1940/ 41, S. 76; Landowners, S. 86f. Daniel Jones, in: IME 23, 1901/02, S. 273. IME 12, 1896/ 97, S. 95. Vgl. IME 23, 1901/02, S. 274. Morris/Williams, S. 122. Zur Erschwerung des Abbaus und zum »waste« vgl. die Ausführungen in: IME 22, 1901/02, S. 289f.; 24, 1902/03, S. 193; 69, 1924/ 25, S. 484; NACM 1920/ 21, S. 175; 1935/36, S. 840f.; 1940/41, s. 76.
J. T. Ward, 22
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III. Die systembedingte Aneignung
durch Nichterreichbarkeit oder durch Stehenlassen von internen oder Grenzwänden (>>barriers«) ergaben- eine Praxis, die zusätzlich häufig auch noch zur Beschädigung der Oberfläche führte -, darüber herrschten zu verschiedenen Zeiten sehr unterschiedliche Auffassungen. Wurde sie in der Zeit um 1900 von einem Bergingenieur auf mindestens 100 Mill. t Kohle geschätzt,27 so hielt eine Kommission in den Jahren 1903-05 den Verlust nur für 9,5 Mill. t, die andere im Jahre 1918 den Ausfalllediglich für 3,5-4 Mill. t. 28 In einem Revier wurden allein die durch die verbliebenen Wände ausgefallenen Bergwerksabgaben an die Grundbesitzer auf{, 9.787.500 berechnet.29 Insbesondere mit dem Argument des >>waste« forderten daher Gewerkschaften, Unternehmer und vor allem Bergingenieure ab etwa der Jahrhundertwende bis hin zum Zweiten Weltkrieg, wenn auch mit wechselnder Intensität, eine Vereinheitlichung und Zusammenlegung vor allem der kleineren Abbaufelder. 30 Die empfohlenen Mittel hierzu waren die Errichtung von Tribunalen, in denen Fachleute die jeweiligen Zusammenlegungen vorschlagen, verhandeln und hierüber entscheiden sollten,31 sowie eine Nationalisierung, d. h. Verstaatlichung, aller Bodenschätze oder auch eine andere, lockerere Form der staatlichen Kontrolle. 32 Die schließlich vorgenommene Lösung war tatsächlich die Nationalisierung der Bodenschätze im Jahre 1942.33 Wenn auch diese Erscheinungsform der Unternehmensführung sich bis ins 20. Jahrhundert erhielt, so beuteten die- meist adligen- Grundbesitzer, erinnernd an die Verhältnisse in Oberschlesien,34 nur im Ausnahmefall und dazu in abnehmendem Maße ihre Bodenschätze selber aus. Ihr Anteil an der Gesamtproduktion wurde für die 1830er Jahre auf 10-15%, um 1870 auf die Hälfte dieses Anteils und um 1913 auf eine vernachlässigenswerte Größe geschätzt. 35 Angesichts der Erschöpfbarkeit der Kohlenvorräte einerseits und des hohen Kapitalaufwands und entsprechenden Risikos andererseits waren daher Verträge zwiIME 23, 1901/02, S. 278. Nach: Church, S. 16. Die Coal Industry Commission schätzte jedoch im Jahre 1919, daß durch das Verbleiben der jeweils etwa 35 m-90 m starken Grenzwände, deren Abbaumöglichkeit aus bergtechnischen Griinden allerdings zumindest zum Teil umstritten war, insgesamt ca. 3--4 Tausend Mill. t für immerungefördert blieben, ein Ausfall, der der Menge von etwa zehn Jahresförderungen entsprach. Vgl. CIC 1919, Bd. 2, S. 808. 29 Vgl. IME 24, 1902/03, S. 146. 3o CM 1886, S. 318. 31 Vgl. die Vorschläge in: CM 1893, S. 68; IME 24, 1902/03, S. 241; 69, 1924/25, S. 485f., 493, 496; NACM 1935/36, S. 841; 1906/07, S. 143. 32 IME 23, 1901/02, S. 274, 277f.; 24, 1902/03, S. 240f.; 33, 1906/07, S. 336; 53, 1916/17, S. 117f.; NACM 1935/36, S. 369ff. 33 Vgl. hierzu weiter unten, S. HOf. 34 Vgl. hierzu: K. Euling, Die Kartelle im oberschlesischen Steinkohlenbergbau, 1939; V. Holzschuber, Soziale und ökonomische Hintergrunde der Kartellbewegung, 1962; D. Wilhelm, Das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat und die oberschlesische Kohlenkonvention, 1966. 35 Church, S. 12. 27 28
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sehen den >>mineral owners« und den sogenannten >>coal ownersroyaltiesroyalties«39 wurde kalkuliert nicht nur nach der Größe des verpachteten Abbaugebietes, nach Lage, Mächtigkeit und Qualität der Flöze, sondern stellte auch Faktoren wie den Transport unter und über Tage, Zugang zu Absatzmärkten sowie die Konjunkturlage zur Zeit des Vertragsabschlusses in Rechnung.40 Angesichts der Höhe des aufzubringenden Kapitals einerseits und der Wechselhaftigkeiten von Bergbaubetrieb und Kohlenmarkt andererseits stellten sich mit fortschreitender Intensität insbeson• dere zwei Probleme: die Auswirkungen der festgelegten >fixen< Bergwerksabgabe und insgesamt der einmal festgesetzten Vertragsbedingungen sowie deren Flexibilität und Veränderbarkeit als auch die Laufzeit der Pachtverträge überhaupt. Zwar sahen die Verträge in zunehmendem Maße im Falle neu abgeteufter Betriebe und fallender Kohlenpreise41 die Möglichkeit reduzierter Zahlungen vor, doch blieb die hauptsächliche, weitgehend einzige, ebenfalls vertraglich vorgesehene Möglichkeit, aus dem Vertrag entlassen zu werden, diejenige, den Betrieb - nach entsprechender Vorankündigung, die zum Beispiel nach Ablauf von drei, fünf oder sieben Jahren erfolgen konnte - einzustellenY Dies hätte den weitgehenden Verlust des investierten Kapitals bedeutet. Doch weil auch
Vgl. etwa die Stellen bei Church, S. 16, und CM 1891, S. 243. So der Historiker der Güter des Marquis of Bute, zit. nach: Flinn, S. 49. 38 Vgl. IME 16, 1898/99, S. 114; 6, 1893/94, S. 382. 39 Während es im 18. Jahrhundert üblich war, sowohl fixe als auch relativ-fluktuierende Abgaben als •rent« zu bezeichnen, wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts zunächst nur die letzteren, sodann jedoch - mit der zunehmenden Bedeutung dieser - beide Abgabenarten als »royalties« verstanden. Vgl. hierzu: Flinn, S. 46; H . Lewis, in: IME 74, 1927/ 28, 5;.277-284. 40 Vgl. Church, S. 13; auch: Ward, S. 65; zu den Pachtverhältnissen in Südwales vor dem Ersten Weltkrieg vgl. auch: Walters, S. 246--252. 41 Vgl. Mitchell, S. 252; Church, S. 14. 42 IME 6, 1893/94, S. 382; NACM 1935/36, S. 375; H. F. Bulman/R. A. S. RedRlayne, Colliery Warking and Management, 19062 , S. 59; auch: Morris/Williams, S. 120f. 36
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Ill. Die systembedingte Aneignung
hier alles vom >>bargain made between a company and a landowner>Many leases ordain that the colliery must work until the coal is exhausted or until there is so little left that it is not a practical proposition to work it.« 44 Die Abgaben des >>Coal-owner« an den Grundbesitzer bestanden aus einer Kombination einer fixen oder >>minimum rent« und einer >>tonnage rent«. 45 Während die >>tonnage rent« den Grundbesitzer vor einer vorzeitigen Ausplünderung der Kohlenvorräte schützen sollte, hatte die Minimalpacht die Aufgabe, den Pächter überhaupt zur Aufnahme und Durchführung der Arbeiten zu bewegen46 und ihm nicht zu ermöglichen, den Abbau von Kohle zu verhindern, etwa um Konkurrenz aus seiner Nachbarschaft fernzuhaltenY >> ... a fixed or certain rent is agreed upon, estimated on the area of the royalty leased, say 20 s. or 30 s. an acre, which is payable half-yearly, whatever may be the quantity of coal worked. A price per ton is also settled (6 d. a ton is an average rent), and when in any year the number of tons worked at this rent exceeds in value the certain rent, the surplus is paid as >overworkingsshort workings< to the next years account.«48 In vielen Fällen räumte der Pachtvertrag den Unternehmern das Recht ein, diese >>Shorts« in Zukunft, meist in Zeiträumen von drei bis sieben Jahren49 , aufzuarbeiten. Doch bedeutete dies, daß häufig große Summen, oft in Höhen von[, 20.000[, 60.000,50 hierdurch über Jahre hinweg auf dem Konto des Grundbesitzers stillgelegt waren, die vielfach dringend für den weiteren Ausbau des jeweiligen Bergwerks benötigt worden wären. 51 Insgesamt schätzten Bergingenieure das auf diese Weise stillgelegte Kapital zum Beispiel in den Jahren um 1890 auf mehrere Hunderttausend, wenn nicht gar Millionen Pfund. 52 Bereits die Zinsen hierfür konnten für das einzelne Unternehmen erheblich zu Buche schlagenY Offenbar jedoch und obendrein geschah es aufgrund diverser Umstände wie Kapitalmangel, Mißmanagement, unvorhergesehene Störung und Abbauunwürdigkeit der Flöze sowie Absatzschwierigkeiten nicht selten,54 daß die vorhan-
Nach: CM 1888, S. 115; vgl. auch: IME 10, 1895/96, S. 431. NACM 1935/36, S. 373/5. 45 Vgl. auch: Morris/Williams, S. 119 f. 46 Vgl. Mitchell, S. 251. 47 IME 6, 1893/94, S. 383. 48 Bulman/Redmayne, Colliery Working, S. 59; allein ,.The then Duke of Northumberland in one case carried forward [, 16.000 worth of shorts«. IME 69, 1924/25, S. 508. 49 Vgl. Church, S. 14; Bulman/Redmayne, S. 59. 5o IME 2, 1890/91, S. 519. 51 Vgl. hierzu etwa: CM 1885, S. 198; IME 16, 1898/99, S. 112; 28, 1904/05, S. 248. 52 CM 1888, S. 41. 53 IME 10, 1895/96, S. 431. 54 Vgl. hierzu: CM 1885, S. 198; IME 6, 1893/94, S. 383. 43
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1. Der Boden
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denen >>shorts« in dem festgelegten Zeitraum nicht abgearbeitet werden konnten. Dann verfielen die entrichteten Zahlungen und der Unternehmer hatte erneut Zahlungen in der vereinbarten Höhe für dasselbe abzubauende Kohlenfeld zu leisten. Es kam vor, daß sich eine solche Situation in nicht allzu langer Zeit zwei oder drei Mal wiederholte. 55 Neben dem einstweiligen oder endgültigen Verlust von Kapital und Zinsen verschärfte diese Vertragsregelung in Zeiten der Baisse zusätzlich noch die Folgen der Überproduktion, >>as it Ieads a colliery proprietor to keep up his output of coal, even when he is making little or no profit on it.«56 Diese Erscheinungen hatten zur Folge, daß die Unternehmer danach trachteten, die >>tonnage rent« nicht mehr nach von vornherein festgelegten Sätzen, sondern in ihrer Höhe angepaßt an die Schwankungen der Kohlenpreise zu entrichten. Dieses - alte - Verfahren wurde dadurch erleichtert, daß die Unternehmer jetzt den Grundbesitzern nicht mehr Einsicht in ihre Bücher zu gewähren brauchten, sondern daß nunmehr die durchschnittlichen Verkaufspreise zugrundegelegt werden konnten, die von unabhängigen Buchprüfern als Grundlage für die Festlegung der Löhne regelmäßig berechnet wurden. Obwohl dieses Verfahren seit den 1880er Jahren (wieder) angeregt wurde und um 1900 in Durham, Northumberland, Yorkshire, Südwales, Schottland und den Midlands bekannt war,57 scheint seine allgemeinere Einführung jedoch vor allem am Widerstand der Grundbesitzer gescheitert zu sein - ebenso wie die Bemühungen, die Mächtigkeit der Flöze, die Schwierigkeiten des Abbaus oder die Qualität der Kohle als variable Elemente in die Berechnung der Abgaben einzubeziehen. 58 Und schließlich war die Laufzeit der Pachtverträge von großer Bedeutung. Waren im 18. Jahrhundert Laufzeiten von 40, 50 und 60 Jahren häufig, auch solche von 99 Jahren kamen vor, so verringerten sich diese eindeutig im Laufe des 19.Jahrhunderts59, obwohl der von den Unternehmern jeweils zu erbringende Kapitaleinsatz - wie wir sahen - erheblich anstieg. Während es nämlich im Interesse der coalowners liegen mußte, einen möglichst langen Zeitraum zum Abbau der gepachteten Kohlenfelder zur Verfügung zu haben, war den Grundbesitzern eindeutig an einer gründlichen, aber raschen Gewinnung der Kohle gelegen. 60 Wenn auch in den 1850er und 1860er Jahren Pachtverträge mit Laufzeiten zwischen 42 und 63 Jahren nicht ungewöhnlich waren, so lag bis über die Jahrhundertwende hinaus die übergroße Mehrheit bei 21 oder 31 Jahren.61 55 56 57
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60 61
CM 1885, S. 198; CM 1888, S. 41. Bulman/Redmayne, S. 59; auch: CM 1888, S. 41. Vgl. CM 1886, S. 303; CM 1888, S. 42; IME 6, 1893/94, S. 382, 385; Bulman/Redmayne, S. 59f.; Mitchell, S. 253; NACM 1921122, S. 26; auch: Walters, S. 248. CM 1885, S. 198; IME 12, 1896/97, S. 95; 28, 1904/05, S. 249; 33, 1906/07, S. 91; NACM 1935/36, s. 377. Flinn, S. 47f.; Mitchell, S. 253; Church, S. 13. Church, S. 13. Flinn, S. 47; Church, S. 13; Mitchell, S. 253.
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III. Die systembedingte Aneignung
Ja, es gab Laufzeiten von 15 Jahren, 62 und zumindest in Staffordshire von einem Jahr und sogar von einer Woche. 63 Offensichtlich erst nach dem Ersten Weltkrieg verlängerte sich allmählich die Vertragsdauer zunächst auf 30-40 Jahre, dann häufiger auf 50-60 Jahre.64 Die Folgen dieser lange Zeit eher kurzen, von den Bergingenieuren oft genug beklagten Vertragslaufzeiten, blieben nicht aus. Die Aussicht, daß nach Ablauf des Vertrages,bei mangelnder Zahlungsfähigkeit- innerhalb von 40 Tagenauch bereits zuvor, 65 »sein« Bergwerk nicht mehr an ihn selbst, sondern an einen Konkurrenten weiterverpachtet werden könnte, war für jeden Pächter durchaus real und blieb spürbar.66 Und die oft genug vertraglich festgesetzte Pflicht, bald nach dem Abteufen des Schachtes mit den Zahlungen an den Grundbesitzer zu beginnen, tat ein ÜbrigesY »Üur present systems of Ieasing coal are such that immediately a lease is signed those who have made themselves responsible for the working of the mines enter at once upon a period of the greatest anxiety as to whether they can sink shafts, erect plant, and build up a colliery that will pay. No wonder if they try to find out the best paying mines and work those only, at any rate for a time, and if possible leave the portians that don't pay. They have to spend !arge sums before they can get anything back, and often it is a long time before they can begin to feel that they can sell the coal at such a price that there will be a margin of profit left ... And when a proprietor has had a hard struggle to make a colliery pay, even in working the better seams, he is scarcely likely to commence with the inferior ones.>studied civility« zu behandeln trachteten, 387 schließlich erwarteten sie in der Regel vor Vertragsabschlüssen unwiderrufliche Verhandlungs- und Unterzeichnungsvollmachten (>>plenary powers«) sowie die Kontrolle ihrer Mitglieder. Die Arbeiter dagegen versuchten, das Angebot an Arbeitskraft zu limitieren. Zuwandernden Fremden, zum Beispiel Iren, traten sie häufig mit Ablehnung und Feindseligkeit entgegen. 388 Oftmals lehnten sie es ab, mit Ungelernten (»unskilled«)- insbesondere vorOrt-zusammenzuarbeiten und forderten für diese eine mehrjährige Lehre oder Anlernzeit. 389 Sie sorgten mit der Zeit - unter Zuhilfenahme des Staates - für eine Verkürzung der Arbeitszeiten und die Einrichtung von Minimallöhnen. Sie vermochten die Einführung des Mehrschichtsystems in manchen Regionen lange hinauszuzögern. 390 Einseitige >>Übergriffe« von Seiten der Unternehmer suchten sie durch kürzere oder längere Ausstände abzuwehren und unsolidarische Arbeiter zur Konformität oder zum Verlassen von Betrieb und Ort zu bewegen. Durch feste Urlaubstage und- in Zeiten der Konjunktur und hoher Löhne- durch sogenannten >>absenteeism« oder >>Stint« suchten sie gezielt die Produktion zu verringern, um hierdurch Preise und Löhne zu stützen.391 All diese Mittel zur Beeinflussung und Gestaltung des Arbeitsmarktes wurden von beiden Seiten zu verschiedenen Zeiten angewandt. Die Durchführung, der Erfolg und die Dauer dieser Maßnahmen jedoch blieb gleichsam durchlöchert IME 8, 1894/ 95, S. 242; Mitchell, S. 155 f; Morris/ Williams, S. 254, 260-262. Zur Arbeitszeit allgemein vgl. Church, S. 239-259, und die angegebenen Stellen bei Supple. 384 Vgl. CM 1894, S. 202; Morris/Williams, S. 250, 266-268. 385 Vgl. z. B. Morris/Williams, S. 264-266. 386 Ebd., S. 262. 387 So W. Y. Craig, in: CM 1894, S. 202. 388 Vgl. etwa Morris/Williams, S. 263.f. 389 IME 5, 1892/93, S. 458; Morris/Williams, S. 236. 390 Für Südwales vgl. etwa Berg, S. 114. 391 NEIME 15, 1865/66, S. 265; Mitchell, S. 157-164; Morris/ Williams, S. 233f.; C hurch, S. 694696. 382 383
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III. Die systembedingte Aneignung
von den ungebremsten Kräften des Absatzmarktes: von Konjunktur und Konkurrenz. Je weniger also - auf beiden Seiten - die Gesetze des Marktes ihre Wirkung verloren, desto mehr blieben die Grundhaltungen der Interessenten auf dem Arbeitsmarkt bestehen: Während Unternehmer und Betriebsführer auf den Tag hofften, an dem die Arbeiter ihre Interessenidentität mit dem Arbeitgeber begriffen,392 orientierten die Arbeiter ihre Lohnerwartungen nicht mehr am Preis der Kohle, sondern an den Lebenshaltungskosten und am Lebensstandard.393 Im Interesse einer - möglichst ungestörten - Kontinuität von Produktion und Betrieb, aber auch einer - weitgehend ungehinderten - Zufuhr und eines möglichst reibungslosen Einsatzes von Arbeitskräften kam es, angesichts der heftigen Schwankungen der Konjunkturen und des Ausbleibens kartellartiger Abmachungen auf dem Absatzmarkt, auf dem Gebiet des Arbeitsmarktes weit mehr zu durchgreifenden Regelungen und ordnenden Institutionen als in den Bereichen von Boden, Kapital und Absatz. Zwar war hierdurch die Herrschaft der Gesetze des freien Marktes auf dem Gebiet des Produktionsfaktors Arbeit mehr als in den anderen Bereichen gebändigt und geregelt, doch blieben auch hier - wie wir sahen - diese Gesetze und ihre Wirkungen nichtsdestoweniger in Kraft.
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Typisch z.B. J.C. Blake, in: IME 16, 1898/99, S. 113. Vgl. hierzu etwa: NACM 1933/ 34, S. 446.
IV. Fazit: Natürliche Bedingungen und systembedingte Aneignung Wie wir zu Beginn sahen: Bereits für Stanley Jevons, Sir William Armstrang und ihre Zeitgenossen war es eine selbstverständliche Tatsache, daß »The engine is the motive power of this country«, 1 und es war daher nur konsequent festzustellen, daß >>The greatness of England much depends upon the superiority of her coal, in cheapness and quality, over that of other nations«. 2 Der Einsatz und die Demonstration ihrer Überlegenheit setzten jedoch ihre - industrielle - Verfügbarkeit voraus. Wie in den anderen Ländern nämlich, so mußten auch in Großbritannien mehrere Schritte bewältigt und eine ganze Reihe von technischen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren erfüllt werden, um die Kohle verfügbar und als Energiequelle einsetzbar zu machen. Diese grundlegenden Bedingungen, die zugleich Grundlagen und Ausgangspunkt des Handeins und Denkens der Beteiligten, insbesondere auch der Betriebs- und UnternehmensleiteT selbst, bildeten, konnten im Vorhergehenden in zwei Kategorien differenziert werden: zum einen in die Ebene der sachlich-natürlichen Gegebenheiten und der hierauf basierenden Entfaltung der immanenten bergbauliehen Gesetzmäßigkeiten; zum anderen in die Ebene ihrer Aneignung in Form des Besteheus und der Wirkung der Gesetze des freien Marktes. Die von der Natur gebotenen Möglichkeiten konnten- so sahen wir oben - nur genutzt, die Chancen dieser ersten Ebene nur in Anwendung gebracht werden, wenn die Kräfte der zweiten Ebene in Gang gesetzt wurden. Erst indem die Elemente der ersten Ebene - von den Gesetzen des freien Marktes erfaßt - zugleich auch zu Faktoren der zweiten Ebene wurden, konnte sich der wirtschaftlich-industrielle Prozeß in Bewegung setzen. Die Marktgesetze, die die sachlich-natürlichen Gegebenheiten und die von ihnen ausgehenden bergbaulichen Gesetzmäßigkeiten unentrinnbar gleichsam wie ein Netz überspannten, besaßen wiederum ihren eigenen Charakter und ein Eigengewicht, das die von den natürlichen Gegebenheiten ausgehenden Wirkungen (Vor- oder Nachteile) verändern und relativieren konnte. >>Commerce and industry«, so stellte bereits Stanley Jevons fest, »cannot be carried on but by gain - by a return
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Jevons, S. 125. Vgl. bereits oben S. 56.
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IV. Fazit: Natürliche Bedingungen und systembedingte Aneignung
exceeding the outlay.Taking commerce as the free growth of the instincts of gain, we find it resolved into a case of complex attractions and perturbations, as between several gravitating bodies.«4 Und je weiter und tiefer die Gesetze des freien Marktes reichten (und reichen), je mehr sie also erfassen und je ungehinderter sie herrschen, umso mehr können sie die Wirkung der jeweiligen, sachlich-natürlichen Grundlagen verändern oder steuern. Genau dieser Prozeß der »Verarbeitung«, nämlich der Aneignung und Bewältigung dieser natürlichen Grundlagen war (und ist) die Stelle, an der sich- selbst bei gleichen Voraussetzungen - von Industriezweig zu Industriezweig, von Land zu Land, vor allem aber natürlich von einem Wirtschaftssystem zum anderen unterschiedliche Verarbeitungsprinzipien und -mechanismen bemerkbar mach(t)en und mithin unterschiedliche Ergebnisse einstell(t)en. Wenn auch ausgehend von anderen natürlichen Gegebenheiten, so waren die im Kohlenbergbau wirkenden, immanenten Gesetzmäßigkeiten in Deutschland und Großbritannien dieselben: das Gesetz vom abnehmenden Ertrag bei der Urproduktion und das Gesetz vom zunehmenden Ertrag bei der Massenproduktion. Die Herrschaft der Gesetze des freien Marktes jedoch war im deutschen Bergbau weitaus limitierter als im britischen. Obwohl in beiden Ländern das System des Kapitalismus und des Privateigentums fest etabliert war, reichten die Gesetze des freien Marktes unterschiedlich weit. Um es umgekehrt zu formulieren: Bestimmte Bereiche waren oder wurden in Deutschland ihrer Reichweite entzogen, während dies in Großbritannien nicht oder kaum der Fall war. In Deutschland -wie in Frankreich-, so sahen wir, unterlagen die Bodenschätze dem Hoheitsrecht des Staates; er war es, der die Schürfrechte, nach Kontrolle des Schürfvorgangs und des Bergbauinteressenten, verlieh, die Erlaubnis zu ihrem Weiterverkauf erteilte oder verweigerte, und darüber hinaus die Bergwerksabgaben - für alle Unternehmen gleichmäßig - festlegte und - später - erließ. Auf dem Absatzmarkt hatten die Unternehmer ihrerseits, nach mehrfachen Versuchen, durch die Errichtung von Kartellen (sowohl im Ruhrgebiet als auch in Oberschlesien) ab den 1890er Jahren für eine Abschaffung der Konkurrenz untereinander gesorgt. In Großbritannien dagegen waren alle diese Bereiche der Herrschaft der Gesetze des freien Marktes überlassen. Nur auf dem Arbeitsmarkt gab es hier - wie auch in Deutschland - Beschränkungen der Marktgesetzlichkeit durch staatliche oder Maßnahmen und Einrichtungen der Verbände der Interessenten, doch unterlagen auch diese - wenn auch mit größerer Mittelbarkeit den ungebrochenen Schwankungen der wirtschaftlichen Konjunkturen. Die fast unbeschränkte Herrschaft der Gesetze des freien Marktes führte im britischen (anders als im deutschen) Bergbau zu einer kurzfristigen Orientie-
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Jevons, S. 56. Vgl. ebd., S. 333.
IV. Fazit: Natürliche Bedingungen und systembedingte Aneignung
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rung, zu Unsicherheit, Wechselhaftigkeit und mangelnder Überschaubarkeit, gleichwohl aper offenkundig auch zu individueller Initiative und Risikobereitschaft, Spontaneität und Flexibilität. Gerade die letzteren Eigenschaften waren angesichts der Gunst der natürlichen Bedingungen offensichtlich für die frühe, lang anhaltende Phase des »Gründerkapitalismus« im britischen Bergbau in besonderem Maße geeignet. Die ersteren machten sich erst in dem Grade - negativ - bemerkbar, wie der Großbetrieb den Klein- und Mittelbetrieb in seiner Bedeutung ablöste. Die neuen Bedürfnisse der zwangsläufig heranwachsenden großen, kapitalintensiven Betriebe und Unternehmen waren nämlich Langfristigkeit, Stabilität, Berechenbarkeit, Übersichtlichkeit und Regelmäßigkeit.5 Die Kräfte des freien Marktes, zusammen mit der Gunst der Natur, waren offensichtlich zwar geeignet und imstande, in direkter und - durch die kompetitive Herstellung eines niedrigen Kohlenpreises - indirekter Weise das wirtschaftliche Wachstum und die industrielle Entwicklung des Landes zu fördern und zu beschleunigen, standen aber in steigendem Maße in Widerspruch zu den Bedürfnissen und Zwängen langfristig-rationaler, kontinuierlicher und regelmäßiger Betriebsführung, insbesondere unter der zunehmenden Belastung der sich verschlechternden natürlichen (Abbau-)Verhältnisse und den (ab 1921) schwieriger werdenden Absatzbedingungen. Hinzu kam die anhaltende Vergeudung und unzureichende Nutzung des nationalen Reichtums an Bodenschätzen, eine Erscheinung, die ebenfalls weitgehend auf die kaum gebundene Herrschaft der Kräfte des freien Marktes zurückzuführen war. Genau in diesem - historischen wie systematischen- Widerspruch standen die Betriebs- und Unternehmensleiter des britischen Bergbaus bis zum Augenblick der Nationalisierung. Bis zum Ende unseres Untersuchungszeitraums also wirkten die Gesetze des freien Marktes und die von ihnen geschaffenen Strukturen fort: ein hoher Grad von Dezentralisation des Bergbaus (große Anzahl von Betrieben und Unternehmen), ein kaum zu überwindendes Konkurrenzbewußtsein zwischen den Unternehmen, Kapitalknappheit und enge Risikolimitierung, kurzfristige Gewinnerwartung und Reagieren nur auf die unmittelbaren Herausforderungen des Marktes, ein ungebrochenes Weiterwirken wirtschaftlicher Konjunkturen und ein geringeres Ausmaß an Macht und Einfluß der Unternehmen auf allen Märkten sowie im politischen Bereich als etwa in Deutschland aufgrund mangelnder Karteliierung und nicht zuletzt, umgekehrt zur deutschen Erfahrung, ein hohes Maß gesellschaftlicher (überbetrieblicher) und ein geringeres Maß (inner-) betrieblicher Arbeitsteilung.
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Über das Verhältnis von Kapitalismus und Bürokratie im allgemeinen und die unterschiedlichen - »bürokratischen« - Bedürfnisse von Groß- und Kleinbetrieb im besonderen vgl. bereits M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1964, S. 164f., 703f.
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IV. Fazit: Natürliche Bedingungen und systembedingte Aneignung
Eben diese »Relikte« des friihen, naturwüchsigen Kapitalismus und des Privateigentums im Bergbau und ihre Folgewirkungen waren es, welche die Betriebe und Unternehmen unter den schwierigeren Produktions- und Absatzverhältnissen der 1920er und 1930er Jahre in eine ihre Existenz bedrohende, finanzielle Lage gebracht hatten, die eben gerade nicht mehr die wirtschaftliche Initiative und Risikobereitschaft förderte, und nach, aus der Sicht und nach Maßgabe der nach wie vor weitgehend ungebrochen herrschenden Kräfte und Prinzipien, radikal anderen, nunmehr >>systemfremden>Nationalisierung«, d. h. die staatlich-politische Stillegung der Kräfte und Gesetze des freien Marktes, waren die beiden Hauptziele zu erreichen, die sich zugleich aus inner- wie aus überbetrieblicher Sicht stellten: eine dauerhafte und umfassende Zentralisierung und Vereinheitlichung der vorhandenen Produktionsmittel und -anlagen und deren Verstaatlichung, d. h. eine Überführung des Eigentums und der Verfügungsgewalt aus privaten in staatliche Hände, die ihr wirtschaftliches Handeln eben nicht mehr gegenüber individual-, sondern gesamtwirtschaftlichen Kriterien und Institutionen zu legitimieren hatten. Beide Ebenen, so wurde im Vorhergehenden versucht aufzuzeigen, sowohl diejenige der sachlich-natürlichen Bedingungen und die darauf aufbauenden bergbaulichen Gesetzmäßigkeiten als auch diejenige der Gesetze des freien Marktes, waren verantwortlich für den tatsächlichen Gang der wirtschaftlichen Entwicklung und bildeten zugleich Grundlage und Ausgangspunkt für das wirtschaftliche Denken und Handeln der Betriebs- und U nternelimensleiter, die gewissermaßen zwischen beiden Ebenen standen und entscheidenden Anteil an ihrer Kombination und Abstimmung, mithin also am bereits erwähnten Prozeß der >>Verarbeitung«, hatten.
V. Die technische Aneignung: Entwicklung und Einsatz der Technik Als materielles, von der Natur als auch von ihrem Verwender zunächst unabhängiges Hilfsmittel steht die Technik gleichsam zwischen demjenigen, der sie anwendet, und dem Gegenstand(sbereich), auf den sie Anwendung findet. Dies bedeutet aber keineswegs, daß der jeweils erreichte Stand der Technik den in der Natur (und anderswo) auftretenden Problemen und Anforderungen entspricht und gerecht wird, und darüberhinaus, daß der jeweils erreichte, neueste Stand der Technik auch zur Anwendung gelangt. Während jedoch die letztere Problematik, die uns- mitallihren Voraussetzungen, Begleit- und Folgeerscheinungen - weiter unten beschäftigen wird, von den Entscheidungen der jeweils Beteiligten abhängt, ist der jeweilige Stand der Technik zunächst allgemein vom Wissens- und Forschungsstand der Zeitgenossen abhängig. 1 Die Technik stand und steht mithin nicht einfach - gleichsam abrufbar - zur Verfügung, sondern kann und konnte mehr oder weniger weit und spürbar hinter den Anforderungen der Natur (und abgeleiteter Bereiche) und der Zielsetzung der betei. ligten Akteure zurückbleiben.2 Dies läßt sich am Beispiel des britischen Kohlenbergbaus, in dem der Einsatz der Technik von Anfang an unentbehrlich war, nur allzu leicht und eindringlich demonstrieren.
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Zwischen beiden Phänomenen liegt die Möglichkeit, daß ein höherer Stand der Technik, der in einem Gebiet erreicht ist, von einem anderen - möglicherweise entfernter liegenden - Gebiet nicht oder erst mit großer Verzögerung rezipiert wird. So stellte z.B. ein britischer Bergingenieur- um die Mitte des 19.Jahrhunderts- fest, daß bestimmte technische Einrichtungen, die im sächsischen Bergbau bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts vorhanden waren und von Agricola beschrieben wurden, erst zwei Jahrhunderte später im Revier um Newcastle Eingang fanden. Vgl. T. J. Taylor, On the progressive application of machinery to mining purposes, in: Proceedings of the Institution of Mechanical Engineers, 1859, S. 15-41, S. 20f.; zu einem anderen Fall vgl. auch unten S. 166f. Eine solche Sichtweise wurde interessanterweise auch von den britischen Bergbauingenieuren geteilt. So schrieb einer von ihnen gegen Ende des 19. Jahrhunderts: ~Looking back into more historic times of coal-mining, say, the commencement of the present century, we find that the crude ideas of mechanical ventilation, of winding and pumping, underground haulage, and of mechanical appliances generally have now attained a Standard of complete superiority for the meeting of present requirements.« Vgl. IME 7, 1893/94, S. 413f. Schon 1662 hatte Fuller in seinen >Worthies of Englandthe good collieries which lie unwrought and drownedkeep their coach and six, for we cannot do it by our engines>a constant delivery of water from the rising main without cessation during the whole time that the engine is at work« und sorgte zugleich dafür, daß >>a much smaller plant will do the same work, as the speed of the engine is so much greatera large proportion of the Coal in the District was either unworkable or unworked«. 29 Mit Vorläufern, die bis ins Ende des 18. Jahrhunderts zurückreichten, wurde daher verstärkt ab etwa 1830 die sogenannte >>furnace-ventilation« eingesetzt30, die nach folgendem Mechanismus funktionierte: >>Almost invariably the fresh
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Das Ganze nach: ebd., S. 299; vgl. hierzu auch: NACM 1904/05, S. 22; Church, S. 319. Vgl. hierzu: Taylor, S. 25. Vgl. Mee, S. 122; G.H. Winstanley, The Evolution of the Colliery Ventilator, in: NACM 1905/06, S. 133; J. Unsworth, in: NACM 1905/06, S. 197; A. Ross, Some Recent Changes in Mining, in: NACM 1905/06, S. 227. So Nicholas Wood, in: NEIME 1, 1852/53, S. 14. Vgl. etwa Mee, S. 122, und R.N. Boyd, S. 65, 152, 192f.
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V. Die technische Aneignung: Entwicklung und Einsatz der Technik
air was taken from the downcast in a single current, passing every person and working place in the mine, returning then to the upcast, where the only artificial means of creating an air current was an open fire grate near the pit bottom. If a properly constructed furnace existed, the whole of the return air passed over it, charged as it might be with the mine gases gathered in its passage from the downcast pit.«31 Dies war - in den Augen des heutigen Beobachters - eine gefahrenträchtige Installation. Doch: »It was not until many accidents had been proved to have their origin at these furnaces, that legislation made it compulsory to carry the return air clear of the furnace by dumb drifts and to supply the furnace with pure air direct from the downcast shaft. This method of inducing ventilation was, however, found not to be economical, as its useful effect depended on certain conditions not always obtainable ... «32 • Trotz dieser ohnehin bereits ehedem vorhandenen unwirtschaftlichen Betriebsweise33 hielt sich diese Art der Bewetterung durchweg bis in die 1870er, in vielen Fällen sogar bis in die 1890er Jahre, 34 einige wenige sogar bis zum Ersten Weltkrieg. 35 Obwohl allgemein bekannt war, daß die ,furnace ventilation< »Was at the same time the least efficient, and attended with the greatest amount of danger, besides being the most costly>more depends on the conditions of the airways underground than on the fans« 42 , stand hinter einer solchen unstimmigen Begründung wohl ein nicht unerhebliches Ausmaß von Sparsamkeit und insbesondere die Weigerung, mit einmal akzeptierten und etablierten Apparaturen zu brechen, zumal die Vor- und Nachteile der verschiedenen Typen von Ventilatoren nicht immer und sogleich klar auf der Hand lagen.43 In dieser Weise sowie aufgrund der manchmal wenig bedachten Suche nach raschen Lösungen ist es auch zu verstehen, daß der >>Guibal ventilator ... became even more popular at British collieries than on the Continent, and ... it was at one time the only form of centrifugal ventilator employed in this countrywith the former we have almost complete control over the ventilation, and ... the quantity of air can be arranged to suit the conditions of the mine>Manual labour in its most primitive forms was universal« daher bis in die Mitte des 19.Jahrhundens.61
So Taylor, S. 20. Dasselbe galt an den Stellen, wo, wie in Südwales- und dort bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, die Kohle durch einfache, waagerechte Stollen zu erreichen war. Vgl. Morris/Williams, S. 50-53, 68. Vgl. hierzu auch oben S. 57-59. 59 Ebd., S. 30. 60 Vgl. NEIME 10, 1861/62, S. 28. 61 J. Unsworth, Mechanical Power in Mines, in: NACM 1908/ 09, S. 215. Auch- kritischere Zeitgenossen waren durchaus dieser Meinung. So hielt der Präsident des South Wales Institute of Engineers noch im Jahre 1878 für die dortige Region fest: •In many places it may be noticed that the methods in use are extremely primitive ...«. Vgl. SWIE 11, 1878, S. 6.
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V. Die technische Aneignung: Entwicklung und Einsatz der Technik
Mehr Berücksichtigung fand die Frage erstangesichtsder mit der Ausdehnung der Gruben ansteigenden unterirdischen Transportkosten. So, wie zuvor zunächst jeweils bis zu fünf oder sechs Jugendliche dazu benötigt wurden, um die gefüllten Kohlenbehälter einzeln und ohne Schienen vom Arbeitsplatz bis zum Schacht zu schleppen,62 so konnten die entstehenden Transportkosten Schritt für Schritt durch den Einsatz von heräderten Kohlenwagen, die Auslegung von Holz-, später: Eisenschienen, durch den Einsatz von Ponies und Pferden und schließlich durch die Anwendung von Maschinenkraft relativ gesenkt werden. Der bekannte Bergingenieur Thomas Y. Hall beschrieb zur Jahrhundertmitte die Vorteile eingängig: »a larger quantity of coals can be much more safely and easily conveyed in tubs with suitable wheels, than by corves, with an improved and lighter line from the face of the coal in the various workings to the bottom of the shaft, thus abolishing the expensive system of conveying coals in bogies, drawn by horses upon a heavier line of rail, and lifting the corves by crane, from the bogies to the tram, where the putter took possession of them, and vice versa. The system now in operation is to employ large horses, where the seam is suitable, or where roads sufficient for the height of the horses have been cut, to the places where the cranes stood, putters and Shetland ponies being substituted, from that point or station to the face of the coal to draw tubs, with bogie wheels upon light edge rails, instead of corves conveyed loose upon trams, along common metal and malleable iron tram plates, on wooden ways, as formerly. This system also admits of the employment of self-acting planes or steam machinery with small wire rope, with greatly increased simplicity, facility, and cheapness, and it is attended by this satisfactory reflection, that it is not likely, at all events very speedily, to be superseded by any other.>A Man would have been ridiculed fifty years ago [1850er Jahre] who ventured to suggest washing coak 141 In Lancashire und anderswo >>The coal was treated in the mine by the collier who riddled it over a hand riddle and sent the coal out as round and slack.>Screening plants were almost unknown, and where any were in use they consisted of fixed bars only.>making only two sorts of coal (large und slack) were the only screens necessary, and coke-making was a small industryNot very many years ago it was thought that no preparation of coal was required, and little attention was paid to the handling and cleaning. It was screened over ordinary bar-screens, possibly too short and too steep to be very efficient, and any foreign matter present was allowed to find its way, with a good deal of dross, into the waggon. If the coal was sold for hausehold purposes a little extra care was taken, but, if it was for shipment or for locomotive use, the quicker it could be passed over the screen the better. That coal sold as well as it did was due to the fact that the seams which were being worked were mostly clean and of good quality. Coal was abundant in the country, and any seams of inferior quality or with ribs of stone were generally neglected altogether. As coal became more scarce, however, attention had to be paid to seams formerly left untouched, and, to obtain a satisfactory market for the coal from such seams, it was found necessary to devise some means of removing the foreign material and of sorting the different qualities. Various forms of picking-tables and screening arrangements were introduced, and there are few collieries now where such tables are not to be found in operation. As picking became common it was found that, even for good seams, increased care in screening, handling, and sorting improved the value in the market, and, even for such seams, picking-tables and jigging-screens are now largely used. Few seams are of uniform quality throughout. In most, there is a mixture of hard and soft coal, each suitable for a different purpose.a comparatively new industry for Scotland«, aber auch anderswo, und obwohl nunmehr >>several extensive plants in operation>room for greater development in this direction. Where washing machinery is in operation and where there is a sufficient quantity of the smallest size of washed material of good quality, the making of briquettes should be exceedingly profitable. The difficulty hitherto has been to keep the plants going during the summer, but if briquettes can be made cheap enough, it should be quite possible to form for them a satisfactory shipping connexion.>It is not many years since there are only three or four washing machines in Scotland. Now there are dozens«, erklärte der genannte Bergbauunternehmer im Jahre 1893. 154 Noch ein Jahrzehnt später erklärte ein anderer Unternehmer, die Gründe für die - zunächst gebremste, dann aber allmählich voranschreitende Entwicklung offenlegend: >>I have been driven to wash against my will«. In seinen Zechen werde die geförderte Kohle nunmehr gewaschen >> ... not so much for the purpose of making a profit, as to make unsaleable coal saleable.« 155 Auch jetzt war eine Reihe von Bergbauunternehmen offensichtlich nicht, oder zumindest nicht unmittelbar und vorerst nicht, darauf angewiesen, zusätzliche Gewinne aus der Aufbereitung der Kohle zu ziehen; nur so kann ihr Verhalten angesichtsder Tatsache erklärt werden, daß bereits in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in Lancashire durch den Einsatz einer Wasch- und Sortieranlage die anfallende Menge verkaufbarer Kleinkohle bis auf 8,3% der Produktion gesteigert werden konnte, während der gesamtenglische Durchschnitt 4,7 %, der schottische gar nur 1,1% betrug. 156 Offensichtlich allein die zunehmende Konkurrenz vermochte sie in ihrer Haltung zu bewegen. Noch am Vorabend des Ersten Weltkriegs wurden jedoch, mit großen regionalen Unterschieden, im britischen Bergbau nur 14,4% der geförderten Kohle gewaschen; 4% fanden ihren Weg in die Kokereien, 3,5% in die Brikettfabrikation (Südwales). 157 Die Rückständigkeit gegenüber Deutschland war dabei den britischen Bergbauunternehmern sehr wohl bewußt. Einer von ihnen begründete sie mit den uns bekannten, historischen und geologischen Fakten: Es sei das >contorted coalfield~ an der Ruhr mit seinen mehrfach gestörten Flözen, das die deutschen Unternehmen von Anfang an zum breiteren Einsatz von Kohlenwäschen gezwungen habe. 158 Im Besonderen galt jedoch auch hier, wo seit den 1850er Jahren Aufbereitungsanlagen zunehmend Verbreitung fanden: »Eine intensive Verbesserung der AufEbd., S. 377; auch: Morris/Williams, S. 59. Soweit sich sehen läßt, überließen die Bergbauun· ternehmer in Südwales die Brikettierung allerdings eigens zu diesem Zweck gegründeten, separaten Unternehmen. Vgl. hierzu: Berg, S. 115. 152 Vgl. hierzu: H. Schmid, Das Problem der Nationalisierung, S. 19. 153 Vgl. Church, S. 378. !54 Vgl. Mitchell, S. 319. 155 So Emerson Bainbridge vor der Coal Supplies Commission 1904, zit. nach: Church, S. 384. 156 Vgl. H. Schmid, Das Problem, S. 19. 157 Nach Church, S. 385. 158 G.B. Walker vor der Royal Commission on Coal Supplies 1904, nach: ebd.; vgl. ebenso bereits Boyd (1895), S. 252. ' 51
5. Die Aufbereitung
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bereitungstechnik fand jeweils in solchen Zeiten statt, in denen die Absatzverhältnisse ungünstig und die Preise für Kohle niedrig waren. Die Zechenunternehmer versuchten in solchen Konjunkturphasen, durch das Angebot besonders guter Kohlequalitäten die knappe Nachfrage auf sich zu lenken.>Grinding the smudge for coke-making was found to effect a great improvement in the density and mechanical construction of the coke; and the local demand for steel-melting and foundry-coke led to crude forms of self-acting washers being erected. At some collieries trough-washers, depending on gravitation for their results, and at others, some of the earlier types of mechanical washers were erected, and proved efficient for small daily quantities. The beehive coke-oven, 11 feet in diameter, was the universal type, in most instances burning out of the top: but in a few cases a flue was built between the ovens, and the escaping gases were utilized in heating a limited nurober of boilers, thereby reducing the collieryconsumption of small coal required for the hand-fired boilers.« 160 Die Zusammenhänge und Abhängigkeiten treten klar zutage: Nur ab einer bestimmten Betriebsgröße- und dies gilt historisch wie systematisch - war die Anschaffung und Installierung von entsprechenden Aufbereitungsanlagen möglich, sinnvoll und lohnend. 161 Und: Für die Inbetriebnahme einer Anlage war sogleich die Anschaffung einer oder mehrerer anderer Anlagen notwendig. So wird auch der Mangel an elektrischer Energie gerade bei kleineren Betrieben ein Hindernis gewesen sein.162 Und noch ein weiterer Faktor wurde ebenso früh wie deutlich benannt: >>At some collieries, where modern machinery has been erected, it is safe to say that the coal is being cleaned and satisfactorily prepared for the market, at quite as low a cost as it formerly took to put it into waggons without any cleaning whatever.« 163 Der erreichte Entwicklungsstand wurde um die Jahrhundertwende am Beispiel Yorkshire wie folgt beschrieben: >>Elaborate screening-plants, capable of making a dozen varieties and sizes of coal, filled with revolving-tipplers, picking-bands and jigging-screens, to deal with !arge daily outputs, are an absolute necessity and as the seams below the Barnsley seam are more generally worked, washingand sizing-plants will become necessary ... > So Holtfrerich, Quantitative Wirtschaftsgeschichte, S. 99. Nash, S. 190. 16 1 Tatsächlich waren nachweislich gerade die Großunternehmen in der Kohleaufbereitung und -weiterverarbeitung führend. Vgl. etwa Church, S. 379, 381-384. 162 Vgl. H. Schmid, S. 19. 163 So Mitchell, S. 320. 1 9
160
188
V. Die technische Aneignung: Entwicklung und Einsatz der Technik
Coke-ovens are now in use at nearly every colliery, and usually all the small coal is converted into either furnace or foundry-coke, chiefly in beehive cokeovens of Standard size and type. A few bye-product plants have been erected, but these are mostly dealing with small coal from other than the Barnsley seam.« 164 Hiermit war ein weiteres, und wohl auch das zentrale, Phänomen der Kohleaufbereitung und -weiterverarbeitung im britischen Bergbau angesprochen. Angesichts der ebenso frühzeitigen, umfangreichen wie dauerhaften Nachfrage nach Koks, sei es vonseitender Eisenindustrie oder auch (bis etwa 1870) der Eisenbahnen, wurden im britischen Bergbau bereits um 1620 die sogenannten beehiveoder: Bienenkorböfen erfunden, ab dem Ende des 18. Jahrhunderts weiter verbreitet und über das ganze 19. Jahrhundert hinweg kontinuierlich technisch weiterentwickelt und verbessert. Allein in Durharn gab es schon 1847 2.000, 30 Jahre später bereits 14.000 solcher Öfen, mit einer Produktionskapazität- zum letzteren Zeitpunkt - von 4,1 Mill. t jährlich. 165 · Allein der Bedarf der Eisenindustrie wurde für das Jahr 1852 auf etwa 1 Mill. t, für 1880 auf mehr als 7 Mill. t Koks geschätzt. 166 Der Bienenkorbofen hatte, trotz einiger später Weiterentwicklungen, fast ausschließlich die Aufgabe, - möglichst qualitätsvollen - Koks zu produzieren; das abfallende Teerpech diente höchstens zu Heizzwecken, Gase und Wärmeeinheiten gingen ungenutzt - und nicht schadfrei gemacht- in die Atmosphäre. In den Jahren 1881/82 wurden nun in Deutschland und Belgien Koksöfen erfunden, die nicht nur die Koksausbeute um 10 oder mehr Prozent gegenüber dem Bienenkorbofen erhöhten, sondern auch die zusätzliche Gewinnung der >Nebenprodukte>The value of the gas, extra coke, and the by-products could reach 5 s. per ton of coke at a time when coke fetched 14- 15 s. a ton.« 169 Gleichwohl fanden die neuen Nebenprodukteanlagen nur eine späte und langsame Verbreitung im britischen Bergbau. Noch im Jahre 1900 kam 80% des Kokses aus Bienenkorböfen, 13% aus solchen mit Teergewinnung
Vgl. Nash, S. 192. Vgl. zum Ganzen: J.C. Carr/W. Taplin, History of the British Steel Industry, 1962, S. 53f.; Church, S. 378-380. 166 Carr/Taplin, S. 54. 167 Church, S. 380f.; W. Berg, S. 56f. 168 Vgl. hierzu: F.H. Hatch, The iron and steel industry of the United Kingdom, S. 99. 169 So Church, S. 380f.
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5. Die Aufbereitung
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und nur 7% aus Nebenprodukteöfen. Bis 1913 hatten sich die Anteile immerhin deutlich verändert: etwa 40% des Kokses stammte aus Bienenkorböfen, 10% aus einfachen und nunmehr 50% aus wirklichen Nebenprodukteöfen. 170 Woran lag nun die späte und zögernde Nutzung der sich bietenden technischen und finanziellen Vorteile. Denn immerhin wurde der durch die ausbleibende Nutzung der Nebenprodukte entstehende Schaden im Jahre 1894 auf[. 4,25 Mill. geschätzt 171 und noch im Ersten Weltkrieg ein jährlicher Verlust von 70.000 t Ammoniumsulfat, 250.000 Teer und 50,4-63 Mill. 1Benzol festgestellt. 172 So groß die Auswirkungen waren, so wichtig ist es, die Ursachen für diese Entwicklung aufzuspüren. Die Gründe für die entsprechenden Unternehmerischen Entscheidungen waren auch anderenorts spürbar und können daher nicht leichthin abgetan werden. Denn selbst im deutschen Ruhr-Bergbau, wo bereits im Jahre 1911 die Gewinnung der Nebenprodukte den Wert einer Tonne Kokskohle um durchschnittlich 3,11 M sowie denjenigen der gesamten Förderung des Ruhrbergbaus um 1,50 M bis 2,- M (bei einem Kohlepreis von etwa 9,- M) pro t erhöhte173 und den Zeitgenossen schon 1908 >>die eigentliche Kohlegewinnung in gewisser Beziehung als Hilfsindustrie« erschien, 174 waren die Unternehmen zunächst nicht bereit, sich mit »Chemischen Fabriken auf Bergwerken« zu beschäftigen und nur dazu zu bewegen, Gewinnungsanlagen unentgeltlich durch die Anbieterfirmen errichten zu lassen, die ihrerseits durch die Nutzung der anfallenden Nebenprodukte auf die Dauer von 10 bis 15 Jahren entschädigt wurden. 175 Auch hier paarte sich die Scheu vor steigenden Investitionskosten mit jener vor wachsenden Bedienungs- und Unterhaltungs-, also: I..ohnkosten, mit der Unsicherheit über die Marktfähigkeit der neuen Produkte sowie mit der Furcht der Hütten vor einer Qualitätsminderung des Kokses. Der sich - erst - in der praktischen Durchführung herausstellende, rapide steigende Absatz an Nebenprodukten, die nun ermöglichte Reduzierung des Kokspreises und die insbesondere nach 1900 möglich gemachte, starke Mechanisierung der Kokerei- und Nebenprodukteanlagen sorgten jedoch bald nicht nur dafür, daß die Bergbauunternehmen die Nebenproduktanlagen in eigener Regie weiterführten, son-
70 Zu diesen Ziffern kommt Church aufgrundseiner (aufS. 381 angegebenen) Quellen. Der bekann-
1
te Bergingenieur Sir William Garforth berichtete aber noch während des Ersten Weltkrieges, daß nur 18% des in Großbritannien produzierten Kokses in 6.000 Nebenprodukteöfen von insgesamt etwa 21.000 Koksöfen gewonnen wurde. Nach einer anderen Quelle wurden im Jahre 1913 42% der gesamten Kokserzeugung zu Hochofenzwecken in 13.167 Bienenkorböfen hergestellt. Vgl. W. E. Garforth, auf der Jahrestagung der Institution of Mining Engineers, in: IME 51, 1915/16, S. 467; F.H. Hatch, The iron and steel industry, S. 99. 17 1 Vgl. Journal of the Iron and Steel Institute, 1894, nach: Carr/Taplin, S. 154. 172 So Sir William Garforth, aufgrund seiner in Anmerkung 170 wiedergegebenen Vorgaben. 173 Vgl. hierzu: Berg, S. 59. m So E. Jüngst, Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens des Vereins für die bergbauliehen Interessen, 1908, S. 6. 17> Berg, S. 56.
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V. Die technische Aneignung: Entwicklung und Einsatz der Technik
dern daß diese an Zahl und Kapazität rasch zunahmen. 176 Im britischen Bergbau kam - neben einigen, finanziell und technisch gescheiterten Versuchen und dem hieraus resultierenden Vorurteil177 - die Tatsache hinzu, daß die Nachfrage nach Koks, in klarem Unterschied zu Deutschland, nur langsam wuchs, ein Bedarf, der offensichtlich leicht von den vorhandenen, traditionellen Koksöfen gedeckt werden konnte. 178 Ebenso blieben die Absatzmöglichkeiten für Teerprodukte aufgrundder geringeren Entwicklung der britischen chemischen Industrie lange Zeit begrenzt. 179 Vor allem aber waren es wohl die Kapitalkosten und deren deutungsmäßige Einordnung, welche die britischen Bergbauunternehmer von der Einführung der Nebenproduktanlagen so lange und auf breiter Front abhielten. Zunächst einmal lagen die Anschaffungskosten bei den Nebenprodukteöfen bedeutend über denjenigen der herkömmlichen Koksöfen. Im Jahre 1882 z.B. kostete ein Bienenkorbofen.[ 50, ein früher Nebenproduktofen von ähnlicher Kapazität .[ 225. 180 Und im weiteren zeitlichen Verlauf erforderte die Umstellung von den bereits entwickelterenFlamm-auf Nebenproduktöfen eine Steigerung des Investitionskapitals um das Vierfache pro Ofen, während sie beinahe eine Verzehnfachung gegenüber dem Bienenkorbofen bedeutete. Kostete dieser- zumindest in Deutschland- nunmehr 1.500 M (= .[ 75), so erforderte der Flammofen 3.000 M ( = .[ 150), der neue Collin-Ofen aber 12.083 M ( = .[ 604), von dem jedoch wiederum eine Anzahl von 60 Stück ( = 725.000 M = .[ 36.250) für die kleinste Anlage notwendig war. 181 Dies war insbesondere für die vielen kleinen und mittelgroßen Unternehmen des britischen Bergbaus zweifellos keine geringe Summe. Hinzu kamen aber, wie sich weiter unten zeigen wird, 182 die spezifischen, hier - anders als in Deutschland herrschenden Verhältnisse und die Erwartungen der Unternehmer: Die britischen Bergbauunternehmen litten fast durchweg an Kapitalknappheit, Amortisations- und Gewinnerwartungen waren kurz und hoch, die Investitionsbereitschaft entsprechend eng konditioniert und kalkuliert. In dieser Weise schlossen daher Carr und Taplin ebenso lapidar wie richtig: >>The chief reason why the by-product oven made so little progress in Britain before 1900 was that a clear case could not be made out that it was more profitable than the beehive oven.Nur die großen Firmen waren dann im Stande, sich auf rentable Kokereien einzustellen, welchen sie hauptsächlich auch ihre großen Profite verdankten.«189 So schätzten das Munitionsund das Kriegsministerium, auf deren Anregung oder direkte Hilfe hin viele Kokereien nunmehr, übrigens auch auf Rechnung großer Kohlenhandelsfirmen, geschaffen wurden, 190 während des Krieges den Gewinn pro t produzierten Kokses auf ca. 10 s., während er in den Vorkriegsjahren bei nur 6 d. gelegen haben soll. 191 Bei den Nebenprodukten wurde der durchschnittliche Gewinn
Für Durharn gab eine offizielle Quelle die Produktionskosten sogar mit 1 s. 11 d. pro t an, was nach der Meinung der gut informierten ICTR war »a good deal higher than it should be, and is certainly rnaterially higher than the cost of coking in the United States and in Gerrnany«. Vgl. ICTR, 30. Nov. 1900, S. 1115. 185 Nach: ebd. 186 Vgl. H . Niebuhr, Die Reorganisation der englischen Eisenindustrie, 1923, S. 37. 187 H. Schrnid, S. 20. 188 Vgl. Hatch, S. 98-100. 4% der Koksproduktion entfielen auf 1.334 Coppee-Retortenöfen. 189 Schrnid, S. 21. 19° Die während des Krieges angelegten mehr als 1.750 Koksöfen mit Nebenprodukteanlagen kosteten insgesamt nahezu [. 5 Mill., von denen das Munitionsministerium [. 1,25 Mill. trug. Im Vergleich hierzu besaß etwa im Jahre 1918 die Produktion an Koks einen Wert von[. 24 Mill., an unverarbeiteten Nebenprodukten einen solchen von mehr als[. 4,5 Mill. Vgl. Hatch, s. 98, 100. 19 1 Vgl. Schrnid, S. 71. 184
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V. Die technische Aneignung: Entwicklung und Einsatz der Technik
im letzten Kriegsjahr auf - zusätzlich - 6 d. pro t geschätzt, ein Anteil, der in diesem Jahr allein [, 6 Mill. ausgemacht hätte. 192 Im gesamten britischen Bergbau existierten im Jahre 1900 weniger als 1.000 Nebenprodukteöfen, aber noch mehr als 26.000 Bienenkorböfen, 193 1916 ca. 6.000 Nebenprodukteöfen von insgesamt etwa 21.000 Koksöfen, allein im Ruhrbergbau dagegen gab es etwa 3.000 im Jahre 1900, 1913 aber mehr als 17.000 Nebenprodukteöfen verschiedener Verarbeitungsstufen. 194 Wenn die Entwicklung in Großbritannien nach 1900, wie wir sahen, auch rascher voranschritt, so gibt die folgende Zusammenstellung über die Produktion von Ammoniak, das aufgrund seines Erlöses als zutreffender Maßstab für die Ausdehnung der Nebenproduktgewinnung gelten kann, Aufschluß über die nach wie vor herrschende Situation und relative Verteilung. Ammoniakproduktion in britischen und deutschen Kokereien und Gaswerken, 1900-1909 (in 1.000 t Ammonsulfat) 195
Jahr 1900 1903 1906 1909
Kokereien Großbrit. Deutsch!. 10 18 44 75
Gaswerke Großbrit. Deutsch!.
80 111 200 278
145 152 160 171
20 25 30 40
Und der jeweilige Anteil der insgesamt in Kokereien mit Gewinnung von Nebenprodukten verkokten Kohle spricht für sich. Anteil der in Kokereien mit Gewinnung von Nebenprodukten entgasten Kohle, 1900-1909 (in%) 196
Großbritannien Deutschland
192 193 19 4
195
19 6
1900
1909
10 30
18 82
So die Schätzung Sir Arthur Dickinsons, in: CIC 1919, Bd. 1, Fragen 121ff. Nach: Niebuhr, S. 37. Vgl. Berg, S. 57. Zusammengestellt aufgrund der Geschäftsberichte der Deutschen Ammoniak-Verkaufs-Vereinigung, Bochum, nach: 0. Rau, Die Fortschritte in der Gewinnung der Nebenprodukte beim Kokereibetriebe. Sonderabdruck aus: Stahl und Eisen, 1910, Nr. 29 und 30, S. 3. Nach: ebd., S. 4.
5. Die Aufbereitung
193
Die materiellen wie mentalen Grundlagen dieser langfristig und volkswirtschaftlich kostspieligen Verspätung in der Nebenproduktegewinnung des britischen Bergbaus haben wir - in aller Kürze - versucht aufzuzeigen. Beide zugleich lassen sich offenkundig auf eine einzige Ursache reduzieren: die natürlichen Bedingungen. Obwohl die Aufbereitungsanlagen insgesamt, nach dem Empfinden der Zeitgenossen um die Jahrhundertwende, inzwischen einen Entwicklungsstand »of a very elaborate discription« 197 erreicht hatten, wird in der folgenden Äußerung eines Bergingenieurs zugleich die langwährende Grenze und Bremse der bisherigen Entwicklung sichtbar: >>So long as the chief coal to be dealt with was the world-renowned Barnsley seam, no special methods of working, cleaning, sizing or sorting were necessary. Therefore no incentive was present to induce the colliery-manager or mechanical engineer to leave the beaten track followed by their predecessors in the elaboration and application of expensive machinery for improving its marketable quality: but the time is now at hand when the question of the active development of the seams lying below the Barnsley seam, and possibly some of those above it, must be taken in hand and consequently the increased cost of working owing to the following causes must be considered. The admitted inferiority in quality of these seams to the Barnsley seam, the presence in them of thin bands of dirt, the thinness of the seams themselves, the greater depths at which the bulk of them will have in be worked, the tender nature of both coal and roof, and consequently the greatly increased percentage of shale and other impurities are facts which cannot be denied.« 198 Die Gunst der natürlichen Bedingungen, hier insbesondere die Qualität und Reinheit der Kohle, hatten intensivere technische und finanzielle Bemühungen und Anstrengungen um deren Aufbereitung oftmals lange Zeit beinahe überflüssig gemacht. 199 Ebenso erschien die Anschaffung teurer Maschinerie selbst da oft nicht vonnöten, wo, wie im Falle der Koksöfen, die wiederverwendbaren Gase und Wärmeeinheiten - von der Vielzahl der übrigen zu gewinnenden Produkte ganz zu schweigen - durch die Beibehaltung der alten und billigen beehive-Öfen ungenutzt an die Atmosphäre abgegeben wurden. Trotz sich allmählich verschlechternder Kohlenqualität änderte sich diese Orientierung - auf dem Gebiet der Aufbereitung- nach Meinung von Bergingenieu-
So Mitchell, S. 320; vgl. auch: Ross, S. 225 f. Nash, S. 193. 199 Aus dieser Perspektive umso interessanter ist die Einschätzung ausländischer Verhältnisse von Seiten eines britischen Bergingenieurs im Jahre 1895: »another important economy has arisen in the development of improved systems of sorting, picking, and washing coal, and in this respect we are getting gradually more on a Ievel with the French and German colliery-owners, who long ago recognized the great importance of dealing with these questions.« Vgl. E. Bainbridge, in IME 5, 1895/96, S. 422. 197 198
13 Berg
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V. Die technische Aneignung: Entwicklung und Einsatz der Technik
renerst durch den Druck der Konsumenten ab etwa 1930: »During the past few years revolutionary improvements had been introduced alike in screening, cleaning and sizing«, berichtet der eine betroffene Zeuge200 im Jahre 1936, und gleichzeitig ein anderer:» ... one of the most striking features of the British coal industry in recent years had been the constant progress that had been made in the preparation of coal for the market. Consumers were now demanding more and more a product of uniform size free from dirt. In the past, coal was not sold; it was bought, and more and more the minds of people were being turned to the more efficient sale of coal for the market, and huge sums were being expended in the installation of the most modern and up-to-date screening and cleaning plants. The quantity of saleable coal passed through cleaning plants, wet and dry, during 1934 was 87 1/2 million tons, or almost 40 per cent of the output. That was an increase of 14 3/4 million tons as compared with 1929, when the outputwas 38 per cent greater.«201 Der Anteil der maschinell gereinigten Kohle war somit in den wenigen Jahren zwischen 1929 und 1934 um rund 5%, im Zeitraum zwischen 1927 und 1938 von 20% auf 45%,202 gestiegen, eine sichtliche, wenn auch sich immer noch in Grenzen haltende Verbesserung der bestehenden Verhältnisse. Und in der »Konkursmasse« des britischen Bergbaus zum Zeitpunkt seiner Nationalisierung im Jahre 1946 waren immerhin 20 Brikettierungsanlagen und 55 Kokereien enthalten, die rund 40% des britischen Koksaufkommens produzierten.203 Aufbereitung und Weiterverarbeitung waren aufgrundder Qualität der Kohle und der Lageverhältnisse zunächst als unnötig erschienen, obwohl große Mengen von Kohle hierdurch völlig oder teilweise unverkäuflich waren und oftmals gar nicht erst zutage gefördert wurden. 204 Erst die allmähliche Erschöpfung der besseren Flöze und die abnehmende Qualität der abgebauten Kohle führte zum Einsatz von Anlagen zur Weiterverarbeitung; doch verharrten diese Anlagen auch jetzt noch, einmal notwendig geworden und eingeführt, häufig lange Zeit auf einem Niveau ausgesprochener Einfachheit und Sparsamkeit, mit der oftmals auftretenden Folge großer Verschwendung von Kohle, Energie und Nebenprodukten. Die enge Orientierung am Absatzmarkt wurde nicht selten noch unterstützt durch die- weitere- Existenz kleiner Betriebe und Unternehmen, die sich die häufig miteinander in Zusammenhang stehenden Übertageanlagen weder leisten noch technisch hinreichend zum Einsatz bringen konnten. Erst unter den schwierigen Absatzbedingungen der Weltwirtschaftskrise vermochte der Druck der Konsumenten und die Konkurrenz der Bergbauunternehmen untereinander eine entscheidende Veränderung in der Ausstattung der Übertageanlagen zu erzielen. Machin, in: NACM 1935/36, S. 600. H.H. Johnson, in: ebd., S. 659. Allein im Jahrzehnt nach 1923 wurden zwischen! 10 und.C 20 Mill. in Kohlenwäschen und -siebereien investiert. Vgl. Supple, S. 207. 202 Vgl. G.C. Allen, British Industries, S. 67. 203 Vgl. Supple, S. 636. 204 Vgl. etwa: G. Baker, S. 221; auch noch: Machin, S. 600f.; ebenso: Church, S. 372f., 375. 200
201
6. Die Abbaumethode
195
6. Die Abbaumethode Gleichsam unmittelbar zwischen den natürlichen Bedingungen und dem Einsatz der Technik stand die Abbaumethode, denn wie die Technik im weiteren, so war die Abbaumethode im engeren Sinne die Antwort auf die Art und Weise der herrschenden natürlichen Bedingungen. In den meist vergleichsweise kleinen Betrieben der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts war- bis auf Lancashire und die Midlands205 - das Verfahren des Pfeilerbaus (>>pillar and stall system«) allgemein üblich206 und dies wurde zugleich für die einzig sichere Methode gehalten.207 Diese ebenso alte, starre wie - wie sich zeigen wird - verschwenderische Abbautechnik hielt sich u. a. in Yorkshire bis in die 1870er Jahre, wo selbst das äußerst günstig gelagerte Barnsley-Flöz nach eben diesem Verfahren abgebaut wurde. 208 Die wachsende Ausdehnung der Zechen und der mit ihr einhergehende Zwang zu intensiverer Bewetterung und Wasserhaltung, ebenso wie die besondere Kohlenhärte der Midlands, führte jedoch - typischerweise zunächst eben in Lancashire und den Midlands- bereits ab den 1830er Jahren zu einer Modifizierung des bisherigen kleinräumigen Verfahrens und zur Einführung des sogenannten Strebbaus (>>long wall systemhas been often introduced into this district, and as often rejected, as inapplicable to the Seams of Coal in this localityl..ongwall, in one form or another, ... the rule, and board-and-pillar the exceptional method of working«.214 Ein halbes Jahrhundert später wurde festgestellt, daß 12% der Förderung mit dem >>room and pillarlong-wallAt great cost the surface machinery equipment of collieries and the mechanical and electrical power services have undergone revolutionary changes, and now include many examples of the highest developments of engineering practice. Meanwhile the primary process of winning the coal - to which all eise is subsidiary - has been comparatively neglected; in the majority of our collieries the processes of getting the coal are very like those of fifty years ago, and the output per man has substantially declined. In no other important industry is the cost of labour so high a proportion of the total cost of production, nor is there any in which so little advance has been made in the methods of actual production or in which so little advantage has been taken of mechanical aids to labour.... Vgl. hierzu: Church, S. 335, 337. Vgl. Anderson, S. 120; auch: Boyd, S. 248; Church, S. 336. 2 14 So Nash, S. 192; auch: CM 1889, S. 25; Boyd, S. 248f.; Church, S. 337; Morris/Williams, S. 60-62. 215 Vgl. ICTR 157, 1948, S. 901. Die Zahlen gelten für das Jahr 1945. 216 So u. a. Anderson, S. 120. 212 2 13
7. Die maschinelle Kohlegewinnung: Der problematische Fortschritt
197
Engineering progress, stimulated by many converging lines of scientific research and invention has been applied during the last half century to machinery of production in nearly all our industries and has enormously increased output in relation to human effort. Coalmining is alone in its general adherence to the old-time methods of direct application of human labour on a large scale to such work as the cutting and bulk handling and even transport of material. Is there any industry other than coal-mining in which the production per worker has steadily declined?«217 Obwohl die maschinelle Kohlengewinnung »had been a dream of mining engineers for so many years, since the earliest machine, to be worked by the hands of two miners, had been, patented in 1761, and >Willie Brownfürchtete< z.B. zur gleichen Zeit, »that the type of man they had to deal with in the pits today would not really know anything at all about the keeping of records«. 303 Und vollends hatte es noch zu Beginn NACM 1923/ 24, S. 424. Simpson, S. 6. 299 Noch zu Beginn des Ersten Weltkrieges stellte ein Betroffener fest: Nery little was really being done to develop skilled workmen for pit-work.« Vgl. J. W. McTrusty, in: IME 49, 1914/15, s. 79. 300 Vgl. IME 15, 1897/98, S. 118; auch: NEIMME, Report of the Committee upon Mechanical Coal-cutting, 1905, S. 22. 301 St. Barber, in: NACM 1922/23, S. 116. 302 Vgl. ebd., S. 117. 303 J. Whiteside, in: NACM 1921122, S. 199. »A daily return shewing the work done and the time lost, with the reasons for stoppages, enables progresstobe watched more closely.« Vgl. NEIMME, Report of the Committee upon Mechanical Coal-cutting, S. 27. 297 298
212
V. Die technische Aneignung: Entwicklung und Einsatz der Technik
des Ersten Weltkriegs geheißen: »Certainly some of the men knew no more about the machines than the machines knew about them.« 30• Einsatz und Erfolg der Schrämmaschine waren, so konnte gezeigt werden, in nicht geringem Maße auch von der Haltung der Arbeiterschaft abhängig. Und ebenso in die Angestelltenschaft griff diese technische Innovation mitten hinein. Auch als - wie manchmal bei den Betriebsleitern selbst - Widerstand, Vorsicht und Zögern wichen, machten sie oft und längere Zeit nur der Unwilligkeit und Unwissenheit Platz. Zwar bedeutete der Einsatz der Schrämmaschine eine entscheidende Erleichterung der physischen Arbeit, doch brachte er zugleich auch eine Arbeitsverlagerung und ein wesentlich höheres Ausmaß an Aufsicht, Kontrolle und Disziplin mit sich. Für die Arbeiter bedeutete dies eine grundlegende Veränderung ihrer Arbeitssituation, für Betriebsleitung und Angestelltenschaft den Zwang zu vermehrten Aufgaben und höherem Engagement. Die Schrämmaschine hatte es mithin nicht leicht, sich gegen oder mithilfe aller drei Gruppen durchzusetzen. Ob die Arbeiterschaft hiervon auch die wichtigste war, wird vor allem erst das Weitere zeigen können. Im Jahre 1889 stellte ein Bergingenieur vor der Institution of Mining Engineers fest: »It was once remarked to me by one of our Past-Presidents that coalgetting machines were a mechanical but not an economic success. I do not myself endorse this dictum, but it probably represents the general feeling of mining engineers on the subject. But what may not be an economic success under certain conditions of trade, may become so if a change in those conditions takes place; and what was of doubtful advantage this time last year may present a very different aspect at the present moment.«305 Prinzipiell und von vornherein war klar, daß der Einsatz der Schrämmaschine an erster Stelle die Aufgabe hatte, die Rentabilität des Betriebs zu steigern. Diese ergab sich aus den natürlichen Bedingungen, den Marktfaktoren wie Absatz und Arbeit sowie den Anschaffungs-, Arbeits-, Unterhaltungs- und anderen Folgekosten der Maschinen selbst sowie aus ihren jeweiligen Bewegungen und Kombinationen. Das erste sich stellende Problem des bergbauliehen Betriebs war das sich verstärkende Auftreten dünnerer und geringerwertiger Flöze, und es war aus dieser Sicht nur folgerichtig, daß die Schrämmaschine zu allererst hier Einfang fand. »Formerly«, so berichtete ein Beteiligter in den 20er Jahren, >>the coal-cutter was regarded as a possible means of saving a seam which by hand-working was unprofitable, and was resorted to as an expedient where conditions were abnor3o• J. Brindley, in: IME 49, 1914/ 15, S. 77. 305 G.B. Walker, S. 123 (Hervorhebungen im Original).
7. Die maschinelle Kohlegewinnung: Der problematische Fortschritt
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mal; now the coal-cutter is increasingly recognized as a necessity where the conditions are normal. At collieries which by hand-working have a sufficient margin of profit to support existence, machine-mining policies are being adopted to increase the margin; and at others economic pressure is compelling the adoption of similar policies as the only means of continued existence.«306 Was sich in bescheideneren Flözen bewährt hatte, empfahl sich - wie bereits der friihe Bergingenieur festgestellt hatte - unter veränderten »Conditions of trade« auch für normale Vorkommen. >>It is when we have to face the problern of the economical extraction of thin coal seams that we realise the significance of machine mining. Without machinery in some form or other many of our thin seams would be absolutely unprofitable to work. Therefore, if it is possible by the aid of machinery to work a thin seam, then, under similar conditions, even in a thicker seam, it should be feasible to expect substantial results, although not perhaps to the same degree.« 307 Ebenso wurde die Schrämmaschine bereits friihzeitig eingesetzt, um jeweils günstige Gelegenheiten auf dem Absatzmarkt zu nutzen. >> ... high prices accompany brisk demand, and coal-face machinery, by enlarging the output from the pitroom developed, brings fuller advantage of a favourable market«;308 dariiber hinaus dienten sie zunächst einmal zum >>rapid opening out of sections to enable a large number of men to be employed as quickly as possible.At first many coal companies were rather reluctant to take advantage of the proved usefulness of the machine, due to the fact that the initial cost of supplying the necessary power to operate them could only be warranted after it had been shown that, by their use, coal could be produced much more cheaply than by hand, and at a rate that would compensate for the initial outlay. Varying rates were stated from time to time for our guidance in this respect. At one period it was given out that if coal could be produced by hand at 2 s. 6 d. per ton, no useful purpose would be served by introducing the coal-cutter. As time progressed, however, this rule was departed from. It was found that the machine possessed other features besides their effect upon the initial cost of producing the coal. By their adoption increased outputs could be raised resulting in a !arger turnover of trade, which tended also to reduce the general working costs of the colliery. In later years the demand for round coal added further to the usefulness of the machine by giving increased value to the coal produced.
Mavor, S. 458. Cumberbatch, S. 109. 308 Mavor, S. 456f.; so auch bereits für die 1870er Jahre die Stelle bei Church, S. 353. 309 IME 15, 1897/98, S. 118. 306
307
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V. Die technische Aneignung: Entwicklung und Einsatz der Technik
It may be said, however, that while the advantages and success of the coalcutter are accepted in general, the results obtained have not always been uniform. There are instances where their application has not met with the success anticipated. As a matter of fact, in a few instances they have been almost a failure, their continued use entirely depending on the selling price of coal being maintained at a given standard.Recurring periods of comparatively high industrial wages stimulate progress in the adoption of labour-saving machinery, so in coal-mining the periods of high wages of miners have been concurrent with special activity in improvement of coal-getting machinery and enlargement of its sphere of application.>Fundamentallythe human body was the most efficient machine in existence, that was to say it had a higher ratio ft.-lbs. of work performed to calories consumed than any other power-producing unit ... In spite of its high mechanical effiency the human body was expensive as a source of mechanical power and its cost per unit of work performed was ever increasing.>showing clearly the economy of mechanical power as such compared with man-power and indicating that the more extensively machine-power could be usefully substituted for man-power, the greater would be the reduction in cost of power which, in its wider sense, included manpower.dead work>Ökonomien« und Interessenlagen der einzelnen Betriebe undUnternehmen offenbar. So wurde um die Jahrhundertwende berichtet: >>Up to the present time ... , considering the great outlay and the radical changes necessary in the older collieries to adapt the new system, owners are reluctant to change from the old to the new system.«326 Und auch
Cumberbatch, S. 108. Maitland, in: MACM 1925, S. 217. m Mavor, S. 458. 326 G. Spencer, S. 548. 323
324
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V. Die technische Aneignung: Entwicklung und Einsatz der Technik
später war angesichts der Arbeitszeitverkürzung von dem notwendig werdenden >>large amount of money ... in laying down fresh plant« die Rede; doch, so hieß es an der Stelle weiter, »in the bulk of cases the advanced state of the colliery's life will not permit of this«. 327 In Anbetracht der Anschaffungs- und unmittelbaren Folgekosten - im Jahre 1905 kostete eine Schrämmaschine zwischen [, 250 und [, 450, inklusive der notwendigen zusätzlichen Anlagen [, 1.200-1.400, 1930 konnte sie leicht[, 500 und ein Kohlenpflug im Jahre 1947 bereits [, 25.000 kosten328 - war es daher kaum überraschend, daß es noch in den 20er Jahren gerade die »firms of enterprise and financial resource« waren, die der maschinellen Kohlegewinnung >>a powerful stimulous towards progress« gegeben hatten. 329 In der Tat war- auch hier- die Rentabilitätserwartung für die jeweils getätigten Maschinen-Investitionen oft genug, ja wohl in der Regel, kurzfristig und unmittelbar. >>If the output per person employed can be increased by coal-cutting machinery to such an extent as to cover the interest on capital expenditure, cost of upkeep, and running of machinery, well and good; but, if not, the only benefit obtained is the relief of the more arduous work of the coal-getter. That, of cource, is much to be desired, and is heartily welcomed by all of us; but economic results can be realized only when the coal-getter recognizes the amount of arduous work which he has been saved, and that his best interests lie in the highest possible production.« 330 Es waren auch noch andere Elemente, so zeigte sich, von denen die Rentabilität der angeschafften Maschinen abhängig war, und die unterschiedlichen Anlagekosten sorgten zusätzlich noch für weitere Komplizierung und die Notwendigkeit zu Aufmerksamkeit und Sorgfalt. >>The capital outlay required for longwall coalcutting machines varies considerably, and it is possible to obtain a machine that will undercut under the same conditions for nearly half the price of another. The capital outlay, however, is but one item in the economical working of coalNACM 1908/09, S. 112; vgl. hierzu auch: Church, S. 356f. Vgl. NEIMME, Report of the Committee upon Mechanical coal-cutting, 1905, S. 25f.; NACM 1929/30, S. 190; IME 106, 1946/47, S. 573. Auch wenn, wie man vor der Royal Commission on Coal Supplies im Jahre 1905 festhielt, eine ,Jngersoll>too common to neglect machines, repairs being carried out only after a machine has broken downRegular inspections should be made and machines should be thoroughly overhauled and cleaned after the performance of a certain amount of work. Such a system properly organised and carried out more than repays itself in the results obtained. The use of coal cutters makes it necessary to carry a considerable stock of spares, more especially is this essential where the machine is working a long distance away from the maker's works.mysterious subject>in satisfactury operation at several collieries«. 371 Und schon kurz nach der Jahrhundertwende berichtete ein anderer Bergingenieur: >>The use of electricity for hauling, pumping, coalcutting and lighting, is making rapid strides, and its adaptability for the application of mechanical power in almost any situation is such that the time cannot be far disl:ant ~hen it will replace 90 per cent. of the present steam-engines, at a much less cost than the present wasteful system, where the actual percentage of useful effect is very small.«372 Und weiter hielt derselbe Zeitgenosse, das Risiko von Unglücken373 einbeziehend, fest: »I think it will be admitted that where coal-cutting by machinery
Foster, S. 563. Vgl. ebd., S. 564. 367 Berechnet nach: Church, S. 347. 368 Vgl. etwa: R. James, Production and Use of Compressed Air, in: NACM 1932/33, S. 624f.; auch: NACM 1908/09, S. 155, und J. Gregory, in: IME 48, 1914/ 15, S. 240f. Bereits zu Beginn der 1890er Jahre wurde beiden eine •close rivalry for a long period~ vorausgesagt. Vgl. hierzu: IME 7, 1893/94, S. 415; für die frühe Phase vgl. Morris/Williams, S. 68f. 369 Vgl. Anderson, S. 120; Church, S. 344. Auch die Druckluft hatte allerdings trotz ihrer großen Vorteile gegenüber den vorhergehenden Möglichkeiten der Energietransmission, vor allem ihrer Beweglichkeit und Flexibilität, nur •relatively slow advances ... during the third quarter of the century~ gemacht. So Church, S. 345. 370 So R. Turnbull, in: CM 1898, S. 346. 371 Ebd.; vgl. auch: CM 1897, S. 548. 372 Nash, S. 191. 373 Vgl. hierzu auch: Ross, S. 227f.; R. James, S. 625; Church, S. 344, 358, 361. 365
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8. Die Erzeugung und Verwendung von Energie
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is necessary, electricity is the most suitable form of power; and I am also convinced that no form of mechanical energy is so easily adaptable to endless-rope haulage as electrical power. With the rapid strides which are being made daily in the safer working and handling of electricity, the time is not far distant when inclined planes will be actuated by it in preference to either steam, compressed air, or band-ropes: the motors in all cases being placed in intake airways. Where electricity is carried long distances inbye, for actuating dip-pumps, auxiliary fans, or coal-cutting machines, the danger of short-circuiting may be gready lessened by carrying the cables along opposite sides of the roads, thereby preventing the probabilities of contact from falls of roof etc.«374 Auch die so wichtige Kommunikation zwischen Unter- und Übertagebetrieb war bereits vor der Einführung des Telefons im Jahre 1877375 durch den Einsatz der Elektrizität entscheidend erleichtert worden. >>Electric signaHing took the place of the old-fashioned bell-wire, which over long distances often took two strong lads to pull it. There was great uncertainty (on the old system) as to whether the correct signal bad been received or otherwise, and doubtless many accidents occured through mistaken signals.«376 Die Verhältnisse übert~ge und deren Möglichkeiten zur Verbesserung stellten sich einem Zeugen der Ubergangssituation folgendermaßen dar: »The other engines on the surface, except locomotives, will be used for generating electricity in bulk, and these engines will be of the triple-expansion condensing type, all housed under one roof. At present, engines are spread all over the colliery-yards, and more steam is lost by condensation in many cases than is actually consumed by the engines themselves. I think that all who have seen electric motors working, and the ease with which they can be started, stopped and regulated, will admit that fans, coal-disintegrators, lathes, machine-tools, circular saws, and all classes of machinery, about a colliery, now actuated by a steam-engine, can be efficiently and economically driven by a motor of the same power, with greater cleanliness, a considerable saving of room and expensive foundations, and less noise and confusion. At any rate, the experience of those with whom I have conversed, who have adopted motors for any of the foregoing uses, was expressed in the terms that they would by very sorry to go back to the old method of steam-driving. Then compare the heavy ranges of ugly, dangerous, wasteful steam-pipes (running all over the colliery-yard, requiring in winter-time an immense amount of attention to keep them in working-order and to prevent joints from being
Nash, S. 195. Zur Einführung des Telefons vgl. die Schilderung bei: F.R. Simpson, in: 1ME 90, 1935/36, S. 168; vgl. auch: Church, S. 328. 376 Nash, S. 190. 374 375
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V. Die technische Aneignung: Entwicklung und Einsatz der Technik
broken, and heavy condensation) with a bare copper wire carried overhead on light Standards, or a cable buried in the ground, being all that is neccesary in the case of electricity. With proper attention and carefully-recorded testing every week for leakages, electricity can be maintained at a minimum of cost, with practically no loss of power, except the resistance, which is much less than the frictional loss due to the flow of steam in pipes. The great advantages to be gained from the concentration of all power at one central station are secured by electricity generated in bulk and produced at a low cost per unit. The generators can be all of one size and pattern, so that duplicate parts fit any of the machines in case of accidents, and a spare armature and machine may be kept available for use at short notice, in case of a breakdown of any of the generators. A further saving is effected by the decreased number of attendants required, being much less than if the plant is scattered about in different places: and the manager or engineer has much better opportunities of supervision when he can see all the men tagether by walking into one engine-house, than when he had to travel round the pit-yard to find them.« 377 Und ein anderer früher Beobachter ergänzte: »As a motive power electricity was until a few years ago, little known, and now it is difficult to imagine to what branch of mining it cannot be applied with advantage.... The future may see the whole of the mechanical work about a colliery done by electricity, and, indeed it is not unlikely that groups of collieries may receive their power from large generating stations in a way similar to those methods adopted by our large corporations. «378 Die gegenüber den anderen Energieformen vorgenommene Aufzählung der Vorteile der Elektrizität war ebenso aussagekräftig für die tatsächlich herrschenden betrieblichen Verhältnisse, wie sie eigentlich - besonders auch unter dem Kostenaspekt - hätte durchschlagend sein müssen, was die Zukunftschancen dieser neuen Energie anging. Doch wurden selbst ein Jahrzehnt nach diesem optimistischen Bericht im gesamten britischen Kohlenbergbau jährlich kaum mehr als 500.000 PS379 an elektrischer Energie gebraucht, und noch im Jahre 1924
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3 78 379
Ebd., S. 195f. »A centralized power plant might use 12-20 pounds of (cheaper) steam per hour, as against 80 pounds for direct-steam plant. Even if total Iosses in transmission and electric motor reached 50 per cent, fuel cost was still reduced by half to two-thirds.• So Church, S. 359, nach: A. Lupton/G.D.A. Parr/H. Perkins, Electricity as Applied to Mining, 1906, S. 153-171, und G.M. Harvey, Colliery Electrical Engineering, 1928, S. 8-24. Ross, S. 228. Vgl. R. Nelson, S. 602, nach: Supple, S. 384. Für ein halbes Jahrzehnt zuvor galt vollends: ·The 1907 Census of Production records 11,809 KW of steam-driven dynamos in all mines, which at 90 per cent conversion gives 166,500 horsepower, or less than 7 per cent of total mining power plant. By January 1913, electric horse power at collieries had risen to over 628,000 in 1,471 mines; nearly 50 per cent of all mines were using electricity, which accounted for about one-quarter of the total power of all kinds employed in coal mines.• Vgl. Church, S. 359.
8. Die Erzeugung und Verwendung von Energie
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stellte ein akademisch gebildeter Fachmann in Frage, »whether the modern colliery could yet advantageously dispense with its steam plant« und konstatierte stattdessen eine Tendenz >>in the direction of combined steam and electrical practice«.380 Darober hinaus bezogen noch im Jahre 1945 35,6% der Bergwerke vollständig und 28,2% teilweise den Strom von unabhängigen Elektrizitätswerken. 381 Die Griinde für diese Beharrung können ebenso in der eventuell nach wie vor befürchteten Unglücksträchtigkeit insbesondere in bestimmten, ohnehin durch Gase usw. gefährdeten Bergwerken gesucht werden382 wie vor allem in den Anlage- und den notwendigen Folgekosten, ohne die auch die Rentabilität der Erstinvestition zumindest über kurze Frist oft nicht hinreichend gesichert erschien. Ins Positive gewendet nämlich hatte diesen Aspekt bereits auch der zitierte Beobachter kurz nach der Jahrhundertwende im Auge: »In my opinion, there are few instances where a condensing-plant will not return ample interest on the outlay, and especially is this the case when it is applied to a central-power station, similar to the one that I have already described.«383 Die Entwicklung kann als Lehrstück dienen. Trotz mannigfacher Überlegenheit und erwiesener größerer Effizienz elektrischer Energie gegenüber der Druckluft384 konnte ein Bergingenieur in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts feststellen: >>In connection with operations where the demand for power transmission is so great as in mining, it is not to be wondered at that electrical engineering has become a part of colliery engineering; indeed the wonder is that the application of electrical energy in mines has been so long delayed, and up to a certain point madesuch slow progress.« 385 Und bereits ein Jahrzehnt zuvor hatte ein anderer Beobachter geäußert: >> ... it is surprising, considering the surplus power frequently available at large coal mines, that it has not been more generally introduced as a means of transmitting power>In very few branches of engineering have there been greater advances during the last twenty or twenty-five years than in that of mining.>Without such comparisons it is impossible to estimate the rapid advance which mining-engineering has made in Yorkshire during the last half-century«. 451 Und noch drei Jahrzehnte später schilderte ein Kollege aus der gleichen Perspektive: »When we realize that only within that period, besides those already mentioned [d.i. Schrämmaschine, Förderband, Antrieb durch Druckluft und Elektrizität u.a.] have such inventions as internal-combustion engines, motor traction, steamturbines, centrifugal pumps, telephones, electrical signalling, rescue-apparatus, by-product recovery in coke-making, etc., become practically available, we cannot but be struck by the rapidity with which they have been adopted and applied to the mining industry.«452 Auch wenn auf manchen Gebit;ten zu bestimmten Zeiten ein Stillstand zu verzeichnen war, so wurde die technische Entwicklung insgesamt und durchweg als >>steady progress«453 , wenn nicht als Prozeß von >>radical changes«454 oder gar als >>revolution on former periods« gesehen. 455 Ebenso wie auf bestimmten Gebieten wie der Bewetterung, der Beleuchtung, des Transports, der Kohlengewinnung usw. der technische Fortschritt unter den
449 Vgl. hierzu etwa insgesamt auch die Darstellung von R.N Boyd, Coal pits and pitmen, 18952 • 450 J.P. Houfton, in: CM 1895, S. 188.
Nash, S. 191. Anderson, S. 121. m NACM 1905/ 06, S. 73. 454 NACM 1938/ 39, S. 371. 455 IME 15, 1897/98, S. 118; vgl. auch: Mavor, S. 457; Parry, S. 427; NACM 1908/09, S. 224f. Bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Nicolas Wood ausgerufen: »What revolutions have we not passed through, in all the concomitants of mining and locomotion?« Vgl. NElME 1, 1852/ 53, S. 17. 4 51
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10. Das Verständnis von Technik und Ökonomie
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Augen der Beteiligten vonstatten ging, so waren die Maschinen selbst oft genug das konkretisierte, >lesbare< Symbol dieses Fortschreitens. So hielt ein Zeuge kurz nach der Jahrhundertwende etwa fest: »In the past, colliery engineering took the form of large, ponderous, and substantial slow-moving and strong machines; in the future we will have relatively small, light, quick-running machines occupying little space, and comparatively of small cost, easily set up and capable of being moved to suit the convenience of working.«456 Und, stärker zum inneren Zustand der Maschinen kommend, hieß es mehr als dreißig Jahre später weiter: >>Ün the face itself coal-cutters and conveyors have improved enormously. Coal-cutters have been increased in cutting capacity, reliability and safety. Horsepowers generally have been increased, and as a result better cutting chains and jibs have been designed to meet this, very often being made now of heat-treated alloy steel, in place of carbon steel ... Conveyors have been improved so much in reliability and carrying capacity that results are now obtained which would have seemed almost incredible in 1921.It was becoming common knowledge that, owing to improved methods of haulage, coal was now being conveyed underground, two miles or more, at much less per ton than it cost years ago to cover a few hundred yards of travel. Winding from depths of from three to ten times the depths of former years was being done more expeditiously and cheaply. Collieries were handling up to twelve trams at every wind on their cages as quickly as two trams were formerly handled. Ponies were being largely superseded by mechanical haulages up to the face.« 458 Eine solche Sichtweise, die fast durchweg oder jedenfalls allzu häufig >>nothing save progreSS> ... my main object in putting tagether these notes is to combat the statements so frequently made that mining engineers are not moving with the times, and that the foreigner is far abhead of US> ... very careful calculations are necessary before expenditure is incurred«, erklärte ein Bergingenieur und Unternehmer um die Jahrhundertwende. 469 Im Bergbau wurde daher naturgemäß zunächst geprüft, ob und in welcher Höhe Größe und Lebenserwartung der Betriebe sowie die spezifischen Risiken des Bergbaus und des Marktes überhaupt Investitionen rechtfertigten. So hatte bereits Jevons gewarnt: »the influence of this expenditure is more than can be readily estimated, because it is risked in the first instance, and in not a few cases is wholly lost; and not only must the capital itself be repaid, but considerable amounts of compound and simple interest must be met, in order that the undertaking shall be profitable.«470 Noch um die Jahrhundertwende erlaubten es die natürlichen Bedingungen dem bereits oben zitierten Zeugen fortzufahren: >>Too much must not be spent for economy in working. Take an example from another industry. Tripie-expansion engines for steamships are looked upon as a necessity
Vgl. hierzu etwa: R. Tschirbs, Tarifpolitik im Ruhrbergbau 1918-1933, 1986, S. 136f., 242, 336, 339, 390, 393-395, 414, 417, 475, 477; G. Th. Mollin, Montankonzerne und •Drittes Reich•. Der Gegensatz zwischen Monopolindustrie und Befehlswirtschaft in der deutschen Rüstung und Expansion, 1936-1944, 1988, S. 49-51, 68f.; D. Petzina, Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vierjahresplan, 1968, S. 172. - Die staatlichen Lohnsubventionen im britischen Bergbau in den 20er Jahren treten hiergegen in ihrer Bedeutung völlig zurück. Vgl. Supple, S. 322-325, 330, 407. 469 Mitchell, S. 218. 470 Jevons, S. XIII; hierzu auch bereits: T. Y. Hall, S. 25. 468
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V. Die technische Aneignung: Entwicklung und Einsatz der Technik
for economical working, and yet it has been contended with much force that for a river steamer, running only for a few months in the summer in a place where coal is cheap it is true economy to save the first cost by making use of the old-fashioned single-cylinder engine, even at the cost of a considerably increased coal-consumption. According to the same reasoning, in fitting up plant for a small field to last only for a few years with a small output, it may be best to fit up second-hand engines and cheap boilers ... Where it is not desired to invest a very large capital in a concern, arrangements may be justified which are not economical. In such a case care paid to the designing of arrangements may make it possible for improvements to be gradually made out of profits or otherwise when it is considered advisable to invest more capital in the concern. Carelessness in the attention to such details may put the colliery in the position of many which require such radical alterations to put them right that the owners hesitate to spend the money required.«471 Dennoch tendierte man wohl nicht selten, wie der Zeuge schon andeutete, zu der Möglichkeit der Finanzierung von Neuanlagen aus laufendem Einkommen. Dies traf sogar für so zentrale Bereiche wie den Ausbau der unterirdischen Transportwege zu, deren kurz- wie langfristige Bedeutung für den gesamten Betrieb eines Bergwerks wir oben bereits kennengelernt haben. So berichteten involvierte Sachverständige über das Sandweil Park-Bergwerk in Staffordshire kurz vor der Jahrhundertwende: »the company are laying out the new underground roads on an extensive scale. The Directors are encouraged by the present state of affairs. The recent selling prices have enabled them with the increased output to raise funds to carry out these new works«.m Trotz der möglichen und nicht selten tatsächlich eintretenden Folgen eines solchen Sparens und Streckens von Investitionen hielt derselbe Beobachter fest: >>The question of the expenditure involved must receive special attention, and it is worth while noting that a colliery where a large output can be got for a small capital may be a profitable undertaking over a series of years, even if it will not pay in bad times.«473 Ein anderer Zeitgenosse bestätigte ein solches Verhalten und sprach von >>colliery owners who, at the outset, at the beginning of a colliery, do not erect the best kinds of machinery, such as boilers, engines and pumps. These men are often most wasteful in their mode of producing power, as if the coal they burnt at the pit cost them nothing; also many colliery owners fail to adopt the best appliances for utilizing the whole of each coal-seam, and taking it to
Mitchell, S. 22lf. Staffordshire Record Office, D 564/7/4/41: S. & nach: R. W. Sturgess, Landownership, S. 182. m Mitchell, S. 218. 471
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J. Bailey an E.L. Thynne, 9. Dez. 1893, zit.
10. Das Verständnis von Technik und Ökonomie
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market in its best form. Perhaps it may not be too much to say that in these various kinds of inefficiency there is, in many cases, a loss of us much as 20 per cent.«474 Und noch kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges sah ein Beteiligter Anlaß zu den folgenden Feststellungen: >>Are our power plants just right, or is there an old engine somewhere which upon proper inspection proves to be a steam waster? Our attention must then be directed to the all-important question, is it going to pay to replace it? The old idea that anything was good enough for a colliery is dead, and deserved to die. Have we a screening plant expensive in upkeep and uneconomical in point of labour cost? Is there anything we can do to cheapen it? I have heard it said that some manufacturers are willing to spend L 500 in machinery to displace the labour of one man. Is such a principle not applicable to the coal industry? I am certain there is money in its application for many of us. But it might be said that the life of the colliery in question may not warrant the expenditure. The answer is simply this: It is a matter for calculation, and the manager of the future will find it extremely profitable to make many calculations of this kind. I believe that the surface plant of a colliery should be treated upon the same basis as the best factory, and we, as managers, have no right to be satisfied with less than the utmost economy and efficiency there.This is a dangen>the object of making a saving in working costs« hierdurch Gefahr lief, zum Teil verfehlt zu werden.5n Noch mehr als dreißig Jahre später jedenfalls hielt ein Beobachter fest: >> ... there was no doubt that there was often a reluctance on the part of the colliery managers to make adequate use of steel props, due to the initial expense and the immediate effect an costs.Up to the present, it has been the rule for colliery managers and colliery owners to look askance at all new inventions, and only to introduce them under conditions which meant as near safety for the colliery, in a financial sense as it was possible to go.It would be suicidal on the part of anyone sinking a new colliery not to put in the most up-to-date appliances for all purposes.«521 Angesichts des Einsatzes von und der Erfahrungen mit Schrämmaschinen stellte man schließlich in den 20er Jahren, wie wir bereits oben hörten, fest: >>The capital outlay, however, is but one item in the economical working of coal-cutting machines ... Where production is being intensified at the coal face this time factor is most important, and it is possible that, under such conditions, the most expensive machine in first cost will prove the most economical in the long run.« 522 Wie schwer aber den Beteiligten der zuriickzulegende Lernprozeß fiel und wie zäh und zugleich folgenreich er vonstatten ging, zeigt eine Äußerung aus dem Jahre 1909, die sich mit der Möglichkeit der Wiederverwendung des Dampfes der Fördermaschinen beschäftigt. >>It certainly«, stellt der betreffende Zeuge fest, >>does seemalarge amount of money- [, 7.000- to pay for machinery alone.
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J. Richardson, S. 175.
Hawksley, in: ebd., S. 192. Mitchell, S. 220. 520 J. Williamson, S. 119. 521 Dickson, in: NACM 1908/09, S. 225. 522 I. W. Cumberbatch, S. 111 f.
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V. Die technische Aneignung: Entwicklung und Einsatz der Technik
I have always understood the cost was somewhat high, and apparently it is so in this case. But that is only one phase of the question, for year by year you are getting a return on that amount of money. If you have an excellent return in service you are justified in spending seven, eight, or ten thousand pounds to get that return. I know one or two of my friends are thinking of making use of this auxiliary, but they are rather staggered at the first cost. This opens up a wide subject, and shows us how much yet remains to be done in Lancashire, where we have not as yet, to any great extent, gone into the by-product question. I only know of two or three comparatively small installations. There is, I think, an idea abroad that you cannot recover by-products without reducing the quality of the coke. That is the old idea, and I think it has been to a considerable extent disproved in other districts.«m Selbst noch in den 30er Jahren sahen Fachleute offensichtlich Anlaß zu der öffentlichen Feststellung, daß eine verbesserte Beleuchtung untertage, die eine >>natural sequence of intensive mining« 524 sei, aber schließlich doch (ab Ende 1936) durch gesetzgeberische Maßnahmen erzwungen werden mußte, >>would prove a very good investment to the owners«. 525 Denn einige »collieries had already installed high candle-power lamps as they realised the economy of such a step«.526 Und noch zu dieser Zeit war es in schlechten Phasen, wie wir bereits oben sahen, nicht unüblich, die Betriebskosten für ein Bergwerk insgesamt noch unter das absolute Minimum zu bringen, »at which it might work in a state of permanent efficiency«.527 Die mittelbaren Ursachen dieser oft kurzsichtigen Sparsamkeit in der Anschaffung und Unterhaltung von technischen Anlagen haben wir weiter oben aufzuzeigen versucht. Die unmittelbaren Beweggründe jedoch waren selbst für die Zeitgenossen schwer ausfindig zu machen. Diese Haltung sei, so führten frühe Beobachter aus, »as often as not ... stupid cupidity and carelessness«528 und sei "frequently owing to poverty, or avarice, to prejudice, or ignorance, and it is NACM 1908/09, S. 396; vgl. hierzu auch: oben S. 189f. NACM 1937/38, S. 101. 525 NACM 1934/ 35, S. 127. 526 NACM 1937/38, $. 101. Obwohl, wie sich ein Fachmann ausdruckte, seit ihrer Erfindung im Jahre 1816 ,.the general principle of the safety lamp remains unchanged«, wurden auch noch zu Ende der 1920er Jahre in einigen Betrieben selbst Kerzen benutzt und ihr Einsatz dariiber hinaus von Bergingenieuren verteidigt: »Candles are still in use in some collieries, and although the light given is not what could be wished, the worker can place the candle in almost any position and so get the full benefit of the light just where it is required. H the candJe gets knocked over, it is soon relighted, without examination and testing as in the case of a lamp. However, where lamps have (from the conditions prevailing in the mine) tobe used, the electric lamp is coming more and more into favour; the number in use has increased three times during the last ten years, while the number of oil-lamps has decreased by a sixth.« Vgl. Bramall, in: IME 74, 1927/ 28, S. 91. 527 NACM 1932/33, S. 458; oben S. 135. 528 So W.F. Howard, in: NEIME 20, 1870/71, S. 21. 523 524
10. Das Verständnis von Technik und Ökonomie
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as impolitic as it is disgracefuk 529 Noch beinahe ein dreiviertel Jahrhundert später, zu Ende des Ersten Weltkriegs, hieß es von Seiten der Bergingenieure: »Lack of capital and of inclination to spend were the greatest causes. ... there is the large capital cost relative to output as compared with British mining«. 540 Und bei aller Bewunderung für die technikfreundliche Haltung und technische Effizienz ihrer deutschen Kollegen konnte auch noch zum letzteren Zeitpunkt die folgende Einschätzung der britischen Bergingenieure nicht ausbleiben: >>The only debatable point is that whether for a country short of capitallike Germany, it is advisable for a heavy expenditure consequent on rationalisation to be put on the industry as it has been, all at once. This has put 1 s. 6 d. per ton on the cost; i. e. >depreciationModernise your collieries and bring them up to date.< He could prove that there were many modernized collieries losing money, whereas very many old and out-of-date pits were turning over a good profit.He was most impressed«, legte er nach einem Besuch im Ruhrgebiet vor seinen Kollegen dar, »with the faith of the German capitalists in their coal industry. The immense sums expended on modern power plants, and on the duplication of the most expensive engines, their lavish expenditure on experienced engineers and staffs of assistants, sprang from a faith in the permanent prosperity of the industry, which was rarely known with us. The pride of the German Colliery Manager was good to see - his certainty that his mining methods were unequalled and his knowledge beyond comparison, and his undoubted confidence in himself. This confidence arose largely from the strength of the Westphalian Coal Syndicate, which ensured him peace and quietness in which to work out his engineering problems, and enabled him to put his perfected schemes into practical operation. He was assured of full work at the pits in summer and winter, and this made possible many economies which were impossible with us. (Hear, hear.) Much criticism might be directed at the over-ornamentation of the newest collieries. Engine houses with stainedglass windows- (laughter)- marble dados, tesselated pavements, with ornamental doors over-topped with extended glass canopies, were extravagances that were out of place at a colliery; but the enormous centralised power plants serving pits working day and night, continuously produce huge outputs at a cheap cost notwithstanding this ornamental extravagance.«546 Die ungeschützte Konjunkturabhängigkeit in Großbritannien hatte, wie bereits ein früher Beobachter feststellte, eben ihre Folgen: >> ... in order to be in a position to take every advantage of favourable circumstances as they arise, nothing is of more importance than keeping dawn expenses, such as rent, interest of money, cost of management, and other current charges.>they had to admit that there was no industry in the country which employed more obsolete plant or methods than the coal industryjene Faktoren aufzuzeigen, die den tatsächlichen Entwicklungsprozeß eines Landes (sowie auf den jeweils erreichten Entwicklungsstand als temporären Ausschnitt aus diesem Entwicklungsprozeß) bestimmen.... Nur so lassen sich die- in den einzelnen Ländern sowohl quantitativ als auch qualitativ in unterschiedlicher Stärke bestehenden - Haupthindernisse einer beschleunigten Entwicklung herausfiltern« 1 und insgesamt der tatsächlich genommene Gang einer spezifischen industriellen Entwicklung aufzeigen und erklären. Weder für den Theoretiker oder Praktiker der heute so genannten Entwicklungsländer noch für den Historiker der heutigen Industrie- und ehemaligen Entwicklungsländer kann es ausreichen, spezifische Fälle einfach mit Begriffen wie Kapitalismus oder Sozialismus und wie Erster, Zweiter oder Dritter Welt zu belegen und sich auf die Feststellung allgemeiner Charakterzüge zurückzuziehen. Solche Ein- und Aufteilungen hatten und haben ihre Folgen. Sie betonen den Abstand und denUnterschied zwischen der einen Kategorie und der anderen und suggerieren Gleichheit oder zumindest Ähnlichkeit innerhalb der gebildeten Kategorien. Angesichts der fundamentalen Unterschiede gerade auch des alltäglichen Lebens zumindest in den nicht-industrialisierten Ländern von dem der industriellen mag eine solche Aufteilung als plausibel und sogar verständlich erscheinen. Sie hatte und hat jedoch noch eine weitere Folge. Der >>Übergang von der agrarischen zur industrialisierten Wirtschaft« wird, so stellte noch jüngst ein Wirtschaftswissenschaftler fest, oft >>als das >Natürliche< und Selbstverständliche betrachtet und folglich die Nichtindustrialisierung zum Explanandumrealtypischen< Modells ergibt sich für uns zweierlei: Die Entscheidungsträger der Betriebe und Unternehmen werden sozusagen im Nachhinein in den Stand versetzt, aus der Vielzahl der möglichen und tatsächlich vorhandenen die jeweils relevanten Faktoren und Faktorenkombinationen auszuwählen und zu bestimmen, und weiter: diese handlungsrelevant zu verknüpfen und zu deuten. Zum zweiten: Wir sind hierdurch zugleich imstande, die spezifische Rationalität, Wahrnehmungsformen und Werthaltungen der Entscheidungsträger einzufangen und diese sodann in ihrer Herkunft, Angemessenheit und Folgewirkung wieder auf die sachlichen Strukturen zu beziehen. Denn, so ergibt sich aus dem oben Gesagten, das Handeln der Entscheidungsträger ist auf die jeweilige technische oder kaufmännische Einheit gerichtet, und nicht auf die Gesamtwirtschaft oder gar den industriellen Prozeß als solchen. Dieser ist eben zwar, wie F. A. v. Hayek festhielt, >>Resultat menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfes«. 4 Die Rationalität des Handeins oder Verhaltens der hier in Frage stehenden Entscheidungsträger bemißt sich daher (zunächst) am jeweiligen Betrieb oder Unternehmen und ihren jeweiligen Zwängen und Bedürfnissen. Daher kann und muß die Rationalität der jeweils handelnden Zeitgenossen, und nur um eine solche geht es hier zunächst, von Betrieb zu Betrieb, von Unternehmen zu Unternehmen, von der individual- zur volkswirtschaftlichen Ebene und von dieser vollends zum Gesamtprozeß der Industrialisierung eine andere sein. Die Feststellung und Beurteilung, ob das Handeln der jeweiligen Entscheidungsträger >rationalRationalität< oder über die >Rationalität< wessen dort eigentlich Aussagen getroffen werden sollen.5
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E A. v. Hayek, The Results of Human Action but not of Human Design, in: ders., Studies in Philosophy, Politics and Economics, 1967, zit. nach: G . Hesse, Die Entstehung, S. 12. Unter >Rationalität< wird dabei hier eine spezifische verstandesgeleitete, an Zweckmäßigkeit orientierte, auf die Erlangung materieller oder ideeller Ziele gerichtete Beziehung des Subjekts zum Objekt verstanden. Jede Ausweitung dieses Begriffes über den jeweiligen individuellen Akteur und sein Denken und Handeln hinaus, sei es im personellen oder zeitlichen Umfang, unterliegt daher einem Akt der Konstruktion und Abstraktion. Individuelle und kollektive, kurz· und langfristige Rationalität sind nur im Ausnahmefall die gleichen Dinge. Entgegen dem optimistischen, harmonisierenden Lehrsatz Adam Smiths, daß der Gesamtnutzen am besten durch die optimale Verfolgung des jeweiligen Eigennutzens, die individuelle Rationalität also zur Deckungsgleiche mit der kollektiven (und langfristigen) Rationalität gebracht werde, widersprechen sich in der Realität, so wurde im Vorhergehenden allzu deutlich, die verschiedenen, nebeneinander her bestehenden Rationalitäten nicht selten. Was für den jeweiligen Akteur, sein Denken und Handeln >rationalrationales< Ergebnis hervorgehen und umgekehrt. Mehrere >Rationalitäten< bestehen also nebeneinander her.
262
VI. Eigengewicht, Wirkungsmacht und Reichweite der sachlichen Strukturen
Aber auch die hier angestrebte Ebene der Selbstaussagen der beteiligten Akteure bleibt nicht ganz frei von Problemen: Von den jeweils getroffenen Entscheidungen und gegebenen Begrundungen können, angesichts der Position und der Interessenlage der Beteiligten, nicht eventuelle >Rationalisierungenrationales< Verhalten und Handeln der beteiligten historischen Akteure geschlossen wird. Während die erste, langfristige Linie der Rationalität nur indirekt durch den - hypothetischen - Vergleich mit anderen Ländern, also auch anderen •objektiven< Verhältnissen gewonnen wurde und wird, wäre die zweite Annahme, welche die mangelnde Rationalität der jeweiligen Akteure betrifft, noch systematisch empirisch zu belegen. Dies ist bisher jedenfalls nicht geschehen. Es bleibt tatsächlich nämlich selbst die Frage, ob zum Beispiel ein deutscher Unternehmer, der in Großbritannien aktiv geworden wäre, sich unter den dort herrschenden Verhältnissen anders verhalten und gehandelt hätte, als ein britischer. Abgehoben von und •oberhalbRationalität< im historischen Kontext.
1. Die natürlichen Bedingungen
263
wirkungen zwischen diesen aufzuzeigen. Sich stützend auf die dort gegebenen konkreten Informationen und diese gezielt verdichtend, soll im folgenden nunmehr untersucht werden, wie groß Eigengewicht und Reichweite dieser sachlichen Strukturen im Industrialisierungsprozeß tatsächlich waren. Dieses Vorgehen zielt zugleich auf den Versuch ab, am empirischen Beispiel Determinanten - und die von ihnen ausgehenden Kausalketten - des wirtschaftlichen Wachstums, des Prozesses und der Institutionen der Industrialisierung und der industriegesellschaftlichen Entwicklung überhaupt zu gewinnen. 6
1. Die natürlichen Bedingungen Zu allererst ist natürlich die Tatsache entscheidend, daß es Kohlevorkommen in Großbritannien überhaupt gab, und sodann, daß diese - rechtzeitig - entdeckt wurden. Denn, so kann man im Nachhinein nüchtern festhalten: »Die fossile Energie war die energetische Basis der Industriellen Revolution; sie wäre ohne Kohle nicht möglich gewesen.>Simplicity, facility and cheapness« entsprachen, hatten die innerbetriebliche vertikale und horizontale Arbeitsteilung gering gehalten, die Betriebsstruktur wenig entfaltet sowie die Organisation wie auch das Verständnis von und die Fähigkeit zu dieser - im Vergleich etwa zum deutschen Bergbau - unterentwickelt gelassen. System und Organisation ebenso wie Sorgfalt und Aufmerksamkeit im Detail oder auch ein stabiles und ausgefeiltes System von Delegation und Kontrolle erschienen lange Zeit ebensowenig notwendig wie entwickeltere technische Anlagen. Fehlentscheidungen, Ineffizienz und mangelnde Vorbereitung, sei es für den Einsatz von Maschinen oder Menschen, konnten daher nicht ausbleiben, und die mit ihnen einhergehenden Enttäuschungen bremsten ihrerseits das Vertrauen in die Technik. Doch war das- überlieferte- System offensichtlich und lange Zeit dazu fähig, diese Mängel und ihre Resultate zu ertragen. Erst das Nachlassen der Gunst der natürlichen Verhältnisse und die, wie wir im Nachfolgenden sehen werden, mit ihm einhergehende Tendenz zum Großbetrieb ließ, anders als in Deutschland, alle mit der sich jetzt unausweichlich entfaltenden Struktur und Organisation der Betriebe sich stellenden Probleme und Rückständigkeiten auf einmal in Erscheinung treten. Der nunmehrige Umfang der Betriebe und Unternehmen sowie die zunehmend komplizierter und kostspieliger werdenden technischen Anlagen, die überdies immer mehr in (fast untrennbaren) Zusammenhang miteinander traten, verstärkten unmißverständlich das Bedürfnis nach Langfristigkeit, verbreiterten deutlich das bisherige Spektrum der Aufgaben, erhöhten die 13
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Hier könnte auch die von David Landes festgestellte, relative Verselbständigung der Technik aufseitender deutschen Unternehmer ihre Erklärung finden. Vgl. D.S. Landes, The structure of enterprise in the Nineteenth Century. The cases of Britain and Germany, in: International Congress of Historical Sciences, Rapp. Bd. V, 1960, S. 107-128, S. 121, 128. Vgl. S. Mavor, Die maschinelle Kohlengewinnung in Südwales, 1912, S. 11.
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VI. Eigengewicht, Wirkungsmacht und Reichweite der sachlichen Strukturen
Dringlichkeit und Genauigkeit ihrer Ausführung und forderten darüber hinaus ein ungleich höheres Maß an Planung und Organisation, an Delegation und Kontrolle, an Ausbildung und Zuverlässigkeit, an Aufmerksamkeit und Sorgfalt, an Interesse und Engagement. Und gerade auf Seiten des Managements erhöhten sie die Dringlichkeit und regelmäßige Wiederkehr von Maßnahmen zur Zusammenfassung, Kombination und Integration ebenso wie die Fähigkeiten der Menschenkenntnis, Menschenbehandlung und Motivation. Die - auch nur denkbare- Erfüllung aller dieser, an Umfang und Anzahl wachsenden Aufgaben, blieb, so wurde klar, oft genug eindeutig hinter den tatsächlichen Anforderungen zurück. Und hierdurch verstärkte sich der nicht selten ohnehin bereits vorhandene Zweifel an der Leitbarkeit und insgesamt der Leistungsfähigkeit von Großbetrieben und Großunternehmen überhaupt. 15 Im deutschen Bergbau dagegen hatte sich der Großbetrieb als typische Organisationsform mit all seinen Eigenschaften bereits etwa ein halbes Jahrhundert früher durchgesetzt. Für die Bewältigung der nachfolgenden Probleme und Aufgaben, wie etwa der Mechanisierung der Kohlengewinnung, waren somit mehr Raum und Zeit, auch innerhalb der einzelnen Betriebe und Unternehmen, vorhanden. Doch hatte es hier auch nie eine Aversion gegen große technische und kaufmännische Einheiten gegeben. Vielmehr begrüßten hier die Leitenden von Anfang an, bereits mit dem Motiv der Selbstversorgung (durch die Schaffung entsprechender Stellen), 16 aber auch aus einer ganzen Reihe anderer Gründe die - frühe - Herausbildung und Weiterentwicklung großbetrieblicher Strukturen.17 Tatsächlich war auch im britischen Bergbau die Herausbildung des Großbetriebs, so sahen wir, unausweichlich. Die zunehmend schwierigere - und damit kostspieligere - Erreichbarkeit ebenso wie die abnehmende Qualität (und Reinheit) der Kohle erforderten deutlich größere technische Vorleistungen und Anlagen und damit - mit Abstand gegenüber dem Vorhergehenden - höhere finanzielle Aufwendungen. Diese Entwicklung wiederum machte die Vergrößerung der jeweiligen Abbaugebiete, eine Verlängerung der Lebensdauer der Betriebe und schließlich die Erhöhung der Produktion pro Betrieb und Zeiteinheit notwendig. Dies brachte nicht nur eine größere Kapazität und erhöhtes Tempo der technischen Anlagen mit sich, sondern auch eine größere Konkurrenz zwischen und eine höhere Konjunkturanfälligkeit der Unternehmen, eine - wie wir vor15 Zu dieser letzteren Tendenz in der britischen Industrie insgesamt vgl. L. Hannah, Managerial
Innovation and the Rise of the Large-Scale Company in Interwar Britain, in: EHR 27, 1974, S. 252-270, S. 253-256; auch: S. Yonekawa, The Strategy, S. 237. 16 Vgl. hierzu: M.D. Jankowski, Public policy in industrial growth. The case of Ruhr Mining Region, 1776-1865, 1977, S. 225; Berg, S. 437f. 17 Vgl. etwa: L. Tübben, Die Betriebsvereinigungen beim Steinkohlenbergbau im Ruhrkohlenrevier, ihre Ursachen, sowie ihre nationale und soziale Bedeutung, in: Zeitschrift für Bergrecht 40, 1899, S. 172-193.
1. Die natürlichen Bedingungen
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her sahen - Ausdifferenzierung der Struktur und Verfeinerung der Organisation der Betriebe und Unternehmen und insgesamt das Bedürfnis nach Langfristigkeit, Planung, Stetigkeit, Übersichtlichkeit und Berechenbarkeit.18 Damit war auch im britischen Bergbau der Punkt erreicht, an dem Jahrzehnte früher auch der deutsche gestanden hatte. Während man hier jedoch den Anforderungen und Bedürfnissen des Großbetriebs durch eine relativ frühe Karteliierung - mit allerdings ähnlichem zeitlichen Abstand zum Auftreten der Probleme entgegenkam, bewältigte man diesen Schritt in Großbritannien erst, so sahen wir, zu Ende der 1930er Jahre, also fast ein halbes Jahrhundert später. Dies lag nicht nur an der größeren und länger anhaltenden Gunst der natürlichen Bedingungen, sondern auch an den späten, unzeitgemäßen Folgen dieser Verhältnisse. Die große Zahl und die Unterschiedlichkeit der Betriebe und Unternehmen einerseits und das oftmals bis zu Neid, Mißgunst und Kompromißlosigkeit erstarrte Konkurrenzbewußtsein zwischen diesen andererseits ebenso wie die geringe Rolle der Banken und nicht zuletzt auch der mangelnde Glaube an ihre Möglichkeit und Durchführbarkeit ließen Zusammenlegungs- und Kartellierungsbestrebungen, selbst unter dem Druck der Gewerkschaften und des Staates, geraume Zeit scheitern. Die Auswirkungen liegen auf der Hand; und das, was zum Beispiel der Ruhrbergbau in der Zeit vor 1893 durchzumachen hatte, stand dem britischen Bergbau nach Abschluß des Ersten Weltkrieges erst noch bevor. Wenn auch derzeitliche Abstand zwischen dem Auftreten der Probleme und dem Finden der Lösung in beiden Fällen relativ ähnlich war, so war gleichwohl der Zeitpunkt für die Art der gefundenen Lösung im internationalen Vergleich für ein industrielles Nachfolgeland wie Deutschland früh und, entsprechend, prägend. Die Abweichung vom Vorbild und vom Weg der first industrial nation, ebenso wie von zentralen Elementen der (neo-)klassischen ökonomischen Theorie, war damit zugleich vorprogrammiert. So sehr auch die naturgegebenen Bedingungen und ihre Auswirkungen auf eine solche Lösung hindrängten, so schwierig gestaltete sich der konkrete Weg dorthin. Selbst im deutschen Bergbau, wo in der Zeit vor 1850 der Staat im Zeichen des Direktionsprinzips Förderhöhe, Preise und Löhne weitgehend kontrollierte und auf den Absatz abstimmte, und wo erste entsprechende Versuche bis in die 1820er Jahre zurückreichten,l9 stellte die Karteliierung in den Augen etwa von Gustav Schmoller »eine Revolutionierung der Verfassung der deutschen Volkswirtschaft« dar. 20 Und obwohl Lujo Brentano von der »in unserer Produktion herrschenden Anarchie«21 und Schmoller von einer »überspann-
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Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
hierzu auch oben S. 159. Berg, S. 92ff. Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 116, 1906, S. 270. ebd., Bd. 61, 1895, S. 182.
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VI. Eigengewicht, Wirkungsmacht und Reichweite der sachlichen Strukturen
ten Konkurrenz« sprachen, die »Vielfach lähme, zerstöre und wirtschaftliche Vergeudung bedeute«22 , hatte die Karteliierung für die Zeitgenossen auch hier zunächst etwas »Peinliches« und »Genierliches« an sich, das nichts Gutes von Seiten der Öffentlichkeit und Staates, aber auch der übrigen Industriezweige erwarten ließ. 23 Aber ebenso von Seiten der unmittelbar Beteiligten wurden dieser Entwicklung auch hier bis zuletzt nicht geringe Hindernisse in den Weg gelegt. Eine nicht unbedeutende Minorität von Zechen, besonders die größeren und stärkeren, aber auch solche, die gerade erst in Förderung gingen, glaubten weiterhin, daß freier Wettbewerb für sie von Vorteil sei. 24 So vermochte noch im Dezember 1892, also wenige Wochen vor Abschluß des Syndikatsvertrages des RWKS, ein langjähriger Gewerke der Zeche >Graf MoltkeGraf Moltke< darf man ein solches Opfer nicht verlangen, denn für uns würde der Beitritt nur eine vermeintliche Wohltat sein.... Es ist also die in den Syndicatsbestrebungen vorgesehene Bestimmung, die Förderung durch vorzunehmende Einschränkung zu fixieren, für die Zeche >Graf Moltke< undurchführbar und eine die Rentabilität des Werkes geradezu vernichtende Bedingung, und die enormen durch die vielfachen die Zeche betroffenen Mißgeschicke gezahlten Zubußen würden dem Allgemeinwohl geopfert sein, ohne in absehbarer Zeit auch nur Aussicht auf Wiedererlangung auch nur eines Theiles derselben zu haben ... «25 Ein weiteres Hindernis bestand in der Tatsache, daß, wie ein späterer Beobachter formulierte, >>die Direktoren der Zechen, wenn sie das Verkaufsgeschäft an das Syndikat abgeben sollten, eigentlich den interessantesten Teil ihrer Beschäftigung verloren. Wer verkaufen wollte, der mußte reisen und Freundschaft pflegen; das sollte nun mit einem Schlage wegfallen, und dies war vielleicht für die Zechenleiter äußerlich und innerlich die wichtigste Wandlung, die ihnen mit der Syndikatsgründung bevorstand.«26
Ebd., Bd. 116, 1906, S. 249. Vgl. hierzu: V. Muthesius, Ruhrkohle 1893-1943. Aus der Geschichte des Rheinisch-Westfälischen Kohlen-Syndikats, 1943, S. 29f., 32, SSf. 24 Vgl. hierzu etwa: D.F. Crew, Bochum. Sozialgeschichte einer Industriestadt, 1860-1914, 1980, s. 37. 25 Zit. nach: V. Muthesius, Ruhrkohle, S. 54f. 26 Muthesius, S. 59f.
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1. Die natürlichen Bedingungen
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Hieran schließen sich sogleich die praktischen, betriebs- und unternehmensinternen Folgen der Kartellierung, d. h. der Abschaffung von Konkurrenz, an. Aus britischer Sicht, und zwar nicht nur aus derjenigen der Theorie, hatte bereits Adam Smith formuliert: »Monopoly ... is a great enemy to good management, which can never be universally established but in consequence ofthat free and universal competition which forces everybody to have recourse to it for the sake of self-defence.«27 Für die deutsche Seite hielt der bereits zuvor genannte Beobachter im Jahre 1943, also nach SOjähriger Laufzeit des Kartells, jedoch fest: »Die technische Entwicklung ist gerade im Ruhrbergbau keineswegs zu kurz gekommen. Man könnte vielleicht umgekehrt eher behaupten, daß das Syndikat mit der Zentralisierung des Verkaufs, durch die es den Zechenleitern einen großen Teil ihrer früheren Aufgaben abnahm, ihnen zugleich den Kopf richtig frei gemacht hat, um sich ganz der fortlaufenden Rationalisierung zu widmen, abgesehen davon, daß eine stabile Preispolitik durch die Sicherung ausreichender Erlöse überhaupt erst die materielle Grundlage dafür geschaffen hat, Rationalisierungspläne auf lange Sicht zu verwirklichen. Tatsächlich war ja die große Mehrzahl der Ruhrzechen vor der Syndikatsgründung gar nicht in der Lage gewesen, sich technisch so weiterzuentwickeln, wie die laufende Steigerung der Qualitätsansprüche es eigentlich verlangt hätte, und auch rein mengenmäßig wären die Ruhrzechen nicht imstande gewesen, die Anforderungem, die die wachsende deutsche Volkswirtschaft an sie stellte, zu erfüllen, wenn eben nicht die Syndikatsgründung mit der Beendigung der Schleuderei und der Sicherung ausreichender Erlöse die finanziellen Voraussetzungen dafür geschaffen hätte, daß die Zechenleiter Betriebsverbesserungen und -erweiterungen nicht nur auf dem Papier planen, sondern auch in die Tat umsetzen konnten.«28 Die Abschaffung der Konkurrenz zwischen den beteiligten Unternehmen und die gezielte Überbrückung der Konjunkturen29 hatte nicht nur diese technischen Auswirkungen zur Folge, sondern auch eine insgesamt langfristige Perspektive,30 eine Verstärkung horizontaler und vertikaler Konzentration, die A. Smith, The Wealth of Nations (1776), hrsg. v. E. Cannan, 19652 , S. 147. Muthesius, S. 244. Bereits drei Jahrzehnte zuvor hatte K. Wiedenfeld zu den Folgen von KartelIierung festgehalten: »Auch bietet gerade die Ruhe der Preisbewegung, die mit einer gewissen Stetigkeit der Gewinne rechnen läßt, nach allen Erfahrungen unserer Großindustrie einen starken Anreiz, technische Versuche selbst teuerer Natur ausführen zu lassen, wozu bei schlechtem Geschäftsgangtrotz des rein technischen Bedürfnisses kein Geld dazusein pflegt. Der Wettbewerb hat da eine geradezu initiativ-tötende Wirkung, während anderseits gerade in Deutschland das technisch-wissenschaftliche Interesse des Unternehmertums zusammen mit der Aussicht, bei gleichbleibenden Preisen und gleichbleibenden Absatzmengen doch durch technische Verbesserungen den Gewinn zu erhöhen, noch immer genügt hat, dem technischen Fortschritt den Weg zu bahnen.« Vgl. K. Wiedenfeld, Die Kaliindustrie und das Reichskaligesetz, in: SchmollersJb. 35, 1911, S. 1971-2028, S. 2001.- Vgl. hierzu auch die gleichlautenden Beobachtungen eines britischen Bergingenieurs oben S. 257. 29 Vgl. ebd., S. 164f.; Berg, S. 96f. 30 Alfred Hugenberg z. B., der langjährige Vorsitzende des Bergbauvereins, sprach zur Mitte der 1920er Jahre abschätzig von ,.kapitalistische[r] Augenblickspolitik«. Vgl. P. Osthold, Die Ge27
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Verdrängung eines unabhängigen Handels, eine einseitige Festlegung der Lieferbedingungen inklusive der entschädigungsfreien Vertragsaussetzung im Falle von Streiks31 sowie eine stärkere Stellung gegenüber Arbeitnehmern und Staat. Im britischen Bergbau dagegen hatte die Gunst der natürlichen Bedingungen Kartellierungsbestrebungen lange Zeit ebenso unnötig wie - durch die Zahl der Unternehmen und Reviere - unmöglich gemacht. Die Gunst verringerte sich erst mit der >Verspätung< (gegenüber Deutschland) von etwa einem halben Jahrhundert. Den deutschen Kartellierungsbestrebungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entsprachen somit die britischen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wie zuvor im deutschen Bergbau - und mit ähnlichen Folgen, so zog im britischen die ungebrochene Herrschaft von Konkurrenz und Konjunktur eine insgesamt kurzfristige Perspektive und ein Bewußtsein von - wie Adam Smith es formuliert hatte - >>self-defence« nach sich. Diese Orientierungen jedoch, so sahen wir, standen in zunehmendem Maße den großbetriebliehen Bedürfnissen zumindest des Bergbaus entgegen. Daß diesen - trotz des ständigen Vor-Augen-Stehens der deutschen Lösung32 - erst so spät entsprochen wurde, ist nicht schwer zu verstehen. Neben den Hindernissen, die wir bereits für den Ruhrbergbau kennengelernt haben, haben wir es hier immerhin mit der Tatsache zu tun, daß Großbritannien eben nicht nur das Ursprungsland des industriellen (Konkurrenz-)Kapitalismus, sondern auch der klassischen ökonomischen Theorie ist, für die das Moment der Konkurrenz - nach wie vor bis zum heutigen Tage - ein zentraler Bestandteil ist. In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts jedoch sah ein Betriebsleiter im britischen Bergbau, wie zuvor im deutschen, sich schließlich gezwungen auszurufen: >>Complete freedom which involved free competition and unlimited price cutting ... meant chaos.«33 Erst unter dem Druck ausbleibender Rentabilität und der Gewerkschaften, vor allem aber durch die Zwangsmaßnahmen des Staates wurden die Bergbauunternehmer nunmehr auch hier unter das schützende und stabilisierende Dach eines zentralen Kartells geführt. Anders als in Deutschland war hier jedoch der·Weg von der privatwirtschaftliehen zur gesamtwirtschaftlich-politischen Kontrolle durch den Staat nicht mehr weit.
schichte des Zechenverbandes, 1908-1933. Ein Beitrag zur deutschen Sozialgeschichte, 1934,
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s. 45.
Vgl. auch unten S. 372. Vgl. etwa: Berg, S. 150; Supple, S. 226, 258 f.; R. C. Smart, The economics of the coal industry, 1930, s. 55, 59-61, 160. Vgl. oben S. 137.
2. Die bergbauliche Betriebsweise
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2. Die bergbauliche Betriebsweise Während die natürlichen Bedingungen jeweils regions- oder landesspezifische sind, ist die Betriebsweise- zunächst einmal- spezifisch für den jeweiligen Industrie- bzw. Gewerbezweig. (Erst der Vergleich zwischen verschiedenen Industrien und Gewerben könnte sodann Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten und eventuell allgemeinere Typen von Betriebsweisen entwickeln.) Beide gehen im jeweils konkreten Falle eine ebenso natürliche wie unmerkliche - oder besser: unbemerkte - Verbindung miteinander ein. Und erst durch die analytische Abtrennung voneinander bemerken wir die Eigengesetzlichkeit und die Wirkungskraft beider Elemente. Auch die bergbauliche Betriebsweise hatte zwangsläufig auf den natürlichen Bedingungen aufzubauen, Da es sich, anders als in der Landwirtschaft, bei Bodenschätzen, ebenso im betrieblichen wie im regionalen oder nationalen Maßstab, um erschöpfliche, nicht reproduzierbare Güter handelt, ist jeder Bergbaubetrieb grundsätzlich und zunächst ein, wie bereits die Zeitgenossen feststellten, >>wasting asset«. Zum Zeitpunkt der Erschöpfung seien die Schächte, »the sinking of which have cost [mit ca. 40%] a large part of the capital, ... then of no value, and possibly a further expense will be entailed in filling them uponly a removable value, and much of it can only be sold as scrap.Shafts must be sunk deeper, galleries driven farther, greater power applied to keep them clear of water, the produce must be lifted from a greater depth or conveyed a greater distancewill further restriet the market and lessen demand«,43 sei es auf kürzere oder gar auf längere Sicht. Resultat dieser Situation war fast in der Regel, daß auch in Zeiten geringer Nachfrage und niedriger Preise die Förderung nicht eingedämmt, sondern im Gegenteil noch vergrößert wurde. Über Ursachen und Folgen dieses übermäch-
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Vgl. etwa auch: Muthesius, S. 90. Muthesius, S. 88. Vgl. oben S. 138.
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tigen und scheinbar unbeeinflußbaren Mechanismus waren sich bereits die Beteiligten im klaren. So bedeutete z. B. nach einem Bericht der Handelskammer Bochum für das Jahr 1879 »die nicht unbeträchtliche zur Erzielung mäßiger Selbstkosten erfolgte Zunahme der Förderung ... nichts Anderes, als daß die werthvolle Substanz unserer Kohlenlager zum Theil ohne Gewinn, oft sogar ohne die Selbstkosten zu decken, verschleudert werden mußte. Und doch ist der Verlust eines Theiles der Selbstkosten das geringere Übel gegenüber einer die Betriebsausgaben erheblich steigernden bedeutenden Einschränkung oder der vollständigen Einschränkung des Betriebes.econornies of scale< vgl. auch unten S. 392 ff. 73 Oben S. 249. 74 So Heinrichsbauer, Harpener Bergbau AG, S. 115. 75 So Muthesius, S. 244.
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VI. Eigengewicht, Wirkungsmacht und Reichweite der sachlichen Strukturen
hatte, nämlich >>Stets darauf sorgfältig bedacht zu nehmen, daß die zweckmäßigsten Maschinen hergestellt, die möglichst vollkommene Fabrikationsmethode angewandt werde«, und, fast wie Begründung und Erklärung zugleich, folgt weiter: >>Es ist ... mit sorgsamer Aufmerksamkeit wie in der Voraussicht so in der Ausführung und Kontrolle darauf zu achten, daß keine Stockungen eintreten und keinerlei Überraschungen vorkommen, daß jedes Bedürfnis die Befriedigung vorbereitet finde.« 76 Hohe Kapitalbelastung bewirkte hier zu früher Zeit technische (und organisatorische) Effizienz, und beide drangen auf langfristige Orientierung und entsprechend - mit Erfolg - auf einen frühen Ausgleich der Konjunkturen.
4. Die Herrschaft der Gesetze des freien Marktes Der Gang der wirtschaftlich-industriellen Entwicklung hing (und hängt) nicht nur von den naturgegebenen Bedingungen, sondern auch von den gesamtgesellschaftlich gesetzten Normen ihrer Aneignung ab. So früh wie in keinem anderen Land entsprach, wie anderenorts festgehalten wurde, einer politischen Kompromißhaltung »ökonomisch ein weitgehendes Gewährenlassen des Wirkens von privatem Eigeninteresse, so daß sich hier der Markt als wirtschaftlich integrierende und sozial synthetisierende Instanz ausdifferenzieren konnte. Die Tatsache, daß England politisch eine Gleichgewichtsstruktur bildete und ökonomisch in einer Weise, wie es nie zuvor möglich war, Marktprinzipien gelten ließ - und dies heißt universalgeschichtlich, daß sich der Markt hier als tendenziell einziges Zentrum ökonomischer Interaktionen überhaupt erst konstituierte - machte es möglich, daß spontan und experimentell eine Entwicklung einsetzte, die in anderen Ländern mit Hilfe politischer Maßnahmen kopiert werden sollte.«77 Der lange herrschenden Realität entsprach, gleichsam als ideologischer Brückenkopf in die Moderne, in das industrielle Zeitalter, die ökonomische Theorie. Für Adam Smith und seine Nachfolger war und blieb ein offener, möglichst unbeschränkter Markt das zentrale Element ihrer Lehre, um das sich wesentliche Aussagen und Annahmen über Vorhandensein und Verhalten von Marktpartnern und Marktfaktoren herumgruppierten. Auf dem Markt erscheinen die Güter als - einander gleichgeordnete - Waren, die durch Tausch miteinander in Verbindung treten. Hierzu gab, wie Adam Smith annahm, die natürlich ange-
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General-Regulativ für die Firma Friedr. Krupp, zit. nach: E. Schröder, Alfred Krupps Generalregulativ, in: Tradition 1, 1956/57, S. 35-57, S. 42 (§§ 2 und 3); vgl. hierzu auch oben Anmerk. 13, 28. Sieferle, Der unterirdische Wald, S. 131. Vgl. hierzu auch das von Macpherson bereits für das England des 17. Jahrhunderts entwickelte Modell der •Eigentumsmarktgesellschaft«. C. B. Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus. Von Hobbes bis Locke, 1973, S. 68ff.
4. Die Herrschaft der Gesetze des freien Marktes
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legte Neigung des Menschen zur Arbeitsteilung den Anlaß. >>This division of labour«, so formulierte er, ,,from which so many advantages are derived, is not orginally the effect of any human wisdom, which foresees and intends that general opulence to which it gives occasion. It is the necessary, though very slow and gradual, consequence of a certain propensity in human nature which has in view no such extensive utility; the propensity to truck, harter, and exchange one thing for another.>almost constant occasion for the help of his brethrenin vain for him to expect it from their benevolence only. He will be more likely to prevail if he can interest their self-love in his favour, and shew them that it is for their own advantage to do for him what he requires of them. Whoever offers to another a bargain of any kind, proposes to do this. Give me that which I want, and you shall have this which you want, is the meaning of every such offer; and it is in this manner that we obtain from one another the far greater part of those good offices which we stand in need of. It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest. We adress ourselves, not to their humanity but to their self-love, and never talk to them of our own necessities but of their advantages.>Taking commerce as the free growth of the instincts of gain, we find it resolved into a case of complex attractions and perturbations, as between several gravitating b0dies.>As soon as stock has accumulated in the hands of particular persons, some of them will naturally employ it in setting to work industrious people, whom they will supply with materials and subsistence, in order to make a profit by the sale of thelr work, or by what their labour adds to the value of the materials. In exchanging the complete manufacture either for money, for labour, or for other goods, over and above what may be sufficient to pay the price of the materials, and the wages of the workmen, something must be given for the profits of the underA. Smith, The Wealth of Nations, S. 13. Ebd., S. 14. Zu diesen für seine Zeit genossen keineswegs außergewöhnlichen, in der späteren wissenschaftlichen Literatur jedoch umso mehr kritisierten Annahmen vgl. die treffenden Bemerkungen von F. A. Hayek, Wahrer und falscher Individualismus, in: ders., Individualismus und gesellschaftliche Ordnung, 1976, S. 9-48, S. 15-28. 80 Jevons, The Coal Question, S. 333. 78 79
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taker of the work who hazards his stock in this adventure.... He could have no interest to employ them, unless he expected from the sale of their work something more than what was sufficient to replace his stock to him; and he could have no interest to employ a great stock rather than a small one, unless his profits were to bear some proportion to the extent of his stock.The consideration of his own private profit, is the sole motive which determines the owner of any capital to employ it either in agriculture, in manufactures, or in some particular branch of the wholesale or retail trade. The different quantities of productive labour which it may put into motion, and the different values which it may add to the annual produce of the land and labour of the society, according as it is employed in one or other of those different ways, never enter into his thoughts.> ... before people with capital can be expected to lay out the large sums of money required for a modern colliery, they will have to feel fairly secure as to the future, and that they will be able, if the undertaking should be a success to obtain a fair return for their money ... Commerce and industry cannot be carried on but by gain - by a return exceeding the outlay.«107 Und das Kriterium für den Erfolg eines Unternehmens war, zumindest in den Augen der - tatsächlichen und potentiellen - Kapitalgeber, nicht so sehr technische Effizienz oder auch überhaupt das Sich-Behaupten-Können am Markt, sondern vielmehr die Höhe der erwirtschafteten und: ausgeschütteten Rendite. Das eindrucksvoll bezeugte, hohe Interesse der Kapitalbesitzer an der Spekulation und am individuellen Gewinn, das zunehmend ganze Scharen von Individuen zu diesem Tun zusammenführte, sorgte dafür, daß einerseits ein hoher Grad von Initiative und Risikobereitschaft, von Spontaneität und Flexibilität, andererseits ein nicht geringes Ausmaß von Bewegung und Kurzatmigkeit, von Unberechenbarkeit und Kurzfristigkeit, von Unüberschaubarkeit und manchmal sogar Betrug auf dem Kapitalmarkt vorhanden waren und von ihm ausgingen. Zusammen mit den Konjunkturschwankungen und deren Auswirkungen bedeutete dies eine Unsicherheit und Unregelmäßigkeit in der Kapitalzufuhr und insgesamt eine kurzfristige finanzielle Erfolgsrechnung der Unternehmen. Diese Situation machte sich wiederum auf dreierlei Weise bemerkbar: In konjunkturell günstigen Phasen mit hohen Gewinnen und Gewinnraten war regelmäßig viel Kapital vorhanden, oftmals zuviel, um auf Dauer sinnvoll angelegt werden zu können. Für Vorhaben mit nur langfristigen Gewinnaussichten wie etwa die Entdeckung und Verifizierung neuer Kohlenfelder fanden sich häufig keine - privaten - Interessenten, 108 und eine unvorhergesehene Verlängerung der Abteuf- und Gewinnungsarbeiten brachte die beteiligten Unternehmen fast regelmäßig in große finanzielle Schwierigkeiten, mit der nicht selten eintretenden Folge unrationellen Abbaus und der Vergeudung von Bodenschätzen. Und zum dritten schließlich gab es die langen Zeiten der Baisse, in denen kein oder nur wenig Kapital zu mobilisieren war. Dabei hatten die Punkte 2 und 3 ähnliche Auswirkungen: Oft genug fehlten die finanziellen Mittel zu einem umfangreicheren und rechtzeitigen Einsatz der Technik, oder aber die Festlegung solcher Mittel wurde gescheut. Und die Tatsache, daß so viele Unterneh-
Oben S. 124 f. Vgl. Jevons, S. 56. 108 Vgl. hierzu z. B.: J. S. Jeans, in: ICTR 1894, S. 807. 106
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VI. Eigengewicht, Wirkungsmacht und Reichweite ·der sachlichen Strukturen
men in Schwierigkeiten gerieten, führte dazu, daß ein regelrechter Markt zum Verkauf bzw. Kauf von bereits verpachteten Abbaurechten und -feldern, von Bergwerksanteilen und von ganzen Betrieben oder Unternehmen existierte. Die starke Bewegtheit und Fluktuation auf dem Kapitalmarkt standen jedoch in wachsendem Widerspruch zu den Bedürfnissen des sich spät, aber unausweichlich herausbildenden Großbetriebs. Im deutschen Bergbau hatte dieser ebenfalls vorhandene, jedoch zu weit früherer Zeit sich entwickelnde Widerstreit in eine frühzeitige, mit der Rentabilität auch die Wogen des Kapitalmarkts glättende Karteliierung gemündet. Zudem hatten hier die fast von vornherein großen Kapitalien zu einer Längerfristigkelt der Rentabilitätserwartung und des Anlageverhaltens geführt. Die Zwänge jedoch waren die gleichen: Das hohe Ausmaß des aufzuwendenden bzw. aufgewandten Kapitals, die Anschaffungskosten der eingesetzten Technik ebenso wie die steigenden laufenden und U nterhaltungskosten der Bergwerke und der Maschinen sorgten ihrerseits nicht nur für einen weiteren Einsatz verbesserter und teurerer Technik, sondern - neben einem erhöhten Tempo - auch für die typisch großbetriebliehen Bedürfnisse der ungestörten Dauerhaftigkeit, Regelmäßigkeit und Langfristigkeit, der - relativen - Stabilität, der Berechenbarkeit, Zuverlässigkeit und Übersichtlichkeit. Die früh etablierten und kaum zu bändigenden Kräfte des freien Marktes jedoch waren nicht dazu imstande, diesen Bedürfnissen nachzukommen: Die KartelIierung kam zu spät, um die Nationalisierung zu verhindern. Denn diese bedeutete ja gerade die Stillegung der Kräfte des freien Marktes, nämlich die Aufhebung der individuellen zugunsten einer kollektiven, der dezentralen zugunsten einer zentralen, der privaten zugunsten einer staatlichen Verfügung, einer Verfügung, die sich eben nicht mehr gegenüber den Kriterien des individuellen Gewinns, sondern gesamtwirtschaftlich zu bestimmenden Wertmaßstäben zu legitimieren hatte und hat. b) Der Boden Was für das Kapital zutraf, galt auch für die Bodenschätze: »Üwners of mineral property, have, of course, as free a band in dealing with their minerals as capitalists have in dealing with their money, and they might be expected to endeavour to make the best terms they can for the wares that they have to sell.« 109 Während die Bodenschätze in den Ländern des europäischen Kontinents grundsätzlich dem Hoheitsrecht des Staates unterlagen, standen sie in Großbritannien, bis auf Silber und Gold, spätestens seit dem 16. Jahrhundert im Besitz der jeweiligen - privaten - Oberflächenbesitzer. Weit stärker als dort, wo in jedem einzelnen Fall der Staat die Abbaurechte zu verleihen hatte, waren die Bodenschätze damit der Herrschaft der Gesetze des freien Marktes geöffnet und unterworfen. 109
Vgl. oben S. 94f.
4. Die Herrschaft der Gesetze des freien Marktes
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Das Bergwerk besaß hier nicht einmal den Status einer Untergrundbahn. >>The chief difference is that coal-mines are not constructed under Parliamentary powers for public use, but under private arrangement between the owner of the soil and the colliery-proprietor.«110 Selbst von der zur Untersuchung dieser Verhältnisse im Jahre 1893 eingesetzten Royal Commission, so stellte man fest, >>no satisfactory means of selecting the lessee has been suggested other than by competition. A fixed royalty has been proposed, but no witness could say how a tenant should be chosen when two or more offer the same fixed royalty. To proceed by concession based on the right of discovery is impossible in this country where the mineral resources are so well known.« 111 Obwohl die gegebene Begründung angesichts der nach wie vor vorkommenden Neufunde im eigenen Land und der zunehmenden Bekanntheit der Lagerstätten in den anderen Ländern zweifelhaft war, blieb für die Beziehungen zwischen Grundbesitzer und Bergbauwilligem nichts anderes übrig, als was ein Zeitzeuge lapidar feststellte: ''··· the conflicting interests will be compromised in favour of the party in the stronger position under economic laws«. 112 Dies waren oft genug jedoch die Besitzer des Bodens, »as they were masters of the situation«, 113 auf die eine oder andere Weise. Dabei war selbst für Adam Smith nicht einmal klar, ob dem Grundbesitzer eine solche Machtposition und das daraus entspringende Einkommen überhaupt zustünde: >>As soon as the land of any country has all become private property, the landlords, like all other men, love to reap where they never sowed, and demand a rent even for its natural produce.« Und der Herausgeber seiner Ausgabe von 1814 fuhr, hierzu anmerkend, fort: >>They do so. But the question is why this apparently unreasonable demand is so generally complied with. Other men love also to reap where they never sowed, but the Iandlords alone, it would appear, succeed in so desirable an object.« 114 Und noch ein Dreivierteljahrhundert später klagten die Führer der Bergarbeiter: »that the landowners were actually getting more per ton >for lying in bed< than the miner who worked in the pit for the ton of coak Diese Rolle der ohnehin oft bereits reichen Grundbesitzer, sei nichts weniger als »a species of brigandage«, durch die - nach ihrer Überzeugung - obendrein die Löhne gesenkt, die Produktionskosten erhöht und hierdurch die Entwicklung der Industrie und des Landes behindert und gefährdet würden. 115 Als >>influential possessors of the soil« 116 mit >>many personal ties in the colliery districts« jedoch, so stellten andere Beobachter gleichzeitig erklä-
Oben S. 94. Oben S. 109. 112 Oben S. 112. 11l Vgl. oben S. 107. 114 A. Smith, S. 49. 115 Vgl. oben S. 107. 116 Oben S. 106. 110
111
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VI. Eigengewicht, Wirkungsmacht und Reichweite der sachlichen Strukturen
rend fest, »hitherto they have been clever enough to take especially good care of their own interests, and they are very difficult of access to the facts of economic laws which, however, in the natural course of events, are sure ultimately to find them out«. 117 Dazu bedurfte es auch jetzt noch immerhin eines halben Jahrhunderts, und die den Grundbesitzern zu zahlende Pacht wurde ganz im Gegenteil in der Zwischenzeit immer noch als »differenzieller Produktionsvorteil« gefeiert, der es den von der Natur her schlechter gestellten Zechen ermögliche, mit den besseren zu konkurrieren, 118 mithin also: jene in den Geltungsbereich des Marktes aufzunehmen bzw. diesen um jene zu erweitern. Die private Verfügung über die Bodenschätze bedeutete zunächst einmal, daß nicht klar war, welche kohleführenden Partien des Landes eigentlich dem Bergbau offenstanden. Denn nicht wenige Grundbesitzer lehnten den Abbau ihrer Bodenschätze prinzipiell oder aufgrund höherer finanzieller Forderungen - dauerhaft oder zeitweise - ab. Weiterhin folgte aus der privaten Verfügung, daß es eine große Anzahl mit tausenden von Grundbesitzern und Grundstückseinheiten mit kohleführenden Flözen von - hinzukommend - außerordentlich unterschiedlicher Größe gab. Hieraus ergab sich nicht nur eine starke Spekulation und Konkurrenz zwischen den Grundbesitzern um die jeweils besseren Konditionen, sondern auch die Tatsache, daß die einzelnen Bergbauunternehmen häufig gleichzeitig mit mehreren, im Extremfall mit bis zu 50 Grundbesitzern zu verhandeln hatten, die ihrerseits auch noch mit den unterschiedlichsten Rechtstiteln ausgestattet sein konnten. Bereits die genannten Faktoren sorgten für ein nicht zu unterschätzendes Maß an Unübersichtlichkeit, Wechselhaftigkeit und Kurzfristigkeit, den - zeitweiligen oder dauernden - Verlust von Bodenschätzen sowie eine Komplizierung und Verteuerung des Abbaus. Zugleich Symbol und Instrument des herrschenden, freien Marktes waren die Pachtverträge, deren Aushandlung manchmal Jahre und Jahrzehnte in Anspruch nehmen konnte, und die schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu »vast indentures specifying in detail the rights and obligations of landlord and tenantUtterly unreasonable« empfunden wurde, 123 forderte bereits in den 1880er Jahren den Unwillen der Betroffenen heraus: >>Firms with hundreds of thousands of pounds invested want something more substantial in the way of security than mere expectation of temporary relief by a well-intentioned landlord. To make an allowance at will this half-year or next half-year is a hand-to-mouth method of dealing with a very serious question which demands more drastic treatment. The best safeguard to revolution is reform, and the strongest preventive against the doctrine of confiscation is wise concession.>the system of royalties has not interfered with the development of the mineral resources of the United Kingdom, or with the export trade in coal with foreign countries«. 126 Erst die schwierige Zeit der 1930er Jahre brachte Veränderung und machte zugleich auf die -alte- Rolle der Grundbesitzer aufmerksam. »... vested interests«, stellten die Zeitgenossen nunmehr fest, »are regarded with more and more suspicion. Alternative vested interests in the form of sociallegislation are taking their place, as, e.g., He.alth and Unemployment Insurances, Welfare contributions, etc., but in this case the benefit is enjoyed by the wage earner and not by the property owner.>that the policy behind the unification of royalties is that of abrogation, wholly or partially, of vested interests, the incidence of which weighs an industryHow is reduction in cost to be effected? Labour being by far the largest factor in the total cost, is the first to attract attention.« 132 Und weiter: »In spite of its high mechanical efficiency the human body was expensive as a source of mechanical power and its cost per unit of work performed was ever mcreasmg.« Inzwischen nämlich, im Jahre 1940, gab es genügend vorzuführende Beispiele, »showing clearly the economy of mechanical power as such compared with man-power and indicating that the more extensively machine-power could be usefully substituted for man-power the greater would be the reduction in cost of power which, in its wider sense, included man-power.« 133 In den 1890er Jahren hatten die Bergingenieure, die dies als ihre besondere Aufgabe ansahen, - erstmals - eher allgemein und erst auffordernd festgestellt: »In short, substitute brains and mechanical power for human labour.« 134 Ja: »The substitution of mechanical power for manual labour is of the utmost importance ...>rnaterially interfere with the applications of capital, and of individual skill and enterprise, and lead the Government altogether beyond its legitimate functionto confer upon an officer of the Government a power of causing the properietors to conform to particular details in the management of the ventilation of their collieries, would be to transfer the responsibility for the safe and proper management from the proprietors to the Government.«290 Die Befugnisse der Inspektion sollten daher seiner Überzeugung nach auf das Recht, die Zechen - nunmehr aber wohl auch untertage - zu besuchen und über ihren Zustand Bericht zu erstatten, beschränkt bleiben.291 Aber auch auf anderen Seiten wurde der Zustand und das bisherige Ergebnis staatlicher Inspektion als unzureichend angesehen. Und die in Gestalt von H. S. Tremenheere in den Jahren 1847 und 1848 nach Frankreich, Belgien und Deutschland zum Studium der dortigen Bergbauinspektionen entsandten Kommissionen konnten diesen Eindruck nur verstärken. Da nach den Berichten in all diesen Ländern infolge der staatlichen Inspektion die Verhältnisse im Bergbau entschieden besser als in Großbritannien waren,292 konnte für alle Beteiligten nur noch der Schluß übrig bleiben, daß mit dem Prinzip der staatlichen Inspektion überhaupt und tatsächlich etwas zu erreichen war und daß es mithin auf ihre Ausgestaltung ankomme. Auf den Druck der Öffentlichkeit ernannte das House of Lords im Jahre 1849 ein - weiteres - Select Committee293 , in dem jedoch sogleich wieder die unterschiedlichen Ansichten über Funktion und Reichweite staatlicher Inspektion aufeinanderstießen. Alle auftretenden Zeugen stimmten zunächst darin überein, daß man überhaupt eine staatliche Inspektion benötige294, und weiter: daß die Inspektoren ausgebildete und praktisch erfahrene Leute, möglichst Bergingenieure, sein sollten. Zu den Befugnissen jedoch gab es unterschiedliche Meinungen. Sir Henry De la Beche und Dr. Lyon Playfair, die beiden Wissenschaftler, die zuvor schon viele Unglücke im Auftrag der Regierung untersucht hatten, ebenso wie die Bergingenieure George Elliot, Niebolas Wood und John
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Zit. nach: Bryan, S. 38. Vgl. Baldwin, S. 76. Zit. nach: Bryan, S. 39. Vgl. hierzu: Baldwin, S. 77. Vgl. hierzu: Baldwin, S. 89f.; Boyd, S. 143. »to inquire into The Best Means of preventing the Occurrence of Dangeraus Accidents in Coal Mines ... «; vgl. Bryan, S. 48. Vgl. Baldwin, S. 95.
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Thomas Woodhouse waren für eine >diskreteSome executive power< benötigten, doch machte klar, daß Schritte in diese Richtung erst im Laufe der Zeit, wie »the state of opinion ripened«, unternommen werden sollten. 297 J. Atkinson, der Vertreter der Arbeiter, schließlich forderte große Vollmachten für die Inspektoren und schlug vor, erstens, daß es Pflicht des Inspektors sei, eine Zeche zu allen >Vernünftigen< Zeiten aufzusuchen und zu inspizieren, zweitens, daß seine Besuche, wie die des Steuerschätzers, unangemeldet sein sollten, und drittens, daß Inspektoren und zu ernennende Sub-Inspektoren selbst die Macht haben sollten, Strafen an Ort und Stelle zu verhängen, da seiner Meinung nach ansonsten die Arbeit der Inspektoren nicht zur Zufriedenheit bewältigt werden könne. 298 Einer der befragten Unternehmer, von denen viele den prinzipiellen Widerstand inzwischen aufgegeben hatten,299 meinte zur Inspektion: »Wenn sie sehr mild und heilsam wäre, dann meine ich, würden sie nichts dagegen haben, aber es ist die Besorgnis vorhanden, daß sie willkürlich wird; wenn der Betriebsleitung die Verantwortlichkeit genommen würde, so denke ich, daß die Inspektion unheilvoll sein würde, und die Grubenbesitzer würden sie deshalb verwerfen.>it cannot be doubted that it is the imperative duty of Parliament and the Executive to adopt, for the purpose of attaining such security as is undoubtedly within the reach of precaution, any steps, whether of the nature of inspection or of direct enactment, consistent with the free pursuits of industry and commerce«.301 Bei fast allen bisher festgestellten Unglücksursachen nämlich, so der Bericht weiter, sei es klar, >>daß ein bedeutender Schritt getan worden wäre, wenn der tatsächliche Zustand der verschiedenen Kohlendistrikte genauer bekannt gemacht und die einzelnen Bergwerke der Aufsicht einer maßgebenden Autorität deutlicher unterstellt wären.« Der einzige Weg zur Erreichung dieses Zieles sei die Inspektion. 302
Vgl. Bryan, S. 48; Boyd, S. 141 f. Vgl. hierzu: Bryan, S. 48. 297 Vgl. ebd. 298 Ebd. 299 Vgl. Baldwin, S. 96; Boyd, S. 142. 300 Report. Accidents in Mines, 1849, Q. 959, zit. nach: Baldwin, S. 95f. 301 Zit. nach: Boyd, S. 143. 302 Report. Accidents in Mines, 1849, S. 6, zit. nach: Baldwin, S. 95.
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Ein sicheres und gesundes Bergwerk sei letztlich auch das gewinnbringendste für den Unternehmer. 303 Das Komitee schloß sich der übereinstimmenden Meinung der gehörten Zeugen an und empfahl, >>That Government inspectors should be invested with no direct powers beyond those of entering and examining mines, and of investigating the plans, so far as may be necessary for judging of their internal condition and arrangements; and their duties should be limited to recording and reporting, making suggestions, and communicating information to the managers and owners.«304 In der Frage der Machtausstattung hatte das Komitee jedoch von großen Meinungsverschiedenheiten zu berichten. Für sich selbst zog es daraus den Schluß möglichster Restriktion. Die Inspektoren sollten mithin nicht das Recht besitzen, >>to order and enforce penaltiesresponsibility which naturally belongs to them, and which is not only desirable not to withdraw, but rather, if possible, increase«.305 Darüber hinaus, so stellte man fest, >>the cases to be dealt with are too various in their conditions, opinions as to the fittest remedies in each particular instance are occasionally too doubtful, and the difficulty and cost of applying them often too great, to justify the positive enforcement of the views of a Government Officer, however competent, against, perhaps, no less experience and knowledge in the properly responsible parties. In addition to this, it would appear to be next to an impossibility that an Inspector should make hirnself thoroughly acquainted with the working of a large mine, without the willing assistance of those who manage it; and, finally, that many remedies and safeguards would require a continued superintendence to render them effectual, which it is clear that no attainable staff of Inspectors employed over the whole mining operations of England, Wales and Scotland could possibly supply.«306 Zum Vergleich zur fortgeschritteneren Fabrikgesetzgebung hielt man fest, >>the power to order a simple defence against dangerous machinery« sei etwas anderes als >>giving directions for the improvement of mine ventilation, or as to methods of working collieries or prescribing the many other changes which may be desirable for their Safetytoo various in their conditions to permit the framing of any safety requirements which could be applied generally«308 , Normen, die den Fabrikinspektoren als >objektive< Grundlage bzw. Meßlatte ihrer Machtanwendung dienten.
3 03 304 J05 306 307 308
Vgl. Zit. Zit. Zit. Zit. Zit.
Bryan, S. 48. nach: Boyd, S. 143. nach: Bryan, S. 49. nach: ebd. nach: ebd. nach: Bryan, S. 50.
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Im Vergleich zu den Ländern des europäischen Kontinents schließlich hielt man fest: >>The practice adopted abroad is not applicable to the conditions under which mineral property is held in Great Britain.... the principle of inspection, as applied in England, was to be that of saving life, and not of management«. 3()Vernünftigen< Zeiten, bei Tag oder Nacht, irgend eine Kohlengrube zu betreten, und zu inspizieren, aber nicht den Betrieb zu hindern oder aufzuhalten, und ferner, »all Matters and Things connected with or relating to the Safety of the Persons employed«312 zu untersuchen; der Besitzer oder sein Bevollmächtigter sollte die für eine solche Inspektion nötigen Mittel herbeischaffen; wenn der Inspektor irgend einen Teil der Bergwerke gefährlich oder fehlerhaft vorfände, so sollte er den Betriebsführer herbeirufen lassen und ihn in der Sache hören; wenn aber dieser der Aufforderung nicht Folge leiste oder, obwohl erschienen, den Inspektor nicht zufriedenstellen könne, solle dieser dem Besitzer die Gründe, warum er die Grube für unsicher halte, mitteilen, und zur gleichen Zeit dem Minister einen Bericht darüber erstatten.
3. Der Besitzer sollte auf Verlangen dem Inspektor eine Karte oder einen Plan der Grube unterbreiten; falls der Besitzer dieser Aufforderung nicht Folge leiste oder wenn der Inspektor den ihm unterbreiteten Plan für mangelhaft halte, war er bevollmächtigt, einen genau ausgeführten Plan auf Kosten des Besitzers machen zu lassen; jedoch war es dem Inspektor verboten, eine Kopie irgendeines Planes zu machen. Und schließlich: 4. Jeder Unglücksfall mit tödlichem Ausgang solle dem Staatssekretär innerhalb 24 Stunden nach dem Eintreten gemeldet werden; die Anzeige, daß wegen der in den Kohlegruben tödlich Verunglückten eine Totenschau stattfinde, solle dem Minister zwei Tage zuvor angezeigt werden.
So zusammenfassend Boyd, S. 143f. ,.An act for the inspection of Coal Mines in Great Britain«. 13 and 14. Vic. C. 100; vgl. Bald· win, S. 101. 311 Nach: Baldwin, S. 101f. 312 Zit. nach: Bryan, S. 52.
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Strafen in Höhe von[, 5 bis[, 10 konnten verhängt werden für denjenigen, der einen Inspektor in der Ausübung seiner Amtsgeschäfte behinderte, und in Höhe von[, 10 bis[, 20 im Falle des Nicht-Meldens eines tödlichen Unfalls.313 Die offensichtliche Milde und Zurückhaltung des Gesetzes, das jedoch bereits durch die Aufnahme des Terminus >Inspektor< immerhin das Prinzip der staatlichen Inspektion auch untertage weiterhin befestigte, ebenso wie die Tatsache, daß zunächst nur vier und 1852 zwei weitere Inspektoren ernannt wurden, zielte wohl, wie bereits im Komitee formuliert worden war, darauf ab, >>daß sie den Widerstand der Besitzer nicht erregen würde, damit diese womöglich den Inspektoren in der Erfüllung ihrer Pflichten eher behilflich als hinderlich sein möchten«. 314 Obwohl das Gesetz also, wie Boyd formulierte, >>did little more than provide for the appointment of inspectors who were few in number and not invested wich much authority«,315 fand es immer noch den entschiedenen Widerspruch der wirtschaftsliberalen Opposition, zu der auch einige Bergbauunternehmer gehörten. 316 Der Marquis von Londonderry etwa erklärte vor dem House of Lords- vor der Verabschiedung des Gesetzes- einmal mehr, daß er viellieber die Direktion seiner Kohlengruben der Regierung überlassen als gezwungen sein möchte, einen Mann zu bezahlen, der eine Art Oberaufsicht über seine Gruben ausüben solle. Der Inspektor sei durch die Vorlage bevollmächtigt, alle Einrichtungen im Innern der Kohlengrube zu untersuchen, und der Besitzer sei gezwungen, ihn mit den nötigen Plänen und Urkunden zu versehen. Eine solche Einmischung in Privatangelegenheiten könnte höchst nachteilig wirken; denn nichts hindere den Inspektor, diese Einzelheiten zu veröffentlichen. Er protestierte gegen den Gesetzentwurf als >>the most michievous and unjust measure that could possibly be imagined.« 317 Auch Lord Brougham meinte, daß das Parlament kein Recht habe, sich zwischen den Arbeitgeber und den Arbeiter einzudrängen, es sei denn, daß der Schutz bestimmter Gruppen der Bevölkerung es unbedingt erfordere.318 Erbezeichnete das vorliegende Gesetz als eine >>unjustifiable interference with the rights of labour«319 und >>eine ungerechte Einmischung in die Arbeits- und Eigentumsrechte«. 320 Zwar war nunmehr aufgrund allgemeiner Erkenntnis und öffentlichen Druckes die staatliche Inspektion geschaffen, doch war sie, aufgrund der Fortwirkung Vgl. hierzu: Bryan, S. 52. Baldwin, S. 102, nach: Report from the Select Committee 1849, Q. 5575ff. 315 So R. N . Boyd, Coal Mines Inspection, 1879, zit. nach: Bryan, S. 53. 316 Vgl. hierzu: Boyd, Coal pits, S. 156. 317 Nach: Baldwin, S. 100, und Bryan, S. 52. 318 Zit. nach: Baldwin, S. 100. 319 Zit. nach: Boyd, S. 148. 320 Zit. nach Baldwin, S. 100. JlJ
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der alten Theorie und des Gewichts der realen Interessen, so zeigte sich schon sehr bald, ,,fast wertlos>No Person who shall act or practise as a Land Agent, Manager, Viewer, or Agent, or Mining Engineer, or Valuer of Mines, or Arbitrator in any Matters of Dispute arising between Owners of Mines, or be otherwise employed in any Coal Mine or Colliery, shall act as an Inspector of Coal Mines under this Act.To inquire into the operation of the Acts for the regulation and inspection of mines, and into the complaints contained in petitions from miners of Great Britain with reference thereto ... interfered with the right of masters to employ whomsoever they considered competent to manage their property>Instructions as to Inspeerion Duties« aus dem Jahre 1878 besagten weiterhin: >>lt will be the duty of the Inspector to visit and inspect a mine (a) On invitation; (b) On complaint; (c) Where he has received neither invitation nor complaint, but from information (such as from time to time cannot fail to come to him in the course of the regular discharge of his duties), he has reason to believe that the mine is not conducted satisfactorily or in accordance with the statute ... (d) In addition to these inspections which are imperative, and to inspections which the Inspector may take the opportunity of making when he has to visit a mine for the purpose of transacting other special business (as inquiring into an accident or arranging for the establishment of special rules), it will be the duty of the Inspector to devote whatever time he can spare to the inspection of those mines where he thinks it most likely to be of service; such inspection to be both above ground and below ground, and without notice. The liability to official inspection at any time without warning may be a most effective guarantee against abuse, and an unexpected visit from an Inspector is not the less beneficial because he finds nothing of which to complain. The Inspector therefore should make a point of arranging his business and that of the Assistant lnspector with a special view to secure as large a time as possible for these casual inspections.«384 Das folgende, im Jahre 1887 erlassene, Berggesetz veränderte die geltenden gesetzlichen Bestimmungen nicht sehr. Es verbot die Beschäftigung von Jungen unter 12 Jahren, führte für Unter- oder stellvertretende Betriebsführer Zeugnisse zweiten Grades ein und erhöhte die Zahl der allgemeinen Betriebsregeln von 31 weiter auf 39. Gerade beim letzteren Punkt wird ein Moment sichtbar, das sich beim
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Vgl. Boyd, S. 227, 237. Zit. nach: Bryan, S. 63 f.
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vorhergehenden Gesetz schon angekündigt und bei der vorausgehenden Royal Commission (1879-86) allzu deutlich geworden war: die wachsende Komplexität und Kompliziertheit der Technik, die zunehmend nach einer professionellen und dauerhaften Beschäftigung mit ihr verlangte. 385 Wie bisher, so gab es auch in der Folgezeit, sei es durch >direct enactment< wie etwa die weitere Heraufsetzung der Altersgrenze auf 13 Jahre (1900), das Achtstundengesetz (1908) und das Minimallohngesetz (1912), sei es durch indirekte Anweisungen, eine Fülle von gesetzgeberischen und administrativen Maßnahmen, die, ohne die gelegten Strukturen zu verändern, mit einer Erweiterung der Aufgaben eine Vergrößerung des staatlichen Aufsichtsapparates erzwangen. So wie es 1850 : 4, 1852 : 6, 1855 : 12 und 1875 24 Inspektoren für den Kohlenbergbau gab, so erhöhte sich deren Zahl unaufhaltsam weiter auf 35 im Jahre 1906, 83 im Jahre 1914, ca. 120 im Jahre 1938 und schließlich etwa 180 Inspektorenstellen im Jahre 1947. 386 Doch ging dieses Wachstum im Vergleich etwa zum deutschen Bergbau spät und zögernd vonstatten. Allein im Ruhrgebiet umfaßte die staatliche Bergbehörde bereits im Jahre 1792 34 und im Jahre 1838 70 Beschäftigte387, und auch nach der Übergabe der Betriebsführung in private Hände stieg deren Zahl von 69 im Jahre 1860 auf 178 im Jahre 1912. Zugleich waren zum letzteren Zeitpunkt in der entsprechenden Ministerialabteilung in Berlin 33 Beamte, in London aber kaum eine Hand voll, tätig. 388 Und aus deutscher Sicht konnte man noch kurz vor der Jahrhundertwende in Großbritannien denn auch »kaum von einer Bergverwaltung sprechen«.389 »Die einzigen Organe sind ein Staatssekretär (Minister) ... und die von diesem ernannten Königlichen Bergwerksinspektoren ... Eine Zwischeninstanz zwischen dem Staatssekretär und den Bergwerksinspektoren oder irgend eine andere staatliche Aufsicht oder Einwirkung auf den Bergwerksbetrieb als durch diese Beamten gibt es nicht«, stellten deutsche Bergräte auf ihrer Instruktionsreise befremdet fest. 390 Tatsächlich fehlte dem britischen Berginspektorat - zumindest lange Zeit eine große Zahl der Elemente und Eigenschaften des >bürokratischen Betriebsmissi< Karls des Großen erinnerte, >>an integral part of the administrative control machinery used in a wide variety of national activities«. 392 So waren im Jahre 1972, außer den Inspektoren in den Streitkräften, amtlichen Rechnungsprüfern in den Bezirken und ähnlichen, wenigstens siebzig verschiedene Inspektorate Bestandteil der britischen Zentralregierung.393 Wenn auch die Befugnisse und Pflichten der verschiedenen Inspektorate- schon dies ist Hinweis genug- stark variieren, 394 so bietet das Berginspektorat hier genügend Gelegenheit, um das - allgemeinere - Prinzip des lnspektorats und der staatlichen Inspektion überhaupt beispielhaft zu analysieren. Zunächst einmal blieb das Berginspektorat bis zum Gesetz von 1860, also über fast zwei Jahrzehnte eine provisorische, zeitlich beschränkte Einrichtung. 395 Erst 1855 wurde den Inspektoren jede Form der zuvor wahrgenommenen Nebentätigkeiten als Berater und Schiedsrichter, unter Verdoppelung ihres Jahresgehaltes von [, 400 auf [, 800, verboten. 396 Mindestens bis 1872, zum Teil aber noch darüber hinaus, wurden die Inspektorenstellen nicht durch Prüfungen, sondern durch Patronage und andere nichtrationale, eben: nicht-bürokratische, Methoden vergeben. 397 Ein festgelegter Ausbildungsgang existierte über den gesamten Zeitraum unserer Untersuchung hin nicht, wohl aber, ab 1872, die Bedingung, daß die Inspektoren vor ihrer Ernennung eine mindestens siebenjährige Praxis als Bergbaubetriebsführer nachweisen mußten. Minderqualifizierte Sub-Inspektoren aus den Kreisen der Arbeiter wurden dagegen nicht zugelassen bzw. wurden keine dauerhafte Einrichtung. Systematik, Regel- und Planmäßigkeit in der Tätigkeit der Inspektoren konnten infolge der Disproportionalität von Aufgabenfeld und Inspektorenzahl zumindest lange Zeit weder auf dem Gebiet der Inspektion noch dem der (engeren) Verwaltungstätigkeit Eingang finden. 398 Auch für die Methoden der Inspektion gab es offensichtlich kaum feste Regeln und Normen. Und noch aus heutiger Sicht konnte festgehalten werden: »The wording of the successive statutes setting out the powers and duties of H. M. lnspectors of Mines allows considerable Vgl. hierzu: M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1964, S. 162-166, 703-705; ders., Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1918), in: Gesammelte politische Schrif. ten, 19713, S. 306-443, S. 320, 351. 392 So A. Bryan, S. 94. 393 Ebd., nach: 0 . D. Hartley, Inspectorate in British Central Government, in: Journal of the Royal Institute of Public Administration, 1972. 394 Vgl. Bryan, S. 94. 395 Vgl. ebd., S. 52, 59. 396 Vgl. ebd., S. 54 f. , 59 f. 397 Ebd., S. 63. 398 Vgl. hierzu etwa den Bericht von Inspektor Stokes für das Jahr 1892, zit. bei: Baldwin, S. 238 f. 391
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scope in interpretation.Gewisse Befugnissefrom science, or rather genius, that we have anything more to expect«412 , und das Komitee, vor dem er aussagte, war in seinem Bericht schließlich der Meinung, >>that great benefit might be fairly and sanguinely anticipated from men of known ability being encouraged to visit the mines, whether in the character of distinguished chemists, mechanics, or philanthropists«.413 Für die staatliche Inspektion wurde in den 1840er und 1850er Jahren von Tremenheere und den sporadisch eingesetzten Wissenschaftlern immer wieder der Einsatz sowohl wissenschaftlich ausgebildeter Fachleute als auch von praktischen Bergingenieuren gefordert. 414
So waren die Lokalverwaltungen nicht einmal imstande, dem parlamentarischen Komitee von 1835 genaue Informationen über die Zahl der tödlichen Unfälle zu liefern. Vgl. Boyd, S. 76; auch: Baldwin, S. 12f.; und offizielle Produktionsstatistiken existierten nicht vor 1859. Vgl. Boyd, S. 206. 409 Nicht von ungefähr formulierte daher etwa das Komitee von 1835, daß "they anticipate great advantages to the public and to humanity from the circulation of the mass of valuable evidence they have collected•. Zit. nach: Boyd, S. 78. 410 Vgl. hierzu etwa: Bryan, S. 36f., 48f., 53, 56, 95. 411 Vgl. etwa: Boyd, S. 122f. 412 Zit. nach: Bryan, S. 23. 413 Zit. nach: Boyd, S. 78. 414 Vgl. hierzu: Bryan, S. 38f., 43f., 47-51; Boyd, S. 139f.
4 08
4. Die Herrschaft der Gesetze des freien Marktes
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Das South Shields Committee wünschte 1843 die Anstellung von >>well-informed scientific and practical inspectors«. 415 Und in einem Bericht von Wissenschaftlern aus dem Jahre 1850 hieß es: >>For the due and useful performance of this duty, so as to do and advise what is right and avoid doing or advising what is wrong, technical knowledge is indispensable.«416 So war ja auch gerade die Inspektion untertage zunächst, wie Lord Ashley es ausdrückte, an dem Bedenken gescheitert, »if it were possible it would not be safe« sowie daran, »of doing some act that was likely to be distasteful to the colliers below«. 417 Das Komitee von 1852 sah daher, um es in A. Bryans Worten wiederzugeben, auch »the qualification of inspectors as a point of the first importance and thought they should be acquainted generally with such subjects as natural philosophy (especially pneumatics), chemistry and mechanics, have a competent knowledge of geology and mineralogy, and should also have bad practical experience of colliery working>Same official central authority to attend to mining matters is pleaded for by the scientist, the statistician, the student, and the working miner; and sooner or later government will be compelled to accede to this reasonable and universal demand.« 531 Der Wunsch wurde erfüllt, so sahen wir, durch die Schaffung des Mines Department im Jahre 1920. Doch war dieses Ministerium keineswegs nur betraut mit dem Sammeln von Informationen. Denn bereits seit längerer Zeit hatte sich das Bedürfnis nach >>delegated legislation« verstärkt, d. h. nach einer Gesetzgebung, die im Auftrage des Parlaments durch die Regierung vollzogen wurde. 532 Dieses Verfahren wurde unumgänglich notwendig mit der anwachsenden Zahl, Dauerhaftigkeit, Differenziertheit und zeitlichen Dringlichkeit der staatlichen Aufgaben und Maßnahmen. Beginnend mit der Ermächtigung des (Innen-) Ministers im Jahre 1842, einen Inspektor, und später: weitere Inspektoren, zu ernennen, sowie die speziellen Betriebsregeln zu prüfen und festzuschreiben (1855)533 , hieß es schließlich im Berggesetz von 1887: >>Any order of or exemption granred by a Secretary of State under this Act may be made, and from time to time revoked or altered by a Secretary for State, either unconditionally or subject to such conditions as he may see fit .... « 534 Noch weiter ausgeweitet durch das Gesetz von 1911, ergingen unter dieser Bestimmung, so ein Zeuge, >>a !arge number of general regulations and a succession of Statutory Orders«, die >>Soon far outweighed the number of provisions imposed directly by Parliament«.535 In Großbritannien wurde diese konsequente und bis heute offensichtlich selbst hier unentrinnbare Entwicklung, welche die >>Usurpation by the executive of the legislative functionThe New Despotism« geächtet.537 Nie jedoch wurde hier das VerSo Boyd, S. 266; auch: S. 328, und J. T. Todd, in: ICTR, 20. Sept. 1901, S. 749. Die hier vorgetragene, zeitlich übergreifende und exemplarisch-systemisch gerichtete Betrachtungsweise des Mines Department unterscheidet sich von einer kurzfristig-isolierenden Einschätzung, die es konsequenterweise für ein »subordinate >departmentnegative Politik< treiben, d. h.: den Verwaltungsleitern wie eine feindliche Macht gegenüberstehen, von ihnen als solche mit dem unentbehrlichen Minimum von Auskunft abgespeist und nur als Hemmschuh, als eine Versammlung impotenter Nörgler und Besserwisser gewertet. Die Bürokratie andererseits gilt dann dem Parlament und seinen Wählern leicht als eine Kaste von Strebern und Bütteln, denen das Volk als Objekt ihrer lästigen und zum guten Teil überflüssigen Künste gegenüberstehe.An industry may not conduct its ... business in its own best interests, but is it the function of government to force it to conduct its business on lines which it is not prepared to adopt voluntarily?am Markt« erweisen sich Konkurrenzfähigkeit, Rentabilität und Stabilität der Unternehmen. Doch geht der Einfluß des Absatzmarktes weit über diesen systematisch-individualwirtschaftlichen Zusammenhang hinaus. Die historisch-konkrete Ausformung von Ausgangslage und Ausweitung, der Art der Nachfrage und der Struktur des Absatzmarktes üben, wie sich im Nachfolgenden zeigen wird, einen nicht zu vernachlässigenden Einfluß auf den Gang der wirtschaftlichen Entwicklung aus. Die Nachfrage nach Kohle als weitgehend einzigem Energieträger stieg unaufhaltsam bis zum Beginn der 1920er Jahre innerhalb von Großbritannien durchschnittlich um 2,5%, im Weltmaßstab um 4% pro Jahr. 541 Anders etwa als auf dem europäischen Kontinent ermöglichten es die natürlichen geographischen und geologischen Bedingungen hier aber, diesen Bedarf aus einer Vielzahl von Revieren und Betrieben zu decken. Dies bedeutete zunächst, daß vor dem - allmählichen - Aufkommen verbesserter Transportbedingungen im Laufe des 19. Jahrhunderts die einzelnen Regionen und Betriebe über entfernungsund mengenmäßig meist nur relativ beschränkte Absatzgebiete verfügten. Zum zweiten brachte es diese Streuung der Bedarfsdeckung, zusammen mit der - im Vergleich zum Kontinent - früher einsetzenden und dafür allmählieberen Industrialisierung des Landes mit sich, daß es, selbst wenn wir die Wirkung der günstigen natürlichen Bedingungen beiseite lassen, den Bergbaubetrieben und den dort verwandten Verfahren und Techniken ermöglicht wurde, sich langsamer als dort zu entwickeln und zu verbessern. Weiterhin folgte hieraus auch, daß lange Zeit die Feststellung Adam Smiths', >>that the division of labour is limited by the extent of the marketentirely a matter of markets«; 544 >>and while«, so hatte ein anderer bereits drei Jahrzehnte zuvor festgestellt, >>the market price ... tends to become equalized with every development of the means of transport, the cost of production remains to a very considerable extent unchanged«. 545 Für den britischen Bergbau war dies über lange Zeiträume hinwe~ eine durchaus angenehme und beruhigende Perspektive, denn es war gerade aufgrund der doppelten Gunst seiner natürlichen Bedingungen, daß Sir William Armstrang formulieren konnte: >>The Greatness of England much depends upon the superiority of her coal, in
Vgl. h1erzu auch: S. Pollard, The Factory Viilage 1964, S. 513-531, S. 514f. 544 Vgl. oben S. 135. 545 Oben S. 55. 543
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1n
the Industnal Revolution, m: EHR 79,
372
VI. Eigengewicht, Wirkungsmacht und Reichweite der·sachlichen Strukturen
cheapness and quality, over that of other nations.«546 Die Privilegierung nämlich traf nicht nur auf den Bergbau selbst zu, sondern auch auf die anderen, von ihm abhängenden Industriezweige. Noch ein dreiviertel Jahrhundert nach Jevons formulierte so ein anderer Beobachter: » ... it must be recognised that a supply of cheap coal was an invaluable asset to any nation, and ... if the price of coal were unduly high foreign competition would speedily lead to the bankruptcy of the industry«. Daher sei es - nach wie vor - »the duty of the colliery manager to produce the cheapest coal possible ... gewissermaßen Kartelle der zweiten StufeÜberblick über die MarktentwicklungVertieft< und insgesamt die Konkurrenz abgeschafft, der, wie ein Beteiligter schrieb, >ungesunde Wettbewerb vermieden< werden. 549 Die Folgen waren, auch etwa für Walter Eucken, der den Mechanismus beschrieb, beeindruckend: >>Ein Kohlensyndikat, das einen Markt beherrscht, verkauft auf Grund seiner autonom festgesetzten Geschäftsbedingungen Kohlen an einen Händler, der sich verpflichtet, sie zu Preisen weiterzuverkaufen, welche das Syndikat festsetzt .... Aber der Vertrag ist diktiert. Der Kohlenhändler ist weder in der Wahl des Vertragspartners frei, noch kann er Preise und Bedingungen bei Kauf und Weiterverkauf der Kohle aushandeln. Er ist sogar genötigt, die allgemeinen Geschäftsbedingungen des Syndikates zu akzeptieren, die staatlich gesetztes Recht beschränken oder ausschalten. Der Händler ist von einem Angebotsmonopolisten abhängig; der diktierte Vertrag ähnelt der [staatlichen] .Verfügungthat where a certain and specific kind of coal is needed for the most profitable market prevailing, the seam that yields it gets preference in development ...« 555 • Und es konnte sogar vorkommen, daß bestimmte Kohlensorten zur unrechten Zeit abgebaut und - vergeblich - auf dem Markt angeboten wurden. Auch der allmähliche Wechsel der Abbaumethode vom Pfeilerzum Strebbau war nicht zuletzt auf die größere Flexibilität und die höhere Ausbeute an großformatiger und damit zu höherem Preis verkäuflicher Kohle zurückzuführen. Insgesamt scheint es daher kaum übertrieben, was ein Bergingenieur- im Nachhinein - festhielt: >> ... the careful reader of our ... coalmining records can follow the lines of development in relation to the market then prevailing, and may clearly discern the trend of history connecting and explaining how and in what order some of our wellknown seams were first entered and subsequently worked.,, 556 Der Absatzmarkt übte auch, wie zu erwarten, Einflüsse auf die ihm am nächsten liegende Sphäre: die Aufbereitung der Kohle, aus. Anders aber als auf dem
555 556
Vgl. oben S. 131f.. Oben, S. 132.
5. Der Absatzmarkt
375
europäischen Kontinent, wo die geringere Qualität und Sauberkeit der Kohle ihre Aufbereitung notwendig machten, ließen die umgekehrten Verhältnisse sowie die Tatsache, daß zunächst oft nur die besten Flöze abgebaut wurden, eine solche zusätzliche, verbraucherorientierte Mühe lange Zeit als überflüssig erscheinen. » ... coal was not sold, it was bought«557 und >>all supplies were good enough for the demand then existing«.558 Erst mit der allmählichen Verschlechterung der natürlichen Bedingungen, der Zunahme der Konkurrenz zwischen den Unternehmen (ab den 1870er Jahren) und der wachsenden Neigung der Verbraucher, die - zuvor kaum abzusetzende - Kleinkohle zu verwenden und darüber hinaus eine feinere Sortierung der Kohle zu verlangen (ab ca. 1900), setzte sich eine Aufbereitung auf allerdings meist niedrigem technischen Niveau allgemein durch. Mehr erforderte der Absatzmarkt offensichtlich nicht, und auch die Pläne für die Errichtung von Brikettierungsanlagen und Kokereien zur Gewinnung von Nebenprodukten kamen gerade aufgrund der engen und unmittelbaren Absatz- (und Gewinn-)Orientierung offenbar kaum voran. Wenn auch etwa bis zum Ersten Weltkrieg oftmals eine große Palette von Kohlensorten und -qualitäten - in Südwales z. B. waren es neben Koks vier Hauptkohlensotten mit jeweils bis zu 15 Untersorten- existierte, wurde somit, anders als etwa in Deutschland, die Chance zu einer weiteren gewinnbringenden und vor allem: konjunkturüberbrückenden Diversifizierung der Produkte in der Regel und auf Dauer vergeben. 559 Erst eine weitere Entwicklungsstufe in den Ansprüchen der Verbraucher zu Ende der 1920er Jahre bewirkte hier ein weiteres Fort· schreiten: »As the standard of practice in the coal-consuming industries has been raised and become more scientific, so has the insistence of the representatives of these concerns become more emphatic in regard to the quality of the coal they are purchasing.«560 Zusammen mit dem Überangebot an Kohle und der hieraus resultierenden, nationalen wie internationalen Konkurrenz vermochten diese wachsenden Verbraucherbedürfnisse nunmehr >>revolutionary improvements ... alike in screening, cleaning and sizing« durchzusetzen. 561 Doch blieben auch diese Verbesserungen offensichtlich immer noch eng an den entsprechenden Absatz- (und Gewinn-)Aussichten der einzelnen Unternehmen und ihren unterschiedlichen Bedingungen orientiert. Wie bei der Aufbereitung, so war der Absatzmarkt nicht ohne Auswirkungen auch bei der Gewinnung und Förderung. So wie die wachsende Nachfrage langfristig den zunehmenden Einsatz der Technik bei der Förderung zugleich erforderlich machte und ermöglichte, so trug sie zunächst kurzfristig zur Einführung der Schrämmaschinen (und nicht etwa des Luftpreßhammers) bei. Zwar Oben, S. 194. Vgl. oben S. 134, 143. 559 Nur vergleichsweise wenige Unternehmen nutzten hier diese Möglichkeit. Vgl. Church, S. 379. 560 Vgl. oben S. 135. 561 Oben S. 194. 557 558
376
VI. Eigengewicht, Wirkungsmacht und Re1chwe1te der sachlichen Strukturen
erzeugten längere Phasen steigenden Absatzes nicht selten >>a certain amount of prejudice agairrst change«562, doch waren es in der Regel gerade die Zeiten starker Nachfrage oder deren Erwartung, die längere Zeit- bis zu ihrer allgemeineren Etablierung - den Einsatz der Schrämmaschine, und mit ihr: von Förderbändern und Kohlenwäschen, vorantrieben. Dariiber hinaus versprach die Schrämmaschine - gegenüber der Handgewinnung - einen größeren Anteil der höher bewerteten, großformatigen Kohle. Und das regelmäßig mit steigendem Absatz immer wiederkehrende Faktum höherer Lohnforderungen von seiten der Arbeiter konnte diesen Trend: den Ersatz von Handarbeit durch Technik, nur unterstützen. Schließlich hatte der Absatzmarkt Auswirkungen auf die Verhältnisse des Arbeitsmarkts. Nicht nur stand lange Zeit das Anwachsen des Absatzes in direktem Verhältnis zur Zunahme der Zahl der Beschäftigten, auch kurzfristig führte regelmäßig eine rasche Ausweitung der Nachfrage nach Kohle zu einer solchen nach Arbeitskräften und damit zu steigenden Löhnen. Umgekehrt führte, wie Alfred Marshall dies am Beispiel der Phase nach 1873 beschrieb, eine Absatzverengung direkt zu einer Abwanderung der am wenigsten geeigneten Arbeitskräfte und einer Lohnsenkung. »When the tide turned those of the new-comers who were least adapted for the work left the mines; but even then the miners who remained were too many for the work to be done, and their wage fell; till it reached that limit, at which those who were least adapted for the work and life of a miner, could get more by selling their labour in other trades. And that limit was a low one.«563 Selbst die Schrämmaschine diente zu Anfang fast nur zum >>rapid opening out of sections to enable a large number of men to be employed as quickly as possible«.564 Und die jeweilige Anpassung der Löhne an die Verhältnisse des Absatzmarktes erforderte auf Dauer besondere, und umso größere Anstrengungen als etwa im deutschen Bergbau, da im britischen wirksame, kartellartige Abmachungen auf dem Absatzmarkt durchweg fehlten.
6. Der Zuliefermarkt Wie der Absatzmarkt, so zeitigte auch der Zuliefermarkt Folgen für den Gang der wirtschaftlichen Entwicklung im britischen Bergbau. Denn technische Hilfsmittel, so sahen wir, waren hier ja von Anfang an und durchgehend von grundsätzlicher und essentieller Bedeutung.
562 563 564
Oben S. 204. Marshall, Pnnctples of Economtcs, S. 575. Vgl. oben S. 204.
6. Der Zuhefermarkt
377
Es ist eine - weder für die jeweiligen Akteure noch für den außenstehenden Beobachter - nicht immer leicht zu beantwortende Frage, ob im jeweiligen Stadium der wirtschaftlich-industriellen Entwicklung der jeweilige Entwicklungsstand der zur Verfügung stehenden Technik ungenügend, mangelhaft, ausreichend oder innovativ-vorantreibend ist. Und ebenso wie die tatsächlich eintretenden Resultate weder vor noch bet einer entsprechenden Entscheidung oft kaum absehbar sind, so schwer ist es auch, Richtung und Risiken technischer Entwicklungen angemessen und zutreffend zu beurteilen. Gemessen an den objektiv bestehenden Notwendigkeiten und Anforderungen der Natur waren zu Beginn insbesondere die technischen Hilfsmittel zur Wasserhaltung und Bewetterung schlicht ungenügend, und diejenigen zur Beleuchtung und Schachtförderung eindeutig mangelhaft. Aber auch die zu diesen und anderen Zwecken neugeschaffenen Hilfsmittel, die also ausreichend waren für die Bewältigung der- von der Natur gestellten- Aufgaben und von den Menschen gesetzten Zielen, waren zunächst und blieben oft lange Zeit in der Erfüllung der gesetzten Aufgaben und Ziele wie auch in ihrer technischen Beschaffenheit, Zuverlässigkeit und Leistung mit ansehnlichen und manchmal risikoreichen Mängeln behaftet. Je weiter aber die Zeit auf den einzelnen Gebieten voranschritt, umso größer wurde jeweils die Sicherheit, Zuverlässigkeit und Effizienz wie auch die Angebotsbreite der zur Verfügung stehenden Technik. Gleichwohl und trotz der - im allgemeinen - häufig bekundeten Gewißheit des raschen technischen Fortschritts erschien am konkreten Beispiel eben dieser vielen Bergingenieuren und Betriebsleitern auf mancherlei Gebieten lange Zeit als mangelhaft und zu wenig entwickelt, zu wenig jedenfalls, um die jeweiligen technischen Mittel auch einzusetzen. Genau hier aber war der kritische Punkt: Das Urteil über die jeweils neue Technik in konkreten Bereichen fiel trotz aller in Aussicht stehenden Vorteile nicht selten deswegen ablehnend oder zumindest abwartend aus, um ihre Anwendung nicht in Angriff nehmen zu müssen. Die praktische Umsetzung bereitstehender neuer Technik war, selbst im Bewußtsein mancher der beteiligten Zeitgenossen, fast in der Regel langsam und der Zeitpunkt ihres allgemeineren Einsatzes häufig spät. Die einmal installierten Anlagen wurden lange, oft so lange genutzt, daß am Ende nur noch radikale und umfassende Erneuerungen weiterhelfen konnten, zu denen nicht wenige Unternehmer dann nicht mehr bereit waren. Ja, oft und lange genug wurden bewußt unmoderne, überholte und gebrauchte Anlagen sogar in neuen Betrieben erneut verwendet. In manchen Fällen, wie den verbesserten Anlagen zur Bewetterung mithilfe von Öfen oder verbesserter Beleuchtungsmethoden, konnte nur der Zwang der ansonsten eher zurückhaltenden Gesetzgebung zum Einsatz entwickelter, aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr neuer Techniken bewegen. Und die Anschaffung mancher technischer Anlagen, wie etwa diejenigen zur Brikettierung und Gewinnung von Nebenprodukten, ja in manchen Fällen
378
VI. Eigengewicht, Wirkungsmacht und Reichweite der sachlichen Strukturen
selbst zur Erzeugung elektrischer Energie, wurde von vornherein, aber auch im weiteren Verlauf der Zeit oft genug direkt abgelehnt. Die Gründe für dieses Verhalten waren vielfältig. Zum einen hatten sie mit den Eigenschaften und Einsatzbedingungen der Technik selbst, zum anderen mit dem Gegenstandsbereich, auf den sie Anwendung finden sollte, und zum dritten mit allgemeinen Haltungen und Überzeugungen derer zu tun, die über den Einsatz (und die Weiterentwicklung) der Technik zu entscheiden hatten. Die Gunst der natürlichen Bedingungen machte lange Zeit und in vielen Bereichen den intensiveren Einsatz der Technik schlicht unnötig. Entsprechend gering war und blieb daher nicht selten die Aufmerksamkeit für und das anhaltende Bemühen um technischen Fortschritt, weil und solange die Betriebe und ihre einzelnen technischen Bereiche ungehindert weiterliefen. Auch die Jahre und Jahrzehnte anhaltenden Meinungsverschiedenheiten und die auffällige Resistenz alter Überzeugungen über die relative Nützlichkeit und Einsetzbarkeit bestimmter Anlagen zeugen nicht nur von der tatsächlich bestehenden Schwierigkeit solcher Entscheidungen, sondern auch von dem mangelnden Zwang zum Einsatz und damit zum Test und zur möglichen Weiterentwicklung solcher technischen Mittel. Vielmehr nutzten die beteiligten Akteure fast regelmäßig bewußt die- zahlreichsich bietenden Vorteile der natürlichen Bedingungen zur Einsparung von technischem (und finanziellem) Aufwand. Auch die Eigenschaften der jeweils neuen Technik selbst und ihre Einsatzbedingungen waren ihrer allgemeineren Einführung nicht immer förderlich. Ihre Konstruktion und ihr technischer Zustand waren oft nicht ausgereift und zeitigten mancherlei unangenehme, auch kostenträchtige, Folgen. Die Vorteile der einen Technik konnte nur bei der Anschaffung einer weiteren Anlage voll zur Wirkung kommen, wenn sie diese nicht sogar unmittelbar zur Voraussetzung hatte. Und manchmal waren ihre Leistung niedriger und ihre Unterhaltungskosten höher, als der - verkaufsorientierte - Lieferant vorausgesagt565 und der Anwender vorausgesehen hatte. Hinzu kam, daß der letztere oftmals wenig Aufmerksamkeit sowohl der neuen Anlage und ihrer Auswahl als auch dem ins Auge gefaßten Gegenstandsbereich und seinen spezifischen Bedingungen schenkte, dafür aber Unmögliches von ihr verlangte. Die hiermit verbundenen, negativen Erfahrungen mußten auf Dauer in die Kalkulation eingehen und vorhandene Einstellungen verstärken. Ein weiteres Moment war das Problem der dauerhaften Ausnutzung und Auslastung der anzuschaffenden Anlagen. Für ältere Betriebe erschienen sie oftm So neten die Bergmgemeure und andere z. B. bei der Emführung der Schrämmaschme, hier zu emem frühen Zeitpunkt, zur Vomcht: . of course, do not beheve all you hear or see With regard to the work done. It Is often wonderful what machmes do m theory, or at an exhibmon tnal.« »Most such esumates are hable to be coloured by the naturally roseate 1mpresswns of the mventor, patentee, or manufacturer.« Vgl. J. T. Todd, m: ICTR, 20. Sept. 1901, S. 749; J. S. Jeans, m: ebd., S. 750.
6. Der Zuliefermarkt
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mals zu teuer. Und die nicht selten bestehende Aussicht auf saisonale, konjunkturelle oder anderweitige Unterbrechungen oder >Abbremsungen< des Betriebes bildete nicht unbedingt ein Ansporn zur Anschaffung von leistungsstarker und kostenträchtiger Technik. Hierzu gehört auch das Phänomen der Betriebsbzw. Unternehmensgröße und seiner Folgewirkung. Ebenso wie bestimmte Anlagen oder Anlagenkombinationen erst ab einer bestimmten Betriebsgröße überhaupt eingesetzt werden konnten, so rentierte sich dieser technische und finanzielle Einsatz erst ab einer solchen. Hinzu kam das bei größeren Einheiten in der Regel dickere Kapitalpolster und die oft entsprechend größere Initiative und Organisationsfähigkeit, die den technischen Fortschritt gerade dort, und von diesen gefördert, voranbrachte. Umgekehrt heißt dies aber ebenso: Gerade auch infolge der großen Überzahl der kleinen und mittleren Betriebe kam der technische Fortschritt im britischen Bergbau nicht besonders rasch voran. Und nicht zuletzt existierte schließlich als Moment, das die Einführung neuer Technik nicht unbedingt beflügelte, sondern oft genug hemmte, das Phänomen der Kosten sowie des realen und deutungsmäßigen Umgangs hiermit. Nach der Bewältigung der grundsätzlichen Hindernisse durch Wasserhaltung und Bewetterung hatte die - nachfolgende - Technik im Bewußtsein der Beteiligten offenbar nur noch oder im wesentlichen die Aufgabe, die Betriebskosten zu senken. Hieraus ergab sich offenkundig - im Unterschied etwa zum deutschen Bergbau, wo der hohe technische Einsatz lange Zeit durch die Ungunst der natürlichen Bedingungen gerechtfertigt wurde - eine ganze Kettenreaktion von Erwartungen und Erwartungshaltungen: Die Anschaffungs-, ebenso wie die Folge-, Unterhaltungs- und Kapitalkosten durften nicht zu hoch sein, sie sollten sich rasch und möglichst unmittelbar amortisieren und somit insgesamt so wenig und so kurz wie möglich selbst auch die kurzfristige betriebswirtschaftliche Erfolgsrechnung belasten. Die Folge hiervon waren ein relativ immobiles und unilineares, erst allmählich und vergleichsweise spät sich dynamisierendes, stark ausgebildetes kurzfristiges Kostendenken, aber ein unterentwickeltes, langfristiges Kostenbewußtsein, ein - nicht nur bei Stanley Jevons - geschärftes Bewußtsein des Kosten-Nutzen-Verhältnisses sowie des Problems des Grenznutzens zwischen alter und neuer Technik einerseits, andererseits ein durch das extreme Sparen an Technik und ihrer Bedienung und Unterhaltung oft gleichsam >Untertouriger< und zugleich überforderter, nicht selten also, zumindest langfristig: unwirtschaftlicher Betrieb. Anschaffungen wurden häufig fast ausschließlich mit dem Blick auf - möglichst geringe - Anfangskosten getätigt und zudem soweit wie möglich - über einen längeren Zeitraum - gestreckt, selbst unter dem drohenden Faktum ungleich höherer laufender Kosten. Die Tatsache, daß man insgesamt nur langsam und zögernd von den Angeboten des Zuliefermarktes Gebrauch machte, schloß offenbar nicht aus, daß von Zeit zu Zeit einzelne dieser Angebote spontan und ohne allzu große Überlegung, was die Bedingungen und Folgen des Einsatzes dieser technischen Mittel anging, allge-
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VI. Eigengewicht, Wirkungsmacht und Reichweite der sachlichen Strukturen
mein übernommen wurden. Wenn bestimmte Bedürfnisse des Bergbaubetriebs akut und unumgänglich wurden, waren Bergingenieure und Unternehmer, wie im Falle des Guibal-Ventilators566 oder der Schrämmaschine, häufig gern bereit, den Herausforderungen rasche, tatsächliche oder scheinbare, technische Lösungen entgegenzusetzen. 567 Und so kam es, daß die so gefundenen bzw. vorgefundenen >Lösungen< oft genug auf lange Zeit nicht nur alle anderen bestehenden Lösungsmöglichkeiten, sondern auch die hiermit eingegangenen Folgewirkungen und Risiken aus dem Bewußtsein der beteiligten Akteure verdrängten. Das beste Beispiel hierfür ist sicher die Durchsetzung der Schrämmaschine, anstelle des - etwa in Deutschland allgemein verbreiteten - Preßluft- bzw. Abbauhammers. Es bleibt die Frage, welche Rolle und welches Gewicht, angesichtsdieses Verhaltens der Verwender, dem Zuliefermarkt in der technischen Entwicklung zukam sowie von ihm erwartet wurde. Denn erst infolge der durch sie zustandekommenden Nachfrage bestimmen einerseits die Technikanwender, wie eine der wenigen Studien zu diesem Bereich ausführt, >>in letzter Konsequenz die Stoßrichtung der Entwicklung und Produktion von Technik bei den Herstellern und damit das Technikangebot«, andererseits sind >>Anwender von Techniken und Technologien ... weitgehend auf das Angebot von Herstellern angewiesen und verwiesen.Ideologien< ebenso wie das schließlich eintretende Endergebnis: die Nationalisierung bzw. Nicht-Nationalisierung, im britischen und im deutschen Bergbau unübersehbar unterschiedlich. Hierfür waren, so konnten wir im einzelnen nachweisen, in zentraler Weise die sachlichen Grundlagen und Strukturen, die in beiden Ländern - eben unterschiedlich - vorhanden waren und durch die der Industrialisierungsimpuls gleichsam hindurch mußte und >gebrochen< wurde, verantwortlich. Die - unterschiedliche - Beschaffenheit und Befindlichkeit der natürlichen Bedingungen sowie ihrer technischen und systembedingten Aneignung waren es, die für unterschiedliche Ausgangslagen sorgten und nach anderen Lösungswegen suchen ließen. Hinzu kamen die Verhältnisse und Einflüsse von Absatzmarkt, Zuliefermarkt und Staat. Gerade der Staat und die hinter ihm liegenden gesellschaftlichen Kräfte, Interessen und Ideologien waren es nämlich, die von vornherein, wie auf dem Gebiet des Bodens, oder erst allmählich, wie im Bereich des Arbeitsschutzes und des Absatzmarktes, der - dem System eigenen - Herrschaft der Gesetzte und Kräfte des freien Marktes Grenzen setzen konnte und tatsächlich setzte. Und gerade hier wurde deutlich, wie unterschiedlich die Rolle des Staates in Großbritannien und Deutschland war und wie verschiedenartig (und damit wieder neue Unterschiede provozierend) sein Einfluß auf die Durchführung und den Gang der Industrialisierung folglich sein mußte. Anders als im deutschen war die im britischen Bergbau zutage geförderte Kohle lange Zeit, und für nicht wenige - kleinere - Betriebe und Unternehmen galt dies offensichtlich bis zum Abschluß unseres Untersuchungszeitraums fast regelmäßig, rein und von hervorragender Qualität, relativ leicht (und kostengünstig) erreich- und abbaubar. Hieraus ergab sich, daß, konträr zur deutschen Erfahrung, lange Zeit ein hoher technischer und Kapitalaufwand nicht vonnöten war und daß die Schaffung und die weitere Existenz vieler kleinerer Betriebe und Unternehmen für die technische und kapitalmäßige Bewältigung der Kohlegewinnung ausreichte. Diese Tendenz wurde noch gefördert durch die Tatsache, daß Großbritannien, anders als Deutschland und Frankreich, über reich25.
388
VII. Das Resultat: Industrialisierung und nationaler Sonderweg
haltige und weitgestreute Kohlevorkommen verfügte, auf die sich die Deckung des Bedarfs verteilen konnte, mit der weiteren Folge der Ermöglichung eines geringeren Wachstumstempos. Neben der durchweg großen Anzahl der Betriebe und Unternehmen bewirkten die naturgegebenen Bedingungen zunächst, wiederum völlig anders als in Deutschland, einen vergleichsweise geringen Kapitalbedarf und eine entsprechend schmale und restriktive Kapitalausstattung der Unternehmen, dafür aber eine hohe und kurzfristige Gewinnerwartung der Kapitalgeber. Dies bedeutete, bereits ohne die Berücksichtigung der - bescheideneren - Rolle des Staates, zugleich von vornherein eine weit größere Öffnung gegenüber den und einen höheren Wirkungsgrad der Kräfte und Gesetze des freien Marktes, also dessen, was schon deutsche Zeitgenossen ebenso wie heutige Kritiker1 polemisch >kapitalistische Anarchie< nannten, mit der Folge weit höherer Bewegtheit, Fluktuation, Unsicherheit und Unüberschaubarkeit. Selbst Form und Ausmaß der Staatsintervention wurden auf Dauer - so sahen wir - von diesen Elementen des freien Martkes bestimmt. Banken spielten, außer zur meist kurzfristigen Schuldendeckung, eine vergleichsweise geringe Rolle. Trotz heftigster Konjunkturschwankungen und langer Jahre niedriger Gewinne, wenn nicht Verluste, herrschte engste Konkurrenz und ausgeprägtes Konkurrenzbewußtsein zwischen den Unternehmen, und Versuche zur Kartellierung kamen - trotz der auch hier ausgesprochenen Starrheit der Anbieter- und der hohen Flexibilität der Nachfrageseite- spät, mühsam und zögernd zustande. Dies lag nicht nur an der großen Anzahl und Verschiedenartigkeit von Unternehmen und Revieren, sondern auch - anders als in Deutschland- an der Größe des Absatzmarktes, der durch seinen weltweiten Umfang und seine entsprechende Differenziertheit nur schwer einheitlich zu organisieren war. So kam es denn, daß - anders als in Deutschland - die Konkurrenz zwischen den Unternehmen mit für den Bergbau letztlich - in finanzieller wie technischer Hinsicht - fatalen Konsequenzen fast bis zum Ende unseres Untersuchungszeitraums fortbestand. Dies hieß zunächst, daß es auch keine kollektiven konjunkturüberbrückenden und -ausgleichenden Maßnahmen wie im deutschen Bergbau gab und geben konnte, die Unternehmen also weiterhin und durchweg den ausgeprägten Konjunkturschwankungen ungeschützt ausgesetzt waren. Und dies - abgesehen vom Charakter der Arbeiterschaft und der Rolle des Staates - brachte es wiederum mit sich, daß, im Gegensatz zu Deutschland, auf dem Gebiet des Arbeitsmarktes so früh und so intensiv für die Schaffung und Aufrechterhaltung von Regelungen und Institutionen gesorgt wurde, die gleichsam statt auf dem Absatzmarkt hier auf dem Arbeitsmarkt die Konjunkturanpassung und den Konjunkturausgleich erbrachten. Und weiterhin bedeutete die Aufrechterhaltung der Konkurrenz, daß der Handel - anders als in Deutschland - sowohl finanziell
1
Vgl. etwa: R. Aron, Die industrielle Gesellschaft, 1964, S. 80; auch: Dahrendorf, Gesell· schaft und Demokratie, S. 50.
VII. Das Resultat: Industrialisierung und nationaler Sonderweg
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als auch strategisch eine starke und unabhängige Stellung behielt, eine Stellung, dieertrotz mancherlei Gegenmaßnahmen der Bergbauunternehmen nicht nur dazu nutzte, die eigene Einkommenslage und Ausgangsposition weiterhin zu verbessern, sondern auch die Konkurrenz zwischen den Bergbauunternehmen aufrechtzuerhalten. Schließlich brachte die durchgehende Existenz der Konkurrenz, also gerade die Aufrechterhaltung der Marktverhältnisse, es mit sich, daß der Bergbau und seine Unternehmen in Großbritannien - im Vergleich zu Deutschland - weit weniger Macht und Einfluß auf allen Märkten, gegenüber den Arbeitnehmerorganisationen wie auch gegenüber dem Staat besaßen. Die ausbleibende Karteliierung und das ungebremste Wirken von Konkurrenz und Konjunktur hatten nicht nur überbetriebliche, sondern auch innerbetriebliche Folgen, die den Bedürfnissen nach Stetigkeit und Berechenbarkeit der auch hier sich unvermeidlich herausbildenden Großbetriebe zunehmend widersprachen. Und die vergleichsweise geringe Rolle der Banken, die etwa in Deutschland regelmäßig für die Verbesserung des Rechnungswesens und der Verwaltung sowie für eine- auch in technischer und organisatorischer Hinsicht -langfristige Perspektive bis hin zu einer Lockerung der unmittelbaren »Verbindung zwischen Markterfolg und Überlebenschance eines UnternehmensManagements>UnmodernitätGenerationen bewußt oder unbewußt als das Ideal des modernen KapitalismusObjektiveSubjektive< Faktoren, die den Gang der Entwicklung bestimmten. Aufgrund
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Der auf die Baumindustrie spezialisierte Maschinenbau etwa, so schreibt schon SchulzeGävernitz (S. 110), ermögliche >>eine bedeutende Verbilligung der Anlagen wie Betriebskosten gegenüber Betrieben, die ihre Maschinen von weit her beziehen und besondere Reparaturwerkstätten mit hoch bezahlten, dabei oft nicht voll beschäftigten Mechanikern halten müssen. In England werden Aufstellungs- wie Reparaturarbeiten durch benachbarte Maschinenwerkstätten besorgt, welche zugleich den Besitz der fortgeschrittensten Technik verbürgen.«
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VII. Das Resultat: Industrialisierung und nationaler Sonderweg
der, wie im Bergbau, durchweg und ungebrochen herrschenden Bedingungen von Konkurrenz und Konjunktur und der hiermit einhergehenden faktischen Unsicherheit, deren mentales Substrat sich offensichtlich verselbständigte und die jeweilige Zukunft und ihre Einschätzung noch zusätzlich belastete, herrschte auch hier offenkundig das Konzept der engen Risikolimitierung. Da man an der Tatsache und selbst an dem Ausmaß von Konkurrenz und Konjunktur nichts ändern konnte oder wollte, hatte man sich auf deren Herrschaft einzurichten.8 Die Möglichkeiten der Einsparung von fixem Kapital wurden oft genug, oder eher in der Regel, genutzt: Fabrikräume wurden sparsam ausgestattet oder nur gemietet, Maschinen - trotz der Erreichbarkeit jeweils modernster Technik und zumindest beschränkter Kredit- und Kapitalreservenoft alt und gebraucht angeschafft oder ebenfalls nur gemietet, Innovationen nur stückweise und langsam eingeführt, umfassende Neuanlagen vermieden oder weit hinausgezögert9 , die durch den technischen Fortschritt zu erzielenden Vorteile und Gewinne eher skeptisch und abwartend beurteilt und stattdessen eine höhere Arbeitsintensität zumindest in Kauf genommen, wenn nicht, zur Verringerung fixer Kosten, gezielt anvisiert. 10 Die Möglichkeiten und Vorteile von großbetrieblicher Produktion, Koordination und Management ebenso wie die Chancen von rückwärtiger oder vorwärtiger Betriebs- bzw. Unternehmensintegration nahm man eher zweifelnd und abwehrend zur Kenntnis. Stattdessen bediente man sich angesichts des oft ebenfalls knappen zirkulierenden Kapitals, bei eng bemessener Vorratshaltung und hoher U mschlagsgeschwindigkeit, des - seinerseits wiederum stark arbeitsteilig und risikolimitierend organisierten- Handels, um knapp, kurzfristig und unter Nutzung momentaner Vorteile etwa Rohbaumwolle einzukaufen, sowie der nächstfolgenden Produktionsstufe, um etwaige Qualitätsprobleme des hergestellten Produkts auf diese abzuwälzen. Statt auf lang- oder mittelfristige Planung setzte man auf d~e kurzfristige Auch für die Wollindustrie wurde von Zeitgenossen festgehalten: »Das Vorherrschen des mittleren Kapitalisten, des individualistischen Bourgeois, der sich in die Konjunktur einzuordnen, nicht aber sie zu formen sucht, ist in jenen Gegenden noch ausgesprochener als im übrigen England.« Vgl. Vogelstein, S. 138 f. 9 E.J. Hobsbawrn etwa zitiert den >Carding and Spinning Masters Assistent< von 1832, der davor warnt, die maschinellen Einrichtungen, selbst wenn sie ineffizient arbeiten, zu ändern, weil die Kosten vermutlich die Ersparnisse überstiegen. Die Übereinstimmung mit den -weit späteren -Aussagen von anderen Ingenieuren und von Jevons ist augenfällig. Vgl. oben S. 247-249. E.J. Hobsbawrn, Custorns, wages and work-load in Nineteenth-Century Industry, in: A. Briggs/]. Saville, Hrsg., Essays in labour History, 1960, S. 113-139, S. 127. 10 >Automatischering-frarne>Ausnutzung einer vorübergehenden Konjunktur als eine[r] dauernde[n] Kapitalanlage« gesehenY Wie stark gerade diese subjektiven Faktoren waren, zeigte sich, als sich die objektive Lage änderte. Statt der langen Führungsstellung in der Welt in bezug auf Technik, Produktivität und Preise hatte man seit etwa 1890 mit der Konkurrenz insbesondere der USA, später auch Japans und anderer Länder, zu kämpfen, eine Konkurrenz, die nunmehr radikal auf eine technik-, kapital- und managementintensive, standardisierte Massenproduktion setzte. Hiermit erfolgte nun der entscheidende Umschlag in der Weltbaumwollindustrie vom Modell der externen zu demjenigen der internen >economies of scale>Zersplitterung« der Betriebe und U nternehmen eine >>auffällige ErscheinungMan ist im ersten Augenblick geneigt, das Gegenteil anzunehmen, denn die moderne Großeisenindustrie hat nicht nur von England ihren Ausgangspunkt genommen - die englische ist also die älteste unter den dreien - sondern sie ist auch lange vor dem Aufkommen des deutschen und amerikanischen Wettbewerbs im Besitze einer solchen Machtstellung gewesen, daß ihr eine freie Entwicklung gestattet war. Man sollte meinen, daß auch dieser Teil des Problems der industriellen Organisation frühzeitig in Angriff genommen wäre, wie es ja mit einem anderen nicht minder wichtigen geschehen ist, der Regelung der Arbeiterfrage, deren Lösung zum ersten Male in England versucht wurde. Aber hier hat England zurückgestanden ... Speziell in der Eisenindustrie war weder in Deutschland noch in den Vereinigten Staaten die Zahl der einzelnen Betriebe und Unternehmungen so groß, noch bestanden unter ihnen in qualitativer Hinsicht solche Unterschiede wie in England. Reine und gemischte Werke, große und kleine, technisch rückständige und fortgeschrittene, fast alle Wert legend auf die Besonderheit ihrer Erzeugnisse, so standen sich die Werke in ihrer
16 Vgl. hierzu etwa die Angaben bei: Dobb, S. 264, 279; Vogelstein, S. 47; Wengenroth, U nter17
nehmensstrategien, S. 195, 221 f.; für die frühe Zeit vgl. S. Pollard, The Genesis, S. 94-104; Sieferle, S. 157 f. Vgl. H . Niebuhr, Die Reorganisation der englischen Eisenindustrie, 1923, S. 15.
1. Die Repräsentativität des Kohlenbergbaus: Das Beispiel anderer Industrien
397
Gesamtheit gegenüber.« 18 Die Eisen- und Stahlunternehmen, deren Zahl gerade auch in der Hausse der 1870er Jahre, aber auch noch im darauffolgenden Jahrzehnt, stark zunahm, waren in der Tat meist vergleichsweise klein und zugleich in mehrfacher Hinsicht stark zersplittert. Noch im Jahre 1907 berichtete Henry Macrosty: »In the whole of the United Kingdom there are, after allowing for associated companies, some 101 blast furnace companies ... , and thirty of these in Scotland and on the North-East Coast are responsible for half the total output. There are about ninety-five steel-making concerns, of which some twenty-eight also possess blast furnaces.« 19 Die Ursachen für diese Entwicklung, die- wenn auch nur langsam- zunehmend die Konkurrenzfähigkeit und Rentabilität der beteiligten Unternehmen wie auch der britischen Eisenindustrie insgesamt gefährdete, sind weitestgehend in jener hier interessierenden, inner- und überbetrieblichen Organisation des Industriezweigs selbst zu finden. Bei - durch die freie Konkurrenz und die technische Rückständigkeit aller übrigen Länder- über Jahrzehnte hinweg gesichertem, aber differenziertem und nur langsam wachsendem Absatzmarkt konkurrierten die vielen Betriebe und Unternehmen miteinander. Dies schloß eine - räumlich und zeitlich meist eng begrenzte - gemeinsame Abstimmung in Preis- und Lohnfragen nicht aus. 20 Die technische und finanzielle Ausstattung war- oft nicht nur aus späterer Sicht - bescheiden, die Perspektive kurzfristig. So hieß es beispielsweise im Bericht der Midland Mining Commission im Jahre 1843 über die Verhältnisse in Staffordshire: >>Der Fluch der Eisenindustrie ist die Leichtigkeit, mit der Leute mit keinem oder nur geringem Kapital in dieselbe haben eindringen können. Solche Leute gebrauchen alle möglichen Ausflüchte, um sich vor dem Ruin zu retten, welchem sie durch ihre leichtsinnige Spekulation fortwährend ausgesetzt sind. Daher rücksichtslose Ausbeutung der Arbeiter, welche diese ihrerseits mit Unzufriedenheit und Arbeitseinstellungen beantworten; daher auch Überproduktion, Verkäufe zu Spottpreisen und schlimme Geschäftskrisen, welche nicht nur die Spieler, die das Übel gestiftet haben, ruinieren, sondern auch Tausende von Familien aller Volksklassen und Berufe in Mitleidenschaft ziehen.«21 Ebd. H. W. Macrosty, The Trust Movement in British Industry, 1907, S. 24; vgl. auch: R. lwata, Marketing Strategy, S. 186; B. Elbaum, The Steel Industry before World War I, in: ders./W. Lazonick, Hrsg., The Decline of the British Economy, 1986, S. 51-81, S. 54-56, 59; S. Tolliday, Steel and Rationalization Policies, 1918-1950, in: ebd., S. 82-108, S. 84. 20 Vgl. hierzu etwa: Vogelstein, S. 70ff.; Wengenroth, S. 152-154, 172-174. 2 1 So Commissioner Tancred, in: Midland Mining Commission. First Report: South Staffordshire, 1843, zit. nach: F. S. Baldwin, S. 80. Zum Zusammenhang von Kapitalknappheit, heftiger Konkurrenz und Preisabfall allgemein in der britischen Eisenindustrie (in den 1850er Jahren) vgl. auch G. Wi!kie, The Manufacture oflron, S. 9, 11, 115, 138, 145f.; für die kleinen Unternehmen der Baumwollindustrie vgl. D.A. Farnie, S. 288. 18
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Noch sechs Jahrzehnte später konnte festgestellt werden: »The fact remains, that few trades have had such ups and downs, and while few have built up so many large fortunes, it is probably equally true that few have recorded so many dismal failures. lt is, for example, not a generation ago since nearly every ironmaking firm on Tees-side appeared to see nothing ahead but the environing gloom of stark, staring, certain ruin, and since firms that have at all other times been synonyms for success and solvency, were spoken of as certain candidates for the receiver's hands. And so, mutatis mutandis, with nearly all the other leading iron-making districts in the country. . .. Usually prices determine production, and when prices are unprofitable, production naturally falls off. This, again, is one of the most disheartening experiences that have to be faced by the ironmaster and steel manufacturer. He has all the trouble, cost, and anxiety attendant on opening out new sources of supply, developing new markets, engaging new hands, providing new plant and structures, and making other arrangements for a larger and more stable business, only to find that he has wooed one of the most fickle of mistresses, and that circumstances beyond his own control have caused all his plans to miscarry.«22 Die Beschaffung von Kapital erfolgte, falls die eigenen Mittel nicht ausreichten, wie in der Textilindustrie und im Bergbau auf kurze Sicht,23 und ein Abfallen der Rentabilität machte es umso schwieriger, überhaupt fremde Mittel zu erlangen.24 Umso mehr folgte auch der Einsatz von Arbeitskrii.ften und Technik den ICTR, 13. Juni 1902, S. 1457. Vgl. hierzu etwa: E. Jaffe, Die englische Baumwollindustrie, S. 1036f.; ders., Englisches Bankwesen, S. 128 f.; Niebuhr, S. 58. Dies änderte sich für die Zeit von etwa anderthalb Jahrzehnten nach dem Boom von 1919-20, als ,.The Iure of high profits, overcame traditional caution, and the banks' overdraft business (traditonally centred on a speedy turnover) became tied up in frozen loans in the downturn of the 1920s.« S. Tolliday, Steel, S. 94. 24 Trotz der industrieorientiertereD Organisation der Banken in Deutschland teilten sie dieses Schicksal offensichtlich mit den nicht-kartellierten deutschen Industriezweigen; so schrieb K. Wiedenfeld kurz vor dem Ersten Weltkrieg: »man bedenke, wie leicht und geradezu grenzenlos unsere Kohlen- und Schwereisen-Industrie dank ihren Syndikaten alle ihre Kapitalbedürfnisse decken können, während die Textilindustrie, die kleineren Zweige der Maschinenindustrie, die Kleineisenindustrie u. a. m. an fast chronischem Kapitalmangel leiden.« Vgl. Wiedenfeld, Die Kaliindustrie und das Reichskaligesetz, in: Schmollers Jb. 35, 1911, S. 1971-2028, S. 2001; für den Übergang von einem nicht-kartellierten zu einem kartellierten Wirtschaftszweig und seine Folgen vgl. W. Eucken, Die Verbandsbildung in der Seeschiffahrt, 1914, S. 213. Diese Feststellungen und Bemerkungen sind wohl geeignet, neues Licht auf die bislang diskutierte Frage des Kapitalmangels sowie auf das Problem der Kapitalverteilung zu werfen. Die deutschen Banken bevorzugten - zum nicht geringen Teil im Reflex auf die >objektiven< Verhältnisse- nicht nur, wie Kocka (S. 103 f.) schreibt, die Produktionsgüterindustrien, insbesondere den Montanbereich und die Elektroindustrie, vor den Konsumgüterindustrien, nicht nur große vor kleinen Unternehmen, sondern gerade auch kartellierte vor nicht-kartellierten Unternehmen und damit solche mit längerfristig gesicherter, nicht zu niedrigerer Rentabilität. 22 23
1. Die Repräsentativität des Kohlenbergbaus: Das Beispiel anderer Industrien
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wirtschaftlichen Konjunkturen und ihren Auswirkungen. Je nach konjunkturellem Bedarf wurden Arbeitskräfte eingestellt oder entlassen, Akkordlohnsätze, wie ein Gewerkschaftsvertreter im Unterschied zu den USA noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts beklagte, festgesetzt und bald wieder- vonseitendes Unternehmers - gesenkt, 25 und die Arbeiter beantworteten die wechselnden konjunkturellen Anforderungen nicht selten auf ihre Weise: >> ... when trade was good and wages high, [they] elected to work short time and maintain the same weekly wages in worse times, the output per man per week being thus curtailed.«26 Und der Zusammenhang von Technik- und Arbeitskräfteeinsatz wird am Beispiel der Weißblechindustrie von Südwales schlaglichtartig deutlich. Hier konnte sich ein Beobachter am Vorabend des Ersten Weltkrieges von der Bedeutung einer Bevölkerung überzeugen, »die in Aufschwungszeiten nicht teuer arbeitet und während der Depression nicht abwandert. Die starke Beteiligung der Frauen vergrößert das Arbeitsreservoir, aus dem man schöpfen kann. Es sind genug Mädchen und Mütter da, die bei einer kleinen Lohnerhöhung bereit sind, für sechs Monate oder ein Jahr in die Fabrik zu gehen, um dann mit dem ersparten Lohn an ihren Herd zurückzukehren. Die Ausnützung dieser industriellen Reservearmee wäre natürlich bei einer Betriebskonzentration so gut wie ausgeschlossen. Ihr Vorhandensein erleichterte den neuen großen Aufschwung der Weißblechindustrie seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts.« 27 Massenproduktion, der Einsatz arbeitssparender Technik sowie die betriebliche Organisation insgesamt wurden von den unmittelbar Beteiligten, den britischen Unternehmern selbst, gerade in der Zeit um die Jahrhundertwende in den USA, aber auch in Deutschland und Belgien bewundert. Eine von der British Iron Trade Association im Jahre 1894 entsandte Delegation, die eine größere Anzahl von Eisenwerken in Belgien und Deutschland besuchte und dort eine große Menge authentischer und zuverlässiger Informationen sammeln konnte, hielt in ihrem Bericht zusammenfassend unzweideutig fest: >>There is no room for doubt that the Belgian and German iron and steel works are well to the front in respect of mechanical means of production.... The general arrangements of the blast-furnace plants, so far as we could judge, are modern and excellent, and the proprietors and managers appear to be working to secure large output with a minimum of capital and labour expenditure. In Great Britain efforts have been made in the same direction with at least equally good results. In the finished iron and steel works which we visited, we found that the practice adopted was excellent, and in some respects apparently in advance of that with which we are acquainted in this country. The newer plants, in both So Mr. Arrandale von der United Machine Workers' Society, zit. in: ICTR, 9. Jan. 1903, 115. 26 So W. Hawdon (Middlesborough) beim Jahrestreffen des Iron and Steel Institute über die Erzbergleute, zit. nach: Colliery Guardian 96, 2. Okt. 1908, S. 668. 27 T. Vogelstein, S. 50.
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s.
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Belgium and Germany, appear to have been designed and constructed so as to secure very economical results. The German Bessemer practice was especially admirable, and the sheet and wire mills are of the latest types, and seem to work with a minimum labour cost. This feature is perhaps one of the most prominent of continental manufacture; and while we fully recognise the advances made in this direction in English industry, we were considerably impressed with the general application of mechanical arrangements for relieving labour of its more exhaustive characteristics.«28 Die Vorteile der großbetriebliehen Produktionsweise waren auch für die britischen Unternehmer klar ersichtlich, doch arbeitete jene eindeutig zuungunsten der eigenen Industrie. Denn obwohl zu diesem Zeitpunkt viele Hüttenwerke in Großbritannien etwa dreimal soviel produzierten wie ein Vierteljahrhundert zuvor29 , seien, so stellten sie fest, nur zwei, höchstens drei britische Werke etwa mit der Gutehoffnungshütte in Oberhausen oder mit der belgischen Societe Cockerill vergleichbar. 30 Neben der vielseitigen - eben: unternehmensinternen - Ökonomie des Großbetriebs kontinentaler Prägung zog insbesondere ein Moment die Aufmerksamkeit der britischen Unternehmer auf sich: die Stetigkeit des betrieblichen Produktionsprozesses, die nach ihrer Meinung insbesondere Folge zugleich der stufenweise integrierten und kombinierten Produktionsweise, der Tätigkeit von Absatzsyndikaten und des Verhaltens der Arbeiterschaft war. »The uniform growth of the iron industry of Germany from year to year, and the inconsiderable backward variations in the production of ores, fuel, iron, and steel, justify the conclusion that the operations of industry are carried on more steadily in that country than in our own. This may, of course, be due to greater steadiness of trade, but it may also be due to the more steady-going character of the workmen employed. We were informed that in Germany strikes were almost unknown. lt is obvious that the steady course of industry in any country has a tendency to give stability and permanence to its operations, which could not be expected from other conditions.... The workman who is regularly and steadily engaged at work is not only earning better wages for himself, but is in a better position to do good work; while the effect of such a state of matters on the employer is that he gets the maximum production out of his plant, no heats being lost through broken time, &c.«31 Mit der eher kleinbetriebliehen und oft unstetigen Produktionsweise einher ging die Tatsache, daß die Arbeitsteilung und Spezialisierung zwischen den, aber auch
The iron and steel industries of Belgium and Germany. Repon of the delegation organised by the British Iron Trade Association, 1896, S. 12f. 29 Vgl. ebd., S. 14. 30 Ebd., S. 20. 31 Ebd., S. 16. 28
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innerhalb der Betriebe und Unternehmen bis ins 20. Jahrhundert hoch, die Standardisierung gering blieb. >>In Germany and the United States«, so beobachtete man von britischer Seite aus, »Sections, specifications, and tests have now for a number of years been more or less standardised - that is to say, a certain limited number, likely to suit the every-day requirements of the greatest number and variety of interests, are selected as the only ones to be followed in general practice, and, when others are called for, the buyer has to pay a considerably higher price for the gratification of a demand that may be, and frequently is, founded only on caprice. In Great Britain this important movement had not even been begun until quite recently, largely because our manufacturers feared that if they suggested standard sections, and specifications their consumers would be likely to take their orders elsewhere, but also partly, no doubt, because those manufacturers who had the greatest variety of rolls and the most ample facilities for meeting outof-the-way and capricious demands, expected to gain so mething over their competitors by the fact that they were in that position. Quite recently, therefore, and, indeed, up to the present time, the following was the position held by the three chief manufacturing nations in reference to sections produced in three of the largest branches of the iron and steel trades, which are selected as typical of a much larger range of manufacturing operation: Number of Sections Rolled. Great Britain
Germany
United States
Rolled steel channels Angles of unequal sides Beams
63 59 49
20 14 33
14 18 17
Total
171
67
49
In these three categories, which are some of the most important followed in our iron and steel manufacturing industries, the number of sections adopted in British practice is shown to be 250 per cent. greater than in the United States, and 155 per cent. greater than in Germany. This means that the British manufacturer is handicapped to that extent in competition with his rivals in those countries, because he is compelled to provide rolls to enable him to supply those sections when called for, ordinarily without any corresponding increase of price from his customers. In not a few cases, therefore, the German or the American manufacturer may get off with on outlay on rolls of, say, [. 5,000 or [. 7,000, in a works of ordinary dimensions, while the British manufacturer may, and sometimes has, to incur a corresponding outlay of not less than [, 30,000 to [. 40,000. But even this is not the worst of it. The American and the German manufacturer can usually depend on a long run on a particular section, say for beams, girders, or channels, so that his outlay for changing and renewing 26 Berg
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rolls per ton of product is trifling, whereas the British manufacturer may, over the same tonnage, have to incur the very considerable outlay incidental to changing and renewing his rolls several times, because of the smaller bulk of the orders he can rely on receiving for any given section. Reduced to simple terms, the British manufacturer is likely to find his expenditure under this head several shillings a ton greater than his foreign rival, and he is thereby placed in a position of obvious disadvantage in competition for foreign orders and largely also for those of home origin.«32 Folgerichtiges Ergebnis geringer Standardisierung, hoher zwischenbetrieblicher Arbeitsteiligkeit und eines weiten Absatzmarktes war zunächst die Rolle des Handels. Noch zu Beginn der 1920er Jahre konnte festgehalten werden: >>Die Bedeutung des Eisenhandels ist in keinem anderen Lande so groß wie in England. Sie kann geradezu als ein Charakteristikum der Industrie bezeichnet werden.... Nach außen ist es der Export, nach innen die örtliche Differenzierung der Industrie, die Verschiedenheit der hergestellten und nachgefragten Qualitäten, sowie das Bestehen der reinen Werke, die immer noch dem Handel Existenzberechtigung geben.« Allein die Tätigkeit des Handels habe schon genügt, >>Um Kartelle so gut wie unwirksam zu machen« 33 • Die Organisation und Leitung der Betriebe und Unternehmen war in der Regel an kurzfristigem Erfolg und kurzsichtiger Sparsamkeit orientiert. Bewundernd und die Unterschiede markierend, stellte ein britischer Fachmann in der amerikanischen Eisenindustrie um die Jahrhundertwende fest: >>Though, as I have said, many of the directors are specialists, men who minutely understand their business, their good judgment and keen sense of proportion makes them trust all details to their managers. Another characteristic ist their patience in awaiting results, which often turns a seeming failure into success. Though patient, they are, however, the most energetic of men, ready to overcome obstacles and to revolutionise existing conditions, instead of bending and submitting to them.«34
>Commercial lntelligence< nach: ICTR, 20.Juni 1902, S. 1522. Für abweichende Zahlen bei der Standardisierung vgl. Landes, S. 296. Zum Bestreben britischer Eisen- und Stahlunternehmen, den traditionell differenzierten Märkten gerecht zu werden und gerade durch nicht-standardisierte, spezialisierte Produkte Abnehmer anzuwerben oder zu halten, vgl. S. Yonekawa, S. 247, und R. Iwata, S. 186f. 33 H. Niebuhr, Die Reorganisation, S. 41f.; auch: S. 35. Weiter hierzu vgl. auch: R. lwata, S. 186; T. H. Burnham/G. 0. Hoskins, Iron and Steel in Britain, 1870-1930, 1943, S. 237; G. C. Allen, The lndustrial Development of Birmingham and the Black Country: 1860-1927, 1966, s. 152-155, 344-349. 34 J. S. Jeans, Hrsg., American Industrial Conditions and Competition. Repons of the Commissioners appointed by the British Iron Trade Association to enquire into the iron, steel, and allied industries of the United States, 1902, S. 499.
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Im Vergleich glaubte er für die europäische Seite dagegen festhalten zu können: >>Üne controlling principle in many European concerns is never to spend any money that can be avoided. Another is never to do to-day what can be put off till to-morrow. The average European director - that is, the typical member of a typical board - is mainly a commercial man, and he Iooks with suspicion upon all proposals founded on the expenditure of large sums of money. He may not realise the importance of keeping up the efficiency of the plant and equipment to the highest Ievel, and he is more or less liable to distrust managers and managing directors, who are what are called >expensive meneapability is not wanting, but the large body of mechanical workers is spoiled by mismanagement and bad supervision,incompetent technical superintendents hold positions secured through influence by the commercial directors, who have no knowledge of mechanical requirements or of the industrial situation, and have, moreover, no appreciation of practical results.< >English industrial enterprisesare in some respects in the same condition>As practical men they all knew how difficult it was to persuade the practical people in their works that there was any value in experiments of this sort, and particularly in the results obtained. He thought it was not altogether a bad feature, but rather a good thing, that their workmen were practical and conservative, because their conservatism was, unknowingly, the result of experience, and however great the importance they must attach to theory and experiments, they must always attach great importance to experience, particularly of their workmen and foremen who bad always gone through the mill. When they were conducting the experiments of Mr. Stead, as to reheating the material and restoring its strength, the foremen and workmen said that it was all nonsense, and it was surprising to notice first the more intelligent works manager and bis assistant, then the foreman, and finally the smiths were totally surprised. What was more difficult to get from working men, they were willing to admit it.«36 Jeans, S. 81; die zitierten Stellen sind aus: Engineering Magazine, Bd. 17, 1899, S. 19. In dem bereits genannten Bericht der Delegation der British Iron Trade Association (S. 16f.) nach Deutschland und Belgien hatte es jedoch nur wenige Jahre früher geheißen: »Ability to direct and control was no less conspicuous than readiness to act upon instructions, and there is no doubt in our rninds that the fact of the direct rnanagernent and superintendence being confined to rnen who have proved their worth and ability by rising in the ranks of industry, supplernented by the additional advantage of a special scientific and technical education, rnust tend greatly to the establishrnent of rnore efficient and econornic rnanagernent - an irnportant factor in Contineotal production.>Als Riley 1900 dem Iron and Steel Institute seine schließlich von Erfolg gekrönten Bemühungen beschrieb, in den schottischen Siemens-Martin-Werken heißes Roheisen zu verwenden, stellte er fest, der mangelnde Glaube an den Erfolg und der passive Widerstand, dem er häufig begegnet sei, hätten ihn mehr entmutigt als alle Schwierigkeiten, die während seiner Tätigkeit und der Erprobung praktischer Methoden aufgetreten seien. Der Konservatismus der Zinnblechproduzenten war weithin bekannt. >Allgemein gesprochenVerhält es sich so, daß, wenn irgend etwas Neues in einen Arbeitsprozeß eingeführt wird und nicht auf Anhieb ein Erfolg ist, man es sofort wieder aufgibt.< Die Antwort auf Neuerungen bildete die Frage, ob >irgendein anderer Narr sie bereits ausprobiert< habe.>are frequently called on to serve some of the largest and most influential firms in the country, who have in their employ large numbers of superintendents and engineers that might be thought equal to any work demanded of them>that the cost of administration is usually less than in British works having the same extent of production.>There is a tearing out of all old plant«, stellte einer von ihnen fest, »a preparing of bigger interests and bigger things generally. We, in this country, have had our interests, whatever may be the reason, too narrowed. We have hesitated to tear up old plant and to read the new signs of the times, and to provide for the good trade in front of us, not under the old conditions. We must take notice that after every boom there is a reaction, and that the current of trade is never precisely the same as before. Therefore, we may say to those who provide capital, >lt is perfectly true, though you were established 30 or 40 or 50 years ago, you have ceased to have any justification for your existence>Klagen der Beteiligten, die Schwierigkeit für manche Werke, Geld zu erhalten, und endlich vielerorts die Unmöglichkeit, schon längst als notwendig erkannte Verbesserungen>which are frequently most unreasonable«. 49 Und: >>The loss on sale coal would be nothing compared with the loss by small makes of iron in good times.« 50 Selbst bei großen U neernehmen der Eisenindustrie waren offensichtlich weniger technische Argumente als vielmehr solche der Risikolimitierung sowie der Beobachtung und Nutzung des Marktes, darunter nicht zuletzt derjenigen des Arbeitsmarktes, vorherrschend. Und auch bei der Bereitschaft zur Schaffung und zum Ausbau gemischter Werke standen bei den Unternehmern nicht, wie in Deutschland und den USA, Produktions- oder Produktionskostenvorteile durch ein technisch und organisatorisch integriertes Verfahren im Vordergrund, sondern schlicht zusätzlicher Gewinn sowie die Nutzung und der finanzielle Ausgleich der Konjunkturen. 51 Das zentrale Problem insbesondere nach der Jahrhundertwende lag auf seiten der Nachfrage. >>Die Industrie durfte nicht an eine Reorganisation herangehen, als bis sie die Gewißheit eines genügend großen Absatzes hatte. Die Aufnahmefähigkeit des Marktes mußte einigermaßen mit der gesteigerten Produktivität schritthalten.«52 Jede technische Innovation bedeutete gleichzeitig auch Produktionsausweitung, doch bereits die alten Anlagen leisteten mehr, als zumeist abgesetzt werden konnte. 53 So brachte es denn auch erst der Erste Weltkrieg mit seinem Massenbedarf und der einheitlichen Oberleitung in den Händen des Staates fertig, die britische Eisenindustrie zu einer eindeutigen und unwiderruflichen Um- und Neuorientierung in Richtung auf das amerikaaisehe oder auch deutsche Vorbild zu bewegen. Erst nunmehr, mit der Verspätung etwa eines halben Jahrhunderts gegenüber den Hauptrivalen, waren Modernisierung und Rationalisierung, (Betriebs- und Unternehmens-)Konzentration und schließlich auch Karteliierung im nationalen und internationalen Maßstab die Devise. 54 Die wirkliche Durchsetzung dieser anvisierten Programme scheiterten jedoch auch jetzt noch oft genug und dann auch grundsätzlich an der Rigidität und Überlebensfähigkeit der geschilderten, institutionellen und mentalen Strukturen. 55
Zit. nach: Morris/Williams, S. 88. Zit. nach: ebd., S. 88 f. 51 Vgl. hierzu auch die übrigen Beispiele bei: Morris/Williams, S. 83-86, 90. 52 Niebuhr, S. 58. 5l Vgl. hierzu etwa: Vogelstein, S. 98. 54 Vgl. Carr/Taplin, History of the British Steel Industry, S. 381 ff. Zu den begrenzten Kartellierungsversuchen vor dem Ersten Weltkrieg vgl. oben Anmerk. 20. 55 Vgl. insgesamt: Tolliday, Steel and Rationalization Policies. 49
50
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»In der eisenerzeugenden Industrie erhöhte sichdie Produktionskapazität, wenn man Größe und Zahl der Hochöfen berücksichtigt, zwischen 1882 und 1913 um mehr als das Zweifache und zwischen 1882 und 1924 fast um das Dreifache. 1926 kontrollierten zwölf große Gruppen ... nahezu die Hälfte der Roheisen- und zwei Drittel der Stahlproduktion, und 1939 produzierten die drei größten Unternehmen 39 Prozent des Eisens und des Stahls.«56 In Deutschland aber stieg die Produktion an Roheisen je Hochofen zwischen 1913 und 1927 um etwa 70%, und im letzteren Jahr erzeugten hier fünf Unternehmen drei Viertel des Eisens und des Stahls.57 Und im Jahre 1929 belief sich die durchschnittliche Produktionskapazität je Hochofen in Großbritannien auf 48.000 t gegenüber 97.000 t in Deutschland und 138.000 t in den USA. 58 Trotz der umfassenden Reorganisation der britischen Eisen- und Stahlindustrie jedoch war bis in die 20er Jahre, so ein deutscher Beobachter, »das Gesamtergebnis nicht so ausgefallen, daß man sagen könnte, die technische Parität mit der deutschen oder amerikanischen Eisenindustrie sei wiedergewonnen.«59 So berechnete eine englische Untersuchungskommission im Jahre 1919, daß die untersuchten deutschen Werke 10-15% billiger als die britischen arbeiteten. 60 Noch fast ein Jahrzehnt später faßten britische Beobachter ihre Eindrücke von der deutschen Eisenindustrie typischerweise folgendermaßen zusammen: »In the absence of any substantial external assets the necessity to exploit to the full every natural resource and to produce rationally has been grasped, and out of the realisation that it is only by application, hard work and efficiency that she can win through. Germany has set herself sternly to the task, and her chief assets of rehabilitation, labour, technique and industrial efficiency have been expanded to the utmost .... The attitude of labour to the introduction and service of labour-saving and speeding up machinery is one of understanding ... Germany has always«, so fuhren sie fort, »laid great stress on healthy basic industries, and an investigation into the history of their development reveals from every point a progressive expansion, especially of her mining and metallurgical industries which contribute vitally as very large employers of labour to the national economy, not only directly by their ever-augmenting production but also indirectly by the numerous impulses imparted to the very extensive ancillary trades which thrive and expand under conditions which only an ordered policy can engender. U pon the progress of metallurgy is dependent in such large measure the well-being of the coal industry, the coke oven and by56 M. Dobb, S. 339. 57
58 59 60
Ebd.. vgl. ebd., S. 342. So Niebuhr, S. 86. Niebuhr, S. 86, nach: Stahl und Eisen, 1919, S. 1223.
1. Die Repräsentativität des Kohlenbergbaus: Das Beispiel anderer Industrien
411
product plant, iron ore mining and the transportation services as feeders on the one band, and as workers-up ont the other, of a vast nurober of trades, that it is difficult to minimise its importance as a buttress of the modern industrial state. The German producers have set themselves up on modern lines with the result that their industrial armament is now of such imposing proportions, so technically excellent, and backed by an industrious and less highly-paid body of labour, that the combination is one which will have a far-reaching influence on the world market .... The spirit of enterprise>the proprietors of chemical works, the representatives of chemical industry, are often not convinced of the necessity of employing in their works, thoroughly well trained men of general scientific education. The consequences will, however, teach that all those who occupy the old standpoint and allow their chemists only a consultative branch in their laboratories must go back, or adeast remain on the same spot, whilst others, who give qualified chemists the re'sponsibilities of practical management and take advantage of the above lessons, go forward. In no other field is the saying >inactivity is retrogression< so applicable as in that of chemistry, where constantly new inventions replace the older, and where not only technology but science progress so quickly.«82 Dies war die zentrale deutsche Erfahrung, doch während man sich anderswo gegen die Konsequenzen sträubte, erhob man hier die Lektion zum Programm: >>No industry is so closely allied to science as the chemical in which, it is true, one can arrive, though at a snail's pace, at new results without the use of scientific means; but in which definite results can only be obtained when the practitioners thereof are in close relation with the science, or better still, when they are authorities in the special field chosen for their labours. He who in technical chemistry relies, without scientific support, on empiricism, is like the blind who gropes his way along known thoroughfares, but cannot advance on unknown roads, and even if he succeeds after innumerable difficulties, passes along without noticing the points of interest.«83
Vgl. Wrigley, S. 176f., 181. So glaubte etwa die British Dyes Corp. noch im Jahre 1924, bei schlechtem Geschäftsgang zuerst an dem erst kurz zuvor eingerichteten wissenschaftlichen Laboratorium sparen zu können - mit der Folge, daß sein Leiter, A. G. Green, aus Protest seine Stelle kündigte. Vgl. B. Rassow, Die chemische Industrie, 1925, S. 74. 81 Duisberg, The education of chemists, S. 432. 82 Ebd., S. 428. Zur Notwendigkeit »Unablässiger Arbeit>In der chemischen Industrie«, so konnte man hier nach Ablauf eines halben Jahrhunderts rückschauend feststellen, »war die Entstehung von Großbetrieben frühzeitig durch eine Reihe bahnbrechender Errungenschaften der chemischen Wissenschaft gefördert worden, die neue Produktionszweige, wie die Teerfarbenindustrie, ins Leben riefen, deren Absatzmöglichkeit weit über die Kapazität des Kleinbetriebes hinausgingen.«90 Wie sprunghaft in Deutschland die Herausbildung des Großbetriebs und seiner Organisationsstruktur voranging, ist an den nachfolgenden Zahlen ablesbar; denn die Entwicklung der Belegschaften vermag hier eine ebenso deutliche wie beredte Sprache zu sprechen.
So Duisberg, S. 430. »Chemists who have to spend from five to six years in their education naturally ask high salaries, but it will be found that the capital so invested will produce good interest.>kontrollierten 1927-1928 in der deutschen Farbstoffindustrie die I.G. Farben fast 100 Prozent der Produktion, in England, die Imperial Chemical Industries Limited 40 Prozent und in Frankreich das Etablissement Kuhlmann 80 Prozent. Der Anteil der I.G. Farben an der Produktion synthetischen Stickstoffs betrug 85 Prozent der nationalen Produktion, derjenige der Imperial
96 97
98
1930 gelten nur für das Werk Leverkusen. - Auch Betriebe und Unternehmen anderer Industrien waren in ihrer inneren Organisation offenkundig ihren britischen Konkurrenten bereits ab ca. 1860, so etwa mit der Entwicklung spezialisierter Konstruktionsbüros im Maschinenbau, voraus. Und aus enger Vertrautheit mit den britischen Verhältnissen schrieb Werner Siemens an seinen Bruder Carl im Jahre 1870: >>In guter Organisation liegt das Übergewicht preußischer Unternehmungen vor englischen, welches manche großen Vorzüge der englischen überwiegt.« Vgl. Kocka, S. 87; A. Schröter/ W. Becker, Die deutsche Maschinenbauindustrie in der industriellen Revolution, 1962, S. 199ff. Vgl. H. Wickel, S. 56. Ein Jahrzehnt zuvor soll es in Großbritannien 51, in Deutschland 101 akademisch gebildete Chemiker gegeben haben. Vgl. Wrigley, S. 171. I. Levinstein, S. 357. Vgl. hierzu etwa: W.J. Reader, Imperial Chemical Industries: A H istory, 1970-1975.
1. Die Repräsentativität des Kohlenbergbaus: Das Beispiel anderer Industrien
423
Chemical Industries 100 Prozent, des Etablissement Kuhlmann 30 und des italienischen Montecatini-Konzerns 60 Prozent. In den Vereinigten Staaten war der Konzern von E. G. Du Pont de Nemours zu mehr als der Hälfte an der Landesproduktion beteiligt.«99 Aber auch noch zu diesem Zeitpunkt sahen die bereits oben zitierten britischen Beobachter Anlaß zu der bewundernden Feststellung: »The German industry is very fortunate in having at its head men of exceptional vision and men with wide experience of applied chemical science who are able to formulate definite lines of investigation and correlate the observations made over a very wide field of research to the solution of new problems. Germany has gone a very long way in utilising to the full the chemical talent which her technical colleges and universities have provided, grading the research workers according to their particular qualifications andin allocating to them work for which their particular talent in chemical technology fits them. The visionary experimentalist, the exact observer and the chemical engineer have each allotted to them a sphere of work destined to make best use of individual capacities. It is along the lines of repeated experiment and observation that the chemical industry has laid the foundation of its future achievements, and it is chiefly to the excellent combination of its directive policy and the patient research of its chemists that its success is largely due.wirklichen< Industrie, unterschieden. Ein Bergwerk war weitgehend, mitsamt seinen Installationen, ein >Wasting asset>Engländer und Deutsche arbeiten nach zwei ungleichen ... Methoden. In England heißt die Methode: Empirie und privater Unternehmungsgeist ohne allgemein leitenden Gedanken. In Deutschland heißt sie: wissenschaftliche Methode und disziplinarische Einordnung in das Ganze. Umfassende theoretische Vorbereitungen anzustellen, auf rein geistigem Wege den letzten Zusammenhang der Dinge zu ergründen, ist den Engländern tief widerlich. Diese Abneigung gegen Gehirnthätigkeit im höhern Sinne wird zweifellos einmal von schwerwiegender Bedeutung werden - desto mehr, jemehr die Zeit sich von den ursprünglichen, auf reine Erfahrungen begründeten Entwicklungsstufen des Industrialismus entfernt.... In Deutschland sind methodisches Denken und beharrliches Handeln nach festgestelltem Plane und unter zusammenhaltender Disziplin, die eben durch diese Methode und durch den aufgestellten Plan vorgeschrieben wird, unzweifelhaft zwei tiefeingewurzelte Züge des Nationalcharakters.... Die wirtschaftliche Kraft zu handeln ist bei dem Engländer wahrhaftig großanig, aber nicht hinlänglich unter die Botmäßigkeit der Intellektualität gebracht. Es ist eine mehr tierische als geistige Thatkraft, die sich von Einzelfall zu Einzelfall weitertastet, von der Hand in den Mund lebt und sich für den Tag zweckentsprechend einzurichten sucht, ohne darüber zu grübeln, ob dadurch Zweckmäßigkeit für die lange Zukunft, die unfehlbar mit heute anfängt, zu erzielen ist. Die Thatkraft des Engländers ist •praktischKultur< geworden, welche die Werte und Kriterien, Normen, Strukturen und Interaktionsmuster vorgibt, nach denen und aus denen jede Gesellschaft existiert und sich reproduziert. Kurz: Es sind die mentalen Orientierungen, die die Eigenschaft und die Aufgabe haben, für das - möglichst reibungslose - Funktionieren, für Ordnung, Stabilität und für die Fortentwicklung der Gesellschaft zu sorgen. Einerseits gewähren sie - nach innen Identität und - relative - Sicherheit, zugleich aber bewirken sie - folgerichtig- Differenzen zwischen Ländern und Nationen. Zwar ist es nicht unmög-
102
Zu einem operational definierten Begriff von Ideologie vgl. H. Siegenthaler, Organization.
432
VII. Das Resultat: Industrialisierung und nationaler Sonderweg
lieh und in der Tat eher die Regel, daß diese nationale Kultur oder einzelne ihrer Elemente sich verändern, doch ist dies, gerade auch angesichts der inneren Kohärenz und Symbiose dieser Elemente und der - drohenden vermeintlichen oder tatsächlichen - Verunsicherung im Falle ihres Wandels, ein in der Regel langwieriger und zäher Prozeß. Und die - anscheinend nach wie vor gültigen und unabänderlichen - Inhalte der klassischen ökonomischen Theorie, die zum festen und scheinbar unverrückbaren Bestandteil der nationalen Kultur geworden war, verlängerten diesen Prozeß im Falle Großbrianniens sichtlich. Die Folgen der genannten Faktoren und Zusammenhänge für den Bereich der britischen Volkswirtschaft waren offenkundig: Immer weiter entfernte sich die Ideologie des Managements von den eigentlichen, >Objektiven< Bedürfnissen der Industrie. Und die -negativen- Auswirkungen von steigenden Kosten und Preisen sowie von sinkender Produktivität und Konkurrenzfähigkeit und insgesamt von verlangsamtem Wachstum ließen nicht auf sich warten. Wollte man aber angesichts dieses Versagens, wie nicht selten geschehen, das britische Management des übermäßigen Konservatismus, der Unfähigkeit, ja der Irrationalität zeihen, so ist zu bedenken zu geben, daß sich die Dinge etwa auf deutscher Seite sehr ähnlich darstellen, nur mit anderem Vorzeichen: Auch hier hielt das Management bis weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus an den grundsätzlichen Orientierungen fest, die es in den frühen Stadien der industriellen Entwicklung herausgebildet hatte. Doch war dieses, wie ein Beteiligter formulierte, >>altdeutschnationale[s] Denken« 103 nicht, wie das britische, auf kleinbetriebliehe, sondern großbetriebliche Verhältnisse, und nicht auf unternehmensexterne, sondern auf unternehmensinterne Ökonomien gerichtet. Gekennzeichnet durch diese- offenbar typische- >Gleichzeitigkeit des UngleichzeitigenVertikale< Arbeitsteilung zu einer vergleichsweise geringen Zahl von Selbständigen und einer relativ hohen Zahl von abhängig Beschäftigten führte, bewirkte in Großbritannien eine dominant ·horizontale< Arbeitsteilung umgekehrt eine große Zahl von Selbständigen und eine relativ geringere Zahl von U nselbständigen.I 04 Und zum vierten schließlich führte die früh notwendig werdende Organisation und Kanalisierung der Einzel- und Gruppeninteressen - trotzder Schaffung neuer Konfliktzonen - zum Aufbau fester sozialer Strukturen sowie zu einem hohen Grad von Partizipation und Identifikation, von Integration und politischer Stabilität. Die - erfolgte und erfolgreiche - Industrialisierung, so stellt sich heraus, war kein stetiger und automatischer, womöglich eindimensionaler Vorgang, der darüber hinaus ·keine eigenen Erscheinungen oder Probleme aufweist>Stetiger und automatischer Vorgang« sind, >>der keine eigenen Erscheinungen oder Probleme aufweist«. 106 Vielmehr konnte, gerade auch durch den Vergleich, eindringlich, ja wohl beinah überdeutlich, gezeigt werden, wie sehr die jeweils von Land zu Land bestehenden, >Objektiven Bedingungen< und deren jeweilige Befindlichkeit die wirtschaftliche Entwicklung und den historischen Prozeß insgesamt beeinflußten, ja beinahe bestimmten. Gleichwohl aber bedurften diese objektiven Bedingungen des aktiven, subjektiven Handelns, um diesen Prozeß in Gang zu setzen, in Bewegung zu halten und in eine bestimmte Richtung zu bringen. Und gerade hier kommt - und kam in unserer Studie die relativ eigenständige und den jeweiligen Entwicklungsgang zusätzlich und von sich aus unterscheidende Rolle des Faktors Management in den Blick; dies zeigte sich als Element der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung, das eben nicht nur »Exekutor ökonomischer Gesetzmäßigkeiten« ist 107 , eben
106 107
28''
Vgl. oben S. 36. Vgl. oben S. 21.
436
VII. Das Resultat: Industrialisierung und nationaler Sonderweg
nicht nur die jeweiligen objektiven Bedingungen und Verhältnisse im Sinne einer vorgegeben, höheren - also für alle Unternehmer verbindlichen, für den Unternehmer schlechthin geltenden - Rationalität, also derjenigen des homo oeconomicus, kombiniert und dirigiert, sondern in dieser Tätigkeit der Kombination und Leitung einer spezifischen und speziellen, klar identifizierbaren ratio, mentalen Befindlichkeiten und Strukturen, folgt, die ihrerseits wiederum, so wurde deutlich, auf die jeweils herrschenden, objektiven Strukturen und die an sie geknüpften Erfahrungen verweisen. Neben dem geziehen und kontrollierten Einsatz von >Subjektivität>Spezifisch ausdifferenziertes Synthesismodell ... , das eine je eigene Totalität ausbildet, die eigenen Bewegungs- und Entwicklungsdynamiken ... unterliegt«.108 Über die - möglichen - Folgen der weltwirtschaftliehen Arbeitsteilung hinaus109, und womöglich weit mehr als diese, bringt dieses Modell der Synthesis offenkundig Konsequenzen sowohl für das Innere als auch für das Äußere von gesellschaftlichen Systemen mit sich. Das spezifisch ausdifferenzierte Synthesismodell war es offensichtlich, was dafür sorgte, daß auch in anderen Industriezweigen in Großbritannien ähnliche Verhältnisse herrschten wie im dortigen Kohlenbergbau und nicht etwa wie in deutschen oder amerikanischen Industrien. Dies weist zugleich darauf hin, daß es trotz gleichem oder ähnlichem Industrialisierungsimpuls und trotz prinzipiell gleicher, privatwirtschaftlich-kapitalistischer Normen und Strukturen- jedenfalls über lange Zeiträume hin - national unterschiedliche Wege und vielleicht auch Ziele von Industrialisierung und Modernisierung gibt und geben muß und daß die bisher existierenden, allgemeinen Entwicklungsvorstellungen, Entwicklungsmodelle und Entwicklungstheorien zwar generelle, grobe Anhaltspunkte, Einblicke und Orientierungen zu geben vermögen, aber außerstande sind, die von Nation zu Nation unterschiedlichen Wege und Formen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung zu erklären. Vielmehr suggerieren sie - aus dieser Wirklichkeitsferne und der sich hiermit ergebenden Aporie heraus fast zwangsläufig - eine Gleichartigkeit und Gleichförmigkeit dieses weltweit für die Moderne so wichtigen und zentralen Prozesses, welche die Vorstellungen, Erwartungshaltungen und Pläne vorschnell, ebenso unzulässig wie folgenreich, einengen und z. T. sogar fehlleiten; zugleich führen sie allzu leicht zur Unterschätzung oder Fehleinschätzung der individuell sich bietenden Möglichkeiten von Wachstum und Entwicklung, aber auch von Veränderung, sowie der Breite, der inneren Interdependenz und äußeren Abhängigkeit als auch der
108 109
Vgl. oben S. 39. Vgl. hierzu etwa: S.B. Saul, Industrialisation und De-Industrialisation.
438
VII. Das Resultat: Industrialisierung und nationaler Sonderweg
Grundlagen und Bedingungen von Stabilität und Wandel dieses umfassenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesses. Die allgemeine Entwicklungslogik industrieller Systeme, seien diese nun kapitalistischer oder sozialistischer Ausprägung, stellt sich dar als ein theoretisches Konstrukt und zugleich als ein idealisiertes und typisiertes Gesamtbild, die beide zur Unterschätzung der Distanz und der Eigenständigkeit, insbesondere nationaler Provenienz, zu eben jenem Modell führen. Tragfähige und möglichst zuverlässige Orientierungen, Erklärungen und - wenn möglich - auch Voraussagen werden jedoch wie bisher und vielleicht mehr denn je zuvor benötigt. Um einerseits der Gefahr realitätsferner Theoriebildung, andererseits derjenigen einer fortgesetzten, prinzipiell endlosen Individualisierung zu entgehen, wären - weitere- vergleichende Untersuchungen auf mittlerer Abstraktionsebene und mit einer Kategorienbildung mittlerer Reichweite vonnöten. Auf diese Weise, so darf mit einiger Berechtigung erwartet werden, ist ein zwar immer noch hinreichend allgemeines, aber zugleich konkreteres Instrumentarium zur Erklärung von Wegen und zum Aufzeigen von Chancen und Gefahren der Industrialisierung und gesellschaftlichen Modernisierung zu erlangen.
Anhang
Tafel I Teufen, Flöze und Flözmächtigkeiten von britischen Bergwerken, 1845-1934 Lfd. Jahr
Revier
Nr.
Namen des Bergwerks bzw. Unternehmens
ab 18. Jh.
Cumberland Whitehaven Colls. (Wellington Croft Pits)
1845
Lancashire
(Oldham)
1864
Nonhumberland
Name des Flözes
Teufe
Mächtigkeit des Flözes aller Flöze
Bannock Band Six Quarters
110 m 2,74-4,57 m bis 366m 1,22-274 m 0,98-1,82 m
2
220 m 240 m
1,10 m 2,10 m
Denaby Main Coll. thick coal
Barnsley
410 m
1,83 m
1872- Nonh1887 umberland
North Seaton Coll.
Yard Low Main
450 m 613 m
0,79 m 1,52 m
2,31 m
1885
Schottland
Lindsay Pit, Kelty, Dunfermline Dunf. (Fife Coal Co.) splint
238m
1,52 m
11,58 m
6
1885
Südwales
(Resolven, Vale of Neath)
464 m
1,28 m
7
1886
Südwales
Ynysybwl Coll.
2
4
1888
North.
Cowpen Coll. - Brommhill Colls. - Ryhope Coll. - Seaham Coll. - Wearmouth
1899 1899
North. North.
9
1890
Cumberland Flimby and Broughton Moor Collieries
10
1890
Nonh Stafford.
Chatterly lron Co. - Middle Pit:
- Institute Pit:
Main Band
Rhondda No. 4
bis 550 m
Low Main Princess
Mandlin Mandl in Mandl in
Litte Row Ten Feet Bowling Alley Holly Lane Hardmine Crockshead
540 m 440m 560 m 1610 m
1) 2) 3) 4)
1,37 1,98 3,74 1,37
m m m m
0,91 0,76 2,13 1,37 2,90
m m m m m
115 m
0,52 m bis 2,50 m
230 m
0,91 m bis
395m
2,13 m
3,20 m
7,32 m
(insges. »ten good seams
of coal•)
442
Anhang
Lfd. Jahr
Revier
Nr. 11
12
13
1890
1890
1890
Flint.
Cumb.
Namen des Bergwerks bzw. Unternehmens Point of Air
St. Helens Colls.
Name des Flözes
Teufe
1) Mostyn Five 69-94 Yard 2) Three Yard 107-132 3) Two Yard 152-176 185-208 4) Durbog
Mächtigkeit aller Flöze des Flözes m
2,74 m
m 1,82-2,29 m m 1,82-2,29 m m 2,13 m
Ten Quarter S. Main Band: I. Meta! Bd. 2. Cannel Bd. Little Main Liekbank
366 m
0,82 m
423 m
1,18 1,55 0,67 0,64
Haddington· (Prestongrange) shire
Great Seam Level Seam Beggar Seam
110m bis 274 m
481 m 510 m
m m m m
4,86 m
1,98·2,44 m 1,22 m 0,92 m
ca. 4,30 m
14
1890
Fifesh.
Wemyss Coll. Co. - Wellesley pit
ehemiss Dysart Main
274 m 3,35 m 503 m 3,66-7,62 m
15
1892
Schottland
Lumphinnaus Coll. (Cowdenbeath Coal Co.Ltd.)
1) Lochgelly Splint and Parrot 2) Mynheer 3) Five Feet 4) Dunferm· line Splint
3,05 m
16
1892
Kent
(•improbable that these thin seams could be worked to advantage•)
mne seams of coal
17
1897
Linlith
(Bridgeness)
Six Feet Main
18
1919
Schottland
(Newbattle)
19
1929
North Stafford· shire
Holditch Coll.
20
1929
South Stafford· shire
21
1934
Südwales
bis 330m 1) 3) 8) 9)
350m 437 m 551 m 570 m
ca. 9,00 m
1,37 m 1,52 m 1,22 m
0,76 0,30 0,76 0,48
7,16 m
m 4,27 m m (nine seams) m m
98 m 42-174 m 0,91-1,37 m 91-140 m
0,85 m 0,79 m
1,64 m
Great Row S.
609 m bis 614 m
1) 1,07 m 2) 1,55 m
2,62 m
Coventry Coll. (Warwickshire Coal Co. Ltd.)
Warwickshire Thick Coal
668 m
4,57 m
Mountain Coll. (Swansea Navigat. Colls.)
Swansea
315 m
1) 0,91 m 2) 0,46 m 0,70 m 1,37 m
Four Feet S.
550 m 732 m
Quelle: Verstreute Angaben in NEIME, IME, CM und NACM.
ca. 2,70 m
Tafel II Teufen, Flöze und Flözmächtigkeiten von Bergwerken in Durharn und Northumberland im Jahre 1899 Lfd. Name des Bergwerks Nr. CastleEden
2
3
4
Chilton
Deaf Hili
Haswell
Name des Flözes
Teufe
Mächtigkeit des Flözes aller Flöze
Five-quarter Main Low Main Hutton
218m 231m 278m 316 m
1,31 1,64 1,46 1,15
m m m m
5,56 m
Five-quarter Main Harvey
117m 139m 284 m
1,49 m 1,31 m 1,31 m
4,11 m
Five-quarter Main Low Main Harvey
148m 178m 218m 295m
1,09 1,18 1,06 0,94
m m m m
4,27 m
Five-quarter Main Low Main Hutton
167 m 197 m 245m 281m
1,06 1,06 1,09 1,64
m m m m
4,85 m
Hutton Harvey
201m 246 m
0,97 m 1,70 m
2,67 m
5
Hutton Henry
6
Kelloe or East Hetton Five-quarter Main Hutton Harvey
104 m 118m 205m 247m
1,37 1,39 0,88 1,06
m m m m
4,70 m
Murton
Five-quarter Main Low Main Hutton
324m 372m 415 m 448 m
1,46 1,85 1,40 1,85
m m m m
6,56 m
7
8
Ryhope
Maudlin Hutton
446 m 497 m
2,16 m 1,15 m
3,31 m
9
Seaham
Main Maudlin Low Main Hutton
399m 415 m 435 m 466 m
1,85 1,52 1,56 1,43
m m m m
6,36 m
Maudlin Hutton
493 m 530 m
1,76 m 1,31 m
3,07 m
10
Silksworth
444
Anhang
Lfd. Nr.
Name des Bergwerks
Name des Flözes
Teufe
Mächtigkeit des Flözes aller Flöze
11
Thornley
Five-quarter Main Low Main Hutton Harvey
155m 187m 225m 264 m 303m
1,31 0,85 0,91 0,95 1,12
m m m m m
5,14 m
12
Trimdon
Five-quarter
124m
1,10 m
13
Trimdon Grange
Five-quarter Main Low Main Harvey
110m 137m 178m 261m
1,14 1,46 1,06 1,08
m m m m
4,74 m
14
Walker
High Main Low Main
183m 293m
2,44 m 1,83 m
4,27 m
15
Wearmouth
Maudlin Hutton
486 m 526 m
1,68 m 1,37 m
3,05 m
16
Wheatley Hili
Five-quarter Main Harvey
201m 229 m 347m
1,22 m 1,00 m 1,12 m
3,34 m
Five-quarter Main Low Main Harvey
136m 164 m 202m 281m
1,24 1,52 0,94 1,12
m m m m
4,82 m
Yard Brockwell
50 m 65 m
0,91 m 0,91 m
1,82 m
17
18
Wingate Grange
Wylam
Quelle: T. Bell, Notes on the Working of Coal-mines under the Sea, and also under the Permian Feeder of Water in the County of Durham, in: Transactions of the Manchester Geological Society 26, 1899, S. 366-399, 544-559.
12.700
11.914
Staffordshire
Nottingharn House, Stearn & Manufacturing Yorkshire House & Coking
9.
10.
18.996
31.780
1.394
2.071
872
700
1.288 382
774 468 249 985
813
Untertage
500
558
263
181
142 33
163 39 67 207
180
Übertage
Beschäftigte
1.894
2.629
1.135
881
1.430 415
937 507 316 1.192
993
Insges.
146;210 211; 91
375;303; 127 141;356 409;384
265
?
760
250 140 120 250;176
90;160
Teufe (m)
6
4
3
3
1 1
2 2 2 3
5
meist -
0,60;0,90; 1,40;0,75; 1,25;0,85
1,90;320; 1,60 1,75;180; 1,05 1,30;0,90; 1,35;1,20
1,50;1,15; 1,35;0,80; 0,72 0,70;1,45 0,55;1,35 1,25;1,20 1,05;140; 0,85 2,00 0,80
Flöze Anzahl Mächti~keit (rn
Quelle: H. F. Bulman/R. A. S. Redmayne, S. 264-285 (Die Namen bezeichnen Region und -
11.
8.
19.000 5.563
12.800 6.880 5.254 13.155
North. Steam Durharn Coking Durharn Gas Durharn Gas & House Wales Stearn Wales Bituminous Warwickshire
2. 3. 4. 5.
6. 7.
13.202
Vierzehntäfl. Förderung t)
North. Stearn
Bergwerk
1.
Lfd. Nr.
1,36
1,20-1,35
1,70
1,50
1,22 1,21
1,50 1,33 1,92 1,21
1,47
4 6 4 5
? ?
4
6 4
4 4 3 5
4
s.
d.
3 1/ 4
7.70.3
4.20
6.6
2.5 7.46
4.8 2.20 3.12 4.61
2.78
pro t
Lohnkos~n
1,32
1,20
1,10 1,116
1,24 1,23 1,51 1,00
1,20
geförderte Kohlensorten).
3,50
2-2,75
4,10
3,30
3,50 2
3;4,54 3 4,84 2,84
3
Durchschnittl. Schichtleistung (t) Hauer Besch. alle untert. Besch.
Produktionsbedingungen typischer Bergwerke in den britischen Hauptbergrevieren im Jahre 1904
Tafel 111
I
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10'
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