Zur Konzeption eines phraseologischen Wörterbuchs für den Fremdsprachler: Am Beispiel Deutsch - Koreanisch [Reprint 2016 ed.] 9783110929980, 9783484309890

This volume proposes a new concept for the lexicographic representation of proverbial sayings (phrasemes). For dictionar

161 7 17MB

German Pages 188 [192] Year 1998

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
0 Einleitung
Teil I. Theoretische Ansätze zur Phraseologie
1 Vorbemerkungen
2 Phraseme: Versuch einer Phänomenbestimmung
3 Die phraseologische Eigenschaft der Idiomatizität
4 Modelle zur Klassifikation
5 Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen phraseologischen Eigenschaften
6 Untersuchung traditioneller Wörterbücher im Hinblick auf ihre Auffassung von Phraseologie
7 Neubestimmung eines neuen L2-orientierten Phrasembegriffs
8 Lexikographische Behandlung der Angaben zu Phrasemen in traditionellen Wörterbüchern
9 Resümee
Teil II. Definition pragmatischer Parameter für die Konzeption lexikographischen Mikrostruktur für L2-Lerner
1 Zum Begriff der minimalen Konstellation
2 Pragmatische Beschreibungsansätze des Phrasemgebrauchs in der minimalen Konstellation
3 Darstellung der pragmatischen Information in der neu zu erstellenden Mikrostruktur
4 Zusammenfassung
Teil III. Vorschläge für die Mikrostruktur eines neuen phraseologischen Wörterbuchs
1 Auswahlkriterien für die zu untersuchenden Phraseme auf der Grundlage des neu bestimmten L2-orientierten Phrasembegriffs
2 Empirischer Beleg der Phrasembedeutung (Informanten und Repräsentativität)
3 Der deutschsprachige Teil der Mikrostruktur
4 Der koreanische Teil der Mikrostruktur
5 Empirischer Vergleich der Wörterbuchartikel und Formulierung von Vorschlägen für ausgewählte Phraseme
Schlußbetrachtung
Literatur
Abstract
Sommaire
Recommend Papers

Zur Konzeption eines phraseologischen Wörterbuchs für den Fremdsprachler: Am Beispiel Deutsch - Koreanisch [Reprint 2016 ed.]
 9783110929980, 9783484309890

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Series Maior

LEXICOGRAPHICA Series Maior Supplementary Volumes to the International Annual for Lexicography Supplements ä la Revue Internationale de Lexicographie Supplementbände zum Internationalen Jahrbuch für Lexikographie

Edited by Sture Allen, Pierre Corbin, Reinhard R. K. Hartmann, Franz Josef Hausmann, Ulrich Heid, Oskar Reichmann, Ladislav Zgusta 89

Published in cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography (EURALEX)

Mi-Ae Cheon

Zur Konzeption eines phraseologischen Wörterbuchs für den Fremdsprachler Am Beispiel Deutsch-Koreanisch

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1998

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Lexicographica / Series maior] Lexicographica : supplementary volumes to the International annual for lexicography / publ. in cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography (EURALEX). Series maior. - Tübingen : Niemeyer. Früher Schriftenreihe Reihe Series maior zu: Lexicographica 89. Cheon, Mi-Ae: Zur Konzeption eines phraseologischen Wörterbuchs für den Fremdsprachler. - 1998 Cheon, Mi-Ae: Zur Konzeption eines phraseologischen Wörterbuchs für den Fremdsprachler : am Beispiel Deutsch-Koreanisch / Mi-Ae Cheon. - Tübingen : Niemeyer, 1998 (Lexicographica : Series maior ; 89) ISBN 3-484-30989-X

ISSN 0175-9264

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des UrhebeiTechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druckvorlage: Matthias Kammerer, Karlsruhe Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren

Inhalt

Danksagung 0 Einleitung 0.1 Ziel der Arbeit 0.2 Aufbau der Arbeit

IX 1 1 2

Teil I Theoretische Ansätze zur Phraseologie 1 Vorbemerkungen 1.1 Phraseologie unter dem Aspekt des Fremdsprachenerwerbs

9 10

2 Phraseme: Versuch einer Phänomenbestimmung 2.1 Wortverbindungen als „Einheiten" der Satzbildungsebene 2.2 Strukturelle Eigenschaften (I): Komponenteneigenschaften 2.2.1 Autosemantika 2.2.2 Unikale Komponenten 2.3 Strukturelle Eigenschaften (Π): Integration in morphosyntaktische Satzmodelle 2.4 Die phraseologische Eigenschaft der Festigkeit 2.4.1 Festigkeitsdefinition 2.4.2 Festigkeitstypologie/"Transformationelle Defektivität" 2.5 Zusammenfassung

12 12 13 13 14 14 16 16 17 21

3 Die phraseologische Eigenschaft der Idiomatizität 3.1 Idiomatizität als Ganzheit 3.2 Idiomatizität als Komponenteneigenschaft 3.3 Konnotation 3.4 Modifikationssemantik 3.4.1 Semantische Effekte zur Einphrasem-Modifikation 3.4.2 Semantische Effekte der Mehrphrasem-Modifikation 3.5 Zusammenfassung

22 22 22 25 27 27 28 29

4 Modelle zur Klassifikation 4.1 „Rein-semantische Klassifikation" (nach Pilz) 4.2 „Konnotat-Denotat-Wortverbindungs-Klassifikation" (nach Kopylenko/Popova) 4.3 Phraseologische Klassifikation im Rahmen von Mel'öuks Wortverbindungstypologie 4.4 „Phraseologisations-Modell" (nach Rojzenzon) 4.5 „Struktur-semantische" Klassifikation (nach Cernyäeva) 4.5.1 „Phraseologische Ganzheiten"

31 31 33 33 33 34 34

VI 4.5.2 „Phraseologische Verbindungen" 4.5.3 „Phraseologisierte Bildungen" 4.5.4 „Modellbildungen" 4.6 Spezielle feste Wortverbindungen 4.6.1 Funktionsverbgefuge 4.6.2 Sprichwörter 4.6.3 Gemeinplätze 4.6.4 Geflügelte Worte 4.6.5 „Kommunikative Formeln" 4.7 Einordnung des „phraseologischen Grenzbereichs" 4.8 Zusammenfassung

35 35 36 36 36 36 37 37 37 38 38

5

Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen phraseologischen Eigenschaften 5.1 Idiomatizität und Festigkeit 5.2 Reproduzierbarkeit und Festigkeit 5.3 Zusammenfassung

39 39 39 40

6

Untersuchung traditioneller Wörterbücher im Hinblick auf ihre Auffassung von Phraseologie 6.1 Untersuchung im Hinblick auf die Zielgruppe des L2-Lerners (Zielgruppe) 6.2 Untersuchung im Hinblick auf die Begriffsbestimmung des Phrasems 6.3 Zusammenfassung

41 41 42 45

7

Neubestimmung eines neuen L2-orientierten Phrasembegriffs

48

8

Lexikographische Behandlung der Angaben zu Phrasemen in traditionellen Wörterbüchern 8.1 Zum Begriff Mikrostruktur 8.2 Problematik der Angabenklassen zu Phrasemen 8.2.1 Mängel der Angabe der Nennform 8.2.3 Mängel der Beispielangabe 8.3 Motivierung der Erweiterung der traditionellen Mikrostruktur (Einfuhrung neuer pragmatischer Parameter)

9

Resümee

50 51 52 52 55 56 60

Teil II Definition pragmatischer Parameter für die Konzeption einer lexikographischen Mikrostruktur für L2-Lerner 1

Zum Begriff der minimalen Konstellation

65

2

Pragmatische Beschreibungsansätze des Phrasemgebrauchs in der minimalen Konstellation 2.1 Die Äußerung des Phrasems (Teilbereich a)

66 66

VII 2.2 Die mentalen Zustände von Sprecher und Hörer zum Zeitpunkt der Äußerung des Phrasems (Teilbereich b) 2.3 Die zeitliche Entwicklung der Kommunikation zwischen Sprecher und Hörer bis zur Äußerung des Phrasems und nach Beendigung der Äußerung des Phrasems (Teilbereich c) 2.4 Teilbereich des sozialen Kontextes (Teilbereich d) 2.4.1 Narrativer und aktioneller Gebrauch 2.4.2 Aktanten 2.5 Zusammenfassung 3 Darstellung der pragmatischen Information in der neu zu erstellenden Mikrostruktur 3.1 Zur Vertextbarkeit der Information aus den Teilbereichen der „Äußerung des Phrasems" (a), der „mentalen Zustände von Sprecher und Hörer zum Zeitpunkt der Äußerung des Phrasems" (b), der „zeitlichen Entwicklung der Kommunikation zwischen Sprecher und Hörer bis zur Äußerung des Phrasmes und nach Beendigung der Äußerung des Phrasems" (c) und des „sozialen Kontextes" (d) 3.1.1 Vertextbarkeit von Teilbereichen der „Äußerung des Phrasems" (a) und der „mentalen Zustände von Sprecher und Hörer zum Zeitpunkt der Äußerung des Phrasems" (b) 3.1.2 Zur lexikographischen Vertextbarkeit vom Teilbereich der „zeitlichen Entwicklung der Kommunikation zwischen Sprecher und Hörer bis zur Äußerung des Phrasems und nach Beendigung der Äußerung des Phrasems" (c) 3.1.3 Zur lexikographischen Vertextbarkeit des „soziale Kontextes" (d) 3.1.4 Symbole zur Spezifizierung der minimalen Konstellation und allgemeine Darstellung der Mikrostrukturparameter 3.2 Definition der einzelnen Mikrostrukturparameter 3.2.1 Intention 3.2.2 Emotionaler Gehalt 3.2.3 Vertrautheit 3.2.4 Transaktionsebene 3.2.5 Anwendungsbereich 3.2.6 Grammatische Besonderheiten 4 Zusammenfassung

67

68 69 70 71 71 73

73

73

73 74 74 75 76 76 76 77 77 78 79

Teil III Vorschläge für die Mikrostruktur eines neuen phraseologischen Wörterbuchs 1 Auswahlkriterien für die zu untersuchenden Phraseme auf der Grundlage des neu bestimmten L2-orientierten Phrasembegriffs

85

2 Empirischer Beleg der Phrasembedeutung (Informanten und Repräsentativität)

86

VIII 3

4

Der deutschsprachige Teil der Mikrostruktur 3.1 Anforderungen an die Mikrostruktur und an die Darstellung der semantischpragmatischen Parameter

87 87

Der koreanische Teil der Mikrostruktur 4.1 Der Äquivalenzbegriff 4.1.1 Übersetzbarkeit als Grundvoraussetzung 4.1.2 Zur Äquivalenz 4.2 Regeln zur Formulierung des koreanischen Teils der Mikrostruktur

91 91 91 91 93

5 Empirischer Vergleich der Wörterbuchartikel und Formulierung von Vorschlägen für ausgewählte Phraseme

95

Schlußbetrachtung

169

Literatur

171

Abstract

177

Sommaire

179

Danksagung Folgenden Personen möchte ich hier besonders danken: Zuerst Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Herbert Ernst Wiegand für seine Hilfe; Herrn Prof. Dr. Klaus Mudersbach fur wertvolle Anregungen; Dr. Klaus-Peter Konerding für die viele Mühe und fachliche Unterstützung; Herrn Markus Bell und Dr. Frank Höfling, die mir als „Hauptinformanten" viel Zeit und hervorragende Einfalle geschenkt haben; Frau Ute Labuhn, Dr. Susanne Anschütz, Herr Michael Schiffinann und vor allem Dr. Christine Emig, die als „Nebeninformanten" zu den Angaben der Phraseme viel beigetragen haben; Herrn Prof. Dr. Oskar Reichmann für die Vermittlung bei der Aufnahme in die Reihe „Lexicographica. Series Maior"; Herrn Matthias Kammerer für die Hilfe bei der Formatierung und Einrichtung der Arbeit, und schließlich dem Max Niemeyer Verlag für den Druck. Ihnen allen bin ich zutiefst dankbar.

n, of§, η °iho|oini

0 Einleitung 0.1 Ziel der Arbeit In der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, das Konzept einer Mikrostruktur für ein zweisprachiges phraseologisches Wörterbuch zu entwerfen. Dieses soll den L2-Lerner in Rezeption und Produktion deutscher Phraseme unterstützen. Dabei wurde in erster Linie an ausländische Studierende der Germanistik sowie ausländische Deutschlehrende, vor allem im Hochschulbereich gedacht. Die praktische Anwendung des neuen Mikrostrukturkonzepts innerhalb der vorliegenden Arbeit erfolgt für die Seite der koreanischsprachigen Benutzer (Abschnitt III.5). Gewählt wurde dieses Thema hauptsächlich aus zwei Gründen: Zum einen weisen die deutschen einsprachigen phraseologischen Wörterbücher und die phraseologischen Beiträge der deutschen allgemeinen Wörterbücher nicht nur unter dem Gesichtspunkt des L2-Lerners nicht immer die wünschenswerte Ausführlichkeit und Präzision auf (dazu Abschnitt 1.8. „Lexikographische Behandlung der Angaben zu Phrasemen in traditionellen Wörterbüchern"). Zum anderen finden sich in den deutsch-koreanischen phraseologischen und in den allgemeinen zweisprachigen Wörterbüchern Deutsch-Koreanisch zahlreiche Mängel.1 Diesen Mängeln kann am besten durch die Konzeption einer speziell auf L2-Lerner zugeschnittenen Mikrostruktur im Wörterbuch abgeholfen werden. Darum ist die vorliegende Arbeit ausschließlich auf die Neukonzeption einer entsprechenden Mikrostruktur ausgerichtet. Selbstverständlich ist auch die Makrostruktur ein wichtiger Bestandteil einer Wörterbuchkonzeption. Sie stellt jedoch einen getrennt von der Mikrostruktur behandelbaren Aspekt dar, der nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist. Die Mikrostruktur soll durch Definition funktioneller, damit auch praxis- und anwendungsrelevanter Parameter dem L2-Lerner diejenigen Aspekte eines Phrasems verdeutlichen, die seinen Gebrauch bestimmen. Probleme der Konzeption eines phraseologischen Wörterbuchs Deutsch-Koreanisch sind in der 1996 erschienenen Dissertation von Kim-Werner am Beispiel der somatischen Phraseologismen schon einmal behandelt worden. In Übereinstimmung mit den allgemeinen Gründen und Motiven für die hier vorliegende Arbeit betont Kim-Werner einerseits den Mangel an einschlägigen Lernhilfen für den Nicht-Muttersprachler (S. 1) und verweist andererseits auf die Bedeutung der Kenntnis der Phraseme für die „alltägliche Kommunikation" (ebd.). Für die vorliegende Fragestellung sind vor allem die in der genannten Dissertation gemachten Vorschläge zur Gestaltung der Mikrostruktur von Interesse. Eine Gemeinsamkeit bei der Erreichung der Zielsetzung eines möglichst optimalen Wörterbuchs besteht darin, daß auch Kim-Werner das traditionelle Informationsangebot hinsichtlich der Pragmatik erweitert sehen möchte: „In meinen (sie!) Wörterbuch werden die zusätzlichen Informationen, die in der bisherigen Wörterbuchpraxis vernachlässigt wurden, auch berücksichtigt (...). So werden zusätzliche Informationen hinsichtlich der Sprecherhaltung, der situationsspezifischen, der geschlechtsspezifischen Restriktionen usw. mit den Kommentarausdrücken angegeben (S. 91)." In diesem Zusammenhang gebraucht Kim-Werner den Ausdruck „emotionale Haltung" (des Sprechers). So sind 1

Für Beispiele zu den Mängeln der allgemeinen zweisprachigen Wörterbücher Deutsch-Koreanisch siehe ausfuhrlich: Mi-Ae Cheon, 1996.

2 auch bezüglich der Frage, welche Informationen zusätzlich aufgenommen werden sollte, Übereinstimmungen festzustellen. Der Hauptunterschied zur vorliegenden Arbeit ist jedoch darin zu sehen, in welcher Form diese Informationen in die Mikrostruktur zu einem Phrasem integriert werden sollte. Kim-Wemer entscheidet sich beispielsweise für eine implizite Darstellung einer „emotional-wertenden Komponente" (S. 91) in die Paraphrase des Phrasems, während in der vorliegenden Arbeit versucht wird, diese Information explizit in neu zu konzipierenden Mikrostrukturparametem („Angabenklassen") unterzubringen. Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß die vorliegende Arbeit den Versuch unternimmt, zu einem bestimmten Phrasem Äußerungssituationen mit Nennung der an der Kommunikation Beteiligten formalisiert darzustellen. Des weiteren sind die zu einem Phrasem gehörenden „Beispielangabe" sämtlich und die „Bedeutungsangabe" in der vorliegenden Arbeit in vielen Fällen anhand expliziter Regeln neu formuliert worden (III.3.1), und zwar ausgehend von einer kritischen Analyse der bisher vorliegenden deutschsprachigen Einträge in einigen Wörterbüchern (1.8). Im Gegensatz dazu übernimmt Kim-Werner, wie sie selbst darlegt, die „Bedeutungsangaben" aus dem „Duden: Redewendungen (1992)" (S. 102). Auch die „Beispiele" zu dem von ihr ausgewählten Arbeitskorpus stammen weitgehend aus dem gleichen Wörterbuch, werden jedoch noch durch eigene ergänzt (ebd.). Ein weiterer wesentlicher Unterschied in der Herangehensweise zeigt sich schließlich auch, was die pragmatische Information anbelangt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist der Versuch unternommen worden, diese Information an einer (allerdings zahlenmäßig sehr beschränkten) Gruppe muttersprachlicher Informanten direkt zu erheben, während Kim-Werner sich in diesem Punkt „im wesentlichen an die im Duden: Redewendungen (1992) verzeichneten Bestimmungen (...)" (S. 101) anlehnt.

0.2 Aufbau der Arbeit Die Zielsetzung der Arbeit ist praxisorientiert, dennoch wurde darauf Wert gelegt, zunächst die linguistisch-theoretischen Voraussetzungen darzulegen und entsprechende Konzepte auf ihre lexikographisch-didaktische Verwertbarkeit hin zu prüfen. Diese betreffen hauptsächlich zwei Bereiche: - erstens, das Phänomen des Phrasems als strukturell abgrenzbare Erscheinung des Sprachsystems, - zweites, sein Funktionieren als kommunikatives Mittel.

Auf den Ergebnissen dieses zweiten Bereichs (Kapitel II) aufbauend wird anschließend das Konzept einer L2-lerner-freundlichen Mikrostruktur vorgestellt und an einem ausgewählten Arbeitskorpus deutscher Phraseme exemplifiziert. Im einzelnen sind die Kapitel und Abschnitte der Arbeit folgenden Themen gewidmet. Teil I Theoretische Ansätze zur Phraseologie Die Abschnitte 1.2 und 1.3 behandeln die Stellung der Phraseme innerhalb des Sprachsystems, wobei anfangs die Abgrenzung gegenüber Lexemen auf der einen und freien Wortverbindungen auf der anderen Seite herausgearbeitet wird. Nach dieser „Grobverortung" erfolgt eine Darstellung verschiedener Begriffe wie „Basislexem" oder „unikale Komponente", die zur Differenzierung bestimmter Komponenten von Phrasemen dienen. Den breitesten Raum nimmt im Anschluß daran die Diskussion der „klassischen" phraseologischen Kriterien Fe-

3 stigkeit und Idiomatizität ein. Hier werden unterschiedliche Ansätze verschiedener Autorinnen und Autoren vorgestellt 2 . Dies einerseits, um die Schwierigkeiten vor Augen zu führen, die die Operationalisierung des Phrasembegriffs bereitet, andererseits, um inmitten der Meinungsvielfalt die Stellung eines eigenen, praxisorientierten Phrasembegriffs zu verdeutlichen, der in Abschnitt 1.7 („Neubestimmung eines L2-orientierten Phrasembegriffs") vorgestellt wird, und der auch zur theoretischen Fundierung der Auswahl des Phänomenbereichs in dieser Arbeit dient. Der Abschnitt über Festigkeit (1.2.4) ist konzeptuell im Hinblick auf die Abwandelbarkeits-, bzw. Flexibilitätsaspekte von Phrasemen gestaltet. So wird die Relevanz der Diskussion für den Phrasemgebrauch am ehesten ersichtlich. Es werden verschiedene syntaktischlexikalische Transformationen betrachtet, denen Phraseme unterworfen werden können, ohne ihre „Phraseologizität" zu verlieren. Hier werden jeweils deutsche Phrasembeispiele angeführt und diskutiert. Der darauffolgende Abschnitt „Die phraseologische Eigenschaft der Idiomatizität" (1.3) stellt, in gleicher Weise wie dies mit dem Festigkeitsbegriff geschieht, autorenspezifische Ansätze vor. Es soll gezeigt werden, daß trotz der Verschiedenheit von Begrifflichkeiten und Perspektiven innerhalb des Phraseologieproblems diesen Ansätzen als Leitmotiv die Vorstellung von der Unterscheidbarkeit einer wörtlichen von einer phraseologischen Bedeutungsebene gemeinsam ist. Es werden Ansätze vorgestellt, die die Gesamtbedeutung eines Phrasems nicht als völlig unableitbar aus den Komponenten ansehen, sondern Idiomatizität eines Phrasems auf Komponenteneigenschaften zurückführen. Eine eigene Operationalisierung dazu bringt unter anderem der Abschnitt 1.3.2. Der Phrasemsemantik sind insbesondere die Abschnitte 1.3.4—1.3.4.2 gewidmet. Zunächst wird hier der auch außerhalb der Phraseologie anzutreffende Begriff der Konnotation (1.3.3) eingeführt und sein Bezug zur Phrasembedeutung aufgezeigt. Um den Anschluß an die aktuell-sprachliche Verwendung der Phraseme zu gewinnen, ist an zahlreichen Beispielen die Breite individueller, d.h. nicht lexikalisierter Varianten von Phrasemen (Burger folgend sei dafür der Terminus „Modifikation" gebraucht) exemplifiziert, und es werden Korrelationen zwischen Struktur und semantischen Effekten typologisiert. Viel Aufmerksamkeit gilt in der Phraseologieforschung dem Problem der inneren Differenzierung der Phraseologie (Klassifikation). Ebenso wie bei der Definition der phraseologischen Kriterien sind in Abschnitt 1.4 verschiedene autorenspezifische Ansätze vorgestellt. Diese unterscheiden sich hauptsächlich darin, wie Idiomatizität aufgefaßt wird, und welche Bedeutung strukturellen Phrasemeigenschaften zugemessen wird. Neben den bekannten Klassifikationsmodellen, etwa von temySeva und Pilz, werden auch Ansätze von Kopylenko/Popova, Mel'öuk und Rojzenson behandelt. Die Abschnitte I.4.6-I.4.6.5 liefern anschließend eine Diskussion traditionell bekannter fester Wortverbindungen wie Funktionsverbgefüge, Sprichwörter, geflügelte Worte u.a., deren Zugehörigkeit zur Phraseologie unterschiedlich bewertet wird. Da in der Literatur zu Klasssifikationsmodellen die Wechselbeziehungen der phraseologischen Kriterien Idiomatizität, Festigkeit und Reproduzierbarkeit selten in allgemeiner Form erörtert werden, wird eine solche in 1.5 skizziert.

2

Besondere Berücksichtigung findet die sowjetische Phraseologieforschung, im wesentlichen gestützt auf die deutschsprachige Rezeption durch J. Häusermann (1977).

4 Um zur lexikographischen Darstellung der Phraseologie überzuleiten wird abschließend in Abschnitt 1.6 untersucht, welche Auffassung des Phraseologiebegriffs einem einsprachigen phraseologischen Wörterbuch („Duden: Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten"), bzw. den drei bekannten deutschen allgemeinsprachigen Wörterbüchern zugrunde liegt: „Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache", „Deutsches Universalwörterbuch AZ", „Langenscheidts Großwörterbuch. Deutsch als Fremdsprache" In Abschnitt 1.8 wird darüber hinaus die lexikographische Bearbeitung von Phrasemen in diesen Wörterbüchern exemplarisch untersucht. Dazu wird auch ein deutsch-koreanisches phraseologisches Wörterbuch („Wörterbuch der deutschen Redewendungen") 3 in Betracht gezogen. Aus dieser Vergleichsanalyse soll sich ergeben, welche Verbesserungen für die Konzeption einer LZ-lernerfreundlichen Mikrostruktur notwendig sind. Teil II Definition pragmatischer Parameter für die Konzeption einer lexikographischen Mikrostruktur für L2-Lerner In Teil II werden die Mikrostrukturparameter eingeführt, die bei der Erarbeitung von Mikrostrukturen in Teil III verwendet werden. Die Grundidee dabei ist, die semantischpragmatischen Informationen zu Phrasemen explizit und in differenzierter Weise in der Mikrostruktur darzustellen. Damit ist aber nicht gesagt, daß die bisherigen phraseologischen oder allgemeinen einsprachigen Wörterbücher keine pragmatischen Informationen enthielten. Der aufmerksame Leser kann sich aus „Bedeutungsangabe", „Stilangabe" und „Beispielangabe", falls solche angegeben sind, zu einem Phrasem zweifellos bis zu einem gewissen Grad ein Bild von dessen Verwendung machen. Dies ist allerdings gerade für den L2-Lerner deutscher Mikrostruktur erschwert, da die Aufnahme der impliziten Information in der Mikrostruktur meistens muttersprachliche Kompetenz voraussetzt. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit zur expliziten Festlegung relevanter pragmatischer Parameter. Zunächst wird mit der Einführung der minimalen Konstellation (II. 1) der Beschreibungsrahmen für die Phrasemfunktionen fixiert. Darunter wird eine Kommunikationssituation verstanden, die aus einem Sprecher (der Sprecher äußert das Phrasem) und einem Hörer besteht. Die minimale Konstellation wird in verschiedene Teilbereiche aufgegliedert (II.2.1—II.2.4), um die pragmatischen Informationen, die zu einem Phrasem gehören, strukturiert darstellen zu können. In einem weiteren Schritt wird geprüft, ob - und wenn ja, in welcher Form - sich diese funktional relevanten Informationen in einem Wörterbuch vertexten lassen (ΙΙ.3.1-Π.3.1.3). Schließlich wird die lexikographische Vertextung pragmatischer Informationen in Form spezieller Mikrostrukturparameter vorgestellt (II.3.1.4-II.3.2.5). Damit liegt das begriffliche Instrumentarium zur Formulierung der lexikographischen Angaben zu gewählten Phrasemen bereit. Teil III Vorschläge für die neue Mikrostruktur eines phraseologischen Wörterbuchs Teil III befaßt sich mit den Prinzipien und Methoden, die bei der Neukonzeption einer Mikrostruktur für ein zweisprachiges phraseologisches Wörterbuch am Beispiel DeutschKoreanisch zugrunde gelegt werden. Zunächst wird die Auswahl des Phänomenbereichs erläutert (Abschnitt III. 1). Methodisch relevant für die Erstellung der kompletten Mikrostruktur ist die Auswahl der Informanten sowie die Prozedur der Informantenbefragung (Abschnitt III.2). Die vorliegende Arbeit steht hier auf dem Standpunkt, daß die detaillierte Befragung

3

Dieses Wörterbuch wird abgekürzt durch WDR.

5 eines beschränkten Informantenkreises (6 Muttersprachler) Aufschluß über den tatsächlichen Phrasemgebrauch geben kann, auch wenn damit keine Repräsentativität im statistischen Sinne gewährleistet ist. Im Anschluß daran werden die Anforderungen an L2-lerner-freundliche Einträge aufgelistet, die sich aus den Unzulänglichkeiten bzw. Mängeln der traditionellen Wörterbücher in Abschnitt 1.8. ableiten lassen. Es werden weiterhin die Mikrostrukturparameter innerhalb der zu konzipierenden Mikrostruktur vorgestellt (Abschnitt III.3.1). Abschnitt III.4.1 definiert zunächst in allgemeiner Weise den Äquivalenzbegriff in bezug auf Phraseme. Anschließend wird die Gestaltung des koreanischsprachigen Teils der Mikrostruktur dargestellt (ΠΙ.4.2). In Abschnitt III.5 wird das Konzept einer Mikrostruktur, die in Teil II um neue Mikrostrukturparameter erweitert wurde, in die Praxis umgesetzt. Dies geschieht an einem Arbeitskorpus ausgewählter deutscher Phraseme.

Teil I Theoretische Ansätze zur Phraseologie

1 Vorbemerkungen Die Phraseologie im Sinne eines wissenschaftlichen Gegenstandsbereichs ist „eine relativ junge linguistische Teildisziplin"1. Ihr Gegenstand ist eine Gruppe von sprachlichen Erscheinungen, die „eine Bereicherung des Wortschatzes einer Sprache"2 darstellen, und sich dadurch auszeichnen, daß „(...) Wortgruppen, in speziellen Bedeutungen ,fest' und damit zu Bestandteilen des Wortschatzes werden können" 3 . Beispiele wie jmdm. eins/etwas aufs Dach geben jmdn. zurechtweisen, tadeln' oder jmdn. auf dem Korb haben ,es auf jmdn. abgesehen haben, sich für jmdn. interessieren' 4 machen deutlich, daß es sich um eine „merkwürdige und komplizierte Erscheinung" 5 handelt. Die Bezeichnungen des Gegenstandsbereichs in verschiedenen Sprachen (beispielsweise in Englisch „phraseology", in Russisch „frazeologija", in Französisch „phraseologie") leiten sich ursprünglich von „phrasis" (griech.-lat. .rednerischer Ausdruck') bzw. „idiöma" (gr. .Eigentümlichkeit', ,Besonderheit') ab6. In der aktuellen Sprachwissenschaft gilt, daß Phraseologie als Bezeichnung des Oberbegriffs fungiert, während Idiomatizität eine bestimmte Eigenschaft (unter mehreren) bezeichnet, was auf die Verwendung dieser Begriffe in der russisch- und englischsprachigen Forschung zurückgeführt wird7. Heutzutage versteht man unter Phraseologie einerseits: eine „sprachwissenschaftliche Teildisziplin, die sich mit der Erforschung der Phraseologismen beschäftigt". 8

Andererseits bezeichnet der Terminus aber auch den ,ßestand (Inventar) von Phraseologismen in einer bestimmten Einzelsprache" 9

wie z.B. Redewendungen, Kollokationen, Funktionsverbgefüge, Sprichwörter, „kommunikative Formeln" u.a. Für das einzelne Untersuchungsobjekt der Phraseologie existiert eine Vielfalt an autoren- bzw. modellspezifischen Termini wie „Phraseolexem" (z.B. Pilz, Wotjak), „Phraseologismus" (z.B. Fleischer, Burger), „feste Wortkomplexe" (Cernyäeva), „Idiom" (z.B. Dobrovol'skij), u.a. Im folgenden werden feste Wortverbindungen der obigen Art in Anlehnung an die Vereinbarung des 1. Internationalen Symposiums über „Phraseologie und ihre Aufgaben" Phraseme 10 genannt. Die hier getroffene Definition stellt einen Konsens innerhalb der Phraseologieforschung dar:

1 2 3 4

W. Fleischer, 1982:8. W. Fleischer, 1982:7. Ebd. Im folgenden werden die Angaben zur „Nennform" und ,.Bedeutung" von phraseologischen Ausdrücken dem RSR entnommen. Dies gilt nicht für zitierte Beispiele. Bei zitierten Beispielen, die ursprünglich keine Angabe zur Bedeutung aufweisen, wird immer die entsprechende Bedeutungsangabe aus dem RSR in vier eckigen Klammern beigegeben. Sind zitierte Beispiele nicht in das RSR aufgenommen, dann wird dessen Bedeutung nicht verzeichnet. 5 Ch. Palm, 1995:VI. 6 Vgl. W. Fleischer, 1982:9. 7 W. Fleischer, 1982:9 und K..D. Pilz, 1978:765ff. 8 W. Fleischer, 1982:9, vgl. auch K.D. Pilz, 1978:782. 9 Ebd. 10 Siehe dazu J. Mateäic, 1983:111.

10 ,.Phraseme sind bedeutungstragende Einheiten der Sprache, die als Ganzes im Verlauf der Rede reproduziert werden, über mindestens zwei Autosemantika verfügen, von denen wenigstens eines eine Umdeutung erfahren hat, und die als Satzglieder fungieren oder sich an den Satz anschließen, ohne alleine einen eigenen Text zu bilden"."

Die Phraseologie als selbständige Disziplin hat sich aus der Bearbeitung praxisorientierter Fragestellungen (Lexikographie, Übersetzung) entwickelt und wurde zunächst fast nur unter diesen Gesichtspunkten behandelt 12 . Die erste selbständige Darstellung der deutschen Phraseologie stammt von sowjetischer Seite13. Seit Beginn der siebziger Jahre werden in der Phraseologieforschung neben morphologisch-syntaktischen (strukturellen) zunehmend pragmatisch-semantische (funktionelle) phraseologische Eigenschaften berücksichtigt 14 . Dies hat auch in Rückbindung an lexikographische Erfordernisse zur Entwicklung neuer, differenzierterer Funktionsbeschreibungsmodelle geführt, darunter auch solchen, die auf einer psycholinguistischen Betrachtungsweise aufbauen (s. 1.2.1). Speziell innerhalb der Phraseologie zutagetretende Eigenschaften der Sprache (als langue) haben außerdem den wissenschaftlichen Diskurs um die Adäquatheit der „generativen Transformationsgrammatik" vorangebracht 15 .

1.1 Phraseologie unter dem Aspekt des Fremdsprachenerwerbs Die theoretischen Ansätze zur Phraseologie und insbesondere Definitionsversuche vom obigen Typ konzentrieren sich meist entweder auf eine bestimmte Sprache oder die Sprache überhaupt. Für die vorliegende Arbeit soll der Schwerpunkt jedoch bei der Berücksichtigung derjenigen Probleme liegen, die auftreten, wenn ein L2-Lerner die Phraseologie einer Sprache L2 rezipieren oder produzieren will. Unter diesem Gesichtspunkt sollten Ergebnisse von Klassifikationen und Funktionsbeschreibungsmodellen auf ihre Relevanz für diese Fragestellung geprüft werden, damit eine theoretische Fundierung der „Phraseodidaktik" erreicht werden kann. Speziell stellt die Phraseologie den L2-Lerner vor folgende Probleme: Bei der schriftlichen wie mündlichen Rezeption müssen Phraseme zunächst als solche erkannt werden (vgl. „Der phraseodidaktische Dreischritt"16. Ein typischer Rezeptionsfehler, der aus dem Nichterkennen der festen Wortverbindungen resultiert, ist die wendungsexteme Auffassung eines Lexems. Nach Auffinden der Phraseme in einem entsprechenden ein- oder zweisprachigen Wörterbuch gilt es, die gegebene „Bedeutungsangabe" - und, falls vorhanden, eine oder mehrere „Beispielangaben" - mit dem rezipierten Kontext so in Beziehung zu setzen, daß sich für den L2-Lerner die korrekte, d.h. die vom Textproduzenten intendierte Bedeutung ergibt. Zur Gewährleistung einer adäquaten Produktion sind über die Grundbedeutung hinaus die 11 12 13 14

Ebd. Vgl. M. Everaert et al, 1995:1. Vgl. W. Fleischer, 1982:24. Etwa wie W. Koller (1977), H. Burger (1982), P. Kühn (1983, 1989a, 1989b, 1992, 1994), B. Wotjak (1992). 15 Bezüglich der Probleme, die sich für die Behandlung der Phraseologie in der generativen Grammatik ergeben, sind prinzipiell zwei Standpunkte denkbar: 1) Einbeziehung der Phraseologie als speziellen Teil des Lexikons, in dem die semantische Information separat (da nicht durch die Komponenten generierbar) niedergelegt ist, 2) Erarbeitung eines neuen Sprachmodells mit der Semantik als primärer Komponente, das die Phraseologie automatisch enthält. Dazu siehe W. Koller, 1977:3ff. 16 Kühn, Peter, 1992:177ff.

11 pragmatischen Regeln aktiv (und nicht nur passiv wie bei der Rezeption) zu beherrschen". Sowohl für Rezeption als auch Produktion ergeben sich ferner Schwierigkeiten, die aus der häufigen individuellen Phrasembildung resultieren (vgl. den Abschnitt zur „Modifikationssemantik", 1.3.4.ff.). Für die Decodierung ist bei dem L2-Lerner in besonderer Weise die Fähigkeit gefordert, den Einbettungskontext richtig zu erfassen. Die Berücksichtigung der spezifischen Situation eines L2-Lerners als Sprachbenutzer betrifft auch den Phrasembegriff selbst, nicht zuletzt, da je nach dessen Auffassung von Seiten der Wörterbuchverfasser ein mehr oder weniger großer Bestand fester Wortverbindungen dem L2-Lerner in lexikographischer Form angeboten wird. Die im Abschnitt 1.4 vorzustellenden Klassifikationen, deren Idiomatizitätsverständnis letztlich auf einer intersubjektiven Verstehbarkeitsnorm beruht, die die Muttersprachler im Laufe der Sprachsozialisation erworben haben, liefern deshalb Definitionen von Phraseologie, die die Bedingungen des L2-Lerners nicht berücksichtigen (besonders augenfällig wird dies bei der Beurteilung von festen Wortverbindungen, in denen einzelne, meist substantivische Komponenten in divergenter Weise interkulturell konnotiert sind)18. Im Hinblick auf die in der vorliegenden Arbeit u.a. angestrebte Konzipierung - im weiten Sinne - eines zweisprachigen phraseologischen Wörterbuchs sei hier deshalb die Charakterisierung eines Phrasembegriffs vorangestellt.

17 Siehe den Abschnitt „Konnotation" (1.3.3). B. Wotjak liefert einige authentische Beispiele für inadäquate Phrasemproduktion: B. Wotjak, 1992:106ff. Vgl. auch P. Kühn 1992. 18 Eingehend untersucht werden solche Divergenzen im Symbolgehalt, etwa von Tieren oder Farben in: D. Dobrovol'skij/E. Piraiinen: Symbole in Sprache und Kultur. 1997. Es können dabei „faux amis" bei Phrasemen auftreten (a.a.O:447). Beispielsweise ist die Eule im antiken abendländischen Raum mit Weisheit, im ostasiatischen Raum aber mit Dummheit assoziiert (ebd. S.39).

2 Phraseme: Versuch einer Phänomenbestimmung In 1.1.1 wurde skizziert, welche direkten Auswirkungen auf die Möglichkeiten eines LZLerners, Phraseme der Fremdsprache zu rezipieren, die entsprechende Definition des Phrasembegriffs hat. Es scheint deshalb notwendig, im Vorfeld der Diskussion von Phrasembeschreibungen im Wörterbuch, die verschiedenen Begriffe, die mit der Auswahl des Phänomenbereichs zusammenhängen, zu diskutieren. Dies ist auch deshalb angebracht, weil die Bemerkungen zur Phraseologie in deutschen einsprachigen Wörterbüchern erkennen lassen, daß eine unpräzise Vorstellung davon herrscht, wie der Phrasembegriff genau zu definieren sei (s. I.6ff.). Im folgenden wird jedoch zunächst der Forschungsstand bezüglich der Abgrenzung des Phrasems als sprachliche Erscheinung sowie der zentralen Begriffe „Festigkeit" und „Idiomatizität" nachgezeichnet.

2.1 Wortverbindungen als „Einheiten" der Satzbildungsebene Einen Ausgangspunkt der Begriffsbestimmung bildet die Abgrenzung der Phraseme gegenüber freien Wortverbindungen, wie dies durch folgende Charakterisierung zum Ausdruck kommt: „Phraseologie befaßt sich mit festen Verbindungen von Wörtern".1

Bei Wortverbindungen wie beijmdm. einen Stein im Brett haben ,bei jmdm. [große] Sympathien genießen' oder klipp und klar ,unmißverständlich, klar und deutlich' fallt auf, daß dem Sprecher keine (oder gegebenenfalls nur wenige) Austauschmöglichkeiten von Verbindungsbestandteilen bei der Äußerung zur Verfügung stehen, ohne daß die Verbindung ihre phraseologische Bedeutung verliert. Eine solche Austauschmöglichkeit ist jedoch bei freien Wortverbindungen gegeben, bei denen nur die in einer Sprache festliegenden syntaktischen Regeln berücksichtigt werden müssen. Die Äußerung von festen Wortverbindungen weist in diesem Sinne eine gewisse Einheitlichkeit auf. Diese wird in Abgrenzung zu freien Wortverbindungen deshalb auch mit dem Begriff der „Einheiten" auf der „Ebene der Wortverbindungen" 2 bezeichnet. Einheiten sind nach dieser Auffassung lexikalisiert. Auf der Wortbildungsebene repräsentieren Lexeme solche „Einheiten". Beispielsweise bilden die „Einheiten" Sitz und Möbel das Kompositum Sitzmöbel. Polylexikalische lexikalisierte Gebilde wie mit Mann und Maus untergehen ,untergehen, ohne daß einer gerettet wird' oder die Flinte ins Korn werfen ,den Mut verlieren' können auf der Satzbildungsebene als Bausteine verwendet werden. Eine abweichende Meinung vertritt Janko-Trinickaja 3 . Ihr zufolge besteht „Phraseologizität" in irregulärer Bildung von „Einheiten" aller Sprachebenen, d.h. auch der Lexeme. Aus psycholinguistischer Sicht spiegeln die Unterschiede im Gebrauch zwischen festen und freien Wortverbindungen verschiedene (mentale) Sprachverhältnisse wieder. Die Reproduktion fester Wortverbindungen läßt schließen, „(...) daß diese Wortkombinationen im 1 2 3

J. Häusermann, 1977:1. Vgl. J. Häusermann, 1977:2. Vgl. N. Janko-Trinickaja, in:H. Jaksche/A. Sialm/H. Burger (Hrsg.), 1981:14-28.

13 4

mentalen Lexikon prinzipiell als Ganzes gespeichert werden" , was sich für Dobrovol'skij aus der Speicherökonomie erklärt, da die „(...) unikalen Regeln ihrer [d.h. der festen Wortverbindungen] Generierung" 5 nicht zusätzlich gespeichert werden müssen.

2.2 Strukturelle Eigenschaften (I): Komponenteneigenschaften 2.2.1

Autosemantika

Im Gegensatz zu Lexemen sind Phraseme ihrer phänomenalen Struktur nach polylexikalisch aufgebaut, und können Autosemantika und Synsemantika als Komponenten enthalten6. Autosemantika werden auch als „Basislexeme" 7 bezeichnet. Dies erlaubt in Verbindung mit der dem gesamten Phrasem zuschreibbaren syntaktischen Funktion folgende Feststellungen8. Sieht man von den längeren, seltenen Konstruktionen mit fester Negation (z.B. nicht alle Tassen im Schrank haben .nicht recht bei Verstand sein') und Vergleichsausdrücken (z.B. ein Gesicht machen wie drei Tage Regenwetter ,mißmutig/unzufrieden dreinschauen') ab, weist jedes Phrasem von ein bis zu vier Basislexeme auf. Insgesamt am häufigsten sind Phraseme mit zwei bzw. drei Basislexemen (z.B. zwei Basislexeme in auf den letzten Drücker ,in letzter Minute'; drei Basislexeme in mit offenen Karten spielen ,aus seinen Absichten kein Geheimnis machen'). Relativ seltener sind Phraseme mit einem (aufAnhieb ,sofort, beim ersten Versuch') oder vier Basislexemen (wissen, wo Barthel den Most holt ,alle Schliche kennen, sehr findig sein'). Der Grad der Polylexikalität zeigt demnach eine Obergrenze, wodurch „die Tendenz zur Limitierung der Komplexität lexikalischer Einheiten deutlich"9 wird. Dies bedeutet einen weiteren Unterschied zu den freien Wortverbindungen, die durch syntaktische Mittel prinzipiell beliebig expansionsfahig sind. Laut W. Fleischer10 enthalten verbale Phraseme (d.h. Phraseme mit Prädikatsfunktion im Satz wie z.B. jdm. eins auf Dach geben) zwei bzw. drei Basislexeme mit etwa gleicher Häufigkeit. Bei substantivischen Phrasemen (d.h. Phraseme mit Subjekt- oder Objektfunktion im Satz z.B. ein Mädchen für alles) überwiegen dagegen solche mit drei Basislexemen. Phraseme mit einem Basislexem finden sich im wesentlichen unter den adverbial gebrauchten präpositionalen Substantivgruppen (d.h. Phrasem mit Adverbialfunktion im Satz z.B. auf Teufel komm' raus) bzw. Konstruktionen mit dem Kopulaverb sein. Die weitere Differenzierung der Basislexeme eines Phrasems bezüglich ihrer syntaktisch dominierenden Komponenten führt auf die Definition des „Kernworts"", womit bei verbalen Phrasemen das Verb, bei substantivischen das durch Attribute näher bestimmte Substantiv bezeichnet wird. Grenzen der Sinnfalligkeit dieser Basislexem-Einteilung ergeben sich bei der Betrachtung von Beispielen wie mit verschränkten Armen, oder ohne

4 5 6 7 8 9 10 11

D. Dobrovol'skij, 1995:18. Ebd. Vgl. W. Fleischer, 1982:87. A. Rothkegel, 1973:19. Vgl. W. Fleischer, 1982:88ff. W. Fleischer, 1982:88. Vgl. ebd. Vgl. W.Fleischer, 1982:89.

14 Umschweife, wo die syntaktisch dominierende Komponente (mit bzw. ohne) nicht gleichzeitig „Kernwort" ist12. 2.2.2

Unikale Komponenten

Phraseme können Komponenten enthalten, die nur in diesen auftreten. Sie werden deshalb in der Forschung „unikale Komponenten" genannt. Sie kommen nur in einer phraseologischen Verbindung vor, wie das Nomen Anhieb in auf Anhieb, das Verb auswetzen in eine Scharte/Niederlage auswetzen ,einen Schaden wieder gutmachen', oder das Adjektiv abhanden in abhanden gehen/kommen ,verlorengehen'. Zu den unikalen Komponenten zählt man nach W. Fleischer „auch eine Reihe von Fremdwörtern und sogar fremdsprachige Kombinationen mehrerer Wörter" 13 wie down in ganz down sein ,bedrückt, niedergeschlagen', ad acta in ad acta legen ,als erledigt ansehen'. Die Frage, wie feste Wortverbindungen mit einer unikalen Komponente phraseologisch einzuordnen sind, erfordert eine Klärung des Idiomatizitätsbegriffs (s. Abschnitt 1.3). Zu berücksichtigen ist vor allem, daß viele unikale Komponenten „im ,freien' Gebrauch veraltet"14 sein können. Femer erweisen sich für Phraseme, die unikale Komponenten enthalten, Idiomatizitätsdefinitionen, die auf der Kongruenzgraddifferenzierung zwischen wendungsinterner und wendungsexterner Bedeutung beruhen, als prinzipiell nicht anwendbar. Unikale Komponenten besitzen keine synchrone wendungsexterne Bedeutung. Klassifikatorisch werden unikale Komponenten enthaltende Phraseme modellabhängig unterschiedlich beurteilt. Beispielsweise zählt Amosova feste Wortverbindungen mit einer unikalen Komponente nicht zur Phraseologie, während Pilz ihnen eine eigene Kategorie einräumt (s. dazu 1.4.1).

2.3 Strukturelle Eigenschaften (II): Integration in morphosyntaktische Satzmodelle Die Ausprägungen der Valenz 15 einer Wortverbindung auf phraseologischer bzw. freisyntagmatischer Ebene konstituieren sich durch Integration der Valenzmöglichkeiten einzelner Komponenten, wobei diese für die gleiche Komponente verschieden ausgeprägt sein können, je nachdem, ob es sich um die phraseologische oder wörtliche Bedeutung handelt. Im phraseologischen Fall können die Komponenten zunächst einem „festen wendungsinternen", bzw. „wendungsexternen" Teil des Phrasems zugeordnet werden 16 . In ins Fettnäpfchen treten jmds. Unwillen erregen, es mit jmdm. verderben' ist der „wendungsinterne" Teil ins Fettnäpfchen treten, der „wendungsexterne" Teil wäre bei/mit etw. beijdm. Der „wendungsexterne" Teil leistet syntaktisch die Anbindung an die Äußerungsumgebung und aktualisiert dabei die semantischen Argumente der phraseologischen Bedeutung, wobei die (obligatorische oder

12 13 14 15

Vgl. ebd. W. Fleischer, 1982:45. Ebd. B. Wotjak versteht Valenz als „syntagmatische Eigenschaft von LE [Lexemen]/PL [Phraseolexemen], die angibt, welche Argumente der propositionalsemantischen Mikrostruktur als Aktanten der formal- grammatischen Ausdrucksstruktur erscheinen können oder müssen, damit eine korrekte Äußerung entsteht". 1992:55. 16 B. Wotjak, 1992:54.

15

fakultative) Argumentstellenbesetzung eines Verbs in einem gegebenen Phrasem gegenüber den Valenzmöglichkeiten17 des nicht-phraseologisch gebundenen Verbs typischen Ergänzungen bzw. Restriktionen unterworfen sein kann. Das Restriktionsmuster ist dabei nicht aus dem „wendungsinternen" Teil des Phrasems ableitbar. Im Beispiel jdm. durch die Lappen gehen jmdm. entwischen, entgehen' wird das Verb gehen im Gegensatz zu seiner freien Verwendungung obligatorisch mit einem Dativobjekt verbunden. In klein beigeben ,ohne lautes Murren nachgeben' fallen die in der freien Verwendung obligatorischen Dativ- und Akkusativobjekte von beigeben weg18. Morphosyntaktische Satzmodelle19 versuchen, Valenzen und deren Besetzung möglichst vollständig und übersichtlich darzustellen. Die auf eine Menge morphosyntaktischer Kategoriensymbole abgebildeten Komponenten des Phrasems werden dabei in der Äußerungsreihenfolge notiert. Die morphosyntaktischen Kategoriensymbole repräsentieren vierfach indizierte Leerstellen, nämlich nach Wortart, Kasus, Zugehörigkeit zum „wendungsinternen" oder „wendungsexternen" Teil, oder nach Präpositionalisierung, deren Auffüllung das Satzmodell ergänzt. Ein Beispiel: das Symbol „pSai = human" repräsentiert bei B. Wotjak20 eine präpositionalisierte (p) Substantiv-Komponente (S) im Akkusativ (a), die der „wendungsinternen" Bedeutung (i) der festen Wortverbindung angehört und nur durch Lexemvertreter der Objektklasse „Mensch" (human) aufgefüllt werden darf. Das Phrasem jd. leiert jdm. etw. aus dem Kreuz ,etwas [mit viel Mühe] bekommen' wird von Wotjak in der Äußerung „Er leiert seinem Vater das Geld aus dem Kreuz" folgendermaßen analysiert21: (a)

PLi VPL (leiern)

PLe Sne

pSi (aus dem Kreuz)

(jmd.)

= fester wendungsinterner Teil (innere / konstruktionsinterne Valenz) (b)

Er Sne

-

leiert VPL

-

seinem Vater Sde

-

Sde (jmdm.)

Sae (etw)

=variabler wendungsexterner Teil (äußere / konstruktionsexterne Valenz) das Geld Sae -

aus dem Kreuz pSi

PLi = VPL, pS (aus dem Kreuz leiem) PLe = Sn, Sd, Sa (Sn: er/der Sohn/das Kind ... Sd: dem Vater/dem Chefder Mutter ... Sa: das Geld/das Auto/den Betrag ...).

(a) und (b) verdeutlichen eine Methode, die die Funktionen der einzelnen Phrasemkomponenten darstellt, wobei die Unterscheidung von konstruktionsinterner bzw. -externer Valenz hervortritt. Obige Abkürzungen haben folgende Bedeutungen: Sne 17 18 19 20 21

= Substantivische Komponente im Nominativ, wendungsextemer Bestandteil Bei B. Wotjak,Aktantenpotential", 1992:21. Dazu auch W. Fleischer, 1982:89. Z.B. B. Wotjak, 1992:54ff. Ebd. B. Wotjak, 1992:55.

16 VPL Sde Sae pSi PLi PLe

= = = = = =

verbales Phraseolexem Substantivische Komponente im Dativ, wendungsextemer Bestandteil Substantivische Komponente im Akkusativ, wendungsexterner Bestandteil präpositionalisierte, substantivische Komponente, wendungsinterner Bestandteil wendungsinterner Phraseolexemteil wendungsextemer Phraseolexemteil

Auf diese Weise werden sowohl die Satzfünktion einzelner Komponenten als auch deren paradigmatischen Realisierungmöglichkeiten relativ übersichtlich dargestellt.

2.4 Die phraseologische Eigenschaft der Festigkeit 2.4.1

Festigkeitsdefinition

In der sowjetischen Phraseologie sind verschiedene Festigkeitsdefinitionen erarbeitet worden. Nach Mel'öuk ist diese gegeben, „wenn es [ein Lexem] aber in einer bestimmten Verbindung von Lexemen häufiger vorkommt als anderswo"22. Festigkeit bedeutet für ihn weiter eine von der semantischen Seite des Phraseologiebegriffs getrennt behandelbare Kategorie. Einen anderen Standpunkt nimmt 2ukov ein, indem er Festigkeit als „Mass, Stufe der semantischen Geschlossenheit, der Unzerteilbarkeit der Komponenten"23 auffaßt. Auch nicht-idiomatische feste Wortverbindungen weisen Festigkeit im Sinne auf, daß „deren Komponenten einander aber doch in höherem Maße .determinieren' als dies bei völlig freien Wortverbindungen der Fall ist"24. Dazu gehören „Nominationsstereotype"25 (Fleischer), „phrasenhafte Stereotype" (Amosova)26, „stilistische Formeln" (Telija)27, die als „unfreie Einheiten der Rede"28 bezeichnet werden, da es sich meist um nicht-idiomatische feste Wortverbindungen handelt. Am differenziertesten betrachtet Kunin den Festigkeitsbegriff im Hinblick auf die Phraseologie, indem fünf Unterarten betrachtet werden29: 1. „Festigkeit im Gebrauch": Der Einheitscharakter auf phraseologischer Ebene, 2. „Struktursemantische Festigkeit":

22 23 24 25

26

27

28 29

I.A. Mel'iuk, zit. aus: J. Häusermann, 1977:60. V.P. Zukov, zit aus: J. Häusermann, 1977:68. W. Fleischer, 1982:63. „Es sind Wortverbindungen, deren Gesamtsemantik durch die wendungsexterne Semantik ihrer Komponenten gegeben ist, die sich aber doch noch auf nicht voraussagbare Weise - und sei dies noch so geringfügig von der einfachen Summe dieser Komponentenbedeutungen unterscheiden". Beispielsweise (Freud und Leid, Tag und Nacht). W. Fleischer, 1982:64. „Maßgebend dafür sind die Häufigkeit des Vorkommens und die Wahrscheinlichkeit, mit der das Auftreten einer Komponente das Auftreten der anderen determiniert". Beispiele: trautes-tHeim, eine Abfuhrt erteilen, schöpferische^Potenzen etc. W. Fleischer 1982:64. „Solche entstehen in der Regel in bestimmten Stilen der Massenkommunikation (Zeitung, Rundfunk), im dienstlichen oder beruflichen Wortgebrauch oder werden als literarische Klischees reproduziert". V.N. Telija, zit. aus: Ebd. Ebd. J. Häusermann, 1977:72ff.

17 Keine Korrelation semantischer und struktureller Eigenschaften des Phrasems (Modellbildungen weisen demnach diesen Festigkeitstyp nicht auf). 3. „Morphologische Festigkeit": Eine oder mehrere Komponenten verfugen über ein eingeschränktes Paradigma. 4. „Syntaktische Festigkeit": Diese „zeigt sich in der stabilen Anordnung der Wörter einer phraseologischen Einheit, deren normative Veränderungen nur im Rahmen bestimmter Abhängigkeiten der Komponenten und einiger Typen stilistischer Inversionen möglich sind".30

Als „stilistische Inversion" bezeichnet Kunin z.B. Passivierung verbaler fester Wortverbindungen (s. 1.2.4.2.1). 5. „Festigkeit der Bedeutung und des lexikalischen Bestandes": Damit beschreibt Kunin, daß an festen Wortverbindungen Veränderungen unter mehr oder weniger starker Bedeutungskonstanz stattfinden können. Durch Integration der fünf Aspekte von Festigkeit gewinnt Kunin (ohne näher erläuterte Gewichtung) eine Gesamtfestigkeitsskala, wobei für eine Wortverbindung eine minimale Gesamtfestigkeit31 als eine notwendige Bedingung für eine feste Wortverbindung gegeben sein muß. 2.4.2

Festigkeitstypologie/"Transformationelle Defektivität"

Die Festigkeit kann als Einschränkung gegenüber der Anwendung von Transformationen beschrieben werden, wobei die Transformationsmöglichkeiten bei freien Wortverbindungen als Vergleich dienen. Diese Festigkeit hat nach W. Fleischer für feste Wortverbindungen „eine besondere Qualität"32, da sich mehr oder weniger stark ausgeprägte Korrelationen von Idiomatizität und „transformationeller Defektivität"33 nachweisen lassen. Ihre Funktion als „Phraseolexem-Indikator"34 kann außerdem zur Phraseologieeingrenzung dienen. 2.4.2.1

Passivtransformationen

Bei verbalen Phrasemen sind laut W. Fleischer Passivtransfomationen zwar „auch bei vollidiomatischen Phraseologismen (...) nicht in jedem Fall ausgeschlossen"35, enthalten aber meist den Zusammenhalt von Verb und abhängiger Objektkomponente. Das Phrasem etw. über einen Kamm scheren36 [.alles gleich behandeln und dabei wichtige Unterschiede nicht beachteten'] kann in folgender Form passiviert werden: „Es wurde wieder alles über einen Kamm geschoren". 30 A.V. Kunin, zit. aus: J. Häsermann, 1977:74. 31 A.V. Kunin bezeichnet es als „minimale Festigkeit auf phraseologischer Ebene". Siehe J. Häusermann, 1977:76. 32 W. Fleischer, 1982:54. 33 Ebd. 34 B. Wotjak, 1992:57. 35 W. Fleischer, 1982:54. 36 Vgl. auch W. Fleischer, 1982:54ff.

18 Dabei wird die Verbform geschoren von der Präpositionalobjektkomponente über einen Kamm nicht getrennt. Im Gegensatz dazu ist die Passivierung in der Form * „Über einen Kamm wurde wieder alles geschoren"

unter Beibehaltung der phraseologischen Bedeutung nicht möglich. Die zuletzt genannte Passivierung geht mit der Trennung von Verb- und Präpositionalobjektkomponente einher. In diesem Beispiel handelt es sich um ein Phrasem, bei dem keine Komponente wendungsexterner Bedeutung gebraucht wurde. In dem Beispiel einen Streit vom Zaun brechen [.einen Streit beginnen, provozieren'] ist die Objektkomponente einen Streit in wendungsextemer Bedeutung gebraucht. In diesem Fall ist auch die Passivierungsart mit der Komponententrennung möglich, etwa in der Äußerung „Der Streit, den er vom Zaun gebrochen hat, war der Grund für ihr Zerwürfnis".

Eine allgemeine Regel läßt sich jedoch nicht zuletzt deshalb schwer formulieren, da die Beurteilung, ob eine Passivierung mit Komponententrennung noch als phraseologisch auffaßbar angesehen wird, interindividuell verschieden ausfallen kann. 2.4.2.2

Relativsatztransformationen

Das aus der Relativsatztransformation37 eines vollidiomatischen Phrasems resultierende Syntagma bezeichnet W. Fleischer nur dann als akzeptabel, wenn es ein nicht-phraseologisches Homonym besitzt, „also auch im,wörtlichen Sinn' verstehbar ist"38 wie die Beispiele: jmdm. einen Korb geben ,1. jmds. Heiratsantrag ablehnen, 2. jmdn. abweisen' „Der Korb, den sie mir gegeben hat, macht mir weiter keine Probleme"

oder jmdm. den Kopf waschen jmdm. gründlich die Meinung sagen, jmdn. scharf zurechtweisen' „Das Kind, dem diesmal wieder den Kopf gewaschen wurde."

Ausgeprägte Irregularität von Phrasemen wie in Antwort geben (irregulär ist hier das obligatorische Fehlen von bestimmtem bzw. unbestimmtem Artikel) kann eine Relativsatztransformation auch bei nicht-idiomatisierter Komponente unmöglich machen, wie z.B. * Peter gab seinem Vater Antwort, die dieser nicht erwartet hatte. 3 '

2.4.2.3

Nominalisierungstransformationen

Bei Nominalisierungstransformationen des Phrasems im Deutschen besteht für feste Wortverbindungen eine deutliche Restriktion der Transformationstypen. Eine Restriktion liegt vor40 z.B. bei

37 Diese wird von Burger (1982) auch als „Abtrennung" bezeichnet, weil dadurch die Komponente, die durch den Relativsatz motiviert wird, von übrigen Phrasemen abgetrennt wird. In den Abschnitten „Modifikationen" wird dargelegt, wie die Abtrennung zu verschiedenen semantischen Effekten führen kann. 38 W.Fleischer, 1982:55. 39 W. Fleischer, 1982:56.

19 das Kohldampfschieben [Kohldampf schieben,Hunger

haben'],

aber * das Schieben des Kohldampfes, der Schub des Kohldampfes einen Bock schießen [,einen Fehler machen'],

aber * der BockschuB, das Bockschießen.

Völlige Nominalisierungstransformationsdefektivität liegt vor bei jdm. eins aufs Dach geben [ jmdn. zurechtweisen, tadeln'],

aber * das Geben aufs Dach,

oder * die Gabe aufs Dach Mist bauen [,Unsinn, einen Fehler machen'],

aber * das Bauen des Mistes,

oder * der Mistbau,

oder

* das Mistbauen.

Im Gegensatz dazu scheint die Nominalisierung verbaler Phraseme durch „ge"-Präfigierung und ,,-ieren"-Su£figierung eher möglich: „das Mistgebaue „

oder „die Senf-dazu-Geberei".

Diesen Affixen ist eigen, daß sie ein Verb in ein negativ konnotiertes Substantiv transformieren. Die auf diese Weise nominalisierbaren Phraseme sind selbst im Sinne einer negativen Bewertung des Beschriebenen (der phraseologischen Bedeutung) regelhaft. 2.4.2.4

Fragesatztransformationen

Nomina freier Syntagmen können mit Interrogativpronomen erfragt werden (W-Fragen). Umgedeutete nominale Komponenten der Phraseme sind gegenüber diesen W-Fragen defektiv wie Korn in die Flinte ins Korn werfen [,den Mut verlieren'],

aber

40 W. Fleischer, 1982:59.

20 * In welches Korn hat er die Flinte geworfen?41

Bei Wortverbindungen, die sowohl eine phraseologische als auch eine wörtliche Bedeutung haben, kann dies jedoch erlaubt sein: „Welchen Bock hast du wieder geschossen?"

Dies steht im Gegensatz zu in wendungsexterner Bedeutung gebrauchten phraseologischen Komponenten, wie folgende Beispiele zeigen, bei denen W-Fragen zur Spezialisierung auf der phraseologischen Bedeutungsebene fuhren: „Wer hat den Streit vom Zaun gebrochen?" „Welchen Streit hast du wieder vom Zaun gebrochen?".

2.4.2.5

Einschränkung der Festigkeit

2.4.2.5.1 Veränderlichkeit im allgemeinen Einen anderen Ansatz verfolgt H. Burger mit der Untersuchung der Festigkeitseinschränkung, da „nur eine kleine Gruppe von Phraseologismen (...) keinerlei Variabilität aufweist"42 und definiert dies „als Spielraum, innerhalb dessen formale Veränderungen des Phraseologismus möglich sind, ohne daß die phraseologische Bedeutung verloren geht"43. Er stellt diesbezüglich den Varianten, die „lexikographisch erfaßbar werden"44 können und sollen, die Modifikationen gegenüber, die „in der tatsächlichen Sprachverwendung"45, d.h. ohne Bezug auf lexikographische Normen auftreten46. Varianten sind in diesem Sinne soziolektal, diatopisch oder auch temporal eingrenzbare Versionen von Phrasemen, während Modifikationen individuelle Bildungen darstellen, die je nach Textsorte auch als spezifische Stilmittel gebraucht werden. Fleischer bezeichnet letztere deshalb als „okkasionelle Phraseologismen"47, die „individuelle oder textgebundene Variationen vorhandener Phraseologismen"48 aufweisen. 2.4.2.5.2 Varianten Synonyme bezeichnen bedeutungsgleiche/konnotationsgleiche Strukturvarianten, die durch a) lexikalische, b) syntaktische Abwandlungen auseinander hervorgehen, sich jedoch c) diatopisch und d) im Usualisiertheitsgrad unterscheiden können. Im Phrasem ich glaub '/denk' mich knutschtlküßt η' Elch .Ausdruck der Überraschung'

sind durch Kombination vier Varianten {glaub '/denk', knutscht/küßt) möglich, wobei diejenige mit küßt weniger usualisiert scheint.

41 42 43 44 45 46

W. Fleischer, 1982:59. H. Burger, 1982:67. Ebd. Ebd. Diese werden deshalb auch als „kodifizierte systemhafte Varianten" genannt (vgl. B. Wotjak 1992:6). H. Burger, 1982:68. Nachdrücklich gibt H. Burger zu verstehen, „daß die Abgrenzung von Variante und Modifikation im Einzelfall nicht immer eindeutig ist und schwer entscheidbar sein kann" (H. Burger: 1982:69). 47 W.Fleischer, 1982:70. 48 Ebd.

21

2.5 Zusammenfassung In vorangegangenen Abschnitten wurde der Phrasembegriff mit Schwerpunkt seiner Einordnung im Sprachsystem, den strukturellen Eigenschaften und dem damit verbundenen Begriff der Festigkeit vorgestellt. Es ergab sich, daß eine Analogie zu den Lexemen besteht, die auf die - relativ zu freien Wortverbindungen - größere Formkonstanz der Phraseme zurückzuführen ist. Phraseme können gewissermaßen als „Einheiten" (Bausteine) auf der Satzbildungsebene aufgefaßt werden. Die Diskussion des Festigkeitsbegriffs führt zur Feststellung, daß in einem gewissen Rahmen lexikalische und syntaktische Transformationen auch bei Phrasemen möglich sind. Die Relativität des Festigkeitsbegriffs zeigte sich besonders im parole-Bereich: In der Verwendung von Phrasemen sind vielfache individuelle Veränderungen (Modifikationen) beobachtbar, die sich einer allgemeingültigen Typologisierung entziehen. Der Bereich des Phänomens Phrasem, der durch die genannten Standpunkte nicht abgedeckt wird, ist der der Phrasembedeutung. Auch hier finden sich gegenüber freien Wortverbindungen charakteristische Unterschiede, die die Phrasemeigenschaft Idiomatizität konstituieren.

3 Die phraseologische Eigenschaft der Idiomatizität 3.1 Idiomatizität als Ganzheit Der Begriff Idiomatizität dient der Abgrenzung der Phraseme gegenüber den übrigen festen Wortverbindungen und der Strukturierung der Phraseme (Klassifikation) und wird durch die Beobachtung motiviert, daß eine Zuordnung der Semantik der (isolierten) Komponenten im Hinblick auf die Bedeutung eines Phrasems oft nicht vorgenommen werden kann, also Mangel an „semantischer Kongruenz"1 vorliegt. In „Hans hat bei seinem Chef einen Stein im Brett"

ist „eine wendungsinterne semantische Beziehung zwischen den Sememen von Stein und Brett nicht nachvollziehbar (.. .)"2. In den von der sowjetischen Phraseologieforschung ausgehenden Theorien wurde deshalb lange von einer „ganzheitlichen Bedeutung" der Phraseme ausgegangen, d.h., daß die Idiomatizität in einer dem Phrasem als Ganzes zuschreibbaren „ganzheitlichen Bedeutung"3 besteht. Die Unterscheidbarkeit einer wörtlichen und phraseologischen Bedeutung kommt auch in Rajchstein's Definition zum Ausdruck. Seiner Definition nach ist Idiomatizität „ein irreguläres Verhältnis zwischen Ausdrucks- und Inhaltsstruktur der sprachlichen Kette, das sich darin zeigt, dass diese irreguläre Elemente enthält. Sie werden nicht durch bestimmte Komponenten oder formale Merkmale ausgedrückt, sondern durch deren Gesamtheit"4.

Im Laufe der Zeit mußte dies als Aussage für die gesamte Phraseologie eingeschränkt werden. Es zeigt sich, daß sie streng genommen nur für gewisse „unmotivierbare" feste Wortverbindungen gilt. Viele Erscheinungen der Phraseologie lassen auf eine mehr oder weniger große semantische Autonomie von phraseologischen Komponenten schließen, was zu Idiomatizitätsmodellen geführt hat, die das Charakteristische des Phrasems auf Eigenschaften bestimmter Komponenten zurückzufuhren versuchen.

3.2 Idiomatizität als Komponenteneigenschaft Telija bringt folgende Idiomatizitätdefinition: „das Fehlen eines derivationell-semantischen Zusammenhangs zwischen dem semantischen Äquivalent eines Gliedes des Verbandes und den anderen Bedeutungen desselben Wortes"5.

Diese Definition legt somit durch Zurückfuhrung der Idiomatizität einer festen Wortverbindung auf Komponenteneigenschaften eine Verfeinerung des Ganzheitlichkeitsansatzes nahe. Man könnte also, ausgehend von Telijas Definition, jede einzelne Komponente eines Phra-

1 2 3 4 5

W. Fleischer, 1982:35. Ebd. Vgl. J. Häusermann, 1977:87. A.D. Rajchstein, zit. aus: J. Häusermann, 1977:69. V.N. Telija, zit. aus: W. Fleischer 1982:35.

23 sems daraufhin prüfen, ob ein solcher „derivationell-semantischer Zusammenhang" vorliegt oder nicht. Einer solchen Untersuchung dienen auch die Begriffe „wendungsinterne" bzw. „wendungsexterne" Bedeutung der Komponente eines Phrasems. Für eine Komponente können drei verschiedene Fälle unterschieden werden: i)

der Komponente kann innerhalb der phraseologischen Bedeutung keine wendungsinteme Bedeutung zugeschrieben werden (z.B. Gras in ins Gras beißen), ii) der Komponente kann innerhalb der phraseologischen Bedeutung eine wendungsinterne Bedeutung zugeschrieben werden, die von der wendungsexternen Bedeutung abweicht (z.B. schwarz in schwarzer Markt), iii) die wendungsinterne Bedeutung einer Komponente und deren wendungsexterne Bedeutung stimmen überein (z.B. Streit in Streit vom Zaune brechen)

Diese Differenzierung kann nun zur Operationalisierung der traditionellen Begriffe „vollidiomatisch", „teilidiomatisch" und „nichtidiomatisch" gebraucht werden: - Vollidiomatisch Für jede Basiskomponente gilt die Komponenteneigenschaft unter i) oder für jede Basiskomponente gilt die unter ii). - Nichtidiomatisch Für jede Basiskomponente gilt die Komponenteneigenschaft unter iii). - Teilidiomatisch Innerhalb eines Phrasems treten überhaupt verschiedene Komponenteneigenschaften6 auf. Eine Idiomatizitätdefinition ohne expliziten Bezug auf die wendungsexterne Bedeutung von Lexemen gibt Mel'Cuk. Idiomatizität ist dann gegeben, „wenn eine Verbindung von Lexemen übersetzt werden muss (das kann auch heissen, dass sie durch eine synonyme Verbindung derselben Sprache ausgewechselt wird), ist es möglich, dass ein (oder mehrere) Element Α (bzw. A+B bzw. A+B+C etc.) Schwierigkeiten bereitet: Α (bzw. A+B bzw. A+B+C etc.) muss durch ein Element ersetzt werden, das nur in diesem Kontext die Stelle von Α (bzw. Α +B bzw. A+B+C etc.) einnehmen kann"7. Damit ist w o h l gemeint, daß bei Idiomatizität das Lexem Α beispielsweise blind in blinder Passagier nicht durch ein anderes Element, z.B. .nicht sehend' ersetzt werden kann, das in einem anderen Kontext semantisch äquivalent ist. Einen weiteren Zugang liefert der Ansatz („Sememtypologie") 8 von Kopylenko/Popova: Einem Wort werden hierbei zwei „denotative-Sememe" 9 (D) zugewiesen: - Dl-Semem: wörtliche Bedeutung wie „menschliche Extremität" für ,Arm'. - D2-Semem: übertragene Bedeutung ohne notwendige Einbindung in ein Phrasem wie in „Arm eines Flusses". Weiter wird einem S e m e m innerhalb eines Phrasems eine konnotative Qualität zuerkannt, deren Beziehung zur jeweiligen denotativen Bedeutung zur dreistufigen Einteilung des das Wort enthaltenden Phrasems dient: Kl:

6 7 8 9

„Logische Verbundenheit"10 von Konnotation und Denotation (Bsp.: heiliger Zorn)

Unikale Komponenten können entweder die Komponenteneigenschaft i) oder ii) haben. J. Häusermann, 1977:60ff. J. Häusermann, 1977:62ff. Dazu bemerkt Häusermann, daß diese „Definitionen („denotativ" = primäre Bezeichnung, „konnotativ" = Bezeichnung für etwas, das schon eine primäre Bezeichnung besitzt) der Willkür der Interpretation unterliegen". J. Häusermann, 1977:62. 10 Dazu Kopylenko/Popova, in: J. Häusermann, 1977:63.

24 K2: K3:

Keine „logisch motivierte Verbindung"' 1 von Denotation und Konnotation (Bsp.: etw. auf die lange Bank schieben ,etwas nicht gleich erledigen, aufschieben') Sememe ohne denotative Bedeutung (Bsp.: aus dem Stegreif,ahnt Vorbereitung, ohne [Textjvorlage').

Wie man sieht, deckt sich Dl im wesentlichen mit der lexikographischen Grundbedeutung eines Wortes. D2 beschreibt dagegen eine Bedeutungsübertragung, deren Realisierung aber nicht an eine feste Wortverbindung gebunden ist. Durch das Modell von Kopylenko/Popova wird sowohl eine Ausweitung des Begriffs „wendungsexterne" Bedeutung als auch eine Präzisierung des Idiomatizitätsbegriffs (mindestens Vorliegen eines konnotativen Sems) erreicht. Je mehr konnotative Sememe einer Wortverbindung zugeschrieben werden können, desto höher ist deren Idiomatizität. Die Seme Kl, K2 und K3 bedeuten dabei einen (in dieser Reihenfolge) steigenden Idiomatizitätsgrad. Tagiev berücksichtigt, daß zum Phrasem gehörende Argumentleerstellen je nach Besetzung als Indikator für die phraseologische Auffassung einer Wortverbindung dienen können. Für den Teil einer Wortverbindung, der über die Idiomatizität entscheidet, wählt er den Begriff „Umgebung" 12: „Die Umgebung lässt erschließen, ob die wörtliche oder die phraseologische Bedeutung im Spiel ist"' 3 .

In den Äußerungen „Der Kater hat ein dickes Fell" vs. „Tante Ruth hat ein dickes Fell"14

bilden die Komponenten Tante Ruth die „Umgebung". Die darauf aufbauende Umgebungstypologie - nach Zahl und syntaktischen Eigenschaften der Valenzen eines Phrasems - erlaubt jedoch wegen mangelnder Korrelierbarkeit syntaktischer und semantischer Eigenschaften keine graduelle Einteilung der Idiomatizität. Die Entscheidung, ob Idiomatizität vorliegt, ergibt sich durch die Beurteilung der semantischen Akzeptabilität als freie Wortverbindung. Die semantische Akzeptabilität hängt wiederum von den semantisch-logischen Beziehungen bestimmter Wortverbindungskomponenten ab. Im obigen Beispiel weist Tante auf die Objektklasse „Mensch" hin. Fell ist in denotativer Bedeutung nur Tieren zugeordnet 15 . Einen konzeptuell verwandten Ansatz („Kontextologie") bringt Amosova mit dem Begriff des „hinweisenden Minimums" 16 . Sie benutzt diesen Terminus, um zu beschreiben, wie ein Lexem innerhalb einer Wortverbindung zu seiner Bedeutung gelangt, d.h. „semantisch realisiert"17 wird. Beim Lexem arg beispielsweise geschieht die Realisierung des Semems ,sehr' durch Verwendung als Attribut (z.B.: „arg unglücklich sein"; „arg froh sein"), während das Semem ,schlecht, tadelnswert' durch Verbindung mit Verben beispielsweise treiben in „er treibt es arg", oder ergehen in „ihm ist es arg ergangen" realisiert wird. Das „hinweisende Minimum" kann also in verschiedener Weise realisiert sein. In Amosovas Modell ergibt sich daraus zunächst ein gradueller Festigkeitsbegriff: Je weniger „hinweisende Minima" angebbar sind, die

11 12 13 14 15 16 17

Ebd. M.T. Tagiev, zit, aus: J. Häusermann, 1977:44ff. J. Häusermann, 1977:45. Beispiele aus: Ebd. Vgl. J. Häusermann, 1977:45ff. Siehe J. Häusermann, 1977:24. N.N. Amosova, zit. aus: Ebd.

25 das Semem eines Wortes realisieren, desto fester ist die Verbindung von „hinweisendem Minimum" und Lexem. Sie bilden nach Amosova einen „festen Kontext" 18 . Gemeinsam ist allen vorgestellten Definitionen über die Idiomatizität die implizite Annahme, daß Idiomatizität und damit der gesamte semantische Aspekt eines Phrasems ohne Bezug zum weiteren Einbettungskontext erfaßbar sind. Die Wortverbindung „Sie hat ihm einen Korb gegeben" ist jedoch in morphologischer, syntaktischer, lexikalischer und semantischer Hinsicht als freie Wortverbindung akzeptabel und muß als solche verstanden werden, wenn nicht ein bestimmter Kontext diese notwendigerweise als phraseologische Wortverbindung (,1. Sie hat ihn abgewiesen', 2. ,Sie hat seinen Heiratsantrag abgelehnt') ausweist. Komponenten-Modelle wie die Tagiev's und Amosova's („Umgebung" bzw. „Kontextologie" sind als syntaktisch abhängige Teile des Phrasems definiert) lassen bei Beispielen von obigem Typ „Sie hat ihm einen Korb gegeben" keine Entscheidung darüber zu, ob phraseologische Bedeutung vorliegt oder nicht. Eine Behandlungsmöglichkeit auf der Grundlage dieser genannten Modelle wäre die Berücksichtigung des Einbettungskontextes unter Ausweitung der genannten Begriffe „Umgebung" und „hinweisendes Minimum" auf semantische Beziehungen zwischen Kontext (in weitestem Sinne) und Komponenten des Phrasems.

3.3 Konnotation Es fehlt bisher eine einheitliche Begriffsdefinition, und die Forschungslage zur Konnotation ist „außerordentlich unübersichtlich(en), ja chaotisch(en) (...)" 19 . Trotzdem findet der Begriff im Hinblick auf die Phraseologie häufig Erwähnung 20 . Die Problematik bezieht sich dabei auf: 1) die Definition, 2) die Rolle der Konnotation als Eigenschaft des Phrasems,

und 3) die Frage der Subsumierbarkeit der Konnotation unter den Bedeutungsbegriff.

Zu 1) Definition Übereinstimmend wird von der Teilbarkeit des einer (Wort- oder Satzbildungs-) Einheit zuzuordnenden Sememspektrums in „denotative" und „nicht-denotative" Sememe ausgegangen. Die denotativen Sememe beziehen sich auf den reinen Gegenstand in der Wirklichkeit, sind mit der Grundbedeutung verknüpft 21 . Die „nicht-denotativen Sememe" (Konnotation) werden dagegen als „das über das rein Dinghafte hinausgehende" 22 definiert. Sie übermitteln zusätzliche Informationen, „reflektieren nicht Merkmale des Gegenstandes der objektiven Realität oder Einstellungen, Emotionen des Zeichenbenutzers zum widergespiegelten Objekt, sondern die Einordnung des betreffenden

18 19 20 21 22

Vgl. J. Häusermann, 1977:24. Vgl. in: B. Wotjak, 1992:26. Zu dieser Problematik z.B. in: B. Wotjak, 1992:26ff„ H. Burger, 1982:65ff. Vgl. B. Wotjak, 1992:26ff. P. Lutzeier, 1985:23.

26 Zeichens in ein Normensystem der sozialen Verwendungsweisen sprachlicher Mittel" 23 . Konnotation ist somit als Komplement der Denotation beschrieben. Zu 2) Die Rolle der Konnotation als Eigenschaft des Phrasems An der Sememvielfalt „konkretisierender Paraphrasen"24 zur Explikation des Phrasems läßt sich der aus Sprechersicht subjektiv-wertende Äußerungscharakter ablesen25. Bei „Er hat mir eins aufs Dach gegeben" beispielsweise wäre ,Der Sprecher wurde kritisiert' (denotativsemantischer Gehalt) zu ergänzen durch die Sememe a) ,Der Sprecher findet sich zu Unrecht kritisiert', b) ,Der Sprecher teilt seinen Ärger darüber dem Hörer mit', c) ,Der Sprecher gibt zu verstehen, daß die kritisierende Person (jedenfalls in der konkreten Anlaßsituation) sozial ranghöher war'. Diese zusätzlichen Sememe stellen konnotative Einzelinformationen zur Sprecherintention, zur emotionalen Bewertung und zum Status der referierten Person dar. Die ususgerechte Zuordnung konnotativer Sememe vom Typ a), b) und c) zu einem Phrasem ist deshalb für dessen adäquate Rezeption/Produktion besonders wichtig. Zu 3) Subsumierbarkeit der Konnotation unter den Bedeutungsbegriff Aufgrund solcher pragmatischer Markierungen, die über die Grundbedeutung hinaus den adäquaten Gebrauch des Phrasems determinieren, hat die Frage, ob diese als Teil der Bedeutung aufzufassen sind, theoretische und praktische Relevanz. Diese Frage stellt sich auch für Einzellexeme, insbesondere bei solchen, für die „(...) keine usuellen Benennungskontexte stets reproduzierbar sind" 26 . In diesem Zusammenhang nennt Wiegand als Beispiele etwa „Freiheit" und „Sozialismus". Gründe, die für eine konzeptuelle Trennung semantischer (denotativer) von pragmatischer (konnotativer) Information sprachlicher Zeichen in bezug auf Einzellexeme angeführt werden können, haben deshalb auch für Phraseme Gültigkeit. Diesen kann jedoch entgegengehalten werden, daß „pragmatische Regeln (...) sich nicht (...) als .Bewertungen' (Restriktionen, Modifikationen etc.) nur der semantischen Regeln auffassen lassen"27, d.h. einen qualitativ von der Semantik verschiedenen Merkmalsbereich eines sprachlichen Zeichens darstellen. Dies findet, wie Wiegand anhand der Analyse konkreter Mikrostrukturen neuhochdeutscher Wörterbücher gezeigt hat, seinen Ausdruck in der Unmöglichkeit, Angaben zur pragmatischen Markierung prädikativ auf das als Lemma fungierende Lexem zu beziehen, und zwar unabhängig von dem verwendeten bedeutungsexplikativen Relationsausdruck 28 .

23 24 25 26 27 28

Viehweger, 1977:101. Vgl. B. Wotjak, 1992:24. Folgende Sememe wurden von Muttersprachlern erstellt. H.E. Wiegand, 1981:164. H.E. Wiegand, 1981:173. Solche sind z.B. „ist", „bedeutet das gleich wie", „ist eine Benennung für..." u.a. Die sich bei der Integration pragmatischer Markierungen ergebenden Sätze sind von der Art: „Ein Affront ist eine schwere bildungssprachliche Schmähung" oder „Arsch ist ein derbsprachliches Gesäß" (aus: H.E. Wiegand, 1981:171). Analoge Bildungen mit Phrasemen wären ,/nit Mann und Maus untergehen bedeutet ohne Überlebende expressiv zu versinken" oder „ins Gras beißen " bedeutet ironisch sterben.

27

3.4 Modifikationssemantik „Modifikationen"29 sind aufgrund ihrer individuellen Produktionsbedingungen - bewußter Einsatz als Stilmittel oder Normabweichung in der Umgangssprache - pragmatisch besonders interessant. Nach Burger30 lassen sich unterschiedliche Modifikationstypen semantischen Effekten zuordnen. Im folgenden werden zunächst die gängigsten Modifikationstypen angegeben. Danach werden gewissen semantischen Effekten einzelne Modifikationstypen zugeordnet. Diese Modifikationstypen werden der Einfachheit halber in Einphrasem-Modifikationen und Mehiphrasem-Modifikationen eingeteilt. Die Einphrasem-Modifikation betrifft nur ein einziges Phrasem, bei der Mehrphrasem-Modifikation erfolgt die Modifikation eines Phrasems durch die Anwesenheit eines anderen Phrasems. 3.4.1

Semantische Effekte zur Einphrasem-Modifikation

Folgende Einphrasem-Modifikationstypen werden unterschieden: a) „Hinzufügung eines Adjektivs" b) „Determinativkomposition" c) „Hinzufügen eines Genitivattributs" d) „Abtrennung" e) „Lexikalische Substitution" f) „Affirmations-Negationswechsel"

a) „Hinzufügung eines Adjektivs": Dies bezieht sich auf die nicht-phraseologische Bedeutungsebene. „Dabei hast du bei all deiner zum halbbewölkten Himmel schreienden Unwissenheit vor, diese Stundenplanschule nie wieder zu betreten" 31 .

(in Abwandlung von zum Himmel schreien/stinken ,skandalös, empörend sein') b) „Determinativkomposition": Diese bezieht sich auf die nicht-phraseologische Bedeutungsebene der erweiterten Komponente. „Erstaunlich war, daß der Igel während dieser Szene die doch einige Zielsicherheit verlangte, seine Frau, die sich erhoben hatte und in der Nähe des Fensters einen Faden ins Nadelöhr einzufädeln versucht, im Brillenauge behielt

(jmdn., etwas im Auge behalten/haben jmdn., etwas beobachten, in seinem weiteren Verlauf, bei den weiteren Aktivitäten verfolgen'). c) „Hinzufügen eines Genetivattributs": Dies bezieht sich auf die nicht-phraseologische Bedeutungsebene, beispielsweise in einer Schweizer Wahlpropaganda: 29 Nach Erhebungen von Ceryäeva treten „in publizistischen Texten des Deutschen bis zu 30% aller verwendeten Phraseologismen als okkasionelle Modifikationen a u f ' (Vgl. B. Wotjak, 1992:133), mit starker Häufung (über 50%) in satirischen Zeitschriften und insgesamt steigender Tendenz (vgl. B. Wotjak, 1992:133ff). 30 H. Burger, 1982:68fr. 31 G. Grass, Blechtrommel. S.97, zit aus: H. Burger, 1982:74. 32 G. Grass, Blechtrommel. S.596, zit. aus: H.Burger, 1982:76.

28 „Sie sollen sich hüten, noch einmal in die Speichen unsres helvetischen Fuhrwerks greifen zu wollen" 33 .

d) „Abtrennung": Es wird eine Komponente abgetrennt, deren wörtliche Bedeutung aktiviert wird. Bei „Der Stein, der Ron Dennis vom Herzen gefallen ist, hat ein Loch in der Boxengasse hinterlassen"34

besteht eine Koaktualisierung der wörtlichen Bedeutungsebene durch Aktivierung der wendungsexternen Bedeutung der Komponente Stein. Bedingungen fur die Akzeptanz der „Abtrennung" sind in diesem Fall eine gewisse semantische Autonomie der Nominalkomponente in Verbindung mit einer situationsabhängig variablen verbalen Komponente. e) „Lexikalische Substitution": Darunter versteht man die Ersetzung einer Phrasemkomponente durch ein anderes Lexem. Die Stärke des „semantischen Effekts" hängt davon ab, ob eine semantische Beziehung zwischen diesem und dem substituierten Lexem besteht. Beispielsweise kann in nach Herzenslust essen die Komponente Herzenslust durch Meereslust ersetzt werden. In diesem Fall resultiert aus dem Kontext (Werbung fur Meeresprodukte nach Herzenslust ,so, wie [es] jmd. mag') 35 eine Spezialisierung der Bedeutung, wodurch das Phrasem auch eine starke appellative Funktion erhält. f) „Affirmations-Negationswechsel": Darunter versteht man einen Wechsel der Affirmation-Negation bzw. umgekehrt. Ein Phrasem, das in der lexikalisierten Form entweder auf Negation oder Affirmation festgelegt ist, beispielsweise „Libe Mari (sie!), ich bin froh, daß ich keine Rede nicht halten brauch, sondern das Maul" 36 ,

führt in der modifizierten Form zu einem starken „semantischen Effekt", da sich daraus eine „,Wiederlegung' oder ,Entkräftung',, 37 der ursprünglichen phraseologischen Bedeutung ergibt. 3.4.2

Semantische Effekte der Mehrphrasem-Modifikation

Folgende Phänomene können auftreten, wenn in einem Text mehrere Phraseme vorkommen. Dies bezeichnet Burger als „Häufung" 38 von Phraseologismen. Dies kann folgende Effekte nach sich ziehen: a) Ohne gegenseitige lexikalisch-syntaktische Durchdringung der Phraseme kann die wörtliche Bedeutung teilweise aktiviert werden, wie beispielsweise in der „Häufung" „Ein Kopf kann erst frei denken, wenn er nicht mehr alle Hände voll zu tun hat" (Henkel, 5.8.76) 3 '.

33 H. Burger, 1982:76. 34 Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.03.97. Formel-l-Fahrer Heinz-Harald Frentzen beschreibt die Erleichterung von Mercedes Rennleiter Ron Dennis nach dem Sieg seines Fahrers David Couldhard im McLaren-Mercedes. 35 Beispiel aus: H. Burger, 1982:71. 36 Th. Ludwig: Josef Filsers Briefwechsel, S.9, zit. aus. in: H. Burger, 1982:78. 37 Η. Burger, 1982:86. 38 Η. Burger, 1982:86.

29 Ein solches Phänomen nennt Burger „Bildbrüche".

40

b) Lexikalische Durchdringung zweier Phraseme zu einem neuen Phrasem („Kontamination" 41 ) führt semantisch zur Aktivierung der phraseologischen Bedeutung beider Phraseme. Beispielsweise entsteht aus den beiden Phrasemen „alles in einen Topf werfen und verschiedene Sachen unter einen Hut bringen"42

die „Kontamination" „alles ... in einen Hut werfen" in „denn eine Möwe nimmt alles mit, ist keine empfindliche Taube, schon gar keine Krankenschwester - es wäre auch allzu einfach, könnte man alles, was Weiß trägt, in einen Hui werfen, in einen Schrank stecken" (Grass, Blechtrommel, S.613)43.

c) Ein spezieller Fall lexikalisch-syntaktischer Verschränkungen liegt vor, wenn z.B. mehrere Phraseme Lexeme gemeinsam haben. Dieses gemeinsame Lexem kann die Funktion haben, z.B. zwei Phraseme zu verknüpfen. Dieser Modifikationstyp hat einen starken humoristischen Effekt. In dem Beispiel „Er hat ein Auge auf Emma und die Flinte ins Korn geworfen" 44

besteht die „Koordinierung" der partiell identischen Phraseme die Flinte ins Korn werfen und ein Auge aufjemanden -werfen im gemeinsamen Lexem werfen.

3.5 Zusammenfassung Aus Abschnitt 1.3 ergibt sich, daß der Begriff Idiomatizität einerseits zentral fur die Phrasemdefinition ist, andererseits jedoch in noch größerem Maße als der Festigkeitsbegriff verschiedenen Auffassungen und Ansätzen offensteht. Dies gilt insbesondere fur die Zurückfuhrung der Idiomatizität auf Komponenteneigenschaften. Entscheidend für das Verständnis des Phrasemphänomens ist in jedem Fall die Unterscheidung einer wörtlichen Bedeutungsebene von einer phraseologischen. Die Hauptschwierigkeit bei der Definition des Idiomatizitätsbegriffs besteht in der Operationalisierung der Beziehungsmöglichkeiten zwischen diesen beiden Ebenen, besonders wenn versucht wird, den traditionell als „teilidiomatisch" bezeichneten Bereich nach unterschiedlicher Idiomatizität zu ordnen. Die Modifikationssemantik (1.3.4), die die Flexibilität auf der phraseologischen Bedeutungsebene demonstriert, sowie die Vielzahl möglicher Konnotationen, die von Phrasemen transportiert werden können, haben gezeigt, daß Phraseme semantisch komplex sind. Kombiniert man die bisher behandelten Begriffe „Festigkeit" und „Idiomatizität", um eine innere Differenzierung der Phraseologie zu erreichen, gelangt man zu Klassifikationsmodellen. Auf diesen Klassifikationsmodellen liegt neben der Phrasemdefinition der zweite wichtige Schwerpunkt der Phraseologieforschung. Ein kurzer Überblick über den Forschungsstand 39 40 41 42 43 44

H. Burger, 1982:87. Ebd. H. Burger, 1982:87. Ebd. Ebd. H. Burger, 1982:78.

30

der Phraseologie, wie er in diesem Teil I intendiert ist, bliebe unvollständig ohne die Berücksichtigung einiger Klassifikationsmodelle, die in der Forschung besondere Resonanz gefunden haben. Wie aus dem Vorangegangenen deutlich geworden sein sollte, bilden diese das kontroverseste Gebiet der Phraseologieforschung, und zwar aufgrund der verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten bei der Auffassung der oben genannten Begriffe, Festigkeit und Idiomatizität. Viele der bisher bei diesen Begriffen behandelten Ansätze finden sich deshalb auch im nächsten Abschnitt unter dem klassifikatorischen Gesichtspunkt wieder.

4 Modelle zur Klassifikation Für Phraseme sind im Gegensatz zu Lexemen vielfaltigere, fragestellungsangepaßte Klassifikationen möglich, was damit begründet wird, daß ihnen „(...) ein eigenes System von Strukturtypen und Bildungselementen (Affixen)"1 fehlt. Der Schwerpunkt existierender Klassifikationen kann so entweder mehr auf morphosyntaktischen oder semantischen bzw. pragmatischen Eigenschaften liegen, oder es kann versucht werden, verschiedene Eigenschaften zu kombinieren. Gemeinsam ist den Klassifikationssystemen, daß jeweils gewisse Phraseme nicht eindeutig eingeordnet werden können2. Dies ist jedoch nicht notwendigerweise als Mangel zu werten, sondern kann als adäquate Beschreibung der Zwischenstellung der ausgeschlossenen Wortverbindung aufgefaßt werden3. Vertreter prominenter Klassifikationstypen werden im folgenden vorgestellt.

4.1 „Rein-semantische Klassifikation" (nach Pilz) Pilz' Schema, das auf der Differenzierung des Motivierbarkeitsansatzes aufbaut, teilt Phraseme (seine Terminologie: „Phraseolexeme") in drei Hauptgruppen (HG) ein4: 1) „Endosememische Phraseolexeme": Bei diesen ergibt „sich die Gesamtbedeutung als Summe der Bedeutungselemente"5, was zu „nicht-idiomatisch" äquivalent ist. Sie sind strukturell heterogen und umfassen auch Interjektionen, feste Wendungen wie „Dank sagen" etc. 2) „Exosememische Phraseolexeme": Die ,,(Gesamt)bedeutung" von „exosememischen Phraseolexemen" „läßt sich nicht als Summe der Elementbedeutungen ermitteln, allenfalls ahnen"6. 3) „Endoexosememische Phraseolexeme": Diese definieren sich wie die Phraseolexeme von 2) unter dem Zusatz, daß deren „summative Gesamtbedeutung auch einen (okkasionellen) Sinn ergibt"7, der aber nicht mit „der (phraseologisch-) lexikalischen Bedeutung identisch ist, wobei der Unterschied allerdings in Einzelfallen gering sein kann"8 (Beispiel: gegen den Strom schwimmen [,sich der Meinung, den Gepflogenheiten der Mehrheit entgegenstellen']).

1 2 3 4 5 6 7 8

W.Fleischer, 1982:116. Vgl. W. Fleischer, 1982:117. Vgl. ebd. K.D. Pilz, 1978:516£f. K.D.Pilz, 1978:517. K.D. Pilz, 1978:519. K.D. Pilz, 1978:520. Ebd.

32 Einzig HG 2) wird weiter in vier Untergruppen (UG) unterteilt9: 2.1) „Exosememische Phraseolexeme mit archaischen Komponenten", auch wenn es sich um Elemente handelt, die in der Gegenwartssprache eine andere Bedeutung angenommen haben, wie z.B. die Komponente Kegel in dem Phrasem mit Kind und Kegel (,mit der ganzen Familie'). Auf der phraseologischen Bedeutungsebene tritt Kegel in der veralteten Bedeutung ,uneheliches Kind' auf. 2.2) „Exosememische Phraseolexeme, deren summierte Bedeutungselemente gar keinen Sinn oder nicht im entferntesten einen potentiellen Sinn, also faktischen Unsinn, Unmögliches oder Unlogisches ergeben (Beispiel: sich die Beine in den Bauch stehen [,sehr lange stehen und warten']; Blech reden). 2.3) „Exosememische Phraseolexeme, die - endosememisch verstanden - einen Sinn ergeben könnten, deren endosememische Aktualisierung aber nicht üblich ist"11 (Beispiel: jmdm. einen Floh ins Ohr setzen [,in jmdm. einen unerfüllbaren Wunsch wecken']; jdm. ist eine Laus über die Leber gelaufen [ jmd. ist über etwas verärgert']). 2.4) „Exosememische Phraseolexeme, deren Gesamtbedeutung trotz archaischer Elemente oder dgl. verhältnismäßig leicht zu erahnen ist, vielleicht wegen volksetymologischer Umformung" 12 , wie z.B. am Hungertuch nagen [,Hunger, Not leiden'], das Pilz auch zur Untergruppe 2.1 rechnet, oder sich über beide Ohren verlieben. „Besonders problematisch" 13 an Pilz' Einteilung ist nach Burger vor allem die Definition des „Sinns" der Gesamtbedeutung einer Wortverbindung bezüglich der Untergruppen und die Abgrenzung von HG 3 und 1. Sein Schema fuhrt zur Klassifikation metaphorisch auch gut motivierbarer Wortverbindungen, beispielsweise aus einer Mücke einen Elefanten machen [,etwas unnötig aufbauschen, weit übertreiben'] zu UG 2.2. Objektiv schwer festzumachen ist ferner der Unterschied zwischen HG 3 und UG 2.3. Der Ausdruck jmdm. einen Floh ins Ohr setzen könnte je nach Textsorte (hier z.B. im Märchen) durchaus auf der wörtlichen Bedeutungsebene denkbar sein. Die eindeutige Phrasemeinordnung, d.h. die Entscheidung darüber, ob ein Archaismus vorliegt, läßt UG 2.1 zu, jedoch sind darunter die wenigsten „voll exosememisch" 14 . Die Klassifikation übergeht Phraseme ohne Ambiguierungsmöglichkeit (nicht „endoexosememisch"), die aufgrund der Komponenten der Bedingungen von HG 1 und 2 genügen (Beispiel: klipp exosememisch als unikale Komponente, und klar endosememisch als wendungsinterne sowie wendungsexterne Bedeutung).

9 10 11 12 13 14

K.D. Pilz, 1978:519fr. K.D. Pilz, 1978:519. K.D. Pilz, 1978:520 Ebd. H. Burger, 1982:25ff. H. Burger, 1982:25.

33

4.2 „Konnotat-Denotat-Wortverbindungs-Klassifikation" (nach Kopylenko/Popova) Grundansatz ist eine Semem-Differenzierung nach denotativen (D) und konnotativen (K) Eigenschaften eines Lexems 15 . Die konnotativen Eigenschaften werden einem Lexem nur innerhalb einer Wortverbindung zugeschrieben. Dies erlaubt die Zuordnung verschiedener Wortverbindungen zu Kombinationstypen der Art: KK, DD, DK, (Reihenfolge spielt keine Rolle), was de facto die Realisierung einer Idiomatizitätsskala von „Dl, (...), D l " (freie Wortverbindung ohne übertragene Bedeutung der Komponenten) bis „K3, (...), K3" („vollidiomatische" Wortverbindungen) bedeutet. Der Differenzierungsgrad hängt direkt von der in einer Wortverbindung durch D und Κ charakterisierten Komponentenzahl ab. Einordnungsbeispiele für Wortverbindung mit zwei Basiselementen sind etwa folgende 16 : -

D1D1: D1Κ1: Κ1Κ1: D1K2: K3K3:

„die Wahrheit sagen", „eine Prüfung ablegen" „vor einem Abgrund stehen", „gut abschneiden" „Krethi und Plethi" [jedermann, alle möglichen Leute'].

Die Phraseologie erscheint somit kontinuierlich in den Gesamtbestand an Wortverbindungen eingebettet, d.h. ohne die oft bemängelte modellabhängige Grenzziehung zu mehr oder weniger festen Wortverbindungen.

4.3 Phraseologische Klassifikation im Rahmen von Mel'cuks Wortverbindungstypologie Mel'iuk bietet eine Wortverbindungstypologie nach den Begriffen „Festigkeit" und „Idiomatizität"17. Durch Kombination ergeben sich folgende Wortverbindungstypen 18 : 1) 2) 3) 4)

„Fest und idiomatisch": jdn. ins Bockshorn jagen J e s t aber nichtidiomatisch": Zähne blecken Nicht „fest", aber „idiomatisch": gegen den Strom schwimmen Nicht „fest" und nicht „idiomatisch": die gesammelten Werke.

4.4 „Phraseologisations-Modell" (nach Rojzenzon) Synchron interpretiert, erlaubt das „Phraseologisations-Modell" eine Klassifikation „fester Wortkomplexe" 19 nach den Entstehungsarten aus freien Wortverbindungen: 1) „Phraseologisation" infolge semantischer Veränderungen (Umdeutung, Verengung/Spezialisierung, Erweiterung) von Komponenten einer freien Wortverbindung, z.B. seine fünf 15 16 17 18 19

Siehe dazu ausfuhrlich 1.3.3. J. Häusermann, 1977:64fF. Zu seinen Termini siehe Abschnitte 1.2.4.1. und 1.3.2. I.V. Mel'iuk, zit. aus: J. Häusermann, 1977:60ff. Vgl. L.I. Rojzenzon, zit. aus: J. Häusermann, 1977:49ff.

34 Sinne beisammenhaben [,aufpassen, sich konzentrieren'] oder die Zähne zeigen [ jmdm. [heftig und unerschrocken] Widerstand leisten']. Dies nennt Rojzenzon „eigentliche linguistische Phraseologisation"20. 2) „Phraseologisation" aufgrund „,logisch-syntaktischer' Faktoren"21 fuhrt zu Sprichwörtern wie wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein [,wer andern zu schaden versucht, schadet sich dadurch oft nur selbst']. 3) „Phraseologisation" aufgrund „extralinguistischer"22 Faktoren führt zu „festen Wortkomplexen", wobei es sich um Anspielungen auf „Anekdoten, Märchen, historische Fakten und Aehnliches"23 handeln kann. 4) Durch „teilweise Phraseologisation"24 (im Sinne von 1) erklärt Rojzenzon Phraseme vom Modellbildungtyp (bei ihm: „phraseologisierte Bildungen"), unter denen sich durch „sekundäre Phraseologisierung"25 bestimmte Verbindungen verfestigen, d.h., die Bildung des „festen Wortkomplexes" erfolgt als zweistufiger Prozeß. Die Wortverbindung im Zuge der Zeit beispielsweise ergibt sich als Verfestigung eines Vertreters der Modellreihe im Zuge des Fortschrittes/der Modernisierung/des Abfuhrwesens/der allgemeinen Teuerung. Der von den ersten drei Punkten umfaßte Phraseologiebereich hängt davon ab, inwieweit man synchrone Nachvollziehbarkeit semantischer Veränderungen zur Bedingung für die Einordnung unter 1) macht: Soll dies immer gegeben sein, so schlösse man gerade die vollidiomatischen Phraseme aus, die meist auch nicht zu den Bereichen 2) und 3) gehören und den Kernbereich der Phraseologie ausmachen. Rojzenzons genetisches „Phraseologisations-Modell" erfordert für die Erfassung dieses Kernbreichs eine Beurteilung benennbarer linguistischer Veränderungen auch in Fällen wie jmdm. durch die Lappen gehen [jmdm. entwischen, entgehen'], wodurch man wieder auf den - aufgrund subjektiver Faktoren problematischen - „Motivierbarkeits"-Begriff zurückgeführt wird.

4.5 „Struktur-semantische" Klassifikation (nach Cernyseva) 4.5.1

„Phraseologische Ganzheiten"

In der sowjetischen Phraseologieforschung werden die „phraseologischen Ganzheiten" der „struktur-semantischen"26 Klassifikation vorangestellt, da sie ein „untrennbares semantisches Ganzes"27 bilden. Dazu zählen solche Phraseme wie auf Teufel komm' raus ,mit allen Kräften, rückhaltlos', ins Gras beißen .sterben' etc., bei denen keiner Komponente eine eindeutige Be20 21 22 23 24 25 26 27

Siehe J. Häusermann, 1977:51. Ebd. L.I. Rojzenzon, zit. aus: J. Häusermann, 1977:50. Ebd. L.I. Rojzenzon, zit. aus:Häusermann, 1977:51. L.I. Rojzenzon, zit. aus:Häusermann, 1977:52. A.V. Kunin/I.I. Cemyäeva u.a., zit. aus: J. Häusermann, 1977:18. I.I. Cernyäeva, zit. aus: J. Häusermann, 1977:19.

35 deutung zugeschrieben werden kann. Neben „phraseologischen Ganzheiten" ist für die so charakterisierten Phraseme auch der Begriff „Idiome" im Sinne einer Einengung der Phraseologie auf ihren Kernbereich gebräuchlich. Daß es wünschenswert wäre, die „phraseologischen Ganzheiten" wiederum zu differenzieren, zeigen Beispiele wie aus einer Mücke einen Elefanten machen, oder das fünfte Rad am Wagen sein ,in einer Gruppe überflüssig, nur geduldet sein', deren Einteilung als „phraseologische Zusammenbildung"28 von Vinogradov vorgeschlagen wurde. Solche Phraseme haben „eine dumpfe Andeutung von Motiviertheit und semantischer Teilbarkeit"29. Allerdings wurde von anderer Seite wegen der zu starken Subjektivität eine diesbezügliche Unterteilung der „phraseologischen Ganzheit" abgelehnt30. 4.5.2 „Phraseologische Verbindungen" Beispiele der Art das goldene Buch, das gelbe Fieber oder der blinde Passagier werden in der struktur-semantischen Klassifikation „phraseologische Verbindungen" 31 genannt und als „semantisch teilbar" charakterisiert. Die Komponenten unterscheiden sich offensichtlich stark in ihrem Bezug zur Gesamtbedeutung des Phrasems, d.h., es ist (bei obigen Beispielen) jeweils nur das Adjektiv, das „(...) dem Komplex seine Besonderheit gibt"32, bei dem also nach Cernyäeva eine „singulare Bedeutungsübertragung"33 vorliegt (auch das Beispiel Stein und Bein schwören wäre hier einzuordnen, da sich die „singuläre Bedeutungsübertragung" auf die Nomina Stein und Bein beschränkt). 4.5.3 „Phraseologisierte Bildungen" Die „phraseologischen Verbindungen" zeichnen sich dadurch aus, daß die übertragen gebrauchte Komponente nur in einem Phrasem in einer bestimmten wendungsinternen Bedeutung gebräuchlich. Im Gegensatz dazu steht das Spektrum der Verbindungsmöglichkeiten des Adjektivs schwarz in der schwarze Markt, der schwarze Rubel, der schwarze Kurs etc.34 Die Möglichkeit der Abgrenzung der „phraseologisierten Bildungen" von den „phraseologischen Verbindungen" ist umstritten, vor allem weil „(...) es fast nie möglich ist, festzustellen (...), ob das entsprechende Lexem wirklich nur einmal in der .übertragenen Bedeutung' vorkommt"35. Cernyäeva rechnet „phraseologisierte Bildungen" zu den „nichtphraseologischen Einheiten"36, im Gegensatz zu den früheren Ansätzen von Vinogradov, der die „phraseologisierten Bildungen" in die Phraseologie miteinbezog37.

28 29 30 31 32 33 34 35 36 37

J. Häusermann, 1977:21. Ebd. J. Häusermann, 1977:22. J. Häusermann, 1977:22ff. J. Häusermann, 1977:22. Ebd. Beispiele aus: J. Häusermann, 1977:27. J. Häusermann, 1977:28. Ebd. J. Häusermann, 1977:29.

36 4.5.4

„Modellbildungen"

Als Modellbildungen gelten feste Wortverbindungen mit syntaktischen Rahmen und Leerstellen, die „weitgehend frei mit Lexemen ausgefüllt werden" 38 können, wie z.B. von ... bis, mit Kopf und Fuß oder ein Mann von .../mit Format o.ä. Bezüglich der Bewertung des Verhältnisses der Modellbildungen zur Phraseologie ist zu berücksichtigen, daß es auch solche Modellbildungen gibt, die je nach Leerstellenbesetzung zu verschiedenen Semantiktypen zu zählen sind, wie z.B. die Modellbildung von ... zu, mit den Lexemen Tag/Tag, Mann!Mann, Ort/Ort usw. 39

4.6 Spezielle feste Wortverbindungen 4.6.1

Funktionsverbgefüge

Innerhalb der Phraseologie werden auch Funktionsverbgefüge (FVG) behandelt. Als solche werden prädikative Ausdrücke bezeichnet, die aus einem Verb (Funktionsverb) und einer Nominalphrase (NP) oder Präpositionalphrase (PP) bestehen 40 . Burger betrachtet unter diesem Aspekt speziell FVG, bei denen insbesondere ein synonymes Verb für den Gesamtausdruck existiert, das „zur gleichen Wurzel wie das Nomen der Streckform"41 gehört. Für FVG insgesamt läßt sich feststellen, daß die Funktionsverben meist in einer „abgeleiteten Bedeutung" 42 vorliegen bzw. eine häufig „vom freien Gebrauch deutlich geschiedene Bedeutung" 43 aufweisen. Das Nomen hingegen zeigt weitgehend einen wendungsexternen Gebrauch 44 . 4.6.2

Sprichwörter

Sprichwörter sind „Ausdrücke aus literarischen Quellen oder historischen Dokumenten (Zitate), die im allgemeinen sprachlichen Umgang eine verallgemeinerte Bedeutung erhalten haben"45, denen also Verallgemeinerung als semantische Funktion zugeordnet werden kann, bzw. „eine metaphorische, verallgemeinerte Bedeutung" 46 . Untersuchungen zum Sprichwort differenzieren den verallgemeinerten Charakter u.a. in die Funktionen: 1) „Depersonalisierung": Eine Mitteilung kann indirekt und unpersönlich übermittelt werden z.B. Morgenstund hat Gold im Mund ,am Morgen läßt es sich gut arbeiten; wer früh mit der Arbeit anfangt, erreicht viel'.

38 39 40 41 42 43 44 45 46

J. Häusermann, 1977:30. J. Häusermann, 1977:32. Vgl. P. Eisenberg, 1989:292ff. und H. Burger, 1973:39ff. H. Burger, 1973:40. P. Eisenberg, 1989:293. Η. Burger, 1973:41. Ebd. S.I. OzSgov, zit. aus:W. Fleischer, 1982:20. V.N. Telija, zit. aus:W. Fleischer, 1982:80.

37 2) „Betonung": Der im Sprichwort referierte Sachverhalt bzw. das Verhalten soll dem Hörer ganz besonders deutlich vor Augen geführt werden, besonders beispielsweise durch Metaphorisierung wie in der Apfel fällt nicht weit vom Stamm jmd. ist in den negativen Anlagen den Eltern sehr ähnlich'. 3) Pädagogische Funktion: Es wird auf gesellschaftliche Normen und Werte in appellativer Weise verwiesen, wie z.B. in was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Sprichwörter weisen überdies Satzwertigkeit auf, dienen also nicht als Satzbausteine, sondern fungieren als „Mikrotexte" 47 . Dies bedeutet, „dass sie keinerlei formale Möglichkeiten des Anschlusses an den Kontext aufweisen" 48 . Auf mögliche Kontextabhängigkeit der Sprichwort-Semantik weist Permjakov hin, indem er feststellt, daß die kontextuelle Einbettung dem Sprichwort ein semantisches Element, das ihm ursprünglich fehlt, hinzufügen kann49. 4.6.3

Gemeinplätze

Semantisches Merkmal dieser festen und wie Sprichwörter auch satzwertigen Wortverbindungen ist die „Reduktion von Komplexität"50, was sich lexikalisch im Auftreten von Komponenten wie „man, jeder, alle, alles" u.a. ausdrückt, wie z.B. „wir sind alle nur Menschen", „was sein muß, muß sein" usw. „Charakteristisch für die hier auftretenden indexikalischen Ausdrücke ist, daß sie nur eine unspezifische Referenzleistung aufweisen, die sich letztlich in einem Verweis auf den pragmatischen Kontext insgesamt erschöpft. Diesen Typ von vorgeformten Sätzen gibt es - soweit ich sehe - bei den Sprichwörtern nicht" 51 . 4.6.4

Geflügelte Worte

Notwendiges und hinreichendes Abgrenzungskriterium der geflügelten Worte ist die Aufzeigbarkeit der Urheberschaft. Es handelt sich deshalb um eine strukturell, semantisch und bezüglich der Idiomatizität heterogene Gruppe fester Wortverbindungen. Bei Beschränkung auf synchrone Sprachbeschreibung ergibt sich deshalb eine Verteilung auf entsprechende, durch synchron definierbare Kriterien konstituierte Gruppen fester Wortverbindungen. 4.6.5

„Kommunikative Formeln"

„Kommunikative Formeln" 52 {guten Tag, wohl bekomm 's usw.) sind pragmatisch durch ihre Verwendung in der (geschriebenen oder gesprochenen direkten) Rede abgegrenzt und bezeichnen semantisch mehr oder weniger komplexe feste dialogstrukturierende und damit auch situationsgebundene sprachliche Einheiten unterschiedlicher Idiomatizität.

47 48 49 50 51 52

W. Fleischer, 1982:80. J. Häusermann, 1977:113. Vgl. J. Häusermann, 1977:41. N. Luhmann, 1972: 53. E. Giilich, 1978:7. W. Koller, 1977.

38

4.7 Einordnung des „phraseologischen Grenzbereichs" Hintergrund der Grenzbereichsdiskussion bildet die unterschiedliche Bewertung der Reproduzierbarkeit als Eigenschaft der Phraseme, die dadurch charakterisiert ist, „dass ein Stück Sprache zur Einheit geworden ist, in einer bestimmten Form von den Sprechern akzeptiert wird"53. Reproduzierbar sind demnach einerseits auch 1) Sprichwörter, Aphorismen, Sentenzen, andererseits 2) nicht-idiomatische feste Wortverbindungen, oder 3) sonstige Textbausteine, d.h.,„vorgeformte' Satzstücke, Sätze und Satzkomplexe"54 in Wort und Schrift. Die weite Auffassung der Phraseologie betrachtet Reproduzierbarkeit als hinreichendes Zugehörigkeitskriterium. Als Konsequenz ergibt sich jedoch nicht nur die Einbeziehung von 1) und 2), sondern auch die Frage der Grenzziehung zwischen der Phraseologie und 3). Für die enge Auffassung ist Reproduzierbarkeit nicht hinreichend. Idiomatizität (in mehr oder weniger großem Ausmaß) muß zusätzlich gegeben sein.

4.8 Zusammenfassung Für die Verschiedenheit von Klassifikationsmodellen gibt es zwei Gründe: Bei Annahme übereinstimmender Begriffe von Idiomatizität und Festigkeit können unterschiedliche Autoren bei der konkreten Anwendung am Phrasem zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Außerdem ist es aber möglich, daß verschiedene Klassifikationen auf unterschiedlichen Auffassungen dieser Hauptkriterien beruhen. Die vorgestellten Modelle unterschieden sich hauptsächlich in der zuletzt genannten Weise. Das auffalligste Kennzeichen dieses Unterschiedes besteht in der Auffassung, wie sich die beiden Hauptkriterien logisch zueinander verhalten. Eine völlig unabhängige Operationalisierbarkeit der Hauptkriterien legt Mel'cuk im Rahmen seiner Klassifikation zugrunde. Im Gegensatz dazu hängen in Rojzenjons Modell diese organisch zusammen. Eine unvermeidliche Folge der angesprochenen Divergenzen ist die Existenz eines sogenannten „phraseologischen GTenzbereichs" (1.4.7), an dem sich die konträren Positionen bezüglich der Frage kristallisieren, welche Wortverbindungen überhaupt in die Phraseologie einzubeziehen sind. Die vorangegangene Diskussion sollte klar gemacht haben, daß die Erstellung allgemeingültiger verbindlicher Operationalisierungen von Idiomatizität und Festigkeit nicht ohne weiteres realisierbar ist. Es sollen jedoch im nächsten Abschnitt die möglichen logischen Wechselbeziehungen von Idiomatizität und Festigkeit allgemein untersucht werden, da dies in der phraseologischen Literatur nur selten geschieht. In diesem Zusammenhang wird auch die oft genannte Eigenschaft des Phrasems, nämlich die der Reproduzierbarkeit in die Diskussion miteinbezogen.

53 J. Häusermann, 1977:52. 54 W. Fleischer, 1982:68.

5 Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen phraseologischen Eigenschaften 5.1 Idiomatizität und Festigkeit In der Forschung sind bezüglich der Wechselbeziehung der phraseologischen Eigenschaften unterschiedliche Auffassungen feststellbar. Mel'öuk etwa behandelt Festigkeit und Idiomatizität als voneinander unabhängige Phrasemeigenschaften (s. 1.4.3). Zukov behauptet dagegen eine wechselseitige Bedingtheit dieser Größen: „(...) die Festigkeit ist das Mass der Idiomatizität"1. Zu beachten ist allerdings, daß Festigkeit verschieden aufgefaßt werden kann, nämlich Fl) als Resistenz der gesamten Wortverbindung gegenüber mindestens einer Transformation (s. 1.2.4.2), F2) als bevorzugte Verbindung eines Lexems mit anderen Lexemen zur Realisierung einer seiner Bedeutungen.

Testet man die Beziehung zwischen Idiomatizität (siehe dazu die Operationalisierung in 1.3.2.) und Festigkeit im Sinne von F2, so ergibt sich etwa bei den „phraseologischen Verbindungen", bei denen „singulare Übertragenheit" auftritt (s. 1.4.5.2) sowie bei Wortverbindungen mit „unikalen Komponenten" 2 die Beziehung: aus Idiomatizität folgt F2) und umgekehrt. Für blind in blinder Passagier ist die Verbindung mit Passagier bevorzugt zur Realisierung der Bedeutung von blind .illegal'. Geht man von Fl) aus, lassen viele anführbare Beispiele die Beziehung „aus Idiomatizität folgt F l ) " plausibel erscheinen. In jedem Fall gilt jedoch, daß für Wortverbindungen, die Festigkeit im Sinne von F l ) oder F2) zeigen, daraus nicht notwendigerweise Idiomatizität folgt. Daraus ergibt sich insbesondere, daß IdiomatizitätsDefinitionen Festigkeit F l ) oder F2), wenn überhaupt, nur als notwendiges aber nicht hinreichendes Kriterium enthalten können. Im Zusammenhang mit dem Einheitscharakter von Phrasemen ist auch die Beziehung des Reproduzierbarkeitsbegriffs zur Festigkeit zu untersuchen.

5.2 Reproduzierbarkeit und Festigkeit Unter Reproduzierbarkeit versteht man in der sowjetischen Sprachwissenschaft, die Eigenschaft einer Wortverbindung, als Lexikoneinheit zu funktionieren 3 . Burger stützt sich insbesondere auf Rojzenzon und betont als Merkmal reproduzierbarer Wortverbindungen deren Existenz „(...) im Bewußtsein des Sprachträgers als fertige Einheiten" 4 . Verzichtet man auf Annahmen, die Sprachverarbeitung, Speicherung und Wiedergabe betreffen, so erweisen sich Reproduzierbarkeit und Festigkeit (Fl) als synonyme Begriffe. Bezieht man psycholinguistische Überlegungen bei der Charakterisierung der Phraseme 5 mit ein, betrifft Festigkeit (Fl) 1 2

3 4 5

V.P. Zukov, zit. aus: J. Häusermann, 1977:68. Bei Wortverbindungen mit unikalen Komponenten ist die Feststellung des Vorliegens von F2) nicht unproblematisch, da eine Fixierung einer separaten Bedeutung auf der phraseologischen Bedeutungsebene nicht immer möglich ist. In noch stärkerem Maße gilt dies für Phraseme, die homonym zu einer freien Wortverbindung sind. Vgl. J. Häusermann, 1977:55. H. Burger, 1982:62. H. Burger, 1982:168fif.

40 allerdings lediglich den empirisch nachprüfbaren Sachverhalt der (relativen) Formkonstanz bereits aktualisierter Sprache (s. 1.2.4.2.5.), während Reproduzierbarkeit etwas Prozeßhaftes, nämlich Speicherung und Wiedergabe fester Wortverbindungen betrifft. Insbesondere kann aus der Festigkeit (Fl) nicht a priori geschlossen werden, daß feste Wortverbindungen als „Automatismen"6 wiedergegeben, d.h. reproduziert werden, oder daß sie auch auf mentaler Ebene als Lexikoneinheiten vorliegen. Handelt es sich bei der Wiedergabe einer festen Wortverbindung um einen „Automatismus", so bestünde die Relation: aus Reproduzierbarkeit folgt Fl). Es ist jedoch auch denkbar, daß Phraseme mit ihren Irregularitäten „(...) als Ausnahmen rekonstruiert werden und also an der Äußerung kognitive Prozesse beteiligt sind"7.

5.3 Zusammenfassung Die bisherigen Abschnitte behandelten das Phänomen der Phraseologie unter dem Gesichtspunkt der Begriffsbestimmung und inneren Differenzierung. Es wurden verschiedene Definitionsversuche des Phrasems vorgestellt. Die Existenz eines „phraseologischen Grenzbereichs" macht deutlich, daß es für Lexikographen unabdingbar ist, eine möglichst exakte und zweckspezifisch beschränkte Definition des Phrasembegriffs vorzunehmen, um die Korpusauswahl nachvollziehbar zu machen. Je nach dem, ob sich der Lexikograph eher der engen oder weiten Auffassung des Phrasembegriffs anschließt, steht ihm für die Zusammenstellung des Korpus eine mehr oder weniger große Auswahl an festen Wortverbindungen zur Verfügung. Bestimmend für die Konzeption eines phraseologischen Wörterbuchs mit der Zielgruppe der L2Lemer sind deren spezielle Bedürfhisse auch bezüglich der Korpusauswahl. Im folgenden Abschnitt soll nun untersucht werden, wie die Phraseologie in der Lexikographie verstanden wird.

6 7

H. Burger, 1982:175. H. Burger, 1982:188.

6 Untersuchung traditioneller Wörterbücher im Hinblick auf ihre Auffassung von Phraseologie Folgende Wörterbücher dienen als Untersuchungsgrundlage: -

Duden: Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten (RSR) Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (HWDG), Duden: Deutsches Universalwörterbuch A-Z (DUW), Langenscheidts Großwörterbuch. Deutsch als Fremdsprache (DaF).

In der vorliegenden Untersuchung wurde die Phraseologie bisher theoretisch, d.h. ohne Bezug auf die lexikographische Darstellung der Phraseme behandelt. Für den Vergleich der Wörterbücher bezüglich ihrer L2-Lerner-Freundlichkeit speziell in diesem Bereich ist es angebracht, zu untersuchen, welches Konzept bezüglich der Phraseologie die Wörterbücher zugrunde legen. Ein solches Konzept findet sich in der Regel im Rahmen der „Benutzerhinweise", die auch für den L2-Lerner die einzige Quelle einschlägiger Orientierung im Wörterbuch darstellen. Nur hier kann der L2-Lerner erfahren, was der Wörterbuchverfasser überhaupt als Phrasem bezeichnet. Die gewählten Wörterbücher sollten für diesen Zweck der Untersuchung zwei Forderungen genügen. Erstens sollten sie traditionelle Standardwerke innerhalb des deutschen Sprachraums darstellen, denen man Autorität und Verbindlichkeit bei der Fixierung des Sprachbestandes unterstellen kann. Dieser Umstand erhöht den Stellenwert einer bei den Wörterbuchartikeln gemachten kritischen Durchsicht. Desweiteren sollten die gewählten Wörterbücher solche sein, die von L2-Lernern mit einiger Sicherheit als erste zu Hand genommen werden. Aus diesem Grund werden die oben genannten Wörterbücher gesichtet.

6.1 Untersuchung im Hinblick auf die Zielgruppe des L2-Lerners (Zielgruppe) i) Duden:Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten (RSR) Im Duden sind Bemerkungen zur Zielgruppe nicht vorhanden. Man kann daraus schließen, daß die Autoren sich an die allgemein Sprachinteressierten wenden. Es erfolgt jedoch ein Hinweis auf die Rolle der deutschen Idiomatik im Fremdsprachenerwerb: „Vor allem die Umgangssprache ist gekennzeichnet durch ihren Reichtum an anschaulichen, oft derbkomischen Wendungen und Redensarten, und es ist erstaunlich, wie häufig sie in der alltäglichen Kommunikation gebraucht werden. Deshalb kommt auch der Idiomatik beim Erwerb des Deutschen als Fremdsprache eine besondere Bedeutung zu". (Vorwort)

Zwei Behauptungen werden hier aufgestellt. Die erste bezieht sich auf die Häufigkeit des Phrasemgebrauchs in der Alltagssprache. Zweitens sei für den L2-Lerner die Idiomatik eine wichtige Hürde, die auf dem Weg zur Fremdsprache zu bewältigen ist. Diesen Hinweis muß man eher als Mittel betrachten, die Bedeutung der Idiomatik allgemein herauszustellen. Auf die spezifischen Bedürfnisse des L2-Lerners wird nicht eingegangen.

42 ii) Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (HWDG) Im Vorwort des HWDG ist nur ein kurzer Hinweis auf die angesprochenen Benutzer anzutreffen. „Es dient der Förderung der Sprachkultur, wendet sich an einen weitgefaßten Benutzerkreis und ist auch für die Schulen geeignet." (Vorwort)

Die Zielgruppe ist also nicht näher spezifiziert, insbesondere fehlt ein Bezug auf L2-Lerner. iii) Duden: Deutsches Universalwörterbuch (DUW) Im Vorwort des DUW wird explizit auch auf den „ausländischen Benutzer" eingegangen: „Um den Bedürfnissen breiter Benutzerkreise, vor allem auch der ausländischen Benutzer, zu entsprechen, wurden in das Wörterbuch auch Abkürzungen und Namen, z.B. Namen von Institutionen und Organisationen, aufgenommen. (...). Damit bietet das „Deutsche Universalwörterbuch" DUW dem Benutzer die Möglichkeit, deutschsprachige Texte nicht nur richtig zu verstehen, sondern auch Texte in deutsche Sprache grammatisch korrekt zu verfassen." (Vorwort)

Als Ziel des Wörterbuches wird also genannt, möglichst viele verschiedene Benutzerkreise anzusprechen. Dabei werden L2-Lerner erwähnt, deren besonderen Bedürfnissen das Wörterbuch gerecht zu werden versucht. Erstens sollen Abkürzungen, von denen angenommen wird, daß sie dem L2-Lerner nicht bekannt sind, erläutert werden. Ferner hat das DUW den Anspruch, auch im Textverstehen und in der Textproduktion Hilfestellung zu leisten. iv) Langenscheidts Großwörterbuch: Deutsch als Fremdsprache (DaF) Die Zielgruppe wird bereits durch den Titel „Deutsch als Fremdsprache" verdeutlicht. Das DaF wendet sich also an solche Benutzer, die die deutsche Sprache erlernen wollen. Dieser Kreis wird weiter differenziert: „Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache ist ein Lern- und Nachschlagewerk für Schüler, Studenten, Lehrer und alle, die ihre Kenntnisse (...) vertiefen und erweitern wollen." (VII)

Aus diesem Grund soll die Darstellungsweise den Bedürfhissen des L2-Lerners angepaßt sein.

6.2 Untersuchung im Hinblick auf die Begriffsbestimmung des Phrasems i) Duden: Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten (RSR) Der RSR bietet in der Einleitung eine relativ ausfuhrliche Behandlung der sprachwissenschaftlichen Eingrenzung des Begriffs Phrasem. Zunächst werden verschiedene Termini zur Abgrenzung von anderen sprachlichen Erscheinungen eingeführt: „Feste oder idiomatische Verbindungen, Redewendungen, Idiome, Wortgruppenlexeme, Phraseologismen, Phraseolexeme (...)." (S.7)

Außerdem wird die globale Eigenschaft erwähnt, „vorgeformt" 1 zu sein. Diese sprachlichen Erscheinungen stellen nach den Autoren „nicht frei gebildete Wortketten"2 dar. Sodann werden die beiden wichtigsten Eigenschaften der Phraseme, Festigkeit und Idiomatizität genannt:

1 2

Ebd. Ebd.

43 „Kennzeichnend der idiomatischen Verbindung ist, daß ihre Bedeutung nicht oder nur teilweise aus den Einzelbedeutungen ihrer Bestandteile erschlossen werden kann und daß sie in der Regel eine feste, nur begrenzt veränderbare Struktur hat." (S.7)

In einem nächsten Abschnitt („1. Abgrenzung gegenüber freien Wortgruppen") wird die Definition durch die Abgrenzung gegenüber „freien Wortgruppen" verdeutlicht. Es wird die Behauptung aufgestellt, Nichtwörtlichkeit sei ein sehr häufiges, aber nicht hinreichendes Kriterium für ein Phrasem. Die zusätzlich zu fordernde Eigenschaft der Festigkeit wird nach verschiedenen Unterarten aufgegliedert. Dabei handelt es sich um die Einschränkung von Variabilitäten, die bei „den freien Wortgruppen ohne weiteres möglich sind". Es werden „Kommutation", „Attribuierung", „Diskontinuität", „Permutation" sowie „morphologische Veränderung" betrachtet3. Diese Transformationen sind jedoch „keineswegs grundsätzlich alle unzulässig"4. Es wird ferner begründet, nach welchem Kriterium die Ergebnisse dieser Operationen bezüglich der Erhaltung der Idiomatizität bewertet werden. , 3 e i freien Wortgruppen (...) sind alle Operationen möglich, ohne daß das Ergebnis das Sprachempfinden stört." (S.8)

Es wird quasi ein Rezept angegeben, um das Vorliegen eines Phrasems festzustellen. Der Leser des RSR versteht, daß unter Abgrenzung der Unterschied zu den freien Wortverbindungen gemeint ist. In dem darauffolgenden Kapitel werden „Grenzgebiete des Idiomatischen" 5 behandelt. Das Wörterbuch erwähnt die Grenzgebiete der festen Wendungen, gibt aber bis auf Funktionsverbgefüge nicht an, ob die zu den Grenzgebieten gerechneten festen Wendungen nun ins Wörterbuch aufgenommen worden sind oder nicht. Als solche Grenzfälle werden z.B. „Rountineformeln" und „Sprichwörter"6 genannt. ii) Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (HWDG) In den „Hinweisen für Benutzer" finden sich Bemerkungen über Phraseme unter Kapitel 8 „Zur Darstellung phraseologischer Einheiten (Mehrwortlexeme)". Zunächst wird darin auf die theoretischen Schwierigkeiten bei der begrifflichen Abgrenzung eingegangen. „Die unzureichende Erforschung bestimmter theoretischer Fragen wie beispielsweise der Wesensbestimmung und der Wortgruppenbedeutung phraseologischer Einheiten, ihrer Abgrenzung gegenüber terminologischen Mehrwortlexemen und der metaphorischen Verwendung freier Wortverbindungen bereiten jedoch in der Wörterbuchpraxis gewisse Schwierigkeiten." (XI)

Die Autoren grenzen phraseologische Einheiten also einerseits terminologischen Mehrwortlexemen gegenüber ab, die ja auch die Eigenschaft der Festigkeit aufweisen. Außerdem erfolgt eine Abgrenzung gegenüber der metaphorischen Verwendung freier Wortverbindungen. Im letzten Fall ist nicht klar, ob darunter alle Metaphern oder nur solche mit direkter Motivierbarkeit fallen. Um die im HWDG getroffene Auswahl der Ausdrücke zu verdeutlichen, wird eine Definition des Begriffs Phrasems gegeben: „Als Phraseologismen werden in erster Linie die phraseologischen Ganzheiten aufgefaßt, d.h. die semantisch umgedeuteten syntaktischen Wortgruppen (z.B. jmdm. aufs Dach steigen). Ihre Bedeutung ergibt sich nicht durch die Summierung der Bedeutungen der einzelnen Komponenten." (XI)

3 4 5 6

RSR, RSR, RSR, RSR,

1992:8. 1992:9. 1992:9. 1992:10-11.

44 Für die Autoren gilt also die Nichtkompositionalität als wichtigstes Kriterium. Diese wird wiederum auf die Umdeutung von Komponenten zurückgeführt. Für die Phraseologismen gilt nämlich, daß „(...) die Bedeutung der einzelnen Bestandteile der phraseologischen Ganzheiten graduell unterschiedlich verändert (ist)." (XI)

Ferner wird auf das Vorhandensein von Varianten des Phrasems hingewiesen: „Häufig existieren phraseologische Einheiten in mehreren Varianten." (XI)

Zusammenfassend kann man also sagen, daß HWDG eine verständliche, hauptsächlich auf semantische Kriterien gestützte Definition der Phraseme anbietet. iii) Deutsches Universalwörterbuch (DUW) Das DUW enthält in der Einleitung ein kleines Kapitel „Phraseologie". Unter diesem Titel werden zwei verschiedene Arten sprachlicher Ausdrücke genannt. Zunächst wird auf die Anordnung der Beispielsätze im Wörterbuchartikel eingegangen. „(...) und zwar stehen die Beispiele für die eigentliche (konkrete) Bedeutung immer vor den Beispielen mit der übertragenen (bildlichen, metaphorischen) Bedeutung, die durch Ü (= übertragen) angekündigt werden." (S.ll)

Die Schwierigkeit für den Leser, der sich über die Phraseologie informieren will, besteht darin, festzustellen, ob die „übertragene Bedeutung" das Phraseologische ausmacht, und ob Unterschiede zu den Phrasemen bestehen. Man muß das wohl so interpretieren, daß freie Sätze, in denen einzelne Lexeme eine Umdeutung erfahren haben, von den idiomatischen Ausdrükken unterschieden werden. Dann taucht der Begriff des Phrasems auf: „Idiomatische Ausdrücke (feste Verbindungen, Wendungen, Phraseologismen) werden bei der Bedeutung aufgeführt, zu der sie gehören (...)." (S.ll)

Prinzipiell wäre es möglich, bei Identität von wendungsexterner und wendlingsinterner Bedeutung die Phraseme auf diese Weise einzuordnen (z.B. auf Stein und Bein schwören unter SCHWÖREN). Die phraseologischen Ausdrücke selbst werden nicht definiert. Die Wörterbuchautoren setzen also voraus, daß der Benutzer weiß, was darunter zu verstehen ist. iv) Langenscheidts Großwörterbuch: Deutsch als Fremdsprache (DaF) Unter den Hinweisen für Benutzer findet sich im DaF ein Abschnitt unter dem Titel „Idiomatische Wendungen, Redensarten, Sprichwörter"7. Es geht in diesem Abschnitt hauptsächlich um die Kennzeichnung innerhalb der Mikrostrukturen, jedoch trifft man hier eine Differenzierung an, aus der man einige Elemente einer Begriffsbestimmung gewinnen kann. Die erste Differenzierung betrifft die zwischen Sprichwörtern einerseits und Redewendungen andererseits: „Sprichwörter werden in ihrer üblichen Form angegeben (also meist als ganze Sätze)." (XI)

Und weiter: „Idiome und Redensarten werden entweder mit dem Verb im Infinitiv angegeben (z.B. j-m auf die Pelle rükkeri) oder, falls die Wendung normalerweise in einer ganz bestimmten Form auftritt, in dieser Form (msl Je-

7

DaF, 1993:XI.

45 der hat sein Päckchen zu tragen). Die Einschränkung durch mst (meist) deutet darauf hin, daß auch andere Formen der Wendung möglich sind (z.B. Auch ich habe mein Päckchen zu tragen)." (XI)

Unter Sprichwörtern werden also solche Ausdrücke verstanden, die überwiegend satzwertig sind. Da sie jedoch gemeinsam mit den idiomatischen Wendungen etc. aufgeführt werden, kann der Leser schließen, daß es gemeinsame Merkmale gibt. Aus den Bemerkungen zu den idiomatischen Ausdrücken und Redewendungen schließt man, daß diese in ihrer Variabilität beschränkt sind. Ferner kann man entnehmen, daß Varianten mehr oder weniger häufig vorkommen können. Man kann für das DaF also feststellen, daß zunächst Sprichwörter von Idiomen getrennt werden und daß für erstere die Satzwertigkeit, fiir letztere aber die Festigkeit als Eigenschaften besonders herausgehoben wird.

6.3 Zusammenfassung Es wurden repräsentativ sowohl ein deutsches phraseologisches als auch einige deutsche allgemeine Wörterbücher bezüglich der Angaben in „Einleitung" bzw. „Vorwort" untersucht. Geachtet wurde darauf, ob der L2-Lerner als Zielgruppe genannt wird, und welchen Informationsgehalt die Angaben zu Phrasemen haben. In allen Fällen erwähnen die Autoren ihr Lesepublikum in mehr oder weniger allgemeiner Form. Bei den allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern ist dies natürlich durch die Gesamtkonzeption bedingt: Das allgemeine einsprachige Wörterbuch ist zunächst immer an die Muttersprachler gerichtet. Auch das allgemeine einsprachige Wörterbuch für „Deutsch als Fremdsprache" bezeichnet als Zielgruppe alle Lernenden, die überhaupt in Frage kommen. Ausführlicher als die konkreten Zielgruppen werden hingegen die Fertigkeiten aufgezählt, die die Autoren durch ihre Wörterbuchkonzeption unterstützt sehen wollen. Was die Frage nach der Definition des Phrasembereichs angeht, so ist aus der Konzeption verständlich, daß das speziell phraseologische Wörterbuch (RSR) der Abgrenzung dieses Gegenstandes gegenüber anderen sprachlichen Erscheinungen mehr Platz einräumt als die allgemeinen einsprachigen Wörterbücher. Zunächst ist bei den Wörterbüchern, d.h. dem RSR und anderen allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern, die Vielzahl an synonymen Begriffen auffällig, die zur Bezeichnung des Gegenstandsbereiches „Phraseologie" verwendet werden. Dies erklärt sich wohl daraus, daß die Autoren bei ihrer Wörterbuchkonzeption an den Stand der sprachwissenschaftlichen Forschung anknüpfen wollen, in der viele Begriffe gebräuchlich sind. Die Autoren etwa des RSR konfrontieren den Leser mit einer Begriffsvielfalt, die lediglich als Label für eine allgemeinverständliche Definition des Gemeinten dient. In manchen Fällen weisen die Autoren die Benutzer explizit auf die Schwierigkeiten bei der Fixierung des Gegenstandes hin (HWDG). Auch die Autoren des RSR versuchen dies noch weitergehend transparent zu machen, indem sie in einem Kapitel über die Grenzgebiete der Idiomatik anhand kritisch analysierter Beispiele die Unschärfe vieler Begriffsbildungen demonstrieren. Sicher ist dieses Vorgehen von der Sicht des Benutzers aus gerechtfertigt. Worum es geht, wird diesem zusätzlich in einer Reihe von Beispielen deutlich gemacht. In den allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern beschränkt sich die Definition oft nur auf kurze Hinweise, die ihrerseits der Problematik der Makrostruktur untergeordnet sind (DUW). In den von den untersuchten Wörterbüchern gegebenen Definitionen werden, abgesehen von der unterschiedlichen

46 Ausführlichkeit, als wichtigste Merkmale Festigkeit und Motivierbarkeit beschrieben. Hier fallt auf, daß diese in der Phraseologie weit verbreiteten Termini in den „Benutzerhinweisen" der Wörterbücher nicht verwendet, sondern daß diese Termini durch Umschreibungen verdeutlicht werden. Am ehesten genügen die Eintragungen im RSR den Anforderungen an sprachwissenschaftliche Exaktheit, da dort verschiedene Formen der Festigkeit unterschieden werden. Auch fallt die Bewertung dieser Kriterien bei den Wörterbüchern verschieden aus. Im HWDG zum Beispiel wird die Nonkompositionalität als Eigenschaft umschrieben und auch diese speziell auf Umdeutungen zurückgeführt. In einem Fall (DUW) wird unter anderem der Begriff der übertragenen Bedeutung mit idiomatischen Ausdrücken in Verbindung gebracht. Die Beziehung dieser in der Umgangssprache geläufigen Bezeichnung zu den an gleicher Stelle erläuterten Idiomen muß dem Leser allerdings unklar bleiben. Die bisherige Darstellung zur Phraseologie (Teil I) hat nicht nur die Probleme dargelegt, die beim Versuch entstehen, die Erscheinung „Phrasem" wissenschaftlich exakt zu erfassen, sondern macht auch deutlich, daß die Verwertung dieser Ergebnisse in der lexikographischen Praxis weitere Überlegungen erfordert. Zunächst ist festzustellen, daß die bisher behandelten Ansätze, sowohl was die Abgrenzung der Phraseologie als auch die Klassifikation der Phraseme betrifft, ohne Rücksicht auf die Frage des Fremdsprachenerwerbs erstellt worden sind. Sie beziehen sich auch nicht auf eine spezielle Einzelsprache, sondern versuchen, Phraseme als Eigenschaft des Sprachsystems überhaupt zu behandeln. Bezüglich ihrer Relevanz für die Lexikographie läßt sich sagen, daß die Abgrenzung der Phraseologie als Teilbereich der sprachlichen Erscheinung bedeutsamer ist als die Frage der inneren Differenzierung. Dies deshalb, weil es bei der Konzipierung eines Wörterbuchs in erster Linie darauf ankommt, für den Benutzer möglichst nachvollziehbar festzulegen, welche Art Lemmata überhaupt zu finden sind. Die Ansätze etwa von Kopylenko/Popova oder Pilz haben bezüglich der inneren Differenzierung der Phraseologie gezeigt: je mehr versucht wird, diese innere Differenzierung zu verfeinern, desto weniger sind die jeweiligen Ergebnisse im vollen Umfang nachvollziehbar. Dies liegt daran, daß eine wirklich unter allen Aspekten stichhaltige Operationalisierung (z.B. die Kriterienerstellung für die Zuordnung der verschiedenen konnotativen Seme der Kategorien K1-K3 im Modell von Kopylenko/Popova) nur schwer geleistet werden kann. Es ist zwar prinzipiell denkbar, die Konzeption eines phraseologischen Wörterbuchs unter Heranziehung eines bestimmten Modells zur inneren Differenzierung der Phraseologie zu versuchen. Dieses würde jedoch auf zwei Hindernisse stoßen: erstens wären Gründe für die Bevorzugung irgendeines Modells anzugeben und zweitens wäre die Frage zu beantworten, was ein solches Wörterbuch vom Standpunkt des Benutzers aus, d.h. für die Rezeption und Produktion der Phraseme zusätzlich leisten würde. Einschlägige Untersuchungen hierzu stehen noch aus und es bestehen begründete Zweifel, daß die theoretisch erfaßten Feindifferenzierungen kognitive Relevanz für den Lernen haben. Für den L2-Lerner zählt letztlich im wesentlichen, ob die Erläuterungen zu den Phrasemen in den Artikeln verständlich und für seine Zwecke zielführend sind. Aus diesem Grund ist die teilweise ergänzungsbedürftige Darstellung der Theorie der Phraseme in „Einleitung" und „Vorwort" der betrachteten Wörterbücher für die Eignung als Lernhilfe für L2-Lerner sicher problematisch. Das heißt, es kann nicht als Hauptaufgabe des Lexikographen angesehen werden, dem Wörterbuchbenutzer eine sprachwissenschaftliche Einordnung dessen zu liefern, was im Wörterbuch enthalten ist, besonders wenn es sich dabei, wie bereits ausgeführt, um ein Gebiet handelt, das so vielen Beschreibungsansätzen offensteht wie die Phraseologie.

47

Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, daß jeder L2-Lerner als Sprecher der eigenen Muttersprache in der Wörterbuchbenutzungssituation ein Grundverständnis davon mitbringt, worum es sich bei dem in einem phraseologischen Wörterbuch dargebotenen Material handelt. Im Prinzip sind zwei Wege vorstellbar, die dem L2-Lerner diesen Schluß erlauben: Erstens werden dem L2-Lerner in vielen Fällen die im Titel des zweisprachigen phraseologischen Wörterbuchs genannten Ausdrücke in einer oder beiden Sprachen (z.B. Deutsch: „Redensarten, Redewendungen, idiomatische Ausdrücke, Phraseologie) als Hinweis dienen. Zweitens ist es durchaus vorstellbar, daß der Benutzer eines zweisprachigen Nachschlagewerks, der die Art des Inhalts nicht mit Sicherheit aus dem Titel erschließen konnte, sich zunächst dem Inhaltsteil (im Falle des zweisprachigen phraseologischen Wörterbuchs den Einträgen von Phrasemen) und weniger den Benutzerhinweisen zuwendet. Für die Konzeption der Benutzerhinweise bietet sich eine Gegenüberstellung ausgewählter Beispiele aus dem Phrasemmaterial beider Srpachen an, um dem Benutzer den Gegenstand eines zweisprachigen phraseologischen Wörterbuchs exemplarisch vor Augen zu fuhren. Das bedeutet nicht, daß bei der Wörterbucherstellung etwa ganz auf einen theoretischen Kommentar zu Phrasemen verzichtet werden könnte. Sie ist gerade dann notwendig, wenn die Auswahl der aufzuführenden Lemmata getroffen wird, und sollte im Rückgriff auf die weiter oben diskutierten Begriffe „Idiomatizität" und „Festigkeit" erfolgen. Da in der vorliegenden Arbeit zur Konzeption einer Mikrostruktur für ein zweisprachiges phraseologisches Wörterbuch darüber hinaus versucht wird, möglichst viele Aspekte dieser Konzeption speziell im Hinblick auf den nicht-muttersprachlichen Benutzer zu entwerfen, sollte dies auch bei der Auswahl des Phänomenbereichs berücksichtigt werden. Deshalb und aufgrund der Uneinheitlichkeit der Darstellung des Phrasembegriffs in der einschlägigen Forschungsliteratur, sollen im folgenden Abschnitt einige grundlegende Überlegungen zu einer zweckspezifisch beschränkten Fassung des Phrasembegriffs präsentiert werden.

7 Neubestimmung eines neuen L2-orientierten Phrasembegriffs Der phrasemtheoretische Standpunkt des Lexikographen hat Konsequenzen für das phraseologische Datenangebot an die Zielgruppe des phraseologischen Wörterbuchs. Bei Zugrundelegung der engen Auffassung der Phraseologie werden z.B. idiomatische bzw. teilidiomatische satzwertige feste Wortverbindungen wie Sprichwörter auf Grund der Satzwertigkeit aus der Phraseologie ausgeschlossen (z.B. HWDG). Bei Zugrundelegung der weiten Auffassung der Phraseologie werden auch solche feste Wortverbindung zur Phraseologie gezählt, die sehr wenig oder keine Idiomatizität zeigen. Deshalb wird, um die Auswahl des Phänomenbereichs des zu konzipierenden deutsch-koreanischen phraseologischen Wörterbuchs auf eine theoretisch befriedigende Basis zu stellen, eine praxisorientierte und zweckspezifisch beschränkte (vereinfachte) Phrasemdefinition gegeben. Zu diesem Zweck wird zunächst festgelegt, daß unter einem „polylexikalischen Ausdruck" nur ein Ausdruck verstanden wird, der überhaupt aus mehr als einem Lexem besteht. Definition: Ein Phrasem soll definiert sein als ein polylexikalischer Ausdruck, der folgende Bedingungen erfüllt: i) seine Bedeutung lasse sich nicht oder nicht vollständig aus den wendungsexternen Bedeutungen der Komponenten erschließen, d.h. er ist nicht-kompositionell, wobei ausschließlich synchrone Bedeutungen berücksichtigt werden sollen, und/oder ii) seine Verwendung sei auf eine spezielle pragmatische Situation beschränkt.

Zui) Ein polylexikalischer Ausdruck kann entweder i) oder ii) oder aber alle beiden Bedingungen erfüllen. In i) sind diejenigen Eigenschaften beschrieben, die aus Sicht des L2-Lerners für eine Wortkette zutreffen, wenn er diese trotz Bekanntheit der meisten oder aller Komponenten in Bedeutung und Gebrauch nicht erfassen kann. Nach dem Kriterium i) gehören beispielsweise alle unikale Komponenten enthaltenden Ausdrücke zu den „Phrasemen" im Sinne der Definition, etwa nicht viel Federlesen[s] mit jmdm., mit etwas machen ,keine Umstände machen, nicht zaudern' (Die unikale Komponente Federlesen ist dem L2-Lerner synchron nicht bekannt). Weiter erfüllen solche Ausdrücke das Kriterium i), die eine wendungsinteme Bedeutung haben, die von der wendungsexternen Bedeutung verschieden ist, wie z.B. blind als ,illegal' in blinder Passagier. Das Kriterium ii) weitet die Definition von Phrasemen auf Ausdrücke aus, denen zwar durch die Einzelbedeutung der Komponenten eine gewisse Kompositionalität zugeschrieben werden muß, zu deren sprachnormgerechten Gebrauch jedoch weitere Informationen benötigt werden. Dieses Kriterium wird eingeführt, um z.B. auch „kommunikative Formeln", die spezifischen situativen Begebenheiten unterliegen, in die Definition einzubeziehen. Dadurch soll vermieden werden, daß der L2-Lerner z.B. aus der Tatsache schließt, daß Guten Tag eine Begrüßungsformel ist, sei Gute Nacht ebenfalls eine Begrüßungsformel. In diesem Beispiel müßte die Erläuterung der speziellen pragmatischen Situation lauten: Gute Nacht ,ist eine Abschiedsformel, die nur dann gebraucht wird, wenn der Sprecher oder der Hörer oder alle beide sich zur Nachtruhe begeben'. Aus der obigen Definition ergibt sich, daß Kriterien, wie Satzwertigkeit oder Idiomatizität, die zur Unterscheidung von enger und weiter Phraseologieauffassung führen, keine Rolle

49 spielen. Konkret bedeutet dies, daß z.B. nicht alle Sprichwörter, Funktionsverbgefüge oder „kommunikative Formeln", also sprachliche Typen der weiten Phraseologieauffassung als Phraseme betrachtet werden, sondern nur diejenigen, die die obigen Kriterien erfüllen. Dieser Definitionsversuch leistet jedoch keine Klassifikation der Phraseme selbst. Aufgrund der dokumentierten Problemsituation im Rahmen der phraseologischen Forschung soll er innerhalb der vorliegenden Arbeit dazu dienen, die Auswahl des Arbeitskorpus an in ΠΙ.5 untersuchtem phraseologischem Material auf eine für die vorliegenden Zwecke ausreichende theoretische Grundlage zu stellen. Für diese Zwecke erweist er sich als hinreichend präzis und zielführend. Nachdem auf diese Weise die Kriterien für die Auswahl des Phänomenbereichs für das zu konzipierende Wörterbuch festgelegt sind, wird im folgenden Abschnitt 1.8 die lexikographische Behandlung der Angaben zu Phrasemen in traditionellen Wörterbüchern untersucht. Dieser Abschnitt ist deshalb wichtig, da das Hauptziel der vorliegenden Arbeit die Erstellung einer verbesserten Mikrostruktur der Phraseme ist. Um dieses Ziel zu erreichen soll zunächst festgelegt werden, welche Mängel in traditionellen Wörterbüchern im Hinblick auf die Mikrostruktur zu Phrasemen bestehen und welche Desiderata daraus formuliert werden können.

8 Lexikographische Behandlung der Angaben zu Phrasemen in traditionellen Wörterbüchern Als Grundlage dienen: -

Wörterbuch der deutschen Redewendungen (WDR), Duden: Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten (RSR), Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (HWDG), Duden: Deutsches Universalwörterbuch A-Z (DUW), Langenscheidts Großwörterbuch. Deutsch als Fremdsprache (DaF)

In der Literatur wird vielfach die Forderung nach Verbesserungen bei der lexikographischen Darstellung von Phrasemen erhoben, und zwar nicht nur in bezug auf einsprachige allgemeine und einsprachige phraseologische, sondern auch auf zwei-, bzw. mehrsprachige phraseologische Wörterbücher. Neben der Frage der Darbietung von theoretischen Informationen zu den „Vorworten" solcher Wörterbücher und der Makrostruktur speziell der phraseologischen Wörterbücher gilt das Interesse der Forschung der Mikrostruktur, d.h. den konkreten Informationen über Phraseme in Wörterbüchern: Welche Informationen sollte ein phraseologisches Wörterbuch diesbezüglich liefern und in welcher Form sollten diese aufgeführt werden? Überlegungen in dieser Richtung, die im Hinblick auf das Ziel der vorliegenden Arbeit relevant sind, finden sich zum Beispiel bei Burger, der verschiedene Teilbereiche der Mikrostruktur von Phrasemen in einigen Wörterbüchern untersucht hat1. Burger stellt Mängel, z.B. bei der Vollständigkeit der Information zur „externen" Valenz (S. 35), den Angaben über „morphosyntaktische Restriktionen" (ebd.), den „Bedeutungserläuterungen" (S. 38ff.) sowie den „pragmatischen Aspekten der Bedeutungserläuterung" (S. 43) fest. Ähnliche Untersuchungen liegen auch von Kjaer (1987) vor, die bei der Durchsicht ein besonderes Augenmerk auf die Nicht-Muttersprachlerfreundlichkeit der von ihr untersuchten einsprachigen phraseologischen Wörterbüchern {Görner, H. 1979: Redensarten; Friedrich 1976: Moderne deutsche Idiomatik) richtet. Aus dieser Sicht stellt Kjaer besonders dort Mängel fest, wo es um die für die Textproduktion des L2-Lerners wichtigen Informationen über „Negierungs- und Modifizierungsmittel" (S. 175) und die grammatischen Kommentare (S. 174) geht. Sie weist darauf hin, daß solche Informationen zwar in machen Fällen vorhanden, aber nicht explizit genug, d.h. nur innerhalb der Textbeispiele verdeutlicht werden. Bei Hessky findet sich eine Erörterung der Probleme speziell der zweisprachigen Lexikographie der „Phraseolexeme" (1992). Sie stellt fest, daß gegenüber der Situation der einsprachigen Phraseographie die zweisprachige eine „noch weniger erfreuliche" (S. 108) Bilanz bietet. Ausführlich geht Hessky auf die Bedürfhisse der nicht-muttersprachlichen Benutzer ein, die sie als maßgebend bei der Erstellung eines solchen Wörterbuchs betrachtet. Sie diskutiert allgemein, welche Anforderungen an die Wörterbuchkonzeption jeweils von der Rezeptions- bzw. Produktionssituation entstehen (S. 110f.), und verdeutlicht den Vorteil einer onomasiologisch geordneten Markrostruktur für den Produktionszweck. Hessky tritt bei den zweisprachigen phraseologischen Wörterbüchern fur eine „richtige Kombination des onomasiologischen und semasiologischen Prinzips" (S. 115) ein. Schließlich verweist sie auf die wichtige Rolle, die bei der Konzeption zweisprachiger phraseologischer Wörterbücher den einsprachigen zukommt, da erst aufbauend auf de1

Burger, H.: 1992:51.

51

ren Bedeutungsbeschreibungen (in beiden Sprachen) eine „Entscheidung über die interlinguale Äquivalenzrelation und ihre Kodifizierung" (S. 120) ermöglicht wird. Es läßt sich also sagen, daß das optimale zweisprachige phraseologische Wörterbuch die Lösung vieler der von den genannten Autoren behandelten Probleme auf der Ebene der einsprachigen Mikrostuktur zur Voraussetzung hat und daß eine Lösung dieser Probleme auch die zweisprachige Phraseographie voranbringen kann. In diesem Abschnitt soll anhand der Untersuchung traditioneller Mikrostrukturen die Notwendigkeit einer (in Teil II bzw. III vorgestellten) Neukonzeption lexikographischer Mikrostrukturen motiviert werden. Es werden dabei die Einträge zu verschiedenen deutschen Phrasemen in deutschen allgemeinen Wörterbüchern (HWDG, DUW und DaF), einem deutschen phraseologischen (RSR) und einem deutsch-koreanischen phraseologischen Wörterbuch (WDR) analysiert. Es soll verdeutlicht werden, welche Schwierigkeiten für den L2Lerner entstehen, wenn er zu Produktions- oder Rezeptionszwecken eines der genannten Wörterbücher für Phraseme zu Rate zieht. Wichtigstes Beurteilungskriterium ist hierbei, ob der L2-Lerner ohne vorherige Kenntnis bzw. Verwendungspraxis des gesuchten Phrasems in der Lage ist, das Phrasem adäquat zu gebrauchen oder so zu verstehen, wie es vom Muttersprachler intendiert ist. Unter „adäquat" soll in der vorliegenden Arbeit verstanden werden, daß die Äußerung eines Phrasems von L2-Muttersprachlern als ihrer Sprachnorm entsprechend gewertet wird. Die Adäquatheit bezieht sich dabei auf die räumlich-zeitlichen, situativen sowie den jeweiligen Kommunikationspartner betreffenden Aspekte des Phrasemgebrauchs. Die in Teil III vorgestellte Neukonzeption besteht neben einem Versuch zur verbesserten Darstellung der traditionellen Angaben: „Nennform", „Bedeutung", „Beispiel", „Stil"2 in der Einführung weiterer Angaben, die dem Benutzer explizite Hinweise auf pragmatische Eigenschaften eines jeweiligen Phrasems geben sollen (pragmatische Parameter). Aus diesem Grund werden bei der folgenden Durchsicht die oben genannten lexikographischen Angaben zu Phrasemen traditioneller Wörterbücher unter zwei Gesichtspunkten betrachtet. Zunächst werden sie auf Schwächen und Unzulänglichkeiten untersucht, und es wird eine Mängelliste erstellt. Anschließend wird daraus die Notwendigkeit der Einfuhrung weiterer lexikographischer Angaben plausibel gemacht.

8.1 Zum Begriff Mikrostruktur Unter Mikrostruktur wird bei Wiegand 3 die Struktur verstanden, die aus den Angaben eines Wörterbuchartikels und bestimmten Relationen, die auf den Angaben definiert sind, besteht. Jedem Wörterbuchtyp können bestimmte Mikrostrukturprogramme (das sind Mengen von Mikrostrukturen, die für ein gegebenes Wörterbuch verbindlich sind) zugeordnet werden. So unterscheidet sich beispielsweise das Mikrostrukturprogramm eines Wörterbuchs vom Typ „Aussprachewörterbuch" grundlegend von einem Wörterbuch vom Typ „Rückläufiges Wör-

2 3

Da die Neukonzeption sich auf die Situationsabhängigkeit der „Stilangabe" bezieht, wird dieser Mikrostruktureintrag in den genannten Wörterbüchern nicht extra untersucht. Siehe dazu H.E. Wiegand, 1989:409-462/1989a:462-501;1989b:371^»09;1989c:227-278.

52 terbuch", denn während im ersten Fall genuin Aussprachenangaben zu machen sind, gehören diese nicht zum zweiten Wörterbuchtyps.

8.2 Problematik der Angabenklassen zu Phrasemen 8.2.1 Mängel der Angabe der Nennform 1) Komponentenvarianten des Phrasems werden nicht berücksichtigt: Laus: jmdm. ist eine Laus über die Leber gelanfea/gekrochen (ugs.): jmd. ist über etwas verärgert: Was machst du denn fBr m} "Nun schau doch nicht so düster drein, dir ist wohl heute ein Gesicht? Dir ist wohl eine Laus über die Leber gelaufen? ... um Himmels wileine Laus Uber die Leber gelaufen?" len, welche Laus ist dir so plötzlich aber "*>. n^Tfl «feVä^l "W. Μ 2-is die Leber gekrochen? (Ruark [Übers.], Honigsauger 391). VW- s \ T

jm. ist eine Lausfiberdie Leber gelaufen/gekrochen (ugs.)

am

(WDR)

(RSR) •jmdm. ist eine L. Ober die Leber gelaufen (ugs.; jmd. ist

+ u m g . jmdm. ist eine L. über die Leber gelaufen

(jmd.

ist verärgert,

hat schlechte

Laune)·,

(HWDG)

schlecht gelaunt, ärgert sich scheinbar grundlos über alles u. jedes; nach der alten Vorstellung, dass die Leber der zentrale Sitz des Gemütes sei)

(DUW)

ID t-m Ist e-e Laut Ober die Leber gelauten m-spr; j-d ärgert sich (mit wegen e-r Kleinigkeit)

(DaF) Wörterbuchartikelabbildung 1

Im Gegensatz zu WDR und RSR, fuhren DUW, HWDG und DaF eine Variante gelaufen, aber nicht die Verbvariante gekrochen auf. Dies beeinträchtigt den Benutzer vor allem bei der Rezeption, denn der L2-Lerner kann nicht mit völliger Sicherheit schließen, daß es sich bei der rezipierten Wortverbindung mit gekrochen auch tatsächlich um das gleiche Phrasem handelt. 2) Fehlen von Hinweisen auf die syntaktische Funktion:

bis in die Puppen (ugs.) y(o|ä) Der Mann sieht an der Theke und sauft sich voll, dann schläft er bis in die Puppen.

bis ia die Puppen (ugs ): sehr lange Zeit, bis spät in den Tag. in die Nacht: Der steht an der Theke und säuft sich voll, dann schläft er bis in die Puppen (Jaeger, Freudenhaus 90). Wir haben observiert bis in die Puppen, aber es rührte sich niemand (Spiegel 24, 1967, 44).

(WDR)

(RSR)

α feil

tfate iMe

·ΜΉ 27l· «ISoWrtl »Wa

53 5. "bis in die -n (ugs.; sehr bis in die Puppen (übermäßig schlafen

lange)

bleiben,

(HWDG)

lange; urspr. bertin., wohl n.i L h tit-Ti im Berliner Tiergarten aufgestellten Statuen (»Puppen], zu denen der Weg früher recht weil war): bis in die -n schlafen, leiern

(DUW)

fröhlich feiern: bis In die Puppen gespr-,sehr lange STADIUM 2 [H äußert gegenüber S Zweifel, daß S auch tatsächlich sein Versprechen hält] -> STADIUM 3 [S versichert den Η in der Form darauf gebe ich dir Brief und Siegel, daß er die in 1 versprochene Handlung tun wird] -> STADIUM 4 {H fühlt sich durch die Äußerung 3 von S beruhigt}.

Die STADIEN 1 und 2 beschreiben die Entwicklung der Sprecher-Hörer-Interaktion vor der Phrasemäußerung. Im STADIUM 3 wird das Phrasem geäußert. STADIUM 4 verzeichnet die Folge der Äußerung des Phrasems. Es ist möglich, zusätzlich zu jedem STADIUM die inneren Zustände der Kommunikanten anzugeben. Man erkennt die Notwendigkeit, solche Informationen zu berücksichtigen, wie sie durch die dynamische Beschreibung der Phrasemfunktion geliefert werden, wenn man sich für das obige Phrasembeispiel die Situation eines L2-Lerners vorstellt, der das Phrasem als Verstärkung für die freie Wortverbindung „Ich verspreche dir..." gebraucht. Um zu zeigen, daß die STADIEN 1 und 2 notwendige Voraussetzungen sind, stellen wir uns die Äußerung „Ich gebe dir darauf Brief und Siegel" ohne diese Voraussetzungen vor. Dann erzeugt die Äußerung des Phrasems beim Muttersprachler gerade den Zweifel, der vermieden werden sollte (er wird mißtrauisch). Auch bei dem Phrasem sei kein Frosch als zweites Beispiel kann ohne die Kenntnis der STADIEN der Art 1 und 2 nicht entschieden werden, ob die Äußerung des Phrasems situationsangemessen ist. Der Sprecher verwirklicht seine Intention im illokutionären Akt „directives" in der Form sei kein Frosch. Zusätzlich dazu muß jedoch vor einer adäquaten Äußerung folgender Ablauf vorliegen. 4

Ein neuer Ansatz zur Pragmatik der Phraseme findet sich bei K. Mudersbach (im Druck). Im folgenden werden konstruierte Phrasembeispiele mit Hilfe eines deutschen Muttersprachlers formuliert und bewertet.

69 STADIUM 1 [S bittet H, ein gewisses Verhalten zu zeigen (meist Mitmachen bei einer spielerischen Aktivität)] -> STADIUM 2 [H lehnt ab, dieses Verhalten zu zeigen] -> STADIUM 3 [S versucht, Η von seiner Weigerung abzubringen, indem S Η mitteilt, im Falle einer erneuten Weigerung eine negative Einstellung (z.B. Spielverderber) zu Η zu gewinnen. Dies tut S in der Form: sei kein Frosch] -> STADIUM 4 {der weitere Verlauf richtet sich danach, welche der beiden folgenden Optionen der Hörer wahrnimmt: a) Η bleibt bei seiner Weigerung oder b) Η zeigt das von S gewünschte Verhalten}. Außer der Verdeutlichung der S T A D I E N 1 und 2 ist die Sonderstellung v o n S T A D I U M 4 zu beachten. V o m Verhalten des Hörers (in der Phrasemäußerungssituation) her gesehen können verschiedene Optionen a n g e g e b e n werden. W e l c h e dies sind, lassen sich aus der phraseologischen Bedeutung d e s Phrasems ableiten. W e l c h e Option (z.B. im o b i g e n Beispiel Weigerung oder Mitspielen) in einer realen minimalen Konstellation j e d o c h realisiert wird, hängt v o n Faktoren ab, die unabhängig v o n den in den S T A D I E N 1 und 2 ausgedrückten B e d i n g u n g e n sind, d.h., der weitere V e r l a u f läßt sich nicht immer als pragmatische E i g e n s c h a f t des Phras e m s auffassen, w e n n s o l c h e Optionen g e g e b e n sind. A u s der o b i g e n D i s k u s s i o n z u m Teilbereich c) ergibt sich in b e z u g auf Phraseme: a. b.

Für die Beschreibung eines Phrasems ist es nötig festzustellen, inwieweit der adäquate Gebrauch durch Vorstadien der Äußerung determiniert ist. Für jedes Phrasem ist femer zu untersuchen, ob die Entwicklung der Sprecher-Hörer-Interaktion eindeutig festgelegt ist oder ob Optionen fur den Hörer bestehen5.

2.4 Teilbereich des sozialen Kontextes (Teilbereich d) Folgende B e i s p i e l e der m i n i m a l e n Konstellation mit Phrasemgebrauch sollen die N o t w e n d i g keit verdeutlichen, Restriktionen bei der lexikographischen Beschreibung v o n Phrasemen zu berücksichtigen, die auf die Art der sozialen B e z i e h u n g e n z w i s c h e n Sprecher und Hörer zurückzuführen sind. (1) Eine nicht-muttersprachige Studentin Τ trifft zum ersten Mal den Professor X und erkundigt sich nach einer Doktorandenstelle. Sie sagt zu dem Professor: „Ich komme zu Ihnen, weil ich gehört habe, daß Sie und Ihre Arbeitsgruppe einiges auf der Pfanne haben". Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist Professor X zumindest leicht befremdet oder er ärgert sich sogar über die respektlose Redeweise der Studentin T. (2) Dieselbe Studentin trifft im Institut von diesem Professor X auf eine ihr bislang ebenfalls unbekannte Studentin T', die in der Forschungsgruppe des Professors mitarbeitet. Τ äußert sich nun gegenüber T' lobend über den wissenschaftlichen Ruf der Arbeitsgruppe, in dem sie dasselbe Phrasem gebraucht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit fühlt sich die Studentin T' geschmeichelt und freut sich über das Lob. (3) Nun möge die Studentin Τ im Gegensatz zu (1) den Professor X schon lange kennen und in dessen Arbeitsgruppe mit ihm zusammenarbeiten, so daß sich eine freundschaftliche Arbeitsbeziehung entwickelt haben möge. Es ist bei dieser Konstellation durchaus denkbar, daß die Studentin das Phrasem gegenüber dem Professor gebraucht, ohne bei ihm Anstoß zu erregen. (4) Ein rangniedriger Soldat hat einem Befehl (aus irgendeinem Grund) nicht Folge geleistet. Darüber verärgert stellt ihn ein Offizier zur Rede und sagt: „Ich werde Ihnen die Flölenlöne schon beibringen, wenn Sie den Befehl nicht endlich ausführen!". Der Soldat entschließt sich darauf, den Befehl auszuführen, um größeren Ärger zu vermeiden. D i e vorgestellten Phrasemgebrauchssituationen lassen f o l g e n d e Schlüsse zu:

5

Aus dem oben angegebenen Grund wird bei Vorliegen verschiedener Optionen der Bereich der zeitlichen Entwicklung und Beendigung des Phrasems nicht in die pragmatische Beschreibung des Phrasems einbezogen.

70 Die Situationsbeispiele (1) und (4) zeigen zwei minimale Konstellationen, in denen ein großer Unterschied im sozialen Status von Sprecher und Hörer besteht. In Beispiel (1) nimmt S den niedrigeren sozialen Status ein, und in (4) der rangniedrigere Soldat. Die Äußerung der Studentin war eindeutig als „Ihr Institut ist mir überall empfohlen worden" gemeint. Trotzdem stößt die anerkennend gemeinte Äußerung der Studentin beim Hörer zumindest auf Befremden. In Beispiel (4) spricht der Offizier gegenüber dem Soldaten mit dem Phrasem eine Drohung aus. Diese offene Drohung bewegt sich für den Soldaten im Rahmen dessen, was man von einem militärischen Vorgesetzten in dieser Situation erwarten kann. Daraus ist zu schließen, daß zur genauen Charakterisierung einer minimalen Konstellation eventuell Statusunterschiede zu berücksichtigen sind. Nur wenn diese Information über Sprecher und Hörer vorliegt, läßt sich mit einiger Sicherheit voraussagen, ob der Gebrauch eines vorgegebenen Phrasems adäquat ist. In den Beispielssituationen (2) und (3) wird dasselbe Phrasem gebraucht. In Beispiel (3) besteht wie in Beispiel (1) ein Statusunterschied von Sprecher und Hörer. In Beispiel (2) besteht kein Statusunterschied zwischen Sprecher und Hörer. In beiden Fällen der Beispiele (2) und (3) wird die Äußerung des Phrasems jd. hat etw. auf der Pfanne vom Hörer in der vom Sprecher intendierten Bedeutung (als Lob) verstanden. Dies kann man darauf zurückfuhren, daß außer dem sozialen Status ein weiteres Merkmal der Beziehung zwischen Sprecher und Hörer benötigt wird, um eine konkrete minimale Konstellation im Hinblick auf die Situationsangemessenheit einer Phrasemäußerung beurteilen zu können. Wie der Vergleich der Beispiele (1) und (3) zeigt, hängt dieses zweite Merkmal mit dem Maß zusammen, in dem sich Sprecher und Hörer persönlich kennen oder miteinander vertraut sind. In Beispiel (3) wurde für das verwendete Phrasem angenommen, daß die Restriktion, die für die Phrasemäußerung auf Grund des Unterschiedes im Sozialstatus besteht, aufgehoben wird, sobald sich eine (gute) persönliche Bekanntschaft zwischen Sprecher und Hörer eingestellt hat6. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Teilbereich d) der minimalen Konstellation durch zwei Merkmale beschrieben werden sollte, die in unterschiedlicher Weise die sozialen Rahmenbedingungen der Kommunikation von Sprecher und Hörer festlegen: 3. 4.

Ein Merkmal, das soziale Statusunterschiede unabhängig von persönlicher Bekanntheit zwischen Sprecher und Hörer ausdrückt. Ein Merkmal, das persönliche Bekanntheit zwischen Sprecher und Hörer unabhängig von sozialen Rangunterschieden ausdrückt.

Um die Auswirkung sozialer Faktoren auf den Gebrauch der Phraseme diskutieren zu können, sollen im folgenden Abschnitt Begriffe vorgestellt werden, mit denen sich die minimale Konstellation weiter spezifizieren läßt. 2.4.1 Narrativer und aktioneller Gebrauch Phraseme können als Referenzen nicht nur auf Sprecher oder Hörer, sondern auch auf eine (oder mehrere) Person(en) gebraucht werden, die in einer Äußerungssituation nicht mit Sprecher und Hörer identisch sein müssen. In dem Phrasembeispiel jd. gibt jdm. eins aufs Dach sind innerhalb der minimalen Konstellation (MK) folgende Gebrauchsarten denkbar:

6

Damit ist nicht ausgesagt, daß gute Bekanntschaft prinzipiell Unterschiede im Sozialstatus bezüglich der Adäquatheit einer Phrasemäußerung ausgleichen kann.

71 1· 2. 3. 4. 5. 6. 7.

.ich gebe dir eins aufs Dach" (innerhalb der MK referiert die Äußerung auf S und H) ,X)u gibst mir eins aufs Dach" (innerhalb der MK referiert die Äußerung auf Η und S) „X gibt dir eins aufs Dach" (innerhalb der MK referiert die Äußerung nur auf H) ..Du hast X eins aufs Dach gegeben" (innerhalb der MK referiert die Äußerung nur auf H) „Ich habe X eins aufs Dach gegeben" (innerhalb der MK referiert die Äußerung nur auf S) „X hat mir eins aufs Dach gegeben" (innerhalb der MK referiert die Äußerung nur auf S) „X hat Y eins aufs Dach gegeben" (innerhalb der MK referiert die Äußerung weder auf S noch auf H).

Für die Kommunikation zwischen Sprecher und Hörer in der minimalen Konstellation ist es wichtig, ob die Äußerung des Phrasems Referenzen auf den Sprecher bzw. den Hörer oder alle beide oder weder auf Sprecher noch auf Hörer enthält. Oft entscheidet das Vorliegen einer dieser Fälle darüber, ob die Äußerung normgerecht ist, bzw. wie der Hörer die Äußerung des Sprechers auffaßt. Dies ist besonders bei Phrasemen der Fall, die mit einem bestimmten emotionalen Zustand beim Sprecher verbunden sind. Darüber hinaus kann der Sprecher eine emotionale Wertung über die Person äußern, auf die das Phrasem referiert. Dies kann an dem Phrasem auf Teufel komm' raus verdeutlicht werden: 1) „Du kannst doch nicht auf Teufel komm' raus Aktien kaufen". 2) Er hat gesagt, daß du immer auf Teufel komm' raus Aktien gekauft hast". In der 1. Äußerung stellt der Sprecher einen Vorwurf dar, der je nach den Umständen mit mehr oder weniger starkem Ärger verbunden ist. Im Gegensatz dazu referiert der Sprecher in der 2. Äußerung die Meinung eines Dritten, ohne jedoch notwendigerweise emotionell beteiligt zu sein. Zur begrifflichen Fassung der Unterscheidung der Referenzmöglichkeiten dienen folgende Definitionen: Der Gebrauch eines Phrasems innerhalb einer minimalen Konstellation soll aktionell heißen, wenn in diesem nur Referenzen auf Sprecher und Hörer vorkommen. In allen andern Fällen soll der Gebrauch narrativ heißen. Demnach liegt bezüglich des Phrasems jd. gibt jdm. eins aufs Dach fur die oben genannten Gebrauchsbeispiele bei 1 und 2 aktioneller Gebrauch, bei 3, 4, 5, 6 und 7 narrativer Gebrauch vor. Beim Übergang vom aktionellen zum narrativen Gebrauch desselben Phrasems kann ein Wechsel der Illokution und Emotion vorkommen, wie dies im Abschnitt II.2.1 am Beispiel des Phrasems jd. bringt jdm. die Flötentöne bei demonstriert wurde (im narrativen Gebrauch als „Warnimg" und im aktionellen als „Drohung"). 2.4.2

Aktanten

Bei verbalen Phrasemen, deren Verbkomponenten transitiv gebraucht werden, kann zwischen Agens und Patiens unterschieden werden. Für das Phrasem jd. bekommt eins aufs Dach ist im Gebrauch „X hat mir eins aufs Dach gegeben" X Agens und der Sprecher Patiens. Diese Begriffe werden benötigt, um die Ausprägung einer minimalen Konstellation fur eine bestimmte Phrasemäußerung darzustellen. Nach der jeweiligen Konstellation kann wiederum die Ausprägung der pragmatischen Parameter variieren.

2.5 Zusammenfassung In Teil Π.2 wurden zur Analyse der minimalen Konstellation verschiedene Teilbereiche unterschieden. Aus jedem Teilbereich ergaben sich wichtige Merkmale des Phrasemgebrauchs.

72

Damit diente dieser Abschnitt der Zusammenstellung deijenigen Informationsaspekte, die auch in der Mikrostruktur des phraseologischen Wörterbuchs berücksichtigt werden sollten. Bevor dies geschehen kann, muß jedoch der Frage nachgegangen werden, welche speziellen Informationstypen aus den genannten Teilbereichen berücksichtigt und aufweiche Weise diese dargestellt werden sollten. Die eruierten Informationsaspekte (Absicht und Emotion des Sprechers, sozialer Statusunterschied und Bekanntheitsgrad zwischen Sprecher und Hörer) sollen dazu in pragmatischen Parametern abgebildet werden. Im folgenden Abschnitt wird zunächst die Vertextbarkeit pragmatischer Informationen im Wörterbuch diskutiert, bevor die Parameter fiir die neu zu konzipierende Mikrostruktur definiert werden.

3 Darstellung der pragmatischen Information in der neu zu erstellenden Mikrostruktur 3.1 Zur Vertextbarkeit der Information aus den Teilbereichen der „Äußerung des Phrasems" (a), der „mentalen Zustände von Sprecher und Hörer zum Zeitpunkt der Äußerung des Phrasems" (b), der „zeitlichen Entwicklung der Kommunikation zwischen Sprecher und Hörer bis zur Äußerung des Phrasmes und nach Beendigung der Äußerung des Phrasems" (c) und des „sozialen Kontextes" (d) 3.1.1

Vertextbarkeit von Teilbereichen der „Äußerung des Phrasems" (a) und der „mentalen Zustände von Sprecher und Hörer zum Zeitpunkt der Äußerung des Phrasems" (b)

Pragmatische Informationen, die schwer vertextbar sind, müssen unter Umständen von der Aufnahme ins Wörterbuch ausgeschlossen werden. Zunächst ist festzustellen, daß Informationen zur lautlichen Äußerung eines Sprechaktes schwer vertextbar sind. Weiter werden viele semantische Nuancen, die eigentlich dem Wörterbuchbenutzer mitteilenswert wären, nicht immer durch die Ausprägung einer einzigen Eigenschaft bestimmt, so daß der Wörterbucheintrag auf irgendeine Weise eine kombinierte Darstellung dieser Information liefern müßte. Es werden deshalb in jedem Fall Informationen aus dem Bereich a) von der Übernahme ins Wörterbuch ausgeschlossen. Prinzipiell bereitet die Vertextung von Informationen aus dem Teilbereich b) keine Schwierigkeiten. Die Bezeichnungen für die Ausprägung der Merkmale „Absicht" und „Emotion" sind in der Sprache direkt repräsentiert1. Die Vertextung emotionaler Information geschieht gewissermaßen „auf natürliche Weise" durch Angabe eines deutschen Substantivs (z.B. ,Freude', ,Ärger' usw.), das derjenigen Emotion entspricht, die der Lexikograph der Äußerung des Phrasems zuschreibt. Dies trifft auch auf die kognitive Information aus Teilbereich b) (z.B. in Form einer .Absicht') zu. 3.1.2

Zur lexikographischen Vertextbarkeit vom Teilbereich der „zeitlichen Entwicklung der Kommunikation zwischen Sprecher und Hörer bis zur Äußerung des Phrasems und nach Beendigung der Äußerung des Phrasems" (c)

Wie in Π.2.3 erläutert, ist es wünschenswert, den Verlauf der Kommunikation in der minimalen Konstellation bis zur Äußerung des Phrasems im phraseologischen Wörterbuch abzubilden. Dabei können formalisierte und nicht formalisierte Vertextungsarten unterschieden werden. „Bedeutungsangaben" können als formale oder nicht formale Vertextungen gestaltet sein, „Beispielangaben" stellen immer nicht-formalisierte Vertextungen dar.

1

Bei der Zugrundelegung des Alltagsbegriffs von „Emotion" spielt die in der Forschung diskutierte Frage der Unterscheidung von „Grundemotionen" und „zusammengesetzten Emotionen" keine Rolle (ausführlich dazu siehe Richard S. Lazarus, 1991, dazu: S. 78-86.

74 Vertextbarkeit in der Bedeutungsangabe Ein Beispiel für eine nicht formalisierte, aber metasprachliche Vertextung der Information zum Teilbereich c) für das Phrasem sei kein Frosch wäre ein Zusatz zur Grundbedeutung, ausgedrückt in der Paraphrase: komm, mach mit, spiel' mit in der Form: ... als Reaktion auf die anfängliche Weigerung, dies zu tun o.ä. Die Informationen der STADIEN 1 und 2 aus der Analyse der minimalen Konstellation wären somit integriert vertextet. Vertextbarkeit in der Beispielangabe Lexikographische Beispiele bieten die Möglichkeit, die Informationen aus c) nicht formalisiert und direkt sprachlich zu integrieren. Der Vorteil dabei ist, daß sie zusammen mit einer konkreten Gebrauchsform des zu beschreibenden Phrasems dem Wörterbuchbenutzer dargeboten werden und als Elemente eines lexikographischen Mikrodramas 2 in der Reihenfolge vertextet werden können, wie es ihrer zeitlichen Abfolge innerhalb der minimalen Konstellation entspricht (siehe dazu die „Beispielangabe" in den „Mikrostrukturvorschlägen" in III.5). 3.1.3

Zur lexikographischen Vertextbarkeit des „soziale Kontextes" (d)

Angaben zum Teilbereich d) sind prinzipiell vertextbar. Das wichtigste Ergebnis von Abschnitt II.2.4 ist, daß sich die Eigenschaften des Phrasemgebrauchs für diesen Teilbereich am geeignetsten als Restriktionen auffassen lassen. Diese werden durch die Ausprägung zweier unabhängiger Parameter bestimmt (siehe dazu II.3.2.3 „Vertrautheit" und II.3.2.4 „Transaktionsebene"). Die einzige Möglichkeit, Restriktionen als Beispiele zu vertexten, bestünde darin, lexikographische Mikrodramen zu konstruieren, die der Sprachnorm widersprechen. Solche Sätze könnten z.B. durch das typographische Sternchen * oder durch den Hinweis „folgender Gebrauch ist verboten" o.ä. kennzeichnet werden. Für den Wörterbuchbenutzer ist diese Methode äquivalent einer Vorbereitung auf einen „multiple choice-test" durch das Lernen von Falschantworten. Dies ist jedoch didaktisch kontraproduktiv, da die in den Falschantworten gemachten Aussagen ebenso mnestisch verfestigt werden können wie die Information, daß diese Aussagen falsch sind. Daher bietet sich an, Restriktionen separat neben „Bedeutungsangabe" und „Beispielangabe" zu vertexten. Dadurch wird auch für den Wörterbuchbenutzer deutlich, daß es sich bei Restriktionen bezüglich sozialer Beziehungen um wichtige und voneinander unabhängige Bedingungen des Phrasemgebrauchs handelt (siehe dazu II.3.2). Diese Informationen können prinzipiell in folgender Form angegeben werden: „Das Phrasem wird nicht gebraucht, wenn der Sprecher im sozialen Status niedriger steht als der Hörer" oder „das Phrasem wird nur gebraucht, wenn Sprecher und Hörer gut miteinander vertraut sind". 3.1.4

Symbole zur Spezifizierung der minimalen Konstellation und allgemeine Darstellung der Mikrostrukturparameter

Jeder der in II.3.2 zu definierenden Parameter, die die vertextbare pragmatische Information auf die Mikrostruktur abbilden sollen, kann je nach Konkretisierung einer minimalen Konstellation verschiedene Werte annehmen. Die Konkretisierungsmöglichkeiten einer minimalen

2

Das Beispiel soll somit den Eindruck einer kurzen szenischen Handlung mit Dialogen vermitteln.

75 Konstellation und damit die Voraussetzungen für die Ausfüllung eines Parameters werden mit Hilfe folgender Symbole vertextet: Bezeichnungssymbole Kommunikanten-Rolle - Sprecher - Hörer - Agens einer Handlung - Patiens einer Handlung - Niedrige Transaktionsebene3 - Höhere Transaktionsebene Referenzen des Phrasems - Menschliches Wesen - unbelebtes Objekt, Tier - Sachverhalt

Symbol S Η Ag Pat η h Symbol Ref+t, Ref.jj Ref,

Relationssymbole Relationsparaphrase - Ist in der Position von... - Ist nicht in der Position von ... - Folgende Ausprägung für den Mikrostrukturparameter liegt vor ... - Spricht zu ... - Wenn gleichzeitig zwei Absichten und Emotionen vorkommen

Symbol = Φ : -* +

Mit Hilfe dieser Symbole und der Wörter, „wenn", „und", „meistens", „oder", „nicht" kann eine Konkretisierung der minimalen Konstellation vertextet werden. Zur Veranschaulichung folgt eine Exemplifizierung des Gebrauchs einiger Symbole. Gegeben sei ein Mikrostrukturparameter X mit der Abkürzung Ak (X) innerhalb der Mikrostruktur. Dieser Parameter möge die Ausprägungen X(l), X(2) usw. haben. Die Darstellung von X innerhalb der Mikrostruktur für ein Phrasem hat z.B. folgende Gestalt (verschiedene Konkretisierungen der minimalen Konstellation für gleiche Parameter sind durch Doppelstrich (II) getrennt: AK(X).: wenn S = Refund Η * Ag: X(l)// wenn S * Refund Η * Pat: X(5).

In Worten heißt das: „ Wenn der Sprecher in der Äußerung des Phrasems auf sich selbst referiert und der Hörer dabei nicht Agens ist, dann liegt für die Äußerung des Phrasems der Parameter X in der Ausprägung X (1) vor. Wenn der Sprecher nicht auf sich selbst referiert und der Hörer nicht gleich Patiens ist, dann liegt für die Äußerung des Ρhras ems der Parameter X in der Ausprägung X (5) vor ". Dieses Schema für die Darstellung der pragmatischen Informationen wird in Abschnitt III.5 am gewählten Arbeitskorpus der Phraseme angewendet.

3.2 Definition der einzelnen Mikrostrukturparameter Nachstehend werden, basierend auf den Ergebnissen der vorhergehenden Abschnitte, die pragmatischen Parameter des Mikrostrukturvorschlags zunächst noch einmal knapp erläutert und mit den in den Mikrostrukturvorschlägen vorgesehenen Abkürzungen angegeben. Die Reihenfolge der Auflistung entspricht der Anordnung, wie sie im Mikrostrukturvorschlag im 3

Zum Begriff Transaktionsebene siehe die Definition der Mikrostrukturparameter II.3.2.4.

76 Anschluß an die Angaben („Nennform", „Bedeutung", „Beispiel") gewählt wurde. Die Ausprägung für einen Parameter erfolgt in den in Abschnitt III. 5 gemachten Mikrostrukturvorschlägen im Anschluß an die formalisierte Darstellung der minimalen Konstellation. 3.2.1

Intention

In Abschnitt II.2.1 bzw. Π.2.2 wurde gezeigt, daß sich der illokutionäre Akt und damit die Intention des Sprechers bei Phrasemen meist nicht aus der syntaktischen Form der Proposition ableiten läßt. Für eine informative Mikrostruktur ist es deshalb notwendig, diese Intention (oder Intentionen, wenn sich für verschiedene Gebrauchsarten innerhalb der minimalen Konstellation Unterschiede ergeben) explizit in Form eines Parameters innerhalb der Mikrostruktur zu erfassen. Der Mikrostrukturvorschlag enthält den Phrasemparameter Intention des Sprechers (Abkürzung: A.Int = Angabe der Intention).

Die Ausprägungen von Int werden für ein gegebenes Phrasem in allgemeinsprachlicher Form angegeben, wenn möglich in der Form: S will, daB ...

3.2.2

Emotionaler Gehalt

Für viele Phraseme ergab sich, daß, im Gegensatz zu freien Wortverbindungen, emotionale Zustände des Sprechers implizit mitgeteilt werden. Diese Information ist besonders wichtig für den Phrasembenutzer, um die möglichen Konsequenzen seiner Phrasemäußerung einzuschätzen. Besitzt der L2-Lerner in einer minimalen Konstellation bereits Informationen über die soziale Beziehung des Sprechers zum Hörer, ist dies außerdem eine Hilfe, um die Normadäquatheit des Phrasems zu beurteilen. Die Emotionalität wird in einem Mikrostrukturparameter separat durch den „Intentions"-Parameter vertextet. Der Mikrostrukturvorschag enthält die Phrasemparameter des emotionalen Gehalts des Sprechers (Abkürzung: A.EmG = Angabe des emotionalen Gehalts).

Die Ausprägungen von EmG werden allgemeinsprachlich mit der Nomina angegeben, die dieser Emotion (Qualität) zugeordnet sind (z.B. Ärger, Freude usw.). Zur weiteren Spezifizierungen dienen die Quantitätsbezeichnungen „stark" bzw. „leicht". 3.2.3

Vertrautheit

In II.2.4. wurde an situativen Beispielen die Bedeutung der Beziehung zwischen Sprecher und Hörer dargelegt. Die dabei relevanten Merkmale können die Sprachnorm der Äußerung eines bestimmten Phrasems stark beeinflussen und für den L2-Lerner, der nicht über diese Information verfugt, den Erfolgt besonders bei der Produktion beeinträchtigen. In der neu zu konzipierenden Mikrostruktur ist deshalb das Merkmal der persönlichen Vertrautheit von Sprecher und Hörer explizit berücksichtigt. Der Mikrostrukturvorschlag enthält den Phrasemparameter Vertrautheit von Sprecher und Hörer (Abkürzung: A.Vtr = Angabe der Vertrautheit).

77 Die Ausprägungen der Vtr werden mit „sehr gut", „gut" oder „mindestens gut" differenziert. Wenn die Vertrautheit für den Phrasemgebrauch keine Rolle spielt, werden keine Angaben hierzu gemacht. 3.2.4

Transaktionsebene

In Abschnitt II.2.4 ergab sich als zweite Beziehungsdimension der soziale Statusunterschied von Sprecher und Hörer. Bezüglich der Bedeutung für die Einhaltung der Sprachnorm gilt das Gleiche wie für den Parameter „Vertrautheit". Für den entsprechenden Mikrostrukturparameter wird der in der Soziolinguistik übliche Begriff der „Transaktionsebene" verwendet. Der Mikrostrukturvorschlag enthält den Phrasemparameter der Transaktionsebene, die in der minimalen Konstellation dem Sprecher/Hörer-Paar zugeordnet werden kann (Abkürzung: A.TrE = Angabe der Transaktionsebene).

Es kommen die Ausprägungen „Sprecher niedrig und Hörer hoch" sowie „Hörer niedrig und Sprecher hoch" vor. Dies bedeutet, daß die möglichen Äußerungen bezüglich des SprecherHörer-Paars Einschränkungen unterworfen sind. Diese werden durch den sozialen Status von Sprecher und Hörer bestimmt. Beispielsweise hat ein Professor einen „höheren" sozialen Status als ein Student. Demnach lassen sich in der minimalen Konstellation bezüglich der Verhältnisse im sozialen Status drei Fälle unterscheiden: 1. Der Sprecher hat einen „höheren" Status als der Hörer, 2. Der Sprecher hat einen „niedrigeren" Status als der Hörer und 3. der Sprecher hat den gleichen Status wie der Hörer. Speziell können je nach Transaktionsebene Gebrauchsrestriktionen auftreten. Für die unterschiedlichen Transaktionsebenen werden die in Abschnitt II.3.1.4 definierten Symbole benutzt. Restriktionen werden in der Form angegeben: „nicht in der Konstellation η —>h" (d.h.: „Die Äußerung des Phrasems ist inadäquat, wenn der Status des Sprechers niedriger ist als der des Hörers. Der Status des Sprechers ist immer auf der linken Seite des Pfeils symbolisiert. 3.2.5

Anwendungsbereich

Sicherlich kann man nicht erwarten, allein durch die bisher aufgeführten Kriterien für ein vorgegebenes Phrasem die passende Kommunikationssituation zu konstruieren. Deshalb beinhaltet der Parameter Anwendungsbereich auch die „Stilangabe". Im Gegensatz zu traditionellen Wörterbüchern, wo einem Phrasem in der Regel die Stilangaben fest zugeordnet werden, ohne diese anhand eines Anwendungsbeispiels zu veranschaulichen, soll in dieser Arbeit deutlich werden und anhand von Anwendungsbeispielen belegt werden, daß die Stilangabe mit der Äußerungssituation variiert bzw. variieren kann. Die diastratische Markierung geschieht auf vier Ebenen (gehoben/umgangssprachlich/salopp/derb). Diese Ebenen werden wie folgt definiert: gehoben: Als gehoben werden solche Phraseme bezeichnet, die hauptsächlich bei offiziellen Anlässen (mündlicher Gebrauch) bzw. nur im Schriftverkehr, aber nicht in der Umgangssprache üblich sind.

78 umgangssprachlich: Als umgangssprachlich werden solche Phraseme bezeichnet, die hauptsächlich bei informellem sprachlichem Gebrauch auftreten. Dies umfaßt auch den schriftlichen Gebrauch, wenn er auf einer informellen Ebene stattfindet. salopp: Als salopp werden solche Phraseme bezeichnet, die potentiell beleidigenden Charakter aufweisen und im normalen Umgang als wenig (oder gar nicht) adäquat betrachtet werden. derb: Als derb werden solche Phraseme bezeichnet, die eindeutig beleidigende bzw. herabsetzende Wertungen bezüglich des Hörers und/oder der referierten Person(en) ausdrücken. Der Mikrostrukturvorschlag enthält den Phrasemparameter des Anwendungsbereichs, der die stilistische und äußerungssituative Restriktion kenntlich macht (Abkürzung: A.AwB = Angabe des Anwendungsbereichs).

3.2.6

Grammatische Besonderheiten

Wie in der Diskussion der Phrasemkriterien bereits erwähnt wurde, können bei Phrasemen im Vergleich zu freien Sätzen Abweichungen in der Grammatik auftreten. Diese sind bei der Angabe der Nennform nicht immer erkennbar. Auch können im Wörterbuchartikel nicht immer alle Abweichungen vorgestellt werden. Deshalb wird unter diesem Punkt versucht, Besonderheiten zu grammatischen Anomalien oder beispielsweise temporale Restriktionen anzugeben. Befinden sich in dem Phrasem „unikale Komponenten" (s. 1.2.2.2), werden diese hier aufgeführt, gefolgt von dem Hinweis „(UK)". Auf diese Weise wird zum Beispiel die Komponente „Fettnäpfchen" in dem Phrasem jd. tritt (bei jdm. mit etw.) ins Fettnäpfchen markiert: ,"Fettnäpfchen" (UK)', um zu verdeutlichen, daß diese Komponente nur in dieser Wortverbindung vorkommt. Darüber hinaus wird die Nennform eines Phrasems zusätzlich mit der Negation angegeben, wenn das Phrasem in dieser Form häufig Verwendung findet, wie im Beispiel: jd. ist wieder auf dem Damm: häufig in negierter Form gebraucht: jd. ist nicht (ganz) auf dem Damm''. Der Mikrostrukturparameter enthält den Phrasemparameter der grammatischen Besonderheiten, um grammatische Restriktionen kenntlich zu machen (Abkürzung: A.grB = Angabe der grammatischen Besonderheiten)

4 Zusammenfassung Im vorausgegangenen Teil II wurde versucht, eine Antwort auf die Frage zu geben, welche Informationen für den richtigen Gebrauch von Phrasemen der L2-Lerner im Wörterbuch erhalten soll. Von vornherein ist dabei von einer möglichst einfachen Äußerungskonstellation eines Phrasems ausgegangen worden. Diese besteht aus einem Sprecher und einem Hörer. Die pragmatischen Informationen werden im Gegensatz zu den traditionellen Wörterbüchern nicht nur innerhalb der „Bedeutungsangabe" bzw. „Beispielangabe" gekennzeichnet, sondern separat in eigens zu diesem Zweck definierten Mikrostrukturparametern vertextet. Folgende Parameter wurden eingeführt: „Intention", „emotionaler Gehalt", „Vertrautheit", „Transaktionsebene", „Anwendungsbereich" und „grammatische Besonderheiten". Somit ist das konzeptionelle Gerüst fertiggestellt und kann in Teil III auf die lexikographische Darstellung der Phraseme eines ausgewählten Phänomenbereichs angewendet werden.

Teil III Vorschläge für die Mikrostruktur eines neuen phraseologischen Wörterbuchs

83 In Abschnitt 1.8 wurde gezeigt, welche Desiderata bei der Darstellung der Phraseme in einem zweisprachigen (deutsch-koreanischen) Wörterbuch bzw. in einsprachigen (deutschdeutschen) Wörterbüchern festzustellen sind. Der darauffolgende Teil II war der Ausarbeitung eines Modells zu Zwecken der expliziten Darstellung pragmatischer Informationen von Phrasemen im Wörterbuch gewidmet. Im letzten Teil soll nun das in Teil II vorgestellte Modell bei der lexikographischen Darstellung von Phrasemen Anwendung finden. Das entscheidende Kriterium für eine „verständliche" und „brauchbare" Darstellung eines Phrasems durch die erarbeitete Mikrostruktur ist dabei der Bezug zu dem L2-Lerner als Wörterbuchbenutzer. In Teil III.5 werden als erstes die Wörterbucheinträge aus RSR, HWDG, DUW und DaF zu dem Phrasem anhand einer Tabelle wiedergegeben, wo bereits eine Aufgliederung in die Angabenklassen „Nennform", „Bedeutung", „Beispiel" und „Stil" getrennt nach jedem Wörterbuch erfolgt. Diese Tabelle ermöglicht dem Leser einen übersichtlichen Vergleich der vier Wörterbücher im Hinblick auf die wiedergegebene Mikrostruktur. Danach werden die Nennformen und Bedeutungserläuterungen zusammen mit den Beispielen anhand der in ΙΠ.3.1 aufgeführten Kriterien analysiert und eventuelle Unterschiede zwischen den Wörterbüchern aufgezeigt. Im nächsten Schritt wird die in Kapitel II dargelegte Phrasempragmatik für das jeweilige Phrasem kurz skizziert, und zwar unter dem Titel „Mikropragmatik". Mögliche Unstimmigkeiten oder Unzulänglichkeiten der Wörterbücher werden hier als Kritikpunkte genannt. Als abschließender und wichtigster Schritt folgt die Aufführung der neu konzipierten Mikrostruktur („Vorschlag") unter Verwendung der in Kapitel II definierten Parameter. Diese „Vorschläge" sollten in der gegebenen Form in das neu zu konzipierende deutsch-koreanische Wörterbuch übernommen werden können und stellen somit das eigentliche Ergebnis der vorliegenden Arbeit dar. Bevor jedoch in III.5 die Neukonzeption einer Mikrostruktur für bestimmte Phraseme vorgeschlagen wird, müssen einige Auswahlkriterien für die Phraseme (III.l) und Regeln für die Formulierung der traditionellen Angabenklassen (III.3.1) festgelegt werden.

1 Auswahlkriterien für die zu untersuchenden Phraseme auf der Grundlage des neu bestimmten L2-orientierten Phrasembegriffs Da die Strukturierung der Informationen zu Phrasemen im Wörterbuch untersucht wird, erscheint es nicht sinnvoll, sich bei der Auswahl nach bestimmten Themen aus dem Inhaltsbereich der Phraseme zu richten. Deshalb sollten Vertreter möglichst unterschiedlicher semantischer und pragmatischer Qualität in die Auswahl des Phänomenbereichs aufgenommen werden, um möglichst vielen Variationen der Artikelgestaltung zu begegnen. Geht man davon aus, daß die Phraseme gleichmäßig über das Alphabet verteilt sind und daß es keine Beziehung der Phrasemsemantik zum Alphabet gibt, so erhält man einen repräsentativen Querschnitt, wenn man von jedem Lexembestand Α bis Ζ eine gewisse gleiche Anzahl von Phrasemen wählt. Die Tatsache, daß bei einigen Buchstaben ein relativer Mangel an Phrasemen herrscht, wird dadurch ausgeglichen, daß von anderen Buchstaben mehr Phraseme berücksichtigt werden. „Kommunikative Formeln" oder Funktionsverbgefüge usw. bilden keinen Teil des untersuchten Phänomenbereichs, obwohl sie nach der in Abschnitt 1.7 gegebenen Definition zur Phraseologie gehören. Dies liegt daran, daß diese sprachlichen Einheiten in den untersuchten Wörterbüchern nicht berücksichtigt worden sind. Sie werden daher auch in der vorliegenden Untersuchung nicht behandelt.

2 Empirischer Beleg der Phrasembedeutung (Informanten und Repräsentativität) Die Vorschläge bezüglich der Mikrostruktur müssen im Prinzip auf einem repräsentativen Sprachverständnis beruhen, d.h., die über die Phraseme gemachten Aussagen sollten den Konsens eines möglichst weiten Teils der Muttersprachler darstellen. Aus praktischen Gründen ist es nicht möglich, diese Repräsentativität im statistischen Sinne zu gewährleisten. Methodisch wurde daher wie folgt vorgegangen: 1) Ein enger Kreis von 6 deutschen Muttersprachlern stand während der Abfassung der vorliegenden Arbeit als Informantinnen/Informanten kontinuierlich zur Verfügung. 2) Zunächst wurden solche Phraseme ausgewählt, die dem gesamten Informantenkreis geläufig waren. Geläufig heißt, daß auch solche Phraseme ausgeschlossen wurden, die zwar bekannt waren, bei deren Verwendung sich die Befragten jedoch selbst als nicht sicher bezeichneten. 3) Dem Informantinnen- und Informantenkreis wurde die Problemstellung und die Bedeutung der Mikrostrukturparameter aus Teil II erläutert. 4) Ein Hauptinformant diente zunächst als Validierungsinstanz für die Erstellung des Vorschlags der neu zu formulierenden Mikrostruktur. 5) Jeder Nebeninformantin/jedem Nebeninformanten wurde der vom Hauptinformanten erstellte Vorschlag zur Beurteilung vorgelegt. 6) Nach deren Beurteilung wurde festgestellt, ob dieser Vorschlag übereinstimmend als richtig bewertet wird. Nur bei weitgehender Übereinstimmung unter den Informant/Innen bezüglich der Ausprägung der Parameter wurde ein Vorschlag in die vorliegende Arbeit aufgenommen.

3 Der deutschsprachige Teil der Mikrostruktur 3.1 Anforderungen an die Mikrostruktur und an die Darstellung der semantisch-pragmatischen Parameter Bei der Analyse und kritischen Würdigung der Phraseme in den zu untersuchenden Wörterbüchern (III.5) wird von Anfang an berücksichtigt, daß diese den Ansprüchen des L2-Lerners genügen sollten. Die in den traditionellen Wörterbüchern gelegentlich angeführten etymologischen Angaben werden für die Konzeption des phraseologischen Wörterbuches aus folgenden Gründen als nicht relevant betrachtet: Erstens steht fest, daß die Kenntnis der Etymologie eines Phrasems nicht notwendigerweise zum Erfassen des adäquaten Gebrauchs beiträgt. Beispielsweise führt die Etymologie von jmdn. an der Nase herumführen jmdn. täuschen, irreführen': Die Wendung bezieht sich wohl darauf, daß früher Tierbändiger oder Schausteller ihre Bären (oder andere Tiere) an einem Nasenring führten, um sie völlig in der Gewalt zu haben1 den L2-Lerner nicht auf Gebrauchsmerkmale. Zweitens ist bei vielen Phrasemen die Etymologie nicht gesichert, so daß etymologische Angaben in Wörterbüchern oft spekulativen Charakter haben (z.B. bei sein Fett weghaben ,die verdiente Strafe bekommen haben': Der Ursprung ... ist nicht sicher geklärt. Vielleicht ist von einem „Essens- oder Bewirtungsbild" auszugehen, wie bei „jmdm. etwas einbrocken, jmdm. eine Kopfnuß, eine Ohrfeige geben " u. dgl. 2). Deshalb bleiben bei der Formulierung des „Vorschlags" in III.5 etymologische Angaben unberücksichtigt. Die Untersuchung der vier Wörterbücher vergleicht jeweils zu einem Phrasem die einzelnen Angaben in der Mikrostruktur (soweit sie vorhanden sind). Im folgenden werden zu diesen einzelnen Punkten zuerst die Vergleichskriterien und anschließend die Regeln für die Formulierung des „Vorschlags" (s.o.) angeführt. Bei der Vergleichsanalyse der Wörterbuchartikel wird die „stilistische Markierung" nicht betrachtet, wenn die Wörterbücher eine weitgehend übereinstimmende Stilangabe verzeichnen. Die Kriterien ergeben sich aus den Problemen, die in Abschnitt 1.8 bei der Analyse der traditionellen Darstellungen der Phraseme in den untersuchten Wörterbüchern aufgezeigt wurden. Die zu untersuchenden Kriterien sind folgende: - Angabe der Nennform - Bedeutungsangabe - Stilangabe3 - Beispielangabe

a) Angabe der Nennform Vergleichskriterien Die Nennform soll so gestaltet sein, daß sowohl Rezeption als auch Produktion unterstützt werden. Dafür ist es besonders wichtig, daß Bestandteile der Nennform - wie z.B. Valenz-, Rektions-, oder Kasusangaben - , die bei der Erfassung der syntaktischen Funktion des Phrasems innerhalb der Textumgebung hilfreich sind, auch aufgeführt werden. Weiter sollen, falls 1 2 3

RSR, 1992:509. RSR, 1992:202. Die „Stilangabe" wir nur in den Fällen erwähnt, in denen eine starke Diskrepanz zwischen Wörterbucheintrag und tatsächlicher Bewertung durch deutsche Muttersprachler ermittelt werden konnte.

88 Varianten vorhanden sind, diese in die Nennform aufgenommen werden, und es soll erkennbar sein, ob es eine besonders häufig gebrauchte Variante gibt. Regeln der Formulierung der Nennform Bei der Formulierung des Vorschlags werden folgende Regeln eingehalten, die insbesondere für die Produktion wichtig sind: i)

Die Nennform wird möglichst in Präsensform, d. h. in ßniler Form aufgeführt'. Im Gegensatz zur Infinitivform ist es dadurch möglich, die Subjektstelle in die Nennform zu integrieren. Gleichzeitig wird erkennbar, ob es sich dabei um ein Lebewesen (,jd.") oder eine Sache/nicht humanes Wesen („etw.") handelt. Beispiel: jd. tritt (beijdm. mit etw.) ins Fettnäpfchen (statt: ins Fettnäpfchen treten) ii) Die Valenzangaben machen deutlich, ob insbesondere die Objektposition markiert ist: Dies zeigt dem Leser, welcher Kasus an der entsprechenden Stelle einzusetzen ist. Der entsprechende Kasus wird durch den oberen Index 2, 3 oder 4 markiert: Beispiel: jd gibt jdm. Brief und Siegel auf etw4. (statt: jdm. auf etwas Brief und Siegel geben). iii) Varianten werden, wenn möglich, in die Nennform integriert: Der L2-Lemer sollte verschiedene Varianten kennen, was vor allem fiir die Rezeption von Bedeutung ist. Beispiel: ich glaub''/denk', mich knutscht/küßt ein Elch iv) Wenn nötig, werden Unterschiede in der Häufigkeit von Varianten markiert: X>Y/Z bedeutet, daß die Variante X häufiger als Varianten Y und Ζ ist und daß Y und Ζ gleich häufig sind: Wie das Beispiel iii) zeigt, können Verbvarianten vorkommen, die sich sehr stark in der Häufigkeit unterscheiden. Der NichtMuttersprachler sollte die Möglichkeit haben, bei der Produktion das häufigere Phrasem auszuwählen. Beispiel: ich glaub'/denk', mich knutscht>küßt ein Elch

b) Bedeutungsangabe Vergleichskriterien Zwei wichtige Forderungen müssen gestellt werden: - zunächst soll die Bedeutung gut verstehbar sein, und zwar nicht nur durch ein äquivalentes Wort, sondern auch durch eine möglichst detaillierte Paraphrase. Es ist darauf zu achten, daß schon bei der Formulierung der Bedeutung durch entsprechende adverbial integrierte Ergänzungen die emotionalen Nuancen des Gebrauchs deutlich werden. - Weiterhin ist zu beachten, daß innerhalb der Bedeutungsangabe keine Phraseme, Fremdwörter oder ähnliche Ausdrücke gebraucht werden. Das Vokabular soll mit so wenig Vorwissen wie möglich verständlich sein. Auf diese Weise wird gewährleistet, daß der Artikel einem möglichst breiten Benutzerkreis von L2-Lernern zugänglich ist.

Regeln der Formulierung der Bedeutungsangabe i)

In der Bedeutungsangabe sollen keine Phraseme, Fremdwörter oder ähnliche Ausdrücke vorkommen: Beispiel: jd. hält jdm. eine Gardinenpredigt ( j d . schimpft jdn. aus') statt: (jd. kanzelt jdn. ab'). ii) Es muß erkennbar sein: erstens die Angabe der Grundbedeutung, und zweitens, wenn nötig, ein Kommentar zur Grundbedeutung: dieser erscheint dann in Klammern innerhalb der Grundbedeutung, zum Beispiel jd. schiebt etw. auf die lange Bank. Grundbedeutung: jd. verlegt etw. (mst. eine unangenehme Sache) auf einen späteren Zeitpunkt.

c) Stilangabe Vergleichskriterien Die stilistischen Hinweise sollten dem tatsächlichen Sprachgebrauch entsprechen. Regeln der Formulierung der Stilebene Wenn nötig, werden diese neben der diastratischen Markierung durch eine diaphasische Markierung ergänzt. Als diastratische Markierung werden vier Stilebenen betrachtet gehoben/umgangssprachlich/salopp/derb (zur Definition siehe II.3.2.5)

89 d) Beispielangabe Vergleichskriterien Viele der in den untersuchten Wörterbüchern erwähnten Beispiele sind durch Literaturangaben belegt. Zunächst bedeutet der Beleg den Nachweis des tatsächlichen Gebrauchs in einer konkreten (schriftlichen) Sprachsituation. Wie jedoch im Zusammenhang mit den Eigenschaften der Phraseme in dieser Arbeit erörtert wurde (Teil I), spiegelt der literarische Gebrauch von phraseologischem Material nicht unbedingt die Gebrauchsnormalität wieder. Phraseme werden in der Schriftsprache oft verändert, gekürzt, neu kombiniert etc., und zwar aus der primär ästhetischen Funktion der Texte heraus, im Gegensatz zur kommunikativen Funktion der konkreten Sprachproduktion. Außerdem beschränken sich die literarischen Beispiele meist auf die Wiedergabe des Satzes, in dem das Phrasem vorkommt, so daß der Gebrauchskontext, d.h. die Vorgeschichte dem Leser nicht zugänglich ist. Diese Vorgeschichte oder die unmittelbar vorangegangene Situation fuhren jedoch zur Äußerung des Phrasems. Somit erscheint es erforderlich, auf den Quellenbeleg von einzelnen Beispielsätzen zu verzichten. Die Beispielsätze sollten außerdem so gestaltet sein, daß die Bedeutung des Phrasems auch ohne Bedeutungsangabe erschlossen werden kann. Um dem L2-Lerner einen Einblick in das Funktionieren der Phraseme in der Sprache zu geben, ist es wünschenswert, die Beispiele zu den Phrasemen einer beobachteten realen sprachlichen Interaktion zu entnehmen. Dies ist zwar praktisch durchführbar, allerdings mit einigem Aufwand an Zeit verbunden, wenn hohe Ansprüche an die Repräsentativität gestellt werden und dabei statistische Evidenz gefordert wird. Als Ersatz bietet sich die Konstruktion von Beispielen an. Dies wurde in der vorliegenden Arbeit bei den Artikeln zu den Phrasemvorschlägen so gehandhabt, daß einige Muttersprachler zur aktiven Imagination einer Situation aus Sprach- und Handlungskontext aufgefordert wurden, die sie nach ihrem Sprachgefühl am ehesten mit dem jeweils vorgelegten Phrasem verbinden konnten. Diese Methode verzichtet also auf Repräsentativität im statistischen Sinne und verläßt sich qualitativ auf die Erfahrung der Sprecher mit ihrer muttersprachlichen Intuition. Vergleicht man diese Methode mit dem Vorgehen der meisten Wörterbücher, Literaturzitate als Gebrauchsbelege anzuführen, kommt man zu dem Schluß, daß sie mindestens ebenso repräsentativ und korrekt ist. Regeln der Formulierung des Kontextbeispiels i)

Das in den Kontextbeispielen verwendete Vokabular ist, ebenso wie bei der Bedeutungsangabe, einfach und soll möglichst wenig Vorwissen des Wörterbuchbenutzers erfordern. ii) Das Kontextbeispiel besteht aus mindestens zwei Sätzen. Im ersten wird eine dem Phrasemgebrauch vorangehende Situation dargestellt. Im zweiten Satz erfolgt die Wiedergabe des Phrasems innerhalb einer sprachlichen Äußerung, die in die im ersten Satz dargestellte Situation eingebettet ist.

Kontextbeispiel: Jeder Mieter muß einmal im Monat die Treppen kehren. Nur Frau X wollte nicht, weil sie seit langem dort wohnt und schon so oft gekehrt hat. Da sagte Frau Μ zu ihrem Mann: „Glaubt sie etwa, wir braten ihr eine Extrawurst, nur weil sie schon so lange hier wohnt?". iii) Mehr als ein Beispiel wird aufgeführt, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien für die Bedeutung eines Phrasems erfüllt ist: a) Bei Vorliegen verschiedener Grundbedeutungen jd. ist>befindet sich (beijdm. mit etw.) auf dem Holzweg Bedeutung 1: jd. bewegt sich bei der Lösung eines Problems in falsche Richtung' Bedeutung 2: jd. stellt einen unrealistischen Anspruch'

90 b) Bei Vorliegen unterschiedlicher Konnotationsmöglichkeiten (z.B. beleidigend oder scherzhaft), „ qualitative Variationen ": jd geht (mit etw.) baden Konnotation 1: „Da bin ich ganz schön baden gegangen" (scherzhaft) Konnotation 2: „Tu das nicht, wenn du es trotzdem tust, wirst du baden gehen" (Warnung)

d.h.

Die in den „Beispielen" exemplifizierte kommunikative Gebrauchssituation wird bei der Festlegung der Parameter „Intention", „emotionaler Gehalt", „Vertrautheit", „Transaktionsebene" und „Anwendungsbereich" in formalisierter Weise dargestellt. Dies bedeutet, daß sich die Ausprägungen dieser Parameter ausschließlich auf die gewählten „Beispiele" im Mikrostrukturvorschlag beziehen. Auf dieser Weise wird es dem Benutzer leichter möglich, von dem gegebenen Beispiel zu abstrahieren und das strukturell Wesentliche der kommunikativen Konstellation zu erfassen.

4 Der koreanische Teil der Mikrostruktur 4.1 Der Äquivalenzbegriff 4.1.1

Übersetzbarkeit als Grundvoraussetzung

Wie im Abschnitt zur Konnotationsproblematik (s. 1.3.3) gezeigt wurde, transportieren Phraseme als lexikalische Einheiten vielfaltige (semantische und pragmatische) Informationen. Ihre Translation stellt deshalb die Übersetzungswissenschaft vor spezifische, praktische und theoretische Probleme. Im Hinblick auf die lexikographische Zielsetzung der vorliegenden Arbeit wird von Folgendem ausgegangen: In allen Sprachen existieren übereinstimmende Konzepte (Universalien) darüber, i) was in der Außenwelt zur Denotation zur Verfügung steht; ii) welcher Art die Beziehungen Außenwelt-Mensch sind; iii) welcher Art die Beziehungen Mensch-Mensch sein können.

Aus i) - iii), und aus der Beobachtung, daß Phraseme speziell die Inhaltsbereiche ii) bzw. iii) auf der phraseologischen Bedeutungsebene thematisieren (wovon man sich beim Durchlesen der in dieser Arbeit betrachteten Korpusbeispiele überzeugen kann), ergibt sich, daß Translation auch im phraseologischen Bereich eine prinzipiell lösbare Aufgabe ist1 - womit aber nicht behauptet werden soll, daß zu jedem Phrasem ein Äquivalent existieren muß. 4.1.2

Zur Äquivalenz

Äquivalenz ist der zentrale Begriff der Übersetzungswissenschaften. Allgemein bezeichnet dieser Begriff Eigenschaften des Verhältnisses zweier Texte zueinander, wobei im folgenden vom Quellentext in der Sprache LI (QT, LI) und dem Translationstext in der Sprache L2 (TT, L2) die Rede sein soll. Beide sind in verschiedenen Sprachen abgefaßt und TT stellt das Ergebnis einer Translation von QT dar. In Anlehnung an Ewa Labno-Falecka läßt sich die Herstellung einer Translation für ein Phrasem in QT, das „normal", d.h. nicht in individueller Modifikation gebraucht wird, in folgenden Stufen beschreiben2.

1

2

Abweichende Auffassungen finden sich z.B. bei H. Burger („Idiomatik des Deutschen", 1973:1 OOfF.). Burger erwähnt die Schwierigkeiten der Phrasemübersetzung, die er in den „sehr spezifizierten semantischen Bedingungen" und der „Doppelbödigkeit der meisten Idiome" sieht. Seiner Meinung nach ist „Übersetzbarkeit" nur dann gewährleistet, wenn es sich um „internationale", z.B. durch Entlehnungsvorgänge verbreitete Idiome handelt, die in der Ausgangs- und der Zielsprache die ganz gleiche Bedeutung haben und deren Elemente sich auch als freie Wörter genau oder annähernd entsprechen. Noch stärker wird die Übersetzbarkeit in Zweifel gezogen, wenn die Sprache als „Weltbild" aufgefaßt wird. Nach dieser Auffassung steht der Übersetzung weniger die Sprachabhängigkeit der Mittel, ein Äquivalent zu formulieren entgegen, als die Tatsache, daß es Konzepte gibt, die nicht in allen Kulturen/Kulturkreisen existierten, also auch bei der Transaktion prinzipiell nicht versprachlicht werden können. Eine thesenhafte Darlegung dieser Auffassung in Anlehnung an Coseriu gibt Ewa Labno-Falecka in „Phraseologie und Übersetzen", 1994:28-30). Zu beachten ist, daß diese Auffassung im Fall der Phrasemübersetzung auch nicht-phraseologische Translate ausschließt, während Burgers Einschränkung sich auf die Übersetzbarkeit von Phrasemen mit Phrasemen bezieht. E. Labno-Falecka, 1995:260.

92 a) Erkennen des Phrasems in QT („Identifizieren des Fixierten im Text") b) Bestimmung der/einer „innersprachlichen Paraphrase". Dadurch wird das Ll-Phrasem in seine LI-Sememe zerlegt („semasiologische Phase des Übersetzungsprozesses" oder „Dekodierung"). c) Bestimmung der geeigneten L2-sprachlichen Translation für das LI-sprachige Phrasem („onomasiologische Phase des Übersetzungsprozesses" oder „Enkodierung").

Der letzte Punkt c) umfaßt die hauptsächlichen Schwierigkeiten, da verschiedene Zielvorgaben zur Translation gegeben werden können, die sich auf eine oder mehrere Phrasemebene(n) beziehen: 1) Die wörtliche Bedeutungsebene: Die Gesamtbedeutung, die sich aus der einzelnen Bedeutung der Komponenten ergibt, falls das Phrasem als Wortverbindung wohlgeformt ist. 2) Die phraseologische Bedeutungsebene: Die Bedeutung, die dem Phrasem innerhalb des Sprachsystems synchron zugeordnet ist. 3) Die Funktionsebene, die erst in einem bestimmten Kontext zutage tritt (hierunter fallen Restriktionen bzw. Spezifikationen der in Teil II behandelten Art).

Zu 1) Äquivalenz auf der wörtlichen Bedeutungsebene (Äquivalenz auf der Ebene 1) Nur in wenigen Fällen reicht für den Schritt c) die Herstellung von Äquivalenz ausschließlich auf der Ebene 1 aus, wenn das Translat ein L2-Phrasem sein soll. LI und L2 zeigen dann „inhaltliche Äquivalenz bei gleichzeitiger materieller Äquivalenz" 3 . Ein Beispiel dafür ist das Phrasempaar „arm wie eine Kirchenmaus" (dt.)/ „as poor as a church-mouse" (engl.)4. Zu 2) Äquivalenz auf der „phraseologischen Bedeutungsebene" (Äquivalenz auf der Ebene 2) Fordert man ausschließlich Äquivalenz auf der Ebene 2, so kann das Translat entweder phraseologisch oder auch nicht-phraseologisch in L2 sein. Im ersten Fall liegt ein L2-Phrasem vor, das verschiedene Grade der „materiellen Äquivalenz" zeigen kann. Im zweiten Fall kann ein L2-Lexem (bei nominalen LI-Phrasemen ein Nomen etc.) oder eine (beliebig ausgedehnte) Paraphrase resultieren. Das obige Beispiel „as poor as a church-mouse" weist auch Äquivalenz auf der Ebene 2 auf. Für das deutsche Phrasem um den (heißen) Brei herum reden besteht mit dem englischen Phrasems to beat about the bush Äquivalenz nur auf der Ebene 2. Zu 3) Äquivalenz auf der „Funktionsebene" (Äquivalenz auf der Ebene 3) Diese Ebene zu realisieren, erfordert unter Umständen die Berücksichtigung großer Teile von TT, die nicht nur syntaktisch, sondern auch semantisch, d.h. ganz allgemein kontextuell mit dem LI-Translat zusammenhängen können. Das LI-Translat kann dabei irgendeine Form (freie Wortverbindung oder Lexem in L2 haben. Zum Beispiel lautet für das deutsche Phrasem, das Hans gegenüber Peter benutzt: „Komm, spiel' mit uns Fußball, sein kein Frosch!'" ein solches Äquivalent ,Hans wants to play football and asks Peter to join him. Peter refuses to join him. Peter replies that he is going to consider him a badfriend if he doesn't change his opinon'). Es ist darauf hingewiesen worden, daß der Suche nach einem Translat die eine oder andere Äquivalenzforderung zugrunde gelegt werden kann, wobei sich die Zielsetzung des Translators nach den Bedürfnissen des L2-Rezipienten richtet. Bestimmend ist auch die Textsorte: Es

3 4

E. Labno-Falecka, 1995:218. Ebd. Die deutsche Übersetzung in Klammern von mir.

93 sind unterschiedliche Übersetzungsaufgaben denkbar, in denen jeweils Äquivalenz nur auf einer der drei Ebenen gefordert wird 5 . Bei der Konzipierung eines phraseologischen Wörterbuches ist Äquivalenz auf den Ebenen 2 und 3 anzustreben. Im folgenden werden die Regeln bzw. Vorgehensweisen erläutert, die bei der Formulierung des koreanischen Teils der Mikrostruktur zugrunde gelegt werden. Ausgehend von der im vorhergehenden Abschnitt dargelegten Grundposition („Der Äquivalenzbegriff') ist es das Ziel, zu jedem deutschen Phrasem des gewählten Korpus ein koreanisches Äquivalent zu finden. Im Sinne von III.4.1 wird dabei Äquivalenz möglichst gleichzeitig auf der wörtlichen Bedeutungsebene und der phraseologischen Bedeutungsebene angestrebt. Im Idealfall stimmt das koreanische Äquivalent sowohl semantisch als auch in den Ausprägungen der pragmatischen Parameter überein. Da man von nicht vornherein davon ausgehen kann, gleichzeitig Übereinstimmung auf der Ebene 2 und 3 fiir jedes deutsche Phrasem zu finden, werden auch solche Äquivalente aufgeführt, die Äquivalenz nur auf der Ebene 2 aufweisen. In diesen Fällen muß der muttersprachliche koreanische Wörterbuchbenutzer explizit darauf hingewiesen werden, in welchen pragmatischen Parametern und in welcher Weise das als Äquivalent angegebene koreanische Phrasem sich von dem deutschen Ausgangsphrasem unterscheidet (s. „Beispielangabe" in Abschnitt III.5).

4.2 Regeln zur Formulierung des koreanischen Teils der Mikrostruktur Bei der Ausfüllung des koreanischen Teils der Mikrostruktur wird wie folgt vorgegangen. 1. Fall: Es sind Äquivalente mindesten auf der Ebene 2 vorhanden. Zunächst wird festgestellt, ob ein koreanisches Äquivalent im Sinne der Bedeutungsangabe, d.h. auf der phraseologischen Ebene vorhanden ist. i) Nennform In diesem Fall wird die koreanische Nennform unabhängig davon aufgeführt, ob es sich um ein rein koreanisches, sinokoreanisches oder chinesisches Äquivalent handelt. Wenn Äquivalente für mehr als einen Äquivalenztyp vorhanden sind, so werden diese auch aufgeführt 6 . ii) Bedeutungsangabe Ist ein Äquivalent auf der Ebene 2 vorhanden, so wird darüber hinaus eine koreanische Bedeutung angegeben, und zwar aus dem koreanischen allgemeinen einsprachigen Wörterbuch. iii) Pragmatische Restriktionen Es wird festgestellt, ob auch auf der Funktionsebene Äquivalenz vorhanden ist, d.h., für jeden Parameter wird seine Ausprägung im Gebrauch des koreanischen Äquivalentes geprüft. Ein koreanischsprachiger Eintrag für einen Parameter erfolgt nur dann, wenn eine eindeutige Abweichung in dessen Ausprägung beim Gebrauch des koreanischen Phrasems bzw. der korea5 6

Ein Text, bei dem Äquivalenz auf der wörtlichen Bedeutungsebene als Ziel gesetzt würde, wäre beispielsweise eine L2-sprachige Abhandlung über die Etymologie eines LI-Phrasems. Die Unterscheidung in „rein koreanische", „sinokoreanische" und „chinesische" Phraseme ist ein Spezifikum, das aus der koreanischen Sprachgeschichte zu erklären ist. Dazu S. Chang, 1996.

94 nischen Paraphrase feststellbar ist. In diesem Fall wird die Ausprägung des Parameters mit Hilfe der im deutschsprachigen Teil der Mikrostruktur verwendeten Symbole fur die Darstellung der minimalen Konstellation formalisiert. Diese Abweichungen sind mit einem Warndreieck markiert. 2. Fall: Es sind keine Äquivalente in der Übersetzung vorhanden. In diesem Fall wird die im deutschen Teil angegebene Bedeutungserläuterung ins Koreanische übersetzt. Dieser Vorgehensweise wird der Vorzug vor folgenden zwei Alternativen gegeben: i) Es wäre möglich, die koreanische Bedeutungsangabe bereits existierenden allgemeinen zweisprachigen wie auch zweisprachigen phraseologischen Wörterbüchern zu entnehmen. Es kann jedoch festgestellt werden, daß die dort angegebenen Paraphrasen deutscher Phraseme nicht geeignet sind, den koreanischen Muttersprachler in der adäquaten Rezeption und Produktion deutscher Phraseme zu unterstützen, da meist nur die phraseologische Grundbedeutung angegeben ist. ii) Weiter bestünde die Möglichkeit, die in deutschen allgemeinen bzw. phraseologischen Wörterbüchern aufgeführten Bedeutungsangaben direkt ins Koreanische zu übersetzen. Wie jedoch die Analyse der „Bedeutungsangaben" der in Teil III.5 behandelten Phraseme in den untersuchten Wörterbüchern zeigt, weisen diese oft einen zu geringen semantisch-pragmatischen Informationsgehalt auf.

5 Empirischer Vergleich der Wörterbuchartikel und Formulierung von Vorschlägen für ausgewählte Phraseme Dieser Abschnitt ist modular aufgebaut. Fortlaufend in numerierter alphabetischer Reihenfolge werden die Phraseme aufgeführt. Zu jedem Phrasem werden zunächst die entsprechenden Einträge in den Wörterbüchern nach den im Abschnitt 3.1 (Anforderungen an die Mikrostruktur und an die Darstellung der semantisch-pragmatischen Parameter) genannten Kriterien verglichen. Diese Wörterbücher, die in Abschnitt 1.8 auch als Untersuchungsobjekt dienten, sind: -

Duden: Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten (RSR) Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (HWDG) Duden: Deutsches Universalwörterbuch A-Z (DUW) Langenscheidts Großwörterbuch. Deutsch als Fremdsprache (DaF).

Im folgenden werden nur die Abkürzungen (RSR, HWDG, DUW, DaF) angegeben. Anschließend wird die Mikropragmatik des jeweiligen Phrasems kurz diskutiert. Hier wird auf die Bedingungen des adäquaten Phrasemgebrauchs unter Berücksichtigung verschiedener Situation eingegangen (siehe Teil 2). Schließlich erfolgt die Formulierung des „Vorschlags", d.h. der neu konzipierten Mikrostruktur mit den in Teil 2 definierten Parametern. Zusätzlich wird ein koreanischsprachiger Teil angegeben, der gemäß den in Abschnitt 4 festgelegten Regeln gestaltet ist. Das Modul für jedes Phrasem ist folgendermaßen aufgebaut: 1. Phrasem

«—

fortlaufende Nummer des Phrasems X

Die zu Beginn eines jeden Moduls zu einem Phrasem hinter der fortlaufenden Nummer aufgeführte Angabe der Nennform entspricht immer derjenigen, die im RSR verzeichnet ist. NF

[Angabe der Nennform]

h ist nicht adäquat. Vorschlag jdm. reißt (allmählich) der Geduldsfaden T ^ S BA:

jd., der lange vergeblich auf jdn. oder etwas gewartet hat, verliert allmählich die Geduld und wird ärgerlich f n e l ) »r* >-Π Ή " ! ' * BeiA: Herr und Frau Meyer haben sich mit einem Kollegen verabredet. Nachdem sie schon zwei Stunden gewartet haben, wird Herr Meyer ärgerlich und sagt zu seiner Frau: „Wenn er nicht gleich kommt, reißt mir der Geduldsfaden". A.Int: S will, daß Η weiß, daß er mit seiner Geduld am Ende ist A.EmG: Ärger A.TrE: nicht bei η — h A.AwB: ugs.

114 14. etwas an die große Glocke hängen RSR

HWDG

NF

etwas an die groBe Glocke hängen

etw. an die große etw. an die groG. hängen Be G.hängen

etw. an die groBe G. hängen

BE

etwas überall

etw. überall herumerzählen

etw., das eigentlich privat od. geheim ist, vielen Leuten erzählen

BS

Er hoffte, daß die Polizei die Sache nicht an die große Glocke hängen würde. Ich denke gar nicht daran, meine Privatangelegenheiten an die große Glocke zu hängen. „Ich möchte nur", sagt er zögernd, „daß man's nicht an die große Glocke hängt". (Werfel, Bernadette 348)

X

X

ugs.

X

ugs.

SA

herumerzählen

DUW

DaF

etw. [Privates, Vertrauliches] überall erzählen

X

gesprpej

Angabe der Nennform Die Nennformen der Wörterbücher sind identisch. Bedeutungs- und Beispielangabe Ähnliche Bedeutungserläuterungen sind anzutreffen. RSR und HWDG bringen in der Bedeutungserläuterung lediglich die Tatsache der Verbreitung zum Ausdruck (etw. überall herumerzähleri). In den restlichen Wörterbüchern wird darauf hingewiesen, welcher Art die verbreiteten Informationen sind. Es handelt sich dabei um Privates, Vertrauliches (DUW), etw., das eigentlich privat od. geheim ist .... (DaF). Betrachtet man die Beispiele in RSR, so stellt man fest, daß - obwohl in der Bedeutungserläuterung nicht enthalten - das Element des Privaten doch zur Geltung kommt. Mikropragmatik Narrativer und aktioneller Gebrauch sind möglich, Selbstreferenz des Sprechers im aktionellen Gebrauch ist meist in negierter Form üblich: „Ich will es nicht an die große Glocke hängen." Auch im narrativen Gebrauch wählt der Sprecher das Phrasem, um die Verbreitung einer Nachricht als nicht wünschenswert darzustellen. Außer dem Grund {privat oder geheim) impliziert der Sprecher, daß das Verbreiten für jemanden negative Folgen haben könnte. Ein emotionaler Gehalt liegt vielleicht in der Sorge oder gar Angst vor eventuellen negativen Folgen. Ist der Hörer identisch mit der Person, über die Informationen verbreitet werden, ist die Vertrautheit mindestens gut. In diesem Fall des aktionellen Gebrauchs wird das Phrasem in negierter Form als Ratschlag, Bitte o.ä. gebraucht. Die aktionelle Verwendung in der Konstellation η —• h ist nicht adäquat. Vorschlag jd. hängt etw 4 an die große Glocke ^ Ί Ρ ^ BA:

jd. erzählt bzw. verkündet öffentlich vielen Leuten etwas Privates/Geheimes Ή°ι! T | l " r DJOfCf

B|

BeiA:

Als sie im Lotto gewonnen hatte, beschloß sie, es nicht an die große Glocke zu hängen, um keinen Neid bei den Nachbarn zu erregen.

1l "t"!

115 A.Int:

in negierter Form: S will nicht, daß Refo bekannt wird// in nicht negierter Form: S will mitteilen, daß S die Verbreitung mit möglichen negativen Folgen verknüpft sieht A.EmG: (leichte) Angst A.Vtr: wenn Ref +h = H; mindestens gut A.TrE: wenn Refn, = H: nicht η —• h A.AwB: u g s . A T H A.grB: häufig in negierter Form gebraucht

15. auf gut Glück RSR

HWDG

DUW

DaF

NF

auf gut Glück

auf gut G.

auf gut G.

aufgut G.

BE

ohne die Gewißheit eines Erfolges

ohne Garantie des Erfolges, eines günstigen Ausgangs

ohne die Gewißheit ohne die Gewißeines Erfolges, heit, daß man Eraufs Geratewohl folg haben wird

BS

Er hatte auf gut Glück bei dem neuen Intendanten vorgesprochen. Wir sind einfach auf gut Glück losgefahren. Wir haben da nur auf gut Glück aus dem Uferlosen ein Beispiel herausgegriffen (Th. Mann, Zauberberg 960).

X

X

X

SA

wir werden es auf gut G. versuchen müssen

X

X

X

Angabe der Nennform Alle Wörterbücher bringen dieselbe Nennform. Keinem der Wörterbücher kann die syntaktische Funktion des Phrasems (Adverbial) entnommen werden. Ein entsprechender Hinweis wäre jedoch im Hinblick auf die Fremdsprachendidaktik wünschenswert. Bedeutungs- und Beispielangabe Nur DUW versucht mit einem synonymen Phrasem die Bedeutungserläuterung zu gestalten: aufs Geratewohl. Es herrscht Übereinstimmung in der Auffassung der Bedeutung ohne die Gewißheit eines Erfolges (RSR, DUW), ohne die Garantie des Erfolges (HWDG), ohne die Gewißheit, daß man Erfolg haben wird (DaF). Auch in den Bedeutungserläuterungen findet sich kein Hinweis auf die syntaktische Funktion des Phrasems. Die von RSR gegebenen Beispiele verm gen die Bedeutung kaum zu motivieren. Mikropragmatik Narrativer und aktioneller Gebrauch sind möglich. Der Sprecher drückt mit dem Phrasem aus, daß er den erfolgreichen Abschluß der intendierten Handlung nicht fur sicher hält, sogar als vom Zufall abhängig betrachtet. Die vom Sprecher damit ausgesprochene, eher negative Bewertung kann sich auch auf den Agens erstrecken. Deshalb kommt das Phrasem besonders im aktioneilen Gebrauch als Kritik vor, wenn der Hörer Agens ist. Der Sprecher weist auf geringe Erfahrung oder fehlende Überlegung beim Planen einer Handlung hin. In diesem Gebrauch ist die Vertrautheit deshalb mindestens gut. Dieser Gebrauch ist in der Konstellation η —* h nicht adäquat.

116

Vorschlag jd. macht/versucht o.ä. auf gut Glück

T"12

BA: BeiA:

jd. macht/versucht o.ä. etw. ohne vorherige Erfahrung und ohne Garantie auf Erfolg 1. Herr Schmitt erzählt einem Bekannten von dem Abenteuerurlaub seiner Kinder: „Sie kamen an einen Fluß, über den es keine Brücke gab, und obwohl sie nie zuvor einen Fluß auf diese Weise überquert hatten, schwammen sie auf gut Glück los"// 2. Herr Meyer erzählt seiner Frau von dem Plan, viele Aktien zu kaufen. Frau Meyer ist dagegen: „Du sollest nicht auf gut Glück einfach US-Dollar kaufen. Niemand weiß, ob der US-Dollar überhaupt steigen wird." A.Int: 2. wenn Η = Ag: S will, daß Η vor einer Handlung gründlicher über die Folgen nachdenkt A.Vtr: 2. wenn Rein, = H: mindestens gut A.TrE: 2. wenn Ref r t = H: nicht bei η — h Δ Cf A.AwB: ugs. A.grB:

auf gut Glück wird als adverbiale Ergänzung gebraucht

16. ein Haar in der Suppe/in etwas finden RSR

HWDG

NF

ein Haar in der Suppe/in etwas finden

ein H. in der Suppe ein H. in der Suppe/in finden etw. finden

BE

etwas an einer Sache auszusetzen, zu an etw. Gutem etw. an einer sonst guten Sa- e-n Nachteil, Mankritisieren haben auszusetzen finden che etw. entdecken, was gel, Fehler bei etw. entdecken einem nicht paßt

BS

Wenn man will, findet man immer ein Haar in der Suppe. Überhaupt kam man aus dem Versteckenspielen mit gewesenen Dingen nie mehr heraus, wenn ein Mann schon in solchen offenbaren Kindereien wie der Hünengrabgeschichte ein Haar fand (H.Mann, Unrat 113).

X

X

X

ugs.

X

ugs.

X

SA

DUW

DaF ein H. in der Suppe finden

Angabe der Nennform RSR und DUW fuhren zwei Varianten an: in der Suppe und in etwas. HWDG und DaF lassen diese letztere unerwähnt. Zwar ist die Variante mit Suppe weitaus häufiger, sollte für den Rezeptionszweck die andere Variante auch angegeben werden. Bedeutungs- und Beispielangabe Die Bedeutungserläuterungen sind in der Grundbedeutung identisch. Am unspezifischsten ist die Bedeutungserläuterung bei RSR und DaF: etw. an einer Sache auszusetzen haben, kritisieren (RSR) und e-n Nachteil, Mangel, Fehler bei etw. entdecken (DaF). Zur vollständigen Erfassung der Phrasembedeutung ist ein weiteres semantisches Element nötig, wie folgende Konstruktion zeigt: ""'Stundenlang habe ich das Auto untersucht, das nicht angesprungen ist. Ich habe aber kein Haar in der Suppe finden können." Nur DUW und HWDG weisen darauf hin, daß die Kritik nicht verhältnismäßig ist: an einer sonst guten Sache (...) geübt wird. Besonders DUW macht deutlich, daß das Phrasem weniger das Verhalten einer Person beschreibt, die objektiv um Verbesserung von Mängeln etc. bemüht ist, sondern eher jemanden, der überall etwas entdecken will, was ihm nicht paßt (DUW). Im ersten RSR-Beispiel kann

117 das genannte zusätzliche semantische Element abgeleitet werden: Wenn man will, findet man immer ein Haar in der Suppe. Im Hinblick auf die Fremdsprachendidaktik wäre hier jedoch eine explizitere Verdeutlichung wünschenswert. Mikropragmatik Narrativer und aktioneller Gebrauch sind möglich. Im aktioneilen Gebrauch geht der Äußerung des Phrasems meist eine kritische Bemerkung von Seiten des Hörers voraus. Der Sprecher drückt mit dem Phrasem aus, daß er die Kritik unangemessen findet. Oft nimmt der Sprecher dies zum Anlaß, dem Hörer einen negativen Charakterzug vorzuwerfen, etwa in der Form: „Immer mußt du ein Haar in der Suppe finden." Beim Sprecher liegt dann die Intention vor, den Hörer dazu zu bewegen, nicht mehr so viel an etwas herumzukritisieren. Der emotionale Gehalt des leichten Ärgers ist vor allem dann gegeben, wenn der Sprecher die Sache, die der Hörer kritisiert, selbst positiv bewertet. Die Vertrautheit sollte mindestens gut sein. Der Gebrauch in der Konstellation η —• h ist inadäquat. Im narrativen Gebrauch wird mit dem Phrasem ausschließlich eine Charaktereigenschaft beschrieben. Vorschlag jd. findet (immer) ein Haar in der Suppe »^f

L

1» ^ l " 1 «

^

BA: BeiA:

jd. kritisiert etw. ungerechtfertigtweise (weil man zu kritisch ist) Frau Schmitt hatte für das Fest alles sehr gut vorbereitet. Ihr Mann jedoch wies sie daraufhin, daß die Farbe der Tischdecke nicht zu der Farbe der Gardinen paßt, was sie ärgert: „Immer findest du ein Haar in der Suppe\" A.Int: wenn Η = Ag: S will, daß Η aufhört, nur zu kritisieren A.EmG: leichter Ärger A.Vtr: wenn Refn, = H: mindestens gut Δ Cf "KS A.TrE: wenn Refn, = H: nicht bei η — h Δ cr ^ A.AwB: sal. Δ SS"1 A.grB: häufig auch in Form von jd. muß (immer) ein Haar in der Suppe finden

17. jmdn., etwas am/auf dem Hals haben DUW

DaF

NF

jmdn., etwas am/auf dem Hab ha- jmdn., etw. am, auf dem H. haben ben

RSR

jmdn., etw. am/auf dem H. haben

j-n./etw. auf dem/am H. haben

BE

für jmdn., für etwas verantwortlich sein; sehr viel Mühe, Ärger mit jmdm., mit etwas haben; mit etwas belastet sein

mit etw. belastet etw. (für j-n) tun sein; viele Mühe od. müssen, was lästig Ärger mit etw. haben ist

BS

Seit mehr als drei Jahren hatte sie nun schon ihre pflegebedürftige Schwiegermutter am Hals. ... er hatte Verfahren wegen unberechtigter Führung akademischer Titel... am Hals (Spiegel 49,1966,44).

X

ugs.

X

SA

HWDG

mit jmdm., etw. belastet sein; jmdn., etw. nicht loswerden können

er hat ein Verfahren wegen Beleidigung am H.

ugs.

X

gespr

118 Angabe der Nennform Die Nennformen sind weitgehend ähnlich. Sie integrieren jeweils die unterschiedlichen Referenzen bzw. bringen gleichzeitig die zwei präpositionalen Varianten des Phrasems. DaF unterscheidet sich von den anderen Wörterbüchern dadurch, daß die Reihenfolge, in der diese Varianten aufgeführt werden, vertauscht ist. Bedeutungs- und Beispielangabe In den Bedeutungserläuterungen können drei semantische Elemente unterschieden werden: Zunächst mit etwas belastet sein (RSR, DUW), mit jmdm., etw. belastet sein (HWDG), dann für etwas verantwortlich sein (RSR) und etw. (für j-n) tun m ssen, was lästig ist (DaF). DaF drückt die weitestgehende Bedeutungsspezifizierung aus. Es wird nicht nur der Zustand des Unangenehmen, des Belastetseins als Bedeutung angegeben, sondern auch hinzugefügt, daß eine unfreiwillige Handlung zum Nutzen der referierten Person geschieht. Betrachtet man das zweite RSR-Beispiel, so sieht man, daß es auch andere Verwendungsmöglichkeiten gibt. Das von DUW angegebene Beispiel stimmt mit dem zweiten RSR-Beispiel überein. Bei allen Beispielen fallt auf, daß sie die Variante mit auf dem Hals nicht belegen, obwohl diese in der Nennform angegeben ist. Mikropragmatik Narrativer und aktioneller Gebrauch sind möglich. Es können zwei semantische Elemente unterschieden werden: i) das Unangenehme besteht in Verpflichtungen oder in einer Situation, ii) das Unangenehme besteht in Verpflichtungen gegenüber einer (oder mehreren) referierten Person(en). In beiden Fällen ist Selbstreferenz des Sprechers häufig. Wenn der Sprecher im aktionellen Gebrauch Patiens ist, besteht die Intention: i) Ansprüche von Hörerseite abzuwehren, ii) rein informativ seine eigene unangenehme Situation wiederzugeben. Handelt es sich um Abwehr von Ansprüchen, so liegt der emotionale Gehalt mehr oder weniger großen Ärgers vor. Nur in dieser Bedeutung besteht die Restriktion auf mindestens gute Vertrautheit. Bezüglich der Transaktionsebene ist dieser Gebrauch in der Konstellation η —> h nicht adäquat. Vorschlag jd. hat jdn./etw. am>auf dem Hals BA:

"Έ"» Ϊ" 1 !

jd. ist in einer unangenehmen Situation, oder hat unangenehme Verpflichtungen (bezüglich Sachverhalten oder Person) BeiA: 1. Herr Meyer erzählt Herrn Schmitt: „Fast hätte ich kürzlich geheiratet. Aber dann habe ich erfahren, daß meine Verlobte schon fünf Kinder aus erster Ehe hat. Dann habe ich sie doch nicht geheiratet: Ich verdiene nicht viel Geld und hätte sechs Personen am Hals gehabt."II 2. Herr Schmitt ist in einer unglücklichen Situation. Gerade gibt es in der Firma sehr viel Arbeit, und er, kommt immer sehr spät nach Hause. Als Herr Meyer ihn fragt, ob er nicht den Vorsitz im Tennisverein übernehmen wolle, antwortet er: „Nein, dazu habe ich keine Zeit. Ich habe schon genug auf dem Hals." A.Int: 1. wenn S = Pat: S drückt aus, daß es ihm schwer fällt, die referierte Person(en) finanziell zu unterstützen.// 2. wenn S = Pat: Η soll glauben, daß S keine Zeit hat, um sich um irgendwelche anderen Dinge zu kümmern A.EmG: je nach Kontext kann mehr oder weniger großer Ärger vorliegen A.Vtr: 1. + 2.: mindestens gut A.TrE: nicht in der Konstellation η —• h A.AwB: sal., oft um Forderung des Dialogpartners abzublocken

119

18. auf dem H o l z w e g sein; sich auf dem H o l z w e g befinden RSR

HWDG

NF

auf dem Holzweg sein; sich auf dem Holzweg befinden

auf dem H. sein, sich auf dem H. sein/sich auf dem H. befinden auf dem H. befinden

nur in auf dem H. sein

BE

im Irrtum sein

sich irren

mit einer Vorstellung, Meinung o. ä. von etw·. sehr irren

falsche Vorstellungen von j-m/etw. haben = sich irren

BS

Wenn du glaubst, daß ich dir das Geld pumpe, bist du auf dem Holzweg. Die Weißen waren ständig überzeugt, die Führer des Ghettos identifiziert ... zu haben, und sie waren ständig auf dem Holzweg (Wolfe [Ubers.], Radical 90).

X

X

X

ugs.

umg.

SA

DUW

DaF

gespr

Angabe der Nennform RSR, HWDG und DUW fuhren die Nennform mit zwei lexikalischen Varianten (mit sein bzw. sich befinden) in der gleichen Reihenfolge auf. DaF beschränkt sich auf die Variante mit sein und kennzeichnet die Phrasemkomponente Holzweg durch den Hinweis nur in als mehr oder weniger unikale Komponente. Durch das Fehlen der Variante mit sich befinden wird die Rezeption dieser Variante mit Hilfe von DaF unmöglich. Auffallend ist, daß keines der untersuchten Wörterbücher Hinweise auf syntaktische Anschlußmöglichkeiten des Phrasems wie z.B. beijdm. oder mit etw. auf dem Holzweg sein aufgeführt wird, was für die Produktion hilfreich wäre. Bedeutungs- und Beispielangabe Die drei gegebenen Bedeutungserläuterungen weisen übereinstimmend ein semantisches Element auf: im Irrtum sein (RSR), sich irren (HWDG/DaF), sehr irren (DUW). Eine weitergehende Spezifizierung findet sich nur bei DUW und DaF. Diese Wörterbücher beziehen den Irrtum explizit auf eine Vorstellung (DUW/DaF), bzw. Meinung (DUW). Das erste RSRBeispiel exemplifiziert einen typischen Gebrauch in der direkten Rede. Aus beiden RSRBeispielen läßt sich jedoch die Grundbedeutung Irrtum nicht motivieren. Mikropragmatik Narrativer und aktioneller Gebrauch sind möglich. Ein typischer aktioneller Gebrauch ist z.B. die Äußerung: „Wenn du glaubst bzw. erwartest, ich gebe dir noch einmal Geld, bist du aber auf dem Holzweg." Diese Äußerung stellt eine Reaktion auf einen vom Sprecher wahrgenommenen Anspruch von Seiten des Hörers dar. Mit dem Phrasem verfolgt der Sprecher die Intention, den Hörer darauf hinzuweisen, daß der Sprecher diesen Anspruch nicht erfüllen wird. Hier besteht der emotionale Gehalt des Ärgers. In der Konstellation η —• h ist die Äußerung nicht adäquat. Ein weiterer typischer aktioneller Gebrauch besteht darin, daß sich der Anspruch, der vom Hörer gestellt wurde, nicht auf den Sprecher bezieht wie in dem Beispiel : „Wenn du glaubst bzw. erwartest, der Arzt behandelt dich noch einmal, obwohl du öfters für die Behandlung nichts bezahlt hast, bist du auf dem Holzweg." Die Intention des Sprechers ist

120 es, dem Hörer den Ratschlag zu geben, seinen Anspruch aufzugeben. Hier liegt ein leichter Ärger vor. Die Vertrautheit sollte mindestens gut sein. Die Äußerung ist in der Konstellation η —• h nicht adäquat. Im narrativen Gebrauch wie z.B. im zweiten RSR-Beispiel exemplifiziert, beschreibt das Phrasem einen mehr sachbezogenen Irrtum. Vorschlag jd. ist>befindet sich (bei jdm. mit etw.) auf dem Holzweg 1. a ? e f c f 2. - ( β | ) Ι β Τ - Γ ^ T-t° | c f BA:

1. jd. bewegt sich bei der Lösung eines Problems in die falsche Richtung.// 2. jd. stellt einen unrealistischen Anspruch BeiA: 1. Monatelang versuchten die Ingenieure vergebens, das Problem mit der falschen Methode zu lösen. schließlich gaben sie zu, daß sie auf dem Holzweg waren// 2a. Wenn du glaubst, ich würde diese ganze Arbeit kostenlos für dich erledigen, bist du bei mir auf dem Holzweg.// 2b. Wenn du glaubst, dein Freund würde dir helfen, bist du bei ihm auf dem Holzweg. A.Int: 1. wenn Η u. S * Ref +ll : S drückt einen Sachverhalt expressiv aus// 2a. wenn Η = Ag und S = Ref+h: S will, daß Η weiß, daß S den Anspruch von Η nicht erfüllen wird// 2b. wenn Η = Ag u. S * Ref+h: S will Η einen Ratschlag geben, daß sein Anspruch an Ref +h unrealistisch ist A.EmG: 2a. wenn Η = Ag u. S = Ref+ι,: leichter Ärger A.Vtr: 2a. + 2b. mindestens gut A.TrE: 2a. + 2b. nicht bei η — h A.AwB: 1. und 2b. ugs.// 2a. derb Δ §§°l

19. das ist [alles] kalter Kaffee RSR

HWDG

DUW

DaF

NF

das ist [alles] kalter Kaffee

das ist kalter K.

kalter K. sein

etw. ist kalter K.

BE

das ist längst bekannt, uninteressant

längst Bekanntes; Unsinn

etw. ist längst bekannt u. daher uninteressant sein

etw. ist nicht mehr aktuell u. deshalb uninteressant

BS

Das ist doch alles kalter Kaffee, was der Vereinsvorsitzende da von sich gibt. Große Liebe - so'n Wort gibt's bei mir nicht. Ist doch kalter Kaffee! (Hörzu 19,1973,13).

X

X

X

ugs.

salopp

salopp

gespr

SA

Angabe der Nennform Drei verschiedene Nennformen können unterschieden werden. Am verwendungsnächsten formulieren RSR und HWDG. RSR gibt zusätzlich die optionale Komponente alles an. DUW und DaF markieren die Subjektposition als Variable durch etw. Somit bieten RSR und HWDG dem L2-Lerner nur die eingeschränkte Bezugsmöglichkeit mit das statt der Option mit etw. DUW fuhrt die Kopula im Infinitiv auf. Dem L2-Lerner ist dadurch nicht klar, was als Subjektposition in Frage kommt. Das Subjekt könnte z.B. irrtümlicherweise schließen, daß das Phrasem auf eine Person beziehbar ist. Bedeutungs- und Beispielangabe Alle Wörterbücher fuhren semantisch äquivalente Bedeutungserläuterungen an. Als erstes semantisches Element wird angegeben: längst bekannt (RSR, DUW), längst Bekanntes (HWDG) bzw. nicht mehr aktuell (DaF). Als weiteres semantisches Element wird eine Folge

121

dieses Sachverhalts genannt: uninteressant (RSR, DUW, DaF). Dieses semantische Element fehlt nur bei HWDG. Statt dessen weist HWDG dem Phrasem eine stärker wertende Bedeutung zu: Unsinn. Die RSR-Beispiele lassen keines der genannten semantischen Elemente motivieren. Das zweite RSR-Beispiel könnte am ehesten zur Exemplifizierung der HWDGBedeutung Unsinn dienen. Mikropragmatik Narrativer und aktioneller Gebrauch sind möglich, der aktioneile jedoch häufiger. Der Sprecher referiert dabei explizit auf einen Sachverhalt. Im aktionellen Gebrauch stellt die Äußerung des Phrasems häufig die Reaktion auf eine Äußerung des Hörers dar. Der Hörer wollte dem Sprecher etwas Neues und Interessantes mitteilen. Der Sprecher hat die Intention, dem Hörer zu verstehen zu geben, daß er die Ansicht des Hörers nicht teilt. Dabei entsteht der emotionale Gehalt des provokativen Gegenschlags und damit Auslösung von Ärger beim Hörer. Bezüglich der Vertrautheit ist keine Restriktion feststellbar. In der Konstellation η —• h ist die Äußerung nicht adäquat. Vorschlag etw. ist (doch) kalter Kaffee S®"^

°l(legt) für jdn./etw. eine Lanze (ein) 1. " / » S i ( 0 | T n ) BA: BeiA:

A.Int: A.AwB:

2.

Ρ Τ ^ )

T1"^

1. jd. tritt für jdn./eine Sache ein, der/die in der Kritik anderer steht,// 2. verteidigt eine Person oder Sache gegenüber Kritik 1. Frau Meyer wurde von Arbeitskollegen kritisiert, obwohl sie an vielen Fehlem ihrer Abteilung nicht schuld war. Aber während einer Besprechung mit dem Chef brach Herr Schmitt eine Lanze für sie.// 2. Auf der Versammlung war dieser Plan sehr kritisiert worden. Nur Frau Meyer unterstützte ihn: „Lassen Sie mich für diesen Plan eine Lanze einlegensagte sie, „ich finde ihn aus wirtschaftlichen Gründen sehr sinnvoll". positive Seite einer Person oder Sache öffentlich hervorheben ugs./geh. Δ II 0 1

126 23. den Laufpaß geben RSR

HWDG

DUW

DaF

NF

den Laufpaß geben

jmdm. den L. geben

in den Wendungen jmdm. den L. geben

nur in j-m den L. geben

BE

1. die Beziehungen zu jmdm. 2. jmdn. hinauswerfen

BS

1 ... der von ihr ernährte Mann vermutete nicht zu Unrecht, daß sie ihm den Laufpaß geben wollte (Döblin, Berlin 104). Entschlossen gibt Auguste ... ihrem Zuhälter ... den Laufpaß (Hörzu 2, 1973,43). 2. Wenn sich der Spieler nicht an die Anweisungen des Trainers hält, dann wird ihm der Verein bald den Laufpaß geben. Hertha hatte nach dem 2:3 in Saabrücken ... Beyer den Laufpaß gegeben und Borchert als Linksaußen hereingenommen (Bild 16.4.1964, 7).

X

X

ugs.

umg.

Ugs.

SA

abbrechen. die Beziehungen zu jmdm. abbrechen

die Beziehungen zu sich von seinem Partjmdm. abbrechen, sich ner trennen = mit j-m von jmdm. trennen Schluß machen Sie gab ihrem langjährigen Freund den L.

gespr

Angabe der Nennform DUW, HWDG und DaF weisen die gleiche Nennform auf. RSR fuhrt dazu die Dativobjektposition nicht auf, so daß die Transitivität des Phrasems nicht explizit erkennbar wird. Bedeutungs- und Beispielangabe Die Bedeutungserläuterung des DaF lenkt durch die Verwendung von Partner bzw. mit j-m Schluß machen das Augenmerk auf eine Zweier-Beziehung (z.B. Mann-Frau), wenngleich auch hier eine geschäftliche Beziehung gemeint sein kann. RSR, HWDG und DUW geben sich mit die Beziehungen zu jmdm. abbrechen (DUW zusätzlich: sich von jmdm. trennen) allerdings etwas neutraler auf. In RSR, HWDG und DUW ist also keine Spezifizierung angegeben, um welche Art Beziehung es sich handeln kann. Das Wort Beziehung hat eine große Bedeutungsbreite, vgl. beispielsweise: „Das Außenministerium hat die Beziehungen zum Iran abgebrochen", „Hans hat die Beziehungen zu seinem Vater abgebrochen". Anzumerken ist, daß die Bedeutung im Sinne von DaF - die die gebräuchlichste sein dürfte - nicht als Spezialisierung von die Beziehungen zu jmdm. abbrechen aufgefaßt werden kann, da für den PaarKontext der Singular usualisiert ist: „die Beziehung zu ihrem Mann abbrechen" etc. Dies gilt auch für die DUW-Paraphrase: die Beziehungen zu jmdm. abbrechen. Die andere Paraphrase desselben Wörterbuchs, nämlich sich von jmdm. trennen, ist aber auch zu unspezifisch. Nur DaF bietet durch das passende Beispiel dem Leser die Möglichkeit zu erkennen, daß die allgemein gehaltene Bedeutungserläuterung eng, d.h. im Sinne der DaF-Bedeutungserläuterung aufzufassen ist. Bei HWDG und DUW bleibt dies hingegen angesichts fehlender Beispiele ungeklärt. Als einziges Wörterbuch gibt RSR eine zweite Bedeutung neben der bisher behandelten an: jmdn. hinauswerfen, ein im übertragenen Sinn gebrauchter Ausdruck, d.h. nicht: jmdn. zum Fenster hinauswerfen. Das hierzu gegebene dritte Beispiel wird durch folgende

127

Bedeutungserläuterung erklärt: ein Arbeitsverhältnis wird durch den Arbeitgeber beendet, nachdem der Arbeitnehmer (im Beispiel der Spieler) den Unmut des letzteren erregt hat. Mikropragmatik Aktioneller und narrativer Gebrauch sind möglich. Dies gilt für die beiden Bedeutungen des Phrasems im Sinne 1. Liebesverhältnis beenden, 2. Arbeitsverhältnis beenden. Für beide ist der aktioneile Gebrauch typisch mit dem Sprecher als Patiens. In diesem hat die Äußerung des Phrasems meist die Form eines Vorwurfs, nämlich daß sein(e) Partner(in) die betroffene Person verlassen hat. Der Sprecher hat die Intention zu bewirken, daß der Hörer sein Handeln als nicht moralisch empfindet. Dabei ist der emotionale Gehalt des Ärgers gegeben. Liegt die erste Bedeutung vor, so ist die Vertrautheit sehr gut. Bei der zweiten Bedeutung besteht diesbezüglich keine Restriktion. Bei der Transaktionsebene sind keine Restriktionen feststellbar. Im narrativen Gebrauch liegt auch dann, wenn der Sprecher nicht Patiens ist, meist eine im ethischen Sinn negative Bewertung des Verhaltens des Agens vor. Vorschlag jd. gibt jdm. den LaufpaO 1.

(L,H Ϊ Ί ) 2. " Ι "»«Ρ*

BA: BeiA:

1. jd. beendet die Liebesbeziehung zu jdm.// 2. jd. (Arbeitgeber) kündigt jdm. die Arbeitsstelle la. Inge hatte Peter kennengelernt und brach deshalb die bisherige Beziehung zu Hans ab. Wütend sagte Hans zu ihr: „So lange waren wir zusammen, und jetzt willst du mir den Laufpaß geben!"// Ib. Sabine erzählte ihrer Freundin: „Ich habe immer versucht, Streit zu vermeiden, aber mein Verlobter war eifersüchtig und hat mir ständig Vorwürfe gemacht. Gestern habe ich ihm endlich den Laufpaß gegeben"// 2. Herr Schmitt war immer fleißig, aber er ist von der Arbeit entlassen worden. Seine Chefin sagte, er sei zu alt und hat ihm daher den Laufpaß gegeben. A.Int: wenn S = Pat (der Η soll die Handlung als ungerecht ansehen// wenn S = Ag (der Η soll die Handlung als gerecht ansehen A.EmG: la. S = Pat: Ärgerlich, vorwurfsvoll// lb. S = Ag: Erleichterung A.Vtr: i . S = Pat und Η = Ag (sehr gut) A.AwB: ugs. A.grB: nicht im Präsens Α T T SIS

24. jmdm. ist eine Laus über die Leber gelaufen/gekrochen RSR

HWDG

DUW

DaF j-m ist e-e Laus fiber die Leber gelaufen

NF

jmdm. ist eine Laus fiber die Leber gelaufen/gekrochen

jmdm. ist eine L. über die Leber gelaufen

jmdm. ist eine L. über die Leber gelaufen

BE

jmd. ist über etwas verärgert

jmd. ist verärgert, hat schlechte Laune

jmd. ist schlecht gej-d ärgert sich (mst launt, Ärgert sich wegen e-r Kleinigscheinbar grundlos über keit) alles u. jedes

BS

Was machst du denn für ein Gesicht? Dir ist wohl eine Laus über die Leber gelaufen? ... um Himmels willen, welche Laus ist dir so plötzlich über die Leber gekrochen? (Ruark [Übers.], Honigsauger 391).

X

X

X

ugs.

umg.

ugs.

gespr

SA

128 Angabe der Nennform HWDG, DUW und DaF fuhren nur die Komponente gelaufen an, während RSR die Variante gekrochen berücksichtigt. Bedeutungs- und Beispielangabe Ein in allen Wörterbüchern anzutreffendes semantisches Element ist Ärger in der Form jd. ärgert sich (DUW, DaF),jd. ist über etw. verärgert (RSR), jd. ist verärgert (HWDG). Nur bei RSR findet sich keine weitergehende Spezifizierung nach möglichem Grund und sonstigen Modalitäten. DaF und DUW präzisieren: mst wegen einer Kleinigkeit (DaF), bzw. (...) scheinbar grundlos über alles u. jedes (DUW). DUW gibt also in der Bedeutungserläuterung am deutlichsten zu verstehen, daß es sich bei dem durch das Phrasem beschriebenen emotionalen Zustand nicht um die Reaktion auf eine konkrete, in der Außenwelt angesiedelte Widrigkeit handelt, sondern um eine negative Gestimmtheit, aufgrund derer die betreffende Person für ihre Umwelt sichtbar an sonst unverfänglichen Dingen über alles und jedes Anstoß nimmt, so daß es für Außenstehende scheinbar grundlos ist. Dies ist (zutreffender als mit Ärger) durch die von HWDG und DUW zusätzlich angegebene Bedeutungserläuterung jmd. hat schlechte Laune, bzw. jmd. ist schlecht gelaunt wiedergegeben. RSR führt als einziges der betrachteten Wörterbücher zwei Beispiele auf, welche auch die sehr häufige Gebrauchsart des erstaunten Ausrufs (angesichts des bei einer anderen Person wahrgenommenen Stimmungsausdrucks) berücksichtigen. Mikropragmatik Narrativer und aktioneller Gebrauch sind möglich, aktioneller Gebrauch ist jedoch typisch. Bei den Gebrauchsarten besteht zeitliche Nähe zwischen der Äußerung des Phrasems und dem mit dem Phrasem referierten Verhalten. Am häufigsten ist die Verwendung in der Form einer rhetorischen Frage. Diese stellt die Reaktion des Sprechers auf ein (unfreundliches verbales oder nonverbales) Verhalten der referierten Person dar. Im aktionellen Gebrauch hat der Sprecher die Intention, den Hörer zu einer Rechtfertigung seines Verhaltens zu bewegen. Der emotionale Gehalt ist meist leichter Ärger zusammen mit Verwunderung. In der Gruppe wird die referierte Person als Außenseiter betrachtet, man macht sich auch ein bißchen über sie lustig. Im narrativen Gebrauch ist dieser emotionale Gehalt nicht so stark ausgeprägt. Im aktionellen Gebrauch sollte die Vertrautheit mindestens gut sein, in der Konstellation η —• h ist der Gebrauch des Phrasems inadäquat. Vorschlag jdm. ist eine Laus über die Leber gelaufen %Vi BA: BeiA:

S ^ " 1 « T n L f »*ί

jd. zeigt ohne offensichtlichen Grund Verärgerung (schlechte Laune) 1. Frau Meyer und Frau Schmitt saßen in der Kantine. Als Herr Lorenz, der sonst immer so freundlich war, ohne zu grüßen an ihnen vorbeiging, sagte Frau Meyer zu Frau Schmitt: „Dem ist wohl eine Laus über die Leber gelaufen .II 2. Herr Schmitt bemerkte, daß seine Frau schon den ganzen Morgen einsilbig und mürrisch war: „Was für eine Laus ist dir denn über die Leber gelaufenΤ fragte er sie. A.Int: 1. wenn Η Φ Rein,: S will, daß Η eine Erklärung für das Verhalten von Ref +h findet// 2. wenn Η = Ref+h: S will, daß Η sich rechtfertigt A.EmG: 2. wenn Η = Ref +h : leichter Ärger + Verwunderung, evtl. auch Spott A.Vtr: 2. wenn Η = Ref +h : mindestens gut A.TrE: 2. wenn Η = Ref +h : nicht bei η —· h A.AwB: ugs. (scherzh.) A ( k ^ cf*iJ) A.grB: oft als rhetorische Frage; nur im Partizip Perfekt gebräuchlich Α Τ ϊ ΪΗ

129 25. Mädchen für alles RSR

HWDG

DUW

DaF

NF

MSdchen für alles

M. für alles

M. für alles

M. für alles

BE

jmd., der alle anfallenden Arbeiten erledigt

Person für alle j-d, der die verjmd., der alle, bes. alle schiedensten unangenehmen Arbeiten anfallenden Arbeiten, Aufgaben Arbeiten macht macht, machen muß

BS

Wir suchen für unsere Versandabteilung ein Mädchen für alles. Nach den ersten beiden Verlusten war Kati immer wieder in Dienst gegangen, nicht als erstklassige Köchin ..., sondern ... als „Mädchen für alles" (Werfel, Himmel 88). Bester Spieler des Feldes war ... der Ludwigshafener Greiner, der „Mädchen für alles" war (Bild 4.5.1964, 7).

SA

ugs.

er, sie ist M. für alles

X

veraltend, noch umg. scherzh.

ugs.

Eigentlich ist er als Chauffeur angestellt, aber in Wirklichkeit ist er M. für alles

gespr

Angabe der Nennform Alle untersuchten Wörterbücher fuhren eine identische Nennform auf. Durch den Verzicht auf die Kopula sein wird diese Konstruktion als nominales Phrasem gekennzeichnet. Bedeutungs- und Beispielangabe Semantisch unspezifische Bedeutungserläuterungen machen RSR, DUW und DaF. Demzufolge ist ein Mädchen für alles jemand, der (...) alle anfallenden Arbeiten erledigt (RSR), eine Person für alle anfallenden Arbeiten (DUW) bzw. jemand, der die verschiedensten Arbeiten macht (DaF). Als einziges Wörterbuch spezifiziert HWDG die Art der Arbeiten und fuhrt ein zusätzliches semantisches Element ein, indem es auf alle unangenehmen Arbeiten hinweist. Außerdem gibt es den Hinweis, daß die so bezeichnete Person jemand ist, der die beschriebenen Arbeiten (...) machen muß. HWDG beschreibt also jemanden, der die Arbeiten mehr oder weniger gezwungenermaßen ausführt (ob durch Umstände oder auf Befehl ist nicht ableitbar). Nur aus der HWDG-Erläuterung ist deshalb ableitbar, daß der Verweis auf (...) alle Arbeiten bezüglich des Mädchens für alles nicht unbedingt die Vielseitigkeit der so bezeichneten Person hervorhebt, sondern auch im Sinne einer niedrigen Qualifikation gemeint sein kann. Nur die RSR-Beispiele geben dem Leser die Möglichkeit, beide Bedeutungsnuancen mit dem Ausdruck zu verbinden. Im zweiten RSR-Beispiel wird die abwertende Bedeutung exemplifiziert, insbesondere durch die Kontrastierung (...) nicht als erstklassige Köchin, (...) sondern (...) als M. für alles. Dagegen hebt das dritte Beispiel die Vielseitigkeit und den besonderen Einsatz hervor (die Person erledigt Arbeiten, für die eigentlich andere zuständig wären, vgl. muß in diesem Sinne aus der Bedeutungserläuterung von HWDG). Das von DaF gegebene Beispiel läßt keine eindeutige Entscheidung zu, in welchem Sinne das Phrasem gebraucht ist, vor allem deshalb, weil nicht explizit angegeben ist, welche Arbeiten der Chauffeur sonst noch erledigt. Er könnte z.B. einerseits zusätzlich auch Schuhe putzen müssen (eine abwertende Bedeutung), andererseits aber auch den Privatjet seines Arbeitgebers steuern können (Lob der vielseitigen Fähigkeiten).

130 Stilangabe RSR und DUW kennzeichnen das Phrasem als umgangssprachlich, DaF als gesprochen. HWDG liefert drei verschiedene Informationen. Der Angabe veraltend und noch umg. soll der Leser wohl entnehmen, daß dieses Phrasem als gängiger Ausdruck im Verschwinden begriffen ist, was nicht stimmt. Nur HWDG kennzeichnet das Phrasem als scherzhaft. Mikropragmatik Narrative und aktioneller Gebrauch sind möglich. Ein emotionaler Gehalt ist am ehesten im aktioneilen Gebrauch bei Selbstreferenz des Sprechers feststellbar. In diesem Fall kann der Sprecher zu verstehen geben, daß er nicht bereit ist, alle möglichen Arbeiten zu übernehmen, wobei das Phrasem meist als Reaktion auf eine vom Hörer vorgebrachte Aufforderung zu einer Tätigkeit verwendet wird. Es besteht hier meist der emotionale Gehalt des Ärgers. Im aktioneilen Gebrauch bei Selbstreferenz des Sprechers und wenn die lobende Bedeutung der Vielseitigkeit vorliegt, ist der emotionale Gehalt des Stolzes typisch. Bezüglich der Vertrautheit und Transaktionsebene sind keine Restriktionen erkennbar. Vorschlag jd. ist Mädchen fiir alles 1. °1 £ T!§

2. » W

"i *

BA:

jd. (Frau od. Mann) ist eine Person, die 1. viele unkomplizierte, aber unange. .nme Arbeiten macht// und eine Person, die 2. viele Arbeiten macht, die sonst niemand machen kann (Person mit vielseitiger Fähigkeit) BeiA: 1. Frau Meyer erzählt ihrem Mann: „Frau Lorenz hat keinen Beruf gelernt, daher erledigt sie auf dem Bauernhof kleine Arbeiten wie Kartoffelschälen oder Schweine füttern usw. Oft muß sie sogar auf dem Feld arbeiten. Sie ist eben Mädchen für alles." H 2. „Auf einem Schiff muß ich Mädchen für alles sein, sagte der Kapitän. „Ich habe nicht nur die Verantwortung für das Schiff, sondern muß auch helfen, wenn jemand krank wird. Außerdem führe ich Trauungen durch, wenn Passagiere heiraten wollen." A.Int: 1. S will mitteilen, daß Ref+i, nur unqualifizierte Arbeiten macht// 2. S will mitteilen, daß S vielseitig ist A.EmG: 2. S = Ref.* (stolz) A.AwB: ugs. A.grB: nicht im Futur A 318

26. leben wie die Made im Speck DaF

RSR

HWDG

NF

leben wie die Made im Speck

wie die M. im leben wie die wie die M. im Speck leben M. im Speck Speck (leben)

BE

im Überfluß leben

im Überfluß leben

BS

Er hat im Lotto gewonnen und lebt jetzt wie die Made im Speck. Und ich lebte in diesen Wochen wie die Made im Speck (Härtung, Piroschka 67).

X

X

X

ugs.

umg.

Ugs.

gespr

SA

DUW

im Überfluß leben

in Reichtum u. Überfluß (leben)

Angabe der Nennform Es sind Unterschiede der gegebenen Nennformen feststellbar. RSR und DUW geben übereinstimmend leben wie die M. im Speck an, während DaF das Verb leben durch runde Klammern

131

als fakultativ kennzeichnet. Einen Unterschied gibt es bezüglich der Stellung der Verbkomponenten leben. RSR und DUW setzen diese an den Anfang, HWDG und DaF piazieren sie an das Ende der Nennform. Bedeutungs- und Beispielangabe Die untersuchten Wörterbücher geben allesamt die Paraphrase im Überfluß an. Lediglich DaF ergänzt dazu in Reichtum und Überfluß (leben). Die Wörterbücher stimmen darin überein, daß die Verbkomponente leben in wendungsexterner Bedeutung gebraucht wird. Beispiele zur Phrasemverwendung finden sich nur in RSR, von denen nur das erste die angegebene Grundbedeutung einigermaßen motivieren kann. Mikropragmatik Aktioneller und narrativer Gebrauch sind möglich. Außer der von den Wörterbüchern genannten Grundbedeutung besteht in jeder Gebrauchsart unter Umständen ein zusätzliches semantisches Element. Der Sprecher kann das Phrasem mit der Intention gebrauchen mitzuteilen, daß die referierte Person auf moralisch tadelnswerte Weise in den Besitz der von ihr genossenen materiellen Güter gelangt ist. Es kann deshalb nicht verwendet werden, um etwa der referierten Person im aktioneilen Gebrauch Anerkennung für ihren wirtschaftlichen Erfolg auszusprechen. Im narrativen Gebrauch ist der emotionale Gehalt von Neid festzustellen. Im aktionellen Gebrauch wird dies hauptsächlich als leichter Ärger oder moralisierend gebraucht (bei Selbstreferenz des Sprechers, siehe das zweite RSR-Beispiel, entfallen diese Wertungen und ergeben ein neutrales Bild). Im aktioneilen Gebrauch sollte die Vertrautheit sehr gut sein und ist bei Vorliegen der Konstellation η —• h inadäquat. Vorschlag j d . lebt wie die M a d e im Speck T-t*"*

T

r

BA:

jd. lebt im materiellen Überfluß, zu dem er meist nicht durch eigenen Verdienst gekommen ist l i t " ?

,gewarnt' > ,erwartet' gilt. Nur RSR gibt eine mögliche Spezifizierung der Bedeutung an, nämlich daß etwas mißglückt ist. In den RSR-Beispielen finden sich zwei mögliche Gründe dafür exemplifiziert: (...) jetzt ist ein Reifen geplatzt deutet auf höhere Gewalt, während (...) du hast uns ja schließlich reingerissen auf persönliche Verantwortlichkeit hinweist. Mikropragmatik Nur aktioneller Gebrauch ist möglich. Dabei ist wir ohne weiteres durch andere Paradigmen ersetzbar, d.h., der Sprecher kann sich explizit aus dem Kreis derer ausnehmen, die das durch Salat referierte unangenehme Ereignis erleiden. Der emotionale Gehalt von Seiten des Sprechers hängt vom referierten unangenehmen Ereignis und von der persönlichen Involviertheit des Sprechers ab. Besonders bei der Ersetzung von wir durch „ihr" oder „du" ist beim Sprecher die Absicht vorhanden, den referierten Personen 1) zumindest eine Teilschuld am Eintreten des unangenehmen Ereignisses anzulasten und 2) dies mit dem Hinweis auf den eigenen Weitblick zu verbinden (vgl. DaF-Paraphrase). Besonders der letzte Gebrauch verlangt deshalb mindestens gute Vertrautheit und ist auf der Transaktionsebene η —• h nicht adäquat. Vorschlag da/jetzt hat jd. den Salat! BA: BeiA:

( fl )!

Jetzt ist die schlimme, unangenehme Situation ceingetreten, die jd. vorausgesagt od. vorausgesehen hat

tjoii 5?i| s^qis

°ur »tri

gint y i t

Alle waren ohne Regenkleidung zum Wandern aufgebrochen. Als das Wetter plötzlich schlecht wurde und es stark zu regnen anfing, rief Hans: „Warum habt ihr nicht auf mich gehört, als ich heute Morgen sagte, es würde regnen. Jetzt habt Ihr den Salat!" A.Int: S will der referierten Person Schuld an der unangenehmen Situation geben und weist darauf hin. daß er die Situation vorausgesehen hat A.EmG: Ärger A.Vtr: mindestens gut A.TrE: nicht η — h A.AwB: ugs. A.grB: als Ausruf, nur in direkter Rede gebraucht

154 42. jmdm. Sand in die Augen streuen RSR

HWDG

DUW

DaF

NF

jmdm. Sand in die Augen streuen

jmdm. S. in die Augen streuen

jmdm. S. in die Augen streuen

j-m S. in die Augen streuen

BE

jmdm. etwas vormachen, jmdn. täuschen

jmdn. täuschen, daran hindern, Negatives an etw., jmdm. wahrzunehmen

jmdm. etw. vortäuschen, vorspiegeln

bewirken, daß j-d etw. Negatives nicht bemerkt

BS

Der mündige Bürger wird sich nicht von falschen Propheten Sand in die Augen streuen lassen ... weil diese Völker, die auf vielen Gebieten keine Erfahrung und keinerlei Kompetenz haben, sich leicht Sand in die Augen streuen lassen (Dönhoff, Ära 177).

SA

X

X

X

X

X

X

X

Angabe der Nennform Alle untersuchten Wörterbücher weisen dieselbe Nennform auf. Bedeutungs- und Beispielangabe Nur HWDG und DaF fuhren semantisch äquivalente Paraphrasen an: jmdn. daran hindern, Negatives an etw. jmdm. wahrzunehmen (HWDG) bzw. bewirken, daß j-d etw. Negatives nicht bemerkt (DaF). Die RSR-Beispiele vermögen nicht zu verdeutlichen, welche Bedingungen zum adäquaten Gebrauch vorliegen müssen. Insbesondere wird nicht ersichtlich, aufweiche Art von Handlungen bzw. Äußerungen das Phrasem Bezug nehmen kann. Mikropragmatik Aktioneller und narrativer Gebrauch sind möglich, wobei der Sprecher selten Agens ist. Ist der Sprecher Patiens, so besteht der emotionale Gehalt des Ärgers darüber, daß sowohl etwas für ihn Negatives geschehen ist, als auch, daß er vom Agens getäuscht wurde. Im aktioneilen Gebrauch geschieht die Äußerung des Phrasems meist in negierter Form, etwa „Ich lasse mir von dir keinen Sand in die Augen streuen" o.ä. Der Sprecher hat dabei die Intention, den Hörer wissen zu lassen, daß er ihn durchschaut. Hier wie auch im narrativen Gebrauch meint der Sprecher mit dem Phrasem in der Regel, daß die referierte Person, die etwas Negatives vertuschen will, auch diejenige ist, die das Negative selbst verursacht hat: Typisch im narrativen Gebrauch ist der Hörer als Patiens. In diesem Fall hat der Sprecher meist die Intention, den Hörer zu warnen, ungefähr in Form „Paß' auf, man will dir Sand in die Augen streuen" o.ä. Vorschlag jd. streut jdm. Sand in die Augen BA: BeiA:

jd. täuscht jdm. etwas Positives vor oder vertuscht etwas Negatives vor jdm. (mst. um dabei einen eigenen Vorteil zu erlangen ( " Π * °le-ll « ^ T T 1 t ™ T ^ 1. Frau Meyer erzählt ihrer Freundin: „Mein Verlobter will, daß ich ihm mein Vermögen schenke, bevor wir heiraten. Er hat gesagt, er möchte es für mich gut anlegen." Die Freundin sagt daraufhin: „Ich kenne deinen Verlobten, er will in Wirklichkeit nur dein Geld. Laß dir von ihm keinen Sand in die Augen streuen."// 2. Herr Meyer war entrüstet. Er hatte einen Kredit aufnehmen wollen und merkte,

155 daß die Zinsen in Wirklichkeit höher waren, als es ihm der Berater der Bank gesagt hatte. „Sie haben mir falsche Zinsbedingungen genannt", entrüstete sich Herr Meyer, „Ich glaub', Sie wollten mir Sand in die Augen streuen." A.Int: 1. wenn S * Ag und Η = Pat: S will, daß Η Ref +h nicht vertraut// 2. wenn S = Pat und Η = Ag: S will, daß Η weiß, daß S ihn durchschaut hat A.EmG: 2. Ärger A.Vtr: 1. mindestens gut A.AwB: 1. ugs.// 2. grob A.grB: oft in negierter Form mit „lassen": „Ich lasse mir von Ihnen keinen Sand in die Augen streuen!" o.ä.

43. etwas in Schutt und Asche legen DUW

DaF

RSR

HWDG

NF

etwas in Schutt und Asche legen

etw. in S. und etw. in S. und Asche legen Asche legen

in S. und Asche

BE

etwas zerstören und niederbrennen

etw., bes. Ge- etw. zerstören bäude, völlig u. niederbrenzerstören nen

völlig zerstört