Zwischen Laizismus und Religionsfreiheit: Das Religionsverfassungsrecht der Dritten Französischen Republik im Vergleich mit der Weimarer Republik [1 ed.] 9783428582433, 9783428182435

Julian W. März analysiert aus vergleichend-verfassungsgeschichtlicher Perspektive die religionsverfassungsrechtlichen Mo

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German Pages 324 [325] Year 2021

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Zwischen Laizismus und Religionsfreiheit: Das Religionsverfassungsrecht der Dritten Französischen Republik im Vergleich mit der Weimarer Republik [1 ed.]
 9783428582433, 9783428182435

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Schriften zur Rechtsgeschichte Band 197

Zwischen Laizismus und Religionsfreiheit Das Religionsverfassungsrecht der Dritten Französischen Republik im Vergleich mit der Weimarer Republik

Von

Julian März

Duncker & Humblot · Berlin

JULIAN MÄRZ

Zwischen Laizismus und Religionsfreiheit

Schriften zur Rechtsgeschichte Band 197

Zwischen Laizismus und Religionsfreiheit Das Religionsverfassungsrecht der Dritten Französischen Republik im Vergleich mit der Weimarer Republik

Von

Julian März

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Passau hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-18243-5 (Print) ISBN 978-3-428-58243-3 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Danksagung Die vorliegende Promotionsschrift wurde im Juli 2020 von der Juristischen Fakultät der Universität Passau angenommen. Für die stets engagierte und hilfreiche Betreuung meiner Promotion sowie die Erstellung des Erstgutachtens möchte ich mich sehr herzlich bei meiner Doktormutter Frau Prof. Dr. Ulrike Müßig bedanken, ohne deren tatkräftige Unterstützung die vorliegende Promotionsschrift nicht zustande gekommen wäre. Sehr herzlich möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Hans-Georg Dederer für die Zweitbegutachtung meiner Dissertation bedanken. Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern Anna-Maria und Lorenz März sowie meiner Schwester Dr. Loreen März, die durch ihre persönliche Unterstützung mein Studium und diese Dissertation ermöglicht haben, und denen ich diese Arbeit widme. Regensburg, im November 2020

Julian Werner März

Inhaltsübersicht Einführung: Problemstellung und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Kapitel 1

Methodologische Grundlagen des rechtshistorischen Vergleichs der deutschen und der französischen religionsverfassungsrechtlichen Ordnung 

25

A. Der rechtshistorische Kontext der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik . . . . . . . . . . 27 B. Überblick über die zur Analyse der Funktion der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Republik und der Weimarer Republik in ihrem rechtshistorischen Kontext verwendeten Primärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Kapitel 2

Die Debatte über den Laizismus in der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik als Ausgangspunkt der gegenwärtigen religionsverfassungsrechtlichen Ordnungen 

37

A. Die religionsverfassungsrechtliche Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 I. Der Laizismus als Rezeption der christlichen Theologie der Antike und des Mittelalters sowie der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Die gemeinsamen theologischen und verfassungspolitischen Grundlagen des Dualismus zwischen weltlicher und religiöser Macht in Deutschland und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Die Religionsfreiheit als Katalysator des Zerfalls der Einheit von Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Das Verhältnis von Staat und Kirche zu Beginn der Französischen Revolution  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 II. Entwicklung und Rezeption des Laizismus in der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Der Streit über den Laizismus in der Anfangsphase der Dritten Französischen Republik und das Gesetz über den Laizismus von 1905 . . . 75 2. Die Rezeption des und Kontroverse über den Laizismus im Verfassungsrecht der Weimarer Republik   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

8 Inhaltsübersicht 3. Zusammenfassung der verfassungshistorischen Genese des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts  . . . . . . . . . . . . . . . 163 B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte – eine Barriere für die Rezeption in Deutschland? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Die Spannung zwischen Universalismus und Nationalismus innerhalb der katholischen Kirche – der Gallikanismus als Prototyp des Laizismus?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Die Institutionalisierung der katholischen Kirche und der französische Sonderweg  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Integration und Trennung von Staat und Kirche im deutschen Protestantismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Der Laizismus als Konsequenz der religiösen Verfassung Frankreichs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Unteilbarkeit der Republik, religion civile und Religionsskepsis als rechtspolitische Grundlagen des Laizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Religionsfreiheit und Instrumentalisierung der Religion – Ein Widerspruch?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 2. Religionsfreiheit und Gleichheit im religionsverfassungsrechtlichen Modell des Preußischen Allgemeinen Landrechts und der Weimarer Reichsverfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3. Der Laizismus als Produkt der Rezeption der französischen Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Kapitel 3

Perspektiven einer Annäherung des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts im Kontext der europäischen Einigung  

224

A. Der Einfluss der deutschen und der französischen Verfassungs- und Ideengeschichte auf das gegenwärtige Religionsverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . 224 I. Vergleich der Funktion der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Republik und der Weimarer Republik in ihrem rechtshistorischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Die Kontextabhängigkeit der deutschen und der französischen religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Weimarer Republik und der Dritten Französischen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 2. Die funktionellen Unterschiede des französischen und des deutschen Religionsverfassungsrechts als Ausfluss der katholischen, gallikanischen und kirchenkritischen Tradition Frankreichs . . . . . . . . . . . . . . . . 228 II. Die Konsequenzen der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik für das gegenwärtige deutsche und französische Religionsverfassungsrecht . . . . 244

Inhaltsübersicht9 1. Das französische und das deutsche Religionsverfassungsrecht in der gemeinsamen Tradition des Christentums und des Kampfes um Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Der Einfluss der unterschiedlichen Verfassungs- und Ideengeschichte auf das gegenwärtige deutsche und französische Religionsverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 B. Möglichkeiten und Chancen einer religionsverfassungsrechtlichen Integra­ tion Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 I. Elsass-Lothringen (Alsace-Moselle) als ein Musterbeispiel der Integration des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts . . . 271 1. Die religionsverfassungsrechtliche Entwicklung Elsass-Lothringens unter wechselnder deutscher und französischer Herrschaft . . . . . . . . . 271 2. Das Religionsverfassungsrecht Elsass-Lothringens als Produkt des rechtsgeschichtlichen Aufeinandertreffens von deutschem und französischem Verfassungsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 II. Möglichkeiten und Chancen einer religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 1. Möglichkeiten der Annäherung des französischen und des deutschen Religionsverfassungsrechts im Kontext der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 2. Entwurf eines europäischen religionsverfassungsrechtlichen Konsenses auf Grundlage des rechtshistorischen Vergleichs des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Französischsprachige Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

Inhaltsverzeichnis Einführung: Problemstellung und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Kapitel 1

Methodologische Grundlagen des rechtshistorischen Vergleichs der deutschen und der französischen religionsverfassungsrechtlichen Ordnung 

25

A. Der rechtshistorische Kontext der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik . . . . . . . . . . 27 B. Überblick über die zur Analyse der Funktion der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Republik und der Weimarer Republik in ihrem rechtshistorischen Kontext verwendeten Primärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Kapitel 2

Die Debatte über den Laizismus in der Dritten Französischen Republik undder Weimarer Republik als Ausgangspunkt der gegenwärtigen religionsverfassungsrechtlichen Ordnungen 

A. Die religionsverfassungsrechtliche Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Laizismus als Rezeption der christlichen Theologie der Antike und des Mittelalters sowie der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die gemeinsamen theologischen und verfassungspolitischen Grundlagen des Dualismus zwischen weltlicher und religiöser Macht in Deutschland und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Phänomen der Säkularisierung als Bedingung und Konsequenz des Laizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Definition des Laizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Säkularisierung und Emanzipation der Religion . . . . . . . . . . . b) Der Dualismus zwischen weltlicher und geistlicher Macht in der christlichen Theologie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verhältnis des Christentums zur weltlichen Macht . . . . . . . . . bb) Universalismus des Christentums (Geltung als universelle Wahrheit für alle Menschen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Religionsfreiheit als Katalysator des Zerfalls der Einheit von Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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38 38 39 39 41 45 49 49 54 55

12 Inhaltsverzeichnis a) Das staatsphilosophische Spannungsfeld von Religionsfreiheit und religiöser Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Staatsräson zwischen Religionsfreiheit und dem Streben nach religiöser Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 aa) Reformation und Religionskriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Absolutismus und Dreißigjähriger Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 cc) Aufklärung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3. Das Verhältnis von Staat und Kirche zu Beginn der Französischen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 II. Entwicklung und Rezeption des Laizismus in der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Der Streit über den Laizismus in der Anfangsphase der Dritten Französischen Republik und das Gesetz über den Laizismus von 1905 . . . 75 a) Entwicklung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche nach 1789  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 aa) Das religionsverfassungsrechtliche Modell der Französischen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 bb) Staat und Kirche Frankreichs unter der Herrschaft Napoleons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 cc) Die Religionsverfassung der Restauration und der Juli-Monarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 dd) Religionsfreiheit in der Zweiten Republik und im Zweiten Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Die Trennung von Staat und Kirche unter der Dritten Französischen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Instabilität und religionspolitische Spaltung in den Anfangsjahren der Dritten Französischen Republik . . . . . . . . . . . . . . . 89 bb) Antiklerikale Gesetze vor 1905 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (1) Beschneidung des kirchlichen Einflusses im französischen Schulwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (2) Verbot der Ordensgemeinschaften in Frankreich in der Folge des Gesetzes vom 1. Juli 1901 über den Vereinsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 cc) Die Debatte um das Gesetz über den Laizismus von 1905 . . . 99 (1) Gesetzliche Vorgaben und Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 99 (2) Die Beratungen über das Gesetz über den Laizismus von 1905 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (3) Konsequenzen des Gesetzes über den Laizismus von 1905 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 (4) Entwicklung des privaten konfessionellen Schulwesens . . 116 dd) Das Gesetz über den Laizismus von 1905 unter dem Regime von Vichy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 ee) Laizismus im Verfassungsrecht der Vierten und Fünften Republik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

Inhaltsverzeichnis13 2. Die Rezeption des und Kontroverse über den Laizismus im Verfassungsrecht der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 a) Entwicklung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche vor 1918  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 aa) Das Religionsverfassungsrecht des Anfangs des 19. Jahrhunderts am Beispiel Bayerns  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 bb) Staat und Religion nach der März-Revolution 1848 . . . . . . . . 125 cc) Das Religionsverfassungsrecht des Deutschen Kaiserreichs . . 128 dd) Staat und Religion im Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Die Debatte über das Verhältnis von Staat und Kirche in der Weimarer Nationalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Der verabschiedete Verfassungstext der Art. 136 ff. WRV . . . . 135 bb) Positionen der in der Weimarer Nationalversammlung vertretenen Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (1) Befürwortung einer strengeren Trennung von Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (a) SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 (b) USPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (2) Ablehnende Haltung der DNVP zur Trennung von Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (3) Zustimmung zu dem beschlossenen Verhältnis zwischen Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (a) Deutsche Zentrumspartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (b) DDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (c) DVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 cc) Anwendung des Verfassungsrechts in der Praxis . . . . . . . . . . . 153 dd) Staat und Kirche im „Dritten Reich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 ee) Religionsverfassungsrecht der Nachkriegszeit und der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 ff) Religionsverfassungsrecht der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Zusammenfassung der verfassungshistorischen Genese des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 163 B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte – eine Barriere für die Rezeption in Deutschland? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Spannung zwischen Universalismus und Nationalismus innerhalb der katholischen Kirche – der Gallikanismus als Prototyp des Laizismus?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Institutionalisierung der katholischen Kirche und der französische Sonderweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Katholizismus zwischen Staatskirche und Universalismus . . . b) Episkopalismus und Gallikanismus in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Ursprünge des Gallikanismus im französischen Spät­ mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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14 Inhaltsverzeichnis bb) Bossuet und die „gallikanischen Artikel“ des Jahres 1682 . . . 174 cc) Französische Revolution und Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 . . . . . . . 178 c) Nachwirkungen des Gallikanismus im Gesetz über den Laizismus von 1905 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Integration und Trennung von Staat und Kirche im deutschen Protestantismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a) Theologische Grundlagen des evangelischen Religionsverfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 aa) Betonung des Dualismus zwischen weltlicher und geistlicher Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Entwicklung des Verhältnisses zwischen evangelischen Landeskirchen und Staat in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (1) Das Religionsverfassungsrecht der Reformation . . . . . . . . 186 (2) Das synodale Organisationsprinzip in Aufklärung und März-Revolution 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (3) Die wachsende Selbstständigkeit der evangelischen Landeskirchen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts . . 191 b) Auswirkungen des evangelischen Religionsverfassungsrechts auf die Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Der Laizismus als Konsequenz der religiösen Verfassung Frankreichs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Unteilbarkeit der Republik, religion civile und Religionsskepsis als rechtspolitische Grundlagen des Laizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Religionsfreiheit und Instrumentalisierung der Religion – Ein Widerspruch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Materialismus und Instrumentalisierung der Religion bei Thomas Hobbes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 aa) Ursprung und Funktion der Religion bei Thomas Hobbes . . . 199 bb) Religionsverfassungsrecht nach Thomas Hobbes . . . . . . . . . . . 202 b) Deismus und Religionsverfassung bei Voltaire . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Das religionsverfassungsrechtliche Modell Jean-Jacques Rous­ seaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 aa) Religion als Staatsräson bei Jean-Jacques Rousseau . . . . . . . . 206 bb) Kritik des Christentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 cc) Die staatsbürgerliche Religion (religion civile) als Basis der Staatsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 dd) Rezeption des religionsverfassungsrechtlichen Modells JeanJacques Rousseaus während der Französischen Revolution . . 213 d) Der Laizismus als Produkt der Philosophie der französischen Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2. Religionsfreiheit und Gleichheit im religionsverfassungsrechtlichen Modell des Preußischen Allgemeinen Landrechts und der Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3. Der Laizismus als Produkt der Rezeption der französischen Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

Inhaltsverzeichnis15 Kapitel 3

Perspektiven einer Annäherung des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts im Kontext der europäischen Einigung  

224

A. Der Einfluss der deutschen und der französischen Verfassungs- und Ideengeschichte auf das gegenwärtige Religionsverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . 224 I. Vergleich der Funktion der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Republik und der Weimarer Republik in ihrem rechtshistorischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Die Kontextabhängigkeit der deutschen und der französischen reli­ gionsverfassungsrechtlichen Reformen der Weimarer Republik und der Dritten Französischen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Die Trennung von Staat und Kirche als Produkt der okzidentalen Theologie und des Kampfes um Religionsfreiheit in Europa . . . . . 225 b) Der „französische“ Laizismus als Produkt der französischen Verfassungs- und Ideengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Die funktionellen Unterschiede des französischen und des deutschen Religionsverfassungsrechts als Ausfluss der katholischen, gallikanischen und kirchenkritischen Tradition Frankreichs . . . . . . . . . . . . . . . . 228 a) Die religiöse Legitimation weltlicher Herrschaft und das Reli­ gionsverfassungsrecht in Deutschland und Frankreich . . . . . . . . . . 229 b) Der quasi-religiöse „Wahrheitsanspruch“ des französischen Laizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 II. Die Konsequenzen der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik für das gegenwärtige deutsche und französische Religionsverfassungsrecht . . . . 244 1. Das französische und das deutsche Religionsverfassungsrecht in der gemeinsamen Tradition des Christentums und des Kampfes um Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 a) Religiöser Pluralismus als verfassungsrechtliche Grundsatzentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 aa) Der weite Schutzbereich der Religionsfreiheit in Deutschland und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 bb) Religiöse Vielfalt und die Organisation des Schulwesens . . . . 250 b) Religionsfreiheit und religiöse Neutralität des Staates . . . . . . . . . . 258 2. Der Einfluss der unterschiedlichen Verfassungs- und Ideengeschichte auf das gegenwärtige deutsche und französische Religionsverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Die Konfrontation des säkularen Staates mit religiösen Symbolen im schulischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) „Anerkennung“ der Religion und „kirchliches Arbeitsrecht“ . . . . . 267 B. Möglichkeiten und Chancen einer religionsverfassungsrechtlichen Integra­ tion Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

16 Inhaltsverzeichnis I. Elsass-Lothringen (Alsace-Moselle) als ein Musterbeispiel der Integration des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts . . . 271 1. Die religionsverfassungsrechtliche Entwicklung Elsass-Lothringens unter wechselnder deutscher und französischer Herrschaft . . . . . . . . . 271 2. Das Religionsverfassungsrecht Elsass-Lothringens als Produkt des rechtsgeschichtlichen Aufeinandertreffens von deutschem und französischem Verfassungsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 II. Möglichkeiten und Chancen einer religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 1. Möglichkeiten der Annäherung des französischen und des deutschen Religionsverfassungsrechts im Kontext der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 2. Entwurf eines europäischen religionsverfassungsrechtlichen Konsenses auf Grundlage des rechtshistorischen Vergleichs des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Französischsprachige Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

Abkürzungsverzeichnis Abs. Absatz AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz AIJC Annuaire international de justice constitutionnelle AJEE Annuario Jurídico y Económico Escurialense AJS American Journal of Sociology AöR Archiv des öffentlichen Rechts Art.  Artikel ASSR Archives de Sciences Sociales des Religions Az. Aktenzeichen Bd.  Band BGBl.  Bundesgesetzblatt BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des BVerfG BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des BVerwG ca. circa CIC Codex Iuris Canonici CIF Cuadernos de Investigación Filológica DDP Deutsche Demokratische Partei DDR Deutsche Demokratische Republik DNVP Deutschnationale Volkspartei DÖV Die Öffentliche Verwaltung DVBl Deutsches Verwaltungsblatt DVP Deutsche Volkspartei EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte ETR Études théologiques et religieuses EuGH Europäischer Gerichtshof EuR Europarecht (Zeitschrift) EuZA Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht f. folgende ff. fortfolgende Fn.  Fußnote GG Grundgesetz

18 Abkürzungsverzeichnis GWP Gesellschaft.Wirtschaft.Politik h. M. herrschende Meinung Hrsg. Herausgeber ICLQ International and Comparative Law Quarterly i. S. d. im Sinne des i. V. m. in Verbindung mit JZ Juristenzeitung Kap.  Kapitel KErzG Gesetz über die religiöse Kindererziehung KZG Kirchliche Zeitgeschichte n. Chr. nach Christus NJW Neue Juristische Wochenschrift Nr.  Nummer NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht RdJB Recht der Jugend und des Bildungswesens Rev. Politics The Review of Politics RFSP Revue française de science politique Rz.  Randziffer s. siehe S.  Seite StGB Strafgesetzbuch USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands vgl. vergleiche WRV Weimarer Reichsverfassung ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht z. B. zum Beispiel ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZevKR Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht ZfP Zeitschrift für Politik ZfR Zeitschrift für Religionswissenschaft ZRGG Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte ZRGP Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik ZThK Zeitschrift für Theologie und Kirche

Einführung: Problemstellung und Aufbau Die besondere verfassungspolitische und -rechtliche Brisanz des Religionsverfassungsrechts1 veranschaulichte der Wiedereingliederungsprozess Elsass-Lothringens (Alsace-Moselle)2, das seit dem Jahre 1871 vom Deutschen Kaiserreich annektiert war, in die Dritte Französische Republik nach dem Ersten Weltkrieg. Bereits unmittelbar nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs versuchte die französische Politik, die Bevölkerung Elsass-Lothringens durch das Versprechen religionsverfassungsrechtlicher Kontinuität zur Unterstützung der französischen Kriegspartei zu bewegen.3 So versicherte der französische Oberbefehlshaber Joseph Joffre in einer Rede anlässlich der Einnahme des elsässischen Thann durch Frankreich im Jahre 1914 die Wahrung der religiösen und juristischen Traditionen des Elsass.4 1  In den Rechtswissenschaften ist die Verwendung des Begriffs „Staatskirchenrecht“ oder „Religionsverfassungsrecht“ umstritten (siehe dazu Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 2 ff.). Während der Terminus „Staatskirchenrecht“ vor allem zur Beschreibung des historischen Verhältnisses von Staat und Staatskirche geeignet ist, umfasst der allgemeinere Begriff des Religionsverfassungsrechts alle Aspekte der Rolle der Religion in der Verfassungsordnung eines politischen Gemeinwesens (Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 2 ff.). Besonders im Hinblick auf die gegenwärtige laizistische französische Religionsverfassung, die die ausschließlich privatrecht­ liche Verfassung der Kirchen vorsieht (Artikel 18 Gesetz über den Laizismus von 1905), erweist sich der Begriff des „Staatskirchenrechts“ als wenig geeignet. Aus diesem Grund erscheint die Verwendung des Terminus „Religionsverfassungsrecht“ in der vorliegenden Abhandlung als passender. 2  Im Deutschen werden gemeinhin unter dem Terminus „Elsass-Lothringen“ die zwischen 1871 und 1918 vom Deutschen Kaiserreich annektierten Gebiete Frankreichs (das damalige „Reichsland Elsaß-Lothringen“) verstanden, die im Wesent­lichen den heutigen drei Verwaltungsbezirken (départements) Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle entsprechen. Allerdings umfasste das „Reichsland Elsaß-Lothringen“ nur einen Teil der (im Jahre 2016 mit den früheren Regionen Elsass und Champagne-­ Ardenne zur Region Grand Est verschmolzenen) früheren französischen Region Lothringen, nämlich den Verwaltungsbezirk (département) Moselle. Im Französischen ist deshalb der Begriff „Alsace-Moselle“ („Elsass-Moselle“) für die ehemals von Deutschland annektierten Verwaltungsbezirke des Elsass (Bas-Rhin und Haut-Rhin) und Lothringens (Moselle) gebräuchlich, der im Folgenden als Synonym des deutschen Terminus „Elsass-Lothringen“ verstanden werden soll. 3  Siehe Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 32. 4  Baubérot, Les sept laïcités françaises, S. 121; Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 32.

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Einführung: Problemstellung und Aufbau

„Notre retour est définitif, vous êtes Français pour toujours: la France apporte avec les libertés qu’elle a toujours représentées le respect de vos libertés à vous, des libertés alsaciennes, de vos traditions, de vos convictions, de vos mœurs.“5 „Unsere Rückkehr ist endgültig, Ihr seid für immer Franzosen: Frankreich bringt zusammen mit den Freiheiten, für die es immer stand, den Respekt für Eure Freiheiten mit, für die elsässischen Freiheiten, für Eure Traditionen, Eure Überzeugungen und Eure Sitten.“6

Als Folge ordnete nach der Wiedereingliederung Elsass-Lothringens in die Dritte Französische Republik Art. 3 des Gesetzes vom 17. Oktober 1919 über die Übergangsordnung des Elsass und Lothringens i. V. m. Art. 1 und Art. 7 Nr. 13 des Gesetzes vom 1. Juni 1924 zur Inkraftsetzung der französischen Zivilgesetzgebung in den Verwaltungsbezirken Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle die Fortgeltung des bisherigen Religionsverfassungsrechts ElsassLothringens an.7 Die Einführung des laizistischen französischen Religionsverfassungsrechts, das auf dem Gesetz vom 9. Dezember 1905 über die Trennung von Kirchen und Staat (Loi du 9 décembre 1905 concernant la séparation des Eglises et de l’Etat), im Nachfolgenden als Gesetz über den Laizismus von 1905 bezeichnet, beruhte, unterblieb.8 Nahezu zeitgleich mit der Einführung des französischen Zivilrechts in Elsass-Lothringen kündigte jedoch der französische radikal-republikanische Regierungschef Édouard Herriot in seiner Antrittsrede am 17. Juni 1924 die Ausdehnung der französischen laizistischen Religionsverfassung auf ElsassLothringen an.9 Nach heftigen politischen und zivilgesellschaftlichen Protesten, die in mehreren französischen Städten zu Ausschreitungen mit insgesamt einem Todesopfer führten, zog Herriot, der wenig später als Regierungschef zurücktrat, sein Vorhaben einer Laizisierung des Religionsverfassungsrechts Elsass-Lothringens zurück.10 Als Konsequenz unterscheidet sich das Religionsverfassungsrecht der drei Verwaltungsbezirke Elsass-Lothringens – BasRhin, Haut-Rhin und Moselle –, das laut Umfragen bis zu 92 % der Bevölke-

5  Zitiert nach https://www.fitzmuseum.cam.ac.uk/gallery/lagrandeguerre/120.html (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 6  Übersetzung des französischen Originaltexts aus https://www.fitzmuseum.cam. ac.uk/gallery/ lagrandeguerre/120.html (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 7  Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 18; Portier, L’Etat et les religions en France, S. 167. 8  Artikel 1 und Artikel 7 Nr. 13 des Gesetzes vom 1. Juni 1924 zur Inkraftsetzung der französischen Zivilgesetzgebung in den Verwaltungsbezirken Bas-Rhin, HautRhin und Moselle; siehe auch Portier, L’Etat et les religions en France, S. 167. 9  Glavany, La Laïcité, S. 126. 10  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 34.



Einführung: Problemstellung und Aufbau21

rung Elsass-Lothringens gegenwärtig befürworten,11 auch heute noch grundlegend vom laizistischen französischen Religionsverfassungsrecht.12 Eine ganz ähnliche Funktion wie im Wiedereingliederungsprozess ElsassLothringens in die Französische Republik kommt dem Religionsverfassungsrecht im europäischen Integrationsprozess zu. Zwar haben die christlichen Kirchen in Deutschland und Frankreich innerhalb des letzten Jahrhunderts deutlich an Mitgliedern verloren,13 doch spielt Religion auch heute in Deutschland wie in Frankreich noch immer eine bedeutende Rolle im öffentlichen Leben und im politischen und rechtswissenschaftlichen Diskurs.14 In Bayern sind zehn der dreizehn gesetzlichen Feiertage religiösen Ursprungs15, und selbst im laizistischen Frankreich sind sechs der elf gesetzlichen Feiertage religiöser Natur.16 Der Schutz des Sonntags durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV sowie Artikel L3132–3 des französischen Arbeitsgesetzbuches (Code du travail) folgt einer fast zwei Jahrtausende alten christlichen Tradi-

11  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 153. Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 65 sieht im besonderen Religionsverfassungsrecht gar ein Element der regionalen Identität Elsass-Lothringens. 12  Siehe vertiefend auch Portier, L’Etat et les religions en France, S. 190. 13  In Deutschland zählte laut Statistischem Bundesamt (Destatis) im Jahre 2016 die katholische Kirche nur noch ca. 23,6 Mio. Mitglieder und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) nur noch ca. 21,9 Mio. Mitglieder bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 82,5 Mio. Bürgern (siehe Destatis, Statistisches Jahrbuch 2018, Kap. 1.1.2, S. 14 und Kap. 2.7, S. 73). In Frankreich ist die Erhebung statistischer Daten betreffend die Religionszugehörigkeit gesetzlich verboten (article 8 Loi no 78–17 du 6 janvier 1978 relative à l’informatique, aux fichiers et aux libertés). Verlässliche statistische Daten fehlen deshalb. Noch im Jahre 2008 waren vermutlich ca. 80 % der französischen Bevölkerung Mitglied der katholischen und ca. 1 % Mitglied einer protestantischen Kirche (Basdevant-Gaudemet, in: Robbers (Hrsg.), Etat et ­Eglises dans l’Union européenne, S. 166). Seitdem erlebte die französische katholische Kirche jedoch einen dramatischen Mitgliederschwund, den der Rückgang der Zahl der Taufen von ca. 335000 im Jahre 2008 auf ca. 250000 im Jahre 2016 verdeutlicht (https://eglise.catholique.fr/guide-eglise-catholique-france/statistiques-de-leglisecatholique-france-monde/statistiques-de-leglise-catholique-france/les-sacrements-enfrance/, zuletzt abgerufen am 6. September 2019). Als Konsequenz dürften im Jahre 2015 nur noch etwa 72 % der Franzosen katholisch getauft gewesen sein (Pelletier, in: Dieckhoff/Portier (Hrsg.), Religion et politique, S. 26). Gleichzeitig nahm in Frankreich beispielsweise auch der Anteil der regelmäßigen Kirchgänger, die Anzahl der Priesterweihen und die Gesamtzahl der Priester innerhalb der letzten Jahrzehnte drastisch ab (Portier, Social Compass 59, 193 (196 f.)). 14  Siehe auch Portier, Revue Projet 342, 32 (38). 15  Siehe Art. 1 Gesetz über den Schutz der Sonn- und Feiertage Bayerns (Bayerisches Feiertagsgesetz). Darüber hinaus werden durch Art. 6 Abs. 1 Bayerisches Feiertagsgesetz auch dreizehn jüdische Feiertage besonders gesetzlich geschützt. 16  Siehe Artikel L3133–1 Arbeitsgesetzbuch (Code du travail).

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Einführung: Problemstellung und Aufbau

tion.17 Darüber hinaus fungieren die christlichen Kirchen in Deutschland wie in Frankreich nicht nur als Betreiber zahlreicher sozialer und karitativer Einrichtungen von der Kindertagesstätte bis zum Seniorenheim, sondern üben in ihrer Funktion als moralische Autoritäten auch Einfluss auf Politik und Rechtswissenschaft aus.18 Gleichzeitig nimmt die Anzahl religionsverfassungsrechtlicher Konflikte und das öffentliche Interesse an religionsverfassungsrechtlichen Fragestellungen in Deutschland wie in Frankreich stetig zu. Großes mediales Interesse in ganz Europa erfuhren insbesondere die rechtswissenschaftlichen und politischen Diskussionen des letzten Jahrzehnts über ein Verbot der Vollverschleie­ rung im öffentlichen Raum19 sowie ein Verbot des Tragens religiöser Symbole im schulischen oder gerichtlichen Kontext.20 Als Konsequenz wird dem Religionsverfassungsrecht eine zentrale Rolle im Rahmen der europäischen Einigungsbemühungen zukommen. Die französische juristische Literatur21 erklärt den Laizismus22 als zentrales Staatsstrukturprinzip der Verfassung der Fünften Republik vom 4. Oktober 1958 gar zu einem Kernelement der französischen Verfassungsidentität, das durch das 17  Siehe zur Geschichte des Schutzes des Sonntags Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 541. 18  Siehe ausführlich Portier, Revue Projet 342, 32 (37 ff.). 19  Einen vertiefenden Einblick in die europäischen Debatten und die daraus hervorgegangenen Gesetze über ein Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Raum bieten Grillo/Shah, in: Ferrari/Pastorelli (Hrsg.), The burqa affair across Europe, S.  200 ff. und Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, Verbot der Vollverschleierung in Staaten der EU. 20  Einen guten Überblick über den Stand der Debatten in Europa zum Verbot des Kopftuchs in bestimmten sozialen Kontexten vermittelt Rostock/Berghahn, in: Berghahn/Rostock (Hrsg.), Debatten um das Kopftuch, S. 11 ff. 21  Der französische Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) berief sich in mehreren Entscheidungen auf das Konzept der „Verfassungsidentität“ (siehe beispielhaft Verfassungsrat, Az. 2004–505 DC, 19. November 2004), das eine Grenze der Anwendung des Europarechts in Frankreich bilde, doch verzichtete er bislang auf eine juristische Definition, siehe Walter, ZaöRV 2012, 177 (186 ff.). 22  Terminologisch ist umstritten, ob der Begriff „Laizismus“ oder „Laizität“ die korrekte Übersetzung des französischen Substantivs laïcité darstellt (siehe dazu Franzke, DÖV 2004, 383 (383)). Etymologisch und sprachlich ist jedoch die Verwendung des Begriffs „Laizismus“ zutreffender. Im 19. Jahrhundert wurden zahlreiche Neologismen auf Grundlage des Adjektivs laïque (Laie) entwickelt, das zunehmend die Bedeutung „laizistisch“ gewann (siehe Fiala, Mots 27, 41 (45)). Der laïcisme wurde teilweise als militanter und radikaler als die laïcité verstanden, wobei die Grenzen beider Termini im politischen und gesellschaftlichen Diskurs regelmäßig verschwammen (siehe ausführlich Fiala, Mots 27, 41 (50 ff. und 53 f.)). Die deutsche Sprache kennt hingegen ausschließlich den Begriff des „Laizismus“ als Substantiv des Adjektivs „laizistisch“ (Duden, 27. Auflage, S. 682), der damit die einzige sprachlich und etymologisch korrekte Übersetzung des Terminus laïcité darstellt.



Einführung: Problemstellung und Aufbau23

Europarecht nicht abbedungen werden könne23 und damit auch im Rahmen einer weiteren Vertiefung des europäischen Einigungsprozesses zu wahren ist. Dies ist nur folgerichtig, da religionsverfassungsrechtliche Bestimmungen ein Ausdruck der rechts- und ideengeschichtlichen Tradition eines Staates sind. Aus diesem Grund geht ihre Bedeutung weit über die Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche hinaus. Das Religionsverfassungsrecht ist Teil des verfassungsrechtlichen und -politischen Erbes eines Landes. Es ist gleichzeitig Grundlage und Konsequenz des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Dementsprechend stellen religionsverfassungsrechtliche Normen einen Spiegel der gesamten politischen und verfassungsrechtlichen Ordnung eines Staates dar. Staatsreligion und religiöse Einheit waren und sind Ziele absolutistischer und autoritärer Regierungsformen. Religionsfreiheit und religiöser Pluralismus hingegen sind wichtige Kennzeichen liberaler Demokratien nach europäisch-amerikanischem Vorbild. In zweierlei Hinsicht wird dementsprechend ein religionsverfassungsrechtlicher Konsens für das Gelingen einer gemeinsamen europäischen Verfassung von besonderer Bedeutung sein. Einerseits können sich die fundamentalen Differenzen der europäischen religionsverfassungsrechtlichen Ordnungen, die anschaulich die in der folgenden Abhandlung diskutierten Unterschiede des häufig als Gegensatzpaar24 zitierten deutschen und französischen Reli­ gionsverfassungsrechts verdeutlichen, als ein wichtiger „Hemmschuh“ einer Vertiefung der europäischen Einigungsbemühungen erweisen. Andererseits kann gerade ein religionsverfassungsrechtlicher Konsens, der als „Matrize“ für eine Annäherung des gesamten Verfassungsrechts fungieren kann, einen wichtigen „Motor“ der europäischen Integration darstellen. Der vorliegende Vergleich der Genese und der rechtshistorischen Funktion der religionsverfassungsrechtlichen Systeme der zwei wichtigsten Staaten des europäischen Einigungsprozesses, Deutschland und Frankreich, als „Vertreter“ der zwei wichtigsten, auf den ersten Blick verfassungsrechtlich unversöhnlich erscheinenden, europäischen religionsverfassungsrechtlichen Modelle, soll dementsprechend zum Entwurf eines derartigen religionsverfassungsrechtlichen Konsenses als Grundlage eines gemeinsamen europäischen Religionsverfassungsrechts für die Zukunft beitragen. Diese Zielsetzung wird die vorliegende Abhandlung in drei Teilen verfolgen. Das erste Kapitel der Abhandlung wird die anzuwendende Methodologie des rechtshistorischen Vergleichs des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts darstellen sowie die grundsätzliche verfassungshistodazu Walter, ZaöRV 2012, 177 (188). etwa Maier, ZfP 2011, 213 (215).

23  Siehe 24  So

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Einführung: Problemstellung und Aufbau

rische Vergleichbarkeit der betrachteten religionsverfassungsrechtlichen Ordnungen der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik verdeutlichen. Im Anschluss daran werden die in der vorliegenden Abhandlung ausgewerteten verfassungshistorischen Primärquellen dargestellt. Das zweite Kapitel der Abhandlung wird sich auf dieser Grundlage der Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede des deutschen und des französischen religionsverfassungsrechtlichen Modells aus rechtshistorischer Perspektive widmen. Nach einer Analyse der rechtshistorischen Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche in Deutschland und Frankreich werden die Debatten über die Trennung von Staat und Kirche in der Weimarer Republik und in der Dritten Französischen Republik detailliert dargelegt. Besondere Beachtung wird dabei den verfassungshistorischen und staatsphilosophischen Grundlagen der gegenwärtigen deutschen und französischen Religionsverfassung geschenkt sowie deren Rezeption in den Debatten über den Laizismus in Deutschland und Frankreich dargestellt. Im dritten Kapitel werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des gegenwärtigen deutschen und französischen Religionsverfassungsrechts auf Grundlage einer Betrachtung der jeweiligen Funktion im rechtshistorischen Kontext analysiert. Besondere Beachtung wird dabei dem Religionsverfassungsrecht Elsass-Lothringens geschenkt, das ein Musterbeispiel der Kollision und Fusion des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts darstellt. Die Abhandlung schließt mit Vorschlägen für eine Lösung der bestehenden religionsverfassungsrechtlichen Differenzen im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses.

Kapitel 1

Methodologische Grundlagen des rechtshistorischen Vergleichs der deutschen und der französischen religionsverfassungsrechtlichen Ordnung Religion war bereits lange vor Beginn der Geschichtsschreibung ein wesentlicher Bestandteil menschlicher Existenz und ein Grundbedürfnis des Menschen. So wurden religiös ritualisierte Bestattungen, die ersten nachweisbaren Formen religiösen Lebens, bereits vor ungefähr 80.000 Jahren durch die Neandertaler praktiziert.1 Religiöse Überzeugungen und Praktiken spielten in allen bekannten Kulturen eine wichtige Rolle im Leben der Menschen. Diese bedeutende politische und gesellschaftliche Rolle der Religion weist dem Religionsverfassungsrecht eine zentrale Stellung im Gefüge rechtlicher Normen zu. Das Religionsverfassungsrecht ist ein wichtiges „Spielfeld“, auf dem widerstreitende verfassungspolitische und theologische Konzepte und Interessen kollidieren. Als Folge unterliegt das Religionsverfassungsrecht zahlreichen politischen und theologischen Einflussfaktoren und erweist sich als extrem kontextabhängig. Ein inhaltlicher rechtshistorischer Vergleich erweist sich dementsprechend als wenig zielführend, da er der besonderen Kontextabhängigkeit religionsverfassungsrechtlicher Normen nicht gerecht würde.2 So könnte ein Vergleich der Rechtsnormen des französischen kirchenfeindlichen Dekrets über die Religionsausübung vom 21. Februar 1795 und des französischen Gesetzes über den Laizismus von 1905 sowie der religionsverfassungsrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung (WRV) und der Verfassung der DDR vom 9. April 1968 zwar die allen vier Systemen de iure gemeinsame Trennung von Staat und Kirche und Gewährleistung der Religionsfreiheit unterstreichen, doch würde dem rechtshistorischen Kontext und der verfassungspolitischen Zielsetzung keine Rechnung getragen. So können die de facto regelmäßig gravierend missachteten Garantien der Religionsfreiheit 1  Mathiex,

Histoire de France, S. 8. analog die Argumentation betreffend die verfassungshistorische Kontextabhängigkeit des Rechts auf den gesetzlichen Richter in Müßig, Recht und Justizhoheit, S.  37 f. 2  Siehe

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Kap. 1: Methodologische Grundlagen des rechtshistorischen Vergleichs

des Dekrets über die Religionsausübung vom 21. Februar 1795 und der Verfassung der DDR vom 9. April 1968 kaum mit den nicht nur verfassungsrechtlich verbürgten, sondern auch verfassungspolitisch bis zum Ende der Dritten Republik im Jahre 1940 und der Weimarer Republik im Jahre 1933 weitestgehend beachteten Gewährleistungen der Religionsfreiheit des Gesetzes über den Laizismus von 1905 und der Weimarer Reichsverfassung ver­ glichen werden. Zum anderen war die verfassungspolitische Bedeutung und Reichweite der Trennung von Staat und Kirche in Frankreich, wo noch in den 1870er Jahren die Idee des katholischen Staatskirchentums unter der Herrschaft des konservativ-monarchistischen Präsidenten Patrice de MacMahon wirkmächtig war, eine ganz andere als in Deutschland, wo – zumindest auf Reichsebene3 – bereits der Westfälische Frieden der Jahre 1648/16494 der politischen und rechtlichen Einheit von Staat und Kirche endgültig ein Ende gesetzt hatte. Als Konsequenz wären die gewonnenen Vergleichsergebnisse dieser vier unterschiedlichen Verfassungsordnungen nur von geringer verfassungshistorischer Validität und Verwertbarkeit. Demgegenüber erweist sich ein Vergleich der Funktion unterschiedlicher religionsverfassungsrechtlicher Normen in ihrem rechtshistorischen Kontext als weitaus zielführender. Im Unterschied zu Inhalt und Sprache rechtlicher Normen ist deren Funktion zwar ebenfalls kontextabhängig, nicht aber kontextgebunden. Eine funktionelle Betrachtung der religionsverfassungsrecht­ lichen Reformen der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik muss daher zwar ebenfalls dem rechtshistorischen Kontext der analy3  Auf Ebene der deutschen Territorialstaaten blieb die Einheit von Staat und einer christlichen Staatskirche hingegen im Sinne des „cuius regio, eius religio“ weitest­ gehend bis in das Zeitalter der Französischen Revolution erhalten. So brachten in Preußen erst das Wöllnersche Religionsedikt 1788 und das Preußische Allgemeine Landrecht 1794 und in Bayern erst die Religionsedikte der Jahre 1803 und 1809 die Gleichstellung der katholischen, evangelisch-lutherischen und evangelisch-refor­ mierten Konfession (Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 14 f. und Rz. 24 (Fn. 38)). 4  Weitaus ambivalenter war hingegen das Verhältnis von Heiligem Römischen Reich Deutscher Nation und (katholischer) Reichskirche noch im Augsburger Reichsund Religionsfrieden des Jahres 1555 angelegt. Während protestantische Juristen den Augsburger Reichs- und Religionsfrieden 1555 als verbürgte Gleichstellung der evangelisch-lutherischen und der katholischen Konfession im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zu interpretieren suchten, sah die katholische Seite den Charakter der katholischen Kirche als deutsche Reichskirche nicht in Frage gestellt. In dieser Sichtweise bedeutete der Augsburger Reichs- und Religionsfrieden 1555 keineswegs eine Gleichstellung der evangelisch-lutherischen Konfession mit dem Katholizismus, sondern vielmehr einen nicht auf Dauer angelegten Verzicht auf den Vollzug des kanonischen Rechts, insbesondere der Verpflichtung der Verfolgung der „Ketzerei“, gegenüber den Protestanten (Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 12, Rz. 14 f.; siehe auch Willoweit/Schlinker, Deutsche Verfassungsgeschichte, § 19, Rz. 7 ff.).



A. Rechtshistorischer Kontext27

sierten verfassungsrechtlichen Normen Geltung zollen, kann jedoch über diesen rechtshistorischen Kontext hinausgehen und als Grundlage eines Vergleichs der beiden religionsverfassungsrechtlichen Systeme fungieren. Dementsprechend entfaltet sich die Analyse der Funktion im rechtshistorischen Kontext in zwei eng miteinander verwobenen Dimensionen. Zum einen fragt sie nach dem Woher, dem rechtshistorischen Kontext religions­ verfassungsrechtlicher Normen, um die grundsätzliche Vergleichbarkeit des Religionsverfassungsrechts der Dritten Französischen Republik und der ­ Weimarer Republik zu klären, die eine Grundvoraussetzung der Validität des angestellten rechtshistorischen Vergleichs ist (A). Zum anderen fragt sie nach dem Wozu, der Funktion religionsverfassungsrechtlicher Normen, deren Kenntnis für ein Verständnis der Gemeinsamkeiten und Unterschiede des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts unabdingbar ist (B).

A. Der rechtshistorische Kontext der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik Die Validität eines verfassungshistorischen Vergleichs setzt die grundsätzliche Vergleichbarkeit der diskutierten verfassungsrechtlichen Systeme voraus. Aufgrund der im Vorhergehenden aufgezeigten starken Kontextabhängigkeit des Religionsverfassungsrechts ist diesbezüglich nicht so sehr die inhaltliche Konkordanz, sondern vielmehr der vergleichbare rechtshistorische Kontext der verschiedenen Religionsverfassungen ausschlaggebend. Neben dem verfassungsrechtlichen und -politischen Kontext ist diesbezüglich auch der religiös-theologische Kontext der verglichenen religionsverfassungsrechtlichen Systeme von Bedeutung. Der rechtshistorische Kontext der deutschen religionsverfassungsrecht­ lichen Reformen der Weimarer Republik und der französischen Laizismusgesetzgebung der Dritten Republik weist zahlreiche Gemeinsamkeiten auf. Eine wichtige theologisch-ideengeschichtliche Gemeinsamkeit ist das christliche Erbe Deutschlands und Frankreichs, das zusammen mit der Tradition des Kampfes um Religionsfreiheit eine zentrale Grundvoraussetzung der Säkularisierung der europäischen Verfassungsordnungen und der Trennung von Staat und Kirche darstellt. In verfassungsrechtlicher Perspektive sind die religionsverfassungsrecht­ lichen Reformen der Weimarer Republik und der Dritten Französischen Republik wiederum eng mit dem Ende der Monarchie sowie der Republikgründung und Demokratisierung beider Staaten verbunden.

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Kap. 1: Methodologische Grundlagen des rechtshistorischen Vergleichs

In Deutschland folgte der militärischen Niederlage im Ersten Weltkrieg die Novemberrevolution des Jahres 1918, die auf Länder- und Reichsebene das Ende der Monarchie besiegelte.5 Auf Reichsebene übernahm zunächst der paritätisch aus Vertretern der SPD und der USPD besetzte Rat der Volksbeauftragten die Regierungsverantwortung.6 Bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Weimarer Nationalversammlung am 15. Januar 1919 verfehlte diese Koalition jedoch die absolute Mehrheit deutlich.7 Als Folge bestimmten vor allem die bürgerlichen Parteien der Weimarer Nationalversammlung die Debatte über das zukünftige deutsche Religionsverfassungsrecht. In Frankreich bedeutete die Gefangennahme Napoleons III. in der Schlacht von Sedan im deutsch-französischen Krieg im Jahre 1870 das Ende des Zweiten Kaiserreichs.8 Damit einher ging der politische Aufstieg der bereits in den letzten Jahren der napoleonischen Herrschaft erstarkten Republikaner, die sich als „Erben“ der Französischen Revolution begriffen und in diesem Sinne die neugegründete Republik als „Fortsetzung“ der Französischen Revolution zu interpretieren und zu legitimieren suchten. Dementsprechend rief am 4. September 1870 der Republikaner Léon Gambetta, der in zahlreichen politischen Reden eine „Fortführung“ der Französischen Revolution propagierte9, in Paris die Dritte Französische Republik aus.10 Trotz der unausweichlichen Niederlage Frankreichs im deutsch-französischen Krieg und der allgemeinen Kriegsmüdigkeit der französischen Bevölkerung lehnte die republikanische Übergangsregierung eine Kapitulation und einen Friedensschluss mit Deutschland jedoch weiterhin ab.11 Als Folge brachten die ersten freien Wahlen der Dritten Französischen Republik am 8. Februar 1871 eine verheerende Niederlage der Republikaner, die nicht einmal ein Drittel aller Mandate der neugewählten Nationalversammlung erringen konnten.12 Unter Führung des liberalen Monarchisten Adolphe Thiers, der zum ersten Regierungschef und später zum ersten Präsidenten der Dritten Republik gewählt

Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rz. 793. Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 2245. Zur Programmatik des Rates der Volksbeauftragten siehe Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert Bd. 4, S. 1 ff. 7  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 26, Rz. 8. 8  Richard, Histoire des droites en France, S. 52; Miquel, Histoire de la France, S.  401 f. 9  Siehe beispielhaft eine Rede Gambettas aus dem Jahre 1875 in Forestal/Bouchet (Hrsg.), La laïcité par les textes – Tome I, S. 116 f. 10  Vertiefend zum Ablauf der Proklamation der Dritten Französischen Republik Miquel, Histoire de la France, S. 402. 11  Miquel, Histoire de la France, S. 406. 12  Julliard, Les gauches françaises, S. 360; Miquel, Histoire de la France, S. 407. 5  Ausführlich 6  Kotulla,



A. Rechtshistorischer Kontext29

wurde,13 schloss Frankreich am 10. Mai 1871 den Vertrag von Frankfurt mit dem Deutschen Kaiserreich, in dem es die deutsche Annexion Elsass-Lothringens und deutsche Reparationsforderungen in Höhe von fünf Milliarden Francs akzeptieren musste.14 Unter dem Eindruck der deutschen Belagerung hatten sich besonders in Paris Soldatenräte der Nationalgarde gebildet, die den Wahlsieg der Monarchisten und die konservative Wirtschafts- und Sozialpolitik Adolphe Thiers’ ablehnten.15 Als die Regierung Thiers’ die während des deutsch-französischen Kriegs eingefrorenen Mieten wieder auftaute und den Nationalgarden den Sold strich, kam es in Paris zu einem von radikalen Sozialisten getragenen Aufstand.16 Die im März 1871 ausgerufene „Kommune von Paris“ (Commune de Paris), die als Emblem die rote Flagge wählte und den gregorianischen (christlichen) Kalender zu Gunsten des jakobinischen Kalenders der Französischen Revolution abschaffte, beanspruchte die Regierungsgewalt über ganz Frankreich und rief alle französischen Gemeinden und Städte zur Revolution gegen die gewählte Regierung Adolphe Thiers’ auf.17 Geistliche wurden willkürlich verhaftet und der Erzbischof von Paris hingerichtet.18 Erst nach zweimonatiger Belagerung gelang es der französischen Regierung Adolphe Thiers’, die „Kommune von Paris“ niederzuschlagen.19 Adolphe Thiers, der sich zunehmend republikanischen Positionen annäherte, wurde im Jahre 1873 vom monarchistischen Lager der Nationalversammlung abgesetzt.20 Der zum neuen Präsidenten gewählte radikal-konservative Monarchist Patrice de MacMahon verfolgte eine streng katholischkonservative und antiliberale Politik, zu deren Ziel er die Wiederherstellung der „moralischen Ordnung“ (Ordre moral) erklärte.21 Republikanische Zeitungen wurden verboten, liberale Richter und Verwaltungsbeamte entlassen, die Büste der Marianne als Symbol der Republik aus zahlreichen Rathäusern entfernt und die gemeindliche Selbstverwaltung aufgehoben, indem dem Präsidenten das Recht der Ernennung aller französischen Bürgermeister 13  Vertiefend zur Biografie und Politik Adolphe Thiers’ siehe Richard, Histoire des droites en France, S. 54 f. 14  Miquel, Histoire de la France, S. 414. 15  Miquel, Histoire de la France, S. 409. 16  Vertiefend Miquel, Histoire de la France, S. 409 f. 17  Vertiefend zur Programmatik der „Kommune von Paris“ Miquel, Histoire de la France, S.  410 ff. 18  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 38. 19  Mathiex, Histoire de France, S. 90; Richard, Histoire des droites en France, S. 55. 20  Miquel, Histoire de la France, S. 417 f. 21  Richard, Histoire des droites en France, S. 57.

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Kap. 1: Methodologische Grundlagen des rechtshistorischen Vergleichs

übertragen wurde.22 Noch im Jahre der Wahl MacMahons wurde die Amtszeit des Präsidenten rückwirkend auf sieben Jahre verlängert, wenig später begann die Ausarbeitung einer neuen monarchistischen Verfassung.23 Ein wichtiges Anliegen der monarchistischen Regierung war dabei die Einbindung der katholischen Kirche, die durch Predigten und Öffentlichkeitsarbeit die Akzeptanz der konservativ-monarchistischen Politik in der Bevölkerung sichern sollte.24 Erst ein Zerwürfnis innerhalb des monarchistischen Lagers über die Frage der Flagge des geplanten Königreichs Frankreich – die weiße Flagge der bourbonischen Könige oder die Trikolore der Französischen Revolution und der liberalen Juli-Monarchie – setzte der monarchistischen Herrschaft über Frankreich ein Ende.25 Im Jahre 1875 setzten liberale Monarchisten und Republikaner mit nur einer Stimme Mehrheit in der Nationalversammlung drei Verfassungsgesetze (lois organiques) durch, die übergangsweise eine repu­ blikanische Staatsform vorsahen.26 Das Gesetz vom 25. Februar 1875 über die Organisation der Staatsgewalten (Loi du 25 février 1875 relative à l’organisation des pouvoirs publics) sah die Schaffung eines Zweikammersystems vor, das aus einer direkt gewählten Abgeordnetenkammer (Chambre des députés) und einem indirekt gewählten Senat bestand.27 Für die Wahl zum Senat legte das am Vortag beschlossene Gesetz vom 24. Februar 1875 über die Organisation des Senats (Loi du 24 février 1875 relative à l’organisation du Sénat) Wahlbestimmungen fest, die den ländlichen Räumen, die zum damaligen Zeitpunkt mehrheitlich die monarchistischen Parteien unterstützten, eine überproportionale Anzahl an Mandaten im Senat verschafften.28 Dem Präsidenten, der von den beiden Parlamentskammern gewählt wurde,29 aber dem Parlament keine Rechenschaft schuldig war,30 wurde unter anderem das Recht der Gesetzesinitiative31 und das Recht der 22  Richard, Histoire des droites en France, S. 57 und Miquel, Histoire de la France, S. 419. 23  Miquel, Histoire de la France, S. 420. 24  Ausführlich Miquel, Histoire de la France, S. 418 f. 25  Miquel, Histoire de la France, S. 420. 26  Decaux, L’histoire de France, S. 344 f.; Miquel, Histoire de la France, S. 420; Richard, Histoire des droites en France, S. 59. 27  Artikel 1 des Gesetzes vom 25. Februar 1875 über die Organisation der Staatsgewalten, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 626 f. 28  Siehe Miquel, Histoire de la France, S. 420. 29  Artikel 2 des Gesetzes vom 25. Februar 1875 über die Organisation der Staatsgewalten, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 627. 30  Artikel 6, Abs. 2 des Gesetzes vom 25. Februar 1875 über die Organisation der Staatsgewalten, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 628. 31  Artikel 3 des Gesetzes vom 25. Februar 1875 über die Organisation der Staatsgewalten, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 627.



A. Rechtshistorischer Kontext31

Auflösung der Abgeordnetenkammer mit Zustimmung des Senats zugebilligt.32 Die Minister der Regierung hingegen waren beiden Parlamentskammern Rechenschaft schuldig.33 Für eine Änderung der Verfassungsgesetze der Dritten Republik sah Artikel 8 des Gesetzes vom 25. Februar 1875 über die Organisation der Staatsgewalten ein besonderes Verfahren vor, das dem Wunsch der liberalen Monarchisten entsprechend die Abkehr von der vorläufig beschlossenen republikanischen Staatsverfassung ermöglichen sollte. So war für eine Änderung der Verfassungsgesetze der Dritten Republik lediglich ein Mehrheitsbeschluss beider Kammern über die Ausarbeitung einer Verfassungsänderung nötig, die sodann mit absoluter Mehrheit in einer gemeinsamen Sitzung beider Kammern verabschiedet werden konnte.34 Das dritte Verfassungsgesetz vom 16. Juli 1875 über die Beziehungen der Staatsgewalten (Loi du 16 juillet 1875 sur les rapports des pouvoirs publics) sah schließlich Verfahrensregelungen für den Ablauf der Parlamentssitzungen35 sowie für die Wahl des Präsidenten36 und der Parlamentskammern37 und die strafrechtliche Immunität der Parlamentsabgeordneten38 vor. Nach der Verabschiedung der drei Verfassungsgesetze des Jahres 1875 begann die konservativ-monarchistische Herrschaft über Frankreich immer stärker zu bröckeln. Im März 1876 gewannen die Republikaner bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer mehr als zwei Drittel aller Sitze.39 Im Mai 1877 löste der konservativ-monarchistische Präsident Patrice de MacMahon die Abgeordnetenkammer auf, die die Berufung einer monarchistischen Regierung durch MacMahon ablehnte.40 Als die Republikaner trotz Stimmenverlusten bei den folgenden Neuwahlen wieder eine große Mehrheit im Ab­ geordnetenhaus erlangten, musste Präsident MacMahon die Berufung einer republikanischen Regierung akzeptieren.41 Nachdem im Januar 1879 die 32  Artikel 5 des Gesetzes vom 25. Februar 1875 über die Organisation der Staatsgewalten, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 628. 33  Artikel 6, Abs. 1 des Gesetzes vom 25. Februar 1875 über die Organisation der Staatsgewalten, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 628. 34  Artikel 8 des Gesetzes vom 25. Februar 1875 über die Organisation der Staatsgewalten, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 628 f. 35  Artikel 1 bis Artikel 6 des Gesetzes vom 16. Juli 1875 über die Beziehungen der Staatsgewalten, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 631 ff. 36  Artikel 3 des Gesetzes vom 16. Juli 1875 über die Beziehungen der Staatsgewalten, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 632 f. 37  Artikel 10 des Gesetzes vom 16. Juli 1875 über die Beziehungen der Staatsgewalten, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 634. 38  Artikel 13 und Artikel 14 des Gesetzes vom 16. Juli 1875 über die Beziehungen der Staatsgewalten, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 635 f. 39  Miquel, Histoire de la France, S. 421. 40  Miquel, Histoire de la France, S. 421. 41  Miquel, Histoire de la France, S. 423.

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Kap. 1: Methodologische Grundlagen des rechtshistorischen Vergleichs

Republikaner auch im Senat eine Mehrheit errangen, trat MacMahon vom Amt des französischen Präsidenten zurück, zu seinem Nachfolger wurde der Republikaner Jules Grévy gewählt.42 Die führenden Republikaner der „ersten Generation“, die nach dem Rücktritt MacMahons bis zur Jahrhundertwende die französische Politik bestimmten, waren politisch eher gemäßigt und liberal eingestellt.43 Zwar war die Trennung von Staat und Kirche in Frankreich bereits unter der Herrschaft Napoleons III. ein wichtiges Ziel republikanischer Politiker gewesen,44 doch war ein Konflikt mit der katholischen Kirche bei der Wählerschaft der liberalen Republikaner zutiefst unpopulär.45 Eine wichtige Ausnahme war das Schulwesen, das bei Übernahme der Regierungsverantwortung durch die Republikaner weitestgehend von der katholischen Kirche, die die konservativ-monarchistische Politik MacMahons mitgetragen hatte, kontrolliert wurde.46 Durch die Laizisierung des Schulwesens und die Einführung der Schulpflicht und der Kostenfreiheit des öffentlichen Schulwesens sollte der langfristige Erfolg der republikanischen Parteien in ganz Frankreich, insbesondere in den gegen Ende der 1870er Jahre noch immer zu den Monarchisten tendierenden ländlichen Gebieten, gesichert werden.47 Die „zweite Generation“ führender republikanischer Politiker, die ab der Jahrhundertwende des 19. Jahrhunderts in Regierungsverantwortung kam, unterschied sich grundlegend von der „ersten Generation“. Im Zuge der von der Öffentlichkeit vielbeachteten Dreyfus-Affäre48, die sich um die Verurteilung, Verbannung und Rehabilitierung eines zu Unrecht wegen Spionage verurteilten jüdischen Offiziers drehte, war es in Frankreich ab dem Jahre 1894 zu einer zunehmenden Fusion antisemitischer, antirepublikanischer und monarchistischer Rhetorik gekommen.49 Nicht nur das rechte, sondern auch das linke politische Spektrum hatte sich zunehmend radikalisiert. Besonders die katholische Kirche wurde für die Verrohung der monarchistisch-nationalistischen Rhetorik verantwortlich gemacht, die im Jahre 1899 in einem ge42  Miquel, Histoire de la France, S. 424 und Portier, L’Etat et les religions en France, S. 91. 43  Siehe Julliard, Les gauches françaises, S. 390. 44  Candar/Lalouette, Œuvres de Jean Jaurès, S. 14. 45  Candar/Lalouette, Œuvres de Jean Jaurès, S. 15. 46  Hesse, in: Fialaire (Hrsg.), Liberté de culte, laïcité et collectivités territoriales, S. 15. 47  Julliard, Les gauches françaises, S. 376 und S. 380 f.; Candar/Lalouette (Hrsg.), Œuvres de Jean Jaurès, S. 15. 48  Ausführlich zum Ablauf der Dreyfus-Affäre siehe Whyte, Die Dreyfus-Affäre, S.  31 ff. 49  Siehe Miquel, Histoire de la France, S. 440.



A. Rechtshistorischer Kontext33

scheiterten nationalistischen Militärputsch50 und in der Attacke eines jungen Nationalisten auf den französischen Präsidenten Émile Loubet auf offener Straße gipfelte.51 Aus diesem Grund verschärfte bereits die Regierung René Waldeck-Rousseaus, in der sich zur Bekämpfung der wachsenden Feindschaft gegenüber der republikanischen Staatsverfassung alle republikanischen Parteien von den Sozialisten bis zu den Republikanern der politischen Mitte zusammengeschlossen hatten (gouvernement de défense républicaine),52 die staatliche Kontrolle der Ordensgemeinschaften, denen eine Unterwanderung der republikanischen und demokratischen Verfassungsordnung vorgeworfen wurde.53 Insbesondere in dem im Jahre 1901 gegründeten Parti républicain, radical et radical-socialiste, kurz Parti radical, fand die in Frankreich gesellschaftlich und politisch weit verbreitete Ablehnung der katholischen Kirche eine neue Heimat.54 Der Parti radical, der sich im Verlauf des Anfangs des 20. Jahrhunderts politisch zunehmend den erstarkenden Sozialisten annäherte und mit diesen in den Jahren 1924 bis 1926 gemeinsam zu Wahlen antrat (Cartel des gauches55), errang bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer des Jahres 1902 als Teil eines republikanischen Wahlbündnisses einen Erdrutschsieg.56 Der radikale Republikaner Émile Combes, der als ehemaliger Student eines Priesterseminars der katholischen Kirche den Rücken gekehrt hatte, forcierte die Trennung von Staat und Kirche, die im Gesetz über den Laizismus von 1905 gipfelte.57 Besonders drei Gemeinsamkeiten des rechtshistorischen Kontexts des Religionsverfassungsrechts der Weimarer Republik und der Dritten Französischen Republik sind bemerkenswert. Erstens folgten dem Ende der Monarchie und der Etablierung einer republikanischen und demokratischen Staatsverfassung in Deutschland und Frankreich unmittelbar große religionsverfassungsrechtliche Reformen, in Deutschland besonders auf Länderebene bereits ab November 1918.58 Zweitens ist die Trennung von Staat und Kirche in Deutschland und Frankreich eng mit dem politischen Aufstieg der republikanischen Parteien und der Verdrängung der monarchistischen Parteien aus der 50  Baubérot,

Histoire de la laïcité en France, S. 61. Histoire de la France, S. 440. 52  Miquel, Histoire de la France, S. 441. 53  Siehe beispielhaft die Rede Ferdinand Buissons in Hayat, Ferdinand Buisson, S. 95. 54  Julliard, Les gauches françaises, S. 449. 55  Ausführlich Julliard, Les gauches françaises, S. 498 f. 56  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 65. 57  Siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 65. 58  Siehe hierzu Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 26, Rz. 5 f. 51  Miquel,

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Kap. 1: Methodologische Grundlagen des rechtshistorischen Vergleichs

Regierungsverantwortung verknüpft. Drittens wurde die Neuregelung des Verhältnisses von Staat und Kirche in Deutschland wie in Frankreich durch die tiefgreifenden verfassungsrechtlichen Veränderungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, insbesondere die Demokratisierung und Liberalisierung der Verfassungsordnungen, forciert. Durch diesen grundlegenden verfassungspolitischen Wandel wurde das „alte“ Modell der Interessenseinheit von Staat und Kirche, das der Ordre moral des monarchistisch-autoritären Präsidenten MacMahon in Frankreich und die deutschen Monarchien vor der NovemberRevolution 1918 praktiziert hatten, Makulatur. Der Prozess des grundlegenden Wandels, der das gesamte französische Recht nach dem Scheitern der Restauration der Monarchie und das deutsche Recht nach der NovemberRevolution 1918 ergriff, musste insofern in beiden Staaten zu tiefgreifenden religionsverfassungsrechtlichen Reformen führen. Vor diesem Hintergrund kann damit eine grundsätzliche Vergleichbarkeit des rechtshistorischen Kontexts der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik bejaht werden.

B. Überblick über die zur Analyse der Funktion der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Republik und der Weimarer Republik in ihrem rechtshistorischen Kontext verwendeten Primärquellen Die im Vorhergehenden dargestellte Analyse des rechtshistorischen Kontexts des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts unterstrich die grundsätzliche verfassungshistorische Vergleichbarkeit der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Weimarer Republik und der Dritten Französischen Republik. Der darauf aufbauende rechtshistorische Vergleich des Religionsverfassungsrechts der Weimarer Republik und der Dritten Französischen Republik wird in zwei Schritten erfolgen. Zunächst werden im zweiten Kapitel der vorliegenden Abhandlung die Laizismusgesetzgebung der Dritten Französischen Republik und der religionsverfassungsrechtliche Kompromiss der Weimarer Republik im Kontext der deutschen und der französischen Verfassungs- und Ideengeschichte analysiert, systematisiert und verglichen, um ein Verständnis der betrachteten Rechtsnormen nicht nur isoliert, sondern als Teil der jeweiligen Verfassungs- und Ideengeschichte zu ermöglichen. Auf dieser Analyse aufbauend werden im dritten Kapitel der vorliegenden Abhandlung die verfassungspolitischen Funktionen der reli­ gionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik in ihrem rechtshistorischen Kontext eruiert und verglichen.



B. Überblick über die Primärquellen35

Zu diesem Zweck wurden für die vorliegende Abhandlung insbesondere die nachfolgenden verfassungshistorischen und religionsverfassungsrecht­ lichen Primärquellen ausgewertet. Das französische Religionsverfassungsrecht vor der Französischen Revolution wurde in Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte (Edikt von Nantes 1598), in Dupin, Libertés de l’Église gallicane (Gallikanismus) sowie in der Sammlung der Französischen Nationalbibliothek (www.gallica. bnf.fr) konsultiert. Das Religionsverfassungsrecht der Französischen Revolution wurde aus den von Mavidal/Laurent publizierten „Archives parlementaires“, das napoleonische Religionsverfassungsrecht aus Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, das Religionsverfassungsrecht zwischen 1814 und 1870 aus Duvergier, Collection complète des lois, den von Mavidal/Laurent publizierten „Archives parlementaires“ sowie Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, und das Religionsverfassungsrecht der Dritten Französischen Republik aus dem Amtsblatt der Französischen Republik (Journal officiel de la République française) erarbeitet und zitiert. Ferner wurden der von der französischen Nationalversammlung (Assemblée Nationale) als Nachdruck veröffentlichte Rapport Briand (1905) sowie die im Amtsblatt der Französischen Republik (Journal officiel de la République française) publizierten Protokolle der Debatten des Abgeordnetenhauses und des Senats über das Gesetz über den Laizismus von 1905 ausgewertet. Daneben wurden die in Hayat, Ferdinand Buisson und Candar/Lalouette, Œuvres de Jean Jaurès sowie die von Forestal/Bouchet in den drei Sammelbänden „La laïcité par les textes“ veröffentlichten Reden und Zeitungsbeiträge führender Politiker der Dritten Französischen Republik erarbeitet und zitiert. Die historischen französischen Verfassungen wurden in der in Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte und in der vom Verfassungsrat (Conseil constitutionnel)59 veröffentlichten Fassung berücksichtigt. Das gegenwärtige französische Recht einschließlich der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 und der Rechtsprechung des Verfassungsrats (Conseil constitutionnel), des Staatsrats (Conseil d’État) und des Revisionsgerichts (Cour de Cassation) wurde in der vom Secrétariat général du Gouvernement (www.legifrance.gouv.fr) sowie in der vom französischen Innenministerium im Sammelband „Laïcité et liberté religieuse“ veröffentlichten Fassung zitiert. Das historische und gegenwärtige Religionsverfassungsrecht Elsass-Lothringens (Alsace-Moselle) wurde in Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle konsultiert. Daneben wurden die wichtigsten ideengeschichtlichen Grundlagen des Laizismus, insbesondere die Werke „Émile ou de l’éducation“ und „Du contrat social“ Jean-Jacques Rousseaus sowie 59  https://www.conseil-constitutionnel.fr/la-constitution/les-constitutions-de-lafrance, zuletzt abgerufen am 6. September 2019.

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Kap. 1: Methodologische Grundlagen des rechtshistorischen Vergleichs

die von Truchet herausgegebenen Schriften Jacques-Bénigne Bossuets, ausgewertet. Das Recht des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation wurde in der in Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte publizierten Fassung berücksichtigt. Das bayerische Religionsverfassungsrecht wurde in Huber/ Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 1 bis Bd. 4 sowie in Wenzel, Bayerische Verfassungsurkunden konsultiert. Das historische deutsche, bayerische und preußische Religionsverfassungsrecht von der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde in der in Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 1 bis Bd. 4 publizierten Fassung ausgewertet. Die relevanten historischen Parteiprogramme wurden in Treue, Deutsche Parteiprogramme und Liebe, Die Deutschnationale Volkspartei 1918–1924 sowie Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4 konsultiert. Die Protokolle des Verfassungsausschusses der Weimarer Nationalversammlung wurden aus der von der Universitätsbibliothek Freiburg publizierten digitalen Version (http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ nat_vers1919), die Plenarprotokolle der Weimarer Nationalversammlung aus der von der Bayerischen Staatsbibliothek veröffentlichten digitalen Version (https://www.reichstagsprotokolle.de) zitiert und erarbeitet. Das Europarecht einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wurde in der vom Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union publizierten Version (www.eur-lex.europa.eu), die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in der auf dem Publikationsserver des EGMR veröffentlichten Fassung (https:// hudoc.echr.coe.int/) konsultiert. Die rezipierten päpstlichen Enzykliken, die Pastoralkonstitution Gaudium et spes des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Codex Iuris Canonici (1983) wurden in der vom Heiligen Stuhl publizierten (w2.vatican.va) offi­ ziellen lateinischen Version ausgewertet.

Kapitel 2

Die Debatte über den Laizismus in der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik als Ausgangspunkt der gegenwärtigen religionsverfassungsrechtlichen Ordnungen Die im ersten Kapitel der vorliegenden Abhandlung skizzierte besondere Bedeutung des Religionsverfassungsrechts demonstriert die große wissenschaftliche wie politische Relevanz und Brisanz der wegweisenden religionsverfassungsrechtlichen Beschlüsse, die in Deutschland und Frankreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts gefasst wurden. Ein erstes Kapitel (A.) wird sich der historischen Entwicklung des Laizismus in Deutschland sowie in Frankreich widmen. Das Konzept der Trennung von Staat und Kirche ist ein europäischer Sonderweg, dessen Grundstein lange vor der Aufklärung in der biblischen Lehre des Dualismus von staatlicher und religiöser Macht begründet liegt.1 Dies war eine Kernvoraussetzung für die Entwicklung eines gegenüber religiösen Institutionen eigenständigen Staatswesens, das durch den endgültigen Zerfall der religiösen Einheit infolge der Reformation Wirklichkeit werden konnte (A.I.). In diesem Kontext ist die Debatte über das Verhältnis von Staat und Kirche in der Weimarer Republik und der Dritten Französischen Republik zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu sehen, die einschließlich ihrer Folgen in Abschnitt A.II. beleuchtet wird. Trotz unterschiedlicher religionsverfassungsrechtlicher Modelle überwiegen die Gemeinsamkeiten der europäischen Religionsverfassungen bei weitem die existierenden Unterschiede. Der juristische Vorrang staat­ licher Normen sowie die institutionelle Eigenständigkeit der europäischen christlichen Kirchen sind wesentliche Grundvoraussetzungen der religiösen Pluralität im Europa des 21. Jahrhunderts. Dennoch sind auch die unterschiedlichen Ursprünge individueller europäischer Religionsverfassungen von großem Interesse. Ein Verständnis der Gemeinsamkeiten ist ein wichtiger Ausgangspunkt der politischen Annäherung der europäischen Staaten, doch letztlich ist auch ein Verständnis der Unterschiede notwendig, um diese in einem zusammenwachsenden Europa versöhnen zu können. Kapitel B wird deshalb die religionsverfassungsgeschicht1  So

auch Winter, Staatskirchenrecht, S. 27.

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

lichen wie auch die rechtshistorischen Ursprünge der heutigen religionsverfassungsrechtlichen Ordnungen der zwei wichtigsten Staaten des europäischen Einigungsprozesses, Deutschland und Frankreich, analysieren.

A. Die religionsverfassungsrechtliche Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg Die Trennung von weltlicher und geistlicher Sphäre in der christlichen Theologie war in der Antike ein Novum.2 Das Christentum beendete die Zuordnung eines politischen Gemeinwesens zu einer Religion3, es besaß den Anspruch der Gültigkeit als universelle Wahrheit für alle Menschen.4 Damit war der Grundstein der Trennung von Staat und Kirche gelegt5, die durch die Reformation und den Kampf um Religionsfreiheit vorangetrieben wurde6 (I.). Vor diesem Hintergrund ist die Debatte über die Trennung von Staat und Kirche in der Weimarer Republik und der Dritten Französischen Republik zu sehen (II.).

I. Der Laizismus als Rezeption der christlichen Theologie der Antike und des Mittelalters sowie der Aufklärung Die Trennung von Staat und Religion wird häufig als ein zentrales Charakteristikum der europäischen Moderne beschrieben.7 Dabei reichen ihre ideengeschichtlichen Grundlagen bis in frühchristliche Zeiten zurück.8 So ist die Trennung von staatlicher und religiöser Macht bereits in den biblischen Texten angelegt und wurde durch die frühchristliche Theologie bestätigt (1.).9 Gleichzeitig blieben Religion und Staat lange Zeit eng verwoben. Zwar schritt bereits im Mittelalter in Westeuropa die Ausdifferenzierung von weltlicher und geistlicher Sphäre10, insbesondere durch die zunehmende Or2  von

Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 3. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 4. 4  Gauchet, Le désenchantement du monde, S. 245. 5  So im Ergebnis wohl auch Winter, Staatskirchenrecht, S. 29. 6  Vertiefend zur Bedeutung des Christentums für die Entwicklung Europas siehe auch Rémond, Religion et société en Europe, S. 29 ff. 7  So etwa auch Taylor, in: Mendieta/Van Antwerpen (Hrsg.), Religion und Öffentlichkeit, S. 53. 8  Siehe Gauchet, Le désenchantement du monde, S. 197 ff.; Bizeul, Säkularismus in Europa, S. 6; siehe auch Rémond, Religion et société en Europe, S. 29 ff. 9  Siehe Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 15. 10  Ausführlich Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG – Kommentar: Bd. I, Art. 4, Rz. 2 und Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG – Kommentar: Bd. III, Art. 140, Rz. 2. 3  von



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg39

ganisation und Zentralisierung der katholischen Kirche als Rechtskirche und die Abwehr kirchlicher Autoritätsansprüche über die weltlichen Herrscher, voran, doch forcierten erst die religiöse Spaltung Europas und der Kampf um Religionsfreiheit11 (2.) im Zuge der Reformation die langsam fortschreitende Trennung von Staat und Kirche, die erst im 20. Jahrhundert im deutschen und französischen Religionsverfassungsrecht verankert wurde. 1. Die gemeinsamen theologischen und verfassungspolitischen Grundlagen des Dualismus zwischen weltlicher und religiöser Macht in Deutschland und Frankreich Religionsgeschichtlich ist der Laizismus eng mit dem Phänomen der Säkularisierung verknüpft (a)).12 Gleichzeitig setzt er die Trennung von staatlicher und religiöser Macht voraus, die letztlich ein Ausfluss der christlichen Theologie ist (b)). a) Das Phänomen der Säkularisierung als Bedingung und Konsequenz des Laizismus Die Verfassungsgeschichte steht vor der wichtigen methodologischen He­ rausforderung, dass verfassungsrechtliche Konzepte und Begriffe zeitlich wandelbar sind.13 Insbesondere die Rolle und der Inhalt von Religion haben sich innerhalb der letzten zwei Jahrtausende europäischer Geschichte grundlegend verändert. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit beherrschten religiöse Normen nicht nur die Politik, sondern auch Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Rechtsprechung, das menschliche Leben wurde von der Wiege bis zur Bahre von religiösen Normen strukturiert und bestimmt.14 Insbesondere politische und juristische Institutionen waren unbedingt auf die kirchliche Legitimation angewiesen. Dennoch war auch in den im Vergleich zur Gegenwart wenig säkularisierten Gesellschaften des Mittelalters und der frühen Neuzeit nur ein Teil der Bevölkerung strenggläubig.15 Die Befolgung religiöser Normen im öffent­ lichen Raum war zwar selbstverständlich, doch bestand häufig eine deutliche Diskrepanz zwischen öffentlich kommunizierter und im Privaten geglaubter 11  Zur Geschichte der vorreformatorischen Debatte über die Religionsfreiheit ausführlich Lehmann, Toleranz und Religionsfreiheit, S. 23 ff. 12  Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 24. 13  Siehe ergänzend auch Müßig, Recht und Justizhoheit, S. 36 f. 14  So auch Febvre, Le problème de l’incroyance au XVIe siècle, S. 367; Bizeul, Säkularismus in Europa, S. 6. 15  Taylor, A secular age, S. 518 f.

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

und gelebter Religiosität, wie das Anfang des 18. Jahrhunderts verfasste Testament des Pfarrers Jean Meslier16, in dem dieser den Katholizismus und die katholische Kirche scharf kritisierte und sich zum Atheismus bekannte, verdeutlichte.17 Gleichzeitig schritt auch im Mittelalter die Ausdifferenzierung von welt­ licher und geistlicher Sphäre weiter voran. Die Legitimation durch die Kirche war zwar eine zentrale, jedoch keineswegs erschöpfende Voraussetzung weltlicher Macht, die regelmäßig in Europa dem dynastischen Prinzip folgte.18 Die Kirche konnte weltliche Macht zwar delegitimieren, doch wurde ihr die Begründung weltlicher Herrschaft immer weiter entzogen, wie das nach dem Erlass der Goldenen Bulle des Jahres 1356 zunehmend gegen das Papsttum durchgesetzte deutsche Gesetz über das Kaisertum vom 6. August 1338 (licet iuris) verdeutlichte.19 „Sobald jemand von den Kurfürsten des Reiches einmütig oder von der Mehrheit von ihnen zum Kaiser oder König gewählt wird, ist er sofort allein aufgrund der Wahl wahrer König und Römischer Kaiser, als solcher anzusehen und zu benennen; ihm muß von allen Untertanen des Reiches Gehorsam geleistet werden, er hat die volle Amtsgewalt, die Güter und Rechte des Reiches zu verwalten und alles sonst zu tun, was einem wahren Kaiser zusteht; und weder von Seiten des Papstes oder des Apostolischen Stuhles noch irgendwessen sonst bedarf er der Anerkennung, Bestätigung, Ermächtigung oder Zustimmung.“20

Trotz dieser Absetzbewegungen blieb das Modell des durch und durch religiös durchdrungenen politischen Gemeinwesens bis in die Neuzeit wirk16  Zur Biografie Mesliers und zur Rezeption zentraler Ideen des Testaments Mesliers durch Voltaire siehe Morehouse, Voltaire and Jean Meslier, S. 12 ff. und S. 42 ff. 17  „Mes très-chers amis, comme il ne m’auroit pas été permis, et qu’il auroit été d’une trop dangereuse et trop facheuse conséquence de dire ouvertement, pendant ma vie, ce que je pensois de la conduite et du gouvernement des hommes, de leurs religions et de leurs mœurs; j’ai résolu de vous le dire après ma mort. […] jamais la vûë d’aucun avantage temporel ne m’a porté à aimer l’exercice d’une profession si pleine d’erreurs et d’impostures.“ (Meslier, Testament, S. 3 und S. 21; Übersetzung des französischen Originaltexts: „Meine lieben Freunde, da es mir nicht gestattet war, und da es zu gefährliche und zu fatale Konsequenzen gehabt hätte, offen während meines Lebens zu sagen, was ich über das Verhalten und die Regierung, die Religionen und die Sitten der Menschen dachte, habe ich mich entschieden, es Euch nach meinem Tod zu sagen. […] Nie hat mich die Aussicht auf irgendeinen weltlichen Vorteil dazu bewogen, die Ausübung [des Berufs des Pfarrers] zu mögen, der so voller Irrtümer und Schwindel ist.“). 18  Siehe beispielhaft die Regelungen der Erbfolge der deutschen weltlichen Kurfürsten durch Kapitel VII, Nr. 1 und Kapitel XXV der Goldenen Bulle des Jahres 1356 in Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 83 ff. und S. 106 f. 19  Siehe Seif, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. XIV f. 20  Auszug aus dem Gesetz über das Kaisertum vom 6. August 1338 (licet iuris), zitiert nach Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 68 f.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg41

mächtig. Der englische Philosoph Thomas Hobbes sah die Kirchenhoheit des Monarchen als zentral für die Unterwerfung der Untertanen unter den Staat an. Der schottische Philosoph Adam Smith forderte ein auf dem Wettbewerb verschiedener Kirchen basierendes religionsverfassungsrechtliches System, das eine ideale Religion und damit einen idealen Staatsbürger erschaffe.21 Der schweizerisch-französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau forderte als Teil seiner staatsbürgerlichen Religion (religion civile) von jedem Bürger den Glauben an die „Heiligkeit des Gesellschaftsvertrags und der Gesetze“ („sainteté du Contrat social et des lois“22). Als Folge galt Religion lange als unverzichtbar für die Legitimität staat­ licher, politischer und juristischer Institutionen. Der Entwurf einer Staatsform ohne verknüpfte Religion war erst im weiteren Verlauf des Säkularisierungsprozesses in Europa denkbar. Aus diesem Grund waren die seit dem Spätmittelalter verstärkt erhobenen Forderungen nach Religionsfreiheit23 zwar bereits ein zentrales Element der Aufklärung und der Französischen Revolution, doch fanden die großen Debatten über die Trennung von Staat und Kirche in Frankreich und Deutschland erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt. Nach einem Versuch der Definition des zentralen Begriffs des Laizismus (aa)) soll deshalb im Folgenden die Rolle des Säkularisierungsprozesses für die Trennung von Staat und Kirche (bb)) dargestellt werden. aa) Definition des Laizismus Im gegenwärtigen französischen Recht wird der Laizismus durch Artikel 1 der Verfassung vom 4. Oktober 1958 zu einem zentralen Staatsstrukturprinzip der Französischen Republik erhoben.24 In zahlreichen französischen Gesetzen wird Bezug auf das Konzept des Laizismus genommen.25 Eine Definition dieses Begriffs ist aus diesem Grund nicht allein von akademischem, sondern vor allem von praktischem Interesse für die Verfassungsrechtsprechung. 21  Leathers/Raines,

History of Political Economy 40, 345 (348). Du contrat social, S. 107. 23  Zur Geschichte der vorreformatorischen Debatte über die Religionsfreiheit ausführlich Lehmann, Toleranz und Religionsfreiheit, S. 23 ff. 24  Siehe Walter, ZaöRV 2012, 177 (188) und Barthélemy, Revue administrative 52, 37 (37). 25  So beispielsweise im Gesetz vom 17. März 2004 zur Einschränkung des Tragens von religiösen Symbolen oder Kleidungsstücken in öffentlichen Schulen in Anwendung des Prinzips des Laizismus (Loi no 2004–228 du 15 mars 2004 encadrant, en application du principe de laïcité, le port de signes ou de tenues manifestant une appartenance religieuse dans les écoles, collèges et lycées publics); siehe auch Rolland, Les Cahiers Dynamiques 54, 18 (22). 22  Rousseau,

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Etymologisch leitet sich der Terminus laïcité (Laizismus) vom Adjektiv laïque ab.26 Bis ins 19. Jahrhundert wurde das Adjektiv laïque als Synonym des Wortes laïc (Laie, von altgriechisch λαός (laós) „das Volk“27) verwendet, das ein nicht dem Priesterstand angehörendes Kirchenmitglied beschreibt.28 Erst im Rahmen der Debatten über die Trennung von Staat und Kirche während der Dritten Französischen Republik entwickelten sich die Termini laïque und laïcité zu Kampfbegriffen, die nunmehr die Abkehr einer Institution von der katholischen Kirche bezeichneten.29 Dadurch wurde die laïcité (Laizismus) im politischen Sprachgebrauch zunehmend zum Synonym der – von der katholischen Kirche zunächst vehement bekämpften – strengen Trennung von Staat und Kirche nach dem Vorbild der französischen Laizismusgesetzgebung.30 Dieses Verständnis des Laizismus wurde durch die Verfassungsrechtsprechung übernommen. Der Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) zählte in seinem Urteil vom 21. Februar 2013 die wesentlichen juristischen Dimensionen des Laizismus auf.31 Als Grundlage der Definition des Laizismus fungierten dabei die im Gesetz über den Laizismus von 1905 verbürgten Rechte und Garantien.32 „Considérant […] que le principe de laïcité figure au nombre des droits et libertés que la Constitution garantit; qu’il en résulte la neutralité de l’État; qu’il en résulte également que la République ne reconnaît aucun culte; que le principe de laïcité impose notamment le respect de toutes les croyances, l’égalité de tous les citoyens devant la loi sans distinction de religion et que la République garantisse le libre exercice des cultes; qu’il implique que celle-ci ne salarie aucun culte“.33 „Es ist zu berücksichtigen, dass das Prinzip des Laizismus zu den Rechten und Freiheiten gehört, die die Verfassung garantiert; dass daraus die [religiöse] Neutralität des Staates folgt; dass daraus gleichermaßen folgt, dass die [Französische] Republik keine Religion [offiziell] anerkennt; dass das Prinzip des Laizismus insbesondere den Respekt aller Glaubensrichtungen, die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ohne Unterscheidung nach ihrer Religion und die Gewährleistung der freien Religionsausübung verlangt; dass [das Prinzip des Laizismus] beinhaltet, dass [die Französische Republik] keine Religionsgemeinschaft finanziert“.34 Fiala, Mots 27, 41 (50). Mots 27, 41 (53).  28  Fiala, Mots 27, 41 (44); Ognier, Histoire de l’éducation 65, 71 (73). 29  Fiala, Mots 27, 41 (53); zusammenfassend Ognier, Histoire de l’éducation 65, 71 (73). 30  Fiala, Mots 27, 41 (45). 31  Bouillon, Annales de Droit 8, 9 (20 f.). 32  Bouillon, Annales de Droit 8, 9 (21). 33  Verfassungsrat (Conseil constitutionnel), Az. 2012–297 QPC, 21. Februar 2013. 34  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Verfassungsrat (Conseil constitutionnel), Az. 2012–297 QPC, 21. Februar 2013. 26  Siehe

27  Fiala,



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg43

Die verfassungsrechtliche Definition des Laizismus verknüpft damit zwei zentrale Dimensionen des Religionsverfassungsrechts, die religiöse Neutralität des Staates und die Gewährleistung der Religionsfreiheit.35 Diese Fusion von Laizismus und Religionsfreiheit war bereits im Gesetz über den Laizismus von 1905 angelegt.36 So sah dessen erster Artikel eine Garantie der Gewissens- und Religionsfreiheit und erst dessen zweiter Artikel die Trennung von Staat und Kirche vor. Verfassungspolitisch sollte einerseits durch die Verknüpfung von Laizismus und Religionsfreiheit die deutlich kirchenkritische37 Genese und Funktion der Laizismusgesetzgebung verschleiert und abgeschwächt werden, um eine ausreichende gesellschaftliche und politische Unterstützung der laizistischen Reformen zu sichern. Andererseits war der Laizismus keineswegs ein Synonym des Staatsatheismus, als das ihn die zeitgenössische katholisch-konservative Presse in den Jahren der Dritten Französischen Republik darzustellen suchte,38 und dies sollte durch die besonders hervorgehobene Garantie der Religionsfreiheit öffentlichkeitswirksam unterstrichen werden. Der Laizismus war nach dem Willen des Verfassers des Gesetzes über den Laizismus von 1905, Aristide Briand, nicht als erzwungene „Konvertierung Frankreichs zum Atheismus“, sondern vielmehr als Instrument zur Sicherung der Religionsfreiheit konzipiert. „Grâce à l’article placé en vedette de la réforme, le juge saura dans quel esprit tous les autres ont été conçus et adoptés. Toutes les fois que l’intérêt de l’ordre public ne pourra être légitimement invoqué dans le silence des textes ou dans le doute sur leur exacte application, c’est la solution libérale qui sera la plus conforme à la pensée législative.“39 „Dank dem Artikel [zur Gewährleistung der Religions- und Gewissensfreiheit], der an die Spitze der Reform gestellt wurde, wird der Richter wissen, in welchem Geiste alle anderen Artikel verfasst und verabschiedet wurden. Wann immer im Falle des Schweigens der Gesetzestexte oder des Zweifels über ihre exakte Anwendung die öffentliche Ordnung nicht hinreichend betroffen ist, ist es die freiheitliche Lösung, die am meisten dem Willen des Gesetzgebers entspricht.“40 vertiefend Bouillon, Annales de Droit 8, 9 (20 f.). Sauvé, Laïcité et République, Abschnitt IA2. 37  Der „französische“ Laizismus stellt jedoch keineswegs die „kirchenkritischste“ religionsverfassungsrechtliche Ordnung dar. Bizeul unterscheidet vier verschiedene „Abstufungen“ der Religionskritik – Atheismus (UdSSR), Agnostizismus (Frankreich), Deismus (USA) und Liberalismus (UK) –, die mit dem Grad der Säkularisierung und der Trennung von Staat und Kirche korrelieren (siehe Bizeul, Säkularismus in Europa, S. 9). 38  Siehe ein Beispiel einer zeitgenössischen Kritik der Schulreformen Jules Ferrys in Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 48. 39  Zitiert nach Conseil d’État, Rapport public 2004, S. 258 f.; siehe auch Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 126. 40  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Conseil d’État, Rapport public 2004, S.  258 f. 35  Siehe 36  Siehe

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Ganz ähnlich formulierte auch der radikale Republikaner Gustave-Adolphe Hubbard in einer Rede vor der Abgeordnetenkammer am 20. April 1905 die Zielsetzung des Gesetzes über den Laizismus von 1905. „Tous nos efforts ont tendu précisément à ne pas mettre dans la législation des barrières à la pensée, aux cultes, à la vie religieuse, à la vie sentimentale, à la vie philosophique.“41 „All unsere Mühen waren genau darauf ausgerichtet, durch das Gesetz [über den Laizismus von 1905] keine Barrieren für das Denken, die Religionsausübung, das religiöse Leben, das Gefühlsleben und das philosophische Leben aufzubauen.“42

Im Gegensatz zu den kirchenfeindlichen Reformen und Maßnahmen der jakobinischen Herrschaft der Ersten Französischen Republik bedeutete der Laizismus trotz seiner Zielsetzung einer Beschneidung der Machtposition der katholischen Kirche keine Dechristianisierung Frankreichs. Die Kontinuität kirchlicher Praxis in Frankreich blieb trotz des Gesetzes über den Laizismus von 1905 gewahrt. Durch Artikel 42 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 wurden Ostermontag, Pfingstmontag, Christi Himmelfahrt, Mariä Himmelfahrt, Allerheiligen und der Erste Weihnachtstag als gesetzliche Feiertage in Frankreich bestätigt.43 Durch Artikel 2 des Gesetzes vom 13. Juli 1906 zur Einrichtung eines wöchentlichen Ruhetags zu Gunsten der Angestellten und Arbeiter wurde schließlich der Sonntag zum wöchentlichen Ruhetag bestimmt.44 Durch das Gesetz vom 10. Juli 1920 wurde ein nationaler Festtag zu Ehren der zwei Monate zuvor kanonisierten Johanna von Orléans (Jeanne d’Arc) eingeführt.45 Der Staat wurde laizistisch, akzeptierte jedoch im Unterschied zu den Jakobinern der Ersten Republik, dass die große Mehrheit der französischen Bevölkerung katholisch blieb, wie der Jahresbericht 2004 des französischen Staatsrats (Conseil d’État) verdeutlichte.46 „Les problèmes liés à ce que la laïcité française est une laïcité ‚sur fond de christianisme‘ ne doivent pas être surestimés: on ne saurait, à cet égard, faire fi d’une histoire millénaire, et tenir pour abusif que les jours chômés et fêtes légales soient directement et quasi exclusivement liés à la mémoire chrétienne. On voit mal, en particulier, ce qui justifierait la remise en cause du repos du dimanche qui, outre qu’il permet aux personnes de religion chrétienne de pratiquer leur culte, corres-

41  Journal

officiel, Chambre des députés (1905), 21. April 1905, S. 1613. des französischen Originaltexts aus Journal officiel, Chambre des députés (1905), 21. April 1905, S. 1613. 43  Prélot, Les Cahiers De Droit 40, 849 (853). Diese sechs gesetzlichen Feiertage religiösen Ursprungs werden gegenwärtig auch durch Artikel L3133–1 Arbeitsgesetzbuch (Code du travail) geschützt. 44  Siehe auch Prélot, Les Cahiers De Droit 40, 849 (853). 45  De Bellescize, Droit des cultes et de la laïcité, S. 47. 46  Siehe ergänzend auch Baubérot, Les sept laïcités françaises, S. 103. 42  Übersetzung



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg45 pond à une nécessité sociale de repos hebdomadaire commune à une très grande majorité de salariés un jour de la semaine“.47 „Die Probleme, die damit verbunden sind, dass der französische Laizismus ein Laizismus ‚auf dem Boden des Christentums‘ ist, dürfen nicht überschätzt werden: Man kann in dieser Hinsicht die tausendjährige Geschichte nicht ausblenden und es für ungerecht halten, dass die arbeitsfreien Tage und die gesetzlichen Feiertage direkt und praktisch ausschließlich mit der christlichen Tradition verbunden sind. Es ist kaum erkenntlich, was im Besonderen eine Infragestellung der Sonntagsruhe rechtfertigen würde, die nicht nur den Christen die Religionsausübung ermöglicht, sondern auch dem Bedürfnis einer sehr großen Mehrheit der Angestellten nach einem wöchentlichen Ruhetag entspricht.“48

bb) Säkularisierung und Emanzipation der Religion Das Konzept des Laizismus ist eng mit dem soziologischen, politischen und theologischen Phänomen der Säkularisierung verbunden.49 Die Säkularisierung der Gesellschaft ist dabei nicht nur eine Konsequenz, sondern vor allem die Vorbedingung der modernen religionsverfassungsrechtlichen Trennung von Staat und Kirche. Der Prozess der Säkularisierung ging mit einem grundlegenden Bedeutungswandel der Religion einher.50 Innerhalb der letzten zwei Jahrtausende hat sich das Verhältnis der Religion zu Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in Europa grundlegend verändert. Die Säkularisierung ist jedoch kein exklusiver Prozess der Neuzeit und der Moderne, vielmehr reichen die Wurzeln des Säkularisierungsprozesses bis in die Anfangsjahre des Christentums zurück.51 Die Grundlage des Säkularisierungsprozesses Europas stellt die christliche Theologie der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus dar. Die Theologie der Menschwerdung Gottes hatte zwei zentrale Konsequenzen für die christianisierten Länder. Zum einen machte die Menschwerdung Gottes den Menschen, nicht Völker oder politische Gemeinwesen, zum Subjekt religiöser Praxis.52 Zum anderen stellte sie den Menschen in das Zentrum religiöser Erfahrungen, indem sie einen Gottesbezug ohne zwischengeschaltete Priester

47  Conseil

d’État, Rapport public 2004, S. 392. des französischen Originaltexts aus Conseil d’État, Rapport public

48  Übersetzung

2004, S. 392. 49  Siehe Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 24. 50  Siehe Bizeul, Säkularismus in Europa, S. 6 und ergänzend Cohen, Sociétés contemporaines 37, 5 (6). 51  Siehe Gauchet, Le désenchantement du monde, S. 197 ff. und Bizeul, Säkularismus in Europa, S. 6 sowie Winter, Staatskirchenrecht, S. 27. 52  Siehe auch Gauchet, Le désenchantement du monde, S. 233 f.

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

oder religiöse Gemeinschaften ermöglichte.53 Diese in der christlichen Theologie vollzogene Trennung von Individuum und Kollektiv demonstrierte ein­ drücklich die Berufung der ersten Jünger Jesu Christi. „Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des Simon, die auf dem See ihre Netze auswarfen; sie waren nämlich Fischer. Da sagte er zu ihnen: Kommt her, mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Und sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach. Als er ein Stück weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes; sie waren im Boot und richteten ihre Netze her. Sogleich rief er sie und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Tagelöhnern im Boot zurück und folgten Jesus nach.“ (Mk 1, 16–20 Einheitsübersetzung 2016)54

Die christliche Theologie machte dadurch Religion nicht nur zu einer Aufgabe des Kollektivs, sondern allem voran des Individuums.55 Eine ausschließlich auf das Kollektiv bezogene Religion ist jedoch mit einer Trennung von Staat und Kirche unvereinbar, nur durch den christlichen Indivi­ dualismus wurde eine Säkularisierung der europäischen Gesellschaften und eine Trennung von Staat und Religion erst möglich. In der Folge wurde der Säkularisierungsprozess besonders durch die Reformation und den Kampf um Religionsfreiheit verstärkt. Infolge des Zerfalls der religiösen Einheit Europas und der Koexistenz zahlreicher verschiedener christlicher Konfessionen wurde Religion zu einem wichtigen identitätsstiftenden Element. In Deutschland wie in Frankreich konnten sich große konfessionelle Minderheiten gegen die häufig gewaltsam durchgesetzten religiösen Überzeugungen der politischen Mehrheit behaupten. Dadurch gewannen die Forderungen nach Religionsfreiheit, die bereits im Spätmittelalter zunehmend aufgekommen waren56, überragende verfassungspolitische Relevanz. Die Religionsfreiheit akzentuierte dabei zwei zentrale Elemente der christlichen Theologie. Einerseits bedeutete die Religionsfreiheit eine zulässige Devianz des Individuums von der Gemeinschaft in religiösen Fragen und damit eine Betonung der christlichen Unterscheidung von Individuum und Kollektiv. Andererseits konsolidierte sie die Unterscheidung von weltlicher und geistlicher Sphäre, da religiöse Normen im Gegensatz zu weltlichen Normen nunmehr nur noch für einen Teil des politischen Gemeinwesens verbindlich waren. War jedoch der persönliche Anwendungsbereich religiöser und weltlicher Normen verschieden, so musste langfristig auch eine inhaltliche Abgrenzung religiöser und weltlicher Normen erfolgen. Dadurch 53  Gauchet,

Le désenchantement du monde, S. 234. ähnlich wird die Berufung der ersten Jünger Jesu Christi auch in Mt 4, 18–22 und Lk 5, 1–11 Einheitsübersetzung 2016 geschildert. 55  Gauchet, Le désenchantement du monde, S. 234. 56  Zur Geschichte der vorreformatorischen Debatte über die Religionsfreiheit ausführlich Lehmann, Toleranz und Religionsfreiheit, S. 23 ff. 54  Ganz



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg47

aber wurde die Religionsfreiheit zu einem zentralen Motor des Säkularisierungsprozesses, der im 20. Jahrhundert in die Trennung von Staat und Kirche und die Etablierung der modernen religionsverfassungsrechtlichen Ordnungen Europas mündete. Die Säkularisierung stellt damit eine wesentliche ideengeschichtliche Grundlage der modernen europäischen Verfassungs- und Gesellschaftsordnungen dar.57 Gleichzeitig ist die Säkularisierung aufgrund ihrer enormen historischen Bedeutung und ihrer zwei Jahrtausende spannenden Entwicklungszeit ein hochkomplexes Phänomen, für das zahlreiche, fachgebietsspezifische Definitionen existieren,58 deren Hauptunterschied das betrachtete Subjekt des Säkularisierungsprozesses ist.59 Im Zentrum der empirischen Sozialforschung stehen die individuellen Dimensionen und Effekte der Säkularisierung. Der Grad der Säkularisierung einer Gesellschaft wird dabei durch verschiedene Parameter der individuellen Religiosität operationalisiert und gemessen.60 Zwei klassische Parameter des Grades der Säkularisierung einer Gesellschaft sind das Maß der „Entkirchlichung“, die beispielsweise durch die Zahl der Kirchenaustritte und Taufen und die Häufigkeit der Kirchenbesuche gemessen wird,61 und das Maß der „Entchristlichung“, die über Fragebögen zur Stärke des Glaubens an die Existenz Gottes und zur Bedeutung des Christentums und Gottes für die eigene Lebensführung erhoben wird.62 Demgegenüber betrachtet die katholische Theologie die Säkularisierung primär als den institutionellen Prozess der Trennung von weltlicher und geistlicher Sphäre.63 Diese institutionelle Trennung von staatlicher und kirchlicher Macht kommt einerseits in der personellen Trennung, etwa dem Verbot der Mitwirkung von Geistlichen in politischen Parteien (CIC, Canon 287 § 2) oder der Übernahme staatlicher Ämter durch Kleriker (CIC, Canon 285 § 3) oder dem Verbot der zukünftigen Gewährung von Rechten der Mitwirkung an der Besetzung kirchlicher Ämter an Laien (CIC, Canon 377 § 5), zum Ausdruck.64 Andererseits spricht das gegenwärtige katholische Kirchenrecht, insbesondere Punkt 36 der vom Zweiten Vatikanischen Konzil im Jahre 1965 verfassten Pastoralkonstitution Gaudium et spes, den staatlichen auch Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 2 f. Asad, Ordnungen des Säkularen, S. 29. 59  Dreier, Staat ohne Gott, S. 52 f. 60  Siehe Dreier, Staat ohne Gott, S. 47 und Bizeul, Säkularismus in Europa, S.  20 ff. 61  Siehe Bizeul, Säkularismus in Europa, S. 28 ff. 62  Siehe Bizeul, Säkularismus in Europa, S. 22 ff. 63  Bernard, Laïcité française et sécularité chrétienne, S. 14. 64  Rhode, Kirchenrecht, S. 288 f. 57  So

58  Siehe

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Institutionen die Autorität der eigenverantwortlichen Regelung der weltlichen Sphäre zu.65 „Si per terrenarum rerum autonomiam intelligimus res creatas et ipsas societates propriis legibus valoribusque gaudere, ab homine gradatim dignoscendis, adhibendis et ordinandis, eamdem exigere omnino fas est: quod non solum postulatur ab hominibus nostrae aetatis, sed etiam cum Creatoris voluntate congruit. […] At si verbis rerum temporalium autonomia intelligitur res creatas a Deo non pendere, eisque hominem sic uti posse ut easdem ad Creatorem non referat, nemo qui Deum agnoscit non sentit quam falsa huiusmodi placita sint.“66 „Wenn wir als Ausfluss der Autonomie der irdischen Dinge verstehen, dass die [von Gott] geschaffenen Dinge und die Gesellschaften selbst sich ihrer eigenen Gesetze und Werte erfreuen, die der Mensch sukzessive erkennen, anwenden und ordnen muss, ist dieselbige Forderung gänzlich im Einklang mit göttlichem Recht: Denn dies wird nicht nur von den Menschen unseres Zeitalters eingefordert, sondern entspricht auch dem Willen des Schöpfers. […] Wenn aber der Begriff der Autonomie der irdischen Dinge so verstanden wird, dass die erschaffenen Dinge nicht von Gott abhängig seien, und dass der Mensch sie nach seinem Willen ohne Bezugnahme auf den Schöpfer nutzen kann, dann muss jeder, der Gott anerkennt, erkennen, wie falsch derartige Behauptungen sind.“67

Demgegenüber sieht der deutsche Verfassungsrechtler Horst Dreier eine Zusammenschau verschiedener religionsverfassungsrechtlicher Grundrechte und Grundprinzipien als Korrelat der Säkularisierung des Staates.68 Für Dreier ist der säkulare Staat nicht durch die „Entkirchlichung“ und „Entchristlichung“, sondern vielmehr durch die Garantie der „Religions- und Weltanschauungsfreiheit […] [und der] religiös-weltanschauliche[n] Neutralität“ geprägt.69 Der säkulare Staat ist nach Dreier durch den Verzicht auf „religiöse Vereinnahmung“ der Bürger, die negative Religionsfreiheit und die Nicht-Identifikation mit Religionen und Religionsgemeinschaften bestimmt.70 Im säkularen Staat „[geht] das Seelenheil des Bürgers […] den Staat nichts mehr an. […] Entscheidend ist der Aspekt, daß der säkulare Staat die in den verheerenden konfessionellen Bürgerkriegen der frühen Neuzeit so umstrittene religiöse Wahrheitsfrage ausklamBernard, Laïcité française et sécularité chrétienne, S. 293 ff. 36 der Pastoralkonstitution Gaudium et spes, verfügbar unter: http:// www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const _19651207_gaudium-et-spes_lt.html (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 67  Übersetzung des lateinischen Originaltexts aus Punkt 36 der Pastoralkonstitution Gaudium et spes, verfügbar unter: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19651207_gaudium-et-spes_lt.html (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 68  Dreier, Staat ohne Gott, S. 59 f. 69  Dreier, Staat ohne Gott, S. 20. 70  Dreier, Staat ohne Gott, S. 59. 65  Ausführlich 66  Punkt



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg49 mert, ihre Beantwortung gewissermaßen als unzuständige Instanz von sich weist und in diesem Sinne privatisiert. Der Staat besitzt, wie man es immer wieder gerne formuliert, schlicht keine Kompetenz für die Beantwortung der Fragen nach der Richtigkeit, Wertigkeit, Überzeugungskraft oder Wahrhaftigkeit von Religionen oder einzelnen Glaubenssätzen.“71

b) Der Dualismus zwischen weltlicher und geistlicher Macht in der christlichen Theologie Die Loslösung der Religion von Recht und Staat, die zentral für das in der vorliegenden Abhandlung rezipierte verfassungsrechtliche Konzept der Säkularisierung Horst Dreiers ist, findet ihren Ursprung in der christlichen Theologie und den biblischen Texten, die den Anspruch der Geltung des Christentums über politische (aa)) und geographische (bb)) Grenzen hinweg formulieren.72 aa) Verhältnis des Christentums zur weltlichen Macht Historisch prägend für die frühchristliche Theologie war die Tatsache, dass sich das Christentum zunächst als Religion einer politischen Minderheit entwickelte.73 Bis zum Vertrag von Mailand der Kaiser Konstantin I. und Licinius im Jahre 313 n. Chr. wurden christliche Gemeinden im Römischen Reich verfolgt.74 Erst im Jahre 380 n. Chr. unter dem Kaiser Theodosius I. erhielt das Christentum die Rolle der römischen Staatsreligion75, die es im Zuge des Untergangs des Römischen Reiches in Westeuropa im 5. Jahrhundert n. Chr. wieder einbüßte.76 Gleichzeitig erschöpfte sich die Rolle des Christentums nicht in der Funktion der Staatsreligion des Römischen Reiches. Bereits die Bibel formulierte den Anspruch der Geltung des Christentums für alle Völker, der im Auftrag der Missionierung zum Ausdruck kommt.77 71  Dreier,

Staat ohne Gott, S. 60. im Ergebnis auch Gauchet, Le désenchantement du monde, S. 233 ff.; siehe auch Winter, Staatskirchenrecht, S. 27. 73  Siehe Madec, Saint Ambroise et la philosophie, S. 215 und Copson, Secular­ism: politics, religion, and freedom, S. 9. 74  Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 9; Rémond, Religion et société en Europe, S. 30. 75  Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 16; Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 6. 76  Zur Geschichte des Christentums als römische Staatsreligion siehe vertiefend Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 3, Rz. 6. 77  von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 4. 72  So

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

„Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern“ (Mt 28, 18–19 Einheitsübersetzung 2016).

Diese theologische Lehre ermöglichte den Wiederaufstieg des Christentums im mittelalterlichen Europa. Das Christentum war eben nicht nur die Staatsreligion des untergegangenen Römisches Reiches, sondern beanspruch­te Gültigkeit für alle Menschen und politischen Gemeinschaften.78 Ein Charakteristikum des Christentums war dabei die Eigenständigkeit der Kirche gegenüber der weltlichen Macht, die sich auch auf die biblischen Texte stützen konnte.79 Das Christentum trennte eine weltliche Sphäre von einer religiösen Sphäre, die unterschiedlichen Autoritäten und Prinzipien unterstanden.80 „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“ (Mt 22, 21 Einheitsübersetzung 2016).

Auf dieser Grundlage forderte bereits der Kirchenvater Ambrosius von Mailand Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. die Unabhängigkeit der Kirche in religiösen Fragen vom römischen Kaiser ein.81 Religiöse und weltliche Macht verstand Ambrosius von Mailand als zwei getrennte Sphären, die unterschiedlichen Funktionsträgern übertragen seien.82 Eine Einmischung der weltlichen Macht in kirchliche Angelegenheiten sei deshalb nicht statthaft.83 Ambrosius von Mailand forderte jedoch keineswegs eine Trennung von weltlicher und religiöser Sphäre, vielmehr seien die weltlichen Herrschaftsträger zur Umsetzung der christlichen religiösen Normen verpflichtet.84 78  von

Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 4. hierzu ergänzend Gauchet, Le désenchantement du monde, S. 233 ff. 80  Winter, Staatskirchenrecht, S. 27. Das religionsverfassungsrechtliche Modell der römischen, germanischen und griechischen Gesellschaften formulierte der schweizerisch-französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau sehr treffend: „[C]haque État ayant son culte propre aussi bien que son Gouvernement, ne distinguait point ses Dieux de ses lois.“ (Rousseau, Du contrat social, S. 101; deutsche Übersetzung des französischen Originaltexts: „Da jeder Staat seine eigene Religion wie auch seine [eigene] Regierung hatte, unterschied er seine Götter kaum von seinen Gesetzen.“). 81  Zippelius, Staat und Kirche, S. 13. 82  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 3, Rz. 8. 83  Siehe Zippelius, Staat und Kirche, S. 13. 84  „Unde cum advertas imperator, Deo primum, deinde patri & fratri injurias irrogari, si quid tale decernas: peto, ut id facias, quod saluti tuad apud Deum intelligis profuturum.“ (Ambrosius von Mailand, Epistolae ad principes, S. 17; Übersetzung des lateinischen Originaltexts: „Dir, Kaiser, ist also bewusst, dass Du zuerst Gott, dann Deinem Vater und Deinem Bruder Unrecht tust, wenn du es so [nicht entsprechend den christlichen Normen] entscheidest: Ich bete, dass du es [entsprechend den christlichen Normen] vor Gott tust, im Interesse Deines Seelenheils.“); siehe auch Zippelius, Staat und Kirche, S. 13. 79  Siehe



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg51

Diese Doktrin wurde zur Grundlage des Verhältnisses von Staat und Kirche in Westeuropa.85 Zugleich forderte die katholische Kirche in zunehmendem Maße auch politischen Einfluss ein. Der Kirchenvater Augustinus von Hippo knüpfte in seinem Werk „De civitate Dei“ (Vom Staat Gottes) an die von Ambrosius von Mailand theoretisierte institutionelle Trennung von Staat und Kirche an.86 Den weltlichen Herrschern gestand Augustinus zwar den Gehorsam ihrer Untertanen zu, da ihnen die weltliche Macht durch Gott übertragen worden sei.87 Gleichzeitig sei ihnen jedoch nicht nur eine Pflicht zur Befolgung und Durchsetzung der religiösen und kirchlichen Gebote88, sondern auch zur Verbreitung und Verteidigung des christlichen Glaubens auferlegt.89 Die Trennung von weltlicher und religiöser Sphäre sollte ausschließlich institutioneller, nicht aber inhaltlicher oder verfassungspolitischer Natur sein.90 Diese Lehre wurde in der Folge von zahlreichen Theologen und Kirchenrechtsgelehrten aufgegriffen.91 Besondere Bedeutung gewann die Lehre des Papstes Gelasius I., die das kirchliche Verständnis des Verhältnisses von Staat und Kirche bis in die Neuzeit prägte.92 Gelasius I. unterschied, wie Ambrosius von Mailand und Augustinus von Hippo, eine weltliche von einer religiösen Sphäre.93 Die weltliche Macht werde jedoch von der kirchlichen 85  Im Oströmischen Reich gestaltete sich die Entwicklung des Verhältnisses von religiöser und weltlicher Macht ganz anders. In der Tradition der römischen Kaiser als Pontifices maximi war die Funktion des Oströmischen Kaisers noch viel stärker religiös aufgeladen als die der westeuropäischen weltlichen Herrscher. Im Amt des oströmischen Kaisers „fusionierten“ der weltliche monarchische Herrschaftsanspruch und der geistliche päpstliche Legitimitäts- und Autoritätsanspruch (Cäsaropapismus). Im Unterschied zu Westeuropa war nicht die institutionelle Trennung, sondern vielmehr die „Symphonie“ (symphonia) von weltlicher und geistlicher Macht prägend für die Entwicklung des Oströmischen Reichs (De Wall/Muckel, Kirchenrecht, § 2, Rz. 10). 86  Siehe hierzu Maurer, ZThK 79, 349 (350). Besondere Bedeutung kam bereits bei Augustinus der Unterscheidung einer weltlichen ausführenden Macht (potestas) und einer kirchlichen Autorität (auctoritas) bei (Lütcke, „Auctoritas“ bei Augustin, S. 162), die später zur Grundlage der religionsverfassungsrechtlichen Lehre der katholischen Kirche wurde (von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 8). 87  Zippelius, Staat und Kirche, S. 15. 88  Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 9; Zippelius, Staat und Kirche, S. 15. 89  Siehe Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, S. 45 f. 90  Siehe zum spätantiken religionsverfassungsrechtlichen Modell ergänzend Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 16. 91  Vertiefend zur ideengeschichtlichen Bedeutung der Lehre von Augustinus von Hippo siehe Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, S. 55 f. 92  Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 17. 93  von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 8.

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Macht berufen und legitimiert und könne deshalb ihre Herrschaft nur unter der Leitung der Kirche ausüben.94 Metaphorisch seien dem Papst von Gott die zwei Schwerter der geistlichen und der weltlichen Macht übertragen worden, von denen der Papst eines, das die weltliche Macht symbolisiere, den weltlichen Herrschern zur Verfügung stelle, die es im Auftrag und im Dienst der Kirche einzusetzen hätten (Zwei-Schwerter-Lehre).95 Dieses Modell wurde zur Grundlage der kirchlichen Forderungen gegenüber der weltlichen Macht. Im Investiturstreit des 11. Jahrhunderts mit dem deutschen Kaiser Heinrich IV. berief sich Papst Gregor VII. auf der Grundlage der Lehren von Augustinus von Hippo und Gelasius I. auf seine ihm von Gott übertragene Autorität über alle weltlichen Herrscher.96 Noch Ende des 15. Jahrhunderts nahm Papst Alexander VI. auf Grundlage der Lehren Gelasius’ I. für sich das Recht in Anspruch, der spanischen Krone die welt­ liche Herrschaft über das neu entdeckte Amerika zu verleihen.97 Diese Vorstellung weltlicher Autorität der Kirche rezipierte noch im Zeitalter der Reformation der italienische Kardinal und Kirchenlehrer Roberto Bellarmino, der der Kirche als Teil ihrer von Gott übertragenen Autorität die Herrschaft über alle weltlichen Fragen zusprach, die nach kirchlicher Einschätzung die kirchliche Sphäre tangierten.98 Erst Ende des 19. Jahrhunderts verzichtete Papst Leo XIII. auf seinen Autoritätsanspruch gegenüber der weltlichen Macht und forderte nunmehr nur noch eine gleichberechtigte Kooperation von Staat und katholischer Kirche ein.99 Dieser Führungsanspruch der römisch-katholischen Kirche provozierte bereits vor der Reformation zahllose Streitigkeiten über die Kompetenzverteilung zwischen weltlicher und religiöser Macht.100 So schwelten Streitigkeiten über das Recht der Ernennung der Bischöfe und Pfarrer in den meisten europäischen Ländern.101 Auch die päpstliche Autorität gegenüber den weltlichen Herrschern wurde zunehmend kritisiert und angezweifelt.102 Besonders das große abendländische Schisma des 14. und 15. Jahrhunderts, wäh94  Zippelius,

Staat und Kirche, S. 13 f. Religionsverfassungsrecht, Rz. 17. 96  Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 9. 97  Bulle „Inter ceterae“ des Jahres 1493, verfügbar unter: https://www.unimuenster.de/FNZ-Online/expansion/europ_expansion/quellen/inter.htm (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 98  Uertz, Vom Gottesrecht zum Menschenrecht, S. 27 und S. 48. 99  Zippelius, Staat und Kirche, S. 178; siehe auch Winter, Staatskirchenrecht, S. 51. 100  Siehe ergänzend auch Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz.  10 ff. 101  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 5, Rz. 10 ff. und Rz. 15. 102  Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 10 f. 95  Unruh,



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg53

rend dessen der geistliche Führungsanspruch Europas zwischen der avigneser und der römischen Kurie umstritten war, unterminierte die päpstliche Autorität gegenüber den weltlichen Herrschern.103 In der Folge nahmen Eingriffe der weltlichen Herrscher in die Organisationsstrukturen und Kompetenzen der katholischen Kirche zu.104 Dabei blieb die Autonomie der Kirche lange Zeit weitestgehend unbestritten. Durch die Reformation änderte sich jedoch das Verhältnis zwischen Staat und Kirche nicht nur in den protestantischen, sondern auch in den katholischen Gebieten Deutschlands grundlegend. Der Augsburger Reichs- und Religionsfrieden des Jahres 1555 und der Westfälische Frieden der Jahre 1648/1649 überließen die Religionswahl ihres Territoriums faktisch den deutschen Landesherren („cuius regio, eius religio“). Verfassungspolitisches Korrelat des religionsverfassungsrechtlich garantierten Rechts der Reformation ihres Territoriums (ius reformandi) war die Übernahme der Leitung der evangelischen Landeskirchen in den protestantischen Gebieten Deutschlands durch die Landesherren und die zunehmende Kontrolle der Kirche in den katholischen Gebieten Deutschlands durch die erstarkenden weltlichen Herrscher.105 Die daraus entstandene enge Vernetzung von Staat und Kirchen hatte bis in das 20. Jahrhundert Bestand.106 Trotz dieser praktizierten vielfältigen Wechsel- und Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Staat und Kirche hatte die christliche Theologie doch bedeutenden Einfluss auf deren Trennung durch das moderne Religionsverfassungsrecht. Das in der Bibel und den Schriften der Kirchenväter entworfene Modell einer eigenständigen Kirche prägte das Verhältnis von weltlicher und religiöser Macht von der Antike bis zur Neuzeit.107 In den katholischen Gebieten Deutschlands und in Frankreich blieb die katholische Kirche trotz der während und nach der Französischen Revolution akzentuierten staatlichen Einflussnahme eine eigenständige, unabhängige Institution. Zwar verloren die evangelischen Landeskirchen Deutschlands in der Folge der Reformation ihre Unabhängigkeit von der weltlichen Macht, doch blieben sie eigenständige Institutionen.108 Diese Eigenständigkeit der Kirchen stellte jedoch eine 103  Jeand’heur/Korioth,

Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 11. Kirchliche Rechtsgeschichte, § 7, Rz. 4. 105  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 25. 106  von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 7 f. 107  Siehe auch Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 16. 108  „Parmi nous, les rois d’Angleterre se sont établis chefs de l’Église, autant en ont fait les Czars; mais, par ce titre, ils s’en sont moins rendus les maîtres que les Ministres; ils ont moins acquis le droit de la changer que le pouvoir de la maintenir; ils n’y sont pas législateurs, ils n’y sont que Princes. Partout où le Clergé fait un corps il est maître et législateur dans sa partie.“ (Rousseau, Du contrat social, S. 103; Übersetzung des französischen Originaltexts: „[In Europa] haben sich die Könige von 104  Link,

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Grundvoraussetzung für die Trennung von Staat und Kirche zu Beginn des 20. Jahrhunderts dar.109 bb) Universalismus des Christentums (Geltung als universelle Wahrheit für alle Menschen) Die Geltung des Christentums als universelle Wahrheit für alle Menschen (Universalismus des Christentums) über Staatsgrenzen hinweg ist ein zentraler Aspekt des biblischen Missionsauftrags.110 In einem Brief an die Ko­ rinther betonte der Apostel Paulus, dass sich die christliche Theologie nicht an ein Volk, sondern an alle Völker richte. „Durch einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt“ (1. Korinther 12, 13 Einheitsübersetzung 2016).

Dieses Konzept des Universalismus des Christentums hatte zwei wesent­ liche Konsequenzen. Einerseits räumte es den weltlichen Herrschern gerade keine religiösen Sonderrechte ein, sondern verlangte auch von ihnen eine strikte Befolgung der christlichen Glaubenssätze.111 Dadurch unterstützte der universelle Geltungsanspruch des Christentums den von den Kirchenvätern theoretisierten Anspruch der katholischen Kirche auf strikte Befolgung der religiösen Normen auch durch die weltlichen Herrscher.112 Andererseits bedeutete der Universalismus des Christentums, dass welt­ liche und religiöse Sphäre nicht kongruent sein konnten. Das Christentum beanspruchte gerade eine Geltung, die politische und geographische Grenzen überwand. Im politisch zersplitterten Europa des Mittelalters musste deshalb die Entwicklung der universellen katholischen Kirche zwangsläufig mit eiEngland als Kirchenoberhäupter etabliert, ebenso haben es die Zaren gemacht; aber durch diesen Titel sind sie weniger die Meister als vielmehr die Priester geworden; sie haben nicht so sehr das Recht, die [Religion] zu verändern, als vielmehr das ­Recht, sie beizubehalten, erworben; sie sind [in der religiösen Sphäre] keine Gesetzgeber, nur Prinzen. Überall, wo der Klerus eine [eigenständige] Institution bildet, ist er in seiner Sphäre Meister und Gesetzgeber“); siehe auch Zippelius, Staat und Kirche, S.  111 f. 109  So im Ergebnis auch von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 7 f. 110  Siehe König, in: Heidenreich/Merle/Vogel (Hrsg.), Staat und Religion in Frankreich und Deutschland, S. 14; siehe auch den Vergleich mit den vorchristlichen Religionsverfassungen in Winter, Staatskirchenrecht, S. 27 und die Analyse des schweizerisch-französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau in Rousseau, Du contrat social, S.  100 ff. 111  Siehe vertiefend die Analyse in Voigt (Hrsg.), Ernst Troeltsch – Gesammelte Schriften, S.  61 f. 112  Siehe auch Kapitel 2, A.I.1.b)aa) (S. 49 ff.).



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg55

nem institutionellen Auseinanderfallen von religiöser und weltlicher Sphäre einhergehen. Dadurch festigte der universelle Geltungsanspruch des Christentums den in den biblischen Texten angelegten Dualismus von weltlicher und geistlicher Macht. Trotz der großen Vielfalt religionsverfassungsrechtlicher Modelle in Westeuropa bleibt insofern eine zentrale Gemeinsamkeit, die institutionelle Trennung von Staat und Kirche, bemerkenswert.113 Diese Gemeinsamkeit erklärt sich aus dem gemeinsamen theologischen und politischen Erbe Westeuropas. Theologisch ist die Trennung von Staat und Kirche bereits in den biblischen Texten angelegt, wie in den vorhergehenden Kapiteln demonstriert wurde.114 Politisch ist die Trennung von Staat und Kirche eine wichtige Konsequenz des Zerfalls der religiösen Einheit Westeuropas und des Kampfes um Reli­ gionsfreiheit. 2. Die Religionsfreiheit als Katalysator des Zerfalls der Einheit von Staat und Kirche Die Trennung von weltlicher und geistlicher Sphäre in der christlichen Theologie war eine wesentliche, aber nicht erschöpfende Voraussetzung für die Trennung von Staat und Kirche in Europa. Im mittelalterlichen Europa waren politische und religiöse Macht zwar institutionell, jedoch keineswegs verfassungsrechtlich und -politisch getrennt. Dennoch war bereits in vorreformatorischen Zeiten das Bild des unter einer Kirche religiös vereinigten Westeuropas nurmehr eine Illusion. Das große abendländische Schisma des 14. und 15. Jahrhunderts spaltete Europa in zwei große religiöse und politische Lager, der geistliche Führungsanspruch Europas war zwischen der avigneser und der römischen Kurie (sowie zeitweise mehreren weiteren Gegenpäpsten) umstritten.115 Gleichzeitig zeichnete sich in den Lehren des englischen Theologen John Wycliffe und des Rektors der Universität Prag, Jan Hus, die das Evangelium zur einzigen Grundlage des christlichen Glaubens erklärten und dem Papsttum die Kirchenleitung absprachen, bereits im 15. Jahrhundert die lutherische Theologie ab.116 Daneben wurde durch den aufkeimenden „Nationalismus“ die religiöse Spaltung Europas bereits im Spätmittelalter akzentuiert, die Spannungen zwischen katholischer Weltkirche und regionalen kirchlichen und weltlichen Würdenträgern nahmen deutlich zu. So propagierte John Wycliffe während des Hunauch Winter, Staatskirchenrecht, S. 27. Kapitel 2, A.I.1.b)aa) (S. 49 ff.). 115  Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 11. 116  Heim, Einführung in die Kirchengeschichte, S. 76 f. und Schmidt, Kirchengeschichte des Mittelalters, S. 128 f. 113  Siehe 114  Siehe

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

dertjährigen Krieges in Widerspruch zum Papsttum eine Besteuerung der Kirche zur Finanzierung der englischen Kriegsaufwendungen.117 In Frankreich sprach der Klerus mit Unterstützung des französischen Königs in der Pragmatischen Sanktion von Bourges des Jahres 1438 dem Papst das Recht der Mitwirkung an der Besetzung kirchlicher Ämter in Frankreich weitestgehend ab.118 Besonders die weitestgehende Untätigkeit der europäischen Königreiche angesichts der Belagerung und Einnahme Konstantinopels durch das Osmanische Reich im Jahre 1453 wurde jedoch zu einem Symbol der tiefen religiösen und politischen Spaltung, die sich bereits knapp ein Jahrhundert vor der Reformation durch Europa zog.119 Dennoch hielten kirchliche und weltliche Würdenträger am illusorischen Ziel der religiösen Einheit Westeuropas fest. Trotz der Zusicherung freien Geleits wurde Jan Hus vom Konzil von Konstanz im Jahre 1415 als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.120 Die böhmische hussitische Gemeinde wurde mit militärischen Mitteln brutal verfolgt, konnte jedoch im Frieden von Kuttenberg des Jahres 1485 ihre Anerkennung als konfessionelle Minderheit erzwingen.121 Im Zuge der Reformation wurde das bereits zuvor illusorisch gewordene Paradigma der religiösen Einheit Westeuropas endgültig Makulatur, religiöse Konflikte nahmen bis zu diesem Zeitpunkt ungekannte Ausmaße an. Sie gipfelten im Dreißigjährigen Krieg, der zur bis dahin blutigsten militärischen Auseinandersetzung der Geschichte wurde.122 Als Folge war die Lösung der religiösen Konflikte ihrer Zeit ein wichtiges Anliegen der Staatsphilosophen des 16. und 17. Jahrhunderts.123 Besonders über die Religionsfreiheit entbrannte ein Streit zweier staatsphilosophischer Richtungen, die die Engländer Thomas Hobbes und John Locke repräsentierten. Während Hobbes die Ursache der religiösen Konflikte im Zerfall der nationalen religiösen Einheit sah und deshalb deren Wiederherstellung pro­ pagierte124, schrieb Locke die religiösen Konflikte seiner Zeit der religiösen Intoleranz zu125 (a)). Besonders die Warnungen Thomas Hobbes’ vor reli­ 117  Schmidt,

Kirchengeschichte des Mittelalters, S. 128. ausführlich Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 9, Rz. 3. 119  Heim, Einführung in die Kirchengeschichte, S. 79. 120  Schmidt, Kirchengeschichte des Mittelalters, S. 77 und Heim, Einführung in die Kirchengeschichte, S. 77. 121  Schmidt, Kirchengeschichte des Mittelalters, S. 104 und S. 129. 122  Einen guten Überblick über den Verlauf des Dreißigjährigen Krieges bietet Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 290 ff. 123  Macpherson, in: Hobbes, Leviathan, S. 9 und S. 13. 124  Siehe hierzu Wright, Religion, politics and Thomas Hobbes, S. 290 f. 125  Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 15. 118  Siehe



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg57

giösem Pluralismus fanden Nachhall in der Religionspolitik, sodass sich die Religionsfreiheit in Europa nur langsam etablieren konnte (b)). a) Das staatsphilosophische Spannungsfeld von Religionsfreiheit und religiöser Einheit Ähnlich wie Deutschland und Frankreich durchlief auch England im 16. und 17. Jahrhundert ein Zeitalter des tiefgreifenden religiösen, politischen und verfassungsrechtlichen Umbruchs. Unter der Herrschaft des englischen Königs Heinrich VIII. wurde im Jahre 1534 durch den Act of Supremacy der Bruch mit der katholischen Kirche vollzogen und der englische König zum Oberhaupt der anglikanischen Kirche erhoben.126 Der Ausbau des Systems politisch abhängiger geistlicher und weltlicher königlicher außerordentlicher Gerichte (prerogative courts) führte zu zunehmenden Spannungen zwischen der erstarkenden englischen Krone und dem englischen Parlament, das an der Spitze der seit dem 12. Jahrhundert etablierten und unabhängigeren ordentlichen Gerichte (common law courts) stand.127 Besonders in Folge der Suspendierung des Parlaments in den Jahren 1629 bis 1640 und des Versuchs der Ausdehnung der anglikanischen Kirchenverfassung auf das calvinistisch geprägte Schottland durch den englischen König Karl I. (Charles I) nahm der Widerstand gegen die absolutistische Herrschaft in England zu, der im englischen Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des Königs auf der einen und Puritanern sowie Parlamentsanhängern unter Führung Oliver Cromwells auf der anderen Seite und in der Hinrichtung Karls I. (Charles I) im Jahre 1649 gipfelte.128 In diesem historischen Kontext propagierte der englische Philosoph Thomas Hobbes eine durch einen hypothetischen Gesellschaftsvertrag legitimierte absolutistische Monarchie, um eine Sicherung des Friedens durch den König zu ermöglichen.129 Gleichzeitig war nach der Konfrontation von Katholiken, Anglikanern und Puritanern im englischen Bürgerkrieg der Wunsch nach religiöser Einheit prägend für das religionsverfassungsrechtliche Modell Thomas Hobbes’.130 Sein Modell der Beziehung zwischen Staat und Religion formulierte Hobbes in seinem Hauptwerk „Leviathan“. Bereits die von ihm gewählte Definition unterstrich das ambivalente Verhältnis von Thomas Hobbes zur Religion. 126  Müßig,

Recht und Justizhoheit, S. 162. Müßig, Recht und Justizhoheit, S. 153 ff. 128  Picq, Politique et religion, S. 104 f. 129  Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, S. 172. 130  Siehe auch Picq, Politique et religion, S. 108. 127  Ausführlich

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

„Feare of power invisible, feigned by the mind, or imagined from tales publiquely allowed, Religion; not allowed, Superstition. And when the power imagined, is truly such as we imagine, True Religion.“131 „Religion [ist] die Angst vor einer unsichtbaren Macht, die entweder der Verstand vorgibt, oder die Vorstellungen aus öffentlichen erlaubten Erzählungen entspringt. [Sofern die Angst auf öffentlichen] nicht erlaubten [Erzählungen beruht], ist es Aberglaube. Sofern die Macht, auf die sich die Vorstellungen beziehen, in Wirklichkeit unserer Vorstellung entspricht, handelt es sich um eine wahre Religion.“132

Diese Definition demonstriert die zwei wichtigsten Komponenten des Religionsverständnisses von Thomas Hobbes. Einerseits lehnte Hobbes den Glauben an eine Transzendenz nicht ab und sah ihn als Grundlage jeder „wahren Religion“ („true religion“).133 Andererseits sei Religion zwar durch eine Transzendenz gestiftet worden, doch obliege die Ausgestaltung der Religion, die Klassifikation bestimmter religiöser Normen und Prinzipien als „erlaubt“ oder „nicht erlaubt“, den weltlichen Herrschern.134 Diesen komme eine Pflicht zur Bestimmung religiöser Inhalte für ein politisches Gemeinwesen zu.135 Die Aufgabe der vom Herrscher bestimmten Staatsreligion sei es, die Bürger zu „Gehorsam, Gesetzestreue, Frieden, Wohltätigkeit und zur zivilen Gesellschaft“ zu erziehen.136 Im öffentlichen Raum sollte nach der Vorstellung von Thomas Hobbes deshalb der Souverän die religiöse Einheit sicherstellen.137 Religionsfreiheit solle nur für die Sphäre der individuellen Gedanken gewährt werden.138 Dem gegenüber stand die Tradition der Aufklärung nach John Locke. In den vier Jahrzehnten nach dem Erscheinen des „Leviathan“ hatte sich die politische Lage Englands grundlegend gewandelt.139 Nach dem Tod Cromwells war es im Jahre 1660 zur Restauration der Stuart-Monarchie in Eng131  Hobbes,

Leviathan, S. 124. des englischen Originaltexts aus Hobbes, Leviathan, S. 124. 133  Siehe vertiefend zur Theologie Hobbes’ Milner, Political theory 16, 400 (401 f.). 134  Siehe auch Wright, Religion, politics and Thomas Hobbes, S. 291. 135  Wright, Religion, politics and Thomas Hobbes, S. 291. 136  „But both sorts have done it, with a purpose to make those men that relyed on them, the more apt to Obedience, Lawes, Peace, Charity, and civill society.“ (Hobbes, Leviathan, S. 173; Übersetzung des englischen Originaltexts: „Aber beide Arten [von Staatsgründern] haben [religiöse Normen etabliert], mit dem Zweck, die Menschen, die sich ihnen anvertrauten, geeigneter für Gehorsam, Gesetze[streue], Frieden, Wohltätigkeit und die zivile Gesellschaft zu machen.“). 137  Wright, Religion, politics and Thomas Hobbes, S. 291. 138  Wright, Religion, politics and Thomas Hobbes, S. 232; siehe zur Konzeption der Gedankenfreiheit bei Hobbes auch Portier, ASSR 169, 263 (270). 139  Siehe Picq, Politique et religion, S. 108. 132  Übersetzung



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg59

land gekommen.140 Der Widerstand gegen die absolutistische Politik des zum Katholizismus konvertierten Königs James II. führte in England in den Jahren 1688 und 1689 zur Glorreichen Revolution (glorious revolution), zur Absetzung James’ II., zur Verabschiedung der Bill of Rights, zur Durchsetzung der Parlamentssouveränität (sovereignty of parliament)141 sowie zur Verabschiedung des Toleration Act, der allen protestantischen Minderheiten de facto Religionsfreiheit gewährte.142 In der Folge lehnte Locke den StuartAbsolutismus des 17. Jahrhunderts dezidiert ab und propagierte im Gegensatz zu Hobbes keine Befriedung Englands durch religiöse Einheit, sondern vielmehr durch religiöse Vielfalt.143 In diesem Sinne forderte Locke in seinem bedeutenden „Brief über die Toleranz“ („A letter concerning toleration“) eine staatliche Garantie der Religionsfreiheit ein. „The toleration of those that differ from others in matters of religion is so agreeable to the Gospel of Jesus Christ, and to the genuine reason of mankind, that it seems monstrous for men to be so blind as not to perceive the necessity and advantage of it in so clear a light.“144 „Die Toleranz derer, die sich von anderen in religiösen Fragen unterscheiden, entspricht genau dem Wort Jesu Christi und der angeborenen Vernunft der Menschheit, sodass es eine Abscheulichkeit ist, dass Menschen so blind sind, dass sie die Notwendigkeit und den Vorteil [der Religionsfreiheit] nicht ganz klar wahrnehmen.“145

Nach Ansicht John Lockes solle sich die religiöse Praxis ohne Einflussnahme des Staates entfalten können. „The care of souls cannot belong to the civil magistrate, because his power consists only in outward force; but true and saving religion consists in the inward persuasion of the mind, without which nothing can be acceptable to God.“146 „Die Sorge um das Seelenheil kann nicht den weltlichen Beamten obliegen, denn sie können nur äußerliche Gewalt anwenden; wahre und erhebende Religion besteht aber in der innerlichen Überzeugung des Geistes, ohne die nichts für Gott annehmbar ist.“147

140  Picq,

Politique et religion, S. 105. Müßig, Recht und Justizhoheit, S. 207. 142  Picq, Politique et religion, S. 106 ff. 143  Siehe Picq, Politique et religion, S. 108. 144  Locke, A letter concerning toleration, S. 2. 145  Übersetzung des englischen Originaltexts aus Locke, A letter concerning toleration, S. 2. 146  Locke, A letter concerning toleration, S. 3. 147  Übersetzung des englischen Originaltexts aus Locke, A letter concerning toleration, S. 3. 141  Ausführlich

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Nach Locke führe religiöse Toleranz nicht zu einer Zunahme der religiösen Konflikte, sondern sei eine wesentliche Voraussetzung für deren Beendigung.148 Zahlreiche weitere Philosophen der Aufklärung, darunter der Niederländer Baruch Spinoza und der Franzose Voltaire, unterstützten und teilten diese Analyse und Forderung Lockes.149 Die religionsverfassungsrechtlichen Vorstellungen Lockes wurden dadurch zu einer wichtigen Grundlage des Kampfes um die und der Gewährleistungen der Religionsfreiheit in Europa.150 Insgesamt war das Recht auf Religionsfreiheit eine der wichtigsten Forderungen der europäischen Philosophie der Aufklärung.151 Allerdings sahen zahlreiche Philosophen und Politiker in der Tradition des Engländers Thomas Hobbes im religiösen Pluralismus gerade eine Quelle religiöser Konflikte.152 Religionsfreiheit wurde nicht nur als Chance, sondern auch als Gefahr für die politische Stabilität wahrgenommen.153 Dies erklärt, warum sich das Menschenrecht auf Religionsfreiheit und die Trennung von Staat und Kirche nur langsam in Europa durchsetzen konnten. b) Staatsräson zwischen Religionsfreiheit und dem Streben nach religiöser Einheit Die Politik und die Rechtswissenschaft waren zögerlicher als die Philosophie bezüglich der Forderung nach Religionsfreiheit. Das Ziel, die bereits zuvor nur noch illusorische religiöse Einheit154 zu wahren, bestimmte die Religionspolitik des 16. Jahrhunderts (aa) und des 17. Jahrhunderts (bb). Erste verfassungsrechtliche Schritte hin zur Gewährung des Menschenrechts auf Religionsfreiheit erfolgten im Zeitalter der Aufklärung (cc), die für die französische Erklärung der Menschenrechte vom 26. August 1789 prägend war.155 148  Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 15; siehe auch BVerfGE 139, 321 (350): „[D]ie friedliche Koexistenz [kann] nur gelingen, wenn der Staat selbst in Glaubens- und Weltanschauungsfragen Neutralität wahrt“. 149  Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 16 f. 150  Vertiefend Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 15 ff.; siehe auch zur Rolle der Philosophie von John Locke im Religionsverfassungsrecht der USA Portier, Social Compass 57, 180 (184). 151  Allerdings wurden Forderungen nach Religionsfreiheit nicht erst während der Aufklärung, sondern bereits ab dem Mittelalter vermehrt erhoben, siehe ausführlich Lehmann, Toleranz und Religionsfreiheit, S. 23 ff. 152  Siehe Milner, Political theory 16, 400 (418). 153  Wright, Religion, politics and Thomas Hobbes, S. 291. 154  Siehe Einführung zu Kapitel 2, A.I.2. (S. 55 f.). 155  Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 21.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg61

Gerade der Zerfall der religiösen Einheit des Christentums in Europa war ein Motor der Trennung von Staat und Kirche.156 Aus diesem Grund beschränkt sich die nachfolgende Darstellung auf die Aspekte der Geschichte der Religionsfreiheit, die die drei wichtigsten christlichen Konfessionen in Deutschland und Frankreich, die römisch-katholische, die evangelisch-lutherische und die evangelisch-reformierte Konfession, betrafen. Letztere beiden werden im Folgenden unter dem Begriff der protestantischen Konfessionen zusammengefasst. aa) Reformation und Religionskriege Die Reformation war ein wichtiger Katalysator des Säkularisierungsprozesses157 in Europa.158 Bereits die Existenz verschiedener christlicher Konfessionen in Westeuropa lief dem mittelalterlichen Gesellschafts- und Verfassungsmodell entgegen, das auf der Herrschaft eines christlichen Monarchen über ein in einer christlichen Kirche vereintes politisches Gemeinwesen fußte.159 Religiöse Minderheiten, die sich nicht zum Katholizismus bekannten, konnten in dieser Gesellschaftsverfassung160 kein Teil des politischen Gemeinwesens sein.161 Soziale und politische Ausgrenzung162 oder Verfolgung waren die Folge.163 Die im Spätmittelalter einsetzende und durch die Reformation forcierte religiöse Spaltung Westeuropas stellte dieses Gesellschaftsmodell zunehmend in Frage.164 Zum einen koexistierten seit der Reformation in Europa welt­ liche Herrscher verschiedener christlicher Konfessionen. Zum anderen trafen fortan auch innerhalb der politischen Gemeinwesen Europas verschiedene Konfessionen aufeinander. 156  So im Ergebnis auch Gauchet, Le désenchantement du monde, S. 313 f.; Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 13. 157  Kapitel 2, A.I.1.a)bb) (S. 45 ff.). 158  So im Ergebnis auch Gauchet, Le désenchantement du monde, S. 313 f.; Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 13. 159  Rémond, Religion et société en Europe, S. 47. 160  Erst die Französische Revolution entwarf das Konzept eines von der Religion unabhängigen Staatsbürgertums, siehe Rémond, Religion et société en Europe, S. 55 und Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 9. 161  Rémond, Religion et société en Europe, S. 47. 162  Dies galt im Besonderen für die europäischen Juden, die in Frankreich erst im Jahre 1791 und in Preußen im Jahre 1812 Staatsbürger werden konnten und den Christen gleichgestellt wurden (Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 9 und Zippelius, Staat und Kirche, S. 131). 163  Rémond, Religion et société en Europe, S. 47 f. 164  Siehe Einführung zu Kapitel 2, A.I.2. (S. 55 f.).

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Die Reformation bedeutete insofern einen tiefen Bruch von Religions- und Gesellschaftsverfassung mit dem europäischen Mittelalter. Der endgültige Zerfall der religiösen Einheit Europas schuf die Möglichkeit eines Abschieds vom durch und durch von Religion durchdrungenen Verfassungsmodell des Mittelalters und der frühen Neuzeit.165 Allerdings vollzog sich der Prozess der verfassungsrechtlichen Trennung von Staat und Kirche in Deutschland und Frankreich nur langsam.166 Besonders die immer lauter eingeforderte Religionsfreiheit war nur langsam und schwerlich realisierbar, bedeutete sie doch das Ende der gemeinsamen Religion als Grundlage und Anknüpfungspunkt der europäischen Gesellschaften und politischen Gemeinschaften.167 Als Folge blieben die Garantien der ­Religionsfreiheit des 16. bis 18. Jahrhunderts meist lückenhaft. Vollständige Garantien der Religionsfreiheit hielten erst mehr als drei Jahrhunderte nach der Reformation Einzug in die Mehrheit der europäischen Verfassungen.168 Die Reformation beschleunigte und akzentuierte zwar den Säkularisierungsprozess169, doch setzte sie gleichzeitig auch die Kontinuität vergangener religionsverfassungsrechtlicher Entwicklungen fort. Bereits im Mittelalter hatte sich die Rolle der Religion in Politik und Gesellschaft grundlegend gewandelt. In Folge des Erstarkens der europäischen Monarchen veränderte sich das Verhältnis von weltlicher und geistlicher Sphäre grundlegend.170 Im 14. und 15. Jahrhundert verschob sich das Gleichgewicht von weltlicher und geistlicher Macht in Europa zunehmend.171 Stand im Hochmittelalter noch die Abwehr kirchlicher Autoritätsansprüche gegenüber den weltlichen Herrschern im Zentrum der Kirchenpolitik172, so strebten diese gegen Ende des Mittelalters eine zunehmende Kontrolle von Kirche und Religion an.173 Die Reformation stieß dabei auf das zwiegespaltene Echo der weltlichen Herr-

vertiefend Rémond, Religion et société en Europe, S. 46 ff. Analyse in Rémond, Religion et société en Europe, S. 48 ff. veranschaulicht, welche große Bedeutung Religion noch in den europäischen Staats- und Gesellschaftsverfassungen des 19. Jahrhunderts hatte. Es brauchte fast 400 Jahre, bis sich in Folge des durch die Reformation bedingten Zerfalls der religiösen Einheit neue säkulare Verfassungsordnungen in Europa etablieren konnten. Ähnlich schleppend verlief die Entwicklung der Religionsfreiheit und der Trennung von Staat und Kirche. 167  Siehe zur Funktion der Religion in der französischen vorrevolutionären Gesellschafts- und Verfassungsordnung Rémond, Religion et société en Europe, S. 46 f. 168  Zippelius, Staat und Kirche, S. 133. 169  So im Ergebnis auch Gauchet, Le désenchantement du monde, S. 313 f. 170  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 9, Rz. 1. 171  Siehe Zippelius, Staat und Kirche, S. 60 ff. 172  Siehe Kapitel 2, A.I.1.b)aa) (S. 49 ff.). 173  Siehe Zippelius, Staat und Kirche, S. 62 f. 165  Siehe

166  Die



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg63

scher.174 Einerseits bedeutete sie eine Einschränkung der politischen und verfassungsrechtlichen Macht der katholischen Kirche im entsprechenden Herrschaftsbereich der Monarchen. Andererseits stellte sie auch die Privilegien in Frage, die zahlreiche Herrscher der katholischen Kirche in den vorhergehenden Jahrhunderten abgerungen hatten. Als Konsequenz unterschied sich die Antwort der weltlichen Herrscher auf die Reformation in Deutschland und Frankreich deutlich. Die französischen Könige hatten sich im Mittelalter eine herausragende Privilegienstellung innerhalb der französischen katholischen Kirche gesichert, zu deren Aufgabe sie nicht bereit waren. So verwaltete sich die französische katholische Kirche in weiten Teilen autonom von der römischen Kurie unter dem ständig wachsenden Einfluss des Königs.175 Der französische König verfügte über das faktische Recht der Bestimmung der ranghöchsten französischen Geistlichen176, die Möglichkeit der Appellation gegen kirchliche Urteile vor weltlichen Gerichten wurde zunehmend ausgeweitet.177 Als Folge trieben die französischen Könige zur Wahrung ihrer religiösen Privilegien die Verfolgung der französischen Protestanten178 rigoros voran. Ein Religionskrieg zwischen französischen Protestanten und Katholiken war die Folge, der seinen traurigen Höhepunkt in den Pogromen der Bartholomäusnacht des Jahres 1572 nahm.179 Einen dauerhaften und weitestgehend eingehaltenen Frieden garantierte erst das Edikt von Nantes des Jahres 1598 des Königs Heinrich IV. (Henri IV), der im Jahre 1593 vom Protestantismus zum Katholizismus konvertiert war.180 Das Edikt von Nantes setzte einerseits der Verfolgung der Protestanten in Frankreich ein Ende181, sah jedoch keineswegs eine Gleichberechtigung von Katholizismus und Protestantismus vor.182 Nur den Katholiken wurde die öffentliche und gemeinschaftliche Religionsausübung in ganz Frankreich gewährleistet.183 Den Protestanten stand grund174  Siehe die politische Dimension der Reformation in Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 2. 175  Siehe ausführlich Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 9, Rz. 3. 176  Zippelius, Staat und Kirche, S. 63. 177  Zippelius, Staat und Kirche, S. 62. 178  Die überwältigende Mehrheit der französischen Protestanten bekannte sich zur evangelisch-reformierten Konfession, die auf den französisch-schweizerischen Theologen Jean Calvin zurückgeht („Calvinismus“) (siehe Cabanel/Encrevé, Histoire de l’éducation 110, 5 (7) und Zippelius, Staat und Kirche, S. 94). 179  Zippelius, Staat und Kirche, S. 125. 180  Zippelius, Staat und Kirche, S. 126. 181  Artikel VI des Edikts von Nantes; siehe auch Rémond, Religion et société en Europe, S. 52. 182  Zippelius, Staat und Kirche, S. 126. 183  Artikel III des Edikts von Nantes.

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

sätzlich nur ein Recht der privaten Religionsausübung zu.184 Allerdings stand es den französischen Adeligen frei, die öffentliche protestantische Religionsausübung in ihrem Herrschaftsbereich zu dulden.185 Weiterhin war den Protestanten die öffentliche Religionsausübung in allen französischen Gebieten erlaubt, in denen sie vor Erlass des Edikts von Nantes des Jahres 1598 bereits üblich war.186 Zwangstaufen wurden unter Strafe gestellt.187 Zwar schwelten einzelne Religionskonflikte auch nach dem Toleranzedikt von Nantes fort, doch waren die großen religiösen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts in Frankreich damit beendet.188 In Deutschland konnte sich der Protestantismus im 16. Jahrhundert unter dem Schutz mächtiger Landesfürsten gegen den erbitterten Widerstand des deutschen Kaisers ausbreiten.189 Bereits im Jahre 1526 erzwangen diese auf dem Reichstag von Speyer das Recht, vorläufig von einer Verfolgung der Protestanten in ihren Territorien abzusehen.190 Der Vertrag von Passau des Jahres 1552 und der Augsburger Reichs- und Religionsfrieden des Jahres 1555 besiegelten in der Folge faktisch das Ende der Politik der religiösen Einheit Deutschlands.191 Den Landesfürsten und den Räten der Reichsstädte wurde das Recht der Konfessionswahl ihres Territoriums („cuius regio, eius religio“192)193, allerdings begrenzt auf die römisch-katholische und die evangelisch-lutherische Konfession194, zugestanden.195 Die Lösung der theo184  Artikel VIII

des Edikts von Nantes. des Edikts von Nantes. 186  Artikel IX des Edikts von Nantes. 187  Artikel XVIII des Edikts von Nantes. 188  Rémond, Religion et société en Europe, S. 52. 189  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 8. 190  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 6. 191  Zippelius, Staat und Kirche, S. 86; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 8. Rechtlich hingegen blieb der Zerfall der religiösen Einheit Deutschlands ambivalent, weshalb die katholische Lesart des Augsburger Reichs- und Religionsfriedens den Fortbestand der katholischen Konfessionalität des Heiligen Römischen Reichs und nur einen vorübergehenden Verzicht auf die Verfolgung der Protestanten darin verbürgt sah, siehe ausführlich Kapitel 1, Fn. 4 (S. 26). 192  Die Formulierung „cuius regio, eius religio“, die treffend die Rechtslage des Augsburger Reichs- und Religionsfriedens 1555 beschreibt, war nicht im Augsburger Reichs- und Religionsfrieden 1555 enthalten, sondern kam erst um die Jahrhundertwende des 17. Jahrhunderts auf (Willoweit/Schlinker, Deutsche Verfassungsgeschichte, § 19, Rz. 3; siehe auch Willoweit, Reich und Staat, S. 50). 193  Ausführlich Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 13. 194  „Doch sollen alle andere, so obgemelten beeden Religionen nicht anhängig, in diesen Frieden nicht gemeynt, sondern gäntzlich ausgeschlossen seyn.“ (§ 17 Augsburger Reichs- und Religionsfrieden, zitiert nach Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 131). 185  Artikel VII



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg65

logischen Konflikte zwischen der katholischen und der evangelisch-lutherischen Konfession wurde im Augsburger Reichs- und Religionsfrieden des Jahres 1555 ausgespart und ad infinitum verschoben.196 Den Fürsten wurde die Werbung für ihre Konfession und die Intervention zu Gunsten von Untertanen ihrer Konfession in Gebieten anderer Konfession untersagt.197 Die geistliche Gerichtsbarkeit wurde gegenüber den evangelischen Reichsständen ausgesetzt,198 die Säkularisierung von Kirchenbesitz im Zuge der Reformation akzeptiert und die Gerichtsbarkeit des Reichskammergerichts in den betreffenden Fällen aufgehoben.199 Untertanen, die eine andere Konfession als ihr Landesherr ausüben wollten, wurde das Recht auf Auswanderung (ius emigrandi) sowie das Recht auf den mit der Emigration verbundenen Verkauf ihres immobilen Vermögens sowie die entgeltliche Ablösung der Leibeigenschaft zugesprochen.200 Eine Garantie individueller Religionsfreiheit enthielt der Augsburger Reichs- und Religionsfrieden jedoch gerade nicht.201 Gleichzeitig blieben zentrale Streitfragen im Verhältnis von Katholizismus und Protestantismus in Deutschland ungelöst.202 Das Reichskammergericht war im Patt von Katholiken und Protestanten in der Frage, ob der Augsburger Reichs- und Religionsfrieden des Jahres 1555 die Säkularisierung von katholischem Kirchenvermögen in protestantischen Territorien nur für die Vergangenheit legalisiere oder auch für die Zukunft zulasse, gefangen.203 Den vom römischen König Ferdinand (als Vertreter seines Bruders Kaiser Karl V.204) einseitig205 dem Augsburger Reichs- und Religionsfrieden 1555 195  Siehe §§ 14 bis 16 Augsburger Reichs- und Religionsfrieden, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 129 f.; siehe auch von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 15. 196  §§ 9, 10 und 25 Augsburger Reichs- und Religionsfrieden, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 128 und S. 133. 197  § 23 Augsburger Reichs- und Religionsfrieden, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 133. 198  § 20 Augsburger Reichs- und Religionsfrieden, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S.  131 f. 199  § 19 Augsburger Reichs- und Religionsfrieden, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 131. 200  § 24 Augsburger Reichs- und Religionsfrieden, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 133; siehe auch Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 12, Rz. 5. 201  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 12, Rz. 5. 202  Ausführlich auch Willoweit, in: Hoffmann/Johanns/Kranz/Trepesch/Zeidler (Hrsg.), Als Frieden möglich war, S. 42 ff. 203  Willoweit/Schlinker, Deutsche Verfassungsgeschichte, § 19, Rz. 14. 204  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 12, Rz. 2. 205  Da der Augsburger Reichs- und Religionsfrieden am unlösbaren Streit über das Reformationsrecht geistlicher Fürstentümer zu scheitern drohte, wurde die juristisch

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

hinzugefügten „Geistlichen Vorbehalt“, der den katholischen Erzbischöfen, Bischöfen und Prälaten zwar den Übertritt zur evangelisch-lutherischen Konfession gestattete, diesen jedoch mit dem Amtsverlust und der Neuwahl eines katholischen Kandidaten verband206, lehnte die protestantische Seite ab.207 Gleichzeitig wurde von der katholischen Seite vehement die Wirksamkeit der den protestantischen Adeligen und Städten in den (durch den „Geistlichen Vorbehalt“ auf den Katholizismus festgelegten) geistlichen Territorien gegebenen Garantie der Religionsfreiheit, die nicht im Augsburger Reichs- und Religionsfrieden, sondern in einem separaten, nicht öffentlichen Erlass Ferdinands (Declaratio Ferdinandea) festgeschrieben war, bestritten.208 Diese Dissonanzen waren Ausdruck der diametral entgegengesetzten Ziele und Interessenslagen von katholischer und protestantischer Seite. Während die protestantische Seite den Augsburger Reichs- und Religionsfrieden des Jahres 1555 im Lichte ihres Ziels einer Gleichstellung mit dem Katholizismus auf Reichsebene zu interpretieren suchte, symbolisierten vor allem der „Geistliche Vorbehalt“, der weitreichende Schutz des katholischen Kirchenvermögens in den konfessionell paritätischen Städten und die ausdrückliche Anerkennung der Säkularisierung von Kirchenvermögen in protestantischen Territorien nur für die Vergangenheit das katholische Ziel der „Begrenzung“ der Ausbreitung der Reformation in Deutschland und des Erhalts der Einheit von Heiligem Römischen Reich Deutscher Nation und katholischer „Reichskirche“.209 Gleichzeitig sicherte der „Geistliche Vorbehalt“, der die katholische Mehrheit der Kurfürstentümer Mainz, Köln210 und Trier zusamausgefeilte Konstruktion gewählt, einerseits die Uneinigkeit der protestantischen und der katholischen Seite in dieser Frage in § 18 Augsburger Reichs- und Religionsfrieden festzuhalten, andererseits aber dennoch den sehr ungenau gehaltenen „Geistlichen Vorbehalt“ allein kraft kaiserlicher Autorität in den Augsburger Reichs- und Reli­ gionsfrieden aufzunehmen (Willoweit, in: Hoffmann/Johanns/Kranz/Trepesch/Zeidler (Hrsg.), Als Frieden möglich war, S. 44 f.). Dies gab sowohl der protestantischen als auch der katholischen Seite eine Möglichkeit, den „Geistlichen Vorbehalt“ im Lichte der jeweiligen Verhandlungsposition zu interpretieren und zu debattieren, ohne den Augsburger Reichs- und Religionsfrieden als Ganzes in Frage zu stellen. 206  § 18 Augsburger Reichs- und Religionsfrieden, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 131. 207  Willoweit/Schlinker, Deutsche Verfassungsgeschichte, § 19, Rz. 5; ausführlich auch Willoweit, in: Hoffmann/Johanns/Kranz/Trepesch/Zeidler (Hrsg.), Als Frieden möglich war, S. 45 f. 208  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 12, Rz. 7; Willoweit/Schlinker, Deutsche Verfassungsgeschichte, § 19, Rz. 8. 209  Willoweit/Schlinker, Deutsche Verfassungsgeschichte, §  19, Rz.  8  f.; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 12, Rz. 14 f. 210  Der „Geistliche Vorbehalt“ verhinderte etwa den Übertritt des Kurfürstentums Köln zum Protestantismus nach dem Konfessionswechsel des Kölner Erzbischofs Gebhard Truchseß von Waldburg im Jahre 1582, der alsbald von den Kölner Domher-



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg67

men mit dem habsburgischen Königreich Böhmen im Kurfürstenkollegium zementierte, die katholische Konfessionalität der Kaiserwürde.211 In der katholischen Lesart des Augsburger Reichs- und Religionsfriedens des Jahres 1555 blieben die Protestanten weiterhin der katholischen „Reichskirche“ und ihrem Kirchenrecht, dessen Vollzug, insbesondere die Verpflichtung der Verfolgung der „Ketzerei“, als nur vorübergehend ausgesetzt angesehen wurde, unterworfen.212 Trotz dieser Dissonanzen stellte der Augsburger Reichs- und Religionsfrieden einen wichtigen Schritt in der Entwicklung hin zum modernen Religionsverfassungsrecht dar. Bereits der Passauer Vertrag des Jahres 1552 hatte de facto – wenngleich juristisch vor allem von der katholischen Seite noch bis in das 17. Jahrhundert hinein bestritten – eine Abkehr von der religiösen Einheit Deutschlands bedeutet, die im Augsburger Reichs- und Religionsfrieden zementiert wurde.213 Der Augsburger Reichs- und Religionsfrieden billigte zwar nicht den Untertanen, aber doch zumindest den Landesherren das Recht der Wahl der eigenen Religion zu.214 Dies führte nicht nur in den protestantischen, sondern auch in den katholischen Gebieten Deutschlands zu einem weiteren Voranschreiten der Emanzipation der weltlichen Herrscher von der katholischen Kirche.215 Insofern stellte die Reformation einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zum modernen Religionsverfassungsrecht dar.216 Erstmals hielten rudimentäre Garantien der Religionsfreiheit Einzug in die europäischen Rechtsordnungen. In Deutschland galt diese freilich nur für die Landesherren217, während das französische Edikt von Nantes die Vormachtstellung des Katholizismus in Frankreich konsolidierte.218 Die friedliche Koexistenz der Konfessionen war im 16. Jahrhundert die Ausnahme, nicht die Regel.219

ren abgesetzt und mit militärischen Mitteln entmachtet wurde (siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 14, Rz. 3). 211  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 12, Rz. 6. 212  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 12, Rz. 15. 213  Zippelius, Staat und Kirche, S. 86. 214  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 12, Rz. 5. 215  Siehe auch Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 13 ff. Gleichzeitig emanzipierten sich die deutschen Landesherren auch zunehmend von der Zentralgewalt des deutschen Kaisers. Damit stellt der Augsburger Reichs- und Reli­ gionsfrieden auch eine wichtige historische Grundlage des deutschen Föderalismus dar, Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 12, Rz. 12. 216  So auch Gauchet, Le désenchantement du monde, S. 313 f. 217  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 12, Rz. 5. 218  Zippelius, Staat und Kirche, S. 126. 219  Siehe Rémond, Religion et société en Europe, S. 52.

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

bb) Absolutismus und Dreißigjähriger Krieg Das Edikt von Nantes des Jahres 1598 und der Augsburger Reichs- und Religionsfrieden des Jahres 1555 hatten einen brüchigen Frieden zwischen Katholiken und Protestanten gewährleistet. Im Zeitalter des sich entwickelnden absolutistischen Staates flammten die religiösen Konflikte jedoch in Frankreich und Deutschland wieder auf. Nur in Deutschland konnten im 17. Jahrhundert Erfolge bei der Gewährleistung der Religionsfreiheit erzielt werden, in Frankreich war die Entwicklung hingegen wieder rückläufig. Der Tod des französischen Königs Heinrich IV. im Jahre 1610 durch das Attentat eines fanatischen Gegners des Edikts von Nantes setzte der für die damalige Zeit liberalen französischen Religionspolitik ein Ende.220 Unter den Nachfolgern Heinrichs IV. wurde die Benachteiligung der Protestanten wieder intensiviert.221 Besonders der Bischof von Meaux, Jacques-Bénigne Bossuet, wurde im 17. Jahrhundert zu einem der schärfsten Kritiker des Edikts von Nantes.222 Unter seinem Einfluss erließ der französische König Ludwig XIV.223 im Jahre 1685 das Edikt von Fontainebleau, das das Edikt von Nantes aufhob.224 Die protestantische Religionsausübung wurde verboten,225 die protestantischen Pfarrer verbannt226 und die Zwangstaufe aller protestantischen Kinder angeordnet.227 Die Emigration wurde den französischen Protestanten unter220  Zippelius,

Staat und Kirche, S. 126. Baumann, Bossuet, S. 240; Zippelius, Staat und Kirche, S. 126. 222  Siehe Hayat, ASSR 124, 5 (16). Zu den ideologischen Grundlagen der Ablehnung der Religionsfreiheit durch Bossuet siehe Sée, Les idées politiques en France au XVIIe siècle, S.154 f. So fürchtete Bossuet, dass die Gewährleistung der Religionsfreiheit zwangsläufig einen Statusverlust des Katholizismus nach sich ziehen müsse („Si on se déclarait ouvertement pour la tolérance ecclésiastique, c’est-à-dire qu’on reconnût tous les hérétiques pour vrais membres et vrais enfants de l’Église, on marquerait trop évidemment l’indifférence des religions.“ (zitiert nach: Truchet (Hrsg.), Politique de Bossuet, S. 185; Übersetzung des französischen Originaltexts: „Wenn man sich offen für die kirchliche Toleranz, also die Anerkennung aller Häretiker als wahre Mitglieder und Kinder der Kirche, aussprechen würde, würde man sehr offenkundig die Ununterscheidbarkeit der Religionen propagieren.“)), der das durch und durch religiös durchdrungene absolutistische Staatsmodell zum Wanken gebracht hätte. 223  Zu den religionsverfassungsrechtlichen Vorstellungen Ludwigs XIV. und zur Genese des Edikts von Fontainebleau siehe Baumann, Bossuet, S. 239 ff. 224  Artikel I Edikt von Fontainebleau; siehe auch Rémond, Religion et société en Europe, S. 52 und Müller, ZevKR 52, 257 (267). 225  Artikel II, III Edikt von Fontainebleau. 226  Artikel IV Edikt von Fontainebleau. 227  Artikel VIII Edikt von Fontainebleau. 221  Siehe



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg69

sagt.228 Dennoch verließen im 17. und 18. Jahrhundert ungefähr 200.000 Protestanten Frankreich.229 Auch in Deutschland blieb die politische Lage nach dem Augsburger Reichs- und Religionsfrieden angespannt. Der Dreißigjährige Krieg der Jahre 1618 bis 1648 wurde zu der bis dahin blutigsten militärischen Auseinandersetzung der Geschichte.230 Durch den Kriegseintritt Frankreichs und Schwedens entwickelte sich der zunächst auf Böhmen beschränkte Konflikt zu einem europäischen Krieg, der weite Teile Mitteleuropas verwüstete.231 Ein Ende bewirkten erst die Verträge von Osnabrück und Münster („Westfälischer Frieden“), die die Zerfallsprozesse des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verschärften und die Machtposition der Landesherren weiter stärkten.232 Die religionsverfassungsrechtlichen Bestimmungen des Westfälischen Friedens beruhten auf zwei wichtigen Säulen. Einerseits wurde der Augsburger Reichs- und Religionsfrieden des Jahres 1555 bestätigt233, der den Landesherren und Räten der Reichsstädte das Recht der Bestimmung der Konfession ihres Territoriums zugesprochen hatte.234 Als Wahlmöglichkeit wurde zusätzlich zur römisch-katholischen und evangelisch-lutherischen auch die evangelisch-reformierte Konfession zugelassen.235 Gleichzeitig wurde die bereits im Augsburger Reichs- und Religionsfrieden verankerte Aufhebung der katholischen geistlichen Gerichtsbarkeit gegenüber den deutschen Protestanten bestätigt.236 Für Reichsdeputationen und das Reichskammergericht wurde die Parität von Katholiken und Protestanten festgelegt.237

228  Artikel X

Edikt von Fontainebleau. Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 24. 230  Siehe auch Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 290. 231  Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 293, Rz. 324 ff. und Rz. 341 ff. 232  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 15, Rz. 6 und Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 357. 233  Artikel V, § 1 Vertrag von Osnabrück, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 178. 234  Siehe Kapitel 2, A.I.2.b)aa) (S. 61 ff.). 235  Artikel VII, § 1 Vertrag von Osnabrück, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 186 f.; siehe auch Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 16. 236  Artikel V, § 48 Vertrag von Osnabrück, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 185. 237  Artikel V, § 51 und § 53 Vertrag von Osnabrück, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S.  185 f. 229  Link,

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Andererseits normierte der Westfälische Frieden einige Minimalgarantien der Religionsfreiheit. Bereits der Augsburger Reichs- und Religionsfrieden des Jahres 1555 hatte Untertanen, die die Konfession des Landesherren nicht teilten, ein Emigrationsrecht zugesprochen.238 Für diesen Fall untersagte der Westfälische Frieden eine Enteignung ihres Vermögens.239 Ferner war eine unnötige Erschwerung und Verzögerung der Auswanderung nicht statthaft.240 Den verbliebenen Untertanen, die die Konfession des Landesherren nicht teilten, gestand der Westfälische Frieden einige weitere Rechte zu. Die Religionsausübung im privaten Raum wurde allen Angehörigen der römisch-­ katholischen, evangelisch-lutherischen und evangelisch-reformierten Kon­ fession gestattet.241 Ferner wurde ihnen ein Mindestmaß an beruflicher und sozialer Gleichstellung eingeräumt.242 Weiterreichende Garantien der Reli­ gionsfreiheit, die im als Bezugspunkt gewählten Jahr 1624 in Kraft waren, durften nicht aufgehoben werden.243 Der Vertrag von Osnabrück erinnert in vielerlei Hinsicht an das Edikt von Nantes244, das zum selben Zeitpunkt in Frankreich in Kraft war. Einerseits galt die Garantie der Religionsfreiheit in Deutschland wie in Frankreich im Wesentlichen lediglich für den privaten Raum. Andererseits galt ein gewisser „Bestandsschutz“ für weiterreichende religiöse Freiheiten. Diese Gemeinsamkeiten sind typisch für das Religionsverfassungsrecht des 17. Jahrhunderts. Die religiöse Einheit wurde gerade im Zeitalter des Absolutismus als eine wesentliche Grundlage königlicher Macht angesehen.245 Gleichzeitig hatte die Verfolgung konfessioneller Minderheiten, die in die Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts gemündet hatte, den Zerfall der religiösen Einheit nicht verhindern können. Die Gewährleistung der freien Religionsausübung im privaten Raum war nicht der Überzeugung der Monarchen, sondern vielmehr der Akzeptanz einer sozial und politisch nicht änderbaren Situation geschuldet. Die öffentliche Religionsausübung wurde jedoch im 17. Jahrhundert als besondere Gefahr für die monarchischen Herrschaftsstrukturen angesehen, die noch immer auf der Fiktion religiöser Einheit beruhten. 238  Kapitel 2,

A.I.2.b)aa) (S. 61 ff.). § 36 Vertrag von Osnabrück, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S.  184 f. 240  Artikel V, § 37 Vertrag von Osnabrück, verfügbar unter: https://www.lwl.org/ westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID=740&url_ tabelle=tab_quelle (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 241  Artikel V, § 34 Vertrag von Osnabrück. 242  Artikel V, § 35 Vertrag von Osnabrück. 243  Artikel V, § 32 Vertrag von Osnabrück. 244  Kapitel 2, A.I.2.b)aa) (S. 61 ff.). 245  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 21. 239  Artikel V,



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg71

cc) Aufklärung Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts hielten umfassende Gewährleistungen der Religionsfreiheit erstmals Einzug in europäische Verfassungen. Im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts verloren die französischen protestantischen Gemeinden unter dem Druck der Verfolgung zunehmend an Mitgliedern.246 Sozial und politisch wurden die verbliebenen französischen Protestanten weitestgehend marginalisiert.247 Zwar nahm nach dem Tod Ludwigs XIV. im Jahre 1715 die Verfolgung der Protestanten ab, doch waren Diskriminierung und Marginalisierung noch immer die Regel.248 Deutliche Verbesserungen bedeutete das Edikt von Versailles des Jahres 1787, das häufig wenig zutreffend als „Toleranzedikt“ Ludwigs XVI. bezeichnet wird.249 Der Verfolgung der Protestanten in Frankreich setzte es ein Ende.250 Allerdings blieb die französische Monarchie auch weiterhin dem Ziel der Wiederherstellung der religiösen Einheit verbunden.251 Den Protestanten war die öffentliche Religionsausübung weiterhin verwehrt.252 Die Bildung protestantischer Religionsgemeinschaften253 und die Verbreitung protestantischer Theologie blieben verboten.254 Erst in Folge der Französischen Revolution hielt eine umfassende Garantie der Religionsfreiheit Einzug in das französische Verfassungsrecht. In Deutschland war eine Verfolgung der römisch-katholischen, der evangelisch-lutherischen und der evangelisch-reformierten Minderheiten allein auf Grund ihrer Konfessionszugehörigkeit seit dem Westfälischen Frieden nicht mehr statthaft.255 Dennoch wurde, vor allem im katholischen Österreich, die Verfolgung der protestantischen Gemeinden vertragswidrig mit aller Härte betrieben.256 Noch im 18. Jahrhundert fanden zahlreiche Zwangstaufen und Vertreibungen von Protestanten statt.257 246  Kapitel 2, A.I.2.b)bb) (S. 68 ff.) und Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 24. 247  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 25. 248  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 27 f. 249  Siehe Portier, L’Etat et les religions en France, S. 28. 250  Artikel I Edikt von Versailles. 251  Siehe die Präambel des Edikts von Versailles und Portier, L’Etat et les religions en France, S. 28. 252  Artikel I Edikt von Versailles. 253  Artikel III Edikt von Versailles. 254  Siehe Artikel V Edikt von Versailles, der allgemein die Verbreitung jeglicher Thesen, die nicht dem Katholizismus entsprachen, untersagte. 255  Artikel V, § 34 Vertrag von Osnabrück. 256  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 18 f. 257  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 19 f.

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Zeitgleich mit Frankreich verbesserte sich auch in Deutschland die Situation der konfessionellen Minderheiten deutlich. In Österreich gewährten die Toleranzpatente des Jahres 1781 den Protestanten die Freiheit der Religionsausübung im privaten Raum sowie die Freiheit der gemeinschaftlichen Religionsausübung.258 Allerdings wurde den protestantischen Konfessionen die Sichtbarkeit im öffentlichen Raum verwehrt und untersagt.259 In Preußen sahen das Religionsedikt vom 9. Juli 1788 („Wöllnersches Religionsedikt“) sowie das Preußische Allgemeine Landrecht des Jahres 1794 weitreichende Garantien der Religionsfreiheit und eine Garantie der Gleichbehandlung für die römisch-katholische, die evangelisch-lutherische und die evangelisch-reformierte Konfession vor.260 Ähnliche Gewährleistungen sahen auch die bayerischen Religionsedikte der Jahre 1803 und 1809261 und die bayerische Verfassung des Jahres 1818262 vor. Insgesamt vollzog sich die Entwicklung der Religionsfreiheit seit dem Westfälischen Frieden zwar kontinuierlich, jedoch nur graduell. Die im 18. Jahrhundert errungenen Garantien der Religionsfreiheit beschränkten sich regelmäßig auf die drei großen christlichen Konfessionen (römisch-katholisch, evangelisch-lutherisch und evangelisch-reformiert). Nur in Preußen und Bayern ging die Gewährleistung der Religionsfreiheit mit einer Gleichstellung dieser drei christlichen Konfessionen einher, im vorrevolutionären Frankreich und in Österreich behielt der Katholizismus seine herausgehobene Stellung.263 Von der Religionsfreiheit ausgeschlossen waren regelmäßig kleinere christliche Gemeinden anderer Konfession sowie nicht-christliche Religionen.264 Eine Garantie der Religionsfreiheit für alle Bürger ging erst mit der Französischen Revolution einher. 3. Das Verhältnis von Staat und Kirche zu Beginn der Französischen Revolution Seit der Herrschaft des absolutistischen „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV. bis zum Beginn der Französischen Revolution hatte sich das Religionsverfas-

258  Link,

Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 22. Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 22. 260  Zippelius, Staat und Kirche, S. 130 f.; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz.  14 f. 261  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 24 (Fn. 38). 262  Zippelius, Staat und Kirche, S. 133. 263  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 12 ff. 264  Siehe beispielhaft für Österreich Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, §  16, Rz. 22. 259  Link,



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg73

sungsrecht Frankreichs nicht grundlegend gewandelt.265 Der Einfluss der katholischen Kirche in Frankreich blieb auch unter den Königen Ludwig XV. und Ludwig XVI. ungebrochen.266 Religionspolitische Entwicklungen wie das Ende der Verfolgung der französischen Protestanten konnten sich nur in kleinen Schritten vollziehen.267 Durch den Absolutismus hatte sich jedoch das Verhältnis von Staat und Kirche grundlegend gewandelt. Mit Unterstützung des französischen Klerus gewannen Staat und Königtum zunehmend Einfluss auf die französische katholische Kirche.268 Die Loyalität der katholischen Geistlichen zum französischen König wurde mit einer herausragenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Stellung belohnt.269 Katholische Geistliche besetzten regelmäßig die höchsten Staatsämter und wirkten auf allen Ebenen von Verwaltung und Politik in Frankreich mit.270 Gleichzeitig verfügte der katholische Klerus über großen politischen Einfluss und war trotz der wirtschaftlichen Vormachtstellung der katholischen Kirche als größter Landeigentümerin Frankreichs und Zehntherrin von der Steuerpflicht befreit.271 Diese enge Verknüpfung und Zusammenarbeit von katholischer Kirche und französischer Monarchie war prägend für das Ancien Régime, das französische Königtum vor der Französischen Revolution.272 Besonders deutlich kam die Verbundenheit von französischer Monarchie und katholischer Kirche im Krönungsritual zum Ausdruck.273 Durch die religiöse Zeremonie und die Legitimation durch die katholische Kirche wurde der französische Monarch als König „von Gottes Gnaden“ eingesetzt.274 Im Gegenzug versprach der französische König der katholischen Kirche Schutz sowie die Bewahrung und Achtung ihrer Privilegien.275 265  Ausführlich zur Entwicklung des französischen Religionsverfassungsrechts im 17. und 18. Jahrhundert Portier, L’Etat et les religions en France, S. 25 ff. 266  Siehe auch Portier, L’Etat et les religions en France, S. 25. 267  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 27 f. 268  Siehe ergänzend Portier, L’Etat et les religions en France, S. 24. 269  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 25. 270  Rémond, Religion et société en Europe, S. 50 f. 271  Vertiefend Portier, L’Etat et les religions en France, S. 25. 272  Ein eindrucksvolles Beispiel der engen Verbundenheit von französischer Monarchie und katholischer Kirche unter dem Ancien Régime stellt das stark vom Katholizismus inspirierte Testament Ludwigs XVI. dar, das dieser kurz vor seiner Hinrichtung verfasste. 273  Rémond, Religion et société en Europe, S. 51. 274  Rémond, Religion et société en Europe, S. 51. 275  Als Beispiel sei der lateinische Amtseid des Königs Ludwig XIII. des Jahres 1610 genannt. „Promitto vobis et perdono quod unicuique de vobis et Ecclesiis vobis commissis canonicum privilegium et debitam legem atque justitiam servabo, et defen-

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Die Übermacht des Katholizismus in der Staatsverfassung des Ancien Régime konnte jedoch nicht über den Zerfall der religiösen Einheit Frankreichs hinwegtäuschen. Protestantische Gemeinden konnten sich in Frankreich seit der Reformation behaupten. In Folge des Edikts von Versailles des Jahres 1787 gewannen sie an politischem und sozialem Einfluss. Protestanten war nunmehr auch der Aufstieg in französische Regierungsämter möglich.276 Tiefgreifende Reformen des Religionsverfassungsrechts waren damit nach der Französischen Revolution aus zwei Gründen unvermeidbar. Einerseits wurden die Rufe nach Religionsfreiheit im postrevolutionären Frankreich zunehmend lauter.277 Andererseits erschien der weitreichende Einfluss der katholischen Kirche in Frankreich vielen Revolutionären inakzeptabel. Besonders die Ablehnung der durch die Französische Revolution veränderten politischen Ordnung und der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 durch Papst Pius VI. vergrößerte das Konfliktpoten­ tial.278 Aufgrund der engen Verknüpfung von Staat und Kirche unter dem Ancien Régime bedeutete die Französische Revolution dementsprechend nicht nur in politischer, sondern vor allem auch in religionsverfassungsrechtlicher Hinsicht eine tiefe Zäsur.

II. Entwicklung und Rezeption des Laizismus in der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik War der Wandel des Religionsverfassungsrechts in den vorhergehenden Jahrhunderten eher kontinuierlich gewesen, so sollte die Französische Revolution ein schlagartig neues religionsverfassungsrechtliches Modell einführen. Als in der Dritten Französischen Republik eine neue religionsverfassungsrechtliche Revolution anstand, war auch der Blick auf das gescheiterte Modell der Französischen Revolution von Bedeutung (1.). Wenige Jahre später führte das Ende des Ersten Weltkrieges auch in Deutschland zu fundasionem, quantum potero, adjuvante Domino, exhibebo, sicut rex in suo regno unicuique episcopo et Ecclesiae sibi commissae per rectum exhibere debet“ (zitiert aus Martin, Revue des Sciences Religieuses 17, 1 (6); Übersetzung des lateinischen Originaltexts: „Ich verspreche Ihnen und gewähre Ihnen allen und den Ihnen anvertrauten Kirchen, dass ich die kirchlichen Privilegien, die Ihnen zustehenden Rechte und die Gerechtigkeit bewahren werde, und dass, sowie ich es vermag, ich mit der Hilfe Gottes Ihre Verteidigung sicherstellen werde, so wie ein König in seinem Königreich gegenüber jedem Bischof und jeder ihm unterstellten Kirche verpflichtet ist.“). 276  Siehe Rémond, Religion et société en Europe, S. 54. 277  Siehe Rémond, Religion et société en Europe, S. 55 f. 278  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 11.



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mentalen Umwälzungen, die das Verhältnis zwischen Staat und Kirche revolutionierten (2.). 1. Der Streit über den Laizismus in der Anfangsphase der Dritten Französischen Republik und das Gesetz über den Laizismus von 1905 Seit der Französischen Revolution war die französische Religionsverfassung in dauerhaftem Umbruch (a)). Erst mit der Einführung des Laizismus im Jahr 1905 konnte eine, wenngleich zu Beginn heftig kritisierte, dauerhafte Lösung gefunden werden, die auch gegenwärtig noch Bestand hat (b)). a) Entwicklung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche nach 1789 Die Umwälzungen der Französischen Revolution ergriffen schnell das Religionsverfassungsrecht (aa)). Nach dem Kompromissmodell Napoleons (bb)) läutete die Restauration den Versuch der Rückkehr zur alten religionspolitischen Ordnung ein (cc)). Die Februar-Revolution des Jahres 1848 setzte jedoch der herausgehobenen Stellung des Katholizismus im französischen Religionsverfassungsrecht endgültig ein Ende (dd)). aa) Das religionsverfassungsrechtliche Modell der Französischen Revolution Die Französische Revolution279 ging ab dem Jahre 1789 mit einem tiefgreifenden sozialen und politischen Umbruch einher. Innerhalb eines Jahrzehnts wandelte sich Frankreich gesellschaftlich, verfassungsrechtlich und religiös grundlegend. Der Untergang des Ancien Régime bedeutete damit auch ein Ende der Kontinuität und Stabilität des Religionsverfassungsrechts, das sich innerhalb der vorangegangenen Jahrhunderte nur relativ wenig gewandelt hatte.280 Vielmehr folgten nach der Französischen Revolution reli­ gionsverfassungsrechtliche Reformen beinahe im Jahresrhythmus, die häufig unvollständig blieben und in der Praxis nur teilweise umgesetzt wurden.281 279  Im Folgenden wird unter der „Französischen Revolution“ der Zeitraum von der Konstituierung der verfassungsgebenden Nationalversammlung im Jahr 1789 bis zur Machtübernahme Napoleons im Jahre 1799 verstanden. Einen historischen Überblick über diesen Zeitraum gibt Miquel, Histoire de la France, S. 267–293. 280  Kapitel 2, A.I.3. (S. 72 ff.) und Portier, L’Etat et les religions en France, S.  25 f. 281  Siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 10 ff.

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Allein diese schnelle Abfolge religionsverfassungsrechtlicher Änderungen demonstriert den grundlegenden Wandel des Verhältnisses von Staat und katholischer Kirche in Folge der Französischen Revolution. Unter dem Ancien Régime, dem der Französischen Revolution vorhergehenden Königtum, fungierte ein Konsens zwischen französischem Staat und katholischer Kirche als Grundlage des Religionsverfassungsrechts.282 Besonders die Kooperation von Monarchie und Kirche war ein wichtiger Pfeiler königlicher Macht.283 Einseitige Eingriffe des Staates in die Autonomie der katholischen Kirche waren in der französischen Ständegesellschaft, die dem Klerus den höchsten Rang zuwies, politisch nur schwer durchsetzbar.284 Sie unterblieben jedoch allein schon aufgrund der Furcht der französischen Könige um ihr Seelenheil, das sie durch staatliche Verfehlungen gegen die katholische Kirche gefährdet sahen. Dies demonstrierte eindrucksvoll das Testament Ludwigs XVI., in dem er gegenüber Gott seine Loyalität und seinen Respekt gegenüber der katholischen Kirche erklärte.285 Die Französische Revolution hatte das Verhältnis von französischer Politik und katholischer Kirche grundlegend gewandelt. Das Ansehen des französischen Klerus war in Bevölkerung und Gesellschaft aufgrund der kirchlichen Vergesellschaftung mit dem Ancien Régime286 lädiert. In Folge der Radikali282  Siehe

Kapitel 2, A.I.3. (S. 72 ff.). Religion et société en Europe, S. 51. 284  Siehe Portier, L’Etat et les religions en France, S. 25. 285  Ein Auszug aus dem Testament Ludwigs XVI. demonstriert die enge Verbundenheit von Monarchie und katholischer Kirche unter dem Ancien Régime. „Je meurs dans l’union de notre sainte mère l’Église catholique, apostolique et romaine, qui tient les pouvoirs par une succession non interrompue de saint Pierre, auquel JésusChrist les avait confiés; je crois fermement et je confesse tout ce qui est contenu dans le symbole et les commandemens de Dieu et de l’Eglise, les sacrements et les ­mystères, tels que l’Église catholique les enseigne et les a toujours enseignés. […] je m’en suis rapporté et rapporterai toujours, si Dieu m’accorde vie, aux décisions que les supérieurs ecclésiastiques, unis à la sainte Église catholique donnent et donneront conformément à la discipline de l’Église suivie depuis Jésus-Christ.“ (zitiert aus Ludwig XVI., Testament, S. 3 f.; Übersetzung des französischen Originaltexts: „Ich sterbe in der Einheit mit unserer heiligen Mutter der katholischen, apostolischen und römischen Kirche, die ihre Befugnisse aus der ununterbrochenen Nachfolge des Heiligen Petrus ableitet, dem Jesus Christus sie anvertraut hat; ich glaube fest und bekenne mich zu allem, was in den Sakramenten und den Geboten Gottes und der Kirche enthalten ist, sowie zu den Sakramenten und den Geheimnissen, wie sie die katholische Kirche lehrt und schon immer gelehrt hat. […] Ich habe mich immer an die Entscheidungen der kirchlichen Oberhäupter, die sie in Einheit mit der heiligen katholischen Kirche und gemäß den Lehren, die die Kirche seit Jesus Christus befolgt, erlassen und erlassen werden, gehalten und werde mich, sofern Gott mir das Leben schenkt, in Zukunft weiterhin [an diese Entscheidungen] halten.“). 286  Kapitel 2, A.I.3. (S. 72 ff.). 283  Rémond,



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sierung der französischen Politik, die immer härter gegen echte und vermeintliche Gegner der Französischen Revolution vorging, gewannen kirchenkritische und kirchenfeindliche Positionen zunehmend an Boden.287 Dies kam auch in den religionsverfassungsrechtlichen Maßnahmen der Französischen Revolution zum Ausdruck. War zu Beginn das Ziel noch eine Einbindung der Kirche in den neuen Staat auf Grundlage der Werte und Errungenschaften der Französischen Revolution, so wurde die Religionspolitik im Verlauf der Französischen Revolution zunehmend zu einem Kampf gegen die katholische Kirche stilisiert. Die erste religionsverfassungsrechtliche Maßnahme der von den Revolutionären gebildeten Nationalversammlung war die Verankerung der Religionsfreiheit in der Französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789.288 Die Gleichberechtigung der Protestanten wurde noch im selben Jahr gesetzlich festgeschrieben.289 Zwei Jahre später wurde die Garantie der Religionsfreiheit auch in die Verfassung vom 3. September 1791 aufgenommen.290 Gleichzeitig gestaltete die Nationalversammlung das Verhältnis von Staat und Kirche in Frankreich grundlegend um. Durch das Dekret vom 2. November 1789 über den Kirchenbesitz291 wurde die katholische Kirche in Frankreich enteignet und ihre Besitztümer verstaatlicht.292 Das Dekret über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790 (Décret sur la constitution civile du clergé du 12 juillet 1790)293 sollte die Einbindung der katholischen Kirche in die neue Staatsform weiter vorantreiben.294 Unter Missachtung päpstlicher Kompetenzen bestimmte das Dekret über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790 die Grenzen, die Sitze und die Anzahl der Bistümer und Erzbistümer in Frankreich.295 Die Befolgung der Weisungen eines ausländischen Bischofs mit Ausnahme des Papstes wurde jedem französi287  Aston,

Religion and revolution in France, S. 211 ff. und 260 f. L’Etat et les religions en France, S. 32. 289  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 9. 290  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 10. 291  Mavidal/Laurent/Camus (Hrsg.), Décret du 2 novembre 1789 sur les biens ecclésiastiques. 292  Art. 1 des Dekrets vom 2. November 1789 über den Kirchenbesitz; Rémond, Religion et société en Europe, S. 59. 293  Mavidal/Laurent (Hrsg.), Décret sur la constitution civile du clergé. 294  Einen guten Überblick über die Vorgeschichte des Dekrets über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790 bietet Aston, Religion and revolution in France, S.  140 ff. 295  Titel I, Artikel 1 bis 4 des Dekrets über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790. 288  Portier,

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schen Bürger untersagt.296 Klöster und Abteien wurden abgeschafft.297 Die demokratische Wahl der Pfarrer und Bischöfe durch die Wahlberechtigten der betreffenden Diözese oder Gemeinde wurde verpflichtend vorgeschrieben.298 Die Bischöfe und Pfarrer mussten einen verpflichtenden Eid auf die Verfassung leisten.299 Im Gegenzug wurde ihre Vergütung durch den französischen Staat übernommen.300 Diesen Eid verweigerten auf Verlangen des Papstes ungefähr die Hälfte der französischen Pfarrer und 153 von 160 französischen Bischöfen.301 Die Konsequenzen für die betreffenden Kleriker, die als „refraktäre Priester“ (prêtres réfractaires) gebrandmarkt wurden, waren gravierend.302 In zahlreichen französischen Gemeinden kam es zu Ausschreitungen gegen Pfarrer, die den Verfassungseid verweigerten.303 Eine staatliche Vergütung war ihnen verwehrt.304 Während der Terrorherrschaft der Jakobiner der Jahre 1792 bis 1794 waren sie ein beliebtes Ziel von willkürlicher Verfolgung und Exekution.305 Zahlreiche Kleriker, darunter viele hochrangige Bischöfe, wählten deshalb die Emigration.306 Der Fall der konstitutionellen Monarchie und der Aufstieg radikaler Kräfte im Jahre 1792 gingen mit einem Wandel der staatlichen Politik gegenüber der katholischen Kirche einher.307 Nicht mehr die Einbindung, sondern vielmehr die Marginalisierung des katholischen Klerus wurde zu einem wichtigen Ziel der französischen Religionspolitik. Während der Terrorherrschaft der Jakobiner der Jahre 1792 bis 1794 war ein geregeltes Gemeindeleben der katholischen Kirche in Frankreich deshalb kaum möglich.308 Religiöse Veranstaltungen wurden willkürlich verboten, 296  Titel

I, Artikel 5 des Dekrets über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli

297  Titel

I, Artikel 21 des Dekrets über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli

1790. 1790.

298  Titel II, Artikel 1 bis 3 sowie Artikel 25 des Dekrets über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790. 299  Titel II, Artikel 21, 38 und 40 des Dekrets über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790. 300  Titel III, Artikel 1 bis 5 des Dekrets über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790. 301  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 11. 302  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 11. 303  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 11. 304  Siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 15 f. 305  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 14. 306  Aston, Religion and revolution in France, S. 177. 307  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 14. 308  Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 22.



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die Besoldung des Klerus häufig rechtswidrig ausgesetzt.309 Mehr als 3000 Geistliche wurden willkürlich exekutiert.310 Zahlreiche antikatholische Kulte gewannen in der Politik an Bedeutung, darunter der atheistische Vernunftkult (Culte de la Raison) und der deistische Kult des höchsten Wesens (Culte de l’Être Suprême).311 Diese Kulte erfuhren häufig eine Bevorzugung gegenüber der katholischen Kirche.312 So wurden zahlreiche katholische Sakralgebäude ausschließlich oder teilweise diesen Kulten unter Verdrängung katholischer Gemeinden zur Verfügung gestellt.313 Allerdings konnte sich keiner dieser Kulte längerfristig in Frankreich etablieren.314 Auch nach dem Ende der Terrorherrschaft war die katholische Kirche ein beliebtes Angriffsziel der französischen Politik. Im Jahre 1795 verabschiedete die Nationalversammlung das Dekret über die Religionsausübung vom 21. Februar 1795 (Décret sur l’exercice des cultes du 3 ventôse an III)315, das unter dem „Deckmantel“ religiöser Neutralität den Kampf gegen den Katholizismus fortsetzte.316 Die Garantie der Religionsfreiheit galt nunmehr nur noch für den privaten Bereich. Das Abhalten öffentlicher Prozessionen und Messen317 sowie das Tragen sakraler Kleidungsstücke außerhalb der Kirchen318 wurden untersagt. Die gemeinschaftliche Religionsausübung wurde unter staatliche Überwachung gestellt.319 Die Vergabe staatlicher Gebäude, zu denen auch die im Jahre 1789 enteigneten kirchlichen Sakralgebäude gehörten, an die Religionsgemeinschaften wurde verboten.320 Öffent­ 309  Siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 15 f. Im Jahre 1794 wurde die staatliche Vergütung des Klerus schließlich ganz abgeschafft, siehe vertiefend Portier, L’Etat et les religions en France, S. 41. 310  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 14. 311  Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 22. 312  Vertiefend Portier, L’Etat et les religions en France, S. 40. 313  Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 22. 314  Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 22. 315  Duvergier, Collection complète des lois, S. 25 f. 316  Teilweise wird das Dekret über die Religionsausübung vom 21. Februar 1795 als Vorläufer des Laizismus und der Neutralität des Staates gegenüber den Religionsgemeinschaften interpretiert (so auch Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 16). Das Dekret über die Religionsausübung vom 21. Februar 1795 war jedoch keinesfalls eine Maßnahme zur Verankerung staatlicher religiöser Neutralität, sondern eine Kampfansage an die französischen Religionen und Religionsgemeinschaften. Die Garantie der Religionsfreiheit des Artikels 1 des Dekrets über die Religionsausübung vom 21. Februar 1795 war angesichts der in Artikel 2 bis 8 verfügten Einschränkungen nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. 317  Artikel 4 des Dekrets über die Religionsausübung vom 21. Februar 1795. 318  Artikel 5 des Dekrets über die Religionsausübung vom 21. Februar 1795. 319  Artikel 6 des Dekrets über die Religionsausübung vom 21. Februar 1795. 320  Artikel 8 des Dekrets über die Religionsausübung vom 21. Februar 1795.

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liche Hinweise auf die in einem Gebäude stattfindende Religionsausübung wurden untersagt.321 Ferner sollten alle Verbindungen des Staates zum Katholizismus gekappt werden. So wurde die Vergütung der Kleriker durch den französischen Staat verboten.322 Religiöse Symbole wurden aus allen staat­ lichen Gebäuden entfernt.323 Insgesamt war das Dekret über die Religionsausübung vom 21. Februar 1795 ein eindrückliches Beispiel der Fusion laizistischer und kirchenfeindlicher Maßnahmen. Es bestimmte in der Folge die französische Religionspolitik bis zur Machtübernahme Napoleons.324 Insgesamt bedeutete die Französische Revolution einen grundlegenden Paradigmenwechsel des französischen Religionsverfassungsrechts. War das Ancien Régime noch von einer Partnerschaft und einer gewissen Gleichberechtigung von Staat und Kirche geprägt gewesen, so nahm der französische Staat nach der Französischen Revolution zunehmend die Rolle eines Souveräns gegenüber der französischen katholischen Kirche ein.325 Das Religionsverfassungsrecht war nicht mehr auf Konsens von Staat und Kirche gegründet, sondern vielmehr auf staatlicher Autorität und Entscheidungshoheit. In der Folge wurde das Verhältnis von Staat und Kirche ein wichtiges Politikum, das jede neue französische Regierung entsprechend ihren Vorstellungen zu gestalten suchte. Dieses Erbe wirkte weit über die Französische Revolution hinaus. Besonders in der Dritten Republik kam der Rolle des Religionsverfassungsrechts als Politikum, das zu einem wichtigen Thema der Regierungsarbeit und der Wahlkämpfe wurde, eine große Bedeutung zu. bb) Staat und Kirche Frankreichs unter der Herrschaft Napoleons Die Herrschaft Napoleons326 bedeutete eine Konsolidierung des französischen Religionsverfassungsrechts, das seit der Französischen Revolution unbeständig und in kontinuierlichem Wandel gewesen war. Die politische Dynamik der Herrschaft Napoleons ist hochkomplex. Neben den militärischen Erfolgen stellte die relative politische Stabilität Frankreichs

321  Artikel 7 322  Artikel 2

1795.

323  Artikel 7

des Dekrets über die Religionsausübung vom 21. Februar 1795. und 3 des Dekrets über die Religionsausübung vom 21. Februar

des Dekrets über die Religionsausübung vom 21. Februar 1795. Histoire de la laïcité en France, S. 16. 325  Vertiefend Portier, L’Etat et les religions en France, S. 32 f. 326  Die napoleonische Herrschaft umfasst den Zeitraum der Konsulatsverfassung der Ersten Republik (1799 bis 1804), das Erste Kaiserreich (1804 bis 1814) sowie die Herrschaft der hundert Tage (1815) (vertiefend Miquel, Histoire de la France, S. 294– 320), die aus inhaltlichen Gründen im Folgenden gemeinsam dargestellt werden. 324  Baubérot,



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einen wichtigen Garanten des Machterhalts Napoleons dar.327 Aus diesem Grund kombinierte die Politik Napoleons zahlreiche populäre Traditionen und Errungenschaften der Französischen Revolution mit autoritären und diktatorischen Elementen zur Sicherung der napoleonischen Herrschaft.328 Diese Tendenz war auch in der Religionspolitik und dem Religionsverfassungsrecht von Bedeutung.329 Dadurch kam es zu einer Konsolidierung wichtiger religionsverfassungsrechtlicher Neuerungen der Französischen Revolution, die auch nach dem Ende der Herrschaft Napoleons im französischen Recht Bestand hatten. Dies trifft beispielsweise auf die Garantie der Religionsfreiheit zu, die eine wichtige Errungenschaft der Französischen Revolution darstellte. Bemerkenswert ist insofern der Amtseid des Kaisers der Franzosen, den Artikel 53 der Verfassung vom 18. Mai 1804 (Constitution du 28 floréal An XII) vorsah. Darin verpflichtete sich Napoleon zur Wahrung der Religionsfreiheit und zur Einhaltung des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801, das geeignete Rahmenbedingungen für die katholische Religionsausübung in Frankreich geschaffen hatte.330 Im Gegensatz zur bourbonischen Königsherrschaft wurde damit nicht die Einheit von König und katholischer Kirche, sondern vielmehr die Akzeptanz der Religionsfreiheit zur Grundlage der napoleonischen Monarchie. Dieser Gedanke wurde auch für das unter napoleonischer Herrschaft ausgearbeitete und im Jahre 1804 erlassene Zivilgesetzbuch (Code civil) prägend, das das Konzept des von Religion unabhängigen Staatsbürgertums331 der Französischen Revolution aufgriff und auf das Zivilrecht übertrug.332 Dementsprechend stellte das neue Zivilgesetzbuch (Code civil) einheitliche zivilrechtliche Regelungen unabhängig von der Religionszugehörigkeit für alle Bürger auf.333

327  Boudon,

Napoléon et les cultes, S. 7. Napoléon et les cultes, S. 7. 329  Zum religiösen Pragmatismus Napoleons siehe Boudon, Napoléon et les cultes, S.  39 ff. 330  Dieses Bekenntnis zur Religionsfreiheit im Amtseid eines Monarchen war in Frankreich revolutionär (siehe zum Vergleich den Krönungseid der Könige des Ancien Régime in Kapitel 2, A.I.3. (S. 72 ff.). „Je jure de maintenir l’intégrité du territoire de la République, de respecter et de faire respecter les lois du concordat et la liberté des cultes […].“ (Artikel 53 der Verfassung vom 18. Mai 1804; deutsche Übersetzung des französischen Originaltexts: „Ich schwöre, die Unversehrtheit des Hoheitsgebiets der Republik zu wahren [und] die Gesetze des [im Jahre 1801 mit dem Heiligen Stuhl geschlossenen] Konkordats und die Religionsfreiheit zu respektieren und ihren Respekt durchzusetzen […].“). 331  Rémond, Religion et société en Europe, S. 55. 332  Siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 21 f. 333  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 21. 328  Boudon,

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Ebenso konsolidierte die napoleonische Herrschaft das Prinzip der Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften. Das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 verwehrte dem Katholizismus eine verfassungsrechtliche Sonderstellung und beschränkte sich auf die Feststellung, dass er die „Religion der großen Mehrheit der französischen Bürger“ sei.334 Dieser Passus hatte allerdings keine rechtliche, sondern allein symbolische Bedeutung.335 Gleichzeitig wurden auch im Religionsverfassungsrecht die autoritären Züge der napoleonischen Herrschaft über Frankreich sichtbar. Das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 vermittelte zwar den Eindruck einer Partnerschaft und Gleichberechtigung von französischem Staat und katholischer Kirche.336 In der Tat hatte Napoleon seit seiner Machtübernahme im Jahre 1799 die Aussöhnung mit der katholischen Kirche gesucht, um sie als Verbündete seines politischen Re­ gimes zu gewinnen.337 Gleichzeitig war Napoleon an einer gleichberechtigten Kirche jedoch nur wenig gelegen. In diesem Sinne sollte das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 die französische katholische Kirche ganz unter den Einfluss Napoleons bringen. Aus diesem Grund fanden sich darin zahlreiche Elemente des von der katholischen Kirche so vehement bekämpften Dekrets über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790 wieder.338 Allerdings war die staatliche Kontrolle der Kirche nun nicht länger auf eine demokratische Staatsverfassung, sondern ganz auf die napoleonische Diktatur zugeschnitten. Anstatt einer Wahl der Bischöfe sah das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 nunmehr deren Ernennung allein durch den Ersten Konsul339 Napoleon vor.340 Anstatt einer demokratischen Wahl wur334  „La religion catholique, apostolique et romaine est la religion de la grande majorité des citoyens français.“ (Präambel des Konkordats der Französischen Repu­ blik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801; Übersetzung des französischen Originaltexts: „Die katholische, apostolische und römische Religion ist die Religion der großen Mehrheit der französischen Bürger“). 335  Siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 20. 336  Einen guten Überblick über die Entstehungsgeschichte des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 bietet Boudon, Napoléon et les cultes, S. 55 ff. 337  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 43. 338  Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.); siehe auch Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 20. 339  Das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 wurde auch nach dem Ende der Konsulatsverfassung der Ersten Französischen Republik im Jahre 1804 nicht aktualisiert. In der Verfassungspraxis wurden die Napoleon als Erstem Konsul durch das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 zugesprochenen Rechte bis zum Erlass des



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den die Pfarrer mit Zustimmung der Regierung Napoleons341 von den Bischöfen ernannt.342 Der Verfassungseid wurde durch einen Treueeid gegenüber der Regierung Napoleons ersetzt.343 Durch das Gesetz vom 8. April 1802 über die Organisation der Religionsgemeinschaften (Loi du 18 germinal an X relative à l’organisation des cultes) wurde das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 zusammen mit zwei verfassungsergänzenden Gesetzen (lois organiques) erlassen.344 Die organischen Artikel vom 15. Juli 1801 über die katholische Religionsgemeinschaft (Articles organiques du 26 messidor an IX pour le culte catholique) machten den Herrschaftsanspruch Napoleons über die französische katholische Kirche deutlich. Zusammenkünfte von Bischöfen und Pfarrern, darunter Bischofskonferenzen, wurden untersagt.345 Weitreichende Möglichkeiten der Sanktionierung von Bischöfen und Pfarrern wurden festgeschrieben.346 Den Pfarrern wurde eine Pflicht auferlegt, für das Wohl der Konsuln der Ersten Republik, darunter Napoleon, zu beten.347 Gesetzes über den Laizismus von 1905 durch das jeweilige französische Staatsoberhaupt wahrgenommen. Einzig die verfassungsergänzenden Artikel, die Napoleon durch das Gesetz vom 8. April 1802 über die Organisation der Religionsgemeinschaften erließ und die weiterhin in Elsass-Lothringen Anwendung finden, wurden durch das Dekret no 2001–31 vom 10. Januar 2001 modernisiert. So wird das Recht der Bestätigung der katholischen Priester, das sich Napoleon durch Artikel 19 der organischen Artikel vom 15. Juli 1801 über die katholische Religionsgemeinschaft selbst übertragen hatte, nunmehr durch das französische Innenministerium (für ElsassLothringen) ausgeübt (Art. 1, Abs. I des Dekrets no 2001–31 vom 10. Januar 2001; siehe auch Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 35 f.). 340  Artikel 4 und 5 des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801. 341  Der im Jahre 1802 zusammen mit dem Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 erlassene Artikel 19 der organischen Artikel vom 15. Juli 1801 über die katholische Religionsgemeinschaft übertrug das Recht der Bestätigung der Pfarrer schließlich von der Regierung auf den Ersten Konsul Napoleon. 342  Artikel 10 des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801. 343  Artikel 6 und 7 des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801. 344  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 21. 345  Artikel 4 der organischen Artikel vom 15. Juli 1801 über die katholische Religionsgemeinschaft. 346  Artikel 6 der organischen Artikel vom 15. Juli 1801 über die katholische Religionsgemeinschaft. 347  Artikel 51 der organischen Artikel vom 15. Juli 1801 über die katholische Religionsgemeinschaft; siehe auch Artikel 8 des Konkordats der Französischen Repu­ blik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801.

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Gleichzeitig führten die organischen Artikel über die protestantischen Religionsgemeinschaften (Articles organiques pour les cultes protestants), dem Grundsatz der Gleichbehandlung entsprechend, eine Vergütung evangelischreformierter und evangelisch-lutherischer Pfarrer durch den französischen Staat ein.348 Im Gegenzug wurde die straffe staatliche Kontrolle der katholischen auf die evangelisch-reformierten und evangelisch-lutherischen Gemeinden ausgeweitet.349 Im Jahre 1808 wurde ein vergleichbares System für die französischen jüdischen Gemeinden eingeführt.350 Das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 wurde zu einem wichtigen Instrument der staatlichen Kontrolle der Religionsgemeinschaften, allen voran der katholischen Kirche. Das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 erzwang den Rücktritt oder die Entlassung aller französischen Bischöfe351, woraufhin eine Neubesetzung der vakanten Ämter mit regime­ treuen Geistlichen folgte.352 Die Besetzung und Annexion des Kirchenstaates brachte auch die römische Kurie unter den direkten Einfluss Napoleons.353 Besonders offenkundig wurde der Bruch mit dem partnerschaftlichen Modell des Verhältnisses von Staat und Kirche des Ancien Régime jedoch im Jahre 1804, als sich Napoleon symbolträchtig in Anwesenheit des Papstes Pius VII. selbst zum Kaiser der Franzosen krönte.354 Das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 regelte bis zum Erlass des Gesetzes über den Laizismus von 1905 das Verhältnis von Staat und Kirche in Frankreich.355 Mit Zustimmung 348  Artikel 7 der organischen Artikel über die protestantischen Religionsgemeinschaften. 349  Beispielsweise sah Artikel 10 i. V. m. Artikel 13 der organischen Artikel über die protestantischen Religionsgemeinschaften vor, dass alle französischen protestantischen Pfarrer an einer neu zu schaffenden staatlichen Akademie in Genf studieren mussten. Das Innenministerium übernahm die Ernennung und Entlassung der evangelisch-reformierten und evangelisch-lutherischen Pfarrer (Artikel 25 und 26 sowie Artikel 34 der organischen Artikel über die protestantischen Religionsgemeinschaften). Die Spitzen der französischen evangelisch-lutherischen Kirche wurden von Napoleon ernannt (Artikel 41 der organischen Artikel über die protestantischen Religionsgemeinschaften). 350  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 21. 351  Artikel 3 des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801; siehe dazu Lührs, Napoleons Stellung zu Religion und Kirche, S.  81 f. 352  Einen Überblick über den Auswahlprozess der Bischöfe und die Ernennungen gibt Boudon, Napoléon et les cultes, S. 78 ff. 353  Lührs, Napoleons Stellung zu Religion und Kirche, S. 94 f. 354  Siehe zur Selbstkrönung Napoleons Boudon, Napoléon et les cultes, S. 127 f. 355  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 61.



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der katholischen Kirche institutionalisierte es das durch die Französische Revolution gewandelte Verhältnis von Staat und Kirche. Von der Partnerschaft des Ancien Régime war wenig geblieben, nunmehr verstand der französische Staat sich zunehmend als Souverän gegenüber der katholischen Kirche. cc) Die Religionsverfassung der Restauration und der Juli-Monarchie Die Niederlagen in den Schlachten von Paris und Waterloo in den Jahren 1814 und 1815 läuteten das Ende der napoleonischen Herrschaft und den Beginn der Restauration in Frankreich ein.356 Die Herrschaft der Könige Ludwig XVIII. und Karl X. war von dem Wunsch geprägt, die politische Stabilität Frankreichs unter Anknüpfung an das vorrevolutionäre Königtum, das Ancien Régime, wiederherzustellen.357 Das Gottesgnadentum wurde erneut zur Grundlage und Rechtfertigung königlicher Herrschaft in Frankreich.358 Gleichzeitig wirkten zahlreiche verfassungsrechtliche Normen und Errungenschaften der Französischen Revolution und des Ersten Kaiserreichs fort.359 Diese Ambivalenz wird besonders im Religionsverfassungsrecht deutlich. Die am 4. Juni 1814 von König Ludwig XVIII. erlassene Verfassungscharta (Charte constitutionnelle du 4 juin 1814) garantierte einerseits die Religionsfreiheit360 und die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz361, erklärte andererseits jedoch auch den Katholizismus zur Staatsreligion.362 Die Ver­ gütung der katholischen und protestantischen Geistlichen, die bereits das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801363 vorsah, wurde im Verfassungsrecht verankert.364 Die Stellung des Katholizismus als Staatsreligion hatte bedeutende praktische Folgen. Im Jahre 1828 verweigerte ein Pariser Gericht einem aus dem kirchlichen Dienst ausgeschiedenen katholischen Pfarrer eine bürgerliche Eheschließung, obwohl das französische Familienrecht den Priesterstand 356  Miquel,

Histoire de la France¸ S. 318 ff. L’Etat et les religions en France, S. 65 f. 358  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 66 f. 359  Siehe Portier, L’Etat et les religions en France, S. 66. 360  Artikel 5 der Verfassungscharta vom 4. Juni 1814. 361  Artikel 1 und Artikel 3 der Verfassungscharta vom 4. Juni 1814. 362  Artikel 6 der Verfassungscharta vom 4. Juni 1814. 363  Kapitel 2, A.II.1.a)bb) (S. 80 ff.). 364  Artikel 7 der Verfassungscharta vom 4. Juni 1814; siehe vertiefend zur Verfassungscharta vom 4. Juni 1814 Portier, L’Etat et les religions en France, S. 66 f. 357  Portier,

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nicht als Ehehindernis anerkannte.365 Als Begründung verwies das Gericht auf den in der Verfassungscharta vom 4. Juni 1814 verankerten Status des Katholizismus als Staatsreligion, der eine Berücksichtigung katholischen Kirchenrechts bei der Auslegung französischen Rechts gebiete.366 Auf derselben Grundlage erachtete das Revisionsgericht (Cour de Cassation) im Jahre 1817 Verwaltungsakte, die protestantische Bürger zur Dekoration ihrer Häuser anlässlich katholischer Feiertage zwangen, als rechtskonform.367 Die Juli-Revolution des Jahres 1830 beendete die Stellung des Katholizismus als Staatsreligion. Die Verfassungscharta vom 14. August 1830 des neuen liberalen Königs Louis-Philippe I. beschränkte sich vielmehr ähnlich dem Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 auf die Feststellung, dass der Katholizismus die „Religion der Mehrheit der Franzosen“368 sei.369 Die Garantie der Religionsfreiheit blieb gegenüber der Verfassungscharta vom 4. Juni 1814 unverändert.370 Die Zensur, die der Verbreitung religiöser Ansichten entgegenstand, wurde jedoch aufgehoben.371 Das Scheitern der Restauration und die weitestgehende Kontinuität des Religionsverfassungsrechts der Jahre 1814 bis 1848 mit dem napoleonischen Religionsverfassungsrecht demonstrierten, dass zentrale religionsverfassungsrechtliche Errungenschaften der Französischen Revolution in Frankreich „unumkehrbar“ geworden waren. Die in der Französischen Revolution errungene Religionsfreiheit konnte auch durch die zwei Könige der Restauration, die die Anknüpfung an das Ancien Régime suchten372, nicht abgeschafft werden. Das Ende der Stellung des Katholizismus als Staatsreligion Frankreichs wurde durch die Juli-Monarchie endgültig besiegelt. In dieser Hinsicht stellten die Restauration und die Juli-Monarchie wichtige Phasen der Konsolidierung auf dem Weg zum modernen französischen Religionsverfassungsrecht dar. 365  Saint-Bonnet,

Jus politicum 13, S. 9. Jus politicum 13, S. 9. 367  Saint-Bonnet, Jus politicum 13, S. 13. Diese Rechtsprechung wurde allerdings bereits im Jahre 1819 wieder aufgegeben, Saint-Bonnet, Jus politicum 13, S. 13 f. 368  „La religion catholique, apostolique et romaine [est] professée par la majorité des Français.“ (Artikel 6 der Verfassungscharta vom 14. August 1830; Übersetzung des französischen Originaltexts: „Die katholische, apostolische und römische Religion wird von der Mehrheit der Franzosen praktiziert.“). 369  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 33. 370  Artikel 5 der Verfassungscharta vom 14. August 1830; Artikel 5 der Verfassungscharta vom 4. Juni 1814. 371  Artikel 7 der Verfassungscharta vom 14. August 1830. 372  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 65 f. 366  Saint-Bonnet,



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dd) Religionsfreiheit in der Zweiten Republik und im Zweiten Kaiserreich Trotz der liberaleren Ideologie und einiger Reformen perpetuierte die JuliMonarchie doch viele autoritäre Elemente der Restauration.373 Besonders die Einschränkungen des Wahlrechts, die über 99 % der französischen Bevölkerung von jeder politischen Mitbestimmung ausschlossen, führten zur FebruarRevolution des Jahres 1848, die den König Louis-Philippe I. zur Abdankung zwang.374 Die darauf folgende Anfangszeit der Zweiten Republik war durch tiefgreifende politische Krisen und Instabilität geprägt. Im Juni 1848 erschütterte ein sozialistischer Aufstand Paris, den die Regierung nur mühsam unter Kontrolle bringen konnte.375 Im Dezember 1848 gewann der Neffe Napo­ leons, Louis-Napoleon Bonaparte, die Präsidentschaftswahlen.376 Nach einem Staatsstreich proklamierte er sich im Jahre 1852377 als Napoleon III. zum Kaiser der Franzosen.378 Wichtige Neuerungen brachte die Zweite Republik im Religionsverfassungsrecht. Die herausgehobene Stellung des Katholizismus als „Religion der Mehrheit der Franzosen“379 wurde in der Verfassung vom 4. November 1848 endgültig gestrichen. Die Religionsfreiheit und die Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften wurden weiterhin gewährleistet.380 Die Vergütung der katholischen, protestantischen und jüdischen Geistlichen, die der französische Staat seit dem Ersten Kaiserreich übernommen hatte381, wurde fortgeführt.382 Auch nach der Machtübernahme Napoleons III. wurden Religionsfreiheit und -gleichheit weiterhin verfassungsrechtlich garantiert.383 In religionspolitischer Hinsicht orientierte sich Napoleon III. an der Politik des Ersten Kaiserreichs.384 Katholische und konservative Kräfte stellten eine 373  So wurde der Text der Verfassungscharta vom 4. Juni 1814 mit einigen wichtigen Ausnahmen vor allem im Religionsverfassungsrecht größtenteils wörtlich in die Verfassungscharta vom 14. August 1830 übernommen (vertiefend Portier, L’Etat et les religions en France, S. 74). 374  Mathiex, Histoire de France, S. 80. 375  Mathiex, Histoire de France, S. 81. 376  Mathiex, Histoire de France, S. 81. 377  Artikel 2 des Kaiserlichen Dekrets vom 2. Dezember 1852. 378  Mathiex, Histoire de France, S. 81. 379  Artikel 6 der Verfassungscharta vom 14. August 1830; siehe Kapitel 2, A. II.1.a)cc) (S. 85 f.). 380  Artikel 7 der Verfassung vom 4. November 1848. 381  Kapitel 2, A.II.1.a)bb) (S. 80 ff.). 382  Artikel 7 der Verfassung vom 4. November 1848. 383  Artikel 1 und Artikel 26 Nr. 1 der Verfassung vom 14. Januar 1852. 384  Vertiefend Portier, L’Etat et les religions en France, S. 82 ff.

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wichtige Machtbasis der napoleonischen Herrschaft dar.385 Aus diesem Grund war für Napoleon III. eine wohlwollende Beziehung mit dem Papsttum von besonderer Bedeutung. Ein Aufstand, in dessen Verlauf Revolutionäre in den Jahren 1848 und 1849 die Macht in Rom übernahmen, konnte durch Papst Pius IX. nur dank der militärischen Intervention Napoleons III. niedergeschlagen werden.386 Daneben wurden die staatlichen Bezüge der französischen katholischen, aber auch protestantischen und jüdischen Geistlichen, während der Herrschaft Napoleons III. drastisch angehoben.387 Gleichzeitig baute Napoleon III. seine Macht über die französische katholische Kirche im Rahmen des Rechts der Auswahl und der Kontrolle des Klerus stetig aus.388 Die Zweite Republik und das Zweite Kaiserreich verdeutlichten, dass trotz der Restauration der Jahre 1814 bis 1830 die religionspolitischen Vorstellungen der Französischen Revolution im Frankreich des 19. Jahrhunderts Fuß fassen konnten. Die Verfassung der Zweiten Republik bedeutete einen weiteren Schritt weg vom absolutistischen Modell der Verbundenheit von Staat und Katholizismus389 hin zum modernen Religionsverfassungsrecht. Gleichzeitig nahm unter der Herrschaft Napoleons III. der Einfluss des Staates auf die französische katholische Kirche wieder deutlich zu. Beide Entwicklungen waren wichtige Voraussetzungen der religionsverfassungsrechtlichen Revolution der Dritten Republik. b) Die Trennung von Staat und Kirche unter der Dritten Französischen Republik Die Niederlage und Gefangennahme Napoleons III. in der Schlacht von Sedan im Jahre 1870 besiegelte das Ende des Zweiten Kaiserreichs.390 Unter dem Druck der deutschen Belagerung von Paris und der Besetzung vieler französischer Regionen mussten die politisch Verantwortlichen eine neue Staatsverfassung konzipieren, die die unüberwindbar scheinenden Gegensätze zwischen Republikanern und Monarchisten, aber auch Konservativen und Sozialisten überwand.391 Anders als die neugegründeten Republiken der Portier, L’Etat et les religions en France, S. 82. Staat und Kirche, S. 149. 387  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 83 f. 388  Vertiefend Portier, L’Etat et les religions en France, S. 83 f. 389  Kapitel 2, A.I.3. (S. 72 ff.). 390  Ausführlich Kapitel 1, A. (S. 27  ff.); siehe auch Chastenet, Histoire de la Troisième République Bd. 1, S. 8. 391  Siehe dazu Chastenet, Histoire de la Troisième République Bd. 1, S. 152 f. 385  Siehe

386  Zippelius,



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Jahre 1789 und 1848 konnte sich die Dritte Französische Republik nicht auf ein revolutionäres staatspolitisches Konzept stützen, vielmehr mussten die scheinbar unüberwindbaren Differenzen der politischen Führungspersonen versöhnt werden.392 Gerade die Anfangsjahre der Dritten Französischen Republik waren dementsprechend von verfassungspolitischen Querelen geprägt, die auch das Gebiet der Religionspolitik betrafen (aa)). Die Wahlerfolge der Republikaner gingen dabei mit einer Vielzahl antiklerikaler Gesetze einher (bb)), die letztlich dem Gesetz über den Laizismus von 1905 den Weg ebneten (cc)). Trotz der antilaizistischen Tendenzen des Regimes von Vichy (dd)) sind Laizismus und Religionsfreiheit bis heute zentrale sowie politisch und gesellschaftlich akzeptierte393 Eckpfeiler des französischen Verfassungsrechts (ee)). aa) Instabilität und religionspolitische Spaltung in den Anfangsjahren der Dritten Französischen Republik Der Streit über die Staats- und Regierungsform, der die Anfangsjahre der Dritten Französischen Republik bestimmt hatte394, hatte viele Konservative von der Dritten Französischen Republik entfremdet. Besonders im konservativ-monarchistischen Lager des zwischen 1873 und 1879 herrschenden Präsidenten MacMahon mischte sich die Ablehnung der Demokratie und der Errungenschaften der Französischen Revolution mit einem ultrakonservativen Katholizismus, in dem das Streben nach der Wiederetablierung der katholischen Staatsreligion zum Ausdruck kam.395 Auch andere Errungenschaften der Französischen Revolution und der Dritten Republik, wie die Religionsfreiheit, die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit, regten Widerspruch in konservativ-autoritären Kreisen.396 Als Folge wurde der politische Konflikt um die Staatsform und die Verfassungsordnung Frankreichs zunehmend zu einem ideologischen Konflikt zwischen dem Erbe der Französischen Revolution und dem Katholizismus stilisiert.397 Ähnlich der Französischen Revolution398 wurden Katholizismus, Ultrakonservativismus und Monarchismus auf politischer Ebene von den republikanischen Parteien399, die eine Modernisiedazu Miquel, Histoire de la France, S. 417 ff. Geo. Wash. Int’l L. Rev. 41, 765 (766). 394  Ausführlich Kapitel 1, A. (S. 27 ff.). 395  Siehe Miquel, Histoire de la France, S. 418 ff. 396  Siehe Portier, L’Etat et les religions en France, S. 94 ff. 397  Siehe Picq, Politique et religion, S. 142. 398  Siehe Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.). 399  Siehe Portier, L’Etat et les religions en France, S. 91 und Kapitel 1, A. (S. 27 ff.). 392  Siehe

393  Chelini-Pont,

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rung Frankreichs nach dem Vorbild der Französischen Revolution anstrebten, in zunehmendem Maße als eine einheitliche Ideologie wahrgenommen.400 Diese Wahrnehmung wurde durch die negative Haltung der römischen Kurie zu den Grundwerten der Dritten Republik befeuert. Der Syllabus errorum, Teil der Enzyklika Quanta cura des Papstes Pius IX. des Jahres 1864401, verwarf wichtige Errungenschaften der Französischen Revolution und der Moderne.402 Die Freiheit der Religionswahl403 und der Religionsausübung404, der religiöse Pluralismus405, die Meinungsfreiheit406, die Trennung von Staat und Kirche407, der Widerstand gegen die Monarchie408, Sozialismus und Kommunismus409 sowie Deismus410 wurden als Irrtümer verworfen.411 In deutlich leiseren Tönen kritisierte Leo XIII., der im Jahre 1878 Pius IX. als Papst nachfolgte, das Religionsverfassungsrecht der europäischen Staaten der damaligen Zeit.412 Dennoch forderte auch er in seiner Enzyklika Immortale Dei413 des Jahres 1885 den Katholizismus als Staatsreligion414, weitreichende Beschränkungen der Religions- und Meinungsfreiheit415 sowie einen besonderen Einfluss der katholischen Kirche auf Politik, Gesellschaft, Gesetzgebung und Bildungswesen.416

400  Picq, Politique et religion, S. 142. Dass diese ideologische Verschmelzung von Katholizismus und Ultrakonservativismus nur teilweise der Wirklichkeit entsprach, zeigt die Analyse in Portier, L’Etat et les religions en France, S. 93 ff. 401  Enzyklika Quanta cura (1864), verfügbar unter: https://w2.vatican.va/content/ pius-ix/la/documents/encyclica-quanta-cura–8-decembris–1864.html (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). Eine deutsche Übersetzung des Syllabus errorum findet sich in Michelitsch, Der Syllabus Papst Pius’ IX., S. 11 ff. 402  Zippelius, Staat und Kirche, S. 146. 403  § III, Art. XV des Syllabus errorum der Enzyklika Quanta cura (1864). 404  § X, Art. LXXVIII des Syllabus errorum der Enzyklika Quanta cura (1864). 405  § X, Art. LXXVII des Syllabus errorum der Enzyklika Quanta cura (1864). 406  § X, Art. LXXIX des Syllabus errorum der Enzyklika Quanta cura (1864). 407  § VI, Art. LV des Syllabus errorum der Enzyklika Quanta cura (1864). 408  § VIII, Art. LXIII des Syllabus errorum der Enzyklika Quanta cura (1864). 409  § IV des Syllabus errorum der Enzyklika Quanta cura (1864). 410  § I, Art. II des Syllabus errorum der Enzyklika Quanta cura (1864). 411  Siehe zum Syllabus errorum auch Zippelius, Staat und Kirche, S. 146. 412  Siehe Zippelius, Staat und Kirche, S. 160. 413  Enzyklika Immortale Dei (1885), verfügbar unter: http://w2.vatican.va/content/ leo-xiii/la/encyclicals/documents/hf_l-xiii_enc_01111885_immortale-dei.html (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 414  Abschnitt 3 und 4 der Enzyklika Immortale Dei (1885). 415  Abschnitt 15 der Enzyklika Immortale Dei (1885). 416  Siehe Zippelius, Staat und Kirche, S. 163.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg91 „Ecclesiam vero, quam Deus ipse constituit, ab actione vitae excludere, a legibus, ab institutione adolescentium, a societate domestica, magnus et perniciosus est error.“417 „Es ist ein großer und vernichtender Irrtum, die Kirche, die Gott selbst geschaffen hat, aus dem öffentlichen Leben, aus den Gesetzen, aus der Bildung der Heranwachsenden und aus der Gesellschaft auszuschließen.“418

Auch fast ein Jahrhundert nach der Französischen Revolution hatte sich damit an der päpstlichen Ablehnung der Errungenschaften der Französischen Revolution419 wenig geändert. Dies soll jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass zahlreiche Katholiken die politischen Werte und Institutionen der Dritten Republik unterstützten und mittrugen.420 So wurden der katholische Politiker Charles de Montalembert und der katholische Bischof Félix Dupanloup zu wichtigen Vordenkern einer Theologie, die Laizismus und Religionsfreiheit befürwortete.421 Dennoch verschmolzen in den Köpfen vieler republikanischer Politiker der politische Katholizismus und der politische Kampf der Monarchisten und Ultrakonservativen gegen die Dritte Französische Republik zunehmend.422 Die Beschränkung des Einflusses der katholischen Kirche in Frankreich wurde in der Folge zu einem wichtigen Ziel republikanischer Politik während der Dritten Republik.423 Der Konflikt über die Staats- und Regierungsform, der die ersten Jahre der Dritten Republik bestimmt hatte, hatte sich dadurch zunehmend zu einem religionspolitischen Konflikt gewandelt. Viele Anhänger der Monarchie, die zu Beginn der Dritten Republik die Mehrheit gestellt hatten, fanden sich zunehmend in einer mächtigen und politisch aktiven Minderheit wieder.424 Die Wahlerfolge der republikanischen Parteien nährten die Unzufriedenheit der Monarchisten mit der Dritten Republik. Die Konflikte von radikal-repu-

417  Abschnitt

15 der Enzyklika Immortale Dei (1885). des lateinischen Originaltexts aus Abschnitt 15 der Enzyklika Immortale Dei (1885). 419  Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S.  75 ff.) und Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 11. 420  Vertiefend Portier, L’Etat et les religions en France, S. 93. 421  Portier, ASSR 129, 117 (Rz. 5); siehe auch Picq, La liberté de religion dans la République, S. 38. 422  Picq, Politique et religion, S. 142. 423  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 91 und Picq, Politique et religion, S. 142. 424  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 91 ff. 418  Übersetzung

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

blikanischen Regierungen und römischer Kurie verstärkten die religionspolitische Spaltung Frankreichs zunehmend. bb) Antiklerikale Gesetze vor 1905 In diesem politischen Konflikt nahm das Religionsverfassungsrecht eine zentrale Stellung ein. Durch ihre Wahlsiege bestärkt, verstärkten die republikanischen Parteien ihre Politik der Zurückdrängung der katholischen Kirche in Frankreich. Zwei wichtige Reformen führten zum Konflikt mit der römischen Kurie. Einerseits trieb die französische Regierung auf Initiative des Bildungsministers Jules Ferry ab dem Jahre 1879 die Beschneidung des kirchlichen Einflusses im Schulwesen voran (1).425 Andererseits wurden ab dem Jahre 1901 sukzessive nahezu alle katholischen Ordensgemeinschaften in Frankreich verboten (2). (1) Beschneidung des kirchlichen Einflusses im französischen Schulwesen Im Zentrum des Konflikts zwischen französischer Regierung und katholischer Kirche stand vorrangig das Grundschulwesen. Die wenigen weiterführenden Schulen und besonders Hochschulen, die nur einer kleinen gesellschaftlichen Elite vorbehalten waren, verfügten über größere Autonomie und Unabhängigkeit gegenüber der katholischen Kirche.426 Die kirchliche Kon­ trolle beschränkte sich deshalb vorrangig auf das Grundschulwesen, das für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung den einzigen Kontakt mit dem Bildungssystem darstellte.427 Noch in den Anfangsjahren der Dritten Französischen Republik lag das Grundschulwesen größtenteils in den Händen der katholischen Kirche.428 Dies bedeutete einerseits eine wirtschaftliche und finanzielle Entlastung für den französischen Staat.429 Andererseits ging die Abwesenheit öffentlicher 425  Baubérot, 426  Siehe

Histoire de la laïcité en France, S. 40. Troger/Ruano-Borbalan, Histoire du système éducatif¸ S. 60  f. und

S.  96 f. 427  Troger/Ruano-Borbalan, Histoire du système éducatif¸ S. 19 f.; siehe auch Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 46. 428  Troger/Ruano-Borbalan, Histoire du système éducatif¸ S.  20 und Portier, L’Etat et les religions en France, S. 97 f.; siehe auch Piettre, Transversalités 115, 27 (31). 429  So besuchte noch im Jahre 1878 fast die Hälfte der französischen Schüler eine kirchliche Schule. Den französischen Gemeinden oblag zwar die Pflicht zur Schaffung von Grundschulen, allerdings war eine Erfüllung dieser Verpflichtung durch die Schaffung kirchlicher Privatschulen möglich (Portier, L’Etat et les religions en France, S. 96 und S. 98).



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg93

Schulen auch mit großem Einfluss der katholischen Kirche Frankreichs in den Bereichen Bildung und Erziehung, aber auch Politik und Gesellschaft einher.430 Staatliche Einflussnahmen auf das Bildungswesen waren vor der Dritten Republik relativ selten gewesen, vor allem die Aufsicht und Verwaltung des Grundschulwesens lagen fest in den Händen der katholischen Kirche.431 Unter der Juli-Monarchie432 hatte die konservative Regierung die Einrichtung öffentlicher Grundschulen in allen größeren Gemeinden Frankreichs verfügt.433 Die Aufsicht über die öffentlichen Schulen wurde jedoch den lokalen Geistlichen übertragen434, die seit einer Gesetzesreform des Jahres 1850 sogar die Entlassung des Lehrpersonals durchsetzen konnten.435 Das öffentliche Schulwesen wurde dadurch weniger zu einer Alternative als viel mehr zu einer Ergänzung der konfessionellen katholischen Schulen. Besonders die konservativen Politiker der Dritten Republik strebten eine Erhaltung dieser Vormachtstellung der katholischen Kirche im Bildungswesen an. Das Monopol staatlicher Universitäten, die keiner kirchlichen Aufsicht unterlagen, war ihnen ein Dorn im Auge.436 Aus diesem Grund erlaubte das Gesetz vom 12. Juli 1875 über die Lehrfreiheit im höheren Bildungswesen437 die Eröffnung privater und kirchlicher Hochschulen.438 Deren Absolventen konnten am Ende ihres Studiums auch staatliche Hochschul­ abschlüsse erwerben, indem sie erfolgreich eine Abschlussprüfung entweder vor staatlichen Prüfungsausschüssen oder vor paritätisch aus Professoren staatlicher und privater Hochschulen zusammengesetzten Prüfungskommissionen ablegten.439 Damit war das Monopol der von der katholischen Kirche Picq, Politique et religion, S. 142. Histoire de la laïcité en France, S. 35. 432  Siehe Kapitel 2, A.II.1.a)cc) (S. 85 f.). 433  Gesetz über das Grundschulwesen (Loi Guizot) vom 28. Juni 1833; Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 33. 434  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 33. 435  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 35; siehe ausführlich Hirsch, Combats pour l’école laïque, S. 60 f. 436  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 98. 437  Loi du 12 juillet 1875 relative à la liberté de l’enseignement supérieur, verfügbar unter: https://www.education.gouv.fr/cid101216/loi-relative-a-la-liberte-de-l-en seignement-superieur-du–12-juillet–1875.html (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 438  Artikel 2 des Gesetzes vom 12. Juli 1875 über die Lehrfreiheit im höheren Bildungswesen; siehe auch Portier, L’Etat et les religions en France, S. 98. 439  Artikel 13 und 14 des Gesetzes vom 12. Juli 1875 über die Lehrfreiheit im höheren Bildungswesen. Die Möglichkeit des Erwerbs staatlicher Hochschulabschlüsse durch eine Prüfung vor den paritätisch besetzten Prüfungskommissionen wurde unter Federführung Jules Ferrys wieder abgeschafft, siehe Artikel 1 und 5 des 430  Siehe

431  Baubérot,

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

weitestgehend unabhängigen staatlichen Universitäten in Frankreich gebrochen.440 Die zunehmenden Wahlerfolge der Republikaner veränderten die Situation grundlegend. Im Jahre 1879 wurde Jules Ferry zum Bildungsminister ernannt, dessen erklärtes Ziel die Errichtung eines Schulwesens ohne kirch­ lichen Einfluss war.441 Im Jahre 1880 wurde das erst fünf Jahre zuvor eingeführte Recht der Gründung und des Betriebs privater und kirchlicher Hochschulen faktisch ausgehöhlt442 und der Religionsunterricht an allen weiterführenden Schulen zum Wahlfach degradiert443. Im Jahre 1881 folgten die Einführung der Kostenfreiheit des öffentlichen Schulwesens444 und die Festsetzung verpflichtender einheitlicher Qualifikationsanforderungen an die Lehrer des kirchlichen und öffentlichen Grundschulwesens.445 Im Jahre 1882 wurde die Entfernung aller religiösen Symbole aus den öffentlichen Schulen verfügt.446 Das wichtigste schulpolitische Erbe Ferrys war jedoch das Gesetz vom 28. März 1882 über das verpflichtende Grundschulwesen, das die SchulGesetzes vom 18. März 1880 über die Lehrfreiheit im höheren Bildungswesen, verfügbar unter: http://www.senat.fr/evenement/archives/D42/mars1880.pdf (zuletzt abgerufen am 6. September 2019); siehe auch Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 40. 440  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 40. 441  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 40 f.; siehe auch Portier, Eglise et politique en France au XXe siècle, S. 14. 442  So wurde den kirchlichen und privaten Hochschulen die Führung des Titels „Universität“ untersagt (Artikel 4 des Gesetzes vom 18. März 1880 über die Lehrfreiheit im höheren Bildungswesen), ebenso die Vergabe der Grade Abitur, Diplom oder Doktorat (Artikel 4 des Gesetzes vom 18. März 1880 über die Lehrfreiheit im höheren Bildungswesen). Die Anerkennung kirchlicher und privater Hochschulen als gemeinnützige Einrichtungen wurde faktisch aufgehoben (Artikel 7 des Gesetzes vom 18. März 1880 über die Lehrfreiheit im höheren Bildungswesen). Gleichzeitig wurden die privaten und kirchlichen Hochschulen durch die Einführung der Gebührenfreiheit der staatlichen Hochschulen gänzlich unattraktiv (Artikel 3 des Gesetzes vom 18. März 1880 über die Lehrfreiheit im höheren Bildungswesen). 443  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 41; siehe auch Artikel 4 und 5 des Gesetzes vom 21. Dezember 1880 über die Mädchensekundarschulen, verfügbar unter: http://www.senat.fr/evenement/ archives/D42/dec1880.pdf (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 444  Artikel 1 des Gesetzes vom 16. Juni 1881 zur Einführung der absoluten Kostenfreiheit der Grundschulbildung in den öffentlichen Schulen, verfügbar unter: http:// www.senat.fr/evenement/ archives/D42/juin1881.pdf (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 445  Artikel 1 des Gesetzes vom 16. Juni 1881 über die akademischen Qualifikationen im Grundschulwesen. 446  Darcos, L’Etat et les Eglises, S. 225; Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 46.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg95

pflicht bis zum dreizehnten Lebensjahr in ganz Frankreich einführte.447 Der Religionsunterricht wurde an allen öffentlichen Grundschulen als Pflichtund Wahlfach abgeschafft.448 An privaten konfessionellen Schulen durfte Religionsunterricht nurmehr als Wahlfach angeboten werden.449 Die kirch­ liche Schulaufsicht im öffentlichen Bildungssystem wurde aufgehoben450 und durch eine staatliche Schulaufsicht ersetzt451. Gerade wegen der besonderen Reichweite der schulpolitischen Reformen strebte Jules Ferry jedoch eine möglichst konfliktarme Umsetzung an.452 Eine pragmatische, versöhnliche Reform sollte Grundlage einer langfristigen politischen und gesellschaftlichen Akzeptanz der Trennung von Staat und Kirche im Schulwesen werden.453 Aus diesem Grund wurde die Entfernung der Kruzifixe in Regionen ausgesetzt, in denen Konflikte mit der Bevölkerung wahrscheinlich gewesen wären.454 Das Gesetz über das verpflichtende Grundschulwesen gewährte jedem Schüler einer öffentlichen Schule einen freien Tag zusätzlich zum Sonntag pro Woche, um einen außerschulischen Religionsunterricht zu ermöglichen.455 Das konfessionelle Privatschulwesen, das Ferry relativ unangetastet ließ, wurde durch das Gesetz vom 30. Oktober 1886 über die Organisation des Grundschulwesens gewährleistet.456 In der Folge blieb die Beschränkung des kirchlichen Einflusses im französischen Schulwesen lückenhaft. Zwar war der kirchliche Einfluss im öffentlichen Bildungssystem weitestgehend verschwunden, doch blieb er im konfessionellen Privatschulwesen erhalten, das trotz der Kostenfreiheit des öf447  Artikel 4 des Gesetzes vom 28. März 1882 über das verpflichtende Grundschulwesen. 448  Artikel 1 und 2 des Gesetzes vom 28. März 1882 über das verpflichtende Grundschulwesen. 449  Artikel 2 des Gesetzes vom 28. März 1882 über das verpflichtende Grundschulwesen. 450  Artikel 3 des Gesetzes vom 28. März 1882 über das verpflichtende Grundschulwesen. 451  Artikel 5 des Gesetzes vom 28. März 1882 über das verpflichtende Grundschulwesen; siehe auch das Gesetz vom 30. Oktober 1886 über die Organisation des Grundschulwesens. 452  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 43. 453  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 48 f. 454  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 46 f.; siehe ergänzend auch die diesbezügliche Dienstanweisung an die Präfekten (préfets) vom 2. November 1882, in: Forestal/Bouchet (Hrsg.), La laïcité par les textes – Tome II, S. 102 ff. 455  Artikel 2 des Gesetzes vom 28. März 1882 über das verpflichtende Grundschulwesen; siehe auch Troger/Ruano-Borbalan, Histoire du système éducatif, S. 21 und Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 43. 456  Artikel 1, 2 und 35 des Gesetzes vom 30. Oktober 1886 über die Organisation des Grundschulwesens.

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

fentlichen Schulwesens bildungspolitisch von großer Bedeutung blieb.457 Ein Verbot privater Schulen, das manche radikale Laizisten gefordert hatten, erschien Ferry jedoch als politisch undurchsetzbar.458 Stattdessen begnügten sich die Reformen Ferrys damit, weitestgehend gleiche pädagogische Standards des öffentlichen und des privaten Schulwesens einzufordern.459 Die Schulreformen Ferrys wurden dadurch zu einem Musterbeispiel eines versöhnlichen Laizismus, der prägend für das Gesetz über den Laizismus von 1905 wurde. (2) V  erbot der Ordensgemeinschaften in Frankreich in der Folge des Gesetzes vom 1. Juli 1901 über den Vereinsvertrag Die Erfolge der Reform des Schulwesens ermutigten die republikanischen Regierungen der Jahrhundertwende, einen weiteren Schritt in Richtung Säkularisierung des französischen Staates und der französischen Gesellschaft in Angriff zu nehmen. Bis zum Jahre 1904 wurde vor allem auf Initiative des Regierungschefs Émile Combes, der ein unversöhnlicher und radikaler Verfechter der Trennung von Staat und Kirche war, die große Mehrheit der französischen Ordensgemeinschaften verboten und aufgelöst.460 Die Wurzeln der französischen Ordensgemeinschaften reichen bis in das frühe Mittelalter zurück.461 Zahlreiche Ordensgemeinschaften waren nicht nur in der Missionsarbeit und Religionsverkündung, sondern auch im Bildungswesen, in der Krankenpflege und im karitativ-sozialen Bereich tätig.462 Dennoch fürchteten viele französische Politiker den politischen und gesellschaftlichen Einfluss der Ordensgemeinschaften, die lange Zeit das französische Schulwesen dominierten,463 wie eine Rede des radikalen Republikaners Ferdinand Buisson aus dem Jahre 1887 verdeutlichte. „Mais quoi de plus inévitable aussi et de plus facile à prévoir que l’invasion progressive des abus, accompagnant un énorme accroissement de richesse et de pou-

457  Baubérot,

Histoire de la laïcité en France, S. 64 f. L’Etat et les religions en France, S. 107 f.; siehe auch Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 67. 459  Artikel 1 des Gesetzes vom 16. Juni 1881 über die akademischen Qualifikationen im Grundschulwesen. 460  Einen guten Überblick über die Biografie und die Politik Émile Combes’ bietet Portier, L’Etat et les religions en France, S. 126 ff. 461  Einen guten Überblick über die Geschichte der französischen Ordensgemeinschaften bietet Hasquenoph, Histoire des ordres et congrégations religieuses, S. 179 ff. 462  Durand, in: Durand (Hrsg.), Les congrégations et l’État, S. 11. 463  Vertiefend Durand, in: Durand (Hrsg.), Les congrégations et l’État, S. 11. 458  Portier,



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg97 voir qui, au bout de quelques siècles de ce régime, devait faire des ordres et des monastères de toute sorte non plus les serviteurs, mais les maîtres du pays?“464 „Aber was wäre unvermeidbarer und einfacher vorherzusehen gewesen als das schrittweise Einschleichen der Missbräuche, begleitet von einer enormen Steigerung des Reichtums und der Macht, die nach einigen Jahrhunderten [der Kontrolle des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystems] aus den Ordensgemeinschaften und Klöstern nicht mehr die Diener, sondern die Herren unseres Landes machen musste?“465

Dies erklärt die bewegte Geschichte der französischen Ordensgemeinschaften seit der Französischen Revolution. Bereits kurze Zeit nach dem Beginn der Revolution folgte in den Jahren 1790 bis 1792 die Auflösung aller französischen Ordensgemeinschaften.466 Die Verfassung vom 3. September 1791 erklärte alle Ordensgelübde für nichtig467, die Mitgliedschaft in einer ausländischen Ordensgemeinschaft wurde untersagt und mit dem Verlust der französischen Staatsbürgerschaft sanktioniert.468 Erst unter der ­Herrschaft Napoleons wurde die Neu- und Wiedergründung von Ordensgemeinschaften in Frankreich wieder möglich.469 Die Folge war ein rasanter Wiederaufschwung des Ordenslebens in Frankreich im Verlauf des 19. Jahrhunderts.470 Zwar waren Ordensgemeinschaften grundsätzlich genehmigungspflichtig, doch wurden nicht-genehmigte Ordensgemeinschaften vor dem Jahre 1880 weitestgehend politisch und juristisch geduldet.471 Ähnlich der Zeit der Französischen Revolution wurden die Ordensgemeinschaften auch während der Dritten Republik ein beliebtes Ziel politischer und rechtlicher Zwangsmaßnahmen. Im Jahre 1880 wurde die Ordensge-

464  Rede Ferdinand Buissons anlässlich der Eröffnung der Schule von Fontenay-le-Comte, zitiert nach Hayat, Ferdinand Buisson, S. 95. 465  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Hayat, Ferdinand Buisson, S. 95. 466  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 10; Portier, L’Etat et les religions en France, S. 34 und S. 36; siehe auch Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.). 467  Die diesbezügliche, pathetische Formulierung der Präambel der Verfassung vom 3. September 1791 verdeutlicht die Haltung der Revolutionäre zu den Ordensgemeinschaften: „La loi ne reconnaît plus ni vœux religieux, ni aucun autre engagement qui serait contraire aux droits naturels ou à la Constitution.“ (Übersetzung des französischen Originaltexts: „Das Gesetz erkennt fortan weder Ordensgelübde, noch irgendeine andere Verpflichtung an, die gegen die natürlichen Rechte oder gegen die Verfassung verstößt.“). 468  Artikel 6, Nr. 4 der Verfassung vom 3. September 1791. 469  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 62. 470  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 95. 471  Basdevant-Gaudemet, in: Robbers (Hrsg.), Etat et Eglises dans l’Union européenne, S. 174; Durand, in: Durand (Hrsg.), Les congrégations et l’État, S. 13.

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Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

meinschaft der Jesuiten aufgelöst.472 Weiterhin wurden alle nicht-genehmigten Ordensgemeinschaften, die zuvor geduldet worden waren, nach Ablauf einer Gnadenfrist von drei Monaten ebenfalls aufgelöst.473 Die Folge war die Schließung von 271 Ordensschulen474, darunter 30 weiterführende Schulen der Jesuiten475. Besonders rabiat gingen jedoch die republikanischen Regierungen ab dem Jahre 1899 gegen die Ordensgemeinschaften vor.476 Das Gesetz vom 1. Juli 1901 über den Vereinsvertrag gewährte Vereinen grundsätzlich Versammlungsfreiheit.477 Davon ausgenommen waren allerdings die Ordensgemeinschaften, die weiterhin der staatlichen Genehmigungspflicht unterlagen.478 Ebenso waren alle Ordensschulen genehmigungspflichtig.479 Den nicht-genehmigten Ordensgemeinschaften wurde der Betrieb von Schulen untersagt.480 Die Mitgliedschaft in einer nicht-genehmigten Ordensgemeinschaft wurde als Ordnungswidrigkeit geahndet481, der Betrieb einer nicht-genehmigten Ordensschule ab dem Jahre 1902 als Straftat482. Auf dieser Grundlage ging die im Jahre 1902 neu gewählte radikal-repu­ blikanische Regierung Émile Combes’ gegen die Ordensgemeinschaften vor.483 Der überwältigenden Mehrheit der Ordensgemeinschaften wurde eine Genehmigung verwehrt, deren Auflösung war die Folge.484 Mehr als 10.000 Ordensschulen wurden in den Jahren 1902 und 1903 geschlossen.485 Die Schließung aller verbliebenen französischen Ordensschulen nach Ablauf einer Frist von zehn Jahren wurde schließlich im Jahre 1904 angeordnet.486 472  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 41; Portier, L’Etat et les religions en France, S. 107; Portier, Eglise et politique en France au XXe siècle, S. 21. 473  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 107; Portier, Eglise et politique en France au XXe siècle, S. 21. 474  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 41.  475  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 107. 476  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 61 f. und S. 64 ff. 477  Artikel 2 des Gesetzes vom 1. Juli 1901 über den Vereinsvertrag; Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 65. 478  Artikel 13 und 16 des Gesetzes vom 1. Juli 1901 über den Vereinsvertrag; Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 65. 479  Artikel 13 des Gesetzes vom 1. Juli 1901 über den Vereinsvertrag; siehe Portier, L’Etat et les religions en France, S. 128. 480  Artikel 14 des Gesetzes vom 1. Juli 1901 über den Vereinsvertrag. 481  Artikel 16 i. V. m. Artikel 8 des Gesetzes vom 1. Juli 1901 über den Vereinsvertrag. 482  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 128. 483  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 65. 484  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 127. 485  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 66.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg99

Das Vorgehen der französischen Regierung gegen Ordensschulen und Ordensgemeinschaften führte zur Eskalation des Konflikts mit der römischen Kurie. Im Juli 1904 brach die französische Regierung schließlich nach mehreren diplomatischen Zwischenfällen die diplomatischen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl ab.487 Der nun offene Konflikt mit der römischen Kurie bot der französischen Regierung die Gelegenheit einer tiefgreifenden Reform des Verhältnisses von Staat und Kirche. cc) Die Debatte um das Gesetz über den Laizismus von 1905 Unter heftigem Protest des Papstes Pius X.488 verabschiedete das französische Parlament in der Folge das Gesetz über den Laizismus von 1905, das gleichzeitig ein Symbol des Bruchs mit der römischen Kurie und ein Zeichen der Versöhnlichkeit489 war. Aus diesem Grund waren die normativen Vorgaben des Gesetzes über den Laizismus von 1905 (1) höchst kontrovers und wurden heftig diskutiert (2). Seine Konsequenzen waren einerseits für das politische und religiöse Leben Frankreichs im Allgemeinen (3) und andererseits für das Schulwesen im Besonderen (4) von großer Bedeutung. (1) Gesetzliche Vorgaben und Ausnahmen Das Gesetz über den Laizismus von 1905 stellte den Höhepunkt einer langen Folge von Gesetzen zur Neuordnung der Stellung der katholischen Kirche innerhalb des französischen Staates und der französischen Gesellschaft dar. In diesem Sinne hob das Gesetz über den Laizismus von 1905 das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 sowie alle ergänzenden Regelungen auf.490 Damit war die Grundlage der staatlichen Anerkennung des Katholizismus, des Protestantismus und des Judentums sowie der staatlichen Besoldung der betreffenden Geistlichen entfallen.491 Alle Religionsgemeinschaften konnten nur noch als privatrecht486  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 66; Portier, L’Etat et les religions en France, S. 128. 487  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 129 f. 488  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 147. 489  So im Ergebnis auch Baubérot, Revue du MAUSS 43, 191 (199 ff.). 490  Artikel 44 des Gesetzes über den Laizismus von 1905. 491  Siehe auch Artikel 2 des Gesetzes über den Laizismus von 1905.

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liche Vereinigungen konstituiert werden.492 Dem Staat wurde die Anbringung religiöser Symbole an staatlichen Gebäuden493 und die Finanzierung oder die Privilegierung von Religionsgemeinschaften untersagt494. Die Übernahme der Kosten der Seelsorge in Schulen, Krankenhäusern und Gefängnissen wurde dem Staat jedoch weiterhin gestattet.495 Das Gesetz über den Laizismus von 1905 bedeutete jedoch keineswegs einen Abbruch aller staatlichen Beziehungen zu den Religionsgemeinschaften. Ein Ziel des Gesetzes über den Laizismus war die Gewährleistung geeigneter organisatorischer und finanzieller Rahmenbedingungen, die eine Verwirklichung des Menschenrechts der Religionsfreiheit und insbesondere der freien Religionsausübung496 ermöglichen sollten.497 Eine zentrale Rolle kam dabei den Glaubensvereinigungen (associations cultuelles) zu, die als bilanzpflichtige498 privatrechtliche Vereine zur Finanzierung der religiösen Praxis beitragen sollten.499 Die Glaubensvereinigungen, denen ein Zusammenschluss zu landesweiten Verbänden gestattet war500, sollten als wesentliches Organisationselement der kollektiven Religionsausübung in Frankreich fungieren. Die kirchlichen Sakralgegenstände und das kirchliche Vermögen wurden ihnen nach einer Inventarisierung anvertraut.501 Ferner wurde den Glaubensvereinigungen ein kostenfreies Nutzungsrecht der größtenteils während der Französischen Revolution enteigneten502 staatlichen Sakralgebäude zugestanden.503 Heftige Debatten entzündeten sich jedoch an der in einem Nebensatz des Artikels 4 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 verborgenen Regelung, die die Übernahme des kirchlichen Vermögens und damit verbunden die Nutzung kirchlicher Sakralgebäude nur denjenigen Glaubensvereinigungen gestattete, die sich den jeweiligen kirchlichen Organisationsstrukturen unter-

492  Artikel 18

des Gesetzes über den Laizismus von 1905. des Gesetzes über den Laizismus von 1905. 494  Artikel 2 des Gesetzes über den Laizismus von 1905. 495  Artikel 2 des Gesetzes über den Laizismus von 1905; siehe auch BasdevantGaudemet, in: Robbers (Hrsg.), Etat et Eglises dans l’Union européenne, S. 189 ff. 496  Artikel 1 des Gesetzes über den Laizismus von 1905. 497  Siehe Kapitel 2, A.I.1.a)aa) (S. 41 ff.); siehe ergänzend auch Baubérot, Revue du MAUSS 43, 191 (199 ff.). 498  Artikel 21 des Gesetzes über den Laizismus von 1905. 499  Artikel 18 des Gesetzes über den Laizismus von 1905. 500  Artikel 20 des Gesetzes über den Laizismus von 1905. 501  Artikel 3 und 4 sowie Artikel 6 des Gesetzes über den Laizismus von 1905. 502  Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.). 503  Artikel 12 und 13 des Gesetzes über den Laizismus von 1905. 493  Artikel 28



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warfen.504 Dadurch sollte vor allem der katholischen Kirche eine gewisse Kontrolle der sie vertretenden Glaubensvereinigungen eingeräumt werden.505 Territorial war das Gesetz über den Laizismus von 1905 zunächst nur in Frankreich, nicht jedoch in den französischen Kolonien anwendbar.506 Artikel 43 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 sah jedoch die Möglichkeit einer Ausweitung der laizistischen Religionsverfassung auf Algerien und die französischen Kolonien vor.507 Eine einheitliche Regelung für alle französischen Kolonien unterblieb jedoch, vielmehr bestimmten sowohl politische Überlegungen als auch die Wünsche der lokalen Bevölkerung die Anwendung des Gesetzes über den Laizismus von 1905 in den Kolonien.508 Durch ein Dekret vom 6. Februar 1911 wurden die Regelungen des Gesetzes über den Laizismus von 1905 nahezu wortgleich für La Réunion, Martinique und Guadeloupe übernommen.509 Auf die französischen Kolonien in Afrika, mit Ausnahme Madagaskars und Algeriens, fand das Gesetz über den Laizismus von 1905 jedoch keine Anwendung.510 In Algerien waren zwar Christentum und Judentum weitestgehend vom Staat unabhängig, nicht jedoch der Islam, der bis zur Unabhängigkeit Algeriens im Jahre 1962 der französischen

504  „[…] les biens mobiliers et immobiliers des menses, fabriques, conseils presbytéraux, consistoires et autres établissements publics du culte seront […] transférés […] aux associations qui, en se conformant aux règles d’organisation générale du culte dont elles se proposent d’assurer l’exercice, se seront légalement formées […].“ (Artikel 4 des Gesetzes über den Laizismus von 1905; deutsche Übersetzung des französischen Originaltexts: „Das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Mensen, Kirchenfabriken, Gemeinderäte, Konsistorien und anderen öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften wird […] denjenigen Vereinigungen übertragen […], die entsprechend der Rechtsvorschriften gebildet wurden und die allgemeinen Organisationsregeln der Religionsgemeinschaft befolgen, deren [Religions]ausübung sie sicherzustellen beanspruchen.“). Die Vergabe der Sakralgebäude wurde in Artikel 13 geregelt: „Les édifices servant à l’exercice public du culte, ainsi que les objets mobiliers les garnissant, seront laissés gratuitement à la disposition […] des associations […] auxquelles les biens […] auront été attribués.“ (Artikel 13 des Gesetzes über den Laizismus von 1905; deutsche Übersetzung des französischen Originaltexts: „Die Gebäude, die der öffentlichen Religionsausübung dienen, sowie die dazugehörige bewegliche Ausstattung werden kostenfrei denjenigen Vereinigungen […] überlassen […], denen das [kirchliche] Vermögen […] übertragen worden ist.“); siehe auch Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 76 f. 505  Siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 81. 506  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 143. 507  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 84. 508  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 84; zur Geschichte des Artikels 43 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 siehe auch Baubérot, L’intégrisme républicain contre la laïcité, S. 55 ff. 509  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 158. 510  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 84 f.

102 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

staatlichen Aufsicht und Kontrolle unterstand, die die französische Kolonialherrschaft absichern sollte.511 Auch in den zwischen 1871 und 1918 von Deutschland annektierten Verwaltungsbezirken Elsass-Lothringens fand und findet das Gesetz über den Laizismus von 1905 keine Anwendung.512 Als Ganzes normierte das Gesetz über den Laizismus von 1905 die strenge Trennung von Staat und Kirche. Einerseits löste die privatrechtliche Konstitution aller Religionsgemeinschaften die unter dem Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801513 praktizierte rechtliche Sonderstellung einzelner Konfessionen und Religionen ab. Ausdruck des Laizismus war vielmehr die staatliche Neutralität gegenüber allen Religionsgemeinschaften. Gleichzeitig bedeutete diese Neutralität auch eine Anerkennung der Selbstverwaltung der Religionsgemeinschaften. Zwar kam den Laien eine besondere Stellung im Rahmen der Glaubensvereinigungen zu, doch unterwarf Artikel 4 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 diese den religiösen Organisationsstrukturen der von ihnen vertretenen Religionsgemeinschaft. Dadurch sollte eine Vereinbarkeit mit Kirchenrecht und Organisationsstruktur der katholischen Kirche sichergestellt werden.514 Den Religionsgemeinschaften wurde insofern eine Fortführung ihrer Aufgaben ohne inhaltliche Vorgaben von Seiten des Staates ermöglicht.515 Auf dieser Grundlage sollte eine spätere Versöhnung von französischem Staat und katholischer Kirche möglich sein. (2) Die Beratungen über das Gesetz über den Laizismus von 1905 Angesichts der heftigen Proteste der katholischen Kirche in der Folge des Erlasses des Gesetzes über den Laizismus von 1905 wird ein Hauptziel der verabschiedeten laizistischen Religionsverfassung leicht übersehen. Viele Politiker und Bürger sahen in der angestrebten Trennung von Staat und Kirche auch ein Mittel zur Beilegung der seit den laizistischen Schulreformen 511  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 160; Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 84. 512  Siehe Einführung (S. 2). 513  Kapitel 2, A.II.1.a)bb) (S. 80 ff.). 514  Siehe auch Baubérot, Revue du MAUSS 43, 191 (200). 515  Die durch das Gesetz über den Laizismus von 1905 eingeführte kirchliche Selbstverwaltung konkretisierte sich beispielsweise im Wegfall der staatlichen Auswahlrechte des französischen Klerus. Dadurch war dem Papst die Ernennung von Bischöfen möglich, die paradoxerweise eine Abschaffung des Gesetzes über den Laizismus von 1905 und eine Rückkehr zur staatlichen Kontrolle unter dem Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 propagieren sollten (siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 79).



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg103

Jules Ferrys schwelenden Konflikte zwischen dem demokratischen und republikanischen französischen Staat und der katholischen Kirche.516 Ein wichtiges Ziel des Gesetzes über den Laizismus von 1905 war zwar die Beschneidung des politischen und gesellschaftlichen Einflusses der französischen katholischen Kirche, allerdings sollte damit keineswegs ein Ende katholischen religiösen Lebens in Frankreich einhergehen.517 Vielmehr sollte sich die ­katholische Kirche nunmehr ungehindert als privatrechtliche Institution in Frankreich entwickeln und entfalten können. Insgesamt stellte der Laizismus damit weniger eine Position der politischen Extreme, sondern vielmehr der politischen Mitte der Dritten Französischen Republik dar.518 Als Folge stieß das Gesetz über den Laizismus von 1905 auf den erbitterten Widerstand vor allem zweier politischer Lager. Einerseits suchte die ultrakonservative Rechte519 jede Beschneidung der Sonderstellung, die das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 der katholischen Kirche eingeräumt hatte, zu verhindern.520 Diese Position erfuhr unerwartete Unterstützung durch mehrere radikal- republikanische und sozialistische Abgeordnete, die die mit dem Laizismus einhergehende Abschaffung des staatlichen Kontrollsystems der katholischen Kirche, das auf dem Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 aufgebaut war, ablehnten.521 Andererseits sahen radikale linke Kräfte im Laizismus nicht nur eine Maßnahme zur Beschränkung des Einflusses der katholischen Kirche in Frankreich, sondern vielmehr auch ein Instrument zur Demokratisierung und Liberalisierung der katholischen Kirche,522 wie ein Zeitungsbeitrag des späteren radikal-republikanischen Vorsitzenden der Parlamentskommission zur Trennung von Kirchen und Staat, Ferdinand Buisson, aus dem Jahre 1903 verdeutlichte. „Il reste à laïciser la religion, et non à la détruire. […] Répudions la tutelle despotique en matière religieuse aussi bien qu’en matière morale, esthétique ou intellectuelle. Laissons s’épanouir l’âme humaine avec la même liberté en religion qu’en morale ou en art.“523 „Nun bleibt nur noch die Religion zu laizisieren, nicht zu zerstören. […] Lasst uns die despotische Bevormundung in religiösen Angelegenheiten genau wie in mora516  Baubérot,

Histoire de la laïcité en France, S. 75. Portier, L’Etat et les religions en France, S. 131 f. 518  So im Ergebnis auch Fabre, in: Weil (Hrsg.), Politiques de la laïcité au XXe siècle, S. 75. 519  Kapitel 2, A.II.1.b)aa) (S. 89 ff.). 520  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 136. 521  Fabre, in: Weil (Hrsg.), Politiques de la laïcité au XXe siècle, S. 54. 522  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 74. 523  Zeitschriftenbeitrag Ferdinand Buissons in Action vom 22. August 1903, zitiert nach Hayat, Ferdinand Buisson, S. 142. 517  Siehe

104 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland lischen, ästhetischen und intellektuellen Fragen abschmettern. Lasst uns die menschliche Seele sich mit derselben Freiheit im religiösen wie im moralischen und künstlerischen Bereich entfalten lassen.“524

Eine Durchsetzung dieser Position hätte allerdings zwangsläufig mit einer schismatischen Abspaltung der französischen katholischen Kirche vom Papsttum einhergehen müssen.525 Der Erdrutschsieg der radikalen Republikaner bei den Parlamentswahlen des Jahres 1902526 ebnete der endgültigen Trennung von Staat und Kirche in Frankreich den Weg. Unter dem neuen Regierungschef Émile Combes, der sich durch seinen Kampf gegen die französischen Ordensgemeinschaften527 als Gegner der katholischen Kirche profiliert hatte, erschien zunächst eine radikale und unversöhnliche Trennung von Staat und Kirche unausweichlich. Im April 1903 legte der radikal-republikanische Abgeordnete Francis de Pressensé einen Gesetzentwurf vor528, der den französischen katholischen Bischöfen eine hierarchische Unterordnung unter den Papst untersagt hätte.529 Kirchliche Prozessionen sollten erschwert, die Nutzung der sich seit der Französischen Revolution im Staatsbesitz befindlichen Sakralgebäude durch die Kirchen eingeschränkt werden.530 Im November 1904 folgte ein Gesetzentwurf des Regierungschefs Émile Combes, der einer vollständigen Verdrängung der katholischen Kirche aus ihren Sakralgebäuden Vorschub geleistet hätte.531 Diese Vorschläge beruhten auf einer in den republikanischen Parteien weitverbreiteten Abneigung gegenüber der katholischen Kirche, die auch die Debatte um das Gesetz über den Laizismus bestimmte. Viele Politiker sahen vor allem im System der Glaubensvereinigungen (associations cultuelles)532 ein wirkmächtiges Instrument, um die katholische Kirche entsprechend ihren Vorstellungen umzubauen.533 Bereits das Mitspracherecht der Glaubensvereinigungen in kirchlichen Angelegenheiten war nur schwerlich mit dem römisch-katholischen Kirchenrecht vereinbar. Radikale republikanische Politiker, darunter der Senator Georges Clemenceau, forderten jedoch, die Glau524  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Hayat, Ferdinand Buisson, S. 142. 525  Siehe Portier, L’Etat et les religions en France, S. 140. 526  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 65. 527  Kapitel 2, A.II.1.b)bb)(2) (S. 96 ff.). 528  Fabre, in: Weil (Hrsg.), Politiques de la laïcité au XXe siècle, S. 50 f. 529  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 69. 530  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 133. 531  Siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 68 f. 532  Siehe Kapitel 2, A.II.1.b)cc)(1) (S. 99 ff.). 533  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 74 f.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg105

bensvereinigungen vollständig aus der Hierarchie der katholischen Kirche zu entkoppeln.534 Die katholischen Glaubensvereinigungen und die katholischen Gemeinden wären damit nicht länger an die bischöflichen und päpstlichen Weisungen gebunden gewesen.535 Die Folge wäre eine vollständige Dezen­ tralisierung der französischen katholischen Kirche gewesen, innerhalb derer nunmehr jede Gemeinde autonom und selbstständig agiert hätte. Besonders an diesem Punkt entzündete sich der Streit innerhalb der repu­ blikanischen Parlamentsmehrheit. Zahlreiche Abgeordnete befürworteten zwar eine Demokratisierung der katholischen Kirche, scheuten jedoch das endgültige Zerwürfnis mit dem Papsttum. Dennoch schien zunächst ein radikaler Bruch von französischer Regierung und katholischer Kirche immer wahrscheinlicher. Im Juni 1903 berief die französische Abgeordnetenkammer eine Parlamentskommission, die ein Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche ausarbeiten sollte.536 Zu deren Vorsitzendem wurde der radikal-republikanische Abgeordnete Ferdinand Buisson537 berufen538, mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Trennung von Staat und Kirche der sozialistische Abgeordnete Aristide Briand betraut.539 Beide Politiker waren glühende Verfechter des Laizismus und Unterstützer des radikalen Gesetzesvorhabens von Francis de Pressensé gewesen.540 Dennoch ließ der von Briand ausgearbeitete Gesetzentwurf der Parlamentskommission zur Trennung von Kirchen und Staat eine gewisse Kompromissbereitschaft erkennen, die den langfristigen Bestand der laizistischen Religionsverfassung sichern sollte.541 Einerseits setzte Briand gegen die Stimmen der kirchenkritischsten Republikaner, die eine strenge staatliche Kontrolle der Religionsgemeinschaften befürworteten542, die Aufnahme einer umfassenden Garantie der Gewissens- und Religionsfreiheit sowie der Freiheit der Religionsausübung in Artikel 1 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 durch.543 Andererseits setzte Briand gegen den Widerstand Buissons, der noch immer an der Idee einer staatlich verordneten Demokratisie534  Baubérot,

Histoire de la laïcité en France, S. 77. Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 74 f. 536  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 133. 537  Einen guten Überblick über die Biografie Buissons bietet Cabanel, Ferdinand Buisson et Félix Pécaut, S. 3. 538  Fabre, in: Weil (Hrsg.), Politiques de la laïcité au XXe siècle, S. 55. 539  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 133. 540  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 133. 541  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 133; siehe auch Fabre, in: Weil (Hrsg.), Politiques de la laïcité au XXe siècle, S. 61. 542  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 134. 543  Fabre, in: Weil (Hrsg.), Politiques de la laïcité au XXe siècle, S. 59. 535  Siehe

106 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

rung der katholischen Kirche festhielt544, eine Änderung des Gesetzentwurfs durch, die den katholischen Bischöfen eine Möglichkeit der Kontrolle der katholischen Glaubensvereinigungen einräumte.545 Die in Artikel 4 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 aufgenommene Ergänzung sah vor, dass das Vermögen der Religionsgemeinschaften und damit verbunden das Recht der kostenfreien Nutzung kirchlicher Sakralgebäude nur denjenigen Glaubensvereinigungen übertragen werden konnte, die die Organisationsstruktur der von ihnen vertretenen Religion oder Konfession respektierten.546 Auf dieser Rechtsgrundlage konnten katholische Glaubensvereinigungen, die sich bischöflichen oder päpstlichen Weisungen widersetzten, nunmehr durch staatliche Maßnahmen sanktioniert werden.547 Trotz des erbitterten Widerstands des linken Flügels der radikalen Republikaner und zahlreicher Sozialisten wurde diese Änderung mit der großen Mehrheit der gemäßigten Sozialisten und liberalen Republikaner sowie der bürgerlich-konservativen Opposition angenommen.548 Ergänzend zum Gesetzentwurf der Parlamentskommission zur Trennung von Kirchen und Staat legte Briand am 4. März 1905 den beiden Parlamentskammern und der Öffentlichkeit einen erläuternden Bericht (Rapport Briand) vor, der die Plenardebatte von Abgeordnetenkammer (Chambre des députés) und Senat maßgeblich bestimmte und die Ambivalenzen der republikanischen laizistischen Religionspolitik aufzeigte, die zwischen scharfer Kritik an der katholischen Kirche und Zeichen der Versöhnlichkeit schwankte. In diesem Sinne ließ der Rapport Briand (1905) einerseits die in den republikanischen Parteien, insbesondere bei Sozialisten und radikalen Republikanern, weit verbreitete Ablehnung gegenüber der katholischen Kirche, der Briand die alleinige Verantwortung für das Scheitern des napoleonischen Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 und den Bruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhl zuschrieb, deutlich erkennen. „Peut-être les rapports officiels entre les Églises et l’État eussent-ils duré encore au-delà de toute prévision, si des événements n’avaient surgi dont la force brutale a changé brusquement le cours des choses. Ce que n’aurait osé la timidité gouvernementale ou parlementaire, en quelques mois la foi ardente et combative d’un pape audacieux l’a réalisé. Le Concordat, ce pacte sacro-saint, devant lequel pendant trente-quatre ans avaient capitulé tous les principes républicains, il a suffi à 544  Fabre,

in: Weil (Hrsg.), Politiques de la laïcité au XXe siècle, S. 73. L’Etat et les religions en France, S. 140. 546  Kapitel 2, A.II.1.b)cc)(1) (S. 99 ff.); Portier, L’Etat et les religions en France, S. 140. 547  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 77. 548  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 140. 545  Portier,



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg107 Pie X de deux ou trois accès d’absolutisme pour le déchirer et le réduire en miettes.“549 „Vieleicht hätten die offiziellen Beziehungen zwischen Kirchen und Staat wider Erwarten Bestand gehabt, wenn nicht Ereignisse aufgetreten wären, deren Brutalität den Lauf der Dinge grundlegend verändert hätte. Was die zurückhaltende Regierung und das zurückhaltende Parlament nicht gewagt hätten, hat innerhalb weniger Monate der glühende und kämpferische Glaube eines tollkühnen Papstes wahr gemacht. Pius X. haben zwei oder drei absolutistische Anfälle gereicht, um das Konkordat [der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801], diesen allerheiligsten Vertrag, dem 34 Jahre lang alle republikanischen Prinzipien geopfert wurden, in Stücke zu reißen.“550

Gleichzeitig warf Briand der katholischen Kirche vor, die republikanische und demokratische Verfassungsordnung der Dritten Französischen Republik zu untergraben und zu bekämpfen. „Si la République a vécu, si elle a progressé, c’est malgré l’Église, contre ses efforts et grâce à l’indifférence religieuse qui, croissant de jour en jour, a fini par rendre ce pays impénétrable aux excitations du clergé.“551 „Wenn die Republik überlebt hat, wenn sie Fortschritte erzielt hat, dann trotz der Kirche, gegen die kirchlichen Bestrebungen, und dank der täglich wachsenden religiösen Gleichgültigkeit, die dieses Land schließlich immun gegen die Agitation des Klerus machte.“552

Diese deutliche Kritik an der katholischen Kirche wiederholte Briand in seiner Rede vor der Abgeordnetenkammer am 6. April 1905. „Cette Église-là, j’en conviens, a, comme vous, un intérêt de premier ordre à ce que le concours moral et matériel de l’État lui soit continué; car ce concours constitue le principal élément de sa force, de cette force que, en toutes circonstances, depuis trente-quatre ans, elle n’a pas hésité, sur vos conseils, à tourner contre les institutions de ce pays.“553 „Diese Kirche, das räume ich ein, hat, wie Ihr [katholisch-konservativen Politiker], ein vorrangiges Interesse daran, dass die ihr zuteilwerdende ideelle und finanzielle Unterstützung des Staates fortgesetzt wird; denn diese Unterstützung macht den Hauptteil ihrer Macht aus, die sie entsprechend Eurer Ratschläge seit 34 Jahren unter allen Umständen ohne Zögern gegen die Institutionen dieses Landes eingesetzt hat.“554 549  Rapport

Briand (1905), S. 124. des französischen Originaltexts aus Rapport Briand (1905),

550  Übersetzung

S. 124. 551  Rapport Briand (1905), S. 123 f. 552  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Rapport Briand (1905), S.  123 f. 553  Journal officiel, Chambre des députés (1905), 7. April 1905, S. 1237. 554  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Journal officiel, Chambre des députés (1905), 7. April 1905, S. 1237.

108 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Diese Kirchenkritik der republikanisch-sozialistischen Parlamentsmehrheit stand in deutlichem Kontrast zu den kirchenfreundlicheren religionsver­ fassungsrechtlichen Vorstellungen der bürgerlich-konservativen Opposition, die, wie die Rede des katholisch-liberalen Abgeordneten Henri Groussau vor der Abgeordnetenkammer am 27. März 1905 demonstrierte, den Laizismus grund­sätzlich ablehnte. „Vous avez pu le voir, dans toute cette discussion j’ai évité à dessein de parler du texte même du projet de loi parce que mon opposition à ce projet sur la séparation des Églises et de l’État est une opposition de principe. […] Je m’oppose d’une manière absolue, indépendamment des dispositions contenues dans le projet, à la séparation des Églises et de l’État. […] C’est entendu: nous [catholiques] n’aurons plus la faculté de revendiquer nos droits et de protester contre l’injustice, sinon nous encourrons des actes d’oppression ou de violence. Nous serons châtiés. […] Nous ne voulons pas être complices […] d’une tentative de désorganisation religieuse et sociale. […] Voulue et préparée principalement par les ennemis de l’Église, la séparation risquerait de n’être qu’une persécution religieuse mieux organisée, et ce serait en même temps, il faut le craindre, un obstacle absolu à la tranquillité du pays.“555 „Wie Sie sehen konnten, habe ich es absichtlich während dieser ganzen Debatte vermieden, über den Text dieses Gesetzentwurfs zu sprechen, da ich dieses Projekt der Trennung von Kirchen und Staat aus Prinzip ablehne. […] Ich stelle mich unabänderlich, unabhängig von den Bestimmungen des Gesetzentwurfs, gegen die Trennung von Kirchen und Staat. […] Ich habe es verstanden: Wir [Katholiken] werden nicht mehr die Möglichkeit haben, unsere Rechte einzufordern und gegen das Unrecht zu protestieren, weil wir sonst Gewalt oder Unterdrückung erfahren. Wir werden bestraft werden. […] Wir wollen keine Komplizen […] eines Versuchs der religiösen und sozialen Demontage [Frankreichs] sein. […] Die Trennung, die hauptsächlich die Feinde der Kirche wollen und vorbereiten, wird vermutlich nur eine besser organisierte religiöse Verfolgung sein, und es ist zu befürchten, dass dies gleichzeitig den politischen Frieden im Land stören wird.“556

Vielmehr forderte die bürgerlich-konservative Opposition eine Fortsetzung und allerhöchstens eine Neuverhandlung des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801, wie die Rede des konservativen Republikaners Gabriel Vidal de Saint-Urban vor dem Senat am 17. November 1905 verdeutlichte. „Je dis qu’une nation qui a vécu avec le Saint-Siège pendant de longs siècles en une conformité d’idées, au moins sur les points essentiels, à peu près complète ne peut pas s’en séparer de cette façon. […] En tout cas, ce ménage a duré trop longtemps pour que la rupture soit possible sans qu’on y mette au moins les conve555  Journal officiel, Chambre des députés (1905), 28. März 1905, S. 1092 und S. 1093. 556  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Journal officiel, Chambre des députés (1905), 28. März 1905, S. 1092 und S. 1093.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg109 nances, les bons et loyaux procédés que l’on doit apporter dans toute rupture de ce genre. […] Je dis que ces convenances, on les a tout bonnement foulées au pied!“557 „Ich sage, dass sich eine Nation, die Jahrhunderte lang mit dem Heiligen Stuhl im nahezu vollständigen Einklang der Ideen, zumindest was die wichtigen Punkte angeht, gelebt hat, vom Heiligen Stuhl nicht in dieser Weise trennen kann. […] In jedem Fall hat die Verbindung [von französischem Staat und katholischer Kirche] zu lange gedauert, als dass der Bruch ohne Wahrung der Konventionen und eines guten und loyalen Prozederes, das bei jedem Bruch dieser Art angemessen ist, möglich wäre. […] Ich sage, dass diese Konventionen [von den Verfechtern des Laizismus] schlicht und einfach mit den Füßen getreten werden!“558

In der Hoffnung auf einen Umschwung der öffentlichen Meinung gegen die republikanisch-sozialistische Religionspolitik forderte die bürgerlichkonservative Opposition deshalb, die Beschlussfassung über das Gesetz über den Laizismus von 1905 bis nach den Wahlen zur Abgeordnetenkammer (Chambre des députés) im Mai 1906 zu verschieben.559 Dem entgegnete (vorausschauend) der Rapport Briand (1905), dass einerseits die Grundsatzentscheidung für den Laizismus durch die Wahlen des Jahres 1906 unzweifelhaft bestätigt werde, da „alle republikanischen Wähler theoretisch die Trennung von Staat und Kirche befürworteten“.560 Andererseits sei aufgrund des Scheiterns des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 eine unverzügliche Neuregelung des Religionsverfassungsrechts unabdingbar.561 Da das napoleonische Modell der staatlichen Kontrolle der katholischen Kirche unter dem Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 gescheitert sei, sei die Trennung von Staat und Kirche zwingend geboten und ohne Alternative. „Devant le fait accompli, il fallait bien s’incliner. Le régime concordataire étant aboli, il ne restait plus qu’une issue à une situation devenue intenable: la séparation.“562 „Den vollendeten Tatsachen musste man sich beugen. Da dem Konkordat [der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 durch Papst 557  Journal

officiel, Sénat (1905), 18. November 1905, S. 1373. des französischen Originaltexts aus Journal officiel, Sénat (1905), 18. November 1905, S. 1373. 559  Siehe beispielhaft die Rede des konservativen Republikaners Gabriel Vidal de Saint-Urbain vor dem Senat am 17. November 1905, in: Journal officiel, Sénat (1905), 18. November 1905, S. 1373. 560  „Mais tous les électeurs républicains sont, théoriquement, favorables à la séparation.“ (Rapport Briand (1905), S. 124). 561  Rapport Briand (1905), S. 125. 562  Rapport Briand (1905), S. 124. 558  Übersetzung

110 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland Pius X.] ein Ende gesetzt wurde, blieb nur eine einzige Lösung für eine unhaltbar gewordene Situation übrig: Die Trennung [von Staat und Kirche].“563

Dieser Einschätzung Briands widersprachen nicht nur die Abgeordneten der bürgerlich-konservativen Opposition, sondern auch zahlreiche radikale Republikaner und Sozialisten vehement. Diese hatten sich bereits zuvor einer Mitarbeit in der Kommission zur Trennung von Kirchen und Staat verweigert, da sie an der napoleonischen Zielsetzung einer rigiden staatlichen Kontrolle der katholischen Kirche durch das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 festhalten wollten.564 Gleichzeitig stieß die bereits in der Kommission zur Trennung von Kirchen und Staat scharf attackierte, in Artikel 4 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 verankerte Möglichkeit der Sanktionierung von Glaubens­ vereinigungen (associations cultuelles), die sich der kirchlichen Hierarchie widersetzten, auf scharfe Kritik mehrerer radikal-kirchenkritischer Abgeordneter, darunter der Sozialist Maurice Allard in seiner Rede vor der Abgeordnetenkammer vom 10. April 1905, die noch immer am Ziel einer erzwungenen Demokratisierung und schismatischen Spaltung der katholischen Kirche festhielten. „Vous donnez à une association cultuelle, à celle-là qui est reconnue par le pape, des biens considérables. Par conséquent la lutte entre les différentes chapelles, entre les différents schismes ne s’engagera pas sur un pied de parfaite égalité. Vous avantagez l’orthodoxie romaine au détriment des Églises dissidentes qui pourraient se fonder; vous assurez donc l’unité de l’Église […], voilà ce que je reproche à l’article 4 du projet de la commission.“565 „Sie geben derjenigen Glaubensvereinigung, die vom Papst anerkannt wird, ein großes Vermögen. Als Folge wird der Kampf zwischen den verschiedenen Reli­ gionen, zwischen den verschiedenen Schismen nicht auf der Grundlage vollständiger Gleichheit stattfinden. Sie bevorzugen die römische Orthodoxie zum Nachteil der sich dagegen stellenden Kirchen, die sich bilden könnten; Sie sichern also die Einheit der Kirche […]. Das ist es, was ich dem Artikel 4 des Gesetzentwurfs der Kommission [zur Trennung von Kirchen und Staat] vorwerfe.“566

Demgegenüber verteidigte Briand in einer Rede vor der Abgeordnetenkammer am 22. April 1905 die Bestimmung des Artikels 4 des Gesetzes über den Laizismus von 1905, die der katholischen Kirche den Erhalt ihrer hierar563  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Rapport Briand (1905), S. 124. 564  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 137; Fabre, in: Weil (Hrsg.), Politiques de la laïcité au XXe siècle, S. 72. 565  Journal officiel, Chambre des députés (1905), 11. April 1905, S. 1305. 566  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Journal officiel, Chambre des députés (1905), 11. April 1905, S. 1305.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg111

chischen Strukturen ermöglichen und die langfristige Akzeptanz der laizistischen Religionsverfassung sicherstellen sollte. „Il y a des curés dans l’Église catholique, il y a aussi des évêques, il y a même un pape. Que voulez-vous? Ce sont des mots qui peuvent écorcher les lèvres de certains d’entre vous, mais qui correspondent à des réalités. […] Le pays républicain […] approuvera qu’au moment où nous réalisons une réforme appelée à modifier un régime séculaire, nous ayons pris par un légitime souci des intérêts de la République, la précaution de ménager les transitions. Vous voulez faire une loi qui soit braquée sur l’Église comme un révolver? […] Et si elle ne l’accepte pas, votre loi? Si elle entre en révolte contre elle? […] Si elle parvient ainsi à déchaîner des colères contre la République, que direz-vous? […] C’est pour mettre en échec l’autorité des évêques, c’est pour protéger contre elle la liberté des curés que vous exposeriez la République à un tel danger? Mais, messieurs, les curés et leurs fidèles sauront bien se défendre eux-mêmes contre l’arbitraire éventuel des évêques.“567 „Es gibt Pfarrer in der katholischen Kirche, es gibt Bischöfe, es gibt sogar einen Papst. Was wollt Ihr [Abgeordnete]? Das sind Worte, die einigen unter euch den Magen umdrehen, aber sie entsprechen einer Realität. […] Die republikanischen Wähler […] werden es befürworten, dass wir in dem Moment, in dem wir die Reform einer ein Jahrhundert alten religionsverfassungsrechtlichen Ordnung angehen, aus einer berechtigten Sorge um die Interessen der Republik die nötige Vorsicht bei der Ausgestaltung der Übergänge zur neuen religionsverfassungsrechtlichen Ordnung haben walten lassen. Wollt Ihr ein Gesetz erlassen, das wie ein Revolver auf die Kirche gerichtet ist? […] Und wenn sie Euer Gesetz nicht hinnimmt? Wenn sie dagegen aufbegehrt? […] Was werdet Ihr sagen, wenn sie es schafft, den Zorn auf die Republik zu entfesseln? […] Würdet Ihr die Republik einer solchen Gefahr aussetzen, um die Freiheit der Pfarrer zu schützen, um die bischöfliche Autorität zu untergraben? Aber, meine Herren, die Pfarrer und ihre Gläubigen werden sich wohl gegen die eventuelle Willkür der Bischöfe zu verteidigen wissen.“568

Daneben stieß auch die in Artikel 4 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 vorgesehene Übergabe der kirchlichen Sakralgegenstände an die zu gründenden Glaubensvereinigungen (associations cultuelles) und deren in Artikel 13 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 festgeschriebenes Recht der kostenfreien Nutzung der staatlichen Sakralbauten auf scharfe Kritik der kirchenkritischsten Parlamentarier, wie die Rede des sozialistischen Abgeordneten Maurice Allard vor der Abgeordnetenkammer am 10. April 1905 verdeutlichte. „Dans chaque commune, le lendemain de la séparation, vont se fonder des associations dites cultuelles qui seront recrutées parmi les membres les plus militants du parti réactionnaire de cette commune. Et c’est à ces associations, aussi poli567  Journal

officiel, Chambre des députés (1905), 22. April 1905, S. 1677 f. des französischen Originaltexts aus Journal officiel, Chambre des députés (1905), 22. April 1905, S. 1677 f. 568  Übersetzung

112 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland tiques que cultuelles, que vous allez, je le répète, donner en pleine propriété des biens dont la valeur se monte à un milliard. […] Vous les lui donnez en toute propriété, avec la faculté et la possibilité de les détourner de leur but cultuel et de les employer à la lutte contre la République. Vous spoliez la nation au profit de l’Église.“569 „In jeder Gemeinde werden sich am Folgetag der Trennung [von Staat und Kirche] sogenannte Glaubensvereinigungen bilden, die sich aus den militantesten Mitgliedern der reaktionären Parteien dieser Gemeinde rekrutieren. Ich wiederhole, diesen Vereinigungen, die gleichermaßen politisch und religiös sind, werdet Ihr ein Vermögen im Wert von einer Milliarde [Francs] als Eigentum überlassen. […] Ihr überlasst es ihnen als Eigentum mit der Befugnis und der Möglichkeit, es von seinem religiösen Zweck zu entfremden und im Kampf gegen die Republik einzusetzen. Ihr beraubt die Nation zu Gunsten der Kirche!“570

Gleichzeitig kritisierten zahlreiche radikal-kirchenkritische Abgeordnete, darunter der sozialistische Abgeordnete Édouard Vaillant in seiner Rede vor der Abgeordnetenkammer am 10. April 1905, die der katholischen Kirche gewährte Möglichkeit des Zusammenschlusses mehrerer Glaubensvereinigungen (associations cultuelles) zur Bildung überregionaler und nationaler kirchlicher Strukturen. „[E]n laissant […] ces richesses aux Eglises séparées de l’État, on les arme contre la société laïque, contre la République. Au lieu d’anéantir leur privilège actuel on leur cède gratuitement des richesses nationales, on leur concède un pouvoir dangereux, et on augmente le danger de ce pouvoir par la faculté qu’on leur donne de se fédérer nationalement et par la capacité juridique donnée à cette fédération. […] Mais l’État et les communes ne leur doivent rien et ne devraient rien leur donner ni directement ni indirectement; car il y a une raison spéciale, pour les organes nationaux et municipaux de la société laïque, de ne rien faire en faveur des ennemis de la laïcité.“571 „Indem Ihr diese Reichtümer den vom Staat getrennten Kirchen überlasst, bewaffnet Ihr sie gegen die säkulare Gesellschaft, gegen die Republik. Anstatt ihre bisherigen Privilegien zu vernichten, überlasst Ihr den Kirchen kostenlos staatliche Reichtümer und übertragt ihnen eine gefährliche Macht, deren Gefährlichkeit Ihr noch durch die den Kirchen eingeräumte Befugnis, sich zusammenzuschließen und für diesen Zusammenschluss die Rechtsfähigkeit zu erwerben, steigert. […] Aber der Staat und die Gemeinden schulden [den Kirchen] nichts und sollten ihnen nichts direkt oder indirekt schenken; denn es gibt einen besonderen Grund, warum

569  Journal

officiel, Chambre des députés (1905), 11. April 1905, S. 1295. des französischen Originaltexts aus Journal officiel, Chambre des députés (1905), 11. April 1905, S. 1295. 571  Journal officiel, Chambre des députés (1905), 11. April 1905, S. 1300; siehe auch die Rede Édouard Vaillants vor der Abgeordnetenkammer vom 20. Juli 1905, in der er diese Kritik erneuerte, in Journal officiel, Chambre des députés (1905), 20. Juni 1905, S. 2332. 570  Übersetzung



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg113 die nationalen und gemeindlichen Organe der säkularen Gesellschaft nichts zu Gunsten der Feinde des Laizismus tun sollten.“572

Dennoch erfuhr der Entwurf des Gesetzes über den Laizismus von 1905 der Kommission zur Trennung von Kirchen und Staat aufgrund der bereits im Rapport Briand (1905) angedeuteten Versöhnlichkeit die Unterstützung der republikanisch-sozialistischen Parlamentsmehrheit. „Ce n’est pas davantage pour satisfaire à des rancunes politiques, ou par haine du catholicisme, que nous réclamons la séparation complète des Églises et de l’État, mais afin d’instaurer le seul régime où la paix puisse s’établir entre les adeptes des diverses croyances.“573 „Wir fordern die vollständige Trennung von Kirchen und Staat ebenso wenig, um politische Rachegelüste zu befriedigen, wie aus Hass gegen den Katholizismus, sondern vielmehr, um die einzige religionsverfassungsrechtliche Ordnung einzurichten, in der sich Frieden zwischen den Anhängern verschiedener Glaubensrichtungen erreichen lässt.“574

Besonders die kirchenkritischen Dimensionen des Laizismus suchte der Rapport Briand (1905) zu relativieren. „On y chercherait vainement la moindre trace d’une arrière-pensée de persécution contre la religion catholique.“575 „[Im Entwurf des Gesetzes über den Laizismus von 1905] würde man vergeblich nach nur der kleinsten Spur eines Hintergedankens der Verfolgung der katholischen Religion suchen.“576

Als Zeichen der Versöhnlichkeit bot Briand der katholischen Kirche im Gegenzug für den Verlust ihrer Privilegienstellung in Frankreich die kirch­ liche Selbstverwaltung an. „En le votant, vous ramènerez l’État à une plus juste appréciation de son rôle et de sa fonction; vous rendrez la République à la véritable tradition révolutionnaire et vous aurez accordé à l’Église ce qu’elle a seulement le droit d’exiger, à savoir la pleine liberté de s’organiser, de vivre, de se développer selon ses règles et par ses propres moyens, sans autre restriction que le respect des lois et de l’ordre public.“577 „Wenn [das Parlament] für [den Entwurf des Gesetzes über den Laizismus von 1905] stimmt, ermöglicht es dem Staat eine passendere Würdigung seiner Rolle und seiner Funktion; [das Parlament] wird die Republik wahrlich an die Tradition 572  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Journal officiel, Chambre des députés (1905), 11. April 1905, S. 1300. 573  Rapport Briand (1905), S. 3. 574  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Rapport Briand (1905), S. 3. 575  Rapport Briand (1905), S. 125. 576  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Rapport Briand (1905), S. 125. 577  Rapport Briand (1905), S. 126.

114 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland der Französischen Revolution anknüpfen und der Kirche nur das zugestehen, auf das sie ein Recht hat, nämlich die vollständige Freiheit, sich zu organisieren, zu leben, und sich entsprechend ihrer Regeln und mit ihren eigenen [finanziellen] Mitteln zu entwickeln, ohne dass ihr andere Beschränkungen als die Achtung der Gesetze und der öffentlichen Ordnung auferlegt wären.“578

Die von Briand deutlich abgemilderte Kirchenkritik des Entwurfs des Gesetzes über den Laizismus von 1905, das die Trennung von Staat und Kirche mit einer Gewährleistung der Religionsfreiheit und der kirchlichen Selbstverwaltung sowie der kirchlichen Organisationshoheit verband, sicherte dessen parlamentarische und gesellschaftliche Mehrheitsfähigkeit. In der Folge wurde das Gesetz über den Laizismus von 1905 am 3. Juli 1905 mit einer Mehrheit von 341 von 574 gültigen Stimmen von der Abgeordnetenkammer und am 6. Dezember 1905 mit einer Mehrheit von 181 von 283 abgegebenen Stimmen vom Senat gegen die Stimmen der bürgerlich-konservativen Opposition und mehrerer radikal-kirchenkritischer Sozialisten und Republikaner, die ihre Ablehnung der Kompromissbereitschaft Briands mit der katholischen Kirche bereits in den Plenardebatten des Parlaments bekundet hatten, angenommen.579 Am 9. Dezember 1905 wurde das Gesetz über den Laizismus von 1905 schließlich verkündet, bevor es zwei Tage später im Amtsblatt der Französischen Republik (Journal officiel de la République française) veröffentlicht wurde.580 (3) Konsequenzen des Gesetzes über den Laizismus von 1905 Die im Gesetz über den Laizismus von 1905 bekundete Kompromissbereitschaft legte die Grundlage der späteren Aussöhnung der katholischen Kirche mit dem französischen Laizismus.581 Von Versöhnlichkeit war in den Stellungnahmen des Papstes Pius X. im Anschluss an den Erlass des Gesetzes über den Laizismus von 1905 allerdings nur wenig zu spüren.582 Vielmehr suchte der Papst die Konfrontation mit der französischen Regierung in der Hoffnung auf einen Umschwung der öffentlichen Meinung gegen den Laizismus.583 In seiner an die französischen 578  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Rapport Briand (1905), S. 126. 579  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 136 f. und Bringuier, La laïcité dans tous ses États, S. 76. 580  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 137. 581  So im Ergebnis auch Fabre, in: Weil (Hrsg.), Politiques de la laïcité au XXe siècle, S. 75. 582  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 80. 583  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 80.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg115

Bürger gerichteten Enzyklika Vehementer nos des Jahres 1906 verurteilte der Papst den Laizismus auf das schärfste und forderte eine Sonderstellung der katholischen Kirche im Staat und eine Vergütung der katholischen Kleriker durch den französischen Staat ein.584 In der im selben Jahr folgenden Enzyklika Gravissimo Officii untersagte der Papst schließlich die Bildung katholischer Glaubensvereinigungen (associations cultuelles) in Frankreich.585 Damit wurde ein kurz zuvor gefasster Beschluss der französischen Bischöfe zur Errichtung von Glaubensvereinigungen Makulatur.586 Pfarrer, die gegen das päpstliche Verbot verstießen, wurden aus ihrem Amt entfernt.587 Angesichts der Konfrontation mit der katholischen Kirche verfolgte die französische Regierung eine Politik der Entspannung und der Konfliktvermeidung.588 Das Gesetz über den Laizismus von 1905 erlaubte grundsätzlich nur die kostenfreie Nutzung der kirchlichen Sakralgebäude, die sich seit der Fran­ zösischen Revolution im Staatsbesitz befanden, durch Glaubensvereini­ gungen.589 Der katholischen Kirche, die die Gründung von Glaubensvereinigungen verweigerte, wäre eine Weiternutzung der kirchlichen Sakralgebäude verwehrt gewesen.590 Um dies zu verhindern, erlaubte das Gesetz vom 2. Januar 1907 über die öffentliche Religionsausübung eine Weiternutzung der kirchlichen Sakralgebäude durch die katholischen Gemeinden, auch wenn die nach dem Gesetz über den Laizismus von 1905 erforderlichen Glaubensvereinigungen nicht gebildet worden waren.591 Ebenso wurde die Inventarisierung der sakralen Wertgegenstände, die Artikel 2 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 vorschrieb592, nach heftigen Protesten der Bevölkerung weitestgehend ausgesetzt.593 Die Gesetze zur Benachteiligung der Ordensgemeinschaften wurden seit dem Jahre 1914 nicht mehr angewandt.594 Durch den Ersten Weltkrieg war eine Allianz zwischen französischer katholischer Kirche und französischer Regierung ent584  Portier,

L’Etat et les religions en France, S. 147. Histoire de la laïcité en France, S. 80. 586  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 150; Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 79 f. 587  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 81. 588  Siehe Baubérot, Revue du MAUSS 43, 191 (200 f.). 589  Artikel 12 i. V. m. Artikel 13 Gesetz über den Laizismus von 1905. 590  Siehe ergänzend Baubérot, Laïcité 1905–2005, S. 101. 591  Artikel 4 und 5 des Gesetzes vom 2. Januar 1907 über die öffentliche Reli­ gionsausübung; Portier, L’Etat et les religions en France, S. 153. 592  Kapitel 2, A.II.1.b)cc)(1) (S. 99 ff.). 593  Siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 79. 594  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 93. 585  Baubérot,

116 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

standen, die auf beiden Seiten Zeichen der Entspannung und der Wiederannäherung bedingte.595 Die diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhl wurden in der Folge im Jahre 1921 wieder aufgenommen.596 Im Jahre 1924 erlaubte Papst Pius XI. schließlich die Gründung katholischer Glaubensvereinigungen aus Laien, die den bischöflichen Weisungen unterstanden.597 Besonders eindrücklich demonstrierten jedoch der nach dem Tod des Verfassers des Gesetzes über den Laizismus, Aristide Briand, im Jahre 1932 veröffentlichte Nachruf der römischen Kurie, der das politische Wirken Briands würdigte, und die anschließende religiöse Bestattung Briands die Versöhnung von katholischer Kirche und französischem Staat.598 Die von den kirchenkritischsten radikalen Republikanern und Sozialisten so vehement bekämpfte Eingliederung der Glaubensvereinigungen in die kirchlichen Hierarchien599 erwies sich dabei als eine zentrale Voraussetzung der Aussöhnung von französischem Staat und katholischer Kirche, die ein wichtiges Zeichen für die endgültige Etablierung des Laizismus in Frankreich war. (4) Entwicklung des privaten konfessionellen Schulwesens Das Ende der Konflikte des französischen Staates mit der katholischen Kirche bedingte auch eine Bedeutungsänderung des Laizismus. Standen nach dem Erlass des Gesetzes über den Laizismus von 1905 Streitigkeiten über die privatrechtliche Verfassung und die geforderte Organisation der Reli­ gionsgemeinschaften im Zentrum der politischen und juristischen Debatte, so wurden diese durch die zunehmende Akzeptanz des Laizismus weitestgehend bedeutungslos. Im selben Umfang nahm die Bedeutung der Debatten über das Prinzip des Laizismus im Schulwesen wieder zu.600

595  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 93; siehe ergänzend auch Waché, in: Vandenbussche, L’État et la pratique de la loi de séparation, S. 104 f. 596  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 81. 597  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 165. Die katholischen Glaubensvereinigungen werden als Diözesanvereinigungen (associations diocésaines) geführt, die jedoch im Wesentlichen eine durch das Gesetz über den Laizismus von 1905 zugelassene Ausgestaltung des Konzepts der Glaubensvereinigungen darstellen (siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 81 f.; siehe vertiefend auch Portier, L’Etat et les religions en France, S. 166). 598  Siehe Rémond, Les crises du catholicisme en France, S. 47. 599  Kapitel 2, A.II.1.b)cc)(2) (S. 102 ff.). 600  Siehe Bergounioux, Pouvoirs 75, 17 (22).



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg117

In der Tat hatten sich die ersten Konflikte zwischen katholischer Kirche und französischer Regierung über den Laizismus an den Schulreformen Jules Ferrys entzündet.601 Durch die Einführung des religionsneutralen öffentlichen Schulwesens und das Ende der kirchlichen Schulaufsicht war der Einfluss der katholischen Kirche im öffentlichen Bildungswesen zurückgedrängt worden.602 Ferner hatte die Auflösung der Ordensschulen im Jahre 1904 und die Angleichung der Anforderungen an staatliche und kirchliche Lehrkräfte einen deutlichen Bedeutungsverlust des katholischen Bildungswesens bewirkt.603 Besuchte in den Anfangsjahren der Dritten Republik noch fast jeder zweite französische Grundschüler eine katholische Bildungseinrichtung604, so sank dieser Anteil in der Folge rapide bis auf weniger als 20 % im Jahre 1912 ab.605 Gleichzeitig wandelte sich der Charakter der kirchlichen Schulen. Die Schließung der Ordensschulen führte in vielen Fällen zu Neugründungen als konfessionelle Privatschulen, in denen sich Qualifikation und Stellung des Lehrkörpers zunehmend den staatlichen Schulen anglichen.606 Die von Laien betriebene katholische Privatschule wurde zunehmend zum wichtigsten Element des privaten Schulwesens.607 Die Ordensschulen konnten nicht mehr an ihre frühere Bedeutung in Frankreich anschließen.608 In seiner neuen Form etablierte sich das konfessionelle Privatschulwesen zunehmend in Frankreich. Seit dem Jahre 1941 wird es auch finanziell durch den französischen Staat gefördert.609 Das Gesetz vom 31. Dezember 1959 über die Beziehungen des Staates und der privaten Bildungseinrichtungen (Loi Debré) machte die ausgeweiteten finanziellen Zuwendungen jedoch von der Übernahme staatlicher Lehrpläne und der Eingliederung unter die staat­ liche Schulaufsicht abhängig.610 Dadurch kam es zunehmend zu einer Angleichung von staatlichen und konfessionellen Schulen, denen gleichzeitig die Umsetzung des katholischen Bildungsideals möglich bleibt.

601  Kapitel 2,

A.II.1.b)bb)(1) (S. 92 ff.). A.II.1.b)bb)(1) (S. 92 ff.). 603  Kapitel 2, A.II.1.b)bb)(2) (S. 96 ff.). 604  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 96. 605  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 129. 606  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 66. 607  Siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 66 und S. 92. 608  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 92. 609  Bergounioux, Pouvoirs 75, 17 (22); Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 99. 610  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 106. 602  Kapitel 2,

118 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

dd) Das Gesetz über den Laizismus von 1905 unter dem Regime von Vichy Trotz aller anfänglichen Debatten entwickelte sich der Laizismus zu einem Kernelement des französischen Verfassungsrechts. Zunehmend bekannten sich nicht nur die linken, sondern auch die bürgerlich-konservativen politischen Parteien zur laizistischen Religionsverfassung Frankreichs.611 Das Gesetz über den Laizismus blieb auch nach den zahlreichen Regierungswechseln der Dritten Republik unangetastet. Die deutsche Besatzung Frankreichs in den Jahren 1940 bis 1944 bedeutete das Ende der verfassungsmäßigen Ordnung der Dritten Republik.612 Am 10. Juli 1940 erließ die französische Abgeordnetenkammer ein Verfassungsgesetz, das dem Feldmarschall Philippe Pétain die Vollmacht zum Erlass einer neuen Verfassung erteilte.613 Auf dieser Grundlage konstituierte Pétain eine diktatorische Regierung im nicht-besetzten Teil Frankreichs, das Regime von Vichy.614 Die Politik Pétains bedeutete den Abschied von wichtigen verfassungsrechtlichen Prinzipien der Dritten Republik. Die Ideologie des Regimes von Vichy war nationalistisch, antisemitisch und ultrakonservativ ausgerichtet.615 Der Antisemitismus Pétains stand im klaren Widerspruch zum Prinzip des Laizismus, das dem Staat religiöse Neutralität verordnete.616 Durch zwei Gesetze vom 4. Oktober 1940 und 2. Juni 1941 wurde auch im nicht-besetzten Teil Frankreichs die Verfolgung und Entrechtung jüdischer Bürger eingeläutet.617 Gleichzeitig suchte Pétain den Schulterschluss mit der katholischen Kirche.618 Ranghohe katholische Geistliche diffamierten den Laizismus als Grund des „Verfalls“ und der militärischen Niederlage Frankreichs im Zweiten Weltkrieg.619 Dennoch konnte Pétain das Verhältnis von Staat und Kirche nur geringfügig verändern.620 Im Jahre 1941 wurden staatliche Finanzhilfen Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 95. Histoire de France, S. 102. 613  Artikel 1, S. 1 des Verfassungsgesetzes vom 10. Juli 1940. 614  Zur Ideologie des Regimes von Vichy siehe vertiefend Chastenet, Histoire de la Troisième République Bd. 4, S. 517 ff. 615  Vertiefend Portier, L’Etat et les religions en France, S. 171 f. 616  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 98. 617  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 98. 618  Weil, in: Weil (Hrsg.), Politiques de la laïcité au XXe siècle, S. 25. 619  Siehe Portier, Revue Projet 342, 32 (34). 620  So im Ergebnis auch Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 99. 611  Siehe

612  Mathiex,



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg119

für konfessionelle Privatschulen621 eingeführt622, die nach Kriegsende nur vorübergehend abgeschafft wurden.623 Ferner wurden einige Regelungen zur Gründung und zum Betrieb von Ordensgemeinschaften erleichtert, jedoch ohne nennenswerte praktische Auswirkungen.624 In einigen öffentlichen Schulen wurden wieder christliche Kruzifixe angebracht, aber bald nach Kriegsende wieder entfernt.625 Die institutionelle Trennung von französischem Staat und katholischer Kirche hatte sich unter dem Regime von Vichy als stabil erwiesen. Gleichzeitig demonstrierten die antisemitischen Gesetze Pétains die Notwendigkeit der von Aristide Briand durchgesetzten Synthese von Religionsfreiheit und Laizismus. Es wäre falsch, diese zwei verfassungsrechtlichen Prinzipien als Gegensätze zu begreifen. Vielmehr betrachtet das französische Verfassungsrecht den Laizismus als eine Bedingung und einen Ausdruck der Religionsfreiheit und umgekehrt.626 ee) Laizismus im Verfassungsrecht der Vierten und Fünften Republik Die Befreiung Frankreichs von der nationalsozialistischen Besatzung im Jahre 1944 bedeutete die Rückkehr der demokratischen Ordnung, der Laizismus fand Einzug in die Französischen Verfassungen der Jahre 1946 und 1958. Das öffentliche, laizistische Schulwesen wurde in der Präambel der Verfassung vom 27. Oktober 1946, die die Präambel der Verfassung vom 4. Oktober 1958 für weiterhin anwendbar erklärt, garantiert.627 Das Prinzip des Laizismus, das der französische Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) weitestgehend im Einklang mit dem Gesetz über den Laizismus von 1905 interpretiert628, stellt eines der wichtigsten Staatsstrukturprinzipien des französischen Verfassungsrechts dar.629 Gleichzeitig erachtet die französische Rechtsprechung auch das besondere Religionsverfassungsrecht der drei Verwaltungsbezirke Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle, das auf das Konkordat der Französischen Republik mit dem 621  Siehe

Kapitel 2, A.II.1.b)cc)(4) (S. 116 f.). Pouvoirs 75, 17 (22). 623  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 102 f. 624  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 99. 625  Siehe auch Lalouette, Mots 27, 23 (33 ff.). 626  Siehe Kapitel 2, A.I.1.a)aa) (S. 41 ff.) sowie ergänzend Baubérot, ASSR 69, 151 (155) und Barthélemy/Michelat, RFSP 57, 649 (649 f.). 627  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 101. 628  Kapitel 2, A.I.1.a)aa) (S. 41 ff.) und Bouillon, Annales de Droit 8, 9 (21). 629  Walter, ZaöRV 2012, 177 (187 f.). 622  Bergounioux,

120 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 zurückgeht630, für weiterhin anwendbar.631 Einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Prinzip des Laizismus sieht der Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) darin nicht.632 Damit hat sich der Laizismus, das zentrale Streitthema nach dem Ende der monarchistischen Herrschaft über Frankreich bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs, fest im französischen Verfassungsrecht und in der französischen Politik und Gesellschaft etabliert. Die Beschneidung des Einflusses der Kirche im Schulwesen633 und die Auflösung der Ordensgemeinschaften634 hatten den Streit über das Religionsverfassungsrecht in der Dritten Republik entfacht. Das Gesetz über den Laizismus von 1905 zielte nicht nur auf eine strenge Trennung von Staat und Kirche, sondern vor allem auch auf eine langfristige Versöhnung der Streitparteien.635 Dies war die Vorbedingung für die Beständigkeit des Gesetzes636, das nunmehr einen Grundpfeiler des französischen Verfassungsrechts darstellt. 2. Die Rezeption des und Kontroverse über den Laizismus im Verfassungsrecht der Weimarer Republik Dreizehn Jahre nach Verabschiedung des französischen Gesetzes über den Laizismus von 1905 wurde die Frage der religionsverfassungsrechtlichen Ordnung auch in Deutschland akut. Zwar wurde das Religionsverfassungsrecht bereits seit der Aufklärung in Deutschland heftig diskutiert, doch änderte sich auf verfassungsrechtlicher Ebene relativ wenig (a)). Mit der Novemberrevolution des Jahres 1918 fanden jedoch nicht nur das Kaisertum des Deutschen Reiches, sondern auch die monarchischen Regierungsformen der Länder ein Ende. Damit endete einerseits die Leitung der evangelischen Landeskirchen Deutschlands durch die Landesherren, andererseits änderte sich im gesamten Deutschen Reich die politische Landschaft grundlegend. Im Rahmen der Neuordnung Deutschlands durch die Weimarer Nationalversammlung spielte damit auch die zukünftige religionsverfassungsrechtliche Ordnung Deutschlands eine zentrale Rolle (b)).

630  Kapitel 2,

A.II.1.b)cc)(1) (S. 99 ff.). L’Etat et les religions en France, S. 190. 632  Verfassungsrat (Conseil constitutionnel), Az. 2012–297 QPC, 21. Februar 2013; Portier, L’Etat et les religions en France, S. 196 f. 633  Kapitel 2, A.II.1.b)bb)(1) (S. 92 ff.). 634  Kapitel 2, A.II.1.b)bb)(2) (S. 96 ff.). 635  Kapitel 2, A.II.1.b)cc) (S. 99 ff.). 636  Kapitel 2, A.II.1.b)dd) (S. 118 f.). 631  Portier,



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg121

a) Entwicklung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche vor 1918 Im Gegensatz zum französischen Königreich war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation seit dem Mittelalter politisch und juristisch gespalten. Mit der Reformation endete in der Folge auch dessen religiöse und religionsverfassungsrechtliche Einheit.637 Anhand des Beispiels Bayerns können jedoch die zentralen Tendenzen des deutschen Religionsverfassungsrechts im 19. Jahrhundert, die die meisten anderen deutschen Einzelstaaten teilten, ­illustriert werden (aa)). Deutschlandweit einheitliche Regelungen des Reli­ gionsverfassungsrechts sah erst die Paulskirchenverfassung in Folge der März-Revolution 1848 vor, die als Vorbild der Weimarer Reichsverfassung fungierte (bb)).638 Das Scheitern der Paulskirchenverfassung ging jedoch mit einer Stagnation des Religionsverfassungsrechts einher, das sich während des Deutschen Kaiserreichs (cc)) und des Ersten Weltkriegs (dd)) nicht grundlegend änderte. aa) Das Religionsverfassungsrecht des Anfangs des 19. Jahrhunderts am Beispiel Bayerns Das Beispiel Bayerns illustriert die für das 19. Jahrhundert typischen Entwicklungen des Religionsverfassungsrechts, die auch die meisten anderen deutschen Staaten durchliefen. Das Kurfürstentum und ab dem Jahre 1806 Königreich Bayern zählte zu den wichtigsten katholischen Herrschaftsgebieten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation.639 Die katholische Kirche hatte, anders als die evangelischen Landeskirchen, im Zeitalter der Reformation ihre politische und theologische Unabhängigkeit bewahrt. Allerdings ging die Entwicklung des modernen Staates im ganzen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation mit einer zunehmenden Beschneidung kirchlicher Kompetenzen und Rechte durch staatliche Maßnahmen einher. Besonders im 18. und 19. Jahrhundert bauten die Landesfürsten ihren Einfluss auf die katholische Kirche ihrer Territorien stetig aus.640 In Bayern übernahm der Staat im Jahre 1775 die Finanzaufsicht über die katholische Kirche.641 Diese wurde Anfang des 19. Jahrhunderts zu einer vollständigen Staatsaufsicht ausgebaut, die nunmehr nahezu alle Bereiche kirchlichen Lebens abdeckte.642 Ab dem Jahre 637  Siehe

Kapitel 2, A.I.2.b)aa) (S. 61 ff.). Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 20, Rz. 2 und Rz. 4. 639  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 1, S. 59. 640  Siehe auch Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 22. 641  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 31. 642  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 31. 638  Siehe

122 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

1802 begann die Verstaatlichung kirchlichen Besitzes in Bayern643, die in Folge des Reichsdeputationshauptschlusses des Jahres 1803 ihren Höhepunkt fand.644 Durch den Verlust eines Großteils ihres Vermögens geriet die katholische Kirche noch stärker unter staatlichen Einfluss.645 Die der Kirche oktroyierte Neuordnung ihres Verhältnisses zum Staat stieß auf heftigen Widerstand des Papstes Pius VII.646 Zu einer Versöhnung der Standpunkte von Staat und Kirche kam es erst im Konkordat des Königreichs Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 5. Juni 1817647, in dem Papst Pius VII. den Einfluss des Staates auf die bayerische katholische Kirche weitestgehend anerkannte. Das Konkordat des Königreichs Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 5. Juni 1817 entsprach in vielen zentralen Punkten dem Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801, in dem der Papst die Dominanz des französischen Staates über die französische katholische Kirche abgesegnet hatte.648 So wurde dem bayerischen König, ähnlich dem französischen Staatsoberhaupt, das Recht der Bestimmung der Erzbischöfe und der Bischöfe zugesprochen.649 Die Erzbischöfe und Bischöfe mussten einen Treueeid an den bayerischen König leisten.650 Auf die Ernennung der Pfarrer hatte der bayerische König entscheidenden Einfluss.651 Die Struktur der zwei bayerischen Erzbistümer München-Freising und Bamberg wurde auf das bayerische Staatsgebiet zugeschnitten.652 Im Gegenzug sicherte der bayerische Staat der katholischen Kirche den Respekt des Staates653 sowie alle für ihre Arbeit notwendigen Rechte innerhalb Bayerns zu.654 Ferner übernahm der bayerische Staat die Vergütung der katholischen Geistlichen.655 Den 643  Huber/Huber,

Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 1, S. 60. Kirchliche Rechtsgeschichte, § 17, Rz. 3. 645  Zippelius, Staat und Kirche, S. 140. 646  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 1, S. 62. 647  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 1, S. 170. 648  Kapitel 2, A.II.1.a)bb) (S. 80 ff.). 649  Artikel IX des Konkordats des Königreichs Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 5. Juni 1817. 650  Artikel XV des Konkordats des Königreichs Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 5. Juni 1817. 651  Artikel XI des Konkordats des Königreichs Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 5. Juni 1817. 652  Artikel II des Konkordats des Königreichs Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 5. Juni 1817. 653  Artikel XIV des Konkordats des Königreichs Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 5. Juni 1817. 654  Artikel I des Konkordats des Königreichs Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 5. Juni 1817. 655  Artikel III und IV des Konkordats des Königreichs Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 5. Juni 1817. 644  Link,



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg123

Bischöfen und Erzbischöfen wurde darüber hinaus ein Recht zugesprochen, Verbote kirchenkritischer Schriften zu erwirken.656 Auch die Rechtsstellung der anderen christlichen Konfessionen in Bayern änderte sich im 19. Jahrhundert grundlegend. Im Zuge der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahre 1806657 sowie der Vereinigung Bayerns mit der bayerischen Pfalz im Jahre 1816658 waren zahlreiche protestantische Gebiete unter bayerische Herrschaft gekommen.659 Die rechtliche und politische Einigung Bayerns sollte auch durch religionsverfassungsrechtliche Reformen sichergestellt werden.660 Die Religionsedikte der Jahre 1803 und 1809 sahen die rechtliche Gleichstellung der katholischen, der evangelisch-lutherischen und der evangelisch-reformierten Konfession vor.661 Dieses Prinzip wurde in der bayerischen Verfassung vom 26. Mai 1818 bestätigt.662 Anderen Religionsgemeinschaften stand jedoch grundsätzlich nur das Recht der Religionswahl und der Religionsausübung im privaten Raum zu.663 Die rechtliche Anerkennung der evangelischen Konfessionen ging auch mit einer Reform der Kirchenverfassung einher. In den protestantischen Gebieten Deutschlands beruhte die evangelische Kirchenorganisation auf dem landesherrlichen Kirchenregiment.664 Dieses sah die theologische und organisatorische Leitung der evangelischen Landeskirchen durch den Landesherren eines Territorialstaates oder den Rat einer freien Reichsstadt vor.665 Durch eine Hierarchie aus Konsistorium und Superintendenten unterstanden die evangelischen Pfarrer den Weisungen des Landesherren, der auch Einfluss auf Liturgie und Theologie nehmen konnte.666 Dieses Modell wurde auf die protestantischen Kirchen Bayerns nach deren Gleichstellung mit dem Katholizismus übertragen und in einem Edikt vom 26. Mai 1818 kodifi656  Artikel XIII des Konkordats des Königreichs Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 5. Juni 1817. 657  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 17, Rz. 5. 658  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 17. 659  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 16. 660  Zur Programmatik der bayerischen religionsverfassungsrechtlichen Reformen ausführlich Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert Bd. 1, S. 59. 661  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 24 (Fn. 38). 662  Titel IV, § 9 bayerische Verfassung vom 26. Mai 1818 (zitiert in: Wenzel, Baye­ rische Verfassungsurkunden, S. 30). 663  Titel IV, § 9 bayerische Verfassung vom 26. Mai 1818 (zitiert in: Wenzel, Baye­ rische Verfassungsurkunden, S. 30). 664  Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 26. 665  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 13. 666  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 13, Rz. 4 f.

124 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

ziert.667 An der Spitze der kirchlichen Hierarchie stand das dem bayerischen König unterstellte Innenministerium668, dem hierarchisch ein Oberkonsistorium, drei Konsistorien669, die Distriktdekanate670 und schließlich die Pfarrer nachgeordnet waren. Diese Kirchenverfassung hatte mit relativ geringen Änderungen bis zum Ende der Monarchie in Bayern Bestand.671 In rechtlicher Hinsicht ähnelten sich das bayerische und das französische672 Religionsverfassungsrecht der Epoche der Restauration sehr. In beiden Staaten herrschte die paradoxe Situation, in der die weltlichen Entscheidungsträger gleichzeitig ihre Macht innerhalb der katholischen Kirche ausbauten und die Partnerschaft mit dem Katholizismus beschworen. In beiden Ländern war die staatsbürgerliche Gleichstellung von Protestanten und Katholiken gesetzlich verankert, in Frankreich galt dies auch für andere Religionen und Konfessionen. Gleichzeitig betonte die französische Verfassung die Sonderstellung des Katholizismus als Staatsreligion, ein Prinzip, das der bayerischen Gleichstellung der drei wichtigsten Konfessionen widersprach. Im Gegensatz zu Frankreich sollte nicht eine Staatsreligion, sondern vielmehr die Integration protestantischer Gemeinden in den bayerischen Staat die politische Einheit des Landes sicherstellen. Aus diesem Grund wäre es falsch, die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts und die deutsche Restauration als Zeit des religionsverfassungsrechtlichen Rückschritts zu betrachten. Zwischen 1800 und 1848 fanden erste Garantien der Religionsfreiheit Einzug in deutsche Landesverfassungen.673 Gleichzeitig schritt in vielen Staaten, darunter Bayern, die Gleichstellung der römischkatholischen, der evangelisch-lutherischen und der evangelisch-reformierten Konfession voran. Zugleich wuchs der Einfluss der weltlichen Herrscher nicht nur auf die protestantischen Kirchen, sondern vor allem auch auf die katholische Kirche innerhalb ihres Territoriums.674 Damit stellte das Zeitalter der Restauration einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum modernen Reli­ gionsverfassungsrecht dar.

667  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 17; Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 1, S. 650 ff. 668  § 1 und § 18 des Edikts vom 26. Mai 1818. 669  § 4 des Edikts vom 26. Mai 1818. 670  § 6 des Edikts vom 26. Mai 1818. 671  Siehe vertiefend zur weiteren Geschichte des landesherrlichen Kirchenregiments in Bayern im 19. Jahrhundert Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 18 ff. 672  Kapitel 2, A.II.1.a)cc) (S. 85 f.). 673  Zippelius, Staat und Kirche, S. 133 f. 674  Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 22.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg125

bb) Staat und Religion nach der März-Revolution 1848 Der Aufstieg und die taktische Zusammenarbeit des antiklerikal geprägten Liberalismus, der eine verfassungsrechtliche Verbürgung der Religionsfreiheit und eine Trennung von Staat und Kirche propagierte, und des politischen Katholizismus, der die kirchliche Selbstverwaltung zu erreichen suchte, prägten das Religionsverfassungsrecht der Frankfurter Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849.675 Obwohl zahlreiche katholische Kleriker, Politiker und Publizisten die März-Revolution 1848 ähnlich der Französischen Revolution676 kategorisch ablehnten, sahen viele kirchentreue Katholiken doch in der Mitarbeit in der verfassungsgebenden Versammlung der Frankfurter Paulskirche eine Möglichkeit, die Lösung der katholischen Kirche aus dem staatlichen Kontrollsystem des Absolutismus und der Restauration677 bei gleichzeitig möglichst weitreichender Bewahrung kirchlicher Privilegien zu erreichen.678 Die katholische Kirche profitierte hierbei einerseits von den organisatorischen Strukturen des politischen Katholizismus. Zwar waren unter den 560 Abgeordneten der verfassungsgebenden Versammlung der Frankfurter Paulskirche nur ca. 60 bis 70 klerikale Abgeordnete, die allerdings aufgrund der Koordination ihrer religionsverfassungsrechtlichen Programmatik im außerparlamentarischen „katholischen Verein“ als einzige größere geschlossene Abgeordnetengruppe in religionsverfassungsrechtlichen Fragen auftraten.679 Andererseits verliehen die Vertreter des politischen Katholizismus ihrem Anliegen nach kirchlicher Selbstverwaltung ohne laizistische Trennung von Staat und Kirche durch die Lancierung von weit über 1000 Petitionen an die verfassungsgebende Versammlung der Frankfurter Paulskirche erheblichen Nachdruck.680 Gleichzeitig verzichteten die Vertreter des politischen Katholizismus auf eine Verfolgung der im deutlich antiklerikalen Kontext der verfassungsgebenden Versammlung der Frankfurter Paulskirche völlig undurchsetzbaren 675  Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht, Rz. 12; Willing, in: Denzel (Hrsg.), Kirche und Staat auf Distanz, S. 93. 676  Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.). 677  Siehe Kapitel 2, A.II.2.a)aa) (S. 121 ff.). 678  Ausführlich Kim, Ein deutsches Reich auf katholischem Fundament, S. 40 ff.; siehe auch Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 19, Rz. 12. 679  Lempp, Die Frage der Trennung von Kirche und Staat im Frankfurter Parlament, S.  29 ff. 680  Ausführlich Lempp, Die Frage der Trennung von Kirche und Staat im Frankfurter Parlament, S. 35 f. und Kim, Ein deutsches Reich auf katholischem Fundament, S. 60.

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päpstlichen Forderung nach einer Sonderstellung der katholischen Kirche in Staat und Politik681 und beschränkten sich auf die Bekämpfung radikalerer Trennungsmodelle.682 So verfochten die klerikalen Abgeordneten vehement die kirchliche Selbstverwaltung683 und akzeptierten im Gegenzug etwa die angesichts der (antiklerikal-)liberalen Mehrheit nicht zu verhindernde Religionsfreiheit684, die staatsbürgerliche Gleichstellung aller Religionen685 und die Aufhebung des Staatskirchentums686 und kirchlicher Vorrechte687 gegenüber anderen Religionsgemeinschaften.688 Gleichzeitig erreichten die Vertreter des politischen Katholizismus eine Beschränkung des Gesetzesvorbehalts der kirchlichen Selbstverwaltung auf die „allgemeinen Staatsgesetze“689, was Sondergesetze zu Lasten der Kirchen ausschloss.690 Eine Niederlage für den politischen Katholizismus stellte jedoch die von den Liberalen durchgesetzte obligatorische Zivilehe691 sowie die Abschaffung der geistlichen Schulaufsicht (mit Ausnahme des Religionsunterrichts)692 dar, wobei den Klerikalen zumindest die Möglichkeit der Gründung eigener Schulen693 zugestanden wurde.694 Trotz des Scheiterns des Verfassungsprojekts der verfassungsgebenden Versammlung der Frankfurter Paulskirche wurden die religionsverfassungsrechtlichen Bestimmungen der Paulskirchenverfassung, die bereits vorab am 27. Dezember 1848 als Teil der Grundrechte verkündet wurden695, innerhalb 681  Siehe

hierzu auch Kapitel 2, A.II.1.b)aa) (S. 89 ff.). Die Frage der Trennung von Kirche und Staat im Frankfurter Parla-

682  Lempp,

ment, S. 48. 683  § 147 Abs. 1 der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849. 684  §§ 144, 145, 147 Abs. 3 und 148 der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849. 685  § 146 der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849. 686  § 147 Abs. 2, S. 2 der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849. 687  § 147 Abs. 2, S. 1 der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849; siehe auch Heckel, ZevKR 45, 173 (197). 688  Ausführlich Lempp, Die Frage der Trennung von Kirche und Staat im Frankfurter Parlament, S. 37 ff. und S. 54 ff. 689  § 147 Abs. 1 der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849. 690  Weber, Der moderne Staat und die katholische Kirche, S. 124; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 20, Rz. 2. 691  § 150 der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849. 692  § 153 der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849. 693  § 154 Abs. 1 der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849. 694  Ausführlich zur Durchsetzung der liberalen schulrechtlichen Programmatik gegen die Klerikalen in der verfassungsgebenden Versammlung der Frankfurter Paulskirche siehe Lempp, Die Frage der Trennung von Kirche und Staat im Frankfurter Parlament, S. 73 ff. 695  Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit, S. 179.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg127

kurzer Zeit auf Landes- und Bundesebene rezipiert.696 Die preußischen Verfassungen vom 5. Dezember 1848697 und vom 31. Januar 1850698 übernahmen die umfassenden Gewährleistungen der Religionsfreiheit und der Gleichbehandlung aller Religionen.699 Das Selbstverwaltungsrecht der Religionsgemeinschaften wurde festgeschrieben700, allerdings in der Praxis nicht vollständig angewandt.701 Gleichzeitig rückte die preußische Verfassung vom 31. Januar 1850 jedoch wieder vom Grundsatz der Abschaffung kirchlicher Sonderrechte und der Trennung von Staat und Kirche der Paulskirchenverfassung ab, indem das Christentum zur Grundlage aller „Einrichtungen des Staats, welche mit der Religionsausübung im Zusammenhange stehen“702, normiert und damit Preußen zu einem „christlichen Staat“ erklärt wurde.703 Daneben war die Einführung der Zivilehe zwar bereits in der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850 vorgesehen704, doch unterblieb sie in Ermangelung des erforderlichen Gesetzes bis zum Jahr 1874.705 Auf Bundesebene wurde durch Gesetz vom 3. Juli 1869 die Gleichberechtigung der Religionen zunächst im Norddeutschen Bund festgeschrieben,706 durch die Verfassung des Deutschen Bundes des Jahres 1870 jedoch auf ganz Deutschland ausgeweitet707. Besonderen Einfluss hatte der Verfassungsentwurf der verfassungsgebenden Versammlung der Frankfurter Paulskirche jedoch auf die Verfassung der Weimarer Republik.708 Zahlreiche Passagen, darunter das Fehlen einer Staatskirche und das Selbstverwaltungsrecht der Religionsgemeinschaften, wurden aus der Paulskirchenverfassung in die Weimarer Reichsverfassung 696  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 20, Rz. 4; siehe auch Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit, S. 179 f. 697  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 2, S. 36. 698  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 2, S. 37 f. 699  Artikel 11 der preußischen Verfassung vom 5. Dezember 1848 und Artikel 12 der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850. 700  Artikel 12 der preußischen Verfassung vom 5. Dezember 1848 und Artikel 15 der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850. 701  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 9 f. 702  Artikel 14 der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850. 703  Hillgruber, DVBl 1999, 1155 (1168); Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht, Rz. 13; siehe auch Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 20, Rz. 6. 704  Artikel 19 der preußischen Verfassung vom 5. Dezember 1848. 705  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 20, Rz. 5. 706  Artikel 1 des Gesetzes des Norddeutschen Bundes vom 3. Juli 1869. 707  Artikel 79, Abs. 1 Nr. 19 der Verfassung des Deutschen Bundes in der Fassung vom 23. November 1870. 708  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 20, Rz. 4.

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übernommen. Dies unterstreicht die Bedeutung des Verfassungsentwurfs der Frankfurter Paulskirche als erstem neuzeitlichen Versuch eines deutschlandweit einheitlichen Religionsverfassungsrechts. cc) Das Religionsverfassungsrecht des Deutschen Kaiserreichs Trotz der nationalen Einigung Deutschlands bedeutete das Deutsche Kaiserreich keineswegs eine Vereinheitlichung des Religionsverfassungsrechts. Nur einzelne Aspekte, wie die in dem durch die Verfassung des Deutschen Bundes auf ganz Deutschland ausgeweiteten Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. Juli 1869 festgeschriebene Gleichberechtigung der Religionen709, waren auf Reichsebene geregelt.710 Die Gewährleistungen der Religions­ freiheit und die Regelung des Verhältnisses des Staates zu den Kirchen beschränkten sich jedoch weiterhin im Wesentlichen auf die Vorgaben der Verfassungen der deutschen Gliedstaaten.711 Besonders in Preußen, aber auch in den katholischen712 Staaten Deutschlands, nahmen die Konflikte zwischen Staat und katholischer Kirche in der 709  Kapitel 2, A.II.2.a)bb) (S. 125  ff.); siehe auch Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG – Kommentar: Bd. I, Art. 4, Rz. 9. 710  Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 2067. 711  Siehe Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 2067 und Rz. 2069 ff. Im Königreich Bayern galten zu diesem Zeitpunkt im Wesentlichen noch die in Kapitel 2, A.II.2.a)aa) (S. 121 ff.) skizzierten zu Beginn des 19. Jahrhunderts erlassenen Bestimmungen. 712  Im Gegensatz zum protestantischen Preußen dauerte die Auseinandersetzung von Staat und katholischer Kirche in Bayern und Österreich jedoch weitaus kürzer und verlief weniger drastisch (siehe auch Lill, in: Lill (Hrsg.), Der Kulturkampf, S. 13 f.). Während in Preußen der „Mischehenkonflikt“ und die „Kölner Wirren“ der 1830er Jahre (siehe hierzu auch Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 19, Rz. 7 ff.) den Auftakt der sich durch das 19. Jahrhundert ziehenden Konfrontation von katholischer Kirche und preußischem Staat darstellten, war vor allem in Österreich nach der März-Revolution 1848 die katholische Kirche der wichtigste „Partner“ der staatlichen Politik der Reaktion und der Zurückdrängung des Liberalismus, deren gesellschaft­ licher Einfluss insbesondere durch den Ausbau der geistlichen Schulaufsicht durch das Konkordat vom 18. August 1855 nochmals erheblich gesteigert wurde (Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 22, Rz. 12; ausführlich zum österreichischen Konkordat vom 18. August 1855 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte – Bd. 3, S. 158 f.). Nachdem die Maigesetze 1868 das Eherecht wieder säkularisiert und eine staatliche Schulaufsicht eingeführt hatten, kündigte die österreichische Regierung das Konkordat vom 18. August 1855 schließlich nach dem Beschluss des päpstlichen Unfehlbarkeitsdogmas durch das Erste Vatikanische Konzil 1870 wieder auf und förderte den Aufbau der sich von der römisch-katholischen Kirche abspaltenden altkatholischen Kirche, jedoch ohne wie Bismarck in Preußen eine größere Konfrontation mit der katholischen Kirche zu suchen (Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 22, Rz. 12 und Rz. 22; ausführlich auch Lill, in: Lill (Hrsg.), Der Kulturkampf, S. 17 f.).



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zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich zu.713 Diese vom preußischen Abgeordneten Rudolf von Virchow kirchenkritisch als „Kulturkampf“714 bezeichnete Epoche war kein rein deutsches Phänomen. In vielen europäischen Staaten, darunter Frankreich715, verschlechterten sich im ausgehenden 19. Jahrhundert die Beziehungen zwischen Regierungen und Papsttum deutlich.716 Ein wichtiger Auslöser des Kulturkampfes war dabei die seit der Französischen Revolution gewachsene Diskrepanz zwischen den theologischen und religionspolitischen Forderungen der römischen Kurie und der verfassungsrechtlichen Wirklichkeit.717 So lehnte das Papsttum die Religionsfreiheit, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts Einzug in zahlreiche europäische Verfassungen gehalten hatte, weiterhin strikt ab.718 Gleichzeitig forderte die römische Kurie noch immer die enge Verzahnung von Staat und Kirche, die charakteristisch für das absolutistische Religionsverfassungsrecht719 war, ein.720 Derartige Forderungen waren einerseits mit der protestantischen Prägung des Königreichs Preußen und des deutschen Kaisertums der Hohenzollern, andererseits aber auch mit der fortschreitenden Säkularisierung der deutschen Staaten und Gesellschaften kaum vereinbar. Zu einer ersten Eskalation des Konflikts der preußischen Regierung mit dem Papsttum kam es bereits in den 1830er Jahren über die Frage der konfessionellen Erziehung von Kindern konfessionsverschiedener Eltern („Mischehenkonflikt“).721 Während die preußische Regierung auf der Regelung einer königlichen Verfügung des Jahres 1803, die die Erziehung der Kinder in der väterlichen Konfession vorgab und dadurch die protestantische Prägung der preußischen sozialen und politischen Eliten zu sichern suchte, beharrte, bestanden das Papsttum und der ab 1835 amtierende Kölner Erzbischof Clemens August Droste von Vischering auf dem Versprechen der katholischen Erziehung aller Kinder als Voraussetzung einer konfessionsverschiedenen katholischen Eheschlie713  Kotulla,

Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 2166. Kirchliche Rechtsgeschichte, § 22, Rz. 13. 715  Kapitel 2, A.II.1.b)aa) (S. 89 ff.) und Kapitel 2, A.II.1.b)bb) (S. 92 ff.). 716  Siehe Kapitel 2, A.II.1.b)aa) (S. 89 ff.) und Kapitel 2, A.II.1.b)bb) (S. 92 ff.). 717  Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 2164; siehe auch zur Enzyklika Quanta cura (1864) Kapitel 2, A.II.1.b)aa) (S. 89 ff.). 718  Kapitel 2, A.II.1.b)aa) (S. 89 ff.). Erst das Zweite Vatikanische Konzil setzte im Jahre 1965 der kirchlichen Ablehnung der Religionsfreiheit ein Ende (siehe Lehmann, Toleranz und Religionsfreiheit, S. 52 ff.; siehe auch Bielefeldt/Ghanea-Hercock/ Wiener, Freedom of religion or belief, S. 2 und Bielefeldt, Streit um die Religionsfreiheit, S. 54). 719  Kapitel 2, A.I.2.b)bb) (S. 68 ff.) und Kapitel 2, A.I.3. (S. 72 ff.). 720  Kapitel 2, A.II.1.b)aa) (S. 89 ff.). 721  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 19, Rz. 7 f. 714  Link,

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ßung.722 Nach einer ersten Eskalation ab dem Jahre 1837, die in der Inhaftierung der Erzbischöfe von Köln („Kölner Wirren“) und Gnesen-Posen gipfelte723, und einem anschließenden zeitweiligen Nachgeben724 der preußischen Regierung folgte im Jahre 1853 ein mit Änderungen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs gültiger Armeebefehl725 des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., der mit Signalwirkung für alle preußischen Staatsbediensteten allen protestantischen Offizieren im Falle der Abgabe des vom Papsttum geforderten Versprechens der katholischen Erziehung aller Kinder einer konfessionsverschiedenen Ehe die sofortige Entlassung androhte.726 Gleichzeitig gewannen in Deutschland, ähnlich wie in Frankreich727, im Verlauf des 19. Jahrhunderts katholizismuskritische Positionen zunehmend an politischem Gewicht. Unter dem Eindruck des Syllabus errorum728 Pius’ IX. und des päpstlichen Unfehlbarkeitsdogmas sowie der Wahlerfolge der katholischen Deutschen Zentrumspartei vertiefte der preußische Ministerpräsident und deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck729 sein Bündnis mit der der katholischen Kirche äußert kritisch gegenüberstehenden Nationalliberalen Partei730, das seiner Regierung bis in das Jahr 1878 eine parlamentarische Mehrheit verschaffte.731 722  Zippelius, Staat und Kirche, S. 156 und Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 19, Rz. 8. 723  Zippelius, Staat und Kirche, S. 156; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 19, Rz. 8. 724  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 19, Rz. 9. 725  Armeebefehl vom 1. Juni 1853, abgedruckt in: Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 2, S. 74 f. 726  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 22, Rz. 5. 727  Siehe Kapitel 2, A.II.1.b)aa) (S. 89 ff.). 728  Kapitel 2, A.II.1.b)aa) (S. 89 ff.). 729  Bismarck selbst hatte bereits in den 1850er Jahren im „badischen Kulturkampf“, in dem der Erzbischof von Freiburg mit Unterstützung Pius’ IX. einseitig den Abbau staatlicher Hoheitsrechte über die badische katholische Kirche erzwingen wollte und zu diesem Zweck sogar denjenigen katholischen Klerikern, die die auf dieser Grundlage erlassenen Gesetze akzeptierten und befolgten, die Exkommunikation androhte, als Gesandter des Deutschen Bundesrates den badischen Großherzog zu einer strengen und unnachgiebigen Politik gegenüber der katholischen Kirche angehalten (ausführlich Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte – Bd. 3, S. 194 f. und Zippelius, Staat und Kirche, S. 156 f.). 730  Insbesondere der ab 1872 amtierende nationalliberale preußische Kultusminister Adalbert Falk wurde in der Folge neben Bismarck zum wichtigsten Initiator der Kulturkampfmaßnahmen der 1870er Jahre in Deutschland (Lill, in: Lill (Hrsg.), Der Kulturkampf, S. 19; Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, S. 23). 731  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 22, Rz. 14 und Willoweit/Schlinker, Deutsche Verfassungsgeschichte, § 35, Rz. 9 f.



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Zum Höhepunkt des Kulturkampfes in Deutschland kam es schließlich ab dem Jahre 1870, im dem das Erste Vatikanische Konzil mit großer Mehrheit dem Papst die theologische Unfehlbarkeit zusprach.732 Zahlreiche Staaten, darunter Bayern und Preußen, unterstützten den Aufbau der altkatholischen Kirche733, in der sich katholische Kritiker der Unfehlbarkeit und der Übermachtstellung des Papstes abspalteten.734 Auf Landes- und Reichsebene folgten weitere Maßnahmen zur Beschneidung des gesellschaftlichen und politischen Einflusses der katholischen Kirche in Deutschland, etwa auf Bundesratsinitiative Bayerns das reichsgesetzliche Verbot der politischen Stellungnahme in Ausübung eines geistlichen Amtes (§ 130 a StGB a. F., „Kanzelparagraph“) im Jahre 1871, das reichsweite Verbot der Jesuiten 1872, die Einführung der obligatorischen bürgerlichen Ehe in Preußen 1874 und in Deutschland 1875 sowie die Einführung der Möglichkeit des Kirchenaustritts sowie eines „Kulturexamens“ als Vo­ raussetzung eines geistlichen Amtes und einer strengen Reglementierung des Pfarrer-Berufs durch die preußischen Maigesetze 1873.735 Wegen Verstoßes gegen die preußischen Maigesetze 1873 wurden fünf der elf preußischen katholischen Bischöfe inhaftiert und sechs Bischöfe, darunter die Erzbischöfe von Köln und Gnesen-Posen, vom preußischen Staatsgerichtshof ihres Amtes für verlustig erklärt.736 Gleichzeitig blieb das Amt des deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl ab dem Jahre 1872 unbesetzt, im Jahre 1874 wurden die diplomatischen Beziehungen schließlich ganz abgebrochen.737 Angesichts des wachsenden Widerstands der katholischen Kirche und einer Mehrheit der katholischen Bevölkerung sowie des Todes Pius’ IX. und des Amtsantritts des kompromissbereiteren Papstes Leo XIII.738 im Jahre 1878 suchte Bismarck in den 1880er Jahren wieder die Annäherung an das Papsttum.739 Die Maigesetze 1873 wurden zunehmend weniger rigoros angewandt740

732  Link,

Kirchliche Rechtsgeschichte, § 23, Rz. 2. Kirchliche Rechtsgeschichte, § 22, Rz. 21 und § 22, Rz. 15; siehe auch Zippelius, Staat und Kirche, S. 158. 734  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 23, Rz. 3 und § 22, Rz. 25. 735  Ausführlich Lill, in: Lill (Hrsg.), Der Kulturkampf, S. 19 f.; Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, S. 23 f.; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 22, Rz. 15 f. und Rz. 18; Zippelius, Staat und Kirche, S. 158 ff. 736  Lill, in: Lill (Hrsg.), Der Kulturkampf, S. 21 und Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 22, Rz. 17. 737  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 22, Rz. 15. 738  Siehe auch Kapitel 2, A.II.1.b)aa) (S. 89 ff.). 739  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 22, Rz. 19. 740  Zu den „Milderungsgesetzen“ der Jahre 1880, 1882 und 1883 ausführlich Lill, in: Lill (Hrsg.), Der Kulturkampf, S. 22. 733  Link,

132 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

und in den Jahren 1886 und 1887 größtenteils wieder aufgehoben741, die diplomatischen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl im Jahre 1882 wieder aufgenommen.742 Gleichwohl erhalten blieben die obligatorische Zivilehe, die Möglichkeit des Kirchenaustritts, das erst 1917 aufgehobene Verbot der Jesuiten und der erst 1953 abgeschaffte „Kanzelparagraph“ (§ 130 a StGB a. F.).743 Unter dem Eindruck des Kulturkampfes gewannen der katholischen Kirche nahestehende Parteien in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Die im Jahre 1870 gegründete Deutsche Zentrumspartei, die unter dem Eindruck des Kulturkampfes zunehmend an politischem Einfluss gewann, verstand sich als Interessenvertretung der deutschen Katholiken und der katholischen Kirche744 und wurde in Folge des Kulturkampfes bei den Reichstagswahlen des Jahres 1881 gar von 86,3 % der wahlberechtigten deutschen Katholiken gewählt.745 Ihre Forderung nach einem Abbau der staatlichen Kontrolle der deutschen katholischen Kirche prägte nicht nur den politischen Katholizismus des Deutschen Kaiserreichs,746 sondern auch der Weimarer Republik. dd) Staat und Religion im Ersten Weltkrieg Die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen in Folge des Ersten Weltkriegs veränderten das deutsche Religionsverfassungsrecht grundlegend. In Deutschland ging der Erste Weltkrieg ähnlich wie in Frankreich747 mit einer Verbrüderung von Staat und katholischer Kirche einher.748 Bereits in den 1880er Jahren war es zu einer Entschärfung des Kulturkampfes749 gekommen.750 Gleichzeitig entwickelte sich die katholische Deutsche Zen­ trumspartei751 zu einer staatstragenden Partei, die die Politik des Deutschen Kaiserreichs mitgestaltete.752 Dennoch blieben das Königreich Preußen und das Deutsche Kaiserreich im Wesentlichen protestantisch geprägte Staaten. 741  Siehe Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 2, S.  867 ff. und S.  882 ff. 742  Lill, in: Lill (Hrsg.), Der Kulturkampf, S. 22. 743  Zippelius, Staat und Kirche, S. 161. 744  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 22, Rz. 2 und § 22, Rz. 17. 745  Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, S. 25. 746  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 22, Rz. 2. 747  Kapitel 2, A.II.1.b)cc)(3) (S. 114 ff.). 748  Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, S. 50. 749  Kapitel 2, A.II.2.a)cc) (S. 128 ff.). 750  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 22, Rz. 19; Zippelius, Staat und Kirche, S.  160 f. 751  Kapitel 2, A.II.2.a)cc) (S. 128 ff.). 752  Siehe Lönne, Politischer Katholizismus, S. 173 ff.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg133

Daran änderte faktisch auch der Erste Weltkrieg wenig, in dem sich die evangelischen Landeskirchen zu den wichtigsten Unterstützern der Politik des deutschen Kaisers Wilhelm II. entwickelten. Besonders bei Kriegsanfang heizten entsprechende öffentliche Predigten die Kriegsbegeisterung weiter an753, die evangelische Theologie suchte den Krieg und das Expansionsstreben Deutschlands zu legitimieren.754 Pazifistische Theologen blieben in der Minderheit.755 Zwar blieb der Katholizismus politisch faktisch in der Minderheit, doch verloren die Unterschiede der christlichen Konfessionen während des Ersten Weltkriegs politisch zunehmend an Bedeutung.756 Der wachsende Nationalismus ließ die konfessionellen Differenzen von Katholiken und Protestanten zunehmend in den Hintergrund rücken.757 Zahlreiche katholische Theologen verfochten ähnlich bellizistische Positionen wie ihre protestantischen Kollegen.758 Die päpstlichen Friedensaufrufe wurden nur selten gehört.759 Damit fungierten sowohl Katholizismus als auch Protestantismus während des Ersten Weltkrieges als wichtige Stützen der deutschen Monarchie. Auch nach Kriegsende blieben zahlreiche Theologen dem Monarchismus und Nationalismus verbunden. Besonders in den protestantischen Kirchen stieß die November-Revolution des Jahres 1918 und der Aufstieg der SPD zur wichtigsten Regierungspartei der Weimarer Republik auf große Ablehnung. Eine große Mehrheit der evangelischen Pfarrer unterstützte in der Folge die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die Demokratie und Republik ablehnte.760 Dieser Position schlossen sich zahlreiche katholische Theologen an.761 So kritisierte der Erzbischof von München-Freising, Michael Faulhaber, noch auf dem deutschen Katholikentag des Jahres 1922 die November-Revolution als „Hochverrat“ und attackierte besonders die SPD scharf.762 753  Huber/Huber,

Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 3, S. 808. beispielhaft den Aufruf deutscher evangelischer Theologen vom August 1914 in Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 3, S. 814 ff. sowie S. 808 (Einleitung). 755  Einen guten Überblick über den Kampf protestantischer Theologen gegen den Ersten Weltkrieg bietet Jung, Der Protestantismus in Deutschland 1870 bis 1945, S.  111 f. 756  Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, S. 50. 757  Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, S. 50. 758  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert Bd. 3, S. 517. 759  Siehe Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 3, S.  492 ff. 760  Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 2; Jung, Der Protestantismus in Deutschland 1870 bis 1945, S. 125. 761  Siehe Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 8 f. 762  Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 8. 754  Siehe

134 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Eine bedeutende Anzahl katholischer und protestantischer Theologen unterstützte jedoch die neugegründete Weimarer Republik. Der evangelische Theologe Friedrich Naumann wurde als Vorsitzender der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) zu einem wichtigen Vordenker des demokratischen Sozialliberalismus.763 Besonders Papst Benedikt XV. beschwor jedoch die freundschaftliche Kooperation und Zusammenarbeit von katholischer Kirche und SPD-geführter Reichsregierung.764 Insgesamt hatte der Erste Weltkrieg Deutschland religionspolitisch und gesellschaftlich grundlegend verändert. Die dem Kriegsende folgenden Umwälzungen ergriffen bald auch das Religionsverfassungsrecht, das zu einem wichtigen Politikum der Weimarer Republik wurde. b) Die Debatte über das Verhältnis von Staat und Kirche in der Weimarer Nationalversammlung Das Ende des Ersten Weltkriegs bedeutete auch das Ende der Monarchien der Länder und des Deutschen Reiches. Damit verloren die evangelischen Landeskirchen, die zuvor den Weisungen der Landesfürsten unterstanden765, ihre politische und theologische Führung.766 Gleichzeitig bedeutete der Aufstieg republikanischer sozialdemokratischer und sozialistischer Parteien in Deutschland, dass nunmehr, ähnlich wie 13 Jahre zuvor in der Dritten Französischen Republik, grundlegende religionsverfassungsrechtliche Reformen in Deutschland möglich waren. Besonders die neuen Übergangsregierungen der Länder strebten eine radikale Umgestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche an. So verstaatlichte die bayerische Revolutionsregierung unter Führung des USPD-Politikers Kurt ­Eisner die Aufsicht über das öffentliche Schulwesen767 und schaffte den Reli­ gionsunterricht als schulisches Pflichtfach ab768. Besonders weitreichend war jedoch das religionsverfassungsrechtliche Programm der preußischen Übergangsregierung aus SPD und USPD769, das wesentliche Aspekte der französischen laizistischen Religionsverfassung770 in Deutschland umzusetzen suchte.771 763  Siehe ergänzend zur DDP auch Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 2 f. 764  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 275 f. 765  Zum landesherrlichen Kirchenregiment siehe Kapitel 2, A.II.2.a)aa) (S. 121 ff.). 766  Ohnezeit, DNVP 1918–1928, S. 118. 767  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 86. 768  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 88. 769  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 6 f. 770  Kapitel 2, A.II.1.b)bb)(1) (S. 92 ff.) und Kapitel 2, A.II.1.b)cc)(1) (S. 99 ff.). 771  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 3 f.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg135

Gegen diese Maßnahmen und Projekte regte sich heftiger kirchlicher Widerstand.772 Beinahe im Wochentakt erklärten die katholischen und protestantischen Institutionen ihren Protest gegen die von den Revolutionsregierungen forcierte laizistische Religionsverfassung.773 Ergänzt durch zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen verhinderte der kirchliche Protest im Wesentlichen die Umsetzung der laizistischen Programmatik von SPD und USPD.774 Der Konflikt über die zukünftige Religionsverfassung Deutschlands schwelte jedoch bei Beginn der Beratungen der Weimarer Nationalversammlung im Februar 1919 weiter.775 Erst die Kompromisslösung der Weimarer Reichsverfassung (aa)), die im Wesentlichen den Vorstellungen der bürger­ lichen Parteien entsprach (bb)), brachte eine dauerhafte Befriedung der religionsverfassungsrechtlichen Dispute in Deutschland (cc)). Die durch die Weimarer Nationalversammlung beschlossene religionsverfassungsrechtliche Ordnung behielt bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland ihre Gültigkeit (dd)) und prägte auch in der Folge das Religionsverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland (ee)) und der Anfangsjahre der Deutschen Demokratischen Republik (ff)). aa) Der verabschiedete Verfassungstext der Art. 136 ff. WRV Die Wahlen zur verfassungsgebenden Weimarer Nationalversammlung am 15. Januar 1919 bedeuteten eine herbe Niederlage für die seit der NovemberRevolution 1918 regierende Koalition aus SPD und USPD, die die absolute Mehrheit deutlich verfehlte.776 Von den 423 Mandaten der Weimarer Nationalversammlung errang die SPD 165, die Deutsche Zentrumspartei 91, die Deutsche Demokratische Partei (DDP) 75, die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) 44, die USPD 22 und die Deutsche Volkspartei 19.777 Unter Führung der SPD konstituierte sich im Februar 1919 die neue Reichsregierung aus SPD, Deutscher Zentrumspartei und DDP.778 772  Besier,

Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 2. gute Zusammenstellung der verschiedenen Protestschreiben ist in Huber/ Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 16 ff. zu finden. 774  Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 2. 775  Siehe Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S.  109 ff. 776  Siehe Kapitel 1, A. (S. 27 ff.). 777  https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw06-kalenderblattweimarer-nationalversammlung–590072 (zuletzt abgerufen am 6. September 2019); Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 2253. 778  Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 2256. 773  Eine

136 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Die veränderten Mehrheitsverhältnisse in der Politik der Weimarer Repu­ blik spiegelten sich auch in den Arbeiten zur neuen religionsverfassungsrechtlichen Ordnung Deutschlands wider. Im Januar 1919 legte die deutsche Übergangsregierung den Entwurf einer neuen deutschen Verfassung vor, den maßgeblich der DDP-Politiker Hugo Preuß ausgearbeitet hatte.779 Der Entwurf780 sah eine Garantie der Religionsfreiheit781 und die Gleichbehandlung aller Religionen782 sowie eine strenge Trennung von Staat und Religion ohne Einräumung kirchlicher Sonderrechte783 vor.784 Diese Grundsätze übernahm der Regierungsentwurf vom 21. Februar 1919.785 Die beiden Regierungsentwürfe stießen auf heftigen Widerstand der Zivilgesellschaft und insbesondere der Kirchen, die um ihre rechtliche Sonderstellung und ihre finanzielle Überlebensfähigkeit bangten.786 Besonders im Wahlkampf wurde das Religionsverfassungsrecht zu einem Politikum, das den bürgerlichen Parteien eine überraschende Mehrheit in der Weimarer Nationalversammlung sicherte.787 In allen Wahl- und Parteiprogrammen, die teilweise nicht länger als wenige Seiten waren, wurde das zukünftige Verhältnis von Staat und Kirche thematisiert. Die Niederlage der Koalition aus SPD und USPD bei den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung vereinfachte die politische Durchsetzung dieser Anliegen. Im März 1919 traf sich eine von der Deutschen Volkspartei (DVP) initiierte Arbeitsgruppe aus Deutscher Zentrumspartei, Deutscher Demokratischer Partei (DDP), Deutschnationaler Volkspartei (DNVP) und Deutscher Volkspartei (DVP), um einen eigenen Entwurf zum Religionsverfassungsrecht auszuarbeiten.788 Dieser Kompromiss der bürgerlichen Parteien wurde zur Grundlage der religionsverfassungsrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung, die am 11. August 1919 verabschiedet wurde.789

779  Huber/Huber,

Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 107. Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 108. 781  § 19, Abs. 1 und § 19, Abs. 2 des Verfassungsentwurfs vom 20. Januar 1919. 782  § 18 und § 19, Abs. 3 des Verfassungsentwurfs vom 20. Januar 1919. 783  § 19, Abs. 3 des Verfassungsentwurfs vom 20. Januar 1919. 784  Siehe Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 107. 785  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 107 ff. 786  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 110. 787  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 26, Rz. 8. 788  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 118. 789  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 118 ff. und S. 127 ff.; siehe auch Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 2279. 780  Huber/Huber,



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg137

Das religionsverfassungsrechtliche Modell der Weimarer Reichsverfassung beruhte auf einer ambivalenten Trennung von Staat und Kirche. Einerseits schrieb die Weimarer Reichsverfassung in der Tradition der Paulskirchenverfassung790 das Fehlen einer Staatskirche791 sowie die Gleichbehandlung aller Religionen792 vor. Die individuelle793 und kollektive794 Religionsfreiheit sowie das Selbstverwaltungsrecht der Religionsgemeinschaften795 wurden gewährleistet. Die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen war vorgesehen796, das kirchliche Eigentum wurde garantiert.797 Andererseits war die vorgesehene Trennung von Staat und Kirche nicht vollständig. Zwar sah die Weimarer Reichsverfassung grundsätzlich die privatrechtliche Konstitution der Religionsgemeinschaften vor798, doch blieben allen voran die christlichen Kirchen öffentlich-rechtlich verfasst.799 Damit verbunden war ein Recht zur Erhebung von Kirchensteuern.800 Allerdings war der Erwerb der Privilegien der christlichen Kirchen auch anderen Reli­ gionsgemeinschaften sowie den diesen gleichgestellten Weltanschauungsgemeinschaften801 freigestellt, die „durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten“.802 Insgesamt hatte die Weimarer Nationalversammlung damit einen Kompromissvorschlag zum Religionsverfassungsrecht verabschiedet, der zentrale Anliegen aller Parteien verwirklichte.803 Die von SPD und USPD forcierte Trennung von Staat und Kirche wurde durch die Gewährung zahlreicher Privile790  Kapitel 2, A.II.2.a)bb) (S. 125  ff.); siehe auch Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 20, Rz. 4. 791  Art. 137 Abs. 1 WRV. 792  Art. 136 Abs. 1 und Abs. 2 WRV. 793  Art. 135 und Art. 136 WRV. 794  Art. 137 Abs. 2 WRV. 795  Art. 137 Abs. 3 WRV. 796  Art. 138 Abs. 1 WRV. 797  Art. 138 Abs. 2 WRV. 798  Art. 137 Abs. 4 WRV. 799  Art. 137 Abs. 5, S. 1 WRV. 800  Art. 137 Abs. 6 WRV. 801  Art. 137 Abs. 7 WRV. 802  Art. 137 Abs. 5, S. 2 WRV. 803  Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG – Kommentar: Bd. III, Art. 140, Rz. 11 beschreibt den religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung dementsprechend auch als „doppelten Kompromiss“ zwischen kirchlichen Privilegien und der Trennung von Staat und Kirche, der durch die Gewährleistung des Selbstverwaltungsrechts der Religionsgemeinschaften, das Ende des Staatskirchentums und religiösen Pluralismus durch die „Ausweitung“ der kirchlichen Privilegien auf prinzipiell alle Religionsgemeinschaften unter den Voraussetzungen des Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV gefunden wurde.

138 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

gien an die größeren Religionsgemeinschaften relativiert. Auf Druck der bürgerlichen Parteien behielten die christlichen Kirchen unter der Weimarer Reichsverfassung im Gegensatz zum französischen Modell des Gesetzes über den Laizismus von 1905 eine herausgehobene verfassungsrechtliche Stellung. bb) Positionen der in der Weimarer Nationalversammlung vertretenen Parteien Wie zuvor auf Ebene der Länder war auch in der Weimarer Nationalversammlung das Religionsverfassungsrecht ein kontroverses Thema. Dabei spielten nicht nur individuelle politische Überzeugungen, sondern auch parteipolitische Frontlinien eine bedeutende Rolle. Während die Parteien der Arbeiterbewegung eine deutliche Trennung von Staat und Religion befürworteten (1), lehnten die nationalkonservativen Kräfte eine solche ab (2). Der beschlossene Kompromiss ist auch als Ergebnis der Politik der bürgerlichen Parteien der politischen Mitte der Weimarer Republik zu sehen (3).804 (1) Befürwortung einer strengeren Trennung von Staat und Kirche Religionsskepsis war ein wesentliches Merkmal der deutschen Arbeiterbewegung.805 Der Philosophie Karl Marx’ folgend sahen viele sozialistische Politiker in Religion ein Instrument der Unterdrückung und der Perpetuie804  An dieser Stelle sei jedoch auf die Schwierigkeiten der Klassifikation und Kategorisierung der politischen Parteien der Weimarer Nationalversammlung nach ihren Standpunkten zum Religionsverfassungsrecht hingewiesen. Die gewählte Kategorienbildung und Einteilung der Parteien kann der Lebhaftigkeit und Pluralität der politischen Debatten zum Religionsverfassungsrecht zwischen den und innerhalb der Parteien der Weimarer Nationalversammlung nur bedingt gerecht werden. Die Positionen der SPD und der USPD (1) unterschieden sich deutlich in ihrer Radikalität und Kompromissfähigkeit. Die Deutschnationale Volkspartei (2) stand einer Trennung von Staat und Kirche zwar kritisch gegenüber, unterstützte den religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung jedoch aus pragmatischen Gründen. Besondere Schwierigkeiten bereitet jedoch die Klassifikation der Deutschen Volkspartei (DVP) (3c) des späteren deutschen Außenministers Gustav Stresemann. Besonders im Jahre 1919 bestand noch eine gewisse programmatische Nähe der DVP in vielen Bereichen, darunter dem Religionsverfassungsrecht, zur DNVP (siehe Richter, DVP 1918–1933, S. 76). Allerdings erwiesen sich die religionsverfassungsrechtlichen Forderungen der DVP als weitaus weniger radikal als die der DNVP. Die vorliegend gewählte Klassifikation der Parteien der Weimarer Nationalversammlung versteht sich dementsprechend nicht als abschließend, sondern reflektiert vor allem die langfristigen ideologischen Tendenzen in der Diskussion um das deutsche Religionsverfassungsrecht. 805  Siehe vertiefend zum marxistischen religionsverfassungsrechtlichen Modell Kadenbach, Das Religionsverständnis von Karl Marx, S. 240.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg139

rung politischer und sozialer Missstände.806 Die Machtposition der Kirchen in Deutschland war dementsprechend vielen Politikern der Arbeiterbewegung ein Dorn im Auge. Gleichzeitig stieß die Arbeiterbewegung auch von Seiten führender Persönlichkeiten der Kirchen auf große Ablehnung.807 Eine möglichst weitreichende Begrenzung des Einflusses der Kirchen in Deutschland war damit für die Arbeiterparteien nicht nur ideologisch wünschenswert, sondern auch eine wesentliche Bedingung ihres politischen Erfolgs. Diese Linie wurde nach der Spaltung der SPD im Jahre 1917808 durch SPD (a) und USPD (b) weiterverfolgt. (a) SPD Mit knapp unter 38 % der abgegebenen Stimmen wurde die SPD bei der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung zwar stärkste Kraft809, verfehlte die absolute Mehrheit jedoch deutlich. Die Forderung nach einer laizistischen Religionsverfassung nahm eine wichtige Stellung in der Programmatik der Arbeiterbewegung ein. Bereits das Eisenacher Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) des Jahres 1869 sah eine rechtliche Gleichbehandlung aller Religionen810 sowie eine Verstaatlichung der Aufsicht über die öffentlichen Schulen und eine laizistische Religionsverfassung vor811. Noch deutlicher forderte das Gothaer Programm der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) des Jahres 1875 eine „Erklärung der Religion zur Privatsache“.812 Diesen Passus übernahm das Erfurter Programm der SPD des Jahres 1891 und ergänzte ihn um die Forderung nach einer rein privatrechtlichen Konstitution der Kirchen ohne religionsverfassungsrechtliche Privilegien.813 Auch das 806  Berger,

Karl Marx – „Das Kapital“, S. 59. Kapitel 2, A.II.2.a)dd) (S. 132 ff.). 808  Siehe Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 2202. 809  Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 2253. 810  Artikel III, Nr. 3 Eisenacher Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei des Jahres 1869, verfügbar unter: https://www.spd-trier-mitte.de/dl/Eisenacher_ Programm.pdf (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 811  Artikel III, Nr. 5 Eisenacher Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei des Jahres 1869, verfügbar unter: https://www.spd-trier-mitte.de/dl/Eisenacher_ Programm.pdf (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 812  Artikel II, Nr. 6 Gothaer Programm der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands des Jahres 1875, verfügbar unter: https://www.spd-trier-mitte.de/dl/Das_ Gothaer_Programm.pdf (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 813  Nr. 5 (Liste I) Erfurter Programm der SPD des Jahres 1891, verfügbar unter: https://www.spd-trier-mitte.de/dl/Das_Erfurter_Programm.pdf (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 807  Siehe

140 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Görlitzer Programm des Jahres 1921 hielt am Ziel der laizistischen Staats­ verfassung fest814, ebenso das Heidelberger Programm815 des Jahres 1925. Erst im Godesberger Programm des Jahres 1959 bekannte sich die SPD schließlich zum religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung und den religionsverfassungsrechtlichen Privilegien der ­ Kirchen.816 Mit den Regierungsentwürfen vom Januar und Februar 1919817 erschien eine Durchsetzung der damaligen laizistischen religionsverfassungsrechtlichen Vorstellungen der SPD möglich. In diesem Sinne beharrte der SPDAbgeordnete Johannes Meerfeld in einer Rede vor dem Verfassungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung auf der sozialdemokratischen Forderung der „Erklärung der Religion zur Privatsache“, mit der sich die Kirchen „abzufinden [hätten]“, und die, wie unter anderem das Beispiel der laizistischen französischen Religionsverfassung zeige, „geschehen [könne], ohne daß die Kirchen darunter leiden“.818 Allerdings stießen die laizistischen Reformpläne der SPD auf erbitterten gesellschaftlichen und politischen Widerstand.819 Bei den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung wurden SPD und USPD für ihren Konfrontationskurs mit den Kirchen vom Wähler abgestraft.820 Fortan dominierten die bürgerlichen Parteien der Weimarer Nationalversammlung die Debatte über das zukünftige deutsche Religionsverfassungsrecht. An der Aushandlung des Kompromissvorschlags war die SPD nicht beteiligt.821 Auch im Rahmen der weiteren Verhandlungen konnte die SPD nur wenig Einfluss auf das zukünftige Religionsverfassungsrecht Deutschlands nehmen.

814  Abschnitt „Kultur- und Schulpolitik“, Abs. 2 Görlitzer Programm der SPD des Jahres 1921, verfügbar unter: https://www.spd-trier-mitte.de/dl/Das_Goerlitzer_ Programm.pdf (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 815  Abschnitt „Kultur- und Schulpolitik“, Abs. 3 Heidelberger Programm der SPD des Jahres 1925, verfügbar unter: https://www.spd-trier-mitte.de/dl/Das_Heidelberger_ Programm.pdf (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 816  Abschnitt „Religion und Kirche“, Abs. 1 Godesberger Programm der SPD des Jahres 1959, verfügbar unter:https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/ Grundsatzprogramme/godesberger_programm.pdf (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 817  Kapitel 2, A.II.2.b)aa) (S. 135 ff.). 818  Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, 19. Sitzung vom 1. April 1919, S. 2. 819  Kapitel 2, A.II.2.b)aa) (S. 135 ff.). 820  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 26, Rz. 8. Die Hoffnung der SPD, mit einer laizistischen Politik wie in Frankreich Wahlen gewinnen zu können (siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 79), erfüllte sich nicht. 821  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert Bd. 4, S. 118.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg141

Die daraus folgende Unzufriedenheit der SPD mit dem religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung unterstrich der Abgeordnete Max Quarck in der Plenarsitzung der Weimarer Nationalversammlung. „Im Ausschuß ist es das Bestreben der bürgerlichen Parteien gewesen, eine ganze Reihe staatlicher Machtmittel der Kirche weiter zu erhalten. Indem ich diese Tatsache konstatiere, bedauere ich sie aufs tiefste im Namen des Sozialismus in diesem weltgeschichtlichen Augenblick.“822

Die öffentlich-rechtliche Sonderstellung der Kirchen lehnte die SPD ebenso wie das Kirchensteuerrecht ab.823 Die Staatsleistungen an die Kirchen sollten nicht abgelöst, sondern vielmehr ohne Ausgleich abgeschafft werden.824 Entsprechend dem Regierungsentwurf vom Januar 1919825 sollten die Kirchen zukünftig als privatrechtliche Vereine ohne Privilegien konstituiert sein.826 Sofern eine öffentlich-rechtliche Sonderstellung geschaffen werde, sollte diese nach dem Willen der SPD allen Religionsgemeinschaften ohne Rücksicht auf Alter oder Mitgliederzahl zugebilligt werden.827 Innerhalb der Kirchen sollte eine vollständige Gleichbehandlung aller Mitglieder stattfinden.828 Den religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung konnte die SPD insgesamt nur wenig beeinflussen. Ein gewisser Erfolg der SPD mag in der Öffnung der religionsverfassungsrechtlichen Privilegien für kleinere Religionsgemeinschaften auf Initiative der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) gesehen werden. Ein noch weitergehender Antrag der SPD, der diese Rechte allen Religionsgemeinschaften zugebilligt hätte829, wurde jedoch vom Plenum der Weimarer Nationalversammlung verworfen.830 822  Verhandlungen der Verfassunggebenden Bd. 328, S. 1650. 823  Verhandlungen der Verfassunggebenden Bd. 328, S. 1650. 824  Verhandlungen der Verfassunggebenden Bd. 328, S. 1649 f. 825  Kapitel 2, A.II.2.b)aa) (S. 135 ff.). 826  Verhandlungen der Verfassunggebenden Bd. 328, S. 1650. 827  Verhandlungen der Verfassunggebenden Bd. 328, S. 1649. 828  Verhandlungen der Verfassunggebenden Bd. 328, S. 1649. 829  Verhandlungen der Verfassunggebenden Bd. 328, S. 1649. 830  Verhandlungen der Verfassunggebenden Bd. 328, S. 1663.

Deutschen Nationalversammlung, Deutschen Nationalversammlung, Deutschen Nationalversammlung, Deutschen Nationalversammlung, Deutschen Nationalversammlung, Deutschen Nationalversammlung, Deutschen Nationalversammlung, Deutschen Nationalversammlung,

142 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Die resignierte Akzeptanz des verfassungsrechtlichen Kompromisses der Weimarer Nationalversammlung durch die SPD brachte abermals der Abgeordnete Max Quarck am Ende seiner Stellungnahme zum Ausdruck. „Daß die Kirche die volle Trennung ausgeschlagen hat, muß sie und das Bürgertum, das sie unterstützte, mit sich ausmachen. Vielleicht bewahrheitet sich bei ihr noch die alte Erfahrung, daß Ewigkeiten nicht zurückbringen können, was man im richtigen Augenblick ausgeschlagen und verpaßt hat.“831

(b) USPD Die USPD hatte sich im Jahre 1917 im Streit über die Unterstützung des Ersten Weltkriegs von der SPD abgespalten.832 In religionspolitischen Angelegenheiten ähnelte die Linie der USPD der der SPD, war jedoch weitaus radikaler und weniger kompromissbereit. Im Zuge der November-Revolution des Jahres 1918 kam die USPD in zahlreichen deutschen Ländern in Regierungsverantwortung.833 In dieser Funktion trieb die USPD die von ihr propagierte Trennung von Staat und Kirche rigoros voran. In Preußen führten die Reformen des Kultusministers Adolph Hoffmann bald zu heftigem Widerstand der christlichen Kirchen.834 Schrittweise forcierte Hoffmann die Umgestaltung des Staats- und Schulwesens nach kirchenkritischen und laizistischen Grundsätzen.835 Noch im November 1918 wurde die Aufsicht über die öffentlichen Schulen verstaatlicht836 und der Religionsunterricht als Pflichtfach abgeschafft.837 Im Dezember 1918 wurde der Kirchenaustritt deutlich erleichtert.838 Noch deutlicher brachte jedoch das unter Leitung des USPD-Politikers Kurt Eisner839 verfasste bayerische Staatsgrundgesetz vom 4. Januar 1919 831  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1651. 832  Siehe Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 2202. 833  Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 2202 und Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 1. 834  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 3 f. und S.  16 f. 835  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 59 f. 836  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 60 f. 837  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 62. 838  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 57. 839  Zur religionsverfassungsrechtlichen Programmatik der bayerischen Übergangsregierung Kurt Eisners siehe Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert Bd. 4, S. 86.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg143

die Ablehnung der Kirchen durch die USPD zum Ausdruck. Die Religionsfreiheit wurde, im Einklang mit der marxistischen Doktrin,840 als „Freiheit von Religion“841 interpretiert.842 Ziel der USPD war eine vollkommene Zurückdrängung der Kirchen aus Staat und öffentlichem Leben.843 In der Weimarer Nationalversammlung stand die USPD dem religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss folglich mit Ablehnung gegenüber. In einem mit großer Mehrheit abgelehnten Antrag forderte die USPD ähnlich der SPD eine vollständige Trennung von Staat und Kirche sowie die Konstitution der Kirchen als privatrechtliche Vereine ohne Steuerrechte.844 Gleichzeitig sollten Religions- und Gewissensfreiheit sowie die Freiheit der Gründung von Religionsgemeinschaften gewährleistet werden.845 Im Gegensatz zur SPD waren die Forderungen der USPD im Hinblick auf das Eigentum der Kirchen weitaus radikaler. Begnügte sich die SPD mit der Abschaffung der Staatsleistungen an die Kirchen846, so forderte die USPD gar die Enteignung anderen kirchlichen Besitzes.847 Schulpolitisch forderte die USPD im Einklang mit ihrer seit November 1918 auf Landesebene verfolgten laizistischen Religionspolitik die Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts und die Einführung eines „Moralunterrichts“ nach französischem Vorbild, wie die Rede des Abgeordneten Oskar Cohn vor dem Verfassungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung verdeutlichte, die zentrale Gedanken der französischen laizistischen 840  Zum Verhältnis des Marxismus zur Religion siehe vertiefend Lobkowicz, Rev. Politics 26, 319 (320). 841  Siehe Berger, Karl Marx, S. 43. 842  „Niemand kann zum Eintritt in eine Glaubensgesellschaft, zur Teilnahme an ihren Kultus oder zum Verbleiben in einer Glaubensgesellschaft gezwungen werden.“ (Artikel 14, S. 3 des Staatsgrundgesetzes vom 4. Januar 1919, verfügbar unter: ­Bayerische Staatsbibliothek, http://daten.digitale-sammlungen.de/0010/bsb00108640/ images/index.html?id=00108640&groesser=&fip=193.174.98.30&no=&seite=19 (zuletzt abgerufen am 6. September 2019)). 843  Dem entsprach auch die feindsinnige Haltung einer Mehrheit der USPD-Abgeordneten den Kirchen gegenüber. Beispielhaft sei nur auf die kirchenkritische Rede Fritz Kunerts in der Weimarer Nationalversammlung vom 17. Juli 1919 verwiesen, Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S.  1658 ff. 844  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1659. 845  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1659. 846  Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(1)(a) (S. 139 ff.). 847  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1659.

144 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Religionspolitik848 aufgriff. So forderte auch der USPD-Abgeordnete Cohn, ähnlich dem französischen Bildungsminister Jules Ferry849 in dessen Brief an die französischen Grundschullehrer vom 27. November 1883850, dass die Abschaffung des Religionsunterrichts keineswegs mit einem moralischen Vakuum im schulischen Raum einhergehen solle. Vielmehr erhob Cohn, ähnlich den französischen Republikanern, die moralische Bildung zu einer wichtigen Aufgabe des laizistischen Schulwesens, dem eine zentrale Rolle in der „[Verwaltung der] ethischen und transzedentenn Werte“ zukomme.851 „Die Antriebe und Werte, die in metaphysischen Bedürfnissen und transzedenten Vorstellungen für den Aufbau und die Ausbildung der Persönlichkeit liegen, darf sich der Erzieher und die Schule nicht entgehen lassen; aber eben die Schule – ohne die Kirche – muß religiöse Vorstellungen und Bedürfnisse für die Erziehung der Persönlichkeit verwerten, muß die entkirchlichte Religion lehren. […] Beide Kirchen und die von ihnen vertretene Religion haben nach der Überzeugung weitester Volksteile gegenüber dem Kriege versagt und das Recht verloren, der Jugenderziehung die Grundlage zu geben und, wie bisher, sie zu beherrschen. Die Schule – und der Staat als ihr oberster Leiter – müssen gegenüber der Jugend auch die ethischen und transzedentenn Werte verwalten; hierbei denke ich z. B. an einen religiösen Moralunterricht wie in Frankreich.“852 848  Ausführlich

Kapitel 2, A.II.1.b)bb) und cc) (S. 92 ff.). A.II.1.b)bb)(1) (S. 92 ff.). 850  „La loi du 28 mars se caractérise par deux dispositions qui se complètent sans se contredire: d’une part, elle met en dehors du programme obligatoire l’enseignement de tout dogme particulier; d’autre part, elle y place au premier rang l’enseignement moral et civique. […] Il est impossible que vous voyiez chaque jour tous ces enfants qui se pressent autour de vous, écoutant vos leçons, observant votre conduite, s’inspirant de vos exemples, à l’âge où l’esprit s’éveille, où le cœur s’ouvre, où la mémoire s’enrichit, sans que l’idée vous vienne aussitôt de profiter de cette docilité, de cette confiance, pour leur transmettre, avec les connaissances scolaires proprement dites, les principes mêmes de la morale.“ (Brief Jules Ferrys an die französischen Grundschullehrer vom 27. November 1883, zitiert nach: Ardant (Hrsg.), Pouvoirs 75, 109 (109, 110 und 111); Übersetzung des französischen Originaltexts: „Das Gesetz vom 28. März [1882 über das verpflichtende Grundschulwesen] wird durch zwei Bestimmungen geprägt, die sich ergänzen, ohne sich zu widersprechen: Einerseits schließt es aus den Lehrplänen den Unterricht jedes besonderen [religiösen] Dogmas aus; andererseits stellt es an die Spitze der Lehrpläne die moralische und staatsbürgerliche Erziehung. […] Es ist unmöglich, dass Sie [als Grundschullehrer] jeden Tag all diese Kinder in einem Alter, in dem der Geist erwacht, das Herz sich öffnet und das Gedächtnis sich füllt, um sich haben, die Ihrem Unterricht folgen, Ihr Verhalten beobachten und Ihrem Beispiel folgen, ohne dass Ihnen dabei die Idee kommt, die Wissbegierigkeit und das Vertrauen der Kinder zu nutzen, um ihnen zusammen mit den schulischen Kenntnissen im engeren Sinne auch die Prinzipien der Moral zu vermitteln.“). 851  Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, 22. Sitzung vom 4. April 1919, S. 11. 852  Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, 22. Sitzung vom 4. April 1919, S. 11. 849  Kapitel 2,



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg145

Insofern demonstrierte die USPD auch in der Weimarer Nationalversammlung unverhohlen ihre Ablehnung der Kirchen und des religionsverfassungsrechtlichen Kompromisses der Weimarer Reichsverfassung, die der USPDAbgeordnete Fritz Kunert in seiner Rede vor dem Plenum der Weimarer Nationalversammlung scharf attackiert. „Wenn schon im Lande noch so schwere Verhältnisse herrschen, wenn schreiendes Elend und erschütternde Beweise der Massenarmut vorhanden sind, dann nimmt die Kirche trotzdem alles das, was sie irgend kriegen kann, unter allen Umständen. […] Wirkliche Befreiung der Kirche von der Staatskontrolle, die geradezu skandalös war und noch ist, bedingt eben die restlose Trennung von Kirche und Staat.“853

In diesem Sinne beendete der USPD-Abgeordnete Fritz Kunert seine kirchenkritische Rede vor dem Plenum der Weimarer Nationalversammlung unter großem Beifall der USPD-Fraktion mit dem Ausruf „Die Religion der Zukunft ist die Arbeit“.854 (2) Ablehnende Haltung der DNVP zur Trennung von Staat und Kirche Die deutschnationale Volkspartei ging im November 1918 aus mehreren national- und ultrakonservativen Parteien, darunter die Deutschkonservative Partei, hervor.855 Schnell fand die Strömung des Nationalprotestantismus, der eine Fusion nationalistischer Ideologie und protestantischer Theologie anstrebte, in der DNVP eine neue politische Heimat.856 Die deutschnationale Volkspartei entwickelte sich zum wichtigsten Gegenspieler der SPD in der Weimarer Nationalversammlung.857 In ihrem Gründungsaufruf vom 24. November 1918858 forderte sie zwar Meinungs- und Religionsfreiheit859, doch forderte bereits die Präambel eine tragende Rolle des Christentums in Politik und Gesellschaft ein.860 Noch deutlicher kamen Nationalismus und Ultrakonservativismus im Wahlaufruf der DNVP vom 853  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1660. 854  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1660. 855  Ausführlich Ohnezeit, DNVP 1918–1928, S. 32 ff. 856  Jung, Der Protestantismus in Deutschland 1870 bis 1945, S. 124 ff.; vertiefend zur Thematik des Nationalprotestantismus siehe Kurz, Nationalprotestantisches Denken in der Weimarer Republik. 857  Siehe Ohnezeit, DNVP 1918–1928, S. 110 f. 858  Liebe, Die Deutschnationale Volkspartei 1918–1924, S. 107 f. 859  Punkt 3, Gründungsaufruf der DNVP vom 24. November 1918, in: Liebe, Die Deutschnationale Volkspartei 1918–1924, S. 108. 860  Präambel des Gründungsaufrufs der DNVP vom 24. November 1918, in: Liebe, Die Deutschnationale Volkspartei 1918–1924, S. 107.

146 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

27. Dezember 1918861 zum Ausdruck, der eine Trennung von Staat und Kirche mit drastischen Worten verwarf.862 Vielmehr forderte die DNVP, dass „die starke Lebenskraft des Christentums […] [dem] Staats- und Volksleben erhalten [bleibe] und es [durchdringe]“.863 Zunehmend fusionierten Nationalismus, Antisemitismus, Monarchismus und religiöser Konservatismus zu einer Ideologie, die das Christentum zur „Volkssache“ erklärte.864 Insgesamt war das religionsverfassungsrechtliche Modell der DNVP ein Anachro­ nismus, der deutlich an die Epoche des Absolutismus865 und des Ancien ­Régime866 erinnerte. Bei den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung konnte die DNVP nur knapp über 10 % der Stimmen erzielen.867 Besonders die katholischen Wähler standen den häufig kaisertreuen Protestanten, die die Führungsriege der deutschnationalen Volkspartei bildeten,868 skeptisch gegenüber.869 Die von der DNVP geforderte Beibehaltung der engen Verbindung von Staat und Kirche war politisch in der Weimarer Nationalversammlung vollkommen undurchsetzbar. Im religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss der bürgerlichen Parteien sah die DNVP die einzige Möglichkeit, eine laizistische Verfassung nach den Vorstellungen der SPD zu verhindern. Dies erklärt die Ambivalenz im Verhalten der DNVP, die den religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung einerseits ablehnte, ihn andererseits aber letztlich doch mittrug.870 Diese Ambivalenz brachte besonders der Abgeordnete Karl Veidt in seiner Rede vor dem Plenum der Weimarer Nationalversammlung zum Ausdruck.871 861  Liebe,

Die Deutschnationale Volkspartei 1918–1924, S. 109 ff. Nr. 1 Wahlaufruf der DNVP vom 27. Dezember 1918, in: Liebe, Die Deutschnationale Volkspartei 1918–1924, S. 111. 863  Art. II, Nr. 1, S. 1 Wahlaufruf der DNVP vom 27. Dezember 1918, zitiert nach Liebe, Die Deutschnationale Volkspartei 1918–1924, S. 111. 864  Art. II, Nr. 13, S. 2 Programmatische Richtlinien der DNVP des Jahres 1920, zitiert nach Liebe, Die Deutschnationale Volkspartei 1918–1924, S. 116. 865  Kapitel 2, A.I.2.b)bb) (S. 68 ff.). 866  Kapitel 2, A.I.3. (S. 72 ff.). 867  https://de.statista.com/statistik/daten/studie/275954/umfrage/ergebnisse-derreichstagswahlen-in-der-weimarer-republik–1919–1933/ (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 868  Zur Rolle protestantischer Theologen in der Führung der DNVP siehe Jung, Der Protestantismus in Deutschland 1870 bis 1945, S. 124. 869  Ohnezeit, DNVP 1918–1928, S. 118. 870  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1657. 871  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1656 ff. 862  Art. II,



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg147

Veidt verteidigte vehement das landesherrliche Kirchenregiment und die enge Verzahnung von Staat und Kirchen.872 Die Kirchen müssten nach Ansicht der DNVP „Volkskirchen“873 bleiben, die das „Volk von innen heraus erneuern“874 und „gute Staatsbürger […] erziehen“.875 Aus diesem Grund trage die DNVP den religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss zwar mit, aber ohne große Zustimmung zu dem beschlossenen Verhältnis von Staat und Kirche.876 Trotz ihrer wenigen Mandate erwies sich die deutschnationale Volkspartei damit als heftige Kritikerin der Trennung von Staat und Kirche. (3) Z  ustimmung zu dem beschlossenen Verhältnis zwischen Staat und Kirche Der Laizismus der SPD und USPD877 und das Modell der Verschmelzung von Staat und Kirche der DNVP878 stellten die religionsverfassungsrechtlichen Extrempositionen in der Weimarer Nationalversammlung dar. Mit keinem der beiden Modelle konnten sich die Deutsche Zentrumspartei (a), die DDP (b) und die DVP (c) identifizieren. Das von ihnen propagierte Modell einer Trennung von Staat und Kirche bei gleichzeitigem Erhalt kirchlicher Privilegien erwies sich als die politisch und gesellschaftlich kompromiss­ fähigste Lösung. (a) Deutsche Zentrumspartei Die Deutsche Zentrumspartei879 wurde im Jahre 1870 zur Vertretung der Interessen der Katholiken und der katholischen Kirche in der deutschen Politik gegründet.880 Besonders die katholische Kirche wurde im vom protestantischen Preußen verfassungsrechtlich und politisch dominierten Deutschen 872  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Bd. 328, S. 1657. 873  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Bd. 328, S. 1657. 874  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Bd. 328, S. 1658. 875  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Bd. 328, S. 1657. 876  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Bd. 328, S. 1657. 877  Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(1) (S. 138 ff.). 878  Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(2) (S. 145 ff.). 879  Kapitel 2, A.II.2.a)cc) (S. 128 ff.). 880  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 22, Rz. 2.

Nationalversammlung, Nationalversammlung, Nationalversammlung, Nationalversammlung, Nationalversammlung,

148 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Kaiserreich häufig marginalisiert,881 der Katholizismus wurde zur Religion einer politischen und konfessionellen Minderheit.882 Dementsprechend entwickelte der politische Katholizismus in Deutschland grundsätzlich andere Ziele als im mehrheitlich katholischen Frankreich. So vollzog sich in Deutschland gerade keine Fusion von politischem Katholizismus und Monarchismus.883 Der Übergang zur Republik in Deutschland bedeutete gerade ein Ende der protestantisch geprägten deutschen Monarchie, die viele Katholiken kritisch gesehen hatten.884 Als Folge sah der deutsche politische Katholizismus die demokratische und republikanische Staatsverfassung weitaus weniger kritisch als der französische.885 Gleichzeitig gehörte eine enge Verbindung von Staat und Kirchen nicht zu den Zielen des deutschen politischen Katholizismus. Einerseits stellten die Katholiken in Deutschland auch nach dem Ende des Deutschen Kaiserreichs noch immer eine politische Minderheit dar. Andererseits war die Distanz von Staat und katholischer Kirche im Deutschen Kaiserreich weitaus ausgeprägter gewesen,886 als es in Frankreich vor dem 20. Jahrhundert je der Fall gewesen war.887 Als Folge unterschied sich der politische Katholizismus der Deutschen Zentrumspartei grundlegend vom Nationalprotestantismus der DNVP. Die Kontinuität katholischen Lebens in Deutschland erschien der Deutschen Zentrumspartei weitaus bedeutsamer als die Schaffung einer Verbindung von Staat und katholischer Kirche, die es auf Reichsebene seit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nicht mehr gegeben hatte. Diese Zielsetzungen verdeutlichten die programmatischen Richtlinien der Deutschen Zentrumspartei vom 16. Januar 1922.888 Zwar forderte die Deutsche Zentrumspartei eine Gestaltung von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Schulwesen nach christlichen Grundsätzen889, die sie allerdings in wich881  Kapitel 2,

A.II.2.a)cc) (S. 128 ff.). Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 4 f. 883  Siehe ergänzend die Darstellung der Entwicklung des politischen Katholizismus in Frankreich in Kapitel 2, A.II.1.b)aa) (S. 89 ff.). 884  Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 7 f.; siehe Nipperdey, Religion im Umbruch, S. 46 ff. 885  Lönne, Politischer Katholizismus, S. 220 f.; siehe auch Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 10. 886  Nipperdey, Religion im Umbruch, S. 42 f. 887  Siehe Kapitel 2, A.II.1.a)bb) bis dd) (S. 80 ff.) sowie Kapitel 2, A.II.2.a)cc) (S. 128 ff.). 888  Programmatische Richtlinien der Deutschen Zentrumspartei vom 16. Januar 1922, in: Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 375 ff. 889  Abs. 1 Programmatische Richtlinien der Deutschen Zentrumspartei vom 16. Januar 1922, in: Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 375. 882  Siehe



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg149

tigen Prinzipien der Weimarer Reichsverfassung verwirklicht sah.890 Auf dieser Grundlage bekannte sich die Deutsche Zentrumspartei zur Demokratie, zur Religionsfreiheit, zur kirchlichen Selbstverwaltung sowie zu einer „einträchtigen“ Trennung von Staat und Kirche.891 Eine strenge Trennung von Staat und Kirche lehnte die Deutsche Zentrumspartei jedoch ab,892 die französische Laizismusgesetzgebung verwarf sie als „feindselig“ und kirchenfeindlich.893 Die von ihr propagierte verfassungsrechtliche Sonderstellung und Privilegierung der Kirchen sei vielmehr aufgrund der „sozialen Kräfte der Religion und ihrer Bedeutung für das öffentliche Leben“894 und der zentralen Bedeutung der Religionsgemeinschaften für die individuelle Religionsausübung erforderlich.895 Zur Sicherung der Finanzierung der Kirchen forderte die Deutsche Zentrumspartei deshalb insbesondere ein verfassungsrechtlich garantiertes kirchliches Steuerrecht, das durch die Landesgesetzgeber weiter auszugestalten sei.896 Letztlich entsprach diese Programmatik dem religionsverfassungsrecht­ lichen Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung, den die Deutsche Zen­ trumspartei unterstützte. Insgesamt erzielte die Deutsche Zentrumspartei damit als führende bürgerliche Kraft der Weimarer Nationalversammlung einen religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss, der der Rolle der katholischen Kirche in Deutschland vollauf gerecht wurde.897 (b) DDP Die Deutsche Demokratische Partei (DDP) war unter Führung des evangelischen Theologen Friedrich Naumann898 im November 1918 als größte sozi890  Siehe Abs. 3–12 Programmatische Richtlinien der Deutschen Zentrumspartei vom 16. Januar 1922, in: Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 375 ff. 891  Abs. 9 Programmatische Richtlinien der Deutschen Zentrumspartei vom 16. Januar 1922, in: Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 376. 892  Lönne, Politischer Katholizismus, S. 111. 893  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1661. 894  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1645. 895  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1644. 896  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1656. 897  Siehe Lönne, Politischer Katholizismus, S. 111. 898  Siehe Kapitel 2, A.II.2.a)dd) (S. 132 ff.).

150 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

alliberale899 Partei der Weimarer Republik gegründet worden.900 Nach ihren Erfolgen bei der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung, in der die DDP 75 von 423 Abgeordneten stellte901, verlor sie zunehmend an Bedeutung und erzielte bei den Reichstagswahlen des Jahres 1920 nicht einmal mehr 10 % der abgegebenen Stimmen.902 In ihrem Parteiprogramm des Jahres 1919903 bekannte sich die DDP zu den Grundsätzen der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Republik, des Föderalismus und des Sozialstaates, die die Weimarer Reichsverfassung prägten.904 In religionsverfassungsrechtlicher Hinsicht sprach sich die DDP gegen eine radikale Trennung von Staat und Kirche aus.905 Vielmehr solle dieser Prozess „allmählich“ vollzogen werden.906 Dabei sollten die existenten Beziehungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften nicht vollständig gekappt werden, „geschichtliche, ideelle und praktische Beziehungen zwischen Staat und Kirche [sollten] bestehen [bleiben]“.907 Die Ablösung der Staatsleistungen solle sich mit Rücksichtnahme auf die Kirchen vollziehen.908 Auch in der Weimarer Nationalversammlung entwickelte sich die DDP zu einer tragenden Stütze des religionsverfassungsrechtlichen Kompromisses. Die DDP erachtete eine Trennung von Staat und Kirche als zwingende Voraussetzung für die Gewährleistung der Religionsfreiheit909 und der kirch­

899  Die Programmatik der DDP war ein Musterbeispiel des Sozialliberalismus, der die Forderung nach einer freien Marktwirtschaft mit verschiedenen sozialen Reformen verband, siehe Punkt III des Parteiprogramms der DDP von 1919, in: Treue, Deutsche Parteiprogramme, S. 138 f. 900  Siehe Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 2 f. 901  https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw06-kalenderblatt-wei marer-nationalversammlung–590072 (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 902  https://de.statista.com/statistik/daten/studie/275954/umfrage/ergebnisse-derreichstagswahlen-in-der-weimarer-republik–1919–1933/ (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 903  Treue, Deutsche Parteiprogramme, S. 135 ff. 904  Punkt I, Nr. 1 und Punkt III des Parteiprogramms der DDP von 1919, in: Treue, Deutsche Parteiprogramme, S. 135 ff. 905  Punkt II, Abs. 2, S. 1 des Parteiprogramms der DDP von 1919, in: Treue, Deutsche Parteiprogramme, S. 138. 906  Punkt II, Abs. 2, S. 1 des Parteiprogramms der DDP von 1919, zitiert nach: Treue, Deutsche Parteiprogramme, S. 138. 907  Punkt II, Abs. 2, S. 1 des Parteiprogramms der DDP von 1919, zitiert nach: Treue, Deutsche Parteiprogramme, S. 138. 908  Punkt II, Abs. 2, S. 2 des Parteiprogramms der DDP von 1919, in: Treue, Deutsche Parteiprogramme, S. 138. 909  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1661.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg151

lichen und theologischen Freiheit.910 Gleichzeitig befürwortete die DDP die in der Weimarer Reichsverfassung vorgesehene Selbstverwaltung der Kirchen911 („Freie Kirche im freien Staate!“912), die Abschaffung der Staatskirche913, die rechtliche Gleichstellung religiöser Minderheiten914, die Ablösung der Staatsleistungen915 und das kirchliche Steuerrecht916. Insgesamt bekannte sich die DDP ähnlich der Deutschen Zentrumspartei damit uneingeschränkt zum religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung. (c) DVP Als Nachfolgerin der Nationalliberalen Partei (NLP) des Deutschen Kaiserreichs wurde im Dezember 1918 die Deutsche Volkspartei (DVP) des späteren deutschen Außenministers Gustav Stresemann gegründet.917 Besonders in den Anfangsjahren der Weimarer Republik bestand eine gewisse programmatische Nähe der DVP zur DNVP, wobei sich die DVP als weitaus gemäßigter und kompromissfähiger erwies.918 Bei den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung errang die DVP lediglich 19 von 423 Sitzen919 und verfügte dementsprechend nur über eine schwache Verhandlungsposition. Die Marginalisierung der DVP in der Weimarer Nationalversammlung wurde durch ihren Gang in die Opposition ge-

910  Siehe Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1651. 911  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1652. 912  Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, 18. Sitzung vom 31. März 1919, S. 2. 913  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1653. 914  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1654. 915  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1654. 916  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1655. 917  Richter, DVP 1918–1933, S. 46. 918  Richter, DVP 1918–1933, S. 76 f.; siehe auch Hartenstein, Die Anfänge der DVP, S.  131 ff. 919  https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw06-kalenderblattweimarer-nationalversammlung–590072 (zuletzt abgerufen am 6. September 2019).

152 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

gen die neu gebildete Regierungskoalition aus SPD, Deutscher Zentrumspartei und DDP weiter verstärkt.920 Religionsverfassungsrechtlich war die Position der DVP weitaus ambivalenter als die der Deutschen Zentrumspartei und der DDP. In ihrem Parteiprogramm vom 19. Oktober 1919921 bekannte sich die DVP einerseits zu den wesentlichen religionsverfassungsrechtlichen Beschlüssen der Weimarer Reichsverfassung. So forderte die DVP die Religionsfreiheit, die Selbstverwaltung der Religionsgemeinschaften sowie das kirchliche Steuerrecht ein.922 Andererseits betonte die DVP die Bedeutung des Christentums als Grundlage der deutschen Gesellschaft und der deutschen Politik.923 Eine Trennung von Staat und Kirche forderte die DVP allerdings in ihrem Parteiprogramm vom 19. Oktober 1919 nicht.924 Besonders die französische Laizismusgesetzgebung verwarf die DVP ähnlich der Deutschen Zentrumspartei als kirchenfeindlich, wie eine Rede des DVP-Abgeordneten Wilhelm Kahl vor dem Verfassungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung unterstrich. „Die Trennung von Staat und Kirche in Frankreich […] beruhte auf Feindschaft, um nicht zu sagen auf Haß gegen die Religion und richtete sich ausschließlich gegen die katholische Kirche.“925

Das französische System der associations cultuelles (Glaubensvereinigungen) interpretierte der DVP-Abgeordnete Wilhelm Kahl dementsprechend als ein „System der Staatsaufsicht“ und warf dem französischen Staat eine polizeistaatliche Überwachung der Religionsgemeinschaften vor.926 Trotz der dezidierten Ablehnung der französischen Laizismusgesetzgebung war eine enge Verbindung von Staat und Kirche für die DVP jedoch nur im Falle der von ihr geforderten Restauration der Monarchie927 in Deutschland denkbar. Im demokratischen Gefüge der Weimarer Reichsverfassung erschien 920  Richter,

DVP 1918–1933, S. 58 ff. Deutsche Parteiprogramme, S. 127 ff. 922  Punkt 12 Parteiprogramm der DVP vom 19. Oktober 1919, in: Treue, Deutsche Parteiprogramme, S. 131. 923  Punkt 12 Parteiprogramm der DVP vom 19. Oktober 1919, in: Treue, Deutsche Parteiprogramme, S. 131. 924  Siehe Punkt 12 Parteiprogramm der DVP vom 19. Oktober 1919, in: Treue, Deutsche Parteiprogramme, S. 131. 925  Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, 19. Sitzung vom 1. April 1919, S. 5. 926  Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, 19. Sitzung vom 1. April 1919, S. 5. 927  Punkt 3, Abs. 4 Parteiprogramm der DVP vom 19. Oktober 1919, in: Treue, Deutsche Parteiprogramme, S. 128. 921  Treue,



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg153

der DVP die Trennung von Staat und Kirche als zwingende Notwendigkeit.928 Gleichzeitig entsprach die Sicherung der kirchlichen Privilegien der in den Anfangsjahren der Weimarer Republik noch sehr konservativ geprägten Programmatik929 der DVP. Im religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung sah die DVP damit eher eine logische Konsequenz des Endes der Monarchie und des landesherrlichen Kirchenregiments als das Produkt ihrer politischen Überzeugungen. Trotz der unterschiedlichen politischen Motive bekannte die DVP sich deshalb, ebenso wie DDP und Deutsche Zentrumspartei, klar zu den reli­ gionsverfassungsrechtlichen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung. cc) Anwendung des Verfassungsrechts in der Praxis Durch die Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung war die Trennung von Staat und Kirche in Deutschland jedoch nur zur Hälfte vollzogen. Die Umsetzung der religionsverfassungsrechtlichen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung musste noch auf Landesebene erfolgen. So bedeutete die Gewährleistung der Selbstverwaltung der Kirchen nur für die katholische Kirche930, nicht jedoch für die evangelischen Landeskirchen ein Ende staatlicher Kontrolle. In mehreren deutschen Staaten, darunter Bayern und Preußen, unterstanden die evangelischen Landeskirchen als Relikte des landesherrlichen Kirchenregiments noch immer staatlichen Behörden.931 Erst die in den Jahren 1920 bis 1922 verabschiedeten Reformen der evangelischen Landeskirchen erlaubten eine Übertragung staatlicher Kompetenzen auf neu geschaffene kirchliche Behörden,932 die staatlichen Kontrollorgane wurden allerdings teilweise erst im Jahre 1922 abge928  Siehe die diesbezüglichen Äußerungen des Abgeordneten Wilhelm Kahl in den Debatten des Verfassungsausschusses der Weimarer Nationalversammlung in Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 120 f. 929  Siehe Richter, DVP 1918–1933, S. 76. 930  Allerdings verblieb beispielsweise beim bayerischen Staat als Relikt des Konkordats des Königreichs Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 5. Juni 1817 (siehe Kapitel 2, A.II.2.a)aa), S. 121 ff.) ein schwerlich mit Art. 137 Abs. 3 WRV (Kapitel 2, A.II.2.b)aa), S. 135 ff.) vereinbares Recht der Bestimmung der katholischen Bischöfe und der Mitwirkung an der Ernennung der Pfarrer, das erst durch das Konkordat des Freistaats Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 29. März 1924 aufgehoben wurde (siehe auch Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 28, Rz. 2). 931  Siehe Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert Bd. 4, S. 34 f., S. 49 und S. 610. 932  Siehe Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 537, S. 543 und S. 610.

154 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

schafft.933 In Umsetzung der Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung war damit erstmalig seit der Reformation eine Selbstverwaltung der deutschen evangelischen Landeskirchen in Unabhängigkeit vom Staat möglich. Die Ablösung der Staatsleistungen wurde zwar von der Weimarer Reichsverfassung verlangt934, allerdings nicht umgesetzt.935 Den Ländern war und ist eine Ablösung der Staatsleistungen ohne reichs- oder bundesgesetzliche Rahmenregelung verwehrt.936 Ein solches Rahmengesetz wurde jedoch weder unter der Weimarer Republik noch unter der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet937, die Staatsleistungen werden bis heute fortgeführt.938 Das Kirchensteuerrecht der öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften wurde durch die Weimarer Reichsverfassung zwar garantiert, seine Ausgestaltung jedoch den Ländern zugebilligt.939 Bereits vor Erlass der Weimarer Reichsverfassung war den christlichen Kirchen in den meisten deutschen Ländern die Erhebung von Kirchensteuern durch Landesgesetz gestattet worden.940 In Folge der Billigung des kirchlichen Steuerrechts durch die Weimarer Reichsverfassung941 wurden die Kirchensteuergesetze zahlreicher deutscher Gliedstaaten bestätigt und modernisiert, so in Preußen942 im Jahre 1920 und in Bayern943 im Jahre 1921. Die Weimarer Reichsverfassung verwehrte dem Reich und den Ländern nicht den Abschluss besonderer Verträge mit Religionsgemeinschaften.944 Verhandlungen über ein Konkordat der Weimarer Republik mit dem Heiligen Stuhl blieben ergebnislos.945 Hingegen konnten auf Landesebene zahlreiche Verträge sowohl mit der katholischen Kirche als auch mit den protestanti933  Siehe Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 610. 934  Art. 138 Abs. 1 WRV. 935  Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 510. 936  Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 349. 937  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 26, Rz. 19. 938  Beispielhaft weist der Jahresbericht 2018 der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Jahr 2014 Einnahmen aus Staatsleistungen in Höhe von 273 Mio. € aus, EKD, Gezählt 2018 – Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben, S. 34. 939  Art. 137 Abs. 6 i. V. m. Art. 137 Abs. 8 WRV. 940  Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 263. 941  Kapitel 2, A.II.2.b)aa) (S. 135 ff.). 942  Siehe vertiefend Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 174 ff. 943  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 187 ff. 944  Siehe dazu ausführlich Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz.  270 ff. 945  Ausführlich Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 28, Rz. 14 f.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg155

schen Kirchen abgeschlossen werden.946 In Bayern wurden im Jahre 1924 Verträge mit der katholischen Kirche sowie der evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns und der evangelisch-unierten Landeskirche der bayerischen Pfalz abgeschlossen, die im Jahre 1925 in Kraft traten.947 Der Religionsunterricht an staatlichen Schulen wurde gewährleistet948 und unter kirchliche Aufsicht949 gestellt. Den Kirchen wurde ein Einspruchsrecht bei der Berufung der Religionslehrer zugebilligt.950 Der katholischen Kirche wurde ein Einspruchsrecht bei der Besetzung von Professuren für katholische Theologie zugesichert951, der evangelischen Landeskirche Bayerns ein Recht zur Stellungnahme.952 Der vorläufige Fortbestand der Staatsleistungen und eine finanzielle Kompensation im Falle von deren Ablösung wurden zugesichert.953 Das auf dem Konkordat des Königreichs Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 5. Juni 1817 beruhende Recht des bayerischen Staates zur Ernennung der katholischen Bischöfe und Erzbischöfe954 wurde aufgehoben.955 946  Verträge mit den christlichen Kirchen wurden nicht nur vom bayerischen, sondern beispielsweise auch vom preußischen und badischen Staat abgeschlossen (Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 28, Rz. 9 ff.). 947  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 298 ff. und S.  676 ff. 948  Art. 4 § 3 des Konkordats des Freistaats Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 29. März 1924; Art. 4 des Vertrags des Freistaats Bayern mit der evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns vom 15. November 1924; Art. 3 des Vertrags des Freistaats Bayern mit der evangelisch-unierten Landeskirche der Pfalz vom 15. November 1924. 949  Art. 8 § 1 des Konkordats des Freistaats Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 29. März 1924; Art. 12 des Vertrags des Freistaats Bayern mit der evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns vom 15. November 1924; Art. 7 des Vertrags des Freistaats Bayern mit der evangelisch-unierten Landeskirche der Pfalz vom 15. November 1924. 950  Art. 3 § 1 des Konkordats des Freistaats Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 29. März 1924; Art. 3 Abs. 1 des Vertrags des Freistaats Bayern mit der evangelischlutherischen Landeskirche Bayerns vom 15. November 1924; Art. 2 Abs. 1 des Vertrags des Freistaats Bayern mit der evangelisch-unierten Landeskirche der Pfalz vom 15. November 1924. 951  Art. 3 § 1 des Konkordats des Freistaats Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 29. März 1924. 952  Art. 2 Abs. 1 des Vertrags des Freistaats Bayern mit der evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns vom 15. November 1924. 953  Art. 10 § 1 des Konkordats des Freistaats Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 29. März 1924; Art. 15 des Vertrags des Freistaats Bayern mit der evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns vom 15. November 1924; Art. 9 des Vertrags des Freistaats Bayern mit der evangelisch-unierten Landeskirche der Pfalz vom 15. November 1924. 954  Siehe Kapitel 2, A.II.2.a)aa) (S. 121 ff.). 955  Art. 14 § 1 des Konkordats des Freistaats Bayern mit dem Heiligen Stuhl vom 29. März 1924.

156 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Insgesamt entsprach die Zielsetzung der drei bayerischen Kirchenverträge des Jahres 1924 weitestgehend dem Konzept der Weimarer Reichsverfassung einer Trennung von Staat und Kirche bei gleichzeitiger Bewahrung wichtiger kirchlicher Privilegien. Die Ausgestaltung der religionsverfassungsrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung durch die Landesgesetzgeber war ein wichtiger Schritt für die langfristige politische und gesellschaftliche Akzeptanz des beschlossenen Verhältnisses von Staat und Kirche. Diese Akzeptanz war jedoch eine notwendige Voraussetzung für die Rezeption der religionsverfassungsrechtlichen Normen der Weimarer Reichsverfassung im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland. dd) Staat und Kirche im „Dritten Reich“ Das Verhältnis des Nationalsozialismus zum Christentum war durch eine Ambivalenz geprägt, die Ausdruck der parallelen Ziele einer Instrumentalisierung und Eliminierung der Kirchen war. Die nationalsozialistische Ideologie stand dem Christentum offen feindselig gegenüber.956 Aus diesem Grund traf die staatliche Verfolgung und Repression zivilgesellschaftlicher und religiöser Institutionen durch die nationalsozialistische Diktatur auch die christlichen Kirchen. Christliche Privatund Bekenntnisschulen wurden faktisch aufgelöst, der Religionsunterricht an staatlichen Schulen abgeschafft.957 Kirchliche Verbände und Vereine wurden verboten oder minutiöser staatlicher Kontrolle unterworfen.958 Noch weiter ging das nationalsozialistische Regime im besetzten Polen, wo es eine Politik der Dechristianisierung und der schrittweisen Auflösung der Kirchen betrieb.959 Gleichzeitig sahen die nationalsozialistischen Machthaber in den Kirchen Instrumente, um ihren Griff auf die deutsche Gesellschaft und Politik zu festigen. Die von der NSDAP initiierte „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ strebte eine Umgestaltung von Organisation und Theologie der deutschen evangelischen Landeskirchen entsprechend der nationalsozialistischen Ideologie an.960 Dem stellte sich die im Jahre 1934 gegründete „Bekennende Kirche“ entgegen, die einer Eingliederung der protestantischen Kirchen in 956  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 29, Rz. 1; siehe Zippelius, Staat und Kirche, S. 174. 957  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 29, Rz. 21. 958  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 29, Rz. 22. 959  Vertiefend Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 29, Rz. 32 ff. 960  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 29, Rz. 4 f. und Rz. 13.



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den nationalsozialistischen Staat zuvorkam.961 Die Konfrontation der „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ und der „Bekennenden Kirche“ bewirkte einen Zerfall kirchlicher Organisationsstrukturen, der erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Gründung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) behoben werden konnte.962 Noch viel deutlicher als die protestantischen Kirchen machte jedoch die katholische Kirche vor 1933 ihre Ablehnung des Nationalsozialismus öffentlich.963 Eine Unterstützung der NSDAP wurde für mit dem Katholizismus unvereinbar erklärt.964 Besonders in den katholischen Gebieten Deutschlands war die NSDAP politisch und gesellschaftlich nicht mehrheitsfähig. Erst das Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933965 bewirkte einen deutlichen Meinungsumschwung der katholischen Kirche.966 Das Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933 galt nur subsidiär zu den Konkordaten der deutschen Gliedstaaten mit dem Heiligen Stuhl.967 Die Religionsfreiheit und insbesondere die Freiheit der Religionsausübung der Katholiken in Deutschland wurde gewährleistet,968 ebenso das Beichtgeheimnis.969 Der Erhalt der theologischen Fakultäten970, der katholischen Konfessionsschulen971, der katholischen Vereine und Verbände972 und des Religionsunterrichts in staatlichen

Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 29, Rz. 13 ff. Kirchliche Rechtsgeschichte, § 29, Rz. 16 ff. und § 30, Rz. 1 f. 963  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 29, Rz. 8. 964  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 29, Rz. 8. 965  Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert – Bd. 4, S. 505 ff.; siehe auch Zippelius, Staat und Kirche, S. 172. 966  Vertiefend Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 29, Rz. 8 ff. Die kirchlichen Hinweise, dass das Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933 keineswegs eine Billigung des Nationalsozialismus darstellte, blieben, wie nicht anders zu erwarten war, weitestgehend ungehört (Picq, Politique et religion, S. 159). 967  Artikel 2 Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933. 968  Artikel 1 Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933. 969  Artikel 9 Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933. 970  Artikel 19 Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933. 971  Artikel 23 Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933. 972  Artikel 31 Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933. 961  Vertiefend 962  Link,

158 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Schulen973 wurde zugesagt. Entgegen den Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung974 wurde eine Ablösung der Staatsleistungen an die katholische Kirche nur nach Abstimmung mit der römischen Kurie vereinbart.975 Im Gegenzug kam dem nationalsozialistischen Regime ein Einspruchsrecht bei der Besetzung der Leitungsfunktionen der deutschen katholischen Kirche zu.976 Die Bischöfe mussten gegenüber dem Deutschen Reich einen Treueschwur leisten.977 Weiterhin sicherte die katholische Kirche Gebete für das „Wohlergehen des Deutschen Reiches und Volkes“ zu.978 Der Papst verpflichtete sich, dem deutschen Klerus die Mitgliedschaft in und die Unterstützung von politischen Parteien zu untersagen.979 Insgesamt bedeutete das Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933 einen Zuschnitt der deutschen katholischen Kirche auf den nationalsozialistischen Staat. Treueeid, Gebete für das Regime und staatliche Mitwirkung bei der Besetzung kirchlicher Führungspositionen waren wichtige Elemente der Konkordate der Epoche der Restauration980 und der napoleonischen Herrschaft981, aber mit der Garantie der Selbstverwaltung der Kirchen der Weimarer Reichsverfassung982 unvereinbar. Die im Gegenzug der katholischen Kirche erteilten Garantien wurden durch das nationalsozialistische Regime ausgehöhlt und ausgehebelt.983 Dennoch waren alle Versuche der Integration der Kirchen in den nationalsozialistischen Staat nur begrenzt erfolgreich. Trotz einer gewissen Verbrüderung mit dem nationalsozialistischen Regime boten die Kirchen auch vielen Kritikern des Nationalsozialismus eine Heimat.984 Der kirchliche Widerstand 973  Artikel 21 Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933. 974  Art. 138 Abs. 1 WRV, siehe Kapitel 2, A.II.2.b)aa) (S. 135 ff.). 975  Artikel 18 Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933. 976  Artikel 14 Nr. 2 Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933. 977  Artikel 16 Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933. 978  Artikel 30 Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933. 979  Artikel 32 Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933. 980  Kapitel 2, A.II.2.a)aa) (S. 121 ff.). 981  Kapitel 2, A.II.1.a)bb) (S. 80 ff.). 982  Art. 137 Abs. 3 WRV. 983  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 29, Rz. 12 und Rz. 21 ff. 984  Siehe Jung, Der Protestantismus in Deutschland 1870 bis 1945, S. 195 ff. und Picq, Politique et religion, S. 160 ff. Einen vertiefenden Einblick in die Rolle der Kirchen im Widerstand und in der Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Re-



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg159

gegen den Nationalsozialismus bestimmte in der Folge die Rolle der Kirchen beim Wiederaufbau Deutschlands nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entscheidend mit.985 ee) Religionsverfassungsrecht der Nachkriegszeit und der Bundesrepublik Deutschland Durch die nationalsozialistische Politik der „Gleichschaltung“ waren bei Kriegsende im Jahre 1945 nahezu alle zivilgesellschaftlichen und politischen Institutionen Deutschlands zerstört.986 Einzig die Kirchen hatten sich einer Einverleibung in den nationalsozialistischen Staat widersetzt.987 Mit Unterstützung der Alliierten konnten die Kirchen deshalb alsbald nach Kriegsende ihren gesellschaftlichen und theologischen Aufgaben wieder nach­kommen.988 Als universeller Institution fiel der katholischen Kirche in Deutschland der Wiederanfang erheblich leichter als den evangelischen Kirchen.989 Die Organisationsstrukturen der deutschen katholischen Kirche waren trotz nationalsozialistischer Diktatur und Zweitem Weltkrieg erhalten geblieben. Ganz anders stellte sich die Situation der deutschen protestantischen Gemeinden dar. Der Kampf der „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ mit der „Bekennenden Kirche“ hatte die deutschen protestantischen Kirchen gespalten und ihre Organisationsstrukturen zerstört.990 Der im Jahre 1922 gegründete Deutsche Evangelische Kirchenbund991 war im Jahre 1933 der von der nationalsozialistischen „Glaubensbewegung Deutsche Christen“992 dominierten Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) zum Opfer gefallen.993 Bereits im August 1945 wurde die Gründung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) als Zusammenschluss zunächst west- und ostdeutscher evangelischlutherischer, evangelisch-reformierter und evangelisch-unierter Landeskirgime bietet auch Gailus/Nolzen, Zerstrittene „Volksgemeinschaft“ – Glaube, Konfession und Religion im Nationalsozialismus. 985  Siehe Jung, Der Protestantismus in Deutschland 1870 bis 1945, S. 208; vertiefend Fitschen, Theologische Rundschau 73, 119 (126 f.). 986  Jung, Der Protestantismus in Deutschland 1870 bis 1945, S. 208; siehe auch Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 29, Rz. 5. 987  Jung, Der Protestantismus in Deutschland 1870 bis 1945, S. 208. 988  Siehe Jung, Der Protestantismus in Deutschland 1870 bis 1945, S. 208. 989  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 30, Rz. 1. 990  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 30, Rz. 1. 991  Vertiefend Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 27, Rz. 6. 992  Kapitel 2, A.II.2.b)dd) (S. 156 ff.). 993  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 29, Rz. 7 und Rz. 13.

160 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

chen initiiert, die im Jahre 1948 ihren Abschluss nahm.994 Die konfessionsgleichen Landeskirchen schlossen sich in der 1948 gegründeten Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), der 1922 konstituierten evangelisch-unierten Kirche der Altpreußischen Union (APU) und dem seit 1884 bestehenden Reformierten Bund zusammen.995 Bei Beginn der Beratungen für die Verfassungen der Länder hatte sich bereits ein florierendes kirchliches Leben in Deutschland entwickelt. Die neuen Landesverfassungen suchten die religionsverfassungsrechtliche Kontinuität der Zeit der Weimarer Republik.996 Eindrücklich demonstriert dies die bayerische Verfassung vom 2. Dezember 1946997, die im Wesentlichen die religionsverfassungsrechtlichen Bestimmungen der bayerischen Verfassung vom 14. August 1919998 und der Weimarer Reichsverfassung999 verband und rezipierte. Ähnlich verfuhr auch das Grundgesetz (GG) auf Bundesebene, das schlicht eine Weitergeltung des religionsverfassungsrechtlichen Kompromisses der Weimarer Reichsverfassung anordnete.1000 Das Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl vom 20. Juli 1933 galt als Bundesrecht fort.1001 Es wurde auf Landesebene durch verschiedene weitere Verträge mit der katholischen Kirche und den evangelischen Kirchen, jedoch auch mit anderen Religionsgemeinschaften ergänzt.1002 Insgesamt stellt das Religionsverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland1003 damit eine eindeutige Fortsetzung des religionsverfassungsrechtlichen Kompromisses der Weimarer Nationalversammlung dar. Reformvorschläge, etwa der Ruf nach einer strengeren Trennung von Staat und

994  Link,

Kirchliche Rechtsgeschichte, § 30, Rz. 2 f. Kirchliche Rechtsgeschichte, § 30, Rz. 5 ff. 996  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 31, Rz. 3. 997  Siehe Artikel 107 und Artikel 142 bis 149 Bayerische Verfassung vom 2. Dezember 1946. 998  Siehe §§ 17 bis 19 Bayerische Verfassung vom 14. August 1919. 999  Kapitel 2, A.II.2.b)aa) (S. 135 ff.). 1000  Zippelius, Staat und Kirche, S. 176. Art. 140 GG ordnete die Weitergeltung der Art. 136 bis 141 WRV mit Ausnahme des Art. 140 WRV, der sich auf die Reli­ gionsausübung im Rahmen der Wehrmacht bezog, an. Neu gefasst wurden hingegen die Garantie der Religionsfreiheit (Art. 135 WRV und Art. 4 GG) sowie die schulverfassungsrechtlichen Vorschriften (Art. 144 bis 149 WRV sowie Art. 7 GG). 1001  Zippelius, Staat und Kirche, S. 178. 1002  Einen Überblick über neuere Verträge von Staat und Religionsgemeinschaften bietet Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 340 bis Rz. 342. 1003  Ausführlich Kapitel 3, A.II. (S. 244 ff.). 995  Link,



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg161

Kirche nach dem Vorbild des französischen Laizismus, blieben bislang ohne politische Mehrheit.1004 ff) Religionsverfassungsrecht der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) Das Religionsverfassungsrecht der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) entwickelte sich in zwei entgegengesetzten Phasen. Suchte die DDR in ihrer Gründungszeit noch die Anknüpfung an den religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung, so nahm spätestens ab dem Ende der 1950er Jahre die Repression der christlichen Kirchen zu.1005 Besonders die nach Ende des Zweiten Weltkriegs ausgearbeiteten Landesverfassungen zeugten noch vom Wunsch der Anknüpfung an das Religionsverfassungsrecht der Weimarer Republik.1006 So wurde zwar durch die sächsische Verfassung vom 28. Februar 1947 der Religionsunterricht zum Wahlfach degradiert1007, doch wurden im Wesentlichen die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung1008 übernommen. Die Religionsfreiheit1009 und die Gleichbehandlung1010 wurden gewährleistet, ebenso die Selbstverwaltung der Religionsgemeinschaften1011 und das kirchliche Steuerrecht.1012 Das repressive Religionsverfassungsrecht der DDR kündigte nur das verfassungsrechtliche Verbot des „Missbrauchs“ religiöser Institutionen und religiöser Praxis zu „politische[n] Zwecke[n]“ an.1013 Auch die Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 unterschied sich religionsverfassungsrechtlich nur wenig vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, die religionsverfassungsrechtlichen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung wurden nahezu vollständig übernommen.1014 So enthielt die Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 Gewährleistungen der Religi1004  Vertiefend zur Diskussion über eine Reform des Religionsverfassungsrechts im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 58. 1005  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 33, Rz. 1 ff. 1006  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 31, Rz. 3 und § 33, Rz. 1. 1007  Art. 93 Sächsische Verfassung vom 28. Februar 1947. 1008  Kapitel 2, A.II.2.b)aa) (S. 135 ff.). 1009  Art. 89 Abs. 1, Art. 90 Abs. 2 und Art. 91 Abs. 1 Sächsische Verfassung vom 28. Februar 1947. 1010  Art. 90 Abs. 1 Sächsische Verfassung vom 28. Februar 1947. 1011  Art. 91 Abs. 2 Sächsische Verfassung vom 28. Februar 1947. 1012  Art. 91 Abs. 5 Sächsische Verfassung vom 28. Februar 1947. 1013  Art. 89 Abs. 2 Sächsische Verfassung vom 28. Februar 1947. 1014  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 33, Rz. 1.

162 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

onsfreiheit1015, der kirchlichen Selbstverwaltung1016, des kirchlichen Steuerrechts1017, des kirchlichen Eigentums1018 und des Religionsunterrichts als Wahlfach.1019 Allerdings enthielt auch die Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 als Vorbote der zukünftigen Religionspolitik ein Verbot des „Missbrauchs“ von Religion zu „verfassungswidrige[n] oder parteipolitische[n] Zwecke[n]“.1020 Gleichzeitig setzte sich ab den 1950er Jahren das kommunistische Reli­ gionsverfassungsrecht zunehmend auch in der DDR durch.1021 Der sowjetischen Ideologie folgend wurden in Ostdeutschland die christlichen Kirchen zunehmend überwacht und gegängelt.1022 Trotz der verfassungsrechtlichen Garantie des kirchlichen Steuerrechts verweigerten die ostdeutschen Steuerbehörden ab Mitte der 1950er Jahre immer häufiger jede Mithilfe bei Einzug und Erhebung der Kirchensteuer.1023 Eine ordnungsgemäße Festsetzung wurde dadurch den kirchlichen Finanzbehörden unmöglich.1024 Auch die Auszahlung der noch immer nicht abgelösten Staatsleistungen verweigerte der ostdeutsche Staat.1025 Eine chronische Unterfinanzierung der ostdeutschen evangelischen Landeskirchen, in denen die weit überwiegende Mehrheit der ostdeutschen Christen organisiert war,1026 war die Folge.1027 Seit deren Gründung arbeiteten die ostdeutschen und westdeutschen evangelischen Landeskirchen im Rahmen der EKD und der VELKD1028 zusammen. Auf Druck des ostdeutschen Staates verließen die evangelischen Gemeinden Ostdeutschlands diese Organisationen in den Jahren 1968 und 1969.1029

1015  Art. 41

Abs. 1 Verfassung der DDR vom 7. Oktober Abs. 2 Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1017  Art. 43 Abs. 4 Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1018  Art. 45 Abs. 2 Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1019  Art. 44 Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949. 1020  Art. 41 Abs. 2 Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1021  Zippelius, Staat und Kirche, S. 176. 1022  Zippelius, Staat und Kirche, S. 176. 1023  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 33, Rz. 3. 1024  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 33, Rz. 3. 1025  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 33, Rz. 3. 1026  Vertiefend Vogel, ZevKR 59, 157 (162). 1027  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 33, Rz. 3. 1028  Kapitel 2, A.II.2.b)ee) (S. 159 ff.). 1029  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 33, Rz. 8 f. 1016  Art. 43

1949. 1949. 1949. 1949. 1949.



A. Die Trennung von Staat und Kirche, ein europäischer Sonderweg163

Der öffentlich-rechtlichen Stellung der Kirchen setzte die Verfassung der DDR vom 9. April 1968 schließlich ein Ende.1030 Einzig eine stark eingeschränkte Garantie der Religionsfreiheit blieb vom Religionsverfassungsrecht der Weimarer Republik in der Verfassung der DDR vom 9. April 1968 erhalten.1031 Erst die deutsche Wiedervereinigung, durch die das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland auch in den ostdeutschen Bundesländern Anwendung fand, bedeutete dort die Rückkehr zum religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung.1032 3. Zusammenfassung der verfassungshistorischen Genese des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts Trotz aller Unterschiede im Ergebnis sind Ähnlichkeiten in der Entwicklung des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu beobachten. Mit dem plötzlichen Ende des Zweiten Französischen Kaiserreichs in Folge der Niederlage Napoleons III. in der Schlacht von Sedan stürzte die französische Politik in eine tiefe Verfassungskrise.1033 Zwar wurde noch im selben Jahr die Dritte Französische Republik ausgerufen, doch blieb die politische Unsicherheit weiterhin bestehen. Im Konflikt mit nationalkonservativen Kräften wurde das Eintreten für ein laizistisches Religionsverfassungsrecht eines der zentralen politischen Charakteristika der französischen republikanischen und sozialistischen Parteien.1034 Nach der vorangegangenen Laizisierung des Schulwesens1035 und der Auflösung der Ordensgemeinschaften1036 erließ der französische Gesetzgeber schließlich nach langer parlamentarischer und außerparlamentarischer Debatte das Gesetz über den Laizismus von 1905, das den Grundstein für eine neutrale Religionspolitik zur Sicherung der Religionsfreiheit und der republikanischen und demokratischen Verfassungsordnung der Dritten Französischen Republik legen sollte.1037 Gleichzeitig bedingte die Versöhnlichkeit, die im Gesetz über den Laizismus von 1905

1030  Siehe

Art. 39 Abs. 2 Verfassung der DDR vom 9. April 1968. Abs. 1 Verfassung der DDR vom 9. April 1968. 1032  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 33, Rz. 15. 1033  Ausführlich Kapitel 1, A. (S. 27 ff.). 1034  Kapitel 2, A.II.1.b)aa) (S. 89 ff.) und Picq, Politique et religion, S. 142. 1035  Kapitel 2, A.II.1.b)bb)(1) (S. 92 ff.). 1036  Kapitel 2, A.II.1.b)bb)(2) (S. 96 ff.). 1037  Siehe Kapitel 2, A.II.1.b)cc)(1) (S.  99  ff.) und Kapitel 2, A.II.1.b)cc)(2) (S. 102 ff.). 1031  Art. 39

164 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

zum Ausdruck kam, seine gesellschaftliche und politische Akzeptanz.1038 Im aktuellen französischen Recht stellt der Laizismus ein zentrales Staatsstrukturprinzip dar, das von einer überwältigenden Mehrheit der Franzosen begrüßt wird.1039 Ähnlich verlief die juristische Trennung von Staat und Kirche in Deutschland. Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Novemberrevolution des Jahres 1918 führten zur Abschaffung der Monarchie in Deutschland.1040 Gleichzeitig ermöglichte der politische Aufstieg der SPD und der USPD, dass sozialdemokratische und sozialistische Ideen und Konzepte in der deutschen Politik und im deutschen Verfassungsrecht größere Bedeutung bekamen. Jedoch waren, im Gegensatz zu den Anfangsjahren der Dritten Französischen Republik, radikalere religionsverfassungsrechtliche Konzepte nicht mehrheitsfähig, sodass die beschlossene religionsverfassungsrechtliche Ordnung eher einen Kompromiss denn eine Revolution darstellte, der durch den Verweis des Art. 140 GG noch heute im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bestand hat.1041 Die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede des Religionsverfassungsrechts der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik erklären sich damit auch aus deren Geschichte. Beide Staaten befanden sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer Phase des politischen Umbruchs, der das gesamte Verfassungsrecht veränderte und prägte. Dies betraf im Besonderen auch das Religionsverfassungsrecht, das sich in beiden Staaten grundlegend wandelte. Während in Frankreich das radikalere Konzept des Laizismus durchsetzbar war, blieb es in Deutschland bei einer weniger weitreichenden Trennung von Staat und Kirche. Diese Unterschiede dürfen jedoch nicht über eine große Gemeinsamkeit beider religionsverfassungsrechtlicher Modelle hinwegtäuschen. Sowohl der deutsche wie auch der französische Gesetzgeber strebten durch ihre Reformen eine Stärkung der Religionsfreiheit an.

1038  Siehe

S. 75.

auch Fabre, in: Weil (Hrsg.), Politiques de la laïcité au XXe siècle,

1039  Kapitel 2, A.II.1.b)ee) (S. 119 f.) und Chelini-Pont, Geo. Wash. Int’l L. Rev. 41, 765 (766). 1040  Kapitel 2, A.II.2.b)aa) (S. 135 ff.). 1041  Kapitel 2, A.II.2.b)ee) (S. 159 ff.).



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte165

B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte – eine Barriere für die Rezeption in Deutschland? Das Vorhergehende verdeutlichte, wie groß die Gemeinsamkeiten des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts sind. Eine Diskussion der Unterschiede beider Modelle darf aus diesem Grund keineswegs über diese historischen und verfassungsrechtlichen Schnittpunkte hinwegtäuschen. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Unterschiede beider Modelle nicht von Belang seien. Im Gegenteil kann eine Diskussion der Ursachen dabei helfen, im Interesse einer Annäherung der europäischen verfassungsrechtlichen Systeme einen Konsens der verschiedenen religionsverfassungsrechtlichen Konzepte zu finden. Zwei Punkte sind in dieser Hinsicht von Bedeutung. Einerseits sind die unterschiedlichen religionsverfassungsrechtlichen Konzepte Deutschlands und Frankreichs auch durch eine unterschiedliche theologische Ideengeschichte zu erklären (I.). So bewirkte die französische gallikanische Kirchenverfassung, die die Autonomie der französischen katholischen Kirche gegenüber der römischen Kurie betonte, zwar eine deutliche Annährung der französischen katholischen Kirche an die französischen weltlichen Herrscher und ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis von der französischen Krone (I.1.), doch sicherte die gallikanische Kirchenverfassung im Unterschied zum landesherrlichen Kirchenregiment der deutschen evangelischen Landeskirchen (I.2.) gleichzeitig die rechtliche und organisatorische Autonomie der französischen katholischen Kirche, die eine Grundvoraussetzung der laizistischen Trennung von Staat und Kirche in Frankreich war (I.3.). Andererseits sind die verschiedenen religionsphilosophischen Strömungen in Deutschland und Frankreich von Bedeutung (II.). Bereits die französische Philosophie der Aufklärung, besonders des schweizerisch-französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau, betonte die Bedeutung der Religion für die Funktionsfähigkeit eines politischen Gemeinwesens.1042 Diese Rolle maß die Philosophie Rousseaus jedoch nicht dem christlichen Glauben, sondern vielmehr einer eigenständigen staatsbürgerlichen Religion (religion civile) bei, die alle französischen Staatsbürger teilen sollten.1043 Andere Formen der Religionsausübung, einschließlich des Christentums, sollten nach dem Willen Rousseaus der staatsbürgerlichen Religion und der Verfassungsordnung unterworfen und vom Staat strikt getrennt werden.1044 In Kombination mit der 1042  Kleger/Müller,

Archiv für Begriffsgeschichte 29, 47 (61). Du contrat social, S. 107. 1044  Rousseau, Du contrat social, S. 108. 1043  Rousseau,

166 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

besonders in der Ersten und Dritten Französischen Republik verbreiteten Religionskritik stellte die Religionsphilosophie Rousseaus damit eine wichtige Grundlage des französischen Laizismus dar (II.1.). In der deutschen Staatsphilosophie ist eine derart strenge Trennung von Staat und Religion hingegen nicht verwurzelt. Anders als in Frankreich sollte in Deutschland nicht eine laizistische Staatsverfassung, sondern vielmehr eine gleichberechtigte Privilegierung der Religionsgemeinschaften die Religionsfreiheit sichern (II.2.).

I. Die Spannung zwischen Universalismus und Nationalismus innerhalb der katholischen Kirche – der Gallikanismus als Prototyp des Laizismus? Das Konzept einer eigenständigen französischen katholischen Kirche war zwar prägend für das Religionsverfassungsrecht der Französischen Revolution, existierte jedoch bereits seit dem Mittelalter. Dies war bestimmend für das Verhältnis der französischen katholischen Kirche zunächst zum französischen Königtum und später zum französischen Staat. Aus dieser engen Beziehung erklärt sich die erhöhte Bereitschaft der Regierungen der Französischen Revolution und später der Dritten Französischen Republik, religionsverfassungsrechtliche Reformen im Konflikt mit dem Papsttum als Oberhaupt der katholischen Kirche durchzusetzen. Der Gallikanismus als französischer kirchenrechtlicher Sonderweg war in diesem Sinne auch eine wichtige Ausgangsbedingung für eine eigenständige Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Religion in Frankreich ohne Rücksicht auf die Belange der römischen Kurie (1.). Dabei war eine Besonderheit des Gallikanismus, dass die französische katholische Kirche sich zwar einerseits als (relativ) unabhängig vom Heiligen Stuhl ansah, andererseits jedoch trotz des großen königlichen Einflusses auch über eine weitaus größere Autonomie gegenüber der weltlichen Macht als die deutschen evangelischen Landeskirchen verfügte. Demgegenüber beeinflusste die deutlich ausgeprägtere, durch das landesherrliche Kirchenregiment bedingte Staatsnähe der deutschen evangelischen Landeskirchen die Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirchen in der Weimarer Repu­ blik grundlegend (2.).



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte167

1. Die Institutionalisierung der katholischen Kirche und der französische Sonderweg Die katholische Kirche versteht sich als die weltumspannende religiöse Institution aller Christen.1045 Zwar waren die christlichen Frühkirchen noch sehr regional organisiert1046, doch spätestens seit dem Mittelalter wurde die Zentralisierung der katholischen Kirche kontinuierlich vorangetrieben (a)).1047 Demgegenüber fanden sich in zahlreichen europäischen Ländern, insbesondere in Frankreich, Bestrebungen, die Unabhängigkeit der regionalen katholischen Institutionen zu bewahren und zu stärken (b)). Dieses besondere Selbstverständnis der französischen Katholiken war auch im Verhältnis zum französischen Staat von Bedeutung. Das Gesetz über den Laizismus von 1905 beinhaltete in diesem Sinne besondere religionsverfassungsrecht­ liche Regelungen für die französische katholische Kirche als eine innerhalb der universellen katholischen Kirche besondere Institution. a) Der Katholizismus zwischen Staatskirche und Universalismus Der universelle Gültigkeitsanspruch1048 des Christentums trat seit der Antike in Widerspruch zur fragmentierten politischen Gliederung Europas. Gleichzeitig bedeutete der päpstliche Führungsanspruch einen Konflikt mit der historisch gewachsenen Stellung regionaler Untergliederungen der katholischen Kirche.1049 Die Entwicklung des katholischen Kirchenrechts vollzog sich insofern immer im Spannungsfeld von Universalismus und Regionalismus, von Zentralisierung und Dezentralisierung. Besonders die frühchristlichen Gemeinschaften waren stark dezentral organisiert.1050 Angesichts der Verfolgung im Römischen Reich mussten die Bischöfe weitestgehend autonom die Leitung der ihnen unterstellten Gemeinden wahrnehmen.1051 Dies änderte sich mit dem Vertrag von Mailand des Jahres 313, der den christlichen Gemeinden religiöse Toleranz garantierte.1052 In 1045  Siehe beispielhaft Canon 331 des Codex Iuris Canonici (CIC) der katholischen Kirche: „Ecclesiae Romanae Episcopus […] universae Ecclesiae his in terris Pastor“ (Übersetzung des lateinischen Originaltexts: „Der Bischof von Rom […] ist der Hirte der universellen Kirche auf Erden.“). 1046  Vertiefend zur frühchristlichen Kirchenorganisation Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 2, Rz. 1 ff. 1047  Siehe auch Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 4, Rz. 5. 1048  Kapitel 2, A.I.1.b)bb) (S. 54 ff.). 1049  Kapitel 2, A.I.1.b)aa) (S. 49 ff.). 1050  Vertiefend Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 2, Rz. 1 ff. 1051  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 2, Rz. 7. 1052  Kapitel 2, A.I.1.b)aa) (S. 49 ff.); Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 16.

168 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

der Folge wuchsen die christlichen Gemeinden theologisch und organisatorisch zunehmend zusammen, das Konzil als Versammlung der Bischöfe fungierte nunmehr als oberste kirchliche Autorität.1053 Auch im mittelalterlichen Europa waren Konzile und Synoden wichtige Elemente der christlichen Kirchenorganisation.1054 Die Bischöfe wiederum wurden entsprechend unterschiedlicher Modelle von den lokalen christlichen Gemeinden oder Geistlichen gewählt oder vom Monarchen ernannt.1055 Gleichzeitig übten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zahl­ reiche Geistliche weltliche Hoheitsbefugnisse innerhalb der ihnen als Lehen übertragenen Hoheitsgebiete aus.1056 Daraus resultierte eine stark regional bezogene und dezentral verfasste Kirchenorganisation. Den bischöflichen Machtansprüchen stand jedoch der zentralistische Führungsanspruch des Papsttums1057 entgegen, das zunehmend auch mit den weltlichen Herrschern in Konflikt trat. Besonders im 11. Jahrhundert entzündete sich der Konflikt zwischen Papsttum und deutschem Kaisertum um die Frage der Laieninvestitur der Bischöfe durch den Kaiser, die das Korrelat der weltlichen Belehnung des Klerus im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation war.1058 Gegen die päpstliche Politik insbesondere Gregors VII., der in der Tradition der Zwei-Schwerter-Lehre des Papstes Gelasius I.1059 für sich nicht nur das Recht der Absetzung des deutschen Kaisers, sondern auch das alleinige Recht der Investitur und Absetzung der Bischöfe beanspruchte und damit die Gültigkeit der vom deutschen König vollzogenen Investitur der deutschen Bischöfe in Frage stellte, begehrten die kompromittierten deutschen Bischöfe, die in König Heinrich IV. einen mächtigen Verbündeten fanden, auf.1060 Zwar schien sich nach der Exkommunikation Heinrichs IV. durch den Papst und dessen Büßergang nach Canossa in den Jahren 1076/1077 zunächst der päpstliche Machtanspruch durchzusetzen, doch gelang Heinrich IV. schließlich durch die Einsetzung des Gegenpapstes Clemens III., der ihn im Jahre 1084 zum Kaiser krönte, die Verdrängung Gregors VII., der wenig später im Exil in Salerno verstarb, aus dem Amt des Papstes.1061 1053  Link,

Kirchliche Rechtsgeschichte, § 2, Rz. 9 und § 4, Rz. 4. auch Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 4, Rz. 4. 1055  Siehe Zippelius, Staat und Kirche, S. 31 und Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 4, Rz. 3. 1056  Siehe Zippelius, Staat und Kirche, S. 38. 1057  Siehe auch Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 4, Rz. 5. 1058  Siehe Heim, Einführung in die Kirchengeschichte, S. 62 und Zippelius, Staat und Kirche, S. 39. 1059  Siehe Kapitel 2, A.I.1.b)aa) (S. 49 ff.). 1060  Heim, Einführung in die Kirchengeschichte, S. 63 und Schmidt, Kirchengeschichte des Mittelalters, S. 44. 1061  Schmidt, Kirchengeschichte des Mittelalters, S. 45 f. 1054  Siehe



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte169

Trotz dieser vorläufigen Niederlage des Papsttums im Streit mit dem deutschen Kaisertum vollzog sich im 12. und 13. Jahrhundert ein stetiger Ausbau der päpstlichen Macht innerhalb der katholischen Kirche. Das Wormser Konkordat des Jahres 1122 erklärte die Laieninvestitur von Bischöfen für unzulässig, einzig durch die Belehnung und den Lehenseid wurden die deutschen Bischöfe weiterhin an die weltliche Macht gebunden.1062 Das als Privatsammlung des kanonischen Rechts konzipierte Dekretum Gratiani des Jahres 1140 leitete die Kodifikation des kanonischen Rechts ein.1063 Im Jahre 1179 wurde die Papstwahl durch den römischen Klerus und das römische Volk durch die Wahl durch das Kardinalskollegium abgelöst.1064 Gleichzeitig nahm der Ausbau der päpstlichen Verwaltung, des finanziell lukrativen Urkundenwesens und des päpstlichen Legationswesens im 12. und 13. Jahrhundert deutlich zu.1065 Von besonderer Bedeutung für den Machtausbau der Päpste war jedoch der zeitgleiche Bedeutungsgewinn der päpstlichen Gerichtsbarkeit, die durch beauftragte Kleriker im Namen des Papstes ausgeübt wurde und die fehlende weltliche Zivilgerichtsbarkeit ersetzte.1066 Dabei nahm das Papsttum für sich nicht nur die Jurisdiktionsgewalt über Glaubensinhalte, sondern über alle den Glauben betreffenden Rechtsfragen des alltäglichen Lebens, beispielsweise Fragen des Ehe-, Erb- und Vertragsrechts, in Anspruch.1067 Mit dem Ausbau päpstlicher Macht im 12. und 13. Jahrhundert ging auch eine Steigerung des päpstlichen Machtanspruchs einher. Papst Innozenz III. beanspruchte für sich als „vicarius Christi“ in der Tradition Gregors VII. das Recht, über die Einsetzung und Abbestellung der weltlichen Herrscher zu entscheiden.1068 Auf besonderen Widerstand innerhalb der Kirche und von Seiten der weltlichen Herrscher stieß jedoch die Bulle Unam sanctam des Papstes Bonifaz VIII. des Jahres 1302, der für sich das Recht in Anspruch nahm, aufgrund seiner „göttlichen“ Autorität alle Kleriker und alle weltlichen Herrscher zu richten, selbst aber nur von Gott gerichtet zu werden.1069 Gegenüber diesem ausufernden päpstlichen Machtanspruch suchten die christlichen Bischöfe, ihre Stellung und Befugnisse zu verteidigen. Aus die1062  Heim,

Einführung in die Kirchengeschichte, S. 64. De Wall/Muckel, Kirchenrecht, § 3, Rz. 4 ff. 1064  Schmidt, Kirchengeschichte des Mittelalters, S. 49 und Hähnchen, Rechtsgeschichte, Rz. 346. 1065  Schmidt, Kirchengeschichte des Mittelalters, S. 49 f. 1066  Picq, Politique et religion, S. 51 und Hähnchen, Rechtsgeschichte, Rz. 357; ausführlich Müßig, Recht und Justizhoheit, S. 76 ff. 1067  Picq, Politique et religion, S. 51 und Hähnchen, Rechtsgeschichte, Rz. 359. 1068  Schmidt, Kirchengeschichte des Mittelalters, S. 50. 1069  Bulle Unam sanctam (1302), in: Schmidt, Kirchengeschichte des Mittelalters, S. 51; siehe auch Tawil, Laïcité de l’État & liberté de l’Église, S. 29 f. 1063  Siehe

170 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

sem Kompetenz- und Autoritätskonflikt zwischen Bischöfen und Papsttum ging die theologische und politische Strömung des Episkopalismus hervor, der den Führungsanspruch der Bischöfe in der katholischen Kirche bekräftigte und dem Papst zwar eine herausgehobene, aber den Bischöfen hierarchisch gleichgestellte Rolle in der katholischen Kirche zuwies.1070 Der Episkopalismus entwickelte sich in der Folge zur Grundlage zahlreicher weiterer kirchenorganisatorischer Konzepte.1071 Der französische Gallikanismus, der ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zunehmend unter den Einfluss der französischen Krone geriet, betonte mit Unterstützung der französischen Könige die Autonomie der französischen Kirche unter Leitung der französischen Bischöfe gegenüber dem Papsttum.1072 Der Konziliarismus, der vor allem im 15. Jahrhundert wirkmächtig war, stufte die Konzile als Versammlung der katholischen Bischöfe als höchste kirchliche Autorität ein.1073 Inhaltlich verschmolzen diese drei Strömungen häufig zu einem theologischen Konzept, das die päpstliche Führungsrolle innerhalb der katholischen Kirche zu beschränken suchte. Dies kam beispielsweise in den vier gallikanischen Artikeln des französischen Klerus des Jahres 1682 zum Ausdruck, die nicht nur die Autonomie der französischen Kirche vom Papsttum, sondern auch den Vorrang der Konzile betonten.1074 In diesem Sinne war die Zentralisierung der katholischen Kirche unter dem Primat des Papstes nicht unangefochten.1075 Episkopalismus, Gallikanismus und Konziliarismus stellten wichtige theologische Konzepte dar, die die Sonderstellung der Bischöfe im katholischen Kirchenrecht zu verteidigen suchten. Die Abwendung von der römischen Kurie ging dabei häufig mit einer verstärkten Annäherung an weltliche Herrscher und regionale politische Gemeinschaften einher.1076 In der Folge nahmen lokale und regionale Tendenzen innerhalb der katholischen Kirche als Reaktion auf den Ausbau der päpstlichen Macht deutlich zu. Dies stellte eine wichtige Grundlage des späteren katholischen Staatskirchentums dar.

1070  Zippelius,

Staat und Kirche, S. 108. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 8, Rz. 13. 1072  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 23 f. 1073  Zippelius, Staat und Kirche, S. 72 f.; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 8, Rz.  4 f. 1074  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 23 f. 1075  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 4, Rz. 5. 1076  Siehe beispielhaft für den Gallikanismus Portier, L’Etat et les religions en France, S. 24. 1071  Siehe



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte171

b) Episkopalismus und Gallikanismus in Frankreich Ein gutes Beispiel für diese Tendenzen innerhalb der katholischen Kirche stellt der Gallikanismus Frankreichs dar. Die besondere Eigenständigkeit der französischen katholischen Kirche gegenüber der römischen Kurie ging dabei allerdings stets mit einem wachsenden Einfluss der französischen Krone und später des französischen Staates einher.1077 Dieses sich entwickelnde Abhängigkeitsverhältnis der französischen katholischen Kirche von Krone und Staat war prägend für das französische Religionsverfassungsrecht. Bereits im Mittelalter strebten die französischen christlichen Gemeinden eine zunehmende Unabhängigkeit gegenüber den zentralen Institutionen der katholischen Kirche an. Am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit geriet dabei die französische Kirche zunehmend unter den Einfluss des Königtums unter gleichzeitiger Abschwächung des päpstlichen Einflusses (aa)). Trotz wachsenden staatlichen Einflusses konnte auch im Zeitalter des Absolutismus die Unabhängigkeit der französischen katholischen Kirche sowohl gegenüber dem Papsttum als auch gegenüber dem französischen Königtum gesichert werden (bb)). Erst die Französische Revolution und die Herrschaft Napoleons zwangen die französische katholische Kirche in eine faktische Unterordnung unter den französischen Staat (cc)). aa) Die Ursprünge des Gallikanismus im französischen Spätmittelalter Die Ursprünge des Gallikanismus liegen im Frankreich des Spätmittelalters begründet. Ähnlich Deutschland durchlief auch Frankreich im Hoch- und Spätmittelalter eine Phase der Ausdifferenzierung von weltlicher und geistlicher Machtsphäre, die sich in langwierigen Kompetenzstreitigkeiten zwischen Königtum und Papsttum entlud. So ließ bereits im Jahre 1247 der französische König Ludwig IX., der Heilige (Saint-Louis) Papst Innozenz IV. seinen Protest gegen die päpstliche Einmischung in die Belange der französischen katholischen Kirche, etwa durch willkürliche Exkommunikationen französischer Kleriker zur Durchsetzung des päpstlichen Autoritätsanspruchs oder durch die Vergabe französischer Kirchenämter an Ausländer durch den Papst, übermitteln.1078 Im Streit um die Besteuerung des französischen Klerus ließ der französische König Philipp der Schöne (Philippe le Bel) Papst Bonifaz VIII. gar durch einen Botschafter mitteilen, dass „die Kirche von Frankreich dem König und nicht dem Papst gehör[e]“ („L’Église de France est au roi et 1077  Siehe

Portier, L’Etat et les religions en France, S. 23 f. in: Le Goff/Rémond (Hrsg.), Histoire de la France religieuse, S. 403.

1078  Vauchez,

172 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

non au pape“).1079 Die päpstliche Bulle Ausculta fili des Jahres 1301, die dem König Philipp dem Schönen Misswirtschaft und Rechtsbruch vorwarf, und die Bulle Unam sanctam des Jahres 1302, die den päpstlichen Autoritätsanspruch über alle weltlichen Herrscher wiederholte, beantwortete Philipp der Schöne mit der Gefangennahme Bonifaz’ VIII., der kurze Zeit nach seiner Befreiung verstarb.1080 In den Jahren 1309 bis 1377 residierte die päpstliche Kurie dann gar im direkten französischen Einflussbereich in Avignon.1081 Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts begann das Parlament von Paris, unter dem Rechtsmittel des „appel comme d’abus“ (Berufung gegen ein missbräuchliches Urteil) Urteile kirchlicher Gerichte zu überprüfen, die weltliches Recht tangierten und die kirchliche Gerichtsbarkeit überschritten.1082 Im Jahre 1475 wurde schließlich die Veröffentlichung kirchlicher Rechtsakte in Frankreich ohne königliche Genehmigung untersagt.1083 Besonders im französischen Klerus verfügte das französische Königtum über einen mächtigen Verbündeten, dem an einer Beschneidung der päpstlichen Macht in Frankreich mehr gelegen war als an einer Abwehr königlichen Einflusses auf die französische katholische Kirche. Die darauf aufbauende „Allianz“ von französischen Bischöfen und französischem Königtum gegen die päpstliche Autorität wurde im Zeitalter des spätmittelalterlichen Konzi­ liarismus zur Grundlage der französischen gallikanischen Kirchentradition. Dabei boten im Kampf gegen den päpstlichen Autoritätsanspruch insbesondere die Konzile des späten Mittelalters den katholischen Bischöfen Westeuropas eine Gelegenheit, ihre Position innerhalb der katholischen Kirche zu konsolidieren und zu behaupten.1084 Das Konzil von Konstanz beanspruchte nicht nur das Recht der Wahl und der Absetzung des Papstes für sich, sondern erklärte auch die Konzilsbeschlüsse zur höchsten kirchlichen Rechtsquelle.1085 Damit setzte sich das Konzil als Versammlung vor allem katholischer Bischöfe an die Spitze der Hierarchie der katholischen Kirche.1086 Diese Position bestätigte das Konzil von Basel der Jahre 1431 bis 1449.1087 Auch im Frankreich des Spätmittelalters erfreuten sich Konzile und Bischofsversammlungen zur Durchsetzung der Positionen der Kirchenoberen nach Picq, Politique et religion, S. 54. Politique et religion, S. 55. 1081  Zippelius, Staat und Kirche, S. 61. 1082  Zippelius, Staat und Kirche, S. 62 f. 1083  Zippelius, Staat und Kirche, S. 63. 1084  Siehe Kapitel 2, B.I.1.a) (S. 167 ff.). 1085  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 8, Rz. 10 f. 1086  Zippelius, Staat und Kirche, S. 72 f. 1087  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 8, Rz. 13. 1079  Zitiert 1080  Picq,



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte173

großer Beliebtheit. Im Jahre 1438 verfasste ein französisches Konzil die Pragmatische Sanktion von Bourges, die vom französischen König Karl VII. unterstützt und verabschiedet wurde.1088 Den Konzilen von Konstanz und Basel folgend wurden die Konzilsbeschlüsse als höchste kirchliche Rechtsquelle anerkannt und der päpstliche Autoritätsanspruch über die Konzile verworfen.1089 Ferner wurde das päpstliche Recht der Ernennung der französischen Geistlichen faktisch abgeschafft und das System der Wahl der Bischöfe durch den französischen Klerus wieder hergestellt.1090 Die gewählten Bischöfe wurden von den Erzbischöfen und nur noch in Ausnahmefällen vom Papst in ihre Ämter eingesetzt.1091 Gleichzeitig wurde dem französischen König und Adel ein Vorschlagsrecht für die vakanten Kirchenämter zugebilligt.1092 Häufig wurde dieses Recht jedoch zur Oktroyierung königlicher Kandidaten für kirchliche Ämter missbraucht.1093 Gegen die Konzilsbeschlüsse von Konstanz und Basel sowie die Pragmatische Sanktion von Bourges regte sich heftiger päpstlicher Widerstand.1094 Im Jahre 1449 erzwang der Papst die Entmachtung des Konzils von Basel durch den deutschen Kaiser.1095 Im folgenden Jahrhundert gelang es den Päpsten, das System der Konzile endgültig ihrer Kontrolle zu unterwerfen.1096 Trotz der veränderten politischen Lage auf Ebene der Weltkirche blieben Konziliarismus, Gallikanismus und Episkopalismus in Frankreich wirkmächtig. Durch die Pragmatische Sanktion von Bourges des Jahres 1438 hatte sich der französische Klerus teilweise der päpstlichen Autorität entzogen und wichtige Sonderrechte für sich in Anspruch genommen. Trotz heftiger päpstlicher Kritik1097 hatte die Pragmatische Sanktion von Bourges bis zum Jahre 1516 in ihren Grundzügen1098 Bestand.1099 1088  Picq,

Politique et religion, S. 57; Martimort, Le gallicanisme, S. 44. Staat und Kirche, S. 74; vertiefend Martimort, Le gallicanisme,

1089  Zippelius,

S.  44 ff. 1090  Salvini, Revue d’histoire de l’Eglise de France 14, 121 (122). 1091  Salvini, Revue d’histoire de l’Eglise de France 14, 121 (122). 1092  Martimort, Le gallicanisme, S. 46 und Salvini, Revue d’histoire de l’Eglise de France 14, 121 (122). 1093  Salvini, Revue d’histoire de l’Eglise de France 14, 121 (122); siehe auch Salvini, Revue d’histoire de l’Eglise de France 16, 421 (427). 1094  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 8, Rz. 11 ff. und § 9, Rz. 3. 1095  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 8, Rz. 13. 1096  Zippelius, Staat und Kirche, S. 74. 1097  Martimort, Le gallicanisme, S. 46. 1098  Die Pragmatische Sanktion von Bourges wurde in den Jahren 1462 bis 1475 faktisch nicht angewandt, auch ansonsten kam es zu regelmäßigen Verstößen, etwa durch eine starke Einflussnahme der französischen Könige auf kirchliche Wahlen (siehe Salvini, Revue d’histoire de l’Eglise de France 16, 421 (427) und Martimort,

174 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Dem erstarkenden französischen Königtum des 16. Jahrhunderts erschien ein Konflikt mit dem Papsttum jedoch als nurmehr wenig opportun. Die Theologie des Konziliarismus, die das Papsttum nach der Entmachtung des Konzils von Basel weitestgehend unterdrückt hatte1100, eignete sich nicht länger zur Durchsetzung königlicher Machtansprüche über die Kirche. Vielmehr wurde eine immer stärkere königliche Einflussnahme auf die kirchliche Ämterbesetzung zur Grundlage königlicher Macht. Das Konkordat von Bologna des französischen Königs mit dem Papst des Jahres 1516, das die Pragmatische Sanktion von Bourges für ungültig erklärte, zollte diesen beiden Aspekten Geltung.1101 Einerseits erkannte der französische König die Leitungsgewalt des Papstes über die katholische Kirche an und verwarf den konziliaren Autoritätsanspruch.1102 Andererseits wurde das tradierte, durch die Pragmatische Sanktion von Bourges reetablierte, Wahlsystem der Geistlichen abgeschafft und durch ein königliches Recht der Auswahl der französischen Kleriker ersetzt.1103 Nach diesem Prinzip, das das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 aufgriff, erfolgte die Besetzung der französischen Kirchenämter bis zum Erlass des Gesetzes über den Laizismus von 1905.1104 Durch das Konkordat von Bologna des Jahres 1516 war die Sonderstellung der französischen katholischen Kirche innerhalb der universellen katholischen Kirche rechtlich festgeschrieben. Gleichzeitig ebnete die enge Verbindung zwischen Kirche und Königtum dem Staatskirchentum in Frankreich den Weg. Die Unabhängigkeit vom Papsttum, die die Pragmatische Sanktion von Bourges der französischen katholischen Kirche erkämpft hatte, ging damit auch mit einem stärkeren Einfluss des Königs und ab dem 17. Jahrhundert des Staates in der französischen Kirche einher.1105 bb) Bossuet und die „gallikanischen Artikel“ des Jahres 1682 Das Zeitalter des Absolutismus veränderte das Verhältnis von Staat und Kirche in Westeuropa grundlegend. Der Zerfall der feudalen HerrschaftsLe gallicanisme, S. 56 f.). Dennoch sicherte die Pragmatische Sanktion von Bourges dem französischen Klerus eine in Westeuropa herausragende Unabhängigkeit vom Papsttum, die sich im Gallikanismus akzentuierte. 1099  Martimort, Le gallicanisme, S. 47; Zippelius, Staat und Kirche, S. 74. 1100  Zippelius, Staat und Kirche, S. 74. 1101  Zippelius, Staat und Kirche, S. 74. 1102  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 9, Rz. 3. 1103  Boulet-Sautet, Mélanges d’archéologie et d’histoire 57, 190 (190). 1104  Martimort, Le gallicanisme, S. 56. 1105  Picq, Politique et religion, S. 57.



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte175

strukturen und der Aufbau des staatlichen Verwaltungswesens akzentuierten den staatlichen Machtanspruch über die christlichen Kirchen. In den protestantischen Gebieten lutherischer Tradition zwang das landesherrliche Kirchenregiment1106 die Kirchen in eine direkte hierarchische Unterordnung unter die Monarchen. Der englische Philosoph Thomas Hobbes1107 propagierte gar die Absorption der Kirchen in die staatliche Machtsphäre.1108 Aber auch in den katholischen Gebieten Westeuropas griffen die weltlichen Herrscher zunehmend in kirchliche Angelegenheiten ein.1109 Trotz des schwindenden Einflusses der römischen Kurie in Westeuropa hatten sich ihre religionsverfassungsrechtlichen Vorstellungen seit dem Mittelalter1110 nur wenig verändert. So propagierte der italienische Kardinal und Kirchenlehrer Roberto Bellarmino noch im 17. Jahrhundert einen Vorrang der religiösen vor weltlichen Normen und Institutionen.1111 Der mächtige französische Bischof und Lehrer des Thronfolgers, JacquesBénigne Bossuet1112, suchte diese beiden Extrempositionen zu versöhnen. Sein vom Gallikanismus geprägtes religionsverfassungsrechtliches Modell bestimmte das Verhältnis von Staat und Kirche in Frankreich bis zur Französischen Revolution.1113 Einen kirchlichen Autoritätsanspruch über die weltlichen Herrscher verwarf Bossuet ebenso wie königliche Hoheitsrechte über die Kirche.1114 Nicht nur die Kirche, sondern auch der Monarch sei direkt von Gott eingesetzt worden und nur Gott selbst Rechenschaft schuldig.1115 Keine der beiden In­ stitutionen könne deshalb Autorität über die andere beanspruchen.1116 Der Monarch habe die Herrschaft der Kirche über die geistliche Sphäre und die 1106  Kapitel 2,

A.II.2.a)aa) (S. 121 ff.). A.I.2.a) (S. 57 ff.). 1108  Picq, Politique et religion, S. 14. 1109  Siehe auch das Beispiel Österreichs in Zippelius, Staat und Kirche, S. 105 ff. 1110  Siehe Kapitel 2, A.I.1.b)aa) (S. 49 ff.). 1111  Vertiefend Uertz, Vom Gottesrecht zum Menschenrecht, S. 48; siehe auch zum Konflikt des Gallikanismus mit den Lehren von Roberto Bellarmino Portier, L’Etat et les religions en France, S. 23 f. 1112  Einen guten Überblick über die Biografie Bossuets bietet Pornschlegel, in: Hildebrandt/Brocker (Hrsg.), Der Begriff der Religion, S. 89. 1113  Siehe Portier, L’Etat et les religions en France, S. 24 f. Eine interessante Analyse des Fortwirkens der Philosophie Bossuets in der gegenwärtigen französischen Staats- und Gesellschaftsordnung bietet Pornschlegel, in: Hildebrandt/Brocker (Hrsg.), Der Begriff der Religion, S. 93 f. 1114  Siehe Zippelius, Staat und Kirche, S. 104. 1115  Picq, Politique et religion, S. 123; siehe auch Pornschlegel, in: Hildebrandt/ Brocker (Hrsg.), Der Begriff der Religion, S. 89 ff. 1116  Siehe Zippelius, Staat und Kirche, S. 104. 1107  Kapitel 2,

176 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Kirche die königliche Herrschaft über die weltliche Sphäre zu akzeptieren und zu respektieren.1117 Dies bedeutete jedoch keineswegs eine Trennung von Staat und Kirche.1118 Dem König gab Bossuet auf, im Interesse seines Seelenheils die christlichen Normen in allen Bereichen staatlichen Handelns, in der Politik, Rechtsprechung und Gesetzgebung, zu verwirklichen.1119 Ferner komme dem König eine Pflicht zu, Kritiker der katholischen Kirche, allen voran die Protestanten1120, zu verfolgen.1121 Im Gegenzug müsse die Kirche die monarchische Herrschaft unterstützen und legitimieren.1122 Bossuet legte dieses Konzept der Partnerschaft von Staat und Kirche den von ihm entworfenen „gallikanischen Artikeln“1123 zugrunde, die ein französisches Konzil im Jahre 1682 verabschiedete.1124 In der Tradition der Pragmatischen Sanktion von Bourges betonten die vier „gallikanischen Artikel“ einerseits die Autonomie der französischen katholischen Kirche gegenüber dem Papsttum, ließen andererseits jedoch auch ihre besondere Nähe zu und Abhängigkeit von der französischen Krone erkennen. So erkannte zwar die Präambel der „gallikanischen Artikel“ das Primat des Papstes in der katholischen Kirche an, doch erklärte der zweite „gallikanische Artikel“ in der Tradition des Konziliarismus1125 der Pragmatischen Sanktion von Bourges die Beschlüsse der Konzilien zur höchsten kirchlichen Autorität.1126 Der vierte „gallikanische Artikel“ verwarf die päpstliche Unfehlbarkeit.1127 Besondere Bedeutung kam jedoch dem dritten „gallikanischen Artikel“ zu, der betonte, dass die Organisationsstruktur und die Sonderrechte der französischen katholischen Kirche einer Neuregelung durch den Papst entzogen seien.1128 Gleichzeitig griff der erste „gallikanische Artikel“ die religionsverfassungsrechtlichen Vorstellungen Bossuets auf. Eine Autorität der Kirche über Portier, L’Etat et les religions en France, S. 24. L’Etat et les religions en France, S. 24. 1119  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 26. 1120  Siehe Kapitel 2, A.I.2.b)bb) (S. 68 ff.). 1121  Pornschlegel, in: Hildebrandt/Brocker (Hrsg.), Der Begriff der Religion, S. 93. 1122  Pornschlegel, in: Hildebrandt/Brocker (Hrsg.), Der Begriff der Religion, S. 93. 1123  Erklärung des französischen Klerus über die Kirchenautorität vom 19. März 1682 („Gallikanische Artikel“), in: Dupin, Libertés de l’Église gallicane, S. 133 ff. 1124  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 24. 1125  Siehe Kapitel 2, B.I.1.a) (S. 167 ff.). 1126  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 24. 1127  Siehe Zippelius, Staat und Kirche, S. 104. 1128  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 24. 1117  Siehe

1118  Portier,



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte177

die Monarchen in weltlichen Fragen verwarf der erste „gallikanische Artikel“ ebenso wie ein kirchliches Recht zur Absetzung weltlicher Herrscher.1129 Der Kirche wurde die oberste Autorität nur über die geistliche Sphäre zugebilligt.1130 Trotz scharfen päpstlichen Protests verfügte der französische König Ludwig XIV. in einem Edikt vom 23. März 16821131, dass die „gallikanischen Artikel“ Grundlage der französischen katholischen Theologie seien.1132 Die Verbreitung von mit den „gallikanischen Artikeln“ unvereinbaren theologischen Lehren wurde untersagt1133, alle neu berufenen Professoren für katholische Theologie mussten sich zu den „gallikanischen Artikeln“ bekennen und sie zur Grundlage ihrer Lehre machen.1134 Die „gallikanischen Artikel“ wurden zu einem Pflichtfach des Theologie- und Kirchenrechtsstudiums erklärt.1135 Ebenso sollten die „gallikanischen Artikel“ in den Pfarreien und Bistümern gepredigt werden.1136 Das Edikt vom 23. März 1682 verdeutlichte das Wohlwollen, das die französischen Könige dem Gallikanismus entgegenbrachten, propagierte dieser doch die Unabhängigkeit der französischen Krone von der päpstlichen Autorität.1137 Aus diesem Grund konnte die französische katholische Kirche unter dem Schutz und dem Einfluss der französischen Monarchen zunehmend ihre Unabhängigkeit vom Papsttum einfordern und behaupten. Allerdings veränderte der Gallikanismus auch das Verhältnis von französischer katholischer Kirche und französischer Monarchie grundlegend. Der durch und durch religiös aufgeladene Staat des Absolutismus und des Ancien Régime1138 stand noch im Lichte der Partnerschaft von Monarchie und Kirche im Sinne Bossuets.1139 Mit dem Fortschreiten des Säkularisierungsprozesses wurde die Kirche für den Staat jedoch zunehmend zu einem Machtinstrument, das es zu 1129  Picq,

Politique et religion, S. 123. Politique et religion, S. 123; vertiefend zu den „gallikanischen Artikeln“ siehe Portier, L’Etat et les religions en France, S. 24. 1131  Edikt über die Erklärung des französischen Klerus betreffend seine Gedanken zur Kirchenautorität vom 23. März 1682, in: Dupin, Libertés de l’Église gallicane, S.  151 ff. 1132  Allerdings wurde der Vollzug des Edikts vom 23. März 1682 bereits im Folgejahr nach heftigen päpstlichen Protesten ausgesetzt (Martimort, Le gallicanisme, S. 101). 1133  Artikel I Edikt vom 23. März 1682. 1134  Artikel II Edikt vom 23. März 1682. 1135  Artikel III und V Edikt vom 23. März 1682. 1136  Artikel VI Edikt vom 23. März 1682. 1137  Picq, Politique et religion, S. 124. 1138  Kapitel 2, A.I.3. (S. 72 ff.). 1139  Siehe Portier, L’Etat et les religions en France, S. 24 ff. 1130  Picq,

178 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

unterwerfen und zu beherrschen galt. Die „gallikanischen Artikel“ hatten insofern zwar kurzfristig die Autonomie der Kirche gesichert, langfristig aber auch der faktischen Unterordnung der französischen katholischen Kirche unter den französischen Staat während der Französischen Revolution und der napoleonischen Herrschaft Vorschub geleistet. cc) Französische Revolution und Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 Die Französische Revolution veränderte das französische Religionsverfassungsrecht und die französische Religionspolitik grundlegend.1140 Binnen weniger Jahre entwickelte sich Frankreich von einem der religiös konservativsten Staaten Europas1141 zu einem der am stärksten säkularisierten Länder Europas. Die Einführung der Religionsfreiheit und der religiösen Gleichberechtigung setzte dem ganz dem Katholizismus verschriebenen Religionsverfassungsrecht des Ancien Régime ein Ende.1142 Im Jahre 1792 schafften die Revolutionäre schließlich das familienrechtliche Monopol der katholischen Kirche durch die Einführung der bürgerlichen Ehe und der Scheidung und die Übertragung der Personenstandsregister an staatliche Standesbeamte ab.1143 Die Terrorherrschaft der Jakobiner der Jahre 1792 bis 1794 ging mit einer teilweisen Dechristianisierung Frankreichs einher, die die französischen Regierungen bis zur Machtübernahme Napoleons fortsetzten.1144 Damit war die absolutistische Partnerschaft von Staat und Kirche, die Jacques-Bénigne Bossuet1145 beschworen hatte, am Ende. Die revolutionären Regierungen sahen in der katholischen Kirche keinen wertvollen Verbündeten mehr, sondern vielmehr entweder einen zu bekämpfenden Feind oder ein nützliches Werkzeug zur Unterstützung ihrer Politik. Der Gallikanismus, der schon immer eine gewisse Zuwendung der französischen katholischen Kirche zur und Abhängigkeit von der französischen weltlichen Macht bedeutet hatte1146, entwickelte sich nunmehr zu einer Unterwerfung der französischen katholischen Kirche unter den französischen Staat. 1140  Siehe

auch Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.). Beispiel des religiösen Konservativismus des Ancien Régime stellt die im europäischen Vergleich restriktive Gewährleistung der Religionsfreiheit dar, die in Kapitel 2, A.I.2.b)cc) (S. 71 ff.) thematisiert wurde. 1142  Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.) und Picq, Politique et religion, S. 127. 1143  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 12; Portier, L’Etat et les religions en France, S. 33. 1144  Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.). 1145  Kapitel 2, B.I.1.b)bb) (S. 174 ff.). 1146  Siehe Kapitel 2, B.I.1.b)aa) (S. 171 ff.) und Kapitel 2, B.I.1.b)bb) (S. 174 ff.). 1141  Ein



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte179

Ein prägnantes Beispiel stellt die mit dem Dekret vom 12. Juli 1790 eingeführte Zivilverfassung des Klerus1147 dar. Entgegen der vorrevolutionären Religionsverfassungsordnung übernahm nunmehr der französische Staat die volle Organisationsgewalt über die französische katholische Kirche. Das Dekret ordnete nicht nur den Zuschnitt der Diözesen und Kirchenprovinzen1148, sondern auch den Ernennungsmodus der katholischen Geistlichen1149 an. Durch einen Treueeid auf die Verfassung1150 und eine staatliche Vergütung1151 sollte die Integration des katholischen Klerus in den revolutionären Staat vollends vollzogen werden.1152 Der Protest des Papstes1153, dessen Machtposition in Frankreich aufgrund des Gallikanismus begrenzt war, ließ die französischen Revolutionäre unbeeindruckt. Auch die napoleonische Herrschaft bedeutete keine Rückkehr zur vorrevolutionären religionsverfassungsrechtlichen Ordnung. Zwar erweckte immerhin noch das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 den Eindruck einer Partnerschaft von Staat und katholischer Kirche, doch war die Wirklichkeit eine ganz andere.1154 War das Dekret über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790 ganz auf die Französische Revolution zugeschnitten, so entsprach das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 ganz dem napo­ leonischen Regime. Inhaltlich bedeutete das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 keine wesentlichen Änderungen gegenüber dem Dekret über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790, Treueeid, staatliche Ernennung des Klerus und staatliche Vergütung des Klerus wurden beibehalten und sogar auf andere Religionsgemeinschaften ausgeweitet.1155 Das partnerschaftliche Modell von französischer Krone und französischer katholischer Kirche gegen die römische Kurie, das den Gallikanismus der Pragmatischen Sanktion von Bourges und der vier „gallikanischen Artikel“ Bossuets geprägt hatte, wurde nunmehr durch ein

1147  Kapitel 2,

A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.). I, Artikel 1 bis 4 des Dekrets über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790. 1149  Titel II, Artikel 1 bis 3 und Artikel 25 des Dekrets über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790. 1150  Titel II, Artikel 21, 38 und 40 des Dekrets über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790. 1151  Titel III, Artikel 1 bis 5 des Dekrets über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790. 1152  Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 21. 1153  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 11.  1154  Kapitel 2, A.II.1.a)bb) (S. 80 ff.). 1155  Kapitel 2, A.II.1.a)bb) (S. 80 ff.). 1148  Titel

180 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

System staatlicher Dominanz und Kontrolle der französischen katholischen Kirche ersetzt. Gleichzeitig suchte die napoleonische Propaganda, die Unterwerfung der französischen katholischen Kirche unter das napoleonische Regime in die Kontinuität der französischen gallikanischen Kirchentradition einzureihen und dadurch zu rechtfertigen. Aus diesem Grund erhob ein Dekret Napoleons vom 25. Februar 18101156 das Edikt Ludwigs XIV. vom 23. März 16821157, das die Verbreitung der gegen die päpstlichen Machtansprüche auf die französische katholische Kirche gerichteten „gallikanischen Artikel“ Bossuets in ganz Frankreich verfügt hatte, in den Gesetzesrang. Insgesamt gingen die Französische Revolution und die napoleonische Herrschaft damit mit einem grundlegenden Bedeutungswandel des Gallikanismus einher. Das Streben der französischen katholischen Kirche nach Unabhängigkeit vom Papsttum leistete einer staatlichen Politik der Unterordnung der katholischen Kirche Vorschub. Diese zwei Elemente prägten das französische Religionsverfassungsrecht des 19. und 20. Jahrhunderts grundlegend. c) Nachwirkungen des Gallikanismus im Gesetz über den Laizismus von 1905 Die Sonderstellung der französischen katholischen Kirche und ihre besondere Beziehung zum französischen Staat waren wesentliche Bedingungen des Gesetzes über den Laizismus von 1905. In dreierlei Hinsicht wurde der Gallikanismus damit prägend für den französischen Laizismus. Erstens war die Erfahrung des Konflikts mit der römischen Kurie durch den Gallikanismus im politischen und kirchlichen Leben Frankreichs verankert. Gab es bereits im Mittelalter regelmäßige Konflikte zwischen weltlicher und geistlicher Macht in Frankreich1158, so intensivierten die religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Französischen Revolution1159 diese massiv. Die antikatholischen Bewegungen1160, die während der Französischen Revolution in Frankreich Fuß fassten, waren in der französischen Geschichte beispiellos. In der Französischen Revolution wurde vielfach nicht der Einklang, sondern vielmehr der Konflikt mit der römischen Kurie zum Maßstab 1156  Dekret

S. 171.

1157  Siehe

vom 25. Februar 1810, zitiert in: Dupin, Libertés de l’Église gallicane,

Kapitel 2, B.I.1.b)bb) (S. 174 ff.). B.I.1.b)aa) (S. 171 ff.). 1159  Kapitel 2, B.I.1.b)cc) (S. 178 ff.). 1160  Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.). 1158  Kapitel 2,



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte181

populistischer Politik. Viele Revolutionäre sahen in der katholischen Kirche nicht nur aufgrund der päpstlichen Ablehnung der Französischen Revolution1161, sondern auch aufgrund der Weigerung eines Großteils des Klerus, einen Eid auf die demokratische Verfassung zu schwören1162, eine monarchistische und antirepublikanische Institution. Diese Idee fand sich auch in den Köpfen vieler laizistischer Politiker der Dritten Französischen Republik wieder.1163 Besonders ein Brief Ferdinand Buissons, eines Urhebers1164 des Gesetzes über den Laizismus von 1905, an den Schriftsteller Victor Hugo1165 aus dem Jahre 1869 verdeutlichte, wie sehr der Laizismus als Ideologie des Kampfes gegen die katholische Kirche interpretiert wurde. „Ce n’est pas au protestantisme que je vous ai demandé si vous voudriez prêter votre puissant concours: c’est à une entreprise laïque et philosophique pour combattre le catholicisme en France. […] La vraie question, la voici: oui ou non, faut-il nous laisser porter vers une république, prochaine peut-être, sans songer à la situation qui nous sera faite au lendemain de son établissement? Oui ou non, le prêtre, qui est aujourd’hui un de nos ennemis ne sera-t-il pas alors notre ennemi?“1166 „Ich habe Sie nicht gebeten, wenn Sie möchten, Ihre mächtige Unterstützung dem Protestantismus zu widmen, sondern einer laizistischen und philosophischen Unternehmung, um den Katholizismus in Frankreich zu bekämpfen. […] Die wahre Frage lautet wie folgt: Ja oder nein, dürfen wir auf eine vielleicht baldige Republik zusteuern, ohne an die Situation zu denken, die wir am Tag nach ihrer Gründung antreffen werden? Ja oder nein, wird der Pfarrer, der heute einer unserer Feinde ist, nicht auch in Zukunft unser Feind sein?“1167

Die scharfe Kirchenkritik der radikal-republikanischen und sozialistischen Parlamentsmehrheit1168, die die Debatte um das Gesetz über den Laizismus von 1905 bestimmte, setzte insofern die lange gallikanische Tradition der Konflikte französischer politischer und kirchlicher Institutionen mit dem Papsttum fort.

1161  Baubérot,

Histoire de la laïcité en France, S. 11. A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.), 1163  Siehe Kapitel 2, A.II.1.b)aa) (S. 89 ff.) und Picq, Politique et religion, S. 142. 1164  Siehe Kapitel 2, A.II.1.b)cc)(2) (S. 102 ff.). 1165  Der Schriftsteller Victor Hugo hatte bereits im Jahre 1850 in einer Rede vor der Nationalversammlung die Laizisierung des Schulwesens und die Trennung von Staat und Kirche eingefordert, siehe ausführlich Gillig, L’école laïque en Alsace et en Moselle, S.  54 f. 1166  Zitiert nach Raphael (Hrsg.), La Révolution de 1848 et les révolutions du XIXe siècle 35, 228 (228). 1167  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Raphael (Hrsg.), La Révolution de 1848 et les révolutions du XIXe siècle 35, 228 (228). 1168  Kapitel 2, A.II.1.b)cc)(2) (S. 102 ff.). 1162  Kapitel 2,

182 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Zweitens war das Ziel der Begrenzung päpstlichen Einflusses in Frankreich, das das Gesetz über den Laizismus von 1905 verfolgte, ein wichtiges Produkt der gallikanischen Ideengeschichte. So hatte bereits die Pragmatische Sanktion von Bourges des Jahres 1438 das Ziel verfolgt, den Einfluss des Papstes auf den französischen Klerus zu minimieren.1169 Die vier „gallikanischen Artikel“ des Jahres 1682 verweigerten dem Papsttum ein Recht der Einflussnahme auf die Organisation der französischen katholischen Kirche.1170 Die Französische Revolution und die napoleonische Herrschaft entzogen die französische katholische Kirche immer mehr dem päpstlichen Einfluss.1171 Doch auch in der Dritten Französischen Republik wurden zahlreiche Maßnahmen zur Beschränkung päpstlicher Macht in Frankreich erlassen, etwa die Schulreformen Jules Ferrys1172 oder die Auflösung der Ordensgemeinschaften.1173 Noch deutlicher wurde dieses Ziel allerdings im Rahmen der Ausarbeitung des Gesetzes über den Laizismus von 1905. Radikale Vorschläge suchten die französische katholische Kirche ganz aus der päpstlichen Einflusssphäre zu lösen.1174 Das System der Glaubensvereinigungen, denen das kirchliche Vermögen zufiel, sollte zunächst vollständig aus der kirchlichen Hierarchie herausgelöst sein.1175 Der im Vorhergehenden zitierte Brief Buissons an Victor Hugo stilisierte den Kampf gegen kirchlichen Einfluss in Frankreich gar zu einer Überlebensfrage der Dritten Französischen Republik. Der Laizismus sollte in der Folge die Begrenzung päpstlichen Einflusses in Frankreich bringen, die der Gallikanismus schon lange propagierte. Drittens darf eine wichtige Voraussetzung des Laizismus nicht vergessen werden, die ein Erbe der Französischen Revolution darstellt. War unter dem Ancien Régime eine religionsverfassungsrechtliche Reform gegen den Willen der französischen katholischen Kirche nur schwer vorstellbar1176, so sprach sich der französische Staat mit dem Dekret über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790 die volle Organisationsgewalt der französischen katholischen Kirche zu.1177 Die während der Französischen Revolution ok­ 1169  Kapitel 2,

B.I.1.b)aa) (S. 171 ff.). B.I.1.b)bb) (S. 174 ff.). 1171  Kapitel 2, B.I.1.b)cc) (S. 178 ff.). 1172  Kapitel 2, A.II.1.b)bb)(1) (S. 92 ff.). 1173  Kapitel 2, A.II.1.b)bb)(2) (S. 96 ff.). 1174  Kapitel 2, A.II.1.b)cc)(2) (S. 102 ff.). 1175  Siehe Kapitel 2, A.II.1.b)cc)(2) (S. 102 ff.). 1176  Siehe Kapitel 2, A.I.3. (S. 72  ff.). So sprach noch das Breve Caritas des Papstes Pius VI. vom 13. April 1791 der französischen Nationalversammlung die Organisationsgewalt über die französische katholische Kirche ab und verwarf auf dieser Grundlage das Dekret über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790 (Culoma, La religion civile de Rousseau à Robespierre, S. 90). 1177  Kapitel 2, B.I.1.b)cc) (S. 178 ff.). 1170  Kapitel 2,



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte183

troyierten religionsverfassungsrechtlichen Reformen konnte die katholische Kirche trotz heftigsten Protests nicht verhindern. Durch die Französische Revolution war der Staat ohne kirchliche Legitimierung religionsverfassungsrechtlich handlungsfähig geworden und nahm für sich das Recht reli­ gionsverfassungsrechtlicher Reformen gegen den Willen der katholischen Kirche in Anspruch, wie der Verfasser des Gesetzes über den Laizismus, Aristide Briand, in einer Rede vor der Abgeordnetenkammer am 6. April 1905 hervorhob. „Que l’État ait le droit, je devrais dire le devoir, de reprendre en matière confessionnelle sa pleine et entière liberté, et qu’il y ait un grand intérêt moral, c’est une chose qui, à mon avis, n’est pas douteuse.“1178 „Dass der Staat das Recht, ich muss sogar sagen die Pflicht hat, sich seine vollumfängliche und gänzliche Freiheit in religiösen Angelegenheiten zurückzuholen, und dass es dafür ein großes moralisches Interesse gibt, ist eine Sache, die nach meiner Meinung unzweifelhaft ist.“1179

Ohne dieses Erbe der Französischen Revolution wäre eine Durchsetzung des Gesetzes über den Laizismus von 1905 in Fundamentalopposition zur katholischen Kirche verfassungspolitisch und -rechtlich undenkbar gewesen. Insgesamt erwies sich damit der Gallikanismus, der eine Ausnahme vom universellen und zentralistischen Anspruch der katholischen Kirche darstellte1180, als eine notwendige Voraussetzung für einen emanzipierten und selbstbewussten Umgang der französischen Politik mit Papsttum und französischer katholischer Kirche. Gallikanismus und Französische Revolution ermächtigten den französischen Gesetzgeber, im Konflikt mit dem Papsttum handlungsfähig zu sein. Dieser Konflikt mit dem Papsttum wurde durch Gallikanismus und Französische Revolution gar zu einer Konstante französischer Religionspolitik erhoben. Zwar bedeutete der Gallikanismus keineswegs eine Trennung von Staat und Religion1181, doch legte er die theologischen und ideengeschichtlichen Grundlagen des Laizismus in Frankreich. Der Gallikanismus war damit letztlich eine wesentliche Voraussetzung des Gesetzes über den Laizismus von 1905.

1178  Journal

officiel, Chambre des députés (1905), 7. April 1905, S. 1237. des französischen Originaltexts aus Journal officiel, Chambre des députés (1905), 7. April 1905, S. 1237. 1180  Kapitel 2, B.I.1.a) (S. 167 ff.). 1181  Siehe Kapitel 2, B.I.1.b)bb) (S. 174 ff.) und Portier, L’Etat et les religions en France, S. 24. 1179  Übersetzung

184 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

2. Integration und Trennung von Staat und Kirche im deutschen Protestantismus Im Gegensatz zur Situation Frankreichs war Deutschland seit der Reformation nicht nur politisch, sondern auch religiös gespalten. Besonders das Deutsche Kaiserreich war jedoch, wie der Kulturkampf demonstrierte1182, aufgrund der preußischen Dominanz stark protestantisch geprägt. Zwar bedeuteten Erster Weltkrieg und Ende der Monarchie einen Bedeutungsgewinn des Katholizismus in Deutschland, doch blieb der Einfluss des evangelischen Religionsverfassungsrechts (a)) maßgeblich für die Weimarer Reichsverfassung (b)). a) Theologische Grundlagen des evangelischen Religionsverfassungsrechts Zentrale Unterschiede zwischen Katholizismus und Protestantismus bestehen hinsichtlich der Organisation der Kirchenleitung (aa)), die maßgeblich für die Entwicklung des Verhältnisses von Kirche und Staat in den protestantischen Gebieten Deutschlands war (bb)). aa) Betonung des Dualismus zwischen weltlicher und geistlicher Macht Die Kirchenleitung ist im protestantischen Kirchenrecht grundlegend anders organisiert als im Katholizismus. Ein zentrales gemeinsames Merkmal der protestantischen Kirchen ist die Nichtanerkennung des Primats der römischen Kurie und des Papsttums. Große Uneinigkeit bestand jedoch zwischen den Reformatoren bezüglich der Frage, wer die Stelle des Papstes an der Spitze der Kirchenhierarchie einnehmen sollte. Die sich im 16. und 17. Jahrhundert entwickelnden Modelle der Kirchenorganisation trugen wesentlichen politischen und gesellschaftlichen Unterschieden der protestantischen Länder Rechnung.1183 Sowohl Martin Luther als auch Jean Calvin sahen in der daraus folgenden Heterogenität kirchlicher Organisationsmodelle ein wichtiges Charakteristikum des Protestantismus.1184 Die Theologie des französisch-schweizerischen Reformators Jean Calvin wurde in den protestantischen Gemeinden Frankreichs und den evangelisch1182  Kapitel 2,

A.II.2.a)cc) (S. 128 ff.). guten Überblick über die Rezeption der Reformation in den verschiedenen europäischen Staaten und die sich entwickelnden Organisationsstrukturen bieten Zippelius, Staat und Kirche, S. 94 ff. und Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 3 ff., Rz. 14 und Rz. 23 ff. 1184  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 11 und 22. 1183  Einen



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte185

reformierten Kirchen Deutschlands rezipiert.1185 Calvin lehnte jede Einflussnahme der weltlichen Macht auf die Kirche ab.1186 Die christlichen Normen, die Calvin aus der Bibel ableitete, sollten jedoch auch die weltliche Macht binden.1187 Innerhalb der Kirche sollten alle Mitglieder gleichgestellt sein, Vorrechte eines Klerus verwarf Calvin.1188 Zum charakteristischen Element der calvinistischen Kirchenorganisation, die entsprechend der politischen und gesellschaftlichen Umstände variabel sein kann, wurden aus kirchlichen Funktionsträgern gebildete Synoden.1189 Die für die damalige Zeit sehr demokratische calvinistische Kirchenverfassung konnte im monarchisch verfassten Deutschland nur schwer Fuß fassen. Nicht die Bevölkerung, sondern vielmehr die Landesherren waren die Triebkräfte der deutschen Reformation.1190 Die monarchischen Verfassungen der deutschen Staaten ließen eine demokratische Konstitution der neu gegründeten protestantischen Kirchen als undurchsetzbar erscheinen.1191 Als Folge war die reformatorische evangelische Kirchenverfassung stark auf die deutschen Landesherren zugeschnitten. Bereits die lutherische Theologie entsprach in vielen Punkten den politischen Zielsetzungen der deutschen Landesherren. So verwarf Luther jede Einflussnahme der geistlichen Macht auf die weltliche Sphäre.1192 Auch das Recht der Delegitimierung und Absetzung der weltlichen Herrscher durch die Kirche, das das Papsttum einforderte, lehnte Luther ab.1193 Gleichzeitig sprach Luther den katholischen Amtsträgern die Legitimität ab.1194 Jedoch beschränkten sich die deutschen Landesherren nicht auf die von Luther propagierte Trennung von weltlicher und geistlicher Sphäre.1195 Das

1185  Link,

Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 23 und 27. Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 21. 1187  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 21; siehe zur politischen Dimension der Theologie Calvins Dargaud, Histoire de la liberté religieuse Bd. 1–2, Bd. 1, S.  23 ff. 1188  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 21. 1189  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 22. 1190  Kantzenbach, Politischer Protestantismus, S. 9. 1191  Kantzenbach, Politischer Protestantismus, S. 9 f. 1192  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 12. 1193  Siehe Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 13 und Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 12; zur Ideengeschichte des evangelischen Religionsverfassungsrechts Zippelius, Staat und Kirche, S. 16. 1194  Zippelius, Staat und Kirche, S. 81; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 10. 1195  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 12 und 14. 1186  Link,

186 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

sich auf Initiative Luthers1196 Ende der 1520er Jahre entwickelnde landesherrliche Kirchenregiment1197 führte zur Übernahme der vollständigen Kon­ trolle über die evangelischen Landeskirchen durch die weltlichen Herrscher.1198 Fortan unterstanden die evangelischen Landeskirchen nicht mehr nur politisch, sondern auch theologisch den landesherrlichen Weisungen.1199 Das landesherrliche Kirchenregiment fand in Deutschland erst nach der Abschaffung der Monarchie in Folge der November-Revolution des Jahres 1918 sein Ende.1200 Es prägte nachhaltig die Entwicklung der evangelischen Landeskirchen in Deutschland sowie des Religionsverfassungsrechts und wirkte in den religionsverfassungsrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung nach. bb) Entwicklung des Verhältnisses zwischen evangelischen Landeskirchen und Staat in Deutschland Das landesherrliche Kirchenregiment war prägend für das deutsche Reli­ gionsverfassungsrecht seit der Reformation (1). Zwar wurden Reformvorschläge während der Periode der Aufklärung und der März-Revolution des Jahres 1848 erarbeitet (2), doch blieben die Landesherren bis zum Ende des Deutschen Kaiserreichs die Oberhäupter der evangelischen Landeskirchen (3). (1) Das Religionsverfassungsrecht der Reformation Seit dem Ende der 1520er Jahre fungierten die Landesherren der deutschen Flächenstaaten und die Räte der deutschen Reichsstädte als Oberhäupter der evangelischen Landeskirchen.1201 Mit dem Passauer Vertrag des Jahres 1552 und dem Augsburger Reichs- und Religionsfrieden des Jahres 15551202 wurde diese Situation auf Reichsebene de facto anerkannt.1203 In Folge des Wegfalls der Jurisdiktion der katholischen Bischöfe in den protestantischen Gebieten

1196  So im Ergebnis wohl auch Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 13. 1197  Siehe auch Kapitel 2, A.II.2.a)aa) (S. 121 ff.). 1198  Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 93; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 14. 1199  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 14. 1200  Kapitel 2, A.II.2.b)aa) (S. 135 ff.) und Kapitel 2, A.II.2.b)cc) (S. 153 ff.). 1201  Zippelius, Staat und Kirche, S. 87 f. 1202  Kapitel 2, A.I.2.b)aa) (S. 61 ff.). 1203  Zippelius, Staat und Kirche, S. 87 f.



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte187

Deutschlands1204 gingen deren kirchenrechtliche Befugnisse de facto auf die Landesherren als neue „summi episcopi“ (oberste Bischöfe) über.1205 Die daraus resultierende besondere Verschränkung von weltlicher und geistlicher Sphäre kam einerseits in der Struktur des evangelisch-lutherischen Kirchenrechts zum Ausdruck, das im Gegensatz zum kanonischen Recht weniger auf einer genuinen, autonomen kirchlichen Rechtssetzungskompetenz, sondern vielmehr auf gesetzlichen Verfügungen der Landesherren der Territorialstaaten und der Räte der Reichsstädte beruhte.1206 So erließen ab den 1520er Jahren die evangelischen Landesherren und die Räte der evangelischen Reichsstädte in Form von Gesetzen zahlreiche von Theologen ausgearbeitete Kirchenordnungen, die unter anderem die Grundzüge des evangelisch-lutherischen Bekenntnisses verbindlich vorschrieben, aber auch verpflichtende Vorgaben für liturgische Handlungen und die Ausbildung, Vergütung und Dienstaufsicht der Pfarrer machten sowie das Ehe-, Familien- und Schulrecht regelten.1207 Gleichzeitig fand das kanonische Recht innerhalb der evangelisch-lutherischen Kirchen weiterhin mit zwei Maßgaben Anwendung. Erstens wurde die Fortgeltung des kanonischen Rechts allein auf die landesherrliche Kirchenhoheit gestützt, jeglicher Normsetzungsanspruch der katholischen Kirche hingegen verworfen.1208 Daraus folgte zum einen der subsi­ diäre Charakter des kanonischen Rechts, das jederzeit durch landesherrliche Verfügungen (für das betreffende protestantische Gebiet) außer Kraft gesetzt oder modifiziert werden konnte.1209 Zum anderen verwarf die evangelischlutherische Rechtswissenschaft unter Verweis auf die Aussetzung der Jurisdiktion der katholischen Bischöfe in den protestantischen Gebieten durch § 20 des Augsburger Reichs- und Religionsfriedens des Jahres 15551210 den Anspruch der katholischen Kirche, alleinig und letztverbindlich über die Auslegung des kanonischen Rechts entscheiden zu dürfen.1211 Zweitens durfte das kanonische Recht in den protestantischen Gebieten nur entsprechend dem evangelisch-lutherischen Bekenntnis interpretiert werden, dem evangelisch-lutherischen Bekenntnis widersprechende Normen blieben unangewendet.1212 1204  Siehe § 20 Augsburger Reichs- und Religionsfrieden, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S.  131 f. 1205  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 13, Rz. 1. 1206  Siehe zum evangelisch-lutherischen Kirchenrecht des Reformationszeitalters Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 13, Rz. 2. 1207  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 13, Rz. 2 f. 1208  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 13, Rz. 9. 1209  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 13, Rz. 9. 1210  Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 131 f. 1211  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 13, Rz. 7. 1212  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 13, Rz. 7.

188 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Andererseits spiegelte auch die Organisationsstruktur der evangelisch-­ lutherischen Kirchen die besondere Beziehung zwischen Kirchen und weltlichen Herrschern wider. Eine zentrale Stellung nahm das paritätisch aus Juristen und Theologen besetzte Konsistorium ein, das als Verwaltungsbehörde des Landesherren oder des Rates der Reichsstadt die theologische Aufsicht über die ihm nachgeschalteten Institutionen ausübte.1213 Die dem Konsistorium untergeordneten Superintendenten übten gleichzeitig liturgische und administrative Funktionen aus.1214 Unter ihrer Weisung agierten als Leiter der ihnen zugewiesenen Kirchengemeinden die Pfarrer, deren Vergütung häufig durch den Staat übernommen wurde.1215 Bedingt durch diese Kirchenorganisation war der Einfluss der Landesherren auf die evangelischen Landeskirchen erdrückend.1216 Das evangelische Kirchenrecht entwickelte drei Modelle zur theologischen und juristischen Legitimierung des landesherrlichen Kirchenregiments. Das Vertragsmodell basierte auf dem Konzept des (fiktiven) Gesellschaftsvertrags, der neben der Delegation weltlicher Befugnisse an den Landesherren auch die Übertragung der Kirchenführung enthalte.1217 Das Territorialmodell stützte das landesherrliche Kirchenregiment auf die dem Landesherren innerhalb seines Territoriums zustehenden umfassenden Herrschaftsrechte, die auch den religiösen Bereich einschlössen.1218 Das Kollegialmodell schließlich interpretierte die evangelischen Landeskirchen als Vereinigungen gleichberechtigter Mitglieder, die dem Landesherren die Aufgabe der Kirchenleitung delegiert hätten.1219 Das landesherrliche Kirchenregiment war mit theologischer Freiheit und kirchlicher Selbstverwaltung kaum vereinbar. Besonders an diesen Punkten entzündete sich teils heftige Kritik, die das religionsverfassungsrechtliche Modell der Paulskirchenverfassung entscheidend mitprägte.

1213  Link,

Kirchliche Rechtsgeschichte, § 13, Rz. 4. Kirchliche Rechtsgeschichte, § 13, Rz. 5. 1215  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 13, Rz. 5. 1216  Beispielhaft erzwang der preußische König noch im 19. Jahrhundert die Zwangsfusion von evangelisch-lutherischen und evangelisch-reformierten Gemeinden gegen heftigen theologischen Protest unter Ausübung des landesherrlichen Kirchen­ regiments (Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 3). 1217  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 4. 1218  von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 21; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 5. 1219  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 8 ff.; siehe auch Zippelius, Staat und Kirche, S. 115. 1214  Link,



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte189

(2) D  as synodale Organisationsprinzip in Aufklärung und März-Revolution 1848 Mit dem Ende der Monarchie in Deutschland im Jahre 1918 war auch eine Rückkehr zum landesherrlichen Kirchenregiment undenkbar geworden. Zunehmend setzten sich kirchenorganisatorische Modelle durch, die maßgeblich die Aufklärung mitgeprägt hatte. Die in den Anfangsjahren der Weimarer Republik reformierten Kirchenverfassungen der evangelischen Gemeinden Deutschlands beruhten auf dem Modell der Synoden.1220 Dabei handelt es sich um kirchenrechtlich organisierte Kollegialorgane, die häufig zumindest teilweise direkt oder indirekt demokratisch legitimiert sind.1221 Kirchliche Synoden waren bereits in der katholischen Kirche des Mittelalters von Bedeutung gewesen und bildeten die Grundlage der Konzile, die das vorreformatorische katholische Kirchenrecht entscheidend mitgeprägt hatten.1222 Bereits während der Epoche der Reformation wurden erste synodale Kirchenverfassungen der evangelischen Gemeinden praktiziert.1223 Die synodale Kirchenverfassung erwies sich jedoch als wenig geeignet zur Verbreitung der Reformation in Deutschland, die maßgeblich von den Landesherren getragen wurde.1224 In anderen Staaten, darunter Frankreich, war eine synodale Organisationsstruktur der protestantischen Kirchen allerdings bereits seit der Reformation üblich.1225 Die Entwicklung des modernen Staatswesens bedeutete jedoch auch einen grundlegenden Wandel der deutschen evangelischen Kirchenorganisation. Das Preußische Allgemeine Landrecht des Jahres 1794 trieb die Integration der evangelischen Landeskirche in den Staat voran, indem Geistlichen der Beamtenstatus übertragen wurde.1226 Die vom preußischen Staat vergüteten Pfarrer unterlagen damit einer umfangreichen Aufsichtspflicht durch staat­

1220  Siehe das Beispiel Bayerns in Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert Bd. 4, S. 610 ff. 1221  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 5. 1222  Kapitel 2, B.I.1.b)aa) (S. 171 ff.) und Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 4, Rz. 4. 1223  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 13. 1224  Kantzenbach, Politischer Protestantismus, S. 9 f. 1225  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 22 ff. und Prélot, Les Cahiers De Droit 40, 849 (875). Zur gegenwärtigen Verfassung der französischen evangelisch-reformierten Gemeinden siehe Basdevant-Gaudemet, in: Robbers (Hrsg.), Etat et Eglises dans l’Union européenne, S. 166. 1226  Teil II, Titel 11, § 19 des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, in: Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert Bd. 4, S. 4; Link, Kirch­ liche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 13.

190 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

liche Behörden, die im Besonderen auch den liturgischen und theologischen Bereich einschloss.1227 Zunehmend regte sich Widerstand gegen die überbordende Kontrolle der evangelischen Landeskirchen. Besonders ab dem Anfang des 19. Jahrhunderts wurde eine Abkehr vom landesherrlichen Kirchenregiment aktiv diskutiert.1228 Die synodale Organisationsform gewann in der Folge zunehmend an Bedeutung. Bereits das bayerische Edikt vom 26. Mai 1818 sah die Mitwirkung von Synoden an der Leitung der bayerischen evangelisch-lutherischen Landeskirche vor.1229 In Preußen sah erstmalig die Verfassung der RheinischWestfälischen Landeskirche des Jahres 18351230 synodale Verwaltungselemente vor.1231 Allerdings fiel die Leitungsfunktion der evangelischen Landeskirchen sowohl in Bayern als auch in Preußen noch immer landesherr­ lichen Organen zu.1232 Einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg zur Abschaffung des landesherrlichen Kirchenregiments stellte die März-Revolution des Jahres 1848 dar. Das zukünftige Verhältnis von Kirchen und Staat war ein bedeutsames Thema der Verhandlungen der verfassungsgebenden Versammlung der Frankfurter Paulskirche.1233 Katholische wie evangelische Abgeordnete setzten sich für einen Abbau staatlicher Reglementierung und Kontrolle der Kirchen ein.1234 Besonders das verfassungsrechtlich verbürgte Selbstverwaltungsrecht der Religionsgemeinschaften1235 wurde als Abkehr vom landesherrlichen Kirchenregiment und als Bekenntnis zur synodalen Kirchenverfassung verstanden.1236

1227  Link,

Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 12 f. Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 2. 1229  § 7 des Edikts vom 26. Mai 1818, in: Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert Bd. 1, S. 651; siehe auch Kapitel 2, A.II.2.a)aa) (S. 121 ff.) und Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 20. 1230  Vertiefend Jung, Der Protestantismus in Deutschland 1815 bis 1870, S. 94 f. 1231  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 7. 1232  Siehe Kapitel 2, A.II.2.a)aa) (S. 121  ff.) und § 1 des Edikts vom 26. Mai 1818, in: Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert Bd. 1, S. 650; siehe auch Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 17 und § 21, Rz. 7. 1233  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 20, Rz. 1. 1234  Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, S. 13 f. 1235  § 147 Abs. 1 der Verfassung vom 28. März 1849; siehe auch Kapitel 2, A. II.2.a)bb) (S. 125 ff.). 1236  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 9. 1228  Link,



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte191

Trotz des Scheiterns der Paulskirchenverfassung1237 gewannen in der Folge in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Synoden in den evangelischen Landeskirchen zunehmend an Bedeutung.1238 Das zunehmend etablierte synodale Modell wurde dadurch zu einer wichtigen Ergänzung des landesherrlichen Kirchenregiments1239, das es nach dessen Ende im Jahre 1918 ersetzen sollte. (3) D  ie wachsende Selbstständigkeit der evangelischen Landeskirchen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Neben dem Bedeutungsgewinn synodaler Elemente nahm die staatliche Einflussnahme auf die deutschen evangelischen Landeskirchen vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stetig ab.1240 Die März-Revolution des Jahres 1848 und die Paulskirchenverfassung hatten den Wunsch nach Reformen der Kirchenstruktur der evangelischen Landeskirchen zum Ausdruck gebracht.1241 In Folge dessen hielt nun auch eine Garantie des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts Einzug in die preußischen Verfassungen vom 5. Dezember 1848 und vom 31. Januar 1850.1242 Zwar verweigerten die preußischen Könige einen vollständigen Verzicht auf das landesherrliche Kirchenregiment, doch konnten sich kirchliche Behörden zunehmend vom königlichen und staatlichen Einfluss emanzipieren.1243 Gleichzeitig wurde die Verknüpfung kirchlicher und staatlicher Behörden zunehmend gelöst.1244 Dadurch konnten die evangelischen Landeskirchen noch unter der deutschen Monarchie zumindest eine teilweise Selbstständigkeit gewinnen.1245 Gleichzeitig nahm die ideologische Annäherung der evangelischen Landeskirchen an den Staat zu.1246 Viele evangelische Pfarrer unterstützten na­ 1237  Kapitel 2,

A.II.2.a)bb) (S. 125 ff.). Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 11 ff. 1239  Siehe auch Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 13. 1240  Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 36; Von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S.  36 f. 1241  Siehe Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, S. 14. 1242  Siehe Kapitel 2, A.II.2.a)bb) (S. 125 ff.) sowie Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 29 und Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 9. 1243  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21, Rz. 14 und Von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 37. 1244  Von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 37. 1245  So im Ergebnis wohl auch Winter, Staatskirchenrecht, S. 38 und Von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 37 f.; siehe auch Besier, KZG 14, 533 (533). 1246  Von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 38. 1238  Vertiefend

192 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

tionalkonservative politische Parteien, die später in der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) aufgingen.1247 Dadurch geriet der politische Protestantismus zunehmend unter den Einfluss nationalistischen und monarchistischen Denkens.1248 Insgesamt war das besondere Verhältnis von evangelischen Landeskirchen und Staat am Ende des Deutschen Kaiserreichs damit ungebrochen. Zwar setzten sich zunehmend synodale Elemente1249 in den deutschen Kirchenverfassungen durch, doch blieben die hierarchischen Strukturen des landesherrlichen Kirchenregiments bis zur November-Revolution des Jahres 1918 intakt.1250 Gleichzeitig unterstützten zahlreiche evangelische Pfarrer diese staatsnahe Kirchenverfassung, die ihnen besonderen politischen Einfluss sicherte.1251 Die enge Verbindung von evangelischen Landeskirchen und staatlichen Institutionen wurde dadurch zu einem wichtigen Hindernis auf dem Weg zur Trennung von Staat und Kirche in Deutschland. b) Auswirkungen des evangelischen Religionsverfassungsrechts auf die Weimarer Reichsverfassung Hatte das Deutsche Kaiserreich unter dem dominanten Einfluss des protestantischen Königreichs Preußen gestanden, so setzte das Ende der Monarchie in Deutschland der politischen Übermacht des Protestantismus ein Ende.1252 Der religiöse und politische Pluralismus, den die Führungsriegen des Deutschen Kaiserreichs vermissen ließen, war ein wichtiges Charakteristikum der Weimarer Republik. Mit Friedrich Ebert wurde im Jahre 1919 gar ein konfessionsloser ehemaliger Katholik deutsches Staatsoberhaupt.1253 Besonders katholische Bürger konnten in der Politik der Weimarer Repu­ blik Einfluss gewinnen.1254 Die Deutsche Zentrumspartei, die sich vorrangig als Vertreterin der deutschen Katholiken verstand, etablierte sich als stärkste bürgerliche Kraft.1255 Der politische Katholizismus wurde in der Folge zu 1247  Besier,

Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 2. Kantzenbach, Politischer Protestantismus, S. 107. 1249  Kapitel 2, B.I.2.a)bb)(2) (S. 189 ff.). 1250  Siehe Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 29 f. 1251  Siehe Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 5. Bezeichnend ist die in Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(2) (S. 145 ff.) dargestellte religionsverfassungsrechtliche Position der DNVP, die die meisten evangelischen Pfarrer unterstützten (Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 2). 1252  Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 4 f. 1253  Jung, Der Protestantismus in Deutschland 1870 bis 1945, S. 125. 1254  Siehe Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 10. 1255  Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 10. 1248  Siehe



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte193

einer wichtigen Stütze der demokratischen und republikanischen Verfassung der Weimarer Republik.1256 Gleichzeitig bedeutete das Ende der Monarchie auch den Untergang des landesherrlichen Kirchenregiments in Deutschland.1257 Besonders in den Anfangsmonaten der Weimarer Republik blieb die Kirchenverfassung nahezu aller1258 evangelischen Landeskirchen ungeklärt.1259 In einigen Bundesländern, darunter Bayern und Preußen, belebten gar die neuen Revolutionsregierungen das landesherrliche Kirchenregiment wieder, um die evangelischen Landeskirchen ihrer Kontrolle und ihrem Einfluss zu unterwerfen.1260 Trotz des Bedeutungsverlusts der evangelischen Landeskirchen1261 blieb ihr Kirchenrecht dennoch prägend für die religionsverfassungsrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung. Einerseits fanden die evangelischen Landeskirchen in der katholischen Deutschen Zentrumspartei einen mächtigen Verbündeten, der ebenfalls eine verfassungsrechtliche Sonderstellung der Kirchen befürwortete.1262 Andererseits konnten die Verfechter kirchlicher Privilegien in der Tradition der evangelischen Landeskirchen auf breiten gesellschaftlichen Rückhalt, auch von Seiten der katholischen Kirche, hoffen.1263 Im Gegensatz zu Frankreich erwiesen sich die laizistischen Reformvorstellungen der Sozialdemokraten und Sozialisten1264 in Deutschland als politisch und gesellschaftlich nicht mehrheitsfähig. Daneben war auch in den politischen Parteien Deutschlands der Einfluss evangelischer Kirchentradition spürbar. Mit Ausnahme der Deutschen Zen­ trumspartei standen alle bürgerlichen Parteien – DDP, DVP und DNVP – eher dem Protestantismus nahe.1265 Gleichzeitig hielt das besondere politische 1256  Siehe

Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(3)(a) (S. 147 ff.). Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 29 f. 1258  Eine Ausnahme stellten die württembergische und die badische Landeskirche dar, deren Monarch vor seiner Abdankung Regelungen zum Übergang der Befugnisse des landesherrlichen Kirchenregiments auf kirchliche Behörden getroffen hatte (Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 26, Rz. 2 (Fn. 3)). 1259  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 26, Rz. 2. 1260  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 26, Rz. 2 f. 1261  Siehe auch Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 4. 1262  Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(3)(a) (S. 147 ff.). 1263  Siehe Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert Bd. 4, S.  109 ff. 1264  Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(1) (S. 138 ff.). 1265  Siehe Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 2 f. sowie Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(2) (S. 145 ff.) und Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(3)(b) und (c) (S. 149 ff.). Eine große Mehrheit der Katholiken hingegen unterstützte die Deutsche Zentrumspartei, die für viele Protestanten noch immer unwählbar war (Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 3 und S. 9). 1257  Siehe

194 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Engagement evangelischer Theologen in der Weimarer Republik an.1266 Mit dem Sozialliberalen Friedrich Naumann leitete ein evangelischer Theologe sogar eine der Regierungsparteien der Weimarer Nationalversammlung.1267 Der religionsverfassungsrechtliche Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung wurde in der Folge von drei evangelischen Theologen als Vertretern der DVP, DDP und DNVP und einem katholischen Theologen der Deutschen Zentrumspartei ausgehandelt.1268 Die in die Weimarer Nationalversammlung gewählten evangelischen Theologen spiegelten dabei die Bandbreite des politischen Spektrums der Weimarer Republik wider.1269 Der Vorsitzende der DDP, Friedrich Naumann, war ein glühender Verfechter der Trennung von Staat und Kirche sowie der kirchlichen Selbstverwaltung.1270 Die Mehrheit der evangelischen Pfarrer unterstützte jedoch eher die reli­ gionsverfassungsrechtlichen Positionen der DVP oder der DNVP.1271 Viele Theologen sahen in der Trennung von Staat und Kirche zwar eine politische Notwendigkeit nach dem Ende der Monarchie. Besonders die Vorstellung einer Unterordnung unter SPD- oder Zentrumsgeführte Regierungen lehnten die allermeisten evangelischen Pfarrer ab.1272 Die Trennung von Staat und Kirche war für sie aber kein Akt der Überzeugung, sondern allein angesichts der veränderten politischen und juristischen Rahmenbedingungen geboten. Diesem Pragmatismus folgend sollte die Trennung von Staat und Kirche so gering wie möglich ausfallen. Der Erhalt besonderer kirchlicher Privilegien und einer herausgehobenen kirchlichen Stellung verstand sich dabei von selbst.1273 Die beschlossenen verfassungsrechtlichen Bestimmungen spiegelten insofern die enge Beziehung zwischen den evangelischen Landeskirchen und dem Staat wider. Radikale Reformen des Verhältnisses von Staat und Kirche unterblieben, die Neuregelung des Verhältnisses beschränkte sich auf das 1266  Siehe beispielhaft für die DNVP Jung, Der Protestantismus in Deutschland 1870 bis 1945, S. 124. 1267  Siehe Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 2. 1268  Siehe Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert Bd. 4, S. 118. 1269  Siehe Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 5. 1270  Siehe Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(3)(b) (S. 149 f.). 1271  Siehe Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(3)(c) (S. 151 ff.) und Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(2) (S. 145 ff.) sowie Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 2. 1272  Siehe Besier, Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, S. 3 und Jung, Der Protestantismus in Deutschland 1870 bis 1945¸ S. 124. 1273  Zu den kirchlichen Forderungen siehe Huber/Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert Bd. 4, S. 110 ff.



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte195

„Notwendige“.1274 Anders als in Frankreich war eine laizistische Religionsverfassung in Deutschland angesichts der historisch gewachsenen engen Verbindung von evangelischen Landeskirchen und Staat völlig unvorstellbar und undurchsetzbar. 3. Der Laizismus als Konsequenz der religiösen Verfassung Frankreichs Insofern spielen religiöse und theologische Gründe eine wichtige Rolle für die unterschiedlichen religionsverfassungsrechtlichen Modelle Frankreichs und Deutschlands. Das religiöse Leben Frankreichs wurde im Unterschied zum konfessionell gespaltenen Deutschland auch nach der Reformation weiterhin durch den Katholizismus dominiert. Gleichzeitig genoss die katholische Kirche Frankreichs seit dem Hochmittelalter eine deutlich weiterreichende Selbstständigkeit gegenüber dem Papsttum als die katholische Kirche Deutschlands.1275 Der Bewahrung dieser kirchlichen Autonomie war der Gallikanismus der französischen katholischen Kirche verschrieben, die zur Abwehr päpstlicher Herrschaftsansprüche zunehmend die Nähe, die Partnerschaft und den Einfluss der französischen Krone und des französischen Staates suchte.1276 Die Französische Revolution trieb den Gallikanismus durch die weitestgehende Lösung der französischen katholischen Kirche vom Papst und deren Unterwerfung unter den französischen Staat auf die Spitze.1277 Durch die Enteignung der Sakralbauten1278 und die Zivilverfassung des Klerus1279 wurde die katholische Kirche Frankreichs in den französischen Staat integriert. Dies provozierte einerseits den Protest der römischen Kurie und der katholischen Kirche Frankreichs, andererseits aber auch die Unzufriedenheit der Mitglieder der französischen katholischen Kirche.1280 Unter der Herrschaft Napoleons wurde zwar wieder der Anschein einer Partnerschaft von

1274  Siehe diesbezüglich die Rede des DDP-Vorsitzenden Friedrich Naumann vor dem Verfassungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung, in: Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, 18. Sitzung vom 31. März 1919, S. 17 f. 1275  Kapitel 2, B.I.1.b)aa) (S. 171 ff.). 1276  Kapitel 2, B.I.1.b)bb) (S. 174 ff.) und Portier, L’Etat et les religions en France, S.  24 f. 1277  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 37. 1278  Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.). 1279  Kapitel 2, B.I.1.b)cc) (S. 178 ff.). 1280  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 37 f.

196 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Kirche und Staat erweckt, doch blieb die Unterordnung der katholischen Kirche faktisch bestehen.1281 Gleichzeitig blieb die Beziehung zwischen französischem Staat und katholischer Kirche konfliktträchtig. Besonders unter der Dritten Republik spitzte sich der Konflikt zwischen politischem Katholizismus und republikanischen Regierungen immer weiter zu.1282 Die Privilegierung der katholischen Kirche, die das Gegenstück des von Napoleon aufgebauten Kontrollsystems war, erschien vielen Abgeordneten nicht mehr zeitgemäß und politisch gefährlich.1283 Eine langfristige Befriedung der Konflikte von katholischer Kirche und französischem Staat war nur durch deren Trennung zu erwarten.1284 Allerdings war eine Freigabe der katholischen Kirche aus dem staatlichen Kontrollgriff bei gleichzeitiger Bewahrung ihrer Privilegien weder politisch durchsetzbar noch opportun. Nur ein radikaler Schnitt der Beziehungen von Staat und Kirche ließ auf eine langfristige Beilegung der Konflikte von Staat und Kirche hoffen.1285 Dieser politischen Interessenlage trug das Gesetz über den Laizismus von 1905 Rechnung. Derart tiefgreifende Reformen im Konflikt mit römischer Kurie und Papsttum fanden sich häufig in der Geschichte des französischen Religionsverfassungsrechts. Bereits im französischen Hochmittelalter hatte die Pragmatische Sanktion von Bourges dem Papst eine Einflussnahme auf die Auswahl des französischen Klerus weitestgehend verwehrt.1286 Im Zeitalter des Absolutismus gipfelte der Gallikanismus in den „gallikanischen Artikeln“ des Jahres 1682, die dem Papst eine Reihe wichtiger Kompetenzen absprachen.1287 Die Französische Revolution war durch radikale religionsverfassungsrechtliche Reformen im Jahresrhythmus geprägt, die zu einem tiefen Bruch Frankreichs mit dem Papsttum führten.1288 Zweifelsohne ist das Gesetz über den Laizismus von 1905 als Teil dieser langen Reihe tiefgreifender religionsverfassungsrechtlicher Reformen in Frankreich zu sehen. Anders stellten sich die Ausgangsbedingungen in der Weimarer Republik dar. Im Deutschen Kaiserreich nahm das protestantische Königreich Preußen eine Führungsrolle ein.1289 Zwar verlor der Protestantismus nach dem Ende 1281  Kapitel 2,

B.I.1.b)cc) (S. 178 ff.). Kapitel 2, A.II.1.b)aa) (S. 89 ff.) und Kapitel 2, A.II.1.b)bb) (S. 92 ff.). 1283  Siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 39. 1284  Siehe Fabre, in: Weil (Hrsg.), Politiques de la laïcité au XXe siècle, S. 75 und Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 73 f. sowie Maier, ZfP 2011, 213 (216). 1285  So im Ergebnis wohl auch Baubérot, Revue du MAUSS 43, 191 (199 ff.). 1286  Kapitel 2, B.I.1.b)aa) (S. 171 ff.). 1287  Kapitel 2, B.I.1.b)bb) (S. 174 ff.). 1288  Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.) und IIBI1b,cc (S. 158 ff.). 1289  Siehe Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rz. 2063. 1282  Siehe



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte197

der Monarchie in Deutschland an Bedeutung, doch war er weiterhin prägend für die religionsverfassungsrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung.1290 Die enge und innige Beziehung1291 zwischen den evangelischen Landeskirchen und dem deutschen Staat ließ eine vollständige Trennung nach französischem Vorbild als unmöglich erscheinen. Ein Konflikt mit den christlichen Kirchen war in der Weimarer Republik, anders als in der Dritten Französischen Republik, nicht mehrheitsfähig. Der Laizismus kann insofern auch als Produkt der französischen religiösen Verfassung und Religionsgeschichte interpretiert werden. Diese nationalen Besonderheiten erschwerten seine Rezeption in der Weimarer Republik.

II. Unteilbarkeit der Republik, religion civile und Religionsskepsis als rechtspolitische Grundlagen des Laizismus Neben religiösen und religionsgeschichtlichen Unterschieden waren auch ideengeschichtliche Traditionen prägend für die deutsche und die französische Religionsverfassung. Dabei kommt der Philosophie der Aufklärung eine besondere Bedeutung zu. Ein Charakteristikum der französischen Ideengeschichte ist der Fokus nicht nur auf die individuelle Religionsfreiheit, sondern auch auf deren kollektiv-soziale Dimensionen. Für Jean-Jacques Rousseau, den Vordenker der Französischen Revolution, war Religionsfreiheit nicht nur ein Recht zur individuellen Gestaltung des Privatlebens. Religion sollte vielmehr auch die soziale Kohäsion und den Zusammenhalt der Gesellschaft sichern.1292 Diese Betonung der politischen Dimensionen von Religion spielte in der Debatte um das Gesetz über den Laizismus von 1905 eine besondere Rolle (1.). Eine Besonderheit Deutschlands seit der Reformation war und ist hingegen die Koexistenz annähernd ähnlich großer römisch-katholischer und evangelischer Glaubensvereinigungen. In Deutschland stand damit das individuelle Wahlrecht der Religion stärker im Zentrum als in Frankreich.1293 Die Gleichbehandlung der Religionen wurde nicht als Abschaffung kirchlicher Privilegien, sondern als deren Ausweitung zunächst auf die jeweiligen konfessionellen Minderheiten, dann auf alle Religionsgemeinschaften verstanden. Diese religionsgeschichtlichen Grundlagen waren prägend für das Religionsverfassungsrecht der Weimarer Reichsverfassung (2.). 1290  Kapitel 2,

B.I.2.b) (S. 192 ff.). B.I.2.a)bb) (S. 186 ff.). 1292  Willhoite, Rev. Politics 27, 501 (510). 1293  So im Ergebnis auch Maier, ZfP 2011, 213 (215 f.). 1291  Kapitel 2,

198 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

1. Religionsfreiheit und Instrumentalisierung der Religion – Ein Widerspruch? Die Religionsfreiheit als eine zentrale Grundfreiheit, deren Geschichte den Prozess der Staatenbildung in Europa sowie den Übergang vom autoritärabsolutistischen Fürstenstaat hin zum Verfassungsstaat des 19. Jahrhunderts nachzeichnete1294, war integraler Bestandteil der menschenrechtlichen Forderungen der Aufklärung.1295 Gleichzeitig stellten die religiösen Konflikte des 17. Jahrhunderts eine prägende Erfahrung für viele Philosophen dieser Zeit dar.1296 Dadurch veränderte sich auch das Denken über Religion in der europäischen Philosophie. Zunehmend rückten Fragen betreffend die Genese, den Zweck und die soziale Bedeutung von Religionen in den Fokus. In der Religionsphilosophie von Thomas Hobbes wird beispielsweise zwar Religiosität als eine anthropologische Konstante menschlicher Existenz angesehen, die jedoch durch die menschlichen Gesellschaften ausgestaltet und genutzt werden müsse (a)).1297 Gleichzeitig entwickelten sich in der Periode der Aufklärung neue religiöse Überzeugungen, allen voran der Deismus. Der Glaube, dass Gott nach dem Schöpfungsakt die Welt der Verantwortung des Menschen überlassen habe,1298 war prägend für das religionsverfassungsrechtliche Modell des französischen Philosophen Voltaire (b)).1299 Der bedeutendste Impulsgeber für die religionsverfassungsrechtlichen Reformen Frankreichs war jedoch Jean-Jacques Rousseau. In der Tradition von Thomas Hobbes stand für Rousseau die soziale Bedeutung der Religion im Fokus, allerdings verbunden mit deutlicher Kritik am Christentum.1300 Zur Sicherung der religiösen Einheit dient bei Rousseau eine staatsbürgerliche Religion (religion civile), die von allen Bürgern geteilt wird (c)).1301 Insofern ist ein zentrales Charakteristikum der französischen Aufklärung nicht nur die Forderung nach Religionsfreiheit. Nachhall im Gesetz über den Laizismus von 1905 fanden vielmehr auch die Religionskritik und die Überlegungen zur sozialen Rolle von Religion. Die Unterschiede der Ideenge-

1294  Siehe

ausführlich Kapitel 2, A.I.2.b) (S. 60 ff.). Kapitel 2, A.I.2.a) (S. 57 ff.). 1296  Siehe Macpherson, in: Hobbes, Leviathan, S. 9 und S. 13. 1297  Siehe Kapitel 2, A.I.2.a) (S. 57 ff.). 1298  Portier, ASSR 169, 263 (271) und Orjiukwu, Eine philosophische Anthropologie der Religion, S. 88. 1299  Balet Roca, CIF 1978, 29 (29). 1300  Desmons, Revue française d’histoire des idées politiques 29, 77 (79). 1301  Rousseau, Du contrat social, S. 107. 1295  Siehe



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte199

schichte helfen hierbei, die Differenzen der religionsverfassungsrechtlichen Modelle Deutschlands und Frankreichs zu erklären (d)). a) Materialismus und Instrumentalisierung der Religion bei Thomas Hobbes Wegweisend für die Religionsphilosophie Jean-Jacques Rousseaus waren zweifelsohne die Schriften des Engländers Thomas Hobbes.1302 Dessen Leben von den Jahren 1588 bis 1679 war geprägt durch grundlegende politische und religiöse Konflikte und Umwälzungen.1303 In der Religionsphilosophie von Thomas Hobbes standen deshalb vor allem die sozialen Dimensionen der Religion im Mittelpunkt (aa)). Auf Grund ihrer Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt und die öffentliche Ordnung hatte deshalb für Thomas Hobbes die Wahrung der religiösen Einheit höchste Priorität (bb)). aa) Ursprung und Funktion der Religion bei Thomas Hobbes In seinem Hauptwerk „Leviathan“ widmete sich Thomas Hobbes ausgiebig der Rolle der Religion. Bereits die Überlegungen von Hobbes zur Genese von Staat und Gesellschaft verdeutlichen den Bruch mit der kirchlichen Staatsphilosophie seiner Zeit.1304 In der Tradition des Kirchenvaters Thomas von Aquin1305 sah die katholische Kirche Herrschafts- und Gesellschaftsstrukturen noch immer als Teil einer gottgegebenen Ordnung an, in der der Kirche eine herausgehobene Stellung zukomme.1306

1302  Siehe Rousseau, Du contrat social, S. 103; dazu Beiner, Rev. Politics 55, 617 (630 f.). 1303  Macpherson, in: Hobbes, Leviathan, S. 1 und S. 9; siehe auch Kapitel 2, A.I.2.a) (S. 57 ff.). 1304  Besonders die Theologie des italienischen Kardinals und Kirchenlehrers Roberto Bellarmino (siehe Kapitel 2, B.I.1.b)bb), S. 174 ff.) kritisierte Hobbes heftig und ausführlich (Wright, Religion, politics and Thomas Hobbes, S. 196); siehe auch Uertz, Vom Gottesrecht zum Menschenrecht, S. 266 f. 1305  Vertiefend zur Theologie von Thomas von Aquin siehe Uertz, Vom Gottesrecht zum Menschenrecht, S. 34 f. 1306  Uertz, Vom Gottesrecht zum Menschenrecht, S. 34 f. und Portier, RFSP 36, 325 (327).

200 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Dagegen postulierte die Staatsphilosophie von Thomas Hobbes, dass Herrschaftsstrukturen allein durch den Menschen geschaffen würden.1307 Nur durch die Unterwerfung aller Bürger unter ein von ihnen durch einen hypothetischen Gesellschaftsvertrag geschaffenes Staatswesen sei die Sicherung von Frieden und Ordnung möglich.1308 Der Staat wiederum wird durch den Gesellschaftsvertrag in einen quasi-religiösen Rang erhoben.1309 „This is the Generation of that great Leviathan, or rather (to speak more reverently) of that Mortall God, to which wee owe under the Immortall God, our peace and defence.“1310 „[Durch den Gesellschaftsvertrag] wird der große Leviathan, oder treffender (priesterlich gesprochen) der sterbliche Gott, dem wir unter der [Herrschaft] des unsterblichen Gottes unseren Frieden und unsere Verteidigung schuldig sind, geschaf­ fen.“1311

Gleichzeitig unterstrich Thomas Hobbes die Bedeutung der Religion für das politische Gemeinwesen. Grundlage von Religion sei zwar eine göttliche Offenbarung, doch würden die religiösen Normen verbindlich durch die im Gesellschaftsvertrag bestellten weltlichen Herrscher festgesetzt.1312 „It is true, that God is the Soveraign of all Soveraigns; and therefore, when he speaks to any Subject, he ought to be obeyed, whatsoever any earthly Potentate command to the country. But the question is not of obedience to God, but of when, and what God hath said; which to Subjects that have no supernaturall revelation, cannot be known, but by that natural reason, which guided them, for the obtaining of Peace and Justice, to obey the authority of their severall Commonwealths; that is to say, of their lawfull Soveraigns. According to this obligation, I can acknowledge no other Books of the Old Testament, to be Holy Scripture, but those which have been commanded to be acknowledged for such, by the Authority of the Church of England.“1313 „Es ist wahr, dass Gott der Herrscher aller Herrscher ist; und deshalb ist ihm zu gehorchen, wenn er mit einem seiner Untertanen spricht, gleichgültig, was irgendein weltlicher Herrscher in seinem Land befiehlt. Aber die Frage ist nicht der Gehorsam gegenüber Gott, sondern wann und was Gott gesagt hat; das können Untertanen, die keine übernatürliche Offenbarung haben, nicht wissen, außer aus dem natürlichen Grund, der sie um Frieden und Gerechtigkeit zu erlangen geleitet hat, sich der Autorität ihrer zahlreichen politischen Gemeinschaften, das heißt ihren 1307  Terrel, Hobbes, matérialisme et politique, S. 200 f.; siehe auch Hobbes, Behemoth, S. 15. 1308  Wright, Religion, politics and Thomas Hobbes, S. 204. 1309  Picq, Politique et religion, S. 14. 1310  Hobbes, Leviathan, S. 227. 1311  Übersetzung des englischen Originaltexts aus Hobbes, Leviathan, S. 227. 1312  Siehe Kapitel 2, A.I.2.a) (S. 57 ff.) und ergänzend Beiner, Rev. Politics 55, 617 (625 f.). 1313  Hobbes, Leviathan, S. 415 f.



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte201 rechtmäßigen Herrschern, zu unterwerfen. Dieser Verpflichtung entsprechend kann ich nur die Bücher des Alten Testaments als Heilige Schrift anerkennen, die die Autorität der Kirche von England befiehlt anzuerkennen.“1314

Die Funktion der Religion erschöpfte sich bei Hobbes nicht in der Beziehung zu einer Transzendenz. Vielmehr sah Hobbes die Gesellschaft und den Souverän in der Pflicht, religiöse Normen zum Wohle des Staates auszugestalten.1315 Religion stellte insofern für Hobbes ein wichtiges Instrument zur Sicherstellung von Gehorsam und Pflichterfüllung in der Gesellschaft dar.1316 „And therefore the first Founders, and Legislators of Common-wealths amongst the Gentiles, whose ends were only to keep the people in obedience, and peace, have in all places taken care; First, to imprint in their minds a beliefe, that those precepts which they gave concerning Religion, might not be thought to proceed from their own device, but from the dictates of some God, or other Spirit. […] Secondly, they have had a care, to make it believed, that the same things were displeasing to the Gods, which were forbidden by the Laws.“1317 „Und deshalb haben die ersten Gründer und Gesetzgeber von heidnischen politischen Gemeinschaften, deren Ziel nur war, die Menschen in Gehorsam und Frieden zu halten, überall Vorsorge getroffen. Erstens, in den Köpfen [ihrer Untertanen] den Glauben zu verankern, dass ihre religiösen Vorgaben nicht für eine von ihnen entworfene Doktrin, sondern für die Gebote irgendeines Gottes oder einer anderen Transzendenz gehalten wurden. […] Zweitens haben sie Vorsorge getroffen, dass geglaubt wurde, dass die Dinge, die durch die Gesetze verboten waren, auch den Göttern missfielen.“1318

Insgesamt stellte die Staatsphilosophie von Thomas Hobbes damit einen deutlichen Bruch mit der kirchlichen religionsverfassungsrechtlichen Doktrin dar. Die Legitimation staatlichen Handelns folgte für Hobbes nicht aus einer göttlichen Ordnung, sondern vielmehr aus einem hypothetischen Gesellschaftsvertrag.1319 Die Gesellschaft und die Herrschaftsstrukturen seien dementsprechend nicht gottgegeben, sondern würden vielmehr durch den Menschen erschaffen.1320 Religion stellte für Hobbes zwar eine anthropologische Konstante menschlichen Daseins dar, doch müsse ihre Ausgestaltung den Bedürfnissen der Gesellschaft dienen.1321 Die staatliche Beziehung zur Religion solle laut Hobbes vor allem durch deren Instrumentalisierung zum Nutzen der Gesellschaft geprägt sein. des englischen Originaltexts aus Hobbes, Leviathan, S. 415 f. Beiner, Rev. Politics 55, 617 (625 f.; 629). 1316  Siehe Rose, Political Theology 14, 5 (8). 1317  Hobbes, Leviathan, S. 177. 1318  Übersetzung des englischen Originaltexts aus Hobbes, Leviathan, S. 177. 1319  Siehe vertiefend auch Uertz, Vom Gottesrecht zum Menschenrecht, S. 269 f. 1320  Siehe Moreau, Hobbes – Philosophie, science, religion, S. 7 f. 1321  Siehe ergänzend Beiner, Rev. Politics 55, 617 (624 ff.). 1314  Übersetzung 1315  Siehe

202 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

bb) Religionsverfassungsrecht nach Thomas Hobbes Bereits das Titelbild des Werkes „Leviathan“ verdeutlicht die religionsverfassungsrechtlichen Vorstellungen von Thomas Hobbes. In seiner rechten Hand hält der Leviathan, der Souverän kraft des Gesellschaftsvertrags, ein Schwert als Ausdruck der weltlichen Macht, in seiner linken einen Bischofsstab als Zeichen geistlicher Macht.1322 Eine Trennung von weltlicher und geistlicher Sphäre lehnte Hobbes ab.1323 Die Fusion von weltlicher und geistlicher Macht solle sich nicht nur in einer Unterordnung der Kirche unter die weltliche Macht, sondern vielmehr durch deren vollständige Integration vollziehen. Der Leviathan sei gleichzeitig weltlicher und geistlicher Souverän.1324 „Temporall and Spirituall Government, are but two words brought into the world, to make men see double, and mistake their Lawfull Soveraign. […] There is therefore no other Government in this life, neither of State, nor Religion, but Temporall; nor teaching of any doctrine, lawfull to any Subject, which the Governour both of the State, and of the Religion, forbiddeth to be taught: And that Governor must be one; or else there must needs follow Faction, and Civil war in the Common-wealth, between the Church and State“.1325 „Weltliche und geistliche Regierung sind lediglich zwei Wörter, die geschaffen wurden, um die Menschen doppelt sehen und ihre rechtmäßigen Herrscher verkennen zu lassen. […] Es gibt deshalb keine andere Regierung in diesem Leben, weder von Staates noch von Religion wegen, außer der weltlichen [Regierung]; [noch kann] eine [religiöse] Doktrin legal irgendeinem Untertanen gelehrt werden, deren Lehre der Verwalter von Staat und Religion verbietet: Und dieser Verwalter muss einer sein; ansonsten folgt zwangsläufig die Lagerbildung, und Bürgerkrieg zwischen Kirche und Staat innerhalb der politischen Gemeinschaft“.1326

Daraus leitete Thomas Hobbes zwei grundlegende Rechte des Souveräns in Bezug auf die Religion ab. Einerseits stehe diesem das Recht der Organisation der Religion innerhalb seines Herrschaftsbereichs zu.1327 Andererseits sprach Hobbes dem Souverän das alleinige Recht der Bestimmung der Glaubensinhalte zu. Die Interpretation der biblischen Texte wurde durch Hobbes zum Recht und zur Pflicht des Souveräns erhoben, die Kirche vollständig durch den Leviathan absorbiert.1328

1322  Picq,

Politique et religion, S. 14. Politique et religion, S. 14. 1324  Siehe Picq, Politique et religion, S. 14. 1325  Hobbes, Leviathan, S. 498 f. 1326  Übersetzung des englischen Originaltexts aus Hobbes, Leviathan, S. 498 f. 1327  Siehe Beiner, Rev. Politics 55, 617 (626 f.). 1328  Siehe ergänzend Beiner, Rev. Politics 55, 617 (628 ff.). 1323  Picq,



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte203

Dennoch leistete Thomas Hobbes einen wichtigen Beitrag für die Trennung von Staat und Kirche in Europa.1329 Zwar propagierte Hobbes eine organisatorische Verschmelzung von Staat und Kirche, doch wurden seine Überlegungen zum Ursprung des Staates wegweisend für das Religionsverfassungsrecht der Moderne.1330 Entgegen der kirchlichen Doktrin entspringe der Staat laut Hobbes nicht religiösen Normen und Prinzipien, sondern werde vielmehr durch den Menschen erschaffen.1331 Die rechtlichen Normen stünden über den religiösen Grundsätzen und beeinflussten diese.1332 Der Staat stelle keine Verlängerung der religiösen Institutionen dar, vielmehr solle er sich gegenüber diesen emanzipieren.1333 Zentrale Grundgedanken der Philosophie von Thomas Hobbes waren dementsprechend prägend für das europäi­ sche Religionsverfassungsrecht. Einerseits ist das Primat rechtlicher Normen über religiöse Normen ein Grundpfeiler des europäischen Verfassungsrechts. Andererseits stellt die Legitimierung des Staates durch areligiöse, weltliche Normen und durch Konsens eine wichtige Voraussetzung des modernen Religionsverfassungsrechts dar.1334 b) Deismus und Religionsverfassung bei Voltaire François-Marie Arouet, bekannt unter seinem Künstlernamen Voltaire, war einer der bedeutendsten Schriftsteller und Philosophen der französischen Aufklärung.1335 Besonders der Liberalismus John Lockes1336 hatte großen Einfluss auf die religionsverfassungsrechtlichen Vorstellungen Voltaires.1337 Er wurde zur Grundlage von Voltaires Forderung nach umfassender religiöser Toleranz und Religionsfreiheit.1338 Gleichzeitig lehnte Voltaire die eta­ blierten und institutionalisierten Religionsgemeinschaften entschieden ab.1339 im Ergebnis auch Portier, ASSR 169, 263 (266). ASSR 169, 263 (266). 1331  Siehe Moreau, Hobbes – Philosophie, science, religion, S. 7 f. 1332  Siehe zur kirchlichen Kritik an der Staatsphilosophie Thomas Hobbes’ ergänzend auch Portier, RFSP 36, 325 (326). 1333  Siehe ergänzend auch Picq, Politique et religion, S. 14. 1334  So im Ergebnis auch Uertz, Vom Gottesrecht zum Menschenrecht, S. 269 ff. 1335  Zur Biografie Voltaires siehe Díez del Río, AJEE 44, 519 (521). 1336  Kapitel 2, A.I.2.a) (S. 57 ff.). 1337  Siehe Copson, Secularism: politics, religion, and freedom, S. 17. 1338  Díez del Río, AJEE 44, 519 (526). Besonders das relativ liberale englische Religionsverfassungsrecht seiner Zeit galt Voltaire als Vorbild (Rémond, Pouvoirs 75, 7 (8)). 1339  Díez del Río, AJEE 44, 519 (521). Besonders die Ablehnung der Religionsfreiheit durch die katholische Kirche seiner Zeit (siehe Kapitel 2, A.II.1.b)aa), S. 89 ff.) kritisierte Voltaire scharf (Arkush, AJS 18, 223 (237)). Allerdings stand Voltaire nicht nur dem Katholizismus, sondern auch dem Protestantismus und dem 1329  So

1330  Portier,

204 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Dennoch erachtete Voltaire Religiosität als einen Grundpfeiler mensch­ licher Existenz.1340 Vom Atheismus distanzierte sich Voltaire dezidiert1341, das Weltbild Voltaires entsprach vielmehr dem damals weitverbreiteten1342 Deismus,1343 der die Existenz eines Schöpfergottes postulierte, der die Welt jedoch ganz der Verantwortung des Menschen überlasse.1344 Eine wichtige Aufgabe der Religion sah Voltaire in der moralischen Erziehung der Bür­ ger,1345 die eine wichtige Voraussetzung für das friedliche gesellschaft­liche Zusammenleben sei.1346 Gleichzeitig verwarf Voltaire jeden religiösen Dogmatismus.1347 Besonders die katholische Liturgie und Theologie kritisierte Voltaire heftig, den katholischen Klerus sah er als korrupt und unmoralisch an.1348 Dementsprechend lehnte Voltaire eine herausgehobene Stellung des Katholizismus im französischen Staat dezidiert ab.1349 Insofern findet sich bereits in den Schriften Voltaires eine Andeutung der Trennung von französischem Staat und katholischer Kirche. Gleichzeitig war die Kritik der etablierten Religionsgemeinschaften,1350 die dieser mit JeanJacques Rousseau teilte, ein wichtiges Element in der Debatte um das Gesetz über den Laizismus von 1905. c) Das religionsverfassungsrechtliche Modell Jean-Jacques Rousseaus Der schweizerisch-französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau war der wichtigste Vordenker des Religionsverfassungsrechts der Französischen ReJudentum ausgesprochen kritisch gegenüber (siehe vertiefend Arkush, AJS 18, 223 (242)). 1340  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 31; zur Religionsphilosophie Voltaires siehe auch Lagarde/Michard/Monferier, Les grands auteurs français, S. 358. 1341  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 31. 1342  Ideengeschichtlich außerordentlich bedeutsam war der Deismus der amerikanischen Gründerväter, der noch lange in Religionspolitik und Religionsverfassungsrecht der USA nachwirkte (Portier, Social Compass 57, 180 (182 f.)). 1343  Orjiukwu, Eine philosophische Anthropologie der Religion, S. 88. Teilweise wird diese vorherrschende Einschätzung angezweifelt; einen guten Überblick über den Meinungsstand bietet Balet Roca, CIF 1978, 29 (29 ff.). 1344  Portier, ASSR 169, 263 (271); Orjiukwu, Eine philosophische Anthropologie der Religion, S. 88. 1345  Arkush, AJS 18, 223 (228); Wright, Religion, politics and Thomas Hobbes, S. 213. 1346  Portier, L’Etat et les religions en France, S. 31. 1347  Arkush, AJS 18, 223 (228); Pomeau, La religion de Voltaire, S. 27. 1348  Arkush, AJS 18, 223 (237). Allerdings übten auch katholische Theologen heftige Kritik an Voltaire, siehe beispielhaft Ruster, Katholizismus und Moderne, S. 166. 1349  Siehe Leroux, in: Le Blanc (Hrsg.), Laïcité et humanisme, S. 56. 1350  Díez del Río, AJEE 44, 519 (521); siehe auch Arkush, AJS 18, 223 (242).



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte205

volution. Darüber hinaus wurde Rousseaus Religionsphilosophie zu einer wichtigen Grundlage nicht nur des Gesetzes über den Laizismus von 1905, sondern der gesamten religionsverfassungsrechtlichen Ordnung des modernen Frankreichs. Die Staatslehre Rousseaus wurde entscheidend von den Schriften des englischen Philosophen Thomas Hobbes1351 beeinflusst.1352 Wie Hobbes postulierte Rousseau, dass Gesellschaft und Staat nicht göttlichen, sondern mensch­ lichen Ursprungs seien.1353 Staatliche Institutionen zögen ihre Legitimation einzig aus der Delegation menschlicher Aufgaben und Rechte durch einen Gesellschaftsvertrag und seien den menschlichen Interessen verpflichtet.1354 Als logische Konsequenz entspreche der Souverän dem durch den Gesellschaftsvertrag zusammengeschlossenen Volk.1355 Souveränität könne einzig durch den Gemeinwillen (volonté générale), dem eine quasi-religiöse Dimension zukommt, ausgeübt werden.1356 „Il s’ensuit de ce qui précède que la volonté générale est toujours droite et tend toujours à l’utilité publique: mais il ne s’ensuit pas que les délibérations du peuple aient toujours la même rectitude. […] Si, quand le peuple suffisamment informé délibère, les Citoyens n’avaient aucune communication entre eux, du grand nombre de petites différences résulterait toujours la volonté générale, et la délibération serait toujours bonne.“1357 „Aus den vorhergehenden [Überlegungen zur Volkssouveränität] folgt, dass der Gemeinwille immer richtig ist und immer auf das öffentliche Wohl ausgelegt ist: aber es folgt [aus dem Vorhergehenden] nicht, dass die Beratungen des Volkes 1351  Kapitel 2,

B.II.1.a) (S. 199 ff.). seinem Werk „Vom Gesellschaftsvertrag“ nahm Rousseau sogar direkt Bezug auf die im Vorhergehenden dargestellte Religionsphilosophie von Thomas Hobbes (siehe Rousseau, Du contrat social, S. 103). 1353  Groethuysen, J.-J. Rousseau, S. 81 f.; siehe auch Rousseau, Du contrat social, S.  15 f. 1354  Groethuysen, J.-J. Rousseau, S. 82 ff. 1355  „Or le Souverain n’étant formé que des particuliers qui le composent n’a ni ne peut avoir d’intérêt contraire au leur“ (Rousseau, Du contrat social, S. 16; Übersetzung des französischen Originaltexts: „Nun, da der Souverän nur aus den ihn bildenden Einzelpersonen besteht, hat er kein [den Einzelpersonen] widersprechendes Interesse und kann es [auch] nicht haben.“). Zur Bedeutung der Philosophie Rous­ seaus als staatsphilosophische Grundlage der Volkssouveränität siehe auch SchulzSchaeffer, NJW 2007, 643 (643). 1356  „Par la même raison que la souveraineté est inaliénable, elle est indivisible. Car la volonté est générale, ou elle ne l’est pas; elle est celle du corps du peuple, ou seulement d’une partie.“ (Rousseau, Du contrat social, S. 21; Übersetzung des französischen Originaltexts: „Aus demselben Grund, aus dem die Souveränität unveräußerlich ist, ist sie auch unteilbar. Denn der Wille ist gemein, oder er ist es nicht; er ist entweder der des ganzen Volkes, oder nur eines Teils davon.“). 1357  Rousseau, Du contrat social, S. 23. 1352  In

206 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland immer die gleiche Richtigkeit haben. […] Wenn das Volk ausreichend informiert berät und die Bürger keinerlei Kommunikation miteinander haben, würde aus der großen Zahl kleiner Unterschiede immer der Gemeinwille folgen, und die Beratung wäre immer gut.“1358

Besonders dem Religionsverfassungsrecht kommt innerhalb des von Rousseau konzipierten Staatsmodells eine zentrale Bedeutung zu. Rousseau sah in Religion ein zentrales Bindeglied innerhalb einer politischen Gemeinschaft, das für den Fortbestand des Staates unentbehrlich sei (aa)). Diese Funktion könne nach Ansicht Rousseaus jedoch das Christentum nur beschränkt erfüllen (bb)). Dementsprechend entwickelte Rousseau das Konzept einer staatsbürgerlichen Religion (religion civile) (cc)), das prägend für das Religionsverfassungsrecht der Französischen Revolution wurde (dd)). aa) Religion als Staatsräson bei Jean-Jacques Rousseau Rousseau sah in Religion und religiösen Normen eine wichtige Grundlage des Staates und der Gesellschaft. Den Atheismus lehnte er, ähnlich wie Thomas Hobbes, aus theologischen und politischen Gründen entschieden ab.1359 Theologisch sah Rousseau die Existenz Gottes als durch die Ordnung des Universums bewiesen an.1360 Ähnlich Hobbes erachtete auch Rousseau ein menschliches Gefühl von Transzendenz als Grundlage der Religion.1361 Die staatsbürgerliche Religion (religion civile) Rousseaus stellte insofern kein rein materialistisches Konstrukt dar, sondern knüpfte auch an den Glauben Rousseaus an eine Transzendenz an.1362 Dennoch kam in der Religionsphilosophie Rousseaus den politischen Dimensionen der Religion überragende Bedeutung zu. Ähnlich wie ein Jahrhundert zuvor Thomas Hobbes sah auch Rousseau in Religion eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg und den Fortbestand eines Staatswesens.1363 Einerseits sei Religiosität eine notwendige Voraussetzung für die Gründung eines Staates, der niemals ausschließlich in der Immanenz verwurzelt sein könne.1364 1358  Übersetzung

S. 23.

des französischen Originaltexts aus Rousseau, Du contrat social,

1359  Grimsley, Rousseau and the religious quest, S. 54 und S. 86; siehe vertiefend Grimsley, Rousseau and the religious quest, S. 33. 1360  Groethuysen, J.-J. Rousseau, S. 285 f. 1361  Groethuysen, J.-J. Rousseau, S. 283 f. 1362  Zur theologischen Dimension der Philosophie Rousseaus siehe vertiefend Groethuysen, J.-J. Rousseau, S. 283 ff. 1363  Masson, La religion de Jean-Jacques Rousseau, 2. Teil, S. 185 f. 1364  Siehe Desmons, Revue française d’histoire des idées politiques 29, 77 (79 f.).



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte207 „Je crois qu’en développant sous ce point de vue les faits historiques, on réfuterait aisément les sentiments opposés de Bayle et de Warburton, dont l’un prétend que nulle religion n’est utile au corps politique, et dont l’autre soutient au contraire que le christianisme en est le plus ferme appui. On prouverait au premier que jamais État ne fut fondé que la Religion ne lui servît de base, et au second que la loi chrétienne est au fond plus nuisible qu’utile à la forte constitution de l’État.“1365 „Ich glaube, dass, wenn man unter diesem Gesichtspunkt die historischen Fakten betrachtet, es ein Leichtes ist, die widerstrebenden Einschätzungen von Bayle und Warburton zu widerlegen, von denen einer behauptet, dass keine Religion der politischen Gemeinschaft nutzt, und von denen der andere vorbringt, dass im Gegenteil das Christentum die größte Stütze [einer politischen Gemeinschaft] ist. Wir würden dem Ersteren beweisen, dass noch nie ein Staat gegründet wurde, dem nicht eine Religion als Grundlage diente, und dem Zweiteren, dass die christlichen Normen insgesamt mehr schädlich als nützlich für die starke Verfassung eines Staates sind.“1366

Andererseits stellte Religion in der Philosophie Rousseaus eine wichtige Bedingung für den Erhalt und den Erfolg eines Staatswesens dar.1367 In diesem Punkt bestand ebenfalls eine besondere Nähe zu den Schriften von Thomas Hobbes. Aus Sicht Rousseaus könne eine Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten nur durch eine religiöse Erziehung sichergestellt werden.1368 Dem Atheismus warf Rousseau hingegen ein Fehlen staatsbürgerlicher Moral vor.1369 „L’oubli de toute religion conduit à l’oubli des devoirs de l’homme.“1370 „Das Vergessen jeder Religion führt zum Vergessen der Pflichten des Menschen.“1371

Ähnlich der Philosophie von Thomas Hobbes wird dadurch Religion zu einem notwendigen Bestandteil des Staates erklärt. Gleichzeitig erklärte Rousseau wie auch Hobbes die Definition zentraler religiöser Normen zu einer der wichtigsten Aufgaben des Staates.1372

1365  Rousseau,

Du contrat social, S. 103. des französischen Originaltexts aus Rousseau, Du contrat social,

1366  Übersetzung

S. 103.

1367  Desmons,

Revue française d’histoire des idées politiques 29, 77 (91). Revue française d’histoire des idées politiques 29, 77 (91 f.). 1369  Vertiefend Desmons, Revue française d’histoire des idées politiques 29, 77 (83 ff.). 1370  Rousseau, Émile, S. 341. 1371  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Rousseau, Émile, S. 341. 1372  Groethuysen, J.-J. Rousseau, S. 328 f.; siehe auch Erdmann, Das Verhältnis von Staat und Religion nach der Sozialphilosophie Rousseaus, S. 15. 1368  Desmons,

208 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

bb) Kritik des Christentums Im Unterschied zu Hobbes lehnte Rousseau es jedoch ab, die Funktion der Staatsreligion dem Christentum zu übertragen.1373 Zwar sah Rousseau in den biblischen Texten eine „wahrhaftige“ Religion der Nächstenliebe, doch sei das Christentum aufgrund der Abwertung des diesseitigen Lebens nicht als Grundlage einer demokratischen Gesellschaft geeignet.1374 „Reste donc la Religion de l’homme ou le Christianisme, non pas celui d’aujourd’hui, mais celui de l’Évangile, qui en est tout à fait différent. Par cette Religion sainte, sublime, véritable, les hommes, enfants du même Dieu, se reconnaissent tous pour frères, et la société qui les unit ne se dissout pas même à la mort. […] Le Christianisme est une religion toute spirituelle, occupée uniquement des choses du Ciel: la patrie du Chrétien n’est pas de ce monde. […] Le Christianisme ne prêche que servitude et dépendance. Son esprit est trop favorable à la tyrannie pour qu’elle n’en profite pas toujours. Les vrais Chrétiens sont faits pour être esclaves; ils le savent et ne s’en émeuvent guère; cette courte vie a trop peu de prix à leurs yeux.“1375 „Schließlich bleibt die Religion des Menschen oder das Christentum [zu diskutieren], nicht dasjenige, das gegenwärtig praktiziert wird, sondern dasjenige des Evangeliums, das grundverschieden ist. Durch diese heilige, erhabene und wahrhaftige Religion erkennen sich die Menschen, Kinder desselben Gottes, als Brüder, und der Bund, der sie vereinigt, bricht auch mit ihrem Tode nicht. […] Das Christentum ist eine vollkommen spirituelle Religion, die sich nur mit den Sachen des Himmels beschäftigt: Die Heimat des Christen ist nicht von dieser Welt. […] Das Christentum predigt nur Knechtschaft und Abhängigkeit. Sein Geist ist viel zu sehr dafür geeignet, von Tyrannen für immer missbraucht zu werden. Die wahren Christen sind geschaffen, um Sklaven zu sein; sie wissen es und es macht ihnen kaum etwas aus; dieses kurze Leben hat viel zu wenig Wert in ihren Augen.“1376

Besonders vehement kritisierte Rousseau jedoch die christlichen Kirchen seiner Zeit. Zwar unterschied auch Rousseau in der christlichen und westeuropäischen Tradition eine weltliche und eine religiöse Sphäre, doch lehnte er die institutionelle Trennung von Staat und Staatskirche, die sowohl Katho­ lizismus als auch Protestantismus1377 praktizierten, ab.1378 Nach Ansicht 1373  Desmons,

Revue française d’histoire des idées politiques 29, 77 (86). Revue française d’histoire des idées politiques 29, 77 (79). 1375  Rousseau, Du contrat social, S. 104 bis S. 106. 1376  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Rousseau, Du contrat social, S. 104 bis S. 106. 1377  „Parmi nous, les rois d’Angleterre se sont établis chefs de l’Église, autant en ont fait les Czars; mais, par ce titre, ils s’en sont moins rendus les maîtres que les Ministres; ils ont moins acquis le droit de la changer que le pouvoir de la maintenir; ils n’y sont pas législateurs, ils n’y sont que Princes. Partout où le Clergé fait un corps il est maître et législateur dans sa partie.“ (Rousseau, Du contrat social, S. 103; Übersetzung des französischen Originaltexts: „[In Europa] haben sich die Könige von 1374  Desmons,



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte209

Rousseaus sollten der Staat und die staatsbürgerliche Religion (religion civile) als Staatsreligion eine institutionelle und normative Einheit bilden, die auf die private Sphäre zu beschränkenden tradierten Religionen, darunter insbesondere der Katholizismus, seien jedoch strikt vom Staat zu trennen. Die im Christentum praktizierte institutionelle und personelle Aufspaltung der Herrschaft zwischen Staat und christlichen Kirchen hingegen führe zu einer mangelnden Loyalität des Staatsbürgers gegenüber der politischen Gemeinschaft.1379 Der Christ werde dadurch zum schlechten Staatsbürger, da er nicht nur den Weisungen der politischen Gemeinschaft, sondern allem voran kirchlichen Geboten Gehorsam leiste.1380 Gleichzeitig sei eine Instrumentalisierung des Christentums für den Staat im Sinne des religionsverfassungsrechtlichen Modells Thomas Hobbes’ aufgrund des christlichen Herrschaftsanspruchs über den Staat, des „herrschsüchtigen Geists des Christentums“ („esprit dominateur du christianisme“), nicht möglich.1381 „Il a résulté de cette double puissance un perpétuel conflit de juridiction qui a rendu toute bonne politique impossible dans les États chrétiens, et l’on n’a jamais pu venir à bout de savoir auquel du maître ou du prêtre on était obligé d’obéir. […] De tous les Auteurs chrétiens le philosophe Hobbes est le seul qui ait bien vu le mal et le remède, qui ait osé proposer de réunir les deux têtes de l’aigle, et de tout ramener à l’unité politique, sans laquelle jamais État ni Gouvernement ne sera bien constitué. Mais il a dû voir que l’esprit dominateur du Christianisme était incompatible avec son système, et que l’intérêt du prêtre serait toujours plus fort que celui de l’État.“1382 „Aus dieser doppelten Macht [von Kirche auf der einen und Staat auf der anderen Seite] folgt ein ewiger Konflikt der Herrschaftsbereiche, der jede gute Politik in den christlichen Staaten unmöglich gemacht hat. Niemals konnte man die Frage lösen, ob man dem Herrscher oder dem Priester gehorchen muss. […] Von allen christlichen Autoren hat der Philosoph Hobbes, der wagte, eine Wiedervereinigung der beiden Köpfe des Adlers und eine Rückkehr zur politischen Einheit, ohne die niemals ein Staat oder eine Regierung gut verfasst war, vorzuschlagen, als einziger das Übel und die Lösung gesehen. Aber er hätte sehen müssen, dass der herrschsüchtige Geist des Christentums mit seinem System unvereinbar war, und

England als Kirchenoberhäupter etabliert, ebenso haben es die Zaren gemacht; aber durch diesen Titel sind sie weniger die Meister als vielmehr die Priester geworden; sie haben nicht so sehr das Recht, die [Religion] zu verändern, als vielmehr das Recht, sie beizubehalten, erworben; sie sind [in der religiösen Sphäre] keine Gesetzgeber, nur Prinzen. Überall, wo der Klerus eine [eigenständige] Institution bildet, ist er in seiner Sphäre Meister und Gesetzgeber.“). 1378  Desmons, Revue française d’histoire des idées politiques 29, 77 (87 f.). 1379  Rousseau, Du contrat social, S. 102. 1380  Rousseau, Du contrat social, S. 102. 1381  Rousseau, Du contrat social, S. 103. 1382  Rousseau, Du contrat social, S. 102 und S. 103.

210 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland dass das Interesse des Priesters immer stärker als das Interesse des Staates sein wird.“1383

Aus diesen Gründen könne nach Ansicht Rousseaus das Christentum die Rolle der Staatsreligion nicht angemessen erfüllen. Es bedürfe folglich einer neuen Religion, die als Grundlage des von Rousseau entworfenen Staatswesens1384 geeignet sei. cc) Die staatsbürgerliche Religion (religion civile) als Basis der Staatsverfassung Dies ist der Grund für die Entwicklung der staatsbürgerlichen Religion (religion civile) in den Schriften Rousseaus. Dabei ging Rousseau von zwei grundsätzlichen Prämissen aus, die Grundlage der neuen Religion werden sollten. Erstens sollte die staatsbürgerliche Religion (religion civile) die Religion aller Staatsbürger sein.1385 „Les sujets ne doivent donc compte au Souverain de leurs opinions qu’autant que ces opinions importent à la communauté. Or il importe bien à l’État que chaque Citoyen ait une Religion qui lui fasse aimer ses devoirs. […] Sans pouvoir obliger personne à les croire, il peut bannir de l’État quiconque ne les croit pas; il peut le bannir, non comme impie, mais comme insociable, comme incapable d’aimer sincèrement les lois, la justice, et d’immoler au besoin sa vie à son devoir.“1386 „Die Untertanen schulden dem Souverän also nur Rechenschaft bezüglich ihrer Meinungen, sofern diese wichtig für die Gemeinschaft sind. Nun ist es aber für den Staat sehr wichtig, dass jeder Bürger eine Religion hat, die ihn seine Pflichten lieben lässt. […] Ohne jemanden dazu verpflichten zu können, an [diese Religion] zu glauben, kann der Souverän jeden des Staates verbannen, der nicht [an diese Religion] glaubt; er kann ihn nicht als ungläubig, sondern als nicht soziabel verbannen, als unfähig, ernsthaft die Gesetze und die Gerechtigkeit zu lieben und bei Bedarf sein Leben seiner Pflicht unterzuordnen.“1387

Zweitens solle die staatsbürgerliche Religion (religion civile) einfache Dogmen verkörpern, die der nach Rousseau beweisbaren Existenz einer Transzendenz Rechnung trügen und die staatsbürgerliche Pflichtenerfüllung sicherstellen sollten.1388 Die dabei von Rousseau vorgesehenen Dogmen können in zwei Kategorien eingeteilt werden. Einerseits enthielt die staatsbür1383  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Rousseau, Du contrat social, S. 102 und S. 103. 1384  Kapitel 2, B.II.1.c) (S. 204 ff.). 1385  Siehe Portier, ASSR 169, 263 (264). 1386  Rousseau, Du contrat social, S. 107. 1387  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Rousseau, Du contrat social, S. 107. 1388  Groethuysen, J.-J. Rousseau, S. 328 f.



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte211

gerliche Religion (religion civile) traditionell-religiöse Dogmen wie den Glauben an eine Transzendenz, andererseits aber auch religiöse Normen zur Absicherung der republikanischen und demokratischen Staatsverfassung.1389 „Les dogmes de la religion civile doivent être simples, en petit nombre, énoncés avec précision sans explications ni commentaires. L’existence de la Divinité puissante, intelligente, bienfaisante, prévoyante et pourvoyante, la vie à venir, le bonheur des justes, le châtiment des méchants, la sainteté du Contrat social et des lois; voilà les dogmes positifs. Quant aux dogmes négatifs, je les borne à un seul; c’est l’intolérance: elle rentre dans les cultes que nous avons exclus.“1390 „Die Dogmen der staatsbürgerlichen Religion müssen einfach und in kleiner Zahl sein, mit Präzision ohne Erklärungen oder Kommentare aufgestellt. Dogmatische Pflicht ist der Glaube an die Existenz eines allmächtigen, allwissenden, gütigen, vorhersehenden und fürsorglichen Gottes, an das Leben nach dem Tod, an das Glück der Gerechten und die Bestrafung der Bösen sowie an die Heiligkeit des Gesellschaftsvertrags und der Gesetze. Die dogmatischen Verbote beschränken sich auf ein einziges, auf [das Verbot der] Intoleranz: Sie gehört zu den Religionen, die wir [als Staatsreligion] ausgeschlossen haben.“1391

Die auf diesen Grundsätzen fußende staatsbürgerliche Religion (religion civile) sollte nach dem Konzept Rousseaus von allen Staatsbürgern geteilt werden.1392 Allen anderen Religionen, die strikt vom Staat zu trennen seien, solle im Modell Rousseaus unter zwei Bedingungen Religionsfreiheit zukommen. Erstens ist die Gewährleistung der Religionsfreiheit im religionsverfassungsrechtlichen Modell Rousseaus an eine Bedingung der Reziprozität geknüpft. Als Folge könnten sich religiös intolerante Religionen nicht auf die Religionsfreiheit berufen.1393 Zweitens seien von der Religionsfreiheit diejenigen Religionen ausgeschlossen, die die Vorrangstellung der staatsbürger­ lichen Religion (religion civile) und der Verfassung in Frage stellten.1394 Vielmehr seien die etablierten Religionen alle der staatsbürgerlichen Religion (religion civile) und der Staatsverfassung zu unterwerfen.1395 „Maintenant qu’il n’y a plus et qu’il ne peut plus y avoir de Religion nationale exclusive, on doit tolérer toutes celles qui tolèrent les autres, autant que leurs dogmes n’ont rien de contraire aux devoirs du Citoyen. Mais quiconque ose dire, hors de l’Église point de Salut, doit être chassé de l’État, à moins que l’État ne soit l’Église, et que le Prince ne soit le Pontife.“1396 Portier, ASSR 169, 263 (264). Du contrat social, S. 107. 1391  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Rousseau, Du contrat social, S. 107. 1392  Siehe auch Portier, ASSR 169, 263 (264). 1393  Rousseau, Du contrat social, S. 108. 1394  Rousseau, Du contrat social, S. 108. 1395  Siehe Rousseau, Du contrat social, S. 108. 1396  Rousseau, Du contrat social, S. 108. 1389  Siehe

1390  Rousseau,

212 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland „Nun, da es keine ausschließende Staatsreligion mehr gibt und geben kann, muss man alle Religionen tolerieren, die die anderen tolerieren, solange ihre Dogmen den Pflichten des Bürgers nicht widersprechen. Wer aber wagt zu sagen, dass es außerhalb der Kirche kein Seelenheil gibt, muss aus dem Staat vertrieben werden, sofern nicht der Staat die Kirche und der Herrscher nicht der Bischof ist.“1397

Besonders am Ende des Werks „Vom Gesellschaftsvertrag“ unterstrich Rousseau nochmals seine Abneigung gegenüber dem Papsttum. „La raison sur laquelle on dit qu’Henri IV embrassa la Religion romaine la devrait faire quitter à tout honnête homme, et surtout à tout prince qui saurait raisonner.“1398 „Der Grund, aus dem angeblich Heinrich IV.1399 die römische Religion1400 angenommen hat, müsste auch jeden ehrlichen Menschen, und vor allem jeden vernünftigen Herrscher, dazu bringen, [die römische Religion im von Rousseau vorgeschlagenen religionsverfassungsrechtlichen Modell] zu verlassen.“1401

Zwei zentrale Elemente der Religionsphilosophie Rousseaus, deren Einfluss auf die Entwicklung des französischen Religionsverfassungsrechts hin zum Gesetz über den Laizismus von 1905 im Folgenden erläutert wird, sind insofern bemerkenswert. Einerseits verankerte Rousseau ähnlich wie Voltaire1402 eine deutliche Skepsis gegenüber dem Katholizismus in der französischen Ideengeschichte. Andererseits war der Wunsch Rousseaus, die Sonderstellung vor allem der katholischen Kirche zu beenden und sie der Staatsverfassung zu unterwerfen, ein wichtiger Faktor in den Debatten über den Laizismus während der Französischen Revolution und der Dritten Französischen Republik.

1397  Übersetzung

S. 108.

1398  Rousseau,

des französischen Originaltexts aus Rousseau, Du contrat social,

Du contrat social, S. 108. Kapitel 2, A.I.2.b)aa) (S. 61 ff.). 1400  Rousseau erkannte zweifellos, dass das von ihm konzipierte religionsverfassungsrechtliche Modell nicht ohne Konflikt mit dem Papsttum durchsetzbar war. Rousseau sah wohl den Konflikt um die Zivilverfassung des Klerus (Kapitel 2, A. II.1.a)aa), S. 75 ff.) voraus, der drei Jahrzehnte später das revolutionäre Frankreich spaltete. In dieser Situation sollten sich nach den Vorstellungen Rousseaus die französischen Staatsbürger der Minderheit der Geistlichen anschließen, die entgegen der päpstlichen Anordnung die Französische Revolution akzeptierten und den geforderten Verfassungseid leisteten (Kapitel 2, A.II.1.a)aa), S. 75 ff.). 1401  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Rousseau, Du contrat social, S. 108. 1402  Kapitel 2, B.II.1.b) (S. 203 f.). 1399  Siehe



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte213

dd) Rezeption des religionsverfassungsrechtlichen Modells Jean-Jacques Rousseaus während der Französischen Revolution Die Religionspolitik der Französischen Revolution wurde nachhaltig durch die Philosophie Jean-Jacques Rousseaus bestimmt.1403 Die von der Philosophie der Aufklärung vehement eingeforderte Garantie der Religionsfreiheit wurde bereits kurz nach Beginn der Französischen Revolution in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 festgeschrieben. „Nul ne doit être inquiété pour ses opinions, mêmes religieuses, pourvu que leur manifestation ne trouble pas l’ordre public établi par la Loi.“1404 „Niemand darf wegen seiner Meinungen, sogar in Bezug auf Religion, belangt werden, unter der Bedingung, dass ihre Verkündung nicht die durch die Gesetze etablierte öffentliche Ordnung stört.“1405

Bereits die Formulierung der Garantie der Religionsfreiheit lässt deutlich den Einfluss Rousseaus erkennen. Die Klassifikation von Religion als „Meinung“ findet sich auch im Werk „Vom Gesellschaftsvertrag“ Rousseaus wieder.1406 Gleichzeitig entspricht die Beschränkung der Religionsfreiheit durch die „öffentliche Ordnung“ ganz dem Konzept Rousseaus einer Unterwerfung der etablierten Religionen unter die demokratische Verfassungsordnung. Daneben war die Religionspolitik der Französischen Revolution von der Skepsis gegenüber den etablierten Religionsgemeinschaften geprägt, die für die Philosophie Voltaires und Rousseaus charakteristisch gewesen war. Diese Skepsis kam bereits in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 zum Ausdruck, die religiöse Überzeugungen und einfache Meinungen rechtlich und syntaktisch gleichsetzte.1407

Portier, Revue théologique de Louvain 42, 169 (170). Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789. 1405  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Art. 10 Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789. 1406  Rousseau, Du contrat social, S.  107; siehe auch Kapitel 2, B.II.1.c)cc) (S. 210 ff.). 1407  Paradoxerweise fand die Formulierung des Art. 10 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 auch die Unterstützung zahlreicher Anhänger des politischen Katholizismus, die die Möglichkeit einer zukünftigen Beschränkung der Religionsfreiheit begrüßten (siehe Baubérot, ETR 82, 67 (69)). Zwei Monate nach Beginn der Französischen Revolution konnten sie noch nicht ahnen, dass sich im Verlauf der folgenden Jahre die Religionspolitik gegen den Katholizismus drehen würde (siehe Kapitel 2, A.II.1.a)aa), S. 75 ff.). 1403  Siehe

1404  Art. 10

214 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Daneben spielte auch Rousseaus Forderung, Religionsfreiheit nur den Religionsgemeinschaften zu gewähren, die sich zur religiösen Toleranz und zum Vorrang der Verfassung bekannten, während der Französischen Revolution eine wichtige Rolle. Gerade die katholische Kirche wurde in dieser Zeit wegen ihrer ideologischen und politischen Verflechtung mit dem Ancien Régime von den Revolutionären als Gegnerin der revolutionären Neuordnung und der Religionsfreiheit eingestuft.1408 Die Folge waren zahlreiche gesetzliche Maßnahmen, die die auch der katholischen Kirche zugesprochene Religionsfreiheit des Artikels 10 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 spürbar einschränkten. So stufte die Präambel der Verfassung vom 3. September 1791, deren Titel I die Religionsfreiheit kodifizierte, Ordensgelübde als verfassungswidrig und mit den Menschenrechten unvereinbar ein.1409 Die französischen Ordensgemeinschaften wurden in der Folge aufgelöst, die Mitgliedschaft in einer ausländischen Ordensgemeinschaft mit dem Verlust der französischen Staatsbürgerschaft sanktioniert.1410 Andererseits wurde die öffentliche Religionsausübung der katholischen Gemeinden zunehmend durch Gesetzgebung und Verwaltung erschwert.1411 Die katholische Kirche wurde enteignet, öffentliche Messen oder Prozessionen verboten, die Nutzung der kirchlichen Sakralbauten durch katholische Gemeinden stark eingeschränkt.1412 Das Gesetz vom 4 frimaire an II (24. November 1793), das erst unter napoleonischer Herrschaft aufgehoben wurde, schaffte gar den Gregorianischen Kalender und die christlichen Feiertage in Frankreich ab.1413 Besonders groß war der Einfluss Rousseaus jedoch auf das Dekret über die Zivilverfassung des Klerus1414 vom 12. Juli 1790. Die verfügte Demokratisierung der katholischen Kirche und der Verfassungseid des Klerus sollten die katholische Kirche, wie von Rousseau gefordert, endgültig in eine Unterordnung unter die revolutionäre Verfassung zwingen. Ferner sollten durch einen „Zuschnitt“ des Katholizismus auf die revolutionäre Verfassung die sozialen Kräfte der Religion, ganz im Sinne Rousseaus, im Interesse des Erhalts der revolutionären Staatsordnung mobilisiert werden. Schließlich sollte durch den Verfassungseid des Klerus die von Rousseau propagierte Sakralisierung der revolutionären Verfassungsordnung1415 und der revolutionären Gesetze vorangetrieben werden. 1408  Siehe

Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.). A.II.1.b)bb)(2) (S. 96 ff.). 1410  Kapitel 2, A.II.1.b)bb)(2) (S. 96 ff.). 1411  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 14 ff. 1412  Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.). 1413  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 14 und S. 21. 1414  Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.) und Kapitel 2, B.I.1.b)cc) (S. 178 ff.). 1415  Siehe dazu auch Asad, Ordnungen des Säkularen, S. 42 f. 1409  Kapitel 2,



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte215

Durch diese Maßnahmen wurde vehement die Abkehr vom durch und durch christlich durchdrungenen Verfassungsmodell des Ancien Régime1416 verfolgt. Gleichzeitig war das revolutionäre Frankreich kein atheistischer Staat, den Rousseau abgelehnt1417 hatte. Vielmehr wurde die staatsbürgerliche Religion (religion civile) Rousseaus, die einerseits auf der Existenz einer Transzendenz und der Unsterblichkeit der Seele und andererseits auf der Sakralisierung der Verfassungsordnung beruhte1418, zur bestimmenden Ideologie der Französischen Revolution.1419 Bereits die Präambel der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 stand ganz in der rousseauistischen Tradition der Kritik des Christentums und der auf dem Glauben an eine Transzendenz fußenden staatsbürgerlichen Religion (religion civile). Dementsprechend beriefen sich die Väter der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 nicht auf den christlichen Gott, sondern vielmehr auf eine unbestimmte Transzendenz, das „höchste Wesen“ (Être suprême).1420 In der Tradition Rousseaus sollte die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 eben weder auf Atheismus noch Christentum, sondern vielmehr auf eine neuartige staatsbürgerliche Religion (religion civile) gegründet sein. „Les Représentants du Peuple Français […] ont résolu d’exposer, dans une Déclaration solennelle, les droits naturels, inaliénables et sacrés de l’Homme. […] En conséquence, l’Assemblée Nationale reconnaît et déclare, en présence et sous les auspices de l’Être suprême, les droits suivants de l’Homme et du Citoyen.“1421 „Die Vertreter des französischen Volkes […] haben entschieden, in einer feierlichen Erklärung die natürlichen, unveräußerlichen und heiligen Rechte des Menschen festzuhalten. […] Die Nationalversammlung erkennt folglich an und erklärt, in Anwesenheit und unter der Aufsicht des höchsten Wesens, die folgenden Menschen- und Bürgerrechte.“1422

Noch deutlicher kommt der Einfluss Rousseaus auf die Französische Revolution im Dekret vom 18 floréal an II (7. Mai 1794) zum Ausdruck.1423 In 1416  Kapitel 2,

A.I.3. (S. 72 ff.). B.II.1.c)aa) (S. 206 ff.). 1418  Kapitel 2, B.II.1.c)cc) (S. 210 ff.). 1419  Siehe Portier, Revue théologique de Louvain 42, 169 (170). 1420  Siehe zum Einfluss Rousseaus auf die Religion des „Être suprême“ (Höchstes Wesen) Desmons, Revue française d’histoire des idées politiques 29, 77 (79 f.). 1421  Auszug aus der Präambel der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789. 1422  Übersetzung des französischen Originaltexts aus der Präambel der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789. 1423  Siehe zum Einfluss Rousseaus auf die Religionsphilosophie Robespierres Desmons, Revue française d’histoire des idées politiques 29, 77 (83 f.). 1417  Kapitel 2,

216 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

dessen Artikel 1 ließ der Revolutionär Maximilien de Robespierre zwei zentrale Elemente der staatsbürgerlichen Religion (religion civile), den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und die Existenz einer Transzendenz, festschreiben.1424 „Le peuple français reconnaît l’existence de l’Être suprême et l’immortalité de l’âme.“1425 „Das französische Volk erkennt die Existenz des höchsten Wesens und die Unsterblichkeit der Seele an.“1426

Zusammenfassend hatte die Religionsphilosophie Rousseaus damit zentralen Einfluss auf die Politik der Französischen Revolution. Einerseits fungierte das Konzept der staatsbürgerlichen Religion (religion civile), das den Glauben an eine Transzendenz und die Unsterblichkeit der Seele sowie die Sakralisierung der Verfassungsordnung vorsah1427, als ideologische Grundlage der neuen revolutionären Staatsordnung. Andererseits war die Forderung Rous­ seaus nach einer Unterwerfung der etablierten Religionsgemeinschaften,1428 insbesondere der katholischen Kirche, unter die revolutionäre Verfassungsordnung wirkmächtig. Das Religionsverfassungsrecht der Französischen Revolution aber wurde zum Bezugspunkt der Debatten über den Laizismus der Dritten Französischen Republik. d) Der Laizismus als Produkt der Philosophie der französischen Aufklärung Über die Französische Revolution hinaus wirkte die Philosophie der französischen Aufklärung in der Politik Frankreichs fort. Bereits vor der Dritten Republik perpetuierten zahlreiche Gesetze den Bedeutungsverlust, den der Katholizismus während der Französischen Revolution erlebt hatte.1429 So stellte das im Jahre 1804 verabschiedete Zivilgesetzbuch (Code civil) Napoleons einheitliche zivilrechtliche Regelungen für alle Staatsbürger ohne Rücksicht auf deren Religions- und Konfessionszugehörigkeit auf.1430 Darin waren zahlreiche wichtige Errungenschaften der Französischen Revolution kodifiziert, darunter die Einführung der bürgerlichen Ehe und das Ende des familienrechtlichen Monopols der katholischen Kirche, die Möglichkeit der 1424  Portier,

L’Etat et les religions en France, S. 40. des Dekrets vom 18 floréal an II. 1426  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Artikel 1 des Dekrets vom 18 floréal an II. 1427  Kapitel 2, B.II.1.c)cc) (S. 210 ff.). 1428  Kapitel 2, B.II.1.c)cc) (S. 210 ff.). 1429  Siehe Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.) und Kapitel 2, A.II.1.a)bb) (S. 80 ff.). 1430  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 21. 1425  Artikel 1



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte217

Scheidung und die Übertragung der Zivilstandsregister von der katholischen Kirche auf den Staat.1431 Insofern machte das Zivilgesetzbuch (Code civil) deutlich, dass die Französische Revolution der Übermacht des Katholizismus in Frankreich nicht nur im Verfassungsrecht, sondern in der gesamten Rechtsordnung ein Ende gesetzt hatte. Der Katholizismus hatte seine allumfassende Bedeutung in französischer Politik und Gesellschaft und im französischen Recht verloren. Seit dem Ende des Ancien Régime war er eben nicht mehr die Staatsreligion Frankreichs, sondern vielmehr nur noch die „Religion der großen Mehrheit der französischen Bürger“.1432 Die Reetablierung des Katholizismus als Staatsreligion während der Restauration1433 erwies sich denn auch als ein Anachronismus, der in der Folge keinen dauerhaften Bestand hatte. Dieser Bedeutungsverlust des Katholizismus war jedoch Folge und Ausdruck der französischen Religionsphilosophie der Aufklärung, die der katholischen Kirche sehr skeptisch gegenüberstand. Besonders unter der Dritten Französischen Republik wurde diese von Voltaire und Rousseau verfochtene kritische Haltung gegenüber der katholischen Kirche von zahlreichen republikanischen politischen Führungspersönlichkeiten rezipiert. So waren beispielsweise Jules Ferry, Léon Gambetta, Émile Combes, Jean Jaurès und Aristide Briand wichtige Verfechter des Laizismus und Agnostiker oder Atheisten. Ferdinand Buisson, einer der wichtigsten Unterstützer der Schulreformen Jules Ferrys und Vorsitzender der Kommission zur Trennung von Kirchen und Staat, war ein liberaler Protestant und ein entschiedener Gegner des Zweiten Kaiserreichs und der katholisch-monarchistischen Herrschaft MacMahons. Zwischen 1887 und 1914 waren 40 % der Regierungsmitglieder, darunter Jules Ferry und Léon Gambetta, und im Jahre 1908 gar fast die Hälfte der Vorstandsmitglieder des Parti radical, der das Gesetz über den Laizismus von 1905 entschieden vorangetrieben hatte, Mitglied der häufig deistisch geprägten Freimaurerlogen.1434 In der Rezeption Rousseaus war insbesondere im kirchenkritischen Parti radical die Befürchtung, dass die katholische Kirche die Loyalität der Bürger binde („L’intérêt du prêtre ser[a] toujours plus fort que celui de l’État“1435) und dadurch die demokratische und republikanische Staatsverfassung der 1431  Baubérot,

Histoire de la laïcité en France, S. 22. religion catholique, apostolique et romaine est la religion de la grande majorité des citoyens français.“ (Präambel des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801; Übersetzung des französischen Originaltexts: „Die katholische, apostolische und römische Religion ist die Religion der großen Mehrheit der französischen Bürger“); siehe auch Kapitel 2, A.II.1.a)bb) (S. 80 ff.) und Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 20. 1433  Kapitel 2, A.II.1.a)cc) (S. 85 f.). 1434  Julliard, Les gauches françaises, S. 450 f. 1435  Rousseau, Du contrat social, S. 103. 1432  „La

218 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Dritten Französischen Republik unterminiere, weit verbreitet, wie ein Zeitungsbeitrag Ferdinand Buissons aus dem Jahre 1899 verdeutlichte. „L’Église ne s’en remet plus à l’action hiérarchique de ses corps constitués. Elle veut que tout le monde s’intéresse à cette croisade. Elle réclame des concours personnels sans nombre. Elle appelle à la rescousse grands et petits, riches et pauvres, bourgeois et ouvriers, conservateurs et républicains, croyants et incroyants.“1436 „Die Kirche beschränkt sich nicht mehr auf hierarchische Anweisungen an den verfassten Klerus. Sie will, dass sich die ganze Welt für diesen Kreuzzug interessiert. Sie fordert unbegrenzte persönliche Unterstützung. Sie ruft die Großen und die Kleinen, die Reichen und die Armen, die Bürgerlichen und die Arbeiter, die Konservativen und die Republikaner, die Gläubigen und die Ungläubigen zu Hilfe.“1437

Dementsprechend war der Wunsch nach einer Reduktion des politischen Einflusses der katholischen Kirche in Frankreich ein tragendes Motiv der Maßnahmen zur Trennung von Staat und Kirche, die die französischen Regierungen der Dritten Republik verfolgten.1438 Besonders das republikanische Lager, das die Reform des Schulwesens1439, die Auflösung der Ordensgemeinschaften1440 und das Gesetz über den Laizismus von 19051441 durchgesetzt hatte, stand der katholischen Kirche ablehnend1442 gegenüber. Allen voran die Philosophen der französischen Aufklärung, Voltaire und Jean-­ Jacques Rousseau, wurden zu wichtigen Bezugspunkten betreffend das Verhältnis von Staat und Kirche. Besonders Rousseaus Forderung nach einer Be­endigung der Sonderstellung des Katholizismus und seiner Unterordnung unter eine staatsbürgerliche Religion (religion civile) blieb in der Dritten Französischen Republik wirkmächtig. Die privatrechtliche Konstitution der Reli­gionsgemeinschaften ohne Privilegien, die Abschaffung des schulischen Religionsunterrichts und die Auflösung der Ordensgemeinschaften standen ­insofern ganz in der Tradition der französischen Aufklärung. Daneben war auch das eigentliche Konzept der staatsbürgerlichen Religion (religion civile) Rousseaus in den religionsverfassungsrechtlichen Debatten der Dritten Republik wirkmächtig. Die Verdrängung des Katholizismus im französischen Staat sollte gerade nicht mit einem moralischen und religiösen 1436  Zeitungsbeitrag Ferdinand Buissons in Le siècle vom 22. Januar 1899, zitiert nach Hayat, Ferdinand Buisson, S. 189. 1437  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Hayat, Ferdinand Buisson, S. 189. 1438  Siehe Kapitel 2, B.I.1.c) (S. 180 ff.). 1439  Kapitel 2, A.II.1.b)bb)(1) (S. 92 ff.). 1440  Kapitel 2, A.II.1.b)bb)(2) (S. 96 ff.). 1441  Kapitel 2, A.II.1.b)cc) (S. 99 ff.). 1442  Kapitel 2, B.I.3. (S. 195 ff.).



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte219

Vakuum, sondern mit der Förderung staatsbürgerlicher Ideale einhergehen, die das Bekenntnis der französischen Bürger zur demokratischen und republikanischen Verfassung stärken sollten.1443 Besonders im schulischen Bereich sollte eine ethische und staatsbürgerliche Bildung die Grundlage der religiös neutralen Erziehung sein. Dieses Bekenntnis unterstrich besonders ein Brief des Bildungsministers Jules Ferry1444 an die französischen Grundschullehrer vom 27. November 1883.1445 „En vous dispensant de l’enseignement religieux, on n’a pas songé à vous décharger de l’enseignement moral; c’eût été vous enlever ce qui fait la dignité de votre profession“1446 „Als wir [die Grundschullehrer] vom Religionsunterricht befreiten, haben wir nie daran gedacht, [die Grundschullehrer] von einer moralischen Erziehung zu entbinden; das hätte bedeutet, [den Grundschullehrern] das wegzunehmen, was die Würde ihres Berufes ausmacht.“1447

In diesem Sinne stellte das Gesetz vom 28. März 1882 über das verpflichtende Grundschulwesen die „moralische und staatsbürgerliche Erziehung“ an die Spitze des schulischen Fächerkanons.1448 Diese besondere Stellung der staatsbürgerlichen Erziehung im schulischen Curriculum, flankiert durch die Kostenfreiheit der öffentlichen Schulen und die Schulpflicht, entsprach ganz der Zielsetzung Rousseaus, eine von allen Staatsbürgern geteilte staatsbürgerliche Religion (religion civile) zu etablieren.1449 Insgesamt war der Einfluss der französischen Religionsphilosophie der Aufklärung folglich in zweierlei Hinsicht prägend für das religionsverfassungsrechtliche Modell des Laizismus. Zum einen etablierten gerade Voltaire und Jean-Jacques Rousseau eine gewisse Religionsskepsis in Frankreich sowie das Ziel einer Begrenzung des Einflusses der katholischen Kirche.1450 Zum anderen sollte, wie von Rousseau gefordert, eine staatsbürgerliche Religion (religion civile), die den Katholizismus als moralische Richtschnur vor allem im schulischen Bereich ablöste, zur Grundlage der gesellschaftlichen Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 39. A.II.2.b)bb)(1) (S. 138 ff.). 1445  Siehe auch Picq, Politique et religion, S. 142. 1446  Brief Jules Ferrys an die französischen Grundschullehrer vom 27. November 1883, zitiert nach: Ardant (Hrsg.), Pouvoirs 75, 109 (110). 1447  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Ardant (Hrsg.), Pouvoirs 75, 109 (110). 1448  Art. 1, Nr. 1 Gesetz vom 28. März 1882 über das verpflichtende Grundschulwesen. 1449  So im Ergebnis wohl auch Maury, Les origines de l’école laïque en France, S. 120. 1450  Kapitel 2, B.II.1.b) (S. 203 f.) und Kapitel 2, B.II.1.c)bb) (S. 208 ff.). 1443  Siehe

1444  Kapitel 2,

220 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

Akzeptanz der Dritten Französischen Republik werden.1451 Der Laizismus ist damit ein Produkt der französischen Ideengeschichte, das nur schwerlich in Ländern anderer aufklärerischer Tradition rezipierbar ist. 2. Religionsfreiheit und Gleichheit im religionsverfassungsrechtlichen Modell des Preußischen Allgemeinen Landrechts und der Weimarer Reichsverfassung Die deutsche Philosophie der Aufklärung stand den etablierten Religionsgemeinschaften weitaus weniger skeptisch und kritisch gegenüber als die französische. Im religiös gespaltenen Deutschland erschien die Sicherung von Religionsfreiheit und Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften weitaus wichtiger als die Begrenzung kirchlicher Privilegien.1452 Besonders im religionsverfassungsrechtlichen Modell des Preußischen Allgemeinen Landrechts versöhnten sich die tradierte Privilegierung der Religionsgemeinschaften und das Prinzip der Gleichbehandlung der Konfessionen.1453 Dem Königreich Preußen, das im Jahre 1701 aus dem Kurfürstentum Brandenburg hervorging,1454 kam eine Schlüsselstellung im Deutschen Kaiserreich zu. Aus diesem Grund war das preußische Religionsverfassungsrecht auf Reichsebene von höchster Relevanz und prägend für das Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland. Dementsprechend ist auch das religions­ historische Verhältnis von Staat und Kirche in Brandenburg-Preußen von großem Interesse.1455 Das Kurfürstentum Brandenburg stellte eine bedeutende religionsverfassungsrechtliche Ausnahme in Deutschland dar. Durch den Übertritt der Herrscherfamilie zur evangelisch-reformierten Konfession im Jahre 1613 fielen in Brandenburg die Konfession des Landesherren und der Bevölkerung, die sich mehrheitlich weiterhin zur evangelisch-lutherischen Konfession bekannte, auseinander.1456 Die konfessionelle Einheit von Monarch und Bevölkerung, die für das nachreformatorische Religionsverfassungsrecht der europäischen Staaten so prägend war1457, war damit in Brandenburg-Preußen bereits ab dem Anfang des 17. Jahrhunderts nicht mehr gegeben. ergänzend Picq, Politique et religion, S. 142. Winter, Staatskirchenrecht, S. 34 f. und Maier, ZfP 2011, 213 (215 f.). 1453  Siehe dazu ausführlich Conrad, in: Lutz (Hrsg.), Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit, S. 186 f. 1454  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 28. 1455  Siehe Kapitel 2, B.I.2.b) (S. 192 ff.). 1456  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 28. 1457  Siehe nur das Beispiel des Ancien Régime in Kapitel 2, A.I.3. (S. 72 ff.). 1451  Siehe 1452  Siehe



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte221

Dadurch fielen jedoch auch der Landesherr als Träger und die evangelischlutherische Landeskirche als Adressat des landesherrlichen Kirchenregiments1458 konfessionell auseinander. Konnte aber ein evangelisch-reformierter Monarch die theologische Leitung der evangelisch-lutherischen Gemeinden übernehmen, so war das landesherrliche Kirchenregiment nicht mehr auf die evangelisch-lutherische Konfession beschränkt. Vielmehr wurde das landesherrliche Kirchenregiment in Brandenburg-Preußen zunehmend zu einem Recht uminterpretiert, das dem Landesherren kraft der Territorialhoheit gegenüber allen christlichen Konfessionen zustünde.1459 Dadurch war der Status der Staatsreligion jedoch nicht mehr exklusiv, sondern konnte mehreren Religionen in Brandenburg-Preußen zufallen. Als Konsequenz erwies sich die preußische Politik gegenüber den drei größten westeuropäischen Konfessionen als weit weniger religiös intolerant als im europäischen Vergleich.1460 So sah das Preußische Allgemeinen Landrecht des Jahres 1794 die rechtliche Gleichstellung der katholischen, evangelisch-lutherischen und evangelisch-reformierten Konfession vor.1461 Gleichzeitig wurde das landesherrliche Kirchenregiment im Wesentlichen auf die katholische und evangelisch-reformierte Konfession ausgeweitet, einzig die Theologie und Liturgie blieben davon weitestgehend1462 ausgenommen.1463 Die Geistlichen aller drei Konfessionen wurden im Wesentlichen in Staats­ beamte verwandelt, die dem Staat im Gegenzug für ihre Vergütung Treue und weitreichende Rechenschaft schuldig waren.1464 Insofern bedeutete das Preußische Allgemeine Landrecht eine „Modernisierung“ des Konzepts der Staatsreligion. Durch die Philosophie der Aufklärung und die Einführung der Religionsfreiheit war das mittelalterliche und frühneuzeitliche Modell des vollkommen von einer Staatsreligion durchdrungenen Staates1465 in Europa ein Anachronismus geworden. Durch die Anerkennung dreier „Staatsreligionen“1466 konnte in Preußen den veränderten religionspolitischen Rahmenbedingungen Rechnung getragen werden. Dadurch 1458  Kapitel 2,

B.I.2.a)bb)(1) (S. 186 ff.). Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 5. 1460  Kapitel 2, A.I.2.b)cc) (S. 71 ff.); siehe Giese, AöR 46, 1 (8) sowie Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 10, Rz. 28 und Zippelius, Staat und Kirche, S. 130 f. 1461  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 12 f. 1462  Einen Eingriff in die Theologie versuchte jedoch wenig erfolgreich das Religionsedikt vom 9. Juli 1788 („Wöllnersches Religionsedikt“), das die drei anerkannten Konfessionen auf jeweils eine einheitliche Theologie zu verpflichten suchte (Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 15). 1463  Siehe Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 14. 1464  Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 12 f. 1465  Siehe Kapitel 2, A.I.3. (S. 72 ff.). 1466  So im Ergebnis auch Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 16, Rz. 14. 1459  Siehe

222 Kap. 2: Die Debatte über den Laizismus in Frankreich und Deutschland

entstand ein religionsverfassungsrechtliches Modell, das den Fortschritt des Säkularisierungsprozesses1467 reflektierte. Diese „Anpassung“ des Staatskirchentums an die Moderne sicherte den großen ideengeschichtlichen Einfluss des religionsverfassungsrechtlichen Modells des Preußischen Allgemeinen Landrechts. Durch das Preußische Allgemeine Landrecht wurde das „religionspolitische Monopol“ der Staats­ religion, das mit der Religionsfreiheit unvereinbar war, aufgelöst. Vielmehr zollte das Preußische Allgemeine Landrecht dem religiösen Pluralismus Geltung und ermöglichte die rechtlich herausgehobene Stellung verschiedener Religionsgemeinschaften. In Kombination mit der kirchlichen Selbstverwaltung, einer wichtigen Errungenschaft des Liberalismus1468, wurde es zur ideengeschichtlichen Grundlage des religionsverfassungsrechtlichen Kompromisses der Weimarer Reichsverfassung. Die öffentlich-rechtliche, privilegierte Sonderstellung, die mehrere Religionsgemeinschaften in Anspruch nehmen können, stellt damit ein wichtiges Erbe der deutschen Ideengeschichte dar. 3. Der Laizismus als Produkt der Rezeption der französischen Aufklärung Die Philosophie der Aufklärung war und ist prägend für die Politik und das Verfassungsrecht der europäischen Staaten. Gleichzeitig unterschieden sich die religionsphilosophischen und religionsverfassungsrechtlichen Modelle und Konzepte, die im 17. und 18. Jahrhundert entwickelt wurden, regional sehr deutlich. Diese Unterschiede waren entscheidend für die unterschied­ lichen religionsverfassungsrechtlichen Entwicklungen innerhalb Europas. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der beiden Länder Frankreich und Deutschland. Während die Aufklärung in beiden Staaten die Bedeutung der Religionsfreiheit hervorhob, stand im Zentrum der französischen Philosophie auch die Skepsis gegenüber den christlichen Kirchen und die Entwicklung neuer religiöser Überzeugungen und Konzepte.1469 Führend war in Frankreich der schweizerisch-französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau, der die Kritik am Christentum mit der Forderung nach einer gemeinsamen staatsbürgerlichen Religion (religion civile) aller Bürger verband.1470 Zusammen mit Voltaire1471 etablierte er eine gewisse Religionsskepsis in der fran1467  Kapitel 2,

A.I.1.a)bb) (S. 45 ff.). Kapitel 2, B.I.2.a)bb)(2) (S. 189 ff.). 1469  Kapitel 2, B.II.1.b) (S. 203 f.) und Kapitel 2, B.II.1.c) (S. 204 ff.). 1470  Kapitel 2, B.II.1.c)bb) (S. 208 ff.) und Kapitel 2, B.II.1.c)cc) (S. 210 ff.). 1471  Kapitel 2, B.II.1.b) (S. 203 f.). 1468  Siehe



B. Der Laizismus in der Tradition der französischen Ideengeschichte223

zösischen Ideengeschichte, die prägend für die Debatte um das Gesetz über den Laizismus von 1905 war.1472 Die Ablehnung kirchlicher Privilegien und die Beschränkung der kirchlichen Praxis auf den privaten Bereich ist insofern ein Charakteristikum der französischen Philosophie der Aufklärung.1473 Im Deutschland kam Religionskritik eine weitaus geringere Bedeutung zu.1474 Angesichts der religiösen Spaltung war die Sicherung der Religionsfreiheit und der Gleichbehandlung ein weitaus wichtigeres Anliegen.1475 Anstatt einer Abschaffung kirchlicher Privilegien setzte das deutsche Religionsverfassungsrecht vielmehr auf deren Ausweitung auf andere Religionsgemeinschaften. So vollzog das Preußische Allgemeine Landrecht des Jahres 1794 einen wichtigen ideengeschichtlichen Bruch, aus „der einen Staatsreligion“ wurden „die drei Staatsreligionen“.1476 Die Weimarer Reichsverfassung setzte diese Tradition fort und weitete die religionsverfassungsrechtlichen Privilegien auf alle Religionsgemeinschaften aus, die „durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten“.1477 Das deutsche religionsverfassungsrechtliche Modell stellt insofern eine andere Spielart von Religionsfreiheit und Gleichberechtigung der Religionen als das laizistische Modell Frankreichs dar. Während in Frankreich die strenge Trennung von Staat und Religion die Religionsfreiheit und die Gleichberechtigung der Religionen sichert, wird dieses Ziel in Deutschland durch eine Ausweitung der kirchlichen Privilegien verfolgt.1478 Während der Laizismus die in Frankreich verankerte Skepsis Rousseaus und Voltaires gegenüber den eta­ blierten Kirchen reflektiert,1479 ist das deutsche Modell Ausdruck einer besonderen politischen Wertschätzung1480 der christlichen Kirchen. Dementsprechend erweist sich eine Vereinheitlichung der deutschen und französischen religionsverfassungsrechtlichen Normen im Prozess der europäischen Integration als außerordentlich schwierig.

1472  Kapitel 2,

B.II.1.d) (S. 216 ff.). B.II.1.d) (S. 216 ff.). 1474  Maier, ZfP 2011, 213 (216). 1475  Siehe Winter, Staatskirchenrecht, S. 34 f. 1476  Kapitel 2, B.II.2. (S. 220 ff.). 1477  Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV. 1478  Siehe Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1661. 1479  Kapitel 2, B.II.1.b) (S. 203 f.) und Kapitel 2, B.II.1.c) (S. 204 ff.). 1480  Diese Wertschätzung kam besonders in der Debatte über die zukünftige reli­ gionsverfassungsrechtliche Ordnung Deutschlands in der Weimarer Nationalversammlung zum Ausdruck, Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(2) und (3) (S. 145 ff.); siehe auch zum großen Einfluss religiösen Denkens auf die deutschen politischen Parteien Nipperdey, Historische Zeitschrift 246, 591 (614). 1473  Kapitel 2,

Kapitel 3

Perspektiven einer Annäherung des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts im Kontext der europäischen Einigung Die vorangegangenen Ausführungen verdeutlichten die außerordentlichen Herausforderungen einer Vereinheitlichung der europäischen religionsverfassungsrechtlichen Normen. Nicht nur die normativen Bestimmungen, sondern insbesondere die verfassungs- und ideengeschichtlichen Grundlagen unterscheiden sich deutlich. Das Beispiel des Vergleichs des deutschen und des französischen Rechts betreffend die Trennung von Staat und Kirche demonstriert, dass unterschiedliche religionsverfassungsrechtliche Normen häufig das Produkt unterschiedlicher religionsgeschichtlicher und staatsphilosophischer Entwicklungen sind. Eine einfache Harmonisierung auf normativer Ebene würde den unterschiedlichen verfassungshistorischen und religiöstheologischen Anforderungen beider Länder nicht gerecht werden. Vielmehr setzt eine rechtliche Angleichung auch einen Diskurs und einen Konsens über die zugrundeliegenden verfassungs- und ideengeschichtlichen Traditionen voraus. Nur so kann eine praktikable und akzeptable Lösung für das Problem unterschiedlicher juristischer Normen gefunden werden. Wie im ersten Kapitel erläutert, lässt sich dementsprechend nur auf Grundlage einer fundierten Analyse der Funktion der entsprechenden religionsverfassungsrechtlichen Normen in ihrem rechtshistorischen Kontext (A.) ein derartiger, für die Rechtsangleichung in Europa unabdingbarer, religionsverfassungsrechtlicher Konsens (B.) verwirklichen.

A. Der Einfluss der deutschen und der französischen Verfassungs- und Ideengeschichte auf das gegenwärtige Religionsverfassungsrecht Auf Grundlage der im ersten Kapitel der vorliegenden Abhandlung dargestellten Methodologie und der rechtshistorischen Analyse im zweiten Kapitel können die wesentlichen Funktionen der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Weimarer Republik und der Dritten Französischen Republik in ihrem jeweiligen rechtshistorischen Kontext eruiert werden (I.), die im gegenwärtigen deutschen und französischen Religionsverfassungsrecht fortwirken (II.).



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte225

I. Vergleich der Funktion der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Republik und der Weimarer Republik in ihrem rechtshistorischen Kontext Trotz eines vergleichbaren rechtshistorischen Kontexts unterscheiden sich die am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten reli­ gionsverfassungsrechtlichen Systeme der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik grundlegend (A.II.). Dies ist insbesondere durch die unterschiedliche Genese (1.) und Funktion (2.) der deutschen und der französischen Religionsverfassung bedingt. 1. Die Kontextabhängigkeit der deutschen und der französischen religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Weimarer Republik und der Dritten Französischen Republik Wie das erste Kapitel der vorliegenden Abhandlung verdeutlichte, ist die Entwicklung des Religionsverfassungsrechts in hohem Maß vom entsprechenden verfassungsrechtlichen und -politischen sowie religiös-theologischen Kontext abhängig. Insbesondere aufgrund des vergleichbaren verfassungsrechtlichen und -politischen Kontexts sind die religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Weimarer Republik und der Dritten Französischen Republik grundsätzlich rechtsgeschichtlich vergleichbar. In beiden Staaten korrelierte die verfassungsrechtliche Trennung von Staat und Kirche eng mit dem Ende der monarchischen Herrschaft und der Etablierung republikanischer und demokratischer Verfassungsordnungen.1 Gleichzeitig spielten theologisch-verfassungshistorische Gemeinsamkeiten (a)) ebenso wie verfassungs- und ideengeschichtliche Unterschiede (b)) eine wichtige Rolle für die konvergente und divergente Entwicklung des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts. a) Die Trennung von Staat und Kirche als Produkt der okzidentalen Theologie und des Kampfes um Religionsfreiheit in Europa Insbesondere die im zweiten Kapitel der vorliegenden Abhandlung hervorgehobenen Gemeinsamkeiten des deutschen und des französischen Reli­ gionsverfassungsrechts, die eine Konsequenz des gemeinsamen theologisch1  Kapitel 1,

A. (S. 27 ff.).

226 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

religiösen und verfassungsrechtlichen Erbes sind, sind bemerkenswert. Besonders die christliche Theologie, die eine Sphäre weltlicher und geistlicher Machtausübung trennte, prägte die Geschichte des europäischen Religionsverfassungsrechts nachhaltig. Die darauf fußende Trennung von weltlicher und geistlicher Sphäre war eine zwingende Voraussetzung für deren recht­ liche Trennung durch die religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik.2 Gleichermaßen bedeutsam für das europäische Religionsverfassungsrecht war der Kampf um Religionsfreiheit, der im Zuge der Reformation zum dominierenden und umkämpftesten Thema des Verfassungsrechts vor der Französischen Revolution wurde. Der Zerfall der religiösen Einheit Europas und die zunehmend eingeforderte Religionsfreiheit bedingten den Zerfall des auf der Fiktion der religiösen Einheit von Bevölkerung und Monarch beruhenden vorrevolutionären Staatsmodells, das der rechtlichen Trennung von Staat und Kirche in Europa entgegenstand. Die christliche Theologie und der Kampf um Religionsfreiheit stellten damit wichtige Voraussetzungen für die verfassungsrechtliche Trennung von Staat und Kirche in Deutschland und Frankreich dar. b) Der „französische“ Laizismus als Produkt der französischen Verfassungs- und Ideengeschichte Trotz dieser Gemeinsamkeiten bestanden auch wichtige theologische und ideengeschichtliche Unterschiede des rechtshistorischen Kontexts der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Weimarer Republik und der Dritten Französischen Republik. Insbesondere die deutsche und die französische Geschichte des Religionsverfassungsrechts nach dem Beginn der Französischen Revolution im Jahre 1789 unterschieden sich grundlegend. Bereits kurz nach Beginn der Französischen Revolution formulierte die Französische Erklärung der Menschenund Bürgerrechte vom 26. August 1789 erstmalig in der französischen Geschichte die rechtliche Gleichstellung aller Bürger unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit sowie eine umfassende Garantie der Religionsfreiheit für alle Religionen und Konfessionen. Der Status des Katholizismus als Staatsreligion wurde abgeschafft, die katholische Kirche durch das Dekret vom 2. November 1789 enteignet. Durch die durch das Dekret vom 12. Juli 1790 eingeführte Zivilverfassung des Klerus sollte eine Demokratisierung der französischen katholischen Kirche sowie deren Verpflichtung auf die Werte der Französischen Revolution erzwungen werden. Besonders nach 2  So

im Ergebnis wohl auch Winter, Staatskirchenrecht, S. 27.



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte227

dem Staatsstreich der Jakobiner des Jahres 1792 folgte eine Politik der Dechristianisierung Frankreichs, die im Dekret über die Religionsausübung vom 21. Februar 1795 gipfelte, das das Ziel einer strengen Trennung von Staat und Kirche mit bedeutenden Auflagen zur Einschränkung des kirch­ lichen Lebens in Frankreich verband.3 In der Folge bedingte zwar das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 eine Wiederannäherung von französischem Staat und katholischer Kirche, doch brüskierte Napoleon das Papsttum bereits im folgenden Jahr, als er durch das Gesetz vom 8. April 1802 das Konkordat zeitgleich mit den organischen Artikeln vom 15. Juli 1801 über die katholische Religionsgemeinschaft, die etwa durch das Verbot von Bischofskonferenzen und weitreichende Sanktionsmöglichkeiten von Klerikern weit über die mit dem Heiligen Stuhl getroffenen Vereinbarungen hinausgingen, sowie den organischen Artikeln über die protestantischen Religionsgemeinschaften, die die der katholischen Kirche im Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 vorbehaltenen Privilegien de facto auf die evangelisch-lutherische und die evangelisch-reformierte Konfession ausdehnten, erließ.4 In Deutschland gab es hingegen vor der November-Revolution des Jahres 1918 keine derartige Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche der Bevölkerungsmehrheit. Im 19. Jahrhundert stand im Gegensatz zu Frankreich der Kampf um Religionsfreiheit und die Gleichstellung aller Bürger, die in Frankreich bereits seit der Französischen Revolution verfassungsrechtlich garantiert waren, weitaus mehr im Zentrum deutscher Verfassungspolitik als der Kampf gegen die Kirchen. Auch der Kulturkampf5, der sich gegen die im Deutschen Kaiserreich politisch in der Minderheit befindliche katholische Kirche richtete, war keinesfalls mit der Dechristianisierungspolitik der Ersten Französischen Republik vergleichbar. Als Konsequenz konnte sich in Deutschland – im Gegensatz zu Frankreich – die laizistische Religionspolitik der Revolutionsregierungen ab November 1918 auf keine breite, verfassungsund ideengeschichtlich durch die Dechristianisierungspolitik der Ersten Republik und die Kirchenkritik Rousseaus6 und Voltaires7 bedingte, gesellschaftliche und politische Mehrheit stützen. Daneben spielte auch der zeitliche Unterschied zwischen den religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Republik und der Weimarer Repu3  Ausführlich

Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.). Kapitel 2, A.II.1.a)bb) (S. 80 ff.). 5  Kapitel 2, A.II.2.a)cc) (S. 128 ff.). 6  Kapitel 2, B.II.1.c) (S. 204 ff.). 7  Kapitel 2, B.II.1.b) (S. 203 f.). 4  Ausführlich

228 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

blik eine bedeutsame Rolle. Vor allem im Verlauf des 19. Jahrhunderts kam es im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung zu einer zunehmenden Entfremdung von Arbeiterschaft und Kirchen. In Frankreich sicherte das Wahlversprechen, das Vermögen der Ordensgemeinschaften zum Kampf gegen die Massenarmut der Arbeiterschaft zu verstaatlichen, der republikanischen Politik des Kampfes gegen die Ordensgemeinschaften eine politische Mehrheit.8 Ähnliche Forderungen der USPD9 erwiesen sich hingegen in Deutschland nicht als mehrheitsfähig. Der Grund dieser unterschiedlichen politischen Verhältnisse ist im zwischen den religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik liegenden Ersten Weltkrieg zu sehen. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland ging der Erste Weltkrieg mit einer „Wiederannäherung“ von Arbeiterschaft und Kirchen einher. Die großen christlichen Kirchen Deutschlands und Frankreichs verliehen dem Krieg eine religiöse Legitimation und Sinnhaftigkeit, die auch die kämpfenden und die den Krieg „unterstützenden“ Arbeiter für sich in Anspruch nahmen.10 Gleichzeitig nahmen die Kontaktpunkte zwischen Arbeitern und Klerus außerhalb der starren hierarchischen kirchlichen Strukturen vor allem „an der Front“ zu.11 In Frankreich bedingte der Erste Weltkrieg die „Wiederannäherung“ von Politik und Kirchen12, in Deutschland stand die „Wiederannäherung“ von Arbeitern und Kirchen der Mehrheitsfähigkeit der laizistischen Politik von SPD und USPD entgegen. Insgesamt sicherten damit die religionsverfassungsrechtlichen Traditionen der Französischen Revolution und die Anteriorität zum Ersten Weltkrieg den französischen laizistischen Reformen der Dritten Republik eine politische und gesellschaftliche Mehrheit. 2. Die funktionellen Unterschiede des französischen und des deutschen Religionsverfassungsrechts als Ausfluss der katholischen, gallikanischen und kirchenkritischen Tradition Frankreichs Konsequenz der gemeinsamen christlichen Tradition und des besonders im 19. Jahrhundert rapide voranschreitenden Säkularisierungsprozesses ist die dem deutschen und dem französischen Religionsverfassungsrecht gemeinsame Gewährleistung der Religionsfreiheit und die nahezu synchrone VeranBaubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 64 f. Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(1)(b) (S. 142 ff.). 10  Zu den Konsequenzen des Ersten Weltkriegs für die religiöse Praxis in Europa siehe auch Rémond, Le XXe siècle, S. 47. 11  Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 93. 12  Ausführlich Kapitel 2, A.II.1.b)cc)(3) (S. 114 ff.). 8  Siehe 9  Siehe



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte229

kerung der Trennung von Staat und Kirche, die eine zentrale verfassungsrechtliche Errungenschaft der europäischen und amerikanischen Staaten darstellt, im deutschen und französischen Verfassungsrecht der Weimarer Republik und der Dritten Republik. In der Radikalität des Bruchs von Staat und Kirche unterschieden sich die religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik jedoch grundlegend, da sich die Rolle der Religion im Staat in Deutschland und Frankreich grundlegend unterschied. So waren im monokonfessionellen, katholischen Frankreich im Gegensatz zum konfessionell gespaltenen, protestantisch geprägten Deutschland die Funktion der Religion als Legitimationsgrundlage weltlicher Herrschaft (a)) und der Wahrheitsanspruch der Religion (b)) ideengeschichtlich wirkmächtig und dementsprechend zentrale Dimensionen aller religionsverfassungsrecht­ lichen Reformen und Debatten seit der Französischen Revolution. a) Die religiöse Legitimation weltlicher Herrschaft und das Religionsverfassungsrecht in Deutschland und Frankreich Das ontologisch-teleologische Religionskonzept des französischen Soziologen Émile Durkheim eignet sich gut zur Erklärung der religiösen Legitimation von Herrschaft. Durkheim sah religiöse Normen als ein soziales Faktum an, das sich durch die den religiösen Normen beigemessene soziale Bedeutung definiere.13 Insofern definierte Durkheim Religion als „un système solidaire de croyances et de pratiques relatives à des choses sacrées, c’est-à-dire séparées, interdites, croyances et pratiques qui unissent en une même communauté morale, appelée Eglise, tous ceux qui y adhèrent. Le second élément qui prend ainsi place dans notre définition n’est pas moins essentiel que le premier; car, en montrant que l’idée de religion est inséparable de l’idée d’Eglise, il fait pressentir que la religion doit être une chose éminemment collective.“14 „ein zusammenhängendes System von Glaubenssätzen und -praktiken, die sich auf heilige, also abgeschiedene, verbotene Sachen beziehen. Diese Glaubenssätze und -praktiken vereinen in einer Gemeinde, genannt Kirche, alle Mitglieder, die sie teilen. Das zweite Element [der] Definition ist nicht weniger bedeutsam als das erste; denn aufgrund der untrennbaren Verbundenheit der Religion mit dem Konzept der Kirche zeigt sich, dass die Religion zwangsläufig eine in der Gemeinschaft gelebte Sache ist.“15 13  Siehe Hildebrandt/Brocker, in: Hildebrandt/Brocker (Hrsg.), Der Begriff der Religion, S. 18 und ergänzend Haring, in: Hildebrandt/Brocker (Hrsg.), Der Begriff der Religion, S. 117 f. 14  Durkheim, Les formes élémentaires de la vie religieuse, S. 65. 15  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Durkheim, Les formes élémentaires de la vie religieuse, S. 65.

230 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

Für Émile Durkheim stellten religiöse Normen damit den Gegenpol zu den profanen Normen einer Gesellschaft dar.16 Während letztere der Kritik offenständen, seien religiöse Normen als Grundlage des sozialen Zusammenlebens der Kritik und der Infragestellung entzogen.17 Religiöse Normen könnten durch eine soziale und politische Gemeinschaft im Zustand „kollektiver Ekstase“ (effervescence collective) erschaffen und geändert werden.18 Insofern könnten auch nicht als religiöse Normen promulgierte soziale Normen den Status des Religiösen in einer Gesellschaft einnehmen.19 Entsprechend der Argumentation Durkheims kann eine Gesellschaft eine religiöse Norm des Gehorsams gegenüber einem Herrscher erschaffen. Diese religiöse Norm ist jedoch nicht unabänderlich, sondern kann durch die Gesellschaft in einem Zustand „kollektiver Ekstase“ (effervescence collective) abgeändert werden. Letzterer Aspekt ist zentral für das Verständnis der Funktion der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Französischen Republik in ihrem rechtshistorischen Kontext. In der französischen Geschichte spielte die religiöse Legitimation von Herrschaft eine zentrale Rolle. Die kirchliche Legitimation verlieh dem französischen Königtum eine sakrale Dimension und machte es dadurch für seine Untertanen psychologisch unangreifbar.20 So argumentierte der französische Bischof Jacques-Bénigne Bossuet in der Tradition des Briefs des Apostels Paulus an die Römer („Jeder ordne sich den Trägern der staatlichen Gewalt unter: Denn es gibt keine staatliche Gewalt außer von Gott; die jetzt bestehen, sind von Gott eingesetzt.“ (Römer 13, 1 Einheitsübersetzung 2016)), dass den weltlichen Herrschern Gehorsam zu leisten sei, da sie „ein sterbliches Abbild der unsterblichen Autorität [Gottes]“ seien („[Dieu] a fait dans le Prince une image mortelle de son immortelle autorité“21). „Mais, ô dieux de chair et de sang, ô dieux de terre et de poussière, vous mourrez comme des hommes. N’importe, vous êtes des dieux, encore que vous mouriez, et votre autorité ne meurt pas; cet esprit de royauté passe tout entier à vos successeurs, et imprime partout la même crainte, le même respect, la même vénération. 16  Paoletti,

L’Année sociologique 62, 289 (300). Ordnungen des Säkularen, S. 43. 18  Ausführlich Pickering, Durkheim’s sociology of religion, S. 411 und S. XXIII f.; siehe ergänzend auch Durkheim, Les formes élémentaires de la vie religieuse, S. 517 und Haring, in: Hildebrandt/Brocker (Hrsg.), Der Begriff der Religion, S. 116 ff. 19  Siehe ausführlich Paoletti, L’Année sociologique 62, 289 (306). 20  Eine ganz ähnliche Funktion erfüllten auch die „Ersatzreligionen“, etwa der Personen- und Volkskult totalitärer Regime, siehe Voegelin, Science, Politics and Gnosticism, S. 57 und Klötzing-Madest, Der Marxismus-Leninismus in der DDR – eine politische Religion?, S. 68 f. 21  Bossuet, Sermon sur les devoirs des rois, zitiert nach: Pornschlegel, in: Hildebrandt/Brocker (Hrsg.), Der Begriff der Religion, S. 96. 17  Asad,



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte231 L’homme meurt, il est vrai; mais le Roi, disons-nous, ne meurt jamais: l’image de Dieu est immortelle.“22 „Doch, oh Ihr Götter aus Fleisch und Blut, Ihr Götter aus Erde und Staub, Ihr werdet wie die Menschen sterben. Und obwohl Ihr sterblich seid, seid Ihr Götter, und Eure Autorität stirbt nicht; diesen Geist des Königtums, der überall dieselbe Ehrfurcht, denselben Respekt und dieselbe Anbetung hervorruft, gebt Ihr vollständig an Eure Nachfolger weiter. Der Mensch stirbt, das ist wahr; aber der König, so sagen wir, stirbt niemals: Das Abbild Gottes ist unsterblich.“23

Die Sakralisierung des Königtums wurde zu einem wichtigen Fundament der französischen weltlichen Herrschaft. Die kirchliche Legitimation, aber auch Legenden und Mythen sollten die „Göttlichkeit“ der französischen Könige unterstreichen. So wurde die Kathedrale von Reims, dem Ort der Taufe des Frankenkönigs Chlodwig, der zum Christentum konvertiert sein soll, nachdem ihm Gott in einer verlorenen Schlacht gegen die Alemannen zum Sieg verholfen haben soll,24 zur Krönungskirche der französischen Könige. Dem französischen König Ludwig IX. (Saint-Louis) wurden gar 65 Wunderheilungen nach seinem Tod zugeschrieben, wobei in nur vier Fällen die Betroffenen vor ihrer „Heilung“ tatsächlich zum Grab Ludwigs IX. gepilgert waren.25 Darüber hinaus beanspruchten die französischen Könige für sich die Fähigkeit, durch Berührung die „Skrofulose“, vermutlich eine Hautmanifestation der Tuberkulose, heilen zu können.26 Die kirchliche Legitimation sicherte zwar das französische Königtum ab, doch band sie es gleichzeitig fest an die katholische Kirche. In ihrem Amtseid schworen die französischen Könige, die Kirche zu beschützen und ihre privilegierte Stellung zu achten und zu bewahren, wie beispielhaft der lateinische Amtseid des Königs Ludwig XIII. aus dem Jahre 1610 verdeutlichte. „Promitto vobis et perdono quod unicuique de vobis et Ecclesiis vobis commissis canonicum privilegium et debitam legem atque justitiam servabo, et defensionem, quantum potero, adjuvante Domino, exhibebo, sicut rex in suo regno unicuique episcopo et Ecclesiae sibi commissae per rectum exhibere debet.“27

22  Bossuet, Sermon sur les devoirs des rois, zitiert nach: Pornschlegel, in: Hildebrandt/Brocker (Hrsg.), Der Begriff der Religion, S. 96. 23  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Pornschlegel, in: Hildebrandt/Brocker (Hrsg.), Der Begriff der Religion, S. 96. 24  Decaux, L’histoire de France, S. 67  f.; siehe ergänzend auch Carpentier, in: Carpentier/Lebrun (Hrsg.), Histoire de France, S. 95. 25  Gaposchkin, Cahiers de Recherches Médiévales et Humanistes 19, 249, Rz. 1 f. 26  Gaposchkin, Cahiers de Recherches Médiévales et Humanistes 19, 249, Rz. 4; vertiefend zu den sakralen Dimensionen der französischen Monarchie Chaunu/Mension-Rigau, Baptême de Clovis, S. 53 f. 27  Amtseid des Königs Ludwig XIII., zitiert nach Martin, Revue des Sciences Religieuses 17, 1 (6).

232 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts „Ich verspreche Ihnen und gewähre Ihnen allen und den Ihnen anvertrauten Kirchen, dass ich die kirchlichen Privilegien, die Ihnen zustehenden Rechte und die Gerechtigkeit bewahren werde, und dass, sowie ich es vermag, ich mit der Hilfe Gottes Ihre Verteidigung sicherstellen werde, so wie ein König in seinem Königreich gegenüber jedem Bischof und jeder ihm unterstellten Kirche verpflichtet ist.“28

Gleichzeitig wurden die Absetzbewegungen der französischen weltlichen Herrschaft aus der Abhängigkeit von der kirchlichen Legitimation besonders ab dem 17. Jahrhundert immer stärker. So bot insbesondere der Gallikanismus den französischen Königen eine Möglichkeit, sich aus dem Machtbereich der Kirche zu lösen, hatte doch der französische Bischof Jacques-­ Bénigne Bossuet die direkte Einsetzung des Königs durch Gott betont.29 Die vier gallikanischen Artikel Bossuets sprachen der kirchlichen Institution jede Befugnis der Legitimation oder Delegitimation weltlicher Herrscher ab. Gleichzeitig bedeutete die zunehmende Lösung der französischen katholischen Kirche von der römischen Kurie, dass die Legitimität weltlicher Herrschaft in Frankreich in zunehmendem Maße nurmehr von französischen Autoritäten abhängig war. Durch die Verpflichtung aller französischen Pfarrer und Bischöfe zum Verfassungseid durch das Dekret über die Zivilverfassung des Klerus vom 12. Juli 1790 wurde die Entscheidung über die religiöse Legitimität der Französischen Revolution schließlich ganz den kirchlichen Institutionen entzogen. Der Prozess der „Autolegitimation“ französischer weltlicher Herrschaft gipfelte schließlich in der Selbstkrönung Napoleons zum Kaiser der Franzosen im Jahre 1804. Besonders unter dem Einfluss der Staatsphilosophie des schweizerischfranzösischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau entwickelten sich gleichzeitig neue religiöse (im Sinne Émile Durkheims) Konzepte zur religiösen „Autolegitimation“ französischer weltlicher Herrschaft in Unabhängigkeit von der katholischen Kirche. Die staatsbürgerliche Religion (religion civile) Jean-Jacques Rousseaus beinhaltete neben dem Glauben an eine Transzendenz die Verpflichtung jedes Bürgers, an die „Heiligkeit des Gesellschaftsvertrags und der Gesetze“ („sainteté du Contrat social et des lois“) zu glauben, die Nichtbefolgung solle mit der Verbannung geahndet werden.30 Darauf aufbauend sollten Revolutionskulte der Französischen Revolution die religiöse Legi28  Übersetzung des lateinischen Originaltexts aus Martin, Revue des Sciences Religieuses 17, 1 (6). 29  Ausführlich Kapitel 2, B.I.1.b)bb) (S. 174 ff.). Demgegenüber besagte die von der katholischen Kirche vertretene „Zwei-Schwerter-Lehre“ des Papstes Gelasius I., dass die weltlichen Herrscher ihre Macht vom Papst empfangen hätten, dem von Gott die weltliche und die geistliche Macht anvertraut worden seien (Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 17), siehe auch Kapitel 2, A.I.1.b)aa) (S. 49 ff.). 30  Rousseau, Du contrat social, S. 107.



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte233

timität verleihen, die ihr Papst Pius VI. verwehrte.31 Durch die Erhebung der religiös aufgeladenen Marseillaise („amour sacré de la patrie“) zur Nationalhymne sowie des Tags der Erstürmung der Bastille (14. Juli 1789) und des Föderationsfests (Fête de la Fédération, 14. Juli 1790) zum Nationalfeiertag suchte die Dritte Französische Republik schließlich ihre religiös-geschicht­ liche Legitimation in der Anknüpfung an die Französische Revolution. Gleichzeitig wurde die Französische Revolution besonders durch die republikanische und sozialistische Rhetorik der Dritten Französischen Republik stark religiös überhöht, wie eine Rede des Sozialisten Jean Jaurès aus dem Jahre 1905 verdeutlichte.32 „Notre génie français s’est réservé devant la Réforme, afin de se conserver tout entier pour la Révolution.“33 „Der französische Geist hat sich der Reformation verwehrt, um sich gänzlich für die Französische Revolution aufzusparen.“34

Darüber hinaus verkörperte der Laizismus selbst die religiöse (im Sinne Émile Durkheims) Legitimation der Dritten Republik. Die laizistische Reli­ gionsverfassung beruhte, im deutlichen Kontrast zur katholisch-konservativen Herrschaft des monarchistischen Präsidenten Patrice de MacMahon35, auf der Prämisse, dass der französische Staat von kirchlich-religiösen Normen unabhängig und diesen nicht unterworfen sei. Zur ethisch-moralischen Grundlage des Staates erklärte die laizistische Politik der Dritten Republik einen von religiösen Normen unabhängigen „Konsens der Vernunft“. In diesem Sinne hatte bereits im Jahre 1875 der Republikaner Léon Gambetta, der die Dritte Französische Republik am 4. September 1870 ausgerufen hatte36, unter Bezugnahme auf die Werte der Französischen Revolution eine laizistische Politik gefordert und die Vernunft zum Maßstab jeglicher französischer Politik erklärt. „Nous ne sommes pas des théologiens, nous sommes des citoyens, des républicains, des hommes politiques, des hommes civils: nous voulons que l’État nous rassemble et que la France soit la nation laïque par excellence. […] nous continuons l’œuvre de nos pères, la Révolution française préparée par les hommes de la France du XVIIIe siècle, par la France de la raison, du libre examen.“37 31  Siehe

Kapitel 2, A.II.1.a)aa) (S. 75 ff.). ergänzend Peillon, Une religion pour la République, S. 125 f. 33  Rede Jean Jaurès’ aus dem Jahre 1905, zitiert nach: Peillon, Une religion pour la République, S. 125 f. 34  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Peillon, Une religion pour la République, S.  125 f. 35  Kapitel 1, A. (S. 27 ff.). 36  Miquel, Histoire de la France, S. 402. 37  Rede Léon Gambettas, zitiert nach: Forestal/Bouchet (Hrsg.), La laïcité par les textes – Tome I, S. 116 f. 32  Siehe

234 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts „Wir sind keine Theologen, wir sind Bürger, Republikaner, Politiker, Menschen des Volkes: Wir wollen, dass der Staat uns versammelt, und dass Frankreich die vorbildlich laizistische Nation wird. […] Wir werden das Werk unserer Väter, die Französische Revolution, der die Menschen des Frankreichs des 18. Jahrhunderts und das Frankreich der Vernunft und des freien Gewissens den Weg bereitet haben, fortführen.“38

Auch das laizistische Schulwesen sollte anstatt auf religiösen Normen auf einem vernunftbasierten moralischen Kodex39 aufgebaut sein, wie ein Brief Jules Ferrys an die französischen Grundschullehrer vom 27. November 1883 verdeutlichte. „[…] il a paru tout naturel que l’instituteur, en même temps qu’il apprend aux enfants à lire et à écrire, leur enseigne aussi ces règles élémentaires de la vie morale qui ne sont pas moins universellement acceptées que celles du langage ou du calcul. […] Vous n’avez à enseigner, à proprement parler, rien de nouveau, rien qui ne vous soit familier comme à tous les honnêtes gens. […] [Le législateur] ne vous demande rien qu’on ne puisse demander à tout homme de cœur et de sens.“40 „[…] Es erschien ganz natürlich, dass der Grundschullehrer, zur gleichen Zeit, wie er die Kinder lesen und schreiben lehrt, sie auch diese elementaren Regeln des moralischen Lebens, die nicht weniger universell akzeptiert sind als die Regeln der Sprache oder des Rechnens, lehrt. […] Einfach ausgedrückt, müssen Sie [als Grundschullehrer] nichts Neues unterrichten, nichts unterrichten, das Ihnen nicht genauso vertraut ist wie allen anständigen Leuten. […] [Der Gesetzgeber] verlangt von Ihnen [als Grundschullehrer] nichts, das man nicht von jedem Menschen mit Herz und Verstand verlangen kann.“41

Gleichzeitig unterstrich der Brief Jules Ferrys an die französischen Grundschullehrer vom 27. November 1883 den quasi-religiösen Wahrheitsanspruch der republikanischen Staatsverfassung und der laizistischen Werteordnung der Dritten Französischen Republik. „[La loi du 28 mars] affirme la volonté de fonder chez nous une éducation nationale, et de la fonder sur des notions du devoir et du droit que le législateur n­ ’hésite pas à inscrire au nombre des premières vérités que nul ne peut ignorer. […] Parlez donc […] avec force et autorité, toutes les fois qu’il s’agit d’une vérité incontestée, d’un précepte de la morale commune. […] C’est à vous de mettre la vérité morale à la portée de toutes les intelligences.“42 38  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Forestal/Bouchet (Hrsg.), La laïcité par les textes – Tome I, S. 116 f. 39  Zu den religiösen Dimensionen des französischen „republikanischen“ Moralkodex siehe auch Peillon, Une religion pour la République, S. 224 f. 40  Brief Jules Ferrys an die Grundschullehrer vom 27. November 1883, zitiert nach: Ardant (Hrsg.), Pouvoirs 75, 109 (110). 41  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Ardant (Hrsg.), Pouvoirs 75, 109 (110). 42  Brief Jules Ferrys an die Grundschullehrer vom 27. November 1883, zitiert nach: Ardant (Hrsg.), Pouvoirs 75, 109 (110, 111 und 114).



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte235 „[Das Gesetz vom 28. März 1882 über das verpflichtende Grundschulwesen] bekräftigt den Willen, [in Frankreich] ein staatliches Bildungswesen zu begründen, und es auf Grundlage der Konzepte der Pflicht und des Rechts zu gründen, die der Gesetzgeber beständig zu den obersten Wahrheiten zählt, die niemand verkennen kann. […] Sprechen Sie also […] mit Nachdruck und Autorität, wann immer es sich um eine unbestrittene Wahrheit handelt, einen allgemeinen moralischen Grundsatz. […] Es obliegt Ihnen, die moralische Wahrheit jedem einzelnen Verstand nahe zu bringen.“43

Der französische Laizismus war insofern stark religiös aufgeladen, um der Dritten Republik die verfassungspolitisch notwendige und der französischen Tradition entsprechende religiöse Legitimität zu verleihen, hatte doch das Scheitern der Zweiten Republik durch die Wahl des späteren Kaisers Napoleon III. zum Präsidenten gezeigt, wie fragil die republikanische Verfassung Frankreichs ohne zugrundeliegende politisch-religiöse Ideologie war.44 In Deutschland hingegen spielte die Sakralisierung der Herrschaft eine weitaus geringere verfassungspolitische Rolle als in Frankreich. Viel stärker als das französische Königtum konnte sich das Heilige Römische Reich Deutscher Nation auf eine geschichtliche Legitimation in der Tradition der römischen Kaiser berufen. Gleichzeitig war die Begründung von weltlicher Herrschaft in Deutschland weitaus stärker „verrechtlicht“ und weitaus weniger „verkirchlicht“ als in Frankreich. Unter dem Einfluss des Gesetzes über das Kaisertum vom 6. August 1338 (licet iuris) wurde in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Deutschland nicht die kirchliche Inthronisation, sondern die Wahl durch die Kurfürsten zur Grundlage kaiserlicher Macht.45 Die an der Königswahl beteiligten Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier wirkten nicht nur an der religiösen, sondern allem voran an der weltlichen Legitimation des deutschen Kaisertums mit, wie der durch die Goldene Bulle des Jahres 1356 vorgeschriebene Treueeid der weltlichen und geistlichen Kurfürsten an Gott und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation verdeutlichte.46 Nicht die kirchliche Legitimation, sondern die weltliche Wahl durch die Kurfürsten begründete die weltliche Macht in Deutschland. In Folge der Reformation verlor die kirchliche Legitimation von Herrschaft in Deutschland vor allem in den protestantischen Gebieten weiter an Bedeutung. Der deutsche Reformator Martin Luther hatte den weltlichen Herrschern in der Tradition des Kirchenvaters Augustinus von Hippo den Gehor43  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Ardant (Hrsg.), Pouvoirs 75, 109 (110, 111 und 114). 44  Siehe auch Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 39. 45  Seif, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. XIV f. 46  Kapitel II, Nr. 2 der Goldenen Bulle des Jahres 1356, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 76.

236 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

sam ihrer Untertanen47 zugesprochen, doch ein kirchliches „Legitimationsrecht“ verneint.48 Das landesherrliche Kirchenregiment führte die kirchliche Legitimation weltlicher Herrschaft ad absurdum, da den Landesherren der Territorialstaaten und den Räten der Reichsstädte selbst die Leitung der evangelischen Landeskirchen und damit allein die Autorität kirchlicher Legitimation zukam. Die ihnen nachgeordnete „Kirchenhierarchie“ konnte nurmehr die religiöse Legitimität der weltlichen Herrscher „unterstützen“, mangels einer dem Papsttum vergleichbaren Autorität und Machtstellung jedoch nicht mehr „begründen“. Durch die Gewährleistung der Religionsfreiheit und der Gleichbehandlung der katholischen, evangelisch-lutherischen und evangelisch-reformierten Konfession durch das Preußische Allgemeine Landrecht des Jahres 1794 wurde die religiöse Legitimation der Herrschaft in Preußen schließlich funktionell bedeutungslos, da eine religiöse Legitimation durch eine der drei gleichgestellten Konfessionen keinen religiösen Herrschaftsanspruch mehr über alle Untertanen legitimieren und „begründen“ konnte. Insgesamt unterschieden sich damit die religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Weimarer Republik und der Dritten Französischen Republik bezüglich der religiösen Legitimitätsanforderungen der weltlichen Macht grundlegend. Das französische Religionsverfassungsrecht konnte in der Tradition der französischen Verfassungs- und Ideengeschichte nur entweder durch oder gegen die katholische Kirche religiös legitimiert sein und bestehen, ein „Mittelweg“ war undenkbar. Da die katholische Kirche durch die Legitimation der monarchistisch-konservativen Herrschaft MacMahons49 der republikanisch-demokratischen Verfassungsordnung der Dritten Französischen Republik den Rücken gekehrt hatte, konnte der langfristige Bestand der republikanischen und demokratischen Staatsverfassung in Frankreich damit dauerhaft nur durch die strenge Trennung von Staat und Kirche des französischen Laizismus gesichert werden. In der vom protestantischen Preußen geprägten, bikonfessionellen Weimarer Republik hingegen spielte die religiöse Legitimation der weltlichen Herrschaft nurmehr eine untergeordnete Rolle. Für die deutsche Wahlbevölkerung und die Mehrheit der Weimarer Nationalversammlung war eine strenge Trennung von Staat und Kirche unvorstellbar, vielmehr sollten die Religionsfreiheit und die Kontinuität kirch­ 47  Die lutherische Theologie, die für ihre Verbreitung auf die Unterstützung der deutschen Landesherren angewiesen war, wandte sich damit gegen die Forderungen der im Bauernkrieg der Jahre 1524/1525 aufbegehrenden deutschen Bauern, die unter Rückgriff auf Luthers Bibelübersetzung eine Verbesserung ihrer rechtlichen Stellung, insbesondere die Aufhebung der Leibeigenschaft, einforderten, ausführlich Wallmann, Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation, S. 57 ff. 48  Siehe ausführlich zur Zwei-Reiche-Lehre Luthers Kapitel  2, B.I.2.a)aa) (S. 184 ff.) und Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 13. 49  Siehe ausführlich Kapitel 1, A. (S. 27 ff.).



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte237

lichen Lebens zur Grundlage der demokratischen und republikanischen Ordnung der Weimarer Republik werden. b) Der quasi-religiöse „Wahrheitsanspruch“ des französischen Laizismus Im christlichen Missionsauftrag kommt der Anspruch der universellen Gültigkeit des Christentums als Wahrheit für alle Menschen zum Ausdruck.50 „Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen? Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ (Johannes 14, 5–6 Einheitsübersetzung 2016).

Dieser religiöse Wahrheitsanspruch des Christentums war vor allem im monokonfessionellen, katholischen Frankreich wirkmächtig. Der Kampf um die Religionsfreiheit in Frankreich war nicht so sehr ein Kampf um das Recht der Zugehörigkeit zu verschiedenen Religionen und Religionsgemeinschaften (im heutigen Sinne), sondern vielmehr ein Kampf um verschiedene religiöse Wahrheiten. Das frühneuzeitliche und absolutistische französische Staatsmodell wiederum beruhte auf der Akzeptanz genau einer religiösen Wahrheit durch alle Untertanen, wie das emblematische „Ein Glaube, ein Gesetz, ein König“ („Une foi, une loi, un roi“) Ludwigs XIV. zum Ausdruck brachte.51 In einem Staat, der zwei religiöse Wahrheiten akzeptierte, hätte nach frühneuzeitlichem Verfassungsverständnis nicht nur ein Königtum und eine Rechtsordnung bestehen können. Der universelle Geltungsanspruch des Christentums wurde prägend für die Staatsphilosophie des schweizerisch-französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau. Der Souveränitätsbegriff Rousseaus steht insofern ganz in der demokratischen Rezeption des „Ein Glaube, ein Gesetz, ein König“ Ludwigs XIV. Im rousseauistischen Verfassungsmodell kann es nur eine, auf dem Gesellschaftsvertrag fußende, Rechtsordnung geben („une loi“).52 Die 50  Siehe Kapitel 2, A.I.1.b)bb) (S. 54  ff.). Besonders deutlich wurde der Wahrheitsanspruch des Katholizismus in der Konzilserklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils des Jahres 1965, die dennoch gleichzeitig die Religionsfreiheit anerkannte: „Diese einzige wahre Religion, so glauben wir, ist verwirklicht in der katholischen, apostolischen Kirche, die von Jesus dem Herrn den Auftrag erhalten hat, sie unter allen Menschen zu verbreiten.“ (Dignitatis humanae, zitiert nach Lehmann, Toleranz und Religionsfreiheit, S. 101). Auch im Protestantismus spielt der religiöse Wahrheitsanspruch eine wichtige Rolle, siehe ausführlich Lehmann, Toleranz und Reli­ gionsfreiheit, S. 33. 51  Siehe Picq, La liberté de religion dans la République, S. 34. 52  Siehe Rousseau, Du contrat social, S. 15 und S. 21.

238 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

Souveränität, die von den Parteien des Gesellschaftsvertrags ausgeht, ist unteilbar und unveräußerlich („un roi“).53 Zur staatsbürgerlichen Religion (religion civile), die auch auf dem Glauben an eine Transzendenz fußt, müssen sich nicht nur alle Bürger bekennen, sondern bei Androhung der Verbannung auch an sie als religiöse Wahrheit glauben („une foi“).54 Diese religiöse „Überladung“ des Verfassungsrechts und des Staates griff die Französische Revolution auf. Besonders die Erklärung der Menschenund Bürgerrechte vom 26. August 1789 wurde nicht als Gesetz, sondern deutlich als religiöse Wahrheit proklamiert. Ähnlich den biblischen zehn Geboten sollte nach einem Dekret der Nationalversammlung vom 26. Juni 1792 die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 in Stein gemeißelt und an „Altären des Vaterlandes“ (autels de la patrie) in ganz Frankreich angebracht werden.55 „Dans toutes les communes de l’Empire, il sera élevé un autel de la patrie, formé d’une pierre sur laquelle sera gravée la Déclaration des droits, avec cette épigraphe: Le citoyen naît, vit et meurt pour la patrie.“56 „In allen Gemeinden des [französischen] Reichs wird ein Altar des Vaterlandes errichtet, der aus einem Stein besteht, in den die Erklärung der [Menschen- und Bürger-]Rechte eingraviert ist, und der folgende Inschrift trägt: Der Bürger wird für das Vaterland geboren und lebt und stirbt für das Vaterland.“57

Die Erläuterungen des Urhebers des Dekrets vom 26. Juni 1792, des Abgeordneten Louis-Jérôme Gohier, unterstrichen den quasi-religiösen Wahrheitsanspruch der an den „Altären des Vaterlandes“ (autels de la patrie) angebrachten Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789. „Que devant cet autel, à jamais l’objet de notre vénération, de notre culte civique, se fassent toutes les publications, tous les actes qui intéressent l’état civil et politique des citoyens; que la loi elle-même y soit lue, y soit notifiée au peuple: et puissent les législateurs n’oublier jamais que la promulgation s’en fera en présence de la Déclaration des Droits.“58

Rousseau, Du contrat social, S. 20 f. Rousseau, Du contrat social, S. 107. 55  Siehe zu den religiösen Dimensionen des Verfassungsrechts der Französischen Revolution und insbesondere der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 auch Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 13 f. 56  Mavidal/Laurent (Hrsg.), Archives parlementaires de 1787 à 1860, Bd. XLV, S. 595. 57  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Mavidal/Laurent (Hrsg.), Archives parlementaires de 1787 à 1860, Bd. XLV, S. 595. 58  Mavidal/Laurent (Hrsg.), Archives parlementaires de 1787 à 1860, Bd. XLV, S. 389. 53  Siehe 54  Siehe



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte239 „Vor diesem Altar [des Vaterlandes], der für immer der Gegenstand unserer Anbetung, unserer bürgerlichen Religion, sein soll, werden alle Veröffentlichungen, alle Amtshandlungen vorgenommen, die den zivilen und politischen Stand der Bürger betreffen. [Vor diesem Altar des Vaterlandes] soll des Gesetz verlesen und dem Volk bekannt gemacht werden: So können die Gesetzgeber niemals vergessen, dass die Verkündung [ihrer Gesetze] in Gegenwart der Erklärung der [Menschen- und Bürger-]Rechte erfolgen wird.“59

Die religiöse Dimension der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 wurde darüber hinaus durch deren Präambel noch verstärkt. „Les Représentants du Peuple Français, constitués en Assemblée Nationale, considérant que l’ignorance, l’oubli ou le mépris des droits de l’Homme sont les seules causes des malheurs publics et de la corruption des Gouvernements, ont résolu d’exposer, dans une Déclaration solennelle, les droits naturels, inaliénables et sacrés de l’homme, afin que cette Déclaration, constamment présente à tous les Membres du corps social, leur rappelle sans cesse leurs droits et leurs devoirs […].“60 „Die Vertreter des französischen Volkes, die die Nationalversammlung gebildet haben, haben in der Überzeugung, dass die Unkenntnis, das Vergessen und die Missachtung der Menschenrechte die einzigen Ursachen der öffentlichen Übel und der Korruptheit der Regierungen sind, beschlossen, in einer feierlichen Erklärung die natürlichen, unveräußerlichen und heiligen Rechte des Menschen festzuhalten, damit diese Erklärung, die allen Mitgliedern der politischen Gemeinschaft ständig präsent sein wird, sie ohne Unterlass an ihre Rechte und Pflichten erinnert […].“61

Darüber hinaus kam die religiöse Dimension der Erklärung der Menschenund Bürgerrechte vom 26. August 1789 besonders in deren zweitem und siebzehntem Artikel zum Ausdruck.62 „Le but de toute association politique est la conservation des droits naturels et imprescriptibles de l’Homme. Ces droits sont la liberté, la propriété, la sûreté, et la résistance à l’oppression.“63 „Das Ziel jeder politischen Gemeinschaft ist die Bewahrung der natürlichen und unantastbaren Menschenrechte. Diese Rechte sind die Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit und der Widerstand gegen Unterdrückung.“64 59  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Mavidal/Laurent (Hrsg.), Archives parlementaires de 1787 à 1860, Bd. XLV, S. 389. 60  Auszug aus der Präambel der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789. 61  Übersetzung des französischen Originaltexts aus der Präambel der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789. 62  Siehe Asad, Ordnungen des Säkularen, S. 42. 63  Artikel 2 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789. 64  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Artikel 2 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789.

240 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts „La propriété étant un droit inviolable et sacré, nul ne peut en être privé […].“65 „Da das Eigentum ein unverletzliches und heiliges Recht ist, darf es niemandem vorenthalten werden […].“66

Auch im französischen Laizismus findet sich der universelle Geltungsanspruch des Christentums rezipiert. Unter der Dritten Französischen Republik erhob nunmehr der Laizismus als „Ausfluss der menschlichen Vernunft“ Anspruch auf universelle Geltung, wie eine Rede des Mitautors des Gesetzes über den Laizismus von 1905, Ferdinand Buisson, auf einem Kongress des Parti radical im Jahre 1904 verdeutlichte. „Il faut le reconnaître sans chauvinisme: nous sommes le pays qui a entrepris résolument la laïcisation de tous les services publics. Nos pères de 89, qui l’avaient entreprise, n’avaient pu l’accomplir avec toute la netteté voulue. […] Pourquoi l’avons-nous suivi jusque-là? Parce que nous sommes le pays qui a entrepris d’appliquer sans hésiter les seules lois de la raison humaine au gouvernement des affaires humaines.“67 „Man muss es ohne Chauvinismus anerkennen: Wir sind das Land, das entschlossen die Laizisierung des gesamten öffentlichen Dienstes angegangen hat. Unsere Väter [der Französischen Revolution von 17]89, die [die Laizisierung des öffent­ lichen Dienstes] angegangen hatten, konnten sie nicht mit der gewünschten Vollständigkeit vollenden. […] Warum haben wir [das Ziel der Laizisierung des öffentlichen Dienstes] bis [zum Ende] verfolgt? Weil wir das Land sind, das es unternommen hat, ohne zu zögern ausschließlich die Gesetze der menschlichen Vernunft auf die Regierung der menschlichen Angelegenheiten anzuwenden.“68

Die religiöse Dimension des Laizismus unterstrich darüber hinaus die im Mai 1903 in Paris abgehaltene „Feier der Vernunft“ (Fête de la Raison), der zahlreiche Abgeordnete und Mitglieder des regierenden Parti radical und der sozialistischen Parteien beiwohnten.69 Auch im gegenwärtigen französischen Verfassungsrecht ist der universelle Geltungsanspruch der Werte der Republik, insbesondere des Laizismus, in der Tradition des christlichen universellen Geltungsanspruchs wirkmächtig.70 In der rousseauistischen Tradition der „unteilbaren Souveränität“ ist 65  Artikel 17

der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789. des französischen Originaltexts aus Artikel 17 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789. 67  Rede Ferdinand Buissons vor dem Kongress des Parti radical, zitiert nach: Forestal/Bouchet (Hrsg.), La laïcité par les textes – Tome I, S. 118. 68  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Forestal/Bouchet (Hrsg.), La laïcité par les textes – Tome I, S. 118. 69  Siehe Baubérot, Histoire de la laïcité en France, S. 70. 70  Siehe vertiefend zur religiösen Dimension des Laizismus im gegenwärtigen französischen Verfassungsrecht auch Pornschlegel, in: Hildebrandt/Brocker (Hrsg.), Der Begriff der Religion, S. 93 f. 66  Übersetzung



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte241

die Unteilbarkeit der Republik das erste Staatsstrukturprinzip der Verfassung vom 4. Oktober 1958, das der französische Verfassungsrat in einem Urteil vom 9. Mai 1991 konkretisierte.71 „La Constitution […] ne connaît que le peuple français, composé de tous les citoyens français sans distinction d’origine, de race ou de religion.“72 „Die Verfassung kennt nur das französische Volk, das aus allen französischen Bürgern ohne Unterscheidung nach Herkunft, Ethnie oder Religion besteht.“73

Das deutsche Prinzip der Trennung von Staat und Kirche ist hingegen weitaus weniger religiös aufgeladen als der französische Laizismus. Im Verfassungsrecht des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, in dem seit dem Westfälischen Frieden der Jahre 1648/164974 drei christliche Konfessionen anerkannt waren, gab es nur begrenzten Raum für den absoluten Wahrheitsanspruch einer Konfession. In ihrer „religionsverfassungsrechtlichen Konfrontation“ waren die Wahrheitsansprüche des Katholizismus sowie des evangelisch-lutherischen und des evangelisch-reformierten Protestantismus kraft des Westfälischen Friedens „gleichwertig“, nur gegenüber anderen Religionen und Konfessionen kamen sie verfassungsrechtlich zur Geltung. Durch das den Untertanen zugestandene Recht der Auswanderung in ein Gebiet ihrer Konfession (ius emigrandi) wurde der religiöse Wahrheitsanspruch in Deutschland weiter relativiert, den Untertanen wurde das Recht der Wahl der eigenen religiösen Wahrheit zugestanden. Im Gegensatz zu Frankreich war dementsprechend nicht die Sakralisierung einer neuen, demokratischen Verfassungsordnung als religiöse Wahrheit, sondern vielmehr die Erkämpfung der Religionsfreiheit und der Gleichbehandlung das Hauptziel deutscher bürgerlich-republikanischer Politik. In der Folge waren radikale Forderungen nach einer neuen, religiös auf­ geladenen Verfassungsordnung, wie sie etwa der USPD-Abgeordnete Fritz Kunert in seiner Rede vor dem Plenum der Weimarer Nationalversammlung 71  Siehe zum Prinzip der Unteilbarkeit der Republik auch Gründler, Revue du Droit Public 2007, 445 (467). 72  Verfassungsrat (Conseil constitutionnel), Az. 91–290 DC, 9. Mai 1991. Ganz ähnlich hatte bereits der Apostel Paulus im in Kapitel 2, A.I.1.b)bb) (S. 54 ff.) dargestellten Brief an die Korinther den universellen Geltungsanspruch des Christentums hervorgehoben: „Durch einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt“ (1. Korinther 12, 13 Einheitsübersetzung 2016). 73  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Verfassungsrat (Conseil constitutionnel), Az. 91–290 DC, 9. Mai 1991. 74  Kapitel 2, A.I.2.b)bb) (S. 68 ff.). Zur Ambivalenz des Verhältnisses von Katholizismus und evangelisch-lutherischem Protestantismus im Augsburger Reichsund Religionsfrieden 1555 siehe Kapitel 1, Fn. 4 (S. 26) und Kapitel 2, A.I.2.b)aa) (S. 61 ff.).

242 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

(„Die Religion der Zukunft ist die Arbeit“75) aufstellte, ohne politische und gesellschaftliche Mehrheit. Der religionsverfassungsrechtliche Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung war als Folge weitaus weniger religiös aufgeladen und weitaus funktional-pragmatischer konzipiert als der französische Laizismus. Nach dem Willen von Deutscher Zentrumspartei, DDP, DVP und DNVP sollte durch die religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Art. 136 ff. WRV die Funktionsfähigkeit und die Kontinuität der Kirchen gewahrt werden. Die religionsverfassungsrechtlichen Reformen beschränkten sich auf die angesichts der veränderten verfassungsrechtlichen und -politischen Rahmenbedingungen unerlässlichen Maßnahmen, wie es der DDPAbgeordnete Friedrich Naumann in einer Rede vor dem Verfassungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung betonte. „Die Abschnitte [der Weimarer Reichsverfassung] über Glauben, Kirche und Schule bedürfen einer besonderen Behandlung und sind unabhängig vom Schicksal der übrigen Grundrechte; denn diese Dinge müssen unter allen Umständen irgendwie geregelt werden, insbesondere müssen die Abgrenzungsfragen zwischen Staat und Kirche erledigt werden, weil das nach dem Wegfall des Staatsbischofs für die evangelische Kirche eine dringende Notwendigkeit ist und weil auch von katholischer Seite eine Formulierung gewünscht wird.“76

In diesem Sinne bedingte das Ende des landesherrlichen Kirchenregiments das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen, die Religionsfreiheit und das Ende der staatlichen Kontrolle der katholischen Kirche und der evangelischen Kirchen bedingten die rechtliche Gleichstellung im Prinzip aller (öffentlichrechtlich) verfassten Religionsgemeinschaften.77 Die religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Art. 136 ff. WRV waren insofern, im Gegensatz zum französischen Laizismus, ein klassischer politischer „Minimalkompromiss“: In Opposition zur seit November 1918 implementierten laizistischen Religionspolitik der SPD und der USPD mussten sich die vier bürgerlichen Parteien, die große Differenzen bezüglich Programmatik und Wählerschaft hatten, auf einen religionsverfassungsrechtlichen Minimalkonsens einigen. Insgesamt existieren damit drei bedeutende Unterschiede des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts, die wichtige Auswirkungen auf die gegenwärtige Rechtslage in Deutschland und Frankreich haben. Erstens stellte das Religionsverfassungsrecht der Weimarer Reichsverfassung 75  Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1660. 76  Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, 18. Sitzung vom 31. März 1919, S. 17 f. 77  Siehe diesbezüglich auch die Rede des Abgeordneten Mausbach der Deutschen Zentrumspartei vor dem Plenum der Weimarer Nationalversammlung, in: Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd.  328, S. 1644.



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte243

einen klassischen politischen „Minimalkompromiss“ dar, der weitaus weniger radikal sowie politisch und gesellschaftlich umstritten war wie der Laizismus der Dritten Französischen Republik. Zweitens wurde der religionsverfassungsrechtliche Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung von den den Kirchen wohlwollend gesonnenen bürgerlichen Parteien der Weimarer Nationalversammlung erarbeitet, der französische Laizismus hingegen vor allem von den radikal-republikanischen und sozialistischen Politikern der Dritten Republik, die in der Tradition der Französischen Revolution relativ kirchenskeptisch und -kritisch eingestellt waren. Drittens ist der Laizismus der Dritten Französischen Republik im Gegensatz zum Religionsverfassungsrecht der Weimarer Republik deutlich religiös (im Sinne Émile Durkheims) aufgeladen. Der „religionsverfassungsrechtliche Kompromiss“ der Weimarer Republik stellte mehr eine „Anpassung“ des Religionsverfassungsrechts an die in Folge der Umwälzungen des Ersten Weltkriegs veränderten verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen denn eine wirkliche „Revolution“ dar.78 Der Laizismus hingegen steht gänzlich in der Tradition der Sakralisierung des französischen Königtums, das seine Legitimität im Gegensatz zum deutschen Kaisertum nicht aus einem weltlichen Wahlakt durch die Kurfürsten, sondern aus der Überformung der Person und des Amtes des Monarchen durch die kirchliche Rhetorik und Symbolik zog („[Dieu] a fait dans le Prince une image mortelle de son immortelle autorité“79).80 In der Philosophie Rousseaus und der Verfassungspolitik der Französischen Revolution, die zum Vorbild der republikanischen Politik der Dritten Französischen Republik wurde, wurde dieses Motiv der Sakralisierung der Monarchie auf die revolutionäre Staatsverfassung, insbesondere die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789, übertragen.81 Der Laizismus ist dabei als Grundlage und Vorbedingung einer auf den „Gesetzen der menschlichen Vernunft“82 und den „obersten Wahrheiten“83 beruhenden Verfassungsordnung ein zentraler Bestandteil der französischen Staatsund Verfassungsidentität, der der französischen republikanisch-demokratischen Verfassungsordnung eine besondere religiöse Legitimität verleiht und 78  Siehe auch die Rede des Abgeordneten Mausbach der Deutschen Zentrumspartei vor dem Plenum der Weimarer Nationalversammlung, in: Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1644. 79  Bossuet, Sermon sur les devoirs des rois, zitiert nach: Pornschlegel, in: Hildebrandt/Brocker (Hrsg.), Der Begriff der Religion, S. 96; siehe ausführlich Kapitel 3, A.I.2.a) (S. 229 ff.). 80  Siehe ausführlich Kapitel 3, A.I.2.a) (S. 229 ff.). 81  Kapitel 3, A.I.2.b) (S. 237 ff.). 82  Rede Ferdinand Buissons vor dem Kongress des Parti radical, in: Forestal/ Bouchet (Hrsg.), La laïcité par les textes – Tome I, S. 118. 83  Brief Jules Ferrys an die Grundschullehrer vom 27. November 1883, in: A ­ rdant (Hrsg.), Pouvoirs 75, 109 (110).

244 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

eine quasi-religiöse universelle Geltung für alle Staatsbürger beansprucht. Aus diesem Grund erweist sich der französische Laizismus, der einen zentralen Bestandteil des französischen verfassungspolitischen und -historischen Selbstverständnisses darstellt, als weitaus radikaler, verpflichtender und „kompromissloser“ als das deutsche Religionsverfassungsrecht, was im Folgenden anhand der Unterschiede des gegenwärtigen deutschen und französischen Religionsverfassungsrechts unterstrichen werden soll.

II. Die Konsequenzen der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik für das gegenwärtige deutsche und französische Religionsverfassungsrecht Im Vorhergehenden wurden die wesentlichen rechtshistorischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts auf der Grundlage einer Analyse der jeweiligen Funktion im entsprechenden rechtshistorischen Kontext erarbeitet und erläutert. Auch im gegenwärtigen deutschen und französischen84 Religionsverfassungsrecht wirken einerseits das gemeinsame christliche Erbe und die gemeinsame Tradition des Kampfes um Religionsfreiheit fort (1.). Andererseits hat die rechtshistorische Funktion des Laizismus als Teil des Kampfes republikanischer Politik gegen die Machtstellung der katholischen Kirche in Frankreich sowie als Grundlage der republikanisch-demokratischen Staatsverfassung großen Einfluss auf das gegenwärtige französische im Unterschied zum deutschen Religionsverfassungsrecht (2.). 1. Das französische und das deutsche Religionsverfassungsrecht in der gemeinsamen Tradition des Christentums und des Kampfes um Religionsfreiheit In der Tradition der christlichen Theologie und des Kampfes um Reli­ gionsfreiheit werden das deutsche und das französische Religionsverfassungsrecht durch die zwei verfassungsrechtlichen Grundsatzentscheidungen für religiösen Pluralismus (a)) und für die religiöse Neutralität des Staates geprägt (b)).

84  Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich zunächst auf die in Frankreich unter Ausschluss Elsass-Lothringens und der französischen Überseegebiete anwendbare Rechtslage. Das Religionsverfassungsrecht Elsass-Lothringens wird gesondert in Kapitel 3, B.I. (S. 271 ff.) betrachtet.



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte245

a) Religiöser Pluralismus als verfassungsrechtliche Grundsatzentscheidung Der religiöse Pluralismus der modernen säkularisierten Gesellschaften ist ein Produkt des Individualismus, der auf der Trennung von Individuum und Gemeinschaft durch die christliche Theologie und auf der Religionsfreiheit fußt.85 In dieser Tradition ist der Schutzbereich der Religionsfreiheit in Deutschland und Frankreich weit gefasst (aa)). Gleichzeitig ist die religiöse Erziehung im Schulwesen, die eine wichtige Voraussetzung für die Weitergabe religiöser Ideen, Wertvorstellungen und Traditionen ist, im deutschen wie im französischen Verfassungsrecht besonders geschützt (bb)). aa) Der weite Schutzbereich der Religionsfreiheit in Deutschland und Frankreich Ein zentrales Ziel der religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik war die Sicherung des religiösen Pluralismus durch die Trennung von Staat und Kirche und die Gewährleistung der Religionsfreiheit. Sowohl die religionsverfassungsrechtlichen Reformen der Weimarer Republik als auch die Laizismusgesetzgebung der Dritten Republik brachen die Verschränkung von Staat und großen Kirchen auf und schufen einen Staat für grundsätzlich alle Religionen und Religionsgemeinschaften, wie der DDP-Vorsitzende Friedrich Naumann in einer Rede vor dem Plenum der Weimarer Nationalversammlung unterstrich. „Die Zeit, wo kleine Religionsgesellschaften amtlich mißachtet wurden, ist jetzt grundsätzlich vorbei. Da es keine Staatskirche mehr gibt, so sind alle Nebenkirchen gleicher Ehre. Sie wollen in der Republik ihr Recht haben, und das soll man ihnen geben.“86

In ähnlichen Tönen hatte bereits der Rapport Briand (1905) die Zielsetzung des Gesetzes über den Laizismus von 1905 formuliert. „Aujourd’hui, il n’est plus personne pour contester sérieusement que la neutralité de l’État en matière confessionnelle ne soit l’idéal de toutes les sociétés modernes. […] Conçu, discuté, voté dans un large esprit de tolérance et d’équité, [le projet] sauvegarde tout ensemble les légitimes et respectables préoccupations des consciences, les intérêts des personnes et les droits supérieurs de l’État. Ce n’est pas une œuvre de passion, de représailles, de haine, mais de raison, de justice et de prudence combinées, à laquelle votre Commission vous demande de vous associer.“87 85  Siehe

ergänzend Kapitel 2, A.I.1.a)bb) (S. 45 ff.). der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1654. 87  Rapport Briand (1905), S. 123 und S. 125. 86  Verhandlungen

246 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts „Heutzutage bezweifelt niemand mehr ernsthaft, dass die religiöse Neutralität des Staates das Ideal aller modernen Gesellschaften ist. […] [Der Entwurf des Gesetzes über den Laizismus von 1905] wurde in einem Geist der Toleranz und der Gerechtigkeit verfasst, diskutiert und beschlossen, und schützt gleichzeitig die legitimen und zu respektierenden Überzeugungen der Gewissen, die Belange der Menschen und die höheren Rechtsgüter des Staates. [Der Entwurf des Gesetzes über den Laizismus von 1905] ist kein Werk der Leidenschaft, der Vergeltung oder des Hasses, sondern ein Werk der Vernunft, der Gerechtigkeit und der Weisheit, um dessen Unterstützung Sie Ihre Kommission [zur Trennung von Kirchen und Staat] bittet.“88

Diese Grundsatzentscheidung der deutschen und der französischen Verfassung für religiösen Pluralismus bedingt die Ausformung des weiten Schutzbereichs der Religionsfreiheit im gegenwärtigen deutschen wie französischen Religionsverfassungsrecht. In Frankreich wird die Religionsfreiheit durch Art. 10 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 garantiert, die durch die Präambeln der Verfassungen vom 27. Oktober 1946 und vom 4. Oktober 1958 in den Verfassungsrang erhoben wird.89 Daneben garantiert Art. 1 der Verfassung vom 4. Oktober 1958 die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit sowie den „Respekt [des Staates] vor allen Glaubensrichtungen“. Ferner wird die Gewissens- und Religionsfreiheit von der Rechtsprechung des französischen Verfassungsrats (Conseil constitutionnel) als ein grundlegendes gesetzliches Prinzip (principe fondamental reconnu par les lois de la République) von übergesetzlichem Rang angesehen.90 Sie wird darüber hinaus zusammen mit der Freiheit der Religionsausübung auch durch Art. 1 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 geschützt, dessen Grundsätze nach Ansicht der französischen juristischen Literatur ebenfalls grundlegende gesetzliche Prinzipien (principes fondamentaux reconnus par les lois de la République) darstellen.91 Weiterhin beinhaltet nach der Rechtsprechung des Verfassungsrats (Conseil constitutionnel) auch das Staatsstrukturprinzip des Laizismus des Artikels 1 der Verfassung vom 4. Oktober 1958, das nach der 88  Übersetzung des französischen Originaltexts aus Rapport Briand (1905), S. 123 und S. 125. 89  Französischer Verfassungsrat (Conseil constitutionnel), Az. 71–44 DC, 16. Juli 1971; Blacher, Droit constitutionnel, S. 152; Ségur, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 386. 90  Verfassungsrat (Conseil constitutionnel), Az. 77–87 DC, 23. November 1977; siehe auch Gaudemet-Basdevant, La jurisprudence constitutionnelle en matière de liberté confessionnelle, S. 6. 91  Gaudemet-Basdevant, La jurisprudence constitutionnelle en matière de liberté confessionnelle, S. 6; kritisch Ségur, in Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 390 f.



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte247

Rechtsprechung des Staatsrats (Conseil d’État) ebenfalls ein grundlegendes gesetzliches Prinzip (principe fondamental reconnu par les lois de la République) darstellt92, eine Gewährleistung der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit sowie eine Garantie der Freiheit der Religionsausübung.93 Der Schutzbereich der Religionsfreiheit im französischen Verfassungsrecht ist weit gefasst. Der persönliche Schutzbereich schließt nicht nur alle natürlichen Personen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, sondern grundsätzlich auch alle Religionsgemeinschaften ein.94 Vom sachlichen Schutzbereich der Religionsfreiheit sind sowohl die positive Religionsfreiheit des Glaubens wie auch die negative Religionsfreiheit des Nichtglaubens umfasst.95 Durch die Religionsfreiheit sind die Freiheit, eine eigene Religiosität auszubilden (forum internum) sowie die Freiheit, diese Religion öffentlich kundzutun, entsprechend der eigenen Religion zu handeln und die eigene Religion durch Lehre und Mission zu verbreiten (forum externum), gewährleistet.96 Ferner umfasst die Religionsfreiheit das Recht des Zusammenschlusses zu einer Religionsgemeinschaft, das Recht der Selbstverwaltung der Religionsgemeinschaften und das Recht, eine Religionsgemeinschaft in Form einer juristischen Person mit ausreichenden finanziellen Ressourcen auszustatten.97 Als Ausfluss der Religionsfreiheit steht den Religionsgemeinschaften das Recht zu, ihre Organisationsstruktur im Rahmen der geltenden Gesetze frei zu wählen und sich selbst unabhängig vom Staat zu verwalten.98 Eine inhaltliche Bewertung und Klassifikation von Religion ist dem französischen Verfassungsrecht kraft des Prinzips des Laizismus verwehrt.99 92  Staatsrat (Conseil d’État), Az. 219379, 221699 und 221700, 6. April 2001; siehe auch Ségur, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 388. 93  Verfassungsrat (Conseil constitutionnel), Az. 2012–297 QPC, 21. Februar 2013; siehe auch Kapitel 2, A.I.1.a)aa) (S. 41 ff.). 94  Siehe Gaudemet-Basdevant, La jurisprudence constitutionnelle en matière de liberté confessionnelle, S. 8 f. 95  Woehrling, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S.  45 f. 96  Woehrling, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 44. 97  Woehrling, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 45. 98  Woehrling, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 45. 99  Siehe vertiefend die Diskussion in Woehrling, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 24.

248 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

Als Konsequenz bedient sich die französische Verfassungsrechtsprechung regelmäßig keiner allgemeingültigen Definition von Religion, sondern stellt grundsätzlich auf die vom Inhaber der Religionsfreiheit vorgenommene Klassifikation seines Verhaltens als Religion ab.100 Darüber hinaus unterbleibt eine präzise Abgrenzung der Religionsfreiheit zu anderen Freiheitsrechten, etwa der Meinungs- oder Vereinigungsfreiheit, im französischen Recht aufgrund des äquivalenten Schutzumfangs zumeist.101 Juristische Personen, die nach Art. 18 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 i. V. m. Art. 5 des Gesetzes über den Vereinsvertrag vom 1. Juli 1901 als Glaubensvereinigungen (associations cultuelles) verfasst sind, werden von der Rechtsprechung prima facie als Religionsgemeinschaften behandelt, deren Handlungen grundsätzlich den sachlichen Schutzbereich der Religionsfreiheit tangieren.102 Allerdings ist nach der Rechtsprechung des Staatsrats (Conseil d’État) die Anerkennung als Glaubensvereinigung (association cultuelle) ausgeschlossen, sofern der betreffende Verein nicht ausschließlich religiöse Zwecke, sondern beispielsweise auch wirtschaftliche oder politische Ziele verfolgt.103 Das Kriterium der religiösen Zielsetzung einer Glaubensvereinigung (association cultuelle) ist allerdings weit auszulegen und umfasst nicht nur die Abhaltung von Gottesdiensten, sondern auch den Erwerb und die Verwaltung von Sakralgebäuden und die Ausbildung von Personal.104 In Deutschland garantiert das Grundgesetz die Glaubens- und Gewissensfreiheit, insbesondere durch Art. 4 Abs. 1 GG als „Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“ und durch Art. 4 Abs. 2 GG als Freiheit der „ungestörte[n] Religionsausübung“. Durch Art. 140 GG werden neben den Gewährleistungen105 der Religionsfreiheit und Gleichheit (Art. 136 WRV) und den Bestimmungen zur Trennung von Staat und Kirche (Art. 137 Abs. 1 WRV), zur kirchlichen Selbstverwaltung (Art. 137 Abs. 3 WRV) und zur öffentlich-rechtlichen Verfassung der Kirchen und der „auf Dauer“ angelegten Religions- und Weltan100  Siehe Banon, Marianne en péril, S. 45  f. und Raynault-Ollu/Zucchi, Revue ­Juridique Thémis 46, 649 (651 f.). 101  Siehe Woehrling, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 28. 102  Siehe Basdevant-Gaudemet, in: Robbers (Hrsg.), Etat et Eglises dans l’Union européenne, S. 175. 103  Staatsrat (Conseil d’État), Az. 187122, 24. Oktober 1997; Staatsrat (Conseil d’État), Az. 248467, 28. April 2004; De Bellescize, Droit des cultes et de la laïcité, S.  98 f.  und Basdevant-Gaudemet, in: Robbers (Hrsg.), Etat et Eglises dans l’Union européenne, S.  175 f. 104  Staatsrat (Conseil d’État), Az. 187122, 24. Oktober 1997; Staatsrat (Conseil d’État), Az. 248467, 28. April 2004; De Bellescize, Droit des cultes et de la laïcité, S. 98. 105  Ausführlich Kapitel 2, A.II.2.b)aa) (S. 135 ff.).



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte249

schauungsgemeinschaften (Art. 137 Abs. 5 bis 8 WRV) sowie zur Ablösung der Staatsleistungen (Art. 138 WRV) auch der Schutz der Sonn- und Feiertage (Art. 139 WRV) und das Recht der Seelsorge in Militär, Krankenhäusern und Gefängnissen (Art. 141 WRV) in das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland übernommen.106 Der persönliche Schutzbereich der Religionsfreiheit des Grundgesetzes umfasst insbesondere alle natürlichen Personen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit107 sowie sowohl die privatrechtlich als auch die öffentlichrechtlich verfassten Religionsgemeinschaften108. Der sachliche Schutzbereich der Religionsfreiheit ist ebenfalls weit gefasst, die Beschränkung auf die Religionen, „die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet [haben]“109, hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1975 wieder verworfen.110 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird der Schutzbereich der Religionsfreiheit nicht durch die Aufzählung typischer Schutzbereichsmerkmale in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG be­ schränkt.111 Vielmehr gewährleiste die Religionsfreiheit jedem Grundrechtsträger das Recht, „sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln“.112 Geschützt ist „nicht nur die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch […] die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten“.113 Religion wird vom Bundesverwaltungsgericht als „eine mit der Person des Menschen verbundene Gewissheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens“ definiert.114 Das Bundesverfassungsgericht klassifiziert „eine Überzeugung, die Ziele des 106  Nicht in das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland durch Art. 140 GG übernommen wurde Art. 140 WRV, der sich auf die Religionsausübung in der nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelösten Wehrmacht bezog. 107  Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Rz. 524. 108  Siehe Petersen, Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht II, § 2, Rz. 17. 109  BVerfG NJW 1961, 211; siehe dazu Jeand’heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rz. 95. 110  BVerfGE 41, 29 (50); siehe auch Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG – Kommentar: Bd. I, Art. 4, Rz. 72. 111  Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Rz. 527. 112  BVerfG NJW 2003, 3111 (3112); siehe auch Germann, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Onlinekommentar zum Grundgesetz, Art. 4 GG, Rz. 24. 113  BVerfGE 108, 282 (297); siehe auch Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Rz.  535 ff. 114  BVerwGE 90, 112 (115).

250 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

menschlichen Seins aufstellt, den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit anspricht und auf umfassende Weise den Sinn der Welt und des mensch­ lichen Lebens zu erklären beansprucht“, als Religion.115 Im Gegensatz zu politischen Überzeugungen steht im Zentrum der Religion eine „Gesamtsicht der Welt […], die Stellung des Menschen in der Welt, seine Herkunft, sein Ziel und seine Beziehung zu höheren Mächten oder zu tieferen Seins­ schichten“.116 Bei der Klassifikation eines Verhaltens oder einer Überzeugung als religiös ist die Ansicht des Grundrechtsinhabers zu berücksichtigen, deren Prüfung auf Plausibilität sich jedoch die Rechtsprechung vorbehält.117 Insgesamt gleichen sich die Schutzbereiche der Religionsfreiheit in Deutschland und Frankreich weitestgehend. Zur Sicherung des religiösen Pluralismus sind vom persönlichen Schutzbereich insbesondere alle natürlichen Personen und die Religionsgemeinschaften, vom sachlichen Schutzbereich alle religiösen Überzeugungen und Handlungen unter besonderer Berücksichtigung der Bewertung als religiös durch den Menschen- bzw. Grundrechtsträger umfasst. bb) Religiöse Vielfalt und die Organisation des Schulwesens Dem Schulwesen kommt eine besondere Bedeutung für die Vermittlung religiöser Traditionen und Überzeugungen und die religiöse Bildung zu. Aus diesem Grund sind sowohl im französischen als auch im deutschen Verfassungsrecht Prinzipien etabliert, die eine Einbindung der Religionsgemeinschaften in das Bildungssystem ermöglichen. Das französische öffentliche Schulwesen ist zwar in der Tradition der Schulreformen Jules Ferrys118 von den Religionsgemeinschaften organisatorisch und institutionell unabhängig, doch unterliegt es, wie alle staatlichen Institutionen, der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Artikels 1 der Verfassung vom 4. Oktober 1958, „alle Glaubensrichtungen zu respektieren“. Gleichzeitig ist das Prinzip der Kostenfreiheit und der religiösen Neutralität des öffentlichen Schulwesens in der durch die Präambel der Verfassung vom 4. Oktober 1958 für weiterhin anwendbar erklärten Präambel der Verfassung vom 27. Oktober 1946 verankert.119 Der Vermittlung von sachlich fundiertem Wissen über die Religionsgemeinschaften und die Religionen kommt besondere Bedeutung in den schulischen Lehrplänen, etwa im Fach Ge115  2

BvR 1908/03, Rz. 17. NJW 2005, 85 (88). 117  BVerfGE 83, 341 (353); siehe auch Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 93. 118  Siehe Kapitel 2, A.II.1.b)bb)(1) (S. 92 ff.). 119  Ségur, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S.  387 f. 116  BVerwG



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte251

schichte, zu.120 Darüber hinaus gestattet Artikel 2 Abs. 2 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 die Vergütung von Geistlichen „zum Zwecke der Sicherung der freien Religionsausübung in öffentlichen Einrichtungen wie Gymnasien, Sekundarschulen, Schulen, Krankenhäusern, Notunterkünften und Gefängnissen“.121 Der französische Staatsrat (Conseil d’État) folgert aus der Religionsfreiheit grundsätzlich dann eine Pflicht zur Anstellung von Geistlichen in öffentlichen Einrichtungen, sofern dies für die Religionsausübung unabdingbar ist, etwa in Internatsschulen.122 Daneben erfolgt die Einbindung der Religionsgemeinschaften in das französische Bildungssystem vor allem durch die staatliche finanzielle Förderung des konfessionellen Privatschulwesens. Die Rechtsprechung des Verfassungsrats erhebt die Lehrfreiheit (liberté de l’enseignement), aus der ein grundsätzliches Recht zur Gründung und zum Betrieb von Privatschulen folgt, zu einem grundlegenden gesetzlichen Prinzip (principe fondamental reconnu par les lois de la République) von übergesetzlichem Rang.123 Aus der Lehrfreiheit folgt wiederum ein Recht der Privatschulen, im Rahmen der geltenden Gesetze eigene pädagogische und weltanschauliche Konzepte zu verfolgen.124 Eine gesetzliche, besonders finanzielle, Benachteiligung einzelner Anbieter von Privatschulen auf Grundlage ihrer konfessionellen oder weltanschaulichen Zielsetzung ist dem Gesetzgeber weitestgehend verwehrt.125

120  Prélot, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 1126, Rz. 2660. 121  „Pourront toutefois être inscrites auxdits budgets les dépenses relatives à des services d’aumônerie et destinées à assurer le libre exercice des cultes dans les établissements publics tels que lycées, collèges, écoles, hospices, asiles et prisons“ (Art. 2, Abs. 2 des Gesetzes über den Laizismus von 1905); siehe vertiefend De Bellescize, Droit des cultes et de la laïcité, S. 132 f. 122  Staatsrat (Conseil d’État), Vollversammlung (Assemblée plénière), Urteil vom 1. April 1949 (Sieur Cheveneau et al.), zitiert in: Ministère de l’intérieur (Hrsg.), Laïcité et liberté religieuse, S. 100 f.; De Bellescize, Droit des cultes et de la laïcité, S. 133; siehe auch Prélot, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 1151. 123  Verfassungsrat (Conseil constitutionnel), Az. 77–87 DC, 23. November 1977; siehe auch Conseil constitutionnel, Commentaire de la décision no 2009–591 DC du 22 octobre 2009, S. 8 und S. 10 sowie Prélot, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 1191. 124  Siehe hierzu auch Gaudemet-Basdevant, La jurisprudence constitutionnelle en matière de liberté confessionnelle, S. 42. 125  Dieser verfassungsrechtliche Grundsatz der strikten Gleichbehandlung der konfessionellen Privatschulen wird jedoch in der Praxis durch die Vormachtstellung des katholischen Privatschulwesens deutlich abgeschwächt und relativiert, siehe Gaudemet-Basdevant, La jurisprudence constitutionnelle en matière de liberté confessionnelle, S. 29.

252 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

Besonders eine generöse staatliche Unterstützung ist Grundlage der weiten Verbreitung und bildungspolitischen Akzeptanz der Privatschulen in Frankreich.126 Insgesamt besucht jeder sechste französische Schüler und sogar jeder fünfte französische Gymnasiast eine Privatschule.127 Fast 95 % der privaten Schulen in Frankreich werden von der katholischen Kirche betrieben128, stehen allerdings auch Angehörigen anderer Konfessionen und Religionen offen.129 Im Jahre 2017 besuchten fast 2,1 Millionen130 der ca. 2,2 Millionen französischen Privatschüler131 eine von der katholischen Kirche getragene Privatschule. Das Schulgeld beträgt aufgrund der generösen staatlichen Unterstützung im Durchschnitt zwischen 30 € und 60 € pro Monat.132 Diese staatliche Unterstützung kirchlicher Privatschulen ist nach der ständigen Rechtsprechung des französischen Verfassungsrats (Conseil constitu­ tionnel) mit dem Prinzip des Laizismus vereinbar.133 Konkret führte der Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) in seinem Urteil vom 22. Oktober 2009 aus: „Le principe de laïcité ne fait pas obstacle à la possibilité pour le législateur de prévoir, sous réserve de fonder son appréciation sur des critères objectifs et ra126  Siehe dazu Ernenwein, Pouvoirs 75, 97 (98) und vertiefend zur Situation des französischen Privatschulwesens Prélot, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 1193 f. 127  Französisches Bildungsministerium (Ministère de l’Education nationale), Oktober 2018, https://www.education.gouv.fr/cid251/les-etablissements-d-enseignementprive.html (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 128  Berechnung auf Grundlage der Zahlen in Französische Katholische Kirche (Église catholique en France), https://eglise.catholique.fr/guide-eglise-catholiquefrance/statistiques-de-leglise-catholique-france-monde/statistiques-de-leglise-catholique -france/chiffres-enseignement-catholique-france/ (zuletzt abgerufen am 6. September 2019) und Französisches Bildungsministerium (Ministère de l’Education nationale), Oktober 2018, https://www.education.gouv.fr/cid251/les-etablissements-d-enseigne ment-prive.html (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 129  Siehe Basdevant-Gaudemet, in: Robbers (Hrsg.), Etat et Eglises dans l’Union européenne, S. 180. 130  Französische Katholische Kirche (Église catholique en France), https://eglise. catholique.fr/guide-eglise-catholique-france/statistiques-de-leglise-catholique-francemonde/statistiques-de-leglise-catholique-france/chiffres-enseignement-catholiquefrance/ (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 131  Französisches Bildungsministerium (Ministère de l’Education nationale), Oktober 2018, https://www.education.gouv.fr/cid251/les-etablissements-d-enseignementprive.html (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 132  https://www.europe1.fr/societe/combien-coute-lenseignement-prive–2863702 (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 133  Conseil constitutionnel, Commentaire de la décision no 2009–591 DC du 22 octobre 2009, S. 10; siehe auch Prélot, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 1192.



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte253 tionnels, la participation des collectivités publiques au financement du fonctionnement des établissements d’enseignement privés sous contrat d’association selon la nature et l’importance de leur contribution à l’accomplissement de missions d’enseignement.“134 „Das Prinzip des Laizismus verbietet es dem Gesetzgeber nicht, auf objektiven und rationalen Kriterien beruhende finanzielle Beihilfen der Gebietskörperschaften für das Funktionieren der privaten Bildungseinrichtungen mit Assoziationsvertrag entsprechend der Natur und der Bedeutung ihres Beitrags zur Verwirklichung der Bildungsziele vorzusehen.“135

Der französische Gesetzgeber verfügt über einen weiten Gestaltungsspielraum bezüglich der Finanzierung der Privatschulen.136 Ein verfassungsrechtlicher Anspruch der Privatschulen auf finanzielle Unterstützung besteht nach Ansicht des Verfassungsrats (Conseil constitutionnel) gerade nicht.137 Allerdings genießen die einfachgesetzlich verankerten finanziellen Ansprüche der Privatschulen besonderen Bestandsschutz, da sie für den Betrieb und die Funktionsfähigkeit der Privatschulen essentiell sind, als Folge wäre eine Abschaffung der staatlichen finanziellen Beihilfen deshalb mit dem Prinzip der Lehrfreiheit (liberté de l’enseignement) nicht vereinbar.138 In einfachgesetzlichen Normen hat der französische Gesetzgeber mehrere Bedingungen an die staatliche Unterstützung und Finanzierung von Privatschulen geknüpft.139 Eine wichtige Voraussetzung ist die vertragliche Bindung der Privatschule an den französischen Staat durch einen Assoziationsvertrag (contrat d’association à l’enseignement public)140, der die Privatschule der staatlichen Schulaufsicht unterordnet.141 Ferner verpflichtet sich die Schule, die Gewissensfreiheit im Unterricht zu respektieren und gleiche Zugangsbedingungen für alle Schüler unabhängig von deren religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugungen oder deren Herkunft zu

(Conseil constitutionnel), Az. 2009–591 DC, 22. Oktober 2009. des französischen Originaltexts aus Verfassungsrat (Conseil constitutionnel), Az. 2009–591 DC, 22. Oktober 2009. 136  Conseil constitutionnel, Commentaire de la décision no 2009–591 DC du 22 octobre 2009, S. 10; Prélot, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 1192. 137  Conseil constitutionnel, Commentaire de la décision no 2009–591 DC du 22 octobre 2009, S. 10; Prélot, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 1192. 138  Conseil constitutionnel, Commentaire de la décision no 2009–591 DC du 22 octobre 2009, S. 10. 139  Bildungsgesetzbuch (Code de l’éducation), Artikel L442–1 bis L442–21. 140  Bildungsgesetzbuch (Code de l’éducation), Artikel L442–5. 141  Bildungsgesetzbuch (Code de l’éducation), Artikel L442–1. 134  Verfassungsrat 135  Übersetzung

254 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

schaffen.142 Im Gegenzug wird das Personal der Schule durch den französischen Staat vergütet143 sowie die Finanzierung der von der Schule genutzten Immobilien durch eine kommunale Beihilfe unterstützt.144 Diese Beihilfe entfällt, sofern die Privatschule mit dem französischen Staat anstatt eines Assoziationsvertrags nur einen einfachen Vertrag (contrat simple) abgeschlossen hat.145 Ansonsten finden auf diese Schulen die Vorschriften über durch Assoziationsvertrag an den französischen Staat gebundene Privatschulen weitestgehend analoge Anwendung.146 Nahezu alle französischen Privatschulen erhalten aufgrund eines einfachen Vertrags oder eines Assoziationsvertrags staatliche finanzielle Unterstützung.147 Nur ca. 3,5 % der französischen Schüler148 besuchen eine nicht vom Staat geförderte freie Privatschule, die nur einer eingeschränkten Schulaufsicht149 untersteht. Der Erfolg des kirchlichen Privatschulwesens in Frankreich ist insofern entscheidend durch die Übernahme eines Großteils der Betriebs- und Investitionskosten durch den französischen Staat bedingt. In Deutschland spielt die staatliche Unterstützung konfessioneller Privatschulen eine weitaus geringere Rolle als in Frankreich. Von den ungefähr 750.000 deutschen Privatschülern (ca. 9 % aller Schüler)150 sind jedoch immerhin etwa 40 % in katholischen und 15 % in evangelischen Einrichtungen eingeschrieben.151 Das Recht zur Gründung und zum Betrieb von Privatschulen ist auch im deutschen Verfassungsrecht verankert.152 In ständiger Rechtsprechung folgert das deutsche Bundesverfassungsgericht daraus eine verfassungsrecht­ liche 142  Bildungsgesetzbuch (Code de l’éducation), Artikel L442–1; siehe auch Basdevant-Gaudemet, in: Robbers (Hrsg.), Etat et Eglises dans l’Union européenne, S. 180. 143  Bildungsgesetzbuch (Code de l’éducation), Artikel L442–5. 144  Bildungsgesetzbuch (Code de l’éducation), Artikel L442–5–1. 145  Bildungsgesetzbuch (Code de l’éducation), Artikel L442–12. 146  Vgl. Bildungsgesetzbuch (Code de l’éducation), Artikel L442–1. 147  Basdevant-Gaudemet, in: Robbers (Hrsg.), Etat et Eglises dans l’Union européenne, S. 180. 148  Berechnung auf Grundlage der Zahlen in Französisches Bildungsministerium (Ministère de l’Education nationale), Oktober 2018, https://www.education.gouv.fr/ cid251/les-etablissements-d-enseignement-prive.html (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 149  Siehe Bildungsgesetzbuch (Code de l’éducation), Artikel L442–2. 150  Klemm/Hoffmann/Maaz/Stanat, Privatschulen in Deutschland, S. 9, S. 24 und S. 65. 151  Berechnungen auf Grundlage der Zahlen in Klemm/Hoffmann/Maaz/Stanat, Privatschulen in Deutschland, S. 24. 152  Art. 7 Abs. 4 S. 1 Grundgesetz (GG).



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte255

Bestandsgarantie des Privatschulwesens.153 Daraus folgt eine staatliche Verpflichtung, „das private Ersatzschulwesen neben dem öffentlichen Schulwesen zu fördern und in seinem Bestand zu schützen“.154

Ähnlich dem französischen sieht auch das deutsche Verfassungsrecht in der staatlichen Unterstützung von Privatschulen in kirchlicher Trägerschaft keinen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der Trennung von Staat und Kirche, sofern keine Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Träger aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung erfolgt.155 Bei der Ausgestaltung der Finanzierung der Privatschulen billigt das Bundesverfassungsgericht den deutschen Landesgesetzgebern weite Gestaltungsspielräume zu, eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates zur Übernahme der Kosten von Privatschulen erkennt es jedoch ähnlich dem französischen Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) nicht an.156 Jedoch kann der Staat in besonderen Fällen als Ausfluss der Bestandsgarantie des Privatschulwesens verpflichtet sein, Privatschulen finanziell zu bezuschussen, um ihren langfristigen Bestand zu sichern.157 Während konfessionelle Privatschulen in Deutschland eine weitaus geringere Rolle als in Frankreich spielen, ist die Einbindung der Religionsgemeinschaften in das öffentliche Schulwesen in Deutschland deutlicher ausgeprägt. Die Organisation des öffentlichen Schulwesens fällt grundsätzlich in den Kompetenzbereich der deutschen Länder, denen das Grundgesetz einen weiten Gestaltungsspielraum zubilligt.158 Insbesondere das Verhältnis des ­ Schulwesens zu den Religionen und Religionsgemeinschaften kann innerhalb der durch die Religionsfreiheit und die schulrechtlichen Vorschriften des Artikels 7 GG gesetzten Grenzen durch die Länder frei ausgestaltet werden.159 Auch die Bezugnahme auf christliche Werte und Traditionen ist im öffentlichen Schulwesen zulässig, sofern die staatliche religiöse Neutralität und die Religionsfreiheit gewahrt bleiben, insbesondere 153  BVerfGE 27, 195 (200); Badura, in: Maunz/Dürig/Herzog (Hrsg.), GG – Kommentar, Art. 7, Rz. 97. 154  BVerfGE 75, 40 (62). 155  Siehe Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Onlinekommentar zum Grundgesetz, Art. 7 GG, Rz. 79. 156  BVerfGE 75, 40 (67); BVerfGE 90, 107 (116); Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Onlinekommentar zum Grundgesetz, Art. 7 GG, Rz. 79. 157  BVerfGE 90, 107 (116); siehe auch Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Rz. 807. 158  Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Rz. 791. 159  BVerfGE 6, 309 (354 f.) sowie Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Rz.  791 f.

256 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts „die Schule ihre Aufgabe im religiös-weltanschaulichen Bereich nicht missionarisch auffass[t] und keine Verbindlichkeit für christliche Glaubensinhalte beanspruch[t]“.160

Die Vielfalt an konfessionellen Gestaltungsmöglichkeiten des öffentlichen Schulwesens zeigt eindrücklich Artikel 12 der Verfassung Nordrhein-West­ falens vom 28. Juni 1950 auf. Für öffentliche Grundschulen ist die Verfassung als „Gemeinschaftsschulen, Bekenntnisschulen oder Weltanschauungsschulen“ vorgesehen.161 Eine Definition der drei verschiedenen Schulformen folgt in Art. 12 Abs. 3 der Verfassung Nordrhein-Westfalens vom 28. Juni 1950. „In Gemeinschaftsschulen werden Kinder auf der Grundlage christlicher Bildungsund Kulturwerte in Offenheit für die christlichen Bekenntnisse und für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen gemeinsam unterrichtet und erzogen. In Bekenntnisschulen werden Kinder des katholischen oder des evangelischen Glaubens oder einer anderen Religionsgemeinschaft nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses unterrichtet und erzogen. In Weltanschauungsschulen, zu denen auch die bekenntnisfreien Schulen gehören, werden die Kinder nach den Grundsätzen der betreffenden Weltanschauung unterrichtet und erzogen.“162

Artikel 135 der Bayerischen Verfassung vom 2. Dezember 1946 sieht hingegen in Ausfüllung des durch Artikel 7 GG den Ländern überlassenen Gestaltungsspielraums163 für die öffentlichen Volksschulen das Modell der (christlichen) Gemeinschaftsschule vor. „Die öffentlichen Volksschulen sind gemeinsame Schulen für alle volksschulpflichtigen Kinder. In ihnen werden die Schüler nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen.“164

Die durch Artikel 135 der Bayerischen Verfassung vom 2. Dezember 1946 vorgenommene Einrichtung des öffentlichen Grund- und Hauptschulwesens als (christliche) Gemeinschaftsschule ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform, sofern die Wahrung der Reli­ gionsfreiheit gesichert ist.165 Die Bezugnahme auf christliche Werte überschreite nicht den den Ländern durch das Grundgesetz eingeräumten Gestaltungsspielraum bezüglich des Verhältnisses des öffentlichen Schulwesens zu Religionen und Religionsgemeinschaften,166 sofern „das Erziehungsziel [ei160  Siehe

BVerfGE 93, 1 (23). Abs. 2, S. 1 der Verfassung Nordrhein-Westfalens vom 28. Juni 1950. 162  Art. 12 Abs. 3 der Verfassung Nordrhein-Westfalens vom 28. Juni 1950. 163  Siehe BVerfGE 6, 309 (354 f.). 164  Art. 135, S. 1 und S. 2 der Bayerischen Verfassung vom 2. Dezember 1946. 165  BVerfGE 41, 65 (78); siehe auch Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Rz.  792 ff. 166  Siehe zum Gestaltungsspielraum der Länder in Bezug auf das Verhältnis des öffentlichen Schulwesens zu den Religionsgemeinschaften BVerfGE 41, 29 (45); siehe ergänzend auch Gromitsaris, AöR 121, 359 (365 f.). 161  Art. 12



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte257

ner christlichen Gemeinschaftsschule] […] nicht christlich-konfessionell fixiert [ist]“ und sich „die Bejahung des Christentums in den profanen Fächern […] in erster Linie auf die Anerkennung eines prägenden Kultur- und Bildungsfaktors, wie er sich in der abendländischen Geschichte herausgebildet hat, jedoch nicht auf Glaubenswahrheiten [bezieht], wobei nicht zuletzt dem Gedanken der Toleranz für Andersdenkende eine maßgebliche Bedeutung zukommt“.167 An allen öffentlichen Schulen, die nicht bekenntnisfrei verfasst sind, ist kraft Art. 7 Abs. 3, S. 1 GG der Religionsunterricht „ordentliches Lehr­ fach“.168 Nach herrschender Meinung sind vom persönlichen Schutzbereich des Grundrechts auf Religionsunterricht nicht nur die Schüler, sondern auch die Erziehungsberechtigten und die Religionsgemeinschaften umfasst.169 Der Religionsunterricht muss bekenntnisgebunden „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt“170 werden und wissenschaftlich strukturiert sein171 und stellt an allen öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ein Pflichtfach dar.172 Art. 7 Abs. 2 GG spricht jedoch den Erziehungsberechtigten das Recht der Abmeldung der Kinder vom Religionsunterricht zu.173 Ab dem 12. Lebensjahr darf ein Bekenntniswechsel nicht mehr gegen den Willen des Kindes erfolgen174 und ab dem 14. Lebensjahr obliegt die Wahl des eigenen Bekenntnisses dem Kind175. Bezüglich der Einzelheiten der Organisation und Durchführung des Reli­ gionsunterrichts kommt den Ländern ein weiter Gestaltungsspielraum

167  BVerfGE

41, 65 (78). ist Art. 7 Abs. 3, S. 1 GG kraft Art. 141 GG nicht „in einem Lande [anwendbar], in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand“. Dies ist in Bremen und nach h. M. auch in den neuen Bundesländern der Fall, siehe zum Stand der Debatte auch Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 443 ff. sowie Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG – Kommentar: Bd. III, Art. 141, Rz. 20 ff. und Brosius-Gersdorf, in: Dreier (Hrsg.), GG – Kommentar: Bd. I, Art. 7, Rz. 96. 169  Vertiefend zum Stand der rechtswissenschaftlichen Diskussion über den persönlichen Schutzbereich des Art. 7 Abs. 3, S. 1 GG siehe Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 446 ff.; siehe zur Grundrechtsberechtigung der Religionsgemeinschaften auch BVerwGE 123, 49 und Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Rz.  818 f. 170  Art. 7 Abs. 3, S. 2 GG. 171  BVerfGE 74, 244 (252  f.); siehe auch Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 418. 172  Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 429. 173  Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 429; siehe auch BVerfG, 17. Februar 1999, 1 BvL 26/97. 174  § 5, S. 2 KErzG. 175  § 5, S. 1 KErzG. 168  Allerdings

258 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

zu.176 Insbesondere ist die Verpflichtung der vom Religionsunterricht abgemeldeten Schüler zur Teilnahme an einem konfessionsneutralen Ersatzfach zulässig.177 Insgesamt folgt damit die Einbindung der Religionsgemeinschaften in das deutsche und das französische Bildungssystem ähnlichen Prinzipien. Die Unterstützung konfessioneller Privatschulen ist weder dem deutschen noch dem französischen Staat verwehrt, bestehende Förderzusagen genießen besonderen Bestandsschutz. Das deutsche Modell der bekenntnisfreien Gemeinschaftsschule ähnelt dem französischen laizistischen Schulsystem, daneben ist den deutschen Ländern im Gegensatz zum französischen Staat die Schaffung öffentlicher konfessioneller Schulen nicht verwehrt. Dieser Unterschied wird jedoch durch die weite Verbreitung konfessioneller Privatschulen in Frankreich und deren generöse Förderung durch den französischen Staat zumindest teilweise nivelliert. b) Religionsfreiheit und religiöse Neutralität des Staates Neben der verfassungsrechtlichen Grundsatzentscheidung für religiösen Pluralismus stellt die religiöse Neutralität des Staates eine weitere wichtige Gemeinsamkeit des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts dar. In Frankreich ist die religiöse Neutralität des Staates eine unmittelbare Konsequenz der laizistischen Religionsverfassung, die in Artikel 1 der Verfassung vom 4. Oktober 1958 verankert ist. Die religiöse Neutralität des Schulwesens sowie die Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit wird durch die Präambel der Verfassung vom 27. Oktober 1946 i. V. m. der Präambel der Verfassung vom 4. Oktober 1958 garantiert.178 Das Prinzip des Laizismus wird durch das Gesetz über den Laizismus von 1905 ausgestaltet, dessen Grundprinzipien nach Ansicht der französischen juristischen Literatur als grundlegendes gesetzliches Prinzip (principe fondamental reconnu par les lois de la République) ebenfalls 176  Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 430; siehe beispielsweise auch die Regelungen zum Religionsunterricht in Art. 136 und Art. 137 der Bayerischen Verfassung vom 2. Dezember 1946. 177  BVerfG, 18. Februar 1999, 1 BvR 1840/98; BVerwGE 107, 75; Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 432. Siehe auch die Bestimmung des Art. 137 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung vom 2. Dezember 1946, der „Unterricht über die allgemein anerkannten Grundsätze der Sittlichkeit“ für vom Religionsunterricht abgemeldete Schüler vorsieht. 178  Ségur, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S.  387 f.



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte259

übergesetzlichen Rang haben.179 Rechtsdogmatisch unterschiedlich, aber im Ergebnis ähnlich argumentiert auch der Verfassungsrat (Conseil constitutionnel), der das Staatsstrukturprinzip des Laizismus unter Rückgriff auf das Gesetz über den Laizismus von 1905 interpretiert.180 Das Prinzip des Laizismus verbietet dem französischen Staat grundsätzlich die Anerkennung, finanzielle Förderung oder Bevorzugung einer Religionsgemeinschaft.181 Die Glaubensvereinigungen (associations cultuelles), die die Religionsgemeinschaften als Rechtspersonen repräsentieren, dürfen nur als privatrechtliche Vereine verfasst sein182, deren wichtigste Einnahmequelle private Spenden darstellen.183 Dem Staat ist jedoch die Instandhaltung der sich in seinem Eigentum befindlichen Sakralgebäude, die den Glaubensvereinigungen (associations cultuelles) kostenfrei überlassen werden, gestattet.184 Die Verwendung religiöser Symbolik und die Assoziation mit einer Reli­ gionsgemeinschaft sind dem französischen Staat grundsätzlich untersagt.185 Einzig die Übernahme gesellschaftlicher Traditionen ist dem französischen Staat gestattet, sofern ihr religiöser Ursprung und ihr religiöser Gehalt nur von untergeordneter Bedeutung sind. Die Abgrenzung von Religion und Tra179  Gaudemet-Basdevant, La jurisprudence constitutionnelle en matière de liberté confessionnelle, S. 6; kritisch Ségur, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 390 f. 180  Siehe Kapitel 2, A.I.1.a)aa) (S. 41 ff.) und Kapitel 3, A.II.1.a)aa) (S. 245 ff.). 181  Staatsrat (Conseil d’État), Az. 94455, 9. Oktober 1992; siehe ausführlich auch Ségur, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S.  394 ff. 182  Siehe Mescheriakoff, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 762. 183  Basdevant-Gaudemet, in: Robbers (Hrsg.), Etat et Eglises dans l’Union européenne, S. 187. Beispielsweise belaufen sich die privaten Spenden als bedeutsamste Einnahmequelle der französischen katholischen Kirche auf insgesamt ca. 600 Millionen € pro Jahr, wobei ca. 60 % der Spendeneinnahmen auf die sogenannte „Kirchenspende“ (denier de l’Église), die der Finanzierung der Gehälter der Geistlichen und der Angestellten der französischen katholischen Kirche dient, entfallen (Französische Katholische Kirche, Die Finanzen der katholischen Kirche in Frankreich, https:// eglise.catholique.fr/guide-eglise-catholique-france/statistiques-de-leglise-catholiquefrance-monde/statistiques-de-leglise-catholique-france/455253-finances-de-leglisecatholique-france/, zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 184  Artikel 13 des Gesetzes über den Laizismus von 1905; siehe ausführlich Prélot, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S.  912 ff. 185  Allerdings sieht Artikel 28 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 einige Ausnahmen vom Verbot der Verwendung religiöser Symbolik, etwa für staatliche Friedhöfe oder Sakralgebäude, vor; siehe auch Staatsrat (Conseil d’État), Az. 408920, 28. Juli 2017.

260 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

dition erweist sich jedoch teilweise als kompliziert. Die Anbringung christlicher Kreuze an staatlichen Gebäuden und Bauwerken ist kraft des Prinzips des Laizismus untersagt.186 Ebenso untersagt ist die Anbringung eines christlichen Kreuzes an der Außenfassade eines staatlichen Friedhofs, sofern das Kreuz nicht bereits vor Erlass des Gesetzes über den Laizismus von 1905 dort angebracht war oder die Anbringung im Sinne des Denkmalschutzes geboten ist.187 Das Aufstellen einer Weihnachtskrippe in einem öffentlichen Gebäude ist jedoch zulässig, sofern diese „einen kulturellen, künstlerischen oder festlichen Charakter hat, ohne die Anerkennung einer Religion oder eine religiöse Präferenz auszudrücken“.188

Auch im deutschen Verfassungsrecht ist ein Prinzip der religiösen Neutralität des Staates als Ausfluss des Grundrechts auf Religionsfreiheit anerkannt, das aus der Zusammenschau von Art. 3 Abs. 3 GG, Art. 4 GG, Art. 33 Abs. 3 GG und Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 und 2 WRV sowie Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 1 WRV folgt.189 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbietet dieses Prinzip dem Staat, „Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten“.190 Der Grundsatz der religiösen Neutralität untersagt dem Staat die Benachteiligung oder Bevorzugung einer Religionsgemeinschaft sowie die Identifikation mit einer Religionsgemeinschaft.191 Beispielsweise ist deshalb die öffentliche Information über eine Religionsgemeinschaft durch den Staat nur gestattet, sofern sie objektiv und sachlich erfolgt.192 Die Gewährung der Privilegien des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus darf nicht von den Glaubensinhalten der betroffenen Religionsgemeinschaft abhängig gemacht werden, sofern diese keine Gefahr für

186  Staatsrat (Conseil d’État), Az. 396990, 25. Oktober 2017; siehe auch Staatsrat (Conseil d’État), Az. 408920, 28. Juli 2017. 187  Staatsrat (Conseil d’État), Az. 408920, 28. Juli 2017. 188  „Eu égard à cette pluralité de significations, l’installation d’une crèche de Noël, à titre temporaire, à l’initiative d’une personne publique, dans un emplacement public, n’est légalement possible que lorsqu’elle présente un caractère culturel, ­artistique ou festif, sans exprimer la reconnaissance d’un culte ou marquer une préférence religieuse.“ (Staatsrat (Conseil d’État), Az. 395223, 9. November 2016, Punkt 5); siehe auch Oberverwaltungsgericht (Cour administrative d’appel) Nantes, Az.16NT03735, 6. Oktober 2017 und Staatsrat (Conseil d’État), Az. 416348, 14. Februar 2018. 189  Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG – Kommentar: Bd. I, Art. 4, Rz. 161. 190  BVerfG, 27. Juni 2017, 2 BvR 1333/17, Rz. 47; 191  BVerfG, 27. Juni 2017, 2 BvR 1333/17, Rz. 47; BVerfGE 108, 282 (300); BVerfGE 93, 1 (16 f.). 192  BVerfGE 105, 279 (294).



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte261 „die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes“

darstellt.193 Außerdem ist es dem Staat als Ausfluss der Garantie der Freiheit des Nichtglaubens (negative Religionsfreiheit) untersagt, eine „Lage [zu schaffen], in der der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluß eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist“.194

Unter dieser Voraussetzung der fehlenden „Ausweichmöglichkeit“ ist damit die Anbringung eines christlichen Kreuzes, das das Bundesverfassungsgericht vorrangig als rituell-religiöses und nicht als kulturelles Symbol klassifiziert195, in öffentlichen Schulen untersagt. Ähnlich dem französischen Verfassungsrecht ist jedoch auch dem deutschen Staat die Übernahme von Traditionen religiösen Ursprungs nicht verwehrt, sofern der Charakter als kulturelle Tradition im Vordergrund steht.196 Der Grundsatz der staatlichen religiösen Neutralität wird durch die durch Art. 140 GG in das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland übernommenen Art.  136 ff. WRV ausgestaltet.197 So folgt aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV eine staatliche Verpflichtung zum Schutz der Sonn- und Fei193  BVerfGE

102, 370 (392). 93, 1 (16). 195  BVerfGE 93, 1 (19). Demgegenüber vertraten die Richter Seidl, Söllner und Haas in einer abweichenden Meinung zum Urteil BVerfGE 93, 1 die Ansicht, dass die Anbringung von christlichen Kreuzen in Schulen das verfassungsrechtliche Gebot der staatlichen religiösen Neutralität, die durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 ff. WRV nicht als Laizismus, sondern vielmehr als „Zusammenarbeit des Staates mit den Kirchen und Religionsgesellschaften“ angelegt sei, nicht verletze (BVerfGE 93,1 (29)). Das Kreuz sei vielmehr „als ein den christlichen Konfessionen gemeinsames Symbol in besonderer Weise geeignet, als Sinnbild für die verfassungsrechtlich zulässigen Bildungsinhalte [der christlichen Gemeinschaftsschule] zu dienen“ (BVerfGE 93,1 (29)). Als Ausfluss des „Toleranzgebots“ hätten nichtchristliche Schüler und Eltern das Kreuz als Symbol „der Werte der christlich geprägten abendländischen Kultur“ hinzunehmen und würden dementsprechend durch die Anbringung von Kreuzen in öffentlichen Schulen nicht in ihrer Religionsfreiheit verletzt (BVerfGE 93,1 (32 f.)). 196  „Zwar sind über die Jahrtausende zahlreiche christliche Traditionen in die allgemeinen kulturellen Grundlagen der Gesellschaft eingegangen, denen sich auch Gegner des Christentums und Kritiker seines historischen Erbes nicht entziehen können. Von diesen müssen aber die spezifischen Glaubensinhalte der christlichen Religion oder gar einer bestimmten christlichen Konfession einschließlich ihrer rituellen Vergegenwärtigung und symbolischen Darstellung unterschieden werden.“ (BVerfGE 93, 1 (19); siehe auch Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 112); siehe ergänzend auch Hofmann, NVwZ 2009, 74 (79 f.). 197  Zum dogmatischen Verhältnis von Art. 4 GG und Art. 136 ff. WRV siehe ausführlich Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG – Kommentar: Bd. I, Art. 4, Rz. 55. 194  BVerfGE

262 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

ertage, die die Religionsgemeinschaften gerichtlich geltend machen können.198 Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV erlaubt die Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, sofern sie „durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten“. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts betont, dass „der Begriff der öffentlich-rechtlichen Körperschaft […] über den Status einer leeren Form hinaus[gehe], weil er den korporierten Religionsgemeinschaften eine besondere Rechtsstellung vermitt[le], die sie von privatrechtlich verfassten Religionsgemeinschaften abhebt.“199

Den öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften stehen zahlreiche Privilegien, etwa das Steuerrecht des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV oder das Recht der Begründung von Beamtenverhältnissen, zu.200 Ausdruck der staatlichen religiösen Neutralität ist insofern in der Tradition des Preußischen Allgemeinen Landrechts des Jahres 1794 weniger die rechtliche Gleichstellung aller Religionsgemeinschaften, sondern vielmehr der gleichberechtigte Zugang zur Privilegienstellung der öffentlich-rechtlich verfassten christlichen Kirchen. Zusammenfassend stellt das Prinzip der religiösen Neutralität des Staates eine wichtige Gemeinsamkeit des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts dar. Dem deutschen wie auch dem französischen Staat ist eine Privilegierung einzelner Religionsgemeinschaften oder eine Identifikation mit einer Religion verwehrt. Besondere kollektive Rechte sind im deutschen und im französischen Religionsverfassungsrecht nicht auf eine Religionsgemeinschaft beschränkt, sondern sind im Prinzip allen Religionsgemeinschaften niedrigschwellig zugänglich. Im deutschen Religionsverfassungsrecht betrifft dies insbesondere die in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV vorgesehene Privilegierung der öffentlich-rechtlich verfassten Reli­ gionsgemeinschaften, in Frankreich das in Artikel 13 des Gesetzes über den Laizismus von 1905 festgeschriebene Recht der kostenlosen Nutzung der staatlichen Sakralbauten durch die Glaubensvereinigungen (associations cultuelles).

198  Siehe BVerwGE 123, 49 und Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Rz.  818 f. 199  BVerfGE 139, 321 (350). 200  Siehe BVerfGE 139, 321 (350) und ausführlich Winter, Staatskirchenrecht, S.  227 f.



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte263

2. Der Einfluss der unterschiedlichen Verfassungs- und Ideengeschichte auf das gegenwärtige deutsche und französische Religionsverfassungsrecht Wie im Vorhergehenden gezeigt, konvergieren das gegenwärtige deutsche und französische Religionsverfassungsrecht in Fragen des Schutzes religiösen Pluralismus und der staatlichen religiösen Neutralität aufgrund der gemeinsamen Tradition der christlichen Theologie und des Kampfes um Reli­ gionsfreiheit beträchtlich. Jedoch bestehen aufgrund der unterschiedlichen rechtshistorischen Funktion des Laizismus und des religionsverfassungsrechtlichen Kompromisses der Weimarer Reichsverfassung weiterhin wesentliche Unterschiede im gegenwärtigen deutschen und französischen Religionsverfassungsrecht, die besonders im Umgang der Rechtsprechung mit religiösen Normen und Handlungen, die in Konflikt mit der weitestgehenden Säkularisierung der deutschen und französischen Gesellschaft stehen, deutlich zu Tage treten. Als Beispiele werden diesbezüglich im Folgenden die rigide französische Rechtsprechung und Gesetzgebung der religiösen Neutralität im schulischen Kontext (a) sowie die Rechtsprechung und Gesetzgebung betreffend das „kirchliche Arbeitsrecht“ (b) im Vergleich mit dem deutschen Verfassungsrecht diskutiert. a) Die Konfrontation des säkularen Staates mit religiösen Symbolen im schulischen Kontext Aufgrund seiner Funktion als quasi-religiöse Legitimationsgrundlage der republikanischen und demokratischen Verfassungsordnung ist der französische Laizismus weitaus „kompromissloser“ als der religionsverfassungsrechtliche Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung angelegt.201 Der Laizismus ist nicht verhandelbar, als Legitimationsquelle der republikanischen und demokratischen Verfassungsordnung fordert er die unbegrenzte Zustimmung jedes Bürgers ein. In der rousseauistischen Tradition Frankreichs ist er Teil des quasi-religiösen staatlichen Wertekanons („sainteté du Contrat social et des lois“202), der religiösen Normen vorgeht. Im öffent­ lichen Raum tritt jeder Bürger dem Staat ausschließlich als Bürger, als Anhänger der staatsbürgerlichen Religion (religion civile), nicht als Mit­ glied einer Religionsgemeinschaft gegenüber. Dementsprechend wird der verfassungsrecht­ liche Grundwert des religiösen Pluralismus innerhalb des

201  Kapitel 3,

202  Rousseau,

A.I.2.b) (S. 237 ff.). Du contrat social, S. 107.

264 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

französischen Staatsapparats größtenteils durch das Prinzip des Laizismus verwirklicht.203 Diese besondere Stellung des Laizismus in der französischen Verfassungsordnung demonstriert besonders die Rechtsprechung und Gesetzgebung zu Fragen religiöser Symbolik im schulischen Kontext in Frankreich im Vergleich zu Deutschland. Die französische Rechtsprechung entnimmt dem Staatsstrukturprinzip des Laizismus eine grundsätzliche Verpflichtung aller Staatsbediensteten, insbesondere aller Lehrer, zur religiösen Neutralität.204 Auf Grundlage dieser Rechtsprechung ist in Frankreich allen Staatsbediensteten während ihrer Arbeitszeit die Manifestation religiöser Überzeugungen, besonders durch reli­ giöse Symbole oder religiöse Kleidungsstücke, untersagt.205 Ebenso ist allen Bediensteten und Schülern öffentlicher französischer Schulen das Tragen sichtbarer religiöser Symbole206 untersagt, nur die Studierenden staatlicher Hochschulen sind von diesem Verbot ausgenommen.207 Auch die Nutzung staatlicher Ressourcen zu religiösen Zwecken durch Staatsbedienstete ist verboten.208 Im privaten Bereich hingegen ist den Staatsbediensteten die

203  „[L]es dispositions de l’article 1er de la Constitution […] interdisent à quiconque de se prévaloir de ses croyances religieuses pour s’affranchir des règles communes régissant les relations entre collectivités publiques et particuliers.“ (Verfassungsrat (Conseil constitutionnel), Az. 2004–505 DC, 19. November 2004; Übersetzung des französischen Originaltexts: „Die Bestimmungen des ersten Artikels der Verfassung [vom 4. Oktober 1958] untersagen jedermann, sich unter Berufung auf seine religiösen Überzeugungen über die allgemeingültigen Regeln, die das Verhältnis zwischen öffentlichen Institutionen und Privatpersonen regeln, hinwegzusetzen.“). 204  Staatsrat (Conseil d’État), Az. 98284, 3. Mai 1950; Staatsrat (Conseil d’État), Az. 217017, 3. Mai 2000; De Bellescize, Droit des cultes et de la laïcité, S. 160. 205  Gesetz vom 13. Juli 1983 über die Rechte und Pflichten der Beamten (Loi no 83–634 du 13 juillet 1983 portant droits et obligations des fonctionnaires), Artikel 25; siehe auch Prélot, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 430, Rz. 929. 206  Als im schulischen Kontext unzulässige religiöse Symbole wertete der französische Staatsrat (Conseil d’État) beispielsweise ein großes christliches Kreuz, eine Kippa, ein islamisches Kopftuch und einen Turban (Az. 285394, Urteil vom 5. Dezember 2007) sowie ein die Haare verdeckendes Bandana (Az. 295671, Urteil vom 5. Dezember 2007). 207  Bildungsgesetzbuch (Code de l’éducation), Artikel L141–5–1; siehe auch Gesetz vom 17. März 2004 zur Einschränkung des Tragens von religiösen Symbolen oder Kleidungsstücken in öffentlichen Schulen in Anwendung des Prinzips des Laizismus (Loi no 2004–228 du 15 mars 2004 encadrant, en application du principe de laïcité, le port de signes ou de tenues manifestant une appartenance religieuse dans les écoles, collèges et lycées publics), Artikel 1 und De Bellescize, Droit des cultes et de la laïcité, S. 142 f.



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte265

freie Religionsausübung gestattet, sofern daraus keine Beeinträchtigungen des öffentlichen Dienstes resultieren.209 Das deutsche Recht beantwortet die Frage nach der Zulässigkeit religiöser Symbolik im Kontext des öffentlichen Schulwesens weitaus weniger kategorisch als das französische. In seiner ersten und zweiten „Kopftuch“-Entscheidung (BVerfGE 108, 282 und BVerfGE 138, 296) führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass Religionsbekundungen staatlicher Bediensteter, darunter Lehrer, nicht ohne weiteres dem Staat zuzurechnen seien und das Prinzip der staatlichen religiösen Neutralität tangierten, sofern sie nicht durch den Staat gewünscht oder eingefordert worden seien.210 Die nicht auf schulischen Vorschriften beruhende Entscheidung einer Lehrerin, ein islamisches Kopftuch zu tragen, sah das Bundesverfassungsgericht als Ausdruck individueller religiöser Überzeugung und nicht als dem Staat zurechenbar an. „Der Staat, der eine mit dem Tragen eines Kopftuchs verbundene religiöse Aussage einer einzelnen Lehrerin oder einer pädagogischen Mitarbeiterin hinnimmt, macht diese Aussage nicht schon dadurch zu seiner eigenen und muss sie sich auch nicht als von ihm beabsichtigt zurechnen lassen.“211

Ein Verbot sei deshalb nur zulässig, sofern aufgrund der Manifestation religiöser Überzeugungen im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für eine Infragestellung der staatlichen religiösen Neutralität oder eine Gefährdung des Schulfriedens vorlägen.212 Als Folge dürften Verbote des Tragens religiöser Symbolik durch Lehrer in Deutschland regelmäßig verfassungsrechtlich unzulässig sein.213 Demgegenüber vertraten die Richter Wilhelm Schluckebier und Monika Hermanns in einem Minderheitenvotum zur zweiten „Kopftuch“-Entscheidung (BVerfGE 138, 296) die Auffassung, dass angesichts der „Vorbildfunktion“ der Lehrkräfte und des besonderen schulischen Abhängigkeitsverhältnisses die Verwendung religiöser Symbolik durch Lehrkräfte die Religionsfreiheit der Schüler in besonderem Maße beeinträchtige und den Grundsatz der staatlichen religiösen Neutralität verletze.214 208  Oberverwaltungsgericht (Cour administrative d’appel) Paris, Az. 99PA03034, 24. Januar 2002; siehe auch Prélot, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 430. 209  De Bellescize, Droit des cultes et de la laïcité, S. 162. 210  BVerfGE 108, 282 (305 f.) und BVerfGE 138, 296 (336 f.). 211  BVerfGE 138, 296 (336 f.); siehe auch BVerfGE 108, 282 (305 f.) und BVerfG, 14. Januar 2020, 2 BvR 1333/17, Rz. 89. 212  BVerfGE 138, 296 (341). 213  So im Ergebnis wohl auch Adamski, GWP 2015, 403 (409). 214  BVerfGE 138, 296 (365 ff.); siehe vertiefend auch Dreier, Staat ohne Gott, S.  137 ff.

266 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts „Die Pädagogen genießen zwar ihre individuelle Glaubensfreiheit. Zugleich sind sie aber Amtsträger und damit der fördernden Neutralität des Staates auch in religiöser Hinsicht verpflichtet. Denn der Staat kann nicht als anonymes Wesen, sondern nur durch seine Amtsträger und seine Pädagogen handeln. Diese sind seine Repräsentanten. Die Verpflichtung des Staates auf die Neutralität kann deshalb keine andere sein als die einer Verpflichtung seiner Amtsträger auf Neutralität.“215

Noch weiter als der Schutz der Religionsfreiheit der Lehrer reicht der der Schüler im Falle des Tragens religiöser Symbolik im schulischen Kontext in Deutschland. Das deutsche Verfassungsrecht sieht die Religionsfreiheit der Schüler und das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) als besonders schützenswert und dem staatlichen Bildungsauftrag gleichrangig an.216 Die religiösen Vorstellungen von Schülern und Eltern sind deshalb im Bildungswesen in besonderer Weise zu berücksichtigen und respektieren.217 Das Tragen religiöser Symbole, beispielsweise eines islamischen Kopftuchs oder ­islamischer Badebekleidung, im schulischen Raum ist Schülern grundsätzlich gestattet.218 Ist die Befolgung religiöser Kleidungsvorschriften im öffent­ lichen Schulwesen nicht möglich, etwa im Rahmen des Sportunterrichts, kommt grundsätzlich in Ausnahmefällen die Möglichkeit einer Befreiung der betreffenden Schüler in Betracht.219 Einzig ein Verbot der Vollverschleierung im schulischen Kontext ist als Ausfluss des staatlichen Bildungsauftrags verfassungsrechtlich zulässig.220 Insgesamt werden anhand eines Vergleichs des deutschen und des französischen Rechts betreffend religiöse Symbolik im schulischen Kontext die dogmatisch-funktionellen Unterschiede des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts deutlich. In Frankreich findet die Religionsfreiheit von Lehrern und Schülern grundsätzlich ihren Ausdruck in der laizistischen Organisation des öffentlichen Schulwesens, während das deutsche Verfassungsrecht durch die Differenzierung zwischen Religionsbekundungen des Staates und privaten Religionsbekundungen der Lehrer (und der Schüler) 215  BVerfGE 138, 296 (367). Ergänzend zur Problematik des Tragens eines islamischen Kopftuchs im öffentlichen Dienst durch Rechtsreferendarinnen siehe BVerfG, 14. Januar 2020, 2 BvR 1333/17. 216  Siehe BVerfGE 41, 29 (44) und BVerwG 7 C 89.86, Rz. 7. 217  BVerfGE 47, 46 (77). 218  E contrario aus BVerwG 6 C 25.12, Rz. 24. 219  BVerwG 6 C 8/91, Rz. 21 f.; siehe ausführlich Rademacher, RdJB 2014, 270 (272 f.). 220  So im Ergebnis auch VGH München, 7 CS 13.2592 und 7 C 13.2593, Rz. 21; siehe auch Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, Verbot der Vollverschleierung, S. 8 f. und § 3 Gesetz über Verbote der Gesichtsverhüllung in Bayern vom 12. Juli 2017 (GVBl. 2017, 362) sowie Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, Verbot der Vollverschleierung in Staaten der EU, S. 11.



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte267

eine Beschränkung der Reichweite der staatlichen religiösen Neutralität zugunsten der Religionsfreiheit vornimmt. Während das französische Religionsverfassungsrecht in der Tradition der Kirchenkritik Rousseaus und Voltaires eine möglichst weitreichende staatliche religiöse Neutralität herzustellen sucht, ist dem deutschen Religionsverfassungsrecht in der Tradition des Preußischen Allgemeinen Landrechts des Jahres 1794 die Sicherung von Religionsfreiheit und religiöser Gleichheit weitaus wichtiger. b) „Anerkennung“ der Religion und „kirchliches Arbeitsrecht“ Als Konsequenz der „Geburt“ des Laizismus aus dem Konflikt von französischem Staat und katholischer Kirche treten die Kirchen dem französischen Staat nicht als Körperschaften des öffentlichen Rechts, sondern als einfache privatrechtliche Vereine gegenüber, der laizistische Staat „erkennt keine Religion an“.221 Als Folge untersagt das Prinzip des Laizismus dem Staat grundsätzlich die Gewährung besonderer kirchlicher arbeitsrechtlicher Privilegien, kirchliche und sonstige privatwirtschaftliche Arbeitgeber sind grundsätzlich arbeitsrechtlich gleichgestellt. Dementsprechend gelten grundsätzlich keinerlei rechtliche Sonderregelungen für die zwischen den Kirchen und einem Beschäftigten abgeschlossenen Arbeitsverträge.222 Auch auf mit kirchlichen Einrichtungen abgeschlossene Arbeitsverträge findet insofern der Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels L1132–1 Arbeitsgesetzbuch (Code du travail) Anwendung, der eine Benachteiligung von Angestellten aus religiösen Gründen untersagt. Aus diesem Grundsatz folgt nicht nur ein Verbot der Bevorzugung oder Benachteiligung bestimmter Arbeitnehmer wegen ihrer religiösen Überzeugungen223, sondern auch ein grundsätzliches Verbot der Sanktionierung von Arbeitnehmern wegen Verstößen gegen kirchliche Glaubensinhalte.224 Besondere arbeitsrecht­ liche Loyalitätspflichten, die auch konkludent arbeitsvertraglich vereinbart werden können225 und der beruflichen Funktion der betroffenen Arbeitneh-

221  Artikel 2

des Gesetzes über den Laizismus von 1905. in: Robbers (Hrsg.), Etat et Eglises dans l’Union euro-

222  Basdevant-Gaudemet,

péenne, S. 185. 223  Siehe ausführlich Gaudemet-Basdevant, La jurisprudence constitutionnelle en matière de liberté confessionnelle, S. 10. 224  Siehe Revisionsgericht (Cour de Cassation), Kammer für Sozialrecht (Chambre sociale), Az. 90–42.636, 17. April 1991; siehe dazu Richard de la Tour, Etude sur la jurisprudence récente de la chambre sociale de la Cour de Cassation, Abschnitt IB2. 225  Revisionsgericht (Cour de Cassation), Vollversammlung (Assemblée plénière), Az. 76–41211, 19. Mai 1978.

268 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

mer angemessen sein müssen226, rechtfertigen Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung grundsätzlich nur dann, wenn sie für den betreffenden Beruf unentbehrlich und zwingend notwendig sind.227 Diese arbeitsrecht­ liche Privilegierung ist nicht auf die Religionsgemeinschaften beschränkt, sondern kann auch von konfessionell neutralen gemeinnützigen Arbeitgebern der Zivilgesellschaft, insbesondere Gewerkschaften und politischen Parteien (entreprises de tendance), in Anspruch genommen werden.228 In jedem Fall prüfen die französischen Gerichte ihre Voraussetzungen sehr restriktiv und erlauben nur Ungleichbehandlungen von Arbeitnehmern, die für den Zweck der kirchlichen Unternehmen unvermeidbar und zur Sicherung der kirch­ lichen Glaubwürdigkeit229 oder des Betriebsfriedens230 unentbehrlich sind.231 So kann in Frankreich etwa allenfalls von Lehrbeauftragten für Theologie, nicht jedoch von medizinischem Personal232 oder sonstigen nicht-liturgischen Beschäftigten233 „eine Einheit der Überzeugungen und des Glaubens mit dem Arbeitgeber“ („communion de pensée et de foi avec son employeur“) verlangt werden.234 Lehrer kirchlicher Privatschulen, die an der Vermittlung christlicher Werte beteiligt sind, können nur bei Beachtung der ihnen verfassungsrechtlich garantierten Religions- und Gewissensfreiheit auf die besondere arbeitsvertragliche Loyalitätspflicht der Wahrung des „eigenen 226  Staatsrat (Conseil d’État), Az. 85429, 20. Juli 1990; siehe auch Gleizes/Strasser, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S.  725 f. 227  Artikel L1133–1 Arbeitsgesetzbuch (Code du travail). 228  Gleizes/Strasser, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 719. Arbeitsrechtlich zulässig ist insbesondere auch die Verpflichtung von Arbeitnehmern einer gemeinnützigen, privaten Kindertagesstätte zur religiösen Neutralität, siehe Revisionsgericht (Cour de Cassation), Vollversammlung (Assemblée Plénière), Az. 13–28.369, 25. Juni 2014. 229  Siehe Berufungsgericht (Cour d’Appel) Toulouse, Urteil vom 17. August 1995, in Gleizes/Strasser, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 723. 230  Revisionsgericht (Cour de Cassation), Kammer für Sozialrecht (Chambre sociale), Az. 90–42.636, 17. April 1991.  231  Siehe Revisionsgericht (Cour de Cassation), Vollversammlung (Assemblée plénière), Az. 76–41211, 19. Mai 1978 und ergänzend auch Richard de la Tour, Etude sur la jurisprudence récente de la chambre sociale de la Cour de Cassation, Abschnitt IIA2. 232  Siehe Basdevant-Gaudemet, in: Robbers (Hrsg.), Etat et Eglises dans l’Union européenne, S. 186. 233  Siehe Gleizes/Strasser, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 725 f. 234  Revisionsgericht (Cour de Cassation), Kammer für Sozialrecht (Chambre sociale), Az. 84–43243, 20. November 1986; siehe auch Gleizes/Strasser, in: Messner/ Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 721 f.



A. Einfluss der Verfassungs- und Ideengeschichte269

Charakters“ („caractère propre“) der betreffenden Privatschule verpflichtet werden.235 Das deutsche Recht gesteht den Religionsgemeinschaften hingegen umfangreiche arbeitsrechtliche Privilegien zu. Aus dem Selbstverwaltungsrecht der Religionsgemeinschaften des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV leitet die deutsche Rechtsprechung ein Recht zur selbstverantwortlichen Gestaltung der Arbeitsbeziehung der Kirchen mit ihren Arbeitnehmern ab.236 Konsequenz sind beispielsweise das Fehlen eines Streikrechts der kirchlichen Arbeitnehmer sowie besondere Regelungen für den Abschluss kirchlicher Tarifverträge.237 Das Verbot der Ungleichbehandlung aus religiösen Gründen238 gilt für die kirchlichen Arbeitnehmer nur eingeschränkt.239 Die Kirchen können von ihren Arbeitnehmern eine besondere arbeitsrechtliche Loyalität einfordern240, die ganz erheblich das Privatleben der Arbeitnehmer tangiert.241 Den Kirchen kommt dabei als Ausfluss der staatlichen religiösen Neutralität eine besondere „Deutungshoheit“ über ihr religiöses Selbstverständnis und die sich daraus ergebenden Loyalitätspflichten zu, die nur einer eingeschränkten gerichtlichen Prüfung auf Plausibilität unterliegt.242 Insbesondere ist es den Kirchen gestattet, abweichende Loyalitätsanforderungen für Mitglieder unterschiedlicher Religionsgemeinschaften einzufordern.243 Bei der Bestimmung der Zulässigkeit bestimmter arbeitsrechtlicher Loyalitätsanforderungen ist dem kirchlichen Selbstverwaltungsrecht des Art. 140 235  Staatsrat (Conseil d’État), Az. 85429, 20. Juli 1990; siehe auch Gleizes/Strasser, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 725. 236  Siehe BVerfGE 70, 138 (167) und Robbers, in: Robbers (Hrsg.), Etat et E ­ glises dans l’Union européenne, S. 92. 237  Robbers, in: Robbers (Hrsg.), Etat et Eglises dans l’Union européenne, S. 92. 238  § 7 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). 239  Siehe die Ausnahmevorschriften des § 9 Abs. 1 und Abs. 2 AGG; Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 197. 240  § 9 Abs. 2 AGG; Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 192. 241  Siehe vertiefend Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz. 194. 242  BVerfGE 137, 273 (315 f.); Junker, NJW 2018, 1850 (1850). 243  BVerfGE 137, 273 (334); siehe auch BVerfGE 70, 138 (166): „Denn für die Kirchen kann ihre Glaubwürdigkeit davon abhängen, daß ihre Mitglieder, die in ein Arbeitsverhältnis zu ihnen treten, die kirchliche Ordnung – auch in ihrer Lebensführung – respektieren“. In diesem Sinne erklärte das Bundesverfassungsgericht auch die Abstufung der Loyalitätsverpflichtungen katholischer (Art. 4 Abs. 1 Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 27. April 2015), nicht katholischer christlicher (Art. 4 Abs. 2 Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 27. April 2015) und nichtchristlicher (Art. 4 Abs. 3 Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 27. April 2015) Arbeitnehmer der deutschen katholischen Kirche ausdrücklich für zulässig (BVerfGE 137, 273 (334)).

270 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV, das gegen die Grundrechte des Arbeitnehmers abzuwägen ist, besonderes Gewicht beizumessen.244 Grundsätzlich können die Kirchen alle Loyalitätspflichten vertraglich einfordern, die nicht „Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie sie im allgemeinen Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie in dem Begriff der ‚guten Sitten‘ (§ 138 Abs. 1 BGB) und des ordre public (Art. 30 EGBGB) ihren Niederschlag gefunden haben“, widersprechen.245 Die inhaltlich und rechtsdogmatisch unterschiedliche Rechtsprechung betreffend das „kirchliche Arbeitsrecht“246 demonstriert eindrücklich die Auswirkungen des in Opposition zur katholischen Kirche konzipierten Laizismus und des von den „kirchenfreundlicheren“ Parteien der Weimarer Republik erarbeiteten religionsverfassungsrechtlichen Kompromisses der Weimarer Reichsverfassung im gegenwärtigen deutschen und französischen Recht. In Deutschland genießen die Kirchen, denen Weimarer Reichsverfassung und Grundgesetz eine herausragende gesellschaftliche Stellung zubilligen, besondere arbeitsrechtliche Privilegien und eine besondere wirtschaftliche Stellung.247 In der kirchenkritischen Tradition des Laizismus hingegen behandelt das französische Arbeitsrecht die Kirchen grundsätzlich wie andere, insbesondere konfessionsneutrale, privatwirtschaftliche Arbeitgeber. Im gegenwärtigen deutschen und französischen Arbeitsrecht wirkt insofern ganz erheblich die Einstellung von Politikern und Bevölkerungsmehrheit der Dritten Französischen Republik und der Weimarer Republik zu den Kirchen fort.248

244  BVerfGE

137, 273 (302); BVerfGE 70, 138 (167). 70, 138 (168). 246  Der Begriff des „kirchlichen Arbeitsrechts“ beschreibt in Deutschland (wie auch in Frankreich) nicht etwa ein eigenständiges Rechtsgebiet, sondern vielmehr die im Vorhergehenden dargestellte richterrechtliche Privilegierung der Kirchen, die über die Rechte der übrigen privatwirtschaftlichen Arbeitgeber weit hinaus geht (vertiefend zur Terminologie des „kirchlichen Arbeitsrechts“ Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rz.  189 f.). 247  Besonders im sozial-karitativen Bereich spielen die Kirchen in Deutschland eine überragende Rolle. So beschäftigen die römisch-katholische Caritas und die evangelische Diakonie in Deutschland zusammen über 1,14 Millionen Arbeitnehmer (Berechnung auf Grundlage der Zahlen in Deutsche Bischofskonferenz, Katholische Kirche in Deutschland – Zahlen und Fakten 2017/2018, S. 41 und EKD, Gezählt 2018 – Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben, S. 26). 248  Die europarechtlichen Dimensionen des „kirchlichen Arbeitsrechts“ und die diesbezügliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) werden ausführlich in Kapitel 3, B.II.1. (S. 283 ff.) dargestellt. 245  BVerfGE



B. Möglichkeiten der religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas271

B. Möglichkeiten und Chancen einer religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas Die im Vorhergehenden aufgezeigten rechtshistorischen und inhaltlichrechtsdogmatischen Unterschiede des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts erschweren angesichts der im ersten Kapitel der vorliegenden Abhandlung aufgezeigten großen Bedeutung religionsverfassungsrechtlicher Normen und Traditionen eine verfassungsrechtliche Annäherung der europäischen Staaten deutlich. Wie das bereits in der Einführung der vorliegenden Abhandlung erwähnte Beispiel Elsass-Lothringens (I.) zeigt, ist jedoch ein religionsverfassungsrechtlicher Konsens eine zentrale Voraussetzung einer erfolgreichen und gesellschaftlich und politisch akzeptierten verfassungsrechtlichen Integration Europas. Aus diesem Grund schließt die vorliegende Abhandlung mit Vorschlägen, wie dieser Konsens unter Berücksichtigung der bisherigen religionsverfassungsrechtlichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auf Grundlage der gewonnenen rechtsgeschichtlichen Erkenntnisse erreicht werden kann (II.).

I. Elsass-Lothringen (Alsace-Moselle) als ein Musterbeispiel der Integration des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts Aufgrund seiner wechselhaften Geschichte unter deutscher und französischer Herrschaft (1.) kombiniert das Religionsverfassungsrecht Elsass-Lothringens (Alsace-Moselle) religionsverfassungsrechtliche Einflüsse und Traditionen beider Rechtsordnungen (2.). 1. Die religionsverfassungsrechtliche Entwicklung Elsass-Lothringens unter wechselnder deutscher und französischer Herrschaft Im Gegensatz zum damaligen Königreich Frankreich konnte die Reformation in Elsass-Lothringen, das zum damaligen Zeitpunkt ein Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war, dauerhaft Fuß fassen. Bis zu einem Drittel der elsässischen Gemeinden und Städte, darunter Straßburg, Mülhausen (Mulhouse) und Colmar, wurde im Verlauf des 16. Jahrhunderts protestantisch.249 Als Folge war eine große Minderheit von ca. 24 % der Bevölkerung des Elsass im Zeitpunkt der Eroberung durch Ludwig XIV. evangelisch-lutherischer Konfession, ca. 6 % der Bevölkerung war evangelisch249  Volff,

La législation des cultes protestants en Alsace et en Moselle, S. 15 f.

272 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

reformiert.250 Metz, das bereits im Jahre 1552 unter französische Herrschaft fiel,251 und der Großteil Lothringens hingegen blieben katholisch.252 Nach dem Erlass des Edikts von Fontainebleau des Jahres 1685253 wurde die Verfolgung der Protestanten in Lothringen rigoros vorangetrieben, die protestantische Gemeinde der Region Metz wurde nahezu vollständig vertrieben oder zwangskonvertiert.254 Im Elsass hingegen gestand der Westfälische Frieden der Jahre 1648/1649 den elsässischen Protestanten in den vor dem Jahre 1624 protestantischen Gebieten des Elsass, das erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sukzessive durch Ludwig XIV. annektiert wurde255, grundsätzlich Religionsfreiheit im privaten und öffentlichen Raum zu.256 Zwar verzichtete der französische König Ludwig XIV. aus diesem Grund im Elsass auf die im restlichen Königreich Frankreich praktizierte rigorose Verfolgung der Protestanten,257 doch wurden entgegen dem Westfälischen Frieden Protestanten von den meisten öffentlichen Ämtern ausgeschlossen und die protestantischen Kirchen in den den Katholiken überlassenen Chor und das den Protestanten zugestandene Kirchenschiff geteilt.258 Daneben fand das Konkordat von Bologna des Jahres 1516, das dem französischen König das Recht der Bestimmung der französischen Bischöfe verlieh,259 im Elsass keine Anwendung. Vielmehr unterlag das Verfahren der Besetzung geistlicher Ämter im Elsass dem im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation geltenden Wiener Konkordat des Jahres 1448, das am Verfahren der Wahl der Bischöfe durch die Domkapitel festhielt,260 das auch im übrigen Frankreich vor dem Abschluss des Konkordats von Bologna des Jahres 1516 Anwendung gefunden hatte. Erst die Französische Revolution brachte eine Angleichung des elsässischen und französischen Religionsverfassungsrechts. Die Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 proklamierte die Religionsfreiheit in ganz Frankreich, die Zivilverfassung des Klerus vom 250  Baubérot,

Les sept laïcités françaises, S. 120. Les sept laïcités françaises, S. 120. 252  Volff, La législation des cultes protestants en Alsace et en Moselle, S. 16. 253  Siehe Kapitel 2, A.I.2.b)bb) (S. 68 ff.). 254  Volff, La législation des cultes protestants en Alsace et en Moselle, S. 17. 255  Baubérot, Les sept laïcités françaises, S. 120. 256  Siehe zum Westfälischen Frieden ausführlich Kapitel 2, A.I.2.b)bb) (S. 68 ff.). 257  Baubérot, Les sept laïcités françaises, S. 120. 258  Volff, La législation des cultes protestants en Alsace et en Moselle, S. 17. 259  Kapitel 2, B.I.1.b)aa) (S. 171 ff.). 260  Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 17 und Glavany, La Laïcité, S. 125. 251  Baubérot,



B. Möglichkeiten der religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas273

12. Juli 1790 schaffte das Verfahren der Wahl der Bischöfe durch die Domkapitel im Elsass ab.261 Durch das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 und die verfassungsergänzenden Gesetze Napoleons wurde schließlich die Besetzung der Bischofsstühle durch den Staatschef in ganz Frankreich verbindlich.262 Kraft des napoleonischen Religionsverfassungsrechts wurde seit Anfang des 19. Jahrhunderts in ElsassLothringen (ebenso wie im Rest Frankreichs vor Erlass des Gesetzes über den Laizismus von 1905) die Vergütung der katholischen, evangelisch-lutherischen, evangelisch-reformierten und jüdischen Geistlichen (cultes reconnus, „staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften“) durch den Staat übernommen.263 Die deutsche Eroberung 1870/1871 stürzte Elsass-Lothringen in eine tiefe politische und gesellschaftliche Krise. Ein Zehntel der Bevölkerung, darunter ein Großteil der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Führung, verließ Elsass-Lothringen.264 In der Folge wurde vor allem der katholische Klerus zu einem wichtigen Interessensvertreter der verbliebenen Bevölkerung Elsass-Lothringens.265 So waren sechs der fünfzehn im Jahre 1874 gewählten Reichstagsabgeordneten Elsass-Lothringens266 katholische Kleriker, darunter der Erzbischof von Straßburg und der Bischof von Metz.267 Die infolge der Massenauswanderung der Jahre 1870/1871 entstandene besondere Beziehung der Bevölkerung Elsass-Lothringens zur katholischen Kirche wirkte noch lange nach der Wiedereingliederung Elsass-Lothringens in die Dritte Französische Republik nach. So errangen zwar die laizistischen radikalen Republikaner des designierten Regierungschefs Édouard Herriot bei den Parlamentswahlen des Jahres 1924 einen Erdrutschsieg, doch fielen fast 90  % der Mandate Elsass-Lothringens in der Abgeordnetenkammer (Chambre des députés) an konservative Kandidaten, die mit aller Härte die von Herriot angestrebte Laizisierung des Religionsverfassungsrechts ElsassLothringens verhinderten.268

auch Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 17. Kapitel 2, A.II.1.a)bb) (S. 80 ff.). 263  Siehe vertiefend Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 15. 264  Baubérot, Les sept laïcités françaises, S. 121. 265  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 30; Baubérot, Les sept laïcités françaises, S. 121. 266  Das Recht der Wahl von Reichstagsabgeordneten wurde Elsass-Lothringen bereits vor dessen Erhebung zum deutschen Gliedstaat im Jahre 1911 durch § 3 des Reichsgesetzes vom 25. Juni 1873 zugestanden. 267  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 30. 268  Siehe Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 34. 261  Siehe 262  Siehe

274 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

In Folge der Annexion Elsass-Lothringens durch das Deutsche Kaiserreich im Vertrag von Frankfurt vom 10. Mai 1871269 begannen das französische und das elsässisch-lothringische Religionsverfassungsrecht, sich wieder auseinanderzuentwickeln. Durch das deutsche Reichsgesetz vom 9. Juni 1871 wurde die Staatsgewalt über Elsass-Lothringen dem deutschen Kaiser übertragen270 und die Verfassung des Deutschen Kaiserreichs zum 1. Januar 1873271 in Elsass-Lothringen in Kraft gesetzt.272 Durch diesen Wechsel der Herrschaft über Elsass-Lothringen ergaben sich zwei Probleme bezüglich der weiteren Anwendung des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 und der verfassungsergänzenden Gesetze Napoleons. Zum einen war der französische, nicht der deutsche Staat, der nunmehr die Staatsgewalt über Elsass-Lothringen beanspruchte, Vertragspartei des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801.273 Zum anderen sah Art. 17 des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 die Neuverhandlung der Bestimmungen zur Bischofsernennung und den Neuabschluss eines völkerrechtlichen Vertrags für den Fall, dass „einer der Nachfolger des Ersten Konsuls [Napoleon] nicht katholisch wäre“, vor, weshalb eine Wahrnehmung der kirchenrechtlichen Befugnisse des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 durch den evangelischen deutschen Kaiser nicht möglich gewesen wäre.274 Trotz dieser verfassungs- und völkerrechtlichen Probleme setzte die deutsche Verwaltung, dem Wunsch der Zivilgesellschaft und der Kirchen Elsass-Lothringens entsprechend, im Einvernehmen275 mit dem Heiligen Stuhl die Anwendung des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801, ebenso wie die der meisten anderen französischen reli­gionsverfassungsrechtlichen Bestimmungen, fort.276 Durch 269  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 28. Bereits der Friedens-Vorvertrag vom 26. Februar 1871 sah jedoch die Annexion Elsass-Lothringens durch das Deutsche Kaiserreich vor. 270  § 3 des Reichsgesetzes vom 9. Juni 1871. 271  Die Inkraftsetzung der Verfassung des Deutschen Kaiserreichs in ElsassLothringen wurde durch das Reichsgesetz vom 20. Juni 1872 und das Reichsgesetz vom 25. Juni 1873 auf den 1. Januar 1874 verschoben. 272  § 2 des Reichsgesetzes vom 9. Juni 1871. 273  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 51. 274  Siehe Portier, L’Etat et les religions en France, S. 167. 275  Zwar hatte der Kardinalstaatssekretär Giacomo Antonelli unmittelbar nach der Annexion Elsass-Lothringens das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 für in Elsass-Lothringen völkerrechtlich unanwendbar erklärt, doch hielten dennoch sowohl die katholische Kirche als auch der deutsche Staat weiterhin an dessen Anwendung in Elsass-Lothringen fest (Woehrling, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 372). 276  Siehe vertiefend Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 51.



B. Möglichkeiten der religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas275

§ 1 des Reichsgesetzes vom 4. Juli 1879 i. V. m. der kaiserlichen Verordnung vom 28. September 1885 wurde das Recht der Bestätigung der Pfarrer ElsassLothringens vom deutschen Kaiser277 auf den deutschen Statthalter ElsassLothringens übertragen. Durch das Reichsgesetz vom 31. Mai 1911 wurde Elsass-Lothringen zwar zum deutschen Gliedstaat erhoben,278 doch wurden die Staatsgewalt über Elsass-Lothringen279 und die damit verbundenen reli­ gionsverfassungsrechtlichen Privilegien des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 weiterhin durch den deutschen Kaiser ausgeübt. Insgesamt entwickelte sich das Religionsverfassungsrecht Elsass-Lothringens unter deutscher Herrschaft überwiegend in der Kontinuität des napoleonischen Religionsverfassungsrechts, insbesondere des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801. Insbesondere das Prinzip der Finanzierung der katholischen, evangelisch-lutherischen, evangelisch-reformierten und jüdischen Religionsgemeinschaften und Geistlichen durch den Staat blieb unangetastet.280 Deutsche Gesetze und Verordnungen beschränkten sich auf Reformen der Organisationsstruktur vor allem der protestantischen Kirchen, Veränderungen der Gemeindegrenzen, Anpassungen der Vergütung der Geistlichen und die Festlegung der gesetzlichen Feiertage.281 Eine wichtige Ausnahme vom Grundsatz religionsverfassungsrechtlicher Kontinuität unter deutscher Herrschaft stellte jedoch das Bildungswesen Elsass-Lothringens dar. Angesichts des in Deutschland ausgefochtenen Kulturkampfs282 von katholischer Kirche und insbesondere protestantischem Kaisertum und der weitestgehenden Ablehnung der deutschen Annexion durch die Bevölkerung Elsass-Lothringens verfolgte die deutsche Verwaltung zunächst eine Politik staatlicher Kontrolle des Schulwesens.283 Durch eine Verordnung des Militärgouverneurs Elsass-Lothringens vom 18. April 1871 wurde die Schulpflicht bis zum 13. Lebensjahr für Mädchen und bis zum

277  Zwar sah Artikel 10 des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 die Bestätigung der Pfarrer durch die Regierung vor, doch hatte Napoleon durch Artikel 19 der organischen Artikel vom 15. Juli 1801 über die katholische Religionsgemeinschaft, die auch unter der deutschen Herrschaft über Elsass-Lothringen Anwendung fanden, diese Befugnis auf sich selbst als Ersten Konsul und Staatsoberhaupt übertragen, siehe Kapitel 2, A.II.1.a)bb) (S. 80 ff.). 278  Artikel I des Reichsgesetzes vom 31. Mai 1911. 279  Artikel II, § 1 des Reichsgesetzes vom 31. Mai 1911. 280  Siehe Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 18. 281  Siehe Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 18 und S. 123 ff. 282  Siehe Kapitel 2, A.II.2.a)cc) (S. 128 ff.). 283  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 30.

276 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

14. Lebensjahr für Jungen eingeführt.284 Gleichzeitig wurde die geistliche Schulaufsicht durch eine staatliche Schulaufsicht in Elsass-Lothringen ersetzt, die durch das Reichsgesetz vom 12. Februar 1873 auf alle staatlichen und privaten Grund- und Sekundarschulen ausgeweitet wurde.285 Die gleichzeitig neu verfassten Lehrpläne schlossen die Lehre des katholischen Katechismus, der nurmehr als Wahlfach unterrichtet werden durfte, vom Curriculum des weiterhin verpflichtenden Schulfachs Religion aus.286 Der Aussöhnung von katholischer Kirche und deutschem Staat im „Kulturkampf“ folgte eine Stärkung der Stellung der Religionsgemeinschaften im Bildungswesen.287 Durch das Reichsgesetz vom 24. Februar 1908 wurde den Geistlichen der vier staatlich finanzierten Religionsgemeinschaften die Aufsicht über den in staatlichen Schulen erteilten Religionsunterricht zugebilligt.288 Im Jahre 1902 vereinbarte das Deutsche Reich mit dem Heiligen Stuhl die Gründung einer staatlich finanzierten Fakultät für katholische Theologie an der Kaiser-Wilhelm-Universität Straßburg,289 die bereits seit ihrer Neugründung im Jahre 1872 im Zuge des preußischen Versuchs der kulturellen und ideologischen Angleichung290 Elsass-Lothringens an das Deutsche Reich über eine staatlich finanzierte Fakultät für protestantische Theologie verfügte.291 Im Ersten Weltkrieg sicherte das Versprechen religionsverfassungsrecht­ licher Kontinuität der französischen Kriegspartei die Unterstützung der Bevölkerung Elsass-Lothringens.292 Nach der Wiedereingliederung in die Dritte Französische Republik unterblieb deshalb die Einführung des französischen laizistischen Religionsverfassungsrechts in Elsass-Lothringen. Vielmehr sah das Gesetz vom 17. Oktober 1919 über die Übergangsordnung des Elsass 284  Seelig,

Vous avez dit Concordat?, S. 60. Vous avez dit Concordat?, S. 60 f. 286  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 62. 287  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 63 f. 288  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 64. 289  Siehe Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 60 und S. 140 f. 290  Ausführlich Hammer-Schenk, in: Mai/Waetzoldt (Hrsg.), Kunstverwaltung, Bau- und Denkmal-Politik im Kaiserreich, S. 124. 291  Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 60 und Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 102. Mit der Gründung der Fakultät für protestantische Theologie an der Kaiser-Wilhelm-Universität Straßburg knüpfte das Deutsche Reich an den seit der Reformation bestehenden Lehrbetrieb in protestantischer Theologie in Straßburg an, der allerdings in Folge der Abwanderung von Wissenschaftlern nach der Annexion Elsass-Lothringens durch das Deutsche Reich bis zur Neugründung der Kaiser-Wilhelm-Universität Straßburg erheblich an Bedeutung verloren hatte (siehe vertiefend Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 101 f.; Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 60 f.). 292  Siehe Einführung (S. 1 ff.). 285  Seelig,



B. Möglichkeiten der religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas277

und Lothringens zunächst die Fortgeltung des bisher gültigen Rechts vor,293 solange nicht durch Gesetz oder Dekret die Geltung französischen Rechts angeordnet worden war.294 In diesem Sinne sah das Gesetz vom 1. Juni 1924 zur Inkraftsetzung der französischen Zivilgesetzgebung in den Verwaltungsbezirken Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle zwar die Geltung zahlreicher französischer zivilrechtlicher Regelungen295, nicht jedoch des Gesetzes über den Laizismus von 1905 in Elsass-Lothringen vor.296 Im Jahre 1925 bekräftigte auf dieser Grundlage der französische Staatsrat (Conseil d’État) in einem Gutachten, dass das lokale Religionsverfassungsrecht Elsass-Lothringens weiterhin anwendbar und nicht durch das französische laizistische Religionsverfassungsrecht abbedungen worden sei.297 Nach der Niederlage Frankreichs im Zweiten Weltkrieg wurde ElsassLothringen wiederum faktisch durch das Deutsche Reich annektiert.298 Ähnlich wie im besetzten Polen begann die nationalsozialistische Besatzungsmacht auch in Elsass-Lothringen, die Dechristianisierung und Entkirchlichung voranzutreiben.299 Das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 wurde aufgekündigt, die französischen Bischöfe von Metz und Straßburg ausgewiesen, die öffentlich-rechtliche ­Verfassung der jüdischen Gemeinden aufgehoben und das Privatschulwesen ­abgeschafft.300 Diese Maßnahmen wurden nach der Befreiung Frankreichs von der nationalsozialistischen Besatzung durch die Verordnung vom 15. September 1944 zur Wiederherstellung der republikanischen Legalität in den Verwaltungsbezirken Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle aufgehoben, das vor dem 16. Juni 1940 gültige Religionsverfassungsrecht wieder in Kraft gesetzt.301 Als Folge fand das napoleonische Konkordat der Französischen 293  Artikel 3 des Gesetzes vom 17. Oktober 1919 über die Übergangsordnung des Elsass und Lothringens. 294  Artikel 4 des Gesetzes vom 17. Oktober 1919 über die Übergangsordnung des Elsass und Lothringens; siehe auch Portier, L’Etat et les religions en France, S. 167. 295  Artikel 1 des Gesetzes vom 1. Juni 1924 zur Inkraftsetzung der französischen Zivilgesetzgebung in den Verwaltungsbezirken Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle. 296  Artikel 1 und Artikel 7 Nr. 13 des Gesetzes vom 1. Juni 1924 zur Inkraftsetzung der französischen Zivilgesetzgebung in den Verwaltungsbezirken Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle; siehe auch Portier, L’Etat et les religions en France, S. 167. 297  Staatsrat (Conseil d’État), Az. 188150, 24. Januar 1925, zitiert in: Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 165; siehe auch Portier, L’Etat et les religions en France, S. 169. 298  Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 18 und Messner, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 138. 299  Siehe Kapitel 2, A.II.2.b)dd) (S. 156 ff.). 300  Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 18 und Messner, in: Messner/Prélot/Woehrling (Hrsg.), Traité de droit français des religions, S. 139. 301  Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 18 und S. 167.

278 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 wieder Anwendung,302 das auch heute noch die Grundlage des Religionsverfassungsrechts ElsassLothringens darstellt. 2. Das Religionsverfassungsrecht Elsass-Lothringens als Produkt des rechtsgeschichtlichen Aufeinandertreffens von deutschem und französischem Verfassungsrecht Als Folge seiner wechselhaften Geschichte setzt sich das Religionsverfassungsrecht Elsass-Lothringens aus Rechtsnormen nicht nur französischen, sondern auch deutschen Ursprungs zusammen. In seinem Urteil vom 30. November 2012 wertete der französische Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) das Fehlen amtlicher Übersetzungen deutschsprachiger Rechtsnormen, die in Elsass-Lothringen weiterhin Geltung beanspruchen, als möglichen Verstoß gegen das Prinzip der „Zugänglichkeit des Rechts“ (accessibilité de la loi).303 Als Folge wurden die fortgeltenden, deutschsprachigen religionsverfassungsrechtlichen Sonderregelungen Elsass-Lothringens in amtlicher französischer Übersetzung durch das Dekret vom 14. Mai 2013 neuverkündet.304 Die Grundlage des Religionsverfassungsrechts Elsass-Lothringens stellen das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801, das seit seinem Abschluss nicht überarbeitet oder aktualisiert wurde, sowie die verfassungsergänzenden Gesetze305 Napoleons dar. Das Konkordat der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 sprach dem Ersten Konsul Napoleon das Recht der Ernennung der Bischöfe, der Regierung das Recht der Bestätigung der katholischen Pfarrer zu.306 In der gegenwärtigen Rechtspraxis werden der Erzbischof von Straßburg und der Bischof von Metz vom Papst faktisch ausgewählt und vorgeschlagen und vom Präsidenten der Französischen Republik (förmlich) per Dekret ernannt.307 Einzig die 175 Pfarrer (curés) einer mit einer Mense308

302  Bayle/Groz,

Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 167. (Conseil constitutionnel), Az. 2012–285 QPC, 30. November 2012, Rz. 12; siehe auch Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 21 und S.  246 ff. 304  Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 22 f. und S. 254 ff. 305  Ausführlich Kapitel 2, A.II.1.a)bb) (S. 80 ff.). 306  Kapitel 2, A.II.1.a)bb) (S. 80 ff.). 307  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 40 f. und Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 38. In der Praxis nimmt die französische Politik kaum mehr Einfluss auf die Besetzung der Bischofsstühle und Pfarreien in Elsass-Lothringen 303  Verfassungsrat



B. Möglichkeiten der religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas279

ausgestatteten Pfarrei (paroisses curiales) werden vom Innenministerium bestätigt, die große Mehrheit der Ernennungen von Pfarrern (desservants) wird jedoch nicht durch das Innenministerium geprüft.309 Kraft Artikel 14 des Konkordats der Französischen Republik mit dem Heiligen Stuhl vom 15. Juli 1801 wird die Vergütung der katholischen Geist­ lichen durch den französischen Staat310 übernommen. Durch das Dekret no 2007–1445 vom 8. Oktober 2007 über die Festsetzung der Indexklassen des geistlichen Personals Elsass-Lothringens (Alsace-Moselle) wurden die Gehälter der vom französischen Staat vergüteten katholischen, evangelisch-lutherischen, evangelisch-reformierten und jüdischen Geistlichen angepasst und indexiert.311 Das Bruttogehalt eines katholischen Pfarrers in ElsassLothringen liegt gegenwärtig zwischen ca. 1.500 und 3.000 € pro Monat,312 das Gehalt eines katholischen Pfarrers im restlichen Frankreich, das ausschließlich durch private Spenden finanziert wird, zwischen 800 und 1.000 € pro Monat.313 Ein katholischer Bischof bezieht in Elsass-Lothringen ein

Vous avez dit Concordat?, S. 41; Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’AlsaceMoselle, S. 38). Allerdings finden in ganz Frankreich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Konsultationen zwischen dem französischen Innenministerium und der römischen Kurie vor der Besetzung von Bischofsstühlen statt (Baubérot, Les sept laïcités françaises, S. 125), in deren Kontext sich katholisch-konservative Medien im Jahre 2013 über eine vermeintliche politische Einflussnahme des französischen Innenministeriums auf die Besetzung des Bischofsstuhls von Metz empörten (siehe Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 41). 308  Die zu einer Pfarrei gehörige Mense stellt ein vom Vermögen der Pfarrei getrenntes Kapitalvermögen dar, das dem Unterhalt des Pfarrers dient und regelmäßig von diesem selbst verwaltet wird (siehe Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 39 und https://www.alsace.catholique.fr/le-diocese/guide-administratif/informations-juri diques/mense-curiale/, zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 309  Siehe Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 41; siehe vertiefend auch Bayle/ Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 38 f. 310  Die Vergütung der katholischen, evangelisch-lutherischen, evangelisch-reformierten und jüdischen Geistlichen erfolgt nicht aus dem Haushalt der drei Verwaltungsbezirke Elsass-Lothringens (Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle), sondern aus dem Etat des französischen Zentralstaats. Diese Situation, die im klaren Widerspruch zum Prinzip der Nichtfinanzierung religiöser Gemeinschaften durch den laizistischen französischen Staat steht, wird in der französischen Literatur teilweise heftig kritisiert (siehe Baubérot, Les sept laïcités françaises, S. 128). 311  Siehe auch Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 42 f. 312  Berechnung auf Grundlage der Vorgaben des Artikels 2 des Dekrets no 2007– 1445 vom 8. Oktober 2007 bei Zugrundelegung des gegenwärtigen Gegenwerts eines Indexpunkts von 4,69 € (https://www.fonction-publique.gouv.fr/connaitre-pointdindice, zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 313  https://eglise.catholique.fr/ressources-annuaires/soutenir-leglise/371078-ledenier-de-leglise–2/ (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). (Seelig,

280 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

Bruttogehalt zwischen ca. 4.000 und 4.500 € pro Monat,314 im restlichen Frankreich zwischen 800 und 1.000 € pro Monat.315 Daneben werden die sich im Staatsbesitz befindlichen Kathedralen von Metz und Straßburg, Bischofspaläste und Priesterseminare vom französischen Staat instandgehalten und der katholischen Kirche zur kostenfreien Nutzung überlassen.316 Die Pfarrkirchen und Pfarrhäuser, die sich weit überwiegend im Gemeindebesitz befinden, werden ebenfalls der katholischen Kirche kostenfrei zur Nutzung überlassen.317 Soweit der katholischen Kirche die Instandhaltung der übrigen Kirchen und die Finanzierung der Betriebskosten der von ihr genutzten Kirchen nicht möglich ist, sind die Gemeinden Elsass-Lothringens zur Kostenübernahme verpflichtet.318 Auch an der Festsetzung der Grenzen der Pfarrgemeinden Elsass-Lothringens wirkt der französische Staat mit. Im Falle einer Änderung der Grenzen der Pfarrgemeinde ist die Anhörung der betroffenen Gemeinden zwingend vorgeschrieben.319 Die Pläne zur Grenzänderung werden in Absprache von Bischof und Präfekt (Vertreter des Innenministeriums in einem département/ Verwaltungsbezirk) erarbeitet und müssen vom Innenministerium genehmigt werden.320 Äquivalente Regelungen gelten auch für die evangelisch-lutherischen, die evangelisch-reformierten und die jüdischen Gemeinden, deren Finanzierung ebenfalls vom französischen Staat übernommen wird.321 Die protestantischen Pfarrer und die Mehrheit der Mitglieder der protestantischen Konsistorien werden vom Innenminister ernannt, der Großrabbiner von Straßburg wird vom Premierminister ernannt, die Rabbiner vom Innenministerium bestätigt.322 Die evangelischen Freikirchen, die Union Progressiver Juden in Straßburg (Union Juive Libérale de Strasbourg) sowie die muslimischen 314  Siehe Artikel 2 des Dekrets no 2007–1445 vom 8. Oktober 2007 und die Umrechnungstabelle in http://infosdroits.fr/les-grilles-de-salaires-des-groupes-hors-echelle -a-b-bis-c-d-e-et-g-dans-la-fonction-publique/ (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 315  https://eglise.catholique.fr/ressources-annuaires/soutenir-leglise/371078-le-de nier-de-leglise–2/ (zuletzt abgerufen am 6. September 2019). 316  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 44. 317  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 44. 318  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 44 f. 319  Artikel L2541–14 Nr. 1 Allgemeines Gesetzbuch der Gebietskörperschaften (Code général des collectivités territoriales); siehe auch Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 38. 320  Artikel 61 der organischen Artikel vom 15. Juli 1801 über die katholische Religionsgemeinschaft in der Fassung des Dekrets vom 10. Januar 2001. 321  Siehe vertiefend Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 39 ff. 322  Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 42.



B. Möglichkeiten der religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas281

Gemeinden sind allerdings organisatorisch vom französischen Staat unabhängig und werden nicht von diesem finanziert.323 Konfessioneller Religionsunterricht, der unter Aufsicht der katholischen, protestantischen beziehungsweise jüdischen Geistlichen erteilt wird, ist mangels Übernahme der laizistischen Schulreformen Jules Ferrys ein Pflichtfach an allen staatlichen Schulen Elsass-Lothringens.324 Schüler, deren Eltern eine Befreiung vom Religionsunterricht beantragen, müssen stattdessen das Schulfach „Ethik“ (enseignement de morale) besuchen.325 Die Vereinbarkeit des Religionsverfassungsrechts Elsass-Lothringens mit dem Laizismus-Prinzip der französischen Verfassung war lange Zeit umstritten. Strittig war insbesondere die Frage, ob das Gesetz vom 17. Oktober 1919 über die Übergangsordnung des Elsass und Lothringens und das Gesetz vom 1. Juni 1924 zur Inkraftsetzung der französischen Zivilgesetzgebung in den Verwaltungsbezirken Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle, die die vorläufige Fortgeltung des Religionsverfassungsrechts Elsass-Lothringens bis zum Erlass eines gegenteiligen Gesetzes vorsahen, durch die Aufnahme des Laizismus als Staatsstrukturprinzip in die Verfassungen der Vierten Republik vom 27. Oktober 1946 und der Fünften Republik vom 4. Oktober 1958 abbedungen worden waren.326 In seinem Urteil vom 21. Februar 2013327 ­ verneinte dies der Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) und erklärte das lokale Religionsverfassungsrecht Elsass-Lothringens für weiterhin anwendbar, da der Verfassungsgeber der Vierten und Fünften Republik durch die Aufnahme des Laizismus-Prinzips in die Verfassung nicht beabsichtigt habe, das lokale Religionsverfassungsrecht Elsass-Lothringens aufzuheben.328 Vielmehr stelle die Fortgeltung des lokalen Religionsverfassungsrechts Elsass323  Seelig,

Vous avez dit Concordat?, S. 37 f. (Code de l’éducation), Artikel D. 481–2; siehe auch Bayle/ Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 35. 325  Bildungsgesetzbuch (Code de l’éducation), Artikel D. 481–5 und D. 481–6; siehe auch Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 35 und Seelig, Vous avez dit Concordat?, S. 81. 326  Siehe Portier, L’Etat et les religions en France, S. 197. 327  Zuvor hatte bereits der französische Staatsrat (Conseil d’État) in seinem Urteil vom 6. April 2001 (Az. 219379) entschieden, dass die Präambel der Verfassung vom 27. Oktober 1946, die durch die Präambel der Verfassung vom 4. Oktober 1958 für weiterhin anwendbar erklärt wird und die die grundlegenden gesetzlichen Prinzipien (principes fondamentaux reconnus par les lois de la République), zu denen auch das Laizismus-Prinzip zählt, in den übergesetzlichen Rang erhebt, die Bestimmungen der Gesetze vom 17. Oktober 1919 und 1. Juni 1924 zur Fortgeltung des Religionsverfassungsrechts Elsass-Lothringens nicht abbedungen habe. 328  Verfassungsrat (Conseil constitutionnel), Az. 2013–297 QPC, 21. Februar 2013; siehe auch Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 20 und S.  251 f. sowie Gross, JZ 2013, 881 (883). 324  Bildungsgesetzbuch

282 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

Lothringens bis zu seiner (ausdrücklichen) Abbedingung durch den französischen Gesetz- oder Verordnungsgeber ein grundlegendes gesetzliches Prinzip (principe fondamental reconnu par les lois de la République) dar, das übergesetzlichen Rang habe.329 Das Beispiel der Wiedereingliederung Elsass-Lothringens in die Französische Republik nach dem Ersten Weltkrieg veranschaulicht zwei zentrale verfassungspolitische Aspekte, die auch im Rahmen des fortschreitenden europäischen Einigungsprozesses von Bedeutung sein werden. Erstens verdeutlicht die Koexistenz zweier verschiedener religionsverfassungsrechtlicher Systeme selbst innerhalb der „kompromisslos“ laizistischen und „unteilbaren“ Französischen Republik, dass eine politische und verfassungsrechtliche Integration nicht zwingend eine vollständige Vereinheitlichung des Reli­ gionsverfassungsrechts voraussetzt. Zweitens unterstreicht das gesellschaft­ liche Eintreten für das Religionsverfassungsrecht Elsass-Lothringens, insbesondere die heftigen Proteste gegen den Versuch der Ausdehnung der französischen laizistischen Religionsverfassung auf Elsass-Lothringen durch den französischen Regierungschef Édouard Herriot im Jahre 1924330, dass einerseits eine zu weitreichende Vereinheitlichung des Religionsverfassungsrechts Gefahren für die Akzeptanz eines politischen und verfassungsrechtlichen Annäherungsprozesses durch die Bevölkerung birgt, dass andererseits aber auch in „religionsverfassungsrechtlicher Toleranz“ eine besondere Chance für die gesellschaftliche Akzeptanz dieses Prozesses liegt. Für den Prozess der europäischen Integration folgt daraus, dass nicht ein einheitliches europäisches Religionsverfassungsrecht, sondern vielmehr nur eine schrittweise Angleichung der europäischen religionsverfassungsrechtlichen Ordnungen auf Grundlage eines religionsverfassungsrechtlichen „Minimalkompromisses“ im Rahmen der europäischen Einigungsbemühungen zielführend sein kann.

II. Möglichkeiten und Chancen einer religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas Das Beispiel Elsass-Lothringens zeigte die verfassungsrechtliche, politische und gesellschaftliche Bedeutung eines religionsverfassungsrechtlichen Konsenses für den Prozess der europäischen Integration auf. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) (1.) wird die vorliegende Abhandlung einen möglichen derartigen religionsverfassungs329  Verfassungsrat (Conseil constitutionnel), Az. 2011–157 QPC, 5. August 2011; siehe auch Bayle/Groz, Le droit local cultuel d’Alsace-Moselle, S. 19 und S. 234 f. 330  Ausführlich Einführung (S. 19 ff.).



B. Möglichkeiten der religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas283

rechtlichen Konsens unter Berücksichtigung der deutschen und der französischen Rechtsgeschichte aufzeigen (2.). 1. Möglichkeiten der Annäherung des französischen und des deutschen Religionsverfassungsrechts im Kontext der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Besonders der Europäische Gerichtshof (EuGH) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stehen vor der Herausforderung, sich auf keine einzelne Verfassungsordnung und Verfassungstradition berufen zu können, sondern die juristischen Traditionen und Normen aller Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) beziehungsweise des Europarats zu berücksichtigen und zu versöhnen. Aufgrund dieser integrativen Komponente kommt der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) eine besondere Vorbildfunktion für eine mögliche religionsverfassungsrechtliche Integration Europas zu. Die Religionsfreiheit wird durch Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantiert. „[Art. 9, Abs. 1 EMRK:] Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissensund Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen. [Art. 9, Abs. 2 EMRK:] Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“331

Im Europarecht wird die Religionsfreiheit wortgleich durch Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union332 garantiert, die durch Art. 6 Abs. 1 S. 1 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) den europäischen Verträgen gleichgestellt wird. Aus Art. 52 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union i. V. m. Art. 6 Abs. 1 S. 3 EUV folgt, dass die Religionsfreiheit des Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der

331  BGBl. 2010,

Teil II, S. 1198 ff. (1203). der Grundrechte der Europäischen Union, Az. 2016/C 202/02, verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:12016P/ TXT&from=EN (abgerufen am 11. Juli 2019). 332  Charta

284 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

Europäischen Union grundsätzlich analog zu Art. 9 EMRK auszulegen ist.333 Dies umfasst insbesondere auch die Schranke des Art. 9 Abs. 2 EMRK, wie die nach Art. 52 Abs. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union i. V. m. Art. 6 Abs. 1 S. 3 EUV bei der Auslegung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu berücksichtigenden Erläuterungen zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union334 verdeutlichen. Ferner findet nach Art. 6 Abs. 3 EUV die Garantie der Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK auch direkte Anwendung als allgemeiner Grundsatz des Europarechts. Als Konsequenz knüpft die Interpretation des Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) grundsätzlich an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 9 EMRK an.335 Daneben sind bei der Auslegung der europarechtlichen Garantie der Religionsfreiheit des Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nach Art. 52 Abs. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union i. V. m. Art. 6 Abs. 1 S. 3 EUV auch die entsprechenden nationalen europäischen Verfassungstraditionen zu berücksichtigen. Der persönliche Schutzbereich der Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK umfasst unter Rückgriff auf die prozessrechtliche Regelung der Antragsbefugnis des Art. 34 EMRK jede „natürliche Person, nichtstaatliche Organisation oder Personengruppe“.336 Als „nichtstaatliche Organisationen“ i.  S.  d. Art.  34 EMRK können sich im Ausnahmefall auch „staatsferne“ Körperschaften des öffentlichen Rechts, insbesondere die in Deutschland öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften337, auf das Menschenrecht der Reli­ gionsfreiheit des Art. 9 EMRK berufen.338 Von der Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK ausgeschlossen sind jedoch juristische Personen, die vorrangig wirtschaftliche Zielsetzungen verfolgen.339 Diese Auslegung des persön­lichen Schutzbereichs des Art. 9 EMRK gilt kraft Art. 52 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union i. V. m. Art. 6 Abs. 1 S. 3 EUV grund333  Erläuterungen zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Az. 2007/C 303/02, Art. 10, verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ TXT/PDF/?uri=CELEX:32007X1214(01) &from=EN (abgerufen am 11. Juli 2019). 334  Erläuterungen zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Az. 2007/C 303/02, Art. 10, verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ TXT/PDF/?uri=CELEX:32007X1214(01) &from=EN (abgerufen am 11. Juli 2019). 335  Siehe allgemein zum Verhältnis der Rechtsprechung von EuGH und EGMR Petersen, Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht II, § 10, Rz. 49. 336  BGBl. 2010, Teil II, S. 1198 ff. (1209) und Petersen, Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht II, § 2, Rz. 16. 337  Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 22, Rz. 109. 338  Petersen, Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht II, § 2, Rz. 19. 339  Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 22, Rz. 109.



B. Möglichkeiten der religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas285

sätzlich analog für die Garantie der Religionsfreiheit des Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, auf die sich dementsprechend neben allen natürlichen Personen auch alle Religionsgemeinschaften unabhängig von ihrer Rechtsform berufen können.340 Der sachliche Schutzbereich des Art. 9 EMRK und des Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist weit gezogen und grundsätzlich identisch. Durch Art. 9 EMRK und die äquivalente Garantie des Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist nicht nur die Religions-, sondern auch die Gedanken- und Gewissensfreiheit geschützt, eine Abgrenzung zwischen diesen drei Freiheitsrechten unterbleibt in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).341 Allerdings sind nur „diejenigen Überzeugungen [vom sachlichen Schutzbereich des Art. 9 EMRK umfasst], die ein ausreichendes Maß an Überzeugungskraft, Ernsthaftigkeit, Kohärenz und Bedeutung erreichen“.342

Ist allerdings diese Schwelle überschritten, hat eine inhaltliche Bewertung religiöser Überzeugungen oder Handlungen als Ausfluss des Prinzips der staatlichen religiösen Neutralität zu unterbleiben.343 Grundsätzlich orientiert sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bei der Anwendung der Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK an der durch die nationalen Gerichte vorgenommenen Klassifikation einer Handlung oder einer Gemeinschaft als religiös oder areligiös, deren Prüfung auf Plausibilität er sich jedoch vorbehält.344 340  Siehe EGMR, Obst/Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Az. 425/03, Rz. 44; Knecht, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 10 GRC, Rz. 3. 341  Meyer-Ladewig/Schuster, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg.), EMRK, Art. 9, Rz. 3; siehe auch Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der EU, Art. 10, Rz. 12. 342  „[…] le droit à la liberté de pensée, de conscience et de religion ne vaut certes que pour les convictions qui atteignent un degré suffisant de force, de sérieux, de cohérence et d’importance.“ (EGMR, S.A.S./Frankreich, Urteil vom 1. Juli 2014, Az. 43835/11, Rz. 55); siehe auch Meyer-Ladewig/Schuster, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg.), EMRK, Art. 9, Rz. 3. 343  „[…] le devoir de neutralité et d’impartialité de l’Etat est incompatible avec un quelconque pouvoir d’appréciation de sa part quant à la légitimité des convictions religieuses ou à la manière dont elles sont exprimées.“ (EGMR, S.A.S./Frankreich, Urteil vom 1. Juli 2014, Az. 43835/11, Rz. 55; Übersetzung des französischen Originaltexts: „Die staatliche Neutralität und Unparteilichkeit ist unvereinbar mit jedweder Befugnis seinerseits, die Legitimität religiöser Überzeugungen oder der Art, wie sie ausgedrückt werden, zu bewerten“). 344  So beispielsweise EGMR, Kimlya et al./Russische Föderation, Urteil vom 1. Oktober 2009, Az. 76836/01 und 32782/03, Rz. 79 ff.; siehe dazu Raynault-Ollu/ Zucchi, Revue Juridique Thémis 46, 649 (653 und 657).

286 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

Durch Art. 9 EMRK und den äquivalenten Art. 10 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union wird sowohl die positive Religionsfreiheit, die Freiheit des Glaubens, als auch die negative Religionsfreiheit, die Freiheit des Nichtglaubens, geschützt.345 Neben der Freiheit, einen eigenen Glauben zu bilden und zu haben, ist auch die Freiheit, diesen Glauben öffentlich kundzutun und zu verbreiten, geschützt.346 Ferner ist die Freiheit der Glaubensausübung im privaten wie auch im gemeinschaftlichen Rahmen gewährleistet.347 Der Staat ist ferner verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit durch nichtstaatliche Vereine und Privatpersonen vorzubeugen.348 Darüber hinaus folgt aus Art. 9 EMRK und Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union eine Garantie der staatlichen religiösen „Neutralität und Unparteilichkeit“.349 „Article 9 of the Convention […] imposes on Contracting States a ‚duty of neutrality and impartiality‘. In that connection, it should be pointed out that States have responsibility for ensuring, neutrally and impartially, the exercise of various religions, faiths and beliefs. Their role is to help maintain public order, religious harmony and tolerance in a democratic society, particularly between opposing groups.“350 „Artikel 9 der [Europäischen Menschenrechtskonvention] […] erlegt den Vertragsparteien eine Verpflichtung der Neutralität und Unparteilichkeit auf. In dieser Hinsicht soll hervorgehoben werden, dass Staaten eine Verantwortung haben, neutral und unparteilich die Ausübung verschiedener Religionen, Konfessionen und Weltanschauungen zu garantieren. Ihre Rolle ist es, die öffentliche Ordnung sowie religiöse Harmonie und Toleranz vor allem zwischen rivalisierenden Gruppen in einer demokratischen Gesellschaft sicherzustellen.“351

Bei der Anwendung des Prinzips der staatlichen religiösen Neutralität stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) maßgeblich 345  EGMR, Kokkinakis/Griechenland, Urteil vom 25. Mai 1993, Az 14307/88, Rz. 31; siehe auch Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der EU, Art. 10, Rz. 12 und ausführlich Harris/O’Boyle/Warbrick, Law of the ECHR, S. 426. 346  EGMR, Kokkinakis/Griechenland, Urteil vom 25. Mai 1993, Az. 14307/88, Rz. 31. 347  EGMR, Kokkinakis/Griechenland, Urteil vom 25. Mai 1993, Az 14307/88, Rz. 31; Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 10, Rz. 7. 348  Siehe vertiefend Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 22, Rz. 133. 349  EGMR, Lautsi et al./Italien, Urteil der Großen Kammer vom 18. März 2011, Az. 30814/06, Rz. 60; Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 10, Rz. 21. 350  EGMR, Lautsi et al./Italien, Urteil der Großen Kammer vom 18. März 2011, Az. 30814/06, Rz. 60. 351  Übersetzung des englischen Originaltexts aus EGMR, Lautsi et al./Italien, Urteil der Großen Kammer vom 18. März 2011, Az. 30814/06, Rz. 60.



B. Möglichkeiten der religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas287

auf eine integrative Betrachtung der nationalen Verfassungsordnungen der Mitgliedsstaaten des Europarates ab.352 Die Existenz von Staatskirchen als Relikt des landesherrlichen Kirchenregiments, etwa in Dänemark und England, ist mit der Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK vereinbar353 und wird im Europarecht sogar durch Art. 17 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) explizit akzeptiert.354 Allerdings ist es dem Staat untersagt, „das Ziel einer [religiösen] Indoktrination zu verfolgen, das als fehlender Respekt vor den religiösen und philosophischen Überzeugungen der Eltern gewertet werden könnte“.355

Insbesondere ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) die „Neutralität und Unparteilichkeit des Staates unvereinbar mit jeder Art von Befugnis von seiner Seite, die Legitimität religiöser Überzeugungen oder den Weg, wie diese Überzeugungen kundgetan werden, zu bewerten. Im schulischen Kontext sollte die [staatliche religiöse] Neutralität den Pluralismus sichern“.356

Auf dieser Grundlage erklärte eine Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte durch Urteil vom 3. November 2009 eine gesetz­ liche Verpflichtung zur Anbringung von Kreuzen in staatlichen Schulen für mit Art. 2 des Zusatzprotokolls zur EMRK357 i. V. m. Art. 9 EMRK unvereinbar, da das christliche Kreuz ein vorrangig religiöses Symbol darstelle 352  Siehe nur beispielhaft die Diskussion in EGMR, Lautsi et al./Italien, Urteil der Großen Kammer vom 18. März 2011, Az. 30814/06, Rz. 26 ff. 353  Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der EU, Art. 10, Rz. 12; Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 10 GRC, Rz. 7; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG – Kommentar: Bd. I, Art. 4, Rz. 34. 354  Ausführlich zu Art. 17 AEUV Portier, L’Etat et les religions en France, S. 208; siehe auch Morlok, in: Dreier (Hrsg.), GG – Kommentar: Bd. III, Art. 140, Rz. 20. 355  „The State is forbidden to pursue an aim of indoctrination that might be considered as not respecting parents’ religious and philosophical convictions.“ (EGMR, Kjeldsen/Dänemark, Urteil vom 7. Dezember 1976, Az. 5095/71, 5920/72 und 5926/72, Rz. 53; EGMR, Lautsi et al./Italien, Urteil vom 3. November 2009, Az. 30814/06, Rz. 47d). 356  „The State’s duty of neutrality and impartiality is incompatible with any kind of power on its part to assess the legitimacy of religious convictions or the ways of expressing those convictions. In the context of teaching, neutrality should guarantee pluralism.“ (Lautsi et al./Italien, Urteil vom 3. November 2009, Az. 30814/06, Rz. 47e). 357  „Niemandem darf das Recht auf Bildung verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.“ (BGBl. 2010, Teil II, S. 1198 ff. (1218)).

288 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

und dessen verpflichtende Präsenz in öffentlichen Schulen die Religionsfreiheit nicht-christlicher Kinder erheblich beeinträchtige.358 „The presence of the crucifix may easily be interpreted by pupils of all ages as a religious sign, and they will feel that they have been brought up in a school environment marked by a particular religion. What may be encouraging for some religious pupils may be emotionally disturbing for pupils of other religions or those who profess no religion. That risk is particularly strong among pupils belonging to religious minorities.“359 „Die Anwesenheit eines Kruzifixes [im Klassenzimmer] kann leicht von Schülern jedes Alters als ein religiöses Symbol interpretiert werden, und sie werden spüren, dass sie in einem schulischen Umfeld, das von einer bestimmten Religion geprägt wird, erzogen werden. Was für manche religiöse Schüler ermutigend sein mag, kann für Schüler einer anderen Religion oder Schüler, die keine Religion ausüben, emotional verstörend sein. Dieses Risiko ist besonders stark bei Schülern, die religiösen Minderheiten angehören.“360

Demgegenüber betonte die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in ihrem Urteil vom 18. März 2011 zwar, dass das Kreuz ein religiöses Symbol darstelle, doch sah sie in der Anbringung von Kreuzen in Klassenzimmern öffentlicher Schulen keine relevante Be­ einträchtigung der negativen Religionsfreiheit der Schüler und räumte den natio­ nalen Gesetzgebern einen weiten Gestaltungsspielraum bezüglich der Anbringung von Kreuzen in öffentlichen Schulen ein.361 „There is no evidence before the Court that the display of a religious symbol on classroom walls may have an influence on pupils and so it cannot reasonably be asserted that it does or does not have an effect on young persons whose convictions are still in the process of being formed.“362 „Der [Großen Kammer des EGMR] liegt kein Beweis dafür vor, dass die Zurschaustellung religiöser Symbole an Klassenzimmerwänden einen Einfluss auf Schüler haben kann, und deshalb kann nicht sicher festgestellt werden, ob [die Anbringung von Kreuzen in öffentlichen Schulen] Einfluss auf junge Menschen, deren [religiöse] Überzeugungen sich noch in einem Prozess der Entwicklung befinden, hat.“363 358  Lautsi

55.

359  Lautsi

et al./Italien, Urteil vom 3. November 2009, Az. 30814/06, Rz. 51 f. und

et al./Italien, Urteil vom 3. November 2009, Az. 30814/06, Rz. 55. des englischen Originaltexts aus Lautsi et al./Italien, Urteil vom 3. November 2009, Az. 30814/06, Rz. 55. 361  EGMR, Lautsi et al./Italien, Urteil der Großen Kammer vom 18. März 2011, Az. 30814/06, Rz. 66 ff. 362  EGMR, Lautsi et al./Italien, Urteil der Großen Kammer vom 18. März 2011, Az. 30814/06, Rz. 66. 363  Übersetzung des englischen Originaltexts aus EGMR, Lautsi et al./Italien, Urteil der Großen Kammer vom 18. März 2011, Az. 30814/06, Rz. 66. 360  Übersetzung



B. Möglichkeiten der religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas289

Ähnlich wie im Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 18. März 2011 räumte der EGMR den Mitgliedsstaaten auch in anderen religionsverfassungsrechtlichen Streitfragen einen weiten religionsverfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraum ein. So sah der EGMR Verbote des Tragens von islamischen Kopftüchern durch Lehrer als durch die negative Religionsfreiheit der Schüler gerechtfertigt an.364 Ferner können Verbote des Tragens religiöser Symbolik durch Schüler oder Lehrer auch als Ausfluss der laizistischen Religionsverfassung eines Staates zulässig sein.365 Allerdings ist der Gestaltungsspielraum der Mitgliedsstaaten des Europarats und der Europäischen Union in Fragen des Religionsverfassungsrechts nicht unbegrenzt. Dies demonstriert besonders die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum deutschen „kirchlichen Arbeitsrecht“. Die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts räumt den Kirchen einen weiten Gestaltungsspielraum bezüglich besonderer arbeitsrechtlicher Loyalitätsanforderungen ein und sieht lediglich eine Plausibilitätsprüfung sowie eine Abwägung gegen die Grundrechte der Arbeitnehmer unter besonderer Gewichtung des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts vor.366 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) spricht den Kirchen zwar ebenfalls ein Recht der eigenverantwortlichen Gestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse im Lichte ihres kirchlichen Selbstverständnisses zu,367 stellt jedoch hohe Anforderungen an die Zulässigkeit von Grundrechtseinschränkungen der Arbeitnehmer durch kirchliche arbeitsrechtliche Loyalitätsanforderungen.368 Die nationalen Gerichte sind verpflichtet, die Schlüssigkeit und Notwendigkeit der von den Kirchen aufgestellten Loyalitätsanforderungen zu überprüfen.369 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) behält sich dabei eine Prüfung der von den nationalen Gerichten durchgeführten Abwägung der Grundrechte des Arbeitnehmers und der Religionsge364  EGMR,

Dahlab/Schweiz, Urteil vom 15. Februar 2001, Az. 42393/98. Kurtulmuş/Türkei, Urteil vom 24. Januar 2006, Az. 65500/01; EGMR, Leyla Şahin/Türkei, Urteil der Großen Kammer vom 10.  November 2005, Az. 44774/98; EGMR, Dogru/Frankreich, Urteil vom 4. Dezember 2008, Az. 27058/04; EGMR, Kervanci/Frankreich, Urteil vom 4. Dezember 2008, Az. 31645/04. 366  Junker, NJW 2018, 1850 (1850); siehe auch Kapitel 3, A.II.2.b) (S. 267 ff.). 367  Siehe EGMR, Obst/Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Az. 425/03, Rz. 44. 368  Siehe beispielhaft die Diskussion der Abwägung der Grundrechte des Arbeitnehmers und der Religionsgemeinschaft in EGMR, Obst/Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Az. 425/03, Rz. 47 ff.; siehe auch Walter, ZevKR 57, 233 (243). 369  EGMR, Siebenhaar/Deutschland, Urteil vom 3. Februar 2011, Az. 18136/02, Rz. 45. 365  EGMR,

290 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

meinschaft vor.370 Insgesamt folgt aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs damit eine „Stärkung“ der Grundrechte der Arbeitnehmer in ihrer Kollision und Abwägung mit dem Selbstverwaltungsrecht der Kirchen im Kontext des „kirchlichen Arbeitsrechts“.371 Noch deutlicher als die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) schränkt jedoch der Europäische Gerichtshof (EuGH) die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etablierten „arbeitsrechtlichen Privilegien“ der Kirchen ein. Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum „kirchlichen Arbeitsrecht“ ist die in Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG gewährleistete Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer unabhängig von ihren religiösen Überzeugungen. Der in § 9 des deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) umgesetzte Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG gewährt den nationalen Gesetzgebern jedoch das Recht, ausnahmsweise Ungleichbehandlungen zu Lasten eines Arbeitnehmers zuzulassen, „wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos [einer religiösen oder weltanschaulichen] Organisation darstellt“.

Ferner gestattet Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG den Kirchen, „von den für sie arbeitenden Personen [zu] verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Organisation verhalten“.

Im Unterschied zum deutschen Bundesverfassungsgericht konzentriert sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Fragen des „kirchlichen Arbeitsrechts“ jedoch weit weniger auf das Selbstverwaltungsrecht und die Religionsfreiheit der Kirchen und weitaus mehr auf den Grundsatz der Gleichbehandlung des Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Richtlinie 2000/78/EG. Als Folge stellt der Europäische Gerichtshof (EuGH) hohe Anforderungen an die Anwendung der Ausnahmevorschrift des Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG. Zwar untersagt der Grundsatz der staatlichen religiösen Neutralität eine inhaltliche Bewertung des kirchlichen Selbstverständnisses und Ethos, doch sind die Kirchen zur Darlegung und die Gerichte zur Prüfung, ob eine religiöse Ungleichbehandlung oder Loyalitätsanforderung „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ im Sinne des Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG ist, ver-

370  EGMR, Schüth/Deutschland, Urteil vom 23. September 2010, Az. 1620/03, Rz.  67 ff. 371  Walter, ZevKR 57, 233 (243).



B. Möglichkeiten der religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas291

pflichtet.372 Eine ausschließliche Prüfung der kirchlichen arbeitsrechtlichen Anforderungen auf Plausibilität, wie sie das Bundesverfassungsgericht als Ausfluss der Garantie der Selbstverwaltung der Kirchen des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV anordnet, genügt insofern den europarechtlichen Anforderungen nicht.373 Die vom Bundesverfassungsgericht für zulässig erklärte Differenzierung der Loyalitätsanforderungen nach der Religionszugehörigkeit des Arbeitnehmers, etwa durch Art. 4 der katholischen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 27. April 2015, erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) zwar nicht ausdrücklich für mit dem Europarecht unvereinbar, doch wertete er die ­Beschäftigung nicht katholischer Arbeitnehmer, die nicht zur Befolgung der „Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre“ verpflichtet sind,374 in leitenden Positionen als starkes Indiz, dass diese Loyalitätsanforderung für die betreffenden leitenden Positionen nicht „wesentlich“ im Sinne des Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG und damit unzulässig ist.375 Insgesamt stellt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) einen wichtigen Minimalkonsens unter den europäischen religionsverfassungsrechtlichen Systemen her. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit ist im Europarecht und im Recht der EMRK ähnlich weit wie im deutschen und französischen Recht gefasst, eine Berufung auf die Religionsfreiheit ist niedrigschwellig möglich. Bei der Anwendung des Grundsatzes der staatlichen religiösen Neutralität stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) maßgeblich auf die nationalen religionsverfassungsrechtlichen Traditionen ab und räumt den Mitgliedsstaaten einen weiten Gestaltungsspielraum zur Regelung ihres Verhältnisses zu Religionen und Religionsgemeinschaften ein. Gleichzeitig betont die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die besondere individuumsschützende Dimension der Religionsfreiheit. Wie das Beispiel der Rechtsprechung zum deutschen „kirchlichen Arbeitsrecht“ demonstriert, ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) der Gestaltungsspielraum der Mitgliedsstaaten grundsätzlich überschritten, sofern die Religionsfreiheit des Individuums und das Prinzip der 372  Siehe EuGH, Urteil vom 17. April 2018, C–414/16 (Egenberger), Rz. 59 und Rz. 61 ff.; EuGH, Urteil vom 11. September 2018, C–68/17 (IR gegen JQ), Rz. 45 und Rz. 55 f.; siehe auch Lörler, NJ 2018, 489 (492 f.) und Schneedorf, NJW 2019, 177 (179). 373  Siehe EuGH, Urteil vom 17. April 2018, C–414/16 (Egenberger), Rz. 64 ff. 374  E contrario aus Art. 4 Abs. 1, S. 1 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 27. April 2015. 375  EuGH, Urteil vom 11. September 2018, C–68/17 (IR gegen JQ), Rz. 58 f.

292 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

Gleichbehandlung vollständig hinter die kollektive Religionsfreiheit und das Selbstverwaltungsrecht der Religionsgemeinschaften zurücktreten. Insofern liefert die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zwei wichtige Prinzipien für einen europäischen religionsverfassungsrechtlichen Kompromiss, die im Sinne der Rechtsphilosophie des englischen Philosophen Herbert Lionel Adolphus Hart kategorisiert werden können. Hart unterschied einen „core of certainty“ (Kern der Sicherheit), der von den eindeutig aus einer juristischen Norm ableitbaren Verhaltensanforderungen gebildet wird, von einer „penumbra of doubt“ (Vorhof des Zweifels), die die Dimensionen darstellt, in denen eine eindeutige Anwendung dieser juristischen Norm nicht möglich ist.376 Grundsätzliche Fragen der Organisation des Verhältnisses von Staat und Kirche sind der „penumbra of doubt“ der Reli­ gionsfreiheit zuzurechnen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) folgerichtig dem Gestaltungsspielraum der Mitgliedsstaaten überlässt. „Les autorités nationales jouissent d’une légitimité démocratique directe et, ainsi que la Cour l’a affirmé à maintes reprises, se trouvent en principe mieux placées que le juge international pour se prononcer sur les besoins et contextes locaux. Lorsque des questions de politique générale sont en jeu, sur lesquelles de profondes divergences peuvent raisonnablement exister dans un État démocratique, il y a lieu d’accorder une importance particulière au rôle du décideur national. […] Il en va en particulier ainsi lorsque ces questions concernent les rapports entre l’État et les religions.“377 „Die nationalen Organe verfügen über eine direkte demokratische Legitimität und sind deshalb, wie der [EGMR] es bereits mehrfach betont hat, im Prinzip besser als der internationale Richter geeignet, um sich zu den lokalen Bedürfnissen und Rahmenbedingungen zu äußern. Sofern Fragen der allgemeinen Politik, über die vernünftigerweise grundlegende Meinungsverschiedenheiten in einem demokratischen Staat bestehen können, betroffen sind, ist der Rolle des nationalen Entscheiders eine besondere Bedeutung beizumessen. […] Dies gilt im Besonderen, sofern diese Fragen die Beziehungen zwischen dem Staat und den Religionen betreffen.“378

Schwerwiegende Einschränkungen der Garantie der individuellen Religionsfreiheit und der Gleichbehandlung, etwa die Benachteiligung von Bewerbern und Arbeitnehmern wegen deren Religionszugehörigkeit (wie im Fall Egenberger, C–414/16) oder Verstößen gegen kirchliche Glaubenssätze (wie im Fall IR gegen JQ, C–68/17) fallen jedoch in den „core of certainty“ der 376  Hart,

The Concept of Law, S. 123. S.A.S./Frankreich, Urteil vom 1. Juli 2014, Az. 43835/11, Rz. 129. 378  Übersetzung des französischen Originaltexts aus EGMR, S.A.S./Frankreich, Urteil vom 1. Juli 2014, Az. 43835/11, Rz. 129; siehe auch Herdegen, Europarecht, § 3, Rz. 51. 377  EGMR,



B. Möglichkeiten der religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas293

Religionsfreiheit und verlangen nach einer Lösung dieser Fälle durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Diese Unterscheidung zwischen einer „penumbra of doubt“ und einem „core of certainty“ hat eine wesentliche Bedeutung für das zukünftige europäische Religionsverfassungsrecht. Ein europäischer religionsverfassungsrechtlicher Kompromiss muss zwingend alle dem religionsverfassungsrechtlichen „core of certainty“ zugeordneten Rechtsfragen unter Einbeziehung, Integration und Versöhnung der nationalen religionsverfassungsrechtlichen Ordnungen lösen. Der „core of certainty“ stellt insofern die wertbezogene Dimension des Religionsverfassungsrechts dar, in der die Errungenschaften der europäischen christlichen und verfassungshistorischen Traditionen zum Ausdruck kommen müssen. Unverzichtbar ist deshalb auf europäischer Ebene die Anerkennung der Religionsfreiheit und der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit sowie der Fokus der religionsverfassungsrechtlichen Rechtsprechung auf das Individuum, nicht auf das Kollektiv oder die Religionsgemeinschaften. Die religionsverfassungsrechtlichen Probleme der „penumbra of doubt“ hingegen können unter Anerkennung des europäischen religiösen und religionsverfassungsrechtlichen Pluralismus gelöst werden. Im Gegensatz zu den europäischen religionsverfassungsrechtlichen Grundwerten bedürfen Detailfragen des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften, etwa die Entscheidung für oder gegen eine laizistische Religionsverfassung, im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) keiner einheitlichen europäischen Lösung. Im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist im Rahmen des Prozesses der europäischen Integration keine Vereinheitlichung des europäischen Religionsverfassungsrechts, sondern vielmehr ein europäischer religionsverfassungsrechtlicher Pluralismus auf der Grundlage der gemeinsamen christlichen und verfassungsrechtlichen Werte der Religionsfreiheit und des Schutzes des Individuums anzustreben. 2. Entwurf eines europäischen religionsverfassungsrechtlichen Konsenses auf Grundlage des rechtshistorischen Vergleichs des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts Die vorliegende Abhandlung hat wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts aufgezeigt und auf Grundlage ihrer Funktion im rechtshistorischen Kontext erläutert. Durch den Entwurf eines darauf aufbauenden religionsverfassungs-

294 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

rechtlichen Konsenses will sie zum Prozess der europäischen verfassungsrechtlichen Integration beitragen. Grundlage dieses religionsverfassungsrechtlichen Konsenses kann, wie das Beispiel Elsass-Lothringens379 verdeutlichte, ausschließlich die Anerkennung und Akzeptanz des Pluralismus der europäischen religionsverfassungsrechtlichen Ordnungen sein. Wie die Diskussion der Unterschiede des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts verdeutlichte, sind unterschiedliche religionsverfassungsrechtliche Normen in Europa Ausdruck unterschiedlicher verfassungs- und ideengeschichtlicher Traditionen und Errungenschaften. Gleichzeitig sind sie Ausdruck unterschiedlicher Funktionen und Konzeptionen des Religionsverfassungsrechts, die eine strenge Vereinheitlichung niemals berücksichtigen und zusammenführen könnte. So würde einer Fusion des religiös aufgeladenen, historisch kirchenkritischen französischen Laizismus mit der nüchterneren, kirchenfreundlicheren Kompromisslösung der Weimarer Reichsverfassung jede normative und rechtshistorische Grundlage fehlen. Ist eine Vereinheitlichung der europäischen religionsverfassungsrechtlichen Ordnungen unmöglich, so kann die Zukunft des europäischen Reli­ gionsverfassungsrechts nur in einer Annäherung auf der Grundlage gemeinsamer religionsverfassungsrechtlicher Werte und Traditionen beruhen. Die zwei verfassungsrechtlichen Grundsatzentscheidungen des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts für religiösen Pluralismus und für staatliche religiöse Neutralität können dabei als Grundlage eines euro­päischen religionsverfassungsrechtlichen Kompromisses fungieren. Beide Grundsatzentscheidungen sind Konsequenzen des christlichen und verfassungsgeschichtlichen Erbes Europas und postulieren eine wichtige Prämisse des zukünftigen europäischen Religionsverfassungsrechts: Das Religionsverfassungsrecht muss inklusiv, nicht exklusiv sein. Für das Verhältnis des Bürgers zum Staat bedeutet dies, dass ein europäischer religionsverfassungsrechtlicher Konsens auf der Religionsfreiheit, der Trennung von Staat und Religion, der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit und der Integration religiöser Minderheiten in den säkularen Staat basieren muss. Dies kann nur gelingen, wenn das Religionsverfassungsrecht seinen Fokus weg von der Religion hin zum Bürger richtet. Ganz im Sinne der christlichen Theologie sollte das Individuum nicht mit dem Kollektiv, der einzelne Bürger nicht mit der Religionsgemeinschaft gleichgesetzt werden. Für den Fall des Tragens religiöser Symbolik im schulischen Kontext bedeutet dies etwa, dass – der Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts folgend – im Falle der 379  Kapitel 3,

B.I.1. (S. 271 ff.).



B. Möglichkeiten der religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas295

Schüler keine pauschalen Verbote, sondern Einzelfallentscheidungen unter besonderer Berücksichtigung der individuellen Grund- und Menschenrechte angemessener sind. Wo aber die staatliche religiöse Neutralität in Frage gestellt wird, etwa – entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – durch das Verwenden religiöser Symbolik durch Lehrer und Beamte, sind generelle Verbote jedoch durchaus gerechtfertigt:380 Die staatliche religiöse Neutralität ist ein verfassungsrechtliches Gut von besonders hohem Wert, da sie es dem Staat ermöglicht, nicht die Religion, sondern den Bürger zu sehen. Für das institutionelle Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften hingegen lassen sich aus dem rechtshistorischen Vergleich des deutschen und des französischen Religionsverfassungsrechts aufgrund der diskutierten großen Unterschiede381 keine – über das oben Ausgeführte hinausgehenden – gemeinsamen europäischen Prinzipien etablieren. Die Rechtsgeschichte zeigt jedoch, dass dieses Verhältnis grundsätzlich nach dem demokratischen Willen der Bevölkerung ausgestaltet sein muss. Nur so kann eine ausreichende gesellschaftliche und politische Akzeptanz des Religionsverfassungsrechts gesichert werden, wie bereits der schottische Philosoph und Begründer des Konzepts der freien Marktwirtschaft382, Adam Smith, in seinem im Jahre 1776 erschienenen Hauptwerk „Der Wohlstand der Nationen“ („The wealth of nations“) betonte. „The laws concerning corn may everywhere be compared to the laws concerning religion. The people feel themselves so much interested in what relates either to their subsistence in this life, or to their happiness in a life to come, that government must yield to their prejudices, and, in order to preserve the public tranquillity, establish that system which they approve of.“383 „Die Gesetze betreffend Getreide können überall mit den Gesetzen betreffend Religion verglichen werden. Die Menschen interessieren sich gleichermaßen für ihren Unterhalt in diesem Leben wie für ihr Glück im kommenden Leben, sodass die Regierung ihren Forderungen nachgeben muss, und, um den öffentlichen Frieden zu bewahren, das System [betreffend Religion und Weizen] einführen muss, das [die Menschen] befürworten.“384

380  So im Ergebnis wohl auch die abweichende Meinung der Richter Schluckebier und Hermanns in BVerfGE 138, 296 (359 ff.); siehe auch Dreier, Staat ohne Gott, S. 137 ff. und Adamski, GWP 2015, 403 (409). 381  Kapitel 3, A.II.2. (S. 263 ff.). 382  Siehe zur Rolle Adam Smiths als Vordenker der freien Marktwirtschaft Miles/ Scott, Macroeconomics, S. 229. 383  Smith, The wealth of nations, S. 260. 384  Übersetzung des englischen Originaltexts aus Smith, The wealth of nations, S. 260.

296 Kap. 3: Perspektiven einer Annäherung des Religionsverfassungsrechts

Sowohl das Gesetz über den Laizismus von 1905 als auch der religionsverfassungsrechtliche Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung waren in diesem Sinne Ausdruck der Vorstellungen der Bevölkerung zum Religionsverfassungsrecht, was eine wichtige Voraussetzung für die verfassungsrechtliche und politische Akzeptanz und Kontinuität der beiden religionsverfassungsrechtlichen Systeme darstellte. In Frankreich „bestätigte“ die Bevölkerung die laizistische Religionsverfassung durch den Wahlsieg der radikalen Republikaner und Sozialisten bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer (Chambre des députés) im Mai 1906.385 In Deutschland „verwarfen“ die Wahlberechtigten hingegen die laizistische Politik von SPD und USPD, indem sie diesen eine Mehrheit bei den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung am 15. Januar 1919 verweigerten.386 In diesem Sinne sollte auch auf europäischer Ebene die Bevölkerung im Rahmen von Anhörungen und Abstimmungen in den Annäherungsprozess des Religionsverfassungsrechts einbezogen werden. Nur ein transparent erarbeiteter, den religiösen und religionsverfassungsrechtlichen Pluralismus in Europa respektierender und widerspiegelnder religionsverfassungsrechtlicher Kompromiss kann langfristig gesellschaftlich und politisch akzeptiert und erfolgreich sein. Dieser Kompromiss ist jedoch eine zwingende Voraussetzung für den Erfolg einer gemeinsamen europäischen Verfassung, die gleichermaßen transparent ausgearbeitet und demokratisch legitimiert sein sollte. Die Einbindung der Bevölkerung in den Annäherungsprozess des europäischen Religionsverfassungsrechts ist dabei keineswegs ein „Hemmschuh“ der europäischen Integration. Vielmehr kann sie helfen, die unterschiedlichen religionsverfassungsrechtlichen Normen und rechtshistorischen Traditionen in Europa zu versöhnen und zu vereinigen. Die großen Unterschiede zwischen dem gegenwärtigen deutschen und französischen Religionsverfassungsrecht sind auch ein Produkt der entsprechenden Funktion des jeweiligen religionsverfassungsrechtlichen Systems in seinem rechtshistorischen Kontext. Mehr als ein Jahrhundert nach dem Erlass des Gesetzes über den Laizismus von 1905 und der Weimarer Reichsverfassung haben sich jedoch die verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Rahmenbedingungen grundlegend gewandelt. Auf der einen Seite ist der anhaltende Mitgliederschwund der großen christlichen Kirchen in Deutschland und Frankreich ein Ausdruck des fortschreitenden Säkularisierungsprozesses und ein Korrelat der europäischen Tradition des christlichen Individualismus und der verfassungsrechtlichen Grundsatzentscheidung für religiösen Pluralismus und für staatliche religiöse Neutralität. Auf der anderen Seite verdeutlichte die überwältigende frankreich-, europa- und weltweite Solidarität nach dem Brand 385  Baubérot, 386  Siehe

Histoire de la laïcité en France, S. 79. Kapitel 2, A.II.2.b)bb)(1)(a) (S. 139 ff.).



B. Möglichkeiten der religionsverfassungsrechtlichen Integration Europas297

der Kathedrale Notre-Dame de Paris am 15. und 16. April 2019, dass Religion im Allgemeinen und das Christentum im Besonderen noch immer wichtige Bestandteile der europäischen Kultur, Politik und Gesellschaft sowie des europäischen Selbstverständnisses sind. Nur durch einen demokratischen Prozess können diese zwei gegensätzlichen Tendenzen, in denen sich die europäischen Traditionen der „christlichen Säkularisierung“ und der Religionsfreiheit sowie das europäische christlich-individualistische Selbstverständnis konkretisieren, in einer zukünftigen europäischen Verfassung versöhnt und vereint werden.

Französischsprachige Zusammenfassung L’étude d’histoire constitutionnelle comparée analyse en trois parties les droits des cultes français et allemand dans la perspective juridico-historique en mettant l’accent sur les réformes fondamentales adoptées sous la Troisième République et sous la République de Weimar qui forment la base des droits des cultes actuels français et allemand. La première partie insère les réformes des droits des cultes adoptées sous la Troisième République et sous la République de Weimar dans leur contexte historique marqué par la républicanisation et la démocratisation qui jouaient un rôle primordial dans le processus de séparation des Églises et de l’État dans ces deux pays. La deuxième partie souligne d’abord l’importance de la théologie chrétienne et de la liberté confessionnelle, moteurs de la sécularisation, dans le processus de séparation des Églises et de l’État en France et en Allemagne. Ensuite, l’histoire des droits des cultes français et allemand est retracée de la Révolution au présent en mettant l’accent sur les débats sur la séparation des Églises et de l’État sous la Troisième République et sous la République de Weimar. Dans ce contexte, le but de renforcer la liberté confessionnelle et le pluralisme religieux est identifié comme un point commun central des réformes du droit des cultes de la Troisième République et de la République de Weimar. Toutefois, la laïcité se distingue de la séparation „amiable“ de la constitution de Weimar en raison de ses fondements historico-politiques. Tandis que la laïcité française s’insère dans les traditions gallicane, rousseauiste et révolutionnaire qui facilitaient la rupture de l’État français et de l’Église catholique, ce sont surtout le gouvernement des Églises luthériennes par les seigneurs (landesherrliches Kirchenregiment) et le modèle de parité des trois Églises d’État (catholique, réformée et luthérienne) du Code prussien (Preußisches Allgemeines Landrecht) qui favorisaient la réconciliation entre liberté confessionnelle, pluralisme religieux et privilèges des Églises dans la constitution de Weimar. La troisième partie qui analyse les droits des cultes actuels français et allemand souligne d’abord l’importance des principes partagés de liberté confessionnelle, de pluralisme religieux et de neutralité de l’État en matière religieuse. Toutefois, le droit des cultes français par contraste avec le droit allemand est marqué par l’anticléricalisme de la Troisième République, par la dimension religieuse de la laïcité et par la tradition rousseauiste de la



Französischsprachige Zusammenfassung299

France qui résultent en la „rigidité“ de la laïcité dans sa confrontation avec la liberté confessionnelle, illustrée aux exemples du traitement juridique de l’emploi de symboles religieux dans l’espace scolaire et des règles particulières applicables aux Églises en droit du travail. Dans le but de réconcilier ces différences dans le processus d’intégration européenne, l’étude conclut en formulant sur la base de la jurisprudence de la Cour européenne des droits de l’homme (CEDH) et de la Cour de justice de l’Union européenne (CJUE) des principes pouvant servir de base pour un rapprochement des droits des cultes européens.

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Stichwortverzeichnis Absolutismus  68–70, 72–74, 174–178, 196 Act of Supremacy (1534)  57 Alsace-Moselle siehe Elsass-Lothringen Altkatholizismus  128, 131 Ambrosius von Mailand  50, 51 Ancien Régime  72–76, 80, 81, 84–86, 177, 178, 182 Appel comme d’abus  172 Arouet, François-Marie siehe Voltaire Associations cultuelles  100–102, 104–106, 110–112, 115, 116, 152, 182, 248, 259, 262 Associations diocésaines  116 Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht  95, 117, 126, 276 Auflösung der Ordensgemeinschaften (Frankreich)  96–99, 214, 218, 228 Augsburger Reichs- und Religionsfrieden (1555)  26, 53, 64–67, 69, 70, 186, 187 Augustinus von Hippo  51, 52, 235 Autels de la patrie  238, 239 Bartholomäusnacht (1572)  63 Bekennende Kirche  156 Bellarmino, Roberto  52, 175 Bossuet, Jacques-Bénigne  68, 174–180, 230–232, 243 Briand, Aristide  43, 105–116, 119, 183 Buisson, Ferdinand  96, 97, 103–105, 181, 182, 217, 218, 240 Bürgerliche Ehe –– Deutschland  126, 127, 131, 132 –– Frankreich  178, 216 Calvinismus  63, 184, 185

Code civil  81, 216, 217 Combes, Émile  33, 96, 98, 104 Cuius regio, eius religio  26, 53, 64 Deismus  198, 203, 204 Dekret über die Religionsausübung (Frankreich, 1795)  25, 26, 79, 80, 227 Dekretum Gratiani (1140)  169 Denier de l’Église  259 Deutsche Demokratische Partei (DDP)  134–136, 141, 149–151, 193, 194, 242, 245 Deutsche Demokratische Republik (DDR)  161–163 Deutsche Evangelische Kirche (DEK)  159 Deutsche Volkspartei (DVP)  138, 151–153, 194 Deutsche Zentrumspartei  130, 132, 147–149, 192–194 Deutschnationale Volkspartei (DNVP)  133, 145–147, 192, 194 Dignitatis humanae (1965)  237 Doppelter Kompromiss (WRV)  137 Dreißigjähriger Krieg  56, 69 Dreyfus-Affäre  32 Durkheim, Émile  229, 230 Edikt von Fontainebleau (1685)  68, 69, 272 Edikt von Nantes (1598)  63, 64, 67, 68, 70 Edikt von Versailles (1787)  71, 74 Elsass-Lothringen –– Geltendes Religionsverfassungsrecht  83, 278–282

Stichwortverzeichnis321 –– Geschichte des Religionsverfassungsrechts  19–21, 102, 271–278 Episkopalismus  170 Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789)  74, 77, 213–215, 226, 238–240, 243, 246, 272 Erster Weltkrieg  19, 115, 116, 132– 134, 228, 276 Erstes Vatikanisches Konzil  131 Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)  21, 154, 157, 159, 162 Ferry, Jules  92–96, 117, 144, 217, 219, 234 Frankfurter Nationalversammlung siehe Paulskirchenverfassung Französische Kolonien (Religionsverfassungsrecht)  101, 102 Französische Revolution  72–80, 97, 178–183, 195, 196, 213–217, 226, 227, 232, 233, 238–240, 243, 272, 273 Frieden von Kuttenberg (1485) siehe Hus, Jan Gallikanische Artikel siehe Bossuet, Jacques-Bénigne Gambetta, Léon  28, 217, 233, 234 Gaudium et spes (1965)  47, 48 Gelasius I. siehe Zwei-Schwerter-Lehre Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. Juli 1869  127, 128 Gesetz über den Laizismus von 1905  42–45, 99–120, 163, 164, 180–183, 196, 217, 218, 245–248, 251, 258–260, 262, 277, 296 Gesetz über den Vereinsvertrag (1901)  96–98, 248 Gesetz über die religiöse Kindererziehung (KErzG)  257 Glaubensvereinigung siehe Associations cultuelles Gouvernement de défense républicaine  33 Gregor VII. siehe Investiturstreit

Großes abendländisches Schisma  52, 53, 55 Grundgesetz (1949)  160, 163, 248, 249, 255, 270 Heinrich IV. (deutscher Kaiser) siehe Investiturstreit Heinrich IV. (französischer König) siehe Edikt von Nantes Herriot, Édouard  20, 273, 282 Hobbes, Thomas  41, 56–60, 175, 198–203, 205–209 Hoffmann, Adolph  142 Hubbard, Gustave-Adolphe  44 Hugenottenkriege  63 Hugo, Victor  181, 182 Hus, Jan  55, 56 Immortale Dei (1885)  90, 91 Investiturstreit  52, 168, 169 Ius emigrandi  65, 70, 241 Ius reformandi  53 Jakobiner  78, 178, 227 Jaurès, Jean  233 Juli-Monarchie  85–87, 93 Kirchenaustritt  131, 132, 142 Kirchenkampf siehe Bekennende Kirche Kirchensteuer  137, 141, 154, 162 Kirchenverträge (Bayern, 1924)  155, 156 Kirchliches Arbeitsrecht  267–270, 289–291 Kommune von Paris  29 Konfessionelles Privatschulwesen –– Deutschland  254, 255, 258 –– Frankreich  92, 95, 117, 119, 251–254, 258, 268, 269 Konkordat –– Bayern (1817)  122, 123, 153, 155 –– Bayern (1924)  153, 155 –– Deutsches Reich (1933)  157, 158, 160

322 Stichwortverzeichnis –– Frankreich (1801)  81–85, 99, 102, 103, 106–110, 122, 174, 179, 217, 227, 273–275, 277–280 Konkordat von –– Bologna (1516)  174, 272 –– Wien (1448)  272 Konzil von –– Basel (1431–1449)  172–174 –– Konstanz (1414–1418)  56, 172, 173 Konziliarismus  170, 172–174, 176 Kulturkampf  128–132, 184, 227, 275, 276 Laieninvestitur siehe Investiturstreit Landesherrliches Kirchenregiment  123, 124, 147, 153, 175, 186–193, 221, 236, 242 Leo XIII.  52, 90, 131 Licet iuris (1338)  40, 235 Locke, John  56, 58–60, 203 Ludwig XIV. siehe Absolutismus Ludwig XVI. siehe Ancien Régime Luther, Martin  184–186, 235, 236 MacMahon, Patrice de  29–32, 34, 89 Meslier, Jean  40 Napoleon (I.)  75, 80–85, 97, 178–180, 195, 196, 216, 227, 232 Napoleon III.  28, 87, 88, 235 Nationalprotestantismus  145 Naumann, Friedrich  134, 149, 194, 242, 245 November-Revolution (1918)  28, 133, 135, 142 Ordre moral  29, 34 Parti radical  33, 217, 240 Passauer Vertrag (1552)  67, 186 Paulskirchenverfassung (1849)  121, 125–128, 137, 190, 191 Pius VI.  74, 182, 233 Pius VII.  84, 122

Pius IX.  88, 90, 130, 131 Pius X.  99, 114 Pius XI.  116 Pragmatische Sanktion von Bourges (1438)  56, 173, 174, 176, 179, 182, 196 Pressensé, Francis de  104, 105 Prêtres réfractaires  78 Preußisches Allgemeines Landrecht (1794)  72, 189, 220–223, 236, 262, 267 Quanta cura (1864) siehe Syllabus errorum Rapport Briand (1905)  106, 107, 109, 110, 113, 114, 245, 246 Reformation  46, 53, 56, 61–67, 184–187, 189, 226, 235, 236, 271 Reichskonkordat siehe Konkordat (Deutsches Reich, 1933) Religion civile  41, 165, 198, 206, 209–211, 215, 216, 218, 219, 232, 238, 263 Religionsedikte (Bayern, 1803/1809)  123 Religionsfreiheit –– EMRK und Europarecht  283–293 –– Geschichte  46, 47, 55–72, 74, 77, 79, 81, 85–89, 100, 105, 119, 124–129, 137, 143, 160–164, 178, 197, 198, 203, 211, 213, 214, 220–223, 226, 227, 237, 272 –– Grundgesetz  248–250, 255, 256, 260, 261, 265–267 –– Verfassung der Fünften Französischen Republik  43, 246–248, 251 Religionsunterricht –– Deutschland  126, 134, 142, 143, 155–157, 161, 162, 257, 258 –– Elsass-Lothringen  276, 281 –– Frankreich  94, 95, 218, 219 Restauration  85, 86, 124 Revolutionskulte  79, 232

Stichwortverzeichnis323 Robespierre, Maximilien de  215, 216 Rousseau, Jean-Jacques  165, 166, 197, 198, 204–220, 222, 223, 227, 232, 237, 238, 240, 243, 263, 267

–– Bayern (1919)  142, 143

Schutz der Sonn- und Feiertage –– Deutschland  21, 249, 261, 262 –– Frankreich  44 Selbstverwaltungsrecht der Religionsgemeinschaften –– Deutschland  125–127, 137, 153, 154, 191, 248, 269, 289–291 –– Frankreich  102, 113, 114, 247 Smith, Adam  41, 295 Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)  28, 133–135, 139–142, 164 Staatliche religiöse Neutralität –– Deutschland  255, 260–262, 265–267, 269 –– EMRK  285–288, 291 –– Frankreich  42, 43, 102, 250, 258–260, 263–265, 267 Staatsbürgerliche Religion siehe Religion civile Staatsleistungen an die Kirchen (Deutschland)  137, 141, 150, 151, 154, 155, 158, 162, 249 Summepiskopat siehe Landesherrliches Kirchenregiment Syllabus errorum  90, 130 Symphonia  51 Synodale Kirchenorganisation  185, 189–191

–– DDR (1968)  25, 26, 163

Thiers, Adolphe  28, 29

Vichy-Regime  118, 119

Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD)  28, 134–136, 142–145, 164, 228, 296 Unteilbarkeit der Republik (Frankreich)  241

Waldeck-Rousseau, René siehe Gouvernement de défense républicaine

Verfassung –– Bayern (1818)  72, 123

–– Bayern (1946)  160, 256, 258 –– BRD (1949) siehe Grundgesetz –– DDR (1949)  161, 162 –– Frankreich (1791)  77, 97, 214 –– Frankreich (1804)  81 –– Frankreich (1814)  85 –– Frankreich (1830)  86 –– Frankreich (1848)  87 –– Frankreich (1852)  87 –– Frankreich (1875) siehe Verfassungsgesetze der Dritten Französischen Republik –– Frankreich (1946)  119, 246, 250, 258, 281 –– Frankreich (1958)  22, 41, 119, 241, 246, 250, 258, 281 –– Preußen (1848)  127, 191 –– Preußen (1850)  127, 191 –– Weimarer Republik (1919) siehe Weimarer Reichsverfassung (WRV) Verfassungseid des Klerus (Frankreich)  78, 83, 214, 232 Verfassungsgesetze der Dritten Französischen Republik  30, 31 Verstaatlichung von Kirchenbesitz  77, 122, 214, 226, 228 Vertrag von Mailand (313)  49, 167 Verträge von Osnabrück und Münster siehe Westfälischer Frieden Voltaire  40, 60, 203, 204, 212, 213, 217–219, 222, 223, 227, 267

Weimarer Reichsverfassung (WRV)  (1919)  127, 128, 135–156, 158, 160, 161, 163, 222, 223, 242, 243

324 Stichwortverzeichnis Weltanschauungsgemeinschaften  137, 248, 249 Westfälischer Frieden  53, 69–72, 241, 272 Wöllnersches Religionsedikt (1788)  72, 221 Wycliffe, John  55, 56

Zentrum siehe Deutsche Zentrumspartei Zivilverfassung des Klerus (Frankreich)  77, 78, 82, 179, 182, 195, 214, 226, 232, 272, 273 Zwei-Schwerter-Lehre  52, 168, 232 Zweites Vatikanisches Konzil  47, 48, 129, 237