Zwischen Gelehrsamkeit Und Konfessioneller Identitatsstiftung: Lutherische Kirchen- Und Universalgeschichtsschreibung 1546-1617 9783161491917, 9783161585746, 3161491912

English summary: How did advocates of early Lutheranism establish the historical location of the Reformation? What was t

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Titel
Vorwort
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Teil A. Einleitung
I. Problemstellung
1. Thesen und Fragen
2. Begriff der Geschichtsschreibung
3. Untersuchungszeit und -raum
II. Forschungsstand
III. Quellen und Aufbau
IV. Begriffliche und methodische Grundlagen
1. Methodische Probleme einer kontextualisierenden Historiographiegeschichte
2. Konfessionsbildung, Konfessionalisierung, Konfessionskultur und Historiographie
3. Lutherisch? Fragen nach einem Begriff
4. Kollektive Identitäten, konfessionelle Identitäten
5. Identität, Geschichte und Gedächtnis: Begriffliche und methodische Überlegungen
6. Tradition und Charisma: Erinnerungsdiskurse zwischen Vergangenheit und Endzeit
Teil B. Lutherische Geschichtsschreibung im konfessionellen Zeitalter
I. Geschichte schreiben im konfessionellen Zeitalter
1. Epochen der Geschichtsschreibung: Mittelalter, Humanismus, Reformation und konfessionelles Zeitalter
2. Der disziplinäre Ort und die Funktionen der Historie im konfessionellen Zeitalterter
3. Luthers Geschichtstheologie
4. Vorreformatorische Quellen, nachreformatorische Historiographie oder: Die Konfession des Kompilators
II. Charismatische Stilisierung: Konturen des Luthergedächtnisses
1. Die Stilisierungen Luthers: Heiliger, Prediger, Prophet
2. »Selige Röhren«: Das Interesse der Lutherbiographik an der Vorgeschichte der Reformation
3. Die Selbstmemorialisierung der Reformation im Jubiläum
4. Predigtpostillen: Die begrenzte Reichweite des historischen Arguments
5. Humanismus als Vorbereitung der Reformation? Konturen des Melanchthongedächtnisses
III. Gattungen als Institutionen: Die Differenzierung von Universal- und Kirchengeschichte
1. Religion und Welt: (Historiographische) Differenzierungsprobleme
2. Inklusive Universalgeschichte
3. Exklusive Kirchengeschichte
4. Gattungen als Institutionen
IV. Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung
1. Universalgeschichte vor und nach der Reformation
2. »Ein newe veränderung, die freilich das end mit sich bringen wirdt«: Johannes Sleidans Geschichtswerke
a) Commentarii
b) Reden an Kaiser und Reich
c) De quatuor summis imperiis
3. »Nihil habet iuris in regna politica Pontifex Romanus«: Melanchthons und Peucers Chronicon Carionis
4. »Etsi enim obscurae Prophetiae sunt, nequaquam tamen sunt ambigua«: Prophetische Universalgeschichte auf dem Weg zur Säkularisierung
a) »dominatus ille ecclesiasticorum politicus«: Matthäus Dressers Isagoges historicae
b) Universalgeschichte ohne Reformation: Johannes Pappus’ Thesen de monarchiis
c) Elias Reusner und Michael Neander: Die historiographische Autonomisierung der Profangeschichte
5. »nicht ohngefehr vnd plumpßhalben«: Lutherische Chronologien zwischen Zeitrechnung und Geschichtserzählung
a) Funktionen der Chronologie
b) Johannes Funcks ›Chronologia‹
c) Leonhard Krentzheims ›Chronologia‹
6. Die Auseinandersetzung mit Sebastian Francks »Geschichtsbibel«
a) Franck als Historiker
b) Der traditionalistische Angriff Michael Beuthers
c) Hönigers Kopie
7. Die Ordnung der Exempel und die Konfessionalisierung der Kompilatorik
8. Lutherische Kaiserhistorien
a) Sammlungen von Kaiserbiographien
b) Biographische Versuche über Karl den Großen
9. Die Helden des nationalen Humanismus: Heinrich Pantaleons ›Heldenbuch‹
V. Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung
1. »Das hat alles geschehen müssen«: Historia ecclesiastica als Identitätsdiskurs
2. »Ich würde vielleicht das spil umbdrehen«: Protestantische Inversionen des Ketzerdiskurses
3. »O si vnus adfuisset Lutherus« oder »Jede zeit hat ire luther«: Protestantische Kirchengeschichtsschreibung vor dem Interim
a) »Singen, plärren, murmeln«: Moralistische Kirchengeschichsschreibung
b) Hedios Euseb-Fortsetzung
c) Robert Barnes’ Papstgeschichte
d) Hedios Platina-Fortsetzung
4. »Multi in Papatu ante Lutherum Lutherani«: Die Konzeption der testes veritatis von Melanchthon bis ins 17. Jahrhundert
a) »Doctores Dei« bei Melanchthon und Major
b) Flacius’ Catalogus testium veritatis
c) Lutheraner vor Luther: Zur lutherischen Rezeption des Catalogus testium veritatis
d) ›Lutheraner‹ vor Luther? Zur reformierten Rezeption des Catalogus testium veritatis
e) Die Implosion des Zeugendiskurses im 17. Jahrhundert
5. »Es mus gelitten werden«: Hagiographie und Martyrologie
a) »Dicere de sanctis, est recitare historiam Ecclesiae«: Grundlinien lutherischer Hagiographie
b) »Anfang und Ende mit / im / vnnd durch das Blut«: Ludwig Rabus’ Märtyrerbuch
c) »propter fidei rectae confeßionem«: Die Ambivalenz des Märtyrerdiskurses
6. Von Magdeburg nach Tübingen: Der Weg der Magdeburger Zenturien in die lutherische Orthodoxie
7. »Vnd ist kein zweiffel / was ir Lehr gewesen seye«: Perspektiven der Kirchengeschichtsschreibung jenseits der Zenturien
a) Kirchengeschichtliche Monographien: Gregor der Große und Bonifatius
b) Jacob Schoppers Chorographia
c) Philipp Nicolais »Commentarius de regno Christi«
d) Johannes Pappus’ Kompendium der Kirchengeschichte
e) Georg Nigrinus und der Übergang zur Polemik
8. Kirchengeschichte und Polemik
a) Historische Argumente in der Kontroverspolemik
b) Enzyklopädien päpstlicher Laster
c) »Ioannes Octaua der Hurenbalck«
VI. Lutherische Geschichtskalender zwischen Humanismus und Hagiographie
1. Geschichtskalender als populäres Medium der Geschichtsschreibung
2. Kalendarische Universalhistorie I: Humanistische Mittelwege und Reformationsmemoria
a) Paul Ebers Calendarium historicum
b) Michael Beuthers Kalender
c) Kalender als Medium der Reformationsmemoria
3. Kalendarische Universalhistorie II: Kalenderkompendien und ›Luthertum‹
a) Abraham Saurs Kalender
b) Valentin Beyers Diarium historicum
4. Kaspar Goldtwurms zwei Kalender oder: Geschichtsbilder und Gattungen
5. Kirchenkalender und die alltägliche Erinnerung an die Heiligen
a) »eine sonderliche Legenda sanctorum«: Hondorffs Heiligenkalender
b) Dressers »De festis diebus« als Metakalender
VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung
1. »die letzte minute der welt«: Apokalypse und Geschichte
2. Exegese als Historiographie
a) »Drumb was die Offenbarung lehrt / Wird mit der History bewerdt«
b) Das Millenium: Off b 20
c) Die vier Pferde (Off b 6) und die sechs Engel (Off b 7–9)
d) Engel und Zeugen (Off b 10, 11, 14)
e) Geheime Zahlen: 1260, 3 1/2, 42, 666
f) Die zwei Tiere aus Off b 13
g) Die siebente Posaune
3. Exegese als Historiographie?
Teil C. Ergebnisse und Ausblick
I. Konturen lutherischer Geschichtsschreibung
II. Konfessionalisierung, Geschichtsschreibung und lutherische Identität
III. Geschichtsbilder und Gattungen
IV. Idealtypus Luthertum
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Literatur
Personenregister
Sachregister
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Zwischen Gelehrsamkeit Und Konfessioneller Identitatsstiftung: Lutherische Kirchen- Und Universalgeschichtsschreibung 1546-1617
 9783161491917, 9783161585746, 3161491912

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Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe begründet von Heiko A. Oberman herausgegeben von Berndt Hamm in Verbindung mit Johannes Helmrath, Jürgen Miethke und Heinz Schilling

37

Matthias Pohlig

Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546–1617

Mohr Siebeck

Matthias Pohlig, geboren 1973; Studium der Geschichte, Germanistik und Philosophie in Göttingen, Strasbourg und Berlin; Promotion im Fach Geschichte 2005; Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit der Humboldt-Universität zu Berlin.

Gedruckt mit der Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. ISBN 978-3-16-149191-7 / eISBN 978-3-16-158574-6 unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISSN 0937-5740 (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar. © 2007 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und straf bar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Bembo gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Das vorliegende Buch stellt die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar, die im April 2005 an der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin (Dekan: Prof. Dr. Oswald Schwemmer) eingereicht wurde. Gutachter waren Prof. Dr. Heinz Schilling und Prof. Dr. Johannes Helmrath (beide HU Berlin) sowie Prof. Dr. Thomas Kaufmann (Göttingen). Die Disputation fand am 24. November 2005 unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Michael Menzel und unter Mitwirkung des Erstgutachters Prof. Schilling und des Zweitgutachters Prof. Helmrath statt. Nach der Einreichung der Arbeit erschienene Literatur konnte nur noch eingeschränkt berücksichtigt werden. Das Buch konnte dank einer großzügigen Unterstützung durch den Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort gedruckt werden. Einer der Autoren, die dieses Buch behandelt, schrieb über ein ähnliches Unternehmen: „Das dieses ein schwerer labor als Sisyphi, weis und verstehet niemandt / denn die / so solches versuchet. Fürwar einer vergisset essen und trincken drüber / machet einen so mat und müde / als wolt er ohnmechtig werden.“ Schon deshalb ist es, wenn die Mühe vorbei ist, eine große Freude, für vielfältige Unterstützung danken zu können. Ich möchte meinem Doktorvater, Herrn Professor Heinz Schilling, herzlich dafür danken, daß er mich in vielfacher Hinsicht – weit über die Unterstützung meiner Arbeit hinaus – sehr großzügig gefördert hat. Herzlich danke ich auch dem Zweitgutachter, Herrn Professor Johannes Helmrath. Der Nukleus dieser Studie war eine vor langer Zeit in seinem Hauptseminar verfaßte Arbeit; er hat auch danach meine Fortschritte immer in freundlicher Anteilnahme begleitet. Ebenso herzlich möchte ich Herrn Professor Thomas Kaufmann danken, der freundlicherweise das Drittgutachten übernommen hat; er hat die Arbeit ebenfalls von Beginn an begleitet und mir einige Male mit kirchenhistorischem Rat geholfen. Alle Gutachter haben überdies hilfreiche Hinweise zur Überarbeitung gegeben. Für die Aufnahme in die Reihe „Spätmittelalter und Reformation“ bin ich den Reihenherausgebern, namentlich Herrn Professor Berndt Hamm, zu Dank verpflichtet. Ich danke auch Herrn Dr. Ziebritzki und Herrn Spitzner vom Verlag Mohr Siebeck für die reibungslose Zusammenarbeit. Dank schulde ich den Bibliothekaren der Bibliotheken, in denen ich gearbeitet habe. Dank schulde ich auch den Institutionen, die mich finanziell über Wasser gehalten haben: der Humboldt-Universität, an der ich einige Zeit Stel-

VI

Vorwort

len innehatte, und der Gerda Henkel Stiftung, die diese Studie durch ein Promotionsstipendium im Rahmen ihres „Humanismus“-Projektes förderte. Ich danke hier stellvertretend Herrn Professor Gerrit Walther und Thomas Lehr. Beenden konnte ich meine Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter des von der DFG geförderten Sonderforschungsbereichs 640 „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“ an der HU Berlin. Die mehr als kollegiale Zusammenarbeit etwa mit Frau Karin Heilmann, Dr. Stefan Ehrenpreis, Dr. Ute LotzHeumann, Vera Isaiasz und Ruth Schilling hat vieles erleichtert. Viel verdanke ich den verschiedenen Foren, in denen ich meine Arbeit vorstellen durfte: dem Berliner Oberseminar, dem Homburg-Stuttgarter Humanismuskreis sowie Kolloquien in Göttingen, München, Leipzig und Paris, dem Arbeitskreis „Historiographiegeschichte der Frühen Neuzeit“ und den Teilnehmern der Wittenberger Tagung „Konfessionen und Kulturen“. Ich danke schließlich allen, die kritische Fragen gestellt und die Arbeit ganz oder teilweise gelesen haben: Katharina Böhmer, Maria Böhmer, Michael Brauer, Sergej Bubka, Rüdiger Graf, Jens Hacke, Priska Jones, Ute Lotz-Heumann, Jan-Friedrich Mißfelder, Philipp Müller, Katharina Pilaski, Christiane Pohlig, Joachim Pohlig, Magnus Rüde, Alexander Schmidt, Katharina Weikl und Cornel Zwierlein. Auch danke ich herzlich allen Freunden, die mir zur Seite gestanden haben. Sie sind nicht alle namentlich zu nennen, wissen aber, daß sie gemeint sind. Allen voran danke ich Priska, die mit mir gelitten und sich mit mir gefreut hat. Ich widme dieses Buch meinen Eltern Gudrun Pohlig und Bernd Pohlig, die mich immer so unterstützt haben, wie man es sich nur wünschen kann. Ihnen verdankt das Buch mehr, als sie wissen. Berlin, im Februar 2007

Matthias Pohlig

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII Teil A

Einleitung I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2



1. Thesen und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriff der Geschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Untersuchungszeit und -raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2 6 7

II. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

III. Quellen und Auf bau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

IV. Begriffliche und methodische Grundlagen . . . . . . . . . . .

18



1. Methodische Probleme einer kontextualisierenden Historiographiegeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konfessionsbildung, Konfessionalisierung, Konfessionskultur und Historiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lutherisch? Fragen nach einem Begriff . . . . . . . . . . . . . . 4. Kollektive Identitäten, konfessionelle Identitäten . . . . . . . . . 5. Identität, Geschichte und Gedächtnis: Begriffliche und methodische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Tradition und Charisma: Erinnerungsdiskurse zwischen Vergangenheit und Endzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18 23 31 35 42 49

Teil B

Lutherische Geschichtsschreibung im konfessionellen Zeitalter I. Geschichte schreiben im konfessionellen Zeitalter . . . . . . . .

1. Epochen der Geschichtsschreibung: Mittelalter, Humanismus, Reformation und konfessionelles Zeitalter . . . . . . . . . . . .

56 56

VIII

Inhaltsverzeichnis

2. Der disziplinäre Ort und die Funktionen der Historie im konfessionellen Zeitalterter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Luthers Geschichtstheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorreformatorische Quellen, nachreformatorische Historiographie oder: Die Konfession des Kompilators . . . . . . . . . . . . . . .

65 79 93

II. Charismatische Stilisierung: Konturen des Luthergedächtnisses 100 1. Die Stilisierungen Luthers: Heiliger, Prediger, Prophet . . . . . . 2. »Selige Röhren«: Das Interesse der Lutherbiographik an der Vorgeschichte der Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Selbstmemorialisierung der Reformation im Jubiläum . . . . 4. Predigtpostillen: Die begrenzte Reichweite des historischen Arguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Humanismus als Vorbereitung der Reformation? Konturen des Melanchthongedächtnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100 107 117 121 125

III. Gattungen als Institutionen: Die Differenzierung von Universalund Kirchengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

1. Religion und Welt: (Historiographische) Differenzierungsprobleme 2. Inklusive Universalgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exklusive Kirchengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gattungen als Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133 142 150 153

IV. Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung . . 157

1. Universalgeschichte vor und nach der Reformation . . . . . . . . 2. »Ein newe veränderung, die freilich das end mit sich bringen wirdt«: Johannes Sleidans Geschichtswerke . . . . . . . . . . . . . . . . a) Commentarii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reden an Kaiser und Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) De quatuor summis imperiis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. »Nihil habet iuris in regna politica Pontifex Romanus«: Melanchthons und Peucers Chronicon Carionis . . . . . . . . . . 4. »Etsi enim obscurae Prophetiae sunt, nequaquam tamen sunt ambigua«: Prophetische Universalgeschichte auf dem Weg zur Säkularisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) »dominatus ille ecclesiasticorum politicus«: Matthäus Dressers Isagoges historicae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Universalgeschichte ohne Reformation: Johannes Pappus’ Thesen de monarchiis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Elias Reusner und Michael Neander: Die historiographische Autonomisierung der Profangeschichte . . . . . . . . . . . . . 5. »nicht ohngefehr vnd plumpßhalben«: Lutherische Chronologien zwischen Zeitrechnung und Geschichtserzählung . . . . . . . . . a) Funktionen der Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . .

157 161 161 167 170 175

189 189 198 200 207 207

Inhaltsverzeichnis

b) Johannes Funcks ›Chronologia‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Leonhard Krentzheims ›Chronologia‹ . . . . . . . . . . . . . 6. Die Auseinandersetzung mit Sebastian Francks »Geschichtsbibel« . a) Franck als Historiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der traditionalistische Angriff Michael Beuthers . . . . . . . . c) Hönigers Kopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Ordnung der Exempel und die Konfessionalisierung der Kompilatorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Lutherische Kaiserhistorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sammlungen von Kaiserbiographien . . . . . . . . . . . . . . b) Biographische Versuche über Karl den Großen . . . . . . . . . 9. Die Helden des nationalen Humanismus: Heinrich Pantaleons ›Heldenbuch‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX 211 216 224 224 227 232 235 246 246 254 259

V. Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung . . . . . 270

1. »Das hat alles geschehen müssen«: Historia ecclesiastica als Identitätsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2. »Ich würde vielleicht das spil umbdrehen«: Protestantische Inversionen des Ketzerdiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 3. »O si vnus adfuisset Lutherus« oder »Jede zeit hat ire luther«: . . . Protestantische Kirchengeschichtsschreibung vor dem Interim . . . 282 a) »Singen, plärren, murmeln«: Moralistische Kirchengeschichsschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 b) Hedios Euseb-Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 c) Robert Barnes’ Papstgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 d) Hedios Platina-Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 4. »Multi in Papatu ante Lutherum Lutherani«: Die Konzeption der testes veritatis von Melanchthon bis ins 17. Jahrhundert . . . . . . 294 a) »Doctores Dei« bei Melanchthon und Major . . . . . . . . . . 294 b) Flacius’ Catalogus testium veritatis . . . . . . . . . . . . . . . 301 c) Lutheraner vor Luther: Zur lutherischen Rezeption des Catalogus testium veritatis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 d) ›Lutheraner‹ vor Luther? Zur reformierten Rezeption des Catalogus testium veritatis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 e) Die Implosion des Zeugendiskurses im 17. Jahrhundert . . . . . 338 5. »Es mus gelitten werden«: Hagiographie und Martyrologie . . . . 341 a) »Dicere de sanctis, est recitare historiam Ecclesiae«: Grundlinien lutherischer Hagiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 b) »Anfang und Ende mit / im / vnnd durch das Blut«: Ludwig Rabus’ Märtyrerbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 c) »propter fidei rectae confeßionem«: Die Ambivalenz des Märtyrerdiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 6. Von Magdeburg nach Tübingen: Der Weg der Magdeburger Zenturien in die lutherische Orthodoxie . . . . . . . . . . . . . 370



Inhaltsverzeichnis



7. »Vnd ist kein zweiffel / was ir Lehr gewesen seye«: Perspektiven der Kirchengeschichtsschreibung jenseits der Zenturien . . . . . . a) Kirchengeschichtliche Monographien: Gregor der Große und Bonifatius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Jacob Schoppers Chorographia . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Philipp Nicolais »Commentarius de regno Christi« . . . . . . . d) Johannes Pappus’ Kompendium der Kirchengeschichte . . . . . e) Georg Nigrinus und der Übergang zur Polemik . . . . . . . . 8. Kirchengeschichte und Polemik . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Historische Argumente in der Kontroverspolemik . . . . . . . b) Enzyklopädien päpstlicher Laster . . . . . . . . . . . . . . . . c) »Ioannes Octaua der Hurenbalck« . . . . . . . . . . . . . . .

389 390 393 397 400 402 405 405 409 411

VI. Lutherische Geschichtskalender zwischen Humanismus und Hagiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418

1. Geschichtskalender als populäres Medium der Geschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kalendarische Universalhistorie I: Humanistische Mittelwege und Reformationsmemoria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Paul Ebers Calendarium historicum . . . . . . . . . . . . . . b) Michael Beuthers Kalender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kalender als Medium der Reformationsmemoria . . . . . . . . 3. Kalendarische Universalhistorie II: Kalenderkompendien und ›Luthertum‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abraham Saurs Kalender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Valentin Beyers Diarium historicum . . . . . . . . . . . . . . 4. Kaspar Goldtwurms zwei Kalender oder: Geschichtsbilder und Gattungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kirchenkalender und die alltägliche Erinnerung an die Heiligen . a) »eine sonderliche Legenda sanctorum«: Hondorffs Heiligenkalender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dressers »De festis diebus« als Metakalender . . . . . . . . . .

418 421 421 424 427 431 431 435 440 451 451 457

V II. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 1. »die letzte minute der welt«: Apokalypse und Geschichte . . . . . 2. Exegese als Historiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) »Drumb was die Offenbarung lehrt / Wird mit der History bewerdt« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Millenium: Off b 20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die vier Pferde (Off b 6) und die sechs Engel (Off b 7–9) . . . . d) Engel und Zeugen (Off b 10, 11, 14) . . . . . . . . . . . . . . e) Geheime Zahlen: 1260, 3 1/2, 42, 666 . . . . . . . . . . . . . f ) Die zwei Tiere aus Off b 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

462 472 472 477 480 484 486 488

Inhaltsverzeichnis

XI

g) Die siebente Posaune . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 3. Exegese als Historiographie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 Teil C

Ergebnisse und Ausblick I. Konturen lutherischer Geschichtsschreibung . . . . . . . . . . 496 II. Konfessionalisierung, Geschichtsschreibung und lutherische Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 III. Geschichtsbilder und Gattungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 IV. Idealtypus Luthertum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513   1.  Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513   2.  Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587

Abkürzungsverzeichnis ADB AKG ARG BBKL BSLK CR EA EKL FS GG GGb GWU HJb HWPhil HZ Jöcher Jöcher Ergbd. Literaturlexikon LMA LThK 2 LThK 3 ND NDB Oxford Encyclopedia of the Reformation

Allgemeine deutsche Biographie, hg. durch die historische Commission bei der Königl. Akademie der Wissenschaften, 56 Bde., Leipzig 1875–1912. Archiv für Kulturgeschichte Archiv für Reformationsgeschichte Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, hg. v. Friedrich Wilhelm Bautz/Traugott Bautz, 23 Bde., Herzberg 1975–2004. Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, hg. v. Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß, Göttingen 1930. Melanchthon, Philipp, Opera quae supersunt omnia, in: Corpus Reformatorum, hg. v. Carl Gottlieb Bretschneider/Heinrich Ernst Bindseil, 28 Bde., Braunschweig 1834–1860. Erstausgabe Evangelisches Kirchenlexikon. Internationale theologische Enzyklopädie, 3. Auflage, hg. v. Erwin Fahlbusch, 5 Bde., Göttingen 1986–1997. Festschrift Geschichte und Gesellschaft Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. v. Otto Brunner/Werner Conze/ Reinhart Koselleck, 8 Bde., Stuttgart 1972–1997. Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter u.  a., 12 Bde., Basel u.  a. 1971–2005. Historische Zeitschrift Allgemeines Gelehrten-Lexikon. Darinne die Gelehrten aller Stände. . ., welche vom Anfange der Welt bis auf jetzige Zeit gelebt. . ., hg. v. Christian Gottlieb Jöcher, 4 Bde., Leipzig 1750–1751. Fortsetzung und Ergänzungen zu Christian Gottlieb Jöchers allgemeinem Gelehrten-Lexiko. . ., 7 Bde., Leipzig 1784–1897. Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Begriffe, Realien, Methoden, hg. v. Walther Killy, 15 Bde., Gütersloh 1988–1993. Lexikon des Mittelalters, 9 Bde., München 1980–1998. Lexikon für Theologie und Kirche, 2., völlig neu bearbeitete Auflage, hg. v. Josef Höfer/Karl Rahner, 10 Bde., Freiburg 1957–1965. Lexikon für Theologie und Kirche, 3., völlig neu bearbeitete Auflage, hg. v. Walter Kasper, 11 Bde., Freiburg u.  a. 1993–2001. Nachdruck Neue deutsche Biographie, hg. v. der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, bisher 21 Bde., Berlin 1953  f f. The Encyclopedia of the Reformation, hg. v. Hans J. Hillerbrand u.  a., 4 Bde., New York/Oxford 1996.

Abkürzungsverzeichnis PL QFRG RE RGG3 RGG4 SVRG TRE VD 16

VD 17 Verf Lex WA WA Ti. WA DB WA Br. Zedler ZfG ZHF ZKG ZRG KA ZThK

XIII

Patrologiae cursus completus. Series latinae, hg. v. Jacques-Paul Migne, 217 Bde und 4 Registerbde., Paris 1841–1864. Quellen und Forschungen des Vereins für Reformationsgeschichte Realencyclopädie für protestantische Theologie und Kirche, 3. Aufl., hg. v. Albert Hauck, 21 Bde. und 2 Erg.bde., Leipzig 1896–1913. Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theo­ logie und Religionswissenschaft, 3. Auflage, hg. v. Kurt Galling, 6 Bde., Tübingen 1957–1965. Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theo­ logie und Religionswissenschaft, 4. Auflage, hg. v. Hans Dieter Betz, bisher 7 Bände, Tübingen 1998  f f. Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte Theologische Realenzyklopädie, hg. v. Gerhard Müller, 36 Bde., Berlin/New York 1977–2004. Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts, hg. v. d. Bayerischen Staatsbibliothek in München in Verbindung mit der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, I. Abteilung: Verfasserschriften, 22 Bde., Stuttgart 1983  f f. Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts, http:/www.vd17.de. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, hg. v. Kurt Ruh u.  a., 11 Bde., Berlin/New York 1978–2004. Weimarer Ausgabe der Werke Luthers, Hauptreihe: 65 Bde.,Weimar 1883–1991. Weimarer Ausgabe der Werke Luthers, Tischreden: 6 Bde., Weimar 1912–1921. Weimarer Ausgabe der Werke Luthers, Deutsche Bibel: 11 Bde., Weimar 1906–1960. Weimarer Ausgabe der Werke Luthers, Briefe: 18 Bde., Weimar 1930– 1985. Großes vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, 64 Bde. und 4 Erg.bde., Halle/Leipzig 1732–1754. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für historische Forschung Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung Zeitschrift für Theologie und Kirche

Teil A

Einleitung

I.  Problemstellung 1.  Thesen und Fragen Im Jahre 1574 wurde Kaspar Peucer, Philipp Melanchthons Schwiegersohn, sein Nachfolger auf der Wittenberger Geschichtsprofessur und ab 1570 kurfürstlicher Leibarzt, wegen ›kryptocalvinistischer‹ Umtriebe seiner Ämter enthoben und eingekerkert. Der sächsische Kurfürst August hatte nach der Bartholomäusnacht eine vor allem politisch motivierte scharfe Abkehr vom Calvinismus und auch von den ›philippistischen‹ Theologen im Umkreis seines Hofes vollzogen. Peucer, nach dem Tod seines Schwiegervaters das Haupt der Wittenberger Melanchthonschule , verfaßte im Kerker eine autobiographische Schrift, die 1605 von Christoph Pezel herausgegeben wurde. Darin berichtet Peucer, der Kurfürst habe ihn aufgefordert, das von Melanchthon und ihm verfaßte ›Chronicon Carionis‹ während seiner Haft bis zur Gegenwart fortzusetzen. Dies habe er, Peucer, aber abgelehnt, erstens aus Gesundheitsgründen, zweitens, weil ihm die Bücher dazu fehlten, drittens und am wichtigsten aber, weil ihm gleichzeitig verboten worden sei, sich zu theologischen Fragen zu äußern. Diese stellten aber den wichtigsten Teil der zeitgenössischen Geschichte dar. Daher müsse eine solche Fortsetzung verstümmelt wirken.   Vgl. nur: Koch, Ernst, Der kursächsische Philippismus und seine Krise in den 1560er und 1570er Jahren, in: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der »Zweiten Reformation«, hg. v. Heinz Schilling, Gütersloh 1986 (SVRG 195), 60–77, hier 75 und passim (auch für ältere Literatur zum kursächsischen Philippistensturz). – Quellen und Literatur werden im folgenden bei der ersten Erwähnung mit vollständiger Angabe, ab der zweiten Erwähnung nur mit dem Nachnamen des Verfassers und Kurztitel zitiert. Die oft sehr langen Quellentitel werden in der Regel abgekürzt. Abkürzungen von Zeitschriften- und Reihentiteln sind im Abkürzungsverzeichnis nachgewiesen. Kurze lateinische Zitate im Fließtext werden grammatisch angepaßt. Abkürzungen in deutschen wie lateinischen Texten sind in der Regel aufgelöst, »&« als »et« gesetzt, in deutschen Texten »vv« als »w« gelesen, Umlaute statt mit hochgestelltem e als normale hochdeutsche Umlaute geschrieben. Die Bogenzählung der Quellen ist der besseren Auffindbarkeit wegen dann extrapoliert, wenn sie im Original nicht zu lesen sind. »B« wird als »B j« gesetzt und dann bis zum Ende des Bogens durchgezählt. Falsche Paginierungen werden stillschweigend korrigiert.   Vgl. allgemein: Zwischen Katheder, Thron und Kerker. Leben und Werk des Humanisten Caspar Peucer 1525–1602. Ausstellungskatalog, Bautzen 2002.   Die entsprechende Passage lautet: »Nec scripti futuram aliquam fidem uel auctoritatem, si palam fiat in carcere a me esse confectum. Denique interdicto singulari ademp-

1.  Thesen und Fragen



Unabhängig von der quellenkritischen Beurteilung des Zeugnisses läßt sich an dieser Episode eine wichtige Beobachtung machen: Die August zugeschriebene Position bestimmt trotz aller Konvergenzen Theologie und Historiographie letztlich als unterschiedliche Zweige der Gelehrsamkeit und hält damit eine von religiösem Streit freie Geschichtsschreibung für möglich und wünschenswert. Peucer dagegen nimmt eine hohe Durchdringung beider Bereiche an, ja er ist sogar der Ansicht, daß gute und richtige Historiographie überhaupt erst durch eine auch wertende religiöse Perspektivierung ermöglicht wird. Für Peucer besaß Historiographie, nicht nur die hier angesprochene Zeitgeschichtsschreibung, immer auch identitätsstiftende Funktionen für die eigene religiöse Haltung, für August spielte dieser Aspekt offenbar keine Rolle. Aus der Spannung zwischen beiden Positionen ergeben sich zwei leitende Fragestellungen: Wie und warum schrieben deutsche Lutheraner des 16. und frühen 17. Jahrhunderts Geschichte? Und inwieweit hängt ihre Geschichtsschreibung mit ihrer ›konfessionellen Identität‹ zusammen? Die Frage nach Struktur und Argumentationsmustern einer lutherischen Identitätskonstruktion im Medium der Geschichtsschreibung kann von zwei Seiten her gestellt werden. Von der Konfessionalisierungsforschung und der Untersuchung konfessioneller Identitätsstiftung ausgehend ist zu fragen, ob und wie diese innerhalb der Historiographie vollzogen wurde; von der historiographiegeschichtlichen Warte ist das Problem der ›Konfessionalisierbarkeit‹ von Geschichtsschreibung zu analysieren. Denn es ist zunächst eine offene Frage, ob Geschichtsschreibung überhaupt zu den Teilbereichen frühneuzeitlichen Lebens und Denkens gehört, die ›konfessionalisierbar‹ waren. Selbst wenn dies aber zutrifft, muß geklärt werden, wodurch sich konfessionelle oder gar konfessionalisierte Historiographie von unkonfessioneller oder nicht-konfessionalisierter unterscheidet. Die naheliegendste Vermutung ist: Konfessionalisierte Geschichtsschreibung ist Geschichtsschreibung, die in hohem Maße die Funktion übernimmt, eine historisch begründete Identität einer Konfessionsgruppe zu stiften, indem sie historisches Wissen einer konfessionellen Perspektivierung, Bewertung oder Überformung unterwirft. Dies setzt folgende Hypothese voraus: Die ›Identität‹ der sich im Prozeß der Konfessionalisierung von circa 1550–1650 herausbildenden konfessionellen tam mihi esse facultatem Theologicis materiis tractandi; quas si attingere non debeam, cum sint praecipua pars historiae nostrorum temporum, opus futurum esse mutilum, mancum, et contemptum. Idcirco si me uelint commentari aliquid de nostri seculi rebus gestis, vt me aresto et carcere solutum dimittant.«: Peucer, Caspar, Historia Carcervm, et liberationis diuinae Casparis Peuceri Historici et Medici Clarissimi, opera et studio Christophori Pezelij, Sanctissimae Theologiae Doctor nunc denuo correctior in lucem edita . . ., Zürich 1605, 303  f. Vgl. Strauss, Gerald, The Course of German History: The Lutheran Interpretation, in: Renaissance Studies in Honor of Hans Baron, hg. v. Anthony Molho/ John A. Tedeschi, Florenz 1971, 665–686, hier 679, Anm. 55.



I.  Problemstellung

Großgruppen konstituierte sich – neben der Homogenisierung von Theologie und Ritus und der graduell unterschiedlichen Akkulturation vor- oder unkonfessioneller Frömmigkeitspraktiken – über Selbstbeschreibungen und Fremdbeschreibungen, die sich außer im genuin theologischen Denken z.  B. auch im historiographischen Diskurs äußerten. Geschichtsschreibung war in diesem Zeitraum nicht schlichte narratio rerum gestarum, sondern unablösbar davon gleichzeitig (konfessionelle) Selbstbeschreibung und Auseinandersetzung mit der eigenen Gegenwart. Um dies zu zeigen, ist zuerst einmal ›phänomenologisch‹ nach den Inhalten der lutherischen Geschichtsschreibung, also danach zu fragen, wie die von Lutheranern konstruierten Geschichtserzählungen verlaufen und in welche Traditionen die eigene Konfession, aber auch der konfessionelle Gegner gestellt wird. Über diese Fragen hinaus stellen sich aber weitere methodische, begriffliche und inhaltliche Fragen. Diese sollen in Abschnitt IV. dieser Einleitung präzisiert, hier aber bereits knapp benannt werden. Es sind dies folgende sechs Punkte: Probleme der Kontextualisierung, die Frage der Übertragbarkeit des Konfessionalisierungskonzeptes auf die Geschichtsschreibung, der Begriff ›lutherisch‹, die Kategorien der kollektiven konfessionellen Identität, das Verhältnis von Gruppenidentität, Gedächtnis und Geschichtsschreibung sowie schließlich das Begriffspaar Tradition vs. Charisma und die ihm korrespondierende Problematik lutherischer Apokalyptik. 1. Wenn Geschichtsschreibung (auch) als identitätsstiftende Selbstbeschreibung gelesen werden soll, muß sie in höherem Maße kontextualisiert werden, als dies bei einer nur phänomenologischen Beschreibung notwendig wäre. Da es um lutherische Geschichtsschreibung im konfessionellen Zeitalter geht, ist der Kontext des Konfessionalisierungsprozesses evident; daneben treten aber andere Kontexte. Welche dies sind und wie ein Kontextualisierungsansatz methodisch verfahren kann, soll in IV.1. dargelegt werden.   Vgl. als Überblick: Schilling, Heinz, Die Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft – Profil, Leistungen und Defizite eines geschichtswissenschaftlichen Paradigmas, in: Katholische Konfessionalisierung, hg. v. Wolfgang Reinhard/Heinz Schilling, Gütersloh/Münster 1995 (SVRG 198), 1–49.   Vgl. Luhmann, Niklas, Das Problem der Epochenbildung und die Evolutionstheorie, in: Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie, hg. v. Hans-Ulrich Gumbrecht/Ursula Link-Heer, Frankfurt a.  M. 1985, 11–33, v.  a. 25: »Neben vielen anderen semantischen Mitteln werden auch Geschichtsverlaufsdarstellungen und Epocheneinteilungen in der Funktion gesellschaftlicher Selbstbeschreibung verwendet.« – Der Diskursbegriff wird hier weit verstanden als System des Denkens und Argumentierens, das durch einen gemeinsamen Redegegenstand, Regularitäten der Rede über den Gegenstand (Formations- und Formulierungsregeln) und seine Relation zu anderen Diskursen bestimmt ist. Hilfreich für diese Begriffsfassung ist: Titzmann, Michael, Kulturelles Wissen – Diskurs – Denksystem. Zu einigen Grundbegriffen der Literaturgeschichtsschreibung, in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 99 (1989), 47–61, hier 51–53.

1.  Thesen und Fragen



2. Die Entscheidung, lutherische Geschichtsschreibung als konfessionellen Identitätsdiskurs zu deuten, zieht die Frage nach sich, wie sich das Verhältnis von Geschichtsschreibung zum Konfessionalisierungsprozeß spezifizieren läßt. Was soll also Konfessionalisierung, was Konfessionalisierbarkeit von Geschichtsschreibung bedeuten? Als Hypothese läßt sich formulieren: Die lutherische Geschichtsschreibung war in graduell unterschiedlichem Maße ›konfessionalisierbar‹, weil je nach Gattungszusammenhang, Fragestellung und Intention historiographische Standards und die Ansprüche konfessioneller Identitätsstiftung auf unterschiedliche Weise miteinander zu vermitteln waren. 3. »Die altprotestantische Geschichtsauffassung war der natürliche Ausfluß der Principien, auf welchen das System der altprotestantischen Dogmatik beruhte«  . Mit dieser Charakterisierung des protestantischen und, enger gefaßt, lutherischen Geschichtsbewußtseins, die Ferdinand Christian Baur im Jahre 1852 in seinem Werk zur kirchlichen Historiographie formulierte, wird eine holistische Deutung vorgetragen. Die idealistische Zuspitzung erkennt in der protestantischen Geschichtsauffassung des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts eine Art regulative Idee, die, so kann als These formuliert werden, empirisch oft kaum nachvollziehbar ist. Zu fragen ist also nach Kriterien für ›lutherische‹ Geschichtsschreibung. War von Lutheranern geschriebene Geschichte lutherisch? 4. Die Annahme, daß lutherische Geschichtsschreibung und lutherische Identität zusammengehören, verlangt nach einer Reflexion über das Problem kollektiver und konfessioneller Identität und Identitätsstiftung allgemein. Wie entsteht kollektive Identität, wenn sie denn entsteht, und wer sind die Träger von Identitätsdiskursen? 5. Weiterhin ist, um die generelle Spannung von Gelehrsamkeit und Identitätsstiftung präziser zu beschreiben, das Augenmerk auf das Verhältnis von ›Gedächtnis‹ und ›Geschichte‹ im allgemeinen und auf dessen besondere Bedeutung für die lutherische Geschichtsschreibung des konfessionellen Zeitalters zu richten. Wie verhält sich die konfessionelle Gedächtnisstiftung zu einer sich entwickelnden ›autonomen‹ Geschichtsschreibung? Wie verbindet sich der identitätsstiftende Rekurs auf Geschichte mit bereits vor der Reformation bestehenden, relativ stabilen historiographischen Gattungen? 6. Die Reformationsforschung hat herausgearbeitet, daß ein umfassendes apokalyptisches Denken, welches das Auftreten Luthers als Zeichen der Endzeit begriff, in der zweiten Hälfte des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein lutherisches Spezifikum darstellte. An den Quellen ist also die Bedeutung apo  Baur, Ferdinand Christian, Die Epochen der kirchlichen Geschichtsschreibung (1852), in: ders., Ausgewählte Werke in Einzelausgaben, hg. v. Klaus Scholder, Bd. 2, Stuttgart-Bad Cannstatt 1963, 1–282, hier 96.   Vgl. Barnes, Robin Bruce, Prophecy and Gnosis. Apocalypticism in the Wake of the Lutheran Reformation, Stanford 1988; Leppin, Volker, Antichrist und jüngster Tag. Das



I.  Problemstellung

kalyptischer Elemente für die lutherische Geschichtsschreibung zu diskutieren. Dabei ist aber jeweils darauf zu achten, ob die Diagnose, in der Endzeit zu leben, primär mit der ›charismatischen‹ Stilisierung der Person Luthers oder mit dem Rekurs auf ›traditionale‹ Kontexte verbunden wird.

2.  Begriff der Geschichtsschreibung Der Begriff der Geschichtsschreibung (synonym: Historiographie) wird hier und im folgenden weit verstanden. Er umfaßt potentiell alle Texte, in denen Autoren des 16. Jahrhunderts sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen, und reicht daher von der historisch argumentierenden Predigt bis zur Weltchronik, ist aber wenigstens insofern eingegrenzt, als der unmittelbare politische oder juristische Einsatz von historischem Wissen z.  B. in Konfliktsituationen nicht behandelt wird. Dieser wird deshalb ausgeschlossen, weil es hier stärker um den Zusammenhang von gelehrter Kommunikation und konfessionellen Interessen geht als um die – in Alteuropa ohnehin alltägliche – Argumentation mit historischen Fakten und Deutungsmustern in einem generellen Sinne. Daher stehen die bereits im 16. Jahrhundert etablierten historiographischen Gattungen im Zentrum, werden aber in einen größeren Zusammenhang gestellt. Damit bleibt das Spektrum zwischen z.  B. Apokalypsenkommentar und humanistischer Vitensammlung aber sehr groß. Unterschiede zwischen diesen Textformen und der Weise, in der dort mit historischem Material gearbeitet wird, sind offensichtlich und bereits im 16. Jahrhundert gesehen worden. Dennoch überginge eine strikte Eingrenzung des Historiographiebegriffs die erst unvollständig vollzogene Ausdifferenzierung z.  B. zwischen theologischen und im engeren, modernen Sinne historiographischen Diskursen. Häufig verschwimmen nämlich die Grenzen zwischen Historiographie, Erbauungsliteratur, Polemik und Apologetik. So ist oft nicht klar zu entscheiden, ob ein historiographisches Werk des 16. Jahrhunderts »überhaupt als Geschichtswerk und nicht vielmehr als theologische Exempelliteratur zu werten ist«. Der Historiographiebegriff, mit dem hier gearbeitet wird, steht daher mit Absicht zwischen ›Geschichtskultur‹ und ›Wissenschaft‹, wenn man zwei für das 16. Jahrhundert Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548–1618, Gütersloh 1999 (QFRG 69).   Zur politisch-instrumentellen Verwendung von Geschichte z.  B. in Ständekonflikten vgl. Strohmeyer, Arno, Konfessionalisierung der Geschichte. Die ständische Historiographie in Innerösterreich an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, in: Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa, hg. v. Joachim Bahlcke/Arno Strohmeyer, Stuttgart 1999, 221–247.   Merz, Johannes, Georg Horn (1532–1603) und seine Historia über die Reformation in Hammelburg. Studien zu Leben, Werk und Umwelt des Autors und Edition der Historia, Neustadt/Aisch 1992, 194.

3.  Untersuchungszeit und -raum



etwas anachronistische Begriffe benutzen möchte.10 Andere Begriffe wie ›Geschichtsbild‹ oder ›Geschichtsdeutung‹ kommen im folgenden ebenfalls vor, sind aber terminologisch nicht streng gefaßt, sondern eher alltagssprachlich gebraucht.11

3.  Untersuchungszeit und -raum Der Untersuchungszeitraum reicht von Luthers Tod im Jahr 1546 bis zum ersten Reformationsjubiläum 1617. Diese beiden Daten stehen metonymisch für zwei wichtige Phasen der Selbstvergewisserung des lutherischen Protestantismus. Der Beginn des Untersuchungszeitraums, die späten 1540er und frühen 1550er Jahre, ist durch folgende Situation charakterisiert: Der Tod des Reformators, der Beginn des Trienter Konzils und die Interimsstreitigkeiten schufen einen akuten Bedarf, sich darüber klarzuwerden, was ›lutherisch‹ sei und wie die Zukunft der neuentstehenden Konfessionsgruppe aussehen sollte.12 Daher setzte der Versuch ein, Luther und die Reformation nicht nur in den heilsgeschichtlichen Prozeß einzuordnen, wie dies seit Beginn der Reformation getan wurde, sondern diese Einordnung in größerem Umfang auch historiographisch fruchtbar zu machen.13 Das Reformationsjubiläum 1617 bildet zwar keinen qualitativen Abschluß der Entwicklung, dient aber hier als Endpunkt, weil zu diesem Zeitpunkt alle für das konfessionelle Zeitalter relevanten und später immer wieder aufgerufenen Modelle lutherischer Geschichtsschreibung ausgebildet waren. Der Untersuchungszeitraum folgt daher einer ›innerlutherischen‹ Periodisierung, anstatt das gesamte konfessionelle Zeitalter – etwa die Zeit von 1555 bis 1648 – in den Blick zu nehmen. Er umfaßt eine Phase extremer interner Spannungen und Streitigkeiten unter Luthers Anhängern.14 Daß die partielle Beilegung der innerlutherischen Kontroversen durch das Konkordienbuch im Jahr 1580 nicht als Endpunkt der vorliegenden Untersuchung fungiert, hat 10  Vgl. Hardtwig, Wolfgang, Geschichtskultur und Wissenschaft, München 1990; Rüsen, Jörn, Geschichtskultur als Forschungsproblem, in: Historische Orientierung. Über die Arbeit des Geschichtsbewußtseins, sich in der Zeit zurechtfinden, Köln/Weimar/Wien 1994, 235–245. 11  Den Versuch, diese Größen zu differenzieren und aufeinander zu beziehen, unternimmt: Goetz, Hans-Werner, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter, Berlin 1999, 13–39. 12  Vgl. Koch, Ernst, Die deutschen Protestanten und das Konzil von Trient, in: Die katholische Konfessionalisierung, hg. v. Wolfgang Reinhard/Heinz Schilling, Gütersloh 1995 (SVRG 198), 88–103, v.  a. 99. 13  Vgl. Fuchs, Thomas, Protestantische Heiligen-memoria im 16. Jahrhundert, in: HZ 267 (1998), 587–614, hier 591. 14  Vgl. z.  B. Lohse, Bernhard, Dogma und Bekenntnis in der Reformation. Von Luther bis zum Konkordienbuch, in: Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte, hg. v. Carl Andresen, Bd. 2, Göttingen 1980, 1–166.



I.  Problemstellung

seinen Grund darin, daß die konfessionsvereinheitlichende Wirkung des Konkordienbuches in der neueren Forschung eher relativiert wird.15 Auch nach 1580 kann man also keineswegs von einem einheitlichen Komplex ›Luthertum‹ ausgehen: Dies macht die Ausweitung des Zeitraums bis 1617 notwendig. Diese innerlutherische Periodisierung wirft die Frage auf, was eigentlich als ›lutherisch‹ gelten soll. Dazu werden in Teil  I V.3. dieser Einleitung einige differenzierende Überlegungen angestellt. An dieser Stelle reicht der Hinweis, daß der Orthodoxiebegriff, der in der neueren (kirchen-)historischen Forschung kaum mehr verwendet wird16 , auch hier nicht zum Einsatz kommt; er hat sich als Epochenbegriff wie als theologisches Differenzkriterium als zu unscharf erwiesen und ist sinnvollerweise nur für die universitäre lutherische Theologie ab ca. 1580 zu gebrauchen.17 Den heuristischen Ausgangspunkt bildet Thomas Kaufmanns Befund, entgegen der älteren Vorstellung einer monolithischen Orthodoxie sei das Luthertum als in sich plurale Konfession zu verstehen18 . Die im folgenden zu analysierenden Quellen stammen sämtlich aus dem deutschsprachigen Raum des Reichs; dies gilt auch dann, wenn es sich um lateinische Quellen handelt. Es wird also trotz der Annahme einer Binnendiversität von einem ›deutschen Luthertum‹ als ganzem ausgegangen. Dies ist insofern nicht unproblematisch, als dem Luthertum anders als dem Katholizismus eine zentralisierte Struktur fehlt. Pointiert ist davon gesprochen worden, es gebe »die ›lutherische Konfessionskirche‹ nur in Gestalt ihrer territorialen Ausprägung. Das ›Luthertum‹ als solches ist also stricto sensu keine Konfessionskirche, der ›Katholizismus‹ aber durchaus.«19 Trotzdem existierte ein lutherisch 15  Vgl. Wallmann, Johannes, Die Rolle der Bekenntnisschriften im älteren Luthertum, in: ders., Theologie und Frömmigkeit im Zeitalter des Barock. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1995, 46–60; Dingel, Irene, Concordia controversa. Die öffentlichen Diskussionen um das lutherische Konkordienwerk am Ende des 16. Jahrhunderts, Gütersloh 1996. Die Konfessionalisierungsforschung dagegen setzt die Bedeutung des Konkordienbuches sehr hoch an; vgl. z.  B. Schilling, Heinz, Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: HZ 246 (1988), 1–45, hier 21. 16  Vgl. aber die Versuche von Neudefinitionen in jüngeren Arbeiten: Friedrich, Markus, Die Grenzen der Vernunft. Theologie, Philosophie und gelehrte Konflikte am Beispiel des Helmstedter Hofmannstreites und seiner Wirkungen auf das Luthertum um 1600, Göttingen 2004, v.  a. 391–397; Appold, Kenneth G., Orthodoxie als Konsensbildung. Das theologische Disputationswesen an der Universität Wittenberg zwischen 1570 und 1710, Tübingen 2004. 17  Vgl. Matthias, Markus, Art. »Orthodoxie: I. Lutherische Orthodoxie«, in: TRE 25, 464–485. 18  Vgl. Kaufmann, Thomas, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur, Tübingen 1998, 98  f. 19  Kaufmann, Thomas, Universität und lutherische Konfessionalisierung. Die Rostocker Theologieprofessoren und ihr Beitrag zur theologischen Bildung und kirchlichen Gestaltung im Herzogtum Mecklenburg zwischen 1550 und 1675, Gütersloh 1997 (QFRG 66), 26.

3.  Untersuchungszeit und -raum



geprägter Kommunikationsraum vor allem innerhalb des Reichs, in dem Argumente und Texte auch über territoriale Grenzen hinweg ausgetauscht und rezipiert wurden. Als These kann formuliert werden, daß der Konstruktion einer gemeinlutherischen Identität auch auf dem Wege über die Historiographie genau die Aufgabe zukam, der territorialen Zersplitterung des Luthertums im Reich entgegenzuwirken. Die Funktion lutherischer Geschichtsschreibung wie anderer lutherischer Literatur dürfte darin bestanden haben, Idee und Praxis eines überterritorialen Zusammenhaltes lutherischer Christen und Kirchen zu etablieren, den es in der kirchenrechtlichen und sozialen Realität so nicht gab.

II.  Forschungsstand Das lutherische historische Selbstverständnis zu untersuchen, wird auch von Forschungen zu anderen Themen des Spätmittelalters und des konfessionellen Zeitalter nahegelegt. Denn die traditionelle Vorstellung vom Epochenbruch der Reformation, die als ›Morgenröte‹ die Moderne einläute, ist längst als Mythos entlarvt.20 In der jüngeren Forschung wird die Reformation als Höhe- und Wendepunkt eines jahrhundertelangen kirchen-, aber auch gesellschaftsgeschichtlichen Transformationsprozesses beschrieben, der zeitlich weit zurückund vorausweist.21 Auch in theologischen Untersuchungen werden inzwischen viel stärker auch die Kontinuitäten der Reformation zur spätmittelalterlichen Theologie gesehen.22 20  Vgl. Skalweit, Stephan, Der Beginn der Neuzeit. Epochengrenze und Epochenbegriff, Darmstadt 1982, 76–122. 21  Vgl. Schilling, Heinz, Die Reformation – ein revolutionärer Umbruch oder Hauptetappe eines langfristigen reformierenden Wandels?, in: Konflikt und Reform. FS Helmut Berding, hg. v. Wilfried Speitkamp/Hans-Peter Ullmann, Göttingen 1996, 26– 40; ders., Reformation – Umbruch oder Gipfelpunkt eines Temps des Réformes, in: Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch, hg. v. Bernd Moeller, Gütersloh 1998 (SVRG 199), 13–34; Hamm, Berndt, Von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation: der Prozeß normativer Zentrierung von Religion und Gesellschaft in Deutschland, in: ARG 84 (1993), 7–81; als frühe Untersuchungen mit dieser Tendenz vgl.: Chaunu, Pierre, Le temps des Réformes. Histoire religieuse et système de civilisation. La crise de la chrétienté. L’éclatement (1250–1550), Paris 1975; Ozment, Steven, The Age of Reform 1250–1550. An Intellectual and Religious History of the late Medieval and Reformation Europe, New Haven/London 1980; vgl. auch den zeitlichen Rahmen eines neueren Standardwerkes: Handbook of European History 1400–1600. Late Middle Ages, Renaissance and Reformation, hg. v. Thomas A. Brady, Jr./Heiko A. Oberman/James D. Tracy, 2 Bde., Leiden/New York/Köln 1995. 22  Vgl. zu dieser Perspektive u.  a . McGrath, Alister, Forerunners of the Reformation? A Critical Examination of the Evidence for Precursors of the Reformation Doctrines of Justification, in: Harvard Theological Review 75 (1982), 219–242; Oberman, Heiko A., Forerunners of the Reformation. The Shape of Late Medieval Thought, New York/Chicago/San Francisco 1966. Weitere Beiträge zum Problem der Epochenschwelle Reformation finden sich in den neueren Sammelbänden: Hamm, Berndt/Moeller, Bernd/Wendebourg, Dorothea, Reformationstheorien. Ein kirchenhistorischer Disput über Einheit und Vielfalt der Reformation, Göttingen 1995; Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch, hg. v. Bernd Moeller, Gütersloh 1998 (SVRG 199); Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch 1400–1600, hg. v. Bernhard Jussen/Craig Koslofsky, Göttingen 1999; Die deutsche Reformation zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Thomas A. Brady, München 2001. – Der Frage nach theologischen und anderen Zu-

II.  Forschungsstand

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In diesen Arbeiten wird die traditionelle Vorstellung von der Reformation als Epochenbruch so stark in Frage gestellt, daß es instruktiv erscheint, sich der Selbstdeutung des Reformationsjahrhunderts zu nähern. Denn auch das Selbstverständnis der Reformation charakterisierte diese keineswegs als Neuanfang. In der jüngeren Diskussion wird hierzu geäußert, die Verurteilung durch die kirchliche Hierarchie habe für Protestanten des 16. Jahrhunderts das Kriterium gebildet, um mittelalterliche Personen als ›Vorläufer‹ des Luthertums auszumachen.23 Daß diese griffige Formel schlicht falsch ist, wird sich erweisen. Gustav Adolf Benrath formuliert, als »Vorläufer« des Protestantismus seien diejenigen Gestalten angesehen worden, die »der Reformation der Kirche im 16. Jahrhundert vorgearbeitet« 24 hätten; unklar bleibt aber, worin diese ›Vorarbeit‹ bestand und als wie eng lutherische Autoren die Verbindung zwischen der Reformation und ihrer Vorgeschichte annahmen. Die Geschichtsschreibung der Reformation ist nun durchaus keine terra incognita der Forschung. Für Luther und Melanchthon 25 , für einzelne Historiographen – allerdings vor allem der ersten Jahrhunderthälfte – wie Kaspar Hedio26 oder einzelne Werke wie die Magdeburger Zenturien 27 finden sich zum Teil umfassende Untersuchungen. Aber selbst an der Literatur zu vergleichsweise gut untersuchten Werke ist zu sehen, daß der Forschung terminologische Klarheit fehlt. So liest man über eines der meistbenutzten protestantischen Geschichtslehrbücher der Frühen Neuzeit, das maßgeblich von Melanchthon konzipierte und verfaßte ›Chronicon Carionis‹, erstaunlich widersprüchliche Meinungen: Wenn auf der einen Seite Dieter Mertens urteilen kann, hier liege eine konsequente »Konfessionalisierung unseres Mittelalters« vor allem für die Zeit seit sammenhängen zwischen der Reformation und ihrer Vorgeschichte ist die ältere Forschung v.  a. des 19. Jahrhunderts gern nachgegangen; eine unkritische Vorstellung der einschlägigen älteren Texte findet sich bei: Wunderlich, Paul, Die Beurteilung der Vorreformation in der deutschen Geschichtsschreibung seit Ranke, Erlangen 1930, eine neuere Zusammenstellung bei: Mahlmann, Theodor, »Vorreformatoren«, »vorreformatorisch«, »Vorreformation«. Beobachtungen zur Geschichte eines Sprachgebrauchs, in: Reformer als Ketzer. Heterodoxe Bewegungen von Vorreformatoren, hg. v. Günter Frank/Friedrich Niewöhner, Stuttgart-Bad Cannstatt 2004, 13–55. 23  Moeller, Bernd, Diskussionsbericht, in: Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch, hg. v. Bernd Moeller, Gütersloh 1998 (SVRG 199), 476–489, hier 480. 24  Benrath, Gustav Adolf, Einleitung, in: Wegbereiter der Reformation, hg. v. Gustav Adolf Benrath, Bremen 1967, XI-XXXV, hier XI. 25  Vgl. Kap. B.I.3 und B.III. sowie als jüngsten Überblick: Schilling, johannes, Die Wiederentdeckung des Evangeliums. Wie die Wittenberger Reformatoren ihre Geschichte rekonstruierten, in: Die Präsenz der Antike im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, hg. v. Ludger Grenzmann u.  a., Göttingen 2004, 125–142. 26  Vgl. Keute, Hartwig, Reformation und Geschichte. Kaspar Hedio als Historiograph, Göttingen 1980. 27  Vgl. Scheible, Heinz, Die Entstehung der Magdeburger Zenturien. Ein Beitrag zur Geschichte der historiographischen Methode, Gütersloh 1966 (SVRG 183).

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dem Investiturstreit vor 28 , andererseits Arno Seifert zum selben Werk bemerkt, es sei »über weite Strecken gar nicht als protestantisch zu erkennen« 29, stellt sich die Frage nach Kriterien dafür, worin ein ›protestantisches‹ oder gar ›lutherisches‹ Profil der Geschichtsschreibung und -deutung liegen soll. Im Hinblick auf die Fragestellungen dieser Arbeit besteht das Problem vieler Studien darin, daß sie entweder das historiographische Werk nur eines Gelehrten oder überhaupt nur einen einzigen Text in den Blick nehmen. Dies führt häufig zu einer Überschätzung der Bedeutung bestimmter Autoren oder Themen. Wenn Johannes Merz fordert, »das differenzierte Spektrum der Geschichtsschreibung im konfessionellen Zeitalter nicht nur an dessen Hauptwerken, sondern in seiner ganzen Vielfalt zu erforschen«30 , dann ist ihm uneingeschränkt zuzustimmen. Die vorliegende Studie unternimmt für das deutsche Luthertum einen Schritt in diese Richtung. Die beiden Stränge, deren Verhältnis das Thema dieser Arbeit bildet, werden in der Forschung in aller Regel getrennt behandelt: Entweder beschäftigen sich die einschlägigen Untersuchungen primär mit dem historischen Selbstverständnis der Reformation, gehen dabei häufig ausschließlich von theologischen Texten aus und blenden den größeren historiographiegeschichtlichen Zusammenhang aus. Exemplarisch sind hierfür einzelne Aufsätze von Gustav Adolf Benrath zu nennen, der das Problem der ›Vorreformatoren‹ in den Blick genommen, sich aber für historiographiegeschichtliche Zusammenhänge kaum interessiert hat.31 Ähnliches gilt für die großen Darstellungen von Dickens/Tonkin und Zeeden zum protestantischen Geschichtsbewußtsein, die an ihrem relativ unsystematischen Überblickscharakter und ihrem geringen Interesse für genuin historiographiegeschichtliche Fragen kranken.32 Andere Werke rücken Fragen der Verwissenschaftlichung oder Institutionalisierung der Historiographie33 in den Mittelpunkt und behandeln häufig nur 28  Mertens, Dieter, Mittelalterbilder in der Frühen Neuzeit, in: Die Deutschen und ihr Mittelalter, hg. v. Gerd Althoff, Darmstadt 1992, 29–54, 177–186, hier 44. 29  Seifert, Arno, Von der heiligen zur philosophischen Geschichte. Die Rationalisierung der universalhistorischen Erkenntnis im Zeitalter der Auf klärung, in: AKG 68 (1986), 81–117, hier 102, Anm. 46a. 30  Merz, Georg Horn, 222  f. 31  Vgl. Benrath, Gustav Adolf, Das Verständnis der Kirchengeschichte in der Reformationszeit, in: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, hg. v. Ludger Grenzmann/Karl Stackmann, Stuttgart 1984, 97–109; ders., Die sogenannten Vorreformatoren in ihrer Bedeutung für die frühe Reformation, in: Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch, hg. v. Bernd Moeller, Gütersloh 1998 (SVRG 199), 157–166. 32  Vgl. Dickens, A.  G./Tonkin, John, The Reformation in Historical Thought, Oxford 1985; Zeeden, Ernst Walter, Martin Luther und die Reformation im Urteil des deutschen Luthertums. Studien zum Selbstverständnis des deutschen Protestantismus von Luthers Tode bis zum Beginn der Goethezeit, 2 Bde., Freiburg 1950/52. 33  Einschlägig, aber zum größten Teil nur als Einstieg brauchbar: Ritter, Moriz, Studien über die Entwicklung der Geschichtswissenschaft. Dritter Artikel: Das Zeitalter des

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die bekanntesten und langfristig einflußreichsten Werke34, interessieren sich aber kaum für lutherische Selbstbeschreibungen im Medium der Historiographie. Die Studie von Uwe Neddermeyer zum frühneuzeitlichen Mittelalterbild z.  B. ist historiographiegeschichtlich ausgelegt und übergeht daher z.T. die sy­ste­ matischen Zusammenhänge der konfessionellen Identitätsstiftung.35 Neben den genannten Werken stehen als Marksteine der Forschung zwei ältere Darstellungen, die in beeindruckend umfassender Weise die Strukturen und Inhalte des akademischen Geschichtsunterrichts im konfessionellen Zeitalter sowie den Gebrauch der Historiographie im Rahmen der konfessionellen Kontroverse untersuchen: zum einen Emil Clemens Scherers Studie zu »Geschichte und Kirchengeschichte an den deutschen Universitäten« von 1927, das nicht nur als Materialfundgrube, sondern auch hinsichtlich seiner Deutungsperspektiven immer noch die beste Gesamtdarstellung für diesen Komplex bildet 36 ; zum anderen Pontien Polmans großes Buch »L’élément historique dans la controverse religieuse du XVIe siècle« 37 von 1932. Polmans Studie ist jüngst von Irena Backus eingehend kritisiert und partiell revidiert worden: Backus weist vor allem darauf hin, daß die Beschäftigung mit der Geschichte auch im Humanismus, der Reformation und der Gegenreformation, in: HZ 109 (1912), 261–341; Fueter, Eduard, Geschichte der neueren Historiographie, München/Berlin 1911; Wegele, Franz Xaver von, Geschichte der deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus, München/Leipzig 1885; an neueren Studien vgl. nur Fisch, Stefan, Auf dem Weg zur Auf klärungshistorie. Prozesse des Wandels in der protestantischen Historio­ graphie nach 1600, in: GG 23 (1997), 115–133; Kelley, Donald R., Johann Sleidan and the Origins of History as a Profession, in: Journal of Modern History 52 (1980), 573– 598. 34  Vgl. Kelley, Donald R., Faces of History. Historical Inquiry from Herodotus  to Herder, New Haven/London 1998, 162–187; Gilmont, Jean-François, La naissance de l’historiographie protestante, in: The Sixteenth-Century French Religious Book, hg. v. Andrew Pettegree/Paul Nelles/Philipp Conner, Aldershot u.  a. 2001, 110–126. Eine ähnliche Orientierung charakterisiert schon das Standardwerk von MenkeGlückert, Emil, Die Geschichtsschreibung der Reformation und Gegenreformation. Bodin und die Begründung der Geschichtsmethodologie durch Bartholomäus Keckermann, Leipzig 1912 und die Darstellung von: Nigg, Walter, Die Kirchengeschichtsschreibung. Grundzüge ihrer historischen Entwicklung, München 1934. Vgl. als Überblicke auch: Zimmermann, Harald, Ecclesia als Objekt der Historiographie. Studien zur Kirchengeschichtsschreibung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Wien 1960; Schulin, Ernst, Luther und die Reformation. Historisierungen und Aktualisierungen im Laufe der Jahrhunderte, in: ders., Arbeit an der Geschichte. Etappen der Historisierung auf dem Weg zur Moderne, Frankfurt a.  M. 1997, 13–61, 212–220. 35  Vgl. Neddermeyer, Uwe, Das Mittelalter in der deutschen Historiographie vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Geschichtsgliederung und Epochenverständnis in der frühen Neuzeit, Köln / Wien 1988. 36  Vgl. Scherer, Emil Clemens, Geschichte und Kirchengeschichte an den deutschen Universitäten. Ihre Anfänge im Zeitalter des Humanismus und ihre Ausbildung zu selbständigen Diszplinen, Freiburg (Breisgau) 1927. 37  Vgl. Polman, Pontien, L’élément historique dans la controverse religieuse du XVIe siècle, Gembloux 1932.

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konfessionellen Zeitalter nicht in Polemik aufgeht – eine Beobachtung, die sich vielfach bestätigen wird.38 Wenn auch Scherer und Polman ebenfalls den Zusammenhang von Historiographie und konfessioneller Selbstdeutung nicht erschöpfend behandeln, so liegt dies aus heutiger Sicht v.  a. am mangelnden analytischen Instrumentarium. Dies ist der Studie Adalbert Klempts von 1960 nicht vorzuwerfen; Klempt arbeitet darin idealtypisch Grundlinien von Universalund Kirchengeschichtsschreibung des konfessionellen Zeitalters heraus, die auch für diese Studie leitend sind.39 In dem neueren Sammelwerk »Protestant History and Identity in Sixteenth-Century Europe« werden schließlich verschiedene wichtige Aspekte des Zusammenhangs von konfessioneller Identitätsstiftung und Geschichtsschreibung beleuchtet; im Gegensatz zu den meisten anderen Untersuchungen wird hier die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts angemessen berücksichtigt. Darüber hinaus wird eine europäisch vergleichende Perspektive durch das Nebeneinander der verschiedenen Beiträge zumindest angedeutet. Der Herausgeber betont zu Recht, daß es nicht »one Protestant view of history, but several«40 gab. Diese Geschichtsschreibungen differierten regional und waren systematisch nicht immer kohärent, weil sie sich unterschiedlicher Theorie- oder Gattungstraditionen bedienten und disparate Elemente der Geschichtsschreibung miteinander kombinierten. Die Aufmerksamkeit für den Zusammenhang von Identitätsstiftung und Geschichtsschreibung, die viele Beiträge des Werks auszeichnet, kann als Vorbild dienen, wenn hier relativ umfassende Untersuchungen zu einer national und konfessionell begrenzten Gruppe – dem deutschen Luthertum – angestellt werden.

38  Vgl. Backus, Irena, Historical Method and Confessional Identity in the Era of the Reformation (1378–1615), Leiden/Boston 2003, v.  a. 1–5. Leider erklärt Backus an keiner Stelle, was sie genau mit ›historical method‹ oder ›confessional identity‹ meint, was den systematischen Ertrag der vorzüglichen Studie einschränkt. 39  Vgl. Klempt, Adalbert, Die Säkularisierung der universalhistorischen Auffassung. Zum Wandel des Geschichtsdenkens im 16. und 17. Jahrhundert, Göttingen/Berlin/ Frankfurt a.  M. 1960. 40  Gordon, Bruce, The Changing Face of Protestant History and Identity in the Sixteenth Century, in: Protestant History and Identity in Sixteenth Century Europe, hg. v. Bruce Gordon, 2 Bde., Aldershot 1996, Bd. 1, 1–22, hier 6  f.

III.  Quellen und Auf bau Die Quellen dieser Arbeit können nicht das gesamte Spektrum lutherischer Geschichtsschreibung, -forschung und -deutung abdecken. Quantitative Vollständigkeit ist in diesem Zusammenhang weder angestrebt noch zu erfüllen. Es werden aber sowohl die großen und einflußreichen, wenngleich selten analysierten, als auch eine ganze Reihe unbekannter und bisher in der Forschung nicht wahrgenommener Texte untersucht.41 Bestimmte Quellengattungen werden aus pragmatischen und inhaltlichen Gründen von vornherein ausgeschlossen. Dies bezieht sich z.  B. auf Teilbereiche der Kirchengeschichtsschreibung wie die ohnehin primär katholische Bistumsgeschichtsschreibung42 , aber auch auf die historische Fürstenspiegelliteratur43, die Landeschronistik44 und Territorialkirchengeschichtsschreibung45 sowie auf die große und bisher kaum 41  Das bibliographische Sample geht von den Bibliographien der materialreichsten Werke zum Thema aus und ist durch eigene Recherchen erheblich erweitert worden; Grundlage der Recherche waren: Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte; Polman, L’élément historique; Neddermeyer, Mittelalter (für die gelehrte Historiographie); Volkserzählung und Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung und Funktion von Erzählstoffen und Erzählliteratur im Protestantismus, hg. v. Wolfgang Brückner, Berlin 1974 (für den populären Bereich). 42  Vgl. Müller, Markus, Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung. Überlieferung und Entwicklung, Köln/Weimar/Wien 1998 (AKG Beiheft 44), 493: »[. . .] zur konfessionellen Polemik taugte die Bistumsgeschichtsschreibung eben nicht [. . .] Der Kampf um die Interpretation der Kirchengeschichte ließ sich nur über die Universalkirche führen.« 43  Diese scheint Distanz gegenüber der konfessionellen Formierung bewahrt zu haben. Vgl. Müller, Rainer A., Historia als Regentenhilfe. Geschichte als Bildungsfach in deutschen Fürstenspiegeln des konfessionellen Zeitalters, in: Les princes et l’histoire du XIVe au XVIIIe siècle, hg. v. Chantal Grell/Werner Paravicini/Jürgen Voss, Bonn 1998, 359– 371, v.  a. 364. 44  Daß kirchliche Reformbelange im 16. Jahrhundert nicht im Zentrum der deutschen Landeschronistik standen, betont: Ziegler, Walter, Landeschronistik und Kirchenreform, in: Deutsche Landesgeschichtsschreibung im Zeichen des Humanismus, hg. v. Franz Brendle u.  a., Stuttgart 2001, 189–200, hier 199; siehe exemplarisch auch: Fuchs, Thomas, Traditionsstiftung und Erinnerungspolitik. Geschichtsschreibung in Hessen in der Frühen Neuzeit, Kassel 2002. 45  Zur möglichen Entstehung einer Territorialkirchengeschichtsschreibung aus dem Geist der Reformationsjubiläen nach 1600 vgl. Kaufmann, Thomas, 1600 – Deutungen der Jahrhundertwende im deutschen Luthertum, in: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, hg. v. Manfred JakubowskiTiessen u.  a., Göttingen 1999, 73–128, hier 127.

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III.  Quellen und Aufbau

erschlossene Menge städtischer Geschichtsschreibung im konfessionellen Zeitalter46 . Nicht behandelt wird in aller Regel auch die unmittelbare gegenkonfessionelle Reaktion auf bestimmte historiographische Werke. Eine solche komparatistische Studie könnte instruktiv ausfallen; es fehlt dafür aber an Vorarbeiten, die die Geschichtsschreibung der einzelnen Konfessionen angemessen differenziert analysieren.47 Es werden im wesentlichen zwei Gruppen von Quellen untersucht: die Universal- und die Kirchengeschichtsschreibung. Zu diesen Gruppen, die hier  primär als inhaltlich und formal bestimmte Diskurse verstanden werden, ge­ hören aber ganz unterschiedliche Gattungen: Zur Universalgeschichte z.  B. Chroniken, chronologische Abhandlungen, akademische Reden oder Vitensammlungen, zur Kirchengeschichte z.  B. Gesamt- oder Teildarstellungen, Heiligen- und Märtyrerbücher sowie Predigten. In den Bereich der Kirchen­ geschichtsschreibung fällt schließlich noch die exegetische Literatur, vor allem Kommentare zur Johannesoffenbarung. Die Gliederung folgt der Hypothese, daß unterschiedliche Schreib- und Gattungszusammenhänge eine konstitutive Rolle für die Formierung des jeweils konstruierten Geschichtsbildes besitzen. Um dies zu zeigen, muß die Bedeutung historiographischer Gattungen herausgearbeitet werden, die in einer gewissen ›Eigenlogik‹ des Genres gegenüber den dargestellten Inhalten und den subjektiven Intentionen des Autors besteht. Daher ist die Arbeit im großen und ganzen nach gattungsmäßig zuzuordnenden Diskursen gegliedert. Innerhalb der einzelnen Gattungszusammenhänge wird die Reihenfolge meist durch Autoren und einzelne Werke vorgegeben; diese etwas schematische Gliederung 46  Die Untersuchung städtischer Geschichtsschreibung der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts unter systematischen und vergleichenden Fragestellungen wäre notwendig. Vgl. zuletzt die Bemerkungen zur Forschungslage bei: Johanek, Peter, Einleitung, in: Städti­ sche Geschichtsschreibung im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. v. Peter Johanek, Köln/Weimar/Wien 2000, VII–XIX, hier v.  a. X–XII. Für vier Städte ist die konfessionelle Historiographie jüngst aber untersucht worden; vgl. Rau, Susanne, Geschichte und Konfession. Städtische Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung in Bremen, Breslau, Hamburg und Köln, Hamburg/München 2002; siehe auch: Lambrecht, Karen, Stadt und Geschichtskultur. Breslau und Krakau im 16. Jahrhundert, in: Die Konstruktion der Vergangenheit. Geschichtsdenken, Traditionsbildung und Selbstdarstellung im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa, hg. v. Joachim Bahlcke/Arno Strohmeyer (ZHF Beiheft 28), Berlin 2002, 245– 264. 47  Man könnte sich eine Studie zur städtischen Historiographie in einer paritätischen Reichsstadt vorstellen und untersuchen, wie z.  B. in Augsburg katholische und protestantische Historiker unmittelbar aufeinander reagierten und im kleinräumigen sozialen Kontext konfessionelle Deutungen der Geschichte aufeinanderprallten. Auf den ersten Blick scheint es allerdings in Augsburg keine ausgeprägten Konfliktlagen innerhalb der Historiographie gegeben zu haben, wenn auch nicht alles gedruckt wurde. Vgl. Lenk, Leonhard, Augsburger Bürgertum im Späthumanismus und Frühbarock (1580–1700), Augsburg 1968, 193–217.

III.  Quellen und Aufbau

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hat ihren Grund in der Überzeugung, daß erst die detaillierte Einzeltextanalyse überhaupt die Einordnung eines Werkes in einen übergreifenden Zusammenhang ermöglicht. Die Kapitel zu einzelnen Autoren oder Werken sind also, selbst wenn sie auch als solche zu benutzen sein sollten, nicht als Einzelstudien gedacht. Die Arbeit beginnt mit einer Skizze der Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, unter denen lutherische Historiographen arbeiteten (B.I.). In Kapitel B.II. wird der erste der beiden ›Modi‹ des lutherischen Gedächtnisdiskurses, nämlich die charismatische Lutherstilisierung analysiert. In den folgenden Kapiteln werden im Gegensatz zur ›charismatischen‹ Luthermemoria unterschiedliche Herangehensweisen an das Problem der Vorgeschichte der Reformation untersucht. Nach einer Reflexion des Gattungsproblems (B.III.) wird eine Reihe von Texten analysiert, die der Universal- und der Kirchengeschichtsschreibung zuzurechnen sind (B.IV. und B.V.). Kapitel B.VI. behandelt die oft populäre Kalenderliteratur, die universal- wie kirchengeschichtlich orientiert sein kann. Schließlich wird in Kapitel VII. der Versuch unternommen, lutherische Apokalypsenkommentare als spezifische Gattung innerhalb der Kirchengeschichtsschreibung zu lesen.

IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen 1.  Methodische Probleme einer kontextualisierenden Historiographiegeschichte Das Problem der Relationierung von Texten, Textgruppen oder Diskursen zu ihren ›Kontexten‹ ist als Grundproblem der Geistesgeschichte in den letzten Jahrzehnten intensiv diskutiert worden. Zumal wenn es darum geht, einen Diskurs als ganzen – und nicht nur einen einzelnen Text – auf eine außertextuelle Umwelt zu beziehen, gestaltet sich dies als außergewöhnlich schwer. Es ist heute fast eine Banalität, daß Geistesgeschichte oder intellectual history nicht rein textimmenanent verfahren darf, sondern sprachliche und außersprachliche Kontexte in Betracht ziehen sollte.48 Allerdings erscheinen sowohl Sprache als auch Autorsubjekt als Faktoren, die nach den Diskussionen der letzten Jahrzehnte nicht eben leichter handhabbar geworden sind und einem starken Ideologieverdacht ausgesetzt werden.49 Die marxistische und auch die wissenssoziologische Tradition hat auf das Problem, in welcher Weise Texte auf nicht textuelle, soziale Kontexte zu beziehen sind, häufig mittels einer globalen ideologiekritischen Zurechung von bestimmten Ansichten auf bestimmte gesellschaftliche Positionen reagiert. Dies mag grundsätzlich richtig sein; trotzdem ist wohl auch die Annahme plausibel, daß Kontextzurechungen bei zunehmender Komplexität und Differenzierung der Gesellschaft ebenfalls komplex und differenziert auszusehen haben.50 Es scheint sich zumindest ein vager Konsens dahingehend durchzusetzen, daß eine Rückführung von intellektuellen Produkten auf ihre Produktionskontexte – im Sinne einer vollständigen Erklärung – zu einfach ist.51 Letztlich ergibt sich also die vorsichtige Hypothese einer nicht-kontingenten Korrelation zwischen Denkformen und bestimmten Gesellschaftsformen, da48  Vgl. nur den klassischen Aufsatz von Skinner, Quentin, Meaning and Understanding in the History of Ideas, in: History and Theory 8 (1969), 3–53. 49  Vgl. z.  B. Foucault, Michel, Archäologie des Wissens, Frankfurt a.  M . 1981, v.  a . 33–47. 50  Vgl. als Problemanzeige: Luhmann, Niklas, Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft Bd. 1, Frankfurt a.  M. 1980, 9–71. 51  Vgl. Diggins, John Patrick, The Oyster and the Pearl. The Problem of Contextualism in Intellectual History, in: History and Theory 23 (1984), 151–169.

1.  Methodische Probleme einer kontextualisierenden Historiographiegeschichte

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mit auch zwischen Denkformen und z.  B. politischen Prozessen.52 Das heißt: Selbst bei einer grundsätzlichen Annahme der sozialen Relationierbarkeit kultureller Diskurse besteht die Möglichkeit, daß diese eine gewisse Eigenlogik gewinnen und sich gegenüber dem sie tragenden gesellschaftlichen Funktionszusammenhang verselbständigen.53 Die Hauptprobleme, die angesichts dieser Ausgangslage beachtet werden müssen, betreffen die Frage nach dem historiographischen Diskurs selbst, nach seiner Einheitlichkeit oder Diversität, aber auch die Frage nach den relevanten Kontexten, die zu seiner Interpretation herangezogen werden können: Es wird daher in dieser Arbeit der Versuch unternommen, an konkreten Einzeltexten generelle Muster und abweichende Tendenzen lutherischer Geschichtsschreibung herauszuarbeiten. Dabei soll das Profil einer lutherischen ›Geschichtskultur‹ zwischen Gelehrsamkeit und Identitätsstiftung nicht in allen Einzelheiten, aber in ihren wesentlichen Zügen entstehen. Es müssen dementsprechend sowohl die spezifischen Qualitäten eines einzelnen Werkes und seines historischen Kontextes berücksichtigt als auch systematische Interpretationsperspektiven eingenommen werden. Dies wiederum kann nur erreicht werden, wenn Historiographiegeschichte weniger als Institutionen- oder Methodengeschichte denn als gesellschaftlich wenigstens ansatzweise kontextualisierte ›Problemgeschichte‹ konzipiert wird, die Geschichtsschreibung unter anderem als Auseinandersetzung mit der eigenen Gegenwart begreift.54 So ist es, dies sei schon vorab bemerkt, nicht besonders sinnvoll, die hier in Rede stehenden Quellen zuallererst aus dem Blickwinkel einer von einem modernen Wissenschaftsbegriff her eingegrenzten ›Verwissenschaftlichung‹ ins Visier zu nehmen. Die Verwissenschaftlichung des Geschichtsbewußtseins vollzog sich insgesamt anderswo, z.  B.

52  Dies beschreibt als Schwundresultat der Auseinandersetzung mit dem Marxismus: Hahn, Alois, Basis und Überbau, in: in: ders., Konstruktionen des Selbst, der Welt und der Geschichte. Aufsätze zur Kultursoziologie, Frankfurt a.  M. 2000, 263–293, hier 287. Semantiken können damit Indikator und Faktor gesellschaftlicher Prozesse und Ereignisse werden; siehe so: Koselleck, Reinhart, Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt 31995, 107– 129. 53  Vgl. Stichweh, Rudolf, Semantik und Sozialstruktur. Zur Logik einer systemtheoretischen Unterscheidung, in: Soziale Systeme 6 (2000), 237–250, v.  a. 242. 54  Blanke unterscheidet zehn verschiedene Typen von Historiographiegeschichtsschreibung und stellt u.  a. auch den Typus der ›Problemgeschichte‹ vor, die z.  B. auch die Geschichte historiographischer Mythenbildung umfassen kann. Vgl. Blanke, Horst Walter, Typen und Funktionen der Historiographiegeschichtsschreibung. Eine Bilanz und ein Forschungsprogramm, in: Geschichtsdiskurs, Bd. 1: Grundlagen und Methoden der Historiographiegeschichte, hg. v. Wolfgang Küttler/Jörn Rüsen/Ernst Schulin, Frankfurt a.  M. 1993, 191–211; als Fallstudie dieser Art von Historiographiegeschichte vgl. Graus, František, Funktionen der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung, in: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter, hg. v. Hans Patze, Sigmaringen 1987, 11–55.

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

in der Philologie und Jurisprudenz Süd- und Westeuropas55 ; lutherische Autoren hatten an diesem Kommunikationsstrang kaum Anteil und auch kaum Interesse.56 Daher ist es plausibler, primär nach Funktionen und Kontexten lutherischer Geschichtsschreibung zu fragen, die nicht in einer teleologischen Verwissenschaftlichungsperspektive aufgehen. Untersucht man eine große Zahl oft wenig herausragender Texten von häufig sehr großem Umfang – denn die Historiographen des konfessionellen Zeitalters übten sich, gestützt durch die Vervielfältigungsmechanismen des Buchdrucks, nur selten in prägnanter Kürze –, ergibt sich eine Reihe von Problemen. So weist Günther Lottes darauf hin, daß die Schwierigkeiten »zum einen in der Korpusbildung und zum anderen im Umgang mit größeren Textmengen auf der Grundlage standardisierter Fragestellungen bzw. Interpretationsfiguren« liegen.57 Überdies muß man der Gefahr begegnen, bei einem Quellenkorpus aus sehr vielen unterschiedlichen Texten sowohl Widersprüche zugunsten ab­ strakter Systematisierungen zu glätten als auch aufgrund eines kohärenten hermeneutischen Anfangsverdachts dort widersprüchliche Argumentationen zu vermuten, wo gar keine sind. Dies gilt wohl a fortiori für ›mittelmäßige‹ Texte, die den Hauptanteil des Quellenbestandes ausmachen. Genauso wird in der Folge immer wieder zu fragen sein, welches die relevanten Kontexte sind, die die oft recht unübersichtlichen Texte aufzuschlüsseln helfen. Eine gewisse Ausführlichkeit läßt sich nicht vermeiden, will man sich auf die Logik von Texten und Gattungen einlassen, diese erklären und sie, soweit es geht, sozial- und geistesgeschichtlich kontextualisieren. Es geht dabei aber weder um reine Geistesgeschichte noch um eine Sozialgeschichte der Ideen, sondern um den Versuch, in der Kombination aus hermeneutischer Einzelanalyse und der Einordnung in größere Text- und Kontextzusammenhängen Grundzüge lutherischer Geschichtsschreibung herauszuarbeiten. Dabei sowohl der Komplexität des Einzeltextes als auch des Gesamtdiskurses gerecht zu werden, scheint methodisch das schwierigste Problem.58 Schon wegen der Menge an Material muß streckenweise eine exemplarische Herangehensweise gewählt werden. Der Großteil der vorliegenden Forschungsliteratur tut genau dies, manövriert sich dabei aber immer wieder in die Situation, Repräsentativität eher 55  Vgl. als klassischen Ausgangspunkt der neueren Forschung: Kelley, Donald R., Foundations of Modern Historical Scholarship. Language, Law, and History in the French Renaissance, New York/London 1970. 56  Vgl. so auch: Rau, Geschichte und Konfession, 505. 57  Lottes, Günther, »The State of the Art«. Stand und Perspektiven der »intellectual history«, in: Neue Wege der Ideengeschichte. FS Kurt Kluxen, hg. v. Frank-Lothar Kroll, Paderborn 1996, 27–45, hier 32. 58  Vgl. zu diesem Fragenkomplex LaCapra, Dominick, Geistesgeschichte und Interpretation, in: Geschichte denken. Neubestimmung und Perspektiven moderner europäischer Geistesgeschichte, hg. v. Dominick LaCapra/Steven L. Kaplan, Frankfurt a.  M. 1988, 45–86.

1.  Methodische Probleme einer kontextualisierenden Historiographiegeschichte

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zu behaupten als zu zeigen. Wenn auch eine Arbeit wie diese zu einem guten Teil auf rhetorische Plausibilisierung ihrer Argumente setzen muß, verbieten sich daher einmalige, nur illustrierende Zitate. Da der Fokus der Arbeit auf der Produzentenseite liegt und es darum geht zu ermitteln, welche Geschichtsbilder einem lutherischen Publikum vermittelt wurden, nicht aber um die Geschichtsauffassung des Gemeinen Mannes, liegt es nahe, als Kontext mit der Biographie der Autoren anzufangen; über diese ist häufig aber wenig bekannt. Man kann in Einzelfällen aus dem Gesamtwerk des Autors Aufschlüsse über Tendenzen seiner Geschichtsschreibung erhalten. Auch konkrete Schreibanlässe und -motivationen können in wenigen Fällen benannt und als relevanter Kontext herangezogen werden.59 Die im folgenden als vorherrschend betrachteten Kontexte lassen sich unter den Stichworten ›Konfessionalisierung‹, ›innerlutherische Fraktionierungen‹ und ›Gattungen‹ subsumieren. Beim ersten Stichwort geht es um die Verortung lutherischer Geschichtsschreibung innerhalb des langfristigen gesellschaftlichen Umbauprozesses der Konfessionalisierung, aber auch um die Frage nach einer möglichen Abweichung der historiographiegeschichtlichen Entwicklung vom Konfessionalisierungstrend. Wegen des systematischen Zugangs über Argumente, Motive und Gattungen tritt die chronologische Entwicklung in der Darstellung etwas in den Hintergrund. Eine Frage, die erst am Schluß der Untersuchung zu beantworten sein wird, betrifft das Problem, ob und in welcher Weise sich überhaupt die Dynamik der Konfessionalisierung und der ihr korrespondierende Zeitindex in historiographischen Texten auswirkte. Kann man von einer Eins-zu-Eins-Übersetzung von ›Konfessionalisierung‹ in ›Historiographie‹ ausgehen, so daß sich bei Dynamisierung des einen Prozesses auch der andere Bereich transformierte? Neben diesen Globalkontext tritt die Frage nach möglichen innerlutherischen Trennlinien, die sich gegebenenfalls in der Historiographie niederschlugen; beim dritten Punkt geht es um die mögliche Eigenlogik historiographischer 59  Gerade im Zusammenhang mit der Konfessionalisierungsthese wäre möglicherweise über die Autorbiographie hinaus das Konzept der ›Generation‹ als relevanter Kontext heranzuziehen. Soziokulturelle Generationenkonzepte im Anschluß an Karl Mannheim werden in Einzelfällen, allerdings bisher eher unsystematisch, auch in der Forschung zu  Reformation und Konfessionalisierung benutzt. Daher wird auch hier davon kein systematischer Gebrauch gemacht. Vgl. zum Generationskonzept zuletzt: Schulz, Andreas/ Grebner, Gundula, Generation und Geschichte. Zur Renaissance eines umstrittenen Forschungskonzeptes, in: Generationswechsel und historischer Wandel, hg. v. Andreas Schulz/Gundula Grebner, München 2003 (HZ Beiheft 36), 1–23; Beispiele aus der Frühneuzeitforschung sind etwa: Scribner, R.W., Heterodoxy, Literacy and Print in the Early German Reformation, in: ders., Religion and Culture in Germany (1400–1800), hg. v. Lyndal Roper, Leiden/Boston/Köln 2001, 235–258; Schöffler, Herbert, Wirkungen der Reformation. Religionssoziologische Folgerungen für England und Deutschland, Frankfurt a.  M. 1960, v.  a. 126–132; angedeutet wird das Generationsproblem auch bei: Schilling, Konfessionalisierung im Reich, 23.

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

Gattungen. Alle drei Kontextannahmen werden in den folgenden Kapiteln sy­ stematischer entfaltet: Das Problem von Konfessionalisierung und Geschichtsschreibung wird einführend in IV.2 behandelt, die Frage innerlutherischer Fraktionierungen in IV.3, die Gattungsproblematik und die Frage nach der Eigenlogik der Historiographie v.  a. in B.III. Geht man der Funktion der Historiographie als konfessionellem Identitätsdiskurs nach, muß methodisch natürlich auch gefragt werden, an welches Publikum sich eine bestimmte Gattung oder ein Einzeltext richtete und wieviele Leser oder Zuhörer ein Text erreichte. Wenn diese Arbeit auch nicht auf die rezeptionsgeschichtliche Seite lutherischer Geschichtsschreibung zielt, sondern von Autoren, Texten und Konzeptionen ausgeht, so muß doch zumindest das Problem der Verbreitung bestimmter Werke reflektiert werden. Bekanntlich ist die Frage danach, wie oft Bücher des 16. und 17. Jahrhunderts verkauft wurden, schwer zu beantworten. Seit es Instrumente wie das VD 16 und 17 gibt, sind mit einiger Vorsicht jedenfalls Aussagen über die Zahl der Ausgaben möglich, die ein Buch erreichte. Doch schon bei der Höhe der Auflage beginnt das nächste Problem: Die letzte umfassende Untersuchung zu diesem Thema ergibt, daß die normale Auflagenhöhe eines Werks zwischen den 1530er Jahren und dem 18. Jahrhundert gleichblieb oder doch nur sehr langsam wuchs. Ein Mittelwert könnte bei 1500 Exemplaren pro Auflage liegen.60 Doch wurden die Bücher von mehreren Personen gelesen? Wie groß war die Lesefähigkeit überhaupt? Die Forschung tut sich mit diesen Fragen schwer; approximativ kann für die Zeit um 1600 vielleicht von einer halben Million Lesefähigen im Reich ausgegangen werden.61 Damit ist aber noch nichts über die luthe­rischen Leser gesagt, die die Hauptadressaten lutherischer Geschichtsschreibung waren. In der jüngeren Forschung herrscht eine gewisse Skepsis gegenüber einem Kurzschluß von Protestantismus und Lesefähigkeit vor, und Quantifizierungen sucht man für das 16. Jahrhundert vergeblich.62 Die Frage nach genereller Lesefähigkeit führt also nicht weit, und zum Problem, wie Bücher benutzt und gelesen wurden, wäre damit noch gar nichts gesagt.63 Es gibt 60  Vgl. Neddermeyer, Uwe, Von der Handschrift zum gedruckten Buch. Schriftlichkeit und Leseinteresse im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Quantitative und qualitative Aspekte, 2 Bde., Wiesbaden 1998, Bd. 1, 392. 61  Ebd., 530. 62  Vgl. Gawthrop, Richard/Strauss, Gerald, Protestantism and Literacy, in: Past & Present 104 (1984), 31–55; skeptisch zur Frage, ob die protestantische Situation im Hinblick auf Lesefähigkeit, Buchverehrung, individuelle Lektüre de facto anders aussah als im Katholizismus: Mallinckrodt, Rebekka von, Text versus Ritus. Dilemmata der katholischen Konfessionalisierung, in: Geschichte(n) der Wirklichkeit. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte des Wissens, hg. v. Achim Landwehr, Augsburg 2002, 319–347. 63  Vgl. Zedelmaier, Helmut, Lesetechniken. Die Praktiken der Lektüre in der Neuzeit, in: Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit, hg. v. Helmut Zedel­ maier/Martin Mulsow, Tübingen 2001, 11–30; Bickenbach, Matthias, Von den Möglichkeiten einer ›inneren‹ Geschichte des Lesens, Tübingen 1999. Zu der spezifischen

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einige Studien zur Frage des Bücherbesitzes, und sie lassen es plausibel erscheinen, daß bestimmte historiographische Werke tatsächlich Verbreitung fanden, aber insgesamt steht die Forschung hier noch am Anfang.64 Man kommt daher nicht um eine hypothetische Extrapolation herum: Die intendierte Leserschaft und ihr möglicher Rezeptionshorizont muß weitgehend aus den Texten selber erschlossen werden, um »jene historischen Publikumsdispositionen freizulegen, auf die der Autor hinzielte«.65 Hermeneutisch gesprochen wird also der Versuch gemacht, Rezeptionshorizonte – heutige und vergangene – zu verschmelzen.

2.  Konfessionsbildung, Konfessionalisierung, Konfessionskultur und Historiographie Die Herausbildung relativ homogener konfessioneller Großgruppen beschränk­ te sich nicht auf die Vereinheitlichung von Bekenntnis und Kirchenwesen,  sondern nahm in umfassender Weise Einfluß auf Politik, Gesellschaft und Kultur der frühneuzeitlichen Territorien. Aus dem stärker auf dogmatische und innerkirchliche Entwicklungen abhebenden Konzept der Konfessionsbildung (Zeeden) entwickelten Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling das gesellschaftsgeschichtliche Paradigma der Konfessionalisierung.66 Der Begriff der Konfessionalisierung bezeichnet »einen gesellschaftlichen Fundamentalvorgang, der das öffentliche und private Leben tiefgreifend umpflügte«; dieser bestehe in der zeitlich und strukturell parallel ablaufenden Herausbildung der  katholischen, lutherischen und calvinistischen Konfession ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sowie deren Verzahnung mit der frühmodernen Staats­ bildung. Diese drei parallel ablaufenden Prozesse werden als »übergreifender politischer, gesellschaftlicher und kultureller Wandel begriffen« 67. Anders als politische oder soziale Wandlungsprozesse erscheinen aber die kulturellen ImFrage, wie Geschichtswerke gelesen wurden bzw. welche Funktionen ihnen zugesprochen wurden, vgl. Kap. B.I.2. 64  Vgl. Strauss, Gerald, The Mental World of a Saxon Pastor, in: Reformation Principle and Practice. Essays in Honour of Arthur Geoffrey Dickens, hg. v. Peter Newman Brooks, London 1980, 159–170; Hackenberg, Michael, Books in Artisan Homes of Sixteenth-Century Germany, in: Journal of Library History 21 (1986), 72–91; Paschen, Christine, Buchproduktion und Buchbesitz in der frühen Neuzeit: Amberg in der Oberpfalz, Frankfurt a.  M. 1995. 65  Iser, Wolfgang, Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, München 31990, 60. 66  Zur historiographischen Entwicklung vgl. zusammenfassend: Lotz-Heumann, Ute, The Concept of »Confessionalization«: a Historiographical Paradigm in Dispute, in: Memoria y Civilizacíon 4 (2001), 93–114. 67  Schilling, Konfessionalisierung im Reich, 6.

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

plikationen und Konsequenzen der Konfessionalisierung bisher unterbelichtet 68 , obwohl in den letzten Jahren verstärkt auch die Herausbildung distinkter konfessioneller Kulturen untersucht worden ist. Konfessionskultur ist von Thomas Kaufmann als »Formungsprozeß einer bestimmten, bekenntnisgebundenen Auslegungsgestalt des christlichen Glaubens in die vielfältigen lebensweltlichen Ausprägungen und Kontexte hinein, in denen der allenthalben wirksame Kirchenglaube präsent war« 69, definiert und ausdrücklich in einen Kontrast zur stärker auf die strukturellen Parallelen abhebenden Konfessionalisierungsforschung gestellt worden: Während diese primär Gemeinsamkeiten der frühneuzeitlichen Konfessionen im Formierungsprozeß von Staat und Gesellschaft beschreibe, interessiere sich die konfessionskulturelle Perspektive stärker für die spezifischen, nicht nur religiösen, sondern auch sozialen und kulturellen ›Pro­ pria‹ der einzelnen Konfessionen, ihre Selbstwahrnehmung und Selbstdeutung.70 Allerdings sollte auch der Begriff der Konfessionskultur bei aller Offenheit noch Phänomene ausschließen können: Kaufmann faßt den Begriff der lutherischen Konfessionskultur so weit, daß er sogar deren dezidierte Antipoden, die ›Schwärmer‹, als »Element lutherischer Konfessionskultur« zu integrieren vermag.71 Wenn die Konfessionalisierung eine ›zentrierende‹ Bewegung 68  Hinzu kommt, daß generell der lutherischen Konfessionalisierung nicht die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt worden ist wie ihren katholischen und calvinistischen Äquivalenten. Vgl. dazu: Robinson-Hammerstein, Helga, Le luthéranisme allemand (1555vers 1660), in: L’Europe protestante aux XVIe et XVIIe siècles, hg. v. John Miller, Paris 1997, 229–249, hier v.  a. 229. Zu kulturellen Aspekten der Konfessionalisierung vgl. das Themenheft »La confessionnalisation dans le Saint Empire. XVIe–XVIIIe siècles« der Zeitschrift Études Germaniques 57 (2002). 69  Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, 7. Daß hier ›Kultur‹ als ›Formungsprozeß‹ definiert ist, ohne daß eine prozessuale Theorie von Kultur expliziert würde, erschwert die methodische Umsetzung des Konzepts erheblich. 70  Vgl. ebd. Dieser von Kaufmann angemahnten Zuwendung zu den konfessionellen Propria entspricht die Forderung nach einer Erweiterung der Konfessionalisierungsforschung durch einen kulturgeschichtlichen Ansatz: Vgl. Schindling, Anton, Konfessionalisierung und Grenzen von Konfessionalisierbarkeit, in: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, hg. v. Anton Schindling/Walter Ziegler, Bd. 7: Bilanz – Forschungsperspektiven – Register, Münster 1997, 9–44. – Daß im folgenden v.  a. die Positionen Schillings und Kaufmanns konfrontiert werden, verkürzt natürlich die Diskussion, erfaßt aber die Komplexität der Lage bereits hinreichend. 71  Vgl. Kaufmann, Thomas, Nahe Fremde – Aspekte der Wahrnehmung der »Schwärmer« im frühneuzeitlichen Luthertum, in: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, hg. v. Kaspar von Greyerz u.  a., Gütersloh 2003 (SVRG 201), 179–241, hier 239. Wenn Kaufmann an anderer Stelle schreibt, Konfessionskultur sei nicht zwangsläufig einheitlich, setze aber »prägende Verbindlichkeiten« voraus (Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, 145), ist wohl zu fragen, ob diese auch von den ›Schwärmern‹ geteilt wurden. Vgl. zum Begriff der Konfessionskultur: Strohm, Christoph, Methodology in Discussion of »Calvin and Calvinism«, in: Calvinus praeceptor ecclesiae, hg. v. Herman J. Selderhuis, Genf 2004, 65– 105, hier 69, Anm. 14.

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beschreibt, scheint ›Konfessionskultur‹ so stark ›zentrifugale‹ Tendenzen auf der Ebene des Begriffs wie des Phänomens zu besitzen, daß seine Grenzen verschwimmen. Anton Schindlings Forderung, die Kategorie des »subjektiv gemeinten Sinnes« dürfe nicht zugunsten strukturgeschichtlicher Beschreibungen entfallen, lenkt den Blick auf die wahrnehmungs- und erfahrungsgeschichtlichen Implikationen der Konfessionalisierung und damit auch auf konfessionelle Selbstdeutungen und Identitäten.72 Diese sind aber in der Frühneuzeitforschung, verglichen etwa mit der Erforschung nationaler Identitäten, bisher nicht hinreichend untersucht worden.73 Die Aufmerksamkeit für konfessionelle ›Propria‹ jenseits struktureller Parallelen, die auch das Interesse dieser Arbeit bilden, impliziert aber nicht zwangsläufig eine Ablehnung des Konfessionalisierungskonzeptes. Die Forschung hat sich zwar faktisch bisher stark auf die sachlichen Parallelen der Konfessionalisierungsprozesse konzentriert und sich damit von den religionssoziologischen Klassikern Weber und Troeltsch entfernt, die stärker der Frage intrinsischer Zusammenhänge zwischen Dogma und ›Lebensführung‹ im weitesten Sinne nachgegangen waren.74 Dies zeigt z.  B. Schillings These, »daß der ›politische und gesellschaftliche Charakter‹ einer Konfession nicht ausschließlich von ihrem Dogma und ihrer Spiritualität bestimmt wurde, sondern zu einem erheblichen Teil funktional gedeutet werden muß zu den übrigen Umständen des jeweiligen Gesellschaftssystems sowie der konkreten politischen Situation, innerhalb derer sie sich durchzusetzen und zu behaupten hatte.«75

Doch wenn Schilling an anderer Stelle ausführt, das Paradigma erfasse nicht nur die »funktionalen oder entwicklungsgeschichtlichen Gleichheiten«, sondern »auch die theologischen, spirituellen und anderen Eigentümlichkeiten der drei Konfessionalisierungen«76 , wird man den Ansatz auch für die Untersuchung distinkter Konfessionskulturen einsetzen können. 72  Vgl. Schindling, Konfessionalisierung, 13. Ob eine adäquate Beschreibung sozialen Handelns allerdings die Intentionen und Deutungen der Handelnden selbst voll erfassen und übernehmen müßte – und damit letztlich von ihnen selbst verstanden werden müßte –, ist eine in der jüngeren Soziologie und Ethnologie vielfach subkutan mitlaufende, kaum aber ausdiskutierte Frage. Vgl. Fuchs, Stephan/Wingens, Matthias, Sinnverstehen als Lebensform. Über die Möglichkeit hermeneutischer Objektivität, in: Geschichte und Gesellschaft 12 (1986), 477–501, hier v.  a. 481. 73  Vgl. Schilling, Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft, 12. 74  Paradigmatisch dafür steht Max Webers Aussage, daß der Grund des verschiedenen Verhaltens der Angehörigen unterschiedlicher Konfessionen »der Hauptsache nach in der dauernden inneren Eigenart und nicht nur in der jeweiligen äußeren historisch-politischen Lage der Konfessionen« gesucht werden müsse (Weber, Max, Die protestantische Ethik I, hg. v. Johannes Winckelmann, 8., durchgesehene Aufl., Gütersloh 1991, 33). 75  Schilling, Heinz, Konfessionskonflikt und Staatsbildung. Eine Fallstudie über das Verhältnis von religiösem und sozialem Wandel in der Frühneuzeit am Beispiel der Grafschaft Lippe, Gütersloh 1981 (QFRG 48), 382. 76  Schilling, Konfessionalisierung im Reich, 6  f .

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

Das Konfessionalisierungsparadigma gerät jedoch mit seiner Annahme konfessioneller Parallelentwicklungen immer dann in gewisse Schwierigkeiten, wenn es darum geht, statt Infrastrukturen Inhalte zu erfassen. Denn ein Effekt von Konfessionalisierung liegt ja gerade darin, daß sie jenseits einer generellen strukturellen Parallelität vor allem inhaltliche Eigenheiten der jeweiligen Konfessionen, auch über den engeren religiösen Bereich hinaus, produzierte. Da der Konfessionalisierungsprozeß darauf zielte, je unterschiedliche Deutungen von Gott, Welt und Geschichte zu propagieren, sind strukturelle Parallelen und inhaltliche Propria gerade kein Widerspruch. Mit anderen Worten: Konfessionalisierung produzierte Konfessionskultur, wenn diese auch in obrigkeitlichen Formierungsbemühungen nicht aufging. Dies sei illustriert an einem Themenfeld dieser Arbeit: Während alle Konfessionen annahmen, die alte, wahre Religion zu sein, waren ihre jeweiligen Argumentationen doch sehr unterschiedlich konstruiert: Strukturelle Äquivalenz und inhaltlich diverse Konfessionskulturen ergeben sich also aus demselben Prozeß. ›Konfessionalisierung‹ und ›Konfessionskultur‹ erscheinen damit als zwei nur unterschiedlich akzentuierte Ansätze, deren angebliche Unvereinbarkeit nicht durch die Pole ›funktionale Äquivalenz‹ vs. ›Propria‹ beschrieben werden sollte. Hypothetisch kann man annehmen, daß Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein sowohl Indikatoren als auch Faktoren des Konfessionalisierungsprozesses sind. Ein konfessionelles Sonderbewußtsein, eine ›Identität‹, bildet sich auch in der Konstruktion unterschiedlicher Traditionsbezüge und Geschichtsbilder heraus. Die Veränderungen, mit denen sich die Zeitgenossen konfrontiert sahen, schufen die Notwendigkeit einer Geschichtsdeutung, die zwischen den aktuellen Erfahrungen und traditierten heilsgeschichtlichen Modellen vermittelte. Allerdings ist terminologisch noch einmal zu fragen, ob die lutherische Deutung der Geschichte nicht doch eher unter den älteren Begriff der (innerkirchlichen) Konfessionsbildung fällt. Bereits Ernst Walter Zeeden hatte unter Konfessionsbildung nicht nur die »geistige und organisatorische Verfestigung der seit der Glaubensspaltung auseinanderstrebenden verschiedenen christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiös-sittlicher Lebensform« begriffen, sondern in ihr auch weitere politische und kulturelle Konsequenzen angelegt gesehen.77 Für die lutherische Ge77  Zeeden, Ernst Walter, Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1958), in: ders., Konfessionsbildung. Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform, Stuttgart 1985, 67–112, hier 69. Vor allem in kirchengeschichtlichen Arbeiten ist auf die Fragwürdigkeit einer klaren Abgrenzung von Konfessionsbildung und Konfessionalisierung hingewiesen worden; vgl. Oelke, Harry, Die Konfessionsbildung des 16. Jahrhunderts im Spiegel illustrierter Flugblätter, Berlin/New York 1992, 13, 319, 327; Kaufmann, Universität, 25. Es ist sogar vorgeschlagen worden, den Begriff der Konfessionsbildung analog zu dem der Staatsbil-

2.  Konfessionsbildung, Konfessionalisierung, Konfessionskultur und Historiographie

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schichtsschreibung stellt sich die Frage, ob sie in den kirchlich-religiösen Bereich fällt, der durch den Begriff der Konfessionsbildung bezeichnet wird. Falls nämlich konfessionelle Geschichtsschreibung ganz in innerkirchlich-identitätsstiftenden Funktionen aufgeht, ist es plausibel, sie dem Bereich der Konfessionsbildung zuzuschlagen. Oder gehört sie eher in den Kontext des ›Ausgreifens‹ der Konfessionalisierungsvorgänge in außerreligiöse kulturelle Entwicklungen? Diese Sichtweise müßte davon ausgehen, daß es im 16. Jahrhundert auch vor-, außer- und unkonfessionelle Geschichtsschreibung gab, die dann ›konfessionalisiert‹ wurde. Euan Cameron bemerkt zurecht: »Nowhere can a church’s own sense of its identity be more clearly revealed than in its own historiography.«78 Aber was ist die Historiographie der lutherischen Kirche? Läßt sich diese Aussage nur auf die Kirchengeschichtsschreibung beziehen, oder fungierten auch andere Geschichtswerke und historiographische Gattungen als Identitätsdiskurs? Geht man davon aus, daß lutherische Geschichtsschreibung als partiell identitätsstiftender Diskurs gelesen werden kann, der zum großen Teil, aber eben nicht nur, von kirchlichem Personal – Pfarrern und Theologieprofessoren – initiiert wurde, so wird deutlich, daß die zu untersuchende lutherische Deutung der Geschichte vermutlich beiden Prozessen, nämlich der innerkirchlichen Bildung einer konfessionellen Großgruppe wie auch deren Ausgreifen in außerreligiöse Bereiche, zuzuschlagen ist. Gerade in diesem Sachverhalt liegt das Interesse der Arbeit: Wie weit konnte eine vor allem von den Kirchen ausgehende Selbstbeschreibung tatsächlich gesamtgesellschaftlich virulent werden, also auch Tätigkeiten oder kulturelle Praktiken imprägnieren, die zunächst einmal nichts mit ihr zu tun hatten? Von einigen Elementen des Konfessionalisierungsparadigmas ausgehend79, kann die Frage nach der ›Konfessionalisierbarkeit‹ der Historiographie schärfer gestellt werden: dung zu benutzen und damit eher die Eigenständigkeit des kirchlich-kulturellen Formierungsprozesses als die politische Instrumentalisierung in den Vordergrund zu stellen, der den Begriff der Konfessionalisierung kennzeichne: Vgl. Burkhardt, Johannes, Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517–1617, Stuttgart 2002, 77. 78  Cameron, Euan, One Reformation or many? Protestant identities in the later Reformation in Germany, in: Tolerance and Intolerance in the European Reformation, hg. v. Ole Peter Grell/Bob Scribner, Cambridge 1996, 108–127, hier 116. 79  Bestimmte Aspekte des Paradigmas wie Staatsbildung oder Sozialdisziplinierung spielen hier offensichtlich keine Rolle; dies heißt aber nicht zwangsläufig, alle Elemen-  te des Konzepts fallenzulassen. Vgl. als Position, die die Konfessionalisierungsthese grundsätzlich beibehält, aber deren Gefahr für eine funktionalistische Reduktion von Rel­i­gion zu bannen versucht: Kaufmann, Thomas, Einleitung: Transkonfessionalität, Interkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität – Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, in: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, hg. v. Kaspar von Greyerz u.  a., Gütersloh 2003 (SVRG 201), 9–15.

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

1. Das Konfessionalisierungsparadigma arbeitet mit dem Axiom, daß die Geschichte des 16. und frühen 17. Jahrhunderts ohne eine zentrale Einbeziehung des Faktors Konfession nicht angemessen verstanden werden kann. Alle gesellschaftlichen Bereiche seien vom Faktor Konfession in der einen oder anderen Weise erfaßt, geformt und verändert worden.80 Die ›Konfessionalisierbarkeit‹ von Geschichtsschreibung hängt somit eng mit der Frage nach der Fundamentalbedeutung des Konfessionalisierungsprozesses für die Geschichte des 16. und frühen 17. Jahrhunderts zusammen. Selbst wenn die These von der Konfessionalisierung als ›Fundamentalprozeß‹ zutrifft, gab es viele unterschiedliche Arten, wie sich z.  B. die Historiographie mit dem Faktor Konfession auseinandersetzen konnte. Die zentrale Bedeutung des konfessionellen Moments erweist sich aber möglicherweise gerade darin, daß die Geschichtsschreibung sich überhaupt dazu verhalten mußte, daß sie ihre Formen und Inhalte in enger Bezugnahme auf die konfessionellen Instanzen entwickeln mußte. Konfessionalisierung bedeutet keine konfessionalistische Gleichschaltung von Gesellschaft und Kultur, sondern ist adäquater zu beschreiben als Herausbildung eines neuen intellektuellen und politischen Kräftefeldes, das alle Elemente der Gesellschaft zu Reflexion und Relationierung zwang; der Konfession kam in diesem Kräftefeld – in Aneignung und Abstoßung – eine Schlüsselposition zu.81 2. Konfessionalisierung bedeutet, daß die Konfessionskirchen bestimmte Instrumente schufen, um die Abgrenzung nach außen und die Homogenisierung nach innen voranzutreiben. Reinhard nennt sieben Instrumente: die Wiedergewinnung klarer theoretischer Vorstellungen, die Verbreitung und Durch­setzung neuer Normen, Propaganda und Verhinderung von Gegenpropaganda, Internalisierung der neuen Ordnung durch Bildung, die Disziplinierung der Anhän80  Vgl. Schilling, Konfessionalisierung im Reich, 6; Reinhard, Wolfgang, Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: ZHF 10 (1983), 257–277, hier 269. Als Gegenposition zu dieser Hypothese vgl. Schulze, Winfried, Konfessionalisierung als Paradigma zur Erforschung des konfessionellen Zeitalters, in: Drei Konfessionen in einer Region. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, hg. v. Burkhard Dietz/ Stefan Ehrenpreis, Köln 1999, 15–30. 81  Vgl. Lutz, Heinrich, Normen und gesellschaftlicher Wandel zwischen Renaissance und Revolution – Differenzierung und Säkularisierung, in: Saeculum 26 (1975), 166–180, hier 169, der darauf hinweist, daß sich das konfessionelle Zeitalter weniger durch homogene konfessionelle Prägungen als durch die permanente Reflexion auf die Geltung konfessioneller Normen auszeichnete. Die klassische Begriffsbestimmung beschreibt Konfessionalisierung als einen Vorgang, der »in meist gleichlaufender, bisweilen auch gegenläufiger Verzahnung« mit Staatsbildung und Sozialdisziplinierung verlief und damit »im Prinzip gesellschaftsgeschichtlich ambivalent« war (Schilling, Konfessionalisierung im Reich, 6). Das von den Kritikern des Konzepts oft übersehene Motiv der »gegenläufigen Verzahnung« macht dieses viel offener, als eine auf die Verbindung von Staatsbildung, Konfessionalisierung und Modernisierung fixierte Forschung manchmal wahrgenommen hat.

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ger, die Anwendung von Riten sowie schließlich die Beeinflussung der Sprache.82 Die sich herausbildende konfessionelle Geschichtsschreibung ist mit dreien der genannten Punkte verbunden: Sie wird im Rahmen von Propaganda und Kontroverstheologie entwickelt, trägt als Bildungsgut zur Internalisierung der konfessionellen Abgrenzungskriterien bei und stellt einen Beitrag zur konfessionellen Sprachregelung dar. Anders als im Fall der Bekenntnisbildung oder der Kirchenzucht gibt es im Falle der Geschichtsschreibung aber keine übergeordnete Instanz, die den Historikern sagt, was und wie sie schreiben sollen – wenn sie auch häufig homogenen Bildungskontexten entstammen, der Faktor Zensur in den folgenden Kapiteln manchmal eine Rolle spielen wird 83 und manche Werke Auftragswerke mit genau angebbarer Auftraggeberintention sind. Konfessionalisierte Geschichtsschreibung wird also weitgehend auf Selbstkonfessionalisierung von Eliten beruhen. 3. Nach einer traditionellen, v.  a. aber politikgeschichtlichen Periodisierung reicht das konfessionelle Zeitalter von 1555 bis 1648. In neueren Studien wird jedoch zunehmend deutlich, daß gerade die kulturellen Konsequenzen des Konfessionalisierungsprozesses ihre Prägekraft nur sehr langsam entfalteten. Weder ist zwangsläufig ein Beginn im 16. Jahrhundert anzunehmen noch endet die Wirksamkeit konfessioneller Kulturwirkungen mit der politikgeschichtlichen Zäsur von 1648.84 Aber auch wenn bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts dezidiert ›konfessionelle‹ Geschichtsdeutungen produziert worden sein sollten, ist zu fragen, mit welchen vor- und außerkonfessionellen Faktoren sich lutherische Historiographen auseinanderzusetzen hatten. 4. Als besonders prominenter Bereich, der den Konfessionalisierungsbemühungen gegenüber widerständig blieb, wird immer wieder die mehr oder minder ›humanistische‹ Gelehrsamkeit genannt.85 Nun sind sicher nicht alle lutherischen Geschichtsschreiber, die in dieser Arbeit behandelt werden, Humanisten (vgl. Kap. III.1). Trotzdem stellt sich die Frage, in welchem Maße nichtreligiöse Gelehrsamkeit, aber auch z.  B. einzelne Gattungstraditionen die Konfessionalisierung der Historiographie beeinflußten, erleichterten oder einschränkten. 5. Das Konfessionalisierungsparadigma geht von der Annahme aus, daß sich bestimmte religiöse, politische und kulturelle Entwicklungen und Formie  Vgl. Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung, hier v.  a. 261–265.   Vgl. als Fallstudie: Hasse, Hans-Peter, Zensur theologischer Bücher in Kursachsen im konfessionellen Zeitalter. Studien zur kursächsischen Literatur- und Religionspolitik in den Jahren 1569 bis 1575, Leipzig 2000. 84  Eine flexiblere Periodisierung wird nahegelegt von: Holzem, Andreas, Religion und Lebensform. Katholische Konfessionalisierung im Sendgericht des Fürstbistums Münster 1570–1800, Paderborn 2000; François, Etienne, Die unsichtbare Grenze. Protestanten und Katholiken in Augsburg 1648–1806, Sigmaringen 1991; Harrington, Joel F./Walser Smith, Helmut, Confessionalization, Community and State Building in Germany 1555–1870, in: Journal of Modern History 69 (1997), 77–101. 85  Vgl. Schilling, Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft, 24. 82 83

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

rungsprozesse in allen drei Großkonfessionen zeitlich und sachlich einigermaßen parallel vollzogen. In allen drei Konfessionen müßte demnach auch die Geschichtsschreibung in vergleichbarer Weise in Formierungsprozesse einbezogen sein. Diese konfessionskomparatistische Sicht ist prima facie plausibel, soll aber hier nicht weiterverfolgt werden. Ebenfalls nicht verfolgt werden die langfristig modernisierenden und säkularisierenden Effekte des Konfessionalisierungsprozesses, die sich absichtlich oder unabsichtlich ergeben können.86 Demnach müßte Konfessionalisierung von Geschichtsschreibung zumindest auch deren Methodisierung, Verwissenschaftlichung oder Säkularisierung bedeuten. Dies widerspricht der traditionellen Sicht auf die Historiographie des konfessionellen Zeitalters, ist aber in der jüngeren Forschung durchaus vertreten worden.87 Da Methodisierungs- und Verwissenschaftlichungsprozesse jedoch nicht den Hauptfokus dieser Arbeit bilden, werden diese Elemente von Konfessionalisierung nur en passant zur Kenntnis genommen, nicht aber im Detail untersucht. Es sind v.  a. zwei der genannten Merkmale, die besonders geeignet für die weitere Untersuchung erscheinen: nämlich die Frage nach der Zentralstellung des konfessionellen Moments und die Frage nach der Instrumentalisierung historischen Wissens für die Abgrenzung und Binnenstabilisierung der Konfessionsgruppen. Wenn Geschichtsschreibung primär die Funktion übernehmen soll, die eigene Konfession zu legitimieren und nach außen abzugrenzen, sind zwei Modi besonders naheliegend: die Polemik nach außen und das Gedächtnis nach innen. Historische Polemik, und damit Fremdbeschreibung, ist in der Tat ein Charakteristikum der Historiographie des konfessionellen Zeitalters. Die konfessionelle Polemik auch auf historiographischem Gebiet diente vor allem der Grenzziehung, nicht aber primär dem Wunsch, den Gegner zu überzeugen. Wo sie also zu beobachten ist, wird man mit gutem Grund davon sprechen können, daß Geschichtsschreibung konfessionalisiert wird. In ähnlicher Weise gilt dies, wenn Geschichtsschreibung dazu benutzt wird, um eine historisch begründete Identität für die entstehenden Konfessionsgruppe zu konstruieren. Allerdings ist hier stärker von Nuancen auszugehen. Ist ein Text polemisch nach außen gerichtet, so ist dies oft sein einziges oder doch primäres Ziel. Ist er nach innen gerichtet, können neben den Gedächtnisdiskurs auch andere Funktionen treten, so z.  B. profangeschichtliche Belehrung oder Unterhaltung. Von Konfessionalisierung wird man aber dann sinnvoll reden können, wenn ein vorherrschender Zug eines Geschichtswerkes darin besteht,

86  Vgl. zu nichtintentionalen Folgen von Konfessionalisierung, z.  B. Modernisierung oder Säkularisierung, generell: Reinhard, Wolfgang, Konfessionalisierung auf dem Prüfstand, in: Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa, hg. v. Joachim Bahlcke/Arno Strohmeyer, Stuttgart 1999, 79–88. 87  Vgl. z.  B. Strohmeyer, Konfessionalisierung.

3.  Lutherisch? Fragen nach einem Begriff

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einen lutherischen Gedächtnisdiskurs zu initiieren, ein konfessionelles Sonderbewußtsein einzuschärfen oder eine ›lutherische Mentalität‹ zu transportieren. Neben apologetischen und polemischen Zügen können andere Merkmale von konfessioneller Geschichtsschreibung angenommen werden, so z.  B. die explizit vereinnahmende Reklamierung bestimmter historischer Traditionen für die eigene Konfession oder der Einfluß bestimmter Parameter der lutherischen Theologie auf die Darstellung und Bewertung von historischen Ereignissen; es können aber auch argumentative Verschiebungen gegenüber den benutzten Quellen ein Werk als lutherisch erkennbar machen. Konfessionalisierung von Geschichtsschreibung muß also mehr und anderes bezeichnen als die Tatsache, daß auch lutherische Autoren Geschichte schrieben. Die Frage nach spezifischen Motiven, Argumenten und Themen und die Frage nach polemischen oder konfessionsstabilisierenden Funktionen müssen beantwortet werden. Dazu sind aber einige Überlegungen notwendig, welche Art von Geschichtsschreibung man sinnvollerweise als ›lutherisch‹ bezeichnen kann.

3.  Lutherisch? Fragen nach einem Begriff Die Auswahl der Quellen und der interpretatorische Horizont – z.  B. die Frage danach, was als spezifisch ›lutherische‹ Geschichtsschreibung gelten soll – werfen ein methodisches Problem auf. Einerseits müssen aus der unüberschaubar großen Zahl der Geschichtswerke des Untersuchungszeitraums solche ›lutherischer‹ Autoren ausgewählt werden. Andererseits geht es gerade darum, Unterschiede und Varianten innerhalb eines ›lutherischen‹ Geschichtsbildes herauszuarbeiten. Hier lauert also ein Zirkel, der zumindest einige Begriffsreflexion erfordert.88 Hinzu tritt die angesprochene konzeptionelle Ambivalenz zwischen ›Konfessionalisierung‹ und ›Konfessionskultur‹, einer eher zentrierenden, stärker von den gesellschaftlichen Eliten her gedachten Sicht und einem stärker auf zentrifugale Bewegungen abstellenden Ansatz. Der Begriff ›lutherisch‹ entstammt als Bezeichnung für eine konfessionelle Großgruppe dem späten 16. Jahrhundert, war aber erst eine polemische Fremdbeschreibung, bevor er zu einer Selbstbezeichnung wurde. Insgesamt wurden eher und umfassender die Begriffe ›evangelisch‹ oder ›Augsburger Konfessionsverwandte‹ verwendet, die aber das Problem bargen, nicht klar genug gegenüber dem Reformiertentum zu differenzieren. Der Begriff ›lutherisch‹ als posi88  Anders löst dieses Problem für die katholische Seite die Untersuchung von: Benz, Stefan, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich, Husum 2003, deren Auswahlkriterium die formale Zugehörigkeit von Historiographen zum Katholizismus ist, die sich aber nicht für unterschiedliche Grade von ›Konfessionalisierung‹ der Geschichtsschreibung interessiert.

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

tive Selbstbezeichnung setzte sich offenbar zuerst in gnesiolutherisch und dann konkordistisch geprägten Kreisen durch.89 Da aber die Binnenauseinander­ setzungen eine zentrale Rolle für die Entwicklung der lutherischen Konfession spielen, wird man die Begriffe ›lutherisch‹ und ›Luthertum‹ kaum auf diejenigen Anhänger Luthers begrenzen wollen, die sich selbst so bezeichneten. Die Selbstbezeichnung bietet also kein hinreichendes Fundament für einen analytischen Begriffsgebrauch. Das Problem ist auflösbar, wenn man mit einer ›weiteren‹ und einer ›engeren‹ Fassung des Begriffs arbeitet. Die weitere Begriffsfassung dient dabei nur als Ausgangspunkt für die Quellenauswahl. Als ›lutherische‹ Texte und Autoren werden diejenigen verstanden, für die eines oder mehrere der folgenden Kriterien zutreffen, nämlich diejenigen, die 1. sich nicht ausdrücklich zu einer anderen als der Augsburger Konfession in der Fassung von 1530 bekennen, 2. sich in positiver Weise auf Luther und die von ihm ausgehende Reformation beziehen, ohne sich dabei gleichzeitig in derselben Ausdrücklichkeit auf Calvin, Zwingli oder die oberdeutsche Reformation zu beziehen, 3. nach dem Druckort des Werks oder dem Beruf des Autors (z.  B. Professor an einer lutherischen Landesuniversität) als solche zu klassifizieren sind. Diese weite Fassung des Begriffs schließt also z.  B. Philippisten oder ›Melanchthonianer‹ ein, Zwinglianer aber aus – wobei zugestanden ist, daß diese Begriffe im Einzelfall nur Tendenzen bezeichnen. Sie umfaßt aber ausdrücklich auch Autoren, die sich möglicherweise im Laufe der Untersuchung als eher indifferent gegenüber den Formierungsbemühungen der lutherischen Obrigkeiten erweisen, und bleibt damit ein reines Anfangskriterium. Die engere Fassung bezieht sich darauf, ob Werke oder Autoren in besonders hohem Maße als ›lutherisch‹ zu erkennen sind, ob also ihre Geschichtsauffassung oder ihre Argumentation in eindeutiger Weise Elemente der lutherischen Theologie und Konfessionskultur aufnehmen. Das Problem, was Konfessionalisierung auf dem Terrain der Historiographie bezeichnen kann, umfaßt auch die Frage nach graduellen Unterschieden ihrer Überformung durch konfessionelle Parameter. Es muß also stärker und schwächer lutherisch geprägte Geschichtsschreibung geben. Damit erweist sich der Zirkel, der den Begriff ›luthe89  Vgl. die veraltete, aber nicht ersetzte begriffsgeschichtliche Untersuchung von Heppe, Heinrich, Ursprung und Geschichte der Bezeichnungen »reformirte« und »lutherische« Kirche, Gotha 1859, 31; Keller, Rudolf, Art. »Gnesiolutheraner«, in: TRE 13, 512–519, hier 512; Hauschild, Wolf-Dieter, Art. »Luthertum«, in: EKL 3, Sp. 220–228, hier Sp. 220  f. Kaufmann nimmt an, daß der Begriff seit den 1560er Jahren zunehmend positiv gebraucht wurde. Vgl. Kaufmann, Thomas, »Wie die Bücher und Schrifften Lutheri nützlich zu lesen.« Joachim Mörlins Anweisung zum Lutherstudium von 1565 und ihr historischer Kontext, in: Luthers Erben. Studien zur Rezeptionsgeschichte der reformatorischen Theologie Luthers. FS Jörg Baur, Tübingen 2005, 25–72, hier 63, Anm. 162.

3.  Lutherisch? Fragen nach einem Begriff

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risch‹ in seiner weiten und seiner engen Fassung umgreift, weniger als logischer denn forschungsstrategischer Zirkel. Die Frage nach einer inhaltlich bestimmteren Fassung des Begriffs ›lutherisch‹ entspringt der historischen Ausgangslage, nämlich der zunehmenden Ausdifferenzierung des deutschen Protestantismus im Laufe des 16. Jahrhunderts v.  a. im Anschluß an die Interimskrise.90 Im Zuge der konfessionellen Formierung der Gesellschaft entstanden Konfessionskulturen, die im Sinne der schwachen Begriffsformulierung eindeutig als lutherisch zu klassifizieren sind – eben weil sie z.  B. in Gebieten lutherischer Landesherren entstanden –, die aber binnenkonfessionell durchaus eine so große Diversität aufwiesen, daß es sich lohnt, noch weitere Differenzierungen vorzunehmen, die sich z.  B. auf die Reichweite genuin theologischer Deutungsmuster beziehen.91 Damit erweist sich, daß ein weiter, inhaltlich nur relativ vage gefüllter Begriff am Beginn der Untersuchung stehen muß. Ein weiteres terminologisches Problem betrifft die für den Fragehorizont dieser Arbeit wichtige binnenlutherische Differenzierung: Im Laufe der Arbeit werden des öfteren Begriffe wie ›philippistisch‹ und ›gnesiolutherisch‹ fallen. Diese vielkritisierten und wenig differenzierten Begriffe sind lange als ›Parteinamen‹ mißverstanden worden. Aber die Geschichte des Luthertums zwischen 1550 und 1580 geht nicht in theologischen Polemiken auf; daher ist es sinnlos, alle lutherischen Autoren mittels des simplen Dualismus von philippistisch vs.  

90  Vgl. als theologiegeschichtlichen Überblick: Neuser, Wilhelm H., Die Konfessionalisierung des Protestantismus im 16. Jahrhundert, in: Konfessionalisierung vom 16.–19. Jahrhundert. Kirche und Traditionspflege, hg. v. Helmut Baier, Neustadt an der Aisch 1989, 11–26. Die Bedeutung des Interims für den theologischen Ausdifferenzierungsprozeß hebt hervor: Dingel, Irene, Flacius als Schüler Luthers und Melanchthons, in: Vestigia pietatis. Studien zur Geschichte der Frömmigkeit in Thüringen und Sachsen, Leipzig 2000, 77–93. Gegen eine terminologisch eindeutige Differenzierung verschiedener protestantischer Richtungen ist eingewandt worden, man dürfe nicht retrospektiv Trennlinien ziehen, wo die Zeitgenossen keine gezogen hätten; vgl. Merz, Johannes, Calvinismus im Territorialstaat? Zur Begriffs- und Traditionsbildung in der deutschen Historiographie, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 57 (1994), 45–68, hier 67. Dieser Einwand ist aber für akademische Theologen, um die es in dieser Arbeit in hohem Maße geht, kaum stichhaltig. 91  Nur im Sinne einer weiten und engen Begriffsfassung ist z.  B. die Forderung nach der Erforschung eines »popular Lutheranism« sinnvoll (Scribner, R.  W., Incombustible Luther: The Image of the Reformer in Early Modern Germany, in: Past & Present 110 (1986), 38–68, hier 68). Und nur mittels dieser Unterscheidung zwischen einem theologisch relativ unbestimmten Luthertumsbegriff und einer inhaltlich schärfer konturierten Version kann auch das Diktum Berndt Hamms über Johann Arndt verstanden werden: »Der bedeutendste Erbauungsschriftsteller des Luthertums, ja sein meistgelesener Theologe überhaupt, vertritt keine lutherische Theologie.« (Hamm, Berndt, Johann Arndts Wortverständnis. Ein Beitrag zu den Anfängen des Pietismus, in: Pietismus und Neuzeit 8 (1982), 43–73, hier 72  f.)

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

gnesiolutherisch zu klassifizieren.92 Zu dieser Problematik tritt das Faktum, daß die theologiegeschichtliche Terminologie sich nicht auf diese beiden Begriffe beschränkt.93 Jüngere und möglicherweise adäquatere Begriffsbildungen sind in der kirchengeschichtlichen Forschung aber noch nicht ausführlich diskutiert worden. Daher werden vorerst die Begriffe ›gnesiolutherisch‹ und ›philippi­ stisch‹ beibehalten.94 Sie sollen hier aber allein als ›Abkürzungen‹ gebraucht werden. Als solche dienen sie dazu, die Position bestimmter Autoren in einem sowohl von theologischen als auch von politischen und kulturellen Positionen strukturierten Feld annäherungsweise zu bestimmen. Wenn auch die Begriffe theologische Streitpositionen hinsichtlich der Abendmahlslehre und der Anthropologie innerhalb einer kursächsischen Diskussion indizieren, können doch – streng als Tendenz-, nicht als Parteibezeichnung gesprochen – als Philippisten Autoren bezeichnet werden, die sich in eindeutig positiver Weise an Melanchthon anschließen und inhaltlich eher ›humanistisch‹ geprägte Positionen beziehen. Der Philippismus ist jedenfalls nicht identisch mit einem mehr oder minder gut verhüllten »Kryptocalvinismus« 95. Philippisten neigten weniger zur öffentlichen Polemik, lehnten sich eindeutiger an weltliche Obrigkeiten an, waren häufig in europäische Humanistennetzwerke eingebunden und oft keine professionellen Theologen. Gnesiolutheraner grenzten sich dagegen von der 92  Vgl. Kaufmann, Thomas, Die Wittenberger Theologie in Rostock in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Pietismus und Neuzeit 24 (1998), 65–87, hier 84  f. 93  Vgl. die Vorschläge in der Einleitung zu: Barton, Peter f., Um Luthers Erbe. Studien und Texte zur Spätreformation. Tilemann Heshusius (1527–1529), Witten 1972. 94  Kaufmann, Thomas, Das Ende der Reformation. Magdeburgs »Herrgotts Kanzlei« (1548–1551/2), Tübingen 2003, 74, unterscheidet für die Interimszeit ›Wittenberger‹ und ›anti-wittenbergische Interimsgegner‹; Leppin, Antichrist, 49, differenziert eher geistesgeschichtlich zwischen ›humanistisch-philosophischen‹ und ›radikal-bibliozentrischen‹ Positionen. Vgl. als Überblicke: Koch, Philippismus; ders., Art. »Gnesiolutheraner«, in: RGG4 3, Sp. 1043; Hasse, Hans-Peter, Art. »Philippisten«, in: RGG4 6, Sp. 1279  f.; Kolb, Robert, Dynamics of party conflict in the Saxon late Reformation, Gnesio-Lutherans vs. Philippists, in: Journal of Modern History 49 (1977), 1289–1305. – Zur Kritik an den Termini vgl. Kaufmann, Thomas, Martin Chemnitz (1522–1586). Zur Wirkungsgeschichte der theologischen Loci, in: Melanchthon in seinen Schülern, hg. v. Heinz Scheible, Wiesbaden 1997, 183–253, hier 247, Anm. 251, der den Begriffen eine »über punktuelle, sich historisch jeweils verschiebende Positionsbestimmungen hinausgehende operationale Leistungsfähigkeit« abspricht; ähnlich auch ders., Ende der Reformation, 74, Anm. 123. Ebenfalls kritisch, aber uneindeutig in den Schlußfolgerungen: Wenz, Gunther, Zum Streit zwischen Philippisten und Gnesiolutheranern, in: Melanchthon und die Neuzeit, hg. v. Günther Frank/Ulrich Köpf, Stuttgart-Bad Cannstatt 2003, 43–68. 95  Viele kursächsische Theologen zogen durchaus eine Grenze zwischen einem ›erlaubten‹ Philippismus und dem z.  B. kurpfälzischen Calvinismus. Vgl. Koch, Ernst, Auseinandersetzungen um die Autorität von Philipp Melanchthon und Martin Luther in Kursachsen im Vorfeld der Konkordienformel von 1577, in: Luther-Jahrbuch 1992, 128– 159. Für eine Differenzierung spricht sich auch Peterson, Luther D., Art. »Philippists«, in: Oxford Encyclopedia of the Reformation 3, 255–262, aus; Junghans, Helmar, Art. »Kryptocalvinisten«, in: TRE 20, 123–129, differenziert nicht zwischen beiden Begriffen und Phänomenen.

4.  Kollektive Identitäten, konfessionelle Identitäten

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theologischen Autorität Melanchthons ab und betonten die zentrale Rolle der öffentlichen Polemik und des persönlichen Bekennermuts. Die Distanzierung gegenüber Melanchthon führte aber nicht zwangsläufig dazu, daß sie theologische oder kulturelle Prägungen durch Melanchthon in Frage stellten.96 Schon deshalb ist es fraglich, inwieweit sich profilierte philippistische oder gnesiolutherische Positionen auch in der Historiographie zeigen. Geht man aber von der identitätsstiftenden Funktion der Geschichtsschreibung für die lutherische Konfessionskirche aus, so wird man die innerlutherischen Kontroversen und Spannungen als Kontexte der Historiographie heranziehen und dann fragen müssen, inwieweit diese Spannungen auch unterschiedliche Geschichtsauffassungen hervorbrachten.

4.  Kollektive Identitäten, konfessionelle Identitäten Das Problem ›kollektiver Identitäten‹ ist gerade in den letzten Jahren stark diskutiert worden. Es spielt eine stetig wachsende Rolle im Anschluß sowohl an die (innerwissenschaftliche) Hinwendung zu stärker kulturgeschichtlichen Fragestellungen mit ihrem Interesse für die Selbstdeutung von sozialen Gruppen als auch an die (außerwissenschaftliche) politische Debatte um die Instrumente sozialer Kohäsion nach dem Wegfall der großen Ideologien. Die im Gefolge dieser Diskussionen zu konstatierende inflationäre Benutzung des Begriffs der ›kollektiven Identität‹ hat ihn allerdings unscharf werden lassen; daher sind einige Begriffsreflexionen erforderlich. Kollektive Identität hat offensichtlich mit gesellschaftlichen Gruppen oder ganzen Gesellschaften zu tun. Diese Gruppen benötigen, was immer ihre Identität darüber hinaus konstituiert, ein Gegenüber. Dies ist nicht zwangsläufig ein Feind oder ein Feindbild, aber doch etwas, was sich außerhalb von ihnen befindet oder, systemtheoretisch gesprochen, eine ›Umwelt‹. Insofern ist der Mechanismus von Ein- und Ausschließung in eine oder aus einer Gruppe sowohl Faktor als auch Funktion kollektiver Identität. Gruppenidentität wird erst durch Differenz konstituiert: »Inklusion gibt es nur, wenn Exklusion möglich ist. Erst die Existenz nichtintegrierbarer Personen oder Gruppen läßt soziale Kohäsion sichtbar werden.«97 Inklusions- und Exklusionsmechanismen aber sind, und das macht sie für die historische Analyse interessant, historisch variabel. Offensichtlich hat nicht jedes Zeitalter nationale Identitäten benötigt; das gleiche gilt für

96  Vgl. Kolb, Robert, Philipp’s Foes, but Followers Nonetheless. Late Humanism among the Gnesio-Lutherans, in: The Harvest of Humanism in Central Europe: Essays in Honor of Lewis W. Spitz, hg. v. Manfred P. Fleischer, St. Louis/MO 1992, 159–176. 97  Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2 Bde., Frankfurt a.  M . 1997, Bd. 2, 621.

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

konfessionelle Identitäten. Die Bezugspunkte der kollektiven Identität können sich also ändern.98 Kollektive Identitäten sind aber nicht nur in der longue durée variabel, sie müssen immer auch erst ›gebildet‹ werden.99 Daher gehört die Beschäftigung mit kollektiven Identitäten in den Kontext einer sich in den letzten Jahrzehnten stetig verbreiternden soziologischen und kulturgeschichtlichen Strömung, die mit dem Begriff der ›Konstruktion‹ operiert.100 Identitäten gibt es nicht, sie werden gemacht; sie sind »Konstrukte, die nichts anderes bezeichnen als eine näher zu spezifizierende Gemeinsamkeit im praktischen Selbst- und Weltverhältnis«101. Wodurch wird diese Gemeinsamkeit hergestellt? Offensichtlich reicht die ›objektive‹ Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, zu einem Stand, einer Konfession, nicht aus, um den Mitgliedern dieser Gruppe eine gemeinsame Identität zu bescheinigen.102 Hinzutreten muß zwingend ein Moment der Identifizierung der Gruppenmitglieder mit gemeinsamen Inhalten und die Ausbildung eines Zusammengehörigkeitsbewußtseins, ein »Gemeinsamkeitsglaube«103. Die Selbstreflexivität von Identifikation und Identität bedeutet unter anderem, daß eine Gruppe ein Bild von sich selbst konstruiert: »Unter einer kollektiven oder Wir-Identität verstehen wir das Bild, das eine Gruppe von sich aufbaut und mit dem sich deren Mitglieder identifizieren. Kollektive Identität ist 

98  Vgl. als Versuch einer Typologie dieser Bezugsgrößen: Giesen, Bernhard, Codes kollektiver Identität, in: Religion und Identität im Horizont des Pluralismus, Frankfurt a.  M. 1999, 13–44. 99  Dies haben sie mit personalen Identitäten gemeinsam. Zurecht wird aber davor gewarnt, den Begriff der personalen Identität naiv auf Kollektive zu übertragen: Vgl. Straub, Jürgen, Personale und kollektive Identität. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs, in: Identitäten, hg. v. Aleida Assmann/Heidrun Friese, Frankfurt a.  M. 21999, 73–104. 100  Die Forschungsdiskussion innerhalb der letzten Jahrzehnte sei hier exemplarisch mit zwei Extrempositionen belegt: Während Hans Kohn für den vormodernen Patriotismus ein »rein vegetatives Gruppengefühl« ausmacht, schlagen poststrukturalistische Historiker für jede Art überindividueller Bindung hochgradig antiessentialistische Deutungen vor. Identität erscheint hier als »fantasy that erases the divisions and discontinuities [. . .] that separate subjects in time«. Zitate bei: Kohn, Hans, Die Idee des Nationalismus. Ursprung und Geschichte bis zur Französischen Revolution, Frankfurt a.  M. 1962, 116 sowie Scott, Joan W., Fantasy Echo: History and the Construction of Identity, in: Critical Inquiry 27 (2001), 284–304, hier 292. 101  Straub, Personale und kollektive Identität, 103. 102  In diese Richtung tendiert der ansonsten hilfreiche Aufsatz von: Kolakowski, Leszek, Über kollektive Identität, in: Identität im Wandel, hg. v. Krzysztof Michalski, Stuttgart 1995, 47–60. 103  Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. revidierte Auflage, Tübingen 1980, 237; vgl. auch: Mennell, Stephen, The Formation of We-Images: A Process Theory, in: Social Theory and the Politics of Identity, hg. v. Craig Calhoun, Cambridge/Mass. 1994, 175–197.

4.  Kollektive Identitäten, konfessionelle Identitäten

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eine Frage der Identifikation seitens der beteiligten Individuen.«104 Als Medien von Identitätskonstruktionen werden Sprache und Bilder eingesetzt; insofern sind kollektive Identitäten primär sprachliche und bildliche Konstrukte, die von demjenigen, der sich mit ihnen beschäftigt, wiederum rekonstruiert werden müssen. Die Versuche, ein Bild der eigenen Gruppe zu entwerfen, sind oft umkämpft: Die Einsicht in die Konstruiertheit kollektiver Identität öffnet damit den Blick auf die Träger und die Medien der Konstruktion: Wer vertritt welches Bild der Gruppe, mit welchen Mitteln wird versucht, dieses Bild durchzusetzen und damit die Gruppe nach außen einheitlich zu repräsentieren? Der Begriff der kollektiven Identität hat scharfe Kritik auf sich gezogen, die darauf abhebt, daß der Begriff dazu tendiert, Binnendifferenzierungen und Machtstrukturen innerhalb von Gruppen herunterzuspielen.105 Dies trifft zweifellos zu; aus der Sicht derjenigen, die Identität konstruieren, soll er aber auch genau dies leisten. In der Regel sind dies Elitengruppen, in dieser Arbeit also konfessionelle Eliten. Diese betreiben Identitätsstiftung, indem sie Selbstbeschreibungen einsetzen, sie ›stiften‹ Identität mit dem Anspruch, ihre Sicht des Kollektivs durchzusetzen. Ob ihnen dies gelingt, soll hier erst einmal weniger interessieren als die Eigenart und Faktur unterschiedlicher Identitätsoptionen. Die konfessionelle Selbstbeschreibung wird – wie alle anderen Identitäten auch – durch die beschriebenen Faktoren konstituiert: erstens durch die Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen und anderen Identitäten; zweitens durch die Konstruiertheit dieser Selbstbeschreibung. Drittens ist in Rechnung zu stellen, daß diese Konstruktion zu keinem Zeitpunkt zu einer wirklich homogenen Selbstbeschreibung führen muß. Wenn unterschiedliche Selbstbeschreibungen in einem auffallend hohen Maße und über einen längeren Zeitraum hinweg differieren, wird es unumgänglich sein, die Idee einer lutherischen Identität aufzugeben und statt dessen von mehreren konkurrierenden Identitäten innerhalb des lutherischen Konfessionsraumes zu sprechen. Geht man davon aus, daß Individuen, aber auch Gruppen nicht nur jeweils eine Identität besitzen, sondern an unterschiedlichen Identitäten gleichzeitig partizipieren können106 , dann stellt sich die Frage, wie diese Identitätszugehörigkeiten zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt zu gewichten sind. Wenn auch in Alteuropa unter den Voraussetzungen einer weitgehend traditionalen Gesellschaftsordnung kleinräumige Sozialzusammenhänge wie Familie, Nachbarschaft oder Dorf eine wichtige Rolle für die menschliche Selbstdeutung 104  Assmann, Jan, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, 2., durchgesehene Auflage, München 1997, 132. 105  Vgl. Niethammer, Lutz, Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur, Reinbek 2000. 106  Vgl. Hahn, Alois, Partizipative Identitäten, in: ders., Konstruktionen des Selbst, der Welt und der Geschichte. Aufsätze zur Kultursoziologie, Frankfurt a.  M. 2000, 13– 79.

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

spielten107, so sind doch einige Bezugsgrößen auszumachen, die größere gesellschaftliche Verbände integrierten oder integrieren sollten. Dabei ist zuerst an die Kirche zu denken, die aber möglicherweise primär lokal rezipiert wurde, weil sie potentiell universell gedacht wurde und insofern keine Exklusion kannte. Erst die Infragestellung ihrer faktischen Universalität durch das spätmittelalterliche Schisma könnte das Problem überlokaler, aber nicht-universaler Bezugsgrößen kollektiver Identität virulent gemacht haben.108 Als gesellschaftliche Elite mit einer relativ starken kollektiven Identität verstanden sich die Humanisten, die ein vor allem gegen geburtsrechtliche Privilegien gerichtetes eigenes Standesbewußtsein hervorbrachten.109 Neben diese Gruppenbildung trat aber auch – im Versuch einer Verstärkung und Bündelung des deutschen Nationalbewußtseins – die Konstruktion einer überlokalen Identifikationsinstanz.110 Der deutsche Nationalismus um 1500 konnte allerdings – außer in einer kurzzeitigen und von Mißverständnissen geprägten Verbindung mit der Reformation111 – nie größere gesellschaftliche Gruppen erreichen und blieb weitgehend ein Intellektuellenphänomen.112 Wie verhält es sich mit den nach der Reformation entstehenden konfessionellen Identitäten? Sie scheinen neben und vor den nationalen Identitäten eine zentrale Identitätsformation des 16. und 17. Jahrhunderts gewesen zu sein. Wie 107  Vgl. Kamen, Henry, Early Modern European Society, London/New York 2000, 1–34. Zur Herausbildung überlokaler menschlicher Beziehungen als Signum der Moderne vgl. generell: Giddens, Anthony, Konsequenzen der Moderne, Frankfurt a.  M. 21995, 33. 108  Vgl. Oelke, Harry, Schisma und Konfessionalisierung. Strukturgeschichtliche Beobachtungen zur Großen Abendländischen Kirchenspaltung, in: Kirche an der Grenze. FS Gottfried Maron, hg. v. Jörg Haustein, Darmstadt 1993, 11–32. 109  Vgl nur: Bernstein, Eckhard, From Outsiders to Insiders. Some Reflections on the Development of a Group Identity of the German Humanists between 1450 and 1530, in: In laudem Caroli. Renaissance and Reformation studies for Charles G. Nauert, hg. v. James V. Mehl, Kirksville 1998, 45–64. 110  Vgl. als Forschungsüberblick Stauber, Reinhard, Nationalismus vor dem Nationalismus? Eine Bestandsaufnahme der Forschung zu »Nation« und »Nationalismus« in der Frühen Neuzeit, in: GWU 47 (1996), 139–165. 111  Vgl. Mertens, Dieter, Nation als Teilhabeverheißung: Reformation und Bauernkrieg, in: Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, hg. v. Dieter Langewiesche/Georg Schmidt, München 2000, 115–134 (mit Resümee der älteren Literatur). Zum komplizierten Verhältnis von Humanismus und Nationalismus zu einem Zeitpunkt, als die nationale Befreiung Teil der reformatorischen Agenda war (oder zu sein schien), am Beispiel des altgläubigen Humanisten Cochläus: Bagchi, D.V.N., »Teutschland uber alle Welt«. Nationalism and Catholicism in Early Reformation Germany, in: ARG 82 (1991), 39–58. 112  Vgl. exemplarisch Hardtwig, Wolfgang, Ulrich von Hutten. Zum Verhältnis von Individuum, Stand und Nation in der Reformationszeit, in: ders., Nationalismus und Bürgerkultur in Deutschland, 1500–1914. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1994, 15–33. Zur kurzzeitigen Ausweitung der sozialen Basis dieses Nationalismus im Umfeld von Frühreformation und Bauernkrieg vgl. Mertens, Nation.

4.  Kollektive Identitäten, konfessionelle Identitäten

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im Falle des humanistischen Nationalismus waren es wiederum Eliten – diesmal kirchliche –, die Identitätsdiskurse initiierten, und auch hier ist die Reichweite dieser Identitätsdiskurse kaum bestimmbar. Ob z.  B. eine lutherische Bevölkerung sich in hohem Maße als lutherisch empfand, ist fraglich. Identitätsdiskurse überlokaler Art wurden in Alteuropa v.  a. von ›Intellektuellen‹ geführt, die sich immer wieder vor das Problem gestellt sahen, diese Identitätsdiskurse einer breiteren Bevölkerung zugänglich zu machen.113 Von Volksmassen vertretene, ideologieförmige, überlokale Identitäten sind vor dem 19. Jahrhundert und seiner nationalistischen Mobilisierung kaum aufgetreten.114 Die zentrale Stellung konfessioneller Identität in der Palette konkurrierender Weltbild- und Identitätsangebote – und nichts anderes impliziert ja der vielberufene ›Zwang‹ zur Konfessionalisierung – führte, so ist für das Reich formuliert worden, zu einer »Dramatisierung der Religionszugehörigkeit für die persönliche Identität seit dem 16. Jahrhundert«115. Das bedeutet nicht, daß alle Menschen plötzlich Wert auf eine konfessionelle Identität gelegt hätten; es be113  Wenn man den Deutungsanspruch konfessioneller Eliten und ihre Versuche der konfessionellen Identitätsstiftung als gegeben anerkennt, ohne dabei gleichzeitig davon auszugehen, daß diese Versuche immer und ausnahmslos beim Gemeinen Mann angekommen sind, relativiert dies die generellen Einwände Frauke Volklands gegen den Identitätsbegriff: Vgl. Volkland, Frauke, Konfession, Konversion und soziales Drama. Ein Plädoyer für die Ablösung des Paradigmas der ›konfessionellen Identität‹, in: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, hg. v. Kaspar von Greyerz u.  a., Gütersloh 2003 (SVRG 201), 91–104. 114  Eine Möglichkeit der Einordnung der konfessionellen Identität in langfristig gesellschaftliche Wandlungsprozesse, die hier nicht weiterverfolgt werden kann, besteht darin, diese als Vorbereitungsphase für die Herausbildung späterer nationaler Identitäten zu bewerten, wie dies Schilling am Beispiel einer ganzen Reihe europäischer Nationen herausgearbeitet hat; dort, wo sich – wie im Reich – keine einheitliche konfessionelle Identität ausbildete, kann auch von einer nationalen Identitätsbildung in der frühen Neuzeit nur eingeschränkt die Rede sein. Vgl. Schilling, Heinz, Nationale Identität und Konfession in der europäischen Neuzeit, in: Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, hg. v. Bernhard Giesen, Frankfurt a.  M. 21991, 192–252. Diese Position ist nicht unwidersprochen geblieben; v.  a. Georg Schmidt (Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495–1806, München 1999) versucht den Nachweis zu führen, daß das Reich nicht nur in viel höherem Maße als bisher angenommen ›staatliche‹ Strukturen besessen habe, sondern daß auch einem deutschen Nationalbewußtsein ein sehr viel höheres Gewicht zukommt als sonst angenommen. Ob allerdings, unabhängig von einer Beobachtbarkeit dieser Faktoren für den deutschen Fall, Schmidts grundsätzliche Prämisse einer engen Verbindung zwischen Staatsbildung und Nationalbewußtsein für die Frühe Neuzeit überhaupt plausibel ist, muß an dieser Stelle dahingestellt bleiben. – Der Soziologe Dirk Richter hebt in diesem Zusammenhang weniger auf die inhaltliche Verbindung von Nation und Konfession ab, sondern betont stärker den formalen Aspekt, der darin besteht, daß die konfessionelle Spaltung der nationalen Aufteilung Europas und dem entsprechenden Selbstverständnis vorarbeitete, indem sie z.  B. zur Schaffung von »diskursiven, regional begrenzten Öffentlichkeiten« beitrug; vgl. Richter, Dirk, Nation als Form, Opladen 1996, 181, 185. 115  Hahn, Partizipative Identitäten, 25.

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

deutet aber, daß der Elitendiskurs – aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen – diese zunehmend einforderte.116 Das Phänomen der konfessionellen Identität ist bisher relativ unsystematisch diskutiert worden.117 Hier sollen nur einige Beispiele benannt werden: Im Zuge der Konfessionalisierungsdebatte ist es notwendig zu fragen, inwieweit die sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer stärker verfestigenden konfessionellen Großgruppen kohärente und homogene Selbstwahrnehmungen besaßen. So ist z.  B. von Luise Schorn-Schütte bezweifelt worden, daß auf regionaler Ebene seitens der Bevölkerung bereits um 1600 ein ausgeprägtes Bewußtsein konfessioneller Zugehörigkeit bestanden habe.118 Diese These ordnet sich in den Kontext der Debatte über mittel- und langfristige Erfolge bei der Durchsetzung der Reformation im Reich ein.119 Aber gerade wenn sie zutrifft, scheint es geboten, nach Versuchen, Trägern und Medien von Identitätskonstruktion im deutschen Luthertum zu fragen: Wer versuchte, welches Bild der Konfession in den Köpfen der Menschen zu verankern? Wendet man sich der Abgrenzungsfunktion konfessioneller Identität zu, so fällt auf, daß angesichts der Schwierigkeiten, bereits für das späte 16. Jahrhundert eine positive Ausfüllung des Begriffs der ›lutherischen Identität‹ vorzunehmen, etwa mit dem Begriff der »negativen Identität« gearbeitet wird, der vor allem die Abgrenzungsstrategien zur römischen Kirche betont120. Ohne in Abrede stellen zu wollen, daß es während des konfessionellen Zeitalters Wandlungen der lutherischen Identität gegeben haben mag, so ist doch auf die trivial erscheinende Tatsache hinzuweisen, daß ein Begriff wie ›konfessionelle‹ oder gar ›lutherische Identität‹ überhaupt nur als Differenzbegriff gegen andere Gruppen und deren Identitäten sinnvoll zu gebrauchen ist; dies gilt jedenfalls dann, wenn man ihn nicht nur auf theologische Inhalte, sondern auch auf sozio­ 116  Den Hiatus zwischen den konfessionellen Identitätsvorgaben und den realen Loyalitäten arbeitet an einem katholischen Beispiel heraus: Reinhardt, Volker, Rom im Zeitalter der Konfessionalisierung. Kritische Überlegungen zu einem Epochendeutungskonzept, in: Zeitsprünge 7 (2003), 1–18, v.  a. 16  f. 117  Daß das Problem bisher kaum bearbeitet worden ist, bemerkt Schilling, Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft, 12. Eine theoretisch nicht reflektierte Verwendung des Identitätsbegriffs findet sich z.  B. bei Hsia, Ronnie Po-Chia, Confessio­ nalism and Society, 1500–1600, in: Germany. A New Social and Economic History, Bd. 1, hg. v. Bob Scribner, New York 1996, 356–377, hier 358  f. 118  Vgl. Schorn-Schütte, Luise, Culture confessionelle et identité régionale. Réflexions sur leur évolution dans l’Empire à la fin du XVIe et au XVIIe siècle, in: Identité régionale et conscience nationale en France et en Allemagne du Moyen Age à l’époque moderne, hg. v. Rainer Babel/Jean-Marie Moeglin, Sigmaringen 1997 (Francia Beiheft 39), 167–175. 119  Vgl. zusammenfassend: Parker, Geoffrey, Success and failure during the first century of the reformation, in: Past & Present 136 (1992), 43–82. 120  Leppin, Antichrist, 281, der die Antichristprädikation und das apokalyptische Denken allgemein als »negativ formulierte(n) Ausdruck lutherischer Identität« ansieht.

4.  Kollektive Identitäten, konfessionelle Identitäten

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kulturelle Prozesse beziehen möchte. Wolf-Dieter Hauschild hat sich dagegen verwahrt, in der Abgrenzung gegenüber dem Katholizismus ein konstituierendes Merkmal evangelischer respektive lutherischer Identität zu sehen. Laut Hauschild war es »das evangelische Lehrbekenntnis, welches die konfessionelle Identität definierte.«121 Andernfalls hätten im 16. Jahrhundert die Lehrverurteilungen eine zentrale Bedeutung besitzen müssen. Hierzu ist kritisch einzuwenden, daß in gewisser Weise ›konfessionelle Identität‹ und ›evangelisch‹ widersprüchliche Begriffe sind, stellt doch der Begriff ›evangelisch‹ eher auf eine (noch) nicht konfessionell zugespitzte reformatorische Haltung ab.122 Evangelische Identität ist nicht ›konfessionell‹, und selbst bei ihr wäre die Frage zu stellen, ob sie sich allein durch den Rekurs auf reformatorische Theologie herstellt. In diesem Sinne weist denn auch Hauschild darauf hin, daß es in den innerlutherischen Streitigkeiten ab den 1550er Jahren »auch um die Bewahrung der evangelischen Identität gegenüber dem Katholizismus«123 gegangen sei. Wenn es also zweifellos zutrifft, daß der Bezug auf die von Luther und seinen Nachfolgern fixierte lutherische Lehre den wichtigsten Bezugspunkt lutherischer Identität darstellte124, bleibt doch einzuwenden, daß Identität immer mit einem Mechanismus von Inklusion und Exklusion einhergeht. Der Begriff der lutherischen Identität impliziert eine Abgrenzung gegenüber dem Katholizismus; daß sich lutherische Lehre und lutherisches Selbstverständnis im konfessionellen Zeitalter in antikatholischer Polemik erschöpft habe, ist damit nicht behauptet.125 Doch es reicht nicht aus, bei der Frage nach lutherischer Identität nur nach bekenntnismäßigen Entscheidungen zu suchen; man wird danach fragen müssen, was die Faktoren waren, die eine soziale Realität des Lutherischseins geformt und innerkonfessionelle Kohäsion hergestellt haben. Daß die Grenzziehung zur katholischen Konfession damit ein wichtiges Merkmal lutherischer Identitätskonstruktion ist, wird natürlich in vielen Arbei121  Hauschild, Wolf-Dieter, Konfessionelle Identität und Lehrverurteilung im 16. Jahrhundert, in: Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 38 (1987), 47–52, hier 47. 122  Vgl. z.  B. Merz, Calvinismus, 67. 123  Hauschild, Konfessionelle Identität, 51. 124  Thierry Wanegffelen hat aber die These formuliert, daß in zunehmendem Maße auch Fragen der »sensibilité religieuse« und der unterschiedlichen Frömmigkeitsweisen wichtige Abgrenzungskriterien geworden seien, deren Gewicht insgesamt gesehen die dogmatischen Unterschiede in den Schatten stelle: Vgl. Wanegffelen, Thierry, Réforme, réformations, protestantisme, in: L’Europe protestante aux XVIe et XVIIe siècles, hg. v. John Miller, Paris 1997, 31–53, hier 50. 125  Vgl. Dingel, Irene, Bekenntnis und Geschichte. Funktion und Entwicklung der reformatorischen Bekenntnisse im 16. Jahrhundert, in: Dona Melanchthoniana. FS Heinz Scheible, hg. v. Johanna Loehr, Stuttgart-Bad Canstatt 2001, 61–81, die darauf hinweist, daß die Bekenntnisschriften im 16. Jahrhundert zunehmend als Kritierien für Einschluß und Ausschluß fungieren und weniger der Beziehung des einzelnen zu Gott Ausdruck verleihen.

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

ten betont. Oft wird auch auf die Grenzziehung zum Calvinismus hingewiesen.126 Inwieweit schlägt sich diese Abgrenzung aber in historischen Selbstbeschreibungen nieder? Ist es überhaupt wahrscheinlich, daß sich Polemik gegen den Calvinismus in historiographischen Texten auffinden läßt? Immerhin war die Geschichte der Reformation partiell eine gemeinsame, wenn sich auch über die rechte Verwaltung des Erbes bitter streiten ließ.127 Der publizistische Streit etwa zwischen Reformierten und Lutheranern nach der Konversion des brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund im Jahre 1613 kam daher ohne historische Polemik aus.128 In der Geschichtsschreibung, zumal derjenigen, die sich mit der Zeit vor der Reformation befaßt, spielt anticalvinistische Polemik kaum eine Rolle. Derjenige Aspekt lutherischer Identität, der sich über die Deutung der Geschichte konstituiert, wurde stärker von der antikatholischen als von der anticalvinistischen Polemik geprägt.

5.  Identität, Geschichte und Gedächtnis: Begriffliche und methodische Überlegungen Das Wir-Gefühl einer Gruppe und die Sicht dieser Gruppe auf ihre Vergangenheit gehören zusammen. Unterschiedliche Geschichten tragen zur Verfestigung der konfessionellen Spaltung bei; wer eine eigene Geschichte hat, kann nicht 126  Primär anticalvinistische Identitätsdiskurse scheinen ihren Ort vor allem in Predigt und Ritual gefunden zu haben: Vgl. Nischan, Bodo, Demarcating Boundaries: Lutheran Pericopic Sermons in the Age of Confessionalization, in: ARG 88 (1997), 199–216, hier 210; vgl. ders., Ritual and Protestant Identity in Late Reformation Germany, in: Protestant History and Identity in Sixteenth Century Europe, hg. v. Bruce Gordon, 2 Bde., Aldershot 1996, Bd. 2, 142–158. Wenn sich auch die Calvinisten wegen ihrer reichsrechtlich unsicheren Stellung nach 1555 insgesamt eher ›inklusiv‹ gaben, während die Lutheraner eine strikte Abwehrhaltung einnahmen, so bliebe doch zu untersuchen, ob der Abgrenzung zum Calvinismus eine ähnlich identitätsstiftende Funktion zukam wie derjenigen zum Katholizismus. Vgl. als Beispiel für die punktuelle Annäherung zwischen Lutheranern und Calvinisten im Zusammenhang mit der durch das Restitutionsedikt und die nahende schwedische Invasion ausgelösten Krise: Nischan, Bodo, Reformed Irenicism and the Leipzig Colloquy of 1631, in: Central European History 9 (1976), 3–26. Zu dem Befund der gegenüber der antikatholischen Abgrenzung untergeordneten Wichtigkeit der anticalvinistischen Polemik in der Predigt kommt: Kaufmann, Universität, 522. 127  So wird in bezug auf die Reformierten immer wieder 1. Joh 2,19 (mit der zugehörigen Antichrist-Konnotation) zitiert: »Alldieweil sie zum theil von vns ausgegangen / unnd nicht von vns gewesen: Denn wenn sie von vns gewesen weren: so weren sie bey vns blieben.«: Reneccius, Jacob, Caluinianorum ortus, cursus, exitus, Das ist: Der Calvinisten Anfang / Lauff / Ausgang . . ., Hamburg 1612, A ij v (und in vielen anderen Texten). 128  Vgl. Kniebe, Rudolf, Der Schriftenstreit über die Reformation des Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg seit 1613, Halle 1902; ein ähnlicher Eindruck ergibt sich aus: Walch, Johann Georg, Historische und Theologische Einleitung in die Religions-Streitigkeiten, Welche sonderlich ausser der Evangelisch-Lutherischen Kirche entstanden, Teil 3, Jena 1734 (ND Stuttgart-Bad Cannstatt 1985).

5.  Identität, Geschichte und Gedächtnis: Begriffliche und methodische Überlegungen

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mehr in den Schoß der einen, unteilbaren Kirche zurückkehren. Aber nicht nur die abgrenzende, sondern auch die gruppenstabilisierende Funktion von Geschichtsschreibung ist im Hinblick auf das Problem der konfessionellen Identität in Rechnung zu stellen, weil »konfessionelle Identität markiert, auf welche bestimmte Weise das ursprüngliche Heilsgeschehen mit kontingenten Erfahrungen vermittelt wird.«129 Doch wie sieht dieser Zusammenhang im einzelnen aus, und welche Schlüsse ergeben sich daraus? Das Gedächtnis einer Gruppe ist ein Faktor unter anderen, der die Identität einer Gruppe konstituiert. Dies gilt besonders stark für die europäische Vormoderne. Der besondere Stellenwert, der hier historischen Deutungen für kollektive Identitäten zukommt, hängt mit der in Alteuropa allenthalben geltenden Vorstellung zusammen, daß hohes Alter eine besondere Legitimationskraft besitzt: Erinnert sei nur an nationale Gründungsmythen unterschiedlicher Art.130 Erst die moderne Gesellschaft stellt ihre Selbstbeschreibungen weitgehend in den Horizont der Futurisierung 131, entzieht damit dem Alter seine legitimatorische Funktion und aktualisiert in stärkerem Maße als vormoderne Gesellschaften Denkfiguren wie Utopie, Prognose und Planung, während für sie das Identitätsmoment des Vergangenheitsbezugs stärker in den Hintergrund tritt.132 Während also in der modernen Gesellschaft Zukunftserwartungen als Indikatoren kollektiven Fühlens und Denkens angesehen werden können133, dürfte dies für vormoderne Gesellschaften insgesamt gesehen nicht zutreffen. Diese Verschiebung der Zeithorizonte hin zur Moderne ist z.  B. abzulesen an der se  Fahlbusch, Erwin, Art. »Konfession«, in: EKL 2, Sp. 1356–1365, hier Sp. 1364.   Die Literatur ist umfangreich; vgl. exemplarisch: Münkler, Herfried/Grünberger, Hans, Nationenbildung. Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien und Deutschland, Berlin 1998 sowie die drei Sammelbände: Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 1, hg. v. Bernhard Giesen, Frankfurt a.  M. 21991; Nationales Bewußtsein und kollektive Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 2, hg. v. Helmut Berding, Frankfurt a.  M. 1994; Mythos und Nation. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 3, hg. v. Helmut Berding, Frankfurt a.  M. 1996. 131  Vgl. Luhmann, Niklas, Die Beschreibung der Zukunft, in: ders. Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992, 129–147, hier v.  a. 133. Daß sich aber auch in frühneuzeitlichen Diskursen der Stellenwert des ›Herkommens‹ verändern konnte bzw. dieses zusehends an politischem Gewicht verlor, zeigt exemplarisch: Strohmeyer, Arno, Die Disziplinierung der Vergangenheit: Das »alte Herkommen« im politischen Denken der niederösterreichischen Stände im Zeitalter der Konfessionskonflikte (ca. 1570 bis 1630), in: Die Konstruktion der Vergangenheit. Geschichtsdenken, Traditionsbildung und Selbstdarstellung im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa, hg. v. Joachim Bahlcke/Arno Strohmeyer (ZHF Beiheft 28), Berlin 2002, 99–127. 132  Insofern wäre auch die Auffassung Hermann Lübbes, daß Identität sich ausschließlich über Geschichte konstituiere, ihrerseits zu historisieren. Vgl. Lübbe, Hermann, Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse. Analytik und Pragmatik der Historie, Basel/ Stuttgart 1977, v.  a. 147, 168. 133  Vgl. Mannheim, Karl, Ideologie und Utopie, Frankfurt 81995, 183. 129 130

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

mantischen Transformation von Begriffen wie ›Revolution‹ oder ›Refor-  m(ation)‹, die ab dem 18. Jahrhundert ihre rückwärtsgewandte Bedeutung ablegen und zu zukunftsoffenen Begriffen werden.134 Es ist daher anzunehmen, daß unter den Bedingungen des 16. Jahrhunderts eine »Zäsurideologie«135 wie die der französischen Revolution – also das Selbstverständnis der eigenen Bewegung als totalen Bruch mit überkommenen gesellschaftlichen Strukturen und deren Deutungsmustern – kaum möglich war. In einer so stark in traditionale Zeithorizonte eingespannten Welt wie der des 16. Jahrhunderts mußte Identitätskonstruktion in hohem Maße über einen (selektiven) Vergangenheitsbezug vor sich gehen, weil die ›Zukunft‹ und das ›Neue‹ nicht im selben Maße positiv konnotiert waren wie in der Moderne. In Alteuropa war Innovation selbstverständlich nicht ausgeschlossen; und tatsächlich vollzogen sich ab dem 16. Jahrhundert eine ganze Reihe tiefgreifender Transformationen in Staat, Kirche und Gesellschaft. Doch der immer wieder zu beobachtende Konflikt zwischen sich faktisch verändernder Gesellschaft und gleichbleibenden oder jedenfalls sich viel langsamer wandelnden Normen und Selbstdeutungen136 zeigt, daß in Alteuropa Innovation als Rückkehr zum Ur134  Vgl. Koselleck, Reinhart, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt 31995. Aber auch diese langfristige Akzentverschiebung darf nicht zu eindimensional betrachtet werden, denn natürlich kann auch in der Moderne in bestimmten Phasen der Zukunftsangst oder in gesellschaftlichen Orientierungskrisen das Moment des kollektiven Vergangenheitsbezugs eine zentrale Rolle spielen. Vgl. Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 11  f. Für eine skeptisch gewordene Moderne trifft diese Vergangenheitsorientierung sicher wieder in höherem Maße zu; Signum der ›klassischen‹ Moderne ab dem 18. Jahrhundert bleibt aber die Umorientierung des Interesses auf die Zukunft. 135  Vgl. Schmitt, Eberhard, Zur Zäsurideologie der französischen Revolution von 1789, in: Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, hg. v. Karl Bosl, Berlin 1977, 197–214. Zum Gefühl eines Bruchs mit der alten Gesellschaft als Teil revolutionärer Mentalität vgl. auch Vovelle, Michel, Die Französische Revolution. Soziale Bewegung und Umbruch der Mentalitäten, Frankfurt a.  M. 1985, v.  a. 105–132. Daß die revolutionären Deutungsmuster aber durchaus nicht nur vom Fortschrittsoptimismus der Auf klärung zehrten, sondern sich auch traditioneller, v.  a. heilsgeschichtlicher Elemente bedienten, zeigt Schlobach, Jochen, Fortschritt oder Erlösung. Zu auf klärerischen und millenaristischen Begründungen der Revolution, in: AKG 72 (1990), 202–222. 136  Vgl. z.  B. Schulze, Winfried, Untertanenrevolten, Hexenverfolgungen und »kleine Eiszeit«: Eine Krisenzeit um 1600?, in: Venedig und Oberdeutschland in der Renaissance. Beziehungen zwischen Kunst und Wirtschaft, hg. v. Bernd Roeck/Klaus Bergdolt/Andrew John Martin, Sigmaringen 1993, 289–309, hier 301. Eine Um- und Höherwertung von Innovation scheint sich ab dem 17. Jahrhundert v.  a. im naturwissenschaftlichen, aber auch im literarischen und künstlerischen Bereich vollzogen zu haben, während diese Konzeptionen für Religion und Politik länger den Beigeschmack des Subversiven behielten. Vgl. z.  B.: Schulz-Buschhaus, Ulrich, Innovation und Verstellung bei Gracián, in: Gestaltung – Umgestaltung. Beiträge zur Geschichte der romanischen Literaturen. FS Margot Kruse, hg. v. Bernhard König/Jutta Lietz, Tübingen 1990, 413–427, v.  a. 414–416; Rossi, Paolo, Der Wissenschaftler, in: Der Mensch des Barock, hg. v. Rosario Villari, Frankfurt a.  M. 1999, 264–295, hier 280–286. Zu den Umwertungen im gelehrten Dis-

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zustand kommuniziert werden mußte137, wenn auch z.  B. bereits im Humanismus erste Versuche unternommen wurden, die Hierarchie von alt und neu zu verändern.138 Wegen dieser generellen legitimatorischen Orientierung am Alten sind Gedächtnis und historische Selbsteinordnung in Alteuropa identitätsstiftende Faktoren. Dies führt zum Problem des Verhältnisses von ›Geschichte‹ und ›Gedächtnis‹, das im letzten Jahrzehnt vielfach zum Gegenstand methodischer Überlegungen geworden ist. Jan Assmann trifft eine hilfreiche Unterscheidung zwischen dem »kommunikativen Gedächtnis« und dem »kulturellen Gedächtnis« als zwei Ausformungen des kollektiven Gedächtnisses von Gruppen. Während das »kommunikative Gedächtnis« vor allem durch mündlich tradierte Erinnerungen an zeitgenössische und damit von den Trägern des Gedächtnisses selbst miterlebte Ereignisse charakterisiert wird, besitzt das »kulturelle Gedächtnis« einen größeren zeitlichen Abstand – von in der Regel mindestens einer Generation – zu den erinnerten Ereignissen und wird in höherem Maße schriftlich tradiert.139 Da sich das Interesse dieser Arbeit auf lutherische Geschichtsschreibung nach 1546 und die lutherische Sicht auf die vorreformatorische Vergangenheit richtet, steht hier das »kulturelle Gedächtnis« im Mittelpunkt, welches Assmann durch eine »Polakurs im späten 17. Jahrhundert vgl. Grimm, Gunter E., Vom Schulfuchs zum Menschheitslehrer. Zum Wandel des Gelehrtentums zwischen Barock und Auf klärung, in: Über den Prozeß der Auf klärung in Deutschland. Personen, Institutionen und Medien, hg. v. Hans Ulrich Bödeker/Ulrich Herrmann, Göttingen 1987, 14–38. – In den politischen Bereich könnte die Höherwertung des Neuen durch die Ausbildung eines veränderten Kommunikationswesens (v.  a. Zeitung und Post) und die mit ihm entstehenden Zwänge zur Selektion des ›Neuen‹ eingedrungen sein; vgl. Behringer, Wolfgang, Veränderung der Raum-Zeit-Relation. Zur Bedeutung des Zeitungs- und Nachrichtenwesens während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in: Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, hg. v. Benigna v. Krusenstjern/Hans Medick, Göttingen 1999, 39–81, v.  a. 80. 137  Vgl. Graus, František, Epochenbewußtsein im Spätmittelalter und Probleme der Periodisierung, in: Epochenschwelle und Epochenbewußtsein, hg. v. Reinhart Herzog/ Reinhart Koselleck (Poetik und Hermeneutik 12), München 1987, 153–166, hier 161: »Während die sog. Neuzeit zunehmend durch Zukunftserwartungen gekennzeichnet wird, sucht das Spätmittelalter in der Erneuerung einer idealisierten Vergangenheit die Lösung.« Wann genau das Mittelalter auf hört und wann die »sog. Neuzeit« beginnt, ist in memorialhistorischen Zusammenhängen ungeklärt. Ein Beispiel für die weiterwirkende Rückwärtsgewandtheit bietet: Thomas, Keith, »Merry Old England«. Vergangenheitsauffassungen im frühneuzeitlichen England, in: ders., Vergangenheit, Zukunft, Lebensalter. Zeitvorstellungen im England der frühen Neuzeit, Berlin 1988, 13–38. 138  Vgl. Domanski, Juliusz, »Nova« und »vetera« bei Erasmus von Rotterdam. Ein Beitrag zur Begriffs- und Bewertungsanalyse, in: Antiqui et Moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter, hg. v. Albert Zimmermann, Berlin/ New York 1974, 515–528; Müller, Jan-Dirk, »Alt« und »neu« in der Epochenerfahrung um 1500. Ansätze zur kulturgeschichtlichen Periodisierung in frühneuhochdeutschen Texten, in: Traditionswandel und Traditionsverhalten, hg. v. Walter Haug/Burghart Wachinger, Tübingen 1991, 121–144. 139  Vgl. Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 48–66.

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rität zwischen einer wissenssoziologischen Elite, den Spezialisten des kulturellen Gedächtnisses, und der Allgemeinheit der Gruppe«140 gekennzeichnet sieht. Die theologischen Eliten des Luthertums – Pfarrer, Professoren, Superintendenten – erscheinen hier als Spezialisten des Gedächtnisses, die jeweils versuchen, ihre Sicht auf Reformation und vorreformatorische Vergangenheit durchzusetzen. In welcher Weise verhalten sich nun Gruppengedächtnis und Geschichtsschreibung zueinander? Diese Frage besitzt vor dem Hintergrund zweier Annahmen einige Virulenz. Erstens scheint es plausibel, daß die kollektive Identität der Lutheraner in hohem Maße durch ihre Sicht der Vergangenheit geprägt wird. Zweitens hat bereits spätestens um 1500 im Nachdenken über und Schreiben von Geschichte ein Transformationsprozeß hin zur ›Geschichtswissenschaft‹ eingesetzt. Maurice Halbwachs, der den Begriff des kollektiven Gedächtnisses geprägt hat, ging von einer klaren Polarität von Geschichtswissenschaft und Gedächtnis aus. Während die Geschichtswissenschaft objektives Wissen produziere, sei Gedächtnis gruppengebunden und damit interessenorientiert.141 Gruppengebundenes Gedächtnis bedient sich verschiedener Strategien: So geschieht die Nutzbarmachung der Vergangenheit für gegenwärtige Zwecke über eine selektive Aneignung und Abstoßung bestimmter Elemente der Vergangenheit; narrativ produzierte Kohärenz und personalisierende Idealisierung sind dabei häufige Züge des Gruppengedächtnisses.142 Es besteht also, so Anhänger dieser These, eine grundsätzliche Differenz zwischen gruppengeleitetem, von ideologischen Vorannahmen geprägtem Gedächtnis, das einen sozialstabilisierenden, aber auch einen abgrenzenden Effekt besitze143, und einer objektiven Geschichtswis-

  Ebd., 55.   Teile der Forschung sind dieser These gefolgt, ohne die damit einhergehende Kritik am kollektiven Gedächtnis zu teilen: So hat Pierre Nora die identitätsbildende Funktion des Gedächtnis im Anschluß an Nietzsches Auffassung vom Nutzen und Nachteil der Geschichte gegenüber der ›objektivistischen‹ Geschichtswissenschaft sehr positiv eingeschätzt. Vgl. das kritische Referat dieser Zusammenhänge bei: Borgolte, Michael, Papstgräber als »Gedächtnisorte« der Kirche, in: HJb 112 (1992), 305–323, v.  a. 305–309 sowie die zustimmende Wiedergabe der Position von Halbwachs bei: Grosse-Kracht, Klaus, Gedächtnis und Geschichte: Maurice Halbwachs – Pierre Nora, in: GWU 47 (1996), 21–31. Ähnlich wie Halbwachs und Nora spricht auch Heuss, Alfred, Verlust der Geschichte, Göttingen 1959, 57, von der »Zerstörung der Erinnerung durch die Geschichte als Wissenschaft«. 142  Vgl. Schudson, Michael, Dynamics of Distortion in Collective Memory, in: Memory Distortion. How Minds, Brains, and Societies Reconstruct the Past, hg. v. Daniel L. Schacter, Cambridge, Mass./London 1995, 346–364. 143  Zu diesem agonalen Aspekt von Gedächtnis und Memoria, der neben dem Aspekt der Herstellung sozialer Kohäsion seltener thematisiert wird, vgl. Borgolte, Michael, Memoria: Zwischenbilanz eines Mittelalterprojektes, in: ZfG 46 (1998), 197–210, hier v.  a. 209  f. 140 141

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senschaft, die als »Neutralisierungsmechanismus«144 gegen die Geschichtsdarstellung einzelner Gruppen diene. Gegen eine so strikte Gegenüberstellung von Geschichte und Gedächtnis ist eingewandt worden, daß auch die Geschichtswissenschaft von individuellen oder kollektiven Wertsetzungen geprägt ist. Selbst Autoren, die der Halbwachsschen Unterscheidung von Geschichte und Gedächtnis anhängen, gestehen zu, daß diese bloß heuristische Funktion besitzen kann: »Es scheint sich mittlerweile ein Konsens darüber ausgebildet zu haben, daß es gar keine Geschichtsschreibung gibt, die nicht zugleich auch Gedächtnisarbeit wäre, also unhintergehbar verquickt ist mit den Bedingungen der Sinngebung, Parteilichkeit, Identitätsstiftung.«145

Peter Burke hat aus der Unmöglichkeit einer strikten Trennung zwischen ›objektiver‹ Geschichtsforschung und ›subjektivem‹ Gedächtnis gar gefolgert, die Geschichtsschreibung einer gegebenen Gesellschaft sei nichts anderes als Ausdruck ihres Gedächtnisses, ihrer wertgebundenen Aneignung der Vergangenheit, die Unterscheidung zwischen Geschichte und Gedächtnis mithin fiktiv.146 Doch kann man tatsächlich davon sprechen, daß sich mit der Erkenntnis der Wertgebundenheit der wissenschaftlichen Historiographie der Unterschied von Geschichte und Gedächtnis als fiktiv erweist? Insgesamt ist festzustellen, daß eine Identifizierung von Gruppengedächtnis und Geschichtswissenschaft, wie sie Burke vornimmt, wohl zu weit geht, weil sie jegliche Differenzierungsmöglichkeit hinsichtlich des wissenschaftlichen Niveaus und der Funktionen von Geschichtsschreibung über die Jahrhunderte hinweg negiert. Offensichtlich besteht aber ein Unterschied z.  B. zwischen einer durchweg heilsgeschichtlich orientierten mittelalterlichen Historiographie147 und moderner Geschichtswissenschaft. Geschichtsschreibung ist mit einer schönen Formulierung als »kontrol144  Luhmann, Niklas, Weltzeit und Systemgeschichte. Über Beziehungen zwischen Zeithorizonten und sozialen Strukturen gesellschaftlicher Systeme, in: Soziologie und Sozialgeschichte. Aspekte und Probleme, Opladen 1972 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Sonderheft 16), 81–115, hier 102. 145  Assmann, Aleida, Funktionsgedächtnis und Speichergedächtnis – Zwei Modi der Erinnerung, in: Generation und Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten, hg. v. Kristin Platt, Opladen 1995, 169–184, hier 176. 146  Vgl. Burke, Peter, Geschichte als soziales Gedächtnis, in: Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, hg. v. Aleida Assmann/Dietrich Harth, Frankfurt a.  M. 1991, 289–304. Der Einwand, daß mit dem Verschwinden dieser Differenz »das wahrscheinlich letzte Mittel zur Kritik am öffentlichen Gebrauch der Historie durch das ›kollektive Gedächtnis‹« verschwinde, trifft zwar zu, berührt aber Burkes Argument nicht. Vgl. Grosse-Kracht, Gedächtnis und Geschichte, 24, Anm. 22. 147  Vgl. als Überblick Goetz, Hans-Werner, Theologischer Sinn und politisches Gegenwartsinteresse. Tendenzen, Formen und Funktionen der mittelalterlichen Geschichtsschreibung, in: Geschichte. Ein Grundkurs, hg. v. Hans-Jürgen Goertz, Reinbek 1998, 233–244.

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

lierte Dichtung«148 bezeichnet worden; doch die Art und Reichweite der Kontrolle, auch jener Kontrolle, die sich ein Geschichtsschreiber selbst auferlegt, scheint sich im Laufe der Jahrhunderte verändert zu haben. Mit anderen Worten: Das Verhältnis von Gedächtnis und Geschichte muß seinerseits historisiert werden. Das latente Spannungsverhältnis von Geschichtswissenschaft als ›objektivierender‹ Forschung und Geschichtswissenschaft als Identitätsstiftung bleibt selbst innerhalb eines ausdifferenzierten Wissenschaftsbetriebes bestehen, aber es ist nicht mehr in derselben Weise unkontrollierbar wie in früheren Epochen, weil Regeln der scientific community in viel höherem Maße darüber befinden, was als ›Geschichte‹ gelten darf und was nicht.149 Dem 16. Jahrhundert könnte, ausgehend vom Humanismus, in dieser Entwicklung insofern eine Schlüsselstellung zukommen, als hier ein erster Typus, in dem Geschichte und Gedächtnis weitgehend zusammenfallen, von einem zweiten Typus abgelöst wird, der beide Phänomene unabhängig(er) voneinander bestimmt. Die Überlappungen zwischen beiden Typen führen zur großen Diversität der Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts. Denn Geschichtsschreibung war natürlich im 16. Jahrhundert eines, wenn nicht das Instrument kollektiven Gedächtnisses. Dennoch setzten bereits bestimmte Autonomisierungsprozesse ein, die die Geschichtsschreibung in unterschiedlicher Weise gegen die Zumutungen des Gedächtnisses immunisierten. Methodische Erwägungen z.  B. zur Quellenkritik, aber auch historiographische Gattungskonventionen sorgten dafür, daß nicht jede Tendenz und jede Ideologie ohne weiteres in die Geschichtsschreibung eingehen konnte. Auch diese Konventionen gehören in den Kontext einer ›Autonomisierung‹ der Geschichtsschreibung von äußeren Einflüssen. Beim Blick auf ›lutherische‹ Geschichtsschreibung wird es also von entscheidender Bedeutung sein, die Funktionen, aber auch die Gattungszugehörigkeit der Texte herauszuarbeiten: Ging es den Autoren – unabhängig von ihrer Fähigkeit dazu – um eine neutrale Schilderung der Vergangenheit? Wollten sie moralische Exempel aufstellen oder theologische Zusammenhänge verdeutlichen? Welchen historiographischen Traditionen und Standards folgten sie? Was ergibt sich daraus für das Verhältnis von Geschichte und Gedächtnis? Resümierend kann man festhalten, daß Diskurse über Gruppenidentität oft den Vergangenheitsaspekt, d.  h. die gemeinsame Geschichte einer Gruppe hervorheben. Dies gilt in besonders starkem Maße für die vergangenheits- und traditionsorientierten Gesellschaften und Gruppen Alteuropas. Das heißt nicht, daß Gruppenidentität ausschließlich über Gedächtnisdiskurse konstituiert wür148  Schadewaldt, Wolfgang, Die Anfänge der Geschichtsschreibung bei den Griechen. Herodot. Thukydides. Tübinger Vorlesungen Bd. 2, Frankfurt a.  M. 41995, 218. 149  Vgl. zu dieser Autonomisierungstendenz allgemein: Luhmann, Gesellschaftliche Struktur, 48. Die Ausdifferenzierung und Spezialisierung der Geschichte als Wissenschaft bedingt allerdings auch ihre weitgehende Ablösung von Gegenwartsinteressen, sie ist »heute auf Esoterik gestellt«: Heuss, Verlust, 65.

6.  Tradition und Charisma: Erinnerungsdiskurse zwischen Vergangenheit und Endzeit

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de; neben und vor die Gedächtnisdiskurse dürften für die Identitätsbildung konfessioneller Gruppen dogmatische und theologische Auffassungen gehören. Und auch das Verhältnis von Gedächtnis und Geschichte muß historisiert werden, weil nicht jeder historische Diskurs vorrangig oder ausschließlich dem Gruppengedächtnis dient; es ist anzunehmen, daß die Geschichtsschreibung sich durch methodische Standards oder Gattungstraditionen zunehmend gegen die Zumutungen eines Gruppengedächtnisses immunisiert hat. Sollte sich im folgenden also erweisen, daß die von Lutheranern geschriebene Geschichte kaum ›lutherisches‹ Profil besitzt und die von Lutheranern verfaßte Historiographie Funktionen besaß, die nicht in konfessioneller Identitätsstiftung aufgingen, ihr womöglich sogar entgegenstanden, stünde die Behauptung einer genuin ›lutherischen‹ Geschichtsschreibung in Frage.

6.  Tradition und Charisma: Erinnerungsdiskurse zwischen Vergangenheit und Endzeit Die alteuropäische Abwehr der Innovationssemantik war in besonders hohem Maße für den religiösen Bereich prägend: Die christliche Theologie war seit Augustin der Auffassung, daß nach der Heilstat Christi Neuheit nur noch ein Irrweg sein könne. Die Kirchenväter initiierten eine Domestizierung des Neuen »mit Hilfe der Kategorie ›re-‹«150. Innerhalb einer so traditionsorientierten Weltauffassung wie der alteuropäischen mußte ›novitas‹ als Abweichung vom Alten und Wahren, innerhalb des kirchlichen Diskurses somit als Häresie interpretiert werden, welcher Kontinuität und Dauer der wahren Lehre gegenübergestellt wurden.151 Insofern ist es konsequent, daß die religiöse Bewegung, die von Luther ausging und sukzessive die okzidentale Kirche veränderte und sprengte, ihre Aufgabe primär als Rückkehr zu einem bereits einmal erreichten und dann wieder verlorenen Idealzustand verstand. Folgerichtig wurde der von altgläubiger Seite bereits sehr früh erhobene Neuheitsvorwurf zurückgewiesen.152 Die spätmittel150  Moltmann, Jürgen, Art. »Neu, das Neue I«, in: HWPhil 6, Sp. 725–727, hier Sp. 726. 151  Vgl. Gurjewitsch, Aaron J., Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen, Dresden 1978, 161–163 sowie klassisch: Spörl, Johannes, Das Alte und das Neue im Mittelalter. Studien zum Problem des mittelalterlichen Fortschrittsbewußtseins, in: HJb 50 (1930), 297–341, 498–524. Der christliche Glaube konnte durch sein Alter und »seinen eigenen geschichtlichen Charakter [. . .] als besonders vernünftig, einsichtig, erklärend, beweisfähig – gewissermaßen empirisch fundiert – gelten«: Schmale, Franz-Josef, Funktionen und Formen mittelalterlicher Geschichtsschreibung. Eine Einführung, Darmstadt 1985, 52. 152  Vgl. Moeller, Bernd/Stackmann, Karl, Städtische Predigt in der Frühzeit der Reformation. Eine Untersuchung deutscher Flugschriften der Jahre 1522 bis 1529, Göttingen 1996, 310.

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

alterliche und frühneuzeitliche Begriffsgeschichte des Reformationsbegriffes läßt es jedenfalls kaum zu, ›Reformation‹ als auf Zukunft orientierten Verbesserungsbegriff zu deuten; die Komponente der Rückkehr zu einem Urzustand schwingt, wie vermittelt auch immer, zwangsläufig in diesem Begriff mit.153 Doch nach Max Weber gab es in der Vormoderne neben der Berufung auf das Alte, die ›Tradition‹, noch eine zweite Möglichkeit, politische oder religiöse Bewegungen zu legitimieren: das Charisma. Weber versteht unter Charisma eine besondere Eigenschaft, die Menschen oder Gegenständen zugeschrieben wird und der eine hohe Affinität zum Bereich des Göttlichen innewohnt. Tradition und Charisma bilden nach Weber die zwei wichtigsten Möglichkeiten menschlicher Vergemeinschaftung in der Vormoderne.154 Die Kategorie des Charismatischen ist für das lutherische Selbstverständnis ebenso zentral wie der rückwärtsgewandte Blick auf die Urkirche155 : Ist doch in der neueren Forschung 153  Vgl. Strauss, Gerald, Ideas of reformatio and renovatio from the Middle Ages to the Reformation, in: Handbook of European History 1400–1600. Late Middle Ages, Renaissance and Reformation, hg. v. Thomas A. Brady, Jr./Heiko A. Oberman/James D. Tracy, Leiden/New York/Köln 1995, Bd. 1, 1–30; Wolgast, Eike, Art. »Reform, Reformation«, in: GGb 5, 313–360. 154  Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 142. – Die Begriffe der charismatischen und der traditionalen Legitimität, ursprünglich dem religionssoziologischen Untersuchungsbereich entstammend, sind von Weber selbst unverzüglich auf den Bereich der politischen Legitimation angewandt worden. Erst in neueren Studien werden sie verstärkt auch für Untersuchungen religiöser Phänome benutzt. Der Begriff des Charismas changiert bei Weber und der ihm folgenden Forschung zwischen einer individualpsychologischen, um nicht zu sagen individualpathologischen Diagnose der Führergestalt und einer soziologischen, gruppenkonstitutierenden Kategorie; diese Doppeldeutigkeit macht möglicherweise gerade seine Attraktivität aus. Vgl. Geertz, Clifford, Centers, Kings, and Charisma: Reflections on the Symbolics of Power, in: ders., Local Knowledge. Further Essays in Interpretative Anthropology, o.O. (New York) 1983, 121–146, v.  a. 121–124. Zu Webers Charisma-Konzept als Interpretament für die Kirchengeschichte siehe: Gebhardt, Winfried, Kirche zwischen charismatischer Bewegung und formaler Organisation. Religiöser Wandel als Problem der soziologischen Theoriebildung, in: Institution, Organisation, Bewegung. Sozialformen der Religion im Wandel, hg. v. Michael Krüggeler/Karl Gabriel/Winfried Gebhardt, Opladen 1999, 101–119. – Im Bereich der Kirche steht die institutionelle Priesterhierarchie für den Traditionspol; auf der anderen Seite findet sich der charismatische Prophet. Zwischen traditionsbewahrenden Priestern und charismatischen Propheten kann ein Konflikt ausbrechen, für dessen Lösung Weber eine Skala skizziert, die von der Durchsetzung des Propheten gegen die Priesterschaft bis zu seiner vollständigen Niederlage reicht und dabei Zwischenformen wie gegenseitige Rezeption oder das Moment der ›Traditionalisierung des Charisma‹ umfassen kann. Ob der Prophet die Gründung einer neuen Gemeinschaft aktiv betreibt oder eher als Reformator auftritt, ist nach Weber nicht maßgeblich dafür, ob aus seiner Verkündigung eine neue Gemeinschaft entsteht. Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 268–279. 155  Allerdings geht es in diesem Fall strenggenommen weder bei der einen noch bei der anderen Kategorie um ›Legitimation‹ im Weberschen Sinn. Legitimieren konnte und mußte sich die Reformation durch theologische Positionen, so die Lutherschen sola-Formeln und dadurch, daß sie die Bibel zur unüberbietbaren Autorität machte und die eigene Theologie als bibelkonform verstand.

6.  Tradition und Charisma: Erinnerungsdiskurse zwischen Vergangenheit und Endzeit

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die Reformation überzeugend als »prophetisch-charismatischer« Durchbruch »durch« Tradition gedeutet worden.156 Dies entspricht weitgehend dem Selbstverständnis der Zeitgenossen und ihrem Jubel über die heilsgeschichtlich ausgezeichnete Zeit. Vor allem aber dürfte die charismatische Position, die Luther als Gründungsgestalt zugeschrieben wurde, mit seiner heilsgeschichtlichen Rolle am Beginn der Endzeit zusammenhängen. Zwar herrscht in der Forschung zurecht eine gewisse Skepsis sowohl gegenüber der ›Neuzeitlichkeit‹ der Reformation als auch gegenüber dem ›Epochenbruch‹ um 1500 vor; gar nicht zu sprechen von einem Selbstverständnis des Epochenbruchs.157 Im Hinblick auf Intensität und Reichweite der oben erwähnten apokalyptischen Zukunftserwartung im frühen Luthertum läßt sich dennoch fragen, ob Gegenwart und Zukunft nicht doch durch einen scharfen heilsgeschichtlichen Bruch von der Vergangenheit geschieden waren. Denn wenn die Wahrnehmung eines Bruchs mit der Vergangenheit ein konstitutives Element von Epochenschwellen ausmacht158 , dann ist der apokalyptische Bruch, den Lutheraner in der Reformation wahrnehmen, Zeichen einer Epochenschwelle. Die Apokalyptik ist in den letzten Jahrzehnten als fundamentale lutherische Deutungskategorie nachgewiesen worden. An Luthers historischem Selbstverständnis hat Heiko A. Oberman stark apokalyptische Züge herausgearbeitet: Er habe sich selbst als »Vorläufer« des wiederkommenden Christus betrachtet.159 156  So im Anschluß an Weber: Rublack, Hans-Christoph, Reformation und Moderne. Soziologische, theologische und historische Ansichten, in: Die Reformation in Deutschland und Europa: Interpretationen und Debatten, hg. v. Hans R. Guggisberg/ Gottfried G. Krodel, Gütersloh 1993 (ARG Sonderband), 17–38, hier v.  a. 21–24. 157  So insistiert Richter: »Auf gar keinen Fall hat man eine ›Epochenschwelle‹ seinerseits beobachtet.« (Nation als Form, 171). Sieht man von einzelnen Ausnahmen ab – vgl. Wuttke, Dieter, Dürer und Celtis. Von der Bedeutung des Jahres 1500 für den deutschen Humanismus. ›Jahrhundertfeier als symbolische Form‹, in: Journal of Medieval and Renaissance studies 10 (1980), 73–129 –, ist diese Auffassung kaum strittig. Vgl. zum Problem auch: Brendecke, Arndt, Die Jahrhundertwenden. Eine Geschichte ihrer Wahrnehmung und Wirkung, Frankfurt a.  M./New York 1999 sowie die Beiträge von Johannes Schilling, Heinrich Dormeier und Helga Robinson-Hammerstein in: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, hg. v. Manfred Jakubowski-Tiessen u.  a., Göttingen 1999. 158  Vgl. Schreiner, Klaus, »Diversitas temporum«. Zeiterfahrung und Epochengliederung im späten Mittelalter, in: Epochenschwelle und Epochenbewußtsein, hg. v. Reinhart Herzog/Reinhart Koselleck, München 1987 (Poetik und Hermeneutik 12), 381–428, hier 384. Der obige Satz ist absichtlich im Konditional gehalten; ob nämlich tatsächlich Epochenschwellen an ihrer Wahrnehmbarkeit erkannt werden können, hängt vom epistemischen Status des Begriffs ab – beschreibt er ein ›Faktum‹, oder ist er von vornherein eine nominalistische Konstruktion? Vgl. zum Zusammenhang: Skalweit, Beginn der Neuzeit. 159  Vgl. Oberman, Heiko A., Martin Luther: Vorläufer der Reformation, in: ders., Die Reformation. Von Wittenberg nach Genf, Göttingen 1986, 162–188; ders., Hus und Luther. Der Antichrist und die zweite reformatorische Entdeckung, in: Jan Hus. Zwischen Zeiten, Völkern, Konfessionen, hg. v. Ferdinand Seibt, München 1997, 319–346.

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

Das Bewußtsein eschatologischer Konfrontation durchzog das Denken eines großen Teils der frühen Reformatoren.160 Robin Bruce Barnes und Volker Leppin haben weitergehend betont, daß ein umfassendes apokalyptisches Denken, welches das Auftreten Luthers als Zeichen der Endzeit begriff, in der zweiten Hälfte des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein lutherisches Spezifikum ausmachte.161 Dies entspricht der Ambivalenz des Reformationsbegriffs, der nicht nur eine Orientierung an der Vergangenheit, sondern auch eine eschatologische Komponente umfaßte.162 Im Selbstverständnis eines nicht unerheblichen Teils der Lutheraner leitete Luthers Auftreten eine qualitativ neue Zeit ein, die aber keine geschichtliche Zeit mehr, sondern Endzeit war. Wie sah diese apokalyptische Erwartung aus? Apokalyptisch können Zukunftserwartung und Gegenwartsdeutung sinnvollerweise dann genannt werden, wenn sie eine »begründete und eindeutig formulierte Erwartung des Endes der ganzen Welt als eines bald hereinbrechenden Ereignisses in Raum und Zeit, das die Gegenwart der Autoren bestimmt«163, ausdrücken. Diese Erwartung konnte entweder – in der gegenwartsdiagnostischen Bezugnahme auf die Offenbarung des Johannes, aber auch auf die sogenannte ›synoptische Apokalpyse‹ (z.  B. Mt 24–25) – einfach konstatiert werden, oder sie konnte zur Idee eines innerweltlichen endzeitlichen Christusreiches variiert werden, was im Luthertum allerdings selten geschah. Insgesamt dominierten Vorstellungen, nach denen der wahre Glaube von einer kleinen Schar bis zum nahen Jüngsten Gericht gegenüber Anfechtungen bewahrt werden mußte. Der Hinweis auf den Antichristen ist immer vor allem als Bußaufruf an die eigene Anhängerschaft zu verstehen.164 Ein politischer Aktionismus etwa konnte sich in aller Regel aus der lutherischen Endzeiterwartung schon deshalb nicht ergeben, weil diese eingebettet war in eine allgemeine Verfallsvision der Natur wie auch der Moral: Die »alternde Welt« war dazu bestimmt, noch für eine kurze Zeit die Schar der Rechtgläubigen zu tragen, dann aber ihrem Ende entgegenzugehen.165 Dabei können kaum klare Grenzlinien innerhalb der lutherischen Kirche – etwa zwischen Philippisten und Gnesiolutheranern – gezogen werden, wenn auch möglicherweise die Akzente unterschiedlich gesetzt wurden (vgl. Kap. B.VII.). Die   Vgl. Moeller/Stackmann, Städtische Predigt, 306.   Vgl. Barnes, Prophecy and Gnosis; ders., Der herabstürzende Himmel: Kosmos und Apokalypse unter Luthers Erben um 1600, in: in: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, hg. v. Manfred JakubowskiTiessen u.  a., Göttingen 1999, 129–145; Leppin, Antichrist. 162  Vgl. Oberman, Vorläufer, 171–173. 163  Leppin, Antichrist, 17. 164  Vgl. Leppin, Antichrist, 244–263; Barnes, Prophecy and Gnosis, 116  f . 165  Barnes, Der herabstürzende Himmel, 143; Zeller, Winfried , Die »alternde Welt« und die »Morgenröte im Aufgang«. Zum Begriff der »Frömmigkeitskrise« in der Kirchengeschichte, in: ders., Theologie und Frömmigkeit. Gesammelte Aufsätze, hg. v. Bernd Jaspert, Bd. 2, Marburg 1978, 1–13. 160 161

6.  Tradition und Charisma: Erinnerungsdiskurse zwischen Vergangenheit und Endzeit

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geschichtstheologische Selbstdeutung blieb die conditio sine qua non der lutherischen Apokalpytik – und umgekehrt. Ihr kam deshalb eine so wichtige Rolle bei der Formierung einer lutherischen Konfessionsidentität zu, weil im Hinblick auf das zu erwartende Weltende die Reformationstat Luthers heilsgeschichtlich als letzte Reinigung der Lehre gedeutet werden konnte. Natürlich blieb trotz der Tradierung dieser Endzeiterwartung die charismatische Anfangserregung nicht in gleichem Maße erhalten. Denn nach der Frühphase der Reformation stellte sich das Problem, die reformatorische Bewegung nun auch institutionell zu organisieren, also eine Kirche aufzubauen. Im Zuge der verstärkten Institutionalisierung der lutherischen Kirche ab den späten 1540er Jahren (Eckdaten sind Luthers Tod und das die religiöse Spaltung zementierende Tridentinum), der die Reflexion über ›Eigenkonfessionalität‹ und damit auch über die eigene historische Herkunft beförderte, wurde charakteristischerweise auch der theologische Begriff der Tradition gegenüber Luther wieder aufgewertet.166 Doch führte dies nicht dazu, daß die apokalyptische Zeitbestimmung und die charismatisch-prophetische Interpretation Luthers in Vergessenheit gerieten – wenn sie auch milieu- und anlaßspezifischen Konjunkturen unterlag.167 Im Zuge der Institutionalisierung des Luthertums ging sein charismatisches Ausgangspathos nicht verloren, sondern wurde in eine neue Tradition der Lutherverehrung überführt, die das Charisma des Beginns mittels Memorialerzählungen aktualisierte.168 Nun war sicher die Auffassung, am Ende der Zeit zu stehen, weder die einzige Möglichkeit charismatischer Interpretation, noch war sie faktisch unvereinbar mit der Vorstellung einer Rückkehr zum Urzustand. Viele lutherische Autoren dürften von beiden Vorstellungen gleichzeitig überzeugt gewesen sein. Dennoch setzten sie innerhalb des lutherischen Erinnerungsdiskurses unterschiedliche Akzente: Die Reformation konnte einerseits als Anbruch der Endzeit, also charismatisch, und andererseits als Rückkehr zu einem Urzustand und somit traditional gedeutet werden. Im einen Fall konzentrierte sich der Erinnerungsdiskurs stark auf die Person Luthers sowie dessen heilsgeschichtliche Rolle und stellte den endzeitlichen Bruch zwischen der Reformation und ihrer Vorgeschichte in besonderem Maße heraus; die als Traditionalisierung ablaufende institutionelle Verfestigung wurde so mit charismatischer Legitimation   Vgl. Scheible, Heinz, Art. »Melanchthon«, in: TRE 22, 371–410, hier 390.   Vgl. Kaufmann, Ende der Reformation, 102, Anm. 244 168  Vgl. Kolb, Robert, The Flacian Rejection of the Concordia, Prophetic Style and Action in the German Late Reformation, in: ARG 73 (1982), 196–217, hier 216: »As an intellectual movement develops from origin to orthodoxy, adjustments need to be made between the style of the charismatic prophet, who is necessary to launch such a movement, and the style of the institutional servant of the establishment, which supports the continuing life of the movement.« – Eine ›Traditionalisierung‹ des Charismas ist ein wichtiges Element von Webers Analyse: Vgl. Gebhardt, Kirche, 109. 166 167

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IV.  Begriffliche und methodische Grundlagen

versehen. Im anderen Fall lag das Schwergewicht auf der Beziehung zwischen Urzustand und Reformation; daher wurden in höherem Maße Kontinuitätslinien konstruiert. Offenbar ergab sich aber eine gewisse, auch gattungsmäßig faßbare Arbeitsteilung: Während die Luthermemoria den Hauptaspekt auf die charismatische heilsgeschichtliche Leistung Luthers legte und seine Anbindung an die vorreformatorische Geschichte vernachlässigte (Kap. B.III.), initiierten die Universal- und Kirchengeschichtsschreibung, die verschiedenen hagiographischen und biographischen Sammelwerke und die Apokalypsenkommentare (Kap. B.IV.–VII.) einen lutherischen Identitätsdiskurs, der die Reformation in bestimmte Traditionen stellte. Für die Verortung Luthers in der Geschichte erschien es notwendig, nach biblischen, historischen oder legendären Personen zu fragen, die Vorläufer Luthers darstellten oder innerhalb der Heilsgeschichte vergleichbare Funktionen wie Luther wahrnahmen – oder es mußten überpersönliche Strukturen und Prozesse aufgezeigt werden, in die sich die Reformation einordnen ließ.

Teil B

Lutherische Geschichtsschreibung im konfessionellen Zeitalter

I.  Geschichte schreiben im konfessionellen Zeitalter 1.  Epochen der Geschichtsschreibung: Mittelalter, Humanismus, Reformation und konfessionelles Zeitalter Die Bedeutung der konfessionellen Geschichtsschreibung für die Geschichte der Historiographie ist durchaus kontrovers. Daher sollen in einem entwicklungsgeschichtlichen Durchlauf langfristige Veränderungen der Geschichtsschreibung vom Mittelalter bis ins konfessionelle Zeitalter skizziert werden. Diese Skizze soll einen Hintergrund, zum Teil aber auch eine Kontrastfolie für die im folgenden zu analysierenden Werke lutherischer Historiker bereitstellen und damit eine bessere Einordnung der Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts ermöglichen. Ein oft beobachtetes Charakteristikum vormoderner Geschichtsschreibung besteht darin, daß sie in ihrer Orientierung an überzeitlichen Normen oder ewigen theologischen Wahrheiten relativ statisch wirkt. Die moderne Geschichtsauffassung läßt nach einem Wort Otto Brunners »alles ältere geschichtliche Denken als irgendwie ›ungeschichtlich‹ erscheinen.« Dieser alteuropäische Zugang zur Geschichte wandelte sich nur langsam, und auch die Ausweitung des Kommunikationsraumes durch den Buchdruck veränderte diesen Sachverhalt nicht abrupt, wenn sich dadurch auch möglicherweise das Interesse an länger zurückliegenden Zeiträumen vergrößerte. »Down to the era when maps and books could be duplicated on a scale unknown before, and for at least two centuries thereafter, many courtiers and chroniclers tended to shuffle Caesar, Charlemagne, Alexander, and David like kings in a pack of cards.« 

Die vormoderne Geschichtsauffassung erscheint in aller Regel deshalb sta­tisch, weil sie einer Gesellschaft entstammt, die selber vergleichsweise statisch war.   Brunner, Otto, Abendländisches Geschichtsdenken, in: ders., Neue Wege der  Verf­assungs- und Sozialgeschichte, 2., vermehrte Auflage, Göttingen 1968, 26–44, hier 26.   Eisenstein, Elizabeth, Clio and Chronos. An Essay on the Making and Breaking of History-Book Time, in: History and Theory, Beiheft 6 (1966), 36–64, hier 51. Vgl. auch: Mertens, Dieter, Früher Buchdruck und Historiographie, in: Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, hg. v. Bernd Moeller/Hans Patze/Karl Stackmann, Göttingen 1983, 83–111.   Vgl. Koselleck, Reinhart, Erfahrungsraum und Erwartungshorizont – zwei histo-

1.  Epochen der Geschichtsschreibung

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Es mußte erst ein Bewußtsein von den Möglichkeiten menschlicher Handlungs- und Veränderungspotentiale entstehen, um auch die Geschichte zu ›verzeitlichen‹. Nach Luhmann besteht »die Eigenart des modernen ›Geschichts­ bewußtseins‹ nicht in besonderen Bemühungen um ein Erkennen der Vergangenheit, sondern in der Verzeitlichung der Vergangenheit, und wir vermuten, daß diese aus besonderem Interesse an Zukunft folgt.« Die Öffnung des Zukunftshorizontes führte demnach zur Historisierung der Vergangenheit. Folgt man dieser Argumentation, so dürfte dort, wo die Vorstellung der Zukunft in hohem Maße von prophetischen oder apokalyptischen Mustern geprägt ist, also einen geschlossenen Horizont darstellt, auch kaum eine Historisierung der Vergangenheit beobachtet werden können. Eine relativ statische Sicht der Geschichte und ein geschlossener Zukunftshorizont waren grundsätzliche Elemente der mittelalterlichen Geschichtsauffassung. Sie war heilsgeschichtlich orientiert, was nicht ausschloß, daß sie sich in der Praxis sehr stark an politischen oder weltlichen Themen orientierte; ihre Funktionen bestanden v.  a. in der Offenbarung des göttlichen Willens, aber auch in der Anleitung zum richtigen Herrschen. Im späteren Mittelalter verschoben und erweiterten sich dann die Funktionen der Historiographie. Sollte sie auch nach wie vor über Vergangenes belehren, Denkwürdiges für die Zukunft festhalten, Rechtsansprüche dokumentieren, so wurde sie nun sowohl offener ideologisch eingesetzt als auch zur unterhaltsamen Lektüre genutzt. Im Spätmittelalter wurde im höfischen wie bürgerlichen Kontext die kurzweilige Lektüre anekdotischer Geschichtsschreibung aufgewertet, die erst durch den Humanismus und die konfessionelle Auseinandersetzung wieder zurückgedrängt wurde. Daraus ist aber nicht zu schließen, daß es mittelalterlichen Geschichtsschreibern nicht um wahrheitsgemäße Berichterstattung gegangen wäre. Ein Wahrheitsanspruch (der sich inhaltlich nicht mit unserem decken rische Kategorien, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/M. 31995, 349–375, v.  a. 360  f.   Vgl. Luhmann, Weltzeit und Systemgeschichte, 93.   Die Frage danach, was ›Historisierung‹ jenseits idealistischer und historistischer Kon­ struktionen ausmachen könnte, wird erst in der jüngeren Forschung gestellt. Glenn Most bestimmt sie als »a specific mode of cognitive activity which defines a body of knowledge and in so doing determines that it is constituted in its essential meaning by its temporal structure.« Vgl. Most, Glenn W., Preface, in: Historicization – Historisierung, hg. v. Glenn W. Most, Göttingen 2001, VI-XII, hier VIII.   Vgl. Goetz, Theologischer Sinn.   Vgl. zu dieser Funktionserweiterung allgemein: Graus, Funktionen.   Vgl. so Sprandel, Rolf, Geschichtsschreiber in Deutschland 1347–1517, in: Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme, hg. v. František Graus, Sigmaringen 1987, 289–318, hier 309. Daß, soweit sich dies rekonstruieren läßt, Vergnügen und Phantasie auch in der Frühen Neuzeit Funktionen der Geschichtslektüre blieben, zeigt aber: Woolf, D.  R., Reading history in early modern England, Cambridge 2000, 79–131.

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I.  Geschichte schreiben im konfessionellen Zeitalter

muß) scheint generell zu jeder Art von Historiographie zu gehören. Begrifflich besaß ›Historie‹ am Ende des 15. Jahrhunderts ein weites Spektrum von Bedeutungen: Der Begriff stand grundsätzlich, wenn auch in verschiedenen disziplinären Kontexten, für die narratio rerum gestarum und vereinzelt auch schon für die Ereignisse selbst. Mit dem Begriff der Historie »war der Anspruch auf Wahrheit ebenso wie der auf Fabulierkunst« verbunden10. Erst im 16. Jahrhundert änderten sich die Kriterien, die an die Historie angelegt wurden: Langsam begann sich das Bewußtsein durchzusetzen, daß viele Historien ›eigentlich‹ der Dichtung zuzurechnen seien. Aber welche Form von ›wahrem Wissen‹ sollte die mittelalterliche Historiographie produzieren? Charakteristischerweise wurde sie nicht der aristotelisch geprägten, logisch-deduktiven scientia zugerechnet, sondern galt als ars. Denn schließlich war sie nicht primär mit allgemeingültigen Wahrheiten, sondern mit singulären Fakten befaßt, wenn sich diese auch wiederholten.11 Über Einzelfälle konnte die Historie induktiv zu Wesen und Verlauf der religiös gedeuteten   Gert Melville führt aus, daß der ›wahrheitsproduzierende‹ Rückgriff auf Autoritäten natürlich Wissenschaftlichkeit in unserem Sinne nicht zuläßt. Aber: »Versteht man unter ›Wissenschaftlichkeit‹ weitergefaßt das Streben nach Objektivität und Authentizität der Aussagen, so hätte der mittelalterliche Geschichtsschreiber gegen eine solche Unterstellung Einspruch erhoben.«: Melville, Gert, Kompilation, Fiktion und Diskurs. Aspekte zur heuristischen Methode der mittelalterlichen Geschichtsschreiber, in: Historische Methode, hg. v. Christian Meier/Jörn Rüsen, München 1988 (Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik 5), 133–153, hier 135. 10  Knape, Joachim, ›Historie‹ in Mittelalter und früher Neuzeit. Begriffs- und gattungsgeschichtliche Untersuchungen im interdisziplinären Kontext, Baden-Baden 1984, 450. Der abwertende Gebrauch von ›Historia‹ als Fiktion findet sich z.  B. in Friedrich Myconius’ 1715 erstmals gedruckter Reformationsgeschichte aus den frühen 1540er Jahren: Im Papsttum wurde von »Christus’ Leiden, Erlösen, Sterben, Genugtuen vnd Bezahlen gar geschwiegen vnd nur für ein Historia, wie des Ulyssis Meerfahrt gepredigt.«: Myconius, Friedrich, Geschichte der Reformation, hg. v. Otto Clemen, Leipzig 1914 (ND Gotha 1990), 6. Wegen der insgesamt mangelnden Ausdifferenzierung von Geschichtsschreibung und ›fiktionaler Literatur‹ scheint auch die ahistorisch argumentierende Definition Angelika Epples (in Anlehnung an Ricœur und Lejeune), der Historiograph schließe einen »historiographischen Pakt« mit dem Leser (und mit sich selbst) indem er sein Selbstverständnis kommuniziere, Wahres zu berichten, nicht unproblematisch; textimmanent ist jedenfalls der ›historiographische Pakt‹ nicht von einer fiktionalen Wahrheitsbekundung (und Fiktion gibt sich ja oft ›dokumentarisch‹) zu unterscheiden. Vgl. Epple, Angelika, Empfindsame Geschichtsschreibung. Eine Geschlechtergeschichte der Historiographie zwischen Auf klärung und Historismus, Köln 2003, 19–24. 11  Vgl. zum Problemumkreis: Melville, Gert, Wozu Geschichte schreiben? Stellung und Funktion der Historie im Mittelalter, in: Formen der Geschichtsschreibung, hg. v. Reinhart Koselleck/Heinrich Lutz/Jörn Rüsen, München 1982 (Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik 4), 86–146. Ob der Historie ein den strengen Wissenschaften, den scientiae, unter- oder nebengeordneter Rang zukam, wird diskutiert bei: Kintzinger, Marion, Chronos und Historia. Studien zur Titelblattikonographie historiographischer Werke vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Wiesbaden 1995, 49–52; Goetz, Geschichtsschreibung, 102–106.

1.  Epochen der Geschichtsschreibung

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Welt vorstoßen. Damit war sie magistra vitae, aber nicht so sehr im ciceronianischen Sinn einer am historischen Exempel orientierten Morallehre, sondern in ihrem ständigen Bezug auf die göttliche Ordnung, welche über die Geschichte zu erschließen sei.12 Wegen dieser Annahme einer in der und durch die Geschichte erschließbaren göttlichen Ordnung bestand die Leistung mittelalterlicher Autoren daher v.  a. in der deutenden und harmonisierenden Zuordnung von Einzelfakten auf das Ganze. Dies wurde z.  B. durch eine – einseitige, aber geeignete – Auswahl bestimmter Referenzautoren versucht. Wenn aber die herangezogenen Autoritäten sich widersprachen, führte dies mittelalterliche Geschichtsschreiber in der Regel nicht dazu, selbst Quellenforschung zu betreiben. Daß sich dies im Humanismus änderte, ist etwa im Umgang mit Fälschungen ablesbar: Wenn ein mittelalterlicher Geschichtsschreiber zum größerem Ruhm Gottes oder eines Klosters Fälschungen anfertigte, dann tat er das im subjektiven Bewußtsein, der (transzendent orientierten) Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen.13 Nicht nur unterschieden sich seine Deutungsmuster, die er über den Faktenbericht legte, stark von den modernen, sondern es waren auch kaum die quellenkritischen Methoden vorhanden, um im wissenschaftlichen Diskurs eine Fälschung zu widerlegen. Erst die humanistische Quellenkritik stellte schließlich die In­ strumentarien bereit, um Fälschungen zu erkennen; sie entwickelte aber offenbar auch – jedenfalls partiell – ein neues Verständnis der ›Wahrheit‹ von Geschichte.14 Wortgeschichtliche Befunde legen aber nahe, den Begriff der Historie auch weiterhin erstens als Oberbegriff für alles empirische Wissen – alles 12  Vgl. die anregenden Überlegungen von Melville, Kompilation, der formuliert, die Geschichte sei magistra vitae »in einem transzendent finalisierten Sinne« (133). 13  Vgl. z.  B. Staubach, Nikolaus, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Die historio­ graphischen Fiktionen des Johannes Trithemius im Lichte seines wissenschaftlichen Selbstverständnisses, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica, München, 16.–19. September 1986, 5 Bde., Hannover 1988 (MGH Schriften 33), Bd. 1, 263–316; Schmale, Franz-Josef, Fälschungen in der Geschichtsschreibung, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica, München, 16.–19. September 1986, 5 Bde., Hannover 1988 (MGH Schriften 33), Bd. 1, 121–132. Paul Joachimsen unterscheidet folgendermaßen zwischen den Fälschungen des Mönchstums und denen des Humanismus: »Dies fälscht, um seinem Kloster einen Rechtstitel oder den Gebeinen seines Heiligen eine Wundergeschichte von ehrwürdigem Alter zu sichern, der Humanismus aus Ruhmsucht oder aus der Empfindung, daß das Altertum, in dem man zu leben gesonnen ist, kein Torso sein dürfe.« ( Joachimsen, Paul, Geschichtsauffassung und Geschichtsschreibung in Deutschland unter dem Einfluß des Humanismus, Leipzig/Berlin 1910, 55  f.) 14  Ob es allerdings die Methodenreflexion des Fälschers Annius von Viterbo war, die die neuzeitliche Quellenkritik einleitete, welcher schließlich Annius’ eigene Fälschungen zum Opfer fielen, muß hier dahingestellt bleiben. Für diese pointierte These vgl. Goez, Werner, Die Anfänge der historischen Methoden-Reflexion in der italienischen Renaissance und ihre Aufnahme in der Geschichtsschreibung des deutschen Humanismus, in: AKG 56 (1974), 25–48.

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I.  Geschichte schreiben im konfessionellen Zeitalter

Wissen also, das nicht unter die Kategorie scientia fällt – zu fassen15 , und zweitens davon auszugehen, daß »Historie« auch im 16. und 17. Jahrhundert weitgehend als Oberbegriff für unterschiedlich seriöse Formen der Geschichtsdarstellung fungierte. ›Historia‹ blieb primär eine Darstellungsform für nicht deduktiv ableitbares Wissen und war daher immer an Textualität gebunden. Der ›historicus‹ war der Geschichtsschreiber; für die Text- und Quellenkritik blieb bis ins 17. Jahrhundert hinein der Philologe zuständig.16 Die ›Geschichte selbst‹ war aus zwei Gründen kaum vorstellbar: Erstens war sie immer an eine spezifische Geschichtserzählung gebunden; schon deshalb ist es problematisch, für die Vormoderne so etwas wie einen homogenen ›Geschichtsbegriff‹ oder eine ›Geschichtsauffassung‹ zu rekonstruieren.17 Und zweitens gab es im alteuropäischen Denken bekanntlich nur ›Geschichten‹ im Plural, nicht aber die Geschichte in einem emphatischen Sinne.18 Daher verwundert es letztlich nicht, daß frühneuzeitliche Geschichtsschreibung vom methodisch unkontrollierten Erzählen bis hin zu einer stärker an Überprüf barkeit interessierten Historiographie reichte. »Geschichtsbücher waren [. . .] Geschichtenbücher.«19 Dies änderte auch der Humanismus nicht grundsätzlich, der doch als einer der Ausgangspunkte moderner Historiographie gilt. Die im folgenden behandelten lutherischen Autoren als ›Humanisten‹ zu bezeichnen, ginge in vielen Fällen an der Sache vorbei. Vielmehr eigneten sich manche von ihnen entweder generelle ›humanistische‹ Geisteshaltungen oder Einschätzungen, humanistische Methoden oder eine unspezifische Präferenz für die humanistische Tradition an. Doch was genau ist damit gemeint? Der Humanismusbegriff ist sowohl breit akzeptiert als auch äußerst unscharf.20 Das Problem von Begriff und Phänomen des Humanismus verschärft 15  In der frühneuzeitlichen Naturkunde wird der Begriff im Sinne von »Wissen von den Dingen der Natur« verwendet. Vgl. Knape, Historie, 448, sowie die ihre These schon im Titel prägnant formulierende Studie von Seifert, Arno, Cognitio historica. Die Geschichte als Namengeberin der frühneuzeitlichen Empirie, Berlin 1976. 16  Vgl. Zedelmaier, Helmut, Bibliotheca universalis und Bibliotheca selecta. Das Problem der Ordnung des gelehrten Wissens in der frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 1992, 237. Daß sich dies im Humanismus, vor allem bei dem Pionier der Textkritik, Beatus Rhenanus, zu ändern begann, zeigt: Muhlack, Ulrich, Beatus Rhenanus (1485– 1547). Vom Humanismus zur Philologie, in: Humanismus im deutschen Südwesten: biographische Profile, 2., veränderte Aufl., Stuttgart 2000, 195–220. 17  Vgl. Meier, Christian, Art. »Geschichte II. Antike«, in: GGb, Bd. 2, 595–610, hier 600  f. 18  Vgl. Koselleck, Reinhart, Art. »Geschichte V.–VII.«, in: GGb, Bd. 2, 647–717. 19  Brückner, Wolfgang, Historien und Historie. Erzählliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts als Forschungsaufgabe, in: Volkserzählung und Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung und Funktion von Erzählstoffen und Erzählliteratur im Protestantismus, hg. v. Wolfgang Brückner, Berlin 1974, 13–123, hier 52. 20  Vgl. Andermann, Ulrich, Albert Krantz. Wissenschaft und Historiographie um 1500, Weimar 1999, 284. Gerade der deutsche Humanismus zeichnet sich durch eine au-

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sich noch, wenn man diese in Bezug zur Reformation und konfessionellen Konfrontation zu setzen versucht. Sowohl der ›humanistische‹ Aufruf zur Kirchenreform als auch die Entwicklung der Textkritik waren Voraussetzungen, auf denen die Reformation auf bauen konnte, so daß man zugespitzt formulieren kann: »Ohne Humanismus keine Reformation« 21, ohne damit eine Identität beider Bewegungen zu behaupten. Doch was geschah mit humanistischen Werten und Techniken im Zeitalter der Konfessionalisierung? Dies wird recht unterschiedlich bewertet: Es findet sich zum einen die Ansicht, die konfessionelle Konfrontation habe den tendenziell kritischen und irenischen Geist des Humanismus so weitgehend verdrängt, daß dieser in Deutschland um 1540 zu existieren aufgehört habe.22 Zum anderen kann man zeigen, daß der durchaus weiterwirkende Humanismus des konfessionellen Zeitalters einen überkonfessionellen Zusammenschluß von Gelehrten mit einem hohen Sonderbewußtsein konstitutierte.23 Die gesellschafts- wie historiographiegeschichtlich relevanteste Konsequenz des Aufeinandertreffens von Humanismus und Konfessionalisierung im Reich bestand aber in einer Institutionalisierung des Humanismus: Beim Ausbau des niederen und höheren Schulwesens im Zuge der Konfessionalisierung bediente man sich in katholischen wie protestantischen Gebieten in hohem Maße der durch den Humanismus vermittelten Bildungsinhalte und -methoden. Der Preis für dieses Weiterwirken humanistischer Standards war deren Instrumentalisierung für die Ausbildungszwecke der Konfessionskirchen und der Territorialstaaten.24 Diese konnte aber nur deshalb stattfinden, weil die Konfessionsßerordentliche Typenvielfalt aus, die eine eindeutige Profilierung erschwert. Zum Problem unterschiedlich konturierter europäischer National-Humanismen und deren Verhältnis zum italienischen Urbild vgl. den Sammelband: Diffusion des Humanismus. Studien zur nationalen Geschichtsschreibung europäischer Humanisten, hg. v. Johannes Helmrath/Ulrich Muhlack/Gerrit Walther, Göttingen 2002. Zur älteren Forschungsgeschichte siehe den konzisen Überblick bei: Landfester, Rüdiger, Historia magistra vitae. Untersuchungen zur humanistischen Geschichtstheorie des 14.–16. Jahrhunderts, Genf 1972, 17–31. 21  Moeller, Bernd, Die deutschen Humanisten und die Anfänge der Reformation, in: ZKG 70 (1959), 47–61, hier 59. 22  Vgl. nur: Witt, Ronald G., The Humanist Movement, Handbook of European History 1400–1600. Late Middle Ages, Renaissance and Reformation, hg. v. Thomas A. Brady, Jr./Heiko A. Oberman/James D. Tracy, Leiden/New York/Köln 1995, Bd. 1, 93– 119, hier 119. 23  Vgl. Trunz, Erich, Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur, in: Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche, hg. v. Richard Alewyn, Köln/ Berlin 41970, 147–181. 24  Vgl. statt vieler Nachweise: Schindling, Anton, Institutionen gelehrter Bildung im Zeitalter des Späthumanismus. Bildungsexpansion, Laienbildung, Konfessionalisierung und Antike-Rezeption nach der Reformation, in: Nicodemus Frischlin (1547–1590). Poetische und prosaische Praxis unter den Bedingungen des konfessionellen Zeitalters, hg. v. Sabine Holtz/Dieter Mertens, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999, 81–104. Dies bedeutet aber keine »Abdrängung der studia humanitatis [. . .] ins gesamtgesellschaftlich Unerhebliche«

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kirchen im Humanismus entweder eine nicht zu ignorierende Herausforderung oder doch zumindest Geistesmode sahen.25 ›Der‹ Humanismus verschwand nach 1540 nicht einfach, transformierte sich aber entscheidend; er wurde, pointiert gesagt, von einer ›Weltanschauung‹ zu einer ›Technik‹, die ihm gerade in der Instrumentalisierung durch die Konfessionsstaaten größte Breitenwirkung sicherte.26 Das in der Einleitung skizzierte Spannungsfeld zwischen Geschichte als Polemik oder Gruppengedächtnis und Geschichte als Wissenschaft betrifft auch das Verhältnis zwischen (lutherischer) Konfessionalisierung und Späthumanismus. Auch wenn es nicht immer ›humanistische‹ Gelehrsamkeit war, die in latentem Gegensatz zur funktionalisierenden Identitätsstiftung stand, ist doch der Humanismus als Weltanschauung wie als Technik ein wichtiger, nur partiell integrierbarer Kontext lutherischer Geschichtsschreibung. Was aber macht die humanistische Geschichtsschreibung überhaupt aus? Vereinfachend kann man mit Peter Burke feststellen, daß die oben dargestellte statische Geschichtssicht des Mittelalters in Bewegung geriet, und zwar des– ganz im Gegenteil wird der Humanismus erst jetzt ein gesamtgesellschaftlich relevantes Phänomen (Zitat: Meuthen, Erich, Charakter und Tendenzen des deutschen Humanismus, in: Säkulare Aspekte der Reformationszeit, hg. v. Heinz Angermeier, München/ Wien 1983, 217–266, hier 226). Vgl. zum Problem des Späthumanismus zusammenfassend auch: Friedrich, Markus, Zwischen »Späthumanismus« und »Standeskultur«. Neuere Forschungen zur intellektuellen und sozialen Situation von Gelehrten um 1600, in: Wege in die Frühe Neuzeit. Werkstattberichte, hg. v. Arndt Brendecke/Wolfgang Burgdorf, Neuried 2001, 61–91. 25  Ein besonders aussagekräftiges Beispiel für den Punkt ›Humanismus als Herausforderung‹ ist die positive Erwähnung der Dunkelmännerbriefe in einem Jesuitendrama von 1587: Offenbar sahen die Jesuiten in der katastrophalen Bildungssituation des Spätmittelalters einen Hauptgrund für den Erfolg der Reformation, der man auf dem Wege über humanistische Bildung das Wasser abgraben müsse. Vgl. Rädle, Fidel, Die Epistolae obscurorum virorum, in: Kirche und Gesellschaft im Heiligen Römischen Reich des 15. und 16. Jahrhunderts, hg. v. Hartmut Boockmann, Göttingen 1994, 103–115, hier 114  f. Zum Humanismus als intellektueller Mode: Black, Robert, Humanism, in: The New Cambridge Medieval History, vol. 7: c. 1415 – c. 1500, hg. v. Christopher Allmand, Cambridge 1998, 243–277. 26  Vgl. Muhlack, Ulrich, Der Tacitismus – ein späthumanistisches Phänomen?, in: Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche, hg. v. Notker Hammerstein/Gerrit Walther, Göttingen 2000, 160–182, hier v.  a. 176–179. Gegen diese Auffassung von der Veränderung des Humanismus von »außen«, nämlich durch die neue Situation der Konfessionskonkurrenz, muß auf Positionen v.  a. der angloamerikanischen Forschung hingewiesen werden, die die Technisierung und Pädagogisierung des Humanismus in diesem selbst angelegt sehen und die Veränderungen, denen der Humanismus im 16. Jahrhundert unterliegt, stärker aus innerhumanistischen Verschiebungen erklären. Der äußere Faktor der konfessionellen Kontroverse wird allerdings in dieser anregenden Sicht doch unterschätzt. Vgl. als Beispiele: Bouwsma, William J., Changing Assumptions in Later Renaissance Culture, in: ders., A Usable Past. Essays in European Cultural History, Berkeley/Los Angeles/Oxford 1990, 74–96; Nauert, Charles G. jr., Humanism and the Culture of Renaissance Europe, Cambridge 31998, 192–215; Grafton, Anthony/ Jardine, Lisa, From Humanism to the Humanities. Education and the Liberal Arts in Fifteenth- and Sixteenth-Century Europe, London 1986.

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halb, weil die humanistische Sicht auf die Geschichte neben einem neuen Interesse an Belegbarkeit und Kausalzusammenhängen auch einen »sense of anachronism« ausbildete, eine Historisierung des Berichteten also zumindest anstrebte.27 Ulrich Muhlack benennt als Kriterien für die humanistische Historiographie ihre Tendenz zur Profangeschichte, ihre Wiederentdeckung der historiographischen Darstellung als literarische Leistung, Ansätze zur historiographischen Dynamisierung und Individualisierung, gleichzeitig aber einen Rekurs auf die Vorstellung der Historie als exemplarischer magistra vitae.28 Paul Joachimsen stellt einen ganzen Kriterienkatalog dessen auf, was die Geschichtsschreibung »unter dem Einfluß des Humanismus« ausmache: eine weitgehende Autonomisierung von partikularen, etwa institutionell oder geographisch gebundenen Historien, die Bezugnahme auf moralische Gemeinplätze statt auf geschichtstheologische Schemata und ein gesteigertes Interesse an einem individuellen Stil, aber auch an historischen Einzelpersönlichkeiten. Daneben stünden ein kritisches Abwägen der Quellen statt des Versuchs der Harmonisierung, überhaupt philologische Quellenkritik sowie eine gegen die kurzweilige Abenteuerliteratur gerichtete neue Auffassung von der geschichtlichen Wahrheit.29 Die humanistische Geschichtsschreibung, so ist in vielen weiteren Studien herausgestellt worden, ist sicher nicht der einzige, aber ein wichtiger Ausgangspunkt der modernen Geschichtsauffassung.30 Die historiographische Praxis 27  Vgl. Burke, Peter, The Renaissance Sense of the Past, London 1969, 1; als Überblick vgl. Kelley, Donald R., Humanism and History, in: Renaissance Humanism. Foundations, Forms, and Legacy. Vol. 3: Humanism and the Disciplines, hg. v. Albert Rabil, Jr., Philadelphia 1988, 236–270; zur deutschen humanistischen Historiographie siehe neben Joachimsen, Geschichtsauffassung, knapp auch: Sottili, Agostini, Appunti sulla storiografia dell’umanesimo tedesco, in: La storiografia umanistica, Teil  I, Bd. 2, Messina 1992, 793–828. 28  Muhlack, Ulrich, Die humanistische Historiographie. Umfang, Bedeutung, Probleme, in: Deutsche Landesgeschichtsschreibung im Zeichen des Humanismus, hg. v. Franz Brendle u.  a., Stuttgart 2001, 3–18. 29  Vgl. Joachimsen, Geschichtsauffassung. 30  Die Literatur ist umfangreich und kontrovers; ohne Qualifizierung der einzelnen Positionen seien hier zur jüngeren Diskussion um Problem und Periodisierung der ›Verwissenschaftlichung‹ nur genannt: Muhlack, Ulrich, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Auf klärung. Die Vorgeschichte des Historismus, München 1991; ders., Geschichtsschreibung als Geschichtswissenschaft, in: Geschichtsdiskurs Bd. 3: Die Epoche der Historisierung, hg. v. Wolfgang Küttler/Jörn Rüsen/Ernst Schulin, Frankfurt a.  M. 1997, 67–79; Schulin, Ernst, Die Epochenschwelle zwischen Auf klärung und Historismus, in: Geschichtsdiskurs Bd. 3: Die Epoche der Historisierung, hg. v. Wolfgang Küttler/Jörn Rüsen/Ernst Schulin, Frankfurt a.  M. 1997, 17–26; Dreitzel, Horst, Die Entwicklung der Historie zur Wissenschaft, in: ZHF 8 (1981), 257–284. Die klassische Gegenposition zum Konnex Humanismus und Verwissenschaftlichung vertritt Fueter, Geschichte der neueren Historiographie, 182. Der deutsche Humanismus habe die Historiographie »nicht säkularisiert und modernisiert«. Der Protestantismus habe zwar hier auch nichts geleistet, was aber vor diesem Hintergrund kaum eine Verschlimmerung darstelle (186).

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ging dabei der Theorie oft voraus: Denn die explizite Reflexion etwa auf quellenkritische Grundsätze, überhaupt alle technisch-methodischen Dinge, traten ganz hinter ethische Postulate, etwa die Verpflichtung auf Wahrheit und Aufrichtigkeit, zurück. Das antike Autopsieprinzip, also der Primat der Augenzeugenschaft, wurde zwar hochgehalten, spielt aber im Kontext dieser Arbeit keine Rolle; insgesamt blieb Methodenreflexion selbst in der Theorie der humanistischen Historiographie eher eine Ausnahme.31 Die Geschichte blieb weiterhin ein beliebtes Instrument nationaler und dynastischer Mythenbildung, die gerade im Humanismus einen Aufschwung nahm.32 Der bis heute wichtigste Überblick über die deutsche Historiographiegeschichte der letzten fünf hundert Jahre, die Darstellung Eduard Fueters, sieht die Geschichtsschreibung der Reformation als Rückschritt; spätere Forscher sind ihm hierin gefolgt.33 Früh schon haben sich aber Gegenstimmen gefunden: »In dem Maße, wie die Reformation einen Bruch mit einer herrschenden Weltanschauung bedeutete, mußte auch die Geschichtschreibung (!), die es als ihre Aufgabe ansah, aus einer neuen Ansicht der Vergangenheit heraus ihre neue Weltanschauung zu begründen, eben damals eine Epoche erleben.« 34

Auch in jüngerer Zeit gibt es Versuche, die zentrale Rolle des Traditionsbruchs der Reformation für die Herausbildung einer kritischen, modernen Geschichtsauffassung herauszuarbeiten.35 Donald Kelley z.  B. stellt die These auf, daß die Geschichtsschreibung in einen »process of being promoted from an art to a science«36 eintrat: Der kritische Impetus der Reformation gegenüber kirchlichen Traditionen habe im konfessionellen Zeitalter auf allen Seiten eine Aufwertung historischen Forschens hervorgebracht. Die Kritik der Tradition wird hier als   Vgl. Landfester, Historia magistra vitae, 104–108.   Vgl. zusammenfassend: Hammerstein, Notker, Geschichte als Arsenal: Geschichtsschreibung im Umfeld deutscher Humanisten, in: Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung in der Renaissance, hg. v. August Buck u.  a., Leiden u.  a. 1989, 19–32; Andermann, Ulrich, Historiographie und Interesse. Rezeptionsverhalten, Quellenkritik und Patriotismus im Zeitalter des Humanismus, in: Das Mittelalter 5 (2000), 87–104; der schwierigen Frage, ob an Ursprungsmythen ›geglaubt‹ wurde, nähert sich: Bizzocchi, Roberto, Genealogie incredibili. Scritti di storia nell’Europa moderna, Bologna 1995, 71–92. 33  Vgl. Fueter, Geschichte der neueren Historiographie, 186. Auch für Muhlack, Geschichtswissenschaft, spielen Reformation und Konfessionalierung eine gegenüber den humanistischen Errungenschaften vorwiegend retardierende Rolle. 34  Oncken, Hermann, Sebastian Franck als Historiker, in: HZ 82 (1899), 385–435, hier 385. 35  Vgl. die geistesgeschichtlich akzentuierten Aufsätze von: Sandl, Marcus, »Nicht Lehrer, sondern Erinnerer«. Zum Wandel des Verhältnisses von Historie und Diskurs am Beginn der Reformation, in: ZHF 27 (2000), 179–201; ders., Interpretationswelten der Zeitenwende. Protestantische Selbstbeschreibungen im 16. Jahrhundert zwischen Bibelauslegung und Reformationserinnerung, in: Protestantische Identität und Erinnerung, hg. v. Joachim Eibach/Marcus Sandl, Göttingen 2003, 27–46. 36  Kelley, Sleidan, 579. 31 32

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generelles geistiges Movens eingeführt, das einer Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung den Weg bereitet habe.37 Ein Zusammenhang mit der Verwissenschaftlichung ist der Historiographie des konfessionellen Zeitalters, stärker noch der konfessionellen Historiographie im engeren Sinne, auf einer pauschalen geistesgeschichtlichen Ebene also sowohl zu- als auch abgesprochen worden, ohne daß man immer klar sähe, wie der Weg von der Einzelbeobachtung zur Gesamteinschätzung verläuft. Da die Frage nach der Wissenschaftlichkeit konfessioneller Historiographie nicht im Zentrum dieser Arbeit steht, es aber doch darum gehen soll, die lutherische Geschichtsdeutung zwischen ›Geschichte‹ (auch: professioneller Art) und ›Gedächtnis‹ zu verorten, muß dieses Problem als Fragehorizont bestehen bleiben.

2.  Der disziplinäre Ort und die Funktionen der Historie im konfessionellen Zeitalter Punktuell ist es also möglich, die Reformation als Einschnitt in der Methodengeschichte der Historiographie zu profilieren; generell dürfte dies aber schwerfallen. Wichtiger als die Beantwortung von geistesgeschichtlichen Fragen dieser Art erscheint der Versuch, den disziplinären und wissenschaftstheoretischen Ort der Historie, aber auch ihren ›Sitz im Leben‹ im konfessionellen Zeitalter zu bestimmen. Das meiste, was im Folgenden über die Funktion der Historie und das Selbstverständnis von Geschichtsschreibern gesagt werden wird, entfaltet nur implizit Gesagtes. Es werden zwar auch einige ›Historiken‹ herangezogen; in größerem Umfang und eher in Süd- und Westeuropa als im Reich begannen Historiker aber erst am Ende des 16. Jahrhunderts, ihre Arbeitsweisen und Ziele programmatisch zu reflektieren. Doch auch die humanistischen Historiken waren im wesentlichen Anleitungen, wie Geschichtswerke primär zu lesen und sekundär zu schreiben seien, und stellten moralische Zielsetzungen in den Vordergrund.38 Die schulhumanistische Geschichtstheorie des konfessionellen

37  In ähnlicher Weise betont John Headley die kritische Auseinandersetzung mit dem Problem der Tradition, die durch die Reformation ausgelöst wurde: Headley, John M., The Reformation as Crisis in the Understanding of Tradition, in: ARG 78 (1987), 5–23. 38  Vgl. die Überblicke von Bezold, Friedrich von, Zur Entstehungsgeschichte der historischen Methodik, in: ders., Aus Mittelalter und Renaissance. Kulturgeschichtliche Studien, München/Berlin 1918, 362–383 und Blanke, Horst Walter, Von Chyträus zu Gatterer. Eine Skizze der Historik in Deutschland vom Humanismus bis zur Spätauf klärung, in: Horst Walter Blanke/Dirk Fleischer, Auf klärung und Historik. Aufsätze zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft, Kirchengeschichte und Geschichtstheorie, Waltrop 1991, 113–140. Daß es die Einschränkung der geistigen Freiheit durch die Konfessionskirchen war, die die legitimatorischen ›Historiken‹ hervorbrachte, vermutet: Kessler, Eckhard, Das rhetorische Modell der Historiographie, in: Formen der Geschichtsschrei-

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Zeitalters ging implizit wie explizit kaum darüber hinaus.39 Dem in aller Regel geringen methodischen Reflexionsniveau der Geschichtstheorie entsprach die institutionelle Unterordnung der Historie unter andere Fächer; von den fünf Humaniora Grammatik, Rhetorik, Poesie, Geschichte und Ethik hatte es die Geschichte am schwersten, sich institutionell zu etablieren.40 Ihr disziplinärer und institutioneller Ort war die Artistenfakultät, und zwar dort meist im Rahmen der Rhetorik. Dies galt auch dann, wenn, wie zuerst im Jahre 1504 in Mainz, eigene Geschichtslehrstühle errichtet wurden.41 Institutionell blieb die Geschichtsschreibung, wenn sie nicht überhaupt außerhalb des akademischen Betriebs entstand, an die Rhetorik gebunden. Daneben etablierte sich ab der Jahrhundertmitte auch die Verbindung des Geschichtslehrstuhls mit demjenigen für Moralphilosophie, ab 1600 mit dem für Politik.42 Auch in den Lateinschulen des beginnenden konfessionellen Zeitalters diente die – vergleichsweise seltene – Beschäftigung mit der Geschichte vor allem der Einübung sprachlicher Muster. Bestand noch im 16. Jahrhundert kaum ein Kanon historischen, vor allem profangeschichtlichen Lehrstoffes, so änderte sich dies durch die Institutionalisierungswelle des 16. Jahrhunderts.43 Um 1600 wurde in den Universitäten und Gymnasia illustria der protestantischen Territorien ein vor allem durch das melanchthonische Vorbild und das Geschichtsbild der Magdeburger Zenturien geprägter Geschichtsunterricht abgehalten.44 bung, hg. v. Reinhart Koselleck/Heinrich Lutz/Jörn Rüsen, München 1982 (Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik 4), 37–85, hier 70. 39  Vgl. als Überblick über die Theorietopoi: Landfester, Historia magistra vitae. 40  Vgl. Meuthen, Erich, Humanismus und Geschichtsunterricht, in: Humanismus und Historiographie, hg. v. August Buck, Weinheim 1991, 5–50, hier 6. 41  Vgl. Hardtwig, Wolfgang, Geschichtsstudium, Geschichtswissenschaft und Geschichtstheorie in Deutschland von der Auf klärung bis zur Gegenwart, in: ders., Geschichtskultur und Wissenschaft, München 1990, 13–57, hier 13  f. Zu den Forschungslegenden, die sich um die Mainzer Geschichtsprofessur ranken, vgl. Ludwig, Walther, Römische Historie im deutschen Humanismus. Über einen verkannten Mainzer Druck von 1505 und den angeblich ersten deutschen Geschichtsprofessor, Göttingen 1987, 22– 29. Zu den im 16. Jahrhundert errichteten Geschichtslehrstühlen vgl. Kohfeldt, G., Der akademische Geschichtsunterricht im Reformationszeitalter, mit besonderer Rücksicht auf Dav. Chyträus in Rostock, in: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungsund Schulgeschichte 12 (1902), 201–228, hier 205–208. 42  Vgl. Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte, 44. 43  Vgl. Mertens, Nation, 122. Im späten Mittelalter muß von einer sprachlich und sozial differenzierten Zuordnung der Historiengattungen ausgegangen werden; so war es offenbar zuerst der volkssprachliche Versroman, später auch die (gereimte) volkssprachliche Weltchronistik, die einem lateinunkundigen Oberschichtspublikum historisches Wissen vermittelte; vgl. Brunner, Horst, Literarische Formen der Vermittlung historischen Wissens an nicht-lateinkundiges Publikum im Hoch- und Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Wissensorganisierende und wissensvermittelnde Literatur im Mittelalter. Perspektiven ihrer Erforschung, hg. v. Norbert Richard Wolf, Wiesbaden 1987, 175–186. 44  Vgl. Fisch, Auf dem Weg zur Auf klärungshistorie, 117. Zur relativen Einheitlichkeit

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Die Nutzung des »Chronicon Carionis« Melanchthons ermöglichte einen Geschichtsunterricht, der über die reine Kommentierung antiker Historiker hinausging.45 Doch strukturell hatte sich mit Reformation und Konfessionalisierung nichts wesentliches verändert: Die Geschichte blieb in diesem schulgeschichtlichen Zusammenhang immer Lehre von bereits Bekanntem und widmete sich, was für die Analyse der im Unterricht behandelten Werke zentral ist, selten oder nie der Erforschung von Unbekanntem; man mußte nichts erforschen, wenn alles durch biblische Schriften und antike Autoren weithin vorgegeben war. Auch unabhängig von der Frage der methodischen Innovation erscheint der bildungsgeschichtliche Befund bedeutsam, daß die Geschichte offenbar im protestantischen Kontext eine generell größere Aufmerksamkeit fand als im katholischen. An jesuitischen Universitäten des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts blieb z.  B. die Rhetorikausbildung stark literarisch orientiert, so daß die Historien hier weniger Raum einnahmen.46 Die wichtigsten Geschichtslehrbücher der frühen Neuzeit wurden von Protestanten verfaßt; dies bezieht sich vor allem auf die Universalgeschichtsschreibung, die von katholischer Seite nach der Reformation fast gänzlich vernachlässigt wurde.47 Vor allem an protestantischen Universitäten setzte sich die Praxis durch, akademische Disputationen über historische Themen abzuhalten und zu publizieren.48 Die Geschichte scheint also an den Universitäten des konfessionellen Zeitalter stärker eine protestantische Beschäftigung gewesen zu sein als eine katholische. Geschichte blieb zwar, schon in ihrer Zuordnung zur propädeutischen Arti­ stenfakultät, ancilla theologiae49, aber es entwickelte sich offenbar – schon ablesbar an der Entwicklung des Buchmarktes – ein auch über den schulischen Kontext hinausgehendes Interesse für Geschichte.50 Neben ihrer institutionellen Anbindes protestantischen Geschichtsunterrichts vgl. auch Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte, 53–84. 45  Vgl. Kohfeldt, Geschichtsunterricht, 205. Zuweilen scheinen auch andere zeitgenössische Historiker behandelt worden zu sein. Vgl. Mertz, Georg, Das Schulwesen der deutschen Reformation, Heidelberg 1902, 331–334. 46  Vgl. Dickerhof, Harald, Universitätsreform und Wissenschaftsauffassung. Der Plan einer Geschichtsprofessur in Ingolstadt 1624, in: HJb 88 (1968), 325–368. Zu den »humanistischen Attrapen« (sic) der jesuitischen Historiographie vgl. Fueter, Geschichte der neueren Historiographie, 280. Klassisch für die Sicht eines institutionellen Vorsprungs der Protestanten: Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte, z.  B. 30; ebenso Neddermeyer, Mittelalter, 60  f f. Skeptisch dazu: Engel, Josef, Die deutschen Universitäten und die Geschichtswissenschaft, in: HZ 189 (1959), 223–378, hier 246. 47  Vgl. Neddermeyer, Mittelalter, 63  f . 48  Vgl. Kohfeldt, Geschichtsunterricht, 211. 49  Vgl. Brückner, Historien und Historie, 37. 50  Vor allem für die Zeit nach 1570 beobachtet Miriam Chrisman, daß für die »lay culture« vor allem der Städte »solid historical books and careful scholarly accounts of recent events became increasingly important« und daß eine Reihe populärer historischer Werke auch über ein gelehrtes Milieu hinaus rezipiert wurden: Chrisman, Miriam U., Printing

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dung etablierte sich die Historie unter den Voraussetzungen des Buchdrucks und des Humanismus auch als ehrenwerte Beschäftigung der Gelehrten: »Zwar nicht unter dem Selbstverständnis als scientia, als Wissenschaft, wohl aber als wichtiger Teil der eruditio, der gelehrten Bildung, war die Historie in Deutschland seit der Reformation als gelehrte Disziplin, als selbständiger Wissens- und Kommunikationszusammenhang mit der zugehörigen Gruppe von Sachkennern, Normen und Institutionen fest verankert.« 51

Im 17. Jahrhundert waren Schule und Universität nicht mehr die primären Orte der Geschichtsvermittlung. Die Beschäftigung mit der Geschichte lief jetzt eher über die individuelle Lektüre und hatte ihren Platz in Städten, an Höfen und im nicht institutionell gebundenen Buchmarkt.52 Hierbei ist eine Tendenz zum zusammenhanglosen Nebeneinander der eher literarisch orientierten Geschichtsschreibung und einer die eigentliche Forschung stimulierenden antiquarischen Tätigkeit auszumachen.53 Doch worin wurde die Funktion der Geschichte gesehen, einer Disziplin mit institutionell minderem Status, aber einer wichtigen Rolle innerhalb der gelehrten Kommunikation? Wenn die Historie wissenschaftstheoretisch als an Singularien orientierte ars eine eher untergeordnete Rolle spielte, so war sie doch pragmatisch höchst bedeutsam. Die wichtigste Funktion der Geschichte war: Man sollte sie lernen, um aus ihr zu lernen. Die Statik des alteuropäischen Geschichtsbildes gewährleistete diese Funktion.54 Die bekannteste und topisch wiederholte Ausformung dieser Idee ist das cicerionianische Diktum Historia magistra vitae, das in seiner humanistischen Rezeption das Lernen aus Exempeln meinte: Individuelle historische Gestalten und Taten wurden als vorbildhaft oder abschreckend präsentiert, um allgemeine moralische Lehrsätze zu illustrieren. Diese Anbindung der Geschichte an die Moral verhinderte eine umfassende Historisierung der Vergangenheit, weil die moralischen Werte, die dem magistra vitae-Konzept zuand the Evolution of Lay Culture in Strasbourg 1480–1599, in: The German People and the Reformation, hg. v. Ronnie Po-Chia Hsia, Ithaca/London 1987, 74–100, hier 95. 51  Dreitzel, Entwicklung, 261. Vgl. auch Mertens, Früher Buchdruck, 111. 52  Vgl. Meuthen, Humanismus und Geschichtsunterricht, 20; Kelley, Sleidan, 586; Kleinschmidt, Erich, Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit. Voraussetzungen und Entfaltung im südwestdeutschen, elsässischen und schweizerischen Städteraum, Köln/ Wien 1982, 150–157; Les princes et l’histoire du XIVe au XVIIIe siècle, hg. v. Chantal Grell/Werner Paravicini/Jürgen Voss, Bonn 1998. 53  Vgl. Momigliano, Arnaldo, Alte Geschichte und antiquarische Forschung, in: ders., Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung, hg. v. Glenn W. Most, 3 Bde., Bd. 1, Stuttgart/Weimar 1998, 1–36. Vgl. auch: Grafton, Anthony, The Footnote. A Curious History, Cambridge, Mass., 1997, 148–189. Daß beide Stränge erst in der historistischen Geschichtswissenschaft konvergierten, zeigt: Muhlack, Geschichtsschreibung. 54  Vgl. Koselleck, Reinhart, Historia magistra vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/M. 31995, 38–66.

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grundelagen, ihrerseits nicht historisiert wurden. Dieser Befund hat sogar zu der überspitzten Aussage geführt, die Humanisten hätten sich für die Geschichte im eigentlichen Sinne überhaupt nicht interessiert: Es sei ihnen schließlich nur um die moraldidaktische Funktion gegangen.55 Doch auch die nicht-humanistische Geschichtssicht Alteuropas war dem Cicero-Diktum verpflichtet, hier allerdings im Sinne christlich-religiöser Exemplarik.56 Das Diktum wurde so topisch eingesetzt, daß es selbst das Lernen des Ablaufs der Geschichte bezeichnen konnte. Aus der Geschichte nicht einzelne Exempla zu entnehmen, sondern zu lernen, wie der göttliche Heilsplan die Geschicke der Menschen präformiert und lenkt, war ein Charakteristikum der christlichen Geschichtsauffassung, das zumindest der humanistischen Moralexemplarik zuwiderlief. Die christliche Geschichtsauffassung faßte die Weltgeschichte in eine Reihe einfacher Verlaufsmodelle, etwa Fortschritt und Dekadenz, lebte aber immer auch von der produktiven Kopplung oder Infragestellung dieser Modelle.57 Zwar kannte auch die antike und humanistische Geschichtsschreibung Verlaufsmodelle, die z.  B. im Terminus der ›Renaissance‹ Gestalt annahmen.58 Doch die primäre Funktion der humanistischen Geschichtsschreibung, die moralische Exemplarik, stand systematisch in latentem 55  Vgl. Gilbert, Felix, Das Geschichtsinteresse der Renaissance, in: ders., Guicciardini, Machiavelli und die Geschichtsschreibung der italienischen Renaissance, Berlin 1991, 15–32. Einen seltenen Fall, an dem sich das Lernen aus der Geschichte nicht wie üblich in einem vagen moralischen Sinne, sondern durchaus für aktuelle tagespolitische und militärische Fragen aufweisen läßt, behandeln: Jardine, Lisa/Grafton, Anthony, ›Studied for action‹: How Gabriel Harvey read his Livy, in: Past & Present 129 (1990), 30–78. Zur tendenziellen Auflösung der statischen Exemplarik im ›politischen‹ Pragmatismus der Tacitus-Rezeption: Kühlmann, Wilhelm, Geschichte als Gegenwart: Formen der politischen Reflexion im deutschen »Tacitismus« des 17. Jahrhunderts, in: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit, hg. v. Sebastian Neumeister/Conrad Wiedemann, 2 Bde., Wiesbaden 1987, Bd. 1, 325–348. 56  Vgl. Melville, Kompilation, 133. Kintzinger, Chronos und Historia, 29, geht von der Prämisse aus, daß allein die Tatsache, historische Literatur wolle moralisch wirken, diese deshalb »eng an die kirchliche Paränese« binde, was sich natürlich empirisch nicht bestätigt, weil die Prämisse falsch ist: Tatsächlich laufen die kirchliche und die humanistische Moralexemplarik partiell nebeneinander her. Kintzinger vermischt den religiösen und den humanistischen Diskurs über das zu wenig differenzierende Adjektiv »moralisch« (z.  B. 103  f.). Überdies überschätzt sie die topische Sentenz als genuinen Ausdruck humanistisch-rhetorischer Geschichtsauffassung. 57  Vgl. Markschies, Christoph, Art. »Geschichte/Geschichtsauffassung VI: Kirchengeschichte«, in: RGG4 3, Sp. 789–791, hier 790. 58  Vgl. Mommsen, Theodor E., Der Begriff des »Finsteren Zeitalters« bei Petrarca, in: Zu Begriff und Problem der Renaissance, hg. v. August Buck, Darmstadt 1969, 151–179. Zum angeblich bevorzugten humanistischen Verlaufsmodell, der Zyklentheorie, vgl. Schlobach, Jochen, Die klassisch-humanistische Zyklentheorie und ihre Anfechtung durch das Fortschrittsbewußtsein der französischen Frühauf klärung, in: Historische Prozesse, hg. v. Karl-Georg Faber/Christian Meier, München 1978 (Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik 2), 127–142, der aber die humanistische Geschichtsauffassung zu stark von der ästhetischen und rhetorischen Theorie her konstruiert und die Historiogra-

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Gegensatz und faktisch unverbunden neben der christlichen Funktionsbestimmung der Historie als Nachvollzug des göttlichen Heilsplans.59 Verlaufsmodelle der Geschichte wurden auch im 16. Jahrhundert primär nach dem Vorbild der biblischen Schriften, vor allem der Propheten und der Offenbarung gebildet. Diese Modelle sind in einem anderen Sinne ›statisch‹ als die Auffassung, die der Geschichte die Funktion überzeitlicher Moralillustration zuschreibt: Geht es im einen Fall um ewige Normen, geht es im anderen Fall um einen von vornherein festgelegten Geschichtsablauf, um geoffenbarte »transhistorische Interpretamente«, die in den historischen Ereignissen nur ihre Konkretisierung erfahren.60 Am Fall Melanchthons hat Wilhelm Schmidt-Biggemann diesen latenten Widerspruch herausgestellt, der aber, wenngleich weniger zugespitzt, auch für andere Autoren gilt: »Bei Melanchthon überlagern sich zwei Geschichtsbegriffe, die nicht zueinander passen. Der humanistisch-ciceronianische Geschichtsbegriff, der ›exempla‹ lehrt und den unzeitlichen Charakter eines Tableaus hat, hat nichts gemeinsam mit der prophetisch-apokalyptischen, dynamischen Geschichte, wie sie Paulus konzipiert hatte.« 61

Doch wie wurde von Lutheranern des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, beispielsweise in Vorreden ihrer Werke, die Funktion der Historiographie bestimmt? Bereits in Luthers verstreuten Äußerungen zur Geschichte finden sich alle gängigen Topoi versammelt. Auch hier sind die Motive nicht widerspruchsfrei integrierbar, stehen aber bei Luther wie bei anderen meist unkommentiert nebeneinander und scheinen subjektiv ganz unproblematisch zueinander gepaßt zu haben. In seiner Vorrede zum Nachdruck der »Historia Galeati Capellae« von 1538 bestimmt Luther die Aufgabe der Geschichte in gut humanistischer Tradition dahingehend, daß sie allgemeine moralische Vorschriften sinnlich vor Augen stellen, gutes wie böses Handeln veranschaulichen solle. Gelinge ihr das, dann sei es »ein seer köstlich ding vmb die Historien.« 62 Luther fundiert die Historie aber nicht nur in allgemeiner moralischer Manier, sondern weist darauf hin, daß sie das Handeln Gottes in der Welt und mit den Menschen zeige: »Die phie vernachlässigt, die, zumal im deutschen Humanismus, sehr selten mit zyklischen Modellen operierte. 59  Vgl. Brückner, Historien und Historie, 44. Eine Verbindung von Ablaufmodellen und exemplarischem Zugriff auf die Historien fand Augustin, indem er eine doppelte Optik einführte: »Was auch immer auf dieser Erde geschieht, es ist strukturell wiederholbar und für sich genommen unwichtig, dagegen im Hinblick das Jenseits und das Jüngste Gericht einmalig und von höchster Bedeutung.« (Koselleck, Reinhart, Geschichte, Geschichten und formale Zeitstrukturen, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/M. 31995, 130–143, hier 138  f.). 60  Koselleck, Geschichte, Geschichten, 139. 61  Schmidt-Biggemann, Wilhelm, Philosophia perennis. Historische Umrisse abendländischer Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit, Frankfurt a.  M. 1998, 642. 62  WA 50, 383.

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Historien sind nichts anders denn anzeigung, gedechtnis vnd merckmal Göttlicher werck vnd vrteil« 63. Schon daraus ergibt sich eine enge Verbindung von Historie und Theologie. Auch Melanchthon hat sich vielfach zur Funktion der Historie geäußert. Oft betonte er die Notwendigkeit, die Gesamtheit der Geschichte zu lehren und zu lernen. Die humanistisch-moralische Exempelfunktion sei wichtig64, aber sie reiche nicht aus: Das Handeln Gottes in der Welt könne nur anhand des Gesamtablaufs der Geschichte wirklich verstanden werden. Daraus folgt für Melanchthon konsequent die Hinwendung zur Universalgeschichte, denn »necesse est integram temporum seriem nosse« 65. Für eine integrale Sicht der Geschichte ist daher eine solide Chronologie notwendig, die von lutherischen Autoren auch immer wieder gefordert, betrieben und gelobt wird. Melanchthons Schüler, der Sleidan-Übersetzer Michael Beuther, bemerkte sogar, diejenigen Völker würden vor allen anderen geachtet, die eine »nothwendige richtige ordnung der zeit« besäßen.66 In religiösen Kontroversen wurde der Historie darüber hinaus die Rolle einer nützlichen Entscheidungshilfe zugeschrieben.67 Trotz des relativ unbedeutenden Status’ der Historie innerhalb der schulischen und universitären Curricula betonten auch spätere lutherische Autoren immer wieder ihre zentrale Bedeutung.68 Sicher redeten diese Autoren als Hi­sto­ riker oft auch pro domo, aber auffällig ist die topische Lobpreisung der historischen Studien in ihrer Fülle dennoch. Johannes Aurifaber greift sehr hoch, um die Verächter der Historie zu desavouieren: »Vnd ist in summa / verachtung solcher Schrifften vnd erinnerung von Historien vnd jr ordnung / nicht allein ejn grobe Tartarische vnd Cyclopische barbarey / sondern ein teuflische vnsin-

  WA 50, 384.   Im Anschluß v.  a. an Melanchthons moralhistorische Auffassung findet sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts sogar der Versuch enzyklopädischer Systematisierung in einer mit Exempeln illustrierten Sammlung von 300 Aphorismen zur Geschichte: vgl. Richter, Gregor, Appendix ad regulas historicas, continens Novorum Axiomatum Centurias Tres . . ., Görlitz 1614. 65  CR 9, 1075. Das zugespitzte Diktum Josef Engels, Melanchthon sehe die Historie als »eine theologische Wissenschaft außerhalb der Theologie« (Engel, Universitäten, 255), vereinfacht Melanchthons differenzierte Sicht, die hier nur angerissen ist, über Gebühr. 66  Beuther, Michael, Calendarium historicum. Tagbuch / Allerley Fürnhemer / Namhafftiger vnnd mercklicher Historien / Aus vielen / inn sechserley Sprachen / alt vnd new beschriebnen Chronicken, Frankfurt a.  M. 1557, A ij r. 67  Vgl. Melanchthons Vorrede zum Chronicon Carionis, 1558/1560, ediert in: Die Anfänge der reformatorischen Geschichtsschreibung. Melanchthon, Sleidan, Flacius und die Magdeburger Zenturien, hg. v. Heinz Scheible, Gütersloh 1966, 26–41, hier 37. 68  Auch allgemeine Lektüreempfehlungen beinhalten immer historiographische Schriften. Zu den Lektürehinweisen Luthers und Cyriacus Spangenbergs vgl.: Weyrauch, Erdmann, Überlegungen zur Bedeutung des Buches im Jahrhundert der Reformation, in: Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit, hg. v. Hans-Joachim Köhler, Stuttgart 1981, 243–259. 63 64

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nigkeit«.69 In der Vorrede eines Geschichtskalenders kann man lesen: Die tägliche Erfahrung bezeuge, »daß die Historie / nechst der Bibel vnd Gottes Wort / das beste Buch auff Erden sey / ohne welche das Menschliche Leben / gleichsam als der Tag ohne die helle Sonne / nicht seyn kann / wie solches der Poet fein bezeuget / inn nachfolgenden Verßlein: Quid sine Sole dies? sine Fastis vita? Tenebrae. Item: Vitae dux, et lux temporis, Historia est.«70

Die Geschichte mußte hinsichtlich ihrer Funktion entweder deshalb so gepriesen werden, weil ihr institutioneller Status so minderwertig war. Oder sie mußte als Disziplin überhaupt nicht aufgewertet werden, sondern besaß bereits einen Eigenwert, weil sie anthropologisch so fundamental verankert war. Als Topos jedenfalls wird diese zweite Sicht immer wieder artikuliert: daß sich der Zweck und die Funktion der Historie, die weit über äußerliches Schulwissen hinausgeht, eigentlich von selbst verstehe. Dies wird auch im akademischen Kontext, möglicherweise zur Aufwertung der eigenen Disziplin, vorgebracht. In seiner akademischen Rede über Ordnung und Gebrauch der Historie betont der Leipziger Lehrstuhlinhaber Matthäus Dresser, zum Nutzen der Geschichte brauche er nichts zu sagen; dieser erkläre sich selbst.71 Ein anderer akademischer Historiker, der Helmstedter Reiner Reineccius, erklärt den Zweck der Geschichte in Termini der humanistischen Rhetorik: Sie solle und wolle prodesse et delectare. Gleichzeitig aber hört man aus Reineccius’ Worten die Furcht des frühen Professionals: Offenbar reicht ihm die quasi-literarische Zweckbestimmung nicht aus, weist er doch sogleich darauf hin, daß eine rationale Vorgehensweise, die nur mit viel Zeit und Mühe erworben werden könne, nötig sei, um Geschichte zu schreiben. En passant, aber wohl durchaus programmatisch bezeichnet Reineccius seine Kunst denn auch als »scientia«.72 69  Zitiert nach: Scholder, Klaus, Ursprünge und Probleme der Bibelkritik im 17. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Entstehung der historisch-kritischen Theologie, München 1966, 86, Anm. 31. 70  Saur, Abraham, Calendarium Historicum, Das ist: Ein besondere tägliche Hauß vnd Kirchen Chronica / darinn / Summarischer weise / auff einen jeden Tag / Monat / vnd Jahr / etliche besondere / Nam vnd warhafftige Geschichte . . . kürtzlich vnd eigentlich annotirt vnd verzeichnet werden . . . Alles / mit sonderm fleiß / auß vielen bewehrten Chronicken / alten vnd neuwen Monumenten / glaubwirdigen Brieffen / vnd Vrkunden / zusammen gebracht, Frankfurt a.  M. 1594, )( ij r. Interessant ist hier der ganz unübliche Gebrauch des Singulars »Historie« statt »Historien« und die darauf auf bauende Vorstellung der Geschichte als einem Buch – anstelle der Gesamtheit aller historischen Autoren und Werke. 71  Vgl. Dresser, Matthäus, Oratio de ordine, ueritate et vsv in historiarum lectione spectando. Habita in Academia Lipsica, XVII Januarij, anno 82., Wittenberg 1582, A ij r. 72  Reineccius, Reiner, Methodus loquendi cognoscendique historiam tam sacram quam profanam . . ., Helmstedt 1583, A2r. Zu Reineccius siehe: Herding, Otto, Heinrich Meibom (1555–1625) und Reiner Reineccius (1541–1595). Eine Studie zur Historiographie in Westfalen und Niedersachsen, in: Westfälische Forschungen 18 (1965), 5–22. - Die

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Die Topik der Nützlichkeit historischen Wissens wird zuweilen selbst thematisiert und damit auf die Spitze getrieben: Cyriacus Spangenberg bemerkt in einer Chronikvorrede, es sei nicht mehr nötig, die Wichtigkeit der Historie eigens zu betonen, »sintemal schier keine Chronica oder Geschichtbuch / für dieser zeit in Druck ist ausgangen / darinnen solchs nicht nach der lenge / aus vieler gelarten Schrifften vnd Zeugnissen ist angezeigt worden.« 73

Auch Prediger beschäftigten sich aus Interesse oder exegetischer Notwendigkeit mit Geschichte und veröffentlichten in großer Zahl Geschichtswerke, die in dieser Arbeit einen großen Teil der Quellenbasis bilden. Sie trugen damit dazu bei, die eindeutige Verankerung der Historie im Kontext der Ausbildung in Lateinschule und Universität zu transzendieren und sie in alltäglichere Kontexte zu überführen. Überhaupt trat der Typus des Predigers und Theologen im Reformationsjahrhundert als profilierteste neue Autorengestalt innerhalb der Historiographie hervor.74 Der Eisfelder Superintendent Zacharias Rivander schreibt 1591, als Prediger habe er mit zwanzig Jahren Zutritt zu Büchern und Bibliotheken erhalten, und geht sogleich auf sein Geschichtsinteresse ein: »Weil aber mein gröstest intentum auf Historias stunde / schlug ich fleissig nach / befunde aber gar vngleichen bericht / welches mich offt so schellig in meinem sinn machte / das ich mit grossen vnmut / ein Buch da / das ander dort hin warff / wenn aber der Zorn ein wenig fürüber / sie wieder zusammenraffte / mich wider drüber setzte / vnd entlichen fürname / mir selbst ein Jahrrechnung / vnd ordnung der Historien zustellen / wie sie vom ersten Buch Mosis an / durch aller Welt Geschicht bücher / biß auff vnsere zeit / in guter ordnung auffeinander gehen. Das dieses ein schwerer labor als Sisyphi, weis vnd verstehet niemandt / denn die / so solches versuchet. Fürwar einer vergisset essen vnd trincken drüber / machet einen so mat vnd müde / als wolt er ohnmechtig werden«.75

Der junge Prediger vertieft sich aus praktischer, exegetischer Notwendigkeit, aber auch aus Enthusiasmus in die Geschichte. Später wird er dies in einem eigenen Geschichtswerk berichten und zur Funktion seines – und vieler anderer – Werke anfügen:

Historie konnte auch im Mittelalter zuweilen als scientia bezeichnet werden; dies gilt aber v.  a. für Zusammenhänge, in denen sie negativ gegen die göttliche sapientia abgesetzt wird. Vgl. Goetz, Geschichtsschreibung, 105. 73  Spangenberg, Cyriacus, Mansfeldische Chronica. Der Erste Theil. Von Erschaffung vnd Austheilung der Welt / vnd insonderheit von der Graueschaft Mansfelt. . ., Eisleben 1571, ij r. 74  Vgl. Rau, Geschichte und Konfession, 394; Johanek, Peter, Hof historiograph und Stadtchronist, in: Autorentypen, hg. v. Walter Haug/Burghart Wachinger, Tübingen 1991, 50–68, hier 68. 75  Rivander, Zacharias, Fest-Chronica, Erfurt 1591, a ij v. Zur Vita vgl. Jöcher 3, Sp. 2084.

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»Mancher Christlicher Haußvater hat auff die Fest oder Feyertage zuuerreisen notßhalben / wenn er nu in der Kirchen gewesen / kan er dis Buch im Wagen bey sich haben / das vertreibet jhm nicht allein die zeit / sondern erinnert jhn auch / was die Kirche auff solchen tag für hat / das kann er auch thun / ob er gleich daheimen bleibt / nach gehaltner Predigt seinen Kindern und Gesinde daraus fürlesen / das wird Gott gefelliger sein / vnd zu besserer Haußzucht dienen / als andere schand vnd Narrenbücher / darmit sich die leichte Welt zu schleppen pflegt.«76

Auch dieses Beispiel ist nicht singulär. Leonard Krentzheim beispielsweise führt ebenfalls aus, daß Predigtamt und Historie zusammengehören. Schon um einer besseren Bibelauslegung und einer Zurückweisung heterodoxer Positionen willen müsse der Prediger die Historien kennen: »Vnd ist ein Theologus ohne verstandt der Historien vnd zeitrechung / eben wie eine stadt ohne zeiger oder Schlaguhr.«77 Doch die theologische Funktion der Historie geht darüber noch hinaus, weil sie dem Menschen die »prouidentia ac praesentia sua« vor Augen stelle: Deshalb wolle Gott, daß Geschichtsschreibung betrieben werde.78 Ein stärkeres Argument für ihre Dignität läßt sich kaum denken. Die Bedeutung des Studiums auch antiker Historiker läßt sich doppelt begründen: Erstens können auch sie dem Menschen die Folgen von Tugend und Laster vor Augen führen, und dies unabhängig von der Tatsache, daß es sich bei den exemplarischen Gestalten um Heiden handele. Dementsprechend oft wurden profanhistorische Exempla in Predigten verwendet.79 Doch auch in den schulhumanistischen Curricula verstetigte sich die Beschäftigung mit antiker Historie zu Bildungszwecken ohne Reduktion auf theologische Funktionalisierungen. ›Verschulung‹ mit allen Vor- und Nachteilen ist ein starkes Charakteristikum vieler lutherischer Geschichtsbücher wie auch des Geschichtsstudiums: Dresser klagt, die Studenten wollten die Artistenfakultät leider allzu schnell absolvieren, um in die höheren Fakultäten zu wechseln. Daher könne er oft nur Cicero, Sallust und Caesar behandeln; die »grossen Authorn« aber – Livius, Herodot, Thukydides, Xenophon, Plutarch – müßten der effizienten Studienweise der jungen Studenten geopfert werden.80   Rivander, Fest-Chronica, unpaginierte Vorrede.   Krentzheim, Leonhard, Chronologia / Das ist / Gründtliche und Fleissige Jahrrechung / Sammpt Verzeichung der fürnemsten Geschichten / Verenderungen vnd Zufell / so sich beyde in Kirchen und Welt Regimenten zugetragen haben / zu jeder zeit / von anfang der welt / biß auff vnsere . . ., Görlitz 1577, + iiij v. Ähnlich auch: Hunnius, Ägidius, Postilla oder Auslegung der Sonteglichen Episteln . . ., Wittenberg 1612, II, 42r. 78  Reusner, Elias, Isagoges historicae libri duo: Qvorum vnvs Ecclesiasticarum, alter Politicam continet historiam: utramque secundum cuiusque aetates exacte definitam: quarum illa ad traditionem Domus Eliae; haec ad quatuor mundi regna, in bestijs quatuor a Daniele Propheta aumbrata, magno et pio studio est accomodata. Cum exquisitißima ueterum Historicorum, tam Graecorum quam Latinorum, Chronologia, Jena 1600, A2v. 79  Vgl. allgemein: Rehermann, Ernst Heinrich, Das Predigtexempel bei protestantischen Theologen des 16. und 17. Jahrhunderts, Göttingen 1977. 80  Vgl. Dresser, Matthäus, Von den Fürnembsten Städten deß Deutschlandes ein 76 77

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Zweitens helfen die antiken Historiker dem lutherischen Exegeten aber dabei, die im Alten Testament geschilderte Geschichte des jüdischen Volkes besser zu verstehen, weil diese oft nur kurz darstellen, was bei den antiken Historikern in aller Ausführlichkeit zu finden ist. Oder die antiken Historien ergänzen chronologisch die biblischen Bücher, weil z.  B. Herodot direkt dort einsetzt, wo die Propheten auf hören.81 Die Beschäftigung mit der Antike wird so zur exegetischen Hilfswissenschaft. Daher, so der Wittenberger Theologe Paul Eber, seien die antiken Historien nicht nur als Bildungsgut notwendig.82 Das synchrone Verhältnis von biblischer und heidnischer Historie ist damit bestimmt; das diachrone Verhältnis der prophetischen Schriften und der nachbiblischen Ereignisse wird in der Regel ähnlich verstanden. Auch hier können nämlich die prophetischen Schriften von der Geschichte nicht überholt, sondern nur in ihrer Konkretheit entfaltet werden; auch hier kann die nachbiblische Geschichte bestenfalls die Bibel, und umgekehrt die Bibel die Geschichte, verstehen helfen. So ist es nicht religiöser Überschwang, sondern erst einmal lutherischer common sense, wenn das Buch Daniel als »historia historiarum omnium aetatum et temporum« 83 bezeichnet und von der Johannesoffenbarung gesagt wird, sie sei »ein Historia der Kirchen / von Christi zeit an biß an Jüng­ sten tag / vnd end der Welt« 84. Daß prophetische Vorhersagen und historische Abläufe zusammengehören und die Geschichte nur vollständig begriffen werden kann, wenn man sie auf biblische Prophezeiungen bezieht, wird nicht in Frage gestellt. Diese Haltung faßt der Sinnspruch Georg Nigrinus’ schön zusammen: »Drumb was die Offenbarung lehrt / Wird mit der History bewerdt / Es fehlet auch nicht vmb ein wort / Stimmet zusammen hie vnd dort.« 85 Eine weitere Aufgabe, die der Historiographie zugeschrieben wurde, war der Nachweis des Alters der wahren christlichen, sprich: lutherischen Lehre.86 Diekurtzer aber doch eigentlicher Bericht . . ., Leipzig 1607, c iiij v–d r. Zu Dresser vgl. Kap. B.IV.4.a. 81  Vgl. Dresser, Oratio de ordine, B j v–B ij r: »Historiam porro Prophetarum excipit et continuat historia Herodoti.« 82  Vgl. Eber, Paul, Calendarium historicum, Wittenberg 1579 (EA 1550), 10. 83  Neander, Michael, Chronica sive Synopsis historiarum . . ., Leipzig 1586, 183v. 84  Chyträus, David, Auslegung der Offenbarung Johannis . . ., Rostock 1572, F r. 85  Nigrinus, Georg, Papistische Inquisition vnd gülden flüs der Römischen Kirchen. Das ist. Historia vnd ankunft der Römischen Kirchen / vnd sonderlich vom Antichristischen wesen / in Siben Bücher verfaßt / nach anweisung der geheymen / vnnd doch außgetruckten zahl inn der Offenbarung Johannis . . ., o.O. 1582, (::)1v. 86  Vgl. zu diesem Zusammenhang die Überlegungen von: Burkhardt, Johannes, Alt und Neu. Ursprung und Überwindung der Asymmetrie in der reformatorischen Erinnerungskultur und Konfessionsgeschichte, in: Historische Anstöße. FS Wolfgang Reinhard, hg. v. Peter Burschel u.  a., Berlin 2002, 152–171. Winfried Zeller formuliert sogar, daß »die eigentliche Problematik der Kirchengeschichte« »in dem Problem von Alt und Neu liegt«. Vgl. zeller, winfried, Protestantische Frömmigkeit im 17. Jahrhundert, in: ders., Theologie und Frömmigkeit. Gesammelte Aufsätze, hg. v. Bernd Jaspert, Marburg 1971, 85–116, hier 86.

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ser Argumentationsstrang stellte wohl am eindeutigsten einen Teil des lutherischen Identitätsdiskurses dar. Wie bereits dargestellt, war die affirmative Berufung auf Neuerungen dem alteuropäischen Denken zutiefst suspekt; im religiösen Kontext lauerte der Häresieverdacht. Nur innerhalb dieses sensiblen Argumentationszusammenhangs ist Luthers Wort verständlich: »Was nach Gotteswort geendert wird, das ist kein newerung« 87. Die Diskussion über Alter und Neuheit hatte gleich mit dem Beginn der Reformation eingesetzt.88 Daher war die Abwehr des Neuheitsvorwurfs ein wichtiges Argument, das zur polemischen und apologetischen Beschäftigung mit der Geschichte anreizen mußte. Die lutherische Frontstellung war vor allem dadurch gekennzeichnet, daß sie der durch apostolische Sukzession garantierten institutionellen Kontinuität der römischen Kirche argumentativ begegnen mußte, die von Kontroverstheologen wie Latomus und Cochläus bereits frühzeitig als gewichtiges Argument für die Wahrheit ihrer eigenen und die Falschheit der lutherischen Lehre und Kirche angeführt worden war.89 Häufig wurde dieses Problem in eher dogmatischen und dogmengeschichtlichen als genuin historischen Darstellungen verhandelt; hier verschwimmen allerdings die Genregrenzen. Wenn auch die lutherische Beschäftigung mit Geschichte nicht vollständig in Polemik und Apologetik aufging, so war doch das historische Argument – auf allen Ebenen und auf jedem vorstellbaren Niveau – immer ein zentraler Bestandteil lutherischer Kontroverspolemik (vgl. Kap. B.V.8). Polemik und Apologetik wurden so zu wichtigen Funktionen der Geschichtsschreibung; Luther hatte geradezu dazu aufgefordert, den Kampf gegen das Papsttum, den er »a priori«, nämlich aus der Bibel hergeleitet, führe, »a posteriori«, nämlich durch den historischen Nachweis der antichristlichen Tyrannei, zu unterstützen.90 Doch auch außerhalb polemischer Genrezusammenhänge war es eine gemeinlutherische Überzeugung, daß die lutherische Lehre »nicht New ist / auch nicht der Alten / vnnd vorigen in der Heiligen Biblia geoffenbarten / vnd mit wunderwercken bestettigten lehre entgegen / vnnd zuowider / sonder

  WA 30 II, 320.   Vgl. Moeller/Stackmann, Städtische Predigt, 310; Jedin, Hubert, Kirchengeschichtliches in der älteren Kontroverstheologie, in: Reformatio ecclesiae. Beiträge zu kirchlichen Reformbemühungen von der Alten Kirche bis zur Neuzeit. Festgabe für Erwin Iserloh, hg. v. Remigius Bäumer, Paderborn u.  a. 1980, 273–281. 89  Vgl. die Belege bei Fraenkel, Peter, Testimonia patrum. The Function of the Patristic Argument in the Theology of Philip Melanchthon, Genf 1961, 134–138; zur apo­ stolischen Sukzession vgl. nur Hein, Martin/Jung, Hans-Gernot, Art. »Bischof, Bischofsamt«, in: EKL 1, Sp. 518–522, v.  a. 519. 90  So schreibt Luther in der Vorrede zu Robert Barnes »Vitae Pontificum Romanorum« von 1536: »Ego sane in principio non ualde gnarus nec peritus historiarum a priori (vt dicitur) invasi papatum, hoc est ex scripturis sanctis, nunc mirifice gaudeo alios idem facere a posteriori, hoc est ex historiis« (WA 50,5). 87 88

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ist gleichförmig / vnd stimmet allenthalben mit den schrifften der Propheten / vnd Aposteln vberein«.91

Alter war aber nicht grundsätzlich ein Legitimationsargument: Sonst hätte nämlich schnell kontrovers werden können, wie es sich mit der heidnischen Antike verhielt.92 Legitimatorisch konnte das Altersargument deshalb nur im direkten Rekurs auf das Ursprungsdokument eingesetzt werden: »Denn eine Antiquitet oder Alter / on diese / nemlich der heiligen Bibel grund / sie sey wie sie wolle / hat in der Religion keinen bestand noch ansehen«.93 Die Historie half die höhnische Frage des konfessionellen Gegners beantworten: »Lieber wo war dann die Euangelische Kirche / ehe denn ewr Luther herfür kam?« 94 Ihrem Selbstverständnis entsprach es also durchaus, wenn lutherische Theologen Geschichte schrieben. Wie im Mittelalter sahen sie die Geschichte als Hilfswissenschaft oder gar als Teil der Theologie. Dies konnte sogar zu, aller91  Marbach, Johann, Von Mirackeln und Wunderzeichen. Wie man sie auß vnnd nach Gottes Wort / für waar oder falsch erkennen soll . . ., Straßburg 1571, k ij r–v. 92  Wobei diese Diskussion allerdings selten offen geführt wird: Häufig wird entweder pauschal Alter als Autorität aufgerufen oder, klassisch, Tertullians Diktum »primum quodque verissimum est« zitiert. Siehe dazu Backus, Historical Method, 330. In Matthias Hoës Lutherpredigten von 1610 wird allerdings, was eher selten ist, insofern offensiv mit dem Neuheitsvorwurf umgegangen, als Luthers Lehre mit dem ›Neuen‹ Testament und dem ›neuen‹ Lied aus Off b 5,9 identifiziert wird, also identisch mit Christi Lehre sei. Vgl. Hoë von Hoënegg, Matthias, Sanctus Thaumasiander et Triumphator Lutherus . . ., Leipzig 1610, 48–65. 93  Wigand, Johannes, Welche Religion die elteste sey / vnter der Euangelischen vnd der Bepstischen. Erinnerung vnd vnterricht für einfeltige Christen, Jena 1587, 2. Ähnlich argumentiert schon Melanchthon in »De ecclesiae autoritate« (1539); siehe dazu Kuhaupt, Georg, Veröffentlichte Kirchenpolitik. Kirche im publizistischen Streit zur Zeit der Religionsgespräche (1538–1541), Göttingen 1998, 80. Daß der reformatorische Rekurs auf die Bibel sich in das – mittelalterliche wie humanistische – Wissenschaftsverständnis insofern einordnet, als die älteste Autorität selbst in natur- wie rechtswissenschaftlichen Fragen höchste Geltung besaß, zeigt anschaulich eine Passage aus Kaspar Hedios Eusebbearbeitung: »Welche Aristotelici philosophi / wo sie sich der meinung Aristotelis jergend jnn vngleichen verstand befunden / solten nicht auch zum ersten sein des Aristotelis schrifften selbs besehen / vor allen Commentarien / auch der eltisten so vber Aristotelem geschrieben haben? Welcher artzt wurde in zweytrechtigen disputationen von der artzney nicht auch ehe die schrifften Hippocratis / Dioscoridis vnnd Galeni ersuchen / dann einiger / die hernach von der artzney / oder vber die Bücher Hippocratis vnnd Galeni geschrieben haben? Welche recht gelehrten sehen auch nicht vor allem was die wort des gesatzes selbs vermögen? Darumb ja ein aller grewlichste schmach der ewigen Göttlichen weißheit vnd liebe gegen vns / das sein müß / in fragen vnd handlungen von der Religion / nicht vor allem die heilig schrifft / vnd fürnemlich die also liechten Euangelien vnd schrifften der Apostlen ersuochen vnd erforschen«: Hedio, Kaspar, Chronica / Das ist: Warhafftige Beschreibunge Aller alten Christlichen Kirchen . . ., Frankfurt a.  M. 1582 (zuerst 1545), 2v. 94  Wigand, Welche Religion die elteste sey, 46. Daß diese Diskussion bis ins 18. Jahrhundert andauerte, zeigt an englischen Beispielen: Barnett, S. J., Where Was Your Church before Luther? Claims for the Antiquity of Protestantism Examined, in: Church History 68 (1999), 14–41.

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dings seltenen, Äußerungen führen wie der folgenden: »Die wissenschaft der historien zwar ist nicht genugsam zum seligmachenden Glauben / dennoch mus erkantnus der Historien vnd wissenschaft der Geschicht vorher gehen« 95. Georg Nigrinus, der dies schreibt, schränkt sein Postulat aber insofern sofort ein, als zum Beispiel eine exakte Chronologie, so wichtig sie ist, dennoch »kein artickel des Glaubens« sein könne96 . Für das Problem des Verhältnisses von Geschichtsschreibung und Theologie ist es aufschlußreich, daß akademische Historiker Empfindlichkeiten gegenüber einem zu eindeutigen Zugriff der Theologen – zum Beispiel der rein polemischen Nutzung der Historie – artikulierten, ohne daß dies Rückschlüsse auf ihre eigene religiöse Gesinnung erlaubte; es indiziert aber einen nur selten offen ausgetragenen Differenzierungskonflikt zwischen Theologie und Historiographie.97 So bemerkte Dresser als Rektor von St. Afra in Meißen, er habe sich »alzeit für theologischen Regiment gehütet«; denn wo Theologen die Schulen beherrschten, werde die Barbarei ausbrechen.98 Reineccius verweigerte 1582 in Helmstedt die Unterschrift unter die Konkordienformel unter anderem mit dem Argument, daß »mea professio auch historica nicht theologica ist.«99 Aber selbst in einer kirchengeschichtlichen Abhandlung führte ein Nichttheologe aus, er schreibe »historischer vnd nicht Disputierlicher weise. Vnd schreibe das was ich finde / vnd was andere für mir geschrieben. Vnd lasse einem jeglichen sein Vrtheil.«100 Nun ist auch Unparteilichkeit ein beliebter Topos – und im Einzelfall wird zu prüfen sein, wie sich Anspruch und Wirklichkeit in diesem Punkt zueinander verhalten. Doch schon jetzt läßt sich sagen, daß in aller Regel 95  Nigrinus, Georg, Ein wolgründe Rechnung vnd Zeitregister / von Anfang der Welt . . . Auch viel geheimnus der Schrifft / Sonderlich den Anfang / Mittel vnd Ende des Antichristschen Reichs / aus Daniele vnd Offenbarung Johannis . . ., Ursel 1570, A4v. 96  Nigrinus, Rechnung vnd Zeitregister, B2v. 97  Vgl. zum Problem: Merz, Georg Horn, 194. Nach der »zeitspezifischen Eigenart eines Zusammenhangs zwischen Theologie und Historiographie« fragt für einen späteren Zeitraum auch: Becker, Winfried, Theologische oder säkulare Geschichtsbetrachtung? Einige Überlegungen zur Zeitgeschichtsschreibung des 17. Jahrhunderts, in: Ecclesia militans. Studien zur Konzilien- und Reformationsgeschichte. FS Remigius Bäumer, hg. v. Walter Brandmüller/Herbert Immenkötter/Erwin Iserloh, 2 Bde., Paderborn u.  a. 1988, Bd. 2, 635–659, hier 640. 98  Zitiert nach: Flathe, Theodor, Sanct Afra. Geschichte der königlich sächsischen Fürstenschule zu Meißen seit ihrer Gründung im Jahre 1543 bis zu ihrem Neubau in den Jahren 1877–1879, Leipzig 1879, 59. 99  Zitiert nach: Baumgart, Peter, Universitätsautonomie und landesherrliche Gewalt im späten 16. Jahrhundert. Das Beispiel Helmstedt, in: ZHF 1 (1974), 23–53, hier 42. Daß Reineccius »expressis verbis mit theologischen Dingen nichts zu tun haben« wollte, schreibt Herding, Meibom, 10. 100  Letzner, Johannes, Historia S. Bonifacij. Der Teutschen Apostel genandt / Welcher in Düringen / Hessen / vnnd andern derselnen benachbarten Landen / Die Teufflischen vnd heidnische Götzen vmbgeworffen / zerbrochen vnd abgeschaffet / vnd an deren stadt / den Christlichen Glauben erstlich angericht . . ., Hildesheim 1602, B ij r.

3.  Luthers Geschichtstheologie

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eine enge Verbindung von Theologie und Historiographie angenommen wurde, die aber die Möglichkeit präziser Differenzierungen nicht ausschloß. Die aufgezählten Funktionen der Historiographie sind allesamt topisch; die Beispiele ließen sich problemlos vermehren. Doch es ist bereits deutlich geworden, daß lutherische Autoren der Geschichte vielfältige, sich zum Teil durchaus widersprechende Funktionen zuschrieben. Sie wurde als exegetisches Hilfsmittel, als auf rationaler Methode beruhende scientia, als Bestätigung für die Richtigkeit biblischer Vorhersagen, als apologetisches oder polemisches Instrument zur Abwehr von Vorwürfen und als Mahnung für Herrscher und Gläubige bestimmt. Damit ist, was den Ort der Historie im Denken und der Gesellschaft des 16. Jahrhunderts angeht, sinnfällig angedeutet, daß sie zwischen Gruppengedächtnis und Geschichtsschreibung, zwischen Praxisbezug und wissenschaftlicher Durchdringung changierte. Sie konnte als apologetisches, polemisches, exegetisches Instrument genutzt werden, konnte sich aber diesen Funktionalisierungen auch entziehen; dies lag sehr weitgehend im Ermessen des einzelnen Geschichtsschreibers, seinem Interesse, seiner Ausbildung und seinem Ziel.

3.  Luthers Geschichtstheologie Der maßgebliche Anknüpfungspunkt für Autoren der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die eine historische Situierung des Luthertums leisten wollten, waren die Geschichtsentwürfe der Reformatoren selbst, allen voran Luthers. Luther war kein (Kirchen-)Historiker; er hat keine systematische Konzeption von Geschichte ausgearbeitet, so daß sich die Konturen seines Geschichtsbildes nur aus vielfältigen Einzelstellen rekonstruieren lassen.101 Hier interessieren an Luthers Geschichtsbild vor allem die Elemente, die für spätere Autoren anschlußfähig waren. Denn Luthers disparate und situative Geschichtsdeutung stellte gerade in ihrer Uneindeutigkeit die verschiedenen Elemente bereit, mit denen die Autoren der zweiten und dritten lutherischen Generationen arbeiten konnten und mußten. Luther forderte, wie in Kap. B.I.2 ausgeführt, seine Mitstreiter auf, seinen Kampf gegen das Papsttum durch den 101  Vgl. als Überblicke: Brecht, Martin, »Die Historie ist nichts anderes denn eine Anzeigung göttlicher Werke«. Martin Luther und das Ende der Geschichte, in: »Wach auf, wach auf, du deutsches Land!« Martin Luther: Angst und Zuversicht in der Zeitenwende, hg. v. Evangelischen Predigerseminar, Lutherstadt Wittenberg, Wittenberg 2000, 10–24; Schmidt, Martin, Luthers Schau der Geschichte, in: Luther-Jahrbuch 30 (1963), 17–69; Headley, John M., Luther’s View of Church History, New Haven/London 1963; wegen der Eingeschränktheit der Textbasis weniger nützlich: Wriedt, Markus, Luther’s Concept of History and the Formation of an Evangelical Identity, in: Protestant History and Identity in Sixteenth Century Europe, hg. v. Bruce Gordon, 2 Bde., Aldershot 1996, Bd. 1, 31–45. Einschlägige Lutherstellen sind abgedruckt bei: Meinhold, Peter, Geschichte der kirchlichen Historiographie, 2 Bde., Freiburg/München 1967, Bd. 1, 232–255.

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historischen Aufweis der antichristlichen Tyrannei zu unterstützen. Der Kampf gegen das Papsttum war allerdings durchaus nicht die einzige Funktion, die Luther der Historie zuschrieb; andere – die geschichtstheologische Erkenntnis der Weltgeschichte oder die Orientierung an Moralexempla – sind bereits zitiert worden. Grundsätzlich spricht aus Luthers Äußerungen jedenfalls eine Hochschätzung der Geschichte, die den angeblichen Antitraditionalisten Luther in einem anderen Licht erscheinen lassen. Neuere Arbeiten haben hier den Bogen etwas überzogen: Sie konstruieren einen scheinbaren Widerspruch, nämlich einerseits die angebliche ›Traditionsfeindlichkeit‹ der Protestanten, andererseits ihre unverkennbare Beschäftigung mit der Geschichte.102 Hier liegt aber eine Begriffsunschärfe vor: Protestanten, auch Luther nicht, verwarfen nicht grundsätzlich die Vergangenheit. ›Tradition‹, die abgelehnt wurde, war zweierlei: erstens die Tradition als zweite Quelle der Offenbarung neben der Bibel, zweitens ganz bestimmte menschliche traditiones. So wird die »Hinrichtung« der Tradition durch Luthers Verbrennung der päpstlichen Dekretalen103 durch seine Beschäftigung mit der Geschichte deutlich konterkariert. Diese ist dabei keineswegs grundsätzlich traditionskritisch. Geistesgeschichtliche Kurzschlüsse im Hinblick auf eine methodisierte Kritik – im Sinne von Quellenkritik oder einer epistemologischen Skepsis gegenüber den Erkenntnismöglichkeiten der Historie – werden Luther nicht gerecht. Gegen die Vorstellung einer vollständig »sine ira et studio« geschriebene Historie kann Luther wohl fragen: »Ja, wer wolt wol historias schreiben et veritatem scribere sine magno odio?«104 Doch insgesamt vernachlässigt Luther die Historie als traditionskritisches Instrument. Sie gilt ihm als »mater veritatis«105 , aber die kritische Faktenüberprüfung tritt deutlich zugunsten der überlieferten historia zurück, deren Glaubwürdigkeit nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen wird.106 Dies entspricht im übrigen der ebenfalls 102  Vgl. einzelne Beiträge in: Protestantische Identität und Erinnerung, hg. v. Joachim Eibach/Marcus Sandl, Göttingen 2003. Ähnlich sieht schon einen Widerspruch zwischen dem sola scriptura-Prinzip und der Geschichtsbeschäftigung: Polman, L’élément historique, 539. Zur Kritik daran vgl. Backus, Historical Method, 1–5. 103  So die Interpretation von Fuhrmann, Horst, Die Fälschungen im Mittelalter. Überlegungen zum mittelalterlichen Wahrheitsbegriff, in: HZ 197 (1963), 529–554, hier 549; vgl. auch: Cameron, Euan, The European Reformation, Oxford 1991, 97. Der Bruch der lutherischen Reformation mit der mittelalterlichen Kirche wurde zumindest bis in die 1540er Jahre und zuallererst von Melanchthon relativiert, dessen Haltung lange zwischen ›Ökumenizität‹ und ›Partikularismus‹ schwankte. Vgl. Maurer, Wilhelm, Ökumenizität und Partikularismus in der Protestantischen Bekenntnisentwicklung, in: ders., Kirche und Geschichte. Gesammelte Aufsätze, 2 Bde., Göttingen 1970, Bd. 1, 186– 212. 104  WA Ti. 4, Nr. 4147. »Sine odio« ist wohl eine Formulierung, die Tacitus’ Diktum »sine ira et studio« äquivalent ist. Luther will also zum Ausdruck bringen, daß Geschichtsschreibung zwangsläufig tendenziös sei. 105  WA 2,289. 106  Vgl. Schwarz, Reinhard, Die Wahrheit der Geschichte im Verständnis der Wittenberger Reformation, in: ZThK 76 (1979), 159–190, hier 160. Gelegentlich kann Luther

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nur punktuellen, nicht aber prinzipiellen kritischen Skepsis gegenüber der überlieferten Historie, die neuerdings auch am humanistischen Pionier der Quellenkritik, Lorenzo Valla, aufgezeigt worden ist.107 Die Frage danach, ob die überlieferte Geschichte auch lügen kann, treibt Luther also nicht grundsätzlich um. Es gilt zwar: Wer das Handeln Gottes falsch einschätzt, schreibt zwangsläufig auch eine falsche Geschichte. So haben sowohl die heidnischen antiken Schriftsteller als auch »des Bapsts Heuchler« die Geschichte verfälscht.108 Aber im Zentrum von Luthers Sicht der Geschichtsschreibung steht kein quellenkritisches oder interpretatorisches Instrumentarium, sondern erst einmal das Vertrauen in die überlieferte Faktenlage. Nur vor diesem Hintergrund können bestimmte Geschichtsdarstellungen kritisiert werden. So stellt Luther den Bezug zwischen Geschichtsschreibung und Wahrheitsfrage vor allem im Rahmen seiner Kritik an der legendarischen Heiligenüberlieferung her. Bekannt ist sein Wortspiel von der »Lügende«, an das sich eine das ganze 16. Jahrhundert durchziehende konfessionelle Polemik anschloß.109 Auch den Papst – das heißt wohl: die Institution des Papsttums und dessen geistliche wie weltliche Machtanmaßung – stellt Luther als »res ficta« in einen Gegensatz zu den »res factae«, die die Historiographie eigentlich berichten soll.110 Das bedeutet wohl weniger, daß der Papst selbst eine Fiktion ist, sondern daß die Ansprüche des Papsttums auf fiktiven und daher illegitimen Grundlagen beruhen. Dem nur punktuell gebrochenen Vertrauen in die überlieferten Fakten steht allerdings der starke Zweifel gegenüber, ob der Mensch die von Gott gemachte Geschichte adäquat erfassen kann, mit anderen Worten: was die überlieferten Historien wirklich über den Ablauf der Geschichte erkennen lassen. Je mehr sich Luther also einer allgemeinen Geschichtstheorie annähert, umso weniger transparent erscheint ihm die Geschichte. Die Geschichte nicht nur der Kirche, sondern alle menschliche Geschichte ist für Luther im Anschluß an Augustin die Geschichte des Kampfes zweier ungleichrangiger Prinzipien: Gottes und des Satans, der wahren und der falschen Kirche, der civitas Dei und der civitas terresogar formulieren, man müsse den Historien »so billich gleuben [. . .], als wenn sie jnn der Biblien stünden« (WA 50,385). 107  Vgl. Kablitz, Andreas, Lorenzo Vallas Konzept der Geschichte und der Fall der Konstantinischen Schenkung. Zur ›Modernität‹ von »De falso credita et ementita Constantini donatione«, in: Historicization – Historisierung, hg. v. Glenn W. Most, Göttingen 2001, 45–67. 108  WA 50,385; siehe auch WA 50,592  f . 109  Siehe WA 50,52; vgl. auch z.  B. WA 54,109; vgl. Schnyder, André, Legendenpolemik und Legendenkritik in der Reformation: Die Lügend von St. Johanno Chrysostomo bei Luther und Cochläus. Ein Beitrag zur Rezeption des Legendars Der Heiligen Leben, in: ARG 70 (1979), 122–140; zeitlich weiter ausgreifend: Schenda, Rudolf, Die protestantisch-katholische Legendenpolemik im 16. Jahrhundert, in: AKG 52 (1970), 28–48. 110  WA 7,135  f .: »Papa enim res ficta est in mundo, neque fuit neque est neque erit sed fingitur esse.«

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na.111 »So sehr Luther die menschliche Vernunft in ihre Rechte eingesetzt hat, so kann er mit völliger Unbefangenheit davon reden, daß Gott oder der Teufel in der Geschichte handelt.«112 Daraus ergeben sich Grenzen der Verstehbarkeit der Geschichte: Gott handelt in der Geschichte, aber es ist nicht sicher, in welcher Gestalt. Wie das Kreuz den Sieg Gottes gerade durch seine Erniedrigung versinnbildlicht, so kann Gott auch in der Geschichte sub contrario handeln. »Gott verhüllt sein Tun in das Gegenteil seiner Absicht. [. . .] Die göttliche Weisheit bindet sich die Maske der Torheit vor.«113 Daher ist Gottes Handeln in der Geschichte weder eindeutig vorhersehbar noch auch in der Rückschau zu einer einheitlichen Theorie zusammenzufassen. Dies führt Luther tendenziell zu einer gewissen Zurückhaltung bei der heilsgeschichtlichen Deutung konkreter historischer Ereignisse oder Personen. Die Geschichte ist Heilsgeschichte, aber sie ist im Letzten unentschlüsselbar. Gelangt Luther auf dieser Grundlage trotzdem zu einer stringenten Beschreibung der Kirchengeschichte? Und wie hält er es mit der Vorstellung einer Verfallsgeschichte? Die Idee eines Verfalls der Kirche seit der Urkirche, der alten Kirche oder dem Spätmittelalter ist eine der bis heute prägendsten Vorstellungen lutherischer Geschichtsschreibung; nur vor dem imaginierten Hintergrund einer Dekadenz der mittelalterlichen Kirche wird die Reformation verständlich.114 Hing Luther selbst aber einer Verfallstheorie an? Die Forschung gibt auf diese Frage erstaunlich unterschiedliche Antworten. Wird auf der einen Seite behauptet, die Reformatoren hätten »die im Ansatz bereits altkirchliche, von den mittelalterlichen Opponenten der Kirche fortgebildete Verfallstheorie«115 vertreten, findet sich andererseits auch die Auffassung, daß »eine eigentliche Verfallstheorie« bei Luther, im Gegensatz etwa zu den italienischen Humanisten oder den Täufern, nicht vorliege116 . Wie ist dieser Widerspruch aufzulösen? Zunächst muß man darauf hinweisen, daß dem gelehrten Diskurs um 1500 mehrere, sich überschneidende oder widersprechende Modelle historischen Verfalls bereitstanden: Die Empfindung, daß die Welt altere und ihr Ende kurz bevorstehe, grundierte in wechselnder Intensität die spätmittelalterliche Zeiter111  Vgl. Benrath, Gustav Adolf, Art. »Geschichte/Geschichtsschreibung/Geschichtsphilosophie VII/1: 16.–18. Jahrhundert«, in: TRE 12, 630–643, hier 630. 112  Lohse, Bernhard, Martin Luther. Einführung in sein Leben und Werk, München 1981, 214; vgl. auch: May, Gerhard, »Je länger, je ärger«? Das Ziel der Geschichte im Denken Martin Luthers, in: Zeitwende 60 (1989), 208–218, v.  a. 209. Luther schreibt auch, Gott wirke »durch uns«, »vnd wir seine larven sind, vnter wilcher er sich verbirget vnd alles ynn allen wirckt« (WA 23,8). 113  Schmidt, Luthers Schau, 51  f . 114  Vgl. die metahistorischen Reflexionen bei: Markschies, Christoph, Die eine Reformation und die vielen Reformen oder Braucht evangelische Kirchengeschichtsschreibung Dekadenzmodelle?, in: ZKG 106 (1995), 70–97, v.  a. 70–75. 115  Benrath, Art. »Geschichte«, 631. 116  Lohse, Martin Luther, 217.

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fahrung. Die Auffassung des Alterns der Welt war Luther natürlich geläufig: Er berief sich hierin auf die Lehre von den vier Weltreichen und die Vorstellung, im letzten Reich zu leben. Dieser Idee vom unvermeidlichen Niedergang und Ende traten aber verschiedene Modelle eines vermeidbaren oder (teilweise) rückgängig zu machenden Niedergangs auf der Kirchen- und der Reichsebene zur Seite. Ohne das Florieren vielfältiger und nur teilweise miteinander kompatibler renovatio- und reformatio-Erwartungen, so z.  B. die sich gerade um 1500 in der Prophetie des ›Friedenskaisers‹ verdichtende Hoffnung auf Erneuerung 117, wäre Luthers rascher Erfolg kaum zu erklären.118 All diese Erscheinungen setzen mehr oder weniger eine Vorstellung von Dekadenz voraus. Das Gegenbild zur korrupten Kirche der Gegenwart ist dabei – schon zu Luthers Zeit ein Topos – die ecclesia primitiva, deren zeitliche Nähe zu Christus die relative Unverfälschtheit ihrer Lehre garantierte.119 Luthers Selbstverständnis, die richtige Auslegung der Bibel restituiert zu haben, führte ihn zu Aussagen wie: »Tantam lucem non habuimus a tempore apo­ sto­lorum«120. Äußerungen wie diese legen es nahe, Luther insgesamt eine Art geschichtstheologischen Dreischritt zu unterstellen: Nach der Zeit der Alten Kirche wurde ungefähr mit dem Jahr 500 die Kirche zur Papstkirche umgeformt.121 Diese wiederum ist klar von der reformatorischen Kirche abgegrenzt. Zwischen Alter und mittelalterlicherlicher Kirche einerseits, zwischen Mittelalter und Reformation andererseits gibt es praktisch keinen Zusammenhang mehr; dies bedeutet eine »Preisgabe der geschichtlichen Kontinuität«.122 Diese radikale Verfallstheorie, die auch in Flugschriften der frühen Reformation vertreten wurde123, wird allerdings durch andere Elemente relativiert. So ist trotz manchmal apodiktischer Aussagen kaum festzustellen, wann Luther den Niedergang der Kirche genau ansetzt und wodurch dieser ausgelöst wurde. 117  Vgl. zu verschiedenen Erneuerungsvorstellungen: Strauss, Ideas of reformatio, v.  a . 12–18; zum Friedenskaiser: Struve, Tilman, Utopie und gesellschaftliche Wirklichkeit. Zur Bedeutung des Friedenskaisers im späten Mittelalter, in: HZ 225 (1977), 65–95. 118  Vgl. Strauss, Ideas of reformatio, 18. 119  WA 50,12: »Man soll keine leer annehmen, die nicht zeugnis hat von der alten reinen Kirchen, die weil leichtlich zu verstehen, das die alte Kirch hat alle Artikel des glaubens haben müssen. Nemlich alles, so zur seligkeit nötig ist.« 120  WABr 2, 149,10. 121  »Es doch offenberlich, das die heilige Kirch on Bapst gewest, zum wenigsten vber fünff hundert iaren«: WA 50,214. 122  Stockmeier, Peter, Causa Reformationis und Alte Kirche, in: Von Konstanz nach Trient. Beiträge zur Geschichte der Kirche von den Reformkonzilien bis zum Tridentinum. FS August Franzen, hg. v. Remigius Bäumer, München/Paderborn/Wien 1972, 1– 13, hier 11  f. 123  Vgl. z.  B. Hofacker, Hans-Georg, »Vom alten und nüen Gott, Glauben und Ler«. Untersuchungen zum Geschichtsverständnis und Epochenbewußtsein einer anonymen reformatorischen Flugschrift, in: Kontinuität und Umbruch. Theologie und Frömmigkeit in Flugschriften und Kleinliteratur an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, hg. v. Josef Nolte/Hella Tompert/Christof Windhorst, Tübingen 1978, 145–177.

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Neben das schon erwähnte Jahr 500, ab dem Luther eine vollausgebildete Institution Papsttum voraussetzt, treten dabei die kaiserliche Privilegierung des Papstes Bonifaz III. im Jahre 607 durch den oströmischen Kaiser Phocas124, aber auch die Jahrhundertwenden 1000 oder 1100 oder die Publikation der päpstlichen Dekretalen.125 Daß Luther sich zur Frage des Niedergangs der reinen Lehre oder der wahren Kirche uneindeutig äußert, hängt in letzter Konsequenz damit zusammen, daß er die Geschichte – die ja sub contrario abläuft – für ein nur unvollkommenes Mittel hält, um Gottes Wege zu begreifen. Dies führt, wie gesagt, nicht zu einer theologischen Ablehnung der Historie oder gar einer methodisierten Skepsis; es ist aber deutlich, daß die biblische Grundlage durch die Historie nicht zu revidieren ist. Die einzige Gewißheit des Menschen ist seine Sündenverfallenheit, aber auch die Möglichkeit seiner Rettung; nicht ein historisches also, sondern ein anthropologisches Dekadenzmodell steht im Mittelpunkt.126 Die Relativierung des historischen Verfallsmodells korrespondiert mit dem Schriftprinzip. Denn es ist natürlich erst in zweiter Linie die Urkirche, in erster Linie aber die Bibel, die als Leitschnur für Lehre und Leben dient. Anders als manche seiner Anhänger aber vertritt Luther kein ›bibelhumanistisches‹ Dekadenzmodell, das die Vorstellung der Lehrautorität nicht nur der Bibel, sondern auch der Kirchenväter voraussetzen würde. Luthers Modell ist dagegen durch das sola scriptura-Prinzip auch in dieser Frage charakterisiert. Diese Haltung, die Luther beispielsweise in der Konzilsfrage oder gegenüber den Kirchenvätern127 einnahm, verhindert eine unzweideutige Orientierung am Ideal der Urkirche, 124  Gegen den Primatsanspruch der konstantinopolitanischen Patriarchen, so berichtet der Liber Pontificalis, habe Phocas dem römischen Bischof den Primat zugestanden. Diese Episode wird oft als Initalzündung des Papsttums gesehen und mit der Bemerkung kommentiert, daß Phocas durch Mord auf den Thron gekommen sei. 125  Vgl. Neddermeyer, Mittelalter, 34  f . Luthers Desinteresse an einer exakten Periodisierung vermerkt auch: Büttgen, Philippe, Eschatologie et temps présent chez Martin Luther, in: Metamorphosen der Zeit, hg. v. Eric Alliez u.  a., München 1999, 343–362, v.  a. 353. 126  Vgl. Markschies, Die eine Reformation, 95; Schmidt, Luthers Schau, 53. 127  Luther diskutiert dieses Problem am Beispiel des urkirchlichen Apostelkonzils. Vgl. Oftestad, Bernt Torvild, Evangelium, Apostel und Konzil: Das Apostelkonzil in der Sicht Luthers und Melanchthons, in ARG 88 (1997), 23–56; Brockmann, Thomas, Apostelkonzil und Konzilsfrage in der Reformationszeit. Zur Argumentation mit Apg 15 in der Publizistik des deutschen Sprachraums 1520–1563, in: Fördern und Bewahren. Studien zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, hg. v. Helwig SchmidtGlintzer, Wiesbaden 1996, 25–48, v.  a. 38–40; zu den Kirchenvätern vgl. Hendrix, Scott H., Deparentifying the Fathers: The Reformers and Patristic Authority, in: Auctoritas patrum. Zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert, hg. v. Leif Grane/ Alfred Schindler/Markus Wriedt, Mainz 1993, 55–68. Während also Luther die Bibel zum alleinigen Referenzpunkt erhebt, verschiebt sich dies in der lutherischen Diskussion des 17. Jahrhunderts im Rahmen der kontroversen Diskussion um den consensus quinquesaecularis Georg Calixts. Vgl. Böttigheimer, Christoph, Zwischen Polemik und Irenik. Die Theologie der einen Kirche bei Georg Calixt, Münster 1996, 300  f.

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gegen die die mittelalterliche Kirche scharf abzusetzen wäre: Der ecclesia primitiva kann vor dem Hintergrund des Schriftprinzips keine eindeutige Ausnahmequalität zugeschrieben werden. Luther sieht seine eigene Lehre und die sich aus ihr entwickelnde Kirche durchaus in der Kontinuität der Alten Kirche, setzt beide aber nicht ohne Einschränkungen gleich.128 Einer allzu eindeutigen Verfallstheorie bei Luther steht auch entgegen, daß er der Papstkirche des Mittelalters bei schärfster Ablehnung doch nicht abspricht, Kirche zu sein: Zumindest partiell geht er von einer Kontinuität der Kirche durch die letzten tausend Jahre aus, die sich auch unter der päpstlichen Tyrannei in der Taufe, in der Heiligen Schrift, in Sündenvergebung und Absolution, in Abendmahl, Priesteramt und Gebet manifestiert hat.129 Luther lokalisiert die Kontinuität also in den notae ecclesiae, der Aufrechterhaltung von Sakramenten und Praktiken, »not in a chain of martyrs, as would the radicals«130. Die wahre Kirche ist als »creatura verbi« unter der falschen verborgen; eine absolute Scheidung zwischen beiden ist unmöglich.131 Die Reformation bringt keine Neuerung; sie nimmt statt dessen die Tradition der vera ecclesia auf, während die Papstkirche zur falsa ecclesia, zur Kirche Kains geworden ist.132 Dies nimmt ihr nicht ihren Status als Kirche; aber die Babylonische Gefangenschaft, in der das Papsttum die vera ecclesia als Geisel genommen hat, macht in letzter Konsequenz den Auszug aus der Papstkirche und damit auch eine Bekenntnisentwicklung außerhalb ihrer legitim und sogar notwendig.133 Eine stringente Verfallstheorie findet sich bei Luther also nicht: Dem stehen sowohl die Auffassung entgegen, Gott handele sub contrario, als auch die Ausrichtung am Schriftprinzip, schließlich die Tatsache, daß Luther den Katholiken nicht die Kennzeichen einer Kirche abspricht, aber ihnen vorwirft, abtrünnig geworden zu sein. Wenn es aber keine kontinuierliche Dekadenz der Kirche gibt, worin besteht dann Luthers Angriff auf die Geschichte der katholischen Kirche? Die Antwort lautet, verkürzt gesagt: In der Identifizierung der Institution Papsttum mit dem Antichristen. Diese Position würde verharmlost, wenn man sie in erster Linie als propagandistisch und polemisch einstufte134, 128  Vgl. Oftestad, Evangelium, 29; Wagner, Harald, An den Ursprüngen des frühkatholischen Problems. Die Ortsbestimmung des Katholizismus im älteren Luthertum, Frankfurt a.  M. 1973, 15. 129  Headley, Luther’s View, 220; Lohse, Martin Luther, 201  f . 130  Headley, Reformation, 16. 131  Vgl. WA 6,560; Kühn, Ulrich, Art. »Kirche VI«, in: TRE 18, 262–277, hier 263. 132  Vgl. WA 51,469  f f., v.  a . 477  f .; siehe dazu auch: Brecht, Martin, Martin Luther, 3 Bde., Bd. 3: Die Erhaltung der Kirche 1532–1546, Stuttgart 1987, 219  f f.; Congar, Yves, Ecclesia ab Abel, in: Abhandlungen über Theologie und Kirche. FS Karl Adam, hg. v. Marcel Reding, Düsseldorf 1952, 79–108. 133  Vgl. Maurer, Ökumenizität und Partikularismus, 202. 134  So tendenziell Hillerbrand, Hans J., Von Polemik zur Verflachung. Zur Problematik des Antichrist-Mythos in Reformation und Gegenreformation, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 47 (1995), 114–125, hier v.  a. 124. Daß die Antichrist-

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führt sie doch ins Zentrum von Luthers apokalyptisch geprägtem historischen Selbstverständnis. Sein Kampf gilt nicht einzelnen Papstgestalten, sondern der Institution als ganzer. Das Motiv dafür ist nicht moralisch, sondern exegetisch und geschichtstheologisch.135 Das Papsttum erscheint damit nicht mehr als »einer von den ›vielen Antichristen‹, die vor dem eigentlichen Antichristen kommen [. . .], oder auch nur sein ›letzter Vorläufer‹«136 , wie Luther bis 1520 angenommen hatte. Damit war die Endzeit angebrochen. Die Endzeitdiagnose hat Folgen für Luthers Selbstverständnis, auch und gerade in historischer Hinsicht. Luther verstand sich selbst primär als Prediger und Exeget, der gerade durch die Restitution des reinen Gotteswortes die Ankunft Christi beschleunige, nicht aber als Erneuerer der Kirche oder als Reformator im Sinne moralischer Besserung.137 Meist bewahrte er eine auffällige Distanz gegenüber der von seinen Anhängern ausgehenden Stilisierung zur heilsgeFigur natürlich in hohem Maße polemisch genutzt werden konnte, hat Scribner an der frühreformatorischen Flugschriftenpropaganda gezeigt. Vgl. Scribner, R.W., For the sake of simple folk. Popular Propaganda for the German Reformation, Oxford 1994, 148–199. 135  Vgl. Russell, William R., Martin Luther’s Understanding of the Pope as the Antichrist, in: ARG 85 (1994), 32–44; Leppin, Antichrist, 214–220. Die nicht einleuchtende These, daß die Eschatologie Luthers durch seine Orientierung an der Institution Papsttum gegenüber dem Mittelalter an Konkretheit verliert und damit weniger überzeugend geworden sei, liest man bei: Haeusler, Martin, Das Ende der Geschichte in der mittelalterlichen Weltchronistik, Köln/Wien 1980 (Beiheft AKG 13), 178. Zur mittelalterlichen Polemik, die meist den einzelnen Papst, selten die Institution angreift, siehe Heimann, Heinz-Dieter, Antichristvorstellungen im Wandel der mittelalterlichen Gesellschaft. Zum Umgang mit einer Angst- und Hoffnungssignatur zwischen theologischer Formalisierung und beginnender politischer Propaganda, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 47 (1995), 99–113. 136  Seifert, Arno, Der Rückzug der biblischen Prophetie von der neueren Geschichte. Studien zur Geschichte der Reichstheologie des frühneuzeitlichen deutschen Protestantismus, Köln/Wien 1990, 7. Ebd., 18, der Hinweis, daß auch die Türken für Luther Züge des Antichristen tragen, aber nur der Papst der endzeitliche »Endchrist« ist. Insofern macht Luther eine deutliche hierarchische Abstufung zwischen beiden Antichristen. Der »Teuffel des Bapstes« sei »etwas grosser [. . .] denn des Turken teuffel« (WA 51,599) bzw. »papa est spiritus Antichristi, et Turca est caro Antichristi« (WA Ti. 1, 135,330). In dezidierter Abwehr des päpstlichen Antichristen und seiner spanischen Bundesgenossen konnte Luther sogar gelegentlich formulieren, »tolerabilius esse uiuere sub Turca quam Hispanis«, denn die Türken würden, sei ihre Herrschaft einmal befestigt, wenigstens Gerechtigkeit walten lassen; »sed hispanos plane esse bestias« (WA Ti. 3,382). Vgl. zum Türkenbild Luthers Vogler, Günther, Luthers Geschichtsauffassung im Spiegel seines Türkenbildes, in: 450 Jahre Reformation, hg. v. Leo Stern/Max Steinmetz, Berlin (-Ost) 1967, 118–127. Daß Luther im Vergleich mit Melanchthon bisweilen skeptischer gegenüber einer allegorisierend-zeitgeschichtlichen Deutung der prophetischen Bücher ist, führt aus: Volz, Hans, Beiträge zu Melanchthons und Calvins Auslegungen des Propheten Daniel, in: ZKG 67 (1956/57), 93–118. 137  Vgl. Oberman, Vorläufer, 171; Günter, Wolfgang, Die geschichtstheologischen Voraussetzungen von Luthers Selbstverständnis, in: Von Konstanz nach Trient. Beiträge zur Geschichte der Kirche von den Reformkonzilien bis zum Tridentinum. FS August Franzen, hg. v. Remigius Bäumer, München/Paderborn/Wien 1972, 379–394, hier 386.

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schichtlichen Figur. Signifikant ist in diesem Kontext der doppelte Gebrauch des Begriffs der ›Reformation‹ bei Luther. Einerseits bezeichnet er damit eine kurzfristige, pragmatische Besserung der kirchlichen oder staatlichen Verhältnisse. Damit kann er auch mittelalterlichen Reformversuchen, beispielsweise der konziliaren Bewegung, ein historisches Recht einräumen und sich in diesem Sinne selbst manchmal als Reformator bezeichnen.138 Andererseits ist mit ›Reformation‹ die Gottestat gemeint, die am Ende der Geschichte steht und den Jüngsten Tag heraufführt. Der Auszug aus der Gefangenschaft in der Papstkirche ist unter dieser Perspektive noch nicht selbst Reformation, sondern nur deren Voraussetzung: Gott selber wird der Reformator der Welt sein: Wir, so schreibt Luther, sind die letzte Posaune vor dem Endgericht.139 Schon von diesen Erwägungen her muß Luthers Apokalyptik in traditionell augustinischen Bahnen verlaufen: Weil er nicht an die innerweltliche Heraufführung des Gottesreiches glaubt, sieht er sich selbst am Ende der Zeit und nicht, wie Chiliasten dies tun würden, am Beginn des Milleniums. Für Luther sind die 1000 Jahre abgelaufen, in denen der Antichrist gebunden war, für Chiliasten stehen sie bevor. Mit diesen teilt Luther ein ausgesprochenes Sendungsund »Werkzeugbewußtsein«140 , aber er sieht sich nicht als denjenigen, der das Gottesreich zum Anbruch bringen könnte. Die letzte Zeit ist gekommen, weil und indem das Evangelium wieder rein verkündet wird. Diesem allein kommt die heilsgeschichtlich entscheidende Rolle zu, nicht Luther selbst als Reformator: »Das ist nu diese letzte vnd vnsere zeit, da das Evangelium erschollen ist, vnd schreiet wider den Bapst«.141 Wann genau die katholische Kirche vom rechten Weg abkam oder wann genau der Antichrist sich im Papsttum einnistete, interessiert ihn dabei weniger als die Tatsache, daß das Ende nah ist.142 »Ich aber fur mich lasse mir daran genügen, das der Jüngste tag fur der Thür sein mus, Denn die Zeichen, so Christus verkündiget, vnd die Apostel Petrus vnd Paulus, sind nu fast alle geschehen. Vnd die Bewme schlahen aus, die Schrifft grunet und blühet. Ob wir den Tag nicht so eben wissen koennen, ligt nicht dran, Ein andrer mache es besser, Es ist gewislich alles am Ende.«143

Diese Endzeitprognose steht interessanterweise nicht im Kontext von Luthers Deutung der Johannesoffenbarung, sondern in seinem Kommentar zum Buch   Vgl. Oberman, Vorläufer, 173; Strauss, Ideas of reformatio, 18  f.   Luther schreibt 1545: »Nisi quod credo nos esse tubam illam nouissimam, qua praeparatur et praecurritur adventui Christi« (WA Br. 11,59). Dieses Selbstverständnis ist zentral für Luthers immer offensiveres Auftreten gegenüber der römischen Kirche ab 1520: »Die Geschichtstheologie und das Antichristurteil machten Luther 1520 zum Revolutionär«, formuliert Selge, Kurt-Victor, Das Autoritätengefüge der westlichen Christenheit im Lutherkonflikt 1517 bis 1521, in: HZ 223 (1976), 591–616, hier 611. 140  Günter, Luthers Selbstverständnis, 382. 141  WA DB 11/2,103. 142  Vgl. Seebass, Gottfried, Art. »Antichrist IV«, in: TRE 3, 28–43, hier 30. 143  WA DB 11/2,125. 138 139

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Daniel. Dabei benötigt die danielische Universalgeschichte, um zur Vorhersage des Endes zu kommen, weder genuin religiöse Reformbewegungen noch den Papst (vgl. Kap. B.IV.). Doch Luther gelingt es durch die exegetische Einfügung des Papstes in das überkommene Schema der vier Weltreiche, deren letztes bis zum Weltende reichen wird, die Notwendigkeit der Reformation vor dem Ende des römischen Reiches zu begründen.144 In welcher Weise bezieht sich Luther auf mittelalterliche Vorläufer, in welche Tradition stellt er sich? Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß es Luther nicht darum geht, eine lückenlose Kette evangelischer Lehrer von der Urkirche bis zur Reformation zu formulieren. Dies blieb als Aufgabe seinen Nachfolgern überlassen (vgl. Kap. B.V.4) Zwar gibt es bei Luther Passagen, die an eine kontinuierliche Reihe von Streitern des rechten Glaubens denken lassen145 , aber im ganzen sind es einzelne unsystematische Bezugnahmen meist auf mittelalterliche Theologen, denen die veritas evangelica oder doch einzelne schriftgemäße Lehren zugeschrieben werden. Dies sind beispielsweise die »sechs Vorreformatoren« Hus, Wyclif, Pupper von Goch, Johann Wesel, Wessel Gansfort und Savonarola.146 Daneben treten andere wie Johannes Tauler oder Lorenzo Valla, dessen Kritik an der Konstantinischen Schenkung Luthers Ansicht, der Papst sei der Antichrist, noch untermauert.147 Doch ist schwer zwischen einer nur punktuellen, gleichsam tagespolitischen Solidarisierung und einer grundsätzlichen Übereinstimmung zu unterscheiden. Insgesamt läßt sich aber eine Tendenz feststellen, den mittelalterlichen Kirchenreformern das Motiv der reformatio vitae zu unterstellen, für sich selbst aber die reformatio doctrinae zu reklamieren. Luther schreibt dabei der Richtigkeit der Lehre einen unverhältnismäßig höheren Stellenwert zu als einer moralisch einwandfreien Lebensführung: »Den wo die lehre falsch ist, do kan dem leben nicht geholffen werden.«148 Insofern sind die Kirchenreformer des Mittelalters zwar schätzenswert; aber sie haben es ver-

144  Vgl. WA DB 11/2,81: In Daniel 11, 40 heißt es, ein König aus Mitternacht (der Papst) würde gegen den aus Mittag (Christus) kämpfen. 145  Vgl. z.  B. WA Ti. 5,23  f . 146  Vgl. Benrath, Vorreformatoren. Detailliert werden die unterschiedlichen Bezugnahmen des frühen Luther auf mittelalterliche Kirchenlehrer und Konzilien dargestellt bei Köhler, Walther, Luther und die Kirchengeschichte, Erlangen 1900 (ND Hildesheim 1984). Daß die sechs Vorreformatoren in der lutherischen Geschichtsschreibung insgesamt nicht annähernd eine so große Rolle spielen, wie Benrath annimmt, wird sich im Laufe der Arbeit erweisen. 147  Vgl. Benrath, Einleitung, XII–XIII. Luther bezeichnet sich en passant (WA 18, 640) auch einmal als eine Kombination aus Wyclif und Valla. Zur Valla-Rezeption bei altgläubigen und reformatorischen Humanisten vgl. Antonazzi, Giovanni, Lorenzo Valla e la polemica sulla donazione di Constantino, Roma 1985, 146  f. 148  WA 47,290. Vgl. auch z.  B. WA Ti. 1, 439,23–26; WA Ti. 9,19  f .; WA Ti. 5, 654,30– 33; Oberman, Forerunners, 9: »Luther’s understanding of the reformation is explicitly and consciously not a protest against papal or general ecclesiastical abuses.«

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säumt, den zentralen Punkt, nämlich die Reformation der Lehre, in Angriff zu nehmen. Bemerkenswert erscheint trotzdem, daß Luther selbst sich immer wieder z.  B. auf Bernhard von Clairvaux bezog, nicht kritiklos, aber doch insgesamt, beispielsweise hinsichtlich seiner christozentrischen Frömmigkeit, positiv.149 Schon dieses Beispiel zeigt, daß Luther seine Bundesgenossen nicht nur in ausgegrenzten oder randständigen Gestalten der Kirchengeschichte fand. Während aber die einzelnen mittelalterlichen Theologen, von denen bisher die Rede war, für Luther zwar Teile oder sogar die Gesamtheit der richtigen Lehre vertreten haben, aber nicht im Rahmen einer gottgewollten Geschichtsbewegung gedeutet werden, an deren Höhepunkt Luther selbst steht, verhält es sich mit der humanistischen Bewegung und mit Jan Hus anders. Im Humanismus sieht Luther – wenn auch nicht durchgängig – eine die Restitution des Evangeliums vorbereitende Bewegung. Der Text, der dabei am weitesten geht, ist die Ratsherrenschrift, also Luthers Forderung einer durchgreifenden Erziehungsreform. In diesem Text erscheint die reformatorische Bewegung geradezu als Erfüllung des Humanismus – mit engem Bezug zum Welt­ ende: »Niemant hat gewust, warumb Gott die sprachen erfür lies komen, bis das man nu allererst sihet, das es vmb des Evangelio willen geschehen ist, wilchs er hernach hat wöllen offinbarn vnd da durch des Endchrists regiment auf decken vnd zu stören. Darumb hat er auch kriechen land dem Türcken geben, auff das die kriechen verjagt vnd zu strewet die kriechische sprach aus brechten und eyn anfang würden, auch andere sprachen mit zu lernen.«150

Genau wie der Niedergang der Sprachen dem Niedergang des Evangeliums entsprochen, vielleicht diesem auch vorgearbeitet hat, entspricht ihre Wiederkehr der Rückkunft der wahren Lehre. Die »Heilstatsache der Wiederentdeckung des Griechischen und Hebräischen«151 ist also nicht etwa zufällig in dieselbe Zeit gefallen wie die Restitution der Religion. Zufälle dieser Art gibt es 149  Vgl. zum komplizierten Verhältnis Luthers zu Bernhard: Lohse, Bernhard, Luther und Bernhard von Clairvaux, in: Bernhard von Clairvaux. Rezeption und Wirkung im Mittelalter und in der Neuzeit, hg. v. Kaspar Elm, Wiesbaden 1994, 271–301 und Bell, Theo M.  M.  A.C., Die Rezeption Bernhards von Clairvaux bei Luther, in: ARG 90 (1999), 72–102. 150  WA 15,37. 151  Die Formulierung stammt von Alfred Schindler, der aber übertreibt, wenn er schreibt: »Die Kenntnis von Griechisch und Hebräisch wird in dieser Schrift derart hoch eingeschätzt, daß man sich stellenweise fragt, ob eigentlich die reformatorische Wiederentdeckung des lauteren Gotteswortes nicht geradezu verblasse vor der Tatsache – man könnte fast sagen: Heilstatsache – der Wiederentdeckung des Griechischen und Hebräischen in der damaligen Gegenwart.« Vgl. Schindler, Alfred, Schriftprinzip und Altertumskunde bei Reformatoren und Täufern. Zum Rückgriff auf Kirchenväter und heidnische Klassiker, in: Theologische Zeitschrift 49 (1993), 229–247, hier 244.

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für Luther bei Gott nicht, denn »der heylige geyst ist keyn narre, gehet auch nicht mit leichtfertigen vnnötigen sachen vmb«152 . In sehr viel expliziterer Weise ist Hus ein ›Vorläufer‹ des Reformators. In Hus’ Lehre, vor allem aber in seinem Martyrium ist der päpstliche Antichrist zuerst offenbart worden. Hus ist nicht nur Vorbereiter, er ist apokalyptischer Vorläufer Luthers und v.  a. Christi.153 Die Einschätzung, in der Endzeit zu leben, hat zwar nicht nur mit Hus zu tun, bezieht sich aber in klarer Weise auch auf ihn. Wenn auch, wie dargestellt, eine eindeutige Theorie von Verfall und Wiederaufstieg der reinen Lehre bei Luther nicht zu finden ist, so liegt doch die Annahme nahe, daß er das tausendjährige Reich, die verfolgungslose Zeit, mit Hus bereits als beendet ansah. Die sich aus disparaten Quellen speisende Vorstellung, Hus habe Luther prophezeit und sich selber als Gans, seinen Nachfolger aber als singenden Schwan bezeichnet, scheint partiell von Luther selbst angestoßen und in seinem Umkreis positiv aufgenommen worden zu sein.154 Luther funktionalisierte Hus damit bewußt als Glied des heilsgeschichtlichen Kontinuums, in das er auch sich selber eingeordnet sah.155 Luthers Endzeitbewußtsein und die Entdeckung, daß der Papst der Antichrist sei, hängen nach Oberman eng mit Luthers Einschätzung von Jan Hus zusammen. Dieser stelle ekklesiologisch und hinsichtlich der Rechtfertigungslehre eine zentrale Referenz dar, der sich vor allem der junge Luther nahe fühlte, ohne die Differenzen zu übersehen.156 Darüber hinaus spiele Hus für Luther aber eine Rolle im endzeitlichen Kampf der wahren Lehre gegen den päpstli152  WA 15,39. Ähnlich sieht Luther den Buchdruck als letztes Gottesgeschenk vor dem Weltende: »So hatt vns Gott die druckerey dartzu geschenckt, praecipue ad premendum papam.« (WA Ti. 4,437); vgl. Flachmann, Holger, Luther und das Buch. Eine historische Studie zur Bedeutung des Buches im Handeln und Denken des Reformators, Tübingen 1996, 192 und 319. 153  Auch die Konzeption apokalyptischer »Vorläufer« Christi ist nicht neu. Sie findet sich bereits um 1500 bei dem Chiemseer Bischof Berthold Pürstinger. Vgl. Milway, Michael, Apocalyptic Reform and Forerunners of the End. Berthold Pürstinger, Bishop of Chiemsee († 1543), in: Zeitsprünge 3 (1999), 316–327. 154  Vgl. Hauffen, Adolf, Husz eine Gans – Luther ein Schwan, in: Untersuchungen und Quellen zur germanischen und romanischen Philologie. Johann von Kelle dargebracht von seinen Kollegen und Schülern. Zweiter Teil, Prag 1908 (ND Hildesheim 1975), 1–28. 155  Vgl. Roloff, Hans-Gert, Die Funktion von Hus-Texten in der Reformations-Polemik, in: De captu lectoris. Wirkungen des Buches im 15. und 16. Jahrhundert dargestellt an ausgewählten Handschriften und Drucken, hg. v. Wolfgang Milde/Werner Schuder, Berlin/New York 1988, 219–255, hier 240  f. 156  Vgl. Hendrix, Scott H., »We Are All Hussites«? Hus and Luther Revisited, in: ARG 65 (1974), 134–161. Siegfried Hoyer sieht die theologischen Übereinstimmungen für weniger wichtig an; er konstatiert v.  a. beim späten Luther eine identifikatorische HusRezeption, die dogmatisch nicht sehr weit reiche. Vgl. Hoyer, Siegfried, Luther, Hus und »die Böhmen«, in: Luther mit dem Schwan – Tod und Verklärung eines großen Mannes. Katalog zur Ausstellung in der Lutherhalle Wittenberg vom 21. Februar bis 10. November 1996, Berlin 1996, 13–20.

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chen Antichristen. Die politisch höchst unkluge Solidarisierung mit dem verurteilten Ketzer Hus war für Luther Ausdruck seiner Erkenntnis, daß die »klare evangelische Wahrheit [. . .] vor mehr als hundert Jahren verbrannt«157 wurde: Denn nachdem Kaiser Ludwig der Bayer dem Papsttum den ersten »Stoß« versetzt hatte, blieb es Hus vorbehalten, dessen ganze Antichristlichkeit zu enthüllen: »Aber dieser stoß war das praeludium, vorspiel, vnd Christus stimmet da mit an, den rechten Stos, den gab dem Bapst S. Johannes Hus, vnd ward druber verbrannt.«158 Damit hat sich der Antichrist zu erkennen gegeben: »Vnd hie sehen wir, das nach dieser Zeit, so der Bapst offenbart, nichts zu hoffen noch zu gewarten ist, denn der welt ende vnd aufferstehung der Todten.«159 Hus habe die Widerchristlichkeit des Papsttums aufgedeckt; in dieser Hinsicht kann Luther voll und ganz an ihn anschließen.160 Die Umkehrung der überkommenen Hus-Bewertung – vom Ketzer zum Heiligen und Märtyrer – ist nur denkbar vor dem Hintergrund dieser »zweiten reformatorischen Entdeckung«: »Auch die Vorläuferfunktion von Hus ist endzeitlich zu verstehen. In diesen letzten Tagen schickt Gott Elias, Elisa ›oder andere Propheten‹, um mit seinem Wort die Zeichen der Zeit zu deuten.«161 Daß es das Konstanzer Konzil und nicht der Papst war, das Hus verurteilt hat, kann Luthers Entdeckung nicht schmälern: Konsequenterweise sah er in der Konstanzer Verurteilung die Kurie am Werk.162 Angenommen selbst, die Identifizierung des Papsttums als Antichrist sei »keines der zentralen Themen seiner Theologie«163, war die enge Verknüpfung historischer Reflexion mit apokalyptischer Erwartung bei Luther ein von nun an wirkungsmächtiger Komplex reformatorischer Geschichtsdeutung: »The image of the Antichrist was central to Luther’s eschatological understanding. Perhaps more than any other single idea, it gave shape to his vision of church history and of his own times.«164 Insgesamt ergibt sich also ein komplexes Bild, das sich nicht in einfache Formeln von Verfall und Reformation, von identifikatorischem Anschluß und harscher Verketzerung fassen läßt. So steht z.  B. die Vorstellung, mit der eigenen Theologie die alte Lehre restituiert zu haben – ein legitimatorisches Altersargument also – neben der Idee des Anbruchs einer neuen Epoche der Weltgeschichte, die qualitativ anders bestimmt ist als alle vorherigen Epochen, weil sie die letzte ist.   Oberman, Hus und Luther, 336.   WA DB 11/2,85. 159  WA DB 11/2,113. 160  Leppin, Antichrist, 104: »Die Nähe des Endes liegt nicht am Auftreten des Antichrist, sondern an seiner Offenbarung«. 161  Oberman, Hus und Luther, 341 mit Verweis auf WA 26,123, 16–23. 162  Vgl. Oberman, Hus und Luther, 332. 163  Seebass, Art. »Antichrist IV«, 31. 164  Barnes, Prophecy and Gnosis, 44. 157 158

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Die oft uneindeutige Haltung, die Luther zur Kirchengeschichte einnimmt, kennzeichnet auch seinen Zugang zur Profangeschichte. Luther klagt zwar, der deutschen Nation fehle es an Geschichtsbüchern, die ihre Frühzeit berichteten, und durch die daraus folgende Ignoranz sei die deutsche Unterordnung unter Italien und Rom mitbegründet worden.165 Aber seine Haltung zum nationalen Anliegen der Reformation bleibt auch hier auf eine punktuelle Polemik beschränkt. Genausowenig wie Luther die Wiederentdeckung der reinen Lehre vollständig zu einem exklusiv nationalen Ereignis stilisiert, so wenig liegen ihm ausschließlich nationale Historien, etwa aus dem Umkreis des Humanismus, am Herzen. Ausgehend von seiner Orientierung aller Geschichte an der Bibel zieht Luther letztlich den Nationalgeschichten die prophetisch fundierte Universalgeschichte vor.166 Daher ist für ihn wie für die ihm folgenden Autoren das Jahr 800 ein zentrales Datum: Die Krönung Karls des Großen zum römischen Kaiser brachte die römische Kaiserwürde an die Deutschen. Damit wurde das letzte Weltreich gerettet, und den deutschen Kaisern fiel eine spezifische geschichtstheologische Rolle zu. Allerdings bleibt Luther in seinen verschiedenen Äußerungen auch zu diesem Thema ambivalent: Kann er nämlich einerseits die dargestellte Translationsthese vertreten, dient ihm in anderen Kontexten die Krönung Karls des Großen dazu, den Beginn weltlichen Machtstrebens durch die Päpste zu konstatieren. Nach dieser zweiten Interpretation ist die translatio vom Papst, der selbst nach weltlicher Macht strebte, nur vorgetäuscht worden: In Wirklichkeit blieb Ostrom die vierte Weltmonarchie167, und das Reich wurde bestenfalls zu einem ›zweiten‹ römischen Reich. Die dabei nie in Frage gestellte Dignität Karls des Großen leitet Luther aus dessen politischer Verständigung mit dem oströmischen Reich, seiner persönlichen Größe, v.  a. aber aus Gottes Gnade ab.168 Letztlich läßt Luther also offen, ob das deutsche Reich das römische sei. Allerdings ist die Vorgeschichte dieses religio-politischen Interpretaments zu prägend, als daß Luthers zweifelnde Haltung den allgemeinen Glauben daran, in der letzten Weltmonarchie zu leben, ernsthaft gefährdet hätte. Der lutherische Versuch, die Historiographie als Identitätsdiskurs zu funktiona  Vgl.WA 50,384.   Vgl. Ridé, Jacques, L’image du Germain dans la pensée et la litterature allemandes de la redécouverte de Tacite à la fin du XVIéme siècle. Contribution à l’étude de la  génèse d’un mythe, 3 Bde., Lille/Paris 1977, Bd. 2, 694. 167  Luther artikulierte auch, Rom sei überhaupt untergegangen, und an seine Stelle seien die antichristlichen ›regna‹ des Papstes und der Türken getreten – eine Theorie Luthers, die sich unter seinen Anhängern nicht durchsetzte. Vgl. Seifert, Rückzug, 20; Staats, Reinhart, Orosius und das Ende der christlich-römischen Universalgeschichte im Zeitalter der Reformation, in: Auctoritas Patrum II. Neue Beiträge zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert, hg. v. Leif Grane/Alfred Schindler/Markus Wriedt, Mainz 1998, 201–221, hier 218. 168  Vgl. WA 54,296–98; vgl. zum Gesamtkomplex Ridé, L’image du Germain, Bd. 2, 695–699. 165 166

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lisieren, mußte in der Folge mit dieser und anderen Spannungen und unaufgelösten Widersprüchen umgehen. Die große Mehrzahl der Lutheraner jedenfalls gab sich insgesamt entschieden eindeutiger als ihr Vordenker. Diese Glättung von aus situativen Einzelaussagen resultierenden Ambivalenzen Luthers hin zu stringenten und lückenlosen Interpretationen wird generell zu einem Charakteristikum der sich konsolidierenden lutherischen Geschichtsschreibung.

4.  Vorreformatorische Quellen, nachreformatorische Historiographie oder: Die Konfession des Kompilators Luthers Geschichtsauffassung war ein wichtiger inhaltlicher Ausgangspunkt lutherischer Historiographie. Doch wie verhielt es sich mit den formalen Aspekten der Geschichtsschreibung, mit der Praxis des Geschichte-Schreibens? Hier bestand das Problem, daß ein neuer Inhalt oder eine neue Wertung in aller Regel in tradierten historiographischen Schreibzusammenhängen formuliert werden sollte oder mußte. Die lutherische Geschichtsschreibung war selten originell und originär. In den allermeisten Fällen handelte es sich, unabhängig vom Gattungszusammenhang, um Geschichtsschreibung aus zweiter Hand. Eine Hauptpraxis der Historiographie des 16. Jahrhunderts war die Kompilation, die im Sammeln und Verwerten der angesehensten Autoren bestand.169 Viele Geschichtswerke des 16. Jahrhunderts waren ganz oder teilweise Übersetzungen, Überarbeitungen oder Fortschreibungen, archivalische Quellen wurden dagegen selten benutzt.170 Dabei verschwammen die Grenzen zwischen einer Kompilation und einer Überarbeitung eines Werkes mit Hilfe anderer Werke. Im einen Extremfall übernahm der Kompilator Passagen aus seinen Vorlagen wortwörtlich, wob sie ineinander und schrieb bestenfalls Zwischentexte; im anderen Extremfall stellte er er seinem Werk nur eine lange Autorenliste voran, die noch genügend Spielraum für das Entfalten einer eigenen Perspektive ließ. Die durch den Buchdruck gewonnene Möglichkeit, Bücher in hoher Zahl und teilweise offenbar mit finanziellem Gewinn auch ein zweites oder drittes Mal auf den Markt zu bringen, wurde oft genutzt. 169  Vgl. Völkel, Markus, Theologische Heilsanstalt und Erfahrungswissen: David Chyträus’ Auslegung der Universalhistorie zwischen Prophetie und Modernisierung, in: David Chyträus (1530–1600). Norddeutscher Humanismus in Europa. Beiträge zum Wirken des Kraichgauer Gelehrten, hg. v. Karl Heinz Glaser/Steffen Stuth, Ubstadt-Weiher 2000, 121–141, hier 124. 170  Als ein Beispiel für eine reformatorische Fortführung vgl. Droste, Heiko, Die  Soester Fehdechronik und ihre Überarbeitung in der Reformation. Eine Rezeptionsgeschichte, in: Soester Zeitschrift. Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Heimatpflege Soest 103 (1991), 39–63.

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Die Kompilation hatte sich im Bereich gelehrter Bildung und auch in der Geschichtsschreibung seit dem Hochmittelalter etabliert. Ihre Hochschätzung als gelehrte Praxis entsprach der allgemeinen Autorität, die der Vergangenheit im allgemeinen und herausragenden Autoren im besonderen entgegengebracht wurde: Insofern diente sie zunächst der Selbsteinordnung in ein Wissenskontinuum und einer affirmativen Haltung zur Tradition.171 Den auctores wurde dabei eine Autorität zugesprochen, die der Kompilator selbst gar nicht anstrebte. Seine Leistung lag vielmehr in der Zusammenstellung der geeigneten Referenzstellen, die zum Beispiel für den schulischen Unterricht von Bedeutung waren.172 Während aber im Hochmittelalter legitimierende Reflexionen zur Kompilationspraxis ausgearbeitet wurden173, kamen die meisten der im folgenden behandelten lutherischen Autoren ohne eine Theorie der Kompilation aus. Die Kompilationspraxis war in hohem Maße schlicht den schulischen Vorgaben zum Exzerpieren und Memorieren von ›Stellen‹ verpflichtet.174 Diese loci-Methode brachte Autoren, die nicht die stilistische Geschlossenheit humanistischer Historiographie anstrebten, zum kompilatorischen Schreiben (vgl. auch Kap. B.IV.7). In diesem Zusammenhang ist die auch andernorts aufgeworfene Frage nach der »spezifischen Originalität des Kompilators«175 von Interesse. Denn es ist ja fraglich, ob es möglich war, einen originären Identitätsdiskurs für die eigene Konfessionsgruppe zu führen, wenn man gleichzeitig primär auf vorreformatorischen Geschichtserzählungen auf baute. Wie konnte ein Historiograph, der sich in hohem Maße auf bereits vorliegende Geschichtswerke stützt, überhaupt eine spezifisch lutherische Sicht der Geschichte entwickeln? Wie machte ein Kompilator sein eigenes konfessionelles Profil deutlich? Es geht also um das Problem der Konfession des Kompilators. Wenn lutherische Autoren sich auch selten ausführlich zur Kompilationspraxis äußern, gibt es doch hin und wieder Passagen, in denen sie ihre Sammelund Kompiliertätigkeit legitimieren. Ein gängiges Argument ist die schiere

171  Vgl. Müller, Jan-Dirk, Zur Einführung. Sebastian Franck: der Schreiber als Kompilator, in: Sebastian Franck (1499–1542), hg. v. Jan-Dirk Müller, Wiesbaden 1993, 13–38, hier 17. Vgl. allgemein auch: Gierl, Martin, Kompilation und die Produktion von Wissen im 18. Jahrhundert, in: Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit, hg. v. Helmut Zedelmaier/Martin Mulsow, Tübingen 2001, 63–94. 172  Vgl. Melville, Kompilation, 140. 173  Vgl. Minnis, Alastair J., Late medieval Discusssions of compilatio and the Rôle of the Compilator, in: Beiträge zur Geschichte der dt. Sprache und Literatur 101 (1979), 385–421. 174  Vgl. zur Exzerpierpraxis kurz Brückner, Historien und Historie, 82  f . 175  Vogel, Klaus A., Hartmann Schedel als Kompilator. Notizen zu einem derzeit kaum bestellten Forschungsfeld, in: Pirckheimer Jahrbuch 1994, 73–97, hier 77. Ähnlich auch: Guenée, Bernard, Histoire et culture historique dans l’Occident médiéval, Paris 1980, 211–214.

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Fülle des Wissens, die kein Mensch bewältigen könne.176 Deshalb müsse der Geschichtsschreiber anstreben, dem Leser die Historie in einer bereits geordneten Form zu präsentieren. Kompilation hat also auch einen Dienstleistungsaspekt. Dies gilt vor allem für Lehrbücher: Der Jenaer Geschichtsprofessor Elias Reusner z.  B. schlug vor, man solle die komplizierte und lange Geschichte den Schülern am besten »sub vnum quasi intuitum aut vnum corpus« darbieten, denn in knapper Kompendienform lasse sich alles am leichtesten begreifen.177 Wenn die Fundamente gelegt seien, könne der Student leichter selbst »ad fontes ipsos« gehen.178 Doch auch außerhalb des Unterrichtskontextes wurde der Serviceaspekt der Kompilation in den Vordergrund gestellt. Der badische Pfarrer und Geschichtsschreiber Nicolaus Höniger179, der sich in den Vorreden seiner Werke mehrfach ausführlich zum Kompilieren äußert, vergleicht sie – bildungsbeflissen, aber auch ein wenig angeberisch – mit den Pandekten Justinians, die schließlich auch nichts anderes als eine Kompilation seien. »Dann es ist jederman bewußt / wie beschwerlich vnd vrdriessig es den Menschen ist / wann sie von wegen einer Sach vnnd Handlunge halben etwan fünffzig oder sechzig / biß weilen auch mehr alte vnd neuwe Bücher müssen durch lauffen vnnd suchen«.180

Höniger neigt auch in anderen Werken dazu, die Kompilationspraxis in sehr weitgespannte intellektuelle Zusammenhänge zu stellen, die dieser nicht recht angemessen erscheinen. Es hat den Anschein, als wolle er durch das Ausstellen seiner Bildung seine mangelnde Originalität kompensieren – ein Indiz dafür, daß das wissenschaftliche Ethos des Humanismus die Kompilation unter Legitimationszwang setzte: »Es zweifelt mir gar nicht [. . .] daß viel Leuth auch vnder den Hochgelehrten vnd Erfahrnen werden sein / welche diese Arbeit ein Rapsodiam mögen nennen / vnnd mich darfür achten / alß wann ich mich vnderstanden hette nach dem berümbtesten vnd fürtrefflichsten Geschichtschreiber HOMERO neuwe Iliades zu beschreiben / vnnd gleich wie der Esopische Pfaw mich mit anderer Hochgelehrten Männern Schrift Arbeit begerte zu zieren«.181 176  Vgl. z.  B. Beyer, Valentin, Diarium historicum / Das ist / Historisch Haußbuch. . ., Wittenberg 1603, iiij r. 177  Reusner, Isagoges historicae, A4v. Ähnlich argumentiert auch Sleidan in seinem universalhistorischen Kompendium. Vgl. Sleidan, Johannes, De quatuor summis imperiis, Babylonico, Persico, Graeco, et Romano, Libri Tres, o.O. 1559, 19v. 178  Reusner, Isagoges historicae, b1r. 179  Vgl. zu ihm: Albert, Peter P., Nikolaus Höniger von Königshofen. Ein badischer Pfarrer und Schriftsteller des 16. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 78 (1926), 219–286. 180  Calonius Ghönneirus (d.  i. Nicolaus Höniger), Chronick: Geschichte vnd Zeitbuch . . ., Basel 1585, ):( ij r. Die Funktion der Kompilation wird oft ähnlich bestimmt. 181  Höniger, Nicolaus, Spiegel / Des Weltlichen Römischen Bapsts . . ., o.O. 1586, * ij v. Der Homer-Vergleich stammt aus der Vorrede zum ersten Band der Magdeburger

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So blumig auch Höniger seine Praxis des Auswählens, Ausschreibens und Kombinierens wichtiger Autoren begründet, so gängig ist doch sein Vorgehen. Georg Nigrinus schreibt kürzer, sein Geschichtswerk sei »gleichsam eyn Register der andern«.182 Für die lutherischen Historiographen wird diese Praxis kaum jemals zum wirklichen Problem. Sie alle kompilieren in mehr oder minder hohem Maße; aber die konfessionelle Durchdringung ihrer Werke gelingt ihnen, so ein gängiges Argument, gerade deshalb, weil sie auf Autoren auf bauten, die vor der konfessionellen Kontroverse geschrieben hatten. Können sie nämlich nachweisen, daß z.  B. auch mittelalterliche Autoren bereits gegen den Papst geschrieben haben, gibt ihnen das ein umso größeres Recht, dies ebenfalls zu tun. Nichts bereitet lutherischen Autoren so großes Vergnügen, wie zeigen zu können, daß auch »des Pabstes eigene Scribenten« – und seien es vorreformatorische Katholiken – Meinungen vertreten haben, die den eigenen nahe- oder gar gleichkommen.183 In diesem Zusammenhang besonders beliebte und entsprechend oft zitierte Autoren sind, um zwei Beispiele anzuführen, der humanistische Papst­ historiograph Bartolemeo Platina und der schismatische Kardinal Beno aus der Zeit des Investiturstreits. Der Humanist Bartolomeo Sacchi mit dem Beinamen »Platina«, der erste Leiter der von Papst Sixtus IV. neugegründeten vatikanischen Bibliothek, publizierte im Jahr 1479 seinen »Liber de vita Christi ac omnium pontificum«.184 Platinas Papstgeschichte wurde im 16. Jahrhundert in Deutschland siebenmal neu aufgelegt und auch von Protestanten häufig herangezogen: »Die Protestanten schätzten ihn, weil seine Darstellung der Papstgeschichte noch nicht mit Rücksicht auf sie kastriert worden war; die gebildeten Katholiken griffen gern zu

Zenturien; Höniger kompiliert also den Topos der Kompilationslegitimation gleich mit. Vgl. Praefatio in historiam ecclesiasticam . . ., in: Die Anfänge der reformatorischen Geschichtsschreibung. Melanchthon, Sleidan, Flacius und die Magdeburger Zenturien, hg. v. Heinz Scheible, Gütersloh 1966, 59–70, hier 59. 182  Nigrinus, Papistische Inquisition, a1v. 183  Das Argument ist topisch; die zitierte Formulierung findet sich bei: Hoë von Hoënegg, Matthias, Christliches / vnd in Gottes wort gegründetes Bedencken / Wie sich die jenigen verhalten sollen / denen heutigs tages in Osterreich vnd anderen orten Päbstische lehr anzunehmen [. . .] zugemutet werden. . ., Leipzig 1606, b iij r. Ähnlich auch: Ni­grinus, Georg, Antichrists Gründtliche Offenbarung. . ., Wider die Disputation der Jesuwiter zu Mentz / vom Newen vnnd falschen Antichrist / Intutiliert. Vnd Gregorij Scherers / auch eines Jesuwiters / Bericht / so in etliche Predige verfaßt: Ob der Bapst zu Rom der Antichrist sey. Darinn auffs deutlichst vnd klärlichst erwisen wirdt / daß der Bapst / das Bapsthumb / oder Römische Kirche / daß rechte Antichristische Reich sey / darvon Daniel / Christus / Petrus / Paulus vnd Johannes geweissaget. . ., o.O. 1586, 33v. 184  Vgl. Coppini, Donatella, Art. »Platina«, in: LMA 7, Sp. 6  f .; Miglio, Massimo, Tradizione storiografica e cultura umanistica nel »Liber de vita Christi ac omnium pontificum«, in: Bartolomeo Sacchi il Platina, hg. v. Augusto Campana/Paolo Medioli Masotti, Padua 1986, 63–90.

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seinem Werke, weil es sie ohne konfessionelle Ängstlichkeit über die Kirchengeschichte des Mittelalters unterrichtete.«185

Die humanistisch-vorkonfessionelle, den Päpsten gegenüber zuweilen kritische Perspektive, die bezeichnend für Platinas Werk ist, führte dazu, daß seine Papstgeschichte 1580 sogar auf den Index von Parma gesetzt wurde186 ; allerdings übernahm der römische Index von 1596 diese Verdammung nicht. Platina war in gewissem Sinne der prototypische katholische Autor, auf den sich Lutheraner bezogen. Sie konnten dies natürlich nur, weil Platina in einer vorreformatorischen Situation schrieb; 100 Jahre später hätte er sein Geschichtswerk, wie die Indizierung zeigt, so nicht mehr schreiben können.187 Ähnlich beliebt war für die Darstellung des Investiturstreits der schismatische Kardinal Beno (gest. 1098), der – anders als Platina – seit langem umstritten war. Die humanistische und reformatorische Rezeption seiner »Gesta romanae ecclesiae contra Hildebrandum«188 zeigt deutlich, wie die Radikalisierungsund Abgrenzungswege von der vorreformatorischen zur lutherischen Rezeption mittelalterlicher Texte verliefen: Erstmals gedruckt wurde Benos Text im Anhang zu Enea Silvio Piccolominis Kommentaren zum Basler Konzil. Dieser konziliaristische Text, den Piccolomini als späterer Papst verwarf, wurde 1523 in Basel anonym veröffentlicht und fügte sich in die gängige humanistische wie frühreformatorische Romkritik ein.189 Der Kölner Humanist Ortwin Gratius, eine der Zielscheiben der »Dunkelmännerbriefe« und ein Verfechter katholischer Reform, übernahm Benos Text in seinen »Fasciculus rerum expectandarum ac fugiendarum« von 1535190 , der wiederum eine wichtige Quelle für Matthias Flacius’ »Catalogus testium veritatis« von 1556 darstellte.191 Reiner Reineccius edierte 1581 eine Vita Heinrichs IV. zusammen mit Benos Vita   Fueter, Geschichte der neueren Historiographie, 49.   Vgl. zur katholischen Rezeption: Bauer, Stefan, »Platina non vitas, sed vitia scripsit«. Le censure sulle Vite die Papi, in: Nunc alia tempora, alii mores. Storici e storia in età postridentina, hg. v. Massimo Firpo, Florenz 2005, 279–289. 187  Allerdings gilt auch dies nur teilweise: Die Hochschätzung Gregors VII. und die negative Wertung Heinrichs IV. durch Platina etwa, die von vielen deutschen Humanisten geteilt wurde, wurde erst durch Aventin attackiert, dessen Auffassung schließlich Sleidan und Melanchthon übernahmen und ausbauten. Vgl. Schirmer, Erica, Die Persönlichkeit Heinrichs IV. im Urteil der deutschen Geschichtsschreibung (Vom Humanismus bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts), Jena 1931, 5–44. 188  In: MGH, Libelli de lite Imperatorum et Pontificum saeculis XI. et XII., Hannover 1892, 369–380; vgl. dazu Mirbt, Carl, Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII., Leipzig 1894, 59–66. Siehe zu Beno auch: Laudage, Johannes, Art. »Beno«, in: LThK 3 2, Sp. 234  f. 189  Vgl. VD 16, P 3111. 190  Vgl. Mehl, James V., Ortwin Gratius, Conciliarism, and the Call for Church Reform, in: ARG 76 (1985), 169–194, v.  a. 192. 191  Vgl. Hartmann, Martina, Humanismus und Kirchenkritik. Matthias Flacius Illyricus als Erforscher des Mittelalters, Stuttgart 2001, 159  f. 185 186

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I.  Geschichte schreiben im konfessionellen Zeitalter

Gregorii, was dem Leser mittels der direkten Konfrontation zweier Quellen und zweier Männer die Scheußlichkeit des Papsttums vor Augen führen sollte.192 Damit hatte sich die innerkatholisch-konziliaristische Opposition zu einer kämpferisch-konfessionellen Haltung gewandelt, die wiederum die Rezeption Benos in der römischen Kirche kategorisch ausschloß. Diese beiden Autoren, Platina und Beno, können hier exemplarisch für den bei lutherischen Historiographen besonders beliebten Autorentypus des vorreformatorischen Papstkritikers stehen. Gerade der römischen Hierarchie nahestehende Autoren wie sie wurden als eindrucksvolle und glaubwürdige Gewährsmänner für eine jahrhundertealte Kontinutität der innerkirchlichen Romkritik verstanden – eine lutherische Interpretation, die ihre vollständige Ausprägung in Flacius’ Catalogus findet (vgl. B.V.4.b). Eine seltene ausführlichere quellenkritische Reflexion auf das Problem der Kompilation vorreformatorischer katholischer Autoren findet sich bei dem Stettiner Archidiaconus und Professor Daniel Cramer193, und zwar charakteristischerweise im sensiblen Kontext der Papstgeschichtsschreibung. Cramer versucht mögliche Einwände der Leser gegen seine Übernahme beispielsweise der Ansichten Platinas im Voraus zu entkräften: Wenn auch bestimmte katholische Autoren, wie eben Beno und Platina, aus Haß gegen einzelne Päpste geschrieben hätten, so seien sie doch immer noch glaubwürdiger als zeitgenössische Jesuiten, die an überhaupt nichts glaubten.194 Den Einwand, man komme zu einem falschen Ergebnis, wenn man nur bestimmte Autoren benutze, wischt Cramer wie folgt beiseite: »Es ist nichts dran gelegen / denn solten wir so lang warten / daß die Scribenten in allen Puncten vberein kommen / so würden wir keinen Grundt der Geschichte vnd Zeiten nicht finden. Ist genug / daß wir zween oder drey Zeugen haben / darinnen die Warheit bestehet«.195   Vgl. Schirmer, Persönlichkeit, 50  f.   Zu Cramer (1568–1637), dem führenden Theologen der pommerschen Kirche und einem der fruchtbarsten Kontroversschriftsteller des Zeitalters, vgl. zuletzt: BaumannKoch, Angela, Frühe lutherische Gebetsliteratur bei Andreas Musculus und Daniel Cramer, Frankfurt a.  M. 2001, knapp zu Leben und Werk: 437–442. 194  Vgl. Cramer, Daniel, Revelation Antichristi. Das ist: Gründtliche vnd gantz außführliche Entdeckung deß rechten vnnd warhafftigen Antichrists / wie er geringlich von Zeit der Apostel an / biß auff vnsere sehr mächtig auffgewachsen / vnd mit seinen angewandten Mitgliedern florieret: Nun aber durch Gottes Gnad sampt seinen Practicken vnd Heuchelischen Gottesdienst gantz artlich offenbaret vnd an Tag gegeben [. . .] Jetzunder auß allen probierten vnd mehrer Theils jhrer Religionsgenossen Historicis, zusammen getragen vnd beschrieben . . ., Frankfurt am Main 1603, 84. Dieser Text ist ein Wiederabdruck von: Antiqvarius, Das ist: Gründtliche vnd kurtze / wie auch warhafftige Beschreibung / vnheyliger Heyligkeit / vnd heyliger Vnheyligkeit der Bäpste / Cardinäln / Abten / Prälaten / der Mönch / Nonnen vnd Jesuiten: Mehr als auß achtzig vnverdächtigen Alten vnd Neuwen Baepstischen Zeugen vnd Scribenten [. . .] bona fide zusammen getragen . . ., Frankfurt a.  M. 1596. 195  Cramer, Revelation Antichristi, 84. 192

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4.  Vorreformatorische Quellen, nachreformatorische Historiographie

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Sollten die Gegner einwenden, Cramer selbst sei als Lutheraner parteiisch, kann er dies mit einem geschickten Kniff zurückweisen: Gerade die Tatsache, daß er seine Informationen aus Autoren zusammenkompiliert habe, die lange vor der Reformation geschrieben haben, verleihe ihm Glaubwürdigkeit. Es sei ja nicht er, der spreche, er referiere nur, was andere vor ihm geschrieben hätten: »Darauff sollen sie wissen / daß es kein Lutheraner gemacht habe: Dann ob ers wol zusammen getragen hat / so seyns doch nicht seine Wort / sondern der Alten Historien Scribenten / so lang für Luthero gelebt / oder aber es müste die Lutherische Lehr auch für Luthero gewesen seyn / welches sie sonsten nit wöllen nachgeben / aber all zu wahr ist.«196

Gerade die Kompilation konnte also in manchen Fällen die konfessionelle Prägung eines Werks in besonders hohem Maße präformieren, weil die geschichtliche Überlieferung vor der Reformation – aus Sicht lutherischer Autoren: glücklicherweise – hinreichend heterogen war, um in ihr genügend vorteilhaftes Material zu finden. Dennoch blieb das Problem der Konfession des Kompilators bestehen; die Frage nach der Funktionalisierbarkeit vorreformatorischer Quellen für nachreformatorische Identitätsdiskurse verweist auf ein originär historiographisches, das heißt auch: literarisches, Problem. Wie im Fall der impliziten Gattungsvorgaben (siehe Kap. B.III.) mußten literarische Konvention, tradierte Überlieferung und der graduell verschiedene Impetus zur Instrumentalisierung der Geschichte ausbalanciert werden. Sowohl die inhaltlichen Vorgaben von Luthers eigener Geschichtssicht als auch die historiographischen Schreibkonventionen, die hier exemplarisch am Problem der Kompilation vorgestellt wurden, ermöglichten den lutherischen historiographischen Identitätsdiskurs, begrenzten aber auch seine Reichweite.

  Cramer, Revelation Antichristi, 86.

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II.  Charismatische Stilisierung:   Konturen des Luthergedächtnisses 1.  Die Stilisierungen Luthers: Heiliger, Prediger, Prophet In welcher Weise stellten sich Lutheraner des späteren 16. Jahrhunderts den Reformator vor? Im Vordergrund der Beantwortung dieser Frage steht das Interesse an der historischen Anbindung Luthers an die Vorgeschichte der Reformation: Erinnerten sich Lutheraner zugleich mit Luther auch an die Personen und Prozesse, die diesem vorangingen und die Reformation möglich gemacht hatten? Oder sahen sie Luther eher am Anfang einer Entwicklung, die keinerlei oder kaum Anbindungen an die vorreformatorische Epoche besaß? Diese Fragen schließen an die Überlegungen an, die im Kapitel A.IV.6. als Alternative von Tradition und Charisma eingeführt worden sind. Schon dort war die Rede davon, daß der Gegensatz zwischen beiden Formen, mit Veränderungen umzugehen, sicher kein ausschließender ist: Eher stellen sie Modi der deutenden Auseinandersetzung mit Luther und der Reformation dar. Hier soll besondere Aufmerksamkeit der Frage gelten, ob die Luther gewidmete Memorialkultur den Reformator als charismatische Gründungsgestalt profilierte, oder ob sie einen historischen Erinnerungsdiskurs initiierte, der über Luther hinaus in die Vergangenheit zurückreichte. In der Forschung ist die These formuliert worden, das lutherische Interesse an der näheren und ferneren Vorgeschichte der Reformation sei im Laufe des 16. Jahrhunderts einer Besinnung auf den bereits selbst Tradition gewordenen Luther gewichen. Tatsächlich trifft dies für einige Bereiche lutherischer Erinnerungskultur zu, die damit befaßt sind, das charismatische Ausgangspathos der frühen Reformation in besonders eindringlicher Weise vor Augen zu stellen. Bevor also in den folgenden Kapiteln von den verschiedenen Versuchen der Einordnung Luthers und der Reformation in größere historische Zusammenhänge die Rede sein wird, sollen verschiedene Aspekte der Luthermemoria auf ihren Umgang mit der vorreformatorischen Geschichte und, weitergehend, darauf hin untersucht werden, wie sie es mit der Alternative Charisma vs. Traditionalisierung halten.   Vgl. Oelke, Konfessionsbildung, 384, Anm. 154.



1.  Die Stilisierungen Luthers: Heiliger, Prediger, Prophet

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Die Heroisierung und Stilisierung Luthers nach unterschiedlichen Vorbildern begann gleich zu Beginn der Reformation und erreichte ihren Höhepunkt in der ersten Hälfte der 1520er Jahre. In dieser Zeit wurden die verschiedenen Möglichkeiten ausgebildet, die über 150 Jahre das Bild Luthers innerhalb des deutschen Luthertums bestimmen sollten. In verschiedenen sprachlichen und visuellen Medien wurde ein ›Image‹ Luthers erschaffen und verbreitet; das Spektrum reichte dabei von Holzschnitten über Druckgraphik bis hin zu Gemälden. Neben diese visuellen Medien trat die sprachlich-metaphorische Stilisierung Luthers in Predigt oder Publizistik, aber auch, wenngleich viel seltener, auf der Theaterbühne. In bildlichen Darstellungen der Jahre 1519 bis 1525 wird Luther vor allem auf zwei Arten dargestellt: als religiöser Heros und als Gelehrter. Auch in der Malerei, nicht nur in der religiösen Publizistik, finden sich bereits in der Frühzeit der Reformation »bildliche Heiligsprechungen«. Das Spektrum der Lutherdarstellungen umfaßte verschiedene, aber relativ stereotype Möglichkeiten: Man stellte ihn als Heiligen, als Johannes den Täufer oder als bürgerlichen Ehemann dar, um an der Figur des Reformators unterschiedliche religiöse und gesellschaftliche Werte zu veranschaulichen. Auffällig ist allerdings, daß im Zuge der sich verfestigenden religiösen Gegensätze die Darstellung von Luthers Physiognomie an apodiktischer Schärfe gewann; er wurde immer mehr zum Lehrer   Daß das 17. Jahrhundert dem Spektrum der Lutherstilisierungen kaum Neues hinzufügte, betont: Scribner, Incombustible Luther, 50.   Vgl. Holstein, Hugo, Die Reformation im Spiegelbilde der dramatischen Literatur des sechzehnten Jahrhunderts, Halle 1886. Es wurde zumindest ein Drama konzipiert (aber nicht gedruckt), daß die kirchlichen Zustände in den zwei Jahrhunderten vor der Reformation schilderte und den bezeichnenden Titel »Lutherus desideratus« trug. Der Verfasser, Martin Rinckart, wollte die Reformation in sieben Dramen beschreiben, stellte aber nur drei davon fertig. Vgl. Büchting, Wilhelm/Keil, Siegmar, Martin Rinckart. Leben und Werk, Leipzig 1996, 45. Zu Rinckart auch: Elschenbroich, Adalbert, Der Eißlebische Christliche Ritter von Martin Rinckart. Reformationsgeschichte als lutherische Glaubenslehre im volkstümlichen Drama des 17. Jahrhunderts, in: Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland, hg. v. Wolfgang Brückner, 2 Bde., Wiesbaden 1985, Bd. 2, 559–578.   Vgl. Scribner, For the Sake of Simple Folk; Warnke, Martin, Cranachs Luther. Entwürfe für ein Image, Frankfurt a.  M. 1984.   Löcher, Kurt, Humanistenbildnisse – Reformatorenbildnisse. Unterschiede und Gemeinsamkeiten, in: Literatur, Musik und Kunst im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, hg. v. Hartmut Boockmann u.  a., Göttingen 1995, 352–390, hier 368. Daß Lutherabbildungen im 17. Jahrhundert in volkstümlicher Perzeption die Funktion von Heiligenbildern übernehmen konnten, zeigt Scribner, Incombustible Luther; dementsprechend wurden wiederholt wunderbare Errettungen von Lutherbildern aus brennenden Häusern berichtet.   Das Interesse für die gemütvoll-bürgerlichen Züge in der Luthermemoria des 16. Jahrhunderts prägt auch noch die Darstellung von: Stephan, Horst, Luther in den Wandlungen seiner Kirche, Berlin 21951, der dementsprechend den geschichtstheologischen Memorialdiskurs vernachlässigt.

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II.  Charismatische Stilisierung: Konturen des Luthergedächtnisses

und Belehrer, der das Gespräch unter Gleichen nicht mehr betrieb. Zum vorherrschenden Sujet wurde nun der Prediger mit der aufgeschlagenen Bibel, ein Typus, der sich zum Standard von Reformatoren- und Pastorendarstellungen überhaupt entwickelte. Damit ist eine zentrale theologische Aussage auch ikonographisch fixiert: daß Luthers außergewöhnliche Rolle primär in dem Rückgriff auf die Schrift besteht und man ihn als exzeptionellen Ausleger der Schrift verehrt. Neben die schon genannten Topoi trat die Stilisierung als Sagengestalt, z.  B. als deutscher Herkules oder als posauneblasender apokalyptischer Engel, vor allem aber als Prophet. Die heilsgeschichtliche Stilisierung Luthers zum Propheten war die extremste Form der Heroisierung, die religiös gerade noch plausibel und gesellschaftlich noch akzeptabel war. Ein literarisches Experiment der reformatorischen Frühzeit scheint hier Grenzen aufgezeigt zu haben: Der Versuch, den Reformator – wie es eine Flugschrift aus den frühen 1520er Jahren nahelegt – als ›Postfiguration‹ Christi zu begreifen, wurde von der Gegenseite heftig attackiert und dürfte auch von Luther selber negativ bewertet worden sein. Auch über die frühe Reformation hinaus wurde Luther von seinen Anhängern in den genannten Rollen imaginiert. Florilegien von Luthersprüchen, die preisgünstiger als die teuren Werkausgaben waren, vermittelten ein Lutherbild, das diesen als Lehrer, Seelsorger und Propheten zeigte.10 Der alttestamentarische Prophet, der die menschliche Sündhaftigkeit anklagte und zur Umkehr mahnte, war dabei im gesamten Reformationsjahrhundert ein beliebtes Bild. Dies gilt umso mehr, als im Laufe des Jahrhunderts die orthodoxe Kritik und Selbstkritik wuchs. Dieses Anschwellen einer religiösen Krisenrhetorik hat viele spätere Forscher zum Eindruck einer ›Frömmigkeitskrise‹ um 1600 geführt. Jörg Baur weist aber darauf hin, daß diese Diagnose die lutherische Selbstdeutung und Rhetorik vorschnell für bare Münze nimmt, weil die orthodoxe Selbstkritik in die an alttestamentarische Prophetien angelehnte »permanente Geschichte der Selbstkritik im Angesicht des Absoluten« gehöre, »deren Kriterien [. . .] als immer wiederkehrende Topoi der Reformbemühungen un-

  Vgl. Löcher, Humanistenbildnisse, 375; Flachmann, Martin Luther, 3.   Vgl. Kruse, Joachim, Luther-Illustrationen im 16. und 17. Jahrhundert, in: Beiträge zu Geschichte des Buchwesens im konfessionellen Zeitalter, hg. v. Herbert G. Göpfert, Wiesbaden 1985, 57–131, Belege und Abbildungen 106, 109; Orschler, Judith, Prote­ stantische Lehr- und Erbauungsgraphik. Perspektiven der Erforschung konfessioneller Bilderwelten, Teil 1, in: Jahrbuch für Volkskunde N.  F. 20 (1997), 211–244, v.  a. 226.   Vgl. Schilling, Johannes, Passio Doctoris Martini Lutheri. Bibliographie, Texte und Untersuchungen, Gütersloh 1989, v.  a. 151–174. 10  Vgl. Koch, Ernst, Lutherflorilegien zwischen 1550 und 1600. Zum Lutherbild der ersten nachreformatorischen Generation, in: Theologische Versuche 16 (1986), 105–117. Vgl. als Überblick auch: Kolb, Robert, Martin Luther as Prophet, Teacher, and Hero. Images of the Reformer, 1520–1620, Grand Rapids 1999.  

1.  Die Stilisierungen Luthers: Heiliger, Prediger, Prophet

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schwer zu identifizieren sind.«11 Die Faszination für den prophetischen Gestus dürfte zur bleibenden Attraktivität dieses Deutungsmusters für die Person Luthers beigetragen haben. Gerade die Gebildeten hatten in der Zeit vor der Reformation Deutschland als geknechtet und verfolgt, aber auch als heilsgeschichtlich hervorgehoben verstanden. Auch in diesem Zusammenhang konnte Luther insofern eine Rolle spielen, als er zum Propheten vor allem oder gar ausschließlich der Deutschen gemacht wurde.12 Seit den frühen 1520er Jahren wurde im gelehrten wie volkstümlichen Diskurs neben einer allgemeinen Stilisierung Luthers zum Propheten vor allem die Identifikation mit einem spezifischen Propheten artikuliert: Luthers Anhänger bezeichneten ihn als »Elias« oder als »dritten Elias«. Diese von den Altgläubigen scharf kritisierte Benennung geht zurück auf die alttestamentarische Prophezeiung (Mal 3,23), Gott werde vor dem Jüngsten Gericht den Propheten Elias schicken. Unter Anspielung auf diese Prophezeiung hatte Jesus Johannes den Täufer als zweiten Elias identifiziert, der ihm vorangehe (Mt 11,12–14). Wenn Luther als dritter Elias bezeichnet wird, heißt das, daß die letzte Phase der Verfolgung nicht nur begonnen hat, sondern der Tag des Gerichts nahe bevorsteht. Luther ist als dritter Elias der endzeitliche Vorläufer des wiederkommenden Christus.13 Die Benennung besitzt also mehr oder minder offen apokalyptische Anklänge, wenn sie auch manchmal einfach als biblischer Ehrentitel benutzt wurde.14 Der Jenaer Theologe Georg Mylius sagte 1592 in einer Lutherpredigt, Luther sei »zu solchem seligen Werck der letzten Reformation« erweckt worden, als »die zeit erfüllet worden«15 , und drückte damit eine weitverbreitete

11  Baur, Jörg, Lutherisches Christentum im konfessionellen Zeitalter – ein Vorschlag zur Orientierung und Verständigung, in: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, hg. v. Dieter Breuer, 2 Bde., Wiesbaden 1995, Bd. 1, 43–62, hier 53. 12  Vgl. Sommer, Wolfgang, Luther – Prophet der Deutschen und der Endzeit. Zur Aufnahme der Prophezeiungen Luthers in der Theologie des älteren deutschen Luthertums, in: Zeitenwende – Zeitenende. Beiträge zur Apokalpytik und Eschatologie, hg. v. Wolfgang Sommer, Stuttgart/Berlin/Köln, 1997, 109–128. 13  Oberman, Hus und Luther, 341 mit Verweis auf WA 26,123, 16–23; vgl. Gussmann, Wilhelm, Elias, Daniel, Gottesmann. Zur Geschichte des Schlagworts im Reformationszeitalter, in: Quellen und Forschungen zur Geschichte des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses, Bd. 2, hg. v. Wilhelm Gussmann, Kassel 1930, 233–296, hier 249. Vgl. auch Sommer, Luther, 120, der darauf hinweist, daß in Kompilationen von Lutherprophezeiungen aus den 1570er Jahren Luther derselbe Rang wie den alttestemamentarischen Propheten zugeschrieben wurde. 14  Vgl. Scribner, Incombustible Luther, 48. 15  Müller (Mylius), Georg, Zwo Christenliche Predigten Die Erste von der Person vnsers Heilandes vnd Seligmachers Jhesu Christi / vnnd den beiden persoenlich in derselben vereinigten Naturen / Die Ander Vom Herrn Martino Luthero / Was Gott durch diesen seligen tewren Man / gemeiner Christenheit für Edele Wolthat erzeiget habe. Gehalten in der Pfarrkirchen zu Wittemberg / den 9. vnd 16. Februarij dieses 1592. Jahrs. . ., Jena 1592, D ij r.

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II.  Charismatische Stilisierung: Konturen des Luthergedächtnisses

Überzeugung aus, nach der Luther als letzter Prophet oder Reformator vor dem Weltende erscheint; der tradierte Name für diese Figur war eben: Elias. An zwei Beispielen von 1610 und 1618 kann vorgeführt werden, wie ernst die heilsgeschichtliche Typologie genommen wurde, in der Luther auf Elias zurück- und gleichzeitig auf Christus vorausweist. Der Direktor der deutsch-lutherischen Gemeinde in Prag und spätere sächsische Oberhofprediger Matthias Hoë von Hoënegg (1580–1645) setzte sich in seinen Lutherpredigten von 1610 eingehend mit dieser Frage auseinander.16 Es sei wörtlich zu nehmen, wenn die Lutheraner Luther den dritten Elias nennten, so führt Hoë aus, denn darunter »verstehen wir nicht dieses / daß etwan die Seele Eliae in Lutherum gefahren sey / wie vor zeiten die Juden von Christo vnd Johanne dem Täufer / einen solchen wahn geschöpffet haben / sondern wir meinen eigentlich / daß Herrn Lutheri Namen / Person / Lehr / Gaben / thun vnd fürnemen sehr wol mit des heiligen Eliae Namen / Person / Lehr / Gaben / thun vnd fürnemen übereinstimme.«17

Beide, Elias wie Luther, hätten Wunder gewirkt – so habe Luther mit seinen Gebeten den Schmalkaldischen Krieg aufgeschoben – und nach ihrem Tod »getrewe Elisas« hinterlassen.18 Aber Hoë entscheidet entgegen seiner eigenen Proklamation die Frage nach dem Eliasstatus Luthers nicht wirklich, und diese Ambivalenz wurde tradiert.19 Die Elias-Prädikation changiert zwischen Metapher (Luther ist Elias, weil er wie Elias ist) und Metamorphose (Luther ist Elias, weil er, heilsgeschichtlich gesehen, der zurückgekehrte Elias ist), oder, um es thematisch schief, aber vielleicht bildlich treffend zu benennen: Luther als Elias schwankt zwischen Realpräsenz, gar Transsubstantiation, und symbolischem Memorialismus. Hoë folgend, veröffentlichte der Rostocker Theologieprofessor Johannes Tarnow (1586–1629) im Jahr 1618 einen kurzen Vergleich der »tres Eliae«, in dem er anhand verschiedener Punkte die Legitimität der Elias-Stilisierung nachwies: Er zeigte, daß alle drei, Elias, Johannes der Täufer und Luther, die reine Lehre restituiert hätten.20 Auch waren sie »similes in vitae ingressu, pro16  Vgl. Hoë, Sanctus Thaumasiander, 4. und 5. Predigt; zu seiner Biographie siehe Bautz, Friedrich Wilhelm, Art. »Hoë von Hoënegg, Matthias«, in: BBKL 2, Sp. 919–921. 17  Hoë, Sanctus Thaumasiander, 74. 18  Ebd., 118. Seiner orthodoxen Grundausrichtung folgend, erwähnt Hoë hier Melanchthon nicht. 19  So heißt es in einer Jubiläumsrede von 1617, Gott habe Luther mit »Eliae spiritu et inuicto animi robore« ausgestattet. Die assoziative Anspielung auf Elias bleibt hier wie sonst oft in der Ambivalenz stecken zwischen heilsgeschichtlicher Einordnung Luthers und einem Lobtopos aus dem biblischen Repertoire. Für den heutigen Leser ist es natürlich ein Unterschied, ob man in Luther tatsächlich Elias sieht oder ihn assoziativ mit dessen Fähigkeiten in Verbindung bringt; dieses Problem wird aber in den Quellen nicht reflektiert. Das Zitat stammt aus: Clauderus, Josephus, Oratio secularis de inculta et horrida superioris Pontificiae, excultaque et florida Nostrae Lutheranae aetatis Latinitate . . ., Altenburg 1617, 25. 20  Tarnovius (Tarnow), Johannes, Tres Eliae, hoc est: Comparatio trium Ecclesiae

1.  Die Stilisierungen Luthers: Heiliger, Prediger, Prophet

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gressu, egressu« 21, weil sie als unbekannte Männer aus kleinen Orten hervorgingen, um dann Gottes Heilswerkzeuge zu werden. Alle drei entstammten bescheidenen Elternhäusern, und alle drei besaßen mächtige Feinde. Schließlich waren alle drei »supernaturaliter et mirabiliter illuminati« 22 . Luther als »ultimus noster Elias« 23 werde daher legitimerweise in eine Reihe mit den beiden anderen Personen gestellt. Hoës und Tarnows Texte, die sich argumentativ stark ähneln, lesen sich als die systematische Ausfaltung gängiger Deutungsmuster, die wohl nur denjenigen überzeugen können, der die Schlußfolgerungen bereits im voraus zu glauben bereit ist.24 Aus dieser spezifischen Stilisierung kann man allerdings keine besondere Präferenz des Luthertums für eine ›typologische‹ oder ›figurale‹ Geschichtsauffassung insgesamt ableiten. Neben die typologische Stilisierung Luthers als dritten Elias trat in der lutherischen Geschichtsdeutung in aller Regel weder eine biblische Stilisierung anderer Reformatoren noch auch die grundsätzliche Vorstellung eines Verweischarakters der Reformation auf das Heilsgeschehen in dem Sinne, daß die Reformation etwas nur halb Vollendetes vollende oder zu seinem Höhepunkt führe. Zwar wurde die Reformation in die Vorgeschichte der Wiederkunft Christi eingespannt und eng mit dieser verknüpft, aber nicht als typologische Wiederaufnahme oder gar Steigerung des biblischen Geschehens verstanden. Der Steigerungscharakter scheint aber neben der Christozentrik ein unabdingbares Element der Typologie zu sein. Schon deshalb ist der für die Forschung offenbar attraktive, wenn auch eher verwirrende Begriff der typologischen Geschichtsdeutung zurückzuweisen. Typologische Verfahren im engeren Sinne scheinen insgesamt gesehen nämlich erstaunlich selten aufzutreten.25 Dei Reformatorum Eliae Thesbitae, Iohannis Baptistae, Martini Lutheri, zelo pari, successu haud dispari diuinitus mundo reducentium obscuratam doctrinae puritatem, collapsam uitae integritatem, in solennitate Iubilaei Lutherani instituta . . ., Rostock 1618, A2v. Zur Biographie vgl. Lumpe, Adolf, Art. »Tarnow, Johannes«, in: BBKL 11, Sp. 504–508. 21  Tarnovius, Tres Eliae, A3r. 22  Ebd., B2v. 23  Ebd., A4v. 24  Thomas Kaufmann vermutet einen spezifischeren Kontext des Tarnow-Textes: Er weist darauf hin, daß dieser sich intensiv mit Theosophie und Rosenkreuzertum auseinandersetzte und mit seiner Schrift noch einmal die orthodoxe Gegenposition unterstreichen wollte, um gegen die paracelsische Elias Artista-Deutung anzugehen. Vgl. Kaufmann, 1600 – Deutungen der Jahrhundertwende, 77, Anm. 9. Da Tarnow aber primär Hoë (der für ähnliche Interessen nicht bekannt ist) oder ähnliche Argumentationen benutzt, scheint dies kein zwangsläufiger Kontext der Eliasprädikation zu sein. 25  Vgl. als beste Einführung in das Gesamtproblem: Auerbach, Erich, Figura, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie, Bern/München 1967, 55–92. Friedrich Ohly hat versucht, die Typologie als eine, wenn nicht die Form christlicher Geschichtsdeutung zu profilieren. Vgl. v.  a.: Ohly, Friedrich, Typologie als Denkform der Geschichtsbetrachtung, in: Typologie. Internationale Beiträge zur Poetik, hg. v. Volker Bohn, Frankfurt a.  M. 1988, 22–63; ders., Halbbiblische und außerbiblische Typologie, in: ders.,

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II.  Charismatische Stilisierung: Konturen des Luthergedächtnisses

Luther wurde nicht nur selber als Prophet gesehen, sein Wirken wurde auch als vorherbestimmt und -gesagt gedeutet. Die angebliche Prophezeiung Luthers durch Hus wurde durch maßgebliche und breit rezipierte Texte, z.  B. Mathesius’ Lutherbiographie und das Chronicon Carionis, multipliziert.26 Da diese beiden Werke zu den meistaufgelegten des 16. Jahrhunderts gehörten, dürfte die Prophezeiung sehr bekannt gewesen sein. Die Auffassung, daß Luthers Ankunft vorhergesagt worden sei, verlieh seiner heilsgeschichtlichen Mission eine noch höhere Plausibilität. Trotzdem war die Stilisierung Luthers zum Heilswerkzeug und Propheten Gottes innerhalb seiner Anhängerschaft nicht unumstritten. Immer wieder, v.  a. im Zusammenhang mit der Debatte um die Konkordienformel, wurde die Autorität Luthers einerseits zu instrumentalisieren, andererseits zu relativieren versucht.27 In philippistischen (und reformierten) Deutungen wurde gegen eine übersteigerte heilsgeschichtliche Interpretation der Person Luthers eingewandt, dieser sei ein Diener der Kirche, aber kein Prophet gewesen. Im gnesiolutherischen Kontext wurde dagegen die Interpretation Luthers als göttliches WerkSchriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1983, 361–400. Literaturwissenschaftliche Kritik an Ohlys unscharfer Begriffsverwendung und gleichzeitig Skepsis gegenüber einer angeblich im Mittelalter allenthalben aufzufindenden ›typologischen‹ Geschichtssicht artikulieren: Jentzmik, Peter, Zu Möglichkeiten und Grenzen typologischer Exegese in mittelalterlicher Predigt und Dichtung, Göppingen 1973 sowie Schröder, Werner, Zum Typologie-Begriff und Typologie-Verständnis in der mediävi­ stischen Literaturwissenschaft, in: The Epic in Medieval Society. Aesthetic and Moral Values, hg. v. Harald Scholler, Tübingen 1977, 64–85. In der Kritik an Ohly und anderen ist v.  a. darauf hingewiesen worden, daß die christozentrische Typologie, die kaum mehr sei als ein innerbiblisches hermeneutisch-exegetisches Instrument, weder mit ›Allegorie‹ noch mit ›Heilsgeschichte‹ gleichzusetzen sei. So ist beispielsweise die These, die »translatio imperii«-Figur sei ›typologisch‹, kaum haltbar; vgl. so: Holländer, Hans, ». . . inwendig voller Figur«. Figurale und typologische Denkformen in der Malerei, in: Typologie. Internationale Beiträge zur Poetik, hg. v. Volker Bohn, Frankfurt a.  M. 1988, 166–205, hier 172. Auch ein reiner Verweischarakter eines früheren auf ein späteres Ereignis legitimiert den problematischen Begriff nicht hinreichend. Vgl. so: Frye, Northrop, Typologie als Denkweise und rhetorische Figur, in: Typologie. Internationale Beiträge zur Poetik, hg. v. Volker Bohn, Frankfurt a.  M. 1988, 64–93, hier 67. Als Versuche, mittels des literaturwissenschaftlichen Typologiebegriffs Flugschriften des 17. Jahrhunderts aufzuschlüsseln, vgl. Harms, Wolfgang, Gustav Adolf als christlicher Alexander und Judas Makkabäus. Zu Formen des Wertens von Zeitgeschichte in Flugschrift und illustriertem Flugblatt um 1632, in: Wirkendes Wort 35 (1985), 168–183, hier v.  a. 178  f.; Tschopp, Silvia Serena, Argumentation mit Typologie in der protestantischen Publizistik des Dreißigjährigen Krieges, in: Mittelalterliche Denk- und Schreibmodelle in der deutschen Literatur der Frühen Neuzeit, hg. v. Wolfgang Harms/Jean-Marie Valentin, Amsterdam/ Atlanta 1993, 161–173. 26  Vgl. Hauffen, Husz eine Gans – Luther ein Schwan, 13  f . 27  Vgl. Dingel, Concordia controversa, 607–619; siehe zu diesem Problem auch: Hasse, Hans-Peter, Die Lutherbiographie von Nikolaus Selnecker. Selneckers Berufung auf die Autorität Luthers im Normenstreit der Konfessionalisierung in Kursachsen, in: ARG 86 (1995), 91–123.

2.  Das Interesse der Lutherbiographik an der Vorgeschichte der Reformation

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zeug und als Prophet stärker in den Vordergrund gestellt.28 Offensichtlich war die Frage nach der Einschätzung Luthers aber nicht vollständig von polemischen oder anderen argumentativen Zusammenhängen abzulösen. Und auch nach dem Konkordienwerk trat die Berufung auf die Person Luthers und seine theologische Autorität nicht hinter die fixierten Bekenntnisschriften zurück 29, wie am ersten Reformationsjubiläum ablesbar ist (vgl. B.II.3). Die Interpretation Luthers als Prophet durchzieht die bildlichen und tex­ tuellen Darstellungen des Reformators. Seine Anhänger sahen in ihm also eine prophetisch-charismatische Anfangsfigur. Das Charisma des prophetischen  Beginns wurde durch die heroisierende Memoria tradiert; die traditionale  Einordnung oder Legitimation Luthers spielte daneben eine viel geringere  Rolle.

2.  »Selige Röhren«: Das Interesse der Lutherbiographik an der Vorgeschichte der Reformation Am 20. Februar 1546, nur zwei Tage, nachdem Martin Luther in seiner Geburtsstadt Eisleben gestorben war, hielt der dortige Hofprediger Michael Coelius eine Leichenpredigt auf den Reformator. Luther, so Coelius, habe »das Amt in der Kirche geführt, welches zu seiner Zeit Elias und Jeremias, Johannes der 

28  Vgl. Dingel, Concordia controversa, 618. Daß die Deutung Luthers als prophetische und endzeitliche Figur nicht einmal in gnesiolutherischen Kreisen einheitlich war, zeigt: Kolb, Robert, »Perilous Events and Troublesome Disturbances«. The Role of Controversy in the Tradition of Luther to Lutheran Orthodoxy, in: Pietas et Societas. New Trends in Reformation Social History. Essays in Memory of Harold J. Grimm, hg. v. Kyle C. Sessions/Philipp N. Bebb, Kirksville, MO. 1985, 181–201. – Die prophetische Stilisierung beschränkte sich dabei nicht auf Luther. Auch gnesiolutherische Prediger bildeten ein »geistliches Sonderbewußtsein« in Anlehnung an die biblischen Propheten aus. Vgl. Schorn-Schütte, Luise, Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit, Gütersloh 1996 (QFRG 62), 401. Sie versuchten, sich einen »prophetischen Stil« zuzulegen, der allerdings eher ihr Selbstverständnis betraf, als daß er sich in »prophetischer« Lehrerneuerung niedergeschlagen hätte (vgl. Kolb, Flacian Rejection of the Concordia, 216); dies vermutlich schon deshalb nicht, weil sich die lutherische Orthodoxie scharf von ›neuen‹ Propheten abgrenzen mußte und damit den Konflikt von Institution und Prophetie, den Luther ausgetragen hatte, ein weiteres Mal auflegte. Vgl. Beyer, Jürgen, A Lübeck Prophet in Local and Lutheran Context, in: Popular Religion in Germany and Central Europe, 1400–1800, hg. v. Bob Scribner/Trevor Johnson, New York 1996, 166–182; Sabean, David Warren, Ein Prophet im Dreißigjährigen Krieg: Buße als soziale Metapher, in: ders., Das zweischneidige Schwert. Herrschaft und Widerspruch im Württemberg der frühen Neuzeit, Frankfurt a.  M. 1990, 77–112. 29  Von einer Relativierung der Rolle Luthers nach 1580 spricht: Kolb, Robert, Die Umgestaltung und theologische Bedeutung des Lutherbildes im späten 16. Jahrhundert, in: Lutherische Konfessionalisierung, hg. v. Hans-Christoph Rublack, Gütersloh 1992 (SVRG 197), 202–231. Vgl. dagegen: Wallmann, Rolle der Bekenntnisschriften, 54.

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Täufer oder der Apostel einer geführt haben.«30 Genau wie Johannes der Täufer zu seiner Zeit den kommenden Christus angekündigt habe, so sei Luther als Prediger des Evangeliums ein Vorläufer des wiederkommenden Herrn gewesen. In der Zeit zwischen den Aposteln und Luther dagegen sei der Zustand der Kirche höchst beklagenswert gewesen: Unter der Herrschaft des Papstes seien Menschensatzungen höher gehalten worden als Gottes Wort; überall hätten sich Mißstände ausgebreitet. Erst Luther habe, darin den alttestamentarischen Propheten oder Johannes dem Täufer vergleichbar, Gottes Wort wieder in seiner Reinheit verkündet. Seit den Tagen der Apostel sei die Heilige Schrift »mit solchem Verstand, wie jetzund, nicht [. . .] gelesen worden.«31 Auch in anderen Leichenpredigten wurde die Sonderrolle Luthers in der Kirchen- und Weltgeschichte hervorgehoben. Johannes Bugenhagen verglich Luther in seiner Predigt am 22. Februar mit dem Heiligen Martin und stellte ihn ansonsten als Lehrer und von Gott gesandten Kirchenreformator, aber auch als den endzeitlichen Engel aus dem vierzehnten Kapitel der Offenbarung dar, während Justus Jonas sich in seiner Predigt am 19. Februar damit begnügte, seinen Zuhörern Luther als vortrefflichen Redner, Prediger und Bischof zu präsentieren, aber auf eine historische oder geschichtstheologische Einordnung des Verstorbenen verzichtete.32 Melanchthon dagegen hob in seiner Wittenberger Leichenrede am 22. Februar 1546 Luthers heilsgeschichtliche Sonderrolle hervor, betonte aber gleichzeitig, daß dieser in einer von Gott wohlgeplanten Kontinuität stehe, die von Adam über die Apostel und die Kirchenväter bis zu Luther reiche.33 Obgleich die Zahl der Gesandten Gottes nach der Zeit Christi etwas abgenommen habe, seien doch immer wieder Lehrer des Evangeliums aufgetreten, von denen Melanchthon z.  B. Bernhard von Clairvaux und Johannes Tauler nennt. Während Coelius, Bugenhagen und Jonas also ein Bild präsentieren, in dem die Kirche in der Zeit zwischen Christus und Luther einem allgemeinen Nie30  Luther im Urteile bedeutender Männer, zusammengestellt und hg. v. Rudolf Eckart, Berlin 1905, 23. 31  Ebd., 23. 32  Vgl. Luther und die Reformation im Urteile bedeutender Männer. Zur Vierhundertjahrfeier der Reformation, hg. v. Rudolf Eckart, 2., vermehrte Auflage, Halle/Saale 1917, 7 und 14. 33  Die verschiedenen lateinischen und deutschen Fassungen von Melanchthons Leichenrede sind ediert in: Bräuer, Siegfried, Die Überlieferung von Melanchthons Leichenrede auf Luther, in: Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstag des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997, hg. v. Michael Beyer/Günther Wartenberg, Leipzig 1996, 185–252. Während die anderen überlieferten Reden auf Luthers Tod Predigten über einen Bibeltext sind, schließt Melanchthon an die antike und humanistische Tradition der Leichenrede als biographische oratio an. Vgl. zum Gattungsunterschied: Schmidt-Grave, Horst, Leichenreden und Leichenpredigten Tübinger Professoren (1550–1750). Untersuchungen zur biographischen Geschichtsschreibung in der frühen Neuzeit, Tübingen 1974, 29–32.

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dergang anheimgefallen ist, und Luther als charismatische Figur profilieren, hebt Melanchthon die selbst in der schlimmsten Zeit der päpstlichen Tyrannei ununterbrochene Kette von Lehrern des wahren Glaubens hervor. Diese Denkfigur – die ununterbrochene Reihe von Wahrheitszeugen – wurde in der Nachfolge Melanchthons ein breit ausgearbeitetes Thema lutherischer Geschichtsdeutung. Ohne daß Luther seine heilsgeschichtliche Bedeutung abgesprochen würde, wurde ausgehend von Melanchthon ein Diskurs initiiert, der viel stärker auch die Kontinuitäten und Traditionen betonte, innerhalb derer die Reformation und die lutherische Kirche verstanden werden konnten (vgl. B.V.4). In einem anderen – nicht biographisch orientierten – Text Melanchthons tritt die endzeitliche Sonderrolle Luthers noch stärker hinter eine Einordnung der Reformation in einen kirchengeschichtlichen Gesamtzusammenhang zurück: In der 1548 verfaßten Rede »De Luthero et aetatibus Ecclesiae«34 führt Melanchthon aus, Luther habe gegen die Übermacht der scholastischen Philosophie den Gang »ad fontes« angetreten. Allerdings steht er damit offenbar nicht am Anfang einer heilsgeschichtlich einzigartigen Zeit: Melanchthon geht nämlich von fünf Phasen der Kirchengeschichte aus, die die Kirchengeschichte als ein Abwechseln von Reinigung und Abfall strukturieren. Der Verfall geht zurück auf menschliche Schwächen, aber auch die Einflüsterungen des Teufels.35 Auf die Urkirche folgt die häretische »aetas Origenica«, dann das Zeitalter Augustins als Reformzeit, der Niedergang durch Thomas und die Scotisten, schließlich die erneute Restitution der Lehre durch Luther 36 . Damit sind Melanchthons Äußerungen zur heilsgeschichtlichen Sonderrolle Luthers nicht widerspruchsfrei. Vertritt er anderswo eine stringente Verfallstheorie von der Alten Kirche bis zur Reformation 37, erscheint Luthers Reformation in diesem Text nur als eine Phase innerhalb der Kirchengeschichte38 , die aus abwechselnden Perioden von Niedergang und Aufstieg besteht: »Nec nouum exemplum est, rebus recte traditis, postea fingi corruptelas«.39 Interessanterweise erwähnt Melanchthon anders als in anderen Texten nicht die Nähe des Endes und des Jüngsten Gerichts. Luther wird somit als wichtiger Reformator, nicht aber als endzeitlich-charismatische Gestalt gezeichnet. Daneben ist hier vor allem die Tatsache interessant, daß Melanchthon Luther in eine Kontinuität   Vgl. CR 11,783–788.   Vgl. CR 11,785: »Nec accusanda est hic tantum uanitas humanorum ingeniorum, sed etiam daemonum malicia«. 36  Vgl. CR 11, 786  f . Zu diesen fünf ›aetates‹ vgl. Fraenkel, Testimonia patrum, 82– 109. Zur mittelalterlichen Tradition vgl. Schmidt, Roderich, Aetates mundi. Die Weltalter als Gliederungsprinzip der Geschichte, in: ZKG 67 (1955/56), 288–315. 37  Vgl. CR 11,646; CR 21,86. 38  Warum Kaufmann den Text als Abriß einer »Philosophiegeschichte« anstatt einer Theologie- und Kirchengeschichte (siehe Titel!) deutet, leuchtet nicht ein. Vgl. Kaufmann, Ende der Reformation, 315. 39  CR 11,784. 34 35

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biblischer oder historischer Personen stellt. Andere, verbreitetere Lutherbiographien gehen anders vor. In ihnen erscheint Luther eher als charismatische Ausnahmegestalt; dies schon deshalb, weil die Biographien die Vorgeschichte der Reformation kaum darstellen. Die meistgelesene Lutherbiographie des Reformationsjahrhunderts verfaßte der Melanchthonschüler Johannes Mathesius, wichtiger Reformator des böhmischen Raumes und Joachimsthaler Rektor.40 Es handelt sich bei seiner Biographie um einen siebzehnteiligen Predigtzyklus, der 1566 veröffentlicht wurde; Mathesius griff dabei auf Luthers Schriften, Tischreden und Briefe, aber auch auf persönliche Erinnerungen zurück.41 Der Zyklus erlebte bis 1600 elf Auflagen und zählt damit zu den wirkungsstärksten deutschen Historienbüchern des Jahrhunderts. Zu Beginn des Textes begründet Mathesius sein Vorhaben: Er wolle die Bio­ graphie Luthers schreiben, weil viele Menschen bereits den Zustand der Kirche vor Luther vergessen hätten.42 Darauf beschreibt er kurz die Geschichte der Kirche bis hin zu Luther. Anders als in anderen Texten wird hier nicht die sonst übliche Metaphorik von Licht und Dunkelheit gebraucht; Mathesius arbeitet, seinen ersten Zuhörern aus dem Bergmannsmilieu vielleicht ebenso angemessen, mit dem Bildfeld des reinen Wassers und des Brunnens, der immer in Gefahr ist, verunreinigt zu werden. Ähnlich wie bei Melanchthon wird hier die Kirchengeschichte als ein Auf und Ab von Verunreinigung der Lehre und anschließender Reform gedeutet: »Als aber der leydige Sathan disen Brunnenquel von anbeginn verstopffet / vnd die seligen röhren mit vnreinem vnd vergifftem wasser / neben seinen fröschen vnd kröten verunreinen vnnd füllen wolte / schicket der ewige Sone Gottes zu der zeyt seine geystliche rhörmeister / die solche gefülte oder verstopffte brunnen vnd rören fegeten / vnd das reine wasser wider fertigten«43.

Die »seligen röhren Gottes« seien nach der Zeit des Evangeliums vom Teufel verstopft worden, indem dieser die Arianer und den Islam im Osten, im Westen aber den päpstlichen Antichristen erweckt habe.44 Während man eine Zeitlang noch an einzelnen Orten des Abendlandes – Mathesius nennt Rom, Paris, Ful  Vgl. Beyerle, Stefan, Art. »Mathesius, Johannes«, in: BBKL 5, Sp. 1000–1011.   Die wichtigste Untersuchung zu dem Zyklus ist immer noch: Volz, Hans, Die Lutherpredigten des Johannes Mathesius. Kritische Untersuchungen zur Geschichtsschreibung im Zeitalter der Reformation, Leipzig 1930 (QFRG 12). Zu Mathesius’ Quellen vgl. ebd., 5. Ebd., 58, auch der plausible Hinweis, daß Mathesius’ Werk auch eine Antwort auf die 1549 erschienene Lutherdarstellung von Johannes Cochläus ist. 42  Mathesius, Johannes, Historien / Von des Ehrwirdigen in Gott Seligen thewren Manns Gottes / Doctoris Martini Luthers / anfang / lehr / leben vnd sterben / Alles ordendlich der Jarzal nach / wie sich alle sachen zu jeder zeyt haben zugetragen. . ., Nürnberg 1566, A ij v. 43  Ebd., B j v. 44  Vgl. ebd., B j v – B ij r. 40

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da und Westfalen, also exemplarisch katholische Orte oder Regionen – das reine Wasser des Evangeliums habe genießen können, seien schließlich alle Quellen vergiftet gewesen. »Zwo selige Röhren«, offenbar Jan Hus und Hieronymus von Prag, seien in Böhmen gelegt, aber durch den Satan vernichtet worden. Erst der Auf bau der Wittenberger Universität habe schließlich zu einer durchgreifenden Besserung geführt.45 Dieser Universität sind die Predigten auch gewidmet; Mathesius nennt sich selbst einen »burger der Wittenbergischen kirchen / vnd gliedmas vnd schuler derselben Schul«46 . Nachdem in der Vorrede ein Interpretationsrahmen entworfen worden ist, beginnt Mathesius die erste Predigt mit Luthers Geburtsdatum. 1483, so behauptet er irrigerweise, sei gleichzeitig das Jahr, in dem »der selige Merterer« Savonarola verbrannt worden sei.47 Nachdem Luther so in den Kontext spätmittelalterlicher Kirchenreform eingeordnet worden ist, beschreibt Mathesius in den weiteren Predigten dessen Lebensweg. Auffällig ist sein offensichtlicher Unwille, Luther als Propheten zu sehen: Dies sei er schon deshalb nicht, weil er nicht in direkter visueller und oraler Kommunikation mit Gott gestanden habe; eher müsse er als »ein rechter vnnd Christlicher Doctor der heyligen Schrifft vnd zeuge der Christenheyt / vnd seliger Kirchendiener« gelten.48 Dennoch sei das Auftreten Luthers durch Prophezeiungen vorhergesagt worden, ja die »vralte weyssagung von der Reformation vorm Jüngsten tage«49 ziele auf Luther. Sehr deutlich streicht Mathesius immer wieder die Tatsache heraus, daß Luther nicht allein wirkte, sondern Freunde und Verbündete besaß. Besonders groß ist hier die Rolle »seines aller liebsten freundes« Melanchthon.50 Wenn es wiederholt heißt, von der Universität Wittenberg aus seien »des Antichrists grewel vnd Abgötterey angriffen«51 worden, dann ist ebenso Melanchthon wie Luther gemeint. Diese den ganzen Text durchziehende Hochschätzung Melanchthons gipfelt schließlich in Aussagen wie der folgenden: »Denn das am ende der welt / der dritte Elias / vnd Enoch / die seligen zwen ölbeum / wider aufftreten werden / ist ein alte Cabala / oder tradition / inn der Christenheyt blieben«.52 Der zweite Ölbaum sei aber eben Melanchthon: »Diß sind nun die zwen Bergmenner / so [. . .] dem Bapstumb das gebrante leid angethan / vnd der Christenheyt vnzehlich wolfart erzeyget / vnnd darneben die schrift erkleret   Vgl. ebd., B ij r–v.   Ebd., B iij r-v. Die Verbindung von Kirche und Universität ähnelt hier der Melanchthonischen Konzeption der Kirche als coetus scholasticus; vgl. CR 21, 835 und Fraenkel, Testimonia patrum, 153. 47  Ebd., I r. In Wahrheit wurde Savonarola im Jahr 1498 hingerichtet. 48  Ebd., CXCI v. In der Vorrede hatte Mathesius Luther allerdings noch als »deutschen Propheten« bezeichnet; ebd., A iij r. Vgl. dazu Sommer, Luther. 49  Ebd., CXCIX r. 50  Ebd., CCV r. 51  Ebd., CCCVI v. 52  Ebd., CCXII r. 45 46

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/ die Bibel verdeutscht / gute künst wider gereyniget / vnd zum rechten brauch gebracht / vnd viel guter leut erzogen« 53.

Die Bedeutung, die Mathesius sowohl Melanchthon und der Universität Wittenberg als neuem Zion 54 als auch der Bildung generell beimißt, erklärt sich wohl aus der Verehrung, die er gegenüber seinem Lehrer zum Ausdruck bringen will, aber auch aus einem generellen Zugehörigkeitsgefühl zum Lager der Melanchthonianer. Konsequenterweise bilden der Augsburger Reichstag und das von Melanchthon verfaßte Bekenntnis den Höhepunkt von Mathesius’ Luthervita, obwohl der Reformator selbst bekanntlich in Augsburg nicht anwesend war.55 Mathesius will, auch hierin eher philippistischer Deutung folgend, Luther nicht zum Propheten stilisieren, wenn er auch annimmt, daß mit der Reformation die Endzeit angebrochen sei. Die Einbettung Luthers in eine Kirchengeschichte, die aus einem Wechsel von Aufstieg und Niedergang besteht, sowie die Wichtigkeit, die den universitären Studien beigemessen wird, rückt Mathesius’ Darstellung sehr stark in die Nähe Melanchthons. Die sich vor allem auf Mathesius stützende biographische Rede des Leipziger Superintendenten Nikolaus Selnecker von 1574/75 stellt nur marginal Bezüge zur vorreformatorischen Geschichte her.56 Überhaupt bezieht er sich in seiner gesamten Rede nur auf unmittelbar vorreformatorische Zustände, so auf den Ablaß, die seelenlose Routine der liturgischen Vollzüge und die Unfähigkeit der Priester. Auf eine weitere geschichtstheologische Situierung Luthers verzichtet Selnecker. Noch stärker als Mathesius geht es ihm darum, die Übereinstimmung zwischen Luther und Melanchthon aufzuweisen. Offenbar hatte Selneckers Rede in höherem Maße als Mathesius’ Text eine tagespolitische Komponente, nämlich den Streit um den richtigen Weg innerhalb der kursächsischen Konfessionalisierung.57 Dieser Richtungsstreit benötigte den Rekurs auf Luther und Melanchthon stärker als die Erinnerung an vorreformatorische Entwicklungen.

  Ebd., CCXVI r.   Vgl. ebd., CCXVII r. 55  Vgl. Boettcher, Susan R., Martin Luthers Leben in Predigten: Cyriakus Spangenberg und Johannes Mathesius, in: Martin Luther und der Bergbau im Mansfelder Land. Aufsätze, hg. v. Rosemarie Knape, Lutherstadt Eisleben 2000, 163–188, hier 169. 56  Vgl. Selnecker, Nikolaus, Historica Oratio. Vom Leben vnd Wandel des Ehrwirdigen Herrn / vnd thewren Mannes Gottes / D. Martini Lutheri. Auch von einhelliger vnd bestendiger Eintrechtigkeit Herrn Lutheri vnd Philippi. Gehalten in der Vniversitet zu Leipzig . . ., Leipzig 1576 (benutzt nach dem Faksimiledruck: Lebensbeschreibung Martin Luthers von Nicolaus Selnecker, hg. v. Alfred Eckert, Fürth 1992). Dies ist die Übersetzung des lateinischen Originals von 1575; die Rede wurde 1574 in Leipzig gehalten. Zum Kontext vgl. Hasse, Lutherbiographie; zur Biographie vgl. Dibelius, Franz, Art. »Selnecker, Nikolaus«, in: RE 18, 184–191. 57  Vgl. Hasse, Lutherbiographie. 53 54

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In ganz anderer Weise wird Luther in der partiell auf Mathesius auf bauenden Biographie des Mansfelder Generaldekans Cyriakus Spangenberg beschrieben.58 Die Luthervita Spangenbergs erschien zunächst in zehn separat publizierten Predigten, später auch als Zyklus.59 Anders als Mathesius bemüht sich Spangenberg nicht um eine durchgängige Erzählung, sondern reiht eher einzelne Aspekte von Luthers Leben und Wirken aneinander; seine Vita erreichte möglicherweise auch deshalb nicht dieselbe hohe Ausgabenzahl.60 Vor dem Hintergrund von Mathesius’ breiter historischer Einordnung des Reformators fällt v.  a. die Tatsache auf, daß Spangenberg daran kaum interessiert ist. Natürlich liest man auch bei ihm den unspezifischen Hinweis, das Evangelium sei lange Zeit verdunkelt gewesen.61 Ansonsten aber löst Spangenberg Luther viel stärker von seiner Vorgeschichte ab und profiliert ihn so als charismatische Gestalt, die einen welthistorischen Bruch vollzieht. Luther wird zum endzeitlichen Elias stilisiert 62 , als größter Theologe seit der Apostelzeit und als durch vielfältige Prophezeiungen angekündigt beschrieben63. Den Höhepunkt von Spangenbergs 58  Zum Verhältnis der Spangenbergschen zu Mathesius’ Biographie vgl.: Boettcher, Martin Luthers Leben, 163  f. 59  Vgl. Spangenberg, Cyriacus, Von der Geistlichen Haushaltung vnd Ritterschafft D. Martin Luthers. Zum Exempel allen rechtschaffnen Euangelischen Lerern. Zwo Predigten, Erfurt 1565; Die Dritte Predigk. Von dem Heiligen Gottes Manne / Doctore Martino Luthero / Sonderlich von seinem Prophetenampt. Geschehen am tage Martini / den 11. Nouembris / Anno 1563 im Thal Mansfeldt. . ., Erfurt 1565; Die Vierde Predigk. Von dem grossen Propheten Gottes / Doctore Martino Luthero, Das er ein rechter Helias gewesen. Geschehen am tage Concordiae, Den 18. Februarij / Anno 1564. Im Thal Manßfeldt. . ., Erfurt 1565; Die Fünffte Predigk / Von dem Apostelampt / des trefflichen Mannes/ D. Martin. Luthers. Geschehen den 12. Nouemb. Anno 1564. Im Thal Manßfeldt. . ., o.O. 1566; Die Sechste Predigt / Von dem werden Gottes Lehrer. Doctor Martin Luher (!), das er ein rechter PAVLVS gewesen. Geschehen im Tal Manßfeldt / 1565. den 18. Februarij. . ., o.O. 1566; Die Siebende Predigt. Von dem Hocherleuchten Gottes Manne / Doctor Martin Luther /Das er ein warer Evangelist / vnd rechter Ioannes gewesen. . ., Erfurt 1566; Die Achte Predigk. Von dem werden Gottes Manne / Doctor Martin Luther, Das er der fürtrefflichst vnd grössest Theologus gewesen / von der Apostel zeit her. . ., Erfurt 1566; Die Neunde Predigk / Von dem Heiligen Manne Gottes / D. Martini Luthero / Das er ein rechter Engel des HErrn / vnd eben der Engel /dauon Apocal. 14 geschrieben stehet /gewesen sey. . ., Eisleben 1568; Die Zehende Predigt / Von dem thewren Bekenner Gottes: D. Martin Luther, Das er ein rechtschaffen heiliger MARTYRER vnd Bestendiger Zeuge Jhesu Christi gewesen. . ., Eisleben 1568. Im folgenden werden die Predigten mit römischer Numerierung zitiert. – Zu Spangenbergs Biographie siehe: Kolb, Robert, Art. »Spangenberg, Cyriacus«, in: Oxford Encyclopedia of the Reformation 4, 99  f.; Kawerau, Art. »Spangenberg, Cyriacus«, in: RE 18, 567–572. 60  Vgl. Boettcher, Martin Luthers Leben, 164, die auch die These aufstellt, daß wegen Spangenbergs theologisch kontroverser Außenseiterposition möglicherweise ab 1574 der Buchmarkt für dessen Lutherbiographie wegbrach. 61  Vgl. Spangenberg, Luther I, A v v. 62  Vgl. Spangenberg, Luther IV, B ij v. Daß Spangenberg zu jenen Gnesiolutheranern gehört, deren Amtsverständnis ebenfalls ›prophetische‹ Züge besaß, betont Kolb, Flacian Rejection of the Concordia, 216. 63  Vgl. Spangenberg, Luther VIII, B iiij r – E v r.

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Luthervita bildet, anders als bei Mathesius und in anderen frühen reformationsgeschichtlichen Darstellungen64, nicht der Augsburger Reichtstag von 1530, der als kleinster gemeinsamer Nenner in den innerprotestantischen Streitigkeiten der zweiten Jahrhunderthälfte eine hohe Autorität besaß, sondern Luthers bekennerhafter Auftritt auf dem Wormser Reichstag von 1521. Entsprechend hoch ist auch die Verehrung, die Spangenberg Märtyrern und Bekennern entgegenbringt.65 Dies hängt damit zusammen, daß er, anders als Mathesius, die Tatsache hervorhebt, daß nach Luthers Tod die wahre Religion wiederum verfälscht worden sei und immer der Gefahr der Fehlinterpretation unterliege. Auch diese Gefahr ist für Spangenberg ein Zeichen der Endzeit.66 Während Mathesius Hus zwar erwähnt, aber insgesamt vor allem die Bedeutung der Universität für die Reformation beschreibt, stellt Spangenberg die Wichtigkeit heraus, die die Entdeckung des Märtyrers Hus für Luther besaß. Diese apokalyptisch grundierte Entdeckung wird für ihn zum Initialerlebnis, das die Fassade zerbricht, mit der sich das antichristliche Papsttum geschmückt hat: Zuvor war Hus’ Name »so grewlich verdampt [. . .] / das man dazumal dachte / die Sonne würde sich entferben / Wenn man nur des Namens Huss / wol gedechte« 67. Während also in Mathesius’ Vita die Wittenberger Universität und das Augs­ burger Bekenntnis die tragende Rolle innehaben, sind es bei Spangenberg der Märtyrer Hus und das Bekenntnis in Worms 1521. Spangenbergs Luther trägt dabei viel kämpferischere Züge. Dies hängt wohl damit zusammen, daß Spangenberg als Flacius-Anhänger auch in seinem eigenen Wirken das Postulat, ein wahrer Christ müsse mutig Zeugnis ablegen, beherzigte und so mehrmals ins Exil gezwungen wurde.68 »Wenn die Reformation in Mathesius’ Augen in Gefahr gerät, weil sie zu erfolgreich war und die Gemeindemitglieder sie vergessen, ist die Reformation für Spangenberg ein fortdauerndes, aber immer noch stark gefährdetes Ereignis.« 69

Daher legt Spangenberg so großes Gewicht auf die charismatische Einzigartigkeit Luthers: Sein Erbe muß rein bewahrt werden, weil es gefährdet ist. Spangenberg interessiert am Luthergedächtnis nicht die Einordnung in geschichts-

64  Vgl. Kolb, Robert, Augsburg 1530: German Lutheran Interpretations of the Diet of Augsburg to 1577, in: Sixteenth Century Journal 11 (1980), 47–61, v.  a. 52–57; Boettcher, Martin Luthers Leben, 175. 65  Vgl. Spangenberg, Luther X, a v. 66  Vgl. Spangenberg, Luther IX, passim. 67  Spangenberg, Luther VI, C iiij v. 68  Vgl. Kawerau, Art. »Spangenberg«. Eine groteske Interpretation der aus Bekenntniskonsequenz resultierenden unsteten Lebensläufe mancher ›Gnesiolutheraner‹ liest man bei Trunz, Späthumanismus, 31, der Spangenbergs permanente Ortswechsel als Ausdruck humanistischer Reiselust und Bildungsfreude deutet. 69  Boettcher, Martin Luthers Leben, 172.

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theologische oder universitäre Traditionen: Ihm genügt es, daß Luther als Prophet am Beginn der Endzeit steht. Ein ähnliches Profil besitzt z.  B. die biographische Predigt vom 16. Februar 1592 zum 46. Todestag Luthers des streitbaren Jenaer Theologieprofessors und späteren Wittenberger Professors und Superintendenten Georg Müller oder Mylius (1548–1607).70 Auch Mylius legt, ähnlich wie Spangenberg, großes Gewicht auf Hus’ Bedeutung für Luther. Allerdings beschränkt er sich darauf, Hus – wie auch Savonarola – vor allem als Märtyrer und Propheten zu konturieren, der das Erscheinen Luthers vorhergesagt habe.71 Luther wird also prophetisch legitimiert, aber nicht im engeren Sinne an theologische ›Vorläufer‹ angebunden. Wenn auch mehrfach die Rede von der vorreformatorischen Verfolgung von Papstgegnern ist 72 , geht es Mylius doch vor allem um die heilsgeschichtliche Sonderrolle Luthers. Wenn auch andere Reformatoren vor und neben Luther gearbeitet haben, so bestehe doch dessen Sonderposition darin, daß er »erste Hand angelegt / dieses Wercks einig vnd allein sich vnterfangen / das Eis gebrochen vnd Bahn gemacht« habe.73 Die Forschung hat mittels verschiedener Modelle religiöser Autorität die Haltung beschrieben, die die frühe Lutherbiographik gegenüber dem Reformator einnahm. Der Begriff der »Quasi-Papalisierung«74 ist so falsch nicht: Melanchthon wie Mathesius, Spangenberg wie Selnecker geht es darum, Luther als exegetische und kirchliche Autorität zu apostrophieren, nach der man sich richten soll und kann. Doch darüber hinaus wird Luther eine Form religiöser Autorität zugeschrieben, die mehr umfaßt als theologische und kirchenpolitische Kompetenz: Er wird nämlich als Heiliger bezeichnet. Nach der lutherischen Heiligenkonzeption, die zur Bewunderung und tätigen Nachahmung aufrief (vgl. Kap. B.V.5.a), ist es durchaus plausibel, die Lutherbiographien in der Tradition mittelalterlicher Heiligenviten zu sehen.75 Doch der ebenfalls eingeführte Begriff der »säkularisierten Hagiographie«76 vernebelt mehr als er klärt. Na70  Vgl. Müller, Zwo Christenliche Predigten. Zu Biographie und Schriften vgl. Zedler 22, Sp. 1698–1700; siehe zu ihm auch: Appold, Kenneth, Der Fall Georg Mylius. Biographie als Mittel konfessioneller Identitätsbildung, in: Die Theologische Fakultät Wittenberg 1502–1602. Beiträge zur 500. Wiederkehr des Gründungsjahrs der Leucorea, hg. v. Irene Dingel/Günther Wartenberg, Leipzig 2002, 155–172 (zur Vita 157–159). 71  Vgl. Müller, Zwo Christenliche Predigten, Ciiij v, D r. 72  Vgl. ebd., D ij r. 73  Ebd., D iij r. 74  Wolgast, Eike, Biographie als Autoritätsstiftung: Die ersten evangelischen Lutherbiographien, in: Biographie zwischen Renaissance und Barock. Zwölf Studien, hg. v. Walter Berschin, Heidelberg 1993, 41–71, hier 43. 75  Vgl. Immenkötter, Herbert, Von Engeln und Teufeln: Über Luther-Biographien des 16. Jahrhunderts, in: Biographie und Autobiographie in der Renaissance, hg. v. August Buck, Wiesbaden 1983, 91–102. Den Unterschied zu den sermones de sanctis betont: Volz, Lutherpredigten, 34  f. 76  Vgl. Wolgast, Biographie, 42; im Anschluß daran Hasse, Lutherbiographie, 93.

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türlich geht es in der Luthermemoria nicht um die Anrufung Luthers im Sinne der altgläubigen Liturgie. Säkularisiert sind die Viten trotzdem nicht, wenn denn der Begriff irgendeinen Sinn behalten soll. Denn neben die hagiographische Stilisierung tritt im Memorialzusammenhang eine andere, wichtigere: Luther wird in vielen Texten als prophetische Gestalt gezeichnet, die einen scharfen Bruch mit einem verrotteten Kirchenwesen vollzieht und, von Gott gesandt, am Beginn der Endzeit steht. Das Interesse am Gesamtablauf der Kirchengeschichte oder eine Rückbindung Luthers an seine Vorgeschichte tritt in den meisten Texten deutlich hinter die Absicht zurück, Luther als charismatische Gründungsfigur zu profilieren. Gerade die Ausnahme, die Mathesius’ Biographie mit ihrer breiteren Einordnung Luthers in einen historischen Gesamtzusammenhang bildet, weist darauf hin, daß es sich auch um eine Entscheidung der Autoren handelt, den Reformator in seiner – von allen gleichermaßen zugestandenen – Sonderrolle in besonders hohem Maße hervorzuheben oder dies eben nicht zu tun. Der herausgearbeitete Unterschied zwischen Mathesius und Spangenberg sowie den ihnen jeweils folgenden Autoren, zwischen dem eher Melanchthon oder eher Flacius zuneigenden Theologen, zwischen einer Einordnung Luthers in die Geschichte und seiner Zeichung als charismatische Gestalt wird jedenfalls noch öfter begegnen. Einen Sonderfall der biographischen Lutherliteratur bildet die kleine Edition mit Quellen aus Luthers Leben, die der Leipziger Geschichtsprofessor Matthäus Dresser herausgab.77 Dresser geht es weniger um die geschichtstheologische Situierung Luthers und damit um eine religiöse Überhöhung des Reformators; er macht tatsächlich einmal den Versuch, die Reformation als historisches Ereignis aus den wichtigsten Dokumenten heraus darzustellen. Die Edition enthält neben einigen Trauerpredigten und -reden und einer Zeittafel zu Luthers Leben auch Melanchthons biographische Texte, Briefe Luthers, eine Erzählung über Luthers Romfahrt und einen Bericht über seinen Tod. Der dokumentarische Anspruch ist also höher als in den meisten anderen Texten, die sich Luthers Leben widmen; auch wird er nicht zum Propheten oder zum letzten Vorläufer Christi erklärt. Doch trotz dieses relativ singulären Profils von Dressers Edition fügt sich diese in den Rahmen des lutherischen Erinnerungsdiskurses ein: Das Vorwort mit seiner klaren Absage an Calvinisten und Zürcher 78 zeigt, daß auch diese Edition ein Dokument lutherischer Abgrenzung darstellt. Werke dieser semidokumentarischen Faktur, zu denen auch die von David Chyträus verfaßte Entstehungsgeschichte der Augsburger Konfession gehörte79, waren insgesamt

  Vgl. Martini Lutheri Historia . . ., edita a Matthaeo Dressero, Leipzig 1598.   Vgl. ebd., a3v, a6r, a8r. 79  Vgl. dazu Keller, Rudolf, Die Confessio Augustana im theologischen Wirken des Rostocker Professors David Chyträus (1530–1600), Göttingen 1994. 77 78

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eher selten. Viel häufiger waren Texte, die Luther als gottgesandte, prophetische, charismatische Gestalt in einer endzeitlichen Szenerie auftreten ließen.

3.  Die Selbstmemorialisierung der Reformation im Jubiläum In einem Brief an Amsdorff vom 1. 11. 1527 berichtete Luther: »Wittembergae die Omnium sanctorum, anno decimo Indulgentiarum conculcatarum, quarum memoria hac hora bibimus vtrinque consolati« 80. Die Feier, die Luther zum zehnjährigen Jahrestag des Kampfes gegen den Ablaß beging, sollte allerdings im Reformationsjahrhundert eher eine Ausnahme bleiben: Ein regelmäßiger Gedenktag, der an den Beginn der Reformation erinnerte, konnte sich noch nicht etablieren.81 Immerhin wurde ab den späten 1520er Jahren in mehreren Kirchenordnungen Bugenhagens ein Reformationsgedenkfest vorgesehen, das jeweils auf den Tag der Einführung der jeweiligen Ordnung gelegt wurde.82 Andernorts gedachte man z.  B. am Tage der Übergabe der Augsburger Konfession (25. Juni), am Tag der Kirchweihe, an Luthers Todestag oder am Martinstag (Luthers Tauftag), der Reformation und Luthers.83 So wurde in Brandenburg im Zusammenhang mit dem öffentlichen Bekenntnis Joachims II. zur Reformation im Jahr 1563 ein jährliches Reformationsdankfest eingerichtet 84 ; lutherische Pastoren predigten manchmal an einem Luthergedenktag 85. Eine einheitliche, überterritoriale Gedenkveranstaltung am 31.10. etablierte sich aber erst in der Nachfolge des Reformationsjubiläums 1617.86   WA Br 4,275.   Vgl. aber Kap. B.VI., in dem die Kalenderliteratur als der eigentliche Träger der Luthermemoria bis 1617 ausgemacht wird. 82  Vgl. Urner, H., Art. »Feste und Feiern IV«, in: RGG3 2, Sp. 919–921, hier 920. 83  Vgl. die verstreuten Angaben in: Schulz, Frieder, Art. »Reformationsfest«, in: EKL 3, Sp. 1492–1493; Schönstädt, Hans-Jürgen, Antichrist, Weltheilsgeschehen und Gottes Werkzeug. Römische Kirche, Reformation und Luther im Spiegel des Reformationsjubiläums 1617, Wiesbaden 1978, 10–11; Mitterauer, Michael, Anniversarium und Jubiläum. Zur Entstehung und Entwicklung öffentlicher Gedenktage, in: Der Kampf um das Gedächtnis, hg. v. Emil Brix/Hannes Stekl, Wien/Köln/Weimar 1997, 23–89, v.  a. 54. 84  Vgl. Rudersdorf, Manfred/Schindling, Anton, Kurbrandenburg, in: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, 7 Bde., Bd. 2, Münster 21990, 34–66, hier 47. 85  Vgl. z.  B. Müller, Georg, Zwo Christenliche Predigten; ders., EXODUS EVANGELICA: Oder Wittembergischer aller Heyligen Tag / Eine Christliche Preigt / Von der seligen vnd wunderthätigen Erlösung der Christlichen Israeliten / auß der langwirigen Gefencknis / des Römischen Pharaonis / im Bäpstischen AEgypto: welche sich durch gnadenreiche erscheinung des H. Euangelii / vor 70. Jaren / auff Aller Heyligen tag / angefangen hat in Wittemberg / Zu Danckbaren ehren Christo / vnd seinem H. Euangelio / auch billichem ruhm des newen Sions / der löblichen Churstatt Wittemberg / Gehalten auff Aller Heyligen tag / in der Schloßkirchen daselbst. . ., Tübingen 1588. 86  Vgl. Merkel, Helmut, Art. »Feste und Feiertage IV«, in: TRE 11, 115–132, hier 128. 80 81

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II.  Charismatische Stilisierung: Konturen des Luthergedächtnisses

Diese Unregelmäßigkeit ist aufs Ganze gesehen weniger erstaunlich als die Tatsache, daß sich zumindest ab 1617 ein mehr oder minder fest institutionalisiertes Reformationsfest entwickelte. Denn noch die christliche Kultur des Spätmittelalters kannte außer den Heiligentagen überhaupt keine überlokalen Gedenktage.87 Insofern war das Reformationsfest als gefeierte Erinnerung an ein historisches Ereignis ein einzigartiges Phänomen.88 Es waren wohl zwei Traditionsstränge, die die skizzierten Anfänge eines lutherischen Reformationsgedenkens verstärkt und fokussiert haben: zum einen die Konkurrenz des katholischen Jubeljahres, zum anderen die Universitätsjubiläen. Das päpstliche Jubeljahr stieß auf lutherischer Seite in den Jahren 1525 und 1550 nur auf recht schwache Reaktionen. Nur wenige Schriften griffen Papst, Jubeljahr und Sündenerlaß voller Ironie und Selbstbewußtsein an. Diese Haltung konnte angesichts der Gefährdung des Luthertums durch äußere wie innere Bedrohungen 1575 und zumal 1600 nicht aufrechterhalten werden. Im Jahr 1600 als dem Abschlußjahr des Reformationsjahrhunderts erschien daher eine Vielzahl lutherischer Schriften und Predigten, die mit hoher apokalyptischer Intensität das Gedenken an die endzeitliche Heilstat Luthers vor Augen stellten. Dies war mehr als ein polemischer Angriff auf das römische Jubeljahr: Es war der erste Versuch, sowohl ein eigenes ›Jubeljahr‹ zu initiieren als auch zum ersten Mal in überterritorialem Rahmen ein Reformationsfest zu feiern, das wesentliche Züge des Reformationsjubiläums 1617 vorwegnahm. Dem Jahr 1600 kommt damit eine eminente Bedeutung für die Gedenkkultur des deutschen Luthertums zu.89 Neben die Auseinandersetzung mit den römischen Jubeljahren trat im 16. Jahrhundert die Feier von Universitätsjubiläen. Sie besitzen eine besondere Bedeutung für die Entstehung und Etablierung der modernen Jubiläums- und Erinnerungskultur.90 Jedenfalls etablierte sich die Feier von Gedenktagen an runden Daten an den Universitäten relativ früh und nachhaltig. Die Universitätsjubiläen in Tübingen 1578, Heidelberg 1587, Wittenberg 1602, Leipzig 1609 87  Bernd Moeller merkt an, daß »Luther unter den Personen der Geschichte, denen Jubiläen zugewandt zu werden pflegen (von den Personen des Heiligenkalenders sehe ich jetzt einmal ab), der älteste ist«: Moeller, Bernd, Luthers Erfolge, in: ders., Luther-Rezeption. Kirchenhistorische Aufsätze zur Reformationsgeschichte, Göttingen 2001, 270– 284, hier 270  f. 88  Vgl. Mitterauer, Anniversarium, 59; Brendecke, Jahrhundertwenden, 91. 89  Vgl. Kaufmann, Thomas, Römisches und evangelisches Jubeljahr 1600. Konfessionskulturelle Deutungsalternativen der Zeit im Jahrhundert der Reformation, in: Millenium. Deutungen zum christlichen Mythos der Jahrtausendwende, 73–136, hier 103–113, 130. 90  Vgl. Müller, Winfried, Erinnern an die Gründung. Universitätsjubiläen, Universitätsgeschichte und die Entstehung der Jubiläumskultur in der frühen Neuzeit, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 21 (1998), 79–102, hier 80.

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(sowie, nach 1617, Rostock 1619 und Helmstedt 1676) 91 wurden mit Predigten und akademischen Reden begangen und gerieten, entsprechend der konfessionellen Durchdringung der Universitäten, durchgängig zu konfessionellen Veranstaltungen: »Im Jubel verschmolzen Universität und Konfession.«92 Elemente dieser beiden Traditionsstränge liefen im großen Reformationsjubiläum 1617 zusammen. Die Initiative für diese Feier ging vor allem vom lutherischen Kursachsen und von der reformierten Kurpfalz aus. Das deutsche Reformiertentum unternahm damit einen der zahlreichen Versuche vor 1648, sich gegenüber dem Reich als ›lutherisch‹ (d.  h. vom Religionsfrieden legitimiert) zu stilisieren. Diese Versuche stießen üblicherweise auf scharfen Widerstand von lutherischer Seite. Doch in der Publizistik und in den Predigten zum Jubiläum herrschten antijesuitische und antipäpstliche Tendenzen vor; insofern wurden auch gemeinprotestantische, weniger lutherische oder reformierte Töne angeschlagen.93 In erster Linie ging es darum, die Reformation Luthers als Heilstat zu deuten, die von Gott selbst herbeigeführt worden sei.94 Ganz eindeutig beanspruchte Luther mehr Interesse als die vorreformatorische Geschichte: ›Hi­sto­ rische‹ Themen, die die Reformation ausführlich in einen größeren welt- oder kirchengeschichtlichen Rahmen einbanden, waren selten. So spielte in der Druckgraphik zum Jubiläum neben der Apotheose Luthers ein im engeren Sinne historischer Erinnerungsdiskurs keine nennenswerte Rolle.95 Wichtig war aber das Argument, daß die Reformation nicht etwa eine ›neue‹ Religion eingeführt, sondern die alte Religion restituiert habe. Diese Perspektive des Verfalls der wahren Religion wurde ergänzt durch die Konzeption einer kontinuierlichen Bewahrung der ursprüngliche Lehre.96 Neben das Interesse an Lu-

91  Vgl. Brendecke, Jahrhundertwenden, 93; Müller, Erinnerung, 85; zu Wittenberg siehe besonders: Gummelt, Volker, Die Theologische Fakultät und das Jubiläum der Universität Wittenberg 1602, in: Die Theologische Fakultät Wittenberg 1502–1602. Beiträge zur 500. Wiederkehr des Gründungsjahrs der Leucorea, hg. v. Irene Dingel/Günther Wartenberg, Leipzig 2002, 223–236. 92  Brendecke, Jahrhundertwenden, 94. 93  Vgl. die Untersuchungen von Schönstädt, Antichrist; Kastner, Ruth, Geistlicher Rauff handel. Form und Funktion der illustrierten Flugblätter zum Reformationsjubiläum 1617 in ihrem historischen und publizistischen Kontext, Frankfurt a.  M./Bern 1982 sowie Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, 10–23. Die antireformierte Komponente tritt stärker hervor in der Studie von: Loofs, Friedrich, Die Jahrhundertfeier der Reformation an den Universitäten Wittenberg und Halle, 1617, 1717 und 1817, in: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen 14 (1917), 1–68, der z.  B. auf das ostentative Totschweigen von Person und Werk Melanchthons durch Wittenberger Theologen hinweist (14–19). 94  Vgl. Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, 18. 95  Vgl. Orschler, Judith, Protestantische Lehr- und Erbauungsgraphik. Perspektiven der Erforschung konfessioneller Bilderwelten, Teil 2, in: Jahrbuch für Volkskunde N.  F. 22 (1999), 203–240, hier 206. 96  Vgl. Schönstädt, Antichrist, 226–237.

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II.  Charismatische Stilisierung: Konturen des Luthergedächtnisses

ther als Werkzeug Gottes trat die Antichristprädikation: Das Luthergedächtnis konzentrierte sich auf den endzeitlichen Kampf mit dem Papsttum.97 Aus der historischen Legitimation der eigenen Gruppenidentität und dem religiösen Aufruf zum Widerstand gegen Rom wurde hier insofern ein politisches Motiv, als der Rekurs auf die mittelalterliche Konfliktgeschichte zwischen Kaiser und Papst in der historischen Erinnerung von 1617 eine große Rolle spielte.98 Damit konnte Geschichtsdeutung Teil von Kriegspropaganda und das Reformationsjubiläum zur »Kriegsursache« (oder doch zu einem verschärfenden Faktor in der politischen und religiösen Konfrontation) werden.99 Insgesamt also zeigt sich, daß die Reformation in bisher nicht gekanntem Maße eine Memorialkultur auslöste, die einem einzigen Ereignis und dessen Initiator gewidmet war. Die Heroisierung Luthers wurde nicht nur in textueller und visueller Form, sondern auch in Predigt und Feier betrieben. Die Jubiläums­ texte und -feiern legten den Akzent auf die Reformation und die Person Luthers, ohne in gleichem Maße auf historische, heilsgeschichtliche oder theologische Kontinuitäten einzugehen. Man wird indes nicht soweit gehen können, die Reformation als »heiligen Anfang« zu bezeichnen, die »unter den denkwürdigen historischen Ereignissen eine ähnliche Sonderstellung wie der Reformator unter den denkwürdigen Personen« einnahm.100 Dies trifft schon deshalb nicht den Punkt, weil die Reformation bei aller Lutherverehrung nie als »Anfang« verstanden wurde. Der »Anfang«, auf den Bezug genommen wurde, war die Heilstat Christi. Trotzdem ist auffällig, in welch hohem Maße die charismatische Gestalt Luthers im Jubiläumsdiskurs als einzigartige, gottgesandte Figur imaginiert wurde, die am Beginn einer neuen heilsgeschichtlichen Epoche steht. Daß diese Epoche die letzte Zeit war, darüber waren sich die meisten Autoren einig, wenn auch manche diesen Aspekt weniger stark in den Vordergrund stellten. Die Vorgeschichte der Reformation und damit auch ihre historische Situierung fand jedenfalls deutlich weniger Interesse; insgesamt dominierte Luther als ›Initiator‹ die Reformationsmemoria.

  Vgl. Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, 16.   Vgl. Schönstädt, Antichrist, 180–184; Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, 21. 99  Burkhardt, Johannes, Der dreißigjährige Krieg, Frankfurt a.  M . 1992, 128. Neben diese kirchlichen und politischen Motive traten andere, so etwa ein kritischer binnenlutherischer Frömmigkeitsdiskurs im Anschluß an Johann Arndt. Vgl. Brendecke, Arndt/ Friedrich, Markus, Reformationsjubiläum als Kritik. Das »wahre Christentum« in Johann Angelius Werdenhagens acht Helmstedter Reden von 1617, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 20 (2001), 91–105. 100  Mitterauer, Anniversarium, 59. 97 98

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4.  Predigtpostillen: Die begrenzte Reichweite des historischen Arguments Die Predigt war das Medium, in dem sich einerseits lutherische Religiosität am prinzipiellsten konstituierte und das andererseits die größte Breitenwirkung ermöglichte. Insofern ist es einleuchtend, auch Predigten nach ihrem Umgang mit der Geschichte zu befragen. Die Predigt war der Ort, an dem lutherische Orthodoxie als Brückenschlag von der Lehre zum Leben am konzentriertesten stattfand. Mit ihrer Nähe zur Alltagssprache, aber auch ihrem gezielten Einsatz literarischer Mittel (wie Anekdoten oder Exempel) kam sie näher an die Lebenswirklichkeit der Bevölkerung heran, als dies der gelehrte Diskurs vermochte.101 Predigten wurden in großer Zahl auch gedruckt und verkauft. Wenn auch die außerordentlich breite reformatorische Öffentlichkeit der frühen 1520er Jahre im Laufe des Jahrhunderts nicht wieder hergestellt werden konnte, wirkte doch die Predigtliteratur durch ihren Doppeleinsatz in mündlicher wie schriftlicher Form in besonders hohem Maße.102 Perikopenpredigten zum gesamten Kirchenjahr, die als Predigtpostillen publiziert wurden, gerieten unter lutherischen Pfarrern geradezu zum Modephänomen.103 Sie wurden vor allem von anderen Pastoren rezipiert, um vorbildliche Predigten zur Nachahmung zu finden; dieser Leserkreis erweiterte sich durch eine vermutlich kleine Zahl von bürgerlichen oder adligen Lesern, die sich durch die Lektüre erbauen wollten.104 Aber schlug sich in ihnen auch die Erinnerung an die Reformation nieder? Wurde in Predigtpostillen des Reformationsjahrhunderts bereits versucht, an bestimmten Tagen – vielleicht am späteren Reformationstag – eine stetige Erinnerung an die Reformation zu initiieren?

101  Vgl. Kaufmann, Universität, v.  a . 511 und 608. Zur Predigt als Massenmedium vgl. generell: Schindler, Norbert, Die Prinzipien des Hörensagens. Predigt und Publikum in der Frühen Neuzeit, in: Historische Anthropologie 1 (1993), 359–393. Zum Gesamtproblem für einen späteren Zeitraum vgl. Haag, Norbert, Predigt und Gesellschaft. Die lutherische Orthodoxie in Ulm 1640–1740, Mainz 1992; methodische Reflexionen zur Predigtgeschichte bei: Beutel, Albrecht, Lehre und Leben in der Predigt der lutherischen Orthodoxie. Dargestellt am Beispiel des Tübinger Kontroverstheologen und Universitätskanzlers Tobias Wagner (1598–1680), in: ZThK 93 (1996), 419–449. 102  Vgl. zur Doppelung von Schriftlichkeit und Mündlichkeit in der reformatorischen Öffentlichkeit statt vieler Nachweise: Moeller, Bernd, Die frühe Reformation als Kommunikationsprozeß, in: Kirche und Gesellschaft im Heiligen Römischen Reich des 15. und 16. Jahrhunderts, hrsg. v. Hartmut Boockmann, Göttingen 1994, 148–164. 103  Die Predigtpostillen sind bisher noch nicht ausreichend untersucht. Vgl. als erste Zugänge: Rublack, Hans-Christoph, Lutherische Predigt und soziale Wirklichkeiten, in: Lutherische Konfessionalisierung, hg. v. Hans-Christoph Rublack, Gütersloh 1992 (SVRG 197), 344–399; Nischan, Demarcating Boundaries; Koch, Ernst, Evangelienauslegung und Krisenbewältigung. Zur Funktion der lutherischen Postillenliteratur zwischen 1550 und 1600, in: Théorie et pratique de l’exégèse, hg. v. Irene Backus u.  a., Geneva 1990, 355–361. 104  Vgl. Koch, Evangelienauslegung, 356.

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II.  Charismatische Stilisierung: Konturen des Luthergedächtnisses

Für die Predigt insgesamt ist es fraglich, ob historische Themen einen Stellenwert erlangten, der gleichwertig neben theologische, moraldidaktische, biblische oder legendarische Anteile zu stellen ist.105 Doch gerade das Genre der Postille, die den gesamten Jahreslauf predigend begleitete, könnte, so ein Anfangsverdacht, geradezu ideal zu einem immer wiederkehrenden Memorialdiskurs gepaßt haben. Die bisher nicht hinreichend aufgearbeitete lutherische Postillenliteratur ist zu zahlreich und zu umfangreich, als daß eine Gesamtschau auch nur versucht werden könnte.106 Daß dies auch nicht sonderlich ergiebig zu sein verspricht, ergibt aber bereits eine stichprobenartige Auswertung einzelner Postillen. Unabhängig davon, ob sie auf deutsch oder auf lateinisch verfaßt sind, bieten viele Postillen, wie zu erwarten ist, in erster Linie Predigten, die sich einerseits recht genau an die vorgegebenen Perikopentexte halten, andererseits moralische Umsetzungen biblischer Normen in den Alltag vorgeben. Dieses Ergebnis ist nicht überraschend; trotzdem erstaunt es, wie wenig in den meisten Predigtzyklen überhaupt von Luther und der Reformation, geschweige denn ihrer Vorgeschichte die Rede ist. Selbst die antikatholische oder auch anticalvinistische Polemik hält sich in Grenzen.107 In einer Vorrede wird die Funktion des Genres folgendermaßen bestimmt: Viele Menschen ohne Lateinkenntnisse könnten immerhin deutsch lesen, viele hätten kaum Zeit, die Predigt oder das Evangelium zu hören, deshalb wollten und sollten sie das Wort Gottes lesen. So formuliert es, nicht anders als Lutheraner es tun würden, der Dominikaner Johannes Dietenberger in seiner Postille, die ebensowenig wie die lutherischen Postillen ihre konfessionelle Zugehörigkeit vor sich herträgt.108 Daß sich im einzelnen konfessionelle Unterschiede bemerkbar machten, versteht sich von selbst, aber in vielen Fällen diente die Postillenpredigt weder der polemischen Abgrenzung noch der emphatischen Selbstbeschreibung. Die Postillenpredigten waren, selbst in gedruckter Form, offenbar zuallererst an einen potentiell bereits in rechter Weise glaubenden Rezipientenkreis gerichtet, der sich überhaupt nicht dafür interessierte, was es bedeutete, in expliziter Weise ›lutherisch‹ zu sein. Ganz im Gegenteil waren diese Predigten mit einiger 105  Vgl. als Überblick Rehermann, Predigtexempel; vielerorts scheint im Anschluß an die spätmittelalterlichen Heiligenfeste die Predigt am Tage der jeweiligen Heiligen ein Anlaß gewesen zu sein, an diese vorbildlichen Christen zu erinnern; vgl. Knodt, Gerhard, Leitbilder des Glaubens. Die Geschichte des Heiligengedenkens in der evangelischen Kirche, Stuttgart 1998, 165. 106  Vgl. die nicht vollständige, aber bereits ziemlich eindrucksvolle Liste lutherischer Postillen bei: Rublack, Predigt, 383–395. 107  Dieser Befund spricht gegen die von Nischan, Demarcating Boundaries, vorgetragene These einer hochgradigen antireformierten Aufladung der Predigtpostillen. 108  Vgl. Dietenberger, Johann, Postill oder Außlegung der Epistelen und Evangelien . . ., Köln 1555. Es handelt sich dabei um einen Nachdruck; der Autor, ein bekannter Dominikaner und Mitverfasser der Confutatio der Confessio Augustana, starb bereits 1537.

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Selbstverständlichkeit biblisch und ›christlich‹ orientiert und auf den Alltag ausgerichtet. Dies heißt nicht, daß sie nicht auf gesellschaftliche und politische Probleme Bezug nähmen.109 Aber ihr Interesse an einer kämpferischen ›lutherischen‹ Position, einem konfessionellen Sonderbewußtsein oder gar an einer Institutionalisierung der Reformationsmemoria ist auffallend gering.110 Die Einführung der Reformation im jeweiligen Territorium oder auch der Beginn der Reformation insgesamt wird in vielen Postillen überhaupt nicht erwähnt; diese Themen scheinen zum Predigtinteresse der Verfasser einfach nicht zu passen.111 Es seien dennoch einige wenige Beispiele vorgestellt, die zumindest ansatzweise auf historische Themen eingehen. Johannes Mathesius etwa, dessen Po­ stille ansonsten keinerlei Reformationsmemoria enthält, weist immerhin auf die verwandte, aber arbeitsteilige Aufgabe von Prediger und Historiograph hin.112 Andere Postillen, so das Werk Johann Clajs von 1575, heben zwar positiv hervor, daß Luther der Kirche aufgeholfen habe.113 Nur selten wird aber anläßlich des Allerheiligentages, also im Umkreis des späteren Reformationstages, an die unmittelbare Vorgeschichte der Reformation, die Tetzel-Affäre, erinnert. Selten auch wird Hus als Märtyrer und Exempel einer gottesfürchtigen ars morien-

109  Vgl. die Interpretation der Postillen als sozialpolitischen Diskurs: Rublack, Predigt. Haag, Predigt und Gesellschaft, 53, bezweifelt, ob sich die orthodoxen Predigten auf außertextuelle Realitäten beziehen und nimmt eher eine diskursive Selbstreferenz an. 110  Auf historische Themen und einen reformatorischen Gedächtnisdiskurs weisen vereinzelt hin: Haag, Predigt und Gesellschaft, 44–47; Kaufmann, Universität, 418  f f. 111  In chronologischer Ordnung folgen die untersuchten Postillen, die zum Thema nichts enthalten: Willich, Iodocus, Dispositio in Epistolas et euangelia cunctarum totius anni feriarum iuxta cum familiari explanatio, Frankfurt/Oder 1549; Corvinus, Antonius, Commentarii explicationum in epistolis et euangelia, Straßburg 1554; Palladius, Petrus, Enarrationes lectionum euangelicarum, Wittenberg 1560; Artopoeus, Petrus, Postilla Euangeliorum et Epistolarum Dominicarum . . ., Basel 1560; Lossius, Lucas, Annotationes scholasticae in Euangelia dominicalia . . ., Frankfurt a.  M. 1564; Hemmingius, Nicolaus, Postilla, seu enarratio euangeliorum . . ., Wittenberg 1565; Hunnius, Ägidius, Postilla oder Außlegung der Episteln und Evangelien / auff alle Sonntage / Fest vnnd Feyertage / durch das gantze Jahr, Frankfurt a.  M. 1617 (EA 1588); Osiander, Lucas, Bawren Postilla . . ., Tübingen 1600 (Diese Ausgabe ist nicht die Erstauflage, sondern ein Teilnachdruck. Der zweite Teil erschien 1598, der dritte 1600, der vierte 1599, der fünfte 1600). 112  Mathesius, Johannes, Postilla prophetica, Oder / Spruchpostilla des Alten Testaments . . ., Leipzig 1589, 157r. Trotz ihres Titels ist die Prophetenpostille weder prophetisch noch auf das Alte Testament begrenzt. 113  Vgl. Claj, Johannes, Explicationum anniversariorum euangeliorum Libri quatuor, Leipzig 1575, 703. Diese Postille ist deshalb bemerkenswert, weil sie nicht nur lateinisch, sondern auch in Distichen gedichtet ist, was ihren Rezipientenkreis stark eingeschränkt haben dürfte. Musäus, Simon, Postilla . . ., Frankfurt a.  M. 1574, 192r, erinnert anläßlich des Pfingstmontagstextes »Ich weiß, daß mein Erlöser lebt« daran, daß »auff den trost dieses Evangelii [. . .] sanfft gestorben als Hiob / D. Luther / vnd der gefangene Churfürst von Sachsen« seien.

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di vorgestellt.114 Melanchthon verweist in seiner Postille oft auf exemplarische antike Herrscher und demonstriert damit eine größere Affinität zu humanistisch-profangeschichtlich geprägten Wissensbeständen, als dies sonst in lutherischen Postillen üblich ist.115 Doch auch er, der für die Initiierung eines historiographischen Identitätsdiskurses von größter Bedeutung ist, beschränkt sich in seiner Postille darauf, auf die Nähe des Weltendes hinzuweisen. Man lebe in der letzten Zeit, und noch vor dem Weltende werde Deutschland von den Türken eingenommen werden.116 Sehr selten wurde Luther in der Postillenpredigt in eine schon aus Melanchthons Leichenrede bekannte Kontinuität mit anderen Kirchenlehrern gestellt. Hieronymus Weller stellt in seiner Postille von 1557 allerdings eine Liste der »ueri ac sinceri doctores« auf, »qui puriorem doctrinam Evangelii restaurant«. Es habe also immer wieder Kirchenlehrer gegeben, die nach nicht näher bezeichneten Verfallszeiten die reine Lehre restituiert hätten. Weller nennt aus dem Alten Testament Noah, Abraham, Samuel und Elias; zur Zeit Christi Zacharias, Johannes den Täufer und die Apostel. Aus der Zeit des »regni Pontificii« werden Bernhard von Clairvaux, Tauler, Hus und einige andere, schließlich Luther genannt.117 Dieser steht hier also in einer Reihe mit anderen Reformatoren. Auch Ägidius Hunnius äußert sich in seiner Predigtpostille knapp zu Luthers historischer Rolle: Nachdem »vnsere lieben Voreltern in die dicke finstere Nacht aller jrrtthumb / Grewel vnd Abgötterey / durch der Menschen Schalckheit vnd Teuscherey wären eingefüret«, habe Gott mittels seines Werkzeugs Luther die Christen »in diesen letzten zeiten aus der vnseligen finsterniß des leidigen Papistischen Antichristenthumbs / vnd Antichristischen Bapsthumbs erlöset«.118 Gott habe durch Luther »am Abend dieser vergenglichen schnöden welt« das Licht des Evangeliums neu entzündet. Dieses bedeute aber, daß das

114  Vgl. Beust, Joachim von, Orthodoxa enarratio Euangeliorum, quae diebus dominicis, et sanctorum festis in Ecclesia Dei explicantur . . ., Leipzig 1592, 906  f., 236. 115  Vgl. Melanchthon, Philipp, In Euangelia, quao vsitato more diebus dominicis et festis proponuntur, Annotationes, Wittenberg 1555, z.  B. 285v. Diese Postille ist insofern ein Sonderfall, als es sich um ›annotationes‹ handelt, da Melanchthon selber nicht predigte. 116  Vgl. ebd., 237 v. Melanchthon rechnete damit, daß um 1600 in Mitteleuropa die Türken herrschen würden: Vgl. CR 7,653 u.  ö. Die humanistische Identifizierung des Antichristen mit den Türken wurde von Luther ausdrücklich nur in Verbindung mit der Identifizierung des Antichristen mit dem Papsttum akzeptiert. 117  Weller, Hieronymus, In euangelii dominicalia explicationes piae. . ., Basel 1557, 381. 118  Hunnius, Ägidius, Postilla oder Auslegung der Sonteglichen Episteln. . ., Wittenberg 1612, 4 r; vgl. auch )( ij v. In Hunnius’ Postille fällt die raffinierte Lichtmetaphorik auf; vgl. etwa ebd., )( ij v. Zur antiken und mittelalterlichen Tradition der Metapher vgl. Blumenberg, Hans, Licht als Metapher der Wahrheit, in: Studium generale 10 (1957), 432–447.

5.  Humanismus als Vorbereitung der Reformation?

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Weltende – oder doch mindestens eine durch den Teufel herbeigeführte erneute und noch schrecklichere Finsternis – kurz bevorstehe. Eine so deutliche Einordnung Luthers in einen heilsgeschichtlichen Kontext ist aber, wie gesagt, in Postillenpredigten äußerst selten. Warum dies so ist, ist schwer zu entscheiden. Doch an den Predigtpostillen ist unzweifelhaft ablesbar, wie stark genre- und kontextgebunden der historische Erinnerungsdiskurs war. Denn wo wurde lutherische Identität konstituiert, wenn nicht in den weithin rezipierten Predigten? Diese boten sich für Memorialzwecke geradezu an; aber offenbar überwog der tradierte Gattungszusammenhang die Versuchung zur Funktionalisierung. Daß die Predigten so gut wie gar nicht zu historischen oder Memorialzusammenhängen Stellung nehmen, bedeutet, daß der historische Erinnerungsdiskurs nur einen Aspekt lutherischer Identität zu erfassen erlaubt. Und zwar gilt dies auch unabhängig davon, ob der Erinnerungsdiskurs die charismatische Sonderrolle Luthers oder die traditionale Legitimation der Reformation aus ihrer Vorgeschichte betonte. Predigtpostillen interessierten sich nämlich in der Regel für keinen der beiden Aspekte. Lutherische Identität konstituierte sich, wie das Beispiel der Predigten zeigt, in hohem Maße einfach in der Einübung orthodoxer religiöser und moralischer Positionen. Die Funktion des Gedächtnisses für die Ausbildung einer Gruppenidentität ist damit nicht bestritten, aber immerhin relativiert.

5.  Humanismus als Vorbereitung der Reformation? Konturen des Melanchthongedächtnisses Oben war die bereits die Rede von dem »produktiven Mißverständnis«, das Humanismus und Reformation miteinander verband, aber auch von der im Laufe der Zeit eher wachsenden Entfremdung beider Bewegungen.119 Einige Reformatoren sahen im Humanismus, vor allem in der Wiederentdeckung der klassischen Sprachen, eine Voraussetzung für ihr eigenes Wirken; erinnert sei nur an Luthers Ratsherrenschrift. Fraglich ist aber, inwieweit diese Einschätzung des Humanismus als Vorbereiter der Reformation, die in späteren Jahrhunderten geradezu zum Topos erstarrte120 , ein gemeinlutherisches Phänomen darstellte. An dieser Stelle soll das Verhältnis von Humanismus und Reformation in der Deutung des frühen Protestantismus nur stichprobenartig beleuchtet 119  Vgl. für die Zeit bis ca. 1530 anschaulich: Rummel, Erika, The Confessionalization of Humanism in Reformation Germany, Oxford 2000. Vgl. zur Produktivität dieses Mißverständnisses: Moeller, Humanisten. 120  Man denke an Hegel, der auf die »Morgenröte« von Humanismus und Entdeckungen die »alles verklärende Sonne« der Reformation folgen läßt. Vgl. Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, in: ders., Werke in 20 Bänden, Bd. 12, Frankfurt a.  M. 41995 491.

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werden. Kristallisationspunkt dieses Diskurses ist sicher eher Melanchthon als Luther; deshalb soll das Melanchthongedächtnis hier das Material liefern, um ein erstes Bild zu zeichnen. Selbst Melanchthons Anhänger in den Kontroversen der zweiten Jahrhunderthälfte wiesen diesem kaum jemals eine mit Luther vergleichbare Rolle zu.121 Generell wurde Melanchthon aber von seinen Anhängern zugeschrieben, sowohl die Wissenschaften als auch das unverfälschte Wort Gottes gelehrt zu haben, und zwar das eine in enger und unauflöslicher Verbindung mit dem anderen.122 Doch die Frage muß weiterreichen: Hier interessiert ja nicht nur, daß Melanchthon als derjenige gedeutet wurde, der studia und Evangelium miteinander versöhnte, sondern auch, ob an seinem Beispiel eine kausale Beziehung zwischen beiden hergestellt wurde. Wurde im Kontext des Melanchthongedächtnisses eine historisch zwingende Verbindung zwischen dem Humanismus und der Reformation behauptet? Denn es ist ja anzunehmen, daß gerade an dieser Stelle, wenn überhaupt irgendwo, das unauflösliche historische Miteinander und Kontinuum beider Bewegungen konzipiert worden sein muß.123 Melanchthon selbst vertrat in dieser Frage eine eindeutige Position: Humanismus und Reformation gehörten für ihn zusammen. Wie dieser Zusammenhang allerdings aussah – zeitliche Abfolge, kausale Verknüpfung, historische Vorbereitung – ließ er in der Schwebe. In der oben zitierten Trauerrede versuchte Melanchthon, Luther zum Erasmianer zu machen.124 Auch anderweitig, so in seinen Orationen z.  B. über Reuchlin125 und Erasmus126 rückte er die humanistische Bewegung zumindest in die Nähe der Reformation oder stilisierte sie doch als deren Vorbereiter. Daß dies nicht unproblematisch war, weil weder Reuchlin noch Erasmus sich der Reformation anschlossen, bildete dabei ein bleibendes Problem der konfessionellen Sicht dieser Humanisten.127 Me  Vgl. Kaufmann, Wittenberger Theologie, 86.   Vgl. Ludwig, Walther, Humanismus und Christentum im 16. Jahrhundert, Pforzheim 1997, 31. 123  Daß für viele Zeitgenossen der Umbruch der Renaissance durch den größeren heilsgeschichtlichen Umbruch der Reformation relativ irrelevant wurde, vermutet: Maissen, Thomas, Literaturbericht Schweizer Humanismus, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 50 (2000), 515–544, hier 518; daß Reformation und Renaissance zwei sich ausschließende Geschichtsmodelle waren, nimmt an: Worstbrock, Franz Josef, Über das geschichtliche Selbstverständnis des deutschen Humanismus, in: Historizität in Sprachund Literaturwissenschaft, hg. v. Walter Müller-Seidel, München 1974, 499–519. 124  Vgl. Weiss, James Michael, Erasmus at Luther’s Funeral: Melanchthon’s Commemorations of Luther in 1546, in: Sixteenth Century Journal 16 (1985), 91–114. 125  Vgl. »De Capnione Phorcensi«, in: CR 11,999–1010; deutsch in: Melanchthon deutsch, hg. v. Michael Beyer/Stefan Rhein/Günther Wartenberg, Bd. 1, Leipzig 1997, 183–201. 126  Vgl. »De Erasmo Roterodamo«, in: CR 12,264–271; vgl. auch CR 6,161. 127  Vgl. Scheible, Heinz, Melanchthon zwischen Luther und Erasmus, in: Renaissance – Reformation. Gegensätze und Gemeinsamkeiten, hg. v. August Buck, Wiesbaden 1984, 155–180, hier v.  a. 179  f. 121 122

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lanchthon war in lutherischen Theologenkreisen kein Einzel-, aber doch ein seltener Fall, wenn er sich durchgängig positiv nicht nur zum Humanismus, sondern auch zu Erasmus äußerte.128 Daß die humanistische Bildung in allen lutherischen Gruppen des späteren 16. Jahrhunderts tradiert wurden, ging zum großem Teil auf die Anregungen zurück, die Melanchthon als Wittenberger Professor in nahezu allen Fächern gegeben hatte.129 Der Autoritätsverlust, den Melanchthon im reformatorischen Lager spätestens seit der Interimskrise 1548/49 hinnehmen mußte, führte dazu, daß nur dezidierte Anhänger nach seinem Tod im Jahre 1560 die Leistung Melanchthons würdigten. Allerdings ist die posthume Deutung Melanchthons weder so gut bearbeitet wie diejenige Luthers, noch war sie in gleicher Weise ein Breitenphänomen, das in Bild wie Theater, Predigt wie Biographie verbreitet wurde.130 Ein solches war die Erinnerung an Melanchthon nur im Kreis der universitär Gelehrten und der Humanisten; direkt nach seinem Tod erschien eine große Zahl von Reden und Gedichten. Während sich die strengeren Lutheraner gegen humanistische Epitaphien- und Epicediendichtung sowie gegen rhetorischen Trauerprunk aussprachen131, weil sie dies als unzulässige Überhöhung des sündhaften Menschen ansahen, sahen Melanchthons Schüler und Verehrer gerade darin eine adäquate Würdigungsform.132 Dies ist an den zahlreichen poetischen Nachrufen auf Melanchthon anschaulich abzulesen. Vor allem in den Jahren 1560–62 erschien eine große Anzahl von Orationen und Gedichten, die das Lob des Praeceptors sangen. Ausgangspunkt dieses Diskurses war die Wittenberger Offizin Johann Cratos. Der größte Teil dieser Schriften wurde 128  Vgl. Mansfield, Bruce, Phoenix of his age. Interpretations of Erasmus c 1550–1750, Toronto/Buffalo/London 1979, 65–114 (zum protestantischen Erasmusbild). Siehe auch Flitner, Andreas, Erasmus im Urteil seiner Nachwelt. Das literarische Erasmus-Bild von Beatus Rhenanus bis zu Jean Le Clerc, Tübingen 1952, v.  a. 153. Vgl. zum lutherischen Erasmusbild auch Kap. VI.4. 129  Vgl. Kolb, Philipp’s Foes. 130  Vgl. als ersten Überblick: Wartenberg, Günther, Melanchthonbiographien vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, in: Werk und Rezeption Philipp Melanchthons in Universität und Schule bis ins 18. Jahrhundert, hg. v. Günther Wartenberg, Leipzig 1999, 179–194. 131  Vgl. Ludwig, Humanismus und Christentum, 23  f . 132  Überhaupt gibt es gewisse allergische Reaktionen des gnesiolutherischen Lagers gegen weltliche Dichtung, während in anderen Fällen das Verhältnis von Konfessionalisierung und Späthumanismus nicht zwangsläufig eine ausschließliche Alternative gewesen sein muß. Vgl. Kühlmann, Wilhelm, Zum literarischen Profil des Kryptocalvinismus in Kursachsen. Der »Poet« Johannes Major (1533–1600), in: Dresdener Hefte 29 (1992): Um die Vormacht im Reich. Christian I., Sächsischer Kurfürst 1586–1591, 43–50. Für eine Relativierung dieser Sicht vgl. Kolb, Philipp’s foes; Baur, Jörg, Nikodemus Frischlin und die schwäbische Orthodoxie, in: Nicodemus Frischlin (1547–1590). Poetische und prosaische Praxis unter den Bedingungen des konfessionellen Zeitalters, hg. v. Sabine Holtz/ Dieter Mertens, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999, 365–396, hier 371; Walther, Gerrit, Humanismus und Konfession, in: Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche, hg. v. Notker Hammerstein/Gerrit Walther, Göttingen 2000, 113–127.

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II.  Charismatische Stilisierung: Konturen des Luthergedächtnisses

1562, wiederum in Wittenberg erscheinend, in einem großen Gedenkbuch zusammengefaßt.133 So etwas hatte es nach Luthers Tod nicht gegeben; der Humanist Melanchthon besaß eine Anhängerschaft, die sich schnell, geschlossen und in formaler Hinsicht oft raffiniert äußerte und einen bequemen Zugang zur Druckerpresse besaß. Neben im aufgeheizten Klima des Konfessionskampfes notwendigen Schriften darüber, wie fromm und gottselig Melanchthon sein irdisches Leben beendet habe134, wurden auch biographische Abrisse veröffentlicht. Melanchthons Schüler Jacob Heerbrand stellte diesen in einen typologisch-heilsgeschichtlichen Zusammenhang, indem er forderte, wie nach dem Tod des Elias solle auch jetzt der Tod des großen Mannes beklagt und betrauert werden.135 Melanchthon erscheint hier also als derselbe Elias, der sonst Luther sein soll. Allerdings wird diese Parallele nicht weiter ausgeführt. Auch sonst setzten zuweilen – wie bereits bei Mathesius gesehen – Melanchthons Anhänger die Rolle, die dieser im Verlauf der Reformation spielte, sehr hoch an: Er erscheint wie Luther als »Propheta Dei«136 , denn beide seien Gottes Werkzeuge gewesen.137 Vor allem aber wird Melanchthon bei Heerbrand und anderen als Lehrerfigur gezeichnet: Die Rede stellt stark auf humanistische und pädagogische Zusammenhänge ab. Allerdings konstruiert Heerbrand keine Kausalverbindung zwischen Humanismus und Reformation. Er hebt im Gegenteil eher die humanistisch-überkonfessionellen Gemeinsamkeiten hervor, wenn er darauf hinweist, daß auch Melanchthons Gegner dessen Schriften gerne läsen. Auch andere biographische Reden und Schriften legen großes Gewicht auf die pädagogische Tätigkeit und die humanistische Bildung des Verstorbenen, Kirche und Schule 133  Vgl. Orationes, epitaphia et scripta, qvae edita sunt de morte Philippi Melanthonis omnia, cum narratione exponente, quo fine uitam in terris suam clauserit . . ., Wittenberg 1562. 134  Vgl.: Brevis narratio exponens. Qvo fine vitam in terris suam clavserit Reverendus Vir D. Philippus Melanthon . . ., Wittenberg 1560 (deutsche Fassung: Kurtzer Bericht / Wie der Ehrwirdig vnser lieben Vater vnd Preceptor Philippus Melanthon sein Leben hie auff Erden geendet / vnd gantz Christlich beschlossen hat . . . Geschrieben von den Professoribus der Vniversitet Witteberg / die alles / was hie bericht wird / selbs gesehen vnd angehoeret haben, Wittenberg 1560); Ein klag vnd trostschrifft / von dem Christlichen abschied vnd begrebnuß / des Ehrwirdigen vnnd Hochgelerten Herren Philippi Melanthonis / welche zu Wittenberg den xxi. tag Aprilis / Lateinisch im druck außgegangen / vnd hie zu Nürnberg verdeutscht ist worden, Nürnberg 1560. 135  Heerbrand, Jacob, Oratio funebris in obitum incomparabilis uiri Domini Philippi Melanthonis, habita in Academia Tubingensi, die decimaquinta Maij. . ., Tübingen 1560, A ij v. Es existiert ein textgleicher Wittenberger Druck. Deutsche Übersetzung greif bar in: Melanchthon deutsch, hg. v. Michael Beyer/Stefan Rhein/Günther Wartenberg, Bd. 1, Leipzig 1997, 11–37. 136  Vgl. Brevia Epitaphia dedicata tvmvlo D. Philippi Melanthonis, a Georgio Sabino, Iohanne Stigelio, Matthaeo Collino et quibusdam alijs, Wittenberg 1560, A3r. 137  Maior, Georg, Oratio, qva a Vice Rectore Georgio Maiore . . . post obitum D. Philippi Melanthonis. . ., in: Orationes, Epitaphia et scripta, K3r-L2v, hier K5r.

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erscheinen häufig in einem Atemzug, ohne daß aber ein historischer Zusammenhang zwischen studia und Reformation behauptet würde.138 Kirche und Künste seien nach Melanchthons Tod in derselben Gefahr, in der sie auch nach Luthers Tod schwebten.139 Obgleich also trotz der Zusammengehörigkeit von ecclesia und schola selten explizit ein gemeinsamer Entstehungszusammenhang von Humanismus und Reformation hergestellt wird, liegt doch genau dies in der impliziten Argumentationslinie vieler Schriften. Heinrich Moller erinnert daran, daß Humanisten wie Reformatoren in einem gemeinsamen Kampf gegen Papst und Scholastik stünden bzw. gestanden hätten.140 Eine zeitliche Priorität schreibt er dabei aber keinem der beiden Kombattanten zu, sondern läßt sie einträchtig kämpfen und siegen.141 In einem lateinischen Epitaph wird darauf hingewiesen, daß die reine Lehre des Evangeliums und die Künste zur selben Zeit verfallen seien. Es wird also zumindest ein Zusammenhang ihres Niedergangs, damit implizit auch ihres Wiederaufstiegs angenommen – ein Argument, das häufiger auftaucht.142 Denn Gott habe Luther, den »pius Aeneas«, vom »Olymp« herabgesandt, und mit ihm seinen Achates Melanchthon, den er zur »spes« und »decus scholae« gemacht habe.143 Insgesamt wird aber die in der modernen Forschung gern angenommene Zusammengehörigkeit von Humanismus und Reformation in der Melanchthonmemoria relativ selten explizit behauptet. Betont wird zwar die Wichtigkeit der Studien für die Religion und umgekehrt, aber eine historische Herleitung der Reformation aus dem Humanismus – oder wenigstens: auch aus dem Humanismus – findet sich in diesen Texten nicht.144 Auch später wird häufig ein vages Bewußtsein dafür artikuliert, daß Humanismus und Reformation irgendwie zusammengehören; meist geschieht dies über die mehr oder minder einleuchtende

138  Vgl. z.  B. Winshemius, Vito, Oratio habita in funere reverendi et clarissimi uiri Philippi Melanthonis . . . Die XXI. Aprilis, Wittenberg 1560; (Major, Georg,) Scriptum publice propositum in Academia Vuitebergensi, quo Scholastici conuocati sunt ad deducendum funus Domini Philippi Melanthonis, uiri pietate eruditione et virtute praestantis, Wittenberg 1560; Raphael, Franciscus, Philetas Eclogia, de morte reuerendi et sanctae memoriae uiri et praeceptoris nostri D. Philippi Melanthonis . . ., Wittenberg 1560. 139  Vgl. Bocerus, Johannes, Epicedion reuerendi et clarissimi uiri Philippi Melanthonis scriptum . . ., Wittenberg 1560, A2r. 140  Vgl. Moller, Heinrich, De obitu et exequiis reuerendi uiri D. Philippi Melanthonis . . ., Wittenberg 1560, B iij v. 141  Vgl. ebd., D1r. 142  Schörckelius Naumburgensis, Sigismund, In tvmvlvm reuerendi et sancti senis D. Philippi Melanthonis. . ., in: Orationes, Epitaphia et scripta, b2r-b5v, hier b2v. 143  Schörckelius, In tumulum . . ., b3r–b4v. 144  Umso auffälliger ist es, wenn eine Kausalherleitung tatsächlich behauptet wird. Siehe Osiander, Lucas, Epitomes Historiae Ecclesiasticae, Centuria Reliquae IX.X.XI.XII. XIII.XIIII.XV. . ., Tübingen 1604: »Quod summum Dei beneficium grata mente agnoscendum est, per hoc enim medium Deus sibi viam strauit, ut sinceram Religionem in Germaniam introduceret.«

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II.  Charismatische Stilisierung: Konturen des Luthergedächtnisses

Reklamierung berühmter Humanisten der Lutherzeit für die reformatorische Sache.145 Es gab aber auch andere Möglichkeiten: Aufschlußreich ist eine Jubiläumsrede, die 1617 in Altenburg gehalten wurde und die Reformation weniger als religiöses denn als Bildungsereignis beschreibt.146 Der Rektor Joseph Clauderus bezeichnet Luther nicht nur als denjenigen, der die religiöse Tyrannei des römischen Antichristen gebrochen habe; vor allem deutet er ihn auch als Vorkämpfer des Kampfes gegen die mittelalterliche Bildungsmisere. Die Päpste bis hin zu Julius II. hätten kein Latein gekonnt, die Priester auch nicht, von Griechisch und Hebräisch kann gar keine Rede sein.147 Genüßlich zitiert Clauderus die aus dieser Sprachverwirrung resultierende scholastische Verwirrung wissenschaftlicher und theologischer Theoriebildung.148 Der vorreformatorische Humanismus und die Dunkelmännerbriefe werden zeitlich so in der Schwebe gelassen, daß es den Zuhörern so vorgekommen sein muß, als seien diese Phänomene mindestens ebensosehr Konsequenz wie Voraussetzung der Reforma-  tion.149 Das Wunder der Reformation bestehe unter anderem in einer Bil-  dungsanstrengung, die dem »Seculum Lutheranum« ungezählte lutherische Dichter und Philologen geschenkt habe.150 Für die Übertragung der Bibel in die Volkssprache findet der humanistisch beseelte Rektor das etwas zweischneidige Lob, man meine in den Aposteln und Propheten jetzt Cicero zu hören.151 Vollends ein Wunder sei aber die Tatsache, daß Fürsten, Herzöge und Grafen überall Akademien und Schulen eingerichtet hätten.152 Schule und Gottesdienst, so schließt Clauderus, gehören so eng zusammen, daß dort, wo das eine verfällt, auch das andere zugrundegeht.153 145  Schon in ihrer Knappheit nicht sehr überzeugend ist etwa die Stilisierung Maximilians I. und seines Humanistenkreises zu Evangelischen, »welcher etliche die selige zeit erlebten vnd sich freweten.«: Nigrinus, Rechnung und Zeitregister, b r–v. 146  Vgl. Clauderus, Oratio secularis; siehe dazu knapp: Brendecke, Jahrhundertwenden, 95. 147  Vgl. Clauderus, Oratio secularis, 10–19. 148  Siehe z.  B. ebd., 18: »Quemadmodum IOHANNES Baptista fuit praecursor CHRISTI in Theologicalibus: ita Aristoteles praecursor fuit CHRISTI in Physicalibus.« 149  Die Dunkelmännerbriefe datiert Clauderus auf die Zeit »circa renascentis purioris doctrinae Evangelicae initia«: Clauderus, Oratio secularis, 19. 150  Ebd., 26; Clauderus nennt u.  a . Hutten, Melanchthon, Stigelius, Fabricius, Lotichius, Frischlin, aber auch so zweifelhafte ›Lutheraner‹ wie Lipsius, Casaubon und beide Scaliger. 151  Vgl. ebd., 27. Luther wurde öfter mit Cicero verglichen, allerdings wohl meist hinsichtlich seiner Bedeutung, nicht seines Stils. So heißt es in einer Chronik, »er war der ander Cicero in seinem schreiben zu achten«. Vgl.: Der selbständige Teil der Magdeburgischen Chronik des Georg Butze. 1467–1551, hg. v. Max Dittmar/Gustav Hertel, in: Die Chroniken der niedersächischen Städte. Magdeburg II (Chroniken der deutschen Städte 27), Leipzig 1889, 99–140, hier 121. 152  Vgl. Clauderus, Oratio secularis, 27. 153  Vgl. ebd., 32.

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Natürlich erwähnt Clauderus nicht die Bildungskatastrophe der 1520er Jahre, die zur entsetzten Abwendung vieler Humanisten von der Reformation geführt hatte und auf die Luther mit der Ratsherrenschrift reagiert hatte.154 Schon weniger natürlich ist es vielleicht, daß ein lutherischer Schulrektor im Jahr 1617 in den Jesuiten tatsächlich nichts anderes sehen will als »Papae satellites« und sie als ernsthafte Konkurrenten im Bildungswesen nicht einmal hypothetisch in Betracht zieht.155 Dies mag aber noch dem Genre der Festrede geschuldet sein. Am auffälligsten ist aber, daß in Clauderus’ Rede der Humanismus nicht oder nur marginal als Voraussetzung der Reformation gedeutet wird, sondern anders herum der Humanismus im konfessionellen Schulhumanismus seine höchste Erfüllung gefunden hat. Clauderus’ Fazit lautet: Nie blühte die Latinitas wie nach der und durch die Reformation. Diese alle negativen Tendenzen auch der Bildungsentwicklung ausblendende Sicht, die weit hinter Melanchthons differenzierten Einschätzungen zurückbleibt, ist in dieser pointierten Form selten: Wenige Autoren sahen in der Reformation primär ein Bildungswunder. Und doch ist der Text symptomatisch für die lutherische Konzeptionalisierung des Verhältnisses von Humanismus und Reformation. In den seltensten Fällen wird die Hegelsche Morgenröte, wird der kausale Nexus von Humanismus als Voraussetzung und Reformation als Erfüllung hergestellt. Über die Symbolgestalt Melanchthon oder über andere Argumente wird ein Zusammenhang häufig eher insinuiert als gezeigt.156 Und dieser Zusammenhang ist eben, wenn überhaupt, eher der einer untrennbaren Zusammengehörigkeit von Humanismus und Reformation als der einer zeitlichen und kausalen Folge. Die Beobachtungen zur Luther- und Melanchthonmemoria rekapitulierend, kann man festhalten, daß sich über den engeren Bereich kirchlich-dogmatischer Festlegungen hinaus eine lutherische Geschichtskultur entwickelte, die in hohem Maße in Luthermemoria bestand. Doch offensichtlich reichte dies nicht aus. Sowohl die überkommenen historiographischen Gattungen als auch das   Vgl. Rummel, Confessionalization, 30–49.   Vgl. Clauderus, Oratio secularis, 5. 156  Hinzu kommt, daß die Selbsteinordnung der lutherischen Historiographen auffällig oft nicht in humanistisch-gelehrte Begrifflichkeit gefaßt ist. Dies ist u.  a. abzulesen an dem in den hier bearbeiteten Texten fast nie begegnenden Terminus der ›respublica litteraria‹, der ab spätestens 1520 ein geläufiger Ausdruck der Gelehrtenwelt war. Vgl. Waquet, Françoise, Qu’est-ce que la République de lettres? Essai de sémantique historique, in: Bibliothèque de l’Ecole des chartes 147 (1989), 473–502, hier v.  a. 476. Die Ausnahmen springen dann umso mehr ins Auge und stammen aus dem frühen 17. Jahrhundert, nicht vorher. Dies indiziert wohl ein ungeklärtes Verhältnis vieler lutherischer Gelehrter zum Humanismus. Siehe als Ausnahmen etwa: Clauderus, Oratio, 26, aber auch: Maier,  David, Omnium Sanctorum Iubilaeus Evangelicus . . ., Frankfurt a.  M. 1617, 18: »Quod autem olim Sacrosanctae Theologiae accidit: idem quoque vniuersae Reipublicae literariae, artium et linguarum euenit: nimirum, tanta barbaries inuasit artium et linguarum studia«. 154 155

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II.  Charismatische Stilisierung: Konturen des Luthergedächtnisses

kontroverspolemische Interesse an der Frage, wo die eigene Kirche vor Luther gewesen sei, legten es nahe, über Luther hinaus in die Vergangenheit zurückzugreifen. Lutherische Identität, die sich einerseits durch dogmatische Entscheidungen, andererseits durch eine Luthermemoria konstituierte, besaß noch einen weiteren Aspekt: nämlich die Einbindung der Reformation in größere historische Zusammenhänge. Dies mußte nicht zwangsläufig dazu führen, Luther seine charismatische Sonderposition abzuerkennen. Der charismatisch-endzeitliche Bezugsrahmen konnte oder mußte auf die Geschichte als ganze übertragen werden; die Geschichte konnte oder mußte von diesem heilsgeschichtlichen Einschnitt her neu gedeutet und geschrieben werden. Konnte oder mußte: Denn es ist noch nicht klar zu entscheiden, aus welchen Motiven heraus Lutheraner vorreformatorische Geschichte schrieben und ob sie sich tatsächlich von ihrer Deutung der Reformation eine Interpretation der Gesamtgeschichte vorgeben ließen. Neben die Luthermemoria trat jedenfalls ein anderer und weitergefaßter Modus der Erinnerung. Es entstand eine große Zahl universal- oder kirchengeschichtlich orientierter Geschichtswerke, die mehr oder minder zentral auch die Frage behandelten, welche Rolle die Reformation welt- und heilsgeschichtlich gespielt habe und wie sich Luther zur Vorgeschichte der Reformation in Beziehung setzen lasse.

III.  Gattungen als Institutionen:   Die Differenzierung von Universal- und Kirchengeschichte 1.  Religion und Welt: (Historiographische) Differenzierungsprobleme Das vorige Kapitel hat gezeigt, welch marginale Rolle innerhalb der engeren Luthermemoria die ›Vorgeschichte‹ der Reformation einnahm. Anders stellt sich dies in den klassischen historiographischen Diskursen von Universal- und Kirchengeschichte dar. Wurden oben der institutionelle Ort der Geschichtsschreibung und ihre Funktionsbestimmung diskutiert und Luthers Geschichtsauffassung dargestellt, muß für die eingehendere Untersuchung von universal- und kirchengeschichtlichen Werken geklärt werden, welche Binnendifferenzierungen innerhalb ›der‹ Geschichte üblicherweise vorgenommen wurden. Dieses Problem umfaßt sowohl die Frage nach gängigen Einteilungen der Geschichte im akademischen Diskurs als auch die von diesen Einteilungen ausgehenden historiographischen Genrekonventionen. Es stellt sich nämlich die Frage, inwieweit Gattungsvorgaben die Möglichkeit, bestimmte Geschichtsbilder zu präsentieren, beeinflußten und begrenzten. Allerdings soll es hier noch nicht darum gehen, die Gattungsvorgaben detailliert zu beschreiben, mit denen sich lutherische Historiographen konfrontiert sahen. Dies wird jeweils zu Beginn der Abschnitte B.IV. und B.V. geschehen. Hier sollen zuerst einmal die gängige Klassifizierung der Geschichte dargestellt und die sich daraus ergebenden Probleme expliziert werden. Dies betrifft v.  a. die Abgrenzung der Universal- von der Kirchengeschichtsschreibung. Eine einschlägige Untersuchung spricht in diesem Zusammenhang von der universalhistorischen »Auffassung«  ; in diesem Sinne sollen auch hier Universal- wie Kirchengeschichte zunächst mehr als Diskurse denn als klar voneinander abgegrenzte historiographische Gattungen verstanden werden. Erst innerhalb dieser Diskurse entstanden jeweils sehr unterschiedliche Gattungen:

  Auf die Unklarheit, in welchem Verhältnis Gattungen und Geschichtsbilder zueinander stehen, verweisen Schmale, Funktion und Formen mittelalterlicher Geschichtsschreibung, 105 und Goetz, Geschichtsschreibung, 113. Reine »Darstellungsarten« sieht dagegen in den Gattungen: Brückner, Historien und Historie, 52.   Vgl. Klempt, Säkularisierung.

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III.  Gattungen als Institutionen

z.  B. Universalchroniken, kirchengeschichtliche Predigten, universal- oder kirchengeschichtliche Kalender. In der 1619 veröffentlichten »Christianopolis«, einer der bekanntesten frühneuzeitlichen Utopien, beschreibt Johann Valentin Andreae (1586–1654) einen lutherischen Idealstaat, der durch minutiös geplante Arbeit und Wissenschaft charakterisiert ist. Künste und Wissenschaft zu betreiben ist, wie in der Utopieliteratur meist, eine zentrale Aufgabe der Bewohner, die mit religiösen Auffassungen nicht etwa kollidiert, sondern im Gegenteil sogar untrennbar zur Religion gehört. Der Unterricht in den freien Künsten findet in Christianopolis in sieben Auditorien statt. Im Auditorium der Physik werden zwei weitere Fächer gelehrt: die Geschichte und die Kirchengeschichte. Es wird also eine deutliche Trennung zwischen »historia« im engeren Sinne und »historia ecclesiae« gemacht. Daß in der Kirchengeschichte religiöse Themen verhandelt werden, ist nur natürlich; auffällig ist aber, daß in Andreaes Konzeption auch die ›Allgemeinhistorie‹ sehr wohl von den »Dei athletas« und ihrem Kampf gegen die »Satanae per tot millenarios tyrannis« handelt. Es stellt sich also die Frage nach dem Verhältnis von profaner und kirchlicher Geschichte. Auch wenn ein utopischer Text sicher nicht wörtlich zu nehmen ist, führt Andreaes Konzeption in ein zentrales Problemfeld der Klassifizierung historischen Wissens: Wo ist ›Religion‹ definitorisch aus-, wo eingeschlossen, und wie schlägt sich dies in Gattungsvorgaben nieder? Welche Chancen hat in einem derart strukturierten Feld der Diskurs der ›Konfessionalisierung‹, dessen Ziel es ja sein muß, die Wichtigkeit des religiösen Faktors in allen Lebensbereichen, also auch in allen historischen und historiographischen Teilbereichen, aufzuweisen? Dies führt zu dem allgemeinen Problem, wie in Alteuropa überhaupt zwischen religiösem und nichtreligiösem, geistlichem und weltlichem Bereich unterschieden wurde und wie sich dies in der Geschichtsschreibung niederschlug. Augustins klassische und breit rezipierte Trennung zwischen der göttlichen und der irdisch-teuflischen civitas wurde in der historiographischen Konkretion in gewisser Weise durch seine Auffassung konterkariert, daß diese als nur sub specie aeternitatis unterscheidbare Größen bis zum jüngsten Tag miteinander vermischt

  Als Überblick zur frühneuzeitlichen Utopieliteratur vgl. Saage, Richard, Politische Utopien der Neuzeit, Darmstadt 1991. Zu Andreae vgl. als Einstieg: van Dülmen, Richard, Reformationsutopie und Sozietätsprojekte bei Johann Valentin Andreae, in: ders., Religion und Gesellschaft. Beiträge zu einer Religionsgeschichte der Neuzeit, Frankfurt a.  M. 1989, 70–89.   Vgl. Sommer, Urs Andreas, Religion, Wissenschaft und Politik im protestantischen Idealstaat: Johann Valentin Andreaes »Christianopolis«, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 48 (1996), 114–137.   Vgl. die zweisprachige Ausgabe: Andreae, Johann Valentin, Christianopolis, hg. v. Richard van Dülmen, Stuttgart 21982, 162–165, hier 162.

1.  Religion und Welt: (Historiographische) Differenzierungsprobleme

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sein würden. Gerade ein kaisernaher Historiker wie Otto von Freising entwickelte eine Geschichtstheologie, die geistliche und weltliche Gewalt wieder nahe zusammenrückte und in der gerechten weltlichen Herrschaft doch eine größtmögliche Annäherung an die civitas Dei, ja eine »Einheit von sacerdotium und imperium« verwirklicht sah. Diese Idee durchzieht in variablen Ausprägungen spätmittelalterliche und humanistische Vorstellungen der res publica christiana. Offenbar konnten die christlichen Konzeptionen vom Zusammenhang von weltlicher und geistlicher Gewalt, von Staat und Kirche, von regnum und sacerdotium etc. historisch stark variieren, selbst wenn sie auf denselben Prämissen auf bauten. Die Interferenzen zwischen beiden Polen sind unscharf und kaum generalisierbar. Insgesamt ergibt sich aber, vereinfachend gesprochen, der Eindruck, daß im Spätmittelalter durchaus zwischen ›geistlich‹ und ›weltlich‹ unterschieden werden konnte, wenn sich auch der weltliche Bereich damit dem christlichen Interpretationshorizont keineswegs vollständig entzog. Auch konnte diese Differenzierung in polemischen Kontexten durchaus zurückgenommen werden. Wenn im 15. Jahrhundert beispielsweise von einer ›Reform von Kirche und Reich‹ die Rede war, so zeigt diese Fügung ja die enge gedankliche Kopplung, aber auch die begriffliche Differenzierung zwischen beiden Bereichen auf. Dagegen steht die gerade für den städtischen Kontext bei aller   »Perplexae quippe sunt istae duae ciuitates in hoc saeculo invicemque permixtae, donec ultimo iudicio dirimantur«: De civitate Dei I, 35. Hilfreich in diesem Zusammenhang: Günther, Horst, Zeit der Geschichte. Welterfahrung und Zeitkategorien in der Geschichtsphilosophie, Frankfurt a.  M. 1993, 60–62.   Vgl. Kaegi, Werner, Chronica mundi. Grundformen der Geschichtschreibung seit dem Mittelalter, Einsiedeln 1954, 23; Zitat aus: Schnith, K., Art. »Otto von Freising«, in: LMA 6, Sp. 1581–1583.   Die Literatur zu diesem Komplex ist umfangreich; es kann hier nur darum gehen, sehr vereinfachend bestimmte Denkmuster zu skizzieren. Die Ursprünge der Diskussion sind spätantik; daß bereits das frühe Mittelalter alle Argumente kannte, zeigt grundlegend: Tellenbach, Gerd, Libertas, Kirche und Weltordnung im Zeitalter des Investitutrstreits, Stuttgart/Berlin/Köln 1996 (EA 1936), 1–76; siehe auch: Böckenförde, Ernst Wolfgang, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation (1967), in: ders., Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt a.  M. 1991, 92–114. Knapper z.  B. zur frühmittelalterlichen Positionsbestimmung der gelasianischen Zweigewaltenlehre oder der seit dem Investiturstreit virulenten Diskussion um die ›zwei Schwerter‹ vgl. Schieffer, Rudolf, Art. »Zweigewaltenlehre, gelasianische«, in: LMA 9, Sp. 720; Goez, Werner, Art. »Zwei-Schwerter-Lehre«, in: LMA 9, Sp. 725.   Vgl. Helmrath, Johannes, »Geistlich und werntlich«. Zur Beziehung von Konzilien und Reichsversammlungen im 15. Jahrhundert, in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter, hg. v. Peter Moraw, Stuttgart 2002, 477–516. Symptome einer Trennung der Reichsreform- von der Kirchenreformdiskussion arbeitet im Anschluß an Heinz Angermeier heraus: Boockmann, Hartmut, Über den Zusammenhang von Reichsreform und Kirchenreform, in: Reform von Kirche und Reich zur Zeit der Konzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449), hg. v. Ivan Hlavácek/ Alexander Patschovsky, Konstanz 1996, 203–214.

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III.  Gattungen als Institutionen

Vorsicht zu konstatierende Tendenz, Bürgergemeinde und Kirchengemeinde als ›sakrale Gemeinschaft‹ miteinander zu identifizieren.10 Religiöser und außerreligiöser Bereich, enger: Religion und Politik11, wurden also kaum jemals vollständig getrennt, vielmehr in durchaus variabler, mehr oder weniger enger Verbindung konzipiert. Statt eines monistischen Verhältnisses ist ein eng verwobener Dualismus zu beobachten, der Phasen von Nähe und Ferne beider Pole kennt. In diesem Sinne wäre das konfessionelle Zeitalter eine Epoche besonderer Nähe zwischen beiden Bereichen.12 Die Forschung kennt dafür verschiedene Begriffe: Man kann von ›Konfessionalisierung‹ sprechen, von »Verdichtung«13 oder auch von »frühneuzeitlicher Verzahnung von Politik und Religion« – gar von »politischer Theologie«14 (vorstellbar wäre auch ›theologisierende Politik‹) oder von einer Tendenz zum »Gottesstaat«15. 10  Vgl. Moeller, Bernd, Reichsstadt und Reformation. Bearbeitete Neuausgabe, Berlin 1987, 12. 11  ›Religion‹ und ›Politik‹ sind hier Chiffren, die für komplexe, aus rekurrenten Handlungen und Kommunikationsakten bestehende Systeme stehen. Insgesamt krankt die Forschung zur Vormoderne häufig daran, daß Religion und Politik in unserem Sinne auf ältere Verhältnisse projiziert werden, um dann deren ›Verzahnung‹ etc. zu konstatieren, was auf der Beschreibungsebene sinnvoll sein mag, aber dennoch anachronistisch ist. Vgl. zum Problem nur: Bossy, John, Some Elementary Forms of Durkheim, in: Past & Present 95 (1982), 3–18, sowie methodisch weiterreichend: Veyne, Paul, Der Eisberg der Geschichte. Foucault revolutioniert die Historie, Berlin 1981. 12  Vgl. zum Gesamtzusammenhang: Schilling, Heinz, Der religionssoziologische Typus Europa als Bezugspunkt inner- und interzivilisatorischer Gesellschaftsvergleiche, in: Gesellschaften im Vergleich, hg. v. Hartmut Kaelble/Jürgen Schriewer, Frankfurt a.  M. 1998, 41–52. Hilfreich zum Vergleich mit dem Typus des orthodoxen Christentums auch: Boureau, Alain, Des politiques tirées de l’Ecriture: Byzance et l’occident, in: Annales HSS 55 (2000), 879–888. – Eine stärkere Trennung als im konfessionellen Zeitalter beschreibt für das Hochmittelalter: Simon, Thomas, »Gute Policey«. Ordnungsleitbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.  M. 2004, 34–36. 13  Instruktiv im Anschluß an Peter Moraw: Hamm, Berndt, Das Gewicht von Reli­ gion, Glaube, Frömmigkeit und Theologie innerhalb der Verdichtungsvorgänge des  ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Krisenbewußtsein und Krisen­ bewältigung in der frühen Neuzeit. FS Hans-Christoph Rublack, hg. v. Monika Hagenmaier/Sabine Holtz, Frankfurt a.  M. 1992, 163–197, z.  B. 180. 14  Vgl. Blänkner, Reinhard, Strukturprobleme des frühmodernen Staates: Jurisprudenz, Politische Theorie und Politische Theologie. Beiträge des Herborner Symposions zum 400. Jahrestag der Politica des Johannes Althusius 1603–2003, hg. v. Frederick Carney/Heinz Schilling/Dieter Wyduckel, Berlin 2004, 400–435, hier 423. Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit, 22, konstatiert allgemeiner eine »spezifisch frühneuzeitliche Verzahnung von Religion und Gesellschaft«, wobei sie die Gesellschaft dem Pol des ›Profanen‹ zuschlägt. 15  Vgl. Roeck, Bernd, Der Untergang des Heiligen Römischen Reiches. Die Säkularisierung des Gottesstaates der Frühen Neuzeit als Voraussetzung nationaler Identitätsbildung, in: Identité régionale et conscience nationale en France et en Allemagne du Moyen Age á l’époque moderne, hg. v. Rainer Babel/Jean-Marie Moeglin, Sigmaringen 1997 (Francia Beiheft 39), 177–191.

1.  Religion und Welt: (Historiographische) Differenzierungsprobleme

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Die spezifische Verzahnung des konfessionellen Zeitalters zeichnet sich aber geradezu dadurch aus, daß die Nicht-Differenzierung oder Entdifferenzierung von Politik und Religion unter den Bedingungen der Möglichkeit ihrer Trennung und der permanenten Diskussion um ihre Trennung vor sich geht.16 Ob man so weit gehen soll, die beschriebene Entdifferenzierung als nur oberflächliches Symptom von Differenzierungsbewegungen17 oder gar selbst als »Differenzierungsschub« zu beschreiben18 , ist zweifelhaft; dazu ist das »Syndrom« von Religion und Politik (respektive Religion und potenziell jedem anderen gesellschaftlichen Bereich) zu beherrschend.19 Die Mehrgleisigkeit von Kopplung und Entkopplung, von Differenzierung und Entdifferenzierung, von Zentrifugalität und Zentripetalität führte in theologischer und politischer Theorie zu einer Reihe von Konzeptionen, die den Religion-Politik-Dualismus unterschiedlich akzentuierten und in differenzierter Weise auf die Praxis zurückwirkten. Eine relative Trennung von kirchlichen und weltlichen Dingen scheint eher von akademischen als von praktischen Theologen und generell eher von ›Politikern‹ als von Theologen vertreten worden zu sein; symptomatisch erscheint aber z.  B. auch der kaiserliche Versuch, in der Krisensituation des Interims die protestantische Opposition als politische statt als religiöse Rebellion zu denunzieren und so situativ Politik und Religion zu entkoppeln 20. Um 1550 standen sich im Bereich des Protestantismus vereinfacht gesagt zwei Konzeptionen des Verhältnisses von Kirche und Welt gegenüber: eine zwinglisch-bucerisch-oberdeutsche (die schließlich in die ›calvinistische‹ einging) und eine ›lutherische‹. Daß beide Konzeptionen in der Praxis vor allem der städtischen Reformationsvorgänge kaum zu unterschiedlichen Resultaten geführt haben, ist in der jüngeren Forschung oft gezeigt worden 21. Angebliche lutherische Obrigkeitsgläubigkeit und intrinsische politische Passivität sind ja längst als simplifizierende Klischees entlarvt. Dennoch wurden zumindest auf der theoretisch-theologischen Ebene idealiter unterschiedliche Wege eingeschlagen, die auch für die Historiographie des konfessionellen Zeitalters einschlägig wurden. Die oberdeutsche Position läßt sich z.  B. an Martin Bucers ›regnum Christi‹-Konzept ablesen, das »faktisch eine Chiffre für die sichtbare, erneuerte Kirche« ist, die sich mit Hilfe der weltlichen Obrigkeit weiter ausbrei  Vgl. Lutz, Normen und gesellschaftlicher Wandel, 169.   Vgl. so: Schlögl, Rudolf, Differenzierung und Integration: Konfessionalisierung im frühneuzeitlichen Gesellschaftssystem. Das Beispiel der habsburgischen Vorlande, in: ARG 91 (2000), 238–284, z.  B. 244. 18  Hamm, Gewicht, 166. 19  Von einem »Syndrom« sprechen: Schilling, Heinz, Auf bruch und Krise, Deutschland 1517–1648, Berlin 1988, 86; Hamm, Gewicht, 176. 20  Vgl. nur: Rabe, Horst, Deutsche Geschichte 1500–1600. Das Jahrhundert der Glaubensspaltung, München 1991, 397. 21  Vgl. zusammenfassend: Hamm, Berndt, Bürgertum und Glaube. Konturen der städtischen Reformation, Göttingen 1996, 135–140. 16 17

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III.  Gattungen als Institutionen

ten soll 22 . Daraus ergab sich beim Humanisten Bucer eine sehr viel größere Aufmerksamkeit auch für die weltliche Gesetzgebung und eine fordernde Haltung gegenüber der Obrigkeit – und damit tendenziell eine Aufweichung des Kirche-Welt-Dualismus in eine monistische Richtung.23 Die lutherische Zweireichelehre positionierte sich anders: Einerseits unterschied sie eindeutiger zwischen Religion und Politik, andererseits aber wurde der politische Bereich als von Gott gemachter und seinen Geboten keineswegs vollständig enthobener Bereich konzipiert.24 Auch Melanchthon folgte, bei allen Differenzierungen, Luthers Position und distanzierte sich von den Konzeptionen der Oberdeutschen.25 Die Zweireichelehre steht in verschiedenen Traditionen, unter denen biblische Denkmuster, die augustinischen civitates26 und die mittelalterliche Diskussion um regnum und sacerdotium wohl die wichtigsten sind. Sie ist in sich sehr komplex, soll aber mindestens folgendes leisten: die Freiheit der Verkündigung des Evangeliums, die ethisch gebotene Unterordnung gegenüber bestehender Herrschaft sowie die Überwindung der mittelalterlichen Überordnung von Klerikern über Laien.27 Die Lehre von den zwei Reichen oder Regimentern war theoretisch keineswegs konsistent und wurde praktisch kaum umgesetzt.28 Dennoch ist auf der Ebene der Theologie eine gewisse Dis22  Vgl. Gäumann, Andreas, Reich Christi und Obrigkeit. Eine Studie zum reformatorischen Denken und Handeln Martin Bucers, Bern u.  a. 2001, 161. 23  Vgl. Gäumann, Reich Christi, 223–236. 24  Vgl. nur: Müller, Gerhard, Luthers Zwei-Reiche-Lehre in der deutschen Reformation, in: ders., Causa reformationis. Beiträge zur Reformationsgeschichte und zur Theologie Martin Luthers. Zum 60. Geburtstag des Autors hg. v. Gottfried Maron/Gottfried Seebaß, Gütersloh 1989, 417–437. Einen textnahen Durchgang der einschlägigen Lutherstellen bietet: Diesselhorst, Malte, Zur Zwei-Reiche-Lehre Luthers, in: Christentum und modernes Recht. Beiträge zum Problem der Säkularisierung, hg. v. Gerhard Dilcher/ Ilse Staff, Frankfurt a.  M. 1984, 129–181. Als frühe Theorie funktionaler Differenzierung der Gesellschaft deutet die Zweireichelehre: Giesecke, Michael, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informationsund Kommunikationstechnologien, Frankfurt a.  M. 1991, 473. 25  Vgl. Kuropka, Nicole, Philipp Melanchthon: Wissenschaft und Gesellschaft. Ein Gelehrter im Dienst der Kirche (1526–1532), Tübingen 2002, 70–88; Kisch, Guido, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Berlin 1967, 100. 26  Wenn beide Konzeptionen auch viel gemeinsam haben, ist doch Augustins Lehre von den zwei civitates nicht identisch mit der lutherischen Zweireichelehre. Der Unterschied liegt darin, daß Luther eindeutiger beide Reiche, auch das innerweltlich-politische, als von Gott gewollte charakterisiert, während Augustin die civitas terrena eben auch als civitas diaboli kennzeichnet. Vgl. Lau, F., Art. »Zwei-Reiche-Lehre«, in: RGG3 6, Sp. 1945– 1949. 27  Vgl. Lienemann, Wolfgang, Art. »Zwei-Reiche-Lehre«, in: EKL 4, Sp. 1408–1419, v.  a. Sp. 1411; siehe auch: Heckel, Martin, Rechtstheologie Luthers (1966), in: ders., Gesammelte Schriften. Staat – Kirche – Recht – Geschichte, 2 Bde., hg. v. Klaus Schlaich, Bd. 1, 324–365. 28  Vgl. Witte, John jr., Law and Protestantism. The Legal Teachings of the Lutheran Reformation, Cambridge u.  a. 2002, zur Einordnung in den komplizierten Zusammenhang einer ›lutherischen‹ Soziallehre siehe die Skizze von: Honecker, Martin, Sozial­

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tanznahme gegenüber der Politik unverkennbar – was nicht identisch sein mußte mit einer Unterordnung des Christen als Untertan unter eine autoritäre Obrigkeit 29, aber doch der Politik eine gewisse Unabhängigkeit vor theologischen Zugriffen sicherte.30 Damit steht die Zweireichelehre in gewisser Weise quer zum Verzahnungstrend, und charakteristischerweise wurden um 1600 im Luthertum wie auch generell Versuche unternommen, auf eine stärkere Verchristlichung der Obrigkeit – und damit eine neuerliche Entdifferenzierung – hinzuwirken.31 Doch schon ab der Jahrhundertmitte kritisierten lutherische Theologen mittels des ›Caesaropapie‹-Begriffs in harscher Weise die Übergriffe von Landesherren in die geistliche Sphäre32 und wagten sich dabei ihrerseits so weit auf politisches Terrain vor, daß eine jüngere Arbeit eine überraschende politikethik des Luthertums, in: Lutherische Konfessionalisierung, hg. v. Hans-Christoph Rublack, Gütersloh 1992 (SVRG 197), 316–343. 29  Bedenkenswert ist auch Wallmanns These, die ›typisch lutherische‹ Unterordnung des Einzelnen unter den Staat (so sie denn aufzuweisen sein sollte) eher aus dem über die Helmstedter Theologie tradierten humanistischen Erbe als aus genuin lutherischem Denken herzuleiten. Vgl. Wallmann, Johannes, Zwischen Reformation und Humanismus. Eigenart und Wirkungen Helmstedter Theologie mit besonderer Berücksichtigung Georg Calixts (1977), in: ders., Theologie und Frömmigkeit im Zeitalter des Barock. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1995, 61–86, hier 80–86. 30  Vgl. Sellin, Volker, Art. »Politik«, in: GGb 4, 789–874, hier 808; dort auch der Hinweis, daß in Luthers Fassung der Dreiständelehre – Oeconomica, Politica und Ecclesia – dem Begriff des Politischen die Bedeutung »saecularis« zugeschrieben wird. Vgl. auch: WA 11,251; WA 43,30. Zur platonischen Provenienz dieser Version der Dreiständelehre siehe Troeltsch, Ernst, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen 1994 (ND der Ausgabe Tübingen 1912), Teilband 2, 522, v.  a. Anm. 238. Zu Luthers Position siehe Maurer, Wilhelm, Luthers Lehre von den drei Hierarchien und ihr mittelalterlicher Hintergrund, München 1970. Daß die Zweireichelehre durch die Ständekonzeption, in der eine christliche ›politia‹ formuliert wird, abgeschwächt wird, arbeitet Müller, Zwei-Reiche-Lehre, heraus. In dieselbe Richtung weist: Schorn-Schütte, Luise, Die Drei-Stände-Lehre im reformatorischen Umbruch, in: in: Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch, hg. v. Bernd Moeller, Gütersloh 1998 (SVRG 199), 435–461. 31  Vgl. den ältere Arbeiten weiterführenden Aufsatz von: Sommer, Wolfgang, Obrigkeitskritik und die politische Funktion der Frömmigkeit im deutschen Luthertum des Konfessionellen Zeitalters, in: Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit. Erträge und Perspektiven der Forschung im deutsch-britischen Vergleich, hg. v. Robert von Friedeburg, Berlin 2001 (ZHF Beiheft 26), 245–263; für den Katholizismus siehe vergleichbar: Breuer, Dieter, Absolutistische Staatsreform und neue Frömmigkeitsformen. Vorüberlegungen zu einer Frömmigkeitsgeschichte der frühen Neuzeit aus literarhistorischer Sicht, in: Frömmigkeit in der frühen Neuzeit. Studien zur religiösen Literatur des 17. Jahrhunderts in Deutschland, hg. v. Dieter Breuer, Amsterdam 1984, 5–25. 32  Vgl. Kruse, Martin, Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte, Witten 1971, 46–81. Siehe weiter zum Bewußtsein eines geistlichen ›Wächteramtes‹ (gegen ältere Klischees lutherischer Obrigkeitshörigkeit): Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit; Bauer, Barbara, Lutheranische Obrigkeitskritik in der Publizistik der Kipper- und Wipperzeit (1620–1623), in: Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland, hg. v. Wolfgang Brückner, 2 Bde., Wiesbaden 1985, Bd. 2, 649–681; Riegg, Ernst, Konfliktbereitschaft und Mobilität. Die

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theologische Übereinstimmung von Bucer auf der einen und Flacius auf der anderen Seite konstatieren kann.33 Doch wie schlug sich eine solch komplizierte Denksituation, die Kirche und Welt im lutherischen Denken in einem nicht-monistischen, aber auch nicht scharf separierten Dual zusammenband, im historiographischen Diskurs nieder? Wie sind generelle politico-theologische Erwägungen dieser Art mit einer historiographischen Klassifizierung vermittelbar? Der pommersche Pastor Paulus Bolduanus veröffentlichte 1620 in Leipzig eine Bibliographie von historiographischen (und geographischen) Werken, die er in verschiedene Kategorien einteilte.34 Seine Klassifizierung der Geschichte in verschiedene Untergruppen und Gattungen soll hier dazu dienen, gängige Differenzierungsprinzipien zu beobachten. Bolduanus beginnt seine Schrift mit dem Verweis auf frühere Bibliographien und führt dann verschiedene weitere Kategorien ein, die aber nicht die Historiographie im eigentlichen Sinne betreffen.35 Erst danach folgt eine Kategorie »Opera historica«: In diese umfangreichste Sektion werden vor allem antike Historiker, aber auch Sleidans Commentarii eingeordnet. Es handelt sich also um Partikulargeschichten bestimmter Zeiten und Regionen. Von dieser Kategorie werden die »Chronica« unterschieden, die offensichtlich Universalchroniken bezeichnen sollen und die gesamte Weltgeschichte zum Inhalt haben.36 protestantischen Geistlichen zwölf süddeutscher Reichsstädte zwischen Passauer Vertrag und Restitutionsedikt, Leinfelden-Echterdingen 2002. 33  Vgl. Zwierlein, Cornel, La loi de Dieu et l’obligation à la résistance – de Florence à Magdebourg 1496–1550, in: »Et de sa bouche sortait un glaive«. Les monarchomaques au XVIème siècle, hg. v. Paul-Alexis Mellet, Genf 2006, 31–75. 34  Vgl. Bolduanus, Paulus, Bibliotheca historica, sive: Elenchus scriptorum historicum et geographicorum selectissimorum, Leipzig 1620. Bolduanus wurde in Stolpe (Pommern) geboren und hatte eine Pfarrstelle im nahegelenen Bessin inne; er publizierte auch eine eine »Bibliotheca theologica« (1614) und eine »Bibliotheca philosophica« (1616). Vgl. Art. »Bolduan«, in: Jöcher 1, Sp. 1206. Vermutlich lebte und schrieb er »largely in intellectual and geographical isolation«; so vermutet jedenfalls Krummel, D.W., Bibliotheca Bolduaniana: A Renaissance Music Bibliography, Detroit 1972, 7. 35  Diese Kategorien umfassen: Abhandlungen zum Lob und Nutzen der Geschichte, chronologische Werke (»supputationes annorum«), Zusammenstellungen von »Antiquitates«, also Abbildungen antiker Realien, schließlich Weltgeschichten, beginnend mit der Schöpfung. Daran anschließend führt Bolduanus Werke der Kategorien Kosmographie, Geographie – auch Kartenwerke und Reisebeschreibungen – sowie Genealogie auf. – Eine ganz ähnliche, aber nicht so anschauliche Klassifizierung findet sich in einem Lehrbuch des Straßburger Geschichtsprofessors Philipp Glaser. Vgl. Glaser, Philipp, Syngramma Historiae Theoreticae . . ., Straßburg 1601. 36  Diese Unterteilung ist einigermaßen einschlägig, wird aber manchmal unterlaufen. Vgl. Beyer, Diarium historicum, iiij r, der zwischen Universalchroniken, zu denen Herodot, Polybios und das Chronicon Carionis gezählt werden, und Partikularhistorien unterscheidet, die neben Thukydides, Xenophon, Livius und Sallust auch »Moses / Samuel / vnd die Propheten der Kinder Israel vnd Jüden Geschichte im alte(n) Testament / Die

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In der folgenden Sektion »Biblica: Historia sacra: Ecclesiastica« geht es um die ältere und neuere Kirchengeschichtsschreibung. Auffällig ist, daß neben den altkirchlichen und den protestantischen Kirchengeschichtsschreibern auch die Protagonisten der nachtridentinischen katholischen Kirchengeschichtsschreibung aufgeführt werden, also Onofrio Panvinio und Cesare Baronio.37 Denn es ist ja nicht selbstverständlich, daß ein lutherischer Pastor ohne weiteren Kommentar die Auffassung artikuliert, auch die katholische Kirchengeschichtsschreibung sei ›kirchliche‹ Historiographie. Wenn es idealiter nur eine Kirche geben kann, müßte die Geschichtsschreibung des Gegners als Anmaßung zurückgewiesen werden. Dies tut Bolduanus aber gerade nicht, sondern er fügt im Bereich der Kirchengeschichte sogar noch Heiligenviten, Papstgeschichten, Bischofslisten sowie »Monastica« und gar »Jesuitica« hinzu. Den Abteilungen über Universalchronistik und Kirchengeschichtsschreibung folgt ein Abschnitt, der der Historiographie politischer Gemeinwesen gewidmet ist. Diese umfassen »Imperia« und »Monarchiae«, aber auch Abhandlungen zum Problem der translatio imperii sowie Kaiserchroniken. Wichtig ist hier die Tatsache, daß Bolduanus eine hierarchische Reihenfolge vorschlägt, in der auf die Universalchroniken erst die kirchliche, dann die politische Historiographie folgt. Zweierlei ist daran auffällig: Erstens, daß er – wie auch Andreae – überhaupt eine klare Trennung zwischen Kirchen- und Politikgeschichtsschreibung ziehen kann; zweitens, daß Bolduanus die Weltreiche der politischen Geschichtsschreibung zuschlägt, obwohl sie doch als transhistorisches Interpretament aus dem Propheten Daniel übernommen sind und darüber hinaus das klassische Gliederungsprinzip der Universalgeschichte, also Bolduanus’ erster Kategorie, darstellen. Bolduanus’ Bibliographie, die die Binnengrenzen innerhalb der Geschichtsschreibung viel detaillierter als Andreaes Utopieschrift verdeutlicht, erfüllt also nichtsdestotrotz den Wunsch nach eindeutigen Einteilungskriterien nicht. Dieser Befund resultiert aber nicht etwa aus der intellektuellen Beschränktheit des pommerschen Pastors, sondern weist vielmehr auf grundlegende Uneindeutigkeiten hin, die die Geschichtsschreibung des konfessionellen Zeitalters durchziehen. Diese Uneindeutigkeiten haben vor allem mit den geschilderten variationsreichen Beziehungsbestimmungen zwischen geistlichem und weltlichen Bereich zu tun. Vor allem zwei Probleme fallen auf: Erstens der unklare Status der Universalchronistik gegenüber politischer wie kirchlicher Geschichte – in diesem Kontext wird die beschriebene Zwei-Reiche-Lehre ein wichtiger theoheilige(n) Evangelisten im newen Testament des HErrn Christi vnd der Apostel Geschichte vnd thaten« umfassen, die also nicht als kirchliche Geschichte, sondern als Partikularhistorien gezählt werden. 37  Ähnlich und ebenfalls unkommentiert auch schon: Glaser, Syngramma, Aa3v-Aa4r. – Vgl. zur katholischen Kirchengeschichtsschreibung: Cochrane, Eric, Historians and Historiography in the Italian Renaissance, Chicago/London 1981, 445–478.

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III.  Gattungen als Institutionen

logischer Faktor zur Formierung eines lutherischen Geschichtsdiskurses; zweitens die scheinbar unproblematische Einordnung auch katholischer Historiographie in die Kirchengeschichte.

2.  Inklusive Universalgeschichte Was ist universal an der Universalgeschichtsschreibung? Überbrückt sie den Gegensatz zwischen kirchlicher und politischer Geschichte? Arnaldo Momigliano hat zugespitzt bemerkt, lediglich die generelle Uneindeutigkeit des Begriffs der Universalgeschichte festzustellen sei die »Untertreibung des Jahrhunderts«.38 Die Universalgeschichtsschreibung ist ein wichtiger, wenn nicht der maßgebliche historiographische Gliederungszusammenhang der frühen Neuzeit. Die ihr zugeordnete Gattung ist, wie bereits bei Bolduanus beobachtet, in der Regel die »Universalchronik«.39 Entstanden aus Motiven des griechisch-römischen wie des jüdischen Denkens 40 , fand sie im späten Mittelalter nur ein relativ geringes Interesse, bevor sie dann in der Frühen Neuzeit einen neuen Aufschwung nahm. Die maßgeblichen Verfasser von Universalhistorien waren Protestanten, während sich katholische Historiographen eher anderen Gattungen zuwandten.41 Eine säkularisierte Universal- oder auch Weltgeschichtsschreibung entwickelte sich erst ab dem 19. Jahrhundert; als wichtiger Entwick-

38  Momigliano, Arnaldo, Die Ursprünge der Universalgeschichte, in: ders., Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung, hg. v. Glenn W. Most, 3 Bde., Bd. 1, Stuttgart/Weimar 1998, 111–140, hier 111. 39  Ähnlich wie der Begriff der Universalgeschichte ist auch der Terminus ›Chronik‹ unscharf. Vgl. Melville, Gert, Art. »Chronik«, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1, Berlin/New York 1997, 304–307, hier 305. Vgl. auch den neuerlichen Versuch einer Definition: Universalchroniken seien »historiographische Texte, die, in der Regel von einem einzigen Autor verfaßt und als Bildungsangebot für ein breiteres Publikum verstanden, zeitlich aufeinander folgende Ereignisse meist unter übergreifenden Deutungskonzepten und mit deutlich literarisch geprägtem Formbewußtsein [. . .] darbieten.«: Ott, Norbert H., Art. »Chronik«, in: Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, hg. v. Stefan Jordan, Stuttgart 2002, 48–51, hier 48. 40  Vgl. Momigliano, Ursprünge. Die Modelle, nach denen partikulare politische (oder militärische) Geschichten geschrieben wurden, folgten in der gesamten Frühen Neuzeit weiterhin den antiken Vorbildern; dies unterscheidet sie von der Universalgeschichtsschreibung. Vgl. Momigliano, Arnaldo, Heidnische und christliche Geschichtsschreibung im 4. Jahrhundert n.  Chr., in: ders., Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung, hg. v. Glenn W. Most, 3 Bde., Bd. 1, Stuttgart/Weimar 1998, 351–372, hier 361. 41  Vgl. Weber, Wolfgang E.J., Universalgeschichte, in: Aufriß der historischen Wissenschaften, hg. v. Michael Maurer, Bd. 2: Räume, Stuttgart 2001, 15–98, hier 46; Neddermeyer, Mittelalter, 63  f.

2.  Inklusive Universalgeschichte

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lungsschritt kann die theologische Interpretamente aufnehmende, teleologisch konzipierte Universalgeschichtsauffassung Schillers gelten.42 Universalgeschichte im frühneuzeitlichen Sinn ist diejenige Geschichtsschreibung, die auf den biblischen Prophetien auf baut und die gesamte Geschichte der Welt von der Schöpfung bis zu ihrem Ende schildert. Sie ist idealiter thematisch, zeitlich und räumlich universal43 und folgt dabei bestimmten der Bibel oder anderen christlichen Traditionen entstammenden Einteilungsschemata44. Die Universalgeschichte umfaßt die gesamte Geschichte der Menschheit und ist damit ›heilsgeschichtlich‹ orientiert – einfach insofern, als nach christlicher Geschichtsauffassung die gesamte menschliche Geschichte in den Prophetien vorhergesagt ist. Damit unterscheidet sich die Heilsgeschichte als Geschichtsauffassung, die im Horizont biblischer Prophezeiungen steht, von einer modernen Geschichtsphilosophie, die andere, ›rationale‹ Erkenntnisweisen an deren Stelle setzt.45 ›Heilsgeschichtlich‹ ist also ein Geschichtswerk dann, wenn ihm biblisch-theologische Schemata zugrunde liegen – und dies unabhängig von der Frage nach seinem Inhalt, sei er profan- oder kirchengeschichtlich. Während die augustinischen sechs Weltalter im Mittelalter das beliebteste Gliederungsprinzip der Universalhistorie darstellten46 , trat dieses Schema in der lutherischen Historiographie ganz hinter eine andere Interpretationstradition zurück. Dies war die auf Hieronymus zurückgehende Deutung des Buches Daniel und seine Lehre von den vier Weltreichen, die vor dem Weltende bestehen sollen: Assyrien, Persien, das griechische Reich Alexanders des Großen sowie Rom. Das römische Reich bestand nach mittelalterlicher und auch noch früh42  Vgl. Schiller, Friedrich, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (1789) in: Über das Studium der Geschichte, hg. v. Wolfgang Hardtwig, München 1990, 18–36; siehe auch Weber, Universalgeschichte, 41. 43  Vgl. Krüger, Karl Heinrich, Die Universalchroniken, Turnhout 1976 (Typologie des sources du Moyen Age occidental 16), 32, der vor allem die Universalität des Raumbezugs betont: Universalgeschichte sei deshalb universal, weil sie über die (literarisch erreichbare) Welt berichte. Dies ist zumindest für das 16. Jahrhundert bestreitbar: Während den Autoren die zeitliche Universalität vom Anfang bis zum Ende der Geschichte wichtig ist, findet z.  B. Wissen über die neuentdeckten Weltteile vorerst kaum Eingang in die Universalchronistik. Dies gilt auch schon für vorkonfessionelle Weltchroniken wie die Schedelsche, die mit einem siebten, letzten Zeitalter und einem apokalyptischen Ausblick endet. Vgl. auch: Goetz, Hans-Werner, On the Universality of Universal History, in: L’historiographie médiévale en Europe, hg. v. Jean-Philippe Genet, Paris 1991, 247–261. 44  Vgl. Völkel, Markus, Aufstieg und Fall der protestantischen Universalgeschichte, in: Storia della Storiografia 39 (2001), 67–73, hier 68. 45  Vgl. Seifert, Von der heiligen zur philosophischen Geschichte; Ott, Norbert H., Art. »Heilsgeschichte«, in: Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, hg. v. Stefan Jordan, Stuttgart 2002, 137–139; Zedelmaier, Hemut, Die Marginalisierung der Historia Sacra in der Frühen Neuzeit, in: Storia della storiografia 35 (1999), 15–26. 46  Vgl. von den Brincken, Anna-Dorothee, Mittelalterliche Geschichtsschreibung, in: Aufriß der historischen Wissenschaften, hg. v. Michael Maurer, Bd. 5: Mündliche Überlieferung und Geschichtsschreibung, Stuttgart 2003, 188–280, hier 202–204. Vgl. auch Krüger, Universalchroniken, 41.

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III.  Gattungen als Institutionen

neuzeitlicher Reichstheologie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation weiter.47 Diese Einteilung liegt der Universalgeschichte zugrunde, aber sie drang auch in andere Gattungen ein: Geschichtsschreibung im 16. Jahrhundert blieb in aller Regel in einen implizit oder explizit universalgeschichtlichen Intepretationshorizont eingespannt.48 Obwohl sich die Protestanten latent in einer politischen Frontstellung gegen die katholischen Kaiser befanden, führte dies nicht dazu, daß im Luthertum die »historisch-politische Phantasie«49 der vier Weltreiche aufgegeben worden wäre. Sie wurde durch die Reformation nicht nur nicht abgeschafft, sondern noch einmal in neuer Nachdrücklichkeit bestätigt, und dies aus mindestens zwei Gründen. Erstens konnte nur unter Beibehaltung der vier Weltreiche auch unter den veränderten religiösen Vorzeichen die nationalgeschichtliche Hochschätzung der mittelalterlichen Kaiser bewahrt werden, so daß der Anschluß der protestantischen Geschichtsauffassung an den humanistischen Diskurs und seine Vorstellung vom geknechteten Deutschland gewährleistet blieb.50 Während zweitens Calvin, Bodin und andere die Reichweite der Danielprophetie auf die biblische Zeit beschränken wollten 51, behielt vor allem die lutherische Universalgeschichte die Geltung des Daniel-Schemas bis ins 18. Jahrhundert bei. Der Grund dafür scheint eine ungemeine Hochschätzung der biblischen Prophetien gewesen zu sein. Dieser Biblizismus erlaubte es, aus universalgeschichtlicher Sicht die Welt »als Sinnbild eines der Kontingenz entledigten, beherrschbaren Erfahrungsraumes«52 zu begreifen; daran aber schien deutschen Lutheranern mehr gelegen zu sein als westeuropäischen Reformierten. Die wenigen Schriften, die sich im 16. Jahrhundert gegen Bodins Kritik an der Geltung des Danielschemas wandten, wurden von deutschen Lutheranern, etwa Andreas Franckenberger und Matthäus Dresser, verfaßt. Ihre Argumentation war primär biblizistisch: Es komme den Menschen nicht zu, die Worte des Propheten anzuzweifeln; da man zeigen könne, daß und wie die Weltgeschichte dem Danielschema folge, seien Bodins Argumente nichtig.53 Die Prophezei47  Vgl. immer noch Goez, Werner, Translatio imperii. Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Tübingen 1958 sowie Miegge, Mario, Il sogno del re di Babilonia. Profezia e storia da Thomas Müntzer a Isaac Newton, Milano 1995. 48  Vgl. Muhlack, Geschichtswissenschaft, 97. Daß diese Anbindung von Partikularhistorien an die Universalgeschichte unter dem Einfluß des Humanismus zeitweilig zurücktrat, betont Joachimsen, Geschichtsauffassung, 8, 74. 49  Lenz, Max, Geschichtsschreibung und Geschichtsauffassung im Elsaß zur Zeit der Reformation, Halle 1898, 15. 50  Vgl. Strauss, Course of German History. 51  Vgl. Zedelmaier, Marginalisierung, 22. 52  Ebd. 53  Vgl. Dresser, Matthäus, Oratio de quatuor Monarchiis, siue summis Imperiis, a Daniele Propheta expressis. Contra ueterem Iuaeorum errorem, hoc tempore a Ioanne Bodino Gallo, in methodo historica renouatum, Leipzig 1581, z.  B. B2r. Vgl. zur Argu-

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ungen dagegen seien widerspruchslos: »in historia Prophetarum [. . .] perpetua est concordia, non dissonantia ulla«; man müsse sich deshalb gegen den anwachsenden »contemptus historiae Propheticae«54 wenden. Wie im Kapitel über die Funktionsbestimmungen der Historie (B.I.2) ausgeführt, wird die Verbindung zwischen Historie und Prophetie oft hergestellt. Die Geschichte und die Prophezeiungen sind miteinander verquickt und ohne einander in gewisser Weise unvollständig. Sie können einander gegenseitig auslegen und sich jeweils als »auxilium« dienen.55 Der Verlauf der Geschichte kann im universalhistorischen Maßstab nichts an den danielischen Prophezeiungen vom Ablauf der Weltreiche ändern oder davon abweichen. Weil Gott diese Abfolge vorherbestimmt hat, muß die Bodinsche Kritik nicht nur ihrerseits widerlegt, sondern geradezu verketzert werden, damit nicht »haeresis noua in Profeßione historica excitetur« 56 . Besonders wichtig für die Universalgeschichte ist dabei, daß sie nicht nur geographisch und thematisch potentiell die Geschichte der gesamten Welt umfaßt, sondern daß sie vor allem zeitlich universal ist, das heißt die Geschichte der Welt von der Schöpfung bis zu ihrem Ende beschreibt. Der zeitliche Horizont der Universalgeschichte ist daher, ausgehend von ihrer prophetischen Grundierung, notwendigerweise eschatologisch; ihr Autor muß wissen, wann und wie die Geschichte endet.57 Dies, so kann man als These formulieren, macht sie gerade für lutherische Historiographen zu einem interessanten Genre. Denn diese wissen, anders als ihre katholischen Kollegen, von der Nähe des Welten-

mentation Dressers: Klempt, Säkularisierung, 54  f. Ähnlich argumentiert auch: Pappus, Johannes, De monarchiis, siue quatuor summis Imperijs. Capita dispvtationis pvblicae, proposita in Scholis Theologorum Academiae Argentoratensis, a Ioanne Pappo Doctore Theologo. Respondebit de his, Christo Seruatore iuuante, 7. et 14. Maij. M. Tobias Speccervs Argentoratensis, Straßburg 1586, These XLII. 54  Franckenberger, Andreas, De amplitudine et excellenti historiae propheticae dignitate. . ., Wittenberg o.J. (laut VD 16: um 1585), Zitate: 131, unpaginierte Epistola dedicatoria. Franckenberger war seit 1580 Geschichtsprofessor in Wittenberg; vgl. Jöcher Ergbd. 2, Sp. 1211. 55  Vgl. Franckenberger, De amplitudine et . . . dignitate, 230. Gleichwohl ist auffällig, daß im konfessionellen Zeitalter die Spuren des Humanismus und seiner Aufwertung innerweltlicher Gelehrsamkeit nicht so weit verwischt werden konnten, daß etwa offensiv eine Verachtung rein profanhistorischen Wissens vorgebracht worden wäre, wie dies in scharfer Weise Augustin getan hatte. Vgl. De civitate Dei XXI,6: »Sed nos [. . .] non habemus necesse omnia credere, quae historia continet gentium [. . .], sed ea, si uolumus, credimus, quae non aduersantur libris (i.e. der Bibel, M.  P.), quibus non dubitamus oportere nos credere.« 56  Franckenberger, De amplitudine et . . . dignitate, 172. Auch lutherische Juristen des 17. Jahrhunderts beurteilen ein Abweichen von der Reichstheologie noch als häretisch; siehe: Heckel, Martin, Staat und Kirche nach den Lehren der evangelischen Juristen Deutschlands in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: ZRG KA 42 (1956), 117–247, hier 126. 57  Vgl. Momigliano, Ursprünge, 132.

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des und seinen Gründen. Das Bewußtsein, im letzten der Weltreiche zu leben, schärft ihren Blick für Anzeichen des Untergangs.58 Die Universalgeschichte ist also in hohem Maße durch biblische Prophezeiungen vorstrukturiert. Innerhalb dieser Grobgliederung können dann weitere, durchaus unterschiedliche Geschichtserzählungen ablaufen. Vor allem unter Melanchthons Einfluß bleiben diese aber in der Regel traditionell: »Nun sammelt, und dies ist ihr eigentliches Prinzip, die Universalgeschichte vom Typ Melanchthon ohnehin alle ›guten Autoren‹, um sich aus ihnen zu konstituieren, so dass dementsprechend des Kommentierens kein Ende sein kann.« 59

Ihre Idealform, so hat Markus Völkel pointiert formuliert, sei daher »die Synopse, am besten in Tabellenform« 60. Diese Gattung ist innerhalb der Universalgeschichtsschreibung denn auch oft realisiert worden.61 Die Universalgeschichte vereint profan- wie kirchengeschichtliches Wissen unter den Gliederungsschemata der Prophetie. Schon deshalb, weil beide im Horizont biblischer Vorgaben stehen, kann sich noch keine Trennung zwischen einer profan- und reichsgeschichtlichen und einer prophetisch-kirchengeschichtlichen Sicht ergeben.62 Idealiter ist die Universalgeschichte also thematisch so inklusiv wie möglich. Trotzdem kommt es bei Melanchthon und seinen Nachfolgern innerhalb des universalhistorischen Diskurses zu einer gewissen Differenzierung zwischen historia politica und historia ecclesiastica: So schreibt Melanchthon sogar, die Historie sei wichtig, um den »Vnterschied der Kirche vnd weltlichen Herrschaften« zu erkennen.63 Dies bedeutet aber keineswegs eine Säkularisierung der Universal- oder auch nur der politischen Geschichte.64 Vielmehr unterscheidet Melanchthon zwischen Gottes ›Heilsordnung‹ einerseits und seiner ›Erhaltungsordnung‹ andererseits: In der historia ecclesiastica übt Gott sein Heilshandeln allein aus, in der politischen Geschichte setzt er das weltliche Regiment ein, um die gesetzte Ordnung zu erhalten.65 58  Vgl. Reid, W. Stanford, The Four Monarchies of Daniel in Reformation Historiography, in: Historical Reflections 8 (1981), 115–123, hier 116  f. 59  Völkel, Theologische Heilsanstalt, 124. 60  Ebd., 127. 61  Vgl. als erste Orientierung: Brendecke, Arndt, Synopse, Segment und Vergleich. Zum Leistungsvermögen tabellarischer Geschichtsdarstellungen der Frühen Neuzeit, in: Storia della storiografia 39 (2001), 75–85. Eine systematische Untersuchung mit weitem zeitlichen Spektrum, allerdings wenig Spezifischem zu den hier behandelten Problemen, ist: Zimmermann, Monika, Die Synopse als Mittel universalhistorischer Orientierung. Eine kritische Untersuchung der Geschichtsschreibung, Göttingen/Frankfurt/Zürich 1977. 62  Vgl. Miegge, Il sogno del re, 59. 63  CR 8,811. 64  Dies zeigt einschlägig Klempt, Säkularisierung. 65  Vgl. Klempt, Adalbert, Die protestantische Universalgeschichtsschreibung vom 16. bis 18. Jahrhundert (mit Diskussion), in: Mensch und Weltgeschichte. Zur Geschichte der

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Melanchthon folgt mit dieser Konzeption, so kann als These formuliert werden, den Grundlinien von Luthers Zweireichelehre sowie der Polarität von Gesetz und Evangelium und zieht die Konsequenzen für die historiographische Praxis.66 Der Logik der Zweireichelehre folgend, kann man innerhalb der Universalgeschichte eine gewisse Autonomisierungstendenz der profanen oder politischen Geschichte erkennen, die im Laufe des 16. Jahrhunderts vor allem in programmatischen Schriften diskutiert wurde – nicht aber eine generelle Säkularisierung der Universalgeschichte.67 In der melanchthonisch geprägten Universalgeschichte tritt neben das Schema der Weltreiche, das den Bereich der politischen Geschichte als Gottes Erhaltungsordnung vorsieht, ein Gliederungsschema für den im engeren Sinn kirchlichen Bereich, der »Zeugnis von den wunderbaren Heilstaten Gottes« 68 ablegt. Diese historiographische Zweireichelehre wird manchmal konsequenterweise auch in polaren Begriffen von Gesetz und Gnade formuliert: Während es z.B in der auch von Heiden verfaßten Profangeschichte primär um das rechtliche Verhältnis des Menschen zu Gott und dessen »lex« gehe, drehe sich die historia ecclesiae ausschließlich um »misericordia seu gratia«.69 Diese wird in folgende drei Universalgeschichtsschreibung, hg. v. Alexander Randa, Salzburg/München 1969, 203– 239, hier 206  f. 66  Damit ist nicht mehr behauptet als eine historiographische Analogiebildung, die theo­ logisch nicht bis ins Detail reflektiert wurde. Daß diese Neukonzeption des Verhältnisses von geistlichem und weltlichem Bereich historiographisch wichtig wird, wird aus dem Vergleich des Melanchthonschen Chronicon Carionis mit der vorreformatorischen Universalgeschichte ersichtlich. Die humanistische Weltchronistik etwa Schedels oder Nau­ clerus’ ist durch zwei disparate Tendenzen gekennzeichnet, die sie von der melanchthonischen Universalgeschichte unterscheiden: Einerseits vertreten sie viel stärker als Melanchthon die Einheit von politischem und geistlichem Bereich (im Sinne eines corpus christianum), andererseits neigen sie, ohne dies theoretisch zu explizieren, doch partiell zur Abtrennung rein profaner Geschichte von der Universalgeschichte, während Melanchthon keine reine Profanhistorie kennt; die politische Geschichte ist für ihn als Geschichte der Weltreiche eben auch heilsgeschichtlich. Vgl. zu Schedel und Nauclerus in ihrem Verhältnis zu Melanchthon: Muhlack, Geschichtswissenschaft, 104–107. Zur Tradition, aus der die Schedelsche Chronik stammt, vgl. Gärtner, Kurt, Die Tradition der volkssprachlichen Weltchronistik in der deutschen Literatur des Mittelalters, in: Pirckheimer Jahrbuch 1994, 57–71. – Luthers chronologisches Hilfsmittel zur Bibelexegese, seine »Supputatio annorum«, ist ebenso in zwei Spalten eingeteilt. Diese sollten wohl ursprünglich der Differenzierung fromm vs. gottlos folgen, dies wird allerdings nicht durchgehalten. Vgl. WA 53,1–184. 67  Vgl. Klempt, Universalgeschichtsschreibung. Scherers Definition der Universalgeschichte als »jene Art von Geschichte [. . .], die die Ereignisse der Vergangenheit unter einem einheitlichen Gesichtspunkt, und zwar dem religiös-kirchlichen, betrachtet«, wäre hinsichtlich der Religion plausibel zu nennen, hinsichtlich der Kirche aber eher skeptisch zu beurteilen. Siehe Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte, 105. 68  Klempt, Säkularisierung, 25. 69  So der Peucer-Freund und spätere bremische Refomierte Christoph Pezel in seiner frühen Oratio de argumento historiarum, et fructu petendo ex illarum lectione, Wittenberg 1568, hier benutzt in dem Nachdruck in: Melanchthon/Peucer, Chronicon Cari-

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Phasen eingeteilt: in die Zeit von der Schöpfung der Welt bis Abraham (die Zeit vor dem Gesetz), dann in die Zeit bis zu Christus (unter dem Gesetz), schließlich in die Zeit nach Christus. Diese drei Zeitalter umfassen alle jeweils 2000 Jahre und ergeben damit nach der außerbiblisch überlieferten traditio domus Eliae die 6000 Jahre, die die Welt dauern wird.70 Das letzte, gegenwärtige Zeitalter kann und wird aber um der Gnade willen verkürzt werden, weshalb man des Weltendes gewärtig sein muß.71 Dieses vaticinium Eliae besaß für Melanchthon deshalb eine so große Bedeutung, weil es mit der Bibel im Einklang zu stehen schien und als lange verschollene Spur antiker Weisheit gelten konnte.72 In der Melanchthon folgenden Tradition wurde diese Einteilung beibehalten.73 Allerdings konnte sie im akademischen Kontext der Jahrhundertwende durchaus ihre geschichtstheologischen Untertöne einbüßen. Elias Reusner beispielsweise sah in seinem 1600 erschienenen universalhistorischen Kompendium in der Einteilung der kirchlichen Dinge in drei Weltalter kaum mehr als eine mnemotechnische Annehmlichkeit: »Facilius autem concipi et concludi animo corpus omnium historiarum potest: si temporum mundi series in certas aetates distinguatur. Cuiusmodi est illa Eliae Rabbini Thalmudica traditio.« 74

onis, Frankfurt a.  M. 1594, 23–43, hier 31. Vgl. zur Biographie: Wenneker, Erich, Art. »Pezel, Christoph«, in: BBKL 7, Sp. 403–408. Zu Gesetz und Evangelium als Elementen der Zweireichelehre vgl. Confessio Augustana 28; daß diese Konzeptionen in die Historio­ graphie übertragen wurden, deuten unsystematisch an: Keute, Reformation und Geschichte, 204; Backus, Historical Method, 327  f.; daß die Begriffe lex und evangelium eigentlich natürlich innerchristliche Begriffe sind und z.  B. auf AT und NT bezogen werden, liegt auf der Hand; nichtsdestoweniger ist schon über den usus civilis des Gesetzes ein gewisser Bezug auf die Kirche/Obrigkeit-Differenzierung zu konstatieren. Vgl. Mau, Rudolf, Art. »Gesetz V«, in: TRE 13, 82–90, v.  a. 83. 70  Vgl. das Schema zu Kirchen- und Politikgeschichte bei Klempt, Säkularisierung, 36  f.; Maurer, Wilhelm, Melanchthons Geschichtsanschauung, in: ders., Der junge Melanchthon, 2 Bde., Bd. 1: Der Humanist, Göttingen 1967, 99–128, 225–230, hier 106  f.; Mertens, Mittelalterbilder, 41–43. Die Überlieferung stammt aus dem Talmud; vgl. Sanhedrin 97a/97b. Auch Augustin kennt sie und schreibt sie Elias zu; siehe Schmidt, Aetates mundi, 299. 71  Vgl. Mt 24,22; das Motiv der Verkürzung ist der anderenfalls zu erwartende Abfall aller Menschen von Gott; aus Gnade verkürzt Gott also die Zeit, woraus folgt: »Der Teufel [. . .] weiß, daß er wenig Zeit hat« (Off b 12,12). Melanchthon scheint weniger eindeutig als Luther mit der Verkürzung »propter electos« gerechnet zu haben; dies legt nahe: WA Ti. 2,637. Zur Zeitverkürzung weiterführend: Koselleck, Reinhart, Zeitverkürzung und Beschleunigung. Eine Studie zur Säkularisation, in: ders., Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt a.  M. 2000, 177–202. 72  Vgl. CR 8,663 sowie Haeusler, Ende der Geschichte, 165. 73  Vgl. insgesamt Klempt, Universalgeschichtsschreibung. 74  Reusner, Isagoges historicae, 15. Der Helmstedter Historiker Reiner Reineccius hält diese Einteilung für »erudita et elegans«. Vgl. Reineccius, Methodus loquendi cognoscendique historiam, 11r.

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Auch was die zeitliche Eingrenzung der Universalgeschichte angeht, gab sich der professionelle Historiker Reusner tolerant: Die Universalchronistik könne entweder »ab orbe condito« zählen, wie dies biblische Prophetien vorsähen, oder sich anderer Anfangspunkte wie des antiken »ab urbe condita« oder des von den Katholiken bevorzugten »a Christo nato« bedienen.75 Die Universalgeschichte folgt also, mehr oder weniger geschichtstheologisch argumentierend, den biblischen Prophetien. Und sie neigt, in der Nachfolge von Luthers Zweireichelehre und Melanchthons historiographischer Konsequenz daraus, zu einer latenten Differenzierung zwischen politischer bzw. profaner und kirchlicher Geschichte. Beide stehen dabei unter Gottes Gebot, aber in unterschiedlicher Weise. Die Kirchengeschichte ist damit durchaus Teil der universalgeschichtlichen Konzeption, aber sie kann sich auch aus diesem Zusammenhang lösen und ein eigener Bereich werden, dem spezielle Werke gewidmet sind. Wie aber bereits bei Andreae und Bolduanus beobachtet, wird die Abgrenzung der chronikalischen Universalgeschichte von der Kirchengeschichte – wegen beider Fundierung in den biblischen Prophetien – nie vollständig vollzogen; permanent kommt es zu Überschneidungen.76 Aber wird man deshalb soweit gehen zu sagen, daß »kein Gegensatz zwischen Weltgeschichte und Kirchengeschichte empfunden wurde, sondern sozusagen alles Kirchengeschichte war«? 77 Sicher läge diese Konsequenz insofern in der Argumentationsrichtung der konfessionalisierenden Eliten, als es ihnen um eine tiefere und festere Verankerung des Religiösen in allen Gesellschaftsbereichen ging. Und doch: Gerade die lutherische Konfessionalisierung mußte hier, ausgehend schon von Luthers Trennung von Kirche und Staat und seinen ekklesiologischen Vorstellungen, theoretisch wie praktisch auf Probleme stoßen. Damit aber stellt sich offensichtlich die Frage danach, was Protestanten als Kirchengeschichte ansahen, in noch schärferer Weise. Zu diesem Problem sollen von zwei Richtungen aus Überlegungen angestellt werden: einmal von der mittelalterlichen Tradition der Kirchengeschichtsschreibung, dann von der lutherischen Ekklesiologie her.

  Vgl. Reusner, Isagoges historicae, 14.   Was sich z.  B. daran ablesen läßt, daß die Lehrbücher, die für die danielisch strukturierte historia politica empfohlen werden, partiell dieselben sein können wie die für die Kirchengeschichte vorgesehenen. Vgl. Reineccius, Methodus loquendi cognoscendique historiam, 11–19. 77  Burkhardt, Johannes, Die Entstehung der modernen Jahrhundertrechnung. Ursprung und Ausbildung einer historiographischen Technik von Flacius bis Ranke, Göppingen 1971, 19, Anm. 26. Genauso fragwürdig ist die These, wegen der angeblichen lutherischen Vernachlässigung der Politik habe »bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts die Kirchengeschichte den Vorrang« behauptet; so Günther, Horst, Art. »Geschichte IV«, in: GGb 2, 625–647, hier 631. 75 76

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III.  Gattungen als Institutionen

3.  Exklusive Kirchengeschichte Kirchengeschichtsschreibung war von Beginn an ein problematisches Genre. Das liegt daran, daß die Kirche immer als etwas vorgestellt wird, das innerhalb der »Welt« angesiedelt ist, aber niemals in dieser aufgeht, sondern transzendente Bezüge besitzt. Kirchengeschichtsschreibung kann daher entweder »intern«, das heißt auf die eigene Gruppe bezogen, oder »extern«, das heißt weltbezogen, verfahren. Während sich z.  B. die frühe Kirchengeschichte eines Eusebius von Cäsarea in hohem Maße durch eine interne Perspektive und eine Abgrenzung von der äußeren Welt auszeichnete ( jedenfalls bis zu Konstantin dem Großen), tendierte die spätere Kirchengeschichtsschreibung im Zuge der zunehmenden Verchristlichung der Gesellschaft immer stärker dahin, Bezüge zwischen Kirche und Welt darzustellen.78 »Während die alten Kirchenhistoriker noch vielfach meinten, sich für ihre profangeschichtlichen Berichte entschuldigen zu müssen, faßt die mittelalterliche Historiographie bewußt weltliche und geistliche Ereignisse zusammen.« 79

Man könnte sogar soweit gehen zu behaupten, daß das Mittelalter überhaupt keine Kirchengeschichtsschreibung kannte; die bekannte ›Historia ecclesiastica‹ Bedas zum Beispiel ist mindestens ebensosehr englische Nationalgeschichte wie Kirchengeschichte. Das Mittelalter brauchte, von lokalen Kirchenhistorien abgesehen, keine eigens abgegrenzte Kirchengeschichte, denn der christlichkirchliche Horizont besaß ohnehin das Deutungsmonopol. Insofern liegt es in der Logik des Problems, daß die Gattungsbestimmung der Kirchengeschichtsschreibung für das Mittelalter außerordentlich schwerfällt.80 Daß sie sich dabei der Universalchronistik annäherte, zeigt z.  B. die Tatsache, daß noch bis ins späte 17. Jahrhundert hinein ein Hauptschema der Kirchengeschichtsschreibung die universalhistorische Vier-Weltreiche-Konzeption blieb.81 Erst im Laufe des 17. Jahrhunderts kam es zu einem Autonomisierungsprozeß, der sowohl die Universalgeschichte erfaßte, die sich immer offener zur politischen Geschichte 78  Vgl. Stöve, Eckehart, Art. »Kirchengeschichtsschreibung«, in: TRE 18, 535–560, v.  a. 536; Schindler, Alfred/Koschorke, Klaus, Art. »Geschichtsschreibung 3: Kirchengeschichte«, in: EKL 2, Göttingen 1989, Sp. 121–127, hier Sp. 121. Vgl. generell auch: Stöve, Eckehart, Kirchengeschichte zwischen geschichtlicher Kontinuität und geschichtlicher Relativität. Der Institutionalisierungsprozeß der Kirchengeschichte im Zusammenhang neuzeitlichen Geschichtsverständnisses, 2 Bde., Habil. masch. Heidelberg 1978. 79  Zimmermann, Ecclesia, 42. 80  Vgl. die Gattungsdarstellung bei: Grundmann, Herbert, Geschichtsschreibung im Mittelalter. Gattungen – Epochen – Eigenart, Göttingen 41987, 5–71, bei dem historia ecclesiastica als Gattung nicht vorkommt. Ähnlich skeptisch auch Momigliano, Heidnische und christliche Geschichtsschreibung, 361. 81  Vgl. Wetzel, Klaus, Theologische Kirchengeschichtsschreibung im deutschen Protestantismus 1660–1760, Giessen/Basel 1983, 10  f.

3.  Exklusive Kirchengeschichte

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entwickelte, als auch die separate Beschäftigung mit der Kirchengeschichte institutionell aufwertete.82 Doch diese Entwicklung war im 16. Jahrhundert noch nicht im Gange, wenn auch der Humanismus erste Versuche einer Auslagerung von Spezialgeschichten aus der Universalgeschichtsschreibung befördert hatte.83 Die katholische Kirchengeschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts initiierte eine deutlichere Trennung von Profan- und Kirchengeschichte und wies der Kirchengeschichte die Beschäftigung mit dogmatischen Fragen und der Geschichte der katholischen Kirche als Institution zu.84 Doch gerade dies scheint im protestantischen Kontext ein Hauptproblem gewesen zu sein: Brach sich doch hier die Sicht der Kirche als Institution an einer neuen historischen Situation und an einer neuen Ekklesiologie.85 Für den lutherischen Geschichtsschreiber, der über die vorreformatorische Zeit schreiben wollte, ergab sich ein ganz praktisches Problem bei der Definition der Kirchengeschichte: Selbst wenn er gewollt hätte, wäre die institutionelle Verortung der lutherischen Kirche in der Geschichte schwerlich möglich gewesen.86 Die Ekklesiologie des frühen Luthertums wollte sich aber auch gar nicht nicht in demselben Maße wie die mittelalterliche Kirche an Institutionen orientieren. Denn im Luthertum wurde, anders als im Katholizismus und eindeutiger auch als in der reformierten Konfession, eine strikte Unterscheidung zwischen ecclesia visibilis und ecclesia invisibilis getroffen. Die lutherische Theologie besteht darauf, daß nur die Wortverkündigung und die Sakramente den Bestand der Kirche garantieren, nicht aber institutionelle Absicherungen. Als sichtbare Kirche ist »die lutherische Konfessionskirche der geschichtliche Ort, an dem sich ihr durch Predigt und Sakramente konstituiertes Kirchesein ereignet.« 87 Darüber hinaus bedeutet aber diese ekklesiologische Entscheidung, daß 82  Vgl. Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte, 213. Zur institutionellen Verankerung der Kirchengeschichte als schulisches und universitäres Unterrichtsfach ab der Mitte des 17. Jahrhunderts vgl. Philipps, Ansgar, Die Kirchengeschichte im katholischen und evangelischen Religionsunterricht, Wien 1971. 83  Zur Kirchengeschichte vgl. Muhlack, Geschichtswissenschaft, 198. 84  Vgl. Cochrane, Historians, 445  f . Daß die sich verselbständigende katholische Kirchengeschichtsschreibung möglicherweise in stärkerem Maße die humanistische Quellenkritik fortführte als ihr protestantischer Widerpart, behauptet am Paradebeispiel des selbst von protestantischen Gelehrten bewunderten Kardinals Baronio: Zen, Stefano, Baronio storico. Controriforma e crisi del metodo umanistico, o.O. 1994, 127–131. 85  Wenn Polman, L’élément historique, 209, schreibt, Sleidan und Melanchthon seien, anstatt zu Kirchenhistorikern zu werden, Universalhistoriker geblieben, jedenfalls »vus sous l’angle de l’histoire purement et simplement ecclésiastique«, dann illustriert dies das Problem. Der Katholik Polman weiß genau, was purement ecclésiastique ist, nämlich die Institution. 86  Vgl. nur Kühn, Art. »Kirche VI«, 262  f .; zu bereits spätmittelalterlichen Tendenzen einer Spiritualisierung des Kirchenbegriffs vgl. Merzbacher, Friedrich, Wandlungen des Kirchenbegriffs im Spätmittelalter, in: ZRG KA 39 (1953), 274–361, v.  a. 356  f f. 87  Kaufmann, Universität, 27.

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III.  Gattungen als Institutionen

auch in der katholischen Kirche des Mittelalters, sogar im tridentinischen Katholizismus nach lutherischer Auffassung dort Kirche stattfand – allerdings verborgen unter vom Antichristen okkupierten Institutionen –, wo schriftgemäß gepredigt wurde. Der dafür gebrauchte Begriff der ecclesia invisibilis zielt bei lutherischen Theologen auf die vermutlich kleine Gruppe der nur Gott bekannten Auserwählten (die auch im Katholizismus vorhanden sein dürften88 ); umgekehrt sind auch in der lutherischen Kirche vermutlich viele nur äußerliche Christen nicht erwählt. Diese Dialektik des protestantischen und v.  a. lutherischen Kirchenbegriffs 89 ergab ein Problem für den Historiographen: Wie sollte er Kirchengeschichte schreiben, wenn er sich dabei nicht an sichtbaren Institutionen oder Individuen orientieren konnte? Der Kirchenhistoriker mußte sich also, unter Reflexion seines Kirchenbegriffs, die Frage stellen, wo seine Kirche die ganze Zeit über gewesen war. Ein Weg, der beschritten wurde, war die Aufwertung der Dogmengeschichte: Kirchengeschichte wurde also als Geschichte der wahren Lehre konzipiert.90 Und doch mußte sich immer wieder das Problem stellen, daß aus der Vorstellung einer unsichtbaren Kirche schwerlich Kirchengeschichtsschreibung zu machen war; Luther hatte insofern konsequent, anders als seine Nachfolger, auch kein Kirchenhistoriker sein wollen.91 In Bolduanus’ Bibliographie fiel bereits auf, daß zur Kirchengeschichtsschreibung offenbar unproblematisch auch die gegnerische, die tridentinische Kirchenhistoriographie gehört. Dies dürfte mit der dargestellten Komplexität lutherischer Ekklesiologie zusammenhängen, die dazu führte, daß Lutheraner dem konfessionellen Gegner nicht rundheraus die Eigenschaft absprachen, Kirche zu sein – wenn auch falsche Kirche.

88  Vgl. als Beispiel unter vielen: Osiander, Lucas, Siben Predigten / Von fürnemben Ursachen / warumb die Christen / so sich zu der Christlichen Augspurgischen Confession warhafftig bekennen / vom Papsthumb abgetretten / vnd sich zu demselben nimmermehr begeben sollen. . ., Tübingen 1589, 224  f.: »Wie wir auch bekennen / daß heuttigs tags / mitten im Pabsthumb / ein Christliche Kirche unnd Gemein Gottes sey [. . .] Es müssen auch noch rechte Christen vnder dem Papsthumb sein.«; ähnlich Heerbrand, Jacob, Disputatio de Quaestione: Quae et vbi vera Dei Ecclesia sub regno Pontificio superioribus temporibus fuerit, et etiamnum hodie sit?, in: ders., Disputationes Theologicae, Tübingen 1575, 250–273, hier 257. 89  Vgl. Ebeling, Gerhard, Zur Geschichte des konfessionellen Problems, in: ders., Gottes Wort und Tradition. Studien zu einer Hermeneutik der Konfessionen, Göttingen 1964, 41–55; Härle, Wilfried, Art. »Kirche VII«, in: TRE 18, 286  f ; vgl. zur reformierten Entwicklung: Kühn, Art. »Kirche VI«, v.  a. 265. 90  Vgl. Zimmermann, Ecclesia, 68–76, der einen institutionellen katholischen gegen einen dogmatischen protestantischen Kirchenbegriff konturiert und diese Gegenüberstellung an der Konstellation Baronio vs. Magdeburger Zenturien exemplifiziert. 91  Vgl. zum Problem: Norelli, Enrico, The Authority attributed to the Early Church in the Centuries of Magdeburg and the Ecclesiastical Annals of Caesar Baronius, in: The Reception of the Church Fathers in the West. From the Carolingians to the Maurists, hg. v. Irena Backus, 2 Bde., Leiden/New York/Köln 1997, Bd. 2, 745–774, hier 749.

4.  Gattungen als Institutionen

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Wie dargestellt, ist ein Hauptunterschied, der von Lutheranern zwischen Profan- und Kirchengeschichte immer wieder ausgemacht wird, der Unterschied zwischen der Erhaltungs- und der Heilsordnung Gottes, zwischen Gesetz und Evangelium. Wegen ihrer größeren Nähe zu den biblischen Vorgaben ist das Maß an »certitudo«, das von der Kirchengeschichte erwartet werden kann, größer als in der ebenfalls durch biblische Prophetien grob vorstrukturierten Profangeschichte.92 Sie kann – über moralische Exempel hinaus, die letztlich nichts anderes illustrieren als den Dekalog – die Geschichte der wahren Lehre und damit die Gnade Gottes zeigen.93 Auffällig an dieser Vorstellung von Kirchengeschichte ist nicht etwa, daß kein Gegensatz zwischen Weltgeschichte und Kirchengeschichte bestanden hätte, sondern vielmehr, wie bemerkenswert präzise lutherische Autoren, bei aller Kompliziertheit der ekklesiologischen Vorstellungen, angeben können, was Teil der Kirchengeschichte ist und was diese von der Universalgeschichte, aber auch von anderen profanen Historien abgrenzt.

4.  Gattungen als Institutionen Die Universalgeschichte ist also die thematisch inklusivere Gattung, die Kirchengeschichte die exklusivere oder restriktivere. Beide gehen vom Boden  biblischer Prophezeiungen aus, akzentuieren diese aber unterschiedlich. Mit diesen beiden Diskursen sind natürlich nicht alle Gattungs- und Klassifizierungszusammenhänge angesprochen, die der Historiker des 16. Jahrhunderts bedienen konnte; das zeigen schon die ausgesprochen feinen Differenzierungen bei Bolduanus und anderen.   So Pezel, Oratio de argumento historiarum, 32, und viele andere.   Entsprechend wurde im Anschluß an Melanchthon und in Formulierungen, die sich später allenthalben wiederfinden lassen, die Kirchengeschichte von zwei seiner Schüler konzipiert: Zu Beginn der 1550er Jahre von Victorin Strigel in mehreren programmatischen Reden; besonders konzise liest sich dies in den vier geschichtstheoretischen Prolegomena (zuerst in: strigel, victorin, Selectarum declamationum professorum academiae Jenensis, Bd. 1, Straßburg 1554), die in seinem posthum erschienen Justinkommentar nachgedruckt wurden. Vgl. Victorini Strigelii in Iustinum Trogi Abbreviatorem Commentarius . . ., Straßburg 1612 (EA 1602), (??)4v-(???)2v. Vgl. dazu: Nordman, Viljo Adolf, Victorinus Strigelius als Geschichtslehrer, Diss. phil. Helsingfors 1930, Abo 1930, 47–90. Ähnlich auch David Chyträus in: De lectione historiarum recte instituenda. Et, Historicorum fere omnium series, et argumenta, breuiter, et perspicue exposita, Straßburg 1563, v.  a. A4r-A8r, der zum wohl wichtigsten Multiplikator der Melanchthonschen Geschichtsauffassung wird. Vgl. Backus, Historical Method, 338–341. Zu Chyträus vgl. allgemein: Kaufmann, Thomas, Art. »Chyträus«, in: RGG4 2, Sp. 377  f., zu Chyträus’ Geschichtsauffassung siehe Klatt, Detloff, Chyträus als Geschichtslehrer und Geschichtschreiber, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock 5, Rostock 1909, 1– 202, v.  a. 33–35. 92 93

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III.  Gattungen als Institutionen

Hier soll nun noch einmal auf die eingangs gestellte Frage zurückgekommen werden, ob und wie weit konventionelle Einteilungsvorgaben die Initiierung von lutherischen Geschichtsbildern und die auf ihnen auf bauenden Identitätsdiskurse beeinflußten oder prägten. Wie könnte diese Beeinflussung ausgesehen haben? Die idealtypisierende Beschreibung der Universal- und Kirchengeschichte hat deutlich gemacht, wie groß das Gewicht der biblischen Prophezeiungen und überhaupt einer biblisch und theologisch grundierten Geschichtsauffassung war und blieb. Dieser Traditionalismus könnte aber für die Konfessionalisierung der Geschichte in gewissem Sinne eine Barriere dargestellt haben: Denn es ist ja fraglich, inwieweit der Identitätsdiskurs einer neuentstehenden Konfessionsgruppe sich in die tradierten Schemata einfügen ließ. Ähnlich wie im Falle der ›Konfession des Kompilators‹ (B.I.4) stellt sich auch hier wieder die Frage einer Vermittelbarkeit von konfessionellen Identitätsansprüchen und genuin historiographischer Praxis, die ihre eigenen Regeln und Traditionen besitzt. Die Rolle, die etwa Religion in der Universalgeschichtsschreibung – abgesehen von den historiographischen Basisschemata – spielte, variierte in beträchtlichem Maße. Selten, dies wird Kapitel B.IV. erweisen, läßt sich Universalhistoriographie unproblematisch als lutherischer Identitätsdiskurs lesen. Warum sich Lutheraner für eine historiographischen Identitätsstiftung dagegen der Kirchengeschichtsschreibung zuwandten, liegt auf der Hand: Sie konnten hier insofern an die Gattungstradition anschließen, als die Kirchengeschichtsschreibung schon immer mit Modellen von Aufschwung und Niedergang, Fortschritt und Dekadenz gearbeitet hatte. Diese Modelle konnten in eine relativ problemlose lutherische Interpretation der Kirchengeschichte überführt werden. Trotzdem wird auch hier immer wieder deutlich werden, in welch hohem Maße lutherische Kirchengeschichtsschreibung mit der Universalgeschichte interferierte und wie die ekklesiologische Bindung an die Papstkirche, aber auch die Abgrenzung ihr gegenüber die lutherische Kirchengeschichtsschreibung in eine gewisse Widersprüchlichkeit manövrierte. Wenn man rekapituliert, was lutherische Autoren über die Einteilung der Geschichte sagen, wird deutlich, daß die Wahl z.  B. des universalgeschichtlichen Diskurses bestimmte Vorentscheidungen hinsichtlich der Rolle, die Religion im Geschichtsverlauf spielt, mit sich bringen konnte. In diesem Sinne kann man vermuten, daß die Frage nach den verschiedenen Gattungen, die dem universalgeschichtlichen wie dem kirchengeschichtlichen Zusammenhang entstammen, durchaus auch die Frage nach verschiedenen Aspekten oder Geschichtsbildern umfaßt. Die Historiographiegeschichte zumal der Vormoderne hat sich mit dem Problem, was Gattungen sind und in welcher Weise sie die Produktion und Rezeption von Historiographie steuern, bisher so gut wie nicht befaßt, während die Literaturwissenschaft hier eine elaboriertere Diskussionstradition besitzt. Die

4.  Gattungen als Institutionen

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literaturwissenschaftliche Gattungstheorie baut auf jahrhundertealten Diskussionen darüber auf, ob eine Gattung normativ-präskriptive Funktionen (für die Textproduktion) besitzt oder nur deskriptiv-klassifikatorisch (für den Literaturwissenschaftler) ist, ob es Gattungen ›gibt‹ oder sie nur regulative Ideale darstellen.94 Sowohl für die Diskurse der Universal- und Kirchengeschichte als auch für die ihnen entsprechenden Gattungen (z.  B. Chroniken, kirchengeschichtliche Predigten, universal- oder kirchengeschichtliche Kalender) kann eine These aus der literatursoziologischen und rezeptionsästhetischen Literaturtheorie übernommen werden kann: Danach sind Gattungen weder nur subjektive Schöpfungen von Autoren noch bloß nachträgliche Ordnungsbegriffe, sondern selber in einen historisch-funktionalen Kontext von Produktion und Rezeption eingebettet.95 Gattungen sind demnach selber historisch entstanden und vergangen: Sie haben in einer bestimmten Epoche sowohl die Produktion als auch die Rezeption von Texten gesteuert, weil sie als habitualisierte Festschreibungen die Produktions- und Rezeptionserwartungen geprägt haben. Dies bedeutet, daß ihnen als »literarisch-sozialen Institutionen« eine zwar nicht unbegrenzte, aber auch nicht zu vernachlässigende »Eigengesetzlichkeit« und ein »Eigengewicht« zukommt.96 Institutionen sind in der neueren Soziologie als »symbolische Ordnungen« beschrieben worden, die aus Habitualisierungen entstehen und eine gewisse Autonomie gegenüber ihrer Umwelt gewinnen; in diesem Sinne können Gattungsvorgaben als institutionelle Ordnungen bezeichnet werden.97 Dabei müssen die Gattungsregeln nicht explizit, etwa in programmatischer Reflexion, ausgesprochen werden; ja, in aller Regel 94  Vgl. allgemein (auch zur ausufernden älteren Literatur): Hempfer, Klaus W., Art. »Gattung«, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v. Klaus Weimar, Bd. 1, Berlin/New York 1997, 651–655. 95  Vgl. Jauss, Hans Robert, Theorie der Gattungen und Literatur des Mittelalters, in: Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters, Bd. 1, Heidelberg 1972, 107–138, hier 129. 96  Vgl. Vosskamp, Wilhelm, Gattungen als literarisch-soziale Institutionen, in: Textsortenlehre, Gattungsgeschichte, hg. v. Walter Hinck, Heidelberg 1977, 27–44, hier v.  a. 29–31. Der Institutionenbegriff folgt hier der Argumentation von Berger, Peter/Luckmann, Thomas, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt a.  M. 51977. 97  Vgl. Rehberg, Karl-Siegbert, Die stabilisierende »Fiktionalität« von Präsenz und Dauer. Institutionelle Analyse und historische Forschung, in: Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, hg. v. Reinhard Blänkner/Bernhard Jussen, Göttingen 1998, 381–407, hier 387; zur Autonomisierung 399–402. Generell wird in der jüngeren Diskussion betont, daß Institutionen nicht mit Organisationen zu identifizieren sind, sondern mit den ihnen korrelierenden relativ stabilen Sinnordnungen und Verhaltensmustern. Vgl. die Sammelbände: Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde, hg. v. Gert Melville, Köln/Weimar/Wien 1992; Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, hg. v. Reinhard Blänkner/Bernhard Jussen, Göttingen 1998.

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III.  Gattungen als Institutionen

konstituiert sich eine Gattung oder ein Gattungszusammenhang eher über ein wirkungsmächtiges und traditionsstiftendes Werk als über eine ›Theorie‹.98 Dies gilt auch im Falle der Melanchthonschen Klassifizierung von Kirchen- und Universalgeschichte 99 – schon deshalb, weil selbst die avanciertesten Geschichtstheoretiker des 16. Jahrhunderts ›poetologische‹ Gattungsfragen kaum behandelten100. Die Ausführungen über die Aufteilung der Geschichte in einen universalund einen kirchengeschichtlichen Diskurs belegen, daß lutherischen Autoren explizit oder implizit klar war, welche Inhalte welchem Kontext zuzuordnen waren. Wenn eines bei der Untersuchung der historiographischen Klassifikationen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts auffällt, dann ist es die Bestimmtheit, mit der Unterscheidungen getroffen werden. Diese Bestimmtheit erlaubt es, von einem ›Eigengewicht‹ dieser Produktions- und Rezeptionszusammenhänge auszugehen.101 Die prinzipielle Textualität von Geschichte als narratio rerum gestarum macht es überdies plausibel, die Faktur der Texte selbst, also auch ihre Gattungs- und Diskurszugehörigkeit zu prüfen, bevor Aussagen über ›Geschichtsbilder‹ einzelner Autoren oder des Luthertums insgesamt zu treffen sind. Historiographische Gattungen erscheinen als relativ stabile und autonome Vorgaben, die Grenzen der Konfessionalisierbarkeit von Geschichtsschreibung indizieren könnten.

98  Vgl. Schaeffer, Jean-Marie, Du texte au genre. Notes sur la problématique générique, in: Théorie des genres, hg. v. Gérard Genette/Tzvetan Todorov, Paris 1986, 179– 205, v.  a. 200. 99  Wenn hier und im folgenden von der ›Melanchthonschen Universalgeschichte‹ etc. die Rede ist, dann ist damit weniger die empirisch-psychologische Rekonstruktion von Melanchthons ›Weltanschauung‹ o.ä. anvisiert als vielmehr die konstitutive Autorität seiner diskursprägenden Rolle gemeint, die über weite Strecken in der Wittenberger Universitätsausbildung v.  a. in den 1540er-60er Jahren institutionalisiert wurde. Dies erlaubt es, als Begriffschiffre einen idealtypischen Melanchthonschen Klassifizierungszugang zur Geschichte zu konturieren, der im deutschen Luthertum eine hohe Verbindlichkeit gewann. In diesem Sinne kann man Melanchthon als »Diskursivitätsbegründer« deuten, der die Basis für Konstanten, aber auch Varianten protestantischer Universalgeschichte legte; vgl. Foucault, Michel, Was ist ein Autor?, in: ders., Schriften zur Literatur, Frankfurt a.  M. 2003, 234–270, hier 253. 100  Vgl. Landfester, Historia magistra vitae, 84–89. 101  Die relative Autonomie von Gattungen auch außerhalb ihres Entstehungszusammenhanges betont Timpe, Dieter, Was ist Kirchengeschichte? Zum Gattungscharakter der Historia Ecclesiastica des Eusebius, in: Festschrift Robert Werner, hg. v. Werner Dahlheim/Wolfgang Schuller/Jürgen von Ungern-Sternberg, Konstanz 1989, 171–204, hier 171.

IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie   und Säkularisierung 1.  Universalgeschichte vor und nach der Reformation »Während die Kirchengeschichtsschreibung durch die Reformation ein völlig neues Gepräge erhielt, ist die damalige Weltchronistik der Tradition sehr stark verhaftet geblieben. Sie lehnt sich zum großen Teil an ältere Werke an, und nur die gelegentliche Polemik gegen das Papsttum kennzeichnet sie als protestantisch.«

Wenn Werner Goez’ Charakterisierung der Universalgeschichte zuträfe, müßte es phänomenologisch gleichgültig sein, ob eine Weltchronik um 1500 oder um 1600 entstand. Doch weder veränderte sich die Universalchronistik im konfessionellen Zeitalter überhaupt nicht, noch transformierte sie sich komplett in Kirchengeschichtsschreibung. Dies ist bereits in dem idealtypisierenden Versuch deutlich geworden, die inklusive, Profan- wie Kirchengeschichte umgreifende Universalgeschichte Melanchthonscher Prägung als institutionelle Gattungsvorgabe zu profilieren. Goez’ Aussage trifft insofern zu, als ein großer Teil der Universalgeschichtsschreibung – und zwar im konfessionellen Zeitalter genauso wie vorher – zwar idealiter kirchengeschichtliches Wissen integrierte, de facto aber primär ereignis- und ›politik‹-geschichtlich orientiert war. Allerdings, und das wird dieses Kapitel zeigen, verschob sich der Fokus; ›säkulare‹ (oder zumindest so wirkende) Profangeschichtsschreibung war vor und nach Melanchthon nicht dieselbe. Die humanistische oder semihumanistische Chronistik der Vorreformationszeit mit ihrem auffallenden Desinteresse an theologischer Überformung einer rein faktualen Darstellung wurde im Luthertum zuerst in die Melanchthonsche Universalgeschichte mit ihrer Integration von Kirchen- und Profangeschichte transformiert. Da aber diese Integration der Zweireichelehre mit ihrer Trennung von Kirche und Welt – bei gleichzeitigem Aufeinanderbezogenbleiben – folgte, konnte sich von hier aus, also von einer religiös begründeten Differenzierung von Kirchen- und Profangeschichte, im

  Goez, Translatio imperii, 257.   Schon gar nicht trifft es zu, daß sich die theologisch konzipierte Universalgeschichte mit Humanismus und Reformation zugunsten einer nationalen Perspektive auflöste. So Staats, Orosius, 220.  

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

Nachgang des konfessionellen Zeitalters eine säkularisierte Profangeschichte autonomisieren. Im Zentrum des lutherischen universalgeschichtlichen Diskurses stand also die idealtypische Melanchthonsche Konzeption mit ihrer Applikation der Zweireichelehre und deren Polarität von lex und evangelium auf Profan- und Kirchengeschichte und mit ihrer strikten Orientierung an der Danielprophetie und dem domus Eliae. Wo diese Orientierung nicht explizit gemacht wird, ergibt sich häufig – vor allem in knappen, faktengeschichtlich orientierten Darstellungen – der Eindruck einer latenten Distanzierung von biblischen Prophezeiungen und damit einer ›Säkularisierung‹ der Geschichtsschreibung. Langfristig dürfte die faktenorientierte, sachliche Darstellung, wie sie z.  B. in synoptischen oder tabellarischen Geschichtswerken für den Geschichtsunterricht zu beobachten ist, tatsächlich zu dieser Säkularisierung beigetragen haben. Die lutherische Universalgeschichtsschreibung mit ihrer Orientierung am Typus Melanchthon verblieb aber vorerst in einer Ambivalenz zwischen Prophetie und Säkularisierung. Der stark ereignis- und profangeschichtliche Typus der vorkonfessionellen Universalgeschichte läßt sich z.  B. an einem in der ersten Jahrhunderthälfte sehr erfolgreichen, heute aber unbekannten Geschichtswerk beobachten, das bis in die 1550er Jahre mehrfach gedruckt wurde und eine anschauliche Annäherung an den universalhistorischen Horizont der Reformatoren der ersten Generation erlaubt. Die anonyme Chronik von 1531, die in 20 Jahren neun (davon drei Wittenberger) Ausgaben erlebte , dann aber von Melanchthons Chronicon Carionis verdrängt wurde, ist eine knappe, rein ›politikgeschichtlich‹ orientierte annalistische Schrift, deren Inhalt bis in ihr Erscheinungsjahr reicht. Sie ist am   Dies entspricht der Argumentation von Klempt, Säkularisierung.   Damit ist hier erst einmal nicht mehr gemeint, als daß die Geschichtsdarstellung immerhin eine solche wissenschaftliche Autonomie erreicht hatte, daß sie sich nicht in jedem Aspekt und jedem Arbeitsschritt gegenüber der Religion legitimieren mußte. De facto dürfte die ›Säkularisierung‹ oder ›Entsakralisierung‹ von Geschichtsdarstellungen bis ins 18. Jahrhundert weitgehend vor dem Hintergrund einer ohnehin selbstverständlichen christlich-theologischen Fundierung abgelaufen sein, die eben wegen ihrer Selbstverständlichkeit oft implizit bleiben konnten. Vgl. zum weiten Bedeutungsraum des Begriffs: Barth, Ulrich, Art. »Säkularisierung I«, in: TRE 29, 603–634, v.  a. 619; die Möglichkeiten und Grenzen des Säkularisierungsinterpretaments diskutiert zuletzt eingehend: Pott, Sandra, Medizin, Medizinethik und schöne Literatur. Studien zu Säkularisierungsvorgängen vom frühen 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert, Berlin/New York 2002, 1–45; für die historische Operationalisierung des Begriffs immer noch nützlich: Shiner, Larry, The Concept of Secularization in Empirical Research, in: Journal für the Scientific Study of Religion 6 (1967), 207–220.   Vgl. Brendecke, Synopse, 82.   Vgl. Chronica Darin auffs kürtzest werden begriffen / die namhafftigsten Geschichten / so sich vnter allen Keisern / von der geburt Christi bis auff das Tausent Fünff hundert ein vnd dreissigst jar verlauffen haben . . ., Wittenberg 1553 (EA 1531); zu den Ausgaben siehe VD 16: C2457–2465.  

1.  Universalgeschichte vor und nach der Reformation

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Leitfaden der Kaisergeschichte organisiert und stellt vollkommen auf Ereignisse im Umfeld der Kaiser ab. Auffällig ist nicht so sehr ihre prokaiserliche Haltung als vielmehr ihr ausgeprägtes Desinteresse am Papsttum; doch auch die Ereignisse der frühen Reformation werden nicht verzeichnet. Für eine in Wittenberg stark rezipierte Chronik ist es immerhin bemerkenswert, daß über Hus und Hieronymus von Prag nur gesagt wird, sie seien »von wegen irer lere« hingerichtet worden . Die Faktenorientierung der anonymen Chronik, die Universalgeschichte letztlich auf Kaisergeschichte verkürzt, ist also ein Element des universalhistorischen Wissensbestandes der Wittenberger Gelehrten um 1550; daneben stehen die humanistischen oder semihumanistischen Weltchroniken Nauclers und Schedels, die, viel stärker als dies die lutherische Universalchronistik tun wird, auf die Einheit des corpus christianum abheben, oder auch die Rezeption antiker und mittelalterlicher Weltchronistik mit einem gewissen Desinteresse für deren geschichtstheologische Gesamtentwürfe.10 Dies ist die Folie, von der sich die lutherische Universalgeschichte abhebt. Zieht man das in Betracht, so kann man nicht mehr sagen, es habe sich nichts verändert. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die wichtigsten universalgeschichtlichen Werke der Frühen Neuzeit von protestantischen Autoren verfaßt wurden. Der universalgeschichtliche Zusammenhang, der die Weltgeschichte im Deutungsrahmen der danielischen Weltreicheprophezeiung ansiedelte, war und blieb für Protestanten eine attraktive Schematisierung. Doch warum wandten sich Protestanten, warum wandten sich Lutheraner in so großer Zahl der Universalgeschichte zu? Eine naheliegende These ist der dem universalgeschichtlichen Denkzusammenhang inhärente Biblizismus, also seine stete Bezugnahme auf die Prophezeiungen der Heiligen Schrift. Eine zweite, oben schon geäußerte Vermutung betrifft die dem protestantischen Denken besonders naheliegende apokalyptische Naherwartung, die in einem Genre, das Anfang bis Ende der Weltgeschichte umfaßte, eine besonders geeignete historiographische Form fand: »Auf dem Grund der Apokalyptik wird Universalge  So vermißt man bei einer Durchsicht eine ausführlichere Würdigung des Investiturstreits inklusive Canossa oder die Ereignisse um Bonifaz VIII. in Anagni, aber auch eine Erwähnung der reformatorischen Kerndaten 1517/21/30.   Vgl. Chronica, 68r.   Vgl. Muhlack, Geschichtswissenschaft, 104–107. 10  Otto von Freising etwa, dessen Chronik 1515 im Umkreis Maximilians I. durch Cuspinian zuerst ediert wurde, ist für die humanistischen Weltchroniken eher als Faktenquelle von Bedeutung; seine geschichtstheologischen Überlegungen finden – jedenfalls an der Schwelle zum 16. Jahrhundert – kaum Interesse; vgl. Schürmann, Brigitte, Die Rezeption der Werke Ottos von Freising im 15. und frühen 16. Jahrhundert, Stuttgart 1986, 118. Der im Mittelalter meistgelesene antike Historiker, Augustins Schüler Orosius, wird zwar in der frühen Neuzeit häufig gedruckt (26 Ausgaben zwischen 1476 und 1738), scheint aber geschichtstheologisch mehr oder weniger irrelevant geworden zu sein. Vgl. Staats, Orosius, 202 u. 214  f.

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

schichte möglich.«11 Doch stellt sich die Frage, ob dies als Erklärung für die protestantische Dominanz im historiographischen Feld der Universalgeschichte ausreicht. Denn gleichzeitig mit der attraktiven Bezugnahme auf die Endzeit handelte man sich doch das Problem ein, katholische Kaiser mit einer heilsgeschichtlichen Sonderrolle ausstatten zu müssen – was in Krisensituationen wie dem Interim oder bei radikalen Lutheranern abgelehnt, in der Regel aber akzeptiert wurde.12 Darüber hinaus war es keine offene Ablehnung der Universalgeschichte von katholischer Seite, die diese zu einem ausgeprägt protestantischen Genre machte. Der Bezugsrahmen – eine prophetisch fundierte Darstellung der Weltgeschichte von ihrem Anfang bis zum Ende – wurde von beiden Parteien geteilt.13 Der ungebrochene Biblizismus der Lutheraner allerdings scheint die prophetisch inspirierte Universalgeschichte letztlich doch zu einem ihnen adäquaten Diskurs gemacht zu haben. Ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist die Problematik der translatio imperii, die gerade auch Lutheraner beschäftigte. Im Kampf gegen Bodins Angriff auf die Sonderrolle Deutschlands und später dann gegen Bellarmins ›kuriale‹ Translationstheorie, die im Kaiser letztlich einen Vasallen des Heiligen Stuhls sah, entwickelte sich ein juristisch-theologisch-politischer Diskurs, für den v.  a. Melanchthon und Flacius von Bedeutung waren. Melanchthon betonte, Gott habe das Reich Karl dem Großen und den Deutschen u.  a. wegen dessen kriegerischer Stärke, also aus einem ius belli heraus verliehen, Flacius arbeitete diese prokaiserliche und reichische Position, die die Geschichtstheologie des Luthertums nachhaltig prägen sollte, systematisch aus.14 Die Kontroverse 11  Taubes, Jacob, Abendländische Eschatologie, München 1991 (EA 1947), 32. – Weiterhin ist die schwer zu verifizierende These formuliert worden, daß im Laufe des 16. Jahrhunderts der universalgeschichtliche Bezug auf die Danielprophetie schon deshalb mehr oder minder zum protestantischen Proprium wurde, weil die habsburgischen Kaiser nicht als ›décadents‹, als Endzeitkaiser gesehen werden wollten. Vgl. Rahn, Thomas, Geschichtsgedächtnis am Körper. Fürstliche Merk- und Meditationsbilder nach der Weltreiche-Prophetie des 2. Buches Daniel, in: Seelenmaschinen. Gattungstraditionen, Funktionen und Leistungsgrenzen der Mnemotechniken vom späten Mittelalter bis zum Beginn der Moderne, hg. v. Jörg Jochen Berns/Wolfgang Neuber, Wien/Köln/Weimar 2000, 521–561. 12  Vgl. Seifert, Rückzug, 33–37; Goez, Translatio imperii, 263; ähnlich Koch, Klaus, Europa, Rom und der Kaiser vor dem Hintergrund von zwei Jahrtausenden Rezeption des Buches Daniel, Hamburg 1997, 105: »Die Wahrheit der Schrift hat höheren Rang als das, was politisch opportun erscheint«; Koch spricht allerdings zurecht von einer »schwer begreiflichen Loyalität« (106). 13  Vgl. Neddermeyer, Uwe, »Was hat man von solchen confusionibus [. . .] recht und und vollkömlichen berichten können?« Der Zusammenbruch des einheitlichen europäischen Geschichtsbildes nach der Reformation, in: AKG 76 (1994), 77–109, hier 95. 14  Vgl. zum Gesamtkomplex Goez, Translatio imperii, 281–304, der v.  a . Flacius’ Schrift ›De translatione imperii Romani ad Germanos‹ (1566) eingehend vorstellt, sowie Münkler/Grüberger, Nationenbildung, 175–209. Zur späteren Verwendung der Argumentationsfigur siehe auch: Hammerstein, Notker, »Imperium Romanum cum omnibus suis qualitatibus ad Germanos est translatum.« Das vierte Weltreich in der Lehre in der Reichs-

2.  Johannes Sleidans Geschichtswerke

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um die translatio imperii ist ein wichtiger Teilaspekt des historiographischen Diskurses, den das deutsche Luthertum führte, erweist sich aber beim Blick auf die Universalchronistik als nicht zentral; er wird deshalb im folgenden zwar immer wieder zur Sprache kommen, aber nicht gesondert behandelt. Diese Verbindung mit juristisch-politischen Problemen und die theologische Überformung der Weltgeschichte im Sinne der Zweireichelehre sind zwei Punkte, die eine konfessionelle Profilierung der Universalgeschichtsschreibung erwarten lassen. Dennoch ist diese nicht einheitlich und homogen. Prophetie und Säkularisierung, um es chiffrenartig abzukürzen, bilden ein Spannungsfeld, in dem sich jeder einzelne Universalhistoriker positionieren muß. Das entspricht dem oben skizzierten Spannungsverhältnis zwischen Geschichtsschreibung als Identitätsdiskurs und Geschichtsschreibung als Element von Gelehrsamkeit und sich relativ autonom entwickelnder kultureller Praxis. Die unterschiedlichen Gattungen, die in diesem Kapitel zur Sprache kommen, beziehen sich in der Regel implizit oder explizit auf die prophetisch-universalhistorischen Bezugsgrößen. Dies soll zuerst an denjenigen Geschichtswerken aufgezeigt werden, die entweder im lutherischen Schul- und Universitätsunterricht Grundlagenwerke darstellten oder doch einem überregionalen Publikum bekannt waren.15 Am Anfang stehen die beiden bekannten historiographischen Arbeiten Sleidans, nämlich die »Commentarii« und sein Buch über die vier Weltreiche; Sleidan steht am Anfang, weil er einerseits neben Melanchthon der meistgelesene Autor ist, andererseits als oberdeutsch-humanistischer Autor dem lutherischen Lager nur mit Vorbehalten zuzuschlagen ist und insgesamt etwas abseits der insgesamt stark dominierenden Melanchthonschule steht.16

2.  »Ein newe veränderung, die freilich das end mit sich bringen wirdt«: Johannes Sleidans Geschichtswerke a)  Commentarii Johannes Sleidan (1506–56), in den 1530er Jahren Diplomat in französischen Diensten, später offizieller Geschichtsschreiber des Schmalkaldischen Bundes, in Straßburg ansässig, bekannt und befreundet mit wichtigen Zeitgenossen wie juristen, in: Neue Studien zur Reichsgeschichte, hg. v. Johannes Kunisch, Berlin 1987 (ZHF Beiheft 3), 187–202. 15  Vgl. Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte. Die relative Prominenz von Sleidan und Melanchthon (auch über das Luthertum hinaus) belegen auch die wenigen Studien zum Buchbesitz; siehe nur: Paschen, Buchproduktion, 31; Vogler, Bernard, Le clergé protestant rhénan au siècle de la réforme (1555–1619), Paris 1976, 282. 16  Sleidan war auch kein ›Schüler‹ Melanchthons, wie dies Rau annimmt; vgl. Rau, Geschichte und Konfession, 106.

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

Jakob Sturm oder Calvin, veröffentlichte 1555 die erste Auflage seines zeitgeschichtlichen Werkes über die Reformation.17 Die »Commentarii«18 behandeln die religiösen und politischen Entwicklungen vor allem im Reich unter der Regierung Karls V. und umfassen den Zeitraum von 1517 bis in die 1550er Jahre. Sie gehören zu den berühmtesten Geschichtswerken des 16. Jahrhunderts, und ihr Autor wird in der Forschung als paradigmatisch für die Verbindung von Protestantismus und Humanismus angesehen. Am Beispiel Sleidans sind die zusammengehörigen Thesen aufgestellt worden, daß sich Geschichtsschreibung im 16. Jahrhundert zunehmend professionalisierte und daß die Reformation dabei eine zentrale Rolle spielte. Sleidan sei, schon wegen seiner Benutzung von großen Archivbeständen, ein früher Archetyp des modernen Historikers.19 Die Wahrheitsliebe, von der Sleidan im Vorwort zu den Commentarii spricht, sein akkurater Berichtsstil und seine Orientierung an klassischen Vorbildern haben ihn in der Forschung als »non-theological observer«, gar als Ireniker erscheinen lassen.20 Die Tatsache, daß er lieber Quellen paraphrasierte als seine Personen erfundene Reden halten zu lassen, hat ihn zum »Polybios der Reformation« gemacht.21 Da der Hauptfokus dieser Arbeit auf der Repräsentation vorreformatorischer Geschichte im Medium nachreformatorischer Historiographie liegt, könnten Sleidans Commentarii eigentlich vernachlässigt werden; darüber hinaus sind sie auch kein universalgeschichtliches Werk im strengen Sinne. Seine Hinweise auf Ereignisse vor der Reformation sind sehr dünn gesät, und die kirchlichen Zu17  Zur Biographie Sleidans am ausführlichsten immer noch Friedensburg, Walter, Johannes Sleidanus. Der Geschichtsschreiber und die Schicksalsmächte der Reformationszeit, Leipzig 1935 (SVRG 157); eine gute biographische Skizze auch bei Vogelstein, Ingeborg Berlin, Johann Sleidan’s Commentaries. Vantage Point of a Second Generation Lutheran, Lanham/New York/London 1986, 6–22. Ein bibliographischer Anhang zur Sleidan-Forschung findet sich in: van der Vekene, Emile, Johann Sleidan ( Johann Philippson). Bibliographie seiner gedruckten Werke und der von ihm übersetzten Werke von Philippe de Comines, Jean Froissart und Claude de Seyssel. Mit einem bibliographischen Anhang zur Sleidan-Forschung, Stuttgart 1996, 373–378. Knapp zu den Commentarii: Lau, Thomas, Art. »Johannes Sleidan«, in: Hauptwerke der Geschichtsschreibung, hg. v. Volker Reinhardt, Stuttgart 1997, 584–587. 18  Hier benutzt in der Ausgabe: Sleidan, Johannes, De statu religionis et reipublicae, Carolo Quinto, Caesare, Commentarii, o.o. 1556. 19  Vgl. Kelley, Sleidan, 598. 20  Vgl. Cameron, One Reformation, 119. 21  Vgl. Burke, Renaissance Sense, 124. Der Polybios-Vergleich Burkes wird diskutiert bei: Dickens, A.G., Johannes Sleidan and Reformation History, in: Reformation, Conformity and Dissent. Essays in Honour of Geoffrey Nuttall, hg. v. R. Buick Knox, London 1977, 17–43, hier 29–30 – mit einem Hinweis darauf, daß stilistisch eher Caesar als Sleidans Vorbild gelten muß. Die Sleidan-Forschung greift auch ansonsten gern zu vollmundigen Vergleichen: So hat man ihm auch den Livius, den Euseb oder den Thukydides der Reformation sehen wollen. Vgl. Kelley, Donald R., Faces of History, 167 sowie Kelley, Sleidan, 573.

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stände vor der Reformation werden nicht einbezogen.22 Sleidans Darstellung setzt mit 1517 ein.23 Kommt er auf Ereignisse oder Personen der Zeit davor zu sprechen, dann immer aus einem aktuellen Interesse heraus: Die französischen Waldenser werden erwähnt, weil sie sich der Reformation angeschlossen haben.24 Hieronymus von Prag und Hus werden im Kontext einer langen Paraphrase von Luthers Brief an die böhmischen Landstände von 1522 genannt, in dem Luther auf die Reinheit des Hus’schen Erbes v.  a. in der Abendmahlsfrage abzielt.25 Im Kontext des Wormser Reichtags 1521 schließlich, im Zusammenhang mit dem Luther zugesicherten freien Geleit, verweist Sleidan auf Wyclif und Hus26 , allerdings hier wie an den anderen Stellen sehr nüchtern. Man kann nicht behaupten, daß auf emphatische Weise protestantische Traditionsstiftung betrieben würde. Wenn also Sleidans Commentarii nicht durch ihre inhaltliche Verknüpfung der Reformationsgeschichte mit deren Vorgeschichte Interesse beanspruchen 22  Vgl. Ehmer, Hermann, Reformatorische Geschichtsschreibung am Oberrhein: Franciscus Irenicus, Kaspar Hedio, Johannes Sleidanus, in: Historiographie am Oberrhein im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. v. Kurt Andermann, Sigmaringen 1988, 227–245, hier 243. Vgl. auch Kalkoff, Paul, Die Anfangsperiode der Reformation in Sleidans Kommentarien, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 71 (1917), 297–329, 414–467. 23  Daß Sleidan den Beginn der Reformation 1517 ansetzt, entspricht vielen anderen Texten; an dieser Stelle soll allerdings einmal darauf hingewiesen werden, daß a) bei Sleidan der Thesenanschlag nicht vorkommt, und daß b) eine Aussage wie: »Luther selbst hat in seinen Thesen stets den eigentlichen Anfang der Reformation gesehen« (Burkhardt, Reformationsjahrhundert, 32) zwar einen Anhaltspunkt in der in B.II.3 erwähnten Zehnjahresfeier Luthers von 1527 hat; in der maßgeblichen autobiographischen Äußerung Luthers an seinem Lebensende – der Vorrede zum ersten Band der Wittenberger Ausgabe seiner lateinischen Schriften von 1545 – ist es aber nicht der Thesenanschlag, sondern die ›reformatorische Entdeckung‹, die Luther an den Beginn der Reformation stellt: Es geht ihm hier um die Entdeckung der Gnade Gottes in der Auseinandersetzung mit dem Römerbrief; der Thesenanschlag spielt keine Rolle. Dieser wurde vermutlich von Melanchthon ›erfunden‹, der in seiner Vorrede im zweiten Band der Lutherausgabe, der 1546 kurz nach Luthers Tod erschien, den Thesenanschlag erstmals erwähnt; vgl. CR 6,161  f. sowie Iserloh, Erwin, Luther zwischen Reform und Reformation. Der Thesenanschlag fand nicht statt, Münster 21967, 62. 24  »Sunt in prouincia Gallia qui dicuntur Ualdenses: hi uetusta consuetudine neque Pontificem Romanam agnoscunt: et aliquanto puriorem habuere semper doctrinam, et postquam Lutherus innotuit, ampliorem cognitionem avide sibi compararunt. Ad Regem uero sepe fuerant hoc nomine delati, quas Magistratum contemnerent, ac rebellionem facerent. Hac enim criminatione plerique nunc vtuntur, inuidiosa magis quam uera« (Sleidan, Commentarii, 534). Vgl. zur Denunziation der Waldenser als ›lutherische‹ Rebellen auch Audisio, Gabriel, Le déclenchement de la poursuite des hérétiques en Provence vers 1530, in: Im Spannungsfeld von Staat und Kirche. »Minderheiten« und »Erziehung« im deutsch-französischen Gesellschaftsvergleich, 16.–18. Jahrhundert, hg. v. Heinz Schilling/Marie-Antoinette Gross, Berlin 2003 (ZHF Beiheft 31), 127–139, v.  a. 134  f. 25  Vgl. Sleidan, Commentarii, 83. Der entsprechende Luthertext findet sich in WA 10, II,169–174. 26  Vgl. Sleidan, Commentarii, 71  f .

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können, dann aus einem anderen Grund: Gerade die Tatsache, daß Sleidan die Reformation historiographisch überhaupt nicht vorbereitet und sie damit im Sinne der modernen Historiographie unerklärt läßt, zeigt die protestantische Prägung seines Geschichtswerks auf. Mit anderen Worten: Die religiöse Funktionalisierung von Historiographie muß sich nicht zwangsläufig als Verlängerung der eigenen Religionsgemeinschaft in die Vergangenheit darstellen, sondern kann durch die Betonung der Singularität der eigenen Zeit erzielt werden. Für Sleidan ist die Reformation ein »göttliches Wunderwerk. [. . .] Die geschichtlichen Ereignisse haben etwas Plötzliches, etwas Meteorhaftes, etwas Zusammenhangloses.« 27 Gerade das Fehlen eines innerweltlich-pragmatischen Erklärungsmusters, in dem die Handlungen von Menschen eine Bedeutung besitzen, läßt Sleidans »modern grasp of historical process« 28 als eher fraglich erscheinen. Die Tatsache, daß Sleidan sich mit Kausalanalysen der von ihm annalistisch berichteten Ereignisse zurückhält, hat mit der Vorordnung eines geschichtstheologischen Schemas zu tun.29 Sleidan schildert die Vorgeschichte der Reformation nicht, sondern setzt mit dem Ablaßhandel und Luthers Protest dagegen ein. Auf religiöse Identifikation qua Geschichte zielt er trotzdem, und zwar insofern, als er die Reformation in seiner Vorrede an den sächsischen Kurfürsten August in das universalgeschichtliche Weltreicheschema einspannt. Die Com  Menke-Glückert, Geschichtsschreibung, 81  f. Ähnlich Ritter, Studien, 286.   Vogelstein, Ingeborg Berlin, Art. »Sleidanus, Johannes«, in: Oxford Encyclopedia of the Reformation 4, 68  f., hier 69. Die Geschichtsschreibung der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit, die in Deutschland vor Sleidan noch maßgeblich vom Prinzip der Augenzeugenschaft geprägt war, erfuhr durch Sleidans umfassende Aktenbenutzung sicher Objektivierungsimpulse: Vgl. Moraw, Ursula, Die Gegenwartschronistik in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert, Diss. phil. Heidelberg 1966, 169. Skeptisch dazu: Ritter, Studien, 292. Daß Sleidans Benutzung archivalischer Quellen weit über das hinausgeht, was die humanistische und auch konfessionelle Historiographie im Durchschnitt leistet, betont zurecht: Landfester, Historia magistra vitae, 107. Die angebliche Modernität Sleidans im Sinne einer protohistoristischen Ausrichtung an Objektivität entspricht zwar seinem Selbstverständnis und zeigt sich auch in seinem Bemühen um Unparteilichkeit, aber es bleibt doch der Eindruck einer eindeutig reformatorischen Position, die weniger in der Darstellung als durch die Auswahl von Ereignissen klar Position bezieht. 29  Die Einschätzung Ursula Moraws, Sleidan enthalte sich erklärender Bemerkungen, um »kritisches Denken« seiner Zeitgenossen gegenüber den Obrigkeiten »ein(zu)schläfern«, indem er die Geschichte als gottgegeben darstelle, wirkt wie eine kuriose ideologiekritische Verkürzung von Sleidans (und nicht nur seines) prophetischem Geschichtsverständnis, in dem alle Menschen, natürlich auch die Obrigkeiten, einen Platz und eine Aufgabe besitzen. Vgl. Moraw, Gegenwartschronistik, 172. – Gattungsgeschichtlich relevant ist die Tatsache, daß Sleidan »Commentarii« (eines berichtenden Zeitzeugen) und eben keine »Historia« (eines rhetorisch ambitionierten Autors) schreibt; diese ciceronianische Zweiteilung wurde im Humanismus stark rezipiert. Vgl. Pirnát, Antal, Gattungen der humanistischen Geschichtsschreibung. Historia et commentarii, in: Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung in der Renaissance, hg. v. August Buck u.  a., Leiden u.  a. 1989, 57– 64. 27 28

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mentarii sind zwar eine ›Partikularhistorie‹, stellen sich aber dezidiert in einen universalgeschichtlichen Deutungszusammenhang. Der prophetisch-apokalyptische Horizont, in dem in dieser Vorrede die Ereignisse von Sleidans Gegenwart erscheinen, müssen für den Leser als Erklärung hinreichen – deshalb berichtet Sleidan im weiteren ohne größere analytische Anstrengungen. Für ihn ist offenkundig, daß seine Gegenwart eine heilsgeschichtlich ausgezeichnete Zeit ist und daß Gott selbst den Geschichtsprozeß lenkt.30 Dieses prophetische Erklärungsmuster nach Daniel ist in der Forschung zu den Commentarii bisher weitestgehend vernachlässigt worden.31 Die vielfältigen Veränderungen in der Geschichte der Menschheit, so Sleidan, habe Gott den Menschen längst vorhergesagt; diese Aussage bezieht sich auf politische wie religiöse Veränderungen, die im Buch Daniel, aber auch in den Paulusbriefen (eine Anspielung auf 2. Thess. 2) prophezeit worden seien.32 Aber die gegenwärtige Veränderung sei »omnium [. . .] maxime illustris uicissitudo.«33 Das römische Reich sei bis auf die innerdeutschen Gebiete verschwunden; trotzdem habe Gott zur Zeit der »mutatio religionis« auch einen Kaiser eingesetzt, der eine seit Jahrhunderten nicht mehr gekannte Machtfülle besitze. Aus diesem Zusammentreffen der Macht Karls V. und des Beginns der Reformation schließt Sleidan sogar, daß eine umfassender religiöser oder politischer Umbruch grundsätzlich in die Regierungszeit großer Herrscher falle.34 Daß die Reformation sich während der Regierung Karls abspielt, wird sozusagen wechselseitig sowohl dem Herrscher – der auch im übrigen Text kaum kritisiert wird 30  In dieser Vorherbestimmung der Geschichte wie Menke-Glückert, Geschichtsschreibung, 81, einen »reformierten« Zug zu sehen, scheint mir eine Fehleinschätzung zu sein, die die unterschiedlichen Varianten heilsgeschichtlichen Denkens im Luthertum übersieht. 31  Vgl. die knappen Hinweise bei Reid, Four Monarchies, 120  f ., und Ehmer, Reformatorische Geschichtsschreibung, 244, der allerdings als Erklärungsmodell für Sleidans unanalytische Vorgehensweise das dokumentarische Ethos des Juristen in den Vordergrund stellt. Dickens, Johannes Sleidan, 39, behauptet für Sleidan eine »zyklische« Geschichtsauffassung, die sich angeblich schon bei Daniel finde. Dieses Mißverständnis resultiert aus der Einschätzung, daß ein zyklisches Geschichtsdenken die logische Konsequenz des »early Lutheran distaste for any notion of human progress in this dark terrestrial life« darstelle. Im Gegenteil ist prophetisch-apokalyptisches Denken im Anschluß an die Bibel aber linear und nicht zyklisch, was aber noch nicht heißt, daß es sich dabei um Fortschrittsdenken handelt, das ja kaum die einzige Form einer linearen Geschichtsauffassung darstellt. 32  Die Vorrede der Commentarii ist hier zitiert nach: Die Anfänge der reformatorischen Geschichtsschreibung. Melanchthon, Sleidan, Flacius und die Magdeburger Zenturien, hg. v. Heinz Scheible, Gütersloh 1966, 42–47. Dort heißt es ausdrücklich: »Deus autem ista docere nos ipse tanquam sua uoce uoluit multo ante quam acciderent« (42). Vor diesem Hintergrund von einer modernen Geschichtsauffassung zu sprechen, hebt Sleidan in ungebührlichem Maße von seinen Zeitgenossen ab. 33  Scheible, Anfänge, 42. 34  Als Beispiele zitiert Sleidan Cyrus, Alexander den Großen, Cäsar, Konstantin, Karl den Großen, Otto den Großen und schließlich Karl V.; vgl. Scheible, Anfänge, 43.

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– als auch der reformatorischen Bewegung gutgeschrieben. Diese Einordnung der Reformation in ein heilsgeschichtliches Schema zeigt, wie Sleidan seine Gegenwart mit einer heilsgeschichtlichen Sonderstellung aus prophetischem Geiste ausstattet, die eine analytische Herleitung des Reformationsgeschehens aus ›Vorläufern‹ etc. unnötig macht. Dies wird noch deutlicher, wenn man die »Apologie« hinzuzieht, eine Verteidigungsschrift Sleidans gegen seine Kritiker, die von der zweiten Auflage an mit abgedruckt wurde und im wesentlichen die Argumente der Vorrede verdeutlicht. Die gegenwärtige »mutatio religionis« sei größer als alle nach dem Zeitalter der Apostel aufgetretenen und sei, »sicut fieri solet«, von politischen Umwälzungen gefolgt worden.35 Diese bezieht Sleidan auf das Wort Christi, daß um der Religion willen Familien und Freunde sich entzweien würden: »quum in aliquo populo mutatur religio, statim nascuntur offensiones, dissidia, turbae, factiones atque bella.«36 Während aber andere Historiker die von ihnen berichteten Geschehnisse nicht nur schildern, sondern auch bewerten würden, stellt Sleidan sein Bemühen um Unparteilichkeit heraus.37 Er trennt aber sehr wohl zwischen seiner Rolle als Historiker und als Zeitgenosse: In der deutschsprachigen »Additio« zu einem Entwurf seiner Apologie heißt es: »In der histori hab ich alle hendel referirt nach vermög und einhalt der sachen, wie obgedacht; aber sunst vnd ausserhalb des werks sag ich frei und bekenn, das gott der almechtig die key. mt., vnsern allergnädigsten herrn, wunderbarlich erhalten vnd gefüret (habe)«.38

Hier zeigt sich ein grundsätzlicher Vertrauensvorschuß für Karl V., der diesen – wie andere Katholiken – allerdings nicht daran hinderte, Sleidan der Lüge zu bezichtigen.39 Diese Kritik an Sleidan dürfte sich in der Hauptsache auf die 35  Vgl. Sleidan, Johannes, Apologia, in: ders., De statu religionis et reipublicae, Carolo Quinto, Caesare, Commentarii, o.O. 1559, 6v-10r, hier 7r. Interessanterweise ist in dieser veröffentlichten Fassung nur von »aetas nostra« die Rede, während es in einem nur in Straßburg kursierenden ersten deutschen Entwurf zur Apologie »zu disen unsern letsten zeiten« hieß, was einerseits eine gemeinlutherische apokalyptische Erwartung bei Sleidan bestätigt, andererseits aber deutlich macht, wie sehr dieser in öffentlichen Stellungnahmen seine Worte zu wägen wußte: Bei vielen anderen lutherischen Autoren heißt es an entsprechenden Stellen nämlich »postrema aetas nostra« und ähnlich. Der deutsche Entwurf zur Apologie ist gedruckt greif bar bei: Winckelmann, Otto, Zur Geschichte Sleidans und seiner Kommentare, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N.  F. 14 (1899), 565–606, hier 599–606, Zitat 600. 36  Sleidan, Apologia, 7r-v. 37  Vgl. ebd., 7r. Zum Werten des Historikers bemerkt Sleidan: »Et licet hoc ego minime faciam, tamen vsitatum est plerisque.« (Ebd., 8v). 38  Winckelmann, Zur Geschichte Sleidans, 606. 39  Negativurteile über die Commentarii sind zusammengestellt bei Janssen, Johannes, Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters, Bd. 7, Freiburg (Breisgau) 1893, 291  f. Der Kölner Historiograph Jaspar Gennep etwa verfaßte 1559 eine Widerlegung der Commentarii, die zu einer langwierigen Kontroverse mit Cyriacus Spangenberg führte. Vgl. Risse, Siegfried, Art. »Gennep, Jaspar«, in: BBKL 22, Sp. 386–394.

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protestantische Tendenz richten, die Sleidans Auswahl und Gewichtung zugrundeliegt.40 Sie bezieht sich nicht auf die prophetische Orientierung seines Werks, die in den Commentarii nur – aber ausschlaggebend – in der Vorrede eingeführt wird. Wie gezeigt, ist die Ausrichtung an den prophetischen Vorhersagen der Bibel für Sleidan ein Grund, auf innerweltliche Motivierung historischer Ereignisse zu verzichten. b)  Reden an Kaiser und Reich Ebenfalls ablesbar ist diese Konzeption an den in der Forschung relativ wenig beachteten zwei Reden an Kaiser und Reich, die Sleidan im Umkreis des Regensburger Reichstags von 1541 verfaßte und drucken ließ,41 aber auch am Beispiel der in der gesamten Frühneuzeit benutzten und immer wieder nachgedruckten Universalchronik »De quatuor summis imperiis«. Beide Werke – vor allem die Reden von 1541 – können geradezu als historiographische Vorgeschichten der Commentarii gelesen werden, in denen Sleidan seine prophetisch-apokalyptische Geschichtssicht deutlich stärker konturiert. Die Analyse der Reden läßt deutlich werden, daß die in der Forschung vertretenen Einschätzungen, Sleidan sei primär politischer Historiker, sehe im Papsttum v.  a. eine machtpolitische Größe und sei relativ weit entfernt von Luthers geschichtstheologischer Sicht 42 , nicht zutreffen. Die Vorrede der Reden zeigt eine deutliche apokalyptische Option, die wiederum an die Loyalität gegenüber dem Kaiser geknüpft wird: »Und jetz zuom letsten vnder Carolo dem fünfften, hat Gott der Herr ein newe veränderung fürgenommen, die freilich das end mit sich bringen wirdt. Denn nach dem der groß onaußsprechlich übermüt, und Abgöterei des Nebenhaupts in der Christenheit ie – Doch auch im protestantischen Lager wurde wahrgenommen, daß Sleidan keineswegs der unparteiische Historiker war, als der er sich gab; so etwa Melanchthon, vgl. CR 8,483. Aber auch Matthäus Dresser referierte noch in den 1580er Jahren – mit einer nur halbherzigen Distanzierung – die Klagen des kursächsischen Rates Christoph Carlowitz über Sleidan. Vgl. Paulus, N., Ein merkwürdiges Urtheil über Sleidan’s Geschichtswerk, in: Der Katholik 75 (1895), II, 573  f. 40  ›Protestantisch‹ heißt hier: sowohl lutherisch als auch reformiert. Druez verweist auf Sleidans Freundschaft zu Calvin, der an den Commentarii wenn nicht mitarbeitete, dann doch in den Diskussionsprozeß einbezogen war. Daher wurden diese von lutherischen wie calvinistischen Lesern positiv aufgenommen. Vgl. Druez, Laurence, L’humaniste allemand Jean Sleidan: de la diplomatie à l’histoire, in: Cahiers de Clio 123 (1995), 15–32, hier 21–23. 41  Vgl. Friedensburg, Johannes Sleidanus, 23–28. Die Rede an die Fürsten wurde unter dem Pseudonym Baptista Lasdenus 1541 in Straßburg veröffentlicht. 1542 erschien eine französische Version. Die Rede an den Kaiser erschien in einer deutschen und einer lateinischen Fassung 1544; ab diesem Zeitpunkt wurden sie oft auch gemeinsam publiziert. Vgl. Druez, Sleidan, 18, Anm. 13. 42  Vgl. Dickens, Johannes Sleidan, 20; Strauss, Course of German History, 681.

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lenger ie mehr zuogenommen, bis zuoletst, das man in für einen Erdischen got, und über menschliche natur, gehalten hat (wie dann solchs alles nit kan verneint werden) da hat Got, als der recht Eiferer, der keinen Neben Got dulden kan, seinen widersager, dem er lange zeit zuogesehen, begegnet, hat sein heiligs Evangelium, welches durch den widersager dermassen verfinstert war, das es gar kein gestalt hat, vnd in allem onbekandtlich war, widerumb, als den hellen Morgenstern, lassen auffgehen, vnd das im Reich Teutscher Nation«43.

Sleidan orientiert sich in seiner nun folgenden Schilderung des Verhältnisses von Kaiser und Papst explizit am danielischen Schema der vier Monarchien44, ja sieht in der Bibel in hohem Maße einen historiographischen ›Fahrplan‹ angelegt, der sich in der Geschichte konkretisiert. Die Aufgabe des Historikers besteht damit darin, historische Ereignisse auf biblische Vorhersagen zu beziehen: »Wo man nun von etlichen vil hundert jaren, bis auff die yetzige zeit, die geschichten anmercket, so befindet sichs augenscheinlich, wie die ding [. . .] durch die schrifft abgemalet seind.«45 Das Papsttum wird als das schreckenerregende »kleine Horn« beschrieben, das in der vierten Weltmonarchie hervortreten wird.46 Die konstantinische Schenkung sei eine Fälschung47, der päpstliche Primat erst ab Kaiser Phocas etabliert worden: »Das ist ire Preeminentz, Jure divino. Da sind sie nun stoltz worden.«48 Seit der Zeit Karls des Großen habe der geistliche Primat sich noch einmal zur Anmaßung weltlicher Macht gesteigert.49 Die mittelalterlichen Päpste hätten versucht, die Kaiser zu unterjochen; der nur seltene Widerstand und die erfolglosen Versuche, die Macht des Papstes durch regelmäßige Konzilien zu beschränken 50 , zeigen aber, daß die Päpste mit widergöttlichen Mächten im Bunde sind. So wird Bonifaz VIII. Zauberei und »Necromancei« vorgeworfen.51 Mit Bezug auf die »Reformatio Sigismundi« malt Sleidan sich aus, wie die Vertreter der römischen Kirche über Begriff und Sache der »Reformation« denken müssen: »Wenn ihr allein das wörtlin Reformation hörent, so überkompt ihr gewißlich ein feber, es gehet euch nit wol zuo ohren, und gedencket onzweifel, Hat man vor hundert jaren bey Keiser Sigmund, vns wöllen Reformiren und meistern, was sollen wir yetz wol müssen erwarten? Es ist besser, es bleib also, wie biß anher.«52

43  Sleidan, Johannes, Zwei Reden an Kaiser und Reich, hg. v. Eduard Böhmer, Tübingen 1879, 28  f. 44  Vgl. ebd., 32–35. 45  Ebd., 60. 46  Vgl. ebd., 41. 47  Vgl. ebd., 178. 48  Ebd., 179. 49  Vgl.ebd., 180–182. 50  Vgl. ebd., 185–190 u. 196. 51  Vgl. ebd., 94. 52  Ebd., 120.

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Die konstatierte Widergöttlichkeit der Päpste ist aber nicht einfach ein moralisches Verdikt, sondern direkt an deren heilsgeschichtliche Funktion als endzeitliche Verderber geknüpft. Papst Julius II. wird charakterisiert als »aller ketzer und Abgöttereien, aller laster und bosheit vol, er stecket in aller unsauberkeit bis an die ohren, er zeigt gewaltiglich, das man auff den Endchrist nit zu lenger gewarten het, vnd dennoch muosten alle König vnd Potentaten seiner heiligkeit zuosehen, vnd harren bis er sich selbs straffet und verurteilet.«

Diese Einschätzung resultiert aus Julius’ Taktik der Konzilsverzögerung53, ist aber sicher nicht nur politisch gemeint. Machtpolitisch geradezu waghalsig, rät nämlich Sleidan davon ab, bei der Türkenbekämpfung ein Bündnis mit Rom zu suchen: Man werde nichts gegen die Türken ausrichten können, wenn man gemeinsam mit den Katholiken kämpfe.54 Ebenfalls unter Berufung auf Daniel schreibt Sleidan 1545 an Jakob Sturm: »Qui uel de Turca uel de pontifice non nimium male sentiunt et non pessima quaeque ab illis expectant, ii nullum habent suae opinionis fundamentum.« 55 Angesichts solcher Passagen muß das Urteil verwundern, Sleidans apokalyptische Naherwartung sei relativ schwach ausgeprägt.56 Daß die Reformation, wie schon oben zitiert, nach Sleidans Meinung das Ende mit sich bringen wird, hängt mit den verderblichen Machenschaften der Päpste zusammen, gleichzeitig aber mit dem endgültigen Untergang des letzten Weltreichs. An Sleidans Beschreibung des Untergangs des römischen Reiches ist allein auffällig, daß er den Verfall des Reichs und der Religion an einen dritten Verfall knüpft – nämlich den Niedergang der studia humanitatis.57 »So ist nun das ein mercklicher jamer, desgleichen seither der Sündflut keiner nie gewesen ist, möcht auch nit grösser sein, namlich, das eine solche Monarchey, vnd Majestetisch wesen, gar zu boden gangen ist, vnd das im selben alle künsten, und eben die Religion, auch verderblichen schaden empfangen haben. Wie möcht grösser ellend entstehen, dieweil nichs grösses auf erden sein kann, weder obgemelte ding, namlich, das Reich, künste vnd Religion« 58 .

Daß im maximilianeischen Humanismus und in der Reformation ein kurzzeitiger Wiederaufstieg von Künsten und Religion gesehen wird 59, widerspricht dem grundsätzlichen Endzeitpanorama Sleidans nicht.

  Ebd., 204.   Vgl. ebd., 132. 55  Sleidans Briefwechsel, hg. v. Hermann Baumgarten, Straßburg 1881, Nr. 38, 73. 56  Vgl. so: Oberman, Vorläufer, 184  f . 57  Sleidan, Zwei Reden, 138–139. 58  Ebd., 139. 59  Vgl. ebd., 140–142. 53 54

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

c)  De quatuor summis imperiis Vermutlich zwischen 1548 und 1552 widmete sich Sleidan der Abfassung seines universalgeschichtlichen Werkes »De quatuor summis imperiis«.60 Es wurde erstmals 1556 veröffentlicht und während der gesamten Frühen Neuzeit immer wieder aufgelegt. Damit ist es vor Melanchthons Chronicon Carionis das erfolgreichste historische Werk des frühneuzeitlichen Protestantismus. Seit 1586 erschien es in einer leicht überarbeiteten Version, die vor allem von Heinrich Meibom eingefügte Quellenangaben enthielt.61 Fueter erkennt in Sleidans Universalchronik ein »entschieden protestantisches Urteil« 62 , das diese z.  B. vom Chronicon Carionis unterscheide. Worin diese Entschiedenheit gegebenenfalls besteht, soll im folgenden analysiert werden. Denn auch in diesem Fall hat sich durchaus Widerspruch gefunden, wenn zum Beispiel Polman urteilt: »Quant à Sleidan, on dirait qu’il évite systématiquement de révéler sa mentalité ou d’exposer ses idées«.63 In der jüngeren Forschung wird gar behauptet, es bestehe ein Bruch zwischen Sleidans akkurater Recherchemethode im Fall der Commentarii und der ›theologischen Geschichtsphilosophie‹ des Vierreiche-Buchs 64 – eine Meinung, die vor dem Hintergrund der geschichtsprophetischen Grundierung der Commentarii kaum plausibel ist. Sleidan beginnt seine Vorrede mit dem Hinweis auf die Bibel als wichtigstem Geschichtswerk.65 Wenn er hinzufügt, die Geschichte sei eine wichtige Lehrmeisterin für politisches Handeln und die prophetische Einteilung der Weltgeschichte in vier Weltreiche sei »commodissima« 66 , so tut sich ein latenter Widerspruch auf: Wie hoch ist der Wert der Bibel und ihrer Prophetien für die Aufschlüsselung der Weltgeschichte zu veranschlagen, wenn die Prophezeiungen primär als bequemes Ordnungsprinzip erscheinen und die Geschichte zuerst politischen Nutzen bringen soll? Vielleicht läßt sich das Problem dahingehend auflösen, daß es Sleidan explizit um einen Leitfaden für Studenten, also um ein Lehrbuch geht. Zum »regnum pontificum« bemerkt Sleidan an dieser Stelle nur:

  Vgl. Friedensburg, Johannes Sleidanus, 70.   Vgl. Neddermeyer, Confusionibus, 83. Zu den Ausgaben siehe Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte, 476–480. 62  Fueter, Geschichte der neueren Historiographie, 188. 63  Polman, L’élément historique, 210. 64  Vgl. Druez, Sleidan, 24. Die Arbeiten von Laurence Druez – siehe auch dies., État présent des études sleidaniennes, in: Bibliothèque d’Humanisme et Renaissance 58 (1996), 685–700 – sind insofern typisch für die Historiographiegeschichte des konfessionellen Zeitalters, als sie dazu neigt, gänzlich zeittypische, Sleidan-unspezifische Züge für Propria ihres Autors zu halten. 65  Vgl. Sleidan, Johannes, De quatuor summis imperiis, Babylonico, Persico, Graeco, et Romano, Libri Tres, o.O. 1559 (EA 1556), 2r. 66  Vgl. ebd., 2r. 60 61

2.  Johannes Sleidans Geschichtswerke

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»Et quia regnum pontificum in sacris literis praenuntiatur, inuestigandum etiam est eius initium, progressus et incrementum, vt cum iis notis atque signis, quae Scriptura delineauit, conferri possit.« 67

Die prophetische Orientierung der Geschichte wird also keineswegs in Frage gestellt, muß aber in den Rang eines Gliederungsprinzips zurücktreten, weil es Sleidan hier darum geht, universalhistorisches Basiswissen darzustellen. Dieses Basiswissen orientiert sich an den vier Weltreichen: Die ersten drei Reiche werden im ersten Buch zusammengefaßt, Buch 2 beginnt mit Caesars Ermordung und der Entwicklung des römischen Reiches zur Monarchie. In diesem Kontext wird auch die Geburt Christi notiert 68 , dies hat aber keine Auswirkungen auf die Stoffgliederung. Aus der Orientierung an der politischen Geschichte des römischen Reiches folgt die nur spärliche Aufnahme kirchengeschichtlicher Informationen. Die Einschätzung, daß die römischen Bischofe nicht durch göttliche, sondern durch menschliche Macht den Primat erhalten hätten69, ist deshalb wichtig, weil damit einerseits eine deutlich antipäpstliche Position formuliert wird, andererseits die Institution Papsttum hier – anders als in den Reden an Kaiser und Reich – tatsächlich als menschliche, machtpolitische Größe erscheint. Die mittelalterlichen Kaiser hätten sich gegen diese Größe zu behaupten gehabt. Die Frankenherrscher Pippin und Karl der Große70 werden zu Beginn des dritten Buches als Schützer der bedrohten Päpste eingeführt; die Translation der Kaiserwürde durch den Papst verschweigt Sleidan aber ostentativ 71. Sleidan sieht die Päpste als Kreaturen der Kaiser an; diese hätten jene »propter crimina«72 wiederholt abgesetzt. Seit Otto dem Großen stehe den Kaisern das Recht zu, »eligendi Papam, ordinandi sedem Apostolicam, et Episcopos confirmandi«73, außerdem habe der Kaiser den Vorsitz auf den Konzilien.74 Doch auch die deutschen Kaiser, ansonsten als Helden des Widerstands gegen Rom gefeiert, entgehen nicht einer moralischen Einordnung: So habe sich der lasterhafte Heinrich IV. Konkubinen gehalten.75 Andere Kaiser hingegen werden schon wegen ihres antipäpstlichen Kampfes hochgeschätzt.76 Als   Ebd., 3v.   Ebd., 19v. 69  Vgl. ebd., 29r. 70  Vgl. ebd., 32v. 71  Schon dies macht Borsts Einschätzung zweifelhaft, Sleidan meine, daß Karl »über modernen territorialen und konfessionellen Streitigkeiten stand und aus den Voraussetzungen seiner eigenen Zeit verstanden werden mußte.«: Borst, Arno, Das Karlsbild in der Geschichtswissenschaft vom Humanismus bis heute, in: Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, Bd. 4, hg. v. Wolfgang Braunfels/Percy Ernst Schramm, Düsseldorf 1967, 364–402, hier 369. 72  Sleidan, De quatuor summis imperiis, 37r. 73  Ebd., 37r. 74  Vgl. ebd., 38v. 75  Vgl. ebd., 39r. 76  So wird Barbarossa als »heroici vir ingenii« bezeichnet; ebd., 42r. 67 68

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

Friedrich II. aus Gutwilligkeit versucht, mit dem Papst in Friedensverhandlungen zu treten, muß dies scheitern; Friedrich wird exkommuniziert, denn der Papst »naturam mutare non posset«77 – wobei nicht klar ist, ob der Papst das Wesen des Papsttums nicht verändern kann, selbst wenn er wollte, oder ob es um die heilsgeschichtlich strukturierte ›Natur‹ der Welt als ganzer geht, in der den Päpsten nun einmal die Rolle der Verderber zukommt. Aus dem Spätmittelalter erscheint Sleidan dann fast ausschließlich der Kampf zwischen Kaiser und Papst berichtenswert; ein Reigen von Exkommunikationen, Rechtsbrüchen und Schismata wird entfaltet.78 Interessant, aber wohl dem faktenorientierten Zugang eines Lehrbuchs geschuldet ist wiederum die Tatsache, daß Sleidan keinerlei Anstrengungen unternimmt, die Motive dieses permanenten Konfliktes zu explizieren. Päpste wie Kaiser scheinen ohne Ideen, Antriebskräfte oder Interessen immer wieder den gleichen Kampf aufzuführen. Inwiefern der Verfall der Kaisermacht eine zwangsläufige Entwicklung ist, bleibt dabei – jenseits des entwicklungsgeschichtlichen Schemas der vier Monarchien – genauso offen wie die Frage, ob es sich hierbei überhaupt um eine Entwicklung handelt; denn seit dem Hochmittelalter sind alle Topoi vollständig versammelt. Immerhin zwei Seiten seines kurzen Werks widmet der Jurist Sleidan dem kanonischen Recht, vor allem dem Decretum Gratiani. Dieses stellt für ihn ein Machtinstrument dar, das voller subtiler Betrügereien stecke: »Quis enim fraudes atque technas enumerare possit?«79 Neben den kaum merklichen Betrügereien stünden aber, so Sleidan, so grobe handwerkliche und logische Fehler, daß der Leser sich wundert, warum diese vor dem 16. Jahrhundert kaum jemandem aufgefallen sein sollen.80 Der instrumentellen Deutung des kanonischen Rechts entspricht dabei die Kürze, mit der sich Sleidan zu im engeren Sinne religiösen Fragen äußert. Hus und Hieronymus von Prag seien in Konstanz »propter dogma« verbrannt worden81 ; andere mögliche Vorläufer Luthers werden nicht erwähnt. Eine Vorgeschichte der Reformation skizziert das Werk nur dahingehend, daß die Machtkämpfe zwischen Papst und Kaiser sich in eine globale Perspektive prophetischer Geschichtsdeutung einfügen. Die Chronik schließt, insofern konsequent, mit einer Auslegung der Danielprophetie. Die dort erwähnten zehn Hörner seien die Länder, in die das römische Reich auseinander  Ebd., 43r.   Vgl. ebd., 47r. 79  Ebd., 44r. 80  »Qua quidem in re mirum uideri possit, esse homines, qui tantum elaborare uelint, vt ea, quae parum apte, perperam etiam et minus prudenter atque pie, sed et ridicule dicta sunt, tanquam oraculum aliquot mordicus arripiant, et in iis interpretandis, enucleandis, uestiendis, omnem operam et aetatem consumant, quasi eo conducti essent, vt alienum stultitiam et errorem, uigilis et labore suo maximo defendant, et in alterius imprudentia, sui pudoris existimationem amittent.«: ebd., 43r. 81  Ebd., 47v. 77 78

2.  Johannes Sleidans Geschichtswerke

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gefallen ist, das bedrohliche ›kleine Horn‹, das »cum sanctis« 82 kämpfe, wird wieder, wie bei Luther, mit den Türken identifiziert.83 Ohnehin ist die Bedeutung des osmanischen Reiches bemerkenswert. Mohammed wird zugeschrieben, ein »nouum doctrinae genus« entwickelt zu haben84, davon war beim Papst nie die Rede; denn wie gezeigt, legt Sleidan in diesem Werk den Akzent auf das weltliche Machtstreben der Päpste, nicht auf deren Lehrverfälschungen. Und auch das Ende der Welt, das mit dem Ende der vierten Monarchie zusammenfällt, wird nicht wie in den oben untersuchten Reden den Päpsten zugeschrieben, sondern – zumindest auch – den Türken.85 Sleidan scheint es hier darum zu gehen, das römische Reich als Gliederungsprinzip und eigentliches historisches Subjekt, das Gottes besonderen Schutz genießt, bis zum Weltende durchzuhalten. Die Päpste können sich die Herrschaft über das Reich anmaßen, auch die Türken können mit List und Tücke versuchen, seiner Herr zu werden. Das ist ihnen immerhin soweit gelungen, daß Sleidan das Reich in völliger Auflösung sieht: »quid enim magis hodie dissolutus est, quam imperii illius amplissimi corpus?« 86 Da aber keine neue Translation mehr vorgesehen ist, werden weder Päpste noch Türken eine »quinta monarchia« 87 errichten können. Das Weltende steht bevor, wenn es auch Christus überlassen bleibe, den genauen Zeitpunkt seiner Wiederkunft zu bestimmen.88 Am auffälligsten an der Lektüre dieses sachlich wirkenden Geschichtslehrbuchs, das dann auf den letzten Seiten eine Wendung zur Prophetie nimmt, ist die geringe Rolle, die der Reformation zukommt. Die Ablaßkrise von 1517, mit der Sleidan die Commentarii begonnen hatte, kommt hier nicht einmal vor. Überhaupt ist die Bedeutung des genuin religiösen Faktors im Rahmen dieses von der Bibel her konzipierten Buches fraglich: Man kann weder sagen, daß Profan- und Kirchengeschichte miteinander verknüpft werden89, noch daß sie schematisch auseinandergehalten werden.90 Vielmehr scheint Sleidan hier zwar ebenfalls eine Verfallsgeschichte zu erzählen, aber diese Verfallsgeschichte ist geknüpft an den Untergang des letzten Weltreichs, während sie in den Reden und den Commentarii stärker an der Verfälschung der reinen Lehre hing. Für den Untergang des vierten Weltreichs aber bedarf es des Papstes nicht. Die Machtkämpfe zwischen Päpsten und Kaisern tragen zwar zur Auflösung des Reiches bei; aber letztlich sind es die Türken, die das Reich zerstören werden,   Ebd., 49r.   Vgl. ebd., 49r. 84  Ebd., 49r. 85  Vgl. Haeusler, Ende der Geschichte, 171. 86  Vgl. Sleidan, De quatuor summis imperiis, 49v. Vgl. Miegge, Il sogno del re, 64, Anm. 14. 87  Sleidan, De quatuor summis imperiis, 50r. 88  Vgl. ebd., 49r-v. 89  So Friedensburg, Johannes Sleidanus, 71. 90  Vgl. Menke-Glückert, Geschichtsschreibung, 65. 82 83

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

ohne jedoch ein neues an seine Stelle setzen zu können. Die Reformation spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle: Sie hat zwar die reine Lehre restituiert, doch der Verfall dieser Lehre ist in Sleidans Mittelalterdarstellung nicht von großem Interesse.91 Auf der Folie des danielischen Schemas und mittels einer politischen Gegenwartsdeutung wird also die Weltgeschichte auf ihr Ende hin konstruiert. Sie bleibt dabei die Geschichte der Weltreiche, welche zwar religiös prophezeit, legitimiert und beendet werden, aber in einem nur mittelbaren Zusammenhang mit der Geschichte der wahren Kirche stehen. Stellt man die drei Texte Sleidans nebeneinander, so kann man sich fragen: Hat sich Sleidans Deutung der Geschichte verändert? Schreibt er der Reformation in den Reden und den Commentarii eine größere weltgeschichtliche Rolle zu als in seiner Universalchronik? Dies trifft den Zusammenhang nicht. Wahrscheinlicher ist es, daß die ganz von traditionellen Schemata her konzipierte Universalchronistik die Reformation als Umbruchsereignis nicht brauchen kann. Sie hat hier keinen rechten Platz, denn reichsgeschichtlich – und darum geht es Sleidan in »De quatuor summis imperiis« – spielt sie insofern keine Rolle, als sie den Untergang des römischen Reiches weder auf halten kann noch soll. Die marginale Rolle, die die Reformation in der Universalchronik spielt, hat nichts mit einer Abwendung von der ›religiösen‹ zugunsten der ›politischen‹ Geschichte zu tun. Die absolute Geltung des danielischen Schemas wird durch die Reformation nicht berührt. Universalhistorisch gesehen kann der Protestant Sleidan die Reformation nahezu ignorieren.92 Sein Werk ist ›protestantisch‹ im Hinblick auf die apokalyptische Dramatik und die Selbstverständlichkeit, mit der Bibelexegese und Universalgeschichte aufeinander verweisen, nicht aber im Hinblick auf den Umbruchcharakter der Reformation. Schüler, die sich aus diesem Lehrbuch die Geschichte aneigneten, lernten eine von Gott gesteuerte, aber in menschlicher Macht und ihren Verführungen sich manifestierende Geschichte kennen, nicht aber die Geschicke der reinen Lehre. Der universalgeschichtliche Diskurs kam ohne sie aus und eignete sich daher nur partiell als Identitäts- und Selbstbe-

91  Sleidan stellt bei seiner Darstellung der Päpste ganz auf deren weltliche Machtanmaßung ab. Auch die Errichtung des geistlichen Primats wird im Anschluß an Luther zwar in der Bestätigung des Primats durch den Kaisermörder Phocas im Jahre 607 lokalisiert, spielt aber nicht die Rolle, die sie als Niedergangsereignis im Denken protestantischer Theologen ansonsten beansprucht. 92  Daher trifft die in der Forschung geäußerte Ansicht, die Türken würden deshalb als Antichrist stilisiert, weil wegen des katholischen Kaisers keine totale Diskreditierung des Katholizismus möglich sei, zwar etwas Richtiges, kann aber nicht Sleidans Geschichtsbild als ganzes zu charakterisieren; die Analyse der Reden und der Commentarii ergibt jedenfalls eine sehr ambivalente Haltung gegenüber dem katholischen Kaiser, dessen Legitimität zwar nie angezweifelt wird, dessen Handlungen aber im einzelnen durchaus kritisch gesehen werden. Vgl. Schmidt-Biggemann, Philosophia perennis, 632.

3.  Melanchthons und Peucers Chronicon Carion

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schreibungsdiskurs. Dies wird auch die Analyse einer zweiten großen Universalgeschichte, des Chronicon Carionis, erweisen.

3.  »Nihil habet iuris in regna politica Pontifex Romanus«: Melanchthons und Peucers Chronicon Carionis Die wichtigsten Konzeptionen und Begriffe der lutherischen Geschichtsschreibung stammen von Melanchthon.93 Seine humanistische Bildungsherkunft erklärt seine Vorliebe für die Geschichte. An Melanchthon ist aber auch abzulesen, in welcher Weise sich ein humanistisch geprägtes Geschichtsbild in dem Moment transformierte, in dem die Reformation als neuer Faktor in den Verlauf der Geschichte einzufügen war. Melanchthon prägte darüber hinaus auch die universalgeschichtliche Denkweise insofern in hohem Maße, als er die maßgeblichen Gliederungs- und Deutungsschemata sowie die Abgrenzung von Universal- und Kirchengeschichte in mustergültiger Weise explizierte (vgl. Kap. B.III). Schon in seiner Wittenberger Antrittsvorlesung von 151894 gab Melanchthon seine besondere Wertschätzung der Geschichte zu erkennen, mit der er sich bis zum Lebensende koninuierlich befaßte. So schrieb er selber Geschichte, wie die hier zu behandelnde Chronik, aber auch Orationen und Deklamationen über historische Themen, die meist von Studenten vorgetragen wurden. Daneben hielt er Vorlesungen über antike Historiker und betätigte sich als Redaktor oder Übersetzer historischer Werke.95 In seiner Leichenrede für Luther schließlich initiierte er eine historiographische Gattungstradition, die eine bedeutende Rolle im Luthertum spielen sollte (vgl. B.V.4). Melanchthon sah wie seine Zeitgenossen eine Funktion der Geschichte in ihrer moralischen Exemplarik. Dies unterschied ihn zwar nicht grundsätzlich von Luther; aber stärker als dieser glaubte Melanchthon an die grundsätzliche 93  Von Melanchthon eine in allen Aspekten kohärente Geschichtstheorie zu erwarten, hieße die Kontextabhängigkeit seines Denkens zu verkennen; siehe: Wiedenhofer, Siegfried, Formalstrukturen humanistischer und reformatorischer Theologie bei Philipp Melanchthon, 2 Bde., Frankfurt/München 1976, Bd. 1, 490. Einschlägige Passagen sind zusammengestellt bei: Meinhold, Geschichte der kirchlichen Historiographie, Bd. 2, 258–267. – Die These, Melanchthons Geschichtsbild entstamme der neoplatonischen Tradition etwa eines Ficino oder Pico, kann hier schon deshalb vernachlässigt werden, weil sie historiographisch keinen besonderen Niederschlag findet. Vgl. Maurer, Melanchthons Geschichtsanschauung, v.  a. 103–105. 94  Vgl. den Auszug in: Die Anfänge der reformatorischen Geschichtsschreibung. Melanchthon, Sleidan, Flacius und die Magdeburger Zenturien, hg. v. Heinz Scheible, Gütersloh 1966, 13. 95  Siehe den Überblick bei: Hartfelder, Karl, Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae, Berlin 1889, 294–302. Wenig Neues bietet: Knape, Joachim, Melanchthon und die Historien, in: ARG 91 (2000), 111–126.

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

Verständlichkeit der Geschichte, an ihre direkt lehrhafte Funktion. Die Geschichte erschien auch Melanchthon von Gott gelenkt, aber er sah sie nicht primär unter dem paradoxalen Aspekt des sub contrario, der, wie oben dargestellt, Luthers Auffassung bestimmte.96 Die Möglichkeit einer direkten moraldidaktischen Applikation historischer Beispiele resultierte, wie oben ausgeführt, aus einem einigermaßen statischen Geschichtsbild, das die Historisierung menschlicher Verhaltensweisen und -normen verhinderte. Die berühmteste Melanchthonsche Formel für diesen Zusammenhang lautet: »Welt bleibt welt, da­ rümb bleiben auch gleiche hendel in der welt, ob schon die personen absterben.«97 Wenn die Welt im Geschichtsverlauf Welt blieb, konnte unmittelbar aus den Historien gelernt werden. Darüber hinaus glaubte Melanchthon, daß die Geschichte – neben der Bezugnahme auf je individuelle Exempla – nur als integrales Ganzes verstanden werden könne. Daraus folge die Hinwendung zur Gesamtdarstellung, zur Universalgeschichte.98 Es sei nützlich, so Melanchthon, »gantze chronicken von anfang zu ende zu haben«99, weil erst der Gesamtzusammenhang, das Wissen um Anfang und Ende, die Bedeutung einzelner Ereignisse aufschließen könne. Dies gelte um so mehr, als Anfang und Ende, Aufstieg und Niedergang dem von Gott geplanten und prophezeiten Weltablauf entsprächen. Insofern könne die Weltgeschichte nur von den biblischen Prophezeiungen her verstanden werden100 , aber auch umgekehrt gelte: »On hilf der chronicken kan man die propheten nit verstehen.«101 Weitere Bemerkungen zur Funktion und Gliederung der Geschichte sowie der angemessenen historiographischen Umsetzung finden sich in den verschiedenen Vorreden, die Melanchthon seinem eigenen historiographischen Hauptwerk vorangestellt hat. Dieses Hauptwerk, das »Chronicon Carionis«, ist eine Übersetzung und Erweiterung der Chronik seines Schülers Johannes Carion.   Vgl. Ridé, L’image du Germain, Bd. 2, 771.   Melanchthons Vorrede zur Chronica Carionis von 1532, ediert in: Die Anfänge der reformatorischen Geschichtsschreibung. Melanchthon, Sleidan, Flacius und die Magdeburger Zenturien, hg. v. Heinz Scheible, Gütersloh 1966, 14–18. Von Einzelnachweisen wird wegen der Kürze des Textes abgesehen. Es ist fraglich, ob man diese Statik wegen ihrer tendenziellen Repetitivität als ›zyklisches‹ Geschichtsmodell bezeichnen sollte; so Wiedenhofer, Formalstrukturen, Bd. 1, 472  f. 98  Vgl. CR 9,1075; CR 3,878. Vgl. auch Ridé, L’image du Germain, Bd. 2, 783. 99  Melanchthons Vorrede zu Hedios Version der Ursperger Chronik 1539, ediert in: Die Anfänge der reformatorischen Geschichtsschreibung. Melanchthon, Sleidan, Flacius und die Magdeburger Zenturien, hg. v. Heinz Scheible, Gütersloh 1966, 19–26. Von Einzelnachweisen wird wegen der Kürze des Textes abgesehen. 100  Klempt, Universalgeschichtsschreibung, 235, betont, »daß Melanchthon die traditionelle Lehre von den Vier Weltmonarchien nicht nur als ein überkommenes Gliederungsschema verwendet, sondern sie als ein wesentliches Element seiner theologischen Deutung der Universalhistorie betrachtet und gelehrt hat.« 101  Melanchthons Vorrede zur Ursperger Chronik 1539. 96 97

3.  Melanchthons und Peucers Chronicon Carion

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Die deutschsprachige »Chronica Carionis« des brandenburgischen Hofastronomen Carion war 1532 erschienen; für die Bearbeitung und Fortsetzung behielt Melanchthon den Namen Carions bei, veränderte allerdings die Gattungsbezeichnung zu »Chronicon«. Er würdigte damit seinen Schüler; in Wahrheit aber lief die Arbeit, die Melanchthon unternahm, auf eine Neuschreibung hinaus: Er übersetzte das Werk Carions in Lateinische, ergänzte und erweiterte es vielfältig, wobei er auf eigene Vorlesungen und akademische Reden zurückgriff. Erstaunlich selten bediente er sich dagegen der zwei gängigen Universalchroniken des deutschen Humanismus, nämlich der Nauclerschen und der Schedelschen Chronik.102 Melanchthon veröffentlichte die ersten beiden Bände seines Werkes in den Jahren 1558 und 1560. Sie stellten die Weltgeschichte von der Schöpfung bis zu Karl dem Großen dar. Melanchthons Schwiegersohn Kaspar Peucer, humani­ stischer Arzt, sein Nachfolger auf der Wittenberger Geschichtsprofessur sowie bis 1574 Kopf der Melanchthonschule103, führte das Werk in zwei weiteren Bänden fort, die bis zum Beginn der Reformation reichten. Sie erschienen 1562 und 1565. Im Jahr 1572 wurde die Chronik erstmals vollständig in einem Band gedruckt; in den nächsten beiden Jahrhunderten erschien sie immer wieder in dieser Form.104 Peucer verwendete für seine Fortführung vor allem historiographische Reden Melanchthons. Sein eigener Beitrag zum Chronicon Carionis ist detailliert untersucht worden und zeigt eine relativ starke generelle Orientierung an Melanchthons Vorgaben, aber im einzelnen auch eigene Akzente.105 Für den hier interessierenden Zusammenhang reicht der Befund aus, daß sich Peucer in den großen Linien an Melanchthons Geschichtsbild hielt und das von beiden sukzessiv verfaßte Werk eine hinreichend große Einheitlichkeit besitzt, um als gan102  Vgl. Ziegler, Hildegard, Chronicon Carionis. Ein Beitrag zur Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts, Halle 1898, 14. Den Disput der älteren Forschung darüber, welcher Anteil Carion, welcher Melanchthon zukam, hat Gotthard Münch dahingehend entschieden, daß Melanchthons Überarbeitung einer Neuschreibung nahekommt. Vgl. Münch, Gotthard, Das Chronicon Carionis Philippicum. Ein Beitrag zur Würdigung Melanchthons als Historiker, in: Sachsen und Anhalt 1 (1925), 199–283. 103  Vgl. allgemein: Zwischen Katheder, Thron und Kerker. Reinhold Seeberg formuliert, Peucer habe die Wittenberger theologische Fakultät in einen »exklusiven Melanchthonianismus« geführt, der »allen Unterschieden Calvin gegenüber ängstlich aus dem Wege ging« (Seeberg, Reinhold, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. IV/2, Erlangen/ Leipzig 31920, 510). 104  Vgl. Mertens, Mittelalterbilder, 40  f .; hier (40–45) auch ein sehr kurzer, aber konziser Überblick über das Werk. Die Chronik bis hin zu Karl dem Großen, also der von Melanchthon verfaßte Teil, ist ediert in: CR 12,707–1094. Zu den zahlreichen verschiedenen Drucken, Überarbeitungen und Übersetzungen vgl. Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte, 468–474. 105  Vgl. Neddermeyer, Uwe, Kaspar Peucer (1525–1602). Melanchthons Universalgeschichtsschreibung, in: Melanchthon in seinen Schülern, hg. v. Heinz Scheible, Wiesbaden 1997, 69–101, hier 98–100.

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

zes auf seine Rolle innerhalb des lutherischen Identitätsdiskurses befragt zu werden. Während in der älteren Forschung ein Disput darüber geführt wurde, ob Melanchthons Universalgeschichte dem Prozeß der Verwissenschaftlichung eher dienlich oder eher hinderlich gewesen sei106 , kann diese Frage hier beiseite bleiben. Im Verwissenschaftlichungskontext ist das Chronicon Carionis schon deshalb eher von nachgeordnetem Interesse, weil Melanchthon seinen Stoff über weite Strecken recht traditionell behandelte, keine eigenen Quellenstudien betrieb und auch keine Reflexion in Richtung einer methodisierten Kritik anstellt.107 Für Melanchthons Zeitgenossen und die folgenden Generationen aber bot Melanchthons und Peucers Universalgeschichte ein attraktives Vorbild, weil hier das gesammelte Wissen antiker, mittelalterlicher und humanistischer Autoren gesammelt und vorstrukturiert wurde.108 In seiner Vorrede zu Carions Chronik von 1532 unterscheidet Melanchthon zwischen zwei Arten von Geschichte: Geht es der einen primär um die politischen Gemeinwesen, die er als »regimenten« bezeichnet, befaßt sich die andere mit dem Christusreich. Dieses werde v.  a. in der ersten christlichen Historie, der Bibel, beschrieben.109 Melanchthon weist, wie in B.III. beschrieben, jeder der beiden Historien ein eigenes Gliederungsprinzip zu110 : Für die Universal106  Für die Verwissenschaftlichung optiert Menke-Glückert, Geschichtsschreibung; dagegen: Münch, Chronicon Carionis. 107  Vgl. Bauer, Barbara, Die göttliche Ordnung in der Natur und Gesellschaft. Die Geschichtsauffassung im Chronicon Carionis, in: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts, hg. v. Jürgen Leonhardt, Rostock 1997, 217–229. Allerdings ist die Auffassung, eigenes Quellenstudium hätte Melanchthon möglicherweise dazu geführt, »die Entwicklung der protestantischen Kirche als Resultat früherer Konflikte zwischen dem Reich, Papsttum und den Territorien zu deuten« (224), doch fraglich: Ein heilsgeschichtliches Ereignis wie die Reformation aus derart profanen Ursachen kausal herzuleiten, würde Melanchthons ganzem Denken widersprechen. Auch ist die terminologische Entscheidung für eine ›protestantische‹ Kirche unglücklich. 108  Vgl. Völkel, Theologische Heilsanstalt, 124. Die Untersuchung von Peucers Bibliothek hat ergeben, wie groß sein historisches Interesse war, aber auch, wie stark er als humanistisch geprägter Universalhistoriker den Akzent auf die antike Geschichte legte; ein Drittel seiner historischen Bücher bezieht sich auf die Antike. Daneben spielt die deutsche Geschichte eine große Rolle; bemerkenswert ist aber Peucers Bemühen, sich auch über andere europäische Nationalgeschichten zu orientieren. Vgl. Kolb, Robert, Caspar Peucer’s Library. Portrait of a Wittenberg Professor of the Mid-Sixteenth Century, St. Louis 1976, 13–17. 109  Vgl. Melanchthon, Einleitung zu Carions Chronik 1532, ediert in: Die Anfänge der reformatorischen Geschichtsschreibung. Melanchthon, Sleidan, Flacius und die Magdeburger Zenturien, hg. v. Heinz Scheible, Gütersloh 1966, 14–18. Von Einzelnachweisen wird wegen der Kürze des Textes abgesehen. 110  Insofern trifft die Interpretation, Melanchthon denke eher ›politisch‹ als ›augustinisch‹, weil er nach Monarchien statt nach aetates gliedere, faktisch schlicht nicht zu. Vgl so: Günther, Horst, Art. »Neuzeit, Mittelalter, Altertum«, in: HWPhil 6, Sp. 782–798, hier Sp. 784.

3.  Melanchthons und Peucers Chronicon Carion

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geschichte gilt die Lehre von den vier Weltreichen, für die Kirchengeschichte die domus Eliae-Konzeption.111 Im Widmungsbrief und in der Einleitung seiner eigenen Fassung des Chronicon Carionis hat Melanchthon diese Konzeption präzisiert.112 Auch betont er hier die verschiedenen Funktionen, die die beiden Arten von Geschichte besitzen: Aus den heidnischen Historien, aber auch der Geschichte des christlichen römischen Reichs lassen sich moralische Exempla ablesen, die der zweiten Tafel des Dekalogs entsprechen, während die erste Tafel die Verehrung Gottes regelt.113 Die Geschichte tout court bildet also die Gottesbeziehung des Menschen ab. Melanchthon benennt zwei Feinde der Christenheit, die Türken und die Päpste. Beide werden als endzeitliche Häretiker dargestellt, die sich von der wahren Lehre abgewandt hätten.114 Über das Chronicon Carionis ist zusammenfassend geurteilt worden, es biete eine »heilsgeschichtliche Auslegung mit bibelexegetischen Methoden und Zielen im Sinne der universalhistorisch-eschatologischen Geschichstheorie«115. Darüber hinaus stelle es nicht nur eine vollständige Weltgeschichte dar, sondern überdies eine Geschichte der wahren Lehre.116 Einleitend wurden bereits die sich widersprechenden Ansichten dazu referiert, ob und warum man das Chronicon Carionis als protestantisch oder gar lutherisch ansehen kann.117 Auch die insgesamt elf Drucke der Chronik im überwiegend katholischen Frankreich lassen ja daran zweifeln, daß das Werk primär protestantisch verstanden wurde.118 Wenn man die Chronik Melanchthons mit der Carionschen Vorlage vergleicht, fällt tatsächlich auf, daß in der ursprünglichen Fassung von 1532 die Kirchengeschichte noch stark hinter der Kaisergeschichte zurücktritt. Dagegen wird in Melanchthons Bearbeitung der Kirchengeschichte und den geschichtstheologisch-prophetischen Schemata auch über Daniel hinaus eine größere Rolle zugewiesen, die eine »intensive Theologisierung« gegenüber der älteren Fassung zur Folge hatte.119 Auch in Peucers Widmungsbrief sticht die erhöhte Aufmerksamkeit für die Kirchengeschichte hervor: Er betont, daß die besonde  Vgl. das Schema zu Kirchen- und Politikgeschichte bei Klempt, Säkularisierung,

111

36  f.

  Melanchthons Vorrede zum Chronicon Carionis, 1558/1560, 27.   Auch Melanchthons Schüler David Chyträus beginnt seine Methodenlehre mit dem Hinweis, daß die zehn Gebote die »aeterna sapientia, et regula iustitiae in Deo« seien, woraus sich die Funktionsbestimmung der Historie ableiten läßt : »Sunt autem HISTORIAE [. . .] nihil aliud, quam huius sapientiae divinae, seu LEGIS DEI, gubernatricis imperiorii, et vitae privatae, EXEMPLA illustria«: Chyträus, De lectione historiarum, A4r. 114  Vgl Melanchthon, Vorrede zum Chronicon Carionis, 31. 115  Neddermeyer, Peucer, 76  f . 116  So Fueter, Geschichte der neueren Historiographie, 187. 117  Vgl. Seifert, Von der heiligen zur philosophischen Geschichte, 102, Anm. 46a; Mertens, Mittelalterbilder, 44. 118  Vgl. Neddermeyer, Confusionibus, 82  f . 119  Vgl. Münch, Chronicon Carionis, 229 und 263. 112 113

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

re Rolle der Kaiser gerade darin bestehe, daß sie der Kirche häufig, aber nicht immer Schutz gewährt hätten.120 Die melanchthonische Universalgeschichte will sich also einerseits explizit an der Geschichte der Reiche und der Kaiser orientieren, weil dies die vornehmste Aufgabe ist, die Universalgeschichte übernehmen kann. Andererseits will sie die Geschichte der Kirche zumindest insoweit einbeziehen, als dies die Kaisergeschichte erfordert. Peucer geht noch weiter, wenn er behauptet, die Chronik solle alles beschreiben, »quid in Ecclesia, Politiis et Oeconomiis fiat«121. Auffällig an diesen Begriffen ist die Orientierung an Luthers Reformulierung der Ständelehre. Melanchthon und Peucer sind also, zumindest terminologisch, so nah an Luthers eigener Konzeption der Welt wie sonst kaum ein Geschichtsschreiber. De facto aber bleibt das Chronicon Carionis, bei aller Einbeziehung auch kirchengeschichtlicher Zusammenhänge, doch primär ein auf die Kaisergeschichte bezogenes Werk. Es schildert am Leitfaden der Kaiserbiographien den Ablauf der Weltgeschichte, reiht Kriegszüge und Aufstände, große Herrscher und Tyrannen aneinander.122 Die chronologische Darstellung konzentriert sich auf die Ereignisgeschichte, enthält aber auch Landes- und Stammesbeschreibungen. Über weite Strecken liest sich das Chronicon tatsächlich wie eine sehr umfassende mittelalterliche Kaiserchronik, so daß das Urteil, das Werk sei zum Großteil nicht als protestantisch erkennbar, durchaus einiges für sich hat.123 Reichs- und Kirchengeschichte, die in den Vorreden nebeneinander stehen, klaffen in der Darstellung auseinander. Die Kirchengeschichte wird in kondensierter Form in eigenen kurzen Teilen behandelt, die meist »de ecclesia« überschrieben sind.124 So wichtig diese Abschnitte sind, so sehr sie auch an rhetorisch exponierten Stellen, zu Beginn oder am Ende einer größeren Einheit plaziert sind, so sehr auch die Kirchengeschichte in die Profangeschichte hineinreicht: Trotz allem kann man nicht behaupten, daß der Geschichte der Kirche oder des Evangeliums im Chronicon Carionis auch nur entfernt so viel Raum gewidmet wäre wie der Geschichte der Kaiser.125 Es sind die weltlichen Regimente, der Bereich also, in dem Gott nur in120  Melanchthon, Philipp/Peucer, Caspar, Chronicon Carionis, Frankfurt a.  M . 1594, 4. 121  Ebd., 19. 122  Daß die Geschichte der Kaiser das eigentliche Gliederungsprinzip der Chronik ist, wird aus dem Titelblatt des fünften Buches deutlich, das mit »Liber quintus Chronici Carionis a Friderico secundo vsque ad Carolum quintum« (929) überschrieben ist. 123  Vgl. Seifert, Von der heiligen zur philosophischen Geschichte, 102, Anm. 46a. 124  Vgl. Melanchthon/Peucer, Chronicon Carionis, z.  B. 700  f f., 761  f f., 801  f f., 956  f f., 1153  f f., 1300  f f. Daß für die vormittelalterlichen Teile, die hier nicht untersucht werden, Kirchengeschichte auch außerhalb der »de ecclesia«-Kapitel verhandelt wird, betont Backus, Historical Method, 334. 125  Angesichts dieses Befundes scheint der Forschungsdisput, ob Peucer der Kirchengeschichte ein größeres Gewicht zugestanden und die sichtbare Institution der Kirche gegenüber Melanchthon aufgewertet habe, vernachlässigbar zu sein. Die Autoren, die sich zu diesen Fragen äußern, beziehen sich v.  a. auf die Vorreden, die aber kein repräsentatives

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direkt wirksam ist, der den größten Teil der Chronik ausmacht. Daß dies allerdings nicht zwangsläufig so rezipiert wurde, sondern die Leser in Melanchthons Chronik tatsächlich seinen Idealtyp der Profan- und Kirchengeschichte integrierenden Universalhistorie fanden, zeigt die Äußerung von David Chyträus, das Chronicon Carionis enthalte »Historias Ecclesiae et Imperiorum singulari iudicio electas«126 . Dennoch ist es kaum möglich, das Chronicon Carionis primär als lutherischen Identitäts- und Erinnerungsdiskurs zu verstehen. Doch gibt es zwei Aspekte, die noch deutlicher herausgearbeitet werden müssen und die das Bild nuancieren. Dies ist erstens die Deutung des Papsttums als politische Macht und zweitens die Behandlung der Kirchengeschichte im engeren Sinne. Zu Beginn des fünften Buches gibt Peucer einen allgemeinen Überblick über Reich und Kirche vor dem Herrschaftsantritt Kaiser Friedrichs II. In diesem Zeitraum sei das Schlimmste vorgefallen, was Kirche und Welt habe passieren können: nämlich die weltliche Machtanmaßung der Päpste. Aber das Christusreich sei »non [. . .] politicum, sed spirituale«127. Diese Vorstellung folgt Luthers Bestimmung des Verhältnisses von weltlicher und geistlicher Macht: Die geistliche Macht bezieht ihr Spezifikum daraus, daß sie unmittelbar Gottes Wort verkündet. Von weltlicher Macht habe sie sich allerdings fernzuhalten. Sie sei Ausdruck von Gottes Heilsordnung, müsse sich darauf aber auch beschränken. Dagegen sei die weltliche Macht Teil der ›Erhaltungsordnung‹, die wegen der Schlechtigkeit der Menschen notwendig ist.128 Zu dieser gottgewollten Ordnung gehört aber nach Melanchthons und Peucers Vorstellung auch die Aufgabe der weltlichen Gewalt, die Kirche zu beschützen, sie angemessen auszustatten und ihre Bischöfe zu benennen. Damit befinden sich Melanchthon und Peucer auf einer Linie sowohl mit Luther als auch mit der mittelalterlichen prokaiserlichen Haltung seit Otto dem Großen. Es wird also einerseits das Ausgreifen der geistlichen Gewalt in den weltlichen Bereich als Anmaßung zurückgewiesen, andererseits der weltlichen Gewalt ein relativ großes Recht auch innerhalb des geistlichen Bereichs zugesprochen – jedenfalls, soweit es sich um organisatorische und institutionelle Zusammenhänge handelt. Damit wird eine einseitige Differenzierung vollzogen: »non modo non concessum est permissu diuino ministris Ecclesiae inuadere quocunque praetextu regna mundi, sed seuerissime

Bild vom tatsächlichen Gewicht der Kirchengeschichte geben. Für eine größere Rolle der Kirchengeschichte bei Peucer votiert Klempt, Universalgeschichtsschreibung, 209; dagegen optiert Neddermeyer, Peucer, 84. Daß die Kirchengeschichte hier einen geringeren Raum einnimmt, bedeutet aber nicht, daß sie als abhängige Variable der Kaisergeschichte zu verstehen ist: »Servat Deus Ecclesiam etiam inter ruinas imperiorum.« (CR 11,761). 126  Chyträus, De lectione historiarum, G7r. 127  Vgl. Melanchthon/Peucer, Chronicon Carionis, 759. 128  Vgl. Klempt, Universalgeschichtsschreibung, 206  f .

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interdictum.«129 Wo immer die Päpste überhaupt weltliche Macht ausüben – im Kirchenstaat und anderswo –, muß darauf bestanden werden, daß sie dies nicht aus eigener Machtfülle oder gar in Gottes Auftrag tun, sondern einzig durch Zugeständnisse der Kaiser.130 Nun haben aber, so Melanchthon und Peucer, die Päpste sich nicht punktuell weltliche Gewalt angemaßt, sondern systematisch und langfristig. Die ganze Konfliktgeschichte zwischen mittelalterlichen Kaisern und Päpsten, die Peucer in großer Eindringlichkeit zeichnet, zeigt die unrechtmäßige Einmischung der Päpste in weltliche Herrschaft.131 Doch bereits vorher, in der Übertragung des römischen Reiches an die Deutschen, habe der Papst versucht, durch die Kaiserkrönung die Superiorität über den Kaiser zu erlangen. Deshalb wiederholt Melanchthon immer wieder, daß die translatio an die Deutschen aufgrund der Machtfülle Karls des Großen und wegen seiner Verhandlungen mit Ostrom rechtsgültig wurde, nicht aber durch irgendeine Einflußnahme des Papstes. Melanchthon minimiert also, wie Luther, die Bedeutung des Papstes für die Kaisererhebung.132 Karl der Große dagegen erscheint als Idealherrscher aus eigener Vollmacht, der durch seine Synthese von Religion und Bildung zum Vorbild seiner Nachfolger werden kann.133 In einer kurzen Zusammenfassung des entsprechenden Teils der Chronik, die Peucer nach Melanchthons Tod öffentlich vortrug 134, fand er griffige Formulierungen für die weltliche Machtanmaßung der Päpste: Sie bildeten sich ein, selbst ein politisches Gemeinwesen zu führen, ja sie hätten das »ministerium Euangelij« zu einer »Monarchia politica distincta ab Imperatoris potentia« verändert135. Diese päpstliche Monarchie habe sich neben und vor dem Kaiser  Melanchthon/Peucer, Chronicon Carionis, 760  f.   Ebd., 932: »Imperij sunt, non Ecclesiae Romanae, regna quae Episcopi tenent. Et ius gladij vsurpant hi atque exercent non Pontificis Romani auctoritate multoque minus diuina, sed beneficio et conceßione Imperatorum.« 131  Vgl. ebd., 819; siehe auch: Mertens, Mittelalterbilder, 44. 132  Vgl. Melanchthon/Peucer, Chronicon Carionis, 666. Vgl. dazu: Ridé, L’image du Germain, Bd. 2, 755  f.; Seifert, Rückzug, 23. 133  Vgl. Schreyer-Mühlpfordt, Brigitta, Die Karolingerzeit im Blickfeld deutscher Humanisten. Unter Berücksichtigung der Chronica Carionis des Philipp Melanchthon, in: Philipp Melanchthon. Humanist, Reformator, Praeceptor Germaniae, hg. v. Melanchthon-Komitee der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin(-Ost) 1963, 73–82, hier 81. 134  Nach Melanchthons Tod wurde sein Universitätsunterricht, der fast sämtliche Fächer umfaßte, von Kollegen fortgesetzt. Die erste Vorlesungsstunde gestalteten alle Lehrenden als Laudationes auf den Verstorbenen, die sie noch im selben Jahr unter der Ägide des Vizerektors Georg Major gemeinsam veröffentlichten: Orationes aliqvot recitatae in Academia VVitebergensi eo tempore, quo praelectiones publicas Reuerendi et clarissimi Viri Philippi Melanthonis, obitu huius interruptas, aliqui ex professoribus de consilio Academiae continuare ceperunt, Wittenberg 1560. Peucers Beitrag ist eine »Praefatio in lectionem Chronicorum«, in: ebd., D iij v- F j r. 135  Ebd., E j v. Ähnlich auch schon Melanchthon/Peucer, Chronicon Carionis, 956. 129 130

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tum als neues römisches Kaisertum etablieren wollen.136 Warum haben dies die deutschen Kaiser nicht verhindert? Darauf gibt es nur eine Antwort: Sie waren gutgläubig und fromm, »honesta de religione«137, und haben sich daher immer wieder von den Päpsten übervorteilen lassen. Allerdings habe Gott zur Rettung des Reichs das Kollegium der Kurfürsten geschaffen, um eine vollständige Unterwerfung unter den Papst zu verhindern.138 Über Kaiser Sigismund, der ansonsten sehr positiv beurteilt wird139, heißt es im Zusammenhang mit Hus’ Hinrichtung, er habe sich damit zum Knecht der päpstlichen Grausamkeit machen lassen.140 Die Monarchie, die die Päpste anstrebten, sei nichts anderes als eine Tyrannei; sie hätten »in Ecclesia et Imperio« eine Zwangsherrschaft errichtet, die ihresgleichen suche.141 »Nihil habet iuris in regna politica, nullum in Ecclesia principatum politico simile Pontifex Romanus, nisi falsa conceßionis diuinae specie Monarchis per seditionem et fraudes exortum, sed minime tolerandum.«142

Der Zeitpunkt, der als Beginn der innerkirchlichen Tyrannei angesetzt wird, ist wie bei Luther die Privilegierung des Papstes Bonifaz III. im Jahr 607 durch den oströmischen Kaiser Phocas, der als Kaisermörder und Usurpator im schlechtesten Licht dargestellt wird.143 Seit diesem Zeitpunkt ist der Primat des römischen Bischofs etabliert. Von dieser Machtbasis aus hätten die Päpste alles unternommen, um nun auch die Weltherrschaft zu errichten. Die weltliche Macht der Päpste strukturiert in hohem Maße die profangeschichtlichen Passagen der Chronik, weil die Kaiser sich jahrhundertelang gegen die Einmischung Roms hätten wehren müssen. Die Erweiterung der innerkirchlichen Macht des Pap­ stes und seine Lehrverfälschungen ist dagegen der Inhalt der kurzen Abschnitte, die mit »de ecclesia« überschrieben sind. Gliedern Melanchthon und Peucer die Kirchengeschichte nach dem domus Eliae grob in drei Teile – vor dem Gesetz, unter dem Gesetz, nach dem Gesetz –, so ziehen sie in die Darstellung der mittelalterlichen Kirche ein weiteres Glie  Vgl. Orationes aliqvot recitatae, E ij r.   Melanchthon/Peucer, Chronicon Carionis, 889. 138  Dieses sei »singulari Dei impulsu« entstanden: Ebd., 752. 139  Vgl. Mertens, Mittelalterbilder, 43. 140  Vgl. Melanchthon/Peucer, Chronicon Carionis, 1181: »se ministrum saeuitiae Pontificium et Sacerdotum praebuit«. In der Oratio Melanchthons von ca. 1536, die Peucer hier zum Vorbild nimmt (CR 11,316–324), heißt es: »Quod autem uel postea explicationem eius eluserunt Pontifices, uel in ipsa Synodo Constantiae nouo exemplo, non tantum sententiis damnati sunt duo uiri pii ac docti Boemi, Ioannes et Hieronymus, sed etiam crudeliter interfecti, haec non sunt ab Imperatore orta; et si is quidem non omnino uacat culpa, sed tamen absente Imperatore illi duo condemnati sunt.« (CR 11,321  f.) 141  Melanchthon/Peucer, Chronicon Carionis, 600. 142  Ebd., 931. 143  Vgl. ebd., 817. Vgl. dazu auch Neddermeyer, Mittelalter, 34. 136 137

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derungsprinzip ein, nämlich die Vorstellung, daß in der Kirche im Abstand von etwa 500 Jahren einschneidende Veränderungen vorfallen. Das von Platon und Aristoteles stammende Verfallsmodell in 500-Jahres-Schritten ist eine von Melanchthon oft geäußerte und auch auf die politische Geschichte angewendete Idee.144 Diese »mutationes quasi fatales«145 teilen die Kirchengeschichte seit der Apostelzeit in drei Perioden. In den ersten fünf hundert Jahren bestand noch kein Primat des römischen Bischofs, und im wesentlichen wurde die evangelische Lehre in reiner Form weitergegeben. Um das Jahr 500 aber ergab sich ein Einschnitt: Die Kirche wurde sukzessive dem Papst unterworfen, das weströmische Reich brach zusammen, und die Völkerwanderung untergrub die antike Bildung. Dadurch aber entstanden auch in der Kirche abergläubische Praktiken wie das Mönchswesen und der Heiligenkult, die unter Papst Gregor dem  Großen autorisiert wurden. Der Humanist Melanchthon bindet also den Niedergang der wahren christlichen Botschaft direkt an den Untergang der antiken Kultur: »Cum enim multae barbaricae gentes influxissent in Italiam [. . .] non solum studia literarum conticuerunt, et Ecclesiae sunt neglectae, sed etiam illae ipsae barbaricae gentes, quae tenebant Italiam, cum se inuexerunt aut facile receperunt multas superstitiosas opiniones.«146

Nach diesem Einschnitt beginnt die zweite kirchengeschichtliche Periode, die bis zum Investiturstreit reicht. Sie ist durch eine gewisse Widersprüchlichkeit charakterisiert: Auf der einen Seite stehen wachsende Mißbräuche und Lehrverfälschungen, auf der anderen Seite werden einige vorbildliche Kirchenlehrer namentlich genannt, z.  B. Beda Venerabilis und Alkuin.147 Die dritte kirchengeschichtliche Periode reicht von Heinrich IV. bis zu Luther. Luthers Auftreten leitet also eine neue kirchengeschichtliche Epoche ein. Sie ist durch die offene Machtanmaßung der Päpste nicht nur innerhalb der Kirche, sondern auch in der weltlichen Sphäre gekennzeichnet. Durch die Scholastik und die päpstli-

144  Vgl. Mertens, Mittelalterbilder, 44; zu den Platon- und Aristotelesbezügen siehe Scheible, Heinz, Melanchthon. Eine Biographie, München 1997, 255. Daß Melanchthon diese Idee auch für die Geschichte der vier Weltreiche annahm (im übrigen aber im Chronicon Carionis kaum benutzt), zeigt folgende Aussage: 500 Jahre seien der Abstand, »nach welcher zahl vngefährlich in allen Reichen Häubtveränderungen fürfallen, wie auch die Gelehrten setzen, daß fünff hundert Jahr der Periodus sey, darnach Vniversal-Veränderungen gemeiniglichen folgen.«: CR 8,814; ähnlich auch CR 12,85. 145  Melanchthon/Peucer, Chronicon Carionis, 812. 146  Ebd., 815. Ähnlich äußert sich Melanchthon bereits in der Vorrede zum Chronicon Carionis, 1558/1560, 37: Die Barbaren »mutarunt linguam et multas ecclesias et scholas deuenerunt. Inde sequutae sunt in doctrina tenebrae et noua doctrinae forma nata est«. Vgl. ähnlich auch CR 12,385. 147  Vgl. Melanchthon/Peucer, Chronicon Carionis, 819.

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chen Dekretalen wurde die Lehre weiter verfälscht.148 Es sind v.  a. vier Punkte, die den mittelalterlichen Päpsten zur Last gelegt werden: Sie haben die Rechtfertigungslehre unterdrückt und den menschlichen Werken ein zu großes Gewicht zugemessen; sie haben aus dem Abendmahl eine »Missa Theatrica« gemacht; sie haben schließlich die Heiligenverehrung und generell falsche Traditionen sanktioniert.149 Jubeljahr, Ablaßhandel und Schisma charakterisieren den Zustand der spätmittelalterlichen Papstkirche. Peucer weist darauf hin, daß Luther, aber auch Melanchthon diese dritte kirchengeschichtliche Epoche beendet hätten.150 Mit Luther und Melanchthon endet das Werk – man wäre fast geneigt zu sagen: Es läuft auf sie zu, wenn nicht, wie gezeigt, der Gesamteindruck die Bedeutung der Kirchengeschichte für das Chronicon erheblich relativieren würde. Gegen die Verirrungen des Papsttums steht aber die wahre Kirche, die Kirche stricto sensu, die eben nicht durch weltliche Machtanmaßung und Lehrverfälschung gekennzeichnet ist, sondern dort erscheint, wo den Gläubigen richtig gepredigt und die Sakramente gespendet werden.151 Doch ist darauf hinzuweisen, daß Melanchthon und Peucer auch die empirisch auftretenden Verfallserscheinungen richtig einordnen wollen; es wäre der falsche Maßstab, wollte man alle Lehrer der mittelalterlichen Kirche streng an der Richtschnur des Evangeliums messen. Denn immer habe es Kirchenlehrer gegeben, die sich gegen den Papst gewandt hätten; genannt werden Tauler, Johann Wesel, Hus, Hieronymus von Prag und Johann Hilten. Auch andere Kirchenlehrer hätten in manchen Punkten recht gelehrt, seien aber von ihrer abergläubischen Umwelt auch zu Fehlurteilen verleitet worden, so Bernhard von Clairvaux.152 Und nun folgt ein Satz, der ein Problem des gesamten lutherischen Identitätsdiskurses auf den Punkt bringt und gleichzeitig eine Antwort versucht. Das Problem ist: Hat die wahre Kirche trotz des Niedergangs der reinen Lehre voll und ganz weiterbestanden? Die Antwort lautet: ja und nein. Das Fundament des Glaubens ist geblieben, aber bestimmte Glaubensartikel sind verfälscht worden: »Etsi enim uera ecclesia, quae exigua est, retinet fundamentum fidei, tamen illa ipsa uera Ecclesia potest habere errata, obscurantia articulos fidei«153. Die wahre Kirche kann also Fehler aufweisen und bleibt doch wahre Kirche. Die Fehler, die der wahren Kirche anhaften, sind schlimme Mißbräuche und unbedingt zu verbessern; unter dem Gesichtspunkt der Frage nach vera und falsa ecclesia erweisen sie sich aber als Adiaphora. Im Laufe der Arbeit wird sich erweisen, daß nicht alle Autoren diese Frage mit ähnlicher Eleganz umgangen haben, wie Melanchthon   Vgl. ebd., 890.   Vgl. ebd., 966. 150  Vgl. ebd., 1306. 151  Vgl. ebd., 890, 959. 152  Vgl. ebd., 892. 153  Vgl. ebd., 892. 148 149

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und Peucer es tun, und es wird sich erweisen, daß die ›Gnesiolutheraner‹ letztlich mit demselben Problem kämpfen und ganz ähnliche Meinungen vertreten, sich aber wegen ihres Fundamentalismus – sit venia verbo – in eine schwierigere Position begeben. Das Chronicon Carionis schließt mit dem Beginn der Reformation. Die Auseinandersetzungen um Tetzel erscheinen Peucer als Beginn jener Kontroverse, die zur Unterwerfung oder doch zumindest zum Niedergang der päpstlichen Tyrannei geführt hat. Luther aber, der nur recht lehren wollte, habe sich zu dieser Zeit noch nicht träumen lassen, daß es zu weitreichenden Veränderungen in der Religion kommen werde.154 Mit dieser Einschätzung endet das Werk. Die Reformation erscheint hier als eine Verbesserung der Lehre, welche die dritte, schlimmste kirchengeschichtliche Periode abschließt. Auffällig ist daran, daß der Reformation selbst keine heilsgeschichtliche, gar endzeitliche Bedeutung zugeschrieben wird. Überhaupt halten sich die Autoren, die doch »im Sinne der universalhistorisch-eschatologischen Geschichstheorie«155 schreiben, auffällig mit apokalyptischem Vokabular zurück. Die Machtanmaßung der Päpste wird zwar durchgängig als Abirrung vom rechten Weg charakterisiert, aber Melanchthon und Peucer benutzen dennoch nie den im lutherischen Diskurs hierfür so einschlägigen Schandtitel: Antichrist. Woran liegt das? Eschatologisch, ja apokalyptisch ist das Chronicon Carionis durchaus, und zwar vor allem im Hinblick seine historische Selbsteinordnung in die Gesamtgeschichte. Ausgehend von der domus Eliae-Tradition befindet sich die Welt in der zweiten Hälfte des 55. Jahrhunderts. Aus der Prophezeiung, daß die Welt insgesamt 6000 Jahre bestehen werde – so Gott nicht die letzte Zeit um der Gläubigen willen verkürze156 –, schließt Melanchthon, daß er selbst im Greisenalter der Welt lebe. Diese Vorstellung bringt Melanchthon auch anderweitig oft zum Ausdruck.157 Innerhalb des vorgeordneten Schemas der Weltgeschichte und ihrer prophezeiten Dauer ist daher die Auffassung, daß die Welt bald untergehen wird, nur konsequent. Bemerkenswert an dieser Auffassung ist, daß Melanchthon wie Sleidan, anders als Luther, das Weltende und die ihm vorhergehenden Wirren stärker an die Türken als an das Papsttum knüpfen, weil diese in der verbleibenden kurzen Zeit dem vierten, letzten Weltreich den Garaus machen werden.158 Luther hat154  Vgl. ebd., 1304: »initia [. . .] huius controuersiae, quae inclinationem fecit regni Pontificij. Sed Lutherus tunc nihil adhuc suspicans aut somnians de futura mutatione rituum«. 155  Neddermeyer, Peucer, 76  f . 156  Vgl. Maurer, Melanchthons Geschichtsanschauung, 106  f .; Mertens, Mittelalterbilder, 41–43. 157  So spricht er z.  B. von »haec vltima, languida et delira mundi senecta«: CR 7,1006  f . 158  In Melanchthons Vorrede zum Chronicon Carionis, 1558/1560, 40, werden die Türken, nicht aber der Papst, als »singularis furor« der letzten Zeit beschrieben. Im Chronicon Carionis erscheinen sie einmal beiläufig als Gog und Magog, werden aber nicht mit

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te offener apokalyptische Positionen vertreten und dabei den päpstlichen Antichristen als endzeitliche Figur eingestuft, ohne dem Gesamtzusammenhang der Geschichte allzuviel Aufmerksamkeit zu schenken. Melanchthon dagegen war an einer systematischen und stringenten historischen Applikation der danielischen Prophetie interessiert.159 Auf der Basis der beiden Prophezeiungen, an die Melanchthon anschloß, war das Weltende schlicht deshalb nahe, weil die Zeit erfüllt war. Sowohl die 6000 Jahre als auch die vier Weltreiche neigen sich ihrem Ende zu. Heilsgeschichtlich gesehen ist deshalb das Bildreservoir der Apokalypse, ist auch der päpstliche Antichrist nicht von wesentlichem Belang.160 Und auch die Reformation muß in diesem Zusammenhang, der die Weltalter und Weltjahre ablaufen läßt wie ein Uhrwerk, das schließlich im prophezeiten Moment zum Stehen kommen wird, eine uneindeutige Rolle einnehmen: In den Vorreden wird mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß das Weltende kurz bevorstehe. Am Ende der Chronik aber steht die Reformation, und die Nähe des Weltendes wird nicht noch einmal thematisiert; auch eine apokalyptische Bildsprache wird vermieden. Man gewinnt daraus den Eindruck, daß Melanchthon in der Reformation wenigstens teilweise eine innerweltliche Verbesserung der Kirche, nicht aber einen heilsgeschichtlichen Einschnitt sieht.161 Vermutlich geht man zu weit, wenn man Melanchthon eine gewisse Unentschiedenheit zwischen einer aus dem Alter der Welt resultierenden Weltuntergangsstimmung und einer stärker humanistisch getönten, innerweltlichen Stabilitätsidee unterstellt.162 Eher geht Melanchthon, wie der lutherische Diskurs allgemein, vom nahen Weltende aus, stilisiert aber die Reformation nicht als heilsgeschichtliche Epochenschwelle, sondern als kirchengeschichtliches Re­ form­ereignis. Hält man sich vor Augen, daß die Kirchengeschichte nur einen sehr eingeschränkten Raum innerhalb des Chronicon Carionis einnimmt und daß die weitgespannte Schilderung des Machtkampfes Kaiser gegen Päpste sich durchaus in die Tradition spätmittelalterlicher und humanistischer Kaiserchrodem Antichrist-Titel versehen. Vgl. Melanchthon/Peucer, Chronicon Carionis, 942. Vgl. auch Seifert, Rückzug, 13; Scheible, Art. »Melanchthon«, 394; Seebass, Art. »Antichrist IV«, 32; zu Melanchthons Meinungen über das Papsttum siehe Keute, Reformation und Geschichte, 52  f. 159  Vgl. Miegge, Il sogno del re, 41, 53. 160  Diesen Unterschied zwischen Luther und Melanchthon deutet auch Schwarz, Wahrheit der Geschichte, 172, an, ohne ihn genauer auszuführen. 161  Vgl. Oberman, Vorläufer, 185. Oberman weist darauf hin, daß das Papsttum und damit der Begriff des Antichrist, wo er ihn denn benutzt, für Melanchthon eine »Chiffre für ›Widerstand gegen Gott‹ geworden« sei (184  f.). 162  So Neddermeyer, Confusionibus, 97. Martin Schloemann hat aber gezeigt, daß bei aller Innerweltlichekit doch auch bei Melanchthon von einer ›Naherwartung‹ auszugehen ist, für die allerdings die universalhistorische Vorstellung, daß die der Welt zugemessene Zeit beinahe abgelaufen ist, zentral ist. Vgl. Schloemann, Martin, Philipp Melanchthons Eschatologie. Grundgedanken nach den Loci praecipui theologici von 1559, in: Beiträge des Faches Evangelische Theologie für Wilfried Eckey, Wuppertal 1980, 33–56, v.  a. 42.

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

nistik stellt163, also kaum eindeutig konfessionell eingefärbt ist, so stellt sich noch einmal die Frage danach, in welcher Weise ein Werk wie das Chronicon Carionis im Rahmen des lutherischen Identitätsdiskurses funktionierte. Inzwischen dürfte deutlich geworden sein, daß es durchaus zutrifft, daß das Werk partiell nicht als protestantisch zu erkennen ist: einfach deshalb, weil es so viel kaisergeschichtliches Wissen aus dem Spätmittelalter und dem Humanismus aufnimmt, das Lutheranern attraktiv erschien, ohne daß sie es explizit hätten konfessionalisieren müssen. Eine stärkere religiöse Überformung des historischen Stoffes findet sich vor allem in den kirchengeschichtlichen Passagen. Da das Werk nicht über die Reformation hinausreicht, konnte es von Lutheranern wie anderen Protestanten gelesen werden; auch Katholiken konnten das Chronicon Carionis rezipieren, wenn sie bereit waren, eine gewisse Anzahl Seiten zu überspringen. Verglichen mit polemischen Werken jedenfalls ist das Chronicon Carionis in seiner konfessionellen Tönung sehr zurückhaltend – was nicht identisch ist mit einer Behauptung wie der Moltmanns, das Chronicon Carionis sei ein »philippistisches« Geschichtswerk164. ›Philippistisch‹ mag man es insofern nennen, als die von Melanchthon konzipierte historiographische Zweiteilung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment sich implizit gegen andere protestantische Positionen v.  a. seit dem Ende der 1540er Jahre wendete, die beide Pole gegen Luther wieder einander angenähert hatten. Zu denken ist hier an die stark auf die Kirchenautonomie pochende Konzeption der Magdeburger Theologen in der Interimskrise, die die Grenze zu einer explizit ›politisierenden Theologie‹ zumindest streifte, aber auch an die innerweltliche Reich-GottesTheologie nicht nur der Schweizer, sondern auch der oberdeutschen Vermittlungstheologen, allen voran Bucer.165 Gleichzeitig ist aber gegen diese Klassifizierung einzuwenden, daß die ›philippistische‹ Position, nicht aber eine ›radikale‹ Lösung zum lutherischen Konsens wurde. Die Zurückhaltung in Religionsdingen scheint für den universalhistorischen Diskurs insgesamt zu gelten. Der konfessionelle Identitätsdiskurs brach sich an Gattungsentscheidungen, und die Vorordnung der historischen Applikation der Zweireichelehre konnte dies nur partiell ausgleichen. Als dezidiert identitätsstiftender lutherischer Gedächtnisdiskurs war das Chronicon Carionis offensichtlich nur eingeschränkt nutzbar. Allerdings, und dies darf man nicht übersehen: Wenn sich passagenweise der Inhalt des Chronicon auch ganz ›unprotestantisch‹ liest, so ist doch die von Melanchthon forcierte formale dualistische Trennung   Vgl. Strauss, Course of German History.   Vgl. Moltmann, Jürgen, Art. »Peucer, Kaspar«, in: RGG3 5, Sp. 264; vgl. auch Kap. VII.6. 165  Vgl. die vergleichenden Bemerkungen bei: Zwierlein, La loi de Dieu; Gäumann, Reich Christi, 419, macht entsprechend auf die Nähe der Positionen Bucers und Flacius’ im adiaphoristischen Streit aufmerksam. Siehe auch die generellen Überlegungen in Abschnitt B.III.1. 163 164

4.  Prophetische Universalgeschichte

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von Religion und Politik – bei gleichzeitigem engen Bezug aufeinander – eine historiographische Umsetzung einer genuin lutherischen Position. Die lutherische Autonomisierung von Profanem und Politischen, die sich in der melanchthonschen Universalhistoriographie niederschlug, generiert hinsichtlich der Frage nach ›Konfessionalisierbarkeit‹ von Historiographie eine eigentümliche Widersprüchlichkeit: Denn hier wird mittels einer genuin theologischen, konfessionellen Idee wie der Zwei-Reiche-Lehre argumentiert. Es ist also, wenn man so will, ein Element von Konfessionalisierung, das letztlich dazu führt, daß Konfessionalisierung begrenzt werden und sich eine Autonomisierung ›profaner‹ Geschichte ergeben konnte.

4.  »Etsi enim obscurae Prophetiae sunt, nequaquam tamen sunt ambigua«: Prophetische Universalgeschichte auf dem Weg zur Säkularisierung a)  »dominatus ille ecclesiasticorum politicus«: Matthäus Dressers Isagoge historica Die im schulischen und universitären Kontext gelehrte und geschriebene Universalgeschichte stand stark unter dem Einfluß Melanchthons. Sie übernahm von ihm in der Regel die Gliederungsprinzipien, also das Danielschema und die kirchengeschichtliche Periodisierung des domus Eliae. Noch lange stand die Funktion »bestätigenden Deutens« vor derjenigen des »forschenden In-FrageStellens«166 . Aber die Deutungsmuster verschoben sich. Anders als bei Melanchthon wurden öfter beide Bereiche – Kirchen- und Profangeschichte – nicht in einem durchlaufenden Text mit gelegentlichen Einschüben, sondern systematisch getrennt; damit wurde die historiographische Umsetzung der Zweireichelehre noch deutlicher markiert. Hierfür ist v.  a. der schon mehrfach erwähnte Matthäus Dresser einschlägig. Über das Hauptwerk des Leipziger Geschichtsprofessors Matthäus Dresser, die »Isagoge historica«, ist geurteilt worden, es sei »die wohl bedeutendste universalgeschichtliche Darstellung des Späthumanismus, die durchaus einer näheren Untersuchung wert wäre«.167 Sein Werk war im 16. und 17. Jahrhundert relativ bekannt und wurde über zwanzig Mal nachgedruckt168 ; auch im 17. Jahrhundert war Dressers Renommee noch groß genug für einen Eintrag in Pierre Bayles Lexikon.169   Fisch, Auf dem Weg zur Auf klärungshistorie, 120.   Döring, Detlef, Sethus Calvisius als Chronologe. Studien zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft an der Leipziger Universität am Beginn des 17. Jahrhunderts, in: ZHF 21 (1994), 171–202, hier 184. 168  Auf die hohe Wertschätzung durch die Zeitgenossen macht auch Wegele, Geschichte der deutschen Historiographie, 346, aufmerksam. 169  Vgl. Bayle, Pierre, Art. »Dresserus«, in: Dictionnaire Historique et Critique, Nouvelle Édition, Paris 1820, Bd. 6, 14–16. 166 167

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

Dresser wurde 1536 in Erfurt geboren und starb 1607 in Leipzig, war von 1562 an Griechischprofessor in Erfurt, bekleidete von 1575 bis 1581 das Rektorat von St. Afra in Meißen und wurde danach Professor für alte Sprachen und Geschichte in Leipzig. Die einschlägigen biographischen Nachschlagewerke nennen ihn »eine(n) der letzten Humanisten des 16. Jahrhunderts«170. Um ihn geistig schärfer zu konturieren, ist es notwendig, auf einige biographische Zusammenhänge hinzuweisen: so auf sein trotz fester reformatorischer Position stets gutes Verhältnis zu seinen katholischen Kollegen in Erfurt171 ; so auch auf seine Gegnerschaft gegenüber den Vorschlägen Jacob Andreaes und Nicolaus Selneckers, St. Afra in eine reine Theologenschule umzuwandeln, was zu einer Verstimmung zwischen Dresser und diesen Theologen führte. Kurfürst August ermöglichte ihm darauf hin den Wechsel nach Leipzig.172 Dresser sah sich als Melanchthonianer und war mit David Chyträus befreundet173 ; er veröffentlichte neben vielen anderen historischen, rhetoriktheoretischen, philologischen und naturkundlichen Schriften174 auch einen eher religionsethnographisch zu nennenden Versuch über die Heiligenverehrung (vgl. Kap. B.VI.5.b) sowie eine Schrift, in der er sich gegen Bodins Kritik an der prophetischen Geschichtsinterpretation wandte (siehe Kap. B.III). Auch seine Opposition gegen das Eindringen des Ramismus in die Leipziger Artistenfakultät scheint mindestens ebensosehr aus methodischem Konservatismus wie aus Abneigung gegen den Calvinismus gespeist zu sein.175 Damit ergibt sich insgesamt das Bild eines eindeutig von Melanchthon herkommenden, methodisch halb aristotelisch, halb humanistisch orientierten Gelehrten, dem religiöse wie wissenschaftliche Neuerungen nach Luthers Reformation (und deren Institutionalisierung im Bildungswesen durch Melanchthon) genauso fremd waren wie konfessionelle Kontroversen: Insofern wundert es nicht, daß er der Welt um 1600 zunehmend

170  Kammel, Art. »Dresser, Matthäus«, in: ADB 5, 398–401, hier 398; Grimm, Heinrich, Art. »Dresser, Matthäus«, in: NDB 4, 112, der Dresser auch die Berufsbezeichnung »Schulhumanist und Historiker« verleiht. 171  Vgl. Müller, Johann August, Versuch einer vollständigern Geschichte der Chursächsischen Fürsten- und Landschule zu Meissen, aus Urkunden und glaubwürdigen Nachrichten, Bd. 2, Leipzig 1789, 61–85, v.  a. 63. 172  Vgl. Flathe, Sanct Afra, 59–64. 173  Vgl. Müller, Versuch, 67. 174  Vgl. das Schriftenverzeichnis bei: Müller, Versuch, 69–84. 175  Vgl. dazu Bayle, Art. »Dresserus« sowie Voigt, Georg, Über den Ramismus an der Universität Leipzig, in: Berichte über die Verhandlungen der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 40 (1888), 31–61, v.  a. 41–44. Zum Verhältnis von Ramismus und Calvinismus siehe z.  B.: Elsmann, Thomas, The Influence of Ramism on the Academies of Bremen and Danzig. A comparison, in: The Influence of Petrus Ramus. Studies in Sixteenth and Seventeenth Century Philosophy and Science, hg. v. Mordechai Feingold/Joseph S. Freedman/Wolfgang Rother, Basel 2001, 54–67.

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fremd gegenüberstand und ›typisch späthumanistische‹ Dekadenzgefühle äußerte.176 In den Vorreden zum ersten, zweiten und dritten Band breitet Dresser seine geschichtstheoretischen Reflexionen aus. Erstaunlich ist, daß ein so durch und durch gelehrter Kopf wie Dresser sich sklavisch an die Melanchthonschen Formulierungen und Themenvorgaben hält: Nichts Neues könne es unter der Sonne geben, so Dresser, denn auf dem Welttheater werde immer dasselbe Stück aufgeführt, in dem sich nur die Personen abwechselten. Die exemplarische Funktionalisierung der Geschichte erklärt sich genau hieraus: »Eadem fabula serie atque successione continua hodie etiam in mundo agitur. Quod enim olim in Ecclesia, Oeconomia, et Politia accidit, idem nobis in hac aetate vltima vsu venit. Nostra iam res agitur, nos in theatrum producti sumus, in ijsdem operibus dies et noctes urgemur, quibus ante nos omnibus aetatibus maiores nostri occupati fuerunt«.177

»Nostra res agitur«, weil wir aus dem selben Stoff gemacht sind wie unsere Ureltern. Daher kann uns die Geschichte stärken, belehren und trösten, sie kann uns zeigen, daß wir nicht allein sind178 . Wie Melanchthon geht Dresser von zwei getrennten Geschichtsbereichen, der kirchlichen und der profanen/politischen Geschichte aus. »Pietas« und »Iusticia« sind ihre Grundbegriffe, und sie sind von Gott als Teile der Schöpfungsordnung eingesetzt: »Propter Ecclesiam et Politias stat haec mundi machina«179. Die profane Geschichte ist einerseits eine Sammlung von Exempeln, die moralische Präzepte veranschaulichen kann180. Andererseits ist sie der Teil der Geschichte, in der die ›leges‹ gelten. Damit gewinnt sie nach Melanchthon über die reine Exempelfunktion eine geschichtstheologische Funktion im Rahmen der Polarität von lex und evangelium; in diesem Sinne ist ihr prophetischer Grund-

176  Vgl. Kammel, Art. »Dresser«, 401. Dresser konstatierte aber nicht einfach zeitdiagnostisch einen Niedergang, sondern schloß ihn an die chronologische Spekulation um das ›Altern‹ der Welt an, wenn er bemerkte, daß die Menschen der ersten zwei der sechs irdischen Jahrtausenden an Körper- und Geisteskräften seinen Zeitgenossen, die durch die »imbellicitas nostra« charakterisiert werden, haushoch überlegen gewesen seien; vgl. Dresser, Oratio de ordine, A v r. Zum geistesgeschichtlichen Zusammenhang der Dekadenztopik siehe: Kühlmann, Wilhelm, Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters, Tübingen 1982, 17–43. 177  Vgl. Dresser, Matthäus, Isagoges Historicae Pars Prima, complectens acta praecipua, maximeque memorabilia in Ecclesia, et Politijs, per millenarios mundi quatuor . . ., Leipzig 1589 (EA 1586), A2r-A4r, Zitat: A3v-A4r. Man beachte auch die ebenfalls ganz an Melanchthon und Peucer orientierte Formulierung der lutherisch gewendeten Dreiständelehre. 178  Weil alles schon einmal da war, so formuliert Dresser, zeige die Historie, »ne solos nos esse«: Isagoges Historicae Pars Prima, a5r. 179  Dresser, Isagoges Historicae Pars Prima, 3. 180  Sie sei »quasi cumulus exemplorum«: ebd., A6r.

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text die Danielprophetie.181 Das Reich trägt als vierte Monarchie damit die »uerae notae atque insigna prophetica« an sich182 . Der Grundtext für die Kirchengeschichte ist dagegen die domus Eliae-Prophetie; auch hier orientiert sich Dresser also ganz an Melanchthon, führt aber dieses Theorem eingehender vor.183 Hatte aber Melanchthon noch Kirchen- und Profangeschichte in einem zusammenhängenden universalhistorischen Narrativ einigermaßen integriert, teilt Dresser die zwei Teile der Geschichte schematisch auf und hält dies für alle Bände durch. Der erste Teil seiner Darstellung befaßt sich immer mit der Kirchengeschichte, der zweite mit der ganz auf Kaiser und Könige konzentrierten politischen Geschichte, die hier aber noch nicht, wie später bei Elias Reusner (siehe B.IV.4.c) als ›historia politica‹, sondern, terminologisch unbestimmter, als »res politicae« bezeichnet wird184. Der Trend zur darstellerischen Trennung der beiden Bereiche, der bei Melanchthon begonnen hatte, setzte sich bei Dresser und anderen also fort. Dies verband sich allerdings an keiner Stelle mit methodischer Kritik an Melanchthons inkonsequenter Darstellungsweise. Angesichts dieser Bezugnahme auf Melanchthon ist es interessant zu sehen, wie Dresser sich zum Chronicon Carionis positioniert. Denn er bewundert ja einerseits Melanchthons Werk; als Schüler und Leser habe er davon profitiert. Tatsächlich hatte Dresser auch in seiner Meißner Zeit das Chronicon Carionis im Wechsel mit Sleidans Monarchienbuch während der Mahlzeiten vorlesen lassen, weil es in St. Afra keinen regulären Geschichtsunterricht gab.185 Doch trat Dresser mit seiner Weltgeschichte in direkte Konkurrenz zu Melanchthon um die knappen Ressourcen der schulischen und universitären Lektüre. Diese Situation erforderte eine Legitimation. Dresser löste dieses Problem durch die Behauptung, sein Werk solle gegenüber den besonders wichtigen ›primären‹ Werken nur ein ›sekundäres‹ darstellen.186 Dies ist allerdings offenbar nicht im Sinne einer curricularen Reihenfolge gemeint: Jedenfalls betonte Dresser gleichzeitig, er wolle die Schüler und Leser vom Chronicon Carionis »non enim abducere, sed adducere«187. Daß dies angesichts der von Dresser anderswo bemerkten Unlust der Studenten, sich länger als nötig mit der Geschichte zu be-

181  Seine Attacke gegen Bodins Skepsis an der Geltung der Danielprophetie auch für die neueste Geschichte breitet Dresser im zweiten Band aus: Vgl. Dresser, Matthäus, Isagoges Historicae Millenarius Quintus, Leipzig 1587, )( 2v- )( 7v. 182  Ebd., )( 7v. 183  Vgl. Dresser, Isagoges Historicae Pars Prima, 3–5. 184  Dresser, Isagoges Historicae Millenarius Quintus, 260. 185  Vgl. Flathe, Sanct Afra, 111. 186  Vgl. Dresser, Isagoges Historicae Millenarius Quintus, (:) 4r: »illa quidem primaria, meas uero scholas secundaria opera cognosci cupio.« 187  Ebd., (:) 4r

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schäftigen188 , eine unrealistische Hoffnung gewesen sein dürfte, war ihm sicher selbst klar. Stärker als Melanchthon und stärker auch als sonst in der Universalgeschichtsschreibung der Zeit legte Dresser seine historiographischen Grundsätze offen.189 Der gute Historiker benötige methodische Fähigkeiten und einen unparteiischen Gerechtigkeitssinn. Daher versuche er, gerade in Religionsdingen jeweils die Schriften aller beteiligten Parteien – speziell auch für die nahe Vergangenheit und seine Gegenwart – zu benutzen, um sie dann schließlich einem gerechten Urteil zu unterwerfen: »Pontificios secutus sum, cum de pontificijs rebus scribendum fuit: Euangelicos uero cum de Evangelicis: sic tamen, vt aequo iudicio utriusque partis scripta ponderarem.«190 Er benutze also auch katholische Autoren – namentlich genannt werden Martin von Troppau, Platina und Onofrio –, stütze sich bei der Darstellung der Konzilien auf die Konzilsakten und versuche weitestmöglich auch nichtdeutsche Nationalgeschichten zur Kenntnis zu nehmen.191 Das »aequum iudicium«, dem die Aussagen und Wertungen der Quellen standhalten müssen, unterliege der Pflicht nach Wahrheit, Beständigkeit und Integrität192 und stelle damit hohe Ansprüche an den Historiker, der nichts erfinden, aber auch nichts weglassen dürfe193. Der Gerechtigkeitssinn des Historikers werde gerade beim Schreiben der Kirchengeschichte der letzten fünf Jahrhunderte auf eine harte Probe gestellt. Ein probates Mittel zur Stillstellung der eigenen religösen Parteilichkeit scheint Dresser darin zu liegen, rhetorisch die Distanz zwischen Glauben und Geschichtsschreibung größer zu machen, als sie de facto bei ihm ist: Ihn persönlich überzeuge ja nur die Religion der Reformation, aber »in hoc opusculo neque articulorum defensio, neque confessio aliqua a me postulatur.«194 Der Historiker solle also Glaubensbekenntnisse weder fordern noch ablegen, sondern ›einfach erzählen‹. Sieht man sich aber an, was er ›einfach erzählen‹ soll, so entpuppt sich Dressers methodische Distanznahme als eher rhetorisch: Er habe versucht, »narrare simpli  Vgl. Dresser, Von den Fürnembsten Städten, c iiij v-d r; vgl. Kap. III.2.   Weitere, allerdings in der – sehr allgemein gehaltenen – Stoßrichtung ähnliche methodologische Reflexionen stellt Dresser an in: Oratio de ordine, A ij v – B v r. 190  Dresser, Matthäus, Isagoges Historicae Millenarius Sextus, Jena 1591, () 3v. 191  Ebd., () 4r – () 5r. Dressers kritischer Umgang mit Quellen erstreckt sich natürlich auch auf die legendarische Heiligenüberlieferung, die er als Altphilologe mit einem hübschen Vergleich belegt: Eine Heiligenvita gleiche Ovids Metamorphosen, »quia transformat homini naturam miseram et prauam in angelicum statum.« (Dresser, Oratio de ordine, B iiij v). 192  Vgl. Dresser, Isagoges Historicae Millenarius Sextus, () 6v. 193  Allerdings weist Dresser darauf hin, daß dieser letzte Punkt weniger problematisch sei, weil er keine Vollständigkeit anstrebe, was gattungstheoretisch begründet wird: Er schreibe keine ›historia‹, sondern eine ›Isagoge‹, »quae rem nullam neque copiose, neque ornate satis explicat, sed vnamquamque tantum perstringit.« (Dresser, Isagoges Historicae Millenarius Sextus, () 8v). 194  Dresser, Isagoges Historicae Millenarius Sextus, * 1r. 188 189

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citer [. . .] quale doctrinae genus pontificia ecclesia primum sonuerit, quam horrendi abusus inuecti, quam impie ecclesiasticum ministerium in politicum conuersum sit«195. Damit ist – jedenfalls aus der Außensicht – die Unparteilichkeit aufgegeben, zumal Dresser hinzufügt, er habe bei der Beschreibung des Papsttums eher noch untertrieben: »Profecto monstrum immanissimum fuit dominatus ille ecclesiasticorum politicus«196 . Aus dieser Passage sind zwei Beobachtungen abzuleiten: Erstens ist festzuhalten, daß Dresser entweder aus Arglosigkeit oder in vollem Bewußtsein der auszuhaltenden Ambivalenz den Spagat zwischen eigener religiöser Position und dem historiographischen Ideal der Unparteilichkeit wagt. Das heißt, daß er sich zumindest prinzipiell der Gefahr der parteilichen Zuspitzung bewußt ist, die er in einer gewissen Spannung zum humanistischen Ideal der ›seelenruhigen‹ gelehrten Kommunikation sieht. Andere lutherische Autoren, die weniger mit den Denkweisen der res publica litteraria vertraut sind, lösen das Problem in der Regel eher dahingehend auf, daß sie eine Identität von religiöser Position und gebotener historiographischer Wahrheit behaupten. Dresser dagegen will sich soweit wie möglich aus konfessionellen Konflikten heraushalten; auch für die Darstellung seiner eigenen Zeit verspricht er Mäßigung und bezieht sich explizit auf ein leicht philippistisch getöntes Konsensluthertum, dem er die veröffentlichten Schriften Luthers und Melanchthons zugrundelegt.197 Die universalistische Selbstbeschreibung des Humanismus gerät also in latenten Konflikt mit konfessionellen Selbstbeschreibungsmustern – und der Humanist Dresser kann deshalb nur ein möglichst konsensfähiges Identitätsangebot machen. Der spätere fremdbeschreibende Historiker dagegen nimmt viel stärker eine Spannung zwischen der universalistisch-irenischen Selbstbeschreibung und den in die Argumentation eingelassenen Einschränkungen wahr.198 Zweitens ist noch einmal auf Dressers Beschreibung des Papsttums als »dominatus ecclesiasticorum politicus« zurückzukommen. Das geistliche Amt der Bischöfe und Päpste sei »in politicum conversum«. Schon Melanchthon und Peucer hatten ähnliche Formulierungen gewählt (vgl. Kap. B.IV.3). Aus dieser Vorstellung einer Transformation der ›ecclesia‹ in ›politia‹ erklärt sich die bei Melanchthon angelegte, doch erst von Dresser strikt durchgeführte darstellerische Trennung der beiden Bereiche. Gerade weil eine der größten Schandtaten des Papsttums darin liegt, Kirche und Politik vermischt zu haben und die Zweireichelehre unter anderem ein Reflex gegen die Versuchung hierokratischer Überformungen der Politik ist, muß konsequent reformatorische Ge  Ebd., () 7r.   Ebd., ()7v. 197  Vgl. ebd., *1v. Ähnlich auch: Dresser, Isagoges Historicae Pars Prima, B5r. 198  Vgl. zum Problemzusammenhang: Jaumann, Herbert, Gibt es eine katholische »Respublica litteraria«? Zum problematischen Konzept der Gelehrtenrepublik in der frühen Neuzeit, in: Zeitsprünge 2 (1998), 361–379. 195 196

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schichtsschreibung beide Bereiche trennen. Die »uera religio in ecclesia, et legum optimarum cultus in politia«199 sind immer bewahrt worden, und sie werden dies auch bis zum Weltende bleiben – aber man darf und soll sie nicht vermischen. Gerade aus der richtigen Orientierung an der biblischen Lehre ergibt sich hier eine gewisse Eigenwertigkeit säkularer Politik und Historiographie. Dressers Darstellung wirkt nach den vorgeschalteten Reflexionen relativ schlicht. Er präsentiert eine Erzählung, deren Quellen er im einzelnen nicht offenlegt, und orientiert sich damit tatsächlich eher an einem narrativen Modell als an einem Ideal quellenkritisch-methodisierter Geschichtsschreibung, wie sie im Hochhumanismus vor allem Beatus Rhenanus repräsentiert. Das Grobgliederungsprinzip des Textes sind die sechs Jahrtausende der Welt; innerhalb dieser Zeiträume werden dann, wie angedeutet, Kirchen- und Profangeschichte strikt getrennt. Nach Melanchthons und Dressers chronologischer Annahme befindet man sich also gegenwärtig in der Mitte des letzten Jahrtausends der Welt. Einschlägig für den Zusammenhang dieser Arbeit sind die beiden Bände zum ersten und zweiten nachchristlichen Jahrtausend. Das ›fünfte‹ Jahrtausend beginnt mit Christus und der Verbreitung der christlichen Lehre. Dresser schildert additiv die Viten der Apostel und der Kirchenlehrer; ab dem fünften Jahrhundert zählt er nur noch Namen auf und läßt die Viten weg. Die Deutung des päpstlichen Aufstiegs folgt dem lutherischen Modell: Bis ins vierte Jahrhundert habe es rechtschaffene römische Bischöfe gegeben, dann habe der Niedergang eingesetzt, bis sich schließlich mit Bonifaz III. das Papsttum im strengen Sinne etabliert habe.200 Aufzählend, geradezu listenartig handelt Dresser dann Mönche, Ketzer und Konzilien ab. Bemerkenswert hieran ist vielleicht nur, daß die Ketzer des ersten christlichen Jahrtausends vollständig nach den Kriterien der römischen Kirche beurteilt werden. Auf Seite 260, also mit der Hälfte des fünf hundertseitigen Bandes, beginnt dann die politische Geschichte. Hier finden sich die üblichen Bemerkungen über die Konstantinische Schenkung, die nicht vom Papst, sondern von Gott vorgenommene Einsetzung Karls des Großen sowie eine ganz am Leitfaden der Kaiserviten organisierte, rein ›politikgeschichtliche‹ Darstellung. Die einzige Eigenheit ist die bei aller Kaisertreue doch ambivalente Haltung gegenüber dem Reich. Dieses wird – der Danielprophetie folgend, sie aber auf eine bestimmte Weise akzentuierend – vor allem als »furchtbar und schrecklich und sehr stark« (Dan 7,7) gezeichnet. Stärker als bei Melanchthon wird die z.  B. an den frühchristlichen Verfolgungen abgelesene konstitutive heilsgeschichtliche Ambivalenz des Reiches betont 201. Dahinter   Dresser, Isagoges Historicae Millenarius Quintus, )( 2v.   Vgl. ebd., 169–191. 201  Vgl. ebd., )( 3v. 199 200

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tritt die von manchen Forschern angenommene ›katechon‹-Funktion des Reichs, also sein ›Auf halten‹ des Weltendes (nach 2. Thess 2,7), ganz zurück; bei Melanchthon und seiner Schule ist das Weltende ohnehin so stark an die chronologische Spekulation der 6000 Jahre geknüpft, daß sich eine katechontische Reichsmetaphysik weitgehend erübrigt.202 Dies stellt aber die Kaisertreue Dressers nicht in Frage: Kaiser und Reich bleiben auch für ihn gottgegebene Größen; die »duo brachia Antichristi« aber sind der Türke und der Papst.203 Der Band zum sechsten Jahrtausend, der mit seinen 700 Seiten für den Zeitraum von 1000 bis 1591 viel ausführlicher ist, bringt im zweiten, politikgeschichtlichen Teil wiederum kaum Auffälliges. Zu notieren ist nur der auch von anderen Historikern vorgenommene Versuch, den alternden Karl V. wegen seiner Vorliebe für Bernhard von Clairvaux zumindest in die Nähe des Protestantismus zu rücken.204 Kirchengeschichtlich zeichnet Dresser das Bild eines Verfalls für die Zeit vom Jahr 1000 bis zum Beginn der Reformation, die in drei nicht ganz trennscharf differenzierte »status« zerfällt und in deren Zentrum die systematische Lehrverfälschung durch die scholastische Theologie steht.205 Wiederum in einer Abfolge von Viten werden die Märtyrer und Bekenner der »uera doctrina« genannt; ihre Auswahl wird selten begründet, und es sind von Heinrich IV. bis zu Geiler von Kaysersberg immer wieder dieselben, denen man begegnet. Dressers ungenannte Quelle ist hier Flacius’ Catalogus testium veritatis – der häufig in dieser Weise ausgeschlachtet wurde (vgl. B.V.4.c). In einem weiteren Abschnitt werden, teilweise mit den Bekennern kongruent, die Kirchenlehrer behandelt. Zu ihnen gehören sowohl von Dresser positiv bewertete Gestalten wie Wyclif, Hus, Savonarola; daneben stehen moderate Passagen über Calvin, Beza und die Oberdeutschen; schließlich gemäßigt feindselige Kommentare über Staphylus und Cochläus, während z.  B. Gratian und Petrus Lom202  Die Katechon-Diskussion hat, v.  a . im Anschluß an die prominente, aber idiosynkratische Benutzung des Begriffs bei Carl Schmitt, in der sozialwissenschaftlichen und auch historischen Literatur zu einer tendenziellen Überschätzung dieser Idee für die politische Kultur Alteuropas geführt; siehe als ein Beispiel: Münkler/Grünberger, Nationenbildung, 205; zu Schmitt siehe: Grossheutschi, Felix, Carl Schmitt und die Lehre vom Katechon, Berlin 1996. 203  Dresser, Isagoges Historicae Millenarius Quintus, )( 4v. 204  Vgl. Dresser, Isagoges Historicae Millenarius Sextus, 502. Als weiteres Beispiel siehe Hoës Lutherbiographie Sanctus Thaumasiander, 103; auch im 17. Jahrhundert wurde diese Einschätzung zuweilen noch vorgetragen: vgl. Schönstädt, Antichrist, 233, 250. Vgl. zu Karls persönlicher Frömmigkeit, die mit den Kategorien ›Protestantismus‹ oder ›Katholizismus‹ nicht adäquat beschrieben ist: Schilling, Heinz, Karl V. und die Religion. Das Ringen um Reinheit und Einheit des Christentums, in: Karl V. 1500–1558 und seine Zeit, hg. v. Hugo Soly, Köln 2000, 285–363, hier 310–315. 205  Vgl. Dresser, Isagoges Historicae Millenarius Sextus, 9–24. Auffällig ist, daß Dresser seinen Abriß der Kirchengeschichte des sechsten Jahrtausends, ganz nach dem Vorbild der nicht erwähnten Magedeburger Zenturien, mit dem locus ›Lehre‹ beginnen läßt; siehe ebd., 5–96.

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bardus relativ neutral behandelt werden.206 Luther schließe an die mittelalterlichen Bekenner und Lehrer an, übertreffe sie aber, weil er als erster »tam potens, tantisque opibus munitum inuaderet, et populum Dei afflictum [. . .] ex faucibus immanis et auari tyranni eriperet« 207. Für Dresser ergibt sich also Luthers Sonderstellung aus dessen graduell höherem Einsatz für die wahre Lehre sowie aus seinem Erfolg. Die breite Schilderung des Reformationsbeginns, aber auch Dressers Bezug auf die Konkordienformel wurde offenbar von den Zensurbehörden Christians I. als zu eindeutig lutherisch wahrgenommen; der sechste Band erschien erst 1591, nach Christians Tod.208 Dressers Idol Melanchthon ist als Adiaphorist gekennzeichnet, was aber insofern nicht gravierend ist, als er eindeutig gegen das Interim votiert habe; Matthias Flacius dagegen ist für Dresser nur ein Sektierer.209 Insgesamt ergibt sich also das Profil eines engagierten Melanchthonschülers mit konkordistischer Ausrichtung; eine vor allem in den Vorworten, weniger im Text selbst aufscheinende Qualifizierung der Türken und v.  a. des Papstes als Antichristen 210 ; eine aus der Sphäre der Zweireichelehre stammende schematische Trennung von Religion und Politik sowie ein chronologisch begründeter Eindruck des Alterns der Welt. Humanismus und Reformation, Luther und Melanchthon gehören untrennbar zusammen. An anderer Stelle deutet Dresser sogar eine – ansonsten in der lutherischen Geschichtsschreibung eher selten erwähnte – translatio studii von Griechenland über Italien und Frankreich nach Deutschland an, die schließlich in der Reformation gipfele.211 Der Stolz auf die kulturelle Blüte der jüngeren Vergangenheit wird aber bei Dresser sogleich mit dem Eindruck des Niedergangs verknüpft. Die Welt altere, und Christus werde wegen der Sünden der Menschen die 6000 Jahre verkürzen; die Sonne werde schwach, die Körper- und Geisteskräfte der Menschen ließen nach.212 Zu einer humanistisch-optimistischen Öffnung des Zukunftshorizontes kommt es bei Dresser nicht. Der ›letzte Humanist‹ des 16. Jahrhunderts sieht nichts Neues unter der Sonne, wenn auch eine Dekadenzentwicklung insgesamt unleugbar ist. Daß dies systematisch kaum miteinander zu vermitteln ist, stört Dresser nicht. Es wäre sinnlos, ausgerechnet den gelehrten Leipziger Professor der alten   Vgl. ebd., 158–224.   Ebd., 46  f. 208  Vgl. ebd., 46–96; zur Konkordienformel siehe ebd., 94; zu Dressers Problemen mit den kursächsischen Zensurbehörden vgl. knapp Döring, Sethus Calvisius, 184, Anm. 43. 209  Vgl. Dresser, Isagoges Historicae Millenarius Sextus, 84–86. 210  Vgl. so auch Dresser, Oratio de ordine, A 6v. 211  Vgl. ebd., A 6v: »Literae ex Graecia in Italiam et Galliam tanquam in exilium profugerunt, indeque in Germaniam propagatae sunt. Luterus et Melanchton doctrinam Ecclesiae repurgarunt, et vniversa artium et literarum doctrina illustrata est.« Zur translatio studii-Idee vgl. Worstbrock, Franz Josef, Translatio artium. Über die Herkunft und Entwicklung einer kulturhistorischen Theorie, in: AKG 47 (1965), 1–22. 212  Vgl. Dresser, Oratio de ordine, A 6v; B j r. 206 207

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Sprachen nicht als Humanisten zu klassifizieren, wenn denn dieser Begriff für die Zeit um 1590 noch einen Sinn haben soll. Aber an Dresser zeigt sich deutlich, wie sich bestimmte Elemente des humanistischen Zeitbewußtseins transformiert haben. Der Humanismus ist, mit einem lachenden und wohl auch einem weinenden Auge, lutherisch geworden und beschreibt sein eigenes Ende als Ende der Welt. b)  Universalgeschichte ohne Reformation: Johannes Pappus’ Thesen de monarchiis Bevor weitere Beispiele für die Rezeption des melanchthonischen Modells von Universalgeschichte analysiert werden, soll ein kurzer Text den universitären Umgang mit Universal- wie Kirchengeschichte noch einmal verdeutlichen. Es handelt sich dabei um 71 Thesen, die der Straßburger Theologieprofessor Johannes Pappus im Rahmen einer Disputation im Mai 1586 vortrug.213 Die Thesen befassen sich mit der Danielprophetie und sind zumindest partiell auch eine Abwehr der Bodinschen Kritik an diesem universalhistorischen Schema. Die Tatsache, daß es sich um eine theologische Disputation und einen Kirchengeschichtsprofessor handelt, ließe erwarten, daß die Thesen in irgendeiner Weise die Bedeutung der Kirche herausstellen oder lutherisches Profil besäßen. Dies ist aber überraschenderweise nicht der Fall. Abgesehen vielleicht von der größeren protestantischen Präferenz für die biblizistische Universalgeschichte sind Pappus’ Thesen nicht als lutherisch zu erkennen; sie könnten ebenso von einem Katholiken verfaßt sein. Die Monarchien sind für Pappus die vier größten Weltreiche und wie der gesamte »Ordo Politicus« von Gott geschaffen.214 Ihre Hauptaufgabe ist es, der Kirche ein »hospitium« zu geben; deshalb hat Gott immer dann, wenn sie diese Aufgabe nicht mehr erfüllen konnten, ein Weltreich durch das nächste ersetzen lassen.215 Diese Aussagen entstammen der Konzeption Melanchthons: Die Heilsordnung der Kirche braucht zu ihrem Schutz eine politische Erhaltungsordnung. Die vierte und letzte Monarchie reicht bis zum Weltende, schon deshalb können die Türken kein Weltreich in dem hier gemeinten Sinn mehr hervorbringen. Sie stellen wie bei Luther das ›kleine Horn‹ aus Dan 7 dar, das große Teile des römischen Reiches verheert.216 Das Reich ist an die Deutschen, nicht etwa 213  Vgl. Pappus, De monarchiis (Respondent: Tobias Speccer). Zur Disputation als der neben der Vorlesung maßgeblichen Lehr- und Lernform frühneuzeitlicher Universitäten vgl. Kaufmann, Universität, 409–420. Zu Pappus siehe: Dorchenas, Ingeborg, Art. »Pappus, Johannes«, in: BBKL 6, Sp. 1497–1502. Daß eine Auffassung wie die hier vorgestellte durchaus repräsentativ ist, zeigt der Vergleich z.  B. mit Menius, Eusebius, Oratio de periodis et mutationum causis in Imperiis . . ., Wittenberg 1574. 214  Pappus, De monarchiis, These IV. 215  Vgl. ebd., Thesen IV, VI, XLVI. 216  Vgl. ebd., Thesen XXVIII, LXI, LXIII.

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an die Franzosen transferiert worden. Bodin, so wird insinuiert, habe nur deshalb ein Interesse an der Kritik am Danielschema, weil er als Franzose neidisch auf die (freilich zweifelhafte) Machtfülle des Reichs sei. Das Erscheinen des Messias eröffnet und beschließt das letzte, das römische Reich. Diese heilsgeschichtliche Tatsache ist ebenso geoffenbartes Wissen wie die Danielperiodisierung überhaupt. In einem biblizistischen Zirkelschluß führt Pappus aus, daß die Danielprophezeiung keineswegs dunkel sei: Schließlich würden ja die historischen Ereignisse mit ihr übereinstimmen: »Etsi enim ob­ scurae Prophetiae sunt, antequam impleantur: nequaquam tamen sunt ambigua: sed et ipsa inter se, et cum euentibus, collatae, vnum certum et uerum sensum exhibent.« 217 Bodins Hinweis darauf, daß Karl V. schließlich gegen das Reich gekämpft habe und dieses schon deshalb nicht die vierte, machtvolle Weltmonarchie, sondern statt dessen ein in Zank und Krieg abgleitendes Gemeinwesen sei, pariert Pappus mit dem Hinweis, dieser habe nur gegen einen Teil des Reiches gekämpft, und zwar mit spanischen und italienischen Truppen.218 Hierbei kann es sich eigentlich nur um den Schmalkaldischen Krieg handeln – eine für Lutheraner schon grundsätzlich traumatische Erinnerung. Aber daß sie hier verwendet wird, um die ›deutsche‹ Einigkeit zwischen Kaiser und Reich und damit Größe und Macht des Reiches plausibel zu machen, grenzt ans Schizophrene. Das »Reichsbewußtsein« der Wittenberger Theologie219 und die Reichsorientierung der danielischen Universalgeschichte führen also dazu, daß ein lutherischer Theologe den Kriegszug gegen seine Glaubensgenossen in Schutz nimmt, nur um an einem biblischen Geschichtsschema festzuhalten. In Pappus’ Thesen, so kann man überspitzt sagen, kommt Religion als positive Wahrheit nicht vor; auch vom Papst ist nicht ein einziges Mal die Rede. Der Bezug auf die biblischen Prophetien bleibt hier das einzige Moment eines Rekurses auf Religion. Ansonsten hat die ›profane‹ Universalgeschichte hier eine klare Trennung von der Kirchengeschichte vollzogen. Diese ist schwerlich als Säkularisierung zu bezeichnen, ganz sicher aber auch nicht als Konfessionalisierung. Es bleibt ein Skandalon, daß lutherische Historiographen, selbst wenn sie wie Pappus Theologieprofessoren sind, im universalgeschichtlichen Rahmen so ausgeprägt wenig Interesse daran zeigen, der Reformation und ihrer Theologie oder auch nur dem Faktor Religion einen Platz zu geben. Als Selbstbeschreibungsdiskurs gelesen, zeigen Pappus’ Thesen ein hohes Maß an national und antifranzösisch aufgeladener Affinität zum Reich und seinen geschichtstheologischen Grundlagen. Der universalgeschichtliche Diskurs ist also kein legitimistischer   Ebd., These XLIII.   Ebd., These LX: »sed aduersus partem tantummodo illius Hispanorum ac Italorum legionibus fuit vsus.« 219  Schwarz, Wahrheit der Geschichte, 172. 217 218

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Reichsdiskurs, sondern ein prophetisch inspirierter; das Selbstverständnis der Reformation ist nur sehr indirekt zu erschließen. c)  Elias Reusner und Michael Neander: Die historiographische Autonomisierung der Profangeschichte Der aus einer berühmten Gelehrtenfamilie stammende Elias Reusner (1555– 1612), seit 1594 Geschichtsprofessor in Jena und Verfasser chronologischer, genealogischer und historiographischer Werke220 , veröffentlichte im Jahr 1600, einem Jahr intensiven Nachdenkens über das historische Selbstverständnis der Lutheraner 221, eine große, zweibändige Universalgeschichte. Ähnlich wie Matthäus Dresser teilte er die Geschichte in zwei Bereiche auf, denen er jeweils ein Buch seines Werks widmete. Er überschrieb sie aber terminologisch noch entschiedener mit »historia politica« (nach der Danielprophetie) und »historia ecclesiastica« (nach dem domus Eliae). Reusners Werk ist, wie bereits die Einleitung zeigt, ein Versuch, die Fülle späthumanistischer Antikenkenntnis in den universalgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen. Reusner schiebt in seinen lateinischen Text immer wieder griechische Zitate ein, nimmt bereits im Vorwort Bezug auf Polybios, Thukydides, Tacitus, Platon, Dionysios von Halikarnaß; selbst der Komödiendichter Terenz wird genannt. Reusners Ziel ist es, aus diesen Autoren alle maßgeblichen Informationen für die akademische Jugend aufzubereiten.222 Daher werden besonders wichtige Daten mit einem Zeigefinger oder typographischer Hervorhebung versehen; dementsprechend muß der Leser sich darauf einstellen, daß ihm ähnlich wie in Sleidans Monarchienbuch eher knappe Informationen und wenig Erklärung geboten werden. Das erste Buch behandelt die Kirchengeschichte, der also zumindest rhetorisch die wichtigste Stellung zukommt. Reusner meint, die 1600 Jahre seit Christus in sechs Perioden einteilen zu können, die den Altersstufen des Antichristen entsprechen.223 Die Zeit der Gnade entspricht also gleichzeitig den Lebensaltern des Antichristen. Dieser sei zu der Zeit, als Christus auf der Erde weilte, empfangen worden, aber noch für eine gewisse Zeit »in vtero matris suae, Serpentis antique« 224 geblieben. Die sechs Perioden umfassen die Tyrannei des päpstlichen Antichristen; die Türken werden nur am Rande behandelt.  Diese sechs Perioden des Antichristen nach seiner Empfängnis sollen 1260 Jahre dauern: Reusner lehnt sich hier an Off b 12,6 an und legt aufgrund dieser 220  Vgl. zu Reusner und seinen Brüdern, die sich fast sämtlich als Juristen oder Mediziner hervortaten (auch Elias war Lizentiat der Medizin): Zedler 31, Sp. 963. 221  Vgl. Kaufmann, 1600 – Deutungen der Jahrhundertwende. 222  Vgl. Reusner, Isagoges Historicae, A4v-b1r. 223  Die Idee von Zeitaltern als Lebensaltern stammt von Augustin. Vgl. Edsman, C.M., Art. »Weltperioden«, in RGG3 6, Sp. 1632  f. 224  Reusner, Isagoges Historicae, 19.

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Periodisierungsentscheidung fest, daß die einzelnen Epochen damit jeweils ungefähr 294 Jahre umfassen werden.225 Die Kindheit des Antichristen reicht bis zum Ende der zehn römischen Christenverfolgungen, danach sei die Kirche vom Zehnten befreit und der Bau des Lateranpalastes begonnen worden. Mit diesem ersten Signum weltlicher Macht habe der Teufel der Kirche Gift eingeflößt; es folgen Lehrverfälschungen und Idolatrie, für die mit Nauclerus v.  a. Gregor der Große verantwortlich gemacht wird, der Papst also, mit dem diese zweite Periode schließt.226 Um das Jahr 600 beginnt die Adoleszenz des Antichristen.227 Bis zu dieser Zeit bezeichnet Reusner den Papst als »episcopus Romanus«, danach als »papa« 228 . Die daran anschließende Zeit, das Jünglingsalter des Antichristen von 897 bis 1189, umfaßt vor allem die Verwüstungen, die der Islam anrichtet, und die immer schlimmere Tyrannei der Päpste. Die Konstantinische Schenkung beispielsweise schreibt Reusner direkt dem schlimmsten aller Päpste, Gregor VII., zu.229 Die fünfte Epoche, die »aetas gravior« von 1189 bis 1483, ist durch die maßlose Habsucht und Gier der Päpste gekennzeichnet; an sie schließt das letzte, sechste Alter des Antichristen an, das mit der Geburt Luthers eingeläutet und wegen der Gläubigen verkürzt werden wird. Nach diesem Kurzdurchlauf durch das Leben und Wüten des Antichristen schildert Reusner nun, sein Schema zugrundelegend, in simpler annalistischer Form die Geschichte der Kirche; oft gibt er Quellen an, um dem Leser die weitere Lektüre zu erleichtern. Im wesentlichen beschränkt sich Reusner auf eine Liste der Päpste, Synoden und Orden. Auffälligerweise äußert sich Reusner nicht zur Krönung Karls des Großen – diese gehört für ihn in die politische Geschichte, und hier erwähnt er wiederum den Papst nicht.230 Während im Kirchengeschichtsteil die Kämpfe Gregors VII. und Heinrichs IV. geschildert werden, bezieht Reusner Gregor im ›politischen‹ Teil so gut wie nicht ein.231 Obgleich Reusner also der Auffassung ist, daß die verderbliche Wirkung des Papstes vor allem darin liegt, daß er über seine geistlichen Aufgaben hinaus 225  Dies träfe zwar rechnerisch selbst dann nicht zu, wenn man nur mit fünf Epochen rechnete, ist aber einer weiteren apokalyptischen Assoziation geschuldet (Off b 11,2). Vgl. Reusner, Isagoges Historicae, 19: »si tamen singulas eius aetates, in vnamqamque septies XLII. hoc est 294. annis connumeratis, consideramus, et ad normam uerbi diuini probe examinamus«. 226  Ebd., 19: »quo ipso momento Diabolum in aere hanc emisisse uocem ferunt: Hodie uenenum infusum esse Ecclesiae: quam uocem Nauclerus lib. 2 generat. 11. colligit, non tam ad res donatas quam ad iurisdictionem secularem atque superbiam, quam diuitiae pariunt, referendam esse. Hac aetate in ecclesia Dei creuerunt plurimi errores, abusus, et idolatriae, auctore praecipuo Gregorio Magno.« 227  Vgl. ebd., 20. 228  Ebd., 101. 229  Vgl. ebd., 20. 230  Vgl. ebd., 377. 231  Ebd., 122  f ., 396  f .

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auch Einfluß auf die Politik genommen hat, wird die Darstellung dieser Ambitionen in die Kirchengeschichte verlegt. Reusners strikte Differenzierung zwischen Kirchengeschichte im strengen Sinne und biblisch schematisierter politischer Geschichte führt dazu, daß die Verflechtung von geistlichem Amt und politischer Macht, die ja geradezu ein Hauptkritikpunkt am mittelalterlichen Papsttum ist, nicht als Politik anerkannt werden kann, daher aus dem Bereich des Politischen herausgenommen und ganz in den apokalyptischen Horizont antichristlicher Kompetenzüberschreitung gestellt wird. Überspitzt könnte man sagen: Reusner führt Melanchthons Differenzierung zwischen Kirchen- und Profangeschichte, die oben im Kontext der lutherischen Zweireichelehre plaziert worden ist, so weit, daß er kaum noch in der Lage ist, gegenseitige Einflußnahmen darzustellen.232 Damit erzielt er eine Überformung der mittelalterlichen Geschichte durch lutherische Kategorien in dem Sinne, daß die Konfliktlinien zwischen geistlichem und politischen Bereich zwar noch sichtbar sind, aber in der retrospektiven Darstellung gleichsam normativ stillgestellt werden. Dadurch daß Reusner die Kirchengeschichte am Leitfaden von Päpsten und Konzilien, nicht aber von Lehrveränderungen oder theologischen Richtungen schildert, erscheint die der Reformation direkt vorangehende Zeit relativ farblos. Typographisch hervorgehoben werden Schismata und Jubeljahre, in denen Reusner offensichtlich Belege für seine Auffassung vom Papsttum als Antichristen sieht. Nicht hervorgehoben werden dagegen das Konstanzer Konzil und Hus’ Hinrichtung.233 Auch das Basler Konzil oder die Reformansätze des 15. Jahrhunderts, selbst der Humanismus scheinen in Reusners Auffassung kirchlicher Geschichte nicht ins Gewicht zu fallen. Interessanterweise hebt er auch den Thesenanschlag nicht hervor. Das Bekenntnis in Worms dagegen wird typographisch hervorgehoben; 1521 wird von Reusner als heilsgeschichtlich bedeutendes Umbruchsjahr charakterisiert. In diesem Jahr endeten die 1000 Jahre aus Off b 20; in denen die Christenheit relativ sicher vor den Angriffen des Satans gewesen sei. Dies wird damit begründet, daß im Jahr 521 die arianische und nestorianische Häresie endgültig beseitigt worden sei.234 Reusner, der doch die 1500 Jahre als Lebensalter des allmählich zu ungeheurer Größe heranwachsenden Antichristen verstehen will, muß also gleichzeitig – mit Luther und 232  Die dezidierte, aber zuweilen unverständliche Trennung, die Reusner zwischen kirchlicher und politischer Geschichte trifft, zeigt sich z.  B. auch in der Liste von Universitätsgründungen, die von der Gründung Bolognas im Jahr 423 (!) bis zur Gründung Leidens 1580 führt. Diese werden offenbar nur deshalb der Kirchengeschichte zugeschlagen, weil sie als »academiae in orbe Christiano« vom Papst privilegiert werden bzw. mit einem Privileg vom Papst »honoratur« (ebd., 166). Die uneinheitliche Wertung gegenüber dem Papsttum ist auch hier zu beobachten. 233  Vgl. ebd., 141. 234  Vgl. ebd., 147.

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Augustin – behaupten, das Tausendjährige Friedenszeitalter der Kirche liege in der Vergangenheit; er zieht noch nicht den Schluß, der in der calvinistischen Geschichtsschreibung des 17. Jahrhunderts gezogen wird: daß nämlich das Millenium noch in der Zukunft liege.235 Die hier offen zu Tage tretenden Probleme bei der Synchronisierung unterschiedlicher heilsgeschichtlicher Auf- und Abstiegsmodelle werden von Reusner, wie von anderen Autoren, ignoriert. Reusner griff mit dieser Auffassung vom Tausendjährigen Reich genauso wie mit der, daß die Welt allerhöchstens bis zum Jahr 1670 dauern werde, auf einen gerade erschienen theologischen Bestseller zurück, nämlich den »Commentarius de Regno Christi« von Philipp Nicolai, einem der wichtigsten lutherischen Theologen der Jahrhundertwende.236 Nicolais Umgehen des Verbots, Stunde und Tag der Wiederkunft Christi zu berechnen 237, wird von Reusner mitgetragen. Auf Nicolais Werk wird in Kap. B.V.7.c zurückgekommen. Hier reicht die Feststellung, daß Reusner mit seinem Rekurs auf die orthodoxe Autorität Nicolai die Kirchengeschichtsschreibung in apokalyptische Bereiche führt. Der Antichrist übernimmt – anders als im Chronicon Carionis – die Hauptrolle im Kirchengeschichtsteil. Diese apokalyptische Interpretation der Kirchengeschichte ist umso auffälliger, als das anschließende zweite Buch zur historia politica sich ganz darauf beschränkt, nach dem Danielschema profanhistorisches Wissen vor allem zu den mittelalterlichen Kaisern zusammenzustellen. Die beiden Diskurse – der kirchengeschichtliche und der zunehmend auf die politische Geschichte eingeschränkte Diskurs der Universalgeschichte – beginnen also, sich voneinander zu scheiden; ihnen entsprechen unterschiedliche Sprachregister, die gewandte Gelehrte wie Reusner gekonnt handhaben. Das zweite Buch reicht bis 1600, also bis in Reusners Gegenwart, während er den Kirchengeschichtsteil bis zum präsumptiven Weltende, also bis 1670, ausweitet. Daß das römische Reich an die Deutschen gefallen ist, ist für Reusner genauso selbstverständlich wie die Tatsache, daß dieses längst nicht mehr seine ursprüngliche Größe und Macht besitze, ja sich seit dem Ende Westroms an Ende in einem Zustand der Altersschwäche befinde.238 In der folgenden annalistischen Schilderung der politischen Geschichte läßt Reusner diese Lang­zeit­ interpretation ganz hinter die Fakten zurücktreten. Weder heilsgeschichtliche Gliederungsschemata noch transhistorische Interpretamente spielen eine Rolle. 235  Vgl. Hotson, Howard, The Historiographical Origins of Calvinist Millenarism, in: Protestant History and Identity in Sixteenth Century Europe, hg. v. Bruce Gordon, 2 Bde., Aldershot 1996, Bd. 2, 158–181. 236  Vgl. Nicolai, Philipp, Commentariorum de Regno Christi, Vaticiniis Propheticis et Apostolicis Accomodatorum, libri Duo . . ., Frankfurt a.  M. 1597 (EA 1596). 237  Vgl. ebd., )( 6 r. 238  Reusner, Isagoges Historicae, 356: »Quibus Romanorum Principum potentia ac dignitate fracta, et ueluti suo quodam senio debilitata atque attenuata, Imperium populi Romani in Occidente penitus occidit atque defecit: barbaris et peregrinis populis Italiae ipsique Vrbi dominantibus.«

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Reusner kann die politische Geschichte in hohem Maße versachlichen, weil die prophetischen, apokalpytischen und andere theologische Motive bereits im Kirchengeschichtsteil so umfassend dominieren, daß sich für die politische Geschichte ein gewisser Freiraum von theologischen Deutungsmomenten ergibt. Dies bedeutet noch keine Säkularisierung der politischen Geschichte oder einen »Rückzug der biblischen Prophetie« 239 ; diese ist ja im Gegenteil durch das vorgelagerte Danielschema gegeben, aber sie spielt für die weitere Geschichtsdeutung keine Rolle mehr. Die in der Konsequenz von Melanchthons Chronicon Carionis liegende strikte Trennung von Kirchen- und Reichsgeschichte nimmt ein Grundmotiv lutherischer Theologie auf, nämlich die Zweireichelehre und die theologische Abwehr des Versuchs, kirchliche und staatliche Gewalt eindeutig aufeinander zu beziehen. Auch der im Harz tätige Pädagoge und Gräzist Michael Neander (1525– 1595) 240 gliederte in seinem kleinen Lehrbuch der Universalgeschichte von 1586 den Teil zur Kirchengeschichte vollständig aus der Universalgeschichte aus und bezog politische und religiöse Geschichte gar nicht mehr aufeinander.241 Aus dieser Aufteilung resultiert die Zurücknahme der religiösen Ebene in den Passagen zur Kaiser- und Reichsgeschichte. Dies geht nicht so weit, daß er die prophetischen Grundlagen der Universalgeschichte über Bord würfe242 . Das Buch Daniel gilt ihm als eine »historia historiarum omnium aetatum et temporum« 243. Doch abgesehen von dieser Einbettung in die danielischen Gliederungsschemata zeigt sich seine Universalgeschichte gänzlich uninteressiert an religiösen Themen. Dies kann sie auch deshalb, weil ihr eine kurze »Historiola ecclesiae siue populi Dei« eingelagert ist, die ebenfalls grob an der Abfolge der vier Weltreiche orientiert ist. Die christliche Botschaft, so Neander, sei anfänglich unverfälscht gepredigt worden, dann aber durch heidnische Philosophie verdorben worden; diese sei durch »praefecti« und »ministri« der römischen Kaiser in die Kirche eingeführt worden. Trotz dieser Lehrverfälschung, die Neander bereits vor den Aufstieg des Papsttums verlagert, hätten ungenannte »praestantes doctores ac Theologi in Ecclesia passim« gewirkt und so das Schlimmste verhindert.244 Eine   Vgl. Klempt, Säkularisierung; Seifert, Rückzug.   Zur Vita vgl. Scheible, Heinz, Art. »Neander, Michael«, in: Literaturlexikon 8, 340. Zu seiner Theologie, die dem Konkordienluthertum nahesteht, vgl. Koch, Ernst, Michael Neander (1525–1595) als Theologe. Zur Vorgeschichte der Konkordienformel, in: Bekenntnis zur Kirche. FS Ernst Sommerlath, Berlin 1960, 112–125. 241  Vgl. Neander, Michael, Chronica siue Synopsis historiarum . . ., Leipzig 1586. 242  Hierauf besteht Neander sogar ausdrücklich, wenn er seinen Schilderungen eine »Accomodatio hactenus dictorum ad ea, quae in Daniele Propheta iam olim de Monarchiis fuerunt praedicta« voranstellt; vgl. ebd., 183 v. 243  Ebd., 183 v. 244  Neander, Michael, Historiola ecclesiae siue populi Dei, in: ders, Chronica siue Synopsis historiarum . . ., Leipzig 1586, 45v. 239 240

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vollständige Korrumpierung der Lehre sei erst nach der Zeit Karls des Großen eingetreten. Schuld daran ist wieder die Philosophie, nämlich scholastische und kanonistische Auslegungs-Spitzfindigkeiten: »Post Caroli magni tempora [. . .] tota doctrina Christiana degenerauit, transformata in mera Philosophicam et scholasticam Theologiam per nouum doctorum genus, sententarios, summistas, Lombardistas, Scotistas, Occistas, Thomistas, Marialistas, Sermonistas, et id genus doctores alios, qui scripturam non per scriptum, sed Prophetas per Philosophos et Poetes, hoc est, lucem per tenebras et commenta traditionum humanarum explicabant.« 245

Diese Verfinsterung der Lehre habe dann erst Luther als »tertius Elia, Germaniae Propheta, magnus filii Dei Evangelista« 246 beseitigen können. Neander sieht also weniger die päpstliche Machtgier als Ursache des kirchlichen Verfalls, sondern vielmehr die antike Philosophie und ihre mittelalterlichen Derivate. Dies erscheint bei einem Gräzisten aus dem Melanchthon-Umfeld zumindest auffällig und ist eine Position, die angesichts des Wiedererstarkens der aristotelischen Metaphysik in lutherischen Artistenfakultäten um 1600 verständlicherweise keine starke Verbreitung fand, wenn die Historiographie auch bei ihrer Kritik an der mittelalterlichen Scholastik blieb.247 Ebenso auffällig, aber vielleicht der Knappheit von Neanders Kompendium geschuldet, ist auch das vollständige Fehlen apokalyptischer Obertöne oder der expliziten Titulierung des Papstes als Antichristen. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß in der Melanchthon folgenden Universalgeschichte das danielische Schema, aber auch die kirchengeschichtlichen Schemata immer mehr zur technischen Fertigkeit, zur Aufteilungskonvention gerannen. Die endzeitlichen Konnotationen wurden dabei entweder stillschweigend mitgedacht oder ganz eliminiert; jedenfalls traten sie in der akademischen protestantischen Universalgeschichtsschreibung der Jahrhundertwende zurück. Die latente Autonomisierung der historia politica führte zu einer langsamen Verabschiedung von der aus dem Zwei-Reiche-Denken hervorgehenden Polarität von lex und evangelium, politischer und kirchlicher Geschichte; je mehr die Kirchengeschichte langfristig autonom wurde, umso mehr wurde die Universalgeschichte zu ›politischer‹ Geschichte, die akademisch erlernbare Darstellungsfertigkeiten erforderte. Viele Historien offenbarten weder ihre prophetischen Grundlagen, noch folgten sie systematischen Schemata (Weltreiche, Zeitalter) oder bezogen sich auf Melanchthons Unterscheidung zwischen

  Ebd., 46r.   Ebd., 46 v. 247  Zum nicht unumstrittenen Wiederaufstieg aristotelischer Metaphysik in der lutherischen und reformierten Philosophie ab 1590 vgl. Jensen, Kristian, Protestant Rivalry – Metaphysics and Rhetoric in Germany c. 1590–1620, in: Journal of Ecclesiastical History 41 (1990), 24–43. 245 246

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

göttlicher Heils- und Erhaltungsordnung.248 In vielen Fällen ist nur individuell zu entscheiden, ob die traditionellen Einteilungen und Schemata implizit mitliefen, zur leeren Konvention erstarrten oder auch stillschweigend über Bord geworfen wurden. Möglicherweise waren es gerade die nicht in tradierte Schemata gepreßten, sondern formal einigermaßen originellen Geschichtsdarstellungen, die langfri­ stig eine Methodisierung der Geschichtswissenschaft und -schreibung bewirkten.249 Zu nennen ist hier die im 16. und 17. Jahrhundert geradezu boomende Chronologie, die im 17. Jahrhundert neben der philologischen Quellenkritik eine durchgreifende Methodisierung der Historie vollzog.250 In der knappen und übersichtlichen Tabellenform, die synoptisch verschiedene weltliche und geistliche Chronologien nebeneinander aufführt, konnte der akademische Historiker seine Fähigkeit zur eleganten und konzisen Präsentation der Weltgeschichte als zusammenhängendem Ganzen nutzen.251 Reihen, Listen und Aufzählungen traten an die Stelle der breiten Erzählung, die noch die Melanchthonsche und Sleidansche Universalchronik gekennzeichnet hatte. Diese von jeglichem chronikalischen Ehrgeiz gereinigte synoptisch-tabellarische Universalgeschichte war akademisches Handwerkszeug, nicht konfessioneller Identitätsdiskurs. Soweit eine solche Generalisierung möglich ist, wurde sie immer weniger, und nicht etwa stärker, konfessionell eingefärbt, je mehr in anderen Lebensbereichen der Zwang zur Konfessionalisierung wuchs. Es ist also eine partielle Autonomisierung des historiographischen Diskurses, das heißt eine Abschottung gegen externe Faktoren zu konstatieren. Bis ins 18. Jahrhundert hinein wurde die protestantische Universalgeschichte in dieser technischen Manier geschrieben und bot Stoff zu unzähligen universitären Fingerübungen, Dissertationen und Traktaten.252 Bereits im Mittelalter war Chronologie ein wichtiger Bestandteil der Universalchronik gewesen.253 Die Herkunft der eigenständigen Chronologie aus

  Vgl. Merz, Georg Horn, 197.   Vgl. Zedelmaier, Helmut, »Im Griff der Geschichte«. Zur Historiographiegeschichte der frühen Neuzeit, in: HJb 112 (1992), 436–456, hier 449  f. 250  Vgl. Döring, Sethus Calvisius, 174  f . Zur frühneuzeitlichen Chronologie vgl. einführend: Borst, Arno, Computus. Zeit und Zahl in der Geschichte Europas, durchges.  u. erw. Aufl., München 1999, 111–123. Im 17. Jahrhundert entwickelte auch die Kirchengeschichtsschreibung kritische Modelle, die methodisch über den Stand der mittelalterlichen Reflexion hinausführten; vgl. Momigliano, Alte Geschichte; Grafton, Footnote, 148– 189. 251  Vgl. Völkel, Theologische Heilsanstalt, 127. 252  Vgl. paradigmatisch: Helvicus, Christoph, Synopsis historiae vniuersalis, ab origine Mundi, per Quatuor Summa Imperia (quas Monarchias appellant) ad praesens tempus deducta, cum praecipuis synchronismis Virorum Celebrium, Eventorum et Politiarum, seu Regnorum coetererum . . ., Gießen 1612 (hier benutzt im ND Greifswald 1637). 253  Vgl. Krüger, Universalchroniken. 248 249

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der erläuterten Universalgeschichte254 führt dazu, daß auch im 16. und 17. Jahrhundert Chronologien partiell synoptische und tabellarische Darstellungsformen pflegten, daß aber umgekehrt auch chronologische Werke, so sie denn breit auf universalhistorischen Stoff zurückgreifen, als universalhistorische Geschichtserzählungen zu lesen sind. Diese weniger technisch-chronologischen als chronikalischen Werke sind dementsprechend auf ihre Rolle im lutherischen Identitätsdiskurs zu überprüfen.

5.  »nicht ohngefehr vnd plumpßhalben«: Lutherische Chronologien zwischen Zeitrechnung und Geschichtserzählung a)  Funktionen der Chronologie Daß ein präzises chronologisches Wissen die Basis aller Geschichtsschreibung ist, wird von Autoren des 16. Jahrhunderts gern betont. In der Mitte des 16. Jahrhunderts spricht Michael Beuther sogar davon, daß nur diejenigen Völker hoch geachtet würden, die eine »nothwendige richtige ordnung der zeit« besäßen, ja: Beuther geht noch weiter und behauptet, daß überhaupt Herrschaft immer davon abhängig gewesen sei, eine korrekte Zeitordnung und eine akkurate Verzeichnung der res gestae etablieren zu können.255 Diese Einschätzung ist umso ernster zu nehmen, als Beuther sie nicht im legitimatorischen Vorwort eines chronologischen Werks äußert, sondern in einem Geschichtskalender, der insgesamt der Chronologie keinen großen Platz zumißt. Die Hochschätzung der Chronologie bestätigt sich, wenn man historiographische Methodenlehren oder Bibliographien konsultiert. In Bolduanus’ Bibliographie folgt die grundlegende Kategorie der »supputatio annorum«, der Chronologie also, direkt auf die Abhandlungen zu Lob und Nutzen der Geschichte.256 In seiner »Methodus« verweist Reiner Reineccius darauf, daß die Chronologie nach der Geographie und vor der Genealogie die wichtigste Grundlage der Geschichte sei.257 Diese Einschätzung wird öfter geäußert: Räumliche und zeitliche Orientierungen seien die grundlegendsten Bezugspunkte, die ein Geschichtsschreiber benötige; die Chronologie aber sei »historiarum lectione lumen singulare, et ueluti oculus« 258 . Die integrale Gesamtheit der Geschichte, die schon Melanchthon gefordert hatte, benötigt ein solides Wissen über das Vorher und Nachher. Die Chro  Vgl. Völkel, Theologische Heilsanstalt, 140, Anm. 24.   Beuther, Calendarium, A ij r–v. 256  Vgl. Bolduanus, Bibliotheca historica. 257  Vgl. Reineccius, Methodus loquendi cognoscendique historiam, 8r. 258  Reusner, Isagoges historicae, 14; ähnlich auch: Reusner, Elias, Ephemeris, siue Diarium Historicum: in quo est epitome omnium fastorum et Annalium tam Sacrorum, quam Profanorum . . ., Frankfurt a.  M. 1590, *** 2v. 254 255

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nologie soll die »ordnung von anfang her« nachzeichnen; dabei kann und muß sie sich neben der Bibel auch auf astrologische Kenntnisse und antike Historiographen stützen.259 Die Chronologie hilft dem Leser, beim Lesen von Geschichtsbüchern Kontexte herzustellen und Lücken zu schließen; er kann die leeren Kammern seines Geistes mit ihrer Hilfe ausfüllen.260 Die »erkenntnis der Historien vnd der ordentlichen zeitrechnung« sei »eine besondere hohe gabe Gottes / vnd neben der reinen Lehr von Gottes wesen vnd willen / in der Christlichen Kirchen nötig vnd hoch zuachten [. . .] zu jeder zeit.« 261 Dem christlichen Historiker zeigt sie an, daß alles Irdische vergänglich ist und die Welt nicht ewig dauern wird, aber auch, daß Gott die Vorsehung walten läßt: Die historischen Ereignisse geschehen »nicht ohngefehr vnd plumpßhalben / sondern aus Gottes allerweisestem Rath / Ordnung vnd versehung« 262 . Damit gehört die Chronologie des 16. Jahrhunderts unter anderem in den Kontext der bibelexegetischen Hilfswissenschaften. Diese supputatio annorum war in tabellarischer Form schon von Euseb, Beda und Otto von Freising betrieben worden.263 Auch Luther legte eine Jahresordnung an, die ihm helfen sollte, biblische Erzählungen und profangeschichtliche Ereignisse aufeinander zu beziehen.264 Die Chronologie, die, wie gezeigt werden soll, in hohem Maß für Zahlensymbolik offen war, besaß insofern eine apokalyptische Dimension, als es ihr ja auch darum ging, das genaue Alter der Menschheit anzugeben, um daraus das Datum des Weltendes zu bestimmen. In jedem Fall zeigen die lutherischen Chronologien den Wunsch, »to retain a sense of assurance in the midst of historical change«.265 Im Laufe des 16. Jahrhunderts etablierte sich daneben ein Strang der Chronologie, der sich zunehmend von heilsgeschichtlichen Interpretamenten entfernte und durch das Bemühen um Technisierung und Methodisierung der Zeitrechung geprägt war. Diese technischere Variante ging aus dem Bemühen hervor, verschiedene Möglichkeiten der Zeitrechnung einigermaßen objektiv nebeneinander zu stellen und jeweils Vor- wie Nachteile abzuwägen. Dazu wurde die mehrspaltige Tabelle in immer umfassenderer Form als Darstellungsmittel genutzt. Chronologien dieser Art entstanden vor allem im schulischen   Vgl. Krentzheim, Chronologia, )( ij v.   Der Leser »ab ijs (d.  h. historiographos, M.  P.) integras narrationes petat, uacuas cameras manu Chronologiae in mente sua extructas impleat«: Buchholzer, Abraham, Isagoge Chronologica, Görlitz 1580, A2r. Ein Hilfsmittel beim Lesen antiker Historiker im Unterricht war z.  B.: Chyträus, David, Chronologia Historiae Herodoti, et Thucydidis, Rostock 1562, die ab der Auflage Rostock 1586 auch eine knappe Chronologie der gesamten Weltgeschichte bietet. 261  Krentzheim, Chronologia, )(iij r. 262  Ebd., )( iiij v. 263  Vgl. Guenée, Histoire et culture historique, 154; Brendecke, Synopse, 76  f . 264  Vgl. WA 53,1–184. 265  Barnes, Prophecy and Gnosis, 114. 259 260

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und universitären Kontext und wurden als Hilfsmittel bei der Lektüre von Hi­ sto­rien genutzt, zum Teil aber auch als eigenständige Forschungsleistungen betrachtet.266 Die Tendenz zur »Nivellierung, Reduktion und Ent-Individualisierung von Information« 267 ist allenthalben zu beobachten; ihr fällt auch eine dezidierte Bewertung der berichteten Fakten zum Opfer. Reineccius beispielsweise stellte in seiner Methodenlehre mehrere Zeitrechnungsmodelle – hebräische, griechische, römische und christliche – nebeneinander. Letztere werden noch einmal untergliedert; Reineccius nennt die frühchristliche Orientierung an der römischen Kaiserzählung, aber auch das katholische Jubeljahr, ohne dagegen konfessionelle Vorbehalte geltend zu machen.268 Elias Reusner spricht mit derselben Distanz von verschiedenen Möglichkeiten, Geschichtswerke chronologisch einzugrenzen. Man könne wie die Bibel »ab orbe condito« berichten, oder wie die Römer seit Erbauung der Stadt, oder gar, wie in der »latina ecclesia«, seit der Geburt Christi.269 Diese Optionen werden allesamt ernstgenommen; weder die heidnische noch die katholische Variante sind von vornherein auszuschließen. Diese Tendenz zur Versachlichung der Diskussion ging einher mit einer Technisierung der Chronologie.270 Joseph Justus Scaliger verband als erster sy­ stematisch die humanistisch-philologischen und die astrononomisch-mathematischen Elemente der Chronologie.271 In seinem Gefolge, aber auch im Zusammenhang mit dem Kalenderstreit, etablierten sich die Chronologien unterschiedlichen Niveaus als geradezu boomendes literarisches Genre.272 Scaliger wies darauf hin, daß jede Frankfurter Buchmesse einen Schwung neuer Chronologien bringe.273 Um sich vor Augen zu führen, wohin die Technisierung der Chronologie langfristig führte, genügt ein Blick z.  B. in den Chronologie-Thesaurus des re  Vgl. knapp: Borst, Computus, 111–123.   Brendecke, Synopse, 82. 268  Vgl. Reineccius, Methodus loquendi cognoscendique historiam, 8r. 269  Reusner, Isagoges Historicae, 14. 270  Vgl. als ein Beispiel: Reusner, Elias, Commentariolum de uera annorum mundi ad natum Chrisi Supputatione: Chronologiae in Isagoge Historica obseruatae solida continens demonstrationes, Jena 1600. 271  Vgl. Grafton, Anthony, Scaliger’s Chronology: Philology, Astronomy, World History, in: ders., Defenders of the Text. The Traditions of Scholarship in an Age of Science, 1450–1800, Cambridge, Mass./London 1991, 104–144. 272  Der Zusammenhang mit dem Kalenderstreit scheint evident, ist aber dennoch wohl kompliziert; jedenfalls verhandeln die zahlreichen chronologischen Werke des 16. Jahrhunderts, die sich vor allem um eine Synchronisation unterschiedlicher antiker und moderner Chronologien, also eine spezifische Zeitzählung kümmern, zu einem guten Teil andere Probleme als die astronomisch orientierte Diskussion um die Kalenderreform. Einen Zusammenhang zwischen beiden Debatten deutet an: Döring, Sethus Calvisius, 176  f. 273  Vgl. Grafton, Scaliger’s Chronology, 105. 266 267

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formierten Herborner Enzyklopädisten Johann Heinrich Alsted. Dieser entwarf eine wissenschaftliche Chronologie großen Stils, die biblische, astronomische, prophetische und profangeschichtliche Partikularchronologien aufarbeitete und so die Grundlage für eine große Zahl partikularer Historien bereitstellte.274 Auf lutherischer Seite entsprach Alsteds Werk die ebenso nüchterne, überhaupt nicht an konfessionellen Belangen interessierte Chronologie des Leipziger Professors Sethus Calvisius.275 Auch sein Freund, der Gießener Grammatiker und Chronologe Christoph Helwig veröffentlichte ein im Laufe des 17. Jahrhundert europaweit mehrfach nachgedrucktes chronologisches Werk 276 , das zwar noch gewisse Hinweise auf die konfessionelle Präferenz des Autors gibt, im ganzen aber eher polyhistorische Bildung zur Schau stellt, die nur in geringem Maße konfessioneller Zuspitzung unterlag. Es waren Werke wie diese, die die Chronologie langfristig zum Einfallstor der Verwissenschaftlichung machten.277 Doch auch während des Chronologiebooms des 16. Jahrhunderts, der diese geradezu zur »Modewissenschaft« avancieren ließ, stand die technische Variante neben einer zweiten Möglichkeit, die in höherem Maße chronologische und historiographische Interessen miteinander verband.278 Das bedeutet, daß die Grenzen zwischen einer Universalchronik und einem chronologischen Spezialwerk partiell verschwammen. Es geht im folgenden um solche Werke, die zu einem hohen Maß auch als Universalgeschichtsschreibung zu lesen sind. Dies sind die Chronologien von Johannes Funck und Leonhard Krentzheim.279 274  Vgl. Alsted, Johann Heinrich, Thesaurus chronologiae in quo Vniuersa temporum et historiarum series in omni uitae genere ita ponitur ob oculos, vt fundamenta Chronologiae ex S. literis et calculo astronomico eruantur, et deinceps tituli homogenei in certas classes memoriae causa digerantur. Editio secunda limata, et aucta, Herborn 1628. Die erste Auflage erschien 1624. Zurecht stellt die neueste Arbeit zu Alsted die Verbindung von dessen Chronologie mit seinem gelehrten Chiliasmus heraus: Vgl. Hotson, Howard, Johann Heinrich Alsted 1588–1638. Between Renaissance, Reformation, and Universal Reform, Oxford 2000, 204–206. Trotzdem läßt sich auf der reinen Darstellungsebene, wo Chronologien etwa »secundum Historicos« oder »Astronomos« aufgeführt werden, von einer dezidierten Rücknahme konfessioneller Elemente zugunsten einer Perspektivenpluralisierung sprechen. 275  Vgl. Calvisius, Sethus, Opus Chronologicum. Ex autoritate Sacrae Scripturae et Historicorum fide dignorum . . . contextum, Frankfurt an der Oder 1620. 276  Vgl. Helvicus, Christoph, Theatrum historicum: siue Chronologiae systema nouum, aequalib. Centurariarum et Decadum interuallis; cum assignatione Imperiorum, Regnorum, Dynastiarum, Regum, Aliorumque Virorum Celebrium, Prophetarum, Theologorum, Jureconsultorum, Medicorum, Philosophorum, Oratorum, Historicorum, Poëtarum, Haereticorum, Rabbinorum, Conciliorum, Synodorum, Academiarum etc. [. . .] ut Vniuersa Temporum et Historiarum Series, a mundi origine ad praesente annum M.DC.XIIX . . ., Giessen 1618 (EA 1609). Zu Scaliger und Calvisius vgl. ebd., (:)(:)r. Zu Helvicus vgl. Brendecke, Synopse, 78  f f. 277  Vgl. Döring, Sethus Calvisius. 278  Burkhardt, Entstehung, 36  f . 279  Viel knapper, was die historiographischen Einträge betrifft, und in gewisser Weise in der Mitte zwischen den technischen und den erzählenden Chronologiewerken steht die

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b)  Johannes Funcks ›Chronologia‹ »Ohne Zweifel [. . .] das beliebteste chronologische Lehrwerk der Reformation« 280 stellt die Chronologie des Johannes Funck (1518–1566) dar. Funck war Prediger im Nürnbergischen und verließ seine Pfarrstelle aufgrund des Interims. Danach wurde er Hofprediger Herzog Albrechts von Preußen und eifrigster Parteigänger des Osiandrismus. Nach Osianders Tod geriet er zunehmend in Schwierigkeiten mit seinem Landesherrn, vor allem aber in politische Konflikte mit den preußischen Ständen; 1566 wurde er hingerichtet. Ob seine Hinrichtung noch etwas mit seinem 1561 widerrufenen Osiandrismus zu tun hat, wird in der neueren Forschung eher skeptisch beurteilt.281 Neben seiner Beschäftigung mit der Chronologie verfaßte Funck auch eine bis ins Jahr 1546 reichende Fortführung der Chronik Carions, die aber nach einem Anfangserfolg bald durch Melanchthons und Peucers Fortsetzung vom Markt verdrängt wurde.282 Aus dieser Tatsache aber und aus dem Erfolg seines chronologischen Lehrbuchs zu folgern, Funck sei als Historiker wie als Theologe ein Konkurrent oder Rivale Melanchthons gewesen 283, scheint zu weit zu gehen. Theologisch war er mit Osiander zeitweise Melanchthons Gegner, aber sicher als Theologe nicht profiliert genug, um ernsthaft als Konkurrent in Betracht zu kommen; was seine historiographische Tätigkeit angeht, wird erst noch zu sehen sein, inwieweit sich Funcks Sicht von Melanchthon entfernt. Dem Werk ist eine Vorrede an den preußischen Herzog Albrecht vorangestellt, in der Funck die Aufgaben der Chronologie umreißt und vor allem auf ebenfalls vielgelesene »Isagoge Chronologica« von 1580 des schlesischen Pädagogen und kurzzeitigen brandenburgischen Hofpredigers Abraham Buchholzer (1529–1584). Sie enthält einen ersten, systematisch-mathematischen Teil und einen historiographisch angelegten »Index Chronologicus«, der – jeweils mit Verweis auf die Quellen – knappe Informationen zu Ereignissen bietet. Das Werk ist insofern als lutherisch klassifizierbar, als es die üblichen Informationen etwa zum Aufstieg des Papsttums durch die tätige Mithilfe des Kaisermörders Phocas aufführt. Daß im übrigen aber Buchholzer »lieber rechnen als streiten« wollte (Schimmelpfennig, Art. »Buchholzer, Abraham«, in: ABD 3, 481  f., hier 482), das Werk also weit entfernt von kontroverspolemischer Zuspitzung ist, ersieht man aus dem Widerwillen gegen die eigene Zeit, den der Melanchthonianer Buchholzer am Ende seines Werks zu erkennen gibt. Vgl. Buchholzer, Isagoge Chronologica, X4v. 280  Vgl. Völkel, Theologische Heilsanstalt, 127. Daß die Funck-Rezeption über die Reichsgrenzen hinausreichte, notiert am französischen Beispiel: Dubois, Claude-Gilbert, La conception de l’histoire en France au XVIe siècle (1560–1610), Paris 1977, 416– 418. Zu weiteren lutherischen Chronologien vgl. Barnes, Prophecy and Gnosis, 110. 281  Vgl. Seebass, Gottfried, Art. »Osiander«, in: TRE 25, 507–515, hier 512; zur Vita siehe auch: Bautz, Friedrich Wilhelm, Art. »Funck, Johannes« in: BBKL 2, Sp. 154  f. sowie Hase, Carl Alfred, Herzog Albrecht von Preußen und sein Hofprediger. Eine Königsberger Tragödie aus dem Zeitalter der Reformation, Leipzig 1879; zu Funck als Theologe vgl. Fligge, Jörg Rainer, Herzog Albrecht von Preußen und der Osiandrismus 1522–1568, Diss. Bonn 1972. 282  Siehe den knappen Hinweis bei: Hase, Herzog Albrecht, 105. 283  Vgl. Völkel, Theologische Heilsanstalt, 127.

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deren eminent religiöse Funktion hinweist; man könne ohne eine gewisse Zeitrechung die Mysterien der heiligen Schriften unmöglich verstehen.284 Daß Chronologie und Historiographie eine nicht nur akzidentielle Beziehung zur Religion besitzen, wird aus Funcks Bemerkung deutlich, er habe den zweiten Teil seiner Chronologie im Jahr 1544 wegen des kaiserlichen Frankfurter Druckverbots nicht publizieren können. Dieses Druckverbot betraf antipäpstliche Schriften.285 Auch andere Theologen waren der Ansicht, das Verfassen von Chronologien und Geschichtswerken sei eine zentrale theologische oder kirchliche Aufgabe; dies illustriert folgender Vorgang: Johannes Brenz riet Funck im Jahr 1555, er solle das Predigtamt ruhen lassen, bis sich der Osiandrische Streit gelegt habe, und statt dessen der Kirche in anderer Weise dienen. Diese »andere Weise« bezog er ausdrücklich auf das Verfassen von Historien und Chronologien.286 Auch Funck schrieb der (profanen wie kirchlichen) Geschichte zumindest eine Sonderstellung unter den artes zu, weil sie durch Exempel Herrscher und Beherrschte anleite und gleichzeitig den Gottesglauben festige. Sie spende Trost gerade dadurch, daß sie zeige, daß Gott sein Volk nie verlasse; dies sei um so wichtiger in Zeiten, in denen mancher ein Kirchenlehrer genannt werde, der der Lehre Christi manifest widerspreche.287 In Funcks Quellenliste fällt die außergewöhnlich große Bandbreite antiker und humanistischer Autoren auf, die neben den bekannten Autoren auch – in Werken dieser Art – eher selten benutzte wie Aulus Gellius oder Polydor Vergil umfaßt. Funck weist darauf hin, daß er auch verschiedene anonyme Schriften verwendet habe, deren Autoren er nicht ihrer Ehre zu berauben wünsche.288 Außergewöhnliche Gelehrsamkeit und ein für das Zeitalter der Kompilatoren ungewöhnliches historiographisches Ethos gehen eine Verbindung ein, die eine zumindest originelle Geschichtskonzeption erwarten lassen. Funcks Chronologie erschien in zwei Teilen 1544 und 1552, wurde bis 1600 fünfmal nachgedruckt und stellte damit einen Bucherfolg über Funcks Tod hinaus dar. Das Werk ist in zwei Großabschnitte unterteilt: in eine eher synoptische 284  Funck, Johannes, Chronologia: Hoc est, omnium temporum et annorum ab initio mundi, vsque ad hunc praesentem a nato Christo annum 1552. pertingebat: nunc autem ab ipso Autore est aucta, multis in locis correcta, vsque annum 1570. producta . . . Item Commentarium libri decem, in quibus quid tradatur, proprio titulo indicatur . . ., Wittenberg 1570, )( ij r, )( iiij r. 285  Vgl. ebd., )( ij r. Zum kaiserlichen Druckverbot vgl. Hase, Herzog Albrecht, 105; Eisenhardt, Ulrich, Die kaiserliche Aufsicht über Buchdruck, Buchhandel und Presse im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (1496–1806). Ein Beitrag zur Geschichte der Bücher- und Pressezensur, Karlsruhe 1970, 64  f. 286  Vgl. Tschackert, P., Art. »Funck, Johann«, in: RE 6, 320–323, hier 322. Vgl. auch Funck, Chronologia, )( iij r. 287  Vgl. Funck, Chronologia, )( iij v: »Ac contra hoc scandalum Historiae nos muniunt, ita, vt non desperemus«. 288  Ebd., unpag. Literaturverzeichnis: »Habuimus praeterea uaria diuersorum scripta et collectanea, quorum autores ignorantur, alioqui et ipsos suo honore non defraudaremus.«

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Chronologie und einen historiographischen Kommentarteil. Der erste Teil bietet typischerweise folgenden Anblick: Auf einer Doppelseite sind nebeneinander sechs bis zehn Spalten unterschiedlicher Jahresrechnungen aufgeführt, die christliche, aber auch z.  B. ägyptische, keltische oder assyrische Chronologien seit der Schöpfung auflisten. Diese heterogenen Kategorien können an den ebenfalls abgedruckten »Anni mundi« und »Anni Christi« abgeglichen werden. Es geht Funck offensichtlich um die Synchronisation unterschiedlicher Zeitrechnungen; daher gibt er nur minimale ereignisgeschichtliche Informationen. Diese wären ohne den späteren Kommentarteil fast unverständlich; auch zeigt sich eine gewisse Unsicherheit zum Beispiel mit den Kategorien der Kirchenund Reichsgeschichte: Während Funck in der Kategorie ›Kirche‹ zum Jahr 1517 interessanterweise auf Erasmus’ Ausgabe des Neuen Testaments verweist, begegnet der Thesenanschlag in der Kolumne zum ›Reich‹. Hier findet man auch den Wormser Reichstag von 1521, während Universitätsgründungen oder Zwinglis Tod wieder in der Spalte ›Ecclesia‹ auftauchen.289 Auch dies verweist, ohne daß Funck Melanchthons Konzeption von Kirchen- und Universalgeschichte aufnähme, wieder auf die relative Überlappung beider Bereiche, die offenbar zwar im Prinzip getrennt existieren (wie dies Melanchthon konzipiert hatte), im einzelnen aber schwer zu unterscheiden sind. Der zehnteilige Kommentarband macht es sich zur Aufgabe, die Ereignisse ausführlicher zu erklären und sie, was schwieriger sei, mit den entsprechenden prophetischen Stellen der Bibel abzugleichen.290 Dabei legt Funck einen Akzent auf die Kirchengeschichte, die aber durch die Einbeziehung der Reiche universalgeschichtlich verbreitert wird.291 Die ersten vier Bücher berichten über religiöse und politische Ereignisse bis zu Christus. Im fünften Buch weist Funck detailliert nach, daß Petrus nie bis Rom kam und bezeichnet dies als »Destructio fundamenti Papatus Romani« 292 . Der Antichrist regt sich bereits im dritten Jahrhundert, wird aber an diesem Punkt nicht mit dem römischen Bischof in Verbindung gebracht. Statt dessen legt Funck mit Bezug auf 2.Thess 2,2 (die Idee also, daß der Antichrist innerhalb der Kirche entstehen müsse) und Off b 12,6 (also die 1260 Tage=Jahre, in denen die Kirche verfolgt wird) dar, daß der Arianismus den Beginn der Antichristherrschaft repräsentiere, die im Jahr 258 begonnen und dann 1260 Jahre, also bis zum Jahr 1518, gedauert habe. Der Beginn der Reformation ist damit als Ende der Antichristherrschaft markiert; dies alles beläßt Funck aber im Impliziten. Entweder also ist diese Deutung allgemein akzeptiert, so daß Funck nur darauf anzuspielen braucht, oder er   Vgl. ebd., 167–168.   Vgl. ebd., unpaginierte Vorrede zum Kommentarteil, der »zehn Bände« enthält, die aber eigentlich zehn Kapitel sind. 291  Zum Beispiel schreibt er: »Ecclesiasticam Historiam, et si quae scitu digna in Imperijs ciuilibus acciderunt [. . .] octauus liber compendio tradit.« (Ebd., N iij r) 292  Ebd., G iiij v. 289 290

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mißtraut seinen eigenen Zahlenspekulationen wenigstens soweit, daß er sie nur anreißt. Mit Luther setzt Funck den Beginn des Papsttums auch als weltlicher Macht mit der Favorisierung der römischen Bischöfe durch den Kaisermörder Phocas an. Die Autorität des Papstes sei auf Lüge und Schwindel gebaut und durch Mord und Tyrannei befestigt worden: Auch dies verweise wieder auf verschiedene Kapitel der Offenbarung.293 Diese Art der Deutung der Kirchengeschichte ist nichts Besonderes, aber Funck versucht eine auch zahlensymbolisch untermauerte Engführung von Prophetie und Kirchengeschichte: Er versteht den Papst als die Bestie aus dem Meer, die laut Off b 13 dem antichristlichen Drachen Stuhl und Macht gewährt; auch in anderen Schriften gibt Funck eine gesteigerte apokalyptische Haltung zu erkennen, wenn er seine Gegenwart und v.  a. den Osiandrischen Streit als das Erdbeben vor dem Erschallen der siebten und letzten Posaune deutet (Off b 11, 13) 294. Außer diesem apokalyptischen Zugang fällt aber auf, wie stark Funck über weite Strecken seine mittelalterlichen oder humanistischen Vorlagen ausschreibt. Ein echtes Konkurrenzverhältnis zum Historiker Melanchthon, wie es Völkel behauptet, liegt hier nicht vor; dazu ist Funcks historiographische (nicht: chronologische) Eigenleistung zu wenig profiliert. Dennoch ist aber auf eine Besonderheit von Funcks Darstellung gerade für die spätmittelalterliche Kirchengeschichte hinzuweisen. In diesen Abschnitten wird nämlich Funcks zunehmende Unlust spürbar, die Verbrechen der Päpste und die Blindheit des Kirchenvolks auszumalen. Aus dieser Unlust erwächst der in der lutherischen Geschichtsschreibung relativ seltene Hinweis an den Leser, dieser möge selber in bestimmten Quellenwerken (z.  B. den Konstanzer Konzilsakten) oder Chroniken nachlesen. Funcks chronikalischer Bezugspunkt ist hierbei die Fortsetzung der Chronik des Abtes Burchard von Ursperg aus dem 13. Jahrhundert, die Kaspar Hedio 1537 veröffentlichte und die zu einer Standardreferenz lutherischer Historiographie wurde.295 Auffällig ist ein Hinweis zum Basler Konzil, 293  »Atque in hunc modo confirmata est auctoritas Papae, quae super mendacio et nugis superaedificata, ab Imperatore parricida atque Tyranno confirmata ac consecrata est. [. . .] Quam splendide uero sese hoc caput Ecclesiae in principio ostenderit Mundo, tam ex dictis, quam ex factis Pontificum cerni poterit, ita vt non frustra in Apocalypsi, capite decimo, Angelo qui de coelo descenderit sit assimilatus. Summus enim Angelorum, id est, doctorum in Ecclesia habebatur: in coelo autem non mansit, sed descendens inde vno pede in terram posito, altero uero supra mare extenso, Mundi dominationem apettijt: Magnosque clamore Legum ac decretorum tam potentes ac sapientes huius Mundi, qui per terram significantur, quam impotentem ac leuem turbam, quae mari praefiguratur, vt Apocalyp. 17 cap. uidetur« (Ebd., O ij v). 294  Vgl. Stupperich, Martin, Das Augsburger Interim als apokalyptisches Geschehnis nach den Königsberger Schriften Andreas Osianders, in: ARG 64 (1973), 225–245, hier 243, Anm. 71. 295  Diese stauferfreundliche Chronik aus dem Jahr 1229/30, eine Zusammenstellung v.  a. der früheren Chroniken Frutolfs von Michelsberg und Ekkehards von Aura, wurde

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auf das Funck kaum eingeht: Denn es existierten zwei Bände Akten, die von Enea Silvio geschrieben worden seien, die dieser aber, selbst Papst geworden, verboten habe.296 Dann heißt es weiter, der Leser finde eine Zusammenfassung auch in der Fortsetzung der Ursperger Chronik. Der Grund für diese so seltenen didaktischen Hinweise zum Selberlesen ist aber nicht etwa Funcks humanistische ad-fontes-Begeisterung, sondern Ekel an der eigenen Arbeit. Funck schreibt, es quäle ihn, die Lügen der Päpste und die Dummheit ihrer Gegner breit darzustellen, und er werde sich deshalb kürzer fassen, um sich desto rascher wieder der Betrachtung des Heiligen zuwenden zu können.297 Man hätte, so Funck, die Tyrannei des Papstes viel früher entlarven können und müssen. Aber paßt dies zu der heilsgeschichtlich gefärbten Idee, das Jahr 1518 habe, wie oben dargestellt, notwendigerweise das Ende der Antichristherrschaft bringen müssen? Die Passage mag rhetorisch sein, zeigt aber dennoch etwas Eigenes: Während nämlich üblicherweise die Klagen über das Papsttum die Historiker nicht abhalten, trotzdem hunderte von Seiten zu füllen, kann man bei Funck, der kurz nach diesem Passus sein Werk tatsächlich auströpfeln läßt, sehen, daß die Beschäftigung mit der Geschichte nicht nur Freude und Exempel ist, sondern daß sie zuweilen auch zur Tortur ausarten kann – weshalb man sich wieder der Seelsorge und dem Gebet zuwenden soll. Funcks verbreitete Chronologie zeigt auch sonst häufig Eigenheiten und bedient sich, schon wegen ihres Genrezusammenhangs, viel weniger eindeutig insgesamt Burchard von Ursperg zugeschrieben. Im Mittelalter im wesentlichen wirkungslos, wurde sie 1515 von Konrad Peutinger zuerst ediert und dann von Hedio in den sog. »Paraleipomena« bis ins Jahr 1537 fortgesetzt. Die Hediosche Fassung erschien 1537 auf lateinisch und 1539 auf deutsch und wurde bis 1609 mehrfach nachgedruckt. Damit war sie eine der wichtigeren mittelalterlichen Vorlagen lutherischer Geschichtsschreiber. Dies hängt wohl v.  a. mit ihrer papstkritischen Haltung zusammen; die Hediosche Fortsetzung ist im wesentlichen eine Materialsammlung. Vgl. knapp: Müller, Rainer A., Art. »Burchard von Ursperg«, in: Historikerlexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, hg. v. Rüdiger vom Bruch/Rainer A. Müller, München 1991, 41 sowie: Keute, Reformation und Geschichte, v.  a. 22 u. 34. Vgl. als einschlägige lutherische Qualifizierung der Chronik: Chyträus, De lectione historiarum, F6v, der sie als »inter omnes Germanicos Scriptores ueteres, lectu vtilißimus« bezeichnet. 296  Vgl. Funck, Chronologia, X vj v. Funck benutzt hier die 1523 anonym edierten »Commentarii de gestis Basiliensis concilii« des Enea Silvio. Vgl. dazu Keute, Reformation und Geschichte, 331, Anm. 228. Keute nennt allerdings als Erscheinungsjahr 1522. Das VD 16 (P 3111) kennt aber nur eine Ausgabe dieser Schrift, die von 1523 stammt. 297  Funck, Chronologia, X vj v: »Eas namque Pontificum nugas, et nostrorum hominum stultitias, qui praelucente Verbo Veritatis, Antichristum uidere aut noluerunt, aut non potuerunt, forsan sic uolente Deo, longius hic referre me taedet atque piget. Tot enim sceleribus Pontificum describendis hactenus defatigatus, atque ita sum irritatus, vt me poenitat, si bona aliqua dictione in eis conscribendis vti debeam. Quare quae restant memorabilia, paucis et breuiter recensebo, Quo tandem ab hoc opere, quod in fine mihi satis molestum esse coepit, liberatus, ad Sacrarum rerum studia (quorum mihi potior vsus esse potest, quam ex hi nefandissimorum nebulonum actis etiam optimis) animis reuocare possim.«

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der prophetischen Gliederungsschemata, die Melanchthons Universalgeschichte zugrunde liegen. Dennoch unterscheiden sich aus dem Blickwinkel ihrer Identitätsfunktionen beide Geschichtskonzeptionen nicht grundlegend; der Dissens zwischen Melanchthon und Funck war ein theologischer, der aber ihre religiös-historiographischen Positionen keineswegs unvereinbar machen mußte. c)  Leonhard Krentzheims ›Chronologia‹ Wie Funck stellt auch der ›kryptocalvinistische‹ Hofprediger und Superintendent der Liegnitzer Fürsten, Leonhard Krentzheim (1532–1598), die Chronologie in den Mittelpunkt seines Interesses – zumindest laut Titelblatt seines Werks.298 Dies ändert nichts daran, daß seine »Chronologia« in mindestens demselben Maße eine universalgeschichtliche Chronik ist. Wenn Krentzheim auch erklärt, daß die Schilderung historischer Ereignisse in seinem Werk nur den Zweck habe, die exakte Zeitrechung zu belegen 299, treten doch über weite Strecken chronologische Untersuchungen hinter universalgeschichtlicher Erzählung zurück. Die Gattungsbezüge zur Chronographie führen aber dazu, daß die Chronologia in besonders starkem Maße mit dem Nachweis zahlenmäßig erfaßbarer historischer Korrespondenzen befaßt ist. Die an sich nicht originelle These Krentzheims, daß die göttliche Vorsehung die historischen Ereignisse »nicht ohngefehr vnd plumpßhalben«300 , sondern in einer geplanten Ordnung ablaufen lasse, wird nämlich mittels rechnerischer Spekulation dahingehend präzisiert, daß bestimmte Zeitabschnitte in wiederkehrender Weise historische Zäsuren festlegen oder prophetische Zahlenbeziehungen illustrieren – was an entsprechende Überlegungen bei Melanchthon oder Reusner erinnert. Aber Krentzheim geht in seiner Festschreibung der Nicht-Kontingenz der Geschichte viel weiter: In seiner Vorrede weist er auf zahlreiche historische 298  Vgl. Krentzheim, Chronologia. Zu Krentzheims Kryptocalvinismus vgl. Junghans, Art. »Kryptocalvinisten«, 124 sowie Schimmelpfennig, Art. »Krenzheim«, in: ADB 17, 125–128. Krentzheim war als treuer Anhänger Melanchthons ein entschiedener Gegner der Konkordienformel und mußte sich zwischen 1573 und 1593 wiederholt gegen Calvinismus-Vorwürfe verteidigen; 1593 wurde er schließlich seines Amtes enthoben. Trotzdem gehört diese Form des ›Kryptocalvinismus‹ eher in eine Kulturgeschichte des Luthertums und dessen Selbst- und Fremdwahrnehmung als in eine Geschichte des Calvinismus, zumal sich Krentzheim nicht auf Calvin bezieht. Auseinandersetzungen dieser Art bezeugen »mehr übersteigerte Calvinismusfurcht und Streitsucht als eine Ausbreitung des Kryptocalvinismus« ( Junghans, Art. »Kryptocalvinisten«, 124). 299  Vgl. Krentzheim, Chronologia, II, 404v. 300  Vgl. ebd., )( iiij v. Auch die Vorrede stellt das Interesse für die Historien deutlich zurück hinter eine legitimatorische Argumentation zugunsten chronologischer Untersuchungen: eine Gewichtung, die in dieser Weise nicht dem tatsächlichen Inhalt der »Chronologia« entspricht.

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Zahlenkorrespondenzen hin, die die bis ins kleinste symmetrische Struktur der Weltgeschichte verdeutlichen. Die hervorstechendesten Beispiele sind wohl die folgenden: Die Zeitspanne zwischen dem Exodus aus Ägypten bis zu Christi Geburt umfasse 1517 Jahre; dieselbe Zeit sei zwischen Christi Geburt und dem Beginn der Reformation vergangen. Vom Exodus bis zu Luthers Geburt seien 3000 Jahre vergangen, vom Propheten Josua bis zur Augsburger Konfession ebenfalls.301 1588 Jahre lägen zwischen dem Beginn des jüdischen Staates und dessen Untergang unter dem römischen Kaiser Titus: Dieser Zahl entspreche die Tatsache, daß im 1588. Jahr nach Christi Geburt, also elf Jahre nach der Veröffentlichung der Chronologia, eine »grosse verenderung in der Christenheit / vnd aller Welt« zu erwarten sei. Jedenfalls behaupteten das »etliche gelerte Leut«302 . Das ›Wunderjahr‹ 1588 war vor allem aufgrund astronomischer Berechnungen und astrologischer Spekulation zu großer Beliebtheit als Datum des Weltendes gelangt, und Krentzheim bezog sich affirmativ auf solche Thesen.303 Krentzheim teilt seine Chronologia in zwei Teile auf, deren erster acht Bücher von der Schöpfung bis ins zweite Jahrhundert enthält. Der zweite Teil besteht aus sieben Büchern und führt vom zweiten Jahrhundert bis in Krentzheims Gegenwart. Insgesamt schildert Krentzheim relativ breit v.  a. die politische Ereignisgeschichte; dazu treten immer wieder astrologische und chronologische Exkurse.304 Buch I,1 setzt mit der Schöpfung ein; die ersten Bücher der Chronologia verstehen sich als präzise Zeitbestimmung der biblischen Geschichten. Die Bibel gilt zum einen als wichtigste Quelle der vorchristlichen Geschichte, und zwar vor allem aus theologischen Entscheidungen heraus. Zum anderen kann sie damit aber in einigermaßen sachlicher Weise als antike Quelle neben anderen betrachtet und in derselben Weise wie andere antike Quellen paraphrasiert werden. Aus dieser Vergleichbarkeit der Bibel mit nachbiblischen Geschichten ergibt sich eine Tendenz, die nicht bei Krentzheim selbst, aber in der Folge zu einer Technisierung der Zeit und ein abstrahierender Umgang mit

  Vgl. ebd., )( iiij r.   Vgl. ebd., )( iiij r. 303  Ebd., II,112r; vgl. Barnes, Prophecy and Gnosis, 163; Leppin, Antichrist, 65–67. 304  Die chronologische Absicht Krentzheims äußert sich u.  a . darin, daß am Ende der einzelnen Bücher – zumindest bis zum Buch II,4 – eine sogenannte »Erklerung« strittiger chronologischer Sachverhalte folgt. Ab II,3 erscheinen Krentzheim chronologische Untersuchungen zunehmend funktionslos, weil für den betreffenden Zeitraum kaum noch strittige Fragen vorlägen (II, 160r). Am Ende von II,5 heißt es dann: »In diesem Buch ist gar nichts / was die Jahrrechnung anlanget / das strittig were / Derwegen keine Erklerung von nöten ist.« (II,285r). Im Anschluß an Buch 6 und 7 wird nicht einmal mehr dies erwähnt. Das bedeutet, daß die »Chronologia«, je näher sie dem 16. Jahrhundert rückt, immer weniger chronologische Untersuchung und immer mehr universalchronikalische Darstellung wird. 301 302

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der Bibel als einer Quelle unter anderen führte – was in letzter Konsequenz in eine Historisierung der christlichen Überlieferung mündete. Bei Krentzheim aber sind die Gründe, sich mit Chronologie zu befassen, noch sämtlich religiöser Natur. Er will beweisen, daß die Geschichte nicht kontingent ist: »Was Gott einmal bestetigt, das endert er nicht.«305 Daneben geht es ihm auch um den Beleg, daß die wahre Lehre, der er anhängt, nicht etwa neu, sondern uralt sei. Vor allem Matthias Flacius hatte im ›Catalogus testium veritatis‹ versucht, Alter und Kontinuität der wahren Lehre aufzuweisen; doch dieses im Protestantismus breit rezipierte Werk wird von Krentzheim nicht erwähnt. Der erklärte Philippist Krentzheim will zwar ebenso das Alter der wahren Lehre nachweisen, bezieht sich aber dafür nicht auf das einschlägige lutherische Werk, sondern nimmt Bezug auf altkirchliche Argumentationen etwa Cyrills, Justins und Eusebs.306 Krentzheim will offensichtlich nicht auf Flacius hinweisen: Er hält ihn, so muß man vermuten, aus theologischen Gründen für so diskreditiert, daß er es nicht für ratsam erachtet, sich seiner historischen Gelehrsamkeit zu bedienen.307 Die Identifizierung des Papsttums als antichristlicher Institution tritt sehr früh in den Fokus von Krentzheims Aufmerksamkeit. Unter der Überschrift »Des Antichrists Geist lest sich mercken« beschreibt Krentzheim, daß der römische Bischof Viktor sich bereits im Jahr 192 den Primat anmaßte.308 Krentzheim verlegt also die Geburt des päpstlichen Antichristen bereits an das Ende des zweiten Jahrhunderts und folgt damit in der Datierung, nicht aber in der Identifizierung des Antichristen der klassischen Auffassung Eusebs, der den Verfall der reinen Lehre ebenfalls bereits im zweiten Jahrhundert beginnen ließ.309 Die Geschichte des Papsttums nennt Krentzheim »vngewisser vnd verwirrter« 310 als alle anderen Historien. Was heißt das? Ist sie etwa schwerer zu deuten? Aber dies unternimmt Krentzheim ja gerade, wenn er vom Aufstieg des Antichristen spricht. Ist sie schlechter überliefert, etwa wegen päpstlicher Fälschungen? Die Konstantinische Fälschung erwähnt Krentzheim nicht einmal. Warum Krentzheim also die Papstgeschichte für verwirrt und ungewiß hält, ist letztlich unverständlich – weiß er doch genau, mit wem er es zu tun hat. Papst   Krentzheim, Chronologia, + iiij r.   Vgl. ebd., + iiij r. 307  Dagegen spricht in gewisser Weise, daß Krentzheim bei der Schilderung theologischer Streitigkeiten der Gegenwart zwar eindeutige Sympathien für Melanchthon formuliert, aber Flacius doch einigermaßen sachlich und unpolemisch behandelt. Vgl. ebd., II,392r. Dies mag aber wiederum mit der häufig zu beobachtenden »philippistischen« Tendenz zusammenhängen, Kritik und Polemik nicht öffentlich auszutragen. Vgl. dazu: Koch, Philippismus, 70–73. 308  Vgl. Krentzheim, Chronologia, II,7r. 309  Vgl. Schmidt, M., Art. »Kirchengeschichte. I. Kirchengeschichtsschreibung, in: RGG3 3, Sp. 1421–1433, hier Sp. 1424. 310  Krentzheim, Chronologia, I,27v. 305 306

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Johannes IV. habe im Jahr 566 festgelegt, »das keiner sich sol nennen oder nennen lassen / Einen obersten Priester / oder Allgemeinen Bischoff. [. . .] Aber dieser Regel ist bald vergessen worden.«311 Nicht zufällig habe im Jahr 588, also genau tausend Jahre vor dem erwarteten Umbruchs- oder Endjahr 1588, auf dem Konzil von Konstantinopel der Antichrist einen Streit um den Primat angezettelt.312 Wie viele lutherische Historiographen berichtet auch Krentzheim über die angebliche Päpstin Johanna. Anders als andere Autoren (vgl. B.V.8.c) beschränkt sich Krentzheim aber nicht auf eine moralisierende Schilderung zum Beweis der päpstlichen Unzucht, sondern deutet eine apokalyptische Interpretation zumindest an: »Dieser Bapst ist ein weib gewesen / vnd hat unter dem schein der Heiligkeit grosse vnzucht getrieben / Darumb haben etliche auff sie gedeutet das Gesicht von der Babylonischen Huren / Apocalyp. 17. Cap.« 313

Das Papsttum war also bereits im 2. Jahrhundert und dann in verstärkter Form im 6. Jahrhundert vom Geist des Antichristen erfüllt. Aber was ist mit den Gegenspielern der Päpste, was ist mit den Kaisern? Das römische Kaisertum in Italien sei »untergegangen«, so Krentzheim, bevor es dann an die Deutschen übertragen wurde. Allerdings vertritt Krentzheim eine seltene Variante der translatio-Theorie: Nach seiner Meinung ist das Kaisertum bereits durch die Machtübernahme Theoderichs des Großen im Jahr 487 an die Deutschen übertragen worden.314 Doch Reste der bekannteren Variante, nach der die Translation erst im Jahr 800 vollzogen wurde, zeigen sich dann doch daran, daß Krentz­ heim bei seiner Zählung der Kaiser die byzantinischen Kaiser als römische weiterzählt und ab dem Jahr 800 kommentarlos jeweils zwei Kaiser ansetzt: den deutschen und den »griechischen«.315 Die Machtfülle der Kaiser sei bis zum Jahre 1056 umfassend gewesen. Dieses Jahr aber, in das der Tod Heinrichs III. fällt, und das überdies »das 462. Jahr vor D. Luthers schreiben / das ist siebenmal 66«316 gewesen ist, war der Wendepunkt dieser Entwicklung. Die Päpste, die den innerkirchlichen Primat bereits sehr früh an sich gerissen hätten, fingen nun an auch an, »nach der Keyserlichen Kron vnd Scepter zu greiffen«317. Die Auseinandersetzungen um die Investitur zwischen Heinrich IV. und Gregor VII., aber auch die cluniazensische Reformbewegung werden von Krentzheim in interessanter Weise kommentiert. Seine Quellen sind vor allem die Ursperger Chronik, Nauclerus und Krantz, für Bayern auch Aventin, und   Ebd., II,107r.   Vgl. ebd., II,111v. 313  Ebd., II,177r. 314  Vgl. ebd., II,89r. 315  Vgl. ebd., II,191r. 316  Ebd., II,218v. 317  Ebd., II,218v. 311 312

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

er übernimmt die papstkritische Stoßrichtung dieser Quellen gern, spitzt sie sogar zu: Für die monastische Reform hat er nur Spott übrig. Anders als dies die lutherische Polemik sonst tut, bezweifelt er nicht deren asketische Ernsthaftigkeit; antiklerikale Kritik an faulen und trunkenen Mönchen ist nicht sein Ziel. Vielmehr ist er theologisch der Ansicht, daß die ausgeprägte Werkgerechtigkeit der Reformbewegung falsch und sinnlos ist.318 Allerdings bleibt er nicht ganz konsequent, wenn er die Lebensführung des Franz von Assisi als »heilig« bezeichnet und auch dessen Kanonisierung positiv kommentiert.319 Gregor VII. wird von Krentzheim erstaunlich moderat als »ein gelehrter vnd hefftiger Man« beschrieben.320 Von seinem Regierungsantritt bis zum Jahre 1517 seien 444 Jahre vergangen, fügt er hinzu – und erzielt beim heutigen Leser (auch beim zeitgenössischen?) den Effekt relativen Unverständnisses. Denn das mystifizierende und willkürliche Verfahren, mit dem Krentzheim suggeriert, irgendwelche Zahlen seien nicht etwa zufällig, ist einigermaßen irritierend – vor allem weil man den Eindruck haben muß, daß es letztlich keine Zahlenbeziehung gibt, der er nicht einen tieferen Sinn abgewinnen kann.321 Seine abschließende Bemerkung, die Ausdeutung der Weltgeschichte auf der Basis z.  B. prophetischer und apokalyptischer Zahlensymbole dürfe aber nicht zu Aberglauben führen, wirkt angesichts des Vorhergehenden skurril.322 Der Gegner Gregors, Kaiser Heinrich IV., wird nicht so eindeutig positiv beschrieben, wie man es sonst oft finden kann. Natürlich ist auch er »ein treff-

318  »Vmb diese zeit (i.e. 1032, M.  P.) haben etliche Bischoff in Franckreich newe Heyligkeit fürgeben / den Christen aufferlegt / Sie sollten Busse thun / alle wehr vnd waffen ablegen / vnd sich derselben forthin gentzlich enthalten / Das jenigen so inen genommen / nicht wider fordern / Keine frevel oder todtschlag irgendt auff eine weise rechen / Aller Blutschandt sich enthalten / Alle Freytag zu Wasser vnd Brodt fasten / am Sonabend des Fleisches sich enthalten / vnd dieses fasten für eine genugsame Busse zur vergebung aller ihren Sünden allein halten. Und sich mit einem Cörperlichen Eidt verpflichten / dieses alles steiff vnd fest zuhalten / Wer es nicht eingehen wolt / solt nicht für einen Christen gehalten werden / Man solt jhn auch in todes nöthen nicht besuchen / vnd wenn er stürbe / nicht begraben / Und haben fürgeben / es sey jnen dieses von Himmel herunter geoffenbaret.« (Ebd., II,212r). 319  Vgl. ebd., II,260r, 266r. Die kontroverse lutherische Diskussion um den Heiligen Franziskus beleuchtet: Reblin, Klaus, Freund und Feind. Franziskus von Assisi im Spiegel der protestantischen Theologiegeschichte, Göttingen 1988. 320  Vgl. Krentzheim, Chronologia, II,226r. 321  Aus Anlaß des Todes Kaiser Friedrichs II. heißt es etwa: »Das Keyserthumb ist biß daher bey den Deudschen Fürsten / aus dem Sechsischen geblüt geboren gewesen / 330 Jahr / das ist 7. mahl 47. und ein Jahr.« (Ebd., II,271r). Sicher war biblisch inspirierte Zahlensymbolik der Frühen Neuzeit geläufiger als der Gegenwart – ob aber Krentzheims exzessive Deutungswut allgemeine Anerkennung gefunden hat, mag man schon aus dem Grund bezweifeln, daß er zumindest in der Historiographie damit relativ allein steht. Vgl. als Überblick zum Phänomen auch: Schimmel, A., Art. »Zahlensymbolik I. Religionsgeschichtlich«, in: RGG3 6, Sp. 1861–1864. 322  Vgl. Krentzheim, Chronologia, II,404r.

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licher Keyser gewesen / alles lobs vnd ehren wird«323 ; und doch: Der Canossagang wird ihm von den italienischen Kommunen, aber auch von Krentzheim nicht recht vergeben.324 Die Darstellung des späten Mittelalters folgt über weite Strecken dem bereits bekannten Konfliktszenario zwischen guten, aber schwachen Kaisern und nach weltlicher Macht strebenden Päpsten. Bonifaz VIII. habe sich im Jubeljahr 1300 mit päpstlichen wie kaiserlichen Insignien gezeigt, berichtet Krentzheim, hier Krantz folgend.325 Die päpstliche Verurteilung völliger Besitzlosigkeit kommentiert Krentzheim, diese sei wohlüberlegt geschehen: »denn wo wolt sonst S. Peters Erbe herkommen?« 326 Doch was kann diesem kirchlichen Niedergang entgegengehalten werden – und wird ihm überhaupt etwas entgegengehalten? Bei der Suche nach positiven Entwicklungen in Krentzheims Porträt der mittelalterlichen Kirche stößt man zunächst auf die Tatsache, daß er durchaus auch die Chroniken der Gegenseite zur Kenntnis nimmt. So lehnt sich Krentzheim bisweilen an die Papstgeschichte Onofrio Panvinios an und urteilt mit diesem über Julius II., er sei ein »tapferer kriegßmann« gewesen.327 Auch über päpstliche Privilegierungen deutscher Universitäten wird zustimmend berichtet.328 Augenscheinlich kommt es Krentz­ heim nicht in den Sinn, alles, was jemals von den Päpsten getan worden ist, falsch, sündig oder verbrecherisch zu finden. Dies schließt nicht aus, daß er das Papsttum dennoch generell für antichristlich hält, wenn auch die Teile zum späten Mittelalter erstaunlich wenig mit apokalyptischen Topoi arbeiten. Krentz­ heims Perspektive ist hier auffallend sachlich und – möglicherweise durch seine humanistischen Vorlagen angeleitet – eher national als kirchlich.329 Gegen Ende wird Krentzheims Bericht immer kleinteiliger, regionalgeschichtlicher, detaillierter; er läßt sich weniger klar als protestantischer Selbstbeschreibungsdiskurs lesen. Doch welche Elemente der mittelalterlichen Kirchengeschichte hält Krentzheim über die Papstgeschichte hinaus für wissenswert? Einige hervorragende christliche Persönlichkeiten werden positiv charakterisiert. Catharina von Siena etwa erscheint als »heilige vnd andechtige Jungfraw«330. Savonarola und Hus werden erwähnt, aber ihre Gegner nicht in toto verdammt: Gerson etwa sei »sonst ein trefflicher Man«, wenn er auch »gewilliget in die verdammung Johann Hussen / vnd die verstümmelung des H. Sakra-

  Ebd., II,235v.   Vgl. ebd., II,227 v-228r. 325  Vgl. ebd., II,285v. 326  Vgl. ebd., II,292v. 327  Ebd., II,353r. 328  Vgl. z.  B. ebd., II,311v. 329  Dazu tritt eine Vielzahl von Informationen zur polnischen Geschichte, die wohl aus der geographischen Nähe resultieren, aber auch Berichte über wundersame Ereignisse sowie relativ viel antijüdische Polemik. 330  Krentzheim, Chronologia, II,308r. 323 324

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

ments gebilliget«; auch Enea Silvio und Nikolaus von Kues werden als »treffliche Männer« bezeichnet.331 Die Reformation als Reinigung der Lehre wird nicht zu gleichen Teilen, aber doch einigermaßen ausgewogen Luther und Melanchthon zugeschrieben. Die beiden Reformatoren werden ebenfalls in eine zahlensymbolische Deutung eingespannt: Melanchthon sei 14 Jahre nach Luther nach Wittenberg gekommen, habe dort 28 Jahre neben Luther gelehrt und 14 Jahre nach dessen Tod. Beide seien 42 Jahre in Wittenberg gewesen, beide 63 Jahre alt geworden. Daß alle diese Zahlen durch sieben teilbar seien, sei »nicht ohne besondere Gottes ordnung also geschehen« 332 . Daß der Melanchthonianer Krentzheim bereits im Jahr 1577 den Begriff »lutherisch« positiv konnotiert, sei am Rande noch genauso erwähnt wie die Tatsache, daß er nicht versucht, die innerlutherischen Streitgkeiten herunterzuspielen oder gar zu übergehen.333 Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß Krentzheims chronologisch-chronikalische Universalgeschichte, anstatt von tradierten Periodisierungsschemata wie der Danielprophetie oder dem domus Eliae auszugehen wie Melanchthon, in sehr hohem Maße zahlensymbolische Symmetrien anwendet, um den Eindruck gottgegebener Sinnhaftigkeit zu erzeugen. In einem wenige Jahre nach der Chronologia erschienen Werk, den »Coniecturae« von 1583, setzt Krentzheim dieses Verfahren fort. Systematisch vergleicht er die Zeit des Alten mit der des Neuen Bundes und kommt mittels einem typologischen Verfahren zu der Überzeugung, daß Christus mit 34 Jahren die Händler aus dem Tempel vertrieben habe; im selben Alter aber sei Luther gegen Tetzel vorgegangen, und Melanchthon habe die Confessio Augustana verfaßt. Diese typologische Überblendung Christi mit Luther und Melanchthon soll nun nicht die Reformatoren zu Messiasgestalten stilisieren, ergibt aber den Eindruck intensiver Sakralisierung der Reformationszeit. Der Bezugspunkt dieser Sakralisierung ist die Bibel, nicht die Geschichte. Daher wird auch die Bedeutung der Tausend Jahre aus Off b 20 diskutiert. Ist das tausendjährige Reich vorüber – und wenn ja, wann ging es zuende? Zitiert Krentzheim in der Chronologia noch zustimmend die Auffas331  Ebd., II,318r; 323v; 350v. In seinen ›Coniecturae‹, die Krentzheim zusammen mit der ›Coniectura de ultimus diebus‹ des Nikolaus von Kues herausbrachte, heißt es, dieser sei »ein / nicht allein Gelehrter /sondern auch Gottseliger / vnd in der H. Schrifft erfahrner Mann [. . .] gewesen: Wolte Gott dergleichen weren noch heute auch zu finden« (Krentzheim, Leonhart, Coniecturae. Christliche vermuttungen / von künfftiger Zeit / Zustandt / in Kirchen vnd Regimenten . . ., Görlitz 1583, P iij v). Insgesamt gab es einen breiten Konsens über die Gelehrtheit des Cusaners, der im reformatorischen Lager auch als – wenn auch schließlich abtrünniger – Konziliarist geschätzt wurde; siehe dazu: MeierOeser, stefan, Die Präsenz des Vergessenen. Zur Rezeption der Philosophie des Nicolaus Cusanus vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, Münster 1989, 91  f.; zu der Krentzheimschen Edition der Coniectura siehe ebd. 402  f. 332  Krentzheim, Chronologia, II,392r. 333  Ebd., II,386r, 39v.

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sung Jan Hus’, daß die 1000 Jahre 1150 vorüber gewesen seien, so hat er seine Meinung inzwischen geändert. Er verlegt den Beginn des tausendjährigen Reiches nun ans Ende des sechsten Jahrhunderts. Dies bedeutet einerseits: Das tausendjährige Reich, das er mit Augustin und Luther als Zeit relativer Ruhe für die Gläubigen deutet, beginnt in eben dem Moment, als das Papsttum seinen Primat durchsetzen kann. »So man nun den Anfang dieser Zahl der 1000 Jahre / helt gegen die Historien / so befinden wir / das der Sathanas vmb diese Jahr nach Christi Geburt / 588. 591. 607. 622 angefangen habe / mit krefftigem Irrthumb«.334

Rechnet man von diesen Daten aus 1000 Jahre dazu, erhält man den Zeitpunkt, an dem der Satan noch einmal für eine kurze Frist losgelassen wird. Krentzheim muß, ohne daß er dies so deutlich sagen würde, also annehmen, daß die wahre Tyrannei des Satans und seines päpstlichen Antichristen noch bevorsteht und sich in derselben Weise von der Gegenwart unterscheiden wird, wie ein tausendjähriges Friedensreich vom Wüten des Satans abweicht.335 Ähnliche chronologische Einschätzungen führten im Calvinismus um 1600 dazu, die traditionelle Vorstellung aufzugeben, daß das Millenium in der Vergangenheit liege. Während Lutheraner, aber auch gemäßigte Reformierte bei der Meinung blieben, das tausendjährige Reich liege in der Vergangenheit und die spätmittelalterlichen Verfolgungen von Wyclif und Hus seien Anzeichen für das Ende des Milleniums, dem nur noch das Weltende folgen könne336 , wurde in reformierten Apokalypsenkommentaren des frühen 17. Jahrhunderts, gestützt auf eine immer detailliertere Erforschung der mittelalterlichen Kirchengeschichte, die Überzeugung formuliert, das Millenium des Friedens liege in der Zukunft 337. Diese Konsequenz zieht Krentzheim nicht: Er stellt statt dessen die Vorstellungen nebeneinander, daß das Mittelalter sowohl die hohe Zeit des Antichristen als auch die tausendjährige Periode relativer Stabilität gewesen sei. Der Kryptocalvinist Krentzheim mag als dezidierter Apokalyptiker, der die auch bei Melanchthon gängigen Topoi doch deutlich dramatisiert, eine Ausnahmeerscheinung innerhalb des Philippismus sein 338 , und Krentzheims wie auch Funcks Zahlenspielereien mögen nicht dem Mainstream lutherischer Ge  Krentzheim, Coniecturae, K ij v.   Auf die Nähe dieser Positionen zu der Luthers weist hin: Leppin, Antichrist, 70. 336  Vgl. Collinson, Patrick, The Birthpangs of Protestant England. Religious and Cultural Change in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, Houndsmills, London 1988, 13. 337  Vgl. Hotson, Historiographical Origins; zum Chiliasmus einiger reformierter Apokalypsenkommentare vgl. auch: Backus, Irena, Apocalypse 20,2–4 et le millenium protestant, in: Revue d’histoire et de philosophie religieuses 79 (1999), 101–117. 338  Vgl. Leppin, Antichrist, 48, Anm. 16; damit ist Krentzheim zumindest ein schlagender Beleg gegen Moltmanns These von den ›humanistischen‹ Philippisten und den ›apokalyptischen‹ Gnesiolutheranern; vgl. so: Moltmann, Jürgen, Christoph Pezel (1539– 1604) und der Calvinismus in Bremen, Bremen 1958, 11 u. 75. 334

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schichtsdeutung entsprechen: Aufschlußreich ist aber doch, daß neben dem eingekerkerten Philippisten Peucer auch der vertriebene Kryptocalvinist Krentzheim und der enthauptete Osiandrist Funck Geschichtswerke verfaßten, die innerhalb des Luthertums breit rezipiert wurden. Ihre theologischen Positionen mögen marginalisiert worden sein, aber ihre Geschichtskonzeptionen waren offenbar orthodoxiekompatibel. Lutherische Kohäsion, so könnte man schließen, entstand möglicherweise mehr durch geteilte Grundannahmen z.  B. geschichtstheologischer Art als durch genuin theologische Positionen. Diese wären dann Streitpunkte, die erst auf der Basis breit geteilter religiös-historischer Auffassungen hervortreten konnten. Allerdings ist gerade bei Darstellungen der vorreformatorischen Geschichte zu beobachten, daß oft nicht allein lutherische, sondern gemeinprotestantische Kohäsion hergestellt wurde; je mehr der Blick von der Deutung der Reformation auf diejenige der vorreformatorischen Geschichte gelenkt wurde, umso mehr trat die »residual awareness of a common protestant identity« hervor.339

6.  Die Auseinandersetzung mit Sebastian Francks »Geschichtsbibel« a)  Franck als Historiker Die universalhistorische Darstellung, so sehr sie sich zur protestantischen Domäne entwickelte, bediente sich in den seltensten Fällen offener religiöser Po­lemik. Sie war zwar häufig als diffus protestantisch erkennbar, etwa, weil die mittelalterliche Auseinandersetzung zwischen Kaisern und Päpsten immer zuungunsten der Päpste bewertet wurde. Nur war dies, wie der Blick in vorreformatorische Chroniken lehrt, nicht unbedingt ein Spezifikum der protestantischen Historiographie, sondern es wurden Traditionsstränge der spätmittelalterlichen Romund Italienkritik fortgeführt. Nationale, kirchenreformerische und humanistische Anliegen konvergierten in dieser radikalen Papstkritik. Der Durchgang durch einige lutherische Universalchroniken hat gezeigt, daß eine vollständige Überformung profan- und kirchengeschichtlichen Wissens durch theologische Kategorien nicht stattfand; viel eher ist eine gewisse lutherische Tendenz dahingehend zu erkennen, daß die Universalgeschichte sukzessive in relativ klar abgrenzbare Bereiche von kirchlicher und politischer Geschichte zerfällt, wobei der Kirchengeschichtsteil meist mit Motiven aus der Offenbarung unterlegt ist, während der politische Teil dem Vierreicheschema Daniels folgt. Dies ist deshalb eine spezifisch lutherische Tendenz, weil damit die Vorstellung von zwei Reichen – von Kirche und Welt, Heils- und Erhaltungsordnung – als Deutungsschema über die Gesamtheit der Geschichte gelegt wird.   Cameron, One Reformation, 111.

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6.  Die Auseinandersetzung mit Sebastian Francks »Geschichtsbibel«

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Sehr viel weniger zu beobachten ist dagegen, wie bereits bemerkt, eine direkte konfessionelle Instrumentalisierung der Universalgeschichte. Gerade im Vergleich mit der lutherischen Kirchengeschichtsschreibung fällt auf, wie wenig legitimatorisch oder polemisch die Universalgeschichte sich gibt. Auch findet man selten Kritik an früheren Geschichtsdarstellungen. Die auf Autoritäten basierende Universalgeschichte sammelt und sondert aus, tut dies aber stillschweigend. Umso mehr springt es ins Auge, wenn tatsächlich einmal gegen eine frühere Universalgeschichte angeschrieben wird. Die große und provozierende Universalgeschichte, mit der sich die lutherische Historiographie messen und auseinandersetzen konnte, stammte aber nicht etwa von einem Katholiken, sondern von einem Abweichler innerhalb des reformatorischen Lagers: von Sebastian Franck. Dieser hatte 1531 seine »Geschichtsbibel« veröffentlicht.340 Provozierend war dieses Werk, dessen Auf bau und Inhalt sich vor allem an der Bibel und Hartmann Schedels Weltchronik orientierte341 vor allem wegen zweier Passagen, die bald für Aufruhr innerhalb und außerhalb der historisch interessierten Leserschaft sorgten. Zum einen war dies die adelskritische ›Vorred vom Adler‹, die noch am Ende des Jahrhunderts die Kontroverse Frischlin vs. Spangenberg befeuerte342 , zum anderen die »Chronica der Römischen Ketzer«. Dieses dritte Buch des dritten Teils der Geschichtsbibel traf deshalb auf so großen Widerstand in sämtlichen religiösen Lagern, weil Franck die Apostrophierung als Ketzer geradezu zum Ehrentitel gegenüber einer von äußerlicher Religiösität durchdrungenen römischen Kirche, aber auch gegenüber der Reformation erhob. Die Ansicht, angesichts der Machtverfallenheit jeder institutionalisierten Kirche343 sei ›Ketzer‹ ein positiv zu wen340  Vgl. Franck, Sebastian, Chronica. Zeitbuoch vnd Geschichtbibell, Ulm 1536 (ND Darmstadt 1969, EA 1531). Als Übersicht zu Auf bau und Inhalt der Geschichtsbibel vgl. Verheus, S.L., Zeugnis und Gericht. Kirchengeschichtliche Betrachtungen bei Sebastian Franck und Matthias Flacius, Nieuwkoop 1971, 8–24. 341  Vgl. Verheus, Zeugnis und Gericht, 10. 342  Vgl. Séguenny, André, Art. »Franck, Sebastian«, in: TRE 11, 307–312. Vgl. auch: Kühlmann, Wilhelm, Akademischer Humanismus und revolutionäres Erbe. Nicodemus Frischlins »De vita rustica« (1578), in: Nicodemus Frischlin (1547–1590). Poetische und prosaische Praxis unter den Bedingungen des konfessionellen Zeitalters, hg. v. Sabine Holtz/Dieter Mertens, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999, 423–444. 343  Vgl. zu Francks spirituellem Verständnis der wahren Kirche: Weigelt, Horst, Sebastian Franck und die lutherische Reformation, Gütersloh 1972 (SVRG 186). Zum Spiritualismus als Auseinandertreten von Wort und »Geist« der Bibel und zur Haltung der lutherischen Orthodoxie dazu vgl. auch: Kaufmann, Nahe Fremde, v.  a. 182–188. Siehe zum Gesamtproblem: Rohls, Jan, Schrift, Wort und Sache in der frühen protestantischen Theologie, in: Res et verba in der Renaissance, hg. v. Eckhard Keßler/Ian Maclean, Wiesbaden 2002, 241–272. Am Anfang einer antiinstitutionellen Kirchenkritik, für die Gottfried Arnold das prominenteste Beispiel ist, sieht Franck: Kantzenbach, Friedrich Wilhelm, Kritische Kirchengeschichtsschreibung. Zur Begründung von Kirchenkritik im protestantischen Geschichtsbewußtsein der Neuzeit, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 30 (1978), 19–35.

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

dender Begriff, hielt Franck jedoch nicht davon ab, im einzelnen scharfe Kritik an Zeitgenossen wie auch früheren Personen zu üben. Bekannt ist seine Angriff auf den ›papiernen Papst‹ der Lutheraner, nämlich seine Auffassung, die Bibel werde im Luthertum ›vergottet‹, insofern ihr eine privilegierte Stellung als einmaliger Offenbarung Gottes zugeschrieben werde.344 Die Offenbarung Gottes, so Franck, könne aber immer und überall geschehen; deshalb müsse auch die Geschichte als Offenbarung, eben als Geschichtsbibel, gesehen werden. Die Geschichte sei als Kampf des Guten gegen das Böse zu verstehen, allerdings sei das Böse geschickt darin, sich zu verbergen. Daraus folgt für Franck, daß die Geschichte zwar eine ›Bibel‹ sei, aber genau wie diese schwierig zu interpretieren und nicht auf ihren äußeren Schein zu reduzieren. Durch diese Grundskepsis bei der Bewertung historischer Phänomene345 zog Franck Luthers Kritik auf sich, der über dessen neutralen ›Historismus‹ scharf urteilte, aus Francks Büchern werde man nicht schlau über dessen Meinungen.346 Auch Melanchthon formulierte, Franck habe »vil on warheit« geschrieben.347 Wenn auch bisweilen lutherische Geschichtsschreiber sich in ihren Werken auf Franck stützten und ihn in ihrem Literaturverzeichnis angaben, so bezogen sie sich doch höchst selten explizit auf ihn oder übernahmen gar seine Urteile. Dazu scheint die Ausgrenzung Francks aus dem reformatorischen Lager zu umfassend gewirkt zu haben. Die theologische Marginalisierung Francks scheint aber, sieht man auf die Auflagen seines Werks, aber auch auf Studien zum Buchbesitz in ›lutherischen‹ Gebieten, nicht auf den Erfolg seiner Chronik durchgeschlagen zu haben; ganz im Gegenteil war wohl Francks Geschichtsbibel lange der einzige ernstzunehmende Konkurrent von Melanchthons und Sleidans Büchern.348 Mindestens zwei Universalchroniken setzen sich denn auch explizit mit Franck auseinander, an denen sich der Umgang mit Vorlagen und die Abgrenzung von ihnen ablesen läßt: Dies ist einmal Michael Beuthers, zum anderen Nicolaus Hönigers Chronik.

  Vgl. Franck, Chronica, lxxxiiij r; vgl. Séguenny, Art. »Franck, Sebastian«, 311.   Vgl. Séguenny, Art. »Franck, Sebastian«, 310; zur Geschichtsauffassung Francks zuletzt im Überblick: Dejung, Christoph, Geschichte lehrt Gelassenheit. Über den Historiker Sebastian Franck, in: Beiträge zum 500. Geburtstag von Sebastian Franck (1499– 1542), hg. v. Siegfried Wollgast, Berlin 1999, 89–126. 346  Vgl. Kaegi, Chronica mundi, 52, der den Begriff »Historismus« benutzt. Vgl. auch den entsprechenden Luthertext über die »Arschhummel« Franck: WA 54,172  f.: »Denn aus seiner Büchern wirstu nicht wol lernen, was ein Christ gleuben oder ein from Man thun sol, er kan vnd wils auch nicht leren. Ja, das viel mehr ist, du wirst aus seinen Buchern nicht wissen, was er doch selbs gleubet oder fur ein Man sey. Alles tadelt er, Aber nichts saget er dagegen oder disputirte doch, was man glauben oder halten sollte.« 347  CR 3,884. 348  Vgl. Alschner, Christian, Geschichtsbücher in Dresdener Bürgerbibliotheken des 15./16. Jahrhunderts, in: Studien zur Buch- und Bibliotheksgeschichte. FS Hans Lülfing, Berlin (-Ost) 1976, 121–127. 344 345

6.  Die Auseinandersetzung mit Sebastian Francks »Geschichtsbibel«

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b)  Der traditionalistische Angriff Michael Beuthers Der bekannte Historiker Beuther (1522–1587), ein Schüler Melanchthons, war ab 1544 Professor für Geschichte in Greifswald und stand von 1548–1559 im Dienste des Würzburger Bischofs Zobel.349 Die von diesem demonstrierte liberale Umgangsweise mit dem Repräsentanten »melanchthonischen Vermittlungsgeistes«350 wurde nach Zobels Tod nicht fortgesetzt. Beuther ging daher nach Italien, wurde Doktor beider Rechte und trat nach einem pfälzischen Zwischenspiel als Kirchenrat Kurfürst Ottheinrichs schließlich die erste Straßburger Geschichtsprofessur an.351 Neben seiner Übersetzung der Commentarii Sleidans verfaßte er eine Reihe eigener historiographischer Werke; er wird in Kap. B.VI.2.b als Verfasser eines universalhistorischen Kalenders noch einmal begegnen. Konnte Beuther im Vorwort seiner Chronik noch über den Mangel an Büchern klagen, die die gesamte Weltgeschichte darstellten 352 , so änderte sich dies in der Folge rasch, und zwar zu Beuthers schriftstellerischem und wohl auch finanziellem Nachteil. Seine Weltchronik erschien 1566 und wurde nach dem Erstdruck nicht mehr aufgelegt; man darf vermuten, daß sie durch den großen Erfolg des Chronicon Carionis vom Markt verdrängt wurde. Beuthers Chronik gehört in den Kontext der Universalgeschichte, obwohl er schon im Titel deutlich macht, daß er sich ausschließlich um die Ereignisse in den Weltreichen, nicht aber um Kirchengeschichte kümmert; der Humanist Beuther orientiert sich stark an der vorreformatorischen und vorkonfessionellen Konzentration der Universalgeschichte auf die politische Ereignisgeschichte, die am Beispiel der anonymen Chronik von 1531 oben (vgl. Kap. B.IV.1) skizziert wurde. Beuther macht gleich zu Beginn seiner Vorrede deutlich, in welcher Frontstellung er sich befindet. Er benennt die Vorbehalte, die Luther, Melanchthon, aber auch der aller religiösen Polemik abgeneigte Beatus Rhenanus gegen Se349  Vgl. Jung, Otto, Dr. Michael Beuther aus Karlstadt. Ein Geschichtschreiber des XVI. Jahrhunderts (1522–1587), Würzburg 1957; Wiegand, Hermann, Art. »Beuther, Michael«, in: Literaturlexikon 1, 487. 350  Jung, Beuther, 44. 351  Zu seiner Straßburger Tätigkeit vgl. Schindling, Anton, Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538–1621, Wiesbaden 1977, 271–275. 352  Vgl. Beuther, Michael, Chronica, das ist Eyn Aüßerlesen zeitbuch Darin allerley namhaffte vnd märckliche Händel / so sich von Erschaffung der Welte an / bei den ersten Altvättern / vnd fürnembsten Monarchien oder höhesten Haubt Regimenten / vnter Jüden vnd Heyden / auch volgends / in wärender Monarchie des Römischen Keyserthumbs / zwischen Christen / Heyden vnd Türcken / verlauffen vnd zugetragen. Auß etlichen / zum theyle vor langer / zum theyle in newlicher zeite / durch Conraden von Liechtenau / Probsten zu Vrsperg / Johannsen von Trittenheym / Abbaten zu Spanheym / vnd Michael Beuthern von Carlstatt / der Rechten Doctorn beschribenen / vnd in Teutscher Sprache außgegangenen Chronicken / zusammen geordnet . . ., Straßburg 1566, )( ij r-v.

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

bastian Franck formuliert haben, und warnt ausdrücklich vor dessen Geschichtsbibel. Besonders ins Auge fällt Beuthers Hinweis, daß Francks Chronik den »gemeinen Mann« zu verderben drohe. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil Francks Buch zwar in deutscher Sprache erschien und so auch Adressaten außerhalb des gelehrten Milieus ansprach, aber trotzdem die Furcht, der gemeine Mann könne durch Francks religiöse und historiographische Auffassungen Schaden nehmen, ziemlich übertrieben sein dürfte. Volkstümlichere Gattungen wie die historischen Kalender (siehe Kap. B.VI.) waren hier vermutlich weit durchschlagender. »Es hat mich aber nit wenig darzu gereytzt vnd bewegt / daß ich nunmehr in langer zeite bißher / vilfältig erfahren vnd gesehen / wie der gemeyn Mann hin vnd wider / mit eyner jrrigen vngeschickten / vnd bei rechter Historischer ordnunge / keynes weges beständiger Chronica / welche ungefährlich vor treissig jaren / Sebastian Franck von Wörd / verworrener vnerwägener weise in eynander gewickelt / vnd inn Truck gegeben / gar gröblich verleytet / vnd in mannicherley irrthumme geführt wird.« 353

Francks historische Berichte seien teilweise zutreffend, teilweise aber auch falsch; was Beuther aber vor allem an Franck stört, ist die Adelskritik und die damit einhergehende Tendenz zur Relativierung der Gehorsamspflicht gegen Obrigkeiten: »Dann er in jetzgemeldeter vermeynter Chronica / neben vilen zum theyle recht / vnnd zum theyle falsch erzelten Geschichten / seine mannigen hohen Weltlichen Stand vnd Person betreffende vnbilliche schmäliche verleumdunge / vnd schimpfliche leichtfärtige Sprichwörter mit angehenckt / der blinden Widertäuffer vnd anderer Roten geyster Gottlosen wahn / zu verkleynerung des Ambtes der Oberkeyt / vnd sonst etlichen«354.

Es sind also in erster Linie politische Motive, die Beuther zur Kritik an Franck bewegen. Doch auch historiographische Unwahrheiten kritisiert er, ohne dies näher auszuführen.355 Was setzt Beuther nun Francks Chronik entgegen? Vergleicht man den groben Auf bau von Francks und Beuthers Chronik, so fällt auf, daß Francks Interesse darauf abzielt, profangeschichtliches und kirchengeschichtliches Wissen zu präsentieren. Beuther interessiert sich v.  a. für die von der Danielprophetie vorgegebenen politischen Gemeinwesen. Franck beachtet dieses Gliederungsprinzip kaum; er gliedert seine Chronik in einen er­ sten Teil, der Religiöses wie Weltliches aus der Zeit zwischen der Schöpfung und Christus notiert, einen zweiten Teil, der vor allem profane Historien, behandelt, und einen dritten, kirchengeschichtlichen Teil, in dem Päpste, Konzilien, Ketzer, Mönchsorden, Heilige, schließlich auch die Frage nach dem Weltende behandelt werden. Beuther setzt gegen diese systematische und differenzierte Stoff behandlung ein ganz konservatives Modell: Er orientiert sich   Ebd., )( ij v.   Ebd., )( ij v. 355  Vgl. ebd., )( ij v. 353 354

6.  Die Auseinandersetzung mit Sebastian Francks »Geschichtsbibel«

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schlicht am Danielschema und greift für weite Teile seiner Chronik auf mittelalterliche Vorlagen zurück. Das heißt: Große Teile seiner Chronik sind nicht von ihm verfaßt, sondern bestehen aus bestenfalls leicht überarbeiteten Übersetzungen älterer Chroniken. Dies dürfte einerseits der Arbeitsersparnis gedient haben, zeigt aber andererseits auch schlagend, daß Beuther eine völlige Neuschreibung der Universalgeschichte, gar eine Neukonzipierung aller Geschichte unter dem Eindruck der Reformation, für unnötig hält. Er findet offenbar gerade deshalb die Ursperger Chronik und Trithemius nützlich, weil sie noch vor der Reformation geschrieben worden sind. Beuthers Chronik ist folgendermaßen aufgebaut: Der erste Teil, der die Zeit von der Schöpfung bis zur Assyrermonarchie behandelt, ist von Beuther selbst geschrieben. Die Teile zwei und drei stammen aus der oben schon genannten Chronik des Burchard von Ursperg, und zwar in der Übersetzung und Fortsetzung des Straßburger Reformators Kaspar Hedio. Der vierte Teil ist weitgehend eine Übernahme aus Trithemius’ Hirsauer Annalen – einer Klostergeschichte mit sehr weiter Perspektive auch auf die Reichsgeschichte356 –, während der fünfte Teil, der die Zeit ab Karl V. behandelt, wiederum von Beuther selbst stammt. Der von Beuther selbst verfaßte erste Teil fällt insofern aus dem Rahmen, als er sich an Melanchthons kirchengeschichtlicher Periodisierung, dem domus Eliae, orientiert, überhaupt religiöse Ereignisse für am berichtenswertesten hält und in der Konsequenz des ersten Brudermords zwei Kirchen gegeneinanderstellt, die Kirche Kains und die Abels nämlich 357, die aber in der Folge nicht mehr auftauchen. Der Rest der Chronik ist sehr stark auf politische Ereignisse fokussiert. Der mittelalterliche Konflikt zwischen Kaiser und Papst wird ausschließlich als politischer Machtkampf gedeutet, während die päpstliche Unterjochung der Kirche und die Ausbildung einer falschen Lehre Beuther nicht interessieren. Überhaupt leisten Beuther und seine Vorlagen wenig Interpretation. Im wesentlichen bietet die Chronik unendlich viele Einzelinformationen zu großen und kleinen Herrschern, zu Kriegszügen und Ritterfehden. Da Beuther kein Register anhängt, muß man schon fragen, wie diese Chronik überhaupt hat benutzt werden können. Eine wie auch immer geartete religiöse Einfärbung der Geschichte findet nicht statt. Über das Konstanzer Konzil wird berichtet, wie groß und teuer es war und wie die Absetzung der verfeindeten Päpste vor sich ging.358 Kein einziges Wort findet sich zu theologischen Problemen, kein Wort auch zu Hus. Auch der Eintrag zum Basler Konzil ist außerordentlich knapp. Dieses habe mehr als 18 Jahre gedauert: »Der anfang was hüpsch vnd herrlich / aber das end   Vgl. Joachimsen, Geschichtsauffassung, 55.   Vgl. Beuther, Chronica, aa v. 358  Vgl. ebd., dcxviij. 356 357

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

schwach vnd zerstöret.« 359 Daß bestimmte Herrscher als besonders fromm hervorgehoben werden, ist schon das stärkste Indiz einer religiösen Einfärbung der Chronik. Wieder einmal zeigt sich, daß Geschichtsschreibung, und zumal Universalgeschichte, nicht in der Erzeugung konfessioneller Geschichtsbilder aufgeht, ja daß diese gerade in der Universalgeschichte oft nicht zu finden sind. Besonders deutlich ist dies an Beuthers kurzer Notiz zur Erfindung des Buchdrucks abzulesen. Während dieser sonst in der lutherischen Geschichtsschreibung manchmal als eine die Reformation vorbereitende Gottesgabe gedeutet wird 360 , bringt der Humanist Beuther den Buchdruck eher mit einer nationalen   Vgl. ebd., dcxxiij.   Allerdings enttäuscht die Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts hier – wie auch in bezug auf die Kausalverbindung von Humanismus und Reformation, siehe Kap. B.II.5 – einmal mehr die Erwartungen des heutigen Lesers. Während Luther im Buchdruck ein Gottesgeschenk sah (vgl. Flachmann, Martin Luther, 192), ist seine Erwähnung in der Geschichtsschreibung auffällig selten. Immerhin ist in einer vom Drucker selbst verfaßten Chronikvorrede zu lesen, der Druck sei eine Wohltat Gottes in »dieser letzten bösen Welt«, die es ermögliche, Bücher billig zu drucken, »die vorhin in dem Bapstthumb / da man sie alle schreiben muste / thewr vnd seltzam waren: Vnd hette man diese Kunst für tausend vnd mehr Jahren gehabt vnd gewust / würden dadurch noch viel mehr köstlicher Bücher / so gar vmbkommen / erhalten worden seyn« (Richter, Martin, Chronicon oder Geschichtbuch: Das ist: Beschreibung aller Bischöff / Ertzbischoffer / Patriarchen / vnd Bäpsten der Römischen Kirchen: Item / aller Keyser zu Rom / Constantinopel vnd in Teutschlandt [. . .] Nach Christi Geburt an biß auff das Jahr 1556 . . ., Frankfurt a.  M. 1598, a ij v). Daß der Buchdruck außerhalb der ihn einigermaßen ignorierenden Historio­ graphie durchaus als Gottesgabe gesehen wurde, zeigt das folgende Zitat von Matthäus Judex: »Inter alia autem dona et ornamenta, quae Deus generi humano dedit, haud infimum locum tenent artificium scribendi, quod sane antiquum est et primis patribus tribuitur, et artificium typographicum, seculo superiori ab homine Germano non sine Dei consilio et munere est inventum.« ( Judex, Matthäus, De typographiae inventione libellus, Kopenhagen 1566, 4; hier zitiert nach: Neddermeyer, Von der Handschrift zum gedruckten Buch, Bd. 1, 536.) Ganz auf die Nützlichkeit des Buchdrucks für die Reformation, aber nicht auf eine heilsgeschichtliche Verknüpfung beider Phänomene zielt ab: Hornschuch, Hieronymus, Orthotypographia, hoc est: Instructio, operas typographicas correcturis; et admonito, scripta sua in lucem edituris vtilis et necessaria, Leipzig 1608, nach dem ND lateinisch/deutsch, hg. v. Martin Boghardt/Frans A. Janssen/Walter Wilkes, Darmstadt o.J. Erst in dem Traktat von Daniel Cramer, das an die Übersetzung des Werkes von 1634 angehängt ist, wird der Zusammenhang von Buchdruck und Reformation eindeutiger theologisiert. Der Buchdruck sei zwar einerseits eine Erfindung Gutenbergs und damit der Deutschen – der nationale Impetus beherrscht den Traktat ziemlich –, andererseits auch ein »Werck des Heiligen Geistes« (60): »Insonderlich halt ich dafür / daß diß Werck der Druckerei ein sonderlicher Vrsprung vnnd Wegbereitung gewesen sey / der nicht lang hernach drauff folgenden Erleuterung (!) des heiligen Evangelii / wider die Finsternis des Papstthumbs / gleicher gestalt in Teutschland / durch Gottes verleihung erstlich in diesen letzten Zeitten auffgegangen.« (73). Eine gnesiolutherische Abhandlung zum Buchdruck von 1569 sieht diesen dagegen als Gefahr an, weil die ökonomischen Interessen der Drucker ihre religiöse Pflicht zur Seite gedrängt hätten. Vgl. Coelestin, Johann Friedrich, Von Buchhändlern, Buchdruckern und Buchführern, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 13 (1973), Sp. 1587–1624. Giesecke geht davon aus, daß die heilsgeschichtliche Verknüpfung von Buchdruck und Reformation die protestantische 359 360

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Besonderheit in Verbindung: Weil die Deutschen sich durch die besondere Fähigkeit im Umgang mit Erzen und Metallen auszeichneten, hätten sie den Buchdruck und, so fügt Beuther gänzlich unironisch hinzu, auch die »Büchse«, das Gewehr also, erfinden können.361 Vor dem Hintergrund dieser spärlichen Behandlung religiöser Themen und einer Konzentration auf das Politische erscheinen die wenigen Stellen, an denen über die Kritik an Roms Machtpolitik hinausgegangen wird, einigermaßen unvermittelt. An diesen Passagen ist zu sehen, daß Beuthers Werk – in all seiner konservativen Schematisierung und Kompilatorik – tatsächlich ein Kontrastbuch zu Francks Chronik darstellt. Während Franck explizit eine übergreifende geistesgeschichtliche Deutung der Welt- und Kirchengeschichte anstrebt, stückelt Beuther zusammen. Mit der Darstellung des Spätmittelalters scheint sein Interesse für religiöse Probleme zu erwachen. Nikolaus von Kues wird, allerdings auch eher national als inhaltlich begründet, positiv gewürdigt; er sei als deutscher Kardinal eine Seltenheit, »ein weisser rapp«.362 Völlig aus dem Rahmen fällt Beuthers Laudatio auf Geiler von Kaysersberg und Tauler, dem einigermaßen unvermittelt über eine Seite theologischer Rekapitulation gewidmet ist, was in Beuthers Werk singulär ist.363 Ebenso unvermittelt kommt Beuthers Darstellung der kirchlichen Zustände um 1500; inhaltlich vorbereitet werden sie nicht, weil Beuther und seine Gewährsleute sich für kirchliche Belange bislang so wenig interessiert haben. Um 1500 jedenfalls seien die studia humanitatis nach Deutschland gekommen: »Vm dise jar seind die guoten vnd freien künst / auch die sprachen / Lateinisch / Griechisch / vnd Hebraisch / auß Italia durch die schädlichen krieg außgetrieben worden / vnnd seind über die Alpenberg in Teutschland / Franckreich / Engelland / Schottenland / außgespreyt worden. Die Teutschen haben fürnemlich jnen die stett auffgethan / vnd sye zuo burgern aufgenommen. Welche / wie sye etwan ongelert / also seind sie yetzung in leer / künsten vnd sprachen fürtrefflich.« 364

Der Melanchthonianer Beuther vertritt hier die Theorie der translatio artium365 , stellt aber keine Verbindung zwischen Humanismus und Reformation her, sondern läßt beide unverbunden nebeneinander stehen. Die Anfänge der ReformaAuffassung zu diesem Problem sei. Das mag so sein, schlägt sich aber in der Geschichtsschreibung so gut wie gar nicht nieder. Vgl. Giesecke, Buchdruck, 728, Anm. 168. Einige weitere Beispiele bei: Widmann, Hans, Divino quodam numine . . . Der Buchdruck als Gottesgeschenk, in: Wort Gottes in der Zeit. FS Hermann Schelkle, hg. v. Helmut Feld/ Josef Nolte, Düsseldorf 1973, 257–273, hier 264–266. 361  Vgl. Beuther, Chronica, dcxxxiij; die Kombination von Buchdruck und Feuerwaffen als deutschen Erfindungen stammt von Wimpfeling. Vgl. Joachimsen, Geschichtsauffassung, 67. 362  Beuther, Chronica, dcxxxvij. 363  Ebd., dclviijf. 364  Ebd., dclxxxiijf. 365  Vgl. Worstbrock, Translatio artium.

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tion überspringt Beuther als unerheblich, er schildert jedoch kurz die Vorgänge in Worms 1521. In diesem Zusammenhang macht er aber auch deutlich, daß er es für unnötig hält, im Rahmen einer universalgeschichtlichen Darstellung die Geschicke der Religion ausführlicher als unbedingt nötig zu behandeln – zumal dies anderswo bereits dargestellt worden sei.366 Liest man Beuthers Chronik hinsichtlich seiner Einschätzung der Reformation, so wird deutlich, daß er wie viele andere Universalchronisten Geschichtsschreibung als Zusammentragen überzeitlich relevanter Informationen versteht; diese Informationen haben sich durch die Reformation nicht geändert und müssen auch keiner Neubewertung unterzogen werden. Gegen Francks partielle Neukonzeption der Universalgeschichte spielt der Melanchthonianer Beuther eine ausgesprochene Traditionalität aus, indem er weitgehend auf vorreformatorische Chroniken zurückgreift, und er profiliert einen nicht spezifisch protestantischen, aber doch offenbar für Protestanten gerade wegen seiner Traditionalität attraktiven Diskursstrang: den der Identifikation des Protestantismus mit den reichisch-nationalen Traditionen. c)  Hönigers Kopie Einen ganz anderen Umgang mit Francks Geschichtsbibel pflegt ein Werk, das in seiner Konzeption völlig unoriginell, aber gerade hierin erstaunlich ist. Es handelt sich dabei um die Chronik des badischen Pfarrers Nicolaus Höniger, die dieser unter dem durchsichtigen Pseudonym Calonius Ghönneirus 1585 in Basel veröffentlichte. Diese Chronik ist weitgehend ein wörtlicher Abdruck von Francks Werk.367 Höniger (1548–1598) war auch sonst ein eifriger Verfasser, Übersetzer und Kompilator kosmographischer und historischer Werke und publizierte u.  a. ein papstgeschichtliches Werk (vgl. Kap. B.V.8.b). Er lernte in Rostock bei David Chyträus die artes, schloß dieses Studium in Straßburg ab, bevor er in Basel bei Simon Sulzer Theologie studierte und schließlich Prediger wurde. Er arbeitete von 1570 bis 1582 als Korrektor in der Basler Offizin Henricpetri, in der auch fast alle seiner Schriften erschienen, und trat dann eine Pfarrstelle im badischen Rötteln an.368 Soweit seine anderen Werke, aber auch die Herkunft aus der Schule Sulzers erschließen lassen, vertrat Höniger ein re-

  Vgl. Beuther, Chronica, dccxv.   Daher wird Hönigers Version im Druckeverzeichnis der Geschichtsbibel als Nachdruck mitgezählt (Kaczerowsky, Klaus, Sebastian Franck. Bibliographie, Wiesbaden 1976, A 54). Francks Text wurde im 16. Jahrhundert sechzehnmal aufgelegt. Der Erfolg des Werks bricht aber ab der Mitte des Jahrhunderts ab; der vorletzte Druck erscheint 1565. Die konfessionelle Zuspitzung scheint dieses Werk ausgesondert zu haben. Umso eigentümlicher erscheint es, daß Höniger die Geschichtsbibel 1585 noch einmal auflegte. 368  Zu seiner Biographie vgl. Albert, Nikolaus Höniger. 366 367

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lativ orthodoxes Luthertum, das keine Neigungen etwa zu einem Spiritualismus Franckscher Prägung erkennen läßt.369 Das biographische Halbdunkel, in dem Höniger steht, verdeckt auch ein Verständnis der Umstände, die ihn dazu brachten, Sebastian Francks Chronik in einer kaum überarbeiteten Fortführung herauszugeben. Höniger behauptet zwar in der Vorrede, er habe Francks Werk erweitert und überarbeitet 370 ; aber eine stichprobenartige Überprüfung aller Teile zeigt, daß Höniger die Francksche Chronik tatsächlich vor allem bis in seine eigene Gegenwart fortgeführt, aber sonst nichts verändert hat. Die markanteste Änderung betrifft den Titel. Während Francks Buch »Chronica / Zeitbuoch vnnd Geschichtbibell« heißt, überschreibt Höniger sein Buch als »Chronick: Geschichte vnd Zeitbuch«. Höniger spricht also anders als Franck nicht von einer »Geschichtsbibel«.371 Als lutherischer Pfarrer konnte er schlecht die implizite Kritik am lutherischen Biblizismus mittragen, die der Begriff der Geschichtsbibel transportierte, und er konnte auch nicht soweit gehen wie Franck, der die Geschichte als Manifestation Gottes gleichberechtigt neben die Bibel setzen wollte.372 Hönigers Quellenverzeichnis weist zwar neben Franck noch sehr viele andere Autoren auf, aber die Ehrlichkeit, mit der er Zitate aus zweiter und dritter Hand zugibt 373, zeigt, daß er in vielen Fällen Francks Werk bestenfalls etwas erweitert hat. Die Wahl seiner Quellen weist kein eindeutiges lutherisches Profil auf – er benutzt Zwinglis Werke, er führt Luther und Erasmus, aber auch Bullinger auf. Nach Hönigers Vorrede wird unverändert Francks Vorwort abgedruckt, genau wie Francks Vorreden zu den späteren Teilen. 369  Der Basler Antistes Simon Sulzer verfolgte die Absicht, die oekolampadisch-reformierte Tradition der Basler Kirche abzubrechen und sich an das deutsche Luthertum anzuschließen; er hob die Übereinstimmung der Basler Kirche mit der Augsburger Konfession hervor und versuchte sogar, allerdings erfolglos, die Konkordienformel einzuführen. Nach Sulzers Tod im Jahr 1586 war die lutherische Episode der Basler Kirchengeschichte vorüber. Vgl. Greyerz, Kaspar von, Basels kirchliche und konfessionelle Beziehungen zum Oberrhein im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert, in: Schweizerisch-deutsche Beziehungen im konfessionellen Zeitalter. Beiträge zur Kulturgeschichte 1580–1650, hg. v. Martin Bircher/Walter Sparn/Erdmann Weyrauch, Wiesbaden 1984, 227–252. 370  Vgl. höniger, Chronick, Titelblatt: Die Chronik sei »weylandt durch Sebastian Francken von Wörd / Summarischer weiß / biß auff die Regierung den Großmechtigsten Keysers Carls V. in das jar 1531. angefangen. Jetzt aber durch Calonium Ghönneirum einen liebhabern der Historien / von anfang der Welt biß auff das MDLXXXV. jare Christi mit allerley Gedechtnußwierdigen Geschichten / sampt verzeichnung der jarzahlen / zu Nutz aller Liebhabern der Historien mit grosser Muhe vnd Arbeit ausgeführet vnd gemehret.« 371  Zur provokativen Neuheit des Titels »Geschichtsbibel« vgl. Meinhold, Geschichte der kirchlichen Historiographie, Bd. 1, 301. 372  Bei Luther selbst gibt es eine Stelle (WA 50,385), die Historien und Bibel mehr oder minder auf die gleiche Stufe stellt; dies ist allerdings keine allgemeine Tendenz, sondern situativ bedingt. 373  Vgl. Höniger, Chronick, unpaginierte Vorrede.

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Man wundert sich über Hönigers Buch, gerade weil er gegenüber Franck nichts verändert. Die adelskritische Vorrede findet sich genauso wie die Ketzerchronik, in der ja auch Luther als Ketzer erscheint. Auf Francks und Hönigers Ketzerchronik wird in Kap. B.V.2 noch zurückzukommen sein: Hier reicht es festzuhalten, daß ein geschichtsbeflissener lutherischer Pfarrer, über den wenig bekannt ist, im Jahr 1585 ein von Luther und Melanchthon einhellig abgelehntes und lutherischer Theologie gegenüber explizit kritisches Geschichtswerk in toto neu auflegte. So wie Jorge Luis Borges sich ausgemalt hat, was es hieße, im 20. Jahrhundert und damit in einer völlig veränderten Rezeptionssituation den Don Quichotte neuzuschreiben – Gérard Genette kommentiert: »Sogar die wörtlichste Abschrift (ist) eine Neuschaffung durch Verschiebung des Kontextes«374 –, so kann man mangels weiterer Informationen darüber spekulieren, was es bedeutet haben mag, am Ende des 16. Jahrhunderts, in einer Zeit fortschreitender Schließung der konfessionellen Reihen, ein allerseits verketzertes Buch neu aufzulegen. Daß dies etwa problematisch gewesen sein könnte, läßt Hönigers Vorrede nicht erkennen. Die einzigen Hinweise hierauf wären, daß Hönigers Buch pseudonym erschien und daß ihm ein Widmungsbrief sowie ein Hinweis auf Drucker und Druckort fehlen – ein Mangel, der die Frage nach der Finanzierung dieses Drucks nahelegt. Fand sich kein adliger oder städtischer Gönner, der es auf sich genommen hätte, mit Francks Geschichtsbibel in Zusammenhang gebracht zu werden? Die einzige Studie hierzu bemerkt: »Abgesehen von dem nicht zu verwischenden Eindruck eines unberechtigten Nachdrucks, wollte er (Höniger, M.  P.), der praktisch allzeit treue Bekenner von Sulzers strengem Luthertum, nicht öffentlich als Verbreiter von Francks religiösen Anschauungen gelten, die er sich durch die Herausgabe [. . .] seiner Chronik gewissermaßen doch zu eigen machte.« 375

Dem ist nur zuzustimmen; die gleichzeitig geäußerte Vermutung, es sei die Volkstümlichkeit und die Weite der kulturgeschichtlichen Perspektive gewesen, die Höniger an Francks Werk angezogen hätten 376 , wirkt aber etwas konstruiert. Hönigers Motive bleiben letztlich unklar – sowohl, was seine Intentionen angeht, als auch in Bezug zum schon öfter angeschnittenen Problem, in welchem Verhältnis Theologie und Historiographie zueinander stehen. Beuthers und Hönigers Auseinandersetzung mit Sebastian Franck zeigen punktuell, in welcher Weise die lutherische Auseinandersetzung mit der vorreformatorischen Geschichte vor sich gehen konnte, selbst wenn die prophetischen Schemata der Historiographie, die Melanchthon so betont hatte, weitgehend außer acht blieben. Noch weiter entfernt von der idealtypischen Melanchthon374  Genette, Gérard, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, Frankfurt a.  M . 1993, 30. 375  Albert, Nikolaus Höniger, 255. 376  Vgl. ebd., 256.

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schen Konzeption der Universalgeschichte, ja auf einem ganz anderen Diskursniveau angesiedelt, ist die historische Exempelkompilatorik. Aber auch hier sind verschiedene Strategien der religiösen Einfärbung – und damit der Einordnung in einen lutherischen Identitätsdiskurs zu beobachten.

7.  Die Ordnung der Exempel und die Konfessionalisierung der Kompilatorik Der lutherische Pastor, der für seine Predigten moralische Exempla benötigte, konnte sich an die Bibel halten, oder er konnte von den antiken Historien zehren, die er beim Durchlaufen der Artistenfakultät kennengelernt hatte. Eine Möglichkeit, die beides miteinander verband, war der Blick in eine der zahlreichen Exempelkompilationen, die im Luthertum des späten 16. und 17. Jahrhunderts verfaßt und – geht man von der Zahl der Ausgaben aus – auch gekauft wurden.377 »Sozialgeschichtlich dürfte bedeutsam sein, daß die Herausgeber von Exempelsammlungen ihre Tätigkeit zuweilen als Dienstleistung für solche Pfarrer verstanden, die sich aufgrund von knappen finanziellen Mitteln keine angemessene Bibliothek leisten konnten.« 378

Diese Werke versammelten aus der nächsten wie der fernsten Geschichte Beispiele für moralisch richtiges oder verwerfliches Handeln und ordneten sie nicht etwa chronologisch oder im engeren Sinne thematisch – also beispielsweise im Hinblick auf die angesprochenen Gesellschaftsbereiche –, sondern topisch. Das bedeutet: Die Exempel aus den alten und neuen Historien wurden nach ›Gemeinplätzen‹ (loci communes) geordnet. Diese Art des Kategorisierens von Wissen entsprach einem allgemeinen Prinzip des Bildungserwerbs mindestens des 16. und 17. Jahrhunderts. Im Anschluß an Erasmus hatte sich die loci-Methode als Ordnungssystem allen Wissens in den lutherischen Bildungsinstitutionen genauso fest etabliert wie in ihren katholischen Pendants. Die copia, die Fülle des Wissens, konnte so leichter enzy­ klopädisch verzeichnet und memoriert werden.379 Schüler und Studenten wur377  Vgl. als Überblick: Rehermann, Ernst Heinrich, Die protestantischen Exempelsammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts. Versuch eines Überblicks und einer Charakterisierung nach Auf bau und Inhalt, in: Volkserzählung und Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung und Funktion von Erzählstoffen und Erzählliteratur im Protestantismus, hg. v. Wolfgang Brückner, Berlin 1974, 580–645. Rehermann bestimmt die Gattung auch als »enzyklopädisches Kompilationshandbuch« (580). 378  Steiger, Johann Anselm, Exempla fidei. Die Exempelhermeneutik Luthers und die Exempelsammlungen der lutherischen Orthodoxie, in: Simpliciana 21 (1999), 41–66, hier 51. 379  Zu loci communes als Prinzip der Lektüre, des Exzerpierens und Ordnens von gelehrtem Wissen, das auf diese Weise analytisch zerlegt und rhetorisch verfügbar gehalten wurde, vgl. allgemein: Goldmann, S., Art. »Topik; Topos III.«, in: HWPhil 10, Sp. 1279–

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den angehalten, eigene Notizbücher anzuschaffen und die Bildungsinhalte unter unterschiedlichen oft vorgegebenen, oft selbst entworfenen Kategorien einzutragen; es gab auch vorgefertigte, gedruckte »commonplace-books«.380 Auch für die enzyklopädischen Versuche des 16. und 17. Jahrhunderts, das gesamte Wissen zu ordnen und darzustellen, spielte die Lokalmethode eine entscheidende Rolle.381 Sie war Lektüre- und Exzerpieranleitung wie gelehrtes Darstellungsprinzip. Im reformatorischen Bildungswesen war die loci-Methode zuerst in Melanchthons Versuch wirksam geworden, die Theologie der Reformation systematisch – und das heißt hier: topisch – darzustellen. In seinen »Loci communes« ging es Melanchthon v.  a. darum, die Bestandteile der reformatorischen Lehre unter bibelexegetisch gesicherten ›Örtern‹ abzulegen und so argumentativ verfügbar zu halten. Doch in der Nachfolge Melanchthons setzte sich im Prote­ stantismus die Kategorisierung nach loci nicht nur theologischen Wissens, sondern von Wissen überhaupt immer stärker durch. Auch angeregt durch Luthers Hochschätzung von Historienexempeln etablierte sich für sämtliche Bereiche des Wissens ein Zugriff, der disparatem Wissen durch seine Zuordnung zu vorgängigen Kategorien einen Ort zuwies.382 Der Verweis auf die Enzyklopädik, aber auch auf Melanchthons Systematisierung der Theologie zeigt, daß die Lokalmethode als methodisch avanciertes und darüber hinaus als praktisches Ordnungs- und Darstellungsprinzip angesehen wurde. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, daß die Magdeburger Zenturien die loci-Ordnung in die Kirchengeschichtsschreibung einführten 383. Auch Bodin, 1288; Ong, Walter J., Commonplace Rhapsody: Ravisius Textor, Zwinger and Shakespeare, in: Classical Influences on European Culture A.  D. 1500–1700, hg. v. R.  R. Bolgar, Cambridge u.  a. 1976, 91–126. Zur Entstehung der humanistischen Loci-Lehre vgl. Joachimsen, Paul, Loci communes. Eine Untersuchung zur Geistesgeschichte des Humanismus und der Reformation, in: ders., Gesammelte Aufsätze. Beiträge zu Renaissance, Humanismus und Reformation; zur Historiographie und zum deutschen Staatsgedanken, hg. v. Notker Hammerstein, Aalen 21983, 387–442. 380  Vgl. Moss, Ann, Printed Commonplace-Books and the Structuring of Renaissance Thought, Oxford 1996. 381  Zu denken ist hier zuerst an die Universalenzyklopädien etwa Theodor Zwingers oder Johann Heinrich Alsteds, die ihre Loci aus ramistischer Divisionslogik gewannen. Vgl. Schmidt-Biggemann, Wilhelm, Topica universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft, Hamburg 1983. Den Anfang vom Ende der topischen Universalwissenschaft sieht Schmidt-Biggemann in der Überarbeitung von Zwingers Enzyklopädie von 1631: Hier wurde die Lokalmethode, die 150 Jahre zur Disposition von Stoffmassen gedient hatte, zugunsten einer alphabetischen Ordnung aufgegeben. Vgl. ebd., 64–66. 382  Zum unkritischen Sammeln und Ordnen in der Melanchthon-Nachfolge vgl. Brückner, Historien und Historie, 75. Steiger, Exempla fidei, legt den Akzent stärker auf Luthers Hochschätzung der exemplarischen Historien. Die Frage der Beeinflussung der exemplarischen Universalkompilatorik durch Luther oder Melanchthon kann hier auf sich beruhen – zumal im übrigen beides zutreffen dürfte. 383  Vgl. Scheible, Entstehung.

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der als einer der Väter moderner Geschichtsauffassung gehandelt wird 384, empfahl in seiner Methodenlehre diese in anderen Wissenschaften längst gängige Methode für das Lesen und Schreiben von Geschichtswerken, um die copia der Historien in den Griff zu bekommen. Man könnte meinen, daß die unüberschaubaren Folianten lutherischer Exempelkompilatorik sich von diesen methodisch komplexen Zugriffen dadurch unterscheiden, daß sie ihre moraldidaktische Attitüde so offen darlegen. Dies trifft aber gerade nicht zu; auch Bodin verfolgte eine moralisch-praktische Exempelabsicht.385 Dennoch verfolgen die Exempelsammlungen lutherischer Pastoren und Professoren in der Regel weniger anspruchsvolle Ziele. Auch in ihnen dient die Lokalmethode zwar als Darstellungsprinzip, doch man täte ihnen Unrecht, erwartete man zuviel Systematik.386 Im lockeren Anschluß an Melanchthons theo­ logische loci, aber auch in breiter Aufnahme der vormelanchthonischen Lesefruchttradition steht etwa das bis 1624 dreimal auf deutsch und fünfzehn Mal auf lateinisch gedruckte Werk des Johannes Manlius.387 Ein noch größerer Bucherfolg wurde das »Promptuarium exemplorum« von Andreas Hondorff, das als deutschsprachiges Werk stärker Hausbuch-Charakter trug.388 Sehr viel weniger Ausgaben, nämlich nur drei in der Zeit zwischen 1576 und 1615, erreichte das Werk, das hier näher betrachtet werden soll: Wolfgang Büttners »Epitome historiarum« 389. Diese Auswahl läßt sich dadurch legitimieren,   Vgl. Kelley, Foundations.   »Quod igitur uiri docti facere solent in aliis artibus, vt memoriae consulant, idem quoque in historia faciendum judico: id est vt loci communes rerum memorabilium certo quodam ordine componantur, vt ex iis, velut ex thesauris, ad actiones dirigendas exemplorum uarietatem proferamus«: Bodin, Jean, Methodus ad facilem historiarum cognitionem. Nachdruck der Ausgabe Amsterdam 1650, Aalen 1967, 21. 386  So auch: Wachinger, Burghart, Der Dekalog als Ordnungsschema für Exempelsammlungen. Der »Große Seelentrost«, das »Promptuarium exemplorum« des Andreas Hondorff und die »Locorum communium collectanea« des Johannes Manlius, in: Exempel und Exempelsammlungen, hg. v. Walter Haug/Burghart Wachinger, Tübingen 1991, 239–263, hier 255. 387  Vgl. Manlius, Johannes, Locorum communium collectanea, Basel 1562. Vgl. dazu Rehermann, Exempelsammlungen, 595–597. Manlius’ und Sebastian Francks Kompilationen werden verglichen in: Kallweit, Hilmar, Paradoxe accumulatio copiosa. Zu Kompilationsformen in Schriften Sebastian Francks, in: Sebastian Franck (1499–1542), hg. v. Jan-Dirk Müller, Wiesbaden 1993, 131–151. 388  Das Werk erlebte zwischen 1568 und 1678 dreißig Drucke. Vgl. dazu: Schade, Heidemarie, Andreas Hondorffs Promptuarium exemplorum, in: Volkserzählung und Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung und Funktion von Erzählstoffen und Erzählliteratur im Protestantismus, hg. v. Wolfgang Brückner, Berlin 1974, 647–703. Zu Hondorff vgl. auch Kapitel VIII.4. 389  Vgl. Büttner, Wolfgang, Epitome Historiarum Christlicher ausgelesener Historien vnd Geschichten / Aus alten vnd bewehrten Scribenten. Vnd die sich auch zu unsern zeiten zugetragen. Ordentlicher vnd kurtzer Auszug. In Fünff Bücher Nach ordnung vnd der Lere in den zehen Geboten Gottes / Vnd der sieben Bitten in vnserm heiligen Vater vnser / Gerichtet. Darinnen abzunemen / wie die Kinder Gottes in dem Gesetz des HErrn 384 385

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daß Büttners Werk wesentlich seltener Gegenstand von Untersuchungen gewesen ist, vor allem aber mit folgendem Argument: Eine ganze Reihe der lutherischen Exempelkompilationen sind in mehr oder minder straffer Weise nach dem Dekalog geordnet, die hier als loci fungieren.390 Andere bedienen sich auch des Kleinen Katechismus als Ordnungsschema; allein Büttner aber versucht, die Historien unter den zwei Prinzipien des Dekalogs und des Vaterunsers zu sammeln.391 Es stellt sich die Frage, ob Büttner damit eine religiöse Überformung der von ihm gesammelten Exempel anstrebt, die es berechtigt erscheinen läßt, von einer ›Konfessionalisierung‹ der Kompilatorik zu sprechen. Wolfgang Büttner (1522–1596) stammte aus Oelsnitz im Vogtland. Er besuchte die Schule in Magdeburg unter dem Rektor Georg Major, studierte wahrscheinlich in Wittenberg und versorgte dann Pfarrstellen im Kursächsischen. Neben der Pfarrarbeit verfaßte er eine katechetische Schrift, ein Lehrbuch der Dialektik, das Narrenbuch von Claus Narr sowie die hier interessierende Exempelsammlung.392 Sie erschien 1576 zum ersten Mal, dann in einer Überarbeitung Georg Steinharts 1596 und 1615. Die Erstausgabe ist ein gewaltiger Folioband mit über 800 Seiten, geordnet nach den zehn Geboten und den sieben Bitten des Vaterunsers. Die Ordnung nach dem Vaterunser hat vor Büttner kein Autor angewandt. Auch die Anordnung der Exempel nach dem Dekalog ist, wenn auch nicht Büttners Erfindung, so doch eine Idee, die vor der Reformation so gut wie nicht benutzt wurde; in vorreformatorischen Exempelkompilationen wurde eher eine Anordnung nach den sieben Todsünden benutzt.393 Diese Tatsache dürfte mit der Aufwertung des Dekalogs als moralischem Gesetz, aber auch als Klassifizierungsmuster menschlicher Verhaltensweisen durch die Reformation zusammenhängen 394 ; so schlug z.  B. David Chyträus in seinem Rhetoriklehrbuch vor, die Schüler sollten ihre Exzerpte nach den zehn Geboten ordnen 395. Der Dekalog wurde gerade unter den Merecht vnd wol gewandlet / Gott gedienet vnd angeruffen / Vnd darumb von Gott mit Gnaden vnd Ehren / zeitliche Belohnung empfangen. Die Weltkinder aber / so dawider gestrebet / Gott verachtet vnd gelestert / von jm auch grewlich gestrafft vnd getilget sind. Zu gutem vnd reichen Trost / den betrübten vnd Elenden Christen / die in der Welt veracht vnd verhasset. Den Sichern aber vnd rohem Weltpöbel / zum schrecken vnd abschew, Frankfurt a.  M. 1576. Zu Büttners Werk vgl. knapp Rehermann, Exempelsammlungen, 597–602. 390  Vgl. Wachinger, Dekalog. 391  Dies sieht Rehermann, Exempelsammlungen, 597, nicht klar genug. 392  Vgl. Röcke, Werner, Art. »Büttner, Wolfgang«, in: Literaturlexikon 2, 304. 393  Vgl. Moss, Printed Commonplace-Books, 31, 38. 394  Vgl. Wachinger, Dekalog, 240  f . Zur Aufwertung der zehn Gebote durch die Reformation vgl. auch Christin, Olivier, Les yeux pour le croire. Les Dix Commandements en images, XVe-XVIIIe siècle, Paris 2003; Bossy, John, Moral arithmetic: Seven Sins into Ten Commandments, in: Conscience and Casuistry in Early Modern Europe, hg. v. Edmund Leites, Cambridge u.  a. 1988, 214- 234. 395  Vgl. Moss, Printed Commonplace-Books, 162.

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lanchthonschülern zum »Inbegriff der vollen Lex naturae und der mit dieser identischen evangelischen Ethik« 396 . Büttner, der sich selbst in der Vorrede primär als Prediger charakterisiert, sieht in seinem Werk ein Komplement zur Predigt.397 Interessant ist die Beziehung, die er zwischen den Historien und seinen beiden Ordnungsgruppen, Dekalog und Vaterunser, herstellt: Die Historien hätten ihn gelehrt, die Gebote und das Vaterunser angemessen zu verstehen – die abstrakten moralischen und theologischen Sätze werden also durch anschaulichere Exempel verdeutlicht. Sein Ziel sei es nun, »mancherley vnd vielfeltige Exempla / Historien / Geschichte / Sprüche / Wercke / Thaten / Belohung (!) vnd vergeltunge / Warnung vnd Straffe« zusammenzutragen.398 Die Ankündigung, weltliche Belohnung und Bestrafung aufzuzeigen, auf die Büttner sich schon im Titel bezieht, ist innerhalb der lutherischen Geschichtsschreibung ziemlich unüblich, scheint aber in der Exempelkompilatorik gängig gewesen zu sein.399 Die Geschichtskonzeption dieser Kompilationen ist also an innerweltlicher Belohnung und Bestrafung orientiert, die Gott je nach Befolgung oder Nichtbefolgung seiner Gebote verhängt; damit wird der Dekalog »aus der engen Bindung an die Polarität von Gesetz und Evangelium, Sünde und Gnade, in die ihn die Reformation gestellt hatte, wieder ein Stück weit herausgelöst«400. Dies ist wohl aus der Anbindung an Katechese und Predigt zu erklären, die theologische Nuancen zugunsten klarer moralischer Vorschriften in den Hintergrund drängt. Die Rechtfertigungslehre hatte ein theoretisches Ethikdefizit geschaffen, das in anderen Zusammenhängen durch eine gesteigerte apokalyptisch aufgeladene Bußrhetorik überspielt wurde.401 Büttners Kompilation aber mußte theologisch unterbestimmt bleiben, um die Exempla zu genuinen Anreizen zur richtigen Lebensführung zu machen; daher ist der unmittelbar lohnende und strafende Gott die geheime Hauptfigur dieser Exempelsammlungen. Andere Geschichtskonzeptionen – die vier Weltreiche etwa oder die Geschichte der wahren Kirche – kommen nicht zum Zuge; die Kompilatorik verzeichnet lediglich dispa-

  Troeltsch, Soziallehren, Teilband 2, 494.   Vgl. Büttner, Epitome historiarum, a2v. 398  Ebd., a2v-a3r. 399  Auch Hondorffs Promptuarium exemplorum zielt darauf ab; vgl. Wachinger, Dekalog. 400  Wachinger, Dekalog, 254. 401  Vgl. Kaufmann, Thomas, Apokalyptik und politisches Denken im lutherischen Protestantismus in der Mitte des 16. Jahrhunderts, ders., Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts, Tübingen 2006, 29–66, 42: »Der lutherische Protestantismus bedurfte geradezu einer gewissen ›Dosis‹ an Apokalyptik, da sie dazu beitrug, der durch die Rechtfertigungstheologie eingetretenen religiösen Plausibilitätskrise des sittlichen Wohlverhaltens mittels der Mahnung zu Bußernst und Heiligung zu begegnen.« 396 397

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rate Exempla, um die Gebote oder das Vaterunser zu veranschaulichen, und verzichtet auf eine geschichtstheologische Gesamtkonzeption.402 Für wie zwangsläufig hält Büttner seine Ordnung? Es fällt auf, daß er nicht etwa vorgibt, die vorgeschlagene Disposition des Materials schöpfe die Möglichkeiten aus, aus ihm zu lernen. Zurecht ist über die ramistische Methode gesagt worden: »Wesentlich für den ramistischen Zugriff auf die Geschichte war aber dies: Historie war nicht ohne weiteres magistra vitae, sondern sie wurde es durch Disposition«403. Doch auch einem lutherischen Prediger, der weit davon entfernt ist, seine lutherisch-aristotelische Sicht der Dinge zugunsten der neuen, ramistischen, calvinistischen Methode aufzugeben404, war klar, daß die exem­ plarische Funktion der Historienexempla von ihrer Disposition – zum Beispiel unter den loci des Dekalogs und des Vaterunsers – abhängt oder doch jedenfalls von ihr entscheidend geprägt wird. Büttner ist sich seiner Perspektivierung durchaus bewußt, wenn er schreibt: »Nun wollen wir an die heiligen Zehengebot / vnd an das heilige Vater vnser / vnd dahin richten vnd schieben / solche Historien / Geschichte / vnd Exempel / wie wir in der Vorrede / in vnserm gestalten Methodo / gelobt vnd zugesagt haben.« 405

Eine ähnliche Einschätzung des Ordnungssystems als künstlich läßt sich erschließen, wenn Büttner sagt, er habe ursprünglich vorgehabt, die Historien »nach den fünff Stücken Christlicher Lere im Catechismo einzuteilen / vnd die Artickel des Glaubens / sampt beiden Sacramenten / mit tröstlichen vnd mit erschrecklichen / wüsten vnd wilden Exempeln zu erzelen [. . .] Aber andere fromme Lerer vnd Diener des Euangelij / müssen auch arbeiten / vnd den Federkarst in die Hand nemen«.406

Büttners Werk greift auf eine große Anzahl von Autoren zurück, unter denen die zahlreichen antiken, vor allem römischen Autoren auffallen; daneben stehen mittelalterliche Autoren wie Enea Silvio oder Gerson, schließlich zeitgenössische wie Ludwig Rabus, Matthias Flacius, natürlich Luther und Melanchthon. Die beiden Ordnungsprinzipien, die Büttner verwendet, stehen in einem etwas 402  Vgl. Wachinger, Dekalog, 247. Natürlich kommt die danielische Prophetie vor, sie strukturiert aber nicht die Disposition des Stoffes. Das römische Reich, so Büttner, werde bis zum Jüngsten Tag bestehen, »Darnach wird es mit dach / vnd mit mit mawren / mit stützen vnd mit balcken / mit pfeilen vnd mit keilen / mit haubt vnd füseen / sein ende nemen« (Epitome historiarum, 4v). 403  Schmidt-Biggemann, Topica universalis, 62. 404  Es ist natürlich etwas überspitzt, Ramismus und Calvinismus hier kurzerhand nebeneinanderzusetzen; in Wahrheit ist deren Verhältnis komplizierter. Vgl. z.  B. Elsmann, Influence of Ramism, 67. 405  Büttner, Epitome historiarum, 4r. 406  Ebd., a4r. Außerdem sei er durch harte Arbeit und verleumderische Anfeindungen, die er nicht näher spezifiziert, lange vom Schreiben abgehalten worden. Vgl. ebd., a4r-v. Die Anspielungen, die Büttner hier macht, sind recht nebulös; vermutlich hat man es weitgehend mit den Frustrationen eines Landpfarrers zu tun, wie sie Gerald Strauss so anschaulich beschrieben hat. Vgl. Strauss, Mental World.

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unklaren Verhältnis zueinander. Tendenziell kann man sagen, daß Büttner die Historien, die er dem Dekalog, und diejenigen, die er den sieben Bitten Christi zuordnet, einer ähnlichen Aufteilung unterwirft, wie dies die melanchthonische Universalgeschichte tut. Das heißt: Die Vaterunser-Historien umfassen vorwiegend biblische und kirchliche Exempel; die Dekalog-Historien enthalten, den zwei Tafeln entsprechend, sowohl profanhistorisches als auch religiöses Wissen. Wie in der Universalgeschichte allgemein wird also zwischen religiöskirchlichen Dingen im engeren Sinne und der ebenfalls kirchliche Dinge umfassenden, aber auch profanes Wissen transportierenden Geschichte unterschieden.407 Hat man ohnehin das Gefühl, daß die Zuordnung der Exempel zu ihren loci einer gewissen Willkürlichkeit unterliegt, so verstärkt sich dieser Eindruck noch dahingehend, daß Büttner sein Pulver immer schon in den ersten längsten Abschnitten verschießt, während die letzten Bitten bzw. Gebote immer nur relativ wenig Stoff umfassen: Büttner ist kein großer Ökonom seines Materials. Geht man die den zehn Geboten zugeordneten Exempel durch, die zum Teil einer alphabetischen oder chronologischen Binnengliederung folgen, so fällt auf, daß Büttners Interesse ganz auf den beiden Schwerpunkten Bibel/Antike und Gegenwart liegt. Trotzdem ist es reizvoll, ihn auf seine Sicht der Vorgeschichte der Reformation hin zu lesen. Im ersten Gebot beispielsweise wird, übernommen aus den Martyrologien von Foxe und Rabus, über einige englische Märtyrer im Umkreis von Wyclif berichtet, die – so legt Büttner nahe – eben nicht den Papst vergöttert haben.408 Unter der Rubrik »Exempel von der Übertretung des ersten Gebots« berichtet Büttner von den Albigensern, die er für Manichäer hält, und die »wider vnsern heiligen Christlichen glauben / erschreckliche lesterung durch gantz Europam ausgezettlet« haben409. »Unser« christlicher Glaube ist hier offensichtlich mehr oder minder der katholische Glaube, der bei aller Kritik am Papst – vor allem im Angesicht extremer Ketzerei – als der wahre Glaube gelten muß; die kirchliche Verfolgung der Albigenser sei also gerechtfertigt gewesen.410 Dennoch wird unter dem ersten Gebot auch scharfe Kritik an einzelnen Päpsten geübt, denen stereotyp moralische Verwerflichkeit, aber auch Zauberei und Abgötterei vorgeworfen wird. Angegriffen werden darüber hinaus Luthergegner wie Cochläus, Eck oder Erasmus.411 Daß dies alles unter dem locus ›Ab407  So charakterisiert auch Steiger die Zwei-Reiche-Lehre als »wichtige Bedingung der Möglichkeit der Rezeption antiker Traditionen«: Steiger, Exempla fidei, 53. 408  Vgl. Büttner, Epitome historiarum, 20r, 22v-23r. 409  Ebd., 24v. 410  Vgl. ebd., 24v: »Diese Vnzucht vnd Abgötterey / reutete der HERR aus / bey der Herrschunge Innocentij Tertij / vnd hat vber 100000. Mann / Weib vnd Kind / zu tode schlagen vnd vmbbringen lassen.« 411  Vgl. ebd., 28r-v.

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götterei‹ passiert und in die Nähe der heidnischen Götzengläubigkeit der Germanen gerückt wird412 , zeigt sowohl, mit welchen konfessionellen Bandagen Büttner kämpft als auch, daß die Germanenseligkeit des Hochhumanismus diesem sächsischen Pastor offensichtlich abhanden gekommen ist. Das zweite Gebot, den Namen des Herrn nicht unnütz zu gebrauchen, wird mit der Forderung, seine Lehre rein, das heißt evangelisch zu halten, ineins gesetzt. Abel ist der erste Kronzeuge dieser Haltung. Der Abschnitt über das zweite Gebot enthält dezidiert antipäpstliche Polemik413, die aber aufs Ganze gesehen hinter den anekdotischen Wunder-, Zauber- und Geistergeschichten zurücktritt. Im Zusammenhang mit dem dritten Gebot vermerkt Büttner die »Legenda Constantini«, die, ohne daß eigens auf Valla eingegangen würde, ironisch zurückgewiesen wird.414 Ebenfalls in unklarem Zusammenhang mit dem Gebot, den Feiertag zu heiligen, steht die Einschätzung des frühen Islam. Diese ist deshalb interessant, weil offenbar in Büttners Kopf sich seine Gegenwart und das siebte Jahrhundert derart miteinander verknüpfen, daß er sagen kann, Mohammed sei »des Bapst / vnd der Lutheraner austilger vnd zerstörer [. . .] / der hat die Christgleubigen / wie denn der Bapst auch selbst vber 800 Jhar / mit Schwerd vnd mit Fewer verfolgt«415. Der Papst erscheint also einerseits – wie auch die Lutheraner – als Opfer islamischer Expansion, andererseits wird er hier in einigermaßen singulärer Weise in Zusammenhang mit den antiken Christenverfolgungen gebracht. Denn das fällt beim Lesen lutherischer Universal- und Kirchengeschichte immer auf: Die klassische Verfolgungszeit der Kirche ist und bleibt die Epoche der Christenverfolgungen. Das antichristliche Papsttum, das ebenfalls auf die Unterdrückung der wahren Kirche hinarbeitet, ist dennoch zu eng mit der wahren Lehre verbunden, als daß es systematisch in die Reihe der Christenverfolgungen eingeordnet würde. Eher ist es so, daß auf die Zeit der manifesten körperlichen Gewalt die schleichende, aber nicht weniger schlimme Lehrverfälschung folgt.416 In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß   Vgl. ebd., 34.   So die empört zitierte angebliche Frage Papst Julius II.’ an Gott, ob dieser französisch geworden sei (ebd., 46v). Oder Papst Benedikt IX. (nicht IV., wie Büttner schreibt. Ohnehin irrt er sich oft im Chronologischen und Faktischen, was ja auch zeigt, daß ihm dies weniger bedeutet als polemische und exemplarische Pragmatik), der nach seinem Tod als Geist herumgelaufen sei und gesagt habe: »Ich hab in meinem leben wider GOTT gelebet / vnd seinen Namen verachtet / Darumb muß ich auch in meinem tode / von GOTT vnd seinem Namen / weder heyl noch trost entpfahen.« (46v) 414  »Wenn nun solchs war / wie es aber nicht ist / vnd mit keiner Historia kan beygebracht vnd erhalten werden / so hette Constantinus den heiligen Sabbath zimlich geehret / vnd die Christenheit gemehret / vnd billich nicht ein Augustus Ecclesiae et Imperij, sondern der beyden / ein Verwüster vnd Zerstörer genennet worden.« (ebd., 71 v) 415  Ebd., 94r. 416  Vgl als ein Beispiel unter vielen, die so argumentieren: Chyträus, Auslegung der Offenbarung Johannis . . ., A iiij v. In der maßgeblichen lutherischen Geschichte der Alten 412 413

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für Büttner das antichristliche Gespann von Papst und Türken »erger vnd grausamer denn Nero / listiger denn Julianus / wüster denn Domitianus / vnd Blutdürstiger [. . .] / denn jemals ein Tyrann vnd Bluthund / hat sein können vnd gewest ist«417. Denn: »Wer CHRISTUM liebt / lobt / vnd bekent / Der wird im Bapsthumb bald verbrent.«418 Beim weiteren Durchgang durch die Exempel, die dem Dekalog zugeordnet sind, stilisiert Büttner die deutschen Kaiser zu Heroen des antirömischen Widerstands und verurteilt die Päpste selbst dann, wenn sie Dinge tun, die auch einem Lutheraner zugute kommen könnten; bei der Beschreibung der Türkenkriege, die mit deutschem Geld finanziert worden seien, beklagt Büttner jedenfalls die Tatsache, daß im schönen Griechenland nun ein großes Blutvergießen vor sich gehe.419 Im Zusammenhang des fünften Gebots fällt dagegen nicht etwa eine Verurteilung des Kriegsdienstes auf, sondern ganz im Gegenteil nutzt Büttner die Gelegenheit, um diesen zu rechtfertigen und en passant das Klosterleben zu verurteilen.420 Die aufgeführten Beispiele würden einen falschen Eindruck von der Gewichtung der Exempel vermitteln, wiese man nicht darauf hin, daß mittelalterliche Wundergeschichten und antike Helden insgesamt einen sehr viel breiteren Raum einnehmen als Kommentare zu religiösen Fragen. Gerade die Fülle anKirche, der Epitome historiae ecclesiasticae des Johannes Pappus, wird scharf differenziert zwischen den Christenverfolgungen der Antike, die unter dem Stichwort »De persecutionibus ecclesiae et martyrijs Piorum« behandelt werden, und der Heimsuchung der wahren Lehre durch den Papst (und andere Häresien), wenn Pappus beide auch für »similiter« hält (Pappus, Johannes, Historiae Ecclesiasticae, Conuersionibus Gentium, Persecutionibus Ecclesiae, Haeresibus, et Concilijs Oecumenicis Epitome, ex praecipuis scriptoribus Ecclesiasticis collecta . . ., Straßburg 1584, 171). Im kontroverstheologischen Kontext dagegen kommt der unmittelbare Vergleich z.  B. zwischen den alten Christenverfolgungen und der Verbrennung von Jan Hus vor (vgl. Balduinus, Friedrich, Orationes duae de Pontifice Romano, quod is sit magnus ille Antichristus: Ex immotis Sacrarum literarum fundamentis, et Antichristi notis, euentu jam comprobatis, diductae: Et in inclyta VVitebergensium Academia recitatae . . ., Wittenberg 1598, C4r). Noch deutlicher ist die Nebeneinanderstellung in den Papstpredigten Georg Mylius’, der ausrechnet, daß durchschnittlich »die anzahl seiner (d.  i. des Papstes, M.  P.) gewürgten wo nicht auff höhere / doch auff gleiche Summam mit den alten verfolgungen gar wol reichen vnd gelangen möge«: Mylius, Georg, Bapstpredigten / In welchen gehandlet / vnd gründlich angezeiget wird / Was vnd Wer der Bapst zu Rom sey / vnd nicht sey . . ., Jena 1599, 75v. 417  Büttner, Epitome historiarum, 94r. 418  Ebd., 293r. 419  Ebd., 306v; vgl. zu den Kaisern auch 397r-399v. 420  Ebd., 315r: »In ein Closter lauffen / heist aus der Welt lauffen. Viel Deutsche vnd Welsche Fürsten im Bapsttumb / lieffen auch aus der Welt / von jren Göttlichen Emptern / vnd krochen in die Clöster / worden Äpte / Mönche vnd Pfaffen / vnd wolten kein Schwerd angürten / viel weniger ausziehen / vnd damit wider die Feinde streiten vnd fechten / auff das sie mit reinen vnd mit saubern Henden das Mesbuch angriffen / vnd heilige Leute blieben. O du verfluchte andacht / wiltu nicht fechten vnd streitten / vnd versteckest dich derhalben in einen Closter winckel.«

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tiker Beispiele sticht hervor – obwohl das Buch in seiner gesamten Anlage weit entfernt davon ist, sinnvoll als späthumanistisch durchzugehen. Dazu ist es zu sehr auf spektakuläre Geschichten bedacht und völlig unkritisch gegenüber seinen Vorlagen. Büttners Antikenkenntnis wirkt wie bruchstückhaftes Bildungsgut; so ist denn auch an keiner Stelle eine normative Ausrichtung an der Antike im ganzen zu beobachten. Doch könnten dies gerade Kennzeichen eines popularisierten Späthumanismus sein, den sich Studenten des konfessionellen Zeitalters beim Absolvieren der Artistenfakultät aneigneten und der sehr viel verbreiteter gewesen sein dürfte als die im engeren Sinne humanistisch orientierte Gelehrsamkeit von Philologen und Editoren wie Lipsius und Scaliger, aber auch als die systematischere Antikenrezeption des Melanchthon-Kreises.421 Das Nebeneinander der Aufarbeitung antiker Bildung in halbwegs populären Genres und einer Durchdringung der Bildung mit biblischen und konfessionellen Themen dürfte typisch für diese Art von ›Späthumanismus‹ sein.422 Wie gesagt besteht die Differenz der unter den Ordnungsschemata Dekalog und Vaterunser gesammelten Exempla vor allem darin, daß – analog zu Melanchthons Universalgeschichte – die Gebote auf die politische Not- und Erhaltungsordnung, das Vaterunser aber auf Gottes Heilsordnung verweisen. Daher bemüht sich Büttner, in den Vaterunser-Abschnitten primär biblische und kirchliche Exempla abzuhandeln und profanhistorische Bildungprinzipiell auszusondern.423 Im Anschluß an Luther äußert Büttner sich über die beiden hervorragenden Theologen Augustin und Bernhard, ohne sich aber mit punktueller Kritik an ihnen zurückzuhalten. Augustin sei vorbildlich, aber »die Bücher Confeßionum / in denen er sein Bekentnis thut / leren nichts / sondern zünden vnd reitzen nur an / haben nur Exempel aber es ist nichts«424 – ein bemerkenswerter Vorwurf in einem exempelkompilatorischen Werk. Die Rolle der Väter besteht v.  a. darin, dem Leser zu zeigen, daß auch zu anderen Zeiten in rechter Weise an 421  Vgl. zum Gesamtproblem den Sammelband: Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche, hg. v. Notker Hammerstein/Gerrit Walther, Göttingen 2000; hilfreich auch: Kittelson, James M., Humanism in the Theological Faculties of Lutheran Universities during the Late Reformation, in: The Harvest of Humanism in Central Europe: Essays in Honor of Lewis W. Spitz, hg. v. Manfred P. Fleischer, St. Louis/MO 1992, 139–157. Zum Thema Wissenspopularisierung siehe den Problemaufriß von: Kretschmann, Carsten, Einleitung: Wissenspopularisierung – ein altes, neues Forschungsfeld, in: Wissenspopularisierung. Konzepte der Wissensverbreitung im Wandel, hg. v. Carsten Kretschmann, Berlin 2003, 7–21. 422  Vgl. Steiger, Exempla fidei, 52. 423  Der Passus über die sieben Bitten des Vaterunsers (94v-266v) ist eingeschaltet zwischen dem 3. und dem 4. Gebot, ohne daß dies begründet würde. Ab der dritten Bitte des Vaterunsers inseriert Büttner wieder einige Antikenexempel, die allerdings in diesem Kontext durch den apologetischen Vorspruch »Weltliche Bücher lesen / ist auch nützlich vnd dienstlich« (Büttner, Epitome historiarum, 155r) abgefedert werden. 424  Ebd., 100r.

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Christus geglaubt wurde, »vnd also gegleubet wie wir jtzt«.425 Allerdings habe Augustin in seinen Disputationen wieder zurückgenommen, »was er zuvor geleret hat / wird gar ein ander Mann / da gibt er dem Gesetz vnd Freiem willen allzuviel.«426 Diese Kritik ist theologisch natürlich legitim, aber in diesem populären Gattungskontext nicht zwingend. Der in Texten dieser Art übliche Effekt relativer Popularität, daß nämlich das theologische Profil zu verschwimmen beginnt – dies wird in Kap. B.VI. wieder aufzunehmen sein –, ist bei Büttner kaum zu beobachten.427 Ob das Buch als Sammlung von Predigtexempla genutzt wurde, ist schwer zu beurteilen; über den Index ließen sich die Exempla jedenfalls sicher leichter erschließen als über die zunehmend willkürliche loci-Zuordnung. Zu konstatieren ist aber das bruchlose Nebeneinander eines orthodoxen Luthertums, das offen polemisiert und eine konfessionelle Einfärbung z.  B. der mittelalterlichen Geschichte betreibt, und eines populären Interesses am spektakulären Exem­ plum, das sicher nicht in der pragmatischen Funktion einer Meisterin des Lebens aufgeht. Kondensiert findet man dieses Nebeneinander in dem Hinweis Büttners, gerade die grausamen Geschichten der altkirchlichen und mittelalterlichen Märtyrer, der lutherischen Vorbildgestalten par excellence also, seien »kurtzweilig vnd lustig zu lesen«428 . Die Konfessionalisierung der Kompilatorik ging also einher mit einer diffusen Weiterführung älterer Traditionen und Funktionen. Dies galt in ähnlicher Weise für die lutherische Beschäftigung mit den mittelalterlichen Kaisern, auch wenn sie nicht im Rahmen der Universalchronistik, sondern in separaten Werken betrieben wurde.

  Ebd., 100v.   Ebd., 100v. Über Hieronymus urteilt er noch schärfer: »Hieronymus sol nicht vnter die Lerer der Kirchen mit gerechnet noch gezalt werden / denn er ist ein Ketzer gewesen [. . .] ich weis keinen vnter den Leerern / dem ich so feind bin / als Hieronymo / denn er schreibet nur von Fasten / Speise / Jungfrawschafft tc. Wenn er doch auf die Werck des Glaubens drünge vnd triebe dieselben / so were es etwas / aber er lert nichts / weder vom Glauben noch Hoffnung / weder von der Liebe noch von Wercken des Glaubens.« (ebd.) Vor dem Hintergrund der Popularität gerade Hieronymus’ in humanistischen Zirkeln ist also auch hier eine Absetzung des popular-späthumanistischen Diskurses von dem des klassischen Humanismus um 1500 zu beobachten. Zum humanistischen und frömmigkeitstheologischen ›Modeheiligen‹ Hieronymus vgl. Hamm, Berndt, Hieronymus-Begeisterung und Augustinismus vor der Reformation. Beobachtungen zur Beziehung zwischen Humanismus und Frömmigkeitstheologie (am Beispiel Nürnbergs), in: Augustine, the Harvest, and Theology. Essays Dedicated to Heiko A. Oberman in Honour of his Sixtieth Birthday, hg. v. Kenneth Hagen, Leiden u.  a. 1990, 127–235. 427  Siehe auch unter dem locus »Vater vnser im Himmel« die Polemik gegen die Gotteslästerer Karlstadt, Beza, Osiander und Flacius (Büttner, Epitome historiarum, 118v). 428  Ebd., 136v. 425 426

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8.  Lutherische Kaiserhistorien a)  Sammlungen von Kaiserbiographien Neben die Formen der Historiographie, die sich explizit auf das Danielschema berief und mit dieser Entscheidung die Herrscher der Weltreiche in den Mittelpunkt rücken mußten, trat eine Gattung, die nicht in derselben Weise ihre prophetischen Grundlagen offenlegte, aber ebenfalls die römischen und deutschen Kaiser ins Zentrum stellte: die Kaiserbiographik, und zwar entweder als Viten einzelner Kaiser oder als Sammlung aller römisch-deutschen Kaiser bis zur Gegenwart. Die Kaiserhistorien waren ein relativ beliebtes Thema der humanistischen Historiographie gewesen; die lutherische Kaiserbiographik konnte also an diese Tradition anschließen. Der humanistischen Rezeption der antiken Vitensammlungen Suetons und vor allem Plutarchs, die diesen zum meistgelesenen Historiker der frühen Neuzeit machte429, korrespondierte die Beschäftigung mit der deutschen Kaisergeschichte. Diese war vor allem durch das Motiv angeleitet, gegen den Vormachtanspruch der römischen Kurie eine nationale Tradition zu konstruieren, ohne dabei die aus Italien übernommenen Standards der studia humanitatis aufzugeben.430 Dabei standen den Humanisten um 1500 zwei unterschiedliche Wege offen: einerseits die Edition mittelalterlicher Texte, andererseits die Abfassung einer eigenen Kaisergeschichte. Durch die Herausgabe prostaufischer Geschichtswerke stellten sich die Humanisten in eine Tradition antipapaler Haltungen.431 Die positive Deutung des deutschen Mittelalters durch die Humanisten führte wegen der latent oder manifest antirömischen Haltung zu einer zeitweiligen Konvergenz humanistischer und protestantischer Interessen432 und bot einen Ausgangspunkt für die Kaiserbiographik der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. 429  Die Plutarchrezeption gipfelte im Wettstreit um einen »Plutarchus Latinus«, an dem unter anderen Erasmus, Melanchthon und Willibald Pirckheimer teilnahmen. Vgl. Düchting, Reinhard, Art. »Plutarch im Mittelalter und im Humanismus«, in: LMA 7, Sp. 25  f. 430  Vgl. Worstbrock, Selbstverständnis. 431  Vgl. Münkler, Herfried/Grünberger, Hans, Nationale Identität im Diskurs der deutschen Humanisten, in: Nationales Bewußtsein und kollektive Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 2, hg. v. Helmut Berding, Frankfurt a.  M. 1994, 211–248. 432  Vgl. z.  B. D’Amico, John, Ulrich von Hutten and Beatus Rhenanus as medieval historians and religious propagandists in the early reformation, in: ders., Roman and German Humanists. Collected Studies, Aldershot 1993, 1–33; Schreiner, Klaus, Friedrich Barbarossa, Herr der Welt, Zeuge der Wahrheit, die Verkörperung der nationalen Macht und Herrlichkeit, in: Die Zeit der Staufer. Geschichte – Kunst – Kultur. Katalog der Ausstellung, 5 Bde., Stuttgart 1977, Bd. 5, 521–579, hier 530–536. Die Schwierigkeit, nationale Geschichtsdeutung und Papsttreue miteinander zu verbinden, zeigt am Beispiel von Cochläus: Bagchi, Teutschland.

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Doch die Humanisten der Zeit um 1500 edierten nicht nur mittelalterliche Werke, sondern stellten sich auch der Aufgabe, selbst eine bis zur Gegenwart reichende Geschichte der deutsch-römischen Kaiser zu verfassen. Im Umkreis Maximilians I. planten mehrere Gelehrte, u.  a. Conrad Peutinger, eine im Lob des gegenwärtigen Kaisers gipfelnde Sammlung von Kaiserviten. Es war dann aber Johannes Cuspinian, der im Jahr 1521 sein Werk »De caesaribus atque imperatoribus Romanis« fertigstellte, das jedoch erst 1540 veröffentlicht wurde. Diese Schrift stellte die deutschen Kaiser des Mittelalters als Exempel tugendhafter Lebensführung und nationaler Politik dar; insofern liegt es nahe, sie in die Nähe der Fürstenspiegelliteratur zu rücken.433 Cuspinian glorifizierte die Tradition des Reiches und spielte sie gegen die außerdeutsche, speziell römische, Verkommenheit aus. Diese Strategie fügte sich in die nicht nur von den Humanisten gern hergestellte enge Verbindung zwischen Reich und deutscher Nation ein, die im 15. und 16. Jahrhundert zu einem wichtigen Legitimationsfaktor der deutschen Ansprüche auf den Kaisertitel wurde.434 Der Humanismus wurde zum »Macht- und Prachtmittel« nationaler Identitätsbildung.435 Das deutsche Mittelalter war in dieser legitimatorischen Sicht eindeutig positiv besetzt – eine Verfallsgeschichte, wie sie die italienischen Humanisten zeichneten, ist jedenfalls nicht zu erkennen. Die protestantische Geschichtsschreibung besaß eine Reihe von Anknüpfungspunkten an diese Tradition: Die rom- und italienkritische Haltung, das Bewußtsein für die aus göttlicher Vorsehung stammende Autorität des Herrschers, schließlich v.  a. in der frühen Reformation ein deutlicher nationaler Impetus. Viten oder auch einzelne Bemerkungen zu mittelalterlichen Kaisern finden sich auch in der übergreifenden Universalhistorie und sind bereits ausführlich zur Sprache gekommen. In diesem Abschnitt sollen nun biographische Werke darauf hin untersucht werden, inwiefern die Autoren die Kaisergeschichte als lutherischen Identitätsdiskurs stilisierten. Dabei spielt die im Einleitungsabschnitt dieses Kapitels angesprochene translatio-Problematik eine wichtige Rolle; es geht hier aber nicht um eine erschöpfende Behandlung dieses juristischhistorischen Komplexes innerhalb der lutherischen Historiographie, sondern nur um eine exemplarische Vorstellung einiger Positionen. Elias Reusner436 veröffentlichte 1589, in deutlich erweiterter Fassung dann 1612, ein genealogisches Verzeichnis aller Kaiser, Könige und anderer Mon-

433  Vgl. Joachimsen, Geschichtsauffassung, 203–205, 213; Ankwicz-Kleehoven, Hans, Der Wiener Humanist Johannes Cuspinian. Gelehrter und Diplomat zur Zeit Maximilians I., Graz/Köln 1959, 267  f. 434  Vgl. Nonn, Ulrich, Heiliges Römisches Reich deutscher Nation. Zum NationenBegriff des 15. Jahrhunderts, in: ZHF 9 (1982), 129–142. 435  Gundolf, Friedrich, Caesar. Geschichte seines Ruhms, Berlin 1924, 137. 436  Vgl. Zedler 31, Sp. 963 sowie oben, Kap. B.IV.4.c.

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

archen.437 Das riesenhafte Werk voller antiquarischer Gelehrsamkeit enthält fast ausschließlich Herrscherlisten, die allerdings gelegentlich narrativ-biographisch unterfüttert werden. Konnte in einem solchen Buch historisches Wissen ›konfessionalisiert‹ werden? Entzog sich nicht die faktuale Herangehensweise der Genealogie einer eindeutigen Instrumentalisierung? Und doch: Gerade die humanistischen Genealogien mit ihren bis auf Troja zurückreichenden Herrscherreihen hatten als Instrumente nationaler oder reichischer Identitätsstiftung gezeigt, wie stark auch dieses scheinbar neutrale Genre ideologisch eingebunden werden konnte.438 Gelehrsamkeit und Mythisierung verschwammen also in der humanistischen Genealogie ineinander, wenngleich anscheinend ein Bewußtsein dafür bestand, was als glaubwürdig durchgehen konnte und was nicht.439 Diese Vermischung betraf vor allem die historiographisch breit erzählende humanistische Genealogie, weniger aber die technische Genealogie der Späthumanisten, die diese – wie die Chronologie – früh zu einer hilfswissenschaftlichen Disziplin ausarbeiteten. Ein listenartiges Werk, das als historisches Hilfswerkzeug in Spalten aufgeteilt wird und Namen und Regierungszeiten gekrönter Häuper aufzählt, dürfte sich ja kaum für eine Instrumentalisierung eignen. Und doch zeigen einzelne Stichproben, daß in bestimmten Fällen die spärlichen Informationen dazu genutzt wurden, um protestantische Urteile abzugeben. Im Falle des Kaisermörders Phocas z.  B. urteilt Reusner wie die gesamte lutherische Geschichtsschreibung, diese »Imperij pestis« habe Bonifaz III. den päpstlichen Primat verschafft.440 Gregor VII. wird en passant als »Pontifex nefarius« gekennzeichnet.441 Diese knappen Einträge bringen hinter der technischen Fassade der Liste recht eindeutige Wertungen zum Ausdruck. Interessant ist eine Änderung der überarbeiteten Fassung gegenüber der ersten: Während in der ersten Fassung noch unkommentiert davon gesprochen wird, daß Leo III. Karl den Großen zum Kaiser gemacht habe442 , heißt es in der späteren Fassung,

437  Reusner, Elias, Genealogikon Romanvm, De Familijs Regum, Principum, Caesarvm, Imperatorvm ac Procerum Imperij Romani, ab vrbe condita usque ad haec tempora praesentia . . ., Frankfurt 1589; Basilikon Opus Genealogicum Catholicum de Praec. Familiis Imperatorum, Regum, Principum, aliorumque Procerum Orbis Christianae . . ., Frankfurt a.  M. 1612. 438  Vgl. Garber, Jörn, Trojaner – Römer – Franken – Deutsche. »Nationale« Abstammungstheorien im Vorfeld der Nationalstaatsbildung, in: Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit, hg. v. Klaus Garber, Tübingen 1989, 108–163. 439  Vgl. Jahn, Bernhard, Genealogie und Kritik. Theologie und Philologie als Korrektive genealogischen Denkens in Cyriacus Spangenbergs historiographischen Werken, in: Genealogie als Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Kilian Heck/Bernhard Jahn, Tübingen 2000, 69–85. 440  Reusner, Genealogikon Romanvm, 102. 441  Ebd., 130. 442  Vgl. ebd., 123.

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Karl sei »magna acclamatione populi«443 zum Kaiser erhoben worden; damit war die Rolle des Papstes minimiert. Nun sind dies nur wenige Passagen, und sie sind auch nicht dezidiert lutherisch zu nennen. Insgesamt ist die Genealogie ein Diskussionszusammenhang, der wegen seiner starken Spezialisierung eine hohe Autonomie gegenüber Instrumentalisierungsansprüchen behaupten konnte.444 Das gilt sicher nicht im selben Maße für stärker narrative Formen der Geschichtsschreibung. Im folgenden soll an zwei Kaiserchroniken, die aus den Jahren 1561 und 1578 stammen, untersucht werden, inwieweit sich erstens die auf die Kaiser orientierte Geschichtsschreibung überhaupt mit religiösen Fragen befaßte, inwieweit zweitens die Verfasser eindeutig lutherische Positionen bezogen und inwieweit damit drittens eine religiöse Überformung mittelalterlicher Kaisergeschichte festzustellen ist. Der Bernauer Schulrektor Paulus Prätorius (1524–1564/65), dessen umfangreiche Kaiserchronik von 1559 im Jahre 1561 in Wittenberg auf deutsch erschien445 , war Präzeptor des späteren brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. gewesen.446 Seine Auffassung der Geschichte zielte daher auf moralische Exemplarik und auf den besonderen Nutzen der Geschichte für Regenten. Prätorius stellt seine Joachim II. gewidmete Chronik ausdrücklich in die Nähe der Fürstenspiegelliteratur.447 Sein Buch umfaßt die Geschichte der römischen Kaiser von Cäsar bis hin zu Karl V., also die Geschichte des vierten Weltreiches. Die erste Hälfte des Buchs ist den antiken Kaisern sowie den oströmischen Herrschern bis ins achte Jahrhundert gewidmet. Prätorius schreibt hier ungenannte antike Quellen aus und formt sie zu einem durchlaufenden Chroniktext um. Der zweite Teil reicht von Karl dem Großen bis zu Karl V. Schon die bloße quantitative Einteilung zeigt, daß es Prätorius v.  a. darum geht, einen allgemeinen Überblick über die geschichtstheologisch eminenten römischen Herrscher zu geben. Immerhin fügt Prätorius an die Vita des Kaisers Phocas einen Ab-

  Reusner, Basilikon Opus Genealogicum, 190.   Vergleichbar mit Reusners Werk ist in dieser Hinsicht das genealogisch-numismatische Werk eines Katholiken, nämlich des kaiserlichen Antiquars Octavio Strada, des Sohnes des berühmteren Jacopo Strada: de Strada a Rosberg, Octavio, De vitis imperatorum et Caesarum Romanorum, tam occidentalium quam orientalium . . ., Frankfurt a.  M. 1615. Vgl. zu Vater und Sohn Strada: Lietzmann, Hilda, Der kaiserliche Antiquar Jacopo Strada und Kurfürst August von Sachsen, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 60 (1997), 377–399. 445  Vgl. Prätorius, Paulus, Chronica / darinnen der Roemischen Keiser historien / vom ersten Keiser Julio / bis auff Carolum den fünfften / Vnd jre Bieldnis gefunden werden . . ., verdeutscht Durch Jacobum Eysenberg, Wittenberg 1561. Das Buch umfaßt knapp 800 Seiten und ist in großem Oktavformat gedruckt. 446  Prätorius wurde später kurbrandenburgischer und schließlich sogar kaiserlicher Rat. Vgl. Jöcher, Ergbd. 6, Sp. 802. 447  Vgl. Prätorius, Chronica, A iij r. 443 444

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schnitt »Vom Primat« ein, in dem er zeigt, mit welcher List die römischen Bischöfe sich die kirchliche Vorrangstellung verschafft haben.448 Das zweite Buch, das die deutschen Kaiser seit Karl dem Großen enthält, beginnt mit einer Vorrede, in der Prätorius den allmählichen Machtverlust der oströmischen Kaiser seit dem vierten Jahrhundert schildert. Deshalb sei schließlich das Kaisertum an Karl den Großen übergegangen; Prätorius legt besonderen Wert auf die Tatsache, daß Karl ein Deutscher gewesen sei und daß »jmer ein Deudscher Keiser dem andern ördentlich eine lange zeit noch einander gefolget«449. Gegenüber dieser Einordnung in einen deutschen Traditionszusammenhang tritt die religiöse Einfärbung der Kaiser zurück. Der Kampf gegen die Päpste richtet sich vor allem gegen deren weltliche Machtanmaßung, nicht aber gegen eine als Antichristen identifizierte Macht; eine heilsgeschichtliche Überformung findet nicht stärker als in der spätmittelalterlichen Chronistik statt. Gregor VII. darf in dieser Chronik sogar seinen Namen behalten und wird nicht, wie sonst fast durchgehend, als Hildebrand oder gar ›Hellebrand‹ tituliert.450 Religiöse Belange nehmen in einigen Kaiserviten eine durchaus zentrale Rolle ein, aber es wird keine stringente religiöse Deutung der Kaisergeschichte entwickelt. So wird z.  B. zu Kaiser Sigismund seine Initiative notiert, das Schisma zu beenden und das Konstanzer Konzil zu veranstalten. Das Vorgehen gegen Hus auf dem Konstanzer Konzil wird nur angedeutet; von Sigismunds Zusage eines freien Geleits ist nicht die Rede – denn dieses gebrochene Versprechen könnte gegen ihn ausgelegt werden –, und Prätorius äußert sich nicht zu der nur referierten Auffassung, Hus und Hieronymus von Prag hätten eine häretische Lehre vertreten. Zentral findet Prätorius nur den Hussitenaufruhr, der ein eher politisches als religiöses Problem der Kaiser darstellte.451 Und anders als die Universal- und Kirchengeschichtsschreibung hält Prätorius es auch nicht für angemessen, in seiner Kaiserbiographik allzu viele Worte über die Verhandlungen des Konzils zu verlieren.452 Die Zurückhaltung, religiöse Fragen in die narratio rerum gestarum der Kaiser zu mischen, zeigt auch Prätorius’ laudatorische 448  Ebd., 163r: »Derwegen wird zu dieses Bapsts Bonifacij des dritten zeit / der erste anfang gesetzt / das die Bepste zu Rom / haben wollen das oberste heupt vber die Christenheit sein. Es rhümen sich aber die Bepste / vnd schneiden grosse grumpen / von vielen edicten vnd Bullen / so sie zu verteidigung solcher jrer macht vnd pracht / wollen furwenden. Aber die historien weisen es fein aus / das solchs von den Nachkömlingen / felschlich erticht sey worden.« 449  Ebd., 197v. 450  Vgl. ebd., 261r. 451  Vgl. ebd., 366v. 452  Ebd., 337r: »Was sonsten auf diesem Concilio ist gehandelt worden / wollen wir auff dismal vbergehen / denn es vnsers vorhabens nicht ist alles nach einander zu erzelen. Wer mehr begert zu wissen / wz in denselbem Concilio zu Constantz sey gehandelt worden / mag sich des weiter an den orten erholen / da es noch der lenge ist beschrieben.«

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Behandlung Karls V. Im Rahmen einer breiten Eloge auf den Kaiser vermerkt Prätorius nur kurz: »DOmit wir auch auff den punct / die Religion belangend / komen mügen / so kan man sagen / das Keyser Carll der Religion verwand vnd zugethan sey gewesen / die hin vnd wider in den Bepstischen Kirchen schallet« 453.

Es seien Karls spanische Erziehung und die gleißnerische Pracht des Papsttums gewesen, die ihn in der römischen Kirche gehalten hätten, urteilt Prätorius, der nicht bereit ist, Kritik am Kaiser zu üben: So weist er vielmehr als Positivum darauf hin, daß Karl den päpstlichen Vorschlag, mit Waffengewalt gegen die Protestanten vorzugehen, in aller Regel abgelehnt habe.454 Nach diesem kurzen Exkurs zur Religionsfrage aber kehrt Prätorius zum Rühmen zurück und notiert sogar das Augsburger Interim kommentarlos. Insgesamt ergibt sich also ein ambivalenter Eindruck: Bezieht Prätorius auf der einen Seite deutlich antikatholische Positionen, ist er doch auf der anderen Seite weder bereit, die gesamte mittelalterliche Kaisergeschichte als Religionskonflikt zu deuten, noch auch religiöse Fragen in jeden Sachverhalt hereinzumischen. In diesem Sinne trägt Prätorius’ Chronik vorkonfessionelle Züge; offenbar reizte aber auch die bereits vor der Reformation entstandene Gattung der Kaiserviten nicht dazu an, sie als kontroverspolemisches Instrument zu strapazieren. In ganz ähnlicher Weise liest sich eine ebenfalls von einem Brandenburger stammende kleine gereimte Kaiserchronik, die 1578 in Görlitz erschien. Ihr Verfasser, Christian Bertholdt, Stadtschreiber von Lübben in der Niederlausitz 455 , ließ das Buch mit einer noch offenen Widmung publizieren und war offensichtlich auf der Suche nach einem Gönner.456 Das Werk ist in gereimten deutschen Versen abgefaßt: Schon dies deutet darauf hin, daß es eher volkstümlichen Charakter besitzt.457 Im ersten Teil, der   Ebd., 356r.   Ebd., 357r. 455  Vgl. zu ihm: Jöcher, Ergbd. 1, Sp. 1771. Der Titel seiner Chronik lautet: Die kleine Keiser Chronica. Das ist / Kurtze Summarische Beschreibung / Aller Römischen Keyser / vnnd Bäpste /. . . Darinnen neben den Keyserlichen Bildnüssen / auffs einfeltigeste Erkleret vnd angezeigt / Wenn / vnd wie lange die Keyser / Koenige / vnd Bäpste / In rechter Ordnung Geherrschet . . . Aus vielen Chronicken vnd Historien / fleissig zusammen gebracht / vnd in den Druck vorfertiget . . ., Görlitz 1578. Diese Chronik wurde kurioserweise von Siegbert Meyer bis zu Kaiser Wilhelm I. fortgeführt und 1881 in Leipzig veröffentlicht. 456  Die Widmung geht ausdrücklich an »Herrn N.  N. des Heyligen Roemischen Reichs« und an alle Stände des Reichs. Daß Berthold noch einen Sponsor suchte, legt auch die gereimte Widmungsvorrede nahe. 457  Vgl. knapp zur spätmittelalterlichen Tradition der Reimchronik: Rupprich, Hans, Vom späten Mittelalter bis zum Barock. Zweiter Teil: Das Zeitalter der Reformation 1520–1570, München 1973 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. v. Helmut de Boor/Richard Newald, Bd. 4,2), 416. 453 454

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hier allein interessiert 458 , werden nacheinander Kaiser, Könige, aber auch Päp­ste abgehandelt, und zwar in folgender Weise: Die Kaiserviten reichen von Cäsar bis zu Rudolf II., umfassen aber auch die oströmischen Kaiser. Die Päpste werden in zwei Abschnitten behandelt; die Zäsur ist hier wiederum das Jahr 607, in dem nach lutherischem Verständnis der innerkirchliche Primat sich durchsetzte. An diesen Abschnitt anschließend behandelt Bertholdt dann andere europäische Könige. Der volkstümliche Charakter des Werkes macht es problematisch, von ›Hi­sto­ riographie‹ in einem emphatischen Sinne zu sprechen. Offensichtlich geht es Bertholdt primär darum, dem Leser in knappen Reimen, die möglichst auch auswendig gelernt werden können, die Abfolge der Kaiser vor Augen zu stellen. Die Viten, denen Bilder der Kaiser beigegeben sind, bestehen aus je sechs Reimpaaren. Neben die Kaiserviten tritt dann, chronologisch allerdings nicht mit ihnen zusammenhängend, eine Auflistung anderer Herrscher sowie in 18 weiteren Reimpaaren weitere Ereignisse.459 Dadurch, daß diese nicht in zeitlicher Nachbarschaft zu jeweiligen Regierungszeit stehen, sondern hier drei Zeitsäulen unverbunden nebeneinander herlaufen, ergibt sich der kuriose Umstand, daß das Werk – bei all seiner Volkstümlichkeit – für den historischen Laien einigermaßen unbenutzbar gewesen sein dürfte. Aus den Kaiserviten ergibt sich der uneindeutige Eindruck, daß sie sehr kritisch gegenüber der römischen Kirche des Mittelalters ausfallen können, aber nicht müssen. In der Vita Karls des Großen wird z.  B. nur erwähnt, daß er das Kaisertum nach Deutschland geholt habe; vom Papst ist hier gar nicht die Rede. Heinrich IV. wird als Lichtgestalt gezeichnet: »Groß Krieg führt er mit weissem Raht | Bey zwey vnd sechtzig Schlachten that. | Dardurch er Ruhm / Lob / Ehr gewan | Der Bapst aber that jn in Bann. | Sein Son man wider jhn auch hetzt | des Reichs unschüldig ward entsetzt.«460

Vom Papst gebannt zu werden, gilt Bertholdt gleichsam als kaiserlicher Ehrentitel: »Groß lob verdient bey jederman | Noch kam beim Bapst fünff mahl in Bann«, heißt es über den letzten Stauferkaiser.461 Über Heinrich VII. heißt es aber wiederum: »Römischer Keyser wol geziert | Vom Bapst auch deßhalb Confirmirt.«462 Doch meist interessiert sich Berthold weder im Positiven noch im Negativen für die Päpste, sondern begnügt sich mit einem unspezifischen Lob der Frömmigkeit und des Kriegsglücks seiner Helden. Wenn seine Informationen darüber hinausgehen, liest man manchmal Merkwürdiges. Über Kai458  Die Teile zwei und drei umfassen Erklärungen über Völker, Länder und Städte, die im ersten Teil erwähnt werden. 459  Diese Passagen besitzen wieder typographisch hervorgehobene Akrosticha, die das römische Reich preisen. 460  Bertholdt, Keiser Chronica, 94. 461  Ebd., 102. 462  Ebd., 108.

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ser Sigismund heißt es: »War frumb | nur Johan Huß verbrendt | Doch nahm zu Znehm ein sehligs endt«463. Dagegen entfallen Religionsfragen in den Viten Karls V., Ferdinands I., Maximilian II. und Rudolfs II. ganz. Der Moritatencharakter der Kaiserviten zeigt sich ebenso in der dritten Spalte, die allgemeine historische Informationen aufführt. Innenpolitische Affären, Kriege, Informationen über Klöster sowie Wundergeschichten stehen hier ungeordnet nebeneinander. Seltener sind Einträge zu mittelalterlichen religiösen Entwicklungen.464 Legitimatorisches Reformationspathos ist dem Text ganz fremd. Daher kann Bertholdt auch im Vorübergehen Päpste loben465 oder kritisieren, ohne dies zu systematisieren. Der Eintrag zur Hinrichtung Savonarolas zeigt die Grenzen des Reimzwangs auf, dem sich Bertholdt unterworfen hat: »Schnell zu Florentz verbrennet ward | Der frumb Mönch Hieronymus zart.«466 Doch die wichtigen Ereignisse der frühen Reformation erwähnt Berthold so gut wie gar nicht. Der Text, von einem offenbar dezidierten lutherischen Papstgegner verfaßt, läßt sich im großen Stil Gelegenheiten entgehen, entweder die katholische Gegenseite zu schmähen oder einen legitimatorischen Diskurs für die lutherische Sache auszuarbeiten. Dies ist insofern überraschend, als der Text ja ganz und gar volkstümlich ist. Oben war am Beispiel der hochmethodisierten Kaisergenealogie Elias Reusners festgestellt worden, daß sich bestimmte Teile der Geschichtsschreibung einem konfessionellen Instrumentalisierungsdruck durch ihre große Technisierung entzogen. Sie gewannen oder behielten also ihre gattungsmäßig gegebene Autonomie gegenüber den Ansprüchen der konfessionellen Apologetik. Dies gilt, wenn auch in ganz anderer Weise, auch und gerade für sehr volkstümliche Texte. Im Kontext populärer Kalenderliteratur (vgl. Kap. B.VI.) wird darauf zurückzukommen sein. Hier reicht es festzuhalten, daß Bertholdt die Aufgabe seines Werks nicht darin sah, die mittelalterlichen Papstgegner der konfessionellen Sache einzugemeinden. Sein Hauptanspruch scheint gewesen zu sein, in ansprechender Form dem populären Geschichtsinteresse eines breiteren Publikums zu entsprechen. Insofern schließt sein Buch an Tendenzen der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung an: Auch ihm geht es um Unterhaltung und Amüsement.467 Diese sind mit einer eigenen religiösen Auffassung vereinbar, nicht aber mit dezidierter Instrumentalisierung der Geschichte zugunsten der eigenen Konfession.   Ebd., 113.   Zum päpstlichen Primat heißt es etwa: »Erst Bonifacius der dritt | Erlanget das Primat durch bitt.« (41). Zum Konstanzer Konzil: »Wol hielt der Bapst vnd Keyser frum | Zu Costnitz ein Concilium, | Johannes Huß drauff ward Citirt | Bey vier Jahren mans Celebrirt. | Trefflich viel Volcks gen Costnitz kam | Johannes Huß das Gleidt annam. | Traffs vbel / ward getödt zuhand | Zu Costnitz man jn hat verbrandt.« (101). 465  Zum Jahr 1454: »Gar wol sich Bapst Calixtus hielt | Schlug viertzig tausent Türcken wildt.« (106). 466  Ebd., 105. 467  Vgl. Sprandel, Geschichtsschreiber, 309. 463 464

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b)  Biographische Versuche über Karl den Großen Eine Lieblingsfigur schon der Humanisten, wurde Karl der Große auch von lutherischen Historikern oft behandelt.468 Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurde seine Ausnahmestellung nun noch dadurch hervorgehoben, daß sich mehrere Geschichtsschreiber ausschließlich Karl widmeten und umfassende bio­ graphische Werke publizierten. Neben diese biographische Annäherung trat auch die, ebenfalls von Protestanten betriebene, Neuedition von Einhards Vita Caroli Magni, die 1616 in Leipzig erschien.469 Im Jahr 1579 veröffentlichte der Mitarbeiter der Magdeburger Zenturien, Marcus Wagner, eine Karlsbiographie.470 In seiner Vorrede vermerkt der Magdeburger Domherr Siegfried Sack die Gründe, aus denen Karl für den größten Kaiser gehalten werde: Er sei der erste deutsche Kaiser gewesen, habe Schulen und Kirchen errichtet, große Kriege geführt und sei ein gelehrter, aber auch ausgesprochen christlicher Herrscher gewesen.471 Die Vorrede beendet Sack mit dem Hinweis darauf, daß vor 95 Jahren Luther geboren worden sei: »Welches zukunfft 100. Jar zuvor / durch Johan Huss geweissaget war / Gott erhalt vns bey solcher heilsamer Lehre«472 . Was, so mag der zeitgenössische wie der heutige Leser denken, hat das mit Karl dem Großen zu tun? Soll Karl als erster Lutheraner, als Kämpfer gegen päpstliche Willkür stilisiert werden? Oder benutzt Sack diese Vorrede nur, um auch religiöse Anliegen zu transportieren? Schaltet er also einfach vom historiographischen Karlsdiskurs in einen religiösen um? Auch Wagner selbst meint durchaus, daß die Karlshistorie über einen profanen Exempelcharakter hinaus religiöse Funktion besitze: einmal so allgemein, wie die Geschichte überhaupt belehre und tröste, zweitens insofern, als sie den Kampf gegen den Teufel illustriere. In seinem Werk versucht er v.  a. aufzuzeigen, daß das Kaisertum nicht durch den Papst transferiert worden sei. Die schwache Machtposition des Papstes habe diesem nicht erlaubt, eine eigenstän-

468  Zu den Karlsdebatten des älteren Humanismus vgl. Münkler/Grünberger, Nationenbildung, 184–195; zur Karlsdeutung der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit den Schwerpunkten Luther und Karl V. siehe Moeller, Bernd, Karl der Große im 16. Jahrhundert, in: Die Präsenz der Antike im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, hg. v. Ludger Grenzmann u.  a., Göttingen 2004, 109–124. 469  Vgl Vita et Gesta Karolo Magni Imperatoris Invictissimi . . ./ Per Eginhartum eius Secretarium descripta, Leipzig 1616. Einhards Karlsvita wurde zuerst 1521 ediert; siehe Walter, Peter, Die Gestalt Karls des Großen im Spiegel der humanistischen Literatur, in: Geschichte im Bistum Aachen, hg. v. Geschichtsverein für das Bistum Aachen, Aachen 1998, 61–94. 470  Vgl. Wagner, Marcus, Auserlesenes Chronicon: Von den herrlichen Wunderlichen / vnd grossen Thaten Caroli Magni . . ., Magdeburg 1579. 471  Ebd., A3r. 472  Ebd., A4v.

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dige Rolle bei der Translation einzunehmen.473 Karl habe den Papst nicht für seinen Herrn, sondern für einen Freund gehalten, und Karl sei ein sehr treuer Freund gewesen – wenn auch, so legt Wagner nahe, das Gegenüber diese Freundschaft nicht verdient habe.474 Schließlich unterscheidet Wagner noch zwischen dem Krönungsakt des Papstes und der translatio selbst. Jeder Bischof könne einem König die Krone aufsetzen, Land und Leute verteile aber Gott allein: »Die Kron hat der Bapst dem Keyser auffgesetzet / vnd jhn als ein Bischoff an Gottes Stadt gekrönet vnd gesalbet / Welchs er zuvor von Gott bekommen vnd gehabt. Es ist ein gros vnterscheid zwischen dem Keyserthumb vnd der Krönung«475.

Dieses antilegalistische Argument ist aber Wagner anscheinend selbst nicht ganz geheuer; jedenfalls weist er darauf hin, daß »man das gegentheil aus keiner Historien nicht erweisen« könne476 . Wagners Interesse gilt also der Übertragung der Kaiserwürde an die Deutschen, die durch Gottes Willen, nicht durch päpstliche Einwirkung geschehen sei. Dieser Nachweis, der von Lutheranern wie von Humanisten ebensooft geführt wie von Katholiken bestritten wurde477, ist insgesamt weit eher Wagners Anliegen als der Versuch, Karl zum Protestanten avant la lettre zu stilisieren. Dies tut er dennoch: So weist er darauf hin, daß Karl die Bibel als einzige Grundlage der Andacht habe gelten lassen und abergläubische Traditionen auszurotten suchte.478 Karl der Große wird nicht nur als antipäpstliches Argument benutzt, sondern auch als ›lutherischer‹ Herrscher präsentiert. Ganz ähnlich wird Karl in einer akademischen Rede aus dem Jahr 1580 dargestellt: Der Wittenberger Rechtsprofessor und kursächsische Rat Michael Teubner hielt im Rahmen einer Promotionsfeier eine Rede über Karl den Großen und Otto III.479 Teubner stimmt mit Wagners Deutung weitgehend überein. Noch deutlicher aber stellt er Karl in einen heilsgeschichtlichen Zusammenhang: 800 Jahre seien von Christus bis hin zu Karl verflossen, und aufgrund von Berechungen und astronomischen Beobachtungen könne als sicher   Ebd., 37r.   Ebd., 37v-38r. 475  Ebd., 39v. 476  Ebd., 42v. 477  Vgl. Goez, Translatio imperii. 478  Die mit einem »Mercke wol« glossierte Passage lautet: »Carolus Magnus hat verordnet / Das alleine die Bücher der Heiligen Schrifft / in den Kirchen allenthalben solten gelesen werden. Und das die Bischoffe vnd Pfarrherrn / die Menschen Fabeln / Lügen vnd gedichte vnd gar nichts vberall aus jhrem Hirn / Sondern allein das rein Wort Gottes dem gemeinen Volck fürtragen vnd verkündigen / vnd sich allein in der Warheit vben / auff das Gottes Wort seinen fortgang haben [. . .] vnd die Superstitiones / fürnemblich in den Begengnissen der Todten gar ausgerottet moechten werden«: Wagner, Chronicon, 46r. 479  Vgl. Teubner, Michael, Oratio recitata a Cl. v. Michaele Teubnero . . . Die Ianuarij, Anno M.  D.  L .XXX, Wittenberg 1580. 473 474

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gelten, daß man wiederum 800 Jahre später, um das Jahr 1600 also, erneut mit »maximas atque adeo vniversales toti orbi Christiano mutationes« rechnen müsse480. Karl erscheint also als gottgesandter Kaiser, der an einem wichtigen heilsgeschichtlichen Eckdatum auftrat. Präziser faßt Teubner diese Vorstellung nicht; doch ist auffällig, wie stark er im Rahmen einer akademischen Festrede der juristischen Fakultät die theologischen Bezüge der Karlsgestalt herausstellt. Eine noch umfassendere biographische Darstellung Karls des Großen als Wagner publizierte Erpold Lindenbrog im Jahre 1592.481 Lindenbrog, der sich selber »nicht als ein Geschichtschreiber / sondern als ein liebhaber der Geschicht« bezeichnet, schreibt dennoch auf der Grundlage von Chroniken sowie einiger nicht näher bezeichneter Manuskripte.482 In späthumanistischer Manier erinnert er daran, daß schon Thukydides alle großen Toten der Erinnerung für würdig befunden habe. Diesen Bezug auf die antike Memorialkultur baut Lindenbrog noch aus, wenn er mit Hinweis auf Cicero und Plinius darauf hinweist, daß die Antike dazu geneigt habe, Helden nach ihrem Tode zu vergöttlichen.483 Vor diesem Hintergrund vermerkt Lindenbrog die Heiligsprechung Karls des Großen durch Friedrich Barbarossa und Papst Hadrian im Jahr 1166 als positives Faktum.484 Späthumanistische Vergegenwärtigung der nationalen Vergangenheit, gelehrte Rezeption antiker Totenmemoria, schließlich Zustimmung zur Kanonisierung Karls: Das alles läßt nicht erwarten, daß Lindenbrog sich in besonders expliziter Weise darum bemühen würde, Karl den Großen als Lutheraner zu reklamieren. Wenn man das über 500 Seiten umfassende Werk stichprobenartig auf seine lutherische Ausrichtung durchsieht, wird man dennoch fündig. Die brennende Frage etwa nach der Rolle des Papstes bei der Kaiserkrönung Karls beantwortet Lindenbrog eindeutig: Er gibt sich als Schüler Melanchthons zu erkennen485 und übernimmt dessen Haltung, ja zitiert sogar die entsprechende Passage aus dem Chronicon Carionis, nach der Karl durch seine große Machtfülle und Gottes Willen zum Kaiser geworden sei. Der Papst konnte dann nur noch öf  Ebd., A4v.   Vgl. Lindenbruch (Lindenbrog), Erpold, Newe vermehrte Chronica Von dem Großmechtigen ersten Deudschen Keyser CAROLO MAGNO, seinem jnnerlichen Wandel vnd Priuat Leben oder Sitten . . . Vnd Seinen Herrlichen / Löblichen vnd grossen Thaten . . ., Hamburg 1593. Ein späterer Nachdruck, der Lindenbrog nicht erwähnt, ist: Tilenus, Erhard, Zu dieser zeit / Gantz nützlich Krigsanschläge / Beschreybung vnd Practica des Großmechtigen Keysers CAROLI M Darinn nich alleine Jhr Kay. May. gewaltige Kriegßthat vnd Rath / von anstellung guter Ordnung / Angriff der Feinde . . . zu finden / sondern auch Jhrer May. innerlicher Wandel / Privat Leben vnd Sitten / so er im Geistlichen vnd Weltlichen Stande teglich geübet / als andern zum Vorbilde vnd Spiegel hiemit vorgestalt . . ., Frankfurt 1600. 482  Ebd., * iij v. 483  Vgl. ebd., **v-** ij v. 484  Vgl. ebd., ** r. 485  Vgl. ebd., 6r. 480 481

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fentlich bekanntmachen, was faktisch schon geschehen war.486 Daß die Päpste keine Verfügung über die Kaiserkrone besessen hätten, ergebe sich schon daraus, daß die Kaiser Friedensfürsten gewesen seien, die Päpste aber – vor allem seit dem Investiturstreit – durch Krieg das Reich geschwächt hätten. Diese Schwäche des Reichs, an der die Päpste die Verantwortung trügen, wird danielisch zum Anzeichen für sein baldiges Ende, mithin das Ende der Welt gedeutet: »Denn es ist nunmehr auch nicht fern zu dem fröhlichen herrlichen Tag des Gerichts«487. Karl der Große wird sogar als Gottes »Werckzeug«488 tituliert, was insofern von Interesse ist, als dieser Ehrentitel – und sein lateinisch-griechisches Pendant ›organon‹ – sonst meist Luther vorbehalten bleibt. In einem Abschnitt über Karls Frömmigkeit beschreibt Lindenbrog, worin dieser sich um das Christentum verdient gemacht habe: Er habe den Aachener Dom gebaut, habe Schulen und Kirchen gestiftet, schließlich fähige Bischöfe eingesetzt. Auch vermerkt er positiv, daß Karl Wallfahrten initiiert, die römische Kirche finanziell unterstützt und Reliquien gesammelt habe.489 Aber er sei trotzdem innerhalb von 46 Regierungsjahren nur viermal nach Rom gezogen, »gelübde zu pflegen / vnd die Heiligen anzuruffen«490. Die Ambivalenz, die daraus entsteht, daß Lindenbrog einerseits Karls Frömmigkeit herausstellen möchte, andererseits aber seine Nähe zu Rom und zum Papsttum nicht in zu freundlichen Farben malen kann, führt ihn dazu, die in der Vorrede positiv geschilderte antike Praxis der Heldenvergöttlichung im Laufe seines Werkes wieder abzuwerten. Die Kanonisierung von Kaisern, z.  B. Karls, wird aus der Divinisierung der römischen Kaiser hergeleitet, was höhnisch als heidnischer Brauch kritisiert wird.491 Der Kritik an dieser Form der Heldenverehrung, die Lindenbrog noch im Vorwort – zumindest für seinen Helden Karl – als angemessen gekennzeichnet hatte, stellt er die Praxis der Alten Kirche gegenüber, nicht Kaiser, sondern Märtyrer und Bekenner zu verehren.492 Insgesamt ergibt sich in der Karlsvita Lindenbrogs also eine gewisse Ambivalenz zwischen einer Herrscherapotheose und einer oft implizit bleibenden Kritik an dessen Frömmigkeitspraktiken. Auch changiert Lindenbrogs Werk, zumindest in den dargestellten Passagen, zwischen Hagiographie und antikisierender Herrschervita.

  Vgl. ebd., 5r.   Ebd., 7r. 488  Ebd., 7v. 489  Vgl. ebd., 14r. 490  Vgl. ebd., 28v. 491  Vgl. ebd., 276v. Lindenbrogs Quellen für die antike Praxis der Kaiserdivinisierung sind Herodian und Aventin. 492  Vgl. ebd. 276v. Er geht aber nicht so weit, nun Karl den Großen als Bekenner und Märtyrer zu bezeichnen. 486 487

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

Es bestand, so legen die Texte Wagners und Lindenbrogs nahe, ein großes Bedürfnis, Karl für die deutsche und die lutherische Seite zu reklamieren.493 Dem stand aber eine andere Tendenz gegenüber: Der Helmstedter Professor Reineccius gab 1594 ein aus der Karolingerzeit stammendes episches Gedicht über Karl den Großen, aus Wolfenbütteler Handschriften aufgefunden, neu heraus und versah es mit einer Vorrede. Reineccius sah in Karl den »inter Germanici sanguinis Heroas facile principem«494, unternahm aber gerade keinen Versuch, Karl zum Protolutheraner zu stilisieren. Ganz im Gegenteil enthält die Vorrede nur editionstechnische Hinweise. Reineccius war also der Meinung, man solle Karl primär als deutschen Helden, also als nationale statt als konfessionelle Größe wahrnehmen. Daß Reineccius die Möglichkeit sah, in einem von anderen Autoren gern religionspolemisch aufgeladenen Themenbereich nach späthumanistischer Manier nationale Historiographie von konfessioneller Theo­ logie zu trennen495 , zeigt, daß auch er nicht bereit war, die Konfessionalisierung der historischen Darstellung über Gebühr zu strapazieren. Der Durchgang durch die Kaiserhistorien und Karlsviten ergibt also eine Reihe von zweischneidigen Befunden: Die späthumanistisch-nationale Beschäftigung mit den Kaisern und speziell Karl dem Großen steht relativ unverbunden neben dem Versuch der konfessionellen Aufladung. Die religiöse Deutung verbleibt dabei meist im Rahmen der schlichten Feststellung, daß die Kaiser sich gegen päpstliche Machtanmaßung gewehrt hätten. Seltener werden die Kaiser in heilsgeschichtliche Zusammenhänge eingerückt oder gar selbst als ›Lutheraner‹ stilisiert. Es stehen Texte, die eine konfessionelle Einfärbung der 493  Daß dies nicht nur im Falle Karls des Großen versucht wurde, sondern auch einen Kaiser wie Friedrich Barbarossa betraf, zeigen viele Universalhistorien, aber auch separate biographische Skizzen wie z.  B. die mit humanistischer Gelehrsamkeit gespickte Rede, die der Tübinger Philologe Martin Crusius im September 1593 in seiner Universität hielt: Crusius, Martin, De Imperatore Romano Friderico Ahenobarba, uel Barbarossa . . . Oratio. Habita in XXXXI. Magistrorum creatione XI. Cal. Septemb. 1593, Tübingen 1593. Hier heißt es, Barbarossa habe wie Karl den Papst nicht für die Kaiserkrönung benötigt. Der Staufer Barbarossa sei überhaupt ein vorbildlicher Schwabe, ein Schulgründer, ein Streiter für die Macht des Reichs. Was fehlte ihm also noch zur Vollkommenheit, fragt Crusius – »nisi diuinus purae religionis ex S.literis patefactor et restitutor, Martinus Lutherus?« (13). Vgl. auch: Letzner, Johannes, Historia Caroli Magni. Des Grossmechtigsten / Christlichen Römischen vnd ersten Teutschen Keysers . . ., Hildesheim 1603. Im vierten Kapitel, das sich mit Karls Religiösität befaßt, wird dieser völlig unspezifisch als »fromm« und fürsorglich gegenüber armen Untertanen gekennzeichnet (B iiij r). 494  Reineccius, Reiner (Hg.), Annalivm de gestis Caroli Magni Imp. Libri V. Opus auctoris quidem incerti, sed Saxonis et Historici et Poëtae antiquissimi, id est, ARNOLFO Imp. aequalis: nunc primum euulgatum ex illustr. VVolfebuttel bibliotheca . . . Studio et opera Reiner Reineccii Steinhemii, Helmstedt 1594, A2r. 495  Vgl. für weitere Beispiele: Walther, Humanismus und Konfession, der plausibel macht, »daß die Gebildeten um 1600 in einem heute aus der Mode gekommenen Maße gewohnt, fähig und willens waren, einzelne, voneinander getrennte, sozial distinguierte Sphären zu unterscheiden« (117).

9.  Die Helden des nationalen Humanismus: Heinrich Pantaleons ›Heldenbuch‹

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Kaisergeschichte versuchen, neben anderen, in denen dies nicht geschieht. Interessanterweise können dies Texte sein, die wegen ihrer technisch-methodischen Vorgehensweise überhaupt keine oder geringe Möglichkeiten zur Bewertung haben – dies gilt vor allem für die Genealogie –, oder auch Texte, die so volkstümlich gehalten sind, daß zu strikte konfessionelle Linientreue den Rahmen gemütvoll-anekdotischer Kaiserhistorie sprengen würde. Auch die im engeren Sinne humanistische Beschäftigung mit der Kaisergeschichte verließ selten vorkonfessionelle Deutungsparameter. Dieser Befund führt aber noch einmal zur Frage, in welcher Weise ›Späthumanismus‹ und Konfessionalisierung im Medium des historiographischen Selbstbeschreibungsdiskurses miteinander vermittelt wurden.

9.  Die Helden des nationalen Humanismus: Heinrich Pantaleons ›Heldenbuch‹ Wie positionierte sich ein dezidierter Humanist historiographisch, der Bildung und Nation, Politik und Heldentum, nicht aber konfessionalisierte Religion für ein Hauptanliegen der Geschichtsschreibung hielt? An Heinrich Pantaleons ›Heldenbuch‹ kann diese Frage exemplarisch beantwortet werden. Einer der wichtigsten Gründe für den Erfolg Luthers gerade in Deutschland hatte darin bestanden, daß er zeitweise als Symbolfigur einer Konvergenz antipäpstlicher und nationaler Diskurse rezipiert wurde.496 Humanisten wie Celtis oder Hutten, um nur die bekanntesten Beispiele zu nennen, waren einflußreiche Propagatoren eines mit antipapalem und antiitalienischem Affekt befeuerten deutschen Nationalgefühls. Den Autoren um 1500 standen zwei idealtypisch zu unterscheidende Wege nationaler Identitätsstiftung offen, die Jörn Garber mit den Begriffen »universaler« und »endogener« Nationalismus umschrieben hat.497 Während sich ersterer durch eine starke Bezugnahme auf die Theorie der translatio imperii auszeichnete und Selbstbewußtsein aus der Überzeugung schöpfte, daß die politische Macht und die intellektuelle Kultur des römischen Reiches auf die deutsche Nation als Träger des Reichs übergegangen sei, bezog sich die zweite Variante nicht auf die griechisch-römische Antike, sondern suchte bewußt den positiven Anschluß an die barbarisch-germanische Urzeit, die vor allem über Tacitus’ »Germania« imaginiert wurde.498 Die erste Konzeption dagegen wehrte sich gegen den v.  a. von italienischen Humanisten 496  Vgl. Schmidt, Georg, Luther und die frühe Reformation – ein nationales Ereignis?, in: Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch, hg. v. Bernd Moeller, Gütersloh 1998 (SVRG 199), 54–75, hier 74. 497  Vgl. Garber, Jörn, Vom universalen zum endogenen Nationalismus. Die Idee der Nation im deutschen Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Dichter und ihre Nation, hg. v. Helmut Scheuer, Frankfurt a.  M. 1993, 16–37. 498  Vgl. ebd., 25. Zusammenfassend zu diesem Komplex vgl. Kloft, Hans, Die Germa-

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IV.  Universalgeschichte zwischen Prophetie und Säkularisierung

erhobenen Vorwurf deutscher Unkultur und suchte ihn historisch zu widerlegen. Das Mittelalter wurde damit deutlich aufgewertet.499 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde durch die Einbindung des Humanismus in die konfessionelle Konfrontation der Bezug auf die deutsche Nation als identitätsstiftende Größe auch deshalb zunehmend schwieriger, weil im mehrkonfessionellen Reich »konfessionelle und territoriale Identität nahezu deckungsgleich waren.« 500 Die konfessionelle Auseinandersetzung, die humanistische Kritik und religiöse Irenik zunehmend erschwerte, dürfte einer der Hauptgründe dafür sein, daß der Enthusiasmus etwa eines Hutten im Laufe des Jahrhunderts bei vielen Autoren durch das Bewußtsein konterkariert wurde, in einem barbarischen Zeitalter zu leben, das häufig mit dem ovidischen Topos der ›eisernen Zeit‹ umschrieben wurde.501 Die intellektuelle Ordnungsvorstellung der ›Nation‹ wurde zunehmend durch diejenige der ›Konfession‹ ersetzt. Dennoch steht sie im Zentrum eines umfangreichen Werkes: des »Heldenbuchs« von Heinrich Pantaleon. Pantaleon (1522–1595) 502 stammte aus Basel, wo er auch den Großteil seines Lebens verbrachte. Er studierte Theologie und Medizin. Nachdem er sich erfolglos um die renommierte Pfarrei St. Peter beworben hatte, trat er 1548 aus der reformiert geprägten theologischen Fakultät aus, was auch mit seiner deutlichen Abgrenzung gegenüber dem Zwinglianismus und seiner Annäherung an die lutherische Richtung zusammenhängen könnte.503 Diese theologische Ausrichtung entsprach der Position der herrschenden Kreise Basels bis in die 1580er Jahre. Zu Lebzeiten Pantaleons koexistierte in Basel ein protestantisches Bekenntnis ohne dogmatische Zuspitzungen mit einem Geist der Gelehrsamkeit, der Internationalität und des Humanismus.504 Diese Geisteshaltung charakterisiert auch Pantaleon selbst; obwohl er in seiner Jugend mit Matthias Flacius befreundet war 505 , zeigte er doch keinerlei Neigungen, in innerlutherische Streitigkeiten einzutreten. Er wirkte als Arzt und Medizinprofessor an der Uninia des Tacitus und das Problem eines deutschen Nationalbewußtseins, in: AKG 72 (1990), 93–114; Münkler/Grünberger, Nationale Identität, 221–224. 499  Vgl. Worstbrock, Selbstverständnis, 518  f . 500  Schilling, Nationale Identität, 243. 501  Vgl. Kühlmann, Gelehrtenrepublik, 17–43. 502  Vgl. zur Vita Holeczek, Heinz, Art. »Pantaleon, Heinrich«, in: Literaturlexikon 9, 70  f. Eine ausführlichere Biographie findet sich in der einzigen Monographie zu Panta­ leons Werk: Buscher, Hans, Heinrich Pantaleon und sein Heldenbuch, Basel 1946, 1– 57. 503  Vgl. Buscher, Pantaleon, 26–31. 504  Vgl. Guggisberg, Hans R., Reformierter Stadtstaat und Zentrum der Spätrenaissance: Basel in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Renaissance – Reformation. Gegensätze und Gemeinsamkeiten, hg. v. August Buck, Wiesbaden 1984, 197–216; Greyerz, Basels kirchliche und konfessionelle Beziehungen. 505  Vgl. Olson, Oliver K., Matthias Flacius and the survival of Luther’s reform, Wiesbaden 2002, 35  f.

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versität Basel, edierte humanistische Texte beispielsweise von Erasmus und übersetzte zahlreiche historische Werke ins Deutsche, so z.  B. (allerdings gegen den Willen des Autors) Sleidans Commentarii. Mit John Bale und John Foxe bekannt, veröffentlichte er 1563 ein Martyrologium (siehe Kap. B.V.5.c) und brachte wenige Jahre später sein Hauptwerk heraus: Die »Prosopographia heroum atque illustrium virorum totius Germaniae« (1565/66), auf deutsch: »Teutscher Nation Heldenbuch« (ab 1567). Die deutsche Version erschien bis 1588 in vier Ausgaben.506 Der Titel, »Prosopographia heroum atque illustrium virorum totius Germaniae«, verweist deutlich auf das trithemische Vorbild der deutschen viri illustres; neben Trithemius rekurriert Pantaleon stark auf John Bales Schriftstellerkatalog, auf Plutarch und Plinius, Cuspinian und Paolo Giovio.507 Der Typus des ›Helden‹ dagegen ist neu: »Was wir im Heldenbuch finden, ist eine merkwürdige Mischung von antikisierender biographischer Kunst und volksbuchartiger mittelalterlicher Darstellungsweise«.508 Helden der deutschen Nation sind für Pantaleon all jene, die das Vaterland mit dem Schwert verteidigt haben, die ihm Gesetze gegeben und es missioniert haben, schließlich die Märtyrer für den wahren Glauben.509 Gegen den Vorwurf einer barbarischen Urzeit und anhaltenden Unkultur Deutschlands gibt er der Überzeugung Ausdruck, »daß Teütsche Nation vnser vatterland von deß Helden Tuisconis des Nohe enckel zeiten für vnd für mitt streytbaren und hochverstendigen menneren gezieret gewesen / ob sie wol in der geschrifft und freyen künsten noch nie viel gestudieret.« 510

Der angebliche deutsche Stammvater Tuisko, der unter Berufung auf Tacitus zuerst bei Annius von Viterbo, dann bei Celtis und Albert Krantz auftaucht, ist dabei als direkter Nachfahre Noahs, dieser wiederum als Enkel Adams vorgestellt.511 Die Geschichte Deutschlands beginnt damit bald nach dem Ursprung 506  Vgl. Pantaleon, Heinrich, Prosopographia heroum atque illustrium virorum totius Germaniae, 3 Bde., Basel 1565/66. Die spärliche Sekundärliteratur bezieht sich auf die deutsche Fassung; vgl. neben dem Buch von Buscher, Pantaleon, nur Liebertz-Grün, Ursula, Nationalkultur und Gelehrtenstand um 1570. Heinrich Pantaleons Teutscher Nation Heldenbuch, in: Euphorion 80 (1986), 115–148; daher wird überwiegend nach der deutschen Fassung zitiert. Sie trägt den Titel: Pantaleon, Heinrich, Das (!) erste theil Teutscher Nation Heldenbuch . . ., Basel 1567; Der ander Theil Teutscher Nation Heldenbuch . . ., Basel 1568; Der dritte vnd letste Theil Teutscher Nation Heldenbuch . . ., Basel 1570; im folgenden zitiert als: Pantaleon, Heldenbuch I (bzw. II, III). 507  Zu Pantaleons Quellen vgl. Buscher, Pantaleon, 112–120, 136–148. Zu Trithemius siehe: Arnold, Klaus, De Viris Illustribus. Aus den Anfängen der humanistischen Literaturgeschichtsschreibung: Johannes Trithemius und andere Schriftstellerkataloge des 15. Jahrhunderts, in: Humanistica Lovaniensia 42 (1993), 52–70. Vgl. auch Kap. VII.4. 508  Buscher, Pantaleon, 121. 509  Vgl. Pantaleon, Heldenbuch I, * ij v. 510  Pantaleon, Prosopographia, Bd. 1, () 2 v. 511  Vgl. dazu Bizzocchi, Genealogie incredibili, 26–32, 43–49; zu Pantaleon knapp 165–167.

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der Welt; die vorherrschende reichsbezogene Troja-Genealogie wird also durch eine Nationalmythologie ersetzt. Diese Konstruktion einer nationalen Genealogie führt bei Pantaleon allerdings nicht, wie zeitweise bei Celtis512 , zu einer Zurückweisung aller römisch-reichischen Traditionen, sondern gerade zum verstärkten Rekurs auf sie. Die translatio imperii war nach Pantaleons Auffassung berechtigt, weil sich die Deutschen als besonders mutige und gebildete Nation der Aufgabe, das römische Reich weiterzuführen, als besonders würdig erweisen. Die hervorragende Stellung der deutschen Nation liegt neben ihrer politischen Aufgabe in ihrem kulturellen Niveau begründet. Pantaleon behauptet, daß bereits in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten durch Klöster und Kanonikerkollegien in Deutschland das Studium der artes gepflegt worden seien, bevor sie durch den Wechsel des Geschicks an die Araber gelangt, auf dem Umweg über Italien dann aber nach Deutschland zurückgekehrt seien. Pantaleon nennt als Beispiele Nikolaus von Kues und Rudolph Agricola.513 Man müsse die Gegenwart sogar – so betont Pantaleon anders als andere Humanisten seiner Zeit – als goldenes Zeitalter ansehen: Hinsichtlich des Aufschwungs der Medizin, der Künste und Wissenschaften sowie der Gesetzgebung könne die Prophezeiung, daß das letzte der Weltreiche dem ovidischen eisernen Zeitalter gleichzusetzen sei, nicht gelten: Statt dessen lebe man in der »güldenen wält« 514. Mit einem rhetorischen Überbietungsgestus betont Pantaleon: Das frühere Zeitalter könne ein Schüler des späteren sein, wobei er mit dem früheren Alter in diesem Fall den Beginn der Welt meint; charakteristischerweise erwähnt Pantaleon hier die Antike nur im Hinblick auf spätantike Niedergangsprozesse, nicht aber als glorioses Vorbild. Die Suche nach den origines der eigenen Nation besitzt offenbar eine legitimatorische Funktion für die Gegenwart; sie impliziert aber nur das Alter und die lange Kulturtradition der deutschen Nation, nicht zwangsläufig die Annahme eines idealen Urzustandes, wie dies für den theologischen Diskurs charakteristisch wäre. Das Alter der deutschen Kultur, die im Sinne Piccolominis ganz als eine christliche vorgestellt wird, belegt Pantaleon mit der Behauptung, unmittelbar nach der Zeit der Apostel seien an Rhein und Donau Missionierungen durchgeführt worden, die allerdings wegen des hartnäckigen Aberglaubens der ger  Vgl. Garber, Trojaner, 157.   Pantaleon, Heldenbuch II, * iij r. 514  Pantaleon, Heldenbuch III, A3r. Er schreibt weiter: »Der lufft ist milt / der boden fruchtbar / die felder erbauwet / auch die berg mit gold vnd silber erfüllet: es ist ein volckreich land / so mit wein / getraydt / vnd früchten dermassen bezieret [. . .] Die freien künst / die guten gesatz / die erkandtnuß Gottes seindt dermassen auf kommen / das nit bald ein Nation in sollichen mit der vnseren zuuergleichen« (Heldenbuch III, A2v). Konnte eine solche Einschätzung um 1570 nur aus einer Randzone des deutschen Sprachraums kommen? 512 513

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manischen Bevölkerung nicht von anhaltendem Erfolg gewesen seien. Erst Bonifatius habe dann die endgültige Christianisierung durchgeführt.515 Gegen­ über der germanischen Urzeit, die mit ihren (erfundenen) Königen ebenfalls Helden hervorgebracht habe, sei die christlich-kultivierte Gegenwart viel höher zu bewerten: »Welche auch auff heüttigen tags inn teütschem Land wonen / sein weder an manheit / tugenten / oder würdigkeit etwas minder dan ihre altvorderen. So viel aber die Religion / gute gesatz / vnd vieler guten künsten erfahrnuß belanget / übertreffen sie die selbigen sehr weit.« 516

Welcher Art sind nun die Helden, die Pantaleon präsentiert? In 1700 Viten (von Pantaleon in der Regel aus verschiedenen Geschichtsschreibern kompiliert), die Informationen über Abstammung, Erziehung und Tugenden, Taten und Werke der ›Helden‹ enthalten und deren Umfang von wenigen Zeilen bis zu mehreren Seiten reicht, wird nach den germanischen Urkönigen eine große Anzahl bekannter Mönche, Prälaten, Kardinäle, Fürsten, Ritter und Krieger präsentiert. Die sieben aufgenommenen deutschen Päpste erweisen sich als »Anhänger und Stützen des Kaisers« 517 ; Pantaleon weist die weltlichen Machtansprüche des Papsttums zurück, ohne, wie Luther, die Institution als solche zu verwerfen. So heißt es zum Canossagang Heinrichs IV.: »O der grossen thorheit bey den Teutschen / welche dergestalt ihren König wie ein Bettler sehen dem sündigen München zu fuoß fallen, auch hiemit deß Vatterland gerechtigkeit / vnd deß Reichs freyheit diesem Bapst megen vnterwerfen?« 518

Des weiteren enthält das Heldenbuch die Viten von 230 Gelehrten (und endet mit dem Autor selbst), von 80 Reformatoren lutherischer und zwinglianischer Prägung sowie die Lebensbeschreibung von zwölf expliziten Gegnern der Reformation. Schon die offensichtlich unproblematische, durch den nationalen Rahmen vorgegebene Einbeziehung einer großen Zahl mittelalterlicher Kleriker, aber noch mehr die Erwähnung von ausdrücklichen Reformationsgegnern legt die Frage nahe, wie Pantaleon zur konfessionellen Auseinandersetzung steht. In der Vorrede zum ersten Band drückt er die Hoffnung aus, daß »Teütsche Nation / so mit guter Policey für die höchste der welt geachtet / auch inn dem Glauben vnd Kirchen gebreuchen aller dingen wider vereinbaret werde«.519 Als guter Historiker möchte er selbst neutral bleiben 520 ; allein in der Vorrede zum dritten Band führt er unter Berufung auf die Gemeinsamkeiten zwischen allen Christen aus, er wünsche sich eine Wiedervereinigung der ge  Vgl. Pantaleon, Heldenbuch I, 10  f. Vgl. zu diesem Komplex auch Kap. B.V.7.a.   Vgl. ebd., 15. 517  Buscher, Pantaleon, 194. 518  Pantaleon, Heldenbuch II, 192. 519  Pantaleon, Heldenbuch I, * iij v. 520  Vgl. Pantaleon, Heldenbuch III, A4r. 515 516

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trennten Religionsparteien.521 Daß die damit ausgedrückte Hoffnung auf ein Nationalkonzil gerade in der Vorrede zum dritten Band geäußert wird, ist kein Zufall: Dieser Band ist dem seit 1564 amtierenden Kaiser Maximilian II. gewidmet, über den es in einer eigenen Vita heißt: »Durch diese glückliche vnd fridsame regierung verhoffet mengklich es werde under Kaiser Maximilian Teutschland hoch auff kommen / vnd mit der zeit einigkeit in der Religion angehen / vorab weil des Reich Fürsten vnd stend jhren Keiser billich lieben / vnd von seinet wegen sich ab keiner gefahr besorgen.« 522

Pantaleon setzt seine religiösen Wiedervereinigungshoffnungen auf den Kaiser statt auf die zerstrittenen Religionsparteien selbst. Dies darf nicht verwundern angesichts eines humanistisch gebildeten Kaisers, in dessen Ideenwelt »das Herkommen des kaiserlichen Amtes und der traditionell engen Verbindung zwischen Kaisertum und Kirche eine besondere Bedeutung« 523 besaß, der darüber hinaus gewisse Sympathien für den Protestantismus hegte, den sich abzeichnenden tridentischen Katholizismus mit Skepsis betrachtete und, wie Pantaleon selbst, den Calvinismus ablehnte. Pantaleon sah in Maximilian einen geistigen Verbündeten; ob er aber insgesamt die Kaiser als »gottgesandte Missionare mit dem Auftrag einer ›Renovatio mundi‹ im protestantischen Sinne« 524 ansah, darf schon deshalb bezweifelt werden, weil das religiöse Profil des Heldenbuchs, bei aller Betonung der Überlegenheit der protestantischen Glaubensauffassung, nicht besonders scharf ist. Viel eher steht der humanistische Reformaufruf an den Kaiser statt an die zerstrittenen Religionsparteien in der Tradition des Konziliarismus oder der ›Reformatio Sigismundi‹. Der Artikel über Luther legt den Schwerpunkt auf die Jahre 1517 bis 1521. Pantaleon sieht in der Reformation die Restituierung der ursprünglichen christlichen Religion 525 , nicht aber eine gottgewirkte endzeitliche Heilstat. Der Luther-Abschnitt ist kaum umfangreicher als der Artikel über den gelehrten Papst Hadrian VI. (1522–23). Dessen Forderung, daß die Deutschen »doctrinam Lutheri, Romanae ecclesiae in multis adversam, omni conatu extirparent« 526 , wird in der lateinischen Fassung kommentarlos referiert, fehlt aber in 521  Ebd., A4v: »Ich hoffen (!) auch es werde Gott durch sein barmherzigkeit mit der zeit sein gnad verleyhen / das wir alle / allen neid oder sonderbare begirden hinsetzen / vns mit ein anderen versünen / vnd in Einigkeit der christenlichen Kirchen zusamen kommen / vorab weil wir alle Christenleüt getauffet / Gott Vater und seinen son Jesum Christum mit sampt dem Heiligen geist anbetten / die heilige geschrifft zulassen / den Nicenische ja Apostolischen glauben bekennen / vnd durch deß unschuldigen lemblein am creütz opffer / nach diesem leben die ewigen seligkeit verhoffen«. 522  Ebd., 463. 523  Edel, Andreas, Der Kaiser und Kurpfalz. Eine Studie zu den Grundelementen politischen Handelns bei Maximilian II. (1564–1576), Göttingen 1997, 445. 524  Buscher, Pantaleon, 238. 525  Vgl. Pantaleon, Heldenbuch III, 85–94. 526  Pantaleon, Prosopographia, Bd. 3, 90.

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der deutschen Fassung. In keinem der beiden Artikel nutzt Pantaleon aber die Gelegenheit zur Polemik, noch bestreitet er die Gegensätzlichkeit zwischen lutherischer Lehre und Papstkirche. Der Kölner Dominikaner Bernhard von Lu­ tzenburg als Verfasser eines Ketzerkatalogs wird zwar insofern von den rein positiv gezeichneten Reformatoren abgesetzt, als es von ihm heißt, er habe »den Catholischen Glauben nach seinem vermögen understanden zu erhalten«527. In der Vita Lutzenburgs wie in der anderer Reformationsgegner wird hervorgehoben, sie seien in ihrer Gruppe besonders angesehen gewesen, während die Reformatoren in der Regel ungeteilten Beifall finden.528 Trotz dieser Einschränkungen wird auch Lutzenburg als musterhafter Gelehrter dargestellt, der es verdient, in den Kreis der Helden der deutschen Nation aufgenommen zu werden. Ähnliches gilt für Cochläus, der als national gesinnter und humanistischer Katholik gezeichnet wird. Der bedeutendste aller Humanisten, Erasmus, stellt gar eine Art Zentralgestirn des dritten Teils dar, obwohl auch er sich mit Luther entzweite, was Pantaleon aber nur andeutet. »Von Erasmus gekannt und geschätzt worden zu sein, ist so etwas wie ein Gütezeichen, das Pantaleon freigebig verteilt«.529 An drei vorreformatorischen Theologen kann demonstriert werden, daß Pantaleon sich trotz seiner irenischen Tendenzen und trotz der Tatsache, daß er auch engagierte Katholiken als Helden der deutschen Nation anführt, der lutherischen Bewegung verpflichtet fühlt. Hus etwa habe »etliche irrthumb der Römischen Kirchen« 530 aufgedeckt, habe bereits die später von Luther vertretene Rechtfertigungsdoktrin gelehrt und sei zu Unrecht als Ketzer verurteilt worden. In diesem Zusammenhang berichtet Pantaleon auch von der Konfrontation deutscher und tschechischer Angehöriger der Prager Universität, die schließlich zum Auszug der Deutschen und zur Gründung der Universität Leipzig im Jahre 1409 führte. Die Schilderung der tschechisch-deutschen Konfrontation, so muß man vermuten, ist allerdings kurz gehalten, weil Hus als Held der deutschen Nation vereinnahmt werden soll. Von Nikolas von Kues wird berichtet, als römischer Legat in Deutschland »hatt er viel der Kirche Reformieret« 531. An dieser Aussage fällt auf, daß Pantaleon den Gebrauch des Begriffs Reformation vorwiegend innerweltlich-pragmatisch versteht; er verbindet damit kaum apokalyptische Implikationen. Die Verbesserung der Kirche sei schon vor Luther in Angriff genommen worden; die deutschen Helden hätten als Korrektiv der römischen Kirche gewirkt.

  Pantaleon, Heldenbuch III, 74.   Vgl. ebd., 74. 529  Liebertz-Grün, Nationalkultur, 138. 530  Pantaleon, Heldenbuch II, 464–468. 531  Ebd., 510. 527 528

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Worin nach Pantaleons Ansicht die Verirrung der römischen Kirche bestanden hat, zeigt der Abschnitt über Geiler von Kaysersberg: Er habe gegen falsche, unbiblische Traditionen protestiert und gefordert, die Bibel »müsse das Fundament vnser glaubens« sein.532 Darüber hinaus habe er das mönchische Leben, vor allem die Bettelorden, abgelehnt und einen Restaurator der wahren Religion vorhergesagt. Pantaleon fällt also ein vorwiegend negatives Urteil über die kirchlichen Zustände des späteren Mittelalters. Luther erscheint hier als derjenige, der die reine Lehre wiederhergestellt hat; aus Pantaleons Perspektive kann es kein Zufall sein, daß es gerade ein Deutscher war, der diese Wiederherstellung vollbracht hat. Die deutsche Nation spielt als Träger des letzten Weltreiches in politischen wie religiösen Dingen eine herausragende Rolle. Trotzdem stellt  Luthers reformatorisches Wirken keinen Bruch innerhalb der Welt- oder Kirchengeschichte dar, sondern fügt sich in die große mittelalterliche Reichstradition ein. Die religiösen Mißstände, die Luther beseitigt hat, sind in erster Linie außerdeutschen Ursprungs. Luther steht, wie auch seine humanistisch gebildeten Gegner, in einer kontinuierlichen Tradition nationaler Größe. Er bildet eine wichtige Station auf dem Weg zum goldenen Zeitalter der Gegenwart. Seine größte Hoffnung richtet der nationale Humanist Pantaleon aber auf den Kaiser. Daher werden nicht nur Karl der Große als erster deutscher Kaiser oder Pantaleons Hoffnungsträger Maximilian II., sondern auch Maximilian I. als Beschützer der wahren Religion charakterisiert; dieser habe die Päpste aufgefordert, zur Bibel als Norm zurückzukehren.533 Durch den Rekurs auf die Heilige Schrift als religiöse Norm erweist sich Maximilian I. in Pantaleons Lesart als irenischer Lutheraner 534 – eine Position, die sich Pantaleon auch von dem gegenwärtigen Kaiser Maximilian II. erhofft. Der von Humanisten umgebene Maximilian I., mit dessen Vita das Maximilian II. gewidmete dritte Buch einsetzt, wird zur Symbolfigur eines Paktes zwischen Humanisten und Kaiser, der eine gemäßigt lutherische Religionspolitik verwirklichen soll.535 Allerdings   Ebd., 578.   Vgl. Pantaleon, Heldenbuch III, 11. 534  Oder: als protestantischer Ireniker – mit Betonung auf ›protestantisch‹ und dem Hinweis darauf, daß Pantaleons Protestantismus eher lutherische als oberdeutsch-schweizerische Züge trägt. 535  Diese soll offenbar weder ›philippistisch‹ noch ›gnesiolutherisch‹ sein; Pantaleon schätzt sowohl Melanchthon als auch Flacius, läßt sich aber auf eine Auseinandersetzung mit dem Adiaphorastreit kaum ein. Pantaleons Studienfreund Flacius wird zwar als einigermaßen heftig, aber doch im ganzen als konsequent und tapfer geschildert; Melanchthon, dessen intellektuelles Profil Pantaleon sicher näher steht, ist gänzlich positiv gezeichnet. – Daß Maximilian II. einem ›Pakt‹ mit irenischen Humanisten nicht vollständig abgeneigt gewesen sein könnte, mag daraus ersehen werden, daß er Pantaleon im Jahre 1566 zum Dichter krönte; dieses Ritual war ein sprechendes »Symbol der maximilianischen Reichsidee«, die in besonderem Maße humanistischen und nationalen Interessen verpflichtet 532 533

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wird man nicht so weit gehen können wie Buscher, der behauptet, die von Pantaleon dargestellten religiösen Helden seien »saekularisierte (!) und nationalisierte Heilige im nationalen Staat mit profanem imperialen Anspruch, in denen das Messiaskönigtum seine Fortsetzung findet«536 . Die Deutung nämlich, Pantaleon sehe in Deutschland eine Art Gottesreich, ist schon deshalb in Frage zu stellen, weil sie die rhetorisch-argumentative Struktur von Pantaleons Werk nicht genügend berücksichtigt. Seine Rede vom goldenen Zeitalter und seine Darstellung der Kaiser dient vor allem dazu, Maximilian, dem das Werk teilweise zugeeignet ist, dazu zu bewegen, seinem Ideal zu entsprechen: Der Kaiser soll sich als der konfessionelle Vermittler erweisen, den Pantaleon in ihm sehen möchte. Das Heldenbuch wird damit zum »Werk nationaler Versöhnung« 537. Im Zeichen der nationalen Idee sollen die Konfessionen wieder zueinander finden, aber die Verbindung der nationalen Idee mit einem undogmatischen Protestantismus besitzt für Pantaleon offenbar einige Plausibilität. Daher bedeutet die Berufung auf die Nation für ihn keine Aufgabe religiöser Forderungen. Im Gegenteil postuliert er die irenische Verbindung der national geprägten und im Kaiser verkörperten Reichsidee mit einem gemäßigten Luthertum als Wiederherstellung der ursprünglichen christlichen Religion und die Ablehnung der fanatischen rabies theologorum. Diese Forderung ist schon deshalb nicht mit religiöser Toleranz gleichzusetzen, weil Calvinisten, Spiritualisten und Täufer aus dem Konsens ausgeschlossen werden 538 , aber auch, weil ein Wille zur konfessionellen Aussöhnung einem toleranten Geltenlassen unterschiedlicher Glaubensauffassungen letztlich zuwiderläuft. So ist es zwar berechtigt, in Pantaleons Werk einen ersten »Versuch der Einigung gewaltiger religiöser Gegensätze auf nationalem Boden«539 zu sehen; plausibler aber als diese Betonung seiner Pionierfunktion scheint seine Deutung als Spätphänomen des nationalen Humanismus zu sein. Denn das Ordnungsmodell der Nation wurde im konfessionellen Zeitalter zunehmend durch die Kategorie der Konfession ersetzt.540 Damit verschwanden weder Humanismus noch Natiwar (Buscher, Pantaleon, 110). Diese Einschätzung ist insofern mit Vorsicht zu genießen, als offenbar die Poesie und damit auch die Dichterkrönungen selbst in Momenten der Konfrontation dem konfessionellen Interessenkalkül partiell entzogen blieben; so wurden die protestantischen Dichter Martin Opitz und Andreas Gryphius 1625 bzw. 1637 von Kaiser Ferdinand II. zu poetae laureati gekrönt. Vgl. Grimm, Gunter E., Literatur und Gelehrtentum in Deutschland: Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Humanismus bis zur Frühauf klärung, Tübingen 1983, 64. 536  Buscher, Pantaleon, 178. 537  Liebertz-Grün, Nationalkultur, 142. 538  Vgl. ebd., 146. 539  Buscher, Pantaleon, 226. 540  Es ist wohl kein Zufall, daß Pantaleons Werk die zeitlich späteste der von Münkler/ Grünberger, Nationenbildung, bei der Analyse des humanistischen Nationendiskurses herangezogenen Quellen darstellt.

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onsdiskurs, aber sie wurden in ein neu entstehendes intellektuelles Kräftefeld eingebunden und dabei verändert. Wenn der nachreformatorische Humanismus konfessionelle Engstirnigkeit kritisierte, bezog er sich in der Regel nicht mehr auf die Nation.541 Die humanistische Hoffnung auf Wiedervereinigung der Religionsparteien war seit der Institutionalisierung des konfessionellen Dissenses im Reich seit 1555 kaum mehr als ein Wunschtraum – ein attraktiver Wunschtraum, wie die mehrfachen Neudrucke des Werks bis in die 80er Jahre, aber eben nicht länger – beweisen. Insgesamt kamen die nationalen Helden Pantaleons zu spät; wo in der Folgezeit identitätsstiftende Helden beschworen wurden, konnten es kaum andere als ›christliche‹ Helden sein.542 Der Protonationalismus des späteren 16. und frühen 17. Jahrhunderts unterscheidet sich demgegenüber durch seine Integration von Luthertum und Calvinismus auf der Basis einer sich als überkonfessionell gebenden Nationssemantik, die aber primär dazu diente, der kaiserlichen Legitimität eine andere, nationale Legitimität gegenüberzustellen. Von der protestantischen Union bis zu den protestantischen Akademiegründungen des 17. Jahrhunderts ist es ein antihabsburgischer und  -spanischer, eher politisch und wenig konfessionell konnotierter ›Protestantismus‹, der den Nationsdiskurs beherrscht; es ist nicht mehr der reformatorische Nationalismus der 1520er Jahre, und es ist auch nicht mehr Pantaleons irenisch›lutherischer‹ Nationalismus.543 541  Vgl. Benrath, Gustav Adolf, Die Lehre des Humanismus und des Antitrinitarismus, in: Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte, hg. v. Carl Andresen, Bd. 3: Die Lehrentwicklung der Ökumenizität, Göttingen 1984, 1–70, hier v.  a. 39–44. 542  Dies bedeutet nicht, daß die traditionelle humanistische Nationssemantik insgesamt verschwunden wäre. Vgl. aber z.  B. das anonyme Christliche Heldenbuch, darin auf alle Tage deß gantze Jahrs der Außerwöhlten lieben HH. Gottes Bildtnussen . . . fürgestellt werden, München 1629. Vgl. dazu Hieber, Wolfgang, Legende, protestantische Bekennerhistorie, Legendenhistorie. Studien zur literarischen Gestaltung der Heiligenthematik im Zeitalter der Glaubenskämpfe, Diss. Würzburg 1970, 130  f. Aus dem lutherischen Bereich sei eine Schrift genannt, die mittels eines antikisierenden Heldenkonzepts Luther und die beiden Antagonisten Flacius und Andreae zu versöhnen sucht: Bürgerus, Christian Amos, De uirtute heroica Lutheri, Matthiae Flacii et Jacobi Andreae dissertatio historica . . ., Leipzig 1583. – Eine ähnliche protestantisch-späthumanistische Sicht wie Pantaleon (allerdings mit einer gewissen Tendenz zur Inklusion auch des Reformiertentums) zeigt die Gelehrtengalerie, die Nicolas Reusner 1587 veröffentlichte; vgl. Reusner, Nicolaus, Icones siue imagines uirorum . . ., Straßburg 1587, hier benutzt in dem von Manfred Lemmer herausgegebenen Nachdruck, Leipzig/Gütersloh 1973. 543  Daß die komplexe Nationssemantik in der frühen Neuzeit weitgehend protestantisches Sondergut blieb und als vom Anspruch her ›überkonfessioneller‹, de facto aber protestantischer politischer Bezugsrahmen eine gewisse Instrumentalität besaß, wäre den Arbeiten von Georg Schmidt entgegenzuhalten. Zu den Akademien des 17. Jahrhunderts, speziell der Fruchtbringenden Gesellschaft, an der die beobachtete Doppeldeutigkeit besonders klar zu beobachten ist, siehe: Schmidt, Georg, Die Anfänge der Fruchtbringenden Gesellschaft als politisch motivierte Sammlungsbewegung und höfische Akademie, in: Die Fruchtbringer – eine teutschherzige Gesellschaft, hg. v. Klaus Manger, Heidelberg 2001, 5–37; ders., Die frühneuzeitliche Idee »deutsche Nation«. Mehrkonfes-

9.  Die Helden des nationalen Humanismus: Heinrich Pantaleons ›Heldenbuch‹

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Resümierend läßt sich festhalten: Die thematisch und zeitlich sehr inklusive Universalgeschichte, die sich partiell zur Profangeschichte verengte, war nur in begrenztem Maße für die Formulierung lutherischer Identitätsdiskurse geeignet. Die inhaltlichen und historiographischen Konventionen etwa der Kaisergeschichtsschreibung überwogen häufig die unmittelbare Funktionalisierung der Geschichtsschreibung für konfessionelle Belange. Amüsement und leichte Belehrung auf der einen Seite, technische Differenzierung etwa im genealogischen Diskurs auf der anderen Seite verhinderten eine allzu eindeutige Konfessionalisierung der Universalgeschichtsschreibung. Wenn man die Klassifizierung der frühneuzeitlichen Historiographie nach Elementen von ›Wissenschaftlichkeit‹ im modernen Sinne akzeptiert, kann man tentativ sogar sagen, daß es am ehesten die Werke eines mittleren Niveaus waren, die unmittelbar konfessionelle Ziele ansteuern konnten: Dafür waren offenbar weder die gereimte Kaiserchronik für den Gemeinen Mann noch auch die listenartige Geneaologie sonderlich geeignet, sondern eher die traditionelle Momente aufnehmende und diese produktiv erweiternde Universalchronik. Doch auch in der Universalchronik, die im Spannungsfeld von Prophetie und unabsichtlicher Säkularisierung geschrieben wurde, überwogen, wie v.  a. an den Beispielen Sleidan und Melanchthon/ Peucer deutlich geworden ist, oft die vorkonfessionellen Wissensbestände über die unmittelbare Konfessionalisierung der Geschichte. Häufig wurde das Luthertum z.  B. implizit in die Tradition des eher von Reich und Nation als von der Konfession her interpretierten Abwehrkampfes gegen Rom eingeordnet. Allerdings ist die spezifische Konstellation innerhalb der Melanchthonschule doch komplexer, als es den Anschein hat: Denn hier wird mittels einer genuin konfessionellen Idee wie der Zwei-Reiche-Lehre argumentiert. Es ist also ein Element von Konfessionalisierung, das letztlich dazu führt, daß Konfessionalisierung begrenzt wird. Dennoch: Auch im konfessionellen Zeitalter, auch bei persönlich dezidiert konfessionell geprägten Historikern, ging Geschichtsschreibung – zumal Universalgeschichtsschreibung – nicht in Funktionalisierung und Instrumentalisierung, nicht in konfessionellem Gruppengedächtnis auf.

sionalität und säkulare Werte, in: Nation und Religion in der deutschen Geschichte, hg. v. Heinz-Gerhard Haupt/ Dieter Langewiesche, Frankfurt/New York 2001, 33–67; Valentin, Jean-Marie, Die konfessionelle Teilung des Reiches und die Unmöglichkeit einer Akademie im katholischen Deutschland der Frühen Neuzeit, in: Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätauf klärung, hg. v. Klaus Garber/Heinz Wissmann, 2 Bde., Tübingen 1996, Bd. 2, 1580–1597.

V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung 1.  »Das hat alles geschehen müssen«: Historia ecclesiastica als Identitätsdiskurs In Kap. B.III ist dargestellt worden, was die Kirchengeschichtsschreibung mit der Universalgeschichtsschreibung verbindet und was sie von ihr unterscheidet: Wenn auch beide innerhalb eines von den biblischen Prophezeiungen umrissenen Rahmens spielten, so wurde doch in der Melanchthon folgenden Tradition die Kirchengeschichte als Geschichte der wahren Lehre von der unter der lex stehenden Profangeschichte differenziert. Sie konnte Bestandteil der Universalgeschichte bleiben, aber auch ausgegliedert werden. Die antiinstitutionelle Kirchenkonzeption des Luthertums und die damit einhergehende Aufmerksamkeit für sichtbare wie unsichtbare Kirche steigerten die Komplexität des kirchenhistoriographischen Diskurses. Der intrikate theologische Zusammenhang konnte geradezu dazu anreizen, Kirchengeschichte polemisch wie apologetisch zu schreiben, sie als Erbauung wie als Waffe zu verwenden, kurz: sie rhetorisch und situativ in besonderer Weise aufzuladen. »Dann wie die Kirche Christi groß vnd klein / reich vnd arm / schwach vnd stark / heilig vnd sündhafftig / todt vnd lebendig / recht vnd wol mit irem vnterscheid erklert wird (diuerso respectuu, oder nach gestalt vnd gelegenheit der sachen) Also wirdt sie auch Herrlich vnd unscheinlich / offenbar vnd verborgen / bekant vnd vnbekant / nach gelegenheit der zeit vnd Personen recht beschrieben«.

In seiner Methodenlehre grenzte Reineccius die Kirchengeschichte von der Universalgeschichte durch eine weitere Spezifizierung ihres Gegenstandsbereiches ab: Die Kirchengeschichte beschäftige sich nicht nur mit Ursprung und Bewahrung der wahren Lehre und der wahren Kirche, sondern auch ihren Zeremonien, schließlich mit Schismen und Häresien. Interessanterweise, und dies ist gänzlich untypisch, veranlaßte ihn diese Klassifizierung zu einem längeren   Nigrinus, Georg, Von der rechten waren / Catholischen Apostolischen vnd Christlichen Kirchen / gründtlicher bericht . . ., o.O. 1581, 119. – Die Zitate in diesem Einleitungsabschnitt sind aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen genommen; vor allem sind sie zeitlich einigermaßen disparat und folgen keiner chronologischen Ordnung, weil es hier nur darum gehen soll, allgemeine strukturelle Charakteristika des kirchengeschichtlichen Schreibzusammenhanges herauszuarbeiten.   Vgl. Reineccius, Methodus loquendi cognoscendique historiam, 11r.

1.  »Das hat alles geschehen müssen«: Historia ecclesiastica als Identitätsdiskurs

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Exkurs über die antike Religion. Auch diese wird offenbar, so falsch sie ist, dem Bereich der Religion, nicht aber der Kirche zugeschlagen. Wenn aber mit religio falsa in Mittelalter und Frühneuzeit in Wirklichkeit immer superstitio gemeint ist , dürfte es sich mit dem Konzept der falsa ecclesia komplizierter verhalten. Falsche Kirche, aber nichtsdestoweniger Kirche, ist der Katholizismus. Schon Luther hatte zwischen der vera und der falsa ecclesia, der Kirche Abels und der Kains, unterschieden. Reineccius folgt ihm darin: Zur falschen Kirche, die von Kain bis zu den christlichen Idolatrien führt, gehören auch häretische Sekten innerhalb der Kirche; als Beispiel dient hier der Islam, der als Abspaltung vom Christentum gedeutet wird. Zu dieser falschen Kirche gehört auch das Papsttum: »Mutatus etiam quasi degenerando Christianismi per Occidentem, seu LATINAE Ecclesiae status fuit in REGNUM PONTIFICIUM, seu Hierarchiam Romanam.«  Die römische Kirche ist ein Verfallsprodukt der wahren Kirche, sie hat sich in das regnum pontificium verwandelt, ist aber dennoch weiterhin Teil der Kirchengeschichte. Damit bleibt die lutherische Kirchengeschichtsschreibung von ihren Voraussetzungen her an die Geschichte des Katholizismus gebunden. In der »Historiae Ecclesiasticae Epitome« des Straßburgers Johannes Pappus wird der Inhalt der Kirchengeschichte so bestimmt: »Deinde extat in historia ecclesiae, perpetuum testimonium consensus doctrinae Orthodoxae, et Catholicae. Tametsi enim ea, et Doctorum ignauia, et Haereticorum astutia, labefacta saepe fuit, et obscurata: atque in ipsum templum Domini, Antichristus sese ingessit: nunquam tamen defuerunt testes ueritatis doctrinae coelestis, qui uel cum periculo uitae, et haereticis, et Antichristo ipsi sese opponerent.«

Mit der Anspielung auf 2. Thess 2 – der Aussage, daß der Antichrist sich im Tempel des Herrn selbst, also innerhalb der Kirche erheben wird –, ist der Grund dafür angegeben, warum die lutherische Kirchengeschichtsschreibung der Geschichte des Katholizismus einen so großen Raum zumessen muß und sich nicht auf eine Gegengeschichte der wahren Lehre beschränken kann. Die Geschichte des Papsttums gehört in eine Geschichte der (lutherischen) Kirche hinein, weil der endzeitliche Verführer innerhalb der Kirche entstanden ist. Bereits in den 1540er Jahren benutzte Friedrich Myconius genau dieses Argument, um zu zeigen, warum der in der lutherischen Universalgeschichte so breit ausgemalte Kampf zwischen Päpsten und Kaisern letztlich nicht zu gewinnen war:

  Vgl. Feil, Ernst, Religio, Bd. 2: Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs zwischen Reformation und Rationalismus, Göttingen 1997, 18.   Vgl. WA 51,477.   Vgl. Reineccius, Methodus loquendi cognoscendique historiam, 13r.   Ebd., 13v.   Pappus, Historiae Ecclesiasticae Epitome, 9.

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

»Wiewohl sich viel Kaiser treulich darwider gesetzt vnd viel Bluts dran gewagt [. . .], so war es doch vergeblich. Denn es war geschrieben, er sollt im Tempel Gottes auch über Gott steigen und sich erzeigen, als wär er selb Gott. Das mußte geschehn. Und wenn er gestiegen hätte und am höchsten sätze, sollt er nicht mit Menschen Hand noch Macht, sondern allein mit dem Geist des Mundes des Herrn, das ist mit dem kräftigen, mächtigen Wort Gottes und dem heiligen Evangelio, offenbaret, zu Schanden gemacht und hernieder gestürzet werden. Das hat alles geschehen müssen«.

Die Darstellung von Aufstieg und Fall des Papsttums wird damit zu einer hervorragenden Aufgabe lutherischer Kirchengeschichtsschreibung. Anders als die Profangeschichte, die viel stärker an unmittelbar moralexemplarische Funktionen angebunden wurde und sich, sieht man von der Abfolge der vier Weltreiche ab, viel weniger für Abläufe interessierte, hatte die Kirchengeschichte schon seit Euseb mit Perspektiven von Aufschwung und Verfall, Kontinuität und Dekadenz gearbeitet. Neben der Tendenz, Kirche im Singular als Begriff entweder für die weltumspannende Institution oder für die Gesamtheit ihrer Gemeinden zu verwenden, steht in der lutherischen Kirchengeschichtsschreibung eine unbefangene Benutzung des Plurals ›Kirchen‹. Dieser Plural, der verschiedene regionale Kirchentümer voneinander unterscheidet, wird in Übereinstimmung mit Euseb10 gerade in Darstellungen der Alten Kirche gern und oft verwendet. Ihr Sinn ist es, der ›römischen Kirche‹ – hier verstanden als die in Rom ansässige Kirche samt ihrem Bischof – eine Reihe von ursprünglich gleichfalls autonomen Kirchen, wie die alexandrische oder die antiochische Kirche, entgegenzustellen. So heißt es z.  B., daß die römische Kirche »eine Mutter / Richterin vnd Meisterin aller anderen Kirchen«11 sein wollte. Analog der reformatorischen Orientierung am Gemeinde- oder später Territorialprinzip und ihrer Ablehnung kirchlicher Zentralisierung argumentieren auch die lutherischen Kirchenhistoriographen, wenn sie z.  B. den Zustand der Kirche am Ende des ersten christlichen Jahrhunderts beschreiben: »Nulla enim tunc Ecclesia sese supra alias efferebat aut dominium in alias exercebat: sed omnes Christianae Ecclesiae pari potestate sub vno   Myconius, Geschichte der Reformation, 10  f . Vgl. zu Myconius: Lohmann, Hartmut, Art. »Myconius, Friedrich«, in: BBKL 6, Sp. 410–412.   Vgl. Markschies, Art. »Geschichte«, Sp. 790. Vgl. zur ›Verfalls-‹ und ›Kontinuitätsperspektive‹ forschungsgeschichtlich einschlägig auch: Seeberg, Erich, Gottfried Arnold. Die Wissenschaft und die Mystik seiner Zeit. Studien zur Historiographie und zur Mystik, Meerane (Sachsen) 1923 (ND Darmstadt 1964) sowie Zeller, Die »alternde Welt«; zur Kritik an der Reduktion der Kirchengeschichtsschreibung auf diese Perspektiven vgl. Markschies, Die eine Reformation. 10  Vgl. Timpe, Kirchengeschichte, 183. 11  Nigrinus, Georg, Apocalypsis. Das ist: Die Offenbarung S. Johannis deß Apostels / vnd Euangelisten / In diesen letzten trübseligen Zeiten / allen rechten Christen zum Trost vnd Besserung / wider das Antichristische Reich / vnd alle Feinde der wahren Christlichen Kirchen / auffs trewlichst vnd fleissigst erkläret vnd außgeleget . . ., Frankfurt am Main 1593 (EA Ursel 1573), 399.

1.  »Das hat alles geschehen müssen«: Historia ecclesiastica als Identitätsdiskurs

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capite Christo militabant.«12 Die regionale Abgrenzung der Kirchen im Plural steht also semantisch neben der einen Kirche; beide konstituieren die wahre Kirche, und beiden steht die falsche, vom Antichristen okkupierte römische Kirche mit ihrem hybriden Anspruch gegenüber, die Gesamtkirche zu repräsentieren. Die Semantik des »Bapsthumbs«, dem man entronnen sei, changiert bei lutherischen Autoren zwischen einer abgeschlossenen Epoche und einer Art Land, aus dem man geflohen ist. Die große Menge schreie immer noch: »Ey vorzeiten im Bapstumb war gute zeit«.13 Gleichzeitig ist das »Bapstthumb« aber auch das »Antichristische Reich«14 und das »Bäpstische AEgypten«, aus dem die »Christlichen Israeliten« von Luther herausgeführt worden sind15. Damit gewinnt die Gegenwart eine Qualität, die der biblischen Zeit zumindest nicht nachsteht: »Was ist vnsere erledigung auß der Babylonischen gefängnuß des Bapst weniger / denn jene auß Egypto / gewesen? Fürwar gar nichts / auch nicht in einigem stück: In etlichen stücken ist auch wol herrlicher und gewaltiger.«16

Doch der Nachweis des Verfalls der Papstkirche reichte nicht aus; hinzukommen mußte eine plausible Erklärung der Geschichte der eigenen Kirche. Alter und Universalität der römischen Lehre waren die wichtigsten Argumente derjenigen Anhänger Luthers gewesen, die sich seit Beginn der 1530er Jahre von der Reformation abgewandt hatten.17 Vor allem die spektakuläre Konversion des Melanchthonschülers Friedrich Staphylus 1552/53 mit diesen Argumenten erhöhte den Druck, dem evidenten altgläubigen Anspruch auf Kontinuität zu begegnen.18 Dazu kam als mögliches, wenngleich seltener erörtertes Motiv die

12  Osiander, Lucas, Epitomes Historiae Ecclesiasticae Centuria I.II.III., in qvibus breviter et perspicve commemoratur, quis fuerit status Ecclesiae Christi, a natiuitate Saluatoris, vsque ad initium anni Christi CCC. RECITATUR aut in specie, quomodo Euangelij doctrina in orbe terrarum sparsa sit, quae haereses in Ecclesia exortae: quae persecutiones contra Ecclesiam motae: quibus medijs haereses oppressae, et perecutiones sedatae sint: quos praeclares Ecclesiae singulis temporibus habuerint: inter quos et Romanorum Episcoporum recensentur. SED ET Romanorum Imperatorum acta describuntur . . ., Tübingen 1592, 159. 13  Vorrede des Übersetzers Paul Heusler zu: Selnecker, Historica Oratio, )( v r-v. 14  Vgl. Vietor, Jeremias, Gründlicher / widerholter Bericht / Daß der Römische Bapst nicht das Haupt der Kirchen / noch deß heiligen Apostels Petri Nachfolger / sondern eygentlich der Antichrist / vnd seine Lehr nicht die vralte / Catholische / vnd Apostolische /sondern ein neuwe / jrrige / vnd Abgöttische Lehr sey . . ., Marburg 1587, 60r. 15  Miller, Exodus Euangelica, Titelseite. Ähnlich z.  B.: Selnecker, Historica Oratio, )( iiij r; Cramer, Daniel, Oratio panegyrica, qva Ecclesiis, per D. Lutherum Reformatis, indicitur, cum Auspicio Anni post natum Christum millesimi sexcentissimo, Iubilaeus Euangelicus . . ., Wittenberg 1600, A4r. 16  Miller, Exodus Evangelica, 2v. 17  Vgl. z.  B. Henze, Barbara, Aus Liebe zur Kirche Reform. Die Bemühungen Georg Witzels (1501–1573) um die Kircheneinheit, Münster 1995, 128–147. 18  Vgl. Mennecke-Haustein, Ute, Conversio ad ecclesiam. Der Weg des Friedrich

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

Frage nach der Seligkeit oder Verdammnis der bereits ›im Bapsthumb‹ verstorbenen Katholiken: Wer aus der Zeit der Finsternis war errettet worden? 19 Neben der Verfallsgeschichte der Kirche mußte die Kirchengeschichtsschreibung also auch die Kontinuität der wahren Lehre zeigen und dadurch dem Christen Trost in seiner Bedrängnis geben.20 Zumindest theoretisch bedeutete diese Hinwendung zur wahren Lehre als zentraler Aufgabe der historia ecclesiastica eine Verschiebung hin zur Dogmengeschichte 21 und damit von einer auch auf ›externe‹ Faktoren achtende zu einer ›internen‹ Kirchengeschichtsschreibung.22 Die Kirchengeschichte, so betonen wie Reineccius auch andere Autoren, übertreffe die Profangeschichte bei weitem, weil sie – jedenfalls als »historiae quae sunt ecclesiae Propriae« – die Geschicke des Evangeliums vor Augen stelle.23 Wohl schon angelehnt an die loci-Methode der Magdeburger Zenturien führt Chyträus 1563 in seiner weitverbreiteten Historik aus, daß die Kirchengeschichte zeige, »quae et vbi (ecclesia) singulis temporibus fuerit, quam sonuerit doctrinae uocem, de quibus doctrinae partibus praecipue extiterint certamina, quomodo ueritas defensa et illustrata sit, quos praecipuos Doctores et testes uerae sententiae habuerit«.24

Die »doctores et testes«, von denen Chyträus spricht, bildeten in besonders eindrucksvoller Weise den Ausgangspunkt eines Diskurses über die Kontinuität der wahren Lehre (Kap. B.V.4).25 Die biblisch gestützte Überzeugung, daß Gott sein Volk nie verlassen werde, verleiht der nachbiblischen Kirchengeschichte nicht dieselbe Dignität wie der Bibel, die allein »historia sacra« ist, rückt sie aber in deren Nähe.26 Mit dem Kontinuitätsnachweis konnte die KirchengeschichtsStaphylus zurück zur vortridentinischen katholischen Kirche, Gütersloh 2003 (QFRG 74), 330–340. 19  Vgl. Seeberg, Gottfried Arnold, 446, Anm. 1. 20  Vgl. Pappus, Historiae Ecclesiasticae Epitome, *4r. 21  Vgl. Kolb, Robert, For All the Saints. Changing Perceptions of Martyrdom and Sainthood in the Lutheran Reformation, Macon 1987, 101  f. 22  Vgl. Stöve, Art. »Kirchengeschichtsschreibung«, 536. 23  Strigel, Commentarius, (??)7v. 24  Chyträus, De lectione historiarum, G3r. Chyträus fährt fort: »Hortor Auditores, vt in lectione sequentium Historicorum hos locos in conspectu habeant, et requirant« und macht damit deutlich, daß die loci-Methode, die die Zenturiatoren in die Kirchengeschichtsschreibung einführten (vgl. Kap. B.V.6), im pädagogischen Universum der Melanchthonschule kein Fremdkörper war. 25  Allerdings fällt auf, daß Chyträus, De lectione historiarum, G3r, zwar die alten Kirchengeschichten und Platina als Beispielwerke nennt, nicht aber die Zenturien oder den Catalogus testium veritatis. 26  Zur Unterscheidung von historia sacra und historia ecclesiastica vgl. Pappus, Historiae Ecclesiasticae Epitome, 1  f. Auch Dresser, Oratio de ordine, B iij r, weist darauf hin, daß nur die Bibel »omnis dubitanionis expers« sei, alle anderen Historien seien regelgerecht darauf zu untersuchen, mit welchen Methoden sie zu ihren Aussagen kommen. Vgl. zum Zusammenhang auch Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte, 260. – Die oft ausgesprochene Ansicht, daß Gott die Kirche nie hat vollends veröden lassen (vgl. z.  B. bei

1.  »Das hat alles geschehen müssen«: Historia ecclesiastica als Identitätsdiskurs

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schreibung viel eindeutiger als die Universalgeschichtsschreibung die Funktion eines konfessionellen Identitätsdiskurs übernehmen. Hier wurde über die Bedeutung Luthers und der Reformation, über die wahre Kirche und ihren heilsgeschichtlichen Standort gehandelt. Daher wurde die Frage, welche Kirche die alte sei und welche die neue, ein beliebtes Thema nicht nur der Historiographie, sondern auch theologischer Disputationen, wenngleich in diesen Texten oft nicht eigentlich historisch, sondern theologisch argumentiert wurde; die Bezugspunkte waren die Bibel, die Urkirche und die Kirchenväter.27 Auch war es eine beliebte akademische Aufgabe für Theologiestudenten, die Antichristlichkeit des Papsttums nachzuweisen. Dabei wurde in der Regel stereotyp davon ausgegangen, daß schon in der frühen Kirche der Primatsanspruch und die Lehrverfälschungen der römischen Bischöfe dem Antichristen den Weg gebahnt hätten. Die Durchsetzung des Primats durch Phocas und die Entstehung des Islam hätten einen doppelten Antichristen hervorgebracht; der innerkirchliche Antichrist sei allerdings bei weitem der gefährlichere.28 Hier verschwammen die Grenzen zwischen akademischer Theologie und Kontroverspolemik. Dennoch ging auch in den härte­ sten Phasen des Glaubensstreites die Beschäftigung mit Kirchengeschichte nicht in Polemik und Apologetik auf. So erweisen sich Texte, deren Titel eher an den Kontext der Luthermemoria oder der Geschichtsdeutung denken lassen, oft als dogmengeschichtliche Traktate29, was Polemik nicht ausschließt, aber doch einschränkt. Melanchthon CR 11,759), rekurriert auf Bibelstellen wie Mt 28,20; Joh 14,16 und 26; Joh 15,26. 27  Vgl. z.  B. Heerbrand, Jacob, Disputationes Theologicae, Tübingen 1575: De omnium prima, et antiquissima religione, 21–53; Disputatio de noua Religione seu fide, 54–88; Disputatio de Quaestione: Quae et vbi uera Dei Ecclesia sub regno Pontificio superioribus temporibus fuerit, et etiamnum hodie sit?, 250–273; Disputatio de Primatu Romani Pontificis, 316–339. 28  Vgl. z.  B. Balduinus, Orationes duae de Pontifice Romano. Neben den päpstlichen und türkischen Antichristen, die in den 1590er Jahren weithin lutherisches Gemeingut darstellten, wurde von manchen Autoren ein dritter, calvinistischer Antichrist gestellt. Allerdings wurden diese drei Antichristen in der Regel weder konsistent zueinander in Beziehung gesetzt, noch ist eine historische Darstellung z.  B. des Aufstiegs des römischen oder der Herkunft des calvinistischen Antichristen zwingend. Vgl. z.  B. Prätorius, Johannes, Dreyköpffichter Antichrist / Darinnen des Bapstes Grewel / der Türckische Alcoran / vnd der Calvinisten Lesterschwarm / Allen frommen Gotteskindern zu Trost vnd Warnung abgebildet vnnd widerleget wird . . ., o.O. 1592 (EA 1591). Zuweilen stellen Lutheraner die reformierten Rivalen unter Bezug auf Off b 8,13 in eine Reihe von Verfolgern der wahren Kirche mit Arianern und Katholiken; vgl. z.  B. Reneccius, Caluinianorum ortus, 62  f. 29  Vgl. z.  B. Mylius, Georg, Gründtlicher Beweis / Daß D. Martinus Luther in allen vnd ieden / mit dem Römischen Bapstumb / streitigen punckten / geglaubet vnnd gelehret habe das jenige / was stracks nach der Heiligen Apostel zeitten / in den nechsten sechshundert Jahren / öffenlich ist gegleubet vnd gelehret worden . . ., Wittenberg 1606.

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

Ein wichtiger historischer und theologischer Referenzpunkt waren die Kirchenväter. Im Reformkatholizismus geradezu Garanten der Lehrkontinuität, wurden sie in der reformatorischen Tradition als wichtige Anreger gesehen, deren Autorität aber an der Bibel überprüft werden müsse.30 Das Ringen um das richtige Väterverständnis förderte die argumentative Subtilität, ging aber nicht in Polemik gegen den Glaubensgegner auf, sondern war über weite Strecken historische, philologische und theologische Grundlagenforschung.31 Nach dem Zeitraum dieser Arbeit, aber in der Entwicklungslogik der von Melanchthon und seinen Schülern ausgehenden Beschäftigung mit den Kirchenvätern, liegt Georg Calixts irenischer Versuch, die frühe Kirchengeschichte zum Ausgangspunkt einer Kirchenunion zu machen.32 Im 17. Jahrhundert entstand dann vor allem auf katholischer Seite eine wissenschaftliche Kirchengeschichtsforschung, die im großen Stil und im Rahmen professionalisierter Infrastrukturen archäologische und editorische Gelehrsamkeit ausbildete.33 Die Tatsache, daß Polemik wie Irenik sich auf die Kirchengeschichte beriefen, führte langfristig dazu, daß die Kirchengeschichtsschreibung der Profangeschichte in editorischer Sorgfalt, Quellenkritik und Reflexionsniveau zumindest nicht nachstand, und in einem weiteren Schritt schließlich zur Historisierung auch der Theologie selbst – Tendenzen, die aber erst im späteren 17. Jahrhundert einsetzen.34 30  Vgl. Hendrix, Deparentifying the Fathers; Mühlenberg, Ekkehard, Art. »Patri­ stik«, in: TRE 26, 97–106, hier 99  f.; Fraenkel, Testimonia patrum, 255–271; skeptischer Schindler, Schriftprinzip, 232  f., der von einer »versteckten Normativität« der Väter auch für die Reformatoren ausgeht. Zur Gesamtdiskussion um die Kirchenväter in Humanismus und Reformation siehe: Auctoritas patrum. Zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert, hg. v. Leif Grane/Alfred Schindler/Markus Wriedt, Mainz 1993; Auctoritas Patrum II. Neue Beiträge zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert, hg. v. Leif Grane/Alfred Schindler/Markus Wriedt, Mainz 1998 sowie die einschlägigen Beiträge in: The Reception of the Church Fathers in the West. From the Carolingians to the Maurists, hg. v. Irena Backus, 2 Bde., Leiden/New York/Köln 1997. 31  Vgl. z.  B. Backus, Historical Method, 243–250. Ein weiteres Beispiel für einen ganz unpolemischen Gebrauch der Kirchengeschichte sind – analog zu den universalgeschichtlichen Chronologien – kirchengeschichtliche Chronologiewerke, die ebenfalls die dort beobachtete, ›positivistische‹ Distanz gegenüber konfessioneller Instrumentalisierung wahrten und wohl als Hilfsmittel zum Bibel- und Väterstudium benutzt wurden. Vgl. z.  B. das tendenziell reformatorisch orientierte Büchlein von: Pantaleon, Heinrich, Chronographia ecclesiae christianae, qua patrum et doctorum ordo, cum uariarum Haeresum origine, et muliplici innouatione rituum in Ecclesia, per Imperatores, Concilia, aut Pontifices Romanos ad nostra tempora vsque ostenditur, ad S. Patrum lectionem utilis et necessaria, Basel 1550. Pantaleon bemerkt im übrigen selbst stolz, seine Chronographie werde »von den Theologis beyder parthey gelesen vnnd gebraucht« (Heldenbuch III, 531). 32  Vgl. Böttigheimer, Zwischen Polemik und Irenik, v.  a . 159. 33  Vgl. z.  B. Neveu, Bruno, L’érudition ecclésiastique du XVIIe siècle et la nostalgie de l’Antiquité chrétienne, in: ders., Érudition et religion aux VIIe et XVIIIe siècles, Paris 1994, 333–363. 34  Vgl. Momigliano, Heidnische und christliche Geschichtsschreibung; Scholder, Ur-

2.  Protestantische Inversionen des Ketzerdiskurses

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2.  »Ich würde vielleicht das spil umbdrehen«: Protestantische Inversionen des Ketzerdiskurses Zentral für das Selbstverständnis der Reformation war die Auffassung, »daß die Papstkirche in unverbesserliche Häresie verfallen sei und sich darin die apokalyptische Antichrist-Ankündigung erfülle.«35 Bis in den Kontext des Reformationsjubiläums wurde diese Einschätzung immer wieder formuliert: »Papam esse Antichristum, haereticum, abnegatorem fundamenti Christianismi«.36 Lutherische Papst- und Kirchengeschichten verwendeten allerdings auffällig selten die Bezeichnung ›häretisch‹ für das Papsttum; dieses wurde in der Regel rundheraus als antichristlich eingeschätzt und damit mit einer sehr viel höheren heilsgeschichtlichen Bedeutung versehen. Das Papstttum war natürlich häretisch, aber es war noch mehr: Es repräsentierte den endzeitlichen Verführer. Die Ketzergeschichten, die im deutschen Luthertum verfaßt wurden, trugen deshalb in der Regel nicht diesen Namen: Sie waren statt dessen als Papstgeschichten Schilderungen des Aufstiegs des römischen Antichristen. Doch ist der Ketzerdiskurs des 16. Jahrhunderts für das historische Selbstverständnis des Luthertums noch aus einem zweiten Blickwinkel von Interesse. Die Verketzerung des Luthertums mußte genauso bekämpft werden wie der altgläubige Versuch, es in eine häretische Tradition zu stellen; diese Konstellation führte zu Versuchen eigener historischer Verortung. Die mittelalterlichen Häresien unterlagen dabei im Zuge der evangelischen Konsolidierung einem nicht immer homogenen Umwertungsprozeß. Luther selbst hatte sich 1538 in der Vorrede zur Konfession der Böhmischen Brüder so positioniert: »Ego quos Papae pro haereticis damnauerat et perdiderat, pro sanctis et martyribus laudabam«37. So wie die Lutheraner im Papst den Erzketzer sahen, erkannten sie in den mittelalterlichen Häretikern nun oft Heilige, Märtyrer und Zeugen.38 Trotzdem wäre aber Luther nicht auf die Idee gekommen, alle verurteilten Ketzer – etwa die Arianer – zu Orthodoxen umzustilisieren. Die teilweise Inversisprünge; Historische Kritik in der Theologie. Beiträge zu ihrer Geschichte, hg. v. Georg Schwaiger, Göttingen 1980. 35  Schindler, Alfred, Art. »Häresie II. Kirchengeschichtlich«, in: TRE 14, 318–341, hier 328. 36  Vgl. als Beispiel: Maier, Omnium Sanctorum Iubilaeus Evangelicus, ):( 2v. 37  WA 50,379. 38  Vgl. Cameron, Euan, Medieval Heretics as Protestant Martyrs, in: Martyrs and Martyrologies, hg. v. Diana Wood, Oxford 1993, 185–205. Ein schönes – späteres – Beispiel für die partielle und manchmal unsichere Inversion römischer Häretisierung findet sich bei: Osiander, Epitomes Historiae Ecclesiasticae, Centuria Reliquae IX.  X.XI.XII. XIII.XIIII.XV. . . ., 303: »Multos haereticos in Flandria combustos esse, ab Archiepiscopo Remensi, Guilermo, et Comite Flandrensium Philippo, scribit Vincentius: nec tamen eorum errores commemorat. Verisimile autem est, quicunque contradixerunt Papae, eos pro haereticis incineratos esse.«

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

on römischer Häretisierungsmechanismen nahm aber die Märtyrer und Zeugen aus dem Ketzerdiskurs im engeren Sinne heraus (vgl. Kap. B.V.4 und 5). Wenngleich auch innerhalb des Protestantismus die Diskussion um die Verdammung von Irrlehren eine gewisse Rolle spielte – obwohl oder gerade weil es hier keine zentrale Instanz gab, die über Häresie hätte entscheiden können 39 –, ist doch aus den genannten Gründen von lutherischer Seite die Gattung des Ketzerkatalogs kaum benutzt worden. Dennoch ist ein Blick auf das Zusammenspiel des katholischen und reformatorischen Ketzerdiskurses instruktiv. Denn der Umgang mit Sache und Begriff des ›Ketzers‹ ist an allen Fronten unauflöslich mit den in den folgenden Kapiteln zu beschreibenden Diskursen verbunden. Im Zuge der Auseinandersetzung mit der lutherischen Lehre entstanden schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zwei wichtige Ketzerkataloge: Der »Catalogus haereticorum« des Kölner Dominikaners Bernhard von Lutzenburg von 1522 stellte Luther in eine Reihe mit altkirchlichen und anderen Häretikern und wies in einer halb historischen, halb theologischen Diskussion dessen Lehre zurück. Das Werk des spanischen Theologen Alphonso de Castro von 1534, »Adversus omnes haereses«, hingegen war ein nach verschiedenen Streitpunkten systematisch geordnetes und mit einem alphabetischen Index versehenes Ketzerlexikon.40 Die in beiden Werken zu beobachtende gängige Identifikation von Innovation und Häresie steht dabei in einem ambivalenten Verhältnis zu einem anderen Argument: Der katholischen Kontroverstheologie war sowohl die Meinung geläufig, der Protestantismus sei falsch, weil er neu sei, als auch das Argument, dieser erneuere nur längst verurteilte Ketzereien.41 Dies ist die Perspektive des ersten auf deutsch erschienenen katholischen Ketzerkata-

39  Vgl. Gensichen, Hans-Werner, Damnamus. Die Verwerfung von Irrlehre bei Luther und im Luthertum des 16. Jahrhunderts, Berlin 1955, v.  a. 94–117; Schindler, Art. »Häresie II«. Daß in exegetischen Diskussionen vor allem um 1. Kor 11,19 die Frage erörtert wurde, welche Rolle Häresien für die Festigung des orthodoxen Glaubens spielen konnten, zeigt: Stegmüller, Friedrich, Oportet haereses esse. 1. Kor. 11,19 in der Auslegung der Reformationszeit, in: Reformata Reformanda. FS Hubert Jedin, hg. v. Erwin Iserloh/Konrad Repgen, 2 Bde., Münster 1965, Bd. 1, 330–364. 40  Die Geschichte der Häresiegeschichtsschreibung ist noch nicht geschrieben. Auf die schlechte Forschungslage weist hin: Pyka, Markus, Religion und die Popularisierung ›ewiger Wahrheiten‹. Das Beispiel christlicher und islamischer Häresiographie, in: Wissenspopularisierung. Konzepte der Wissensverbreitung im Wandel, hg. v. Carsten Kretschmann, Berlin 2003, 47–77. Vgl. auch: Fragonard, M.-M., La détermination des frontières symboliques: Nommer et définir les groupes hérétiques, in: Les frontières religieuses en Europe du XVe au XVIIIe siècles, hg. v. Robert Sauzet, Paris 1992, 37–49; Rahner, Karl, Art. »Häresiengeschichte«, in: LThK 2 5, Sp. 8–11. 41  Daß jede Häresie nur die Wiederaufnahme alter Häresien sei, meinten schon Ockham und Biel; vgl. Mauser, Ulrich, Der junge Luther und die Häresie, Gütersloh 1968 (SVRG 184), 30  f.

2.  Protestantische Inversionen des Ketzerdiskurses

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logs. Caspar Francks »Catalogus haereticorum« von 1576 beschreibt in alphabetischer Ordnung die vielfältigen Ketzereien, »wie sie nach der Geburt Christi [. . .] nach ainander entstanden / vnd jre schwermerey wider die gesunde / hailsame lehr der Catholischen / Apostolischen Kirchen außzubraiten vnd zuuerthedigen sich vnderstanden«.42

Der Unwandelbarkeit der katholischen Lehre wird eine kontinuierliche Gegnerschaft der »Schwermerey« gegenüberstellt; damit ist gleichzeitig auch eine aus dem gemeinsamen Gegner resultierende Kontinuität der Protestanten mit bereits früher verurteilten Ketzern behauptet. Caspar Franck (1543–1584), ursprünglich reformatorisch erzogen und zwischen 1561 und 1565 Wittenberger Theologiestudent, konvertierte in den späten 60er Jahren zum Katholizismus und war ab 1572 als Pfarrer, ab 1578 gleichzeitig als Theologieprofessor in Ingolstadt tätig.43 Ausgerechnet dieser ehemalige Wittenberger, der die Bemühungen Melanchthons und seiner Schüler um den Nachweis der Lehrkontinuität kennen mußte, bezog folgende Position: »Es pflegen sich zwar die verfürische Predicanten / zuuerwandeln in ainen Engel des liechts vnd der heiligen Schrifft zu ihrer gefasten Opinion vnnd vermainten glauben zugebrauchen [. . .] Aber da mangelt es ihnen / daß sie ihre Lehrer vnd Bekandtnuß durch vil herrliche und unpartheyische zeugen nach ainander nicht darthun vnd beweisen können«.44

Die gegenwärtigen Ketzer würden »die alten verdampten irrthumbe zum thail widerumb erwecken / vnnd vnder der Ketzerbanck herfür ziehen«.45 So wie nach Luthers Auffassung der Antichrist die Kirche okkupiert hat, so sieht auch Franck den Antichristen aus der Kirche hervorgehen; darin besteht gerade seine gefährliche Verführungskraft: »Darumb weyl Luther vnnd seine Nachfolger / von der Kirchen außgangen [. . .] so ist er auß den Antichristen [. . .] / jha des rechten Antichristen Vorlauffer.«46 Dabei weist Franck aber die Vorstellung zurück, die Ankunft des Antichristen sei schon geschehen.47 Dient dieses Argument auch in erster Linie dazu, die protestantische Konzeption des Papsttums als antichristlich zu widerlegen, so geht mit ihm auch die Zurückweisung des emphatischen protestantischen Selbstverständnisses einher, in einer heilsge42  Franck, Caspar, Catalogus haereticorum. Das ist: Warhafftige erzehlung der namhafften Irrthumb vnd Ketzer / welche von anfang der welt biß auff vnsere zeit entstanden . . ., Ingolstadt 1576, Mm vj r (Zitat), )( vij v (Deutschsprachigkeit). 43  Vgl. Paulus, N., Caspar Franck. Ein Konvertit des 16. Jahrhunderts, in: Historischpolitische Blätter für das katholische Deutschland 124 (1899), 545–557, 617–627. 44  Franck, Catalogus haereticorum, Nn7v-Nn8r. 45  Ebd., Nn vij r. 46  Ebd., 45. Dieses Motiv findet sich bereits in den 1530er Jahren; vgl. Smolinksy, Heribert, Reformationsgeschichte als Geschichte der Kirche. Katholische Kontroverstheologie und Kirchenreform, in: HJb 103 (1983), 372–394, hier 375  f. 47  Vgl. Franck, Catalogus haereticorum, 32  f .

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

schichtlich besonderen, weil letzten Zeit zu leben.48 Die Gegenwart versteht Franck als Gefahrensituation für die Kirche, die sich aber strukturell in nichts von vorhergegangenen Gefahrensituationen unterscheidet; Luther wird als Vorläufer des Antichristen polemisch in die Nähe der Türken gerückt, nicht aber selbst als Antichrist tituliert.49 Antworten auf Texte wie diesen finden sich im Märtyrer- und Zeugendiskurs (vgl. Kap. B.V.4 und 5). Daß Lutheraner selbst ›catalogi haereticorum‹ schrieben, war dagegen selten. Bezeichnend ist, daß einer der wenigen Texte mit diesem Titel ein Kommentar zu einer katholischen Ketzerliste ist – und damit der Begriffsgebrauch zum ironischen Zitat wird: Der ehemalige päpstliche Nuntius und nach seiner Konversion württembergische Rat Pietro Paolo Vergerio d.J. publizierte im Jahr 1560 eine annotierte Version des römischen »Catalogus haereticorum«, des Indexes von 1559, den er als »conflatus«, also zusammengeschustert, bezeichnete.50 In diesem Index, so Vergerio, habe der Papst »omnes nostri libri, omnes nostri fratres, tota nostra doctrina« als häretisch bezeichnet 51. Mit einigen erklärenden Kommentaren versehen, bezeuge der Index aber vielmehr die »impudentia atque arrogantia« des Papstes52 . Boccaccio, Dante, Marsilius von Padua und Petrarca seien jahrhundertelang nicht als häretisch verfolgt worden und würden jetzt zu »Lutheranern« gemacht. Mit einem gewissen Stolz darauf, die eigene Religion vom Antichristen als häretisch klassifiziert zu sehen, wendet Vergerio die Kontinuität der Ketzer ins Positive: Die Mönchssatiren in Boccaccios ›Dekameron‹ etwa hätten in leicht verschlüsselter Form nur dasselbe gesagt, was heute offen bekannt werde – und deshalb erken-

48  Kaufmann, Ende der Reformation, 478, zeigt aber, daß durchaus auch von katholischer Seite ein durch die Reformation ausgelöstes fundamentales Umbruchsbewußtsein artikuliert wurde. 49  So heißt es über Mohammed, den einzigen nichtchristlichen Ketzer in Francks Katalog, er sei ein »falsch Prophet aus Arabia / erstlich ain Kauffmann / zu letzt ain Teuffels Apostel / vnd des Antichrists Vorlauffer« (Franck, Catalogus haereticorum, 373). 50  Vergerio, Petrus Paulus, Postremus Catalogus Haereticorum Romae conflatus, 1559. Continens alios quatuor Catalogus, qui post decennium in Italia, nec non eos omnes, qui in Gallia et Flandria post renatum Euangelium fuerunt aediti. Cum annotationibus Vergerij, Pforzheim 1560; dieses Buch erschien im selben Jahr auch in Königsberg und ist eine erweiterte Version einer bereits 1559 in Pforzheim erschienenen italienischen Fassung. Der römische Index vom Februar 1559, mit dem Vergerio arbeitet, heißt: Index auctorum et librorum, qui ab officio S. Rom. et uniuersalis inquisitionis caveri ab omnibus et singulis in universa Christiana Republica mandantur . . ., Rom 1559 und ist als Faksimile zugänglich unter: http://www.aloha.net/~mikesch/ILP-1559.htm#I (8. 4. 2006). Zu Vergerio siehe: Wenneker, Erich, Art. »Vergerio«, in: BBKL 12, Sp. 1242–1256; zu seiner oft geübten Praxis des Indexkommentars vgl. Rozzo, Ugo, Pier Paolo Vergerio censore degli indici dei libri proibiti, in: Pier Paolo Vergerio il Giovane, un polemista attraverso l’Europa del Cinquecento, hg. v. Ugo Rozzo, Udine 2000, 143–177. 51  Vergerio, Catalogus Haereticorum, A2v. 52  Ebd., A4v.

2.  Protestantische Inversionen des Ketzerdiskurses

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ne und verfolge die Kurie Boccaccio jetzt endlich und zurecht »pro Lutherano« 53. Ein zweiter Text mit demselben Titel verdeutlicht, daß sich der lutherische Ketzerdiskurs eher mit anderen Dingen beschäftigte: Der zwischen 1597 und 1601 in 13 Bänden publizierte »Catalogus haereticorum« des Stralsunder Superintendenten Conrad Schlüsselburg (1543–1619) 54 ist insofern bemerkenswert, als die Ketzer, die Schlüsselburg aufführt, in erster Linie innerreformatorische Abweichler sind. Schon in der Vorrede macht er deutlich, daß es nicht nur die »aperti hostes«, sondern auch und in erster Linie die »falsi fratres et Hypocritae«55 seien, die die lutherische Orthodoxie gefährdeten. Nur die gefährlichsten der katholischen Gegner, nämlich die Jesuiten, sind in einem gesonderten Band dargestellt. Den Hauptanteil aber machen die schweizerischen Reformatoren, die Täufer, vor allem aber die unterschiedlichen Richtungen der innerlutherischen Kontroversen zwischen 1550 und 1580 aus. Schlüsselburg verketzert ex post die Binnendifferenzierung der reformatorischen Bewegung, um das Selbstbild der Orthodoxie festzuschreiben. Dadurch wird seine Arbeit »Hauptwerk lutherischer Polemik und dogmengeschichtliche Quellensammlung zugleich« 56 . Die Ketzer als Abweichler von der wahren Lehre bilden insofern eine akute Gefahr für die konkordistische Konsolidierung des Luthertums, als ihre Feindschaft nicht so offen wie die des Katholizismus ist. Die Inversion des Ketzermechanismus wurde nur partiell vollzogen. Lutherische Theologen wären zum Beispiel nie auf die Idee gekommen, die Grenzen zwischen Orthodoxie und Heterodoxie grundsätzlich aufzulösen. In gerade dieser Idee aber lag das Skandalisierungspotential der oben bereits besprochenen Weltchronik Sebastian Francks von 1531 (vgl. Kap. B.IV.6.a); das sehr erfolgreiche Werk enthielt eine alphabetisch geordnete Ketzerliste, die ihre Informationen ironischerweise vor allem aus dem katholischen Ketzerkatalog Bernhards von Lutzenburg bezog57. Der Leser, so Franck, möge aber nicht denken, daß die aufgeführten Lehrer tatsächlich alle Häretiker seien; er folge in seiner Auswahl nur dem Urteil der Päpste und Konzilien. Sollte er selbst urteilen, »ich würde vielleicht das spil umbdrehen« und die Ketzer als Heilige kanonisieren: »dann gar viel theür leüt seind hie mit dem romigen kessel des bapsts beschmeist / die ich der vntödtlichkeit würdig acht.«58 Franck würde statt dessen z.  B. Erasmus, Luther und Zwingli und die Täufer, »ja auch Arrius« nicht nur neben Hierony-

  Ebd., 18.   Vgl. Zeller, Winfried, Art. »Schlüsselburg, Konrad«, in: RGG3 5, Sp. 1449. 55  Schlüsselburg, Conrad, Catalogus haereticorum, 13 Bde., Frankfurt 1597–1601, Bd. 1, A iiij r. 56  Zeller, Art. »Schlüsselburg«, Sp. 1449. 57  Vgl. Oncken, Sebastian Franck, 420  f . 58  Franck, Chronica, lxxxj v. 53 54

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

mus und Augustin, sondern neben die Apostel setzen.59 Der Kanonisierungsprozeß der Kurie dagegen sei politisch so durchsichtig, daß man fast sicher sein könne, daß die kanonisierten Heiligen verdammt seien.60 »Christen seind allweg vnd ye in der welt ketzer gewesen« 61, insistiert Franck. Das heiße aber nicht, daß man den römischen Ketzermechanismus einfach umdrehen könne. Statt dessen müsse jede einzelne Position – sei sie katholisch oder lutherisch – vorurteilsfrei am Buchstaben der Schrift und dem Geist des Christentums abgeglichen werden. Mit dieser Konsequenz, die nicht etwa Jubel über die Häresie, sondern eher eine »leidenschaftlose Sicht auf alle Parteien« 62 bedeutet, läßt Franck die Dichotomie von Häresie und Orthodoxie in sich zusammenfallen. Seine Gegner sahen das allerdings anders: Erasmus beispielsweise, der doch in Francks Katalog geradezu kanonisiert wird, schlug sich auf die Seite von Francks Verfolgern, weil er in keinem – auch nicht in einem positiv gewendeten Sinn – als Ketzer gelten wollte.63 Sebastian Francks Konzeption, die auch die radikalpietistische Kirchengeschichte Gottfried Arnolds inspirieren sollte, war für das Luthertum natürlich inakzeptabel. Daß der Lutheraner Nicolaus Höniger in seinem Basler Nachdruck von Francks Werk im Jahre 1585 auch die unveränderte Ketzerchronik aufnahm64, damit Luther in eine Reihe mit Ketzern stellte und keine noch so implizite Distanzierung von Franck vornahm, ist bereits bemerkt worden (vgl. Kap. B.IV.6.c). Insgesamt aber konzentrierte sich der lutherische Umgang mit dem Problem darauf, vom Papsttum verurteilte Ketzer als Märtyrer, Heilige und Wahrheitszeugen umzudefinieren: »Thus the ›heretics‹ did not drag the Reformers down; the Reformers dragged the heretics up.« 65

3.  »O si vnus adfuisset Lutherus« oder »Jede zeit hat ire luther«: Protestantische Kirchengeschichtsschreibung vor dem Interim a)  »Singen, plärren, murmeln«: Moralistische Kirchengeschichsschreibung Um angemessen einschätzen zu können, worin die in den nächsten Kapiteln zu schildernde historiographische Bedeutung von Melanchthon, Flacius und den Magdeburger Zenturien besteht, soll in diesem Abschnitt an drei Kirchenge59  Ebd., lxxxj v. Nehme man die gegenwärtige Kirche als Maßstab, so führt Franck weiter aus, seien aber nicht nur Marcion, Arius, Luther etc. Häretiker, sondern auch die Urkirche und die frühen Konzilien, ja sogar die Bibel selber ketzerisch (Ebd., lxxxij vf.) 60  Vgl. ebd., lxxxij r. 61  Ebd., lxxxj v. 62  Dejung, Geschichte, 107. 63  Vgl. ebd., 94. 64  Vgl. Höniger, Chronick, cccvj ff. 65  Cameron, Medieval Heretics, 190.

3.  Protestantische Kirchengeschichtsschreibung vor dem Interim

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schichtswerken aus der Zeit bis 1546 beleuchtet werden, in welcher Weise dort die Geschichte des eigenen Glaubens und des religiösen Gegners reflektiert wurde. Denn Friedrich Myconius’ oben zitierte geschichtstheologische Anbindung der Reformation an den Aufstieg des Antichristen in der Kirche, mit der das Papsttum eine geschichtstheologische Unumgänglichkeit gewann, war in den 1530er und 1540er Jahren noch kein evangelisches Gemeingut. Viel eher konsensfähig war wohl seine anschauliche und polemische Schilderung der vorreformatorischen Situation: »In Summa: man mußt Tag und Nacht singen, plärren, murmeln, und war kein Auf hören, wider den Spruch Christi: Cum oraveritis, nolite multum loqui, sicut ethnici faciunt.« 66

Statt auf die geschichtstheologische Ausdeutung des Papsttums verlegten sich die – nicht sehr zahlreichen – Behandlungen der Kirchengeschichte vor dem Ende der 1540er Jahre eher auf moralische Polemik gegen Rom oder auf eine konstruktive evangelisch-reformerische Haltung. Erst das Interim und das Tridentinum, zwei Ereignisse, die für die Ausbildung eines lutherischen Sonderbewußtseins eine zentrale Rolle spielten, veränderten die Reflexion über die Aufgabe der Kirchengeschichtsschreibung. Es werden drei Werke untersucht, die Aufschluß über unterschiedliche Facetten evangelischer – und eben noch nicht lutherisch zugespitzter – Selbstbeschreibung und damit auch entsprechender Fremdbeschreibungen geben können. Dabei handelt es sich einerseits um die Euseb-Fortsetzung Kaspar Hedios, andererseits um zwei Werke aus dem Bereich der Papstgeschichtsschreibung, also dem mutmaßlichen Feindidentifizierungs-Diskurs schlechthin: die Papstgeschichte Robert Barnes’ und, wiederum von Hedio, die Fortsetzung der Papstgeschichte Platinas. b)  Hedios Euseb-Fortsetzung Kaspar Hedio (1494–1552) war als Münsterprediger in Straßburg zwischen 1523 und 1550 ein einflußreicher Vertreter der oberdeutschen Reformation. Als humanistischer Reformator im Umkreis Bucers und Capitos bewunderte er zwar Luther und stimmte in wichtigen Punkten – z.  B. in der Rechtfertigungslehre – mit diesem überein. Dennoch kann er nicht im engeren Sinne als Anhänger Luthers gelten.67 Vor allem lehnte er dogmatische Streitigkeiten ab; in diesem Punkt stand er Melanchthon nahe. Hedio wirkte als Prediger und Über  Myconius, Geschichte der Reformation, 7.   Vgl. Keute, Reformation und Geschichte, 16  f. Zur Biographie vgl. auch Bautz, Friedrich Wilhelm, Art. »Hedio, Kaspar«, in: BBKL 2, Sp. 635  f.; Bodenmann, Reinhard, Caspar Hedio aus Ettlingen. Vorstufe zu einer ausführlichen Biographie, in: Ettlinger Hefte, Sonderheft 2 (1989), 81–97; ders., Reinhard, Caspar Hedio aus Ettlingen (ca. 66 67

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

setzer zahlreicher historischer und theologischer Werke v.  a. als Vermittler reformatorischen Gedankenguts.68 Als Gegner des Interims wurde er 1550 von seinem Posten am Münster suspendiert und an die Dominikanerkirche versetzt. Eusebs Werk mit seinen verschiedenen spätantiken und byzantinischen Fortsetzungen war bis zur Reformation, zum Teil weit darüber hinaus, die maßgebliche Kirchengeschichte.69 Beatus Rhenanus hatte 1523 eine lateinische Ausgabe veröffentlicht, die Hedios Grundlage erst für eine Übersetzung (1530) und schließlich eine Fortführung (1545) bildete; die Hediosche Ausgabe blieb bis zum Ende des 18. Jahrhundert die einzige deutsche Euseb-Übersetzung.70 Hedio, der seinen Sohn zu Ehren des ersten Kirchenhistorikers auf den Namen Euseb taufte, führte die Kirchengeschichte über die ersten Jahrhunderte hinaus fort und reagierte damit auf das z.  B. von Luther artikulierte Unbehagen, sich für die mittelalterliche Kirchengeschichte auf die lügnerischen Berichte der Papisten verlassen zu müssen.71 Die Kirchengeschichte erschien 1545 und wurde bis zum Reformationsjubiläum noch sechsmal aufgelegt.72 Neben den Magdeburger Zenturien wurde diese »Synthese zwischen gelehrter und volkstümlicher Darstellung«73 damit zu einem prägenden Werk evangelischer Kirchengeschichtsschreibung. In seiner Widmung an den reformatorisch gesinnten Kölner Erzbischof Hermann von Wied expliziert Hedio, was für ihn »Reformation« bedeutet, nämlich eine »besserung der Religion und Kirchen«74. Diese könne aber nur auf der Basis der Bibel geschehen, in der Christus die Menschen über alles Heilsnotwendige belehrt habe. Gegen katholischen Traditionalismus wie Franckschen 1494–1552): Historiographie und Probleme der Forschung, in: Ettlinger Hefte 29 (1995), 47–62. 68  Vgl. Keute, Reformation und Geschichte, 36–39, der Hedios Sicht von Popularisierung gelehrten Wissens als »heilsgeschichtlich begründete Notwendigkeit« beschreibt (36). Zu volkssprachlicher Popularisierung gerade im Straßburger Druckwesen vgl. Chrisman, Printing. 69  Vgl. zu Euseb: Timpe, Kirchengeschichte; zu den Eusebfortsetzern: Zimmermann, Ecclesia, 30; zu den zahlreichen frühneuzeitlichen Editionen: Wallraff, Martin, Die Rezeption der spätantiken Geschichtswerke im 16. Jahrhundert, in: Auctoritas Patrum II. Neue Beiträge zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert, hg. v. Leif Grane/Alfred Schindler/Markus Wriedt, Mainz 1998, 223–255, hier 226. 70  Vgl. Keute, Reformation und Geschichte, 26. Daneben wurde die lateinische Ausgabe von Wolfgang Musculus viel benutzt, die ab 1549 mehrfach gedruckt wurde (VD 16: E 4278  f f.) 71  Vgl. WA 50,592  f . 72  Vgl. Keute, Reformation und Geschichte, 26. 73  Ebd., 39. 74  Hedio, Chronica, (:) 2r. Zur gescheiterten Kölner Reformation Hermann von Wieds vgl. kurz: Rabe, Deutsche Geschichte 1500–1600, 387  f. Hedio bezieht sich explizit auf Hermann von Wieds »Reformation« und fügt eine umfangreiche Verteidigung gegen dessen Kölner Gegner ein; vgl. Hedio, Chronica, (:) iiij r-(:) vij r.

3.  Protestantische Kirchengeschichtsschreibung vor dem Interim

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Spiritualismus betont Hedio damit die Klarheit und Suffizienz der Schrift. Es gebe zwar unklare Passagen, aber diese rechtfertigten keine Berufung auf angeblich apostolische Interpretationstraditionen; im Großen und Ganzen ist Hedio optimistisch, daß eine Verbesserung der Kirche auf der Basis der Evangelien jedenfalls texthermeneutisch (anders: praktisch) einfach ins Werk zu setzen sei.75 Alle menschlichen und kirchlichen Traditionen seien an der Bibel zu »richten vnnd beweren«76 . Damit wird der Vorwurf der häretischen Neuerung an die »widerwertigen Christlicher Reformation«77 zurückgegeben. Der Vorwurf der Neuerung, so Hedio, könne kirchengeschichtlich widerlegt werden, und genau das sei auch der Grund für seine Fortsetzung der Eusebschen Kirchengeschichte; daneben solle sie dem Christen Trost und Ergötzung bieten.78 Damit nütze sie der Kirche und der Wahrheit in einer heilsgeschichtlich prominenten Situation, nämlich »zu disen vnseren zum theil seligen zeiten (weil vns der Herr sein heilig / seligmachendes Euangelij so herrlich hat wider gesandt vnd außgehen lassen / vnd dardurch zu der so notwendigen vnnd heilsamen reformation der kirchen also vätterlich vnd gnedigklich beruoffet) zum theil auch betrübten zeiten / weil der Sathan sich wider diß werck vnsers heils Christlicher reformation / beyde durch so grausame verfolgung / erschräckliche kätzereyen / vnd andere schwere ergernussen / also trutzlich setzet.«79

Die zwölf Bücher, die Hedio an die spätantike Eusebfortsetzung der Historia Tripartita anfügt, sind durchlaufend erzählt; Quellen werden selten benannt oder referiert. Hedio möchte »denckwirdigs in Kirchen vnnd andern wichtigen hendlen« berichten80. Anders als später die vor allem dogmengeschichtlich orientierten Magdeburger Zenturien legt also Hedio den Akzent auf die ›externen‹ Verknüpfungen der Kirche mit ihrer Umwelt. In durchgängig moderatem Ton schildert er vor allem die res gestae innerhalb und außerhalb der Kirche und geht dabei so gut wie nie auf die Lehrentwicklung ein; daher entsteht auch nicht der Eindruck einer Verfallsgeschichte der Lehre. Verfallsgeschichtlich dagegen ist die zentrale Linie der Erzählung, die sich dem machtpolitischen Aufstieg des Papsttums widmet, den auch Hedio mit der Primatsdurchsetzung durch Kaiser Phocas ansetzt.81 Karl der Große steht als Held des nationalen Humanismus in der Mitte des Werks; das siebente der zwölf Bücher beginnt mit einer ausführlichen Schilde  Vgl. Hedio, Chronica, (:) iij r.   Ebd., (:) iij v. 77  Ebd., (:) iiij r. 78  Wallraff, Rezeption, 240, überbetont diesen letzten Punkt, wenn er annimmt, Hedios Ziel sei weder wissenschaftlich noch apologetisch, sondern erbaulich. Die Abwehr des novitas-Vorwurfs weist auch Hedios Kirchengeschichte als apologetisch aus. 79  Hedio, Chronica, (:) iiij r. 80  Ebd., 398. 81  Gregor der Große dagegen wird gelobt, er sei quasi gegen seinen Willen Papst gewesen. Vgl. ebd., v.  a. 471–478. 75 76

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

rung seiner Krönung. Wenn Hedio sich auch nicht ausführlich zum translatioProblem äußert, macht doch auch er deutlich, daß die Kaiserwürde als von Gott verliehene Macht dem Herrscher eine weitreichende Autonomie gegenüber der Kurie verschafft: »Wer hatt Augustum krönet / von dem biß auff Carolum Magnum alle Augusti herkommen ? Hatt sie nicht der gekrönet / durch den die König herrschen [. . .]? Sol der darumb kein Römischer König oder Keiser sein / der Italiam nit innhat? Wo bleiben alle Constantinopolitanische Keiser? Ja die Keiser viler Zeit? Darumb soll man die frommen Fürsten jrer ehr nit berauben.« 82

Die päpstliche Machtpolitik ab dem Hochmittelalter verurteilt Hedio, ohne jedoch eine systematische Deutung vorzuschlagen. Die Luthersche Beurteilung des Papstes als Antichrist kommt bei Hedio kaum vor, und wenn, dann in einem Kontext, der sonst so gut wie nie genutzt wird, um den Papst als Antichristen zu entlarven: Der Zölibat nämlich sei ein Zeichen der Tyrannei des Antichristen, »von dem Daniel zuuor geweissagt hat / daß dieser gottlose Widerchrist würd in der Kirchen mit vnbillichem gewalt faren / vnd weder nach Gott / noch den Weibern fragen / sondern er würde mit grausamer vnkeuscheit die Kirch beflecken. Was ist diß anders dann mit den fingern auff die Römischen bischoff deuten?« 83

Auch Hedio benutzt also den Antichrist-Vorwurf, und auch er verwendet die topische reformatorische Rede von »disen letsten zeiten« 84. Aber diese Einschätzungen haben keine textstrukturierende Funktion; weder stellt Hedio – wie Luther oder später Flacius – eine akute Endzeitdiagnose, noch scheint Hedio am antichristlichen Papsttum insgesamt verzweifelt zu sein: So berichtet er mit Sigebert von Gembloux von der Reue Gregors VII. auf dem Totenbett 85 und macht so deutlich, daß die Päpste offenbar selbst in der tiefsten Finsternis nicht nur Kreaturen des Teufels waren. Hedios Szenario ist ein Kampf der Guten gegen die Bösen, in dem allerdings die Rechtlichkeit der Institution Papsttum kaum grundsätzlich in Zweifel gezogen wird. Der Papst solle »jedermanns Vatter sein [. . .] / ja Pater patrum« 86 : Weil er dies faktisch nicht sei, müsse sein Handeln kritisiert, nicht aber seine Legitimität generell bestritten werden. In   Ebd., 572  f.   Ebd., 596. 84  Ebd., (:) iiij v. 85  Vgl. ebd., 597. Hedio dürfte die weitverbreitete Chronik Sigeberts von Gembloux benutzt haben; vgl. MGH SS. VI, 268–374, hier 365. Vgl. auch Moeglin, Jean-Marie, Art. »Sigebert v. Gembloux«, in: Historikerlexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, hg. v. Rüdiger vom Bruch/Rainer A. Müller, München 1991, 288  f. Viel weiter verbreitet ist die Version, Gregor habe auf dem Totenbett gesagt: »Dilexi iustitiam et odivi iniquitatem, propterea morior in exilio.« Vgl. dazu: Hübinger, Paul Egon, Die letzten Worte Papst Gregors VII., Opladen 1973. 86  Hedio, Chronica, 637. 82 83

3.  Protestantische Kirchengeschichtsschreibung vor dem Interim

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einem Überblick zum Zustand der Kirche im 15. Jahrhundert macht Hedio deutlich, worum es ihm geht: Es sei das unchristliche Leben und Handeln der Päpste gewesen – und eben nicht die kirchliche Lehre –, die die spätmittelalterlichen Reformbewegungen ausgelöst hätten, in deren Tradition Hedio die Reformation offensichtlich sieht.87 Die positiven Verweise auf die Gravamina deutscher Nation, die Reformtheologen Johann von Wesel, Geiler von Kaysersberg, Tauler, Wessel Gansfort 88 , auch auf den Versuch einer ›Reformation‹ nicht nur der Kirche, sondern auch des Reichs 89, verdichten sich zu einem Panorama der Opposition gegen die päpstliche Tyrannei, die aus der Mitte der Kirche heraus und nicht etwa von randständigen oder häretischen Gestalten getragen wurde.90 Der ›Konziliarist‹ Hedio, dessen Werk charakteristischerweise mit der Forderung eines Nationalkonzils schließt91, kritisiert aber gleichzeitig die Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts, weil sie letztlich die Macht des Papstes nur gestärkt haben. Sie hätten viel beschlossen, was dann nicht umgesetzt worden sei92 ; doch ist es eher die Mechanik eines langsamen und korrupten Apparates als die grundsätzliche Unreformierbarkeit einer teuflischen Institution, die Hedio beschreibt. Die ausführliche Schilderung des Basiliense, in der es Hedio wieder um Gelingen oder Scheitern ›der‹ oder ›einer‹ Reformation geht93, gipfelt in der Hervorhebung des Grundsatzes, daß die Konzilien über dem Papst stünden.94 Die Bedeutung von Luthers Reformation besteht aus dieser Perspektive darin, die gescheiterten Reformprozesse des Spätmittelalters wiederaufzunehmen. Wenn Hedio Luther mit Verweis auf Hus auch eine gewisse prophetische Legitimation zuspricht95 , so erscheint die Reformation doch nicht als heilsgeschichtlich singuläres Ereignis, sondern vielmehr als wichtige Station eines langfristigen Kampfes gegen kirchliche Mißbräuche, der im übrigen noch nicht beendet 87  Vgl. ebd., 640. Zur Spätmittelalterdarstellung Hedios und seinem Umgang mit seinen Vorlagen siehe Keute, Reformation und Geschichte, 106–123. 88  Vgl. Hedio, Chronica, 646–649. 89  Ebd., 636, ist die Rede vom Versuch einer »Reformation im Reich« »in haupt und glidern« durch Kaiser Sigismund. Diese Formulierung wird sonst eher in Kirchenreformkontexten gebraucht; siehe Frech, Karl Augustin, Reform an Haupt und Gliedern. Untersuchungen zur Entwicklung und Verwendung der Formulierung im Hoch- und Spätmittelalter, Frankfurt a.  M. u.  a. 1992. 90  Vgl. Keute, Reformation und Geschichte, 122  f ., der diesen Punkt besonders betont. 91  Vgl. Hedio, Chronica, 670. 92  Vgl. ebd., 621. 93  Vgl. ebd., 633. Siehe dazu knapp: Schneider, Hans, Das Basler Konzil in der deutschsprachigen evangelischen Kirchengeschichtsschreibung, in: Theologische Zeitschrift Basel 38 (1982), 308–330, hier 312–314. 94  Vgl. Hedio, Chronica, 629. 95  Vgl. ebd., 622.

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

ist und nicht zwangläufig zum Ausbruch aus der römischen Kirche führen muß. Hedios Eusebfortsetzung propagiert also die Einordnung in einen innerkirchlichen Diskussions- und Reformzusammenhang und nicht so sehr protestantisches Sonderbewußtsein. c)  Robert Barnes’ Papstgeschichte Schon in der Alten Kirche entstanden kurze Papstlisten; die karge Auflistung von Papstviten verbürgte die apostolische Sukzession.96 Die wichtigste Sammlung von Papstviten, der »Liber pontificalis«, bricht mit dem Jahr 1178 ab, wurde aber von spätmittelalterlichen Bearbeitern fortgesetzt. Diese Fortsetzungen wurden am Ende des 15. Jahrhunderts durch Platinas Papstgeschichte für längere Zeit weitgehend vom Markt verdrängt97 ; neben diese auch im Protestantismus erfolgreiche Papstgeschichte traten die Werke von Barnes und Hedio. Der englische Reformator Robert Barnes (1495–1540) 98 hielt sich von 1530 bis 1539 in Wittenberg auf, wo er in engem Kontakt zu Luther stand. Nach England zurückgekehrt, wurde er als Häretiker hingerichtet. Seine erstmalig 1536 in Wittenberg veröffentlichte Papstgeschichte 99 ist die erste Behandlung der Geschichte des Papsttums von reformatorischer Seite, die allerdings nur die Päpste bis einschließlich Alexander III. (gestorben 1181) behandelt. Sie wurde nach der Erstausgabe noch zweimal, und zwar 1555 und 1568 in Basel, nachgedruckt; eine mutmaßlich von Luther angefertigte Übersetzung der letzten beiden Papstviten erschien 1545 in drei Drucken. In seiner Vorrede zu Barnes’ Werk führt Luther aus, der Nutzen einer Papstgeschichte resultiere aus der durch sie geschärften Wachsamkeit gegenüber dem Antichristen: Wenn die Menschen der Vergangenheit mehr über die Geschichte des Papsttums gewußt hätten, so Luther, »istius Satanicae cloacae teterrimum odorem [. . .] olfece­ rint.«100 Damit ist bereits der Tenor von Barnes’ Werks umrissen: Als polemische Geschichtsschreibung hebt sie v.  a. die moralischen und politischen Ver96  Vgl. als Überblick: Fuhrmann, Horst, Papstgeschichtsschreibung. Grundlinien und Etappen, in: Geschichte und Geschichtswissenschaft in der Kultur Italiens und Deutschlands, hg. v. Arnold Esch/Jens Petersen, Tübingen 1989, 141–191. Das Urteil, erst nach der Reformation sei eine genuine Papsthistoriographie entstanden, leuchtet nicht ein. Vgl. in diesem Sinne: Zimmermann, Harald, Das Papsttum im Mittelalter. Eine Papstgeschichte im Spiegel der Historiographie, Stuttgart 1981, 8. 97  Vgl. Brackmann, Albert, Der Liber pontificalis, in: ders., Gesammelte Aufsätze, Weimar 1941, 383–396, hier 395  f.; siehe auch: Zimmermann, Harald, Art. »Liber pontificalis«, in: LMA 5, Sp. 1946  f. 98  Vgl. McGoldrick, James Edward, Art. »Barnes, Robert«, in: Oxford Encyclopedia of the Reformation 1, 122. 99  Barnes, Robert, Vitae Romanorum Pontificum, quos Papas uocamus, Wittenberg 1536. 100  WA 50,5.

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fehlungen der Päpste hervor. Barnes vergleicht sie mit den christenverfolgenden Kaisern und hebt hervor, daß die Kaiser und Könige, die vom Papst bekämpft worden seien, verdienten, »inter Martyres et Sanctos numerandos esse«.101 Barnes spezifiziert aber diese Begriffe nicht, weil ihn vor allem die politischen Ansprüche des Papsttums interessieren. Der päpstliche Vormachtsanspruch gegenüber den weltlichen Herrschern habe zu einer Tyrannei geführt, »qua nulla est aut fuit in orbe maior«.102 Die Identifizierung des Papstes als Antichrist und die bei Luther damit assoziierten apokalyptischen Perspektiven treten bei Barnes zurück hinter die implizite Einordnung der Reformation in einen Kampf der deutschen Kaiser und der deutschen Nation gegen die moralisch verkommenen römischen Päpste und deren ungerechtfertigte Machtansprüche.103 Folgerichtig spielt das Aufzeigen konkreter theologischer Fehlentwicklungen kaum eine Rolle. Ein eindeutiger Zeitpunkt, ab dem die Verfehlungen des Papsttums überhand genommen haben, wird von Barnes nicht angegeben. Die Verfehlungen der Päpste werden zwar im Laufe der Jahrhunderte immer schlimmer; aber da Barnes ohne ersichtlichen Grund sein Werk im späten zwölften Jahrhundert enden läßt, kann der spätmittelalterliche Niedergang der römischen Kirche nicht mehr verfolgt werden. Nur eine Randglosse zum Bericht des Bußgangs Heinrichs IV. nach Canossa – »O si vnus adfuisset Lutherus«104 – drückt aus, daß Luther in die Tradition des kaiserlichen Widerstands gegen Rom eingereiht wird. Die Präsentation der Kaiser als unerschrockene Streiter wider päpstliche Machtgier verläßt den Rahmen der vorreformatorischen, antirömischen Polemik nicht. Die Tradition des Kampfes der Kaiser gegen die Päpste wird als eine deutsche Bewegung präsentiert – auch wenn die Widmung an den englischen König Heinrich VIII. nahelegt, daß die deutschen Kaiser nur paradigmatisch für den Widerstand aller weltlichen Herrscher gegen die römische Tyrannei stehen. So wird den Italienern zugeschrieben, sie hielten alle Deutschen für Dummköpfe105 ; den Päpsten wird Hybris, Machtgier, Treuebruch und Kleinlichkeit vorgehalten. Alexander III. wird, und das belegt die traditionelle Stoßrichtung von Barnes’ Werk, als »apertus Imperii teutonici hostis«106 eingeführt, ohne aber theologisch beglaubigte Züge des endzeitlichen Widersachers zu tragen.

  Barnes, Vitae Romanorum Pontificum, Vorrede (unpaginiert).   Ebd., Vorrede. 103  Wenn Barnes auch »die stärksten Farben« aufträgt, um »ihre Greuelthaten zu malen« (Schäfer, Ernst, Luther als Kirchenhistoriker. Ein Beitrag zur Geschichte der Wissenschaft, Gütersloh 1897, 85  f.), so ist doch fraglich, ob er die Päpste als »Personifikationen des Antichrist« schildert; denn weder der Begriff des Antichristen noch seine apokalyptischen Implikationen spielen bei Barnes eine Rolle. 104  Barnes, Vitae Romanorum Pontificum, Q vj v. 105  Vgl. ebd., X vij r. 106  Ebd., Y vj v. 101 102

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Diese erste protestantische Papstgeschichte legt damit einerseits eine sehr naheliegende Interpretation vor, die die Päpste vor allem als machtgierige Prätendenten auf weltliche Macht schildert; andererseits ist die enge Bindung des Kaisertums an die lutherische Bewegung und vice versa kein selbstverständliches Deutungsmodell für die Geschichte des Papsttums, sondern eine in den 1530er Jahren bereits hochproblematische Konzeption, die aus einer identifikatorischen Deutung der mittelalterlichen und reformatorischen Papstkritik resultiert. Die Ambivalenz dieser Perspektive wurde in Kap. B.IV. gezeigt: Das Luthertum wurde damit vereinfachend einem traditionellen, reichisch und national legitimierten Abwehrkampf gegen die Päpste zugeschlagen. Aus dieser Perspektive war es konsequent, daß Barnes seine Geschichte der Päpste weit vor 1517 enden ließ. d)  Hedios Platina-Fortsetzung Aspektreicher ist die 1546 erschienen Fortführung der Papstgeschichte Platinas von Kaspar Hedio.107 Hedio entwirft im Durchgang durch die Papstviten ein evangelisches Selbstbild als richtig verstandener Katholizität, die das Papsttum nicht grundsätzlich ablehnt. Luther steht dabei wie in Hedios Eusebfortsetzung in einer Tradition von Kirchenreformern. Reichte Platinas Werk bis 1474, also bis in den Pontifikat Sixtus’ IV., so setzt Hedio das Werk bis zur Amtszeit Pauls III. fort. Wenn auch die Annahme plausibel erscheint, Hedio habe gerade in der kritischen Haltung Platinas gegenüber den Päpsten einen Grund gesehen, dessen Papstgeschichte fortzuführen108 , so ist doch auffällig, daß er kaum polemische Töne anschlägt. Seine Haltung kann als papstkritisch, konziliaristisch und patriotisch beschrieben werden.109 Der Titel der Papstgeschichte, »Von der Bäpst vnd Keiser Leben«, zeigt bereits Hedios Berufung auf das deutsche Kaisertum als Korrektiv der päpstlichen Machtanmaßung.110 107  Hedio, Kaspar, Bap. Platinae Historia, Von der Bäpst vnd Keiser Leben. Von Petro vnd Tiberio an biß auff Carolus V. vnd Paulum III. Des Jahrs MDXLVI continuiert und zusammengetragen, Straßburg 1546. Keute, Reformation und Geschichte, 28, berichtet von einer zweiten, 1565 in Straßburg erschienenen Auflage, die im VD 16 allerdings nicht erfaßt ist. Der Platina-Text ist ediert als: Platynae Historici Liber de vita Christi ac omnium pontificum, hg. v. Giacinto Gaida, Città di Castello 1913 (Rerum Italicarum Scriptores. Raccolta degli storici italiani dal cinquecento al millecinquecento, ordinata da L.  A. Muratori. Nuova Edizione riveduta ampliata e correta con la direzione di Giosue Carducci e Vittorio Fiorini, Bd. 3). 108  Vgl. Ehmer, Reformatorische Geschichtsschreibung, 237; Goldbrunner, Hermann, L’umanesimo al servizio della Riforma. Caspar Hedio e la sua traduzione del »Liber de vita Christi ac omnium pontificum«, in: Bartolomeo Sacchi il Platina, hg. v. Augusto Campana/Paolo Medioli Masotti, Padua 1986, 39–47, der allerdings die polemischen Züge von Hedios Arbeit überbetont. Anders: Bodenmann, Vorstufe, 85. 109  Vgl. Goldbrunner, L’umanesimo, 45; Keute, Reformation und Geschichte, 60. 110  Hedio, Platinae Historia, CC iiij v. Hedio stützt sich dabei auf eine Äußerung Platinas über die Untrennbarkeit der Geschichte von Papst- und Kaisertum.

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Die Vorrede ist zuallererst ein Lob der Bücher und der Gelehrsamkeit; Hedio spricht von der Notwendigkeit einer »Reformation der Kirchen der Vniversiteten vnd hohenschulen«.111 Der Vorrede folgen zwei kurze Abschnitte, die eine kritische Haltung Hedios, nicht aber eine generelle Verwerfung des Papsttums bezeugen. Unter der Überschrift »Was ein warer Bapst sei« wird ein Bild des Papstes gezeichnet, dessen Primat sich in Verstand, Lebensführung und Glaubenseifer beweisen müsse. Unter dem Titel »Was für ein Bapst zu wölen« führt Hedio aus, daß der Papst nach den hergebrachten Regeln und den Beschlüssen der Konzilien gewählt werden müsse; wenn er aber eigenmächtig die Macht an sich reiße, solle er »als ein Antichrist / feind vnd zerstörer der gantzen Christenheit«112 verworfen werden. Da die Päpste der Reformationszeit ordnungsgemäß gewählt waren, kann Hedio sie – bei aller Kritik – kaum als Antichristen bezeichnen.113 Der Anspruch des Papstes, aus göttlichem Recht Kirchenoberhaupt zu sein, muß zurückgewiesen werden; aus menschlichem Recht darf und soll er dies sehr wohl sein.114 Die Päpste erscheinen bei Hedio, anders als in Barnes’ im Dunstkreis Luthers entstandener Papstgeschichte, als Gegner, aber nicht als Feinde. Die Tatsache, daß eine kritische, aber nicht polemische Papstgeschichte dieser Art vor dem als spezifische Verfolgungssituation aufgefaßten Interim verfaßt wurde, indiziert ex negativo die zentrale Rolle der Krisen der späten 1540er Jahre – Interim, Trient, Luthers Tod – für die Ausbildung konfessionellen Identitäten und ihnen entsprechender Geschichtsbilder. Die Auffassung Hedios soll an einigen Papstviten illustriert werden. Über den gegenwärtigen Papst Paul III. sagt Hedio, er sei bereits »vnder Bapst Alexandro dem sechsten dem onkeuschen / vnder Julio dem Krieger / vnder Leone dem schlemmer / vnder dem onendlichen und faulen Hadriano / vnder Clemente dem grausamen«115 Kardinal gewesen. In den Einzelviten dieser Päpste urteilt Hedio gegenüber diesem Generalverdikt viel differenzierter. Häufig werden Mißbräuche nicht dem Papst selbst, sondern, im Topos der schlechten Berater, der Kurie angelastet.116 Der Medici-Papst Leo X. wird für seine humanistische Bildung wie für seinen Charakter belobigt.117 Doch es wird auch seine innere Distanz zum Amt hervorgehoben: Bei einem Gespräch mit Kardinälen   Ebd., AA iiij r.   Ebd., BB iiij r. 113  Vgl. Keute, Reformation und Geschichte, 276, der für die gegenteilige Ansicht einen nicht überzeugenden Beleg bei Hedio, Platinae Historia, 276v, aufführt. 114  Vgl. Hedio, Platinae Historia, cclxvij v. 115  Ebd., cclxxvij v. 116  »Aber diß muß man der not / oder den verwandten oder dienern des Bapsts zuschreiben.«: ebd., cclvij r. 117  »Es ware aber Bapst Leo wie von natur / also auch durch die zucht und gewonheit ein freündtlicher güttiger man / darumb er die krieg die Bapst Julius angefangen mit grosser klugheit widerumb gestillet hat.«: ebd., cclxv v. 111 112

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»hat Bapst Leo seiner würdigkeit vergessen / vnnd sagt vnter anderm wie das er sich hoch verwunderte / wie ja der priester sect so lang hette mögen bestohn.«118 Luther wird als Prediger gegen den Ablaß eingeführt; daneben verweist Hedio auf andere Mißbräuche in der vorreformatorischen Kirche.119 Gerade die Deutschen seien nicht mehr bereit gewesen, die »außsaugungen vnnd das schinden vnd schaben der Romanisten vnd Curtisanen lenger zugedulden«.120 Allerdings habe die Kurie (eher als der Papst selbst) die Restitution des Evangeliums verhindern wollen. Für den Humanisten Hedio ist die mißbräuchliche Entwicklung der spätmittelalterlichen Kirche vor allem eine Frage schlechter Gewohnheiten und zunehmender Unbildung: »Wie war ist diß sprichwort, Difficile est consueta relinquere.«121 Luthers Ablehnung des Papsttums als antichristlich wird wohlwollend dahingehend interpretiert, daß Luther ihm seinen göttlichen Ursprung abspreche; das menschliche, nicht göttliche Recht des Papsttums setze aber darüber hinaus die Unterordnung des Papstes unter die Bibel voraus.122 Die Fehlentwicklungen könnten abgestellt werden, wenn Gottes Gnade und menschliche Bildung zusammenwirkten. Gottes Gnade zeigt sich nach Hedios Auffassung darin, daß »zu jeder zeit erweckt Christus heilsame lerer damit der kirchen gedienet werd.«123 Charakteristisch ist allerdings die Auswahl von Hedios Lehrern, die bereits auf die Bedeutung der Gelehrsamkeit verweist: So nennt Hedio an spätmittelalterlichen Lehrern neben Tauler und Geiler von Kaysersberg auch den französischen Kirchenreformer Nicolaus von Clémanges (ca. 1360–1437), der sich für die Schriftbezogenheit kirchlicher Lehrentscheidungen einsetzte124, sowie Reuchlin und Erasmus.125 Doch erst Luther und seine Mitstreiter hätten »die leer wider zu dem brunnen gebracht und gantz gereinigt«.126 Wenn also Luthers heilsgeschichtliche Bedeutung darin besteht, das Evangelium wieder in seiner ursprünglichen Gestalt gepredigt zu haben, so wird doch erstens diese Tatsache nicht mit einer apokalyptischen Erwartung verknüpft. Zweitens wird die heilsgeschichtliche Singularität Luthers durch die Randglosse »Jede zeit hat ire luther«127 dahingehend relativiert, daß Hedio in der Geschichte eine Art permanenter Reformation am Werk sieht. Die besondere Bedeutung der Bildung für die immer neu anstehenden Reformprozesse unterstreicht Hedio, indem er auf   Ebd., cclxvj r.   Vgl. ebd., cclxviij r. 120  Ebd., cclcvj v. 121  Ebd., cclxvij v. 122  Vgl. ebd., cclxvij v. 123  Ebd., cclxiiij v. 124  Vgl. Burger, Christoph, Art. »Nikolaus von Clémanges«, in: TRE 24, 546–549. 125  Vgl. Hedio, Platinae Historia, cclxiiij v. 126  Ebd., cclxiiij v. 127  Ebd., cclxiiij v. 118 119

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die Diskussion Jesu im Tempel verweist und auch für Luthers Reformation konstatiert: »Also ist der anfang der enderung in der Religion erstlich in der schul gewesen«128 . Hedios Unbefangenheit, von einer Änderung in der Religion zu sprechen, ohne den novitas-Vorwurf zu fürchten, setzt sich auch hier im Gebrauch der ›Reformations‹-Terminologie fort. So werden Papst Hadrian VI. Pläne zugeschrieben, die Kirche zu »reformieren«; er sei allerdings vorschnell gestorben, weil, wie Hedio sarkastisch bemerkt, »disen Reformatoren der stul zu Rom nit gemöcht erdulden.«129 Hedio fordert ein Nationalkonzil und lehnt daher das gerade einberufene Tridentinum ab; allerdings schließt er nicht aus, daß auch dieses zu einer positiven Lösung führen könne. Bei Gott sei schließlich kein Ding unmöglich: So berichtet er von einer Rede des Bischofs von Kala­ brien in der ersten Sitzung, der die Laster des Klerus auf solche Weise verurteilt habe, »das man achtet kein Luther wurde sie so vast haben angetastet«130. Auf die Vita Pauls III., des noch amtierenden Papstes, läßt Hedio eine Übersetzung der Trauerrede Melanchthons auf Luther folgen. Dieser aktuelle Text schließt die Papstgeschichte ab. Luther war erst Anfang 1546 gestorben, und Hedios Werk erschien noch im gleichen Jahr. Es ist sicher nicht verfehlt, in der Beifügung dieses Anhangs insofern eine »Quasi-Papalisierung«131 Luthers zu sehen, als dieser für Hedio alle für einen Papst notwendigen Qualitäten besessen habe: Glaubenseifer, Bildung, Verstand und eine vorbildliche Lebensführung. Allerdings führt auch diese metaphorische Papalisierung nicht zu einer polemischen Abgrenzung gegenüber dem Katholizismus. Das Bild des antichristlichen Feindes, das man in einer protestantischen Papstgeschichte erwartet, ist bei Hedio kaum zu finden: Seine Papstgeschichte ist kein Ketzerkatalog. Zum Zeitpunkt von Luthers Tod und dem Beginn des Tridentinums lagen also unterschiedliche evangelische Deutungen vor, wie die Reformation mit ihrer Vorgeschichte zu vermitteln sei. Allerdings bedienten sich diese Deutungen weitgehend vorreformatorischer Parameter: Die nationale, moralische und romkritische Position etwa Barnes’ überführt zwar – in Übereinstimmung mit Luthers Vorstellungen – die Papstgeschichte in die Polemik, aber als Deutung der Reformation bleibt sie gänzlich unkonturiert. Hedios Geschichten der Kirche und Päpste dagegen sind viel stärker von einer zwar kritischen, aber grundsätzlich diskussionsbereiten Position gekennzeichnet, die im übrigen fast gänzlich desinteressiert an Fragen der kirchlichen Lehre ist. Die heilsgeschichtliche Einordnung Luthers und der Päpste etwa über eine geschichtstheologische 128  Ebd., cclxviij v. Weiter heißt es: »da hat vil klugens / disputierens geben / von der Penitenz / von hefftigem rhümen des freien willens / von der gerechtigkeit des glaubens / von gnad vnd dergleichen.« Die Betonung des freien Willens zeigt Hedios Nähe zu Erasmus sowie seine bei aller Bewunderung doch nicht unkritische Haltung zu Luther. 129  Ebd., cclxx r. 130  Ebd., cclxxvij r. 131  Wolgast, Biographie, 43.

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Anbindung an die Antichristvorstellung bleibt bei beiden schwach. Die Rolle Luthers im Heilsgeschehen beurteilen sie unterschiedlich: Zwischen Barnes’ »O si vnus adfuisset Lutherus« und Hedios »Jede zeit hat ire luther«, zwischen der Perspektive der Einzigartigkeit Luthers und seinem relativierenden Aufgehen in der Kontinuität der Kirchenreform spannt sich damit ein Diskursraum auf, der in der Folge aufgefüllt werden konnte. Dem Vorwurf häretischer Neuheit, dem auch Hedio in seinem Vorwort zu Euseb entgegentrat, mußte möglichst umfassend begegnet werden. Diese Situation verschärfte sich in den 1550er Jahren offenbar noch einmal; die Unterbrechung des Tridentinums stellte für protestantische Theologen, so hat Ernst Koch überzeugend gezeigt, einen Zeitpunkt verstärkter Selbstbesinnung dar, der die Institutionalisierung der lutherischen Kirche und ein konfessionelles Sonderbewußtsein katalysiert habe.132 Hedio hatte geschrieben: »Zu jeder zeit erweckt Christus heilsame lerer damit der kirchen gedienet werd«133. Wenn auch bei Hedio – und Barnes – die Frage der Kontinuität zumal der kirchlichen Lehre kaum behandelt wurde, war doch damit ein Problemhorizont aufgerissen, der geradezu dazu zwang, sich mit Tradition, Verfall und Aufschwung zu beschäftigen. Das erste größere theologischhistorische Werk, das in dieser Situation entstand, war Matthias Flacius’ »Catalogus testium veritatis«, das sich genau dieser Herausforderung stellte.

4.  »Multi in Papatu ante Lutherum Lutherani«: Die Konzeption der testes veritatis von Melanchthon bis ins 17. Jahrhundert a)  »Doctores Dei« bei Melanchthon und Major Schon Luther hatte auf unsystematische Weise den Gedanken geäußert, in einer Reihe von Gott gesandten Kirchenlehrern zu stehen.134 Diese von Melanchthon ausgebaute Idee konstituierte ein einflußreiches Modell lutherischer Geschichtsdeutung; die Annahme einer ununterbrochenen Weitergabe der biblischen Lehre durch die Epochen unterscheidet diesen Diskurs von anderen oppositionellen Diskursen, die z.  B. in der Universalgeschichtsschreibung rund um das Thema der Papst-Kaiser-Konfrontation geführt wurden. Für Melanchthon spielte das Schriftprinzip naturgemäß eine zentrale Rolle; gegenüber Luther erscheint aber bei ihm die kirchliche Tradition aufgewertet. Diese Höherschätzung der Tradition trug insgesamt zu einer stärkeren Heran  Vgl. Koch, Die deutschen Protestanten, 99–102.   Hedio, Platinae Historia, cclxiiij v. 134  Zu Luthers Fraternisierung mit offiziell umstrittenen Theologen wie Pico, Johann von Wesel, Valla, Erasmus oder Reuchlin, die wohl den Ausgangspunkt der testes veritatisIdee darstellt, ohne doch bereits eine Idee von Lehrkontinuität zu artikulieren, vgl. WA 6,183  f.; WA 1,574. 132 133

4.  Die Konzeption der testes veritatis von Melanchthon bis ins 17. Jahrhundert

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ziehung historischer Perspektiven bei.135 Melanchthon vollzog mit dieser Aufwertung auch den Schritt, eine kontinuierliche Weitergabe der reinen Lehre durch von Gott beauftragte Lehrer anzunehmen; Luther hatte meist ohne explizite Kontinuitätsthese das Alter der evangelischen Lehre betont.136 Die Melanchthonsche Theorie trat neben ein Verfallsmodell, das von der Dekadenz der Kirche durch den sich durchsetzenden päpstlichen Primat und das Überhandnehmen ritueller und zeremonieller Äußerlichkeiten ausging. Das heikle Verhältnis beider Modelle mußte immer wieder neu austariert werden.137 Das Theorem der kontinuierlichen Abfolge der Kirchenlehrer wurde von Melanchthon seit 1542 wiederholt entwickelt138 . Ein wichtiger Argumentationskontext für diese Idee war z.  B. die Frage nach den äußeren Zeichen der Kirche, die durch Sakramente und Verkündigung des Evangeliums geprägt wird; diese muß kontinuierlich vor sich gehen, damit die Kirche bestehen bleibt.139 Verfall und Reformation wechseln sich ab, und »subinde«, immer wieder, habe Gott auf einen kirchlichen Niedergang die »uox Evangelij incorrupta« erklingen lassen140. Allerdings muß Melanchthon zugestehen, daß die Verfallsdynamik oft die Weitergabe der Lehre gefährdet habe. Es habe zwar immer eine Kirche gegeben, aber »haec ipsa vera ecclesia habet doctrinam alias magis alias minus puram et perspicuam«.141 Daher spricht Melanchthon gelegentlich auch von einer »pene continua successio« oder einer »perpetua et quasi continuata series [. . .] doctorum et gubernatorum Ecclesiae«142 . Melanchthons Annahme der sichtbaren Kontinuität der Kirchenlehrer unterscheidet sich von radikaleren Positionen dadurch, daß sie die Wahrheit kirch135  Die Diskussion um ›Tradition‹ bei Melanchthon ist weitverzweigt. Vgl. dazu v.  a . Scheible, Art. »Melanchthon«, 390, der zeigt, daß Melanchthons Haltung mit »Traditionalismus« verkürzt bezeichnet wäre, »denn dieser nähme die Tradition als zweite Quelle der Offenbarung, was Melanchthon niemals tat.«. Einschlägig für Melanchthons Haltung ist v.  a. »De ecclesia et autoritate verbi« (CR 23,585–642); vgl. dazu knapp: Kuhaupt, Veröffentlichte Kirchenpolitik, 77–87. Zum Verhältnis von theologischen und außertheologischen Aspekten des Melanchthonschen Traditionsbegriffes vgl. Wiedenhofer, Siegfried, Das Alte und das Neue. Tradition zwischen Humanismus und Reformation, in: Melanchthonpreis. Beiträge zur ersten Verleihung 1988, Sigmaringen 1988, 29–45. 136  Vgl. »Wider Hans Worst«, v.  a . WA 51,478–487. 137  Vgl. Seeberg, Gottfried Arnold, 259; Benrath, Vorreformatoren. 138  Vgl. Scheible, Heinz, Der Catalogus testium veritatis. Flacius als Schüler Melanchthons, in: Ebernburg-Hefte 30 (1996), 91–105, hier 102. Scheible skizziert knapp, wie stark die Konzeptionen etwa Georg Majors oder Flacius’ von Melanchthon abhängen; ähnlich auch: Merkt, Andreas, Das patristische Prinzip. Eine Studie zur theologischen Bedeutung der Kirchenväter, Leiden/Boston/Köln 2001, 134–146. Deshalb irrt Olson, wenn er wenig differenziert Flacius’ Catalogus testium veritatis in einen Gegensatz zur angeblich ›sonstigen‹ lutherischen Geschichtssicht eines lehrmäßig finsteren Mittelalters stellt. Vgl. Olson, Matthias Flacius, 234. 139  Vgl. CR 25,862  f . 140  CR 28,381  f . 141  CR 23,599. 142  CR 24,308 (Hervorhebungen von mir, M.  P.).

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licher Lehre nicht einfach durch den Heiligen Geist gewährleistet sieht, sondern die Kirche als Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden bestimmt und damit die Permanenz der ›doctrina‹ benötigt143. Von einer katholischen Position differiert seine Haltung durch die Annahme, daß es nicht die kirchlichen Institutionen sind, die Kontinuität garantieren, sondern gottgesandte Lehrer.144 Damit kann sie in gewissem Sinne als »die reformatorische Variante des Dogmas der successio episcoporum«145 angesehen werden. Der schließlich im Tridentinum kanonisch festgelegten katholischen Sukzessionsidee steht sie schon deshalb nahe, weil sie zumindest auch Züge der Abwehr altgläubiger Positionen trägt und damit den Vorgaben des Gegners verhaftet bleibt: 1540 hatte Cochläus geschrieben, Melanchthon könne »nullos [. . .] indicare homines, retro per tot mundi saecula, qui per omnia consenserint Luthero aut sectae eius.«146 Genau diese Aufgabe, eine ununterbrochene Kette historischer Gestalten aufzuweisen, die in einer Reihe mit Luther stehen, nimmt Melanchthon in Angriff. In seiner bereits erwähnten Trauerrede heißt es: »Vnd ist diß ein lustigs vnd nutzlichs schawspil / das man ansehe die Christlichen Kirchen aller zeit / und betrachte die gütigkeit Gottes / der jmmerdar heilsame Lehrer nach solcher ordnung auff einander gesendet hat / das gleich wie in einer schlacht ordnung / wo die fordern hinweg sein / als bald andere in derselben fußstapfen tretten.«

Auf Adam, die Patriarchen, Moses und eine ganze Reihe anderer biblischer Gestalten folgen Christus und die Apostel. »Vnd nach den Aposteln folget / der hauff / welcher ob er gleich wol was schwecher ist denn dise / so ist er dennoch mit sonderlichen zeugnissen von Got gezieret / Polycarpus / Ireneus / Gregorius Neocesariensis / Basilius / Augustinus / Prosper / Maximus / Hugo / Bernhardus / Taulerus / und anderßwo andere.«147

Bemerkenswert erscheint in der Aufzählung Melanchthons sowohl die Privilegierung altkirchlicher Autoren als auch die Nichterwähnung mittelalterlicher Häretiker wie Wyclif oder Hus, die doch für Luthers historisches Selbstverständnis eine entscheidende Rolle gespielt hatten (vgl. Kap. B.I.3). Melanchthon 143  Zur Kirche als coetus scholasticus vgl. CR 21,835; ähnlich CR 23,598. Siehe dazu: Fraenkel, Peter, Revelation and Tradition. Notes on some Aspects of Doctrinal Continuity in the Theology of Philip Melanchthon, in: Studia theologica 13 (1959), 97–133. 144  Vgl. die Diskussion dieses Problems bei Fraenkel, Testimonia patrum, 135–161, der darauf hinweist, daß Melanchthon auch von einer begrenzten »ministerial succession« ausgeht. 145  Scheible, Catalogus testium veritatis, 104. 146  Cochläus, Johannes, Philippica quinta Joanni Cochlaei in tres libellos Philippi Melanchthonis, Ingolstadt 1543, zitiert nach: Fraenkel, Testimonia patrum, 135. 147  Bräuer, Überlieferung von Melanchthons Leichenrede, 223  f. Wirsching, Johannes, Art. »Bekenntnisschriften«, in: TRE 5, 487–511, hier 496, spricht zutreffend vom »Stafettenlauf« der testes und betont: »Bestimmend geworden für die Bekenntnisentwicklung des Luthertums ist [. . .] die Väterargumentation Melanchthons und überhaupt dessen positivistischer (einen lückenlosen catalogus testium veritatis fordernder) doctrina-Begriff«.

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scheint dieser möglichen Alternativtradition eine ›offizielle‹, leicht mystisch eingefärbte Ahnengalerie vorzuziehen. Daneben erwähnt er auch außerchristliche Gestalten, relativiert aber deren Bedeutung: »Vnd es sein gleich auch dapfere Menner gewesen Solon / Themistocles / Scipio / Augustus / vnd dergleichen / welche grosse reich entweder auffgericht / oder ja regirt haben. Dennoch sein sie vil geringer / denn dise vnsere Fürsten / Esaias, Johannes der Tauffer / Paulus / Augustinus / vnd der Luther.«148

Als Zeitdiagnose formuliert Melanchthon: »Vnd wiewol diß letzte alter scheutzlicher ist / so hat doch Gott allezeit etliche vbermaß behalten.«149 Melanchthon artikuliert also auch hier die Auffassung, am Ende der Zeit zu leben. Doch dieses ›Ende der Zeit‹ ist eine bei Melanchthon zwar oft zu findende, aber nichtsdestoweniger vage Idee, die zudem nicht zwangsläufig an den päpstlichen Antichristen und seine Enttarnung durch Luther gekoppelt ist (Kap. B.IV.2). Insofern ist die Position, Melanchthon stilisiere Luther in der Trauerrede zum eschatologischen »letzte(n) ›doctor ecclesiae‹ überhaupt«150 , nur implizit aus dem Text herauszulesen. Dennoch werden Kontinuität und Endzeit zu konstitutierenden Elementen der lutherischen Konzeption der Lehrtradition, die aber in einem ähnlich komplexen Verhältnis zueinander stehen wie Niedergang und Bewahrung. Melanchthons in der Trauerrede skizzierte Abfolge der ›Lehrer‹ stellte den Ausgangspunkt des historiographischen Diskurses über die Kontinuität der christlichen Kirche dar. Sein Schüler Georg Major nahm diese Idee auf und erweiterte Melanchthons Ausführungen beträchtlich. In seine 1550 erschienene Monographie »De origine et auctoritate verbi« ist ein »Catalogus Doctorum Dei« von ungefähr vierzig Seiten eingefügt.151 Major (1502–1574) war zwischen 1537 und 1545 Prediger an der Schloßkirche in Wittenberg, später dort Theologieprofessor, dann Superintendent in Merseburg und Eisleben, ab 1558 bis zu seinem Tod Dekan der theologischen Fakultät in Wittenberg. Unter den Reformatoren der zweiten Generation blieb er in höchstem Maße sowohl der Person als auch der Lehre Melanchthons verpflichtet. Ironischerweise ist der Name dieses irenischen Philippisten vor allem im Zusammenhang mit einer theologischen Kontroverse bekannt geblieben, dem Majoristischen Streit, der sich an das Interim anschloß. Major hatte die Heilsnotwendigkeit guter Werke gelehrt und damit den scharfen Protest der radikalen Interpreten Luthers ausge  Bräuer, Überlieferung von Melanchthons Leichenrede, 224.   Bräuer, Überlieferung von Melanchthons Leichenrede, 224. 150  Wolgast, Biographie, 55. 151  Hier benutzt in der Ausgabe: De origine et auctoritate uerbi Dei, et quae Pontificum, Patrum et Conciliorum sit auctoritas: Admonitio, hoc tempore, quo iterum de concilio congregando agitur, ualde necessaria. Additus est Catalogus Doctorum Ecclesiae Dei, a mundi initio, usque ad haec tempore, Wittenberg 1556. Majors Buch wurde nach der Erstausgabe 1550 bis 1565 noch sechsmal aufgelegt. 148 149

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löst, der in Amsdorffs These von der Schädlichkeit guter Werke gipfelte. Die Konkordienformel verurteilte Majors Position wie auch die seiner Gegner.152 In »De origine et auctoritate verbi« von 1550 betonte Major die Priorität der biblischen Autorität vor der Autorität menschlicher Werke oder Lehraussagen, ohne dabei aber die Tradition preiszugeben. »A key argument for the Bible’s authority was the unbroken line of teachers and learners from Adam to the present.«153 Damit wird »die feste Überzeugung davon, mit der reformatorischen Lehre in der ›successio doctrinae‹ zu stehen, [. . .] ihrerseits zu einem Kriterium für die Beurteilung der Tradition«154. Die Wahrheit menschlicher Lehraussagen ergibt sich aus dem Schriftbezug. Da aber, so Major, durch politische Tyrannei, Sekten und Häresien das Wort Gottes immer wieder mißachtet worden sei, stelle sich dem Gläubigen die Frage, was aus der Kirche geworden sei. Major ist mit Melanchthon der Überzeugung, daß durch alle Zeiten der Unterdrückung das Wort Gottes und mit ihm die Kirche gerettet worden ist155. Das Paradigma der Geschichte ist die Verfolgung der wahren Kirche, die Gegenbewegung ist ein doppelter Akt der Bewahrung: Gott hat immer wieder fromme Kirchenlehrer bewahrt156 , und diese haben die Substanz der Lehre bewahrt, indem sie sie immer wieder gereinigt und wiederhergestellt haben. Schlüsselbegriffe des Textes sind »conseruare«, »restaurare« und »puritas«; aus Majors Perspektive erscheint die Kirchengeschichte als permanente Reformation. Wie in Melanchthons oben (Kap. B.II.2) erwähnter akademischer Rede »De Luthero et aetatibus Ecclesiae« von 1548 – die übrigens von Major vorgetragen wurde157 – ist die Geschichte der Kirche, unter dem Blickwinkel der Reinheit der Lehre, nicht in einer linearen Verfallsperspektive zu beschreiben; sie verläuft vielmehr in Auf- und Abstiegsbewegungen. 152  Vgl. Scheible, Heinz, Art. »Major, Georg«, in: TRE 21, 725–730; Wengert, Timothy J., Georg Major (1502–1574). Defender of Wittenberg’s Faith and Melanchthonian exegete, in: Melanchthon in seinen Schülern, hg. v. Heinz Scheible, Wiesbaden 1997, 129–156. Zum Majoristischen Streit vgl. Kolb, Robert, Georg Major as controversialist: polemics in the late Reformation, in: Church History 45 (1976), 455–468. 153  Wengert, Georg Major, 149. Eine theologische Analyse des Werks (allerdings nur wenige Bemerkungen zum Catalogus) findet sich bei Keller, Rudolf, Der Schlüssel zur Schrift. Die Lehre vom Wort Gottes bei Matthias Flacius Illyricus, Hannover 1984, 103– 108. 154  Dingel, Irene, »An patres et concilia possint errare«. Georg Majors Umgang mit den Vätern, in: Auctoritas Patrum II. Neue Beiträge zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert, hg. v. Leif Grane/Alfred Schindler/Markus Wriedt, Mainz 1998, 51–65, hier 60. 155  »Tamen in hunc diem seruata est Ecclesia, et subinde omnibus aetatibus in aliorum tanquam stationem, alii doctores ad instaurandam et conseruandam doctrinae lucem diuinitus excitati sunt«: Major, De origine, 19r-19v. Auch dieses »subinde«, »immer wieder«, ist wie bei Melanchthon ein Schlüssel für das dem Text zugrundeliegenden Geschichtsbild. 156  Vgl. Major, De origine, 32r. 157  Vgl. Scheible, Catalogus testium veritatis, 102.

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Major teilt die Geschichte der Kirche nach dem universalhistorischen Schema der sechs Jahrtausende ein. Für die ersten vier Jahrtausende folgt Major der biblischen Erzählung. Die Patriarchen, Propheten, Könige und Priester werden der Kirche Gottes zugeschlagen; auch in dieser Zeit, so Major, hätten schon Christus und Heiliger Geist dem Gottesvolk gegen seine Gegner beigestanden.158 Nach der Zeit der Apostel folgt im fünften Jahrtausend die Ära der »episcopi«. Hatte Major die biblische Erzählung noch breit referiert, beschränkt er sich bei den späteren Lehrern auf das Nennen ihrer Namen und Lebensdaten sowie eine kurze Charakteristik ihrer Theologie. Der »Catalogus doctorum Dei« setzt damit einen Leser voraus, der über relativ umfassende Kenntnisse der Theologiegeschichte verfügt. Major macht schnell deutlich, daß die successio episcoporum, die ihm vorschwebt, nur partiell der römischen Lesart gleichen kann: Schon im Zeitalter Gregors des Großen, also um ca. 600, vor allem aber in der nachfolgenden Zeit, sei die Reinheit der Lehre ›verdunkelt‹ worden.159 Major meint hier nicht so sehr den Aufstieg des Papsttums als vielmehr den Aufschwung von Heiligenverehrung und Zölibat sowie die Lehre vom Fegefeuer. Signifikant ist die Verwendung der Lichtmetaphorik; bei Major wird der Topos des wiedererscheinenden Lichtes nicht in einen absoluten Gegensatz zur Finsternis gesetzt, sondern dient dazu, die vielfältigen Verfälschungen der Lehre und die ihnen korrespondierenden zahlreichen Restitutionen in unterschiedlichen Schattierungen zu zeigen. So heißt es zu Gregor dem Großen: »Sequuntur igitur Gregorii tempora, magna Monachorum agmina, quorum scriptis plus tenebrarum quam lucis in Ecclesiam inuectum est.«160 Daher, so Major, müßten als Kirchenlehrer auch diejenigen in Betracht gezogen werden, die teilweise von der wahren Lehre abwichen, sich aber wenigstens ihre Bildung und Urteilskraft bewahrt hätten161, wie z.  B. Isidor von Sevilla, Beda Venerabilis, Hrabanus Maurus, Anselm von Canterbury oder Bernhard von Clairvaux: »Bernardus [. . .], in quo multum lucis uerae doctrinae fuit, habuit tamen et suas tenebras, pro vt illa fuerunt tempora.«162 Diesen doctores werden für die hochmittelalterliche Zeit andere kontrastiert, die dem Leser allein durch die Namensnennung verdeutlichen sollen, von welchem finsteren Hintergrund sich der jeweilige »doctor Dei« abhebt. Bernhard etwa

  Major, De origine, 19v.   Vgl. ebd., 36r. 160  Ebd., 36 r. 161  »Recenseo igitur tantum saniores, in quibus aliquid iudicii et eruditionis fuit, quorum tamen aliqui, propter confusionem doctrinarum, quae illo tempore fuit, multum erroris habuerunt.«: Ebd., 36r. 162  Ebd., 37r. Vgl. zur Einschätzung Bernhards im Luthertum: Koch, Ernst, Die Bernhard-Rezeption im Luthertum des 16. und 17. Jahrhundert, in: Bernhard von Clairvaux. Rezeption und Wirkung im Mittelalter und in der Neuzeit, hg. v. Kaspar Elm, Wiesbaden 1994, 333–351. 158 159

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habe zur Zeit Gratians und Petrus Lombardus’ gelebt.163 Die bloße Erwähnung des Bearbeiters des kanonischen Rechts und des Verfassers des berühmtesten Sentenzenkommentars evozieren für Major einen solchen Abfall von der Wahrheit, daß auch Bernhard von Clairvaux seine »tenebrae« nachgesehen werden können. In ähnlicher Weise erwähnt Major Albertus Magnus und Thomas von Aquin, um Bonaventura als »doctor Dei« von seiner Umwelt abzusetzen, oder Ockham164 und die Scotisten, um Nikolaus von Lyra, einen Befürworter des exegetischen Literalsinns, positiv auszuzeichnen. In besonders schlimmen Zeiten der Unterdrückung sind also selbst die von Gott bewahrten doctores nicht frei von Verfinsterung; Major scheint aber nicht der Ansicht zu sein, daß dies die Lehrkontinuität gefährdet habe. Doch hier deutet sich ein Konflikt an zwischen einer statischen, ahistorischen Auffassung der reinen Lehre, die identisch mit der Schrift und Luthers Theologie ist, und einer dynamischen, entwicklungsgeschichtlich argumentierenden Reklamierung von offenbar nicht die lutherische Lehre vertretenden mittelalterlichen Theologen, die aus diesem oder jenem Grund dennoch dem lutherischen Lager zugeschlagen werden. Wenn es Major mit seinem Katalog auch ausdrücklich um eine Stärkung des Glaubens ging, nicht aber um einen »Index makelloser Autoritäten«165, entstand hier doch ein Problem, das sich bei Matthias Flacius in besonderem Maße zeigen sollte. Im späteren Mittelalter treten in dieser lutherischen Variante der successio episcoporum verstärkt auch Kirchenlehrer auf, die nicht Bischöfe sind. Diese Gestalten bewertet Major deutlich höher als die genannten Bernhard, Bonaventura und Nikolaus von Lyra. Anders als diese sind Tauler, Hus, Gerson, Geiler von Kaysersberg oder Wessel Gansfort nicht mehr in die mönchische Niedergangsbewegung einzuordnen: »Interim tamen Deus aliquos pios Doctores semper excitavit, qui superstitiones taxarent, et doctrinam repurgarent.«166 In diese Reihe gehört schließlich auch Luther: »Et hoc postremo tempore per reuerendum uirum Dominum Doctorem Martinum Lutherum multiplices errores in Ecclesia taxati sunt, et doctrina Ecclesiae repurgata est.«167 Diese letzte Formulierung fordert die Frage nach apokalyptischen Perspektiven bei Major heraus. Wie auch in der Melanchthonschen Trauerrede oder im Chronicon Carionis, anders aber als bei Luther, erscheint der Antichrist hier   Vgl. Major, De origine, 37r.   Keller, Schlüssel zur Schrift, 107, und im Anschluß daran Scheible, Catalogus testium veritatis, 102, vertreten die Ansicht, Ockham selber sei von Major in die Liste der »doctores Dei« eingefügt worden. Er wird aber nur erwähnt, um Nikolaus von Lyra positiv gegen ihn abzusetzen – heißt es doch über Ockham und die Scotisten, daß »quorum et aliorum plurimorum Monachorum scriptis, cum genera doctrinae, Euangelium et philosophia, confusa essent, superstitiones confirmatae, et in immensum auctae, ac maiores tenebrae inuectae sunt.« (Major, De origine, 37v). 165  Dingel, Major, 57. 166  Major, De origine, 37v. 167  Ebd., 37v. 163 164

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überhaupt nicht. Die Verwendung des universalhistorischen Schemas der sechs Jahrtausende zeigt Majors Affinität zu Melanchthons Einschätzung des Alterns der Welt – in diesem Sinne begreift er die Gegenwart als letzte Zeit. Aber die Tatsache, daß er keine lineare Verfallsgeschichte der Kirche, sondern eine Geschichte sich wiederholender Unterdrückung und Restituierung der Wahrheit zeichnet, entdramatisiert seine Perspektive dergestalt, daß man sie kaum als ›apokalyptisch‹ im Sinne einer konkreten Naherwartung deuten kann. Major rückt zwar, ohne doch den Ausdruck ›Antichrist‹ zu verwenden, die beiden gängigsten lutherischen Anwärter für diesen Titel, den Papst und die Türken, sehr nahe zusammen: Zur Zeit Gregors des Großen sei nämlich die Sekte der Mohammedaner entstanden, die genau das getan habe, was später das Papsttum tun würde: nämlich die christliche Lehre zu verderben.168 Aber weder der eine noch der andere Widersacher erscheint als apokalyptischer ›Endchrist‹. Wenn Major in die Reihe seiner doctores schließlich auch Joachim von Fiore, den einflußreichsten spätmittelalterlichen Vertreter apokalyptischer Prophetie aufnimmt169, so stellt sich noch einmal die Frage, wie Major das Verhältnis von gealterter Welt, Reformation und Weltende bestimmt. Doch gerade Joachim wird nicht ein einziger Satz inhaltlicher Charakterisierung gewidmet. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, daß Major in ihm – konform der Variabilität spätmittelalterlicher Joachim-Rezeption – kaum mehr gesehen hat als den Propheten einer unbestimmt bleibenden ›Reform‹170. In diesem Sinne ist Majors apokalyptische Perspektive relativ unspezifisch. Die allgemeine Empfindung vom Altern der Welt, die sich im Schema der sechs Jahrtausende äußert, bleibt hier das einzige Indiz dafür, daß Luthers Reformation, eben weil sie wegen der kurzen noch verbleibenden Zeit eine der letzten oder gar die letzte Restituierung des reinen Gotteswortes sein muß, eine endzeitliche Qualität zugesprochen wird. b)  Flacius’ Catalogus testium veritatis Matthias Flacius mit dem Beinamen ›Illyricus‹, dessen »Catalogus testium veritatis« von 1556 die einflußreichste Behandlung des Kontinuitätsproblems darstellt, wurde 1520 in Albona in Istrien geboren, studierte Hebräisch und Griechisch in Basel und Tübingen und kam 1541 nach Wittenberg, wo er ab 1544 als Professor für Hebräisch unterrichtete.171 In den Jahren 1550/51 kämpfte er 168  »Horrenda Mahometica secta in Asia exorta est, quae sparsa et propagata, vt postea in Papatum quoque factum est, in multis locis et regionibus doctrinam de Deo corrumpit, obscurauit, et deleuit.«: Ebd., 36r. 169  Vgl. ebd., 37r. 170  Vgl. Strauss, Ideas of reformatio, 10. 171  Zur Vita vgl. Olson, Oliver K., Art. »Flacius Illyricus«, in TRE 11, 206–214; Kaufmann, Thomas, Matthias Flacius Illyricus. Lutherischer Theologe und Magdeburger

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in Magdeburg gegen das Interim172 und beteiligte sich auch danach an mehreren Kontroversen gegen die Anhänger Melanchthons. Die damit einhergehende theologische Radikalisierung, v.  a. hinsichtlich der Erbsünde, marginalisierte seine Stellung allmählich; er war ab 1567 zu einem unsteten Dauerexil in Antwerpen, Straßburg und schließlich Frankfurt gezwungen, wo er 1573 verarmt starb. Die philippistische und orthodoxe Diffamierung als »nefarius Ecclesiae Christi Turbator« oder als »Türckischer Flacianischer Guckelhahn von Albon«173 und die bis in die jüngste Zeit reichende Legende vom ›Bücherdieb‹174 hat Flacius’ Ruf insgesamt zwar geschadet. Dennoch hat diese Konstellation ihn als Historiker weder im frühneuzeitlichen Luthertum ins Abseits drängen noch auch seine historiographiegeschichtliche Beurteilung in der modernen Forschung v.  a. als Organisator der Magdeburger Zenturien mindern können. In ihrer Konzeption der Geschichte waren sich Melanchthon und Flacius weitgehend einig. Eine Abgrenzung der ›Philippisten‹ von den ›Gnesiolutheranern‹ ist hinsichtlich der grundsätzlichen emphatischen Zuwendung zur Geschichte nicht sinnvoll.175 Dennoch gibt es Unterschiede im Umgang mit Geschichte: Während Flacius in der Frage der Lehrkontinuität, also der hier in Rede stehenden Zeugenproblematik, ganz auf einer Linie mit seinem Lehrer Melanchthon und seinem Gegner Major steht176 und Melanchthons Auffassung von der weitgehenden Lehrreinheit der ersten sechs Jahrhunderte teilt177, vollzieht er in der Frage eines exemplarisch-profanhistorischen Geschichtsinteresses eine klare Abwendung von Melanchthon (vgl. Kap. B.V.5). Der Abwehr dieses genuin ›humanistischen‹ Zugangs steht dabei ein, verglichen mit Melanchthon, stark aufgewerteter Umgang mit handschriftlichen und gedruckten Originalquellen gegenüber – ebenfalls ein ›humanistisches‹ Interesse. Damit ist Flacius Publizist, in: Mitteldeutsche Lebensbilder. Menschen im Zeitalter der Reformation, hg. v. Werner Freitag, Köln/Weimar/Wien 2004, 177–199; als Biographie im Sinne von ›Lebensbeschreibung‹ immer noch am umfassendsten: Preger, Wilhelm, Matthias Flacius Illyricus und seine Zeit, 2 Bde., Erlangen 1861; am materialreichsten die apologetische Studie von Olson, Matthias Flacius. 172  Vgl. Kaufmann, Ende der Reformation, passim; Olson, Oliver K., Theology of Revolution: Magedeburg 1550–1551, in: Sixteenth Century Journal 3 (1972), 56–79; Hase, Hans Christoph von, Die Gestalt der Kirche Luthers. Der casus confessionis im Kampf des Matthias Flacius gegen das Interim, Göttingen 1940. 173  Zitate: Eber, Calendarium, 3. März sowie Büttner, Epitome historiarum, 118v. Die Beispiele sind willkürlich und ließen sich leicht vermehren. 174  Vgl. Olson, Oliver K., »Der Bücherdieb Flacius« – Geschichte eines Rufmords, in: Wolfenbütteler Beiträge 4 (1981), 111–145. 175  Vgl. Kolb, Philipp’s Foes, 167. 176  Vgl. Scheible, Catalogus testium veritatis; Fraenkel, Testimonia patrum, 102–104 u. 264. 177  Darauf verweist Kaufmann, Ende der Reformation, 344. Melanchthons Position dazu findet sich in »De ecclesia et autoritate verbi«; vgl. zum Wendepunkt um 600 v.  a. CR 23,632. Eher noch optimistischer als Melanchthon findet Flacius’ Einschätzung der ersten Jahrhunderte: Backus, Historical Method, 345.

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sowohl mehr als auch weniger ›humanistisch‹ als Melanchthon. Offensichtlich ist die Klassifizierung zu einfach: Der »echte Humanist«178 Flacius war in Personalunion eben auch »a super Gnesio-Lutheran if there ever was one« und ist als solcher der extremste Testfall für das Problem des konfessionalisierten Humanismus179. Mindestens muß man wohl eingestehen, daß Flacius vielleicht in seinem philologisch-historischen Zugang, nicht aber in den dahinter stehenden Motiven, ein Humanist ist, und damit dem nachreformatorischen Auseinanderfallen von humanistischer Weltanschauung und humanistischer Methode Rechnung tragen.180 Der Catalogus testium veritatis wird in Überblicksdarstellungen oft genannt, aber hinsichtlich seiner Geschichtskonzeption seltener analysiert als im Hinblick auf seine Quellen.181 Daher verwundert es kaum, daß sich in der neueren Forschung eine Reihe abwegiger Charakterisierungen findet.182 Darauf wird im Anschluß an eine Interpretation des Werks zurückzukommen sein. 178  Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik, 140. Ähnliche Qualifizierungen bei: Wedel, Erwin, Matthias Flacius Illyricus. Ein bedeutender kroatischer Humanist, in: Matthias Flacius Illyricus 1575–1975, Regensburg 1975, 23–36; Hannemann, Kurt, Der Humanist Georg Fabricius in Meissen, das Luthermonotessaron in Wittenberg und Leipzig und der Heliandpraefatiokodex aus Naumburg a.d. Saale, in: Annali. Filologia Germanica 17 (1974), 7–109, hier 73, 77. 179  Kittelson, Humanism in the Theological Faculties, 143, der Flacius auch als »the really disturbing instance« für das Humanismusproblem bezeichnet. 180  Vgl. hierzu Muhlack, Tacitismus, 176–179. 181  Neuere Beiträge sind v.  a . der Aufsatz von Scheible, Catalogus testium veritatis; der Scheible nicht rezipierende, aber als Überblick nützliche Beitrag von: Schmidt-Biggemann, Wilhelm, Flacius Illyricus’ »Catalogus testium veritatis« als kontroverstheologische Polemik, in: Reformer als Ketzer. Heterodoxe Bewegungen von Vorreformatoren, hg. v. Günter Frank/Friedrich Niewöhner, Stuttgart-Bad Cannstatt 2004, 263–291; die literaturhistorisch orientierte Untersuchung von: Haye, Thomas, Der Catalogus testium veritatis des Matthias Flacius Illyricus – eine Einführung in die Literatur des Mittelalters?, in: ARG 83 (1992), 31–49; die Arbeit von Frank, Christina Beatrice Melanie, Untersuchungen zum Catalogus testium veritatis des Matthias Flacius Illyricus, Diss. Tübingen 1990, die eine detaillierte Aufstellung von Flacius’ Zeugen bietet, aber v.  a. hinsichtlich der Konzeption des Werks nicht selten zu fragwürdigen Urteilen kommt; die Studie von Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik, 141–197 und das Catalogus-Kapitel bei Olson, Matthias Flacius, 233–255 (beide vor allem zu Quellen und Überlieferung) sowie schließlich die patristikgeschichtlichen Bemerkungen von Backus, Historical Method, 343–350. 182  Fuhrmann, Papstgeschichtsschreibung, 148, nennt den Catalogus unzutreffend eine »Papstgeschichte in polemischer Absicht«. Was genau eine »intellectual hagiography« sein soll (Kelley, Humanism and History, 255), ist unklar. Auch die Einschätzung, Flacius werde mit dem Catalogus zum »father of Protestant heresiology« (Kaminsky, Howard, The Problematics of ›Heresy‹ and ›The Reformation‹, in: Häresie und vorzeitige Reformation im Spätmittelalter, hg. v. František Smahel, München 1998, 1–22, hier 5), ist insofern problematisch, als es Flacius explizit nicht um die Geschichte der Häresie, sondern der Orthodoxie geht. Die These von Polman, L’élément historique, 496, die katholischen Ketzerkataloge seien »comme des pendants« der flacianischen Konzeption, trifft nur auf die explizit historisch argumentierenden Werke wie das Caspar Francks (siehe B.V.2) zu.

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Eine erste handschriftliche Fassung des Catalogus stammt bereits aus dem Jahr 1552. Die hundertseitige Schrift wurde bis zur Veröffentlichung im März 1556 um das Doppelte erweitert; die Ausgabe von 1562 ist wiederum doppelt so lang.183 Schon in einem Brief an den kaiserlichen Rat Kaspar von Nidbruck vom 10. November 1552 berichtete Flacius – hier und auch später immer mit Blick auf das Komplementärunternehmen der Magdeburger Zenturien – von der bevorstehenden Vollendung des Catalogus, den er in Kürze zu publizieren wünsche.184 An den Frankfurter Prediger Hartmann Beyer schrieb er am 7. März 1553 wiederum über Catalogus und Kirchengeschichte: diesmal aber als Plan und Projekt.185 Offenbar hatte Flacius zwischen November 1552 und März 1553 den Eindruck gewonnen, daß noch eine Menge Arbeit bis zur Vollendung des Catalogus notwendig sei. Ob aber die ab 1550 immer deutlicher wahrzunehmenden Anzeichen einer kurz bevorstehenden Konversion des Melanchthonschülers Friedrich Staphylus und dessen Insistenz auf Alter und Kontinuität der Kirche den entscheidenden Schreibanlaß darstellten186 , möchte man schon deshalb bezweifeln, weil erstens Staphylus’ ›offizielle‹ Konversion erst im September 1553 vollzogen wurde187. Zweitens zeigt die oben zitierte Invektive von Cochläus gegen Melanchthon aus dem Jahr 1543, dieser könne keine mit Luther übereinstimmenden Zeugen benennen, daß das Problem spätestens seit den frühen 1540er Jahren virulent war; die Rekonversionen evangelischer Geistlicher in eine katholische ›Reformpartei‹ stellten ja nicht nur eine ärgerliche Entwicklung, sondern auch eine intellektuelle Herausforderung dar.188 Von einem lutherischen Standpunkt aus ist der Catalogus natürlich kein Ketzerkatalog. Francks Behauptung der Kontinuität der Ketzer ist strukturell ein Spiegelbild derjenigen der testes veritatis, so wie diese strukturell die Idee der apostolischen Sukzession der Päpste aufnehmen. Zur Einschätzung des Catalogus als Martyrologium vgl. Kap. B.V.4.c. 183  Vgl. Mirkovic     ´, Mijo, Matija Vlacic´    Ilirik, Zagreb 1960, 527 (deutsche Zusammenfassung zum Catalogus: 527  f.). Es ist möglich, aber schwer verifizierbar, daß die Publikation im Jahr 1556 einen Nachweis von Flacius’ wissenschaftlicher Kompetenzen für den Jenaer Theologie-Lehrstuhl und für die Heidelberger Bibliothek darstellen sollte; diese These bei: Frank, Untersuchungen, 18  f. 184  »Praeter maiorem autem illam historiam [. . .] etiam ac propemodum confeci catalogum omnium eorum, qui ante D. Martinum Lutherum piae memoriae contra papam eiusque errores scripserunt, tempus et articulos eorum annotavi. Eum brevi aliquando Deo volente edam.« Vgl. den Briefwechsel zwischen Flacius und Nidbruck zwischen 1552 und 1557, hg. v. Victor Bibl, in: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 17 (1896), 1–24 (Zitat: 7); Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 18 (1897), 201–238; Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 19 (1898), 96–111. 185  Vgl. Preger, Matthias Flacius Illyricus, Bd. 2, 416  f . 186  Vgl. Kaufmann, Martin Chemnitz, 244, Anm. 241. 187  Zu Staphylus’ Konversionsprozeß vgl. Mennecke-Haustein, Conversio ad ecclesiam, 184–212, v.  a. 209  f. Mennecke-Haustein stellt die Argumentation des Catalogus zwar in den Diskussionshorizont der Staphylus-Konversion, nimmt aber keine direkte Kausalverbindung an. Vgl. ebd., 330–340. 188  Vgl. z.  B. Henze, Aus Liebe zur Kirche Reform, 128–147.

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Flacius sprang de facto Melanchthon also in einer Phase ärgster Gegnerschaft bei, wenn er auch, wie gezeigt werden soll, dem Zeugendiskurs eine antiphi­ lippistische Wendung gab. Erst Flacius aber benutzte den Begriff testis veritatis, der eine große Karriere vor sich hatte.189 Merkwürdigerweise hat die Forschung sich nie der Frage angenommen, woher dieser Begriff eigentlich stammt. Das mag darin liegen, daß er so wenig überraschend klingt; tatsächlich ist er aber erst seit Flacius einschlägig. Doch auch Flacius gebraucht ihn – abgesehen vom Titel – eher sparsam und gleichsam tastend, im Widmungsbrief gar nicht, in der Praefatio in der geläufigeren Variation »testimonium [. . .] ueritati Christi« und dann einmal als »doctores aut testes ueritatis«, als suche er einen neuen Begriff neben einen geläufigeren zu setzen.190 Der Zusammenhang – die Wahrheit Christi, die der Christ bezeugen soll – ist schon biblisch omnipräsent.191 Luther benutzt den Begriff des testis und des testimonium relativ oft192 , allerdings fast nie in der Kombination testis veritatis; er spricht aber z.  B. von den »testimonia veritatis«, die von der päpstlichen Autorität nicht tangiert würden193. Melanchthons Auffassung, man müsse z.  B. die »testimonia« der Kirchenväter einer Bewertung durch die Schrift unterziehen, drückt zwar Ähnliches aus194, aber auch er benutzt den Terminus testis veritatis nicht. Woher kommt diese Begriffskombination nun? In der Bibel taucht sie nur einmal auf: Gott selbst solle der »testis veritatis et fidei« sein, heißt es in Jer 42,5. Die patristische und mittelalterliche Literatur kennt die Kombination zwar auch, gebraucht sie aber häufig in viel unspezi189  Flacius Illyricus, Matthias, Catalogus testium veritatis, qui ante nostram aetatem reclamarunt Papae, Basel 1556. Die Praefatio wird im folgenden zitiert nach: Die Anfänge der reformierten Geschichtsschreibung. Melanchthon, Sleidan, Flacius und die Magdeburger Zenturien, hg. v. Heinz Scheible, Gütersloh 1966 (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 2), 50–54. 190  Scheible, Anfänge, 53  f . 191  Vgl. Wagner, Harald, Zeugen der Wahrheit, in: Catholica 26 (1972), 224–242, v.  a. 228–231; die Idee einer »Wolke der Zeugen« stützt sich auf v.  a. auf Hebr. 12,1; vgl. auch Joh. 15,27; Apg 1,8; 2,32; 5,32. 192  Vgl. WA 68, Sachregister lateinisch, 402  f .; Luther spricht z.  B. von Johannes dem Täufer als »testis Christi« (WA 36,387) oder bezeichnet Apostel, Märtyrer und Bekenner als »testes« (WA 29,336). 193  WA 6,504. Einmal nur, im Jahre 1519, gebraucht Luther den Begriff »testis veritatis« in polemischer Weise gegen Hieronymus Emser und bemerkte spöttisch, dieser rühme sich selbst als »sacerdos domini [. . .] testisque veritatis« (WA 2,659 sowie mehrfach 661–665); davon abgesehen spielt der Begriff bei Luther keine Rolle. Emser hatte den Begriff allerdings in seiner Schrift, auf die Luther antwortet, nicht benutzt. Vgl. Emser, Hieronymus, De disputatione Lipcicensi, quantum ad Boemos obiter deflexa est (1519) – A venatione Luteriana aegocerotis assertio (1519), hg. v. Franz Xaver Thurnhofer, Münster 1921, 29– 40; siehe zum Inhalt dieser Kontroverse auch: Brecht, Martin, Martin Luther, 3 Bde., Bd. 1: Sein Weg zur Reformation: 1483–1521, Stuttgart 1986, 317–319. 194  Vgl. Fraenkel, Testimonia patrum, 41–43.

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fischerer Weise als Flacius.195 Augustin verwendet »testes veritatis« ein einziges Mal synonym für »martyres«196 ; sonst sagt er nur »testes«, so wie auch in der Vulgata »martyr« fast durchgehend mit »testis« übersetzt wird197. Die Märtyrerkonnotation scheint ein wichtiger Assoziationskontext zu sein, den Flacius aufrufen möchte, obwohl er nicht nur Blutzeugen heranzieht.198 So ist es sinnfällig, daß der Catalogus 1556 bei Oporin in Basel erschien, einer Offizin, die als Knotenpunkt eines martyrologischen Diskurszusammenhanges von vorwiegend exilierten Autoren (dem Kroaten Flacius, den englischen Marian Exiles Bale und Foxe, dem französischen Exulanten Calvin) fungierte.199 Bereits 1537 hatte aber der Straßburger Drucker Crato Mylius in seiner Ausgabe der Hedioschen Fortsetzung der Ursperger Chronik die Wichtigkeit gerade einer Spätmittelalterdarstellung betont, weil dies der Zeitraum der »testes veritatis« sei.200 Mylius spezifiziert nicht, was er damit meint; aber für Flacius gewinnt der Begriff damit neben der martyrologischen wohl auch eine historiographische Dimension.201 Eine dritte Assoziation, die zur terminologischen 195  Eine Volltextsuche in der CD-ROM-Ausgabe der Patrologia Latina ergibt für ›testis veritatis‹ und seine grammatischen Varianten nur etwa hundert Einträge, die in aller Regel keine terminologische Verdichtung indizieren. – Eine Titelsuche in ›INKA – Inkunabelkatalog deutscher Bibliotheken‹ (http://www.inka.uni-tuebingen.de, 8. 4. 2006) und im ›Illustrated Incunabula Short-Title Catalogue‹ (CD-ROM) ergibt, daß die testes veritatis bis 1500 jedenfalls in keinem Titel einer Druckschrift auftauchten; aber auch eine andere Sammlung spätmittelalterlicher Texte, das ›Repertorium der lateinischen Sermones des Mittelalters für die Zeit von 1350 bis 1500‹ (CD-ROM), ergibt kein positives Suchergebnis. 196  Vgl. Migne, PL 41,313. 197  Vgl. Halkin, Léon-E., Hagiographie protestante, in: Analecta Bollandiana 68 (1950), 453–463, hier 456. 198  Eine systematische Umkehrung der Einschätzung von durch die Kurie verurteilten Ketzern ergibt sich aber daraus anders als bei Sebastian Franck nicht. Ein Märtyrerbuch ist der Catalogus damit also nur in einem spezifischen Sinn: insofern nämlich, als der Begriff des »testis«, griechisch: martyr, unausgesprochen die urkirchliche Bedeutung des »Märtyrers« als Verkünder des Gotteswortes aufnimmt (vgl. Cameron, Medieval Heretics, 198). Bei Flacius heißt es, die Zeugen hätten dem Papst »non tantum verbis ac calamo sed et sanguine ipso ac martyrio suo« (Scheible, Anfänge, 53) widersprochen. Dies ist aber, wie man sehen wird, keine conditio sine qua non, um als ›testis‹ zu gelten. Dieser ist »Märtyrer« im ursprünglichen Sinn, nämlich Wortzeuge, erst in zweiter Linie Blutzeuge. Darüber hinaus ist das Modell der testes veritatis das Produkt eines theologischen Traditionsverständnisses: Die Denkfigur der lückenlosen Kontinuität ist nämlich für protestantische Martyrologien keineswegs ausschlaggebend (vgl. Kap. B.V.5.b). 199  Vgl. knapp Firth, Katharine R., The Apocalyptic Tradition in Reformation Britain, 1530–1645, Oxford 1979, 69  f. Der Humanist und Drucker Johannes Oporin publizierte Flacius’ gelehrte Werke, nicht aber seine Polemiken, daneben aber auch, wenngleich seltener, rein Katholisches sowie vor allem überkonfessionell-humanistische Literatur. Vgl. Steinmann, Martin, Johannes Oporinus. Ein Basler Buchdrucker um die Mitte des 16. Jahrhunderts, Basel/Stuttgart 1967, 66–71. 200  Vgl. Keute, Reformation und Geschichte, 25. 201  Es mögen in Flacius’ Terminus auch Anklänge an die ubiquitär gängige ciceronia-

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Verfestigung der Begriffskombination beigetragen haben dürfte, ist die m.W. einzige vorflacianische Benutzung des Ausdrucks im Kontext dezidierter Papstkritik. William von Ockham formulierte in seinem politiktheoretischen Hauptwerk »Dialogus de imperio et pontificia potestate«, das 1494 in Lyon gedruckt wurde und das Flacius bei der Arbeit am Catalogus nachweislich benutzt hat 202 , die »predicatores et doctores« seien als »testes veritatis« aufgerufen, gegen einen häretischen Papst zu predigen: »Predicatores ergo et doctores sunt testes ueritatis. Sed testes cum in iudicio examinantur tenentur contra papam hereticum asserere ueritatem. Ergo predicatores et doctores in sermonibus et lectionibus suis contra papam hereticum testimonium ueritati perhibere tenentur.« 203

Neben die martyrologische und historiographische Konnotation tritt damit eine dritte Komponente: Die Wahrheitszeugen müssen antipäpstliche Lehrer sein. Der Catalogus liest sich als Auflistung von testes veritatis und darüber hinaus als Anthologie von Dokumenten, die diese Einordnung begründen sollen. Flacius liefert vollständige Texte oder Ausschnitte, Zusammenfassungen oder Inhaltsangaben wichtiger Schriften.204 Die chronologisch geordneten Artikel sind zwischen wenigen Zeilen und mehreren Seiten lang und erfassen schematisch die Lebensdaten, die Schriften und Meinungen der testes, seltener aber deren äußere Lebenswege. Der Katalog stellt damit gattungsgeschichtlich unter anderem einen Versuch dar, die Tradition der kirchlichen Schriftstellerkataloge für die protestantische Propaganda nutzbar zu machen. Flacius selber spricht an anderer Stelle von seinem »catalogus scriptorum contra Papam« 205 und stellt sich damit in die Reihe bio-bibliographischer Schriftstellerkataloge, die seit Hieronymus unter dem Titel »De viris illustribus« oder »De scriptoribus ecclesiasticis«

nische Bezeichnung der Geschichte als »testis temporum« und »lux veritatis« mitschwingen. 202  Zu Flacius’ Benutzung des »Dialogus« siehe: Frank, Untersuchungen, 143; vgl. Flacius, Catalogus, 835–838. Flacius zitiert die entsprechende Stelle in seinem Artikel leider nicht, so daß die Ockham-Rezeption unbeweisbar bleibt. Allerdings wirkt – dies sei zumindest als Hypothese formuliert, warum Flacius möglicherweise auf die Ockham-testesReferenz verzichtet – der ganze Artikel seltsam fahrig und schnellgeschrieben; so setzt Flacius zweimal mit Ockhams Lebensdaten an: Flacius, Catalogus, 835, 837. 203  Guillelmus de Occam, Opera Plurima, Bd. 1: Dialogus de imperio et pontificia potestate, Lyon 1494 (ND Farnborough 1962), CXLVI r. 204  Vgl. Haye, Catalogus, 32. Ob damit der Catalogus »wenig mehr als eine Exzerptensammlung« ist, darf angesichts seiner komplexen Geschichtstheologie dennoch bezweifelt werden. Vgl. so: Scheible, Entstehung, 15, Anm. 10. 205  Flacius Illyricus, Matthias, Consultatio de conscribenda accurata historia ecclesiae (1554), in: Schottenloher, Karl, Pfalzgraf Ottheinrich und das Buch. Ein Beitrag zur Geschichte der evangelischen Publizistik, Münster 1927 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 50/51), 147–157, hier 152.

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das mittelalterliche Pendant der modernen Literaturgeschichte darstellten.206 Einschlägiges Vorbild für Flacius war dabei der erste gedruckte Schriftstellerkatalog, das 1494 erschienene Werk »De scriptoribus ecclesiasticis« des Sponheimer Benediktinerabtes Johannes Trithemius.207 Nach Trithemius entwickelte sich die Gattung in zwei unterschiedliche Richtungen: Einerseits kam es – wie in Conrad Gesners »Bibliotheca universalis, sive catalogus omnium scriptorum« (1545) – zu polyhistorischen Universalbibliographien. Diese durch kein äußeres Kriterium mehr geleiteten bibliographischen Zusammenstellungen stellten dabei die Konsequenz aus der vereinfachten Datenvervielfältigung durch den Buchdruck dar.208 Andere Autoren, wie eben Flacius oder auch John Bale, integrierten die Gattung gerade durch die wertende Perspektivierung auf einen konfessionell zugespitzten Deutungshorizont.209 Flacius’ editorische und philologische Arbeit kann hier nicht analysiert werden 210 ; es soll um Flacius’ historische Konzeption und seine Kriterien für die testes veritatis gehen. Auf der Titelseite findet sich das Motto des Werks aus 1. Kön. 19,18: »Reliqua mihi ipsi feci septem millia virorum, qui non incurvarant genu imagini Baal.« 211 Das Bibelwort stammt aus der Geschichte des Propheten Elias, der das Volk Israel dazu aufruft, sich nicht von seinem Gott ab- und Baal 206  Vgl. zu dieser Gattung: Lehmann, Paul, Literaturgeschichte im Mittelalter, in: ders., Erforschung des Mittelalters. Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze, Leipzig 1941, 82–113; Rouse, R.  H./Rouse, M.  A., Bibliography before Print: The Medieval De Viris Illustribus, in: The Role of the Book in Medieval Culture, hg. v. Peter Ganz, 2 Bde., Turnhout 1986, Bd. 1, 133–153. Hieronymus selbst weist darauf hin, daß sein Buch »De viris illustribus« mit gleichen Recht auch den Titel »De scriptoribus ecclesiasticis« tragen könne; vgl. Migne, PL 23,601. – Im 14. und 15. Jahrhundert wurde die Gattung vor allem auf zwei Arten fortgeführt, die hier auf sich beruhen können: in der Literaturgeschichtsschreibung einzelner Mönchsorden und in der humanistischen Biographiensammlung etwa eines Enea Silvio Piccolomini. Vgl. zu den Schriftstellerkatalogen der Orden Lehmann, Literaturgeschichte, 97–105. Zu Piccolomini siehe: Schmolinsky, Sabine, Biographie und Zeitgeschichte bei Enea Silvio Piccolomini: Überlegungen zum Texttyp von »De viris illustribus«, in: Humanistica Lovaniensia 44 (1995), 79–89. 207  Vgl. Arnold, Klaus, Johannes Trithemius (1462–1516), Würzburg 1971, 114–143. Trithemius bezeichnet das Werk mehrmals auch als »kathalogus illustrium virorum«, was den Gattungsbezug noch verdeutlicht; vgl. ebd., 117–119. 208  Vgl. Müller, Jan-Dirk, Das Gedächtnis der Universalbibliothek: die neuen Medien und der Buchdruck, in: Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle, hg. v. Hartmut Böhme/Klaus R. Scherpe, Reinbek bei Hamburg 1996, 78–95, hier 84; die unterschiedlichen Strategien der bibliographischen Wissenssteuerung stellt dar: Zedelmaier, Bibliotheca universalis und Bibliotheca selecta. 209  Vgl. zu Bale: Hadfield, Andrew, John Bale and the time of the nation, in: ders., Literature, Politics, and National Identity, Cambridge 1994, 51–80; Mayer, Thomas F., Art. »Bale, John«, in: Oxford Encyclopedia of the Reformation 1, 113  f. 210  Zu Flacius’ editorischem Umgang mit Dokumenten und zu seiner Rolle als Vermittler mittelalterlicher Literatur vgl. Haye, Catalogus; Frank, Untersuchungen; Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik, 141–197. 211  Auch Luther, WA 30 II,645, zieht den Vergleich mit den 7000, die ihr Knie nicht vor Baal beugen.

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zuzuwenden. Das Vorwort paraphrasiert diese Geschichte und bezieht sie auf die Gegenwart: Die Situation einer Opposition zwischen vielen Irrenden und wenigen, die der Wahrheit anhängen, »talis tristissimus rerum status [. . .] saepe in ecclesia Dei accidit«.212 Nicht nur die Eliasgeschichte, sondern die »ipsa rerum experentia omniumque temporum historia« 213 sei im gegenwärtigen Zustand der Verfolgung der wahren Kirche, ein notwendiger Trost.214 Dieser Trost sei notwendig, weil die Papisten sich eines hinterlistigen »sophisma« bedienten, um die Falschheit der lutherischen Lehre zu beweisen: »Vera ecclesia«, so sagen sie, »ac religio sunt perpetua, falsae vero ecclesiae et religiones subinde varie mutantur et transformantur. Iam ex omnibus scriptoribus et historiis constat, nostram Ecclesiam et religionem, quae a Romano pontifici dependet, esse valde antiquam, diuturnam, atque adeo inde a Christi et Apostolorum temporibus originem habere [. . .] Vestra vero nova est, nuper ante XXX annos a Luthero orta et instituta. Igitur nostra Ecclesia ac religio, hoc est Romana, et non vestra, vera ac genuina est«.215

Die logische Form diene nur dazu, die unhaltbaren Anklagen gegen die Lutheraner zu plausibilisieren. Neben den Trost aber, die der Leser daraus ziehen kann, daß immer schon gottgläubige Minderheiten sich der falschen Religion widersetzt haben, tritt die Geschichtsberufung als Argument. Flacius geht es um eine Widerlegung des katholischen Anspruchs, die wahre, weil alte Kirche zu sein; mit Melanchthon wird also die Tradition nicht zugunsten eines radikalen Biblizismus preisgegeben. Den dargestellten Trugschluß zu widerlegen, fährt Flacius fort, sei leicht: Das Odium der Neuheit sei den von Gott Erleuchteten aller Zeiten angehängt worden. Dies zeigt Flacius im Rekurs auf die Bibel: Er ruft die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob auf, die – typologisch mit Elias wie auch mit der lutherischen Gemeinschaft identifiziert – ebenfalls bereits den Kampf gegen die Auffassung zu führen hatten, »religionem potissimum in sacrificiorum copia caeremoniarumque observatione consistere, non in cordis sincera pietate, multo minus in Messiae vera agnitione«.216 Ohne auf historische Unterschiede einzugehen, wird hier ein schematischer Dualismus zwischen äußerlicher Ritualerfüllung und innerer Herzensfrömmigkeit aufgestellt. Dieser werden Elias, die Patriarchen und die Lutheraner, jener die Baalsanhänger und die Altgläubigen zugeordnet. Ihren Höhepunkt findet diese dualistische Typologie in der Gegenüberstellung von Christus und den Pharisäern ( Joh 8, 56–59), welche Christus ebenfalls die angebliche Neuheit seiner Lehre als Argument für deren Falschheit entgegenhielten und ihn schließlich »lapidibus [. . .] non iam argumentis«   Scheible, Anfänge, 51.   Ebd., 51. 214  V.a. auf die konsolatorische Zielsetzung des Catalogus hebt ab: Scheible, Catalogus testium veritatis, 95. 215  Scheible, Anfänge, 50. 216  Ebd., 51. 212 213

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unterdrücken wollten.217 Es reicht also, so muß dieses Exemplum verstanden werden, ebenfalls eine typologische Linie von der Verfolgung Christi durch die Pharisäer zur Verfolgung der Lutheraner durch die Katholiken. Christus sagt an der angegebenen Stelle: »Ehe Abraham wurde, bin ich« ( Joh 8, 58). In Flacius’ Sicht beruft er sich damit, im Wissen um seine Identität mit der Gottvaters, auf den durch das Alter seiner Lehre verbürgten Wahrheitsanspruch. Diese typologische Überblendung fungiert als suggestives Argument: Die Wahrheit, die immer die alte Wahrheit ist, sei stets Opfer von Verfolgung gewesen. Flacius zählt drei Gründe dafür auf, warum es die wahren Gläubigen schwer haben, den Makel der Neuheit von ihrer Lehre abzuwaschen. Erstens werde die Wahrheit unterdrückt; zweitens seien es immer nur wenige, die sie erkennen könnten. Drittens schließlich stelle sich die Wahrheit nie so prachtvoll dar wie die Lüge. Flacius’ Gedankengang besteht also aus zwei Teilen: Ausgehend von der Prämisse, daß das Alte mit dem Wahren identisch sei, zeigt er mittels einer suggestiven Typologie, daß die wahre Lehre schon immer der Neuheit beschuldigt worden sei. Sachargumente deuten sich an, wenn Flacius die Herzensfrömmigkeit der äußerlichen Ritualreligion gegenüberstellt und schließlich auf das Schriftprinzip zu sprechen kommt: Die wahre Religion sei diejenige, die der Stimme Gottes folge, wie sie sich in der Schrift ausdrücke. Ausgehend von dieser Berufung auf die Bibel stellt Flacius nun ein historisches Schema auf, das Biblizismus und historisches Argument miteinander verklammern soll. Flacius’ These lautet, daß es zu allen Zeiten Menschen gegeben habe, die die wahre Lehre vertreten hätten. Dies seien »non paucos, sed plurimos doctores et auditores« 218 gewesen. Durch die polemische Dichotomie zwischen »nos«, die der Schrift folgen, und den »adversarii«, die nur einer äußerlichen Lehre anhängen, fühlt sich Flacius offenbar der Notwendigkeit enthoben, weiter zwischen dogmatischen Positionen zu differenzieren. Die Welt ist und war stets gespalten in zwei Gruppen: die Anhänger Gottes und seine Gegner. Flacius greift hier auf das dualistische Schema Augustins zurück, nach dem der wahren Kirche von Beginn an eine falsche, der Kirche Abels die ›Kirche‹ Kains gegenübergestanden habe.219

  Ebd., 52.   Ebd., 53. Die Wahrheitszeugen seien immer »non pauca millia piorum« (54) gewesen; außer den von Flacius aufgeführten müsse es nämlich noch viele Tausende Gelehrte und Zeugen mehr gegeben haben, weil vermutlich viele Zeugnisse gar nicht überliefert seien. Trotzdem habe jeder der aufgeführten Zeugen Leser oder Zuhörer gehabt, die auch als Anhänger der Wahrheit gelten müßten, aber nicht zu erfassen seien. Schließlich müsse in Rechnung gestellt werden, daß viele testes aus Angst vor der Tyrannei der Kirche vorgezogen hätten, ihre Meinung nicht öffentlich zu äußern. 219  Vgl. Oberman, Forerunners, 19–27. 217 218

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Flacius behauptet also, es seien schon immer viele gewesen, die der »doctrina sine ulla ambiguitate« 220 gefolgt seien. Interessant ist an dieser Feststellung nur, daß er zuvor die Überlegenheit der Wahrheit gerade daraus abgeleitet hatte, daß sie generell nur von wenigen erkannt werde und dies geradezu als Argument für ihre permanente Verfolgung eingesetzt hatte. Diese argumentative Ambiguität war dem katholischen Häresiediskurs nur zu bekannt 221 ; der Versuch, eine Verfalls- und eine Kontinuitätsperspektive miteinander zu verbinden, offenbart schon an dieser Stelle gewisse argumentative Schwächen. Das Hintergrundschema für die Gegentradition der wahren Kirche ist eine Verfallsgeschichte. Bis um das Jahr 200 herum sei diese den Evangelien gefolgt; »prorsus nostrae conformem in religionem fuisse et plane ex diametro ab adversariis nostris dissensisse«.222 Um das Jahr 300 seien die ersten Verfälschungen entstanden. Trotzdem sei erst ab dem Jahr 600 die falsche Doktrin stärker und mächtiger als die wahre; diese Tatsache könne leicht aus den Kirchenvätern ersehen werden. Es erscheint nicht unangemessen, die von Flacius angenommene Depravation der Kirche mit Joachim Maßner so zu beschreiben, daß »die wahre Kirche [. . .] im Laufe der Zeit von der falschen überfremdet worden«223 sei. Diese ›Überfremdung‹ sei im Zuge der sich ausbildenden Papstherrschaft um 600 vorherrschend geworden. Das Mittelalter erscheint in dieser Sicht als Niedergangsphase. Deutet Flacius die Reformation demnach als Restitution der ecclesia primitiva? Seltsamerweise ist bei Flacius von der Reformation erst einmal überhaupt nicht die Rede. Auch Luthers Name wird nur zweimal genannt: einmal als Flacius das Argument widerlegen möchte, Luther habe die wahre Kirche vor kaum 30 Jahren gegründet, zum zweiten Mal bei der Darstellung der allmählichen Depravation der Kirche und ihrer Lehre. Aber Luther wird nicht etwa als derjenige eingeführt, der mit einem Mal die Mißstände der Kirche beseitigt hat. Ganz im Gegenteil tritt nun das Kontinuitätsmodell neben die Verfallsvorstellung. Zeugen der Wahrheit seien, so Flacius, diejenigen historischen Personen, »qui aliquo modo testimonium ante Lutherum veritati Christi contra errores et furores Antichristi dederunt adversariorumque erroribus, officii

  Scheible, Anfänge, 53.   Der katholische Theologen Konrad Braun äußerte sich 1549 in dem Sinne, daß es »typisch häretisch (sei), sich je nach der Situation wegen der Minderheits- oder Mehrheitsposition als gottgefällig zu rühmen, obwohl doch allein wahrer und katholischer Glaube, nicht aber die Menge oder die geringe Zahl der Gläubigen Kriterien für Kirchlichkeit seien«. Vgl. Kurze, Dietrich, Häresie und Minderheiten im Mittelalter, in: HZ 229 (1979), 529–573, hier 546. 222  Scheible, Anfänge, 53. 223  Massner, Joachim, Kirchliche Überlieferung und Autorität im Flaciuskreis. Studien zu den Magdeburger Zenturien, Berlin/Hamburg 1964, 75. 220 221

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neglectioni et perditissimae vitae«.224 Jeder, der auf irgendeine Weise das Papsttum bekämpft hat, soll aufgeführt werden. Die Praefatio bietet insgesamt also ein zwiespältiges Bild. Der vollständige Titel des Werks – »Catalogus testium veritatis qui ante nostram aetatatem Papae reclamarunt« 225 – drückt diese Ambivalenz aus: Es geht um Zeugen einer überhistorischen ›Wahrheit‹. Doch schon die bloße Gegnerschaft zum Papst scheint auszureichen, um als testis angesehen zu werden.226 Dies allerdings ist eine sehr globale und rein negative Definition. Wenn es einerseits darum geht, Alter und Kontinuität der evangelischen Lehre zu beweisen, andererseits dieser a priori alle Papstgegner zugeschlagen werden, ergeben sich konzeptuelle Probleme, die weiter unten diskutiert werden sollen. Zuvor jedoch sollen im folgenden einige ausgewählte Artikel analysiert werden. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Frage, welche Kriterien für die Zeugen Flacius im Einzelfall angibt. Der Catalogus umfaßt etwa 400 Artikel. Flacius beginnt, anders als Major 227, mit dem Apostel Petrus und beendet seine Liste im frühen 16. Jahrhundert. Dabei liegt ein deutlicher Schwerpunkt auf dem späten Mittelalter: Gilt doch die frühe Kirche ohnehin als noch so rein, daß eine Darstellung aller frühen testes den Rahmen des Catalogus sprengen würde. Es finden sich mindestens elf unterschiedliche Gründe, warum jemand als Wahrheitszeuge gilt: Kritik am weltlichen Herrschaftsanspruch des Papstes; Kritik am Anspruch des Papstes, dem Konzil übergeordnet zu sein; Kritik am Anspruch des Papstes, dieselbe oder mehr Autorität zu besitzen als die Heilige Schrift; moralische Kritik an der Amtsführung des Papstes; Kritik an der Kurie bzw. den Kardinälen oder dem Klerus im allgemeinen; Kritik am Mönchswesen, v.  a. an den Bettelorden; Kritik am Ablaßhandel; Kritik an der katholischen Abendmahlspraxis bzw. Predigt des Utraquismus; Kritik an anderen Positionen der Kirche (v.  a. Rechtfertigungslehre und Lehre vom freien Willen); Kritik am Zölibat sowie die Prophezeiung des Erscheinens Luthers. Der Großteil dieser Punkte orientiert sich an der ›Kritik‹ von Personen oder Institutionen. Die Opposition zum Papst steht dabei im Zentrum, ist aber, anders als in der Praefatio angekündigt, nicht das einzige Kriterium. Außerdem werden genuin theologische Kriterien seltener herangezogen als moralische Be  Scheible, Anfänge, 53.   Noch ambivalenter ist der leicht abgeänderte Titel, den Flacius dem ersten Artikel voranstellt: »Testes ueritatis, qui ante nostram aetatem uixerunt; sive Catalogus scriptorum, qui Papae ante Lutherum reclamarunt.« 226  Polman, Pontien, Flacius Illyricus, historien de l’église, in: Révue d’histoire ecclesiastique 27 (1931), 27–73, hier 35: »Tous ceux qui, au cours des siècles, se sont opposés au pape, soit directement soit indirectement, deviennent, par ce seul titre, des témoins de la vérité.« 227  Keller, Der Schlüssel zur Schrift, 108, erklärt dies damit, daß »für Major nicht die geschichtliche Bedeutung der Äonenwende durch die Menschwerdung des Logos so deutlich im Blick (steht), wie dies von Flacius gewollt ist.« 224 225

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wertungen. Zwar spielen die sola-fide-Lehre und die Verteidigung des Abendmahls in beiderlei Gestalt eine gewisse Rolle. Trotzdem erstaunt die geringe Bedeutung dogmatischer Fragen. Flacius hatte zwar angekündigt, die Papstgegner aller Zeiten aufzunehmen; doch angesichts der anderen Funktion des Werkes, des Kontinuitätsbeweises, wird man hier ein Indiz dafür sehen dürfen, daß Flacius die lutherische Lehre implizit zumindest stark vereinfacht, um möglichst viele historische Gestalten für seine Anschauungen reklamieren zu können. Daher muß sich seine Auswahl vor allem auf Negativkriterien stützen: So wird für Gerson etwa allgemeine Kritik am Klerus und der unbiblischen Machtanmaßung des Papstes verzeichnet. Doch Flacius deutet auch an, daß Gerson nicht in allen Punkten mit der lutherischen Auffassung übereinstimme: Gerson sei »multis monachorum et sophistarum erroribus infectus«.228 Wessel Gansfort 229 habe gegen den Ablaßhandel, den Primat und den übergroßen Güterbesitz der Kirche opponiert. Außerdem wird ihm die Kritik am Mißbrauch von Totenmessen, die Ablehnung von Gelübden und die Bezeichnung des Papstes als Antichrist in Rechnung gestellt. Geiler von Kaysersberg 230 habe das Mönchstum verachtet und Sitten und Unbildung des Klerus kritisiert. Außerdem stamme von ihm eine Prophezeiung Luthers.231 Savonarola schließlich habe den Papst und überhaupt die institutionalisierte Kirche des Amtsmißbrauchs angeklagt. Er habe daneben den Utraquismus verteidigt und die solafide-Lehre vertreten.232 Auch die Konzilien werden weitgehend auf ihre papstkritischen Tendenzen reduziert.233 Das Konstanzer Konzil, so Flacius, habe festgelegt, »quod scilicet Papa sit infra concilium et quod concilium possit ac debeat iudicare de Papa«.234 Die historische Situierung des gemeinten Dekrets »Haec Sancta« (6. April 1415) im Kontext der Überwindung des Schismas unterläßt Flacius; die Schwierigkeit, das Konstanzer Konzil einzubeziehen, gleichzeitig aber den auf diesem Konzil verbrannten Hus als Wahrheitszeugen zu benennen, umgeht Flacius, indem er Hus im Artikel zum Konstanzer Konzil einfach nicht vorkommen läßt. Auch das Basler Konzil sei ein Wahrheitszeuge, weil es die Legitimität des   Flacius, Catalogus, 931.   Vgl. ebd., 978–982. 230  Vgl. ebd., 989  f . 231  »venturam [. . .] diuinitus excitatus, qui eam (religionem, M.  P.) instauret«: ebd., 999. 232  Vgl. ebd., 988  f . 233  Die Reklamierung des Konziliarismus wendet sich implizit gegen katholische Reformbemühungen der Reformationszeit, wie sie z.  B. im »Fasciculus rerum expectandarum ac fugiendarum« (1535) des Kölner Humanisten Ortwin Gratius formuliert worden waren. Mit dieser Edition und Kommentierung von konziliaren Quellen, die Flacius benutzt hat, hatte Ortwin Gratius versucht, die Energien des Konziliarismus des 15. Jahrhunderts für eine Kirchenreform fruchtbar zu machen. Vgl. Mehl, Ortwin Gratius. 234  Flacius, Catalogus, 942. 228 229

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Utraquismus und den Konzilsprimat wenigstens teilweise bestätigt sowie die Gravamina der deutschen Nation entgegengenommen habe. Es komme, so referiert Flacius ungenannte Schriften des Basiliense, dem König oder Kaiser, nicht aber dem Papst zu, ein Konzil einzuberufen.235 Flacius’ Interesse an dieser Position erklärt sich nicht nur theologisch, sondern auch aus eigenen Erfahrungen: Schließlich hatte sich während der Abfassung des Catalogus, nämlich im April 1552, das Konzil in Trient vertagt. Die Vorgeschichte des Konzils war Flacius bekannt: Den Konzilsforderungen des Kaisers und eines Teils der Protestanten hatte die Kurie ablehnend gegenübergestanden, bis der Papst schließlich doch selbst die Initiative ergriffen und das Tridentinum einberufen hatte. Hier wurde aber rasch deutlich, daß die von Karl V. ersehnte Wiedervereinigung der Religionsparteien eine Illusion darstellte. Das aber bedeutete das definitive Scheitern der kaiserlichen Konzilspolitik.236 Die von Flacius herausgestellte, hundert Jahre alte Forderung, der Kaiser sei für die Einberufung des Konzils verantwortlich, erhält in diesem Kontext ihre ganze Schärfe. Nikolaus von Kues wird unter die Wahrheitszeugen eingereiht, aber Flacius’ Haltung zu ihm erscheint ambivalent: Er habe zwar viele der päpstlichen Irrlehren abgelehnt, sie aber später, durch die Kardinalswürde korrumpiert, selbst verfochten. Flacius unterscheidet also zwischen dem späteren Werdegang des Cusanus und seinen früheren Schriften wie der »Concordantia catholica«.237 Die nicht selbstverständliche Trennung zwischen einer Person und ihren Texten erlaubt es Flacius, ihn als Zeugen zu klassifizieren. So habe er vor allem die weltlichen Herrschaftsansprüche des Papstes bestritten und Luthers sola-fideKonzept gepredigt. Eine ganze Reihe von Gestalten erscheinen kurios in einem Katalog von testes veritatum: Machiavelli dürfte sich wohl auch nur in diesem polemischen Kontext der Ehre würdig erweisen, als Zeuge der Wahrheit eingereiht zu werden. Bezeichnenderweise geht Flacius auch nicht auf den »Principe«, sondern ausschließlich auf Machiavellis historisches Werk ein: Darin habe er gezeigt, daß »ex ambitione et crudelitate pontificum pleraque mala ac bella Christianis prouenisse«.238 Durch Bann, Ablaß und Krieg habe sich das Papsttum weltliche Macht verschafft. Alle Kaiser vom Investiturstreit bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts werden, ausschließlich wegen ihrer antipäpstlichen Machtpolitik, als Zeugen, wegen ihres Scheiterns im antipäpstlichen Kampf aber auch als »infoelices caesares« 239 charakterisiert. Bezeichnenderweise bricht die Reihe der aufgeführten Kaiser nach Friedrich II. ab; die Kaiser der folgenden Zeit waren, abgesehen von Ma  Vgl. ebd., 944.   Vgl. Rabe, Deutsche Geschichte 1500–1600, 431. 237  Vgl. Flacius, Catalogus, 958  f . 238  Ebd., 993. 239  Ebd., 272. 235 236

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ximilian I. als dezidiertem Unterstützer der Gravamina 240 , offenbar zu machtlos, um als testes gelten zu dürfen. Daß aber die Kaiser hier nicht wie in der Universalgeschichtsschreibung einfach die politisch-moralischen Gegner der Päpste sind, sondern Zeugen einer evangelischen Wahrheit, indiziert die Problematik, in die sich Flacius mit seinem doppelten Anspruch hineinmanövriert, sowohl die Kontinuität der Papstgegnerschaft als auch der evangelischen Lehre nachzuweisen. Hoch polemisch ist die Reklamierung Thomas von Aquins für den Protestantismus. Die Ablehnung der Scholastik durch Luther 241 und seine Nachfolger wird hier in den Hintergrund geschoben; Flacius scheint es wichtiger zu sein, möglichst viele katholische Autoritäten für die lutherische Sache aufführen zu können.242 Thomas habe die Priesterehe »mollius ac melius« beurteilt als die heutigen Katholiken und das Keuschheitsgebot als »ex statuto Ecclesiae, et accidentaliter« 243 charakterisiert. Schließlich seien noch die insgesamt zwölf Päpste erwähnt, deren Auflistung besonders erstaunt. Allerdings argumentiert Flacius auch an dieser Stelle selektiv: Papst Innozenz IV. etwa habe die Priesterehe nicht prinzipiell abgelehnt; sie sei nicht »natura mala«, aber die »constitutiones Ecclesiae hoc prohibeant« 244 – was Flacius inkonsequent findet. Papst Johannes XXII. habe sich gegen die Bettelorden gewandt, gleichzeitig aber einen unangemessenen Herrschaftsanspruch über die Ostkirche angemeldet.245 Andererseits sind die Päpste natürlich immer auch Beispiele der antichristlichen Korrumpierung. Der Artikel über Enea Silvio Piccolomini 246 ist dafür exemplarisch. Dieser Konziliarist, so Flacius, habe den Geist des Antichristen empfangen, als er zum Papst gewählt worden sei, und dann die Appellation an ein Konzil verboten.247 Dies ist Anlaß, nicht nur die Amtsverfehlungen von Pius II. aufzuzeigen, sondern auch seine   Vgl. ebd., 1007.   Vgl. Janz, Denis R., Luther on Thomas Aquinas. The Angelic Doctor in the Thought of the Reformer, Stuttgart 1989, 115: »the real problem with Thomas was not Thomas but Thomism«. 242  Allerdings wird nicht versucht, Franziskus, Dominicus, Petrus Lombardus und Gratian als Wahrheitszeugen umzudeuten. Diese bleiben »Satanae apostoli«, die vom Teufel just in dem Moment gesandt wurden, als Gott die von Flacius breit und prominent behandelten Waldenser erweckte; vgl. Flacius, Catalogus, 705 (zu den Waldensern: 704–761). Vgl. zum Argumentationskontext auch: Selge, Kurt-Victor, Ein Magdeburger Flugblatt. Flacius Illyricus und die franziskanische Sonderfrömmigkeit im Streit um das Interim, in: Communio viatorum 25 (1982), 219–226. 243  Flacius, Catalogus, 701. 244  Ebd., 702. 245  Mit Preger kann festgehalten werden, daß von Zeit zu Zeit »solche Männer ihrem System widersprechen.«: Preger, Matthias Flacius Illyricus, Bd. 2, 465. 246  Vgl. Flacius, Catalogus, 955–958. 247  Vgl. Schimmelpfennig, Bernhard, Das Papsttum. Von der Antike bis zur Renaissance, Darmstadt 31989, 282. 240 241

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persönliche Moral anzuprangern. Wie bei Nikolaus von Kues unterscheidet Flacius aber zwischen den frühen Texten Piccolominis und seiner späteren Wandlung.248 Der Artikel über Hus ist aus verschiedenen Gründen interessant: Hus habe »ualdensium doctrinam, potius Christi Evangelium« 249 gelehrt, sei aber auch von Wyclif beeinflußt gewesen. Alle theologischen Unterschiede zwischen Wyclif, den Waldensern, Hus und Luther werden hier, wie in der Praefatio, überspielt.250 Außer dem Hinweis auf Hus’ Luther-Prophezeiungen enthält der Artikel aber zwei Abschnitte, die über die anderen Artikel hinausgehen: Flacius weist erstens darauf hin, daß Hus’ Schriften teilweise gedruckt, teilweise handschriftlich erhältlich seien. Hier zeichnet sich eine weitere Funktion des Catalogus ab, nämlich unbekannte Autoren bekannt zu machen.251 Nach Hus’ Tod, so schreibt Flacius zweitens, sei seine Lehre verfälscht worden, und es hätten sich Fraktionen gebildet. Dies vergleicht Flacius mit der Situation nach dem Tod Luthers 1546. Die Uneinigkeit, sagt er in Anspielung auf Melanchthon, habe sogar zu einer Wiederannäherung an papistische Positionen geführt. Gegen die ›Philippisten‹ betet Flacius zum Herrn: »Dominus Iesus reducat declinantes a lege, suaeque Ecclesiae piam concordiam restituat. Amen.«252 Dies zeigt Flacius’ doppelte Frontstellung, die sich einerseits natürlich gegen die Altgläubigen, andererseits aber auch gegen die ›Philippisten‹ richtet. Die Differenzen innerhalb der hussitischen (und auch der lutherischen) Bewegung wolle er, Flacius, aber nicht darstellen.253 Das heißt: Die testes bleiben Wahrheitszeugen, auch wenn sie einander widersprechen. Die Charakterisierung des Catalogus in der Forschung beschränkt sich häufig auf ein bis zwei Sätze. Um nur wenige Beispiele zu nennen: Olson bezeichnet das Werk als »eine Zusammenstellung von historischen Vorläufern Luthers«.254 Maßner spricht von einem »dreistufige(n) Schema vom Aufleuchten, Sichverdunkeln und Wiederaufleuchten der Lehre«, betont aber auch die »Kontinuität der Zeugen und des Zeugnisses«.255 Frank schließlich meint, Flacius präsentiere

  »[. . .] illum hominem [. . .] prorsus inmutatum esse«: Flacius, Catalogus, 957.   Ebd., 849. 250  Zu Flacius’ Rückführung des Hussitismus auf die Waldenser – einen Rückschluß, den Melanchthon aus einem Affekt gegen die antisoziale Gemeinschaftsstruktur der Waldenser nicht vollzog – vgl. de Lange, Albert, Bretten, Melanchthon und die Waldenser, in: Fragmenta Melanchthoniana. Zur Geistesgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Bd. 1, hg. v. Günter Frank/Sebastian Lalla, Heidelberg/Ubstadt-Weiher/Basel 2003, 33–46, v.  a. 41. 251  Vgl. Haye, Catalogus. 252  Flacius, Catalogus, 851  f . 253  Vgl. ebd., 852. 254  Olson, Art. »Flacius Illyricus«, 209. Ähnlich: Ozment, Age of Reform, 155; Oberman, Forerunners, 30. 255  Massner, Kirchliche Überlieferung, 33  f . 248 249

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»mit diesem Werk eine umfassende und präzise erarbeitete Essenz der mittelalterlichen Wurzeln des Protestantismus.« 256 An diesen Einschätzungen fällt auf, daß die grundlegende Ambivalenz von Flacius’ Konzeption nur höchst selten zur Sprache kommt bzw. harmonisierenden Deutungen unterworfen wird.257 Die Analyse hat zwei Ergebnisse erbracht, die nicht ohne weiteres miteinander in Einklang zu bringen sind: Erstens zeigt die Praefatio des Catalogus einen letztlich ahistorischen Wahrheitsbegriff, der weder Abstufungen noch eine Entwicklung kennt. Luthers Stellung innerhalb dieses Kontinuums von Verkündern der evangelischen Wahrheit wird so implizit deutlich relativiert: Wenn die Wahrheit keiner Entwicklung bedarf, sondern immer schon bezeugt wurde, wozu bedurfte es dann eines Luther? Zweitens aber zeichnet Flacius die Geschichte eines Verfalls. Als Aufnahmekriterium in die Liste der testes nennt er Kritik aller Art am Papsttum und der römischen Kirche. Die Analyse einzelner Artikel zeigt, daß Flacius sehr wohl Teilwahrheiten zugesteht: Alle Zeugen waren stets der Gefahr der Korrumpierung ausgesetzt. Die ›Überfremdung‹ der wahren Kirche ist die einzige historische Entwicklung, die Flacius konstatiert.258 Die Wahrheit bedarf keiner historischen Entfaltung, sondern sie muß, einmal offenbart, bewahrt werden. Kirchengeschichte ist für Flacius also einerseits Verfallsgeschichte, andererseits aber auch ›Rettungsgeschichte‹ des Evangeliums durch die Kontinuität der Zeugen. Dieses Traditionsverständnis übernimmt Flacius, wie gezeigt, von Melanchthon, verschärft aber gegenüber Melanchthon und Major den Eindruck akuter Anfechtung; es geht um Rettung, nicht nur um Bewahrung. Allerdings entwickelt Flacius durch die Suche nach möglichst vielen Zeugen eine Konzeption, die die schon bei Major implizit enthaltene Spannung zwischen einem statischen, biblischen Wahrheitskonzept und einem dynamischen Verfallsmodell weiter verschärft. Christina Frank schließt daraus, Flacius vertrete mehrere Begriffe von Wahrheit – »die theologische Wahrheit evangelischer Lehre, die historische Wahrheit übermittelter Fakten und die juristische Wahrheit rechten Handelns im Verlauf einer Auseinandersetzung« 259. Doch Flacius denkt explizit nur an eine einzige ›Wahrheit‹. Dies ist die Lehre Christi und Luthers, die als identisch vorgestellt werden. Nur implizit, und zwar durch die Überformung des ekkle  Frank, Untersuchungen, 233.   Dies zeigt sich jüngst wieder bei Schmidt-Biggemann, Catalogus, v.  a. 275 u. 291, der die sola-scriptura-Theologie zum Aufnahmekriterium in den Catalogus erklärt – was in dieser Pauschalität schlicht nicht zutrifft. 258  Für den Catalogus trifft demnach Moldaenkes These, Kirchengeschichte sei »für Flacius wesentlich Geschichte der Schriftauslegung«, nur in einem vermittelten Sinne zu. Vgl. Moldaenke, Günter, Schriftverständnis und Schriftdeutung im Zeitalter der Reformation, Bd. 1: Matthias Flacius Illyricus, Stuttgart 1936, 317. 259  Frank, Untersuchungen, 55. 256 257

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siologischen Modells des Kontinuums der Kirchenlehrer durch die Diversität der historischen Faktenlage, läßt sich ein relativierender von einem absoluten Wahrheitsbegriff unterscheiden. Heinz Scheible hat sicher recht, wenn er die Kette der Wahrheitszeugen strukturell als »reformatorische Variante des Dogmas der successio episcoporum« 260 deutet. Doch auch er harmonisiert die Spannung zwischen diesem Theorem und der von Flacius dargestellten mittelalterlichen Verfallsgeschichte.261 Tatsächlich ist die Spannung zwischen Papstgegnerschaft einerseits und Lehrkontinuität andererseits nur über die unspezifische rhetorische Klammer des Bildes von den 7000, die Baal widerstanden haben, vermittelt. Konsequenterweise bestimmt die Baal-Geschichte nicht nur den Titel und den Beginn der Praefatio, sondern wird auch in der Vorrede an die sächsischen Herzöge zweimal bemüht.262 Das Dilemma, in das die flacianische Konzeption die protestantische Geschichtsdeutung hineinmanövrieren konnte, zeigt sich z.  B. daran, daß im Calvinismus der Jahrhundertwende der Versuch, die Kontinuität der Wahrheit durch das Mittelalter nachzuweisen, schließlich zu einer Verwerfung dieser Epoche und der Vorstellung führte, das Tausendjährige Reich liege noch in der Zukunft.263 Diese Konsequenz zieht Flacius nicht; die Problematik, statische und dynamische Wahrheitskonzeption, Verfalls- und Kontinuitätsmodell miteinander zu verbinden, wird von ihm zumindest nicht thematisiert.264 Trotzdem wirft diese Beobachtung die Frage nach apokalyp  Scheible, Catalogus testium veritatis, 104.   Wenn Scheible, Catalogus testium veritatis, den Text einerseits als Variante der apostolischen Sukzession im Sinne der Lehrkontinuität sieht und andererseits behauptet, es gehe Flacius »nicht um protestantisches Gedankengut« und er begnüge sich »mit einem Teilbereich, der Polemik« (95), benutze also ein rein negatives Auswahlkriterium (was nicht vollständig zutrifft), dann paßt dies nicht ohne weiteres zusammen. Die Frage ist doch: Wie weit darf ein ›testis‹ von der biblischen Lehre abweichen, um noch als Garant der Lehrkontinuität gelten zu können? Bezeichnend ist die Deutung Pregers, der Catalogus wolle zeigen, daß 7000 ihre Knie nicht vor Baal gebeugt hätten, »aber auch«, daß die evangelische Lehre immer bewahrt worden sei. In diesem »aber auch« liegt die unaufgelöste argumentative Ambivalenz des Catalogus testium veritatis. Vgl. Preger, Wilhelm, Art. »Flacius«, in: ADB 7, 88–101, hier 95, ähnlich auch Backus, Historical Method, 345. Die einzige Arbeit, in der die Ambivalenz der flacianischen Konzeption explizit thematisiert wird, ohne sie allerdings wie hier in den Kontext der Endzeiterwartung zu stellen, ist: Wagner, Ursprünge, 28: »Das Auswahlprinzip scheint gegenüber der programmatischen Praefatio geändert zu sein [. . .] Man hat demnach den Eindruck, daß der Widerstand gegen Rom das Wesen der protestantischen ›Lehre‹ ausmacht.« 262  Vgl. Scheible, Anfänge, 48  f . 263  Vgl. Hotson, Historiographical Origins. 264  Die Ambivalenz dieser Konzeption zeigt sich am deutlichsten, wenn Flacius die Mystikerin Hildegard von Bingen und den Magedeburger Konziliaristen Heinrich Toke explizit als Lutheraner bezeichnet, gleichzeitig aber nur sehr eingeschränkte Kriterien dafür angibt, warum sie als Lutheraner gelten sollen: »In hac [. . .] Hildegardis et Token sunt Lutherani, imo et pessimi haeretici, qui crediderunt et scripserunt [. . .] piam Ecclesiae Dei reformationem fieri posse«: Flacius, Catalogus, 191. Interessant ist, daß es gerade die Voraussage einer gottgewirkten »reformatio« ist, die in Flacius’ Sicht kaum etwas an260 261

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tischen Implikationen des Catalogus auf 265 , und in diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der Bedeutung Luthers. Flacius expliziert im Catalogus nirgendwo apokalyptische Vorstellungen. Trotzdem ist die apokalyptische Perspektive ein wichtiges Element der flacianischen Geschichtsdeutung: Flacius bezeichnet den Papst beiläufig, aber pauschal immer wieder als Antichristen. In der Praefatio spricht er davon, er wolle die Zeugnisse derjenigen ausbreiten, die »contra errores et furores Antichristi« 266 gekämpft hätten, in vielen Artikeln werden die Begriffe »papa« und »Antichrist« synonym verwendet 267, im Artikel über Joachim von Fiore wird besonders hervorgehoben, daß dieser den Antichristen auf dem päpstlichen Stuhl prophezeit habe.268 Wenn auch diese Gleichsetzung von Papst und Antichrist seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zur »gängigen Kleinmünze auf dem Markt konfessioneller Polemik« 269 wurde, ist diese Reduktion auf Polemik gerade für Flacius unplausibel. Das Interim, die erste Belastungsprobe des Protestantismus nach Luthers Tod, stellte für Flacius den Versuch dar, die durch Luther restituierte göttliche Wahrheit erneut zu korrumpieren.270 Dem Kampf gegen diese Entwicklung widmete sich Flacius in der Publizistik seiner Magdeburger Zeit,

deres als ein apokalyptisches Heilsereignis sein kann, die als Kriterium für die Apostrophierung als »Lutherani« herangezogen wird. Lutherprophezeiung ist also ein wesentlicher Klassifizierungsgrund, wenn man auch nicht sagen kann, daß der Catalogus insgesamt das Ziel hat, der Reformation eine »prophetic legitimation« zu verschaffen. Vgl. so: Barnes, Prophecy and Gnosis, 77; ähnlich auch: Cunningham, Andrew/Grell, Ole Peter, The Four Horsemen of the Apocalypse. Religion, War, Famine and Death in Reformation Europe, Cambridge 2000, 49. Den unspezifischen Bezug z.  B. auf Joachim von Fiore, den Flacius im übrigen mit Major teilt, konstatiert Reeves, Marjorie, The Influence of Prophecy in the Later Middle Ages. A Study in Joachimism, Notre Dame/London 1993 (EA 1968), 486  f. 265  Hotson, Historiographical Origins, 171, bemerkt zum Catalogus und zu den Magedeburger Zenturien: »Like most issues regarding continental apocalypticism in this period, the influence of these works on the apocalyptic tradition seems not to have been carefully studied, but it is unlikely that the single greatest Protestant historiographical undertaking of the sixteenth century could have strengthened the consensus that the millenium prophesied in the Apocalypse was fulfilled during the first millenium of the Christian church.« 266  Scheible, Anfänge, 53. 267  Vgl. die Belege bei Frank, Untersuchungen, 77–84. 268  Vgl. Flacius, Catalogus, 664. Vgl. dazu auch Carozzi, Claude, Weltuntergang und Seelenheil. Apokalyptische Visionen im Mittelalter, Frankfurt a.  M. 1996, 121. 269  Seebass, Art. »Antichrist IV«, 34; vgl. auch Hillerbrand, Von Polemik zur Verflachung sowie zum Kontext Kap. B.VII. 270  Flacius artikuliert sein historisches – apokalyptisches – Selbstverständnis in einer Weise, die z.  B. bei Melanchthon so nicht zu finden ist: »De prophetia Hilteni recte est. Nam anno 17 cepit Regnum Christi reflorescere. Anno itidem 47 cepit inclinatio et defectio. Nam tunc ceptum est cudi Interim.« (Brief an Simon Musäus, 2. September 1557, ediert in: Clemen, Otto, Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1897–1944), hg. v. Ernst Koch, Bd. 6 (1933–1944), Leipzig 1985, 250–253, hier 250  f.).

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also zur Zeit der Abfassung des Catalogus, besonders intensiv.271 Wie Luther war er nicht an apokalyptischen Spekulationen über das genaue Datum des Weltendes interessiert; doch mit Luthers Restituierung der reinen Lehre und seiner Enttarnung des Antichristen sah er die Endzeit angebrochen.272 Erst mit Luther gewann die vera Ecclesia eine neue Qualität, weil sie sich sich dogmatisch und organisatorisch endgültig von der Papstkirche emanzipierte. Damit wurde das Auftreten Luthers zum heilsgeschichtlichen Wendepunkt. Aber auch das Interim gewann bei Flacius den Rang eines apokalyptischen Ereignisses: Der Papst hatte sich der reinen Lehre bemächtigt, was als letzte Prüfung für die verfolgte Minderheit zu deuten war.273 Unter dieser Voraussetzung ist Flacius’ Aussage, der Catalogus solle ein Trostbuch für die verfolgte Minderheit darstellen, durchaus mehr als eine captatio benevolentiae. An rhetorisch exponierter Stelle, nämlich zu Beginn des Widmungsbriefs, zitiert Flacius Phil 1,29 und kommentiert: Für Christus zu leiden sei »magnum profecto praeconium [. . .] et simul praeclara consolatio.« 274 Der Catalogus stellt mithin kein Martyrologium im engeren Sinne dar; aber das Martyrium gehört essentiell zur Selbstdeutung der Gnesiolutheraner und ist insofern einer der Fluchtpunkte der flacianischen Konzeption. Die Kirchengeschichte gewinnt damit vom Ende her ihren Sinn: Mit der Entdeckung des Antichristen ist »die gesamte Geschichte [. . .] zum Kampffeld der wahren und falschen Kirche geworden«275 , denn der Verfall der Kirche ist nichts anderes als der allmähliche Aufstieg des Antichristen. Hieraus erklärt sich die Perspektivierung aller einzelnen Zeugnisse auf die Wahrheit Christi und Luthers – wenn man nicht annehmen möchte, daß es nur ein polemischer Impetus ist, der Flacius dazu bringt, seine Kriterien verschwimmen zu lassen. Auch wenn dies sicher zutrifft, ist die dargestellte Ambivalenz der flacianischen Konzeption wohl mindestens teilweise der apokalyptischen Erwartung geschuldet, die Flacius dazu führt, die Verfolgten aller Zeiten für die lutherische Sache zu reklamieren. Die Wahrheit Gottes ist sub specie finis mundi identisch mit dem Kampf gegen den römischen Antichristen.276 Der Catalogus befindet sich damit 271  Vgl. Kaufmann, Ende der Reformation, passim; Preuss, Hans, Die Vorstellungen vom Antichrist im späteren Mittelalter, bei Luther und in der konfessionellen Polemik. Ein Beitrag zur Theologie Luthers und zur Geschichte der christlichen Frömmigkeit, Leipzig 1906, 220–222. 272  Vgl. dazu eingehend Moldaenke, Schriftverständnis, 331–349. Bemerkenswerterweise sieht aber Flacius auch in der Herauf kunft des Humanismus ein Zeichen des nahenden Endes, weil dieser die Offenbarung des Antichristen und die Restitution des Evangeliums vorbereitet habe. 273  Vgl. Stupperich, Augsburger Interim, 226, Anm. 3; Barnes, Prophecy and Gnosis, 65. 274  Flacius, Catalogus, Epistola nuncupatoria, a2r. 275  Seebass, Art. »Antichrist IV«, 33. 276  Auch Kaufmann, Ende der Reformation, 342, stellt den Catalogus in den Diskurskontext des Interimskampfes, überbetont aber die antiadiaphoristische Stoßrichtung

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in doppelter Frontstellung: Er richtet sich gegen Katholiken wie ›Philippisten‹; er ist, aus apokalyptischen Prämissen, wesentlich auch antiphilippistisches Argument. Darauf deutet z.  B. die Tatsache hin, daß Flacius bestimmte Zeugen (in gnesiolutherischer Terminologie) als »Lutherani« bezeichnet 277. Es ist wohl kein Zufall, daß die maßgeblichen Werke früher lutherischer Kirchengeschichtsschreibung, der Catalogus testium veritatis und die Magdeburger Zenturien, aus dem Kreis um Flacius stammen und eben nicht aus dem philippistischen Lager. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen betrifft dabei nicht ihre Affinität zu Humanismus, Gelehrsamkeit oder grundsätzlicher Endzeitdiagnose; sie unterscheiden sich aber hinsichtlich der Dramatik ihrer apokalyptischen Vorstellungen.278 Nur in diesem Sinne ist das bekannte Diktum Harnacks zutreffend: »Die protestantische Historiographie ist durch das Interim veranlaßt worden, und Flacius ist ihr Vater.« 279 In vielerlei Hinsicht ist nämlich eher Melanchthon der ›Vater‹. Die Melanchthonsche Konzeption des Lehrkontinuums, die Flacius aufnahm und in unerhörter Weise mit historischem Material unterfütterte, stellt in der Theorie wohl den eindeutigsten als Identitätsdiskurs lesbaren historiographischen Versuch von lutherischer Seite dar, die eigene Konfession in der Vergangenheit zu verankern. In der Theorie: Denn gleichzeitig führte der im Hodes Werks. Viel auffälliger erscheint doch, daß ein Autor, der der Auffassung ist, in casu confessionis gebe es keine Adiaphora, gleichzeitig so ambivalent argumentieren kann, wie dies hier zu zeigen versucht wird. 277  Vgl. Flacius, Catalogus, 191; zur Begriffsverwendung siehe Heppe, Ursprung, 31. Als antiphilippistische Polemik deutet den Catalogus auch: Schmidt-Biggemann, Catalogus, 266. 278  Vgl. dazu Kap. B.VII.1. Die hier vorgeschlagene apokalyptische Deutung des Catalogus könnte daran denken lassen, den Terminus der testes veritatis über die oben aufgeführten Assoziationen hinaus mit den ›zwei Zeugen‹ aus Off b 11 in Verbindung zu bringen. Dies ist in der Apokalypsenexegese auch durchaus getan worden (siehe Kap. B. VII.2.d). Flacius selber deutet allerdings in seinem Bibelkommentar die zwei Zeugen ganz biblizistisch als das Alte und das Neue Testament. Vgl. Flacius Illyricus, Matthias, Nouum Testamentum Iesu Christi Filii Dei: Cum multiplici indice tum ipsius sacri Textus, tum etiam glossae / Ex Versione Erasmi, Innumeris In Locis ad Graecam ueritatem, genuinum que sensum emendata. Glossa Compendiaria M. Matthiae Flacij Illyrici Albonensis in nouum Testamentum, Basel 1570, 2 Bde., Bd. 2, 1352. 279  Harnack, Adolf von, Lehrbuch der Dogmengeschichte, 4., neu durchgesehene und vermehrte Auflage, Tübingen 1909, 28, Anm. 2. Als den »Begründer der lutherischen Kirchengeschichtsschreibung« sieht ihn Moldaenke, Günther, Art. »Flacius«, in: RGG3 2, Sp. 971, und drückt damit die communis opinio aus – die allerdings in der Regel die Existenz von Werken wie die von Barnes oder Myconius nicht zur Kenntnis nimmt, wobei man natürlich lange sowohl über den Terminus ›lutherisch‹ als auch über den der ›Kirchengeschichtsschreibung‹ diskutieren könnte. Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik, 200, sieht im Interim den »eigentliche(n) Beginn der protestantischen Geschichtsschreibung«. – Neben seiner Bedeutung als Historiker wird immer wieder auch Flacius’ Rolle für die Entwicklung der (theologischen) Hermeneutik gewürdigt. Siehe Diebner, Bernd Jörg, Matthias Flacius Illyricus. Zur Hermeneutik der Melanchthon-Schule, in: Melanchthon in seinen Schülern, hg. v. Heinz Scheible, Wiesbaden 1997, 157–182.

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rizont des Endes unternommene Versuch, dem Antichristen die geballte Opposition aller Zeiten entgegenzustellen, zu einer gewissen Verwischung des Identitätsangebots, das der Catalogus machte. Cameron hat recht, wenn er konstatiert, die testes seien »proto-Protestants, rather than proto-Lutherans.« 280 Eine explizit lutherisch-konfessionelle, und das müßte auch heißen: antireformierte Wendung besaß der Catalogus damit nicht. Deshalb konnte er gemeinprotestantisch rezipiert werden; einige Beispiele dafür werden im folgenden Abschnitt vorgestellt. Dennoch, und auch das muß der nächste Teil zeigen, wurde der Catalogus zum Ausgangspunkt eines lutherischen Identitätsdiskurses, der 150 Jahre in Geltung blieb, bis er durch seine Ambivalenz schließlich an argumentativer Durchschlagskraft verlor. c)  Lutheraner vor Luther: Zur lutherischen Rezeption des Catalogus testium veritatis Die Verbindung von Polemik und immenser Gelehrsamkeit, die Flacius’ Werk auszeichnet, hat wiederholt Antworten provoziert. Eine direkte katholische Reaktion auf Flacius’ Werk stellte der »Catalogus testium veritatis« des Wilhelm Eisengrein dar.281 Eisengrein wurde 1543 in Speyer geboren wurde und starb 1584 in Rom, war Doktor beider Rechte und trat durch mehrere historiographische Publikationen hervor. 1566/68 erschienen zwei Bände einer gegen die Magdeburger Zenturiatoren gerichteten Kirchengeschichte, die aber nicht fortgeführt wurde.282 Eisengreins Katalog enthält nun keineswegs, wie man erwarten könnte, eine kritische Auseinandersetzung mit Flacius’ Konzeption oder eine Kritik an dessen Auswahlkriterien, sondern statt dessen eine unreflektierte Übernahme des Begriffs der testes veritatis, der sich überhaupt nur im Titel des Werks findet. Eisengrein schließt deutlicher noch als Flacius an die Tradition der kirchlichen Schriftstellerkataloge, vor allem an Trithemius, an.283 Die schematisch aufgebauten Artikel von Eisengreins Werk enthalten Informationen über die Lebensdaten und -stationen des Schriftstellers, seinen Lebenswandel sowie die Titel seiner Schriften. Mit ungefähr 1600 Artikeln umfaßt das Werk viermal so viele testes wie Flacius’ Katalog, da Eisengrein »einfach alle damals   Cameron, One Reformation, 119.   Vgl. Eisengrein, Wilhelm, Catalogus testium ueritatis locupletissimus, omnium orthodoxae matris ecclesiae doctorum, extantium et non extantium, publicatorum et in Bibliothecis latentium, qui in adulterina Ecclesiae dogmata, impuram, impudentem et impiam haeresum uaniloquentiam, in hunc vsque diem firmissimis demonstrationum monumenta reliquerunt, Dillingen 1565. 282  Vgl. Staab, Franz, Quellenkritik im deutschen Humanismus am Beispiel des Beatus Rhenanus und des Wilhelm Eisengrein, in: Historiographie am Oberrhein im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. v. Kurt Andermann, Sigmaringen 1988, 155– 164, hier 160  f. Vgl. auch: Pfleger, Luzian, Wilhelm Eisengrein, ein Gegner des Flacius Illyricus, in: HJb 25 (1904), 774–792. 283  Vgl. Staab, Quellenkritik, 162. 280 281

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bekannten katholischen Autoren des Altertums bis auf seine Zeit aneinander [. . .] reihen« 284 konnte. Warum er den Begriff der testes von Flacius übernimmt, wird im Widmungsbrief an den Mainzer Erzbischof deutlich: Eisengrein klagt, das Werk des Flacius sei jetzt überall verbreitet, in den Händen der Gebildeten wie des gemeinen Volks. Die Übernahme des flacianischen Titels dient also nicht der theologischen oder historiographischen Auseinandersetzung mit dessen Werk, sondern ist kaum mehr als ein polemisches Zitat, gewissermaßen eine Richtigstellung des Begriffs der testes veritatis. Die von Flacius so genannte ›Wahrheit‹ könne schon deshalb nicht wahr sein, weil die katholische Kirche eine solche Vielzahl an Märtyrern, Heiligen und Gelehrten hervorgebracht habe. Deutungsparadigma ist also nicht – wie bei Flacius – die Verfolgung der Christen, sondern der sich immer wiederholende Angriff von Ketzern auf die in sich ruhende Kirche.285 Daneben stützt aber die Übernahme des Titels für einen Schriftstellerkatalog der Trithemius-Nachfolge die oben entwickelte Auffassung, daß Flacius’ Konzeption zwar grundsätzlich als eine »reformatorische Variante des Dogmas der successio episcoporum« 286 gelten kann, aber, überformt durch historische Detailstudien und die Anlehnung an die Tradition der kirchlichen Schriftstellerkataloge, nicht nur als solche rezipiert worden ist: Denn dann hätte Eisengrein statt eines Catalogus testium veritatis besser eine Geschichte der römischen Bischöfe geschrieben.287 Daß ein Buch Antworten produziert, ist zwar ein Indiz dafür, daß es gelesen wurde, aber im auf Polemik eingestellten konfessionellen Zeitalter auch keine Überraschung. Doch immerhin fand Flacius’ Catalogus eine so rasche Verbreitung, daß schon ein Jahr nach der Erstausgabe Flacius’ englischer Bekannter John Bale dessen Buch als eine Hauptquelle für seinen »Catalogus Britannicorum scriptorum« heranziehen konnte.288 Auch John Foxe benutzte es für spätere Ausgaben seines 1554 erschienen Märtyrerbuchs; die Kontaktstelle zu Flacius war bei beiden die um die Oporinsche Druckerei zentrierte internationale Diskursgemeinschaft protestantischer Schriftsteller.289 Überhaupt setzte, vermittelt   Pfleger, Wilhelm Eisengrein, 782.   Vgl. Eisengrein, Catalogus, a3 v. Dieses universalistische Bewußtsein, der alten und wahren Kirche zuzugehören, ist aber in der Vorrede bereits mit einem Hinweis auf das Tridentinum konfrontiert: Eisengrein weist den Leser darauf hin, daß er zwar auch Schriftsteller wie Tertullian oder Origenes aufnehmen werde, aber ihre Fehler, die das Konzil möglicherweise feststelle, nicht rechtfertigen wolle. Eisengreins testes stehen also unter Vorbehalt der durch das Konzil zu definierenden Rechtgläubigkeit; seine Konzeption erhellt an diesem Punkt den Übergang von vortridentischem zu konfessionalisiertem Katholizismus. Das heißt, daß das 1565 erschienene Werk spätestens 1563 konzipiert oder geschrieben vorgelegen haben muß. 286  Scheible, Catalogus testium veritatis, 104. 287  Auch Robert Bellarmins »De scriptoribus ecclesiasticis« (1613) ist in diesem Sinne eine katholische Antwort auf den Catalogus. Vgl. Olson, Matthias Flacius, 241. 288  Vgl. Massner, Kirchliche Überlieferung, 76  f . 289  Vgl. zu dieser Gruppenbildung nur: Kelley, Donald R., Martyrs, Myths, and the 284 285

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über die heimkehrenden Marian Exiles, der Einfluß des Catalogus in England sehr schnell und umfassend ein.290 Daß Jean Crespin 1570 die vierte Auflage seines Märtyrerbuchs mit einem neuen Titel versah – »Histoire des vrays Tesmoins de la verité de l’Evangile« –, zeigt erstens, daß auch unabhängig von der Kontinuitätskonzeption Melanchthons und Flacius’, um die es Crespin nicht geht, der Terminus der testes veritatis eine gewisse Plausibilität besessen haben muß, und indiziert zweitens eine rasche Rezeption auch in Frankreich.291 Doch wie verhielt es sich mit dem Erfolg in Deutschland? 1562 erschien eine zweite, stark erweiterte Ausgabe. Der schwäbische Pfarrer Conrad Lautenbach veröffentlichte 1573 eine deutsche Übersetzung. Schon die Tatsache, daß auf dem Titelblatt dieser Ausgabe (die, so die Vorrede, auf Flacius’ Bitte und unter seiner theologischen Beratung erarbeitet wurde) Flacius selber nicht namentlich genannt wird 292 , zeigt aber, daß dessen theologische Marginalisierung die Rezeption des Catalogus nicht verhinderte. Im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts erschienen noch sechs weitere Ausgaben, teils im lateinischen Original, teils auf deutsch und niederländisch. Ob der Catalogus damit wirklich ein »vielgelesenes Volksbuch« 293 wurde – wie ja auch Eisengrein klagt –, sei dahingestellt. Stellt man sich vor Augen, daß ein Werk wie der Kirchenkalender Kaspar Goldtwurms (vgl. B.VI.4) dieselbe Auflagenzahl in nur gut 50 Jahren erreichte, so kann man diese These mit etwas Skepsis sehen. Ein populäreres und hinsichtlich seines theologischen Horizontes zugänglicheres Werk wie der Goldtwurmsche Kalender dürfte das Geschichtsbewußtsein größerer Bevölkerungsgruppen maßgeblich mitgeformt haben; für den Catalogus muß man eher annehmen, daß er ein v.  a. binnentheologisch orientiertes, zumindest aber akademisches Publikum ansprach. Innerhalb dieses Diskurskontextes ist aber der häufige Nachdruck tatsächlich bemerkenswert, und sowohl die Eisengreinsche Klage über seine Verbreitung als auch die innerlutherische Rezeption lassen auf die breite Anschlußfähigkeit des testes-Modell schließen. Ob der Catalogus im Schulunterricht auch z.  B. der protestantischen Gymnasia illustria benutzt wurde, ist zweifelhaft 294 ; mangels eines befriedigenden Forschungsstandes zum Massacre: The Background of St. Bartholomew, in: AHR 77 (1972), 1323–1342. Zu Foxe siehe kurz: Collinson, Patrick, Art. »Foxe, John«, in: Oxford Encyclopedia of the Reformation 2, 122  f. Zu Oporin vgl. Steinmann, Johannes Oporinus. 290  Vgl. Olson, Matthias Flacius, 252–255. 291  Vgl. Crespin, Jean, Histoire des vrays Tesmoins de la verité de l’Evangile, Genf 1570. Vgl. dazu: Watson, David, Jean Crespin and the Writing of History in the French Reformation, in: Protestant History and Identity in Sixteenth Century Europe, hg. v. Bruce Gordon, 2 Bde., Aldershot 1996, Bd. 2, 39–58. 292  Vgl. Lautenbach, Conrad, Catalogus testium ueritatis. Historia der zeugen / Bekenner und Märtyrer . . ., Frankfurt a.  M. 1573, Vorrede, 9r-v. 293  Massner, Kirchliche Überlieferung, 76. Von hier, Anm. 19, stammen auch die Angaben über die Auflagen des Werkes. Sehr viel geringer schätzt Polman, L’élément historique, 64, dessen Verbreitung ein. 294  Keine Hinweise auf den Catalogus findet man bei Mertz, Schulwesen; von einem

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Buchbesitz von Pfarrern kann man hierzu nur anmerken, daß es anscheinend Pfarrer gab, die den Catalogus in ihrer Bibliothek hatten, während andere Pfarrer andere Geschichtsbücher besaßen.295 Die ubiquitäre Verwendung des Catalogus wie auch der Magdeburger Zenturien als Quellenarsenal für die protestantische Polemik ist oft bemerkt, aber selten an umfassenderem Material aufgezeigt worden, deutet aber auf eine noch breitere Rezeption hin, als dies die Auflagenzahlen vermuten lassen.296 Das ist nicht gerade viel Material für eine Einschätzung der Catalogus-Rezeption. Wenig weiter führt die zumindest terminologische Übernahme der testes veritatis in das an der Kontinuitätsidee desinteressierte Konkordienbuch: Hier erscheint die Schrift als ewige und unveränderliche Wahrheit, die späteren Bekenntnisse – wie die Confessio Augustana oder Luthers Katechismen – aber als Zeugen dieser Wahrheit: »Ut enim verbum Dei tanquam immotam veritatem pro fundamento ponimus: ita illa scripta tanquam veritatis testes.« 297 Aus dem Desinteresse des Konkordienbuches darf man aber keine Ablehnung der Theorie folgern; ganz im Gegenteil verhält es sich angesichts der breiten innerlutherischen Rezeption eher so, daß über diesen Punkt kein wesentlicher Dissens bestand, der eine Lehrklärung erfordert hätte.298 In einem strikten Bekenntnissinne war also die Frage nach der historischen Herkunft der Reformation offenbar nicht von Interesse. 299 Daß nicht nur der Begriff, sondern auch die Konzeption der testes weiterwirkte, zeigt sich nämlich daran, daß der Catalogus in der akademischen AusEindringen des Modells in den (halb-)akademischen Geschichtsunterricht um 1600 geht aus: Fisch, Auf dem Weg zur Auf klärungshistorie, 120. 295  Vgl. Klinge, Johannes Letzner, 66, zum einen Fall; Strauss, Mental World, 167, zum anderen. 296  Vgl. z.  B. Spitz, Lewis W., History as a Weapon in Controversy, in: Concordia Theo­ logical Monthly, October 1947, 747–762; Sonntag, Franz Peter, Matthias Flacius Illyricus und die Magedeburger Centurien, in: A Cesare Baronio. Scritti vari, Sora 1963, 289– 298. 297  BSLK, 838  f . 298  Daß die Konkordienformel primär kontroverse Fragen klären sollte, als Teilpräzisierung der Confessio Augustana aber nicht beanspruchte, eine dogmatische Gesamtdarstellung zu bieten, betont: Schwarz, Reinhard, Lehrnorm und Lehrkontinuität. Das Selbstverständnis der lutherischen Bekenntnisschriften, in: Bekenntnis und Einheit der Kirche. Studien zum Konkordienbuch, hg. v. Martin Brecht/Reinhard Schwarz, Stuttgart 1980, 253–270. 299  Gegenüber einer traditionalistischen Deutung »stellt die Konkordienformel entschieden die Heilige Schrift als die unica regula et norma heraus, nach der alle Lehrer und Lehren zu beurteilen sind.« (Wirsching, Art. »Bekenntnisschriften«, 497). Daß selbst die Rezeption der Lutherschen Schriften als »testimonia veritatis« kontrovers diskutiert wurde, zeigt Dingel, Irene, Ablehnung und Aneignung. Die Bewertung der Autorität Martin Luthers in den Auseinandersetzungen um die Konkordienformel, in: ZKG 105 (1994), 35–57. Auch die Aufnahme des Catalogus testimoniorum in das Konkordienbuch verlief nicht ohne kontroverse Debatten im Vorfeld. Vgl. Wolf, Ernst, Art. »Konkordienbuch«, in: RGG3 3, Sp. 1776  f.

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einandersetzung mit den Kirchenvätern bis mindestens in die Mitte des 17. Jahrhunderts als ›Patrologie‹, also als Zusammenstellung von Vätertexten, rezipiert wurde.300 Auch im Umkreis des Reformationsjubiläums 1617 finden sich zahlreiche Traktate und Flugschriften, die mit diesem Theorem operierten. Dabei ging es den meisten Autoren des Jubiläums häufig eher um eine Herausarbeitung der charismatischen Sonderrolle Luthers und weniger um seine traditionale Anbindung an eine Vorgeschichte (vgl. Kap. B.II.3). Doch daneben wurde manchmal auch der Nachweis der Lehrkontinuität geführt, der in aller Regel implizit oder explizit an die flacianische testes veritatis-Konzeption anschloß.301 Ausgehend von dieser Beobachtung soll an wenigen Beispiele gezeigt werden, in welcher Weise die flacianische Konzeption im Luthertum rezipiert wurde und sich zu einer zentralen historischen Selbstbeschreibung entwickelte.302 Es geht dabei erstens um die Rezeption der Kontinuitätskonzeption und zweitens um die Verwendung des Terminus testes veritatis. Eine innerlutherische Rezeptionsgeschichte des Catalogus testium veritatis ist noch nicht geschrieben 303, und die hier angeführten Beispiele sollen dazu nur einige Hinweise liefern. Vollständig können sie schon deshalb nicht sein, weil die bibliographische Erfassung aller lutherischen Zeugenkataloge schwierig ist. Häufig wird die Zeugenreihe in Vorworten theologischer Werke oder in historischen Darstellungen durchdekliniert, aber nur selten trägt ein Werk im Titel die testes veritatis. Dies war schließlich auch nicht nötig: »Man lese nur Catalogum testium ueritatis, darinnen sind exempla wol mit hunderten auffgezeichnet« 304 ; dieses Werk, des-

  Vgl. Mühlenberg, Art. »Patristik«, 100.   Vgl. Schönstädt, Antichrist, 226–237. 302  Vgl. auch Polman, L’élément historique, 479: »C’est surtout dans la seconde moitié du XVIe siècle qu’on verra se développer cet argument dans les traités de l’Église; la succession des personnes y devient une marque de la vraie église.« 303  Die knappen Hinweise bei Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik, 211–219, beschränken sich auf die konfessionell nicht markierte Rezeption des Catalogus als Überlieferungsscharnier für mittelalterliche Quellen, beschäftigen sich aber nicht mit der Verbreitung der testes-Denkfigur oder des Begriffs. In diese Richtung gehen auch einige rezeptionsgeschichtlich orientierte Studien von Mediävisten zu einzelnen der testes: Vgl. Kandler, Karl-Hermann, Nikolaus von Kues als testis veritatis. Beitrag eines evangelisch-lutherischen Theologen zur Wirkungsgeschichte von De pace fidei, in: Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 17 (1986), 223–234; Barth, Ferdi­ nand, Dante Alighieri – Ein »Zeuge der Wahrheit«, in: Reformation und Katholizismus. Beiträge zu Geschichte, Leben und Verhältnis der Konfessionen. FS Gottfried Maron, hg. v. Jörg Haustein/Harry Oelke, Hannover 2003, 20–48; zur Dante-Rezeption siehe auch: Roddewig, Marcella, Flacius, Vergerius, Foxe, Wolfius, Mornay und der erste deutsche Übersetzungsversuch aus dem Paradiso vom Jahr 1573, in: Deutsches Dante-Jahrbuch 44/45 (1967), 100–149. 304  Mylius, Bapstpredigten, 49v. 300 301

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sen Autor oft ungenannt bleibt 305 , sei schließlich noch – 1599 – in »offentlichem Truck vorhanden«306 . Der Catalogus wurde häufig erwähnt, und auch die Begriffskombination testes veritatis setzte sich schnell durch. Wenn in seinem Apokalypsenkommentar einer der striktesten Flacius-Gegner, Victorin Strigel, die zwei Zeugen aus Off b 11 als Mahnung an alle frommen Gelehrten deutet, sich als »testes Dei et custodes doctrinae coelestis« zu bewähren 307, dann kann dies noch als eine Aufnahme eines gängigen Begriffs von Zeugnis verstanden werden, ohne daß man eine Rezeption der flacianischen testes bemühen müßte. Aber im weitverbreiteten kirchengeschichtlichen Abriß des Straßburger Konkordienlutheraners Pappus von 1584 heißt es dann, ganz in Übereinstimmung mit Melanchthon und Flacius, dem päpstlichen Antichristen hätten sich zu jeder Zeit »testes ueritatis doctrinae coelestis« widersetzt 308 . Die bei Pappus zu konstatierende partiell martyrologisch fokussierte Rezeption der testes, also das Abheben auf die Blutzeugenschaft, die ja bei Flacius gar nicht im Mittelpunkt steht, ist der erste und naheliegendste Kontext, in dem Flacius’ Catalogus sowie Begriff oder Konzeption der testes rezipiert wurden. Neben diesen Märtyrerkontext treten die Diskussion um die Verdammung oder Seligkeit mittelalterlicher Katholiken, Zeugenschaft als Aufdeckung des päpstlichen Antichristen oder als Lutherprophezeiung, generelle Papstgegnerschaft sowie schließlich das Problem der Lehrkontinuität. Diese oft nur idealtypisch zu trennenden Punkte sollen nacheinander behandelt werden, um zu zeigen, in welch unterschiedlichen Kontexten die flacianische Zeugenliste argumentativ angebracht wurde. Wie oben bereits ausgeführt, neigt die Forschung z.T. dazu, den Catalogus als Märtyrerbuch zu interpretieren.309 Dies trifft insoweit zu, als Flacius die ursprüngliche Bedeutung von ›Märtyrer‹, nämlich Zeuge und Bekenner, in den Mittelpunkt stellt und natürlich auch Blutzeugen aufnimmt. Die Catalogus-Rezeption etwa Foxes oder Crespins, aber darüber hinaus auch die extensive Catalogus-Benutzung in Heinrich Pantaleons Foxe-Fortsetzung von 1563310 zeigen, daß der martyrologische Kontext, der im westeuropäischen Protestantis305  Vgl. z.  B. auch die Autorenliste bei Nigrinus, Papistische Inquisition, sowie weitere Beispiele im Text. Zur möglichen subkutanen Rezeption des Catalogus in Mathesius’ Luthervita (1566) vgl. Volz, Lutherpredigten, 92. 306  Mylius, Bapstpredigten, 185r. 307  Strigel, Victorin, Hypomnhmata in omnes libros Noui Testamenti, qvibus et genus sermonis explicatur, et series concionum monstratur, et natiua sententia testimonijs piae uetustatis confirmatur, edita à Victorino Strigelio . . ., Leipzig 1565, 577. Vgl. zu Strigel: Koch, Ernst, Art. »Strigel, Victorin«, in: TRE 32, 252–255. 308  Pappus, Historiae Ecclesiasticae Epitome, 9. 309  Vgl. Cameron, Medieval Heretics, 198; Fuchs, Protestantische Heiligen-memoria, 614. 310  Vgl. Pantaleon, Heinrich, Martyrum Historia. Hoc est: maximarvm per Evropam persecvtionvm ac sanctorvm Dei Martyrum [. . .] Commentarij . . . Pars secunda, Basel 1563; vgl. dazu Kap. B.V.5.c.

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mus noch deutlicher ausgeprägt war als im deutschen Luthertum (vgl. Kap. B.V.5), einen wichtigen Rezeptionsfokus darstellte. Allerdings blendete diese Perspektive wichtige Elemente der flacianischen Konzeption wie die Kontinuitätskonzeption mehr oder minder aus. In einer Predigt von 1592 wird z.  B. auf den Catalogus verwiesen, um das Martyrium der Antichristgegner zu illustrieren.311 Der Gießener Pfarrer Jeremias Vietor schreibt 1587, es hätten selbst im schlimmsten Papsttum viele Lehrer Widerstand geleistet und daher zum Teil das Martyrium erlitten, »wie die Catalogus der Märterer [. . .] außweisen«312 . Diese unspezifischen Märtyrerkataloge könnten den flacianischen Catalogus einschließen, aber müssen es nicht zwangsläufig. Der Märtyrer- und der Zeugendiskurs sind nur teilweise kongruent. »Ist D. Luthers Lehr recht / vnd ist war / was die Lutherischen vom Bapst vnd Bapsthumb sagen / so muß vnwidersprechlich folgen / das vor D. Luthers Zeiten / alle Welt sey verdammt worden / vnd das Christus kein Volck vnd Kirche auff Erden mehr gehabt habe.« 313

So, schreibt der Jenaer Theologe Georg Mylius, argumentiere die römische Kirche, und man müsse sich diesem Problem stellen. Flacius hatte die Frage, wie es sich mit Verdammnis und Seligkeit vorreformatorischer Christen angesichts des mittelalterlichen Verfalls der Kirche eigentlich verhalte, nicht behandelt, aber sie war ein wichtiger Rezeptionshorizont der testes-Konzeption. Zu diesem Zweck mußte neben dem Verfall eben auch immer auf die Bewahrung der Lehre abgehoben werden.314 Mylius gibt aber zu, daß dieses Problem »ein zimlicher harter knotten«315 sei, den man argumentativ entwirren müsse. In diesem Zusammenhang verweist er auf den Catalogus testium veritatis und argumentiert, daß die Zeugen – die auch hier primär als Märtyrer verstanden sind – durch ihre Leistungen die vielen in falscher Doktrin befangenen Christen aufgerüttelt haben: »Ob nun wol nicht ohne / das solche Zeugen / der Bapst durch seine Tyranney vnnd Mord sehr viel hinweg geraumet: So hat doch jhr vergoßnes Blut nicht weniger / als Abels des Gerechten Blut / von der Erden mechtig gen Himmel geruffen / vnd so starck geredet / das hierdurch nach vnd nach viel Rechtgläubiger Christen seind erwecket«.316

  Müller (Mylius), Zwo christenliche Predigten, D ij r.   Vietor, Gründlicher / widerholter Bericht . . ., * ij r; vgl. zu Vietor, einem HunniusSchüler und späteren oberhessischen Superintendenten: Kretzschmar, Art. »Vietor, Jeremias«, in: ADB 46, 687. 313  Mylius, Bapstpredigten, 182r. 314  Vgl. z.  B. Heerbrand, Quae et vbi uera Dei Ecclesia svb regno Pontificio svperioribus temporibvs fverit, 251. 315  Mylius, Bapstpredigten, 182r. 316  Vgl. Mylius, Bapstpredigten, 185r. 311 312

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Gängiger wurde ein anderes Argument, um den ›harten Knoten‹ aufzulösen: Zumindest drei Gruppen seien erlöst worden, und zwar die Bekenner/Märtyrer/Zeugen, die getauften Kinder und auch die einfachen (oft: die alten), geradlinigen Christen.317 Diese Gruppen werden häufiger auch mit den drei Stämmen aus Dan 11,42 identifiziert, die dem Gericht Gottes entgehen werden: die Ammoniter, Moabiter und Edomiter.318 Aus der Tatsache, daß einfache, herzensfromme Gläubige gerettet werden können, dürfe aber keinesfalls geschlossen werden, daß man als simpler Frommer auch katholisch bleiben dürfe319 – hier zeigt sich erneut die Problematik lutherischer Ekklesiologie mit ihrem Pendeln zwischen ecclesia visibilis und invisibilis. Letztlich bleibt nur Gottvertrauen: »Wiewol ich hoff / und trawe / daß die / so ein gut fuornemmen gehabt / selig mögen werden«.320 Vor allem im papstgeschichtlichen Kontext wird der Catalogus als ein Katalog derjenigen Lehrer verstanden, die den Papst als Antichristen identifiziert haben. Bereits 1560 bemerkt der Mit-Zenturiator Johann Wigand, man finde eine Reihe von Theologen, die den Papst als Antichristen gedeutet haben, im Catalogus testium veritatis.321 In einer polemischen Papstgeschichte Nicolaus Hönigers von 1586 wird darauf hingewiesen, man könne »aus jhren eigenen Scribenten«, also mit Hilfe katholischer Schriftsteller zeigen, daß der Papst lange vor Luther als Antichrist enttarnt worden sei 322 . Unter expliziter Berufung auf Flacius folgt dann eine Liste von Schriftstellern, die entweder im Papsttum den Antichristen am Werk gesehen oder es doch – wie im Fall Bernhards von Clairvaux – so bekämpft hätten, als sei es der »Endechrist selbs« 323. Aus dieser Sicht hat Luther fortgesetzt und zu Ende geführt, was schon lange erkannt wurde oder werden konnte: Er habe »dem Bapst das verdeckte Angesicht gar abgezogen vnd entblöst / also daß jhn alle Welt nuhn fürhin kennt / vnnd vnderscheiden mag.«324 1590 schrieb Georg Mylius in seinen Papstpredigten, man solle den Catalogus testium veritatis lesen, denn dort seien hunderte von Beispielen aufgenommen, »da fromme heylige Leut / so je vnd allweg mitten vnder wehrendem Bapstumb gelebt / fein rund auß bekandt / Bapst zu Rom / vnd

  Vgl. in diesem Sinne: Vietor, Gründlicher / widerholter Bericht, 61r-v.   Vgl so z.  B. Miller, Exodus Euangelica, 6v-7r; Mylius, Bapstpredigten, 191r-192r; Schopper, Jacob, Neuwe Chorographia vnd Histori Teutscher Nation . . ., Frankfurt a.  M. 1582, 507, der allerdings die Ammoniter mit den getauften Kindern, die Moabiter mit Kirchenlehrern und die Edomiter mit Märtyrern identifiziert. 319  Vgl. Vietor, Gründlicher / widerholter Bericht, 63r. 320  Schopper, Neuwe Chorographia, 474. 321  Vgl. Wigand, Johann, Synopsis oder Spiegel des Römischen Antichrists / durch den Geist des mundes Gottes offenbaret . . ., Jena 1560, I iiij r (lat. EA ebenfalls 1560). 322  Höniger, Spiegel / Des Weltlichen Römischen Bapsts . . ., dlx. 323  Ebd., dlxj. 324  Ebd., dlxxv. 317 318

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niemand anderer / sey eben der Antichrist.«325 Ähnlich formuliert auch Lukas Osiander in seinem Kirchengeschichtswerk (1604): Für das achte bis 15. Jahrhundert nimmt er einen allgemeinen Lehrverfall an. Selbst wenn er bemerkenswerterweise selbst Gegnern wie Petrus Lombardus nicht jede Frömmigkeit aberkennt 326 , spricht doch auch er von Lehrern, die im Papst den Antichristen gesehen hätten. Seine Auswahl folgt weitgehend Flacius, dessen testes in starkem Maße kanonbildend gewirkt haben; aber anders als Flacius betont er, daß es nicht viele, sondern wenige Lehrer waren, die gegen den Papst aufgestanden sind: »Etsi enim in illis intermedijs Centurijs Deus aliquot, sed paucos, uiros pios et eruditos, in Anglia, in Bauaria, et alibi, excitauit, qui aperte dixerunt, Papam esse Antichristum: non pastorem, sed lupum saeuum: tamen tales ueritatis Confessores a Pontificijs asseclis, et a Pontificibus, aut fortiter et superbe fuerunt contempti, aut occulte e medio sublati.« 327

Auch dieser Rezeptionsfokus wird von Flacius’ Werk gedeckt, verkürzt ihn aber wiederum. Ähnliches gilt für die Deutung des Catalogus als Zusammenstellung von Prophezeiungen auf Luther. Im Rahmen der Feierlichkeiten zum ›evangelischen Jubeljahr‹ 1600328 stilisierte Daniel Cramer Luther zur charismatischen Heiligenfigur. Diese Profilierung machte es nötig, die vorherige »Tyrannis Papae« als »insuperabilis« auszumalen 329. Niemand habe die päpstliche Diktatur auf halten können – schon gar nicht die Könige und Kaiser: »Quis hic contra erat? Reges gentium? Quid Reges? qui omnes uasalli erant Pontificis. Imperatores Romani?«330 Luther ist in diesem Zusammenhang also eine gottgesandte und ganz und gar einzigartige Gestalt. Was der Catalogus testium veritatis in diesem Zusammenhang noch leisten kann, ist eine Kompilation aller Lutherprophezeiungen. Cramer zählt eine ganze Reihe auf; den Catalogus nennt er nicht, sagt aber: »Non addo plures uates et testes«331 und verdeutlicht damit, daß die testes-Konzeption auch im Sinne einer Reihe von Lutherprophezeiungen gedeutet werden konnte. Auch in dem Jubiläumstraktat des hannoverschen Pastors David Maier von 1617 wird im Kontext von vorreformatorischen Lutherprophezeiungen ohne ausdrückliche Nennung, aber deutlich erkennbar an den Catalogus testium veritatis angeschlossen. Die Humanisten, unter denen wenig differenziert auch Gerson und Savonarola auftauchen, hätten eine Reformation   Mylius, Bapstpredigten, 49r-v.   Vgl. Osiander, Epitomes Historiae Ecclesiasticae, Centuria Reliquae IX.  X.XI.XII. XIII.XIIII.XV, 290 u. 316. 327  Ebd., 3r-v. Die Osiandersche Begriffswahl der »Centuriae intermediae« scheint eine interessante Ergänzung zum bei Neddermeyer, Mittelalter, ausgebreiteten Material. 328  Vgl. Kaufmann, Römisches und evangelisches Jubeljahr. 329  Cramer, Oratio panegyrica, B1r. 330  Ebd., B1r. 331  Ebd., B1v-B2r. 325 326

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herbeigesehnt und diese, wenn sie sie noch erlebte hätten, als »diem renascentis lucis Euangelicae« apostrophiert 332 . Daher folgert Maier, inhaltlich konform der Tradition, terminologisch aber gewagter als die meisten Vorgänger: »Multi in Papatu ante Lutherum Lutherani« 333. Unter Anspielung auf die 7000 Baalsgegner, von denen auch Flacius sprach, kann er sogar den Lutheraner-Begriff noch weiter ausdehnen: »Multi Imperatores anti et post (!) Lutherum fuerunt Luthe­ rani; item alii uiri Principes uirique pii et docti« 334. In einer pseudonymen Schrift von 1585 führt der Autor ›Domides Menapius‹ aus, es habe immer wieder fromme Lehrer gegeben, die gegen das Papsttum gekämpft hätten. Menapius’ Hauptangriffspunkt ist der Primat, dessen Erfindung er wie üblich auf die Zeit um 600 datiert. Menapius argumentiert, zu jeder Zeit »pij doctique extiterunt, qui huic corruptelae obstiterunt« 335. An dieser Formulierung ist nur überraschend, daß Menapius ausdrücklich nicht davon spricht, daß Gott diese Lehrer gesandt habe; es geht ihm auch gar nicht um das gottgegebene Lehrkontinuum, sondern um den Nachweis, daß der Primat unrechtmäßig sei. Interessant ist daran, daß Menapius seinen Text dennoch einen ›Catalogus quorundam testium veritatis‹ nennt, die er dann – fokussiert auf das Primatsproblem – aufzählt. Menapius’ Schrift ist damit ein gutes Beispiel für die ebenfalls bei Flacius angelegte Tendenz, das rein negative Kriterium der Papstgegnerschaft ohne gleichzeitige Betonung der Lehrkontinuität anzulegen. Ebenfalls gegen den römischen Primatsanspruch wendet sich Daniel Cramer in einer Wittenberger Rede von 1595, die ausgiebig Gebrauch von Flacius’ Text macht, ohne ihn aber zu erwähnen.336 Immer wieder sei, ausgehend von den spätantiken Kirchen im Mittelmeerraum über die Kaiser bis hin zu Hus und Luther, der Primat bestritten worden, und zwar öffentlich: »neque haec in occulta acta«337 – es sei also lange vor der Reformation möglich gewesen zu wissen, daß die römischen Machtansprüche unrecht seien. In einem anderen Text, der Kirchengeschichte Jacob Schoppers (siehe Kap. B.V.7.b) heißt es über den   Maier, Omnium Sanctorum Iubilaeus Euangelicvs, 32.   Ebd., 206. 334  Ebd.» 206. In der unpaginierten Vorrede spricht Maier von der »puritas haec Religionis Christo-Lutheranae«, ähnlich auch (:)(:)(:) v (»religio Lutherana«); offenbar ist der gegen Ende des 16. Jahrhunderts noch eher umstrittene ›Lutheraner‹-Begriff spätestens im Vorfeld des Jubiläums zu einer akzeptierten Ehrenbezeichnung geworden. 335  Menapius, Domides, Catalogus quorundam testium ueritatis, indicans romanae Ecclesiae fastui, a primatus potissimum tempore, semper reclamatum, eamque nunqum Vniversalem fuisse: et de Christi adventu, o.O. 1585 (VD 16: M 4501; dort auch Hinweis auf die Pseudonymität). 336  Vgl. Cramer, Daniel, In natalitatem memoriam R. Patris D. Martini Lutheri, Oratio, qvalenam animal sit Papa Romanus, eiusque deuotorii, ex capite Nono Apocalypseos: opposita Bellarmino, qvi ex eodem loco scripturae, qvalenam Animal sit Lutheranus, monstrose fingit. Habita . . . Witebergae, In Collegio Novo Die 18. Novembr., Wittenberg 1595. 337  Ebd., D1v. 332 333

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Magdeburger Konziliaristen Heinrich Toke: »Es scheinet wol / er habe mehr gesehen / als er sagen dürffen / dergleichen denn viel zu jeder zeit gewesen«.338 Gegen die Tyrannei der Päpste, schreibt Schopper an rhetorisch exponierter Stelle, nämlich am Ende seines ›Mittelalter‹-Kapitels, habe sich zu jeder Zeit Widerstand erhoben, und zwar »von Keysern / Königen / Ertzbischoffen / Bischoffen / Thumbherren / Epten / Mönchen / Schulen / Professoribus, Theologen / Juristen / Artisten / Stätten / Predigern / gemeinem Volck / auch von Frauwenbildern« 339.

Allerdings beläßt es auch Schopper nicht beim Einreihen von Zeugen in eine Oppositionsfront, sondern bemüht sich, wenn auch zaghaft, um positive Kriterien lutherischer Vergangenheitskonstruktion; so wird zur Ablehnung der Werkethik gesagt, dies sei »doch ein gute runde Euangelische bekanntnuß gewesen«340. Das von Flacius geerbte Problem der Lehrkontinuität, damit auch das Problem einer genuin ›lutherischen‹ Identität, war offensichtlich nicht loszuwerden. Die flacianische Ambivalenz blieb unaufgelöst. Der Nachweis der Lehrkontinuität, die im Zentrum von Flacius’ Catalogus steht, ist also in der Rezeption zuweilen gar nicht, manchmal auch in Verkürzung oder Zuspitzung, präsent geblieben. Doch den bisher benannten Beispielen aus Kirchengeschichtsschreibung, Apologetik und Polemik können immerhin auch stärker genuin theologische Diskurse aus Dogmatik oder Exegese gegenübergestellt werden, die in höherem Maße an der flacianischen Konzeption festhielten und also die Kontinuität der Doktrin – und nicht: die Antichristprophezeiungen oder das Martyrium – als Hauptproblem rezipierten. Da Flacius selber in hohem Maße melanchthonische Gedanken übernahm, wundert es nicht, daß auch ›Philippisten‹, wie der Rostocker Theologe Simon Pauli in seinem dogmatischen Lehrbuch, auf dieser Konzeption auf bauten.341 Paulis Werk, die wohl wichtigste lutherische Dogmatik zwischen Melanchthons ›Loci communes‹ und Martin Chemnitz’ gleichnamigem Werk 342 , beschäftigt sich mit der »certitudo« der biblischen Schriften. Er folgt der argumentativen Linie, die aus Georg Majors »De origine et auctoritate verbi Dei« bereits bekannt ist, d.  h. er erweist die Autorität der Bibel aus der Übereinstimmung von Kirchenlehrern mit ihr und untereinander: »Sola doctrina, quae continuam habet Doctorum seriem, a condito mundo vsque ad nostra tempora, diuina, certa et immota est.«343 Im Zeugenkatalog der nachbiblischen Zeit unterscheidet Pauli zwischen   Schopper, Neuwe Chorographie, 475.   Ebd., 465. 340  Ebd., 473. 341  Darauf weist bereits hin: Elert, Werner, Morphologie des Luthertums, 2 Bde., München 31965, Bd. 1, 431. 342  Für diese Einschätzung vgl. Kaufmann, Wittenberger Theologie, 77. 343  Vgl. Pauli, Simon, Methodi aliqvot locorum doctrinae ecclesiae Dei, illustratae Exordijs et alijs partibus Orationis, in quibus monstratur vsus Dialecticae et Rhetoricae, in 338 339

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›großen‹ und ›kleinen‹ Lehrern: Kleingedruckt sind die Lehrer, die für die Lehrverunreinigung verantwortlich sind wie Gregor der Große, Gratian, Petrus Lombardus oder die scholastischen Philosophen, aber auch – ohne daß dies begründet würde – sonst im lutherischen Denken angesehene Theologen wie Nicolaus von Lyra oder Tauler. Groß gedruckt dagegen und somit als die eigentlichen Garanten der Lehrkontinuität erscheinen nach den Kirchenvätern noch Boethius, Beda, Alkuin, Bernhard von Clairvaux, schließlich Luther und Melanchthon. Eine besondere Bedeutung Luthers, die über die Tradierung der Lehre hinausginge, statuiert Pauli nicht, und ebensowenig ist seine Liste eine ununterbrochene Zeugenreihe; aber offenbar reicht sie, um für Pauli die Fortdauer der wahren Lehre zu belegen. In seinem Apokalypsenkommentar betont auch Nikolaus Selnecker die Pa­ rallelentwicklung von Niedergang und Bewahrung. Die Lehrabweichung selbst der Besten wurde aber immerhin ausgeglichen durch ihre christliche Bereitschaft zum Martyrium: »War ists / die rechten Lehrer haben nicht alles erhalten können / auch viel ding / das an jm selber ergerlich vnd schedlich war mit angenommen / vnd treiben helffen [. . .] Aber wenn es an die züge gegangen / vnd sie in Todskampff vnd Hellenangst kommen sein / haben sie Hew vnd Sprew / Menschen tand / vnd eigene verdienst faren lassen / vnd sich blos vnd lauter an die wunden Jhesu Christi gehalten«.344

Der nun folgende Katalog folgt in großen Teilen Flacius und breitet fromme Lehrer von Alkuin bis Luther aus. Wichtig ist die wiederholte historisierende Betonung, die Theologen hätten trotz größter Frömmigkeit immer nur das lehren können, »als jnen zu der zeit müglich gewesen.«345 Erst Luther habe die Lehre insgesamt restituieren können, vorher sei die Zeit zum Fall des Antichri­ sten noch nicht reif gewesen.346 Die Liste der Zeugen, so schließt Selnecker ganz auf der Linie von Melanchthon und Flacius, habe er aufgezählt, um zu zeigen, daß und wie Gott seine Kirche immer erhalten habe.347 Genausowenig wie Melanchthon und Flacius wird aber auch Selnecker zum Problem, Kontinuitäts- und Verfallsidee miteinander zu verbinden: Auch Selnecker nimmt an, daß die Kirche zwar immer bewahrt worden sei, aber daß, um Melanchthons Formulierung zu wiederholen, »haec ipsa uera ecclesia habet doctrinam alias orationibus, que pro concione ad plebem habentur, Rostock 1565, 13v. Der Zeugenkatalog findet sich ebd., 14r-18v. Zu der dargestellten Bibel/Tradition-Argumentationsfigur vgl. Dingel, Major. 344  Selnecker, Nicolaus, Der Prophet Daniel / vnd die Offenbarung Johannis . . ., Leipzig 1567, M ij v -M iij r. 345  Ebd., M iij v. Auch in Selneckers Liste fällt eine halbpositive Hervorhebung des von Flacius verabscheuten Petrus Lombardus auf: »Diser Meister von hohen sinnen were ein grosser Lehrer gewesen / wenn er in der Propheten vnd Aposteln schrifft geraten were / Aber das Bapstumb hatte er vber hand genommen« (M iij v). 346  Vgl. ebd., M iij v. 347  Vgl. ebd., N j r.

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

magis alias minus puram et perspicuam«.348 Der Gattung des Apokalypsenkommentars gemäß wird die apokalyptische Deutung Luthers, die man in Flacius’ Catalogus nur implizit findet, sehr deutlich akzentuiert. Luther hebe sich von anderen Zeugen dadurch ab, daß er der Engel der sechsten Posaune sei. In diesem apokalpytisch-gegenwartsdiagnostischen Sinne wird Luther von den früheren testes abgesetzt; höchstens Hus ist in diesem starken Sinne ein »vorleuffer Lutheri« gewesen 349. Noch gegen Ende des 16. Jahrhunderts war die Lektüre des Catalogus theologisches Gemeingut. Aegidius Hunnius stellt seinem Traktat über die wahre Kirche wiederum eine Reflexion über deren Kontinuität voran und bedient sich extensiv in Flacius’ Werk, dessen Titel er nennt, dessen Autor er aber wiederum verschweigt.350 Hunnius’ Ziel ist zu zeigen, daß »Ecclesiam Christi continua et non interrupta serie atque successione [. . .] ad nostram hanc aetatem, esse diuinitus conservatam et propagatam«351. Damit legt er den Akzent ganz auf Flacius’ Hauptanliegen. Interessant ist allerdings, wie beim Entfalten der einzelnen Zeugen und Zeugnisse Hunnius dieses Ziel zwischendurch abhanden zu kommen scheint und er ganz andere, inzwischen ebenfalls bekannte Funktionszuschreibungen und Rezeptionskontexte des Catalogus aufruft: So betont er, er wolle diejenigen Zeugen benennen, die gegen den päpstlichen Primat gekämpft sowie den Papst für den Antichristen und dessen Kirche für die babylonische Hure gehalten hätten 352 – was ja nicht dasselbe ist wie der Nachweis der doktrinalen Kontinuität. Wegen der päpstlichen Machtfülle habe es immer nur wenige Zeugen gegeben, betont Hunnius im Unterschied zu Flacius.353 Neben die negativen Kriterien der Papstkritik treten bei Hunnius wiederum auch positive: nämlich die Reinheit der Lehre, die z.  B. Wyclif und Hus ( jedenfalls partiell) zugeschrieben wird 354. Wichtiger als alle negativen Kriterien und alle Romkritik seien nämlich Zeugnisse der Rechtfertigungslehre, »nostrae salutis arx et sedes«355 , für die Bernhard von Clairvaux, Marsilius von Padua, Johannes Wesel, aber auch Trithemius und Savonarola als Beleg herangezogen werden 356 . Damit stehe fest, daß die Rechtfertigungslehre bereits seit »diversis

  CR 23,599.   Selnecker, Der Prophet Daniel / vnd die Offenbarung Johannis, b j v. 350  Vgl. Hunnius, Aegidius, Articulus de Ecclesia uera, et huius capite, Christo: itemque de Ecclesia Romana, et huius capite, Pontifice Romano . . ., Frankfurt a.  M. 1591, a2v u. d1r. 351  Ebd., d2r. 352  Vgl. ebd., a2v. 353  Vgl. ebd., a2v. 354  Vgl. ebd., c5r-v, wobei allerdings Hus’ Lutherprophezeiung mindestens denselben Stellenwert besitzt wie seine Theologie. 355  Ebd., d1v. 356  Vgl. ebd., d1v-d2r. 348 349

4.  Die Konzeption der testes veritatis von Melanchthon bis ins 17. Jahrhundert

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seculis atque temporibus« in Gebrauch sei 357. Wie man sieht, ist keine Rede mehr von einer totalen Kontinuität der Lehre. Insgesamt ergibt sich bei Hun­ nius, der hier als Abschluß dienen kann, ein schon bei Flacius angelegtes Konglomerat von Rezeptionshaltungen. Flacius’ Catalogus erscheint als Nachweis der Lehrkontinuität, als Katalog der Papstkritik und der Lutherprophezeiungen, als kritisches und gleichzeitig apologetisches Instrument. Die Ambivalenzen des Catalogus zwischen positiven und negativen Kriterien werden tradiert und, so wird zu sehen sein, erst im 17. Jahrhundert zum Problem. Insgesamt ergibt sich also der Eindruck eines zwar rezeptiv durchaus diversen, aber hinsichtlich der breit geteilten Prämisse von Alter und Kontinuität der evangelischen Lehre einigermaßen einheitlichen Diskurses. Dieser Diskurs ist inhaltlich nicht homogen; so wird z.  B. die Kontinuitätsfrage im einzelnen durchaus unterschiedlich plausibel beantwortet. Damit fungiert der testes-Diskurs wohl auch als innerlutherisches Selbstverständigungsmedium. Immerhin ist bemerkenswert, daß ›Philippisten‹ wie ›Gnesiolutheraner‹ einen gemeinsamen Anknüpfungspunkt formulierten, der lutherische Identität auch über Lehrstreitigkeiten hinweg sichern konnte. d)  ›Lutheraner‹ vor Luther? Zur reformierten Rezeption des Catalogus testium veritatis Es wurde bereits angedeutet, daß die testes-Konzeption eher gemeinprotestantische als rein lutherische Züge trägt. Daher verwundert es nicht, daß sie auch im reformierten Protestantismus rezipiert wurde. Allerdings wurde hier oft versucht, die Konzeption insofern konfessionell zu fokussieren, als im Anschluß an Luther auch Wahrheitszeugen reformierter Provenienz benannt wurden. Die inklusive Tendenz v.  a. des deutschen Reformiertentums, der sich durch eine argumentative Vereinnahmung gewisser ›kryptocalvinistischer‹ Elemente bei Melanchthon und seinen Schülern in eine Linie mit der lutherischen Reformation stellte358 , machte es konsequent, die Wahrheitszeugen auch für die reformierte Konfession zu reklamieren. Die offensichtliche konfessionelle Unschärfe von Flacius’ Auswahlkriterien erleichterte dies noch.359 Die frühesten refomierten Varianten der Kontinuitätskonzeption finden sich allerdings außerhalb Deutschlands, nämlich in den Niederlanden und im Umkreis des Genfer Calvinismus. Der an Bezas ›Icones‹ von 1580 anschließende Katalog des Niederländers Jacob Verheiden, der nicht mit dem testes-Begriff operiert und auch keine Vollständigkeit anstrebt 360 , präsentiert unter Umgehung der innerprotestan  Ebd., d2r.   Vgl. als Überblick: Strohm, Christoph, Melanchthon-Rezeption im frühen Calvinismus, in: Dona Melanchthoniana. FS Heinz Scheible, hg. v. Johanna Loehr, StuttgartBad Canstatt 2001, 433–455. 359  Vgl. Cameron, One Reformation, 120. 360  Vgl. Verheiden, Jacobus, Praestantium aliquot theologorum, qui Romanum anti357 358

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

tischen Lehrstreitigkeiten eine mit Holzschnitten illustrierte Reihe ›hervorragender Theologen‹, die von Berengar von Tours über Wyclif, Hus, Savonarola und Erasmus bis hin zu Luther und Melanchthon reicht; auf sie folgen sowohl Bugenhagen, Chemnitz und Flacius als auch Zwingli, Oekolampad, Bucer, a Lasco, Calvin und schließlich Beza. Im Flacius-Abschnitt wird ausschließlich über dessen antiinterimistischen Kampf und seine Geschichtswerke gehandelt: Flacius’ Catalogus enthalte »Politici quam Ecclesiastici, cujuscunque ordinis et gradus homines, qui superioribus seculis Papatum aut contemserunt aut oppugnarunt.«361 In der Vorrede bindet Verheiden die Kontinuität der wahren Lehre an die höchsten Werte der ›pietas‹ und ›libertas‹ und verankert seinen Versuch der Harmonisierung von Lutheranern und Reformierten im Horizont des Freiheitskampfes gegen den römischen und spanischen Antichristen.362 Die zwei Ausgaben des Catalogus testium veritatis, die der einflußreiche Genfer Pastor und Schriftsteller Simon Goulart (1543–1628) 1597 und 1608 veranstaltete, waren nicht einfach Neuauflagen, sondern stellen veritable Umarbeitungen dar.363 Goulart bezieht sich auf Flacius des öfteren einfach als »Illyricus« oder den »antiquitatis Ecclesiasticae curiosus indagator«364, äußert sich aber nicht zu dessen konfessioneller Zugehörigkeit. Ein eingehender Vergleich zwischen Flacius’ und Goularts Catalogus steht noch aus und wäre eine reizvolle Aufgabe. Goulart widmete seine Ausgabe Otto von Grünrade, einem einflußreichen Kurpfälzer Politiker und Hofmeister des späteren Pfalzgrafen Friedrich IV., und vollzieht auch so eine eine Abwendung von Flacius’ lutherischer Linie.365 Goularts Bearbeitung erscheint gegenüber der chronologischen Stoffbehandlung bei Flacius stärker systematisiert; sein Catalogus zerfällt in zwanzig Bücher und schließt mit einem Appendix von Zeugen nach 1517. Luther wird also wie bei Flacius durchaus als reformatorischer Wendepunkt gesehen, aber christum praecipue oppugnarunt, effigies . . ., Den Haag 1602. Vgl. kurz zu Verheidens Werk und anderen reformierten illustrierten Büchern, die die testes-Tradition aufnehmen: Schwinge, Gerhard, Petrus Waldus und die sogenannten Vorreformatoren als Wegbereiter der Reformation. Ikonographische Spurensuche, in: Fragmenta Melanchthoniana. Zur Geistesgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Bd. 1, hg. v. Günter Frank/Sebastian Lalla, Heidelberg/Ubstadt-Weiher/Basel 2003, 17–32, hier 22  f. 361  Verheiden, Praestantium aliquot theologorum, 158. 362  Ebd., *3r. 363  Vgl. Goulart, Simon, Catalogus Testium Veritatis, Qui, ante nostram aetatem, Pontificum Romanorum Primatui variisque Papismi superstitionibus, erroribus, ac impiis fraudibus reclamarunt . . ., Lyon 1597 und Genf 1608 (hier benutzte Ausgabe). Zu Goulart siehe: Kingdon, Robert M., Art. »Goulart, Simon«, in: Oxford Encyclopedia of the Reformation 2, 184. Zum Catalogus vgl. die knappen Hinweise bei: Polman, L’élément historique, 258–262; Backus, Historical Method, 350–358; Béné, Charles, Guillaume Budé et Erasme dans le Catalogus testium veritatis de Flacius Illyricus, in: La satire humaniste, hg. v. Rudolf de Smet, Brüssel 1994, 239–253. 364  Goulart, Catalogus, *2r. 365  Vgl. zu Otto von Grünrade: Press, Volker, Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559–1619, Stuttgart 1970, 370.

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eben nicht als singuläre endzeitliche Heiligenfigur. Wegen der riesigen Menge an Glaubenszeugen nach 1517, so Goulart, beschränke er sich darauf, die Glaubensbekenntnisse der reformatorischen Kirchen (zu denen natürlich hier die Konkordienformel nicht gezählt wird) abzudrucken: Und tatsächlich enthält der Appendix eine lange Liste von »Confessiones« und vollzieht damit, wenn man so will, insofern eine dezidierte Konfessionalisierung der Zeugenthematik, als die Lehrkontinuität der Kirche hier ihren Abschluß in den schriftlich fixierten Glaubensbekenntnissen der reformierten Orthodoxie findet.366 Eine ähnliche ›Konfessionalisierung‹ der testes-Theorie, die z.  B. ihren historischen Fluchtpunkt in der Konkordienformel hätte, findet sich im Luthertum nicht; in diesem Sinne wäre das Luthertum weniger konfessionalisiert, oder zumindest wäre der Rang der Konkordienformel relativiert.367 Das einzige reformierte Werk in Deutschland bis 1617, das ausschließlich auf die Zeugenproblematik abstellt, ist ein Traktat Johann von Münsters, der 1613 in Steinfurt erschien.368 Münster lehnt sich stark an Flacius an, macht sich aber auch Goularts Konzentration auf die Bekenntnisschriften zu eigen. Eine spätere Rezeption findet sich im ›Thesaurus chronologiae‹ Alsteds (1624), der eine ›Chronologia testium veritatis‹ enthält.369 Auch Alsted sieht in Luther, Melanchthon, Zwingli und Calvin die »Praecipui doctores«370 ; auch er beendet seine Liste mit einer Reihe reformierter Bekenntnisschriften. Ein wesentlicher Unterschied zu Flacius besteht daneben darin, daß Alsted die mittelalterlichen Lutherprophezeiungen streicht 371 und sehr viel weniger Päpste aufzählt. Dezidierter als Flacius löst Alsted auch die Ambivalenz zwischen Papstgegnerschaft und Lehrkontinuität auf, wenn er die testes als diejenigen definiert, »qui ueritatem coelestis doctrinae inde ab initio mundi ad nostram vsque aetatem asseruerunt« 372 und damit deutlich macht, daß eine antipäpstliche Haltung allein im Zeitalter der konfessionellen Konfrontation nicht mehr ausreichend erschien, um als Wahrheitszeuge aufgenommen zu werden.

366  Vgl. Goulart, Catalogus, 1981  f f.; daß Goulart dogmatisch strikter verfährt als Flacius, betont: Polman, L’élément historique, 261. 367  Vgl. zur Relativierung der Bedeutung der Konkordienformel: Wallmann, Rolle der Bekenntnisschriften. 368  Vgl. Münster zu Vortlage, Johann von, Adelicher Discurs / Von der Widergeburt unnd Reformation der Kirchen beeder Testamenten / biß zum Abfalle: Vnnd von der Zeit / vnd weis der Lehr des außbündigen Abfalls: Auch / wie ein jeder diesen Abfall erkennen / vnd sich dafür hüten könne / solle / vnd müsse: Wie auch / Von den Mitteln / dadurch zu verscheidenen [sic] Zeiten der Abfall reformirt worden: Und dann / an welchen Orten / vor Hussi, Lutheri, Zwinglii, und Calvini Zeiten die jetz reformirte Lehr zusuchen / vnd zufinden gewesen . . ., Steinfurt 1613. 369  Vgl. Alsted, Thesaurus chronologiae, 366–376. 370  Ebd., 376. 371  Vgl. z.  B. den Eintrag zu Hildegard von Bingen: Ebd., 373. 372  Ebd., 366.

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

e)  Die Implosion des Zeugendiskurses im 17. Jahrhundert Für die Zeit nach 1617 soll anhand weniger Texte angedeutet werden, daß die Spannung, die der testes-Theorie von Anfang an innewohnte, sich für das Luthertum des 17. Jahrhunderts zu einem manifesten Problem auswuchs, dem ab einem gewissen Punkt nicht mehr durch Insistenz zu begegnen war. Wohl zum ersten Mal figuriert der Begriff des »Luthertums« im Zusammenhang der testes-Problematik im Titel des Werkes von Johann Jacob Beck »Lutherthumb vor Luthero« von 1643. Interessanterweise nennt Beck sein Buch eine »Theologische vnd Historische Außführung / Auff die zwo Fragen: 1. Wo vnsere Evangelische Kirche vor Luthero gewesen sey? 2. Ob vnsere liebe VorEltern / und alle bey etliche hundert Jahren hero im Papsthumb Abgestorbene ewig selig worden?« 373

– und macht damit deutlich, daß er zwar nach wie vor, wie Melanchthon und Flacius vor ihm, Geschichte und Theologie zusammendenkt, sie aber begrifflich doch stärker differenziert. Der Autonomisierungsprozeß der Disziplinen ist inzwischen weit fortgeschritten. Wieder sind es nach Dan 11,41 die Ammoniter, Moabiter und Edomiter, vulgo: die kleinen Kinder, die treuherzigen alten Gläubigen und die Märtyrer, die »mitten im Bapsthumb gut Lutherisch und Evangelisch gewesen seyn.«374 Argumentativ zeigt sich damit – außer dem vielleicht dem 17. Jahrhundert adäquaten Versuch einer polyhistorischen Systematisierung in unterschiedlichste »classes« von Zeugen – keine Modifikation gegenüber der Diskurslage des 16. Jahrhunderts. Etwas anders stellt sich dies bei dem Erbauungstheologen August Pfeiffer dar, der ab 1679 in immer erneuerten Versionen sein antijesuitisches »Lutherthum vor Luthern« publizierte.375 Pfeiffer macht nolens volens deutlich, daß die polemische Konfrontation, die letztlich die gegnerische Reaktion nur als Schreibanlaß braucht, sie aber argumentativ nicht ernst nimmt, gewisse Ermüdungserscheinungen hervorruft. Die Frage, wer »vor Luthero Lutherisch gewesen« sei, sei »so offt von den Unsrigen beantwortet worden / daß uns fast verdrüßlich fällt / den Mund weiter davon auffzuthun«, aber: »Was niemahls gnug gelernet wird / kan auch niemahls zu offt erinnert werden.« 376

373  Beck, Johann Jacob, Lutherthumb vor Luthero / Das ist: Theologische vnd Historische Außführung / Auff die zwo Fragen: 1. Wo vnsere Evangelische Kirche vor Luthero gewesen sey? 2. Ob vnsere liebe VorEltern / und alle bey etliche hundert Jahren hero im Papsthumb Abgestorbene ewig selig worden? . . ., Nürnberg 1643 (hier benutzt in der Ausgabe Frankfurt a.  M. 1658). 374  Ebd., 16. 375  Pfeiffer, August, Lutherthum vor Luthern / Oder/ Das alte Evangelische durch Lutherum erneuerte Christenthum . . ., Dresden 1697 (EA 1679 sowie fünf überarbeitete Versionen bis 1700). Vgl. zu Pfeiffer knapp Zeller, Protestantische Frömmigkeit, 109. 376  Pfeiffer, Lutherthum, 121  f .

4.  Die Konzeption der testes veritatis von Melanchthon bis ins 17. Jahrhundert

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Die katholischen Autoren würden sich, so Pfeiffer, nicht mit dem längst geleisteten Aufweis der dogmatischen Übereinstimmung mit der Lehre Christi zufrieden geben 377, sondern forderten Namen, Personen und Orte, also testes. Pfeiffer, der Flacius nicht namentlich nennt, ist sich zwar sicher, dieses leisten zu können, nennt dieses Ansinnen aber dennoch ein »unnöthiges / unbilliges / unverschämtes und ihnen selbst höchst=praejudicirliches Ansinnen«378 . Neben einem gewissen Zugeständnis hinsichtlich des Quellenproblems für mittelalterliche Zeugen 379 vollzieht Pfeiffer, womöglich nicht als erster 380 , eine argumentative Vollbremsung, die zeigt, daß à la longue das Problem einer glaubwürdigen Reklamierung der testes für die lutherische Sache unlösbar erschien. Offenbar findet Pfeiffer Flacius’ Konzeption einer sichtbaren Kontinuitätsreihe letztlich nicht überzeugend; daher erklärt er sie für unnötig. »Unnöthig ists / denn der HErr kennet darumb doch die Seinen / ob wir sie gleich nicht nennen können. Im Himmel stehen ihre Namen angeschrieben / ob gleich auff Erden kein Catalogus ihrentwegen gehalten ist. Ists denn nicht gnug / wann ich und du für unsere Person versichert seyn / daß wir kein ander Evangelium glauben / als das / welches Christus uns in seinem Worte hat verkündigen lassen / Gott gebe / wer vor uns unsers Glaubens gewesen ist? ein ieder muß doch für sich selbst bedacht seyn / dem lieben GOtt Rechenschafft zu geben [. . .] Wir werden uns im übrigen im Himmel schon zusammen finden.« 381

»Ob wir sie gleich nicht nennen können« – damit waren 150 Jahre lutherischer Traditionsstiftung via testes-Diskurs zugunsten einer latent antidogmatischen Glaubensindividualisierung des »ich und du« über Bord geworfen. Die Idee einer sichtbaren Kontinuität der Kirche hatte der lutherischen Geschichtsschreibung eine Beweislast aufgebürdet, die letztlich den institutionellen Garantien des Papsttums Vorschub leisten konnte382 und die zumal für pietistische und kryptopietistische Diskurse nicht mehr vollständig anschlußfähig erschien. 377  Vgl. ebd., 137; Pfeiffer verweist auf Werke von Chemnitz und Gerhard, aber auch auf Reiser, Anton, S. Augustinus, Episcopus in Africa Hipponensis, Veritatis EvangelicoCatholicae In Potioribus Fidei Controversiis Testis Et Confessor, Contra Bellarminum Et Alios Scriptores Papaeos . . ., Frankfurt a.  M. 1678. »Warum antworten die Papisten auff diese und dergleichen Schrifften nicht?« (Pfeiffer, Lutherthum, 138). 378  Pfeiffer, Lutherthum, 127. 379  Vgl. ebd., 129  f . 380  Die Quellenrecherche beschränkte sich auf Werke, die »Luthertum vor Luther« oder »testes veritatis« o.ä. im Titel führen; deshalb ist nicht auszuschließen, daß die vorgestellte Argumentation auch schon in der akademischen Theologie, Kontroverstheologie oder Predigt des früheren 17. Jahrhunderts vorkommt; sicher ist sie aber noch nicht einschlägig. 381  Pfeiffer, Lutherthum, 127. 382  Vgl. Mühlenberg, Ekkehard, Das Argument: »Die Wahrheit erweist sich in Übereinstimmung mit den Vätern« – Entstehung und Schlagkraft, in: Auctoritas Patrum II. Neue Beiträge zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert, hg. v. Leif Grane/Alfred Schindler/Markus Wriedt, Mainz 1998, 153–169, hier 160.

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

Gottfried Arnolds radikalpietistische Kirchengeschichte stellt im Grunde insgesamt einen antiinstitutionell gewendeten Catalogus testium veritatis dar, enthält aber darüber hinaus noch einen mit Johann Arndt und Johann Valentin Andreae beginnenden »Catalogus testium veritatis post Lutherum continuatus huc usque« von Arnolds Freund Friedrich Breckling.383 Daß spätestens um die Wende zum 18. Jahrhundert die testes-Theorie nicht nur auf apologetischem Terrain immer größere Brüche offenbarte, sondern auch innerlutherisch in eine gewisse Bedrängnis geriet (wohl auch, weil die Orthodoxie die Reihen gegenüber Pietismus und Frühauf klärung noch einmal schließen wollte), deutet eine Äußerung von Christian Thomasius an, der die Orthodoxie 1738 von einer rationalistischen Position aus kritisierte: »Also erkennete man auch vor diesem die Brüder in Böhmen vor testes veritatis, dann Hus und andere haben schon vieles gesehen, ehe Lutherus kommen ist, hodie wollen wir sie aber nicht mehr vor orthodox passieren lassen«.384

Dennoch: Der flacianische Begriff der testes veritatis hatte sich etabliert und wurde häufiger auch auf einzelne Gestalten angewendet; das führte bis zu einem »Muhammed testis veritatis contra se ipsum«385. Johann Lorenz Mosheim schließlich, um eine letzte wichtige Stimme zu hören, setzte wiederum an der argumentativen Stelle ein, an der bei Pfeiffer die lutherische Kontinuitätskonzeption implodiert war: Im Vorwort seiner Ketzergeschichte bezieht er sich auf die Flacius nachfolgende Kritik an einzelnen der Zeugen und optiert für zwei Wege. Erstens spricht sich Mosheim für eine viel offensivere evangelische Verbrüderung mit verketzerten Glaubensgemeinschaften aus: »Ihr wollet unsere Väter und Vorläufer sehen: Da sind sie. Wir lebeten, ehe wir noch geboren wurden, in den gottseligen Waldensern, Albigensern, Katharern, Aposteln, Wiklefiten, Fraticellern und vielen anderen, deren Blut die römischen Bischöfe so reichlich vergossen haben. Scheltet diese Leute so lange, als ihr wollet, für falsche Propheten,

383  Vgl. Arnold, Gottfried, Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie vom Anfang des Neuen Testaments bis auf das Jahr 1688, Frankfurt a.  M. 1729 (ND Hildesheim 1967); siehe dazu: Seeberg, Gottfried Arnold. Der Ketzerkatalog findet sich bei Arnold, Kirchen- und Ketzerhistorie, Bd. 2, 1089–1110; zu Breckling siehe Blaufuss, Dietrich, Art. »Breckling, Friedrich«, in: TRE 7, 150–153. Der Arnold-Kenner Goethe hat die reduktive Zweiteilung der Kirchengeschichte so charakterisiert: »Zwei Gegner sind es, die sich boxen, / Die Arianer und die Orthodoxen; / Durch viele Säkla dasselbe geschicht, / Es dauert bis an das Jüngste Gericht.«: Goethes Werke, Bd. 1. Gedichte und Epen I, hg. v. Erich Trunz, München 1981, 333  f. 384  Zitiert nach: Martin Luther in der deutschen bürgerlichen Philosophie 1517–1845, hg. v. Werner Schuffenhauer/Klaus Steiner, Berlin (-Ost) 1983, 109. 385  Schroeder, Matthias Georg, Muhammed testis veritatis contra se ipsum, Leipzig 1718.

5.  »Es mus gelitten werden«: Hagiographie und Martyrologie

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für Ketzer, für Abtrünnige: Wir erkennen sie für unsere Brüder und schämen uns ihrer Gemeinschaft nicht.« 386

Insgesamt habe aber die ganze Diskussion nur zu unfruchtbarem Streit geführt; daher müsse die zweite Option in einem selbstbewußten Rückgriff auf das Evangelium bestehen: »War unsere Kirche vor Luther nicht da, so war doch unser Glaube da [. . .] Er stand in den Büchern der Propheten und der Apostel, die kein Papst je verwerfen kann. Hat es der HErr erlaubet, daß dieser Glaube mit der Schrift eine geraume Zeit ist vergraben worden und keine sichtbare Anhänger gehabt hat, so hat er es sonder Streit aus heiligen und gerechten Ursachen erlaubet. Von uns kann es niemand, als ein Unsinniger, fordern, daß wir von GOttes Wegen und Regierung Rede und Antwort geben sollen.« 387

Damit war, zumindest für die avanciertere akademische Kirchengeschichtsschreibung, die Zeugenproblematik erledigt. Der Diskurs, dem von Beginn an, in den Bewahrungsszenarien Melanchthons und Majors wie im dramatischeren Rettungskonzept Flacius’, eine argumentative Ambivalenz eingeschrieben war, hatte seine Glaubwürdigkeit verloren. Daß aber von Beginn an unterschiedliche Argumentationsstränge im Zeugendiskurs konvergierten, lehrt der Blick auf die beschriebene frühe Rezeption von Flacius’ Catalogus: Dieser wurde nicht etwa nur als Nachweis der Lehrkontinuität gelesen, sondern auch in verschiedenen anderen Argumentationskontexten – von der Kontinuität der Reformationsprophetie bis zur Frage der Verdammung vorreformatorischer Christen – angesiedelt. Die martyrologische Rezeption, die letztlich auf die Kontinuität der Lehre nicht angewiesen war, spielte eine besonders große Rolle. Daher soll im folgenden der lutherische Märtyrerdiskurs präziser beschrieben werden.

5.  »Es mus gelitten werden«: Hagiographie und Martyrologie a)  »Dicere de sanctis, est recitare historiam Ecclesiae«: Grundlinien lutherischer Hagiographie Die im Jahre 1573 von Conrad Lautenbach publizierte Übersetzung des Catalogus testium veritatis trägt den vollen Titel: »Catalogus testium ueritatis. Historia der zeugen / Bekenner vnd Märtyrer / so Christum vnd die Evangelische warheit biß hieher / auch etwa mitten im Reich der finster386  Mosheim, Johann Lorenz von, Versuch einer unpartheiischen und gründlichen Ketzergeschichte, Helmstedt 1746 (ND Waltrop 1995), 29. Vgl. allgemein: Neumann, Florian, Mosheim und die westeuropäische Kirchengeschichtsschreibung, in: Johann Lorenz Mosheim (1693–1755). Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Geschichte und Theologie, hg. v. Martin Mulsow u.  a., Wiesbaden 1997, 111–146. 387  Mosheim, Ketzergeschichte, 30.

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

nus / wahrhaftig erkennet / christlich vnd auffrichtig bekennet / vnd dem Bäpstlichen Primat / irrthumen / ergerlichem leben vnd lastern / erstlich widersprochen / Auch mehrerteils vber solchem christlichen kampff / vnbillichen haß / grewliche verfolgung / harte gefencknus / vnd den todt selber / ritterlich außgestanden vnd erlitten haben«.

Auch dieser Titel belegt, daß der Catalogus in gewissem Maße als Martyrologium rezipiert worden ist. Wie gezeigt, ist die theologische Argumentationsfigur, die dem Catalogus zugrundeliegt, die Sukzession der Kirchenlehrer. Die Gattung des Martyrologiums ist dagegen nicht auf eine kontinuierliche Reihe hi­sto­ rischer Gestalten angewiesen. Lautenbachs Titel macht deutlich, daß der Typus religiöser Autorität, den die testes-Konzeption konstituiert, zumindest in einer volkssprachlichen Ausgabe einem traditionelleren und schlichteren Modell, nämlich dem des Märtyrers, weichen mußte. Aus heutiger Sicht ist es durchaus nicht selbstverständlich, daß die Reformation, die doch im spätmittelalterlichen Heiligenkult ein besonderes abschreckendes Beispiel verfälschter Frömmigkeit identifizierte, die Idee individueller Heiliger und Märtyrer nicht aufgab. Deshalb müssen einige einführende Bemerkungen zum lutherischen Heiligenverständnis im allgemeinen und zur lutherischen Hagiographie im speziellen gemacht werden. Es ist nachvollziehbar, daß das spätmittelalterliche Florieren von Wallfahrtswesen und Heiligenverehrung durch die reformatorische Kritik nicht vollständig zum Erliegen gebracht werden konnte; dies gilt auch dann, wenn man nicht ein ahistorisches ›Bedürfnis‹ nach Heiligenverehrung in Rechnung stellt, sondern die spezifische historische Situation an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert beachtet.388 Die tradierten Modelle religiöser Autorität, vor allem die ›Märtyrer‹ und die ›Heiligen‹, verschwanden mit der Reformation nicht, sondern wurden in spezifischer Weise transformiert. Im zwölften Jahrhundert hatte der Papst die Entscheidung darüber, wer als Heiliger anzusehen sei, monopolisiert; im späten Mittelalter breiteten sich Reliquienverehrung und Wallfahrtswesen immer weiter aus.389 Dabei überwog 388  Theoretische Erörterungen zum ›Bedürfnis‹ nach Heiligenverehrung finden sich bei Scharfe, Martin, Der Heilige in der protestantischen Volksfrömmigkeit, in: Hessische Blätter für Volkskunde 60 (1969), 93–106. Zur spätmittelalterlichen Situation zusammenfassend: Angenendt, Arnold, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1994, 230–233 sowie: Moeller, Bernd, Frömmigkeit in Deutschland um 1500, in: ders., Die Reformation und das Mittelalter. Kirchenhistorische Aufsätze, hg. v. Johannes Schilling, Göttingen 1991, 73–85, 307–317. Einführend zum Verhältnis der Konfessionskirchen zur Volksfrömmigkeit vgl. van Dülmen, Richard, Volksfrömmigkeit und konfessionelles Christentum im 16. und 17. Jahrhundert, in: ders., Religion und Gesellschaft. Beiträge zu einer Religionsgeschichte der Neuzeit, Frankfurt a.  M. 1989, 50–69 sowie spezieller zum Luthertum Vogler, Bernard, Volksfrömmigkeit im Luthertum deutschsprachiger Länder, in: Volksfrömmigkeit in der Frühen Neuzeit, hg. v. Hansgeorg Molitor/Heribert Smolinksy, Münster 1994 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 54), 37–48. 389  Dieser Abschnitt orientiert sich an der Arbeit von Knodt, Leitbilder, 3–124.

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die invocatio der Heiligen gegenüber der imitatio, was allmählich zu einer Häufung von Heiligenfesten (initiiert durch Bruderschaften und Stiftungen) führte. Daß in der Praxis kaum mehr zwischen der invocatio der Heiligen und der adoratio Gottes unterschieden wurde, stellte den Ausgangspunkt der reformatorischen Kritik dar.390 Luthers Angriff auf die Heiligenverehrung ist im Kontext seiner Rechtfertigungslehre zu verstehen: Das simul iustus et peccator gilt auch für die Heiligen. Nur Christus allein ist für die Rettung der Menschen verantwortlich. Die Kanonisierung von Heiligen lehnte Luther als Menschenwerk ab; die ›Gemeinschaft der Heiligen‹, die auch Lutheraner bekennen, meint daher die Gemeinschaft der irdischen und himmlischen Gläubigen, zwischen denen, was die Beziehung zu Christus betrifft, kein Unterschied besteht.391 Dies führt zur Ablehnung der Dichotomie zwischen besonderen und regulären Gläubigen, die ja auch die Kritik am Mönchtum motiviert.392 Auf der anderen Seite betont auch Luther die Notwendigkeit einer imitatio vorbildlicher Gestalten. In der Confessio Augustana findet sich die erste lehramtliche Definition von Heiligenverehrung überhaupt; die mittelalterliche Kirche hatte keine dogmatischen Aussagen zum Heiligenkult gekannt. Die Augsburger Konfession verbannte das Heiligengedenken weitgehend aus dem Gottesdienst. Die Heiligen übernehmen nur noch zwei Funktionen: Sie sollen den Glauben stärken, weil an ihnen das Gnadenwirken Gottes sichtbar wird, und werden als Exempel einer vorbildlichen Lebensführung hochgeschätzt. In der liturgischen Umsetzung in territorialen Kirchenordnungen wurde oft ein Weg zwischen einer theologisch sauberen Lösung und einem an lokale Verhältnisse anschließenden Pragmatismus beschritten. Die Beibehaltung der Perikopen, die das Kirchenjahr strukturierten, die Abschaffung einer ganzen Reihe von Heiligenfesten, aber auch die Umdeutung bestimmter Feste auf Christus führte dazu, daß das Heiligengedächtnis von der Gebetspraxis in Lehre und Predigt »auswanderte«393 : Das bedeutete aber keine völlige Verwerfung der Heiligenverehrung, sondern ein »fortdauerndes, obgleich funktional völlig verändertes, von jeder Art kultischer Verehrung freies Heiligengedenken«.394 Die Heiligen sind also durch Gottes Gnade exemplarische Gestalten, an denen sich der lutherische Christ orientieren soll. Welchen Personen wird im Lu  Vgl. Moeller, Frömmigkeit.   Vgl. Knodt, Leitbilder, 125–143. 392  »Wer Vater und mutter ist / haus wol regirt / vnd kinder zeucht zu Gottes dienst [. . .] der ist ein lebendiger heilige auf erden.«: WA 26, 505. Zur Ablehnung dieser ›zweistufigen Ethik‹ vgl. pointiert: Moeller, Bernd, Die frühe Reformation in Deutschland als neues Mönchstum, in: Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch, hg. v. Bernd Moeller, Gütersloh 1998 (SVRG 199), 76–91. 393  Knodt, Leitbilder, 165. 394  Köpf, Ulrich, Protestantismus und Heiligenverehrung, in: Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, hg. v. Peter Dinzelbacher/Dieter R. Bauer, Ostfildern 1990, 320–344, hier 335. 390 391

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thertum des 16. Jahrhunderts aber warum das Epitheton ›heilig‹ verliehen? Einmal den Märtyrern, also Blutzeugen, die auch in Zeiten der Bedrängnis standhaft an ihrem Glauben festgehalten haben. Die Nachfolge Christi ist nur möglich als imitatio seiner Leiden: »Wolan, will ich ein Christ sein, so mus ich die hofefarbe auch tragen, der liebe Christus gibt kein ander gewand aus an seinem hofe. Es mus gelitten werden.«395 Der spezifische Heiligentypus des Märtyrers gewinnt damit im frühen Protestantismus eine neue Virulenz. Luthers Theologie des Kreuzes führte ihn zeitweise zu der Auffassung, Verfolgung und Leid seien ein Kennzeichen der wahren Kirche. Mit den ersten protestantischen Martyrien ab Beginn der 1520er Jahre begann sich das Märtyrerproblem in der Praxis zu stellen: Auch diese Tatsache dürfte zur Revitalisierung des tradierten Typs religiöser Autorität beigetragen haben. Wenn Luther aber im Martyrium ein Geschenk Gottes und eine konstitutive Bedingung des Christseins sah, so betonte er doch im Anschluß an den Bauernkrieg und die Auseinandersetzung mit Schwärmern und Täufern, daß Verfolgung per se nicht ausreiche, um zur Kirche Gottes zu gehören. Luther bezog sich jetzt stärker auf die augustinische Maxime non poena, sed causa facit martyrem.396 Neben die Märtyrer traten die Kirchenlehrer, die in besonders eindrücklicher Weise eine schriftgemäße Theo­ logie gelehrt hatten. Nicht zufällig wurde Luther als »Heiliger« in erster Linie als Exeget und Kirchenlehrer stilisiert.397 Heiligkeit ergab sich also aus rechter Schriftauslegung. Doch da lutherische Autoren in der Zeit zwischen der Alten Kirche und ihrer Gegenwart nur wenige Theologen fanden, denen sie im umfassenden Sinn eine orthodoxe Schriftauslegung zuschreiben, reichte auch dieses Kriterium nicht hin. Es waren daher nicht nur im strengen Sinne theologische Kriterien, die das relativ homogene lutherische Heiligengedenken konstituieren. Hier wie anderswo reichte oft Widerstand gegen Rom, um als Heiliger angesehen zu werden.398 Auch für die Hagiographie kann der spätmittelalterliche Hintergrund als Kontrastfolie zur reformatorischen Position konturiert werden: Unter allen literarischen Gattungen des Mittelalters, die sich mit der Biographie einzelner   WA 32,29.   Zu Luthers Märtyrerverständnis vgl. Bagchi, David, Luther and the Problem of Martyrdom, in: Martyrs and Martyrologies, hg. v. Diana Wood, Oxford 1993, 209–219; Kolb, Robert, God’s Gift of Martyrdom: The Early Reformation Understanding of Dying for the Faith, in: Church History 64 (1995), 399–411. 397  Vgl. Löcher, Humanistenbildnisse, 368. 398  Insofern ist Fuchs zuzustimmen, der darauf hinweist, daß bereits ab der Jahrhundertmitte mehr oder minder klar feststand, wer zu den lutherischen Heiligen gehörte und wer nicht. Ob diese »Kanonisierung« aber in allen Fällen auf genuin reformatorischer Theologie beruht, ist bezweifelbar. Vgl. Fuchs, Protestantische Heiligen-memoria, 602. Um der Klarheit willen sei noch einmal darauf hingewiesen, daß ›Kanonisierung‹ hier metaphorisch zu verstehen ist, weil es natürlich keine Kanonisierungsinstanz gab und die Einschätzung einer Person als Heiliger keinesfalls als bindend angesehen wurde. 395 396

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Personen befassen, nehmen die ca. 10000 hagiographischen Texte die erste Stelle ein.399 Neben die hagiographische Einzelvita traten Vitensammlungen wie Martyrologien, Heiligenkalender und Legendensammlungen. Dabei ist das Martyrologium zu definieren als ein für den liturgischen Gebrauch bestimmter Heiligenkalender, das tagtäglich an einen oder mehrere Heilige erinnert.400 In die Martyrologien fanden seit dem zweiten Jahrhundert zunehmend auch Gestalten Eingang, die keines gewaltsamen Todes gestorben waren.401 Im Anschluß an Beda Venerabilis entstand ab dem achten Jahrhundert die Gattung des ›historischen‹ Martyrologiums, die nicht nur Geburts- und Todestag der Heiligen aufzeichnete, sondern, analog der Verschiebung des Interesses vom Martyrium zur heiligen Lebensführung und zur Wortverkündigung402 , auch Ereignisse aus dem Leben von Heiligen. Einen anderen Strang der hagiographischen Produktion des Mittelalters stellten die Legendensammlungen dar. Im Gegensatz zu den Martyrologien waren sie nicht kalendarisch geordnet und auch nicht in erster Linie für die liturgische Lesung bestimmt. Vielmehr geriet die hagiographische Literatur ab dem 13. Jahrhundert immer mehr unter den Einfluß legendarischer und fiktionaler Überlieferung.403 Die bekannteste Sammlung dieser Art ist die weit über das Mittelalter und ihr Entstehungsland Italien hinaus einflußreiche, zwischen 1263 und 1273 verfaßte »Legenda aurea« des Domikaners Jacobus de Voragine. Daneben traten z.  B. das Prosapassional »Der Heiligen Leben« oder der »Catalogus Sanctorum« des Petrus de Natalibus, dem durchaus auch die Aufgabe zukam, auf dem Weg über hagiographische Viten eine Geschichte der Kirche zu erzählen.404 Besonders intensiv und frühzeitig erhob sich die reformatorische Kritik an der Vermischung von Hagiographie und Erzählfiktion. Luther stellte den beiden hagiographischen Sammlungen von Georg Major und Georg Spalatin, die im Jahr 1544 erschienen, jeweils Vorworte voran, die das rechte Heiligenverständnis von den gegnerischen Lügen unterschieden.405 Beide Werke orien  Vgl. Angenendt, Heilige, 142.   Vgl. Dubois, Jacques, Les martyrologes du moyen âge latin, Turnhout 1978 (Typologie des sources du Moyen Age occidental 26), 13. 401  Vgl. ebd., 14. 402  Vgl. Angenendt, Heilige, 138. 403  Vgl. Hausberger, Karl, Art. »Hagiographie II. Römisch-katholische Kirche«, in: TRE 14, 365–371, hier 367. 404  Vgl. Boesch Gajano, Sofia, Dai leggendari medioevali agli »Acta Sanctorum«, in: Rivista di storia e letteratura religiosa 21 (1985), 219–244, hier 223. Die unterschiedlichen Sammlungen, vor allem aber die letztgenannte bildeten die Quellengrundlage für die im Kontext der tridentischen Reform vollzogene Neuformierung des katholischen Heiligengedenkens, die im ›Martyrologium Romanum‹ gipfelte: Die Auseinandersetzung mit der hagiographischen Tradition stellte also nicht nur ein Problem des frühen Protestantismus, sondern auch den Ausgangspunkt des tridentinischen Katholizismus dar. 405  Vgl. WA 54,107–115. Vgl. zum Kontext: Schnyder, Legendenpolemik. 399 400

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tierten sich stark an der im Hinblick auf Predigtexempel konzipierten Vitensammlung des Lübecker Superintendenten Hermann Bonnus von 1539.406 Bonnus hatte in drei Teilen die Lebensgeschichten von Aposteln, Bischöfen und Märtyrern sowie Kirchenvätern geschildert; er konzentrierte sich dabei auf biblische und altkirchliche Heilige, die offenbar für evangelische Leser keine Anstößigkeit besaßen. Durch diesen Fokus umging er noch das Problem, mitten in der mittelalterlichen Kirche Heilige identifizieren zu müssen.407 Major und Spalatin verfuhren ähnlich; auch Major zeigt schon im Titel an, daß es ihm um eine Sammlung von »Vätern«, nicht nur Heiligen, aus der Alten Kirche geht und daß sein Werk primär eine Sammlung zu Predigtzwecken ist. Teilweise strukturierte Major seine Vitensammlung nach exegetischen oder moraltheologischen loci vor, so daß sie dem Prediger einen bequemen Zugriff auf passende Heiligenexempel bot.408 Diese frühen Heiligensammlungen sind ex negativo in doppelter Weise als protestantisch zu erkennen: Erstens wenden sie sich von der großen Zahl von legendenumrankten Heiligen des Mittelalters ab. Die weitgehende Beschränkung auf biblische und altkirchliche Heilige zeichnet die Frühzeit des Christentums insofern heilsgeschichtlich aus, als hier die vornehmsten Exempel von Gottes Wirken an den Menschen zu finden sind. Dies impliziert keine regelrechte Theorie des Verfalls nach der Urkirche; eher erscheinen die altkirchlichen Heiligen in unbestreitbarer Weise als Repräsentanten eines gottgewirkten Lebens und Lehrens. Zweitens wurden die Heiligen als zu imitierende, nicht aber als zu verehrende oder gar anzubetende Gestalten dargestellt.409 Die Tatsache, daß die Werke von Bonnus und Major im engen Zusammenhang mit der Predigt stehen, bezeugt die Funktion der Heiligen als Exempel. In ähnlicher Weise sind diese beiden Punkte – Konzentration auf altkirchliche Heilige sowie eine mehr oder minder stillschweigende Rücknahme einer genuinen Heiligenanrufung – in einem ebenfalls eher gemeinchristlich (im Sinne eines altkirchlichen Konsenses) als lutherisch wirkenden Büchlein zu finden: Ausgestattet mit 406  Vgl. Bonnus, Hermann, Farrago praecipuorum exemplorum, de Apostolis, Martyribus, Episcopis, et Sanctis Patris ueteris Ecclesiae, qui docentes uerbum Dei, et ueritatem illius adserentes Christianae religioni fideliter patrocinati sunt. Quorum cognitio in primis vtilis et necessaria praedicatoribus uerbi Dei . . ., Schwäbisch Hall 1539. Vgl. zu Bonnus: Savvidis, Petra, Hermann Bonnus, Superintendent von Lübeck (1504–1548). Sein kirchenpolitisch-organisatorisches Wirken und sein praktisch-theologisches Schrifttum, Lübeck 1992; zur »Farrago« v.a. 205–268. 407  Insofern leuchtet im Hinblick auf Bonnus’ Werk die These Petra Savvidis’, die historische Kontinuität der Kirche erweise sich im Protestantismus als Abfolge von Heiligen – »das wesentliche Kontinuitätsmerkmal ist Gottes Handeln an den Heiligen« – nicht ein. Vgl. Savvidis, Hermann Bonnus, 244. 408  Vgl. Major, Georg, Vitae patrum, in vsum ministrorum uerbi, quo ad eius fieri potuit repurgatae . . . Cum praefatione D. Doctoris Martini Lutheri, Wittenberg 1544. 409  Dennoch ist die Bezeichnung ›säkularisierte Hagiographie‹ irreführend; vgl. Kap. B.II.2.

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85 Holzschnitten des Petrarca-Meisters, veröffentlichte es der Frankfurter Drucker Christian Egenolff im Jahr 1551, in einer Zeit also, als sich im Zuge von Interim und Tridentinum die gegnerischen Fronten zu verfestigen begannen. Egenolffs »Sanctorum, et Martyrum Christi Icones« sind sowenig Bestandtteil eines dezidiert reformatorischen Heiligendiskurses wie simple Tradierung mittelalterlicher Muster. Daß aber das Buch in den 1550er Jahren noch zweimal aufgelegt werden konnte, zeigt die Persistenz eines exemplarischen Interesses an Heiligen ohne forciert konfessionelles Sonderbewußtsein auch in einer Zeit beginnender Konfrontation.410 In der Folge entstand innerhalb des Protestantismus eine reiche Heiligenund Märtyrerliteratur. Protestantische und katholische Heiligenliteratur blieben in diesem Zeitraum eng aufeinander bezogen; man kritisierte sich gegenseitig, versuchte aber gleichzeitig, der Kritik der Gegenseite durch möglichst gut dokumentierte Fälle entgegenzuwirken. Die sich neu formierende katholische Hagiographie nahm die predigthaften und erbaulichen Momente der reformatorischen Hagiographie auf und suchte spätmittelalterliche Traditionen und protestantische Herausforderung zu verschmelzen.411 Die Konfessionalisierung der Heiligenliteratur wurde also in einer Abfolge von challenge und response vollzogen. Beiden Konfessionen war dabei gemeinsam, daß die Argumentation sich rationalisierte, die allzu phantastischen, legendarischen Züge in den Hintergrund traten und die Hagiographie eine Doppelfunktion übernahm: die Überlieferung von Glaubenszeugen, Bekennern wie Blutzeugen sowie religiöse Propaganda, ein Ziel hagiographischer Darstellung, das erst mit der Glaubensauseinandersetzung an Bedeutung gewann.412 Die protestantische Hagiographie umfaßte ein weites Spektrum von Formen, das von populären Erzählstoffen bis zu elaborierten theologischen Ausarbeitungen reichte.413 Damit ist es mit der gebotenen Vorsicht möglich, Hagiogra410  Vgl. Sanctorum, et Martyrum Christi Icones quaedam artificiosissimae. Der heiligen / vnd Martirer Gottes künstliche Bildtnussen, Frankfurt a.  M. 1551. Egenolff verwendete die durch die Übernahme des Holzschnittwerkes der Steinerschen Offizin in Augsburg in seinen Besitz gekommenen Holzschnitte des Petrarca-Meisters auch in anderen Werken. Vgl. Benzing, Josef, Art. »Egenolff, Christian«, in: NDB 4, 325  f. Ein in seiner visuellen Aufmachung vergleichbares Büchlein, die »Icones Sanctorum« des Augsburgers Cleophas Distelmair von 1610, ist demgegenüber viel eindeutiger konfessionell, nämlich posttridentinisch-katholisch, geprägt. 411  Vgl. allgemein: hieber, Legende. 412  Vgl. Boesch Gajano, Leggendari, 232  f. 413  Der beste Überblick findet sich bei: Brückner, Annemarie/Brückner, Wolfgang, Zeugen des Glaubens und ihre Literatur. Altväterbeispiele, Kalenderheilige, protestantische Märtyrer und evangelische Lebenszeugnisse, in: Volkserzählung und Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung und Funktion von Erzählstoffen und Erzählliteratur im Protestantismus, hg. v. Wolfgang Brückner, Berlin 1974, 521–578. Stärker auch die Zeit vom 17.–20. Jahrhundert bezieht – mit theologisch-praktischer Absicht – ein: Schulz, Frieder, Das Gedächtnis der Zeugen. Vorgeschichte, Gestaltung und Bedeutung des

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phie als Historiographie zu lesen.414 Die Vorstellung, daß Hagiographie natürlich Geschichtsschreibung sei, liegt jedenfalls den Reformatoren nicht fern. Melanchthon geht situativ sogar soweit, die Hagiographie mit der Kirchengeschichtsschreibung zu identifizieren. Die Erinnerung an die Heiligen sei notwendig, denn »necesse est sciri historiam Ecclesiae«: »Ergo dicere de sanctis, est recitare historiam Ecclesiae«415. In welcher Weise die lutherische Hagiographie sich in den historiographischen Identitätsdiskurs einfügte, soll das nächste Kapitel zeigen, das sich mit der ersten umfassenden lutherischen Bearbeitung des Märtyrerthemas als einer spezifischen Form der Hagiographie auseinandersetzt. Auf andere lutherische Heiligenkonzeptionen im Rahmen von Heiligenkalendern soll im Kapitel B.VI. zurückgekommen werden. b)  »Anfang und Ende mit / im / vnnd durch das Blut«: Ludwig Rabus’ Märtyrerbuch Im Jahre 1554 erschienen in Genf und Straßburg die drei ersten protestantischen Martyrologien. Ludwig Rabus publizierte in Straßburg den ersten Band seiner »Historien der Heyligen Ausserwölten Gottes Zeügen, Bekenner und Martyrer«, dort erschienen auch John Foxes »Commentarii rerum in ecclesia gestarum«, und in Genf veröffentlichte Jean Crespin sein »Livre de Martyrs«. Zur selben Zeit entstanden also die wichtigsten und erfolgreichsten Märtyrerbücher der verschiedenen protestantischen Strömungen Europas, denen sich 1559 das Werk des flämischen Reformierten Adrian-Cornelis van Haemstede an die Seite stellte.416 Die Martyrologen kannten sich untereinander teilweise persönlich oder hatten doch wenigstens gemeinsame Freunde. Damit bilden sie Evangelischen Namenskalenders, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 19 (1975), 69–104. Vgl auch: Schulz, Frieder, Art. »Hagiographie IV. Protestantische Kirchen«, in: TRE 14, 377–380; Halkin, Hagiographie protestante. 414  Insgesamt gesehen mag es für die mittelalterliche und frühneuzeitliche Hagiographie zutreffen, daß sie »keine historiographischen Ansprüche« erhebt, sondern »zur Erzählungsliteratur« gehört und »dem liturgischen Heiligenkult, der Erbauung und Unterhaltung« dient: So Grundmann, Geschichtsschreibung, 29. Daß es aber sehr wohl möglich ist, aus ihr Aufschluß über das Geschichtsbewußtsein des Hagiographen zu erhalten, betont: Von der Nahmer, Dieter, Die lateinische Heiligenvita. Eine Einführung in die lateinische Hagiographie, Darmstadt 1994, 105. 415  CR 25,78. 416  Vgl. als einführende Überblicke v.  a . Gilmont, Jean-Francois, Les martyrologes du XVI siècle, in: Ketzerverfolgung im 16. und frühen 17. Jahrhundert, hg. v. Silvana Seidel Menchi, Wiesbaden 1992, 175–192; ders., Art. »Books of martyrs«, in: Oxford Encyclopedia of the Reformation 1, 195–200 (mit Literaturangaben); Gregory, Brad, Salvation at Stake. Christian Martyrdom in Early Modern Europe, Cambridge, Mass./London 1999, 165–196. Zur auf die protestantischen Vorbilder antwortenden katholischen Martyrologie Richard Verstegans (1587/88) vgl. Lestringant, Frank, Témoignage et martyre: donner à voir, donner à croire (XVIe-XVIIIe siècle), in: Revue des sciences humaines 269 (2003), 111–134.

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in gewisser Weise »something approaching a literary circle, a kind of protestant pleiade of the exile circuit«417. Rabus gehörte lose zu diesem Kreis; über den gemeinsamen Freund Sleidan ist immerhin eine Verbindung zu Crespin denkbar. Insgesamt ergibt sich aber der Eindruck, daß zwar v.  a. Foxe über die Schaltstelle Oporin mit Flacius und dessen Studienfreund Heinrich Pantaleon (der Foxes Werk fortsetzte) in Kontakt stand, daß aber Rabus als einziger NichtReformierter unter den vier Martyrologen der Jahrhundertmitte etwas abseits dieser Zirkelbildung stand.418 Ludwig Rabus wurde 1524 in Memmingen geboren und studierte in Tübingen und in Wittenberg Theologie. Ab 1544 war er Prediger am Straßburger Münster. Im Anschluß an das Interim, das er vehement ablehnte, verlor er seine Stelle und begann mit der Arbeit an seinem Märtyrerbuch. 1556 verließ er die Stadt wohl aus Konkurrenz zum Präses des Kirchenkonvents, Johann Marbach, und lieferte sich einen erbitterten Streit mit seiner ehemaligen Förderin Katharina Zell, deren gemeinprotestantischer Position er einen strikten lutherischen Konfessionalismus entgegenstellte. Er wurde Superintendent in Ulm, wo er bis zu seinem Tode im Jahre 1592 lebte. Unter seinen Freunden befanden sich Kaspar Hedio, Jacob Andreae und Johannes Sleidan.419 Foxes »Acts and Monuments« ist das erfolgreichste und bekannteste unter allen protestantischen Märtyrerbüchern; es wurde bis ins 19. Jahrhundert immer wieder aufgelegt und hat entscheidend zum frühneuzeitlichen englischen Selbstverständnis einer »Elect Nation« beigetragen.420 So erfolgreich war Rabus’ Märtyrerbuch nicht: Es wurde nach der achtbändigen Erstauflage von 1554–1558421 nur noch einmal, in chronologisch geglätteter und systematisierter Form, aufgelegt. Die zwei Foliobände – der Erstdruck war in Quart erschienen – wurden in den Jahren 1571 und 1572 publiziert und vom Straßburger Rat   Kelley, Martyrs, 1325; vgl. dazu auch: Gregory, Salvation at Stake, 167–169.   Vgl. Kelley, Martyrs. 419  Vgl. für ausführliche biographische Hinweise Kolb, For all the saints, 41–52; für Rabus’ Verhältnis zu Marbach und Katharina Zell siehe: Kaufmann, Thomas, Pfarrfrau und Publizistin – das reformatorische »Amt« der Katharina Zell, in: ZHF 23 (1996), 169– 218, hier 195–199. 420  Vgl. zur Diskusson um William Hallers ›Elect Nation‹-Konzept: Lotz-Heumann, Ute, Protestantismus und nationale Identität: England und Irland im 16. und 17. Jahrhundert, in: Muster und Funktionen kultureller Selbst- und Fremdwahrnehmung. Beiträge zur internationalen Geschichte der sprachlichen und literarischen Emanzipation, hg. v. Ulrike-Christine Sander/Fritz Paul, Göttingen 2000, 335–354; Asch, Roland G., An Elect Nation? Protestantismus, nationales Selbstbewußtsein und nationale Feindbilder in England und Irland von zirka 1560 bis 1660, in: »Gottes auserwählte Völker«. Erwählungsvorstellungen und kollektive Selbstfindung in der Geschichte, hg. v. Alois Mosser, Frankfurt a.  M. u.  a. 2001, 117–141. 421  Dieser Erstauflage ging ein lateinischer Versuch eines lexikalisch geordneten Verzeichnisses altkirchlicher Märtyrer unter dem Titel »De S. Dei confessoribus ueterisque Ecclesiae martyribus« von 1551 voraus. Vgl. Gilmont, Martyrologes, 177. 417 418

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mit 100 Talern subventioniert.422 Die Frage, warum Rabus kein deutscher John Foxe wurde, ist hier insoweit interessant, als die Rekonstruktion seiner Geschichtsdeutung Rückschlüsse auf sein Bild des gegenwärtigen Zustandes der Religion zuläßt, das möglicherweise von seinen Lesern nicht oder nur teilweise geteilt wurde. Rabus’ Werk trägt in der ersten Auflage den Titel »Historien der Heyligen Ausserwölten Gottes Zeügen, Bekenner vnd Martyrer«; die zweite Auflage ist im Obertitel nur noch mit »Historien der Martyrer« überschrieben423. Der erste von ihm aufgeführte Märtyrer ist Abel, dem Rabus verschiedene alttestamentarische Gestalten und eine große Zahl altkirchlicher Märtyrer zur Seite stellt. Aus dem Mittelalter führt Rabus Hus, Savonarola sowie einige englische Märtyrer aus dem Wyclif-Umkreis, nicht aber diesen selber auf; aus der Reformationszeit ist Luther verzeichnet, dem eine ganze Reihe verschiedener lutherischer Märtyrer des 16. Jahrhunderts folgen.424 »Despite the fact that the book started with the Old Testament, Rabus did not emphasize the continuity of the Christian tradition into the era of the Reformation. Rather, he jumped from the early church to the fifteenth and sixteenth centuries.«425

Schon anhand dieses kursorischen Befundes stellt sich die Frage, welches Geschichtsbild Rabus seinen Lesern präsentiert. Alle Bände enthalten Vorreden, in denen Rabus in verschiedene Aspekte seines Werkes einleitet oder Hinweise zum Verständnis gibt. Im folgenden soll versucht werden, aus diesen Vorreden Rabus’ unsystematisch dargelegte Deutung der Geschichte zu rekonstruieren, bevor dann auf einzelne seiner Märtyrerdarstellungen näher eingegangen wird. Die Vorrede zum ersten Band beginnt mit der Feststellung, daß sich die Kirche in einer Zeit der Verfolgung befinde, in der es wichtig sei, den Glauben nicht nur mit dem Herzen, sondern auch öffentlich zu bekennen. Das Bekenntnis der wahren Lehre macht den Gläubigen zum ›Bekenner‹; er ist Zeuge im Sinne der ursprünglichen Bedeutung des Märtyrerbegriffs und auch im Sinne der testes-Konzeption. Rabus legt nahe, daß die Differenz zwischen der Auffassung des Märtyrers als Bekenner und derjenigen als Blutzeuge höchstens graduell ist, weil die Märtyrer

  Vgl. Kleinschmidt, Stadt und Literatur, 182, Anm. 386.   Straßburg 1554–58; Straßburg 1571–72. Im folgenden werden die verschiedenen Ausgaben zitiert als: ›Rabus 1554/58‹ bzw. ›Rabus 1571/72‹. Darauf folgt die Bandnummer und die Seite. 424  Vgl. als ausführliche Untersuchungen zu Rabus’ Märtyrerbuch: Kolb, For all the saints, v.  a. 41–102; Burschel, Peter, Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit, München 2004, 51–81. Weitere Analysen zu Einzelaspekten sind an entsprechender Stelle nachgewiesen. 425  Gilmont, Books of Martyrs, 196. 422

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»mit freüden / vnd vnerschrocknem hertzen / nit allein bekennet / sonder auch vm der bekanntnuß willen / all ir Haab vnd Gütter / Mann / Weib / vnd Kinder / Hauß / Hoff vnd Acker / Jha auch diß zeytlich Leben / verloren haben.« 426

Wie im Titel seines Werkes anklingt, will Rabus sich nicht auf eine Konzeption des Märtyrers als Bekenner oder als Blutzeuge festlegen; der Gebrauch von ›Zeuge‹, ›Heiliger‹, ›Märtyrer‹ oder ›Bekenner‹ läuft ohne begriffliche Differenzierung nebeneinander her. Rabus besitzt keine vorgängigen systematischen Kriterien, nach denen er historische Gestalten in sein Werk aufnimmt, und rechnet daher offenbar mit Irritationen beim Leser. So ist der langen LutherVita im vierten Band ein Absatz vorangestellt, wo es heißt, Luther sei als »eines besondern / hohen Zeügen vnd theüren Bekenners des gekreützigeten Christi« zu gedenken, als »vnsers lieben Vatters vnd Propheten Teütscher Nation«427, auch wenn er nicht für seinen Glauben habe sterben müssen.428 Rabus besteht darauf, daß die Vorbildfunktion der ursprüngliche Sinn des Heiligengedenkens war, die erst in der mittelalterlichen Kirche zu Abgötterei entartet sei. Sein Vorhaben dagegen entspreche dem Gebrauch der Urkirche.429 Insofern trifft Kolbs Einschätzung, Rabus versuche, ein »evangelical substitute for the saints«430 zu entwerfen, jedenfalls nicht dessen Selbstverständnis; ihm geht es um das richtige Verständnis von Heiligkeit, nicht um die Ersetzung der Heiligen. Die urchristliche Praxis der Stärkung des Glaubens durch Heiligen- und Märtyrerexempel wieder aufzunehmen sei gerade in der Gegenwart besonders wichtig, denn es sei »zu disen vnsern letzten gefährlichen zeytten [. . .] vns jha anders nichts / auff welche das end der bösen Welt kommen ist / zuerwarten [. . .] / dann [. . .] die hinderlistige und gewaltsame Verfolgung des Widerchrists / welche auch alle andere weit vbertreffen würt«.431

Die »auff bauwung und erweitterung seyner H. Christlichen Kirchen / vnd viler Menschen Heyl und Ewige seligkeit«432 ist das Ziel von Rabus’ Vorhaben, das damit in den Kontext der Erbauungsliteratur gehört.433 Kann man erwarten, daß ein Erbauungstext dieser Art eine Deutung der Geschichte vorlegt? Sicher wird er nicht in derselben Weise wie das testes-Modell seine Anstrengung darauf richten, eine ununterbrochene Kontinuität der wahren Lehre aufzuzeigen. Rabus will in erster Linie zur imitatio der Heiligen aufrufen, während   Rabus 1554/58, 1, 3r-v.   Ebd., 4, j v. 428  Der Artikel über den Nürnberger Ratsschreiber Lazarus Spengler zeigt ebenfalls die Ambivalenz zwischen Martyrium und Testimonium: Vgl. ebd., 3, clxxiij v. 429  Vgl. ebd., 1, 4r. 430  Kolb, For all the saints, 46. 431  Rabus 1554/58, 1, 5r. 432  Ebd., 1, 5v. 433  Vgl. Hieber, Legende, 80–112. 426 427

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

Flacius stärker an einer Demonstration der Lehrkontinuität interessiert ist. Doch auch Rabus muß es darum gehen, an bestimmte urchristliche oder mittelalterliche Traditionen oder Personen anzuschließen und sie für die lutherische Sache zu vereinnahmen. »Für und für ist in der Kirchen Gottes dise Lehr von anfang der Welt / bis auff den heütigen tag / durch die Altvätter / Patriarchen / Propheten / Apostel / vnd andere erhalten / gepredigt / angenommen / vnd bekennet worden.«434

Diese »bestaendige Succession / Volg vnd Ordnung«435 belegt Rabus mit einem Zitat aus Melanchthons Trauerrede für Luther. Wie Melanchthon sieht er die Tradierung der apostolischen Lehre durch die Kirchenväter von Polykarp bis Prosper gewährleistet. Während aber Melanchthon diesen noch einige mittelalterliche Namen wie Bernhard von Clairvaux und Tauler folgen läßt, fügt Rabus nur hinzu: »Vnnd ob wol nach solcher zeyt erschröckliche finsternuß gefolget / Dieweyl die Rhömischen Bischöff sich Weltlichs Gewalts zue vil underzogen / So hat doch Gott der Herr für vnnd für etliche Gottselige fromme Doctorn vnnd Lehrer / erhalten / biß das er zu disen vnsern letzten gefährlichen zeitten / den Theiiren (!) Mann / Doctor Martinum Luther / heyliger vnd seeliger gedaechtnuß / in Teütscher Nation hat erwecket / durch welchen Reyne Lehr / vnd rechter Gebrauch der H. Sacramenten / widerumb ans liecht gebracht worden ist.«436

Rabus betont also einerseits den Verfall der Kirche, verweist aber andererseits auf »etliche Gottselige fromme Doctorn vnd Lehrer«. In seine Märtyrerkonzeption ist diese Kontinuität nicht eingegangen: Sie beinhaltet wie gesagt nur biblische, altkirchliche, spätmittelalterliche und reformationszeitliche Gestalten. Ist Rabus einfach nicht daran interessiert, die Kontinuität der Lehre und der Bekenner auch durch das Mittelalter aufzuzeigen? 437 Oder gelingt es ihm nicht, Zeugen- und Kontinuitätsmodell mit seiner Konzeption des Bekenntnisses und des Martyriums zu verbinden? 438 Aufschlußreich für diese Fragen ist die Vorrede zum zweiten Band der Ausgabe von 1571/72, in der Rabus darlegt, man könne ohne weiteres die ununterbrochene Sukzession der testes beweisen, aber das sei gar nicht sein Ziel, weil dies schon in anderen, speziell für diesen Zweck verfaßten Büchern geschehen sei.439 Unter Anspielung auf Flacius macht Rabus also deutlich, daß es ihm nicht darum geht, die Lehrkontinuität aufzuzeigen;   Rabus 1554/58, 3, A 6v.   Ebd., 3, A 7r. 436  Ebd., 3, A7–8v. 437  So die Ansicht von Gilmont, Martyrologes, 178; Burschel, Sterben und Unsterblichkeit, 68 u. 76, geht eher von einer konzeptionellen Umorientierung von Exemplarität zu Kontinuitätsnachweis aus, die aber historiographisch nicht durchschlägt. 438  So Kolb, For all the saints, 96: »Rabus failed to weave this theology (i.e. die Märtyrertheologie, M.  P.) effectively into the history of the world, or the German people.« 439  Vgl. Rabus 1571/72, 2, A iij r. 434 435

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für ihn steht diese vielmehr ohnehin fest. Explizit behauptet er, die lutherische Lehre sei identisch mit der Adam und Eva von Gott im Paradies gelehrten. Dagegen seien der heidnische Aberglaube, der Islam und die antichristliche Lehre der Altgläubigen »ein neüwe erfundne vnd erdachte lehr«.440 Dies muß Rabus nicht beweisen, denn seine Perspektive ist eine andere: Die Geschichte der Welt und damit der Kirche zeigt sich ihm als eine Geschichte nicht nur des Bekenntnisses, sondern vor allem als Geschichte von Kampf und Verfolgung. Die Kirche wie der einzelne Christ befinden sich in einem »stetigen / vnauff hörlichen / vnd für vnd für werenden / ernstlichen Kampff vnd Streit«.441 Diese an sich topische Einschätzung gewinnt für Rabus als Interimsgegner eine neue, dramatische Qualität, die sich zu einem gleichsam ›paranoiden‹ Geschichtsbild verdichtet: Verfolgung ist die Quintessenz der Kirchengeschichte, sie ist geradezu ein Kennzeichen der Kirche, zumindest aber ein Indiz für die Wahrheit ihrer Lehre.442 Rabus faßt die Verfolgung der Wahrheit wie Luther als nota ecclesiae auf – auch wenn er, anders als dieser, in ihr nicht in erster Linie ein Geschenk Gottes an seine Auserwählten sieht 443, sondern sie aus der Sündenverfallenheit der Menschen, der Verfolgung des Satans und der Notwendigkeit der Nachfolge Christi erklärt.444 Die Verfolgung war, wie gezeigt wurde, auch bei Flacius tragendes Element seiner Geschichtsdeutung. Bei Rabus geht aber eine ähnlich dramatische Einschätzung der Verfolgungssituation eine Verbindung mit der Gattung des Martyrologiums ein; das führt zur Konzentration auf die blutige Verfolgung. Der verfolgte Christ der Vergangenheit wird dabei nicht nur als stärkendes Exempel für die Gegenwart verstanden, sondern er personifiziert überhaupt die Geschichte der Kirche. Nicht zufällig beginnt Flacius den Catalogus mit Petrus, geht es ihm doch um eine lutherische Variante der apostolischen Sukzession. Rabus dagegen setzt mit Abel ein; sein erster Märtyrer präfiguriert die gesamte Geschichte der Kirche. Im Anschluß an Augustin führt er aus, der ermordete Abel sei »ein figur vnd vorbild gewesen / der Allgemeynen Heyligen Christlichen kirchen«.445 Abel ist somit nicht nur der erste Verfolgte, sondern der Gründer der Kirche. Die altkirchliche Diskussion, ob die Kirche bereits vor dem Erscheinen Jesu bestanden habe, wird damit in der Reformationszeit aktualisiert.446 Rabus versteht die wahre Kirche als ecclesia ab Abel, die er in erster Linie als Gemeinschaft der Verfolgten akzentuiert.   Rabus 1554/58, 3, A iiij r.   Rabus 1571/72, 2, A iij v. 442  Vgl. Rabus 1554/58, 2, Vorrede, passim. 443  Vgl. Kolb, God’s Gift of Martyrdom, v.  a . 408–410. Relativierend zu Luthers Märtyrerverständnis: Bagchi, Luther and the Problem of Martyrdom. 444  Vgl. Rabus 1554/58, 2, 4 r-5 r. 445  Ebd., 1, ij r. 446  Vgl. Congar, Ecclesia ab Abel; Oberman, Forerunners, 19–27. 440 441

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»Es hat je / die H. Allgemeine / Christliche / vnd Streittende Kirche / hie auf Erden / in beiden Testamenten / vnd nemlich im Alten / durch das vnschuldige Blut / des gerechten Abels. Im Newen aber / durch das vnschuldige Blut / der Bethlehemitischen / Vnmündigen / und Minderjährigen Kindlein / ihrn Blutigen Anfang / vnd Eingang gehabt vnd genommen.« 447

Damit kann Kirchengeschichte als Märtyrergeschichte geschrieben werden, die nicht vollständig sein wird, aber doch ihren zentralen Aspekt umfaßt. Der Befund, daß Rabus nach den biblischen und altkirchlichen Märtyrern keine Kontinuität des Martyriums in der mittelalterlichen Kirche aufweist, sondern erst mit Märtyrern des 14. Jahrhunderts wieder einsetzt, legt die Frage nahe, wie es um den Zustand der mittelalterlichen Kirche bestellt war. Rabus spricht unspezifisch von der »erschröckliche(n) finsternuß«448 der Zeit nach der Alten Kirche. Gleichzeitig behauptet er aber, daß dem fortschreitenden Verfall der Kirche eine wachsende Zahl von Märtyrern der wahren Lehre entspreche: Wie Flacius verbindet er also die Dekadenz der römischen Kirche mit der gottgewirkten Kontinuität der Vertreter der wahren Lehre. Die Zahl der Märtyrer sei im Laufe der Geschichte »nicht allein zu keiner Zeit / mit nichten [. . .] / geringert / vnd geschmälert worden / Sondern für vnnd für / von Tag zu Tag / je lenger vnd mer zugenommen«.449 Diese Verbindung von Verfalls- und Kontinuitätsperspektive entspricht nun offenbar nicht den von Rabus präsentierten Märtyrern: Statt dessen findet sich ein weitgehend märtyrerloses Mittelalter und – in der Prominenz des Martyriums – eine enge Verbindung zwischen »erster Kirche« und »letzten zeiten«.450 Diese Auswahl, die das Mittelalter als märtyrerlose Zeit ausspart, führt zu einer spezifischen Annahme hinsichtlich der Qualität und Quantität von Verfolgungssituationen. Rabus weist darauf hin, daß es nach Augustin drei Arten von Verfolgung gebe, die er als zeitliche Abfolge präsentiert: Die erste Phase der »violentia«, der gewaltsamen Verfolgung der Christen, werde durch die römischen Kaiser von Nero bis Valens repräsentiert.451 In der zweiten Phase der »fraudulenta« hätten, ebenfalls noch in der Alten Kirche, unterschiedliche Häretiker versucht, ohne offene Gewaltanwendung, dafür aber voller Hinterlist und Betrug die wahre Lehre zu zerstören. Die dritte Phase umfasse die (hinsichtlich ihrer Dauer nicht spezifizierte) Verfolgung des Antichristen, der die Kirche in der Gegenwart ausgesetzt sei.452 Und nun folgt ein bemerkenswertes Argument: »Derhalben / ob wol vor diser zeyt (da nemlich der Teüffel seinen Pallast seins gefallens besessen vnd im friden verwaltet hat) keine besondere verfolgung fürgangen / Wie man   Rabus 1571/72, 1, a iij v.   Rabus 1554/58, 3, A7. 449  Rabus 1571/72, 1, a iij v. 450  Vgl. Rabus 1554/58, 2, vj r. 451  Ebd., 4, iiij r- X iij v. 452  Vgl. ebd., 4, X iiij v. 447 448

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dann noch heüttigs tags / nicht vil Papisten findet / die da etwas vmb ihres vermeynten Gottes diensts willen wurden leyden.«453

Die mittelalterliche Kirche, so Rabus also, hat kaum eine nennenswerte Verfolgung, mithin auch keine Märtyrer, gekannt, weil erstens der Teufel in Gestalt des römischen Papstes in relativem Frieden regiert habe, zweitens aber, weil die Anhänger des Papstes ja weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart eine Neigung dazu zeigen, um des Glaubens willen Verfolgung auf sich zu nehmen. Durch diese Gleichsetzung der mittelalterlichen Kirche mit dem gegenwärtigen Katholizismus relativiert Rabus seine Behauptung der Kontinuität der lutherischen, verfolgten Lehre. Die Verfallsperspektive, die schon die Auswahl seiner Märtyrer nahelegt, gewinnt also gegenüber der Kontinuitätstheorie ein starkes Übergewicht. Mit der Verfolgung Hus’, Savonarolas sowie Luthers und seiner Anhänger habe, so Rabus, die Endzeit begonnen.454 Unklar bleibt, wo innerhalb des Schemas der drei Verfolgungen die vor Hus verfolgten englischen Lollarden des frühen 15. Jahrhunderts anzusiedeln sind, sowie auch die Fragen, ob die antichristliche Verfolgung wirklich bereits mit Hus begonnen habe455 , ob Luther in ihrem Verlauf eine besondere Rolle zukommt und welche Bedeutung das Interim besitzt. In der Ausgabe von 1571/72 bemerkt Rabus, die Erstausgabe habe deshalb so unsystematischen Charakter besessen, weil sie in großer Eile verfertigt worden sei. Diese Eile sei dem Eindruck geschuldet gewesen, daß die Gegenwart – also die frühen fünfziger Jahre – den Beginn der antichristlichen Verfolgung darstelle, die dann in das Weltende übergehen würde.456 Möglicherweise will Rabus mit dieser Einschätzung, die ja seiner Vorstellung widerspricht, mit Hus habe die dritte Verfolgung begonnen, nur die gesteigerten apokalyptischen Erwartungen der Interimszeit zum Ausdruck bringen.457 Doch an dieser Stelle ist zu sehen, wie willkürlich einzelne Elemente aus dem überlieferten Reservoir geschichtstheologischer Tradition rekombiniert werden konnten. Mit Jan Hus, so ist letztlich der vorherrschende Eindruck, beginnt für Rabus die letzte, die antichristliche Verfolgung. Wie Luther458 sieht er in der Verbrennung von Hus in Konstanz den Einsatzpunkt dieser letzten Phase der Geschichte. Dies, und nicht etwa eine theologische Übereinstimmung, macht Hus zur   Ebd., 4, X iiij v- )( i r.   Ebd., 4, X iiij v- )( i r. 455  So z.  B. ebd., 4, X iiij v- )( i r. 456  Vgl. Rabus 1571/72, 2, A iiij r. 457  Die Ablehnung des Interims verbindet sich bei Rabus nicht mit offener Parteinahme für den Magdeburger Kreis um Flacius oder Polemik gegen Melanchthon. Der »hochgelehrt herr Philippus Melanthon« wird im Kapitel über Luther mehrfach positiv erwähnt. So habe er z.  B. »auß sonderlichem herzlichen mitleyden / vnd Kirchen zutrösten / ein schöne Funebrem Orationem gethon« (Rabus 1554/58, 4, ccxxxij v). 458  Vgl. Oberman, Vorläufer; ders., Luther und Hus. 453 454

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»key figure in Lutheran historiography«.459 Der Fluchtpunkt der flacianischen Konzeption, auf den alles zulief, war Luther, weil mit ihm ein qualitativ neues Stadium der Geschichte, nämlich die Endzeit, erreicht war. Anders Rabus: Hus ist der erste Märtyrer der dritten, letzten Verfolgung. Welche Rolle kommt dann Luther zu? Rabus sieht in ihm ein Werkzeug Gottes zur Restituierung des Evangeliums und den »dritte(n) Elias«.460 Die Kirche, die immer eine Gemeinschaft der Verfolgten war, wird auch in der letzten Bedrängnis des Antichristen vor dem Jüngsten Tag blutig leiden müssen: »So lassen sich dise vnsere Gegenwerigen / letzten / betrübten / trawrigen / vnd gefaehrliche zeiten [. . .] anderst nicht ansehen / dann das die selbige Heilige / Allgemeine / Christliche Kirch / so ihren anfang auch fürt vnd auffgang im Blut / für vnd für / gehabt vnd genommen / Auch schließlich vnd letztlich / ihr final / ende vnd außgang / mit / im / vnnd durch das Blut frommer Gottseliger Christenleüt [. . .] ob Gott will / bald / bald / haben / bekommen / vnd nemen werde.«461

Rabus’ Erwartung, daß die Kirche vor dem endgültigen Weltende noch eine Zeit blutiger Verfolgung wird erleiden müssen und schließlich das Weltende sich »mit / im / vnnd durch das Blut frommer Gottseliger Christenleüt« vollziehen wird, lenkt den Blick noch einmal auf die Gattungszugehörigkeit seines Werkes: Als ›Martyrologium‹ schwankt es zwischen der Vorstellung des Märtyrers als Blutzeuge und derjenigen des Märtyrers als Bekenner. Dieses Schwanken wird dadurch verständlich, daß Rabus die Geschichte der Kirche in der Welt im allgemeinen und die Gegenwart im besonderen für so dramatische Verfolgungssituationen hält, daß die Bezeugung der wahren Lehre fast zwangsläufig zum Opfertod führen muß. Spielt in der mittelalterlichen und auch nachtridentinisch-katholischen Heiligenauffassung das Zusammenwirken von Glauben und guten Werken eine große Rolle, so fallen diese beiden Eigenschaften in der protestantischen Auffassung zusammen462 , vor allem in der Situation der Verfolgung. Bekenntnis und Opfertod bilden in der Regel eine unlösbare Einheit. Das kompromißlose Bekenntnis ist die gute Tat des Protestanten. Nach der Analyse der Rabus’schen Konzeption soll jetzt die Faktur der Märtyrerviten betrachtet werden. Das achtbändige Werk umfaßt insgesamt mehrere hundert Lebens- und Sterbensdarstellungen biblischer, frühchristlicher, spätmittelalterlicher sowie reformationszeitlicher Gestalten. Die einzelnen Märty­ rern und Heiligen gewidmeten Kapitel umfassen dabei zwischen einer Seite und ca. 500 Seiten (so das Kapitel über Luther). Im ersten Band finden sich nur biblische Gestalten und frühchristliche Märtyrer, im zweiten Band sind v.  a. reformatorische Märtyrer sowie Hus und Hieronymus von Prag aufgeführt, im   Kolb, For all the saints, 60.   Vgl. Rabus 1554/58, 3, A7–8v; 1554/58, 4, )( i r. 461  Rabus 1571/72, 1, a iij v-a iiij r. 462  Vgl. Schenda, Legendenpolemik, 47. 459 460

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dritten Band finden sich neben Märtyrern des 16. Jahrhunderts auch einige englische Märtyrer des späten 14. und frühen 15. Jahrhunderts, im vierten Band schließlich nur die Viten von Savonarola und Luther. Die Bände fünf bis acht enthalten ausschließlich verfolgte Lutheraner der Zeit zwischen 1517 und 1550.463 Zu Rabus’ Quellen, die er gelegentlich offenlegt, zählen neben Sleidans Commentarii und historiographischen Schriften von Hedio, Bale und Foxe auch eine Reihe zeitgenössischer Flugschriften.464 Einige Artikel sind unverändert von anderen Autoren übernommen, so z.  B. die Viten von englischen Wy­ clif-Anhängern aus Schriften von Bale und Foxe.465 Sie lagen, so muß man schließen, einfach bereit und konnten problemlos in Rabus’ Argumentation eingefügt werden. Daß beispielsweise Wyclif selbst nicht aufgeführt ist, dürfte seinen Grund also weniger in dem Umstand haben, daß Rabus Wyclif nicht als Märtyrer angesehen hätte, sondern mehr in der Tatsache, daß Rabus bei der Abfassung seines Werks keine Wyclif-Vita vorlag.466 Die Artikel sind, so hat Wolfgang Hieber herausgearbeitet, im wesentlichen um einige zentrale Motive herum organisiert. Diese Motive entsprechen weitgehend der Darstellungsweise spätmittelalterlicher Heiligenlegenden. Es finden sich die Bekehrung des Bekenners, die meist durch das Erlebnis einer herausragenden Predigt verursacht wird; die Verfolgung, die erbaulich, belehrend und tröstend ins Exemplarische überführt wird; die Versuchung des Bekenners durch Repräsentanten der Gegenseite und die vergebliche Aufforderung zum Widerruf; schließlich der Märtyrertod.467 Die immer wieder zu beobachtenden Anklänge an Christi Passion – in der Abfolge: Festnahme durch eine geistliche Gewalt, Übergabe an ein weltliches Gericht, mehrere Verhöre, Szenen der Verhöhnung durch eine Volksmenge, schließlich letzte Worte des Sterbenden – sollen den Leser zur Nachfolge Christi in Bekenntnis und Leidensbereitschaft anspornen. Die Bekenntnisse, die die Märtyrer vor ihren Verfolgern ablegen, sind fast ausschließlich mündliche Bekenntnisse. Dies ist deshalb zu betonen, weil Ra463  Einzelanalysen v.  a . zu den Märtyrern des 16. Jahrhunderts finden sich bei Hieber, Legende, sowie bei Kolb, For all the saints, 58–81. 464  Vgl. Gilmont, Martyrologes, 179. 465  Vgl. Hadfield, John Bale, 55. 466  Ein generelles Desinteresse lutherischer Autoren an Wyclif konstatiert Kolb, Robert, »Saint John Hus« and »Jerome Savonarola, Confessor of God«. The Lutheran »Canonization« of Late Medieval Martyrs, in: Concordia Journal 17 (1991), 404–418, hier 407. Dieser Einschätzung ist, soweit man dies absehen kann, zuzustimmen. Daß das Fehlen Wyclifs in Rabus’ Werk aber eher auf Desinteresse beruht als auf dem Fehlen einer ausschreibbaren Vita, ist dennoch fraglich. 467  Vgl. Hieber, Legende, 162–165 sowie 207  f . Gegenüber der spätmittelalterlichen Heiligenlegende fällt auf, daß die Versuchung manchmal zur echten Glaubenskrise ausgebaut wird.

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bus, im Gegensatz etwa zu Flacius, nicht an die Tradition des Schriftstellerkatalogs, sondern an die legendarische Hagiographie anschließt. Auch dieser Umstand dürfte zum Übergewicht der Verfalls- vor der Kontinuitätsperspektive beigetragen haben: Rabus’ Orientierung nicht an hinterlassenen Schriften, sondern am Leben und Sterben der Märtyrer läßt ihn (neben den altkirchlichen Märtyrern) solche Gestalten präferieren, deren Leben erst relativ kurz zurückliegt, so daß es günstigenfalls noch Augenzeugenberichte gibt.468 »Like most martyrologists, Rabus knew the value of grisly detail«469 – was sich z.  B. an der extensiven Nutzung fiktionaler Elemente wie der Dialogform ablesen läßt.470 Die dramatische Zuspitzung der Geschehnisse ist gut an dem langen Lutherkapitel zu beobachten, das, anders als die meisten anderen Passagen, theologische Dokumente, Briefe, Katechismen, Entwürfe für Glaubensbekenntnisse und auch Melanchthons Trauerrede enthält.471 Den Höhepunkt dieser frühen Luther-Vita bildet, wie in Spangenbergs Lutherbiographie (vgl. Kap. B.II.2), nicht der Augsburger Reichtstag von 1530 (an dem Luther ja gar nicht teilnahm, der aber als kleinster gemeinsamer Nenner in den innerprotestantischen Streitigkeiten der zweiten Jahrhunderthälfte eine hohe Autorität besaß), sondern der Wormser Reichstag von 1521. Dies verdeutlicht Rabus auch typographisch: Gegen Ende seiner Schilderung des Wormser Reichstags greift er zu dem Mittel, besonders zitatwürdige Aussprüche Luthers und seiner Gegner in doppelter Schriftgröße anzuführen, um ihnen zentrales Gewicht zu verleihen und die sofortige Aufmerksamkeit auch des flüchtigen Lesers zu fesseln.472 Der dramatische Höhepunkt der Schilderung des Reichstags ist Luthers berühmte Schlußrede, wo die angeblichen Worte Luthers wiederum in doppelter Schriftgröße erscheinen: »Hie stehe ich / Ich kan nit anders / Gott helffe mir / Amen.«473 Dieser Ausspruch Luthers steht nicht nur formal in der Mitte des Werkes, nämlich im vierten Band, sondern ist auch die zentrale Formel, die die Haltung des Märtyrers exemplarisch zusammenfaßt. Luthers Worte sind das Paradigma des todesmutigen Bekenntnisses, auch wenn er schließlich nicht hingerichtet wurde.474   Vgl. Cameron, Medieval Heretics, 190; Hieber, Legende, 149.   Kolb, »Saint John Hus«, 409. 470  Vgl. z.  B. Rabus 1554/58, 3, ij r-xxxij r (Vita William Thorpes). 471  Vgl. ebd., 4, j r-ccxliiij v. Die Bilder, die der Luthervita beigefügt sind, stellen die früheste zusammenhängende Serie von Lutherillustrationen dar. Vgl. Kruse, Luther-Illu­ strationen, 70. 472  Dies gilt beispielsweise für Luthers Satz: »Das wort Gottes leydet not.« (Rabus 1554/58, 4, lxcj v) Ebenfalls groß gedruckt ist ein Ausspruch Karls V. bezüglich des Luther zugesagten freien Geleits: »Was man zusagt / das soll man halten« (ebd., 4, lxxiij v) – ein Satz, der vor dem Hintergrund von Hus’ Schicksal besonderes Gewicht gewinnt. 473  Ebd., 4, lxxix v. Zur widersprüchlichen Überlieferung von Luthers Wormser Schlußworten in Drucken, die direkt im Anschluß an den Reichstag erschienen, vgl. WA 7,857–865, v.  a. 860. 474  Vgl. dazu die Bemerkung in: ebd., 4, j v. 468 469

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Das Kapitel über Hus475 beginnt mit dem Jahr 1411, in dem dieser zuerst seine Kritik am Papsttum artikulierte. Rabus schildert die darauf folgenden Untersuchungen, die Reise zum Konstanzer Konzil und seine herzliche Aufnahme in Deutschland. Höhepunkt des Kapitels ist das Konzil selbst. Rabus legt viel Wert darauf, die Hinterhältigkeit und Brutalität der Verfolger zu schildern476 und hebt Hus’ Papstkritik und seine Abendmahlsauffassung hervor, also die Punkte, in denen er am offensichtlichsten mit Luther übereinstimmte.477 Die Bosheit der Hus-Gegner dürfte demnach auch die Funktion besitzen, den Blick von der Unterschiedlichkeit der Positionen Hus’ und Luthers auf die verbindende Tatsache der Verfolgung zu lenken; Euan Cameron charakterisiert dies zutreffend als »preoccupation [. . .] with the wrongness of the persecutor, rather than the complete rightness of the victim«.478 Dieses Verfahren lutherischer Identitätsstiftung über historische Gestalten, von denen sowohl Luther als auch seinen Nachfolgern wohlbekannt war, daß ihre Lehre kaum als ›lutherisch‹ im engeren Sinne gelten konnte, findet sich merkwürdigerweise gerade bei Gegnern des Interims wie Flacius oder Rabus, also Autoren, die in der innerlutherischen Auseinandersetzung nicht bereit waren, ›Adiaphora‹ zuzugestehen. Rabus’ Martyrologium war im Vergleich beispielsweise zu Flacius’ Catalogus nur mäßig erfolgreich und erlebte nach der Erstauflage nur noch eine Ausgabe. Es wurde aber als Vorlage für Historiographie und als Exempelsammlung für lutherische Prediger schnell einschlägig.479 Dieser relative Mißerfolg des Werks ab den 1570er Jahren kann auf mehrere Gründe zurückgeführt werden: Erstens stellte seine unsystematische Darstellungsweise ein Hindernis für eine breite Rezeption dar. Zweitens hätte die Neuauflage des umfangreichen Werks ein erhebliches verlegerisches Risiko bedeutet. Drittens kann angenommen werden, daß der funktionierende Augsburger Religionsfrieden den Eindruck, eine akut verfolgte Kirche zu sein, zeitweise abschwächte.480 Eine subtilere Variante des Themas der verfolgten Kirche bot viertens Flacius’ Catalogus, der ab 1573 auf deutsch vorlag. Ein weiterer Grund dafür, daß Rabus’ Werk nicht so einen Erfolg verzeichnen konnte wie z.  B. Foxes »Acts and Monuments«, liegt nach   Vgl. ebd., 2, xlv r-xcvij v.   So sprechen Kriegsknechte zu ihm: »Ha / Ha / Ha / jetztund haben wir dich in vnserm gewalt vnd händen / darauß du nit entgehen würst / biß du auch den letzten heller [. . .] bezalest.«: ebd., 2, lv v. 477  Vgl. Kolb, »Saint John Hus«, 408. 478  Cameron, Medieval Heretics, 195. Das in gewissem Sinne ›gemeinprotestantische‹ und damit wenig konfessionell markierte Profil der Martyrologien der Jahrhundertmitte konstatiert auch Gregory, Salvation at Stake, 184; Burschel, Sterben und Unsterblichkeit, 71, weist ebenfalls auf die Ambivalenz zwischen dem Anspruch auf konfessionelle Reklamierung der Märtyrer und ihre faktisch von Luther differerierenden Lehren hin. 479  Vgl. Hieber, Legende, 82. 480  Vgl. Gilmont, Martyrologes, 179. Anders stellt sich die Situation für die vom Religionsfrieden nicht eingeschlossenen Reformierten dar, die eine florierende Märtyrerliteratur besaßen: Vgl. Brückner/Brückner, Zeugen des Glaubens, 539. 475 476

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Robert Kolb im fehlenden »nationalistic appeal«.481 Zwar heißt es auch bei Rabus ausdrücklich, Gott habe im Jahr 1517 »das Gnadreyche Liecht / seines H. Worts / Teiitscher Nation gnädigklich / hat leüchten vnd scheynen lassen«482 , aber die Theorie einer erwählten Nation leitete er daraus nicht ab. Dies verwundert nicht angesichts der Tatsache, daß sich um 1550 bereits eine Allianz zwischen Territorialstaaten und Religionsparteien gebildet hatte.483 Ein letzter Grund, der einer breiten Rezeption von Rabus’ in stattlichen Foliobänden wiederaufgelegtem Werk entgegenstand, war das gleichzeitige Entstehen einer (sich in hohem Maße auf Rabus’ Darstellung stützenden) handlicheren Heiligenkalenderliteratur (vgl. Kap. B.VI.). Zusammenfassend bleibt zu sagen: Wegen seiner weitgehenden Orientierung an einem Märtyrerbegriff, der vor allem den Blutzeugen einschließt, ist Rabus’ Konzentration auf Zeiten großer Verfolgung, also die Perioden Alte Kirche, Spätmittelalter und Reformationszeit verständlich. Dies führt dazu, daß das traditionsstiftende Modell der ›Märtyrer‹ Züge einer inversen Ketzergeschichte trägt sowie viel einseitiger als das der testes veritatis den mittelalterlichen Verfall der Kirche betont, eben weil diese Epoche eine weitgehend märtyrerlose Zeit gewesen ist – was Rabus, wie gezeigt, nur halbherzig eingesteht. Wenn Rabus und Flacius also in der Einschätzung der Gegenwart als Verfolgungssituation übereinstimmen, ist Flacius doch in seiner historischen Darstellung differenzierter und weitgehender an theologischen Kriterien der Zeugenauswahl interessiert; er würde kaum behaupten, daß alle seine testes – Ketzer und Konziliaristen, Päpste und Kaiser – Opfer und Verfolgte waren. Anders als Rabus kann er deshalb eine große Zahl von historischen Gestalten aus der mittelalterlichen Kirche aufführen. Rabus dagegen geht es weniger als Flacius darum, möglichst viele Heroen des mittelalterlichen Katholizismus für die causa Lutheri zu reklamieren. Seine Konzeption erscheint konsequenter als lutherische »Gegengeschichte«484. c)  »propter fidei rectae confeßionem«: Die Ambivalenz des Märtyrerdiskurses Rabus’ Werk blieb das einzige größer dimensionierte lutherische Märtyrerbuch. Dies hatte zum Teil wohl dieselben Ursachen, die auch einen größeren Erfolg seines Buches verhinderten: Die Situation des Religionsfriedens (und eben nicht die des auf Dauer gestellten Interims) könnte – verglichen mit der florierenden reformierten und täuferischen Märtyrerliteratur – das Thema im   Kolb, For all the saints, 60.   Rabus 1554/58, 4, X j v-)( r. 483  Vgl. Schilling, Nationale Identität, 237 sowie 243. 484  Der Begriff stammt von Fuchs, Protestantische Heiligen-memoria, 593, der allerdings zwischen Flacius’ und Rabus’ Auffassung nicht differenziert. 481 482

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Luthertum etwas in den Hintergrund gerückt haben. Dessen Märtyrerdiskurs war in der Regel weniger blutig, sondern bezog sich in mehr oder minder expliziter Weise auf die testes-veritatis-Diskussion. Oben ist ausgeführt worden, daß das das Martyrium essentiell zur Selbstdeutung der Gnesiolutheraner gehöre. Nun ist Rabus sicher theologisch nicht profiliert genug, um ihn sinnvoll als Gnesiolutheraner klassifizieren zu können; aber auch er ist ein ›Radikaler‹, der das Martyrium eher glorifiziert als in ihm (nur) eine letzte Konsequenz zu sehen. Auch wenn keine florierende Märtyrerliteratur im engeren Sinn existierte, blieb doch die Märtyrer-Idee essentieller Bestandteil lutherischer Selbstbeschreibung: Die Kirchengeschichtsschreibung behandelt regelmäßig den Märtyrer-locus, die Heiligenkalender beziehen selbstverständlich Märtyrer ein, und man findet kaum ein theologisches Werk, in dem nicht en passant diese oder jene Gestalt als Märtyrer gekennzeichnet wäre. Wegen der fehlenden Verfolgungserfahrung bestand aber anders als im westeuropäischen Calvinismus keine Notwendigkeit, den Märtyrerdiskurs weiter auszudifferenzieren und eigene Präsentationsformen auszubilden. Die Behauptung, daß der Märtyrerdiskurs eher eine unauffällige Hintergrundpräsenz besitze, ist natürlich weder quantitativ noch qualitativ leicht zu belegen. Deswegen soll dies auch gar nicht ausführlich versucht werden. Statt dessen sollen zur Differenzierung und Einordnung des Rabus’schen Martyrologiums zwei weitere Aspekte des lutherischen Märtyrerdiskurses in den Blick genommen werden. Zunächst soll die Grundierung der lutherischen Konfessionskultur mit dem Märtyrerthema (um nicht zu sagen: mit dem Märtyrerblut) eingehender beschrieben werden, dann sollen noch einige Beobachtungen zu den ›Märtyrern‹ Hus und Savonarola – als den prominentesten Beispielen – gemacht werden. Die eingeschränkte Gegenwartsrelevanz des Themas für lutherische Autoren führte zu einer Hinwendung zu altkirchlichen Märtyrern, deren Leben und Leiden häufig metonymisch als Deutungshorizont der eigenen Gegenwart genutzt wurde. Das Martyrium war aus lutherischer Perspektive in der Situation des Religionsfriedens eher ein Element der allgemeinen conditio christiana denn hochdramatische Gegenwartsdiagnose. Dies gilt zum Beispiel für Hieronymus Wellers Märtyrerhistorien von 1573, die sich auf die Alte Kirche beschränken. In der deutschen Fassung (1580) wird zwar wiederholt darauf verwiesen, daß Christsein und Verfolgtsein im wesentlichen identisch seien, und Wellers Übersetzer Michael Hempel sieht die Kirchengeschichte auch in eine endzeitliche Phase eingetreten.485 Doch die moralische Ausdeutung von etwa 35 altkirch485  Vgl. Weller, Hieronymus, Historien Etlicher Merterer / vnd etliche vorneme schöne Trostsprüche aus dem Alten vnd newen Testament . . ., Magdeburg 1580, )( )( ij v. – Luthers Freund Weller (1499–1572) blieb trotz zahlreicher Angebote Theologieprofessor

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lichen Märtyrern zeigt keine spezifisch konfessionelle Ausrichtung. Allerdings, und dies weist über den Bereich der Märtyrerhistoriographie hinaus, interessiert sich Weller für die gegenwärtig nur potentielle, aber jederzeit aktualisierbare Frage, wie sich der individuelle Christ und vor allem der Pfarrer in einer Verfolgungssituation verhalten solle. Er optiert dafür, daß der Pfarrer zwar selbst bekennen und möglicherweise das Martyrium erleiden, aber nicht seine Gemeinde in den Tod schicken muß, sondern sie in Sicherheit bringen kann. Diese Entscheidung resultiert aber nicht aus humanitären Erwägungen, sondern aus der Einsicht, daß ein guter Pfarrer »beides der starcken vnd schwachen im glauben warnemen« und die Schwachgläubigen so erziehen muß, »auff das ihr schwacher glaube von tag zu tage zuneme [. . .] das sie dermal eines / wegen des Herren Christi alle gefahr ausstehen / ja auch das leben darüber zu wagen / und zuuerlieren bereit / vnd willig befunden mögen werden.«486

Das Martyrium ist also nur aufgeschoben. Dabei ist Weller nicht einmal ein besonders radikaler oder dogmatisch kompromißloser Lutheraner.487 Dies ist dagegen ein Autor, der sich zur betreffenden Frage ähnlich ambivalent äußert: der pomesanische Bischof Johannes Wigand (1523–1587), dessen umfangreiche, aus der Arbeit an den Magdeburger Zenturien hervorgegangene Märtyrermonographie 1580 erschien.488 Auch für Wigand ist Leiden die Essenz des Christentums, und wenn auch das Licht des Evangeliums vor fünfzig Jahren aufgegangen sei – ein Bezug auf die Invariata von 1530 und damit zugleich antireformierte Spitze –, sei doch Leiden und Verfolgung heute zumindest eine jederzeit aktualisierbare Möglichkeit.489 Wigand argumentiert systematisch, bringt hier und da historische Exempla, arbeitet aber keine historiographische Darstellung des Martyriums aus. Die Märtyrerhistorien seien bereits bekannt, es sei daher unnötig, sie in einem »catalogus« ein weiteres Mal darzustellen.490 Als Hintergrundthema ohne große publizistische Ausdifferenzierung ist also die Geschichte der Märtyrer ständig präsent, auch wenn dabei – wie oben darim heimischen Freiberg; vgl. Müller, Georg, Art. »Weller, Hieronymus«, in: ADB 44, 472–476. 486  Weller, Historien, 88  f . 487  Vgl. Müller, Art. »Weller«, 473. 488  Vgl. Wigand, Johannes, De persecutione piorum, exiliis piorum, exiliis facinorosorum, martyriis piorum, Pseudomartyriis, fuga ministrorum uerbi, constantia, apostasia, patientia, Frankfurt a.  M. 1580; zu diesem Thema der Passus ›fuga ministrorum verbi‹. – Wigand ist eine bisher zu wenig untersuchte »key figure [. . .] in the development [. . .] of Lutheran orthodoxy« im Sinne einer dogmatischen und dogmengeschichtlichen Systematisierung. In diesen Zusammenhang gehört auch die Märtyrermonographie. Vgl. knapp: Diener, Ronald E., Johann Wigand (1523–1587), in: Shapers of Religious Traditions in Germany, Switzerland, and Poland, 1560–1600, hg. v. Jill Raitt, New Haven/London 1981, 19–38, Zitat 35. 489  Vgl. Wigand, De persecutione piorum, 3–5. 490  Vgl. ebd., 122.

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gestellt – im Sprachenwechsel zwischen Deutsch, Latein und Griechisch und im konzeptionellen Feld zwischen Bekenner und Blutzeuge der Begriff ›Märtyrer‹ oft unterschiedlich verstanden wird. Wigand meint dazu, das Entscheidende sei nicht, daß jemand wirklich sterbe; zentral sei die Bereitschaft, »propter fidei rectae confeßionem« Leiden auf sich zu nehmen.491 Es besteht kein Grund, die von Theologen vorgetragene Profilierung des Leidens als christliche conditio nicht ernst zu nehmen, wenn sie auch möglicherweise die akute Bedrohungssituation übertreiben. Doch partiell scheint die Märtyrerrhetorik eine eigene Logik entwickelt zu haben; oder, um es allgemeiner zu formulieren: die Martyrologie ist ebenso ein Gattungszusammenhang wie die Universalgeschichte, die bestimmten Regeln des Inhalts und der Perspektive folgt und deshalb dazu neigt, die Welt in Düsternis zu tauchen. Ob dies immer der tatsächlichen Auffassung der Autoren entsprach, mag man bezweifeln und kann man an einem Beispiel illustrieren: Der oben (B.IV.9) als evangelisch-deutscher Propagandist des gegenwärtigen ›goldenen Zeitalters‹ beschriebene lutherische Basler Arzt Heinrich Pantaleon trat nur zwei Jahre vor der Erstveröffentlichung seines ›Heldenbuchs‹, also 1563, mit einer Fortführung der Foxeschen Märtyrergeschichte in die Gegenwart und über England hinaus hervor.492 Das Buch ist für diese Arbeit eher nebensächlich, weil es v.  a. Gegenwartsmärtyrer aufführt. Dennoch ist von Interesse, daß Pantaleon hier, anders als im Heldenbuch, nicht von einem goldenen Zeitalter von Künsten, Macht und Frömmigkeit redet, in dem man sich angeblich befinde; statt dessen spricht er, ganz orthodox, vom »vltimum hoc et periculosum tempus«, in dem die Wahrheit wieder offenbart worden sei.493 Dies habe zu derart schlimmen Verfolgungen geführt, daß sie nur denen zu vergleichen seien, die die ersten Apostel auszustehen hatten.494 Kein goldenes Zeitalter also. Aber heißt das, daß entweder die eine oder die andere Gegenwartseinschätzung nicht der tatsächlichen Auffassung Pantaleons entspricht? Daß es sich beim Märtyrerbuch um religiöse Propaganda handelt und beim Heldenbuch um die authentische Einschätzung eines Humanisten? Immerhin geht es um Aussagen im Abstand von zwei Jahren. Muß man schließen, daß Pantaleon die Märtyrerthematik eigentlich fernlag und er sie nur als Materialbasis benutzte, um schließlich zu seinem nationalgeschichtlichen ›Heldenbuch‹ fortzuschreiten? 495 Oder muß man nicht hier schon, wie auch im Hinblick auf die Rolle der Religion in der Universalgeschichte (B.IV.1–4) oder – wie sich noch erweisen wird – in verschiedenen Kalendergattungen (siehe B. VI.4), von einer begrenzten Diskursabhängigkeit religiöser Aussagen ausgehen? Dies bedeutet nicht, bestimmte Aussagen als ›nur rhetorisch‹ zu diskreditieren   Vgl. ebd., 150.   Vgl. Pantaleon, Martyrum Historia. 493  Ebd., 3v. 494  Vgl. ebd., 35. 495  So Buscher, Pantaleon, 88, 108. 491 492

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oder die Eigenlogik der Gattungen und Diskurse dergestalt zu übertreiben, daß es dem schreibenden Subjekt fast unmöglich würde, dieser Eigenlogik eine eigene Auffassung einzuspeisen. Und dennoch: Pantaleons Umgang mit den unterschiedlichen Registern religiöser Selbstbeschreibung – die eher apokalyptisch-martyrologische Variante neben der nationalhumanistisch-evangelischen – indizieren einen grundsätzlichen Klärungsbedarf des Verhältnisses von religiösen Aussagen frühneuzeitlicher Texte und der Faktur dieser Texte selber sowie ihrer Relationierung zu einem Gesamtdiskurs. Aussagemodi, Diskursformen und ›literarische‹ Gattungen sollten nicht in dem Sinne als ›Institutionen‹ verstanden werden, daß man sie praktisch am Autorsubjekt vorbei Sinn produzieren läßt. Aber man darf auch nicht zu schnell von einzelnen Texten auf ›Meinungen‹ schließen. Dies läßt sich häufig nicht vermeiden; sinnvoller ist es aber, aus unterschiedlichen Texten und Textgattungen Tendenzen der Rezeption und Stilisierung zu extrahieren. Zwei unterschiedliche Märtyrer sollen, dafür exemplarisch, im folgenden im Mittelpunkt stehen: Hus und Savonarola. Beide sind Zentralgestalten lutherischer Identitätskonstruktion. Und bei beiden ergeben sich gewisse Fragen hinsichtlich ihrer Deutung, die mitsamt den unterschiedlichen Antworten auf diese Fragen betrachtet werden sollen. Der sicher einschlägigste lutherische Märtyrer ist Hus. Nun ist Hus auch als testis oder als theologischer Anreger eine Zentralgestalt lutherischer Identitätskonstruktion, aber sein Martyrium steht doch sehr viel mehr im Vordergrund als seine Lehre – oder: Seine Lehre war vor allem insofern von Belang, als sie zum Martyrium geführt hatte, das wiederum als apokalyptisches Zeichen der Entbergung des päpstlichen Antichristen gelesen wurde. Diese Lesart galt bereits für die humanistische und frühreformatorische Beschäftigung mit Hus, wirkte aber weiter.496 Insofern war Pantaleons Einschätzung seiner historischen Sonderrolle gängig: »Nunquam tamen Euangelij doctrina post Sanctorum  patrum lucubrationes, clarius in lucem, quam sub Ioanne Husso reuocata fuit«.497 Die frühe identifikatorische Bemühung Luthers um Hus (Kap. B.I.3) veranlaßte auch katholische Theologen zu einer erneuten Auseinandersetzung mit dem böhmischen Ketzer.498 Luthers eigene Vorrede zu Hus-Ausgaben von 1536/37 wahrt allerdings terminologische Distanz zur Märtyrerstilisierung.499 Auch die Editionen von Hus-Schriften durch evangelische oder lutherische Autoren in den Jahren 1524/25 und 1558 gehören zwar zur religiös-propagandi­ 496  Vgl. Hoyer, Siegfried, Jan Hus und der Hussitismus in den Flugschriften des ersten Jahrzehnts der Reformation, in: Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit, hg. v. Hans-Joachim Köhler, Stuttgart 1981, 291–307, v.  a. 306. 497  Pantaleon, Martyrum Historia, 3r. 498  Vgl. z.  B. Spahn, Martin, Johannes Cochläus. Ein Lebensbild aus der Zeit der Kirchenspaltung, Berlin 1898, 230–237. 499  Vgl. WA 50,23–25, 123–125.

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stischen Berufung auf Hus, aber dennoch überwiegt in ihnen das dokumentarisch-theologische Interesse das unmittelbar konfessionelle. Unter anderem bedeutet die Reformation nämlich auch »die erste gelehrte ›Entdeckung‹ des Hus und des Hussitentums« 500. Das dokumentarische Interesse war aber instrumentalisierbar: In mittelbarer Weise ging es natürlich doch um die quellenmäßige Authentifizierung einer religiösen Identifikationsgestalt, die in einen mehr oder weniger vagen apokalyptischen Deutungskontext gestellt wurde.501 Hus wurde differenziert funktionalisiert. Merkwürdigerweise fehlen aber zur reformatorischen Rezeption von Hus noch »alle Materialuntersuchungen« 502 . Dies kann hier nicht aufgearbeitet werden; es geht nur um einen wichtigen Aspekt der Märtyrerrezeption Hus’, nämlich seine Bewertung im Vergleich zu der des Konstanzer Konzils und Kaiser Sigismunds. Beide, das Konzil wie der Kaiser, wurden ja in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder als positive Anknüpfungspunkte benannt. Es tut sich also für den Märtyrerdiskurs potentiell ein Wertekonflikt mit der kaisergeschichtlich orientierten universalgeschichtlichen Sicht auf, der sich in der Konstellation Hus vs. Kaiser Sigismund manifestiert. Ein Weg aus diesem Dilemma war es, die Rolle des Kaisers zu minimieren und das Konzil allein verantwortlich für Hus’ Märtyrertod zu machen. Für die­ se Sicht ist beispielsweise die Vorrede des 1537, 1538 und 1604 gedruckten HusDramas von Johannes Agricola instruktiv. Agricola führt in Übereinstimmung mit Luther aus, die Bedeutung des Konstanzer Konzils liege darin, daß »Christus mit seim wort / von der Antichristischen Synagog im Concilio zu Costnitz / on alle schew offentlich verdampt worden ist.«503 Flacius dagegen erwähnt zwar das freie Geleit, das Sigismund Hus zugesprochen hatte, kommt aber im

500  Graus, František, Lebendige Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter, Köln/Wien 1975, 317. Wenige Hinweise zur HusRezeption im Luthertum ebd., 316  f. Zu den Hus-Ausgaben Otto Brunfels’ und Matthias Flacius’ vgl. Roloff, Hans-Gert, Funktion von Hus-Texten. 501  Die endzeitlichen Argumente erscheinen eher implizit und assoziativ in Matthias Flacius’ anonymer Vorrede zur Hus-Ausgabe von 1558: Vgl. Ioannis Hus et Hieronymus Pragensis Confessorum Christi Historia et Monumenta. . . ., 2 Bde., Nürnberg 1558; zu Flacius’ Herausgeberschaft siehe Roloff, Funktion von Hus-Texten sowie Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik, 130–133. Wenn Leppin, Antichrist, 104, schreibt, »die Nähe des Endes« liege »nicht am Auftreten des Antichrist, sondern an seiner Offenbarung« und dies auf Hus bezieht, so trifft dies einen wichtigen Strang lutherischer Hus-Deutung. Ob die Endzeit aber tatsächlich mit Hus oder doch erst mit Luther beginnt, wird unterschiedlich beantwortet. 502  Vgl. Roloff, Funktion von Hus-Texten, 244. 503  Agricola, Johannes, Tragedia Johannis Huss / welche auff dem Unchristlichen Concilio zu Costnitz gehalten / allen Christen nützlich vnd tröstlich zu lesen, Wittenberg 1537, A iij r; siehe knapp dazu: Roloff, Hans-Gert, Quelle – Text – Edition. Johann Agricolas Tragedia Johannis Huss, in: editio 11 (1997), 78–85.

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Laufe seiner Darstellung nicht darauf zurück und läßt so letztlich das Konzil zum Hauptschuldigen werden.504 Sigismunds Rolle beschränkt sich in vielen, v.  a. universalgeschichtlich orientierten Texten weitgehend darauf, siegreich gegen die rebellischen »Hussitae« vorzugehen 505 , die als aufrührerische Gruppe eine äußerst schlechte Presse bei lutherischen Autoren haben, was angesichts des lutherischen Sozialkonservatismus verständlich, aber im Blick auf die Hus-Verehrung doch seltsam ist. Das Verhältnis zwischen Hus und den Hussiten wird allerdings in der Regel nicht explizit geklärt. Doch nicht alle Autoren gehen so pfleglich mit Sigismund um. Im Chronicon Carionis heißt es, er habe sich zum Knecht der päpstlichen Grausamkeit machen lassen.506 Cyriacus Spangenberg, der Sigismund hochschätzt, bemerkt doch gegen Ende seiner biographischen Skizze: »Er hatte sein Regierung selbt damit vnglücksam gemachet / in dem das er Johan Hussen / das Geleit / so er jn gen Costnitz gegeben / nicht gehalten / vnd darüber verbrennen lassen / denn das zeugen alle Historienschreiber / das er nach derselben zeit kein glück noch segen mehr gehabt.« 507

In der ersten umfassenden Geschichte der Hussitenwirren, dem zu Beginn des 17. Jahrhunderts erschienen ›Hussitenkrieg‹ des böhmischen Pfarrers und ehemaligen Wittenberger Studenten Zacharias Theobald, ist die Ambivalenz anschaulich abzulesen, die Sigismund angesichts seiner Verstrickung in die HusAffäre entgegengebracht wurde. Der Kaiser, ein »eyferiger Liebhaber der Christlichen Ordnungen« 508 und in seiner Papstpolitik nicht genug zu loben, ist 504  Vgl. Ioannis Hus et Hieronymus Pragensis Confessorum Christi Historia et Monumenta. . . ., Bd. 1, 2v, 28v; ähnlich: Balduinus, Orationes duae de Pontifice Romano, C4r. 505  Vgl. z.  B. Prätorius, Chronica, 336  f .; Reusner, Genealogikon Romanvm, 146; Beyer, Diarium historicum, 43. 506  Vgl. Melanchthon/Peucer, Chronicon Carionis, 1181: »se ministrum saeuitiae Pontificium et Sacerdotum praebuit«. In der Oratio Melanchthons von ca. 1536, die Peucer hier zum Vorbild nimmt (CR 11,316–324), heißt es: »Quod autem uel postea explicationem eius eluserunt Pontifices, uel in ipsa Synodo Constantiae nouo exemplo, non tantum sententiis damnati sunt duo uiri pii ac docti Boemi, Ioannes et Hieronymus, sed etiam crudeliter interfecti, haec non sunt ab Imperatore orta; et si is quidem non omnino uacat culpa, sed tamen absente Imperatore illi duo condemnati sunt.« (CR 11,321  f.) 507  Spangenberg, Mansfeldische Chronica, 378r. 508  Theobald, Zacharias, Hussitenkrieg, Wittenberg 1609, 44 (hier benutzt im Faksimile-Nachdruck der Ausgabe von 1609 in: Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Materialien und Dokumente, hg. v. Erich Beyreuther/Gerhard Meyer/Amedeo Molnár, Reihe 1, Ergänzungsband II, Hildesheim/New York 1981); eine zweite Auflage erschien 1621 in Nürnberg, später auch eine lateinische Übersetzung. Sehr knapp dazu: Gundolf, Friedrich, Anfänge deutscher Geschichtsschreibung von Tschudi bis Winckelmann, hg. v. Edgar Wind, Frankfurt a.  M. 1993, 29–31; zur Biographie: Klier, Richard, Mag. Zacharias Theobald, der Verfasser des »Hussitenkriegs«. Ein Kraftshofer Exulantenpfarrer, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 49 (1959), 246–273.

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doch auch eine eigenständige treibende Kraft gegen Hus. Als Hus in der letzten Befragung Sigismunds auf das ihm zugesagte freie Geleit verweist, zeigt Sigismund eine Reaktion, die Theobald wichtig genug ist, um den Passus fett zu drucken: »Wie er dieses saget / sahe er den Römischen Keyser stracks an / welcher blutrot wurde.« 509 Wenn auch der ›Hussitenkrieg‹ erstaunlich selten explizite Bezüge zwischen Hus und Luther herstellt, ist dies doch letztlich die angezielte Perspektive.510 Zu Beginn des 17. Jahrhunderts konnte dies nur heißen, daß bei aller grundsätzlichen Kaisertreue doch die lutherische Sache und ihre Märtyrer in letzter Instanz die höhere Loyalität verdienen. Während sich also im Fall des Märtyrers Hus vor allem das Problem stellte, ihn gegenüber dem im kirchengeschichtlichen Fokus wichtigen Konstanzer Konzil und dem im universalgeschichtlichen Fokus durchweg positiven Kaiser Sigismund zu profilieren, lag der Fall Savonarola anders. Das Problem lutherischer Savonarola-Rezeption bestand darin, daß dieser ja nicht nur Märtyrer, sondern spätestens seit seiner politischen und chiliastischen Wende von 1494 auch das Musterbeispiel eines ›theokratischen‹ Propheten war. Wenn auch die dem florentinischen Fall vergleichbaren deutschen Stadtreformationen durchaus den Typus des politischen Predigers kannten, stand doch im Zuge der sich konsolidierenden Reformation die Trennung von politischem und religiösem Regiment im Vordergrund der lutherischen Politiktheorie. Ein Savonarola vergleichbarer prophetischer ›Theokrat‹ wäre eben eher Müntzer als Luther; und diese Konstellation mußte die Einbeziehung Savonarolas in den lutherischen Märtyrerdiskurs vor erhebliche Schwierigkeiten stellen.511 Savonarola war zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Deutschland ein oft aufgelegter und vielgelesener Autor.512 Die »Reformmentalität« um 1500 konnte sich unter anderem aus seinen Schriften speisen.513 In seiner Vorrede zu Savonarolas   Theobald, Hussitenkrieg, 134.   In einer Predigtvorrede faßt Theobald das Verhältnis von Hus und Luthertum – unter expliziter Abgrenzung zu den Schweizern – in die Formel: »auß dem hussitischen crepusculum in das helle Tagliecht der Lutherischen Confession«; zitiert nach: Klier, Theobald, 252. 511  Vgl. Hamm, Berndt, Between severity and mercy. Three models of pre-reformation urban reform preaching: Savonarola, Staupitz, Geiler, in: Continuity and change. The harvest of late medieval and reformation history. FS Heiko A. Oberman, hg. v. Robert J. Bast, Leiden u.  a. 2000, 321–358; zur Müntzer-Assoziation siehe 357. Zu Savonarolas politischer Entwicklung vgl. knapp: Polizzotto, Lorenzo, Art. »Savonarola, Girolamo«, in: Oxford Encyclopedia of the Reformation, 486–488. 512  Vgl. Nolte, Josef, Evangelicae doctrinae purum exemplum. Savonarolas Gefängnismeditiationen im Hinblick auf Luthers theologische Anfänge, in: Kontinuität und Umbruch. Theologie und Frömmigkeit in Flugschriften und Kleinliteratur an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, hg. v. Josef Nolte/Hella Tompert/Christof Windhorst, Tübingen 1978, 59–92, hier 64. 513  Vgl. Nolte, Evangelicae doctrinae purum exemplum, 91, der auch die These aufstellt, daß sich Luthers Rechtfertigungslehre an der Theologie Savonarolas orientiert habe. 509 510

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Gefängnismeditationen bescheinigte Luther ihm, er habe trotz zeitbedingter Schwierigkeiten die »Euangelica doctrina« vertreten.514 Um die Jahrhundertmitte ergab sich, wohl generiert durch die krisenhafte Erfahrung des Interims, ein neuer Savonarola-Boom; seine Schriften waren zu dieser Zeit weiter verbreitet als Hus’ Werke.515 Auch im Catalogus testium veritatis von 1556 wird Savonarola unter anderem wegen seines Rechtfertigungsverständnisses in die Reihe der Zeugen gesetzt.516 Im selben Jahr veröffentlichte Flacius’ Freund Spangenberg eine aus Dokumenten gearbeitete Savonarola-Vita, die sein ehemaliger Wittenberger Kommilitone Rabus unverändert in sein Märtyrerbuch aufnahm.517 Spangenberg sah in der Vergegenwärtigung des Lebens Savonarolas »ein recht Theologisch studium«518 . Im Mittelpunkt von Spangenbergs Interesse steht der Bußprediger im korrupten Florenz des Jahrhundertendes, der sich gegen das Papsttum gewandt habe und dessen Lehre, wie Spangenberg anhand langer Zitate nachweist, weitgehend mit Luthers übereinstimme. Die Anfechtungen durch den Satan und die päpstlichen Abgesandten werden breit ausgeführt, kürzer dagegen stellt Spangenberg den Tod Savonarolas dar. »Spangenberg’s story rested in Savonarola’s confession of faith [. . .]. To a large extent Savonarola had confessed the faith which Spangenberg believed Luther had confessed«.519 Die Vita legt das Schwergewicht auf den Bekenner Savonarola; im Kontext von Rabus’ Märtyrerbuch allerdings ist er darüber hinaus ein Blutzeuge der evangelischen Wahrheit, Prediger und Prophet. Damit war er in mehrfacher Hinsicht für lutherische Identitätsdiskurse anschlußfähig.520 Die Stilisierung Savonarolas zum Bibelausleger und Papstkritiker ist das gängigste Interpretament innerhalb der lutherischen Geschichtsschreibung. Daß Savonarola »sich hefftig wider den Bäpstischen Stul gelegt / vnd die Gleisnerey gestrafft« habe, darüber hinaus aber »der sehr gelehrte vnnd wolbelesene Mann« war, ist lutherischen Autoren wichtig.521 In einer Jubiläumsschrift von 1617 wird der Medici-Gegner Savonarola sogar zum Humanisten gemacht – eine Einschätzung, die wohl damit zu tun hat, daß der hannoversche Pastor Maier 514  Vgl. WA 22,248; einschränkend bemerkt Luther: »quis enim per id tempus ab istis sordibus satis purus esse potuisset?« 515  Vgl. Kolb, »Saint John Hus«, 411; Gordon, Bruce, »This Worthy Witness of Christ«: Protestant Uses of Savonarola in the Sixteenth Century, in: Protestant History and Identity in Sixteenth Century Europe, hg. v. Bruce Gordon, 2 Bde., Aldershot 1996, Bd. 1, 93–107. 516  Vgl. Flacius, Catalogus, 988  f . 517  Vgl. Spangenberg, Cyriacus, Historia. Vom Leben / Lere vnd Tode / Hieronymi Sauonarole / Anno 1498. zu Florentz verbrand, Wittenberg 1556; Rabus 1554/58, 4, ccxlv r-cclxxlx r. Siehe dazu Kolb, »Saint John Hus«, 411. 518  Spangenberg, Historia, A ij v. 519  Kolb, »Saint John Hus«, 414  f . 520  Vgl. Gordon, »This Worthy Witness of Christ«, 106. 521  Vgl. Saur, Calendarium Historicum, 21. September. und 23. Mai; zu Saur siehe Kap. B.VI.3.a.

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den Aufschwung von Künsten und Religion so weitgehend identifiziert, daß eine dezidiert antihumanistische Reformposition wie die Savonarolas sich dem Denkraster nicht mehr fügen würde.522 Häufig, und auch hierfür sind schon mehrfach Beispiele angeführt worden, ist Savonarola vor allem Reformprophet, der Luthers Auftreten geweissagt habe.523 Die Savonarola-Rezeption deutscher Lutheraner ist damit hochgradig selektiv. Ausgeblendet wird in der Regel die ausgedehnte politische Betätigung Savonarolas aus dem Geist der Prophetie. Wenn sie, selten genug, nicht verschwiegen wird, versuchen die entsprechenden Autoren, Savonarolas politisches Engagement herunterzuspielen. Man merkt das Bemühen, Savonarola als ›reinen‹ Theologen zu retten und eine Deutung als ›Theokraten‹ oder ›Cäsaropapisten‹ abzuwehren. Savonarolas Politik wird bestenfalls als ›Rat‹ an die Obrigkeit umgedeutet – eine Haltung, die dem gnesiolutherischen Verständnis des geistlichen Wächteramtes sehr ähnelt. Sie sei, so Spangenberg, nicht als Einmischung in das weltliche Regiment, sondern als Mahnung anzusehen, die darüber hinaus von Politikern selbst angeregt worden sei, »denen er jre bitte nicht abzuschlagen gewust.« 524 Auch Pantaleon behauptet, Savonarola sei zu Unrecht beschuldigt worden, für Tumult und Aufruhr verantwortlich zu sein; er habe nicht selbst Politik getrieben, sondern die Politiker nur »publice et priuatim admonebat ut Politia recte ordinarent« 525. Der theokratische Politiker als geistlicher Politikberater – das ist das weiteste, was ein lutherisches Politikverständnis seinem Helden zugesteht. Nach 1563, nach Pantaleons Schrift also, scheint dieser Aspekt ganz aus der lutherischen Historiographie verschwunden zu sein. Savonarola wurde mehr und mehr zu einer unpolitischen Theologengestalt. Bei Hus wie bei Savonarola ergab also der Versuch, sie zu lutherischen Märtyrern zu stilisieren, gewisse Probleme. Im Fall Hus’ war es sein offenkundiger Antagonismus zu einem deutschen Kaiser, bei Savonarola seine ungebührliche Einmischung in die Politik. Wenn auch im Fall Savonarola die theologische Rezeption eine zentralere Rolle gespielt hat als bei Hus, war es doch in beiden Fällen primär das Martyrium, das sie für lutherische Autoren attraktiv machte. Dieses sowie eine gewisse, im einzelnen freilich problematische, Affinität zur reformatorischen Theologie ließ beide zu zentralen Gestalten des lutherischen Märtyrerdiskurses werden. Dieses ambivalente Ergebnis belegt die Richtigkeit von Camerons Diktum der »preoccupation [. . .] with the wrongness of the per-

522  Vgl. Maier, Omnium Sanctorum Iubilaeus Evangelicvs, 32, der Savonarola unter diejenigen einreiht, »qui magno taedio aduersus barbariem sudiorum et linguarum laborantes plenis veliseo vnice collimarunt, vt diu desideratam artium et Theologiae lucem in Europaeo orbe reaccensam videre possent«. 523  Vgl. Müller, Zwo Christenliche Predigten, D r. 524  Spangenberg, Historia, B vj v. 525  Pantaleon, Martyrum Historia, 33  f .

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

secutor, rather than the complete rightness of the victim«526 . Grundsätzlich stellten sich Probleme dieser Art aber nicht nur innerhalb des Märtyrerdiskurses, sondern auch im oben beschriebenen Zeugendiskurs. In ähnlicher Weise hatten sich lutherische Autoren dem Problem von Selektion und Stilisierung zu stellen, wenn sie daran gingen, Gesamtdarstellungen der Kirchengeschichte zu verfassen.

6.  Von Magdeburg nach Tübingen: Der Weg der Magdeburger Zenturien in die lutherische Orthodoxie Es gab keine andere Erklärung: Die Magdeburger Zenturien konnten nur aus der Hölle entwichen sein. Dies jedenfalls meinte der Gründer des römischen Oratiums, Filippo Neri.527 In den Nuntiaturberichten aus Deutschland wurde eifrig darüber diskutiert, wer dieses Machwerk widerlegen könne.528 Und tatsächlich: Der Druck der Zenturien hatte im Jahr 1559 begonnen, und bereits ab Mitte der 1560er Jahre erschienen Reaktionen von katholischer Seite.529 Doch erst die ›Annales ecclesiastici‹ des Kardinals Baronius von 1588–1607 stellten der (nicht abgeschlossenen) lutherischen Gesamtdarstellung ein katholisches Pendant entgegen, das sich allerdings dezidiert unpolemisch gab und die Zenturien nicht einmal einer Erwähnung würdigte.530 Die Aufregung war berechtigt. Denn erstmals seit den antiken Kirchenhistorikern und in direkter Konkurrenz zu ihnen versuchte sich hier eine Gruppe protestantischer Autoren an einer Gesamtdarstellung der Kirchengeschichte, die einem systematischen Programm und klaren darstellerischen Leitlinien folgte. Mit ihren vielen tausend Seiten stellte sie die umfassendste Materialfundgrube dar, aus der sich die protestantische Polemik, aber auch die historische Gelehrsamkeit der nächsten dreihundert Jahre bedienen konnte und bediente. Anders als andere Historiographen beschränkten sich die Zenturiatoren nicht auf die Geschichte eines Landes oder einer Stadt, sondern zielten auf die Gesamtkirche ab, was ihr Selbstverständnis und ihren Versuch einer Monopolisierung der Interpretation bereits hinreichend deutlich zeigt.   Cameron, Medieval Heretics, 195.   Vgl. Cochrane, Historians, 468. 528  Vgl. Nuntiaturberichte aus Deutschland. Dritte Abteilung, Bd. 3: 1572–1585, hg. v. Karl Schellhass, Berlin 1896, 216  f. und 258  f.; Hinweis auf diese Stellen bei Elert, Morphologie des Luthertums, Bd. 1, 428–431. 529  Vgl. Camilli, Michael E., Six Dialogues, 1566: Initial Response to the Magdeburg Centuries, in: ARG 86 (1995), 141–152; Zen, Baronio storico, 129, listet alle katholischen Widerlegungsversuche auf. 530  Vgl. Zen, Baronio storico, 131; zu Baronius siehe auch: Davidson, Georgina, Divine Guidance and the Use of Sources: A Case from the Annales of Caesar Baronius, in: Historical Reflections 15 (1988), 117–129. 526 527

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Schon der Organisations- und Arbeitsstil der Zenturien war aufsehenerregend; im klaren Bewußtsein der Riesenaufgabe organisierten die Zenturiatoren ein in seinem Jahrhundert singuläres Gelehrtenteamwork, das durchaus Vorbildcharakter für spätere, arbeitsteilig organisierte Akademien besessen haben könnte.531 Das Resultat war ein zwar unabgeschlossenes, aber dennoch imponierendes Unternehmen, das sich zeitlich von 1553 bis 1574 erstreckte und seinen Sitz erst in Magdeburg, dann in Jena und Wismar fand. Die elf Zenturienbände erschienen zwischen 1559 und 1574 in Basel und reichten bis ins 13. Jahrhundert; daneben existiert eine handschriftliche Reformationsgeschichte.532 Der Basler Humanist und Drucker Oporin bewies sich, wie oft, als Liebhaber riskanter Großunternehmen. Schon seine griechisch-lateinische Erstausgabe der großen byzantinischen Historiker war kein Verkaufserfolg gewesen, und auch die Zenturien wurden, wenn man nur auf die Auflagenzahlen sieht, verlegerisch eher ein Mißerfolg. 1567/68 schließlich mußte Oporin seine Offizin verkaufen.533 Doch nicht nur hinsichtlich ihres immensen Umfangs und des aufgearbeiteten Materials, sondern auch inhaltlich stellten die Zenturien eine genuine Lei­ stung dar. Wenn sie auch nicht das erste Geschichtswerk darstellen, das das historische Material nach Jahrhunderten gliedert, wie der populäre Titel der ›Zenturien‹ ja bereits anzeigt 534, so geschah dies erstmalig in einem gedruckten Werk. Vor allem aber und wichtiger: Sie entschieden sich gegen eine personenund ereignisgeschichtliche Strukturierung und Darstellung und führten eine primär dogmengeschichtlich orientierte Geschichtsschreibung ein, die – und dies war die eigentliche Neuheit – nach dem humanistischen loci-Prinzip organisiert war.535 Damit wurden die Zenturien bewußt eher zu einem nach lo531  Vgl. Lehmann, Paul, Geisteswissenschaftliche Gemeinschafts- und Kollektivunternehmungen in der geschichtlichen Entwicklung, in: ders., Erforschung des Mittelalters. Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze, Bd. 4, Stuttgart 1961, 353–385; Grafton, Anthony, Where was Salomon’s House? Ecclesiastical History and the Intellectual Origins of Bacons New Atlantis, in: Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter des Konfessionalismus, hg. v. Herbert Jaumann, Wiesbaden 2001, 21–38. 532  Vgl. als knappen Einstieg: Lau, Thomas, Art. »Matthias Flacius Illyricus / Caspar Nidbruck et al., Ecclesiastica Historia . . .: übliche Bezeichnung: Magedeburger Zenturien«, in: Hauptwerke der Geschichtsschreibung, Stuttgart 1997, 407–411. 533  Vgl. Husner, Fritz, Die Editio princeps des »Corpus Historiae Byzantinae«. Johannes Oporin, Hieronymus Wolf und die Fugger, in: Festschrift Karl Schwarber. Beiträge zur schweizerischen Bibliotheks-, Buch- und Gelehrtengeschichte, Basel 1949, 143– 162. 534  Uta Goerlitz hat gezeigt, daß die Zenturiatoren die Jahrhunderteinteilung wohl aus dem »Chronicon urbis et ecclesiae Maguntinensis« (1520–26) des Mainzer Humanisten Hermann Piscator übernahmen. Vgl. Goerlitz, Uta, Zur Überlieferung und Rezeption der Chronik des H. Piscator. Unter besonderer Berücksichtigung der Fugger-Handschrift Stolb.-Wern. Zh 69 (Halle/Saale) aus dem Umkreis der Magdeburger Zenturiatoren, in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde 58 (2000), 259–280. 535  Vgl. Scheible, Entstehung, 24.

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gisch-rhetorischen Kategorien geordneten Nachschlagewerk zu (dogmen-)hi­ sto­rischen Einzelfragen als zu einer integral lesbaren Kirchengeschichte. Doch eben dies machte sie zu einer v.  a. in der Polemik und der Dogmengeschichtsschreibung nützlichen Sammlung.536 Die Magdeburger Zenturien sind im Gegensatz zu den meisten anderen hier behandelten Werken seit fast 200 Jahren immer wieder Gegenstand von Untersuchungen geworden. Dies und die Tatsache, daß es unmöglich ist, in einer Studie wie dieser das Werk in seiner Gesamtheit zu würdigen, legt nahe, sich bei der Analyse der Zenturien v.  a. auf eine Untersuchung der programmatischen Vorreden zu beschränken. Dies erscheint auch deshalb legitim, weil die Vorreden die systematischen Intentionen der Verfasser formulieren, während die materiale Durchführung häufig eher eine Aneinanderreihung von Quellenund Literaturexzerpten darstellt.537 Die Forschung zu den Zenturien hat sich vor allem damit beschäftigt, deren Quellen, einzelne benutzte Handschriften und deren Überlieferung nachzuweisen.538 Dabei wurden v.  a. Ergebnisse hinsichtlich der europaweiten Überlieferungswege und der dahinterstehenden Netzwerke erzielt.539 So ist wiederholt die maßgebliche Mithilfe des bereits 1557 gestorbenen kaiserlichen Rates Kaspar von Nidbruck bei der Bücherbeschaffung, aber auch seine finanzielle Unterstützung und seine Herstellung von Kontakten zu Wiener Gelehrten beschrieben worden.540 536  Der Hauptverfasser der Zenturien, Johannes Wigand, verwendete etwa später das zusammengetragene Material für eine Reihe von dogmengeschichtlich-polemischen Traktaten; vgl. Diener, Johann Wigand, 23  f.; zu den Zenturien als durchaus auch intentional so konzipiertem Handbuch der Polemik siehe Olson, Matthias Flacius, 262. 537  Während die Vorreden von den konzeptionellen Köpfen verfaßt wurden, blieb die konkrete historiographische Arbeit oft an den ›Hilfskräften‹ hängen; dementsprechend ergibt sich eine Differenz zwischen Programm und Durchführung. Hierauf machen aufmerksam: Duch, Arno, Eine verlorene Handschrift der Schriften Bernos von Reichenau in den Magedeburger Centurien, in: ZKG 53 (1934), 417–435, hier 418; Wallraff, Rezeption, 245  f. 538  Vgl. z.  B. Nürnberger, A., Die Bonifatiuslitteratur der Magdeburger Centurien, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 11 (1886), 9–41. 539  Vgl. Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik, 198–208; Olson, Matthias Flacius, 266–277. 540  Vgl. etwa Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik, 61; klassisch: Bibl, Victor, Nidbruck und Tanner. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Magdeburger Centurien und zur Charakteristik König Maximilians II., in: Archiv für österreichische Geschichte 85 (1889), 379–430. Es finden sich auch eine Reihe weiterer Studien etwa zu Flacius’ Kontakt mit Pfalzgraf Ottheinrich (vgl. etwa Schottenloher, Karl, Pfalzgraf Ottheinrich und das Buch. Ein Beitrag zur Geschichte der evangelischen Publizistik, Münster 1927 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 50/51), 44–50); zu der Verbindung, die Flacius über seinen Basler Bekannten Bale zum Erzbischof von Canterbury, Matthew Parker, aufnahm, um an englische Manuskripte zu gelangen (vgl. Jones, Norman L., Matthew Parker, John Bale, and the Magdeburg Centuriators, in: Sixteenth Century Journal 12 (1981), 35–49; zur Beziehung von Flacius zu Bale siehe auch Gil-

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Auch die Arbeitsweise der Zenturiatoren ist mehrfach Gegenstand der Forschung geworden.541 Es ist also möglich, sich ein Bild des konkreten Arbeitsganges zu machen, der jedenfalls theoretisch generalstabsmäßig organisiert war. Flacius tat sich als Theoretiker und Organisator hervor, während seine Hauptmitstreiter, der Magdeburger Pfarrer Matthäus Judex und v.  a. der bereits erwähnte Johannes Wigand als die Verfasser des Werks anzusehen sind, denen exzerpierende Hilfskräfte zur Seite standen. Die Arbeit bestand aus drei Schritten, der Sammlung und Anordnung des Materials sowie schließlich der Abfassung des Werks, was bei Anspruch und Umfang des Werks ein gehöriges Maß an Logistik erforderte.542 In einer Reihe von Texten vergewisserten sich die Zenturiatoren über Methodologie und konkrete Arbeitsvorhaben; auch eine Suchliste für Bücher und Handschriften wurde erstellt.543 In den 1560er Jahren entfremdeten sich die Zenturiatoren zusehends voneinander; offenbar kam es zu persönlichen Spannungen, weil Flacius dazu neigte, ausgeliehene oder von gemeinsamem Geld gekaufte Bücher und Handschriften als sein Privateigentum zu betrachten.544 Zum Bruch führte aber die flacianische Erbsündenlehre, die Wigand nicht mittragen wollte. Es war also ein theologischer, kein histo­rio­ graphischer Dissens, der die Zusammenarbeit beendete. Wigand profilierte sich immer mehr als eigentlicher ›Hauptzenturiator‹; im letzten Band von 1574 findet sich erstmals kein Hinweis mehr auf Flacius.545 Alle Versuche, in den Zenturien daher eine spezifisch ›flacianische‹ Geschichtskonzeption oder gar Theologie nachzuweisen, laufen ins Leere.546

mont, Naissance, 118  f.); zu spektakulären Archivreisen der Mitarbeiter (vgl. Schneider, Heinrich, Die Bibliotheksreisen des Marcus Wagner, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 50 (1933), 678–682); zu geheimen Verbindungen zu protestantischen und auch katholischen Handschriftensammlern in ganz Europa (Schottenloher, Karl, Handschriftenforschung und Buchdruck im XV. und XVI. Jahrhundert, in: Gutenberg-Jahrbuch 1931, 73–106, hier 95–98), schließlich zu waghalsigen Aktionen, um Bücher zu sichern und Verbindungen geheimzuhalten (vgl. Schottenloher, Karl, Handschriftenschätze zu Regensburg im Dienste der Zenturiatoren (1554–1562), in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 34 (1917), 65–82). 541  Vgl. Scheible, Entstehung; Diener, Ronald Ernst, The Magdeburg Centuries. A Bibliothecal and Historiographical Study, Diss. theol. Harvard 1978. 542  Es wurden Mitarbeiter eingestellt, die speziell für die unterschiedlichen Arbeitsschritte zuständig waren. Flacius hatte die Grundsätze dieser Arbeitsteilung bereits 1554 formuliert; vgl. Flacius, Consultatio; siehe zur Teamstruktur: Diener, Magdeburg Centuries, 59–67; Scheible, Entstehung, 41; Olson, Matthias Flacius, 263–265. 543  Die methodischen Ansätze der Zenturiatoren werden vor allem untersucht von Diener, Magdeburg Centuries, passim, der die entsprechenden Texte auch abdruckt; vgl. ebd., 526–571. Die Suchliste ist ediert bei Schottenloher, Ottheinrich, 157–166; vgl. dazu auch Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik, 47–52. 544  Vgl. Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik, 66. 545  Vgl. Scheible, Entstehung, 52–61; Diener, Magdeburg Centuries, 295–305. 546  So Diener, Magdeburg Century, 22.

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

Ein umfassendes Kirchengeschichtswerk also, das im Anschluß an den Catalogus testium veritatis und unter Auf bietung einer Fülle von bekanntem und unbekanntem Material eine genuin protestantische, ja lutherische Sicht der Kirchengeschichte propagiert: Dies kann als Tendenz der Zenturien schon hier, vor der Analyse einzelner programmatischer Aussagen, formuliert werden. Das Selbstverständnis der Zenturiatoren als Kritiker der früheren Geschichtsschreibung und vor allem der kirchengeschichtlichen Entwicklung selber hat einerseits zu der Vorstellung geführt, die Reformation sei prinzipiell in Zusammenhang mit einem kritischen Verhältnis gegenüber der historischen Überlieferung zu bringen 547, ja, die Zenturien selber stünden am Anfang einer kritischen Geschichtsschreibung.548 Auf der anderen Seite ist auch der älteren Forschung, und zwar evangelischer wie katholischer Provenienz, nicht entgangen, daß die Überlieferungskritik der Zenturiatoren hochgradig selektiv ist. Legenden und Fabeln werden dann und nur dann kritisiert, wenn sie konfessionell unliebsam sind, nicht aber aus prinzipiellen Erwägungen heraus.549 Tatsächlich besitzen die Zenturiatoren weder eine explizierte Methodik noch klare methodische Grundsätze etwa hinsichtlich ihres Umgangs mit Quellen.550 Wenn auch zu Flacius’ Korrespondenten westeuropäische Humanisten wie Georg Cassander, Cornelius Wouters oder François Baudouin gehörten, ist doch der Ansatz der Zenturiatoren weder weltanschaulich noch auch methodisch im engeren Sinne als ›humanistisch‹ zu bezeichnen, weil Quellenkritik und kritische Reflexion auf die Wahrheit der Überlieferung rein instrumentell gebraucht werden. Im Briefwechsel mit Flacius fordert Nidbruck – und eben nicht Flacius selbst – zwar quellenkritische Sorgfalt, um eine »fides in historiographo« zu erzeugen, aber methodische Prämissen ergeben sich daraus nicht 551. Flacius, so hat Diener dargelegt, kannte die zeitgenössischen geschichtstheoretischen Diskussionen schlecht oder gar nicht; sein Horizont war ganz von seiner Wittenberger Ausbildung und seiner persönlichen Bibliophilie bestimmt.552 Gregory Lyon hat gezeigt, daß im Briefwechsel zum Zenturienplan zwischen Flacius und Baudouin zwei unterschiedliche Wissenschaftskulturen aufeinanderprallten, die letztlich nicht vermittelbar waren. Auf der einen Seite stand der juristisch und philologisch geschulte, irenisch orientierte westeuropäische Humanismus Bau  Vgl. z.  B. Kelley, Humanism and History, 255.   Vgl. Baur, Epochen, 59; Wegele, Geschichte der deutschen Historiographie, 335; Olson, Matthias Flacius, 257. 549  Vgl. Fueter, Geschichte der neueren Historiographie, 251; Janssen, Johannes, Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters, Bd. 5, Freiburg (Breisgau) 1886, 317. 550  Vgl. Duch, Verlorene Handschrift, 420, Anm. 7; Preger, Matthias Flacius Illyricus, Bd. 2, 448. 551  Nidbruck an Flacius, 15. Januar 1557, in: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 19 (1898), 111. 552  Vgl. Diener, Magdeburg Centuries, 88. 547

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douins, dem an Geschichtsschreibung im durchaus auch ästhetischen Sinne gelegen war, auf der anderen Seiten die (trotz Flacius’ Studium in Basel) ganz aus innerdeutsch-lutherischen Positionen begründete, an der Bereitstellung theologiepolitischen Materials interessierte Geschichtsauffassung des Flacius.553 Letztlich konnte diese Diskrepanz nicht zu einer Mitarbeit Baudouins führen. Es ist also eine Verzeichnung der Zenturien, sie als moderne, kritische Gesamtdarstellung der Kirchengeschichte zu rezipieren. Neu und beeindruckend an ihnen sind dennoch die, wenn auch hochgradig konfessionell vorstrukturierten, Versuche der kritischen Auseinandersetzung mit der kirchlichen Tradition, vor allem aber die Bereitstellung eines unerschöpflichen historischen Quellenmaterials. Anders als die Universalgeschichtsschreibung etwa Melanchthons war die Kirchengeschichtsschreibung an einer quellennahen Bestandsaufnahme interessiert; sie mißtraute in viel höherem Maße den vorhandenen historiographischen Annäherungen an ihr Thema. Daneben boten die Zenturien gegenüber der vorherigen, auch protestantischen, Kirchengeschichtsschreibung, eine Ordnung ihres Materials nach loci und Jahrhunderten und orientierten sich in systematischer Weise an theologisch-historischen Prinzipien der Darstellung, nämlich der Perspektive von Niedergang und Bewahrung. Dieser systematische Fokus, der schon den Catalogus testium veritatis organisiert hatte, wurde von Flacius in den programmatischen Texten der 1550er Jahre entfaltet.554 Im Catalogus stehen aus darstellerischen Gründen die Zeugen als Garanten der Lehrkontinuität, in den Zenturien eher die Vision eines Niedergangs der Gesamtkirche im Vordergrund; beide Perspektiven gehören aber systematisch zusammen.555 Auch in den Zenturien wird das Bild von den 7000, die vor Baal ihre Knie nicht gebeugt haben, wieder aufgerufen; damit steht die Geschichtstheologie der Zenturien in derselben Linie wie der Catalogus.556 Diese Orientierung an strikt durchgehaltenen geschichtstheologischen Prinzipien erhebt die Zenturien zwar nicht auf die Höhe einer methodisch reflektierten ›Geschichtsphilosophie‹, aber die strikte Systematisierung des kirchengeschichtlichen Stof-

553  Vgl. Lyon, Gregory B., Baudouin, Flacius, and the Plan for the Magdeburg Centuries, in: Journal of the History of Ideas 64 (2003), 253–272. Drei Briefe Baudouins an Flacius sind ediert bei: Erbe, Michael, François Bauduin (1520–1573). Biographie eines Humanisten, Gütersloh 1978, 262–276. 554  Vgl. zu diesen Programmen: Diener, Magdeburg Centuries, 82–127. 555  Vgl. z.  B. Flacius, Consultatio, 147–149. Die lutherische Orientierung nicht nur an einer Verfalls-, sondern auch einer Kontinuitätsperspektive hat zu der Meinung geführt, dem protestantischen Denken des 16. Jahrhunderts sei »eine Trias von Urkirche, Verfallsund Reformationszeit noch fremd« (Neddermeyer, Mittelalter, 45), was eine Überzeichnung darstellt. Fremd war ihm allein die Vorstellung absoluten Verfalls, weil dies bedeutet hätte, daß Gott seine Kirche verlassen hätte. 556  Vgl. dazu: Wallraff, Rezeption, 243, Anm 87.

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fes am Leitfaden der Theologie ist gegenüber den Vorgängern, z.  B. Barnes oder Hedio, doch unverkennbar.557 In einem der programmatischen Pläne zu den Zenturien formuliert Flacius vier nützliche Funktionen des Werks: Es solle erstens die wahre Lehre und deren Bewahrung zeigen, solle zweitens – in der Bereitstellung historischen Materials – eine Orientierungshilfe beim Umgang mit akutellen Häresien leisten. Drittens könnten Lehrer und Pfarrer schließlich nicht alles lesen und bräuchten daher eine integrale Darstellung der Kirchengeschichte – was natürlich gleichzeitig den Anspruch auf ein Deutungsmonopol impliziert. Und viertens könne das Werk als Nachschlagewerk und Fundgrube dienen.558 Die einzelnen Jahrhunderte des Werks wurden nach vorher festgelegten 16 loci geordnet; dies waren die folgenden: Nach einer kurzen thematischen Einführung in das jeweilige Jahrhundert behandelte jeder Band Ort und Verbreitung der Kirche, Zeiten der Verfolgung und Ruhe, den Stand der Entwicklung (d.  h. im wesentlichen: des Verfalls) der Lehre, Ketzereien vom Lehrstandpunkt her, Kirchenzeremoniell, Kirchenregiment, Schismen, Konzilien, Bischöfe, die Ketzer als Personen, Märtyrer, Wunderzeichen, politische wie religiöse Verfassung des Judentums sowie schließlich die politischen Entwicklungen in den Weltreichen. Das vierte Kapitel, das sich mit der kirchlichen Lehre befaßte, war dabei in allen Bänden das weitaus längste und nahm oft gut die Hälfte des Raumes ein; damit wurden die Zenturien u.  a. zu einem dogmengeschichtlichen Lehrbuch. Da es unmöglich ist, die Gesamtheit des Werks auch nur annähernd zu würdigen 559 und dies angesichts der relativ unspektakulären, oft listenhaften Verfaßtheit etwa der Kapitel über die Märtyrer oder die Ketzer auch kaum anschaulich gelingen kann, scheint es instruktiver, sich den programmatischen Äußerungen der Zenturiatoren zuzuwenden. Das Werk beginnt in medias res; der erste Satz des Widmungsbriefs des ersten Bandes lautet: »Fanaticos et obcaecatos quosdam homines subinde excitavit diabolus, qui res veras [. . .] commacularent et obscurarent.« 560 Diese Verdunklung und Verkehrung alles Wahren, die vom Teufel ist, betrifft natürlich auch die historische Überlieferung, gerade weil diese einen privilegierten Status besitze. Gott wolle nämlich ausdrücklich, daß Geschichte geschrieben werde: In einer knappen, aber großartigen kosmologischen Vision beschreiben die Autoren, daß Sonne und Mond, die Abfolge der Zeit in Tagen, Monaten und Jahren schließlich von Gott geschaffen worden seien, um dem Menschen eine zeitliche 557  Vgl. Baur, Epochen, 71; Polman, L’élément historique, 215, 225  f .; Verheus, Zeugnis und Gericht, 76. 558  Vgl. Flacius, Consultatio, 150–152. 559  Vgl. für knappe Inhaltsangaben: Verheus, Zeugnis und Gericht, 56–65; als Überblick siehe auch: Polman, L’élément historique, 213–234. 560  Widmungsbrief der ersten Zenturie, ediert in: Scheible, Anfänge, 55–59, hier 55.

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Orientierung zu geben. Erst mittels dieser Ordnung könnten historische Ereignisse erinnert werden. Denn wo erkenne der Mensch die Wohltaten und die Gnade, die ihm Gott zukommen lasse, wenn nicht in der Geschichte, die hier wie selbstverständlich die Heilsgeschichte Gottes und der Welt ist. Auch die Hauptartikel des Glaubens ließen sich nur durch die Geschichte und in der Geschichte erkennen, denn der erste und der kommende zweite Advent des Herren seien historische, weil in einem zeitlichen Kontinuum und in einer Matrix prophetischer Vorhersagen verortete Ereignisse: »Absque historia nec articulus de Messia potuisset retineri.« 561 Höher kann man nicht greifen, um die Wichtigkeit der Historiographie vor Augen zu stellen. Was die Zenturiatoren allerdings zuallererst im Sinn haben, wenn sie ›historia‹ sagen, ist die Bibel, die als historia sacra sowohl wegen der Bedeutung ihres Inhalts als auch wegen der unverfälschten Wahrheit des göttlichen Worts das unerreichte Paradigma aller Geschichtsschreibung darstellt. Gegen die Bibel wird, in Abwehr humanistischer Geschichtssicht und mit latenter Kritik an der Melanchthonschule, die historia ethnica gestellt. Die von den Humanisten so hochgeschätzten Geschichtswerke der heidnischen Antike seien zwar stilistisch und literarisch anspruchsvoll und daher für viele Gelehrte attraktiv, auch werden sie nicht vollständig verworfen; gegen die Autonomisierung des ästhetischen Moments wird aber, wie in der Apologetik der Alten Kirche, die »sincera simplicitas spiritus sancti« gestellt 562 . Der Haupteinwand betrifft aber einen inhaltlichen Unterschied: Die antike Historiographie könne exemplarisch Moral lehren, beziehe sich damit aber nur auf die zweite Tafel des Dekalogs. Die historia sacra, die Bibel, dagegen lehre sowohl sittliche Werte als auch die in der ersten Tafel des Dekalogs metonymisch zusammengefaßte christliche Lehre.563 Die Geschichte der Lehrentwicklung wird knapp geradezu als »historia Christi« bezeichnet, wenn auch die Überlieferungs- und damit Gewißheitsdefizienz der nachbiblischen historia ecclesiae im Vergleich mit der biblischen historia sacra betont wird.564 In der Vorrede zum Gesamtwerk erklären die Zenturiatoren eingehender, was die nachbiblische Kirchengeschichte leisten muß und kann. Sie üben scharfe Kritik an allen vorhergehenden Kirchengeschichten; selbst Euseb, der wichtigste Autor, spare die Lehre fast vollständig aus und tue so, als ob ein Christ in etwa dasselbe sei wie ein moralisch recht handelnder Mensch. Vor allem komme bei ihm die Rechtfertigungslehre so gut wie nicht vor.565 Wenn die Profange  Widmungsbrief der ersten Zenturie, 55.   Widmungsbrief der ersten Zenturie, 57. 563  Vgl. Widmungsbrief der ersten Zenturie, 56. Der Gegensatz zu Melanchthon ist insofern kein inhaltlicher, als auch dieser den Inhalt der beiden Tafeln so bestimmt; die Zenturiatoren setzen aber historiographisch ganz auf die erste Tafel. 564  Widmungsbrief der ersten Zenturie, 57  f . 565  Vgl. Vorrede zum Gesamtwerk, ediert in: Scheible, Anfänge, 59–75, hier 59  f .; eine 561 562

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schichte Taten einzelner Menschen schildere, so berichte die Kirchengeschichte über die Taten Gottes, und die größte Tat Gottes sei es, den Menschen das Evangelium gegeben zu haben.566 Gegen die Konzentration auf Personen und Ereignisse werden aber strukturgeschichtliche Einwände geltend gemacht. Selbst die Profangeschichte beschreibe schließlich nicht nur menschliche Äußerlichkeiten, sondern auch die Strukturen menschlichen Zusammenlebens. Analoges müsse eine gegenüber Euseb vervollständigte Kirchengeschichte leisten: »In profanis historiis prolixe recitantur et ornantur praestantium hominum dicta, gubernationis forma, leges, decreta, statuta, literae, orationes, res gestae, et eius generis plurima. Cur idem non liceret in historia ecclesiastica facere, ubi doctrina et alia similia habent eandem rationem?« 567

Gegen eine reine Personengeschichte wird damit darauf insistiert, daß die Kirchengeschichte auch und vor allem die Entwicklungen der Lehre, inklusive Kontroversen und Ketzereien, Zeremonien und Kirchenregiment darstellen müsse. Mit einem weiteren Seitenhieb gegen die Wittenberger erklären die Zenturiatoren, in der Kirchengeschichte sollten zur Gegenwartsorientierung auch die – hier nicht so genannten – testes veritatis beschrieben werden, die Bekenner, die auch »in persecutionibus immanissimis non adiaphirasunt«568 . Ein solches Riesenprojekt sei, wird wieder mit Blick nach Wittenberg gesagt, eigentlich eine genuine Aufgabe der Universitäten, die es aber nicht in Angriff nähmen, weil es wenig Ruhm einbringe.569 Dabei sei die Kirchengeschichte ein Füllhorn und eine Schatzkammer für alle gegenwartsrelevanten Belange. Wer dies nicht einsehe, müsse blödsinnig sein – oder, wie es in der ersten Übersetzung der Zenturien anschaulicher heißt: »Wer diese frucht vnd nutz für geringe / vnd nichts helt / der mus warlich ein Gottloser vnd wansinniger Mensch sein / vnd ist wol werd / das er sein gehirn ein wenig mit Nieswurtzel lasse reinigen.« 570

In der Vorrede zur ersten Zenturie wird die zentrale Bedeutung der Lehre als Inhalt der Kirchengeschichte wiederholt. Konsequent bietet das lange vierte Kapitel der ersten Zenturie, die sich mit dem ersten Jahrhundert befaßt, eine zusammenfassende Theologie der Evangelien aus lutherischer Perspektive, die »erste neutestamentliche Theologie« 571. Hier werde »basin seu fundamentum« deutsche Übersetzung ist greif bar bei: Meinhold, Geschichte der kirchlichen Historiographie, Bd. 2, 279–295. 566  Vgl. Vorrede zum Gesamtwerk, 61. 567  Ebd., 63. 568  Ebd., 65. 569  Ebd., 67. 570  Kirchen Historia / darinnen ordenlich vnd mit höchstem vleis beschrieben werden die geschicht der Kirchen Christi . . ., Jena 1560, * vj v. 571  Scheible, Anfänge, 70, Anm. 194.

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für das Gesamtwerk gelegt, denn an der Reinheit des – lutherisch rekonstruierten – Evangeliums könne und müsse man die späteren Jahrhunderte messen 572 . Legt man diese Richtschnur an, ist schon das zweite Jahrhundert kaum mehr als makellos zu bezeichnen. Denn bereits damals sei von den Evangelien abgewichen worden. Die Lehre vom freien Willen, der Märtyrerkult, das Entstehen einzelner Häresien, vor allem aber die Tatsache, daß manche Kirchenlehrer »articulum iustificationis non satis perspicue explicarunt«, wie schulmeisternd bemerkt wird, führen zu einer ambivalenten Bewertung dieses Jahrhunderts, das »admiratione simul et deploratione dignum est«.573 Gleichzeitig behält es aber schon wegen seiner zeitlichen Nähe zum Evangelium eine gewisse Sonderstellung.574 Da die Reformation in der Sicht der Zenturiatoren eine komplette Restitution der biblischen Lehre ist, sehen sie sich selbst in einer Situation, die dem zweiten Jahrhundert entspricht: Sie hätten die Fülle des Evangeliums erfahren und erlebten jetzt, wie es durch Abweichung und Uneindeutigkeit korrumpiert zu werden drohe.575 Die Gegenwartseinschätzung als Heilszeit und Gefahrenzeit fundiert das zenturiatorische Selbstverständnis: »Die Entbergung des römischen Antichristen in der Reformation Luthers bildet den Dreh- und Angelpunkt des Wirklichkeits- und Geschichtsverständnisses der Magdeburger« 576 . Der Eschatologie ist in den Zenturien kein eigener locus gewidmet, aber eine endzeitliche Erwartungshaltung grundiert den Text: Das Heil und die Gefahr für das Heil sind beide Anzeichen des Endes und können nicht ohne einander bestehen.577 Noch genereller gilt: Innerhalb der irdischen Kirche wird es, anders als Gnostiker und Täufer meinen, nie zu einer Identität von ecclesia visibilis und invisibilis kommen. Wenn auch die Häresien nicht eigentlich Teil der Kirche seien, sei doch die Geschichte von Niedergang und Abfall auch Teil der Kirchengeschichte.578 572  Vgl. Vorrede zum zweiten Buch der ersten Zenturie, ediert in: Scheible, Anfänge, 70–72, hier 71. 573  Vorrede zur zweiten Zenturie, ediert in: Scheible, Anfänge, 72–75, hier 73. 574  Die Zenturien bewerten die Urkirche nur soweit positiv, wie sie sich an Christus, den Aposteln und der Bibel orientiert; wo sie dies nicht tut, ist auch sie bereits depraviert. Daß sich daraus keine Theorie eines consensus quinquesecularis o.ä. machen läßt, zeigt: Norelli, Authority, 754. 575  Vgl. Vorrede zur zweiten Zenturie, 75; vgl. Norelli, Authority, 752. In der ungedruckten Vorrede zur 16. Zenturie wird übrigens die Gegenwartseinschätzung ins Positive verschoben: Neben der höchsten Blüte des Evangeliums seit den Aposteln wird die Bedeutung von Künsten und Wissenschaften in Deutschland hervorgehoben. Nur die Tatsache des entborgenen Antichristen zeigt hier die Nähe des Endes und die damit einhergehende Gefahrensituation an. Vgl. Vorrede zur 16. Zenturie, zweisprachig ediert in: Massner, Kirchliche Überlieferung, 97–100. 576  Kaufmann, Ende der Reformation, 468. 577  Zur apokalyptischen Grundhaltung der Zenturien vgl. Sonntag, Matthias Flacius Illyricus, 296; Verheus, Zeugnis und Gericht, 88. 578  Vgl. so die Vorrede zur dritten Zenturie, hier in Übersetzung benutzt in: Kirchen Historia. Dort heißt es: »Ketzereien sind wol kein teil der christlichen Kirchen«, aber in

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

Die Darstellungen, die dann folgen, lassen sich nach dem bisher Gesagten vorstellen; die Kirchengeschichte verwandelt sich in einen »Schauplatz der schrecklichsten Strafgerichte« 579. Die Päpste und ihre Taten bilden »nur ein endloses Gewebe der teuflischsten Absichten und Bestrebungen [. . .], und man muß sogar glauben, das den Gegnern erteilte Lob werde vor allem nur nach dem Grade des den Päpsten geleisteten Widerstandes bemessen.«580 Nach den Anfängen im zweiten Jahrhundert entstehen schon in der Spätantike Großhäresien wie der Arianismus; dieser wird zwar balanciert durch die gleichzeitige politische Sicherung des Christentums durch die römischen Kaiser und auch durch innerkirchliche Abwehrbestrebungen.581 Dennoch wird der Arianismus in eine kontinuierliche Niedergangsbewegung der institutionell verfaßten, zunehmend ›römischen‹ Kirche integriert. Die Primatsbestrebungen werden von Phocas durchgesetzt, und in zeitlicher Koinzidenz läßt Gott so die zwei Antichristen entstehen; seit dem Beginn des 7. Jahrhunderts herrschen Papsttum und Islam als die zwei Hauptgegner der wahren Christen.582 Damit ist, wie Fueter bemerkt, die historische Entwicklung eigentlich bereits abgeschlossen.583 Daß sich die Kaiser in Gestalt des Mörders Phocas Kompetenzen über die kirchliche Lehre angemaßt haben 584, rächt sich in dialektischem Umschlag: Spätestens im Hochmittelalter, das durch ein Nebeneinander von türkischem und päpstlichen Antichristen bestimmt ist, werden die Päpste nämlich zu »papacaesares«, die die kaiserliche Macht usurpieren.585 Die Kreuzzüge sind in diesem Kontext nur Versuche päpstlicher Machtvergrößerung, keine legitime Missionstat mehr.586 Innerkirchlich entspricht dieser Politik eine zunehmende Vernachlässigung des Evangeliums, die in der scholastischen Vermischung von Theologie und Philosophie und einer Vernachlässigung der Sprachen besteht; in gut lutherischer Tradition ist Aristoteles der große Verderber.587

der Kirche ist »auch Ketzerey und irrige Lere / die hat Christus nicht geseet / sondern der Teufel« (ebd., * ij r). Die Deutung von Backus, Historical Method, 357, in den Zenturien werde das Bild einer allmählich korrupt werdenden Kirche gezeichnet, während der Catalogus testium veritatis zwei Kirchen, die wahre und die falsche, im Kampf miteinander zeige, überzeichnet die Unterschiede beider Werke, die eher in einer inhaltlichen Akzentverschiebung liegen: Der Catalogus konzentriert sich auf die Lehrkontinuität, die Zenturien auf den kirchlichen Niedergang. 579  Baur, Epochen, 82. 580  Ebd., 64. 581  Vgl. Kapitel 1 der vierten Zenturie, ediert in: Scheible, Anfänge, 76. 582  Vgl. Kapitel 1 der siebten Zenturie, ediert in: Scheible, Anfänge, 76–78. 583  Vgl. Fueter, Geschichte der neueren Historiographie, 252. 584  Vgl. Kapitel 1 der siebten Zenturie, 77. 585  Vgl. Widmungsbrief und Kapitel 1 der dreizehnten Zenturie, ediert in: Scheible, Anfänge, 78–84, hier 83. 586  Vgl. Kapitel 1 der dreizehnten Zenturie, 84. 587  Vgl. Kapitel 1 der dreizehnten Zenturie, 83.

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Papsttum und Islam also als die Antichristen, denen unfähige Kaiser die Macht überlassen müssen; humanistische Gelehrsamkeit mit ihrer Tendenz, Moral mit Religion gleichzusetzen, sowie scholastische Verderbnis der Theologie als intellektuelle Hauptgegner: Dieses Bild ergibt sich aus den Vorworten der Zenturien. Wie im Catalogus werden davon die Bekenner des Evangeliums positiv abgesetzt, die nicht ›adiaphorisiert‹ haben. Diese polemische Ausweitung des Adiaphora-Begriffs auf jegliche Modifikation christlicher Lehren und Riten entspricht generell Flacius’ Auffassung eines untrennbaren Zusammenhanges zwischen Kultus, Kirchenverfassung und Theologie588 ; insofern ist die Ausgangssituation des Interims und des adiaphoristischen Streites gegen die Wittenberger ein zentraler Angelpunkt der Konzeption.589 Aber ist damit schon gesagt, daß die historiographischen Auffassungen Wittenbergs und Magdeburgs fundamental differieren? 590 Nicht zufällig wurden die wirkungsmächtigsten Geschichtswerke des frühneuzeitlichen Luthertums fast gleichzeitig publiziert: Melanchthons Überarbeitung des Chronicon Carionis erschien 1558, der erste Zenturienband 1559. Die Opponenten wußten vom Plan der jeweils anderen und sahen sich in einer gewissen Konkurrenz. Davon zeugt ein pamphletistischer Streit. Allerdings ging es in diesem Streit zuallerst darum, die Magdeburger z.  B. mittels des Vorwurfs der Geldveruntreuung moralisch zu diskreditieren. Umgekehrt polemisierten auch die Zenturiatoren heftig gegen Melanchthon. Aber bezog sich dies im engeren Sinne auf einen Dissens ihrer historiographischen Vorstellungen? Aus einer Schrift der Wittenberger von 1558, der einen Text der Zenturiatoren mit abdruckt, läßt sich zu dieser Frage einiges erkennen: Im Streit zwischen Wittenberg und Magdeburg ging es gar nicht mehr um theologische oder andere Inhalte, sondern um die Form des Streites selber und die Frage, wie man miteinander umgehen solle.591 Die Zenturiatoren sprangen Flacius bei: Sie wandten sich gegen den Vorwurf der Geldverschwendung und stellten im übrigen den Plan ihres Werkes und ihre Arbeitsweise vor.592 In ihrem Antworttext mißbilligten die Wittenberger die Schärfe der Angriffe, warfen Flacius Undankbarkeit gegenüber seinem Lehrer vor und unterstellten, daß auch die projektierte Kirchengeschichte vor allem ein Werk antimelanchthonischer Polemik werden sollte.593 Sie stellten sich offenbar ein stark auf die Gegenwart bezogenes Werk vor, das sich der unmittelbaren Konkurrenz zu Sleidan ausset  Vgl. Hase, Gestalt der Kirche, 33  f.   Vgl. Wagner, Ursprünge, 31. 590  So die These von Diener, Magdeburg Centuries, 83  f ., 190. 591  Vgl. De ecclesiastica historia: quae Magdeburgi contexitur, narratio, contra Menium, et scholasticorum Wittebergensium epistolas, cum responsione scholasticorum Wittebergensium ad eandam, Wittenberg 1558, D iiij v. 592  Vgl. De ecclesiastica historia, A iij r-v. 593  Vgl. De ecclesiastica historia, c ij v. 588 589

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

ze.594 Inhaltlich kritisierten sie zum zum Beispiel, daß die loci-Aufteilung zu kleinteilig sei. Sie präferierten zudem als Titel commentarii gegenüber historia, weil eine historia eine rhetorisch-stilistische Durchformung verlange, die sie den Magdeburgern offenbar nicht zutrauten (und die diese auch nicht leisten wollten), und weil die Gattung der historia »mediam inter fabulosas et ueras narrationes« stehe595 – was die Zenturiatoren nicht anstreben könnten. Dieser Begriffsgebrauch von historia ist allerdings im 16. Jahrhundert kaum zwingend, das Argument mithin nur mäßig stichhaltig. Charakteristisch ist aber die Antwort der Magdeburger, die sie in den Vorreden des ersten Zenturienbandes formulieren; oben sind diese Passagen bereits angesprochen worden, im Kontext der Auseinandersetzung mit den Melanchthonianern erhalten sie aber ihre volle Bedeutung. Während die Wittenberger beim Begriff commentarii an Sleidan und die humanistische Konnotation des Kommentars als literarisch anspruchslosen Bericht denken, von der die rhetorische Ambition der historia zu unterscheiden sei 596 , verstehen die Magdeburger diesen Begriff gewollt oder ungewollt anders. Für sie ist die theologische Konnotation des Kommentars viel wichtiger – sie denken bei diesem Begriff an den exegetischen Bibelkommentar, nicht an die ciceronische Tradition. Vollkommen am Wittenberger Einwand vorbeizielend, aber bezeichnend, weisen sie darauf hin, daß sie keinen ›Kommentar‹ zu den biblischen Prophetien, sondern eine tatsächliche Geschichte der Kirche verfassen: »Sed neque in tali historia sacra in prophetae aut apostoli alicuius librum commentaria aut enarrationes scribendas, sed ennarationem seu recitationem articulorum fidei methodica quadam ratione dilucide ponendam censemus« 597.

Auch der Hinweis, daß die Kirchengeschichte im Gegensatz zur (heidnischen) Profangeschichte beide Tafeln des Dekalogs vor Augen stelle, eine rein profangeschichtliche Moralexemplarik also für eine wahrhaft christliche Geschichtsauffassung nicht hinreiche598 – was im übrigen Melanchthon genau so auch vertreten würde –, zielt gegen die unterstellte übertriebene Affinität der Wittenberger zur humanistisch-moralischen, aber theologisch unterprofilierten Auffassung.599 Es ist eindeutig, daß die Zenturiatoren die pagane Historie weit   De ecclesiastica historia, F iij r.   De ecclesiastica historia, F ij r. 596  Vgl. zu dieser Differenz: Pirnát, Gattungen der humanistischen Geschichtsschreibung. 597  Vorrede zum Gesamtwerk, 63. 598  Vgl. Widmungsbrief der ersten Zenturie, 56  f . 599  Höhnisch schreiben die Magdeburger sogar im Streit um die Streitformen zwischen den Kontrahenten: Wenn die Melanchthonianer schon nicht in der Lage seien, die zehn Gebote einzuhalten, sollten sie sich doch wenigstens einer philosophischen Moral befleißigen: »si Praeceptis Decalogi se teneri non existimant, saltem Philosophiae moralis rationem habeant« (De ecclesiastica historia, B ij r). 594 595

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niedriger einschätzen als etwa Melanchthon600 ; es ist auch eindeutig, daß die Magdeburger Option für die Kirchengeschichtsschreibung und damit gegen die Universalgeschichtsschreibung deutlich mehr polemisches Potential barg. Es ist schließlich genauso unstrittig, daß zwischen Flacius und Melanchthon, zwischen Magdeburg und Wittenberg ein beträchtliches Maß an Ressentiments geäußert und an Abgrenzungsstrategien entwickelt wurde, und daß die Zenturien und das Chronicon Carionis als Konkurrenzwerke wahrgenommen werden konnten. Nicht weniger offensichtlich aber sind dies alles Unterschiede, die gar nicht auf historiographische Inhalte und die dahinterstehenden Geschichtskonzeption abzielen. Das Chronicon Carionis begründete eine Tradition der Universalgeschichtsschreibung, die in hohem Maße versucht, profane und politische sowie kirchliche Geschichte zu integrieren; die Zenturien waren eher ein Spezialisierungsprojekt. Damit liegt eine Akzentverschiebung hinsichtlich des gewählten Schwerpunktes vor, nicht aber ein fundamentaler historiographischweltanschaulicher Dissens zwischen beiden Werken oder, a fortiori, ein Bruch zwischen einer ›philippistischen‹ und einer ›gnesiolutherischen‹ Geschichtsauffassung. Oben (Kap. B.IV.3) ist bereits die Interpretation des Chronicon Carionis als ›philippistisches‹ Werk601 skeptisch beurteilt worden. Es ist eher ein universalgeschichtlich orientiertes Kompendium, das Religion und Kirche nicht so in den Mittelpunkt rückt, wie dies nach Meinung der Zenturiatoren geschehen sollte. Auch an anderen Universalhistorikern wie z.  B. Sleidan übte Flacius Kritik602 – ihm scheint das Genre der Universalhistorie generell nicht gefallen zu haben. Der reichisch-nationalen Perspektive stellt er – gegen den Melanchthon des Chronicon Carionis, mit dem Melanchthon der Trauerrede für Luther – eine genuin doktringeschichtliche Konzeption gegenüber. Und dennoch ist dies kaum mehr als ein individuelles Urteil über die Bedeutung bestimmter historischer Bereiche. Daß der Melanchthon historiographisch nahestehende David Chyträus die Zenturien positiv rezipierte603, zeigt bereits, daß keine Unvereinbarkeit zwischen beiden Konzeptionen bestand, ja daß diese sich innerhalb des historiographischen Identitätsdiskurs sogar komplementär ergänzten.604 Eine starke Abgrenzung zwischen Melanchthon und den Zenturiatoren scheitert ja schon daran, daß, wie oben gezeigt wurde (Kap. B.VI.4.b),   Vgl. Backus, Historical Method, 359.   So Moltmann, Art. »Peucer«. 602  Vgl. Scheible, Entstehung, 37. 603  Vgl. Klatt, Chyträus, 38. 604  Insofern ist die Gegenüberstellung zwischen der ›statischen‹ Geschichtssicht Melanchthons und der ›dynamischen‹ der Zenturien, die Irena Backus herausarbeitet, kaum mehr als das Indiz einer Akzentverschiebung; vgl. Backus, Historical Method, 390  f. Irritierend erscheint die Auffassung, im Vergleich zu den Zenturien biete Melanchthons Chronicon Carionis eine »much more forceful apocalyptic interpretation«; so: Cunningham/Grell, Four Horsemen, 49  f. 600 601

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

Flacius’ Auffassung von Niedergang und Lehrkontinuität sowie die Konzeption der Wahrheitszeugen im wesentlichen Melanchthonsche Ideen ausbauen und fortschreiben. Die Zenturien, außerhalb der Universität entstanden und schon wegen ihres Umfangs – anders als das Chronicon Carionis – an der Universität kaum benutzbar605 , waren kein publizistischer Erfolg. Die ersten drei Zenturien, in einem Band zusammengefaßt, erschienen im 16. Jahrhundert nach dem Erstdruck immerhin noch zweimal, die vierte Zenturie noch einmal; diese vier Zenturien wurden auch übersetzt 606 ; aber alle anderen Bände wurden nach dem Erstdruck erst in einer Ausgabe reformierter Provenienz von 1624 wieder aufgelegt. Für Theologen waren die vielen großformatigen Bände wohl zu teuer, für Politiker zu umfangreich.607 Dennoch ist die in der Forschung vertretene Ansicht, daß die Zenturien wegen ihrer Vielbändigkeit im wesentlichen wirkungslos blieben608 , übertrieben. Die Zenturien wirkten nämlich auf vielfache Weise: Erstens wurden sie in der Historiographie des Zeitalters auffällig oft als Quelle verwandt. Dies kann hier nicht systematisch ausgeführt werden, entspricht aber quantitativ sicher der beherrschenden Position, die auch der Catalogus testium veritatis – unabhängig von seinen eigenen Auflagenzahlen – innehatte (vgl. Kap. B.V.4.c.). Zweitens wurden die Zenturien zum Materiallager der Kontroverspolemik (vgl. Kap. B.V.8). Drittens schließlich, und dies soll kurz beleuchtet werden, wirkten die Zenturien insofern weiter, als sie im orthodoxen Luthertum systematisch aufgegriffen wurden. Lukas Osianders kürzere, aber immer noch vielbändige Fassung aus der Zeit um die Jahrhundertwende baute ebenso auf den Zenturien auf wie die einbändige Kurzausgabe, die 1630 von Johann Valentin Andreae und Johann Bernhard Wagner veröffentlicht wurde. Vor allem Osianders »Epitomes Historiae Ecclesiasticae«, die zwar wegen ihren immer noch beträchtlichen Umfangs ebenfalls kaum in den universitären Unterricht hineinwirkten609, waren so erfolglos nicht: Der erste Band, der die drei ersten Jahrhunderte enthielt, wurde zweimal gedruckt, die vierte Zenturie fünfmal, die fünfte zweimal, die sechste und siebente dreimal; auch einzelne der späteren Bände wurden nachgedruckt.610 Damit wurde die apokalyp605  Vgl. Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte, 128  f .; Stöve, Kirchengeschichte, Bd. 1, 69. 606  Vgl. VD 16, E 218–240. 607  Vgl. Scheible, Entstehung, 70; diese Einschätzung geht zurück auf: Osiander, Lucas, Epitomes Historiae Ecclesiasticae Centuria I.II.III. . . ., Tübingen 1592, )( )( r. 608  Vgl. Schönstädt, Antichrist, 100; Cameron, One Reformation, 111. 609  Vgl. Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte, 130. 610  So ergibt eine Zählung im VD 16 und VD 17: Bd. 1 (1.–3. Zenturie): 1592, 1607; Bd. 2 (4. Zenturie): 1595, 1604, 1605, 1607, 1613; Bd. 3 (5. Zenturie): 1597, 1607; Bd. 4 (6. Zenturie): 1598, 1607, 1608; Bd. 5 (7. Zenturie): 1599,1608, 1609; Bd. 6 (8. Zenturie): 1605; Bd. 7 (Zenturien 9–15): 1604; Bd. 8 (Zenturie 16,1): 1603, 1610; Bd. 9 (Zenturie 16,2): 1603–1610.

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tische Kirchengeschichte der Jahrhundertmitte in einen orthodoxen Horizont integriert. Der württembergische Hofprediger und Tübinger Theologe Lukas Osiander d.Ä. (1534–1604) 611 war zwar der Sohn Andreas Osianders, dessen Rechtfertigungslehre von Wittenbergern wie Magdeburgen scharf bekämpft worden war, wurde aber nichtsdestoweniger zu einem Hüter des orthodoxen Luthertums.612 Er war mit Jacob Andreae, dem Vater der Konkordienformel, verschwägert und profilierte sich auch im Kampf der lutherischen Orthodoxie gegen den als konfessionell zu lax eingeschätzten Straßburger Humanismus eines Johannes Sturm.613 Osiander bekannte selbst, ohne die Magdeburger Zenturien hätte er diese Arbeit nie gewagt 614 ; aber dies ist noch eine Untertreibung, denn sein Werk baut ganz wesentlich auf den Zenturien auf. Die Dignität der biblischen historia sacra und die Wichtigkeit der Kirchengeschichtsschreibung, die Osiander in der Vorrede zum ersten Band herausstellt, entspricht ähnlichen, oben zitierten Formulierungen in den Praefationes der Zenturien.615 Gegenüber den profanen Historien habe die Kirchengeschichte den Vorteil, Trost spenden zu können, indem sie zeige, daß der Satan die Kirche weder durch Verfolgung noch durch Häresien habe zerstören können.616 Man müsse aber gerade die Kirchengeschichte »cum iudicio« studieren617, weil in ihr die Überlieferung so unsicher sei. Die Päpste hätten nicht nur Falsches getan, sondern auch die Möglichkeit erheblich erschwert, Wissen über die kirchliche Vergangenheit zu erlangen. Schon deshalb seien die Zenturiatoren nicht genügend zu loben, deren unermeßliche Arbeit ein Werk hervorgebracht habe, das leider wegen seines Umfangs nicht genügend studiert werde. Dieser Befund ist Osianders Ausgangspunkt.618 Seine Hauptquelle sind, wie er immer wieder ausweist, die Zenturien; daneben stützt er sich v.  a. auch auf Euseb. Die einzelnen Bände von Osianders Kompendien sind binnenchronologisch angelegt; die loci-Ordnung ist zugunsten einer lockereren Kapitelstruktur aufgelöst.619 Die folgenden Bemerkungen beziehen sich v.  a. auf die am Ende der Bände jeweils angehängten Zusammenfassungen des jeweiligen Jahrhun611  Vgl. zur Vita: Ehmer, Hermann, Art. »Osiander, Lukas d.Ä.«, in: BBKL 6, Sp. 1299– 1304. 612  Siehe Fligge, Herzog Albrecht von Preußen, 444: »An der Universität Tübingen, an der Lukas Osiander bald Karriere machte, vollzog sich die Überwindung des Osiandrismus ohne Bruch – ohne Verfolgung des bedeutenden Theologen, dessen Gelehrsamkeit selbst der schärfste Gegner nicht in Zweifel gezogen hatte.« 613  Vgl. Dingel, Concordia controversa, 54–72. 614  Vgl. Osiander, Epitomes Historiae Ecclesiasticae Centuria I.II.III. . . ., )( )( v. 615  Vgl. ebd., )( 2r – v. 616  Vgl. ebd., )( 3v. 617  Ebd., )( 4r. 618  Vgl. ebd., )( )( r. 619  Vgl. Scheible, Entstehung, 70.

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

derts. Dies bietet sich nicht nur deshalb an, weil diese Fazits die praktischste Art sind, sich die umfangreichen Bände zu erschließen, sondern auch weil dies häufig die einzige Stelle ist, an der übergreifende, ›strukturgeschichtliche‹ Aussagen zu finden sind, während die Hauptteile der Bände weitgehend chronologisch und annalistisch angelegt sind. Das erste Jahrhundert gilt lehrmäßig als rein, wenn auch die Apostel nicht verhindern konnten, daß nach ihnen Lehrverfälschungen entstanden. Ähnliches gilt auch noch für das zweite Jahrhundert, das gegenüber der zenturiatorischen Ambivalenz etwas positivert erscheint.620 Im dritten Jahrhunder bildet vor allem die Vorstellung eines freien Willens und damit die Verfälschung der Rechtfertigungslehre einen wichtigen Negativstrang; die konfessionelle Interpretation des Evangeliums als Leitschnur historiographischer Bewertung führt auch Osiander ein, um dann zu urteilen: »De Libero arbitrio huius seculi patres, non optime docebant« (als ob Christus darüber dogmatisch gelehrt hätte!), »non satis diligenter Legis et Euangelij discrimen obseruantes«. Doch bei aller Eigensinnigkeit der Theologen hätten diese doch, wenn sie ›ermahnt‹ worden seien, ihre Meinung immer revidiert.621 Dies gelte für die nächsten Jahrhunderte nicht mehr622 ; die Aussage besitzt aber hohe Gegenwartsrelevanz insofern, als sie andeutet, daß der einzelne Theologe sich nicht mutwillig aus dem orthodoxen Konsens – d.  h. in diesem Zusammenhang: der lutherischen Kirche und der Konkordienformel – herauskatapultieren solle.623 Osiander vertrat kaum Ansichten, die nicht bereits bei Flacius, in den Zenturien und in anderen Werken wieder und wieder vorgetragen worden waren. Während der Catalogus testium veritatis und die Zenturien zum ersten Mal systematisch und ausführlich die geschichtstheologischen Prinzipien von Niedergang und Kontinuität historiographisch umgesetzt hatten, war Osianders Aufgabe innerhalb des Gedächtnisdiskurses im wesentlichen, alles noch einmal zu sagen. Dies ist für den heutigen Leser ermüdend, entspricht aber dem Selbstverständnis der konfessionellen Orthodoxien: Wenn Dinge wichtig und richtig sind, kann man sie nicht oft genug sagen. Dies gilt beispielsweise für die gleichzeitige ›Geburt‹ von Papsttum und Islam zu Beginn des 7. Jahrhunderts, das Osiander mit der oft zitierten Passage aus 2. Thess 2 einleitet: »Et sic Antichristus Romanus in Ecclesia Dei [. . .] sedem suam posuit: vt Paulus futurum prae  Vgl. Osiander, Epitomes Historiae Ecclesiasticae Centuria I.II.III. . . ., I, 159; II,

620

102.

621  Vgl. ebd., III, 114: »Et habuerunt Patres suas quasdam priuatas opiniones: quas, si admoniti fuissent, haud dubie correxissent.« 622  Vgl. Osiander, Lucas, Epitomes Historiae Ecclesiasticae Centuria IIII . . ., Tübingen 1595, 533–535; ders., Epitomes Historiae Ecclesiasticae Centuria quinta . . ., Tübingen 1597, 494. 623  Vgl. Osiander, Lucas, Epitomes Historiae Ecclesiasticae Centuria Sexta . . ., Tübingen 1598, ):(2v-3r.

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dixerat.« 624 Obwohl der »superstitiose pius« Kaiser Karl der Große schließlich die Macht der Päpste befestigen half, die ihm »sive serio, sive simulando« die Kaiserwürde übertragen hatten, blieb die Kirche – auf der Basis von Evangelium und Sakramenten – immer bestehen: »Semper enim fuit, est et erit uera Dei Ecclesia in terris« 625. Der Band, der den Zeitraum von 900 bis 1500 umfaßt, ist mit 500 Seiten relativ kurz. Die eigentliche Niedergangszeit der Kirche wird also knapper behandelt als die Epoche ihrer Blüte. Dies ist deshalb möglich, weil alle fatalen Wendepunkte bereits geschehen sind. Die Entscheidung, »breuiore [. . .] stylo« zu schreiben, begründet Osiander damit, daß in dieser Zeit kaum mehr Häresien entstanden seien. Vor allem aber ist er der Ansicht, daß die hochmittelalterlichen Auseinandersetzungen zwischen Kaiser- und Papsttum rein machtpolitischen Gehalt hatten und damit in eine Kirchengeschichte stricto sensu nicht hineingehören: »Controuersiae politicae, inter Reges et Principes, non ad historiam Ecclesiasticam (Ecclesiasticam, inquam) pertinere mihi uidebantur« 626 . Damit werden die mittelalterlichen Jahrhunderte für Osiander mit einer nicht häufig zu lesenden Formulierung tatsächlich zu den »centuriae intermediae«, die man zwar auch wie mit dem Pinsel des Apelles malen müsse, aber sich dabei kurz fassen könne.627 Insgesamt wird festgestellt: »Ecclesiae Christi fuerunt in multis locis, sed doctrina non tota fuit sincera.« 628 Die Bewahrer des christlichen Glaubens sind auch für Osiander die bekannten testes, hier wirkte Flacius augenscheinlich kanonbildend. Ab dem 9. Jahrhundert scheint aber innerhalb der institutionalisierten Kirche ein Entwicklungsstillstand erreicht zu sein: Natürlich werden die Päpste immer unverschämter, aber die Lehre ist bereits verfälscht, und ab einem bestimmten Grad der Heterodoxie ist kaum noch ein emphatisch so zu bezeichnender Niedergang konstatierbar. Die päpstlichen Kämpfe mit den Kaisern werden, wie Osiander angekündigt hatte, tatsächlich nur selten erwähnt. Dennoch bleibt die Kirchengeschichte für Osiander v.  a. die Geschichte der römischen Kirche und des Kampfes gegen sie. Blickt man jeden624  Osiander, Lucas, Epitomes Historiae Ecclesiasticae Centuria Septima . . ., Tübingen 1599, 14. – Die Strafen, die Gott zur Züchtigung der Christen in der Gegenwart schickt und zu denen auch die Türken gehören, sind also lange vor Luther entstanden und können dementsprechend, so bemerkt Osiander gegen die Katholiken, nicht als Strafe für die reformatorische Lehrabweichung gedeutet werden: »Vbi autem tunc temporis erat Sanctus ille noster Lutherus? [. . .] Vbi tum erat Lutherus, qui nondum natus, nondum docebat, nondum scribebat? Sciant igitur Pontificij, non doctrinam Lutheri, piam et sacrae Scripturae consentaneam, sed Pontificiam Idololatriam, per Turcas et alios Imperij Romani hostes, diuinitus puniri.«: ebd., ):(3v. 625  Osiander, Lucas, Epitomes Historiae Ecclesiasticae Centuria Octava . . ., Tübingen 1605, Zitate: 5, 134, 6. 626  Osiander, Epitomes Historiae Ecclesiasticae, Centuria Reliquae IX.  X .XI.XII. XIII.XIIII.XV. . . ., ):( 2r-v. 627  Vgl. ebd., ):( 3v-4r. 628  Ebd., 2.

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V.  Kirchengeschichte als Selbst- und Fremdbeschreibung

falls von der Historiographie, dann ist die lutherische Identität, die im Selbstbeschreibungsdiskurs generiert wird, primär eine negativ orientierte Abgrenzungsidentität, die zwar immer auch Positiva der eigenen Seite – die Bewahrung der eigenen Lehre – vermerken kann, aber doch auf den Gegner bezogen bleibt. Gegen Ende wird die Darstellung knapper, was wohl auch mit dem Abbruch der Zenturien nach dem 13. Jahrhundert zusammenhängt. Jedenfalls umfassen Osianders 14. und 15. Jahrhundert zusammen nur noch neunzig Seiten; hier häufen sich Verweise auf Nauclerus. Es wird keine in dem Sinne umfassende Niedergangsperspektive entwickelt, daß eine Reformation als Telos der Darstellung unausweichlich würde. Alles ist schlecht, seit Jahrhunderten – eine schlüssige Hinleitung auf eine historisch notwendige Reformation ist dies nicht. Diese hätte, betrachtet man Osianders Szenarien, auch Jahrhunderte früher stattfinden können und eigentlich müssen. Daß sie dies nicht tat, muß als Gottes Geheimnis unverstanden bleiben, oder andersherum formuliert: Daß schließlich doch ein Luther auftrat, um den Augiasstall auszumisten, muß als Wunder interpretiert werden, das keine historisch-kausale Herleitung zuläßt. Dieses Wunder ist Inhalt der sechzehnten Zenturie.629 Im Jahr 1630 wurde noch einmal eine Kurzfassung des Osianderschen Werkes erstellt. War bereits Osianders Kirchengeschichte eine Kurzversion der Zenturien, bieten Johann Valentin Andreae und Johann Bernhard Wagner ihrerseits eine knappe Zusammenfassung Osianders. 630 Der kaum über 400 Seiten umfassende Oktavband war offenbar für den Hausgebrauch und zum Nachschlagen konzipiert; wie bei Osiander füllt der Bericht über die ersten 600 Jahre der Kirche die Hälfte des Bandes, dem fünfzehnten Jahrhundert werden ganze dreizehn Seiten zugebilligt. Andreae/Wagner nennen keine Quellen, verweisen aber in Titel und Vorwort auf Osiander, aus dessen Kirchengeschichte sie ein »handbüchlein« für den »gemeinen Mann« zusammengestellt hätten.631 Formal weichen sie noch weiter als Osiander von den Zenturien ab: Zwar wird manchmal darauf hingewiesen, daß jetzt ein ­neues Jahrhundert beginne, aber insgesamt ist das Zenturienprinzip zugunsten der älteren annalistischen Zusammenstellung aufgegeben. Loci gibt es nicht mehr; die Zenturien sind also tatsächlich als Nachschlagewerk rezipiert, aber formal nicht imitiert worden. Was die inhaltliche Seite betrifft, so folgen  629  Vgl. Osiander, Lucas, Epitomes Historiae Ecclesiasticae, Centuriae Decimae Sextae Pars Prima. . . ., Tübingen 1602. 630  Vgl. Andreae, Johann Valentin/Wagner, Johann Bernhard, Kurtze Kirchen Historia . . ./ Auß des Ehrwürdigen / Hochgelerten Herrn Lucae Osiandri Senioris, seligen Kirchen Centurien kürtzlich zusammen gezogen / vnd bey / diesen gefährlichen Läufften / dem gemeinen Mann zur Nachrichtung vnd Trost mitgetheilt, Straßburg 1630, (:)v r. 631  Andreae/Wagner, Kirchen Historia, (:) iiij v und Volltitel.

7.  Perspektiven der Kirchengeschichtsschreibung jenseits der Zenturien

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Andreae/Wagner ganz Osiander und damit letztlich der zenturiatorischen Sy­ stematisierung der Kirchengeschichte nach dem Niedergangs- und Bewahrungsprinzip; Andreae präsentiert sich sich mit Bezug auf die Konkordienformel als orthodoxer Lutheraner und deutet nirgendwo heterodoxe Positionen auch nur an. Waren Flacius und seine ›gnesiolutherischen‹ Mitstreiter aus dem Konsens der lutherischen Orthodoxie ausgeschlossen worden, so galt dies nicht für ihre stilbildende Sicht der Kirchengeschichte, die ohne Probleme von Magdeburg nach Tübingen (und anderswohin) überführt werden konnte. Die Gemeinsamkeiten in der Sicht auf die Geschichte überwogen andere Dissense; damit besaß die Historiographie in einem Zeitalter der Kontroversen konfes­ sions­integrierende Funktion.

7.  »Vnd ist kein zweiffel / was ir Lehr gewesen seye«: Perspektiven der Kirchengeschichtsschreibung jenseits der Zenturien Wenn auch der unmittelbare Erfolg der Zenturien nicht übermäßig groß war, ist doch unübersehbar, daß sie als Quelle für die spätere Kirchengeschichtsschreibung wie für die Polemik (siehe B.V.8) eine immense Rolle spielten. Eine Rezeptionsgeschichte der Zenturien im konfessionellen Luthertum kann hier nicht geleistet werden. Doch schon jetzt ist deutlich, daß die grundsätzlichen historiographischen Perspektiven der Zenturien ein wichtiges und oft aufgegriffenes Modell und ihr Material eine Hauptressource lutherischer Selbstbeschreibung darstellten. Neben den Zenturien standen andere – akademische oder auch polemische – »Gesamtdarstellungen«, neben den Gesamtdarstellungen andere Genres der Auseinandersetzung mit der Kirchengeschichte, die von der Predigt über die Kontroverspolemik bis zur Einzelprobleme behandelnden gelehrten Monographie reichen. Fünf Beispiele sollen diese Variationsbreite der lutherischen Kirchenhistoriographie neben den (nicht: gegen die) Zenturien ausleuchten: Nach einem Blick auf kirchenhistorische Mono- und Biographien werden vier Zugriffe auf die Gesamtkirchengeschichte vorgestellt, die alle eine gegenüber den Zenturien etwas unterschiedliche Perspektive einnehmen, diese damit aber eher ergänzen als ihnen opponieren. Es wird in ihnen nicht etwa ein grundsätzlich anderes Geschichtsbild entworfen, sondern aus Gründen des politischen Kontexts, der thematischen Akzentsetzung, eines innerakademischen Publikums, schließlich einer Zuwendung zu polemischen Sprachregistern ist der Fokus und der Publikumsbezug dieser Werke gegenüber den Zenturien verschoben.

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a)  Kirchengeschichtliche Monographien: Gregor der Große und Bonifatius Grundsätzlich ist es schwierig, zwischen kirchenhistorischen Traktaten mit gelehrtem Impetus und polemischen Waffen im Konfessionskampf zu unterscheiden. Dies gilt in hohem Maße z.  B. für die Editionen kirchenkritischer Schriften des Mittelalters, die von Reformatoren veranstaltet wurden. Dabei handelte es sich oft um den Erstdruck, der zur Grundlage späterer gelehrter Beschäftigung mit den Texten wurde; und doch besitzen die Editionen meist einen kontroverspolemischen Unterton, der nicht vernachlässigt werden darf. Dies gilt beispielsweise für Flacius’ bereits erwähnte Herausgabe der Schriften Hus’ (vgl. B. V.5.c), aber auch für seine zahlreichen Editionen mittelalterlicher Kirchenhistoriker und religiöser Publizisten vor allem während der Magdeburger Zeit.632 Auch beispielsweise Vergerio edierte 1563 nach dem Erstdruck von 1538 erneut das Glaubensbekenntnis der böhmischen Brüder, die er auf die Waldenser zurückführte, und fügte Stellungnahmen Luthers, Melanchthons und Bucers hinzu. Vergerio gab seiner Überzeugung Ausdruck, daß in den Schriften der Böhmen die »pura Evangelij uox« zu vernehmen sei633. Doch auch sonst profilierte sich Vergerio als Herausgeber, indem er eine kommentierte Ausgabe von Briefen Gregors des Großen – gekoppelt mit Heiligenviten – herausgab. An diesem Text zeigt sich in nachdrücklicher Weise die ambivalente Haltung, die lutherische Autoren gegenüber dem frühen Mittelalter einnahmen. Die Tatsache, daß der genaue Anfangstermin des kirchlichen Verfalls nicht eindeutig zu bestimmen war und man darauf auswich, den Beginn zumindest des machtpolitisch relevanten Papsttums auf das Jahr 607 zu datieren, führte dazu, Gregor meist noch in die Reihe der vorpäpstlichen römischen Bischöfe einzuordnen; andererseits wurden ihm bereits dogmatische und rituelle Verfälschungen vorgeworfen. Die im lutherischen Diskurs ambivalente Gestalt Gregors – einerseits der letzte gute römische Bischof, andererseits auch gefährlicher Neuerer634 – 632  Vgl. Kaufmann, Ende der Reformation, 340–367; Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik, 116–141. 633  Vgl. Praefatio Vergerii in nouam editionem Confessionis Fidei VValdensium . . ., Wittenberg 1563, A2r. Schon Luther und Melanchthon verwenden den Begriff Waldenser für die Böhmischen Brüder, obwohl sie wissen, daß diese Zuordnung nicht ganz korrekt ist. Erst Flacius und Vergerio führen die Brüder genetisch auf die Waldenser zurück; vgl. de Lange, Bretten, Melanchthon und die Waldenser. 634  Die Autoren sind sich in der Regel einig, daß Gregor höher zu schätzen sei als seine Nachfolger, gewichten dies aber unterschiedlich. Vgl. nur die negativen Bewertungen bei: Schopper, Neuwe Chorographia, 352; Krentzheim, Coniecturae, K iij r; Goldtwurm, Kaspar, Kirchen Calender. Ein Christlich vnd nützlich Buch / In welchem nach Ordenung gemeiner Allmanach / die Monat / Tage vnd Fürnembsten Feste deß gantzen Jars mit jrem gebrauch / Auch der H. Apostel / vnnd christlichen Bischoffe / Lehrer / vnd Märtyrer glaub / Leben / vnd bestendige bekandtniß / welches sie mit jrem eigenen Blut vnd sterben bestättiget haben / kürtzlich verfasset . . ., Frankfurt a.  M. 1559, 12. März; eine positive Sicht Gregors z.  B. bei: Hedio, Chronica, 471–478; Funck, Chronologia, O ij r;

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wird von Vergerio mittels des Abdrucks von Wundergeschichten und eines Kommentars zu seiner Kirchenpolitik demontiert.635 Dieser Kirchenvater habe sich aber immerhin gegen den Primat ausgesprochen: Sollten ihm da die Papisten nicht folgen? 636 Gregors Anfälligkeit für Aberglauben sei immerhin dadurch erklärlich, daß er bei den Benediktinern erzogen worden sei, und dies in einer Zeit, als durch die Völkerwanderung Studien und Kirche darniederlagen.637 Diese Ambivalenz der Bewertung zeitigt damit immerhin vorsichtige Ansätze der Historisierung der Gestalt Gregors, die nicht vollständig zeitgenössischen und lutherischen Maßstäben unterworfen wird. Gerade das frühere Mittelalter bleibt, vergleicht man lutherische Darstellungen, in hohem Maße eine Epoche zwiespältiger Bewertungen. Dies gilt auch für Bonifatius, den Missionar der Deutschen.638 Flacius hatte Bonifatius als ›Malefacius‹ apostrophiert und war Aventin in der Einschätzung gefolgt, es habe bereits lange vor Bonifatius Christen in Deutschland gegeben, so daß die Leistung des Missionars kaum in der Christianisierung bestehen könne.639 Andere Autoren legten den Akzent bei grundsätzlich ähnlicher Einschätzung doch auf die Tatsache, daß Bonifatius ein nur oberflächlich christianisiertes Deutschland ›reformiert‹ habe, und zogen so eine Parallele zu Luther.640 Lutherische Chroniken v.  a. hessischer Provenienz versuchten ihn aus Landesinteresse zum Lutheraner zu stilisieren.641 Daß es jedenfalls innerhalb des hier untersuchten Zeitraums nicht zu einer eindeutigen Einschätzung des Bonifatius in der lutherischen Geschichtsschreibung kam, zeigen die beiden Viten, die in den Jahren 1602 und 1603 erschienen. Ihre Verfasser sind delikaterweise Vettern: der niedersächsische Pfarrer Johannes Letzner und Cyriacus Spangenberg.642 Letzner, dessen intellektueller Horizont vor allem durch Kontakte zur Helmstedter Universität geprägt war, versuchte sich 1602 in einer unparteiischen Darstellung. Gegen den flacianischen Rigorismus (er benutzt zwar viele Quellen, nicht aber die Zenturien!) stellt Letzner das mildere Urteil des Chronicon Carionis.643 Dennoch ist auch ihm klar, daß Bonifatius die deutsche Kirche in die Einfluß­

Höniger, Spiegel / Des Weltlichen Römischen Bapsts . . ., 120v; Chyträus, Auslegung der Offenbarung Johannis . . ., Ff ij r. 635  Vgl. (P.  P. Vergerio), De Gregorio Papa eius nominis prima, quem cognomento Magnum appellant et inter praecipuos Ecclesiae Romanae Doctores ennumerant . . ., Königsberg 1556. 636  Vgl. ebd., C iij r. 637  Vgl. ebd., D iij r. 638  Vgl. Fuchs, Protestantische Heiligen-memoria, 607. 639  Vgl. Flacius, Catalogus, 115–119. 640  Vgl. z.  B. Krentzheim, Chronologia, 140r. 641  Vgl. Fuchs, Traditionsstiftung, 98–104. 642  Vgl. Klinge, Hans, Johannes Letzner. Ein niedersächsischer Chronist des 16. Jahrhunderts, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 24 (1952), 36–96. 643  Vgl. Letzner, Historia S. Bonifacij, C ij v.

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sphäre Roms gebracht hat; aber dies scheint weniger gravierend als die grundsätzliche Christianisierung der heidnischen Deutschen: »Ob auch wol vielgedachtem Bonifacio / zugemessen vnd schuld gegeben wird / als das er zu viel unnötiger Ceremonie vnd mancherley Kirchen gebreuch (wie das auch etlicher maß aus den Schrifften vnd Brieffen / so die Bäbst an Bonifacium vnd Bonifacius an die Bäbste geschrieben hat / zuersehen ist) vnd damit die gewissen verstrickt / verwirret / geergert vnd beschweret haben soll / So las ich das in sich berugen (!) / vnnd sey der meinung nicht / mich derentwegen mit jemandt in weitleuffigkeit zubegeben / oder Richter vnd Scheidtsmann zu sein / Sondern lasse Gottes wort vnd der Hochgelerten iudicium daruber sprechen. Was Ich vom Bonifacio setze vnd schreibe, das thu ich historischer vnd nicht Disputierlicher weise. Vnd schreibe das was ich finde / vnd was andere für mir geschrieben. Vnd lasse einem jeglichen sein Urtheil.« 644

Eine dieser letztlich irenischen Haltung diametral entgegengesetzte Position nimmt Spangenberg ein. Ohne offenen Bezug auf Letzner, aber in der Sache deutlich gegen diesen argumentierend, zeichnet er in seiner Vita von 1603 ein entgegengesetztes Bild: Bonifatius sei nicht der Verkünder des Evangeliums in Deutschland; dieses sei bereits 200 Jahre zuvor gepredigt worden, dann aber »mehr des Lebens denn der Lehre halben« verfallen.645 Anders als andere Prediger seiner Zeit, deren Lehre verdächtig der lutherischen ähnelt, habe Bonifatius sich mit Rom eingelassen und sei je länger je mehr vom Evangelium abgewichen; Spangenbergs Stichwort sind die »Menschensatzungen«, die Bonifatius in die deutsche Kirche eingeführt habe, wodurch er zum eigentlichen Initiator des Papismus in Deutschland geworden sei.646 Dies zeigt Spangenberg v.  a. mittels der Insertion des Briefwechsels zwischen Bonifatius und der Kurie, den er vermutlich über das kanonische Recht rezipiert hat.647 Wenn Bonifatius auch konzediert wird, ein guter Visitator und Schriftsteller gewesen zu sein, dem man letztlich den Status eines »Reformators« nicht absprechen könne, hat er doch auch eine Reihe von »newrungen« eingeführt und ist »bißweilen zum Verfolger vnschuldiger Christen worden«.648 Die impliziten Helden dieser Erzählung bleiben daher die namenlosen älteren Prediger.649   Ebd., B j v – B ij r.   Spangenberg, Cyriacus, Bonifacius. Oder: Kirchen Historia. Warhafftiger / ordentlicher Bericht/ wie es vmb die Religion in Thüringen/ Hessen/ Francken vnd Beiern/ vom 714. Jhar/ biß auffs 755. gestanden. Darinnen das leben vnd gantze Historia S. Bonifacii mit eingeführet vnd begrieffen wird, Schmalkalden 1603, iiij r. 646  Ebd., )( iiij r. 647  Die Papstbriefe erlangten oft den Status von Dekretalen; vgl. Frenz, Thomas, Art. »Papstbriefe«, in: LMA 6, Sp. 1685; Bonifatius’ Briefe waren selber schon von seinem Mainzer Nachfolger Lul zusammengestellt worden und gelangten vermutlich so ins Kirchenrecht. 648  Spangenberg, Bonifacius, 26r-28r; 107r, 116r-117v; 132r. 649  Ebenso ›implizit‹ wie diese Kontroverse zwischen Spangenberg und Letzner bleibt ein katholischer Epilog: 1605 erschien in Mainz die erste vollständige Druckausgabe der Bonifatiusbriefe. Ihr Herausgeber, der Jesuit Nicolaus Serarius, schuf damit ein gelehrtes 644 645

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b)  Jacob Schoppers Chorographia Ein von der Konzeption nicht besonders originelles, aber immerhin exzen­ trisches Werk ist Jacob Schoppers Versuch von 1582, die deutsche (Profan-)  Geschichte mit der Kirchengeschichte zu verklammern.650 Das Werk ist im Kontext dieser Arbeit vor allem von Interesse, weil es ex negativo eine charakteristische Tendenz der lutherischen Geschichtsschreibung beleuchtet. Schoppers Werk ist nämlich eindeutig als Heidelberger Tendenzschrift der Epoche der Relutheranisierung der Kurpfalz (1576–1583) lesbar. Dies ist deshalb bezeichnend, weil es eines der ganz wenigen Werke der Universal- oder Gesamtkirchengeschichtsschreibung ist, die sich unmittelbar an makropolitische Prozesse etwa der territorialen Konfessionalisierung ankoppeln lassen. Natürlich nehmen viele, ja alle Geschichtswerke generell Bezug auf die konfrontative Gesamtsituation oder schließen – etwa als polemische Gegenschriften – an unmittelbar vorausgehende Ereignisse oder Texte an. Sehr selten kann man aber wie im Falle Schoppers beobachten, daß eine Darstellung der Kirchengeschichte Deutschlands in einen dezidiert tagespolitischen Kontext gestellt wird. Dies dürfte sich etwa bei territorialen Kirchengeschichten völlig anders darstellen; diese liegen aber hier außerhalb des Untersuchungsfokus. Soweit man sehen kann, reagiert weder die Universalgeschichtsschreibung noch die Historiographie der Gesamtkirche unmittelbar auf reichsweite Großereignisse wie z.  B. den Augsburger Religionsfrieden oder die späteren ›zweiten Reformationen‹ etwa Hessens oder Brandenburgs. Dies indiziert eine gewisse Autonomie dieser historiographischen Genres von tagespolitischer Bezugnahme und fordert die Frage heraus, wie autonom Geschichtsschreibung generell gegenüber Zeitereignissen war bzw. welche Art von politischer Kontextualisierung die Charakteristika dieser Texte am schärfsten herausstellen hilft. Jacob Schopper war während der Regierungszeit Ludwigs VI. Theologieprofessor in Heidelberg.651 Nach Ludwigs Tod und der Wiedereinführung der reformierten Konfession in der Pfalz ›unterlag‹ er in einer universitären Disputation gegen die Reformierten652 und verließ Heidelberg, um später erst Amber-

Werk mit ausgedehntem Anmerkungsapparat, benutzte zumindest Letzners Vita, bezog sich aber nur bezüglich einzelner Überlieferungen, nie grundsätzlich kritisch auf die Protestanten. Daß es aber aus seiner Sicht keiner neuen Viten bedurfte, machte Serarius durch den Abdruck der frühmittelalterlichen Vita Bonifacij des Willibald deutlich. Vgl.: Serarius, Nicolaus, Epistolae S. Bonifacij martyris, primi Moguntini archiepiscopi . . ., Mainz 1605. 650  Vgl. Schopper, Neuwe Chorographia; siehe knapp: Ridé, L’image du Germain, Bd. 2, 940  f. 651  Schopper scheint ab 1579 Professor in Heidelberg gewesen zu sein. Vgl. Hautz, Johann Friedrich, Geschichte der Universität Heidelberg, 2 Bde., Mannheim 1862–1864 (ND in einem Band Hildesheim/New York 1980), Bd. 2, 99. 652  Vgl. Kohnle, Armin, Die Heidelberger Disputation von 1584, in: Zwischen Wis-

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ger Superintendent und dann Professor in Altdorf zu werden653. Schopper war überzeugter Anhänger der Konkordienformel, was zu latenten Meinungsverschiedenheiten führen konnte. Denn die gemäßigte lutherische Konfessionalisierung, die Ludwig VI. in der Pfalz durchführte654, sein Versuch, eine allzu dezidierte Abgrenzung seiner Theologen gegen die Confessio Augustana Variata zu verhindern655 , und sein langes Zögern, die Konkordienformel zu unterschreiben, zeigt, daß Ludwig zwar nicht an einem irenischen Vorkonfessionalismus, aber doch an einer weiten evangelischen Auffassung gelegen war. Doch schließlich konnte er sich dem »Ruck zur lutherischen Orthodoxie hin« 656 nicht widersetzen. Dieser Zwang zur Konfessionalisierung wurde u.  a. von seinen Theologen forciert. Schoppers Geschichtswerk, die »Chorographia« von 1582, die dem Pfalzgrafen gewidmet ist, gehört in diesen Kontext lutherischen Konfessionalisierungsdrucks. Das Buch befaßt sich zwar nominell mit der deutschen Geschichte und der Kirchengeschichte; de facto aber wird die politische Geschichte Deutschlands weitgehend gegenüber der Geschichte der, nicht nur deutschen, Kirche vernachlässigt.657 In der Vorrede bietet Schopper einen Abriß der pfälzischen Kirchengeschichte; hier ist v.  a. die Strategie interessant, den vorherigen Kurfürsten Friedrich III. nicht direkt als Reformierten zu brandmarken, gleichzeitig aber den orthodoxen Glauben Ludwigs herauszustellen und damit auch einzuschärfen: Friedrich III. sei ›gottselig‹ gewesen und habe der Religion besondere Pflege zugewandt; allerdings sei auch er, wie alle Menschen, ein Sünder gewesen.658 Da diese Aussage banal ist, kann man sie als implizit formulierte Kritik Schopsenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. FS Eike Wolgast, hg. v. Armin Kohnle/Frank Engehausen, Stuttgart 2001, 455–472. 653  Vgl. Schornbaum, Karl, Die Kirchenvisitationen im Amt Heideck 1586 und Superintendent Dr. Jakob Schopper, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 21 (1952), 151–164; Mährle, Wolfgang, Academia Norica. Wissenschaft und Bildung an der Nürnberger Hohen Schule in Altdorf (1575–1623), Tübingen 2000, 492–501. 654  Press, Calvinismus, 278–281. 655  Vgl. Dingel, Irene, Eine Etappe Kurpfälzer Konfessionsgeschichte. Die Vorrede zu Konkordienformel/Konkordienbuch und Kurfürst Ludwig VI., in: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 69 (2002), 27–48, v.  a. 40. 656  Press, Calvinismus, 298. 657  Dies kündigt Schopper an, indem er darauf hinweist, die deutsche Geschichte von Tuisco bis in die Gegenwart könne nicht ein Historiker allein schreiben; vgl. Schopper, Neuwe Chorographia, a iij v. Was die Zenturien im Rahmen der Kirchengeschichtsschreibung geleistet haben, so könnte man Schopper verstehen, müßte auch im Rahmen der politischen Geschichtsschreibung organisiert werden: ein Gelehrtenteamwork großen Stils! Vielleicht ist dies aber auch ein Reflex auf die von Schopper rezipierte humanistische Geschichtsschreibung und ihren Traum von der arbeitsteilig herzustellenden ›Germania illustrata‹. Vgl. dazu zuletzt: Muhlack, Ulrich, Das Projekt der Germania Illustrata. Ein Paradigma der Diffusion des Humanismus?, in: Diffusion des Humanismus. Studien zur nationalen Geschichtsschreibung europäischer Humanisten, hg. v. Johannes Helmrath/ Ulrich Muhlack/Gerrit Walther, Göttingen 2002, 142–158. 658  Vgl. Schopper, Neuwe Chorographia, Vorrede (hier unpaginiert).

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pers am reformierten Glauben eines Fürsten lesen, der offen nicht zu kritisieren war: weil er erstens ein Fürst war, weil er zweitens der Landesherr des Territoriums gewesen war, in dem Schopper arbeitete, weil er drittens der Vater des regierenden Fürsten war. Ludwig VI. wird seinem Vater dennoch eindeutig gegenübergestellt: Schopper weist darauf hin, Ludwig habe sich um die Aufrichtung eines christlichen Gemeinwesens gesorgt, weil er sich nicht nur für die zweite, sondern auch die erste Tafel des Dekalogs zuständig gefühlt habe und sie als bindend für seine Regierung gesehen habe.659 Er habe »die reine Lehr des Göttlichen Worts so lieb« gehabt – von der bei Friedrich III. keine Rede war – und die Kurpfalz »nach laut deß Göttlichen worts vnd der Christlichen Augspurgischen Confession lassen reformirn / vnd sich vmb gelehrte taugliche Leut / auch auß fernen Orthen mit grossem Kosten beworben.« 660 Wie man sieht, folgt aus dem orthodoxen Glauben direkt auch die Anstellung von Theologen; Schopper legitimiert sich also selbst, indem er sich in eine größere religiös-politische Entwicklung einordnet. In seiner Darstellung der Reformationszeit, die über 150 Seiten einnimmt, positioniert sich Schopper noch deutlicher. Wenn er auch immer wieder seine eigene Unparteilichkeit betont 661, so ist doch schon die Tatsache sprechend, daß nach einer breiten Schilderung der frühen Reformation nur noch der Augsburger Religionsfrieden, der die Reformierten bekanntlich nicht einschließt, und die Konkordienformel folgen; die Schweizer oder Täufer tauchen nur noch als Abweichler einer bereits stabilisierten Orthodoxie auf662 , und die manifesten innerlutherischen Spannungen werden vom Standpunkt der Konkordienformel aus relativiert. Mit Zitaten lutherischer Theologen und einer Exegese des Glaubensbekenntnisses macht sich Schopper an eine ›Widerlegung‹ zentraler reformierter Theologumena 663 – und funktioniert damit sein Geschichtswerk passagenweise in einen dogmatisch-polemischen Traktat um. Die reformierte Abendmahlslehre und überhaupt das Reformiertentum werden vom Schopperschen Standpunkt aus genauso beurteilt, wie Katholiken üblicherweise die Reformation insgesamt einschätzen: Die Reformierten sind neuerungssüchtig und neidisch, ihre Theologie ist eine ›Meinung‹. So spricht Schopper von der »newe(n) erfundene(n) vnd auff den bahn gebrachte(n) Sententz vnd meinung vom heiligen Nachtmahl« 664 und schließt: »Der Teuffel versucht vns durch eygenrichtige vnd verstockte Menschen / welche / weil sie sehen / daß die Warheit vom heiligen Nachtmahl / nicht durch sie / sonder durch

  Vgl. ebd., unpaginiert.   Ebd., unpaginiert. 661  Vgl. ebd., a iij r -v. 662  Ebd., 648–677. 663  Ebd., 551–572. 664  Ebd., 547. 659 660

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andere / an tag bracht würdt / stellen sie sich nicht anders / als weren sie vnsinnig vnd schmähen ander Leut.« 665

Dennoch ist auffällig, wie Schopper gerade im sensiblen Kurpfälzer Kontext versucht, eindeutig lutherisch-orthodoxe Positionierung und eine gewisse, zumindest rhetorische, Verständnisleistung für die Reformierten miteinander zu vermitteln. »Vnd kan führwahr nicht bescheidener vnd freundlicher von dieser Secten schreiben / wenn sie schon alle meine leibliche Brüder weren.« 666 Daß dies anders wahrgenommen worden sein dürfte, steht auf einem anderen Blatt. Während also die offensive Bezugnahme Schoppers auf eine kontroverse Situation in anderen Geschichtswerken dieser Art nicht zu finden ist, unterscheidet sich seine Darstellung der Kirchengeschichte selbst kaum von den Zenturien. Nach Schopper wurde schon zur Zeit des Paulus auch in Deutschland das Christentum gepredigt, das dann verfallen sei667. Die römischen Bischöfe hätten, und hier liegt eine gewisse Idiosynkrasie Schoppers, bereits auf den ersten Konzilien partiell erfolgreich den Primat durchzusetzen versucht. Schopper beschreibt breit die Versuche der Päpste – für ihn sind sie auch vor 607 schon ›Päpste‹ –, die Konzilien zu überlisten, was ihnen aber zu dieser Zeit noch nicht gelungen sei, »wiewol [. . .] der Ehrteuffel die Bäpst sehr ritte / daß sie ir Plus vltra mit höchstem fleiß suchten« 668 . Das Nicenum gilt als Referenzpunkt der reinen Lehre; die nachfolgenden Konzilien werden ganz aus der Perspektive der scheiternden Abwehr des Primats beschrieben.669 Einem Konzil könne nie grundsätzliches Vertrauen geschenkt werden, weil es Konzilien gewesen seien, die das Evangelium verfälscht hätten: »Darumb mögen sich wol die Bäpste mit iren Papisten vnd Heuchlern in ir Hertz schämen vnd verkriechen / die vns ohn vnterlaß / Vätter / Vätter / Concilia / Concilia / Concilia / die Ohren voll schreyen / vnd bedencken / wie hoch sich ire Vorfahrn die H. Vaetter vnd Concilia gehalten.« 670

Nach Schoppers Ansicht war das Abweichen vom Nicenum der erste von fünf Akten der Abweichung, Aufweichung und Verfälschung. ›Akte‹ ist hier ganz wörtlich im Sinne des klassischen Dramas gemeint – deshalb sind es wohl auch fünf. Der fünfte Akt beschließt die Tragödie, führt sie aber auch einem rechten Ende zu, das entweder jetzt oder in naher Zukunft stattfinde: »Der fünffte vnd letzte Actus ist entweder jetzund / da Christus durch den Athem oder Geist seines mundes den Antichrist hat erwürget / seine Abgoetterey vnd betriegerey entdeckt vnd widerlegt / oder aber wirt erfolgen / wenn er jn mit seiner gegenwertig  Ebd., 548.   Ebd., 551. 667  Vgl. ebd., 324. 668  Ebd., 407. 669  Vgl. ebd., 406–415. 670  Ebd., 416. 665 666

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keit am Jüngsten Tage vollendet wirt verdammen / vnnd in den Hellischen Pful / sampt seinen Geistlosen vnd Verführern stürtzen / Welches daß nur bald geschehe / vnd die arme Kirche von solchem grawlichen Tyrannen vnd seinen Irrthumben erlöset werde / sage ein jeder Christ / Amen / Amen.« 671

Die Reformation wertet Schopper, ganz im Einklang mit den Zenturien, als geschichtstheologischen Einschnitt größter Reichweite, die dem Verfall der Kirche kurz vor dem Weltende Einhalt geboten habe.672 Luthers Tat erscheint als »Reformirung des Bapstthumbs« 673, wie überhaupt Schopper unbefangen und permanent von ›Reformation‹ redet 674. Reformation findet nach Schopper immer schon da statt, wo der päpstlichen Lehre gewehrt wird. In ausführlichem Anschluß an den Catalogus testium veritatis breitet Schopper eine Liste von vorreformatorischen Papstgegnern aus; auch er verstrickt sich damit in das Problem, das in Kap. B.V.4 dargestellt worden ist. Schopper muß, und dies gilt im Kontext der Auseinandersetzungen um die Konkordienformel um so mehr, eine Art vorreformatorischer lutherischer Orthodoxie konstruieren. Zu Ludwig dem Bayern und seinem Hof heißt es: »Und ist kein zweiffel / was ir Lehr gewesen seye« 675 , nämlich hier und in anderen Fällen zumindest »ein gute runde Euangelische bekanntnuß« 676 . Die Kirche in Konstantinopel schließlich sei noch im 15. Jahrhundert »bey der reinen Lehr des Evangelions geblieben« 677, ja, Schopper treibt diese noch relativ gängige Auffassung weiter und behauptet: »Sihe zu / diese löbliche Kirch zu Constantinopel ist auch Hussitisch / oder wie man vns jetzt nennet / Lutherisch / das ist / lauter / rein / Christlich« 678 . Wie man sieht, ist also die Geschichtskonzeption Schoppers gegenüber den Zenturien kaum originell; ungewöhnlich in einem Geschichtswerk dieser Art ist aber die direkte Bezugnahme auf zeitgenössische politische Probleme vor Ort. c)  Philipp Nicolais »Commentarius de regno Christi« Der einflußreiche Unnaer und spätere Hamburger Pastor Philipp Nicolai ergänzt in seinem oft gedruckten und auch übersetzten »Commentarius de regno Christi« von 1596 die zenturiatorische Geschichte von Niedergang und Bewahrung vor allem um eine ausführliche Darstellung der außereuropäischen Missi-

  Ebd., 416.   Vgl. ebd., 509. 673  Ebd., 510. 674  Vgl. z.  B. ebd., 465, 466. 675  Ebd., 466. 676  Ebd., 473. 677  Ebd., 496. 678  Ebd., 497. 671 672

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onsgeschichte.679 Auch er sieht in der Reformation einen endzeitlichen Epochenbruch, ja geradezu hegelianisch spricht er davon, daß »aurora noctem caliginosam fulgore roseo dispellit, et nuncia est aduentatis diei« 680. Doch ge­ rade diese heilsgeschichtlich besondere Zeit sei besonders gefährdet durch Bedrohungen von außen; dem ›Licht‹ des Evangeliums und der studia humanitatis stehen also eine erhöhte Abweichungsgefahr entgegen, gegen die Nicolai anschreibt.681 Der ›Kommentar‹, oder wie die deutsche Übersetzung lauten wird, die ›Hi­sto­ ria‹ des Reichs Christi stellt die Verbreitung des Evangeliums und seine Feinde sowie die Prophezeiungen der Bibel und deren Erfüllung dar. Obwohl Nicolai dogmatisches und historisches Wissen miteinander verbindet, liest sich der Text doch über weite Strecken eher wie ein dogmatischer Traktat, ein Erbauungsbuch oder ein Apokalypsenkommentar als wie ein Geschichtswerk. Daneben stehen aber Passagen erhöhter historiographischer Konkretion: so z.  B. das erste Kapitel, das die Ausbreitung des Christentums behandelt. Die auch außereuropäische Heidenmission wird danach bewertet, wer sie wann durchgeführt hat. Einerseits kann nämlich die Missionsgeschichte zeigen, daß es nicht immer nur und ausschließlich das Papsttum war, das die Christenheit in der Welt repräsentiert hat. Damit skizziert Nicolai letztlich für die räumliche Seite das, was andere Historiker für die zeitliche Seite versuchen: nämlich den Nachweis zu führen, daß das Papsttum nicht universal war und ist. Auf der anderen Seite ist aber die von Nicolai gezeichnete Missionsgeschichte bemerkenswerterweise auch eine Erfolgsgeschichte. Das Evangelium sei fast über die ganze Erde ausgebreitet worden.682 Daß es sich in aller Regel um das korrumpierte päpstliche Christentum handelt, wird zwar konstatiert, aber sogleich relativiert. Von der lutherischen Ekklesiologie ausgehend betont Nicolai, daß auch unter der Papstkirche Wortverkündigung und Sakramentsspendung stattfinden – und diese daher nicht insgesamt verworfen werden muß. Auch die Jesuitenmission kann damit gut und erfolgreich sein.683 Innerhalb Europas aber ist die Geschichte des Reichs Christi durch die Doppelzange von Papsttum und Türken charakterisiert. Die lutherische Theorie des doppelten Antichristen ist gerade bei Nicolai breit ausgeführt. Sieht man sich an, welche Daten und Personen von Nicolai als Zäsuren in der Geschichte des Papsttums hervorgehoben werden, ergibt sich der Eindruck großer Kongruenz 679  Vgl. biographisch und werkgeschichtlich: Brecht, Martin, Philipp Nicolai. Lutherische Orthodoxie und Frömmigkeit, in: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 84 (1990), 159–183. Zu Nicolais Geschichtsbild: 173  f.; das Buch wurde noch vor 1600 übersetzt und erschien bis 1664 knapp zwanzigmal. 680  Nicolai, Commentarius de Regno Christi, )( 2 v. 681  Vgl. ebd., )( 3 v; I, 351. 682  Vgl. ebd., I, 347. 683  Vgl. Kaufmann, 1600 – Deutungen der Jahrhundertwende, 90, Anm. 63.

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mit den Zenturien und dem lutherischen Mainstream: Nach der Zeit der Chri­ stenverfolgungungen hätten die römischen Bischöfe den Primatsanspruch erhoben, der schließlich auch innerkirchlich bestätigt und durch Phocas politisch befestigt worden sei.684 Darauf hätten sie sich auch weltliche Herrschaft anmaßen wollen; Höhe- oder Tiefpunkte der Entwicklung sind hier, wie üblich, die erlogene Konstantinische Schenkung und Gregor VII., Bonifaz VIII. und die Überwindung der deutschen Kaisermacht.685 In der Gegenwart wird diese machtpolitische Überformung des Papsttums vor allem durch Spanien repräsentiert, dem Nicolai als wichtiger Missionsmacht ein eigenes Kapitel widmet und das er als zweihörniges Tier aus Off b 13 deutet.686 Der heilsgeschichtliche Rang des politischen wie kirchlichen Gegners steht auch bei Nicolai außer Frage. Doch der Antichrist in seiner doppelten Gestalt könne nicht ewig herrschen: Entgegen der üblichen Tendenz, das Weltende nicht zu bestimmen, versucht Nicolai sich an kunstvollen Berechungen des Endtermins. Dies ist umso bedeutender, als Nicolais Werk weithin rezipiert wurde. Auch Nicolai ist klar, daß die Menschen Tag und Stunde des Gerichts nicht kennen können, aber er relativiert diese Aussage Christi dahingehend, daß schließlich die biblischen Prophetien doch einen gewissen Anhalt zuließen. Zugespitzt gesagt: Man darf zwar als Sterblicher das Jahr des Endes nicht wissen, aber nach den Propheten läßt sich schließen, daß es das Jahr 1670 sein wird.687 Ausgehend von der Zerstörung des zweiten Tempels im Jahre 70 und mit der ominösen Zahl 1600 aus Off b 14,20 operierend, berechnet Nicolai auf unterschiedliche Weise das Jahr, in dem die beiden Antichristen ihr Ende finden werden.688 Die Festlegung auf 1670 entspricht zwar nicht den vorgegebenen 6000 Jahren Weltdauer: »Sed accerelabit iudicium suum Nazarenus ille«.689 Die distanzierte Formulierung indiziert eine Bezugnahme auf humanistische Wissensbestände, die einerseits als Bildungswissen aufgerufen werden können, andererseits gerade bei Nicolai eine idiosynkratische Amalgamierung mit christlicher Überlieferung erfahren, wenn er z.  B. ein bekanntes Vergil-Zitat aus seinem Kontext heraussprengt und ihm eine gänzlich unklassische Wendung gibt. Bei der Begründung seiner Beschäftigung mit den biblischen Prophetien schreibt Nicolai: »Foelix, qui potuit rerum cognoscere causas, inquit Poëta. Et quidem dubium non est, Deum causam esse omnium uere bonorum, et Diabolum causam esse omnium uere malorum.« 690   Vgl. Nicolai, Commentarius de Regno Christi, I, 222.   Vgl. ebd., I, 223. 686  Vgl. ebd., I, 284–337. 687  Vgl. ebd., )( 6 v. 688  Vgl. zu Nicolais Berechnungen: Hess, Willy, Das Missionsdenken bei Philipp Nicolai, Hamburg 1962, 171–176; Nicolai lehnt außerbiblische und v.  a. astrologische Prophezeiungen strikt ab und profiliert so seinen orthodoxen Zugang; siehe: Nicolai, Commentarius de Regno Christi, )( 4 v. 689  Nicolai, Commentarius de Regno Christi, )( 6 r. 690  Ebd., )( 4 r. 684 685

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Auch in dieser biblizistischen Grundhaltung, die ein empirisches Forschen ausschließt, ist Nicolai, bei aller Eigenheit seiner Darstellung der Missionsgeschichte und seiner Option für ein berechenbares Enddatum, in den Hauptstrom lutherischer Geschichtsschreibung des konfessionellen Zeitalters einzuordnen. d)  Johannes Pappus’ Kompendium der Kirchengeschichte Wiederum ein anderer Akzent wird in Johannes Pappus’ Kompendium gesetzt. Der schon mehrfach erwähnte Theologe hatte den Straßburger Theologielehrstuhl inne, war daneben von 1587–1591 Geschichtsprofessor und damit ein gelehrter Protagonist der Straßburger Orthodoxie.691 Er veröffentlichte seine ›Historiae Ecclesiasticae Epitome‹ im Jahr 1584 auf der Basis von Vorlesungen.692 Dieses Kompendium war nicht das einzige, aber erfolgreichste seiner Art.693 Pappus berichtet im Vorwort, er habe sein Buch auf Anregung von Studenten geschrieben, die mehr über die Kirchengeschichte, v.  a. die Ausbreitung des Evangeliums erfahren wollten.694 Damit ist schon der Zweck des Werks benannt: Es geht Pappus um eine pädagogisch einsetzbare Darstellung der Kirchengeschichte. Diese besteht aus fünf Teilen: einem vorangestellten Prooemium über die scriptores ecclesiastici und vier Abschnitten, die die Themen Heidenmission, Kirchenverfolgung, Häresien und Konzilien behandeln. Neben dem pädagogischen Zweck benennt Pappus topisch auch eine zweite Funktion des Buchs: Es soll die Bewahrung der wahren Lehre zeigen und damit Trost in Zeiten der Bedrängnis schenken.695 Diese Behauptung ist umso interessanter, als Pappus’ Werk ganz in seiner innerakademisch-gelehrten Thematik aufzugehen scheint und sich z.  B. erstaunlich wenig für den Niedergang des Christentums, geschweige denn die Reformation interessiert. Innerhalb des Schulkontextes wird hier ein nüchternes Gegenmodell zu den Zenturien aufgestellt, die kaum erwähnt und auch nicht offen in Frage gestellt werden, deren polemischem Zugriff und ihrem Anspruch, Kirchengeschichte und -gegenwart miteinander zu verklammern, vom universitären Kirchenhistoriker Pappus aber implizit eine gewisse Relativierung entgegengehalten wird. Er verwirft das Niedergangs- und Bewahrungsmodell der Zenturien nicht, ja er orientiert sich unausgewiesen sogar daran; gleichwohl möchte er den Begriff der historia ecclesiastica auf die Autoren der ersten Jahrhunderte bzw. auf die von ihnen behandelten Thema begrenzen696 , ohne daß der Grund dafür deutlich würde. Es   Vgl. Kittelson, Humanism in the Theological Faculties.   Vgl. Schindling, Humanistische Hochschule, 368–371. 693  Vgl. Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte, 124  f . 694  Vgl. Pappus, Historiae Ecclesiasticae Epitome, * 2v. 695  Vgl. ebd., * 4r. 696  Vgl. ebd., 1  f . 691

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scheint dies eine Entscheidung zu sein, die vor allem von Pappus’ eigenem Forschungsschwerpunkt bestimmt wird. Obwohl der Text also deutliche lutherische Akzente setzt, wirkt er über weite Strecken ausgesprochen antiquarisch und liest sich als das, was er laut Titel sein will: eine Kurzfassung der wichtigsten spätantiken Kirchengeschichtsschreiber, die hier und da zeitlich erweitert werden. Damit liegt das Schwergewicht naturgemäß auf der Alten Kirche. Ähnlich wie Nicolai schildert Pappus die Ausbreitung des Evangeliums bis ins 14. Jahrhundert. Was den heutigen Leser vor allem frappiert, ist die schizophren erscheinende Haltung zu diesem Problem. Denn einerseits wird, biblisch legitimiert, immer wieder auf die großen Missionserfolge der Christen hingewiesen; andererseits wird permanent die dogmatische Depravation des europäischen Christentums beschrieben. Ist es nicht eher bedrohlich als erfreulich, so könnte man fragen, wenn ein falscher Glaube auch noch ausgebreitet wird? Diesem Problem weichen Nicolai und Pappus weitgehend aus, oder sie lösen es über die freilich unbefriedigende Lösung des lutherischen Kirchenbegriffs, mittels dessen sie suggerieren können, daß auch im Papsttum das Evangelium gepredigt werde oder doch werden könne. Das ist allerdings eine sehr konjunktivische Auflösung des Dilemmas. Pappus insinuiert, es sei immer noch besser, die Heiden würden katholische Christen, als daß sie ungetauft blieben; die Verkündigung des Antichristen ist immer noch besser als gar keine Verkündigung. Pappus reflektiert das Problem kurz: Den Heiden sei das Fundament des Glaubens gebracht worden, wenn auch in besudelter Form: »illis gentibus ipsum fundamentum fidei tradebatur, licet miserrime conspurcatum, et manifestis contradictionibus implicatum« 697. Letztlich bleibt angesichts der Schwierigkeit der Lage nur eins: auf die heilsgeschichtliche Bedeutung der Reformation zu vertrauen, die das Evangelium restituiert und damit die Möglichkeit eröffnet hat, auch die ›falsch‹ missionierten Christen neu zu belehren. Im Abschnitt über die Christenverfolgung beschränkt sich Pappus weitgehend auf die römischen und islamischen Verfolgungen, wenn er auch die Tyrannei des Antichristen und die Versuche erwähnt, diese namhaft zu machen – wiederum bezieht sich Pappus, ohne dies auszuweisen, auf Flacius.698 Daß die Zenturien ein Hintergrundmodell darstellen, sieht man schon daran, daß Pappus das Häresienkapitel nach Jahrhunderten ordnet. In diesem Kapitel werden v.  a. die altkirchlichen Ketzer behandelt; später folgen interessanterweise die Waldenser und die Lollarden – nicht aber die Hussiten.699 Die Papstkirche wird nicht primär als Häresie gedeutet. Auffällig an diesem akademischen Kompendium, das vor allem einem binnenlutherischen Kommunikations- und Bildungszusammenhang entstammt,   Ebd., 89.   Vgl. ebd., 171. 699  Vgl. ebd., 369. 697 698

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ist die weitgehend ›gemeinchristliche‹ Bezugnahme auf die Alte Kirche sowie der Verzicht auf Polemik und prophetische Deutungen. Luther kommt so gut wie nicht vor, eine ›Verfallsgeschichte‹ zeichnet Pappus auch nicht. Er bereitet Euseb für den akademischen Unterricht auf, während die von ihm offensichtlich benutzten Zenturien ein historiographisches Polemikarsenal darstellen. Damit ergibt sich der Eindruck des Bewußtseins vielfacher Arbeitsteilung zwischen Diskursen und Genres: Pappus muß nicht die gesamte Kirchengeschichte darstellen, weil es bereits die Zenturien gibt; für die Alte Kirche, für die er sich kompetent fühlt, bevorzugt er die alten Autoren; er muß nicht polemisieren, weil der gelehrte Unterricht dafür der falsche Ort wäre; auch geschichtstheologische Szenarien und apokalyptische Stilisierungen sind nicht seine Sache. Dies scheint aber hier wie in anderen Fällen auf ein genaues Bewußtsein der Stilund Tonlage in unterschiedlichen Gattungs- und Funktionszusammenhängen zurückzuführen zu sein und nicht den Schluß auf unterschiedliche ›Geschichtsbilder‹ zu erzwingen. e)  Georg Nigrinus und der Übergang zur Polemik Obwohl es wie Pappus’ Kompendium in den frühen 1580er Jahren erschien, ergibt sich doch bei Georg Nigrinus’ Geschichte des Papsttums ein vollständig anderer Eindruck. Geht es Pappus um Belehrung der akademischen Jugend, stellt Nigrinus eine Galerie der päpstlichen Antichristen zusammen und leitet so von der Historiographie im engeren Sinne zur Polemik über. Papstgeschichte als Polemik: Das nimmt ein bereits aus der frühen Reformationszeit, etwa bei Robert Barnes (vgl. Kap. B.V.3.c) bekanntes Deutungsmuster wieder auf und verschärft es noch einmal. Der Alsfelder Superintendent Nigrinus (1530–1602) trat als Übersetzer des Antimachiavellisten Innocent Gentillet, vor allem aber als einer der produktivsten Kontroversschriftsteller seiner Zeit hervor.700 Er schrieb gegen die römische Kirche, aber auch gegen Refomierten und Juden, was ihm vermutlich die bisher einzige größere Studie (nämlich aus nationalsozialistischer Perspektive) eingetragen hat.701 Hier interessiert aber vor allem seine achthundertseitige Papstgeschichte, die zwar aus einem polemischen Kontext, nämlich der Abwehr von Angriffen des Reichshofrates Georg Eder, entstand, aber dennoch so substanziell ›Geschichtsschreibung‹ ist, daß sie hier behandelt werden muß. Die Alternative ›Streitschrift oder Geschichtswerk‹, die für Nigrinus’ Papstgeschichte   Vgl. Mahlmann, Theodor, Art. »Nigrinus, Georg«, in: NDB 19, 255  f.   Vgl. Müller, Friedrich, Georg Nigrinus in seinen Streitschriften: »Jüdenfeind, Papistische Inquisition und Anticalvinismus«. Ein Beitrag zur Charakteristik des Luthertums am Ende des 16. Jahrhunderts, in: Beiträge zur Hessischen Kirchengeschichte 12 (1941), 105–152. 700 701

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aufgemacht und hinsichtlich der ersten Option beantwortet worden ist, transportiert eine simplifizierende und modernistische Auffassung von Geschichtsschreibung.702 Die Alternative stimmt schon deshalb nicht recht, weil Nigrinus in seinem langen Vorwort zwar ausführlich die Auseinandersetzung mit Eder sucht, doch im weiteren kaum mehr Bezug auf den konkreten polemische Anlaß nimmt. Im Vorwort widerspricht Nigrinus, sich oftgebrauchter Wendungen bedienend, dem Neuheitsvorwurf, der an die Reformation gerichtet wird. Argumenten verweigert er sich; es gehört in der zweiten Jahrhunderthälfte offenbar geradezu zur polemischen Rhetorik, auf die Unnötigkeit argumentativer Auseinandersetzung hinzuweisen, weil die Wahrheit so klar zutage liege.703 Damit kann es Nigrinus nicht darum gehen, kirchengeschichtlich den Neuheitsvorwurf von der Reformation abzuwenden. Nur implizit soll über die Fremdbeschreibung, die zugleich Selbstbeschreibung ist, gezeigt werden, welches die alte und welches die neue Lehre ist. Nigrinus’ Autorenliste ist lang, umfaßt die Zenturien und den Catalogus, aber auch katholische Autoren wie Cochläus oder Panvinio. Diese werden an entsprechenden Textstellen herangezogen, um ihnen entweder antipäpstliche Argumente zu entnehmen oder um sie zu kritisieren; ohnehin verbindet Nigrinus die historiographische Darstellung mit, allerdings oft derber und unsachlicher, Kritik an der katholischen Interpretation der Ereignisse. Nigrinus’ Darstellung der Papstgeschichte ist ausführlich und polemisch. Im wesentlichen zeichnet er die Grundlinien nach, die schon oft dargestellt worden sind: den Aufstieg des Papsttums in weltlicher und lehrmäßiger Hinsicht, damit den Niedergang des Evangeliums, schließlich die endzeitliche Resititution durch Luther. Da dies alles in keiner Hinsicht originell ist, ja es aus dem orthodox-polemischen Grundimpetus heraus auch nicht sein kann, reicht es aus, auf einige Besonderheiten in Nigrinus’ Auffassung hinzuweisen. Während die Überlieferung zu den frühen ›römischen Bischöfen‹ gefälscht worden sei, seien die späteren ›Päpste‹ wirklich selbst Bösewichter gewesen. Die Vermutung einer Überlieferungsfälschung wird zum Beispiel stilkritisch, nämlich aus der stilistischen Homogenität der Dekretalen, begründet: »Wie solten sie eben eynerley Latein vnd art zu reden gebraucht haben / die nicht zu eyner zeit gelebt / in eyner Schul erzogen / vnd eyner gelehrter ist gewesen dann der ander? Aber wie alle decretaln durchaus fast eyn stylum haben / so haben sie auch eyn scopum [. . .] / das man nemlich die Römische Kirche für die rechte allgemeine Apostolische Kirche sol halten« 704.   Vgl. ebd., 118.   Vgl. Nigrinus, Papistische Inquisition, c4r; die ›Inquisition‹ des Titels meint nicht die römische, sondern heißt hier einfach ›Untersuchung‹; darüber hinaus bezieht sie sich auf Georg Eders Titel ›Evangelische Inquisition‹ (1573). Siehe den Überblick über das Werk bei Müller, Nigrinus, 116–127. 704  Nigrinus, Papistische Inquistion, 75. 702 703

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Doch schon die frühen Bischöfe des 3. Jahrhunderts lassen erkennen, wohin die Entwicklung führen wird; schon sie sind in der Lage, zeitweise »auf gut Antichristisch« zu sprechen705. Anders als andere Autoren setzt Nigrinus, hier ganz allein stehend, den Beginn des Papsttums nicht auf das Jahr 607, sondern auf das Jahr 441 und den Episkopat Leos I. an. Dieser sei zwar persönlich ein guter Christ gewesen, aber unter ihm habe die Primatsanmaßung begonnen; auch dies ist allerdings nur die Aufnahme des bereits vorhandenen Antichrist-Gei­ stes: »Es ist wol der Antichristische Geist von der Aposteln zeit an schon in der Welt gewesen / [. . .] ist aber durchs Wort vnd Schwerdt [. . .] zuruck gehalten worden / biß er unter dem Namen Christi vnd der Apostlen / den Stull zu Rom eingenommen«.706

Mit dem Ende der Christenverfolgungen habe das Lasterleben begonnen, und die Lehre sei verfälscht worden. Damit formuliert Nigrinus implizit die Wichtigkeit der Verfolgungssituation für das Bekenntnis und die Bewahrung der wahren Lehre. Dies dürfte auch ein Grund dafür sein, warum lutherische Autoren auch in Zeiten relativer Ruhe Szenarien von Bedrohung und Verfolgung entwerfen: Die Verfolgungsrhetorik ist Teil der geschichtstheologischen Selbstverortung des Luthertums und damit fundamentales Element lutherischer Identität. Leo I. ist für Nigrinus auch der erste ›Papst‹, weil er mittels Berechungen, die sich grob an den Zahlenangaben der Johannesoffenbarung orientieren, als gleichsam arithmetisches Resultat eines apokalyptischen Rechenexempels herauskommt: »Dann Leo heißt auch ein Löwe / vnnd wirdt vnter andern in der Offenbarung dem grewlichen Thier der Römischen Monarchey / darauf die Babylonische Huor reitet / eyn Löwen mundt gegeben.«707 In drastischer Weise, ähnlich wie in der polemischen Literatur, die im nächsten Abschnitt untersucht wird, schildert Nigrinus die Laster einzelner Päpste und die Zeichen, die zu ihrer Zeit den Zorn Gottes angezeigt haben. Auch für Nigrinus ist Gregor VII. wieder ein Tiefpunkt, der allerdings noch unterboten werden kann. Im Spätmittelalter nämlich folgt auf die Epochen kirchlicher und weltlicher Machtanmaßung schließlich die völlige Verkehrung der christlichen Lehre: »Dann hie kompt nun das recht Lugenreich / vnnd die Antichristische grundsuppe herfür / vom Ablaß / dem Fegfewr vnd andern greveln«708 . Auch persönlich möglicherweise integre Päpste haben sich dieser ›Grundsuppe‹ nicht entziehen können. Zum Humanistenförderer Nikolaus V. notiert Nigrinus: »Dann Gott kans wol schicken daß auch Augustus vnd Herodes der Kirchen on

  Ebd., 172.   Ebd., 172. 707  Ebd., 176. 708  Ebd., 434. 705 706

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jrn danck dienen müssen / vnd Caiphas weissagen wider sich selbst.«709 Selbst humanistische Päpste wie Pius II. verfallen damit der Verdammnis; ihn werden »sein kunst / mühe / arbeit / ehr vnd Politische tugent nicht [. . .] saluiern können.«710 Nigrinus folgt hier wie anderswo der Einschätzung, die schon Flacius und die Zenturien vorgetragen hatten. Während es diesen aber darum ging, durch – wenn auch selektiv wahrgenommene – Dokumente ihre Einschätzungen zu stützen, macht sich Nigrinus diese Mühe kaum mehr. Er verschärft nicht den Ton – dies wäre gegenüber Flacius nicht möglich –, aber er unterschreitet dessen Argumentationsniveau oft in eklatanter Weise. Exemplarisch steht er damit für eine Transformation von Geschichtsschreibung in Polemik. Darin ähnelt Nigrinus’ Papstgeschichte dem analysierten Werk von Barnes (vgl. B.V.3.c), aber Nigrinus’ polemische Gesamtdarstellung der Papstgeschichte erreicht in Ausführlichkeit und Drastik eine neue Qualität. Damit ist der Übergang zur – auch historisch argumentierenden – Kontroverspolemik vollzogen.

8.  Kirchengeschichte und Polemik a)  Historische Argumente in der Kontroverspolemik Die Kontroverspolemik stellt ein riesiges und bisher kaum hinreichend aufgearbeitetes literarisches Feld dar, in dem auch mit historischen Argumenten operiert wurde. Polemische Schriften entstanden oft direkt als Antwort auf eine gegnerische Vorlage, häufig von jesuitischer Seite – oder umgekehrt. Das situative Element von Polemik macht es unmöglich, im Rahmen dieser Studie kontroverspolemische Texte so zu kontextualisieren, wie es eigentlich nötig wäre. Es soll im folgenden nur darum gehen, an wenigen Beispielen typische Argumentationsmuster und Sprachfiguren der historisch operierenden Polemik zu zeigen.711 Besonders auffällig ist dabei das Stilmittel der Typisierung und eine

  Ebd., 569.   Ebd., 577. 711  Der Versuch einer Gesamtdarstellung der Kontroverspolemik des konfessionellen Zeitalters fehlt. Vgl. aber die typologische Darstellung von: Bremer, Kai, Religionsstreitigkeiten. Volkssprachliche Kontroversen zwischen altgläubigen und evangelischen Theologen im 16. Jahrhundert, Tübingen 2005, die anschauliche Skizze der Mechanismen und Rituale theologischer Kontroversen bei: Gloning, Thomas, The Pragmatic Form of Religious Controversies around 1600. A Case Study in the Osiander vs. Scherer & Rosenbusch Controversy, in: Historical Dialogue Analysis, hg. v. Andreas H. Jucker/Gerd Fritz/ Franz Lebsanft, Amsterdam/Philadelphia 1999, 81–110 und die literaturgeschichtliche Skizze bei: Haustein, Jens, Literarisierungsstrategien im kontroverstheologischen Schrifttum der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Mediävistische Komparatistik. FS FranzJosef Worstbrock, hg. v. Wolfgang Harms/Jan-Dirk Müller, Stuttgart/Leipzig 1997, 333– 346. 709 710

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hochgradig rhetorische Faktur (allerdings eher im genus humilis), ohne daß die Anbindung an die Rhetorik das Polemikarsenal insgesamt normiert hätte.712 Ziel der Bezugnahme auf den Gegner war oft dessen ›Widerlegung‹ – wobei sich der moderne Leser des öfteren fragt, was für ein Begriff von Widerlegung, was für ein epistemologisches Grundmuster hier zugrundeliegt. Denn wie hätten Argumente beschaffen sein müsse, die man dem Konfessionsfeind konzediert hätte? Insofern ist es konsequent, wenn häufig auch auf explizite ›Widerlegungen‹ gegnerischer Positionen mit dem Argument verzichtet wird, dies sei längst geschehen, und die Wahrheit liege ohnehin klar zutage. Die unermüdliche Wiederholung immer derselben Argumente und das Fehlen jeglichen ernsthaften Bemühens, die Argumente der Gegenseite ernst zu nehmen, dürfte dabei weniger eine persuasive Funktion gegenüber dem konfessionellen Gegner als gegenüber der eigenen Anhängerschaft besessen haben.713 Vor allem in Vorreden zu Traktaten, die sich eigentlich mit ganz anderen Dingen beschäftigen, wird als lutherisches Gemeingut der Geschichtsbeweis abgespult; dogmatisch wie historisch wird z.  B. die Idee der apostolischen Sukzession zerpflückt. Oft erst wenn dieses Thema erledigt ist, wenden sich die Polemiker ihrem spezifischeren Anliegen zu.714 So wenig wie Geschichtsschreibung nur Polemik ist, so wenig geht auch Polemik in Geschichtsschreibung auf. Die Schnittmengen sind allerdings beträchtlich und die Abgrenzung oft nur pragmatisch zu treffen. Texte dieser Art prägten neben dem Genre des Geschichtskalenders (vgl. Kap. B.VI.) vermutlich viel stärker als gelehrte historiographische Abhandlungen das Geschichtswissen der einfachen Bevölkerung mit. Doch sind sie nicht kategorial von der gelehrten Historiographie zu unterschieden: War es ein Anliegen z.  B. der Zenturiatoren, den »geschichtsklitternden Pamphletismus« zu überwinden715 , so setzten sie an ihre Stelle ein zwar gelehrtes, aber einseitig kritisches Kompendium. Dieses konnte gerade durch die Ordnung nach loci, welche die leichte Auffindbarkeit von Exempeln sicherstellte, seinerseits wieder zu einem »Handbuch der Polemik«716 werden, das in lutherischen Streitschriften und Predigten ausgeschlachtet wurde.717

712  Vgl. Braungart, Georg, Zur Rhetorik der Polemik in der Frühen Neuzeit, in: Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit, hg. v. Franz Bosbach, Köln/Weimar/Wien 1992, 1–21. 713  Vgl. Gloning, Pragmatic Form of Religious Controversies. 714  Vgl. die Vorrede zu: Hoë, Christliches / vnd in Gottes wort gegründetes Bedencken. 715  Duch, Verlorene Handschrift, 417; vgl. auch Polman, L’élément historique, 234. 716  Sonntag, Matthias Flacius Illyricus, 297  f .; vgl. auch: Spitz, History, 758; Fueter, Geschichte der neueren Historiographie, 251. 717  Einige Beispiele für die Benutzung der Zenturien bei: Janssen, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 5, 320–329.

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Natürlich war den lutherischen Predigern bewußt, daß sie eher grobschlächtig agierten und in grellen Farben malten. Eben wegen ihres Anspruchs, möglichst viele Menschen zu erreichen, griffen die Polemiker oft auf ein Argumentenreservoir zurück, das zwar nicht spezifisch konfessionell besetzt war, aber eine große Durchschlagskraft besaß: die Moral. Die historisch argumentierende Kontroverspolemik arbeitete zwar auch mit Bibelzitaten und dogmatischen Argumenten, im Vordergrund stand aber die moralische Diskreditierung der Päpste und des Katholizismus allgemein. Manche Polemiker sagen offen, daß es ihnen nicht um die Darstellung wahrer oder falscher Lehre geht, sondern sie »nur vom Leben / als einer Frucht jrer Lehre« handeln wollen.718 Dies reicht von der Zuschreibung bestimmter Verbrechen über derbe Beleidigungen bis hin zu Witzeleien719 oder gereimten Moritaten über die Laster des Papsttums720. Man wünschte sich zur besseren Systematisierung der Texte eine begriffs- und literaturgeschichtlich informierte Typologie der Beschimpfungen. Doch die Polemiker beschreiben ihre Äußerungen nicht als polemisch, sondern reihen sich ein in eine illustre Reihe innerkirchlicher Kritiker: »Hat man zu vnd nach Lutheri zeiten der Römischen Kirchen mehr zugemessen / hat man sie mehr gescholten / als sie S. Johannes, Tertullianus, Hieronymus, Bernhardus, vnd die andern Scribenten vor anderthalb tausend vnd mehr: vor 13. hundert / vor zwölff hundert / vor sechs / vor fünff / vor vier / vor zwey hundert Jahren genannt vnd gescholten haben?« 721

Die generelle frühneuzeitliche Skepsis gegenüber Innovation zeigt sich in der Kontroverspolemik noch einmal in pointierter Form. Geschichte, Entwicklung und Veränderung (also: Niedergang) werden nur dem Gegner zugeschrieben, während die eigene Seite als ewig und unveränderlich dargestellt wird. Dennoch wird die Geschichte des Papsttums, das die häufigste historisch-polemische Zielscheibe lutherischer Autoren ist, selten tatsächlich historiographisch nachvollzogen. Eher wird ein Anfangsdatum des Verfalls gesetzt, etwa die Befestigung des Primats zu Beginn des 7. Jahrhunderts oder auch schon das Jahr 300: Damals »wolte zwar dem Teuffel die weil vnd zeit lang werden / gieng umbher tripseln wie ein Hun mit einem Ey / vnd hette gern den Primat gelegt vnd außgebrütet.«722 Ab dem Zeitpunkt der Abweichung folgt zwar immer weiterer   Cramer, Revelation Antichristi, 25.   So wird, um nur ein Beispiel zu nennen, der Papst als »Papasellus« bezeichnet, oder es finden sich Wortspiele wie »Thomas Aquinatem oder Wasserblasen«; siehe Maier, Omnium Sanctorum Iubilaeus Evangelicus, (:)(:) 2v, (:) 2r. 720  Vgl. Kirchmayr, Thomas, Das Bäpstische Reich / Ist ein Buch lüstig zu lesen / allen / so die warheit lieb haben / Darinn der Bapst mit seinen Glidern / Leben / Glauben / Gottesdienste / Gebreuchen / vnd Ceremonien / so viel müglich / warhafftig vnd auffs kürtzest geschrieben . . ., o.O. 1560. 721  Hoë, Christliches / vnd in Gottes wort gegründetes Bedencken, d iij v. 722  Vietor, Gründlicher / widerholter Bericht, 21r. 718 719

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Niedergang – aber dieser wird eher behauptet als historiographisch beglaubigt, denn de facto folgt Schurke auf Schurke, und es ist gar nicht zu sehen, worin weiterer Verfall bestehen könnte. Eine Abweichung einzelner Päpste vom Schema des nur leicht nuancierten Erzketzers, Teufelsbündlers und Verbrechers ist nicht vorgesehen, denn dies »were wider den Bapst Orden gewesen.« 723 Wichtiger sind den Polemikern zwei Dinge: Erstens die Einschärfung, daß jede Abweichung von gesetzter Orthodoxie und zu unendlichen Verbrechen führt; zweitens, daß die römische Kirche spätestens in der Gegenwart vollkommen indiskutabel geworden ist. Sie sei, so Jeremias Vietor, zur babylonischen Hure geworden. »Wenn man aber redet von der jetzigen Römischen Kirchen / hat es viel ein ander gestalt / Vnnd da man die jetzige / von jener / der ersten her / loben wolte / were es eben ein ding / als wenn man ein leichtfertige / außgebubte Weibsperson daher rühmen wolte / daß sie in jrer Jugendt / vmb sechs oder sieben Jar jres Alters / eine fromme / züchtige Jungfrauw gewesen were. Man kann wol sagen: Ey nun ists doch immer schad / daß ein solch Mensch sich vmb jhre Ehre bracht hat. Aber dardurch wirdt sie keine Jungfrauw wider.« 724

Die römische Kirche hat sowohl ihren geistlichen Auftrag zu weltlicher Gewalt pervertiert als auch die Lehre bis zur Unkenntlichkeit verfälscht. Dies entspricht der Sicht der Historiographie, wird aber in der Polemik drastischer ausgedrückt und manchmal auch lebensweltlich angebunden. Georg Müller spricht in einer Wittenberger Predigt von 1588 davon, »es sei mit deren Leute glaubwirdiger erkundtschafft zu erweisen [. . .] / die es aus jhrer lieben Eltern Mund mit seuffzen vielmal angehöret / vnd vernommen haben«, daß das vorreformatorische Kirchenwesen »billicher eine Heiligen oder Marienheit / dann Christenheit / hette heissen mögen«.725 Auch habe der Klerus sowohl politische als auch ökonomische Macht an sich gerissen, was die lutherische Restabilisierung der gottgewollten Ständeordnung inzwischen glücklicherweise wieder in Ordnung gebracht habe: »Mir ist selbst noch ingedenck / das ich in meiner jugendt von einem Gottslösterlichen Meßpfaffen mit meinen ohren gehöret habe / Wann D. Luther noch in 50. jahren nicht kommen were / die Bawren und gemeine Leyen hetten Haberstro fressen müssen / wie Küe vnd Ochsen / vnd jhnen den Pfaffen / Hüner und Gense vberlassen müssen«.726

Augenzeugenberichte, sonst eher keine Quelle lutherischer Historiographen, werden herangezogen, um den Zuhörern die lebensweltliche Applikation zu erleichtern und ihnen desto eindrücklicher darlegen zu können, daß Gott als Strafe für Sünden und Lehrabweichung Irrlehren und chaotische Zustände ent  Cramer, Revelation Antichristi, 43.   Vietor, Gründlicher / widerholter Bericht, 15v. 725  Miller, Exodus euangelica, 3r. 726  Ebd., 3v. 723 724

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stehen lasse.727 Dies ist eine Gefahr, die durch drastische Schilderungen des Papsttums abgewendet werden muß; daher ist Polemik gegen Papst und römische Kirche aus der Sicht der Prediger legitim, ja geboten, und damit natürlich kein Bruch des Religionsfriedes, der sich erstens auf weltliche Obrigkeiten beziehe und zweitens von den Katholiken ohnehin nicht eingehalten werde, obwohl er doch »der höchsten Kleinoter vnnd Gottes gaben eine« sei728 . b)  Enzyklopädien päpstlicher Laster Die generelle und in der Polemik immer wieder formulierte Sicht einer totalen moralischen Verworfenheit des Papsttums im allgemeinen und (fast) aller Päpste im besonderen führte zur Entstehung einer ganz eigenen Textgattung, die man als Enzyklopädie päpstlicher Laster bezeichnen könnte. Die loci der Bosheit wurden anhand von grobianisch zugespitztem historischem Exempelmaterial aufgefüllt. Georg Mylius etwa hielt 1583 in Augsburg und 1599 in Jena eine Reihe von Predigten über das Papsttum, die er als Zyklus herausgab. In diesen Predigten, denen Kapitel der Johannesoffenbarung zugrundeliegen, werden Punkt für Punkt päpstliche Laster abgehandelt. Eine Predigt behandelt Mord und Krieg, die vom Papsttum ausgingen, das ja bekanntlich aus der Initiative des Kaisermörders Phocas entstanden sei: »Der erste Stein zum Bapstumb mit Mord und Todtschlag ist gelegt worden«729. Eine andere Predigt befaßt sich mit der angeblichen Zauberei und Teufelsbündlerei der Päpste. Zentral ist hier die Rolle Gregors VII., der als »Hellischer Vatter« bezeichnet wird; ihm folgt eine große Zahl weiterer Zauberer 730. Eine Predigt schließlich befaßt sich mit Reichtum und Prunk des Papsttums; der Papst sei ein »offentlicher Strassenräuber« geworden731. Mylius behauptet eine historische Niedergangsperspektive, die allerdings vage bleibt: Mit Verweis auf ungenannte Quellen skizziert er eine unübliche Periodisierung von verschiedenen ›Epochen‹, deren jede 300 Jahre gedauert habe. Von 600–900 habe das hochmütige »Prachtalter« gewährt, von 900–1200 das »Machtalter«, von 1200–1500 das »Geizalter«. Nun bleibe nur noch eines: die Periode offener Gewalt, die aber durch das nahe Weltende abgekürzt werde:   Vgl. ebd., 5v.   Mylius, Bapstpredigten, 7v, 8v, Zitat: 212v. 729  Ebd., 69v. 730  Vgl. ebd., 84r-86r, Zitat: 84r. Gregor VII. wird von Mylius – was wegen seiner Seltenheit bemerkenswert ist – auch vorgeworfen, er habe Heinrich IV. in Canossa drei Tage warten lassen, weil »Bapst mit seinen Hurenhendeln soviel zuthun« hatte (ebd., 74); dies ist nun ein Vorwurf, der gegen den asketischen Gregor, dem man gern alles mögliche nachsagt, sonst nicht erhoben wird. 731  Ebd., 108r. 727 728

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»Ist jr erster Staffel / Pracht: der ander / Macht: der dritte / Gut: der vierde / Christen Blut gewesen. Darbey sie jetzund bleiben müssen / konten nicht ferner kommen / werden aber dies Alter nicht auff die helfft zu bringen haben.« 732

Apokalyptisch ist auch die Beschreibung des Papsttums als erstem Tier aus Off b 13, das 42 Monate regieren wird und dem eine Wunde zugefügt wird, die anschließend wieder verheilt. Nun entspricht diese Deutung gerade des ersten Tieres aus Off b 13 nicht unbedingt dem Konsens der Exegeten (siehe Kap. B.VII.f ). Doch situativ paßt Mylius diese Deutung genau, denn er kann damit die Reformation an das nahe Weltende knüpfen und seinen Zuhörern – ganz entgegen der realen Entwicklung gegen Ende des 16. Jahrhunderts – suggerieren, daß das Papsttum trotz vorübergehender Erfolge eigentlich schon besiegt sei. Diese kontrafaktische, aus der Apokalypsenexegese hergeleitete Behauptung bindet er kurioserweise an den Begriff der ›Erfahrung‹: »Die erfahrung wirt die außlegung mit sich bringen / vnnd reget sich selbige schon mit aller macht / so starck / das es Bapst fühlet an dem ort / da es jhme wehethut / Das es wol eine tödtliche Wunden heissen mag / die er schon albereit empfangen hat: Vnd ob er wol hieran jmmer wieder zuheilet vnd flicket / vnd jhme die heilung bißweilen scheinet glücklich abgehn: So ist jhme doch der Zweck und Termin schon gestecket« 733.

Noch systematischer führt ein umfangreiches Buch Nikolaus Hönigers von 1586 die Verbrechen der Päpste auf 734 : Sie hätten die Welt durch ihre geistliche Gesetzgebung, aber auch den Schein der Heiligkeit im Zaum gehalten735 , doch die römische Wirklichkeit habe anders ausgesehen. Zauberei und Mord, Ehebruch und Hurerei, Sodomie, Tyrannei, Zauberei, Völlerei und Trunksucht, Ketzerei und Hochmut, Gottlosigkeit und Unbildung werden hier nacheinander und mit unzähligen Belegen als Eigenschaften so gut wie aller Päpste dargestellt. Angesichts dieser fast völlig fehlenden Gewichtung fällt umso mehr auf, wenn ein Papst als noch schlimmer dargestellt ist als die anderen. Im Falle Gregors VII. kommt Höniger in kaum einem Satz ohne die Charakterisierung aus, daß dieser mit dem Teufel paktiert habe. Dieser »Teüffelsüchtige Mensch vnnd Wunder Thier Hildebrand«736 habe gemordet, mit Tücke und List regiert und den Zölibat eingeführt. Nach seinem Tod »soll man jhn in der Hell gesehen haben«.737 Seiner Bosheit kommt nur Bonifaz VIII. gleich, »das grewliche vnd

  Ebd., 131v.   Ebd., 34r. 734  Vgl. Höniger, Spiegel / Des Weltlichen Römischen Bapsts . . .; das Buch ist eine Kompilation unterschiedlicher Autoren wie Stefan Szegedin und John Bale, enthält aber auch eine ganze Reihe von Höniger stammender Teile; vor allem ist die Anordnung von ihm. 735  Ebd., cccvij. 736  Ebd., cxl. 737  Ebd., cxliij. 732 733

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schröckliche WunderThier«738 . Es werden also offenbar Abstufungen zwischen unterschiedlich schlimmen Päpsten vorgenommen, aber diese sind aufs ganze gesehen marginal. Höniger beschränkt sich auf eine Verbrechergalerie ohne zeitlichen Index. »Ein heyliges vnd erbares Gesindlein«739 seien die Päpste, aber unendlich habe dieser Zustand nicht sein können: »Wann ein ding zu hoch steigt / vnd gespannet würd / muß es gentzlich brechen«740. Diese eher lebensweltliche Erklärung dafür, warum es zur Reformation kommen mußte, ist weit entfernt von den heilsgeschichlich argumentierenden Deutungsmustern anderer Autoren. Auch sonst ist Höniger idiosynkratisch und noch exzessiver in seinem Haß, als man dies sonst findet – gerade Höniger, der doch gleichzeitig die tolerante Universalgeschichte Sebastian Francks neu auflegte (B.IV.6.c). Auch dies deutet wieder auf die Möglichkeit, zwischen Gattungs- und Sprachregistern umzuschalten. Hönigers Papstlexikon jedenfalls markiert eine Extremposition, die Geschichte vollständig in Polemik aufgehen und letztlich in ihr verschwinden läßt. c)  »Ioannes Octaua der Hurenbalck« An einem prominenten Beispiel soll gezeigt werden, welche unterschiedlichen Deutungsstrukturen innerhalb der Polemik benutzt wurden: an der Päpstin Johanna, die als Johannes VIII. in der Mitte des 9. Jahrhundert Papst geworden und während einer Prozession an der Geburt ihres Kindes gestorben sei. Die Johanna-Geschichte ist vor 1250 nicht nachweisbar und fand im 14. Jahrhundert weite Verbreitung durch die erfolgreiche Chronik des Martin von Troppau.741 Allgemein scheint man erst gegen 1500 von der Historizität der Johanna-Gestalt ausgegangen zu sein; durch die Aufnahme in Platinas Papstviten wurde die Fabel am Ende des 15. Jahrhunderts sogar Bestandteil der offiziösen Papsthistoriographie.742 Dieser unbefangene Umgang auch mit heiklen Seiten der Papstgeschichte, die Platinas Zugang insgesamt kennzeichnet, und die mittelalterliche Rezeption, der es mehr um eine Sensationsgeschichte ging als um Kritik am Heiligen Stuhl, verschwanden mit der Reformation natürlich.743 Wenn auch Luther selbst in den Tischreden eher unaufgeregt von einem Besuch an   Ebd., clxxxvij.   Ebd., cccxxxix. 740  Ebd., ccxiiij. 741  Vgl. Döllinger, Johann Joseph Ignaz von, Die Papstfabeln des Mittelalters, 2. Auflage, hg. v. J. Friedrich, Stuttgart 1890, 2–7; Bietenholz, Pieter G., Historia and Fabula. Myths and Legends in Historical Thought from Antiquity to the Modern Age, Leiden/New York/Köln 1994, 97–107. 742  D’Onofrio, Cesare, La Papessa Giovanna. Roma e papato tra storia e leggenda, Roma 1979, 106; Herbers, Klaus, Die Päpstin Johanna. Ein kritischer Forschungsbericht, in: HJb 108 (1988), 174–194, hier 174. 743  Hotchkiss, Valerie R., The Legend of the Female Pope in the Reformation, in: 738 739

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ihrem angeblichen Grab in Rom berichtet 744, spricht er doch auch, ohne expliziten Bezug auf Johanna, von der »heilige(n) jungfraw S. Bapst«745. In der Forschung ist geäußert worden, daß die Gedankenassoziation der römischen Kurie mit der apokalyptischen großen Hure Babylon (Off b 17) über die Päpstin laufe.746 Dieser Konnex scheint im Hussitismus zumindest vorgebildet gewesen zu sein; schon hier war die Päpstin nicht mehr nur abschreckendes Exempel und noch weniger ein Kuriosum, sondern ein Beweis für die Illegitimität der römischen Ansprüche.747 Am Beispiel der Päpstin kann gezeigt werden, mit welchen Mitteln und im Hinblick auf welche Ziele lutherische Kontroverspolemik arbeitete. In der Universalgeschichtsschreibung wird die Johanna-Legende des öfteren relativ unaufgeregt als Element mittelalterlichen historischen Wissens tradiert 748 , aber schon in der Kirchengeschichtsschreibung zumal der Zenturien wird sie nicht nur unkritisiert weitergetragen, sondern geradezu zum polemischen Topos ausgebaut.749 Die Polemik mittels der Johanna-Legende richtet sich vor allem auf drei Punkte: Erstens kann mit ihr die apostolische Sukzession bestritten werden, zweitens dient sie zur moralischen Disqualifizierung des Papsttums, drittens bindet sie das Papsttum an einen apokalyptischen Deutungshorizont an.750 Bei vielen Autoren gehen die drei Argumentationsstränge durcheinander; sie sollen hier aber nacheinander behandeln werden. Pier Paolo Vergerios Johanna-Pamphlet von 1556 ist die erste ausführliche Behandlung des Themas von protestantischer Seite.751 Vergerio legt den Fokus weitgehend auf die Kette der apostolischen Sukzession, die durch eine Frau als

Acta Conventus Neo-Latini Hafniensis. Proceedings of the Eighth International Congress of Neo-Latin Studies, hg. v. Rhoda Schnur, New York 1994, 496–505, hier 496. 744  Vgl. WA Ti. 5, Nr. 6447, 6452. 745  WA 60,178; zum Kontext sexueller und misogyner Polemik bei Luther vgl. Puff, Helmut, Die Rhetorik der Sodomie in den Schriften Martin Luthers und in der Reformationspolemik, in: Zeitsprünge 6 (2002), 328–342. 746  Vgl. Scribner, For the Sake of Simple Folk, 171; zu frühreformatorischen JohannaDarstellungen siehe auch: Boureau, Alain, La Papesse Jeanne, Paris 1988, 256–259. 747  Vgl. Boureau, La Papesse Jeanne, 243–246. 748  Vgl. z.  B. Dresser, Isagoges Historicae Millenarius Quintus, 187  f . 749  Dies ist v.  a . von katholischen Historikern vermerkt worden; vgl. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. 5, 312–334; Polman, L’élément historique, 228–230. 750  Ähnlich verläuft die Diskussion in Frankreich; für einen vergleichenden Seitenblick siehe: Solé, Jacques, Le débat entre protestants et catholoques français de 1598 à 1685, 4 Bde., Lille 1985, Bd. 2, 662–670. 751  Vgl. Vergerio, Pier Paolo, Historia di Papa Giovanni VIII. che fu femmina, Tübingen 1556; hier benutzt in dem Abdruck der 1558 anonym veröffentlichten Übersetzung »Des Bapsts Kindbett. Ein warhaffte vnd gruntliche Histori von Babst Hansen / dises Namens dem Achten / wölcher ein Weib vnd Zauberin gewesen ist«, Faksimileabdruck bei: Gössmann, Elisabeth, Mulier Papa – Der Skandal eines weiblichen Papstes. Zur Rezeptionsgeschichte der Gestalt der Päpstin Johanna, München 1994, 399–406.

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Päpstin zerrissen sei.752 Matthias Hoë, der Johanna nach einer anderen Überlieferung Gilberta nennt, führt dieses Argument weiter aus: »Es stehet auch die frage frey / ob die vettel Gilberta / so sich für ein Mann außgeben / vnd hernach Pabst Johannes der achte genennet worden / auch zu dieser succession der Päbst / vnd an das kerbholtz gehöre.«753 Hoës Antwort ist: »Sprechen sie ja / so muß es ja ein herrlich werck vmb eine solche succession sein [. . .] Sprechen sie nein / wo bleibt dann der ruhm«? 754 Eine apostolische Sukzession, in die eine Frau eingereiht ist – dies kommt jedenfalls nicht in Frage. Hoë treibt aber die Polemik noch weiter: »Ich frag auch ferner / ob das Hurenkind / saluo honore, wann es wer lebendig blieben / jhre Päbstliche dignitet ererbet / vnd also der Mutter succediret, ob man jhm auch vnter dessen einen vormund oder Administratorn des Papbstthums geordnet« 755.

Mit der Bestreitung der Sukzession treffen lutherische Polemiker die römische Kirche in einem zentralen ekklesiologischen Punkt.756 Für sie selber ist es aber letztlich weniger wichtig, ob die Geschichte wahr ist. Sie halten sie für historisch, fügen aber hinzu, daß selbst, wenn sie nicht stimmen sollte, die papistischen »Suppenfresser« genügend andere Schändlichkeiten begangen hätten.757 Damit ist bereits zur moralischen Diskreditierung des Papsttums mit Hilfe der Johanna-Gestalt übergeleitet. »Ioannes Octaua der Hurenbalck«758 kann pars pro toto für die moralische Verworfenheit des Papsttums stehen, oder sie kann als geradezu ironische Rache Gottes am »Hurischen Bapstumb«759 verstanden werden. Sie wird zum Anlaß genommen, generell den Zölibat zu kritisieren, der zwangsläufig zu sexueller Ausschweifung führe, und damit nicht nur ein sündiges Leben, sondern auch Heuchelei mit sich bringe.760 Gegenüber einer allgemein moralisierenden Deutung der Johanna wird eine spezifisch apokalyptische Interpretation relativ seltener vorgetragen. Vergerio,   Vgl. Vergerio, Des Bapsts Kindbett, A ij r.   Hoë, Christliches / vnd in Gottes wort gegründetes Bedencken, b iij r. 754  Ebd., b iiij v. 755  Ebd., b iiij r. 756  Der Jesuit Georg Scherer antwortet darauf, daß selbst dann, wenn die Geschichte stimme, was er verneint, die Sukzession nicht unterbrochen worden sei, denn in diesem Fall sei Johannas Papsttum als »interregnum vnd Vacantz« zu deuten. Vgl. Scherer, Georg, Ob es wahr sey? Daß auff ein Zeit ein Bapst zuo Rom Schwanger gewesen / vnd ein Kind geboren habe. Gründtlicher Bericht . . ., Ingolstadt 1584, H ij r (Faksimileabdruck bei: Gössmann, Mulier Papa, 482–532). 757  Vgl. die mehrfach aufgelegte Schrift: Jesuitas [. . .] falso et frustra negare papam Joannem VIII. fuisse mulierem, 1588, hier benutzt in der Übersetzung von Eybenhold, Ursinus, Confirmatio Gegen vnnd wider die Jesuiter . . ., o.O., 1596, als Faksimile mit eigener Paginierung abgedruckt bei Gössmann, Mulier Papa, 538–587; Zitat: Eybenhold, Confirmatio, 14. 758  Vietor, Gründlicher / widerholter Bericht, 12r. 759  Mylius, Bapstpredigten, 90r. 760  Vgl. Gössmann, Mulier Papa, 168. 752 753

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der ansonsten auf das Sukzessionsproblem abhebt, suggeriert mittels eines Titelmottos aus Off b 18,7 eine Beziehung zwischen Johanna und der großen Hure Babylon. In den Zenturien und bei Osiander dagegen ist Johanna selber die Hure Babylon und steht als solche metonymisch für den heilsgeschichtlichen Ort des Papsttums: »Et uoluit Deus hoc ipso facto demonstrare, Pontifices Romanos esse scortum illud Babylonicum, de quo Ioannes in Apocalypsi est uaticinatus.«761 Durch Hurerei und Überredung – auch Rhetorica ist eine Frau – gelingt Johanna und nach ihr dem gesamten römischen Papsttum die Unterjochung von Königen und Kaisern. Nur die Besten haben diesem Anschlag entgehen können: »dann Gott hat dazumal an der Bapsthuren / die Babylonische Hur / dauon der Geyst / Apocal. 17. zuuor gesagt hatte / der Welt wöllen offenbaren / daß sich die Ausserwehlten für jhm wisten zuhüten.« 762

Selten wird der Päpstin in der Weise eine unheilsgeschichtliche Sonderrolle zuerkannt, als zwischen ihrer Amtszeit und dem Jahr 1521 genau 666 Jahre vergangen seien (vgl. dazu auch Kap. B.VII.); mit der Ära »deß Hurn-Bapsts (da nemlich die Geistliche Babylonische Hure auch zur weltlichen Hurn ward)«763 habe die weltliche Tyrannei des Papstes begonnen. Ganz im Vordergrund der Debatte um die Päpstin steht aber die moralische Diskreditierung Roms und, je länger desto mehr, die faktische Historizität der Legende. Damit treten die funktionalisierende Deutung im Hinblick auf die Apokalypse oder die Sukzession zurück; der moralische Diskurs scheint subtilere theologische Argumente verdrängt zu haben. In der Frage nach der Hi­sto­ rizität der Päpstin herrschen auf beiden Seiten, bei Protestanten wie Katholiken, die selben moralischen Parameter.764 In einer Reihe von Schriften versuchen lutherische wie katholische Autoren, im Durchgang durch die Überlieferung die Echtheit der Legende zu erweisen oder zu widerlegen.765 Dabei ergeben sich 761  Osiander, Lucas, Epitomes Historiae Ecclesiasticae, Centuria Reliquae IX.  X . XI.XII.XIII.XIIII.XV. . . ., 31; siehe den Beleg aus den Magdeburger Zenturien bei Gössmann, Mulier Papa, 115. 762  Höniger, Spiegel / Des Weltlichen Römischen Bapsts . . ., cxv; vgl. zu diesem Argument: D’Onofrio, La Papessa Giovanna, 115; Boureau, La Papesse Jeanne, 261. 763  Diese Deutung vertritt v.  a . Georg Nigrinus. Vgl. für das Zitat: Nigrinus, Apocalypsis, 460; siehe dazu Hotchkiss, Legend of the Female Pope, 502. 764  Darin aber primär eine »große Übereinkunft« der männlichen Theologen aller Konfessionen zu sehen, die gegen die Päpstin und alle Frauen eine antifeministische (plus zuweilen antijüdische) Allianz bilden, führt nicht weit; vgl. so: Gössmann, Mulier Papa, 110. Die misogyne Konnotation auf beiden Seiten ist so offensichtlich, daß man analytisch mit ihr wenig anfangen kann. 765  Vgl. als katholisches Beispiel: Scherer, Ob es wahr sey?; von lutherischer Seite außer den im Text genannten: Nicolai, Heinrich, Vom Bapst Johanne dem 8. daß er ein Fraw gewesen . . ., Goslar 1614 (Faksimileabdruck bei Gössmann, Mulier Papa, 590–674).

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nolens volens auch Reflexionen zur Echtheit von Quellen und deren Kritik, die allerdings bei lutherischen Autoren in der Regel traditionalistisch abgelehnt wird: Denn wenn man, wie die Katholiken im Falle Johanna forderten, erst einmal anfange, die historisch überlieferten Fakten in Frage zu stellen, werde ja nichts übrigbleiben – ein deutlicher Hinweis darauf, daß die Reformation oder der Protestantismus nicht etwa grundsätzlich traditions- oder gar quellenkritische Denkweisen hervorgebracht haben. »Mit der weiß würden alle Geschichten / die wir nit gedencken / vnnd allein auß alten Scribenten haben / in zweiffel gezogen / vnnd köndten also nichts für gewiß halten / dann allein das / so sich zu vnsern Lebzeiten hette begeben vnd zugetragen«766 .

Da dies schließlich nicht sein kann, muß die Textkritik hinter dem überlieferten Faktum zurückstehen. Sowohl daß die Legende bei vorreformatorischen und als ›katholisch‹ wahrgenommenen Autoren vorkommt, als auch, daß sie nicht vorkommt, kann dann als Beleg für ihre Historizität dienen: Manche Chronisten leugneten die Johanna-Geschichte, »welches kein Wunder ist. Aber es beschrieben sie ja jhrer gar zu viel [. . .] Weiß derowegen nicht / ob einer nicht roht werden solte / wann ers leugnen wolte. Sonsten ist es wahr / daß bey etlichen andern Scribenten dieses Bapstes Leben gar verschwiegen wirdt / oder aber für eine Fabel gehalten / aber diß ist leichtlich zu verstehen / warumb«.767

Nach der moralischen, dogmatischen, apokalyptischen Deutung der Päpstin bleibt damit nur noch die vage ideologiekritisch formulierte, daß man recht habe. Die lutherische Polemik führt also zu diversen Aspekten konfessioneller Selbstbeschreibung: Sie erweist die Lutheraner als diejenigen, die weit über dem moralischen Sumpf des Papsttums stehen; die die heilsgeschichtliche Rolle des Papsttums erkennen und in der Person Johannas exemplifizieren können; die mit leichter Hand die dogmatisch-ekklesiologischen Grundlagen des Gegners zerpflücken können; als diejenigen schließlich, die selbst dann noch Recht haben, wenn die Argumente ausgegangen sind. Als Zusammenfassung dieses langen Durchgangs durch die lutherische Kirchengeschichtsschreibung läßt sich festhalten, daß sie vor allen anderen Historien als konfessioneller Identitätsdiskurs diente, an dem sich die Entwicklung protestantischer Selbstbeschreibungen anschaulich ablesen läßt. Vor der Krisensituation der 1540er Jahre dominierten moralische Szenarien des Niedergangs der Papstkirche oder aus dem nationalhumanistischem Reservoir stammende Apotheosen der widerständigen Kaiser; hierfür stehen so unterschiedliche Autoren wie Myconius, Barnes und Hedio. Die Bedeutung der Krise der 1540er Jahre für die Selbstverständigung des Luthertums erweist sich gerade im Blick auf die historiographischen Umorientierungen in oder direkt nach dieser Phase:   Eybenhold, Confirmatio, 56.   Cramer, Revelation Antichristi, 27.

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Erst jetzt kam es vor allem bei Melanchthon, dann auch bei seinen Schülern, zu einer vertieften Reflexion der Frage, wo die Kirche während der letzten 1500 Jahre gewesen sei, wie die Kontinuität v.  a. der Lehre trotz des Verfalls der Kirche garantiert worden und wie dies historiographisch zu explizieren sei. Melanchthons Theorem der ununterbrochenen Folge von Kirchenlehrern wurde von Georg Major aufgenommen und in ähnlicher Akzentuierung wie bei seinem Lehrer als Bewahrungsgeschichte der Lehre gegen äußere Anfechtungen konzipiert. Flacius, der in diesem Punkt Melanchthon nicht etwa feindlich gegenüberstand, dramatisierte die Anfechtungen dergestalt, daß im Lichte der apokalyptischen Gegenwartsdiagnose die Kontinuitätstheorie zur veritablen Rettungsgeschichte wurde. Die Ambivalenz der flacianischen Konzeption aber, die zwischen dem Aufweis der Lehrkontinuität und dem der Kontinuität von antipäpstlicher Gegnerschaft changierte (die im Horizont des Endes verschmelzen), förderte eine disparate Rezeption des Catalogus testium veritatis, dessen historiographisches Material und dessen unterschiedliche Argumentationsstränge von lutherischer, aber auch reformierter Seite in differenzierter Weise aufgenommen wurden. Dem Zeugendiskurs eignete diese Ambivalenz von Beginn an, was im 17. und 18. Jahrhundert zu seiner Entplausiblisierung und schließlich zur Implosion dieses Diskurses zugunsten anderer Begründungsmuster führte. Ein wichtiger Rezeptionsfokus der Zeugentheorie war die martyrologische Lesart, wenn auch die martyrologische Tradition weniger mit dem Nachweis der Lehrkontinuität befaßt war, sondern eher auf das Martyrium als christliche conditio abstellte. Rabus’ Märtyrerbuch, der subkutane und wenig ausdifferenzierte lutherische Märtyrerdiskurs und die martyrologische Stilisierung etwa Hus’ oder Savonarolas zeigen, in welcher Weise das tradierte Autoritätsmodell des Märtyrers aufgenommen und umgedeutet wurde. Das Theorem der Lehrkontinuität bestimmte auch die Gesamtdarstellungen der Kirchengeschichte von lutherischer Seite, wurde aber durch die breite Schilderung des kirchlichen Verfalls ergänzt. Schon von ihren prophetischen Grundlagen etwa in 2 Thess 2 her bleibt lutherische Kirchengeschichtsschreibung an die Geschichte der katholischen Kirche gebunden; denn schließlich sollte der Antichrist innerhalb der Kirche entstehen. Der lutherische Identitätsdiskurs der Kirchengeschichtsschreibung war also mindestens auch ein negativer. Besonders deutlich zeigt sich dies natürlich im Falle der historischen Polemik, die in schauriger Entschlossenheit das Bild einer teuflisch infizierten Papstkirche zeichnet. Auf einem ganz anderen Niveau, aber in der Stoßrichtung letztlich identisch, exemplifiziert diesen Aspekt der negativen Identitätsherstellung auch das große Projekt der Magdeburger Zenturien. Die Rezeption der Zenturien im späteren Luthertum wurde durch die theologische Marginalisierung des Flacius und der Gnesiolutheraner nicht behindert; ähnlich wie im Fall des Catalogus testium veritatis ist insgesamt eine relativ bruchlose Überführung der von Melanchthon konzipierten und von Flacius konkretisierten Interpretation der Kirchenge-

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schichte in das Denken der lutherischen Orthodoxie zu beobachten. Die späteren Gesamtdarstellungen der Kirchengeschichte jenseits der Zenturien richteten sich demnach auch nicht gegen diese, sondern ergänzten sie oder vollzogen leichte Akzentverschiebungen. Auch die Einwände, die die Melanchthonianer der 1550er Jahre gegen Flacius und die Zenturien vorbrachten, spiegeln gerade keinen genuin historiographischen Dissens, sondern drehten sich um andere Probleme. Wenn auch an die Geringschätzung der Profangeschichtsschreibung durch die Magdeburger zu erinnern ist, bleibt doch die absolute Präferenz der Zenturatioren für die Dogmengeschichte letztlich in die melanchthonische Arbeitsteilung von Universal- und Kirchengeschichte integrierbar; insofern sind Chronicon Carionis und Zenturien strukturell weniger Konkurrenz- als Komplementärprodukte. Auch hier ist also zu konstatieren, daß trotz extremer Kontroversen innerhalb des Luthertums eine breit geteilte Sicht der Geschichte mit weithin übereinstimmenden Selbst- und Fremdbeschreibungen entwickelt wurde, was die Vermutung nahelegt, daß dieser Identitätsdiskurs zu einem nicht unbeträchtlichen Maß die Binnenkonflikte überwölben und damit lutherische Kohäsion herstellen konnte.

VI.  Lutherische Geschichtskalender zwischen Humanismus und Hagiographie 1.  Geschichtskalender als populäres Medium der Geschichtsschreibung Geschichtskalender verhandeln Geschichte, ohne im klassischen Sinne histo­rio­ graphisch zu sein. Diese Form der »anniversaristischen Geschichtsschreibung« wurde im Luthertum der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts häufig benutzt. Die Kalender sind zentral für die Fragen dieser Arbeit, weil sie zum Teil ausgesprochen hohe Auflagen besaßen oder sehr oft nachgedruckt wurden und weil sie damit einen privilegierten Zugang zu einem unterhalb der gelehrten Universal- und Kirchengeschichte liegenden, ›populäreren‹ Geschichtsbewußtsein gestatten, das in diesem Maße ansonsten nur noch über vereinzelte Predigten erschließbar ist. Die kalendarische Historiographie ist nicht per se ein populäres Medium; in dieser Hinsicht differieren die hier untersuchten Kalender durchaus. Dennoch dürften sie das alltägliche Geschichtsbewußtsein eines lesekundigen, aber nicht zwangsläufig universitär gebildeten Publikums mitgeformt haben. Melanchthon, der für die Initiierung der kalendarischen Historiographie die maßgeblichen Anregungen gab, hatte sich selbst einen handschriftlichen Kalender angelegt, um sich täglich Ereignisse der allgemeinen und Kirchengeschichte sowie aus dem eigenen Leben vor Augen halten zu können. Er schärfte seinen Schülern oft ein, morgens ein Bibelkapitel und einen selbst angelegten Kalender zur Vergegenwärtigung historischer Geschehnisse zu lesen.   Der Begriff stammt von: Hennig, John, Kalendar und Martyrologium als Literaturformen, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 7 (1961), 1–44, hier 33. Vgl. als knappe Überblicke mit Auflistung der Werke: Jung, Martin H., Evangelisches Historien- und Heiligengedenken bei Melanchthon und seinen Schülern. Zum Sitz im Leben und zur Geschichte der protestantischen Namenskalender, in: Melanchthonbild und Melanchthonrezeption in der Lutherischen Orthodoxie und im Pietismus, hg. v. Udo Sträter, Wittenberg 1999, 49–80, hier 63–68; Brückner/ Brückner, Zeugen des Glaubens, 540–557.   Vgl. CR 24,351; als Überblick siehe Jung, Historien- und Heiligengedenken; zum Kalender als Gottesgeschenk vgl. auch: Melanchthoniana paedagogica, hg. v. Karl Hartfelder, Leipzig 1892, 182. – Die Anregung Melanchthons, einen eigenen Kalender anzulegen, wurde auch von seinem Gegner Cyriacus Spangenberg aufgegriffen; zu dessen Plan, einen Kalender herauszubringen (der nie zustande kam), vgl. seinen Brief vom 28. 2. 1572, in: Der Briefwechsel des M. Cyriacus Spangenberg, hg. v. Heinrich Rembe, Bd. 1, Dresden 1888, 71–74.

1.  Geschichtskalender als populäres Medium der Geschichtsschreibung

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Diese Aufforderung bringt das Prinzip kalendarischen Gedächtnisses zum Ausdruck, nämlich sich Tag für Tag an vergangene Ereignisse oder die Viten der Tagesheiligen zu erinnern. Ab ungefähr 1544 betrieb Melanchthon auch den Plan, einen gedruckten Kalender herauszugeben. Die unten untersuchten Kalender Paul Ebers, Michael Beuthers und Kaspar Goldtwurms gingen direkt auf diese Anregung Melanchthons zurück, aber auch die späteren Kalender entsprangen letztlich dem Anstoß Melanchthons. Eine ausführliche Anweisung zur Benutzung von handgeschriebenen oder gedruckten Kalendern, die entweder von Melanchthon selbst oder von dessen Schüler Paul Eber stammt, ist dessen Kalendarium vorangestellt  : Jeder solle einen eigenen Kalender besitzen, in welchem er die täglichen Bibellosungen lesen und sich selbst Notizen über erinnerungswürdige Ereignisse anlegen könne. Daraus könne täglich die »beneficiorum Dei memoria« erneuert werden. Der Besitzer möge sich also die biblischen Ereignisse aus der Schrift an den ihnen entsprechenden Tagen vergegenwärtigen , aber auch Exempla aus der antiken Geschichte hinzufügen, Geburts- und Todestage berühmter Männer, christliche und heidnische Festtage und schließlich die freudigen und traurigen Ereignisse des eigenen Lebens aufzeichnen. Für die moralhistorische Absicht Melanchthons bieten sich Kalender in besonderem Maße an.10 Wie die Autoren sich die Benutzung der erbaulichen Kalender darüber hinaus vorstellten, geht aus einer Bemerkung Zacharias Rivanders hervor: »Mancher Christlicher Haußvater hat auff die Fest oder Feyertage zuuerreisen notßhalben / wenn er nu in der Kirchen gewesen / kan er dis Buch im Wagen bey sich haben / das vertreibet ihm nicht allein die zeit / sondern erinnert ihn auch / was die Kirche auff solchen tag für hat / das kann er auch thun / ob er gleich daheimen bleibt / nach gehaltner Predigt seinen Kindern und Gesinde daraus fürlesen / das wird Gott gefelliger sein / vnd zu besserer Haußzucht dienen / als andere schand vnd Narrenbücher / darmit sich die leichte Welt zu schleppen pflegt.«11

  Vgl. systematisch: Schmidt, Thomas, Kalender und Gedächtnis. Erinnern im Rhythmus der Zeit, Göttingen 2000.   Vgl. Jung, Historien- und Heiligengedenken, 56.   Zur unklaren Verfasserschaft, die aber hier wegen weitgehender Interessensübereinstimmung auf sich beruhen kann, vgl. Jung, Historien- und Heiligengedenken, 58. Für Eber als Autor optiert Brückner, Historien und Historie, 45. Der Text versucht neben den hier herangezogenen Punkten auch eine breit vergleichende Skizze verschiedener Kalender- und Monatszählsysteme, besitzt also durchaus auch chronologisches Interesse.   Vgl. De utilitatibus Calendarii, in: CR 20,795–822, hier 796.   CR 20,795.   Zu Melanchthons Versuch, die biblischen Ereignisse genau dem Jahreslauf zuzuordnen vgl. Jung, Historien- und Heiligengedenken, 51.   Vgl. die Zusammenfassung der Funktionen: CR 20,811. 10  »Propter hanc igitur causam etiam, vt res gestae melius intelligantur, et magis legentium animos afficiant, prodest habere paratum Calendarium«: CR 20,803. 11  Rivander, Fest Chronica, Vorrede.

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Statt sie mit sich zu führen, könne man die Kalender aber auch an die Wand hängen, bemerkt Kaspar Goldtwurm – was aber voraussetzt, daß die Kalender nicht zu große Formate besitzen.12 Aus handschriftlichen Notizen in verschiedenen Exemplaren von Paul Ebers Kalender geht zudem hervor, daß die Besitzer, Melanchthons Anregung folgend, tatsächlich Gegenwartsbeobachtungen, lokalhistorische Anekdoten, aber auch persönliche Ereignisse hinzufügten, um sich im Jahreslauf an sie erinnern zu können.13 Melanchthons Initiative, die im Laufe des 16. Jahrhunderts von einer ganzen Reihe von Autoren aufgegriffen wurde, ordnet sich in eine längere Entwicklung ab etwa 1500 ein, in deren Verlauf gedruckte Taschenkalender mit leeren Einlageseiten für den Benutzer zur Massenware wurden.14 Die ab dem 15. Jahrhundert gedruckten Almanache und Kalender schöpften ein breites Spektrum von Möglichkeiten aus: So wurden sowohl Heiligenkalender als auch stärker historisch ausgerichtete Kalendarien, Volkskalender mit Lesegeschichten oder auch Kalender mit stark astronomisch-astrologischer Ausrichtung gedruckt, die Prognostica und Practica für Sternkonstellationen und Wettervorhersage enthielten.15 Im 17. Jahrhundert wurde die Informations- und Unterhaltungsfunktion der populären Kalender immer wichtiger, und sie fungierten als zeitungsähnliche Multiplikatoren politischer Auffassungen.16 Die in Buchform gedruckten Kalender, die vermutlich nach der Gregorianischen Kalenderreform noch wichtiger wurden, um den Überblick über die Zeit zu behalten17, 12  Goldtwurm spricht von »gemeinen Calendern / so mann an die Wende hencket / oder sunst gebraucht«. Vgl. Goldtwurm, Kirchen Calender, a ij v. 13  Vgl. Deutsch, Josef, Ebers Calendarium historicum mit handschriftlichen Eintragungen aus Wolgast, in: Von Büchern und Menschen. FS Ernst Kuhnert, hg. v. Gustav Abb, Berlin 1928, 71–78; handschriftliche Einträge dokumentiert auch: Celani, Enrico, Un calendario di Paolo Eber, in: La Bibliofilia 15 (1913/14), 365–374. 14  Vgl. Foltin, Hans-Heinrich/Schirrmeister, Britta, Zeitweiser, Ratgeber, Geschichtenerzähler. Der Funktionswandel des Mediums Kalender in fünf Jahrhunderten, in: Lesekultur. Populäre Lesestoffe von Gutenberg bis zum Internet, hg. v. Petra Bohnsack/Hans-Heinrich Foltin, Marburg 1999, 29–42. Zur Vorgeschichte und Tradition vgl. auch: Brévart, Francis, The German Volkskalender of the Fifteenth Century, in: Speculum 63 (1988), 312–342. 15  Vgl. z.  B. Barnes, Robin Bruce, Hope and Despair in Sixteenth-Century Almanacs, in: Die Reformation in Deutschland und Europa: Interpretationen und Debatten, hg. v. Hans R. Guggisberg/Gottfried G. Krodel, Gütersloh 1993 (ARG Sonderband), 440–461. Eine Typologie der Kalender skizziert: Lieres, Vita von, Kalender und Almanache, in: Zeitschrift für Bücherfreunde N.  F. 18 (1926), 101–114. 16  Vgl. Sührig, Hartmut, Zur Unterhaltungsfunktion des Kalenders im Barock, in: Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland, hg. v. Wolfgang Brückner, 2 Bde., Wiesbaden 1985, Bd. 2, 727–740; Hanisch, Manfred, Politik in und mit Kalendern (1500–1800). Eine Studie zur Endterschen Kalendersammlung in Nürnberg, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 49 (1989), 59–76. 17  Vgl. als Überblick über die langsame und kontroverse Einführung des Gregorianischen Kalenders: Freiberg, Malcolm, Going Gregorian, 1582–1752: A Summary View, in: Catholic Historical Review 86 (2000), 1–19.

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erreichten oft sehr viel höhere Auflagen als andere Bücher und dürften zum Teil auch erschwinglicher gewesen sein – ohne daß dies im einzelnen nachzuweisen wäre.18 Für lutherische Autoren waren vor allem zwei kalendarische Gattungen von Interesse, die im Einzelfall miteinander Verbindungen eingingen: Dies war erstens der aus der lateinischen Martyrologie hervorgehende deutschsprachige Heiligen- oder Kirchenkalender, zweitens der universalhistorische Kalender.19 An beiden Gattungen soll untersucht werden, wie die Geschichte vor allem der vorreformatorischen Zeit repräsentiert wird; im ersten Fall ist zusätzlich stärker das Problem des lutherischen Umgangs mit den Heiligen zu reflektieren. Die in sich selbst diffuse Unterscheidung zwischen Historien- und Kirchenkalender fügt sich dabei nicht vollständig in das Schema Universal- und Kirchengeschichte ein, operiert aber in etwa innerhalb derselben Parameter. Dies gilt z.  B. in der Hinsicht, daß universalhistorische Kalender sowohl profan- oder politikgeschichtliches Wissen als auch kirchenhistorische Information transportieren können, aber nicht müssen (also inhaltlich inklusiver sind), während Kirchenoder Heiligenkalender in der Regel auf Profangeschichte verzichten. Ein grundsätzliches Problem bei der Interpretation von Kalendarien stellt der Umstand dar, daß in Quellen dieser Art keine kontinuierliche, lineare Geschichte erzählt wird. Das heißt, daß die Perspektiven, die den bisherigen Analysen zugrundelagen – etwa das Gegen- oder Miteinander von Verfalls- und Kontinuitätsperspektive der Kirche von der Urchristenheit bis zur Gegenwart der Autoren – in einem Kalender höchstens implizit zu finden sein dürften und aus einzelnen Passagen extrahiert werden müssen.

2.  Kalendarische Universalhistorie I: Humanistische Mittelwege und Reformationsmemoria a)  Paul Ebers Calendarium historicum Die – neben den oben behandelten Werken Carions/Melanchthons/Peucers und dem Vierreichebuch Sleidans (vgl. Kap. B.IV.2–3) – frühesten universalhistorischen Kompendien des Protestantismus stellten die historischen Kalender der beiden Melanchthonschüler Paul Eber und Michael Beuther dar.20 18  Eine lokale ›Kalenderkultur‹ führt exemplarisch vor: Matthäus, Klaus, Zur Geschichte des Nürnberger Kalenderwesens. Die Entwicklung der in Nürnberg gedruckten Jahreskalender in Buchform, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 9 (1968), Sp. 965– 1396; Hinweise auf Auflagenhöhe (bis zu 10 000 Exemplare!) und Preise Sp. 1162, 1164. 19  Vgl. Lieres, Kalender und Almanach. 20  Als universalhistorische Kompendien behandelt sie: Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte, 45  f.

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Paul Eber (1511–1569), Wittenberger Professor zuerst für Latein, dann für Physik, ab 1557 Professor für Altes Testament und ab 1558 kursächsischer Generalsuperintendent, war Freund und Schüler Melanchthons und erarbeitete sein »Calendarium historicum« in enger Abstimmung mit diesem.21 Es erschien erstmals 1550 in Wittenberg, erlebte im selben Jahr einen Neudruck und wurde bis 1605 in zehn weiteren Ausgaben nachgedruckt.22 Auffällig ist die starke Zurücknahme religiöser oder gar polemischer Elemente. Die in der Forschung geäußerte Vorstellung, Ebers Kalender stelle eine Reinigung der mittelalterlichen Kalender-Hagiographie oder eine Art säkularisierende Ersetzung von Legenden durch positivistische historische Fakten dar 23, trifft nur auf einer sehr formalen Ebene zu: insofern nämlich, als die knappen historischen Notizen des Kalenders kaum noch Bezüge auf ein Heiligengedenken herstellen, sondern primär universalhistorisches Material versammeln. Die christlich-humanistische Machart dieses lateinischen Kalenders, die diesen – abgesehen von wenigen Ausnahmen – sicher auch für katholischen Gebildete interessant machte24, vermittelt den Eindruck, daß es nicht um konfessionelle Identität geht. Martin Jungs These, daß die Kalenderliteratur die Konfessionsgrenzen leicht überspringen konnte, scheint für Ebers Werk zuzutreffen.25 Interessant scheint aber angesichts des Eberschen Humanismus melanchthonischer Prägung und seiner Vorliebe für profangeschichtliche Daten seine Feststellung, daß die Kalender wie alle Geschichte primär der Kirche dienen.26 Jungs These, daß das 16. Jahrhundert nicht zwischen Universal- und Kirchengeschichte unterschieden habe und der Ebersche Kalender deshalb auch ein Kirchenkalender gewesen sei 27, ist unzutreffend. Denn in aller Regel wurde sehr genau zwischen beiden Gattungsund Argumentationszusammenhängen differenziert (vgl. Kap. B.III.). Die Ebersche Universalgeschichte ist natürlich religiös grundiert, obwohl er, wie die meisten Kalender, die geschichtstheologischen Schemata der Universalgeschichte nicht expliziert. Profangeschichte und antike Exempla, die den Kalender beherrschen, bleiben so in ein religiöses Deutungskonzept eingespannt. Damit ist Ebers Konzentration auf Kaiser und Fürsten, auf kulturelle Leistungen und Gelehrte plausibel gemacht. Fragt man noch einmal nach der intendierten Benutzung des Kalendariums, so bleibt festzuhalten, welche Daten Eber der alltäglichen Vergegenwärtigung   Vgl. Bautz, Friedrich Wilhelm, Art. »Eber, Paul«, in: BBKL 1, Sp. 1441  f.   Vgl. Eber, Calendarium; zu den Nachdrucken vgl. Jung, Historien- und Heiligengedenken, 61. 23  Vgl. Gilmont, Naissance de l’historiographie protestante, 115. 24  Vgl. für einen katholischen Nuntius als Leser: Celani, Un calendario. 25  Vgl. Jung, Historien- und Heiligengedenken, 71. 26  »Harum rerum omnium recordationem necessarium esse universae Ecclesiae, non dubium est.«: Eber, Calendarium, A 3v. 27  Vgl. Jung, Historien- und Heiligengedenken, 60. 21 22

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für würdig hält. Welche Art historischen Wissenss brauchen nach Ebers Vorstellung die Kalenderbenutzer täglich? Angesichts der lateinischen Sprache und des in Melanchthons Aussagen vorherrschenden pädagogischen Impetus scheinen zuallererst Studenten beispielsweise der artes, aber auch Gelehrte aller Art als Rezipienten anvisiert worden zu sein. Dieser Benutzergruppe lieferte Eber Informationen über biblische und antike Geschichte, Erinnerung an große Gelehrte und an die eigenen Wittenberger Lehrer. Die große Mehrzahl der Einträge, die sämtlich sehr knapp und sachlich gehalten sind, beziehen sich dann auch auf die Antike oder die Gegenwart. Ein großer Raum kommt Wittenberger Interna zu 28 , generell interessiert sich Eber sehr für zeitgenössische Gelehrte; auch Katholiken wie Pirckheimer oder aus der vorreformatorischen Zeit Nikolaus von Kues werden wegen ihrer Gelehrsamkeit aufgenommen 29. Selbst die Geburtstage von Zwingli und Bucer werden kommentarlos vermerkt; die beiden einzigen Theologen, die Eber überhaupt bewertet, sind Luther als »repurgator coelestis doctrinae« und Flacius als »nefarius Ecclesiae Christi Turbator per Germaniam«30. Verglichen aber mit der Gegenwart, in der es v.  a. um die Reminiszenz großer Gelehrter und Theologen geht, und der Antike, aus der Moralexempla gezogen werden können, kommt die mittelalterliche Geschichte erstaunlich kurz. Dies belegt keine starke Vorstellung von einer media aetas bei Eber, zeigt aber doch, welche Präferenzen Eber und auch Melanchthon besitzen. Für einen protestantischen Kalender hat dieses knappe Kalendarium ein erstaunlich wenig ausgeprägtes religiöses Profil. Nur in einzelnen Beiträgen findet der Leser Gestalten wie den Kaisermörder Phocas, Papst Gregor VII. oder Hus, zuweilen mit leichten, sich wie von selbst verstehenden Wertungen.31 Damit setzt dieser knappe lateinische Historienkalender eine sichere Geschichtskenntnis voraus und möchte offenbar nur einen vom Leser selbst erweiterbaren Grundstock an Einträgen bieten. Trotzdem bleibt der Befund, daß der erste historische Kalender aus dem reformatorischen Lager profan- und universalgeschichtlich ausgerichtet ist und sicher ohne größere Schwierigkeiten auch von katholischen Humanisten gelesen werden konnte. 28  Dies bezieht sich z.  B. auch auf Informationen zu Eber selbst, die dieser, Melanchthons Vorgabe folgend, ebenfalls notiert. Berührend ist der Eintrag zu Ebers Reitunfall im jugendlichen Alter, an dessen Folgen er sein ganzes Leben litt: »Anno 1523. PAVLVS EBERVS Calendarii huius author primum egressus ex Patria Kithinga, profectus est studiorum causa Onolsbachium, anno aetatis 13. Idem Paulus circumacto anno reu in patriam propter morbum, eodem die, ab equo consternato raptatus, luxauit multas corporis partes, agens annum aetatis 14. anno Christi 1524.«: Eber, Calendarium, 1. Mai (Da die Paginierung der Kalender recht uneinheitlich ist, scheint es praktisch, die Zitate i.d. R. über die jeweils leicht auffindbaren Tagesartikel nachzuweisen). 29  Vgl. Eber, Calendarium, 10. Dezember (Pirckheimer), 11. August (Nikolaus von Kues). Einträge zu Celtis und Trithemius am 1. Februar, Mutianus Rufus am 3. März. 30  Vgl. ebd., 18. Februar (Luther), 3. März (Flacius). 31  Vgl. ebd., 8. Juli (Hus), 25. Juni (Gregor VII.), 22. November (Phocas).

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Die Wichtigkeit, die Eber der Wittenberger Theologiegeschichte zumißt, stellt diese implizit auf eine Stufe mit anderen Wissensbeständen erster Ordnung. Dennoch ergibt sich daraus kein starker heilsgeschichtlicher Zusammenhang; es ist deutlich, daß Eber im Medium des Kalenders keine Aussagen über den generellen Ablauf der Welt- oder Kirchengeschichte treffen möchte. Sein Kalender zeigt höchstens implizit eine Vorstellung von Verfall und Kontinuität der Kirche; seine Orientierung an Bibel und Antike belegt aber eine gemeinhumanistische Tendenz, das Alte und die Alten als exemplarisch anzusehen, Reichs- und Fürstengeschichte (als sichtbaren Ausdruck von Gottes Leitung der Menschen) sowie Kultur und Gelehrsamkeit zu den Gegenständen zu zählen, die der Student sich täglich vor Augen stellen soll. b)  Michael Beuthers Kalender Eine in mancher Hinsicht vergleichbare Konzeption besitzt der zweite Kalender aus dem Melanchthon-Umkreis, den der oben bereits eingeführte Michael Beuther zuerst 1551, dann 1555, in lateinischer Sprache als »Ephemeris historica«, ab 1557 aber als umfangreichen Folioband in deutscher Sprache veröffentlichte. Dieser Kalender konnte wegen seines Formats sicher nicht an die Wand gehängt, sondern nur als Buch genutzt werden, was ein Grund dafür sein mag, daß er später nicht mehr aufgelegt wurde. Die Zeitgenossen sahen offenbar die Ähnlichkeit zwischen Ebers und Beuthers Kalendarien; dies veranlaßte Beuther dazu, der zweiten Auflage der Ephemeris historica einen offenen Brief an Eber voranzuschicken, in dem er den Plagiatsverdacht zerstreut und auf die gemeinsame melanchthonische Prägung hinweist.32 Beuther wurde bereits (Kap. B.IV.6.b) als Autor einer Chronik genannt, die ausgesprochen traditionalistisch gegen Sebastian Franck argumentiert und die kirchengeschichtlichen Aspekte der Universalgeschichte sehr stark reduziert. In ähnlicher Weise ist das 15 Jahre vorher konzipierte Kalendarium angelegt, das geradezu als Grundstock für die spätere Chronik gedient haben könnte. Aus der Vorrede geht weiter hervor, daß Beuther seinen Kalender auch als eine Art täglich zu lesende historiographische Kompilation für unstudierte, aber interessierte Leser der höheren Gesellschaftsschichten ansieht 33, während Ebers Werk stär32  Der Brief ist in Übersetzung abgedruckt bei: Jung, Beuther, 147–150; siehe auch ebd., 56. Die zweite Auflage erschien 1555 bei Oporin in Basel, einer Offizin, die zu eben diesem Zeitpunkt sowohl humanistische Editionsprojekte als auch kirchengeschichtliche Kontroverspolemik veröffentlichte. Beuthers Werk steht in der Mitte zwischen diesen beiden Polen: Weder ist es so eindeutige lutherische Traditionsstiftung wie Flacius’ Catalogus, der 1556 bei Oporin erschien, noch ist es so von jeglichem konfessionellen Tagesinteresse freizusprechen wie die Editionen zur byzantinischen Geschichte, die Oporins Freund Hieronymus Wolf herausbrachte. Vgl. Husner, Editio princeps. 33  Er spricht davon, sein Kalender sei eine Zusammenstellung für »Hof vnd andere Ehrbare Leut« (Beuther, Calendarium, A iij v).

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ker der Wittenberger Studienpraxis entspringt. Daß der Kalender tatsächlich nur im Jahresdurchlauf zu benutzen ist, wird aus dem Fehlen eines Registers deutlich. Beuther nennt seinen Kalender auch »Tagbuch«, aber im Vergleich mit Eber mutet er seinem Leser viel mehr Informationen pro Tag zu. Dies führt aber nicht dazu, daß seine religiösen Sympathien klarer offenlegte. Ganz im Gegenteil scheint Beuther – und das entspricht dem Ergebnis der Untersuchung seiner Chronik – keine Neigung zu religiöser Parteinahme oder gar Polemik besessen zu haben. Für ihn ändert sich mit der Reformation universalhistorisch nichts; die Geschichte ist auch nicht grundsätzlich umzuschreiben, vor allem nicht der Teil der Geschichte, der Beuther allein interessiert: nämlich Kaiser und Könige (vor allem Frankreichs und Englands), Haupt- und Staatsaktionen, Gelehrsamkeit und Humanismus34. Auch die Päpste sind primär als innerweltliche Machtfaktoren konzipiert, nicht aber apokalyptisch entschlüsselt. Der einzige Hinweis auf die Herkunft der Historienkalender aus dem Heiligengedenken ist die am Rand der Seite zu findende Kolumne, die jeweils unkommentiert – das heißt auch: ›ungesäubert‹ – den jeweiligen Tagesheiligen anführt, ohne daß ansonsten auf ihn bezuggenommen würde. Anders als Eber vermerkt Beuther auch keine biblischen Historien, sondern konzentriert sich auf das Hochmittelalter und seine eigene Gegenwart. Auch bei ihm sind aus dem Text keine Geschichtsverläufe, etwa eine Verfallsgeschichte der Studien oder der Religion, rekonstruierbar. Die Machtkämpfe zwischen Kaisern und Päpsten werden bei Beuther viel breiter als bei Eber dargestellt, allerdings nicht immer bewertet. So werden etwa päpstliche Kaiserkrönungen, sonst oft Anlaß zur Polemik gegen deren Illegitimität, nur kurz vermerkt.35 Selten wird die Gelehrsamkeit eines Papstes anerkennend festgehalten 36 , insgesamt sind die Päpste aber durchgehend in düsteren Farben gemalt, wobei ihre Verbrechen ihnen entweder als persönliche Verfehlungen zugerechnet werden oder dem Machtkampf gegen die Kaiser entspringen, nicht aber einer grundsätzlichen Kritik am Papsttum entstammen. Dennoch bleibt bemerkenswert, daß Beuther, anders als Eber, seinem Publikum in großer Regelmäßigkeit dezidiert antipäpstliche Daten und Fakten präsentiert, die zwar nicht über das im deutschen Humanismus gängige Maß hinausgehen, aber doch im neuen Kontext als protestantisch verstanden werden mußten. Die Mehrfachpäpste des frühen 15. Jahrhunderts waren »ein schandlich Heidnisch ärgerniß in der Kirchen« und handeln in »ganz heyloser Vnchristlicher weis«37, v.  a. deshalb, weil sie das geistliche Amt des Papstes in einen Spiel  Vgl. z.  B. Beuther, Calendarium, 1. Februar (Celtis, Trithemius), 4. Juni (Biondo)   Vgl. z.  B. ebd., 6. März; anders der Eintrag zum 21.3., wo es deutlich wertend heißt, Rudolf von Schwaben sei »durch Babst Hilprands anschickung« gewählt worden. 36  Vgl. ebd., 12. März (Gregor der Große), 23. August (Pius II.). 37  Ebd., 18. März, 4. Juli. 34 35

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ball der Macht verwandelt haben. Die Präsentation der Kaiser als unerschrockene Streiter gegen päpstliche Machtgier wiederum überschreitet den Rahmen der vorreformatorischen, antiitalienischen Polemik nicht. Beuther schlägt die Reformation implizit einem traditionellen, reichsbezogenen und national legitimierten Abwehrkampf gegen die Päpste zu. Dies ist zu sehen am Eintrag zur Begegnung Friedrich Barbarossas mit Papst Alexander III. Beuther folgt hier der Legende, daß der Papst Barbarossa erniedrigt habe, indem er ihm, als dieser sich vor ihm verneigte, auf den Nacken getreten sei. Diese Fiktion stammt wohl von italienischen Chronisten des 14. Jahrhunderts, die damit die Überlegenheit des Papstes in sinnfälliger Weise ausgedrückt sahen. Im humanistischen Umfeld Kaiser Maximilians I. wurde sie dann unter umgekehrten Vorzeichen ein Topos antirömischer Polemik.38 Aus diesem Zusammenhang wird Beuther sie kennen, jedenfalls zeigt ihre Verwendung deutlich die moralistische und politische Tendenz, die deutsche Nation, personifiziert im Kaiser, gegen die Machtansprüche des Papsttums streiten zu lassen, ohne die Institution des Papsttums generell in Frage zu stellen. Ähnlich ambivalent erscheint Beuthers Bericht vom Ende Gregors VII. Dieser Papst soll nach Beuthers Ansicht (wohl mit Rückgriff auf Sigebert von Gembloux und Hedio) »am todbeth seine vntrewe / die er gegen dem Kayser geübt / berewet / vnd das sie bey jme abgebeten würde / befohln« haben.39 Damit wäre zwar einerseits der deutschen Sache Genüge getan, andererseits aber die genuine Bosheit der Päpste heruntergespielt. Auch andere Einträge zeigen keine eindeutige Haltung Beuthers. Hus etwa wird zwar implizit als wichtiger Gewährsmann der eigenen religiösen Haltung angesehen40 , aber im Fall spätmittelalterlicher Häresie schreibt Beuther ohne 38  Zur Entstehung vgl. Schreiner, Klaus, Vom geschichtlichen Ereignis zum historischen Exempel. Eine denkwürdige Begegnung zwischen Kaiser Friedrich Barbarossa und Papst Alexander III. in Venedig 1177 und ihre Folgen in Geschichtsschreibung, Literatur und Kunst, in: Mittelalter-Rezeption. Ein Symposion, hg. v. Peter Wapnewski, Stuttgart 1986, 145–176, hier 149–153. Die Popularität der Episode im maximilianeischen Humanismus zeigt: Stadtwald, Kurt, Pope Alexander III’s Humiliation of Emperor Frederick Barabarossa as an Episode in Sixteenth-Century German History, in: Sixteenth Century Journal 23 (1992), 755–768. Allerdings nimmt Stadtwald (der Schreiner nicht rezipiert hat) an, die Fiktion habe hier ihren Ursprung. – Es war vermutlich Luther selbst, der unter dem Titel »Papsttreu Hadriani IV. und Alexanders III.« im Jahr 1545 in Wittenberg (zweite und dritte Auflage im selben Jahr in Wittenberg und Straßburg; vgl. VD 16, I, 2, 68  f.) die beiden letzten Viten der Robert Barnes’schen Papstgeschichte (vgl. Kap. B.V.III.b) erscheinen ließ. Vgl. Schäfer, Luther als Kirchenhistoriker, 106–109. Auch die Herausgeber der Weimarer Ausgabe halten die Übersetzung für eine Arbeit Luthers; vgl. WA 54,300–345. 39  Vgl. ebd., 21. April. Vgl. zum Problem auch: Hübinger, Die letzten Worte Papst Gregors VII. 40  Implizit deshalb, weil es keinen direkten Eintrag zu Hus gibt, aber dafür einen zum Martyrium des Hieronymus von Prag, der in der lutherischen Historiographie üblicherweise mit Hus wie Castor und Pollux zusammengenannt wird. Vgl. Beuther, Calendarium, 17. September.

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Namensnennung, 1509 seien in Genf vier »Prediger ketzer Mönch / mancherley gottlästerliches betrugs halben«41 hingerichtet worden. Die Reklamierung dieser Häretiker für die Reformation bleibt aus. Beuthers Sicht auf die Papstkirche bleibt letztlich inkohärent; einmal hat man den Eindruck, er schaut von außen kritisch auf sie herauf, dann wieder macht er sich eine ›katholische‹ Innensicht zu eigen. Dabei ist seine religiöse Haltung, wie wenige Hinweise erkennen lassen, gar nicht uneindeutig: Er sieht sich in der Tradition Luthers und seines Lehrers Melanchthon, aber auch humanistisch-oberdeutscher Reformatoren wie Kaspar Hedio42 , während er einen aktuell umstrittenen Theologen wie Andreas Osiander ablehnt43. Daß der Humanist Beuther bei enger Bindung an Luther und Melanchthon keinen Grund sieht, die universalgeschichtliche Optik wesentlich zu verändern und wie Eber einen Mittelweg zwischen einer konfessionsneutralen Universalgeschichte und einer lutherischen Deutung konzipiert, läßt sich anschaulich an seinem wenig emphatischen Eintrag zum Beginn der Reformation ablesen: Diese habe mit den Einlassungen Luthers gegen Tetzel begonnen, »daraus folgendes die sache in die weitläuffigkeit gerathen / wie noch täglich vor augen.«44 c)  Kalender als Medium der Reformationsmemoria Dieser letzte Eintrag, so sachlich er sich gibt, führt zu einer weiteren Beobachtung. War oben zum Thema Reformationsjubiläum zu bemerken, daß sich ein regelmäßig gefeiertes Jubiläum vor 1617 nicht etablieren konnte (Kap. B.II.3) und auch die Postillenpredigten kaum als Medium der Reformationsmemoria eingesetzt wurden (Kap. B.II.4), zeigen die in den Kalendern fast durchgängig zu findenden Eintragungen zu Luther, daß diese weitverbreitete Gattung ein wichtiger Faktor für die Initiierung des Reformationsgedenkens gewesen sein dürfte. Als historiographisches Genre, das nicht linear erzählt, sondern Tag für Tag historische Personen und Ereignisse in Erinnerung ruft, ist der Kalender geradezu prädisponiert, individuelle Daten im Jahreslauf zu präsent zu halten. Der Reformationstag ist dabei noch nicht durchgehend, aber häufig auf den 31. Oktober datiert. In diesem Sinne leisten auch ansonsten eher knapp informierende, konfessionell kaum markierte Kalendarien ihren Beitrag zur reformatorischen Erinnerungskultur. Dies ist deutlich an dem Kalender abzulesen, den Johann Manlius seiner populären Sammlung Melanchthonscher Dicta (1563)   Vgl. ebd., 31. Mai.   Vgl. ebd., 10. November (Luther), 17. Oktober (Hedio). Allerdings beschränkt sich Beuther auf Geburts- und Todestage; das Wormser Konzil etwa oder die Confessio Augustana vermerkt er nicht. 43  Osiander habe »im Articul von der gerechtwerdung deß menschen durch den glauben / eine ärgerliche Disputation erweckt« (17. Oktober). 44  Ebd., 1. Dezember (dieses ungewöhnliche Datum erklärt Beuther nicht). 41 42

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anhängt und der vielleicht neben Ebers Kalender Melanchthons Konzeption am nächsten kommt.45 Primär profanhistorischen Informationen aus Antike und Gegenwart stellt Manlius biblische und altkirchliche Historien zur Seite, ohne daß ein strenges Auswahlkriterium erkennbar würde. Selten wird Kritik an der mittelalterlichen Kirche geübt; sie wird statt dessen weitgehend übergangen.46 Aber ein offenbar bereits 1559 verfaßter Eintrag erinnert an den Thesenanschlag am 31. Oktober vor 42 Jahren. Schon früh also propagieren die Geschichtskalender ein jährliches Reformationsgedenken. Interessanterweise stellt Manlius dem Reformator hier einen sonst nicht sehr weit verbreiteten ›Vorläufer‹ zur Seite: Auch Kaiser Maximilian I. habe »etiam ante Doctorem Lutherum«47 die Mönche zur Aufgabe des Ablasses bewegen wollen. Einen Eintrag zum Thesenanschlag in einem ansonsten wenig konfessionell markierten Kalender findet sich auch im Diarium historicum des Heinrich Pantaleon, der offenbar hier Beuther folgt.48 Daß er einem Protestantismus anhing, der deutlich von Luther und Melanchthon und durch Absetzung gegenüber Zwinglianern und Calvinisten geprägt ist, wird auch an seiner Quellenliste deutlich, die er, anders als die meisten Kalenderautoren, seinem Werk voranstellt.49 Doch scheut man sich, sein Werk, abgesehen vom genannten Luthereintrag, als konfessionell zu lesen; die schon bei Eber festgestellte Tendenz, durch betont kurze Einträge den Eindruck von Sachlichkeit hervorzubringen, setzt sich hier fort. Offenbar finden diese Humanisten der zweiten Reihe, wenn man so sagen kann, ihren ganzen Stolz im Sammeln und Kompilieren von Information und gerade in der Tatsache, daß sie sich einer Wertung – religiöser, aber

45  Manlius, Johannes, Libellus, quo uariae tam sacrarum literarum quam prophanarum historie tanquam in Calendario, iuxta mensium ordinem, ex lectionibus D. Philippi Melanchthonis, et quorundam aliorum doctorum uirorum, distributae et collectae . . ., in: ders., Locorum communium collectanea, 203–289. Vgl. zu Manlius auch: Wachinger, Dekalog. 46  Lehrreich für den traditionskritischen und doch nicht ›rationalistischen‹ Impetus innerhalb des reformatorischen Lagers ist aber folgende, wahrscheinlich auf Melanchthon zurückgehende Episode: Zum 7. März wird notiert, der Apostel Paulus sei Thomas von Aquin erschienen, der ihn gefragt habe, ob seine Auslegungen richtig seien. Paulus habe geantwortet, sie seien nicht fehlerlos, aber doch besser als viele andere, doch werde Thomas bald das wahre Licht sehen; worauf hin Thomas wenig später gestorben sei. Diese Geschichte kommentiert Manlius: Da feststehe, daß die Lehre Thomas von Aquins von der paulinischen Lehre abweiche, müsse die Episode von einem Schüler Thomas’ erfunden worden sein. Die Begründung, die Manlius gibt, zeigt aber, daß er nicht etwa grundsätzlich der Meinung ist, Paulus könne niemandem erscheinen, sondern daß die Abweichung von der paulinischen Lehre es unvorstellbar mache, daß Paulus Thomas durch sein Erscheinen geehrt habe. Vgl. Manlius, Libellus, 207  f. 47  Manlius, Libellus, 264. 48  Vgl. Pantaleon, Heinrich, Diarium historicum, Basel 1572, 328. 49  Dagegen benutzt er gern humanistische katholische Historiographen wie Onofrio Panvini, aber auch ausgemachte Konfessionsstreiter wie Laurentius Surius.

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auch anderer Art – enthalten.50 Man ist versucht, von einem Positivismus avant la lettre51 zu sprechen, ohne daraus eine genetische Kausalbeziehung zwischen Protestantismus und Positivismus abzuleiten: Viel eher ist es so, daß diese Kalender hilfswissenschaftliche Funktionen z.  B. im Unterricht erfüllten und von vornherein nicht als Geschichtsschreibung im emphatischen Sinne konzipiert sind. Pantaleon konzentriert seine Einträge auf biblische, v.  a. aber antike Historien. Seine Notizen sind meist nur einen Satz lang; thematisch interessieren ihn vor allem Kaiser, Könige und Gelehrte. Man findet nur wenige Informationen zur Religion, und wenn, dann bleiben sie so unparteiisch wie der Hus-Eintrag: »Ioannes Huss Bohemorum Theologus in Concilio Constantiensi haereticus declaratus, ignis supplicium pertulit 1415.« 52 Ähnlich zurückhaltend im Urteil stellt sich das Diarium historicum des Juristen Nicolas Reusner dar, das von seinem Bruder, dem Jenaer Geschichtsprofessor Elias Reusner, unter eigenem Namen herausgegeben wurde.53 Es enthält ebenfalls einen Eintrag zu Luther und zum Thesenanschlag.54 Reusner baut seinen Kalender ähnlich auf wie ein chronologisches Tafelwerk: Es sind verschiedene Spalten nebeneinandergesetzt, die hier aber nicht nach Jahren, sondern nach Tagen durchgezählt werden. Wie die wissenschaftliche Chronologie zeigt das Diarium ein ›objektivierendes‹ Interesse an unterschiedlichen Prinzipien und Themen: Die Spalten umfassen die Einträge des Martyrologium Romanum, die Bibel, Kriege, Königskrönungen und andere königliche Angelegenheiten, schließlich Geburts- und Todestage von Fürsten wie von berühmten Männern. Der Leser hat also für jeden Tag auf einer Doppelseite alle Spalten im Blick. Kirchengeschichtliche Daten werden weitgehend ausgespart. Aber transportiert dieser Kalender dennoch konfessionell konnotiertes historisches Wissen? 55 Die erste Spalte zum römischen Martyrologium umfaßt ausschließlich altkirchliche Märtyrer und Heilige, die möglicherweise dem Geschmack eines lutherischen Publikums eher entsprachen als später kanonisierte Heilige (vgl. 50  Als Prototyp des humanistischen Kompilators zeichnet Pantaleon auch: Bizzocchi, Genealogie incredibili, 167. 51  Den Begriff »Positivismus« anstatt von »Säkularisierung« benutzt in ähnlichem Zusammenhang auch: Herding, Meibom, 5. 52  Pantaleon, Diarium historicum, 205. 53  Vgl. Reusner, Elias, Diarium Historicum. Zur Autorschaft Nicolas Reusners vgl. Zedler 31, Sp. 963. 54  Vgl. Reusner, Diarium Historicum, 161. 55  Das benutzte Exemplar (UB München 4° WA 732/1), muß einen aufmerksamen katholischen Leser gefunden haben, der teilweise mit Bleistift, meist aber mit Tinte, bei den Geburts- und Todestagen die nicht-katholischen berühmten Männer weggestrichen hat: Die gekrönten Häupter schont er, und andere Spuren hinterläßt er auch nicht. Dies zeigt, daß auch ein solches Werk konfessionell rezipierbar war.

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B.V.5.a). Reusner scheint primär an gelehrte Leser zu denken, die seine knappen Informationen – häufig beschränkt er sich auf die Nennung von Geburtsoder Todestagen berühmter Männer – in bereits bestehendes historisches Allgemeinwissen integrieren können. Aber an welche historischen Personen meint Reusner seine Leserschaft erinnern zu müssen? Seine Auswahl läßt erkennen, daß ihm wie Eber viel an antiken Gelehrten, aber auch an Persönlichkeiten der jüngeren Vergangenheit liegt. Diese umfassen z.  B. berühmte Humanisten 56 , aber auch Parteigänger der Reformation, wobei zwischen den verschiedenen reformatorischen Lagern nicht unterschieden wird 57. Umstrittene politisch-militärische Figuren wie Franz von Sickingen oder Wilhelm von Grumbach 58 , Leitsterne des scholastischen Establishments59, prominente hochmittelalterliche Ordensgründer60 sowie spätmittelalterliche Kirchenreformer und Mystiker61 stehen dabei unkommentiert nebeneinander. Daß Reusner keinerlei proreformatorische damnatio memoriae betreibt, sondern seinen Lesern offenbar richtige Urteile zutraut, wird durch die Tatsache verdeutlicht, daß selbst Gegner wie Eck oder Staphylus aufgenommen sind.62 Gewertet, und sei es mittels eines Epithetons, wird nur äußerst selten. Dennoch bleibt Reusners Kalender als protestantisch erkennbar, wenn Savonarola und Hus mit dem Ehrentitel des Märtyrers versehen werden. Auch einige Märtyrer aus der Frühzeit der Reformation sind aufgenommen.63 Die profangeschichtlichen Historienkalender, so läßt sich zusammenfassen, sind als ein protestantisches Phänomen sowohl religiös wie auch konfessionell nur schwach markiert – wenn sie auch vermutlich neben anderen Kalendern das prägende Medium der Luthermemoria vor 1617 darstellen. Die Autoren beziehen höchst selten Position zu den von ihnen nur knapp vermerkten Informationen. Daß Wertungen kaum vorkommen, könnte bedeuten, daß sie als bekannt vorausgesetzt werden. Ebenso vorausgesetzt wird ein relativ breiter Grundstock an historischem Basiswissen, damit diese Kalender ihre Funktion, nämlich die Erinnerung an Daten, Personen und Ereignisse, überhaupt erfüllen können. Dennoch erstaunt gerade in einer Zeit, in der Gruppengedächtnis und wissenschaftliche Geschichtsschreibung nicht prinzipiell getrennt waren (vgl. B.I.1), 56  Zum Beispiel: Pirckheimer (Reusner, Diarium Historicum, 7), Celtis und Trithemius (19), Erasmus (105), Thomas Morus (105), Petrarca (109), Valla (117), Nikolaus von Kues (121), 57  Zum Beispiel: Kaspar Peucer (4), Jacob Andreae (47), Friedrich Myconius (55), Calvin (81), 58  Vgl. Reusner, Diarium Historicum, 71, 85. 59  Zum Beispiel: Thomas von Aquin (37), Petrus Lombardus (125). 60  Vgl. Dominicus (119). 61  Vgl. Hieronymus von Prag (81), Gerson und Tauler (107). 62  Vgl. Reusner, Diarium Historicum, 23 (Eck), 37 (Staphylus). 63  Vgl. Reusner, Diarium Historicum, 159 (Servet), 79 (Savonarola), Hus (105), 7 (frühe Märtyrer).

3.  Kalenderkompendien und ›Luthertum‹

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der vorurteilsfreie, objektivierende Gestus. Brendeckes These, daß langfristig möglicherweise die knappen, sachlichen Geschichtswerke, z.  B. Chronologiesynopsen, der Gewinnung methodischer Distanz dienten64, daß also die Verwissenschaftlichung der Historiographie eher von diesen anspruchslosen Werken als von humanistischer Geschichtsschreibung im starken Sinne ausging, besitzt auch im Hinblick auf die Historienkalender einige Plausibilität.

3.  Kalendarische Universalhistorie II: Kalenderkompendien und ›Luthertum‹ a)  Abraham Saurs Kalender Die Gattung des universalhistorischen Kalenders wurde um die folgende Jahrhundertwende von zwei Autoren unterschiedlichen Hintergrunds noch einmal aufgegriffen. Abraham Saur und Valentin Beyer modifizierten die Gattung allerdings in zweifacher Weise: Erstens bezogen sie viel stärker auch kirchengeschichtliches Wissen in ihre Kalender ein, ohne jedoch die Profangeschichte darüber zu vernachlässigen; zweitens erweiterten beide die ursprünglich handliche Form erheblich. Wenn Ebers und Beuthers Kalender noch Melanchthons Anweisung genügt haben dürften, die tagtäglich zu erinnernden wichtigen Informationen vor Augen zu stellen, so erscheinen Saurs und Beyers Kalendarien als regelrechte Kompendien, die zwar im Tageslauf über Ereignisse der Weltund Kirchengeschichte berichteten, aber nicht mehr als knappe Nachschlagewerke zu gebrauchen waren. Dementsprechend dürfte auch der Rezipientenkreis unklar gewesen sein, was daran abgelesen werden kann, daß die beiden Kalender, anders als viele andere, nicht oft nachgedruckt wurden. Auffällig an den kompendiösen Universalgeschichtskalendern, so läßt sich als These formulieren, ist eine offen ausgesprochene Parteilichkeit und gleichzeitig ein verschwommenes konfessionelles Profil. Mit anderen Worten: Beide Kalender sind an ihren Wertungen deutlich als lutherisch zu erkennen; dennoch findet der Leser immer wieder auch Informationen und Bewertungen, die das explizit lutherische Profil der Werke verschwimmen lassen. Eine konsequente lutherische Instrumentalisierung der Geschichte wird man hier auch nicht finden können. Die hier behandelten Werke sind Ausdruck eines ›Luthertums‹, das theologisch nicht besonders distinkt ist, offenbar aber sehr verbreitet war. Orientiert man sich auch hier an der Frage, was die Autoren als notwendige, tagtäglich einzuschärfende Informationen ansahen, erscheinen beide Kalender vergleichsweise disparat.

  Vgl. Brendecke, Synopse, 82.

64

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VI.  Lutherische Geschichtskalender zwischen Humanismus und Hagiographie

Abraham Saurs umfangreicher historischer Kalender erschien 1582 und wurde von Saurs Sohn im Jahr 1594 noch einmal herausgegeben.65 Saur (1545– 1593) hatte in Wittenberg und Marburg artes und Recht studiert, war kaiserlicher Notar am Reichskammergericht und ab 1575 Advokat am hessischen Samthofgericht in Marburg. Er veröffentlichte eine Reihe von juristischen Lehrbüchern und den historischen Kalender.66 Wie Eber und Beuther vereint er in seinem Kalender profan- und kirchengeschichtliches Wissen im Sinne der Universalgeschichte; er schreibt allerdings mit deutlich höherem Anspruch und für ein gebildeteres Publikum. Dies machen Titel und Vorwort deutlich: In beiden wird betont, daß Saur nicht nur Chroniken ausgewertet, sondern auch Briefe und Urkunden benutzt habe.67 Saur stellt jedem Monat eine Beschreibung des Sonnenstandes sowie Gesundheitsratschläge in lateinischen oder deutschen Versen voran; jeder Monat endet mit einer mehrseitigen »Historia«, der ein moralisches Motto beigefügt ist. Gegenüber den früheren Kalendern sind Saurs Einträge viel umfangreicher und umfassen oft mehrere Seiten pro Tag. Zu jedem Ereignis gibt Saur seine Quellen – vor allem mittelalterliche und reformatorische Chroniken, aber auch frühere Kalender sowie katholische Autoren – an. Auf den Seitenkolonnen sind oft Tagesheilige vermerkt; diese sollen hier erst einmal beiseite bleiben, weil sie keine zentrale Rolle einnehmen. Daneben ist recht viel Platz für Nachträge der Besitzer freigelassen. Umfang, Quellenbenutzung und -angaben, Konzentration auf Antike und Zeitgeschichte: Alles dies deutet auf ein gelehrtes Publikum hin. Das heißt aber nicht, daß Saur Anekdoten, Legenden oder Wunderzeichen vernachlässigen würde. Exemplarisch sei der Abschnitt zum 1. Januar vorgestellt, der etwa fünf Seiten umfaßt. Saur vermerkt zu diesem Tag die Geburt Isaaks, die Beschneidung Christi, den Tod des Livius und des Ovid, diverse Wunder, Erdbeben, den Mainzer Reichstag von 1106 und die Übergabe der Kaiserwürde von Heinrich IV. an seinen Sohn, was jenen so getroffen habe, daß er »vor grossem Hertzenleyd / so jhm der fromme Sohn zugefuoget«, gestorben sei. Dieses Ereignis wird gleich mit zweierlei verknüpft, erstens mit dem Vorwurf gegen die Päpste, weltlichen Aufruhr gestiftet zu haben, zweitens mit der impliziten Identifizierung des vierten Gebots mit der generellen Anweisung zum Gehorsam: »Mercket dieses Exempel lieben Kinder / solch Künstlein hat er wider das vierd Gebott 65  Saur, Calendarium historicum. Zugrunde liegt diese spätere Ausgabe von 1594; das Original erschien 1582 unter dem Titel: Diarium Historicum: das ist: Ein besondere tägliche Hauß und Kirchen Chronica . . ., Frankfurt a.  M. 1582. Saurs Sohn Conrad Gerhard, der das Buch des Vaters neu herausgab, betonte, daß Saur auch nach 1582 bis zu seinem Tod daran weitergearbeitet hat. Nach einem stichprobenartigen Eindruck ist aber gegenüber der Erstauflage so gut wie nichts verändert worden. 66  Vgl. Reimer, Art. »Saur, Abraham«, in: ADB 30, 419  f . 67  Vgl. Saur, Calendarium historicum, )( ij v.

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von dem Bapst vnd Bischoffen / so jhn wider seinen Vatter also getrieben haben / gelernet.« 68 Auf den 1. Januar fallen weiter die Königswahl Maximilians I., die Geburt des Anatomen Vesalius im Jahr 1514 und schließlich ein Eintrag zum Interim, in dem sich Saur nicht eigentlich positioniert, aber doch seine latente Gegnerschaft zum radikalen Gnesioluthertum anklingen läßt.69 Insgesamt überwiegt also das Interesse an Antike und Zeitgeschichte, aber auch Gelehrsamkeit und deutsche Kaisergeschichte finden Saurs Aufmerksamkeit. Schon das zeigt aber, daß es nicht primär seine Absicht ist, eine Verfalls- oder Reformationsgeschichte der Kirche zu schreiben. Diese Perspektive ist zwar nicht ausgeschlossen, und oft findet man wertende Bemerkungen Saurs, aber insgesamt interessiert sich Saur weniger für Polemik als dafür, seine Leser an historischer Überlieferung und Kritik teilhaben zu lassen. Auffällig für diese Tendenz ist der Eintrag zum 3. Januar: »Diesen Tag / anno 1059. ward Benedictus 10. vom Keyser abgesetzt / vnd an seine statt geordnet / Bischoff Gebhard von Florentz / der ward Nicolaus II. genannt / vnd Regierte 2. Jahr / 6. Monat. [. . .] Es setzet Onuphrius diese geschicht des Keysers in Hornung / Johannes Auentinus aber im Aprillen. Vnder diesem Bapst Nicolao hat Berengarius sein Ketzerey vnd Irrthumb vom Heiligen Abendmahl widerruffen. Sein Bekanntnuß vnd Widerruff find man in Baepstlichen Rechten / Decret. de consecrat. distinctio. 2. c. Ego Berengarius«.70

Saur legt den Akzent auf die akkurate Information und die exakte Datierung; hierfür wird vorurteilsfrei auch der päpstliche Historiograph Onofrio Panvinio herangezogen. Berengar von Tours (ca. 1010–1088), der wegen seiner häretischen Abendmahlslehre von Matthias Flacius in die Reihe der Wahrheitszeugen eingereiht worden war 71, wird von Saur nicht für die reformatorische Sache reklamiert; ihm geht es nur darum, dem Leser mitzuteilen, wo er den Widerruf nachschlagen kann. An anderer Stelle72 wird darauf hingewiesen, daß Berengar trotz – also nicht wegen – seiner ketzerischen Abendmahlslehre ein frommer Mann gewesen sei; Saur befürchtet aber, daß er möglicherweise trotzdem verdammt sein und bleiben könne. Auf die Frage, wie man als Ketzer trotzdem fromm sein kann und ob es so etwas gibt wie eine nur aspektweise den orthodoxen Glauben trübende Ketzerei, geht Saur nicht ein und mischt sich also nicht in definitorische Diskussionen um Orthodoxie und Heterodoxie, was in den 68  Alles Saur, Calendarium historicum, 1. Januar; zum vierten Gebot als Herrscherlegitimation vgl. Christin, Les yeux. 69  Es hätten »die Theologi zu Hamburg vnd Magedeburg (vnder welchen auch Matthias Flacius Illyricus gewesen ist) angefangen / die von Wittenberg vnd Leipzig zubeschuoldigen / als hetten dieselbige mit den Papisten ein fuornemen / weren von der erkandten Warheit abgewichen / vnnd in den Adiaphoren oder mitteldingen zuviel nachgegeben.« Saurs Quelle ist hier Sleidan. 70  Saur, Calendarium historicum, 3. Januar. 71  Vgl. dazu Olson, Matthias Flacius, 239. 72  Vgl. Saur, Calendarium historicum, 6. Januar.

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1590er Jahren doch nahe gelegen hätte. Saur erscheint damit als weiteres Beispiel für ein relativ autonomes Geschichtsinteresse, das nicht in Polemik aufgeht, aber dennoch nicht einem mehr oder minder konfessionsneutralen Späthumanismus zuzurechnen ist. Wenn auch sein Versuch, unterschiedliche Überlieferungen gleichberechtigt wiederzugeben, manchmal zu amüsanten Ergebnissen führt 73, ist doch der hervorstechende Eindruck, daß Saur sich um Objektivität bemüht und relativ selten eine lutherische Wertung an die Ereignisse heranträgt; dazu überwiegt zu sehr ein aus dem Humanismus tradiertes Interesse an Gelehrten- und Kaisergeschichte. Doch auch Päpste werden gerühmt, wenn sie Frieden gestiftet oder Konzilien ausgeschrieben haben74, sowohl Gregor VII. als auch Calvin werden als »gelehrt« bezeichnet 75. Allerdings hängen Saurs Wertungen oft von seinen Quellen ab: Gregor VII. ist dann »gelehrt«, wenn Saur aus Platina kompiliert; wenn Aventin seine Quelle ist, erscheint Gregor als »ein Wolff vnd Mörder / ein Feind der Christlichen Herde«76 . Thomas von Aquin sei »ein Lehrer der Kirchen«, der »wegen seiner Wunderzeichen / in die zahl der heiligen Lehrer« aufgenommen wurde77. Schärfer wird der Ton zum Beispiel dann, wenn Saur Passagen aus Rabus’ Märtyrerbuch (vgl. B.V.5.b) übernimmt und Hus’ Lehre in Fettdruck so zusammenfaßt: »Wenn der Bapst nicht fromb ist / so ist er nicht ein Haupt der Kirchen / Das ist / Wenn der Bapst ein Schalck ist / so ist er nicht fromb / ob er gleich der öberste in der Kirchen ist.«78 Wie schon Pantaleon und Reusner scheint Saur also oft absichtlich ein eigenes Urteil zurückzuhalten; er möchte seine Quellen sprechen und werten lassen. Auch an protestantischen Heroen wie Hieronymus von Prag interessiert Saur weniger das emphatische Lob als die Frage der richtigen historischen Datierung 79. Seine Zugehörigkeit zum Konkordienluthertum ist oft an direkten Aussagen abzulesen80 , seltener aber an einer konfessionellen Einfärbung der reformatorischen Vorgeschichte. Wenn auch Saurs Kompendium mehr kirchengeschichtliches Wissen einbezieht als z.  B. Ebers Kalender und viel stärker eine eigene religiöse Position markiert, unterscheidet auch er zwischen Ereignissen und Personen, die konfessionell konnotiert sind oder sein sollten, und anderen, bei denen die Religionsfrage einfach keine Rolle spielt. Dies ist auffällig in einer 73  Siehe dazu den Eintrag zum 2. Januar: »Anno Domini 1440. ist erstlich das Buchtrucken zu Meintz durch Johan Guttenberger von Straßburg erfunden worden / Wiewohl etliche solchs Johan Genßfleysch zu Meyntz zuschreiben.« 74  Saur, Calendarium historicum, 10. Januar. 75  Ebd., 22. April (Gregor VII.), 10. Juli (Calvin). 76  Ebd., 2. Juli. 77  Ebd., 7. März. 78  Ebd., 3. Januar. 79  Ebd., 30. Mai. 80  So wird Jakob Andreae an 25. März als »ein herrlicher vnnd vortrefflicher Doctor der heiligen Schrifft« bezeichnet. Staphylus ist »ein Bäpstischer Theologus« (5. März), firmiert im Register allerdings nur unter »Ketzer«.

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Zeit weltanschaulicher »Totalkonfrontation« 81 und zeigt vor allem, daß nicht nur der gelehrte Humanismus etwa eines Lipsius sich dieser Zuspitzung verweigerte, sondern daß auch minder brillante Gelehrte wie Saur nicht willens waren, alles aus der Perspektive konfessioneller Rechtgläubigkeit zu betrachten. Dies scheint wiederum mit einer inzwischen einigermaßen verbreiteten Arbeitsteilung zwischen Profan- und Kirchengeschichte im Sinne Melanchthons zusammenzuhängen: Im Eintrag zum 10. November ist nämlich z.  B. Luther nicht zu finden – jedenfalls nicht im Haupttext. In der Seitenspalte, die kurz Heiligenviten anzeigt, wird dagegen Luthers Leben ausführlich beschrieben. Das heißt: Saur weiß, wo er Luther aufzunehmen hat und wo nicht. Die uneingeschränkte Selbstzuordnung Saurs zum Konkordienluthertum führt also in seinem Kalender weder dazu, daß die Geschichte der Kirche (und noch viel weniger die gesamte Weltgeschichte) in konfessioneller Zuspitzung oder auch nur religiöser Erbauung aufginge, noch kann aus seinem Kalender eine Geschichte des Verfalls der wahren Religion herausgelesen werden. Dies ist, zugegeben, in einem Kalender auch schwer vorstellbar und überdies nicht Saurs Vorhaben. Aber wie das nächste Beispiel, Valentin Beyers ebenso umfangreiches, aber schlichteres Kompendium zeigt, macht man ähnliche Beobachtungen selbst an Texten, die sich als dezidiert konfessionell definieren. Die Konfessionalisierung von Geschichte als Totalrevision bleibt aus. Sie wird punktuell, häufig widersprüchlich durchgeführt und scheitert oft am mangelnden Interesse der Autoren, die gesamte Vergangenheit mit der aktuellen religiösen und politischen Lage in Konvergenz zu bringen. b)  Valentin Beyers Diarium historicum In Wittenberg, um die Wende zum 17. Jahrhundert ein Hort der lutherischen Orthodoxie, veröffentlichte der Lößnitzer Pfarrer Valentin Beyer (1548–1604) 82 im Jahre 1603 sein »Diarium historicum«. Beyer erklärte im Vorwort, es sei der Zweck aller Geschichtsschreibung, zu verstehen, »Wenn und wie diese sichtbare Welt / Himmels / Erden vnd aller dinge ihren anfang gehabt / Wie vnd durch welche Leute / die wahre Religion vnd reine Lehre Gottes Worts / so etwan dieselbe durch des Teuffels Boßheit / vnd der Menschen Ehrgeitz vnd fürwitz verdüstert und verfelschet gewesen / widerumb ans Liecht gebracht / ausgebreitet vnd fortgepflanzet worden sey [. . .] Desgleichen wie Gott seine liebe Kirche vnd Gemeine auff Erden wunderbahrer weise gesamlet / vnd wider alles wüten vnd toben   Schilling, Konfessionalisierung im Reich, 34.   Beyer wird 1570 an der Universität Leipzig erwähnt, wo er 1571 als Magister artium abschloß, und vertrat von den 1570er Jahren an verschiedene Pfarrstellen in kleinen sächsischen Orten, zuletzt in Lößnitz. Vgl.: Sächsisches Pfarrerbuch. Die Parochien und  Pfarrer der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens (1539–1939), bearbeitet von Reinold Grünberg, Freiberg 1940, Bd 2.1, 54. 81 82

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der Teuffel vnd allerley Tyrannen beschützet vnd erhalten habe / Wie auch die fürnehmsten Keyserthüme / Konigreiche vnnd Regimenta / in der Welt nacheinander gefolget / vnd zu welcher zeit in jedes in seiner Dignitet / Gewalt vnd Ehre geblühet / Wenn vnd aus was ursachen in solchen Keyserthümen / Königreichen / Regimenten und Herrschaften allerley schedliche verenderungen fürgefallen / dadurch sie zerstöret / vnd zu grunde gerichtet worden sind [. . .] Vnd schließlich / was für fürtreffliche vnd von Gott mit kunst / weißheit / gerechtigkeit / Verstand / Manligkeit hoch begnadete Leute / beydes vnter den Christen vnd Heyden gelebet / vnd wenn dieselben wiederumb gestorben sind.« 83

Beyer entwirft also ein ehrgeiziges, vor allem kirchengeschichtlich konzipiertes Programm; er schließt Profan- und Kirchengeschichte in seinen Kalender ein, schreibt aber ausdrücklich keinen Heiligenkalender. Als weitere Funktion der Geschichte tritt die Anleitung für Regenten, aber auch für Theologen und Pfarrer, die aus dem Wissen um die Veränderungen zum Schlechteren, die in der Religion immer wieder stattgefunden haben, eine orthodoxe Position beziehen sollen. Was die orthodoxe Position ist, wird aus der Widmung an die reichsunmittelbaren Schönburger Herren deutlich, die als »Christliche Herrn / der reinen Lehre Göttlichs Worts / vnd der richtigen Augspurgischen Confession« 84 – also der Invariata von 1530 – gelobt werden. En passant stellt Beyer also klar, daß er eine deutliche Abgrenzung zum Reformiertentum für richtig hält.85 Beyer kompiliert aus vielfältigen Quellen, die laut Verzeichnis Ebers und Beuthers Kalender sowie Sleidan und das Chronicon Carionis umfassen, daneben auch vorreformatorische Schriften wie Platina oder Piccolominis böhmische Geschichte sowie einige gegenreformatorische Autoren. Insgesamt sind die Einträge kürzer und weniger quellenkritisch als beim gelehrteren Saur. Die Tage sind jeweils mit den Tagesheiligen überschrieben, was umso auffälliger ist, als der Kalender kein lutherischer Heiligenkalender sein will. Besonders merkwürdig erscheinen hierbei Heilige wie »Leo Bapst« 86 . Der Kalender enthält viele Notizen zur Zeitgeschichte, politische Bemerkungen zur deutschen und europäischen Politik, zu Päpsten oder zur Wittenberger Lokalhistorie. Hier spielen besonders die Reformatoren um Luther eine Rolle, von denen häufig Geburtsund noch häufiger Todestage genannt werden. Allerdings finden sich fast immer auch eine oder mehrere Eintragungen aus der mittelalterlichen Geschichte, manchmal werden sogar biblische Historien chronologisch zugeordnet und paraphrasiert. Stellt man sich aber die Frage, was der mutmaßlich lutherische Leser   Beyer, Diarium historicum, ij r -v.   Ebd., v r. 85  Anderswo vertritt Beyer aber die Position, daß den französischen Calvinisten die Krone zustehe (ebd» iiij v). Die Abgrenzung zum innerdeutschen Reformiertentum bei gleichzeitig möglicher Parteinahme für den außerdeutschen Calvinismus scheint öfter vorzukommen. 86  Ebd., 28. Juni. 83 84

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über die vorreformatorische Kirchengeschichte, z.  B. über das Papsttum erfährt, fällt die konfessionelle Unschärfe des Textes ins Auge. Betrachtet man z.  B., was Beyer zum mittelalterlichen Papsttum zu sagen hat, so erstaunt die wenig aufgeregte Berichtsform: Gregor der Große sei der erste unter den Päpsten gewesen, »der sich einen allgemeinen Bischoff der gantzen Christenheit genennet hat.« 87 Gregor VII. oder Bonifaz VIII. erwähnt Beyer gar nicht; über andere Päpste heißt es dann zwar moralisierend: »Anno 962. Ist Papst Johannes XII. von einem Römische Bürger / mit welches Weib er die Ehe gebrochen / im Bette auff frischer that erstochen worden. Platina nennt ihn Johannem XIII. vnd bekennet / das er ein vnartiger / verhurter vnd Gottloser Mensch gewesen.« 88

Doch beispielsweise zu Papst Hadrians IV. Tod findet sich eine so kurioser Eintrag, daß man fast an Ironie zu denken geneigt ist: »Anno 1159. Ist gestorben Pabst Adrian / dem ohngefehr eine Mücke in den Mund geflohen war / welche er in sich verschlungen / weil mans aber durch kein Mittel der Kunst der Erzte konte heraus gewinnen / hat er endlich daran müssen ersticken.« 89

Der Beginn des Basler Konzils wird nur notiert, aber nicht bewertet. Hier erscheint Beyer lediglich das Kuriosum bemerkenswert, daß die böhmischen Gesandten »mit 300. Pferden do ankommen sind«90. Zu Papst Clemens V., der die Kurie nach Frankreich umziehen ließ, wird vermerkt: »Weil auch dieser Pabst ein Gasconier gewesen / hat er den Pebstlichen Sitz von Rom gen Auinion in Franckreich verlegt«.91 Durch das Schisma 1439 sei »in der Christenheit grosse Zwispalt vnd Auffruhr entstanden / Denn etliche hiengen dem alten Bapst Eugenio an / etliche dem Newen / etliche waren Neutrales / vnnd hielten mit der keinen.« 92 Der Humanistenpapst Nikolaus V. schließlich wird für seine Erweiterung der Bibliotheca Vaticana und seine Förderung von Philologie und Übersetzung ausdrücklich gelobt, er sei »ein grosser liebhaber vnd beförderer der guten Künst vnd gelerten Leute« gewesen93. Oft sind Beyers Einordnungen der Päpste eher moralischer als grundsätzlicher Natur.94 Es mag am Gattungszusammenhang liegen, daß die konfessionelle Radikalisierung, die Zuspitzung und apokalyptische Aufladung der Ge  Ebd., 12. März.   Ebd., 6. Mai. 89  Ebd., 1. September. 90  Ebd., 1. September. 91  Ebd., 15. Juni. 92  Ebd., 25. Juni. 93  Ebd., 6. März. 94  Zur Aufgabe des Papsttums durch Johannes XXIII. 1415 wird die Sündigkeit dieses Papstes, seine moralische Nichtswürdigkeit unterstrichen. Vgl. ebd., 2. März. Die genannte Episode zwischen Alexander III. und Friedrich Barbarossa, die vielleicht für sich selbst spricht, zeigt demonstrative Gelassenheit (24. Juli). 87 88

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VI.  Lutherische Geschichtskalender zwischen Humanismus und Hagiographie

schichte, die man von einem lutherischen Buch vom Anfang des 17. Jahrhunderts erwarten würde, nicht durchschlägt. Aus solchen Beobachtungen aber zu folgern, Beyer vertrete ein humanistisch getöntes, irenisches95 , letztlich überkonfessionelles Christentum, geht schon deshalb fehl, weil er – im Zusammenhang seiner Gegenwart, nicht aber in der Rückprojektion auf die vorreformatorische Geschichte – deutlich lutherische Positionen bezieht.96 So spricht er zwar durchaus mit Hochachtung von Gelehrten der Vergangenheit und Gegenwart, stellt aber so gut wie nie kausale Verknüpfungen zwischen studia humanitatis und Reformation her. Zu Erasmus heißt es etwa, er habe »viel herrliche Bücher geschrieben / dadurch er die freyen Künste vnd Sprachen wider an den Tag gebracht / derwegen er von Päbsten / Keysern / Königen vnd allen Potentaten in der Christenheit hoch geliebet vnd geehret worden« 97.

Von Päpsten geliebt zu werden, ist aber im lutherischen Denken um 1600 üblicherweise kein Ehrentitel. Eine diffus positive Erwähnung Lorenzo Vallas, in der die Problematik der konstantinischen Schenkung nicht einmal erwähnt wird98 , wird z.  B. konterkariert durch einen ähnlich unspezifischen Eintrag zu Petrus Lombardus.99 Aus der offenbar als unproblematisch angesehenen Aufnahme des Petrus Lombardus (oder in anderen Kalendern: Thomas von Aquins) ist geschlossen worden, den Verfassern dieser Kalender gehe es um einen »Versuch [. . .], die Tradition der Kirche für die reformatorische Bewegung« zu reklamieren, und um »eine traditionale Identitätsstiftung in der Zeit der Verfestigung dieser Bewegung«100. Diese Deutung schießt schon deshalb über das Ziel hinaus, weil ihr die angeblich sonst zu beobachtende »Tendenz innerhalb der reformatorischen Bewegung, sei es in Exegese, Geschichte oder Theologie, die Kirchentradition zu vergessen und formal zum Referenzhorizont der Bibel und des Urchristentums zurückzukehren«101, gegenübergestellt wird, eine Tendenz, 95  Interessanterweise gibt es in Beyers Index ein Schlagwort »Frieden«, das zahlreiche Friedensschlüsse der Vergangenheit und Gegenwart umfaßt, aber keinen Eintrag zum Augsburger Religionsfrieden enthält. 96  Dies betrifft z.  B. die Abgrenzung gegenüber Karlstadt und Osiander. Die Abgrenzung zu Karlstadt leistet Beyer vor allem durch ein kommentiertes Referat von dessen Positionen (Beyer, Diarium historicum, 24. Dezember); ähnlich bei Osiander, dem bezüglich der Rechtfertigung eine eine »newe meinung« bescheinigt wird (17. Oktober). Möglicherweise orientiert sich Beyer hier an Beuthers Kalender, in dem ebenfalls Karlstadt und Osiander prominent behandelt werden. Aber schon sein Bericht über den Augsburger Reichstag von 1530 überrascht wiederum durch sein demonstratives Desinteresse an Pathos. Beyer erwähnt die Übergabe der Confessio Augustana und kommentiert nur, der Kaiser habe »fleissig zugehöret« und sie sich übersetzen lassen. Vgl. ebd., 25. Juni. 97  Ebd., 11. Juli. 98  Vgl. ebd., 26. September. 99  Vgl. ebd., 20. August. 100  Vgl. den trotz solcher Überpointierungen instruktiven Aufsatz von Fuchs, Prote­ stantische Heiligen-memoria, hier 614. 101  Ebd., 614.

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die in dieser Simplizität in der lutherischen Historiographie nirgends anzutreffen ist. Die Erwähnung etwa von Petrus Lombardus scheint im Gegenteil eher ein besonders hervorstechendes Beispiel für den unreflektierten, und das heißt: nicht agonal instrumentalisierten, Traditionalismus vieler lutherischer Kalendarien zu sein. Diese Tendenz findet sich sowohl in universalhistorischen Kompendien als auch in einer ganzen Reihe von Kirchen- und Heiligenkalendern, und man muß annehmen, daß es zumindest auch diese Eigenschaft war, die ihren Erfolg bei einer theologisch weithin ungebildeten Leserschaft begründete. Wenn Beyer auch manchmal spätmittelalterliche Reformtheologen ausdrücklich lobt102 , so wird doch insgesamt keine konfessionell zugespitze historische Folie auf die mittelalterliche Geschichte gelegt. Auffällig ist auch, und diese Beobachtung gilt generell für das Genre des Geschichtskalenders, daß die ansonsten im Luthertum gern und stereotyp vorgebrachte Erwartung des nahen Weltendes in aller Regel ausfällt. Sicher: Die Kalender beschäftigen sich nur mit der Vergangenheit und machen keine Aussagen zur Zukunft. Dennoch ist auch das Fehlen apokalyptischer Topoi ein Indiz: nämlich entweder für die hohe Genreabhängigkeit von geschichtstheologischen oder apokalyptischen Perspektiven – oder für ein tatsächlich recht weit vom orthodoxen Mainstream entferntes, dogmatisch-konfessionell nicht distinktes ›Luthertum‹. Im ersten Fall hieße das, daß die in der Forschung gängige Vorstellung von einem gemeinlutherischen apokalyptischen Bewußtsein gerade in der Zeit um 1600103 dahingehend modifiziert werden müßte, daß dieses ›Bewußtsein‹ eher eine in bestimmten Diskurszusammenhängen instrumentell aktualisierte Redeweise war. Im zweiten Fall hieße es, von einem weitverbreitetes ›Luthertum‹ auszugehen, das von der Orthodoxie unter anderem das Zurücktreten apokalyptischer Naherwartung trennte. Die Wahrheit liegt in der Mitte: Beyers Kalender ist (wie schon Saurs Kompendium) ein Beleg für ein konfessionell verwaschenes, eher kulturell als dogmatisch codiertes Luthertum der dritten Generation, aber er zeigt auch, daß gängige geschichtstheologische Muster wie die apokalpytische Rhetorik offenbar in höherem Maße situations- und gattungsbedingt waren, als oft angenommen wird (vgl. Kap. B.VII.). Der mögliche Einwand, Beyer habe gar keine lutherische Apologetik schreiben wollen, sein Kalender besitze ganz andere Funktionen, verfängt nicht, weil zumindest (anders als bei Saur) Beyers Interesse, wie die Vorrede verdeutlicht, durchaus kirchengeschichtlich orientiert war. Trotz des unbestreitbar populären Charakters der Gattung ›Geschichtskalender‹ hat man es aber hier auch nicht mit einem Text zu tun, der unter dem ohnehin zu simplen Label ›Volksfrömmigkeit‹ eingeordnet werden könnte; dies schon deshalb nicht, weil sein Verfasser als Pfarrer Teil der luthe102  Vgl. Beyer, Diarium historicum, 10. März (Geiler von Kaysersberg); 14. Dezember (Gerson). 103  Vgl. Barnes, Prophecy and Gnosis.

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VI.  Lutherische Geschichtskalender zwischen Humanismus und Hagiographie

rischen Elite war. Beim gelehrten Juristen Saur wiese eine solche Etikettierung von vornherein in die falsche Richtung; aber auch ihn wird man umgekehrt nicht als mehr oder minder irenischen Gelehrten sehen können. Offenbar geht es auch Beyer und Saur um die Konstruktion eines mit der wahren Religion zumindest vereinbaren Geschichtsbildes. Das heißt, daß konfessionelle Religiosität am Ende des 16. Jahrhunderts durchaus nicht nur durch populäre Widerstände und humanistische Indifferenz begrenzt wird, sondern – im Hinblick auf individuelle Religiosität, in bezug auf die Frage, welche Lebensbereiche von Religion erfaßt werden sollten und welche nicht, hinsichtlich des Problems situations- und gattungsgebundenen Sprechens und Schreibens – ein weites Spektrum von Möglichkeiten umfaßte, die sie vielleicht erst recht kulturell wirkungsmächtig werden ließ.

4.  Kaspar Goldtwurms zwei Kalender oder: Geschichtsbilder und Gattungen Hatten die Autoren früher evangelischer Heiligensammlungen, Hermann Bonnus und Georg Major, das Problem noch umgangen, Heilige inmitten der korrupten Papstkirche des Mittelalters auszumachen und sich ganz auf die Alte Kirche beschränkt, stellten sich die Verfasser der Kirchen- und Heiligenkalender genau dieser Herausforderung. Der erste und bei weitem erfolgreichste dieser Kalender war der Kirchenkalender Kaspar Goldtwurms, der nach dem Erstdruck im Jahre 1559 bis 1612 noch neunmal aufgelegt wurde, also einen großen publizistischen Erfolg darstellte.104 Dieser Kalender bildet den Grundstock für die späteren Vertreter der Gattung und wird deshalb hier gesondert behandelt. Darüber hinaus ist aber Goldtwurm ein hervorragendes Beispiel für die Gattungsabhängigkeit lutherischer Geschichtsbilder. Exemplarisch kann man an seinen Schriften zeigen, wie historiographische Konventionen mitbestimmen, wie stark ein historisches Werk z.  B. konfessionell eingefärbt wurde. Denn Goldtwurm verfaßte nicht nur einen Heiligen- und Kirchenkalender; sechs Jahre zuvor, im Jahr 1553, hatte er bereits ein stärker an Melanchthon und Eber orientiertes universalgeschichtliches »Calendarium historicum« veröffentlicht. Kaspar Goldtwurm wurde 1524 im Südtiroler Sterzing geboren, besuchte nach Studien in Italien auch die Wittenberger Universität und unterhielt bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1559 brieflichen Kontakt mit Melanchthon. 1545 wurde er Hof kaplan des Grafen Philipp zu Nassau und Saarbrücken, für den er 104  Vgl. die Angaben bei: Jung, Historien- und Heiligengedenken, 61. Vgl. zum Kirchenkalender kurz: Deneke, Bernward, Kaspar Goldtwurm. Ein lutherischer Kompilator zwischen Überlieferung und Glaube, in: Volkserzählung und Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung und Funktion von Erzählstoffen und Erzählliteratur im Protestantismus, hg. v. Wolfgang Brückner, Berlin 1974, 125–177, v.  a. 146–152 sowie Jung, Historien- und Heiligengedenken, 61–63.

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gemeinsam mit Erasmus Sarcerius im Jahr 1546 eine Kirchenordnung für Nassau-Weilburg und Nassau-Dillenburg erarbeitete. Diese Kirchenordnung wurde durch das Interim, dem sich Goldtwurm widersetzte, hinfällig; 1553 erließ Goldtwurm aber eine erneuerte Kirchenordnung.105 Neben seinen beiden Kalendern trat er noch mit einer Reihe weiterer historischer und homiletischer Exempelkompilationen hervor.106 An Goldtwurms beiden Kalendern können zwei Dinge gezeigt werden: Erstens der Übergang von stärker universal- und, wenn man so will, profanhistorischen Kalendern zu Kirchen- und Heiligenkalendarien. Zweitens kann exemplarisch die Frage diskutiert werden, in welcher Weise Gattungskontexte spezifische Geschichtsbilder geprägt haben. Diese in der Forschung selten angesprochene Frage ist nichtsdestoweniger zentral für das Verständnis des Zusammenhangs von historiographischem Diskurs und lutherischem Gruppengedächtnis. Sollte sich nämlich herausstellen, daß ein Autor, in diesem Fall Goldtwurm, in unterschiedlichen Gattungen verschiedene Sichten der Geschichte oder der Reformation vermittelt, so würde die Vorstellung, das Geschichtsbild eines Autors könne aus der Lektüre seiner Werke extrahiert werden, problematisch werden. Gattungen als Institutionen mit bestimmten Produktionsvorgaben und bestimmten Rezeptionserwartungen, wie sie in Kapitel B.III. profiliert worden sind, besäßen in diesem Fall tatsächlich ein Eigengewicht, das eine eindeutige Instrumentalisierung zur konfessionellen Gedächtnissstiftung partiell verhinderte. Schon der Vergleich der Titel gibt einige Aufschlüsse. Das Calendarium hi­ storicum von 1553 wird eingeführt als »ein newes lustig büchlin«, das Monate und Tage anzeige, aber auch »daneben merckliche und ahnmütige Historien« erzähle, das dem Leser als Handbuch für »alle seine geschefft« und im Falle von »händel« dienen könne.107 An was genau Goldtwurm denkt, bleibt erst einmal offen. Der Kirchenkalender, der sechs Jahre später (1559) erscheint, ist »ein Christlich vnd nützlich Buch«, das im Jahreslauf die Feste von Aposteln, Heiligen und Märtyrern beschreibt.108 Genaueres über die intendierte Funktion des

105  Vgl. den knappen biographischen Abriß bei: Deneke, Kaspar Goldtwurm, 125  f . sowie Jung, Historien- und Heiligengedenken, 61. Die Informationen zu seinen Kirchenordnungen stammen aus: Dienst, Karl, Art. »Nassau«, in: TRE 24, 12–17. Weder die ADB und NDB noch auch der Zedler oder das BBKL haben einen Eintrag zu Goldtwurm, was angesichts des massiven Erfolgs seiner Kalender verwundert. 106  Vgl. das Verzeichnis seiner Schriften bei Deneke, Goldtwurm, 170–177. 107  Vgl. Goldtwurm, Kaspar, Calendarium historicum. Ein newes lustig büchlin / darin angezeigt werden nicht allein die Monat / Tag und Fest des Jars / sonder auch daneben merckliche vnd ahnmütige Historien [. . .] Einem jeden für ein kurz füglich Manual aller seiner geschefft und zu fallender händel nützlich zu gebrauchen . . ., Leipzig 1554 (EA o.O. 1553). 108  Vgl. Goldtwurm, Kirchen Calender.

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Geschichtskalenders erfährt man aus der Vorrede: Es sei, so wird wiederum formuliert, »lustig«, aber gleichzeitig auch »nötig«, die Geschichte zu kennen, »darauß man auch Gottes wunderbahrlichen rath vnd regierung in diesem elenden leben muß lernen erkennen / vnd sonderlich in diesen letzten zeyten Gott fur glückliche regierung / Geistliches vnd Weltliches Regiment betreffend / zu bitten verursachen lassen.«109

Die Unterhaltungsfunktion der Geschichtsschreibung wird aufrechterhalten, daneben aber tritt die Funktion, Gottes Ratschlüsse zu erkennen. Die »letzten Zeiten« sind eine gängige zeitliche Selbstverortung; auffällig ist weiter, daß Goldtwurm zwischen dem weltlichen und dem geistlichen Regiment unterscheidet, aber beide für sein Kalendarium für nützlich erachtet. Damit folgt Goldtwurm der schon häufig beobachteten Inklusivität des universalgeschichtlichen Argumentationszusammenhanges. In der Vorrede des Kirchenkalenders wird deutlicher, wer ihm als Leser seines früheren Werkes vorgeschwebt hatte. Dort heißt es nämlich: »Dieweil aber nit allein soliche weltliche historien / so von grossen Fürsten vnd herrn beschrieben / lustig vnd nützlich sein zulesen / sonder es sein auch allen christlichen stenden zu Christlicher vnderweisung / vnd sterckung vnsers Christlichen glaubens / nöttig zuwissen / die warhafftigen vnd gegründeten historien der lieben Heiligen Gottes / vnnd der Christlichen Ritter / welchs vmb wars erkantnuß vnd freies offentlichen bekantnuß willen Jhesu Christi / vnd seines heiligen worts / jhr guot vnd bluot dargestreckt vnd vergossen haben / Derhalben hab ich für nützlich vnd guot angesehn / auch ein Geistlich / Christlich vnd Kirchen Calender hiemit zustellen.«110

Goldtwurm unterscheidet also die Rezipientenkreise der »weltlichen« und der »geistlichen« Historie und damit tendenziell auch die seiner beiden Kalender: Während der Historienkalender primär weltliches Wissen transportiert, das z.  B. als Exempelmaterial für Fürsten und Adlige dient, zielt der Kirchenkalender auf alle Christen, die nicht nur moralische Exempel lernen, sondern zugleich auch über die Heilsgeschichte, über große Gläubige und Heilige belehrt werden sollen. Weil die Gattung des Historienkalenders durch Ebers Werk eingeführt war, spart Goldtwurm sich in seiner Vorrede weitere Spezifikationen zu Machart und Funktion. Dagegen war die Form des reformatorischen Heiligen- und Kirchenkalenders bisher nicht etabliert. Goldtwurm sieht dessen Aufgabe in der Verbesserung der mittelalterlichen Heiligenkalender. Diese Kalender seien so von Legenden und Lügen überwuchert, daß sie in dieser Form untragbar geworden seien. Die Heiligen, die Goldtwurm vorstellt, sind partiell dieselben, die auch die römische Kirche verehrt, aber die Überlieferung sei so streng wie

  Goldtwurm, Calendarium historicum, A ij v.   Goldtwurm, Kirchen Calender, a ij r-v.

109 110

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möglich überprüft worden. Wo eine Heiligenvita dieser Überprüfung nicht standhalte, sei der Heilige durch einen anderen, gewisseren ersetzt: »Wo aber etwa einer darunder gefunden / der in keiner warhafftigen histori seins glaubens vnd bekantnuß gewiß zeugnuß hat / hab ich andere / so von alten vnd newlich zeiten gelebt / vnd ihr leben / glaub vnd bekantnuß wahrhafftig beschrieben sein / an die statt gesetzt / vnnd jhrn stand vnd wesen vffs kürtzest verzeichnet.«111

Welche Quellen Goldtwurm für zuverlässig hält und welche nicht, läßt er aber offen; daneben macht er noch auf ein generelles Problem aufmerksam, nämlich darauf, daß schon sehr früh nicht nur die wahre Lehre verfälscht worden sei, sondern auch falsche Legenden über die Heiligen zu kursieren begannen: Der Teufel habe »bald in der angehenden Kirchen / die warhafftigen historias von den waren Christlichen heiligen männern Gottes / zuuerleschen / vnd zudempfen / durch seine arglistigkeit vnnd Tyrannei« angefangen112 . Daraus resultiere die Tatsache, daß neben der Apostelgeschichte und dem nur halb zu vertrauenden Euseb sehr wenig wahre Geschichten überliefert seien. Der Teufel als quellenkritisches Problem fordert einen kritischen Rationalismus: »Gleich aber wie sich der Teuffel in der angehenden Kirchen Christi / mit henden vnd füssen dahin bemüht hat / darmit ja keine warhafftige geschicht der Heiligen Martyrer Christi zu vns möchten gebracht werden / Also hat er sich mit gleicher arglistigkeit vnd Tiranney beflissen / vnd dahin bearbeit / wie er nur mit viel Gotloser / fauler / vnnd gefressiger Mönch / vnd jres gleichen erwecken möchte / welche die Christliche Kirche mit vnzehlichen vnd grossen büchern / voller lügen vnnd fabeln möchten beschwern / welches dem leydigen Teuffel auch ein zeitlang gerathen / Dann die welt mit solichen offentlich erlogen vnd erdichten schrifften vnd lügenden dermassen beladen vnd überschüttet worden / daß der meiste theyl wenig nach der Historien der Patriarchen / Propheten / König / Aposteln vnd anderer Heiligen / so in Götlichen vnnd andern warhafftigen schrifften verfasset sein / gefragt vnnd der selbigen gedacht haben / ja die Gottlosen leer haben jhnen die selbigen auß den henden gerissen / vnd als für ärgerliche / vnd vnzüchtige beschribne Historias verworffen / vnd das arme einfeltige völcklein allein auff jhre Lügenden vnd altweibische fabeln vnd merlins Prediger gewisen.«113

Die kritische Überprüfung der Heiligenüberlieferung müsse immer danach fragen, ob ein angeblicher Heiliger nicht nur ein vorbildhaftes Leben geführt, sondern auch die reine christliche Lehre vertreten habe.114 Dieser Hinweis ist von doppeltem Interesse. Erstens zeigt er, daß Goldtwurms Heiligenkonzeption an dogmatischen und nicht nur moralischen Kriterien ausgerichtet ist. Dies ist zweitens deshalb auffällig, weil sein Kirchenkalender de facto kaum dogmengeschichtlich orientiert ist, die Lehrreinheit aber mindestens theoretisch als re  Ebd., a ij v.   Ebd., a ij v. 113  Ebd., a ij v-a iij r. 114  Man dürfe bei den Heiligen und Märtyrern nicht so sehr »uff jhr eusserlich leben vnd wesen« sehen, sondern »vil mehr auff die gewißheit Christlicher Lehr« (ebd., a iij v). 111 112

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levantes Kriterium eingeführt wird. Seine Heiligen schwanken zwischen der reinen Lehre und dem moralischen Vorbild. Der Vergleich von Titel und Vorrede der beiden Goldtwurmschen Kalender macht deutlich, daß die Werke unterschiedliche Gattungs- und Funktionsbezüge besitzen. Der historische Kalender von 1553 steht ganz in der Nachfolge von Ebers Calendariums; die Einträge umfassen v.  a. Informationen zur antiken Profangeschichte und zu Goldtwurms Gegenwart und orientieren sich an Geburts- und Todestagen berühmter Personen. Wie Ebers Kalender enthält auch Goldtwurms Kalender nur wenige Einträge pro Tag, aber umso mehr Platz für Nachträge. Anders als Eber aber hat Goldtwurm am Rande die Tagesheiligen aufgeführt, die allerdings, im Unterschied zum späteren Kirchenkalender, keine tragende Rolle spielen. Goldtwurm erinnert seine (wohl akademische) Leserschaft an römische Schriftsteller115 , weist sie auf zeitgenössische Gelehrte und Künstler wie Celtis, Alciati und Dürer hin116 und schildert Episoden der Papstgeschichte, ohne eindeutig Stellung zu nehmen. Selbst die Gründung des Benediktinerordens117 oder die Tag für Tag erzählte, nur kurz zurückliegende Belagerung Magdeburgs werden ohne dezidierte Wertung notiert. Wieder ergibt sich der Eindruck, daß das universalhistorische Kalendarium sachlich kurz berichtet, Wertungen seinem Leser überläßt und religiöse Fragen zwar nicht ausspart, sie aber auch nicht in den Vordergrund stellt. Eine antike Gestalt wie Pilatus kann als »wolweyser Heydnischer Mann« durchgehen118 , und Nero erscheint nicht nur als Christenverfolger, sondern darüber hinaus – in ›allgemeinmenschlicher‹, nicht christlicher Perspektive – als »nicht alleyn gemeyner Christlicher Religion sonder aller gemeyner zucht vnd erbarkeyt feindt«119. Wenn Goldtwurm auch in bezug auf Hus oder Savonarola des öfteren eindeutige Positionen bezieht120 und z.  B. das Interim als »arglistig pratick des Teufels« bezeichnet, ist doch Religion im universalhistorischen Kalender nur eines von mehreren mindestens gleichrangigen Themen. Wenn in diesem Genre vom »wider erbawer Christlicher waren Religion« die Rede ist, dann muß eben nicht Luther, sondern kann – in diesem Fall – auch Reuchlin gemeint sein.121 Der humanistische Gestus und der politisch-gelehrte Impetus des Historienkalenders bringen Wertungen hervor, die in einem stärker konfessionell geprägten Genre wie dem Kirchenkalender nicht möglich wären. An einigen Beispielen können die differierenden Perspektiven beider Kalender v.  a. im Hinblick auf die Rolle der Religion beleuchtet werden. Vergleicht   Vgl. Goldtwurm, Calendarium historicum, 3. Januar.   Vgl. ebd» 1. Februar (Celtis), 9. Mai (Alciati), 21. Mai (Dürer) 117  Vgl. ebd., 14. Juli. 118  Vgl. ebd., 19. Januar. 119  Vgl. ebd., 13. Februar. 120  Vgl. ebd., 6. Juli, 8. Juli (Hus), 21. August (Savonarola) 121  Vgl. ebd., 28. Dezember. 115

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man die Charakterisierungen Luthers in beiden Kalendern miteinander, so fällt auf, daß dieser im Historienkalender in etwas distanzierter Weise als »der hochberümpte Theologus« figuriert – genau wie Melanchthon als »der hochberumbte Theologus vnd Philosophus« eingetragen ist.122 Wenn auch im Zusammenhang der Tetzelaffäre gesagt wird, Luther habe das Licht des Evangeliums  wieder hervorgebracht »und die lügen gedämpft«123, so bleibt doch die universalhistorische Distanz zu religiösen Wertungen bestehen. Anders sieht dies im Kirchenkalender aus: Der entsprechende Eintrag umfaßt eine ganze Seite, auf der Luther als protestantischer Heiliger präsentiert wird und ihm die Epitheta zugeschrieben werden, die aus Kap. B.II.1 bekannt sind: »der hocherleuchte man Gottes / der Teutschen leerer / vnnd der groß Prophet vor dem grossen tag des Herren«124. Auch an anderen Stellen zeigt der Vergleich beider Kalender, daß entweder Goldtwurms Position zwischen 1553 und 1559 sich entscheidend gewandelt hat oder – was wahrscheinlicher ist – er bestimmte Informationen und Wertungen in einem universalhistorischen Kalender unpassend gefunden hätte, die aber im Kirchenkalender unabdingbar sind. Referiert Goldtwurm im historischen Kalender die Gründung der Benediktiner nur knapp, so vermerkt er im Kirchenkalender gut reformatorisch: »In jhrem Orden darff keiner inn Heiligerschrifft studieren / sonder allein jhr gemeine Regeln lesen vnnd wissen / jhr kleydung sein grosse weite Röck / schwarz vonn farb / jnn jhren henden haben sie einen Bischoflichen stab / Es gebürte jhnen aber vil mehr ein sew stab / dann sie vil wirdiger sein der sew dann menschen zuhüten.«125

Daß selbst dann, wenn Goldtwurm im universalhistorischen Kontext religiöse Positionen artikuliert, dies jedenfalls nicht mit antikatholischer Polemik verwechselt werden darf, wird aus zwei Einträgen zu den Festen Mariä Lichtmeß und Himmelfahrt deutlich. Zum Marienfest vermerkt Goldtwurm im früheren Kalendarium, »abgöttische Christen« würden an diesem Tag allerlei abergläubische Praktiken vornehmen. Im Kirchenkalender lautet der Paralleleintrag: »Auff disen tag gebrauchen die abgöttische Papisten grewliche abgötterei vnd zäuberey / Denn sie lassen Kertzen / Kreutter / vnd andere von Gott reyne Creaturen geschaffen / Segnen / Weihen / vnd mit dem Sew / ich wolt sagen / Weihwasser / besprengen / Dadurch dann viel zauberey / aberglauben vnd Abgötterey beschicht / wie offenbarlich im Bapsthumb zusehen ist.«126

Übt der sich als Rationalist gebende kritische Protestant im universalhistorischen Zusammenhang generell Kritik am Aberglauben, sind es im Fall des Kirchenkalenders die »Papisten«, die als Zielscheibe benannt werden. In ähn  Vgl. ebd., 18. Februar (Luther), 16. Februar (Melanchthon).   Vgl. ebd., 31. Oktober. 124  Goldtwurm, Kirchen Calender, 11. November. 125  Ebd., 7. Mai. 126  Goldtwurm, Calendarium historicum und Kirchen Calender, 2. Februar. 122 123

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licher Weise ist die generelle Kritik an christlichen Mißständen auf der einen, die spezifisch antikatholische Polemik auf der anderen Seite im Zusammenhang mit den Saufgelagen zum Himmelfahrtstag zu beobachten, zu denen Schauspiele veranstaltet werden, »wie Gauckelmänner / mit Affen spilen / vnnd höltzern Götzen«: Und »nach solchem spectakel fressen vnd sauffen / Pfaffen / Bürger vnd Bawr / vnd was nur das glaß heben kan.«. Soweit gleichen sich die entsprechenden Textpassagen – nur daß im Historienkalender dieser Mißstand »inn der Christenheit« statt später »im Bapstumb« angesiedelt wird.127 Eine historische Perspektive besitzt dies insofern, als mit der »Christenheit« sowohl die Urchristen als auch die Evangelischen gemeint sind.128 Die dezidierte Kritik an der römischen Kirche scheint dem Genre des Kirchenkalenders zuzugehören129, aber im universalhistorischen Kalender – der sich stärker an Gebildete wendet – nichts zu suchen zu haben. So wird Karl der Große im historischen Kalender wegen seiner Förderung von Schulen und Studien gelobt130 , im Kirchenkalender zusätzlich für christliche Tugenden und Heidenmission gerühmt, aber wegen seiner Krönung durch den Papst auch als »der erst Pfaffenknecht« bezeichnet.131 Diese Inkonsequenzen, die dem modernen Leser auffallen, könnten generell zu tun haben mit der Fähigkeit frühneuzeitlicher Menschen »to inhabit multiple mental worlds«, »to live for a long time with contradictions within their world view« und »to merge different thought systems without concern for logic or systematic consistency«132 . Man muß diese Möglichkeiten gar nicht ausschließen, kann aber darüber hinaus und spezifischer annehmen, daß verinnerlichte Vorgaben hinsichtlich der Argumentationszusammenhänge und Gattungen die Unterschiedlichkeit der Einträge begründen. Wenn im historischen Kalender Papst Silvester II. neutral bis positiv geschildert wird, während ihm im Kirchenkalender vorgehalten wird, welche schlimmen Neuerungen er in die Kirche   Goldtwurm, Calendarium historicum, 2. Mai, und Kirchen Calender, 19. Mai.   Siehe auch den Eintrag zum 15.5.; die Papisten »beten an jhre Götzen für die frucht auff dem feld / Nach solchem lauffen huoren und buoben / Münch vnd Pfaffen in die Wirdshaeuser vnd hinder die zeune / schlemmen vnd prassen / vnd thuon was jre Goetzendienst von jnen fordern. Vor zeiten ist es bein Christen vil anderst gewesen«. 129  So heißt es im Kirchen Calender, 3. April (Palmsonntag): »Disen tag begehet mann in der Christlichen Kirchen / nit wie im Bapsthumb / mit laruen vnnd narrenwerck / sonder mit Christlichem singen / lesen / vnd Predigen / darinne mann anzeyget / die herrliche zuokunfft vnnsers Herrn Jhesu Christi [. . .] wie auf einem Esel [. . .] Also ist er zu vns in Teutschland durch geringe vnd vor der welt verachte menschen / mit seinem heiligen Göttlichen wort einkommen / vnd vns seinen gnedigen willen geoffenbaret.« Eine so schroff antikatholische und gleichzeitig die eigene heilsgeschichtliche Rolle so dezidiert aussprechende Stelle wird man in keinem universalhistorischen Kalender finden. 130  Vgl. Goldtwurm, Calendarium historicum, 28. Januar. 131  Goldtwurm, Kirchen Calender, 28. Januar und 28. Juni. 132  Scribner, Robert W., Reformation and Desacralisation: From Sacramental World to Moralised Universe, in: Problems in the Historical Anthropology of Early Modern Europe, hg. v. Ronnie Po-Chia Hsia/Robert W. Scribner, Wiesbaden 1997, 75–92, hier 90. 127 128

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eingeführt hat133, dann ist dies wohl primär darauf zurückzuführen, daß bestimmte Informationen und Wertungen ihren gattungsspezifischen Ort haben, und daß Goldtwurm in der Lage ist, z.  B. zwischen einem moralischen und einem religiösen Sprachregister zu wechseln. Nachdem an schlagenden Beispielen die Gattungsspezifika der universal­ historischen und kirchlichen (Heiligen-)Kalendern aufgezeigt wurden, soll nun Goldtwurms erfolgreicher Heiligenkalender, der zum Vorbild für weitere  Kalendarien wurde, noch präziser betrachtet werden. Thomas Fuchs hat die beiden Strängen protestantischer Hagiographie – Märtyrerbücher einerseits, Heiligenkalender andererseits – unterschiedlichen Erinnerungsstrategien zugeordnet, die er mit den Begriffen »Gegengeschichte« und »Eigengeschichte« umschreibt. Die Märtyrerbücher konstituierten in der Tat eine »Gegengeschichte« zur altgläubigen Geschichtsauffassung (vgl. Kap. B.V.5.b). Dagegen wurde in den Heiligenkalendern versucht, »die Geschichte der Kirche [. . .] zu vereinnahmen« und eine »Eigengeschichte« zu konstruieren.134 Nicht ganz in Übereinstimmung mit diesen Kategorien – und eigentlich viel differenzierter – sind die fünf Optionen für den Umgang mit mittelalterlichen Heiligen, die Fuchs benennt. Es handelt sich dabei um das Vergessen der Heiligen, um Neuschöpfung von Heiligen, eine simple Tradierung katholischer Heiliger, die Kritik an der Überlieferung oder die Umdeutung tradierter Heiliger.135 Diese Kategorien können hier zur Orientierung dienen. Die Kategorie ›Vergessen‹ spielt eine geringere Rolle, weil in der Regel traditionelle Heilige nicht einfach ausgeschieden werden; häufiger wird die Heiligenüberlieferung kritisiert, oder ein evangelischer Heiliger tritt an ihre Stelle. Allerdings ist dies in vielen Fällen offenbar gar nicht nötig. Ähnlich wie schon Bonnus und Major rekrutiert Goldtwurm bei weitem die Mehrzahl seiner Heiligen aus der Alten Kirche; die Strategie der ›Übernahme‹ paßt hier am besten. Sie hat zwei Vorteile: Erstens sind diese Heiligen auch in einem protestantischen Kontext am ehesten unumstritten; zweitens kann Goldtwurm damit die neue Heiligenkonzeption relativ bruchlos an die Tradition anbinden. Dies dürfte sogar ein Hauptgrund für seinen Erfolg sein: Auch eine theologisch wenig gebildete Leserschaft erkennt in Goldtwurms Heiligen die bekannten Heiligen wieder; daß diese nun ganz andere theologische Funktionen besetzen, wird nur hin und wieder thematisiert. Im ganzen aber kombiniert Goldtwurms Kalender »the Evangelical understanding of the function of recalling the saints’ confessions and actions with the form of the medieval observation of festivals.«136 Instruktiver sind aber die Passagen in 133  Vgl. Goldtwurm, Calendarium historicum, 31. Dezember, und Kirchen Calender, 31. Dezember. 134  Vgl. Fuchs, Protestantische Heiligen-memoria, 614. 135  Vgl. Fuchs, Protestantische Heiligen-memoria, 607. 136  Kolb, For All the Saints, 32, der dies in bezug auf Andreas Hondorffs Heiligenkalender bemerkt.

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Goldtwurms Werk, die entweder alte Heilige durch neue ersetzen – dies entspricht Fuchs’ Kategorie der ›Neuschöpfung‹ – oder einfach die katholischen Heiligen beibehalten, die ihnen entsprechende Überlieferung aber als lügnerisch kritisieren. Die Ersetzung alter Heiliger durch neue, also eine ›Kanonisierung‹ evangelischer Heiliger, ist beispielsweise im Eintrag zum 3. Januar zu beobachten, in dem Hus an die Stelle mehrerer anderer Heiligen mit Namen Johannes gesetzt wird137 ; an anderer Stelle stellt Goldtwurm biblischen Gestalten frühreformatorische Märtyrer an die Seite138 ; an den Platz eines heiligen Richard setzt Goldtwurm ohne nähere Begründung den englischen Kirchenhistoriker Robert Barnes (siehe Kapitel B.V.3.b) 139. Viele der Heiligen übernimmt Goldtwurm aus den Werken des Marianischen Exulanten John Bale, die in Basel erschienen und auch für Flacius und Rabus eine wichtige Rolle spielten.140 Aus dieser frühen martyrologischen Tradition der englischen Reformation erklärt sich auch die hier wie anderswo anzutreffende Überrepräsentation englischer Heiliger.141 Neben den altkirchlichen Heiligen Erasmus stellt Goldtwurm Erasmus von Rotterdam. Dieser sei »ein zier gantzer Teutscher Nation / welcher die sprachen / sonderlich die Latinische / auß dem staub herfürgezogen vnd ans liecht in gemeinen brauch gebracht.«142 Im Umfang weit überdurchschnittlich lang, schildert Goldtwurm das Leben des Erasmus, ohne aber auf sein problematisches Verhältnis zu Luther und zur Reformation einzugehen. Erasmus erscheint so ganz als reformatorischer Heiliger. Überhaupt erscheint das in gelehrten Kreisen durchaus ambivalente protestantische Erasmusbild143 in den Kalendern viel ungebrochener: Beyer lobt Erasmus, obwohl dieser von Päpsten verehrt wird; Goldtwurm sieht in ihm einen Heiligen, der mittels seiner Gelehrsamkeit die Reformation ermöglicht hat; Saur folgt ihm darin144. Die Strategie, unliebsame Details einfach auszusparen, findet sich öfter. Die Kanonisierung des Bekennerkurfürsten Johann Friedrich von Sachsen kommt ohne Hinweis auf die zwielichtige Rolle aus, die Moritz von Sachsen gespielt hat145 ; aus der unmittelbar vorreformatorischen Zeit wird Kaiser Maximilian   Vgl. Goldtwurm, Kirchen Calender, 3. Januar.   Vgl. z.  B. ebd., 24. Februar. 139  Vgl. ebd., 7. Februar. 140  Vgl. Mayer, Art. »Bale, John«. 141  Vgl. z.  B. Goldtwurm, Kirchen Calender, 15. April, 24. April, 8. Mai. 142  Vgl. ebd., 3. Juni. 143  Vgl. Mansfield, Phoenix of his age. 144  Vgl. Saur, Calendarium historicum, 3. Juni. Auf der Ebene unterhalb der bekanntesten lutherischen Theologen dürften insgesamt positive Urteile über Erasmus vorgeherrscht haben. Siehe auch den Verweis auf das Bildprogramm eines Epitaphs Lucas Cranachs d.J. in Nordhausen, auf dem Erasmus als Reformator zwischen Jonas und Bugenhagen, Cruciger und Melanchthon dargestellt ist, bei Thulin, Oskar, Cranachaltäre der Reformationszeit, Berlin 1955, 75–95. 145  Vgl. Goldtwurm, Kirchen Calender, 29. August. 137 138

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heiliggesprochen: Anstelle des altkirchlichen Bischofs und Märtyrers Maximilian setzt Goldtwurm ohne Erläuterung den Kaiser, den man »in die zale der heiligen Christlichen Koenig setzen« solle146 . Wenngleich es ansonsten nicht um Könige geht, scheint doch Maximilian als Vorbereiter der Reformation angesehen zu werden. Neben den Kirchenvater Hieronymus, nicht aber an seine Stelle, setzt Goldtwurm Hieronymus von Prag.147 Kritik an der Überlieferung bestimmter Heiliger muß nicht dazu führen, daß sie aus dem Kanon ausgesondert werden. Neben die Neuschaffung evangelischer Heiliger tritt damit eine kritische Auseinandersetzung mit den alten Heiligen. Diese Kritik ist aber nichts weniger als methodisch oder konsequent. Dies zeigt sich z.  B. dann, wenn Goldtwurm wie im Falle der Heiligen Veronika in den Konjunktiv wechselt: »Etliche aus den Alten wöllen / es sei das weiblin gewest / welches dem Herrn den Saum seiner kleidung berüret / vnd von jrer weiblichen schwachheyt durch jren bestendigen glauben erlediget worden sei. Diß lassen wir als in seinem werdt stehn. Es ist glaublich daß es ein Christlich weib sei gewest / welche nicht allein auff einem Tuoch / sonder auch in jrem Hertzen die bildtnuß Christi / mit allen seinen gnaden / fest vnd gründtlich engetruckt vnd verfasset gehabt hab«.148

Beim Berichten eines Heiligenwunders fügt Goldtwurm an: »Wer wil / der glaubs.«149 Anderswo bemerkt Goldtwurm auch: »Wiewol wir nichts gewiß in glaubwirdigen schrifften [. . .] haben / Jedoch dieweil es die ordnung erfordert / wil ich die gemeyne Historiam davonn kürtzlich anziehen.«150 Im Eintrag der diversen heiligen Eugenius’ scheint die Kritik gegenüber einer simplen Tradierung ganz zurückgetreten zu sein: »Es sein auch sonst noch etliche Römische Bäpst gewesen diß namens / welche / dieweil sie vilerley gebräuch in der Römischen Kirchen auffgerichtet vnd verordnet haben / werden sie auch in die zal der Heiligen von jhnen gesetzt.«151

Aber man liest auch bemerkenswerte Passagen, die eher den Eindruck vermitteln, ein Ethnologe schaue sich den päpstlichen Aberglauben von außen an: Antonius von Padua werde von den Papisten angebetet »für bewarung deß wild fewers / vnd daß er jhnen jhr vieh / sonderlich die Schwein / vor Schaden bewaren sol.«152 Auch der Eintrag zu Gregor dem Großen gewinnt diesem keine positiven Seiten ab, beseitigt ihn aber auch nicht aus der Schar der Heiligen.153

  Vgl. ebd., 12. Oktober.   Vgl. ebd., 30. September. 148  Ebd., 17. August. 149  Ebd., 5. Juli. 150  Ebd., 3. Mai. 151  Ebd., 11. Januar. 152  Ebd., 17. Januar. 153  Vgl. ebd., 12. März. 146 147

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VI.  Lutherische Geschichtskalender zwischen Humanismus und Hagiographie

Dem heiligen Franziskus wird durchaus ein gewisses Maß an Frömmigkeit zugestanden, aber die abgöttische Verehrung seines Ordens sei Götzendienst.154 Insgesamt überwiegt die Kritik an katholischen Heiligen schon quantitativ die Darstellung neuer, evangelischer Heiliger. Als dem ersten Verfasser eines evangelischen Heiligenkalenders geht es Goldtwurm zuerst um Traditionskritik, während spätere Verfasser auch eigene Traditionen stärker herausarbeiten.155 Daß im Rahmen dieser kritischen Aufarbeitung relativ lange eine große Zahl funktionslos gewordener Überlieferung mitgeschleppt wird, dürfte mit dem allgemeinen Phänomen der »Trägheit der Memoria« zu tun haben156 . Es sind einige Theologen (Hus, Hieronymus von Prag), einige Herrscher (Maximilian) und Gelehrte (Erasmus), die früh und verbindlich in den Zusammenhang genuin evangelischer Heiligenverehrung integriert werden. Ansonsten überwiegen bei Goldtwurm Polemik, Traditionskritik und die Einordnung in einen altkirchlichen Deutungshorizont. Goldtwurms Werk wurde, anders als Ebers universalhistorisches Kalendarium, sicher von Katholiken nicht benutzt. Die hohen Auflagenzahlen gerade von Goldtwurms Kalender zeigen, daß innerprotestantisch derjenige Diskursstrang, der v.  a. in der polemischen Abgrenzung und der ›rationalen‹ Kritik abergläubischer Heiligenüberlieferung besteht, eine vergleichsweise große Bedeutung besaß. Ein kohärentes Bild der Geschichte – etwa der Geschichte der Kirche als Gottes Handeln an den Heiligen – läßt sich aus Goldtwurms Kalender kaum destillieren. Viel eher ist es eine kritische Grundhaltung, die aber gebrochen ist durch die Trägheit der Memoria; punktuell wird die Geschichte der eigenen, lutherischen Religion in Vorgängern aufgerufen – eine homogene »Eigengeschichte« ergibt sich in den Kalendern nicht.157 Diese komplexe und widersprüchliche Faktur evangelischen Heiligengedenkens wird im nächsten Abschnitt auch an Andreas Hondorffs Kalender ablesbar sein. Der rabiate Protestant Goldtwurm läßt es sich interessanterweise entgehen, Luther dort, wo es gepaßt hätte, explizit als endzeitlichen dritten Elias auszuru  Vgl. ebd., 4. Oktober.   In der Heiligenkolumne von Saurs universalhistorischem Calendarium historicum wird beispielsweise Dominicus als Reformator stilisiert, wie überhaupt die Ordensgründer in den Heiligenkalendern relativ positiv besprochen werden. Vgl. dazu: Fuchs, Thomas, Reformation, Tradition und Geschichte. Erinnerungsstrategien der reformatorischen Bewegung, in: Protestantische Identität und Erinnerung. Von der Reformation bis zur Bürgerrechtsbewegung in der DDR, hg. von Joachim Eibach/Marcus Sandl, Göttingen 2003, 71–89, hier 79. 156  Vgl. Boettcher, Susan R., Von der Trägheit der Memoria. Cranachs Lutheraltarbilder im Zusammenhang der evangelischen Luther-Memoria im späten 16. Jahrhundert, in: Protestantische Identität und Erinnerung, hg. v. Joachim Eibach/Marcus Sandl, Göttingen 2003, 47–69. 157  Diese Ambivalenz auch innerhalb einzelner Werke muß betont werden gegen: Fuchs, Protestantische Heiligen-memoria, der einzelne Gattungen allzu säuberlich den Strategien von ›Eigengeschichte‹ und ›Gegengeschichte‹ zuordnet. 154 155

5.  Kirchenkalender und die alltägliche Erinnerung an die Heiligen

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fen – ein Element der Lutherstilisierung, das in Kap. B.II.1. als wichtiges Indiz für eine apokalyptische Naherwartung gedeutet worden ist. Der zurückgekehrte Elias, so Goldtwurm, sei erstens Johannes der Täufer als zweiter Elias, zweitens aber auch »alle Christliche lerer«158 . Wie alle anderen untersuchten Kalendern vermeidet auch Goldtwurm weitgehend die Rhetorik des Endes. Die apokalyptische Naherwartung, sonst eine fast stereotype Zeitbestimmung, wird kaum artikuliert. Die Reformation ordnet sich so ein in das Bild einer immer und überall von Abgötterei, teuflischer Ranküne und Aberglauben bedrohten Kirche; eine heilsgeschichtliche Sonderrolle der Gegenwart bleibt implizit. Wenn auch die zu Goldtwurms beiden Kalendern gemachten Beobachtungen einigermaßen singulär sind, schon weil sich die Möglichkeit eines unmittelbaren Vergleichs zweier Texte unterschiedlicher Gattung desselben Autors nur selten anstellen läßt, zeigt doch die Differenz zwischen Goldtwurms beiden Kalendern schlagend, wie prägend die impliziten Konventionen der Gattungsund Schreibzusammenhänge wirkten.

5.  Kirchenkalender und die alltägliche Erinnerung an die Heiligen a)  »eine sonderliche Legenda sanctorum«: Hondorffs Heiligenkalender Ähnlich wie Goldtwurms Kalender, allerdings mit einer stärkeren Tendenz zur reformatorischen Vereinnahmung der mittelalterlichen Kirchengeschichte, lesen sich andere Heiligenkalender159 wie z.  B. der Kalender des thüringischen Pastors Andreas Hondorff. Hondorff wurde 1530 in Naumburg geboren, studierte Theologie in Wittenberg und Leipzig und amtierte ab 1547 auf mehreren Pfarrstellen in der Umgebung Naumburgs, zuletzt in Droyßig, wo er 1572 starb. Sein Heiligenkalender, »Calendarium sanctorum et historiarum«, wurde nach seinem Tod von seinem Mitarbeiter Vincentius Sturm fortgesetzt.160 Er erschien 1573 in Leipzig, erlebte bis 1610 noch zehn weitere Ausgaben und wurde ins Französische und Niederländische übersetzt.161 Ähnlich wie beim hinsichtlich des publizistischen Erfolg einzigen vergleichbaren Werk, dem Kirchenkalender   Vgl. Goldtwurm, Kirchen Calender, 20. Juli.   Hier ist keine Vollständigkeit angestrebt; ein Werk wie der 1606 erschienene Kirchenkalender Martin Behms z.  B. kann als nach dem Jahreslauf geordnete Predigtsammlung zur häuslichen Lektüre hier außen vor bleiben. Vgl. Jung, Historien- und Heiligengedenken, 67. 160  Vgl. Fuchs, Protestantische Heiligen-memoria, 601. 161  Vgl. Hondorff, Andreas, Calendarium sanctorum et historiarum. In welchem nach Ordnung gemeiner Calender / durchs ganze Jahr / alle Heyligen und Mertyrer / mit ihrem Bekentnis vnd Leiden / nach Ordnung der Tage / beschrieben / sampt zugethanen vielen aus Heiliger Schrifft / vnd andern Scribenten glaubwirdigen Historien / so sich auff gleiche Tage in denselben Monaten begegen / zusammen colligiert auffs kürtzste / den Einfeltigen zu gut, o.O. (Leipzig) 1573. – Die Ausgaben sind nachgewiesen bei: Schade, 158 159

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VI.  Lutherische Geschichtskalender zwischen Humanismus und Hagiographie

Goldtwurms, wird man annehmen müssen, daß ein so oft aufgelegtes Werk wie das Hondorffs das Geschichtsbild protestantischer Laien in einem beträchtlichem Maße mitgeformt hat. Hondorffs Kalender ist, anders als die Werke Beyers und Saurs, nicht von der Universalgeschichte her konzipiert. Eher ist es andersherum: Ausgehend von der Heiligen- und Kirchenthematik wird das Werk mit profanhistorischen Informationen aufgefüllt. Allerdings ist die Abgrenzung zwischen den Heiligen und den historischen Gestalten nicht so eindeutig, wie sie sich auf den ersten Blick ausnimmt. Im Ergebnis wirkt das Werk den Kompendien Saurs und Beyers recht ähnlich, auch wenn die Beschäftigung mit der Heiligenfrage durch Goldtwurm angeregt wurde. Hondorff liefert also auch historische Informationen, die, so scheint es erst einmal, mit den Heiligen nichts zu tun haben. ­Diese Information beziehen sich auf Geburts- oder Todestage, Schlachtendaten etc., denen nur selten, aus Anlaß eines bestimmten Datums, die Vita einer historischen Person nachfolgt. Diese Dichotomie von Heiligenviten und historischen Informationen bestimmt den Auf bau jedes einzelnen Tagesartikels. Die Quellen Hondorffs, die er in der Regel offenlegt, sind für die altkirchlichen Heiligen vor allem Georg Majors »Vitae patrum« und einige altkirchliche Schriftsteller, für reformationszeitliche Märtyrer Rabus, Bale und Foxe, für Päpste in erster Linie Platina; daneben benutzt Hondorff verschiedene spätmittelalterliche sowie humanistische Chroniken. Zuerst soll versucht werden, den hier gebrauchten Heiligenbegriff näher zu bestimmen: Denn im Gegensatz zu Goldtwurm, der kaum definitorische Anstrengungen macht, bemühen sich Hondorff und Sturm um eine Definition. In Sturms Widmungsbrief heißt es, Hondorff und er hätten »die lügen vnd falschen wunderzeichen / so denselbigen (den Heiligen, M.  P.) eins teils von den heuchlischen München zugemessen / dadurch ihre grewliche Abgötter vnd Anruffung der verstorbenen Heiligen zubestettigen / ganz weg gethan. Dabey auch die gleubigen Exempeln vnd Historien etlicher heiligen Lehrer vnd Merterer / so bey vnsern zeitten vmb das Evangelium willen jemmerlich seindt erwürgt worden / angezeiget / damit fromme Christen durch ihr Exempel zu standthafftiger Bekenntnis Göttlichen Worts / vnnd zu Christlicher gedult / in ihrem Creutz vnd Leiden bewegt würden.«162

Offensichtlich ist eine weitgehende Identifizierung des Heiligenbegriffs mit dem enger gefaßten Heiligentypus des Märtyrers als Blutzeugen impliziert.163 So heißt es weiter: »Alle / die da Gottselig leben wollen in Christo Jhesu / müssen Verfolgung leiden / Also bezeugens auch die Exempel aller Heiligen / im

Andreas Hondorffs Promptuarium exemplorum, 701–703; zu den Übersetzungen siehe: Schulz, Gedächtnis, 76, Anm. 38. 162  Hondorff, Calendarium, Vorrede, A iiij r. 163  Vgl. Hieber, Legende, 324.

5.  Kirchenkalender und die alltägliche Erinnerung an die Heiligen

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alten vnd newen Testament«.164 Eine auch nur annähernd systematische Vorstellung davon, welche historischen oder gegenwärtigen Personen neben den überlieferten Heiligen ›kanonisiert‹ werden sollten, artikuliert Sturm aber nicht. Offenbar hatte sich seit Goldtwurms Kalender der Heiligendiskurs nicht systematisieren lassen. Sturms zitierter Anspruch, Hondorff und er hätten die Legenden der Heiligen von lügnerischen Zusätzen gereinigt und auf Wunderzeichen verzichtet, wird ebenfalls nur teilweise eingelöst. Immer wieder werden nämlich in unterschiedlichen Kontexten wunderbare Vorzeichen aufgeführt: So berichtet Hondorff beispielsweise im Zusammenhang mit dem Tod Friedrichs des Weisen von Wundern (ein nächtlicher Regenbogen, die Geburt eines kopflosen Kindes) 165 ; der Tod Luthers, der wiederum als Vorzeichen für den Schmalkaldischen Krieg gedeutet wird, wird durch ein Unwetter im Heiligen Land angekündigt.166 Aber auch Ereignisse wie der zweite Kappeler Krieg, in dem Zwingli umkam, können durch einen Kometen angekündigt werden.167 So ergibt sich der merkwürdige Befund, daß zwar einerseits in Zusammenhängen, zwischen denen keinerlei heilsgeschichtlicher Zusammenhang besteht, göttliche Wunderzeichen angenommen werden, andererseits aber die Überwindung der legendarischen Heiligenüberlieferung gefordert wird; zu einer Differenzierung von ›wahren‹ und ›falschen‹ Wunderzeichen wird aber nicht gegriffen. Hondorff schreibt in seiner Vorrede, der Leser könne den Kalender »für eine sonderliche Legenda sanctorum« halten, die sich dadurch auszeichne, daß die pfäffischen Lügen durch den Rückbezug auf die »glaubwirdigsten vnd fürnembsten Kirchen Scribenten« beseitigt worden seien.168 Diese seien verantwortlich, wenn trotzdem unglaubwürdige Begebenheiten mit eingeflossen sein sollten. Andererseits aber, so Hondorff, gehe es hierbei auch nicht um dogmatische Fragen; deshalb solle der Leser »hierin ein Christlich Iudicium haben / vnd es nach dem Christlichen Glauben vrteilen vnd dabey dis betrachten / das solches nicht darumb beschrieben / Als muste man es so genaw für gewis vnd wahr halten«.169

Der Zusammenhang der verschiedenen Intentionen des Werkes, nämlich gereinigte Überlieferung der traditionellen Heiligen und universalhistorischer Kalender gleichzeitig sein und darüber hinaus spätmittelalterliche und reformationszeitliche Märtyrer als Heilige einführen zu wollen, wird nicht thematisiert. Die Einheit der Konzeption dürfte letztlich darin bestehen, daß alle aufgeführ  Hondorff, Calendarium, A iiij v.   Vgl. ebd., 5. Mai. 166  Vgl. ebd., 18. Februar, 14. Januar. 167  Vgl. ebd., 6. August. 168  Ebd., unpaginierte Vorrede. 169  Ebd., unpaginierte Vorrede. 164 165

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ten Personen oder Ereignisse in einem entweder hagiographischen oder humanistisch-pädagogischen Sinne als Exempel für die Lebensführung des Lesers dienen sollen.170 Es ist Hondorffs Absicht, auch relativ ungebildeten Lesern möglichst viele Exempel – hagiographische wie universalgeschichtliche – zugänglich zu machen: »Ich hab allein mir vnd den einfelltigen / so nicht viel Bücher haben / hiemit gedienet.«171 Die durch die unspezifische Exemplarität aller dargestellten Personen nur überspielte Diversität der Konzeption ist wohl auch diesem Anspruch auf weite Verbreitung geschuldet. Im Allerheiligen-Artikel wendet sich Hondorff explizit gegen die katholische Heiligenauffassung: Das Fest sei von Papst Bonifaz IV. im Jahr 618 eingeführt worden. Das heidnische Pantheon sei dann zur Kirche der Heiligenverehrung geworden, wodurch – seltsamerweise, muß man angesichts Hondorffs Haltung zu diesem Problem bemerken – »auch die Teuffel / so zuuor am selbigen ort die Christen geschlagen / nach Anhebung dieses Fests / auffgehöret.«172 Trotzdem wendet sich Hondorff gegen die Heiligenanrufung: »Ich mein das heist andere Götter haben vnd machen.«173 Mit Berufung auf die Kirchenväter Augustin und Cyrill führt er dann aus: »Wir sagen nicht / das die heiligen Merterer Götter seindt / auch haben wir den Brauch nie gehabt / das wir sie anbeteten / sondern wir loben sie mit grossem Lob / weil sie vmb der warheit willen Ritterlich gestritten / vnd den waren rechtschaffen Glauben an Christum behalten«.174

Wenn Hondorff behauptet, »wir«, die Protestanten offenbar, hätten die Heiligen »nie« angebetet, dann ist dies entweder banal, oder es bedeutet zumindest in dieser Frage einen identifikatorischen Rückbezug auf die Alte Kirche: eine Deutung, die durch die Aufrufung patristischer Autoritäten nahegelegt wird. Die meisten der von Hondorff aufgeführten Heiligen sind biblische oder altkirchliche Gestalten. Neben die traditionellen Heiligen treten, wie ausgeführt, andere Heilige oder historisch exemplarische Gestalten. Diese werden wie bei Goldtwurm teilweise über die Tagesdaten, an denen sie hervortraten, eingeführt; teilweise erfolgt ihre Nennung aber auch als Ergänzung traditioneller Heiliger. So wird beispielsweise Jan Hus am 3. Januar mit einer eigenen Heiligenvita beschrieben (die eine Kurzparaphrase der Vita bei Rabus darstellt), weil dieser Tag das Heiligenfest Johannes’ des Täufers sei und alle anderen Heiligen

170  Vgl. ebd., unpaginierte Vorrede. Dazu Brückner/Brückner, Zeugen des Glaubens, 550: »Die Heiligen bieten Vorbilder; Wunder- und Teufelsgeschichte stehen für Zeichen Gottes zur Umkehr; Geschichtsereignisse haben die Funktion abschreckender und aufmunternder exemplarischer Tugendlehren«. 171  Hondorff, Calendarium, unpaginierte Vorrede. 172  Ebd., 1. November. 173  Ebd., 1. November. 174  Ebd., 1. November.

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mit Namen Johannes ebenfalls dort erscheinen sollten.175 In ähnlicher Weise kanonisiert Hondorff Joachim von Fiore, und zwar mittels einer quellenkritischen und antilegendarischen Strategie: Der 9. Dezember werde als Joachimstag begangen, also zum Gedächtnis an den Vater der Jungfrau Maria. Dieser sei aber biblisch nicht belegbar, also wird einfach der für die spätmittelalterlichen Reformbewegungen so wichtige Joachim von Fiore an die Stelle des ›eigentlichen‹ Heiligen gesetzt. Er habe zukünftige Ereignisse und das Weltende prophezeit sowie gesagt, der Antichrist sei schon geboren und sitze in Rom.176 Nicht ausgetauscht wird dagegen der Heilige Thomas. Dürfte es protestantischen Leser möglicherweise leicht gefallen zu sein, selbst Päpste als Heilige zu akzeptieren, wenn sie nur den ersten Jahrhunderten der Kirche entstammten, überrascht die ausschließlich positive Erwähnung Thomas von Aquins als gottesfürchtigem Gelehrten im Kontext eines protestantischen Heiligenkalenders. Sie erscheint als kaum reflektierte Tradierung überkommener Heiliger, die nur dadurch an Sprengkraft gewinnt, daß ihr sofort die Vita des spätmittelalterlichen französischen Märtyrers Thomas Rhedonensis nachfolgt – allerdings ohne Kommentierung. Natürlich findet sich hin und wieder antipäpstliche Polemik, die allerdings kaum über die patriotische Romkritik der vorreformatorischen Zeit hinausgeht.177 An anderer Stelle kann Hondorff ganz naiv davon reden, der Kaiser werde durch den Papst »erwehlet«178 – als wisse er nicht (weiß er es nicht?), welcher juristische und theologische Sprengstoff gerade in einer solchen Aussage liegt. Für diese ›Naivität‹, die er, wie wir gesehen haben, mit vielen Kalenderautoren teilt, spricht auch die positive Erwähnung des Katholiken Thomas Morus, der wegen seiner Weigerung, dem Papst abzusagen, 1535 hingerichtet wurde. Bei Hondorff wird dieser Hergang zum Exempel für die Hinfälligkeit allen Lebens: Morus wurde, so Hondorff, »vmb etlicher zwyspaltungen willen / mit einem Beil gerichtet. Dieser Thomas Morus hat dieses herrliche Dystichon gemachet, welches sich fein auf ihn reumet, weil es ihme so vbel gangen. Scilicet ex illa, qua primum nascimur hora, / Prorepunt iuncto uitaque morsque pede.«179

Der wie selbstverständlich wirkende Traditionalismus Hondorffs wird nur an einigen Stellen durchbrochen; oben ist schon auf seine Kritik spätmittelalter175  Die Vita Savonarolas (eine Paraphrase aus Rabus’ Märtyrerbuch) dagegen wird zwar erzählt, aber Savonarola erscheint, anders als Hus, nicht als »Heiliger«, d.  h. er besitzt keinen eigenen Heiligentag, obwohl es ja sehr wohl ein Fest des Heiligen Hieronymus gibt (30. September), an dem Savonarola problemlos als zweiter Heiliger Hieronymus hätte aufgeführt werden können. Vgl. Hondorff, Calendarium, 23. Mai. 176  Vgl. ebd., 9. Dezember. 177  Vgl. ebd., 7. April, 17. September. 178  Ebd., 6. Oktober u.  a . 179  Ebd., 2. Juli.

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VI.  Lutherische Geschichtskalender zwischen Humanismus und Hagiographie

licher Heiligenverehrung und Wundergläubigkeit hingewiesen worden. Zumindest in diesem Punkt sah Hondorff offenbar die lutherische Bewegung als Rückkehr zum Urzustand. Ansonsten erscheinen aber Luther und die Reformation in einem merkwürdig gedämpften Licht; jedenfalls sieht Hondorff in ihr keinen epochemachenden Einschnitt, der die Frage nach der Legitimität der Tradition ernsthaft zuließe. Zum 11. November, dessen Tagesheiliger der Papst Martin I. aus dem siebten Jahrhundert ist, präsentiert Hondorff eine Kurzvita Luthers, die vor allem seine Frömmigkeit hervorhebt (die ihn dazu gebracht habe, Mönch zu werden), wichtige Ereignisse wie den Wormser Reichstag aber unerwähnt läßt und ansonsten auf Luthers eigene Schriften verweist. Nur zum Reformationstag heißt es, der Memorialfunktion der Kalender entsprechend, ausführlicher: »An dem tage ist zu Wittemberg öffentlich an die Schloskirchen angeschlagen vnd Publicieret / die Disputation D. Martini Lutheri / wider den Ablas / welcher mit unuerschempten Lügen gezieret / vnd verkaufft worden von dem Münche Tezelio / vnnd ist nach Publicierung solcher Disputation / die Himlische Lehre / von der Busse / von Vergebung der Sünden / so man durch den Glauben empfahen mus / vm des Sohns Gottes willen / vnsern HErren Jhesum Christum / ernewert vnnd Repurgieret worden / ist auch zugleich ein Liecht geben / allen ander Artickeln der Lehre / so der Christlichen Kirchen vonnöten ist. Anno 1517. Im andern vnd hunderten Jar danach / nach dem Johannes Huß zu Costnitz verbrandt worden / welcher / als ein Ketzer verdammet / vnd hinaus gefüret worden / sol gesaget haben. Post annos centum, respondebitis Deo et mihi.«180

Die Kritik am Ablaß geht hier also der Entwicklung der Rechtfertigungslehre voraus, die als Erneuerung und Reinigung der kirchlichen Lehre erscheint – die Hondorff außer an dieser Stelle nirgendwo erwähnt. Abgesehen von seiner Auffassung der Heiligenverehrung spricht er nirgends von einem tiefgreifenden und kontinuierlichen mittelalterlichen Verfall der Kirche, von antichristlicher Finsternis und von apokalyptischer Erwartung. Luther erscheint als ein Heiliger, weil er die rechte Lehre erneuert hat. Warum dies nötig war, welche theologischen Irrwege dieser Erneuerung vorhergingen, ob eine solche Erneuerung oft stattfinden kann oder muß oder nur einmal – all diese Fragen läßt Hondorff unerörtet. Wieder ist zu beobachten, daß ein eindeutig lutherisches konnotiertes Geschichtswerk in seiner theologischen Substanz durchaus verschwommen bleibt und sich einer v.  a. konfessionskulturellen Codierung bedient. Der mögliche Verdacht, die konfessionelle Verschwommenheit könne auf einer absichtlichen Strategie zur besseren Vermarktbarkeit auch in katholischen Gegenden beruhen, läßt sich nicht belegen; auch ein Nachdruck an katholischen Orten ist nicht nachweisbar.181   Ebd., 31. Oktober.   Ebers Kalender ist (bis auf die Basler Erstauflage) immer in Wittenberg erschienen (vgl. VD 16,I,5, E 12  f f.), Goldtwurms Kirchenkalender immer in Frankfurt am Main 180 181

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Ein Kuriosum ist schließlich die »Fest-Chronica« des Bischofswerdaer Superintendenten Zacharias Rivander von 1591, die nur einmal aufgelegt wurde. Rivander beschränkt sein Werk auf Sonn- und Feiertage, will also nur zu diesen Daten historische Informationen mitteilen. Die Festchronik wurde ursprünglich als komplementäres Werk zu einer Predigtpostille konzipiert, die aber nie erschien182 . Rivander verfolgt mit seinem Buch eine etwas abseitig erscheinende Strategie: Er möchte beweisen, daß die meisten kirchlich relevanten Heils- oder Unheilsereignisse an Sonn- und Feiertagen vor sich gingen, will zeigen, »daß das Sprichwort war / Je heiliger die zeit / jhe mehr der Teuffel zuschaffen«183 – und tatsächlich sind die Einträge zu Ostern und Weihnachten die umfangreichsten. Rivander behauptet also eine nicht-kontingente Beziehung zwischen Feiertagen und erinnerungswürdigen Ereignissen; er geht davon aus, daß Gott die Geschichte auch in dieser Hinsicht vollkommen beherrscht. Sieht man sich seinen Kalender genauer an, fällt allerdings schnell auf, wie disparat die Einträge sind. Dies erstaunt nicht, vor allem nicht angesichts der von Rivander nicht erörterten Frage, ob es eigentlich tatsächlich die Daten oder die Feste sind, nach denen er sich richtet. Das heißt: Im Falle von Weihnachten oder anderen fixen Festtage mag Rivanders Modell zumindest chronologisch aufgehen; in bezug auf reguläre Sonntage aber natürlich nicht. Rivander schildert kirchliche wie profanhistorische Ereignisse, nimmt aber seinen Ausgang immer bei kirchengeschichtlichen Exempeln. An bestimmten Sonntagen behandelt er die wichtigsten Kirchenlehrer; so kritisiert er Augustin, um am Ende doch zuzugestehen, daß seine Lehre »im Grunde mit vnser Kirchen Lehre vberein stimme.«184 Nach der Alten Kirche aber hätten die Kirchenlehrer die Lehre nicht mehr in derselben Reinheit vertreten. Eine Aussage wie diese, die in großer Pauschalität eine historische Entwicklung andeutet und damit vollständig im Rahmen des etablierten lutherischen Diskurses bleibt, zeigt die generelle Homogenität des historiographischen Diskurses, ex negativo aber auch eine weniger im engeren Sinne (geschichts-)theologische als vielmehr kulturell codierte lutherische Ausrichtung – selbst bei einem lutherischen Superintendenten. b)  Dressers »De festis diebus« als Metakalender Der letzte hier zu untersuchende Text fällt aus dem Rahmen. Matthäus Dresser, der schon öfter genannte Leipziger Geschichtsprofessor, hat keinen Geschichts(VD 16,I,5, G 2598  f f.), Hondorffs Kalender mit der Ausnahme einer Frankfurter Auflage immer in Leipzig (VD 16,I,9, H 4724  f f.). 182  Zur Absicht, noch eine Postille zu veröffentlichen, vgl. die unpaginierte Vorrede; siehe auch die Übersicht der Postillen bei Rublack, Lutherische Predigt, 383–395. 183  Rivander, Fest-Chronica, unpag. Vorrede. 184  Ebd., 51v.

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VI.  Lutherische Geschichtskalender zwischen Humanismus und Hagiographie

kalender verfaßt, der in derselben Weise wie die genannten Texte Inkonsequenzen der Wertung enthielte und unreflektierten Traditionalismus neben Polemik stellte. Das in erster Auflage 1594 erschienene Werk »De festis diebus Christianorum, Iudaeorum, et Ethnicorum Liber«185 ist kein Heiligenkalender im eigentlichen Sinn, sondern eher ein im Jahreslauf geordnetes Lexikon der Festtage. Der Humanist Dresser skizziert sowohl antike heidnische als auch jüdische und katholische Feste; er verfaßt in einem nüchternen Duktus eine Geschichte und Ethnographie des Festes in unterschiedlichen Religionen. Das Buch erlebte – ohne je übersetzt zu werden, also wohl primär innerakademisch – einen beträchtlichen Erfolg mit elf Ausgaben bis 1626. Ohne seine eigene religiöse Position zu verbergen, geht es Dresser doch primär darum darzustellen, was, wie und warum Menschen feiern und sich z.  B. an Heilige erinnern – wenn er auch die Vorstellung ablehnt, Heiligenfeste würden wegen individueller Verdienste begangen.186 Ziele der Heiligenfeste seien Gottesdienst, die Erkenntnis der wahren Lehre, die Einladung zur Heiligenimitatio, schließlich die »conseruatio« der Kirche in der Zusammenkunft der Gläubigen.187 Nachdem Dresser seine Position klargestellt hat, versucht er für jeden Festtag zu klären, woher sein Name kommt und welche Figuren historisch eine Rolle spielen. Doch auch ein im Gestus so gelehrtes und ›unpopuläres‹ Buch wie dieses transportiert hier und da eine Verehrung für bestimmte mittelalterliche Gestalten wie Bernhard von Clairvaux, der zwar in der Dunkelheit des Papsttums habe leben müssen, aber dennoch mehr vom Licht gesehen habe als alle anderen Zeitgenossen. Er habe gewußt, daß nur Gott die Sünden vergeben können, und sich gegen das Papsttum geäußert. Dressers Fazit ist: »non procul eum abfuisse ab ea luce, quam Christi conciones et Apostolorum scripta praebent.«188 Eine so eindeutige Aussage zum Verhältnis zwischen Urkirche, Mittelalter und (implizit mitgedachter) Reformation findet sich ansonsten in der Kalenderliteratur kaum. Ausgerechnet also in einem eher deskriptiv-analytischen als populär-hagiographischen Werk finden sich die klarsten Aussagen hinsichtlich der kirchenhistorischen Gesamtentwicklung. Aber diese Annahme einer Entwicklung ist ja generell das, was dem Geschichtsbild der Kalender eines Eber oder Beuther auf der einen Seite, eines Beyer oder Hondorff auf der anderen Seite fehlt. Diese Texte wollen, eben weil sie den Hausvater, den Prediger, den Studenten oder Schüler täglich an erinnernswerte Einzelheiten gemahnen, klar und holzschnittartig sein. Sie gefallen sich entweder in einem Positivismus avant la lettre, oder sie urteilen harsch und dichotomisch. 185  Vgl. Dresser, Matthäus, De festis diebus Christianorum, Iudaeorum, et Ethnicorum Liber, quo origo, caussa (!), ritus et vsus eorum exponitur, Leipzig 1594. 186  Vgl. ebd., 3. Die Feste würden »non vllius cultus, sed memoriae tantum caussa celebrantur« (5). 187  Vgl. ebd., 7. 188  Vgl. ebd., 186.

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Ein ›Metakalender‹ wie der Dressers kann offenbar in ganz anderer Weise historisch und theologisch differenzieren, kann zum Beispiel auch – wegen des Blicks von außen – katholische Heilige aufnehmen, die für die Evangelischen indiskutabel waren.189 Während Erasmus in den Heiligenkalendern unter Aussparung der peinlichen Entfremdung von der Reformation zum Heiligen stilisiert wurde, geht Dresser differenzierter vor: Erasmus habe Luther zwar zur Mäßigung ermahnt, aber auch gegenüber Friedrich dem Weisen die Wahrheit von dessen Lehre bestätigt, doch sich dann der »Lutheri causa« entfremdet. Aber so wie Luther wegen der »ueritas profeßio« von den Päpsten gehaßt worden sei, so habe Erasmus die Päpste durch seine »vrbanitas, quae acerbitatis multum habuit«, verletzt. Er habe Lutherische wie Katholiken kritisiert, »et medius haberi, quam alteri adhaerescere uoluit«.190 Dies ist alles zutreffend, und doch fragt man sich: Warum hat Dresser Erasmus dann überhaupt aufgenommen? Der Logik seines Textes folgend müßte man annehmen, der 4. Juni sei der allgemein anerkannte Tag des Erasmusfestes, an dem eben des niederländischen Humani­ sten gedacht werde. Ähnlich verfährt Dresser im Passus zu Melanchthon, der am 1. Januar, am Tag des Apostels Philipp, eingefügt ist und den längsten Eintrag überhaupt darstellt191. Melanchthon wird nicht ausdrücklich als Heiliger kanonisiert, aber der Humanist Dresser macht emphatisch – und sehr viel ausdrücklicher als die Trauerreden zu Melanchthon (siehe Kap. B.II.5) – darauf aufmerksam, in welcher Weise Studien und Reformation gerade in der Person Melanchthons ursächlich zusammenhingen. »Dona Deus contulit in hunc uirum tanta, vt miraculum fere nostri seculi habeatur. Voluit enim eum esse organum, per quod opus illud maximum efficerent, accendendi lucem uerbi sui, et excitandi omnium artium et eloquentiae studia.«192

189  Über Gregor den Großen berichtet Dresser, er sei »propter pietatis, eruditionisque, laudem tandem canonissatus«, er sei aber – so wird ganz sachlich aus der Außenperspektive berichtet – auch verantwortlich für Zeremonien und Gesänge, »qui nunc in Ecclesia Romana tenetur« (53). Ein anderer heikler Kandidat, der Hl. Franziskus, steht merkwürdigerweise (allerdings ohne Seitenzahl) im Register, und wird weder an seinem offiziellen Tag, dem 4. Oktober, noch auch sonst erwähnt. Handelt es sich um einen Druckfehler? Wollte Dresser Franziskus erst behandeln, dann aber nicht mehr? Hat man ein konventionelles Überbleibsel oder eine Art sehr subtiler Kritik vor sich? – Ein anderes Beispiel für die Differenzierungsfähigkeit Dressers ist der Eintrag zu Joachim von Fiore, der sonst als prophetischer Abt beschrieben wird, der den Antichristen auf dem Papstthron lokalisierte. Dies sieht auch Dresser so, fügt aber krittelnd hinzu, seine Weissagungen »partim euentus comprobauit, partim improbauit.« (264). 190  Dresser, De festis diebus, 134–136. 191  Vgl. ebd., 98–108. 192  Ebd., 100  f .

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VI.  Lutherische Geschichtskalender zwischen Humanismus und Hagiographie

Melanchthon als Wunder unserer Zeit steht harmonisch neben Luther193 ; die kontroverse Diskussion um die Stellung Melanchthons zu Luther entscheidet Dresser, indem er beide versöhnt in Studien und Religion streiten läßt.194 Dressers Büchlein dient nicht der alltäglichen Erinnerung an die Heiligen, sondern (auch) der Information darüber, was diese bedeutet und woher sie kommt. Gerade aber, weil es die Funktion der Feste reflektiert, läßt sich an ihm ablesen, daß die kalendarische Erinnerung tatsächlich ein, wenn nicht der wirkungsmächtigste Strang der Luther-Memoria gewesen sein dürfte. Am 11. November druckt Dresser nicht nur eine Luthervita ab, sondern er legt auch deren Funktion offen: »Renouat eadem haec dies Martini Lutheri memoriam«195. Selbst wenn es also vor 1617 noch kein offizielles und über einzelne lokale Jubiläen hinaus gefeiertes Reformationsfest gab, institutionalisierte doch die Kalenderliteratur – also die historiographische Gattung, die insgesamt die weitaus meisten Leser erreichte – das Gedächtnis des Reformators. Bei der Lektüre unterschiedlicher Geschichts- und Heiligenkalender aus dem Luthertum des 16. Jahrhunderts ergeben sich also vielfältige, häufig widersprüchliche Einsichten. Die Gattung des Historienkalenders, die von Melanchthon aus einem religiösen und Bildungsinteresse angeregt worden war, artikuliert wie die lutherische Universalgeschichte überhaupt ihre konfessionelle Provenienz nicht offensiv, sondern informiert in der Regel knapp und mit einer Konzentration auf profangeschichtliche Themen. Diese werden allerdings anders als in der Universalgeschichtsschreibung selten explizit auf die zugrundeliegende prophetische Fundierung, nämlich die Weltreichetheorie, bezogen. Dadurch ergibt sich bei einigen der untersuchten Kalender der Eindruck einer positivistischen Herangehensweise. Konfessionalisierung von Geschichte findet in diesen Kalendern weder im Sinne einer identitätsmäßigen Reklamierung bestimmter Tradition noch im Sinne antikatholischer Polemik statt. Die späteren umfangreichen Kompendienkalender dagegen lesen sich in der Regel viel eindeutiger als lutherische Traditionsstiftung. Allerdings ist an ihnen auch die Einsicht zu gewinnen, daß die dezidierte Parteinahme durch eine gewisse Uneinheitlichkeit der Wertung konterkariert wird. Dies gilt beispielsweise für Beyers Kalender, während Saur aus einem eher wissenschaftlich gelagerten Interesse ebenfalls nicht zu einer konsequent konfessionellen Einfärbung der Geschichte kommt. In ähnlicher Weise ist dieses Profil am Heiligenkalender Hondorffs abzulesen. An ihm läßt sich ersehen, welche mittelalterlichen Gestalten im Laufe des 16. Jahrhunderts zu mehr oder weniger kanonischen ›Heiligen‹ des Luthertums erklärt wurden; auch wird mit seiner starken Bezugnahme auf die Alte Kirche (die er mit vielen Kalendern teilt) implizit ein An  Vgl. ebd., 237–248.   Dies entspricht der Position Dressers in seinen Isagoges historicae, vgl. B.IV.4.a. 195  Dresser, De festis diebus, 237. 193 194

5.  Kirchenkalender und die alltägliche Erinnerung an die Heiligen

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schluß der Reformation an die Alte Kirche und damit eine gewisse Niedergangs- und Wiederaufstiegssicht konstruiert. Die Möglichkeiten, mit den überlieferten Heiligen umzugehen, die von Vergessen bis Neuschöpfung reichen, stehen dabei häufig unsystematisch und unhierarchisiert nebeneinander. Insgesamt ergibt sich oft das Bild eines theologisch verschwimmenden, im Selbstverständnis allerdings dezidierten ›Luthertums‹. Dies gilt für die erfolgreichsten Texte wie für die weniger erfolgreichen. Eine letzte wichtige Einsicht ergibt sich aus dem Vergleich der beiden Kalender Goldtwurms; dieser zeigt, daß die impliziten Gattungsvorgaben von universal- und kirchengeschichtlichem Schreibzusammenhang bestimmte Wertungs- und Deutungsparameter v.  a. hinsichtlich der Rolle von Religion nahelegten. Die Selbstbeschreibungs- und Identitätsfunktion von Geschichtsschreibung konnte sich also an historiographischen Konventionen brechen; dies erfordert vom Interpreten erhöhte Aufmerksamkeit und eine gewisse Vorsicht gegenüber zu weitreichenden Schlüssen aus Einzeltexten.

VII.  Das Ende der Geschichte:   Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung 1.  »die letzte minute der welt«: Apokalypse und Geschichte Nach den meist populären Texten der Kalenderliteratur soll im letzten Kapitel noch einmal ein akademischer Diskurs in den Blick genommen werden, in diesem Fall ein genuin theologischer: Die Exegese der Johannesoffenbarung. Bei einem gelehrten Diskurs wie diesem primär nach einer Breitenwirkung über die Theologie hinaus zu fragen, verfehlte das Publikum und die Zielrichtung dieser Texte. Dennoch ist zu untersuchen, in welchem Verhältnis gelehrter Diskurs und gesamtgesellschaftliche Deutungen – z.  B. die Erwartung des na­ hen Weltendes – zueinander stehen. Um diese Frage zu beantworten, muß zuerst knapp das generelle Problem lutherischer Apokalyptik beleuchtet werden, bevor zur Analyse ausgewählter Apokalypsenkommentare übergegangen wird. Daß die Gegenwart die »letzte Zeit« sei, ist in lutherischen Texten eine ubiquitäre Formel. Unabhängig davon, ob diese Feststellung en passant eingeführt wird oder im Zentrum des Interesses steht: Die ›gefährlichen letzten Zeiten‹, die ›postrema aetas‹ etc. sind gängige Formulierungen, und zwar unabhängig vom Textgenre oder dem Zeitpunkt der Aussage. In besonders eindrücklicher Weise artikuliert im Jahre 1570 Georg Nigrinus: Es sei »nicht allein böse zeit / darin wir leben / sondern ist auch die letzte minute der welt«. Nichts spricht dafür, daß die lutherische Naherwartung sich nach der ersten Hochphase der Reformation verlor, wie in der Forschung manchmal angenommen wird. Im Gegenteil ist umfassend gezeigt worden, daß zumindest bis etwa 1650 die Diagnose der Gegenwart als ›letzte Zeit‹ eine common-sense-Auffassung lutherischer Geistlicher darstellte. Dies mag mit der Tradierung von Luthers eigener autoritativer Naherwartung zusammenhängen, scheint aber darüber hinaus ein Ausdruck lutherischer Selbstbeschreibung und damit Identität gewesen zu sein,

  Nigrinus, Rechnung vnd Zeitregister, A2v.   Vgl. Völkel, Theologische Heilsanstalt, 122; ders., Aufstieg und Fall, 68; ähnlich auch: Fuchs, Reformation, 74.   Vgl. Barnes, Prophecy and Gnosis; Leppin, Antichrist.   Vgl. Barnes, Prophecy and Gnosis, 36.  

1.  »die letzte minute der welt«: Apokalypse und Geschichte

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wenn auch häufig in negativer Formulierung – eben in polemischer, aber auch geschichtstheologischer Absetzung gegenüber dem römischen Antichristen. Gerade weil aber die Endzeitdiagnose so omnipräsent verwandt wird, ist gefragt worden, ob man nicht etwas anderes hinter ihr vermuten muß: etwa einen Ausdruck sozioökonomischer Krisenängste, einen Versuch lutherischer Eliten, die Bevölkerung über die Enddrohung zur Buße zu bewegen oder gar eine automatisierte Rhetorik, die nicht mehr ernstgenommen wurde. Dazu ist erst einmal zu fragen: Wer vertritt die lutherische Endzeiterwartung? Mangels Quellen wird man vorsichtig sein müssen, was eine ›apokalyptische Mentalität‹ der lutherischen Bevölkerung im ganzen angeht. Es waren aber, soweit man sehen kann, keine gesellschaftlich randständigen Gruppen, sondern die Eliten der lutherischen Konfessionalisierung, die mit Nachdruck und über anderthalb Jahrhunderte das nahe Ende beschworen. Dieses Insistieren auf der Nähe des Endes hatte daher sicher auch paränetische oder disziplinierende Funktion, aber wenig spricht dafür, die lutherische Endzeitverkündigung primär als sozialen Krisendiskurs zu interpretieren. Der apokalyptische Diskurs war in sich viel zu konsistent und durchgehend zu präsent, um ihn ausschließlich als Ausdruck sozioökonomischer Krisensymptome zu deuten. Es stellt sich aber dennoch die Frage, wie das Bewußtsein, unmittelbar vor dem Weltende zu stehen, mit den Konfessionalisierungsbestrebungen lutherischer Eliten, zu denen eben auch die Institutionalisierung der lutherischen Kirche gehörte, in Einklang zu bringen war. Eine mögliche Antwort lautet: Lutherisches Endzeitbewußtsein war durchaus nicht in erster Linie eine Reaktion auf ein als erfolglos empfundenes Bemühen um Christianisierung und Konfessionalisierung oder Ausdruck einer ›Frömmigkeitskrise‹  . Vielmehr hat   Vgl. Leppin, Antichrist, 281.   Vgl. Leppin, Antichrist, 271.   Die apokalyptische Selbstdeutung blieb ein zentrales Moment lutherischer Konfessionsidentität; die lutherische Endzeiterwartung um 1600 läßt nicht den Schluß zu, daß »viele Lutheraner nicht mehr glaubten, die von Luther geschaffene Kirche stünde im Zentrum des heilsgeschichtlichen Geschehens«. Vgl. für diese Gegenposition, die lutherische Apokalyptik weniger als genuinen Identitätsdiskurs denn als Ausdruck einer sozioökonomischen Krisenlage versteht: Lehmann, Hartmut, Endzeiterwartungen im Luthertum im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert, in: Lutherische Konfessionalisierung, hg. v. Hans-Christoph Rublack, Gütersloh 1992 (SVRG 197), 545–554, Zitat 550. Zur Kritik an dieser tendenziell reduktionistischen Haltung siehe Leppin, Volker, Stabilisierende Prophetie. Endzeitverkündigung im Dienste der Konfessionalisierung, in: JBTh 14 (1999), 197–212.   Zum Problem des ›Scheiterns‹ der Reformation siehe Parker, Success and failure; zum Konzept der Frömmigkeitskrise vgl. zusammenfassend: Wallmann, Johannes, Reflexionen und Bemerkungen zur Frömmigkeitskrise des 17. Jahrhunderts, in: Krisen des 17. Jahrhunderts. Interdisziplinäre Perspektiven, hg. Manfred Jakubowski-Tiessen, Göttingen 1999, 25–42; als binnenorthodoxe Elitenkrise deutet sie: Sträter, Udo, Meditation und Kirchenreform in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts, Tübingen 1995, 9–33.  

464 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung man dem Befund Rechnung zu tragen, daß ein und derselbe Personenkreis Endzeitbewußtsein artikulierte und sich gleichzeitig mit der Institutionalisierung des Luthertums befaßte: »Es sind ja gerade Vertreter der die Konfessionalisierung vorantreibenden Eliten, die hier und jetzt das Ende der Welt sehen und verkündigen – und sie können und müssen dies tun, weil eben zur konfessionellen Identität eine apokalyptische Zeitbestimmung gehört.« 

Auch die These einer grundsätzlichen Wandlung des lutherischen Endzeitglaubens – von Freude zu Furcht, vom ›lieben jüngsten Tag‹ zur Angst vor dem Ende – kann angesichts des Gewichtes, das die apokalyptische Zeitdiagnose für die geschichtstheologische Selbstsituierung des Luthertums bis ins 17. Jahrhundert besaß, nicht überzeugen.10 Dies schließt nicht aus, trotzdem zeit- und anlaßbezogene Konjunkturen apokalyptischen Denkens herauszuarbeiten, wie dies für die Magdeburger Situation der Jahrhundertmitte11 oder für das apokalyptische Jahr 158812 plausibel ist. Der Frage nach der paränetischen oder disziplinierenden Funktion der Apokalyptik kann man sich nähern, indem man fragt, was Endzeiterwartung eigentlich heißt: Wie nah muß eine Naherwartung sein, um eine Naherwartung zu sein? Daß die Rede von den letzten Zeiten, in denen man sich befinde, sehr unterschiedliche konkrete Bedeutungen annehmen konnte – bei grundsätzlich breit geteilter Einschätzung, ›am Ende‹ zu stehen –, zeigt wiederum eine Äußerung von Georg Nigrinus. Er weist darauf hin, daß bereits in der Bibel und bei Augustin zwei Auffassungen vom »Ende« nebeneinander stünden: Einmal sei damit »die gantze genade zeit von Christi geburt an / biß an Jüngsten tag« gemeint, so daß »die Aposteln die gantze zeit von jhrer zeit an / biß an Jungsten tag / die letzte zeit nennen / darin sie die zeit des Antichrists mit einschliessen«13, auf der anderen Seite die wirklich ›letzte‹ Zeit der Welt. Gerade diese Unbestimmtheit könnte sich als funktional erwiesen haben: Die Tatsache, daß man den Zeitpunkt des Endes nicht weiß, macht für lutherische Autoren baldige Reue und Buße, und damit eben auch kirchliche Institutionen, so wichtig.14 Gemäß der Anweisung in Mt 25,14 versuchten sie nicht, den exakten Zeitpunkt des Weltendes zu berechnen. Ausnahmen wie der 1588er-Boom   Leppin, Antichrist, 282.   Vgl. Meyer, Almut Agnes, Heilsgewißheit und Endzeiterwartung im deutschen Drama des 16. Jahrhunderts. Untersuchungen über die Beziehungen zwischen geistlichem Spiel, bildender Kunst und den Wandlungen des Zeitgeistes im lutherischen Raum, Heidelberg 1976, 244  f. 11  Vgl. Kaufmann, Ende der Reformation, 102, Anm. 244. 12  Vgl. Leppin, Antichrist, 65–67. 13  Nigrinus, Antichrists Gründtliche Offenbarung, 24r-v. 14  So argumentiert exemplarisch der Liegnitzer Pastor Marcus Rullus in seiner Vorrede zur Übersetzung von: Krentzheim, Coniecturae. 

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oder die zitierten Spekulationen Philipp Nicolais zum Endjahr 1670 (Kap. B. V.7.c) bestätigen die Regel. Insgesamt galt sowohl die Datumsspekulation als auch die akute Endzeiterwartung, die z.  B. mit dem nächsten Jahr als Endtermin rechnete, eher als heterodox.15 Wenn gerechnet und spekuliert wurde, dann – wieder wie im Falle des sicher nicht heterodoxen Nicolai – eher mit dem Ergebnis, daß ein Aufruf zur unmittelbaren Buße und Umkehr plausibilisiert, aber einschneidende und sozial unverträgliche lebenspraktische Konsequenzen vermieden werden konnten.16 Die apokalyptische Rede sollte also zu Buße und Reue aufrufen, auch wenn, ausgehend von Luthers Argumenten, die Trostfunktion der Offenbarung für die kleine Gruppe der Geretteten behauptet werden konnte.17 Damit schließen sich konfessionelle Institutionalisierung und Endzeitbewußtsein nicht nur nicht aus, sondern erstere kann aus letzerem geradezu begründet werden. Selbst lutherische Landpfarrer, also die untersten Glieder der Elitenhierarchie, besaßen manchmal in ihrem kleinen Bücherbestand Kommentare der Offenbarung und des Buches Daniel, also der apokalyptischen Grundtexte.18 Der Zusammenhang von Kirchenauf bau und Enderwartung wird selten so schön zusammengefaßt wie in einem Katechismus des Andreas Musculus: »So ist nun demnach nicht mehr zuthun, als das man die Welt, den grösten verlornen Hauffen las bleiben, wie er ist, vnd dem befehle, dem er gehöret, vnd las den Teuffel der Welt Gott vnd Grosfürsten sein vnd bleiben vnd wende indes allen fleis an, wie durch reine Lehr des heiligen Evangelij denen werde gedienet, welche zur Seligkeit versehen, verordnet vnd durchs Wort dazu beruffen, vnd lasse faren, was nicht bleiben will [. . .] wir, die wir zum Predigampt beruffen in diesen letzten vnd ergsten zeiten (müssen) vns auch in die sach schicken, die reine Lehr des heiligen Euangelij fleissig Leren vnd Predigen vnd Gott befehlen vnd heimstellen, wie solchs gepredigt Wort von wenig zur Seligkeit wird aufgenommen, aber von dem grossen hauffen verachtet oder ja schentlich gemissbraucht. Wo es aber zugleich sein kann, das aussen in der Welt von denen, so von Gott darzu verordnet sind, als durch die Eltern, Praeceptores vnd die hohe vnd nidrige Obrigkeit eusserliche Disciplin vnd gute Policey wird auffgericht vnd erhalten, das beydes nu zugleich wird gefodert, die Leut zum gehör des Worts Vnd zur Kirchen werden gehalten, da steht es als desto besser vnd hoch vnd gros zu loben.«19   Vgl. Leppin, Antichrist, 275.   Vgl. Kaufmann, Jubeljahr, 123, Anm. 183. 17  Vgl. Hofmann, Hans-Ulrich, Luther und die Johannes-Apokalypse, Tübingen 1982, 456–470. 18  Vgl. z.  B. Strauss, Mental World, 167. 19  Reu, Johann Michael, Quellen zur Geschichte des kirchlichen Unterrichts in der evangelischen Kirche Deutschlands zwischen 1530 und 1600, Gütersloh 1904  f f., Bd. I: Texte, Teilband 3, 223, zitiert nach: Seeger, Ulrich, Eschatologie im Katechismusunterricht des Reformationsjahrhunderts, Diss. Bonn 1949, masch. Fassung 1977, 51. Zu Musculus vgl. Koch, Ernst, Andreas Musculus und die Konfessionalisierung im Luthertum, in: Lutherische Konfessionalisierung (SVRG 197), hg. v. Hans-Christoph Rublack, Gütersloh 1992, 250–70. 15 16

466 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung Wenn also auch eine Interpretation nicht ausreicht, die auf Sozialdisziplinierung und Drohung abstellt, muß man dann in der Endzeiterwartung eine  zunehmend topische und damit tendenziell sinnentleerte Rhetorik sehen? 20 Apokalyptische Deutungsmuster konnten natürlich gerade wegen ihres antagonistischen Charakters leicht in die Polemik überführt werden und dort topischen Charakter annehmen, der ihnen langfristig möglicherweise die Überzeugungskraft raubte.21 Aber berechtigt dies schon zu der Annahme, die apokalyptische Rede sei ab einem bestimmten Zeitpunkt ›nur (noch) Rhetorik‹? 22 Denn wie unterscheidet man ›echten‹ Endzeitglauben von apokalyptischer ›Rhetorik‹? Schon die Dichotomie zwischen ›realer‹ und ›nur rhetorischer‹ Apokalyptik selbst entspringt vermutlich teilweise einer modernen Abwertung des Rhetorischen als grundlegendem sprachlichen Paradigma frühneuzeitlicher Diskurse, einer Sprachkonzeption, die von der Einheit von sprachlicher Äußerung und Handlung im rhetorischen Argument ausgeht.23 Dies vorausgesetzt, können apokalyptische Deutungsmuster nur quantifiziert und qualifiziert sowie vorsichtig kontextualisiert, es kann aber kaum unzweifelhaft entschieden werden, ob man es ›nur‹ mit Rhetorik oder ›echter‹ Endzeiterwartung zu tun hat. Die apokalyptischen Redeakte sind ›Ereignisse‹, die dem Historiker ins Auge fallen müssen, hinter die er aber nicht schauen kann; ob ihnen ein ›reales‹ mentales Substrat zugrundeliegt, ist nicht zu entscheiden.24 Die Deutung der nachlutherschen lutherischen Apokalyptik als leerlaufendes »Sprachspiel« 25 ist jedenfalls nicht zwingend. Daß die apokalyptischen Redeakte, die selbst in einem 20  Vgl. Seebass, Art. »Antichrist IV«, 34; vgl. auch Hillerbrand, Von Polemik zur Verflachung. 21  Vgl. Greyerz, Kaspar von, Die Konfessionalisierung der Apokalyptik, in: Zeitstruktur und Apokalyptik. Interdisziplinäre Betrachtungen zur Jahrtausendwende, hg. v. Urban Fink/Alfred Schindler, Zürich 1999, 163–179, hier 164. 22  Ohne eigentliche Argumente verneint diese Frage: Barnes, Prophecy and Gnosis, 66. 23  Daß im Rahmen frühneuzeitlicher Rhetorik Sprechen Handeln ist, und daß dies in vielen Fällen (aber nicht im Bereich der Endzeitprädikation) zu Diskussionen über Schein und Sein, über Lüge und Heuchelei geführt hat, zeigt: Barner, Wilfried, Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen, Tübingen 1970, v.  a. 89, 101. Anregend immer noch auch: Wiedemann, Conrad, Wiedemann, Barocksprache, Systemdenken, Staatsmentalität. Perspektiven der Forschung nach Barners »Barockrhetorik«, in: Internationaler Arbeitskreis für deutsche Barockliteratur. Erstes Jahrestreffen in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 27.–31. August 1973. Vorträge und Berichte, Wolfenbüttel 1973, 21–51, v.  a. 22–27. 24  Vgl. zu diesem Ereignisbegriff: Veyne, Paul, Comment on écrit l’histoire. Texte intégral, Paris 2002 (EA 1971), 16. 25  Fuchs, Reformation, 74. Überdies bezeichnet der prominent von Wittgenstein eingeführte Begriff des ›Sprachspiels‹, anders als Fuchs insinuiert, gerade keine praxisferne und tendenziell sinnlose Rede, sondern die Einbettung in sprachpragmatische Zusammenhänge wie etwa die der Rhetorik, Polemik, Apologetik etc. Siehe Wittgenstein, Ludwig, Philosophische Untersuchungen, Nr. 23, in: ders., Werkausgabe Bd. 1: Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914–1916. Philosophische Untersuchungen, Frankfurt

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intrikaten Verhältnis zur Institutionalisierung der lutherischen Kirche stehen, zuweilen durch eine durchaus zukunftsoptimistische Rhetorik konterkariert wurden 26 , sollte nicht zu der überzogenen These führen, die Reformationsjubiläen hätten der eschatologischen Weltsicht eine positive, auf Dauer gestellte Identitätsversicherung entgegengestellt.27 Dazu sind wiederum die Jubiläumspredigten zu sehr durchsetzt von apokalyptischen und geschichtstheologischen Motiven (vgl. Kap. B.II.3). Die Apokalyptik als jederzeit aktualisierbare »Deutungsmatrix« war also in lutherischen Diskursen des 16. Jahrhunderts omnipräsent.28 Insgesamt gewinnt man den Eindruck einer weitverbreiteten und bei ›Philippisten‹ und ›Gnesiolutheranern‹ höchstens unterschiedlich akzentuierten, gemeinlutherisch virulenten Endzeitdiagnose. »Gnesio-Lutherans, Philippists and other factions did not differ in their central eschatological teachings.« 29 Robin Barnes’ These stellt einen liebgewonnenen Konsens insofern in Frage, als weite Teile der Forschung davon ausgehen, die gnesiolutherischen Prediger hätten einer apokalyptischen Weltsicht zugeneigt, die sehr viel dramatischer konturiert sei als die ihrer phi­ lippistischen Gegner, denen man als ›Humanisten‹ eher zutraute, eine optimi­ stische Sicht der Verbesserbarkeit der irdischen Welt zu formulieren.30 Zweifellos rechnete nämlich auch z.  B. Melanchthon mit dem (nahen oder mittelfristigen) Weltende31 ; dennoch ergaben sich für Flacius und die Interimsgegner daraus andere lebenspraktische Konsequenzen und damit auch eine sehr viel akutere  a.  M. 101995, 250: »Das Wort Sprachspiel soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.« 26  Als Beispiel kann eine Predigt zum Tübinger Universitätsjubiläum von 1577 dienen: Jacob Heerbrand formuliert hier den Wunsch, daß die Hochschule »(wa fer anderst die Welt so lang stehn bleibet) vber hundert Har gleicher gestalt / daß ander Jubel Jar mögen begehn«: Heerbrand, Jacob, Ein Predig / Von der hohen Schul zuo Tübingen / Christlichem Jubel Jar / den 20. tag Hornungs gehalten . . ., Tübingen 1578, 26. 27  Vgl. Brendecke, Jahrhundertwenden, 96; vorsichtiger: Barnes, Prophecy and Gnosis, 70. 28  Vgl. Kaufmann, Apokalyptik und politisches Denken. 29  Barnes, Prophecy and Gnosis, 65. 30  Vgl. für diese Position: Leppin, Antichrist, 49; Koch, Philippismus, 66–73; klassisch: Moltmann, Pezel, 11 u. 75. Eine plausible Mittelposition formuliert: Kolb, Robert, Martin Chemnitz, Gnesio-Lutheraner, in: Der zweite Martin der Lutherischen Kirche. Festschrift zum 400. Todestag von Martin Chemnitz, hg. v. Ev.-luth. Stadtkirchenverband und Propstei Braunschweig, Braunschweig 1986, 115–127, hier 119: »Beide Parteien glaubten, daß der Papst der Antichrist sei, die Philippisten aber hielten eifrig die Hoffnung offen, daß die Römische Partei und die Wittenberger auf irgendeine Weise zu einer Übereinkunft kommen könnten, daß der Papst schließlich dazu überredet werden könnte, das lutherische Evangelium zu dulden [. . .] Die Gnesio-Lutheraner verwarfen derartige Hoffnungen als Unsinn und glaubten fest daran, daß das Papsttum und das Evangelium in einem Kampf bis zum Tod verwickelt wären, der bei jeder Gelegenheit geführt werden mußte, wenn das Evangelium nicht von der päpstlichen Partei verschlungen und erstickt werden sollte.« 31  Vgl. Schloemann, Melanchthons Eschatologie.

468 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung Dramatisierung ihrer Endzeitdiagnose. Die Betonung der Wichtigkeit des kompromißlosen Bekenntnisses und die Unmittelbarkeit der Naherwartung scheinen in enger Korrelation zu stehen, weil das nahe Gericht eine wankelmütige Glaubenshaltung nicht mehr erlaubt – ohne daß diese Vermutung beim derzeitigen Forschungsstand mehr sein könnte als eine naheliegende Hypothese. Die Forschungslage und die Untersuchungen im Rahmen dieser Arbeit ergeben eine charakteristische Tendenz: ›Philippisten‹ neigten dazu, ihre Endzeitdiagnose eher aus chronologischen Berechnungen und der Bezugnahme auf eine angeblich festgelegte Dauer der Welt zu beziehen; darüber hinaus operierten sie mit astrologischen Vorhersagen. ›Gnesiolutheraner‹ waren dagegen eher an einer Zeitdiagnose, an Zeichen und Wundern interessiert.32 Für sie war die Offenbarung des Antichristen und die Deutung der Reformation als Ankündigung des Endes von zentralerer Bedeutung.33 Johann Wigand spricht in einer Predigt von 1570 davon, daß »keine solche helle / herrliche / bestendige vnd gewaltige Offenbarung des Antichrists auff der Welt nicht ergangen vnd gehöret worden / weil die Welt ist gestanden als itzt. Denn ob wol etliche Christen zu allen zeiten durch den heiligen Geist sind erleuchtet worden [. . .] jedoch ist es etwas noch dunckel gewesen / vnnd sind jrer viel vnterdruckt worden / vnd hat noch nicht können so offenlich herfür vnd herausser in alle Welt mit Predigern vnd Büchern brechen / als eben itziger Zeit / welches ja Weltkündig.« 34

Während z.  B. Melanchthon eher die Türkengefahr, das ›Altern der Welt‹ und die gnädige Verkürzung der Zeit durch Gott als Motive seiner Endzeiterwartung artikuliert, ist für andere Autoren offensichtlich, daß »der Feyerabend ist eingeleut durch die Posaunen des Hl. Evangelij«35 , also die Restitution des Evangeliums selbst als Zeichen des Weltendes gelesen werden muß. Aber wie hängt dies alles mit der lutherischen Geschichtsschreibung zusammen? In der Darstellung der unterschiedlichen Funktionen, die lutherische Autoren der Geschichtsschreibung zuschrieben (Kap. B.I.2) ist ihre Neigung deutlich geworden, Prophetie und Historie aufeinander zu beziehen. Dies geschieht in der Regel in der Form, daß die biblischen Prophetien als Voraussagen gelten, die im Laufe der Geschichte erfüllt worden sind und noch erfüllt werden; im Titel eines Apokalypsenkommentars ist konsequent von »Historischer erfüllung« der verschlüsselten Prophezeiungen die Rede36 . Der Reformation wird   Vgl. Leppin, Antichrist, passim.   Vgl. Barnes, Prophecy and Gnosis, 40. 34  Wigand, Johannes, Von den Letzten Tagen vnd verenderung der Welt. Eine Predigt Aus der Epistel 2.Pet.3 Dominica 26. gethan zu Speier. Anno 1570 . . ., Jhena 1571, D rv. 35  Nigrinus, Rechnung und Zeitregister, A5r. 36  Vgl. Cramer, Daniel, Apocalypsis, Oder Offenbarung H. Johannis / Sampt einer richtigen Erklerung / so wol wegen Historischer erfüllung aller vnd jeden hierin enthaltenen Geheimnissen . . ., Stettin 1618. 32 33

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damit prophetische Dignität zugeschrieben; die Geschichte wird zur Konkretisierung prophetischer Bildsprache. Wieder ist es Nigrinus, der dies besonders pointiert ausdrückt: »Drumb was die Offenbarung lehrt / Wird mit der History bewerdt / Es fehlet auch nicht vmb ein wort / Stimmet zusammen hie vnd dort.«37 Geschichte und Prophetie, Geschichte und Offenbarung gehören also zusammen. Der Geschichtsablauf erfüllt und konkretisiert die Vorhersagen, kann sie aber keinesfalls korrigieren oder modifizieren. Aus dieser Perspektive ist es offensichtlich, daß auch die Exegese biblischer Prophetien cum grano salis ›Historiographie‹ ist. Die Apokalypse als Ende der Geschichte ist in unterschiedlicher Form in lutherischer Historiographie präsent: als Fluchtpunkt oder als Interpretationsschlüssel. Die konstitutive Nachträglichkeit von Geschichtsschreibung wird nur scheinbar konterkariert durch den Charakter der Zukünftigkeit, der den Prophetien eignet. Denn sie sind so dunkel, daß man sie kommentieren muß – und dies geschieht am besten ebenfalls nachträglich, denn es ist »der Propheceyen art vnd natur / daß sie ehe erfüllet / denn verstanden werden.«38 Die Untersuchung lutherischer Geschichtsschreibung hat bisher ergeben, daß in vielen Texten, wenn auch graduell verschieden, Deutungsmuster oder Bilder aus dem apokalyptischen Reservoir aufgerufen werden. Die ›letzten Zeiten‹ oder auch der ›Antichrist‹ sind geradezu ubiquitär zu finden. Dennoch besitzt der apokalyptische Diskurs in den untersuchten Texten und Genres eine unterschiedliche Bedeutung. In den Geschichtskalendern beispielsweise, der populärsten Gattung innerhalb des hier untersuchten Korpus, spielt die Einschärfung einer Naherwartung kaum eine Rolle. Im universalgeschichtlichen Diskurs dagegen ist die chronologische Schematisierung der Geschichte in 6000 Jahre zentral, die dazu führt, daß die Autoren sich selbst mehr oder weniger am Ende der Zeit situieren. Der flacianische Catalogus expliziert seine apokalyptischen Prämissen kaum; aber die hier vorgelegte Interpretation seiner Zeugenauswahl (vgl. Kap. B.5.4.b) stellt die geschichtstheologische Versammlung der Zeugen in den Horizont des Kampfes gegen den Endchrist. Und auch die Magdeburger Zenturien arbeiten in hohem Maße mit apokalyptischem Vokabular und apokalyptischen Bildern. Die lutherische Geschichtsschreibung versucht also in unterschiedlich starker Weise, Historiographie und Apokalypse miteinander in Beziehung zu setzen – wenn auch manchmal der apokalyptische Diskurs eher als ein Sonderdiskurs erscheint, der nicht eng mit der (häufig recht konventionellen) historiographischen Darstellung verzahnt wird. Selbst wenn also das apokalyptische Bewußtsein Dreh- und Angelpunkt lutherischer Weltdeutung gewesen sein sollte, wofür gar nicht wenig spricht, geht es zu weit, sie als tieferliegendes, oft unausgesprochenes Hauptmovens für die   Nigrinus, Papistische Inquisition, (::)1v.   Schopper, Neuwe Chorographia, 512.

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470 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung Beschäftigung mit der Geschichte zu deuten. So nimmt Kaufmann an, daß die Endzeitdiagnose für die Verfasser der Zenturien, aber tendenziell auch allgemein im Luthertum, als Motiv der historiographischen »Rechenschaftslegung« fungiert habe und damit das apokalyptische Bewußtsein wichtig für die Entwicklung »modernen geschichtlichen Denkens« wurde39. Dies ist bezweifelbar: Erstens steht doch sehr in Frage, in welchem Sinne die lutherische Geschichtsschreibung oder auch nur die Magdeburger Zenturien Beziehungen mit dem ›modernen geschichtlichen Denken‹ unterhalten – eine Thematik, die aus guten Gründen nicht im Zentrum dieser Studie steht. Zweitens ist das Motiv der Rechenschaftslegung, also die Idee, daß es im Horizont des Endes notwendig und möglich wird, die Geschichte in richtiger Weise zu schreiben, kaum als explizite Motivation auszumachen, weder in den Zenturien noch anderswo. Man muß sie also hypothetisch extrapolieren; es spricht aber mehr für vielschichtige und irreduzible Motivlagen (vgl. Kap. B.I.2). Trotzdem trifft es zu, daß nach häufiger lutherischer Auffassung erst die Reformation eine bestimmte, wahre, Interpretation vor allem der Kirchengeschichte hervorgebracht hat und hervorbringen konnte. Dies gilt allerdings unabhängig davon, ob die Reformation ›nur‹ als Restitution der wahren Lehre oder als endzeitliches Ereignis gedeutet wird. Die prophetischen Bücher, allen voran die Offenbarung, spielen also offenbar eine wichtige, aber nicht immer eindeutige Rolle für die lutherische Geschichtsschreibung. So scheinen die apokalyptischen Prophezeiungen und ihre Auslegung einen anderen Status besessen zu haben als die Historiographie im engeren Sinne. Die Lektüreanweisungen zum Geschichtsstudium etwa von Bolduanus, Glaser oder Chyträus, die im Laufe der Arbeit analysiert worden sind, führen Kommentare zur Offenbarung nie als eigenständiges historiographisches Genre auf. Es wurde also bereits im 16. Jahrhundert, trotz der engen Beziehung zwischen Prophetie und Historie, zwischen beiden differenziert. Die Forschung neigt dazu, diese Differenzierung zu übernehmen; die offensichtliche Ambivalenz der Beziehung zwischen Exegese und Historiographie wird dahin aufgelöst, daß die exegetischen Bibelkommentare als ›Geschichtsschreibung‹ nicht in den Blick geraten.40 Dennoch ist beim Blick auf die Texte häufig schwer eindeutig zwischen Historiographie, Polemik und Exegese zu unterscheiden.41 Im folgenden soll also versucht werden, lutherische Kommentare zur Apokalypse als Historiographie zu lesen.   Kaufmann, Ende der Reformation, 482 u. 489.   So wird in älteren Darstellungen des historiographischen Werks z.  B. von David Chyträus sein – ›historiographisch‹ orientierter – Apokalpysenkommentar nicht einmal erwähnt. Vgl. Paulsen, Peter, Chyträus als Historiker. Ein Beitrag zur Kenntnis der deutschen Historiographie im Reformationsjahrhundert, Rostock 1897; Klatt, Chyträus als Geschichtslehrer. 41  Vgl. Völkel, Theologische Heilsanstalt, 121. 39 40

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Dieses Genre erlebte, wie die Bibelexgese überhaupt, nach der Reformation einen starken Aufschwung.42 Die Untersuchung lutherischer Historiographie erfordert wie gesehen eine gewisse Aufmerksamkeit für den apokalyptischen Diskurs und Subtext; es soll nun die Gegenprobe gemacht werden: Welche Rolle spielt historiographische Konkretion für die Auslegung der prophetischen Bücher? 43 Um diese Frage zu beantworten, sollen einige lutherische Kommentare zur Johannesoffenbarung untersucht werden44. Als Ausgangspunkt dienen zwei Aussagen von David Chyträus: »Die Offenbarung Johannis ist ein Historia der Kirchen / von Christi zeit an biß an Jüngsten tag / vnd end der Welt«. Sie begreife »als wie in einem kurtzen Compendio / die gantze Historiam der streitenden vnd triumphirenden Kirchen Christi / vnd weissaget zuuor alles das elend / verfelschung der Lehr / Ketzereyen / verfolgungen vnd Tyranney des Antichrists« 45.

Trotz dieser Aussagen sollte nicht zuviel historische Konkretion in den Apokalypsenkommentaren erwartet werden; eine gewisse Arbeitsteiligkeit zwischen Exegese und Historiographie ist bereits zeitgenössisch konzipiert worden, wenn es z.  B. heißt, nähere historische Informationen über die im Kommentar nur kurz angerissenen hinaus möge sich der Leser »in Chronicis« besorgen.46 Von theologischer Seite ist angemerkt worden, eine adäquate Exegese der Johannesoffenbarung dürfe aus dieser gerade keinen chronologisch eindeutigen 42  Vgl. zum Verhältnis vorreformatorischer und reformatorischer Apokalyptik: Barnes, Prophecy and Gnosis, 13–59. 43  Das Buch Daniel, der neben der Offenbarung wichtigste prophetische Text, ist bei der Untersuchung des universalgeschichtlichen Diskurses wiederholt vorgekommen, wird hier aus pragmatischen Gründen aber weitgehend außer acht gelassen, wenn auch die lutherischen Autoren häufig beide Texte gemeinsam kommentieren. Vgl. Selnecker, Der Prophet Daniel / vnd die Offenbarung Johannis, A ij v: »Ich habe aber die Offenbarung Johannis mit zu dem Propheten Danieli wollen drucken lassen / weil sie auffeinander sehen / vnd die Bepstischen grewel miteinander gewaltiglich anzeigen vnd straffen.« 44  Dabei wird keine definitorische Abgrenzung ›richtiger‹ Exegese z.  B. von exegetisch arbeitender Kontroverspolemik vorgenommen, die ohnehin schwer durchzuhalten wäre. Es gibt allerdings eine ganze Reihe von ›apokalyptischen‹ Texten, die sich nur marginal auf die Exegese des Bibeltextes beziehen und deshalb hier nicht herangezogen werden. Beispiele wären: Musculus, Andreas, Vom Mesech vnd Kedar / vom Gog vnd Magog / von dem grossen trübsal für der Welt Ende . . ., Frankfurt / Oder 1577; Wigand, Von den Letzten Tagen vnd verenderung der Welt. 45  Chyträus, Auslegung der Offenbarung Johannis . . ., F r, F v. Es handelt sich hier um die Übersetzung der 1564 in Wittenberg erschienen Explicatio apocalypsis Joannis. – Chyträus liefert eine weitere Inhaltsangabe: »Also ist auch das gantze Buch der Offenbarung Johannis / nichts anders / denn ein Weissagung vnd Lehr / das allerley Rotten / Secten / vnd verfolgung in der Christlichen kirchen« (C ij r). Die Kirche Gottes sei deshalb auch häufig weniger glanzvoll anzusehen als heidnische oder andere weltliche Reiche – aber gerade diese Niedrigkeit mache wiederum ihre Größe aus (C iij r). 46  Vgl. z.  B. Anonymus, Apocalypsis. Der Offenbarung /. . . Auslegung, hg. v. Zacharias Engelhaubt, o.O. 1558, I ij v.

472 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung »Fahrplan« der Geschichte und der Endzeit konstruieren47. Genau dies tun aber, wie man bei Chyträus sieht, viele lutherische Autoren. Dieser Suche nach dem Fahrplan, nach der historiographischen Konkretisierung der biblischen Prophezeiung, gelten die folgenden Bemerkungen.

2.  Exegese als Historiographie a)  »Drumb was die Offenbarung lehrt / Wird mit der History bewerdt« Auch wenn die Wirkmächtigkeit des Lutherschen Vorbildes nicht der einzige Grund gewesen sein düfte, warum Lutheraner sich am Ende der Zeit glaubten, war doch seine Auslegung der johanneischen Offenbarung von hoher Exemplarität und besonderem Einfluß. Die meisten protestantischen Exegeten bis ins 17. Jahrhundert folgen in den Grundlinien oder in vielen Details Luthers Po­ sition.48 Man kann geradezu sagen: Wenn die Deutung signifikant von der­-  je­nigen Luthers abweicht, handelt es sich fast immer um oberdeutsche oder  re­formierte Autoren49, wenn es auch durchaus bei lutherischen Autoren unterschiedliche Grade der Abhängigkeit von Luthers Interpretation gibt 50. Dabei war Luther selber, wenn auch in abnehmendem Maße und entgegen seiner Auffassung vom baldigen Weltende, skeptisch gegenüber der Johannesoffenbarung. Vor allem in der Vorrede zur Offenbarung in der Bibelübersetzung von 1522 brachte er zwei Einwände vor: Erstens könne man die Apostolizität und Kanonizität des Buches bezweifeln, zweitens stelle der kryptische Duktus den Exegeten vor fast unüberwindliche Schwierigkeiten.51 Da dies zu exegetischem Wildwuchs führen konnte, war die Offenbarung potentiell ein gefährliches Buch. Die hermeneutische Maxime Luthers, daß die Schrift ihre eigene Auslegerin sei, stieß im Fall der Offenbarung an ihre Grenzen. Dennoch hat Luther das Buch nie vollständig verworfen und ihm auch in den Bibelausgaben von 1530 und 1546 Exegesen gewidmet.52 Die Vorrede von 1546 behält alle wesentlichen Punkte der Vorrede von 1530 bei, die als eigentlicher    47  Frey, Jörg, Das apokalpytische Millenium. Zu Herkunft, Sinn und Wirkung der Milleniumsvorstellung in Offenbarung 20,4–6, in: Millenium. Deutungen zum christlichen Mythos der Jahrtausendwende, Gütersloh 1999, 10–72, hier 49. 48  Vgl. als knappen Überblick über lutherische Kommentare: Hofmann, Luther und die Johannes-Apokalypse, 507–529. 49  Vgl. Bousset, Wilhelm, Die Offenbarung Johannis, Göttingen 61906, 84–88. 50  Vgl. Hofmann, Luther und die Johannes-Apokalypse, 528. 51  Vgl. WA DB 7,404. 52  Man sollte daher die Abneigung Luthers gegen die Offenbarung nicht überbetonen, wie dies bei Backus, Irena, Reformation Readings of the Apocalypse. Geneva, Zurich, and Wittenberg, Oxford 2000, 6–11, geschieht.

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Referenzpunkt späterer Exegeten diente.53 Anders als die anderen Bücher der Bibel, dringender auch als die anderen prophetischen Bücher, so Luther, bedürfe die Offenbarung einer Auslegung. Diese sei bisher aber nicht adäquat gelei­ stet.54 Die neue religiöse Situation, so muß man Luther wohl verstehen, verlangt einerseits eine neue Deutung der Offenbarung, macht sie aber auch allererst möglich. Reformation und Offenbarung stehen damit in enger Beziehung. Daß die Offenbarung ein dunkler Text ist, führt also nicht zu ihrer Ablehnung. Ganz im Gegenteil kann man bei lutherischen Autoren folgendes beobachten: Je länger je mehr wird ihre Kanonizität betont 55 ; ihre Verschlüsselung wird aus der Entstehungszeit – der Epoche der ersten Christenverfolgungen – erklärt 56 ; es werden exegetische Methoden entworfen, die letztlich immer auf einen Zirkelschluß der Auslegung zwischen Historie und Prophetie hinauslaufen 57 ; schließlich wird die Schwierigkeit der Deutung geradezu geleugnet, und zwar mit dem Hinweis, man erlebe schließlich selber gerade alle dort beschriebenen Greuel. Die Gegenwartserfahrung läßt die hermeneutischen Probleme verschwinden: Man solle also die Apokalypse nicht »als dunckel [. . .] verachten / [. . .] weil wir die zeit erlebt haben / darinnen dieses alles erfüllt worden / wovon in diesem Buch geweissaget wird / vnd haben wir allein das jüngste Gericht vnnd die ewige Seligkeit noch zu gewarten / etc.« 58

Die Zukunft ist also prinzipiell klar, kann aber im einzelnen kaum konkretisiert werden; nicht weil die biblischen Bilder so dunkel wären, sondern weil der Mensch über die jenseitige Zukunft nichts Genaues wissen kann. Die prophetischen Bücher beschreiben, so dezidierte lutherische Position, die Vergangenheit und die Zukunft, aber auch die Gegenwart. Diese lutherische Deutung unterscheidet sich, soweit man sehen kann, von der Zürcher und Genfer Haltung, die stärker auf die Abgeschlossenheit der biblisch prophezeiten Ereignisse abstellt 59, aber auch von der ebenfalls ›präteritistischen‹ jesuitischen Deutung, 53  Vgl. beide Vorreden als Synopse: WA DB 7,406–421. Zur Bedeutung der 1530erVorrede siehe: Hofmann, Luther und die Johannes-Apokalypse, 507. 54  Vgl. WA DB 7,408. 55  Vgl. z.  B. Cramer, In natalitatem memoriam R. Patris D. Martini Lutheri, B2v. 56  Vgl. Nigrinus, Apocalypsis, 4. 57  Vgl. die Erklärung bei Nigrinus, Apocalypsis, (:) (:) iiij v: Er habe die Offenbarung »nach der Richtschnur der Schrifft« gedeutet, aber so, daß sie »darzu mit der Historischen Warheit vnd Erfahrung vbereinstimme. Ich hab keine Allegoriam auß meinem Hirn er­ dacht [. . .] sondern nach Anweisung des Buchstabens / oder deß Geistes / in der Propheten Schrifft / oder der Historien und Geschicht / habe ich die Wort einfältig erkläret«. 58  Richter, Balthasar, Fünffter vnd letzter Theil der Offenbarung Johannis / Vom ewigen Leben der Auserwelten Kinder Gottes . . ., Leipzig 1602, 131. 59  Vgl. Backus, Reformation Readings, 129, 137; zur reformierten Position zu den bib­ lischen Prophetien siehe Seifert, Rückzug, 64  f. Im Calvinismus ergibt sich also eine je unterschiedlich akzentuierende Doppeldeutung, die einerseits davon ausgeht, daß die biblischen Prophetien nur die Vergangenheit beschreiben, andererseits aber das Millenium des Friedens in die Zukunft verlegt. Vgl. dazu Hotson, Historiographical Origins.

474 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung die kanonisch durch den einflußreichen Kommentar Alcazars von 1612 formuliert wurde60. Eine zeitgeschichtliche Deutung auf Greuel, Kriege und Verfolgungen der Gegenwart findet sich in lutherischen Apokalypsenexegesen auch dann, wenn sie sich mit einer historiographischen Konkretisierung kaum beschäftigen.61 Der Bischofswerdaer Superintendent Balthasar Richter, von dem das letzte Zitat stammt, hielt wie andere Pastoren exegetische Predigten über die Offenbarung, was immerhin anzeigt, daß es neben der apokalyptischen Flugschriftenpublizistik auch Versuche von seiten der Prediger gab, eine exegetisch korrekte apokalyptische Auffassung zu propagieren. Schon für diesen popularisierenden Zweck mußte man natürlich die Schwierigkeit des Buches herunterspielen und behaupten, Johannes habe »dem Antichristischen Haufen / die larven recht abziehen« 62 wollen – eine Behauptung, die angesichts des gegenteiligen Eindrucks beim Lesen der Offenbarung ja erstaunlich ist. Am Ende des Untersuchungszeitraums steht ein Apokalypsenkommentar, dessen Vorrede einige interessante Beobachtungen erlaubt. In Daniel Cramers Kommentar von 1618 ist wieder, wie bei Luther, von der Dunkelheit des Buches die Rede. Eigentlich, so Cramer, sollte jedermann, zumindest jeder Pfarrer, einen integralen Kommentar der gesamten Bibel besitzen: »Gesetzt aber / dz man nur vber jedes Buch einen Commentarium haben will / so gibt es schon eine zimlich Bibliothek / das mancher nicht bezahlen kann.« 63 Von diesem Umstand seien vor allem die prophetischen Bücher betroffen, denn zum finanziellen Problem tritt ein hermeneutisches: »Zu dem mangelts auch offt am Iuducio, welche Commentatores wol rein vnd zum besten seyn. Zuweilen sind die Commentatores allzu weitleufftig vnd vnverständlich. (Ich rede aber nicht von grossen Theologen / sondern vom gemeinen hauffen.)«.64

Cramer indiziert damit einen gewissen Boom des Bibel- und speziell des Apokalypsenkommentars, der eben auch eine Reihe ungeeigneter Auslegungen hervorgebracht habe. Für den »gemeinen Mann« sei aber das Verständnis der Apokalypse noch schwieriger – er brauche »Summarische Biblische Dolmetscher«, weil auch er sich »verständlich erbawen« wolle65. Bei aller theologischen   Vgl. Baroni, Victor, La contre-réforme devant la Bible, Lausanne 1943, 269–274.   Vgl. v.  a. Artopoeus, Petrus, Apocalypsis Ioannis, breviter iuxta effectum explicata . . ., Basel o.J. (1563), der mit seinem Desinteresse an der Geschichte relativ weit weg vom lutherischen Mainstream ist; siehe Hofmann, Luther und die Johannesapokalypse, 528. Auch der Wittenberger Universitätsrektor Salomon Geßner spricht 1585 davon, die Apokalypse gebe über »nostrorum seculorum calamitates« Aufschluß; vgl. die Vorrede zu: Cramer, In natalitatem memoriam R. Patris D. Martini Lutheri, A4r. 62  Richter, Balthasar, Erster vnd ander Theil / Der Offenbarung Johannis / Darinnen vom zustand der Christlichen Kirchen hie auff Erden gehandelt wird . . ., Leipzig 1602, (:) ij v; zur Vita siehe: Jöcher 3, Sp. 2120  f. 63  Cramer, Apocalypsis, )( iiij v. 64  Ebd., )( iiij v. 65  Ebd., )()( j v; )()( r. 60 61

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Exklusivität des exegetischen Diskurses, der ja eine gesamtgesellschaftlich viel geringere Dichte besaß als z.  B. die populäre Kalenderliteratur, ist also ein gewisses Interesse der Laienbevölkerung vorausgesetzt. Dies zeigt auch die Tatsache, daß es eine ganze Reihe deutschsprachiger Apokalypsenkommentare gibt. Gleichzeitig wird aber gerade in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit kirchlicher Vermittlung betont. Zwischen dem Verständnis des Gemeinen Mannes und der Schrift klafft ein Verständnisabgrund, der durch einen professionellen Diskurs überbrückt werden muß. Die Offenbarung und ihre komplizierte Exegese wird geradezu zur Legitimation einer begrenzten lutherischen Reklerikalisierung, die sich auf die Schwierigkeit richtiger Bibelauslegung stützt.66 Das professionelle Selbstverständnis der Geistlichen äußert sich z.  B. darin, daß Cramer als Beispiele für gelehrte Apokalypsenkommentare auch anderskonfessionelle Beispiele anführt.67 Posttridentinische Kommentare ignoriert er zwar, verweist aber sowohl auf vorreformatorische Kommentare etwa Nikolaus’ von Lyra oder auf die calvinistischen Kommentare Conrad Pellicans oder des Herborner Theologen Johannes Piscator. Diesem wirft er zwar vor, sich nicht genügend an Luther orientiert zu haben, sondern eine »eygensinnige Dollmetschung« 68 vorgelegt zu haben – aber Cramers Kritik ist in diesem Kontext weniger polemisch als kritisch-gelehrt: Er verdammt die Kommentare der anderen Konfessionen nicht in Bausch und Bogen. Wieder stößt die konfessionelle Vereinheitlichungstendenz an gewisse Grenzen, die durch die Diskursautonomie der akademischen Theologie gezogen werden. Dennoch läßt sich eine idealtypische lutherische Deutung herauskristallisieren: Die eingangs zitierte Chyträus’sche Deutung der Offenbarung als Darstellung der Kirchengeschichte ist keine Einzelmeinung. Allenthalben gibt es ähnliche Formulierungen; Flacius sagt über die Offenbarung – hier wohl Chyträus folgend –, sie enthalte »historiam Ecclesiae omnium temporum vsque ad finem mundi« 69. Einer seiner Hauptgegner ist derselben Meinung: Victorin Strigel spricht von einer »imago periculorum et liberationum Ecclesiae, a tempore, quo Apostoli docuerunt, vsque ad finem mundi.«70 Diese Beschreibung eint die lu66  In einem anderen Kommentar wird postuliert, man müsse wegen der Schwierigkeit des Buches besonders vorsichtig damit umgehen und dürfe nicht gegen die analogia fidei absurde Interpretationen auf bringen; hier läuft also die exegetische Domestizierung der Offenbarung über das Prinzip der analogia fidei statt über die Person des professionellen Exegeten – was aber letztlich auf dasselbe hinausläuft. Vgl. Osiander, Lucas, Epistola ad Hebraeos: Iacobi: prima et secvnda Petri: prima, secunda, et tertia Ioannis: Iude: et Apocalypsis Ioannis. Omnia iuxta veterem sev vulgatam translationem, ad graecum textvm emendata, et breui ac perspicua explicatione illustrata: inuertis etiam praecipuis Locis Communibus, in lectione sacra obseruandis . . ., Tübingen 1584, 329  f. (Apokalypsenkommentar: 329–482). 67  Cramer, Apocalypsis, )()( j v. 68  Ebd., )()( j v. 69  Flacius, Nouum Testamentum Iesu Christi . . ., Bd. 2, 1306. 70  Strigel, Hypomnhmata, 553 (Apokalypsenkommentar: 553–593).

476 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung therischen Fraktionen – wie dies generell die Historiographie tut. Sie kann als Identitätsdiskurs auch dann fungieren, wenn über dogmatische und kirchenpolitische Frage Uneinigkeit herrscht. Die Einschätzung, die Offenbarung sei eine Darstellung der Kirchengeschichte, besteht erst einmal unabhängig von der oben aufgeworfenen Frage einer innerlutherisch unterschiedlich akzentuierten Endzeiterwartung.71 In der Offenbarung sei also die »gantze KirchenHistoria begriffen / von der Zeit Christi an / biß an jüngsten Tag«, sie sei eine »eine vollkommene Kirchen Historiam«.72 Die von Arno Seifert formulierte These, daß die »noch kaum erschlossene Masse der Apokalypsenkommentare [. . .] vielleicht als das klassische Medium gelten (kann), in dem sich die revelatorische Universalgeschichtsdeutung des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts entfaltet hat«73, ist zwar insofern verdienstvoll, als sie Exegese als historiographisches Genre zu profilieren sucht, aber für die lutherischen Apokalypsenkommentare trifft sie schlicht nicht zu: In ihnen wird nicht Universalgeschichte behandelt, sondern Kirchengeschichte. Die deutschen Kaiser z.  B. kommen in ihnen nur ganz am Rande vor. Nach lutherischer Deutung geht es in der Offenbarung um Wohl und Wehe der Christenheit auf dem Weg in das ewige Reich Gottes, also das klassische Themengebiet der Kirchengeschichte – und nicht der Universalgeschichte. Wenn auch die meisten Autoren im Großen und Ganzen darin übereinstimmen, daß die Johannesoffenbarung die Kirchengeschichte in verschlüsselter Form darstelle, daß sie auch auf die Gegenwart zu beziehen sei und daß bestimmte Kapitel in besonders eindrücklicher Weise spezifische Phasen der Kirchengeschichte symbolisieren, so unterscheiden sie sich doch in Konkret- oder Vagheit ihrer Auslegungen wie auch in exegetischen Details. Dies liegt schon daran, daß das Spektrum vom Zeilenkommentar bis zur Exegese nur einzelner Passagen reicht. Insgesamt kann man die Beobachtung machen, daß trotz allfälliger Aussagen über die Apokalypse als ›Kirchengeschichte‹ doch viele Passagen der Kommentare mit historiographischer Konkretion nichts zu tun haben. Die untersuchten Texte bilden ein (natürlich unvollständiges) Korpus, das gleichzeitig homogen und divers genug ist, um bestimmte Aussagen über den Zusammenhang von Exegese und Geschichtsschreibung zu ermöglichen. Dabei wird nicht Autor für Autor vorgegangen, sondern es werden in synoptischer 71  Daß sich die Apokalypsenkommentare theologischer Gegner durchaus ähnlich se­ hen, betont auch: Hofmann, Luther und die Johannes-Apokalypse, 524. 72  Zitate: Nigrinus, Apocalypsis, (:) iiij r; Richter, Balthasar, Erster vnd ander Theil . . ., 13. Die merkwürdige Theatermetaphorik, die Daniel Cramer einsetzt, will letztlich nichts anderes sagen: Die Apokalpyse stelle »in forma Dramatis (also zu reden) nach arte einer Comedie oder wolablaufenden Schawspiels / den gantzen Zustand des Christlichen Kirchen Regements [. . .] fein außführlich für Augen«: Cramer, Apocalypsis, 1. 73  Seifert, Von der heiligen zur philosophischen Geschichte, 99.

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Form einige Exegesen wichtiger Kapitel der Offenbarung behandelt. Dies geht gegen die Tendenz der Exegeten, die Offenbarung als chronologisch konsistent, also als Erzählung einer historischen Abfolge zu behandeln. Nur würde der Leser durch eine solche Darstellungsweise noch mehr verwirrt, als dies schon bei einer stark schematisierten (und grob vereinfachenden) Darstellung wie der folgenden unvermeidbar ist. Als Einstieg dient der theologisch und politisch wohl brisanteste, exegetisch aber eindeutigste Punkt: die chiliastische Vision in Off b 20. Ausgangspunkt der Darstellung ist hier wie auch sonst die einflußreiche Vorrede Luthers von 1530. b)  Das Millenium: Offb 20 Die chiliastische Vorstellung der tausendjährigen Herrschaft der Heiligen mit Christus auf Erden, die sich auf eine einzige Bibelpassage in Off b 20 stützt, wurde im Luthertum in aller Regel strikt abgelehnt.74 Die lutherische Orthodoxie im Reich befand sich zwar in fast permanenter Auseinandersetzung mit chiliastischen Theologumena, die schließlich in die pietistische Eschatologie mündeten.75 Die Mehrheit der Exegeten vertrat aber weder die Position, daß das Millenium in der Zukunft liege, noch setzte sich eine ›starke‹, emphatische Lesart des Milleniums durch. Dominant war dagegen die schon in der mittelalterlichen Kirche und auch bei Luther noch vertretene augustinische Auffassung. Diese sah im Millenium keine komplette ›Fesselung‹ des Satans zugunsten eines innerweltlichen Christusreiches, sondern die beste in diesem Leben vorstellbare Realisierung des Reichs Gottes: die Kirche. Für Luther und die Mehrzahl der Auslegung war das Millenium bereits abgeschlossen, was die dramatische Gegenwartssituation und die Erfahrung der Verfolgung erklären konnte (vgl. Kap. B.I.3). Luther setzte den Beginn der Fesselung des Teufels auf die Abfassungszeit der Offenbarung fest, schränkte aber ein: »Doch mus die rechnung nicht so genaw, alle minuten treffen, Auff den Türcken folget nun flugs das Jüngste Gericht, am ende dieses Capitels.«76 Die Tatsache des nahen Endes überwog also an Bedeutung bei weitem die Frage, inwieweit die Offenbarung nachvollziehbare historische Entwicklungen beschreibe. 74  Anders im Calvinismus: Vgl. nur: Hotson, Historiographical Origins. Die Stilisierung des schwedischen Königs Gustav Adolfs zum (apokalyptischen) Glaubensstreiter im Dreißigjährigen Krieg ist im frühneuzeitlichen Luthertum durchaus als spektakulärer Einzelfall anzusehen. Vgl. Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, 46  f. und 60. Zu Off b 20 siehe Frey, Millenium. 75  Vgl. Wallmann, Johannes, Zwischen Reformation und Pietismus. Reich Gottes und Chiliasmus in der lutherischen Orthodoxie, in: Verifikationen. Festschrift für Gerhard Ebeling zum 70. Geburtstag, hg. v. Eberhard Jüngel/Johannes Wallmann/Wilfried Werbeck, Tübingen 1982, 187–205. 76  WA DB 7,416.

478 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung Oft wurden Anfang und Ende der tausend Jahre nicht exakt berechnet – wenn diese nicht überhaupt ›symbolisch‹ gedeutet wurden.77 Generell betonten die Exegeten, daß der Chiliasmus eine ›Meinung‹ sei, die »dem Glauben nicht ehnlich«: »Wer hat hie Gott jemahln in seinen Calender gekuckt / daß man genaw sagen kann / was er hie für Jahre wolle verstanden haben«78 . Die tausend Jahre seien schon deshalb nicht wörtlich zu nehmen, weil sie ja für die Kirche stünden – und die Kirche werde niemals enden.79 Der Chiliasmus ist deshalb ›dem Glauben nicht ähnlich‹, weil er eine innerweltliche Vollkommenheit der Gläubigen in der Herrschaft mit Christus annimmt, die u.  a. der pessimistischen Anthropologie des Luthertums widerspricht. Sicher: Der Satan war gebunden – er ist es jetzt nicht mehr –, von einer Herrschaft der Heiligen oder ähnlichem kann aber in dieser Welt nicht die Rede sein: Die Christen, so heißt es 1558 in einem anonymen Kommentar, regieren zwar mit Christus, »aber alles noch in schwachheit« 80. Die Vollkommenheit wird also in die Zukunft und ins Jenseits verlagert, über die man kaum etwas wissen kann, und die tausend Jahre sind nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Atempause vor den letzten Kämpfen, die mit Luther und der Reformation begonnen haben. Irgendwann also zwischen Christus und Luther muß der Satan tausend Jahre gefesselt gewesen und dann losgelassen worden sein; Luther offenbarte den päpstlichen Antichristen, und nun ist das Ende nur noch eine Frage der Zeit. Dies ist die Globalvision, die insofern auch eine politische Implikation hat, als Gegenwartseinschätzungen von lutherischen Pastoren gern und kontrafaktisch aus den biblischen Prophetien hergeleitet werden. Nigrinus schreibt 1570, also zu Beginn der Gegenreformation, daß ein Wiederaufstieg des Papsttums ausgeschlossen sei: »Das aber das weder zuhoffen noch zu furchten sey / Ja das es nicht müglich / haben wir guten grund vnd zeugnus aus Daniele und Johanne.« Und dennoch macht sich damit kein lutherischer Triumphalismus breit; paradox fährt Nigrinus fort: »Ich achte wol / es sey vnd bleibe doch Welt / Welt / bis ans Ende / erger kann es sehr bald / aber besser nicht werden.« 81 Wann genau war aber nun jene Zeit relativer Ruhe für die Kirche – und wie läßt sich diese mit den omnipräsenten Verfallsszenarien der mittelalterlichen Kirche in Einklang bringen? Die zweite Frage wird von lutherischen Autoren so gut wie nie offen beantwortet – oder doch höchstens in dem Sinne, daß das Reich Christi hier auf Erden eben keine vollständige Ruhe und schon gar kein vollständiges Verschontwerden vom Satan bedeuten könne.82 Die Frage nach   Vgl. Backus, Reformation Readings, 10.   Cramer, Apocalypsis, 80r, 81r. 79  Vgl. Chyträus, Auslegung der Offenbarung Johannis . . ., Fff ij v. 80  Anonymus, Apocalypsis, Xx ij v. 81  Nigrinus, Rechnung vnd Zeitregister, c6v und c7r. 82  Selnecker schreibt, der Satan sei nicht »wie ein Lewe in einer Wilden gruben / oder wie ein Maus in der Mausfallen« gefangen gewesen; »Sondern dis ist die meinung / das jm 77 78

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dem Zeitraum des Milleniums findet unterschiedliche Antworten. In seinem erstaunlich unpolemisch gehaltenen Kommentar 83 schreibt Flacius zu diesem dunkelsten Kapitel der Offenbarung, die tausend Jahre würden mit Christi Auferstehung beginnen.84 Daraus ziehen andere Autoren die Konsequenz, etwa mit der Jahrtausendwende sei der Satan wieder entfesselt worden. Seit dieser Zeit habe der Teufel »offentlich die Bäpst regiert [. . .] / wie jhre eigenen Scribenten etliche bekennen müssen / die doch nicht gewüst oder daran gedacht / daß der Bapst der Antichrist sey.« 85 Auch seien, schreibt ein Anonymus von 1558, im Jahr 1034 die Türken – regelmäßig als Gog und Magog identifiziert – in Armenien eingefallen und hätten in der Folge ihren Kampf gegen die Christenheit aufgenommen.86 Bei anderen Autoren ist es eher die Zerstörung des zweiten Tempels oder der Tod des Apokalyptikers Johannes, auf den der Beginn des Milleniums angesetzt wird 87. Ein weiterer Interpretationsstrang, der vor allem von Aegidius Hunnius und Daniel Cramer, also ab etwa 1600, in Disputationen zum Thema ›de regno Christi‹ entworfen wird, betont die Bedeutung der Christianisierung des römischen Reiches durch Konstantin, die das endgültige Ende der antiken Christenverfolgungen bedeutete, und läßt demnach das Millenium ungefähr im Jahr 1300 enden.88 Dieser Zeitpunkt steht nun, stärker noch als die Jahrtausendwende, im Zeichen sowohl des türkischen Aufstiegs als auch der päpstlichen Monarchie. Daß sich die verschiedenen Exegeten uneins sind, wird durchaus gesehen und auch formuliert 89 ; aber offenbar ist diese exegetische Differenz aufs ganze gesehen unerheblich. Dies gilt selbst dann, wenn idiosynkratische Abweichungen vom exegetischen Konsens formuliert werden. Lukas Osiander etwa nimmt im Jahre 1584 an, daß das Millenium noch andauere, aber neun Jahre später die Satansherrschaft losbrechen werde.90 Der Anfangspunkt von Osianist geweret worden / das er seinen mutwillen [. . .] nicht hat müssen volbringen.« (Selnecker, Der Prophet Daniel / vnd die Offenbarung Johannis, Aa j v – ij r). Andere Autoren bringen dies nicht so offen vor, aber Selneckers Position scheint nicht so abseitig zu sein, wie Backus, Reformation Readings, 132, annimmt. 83  Diese überraschende Tatsache mag damit zusammenhängen, daß Flacius den Kommentar in seinen ersten Straßburger Jahren ab 1567 verfaßte, einer Zeit, in der der Rat immer mehr dem Konkordienkurs Andreaes zuneigte. Flacius durfte also nicht zu polemisch hervortreten; er widmete seinen Kommentar dem Straßburger Rat. Vgl. Preger, Matthias Flacius Illyricus, Bd. 2, 309. 84  Flacius, Nouum Testamentum Iesu Christi . . ., Bd. 2, 1185; vgl. Chyträus, Auslegung der Offenbarung Johannis . . ., Fff ij r. 85  Nigrinus, Antichrists Gründtliche Offenbarung, 33v. 86  Anonymus, Apocalypsis, Xx v; ähnlich auch: Nigrinus, Apocalypsis, 690–692. 87  Letzteres bei: Strigel, Hypomnhmata, 591. 88  Vgl. Hunnius, Aegidius, De regno Christi propositiones . . ., Wittenberg 1597 (Respondent: Laurentius Laelius) Thesen LXXI-LXXIX; Cramer, Daniel, Theses de regno Christi . . ., Stettin 1612 (Respondent: Christian Reineccius), These XXXIV. 89  Vgl. Cramer, Apocalypsis, 80v; Nigrinus, Apocalypsis, 690. 90  Vgl. Osiander, Epistola ad Hebraeos . . ., 462.

480 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung ders Rechnung ist die Stabilisierung der Kirche unter Gregor I. im Jahre 593 – eine durchaus ambivalent beurteilte Einschätzung (Kap. B.V.7.a). Damit wäre die heilsgeschichtliche Rolle Luthers relativiert, denn er hätte zu einer Zeit relativer Ruhe kämpfen können. Diese weitreichende Möglichkeit führt Osiander allerdings nicht aus; seine Milleniums-Deutung steht relativ unverbunden neben dem Rest seines Kommentars.91 c)  Die vier Pferde (Offb 6) und die sechs Engel (Offb 7–9) Das weiße, rote, schwarze und fahle Pferd, die nacheinander in Off b 6 auftreten, werden relativ stereotyp als (noch) nicht geistliche, sondern irdische Anfechtungen, Strafen und Prüfungen gedeutet. Was sie genau bedeuten, darin differieren die Exegeten; aber im wesentlichen sind sie sich einig in ihrem Bemühen, die römischen Christenverfolgungen in ein prophetisch-historisches Schema einzupassen92 sowie eine historisch nicht konkretisierte, weil in der anthropologisch konstanten Erfahrung verankerte äußere Anfechtung durch Krieg, Teuerung und Pest zu beschreiben, denen dann quasi automatisch immer auch Hunger folgt.93 Die »apokalyptische Trias« hat als Deutung der die Lebensgrundlagen der frühneuzeitlichen Gesellschaft immer wieder bedrohendes Phänomene eine hohe lebensweltliche Plausibilität; darin sind sich die Exegeten von Off b 6 einig, versuchen aber keine historiographische Konkretisierung, die ja darauf hinausliefe, einzigartige Ereignisse und nicht ständig wiederkehrende Erfahrungen zu konturieren.94 Interessanter für den hier behandelten Zusammenhang sind die Engel ab Off b 7. Für Luther steht fest: Die vier Engel mit den Posaunen, die in Off b 7 91  Ähnliches gilt für die Deutung, die der Mitverfasser der Konkordienformel Nikolaus Selnecker in seinem populär gehaltenden deutschen Kommentar anbietet; sie ist »completely idiosyncratic« und enthält für Irena Backus »some of the worst excesses of the historico-prophetic genre of exegesis« (Backus, Reformation Readings, 133 u. 130). Selnecker meint nämlich ebenfalls, daß das Millenium noch nicht abgelaufen sei. Sein Beginn könne weder zu Christi Zeiten liegen noch auch vor z.  B. genau tausend Jahren: Man müsse sich doch nur einmal die Kirchengeschichte ansehen, um zu bemerken, daß der Satan sehr wohl gewütet habe. Statt dessen setzt Selnecker den Beginn des Milleniums mit Mohammed an, es müßte also bis ungefähr 1620 dauern. Vgl. Selnecker, Der Prophet Daniel / vnd die Offenbarung Johannis, Aa ij r – Aa iij v. 92  Vgl. so z.  B. Anonymus, Apocalypsis, E ij r – E iij v; Nigrinus, Apocalypsis, 197; Strigel, Hypomnhmata, 568. 93  Vgl. schon WA DB 7,410; siehe auch z.  B. Anonymus, Apocalypsis, F v; Chyträus, Auslegung der Offenbarung Johannis . . ., Y iij r – Z ij v (der aber expliziert, daß das weiße Pferd für die reine Lehre Christi stehe); Flacius, Nouum Testamentum Iesu Christi . . .; Osiander, Epistola ad Hebraeos . . ., 378–381; Richter, Erster und ander Theil . . ., 291–300. Auch hier vertritt Selnecker, Der Prophet Daniel / vnd die Offenbarung Johannis, S iiij v – T ij r, eine abweichende, aber relativ wirre Position, die hier auf sich beruhen kann. 94  Siehe zur apokalyptischen Trias: Leppin, Antichrist, 96–101.

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auftreten und denen weitere drei folgen werden, bezeichnen vier großere Ke­ tzereien, die die geistliche Trübsal der Christenheit begründet haben. Luther identifiziert die Engel personalistisch als die Stifter dieser Ketzereien; es handelt sich um Tatian, Marcion, Origenes und Novatian; sie sind »a symbolic representation of the four main evils in Christianity – good works, spiritual understanding of Scripture, philosophy and excessive power of the clergy – which recurred in various guises up until Luther’s own time«.95

Auf diese vier Engel folgen in den Kapiteln 8 und 9 zwei weitere, die in gesteigerter Form die geistlichen Anfechtungen repräsentieren: Arius und Mohammed. Viele spätere Exegeten sind Luther wörtlich gefolgt96 und unterscheiden mit ihm zwischen den ›bösen‹ Engeln der Kapite 7–10 und den später folgenden guten Engeln.97 Während Flacius sich auch hier wieder darauf beschränkt, erklärende Hinweise zum Text zu geben, ohne diesen historisch aufzulösen, bieten einige Kommentare eine abweichende Deutung der sechs Engel. Manche Autoren möchten im fünften Engel und der fünften Posaune statt Arius und dem Islam bereits das römische Papsttum und den Islam sehen.98 In den 1560er Jahren ergeben sich in den Kommentaren Chyträus’ und Nikolaus Selneckers einige Verschiebungen gegenüber Luther, die auch historiographisch zum Tragen kommen. Gegen Luthers Zuordnung der vier ersten Posaunen stellt Chyträus eine andere (er identifiziert sie als Nazareer/Ebioniter, Gnostiker, Arianer und Pelagianer 99 ), aber dies ist unerheblicher als die Erklärung, die Chyträus beifügt:   Backus, Reformation Readings, 10.   Vgl. z.  B. Anonymus, Apocalypsis, I iij r – L iiij r; Strigel, Hypomnhmata, 570–574; Osiander, Epistola ad Hebraeos . . ., 384–393; weitgehend gleich auch: Richter, Erster vnd ander Theil . . ., 390–430, der die Engel allerdings eher strukturell und theologisch denn individuell zu identifizieren sucht. Auch Cramer, Apocalypsis, folgt Luther weitgehend, bleibt allerdings meist auf einer dogmatischen Ebene; interessant ist sein Versuch, den ›Ketzerbaum‹ aus einer gemeinsamen Wurzel aller Ketzerei aus Simon Magus und den Pharisäern herzuleiten; dieser Baum gipfelt im Papst und im Türken; siehe die Abbildung der ›arbor consanguinitatis veterum haereticorum‹, inseriert ebd., zwischen 33v und 34r. 97  So heißt es in einem anonymen Kommentar von 1611, daß »neben dem guten Engel vnd Euangelio Apocal. 10. cap. auch allerley Rotten vnd Secten auf kommen durch die vier bösse Engel so loß worden bedeutet Apocalyps. 9. cap.«. Vgl. Anonymus, Grundtliche vnd kurze Anleitung zum Verstand der Offenbarung Johannis und Propheceyung Danielis . . ., Oppenheim o.J. (laut VD 17: 1611), 4. Der 1612 noch einmal gedruckte Text ist zwar im faktisch pfälzischen Oppenheim erschienen, weist sich aber schon durch seine mehrfache positive Bezugnahme auf Philipp Nicolai (ebd., 12) sowie vielleicht durch seine Anonymität als lutherisch aus. – Auch Chyträus spricht in anderem Zusammenhang von Papst Bonifaz III. als »einem Engel vnd König des abgrunds«: Chyträus, Auslegung der Offenbarung Johannis . . ., Ff ij r. 98  Vgl. z.  B. Cramer, Apocalypsis, 33v-34v; Richter, Erster vnd ander Theil . . ., 411, 430; Nigrinus, Apocalypsis, 272, 298. 99  Vgl. Chyträus, Auslegung der Offenbarung Johannis . . ., Dd iiij v – Ee iij r. 95 96

482 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung »Diese erklerung der vier Posaunen des achten Capitels / auff die gedachten ketzereyen / mag jm ein jeder der da wil / also gefallen lassen. Etliche halten ein andere ordnung / die sich auff die zeit vnd historien besser reimet.«100

Trotz ihrer angeblich zentralen historiographischen Bedeutung für die Kirche, so muß man Bemerkungen wie diese wohl verstehen, bleibt die Offenbarung letztlich so dunkel, daß sie kaum als kirchengeschichtliches Kompendium fungieren kann. Die fünfte Posaune, so Chyträus in Übereinstimmung mit anderen, sei das Papsttum; die Bildsprache von Off b 9,1 scheint auf den römischen Bischof zu passen: »Derhalben ist kein zweifel / das alhie der Antichrist / oder die Bischoffe des Bapstumbs zum Rom durch dieses gesicht beschrieben wird. [. . .] so hat er [der Nachfolger Petri, M.  P.] doch bald hernach / im Jar Christi 600. solche Apostolische Schlüssel / die vns auffschliessen den Brunnen des springenden wassers zum ewigen leben / hinweg geworffen / vnd nach verfelschung der Euangelischen lehr / von dem Fürsten des abgrunds / das ist / vom Teuffel / empfangen den Schlüssel zum Brunnen des hellischen abgrunds [. . .] Anno Christi 600. zu welcher zeit / Gregorius Magnus Bischoff der Römischen Kirchen gewesen ist / vnd bald nach ime / Anno 607. ist Bonifacius III. zu einem Engel und König des abgrunds / erwelt worden / welcher zum aller ersten den Titel vom Keyser Phocas erlangt«101.

Die Heuschrecken aus Off b 9,3 können demnach nichts mehr anders sein als »die vnzehliche meng der Bischoffe / Pfaffen / Münche / Nonnen / Doctorn / vnd die gantze Pepstische Clerisey«102 . Was hier Exegese ist, was Historiographie und was Polemik, ist nicht mehr zu unterscheiden. Die sechste Posaune sei im Islam zu identifizieren, der als Synkretismus aus Arianismus, Juden- und Heidentum beschrieben wird und dessen jahrhundertelangen Vormarsch Chyträus ausführlich darstellt; er setzt sogar eine Liste der osmanischen Herrscher dazu, »auff das wir vns alle zu erinnern hetten / des schrecklichen zorns Gottes / welcher vnser Gottlos wesen / vnd die vndanckbarkeit der gantzen Christenheit / durch die Tyraney des Türcken / ernstlich straffet: Vnd dieweil wir die künfftigte straff Teutschenlands / vnd das verderbnus des grösten theils der menschen vor augen sehen / das wir mit grössern ernst vnser leben bessern / mit waren glauben vnd gebett vns zu Gott bekeren / vnd inen hertzlich bitten / das er sein Gesetz / in vnsern hertzen versigeln wölle.«103

Eine ganz eigene Position nimmt Selnecker ein, der als einziger Kommentator nicht davon ausgeht, daß die Engel ›böse‹ sind. Statt dessen sieht er in den En-

  Ebd., Dd iiij v.   Ebd., Ff v, Ff ij r. 102  Ebd., Gg ij v. 103  Ebd., Gg iiij v, Ii v. 100 101

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geln Kirchenlehrer, die gegen die Ketzerei gekämpft hätten.104 Denn schließlich stünden sie ja laut Off b 8,2 vor Gott! Die Antiarianer Athanasius und Basilius, Augustin, der Primatsgegner Gregor I.: Dies sind für Selnecker die ersten vier Posaunenengel.105 Der gefallene Stern und der Brunnen des Abgrunds (Off b 9,1) stehen laut Selnecker für die Durchdringung der mittelalterlichen Theologie mit Philosophie. Thomas von Aquin habe, wenn auch »andechtiger meinung«, die Schrift verfälscht, was ihm den Sturz aus dem Himmel zugezogen habe.106 Generell aber habe man »eine weil auff den Cantzeln mehr [. . .] Aristotelem, Auerroam, vnd dergleichen Heyden schrifften vnd meinung gepredigt / denn das liebe Euangelium.«107 Das »Weh« dieses Textpassus deutet Selnecker auf die Hoheit des Papstes über die Konzilien; daher muß Jan Hus der fünfte Engel und »vorleuffer Lutheri« sein.108 Die sechste Posaune sei schließlich als Luther zu deuten. Daß der systematische Ort Luthers im exegetischen Geschehen damit ganz anders bestimmt wird, als dies andere Kommentatoren tun, kümmert Selnecker nicht. Sein Kommentar ist ein merkwürdiger Text, der in vielem vom orthodoxen Konsens abweicht; und doch scheint diese Auslegung nicht kontrovers aufgenommen, vielleicht eher ignoriert worden zu sein (Selneckers Kommentar wurde nicht wieder aufgelegt), was wiederum, bei aller Bedeutung, die der Offenbarung als kirchengeschichtlichem Text zugeschrieben wird, eine gewisse Nüchternheit im exegetischen Umgang mit ihr zeigt. Einschlägiger aber als eine solche Auslegung bleiben die Luthersche und die durch Chyträus leicht modifizierte Sicht. In seiner Rede zum 111. Geburtstag Luthers im November 1595 versucht Daniel Cramer gegen katholische Exegeten nachzuweisen, daß der päpstliche Antichrist als fünfter Engel und fünfte Posaune dargestellt sei. Offensichtlich sei, daß die sechste Posaune die Türken repräsentiere109 ; die Euphrat-Anspielung aus Off b 9,14 wird unter Rückgriff auf Plinius und Strabo auf das Entstehungsgebiet des Islam bezogen. Der Kardinal Bellarmin behaupte, so Cramer, daß die Türken nicht mit diesem Engel gemeint sein könnten, weil sie keine Ketzer, sondern Heiden seien; diesen Einwand hält Cramer aber für abwegig und weist, mitten im Türkenkrieg, auf eine ganze Reihe angeblicher dogmatischer Übereinstimmungen zwischen Christen und Muslimen hin, die es notwendig machen, diese in hervorgehobener Weise – als Erzketzer – in die christliche Kirchengeschichte einzubeziehen.110 Die 104  Selnecker, Der Prophet Daniel / vnd die Offenbarung Johannis, X iij r: »das es Engel sind in einer guten bedeutung / und nicht Ketzer / sondern mehr Bischoffe oder Lerer / die den Ketzern widerstanden.« 105  Ebd., X iiij v – Z j r. 106  Vgl. ebd., b j r. 107  Ebd., Z iiij v. 108  Vgl. ebd., a iiij r-v; Zitat b j v. 109  Vgl. Cramer, In natalitatem memoriam R. Patris D. Martini Lutheri, B3r. 110  Vgl. ebd., B4r-v.

484 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung fünfte Posaune stehe damit für das Papsttum, denn dieses sei ja zeitlich vor dem Islam entstanden.111 Diese Behauptung ist insofern aufschlußreich, als es im kirchengeschichtlichen Diskurs sonst in der Regel als ausgemacht gilt, daß Papst und Islam gleichzeitig entstanden seien, ja die gleichzeitige Entstehungszeit des päpstlichen Primats und des Islam um 600 geradezu als Merkzeichen ihrer antichristlichen Zusammengehörigkeit verstanden werden. Ein solches Argument ist natürlich für die exegetisch notwendige Abfolge der Posaunenengel nicht zu gebrauchen; auch hier stellt sich wieder die Frage nach systematischer Vermittelbarkeit und instrumenteller Argumentation. d)  Engel und Zeugen (Offb 10, 11, 14) An drei oft kommentierten Bildern aus den Kapitel 10, 11 und 14 der Offenbarung kann die Beobachtung einer gewissen Willkürlichkeit der Interpretation – bei gleichzeitig höchster rhetorischer Plausibilisierungsanstrengung – weiter ausgeführt werden. Recht unproblematisch ist das erste der Bilder: In aller Regel deuten die lutherischen Exegeten den ›starken Engel‹ aus Off b 10 als symbolische Darstellung Christi.112 Andere – unter anderem Luther selbst – lesen diesen löwengleichen und lauten Engel als Allegorie des Papsttums113 ; die Macht des Engels gibt beide Lesarten her. Diese Differenz wird aber kaum thematisiert. Wer sind die zwei Zeugen aus Kapitel 11, die 1260 Tage weissagen sollen? Wenn auf eine Entschlüsselung des Zeitraums verzichtet wird, ist exegetisch fast alles möglich. Manche Kommentatoren verstehen unter den zwei Zeugen einfach das Alte und das Neue Testament.114 Andere sprechen im Anschluß an Flacius’ testes-Konzept und an Luthers eigene Deutung115 davon, daß man unter den zwei Zeugen alle Lehrer gegen den Antichristen verstehen solle, vor allem

111  Vgl. ebd., C1r. Daß das Papsttum als Institution und nicht die Päpste als Individuen gemeint sind, verdeutlicht Cramer mit Rekurs auf den vom Himmel fallenden Stern aus Off b 9,1, der nicht als Einzelphänomen verstanden werden dürfe, »sed in specie intellectam, sicut nec Pontificatus Romanus in una persone, sed in continua falsae doctrinae succeßione fundatur et continetur« (C2v). 112  Vgl. z.  B. Nigrinus, Apocalypsis, 313; Selnecker, Der Prophet Daniel / vnd die Offenbarung Johannis, c iij r, Richter, Erster und ander Theil . . ., 451. 113  Vgl. z.  B. WA DB 7,412; Anonymus, Apocalypsis; v.  a . aber Strigel, Hypomnhmata, 575, der relativ ausführlich den politischen und kirchlichen Machtzuwachs des Papsttums schildert, um zu schließen: »Hic angelus est Pontifex Romanus, cuius potentia praestigijs ceremoniarum et hypocrisi creuit«. 114  Vgl. Anonymus, Apocalypsis 1558, b ij r; Flacius, Nouum Testamentum Iesu Christi . . ., Bd. 2, 1352; Nigrinus, Apocalypsis, 341. – Das Buch von Petersen, Rodney L., Preaching in the Last Days. The Theme of ›Two Witnesses‹ in the 16th and 17th Centuries, New York/Oxford 1993, gibt für diesen Zusammenhang nicht viel her. 115  Vgl. WA DB 7,412.

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aber die der nachbiblischen Periode. Chyträus spielt auf den Catalogus testium veritatis an: »Dieser zeugen der warheit / so die nechsten 500. jar wider den Antichrist zu Rom sich gesetzt haben / ist ein ziemliche anzal / vor etlichen jarn zu Basel gedrückt worden welches zu erklerung dieses orts in Johanne / nicht wenig dienstlich ist.«116

Die mittelalterliche und auch nach der Reformation noch gängige Vorstellung, die zwei Zeugen seien Elias und Enoch (mit den entsprechenden allegorischen Weiterungen, die diese wiederum als Luther und Melanchthon deuten; siehe Kap. B.II.1), wird manchmal als unbiblisch zurückgewiesen.117 Und daß die zwei Zeugen laut Off b 11,7 vom Teufel getötet werden, macht es möglich, sie nicht nur als alle Papstgegner, sondern spezifischer als Hus und Hieronymus von Prag zu interpretieren.118 Der Engel, der durch den Himmel fliegt und ein ewiges Evangelium verkündet (Off b 14,6) – wer könnte dies anderes sein als Luther? Diese omnipräsente Deutung ist allerdings insofern problematisch, als im Bibeltext von drei Engeln die Rede ist.119 Ist Luther der erste, der zweite, der dritte oder alle drei auf einmal? Luther selbst hatte in den Engeln schlicht das Evangelium gesehen, das den Antichristen besiege.120 Chyträus und Osiander meinen, mit den Engeln seien sämtliche Lehrer des reinen Evangeliums, also nicht nur Luther, gemeint.121 Flacius deutet alle drei Engel als Luther, und zwar hinsichtlich bestimmter Qualitäten, die dieser besessen habe122 , Nigrinus dagegen als Allegorie der lutherischen Lehre.123 Während ein anonymer Kommentar in Luther den ersten Engel aus Off b 14 sieht und sich mit dem zweiten und dritten Engel nicht mehr beschäftigt124, setzte sich insgesamt eine andere Auffassung durch. Danach ist Luther der zweite Engel aus Off b 14,8, derjenige, der ruft: Die Hure Babylon ist gefallen. Diese wird mit der Macht des Papstes identifiziert, die durch die Re­ stituierung des Evangeliums gebrochen worden sei. Diese Meinung vertreten in 116  Chyträus, Auslegung der Offenbarung Johannis . . ., Ll iiij r; ähnlich auch: Richter, Erster vnd ander Theil . . ., 451: »Er wolle seine trewe zeugen auch zu solcher zeit geben / die da von der wahrheit zeugen sollen«. 117  Vgl. Cramer, Apocalypsis, 42v; Selnecker, Der Prophet Daniel / vnd die Offenbarung Johannis, c ij r, der die zwei Zeugen für zukünftig hält; vgl. ebd., e iiij r. 118  Vgl. Strigel, Hypomnhmata, 557. 119  Vgl. neben den folgenden Belegen auch den kürzeren Predigttext: Faber, Johann, Martinalia, Das ist / Drey Martins Predigten / über den Text der Offenbahrung Johannis am 14. Capitel. Ich sahe einen Engel mitten durch den Himmel fliegen . . ., Coburg 1615. 120  Vgl. WA DB 7,414. 121  Vgl. Chyträus, Auslegung der Offenbarung Johannis . . ., Tt iiij r; Osiander, Epistola ad Hebraeos . . ., 425. 122  Flacius, Nouum Testamentum Iesu Christi . . ., Bd. 2, 1366  f . 123  Vgl. Nigrinus, Apocalypsis, 477. 124  Vgl. Anonymus, Apocalypsis, A a ij vf.

486 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung den 1560er Jahren sowohl Flacius’ Gegner Strigel125 als auch der Gnesiolutheraner Wigand. Dieser fügt hinzu, daß man demnach in dem ersten Engel Hus erkennen müsse.126 Dieser Deutung schließen sich auch andere Exegeten an.127 Der dritte Engel aus Off b 14 repräsentiert dann entweder alle evangelischen Lehrer – oder eben eine noch nicht erschienene Gestalt, die möglicherweise der Herr selber ist.128 e)  Geheime Zahlen: 1260, 3 1/2, 42, 666 Ein Prüfstein des exegetischen Umgangs mit der Apokalypse sind deren Zeitangaben und Zahlen. Besonders stechen hier die 1260 Tage hervor, die die beiden Zeugen nach Off b 11,3 predigen werden; dann die 3 1/2 Tage (Off b 11,11) oder 42 Monate, in denen nach dem Tod der beiden Zeugen und vor ihrer Wiedererweckung die Lästerung des Satans besonders stark wird (Off b 13,5), sowie die ›Zahl des Tieres‹ 666. Luther selbst schweigt sich zu der Bedeutung dieser Zahlen aus, ja erwähnt sie in seiner Apokalypsenvorrede gar nicht erst – mit der bezeichnenden Ausnahme 666 (s.  u.) Wie gehen seine Nachfolger mit der Verführung der Zahlensymbolik um? Auch hier gilt wieder: Bei aller exegetischen Anstrengung ist den Kommentatoren doch klar, daß es differierende Auslegungen gibt, von denen sich keine letztgültig verifizieren läßt. Daraus kann man wie Chyträus, Flacius und andere den Schluß ziehen, daß die Zeitangaben den Leser nur darauf hinweisen sollen, daß das Reich des Antichristen nicht ewig dauern werde, weil die Ankunft Christi kurz bevorstehe.129 Insofern versuchen sich manche Exegeten gar nicht daran, die symbolischen Zahlen zu deuten. Eine von gnesiolutherischen Autoren eingeführte Auffassung ist aber, daß die 42 Monate (= 1260 Tage = 3 1/2 Jahre: die Zahlen stehen in der Offenbarung zwar in unterschiedlichen Zusammenhängen, werden aber häufig synthetisiert) für die Zeit des widerchristlichen Interims stehen, das also eine seit Christi Zeit prophezeite endzeitliche Anfechtung gewesen ist: »Conuenit tamen cum euentu Interimistici furor, qui grassa-

  Vgl. Strigel, Hypomnhmata, 585.   Vgl. Wigand, Synopsis oder Spiegel des Römischen Antichrists, G v r; zu Luther vgl. ebd., G v r-v. 127  Vgl. z.  B. Richter, Balthasar, Dritter und vierdter Theil der Offenbarung Johannis / Darinnen von der falschen Antichristischen Kirchen / vnd ihrem untergang gehandelt wird . . ., Leipzig 1602, 59. 128  Vgl. Richter, Dritter und vierdter Theil . . ., 59; Wigand, Synopsis oder Spiegel des Römischen Antichrists, G vj v. 129  Vgl. Chyträus, Auslegung der Offenbarung Johannis . . ., Kk iiij v, Ll ij v; Flacius, Nouum Testamentum Iesu Christi . . .; ähnlich auch: Cramer, Apocalypsis, 40v; Osiander, Epistola ad Hebraeos . . ., 406. 125 126

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tus est a medio anni 1548 vsque ad finem 1551.«130 Doch auch der ehemalige ›Philippist‹ Selnecker schließt sich dieser Deutung an.131 Manche Exegeten versuchen, die symbolischen Zahlen als Jahresangaben zu deuten, die man am Verlauf der mittelalterlichen Kirchengeschichte abgleichen könne. Dies bringt allerdings einige Schwierigkeiten mit sich: Nimmt man nämlich an, daß die 1260 Tage als 1260 Jahre zu lesen sind, und glaubt man darüber hinaus, daß die Zeit der Anfechtung mit dem Jahr 1521 beendet ist, so muß man schließen, daß die schreckliche Zeit des Antichrists im Jahr 261 mit der Christenverfolgung unter Kaiser Valerian begann.132 Damit ist natürlich weder die kurz darauffolgende Christianisierung durch Konstantin noch auch die Deutung, das Millenium der relativen Ruhe liege in der Vergangenheit, in Einklang zu bringen. Dies versucht der Autor, in diesem Fall der Anonymus von 1558, auch gar nicht. Wichtiger scheint ihm die Herausstellung der heilsgeschichtlichen Dignität Luthers und die situative Deutung eines komplizierten Faktums – in diesem Fall der 1260 Tage. So gehen die meisten Autoren vor, wenn sie nicht, was sehr selten ist, in obskure Spekulationen über ›Engeljahre‹ und dergleichen ausweichen133. Was machen lutherische Exegeten mit der merkwürdigen Zahl 666, der Zahl des Tieres, die die Zahl eines Menschen ist (Off b 13,18)? Luther selbst hat charakteristischerweise weder in der Vorrede von 1530 noch in der von 1546 auf diese Zahl Bezug genommen. Aber in einer Randglosse zum 13. Kapitel im Bibeltext der Ausgabe von 1546 heißt es dazu: »So lange stehet das innerweltliche Bapsttum«134. Luther präzisiert nicht, welcher Zeitraum genau gemeint ist oder wie dieser Zeitraum mit anderen apokalyptischen Zeitabschnitten zusammenpassen könne. Auch die wenigen Autoren, die sich sonst zu diesem Punkt äußern, beginnen hier endgültig zu spekulieren. Osiander bezieht die Zahl auf Kaiser Phocas und das Wort ›Romanus‹, ohne daß klar zu sehen wäre, wie er zu diesen Deutungen kommt135 ; Selnecker behauptet, es gebe verschiedene Berechungsmethoden, die aber alle mehr oder minder schlüssig auf den Papst zuliefen – und wendet sich dann anderen Themen zu136 . Nigrinus folgt Luther darin, daß er annimmt, daß die Zahl die Dauer des weltlich gewordenen Papsttum bezeichnet. Letztlich könne man den genauen Zeitraum nicht wissen137, aber Nigrinus schlägt zwei 130  Flacius, Nouum Testamentum Iesu Christi . . ., Bd. 2, 1352; ähnlich: Wigand, Synopsis oder Spiegel des Römischen Antichrists, G vj v. 131  Vgl. dazu Backus, Reformation Readings, 131. 132  Vgl. Anonymus, Apocalypsis, Z iij v, a r. 133  So etwa: Nigrinus, Apocalypsis, 341–347, 361. Auf Nigrinus’ Neigung zur Zahlensymbolik weist ebenfalls hin: Hofmann, Luther und die Johannes-Apokalypse, 528. 134  WA DB 7,453. 135  Vgl. Osiander, Epistola ad Hebraeos . . ., 422–424. 136  Selnecker, Der Prophet Daniel / vnd die Offenbarung Johannis, l iij r 137  Vgl. Nigrinus, Apocalypsis, 460  f .

488 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung Möglichkeiten vor: Entweder man rechnet von ungefähr 815 bis zu Luthers Geburt – dann würde man annehmen, daß die Epoche der weltlichen Papstmonarchie »mit den Jaren Johannis deß achten / deß Hurn-Bapsts (da nemlich die Geistliche Babylonische Hure auch zurweltlichen Hurn ward)«138 begann. Oder – wozu Nigrinus stärker neigt –, man nimmt an, daß die weltliche Macht der Päpste zwar geschwächt, aber nicht gebrochen ist, daß man also noch mitten in den 666 Jahren stecke: Und dann bietet sich z.  B. an, die 666 Jahre mit dem Jahr 1000 beginnen zu lassen.139 Chyträus löst die Zahl noch anders auf: Er nimmt an, daß man mit zwei Zeiträumen von je etwa 666 Jahren zu rechnen habe: Einem, der von der Entstehung der Johannesoffenbarung bis zur Herrschaftsübernahme der Franken reicht; und einem, der bis zu Hus und seiner Entdeckung des römischen Antichristen reiche: »Das also diese zal 666. auff den anfang Confirmation vnd Offenbarung des Antichrists Reich / sich sehr wohl reymet vnd genau zutrifft.«140 Daß sich weder diese noch eine andere Sicht auf eine angeblich 666 Jahre andauernde Periode wüstester Antichrist-Herrschaft sinnvoll mit einer angeblichen tausendjährigen Epoche relativer Ruhe für die Kirche vermitteln läßt, wird von den Exegeten nie angesprochen und führte erst später und in einem anderen konfessionellen Kontext zu der Vorstellung, das Millenium müsse angesichts des totalen Niedergangs der Lehre während des Mittelalters in der Zukunft liegen.141 Die lutherischen Kommentatoren verweigern sich dieser Konsequenz. Für den späteren Historiker ergibt sich daraus aber die Einsicht, daß die lutherische Exegese der Apokalypse – trotz vollmundiger gegenteiliger Behauptungen – zu einer konsistenten Konstruktion der Kirchengeschichte kaum vorstoßen konnte. f)  Die zwei Tiere aus Offb 13 Die zwei scheußlichen vielköpfigen und -hörnigen Tiere, die in Off b 13 aus dem Meer steigen, werden relativ übereinstimmend entschlüsselt. Schon Luther meint, daß es sich nur um das Römische Reich, das schließlich zu Beginn die Verfolgung der Christen betrieben hat, sowie das Papsttum handeln könne, und zwar wiederum um das Papsttum in seiner Eigenschaft als weltlich gewordene geistliche Institution, als »das Bepstische Keiserthum vnd keiserliche Bapstum«142 , das natürlich der strikten lutherischen Trennung von Obrigkeit und Kirche entgegensteht. Das zerfallene römische Reich ist von den Päpsten wie  Ebd., 460.   Vgl. ebd., 461. 140  Chyträus, Auslegung der Offenbarung Johannis . . ., Ss ij v – SS iij r. 141  Vgl. Hotson, Historiographical Origins. 142  WA DB 7,412. Vgl. aus der Perspektive lutherischer Obrigkeitskritik zu dieser Passage auch: Kruse, Speners Kritik, 45. 138 139

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deraufgerichtet worden, wenn auch dieses zweite, fortgeführte römische Reich »nur ein Bilde vom Römischen reich, denn des Reichs corper selbs«143 war. Diese hier unsystematisch vorgetragene Theorie Luthers (siehe Kap. B.I.3), nach der das noch bestehende Römische Reich nicht das letzte Weltreich, sondern nur die Herrschaft des Antichristen ist, wird allerdings nur von wenigen Interpreten aufgenommen144, die im wesentlichen der Meinung anhängen, daß das römische Reich durch die translatio imperii fortbestanden habe. Ansonsten dominiert eine Beschränkung darauf, die beiden Tiere einfach als Abfolge von Römischem Reich und Papsttum zu deuten.145 Die Hörner und Kronen des ersten Tieres verweisen demnach auf die Königreiche, in die das alte Römische Reich zerfallen ist146 ; das erste Tier ist das Römische Reich, denn dieses ist »nicht allein vnmenschlich vnd thierisch / sondern auch teuffelisch gewesen [. . .]. Hebe am Romulo an / vnnd betrachte aller Römer Wercke biß auff Julium / von dannen aller Keyser Thun biß auff Constantinum Magnum / solt du dich nicht mehr verwundern daß jr Reich einem so scheußlichen Thier verglichen wirdt.«147

Auch die Siebenzahl, die unter anderem an Roms sieben Hügel denken lasse, muß zur Identifikation des ersten Tieres als Rom führen – wer dies nicht einsehe, müsse »stock und starrblind« sein148 . Die Wunde des Tieres, die wieder verheilt (Off b 13,3), bedeute eben die Verheerung des römischen Reiches und seinen Wiederaufstieg im fränkischen Kaisertum.149 Das zweite Tier des Kapitels ist ganz zweifelsfrei das Papsttum als »regnum Pontificium, quod in Ecclesia dominatur et retinet titulum Ecclesiae.«150

  WA DB 7, 414.   Eine Ausnahme ist der diese idiosynkratische Auffassung in mehreren Schriften vortragende Nigrinus, der immer wieder darauf beharrt: »So ist nun das Römische Reich / wie es etliche hundert Jar her gestanden / bey den Teudschen / nicht das rechte alte Römische Reich« : Nigrinus, Apocalypsis, 453. 145  Vgl. Strigel, Hypomnhmata, 581; Chyträus, Auslegung der Offenbarung Johannis . . ., Oo iiij r; 146  Vgl. für viele: Anonymus, Apocalypsis, g ij vf. 147  Nigrinus, Apocalypsis, 426  f . 148  Cramer, Apocalypsis, 50v. 149  Einige Interpreten deuten dies stillschweigend so, daß nicht das erste Tier, sondern das zweite, nämlich das Papsttum, durch die Deutschen, sprich: Karl den Großen, aus seiner Schwäche befreit worden sei, was wiederum zu einer ambivalenten Bewertung Karls führt. Vgl so: Cramer, Apocalypsis, 51r; Nigrinus, Rechnung vnd Zeitregister, V4r. 150  Strigel, Hypomnhmata, 583; genauso auch: Richter, Dritter und vierdter Theil . . ., 23. – Eine Ausnahme zum relativen exegetischen Konsens zu Off b 13 stellt der Anonymus von 1611 dar: In seiner kurzen Schrift deutet er die Siebenzahl aus Off b 13 relativ ausführlich als sieben Perioden der Kirchengeschichte; vgl. Anonymus, Grundtliche vnd kurze Anleitung, 4. 143 144

490 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung g)  Die siebente Posaune Die siebente Posaune der Offenbarung steht, anders als die Gerichtsposaune aus Mt 24,31 oder 1.Kor 15,52, in einem uneindeutigem Verhältnis zum Weltende. Einige Kommentatoren deuten sie zwar, je nach ihrer Auslegung der sechs vorhergegangen, als jene Posaune, die das Endgericht einleitet und gehen davon aus, »daß wir bisher [. . .] in der sechsten Posaun gewesen seyen / vnd nichts mehr vbrig dan die siebende vnd letzte Posaun«151. Luther selbst hatte allerdings die fünfte und sechste Posaune bzw. die entsprechenden Engel als Arius und Mohammed identifiziert. Damit bleibt das Papsttum noch übrig, und tatsächlich deutet Luther in der Vorrede von 1530 die siebente Posaune als Beginn des Papsttums, aber gleichzeitig auch als Beginn des Kampfes gegen den römischen Antichristen.152 Diese Volte ermöglicht es, in anderem Zusammenhang davon zu sprechen, daß »nos esse tubam illam nouissimam, qua praeparatur et praecurritur adventui Christi«153. In dieser Doppelstrategie folgen ihm viele Ausleger; sie sehen »zur zeit der Posaunen des 7. Engels / das Antichristliche / Keyserliche / Babstumb«154 aufsteigen. Die siebente Posaune ist nach dieser Deutung nicht der Beginn des Gerichts, sondern kann auch die Reformation bedeuten, die damit allerdings in engen Bezug zum Ende gestellt wird.155 »Hieraus ist klar das nun mehr nit weit zum Jüngsten gericht ist / vnd die volgenden Propheceyen / gewaltig zum ende eilen werden / sintemahl dise Posaunen [. . .] in der Kirchen mit gewalt gehen / auch der mensch der sünden / vnnd das Kind des verderbens offenbaret ist / auff welches balt das ende der welt volgen wirt«.156

Dies ist das Fazit der apokalyptischen Gegenwartsdiagnose, in der die lutherischen Exegeten ihre Deutung der Offenbarung gipfeln lassen. Das Ende steht bevor, aber wie lange es bis dahin noch dauern wird, muß offengelassen werden. Oder, kürzer: »Itzt ist der gerichtstag vor der thür.«157

3.  Exegese als Historiographie? Die lutherischen Exegeten betonen zwar immer wieder, daß die Offenbarung eine verschlüsselte Darstellung der Kirchengeschichte sei. Doch der Durchgang durch verschiedene Kommentare aus der Zeit zwischen 1530 und 1618 hat er  Anonymus, Grundtliche vnd kurze Anleitung, 6; so auch: Nigrinus, Apocalypsis,

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376.

  Vgl. WA DB 7,412.   WA Br. 11,59 154  Anonymus, Apocalypsis, e ij v. 155  Vgl. Richter, Balthasar, Erster vnd ander Theil . . ., 553; außerhalb der Exegese vgl. auch Rabus 1571/72, 1, a iij v- a iiij r. 156  Anonymus, Apocalypsis, e iiij r. 157  Wigand, Synopsis oder Spiegel des Römischen Antichrists, C iij r. 152 153

3.  Exegese als Historiographie?

491

geben, daß eine historiographische Konkretisierung der apokalyptischen Bilder oft nicht geleistet wird. Noch mehr, als dies hier im Durchgang durch die ›hi­ storiographisch‹ wichtigsten Kapitel der Offenbarung deutlich geworden ist, zeichnen sich diese Texte durch eine hohe Eintönigkeit und ein ununterbrochenes Insistieren auf einer miserablen conditio humana aus. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen zeigen die Apokalypsenkommentare aufs Ganze gesehen nämlich keine klare historische Abfolge, keinen Niedergangsprozeß etc. – auch wenn dies natürlich eine Rolle spielt. Vorherrschend ist dennoch der Eindruck, daß Anfechtung, Plagen, Martyrien und Trübsal anthropologisch konstante Erfahrungen des Christen seien. Die statische Geschichtssicht, die von Melanchthon und anderen so prägnant formuliert wird, profiliert auch die Deutung der Offenbarung. Das heißt: Über weite Strecken vollziehen die Exegeten zwar eine zeithistorische Applizierung etwa bestimmter Plagen auf ihre eigene Situation – dabei bleiben aber auch stehen. Historisch konkret wird weniges gedeutet. Wenn dies doch geleistet wird, dann widersprechen sich die Interpreten. Dies ist zeitgenössisch auch thematisiert worden; der Wichtigkeit der Offenbarung als gegenwartsrelevanter Geschichtsdarstellung steht dabei eine auffällige Gelassenheit gegenüber divergenten Deutungen gegenüber. In einem gewissen Rahmen sind problemlos eine ganze Reihe von Auslegungsvarianten möglich. Denn wichtiger ist der Konsens darüber, daß sowohl vor als auch nach der Exegese feststeht, daß das Papsttum »die grund suppe vnd die endliche plage« der wahren Christen sei.158 Die historiographischen Deutungen, wenn sie denn hergestellt werden, sind in vielen Fällen eher situativ und versweise gemeint und anders gar nicht durchzuhalten. Bei aller Klartext-Rhetorik wird doch deutlich, daß der Bibeltext eher widersprüchliche Angaben liefert. Diese Widersprüche werden in der Regel nicht thematisiert, sondern rhetorisch überspielt. Ist der eine Exeget davon überzeugt, daß man die tausend Jahre aus Off b 20 nicht wörtlich nehmen dürfe, weil die Kirche nicht enden könne, meint der andere Exeget, daß man die Zahl 42 nicht wörtlich nehmen dürfe, weil das antichristliche Reich enden müsse. Eine Synchronisierung eines angeblich in der Vergangenheit liegenden tausendjährigen Friedensreiches und einer mindestens partiell gleichzeitigen, 666-jährigen Herrschaft des Antichristen kann logisch nicht gelingen, denn der Satan kann nicht gleichzeitig gefesselt und nicht gefesselt sein. Die lutherischen Exegeten artikulieren also keine konsistenten Deutungen; ihre Leistung besteht eher darin, daß sie mit exegetischer Autorität, ausgehend von verschiedenen Bildfeldern der Offenbarung, ein zwar logisch nicht auflösbares, aber wirkmächtiges Netz apokalyptischer Bedeutungszuschreibungen  über die Welt, die Gegenwart und die Geschichte legen. In diesem Muster der Weltauslegung gibt es nur gut und böse, die wahren Christen und ihre Verfolger.   WA DB 7,414.

158

492 VII. Das Ende der Geschichte: Apokalypsenkommentare als Kirchengeschichtsschreibung Neben der Konjunktur von Apokalypsenkommentaren nach der Reformation, der auch einfach eine neue Aufmerksamkeit für die biblischen Bücher zugrundeliegen kann, steht ein Boom von apokalyptischen Redeakten auch außerhalb der Exegese. Auch die Historiographie operiert wie Flugschriften und Predigten immer wieder mit apokalyptischen Bildern. Die unterschiedlichen Deutungen der Apokalypse entsprechen dabei nicht den ›Fraktionslinien‹ innerhalb des Luthertums. Die in der Forschung immer wieder behauptete und erst in letzter Zeit kritisierte Auffassung von der besonderen Apokalpysenaffinität der Gnesiolutheraner bestätigt sich jedenfalls am Material nicht. Allerdings ist zu beachten, daß die deutliche Mehrheit der Apokalypsenkommentare von Gnesio- oder Konkordienlutheranern stammt. Weder Melanchthon, der eine Reihe anderer Bücher der Bibel kommentierte159, noch auch – um zwei exponierte Namen zu nennen – Major oder Peucer haben eine Exegese der Offenbarung publiziert. Doch diese relative Zurückhaltung der Philippisten in Sachen Apokalypsenexegese mag auch mit der einfachen Tatsache zusammenhängen, daß viele prominente Philippisten, wie eben der genannte Peucer, keine professionellen Theologen waren, sondern z.  B. Philologen oder Mediziner160 – und daß die Bibelexgese eben Sache der gelehrten Theologie blieb. Wenn man also überhaupt der Auffassung ist, daß eine Exegese der Offenbarung mit historiographischem Anspruch, zeithistorischer Applikation und dem Verweis darauf, daß außer dem Weltende nichts weiter zu gewärtigen sei, eine ›Naherwartung‹ konstituiert – und nicht nur eine ›apokalyptische Rhetorik‹ – dann wird man sagen müssen, daß hier eine stark ausgeprägte Naherwartung vorliegt, und zwar, soweit die zeitliche Verteilung der Quellen diese Vermutung zuläßt, relativ unabhängig von unmittelbaren Anlässen. Mit Furcht vor dem Ende oder auch Hoffnung auf dieses hat das – im Selbstverständnis der Autoren – wenig zu tun. Ihnen geht es um die korrekte Deutung eines autoritativen Textes. Die (wenn auch vage) Herstellung einer historischen Linie von Christus bis zur Gegenwart und der Kampf gegen den päpstlichen Antichristen, der mit der Reformation in eine neue Phase eingetreten sei, bildet auch in den Apokalypsenkommentaren ein vorausgesetztes Grundmuster, das von lutherischen Autoren aller Gruppen geteilt wird161 und damit einen konstitutiven Beitrag zu einer gemeinsamen lutherischen Identität leisten kann.162   Vgl. das Werkverzeichnis bei Scheible, Art. »Melanchthon«, 386  f.   Vgl. Hasse, Art. »Philippisten«. 161  Zu Chyträus’ Kommentar ist bemerkt worden, er interessiere sich v.  a . für den Verlauf der Kirchengeschichte, weniger für das nahe Gericht, schon weil er »von den letzten Zeiten [. . .] nicht mehr im Präsens, sondern im Futur« spreche (Hofmann, Luther und die Johannes-Apokalypse, 524). Daraus aber zu schließen, daß die Naherwartung in der zweiten nachreformatorischen Generation abgenommen habe, scheint eine Übertreibung zu sein; eher handelt es sich um eine Akzentverschiebung, denn letztlich läuft auch bei Chyträus die Kirchengeschichte auf das nahe Ende zu. 162  Prägnant faßt Wigand den Konsens zusammen, ohne sich um das Millenium oder 159 160

3.  Exegese als Historiographie?

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Die Deutung steht schon vor der Wahrnehmung fest: Dies ist jedenfalls der Tenor der Exegeten, die bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Deutungen doch die grundsätzliche Position, daß es in der Offenbarung auch um sie, ihre Konfession und ihre Geschichte geht, niemals revidieren oder auch nur modifizieren. Der exegetische Diskurs ist bei aller Diversität daher erstaunlich homogen, nicht zwar in den Auslegungsdetails, aber in seinen biblizistischen Grundvoraussetzungen. Kirchengeschichte kann hier nur als seit je feststehende dargestellt werden. In einem starken Sinne ›erforscht‹ werden kann sie nicht, und dies ist auch nicht nötig. Den lutherischen Kommentaren zur Apokalypse geht es ausschließlich darum, daß ›Bestehendes gut gedeutet‹ wird.

andere exegetische Stolpersteine zu kümmern: »Der Anfangende Antichrist / das sich das geheimnis der bosheit gereget hat zur zeit S. Pauli des Apostels [. . .] Im jar 50. vnd etliche jar hernach. Der Regierende Antichrist zur zeit des Keysers Phocas / im Jar des HErren 607. bis zu seiner Offenbarung. Der Offenbarte Antichrist / zur zeit Johannis Huss vnnd D. Lutheri / Im Jar nach Christo 1415. vnd 1517. Die Niederlage des Antichrists / welche geschehen wird in der letzten zukunfft des HErren Christ.« : Wigand, Synopsis oder Spiegel des Römischen Antichrists, D iiij v.

Teil C

Ergebnisse und Ausblick

              

der Vater aber liebt, Der über allen waltet, Am meisten, daß gepfleget werde Der veste Buchstab, und bestehendes gut Gedeutet. Dem folgt deutscher Gesang.

I.  Konturen lutherischer Geschichtsschreibung In der lutherischen Historiographie des Zeitraums von 1546 bis 1617 wurde in hohem Maße ein lutherischer Identitätsdiskurs initiiert. Mittels dieses Diskurses propagierten lutherische Autoren ihre Sicht der vorreformatorischen Vergangenheit. Sie stellten die Reformation mit Hilfe unterschiedlicher Geschichts­ entwürfe in einen größeren historischen Zusammenhang, banden sie an verschiedene Traditionen an und entwarfen Selbstbeschreibungen ihrer Konfession: Woher kam sie, was machte sie inhaltlich aus, und welche heilsgeschichtliche Bedeutung besaß sie? In den folgenden Schlußbemerkungen sollen zunächst der Untersuchungsgang der Arbeit und die wichtigsten Ergebnisse rekapituliert werden. Daran anschließend sollen einige zusammenfassende und weiterführende Reflexionen erst zum Problemkomplex Konfessionalisierung, Geschichtsschreibung und lutherische Identität sowie danach zum Problem der Beziehung von Geschichtsbildern und Gattungen angestellt werden. Abschließend wird vom hier untersuchten Quellenmaterial her ein Idealtypus des konfessionellen Luthertums entworfen. Eingangs ist in einer knappen Skizze die Entwicklung der Geschichtsschreibung vom Mittelalter bis ins konfessionelle Zeitalter nachgezeichnet worden. Die von manchen Historikern vertretene Auffassung, nach der in Humanismus und Reformation ein neues, grundsätzlich überlieferungskritisches und methodenbewußtes Geschichtsinteresse entstanden sei, ist nach den Untersuchungen dieser Arbeit zumindest für die Reformation und das Luthertum des konfessionellen Zeitalters skeptisch zu beurteilen. Insgesamt erweist sich, daß quellenkritische Methodisierung und Verwissenschaftlichung nicht im Zentrum des In  Hölderlin, Friedrich, Patmos. Dem Landgrafen von Homburg. Erste Fassung, in: ders., Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 1, hg. v. Michael Knaupp, München/Wien 1992, 447–453, hier 453. – Das Zitat ist aus dem Zusammenhang gerissen; Hölderlin muß statt in einen lutherisch-orthodoxen Kontext in den Bezugsrahmen des pietistischen Chiliasmus und des deutschen Idealismus gestellt werden. Dies vorausgesetzt, bleibt dennoch die Frage nach einer überzeugenden Deutung dieser Verse in der maßgeblichen Studie zum Gedicht offen. Vgl. Schmidt, Jochen, Hölderlins geschichtsphilosophische Hymnen ›Friedensfeier‹, ›Der Einzige‹, ›Patmos‹, Darmstadt 1990, 284–288.

I.  Konturen lutherischer Geschichtsschreibung

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teresses lutherischer Historiographen standen. Quellenkritische Erwägungen fanden sich zwar in polemischen Kontexten, wurden aber nicht umfassend sy­ stematisiert. Daher mag es zwar sein, daß die Situation der konfessionellen Kontroverse langfristig die Rationalisierung der Historiographie befördert hat; auf der Grundlage der hier untersuchten Quellen kann dieses Problem aber nicht eindeutig beurteilt werden. Dies erklärt sich u.  a. schon daraus, daß die Reformatoren und die ihnen folgenden lutherischen Autoren der als ars verstandenen Geschichte sehr unterschiedliche Funktionen zuwiesen. Ihre Bedeutung lag für lutherische Geschichtsschreiber einmal in der – aus dem Humanismus übernommenen – Überzeugung, einzelne Historienexempel illustrierten moralisches Verhalten. Neben diese unmittelbar didaktische Funktion der Geschichte als magistra vitae stellten lutherische Autoren die Auffassung, aus der Geschichte sei die Beziehung der Menschen zu Gott ablesbar. Insofern konstruierten sie ihre Geschichtserzählungen in engem Bezug auf die biblischen Prophetien; die Geschichte wurde damit zur exegetischen Hilfswissenschaft, die Prophetien zur Matrix der Geschichtsschreibung. Ausgehend von dieser Überzeugung konnte Historiographie als apologetisches oder polemisches Instrument im Konfessionskampf eingesetzt werden. Zentral war für lutherische Autoren dabei die Auffassung, daß ihre Kirche nicht etwa neu, sondern die alte, wahre Kirche sei, und daß dies auch historiographisch nachweisbar sei. Neben diese konfessionell funktionalisierten Aufgaben trat eine Beschäftigung mit der Historie zu Bildungszwecken, die nicht in unmittelbarer Instrumentalisierung aufging. Die lutherische Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts fand damit in einem Spannungsfeld von Gruppengedächtnis und relativ uninstrumenteller Gelehrsamkeit statt. Der wichtigste inhaltliche Ausgangspunkt für lutherische Historiker war Luther selbst. Seine oft apodiktische, aber unsystematische Deutung der Geschichte – häufig unter dem Aspekt sub contrario – wurde im Laufe des Jahrhunderts immer stärker systematisiert, die ihr inhärenten Ambivalenzen wurden geglättet. Dabei sahen sich aber lutherische Historiker anders als Luther selbst mit den praktischen Problemen der Geschichtsschreibung konfrontiert. Die Schwierigkeiten, eine konfessionelle Geschichtsdeutung auf der Grundlage vorreformatorischer Quellen in etablierte historiographische Gattungen einzubauen, sind exemplarisch an der Praxis der Kompilation vorgeführt worden. Ein gängiges Argument lautete, man bediene sich ja des Bapstes eigenen Scribenten und könne daher in besonders überzeugender Weise die Richtigkeit der eigenen Deutung belegen. Heuristisch wurden zwei Modi lutherischer Identität im Medium der Geschichte herausgearbeitet: die auf die charismatische und endzeitliche Figur des Reformators abstellende Luthermemoria und die stärker traditionale Bezüge herausarbeitende Einordnung Luthers und der Reformation in einen größeren historischen Zusammenhang.

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I.  Konturen lutherischer Geschichtsschreibung

Die charismatische Stilisierung Luthers als exemplarischer Prediger, Heiliger und Prophet wurde auch in der frühen Lutherbiographik vertreten; während ein Autor wie Mathesius punktuell Anknüpfungspunkte an die vorreformatorische Vergangenheit aufzeigte, apostrophierte die Spangenbergsche Luthervita den Reformator ganz als charismatisch-endzeitliche Gestalt. Auch im Reformationsjubiläum 1617 wurde dieser Aspekt in den Vordergrund gerückt. Einen stärker traditional orientierten Modus lutherischer Identität konstruierten und bedienten die Diskurse der Universal- und Kirchengeschichte. Der sehr inklusive Diskurs der Universalgeschichtsschreibung umfaßte sowohl profane als auch kirchliche Geschichte; der eher exklusive Diskurs der Kirchengeschichte beschränkte sich auf strikt Kirchliches – wobei immer zu entscheiden blieb, was im strengen Sinne zu den Inhalten der Kirchengeschichte gezählt werden konnte. Das eigentliche Problem bestand aber darin, das Verhältnis von profaner und religiöser Geschichte, ja: dem profanem und dem religiösem Bereich generell im alteuropäischen Denken zu bestimmen. Das nichtmonistische, sondern in einem variablen Dual zusammengespannte Verhältnis von ›Kirche‹ und ›Welt‹ wurde in der lutherischen Zweireichelehre dahingehend präzisiert, daß beide Bereiche als von Gott gemachte anzusehen seien; Gott übe in der Kirche seine Herrschaft selbst, im weltlich-politischen Bereich aber nur vermittelt aus. Damit ergab sich im lutherischen Denken eine latente Autonomisierung des Politischen aus einem religiösen Deutungshorizont. Die dargestellten Tendenzen finden sich in der Historiographie des Zeitalters wieder; man kann geradezu von einer historiographischen Applikation der Zweireichelehre sprechen. Als Diskursbegründer ist Melanchthon hervorzuheben; er formulierte in mustergültiger und einflußreicher Weise den Zusammenhang, aber auch die Differenz von Universal- und Kirchengeschichtsschreibung. In diesem umfassenden Sinne ist also eher Melanchthon als etwa Flacius, der ihm konzeptionell weitgehend folgte, der ›Vater‹ der protestantischen, ja lutherischen Geschichtsschreibung, um das bekannte Diktum Harnacks zu variieren. Während also die Universalgeschichtsschreibung idealiter die Kirchengeschichte einschloß (aber dem politischen Bereich als ›Erhaltungsordnung‹ Gottes de facto eine zentrale Rolle zuwies), konnte die Kirchengeschichte (als Geschichte der ›Heilsordnung‹ Gottes) auch ausgegliedert werden. Melanchthons prägende und in der Folge immer wieder aufgenommene Bestimmungen von Universal- und Kirchengeschichte machen es plausibel, von diesen Diskursen und den ihnen korrespondierenden Gattungen als Institutionen zu sprechen, die eine symbolische Ordnung mit einer relativ hohen Eigenlogik und entsprechenden Produktions- und Rezeptionshaltungen generierten. Eine Besonderheit der Universalgeschichtsschreibung besteht darin, daß konfessionell geformte Religion und deren Deutungsparameter oft nur eine   Vgl. Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte, 28, Anm. 2.



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geringe Rolle spielten. Festzuhalten bleibt aber, daß die im einzelnen oft recht traditionelle, kaiser- und faktengeschichtliche Universalgeschichte mit Bezug auf einen (zuweilen implizit bleibenden) prophetischen Deutungsrahmen geschrieben wurde, dessen Grundtext die Danielprophetie war. Die formale Trennung von ›Welt‹ und ›Kirche‹ auf der Basis der Zweireichelehre ermöglichte eine sukzessive Autonomisierung und ›Säkularisierung‹ der Profangeschichte. Daher ergibt sich oft der Eindruck, daß man es bei lutherischer Universalgeschichtsschreibung nicht mit konfessionalisierter Historiographie zu tun habe. Dies ist im Einzelfall auch zutreffend, dennoch ist darauf zu bestehen, daß die von Melanchthon eingeführte historiographische Applikation der Zweireichelehre, die diesen Effekt hervorbrachte, ihrerseits eine konfessionelle Idee (von freilich hohem Abstraktionsgrad) war. Lutherische Konfessionalisierung (auch im Bereich der Historiographie) könnte also gerade darin bestanden haben, konfessionelle Totalitätsansprüche der Weltdeutung abzuwehren. Die im Chronicon Carionis angelegte schematische Trennung von profaner und kirchlicher Geschichte wurde bei den Melanchthon folgenden Universalhistorikern wie Dresser oder Reusner so weit getrieben, daß die doch als eigentliche Unheilsentwicklung der letzten tausend Jahre angesehene Machtentfaltung des Papsttums historiographisch kaum mehr darstellbar war: Denn wenn sich auch das Ausgreifen der geistlichen Macht in den politischen Bereich als ein Hauptthema der Universalgeschichtsschreibung erwies, wurde doch dessen Beschreibung dadurch erschwert, daß normativ politische und kirchliche Geschichte strikt getrennt wurden. Jenseits dieser formalen Vision der Beziehung von Kirche und Welt ergibt sich aber in der lutherischen Universalgeschichtsschreibung oft der Eindruck ausgesprochener Traditionalität (wie z.  B. an Beuthers Kritik an Sebastian Franck gezeigt wurde). Konfessionelle Deutungsmuster in einem inhaltlichen Sinne finden sich hier relativ selten. Dies reicht bis zum Unwillen, die Reformation überhaupt in die universalhistorische Erzählung einzubeziehen, was wiederum seinen Grund auch darin hat, daß für die Universalgeschichtsschreibung die chronologische Konzeption einer prophezeiten Weltdauer (6000 Jahre auf der Basis der traditio domus eliae) eine entscheidende Rolle spielte. Sleidan wie Melanchthon sahen sich fast am Ende der Welt; da aber dieses Ende primär chronologisch bestimmt wurde, konnte eine Einbindung der endzeitlichen Potentiale der Reformation in den universalhistorischen Diskurs ausbleiben. Die Reformation als apokalyptisch konnotierter Epocheneinschnitt war zwar ein attraktives Deutungsmuster zeitgenössischer Historiographie, spielte aber gerade für Teile der Universalgeschichtsschreibung kaum eine Rolle. Diese begründete die Dignität der Gegenwart eher über chronologische als über inhaltlich heilsgeschichtliche Argumente.   Vgl. Rau, Geschichte und Konfession, 523.



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I.  Konturen lutherischer Geschichtsschreibung

Die Interpretation der Chronologien Funcks und Krentzheims als universalhistorische Werke ergibt v.  a., daß diese beiden Autoren, die doch als Osiandrist und Kryptocalvinist aus dem sich formierenden lutherischen Konsens herausgedrängt wurden, Geschichtsdeutungen vorlegten, die zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch insgesamt in hohem Maße mit Deutungen orthodoxerer Autoren zusammenfallen. Stellt man ihnen noch den Kryptocalvinisten Peucer und schließlich Flacius an die Seite, so ist generell festzuhalten: Die Historiographie einte die lutherischen Fraktionen. Sie konstituierte nicht nur – wie lutherische Literatur generell – einen deutsch-lutherischen Kommunikationsraum über die Territorialgrenzen hinweg; sie fungierte als Identitätsdiskurs auch dann, wenn über theologische und kirchenpolitische Fragen gestritten wurde. Allerdings verschwammen hier die Grenzen zum Reformiertentum durchaus; die Konzentration auf den Papst als Feind führte zu einem Geschichtsbild, das in groben Zügen von Lutheranern wie Reformierten geteilt werden konnte. Das lag unter anderem daran, daß die Universalgeschichtsschreibung oft weniger genuin theologische Deutungsmotive aufnahm, sondern sich vielmehr traditioneller Argumentationsmuster des national oder reichisch aufgeladenen Antipapalismus bediente. Diese wurden im nachreformatorischen Kontext allerdings in ein neues intellektuelles Koordinatensystem gestellt und damit in ihrem argumentativen Gehalt transformiert. Genauso wie Platinas kritische Papstgeschichte hundert Jahre später nicht hätte gedruckt werden können, wurden auch andere romkritische Impulse im neuen Kontext zu konfessionellen Argumenten. Dies ist z.  B. an der ganz auf nationale und Reichstraditionen konzen­ trierten Kaiserbiographik, aber auch am nationalhumanistischen Werk etwa Pantaleons abzulesen. Wenn diese Historiographie auch häufig inhaltlich kaum über humanistische Deutungsmuster hinausging, konnte der identifikatorische Anschluß etwa an den antipäpstlichen Machtkampf der Kaiser im neuen Kontext einige Virulenz entfalten. Dennoch ist gerade dies der Bereich, in dem die konfessionelle Durchdringung der Geschichtsschreibung am wenigsten gelang: zum ersten, weil bei aller Einordnung in einen neuen intellektuellen Kontext die in der Regel moralisch argumentierenden antipäpstlichen Diskurse (die aus dem Mittelalter und dem Humanismus übernommen wurden) konfessionell unspezifisch blieben; zum zweiten, weil die biblizistische Grundhaltung des Luthertums mit ihrer Glorifizierung der Kaiser als Herrscher des letzten Weltreichs sich latent an der aktuellen politischen Situation – sprich: dem Faktum, daß die Kaiser katholisch waren und blieben – reiben mußte; zum dritten, weil gerade im Bereich der Kaisergeschichte eine generelle Tendenz besonders klar abzulesen ist: Weder die sich herausbildende hochspezialisierte, technische und akademische Genealogie und Chronologie noch die hochgradig moritatenhaftvolkstümliche Kaiserhistoriographie (die hier am Beispiel von Christian Bertholdts Kaiserchronik vorgeführt wurde) boten sich für eine konfessionelle Durchdringung der Historie an. Bildete erstere eine partiell autonome Gelehr-

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samkeit aus, die sich jenseits konfessioneller Deutungsmuster bewegte, so entzog sich letztere einer konfessionellen Vereinheitlichung durch volkstümliche Wertungsinkonsequenzen. Insgesamt waren es häufig Werke eines (vom Standpunkt moderner Wissenschaftlichkeit aus) ›mittleren‹ Niveaus, die Gelehrsamkeit und Identitätsstiftung in einer Weise ausbalancierten, daß konfessionelle Deutungsmuster in sie Eingang finden konnten. Ein Beispiel hierfür ist die Exem­pelkompilation Wolfgang Büttners, der den – allerdings idiosynkratischen – Versuch unternahm, Historienexempel nach den Zehn Geboten und dem Vaterunser zu ordnen. Die stillschweigende Aufnahme der Melanchthonschen Applikation der Zweireichelehre auf die Geschichte steht bei Büttner neben dezidierten theologischen Urteilen und einer konfessionell perspektivierten Aufarbeitung antiker Bildung, für deren Profil das Konzept des ›popularisierten Späthumanismus‹ eingeführt wurde. Die im universalhistorischen Diskurs häufig zu konstatierende moralische Überformung der Inhalte, die aber in der Regel konfessionell unspezifisch blieb, ist auch in Teilen der lutherischen Kirchengeschichtsschreibung zu beobachten. Zwar hatte bereits Luther klargestellt, daß die kirchliche Lehre, nicht aber die Lebensführung (etwa einzelner Päpste) das relevante Wertungskriterium darstelle. Aber gerade im kirchengeschichtlichen Zusammenhang blieb die polemisch-moralische Invektive ein häufig gewähltes Mittel zur Diskreditierung des konfessionellen Gegners. Gerade die vor den als spezifische Bewährungssituationen aufgefaßten Ereignissen der späten 1540er Jahre (Luthers Tod, Tridentinum, Interim) verfaßten evangelischen Kirchengeschichten bedienten sich in hohem Maße moralischer Parameter, die entweder polemisch zugespitzt wurden (wie bei Barnes) oder in humanistisch-konziliaristischer Weise gegen die Universalitätsansprüche Roms gewendet wurden (wie bei Hedio). Eine spezifisch lutherische Fokussierung der Kirchengeschichtsschreibung ergab sich erst ab Beginn der 1550er Jahre. Dies war auch der Zeitpunkt, an dem die gro­ ßen und prägenden Werke lutherischer Geschichtsschreibung entstanden oder wenigstens konzipiert wurden, die die Grundlinien der Deutung zumindest für die nächsten fünfzig Jahre festlegten: die Magdeburger Zenturien und der Catalogus testium veritatis sowie, im universalhistorischen Diskurs, Melanchthons Chronicon Carionis. Ab diesem Zeitpunkt ist lutherische Kirchengeschichtsschreibung in eindeutiger Weise als konfessioneller Identitätsdiskurs lesbar. Viel stärker als in weiten Teilen der Universalgeschichte wurde die Reformation und ihre Vorgeschichte nicht nur moralisch gewertet, sondern insofern heilsgeschichtlich gedeutet, als Luther und der Reformation eine geschichtstheologische Unumgänglichkeit zugesprochen wurde. Diese Unumgänglichkeit wurde v.  a. durch die Vorstellung einer endzeitlichen Lehrreinigung der antichristlich gewordenen Kirche hergestellt. Daß der Antichrist der Papst sei, also innerhalb der Kirche aufgetreten sei, wurde stereotyp aus 2 Thess 2 hergeleitet – eine der beliebtesten Bibel-

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stellen lutherischer Geschichtsschreiber. Aus dieser Identifikation des Papsttums als innerkirchlichem Antichristen ergaben sich zwei Konsequenzen: zum ersten, daß die Geschichte des Papsttums inhaltlich in äußerst hohem Maße in eine Geschichte der lutherischen Kirche hereingenommen werden mußte – eine Konsequenz, die auch von der lutherischen Ekklesiologie mit ihrer Dialektik von ecclesia visibilis und ecclesia invisibilis gedeckt wurde. Zum zweiten resultierte daraus, daß lutherische Identität, die im kirchenhistorischen Selbstbeschreibungsdiskurs generiert wurde, zwar primär eine positiv orientierte Identität (insofern sie die Bewahrung der wahren Lehre aufzuzeigen suchte), fast ebenso sehr aber negativ gefüllte Abgrenzungsidentität (gegenüber dem innerkirchlichen Antichristen) darstellte, die auf den konfessionellen Gegner bezogen blieb. Die tradierten Modelle religiöser Autorität oder Verdammung – also die Begriffe Märtyrer, Heiliger, Ketzer – erfuhren in der frühen Reformation eine spezifische Transformation. Wenn auch die Luther folgenden Autoren die totale Inversion des Ketzerdiskurses, die Sebastian Franck vorgeschlagen hatte, nicht mittragen konnten, so ergab sich doch die Tendenz, von der römischen Kurie verurteilte Ketzer (aber nicht nur diese) als besonders verehrungswürdige Gestalten und positive Identifikationsfiguren zu verstehen. Vor allem aber fand die lutherische Kirchenhistoriographie ab ca. 1550 zu einer Umorientierung von Moral auf Dogma. In der Folge ging es ihr, jedenfalls theoretisch, weniger um den Nachweis moralischer als lehrmäßiger Depravation der römischen Kirche: Immer deutlicher bemühte sich sich um den Nachweis, daß die Scholastik und das kanonische Recht, die Sonderethik der Bettelorden, die Häufung äußerlicher Zeremonielle, v.  a. aber die Verdrängung der als biblisch interpretierten Rechtfertigungslehre die wahre Kirche zur falschen gemacht und die verbleibenden Mitglieder der vera ecclesia marginalisiert hätten. Gegen diese Verfallsvision setzte zuerst Melanchthon die Konzeption der Lehrbewahrung durch einzelne mehr oder minder oppositionelle Kirchenlehrer des Mittelalters, die in der Trauerrede für Luther exemplarisch ausgearbeitet wurde. Diese im Kernbestand oft identischen, im einzelnen aber differierenden Gestalten, nicht nur die theologisch spezifischeren ›Vorreformatoren‹, wurden zu Identifikationsfiguren der lutherischen Selbstbeschreibung. Diese evangelische Version der successio episcoporum wurde von Georg Major, v.  a. aber von Flacius aufgenommen. Flacius, von dem der antipäpstlich konnotierte Begriff der testes veritatis stammt, spitzte die Kontinuitätstheorie zur Rettungsgeschichte des Evangeliums im Horizont des Weltendes zu. Daraus resultierte eine eigentümliche Ambivalenz: Versuchte Flacius einerseits, die Lehrkontinuität zu belegen, genügte doch oft schon eine (bisweilen moralische) Gegnerschaft zum Papst als Aufnahmekriterium in den Catalogus testium veritatis. Die Rezeption dieses Werks im Luthertum wie im Reformiertentum verlief entsprechend differenziert; glaubte   Vgl. Benrath, Vorreformatoren.



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man anfangs noch, die Existenz eines subkutanen mittelalterlichen Luthertums nachweisen zu können, führte die Ambivalenz des Zeugendiskurses schließlich zur argumentativen Implosion dieses Deutungsmusters. Am Beispiel des Rabus’schen Märtyrerbuchs, aber auch des lutherischen Märtyrerdiskurses generell wurde gezeigt, wie die Verfolgungsrhetorik Eingang in die geschichtstheologische Selbstbeschreibung des Luthertums fand. Die lutherische Neukonzeption einer nicht mehr adorativen, sondern imitativen Heiligenverehrung wurde bei Rabus wie auch in den Geschichtskalendern in eindrücklicher Weise historiographisch umgesetzt. Der Märtyrerdiskurs wurde wie der Zeugendiskurs Bestandteil einer lutherischen ›Gegengeschichte‹, wenn auch die martyrologische Tradition sich in der Regel nicht für das Problem der Lehrkontinuität interessierte. Dieses Problem aber stand im Vordergrund der kirchenhistorischen Gesamtdarstellungen, an erster Stelle der Magdeburger Zenturien. Spätere Kirchengeschichten wollten diese nicht ersetzen, sondern orientierten sich in hohem Maße an ihnen und setzten nur hier und da, oft gattungsbedingt, andere Akzente. Weil in den Zenturien die Niedergangsperspektive gleichberechtigt neben die Kontinuitätsthese trat, konnten sie v.  a. als Arsenal lutherischer Polemik gegen das Papsttum eine breite Wirkung entfalten. Diese Polemik kehrte oft zu einem moralischen Argumentationsregister zurück und verließ damit die dogmengeschichtliche Ebene. Dennoch blieb sie Element des lutherischen Identitätsdiskurses schon durch eine konfessionell-theologisch zwar eher unspezifische, aber in ihrer Abgrenzung gegenüber dem Gegner rabiate Rhetorik. Dieser Eindruck – daß nämlich ein dezidiert lutherisch-konfessionelles Sonderbewußtsein in der Geschichtsschreibung oft eher behauptet als theologisch beglaubigt wird – ergibt sich auch aus der Interpretation lutherischer Kalenderliteratur. Konfessionelle Parteinahme wurde hier oft durch die Uneinheitlichkeit der Bewertung konterkariert; eine homogene ›Eigengeschichte‹ ergibt sich nicht. Damit drängt sich der Eindruck eines eher kulturell als dogmatisch codierten Luthertums auf. Das Phänomen der ›Trägheit der Memoria‹ ist gerade an der Kalenderliteratur deutlich ablesbar, denn die ›Kanonisierung‹ lutherischer Heiliger und das ›Vergessen‹ oder ›Ersetzen‹ altgläubiger Heiliger verlief keineswegs einheitlich, sondern recht divers. Gerade an den populäreren Texten innerhalb der Kalenderliteratur ist oft ein unreflektierter Traditionalismus zu beobachten, der möglicherweise den Erfolg etwa des Hondorffschen Kalenda­ riums erklären hilft: In ihm nahm Hondorff nämlich in konfessionskulturell eindeutiger, aber doch für seine Leser lebensweltlich verträglicher Weise eine halbherzige Revision der Heiligenüberlieferung vor. Dem gegenüber steht ein auch in der Kalenderliteratur aufzufindendes, gegenüber den konfessionellen Überformungen relativ autonomes Geschichtsinteresse, das aber keinen irenischen ›Späthumanismus‹ konstituiert. Ein eindeutiger Kausalzusammenhang von publizistischem Erfolg oder auch Mißerfolg auf der einen, konfessioneller

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I.  Konturen lutherischer Geschichtsschreibung

Konformität auf der anderen Seite ist aber – weder von der Kalenderliteratur her noch generell – festzustellen. Damit bestätigt sich die eingangs aufgestellte Hypothese, daß der Grad der konfessionellen Überformung eines historiographischen Werkes u.  a. von dem Willen und Können des einzelnen Autors, ja von seiner Selbstkonfessionalisierung mitbestimmt wird – wenn nicht, wie in Einzelfällen gezeigt, Zensur ausgeübt wurde. Dennoch ist unverkennbar, daß selbst der humanistisch-positivi­ stische Strang der Kalenderliteratur eine eindeutige lutherische Identitätsstiftung betrieb. So sind die Kalendarien (nicht etwa die sonntägliche Predigt, hier untersucht an Postillen) als die eigentlichen Träger der Reformationsmemoria vor 1617 hervorzuheben. Auch behaupteten gerade die Kalender, eben wegen ihrer dogmatischen Indifferenz, besonders wirkmächtig die Verbindung von Reformation und Humanismus. Anders als im theologischen Diskurs stricto sensu herrschte z.  B. in der Kalenderliteratur die Auffassung vor, daß Erasmus als protestantischer Heiliger anzusehen sei und daß der Humanismus im starken Sinne zur Reformation gehöre – obwohl, wie auch am Beispiel der Melanchthon­ memoria gezeigt wurde, eine entwicklungsgeschichtliche Kausalverknüpfung von Humanismus und Reformation nur selten expliziert wurde. Einem ausschließlich kirchenhistorischen, dabei primär akademisch-theologischen Diskurs, nämlich der Exegese der Johannesoffenbarung, widmete sich das letzte Kapitel. Dabei wurde deutlich, daß (bei einem leichten Autorenübergewicht gnesiolutherischer Theologen) auch hier die gemeinlutherisch geteilten Identitätsmomente überwiegen. Gerade im Falle dieses Diskurses ist zu be­ obachten, daß Auslegungsvarianten letztlich auch im Selbstverständnis der Exegeten weniger schwer wogen als die breit geteilte Auffassung, am Ende der Zeit zu stehen. Dieser akademische Diskurs war an eine auch außerakademisch vorgetragene Endzeiterwartung gekoppelt und erlaubt daher Einblicke in  typische biblizistische Argumentationsmuster, die weniger Erforschung von Unbekanntem anstreben als ›Bestehendes gut deuten‹ wollen bzw. historische Ereignisse und biblische Prophezeiungen zu synchronisieren suchen. Die Apokalypsenexegese erweist sich als ein vom Anspruch her genuin kirchenhistoriographischer Diskurs und sollte in der weiteren Forschung zur Kirchengeschichtsschreibung des konfessionellen Zeitalters ernstgenommen und einbe­ zogen werden. Auffällig ist aber, wie unspezifisch die historiographische Umsetzung der apokalyptischen Bildsprache in vielen Fällen bleibt, so daß der Anspruch historiographischer Konkretion oft nicht eingelöst wird.

  Dieser mögliche Zusammenhang von populärer Schreibweise, damit angezielten relativ offenen Rezeptionshorizonten und publizistischem Erfolg wird von Forschungen zur protestantischen Naturkunde nahegelegt. Vgl. Crowther-Heyck, Kathleen, Wonderful Secrets of Nature. Natural Knowledge and Religious Piety in Reformation Germany, in: Isis 94 (2003), 253–273.

I.  Konturen lutherischer Geschichtsschreibung

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Die lutherische Endzeiterwartung resultierte primär aus chronologischen (wie im Falle der Universalgeschichte und ihrer Vorstellung von der vorgegebenen Weltzeit) oder exegetischen Motiven und stellt daher weniger eine Reaktion auf krisenhafte Gegenwartserfahrung sozioökonomischer oder religiöser Art als einen genuinen und irreduziblen Ausdruck lutherischer Konfessionsidentität dar.

II.  Konfessionalisierung, Geschichtsschreibung   und lutherische Identität Inwiefern hängen Konfessionalisierung und lutherische Historiographie zusammen? Man wird auf diese Frage mindestens zwei Antworten geben müssen: Erstens hat sich Geschichtsschreibung als wichtiger identitätsstiftender Selbstbeschreibungsdiskurs erwiesen. Zweitens trifft dies aber nicht für die gesamte von Lutheranern verfaßte Geschichtsschreibung zu, weil sich differenzierte Möglichkeiten konfessioneller Überformung der Historiographie herausbildeten. Der lutherische Identitätsdiskurs ist nicht als einfache Einspeisung konfessioneller Inhalte in das Medium der Historiographie, sondern eher als vielgestaltige Vermischung neuer Deutungsparameter mit konventionellen Formen oder Inhalten zu beschreiben. Schon die partielle Autonomie historiographischer Konventionen und Funktionen begrenzte die konfessionsstabilisierenden Züge der lutherischen Geschichtsschreibung. Insofern kann die Historiographie des konfessionellen Zeitalters nicht auf den Aspekt des Gruppengedächtnisses reduziert werden, und zwar weder in der ex-post-Perspektive noch im Selbstverständnis frühneuzeitlicher Geschichtsschreiber. Natürlich war konfessionelle Gedächtniskonstruktion nach innen eine zentrale Funktion lutherischer Geschichtsschreibung ; aber neben ihr standen andere Funktionen, die entweder weitere Elemente der Identitätsstiftung in den Vordergrund rückten – z.  B. die mit dem historischen Argument operierende polemische Abgrenzung vom konfessionellen Gegner – oder die sich, als mehr oder minder autonome Gelehrsamkeit, der konfessionellen Formierung gegenüber als resistent erwiesen. Punktuell, z.  B. bei der Untersuchung von Postillenpredigten, ist gezeigt worden, daß lutherische Identität nicht ausschließlich über die historiographische Selbstbeschreibung konstituiert wurde. Dies bedeutet, daß der historische Erinnerungsdiskurs nur einen, allerdings wichtigen, Aspekt lutherischer Identität faßt. Ihm wären weitere Identitätsdiskurse (theologische wie andere kulturelle) und -praktiken (rituelle wie soziokulturelle) an die Seite zu stellen. Aber auch derjenige Aspekt lutherischer Identität, der sich im Diskurs von Universal- und Kirchengeschichtsschreibung ausprägte, fokussiert stark auf bestimmte Elemente lutherischer Identitätsstiftung, v.  a. die antikatholische Abgrenzung. Die Grenzziehung gegenüber dem Calvinismus ist dagegen deutlich   Vgl. Rau, Geschichte und Konfession, 520.



II.  Konfessionalisierung, Geschichtsschreibung und lutherische Identität

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schwächer ausgeprägt, ja aus der Abgrenzung gegenüber dem Katholizismus erwächst partiell ein gemeinprotestantisches Geschichtsbewußtsein. Ob der sehr breite historiographische Diskurs eine lutherische Identität nicht nur stiftete, sondern auch durchsetzen konnte, ob also ein lutherisches Wir-Gefühl bis auf die Ebene des Gemeinen Mannes durchschlug, wurde in dieser Arbeit nicht untersucht. Die lutherische Historiographie als konfessionelle Identitätsstiftung, so kann man aber festhalten, fand auf vielen unterschiedlichen Ebenen statt und umfaßte sowohl den akademischen Bereich als auch die populärsten und meistgelesenen Gattungen des 16. Jahrhunderts. Damit ist gezeigt, daß im Elitenphänomen Historiographie auf sehr breiter Basis zumindest versucht wurde, eine genuin konfessionelle Vision zu entwerfen und durchzusetzen. Wenn der Grad konfessioneller Überformung der Historiographie auch durchaus differierte, so ist doch insgesamt von einer hohen Homogenität des Gesamtdiskurses vor allem hinsichtlich seiner traditionalistisch-biblizistischen Grundannahmen zu sprechen. Dem gegenüber standen Texte, die nur äußerlich als lutherisch markiert erscheinen und die man deshalb kaum als konfessionelle oder konfessionalisierte Geschichtsschreibung einstufen kann. Zwischen beiden Polen liegen eine Reihe unterschiedlicher Schnittmengen zwischen historiographischer Eigenlogik und konfessioneller Funktionalisierung, die durch das religiöse Profil des individuellen Autors, aber auch durch seine Gattungsvorentscheidungen mitgeprägt wurden. Den universal- und kirchenhistorischen Diskursen eignete als gelehrten Kommunikationszusammenhängen dabei eine relativ hohe Autonomie gegenüber der politischen Instrumentalisierung, die sich zwar generell, aber unspezifisch auf die konfrontative Gesamtsituation bezogen. Die v.  a. innerakademische Autonomietendenz wurde punktuell, z.  B. in der akademischen Ausdifferenzierung der Chronologie und Genealogie, gezeigt. Um so mehr fällt ins Auge, wenn z.  B. die Schoppersche ›Chorographia‹ unmittelbar an den Prozeß der kurpfälzischen Konfessionalisierung anschloß. Häufiger als diese situativ-instrumentelle Bindung findet sich aber eine losere Kopplung der Historiographie an den Prozeß der Konfessionalisierung. Meist war es der Autorentyp des Theologen, noch öfter des Predigers, der eine dezidiert konfessionalisierte Geschichtsschreibung wünschte und praktizierte. Dennoch sind in der Untersuchung der Historiographie in hohem Maße, allerdings auf differenzierte Weise, auch »non-theologians as representatives of confessional identity« konturiert worden. Das bedeutet, daß der untersuchte Komplex tatsächlich eher dem Prozeß der Konfessionalisierung als dem der innerkirchlichen Konfessionsbildung zuzuschlagen ist. Die unterschiedlichen Weisen, mittels derer ein mit der konfessionellen Orthodoxie zumindest vereinbares, in der Regel aber ihr konformes Geschichtsbild entworfen wurde, lenken den Blick noch einmal auf die Begriffe der Kon  Strohm, Methodology, 103.



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II.  Konfessionalisierung, Geschichtsschreibung und lutherische Identität

fessionalisierung und der Konfessionskultur. Gerade für die Historiographie scheint es nicht sinnvoll, in ihnen Gegenbegriffe zu sehen. So hat sich z.  B. für die Kalenderliteratur eine oft eher kulturelle als dogmatische Codierung eines dezidiert vorgetragenen lutherischen Selbstverständnisses nachweisen lassen. Lutherische Konfessionskultur beruhte gerade aus der Perspektive der Histo­rio­ graphie auf einer großen Zahl einigermaßen homogener, wenn auch manchmal systematisch kaum vermittelbarer Einzelargumente, Erzählungen, identi­ fikatorischer Bezugnahmen. Die logische Systematisierung der Historiographie im Hinblick auf konfessionelle Homogenität wurde aber auch gar nicht angestrebt und, soweit man sehen kann, von den Autoren selbst nicht als entscheidend eingeschätzt. Die Konfessionalisierung der Historiographie, die ein wichtiges Element der lutherischen Konfessionskultur produzierte, verlief nicht  einheitlich. Eine einfache Korrelation von Konfessionalisierungsprozeß und Historiographie ist nicht zu beobachten. Generell ist es ein naheliegender Schluß, daß die Konfessionalisierung von Historiographie, ja von kulturellen Prozessen und Praktiken überhaupt, noch weniger als linearer Prozeß vorzustellen ist, als dies schon für soziale und politische Entwicklungen gilt. Dies hängt auch damit zusammen, daß relativ autonome, bereits vorreformatorisch etablierte kulturelle und intellektuelle Kontexte die Komplexität der möglichen Bezugnahmen auf politische und theologische Entwicklungen steigerten. Eine Gesamtcharakterisierung lutherischer Historiographie läßt sich im Kontrast zu drei markanten Formulierungen aus der Forschungsliteratur profilieren. In der Einleitung wurde bereits die idealistische Perspektive Ferdinand Christian Baurs zitiert, nach der die protestantische Geschichtsauffassung »der natürliche Ausfluß« der lutherischen Theologie war. Nun ist auch in dieser Arbeit immer wieder festgestellt worden, wie eng die Verknüpfung von Theologie und Geschichtsschreibung war. Dennoch ist festzuhalten, wie wenig natürlich, sondern im Gegenteil künstlich und verschlungen die Verbindungen sind, die zwischen konfessioneller Theologie und Historiographie bestehen. Pontien Polman bemerkt: »La conception protestante de l’histoire répose [. . .] sur deux idées générales: la decadence progressive de l’Église, qui se résume dans l’histoire de la papauté, et la conservation foncière de la vérité nonobstant cette decadence«.

Polman liefert damit eine mustergültige Beschreibung der kirchengeschichtlichen Verfalls- und der Kontinuitätsperspektive, die, ausgehend von Konzeptionen Melanchthons, v.  a. im Catalogus testium veritatis und den Magdeburger Zenturien ausgearbeitet wurden. Nun gibt es aber keinen Grund, die auf der Basis der lutherischen Zweireichelehre konzipierte Universalgeschichtsschrei  Baur, Epochen, 96.   Polman, L’élément historique, 152.

 

II.  Konfessionalisierung, Geschichtsschreibung und lutherische Identität

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bung nicht zur protestantischen Geschichtsschreibung und zur lutherischen Identitätsstiftung zu zählen. Gegen die holistische und verengte kirchenhisto­rio­ graphische Position Baurs und Polmans ist es angemessen, den Befund Hartwig Keutes zu zitieren: »Die Reformation hat [. . .] weder ein einheitliches, neues Geschichtsbewußtsein hervorgebracht noch eine einheitliche Fähigkeit entwickelt, traditionelle Vorstellungen entweder zu assimilieren oder zu modifizieren.«10

Wenn dies auch zutrifft, hat die Arbeit doch gezeigt, daß die Diversität des lutherischen Identitätsdiskurses im Medium der Historiographie auf weithin geteilten Grundannahmen über die heilsgeschichtliche Bedeutung der Reformation, den päpstlichen Antichrist, die theologisch oder politisch begründete Hochschätzung der deutschen Kaiser sowie über prophetisch-biblizistische Grundlagen basiert.

  Keute, Reformation und Geschichte, 14.

10

III.  Geschichtsbilder und Gattungen Hans-Werner Goetz hat den Zusammenhang zwischen Gattungen und Geschichtsbildern als offenes Problem gekennzeichnet: »Wer [. . .] annimmt, daß ein bestimmtes Zeitbewußtsein sich erst durch die historische Erzählung ausbildet, geht letztlich von dem rezeptiven Moment der Historiographie aus; vom Autor und seinen Intentionen aus gesehen, ist die Erzählung dagegen das Resultat eines bereits vorhandenen Geschichtsbewußtseins. Man wird daher annehmen dürfen, daß dieses seinerseits auf die Erzählweise zurückwirkt.«11

Diese Dialektik zwischen historiographischen Konventionen und dem ›Geschichtsbewußtsein‹ einzelner Autoren, zwischen einem Geschichtsschreiber und seinem Text, wird man für die lutherische Universal- und Kirchengeschichtsschreibung ebenso konstatieren können, so unbefriedigend sie letztlich bleibt. Die relative Gattungsgebundenheit historiographischer Produktion wie Rezeption, die von der Historiographiegeschichte des konfessionellen Zeitalters bisher – zugunsten von unmittelbaren Rückschlüssen von Aussagen auf Individualmeinungen – eklatant vernachlässigt worden ist, wird ja schon durch das grundsätzliche alteuropäische Bewußtsein der konstitutiven Textualität von ›Historie‹ nahegelegt. Geschichte wurde nicht als Kollektivsingular oder gar als transzendentales Subjekt gedacht, sondern im Plural für die jeweils diversen Geschichten benutzt, die sich in spezifischen Gattungskontexten ausprägten.12 Damit erweist sich der historische Erinnerungsdiskurs des Luthertums in hohem Maße als genre- und kontextgebunden. Die relativ hohe Eigenlogik von Gattungszusammenhängen, z.  B. des universalhistorischen Diskurses, konnte zur Minimierung der Rolle genuin religiöser Themen – allerdings auf der Basis der Melanchthonschen Applikation der Zweireichelehre auf die Historiographie – führen. An den beiden Kalendern Goldtwurms ist deutlich geworden, daß im Hinblick auf religiöse Wertungen den unterschiedlichen Gattungen verschiedene Sprachregister entsprechen; ein eher gemeinchristlich-moralisches im universalhistorischen, ein dezidiert lutherisch-konfessionelles im kirchenge  Goetz, Geschichtsschreibung, 113.   Dies ist für die ›narrativististische‹ Geschichtstheorie sicher keine Überraschung, hat aber in der Historiographiegeschichte zur Frühen Neuzeit bisher kaum eine Rolle ge­spielt. Vgl. z.  B. Baumgartner, Hans-Michael, Kontinuität und Geschichte. Zur Kritik und Metakritik der historischen Vernunft, Frankfurt a.  M. 1972, 249–342. 11 12

III.  Geschichtsbilder und Gattungen

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schichtlichen Kalender. Die Selbstbeschreibungs- und Identitätsfunktion von Geschichtsschreibung konnte sich also an Gattungsvorentscheidungen brechen. Gattungen begrenzten aber nicht nur mögliche Inhalte, sie kanalisierten auch den konfessionellen Identitätsdiskurs in spezifische Kontexte: Auch wenn etwa die unmittelbare Funktionalisierung von Universal- und Kirchengeschichtsschreibung relativ gering zu sein scheint – die wenigsten der hier untersuchten Texte sind Auftragswerke –, ist doch zu beachten, daß ein im Schulunterricht gebrauchtes Werk natürlich andere inhaltliche und Wertungsakzente setzt als eine polemische Predigt – daß dies aber seiner konfessionellen Instrumentalisierung gerade nicht widerspricht. Die Gattungen und die ihnen korrelierenden Funktionen der Geschichtsschreibung, auch die daraus sich ergebende rhetorische Faktur der Texte, sind daher als institutionelle Ordnungen ernster zu nehmen, als dies bisher geschehen ist. Methodisch kann man daraus schließen, daß eine Untersuchung vormoderner Historiographie, gerade wenn es ihr um die Gedächtnis- und Iden­ titätsfunktionen von Texten geht, nicht vom Einzeltext und vom einzelnen Autor ausgehen, sondern größere Textkorpora und deren Gattungstraditionen in den Blick nehmen sollte. Die Gattungsgebundenheit historiographischen Schreibens ist dabei nicht identisch mit der Unterstellung, daß die Gattungskonventionen am Autorsubjekt vorbei Sinn produzieren. Vielleicht sollte man daher von relativer Institutionalität von Gattungen sprechen. Dennoch bleibt die weiterführende Frage, in welcher Weise religiöse Aussagen frühneuzeitlicher Texte zur Faktur dieser Texte selbst, zu ihrer Gattungszugehörigkeit sowie zu einem Gesamtdiskurs in Beziehung zu setzen sind.

IV.  Idealtypus Luthertum Ausgehend vom untersuchten Material und im Hinblick auf weitere Forschung erscheint es reizvoll, einen Idealtypus des Luthertums im konfessionellen Zeitalter vorzuschlagen. Da die empirischen Beobachtungen, die in diesen Idealtyp eingehen, aus einem speziellen Diskurs – der Historiographie – gewonnen sind, werden sie zwangsläufig einseitig und empirisch korrekturbedürftig sein. Genau dies macht aber die Webersche Konzeption des Idealtypus gerade aus.13 Damit können Idealtypen weitere Forschung, ihre Fragen und Hypothesen, aber auch kritische Einwände stimulieren. Wenn man also versucht, von der Universal- und Kirchengeschichtsschreibung her ein idealtypisches Luthertum zu konstruieren, ergibt sich folgendes Bild: Lutherische Religiosität im 16. und frühen 17. Jahrhundert umfaßte auf der Basis einiger geteilter zentraler Axiome eine große Diversität von Ausdrucksmöglichkeiten.14 Sie wurde durchaus nicht nur durch populäre Widerstände und humanistische Indifferenz begrenzt, sondern konnte populäre wie humanistische Zugänge insofern integrieren, als sie primär ein Selbstverständnis – nämlich der lutherischen Konfession anzugehören – implizierte und nicht in dogmatischen Positionen aufging. Daher ergab sich ein weites Spektrum von Möglichkeiten, konfessionelle Kirchlichkeit in kulturell diversen Formen in unterschiedliche Lebensbereiche zu vermitteln. Die Diversität des sich als durchaus konfessionell-lutherisch verstehenden Selbstbewußtseins ist dabei nicht primär als ›diffus‹ oder ›eklektizistisch‹, sondern eher als situative, an Gattungen und Sprachregister, historiographische Funktionen und Kontexte gebundene Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zu verstehen.15 Diese stellte sich aber erst auf der Basis geteilter konfessioneller Grundannahmen her, die 13  Weber, Max, Die ›Objektivität‹ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: ders., Schriften zur Wissenschaftslehre, Stuttgart 1991, 21–101, hier 73: Ein Idealtyp »wird gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich zu jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbilde.« 14  Dies entspricht der »offenen Konsensbildung«, die Appold im theologischen Diskurs der Orthodoxie ausmacht; vgl. Appold, Orthodoxie und Konsensbildung, 312. 15  Vgl. Conrad, Anne, »Bald papistisch, bald lutherisch, bald schwenckfeldisch«. Konfessionalisierung und konfessioneller Eklektizismus, in: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte 76/77 (1997/98), 1–25.

IV.  Idealtypus Luthertum

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zusammengefaßt das Bild einer relativ statischen, politisch eher quietistischen, strikt biblizistischen und hermeneutisch erstaunlich findigen Konfession ergeben.

Quellen- und Literaturverzeichnis Mehrfach zitierte einschlägige Quellen wie die Weimarer Ausgabe der Werke Luthers, die Melanchthon-Ausgabe innerhalb des Corpus Reformatorum, die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche u.  ä. werden nicht gesondert aufgeführt. Die benutzten Abkürzungen können im Abkürzungsverzeichnis ersehen werden.

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1.  Quellen

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Personenregister Das Personenregister erfaßt die Erwähnungen historischer Gestalten im Text des Buches. Als historische Gestalten gelten dabei antike, mittelalterliche und reformationszeitliche Personen. Biblische Personen sind nicht aufgenommen; aufgenommen sind aber nachbiblische Personen, die für historisch gehalten wurden, etwa legendarisch bekannte Heilige oder die Päpstin Johanna.

Agricola, Johannes  365 Agricola, Rudolph  262 Albrecht, Herzog von Preußen  211 Alcázar, Luis  474 Alciati, Andreas  444 Alexander III., Papst  288  f., 426 Alexander VI., Papst  291 Alexander der Große  56, 143 Alkuin  184, 333 Alsted, Johann Heinrich  210, 337 Amsdorff, Nikolaus von  117, 298 Andreae, Jacob  190, 349, 385 Andreae, Johann Valentin  134, 141, 149, 340, 384, 388  f. Annius von Viterbo  273 Anselm von Canterbury  299 Antonius von Padua  449 Aristoteles  58, 184, 190, 205, 240, 380, 483 Arius  481, 490 Arndt, Johannes  340 Arnold, Gottfried  282, 340 Athanasius  483 August, Kurfürst von Sachsen  2  f., 164, 190 Augustinus  49, 81, 87, 109, 134, 138, 143, 203, 223, 244  f., 282, 296  f., 306, 310, 344, 353  f., 454, 457, 464, 477, 483 Augustus  286, 297, 405 Aulus Gellius  212 Aurifaber, Johannes  71 Aventin, Johannes  219, 391, 434

Bale, John  261, 306, 308, 323, 357, 448, 452 Barnes, Robert  283, 288–290, 293  f., 376, 402, 405, 415, 448, 467, 501 Baronio, Cesare  141, 370 Basilius  296, 483 Baudouin, François  374  f. Bayle, Pierre  189 Beck, Johann Jacob  338 Beda Venerabilis  150, 184, 208, 299, 333, 345 Bellarmino, Roberto  160, 483 Beno, Kardinal  96–98 Berengar von Tours  336, 433 Bernhard von Clairvaux  89, 108, 124, 185, 196, 244, 296, 299  f., 329, 333  f., 354, 407, 458 Bertholdt, Christian  251–253, 500 Beuther, Michael  71, 207, 226–232, 234, 419, 421, 424–428, 431  f., 436, 438, 458, 499 Beyer, Hartmann  304 Beyer, Valentin  431, 435–440, 448, 452, 458, 460 Beza, Theodor  196, 335  f. Boccaccio, Giovanni  280  f. Bodin, Jean  144  f., 160, 190, 198  f., 236  f. Boethius  333 Bolduanus, Paulus  140–142, 149, 152  f., 207, 470 Bonaventura  300 Bonifatius  263, 390–392 Bonifaz III., Papst  84, 183, 195, 248, 399 Bonifaz IV., Papst  454

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Personenregister

Bonifaz VIII., Papst  168, 221, 399, 410, 437 Bonnus, Hermann  346, 440, 447 Borges, Jorge Luis  234 Breckling, Friedrich  340 Brenz, Johannes  212 Bucer, Martin  137  f., 140, 188, 283, 336, 390, 423 Bugenhagen, Johannes  108, 117, 336 Bullinger, Heinrich  233 Burchard von Ursperg  214  f., 219, 229, 306 Büttner, Wolfgang  237–245, 501 Caesar  56, 74, 171 Calixt, Georg  276 Calvin, Jean  32, 86, 144, 162, 196, 306, 336  f., 434 Calvisius, Sethus  210 Capito, Wolfgang  283 Carion, Johannes  177  f. Cassander, Georg  374 Castro, Alphonso de  278 Catharina von Siena  221 Celtis, Konrad  259, 261  f., 444 Chemnitz, Martin  332, 336 Christian I., Kurfürst von Sachsen  197 Chyträus, David  116, 181, 190, 232, 238, 274, 383, 470–472, 475, 481–483, 485  f., 488 Cicero  59, 69  f., 74, 130, 256, 382 Claj, Johannes  123 Clauderus, Joseph  130  f. Clemens V., Papst  437 Clemens VII., Papst  291 Cochläus, Johannes  76, 196, 241, 265, 296, 304, 403 Coelius, Michael  107  f. Cramer, Daniel  98  f., 330  f., 474  f., 479, 483 Crato, Johannes  127 Crespin, Jean  324, 327, 348  f. Cuspinian, Johannes  247, 261 Cyrill  218, 454 Dante Alighieri  280 Dietenberger, Johannes  122 Dionysios von Halikarnassos  200 Domitian, Kaiser  243

Dresser, Matthäus  72, 74, 78, 116, 144, 189–198, 200, 457–460, 499 Dürer, Albrecht  444 Eber, Paul  75, 419–425, 427  f., 430–432, 434, 436, 440, 442, 444, 450, 458 Eck, Johannes  241, 430 Eder, Georg  402 Egenolff, Christian  347 Einhard  254 Eisengrein, Wilhelm  322–324 Erasmus von Rotterdam  126  f., 213, 233, 235, 241, 261, 265, 281  f., 292, 336, 438, 448, 450, 459, 504 Eusebius von Cäsarea  150, 208, 218, 272, 283–285, 288, 290, 294, 377  f.., 385, 402, 443 Ferdinand I., Kaiser  253 Flacius Illyricus, Matthias  97  f., 114, 116,140, 160, 196  f., 218, 240, 260, 282, 286, 294, 300–324, 327–341, 349, 352–354, 358–360, 365, 368, 373–376, 381, 383  f., 386  f., 389–391, 401, 405, 416  f., 423, 433, 448, 467, 475, 479, 481, 484–486, 498, 500, 502 Foxe, John  241, 261, 306, 323, 327, 348– 350, 357, 359, 363, 452 Franck, Caspar  279  f. Franck, Sebastian  224–228, 231–234, 281  f., 284  f., 411, 424, 499, 502 Franckenberger, Andreas  144 Franziskus von Assisi  450 Friedrich I. Barbarossa, Kaiser  256, 426 Friedrich II., Kaiser  172, 181, 314 Friedrich III., Kurfürst von der Pfalz  394  f. Friedrich IV., Kurfürst von der Pfalz  336 Frischlin, Nicodemus  225 Funck, Johannes  210–216, 223  f., 500 Gansfort, Wessel  88, 287, 300, 313 Geiler von Kaysersberg  196, 231, 266, 287, 292, 300, 313 Gentillet, Innocent  402 Gerson, Johannes  221, 240, 300, 313, 330 Gesner, Conrad  308 Giovio, Paolo  261 Glaser, Philipp  140, 470

Personenregister

Goldtwurm, Kaspar  324, 419  f., 440– 454, 461, 510 Goulart, Simon  336  f. Gratian  172, 196, 300, 333 Gratius, Ortwin  97 Gregor der Große, Papst  184, 201, 299, 301, 333, 390  f., 437, 449, 480, 482  f. Gregor VII., Papst  97  f., 201, 219  f., 248, 250, 286, 399, 404, 409  f., 423, 426, 434, 437 Grumbach, Wilhelm von  430 Grünrade, Otto von  336 Hadrian IV., Papst  256, 437 Hadrian VI., Papst  264, 291, 293 Haemstede, Adriaen-Cornelis van  348 Hedio, Kaspar  11, 214, 229, 283–294, 306, 349, 357, 376, 415, 501 Heerbrand, Jacob  128 Heinrich III., Kaiser  219 Heinrich IV., Kaiser  97, 171, 184, 196, 201, 219  f., 252, 289, 432 Heinrich VII., Kaiser  252 Heinrich VIII., englischer König  289 Helwig, Christoph  210 Hempel, Michael  361 Hermann von Wied  284  Herodes  404 Herodot  74  f. Hieronymus  143, 307, 407, 449 Hieronymus von Prag  111, 159, 163, 172, 185, 250, 356, 434, 449  f., 485 Hilten, Johannes  185 Hoë von Hoënegg, Matthias  104  f., 413 Hondorff, Andreas  237, 450–458, 460, 503 Höniger, Nicolaus  95  f., 226, 232–234, 282, 329, 410  f. Hrabanus Maurus  299 Hunnius, Aegidius  124, 334, 479 Hus, Johannes/Jan  88–91, 106, 111, 114  f., 123  f., 159, 163, 172, 183, 185, 202, 221, 223, 229, 250, 254, 265, 287, 296, 300, 313, 316, 331, 334, 336, 340, 350, 355  f., 359, 361, 364–369, 390, 397, 401, 412, 416, 426, 429  f., 434, 444, 448, 450, 454, 483, 485  f., 486 Hutten, Ulrich von  259  f. Innozenz IV., Papst  315

583

Isidor von Sevilla  299 Jacobus de Voragine  345 Joachim II., Kurfürst von Brandenburg  117, 249 Joachim von Fiore  301, 319, 455 Johann Friedrich, Kurfürst von Sachsen  448 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg  42 Johanna, Päpstin  219, 411–415 Johannes IV., Papst  219 Jonas, Justus  108 Judex, Matthäus  373 Julian  243 Julius II., Papst  130, 169, 221, 291 Justin  218 Justinian  95 Karl der Große, Kaiser  92, 160, 168, 171, 177, 182, 195, 201, 205, 248–258, 266, 285, 387, 446, Karl V., Kaiser  162, 165, 196, 199, 229, 249, 251, 253 Krantz, Albert  219, 221, 261 Krentzheim, Leonhard  74, 210, 216– 224, 500 Lasco, Johannes a  336 Latomus, Jacobus  76 Lautenbach, Conrad  324, 341  f. Leo I., römischer Bischof  404 Leo III., Papst  248 Leo X., Papst  291  f. Letzner, Johannes  391  f. Lindenbrog, Erpold  256–258 Lipsius, Justus  244, 435 Livius  74, 432 Ludwig der Bayer  91, 397 Ludwig VI., Kurfürst von der Pfalz  394  f. Luther, Martin  5–7, 11, 32, 41, 51–54, 70, 76  f., 79–93, 99–132, 147, 149, 152, 163  f., 167, 172  f., 175  f., 180–186, 188, 190, 194, 197  f., 201  f., 205, 208, 214, 217, 219, 222  f., 226  f., 233  f., 236, 244, 254, 257, 259, 263–66, 271, 273, 275, 277–284, 286–301, 304  f., 309, 311– 317, 319  f., 322, 326–333, 335–338, 340  f., 343–345, 350–352, 355–359,

584

Personenregister

364  f., 367–369, 379, 383, 388, 390  f., 397, 402  f., 407  f., 411, 423, 427  f., 435  f., 444  f., 448, 450, 453, 456, 459  f., 462, 465, 472–475, 477  f., 480  f., 483– 490, 501  f. Lutzenburg, Bernhard von  265, 278, 281 Machiavelli, Niccolo  314, 402 Maier, David  330  f., 368 Major, Georg  238, 294, 297–302, 312, 317, 332, 341, 345  f., 416, 440, 447, 452, 492, 502 Manlius, Johannes  237, 427  f. Marbach, Johannes  349 Marsilius von Padua  280, 334 Martin I., Papst  456  Martin von Troppau  193, 411 Mathesius, Johannes  106, 110–116, 123, 128, 498 Maximilian I., Kaiser  169, 247, 266, 426, 428, 433, 448–450 Maximilian II.  , Kaiser  253, 264, 266  f., Melanchthon, Philipp  2, 11, 32, 34  f., 66  f., 70  f., 108–112, 115  f., 126–129, 131, 138, 146–149, 156–158, 160  f., 170, 175–198, 202, 204–207, 211, 213  f., 216, 222  f., 226, 229, 231  f., 234, 236  f., 240, 244, 256, 269–271, 273, 276, 279, 282  f., 293–305, 309, 316  f., 321, 324, 327, 332  f., 335–338, 341, 348, 352, 358, 375, 377, 381–384, 390, 416–424, 427  f., 431, 435, 440, 445, 459  f., 467  f., 485, 491  f., 498  f., 501  f., 504, 508, 510 Menapius, Domides  331 Mohammed  173, 242, 301, 481, 490 Moller, Heinrich  129 Moritz, Kurfürst von Sachsen  448 Morus, Thomas  455 Mosheim, Johann Lorenz  340 Müller, Georg  (siehe: Mylius) Münster, Johann von  337 Müntzer, Thomas  367 Musculus, Andreas  465 Myconius, Friedrich  271, 283, 415 Mylius, Crato  306 Mylius (Müller), Georg  103, 115, 328  f., 408–410 Nauclerus, Johannes  159, 177, 201, 219, 388

Neander, Michael  200, 204  f. Neri, Filippo  370 Nero, Kaiser  243, 354, 444 Nicolai, Philipp  203, 397–401, 465 Nicolaus von Clémanges  292 Nidbruck, Kaspar von  304, 372, 374 Nigrinus, Georg  75, 78, 96, 402–405, 462, 464, 469, 478, 485, 487  f. Nikolaus V.  404, 437 Nikolaus von Kues  222, 231, 262, 314, 316, 423 Nikolaus von Lyra  300, 333, 475 Novatian  481  Ockham, Wilhelm von  300, 307 Oekolampad, Johannes  336 Oporin, Johannes  306, 323, 349, 371 Origenes  109, 481 Osiander, Andreas  211, 385, 427 Osiander, Lukas  330, 384–389, 414, 479  f., 485, 487 Ottheinrich, Kurfürst von der Pfalz  227 Otto der Große, Kaiser  171, 181 Otto von Freising  135, 208 Ovid  260, 262, 432 Pantaleon, Heinrich  259–269, 327, 349, 363  f., 369, 428  f., 434, 500 Panvinio, Onofrio  141, 221, 403, 433 Pappus, Johannes  198  f., 271, 327, 400– 402 Paul III., Papst  290  f., 293 Pauli, Simon  332  f. Pellican, Conrad  475 Petrus de Natalibus  345 Petrus Lombardus  300, 330, 333, 438  f. Peucer, Kaspar  2  f., 175–189, 194, 211, 224, 269, 421, 429, 500 Peutinger, Conrad  247 Pezel, Christoph  2 Pfeiffer, August  338–340 Philipp II., Graf zu Nassau und Saarbrücken  440 Phocas, Kaiser  84, 168, 183, 214, 248  f., 275, 285, 380, 399, 409, 423, 482, 487 Piccolomini, Enea Silvio  97, 215, 222, 240, 315, 405 Pilatus, Pontius  444 Pippin  171 Piscator, Johannes  475

Personenregister

Pius II.  siehe: Piccolomini, Enea Silvio Platina, Bartolomeo  96–98, 193, 283, 288, 290, 411, 434, 436  f., 452, 500 Platon  184, 200 Plinius  256, 261, 483 Plutarch  74, 246, 261 Polybios  162, 200 Polydor Vergil  212 Prätorius, Paulus  249–251 Pupper von Goch, Johann  88 Rabus, Ludwig  240  f., 348–361, 368, 416, 434, 448, 452, 454, 503 Reineccius, Reiner  72, 78, 97, 207, 209, 258, 270  f., 274 Reuchlin, Johannes  126, 292, 444 Reusner, Elias  95, 148  f., 192, 200–205, 209, 216, 247  f., 253, 429, 499 Reusner, Nicolas  429  f., 434 Rhenanus, Beatus  195, 227, 284 Richter, Balthasar  474 Rivander, Zacharias  73, 419, 457 Rudolf II., Kaiser  252  f. Sack, Siegfried  254 Sallust  74 Sarcerius, Erasmus  441 Saur, Abraham  431–436, 439  f., 448, 452, 460 Savonarola, Girolamo  88, 111, 115, 196, 221, 253, 313, 330, 334, 336, 350, 355, 357, 361, 364, 367–369, 416, 430, 444 Scaliger, Joseph Justus  209, 244 Schedel, Hartmann  159, 177, 225 Schlüsselburg, Conrad  281 Schopper, Jacob  331  f., 393–397, 507 Selnecker, Nikolaus  112, 115, 190, 333, 481–483, 487 Sickingen, Franz von  430 Sigebert von Gembloux  286, 426 Sigismund, Kaiser  168, 183, 250, 253, 365–367 Silvester II., Papst  446 Sixtus IV., Papst  96, 290 Sleidan, Johannes  71, 140, 161–175, 186, 192, 200, 206, 226  f., 261, 269, 349, 357, 381–383, 421, 436, 499 Spalatin, Georg  345  f. Spangenberg, Cyriacus  73, 113–116, 225, 358, 366, 368  f., 391  f., 498 Staphylus, Friedrich  196, 273, 304, 430

585

Steinhart, Georg  238 Strabo  483 Strigel, Victorin  153, 327, 475, 486 Sturm, Jakob  162, 169 Sturm, Johannes  385 Sturm, Vincentius  451–453 Sulzer, Simon  232, 234 Tacitus  200, 259, 261 Tarnow, Johannes  104  f. Tatian  481 Tauler, Johannes  88, 108, 124, 185, 231, 287, 292, 296, 300, 333, 352 Terenz  481 Tertullian  407 Teubner, Michael  255  f. Theobald, Zacharias  366  f. Theoderich der Große  219 Thomas Rhedonensis  455 Thomas von Aquin  109, 300, 315, 434, 438, 455, 483 Thomasius, Christian  340 Thukydides  74, 200, 256 Titus, Kaiser  217 Toke, Heinrich  332 Trithemius, Johannes  229, 261, 308, 322  f., 334 Valerian, Kaiser  487 Valla, Lorenzo  81, 88, 242, 438 Vergerio, Pier Paolo d.J.  280, 390  f., 412  f. Verheiden, Jacob  335  f. Vietor, Jeremias  328, 408 Viktor, römischer Bischof  218 Wagner, Bernhard  384, 388  f. Wagner, Marcus  254–256, 258 Weller, Hieronymus  124, 361  f. Wesel, Johann  88, 185, 287, 334 Wigand, Johannes  329, 362  f., 373, 468, 486 Wouters, Cornelius  374 Wyclif, John  88, 163, 196, 223, 241, 296, 316, 334, 336, 350, 357 Xenophon  74 Zell, Katharina  349 Zobel von Giebelstadt, Melchior  227 Zwingli, Ulrich  32, 213, 233, 260, 281, 336, 423, 453

Sachregister Das Sachregister bezieht sich auf den Text des Buches, nicht auf die Anmerkungen. Die Begriffe Geschichtsschreibung/Historiographie, lutherisch, Luthertum und Reformation sowie die Begriffe Kirchengeschichtsschreibung und Universalgeschichtsschreibung wurden nicht aufgenommen, da sie durchgehend vorkommen oder über das Inhaltsverzeichnis leicht zu erschließen sind.

Alte Kirche  82  f., 85, 109, 257, 272, 288, 344, 346, 354, 360  f., 377, 401  f., 440, 447, 454, 457, 460  f. Antichrist  52, 76, 80, 85–88, 90, 98, 110  f., 114, 120, 124, 130, 152, 186  f., 196  f., 200–203, 205, 213–215, 218  f., 221, 223, 242  f., 250, 271, 273, 275, 277, 279  f., 283, 286, 288  f., 291–294, 297, 300  f., 311, 313, 315, 319  f., 322, 327–330, 332–336, 353–356, 364  f., 379  f., 386, 396, 398  f., 401–404, 416, 455  f., 463  f., 468  f., 471, 474, 478  f., 482–492, 501  f., 509 Apokalypsenkommentare  6, 16  f., 54, 223, 327, 333  f., 398, 462–493 Apokalyptik  4  f., 51–53, 57, 70, 86  f., 90  f., 102  f., 113  f., 118, 159, 165, 167, 169, 174, 186  f., 202  f., 205, 208, 214, 219–221, 223, 239, 265, 277, 289, 292, 300  f., 319  f., 334, 355, 364  f., 402, 404, 410, 412  f., 415  f., 425, 437, 439, 451, 456, 462–493 Apologetik  6, 31, 76, 79, 270, 275, 332, 335, 340, 377, 439, 497 Basler Konzil  97, 202, 214, 229, 287, 313  f., 437 Buchdruck  20, 56, 68, 93, 230  f. Calvinismus (siehe: Reformiertentum) Charisma  4, 6, 17, 50  f., 53  f., 100, 107, 109  f., 113  f., 116, 120, 125, 132, 326, 330, 497  f. Catalogus testium veritatis (siehe auch: Testes veritatis)  97  f., 196, 218, 294, 301–

342, 353, 368, 374  f., 381, 384, 386, 397, 403, 416, 469, 485, 501  f., 508 Chronicon Carionis  2, 11, 67, 106, 158, 170, 175–189, 192, 203  f., 227, 256, 300, 366, 381, 383  f., 391, 417, 436, 499, 501 Chronologien  16, 21, 71, 75, 78, 200, 206–224, 248, 337, 429, 431, 468  f., 471, 499  f., 505, 507 Danielprophetie  75, 88, 141, 143–145, 158  f., 165, 168  f., 172, 174, 179, 187, 189, 192, 195, 198–200, 203  f., 222, 224, 228  f., 246, 257, 286, 465, 478, 499 Ekklesiologie  90, 149, 151, 153  f., 329, 398, 413, 415, 502 Endzeit  5  f., 51–53, 86, 90  f., 103, 108  f., 112–118, 120, 132, 160, 169, 179, 186  f., 205, 264, 271, 277, 286, 289, 297, 301, 320  f., 337, 355  f., 361, 379, 398, 403, 450, 462–493, 497–499, 501, 504  f. Exegese  16, 73, 75, 79, 86, 88, 115, 174, 179, 208, 236, 300, 332, 344, 346, 382, 395, 410, 438, 462–493 Exempla  6, 48, 59, 68  f., 70  f., 74, 80, 121, 123, 153, 175  f., 179, 191, 212, 215, 235–245, 247, 254, 272, 302, 310, 326, 343, 346  f., 351, 353, 359, 362, 377, 382, 406, 409, 412, 419, 422–424, 432, 441  f., 452, 454  f., 457, 497, 501 Gattungen, historiographische  5  f., 14– 17, 20–22, 27, 29, 48  f., 54, 93, 99,

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Sachregister

125–131, 133–157, 161, 175, 177, 188, 216, 228, 245  f., 251, 253, 278, 307  f., 334, 342, 344  f., 353, 356, 363  f., 382, 402, 409, 411, 421  f., 427, 431, 437, 439–451, 460  f., 469, 496  f., 503, 507, 510–512 Gedächtnis, Gruppengedächtnis  4  f., 17, 30  f., 42–49, 62, 65, 79, 100–132, 188, 269, 386, 430, 441, 497, 506, 511 Gelehrsamkeit  5, 19, 29, 62, 161, 248, 321, 381, 497, 501, 506 Geschichtskalender  17, 72, 134, 155, 207, 209, 227  f., 253, 324, 345, 348, 360  f., 363, 406, 418–462, 469, 475, 503  f., 508, 510  f. Gravamina deutscher Nation  287, 314  f. Häretiker, Häresiediskurs (siehe: Ketzer, Ketzerdiskurs) Hagiographie  54, 115  f., 257, 341–370, 422, 447, 454, 458 Heilige  16, 81, 91, 101, 108, 115, 118, 141, 184  f., 190, 220  f., 245, 256  f., 267, 277, 281  f., 299, 323, 330, 337, 341– 370, 390, 408, 410–412, 419–422, 425, 429, 432, 434–436, 439–461, 477  f., 498, 502–504 historia magistra vitae  59, 63, 68,170, 240, 245, 497 historia sacra  141, 274, 377, 382, 385 historia ecclesiastica (siehe: Kirchengeschichte) Historiographiegeschichte  3, 12  f., 18– 23, 61, 64, 154, 302, 510 Humanismus  6, 29, 34, 38  f., 45, 48, 57, 59–65, 68–72, 74, 81  f., 84, 89, 92, 94– 97, 124–132, 135, 138, 144, 151, 157, 159, 161  f., 169, 175, 177  f., 184, 187– 191, 194  f., 197  f., 200, 202, 209, 212, 214  f., 221, 224, 227, 230  f., 242, 244, 246–248, 254–256, 258–269, 283, 285, 291  f., 302  f., 321, 330, 363  f., 368  f., 371, 374, 377, 381  f., 385, 399, 404  f., 415, 421–431, 434  f., 437  f., 440, 444, 452, 454, 458  f., 467, 496  f., 500  f., 503  f., 512 Identitäten, kollektive und konfessionelle  3–5, 9, 13  f., 19, 22, 25–27, 30, 35–49, 53  f., 62, 76, 92, 94, 99, 120, 124  f., 132, 154, 161, 174, 178, 181, 185, 188, 206  f., 216, 224, 235, 247  f.,

259  f., 268  f., 275, 291, 321  f., 332, 335, 348, 359, 364, 368, 383, 404, 415–417, 422, 438, 460–464, 476, 492, 495, 497  f., 500–513 Interim  7, 33, 127, 137, 160, 188, 197, 211, 251, 282–285, 291, 297, 302, 319– 321, 336, 347, 349, 353, 355, 359  f., 368, 381, 433, 441, 444, 467, 486, 501 Irenik  61, 162, 194, 260, 265–268, 276, 297, 374, 392, 394, 438, 440, 503 Kalenderliteratur (siehe: Geschichtskalender) Katholizismus  8, 23, 41  f., 61, 67, 85, 87, 96–98, 111, 118, 122, 141  f., 144  f., 149, 151  f., 160, 166, 169, 179, 188, 190, 193, 198, 209, 225, 235, 241, 251, 253, 255, 264  f., 271, 274, 276, 278–282, 284, 290, 293, 296, 304, 309–312, 315, 321–323, 327, 329, 339, 347, 355  f., 360, 364, 370, 374, 395, 401, 403, 407, 409, 414–416, 422  f., 427, 432, 445–448, 450, 454  f., 458–460, 483, 500, 506  f. Ketzer, Ketzerdiskurs  49, 76, 91, 109, 145, 169, 179, 195, 202, 225, 234, 241, 250, 265, 271, 277–282, 285, 287  f., 293  f., 296, 298, 304, 311, 323, 340  f., 354, 360, 364, 376, 378–380, 385, 387, 400  f., 408, 410, 426  f., 433, 456, 471, 481–483, 502 Kirchenväter  49, 84, 108, 275  f., 305, 311, 326, 333, 346, 352, 391, 449, 454 Kompilation  93–99, 154, 212, 231  f., 235–245, 263, 330, 424, 428, 434, 436, 441, 497, 501 Konfessionalisierung  3–5, 21–32, 39  f., 61  f., 67, 112, 134, 136, 149, 154, 156, 188  f., 199, 206, 238, 245, 248, 258  f., 269, 303, 337, 347, 349, 393  f., 435, 460, 463  f., 497, 499, 504, 506–509  Konfessionsbildung  23–31, 507 Konfessionskultur  23–33, 361, 456, 503, 508 Konstanzer Konzil  91, 172, 202, 214, 229, 250, 253, 313, 355, 359, 365, 367 Loci-Methode  94, 235–245, 274, 332, 346, 371, 375  f., 382, 385, 388, 406, 409 Luther als Prophet, v.  a. als Elias  102– 117, 128, 308  f., 356, 450  f., 485

Sachregister

Lutherbiographien  106–117, 358, 498 Luthermemoria (siehe Reformationsmemoria) Magdeburger Zenturien  11, 66, 236, 254, 274, 282, 284  f., 302, 304, 321  f., 325, 329, 362, 370–389, 391, 396  f., 399– 406, 412, 414, 416  f., 469  f., 501, 503, 508 Märtyrer  16, 91, 114  f., 123, 196, 241, 245, 257, 261, 277  f., 280, 282, 306, 323  f., 327–329, 338, 341–370, 376, 379, 416, 429  f., 434, 441, 447–449, 452  f., 455, 502  f. Martyrologie  241, 261, 306  f., 320, 327, 341–370, 416, 421, 429, 448, 503 Nation, Nationalbewußtsein  25, 35, 38  f., 43, 64, 92, 144, 199, 221, 224, 230–232, 246–248, 256, 258–269, 285, 290, 293, 305, 349, 359  f., 363  f., 383, 415, 426, 500 Novitas-Vorwurf  49, 76, 293  f., 309  f., 403 Papsttum  76, 79–81, 84–87, 91, 98, 114, 120, 158  f., 167  f., 171  f., 178, 185  f., 194  f., 202, 204, 214  f., 218  f., 221, 223, 242, 251, 257, 263, 271  f., 275, 277, 279, 282–294, 299, 301, 312, 314, 317, 328  f., 331, 339, 359, 368, 380  f., 386  f., 390, 398–404, 407–415, 425  f., 437, 458, 478, 481  f., 484, 487–491, 499, 502  f. Polemik  6, 14, 30  f., 33–35, 41  f., 62, 76, 81  f., 85, 107, 122, 132, 135, 157, 188, 220, 225, 227, 242, 251, 258, 270, 275  f., 281, 288  f., 310, 314  f., 319  f., 322  f., 325, 332, 372, 381, 384, 389  f., 395, 402–417, 425  f., 434, 450, 460, 466, 470, 475, 482, 497, 501, 503, 505, 511 Predigt  6, 16, 74, 101, 103  f., 107  f., 110– 125, 127, 134, 151  f., 155, 185, 212, 235, 239, 245, 328  f., 343, 346  f., 357, 389, 406, 408  f., 418, 427, 457, 467  f., 474, 492, 504, 506, 511 Predigtpostillen  121–125, 427, 457, 504, 506 Profangeschichte  30, 63, 66, 74, 92, 124, 134, 143, 146  f., 149–153, 157  f., 173, 180  f., 183, 189, 191  f., 195, 199  f., 202  f., 208, 210, 212, 224, 228, 241,

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244, 254, 269–276, 302, 377  f., 382  f., 385, 393, 417, 421–423, 428, 430–432, 435  f., 441, 444, 452, 457, 460, 498  f. Quellenkritik  48, 59  f., 63  f., 80  f., 98, 195, 206, 276, 374, 415, 436, 443, 455, 496  f. Reformationsjubiläen  7, 107, 117–120, 130, 277, 284, 326, 330, 368, 427, 460, 467, 498 Reformationsmemoria/Luthermemoria  53  f., 100, 107, 116–120, 122  f., 125–133, 275, 427–431, 456, 460, 498, 504 Reformiertentum/Calvinismus  2, 23, 31, 42, 106, 116, 119, 122, 137, 144, 151, 190, 203, 223, 240, 260, 264, 267  f., 318, 322, 335–337, 348  f., 360– 362, 384, 393–396, 416, 428, 436, 475, 500, 502, 506 Säkularisierung  30, 115  f., 142, 146  f., 157  f., 161, 189, 195, 199, 204, 269, 422, 499 Scholastik  109, 129  f., 184, 196, 205, 315, 333, 380  f., 430, 502 Späthumanismus 62, 189, 191, 200, 244, 248, 256, 258  f., 434, 501, 503  Testes veritatis (siehe auch: Catalogus testium veritatis)  271, 274, 294, 301–342, 350–353, 360  f., 364, 378, 387, 484, 502 traditio domus Eliae  148, 158, 179, 183, 186, 189, 192, 200, 222, 229, 499 Translatio imperii  92, 141, 160  f., 171, 173, 182, 197, 219, 247, 255, 259, 262, 286, 489 Türken  124, 169, 173, 179, 186, 196– 198, 200, 243, 280, 301, 380, 398, 468, 479, 482  f. Tridentinum  7, 53, 141, 152, 264, 283, 291, 293  f., 296, 314, 346, 356, 475, 501 Vorreformatoren  12, 88, 502 Verwissenschaftlichung  12, 19  f., 30, 65, 178, 210, 431, 496 Vorläufer Luthers/Luther als Vorläufer Christi  11, 51, 54, 86, 88, 90  f., 103, 108, 115  f., 166, 172, 280, 340, 428 Zweireichelehre  138  f., 147, 149, 157  f., 161, 189, 194, 197, 202, 204  f., 269, 498  f., 501, 508, 510