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German Pages 264 Year 2018
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 485
„Vorübergehende“ Leiharbeit Die Deutung eines unbestimmten Rechtsbegriffs am Beispiel kirchlicher Einrichtungen
Von
Johannes Belling
Duncker & Humblot · Berlin
JOHANNES BELLING
„Vorübergehende“ Leiharbeit
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 485
„Vorübergehende“ Leiharbeit Die Deutung eines unbestimmten Rechtsbegriffs am Beispiel kirchlicher Einrichtungen
Von
Johannes Belling
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam im März 2017 als Dissertation angenommen. Die Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im April 2017 machte eine Aktualisierung einiger Teile der Arbeit erforderlich. Die grundlegenden Schlussfolgerungen wurden durch diese Reform indes nicht berührt. Die Arbeit spiegelt den wesentlichen Stand von Literatur und Rechtsprechung bis März 2018 wider. Mein aufrichtiger Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. iur. Dr. h. c. (SZTE) Detlev W. Belling, M.C.L. (U. of Ill.), für die ständige Unterstützung durch viele wertvolle Hinweise und Ratschläge. Die Zeit als akademischer Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam werde ich wegen des intensiven akademischen Gedanken- und Erfahrungsaustauschs in bester Erinnerung behalten. Dem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück, danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Mit meinem geschätzten Kollegen am Lehrstuhl, Herrn Ass. iur. Marek Kneis, verbindet mich eine langjährige freundschaftliche und aufschlussreiche akademische Zusammenarbeit. Ihm verdanke ich erkenntnisreiche Diskussionen, wertvolle Hinweise und eine zügige wie kritische Durchsicht dieser Arbeit. Meiner lieben Kollegin, Frau Justiziarin Katrin Reifenstein, habe ich für ihr Verständnis und stetige Ermunterung zu danken. Allen Freunden danke ich für ihre grenzenlose Geduld und den Rückhalt, ohne den eine solche Arbeit nicht möglich wäre, sowie für ihre kritische, stets konstruktive Begleitung vor allem während der Schlussphase der Fertigstellung. Meinen lieben Eltern danke ich schließlich für ihre stetige Förderung und Ermutigung. Potsdam, im Frühjahr 2018
Johannes Belling
Inhaltsübersicht A. Die Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Der Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Der Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 B. Die arbeitsmarktpolitische Relevanz der Arbeitnehmerüberlassung . . . . I. Die wirtschaftliche Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung als arbeitsmarktpolitisches Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Arbeitnehmerüberlassung als anerkanntes personalpolitisches Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung in der kirchlichen Daseinsfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Die gesetzlichen Grundlagen und die ökonomische Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I. Die Genese des AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Die europäische Richtlinie 2008 / 104 / EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 D. Die soziale Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . 56 I. Die objektive Schlechterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Die subjektiv empfundene Schlechterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 E. Das Modell der Arbeitnehmerüberlassung als Schutzgut im Lichte des Grundgesetzes und der unionsrechtlichen Grundfreiheiten . . . . . . . . I. Der grundgesetzliche Schutz der Arbeitnehmerüberlassung bei wirtschaftlicher Betätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Trennung von staatlicher Arbeitsvermittlung und privater Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Keine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der unionsrechtliche Schutz der Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich des AÜG auf wirtschaftlich tätige Unternehmen am Beispiel von Arbeitnehmer überlassung im kirchlichen Dienstleistungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der erweiterte sachliche Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die tatbestandliche Erstreckung des AÜG auf kirchliche Verleih unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das religiöse Selbstverständnis als Schranke für die Arbeitnehmer überlassung in kirchlichen Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Status des Leiharbeitnehmers im kirchlichen Arbeitsrecht . . . . . . . . V. Das Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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63 64 72 96 131 148
10 Inhaltsübersicht G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung im Lichte richtlinienkonformer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern . . . . . . . . . . . . 150 II. Das Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 H. Die Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Zum Merkmal „vorübergehend“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG und von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG . . . . . . . . . . . 228 II. Zu den Grenzen der Arbeitnehmerüberlassung in kirchlichen Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 I. Die Reregulierung 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Neuerungen der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
Inhaltsverzeichnis A. Die Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Der Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Der Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 B. Die arbeitsmarktpolitische Relevanz der Arbeitnehmerüberlassung . . . . I. Die wirtschaftliche Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung als arbeitsmarktpolitisches Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Arbeitnehmerüberlassung als anerkanntes personalpolitisches Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung in der kirchlichen Daseinsfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die gesetzlichen Grundlagen und die ökonomische Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Genese des AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung bis 1933 . . . . . . . . . . . 2. Die historische Entwicklung der Kodifikation der Arbeitnehmer überlassung in Deutschland von 1933 bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die gesetzgeberische Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die europäische Richtlinie 2008 / 104 / EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Schaffung einer unionseinheitlichen Grundlage für Arbeit nehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der wesentliche Schutzzweck der Richtlinie 2008 / 104 / EG . . . . . . . .
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D. Die soziale Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . 56 I. Die objektive Schlechterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Die subjektiv empfundene Schlechterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 E. Das Modell der Arbeitnehmerüberlassung als Schutzgut im Lichte des Grundgesetzes und der unionsrechtlichen Grundfreiheiten . . . . . . . . I. Der grundgesetzliche Schutz der Arbeitnehmerüberlassung bei wirtschaftlicher Betätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Trennung von staatlicher Arbeitsvermittlung und privater Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Keine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der unionsrechtliche Schutz der Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . .
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich des AÜG auf wirtschaftlich tätige Unternehmen am Beispiel von Arbeitnehmer überlassung im kirchlichen Dienstleistungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
12 Inhaltsverzeichnis I. Der erweiterte sachliche Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Der verfassungsrechtliche Schutz von diakonischer Betätigung . . . . . 64 a) Der korporative Schutz der Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Der individual-rechtliche Schutz der Religionsfreiheit . . . . . . . . . . 65 2. Die Geltung des AÜG im diakonischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Das „für alle geltende Gesetz“ im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Das AÜG als „für alle geltendes Gesetz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 aa) Die Schranken im Bereich der echten Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 bb) Die Schranken im Bereich der unechten Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 c) Die Regelung der Arbeitnehmerüberlassung in den kirchlichen Ordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 aa) Die Ordnungen im Bereich der Diakonie . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 bb) Die Ordnungen im Bereich der Caritas . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 d) Das Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Die tatbestandliche Erstreckung des AÜG auf kirchliche Verleihunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Die Entbehrlichkeit der Gewinnerzielungsabsicht und die wirtschaftliche Betätigung des Leiharbeitsunternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Die frühere Rechtslage zur gewerbsmäßigen Betätigung . . . . . . . . 72 b) Die wirtschaftliche Betätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 aa) Der Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG . . . . . . 74 (1) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs . . . . 74 (a) Die Entbehrlichkeit des Strebens nach wirtschaft lichem Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (b) Die Übertragbarkeit der Rechtsprechung . . . . . . . . . . 75 (2) Das Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 bb) Die Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 cc) Die Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 c) Die Wertungen und Rückschlüsse aus §§ 51 bis 55 AO . . . . . . . . 80 d) Die privilegierte konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . 82 aa) Die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung im historischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 bb) Die gegenwärtige Regelung der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (1) Die Voraussetzungen der Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . 84 (2) Die notwendige Marktrelevanz des konzerninternen Verleihers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (3) Das Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 e) Der Ausschluss nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG bei der Nachbarschaftshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
Inhaltsverzeichnis13 aa) Die diakonische und caritative Nachbarschaftshilfe . . . . . . . . 86 bb) Die Arbeitsrechtsregelungsverfahren nach dem Dritten Weg . 86 cc) Die Ausnahmen vom Dritten Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 dd) Der fehlende Tarifnormcharakter von Arbeitsrechts regelungen des Dritten Wegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (1) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts . . . . . . . . 88 (2) Die Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 ee) Die Unwirksamkeit der Tarifverträge der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und PersonalService-Agenturen (CGZP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (1) Die Christlichen Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (2) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Das Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 III. Das religiöse Selbstverständnis als Schranke für die Arbeitnehmer überlassung in kirchlichen Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Die Entscheidungen der kirchlichen Gerichte für Arbeitssachen und der kirchlichen Schiedsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Die Entscheidungen der Kirchengerichte für Arbeitssachen . . . . . . 97 aa) Der Beschluss des Kirchengerichtshofs der EKD vom 9.10.2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 bb) Der Beschluss des Kirchengerichtshofs der EKD vom 2.4.2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 cc) Der Beschluss des Kirchengerichtshofs der EKD vom 25.8.2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 dd) Das Urteil des Kirchlichen Arbeitsgerichtshofs vom 27.11.2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 ee) Das Urteil des Kirchlichen Arbeitsgerichtshofs vom 7.6.2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 ff) Die Entscheidungen der erstinstanzlichen Kirchlichen Arbeitsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (1) Das Kirchliche Arbeitsgericht für die Bayerischen (Erz-)Diözesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (2) Die Entscheidungen des Kirchlichen Arbeitsgerichts der Diözese Rottenburg-Stuttgart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (a) Das Urteil vom 15.6.2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (b) Das Urteil vom 20.3.2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Die Entscheidung der Schiedsstelle Hannover vom 30.5.2006 . . . . 106 c) Die Auswertung der Entscheidungen und das Zwischenergebnis . 107 aa) Die Beschlüsse des Kirchengerichtshofs der EKD . . . . . . . . . 108 bb) Die Entscheidungen der Kirchlichen Arbeitsgerichte für den katholischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 cc) Die Entscheidung der Schiedsstelle Hannover vom 30.5.2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 dd) Das Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
14 Inhaltsverzeichnis 2. Die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Frage der Differenzierung zwischen Stamm- und Leih personal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Frage der Geltung kirchlicher Loyalitätsobliegenheiten für nicht wirksam überlassene Leiharbeitnehmer . . . . . . . . . . . (1) Die Regelungslücke im Kirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die „an sich“ notwendige vertragliche Vereinbarung kirchlicher Loyalitätsobliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Vergleich zum Betriebsübergang auf einen kirchlichen Erwerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Begriff der Dienstgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Ambivalenz des Begriffs der Dienstgemeinschaft . . . . . . . bb) Das Fehlen einer kirchenrechtlichen Definition . . . . . . . . . . . . cc) Die Literaturansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die zusammenfassende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Status des Leiharbeitnehmers im kirchlichen Arbeitsrecht . . . . . . . . 1. Der Leiharbeitnehmer im Verständnis der Arbeitsrechtsregelungen der Evangelischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die kirchliche Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Anerkennung als kirchliche Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Zuordnung diakonischer Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Wille zur kirchlichen Zugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Nichtzugehörigkeit von Leiharbeitnehmern zur Belegschaft der entleihenden Dienststelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Fiktion nach § 2 Abs. 3 MVG.EKD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Loyalitätsrichtlinie der EKD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der sachliche Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der persönliche Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der abgestufte Personaleinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Wortlaut der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Der Kirchengerichtshof der EKD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die Pflichten gegenüber einem nichtkirchlichen Verleiher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Deutschland . . . . . . . . 2. Der Leiharbeitnehmer im Verständnis der Arbeitsrechtsregelungen der Katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Das Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung im Lichte richtlinienkonformer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern . . . . . . . . . . . . 1. Die Wiedereinführung einer zeitlichen Komponente . . . . . . . . . . . . . . 2. Die vorübergehende Überlassung als unbestimmter Rechtsbegriff . . .
115 116 116 117 117 120 121 121 123 123 127 131 131 131 132 133 134 134 136 138 138 138 139 140 143 144 144 146 147 148 150 150 150 151
Inhaltsverzeichnis15 a) Die Unzulässigkeit der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung . . . . 153 aa) Die entsprechende Anwendung des AÜG auf die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 bb) Die Unzulässigkeit der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung . 155 (1) Der Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (a) Die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (b) Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (aa) Die Arbeitsgerichte und die Landesarbeits gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (bb) Das Bundesarbeitsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (cc) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (2) Die Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (a) Die Regelungsziele der Richtlinie 2008 / 104 / EG . . . . 164 (aa) Die primärrechtlichen Schutzgarantien . . . . . . . 164 (bb) Die abschließende Regelung der Überlassung in der Richtlinie 2008 / 104 / EG . . . . . . . . . . . . . 165 (cc) Das in der Richtlinie 2008 / 104 / EG unmittelbar geregelte Verbot der dauerhaften Überlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (dd) Die Vereinbarungen der Sozialpartner . . . . . . . . 168 (ee) Keine Erstreckung auf sonstige Formen des drittbezogenen Personaleinsatzes . . . . . . . . 169 (ff) Das Postulat einer ausdrücklichen Verbotsnorm . 170 (b) Die Verhinderung des personalsubstituierenden Missbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (c) Die Entstehungsgeschichte der Richtlinie 2008 / 104 / EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (d) Die Kohärenz zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (e) Die Flexicurity-Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (f) Das Fehlen eines Sanktionenregimes . . . . . . . . . . . . . 180 (aa) Die Versagung und der Widerruf der Erlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (bb) Die Wirksamkeit des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (cc) Das fingierte Rechtsverhältnis zum Entleiher . 182 (dd) Die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer nach §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (ee) Die betriebsverfassungsrechtlichen Folgen . . . . 185 (ff) Die Ordnungswidrigkeitentatbestände gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AÜG . . . . . . . . . . . 186
16 Inhaltsverzeichnis (g) Die primärrechtliche Auslegung des RichtlinienWortlauts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (aa) Der Schutz der Arbeitsbedingungen nach Art. 31 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (bb) Der Schutz der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (h) Die Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 cc) Das Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Die vorübergehende Überlassung als Abgrenzungsmerkmal zur Arbeitsvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zur „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 bb) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts . . . . . . . . . . . . 195 d) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . 196 aa) Die Rechtsprechung zu Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 bb) Die Rechtsprechung zur Befristungsrichtlinie 1999 / 70 / EG und EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung . . . . . . . . . . . . 197 cc) Die Rechtsprechung zu Art. 57 Abs. 3 AEUV . . . . . . . . . . . . . 198 e) Die Auslegung des Merkmals „vorübergehend“ . . . . . . . . . . . . . . . 200 aa) Der Wortlaut der Richtlinie 2008 / 104 / EG und des AÜG . . . . 202 bb) Die Entstehungshistorie der Richtlinie 2008 / 104 / EG . . . . . . 204 cc) Das Merkmal „vorübergehend“ bei der privilegierten konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 (1) Die Rechtsprechung und die herrschende Literatur . . . . . 207 (2) Die Übertragbarkeit der Kriterien zur vorübergehenden konzerninternen auf die Arbeitnehmerüberlassung im Licht der Richtlinie 2008 / 104 / EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (3) Der Inhalt der Vereinbarung über die Rückkehr des Leiharbeitnehmers zum Vertragsarbeitgeber . . . . . . . . 209 (4) Das Verhältnis der Konzernleihe zur Vermutung im Sinne von § 1 Abs. 2 AÜG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (5) Die rechtsmissbräuchliche Gesetzesumgehung bei der konzerninternen Personalausgliederung . . . . . . . . . . . . . . . 211 dd) Die Verwendung des Merkmals „vorübergehend“ in sons tigen arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen . . . . . . . . . . . 214 ee) Die Sachgrundbefristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG . 215 (1) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Sachgrund des vorübergehenden Bedarfs . . . . . . . . . 215 (2) Die Übertragbarkeit der Kriterien zur Bedarfsprognose . 216
Inhaltsverzeichnis17 ff) Die arbeitnehmerbezogene oder arbeitsplatzbezogene Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Übertragung der bisherigen Rechtsprechung auf § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Die institutionelle Missbrauchskontrolle und der soziale Schutz der Leiharbeitnehmerrechte nach der Richtlinie 2008 / 104 / EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Die Grundrechtsabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 und 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
218 219 219 221 223 225
H. Die Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Zum Merkmal „vorübergehend“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG und von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG . . . . . . . . . . . 228 II. Zu den Grenzen der Arbeitnehmerüberlassung in kirchlichen Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 I. Die Reregulierung 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Neuerungen der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verhältnismäßigkeit und die Zweckmäßigkeit einer starren Höchstüberlassungsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vereinbarkeit mit Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur starren Überlassungshöchstdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Anerkennung kircheninterner Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234 234 236 237 242 242 244 245
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
A. Die Einleitung I. Der Problemaufriss Seit über einhundert Jahren stellt die unechte Arbeitnehmerüberlassung ein im Dienstleistungssektor weitgehend akzeptiertes Modell des drittbezogenen Personaleinsatzes in Fremdbetrieben dar. Ausgehend von ihrem ursprünglichen Ziel, die personelle Abfederung betrieblicher Engpässe oder Produktionsspitzen zu ermöglichen, hat sich das Modell der Arbeitnehmerüberlassung im Laufe eines personalpolitischen Wandels in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker hin zu einem Personalmodell zur Ökonomisierung der Personalstrukturen in den Entleihbetrieben entwickelt. Vor allem das Bestreben nach einer Reduktion von Personalkosten und der Vermeidung befristungsund kündigungsrechtlicher Streitigkeiten mit dem eigenen Personal hat die Attraktivität des Einsatzes von Leihpersonal enorm gesteigert. Mitunter bietet der Einsatz von Fremdpersonal zur Kostenminimierung den Anschein der Flucht aus tariflichen Lohn- und sonstigen Entgeltvereinbarungen. Dazu hat im Jahr 2002 der Fortfall der Höchstüberlassungsdauer von damals 24 Monaten mit beigetragen, wodurch eine Verstetigung des Fremdpersonaleinsatzes bei gleichzeitiger Substitution des Stammpersonals gesetzlich gerade erst ermöglicht und legitimiert wurde. Die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse wurde begleitet von einer Zunahme der Zahl an Entleihbetrieben infolge von Ausgründungen ganzer Unternehmensteile in Tochterunternehmen und der anschließenden Rückentleihe der vormals eigenen Arbeitnehmer.1 Die Folge war, dass ganze Teilbereiche der Stammbelegschaft ausgegründet wurden und als Leihpersonal dieselben Tätigkeiten an ihrem früheren Arbeitsplatz zu wesentlich ungünstigeren Arbeitsbedingungen verrichteten. Begleitet wurde diese Entwicklung durch eine zunehmende Praxis, dieselben Tätigkeiten nicht mittels Abschlusses von Arbeitsverträgen, sondern von Werkverträgen erbringen zu lassen, um eine Zugehörigkeit der betreffenden Werkunternehmer zur Belegschaft des Einsatzbetriebs von vornherein zu verhindern. Mit der Richtlinie 2008 / 104 / EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 19.11.2008 sowie mit der Umsetzung dieser Richtlinie in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) im Jahr 2011 war durch die Einfügung 1 „Sale
and Lease back“-Modell oder sogenannter „Drehtür-Effekt“.
20
A. Die Einleitung
des Merkmals „vorübergehend“ in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG2 erstmals wieder ein zeitliches Moment für die Dauer der Überlassung von Leihpersonal bestimmt worden. Anders als die vormalige zeitliche Fixierung der Höchstüberlassungsdauer in den Vorgängerfassungen des AÜG entschieden sich sowohl der Richtliniengeber und im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG auch der deutsche Gesetzgeber zunächst für die Kodifikation eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Das Begriffsverständnis dieses Merkmals in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG wie auch in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG ist bis heute sowohl in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und der Arbeitsgerichtsbarkeit wie auch in der Literatur nicht abschließend geklärt. Überwiegende Einigkeit bestand bis auf wenige Autoren wohl zumindest darin, dass eine „vorübergehende“ Überlassung jedenfalls nicht zeitlich unbegrenzt erfolgen darf. Im Übrigen herrschte hinsichtlich Regelungscharakter, Tatbestandsinhalt und Reichweite sowie Rechtsfolgen bei Verstößen ein kaum mehr überschaubares Meinungsspektrum. Bislang offen geblieben war auch, ob die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur früheren „vorübergehenden“ erlaubnisfreien konzerninternen Leiharbeit für das Verständnis von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG übertragen werden konnte. Genauso ungeklärt waren die Rechtsfolgen bei nicht bloß vorübergehender dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung, weil weder der Richtliniengeber noch der nationale Gesetzgeber eine genuine Sanktionsregelung vorsahen. Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Beschluss vom 10.7.20133 das Merkmal „vorübergehend“ dahingehend ausgelegt, dass jedenfalls eine dauerhafte Überlassung von Leihpersonal nicht mehr statthaft sein und § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG insoweit ein materielles Verbot dauerhafter Überlassung enthalten sollte, welches als Verbotsgesetz im Sinne von § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG dem Betriebsrat ein Zustimmungsverweigerungsrecht einräumt. Zur Begründung des Verbotscharakters der Vorschrift stützte sich das Gericht im Wesentlichen auf den Wortlaut der Richtlinie 2008 / 104 / EG. Eine weitergehende Konkretisierung des Merkmals blieb – auch mangels Entscheidungsrelevanz – allerdings aus. Die Gelegenheit zur Klärung der Frage im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens des finnischen Arbeitsgerichts Työtuomioistuin, anhand welcher Merkmale eine Überlassung noch als „vorübergehend“ im Sinne der Richtlinie 2008 / 104 / EG anzusehen ist und ob die Richtlinie selbst ein Verbot der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung statuiert, hatte der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 17.3.20154 nicht genutzt, so dass das unionsrechtliche Verständnis des Merkmals „vorüberge-
2 §§-Angaben
zum AÜG ohne Zusatz beziehen sich auf die AÜG-Fassung 2011. 145, 355. 4 EuGH, Urteil vom 17.3.2015 – Az. C-533/13 [AKT]. 3 BAGE
I. Der Problemaufriss21
hend“ mit allen Auswirkungen für eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts ebenfalls nicht abschließend geklärt wurde. Mit der Reform des AÜG durch das Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vom 21.02.20175 hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.4.2017 in § 1 Abs. 1 S. 4 AÜG neue Fassung (n. F.) zwar keine Definition des Merkmals „vorübergehend“ vorgenommen, dafür jedoch in § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG n. F. eine Konkretisierung in Gestalt einer Überlassungshöchstdauer von grundsätzlich 18 Monaten eingeführt, wobei die Tarifparteien und Betriebspartner in bestimmten Fällen Gestaltungsspielraum für längere Überlassungszeiträume haben. Der nationale Gesetzgeber greift damit wieder die frühere Regelungsmethode der Vorgängerfassungen des AÜG, die eine fixe Überlassungshöchstdauer vorsahen, auf. Anders als zu den Zeiten der Vorgängerfassungen ist die Wiedereinführung einer fixen Höchstüberlassungsdauer nun zugleich aber auch im Lichte der Leiharbeitsrichtlinie 2008 / 104 / EG und damit unionsrechtskonform auszugestalten. Auch kirchliche Dienstgeber, die vor allem im sozialen Dienstleistungssektor tätig sind, setzen das Personalinstrument der Leiharbeit mit steigender Anzahl ein mit der Folge, dass in kirchlichen Einrichtungen Leihpersonal mit eigenen tarifvertraglichen Bedingungen neben dem vorhandenen Stammpersonal tätig ist, für welches die besonderen kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen in der Regel nicht gelten. Dabei spielt neben den beschriebenen Unklarheiten bei der Bestimmung der zeitlichen Grenze die Besonderheit des in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV garantierten Selbstverwaltungsrechts der korporierten Religionsgemeinschaften eine wesentliche Rolle, weil das auf dieses Selbstverwaltungsrecht zurückgeführte Leitprinzip der Dienstgemeinschaft zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer im kirchlichen Einsatzbetrieb als Ausprägung des kirchlichen Selbstverständnisses maßgeblich berührt wird. Zu klären ist, ob und welches Verständnis dem Leitprinzip der Dienstgemeinschaft entnommen werden kann und welche Rechtsfolgen für den Einsatz von Leihpersonal in kirchlichen Einrichtungen daran geknüpft sind. Des Weiteren schließt sich die Frage an, ob kirchliche Arbeitsrechtsregelungen neben den weltlichen Regelungen zur Leiharbeit eine Beschränkung und rechtlich verbindliche Vorgaben zur Gestaltung des Einsatzes von Leiharbeitnehmern vorsehen können. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, wie eine Geltung der kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten6 und aller übrigen auf dem Dritten Weg zustande gekommenen Ar5 BT-Drs.
18/9232; BGBl. I, 258. Begriffe „Loyalitätspflicht“ und „Loyalitätsobliegenheit“ werden häufig und vor allem auch in der kirchenrechtlichen Literatur und Kirchenrechtsprechung synonym verwendet. Rechtstechnisch handelt es sich um nicht klagbare Neben- und Rück6 Die
22
A. Die Einleitung
beitsrechtsregelungen auch gegenüber dem eingesetzten Leihpersonal in einem kirchlichen Entleihbetrieb geschaffen werden kann, um eine etwaige Spaltung der Dienstgemeinschaft zu vermeiden.
II. Der Gang der Untersuchung Nach einer einführenden Darstellung der historischen und gegenwärtigen normativen Grundlagen der Arbeitnehmerüberlassung wendet sich die Untersuchung vor allem den unionsrechtlichen primären und sekundären Rechtsquellen und im Besonderen der Leiharbeitsrichtlinie 2008 / 104 / EG zum Verständnis des Merkmals der „vorübergehenden“ Überlassung zu. Dabei sollen im Rahmen der unionsrechtskonformen primärrechtlichen Auslegung der Richtlinie wie auch einer sekundärrechtlichen Auslegung des AÜG unter Berücksichtigung alternativer Begriffsverständnisse und unter Auswertung und Analyse von Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und der deutschen Fachgerichtsbarkeit sowie der Literatur die Grenzen des Merkmals der „vorübergehenden“ Überlassung untersucht und ein Vorschlag für das Verständnis des Merkmals in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG unterbreitet werden. Am Beispiel der Arbeitnehmerüberlassung im kirchlichen Dienstleistungsbereich werden der personelle und der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG und des AÜG gerade auch für caritative Einrichtungen dargestellt. Darüber hinaus soll vor allem beleuchtet werden, ob die Richtlinie 2008 / 104 / EG selbst ein materielles Verbot der dauerhaften Überlassung enthält und welche Auswirkungen dies auf das Verständnis von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG hat. Anschließend widmet sich die Untersuchung der Frage, inwieweit anhand der unionsrechtlichen Vorgaben ein Regelungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber vor allem im Hinblick auf die Kodifikation einer nationalen starren Höchstüberlassungsdauer besteht. Dabei wird im Besonderen der unionsrechtliche Impetus der Arbeitnehmerüberlassung als flexiblem Personalstrukturmodell unter Berücksichtigung der FlexicurityGrundsätze der Europäischen Union in den Fokus genommen. Das sowohl in der Evangelischen wie auch in der Katholischen Kirche sowie in Diakonie und Caritas aktueller gewordene Thema des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, sei es aus personalpolitischen, strukturellen oder finanziellen Motiven, ist dabei eng verknüpft mit der Frage des kirchlichen Selbstverständnisses, welches im seit Jahrzehnten überkommenen Leitprinzip der Dienstgemeinschaft von Dienstgebern und Dienstnehmern brennspiegelartig sichtnahmepflichten und damit um Obliegenheiten, an deren Nichtbeachtung jedoch Rechtsfolgen geknüpft werden können. In diesem Sinn soll in der Arbeit auch der Begriff der „Loyalitätsobliegenheit“ Verwendung finden, soweit nicht ausweislich von Quellenangaben von „Loyalitätspflichten“ die Rede ist.
II. Der Gang der Untersuchung23
kulminiert. Die vor allem innerkirchliche Diskussion um die Zulässigkeit und die Grenzen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern in kirchlichen Einrichtungen hat die Debatte um Inhalt und Rechtswirkung des Leitprinzips der Dienstgemeinschaft befeuert. Das Spektrum der Ansichten reicht von Begriffsbewahrung über inhaltliche Neuinterpretation bis hin zur Abkehr vom Leitprinzip der Dienstgemeinschaft. Ausgehend von der mittlerweile zahlreich existierenden Rechtsprechung der kirchlichen Arbeits- und Schiedsgerichte zu den zeitlichen Grenzen der Arbeitnehmerüberlassung in kirchlichen Einrichtungen sollen vor allem die Entscheidungen des Kirchlichen Gerichtshofs der EKD vom 9.10.2006 und vom 2.4.20087, in denen er erstmals Stellung zum Einsatz von Leihpersonal und dessen zeitlichen Grenzen zur Vermeidung einer Beschädigung des Leitprinzips der Dienstgemeinschaft nahm und denen der Kirchliche Arbeitsgerichtshof folgte, analysiert und auf ihre Überzeugungskraft hinsichtlich der Begründung und des Ergebnisses untersucht werden. Im Fokus steht dabei die Fragestellung, inwieweit die Entscheidungen tatsächlich zur Folge haben, dass der Einsatz von Leiharbeitnehmern in kirchlichen Einrichtungen perspektivisch nahezu ausgeschlossen sein könnte.8 Anschließend wird der Begriff der Dienstgemeinschaft mittels Auswertung der Literaturansichten näher betrachtet, wobei der Versuch unternommen wird, eine sinnvolle Trennung des bisher einheitlich verstandenen Leitprinzips in ein sich ergänzendes Begriffspaar herzuleiten. Schließlich erfolgt ein Vorschlag zur innerkirchlichen Ausgestaltung der Leihverhältnisse zur Vermeidung einer Spaltung der Dienstgemeinschaft. Die Untersuchung schließt anhand der gefundenen Ergebnisse mit einer kritischen Betrachtung der zum 1.4.2017 erfolgten Reform des AÜG, wobei der Fokus auf die reregulierte Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gelegt wird. Eine Bewertung der Neuregelung erfolgt vor allem im Hinblick auf die unionsrechtlichen Vorgaben des primären Unionsrechts, der Richtlinie 2008 / 104 / EG und einer dementsprechenden Vereinbarkeit des nationalen Überlassungsrechts am Maßstab des Unionsrechts.
7 KGH.EKD, Beschlüsse vom 9.10.2006 – Az. II-0124/M 35-06 = NZA 2007, 761, und vom 2.4.2008 – Az. II-0124/N72-07. 8 Dazu Manterfeld, AuK 2007, 30.
B. Die arbeitsmarktpolitische Relevanz der Arbeitnehmerüberlassung I. Die wirtschaftliche Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung als arbeitsmarktpolitisches Instrument Die wirtschaftliche wie schon die frühere gewerbliche wie auch die nichtgewerbliche Überlassung von Arbeitnehmern durch ein verleihendes an ein entleihendes Unternehmen – also die Überlassung von Arbeitskraft und Dienstleistung als eine Form des drittbezogenen Personaleinsatzes – gehören spätestens seit ihrer Anerkennung durch den Gesetzgeber vor nahezu einhundert Jahren zum mittlerweile gängigen arbeitspolitischen Instrumentarium der Personalstrukturierung vor allem im privatwirtschaftlichen Bereich. Die besondere wirtschaftliche Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung ist seit dem Inkrafttreten des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zum 11.10.19721 sowie durch Art. 6 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.20022 immer weiter gestiegen und steigt auch weiterhin an. Allein die Entwicklung der Zahlen zu den im Wege der Arbeitnehmerüberlassung Beschäftigten dokumentieren den mittlerweile hohen wirtschaftlichen Stellenwert der Arbeitnehmerüberlassung vor allem für die verleihenden Arbeitgeber als auch für die entleihenden Unternehmen in Deutschland. Waren kurz nach dem Inkrafttreten des AÜG im Jahr 1973 erst ca. 25.000 Beschäftigte bei Leiharbeitsfirmen angestellt oder in Entleihunternehmen eingesetzt, so hat sich die Zahl der Leiharbeitnehmer in der Zwischenzeit mit über 1,01 Millionen Beschäftigten bis Juni 20173 nahezu vervierzigfacht. Von diesen Leiharbeitnehmern waren mit ca. 932.000 Leiharbeitnehmern mehr als 90 Prozent der Zeitarbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt, wobei der Anteil von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung im Bereich der Leiharbeit deutlich über dem Durchschnitt in der Gesamtwirtschaft liegt.4 Ein Zuwachs ist bei den teilzeitbeschäftigten 1 BGBl. I,
S. 159. S. 4607, 4617 ff. 3 Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Zeitarbeit – Aktuelle Entwicklungen, Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, Februar 2018, Seite 8, https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktbe richte/Branchen/generische-Publikationen/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktu elle-Entwicklung.pdf, zuletzt abgerufen am 15.4.2018. 2 BGBl. I,
I. Die wirtschaftliche Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung25
Zeitarbeitnehmern zu verzeichnen, auch wenn der Anteil der vollzeitbeschäftigten Zeitarbeitnehmer mit ca. 84 Prozent noch deutlich überwiegt.5 Die Anzahl der Erlaubnisinhaber zur Arbeitnehmerüberlassung stieg zugleich von ursprünglich etwa 1.3006 auf zwischenzeitlich 19.000 im Juni 2013 und bis Juni 2017 auf 52.700 Verleihbetriebe, wobei 11.500 Verleihbetriebe den Schwerpunkt ihrer Betätigung in der Arbeitnehmerüberlassung haben.7 Im Übrigen handelt es sich um Mischbetriebe, deren wirtschaftlicher Schwerpunkt in anderen Branchen liegt. Die gestiegene Bedeutung der Leiharbeit zeigt sich zudem im prozentualen Vergleich zu anderen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsformen als der Leiharbeit, etwa der Arbeit in befristeten Arbeitsverhältnissen oder dem „Normalfall“ der unbefristeten Beschäftigung von Arbeitnehmern. Bis zum Dezember 2012 stieg der Anteil der Leiharbeitnehmer an der bundesweiten sozialversicherungspflichtigen Gesamtbeschäftigung auf 2,5 Prozent, wobei nach einem zwischenzeitlichen Anstieg im Jahr 2011 auf 2,9 Prozent derzeit wieder ein leichter Rückgang des Anteils der Arbeitnehmer überlassung an der gesamten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung festzustellen ist.8 Im Zeitraum von 2003 bis 2008 war bereits mehr als jedes 4 BT-Drs. 17/4764, S. 6 ff. Tabelle 1. 90,1 Prozent der Leiharbeitnehmer waren im Vergleich zu 79,2 Prozent in der Gesamtwirtschaft sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so Baumgarten/Kvasnicka, Herausforderung Zeitarbeit, S. 17. 5 Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Zeitarbeit – Aktuelle Entwicklungen, Statistik/ Arbeitsmarktberichterstattung der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, Februar 2018, Seite 8, Abbildung 4, online abrufbar unter https://statistik.arbeitsagentur.de/StatischerContent/Arbeitsmarktberichte/Branchen/generische-Publikationen/ArbeitsmarktDeutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung.pdf, zuletzt abgerufen am 15.4.2018. 6 So der Stand am 30.6.1973. Die Zahl ergibt sich aus dem Zweiten Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – AÜG vom 21.7.1976 (BT-Drs. 7/5631). 7 Zwölfter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – AÜG, BT-Drs. 18/673, S. 16 f.; Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Zeitarbeit – Aktuelle Entwicklungen, Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, Februar 2018, Seite 7, online abrufbar unter https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Branchen/generische-Publikationen/Arbeitsmarkt-Deutschland- Zeitarbeit-Aktu elle-Entwicklung.pdf, zuletzt abgerufen am 15.4.2018. 8 Ende Dezember 2016 2,7 Prozent: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitnehmerüberlassung, Leiharbeitnehmer und Verleihbetriebe, Nürnberg, Dezember 2016, Tabelle 1.1.1., online abrufbar unter https://statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/Statistik/Statistik-nach-Themen/Beschaeftigung/Arbeitnehmerueberlassung/Ar beitnehmerueberlassung-Nav.html, zuletzt abgerufen am 21.1.2018; Elfter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – AÜG vom 18.1.2010, (BT-Drs. 17/464, Tabelle 13, S. 77); BT-Drs. 17/4764, S. 6 ff. Tabelle 1; ferner der Zwölfte Bericht der Bundesregierung über Er-
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B. Die arbeitsmarktpolitische Relevanz der Arbeitnehmerüberlassung
neunte neu entstandene sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis ein Leiharbeitsverhältnis.9 Im Jahr 2006 entsprach der Zuwachs im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung etwa drei Viertel des Gesamtzuwachses an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen.10 Im europäischen Vergleich liegt der Anteil der in Deutschland beschäftigten Leiharbeitnehmer gemessen an allen Erwerbstätigen mit 1,6 Prozent knapp über dem europäischen Durchschnitt von 1,5 Prozent.11 Auch für die (Wieder-)Eingliederung von Kurz- wie Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt hat sich das Instrument der Arbeitnehmerüberlassung als praktikabel herausgestellt, jedenfalls profitierte etwa ein Drittel der Leiharbeitnehmer vom sogenannten „Klebeeffekt“, das heißt der Möglichkeit, nach einer Einsatzzeit von ihrem jeweiligen Entleihbetrieb in dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse übernommen zu werden.12 Die entgegengesetzte Entwicklung, Stammarbeitskräfte in eigene oder fremde Leiharbeitsfirmen auszugliedern und durch Arbeitnehmerüberlassung auf ihren ehemaligen Arbeitsplätzen einzusetzen, hat allerdings ebenfalls zugenommen, wenn auch weniger stark.13 Die Möglichkeit, die Anzahl des Stammpersonals und damit vor allem die Lohnkosten durch die Ausgründung von fest angestelltem Personal auf ein Mindestmaß zu reduzieren, ist für die entleihenden Unternehmen zudem mit der Einführung von §§ 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 4, 9 Nr. 2 AÜG im Zuge der Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG unattraktiver geworden, weil die für die Leiharbeitnehmer geltenden, in der Regel wesentlich kostengünstigeren tariflichen Regelungen für solche Leiharbeitnehmer nicht gelten, die in den letzten sechs Monaten vor der Überlassung an den Entleiher in einem Arbeitsverhältnis zu diesem beschäftigt waren. Dadurch verringert sich der mit dem Ausgliedern von Stammpersonal verbundene Anreiz für den bisherigen Arbeitgeber vor allem zur Lohnkostenreduktion: Der sogenannte „Drehtüreffekt“ zu Lasten des ehemaligen Stammpersonals, das faktisch weiterhin dieselbe Tätigkeit allerdings zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen fahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, BT-Drs. 18/673; Baumgarten/Kvasnicka, Herausforderung Zeitarbeit, S. 12. 9 BT-Drs. 17/4804, S. 7. 10 Landmann/Thode, Herausforderung Zeitarbeit, S. 4. 11 Baumgarten/Kvasnicka, Herausforderung Zeitarbeit, S. 12. 12 Neunter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – AÜG – sowie über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung – BillBG (BT-Drs. 14/4220, S. 10). 13 So jedenfalls der Neunte Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – AÜG – sowie über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung – BillBG (BT-Drs. 14/4220, S. 28).
II. Arbeitnehmerüberlassung als anerkanntes personalpolitisches Instrument27
verrichtet, wird verhindert und abgemildert14, weil abweichende tarifliche Regelungen für diese Leiharbeitnehmer nicht gelten. Die Leiharbeitnehmer werden stattdessen nach der gesetzgeberischen Konzeption grundsätzlich dem Gebot „Equal Pay“ und „Equal Treatment“ entsprechend zu den gleichen Arbeitsbedingungen beschäftigt wie das Stammpersonal des Entleihers, so dass sich hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, vor allem der Lohnbedingungen, für das entleihende Unternehmen keine wesentlichen wirtschaftlichen Vorteile ergeben.15 Hinzu kommt, dass mit der Einführung einer flächendeckenden Lohnuntergrenze durch die Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales16 nach § 3a Abs. 2 AÜG der Spielraum für kollektivrechtliche Regelungen mit Dumpinglohnniveau eingeschränkt worden ist, auch wenn weiterhin kollektivvertragliche Gestaltungsspielräume für die Kostengestaltung bei der Arbeitnehmerüberlassung bestehen bleiben, etwa bezüglich Prämien, Erfolgsbeteiligungen, übertariflichen Zulagen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld oder Zuschüssen etwa zur Verpflegung oder zur Betriebsrente. Die sonstigen mit dem Einsatz von Leiharbeitskräften verknüpften Vorteile vor allem in Bezug auf eine flexibel gestaltbare Personalstruktur bleiben daneben erhalten.
II. Die Arbeitnehmerüberlassung als anerkanntes personalpolitisches Instrument Sowohl der Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung haben das Instrument der Arbeitnehmerüberlassung nach einer nahezu einhundertjährigen Entwicklung zur heutigen Form der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung als legitimes Mittel der Personalpolitik anerkannt.17 Dem Bundesarbeitsgericht zufolge ist die Arbeitnehmerüberlassung spätestens seit deren Liberalisierung ab dem 1.1.2003 durch die sogenannten Hartz-Reformgesetze ein 14 BT-Drs.
17/4804, S. 1, 9. Sonderfall beschreiben kritisch Jessolat/Krieger, S. 60 ff., in welchem eine Kombination aus Betriebsübergang und anschließender Arbeitnehmerüberlassung an ein Tochterunternehmen als Modell zur Personalkostenreduktion zur Anwendung kam und vom LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.02.2012 – Az. 10 Sa 99/11, als zulässige Personalstrukturgestaltung angesehen wurde; das Landesarbeitsgericht sah darin vor allem keinen Umgehungstatbestand. 16 So regelt die mittlerweile Dritte Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung vom 26.5.2017 (BAnz. AT 31.5.2017 V1) die Lohnuntergrenze im Bereich er unechten Arbeitnehmerüberlassung. 17 BT-Drs. 17/4804, S. 7: „Die Arbeitnehmerüberlassung leistet einen wichtigen Beitrag dazu, dass die positive wirtschaftliche Entwicklung schnell in neue Beschäftigungschancen umgesetzt wird. Gleichzeitig ist die Arbeitnehmerüberlassung ein wichtiges Instrument für die Unternehmen, die durch die Nutzung flexibel auf Nachfragespitzen oder Auftragsflauten reagieren können.“ Hamann, NZS 1995, 493. 15 Einen
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B. Die arbeitsmarktpolitische Relevanz der Arbeitnehmerüberlassung
mittlerweile vom Gesetzgeber „grundsätzlich akzeptiertes Mittel der betrieblichen Personalpolitik“.18 Die Nutzung der Arbeitskraft von Leiharbeitnehmern ist aber auch in der Personalpolitik vieler Unternehmen ein mittlerweile fester Bestandteil ihrer Personalstruktur und wird als flexible, externe Reserve für den akuten und kurzfristigen Bedarf an Personal und zur Abdeckung von Leistungsspitzen genutzt.19 Die entleihenden Unternehmen greifen auch bei sonstigen personellen Engpässen, bedingt durch zum Beispiel eine unerwartete Vertragsbeendigung eines Stammarbeitnehmers, aufgrund von Urlaub, Krankheit oder Mutterschutz, auf Leiharbeitnehmer zurück. Für entleihende Unternehmen besteht ein großer Vorteil darin, eine Aufstockung der Stammbelegschaft, die langfristig zwar nicht beabsichtigt, wegen des Kündigungs- und Befristungsschutzes der Arbeitnehmer aber unter Umständen nicht vermeidbar ist, zu umgehen.20 Der Entleiher nutzt somit das wirtschaftliche Potential der Arbeitskraft der Leiharbeitnehmer, ohne die typischen mit der Personalbeschäftigung verbundenen Kosten und Risiken eines Arbeitgebers tragen zu müssen, weil die für die beim Entleiher angestellte Stammbelegschaft geltenden Befristungs- und Kündigungsschutznormen dabei keine Anwendung auf die entliehenen Arbeitnehmer finden. Nach dem geltenden arbeitsrechtlichen Arbeitnehmer- und -geberbegriff sind diese Arbeitnehmer des Verleihers und nicht des Entleihers, weshalb den Entleiher auch nicht die typischen Arbeitgeberpflichten etwa auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder während des Urlaubs des Leiharbeitnehmers wie auch sonstige, zum Sozialschutz von Arbeitnehmern verpflichtende Regelungen treffen.21 Es bestehen stattdessen nur partielle, das Rechtsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer betreffende Pflichten, etwa im Hinblick auf das tarifdispositive Schlechterstellungsverbot, auf Mitwirkungs- und Beschwerderechte nach § 14 Abs. 2 S. 3 AÜG i. V. m. §§ 81, 82, 84 bis 86 BetrVG, hinsichtlich der Beachtung des Benachteiligungsverbots nach § 6 Abs. 2 S. 2 AGG oder im Hinblick auf die aktive Wahlberechtigung zum Betriebsrat nach § 7 BetrVG.22 18 BAGE
109, 81, 86. Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – AÜG – sowie über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung – BillBG (BT-Drs. 14/4220, S. 14). Siehe auch den Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Wirkung der Umsetzung der Vorschläge der Kommission Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt: Die Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, 2006, S. 197. 20 Rieble/Klebeck, NZA 2003, 23; Waltermann, NZA 2010, 482. 21 Schüren/Hamann4, AÜG, Einl. Rdn. 109; Vial/Walzel, S. 30; Reinsch, Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 24. 22 Zu der noch immer diskutierten, hier aber nicht eingehender untersuchten Frage nach dem Inhalt und der Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher ausführlich Schüren/Hamann4, AÜG, Einl. Rdn. 113 ff., 129 ff. 19 Neunter
III. Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung in kirchlicher Daseinsfürsorge29
Die Leiharbeit ist zudem in den Geschäftsbereichen attraktiv, in denen von vornherein Arbeitnehmer nur für eine bestimmte kürzere Zeit benötigt werden, zum Beispiel bei Saisonarbeiten. Der kurzfristige Einsatz von externen Leiharbeitnehmern führt dabei zu einer Verminderung von Organisationsund Personalkosten für die Rekrutierung und Beschäftigung von Arbeitnehmern beim entleihenden Unternehmen. Diese Kosten trägt stattdessen regelmäßig der Verleiher, der aufgrund zumeist längerfristiger Anstellungsverhältnisse mit den bei ihm beschäftigten Leiharbeitnehmern die Kosten für den Zeitraum der Überlassung wie auch für Zeiten ohne Überlassung besser kalkulieren kann.23 Zudem trägt der Verleiher in größerem Maße das Risiko, fachlich hinreichend qualifizierte Leiharbeitnehmer aus dem potentiellen Bewerberkries auszuwählen und einzustellen.24 Auch für Arbeitnehmer bieten sich – trotz etwaiger vom „Equal Pay- / Equal Treatment“-Grundsatz zu ihren Ungunsten abweichender Tarifbedingungen – durch die Beschäftigung bei einem Leiharbeitgeber und im variablen Einsatz bei verschiedenen Entleihern gegenüber der Beschäftigung in einem klassischen Arbeitgeber- / Arbeitnehmerverhältnis durchaus Vorteile, etwa weil gering qualifizierte Arbeitnehmer trotz der hohen Anforderungen an deren Flexibilität und wegen gegebenenfalls größerer Schwierigkeiten, sich dauerhaft in den Arbeitsmarkt integrieren zu können, eine dauerhafte arbeitsvertragliche Bindung zum Verleiher erhalten, in der jedenfalls gegenüber dem Verleiher als Arbeitgeber der übliche Arbeitnehmerschutz besteht.25 Persönliche Umstände wie das Interesse an flexiblen Einsatzzeiten und -orten können der Motivation von Arbeitnehmern zudem eher entsprechen als eine Dauerstellung.26
III. Die Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung in der kirchlichen Daseinsfürsorge Auch für kirchliche, vor allem caritative und diakonische Arbeitgeber ist die Arbeitnehmerüberlassung ebenfalls ein immer attraktiver werdendes Modell zur Flexibilisierung, Kostensenkung und Verschlankung ihrer Personalstrukturen geworden. Die diakonischen und caritativen Anbieter von sozialen Dienstleistungen stehen unter einem stetig steigenden Kosten- und Wettbewerbsdruck durch konkurrierende Sozialdienstleister und eine zunehmende Preisgabe des Prinzips der Kostendeckung staatlicher Erstattungen im Sozialund Gesundheitswesen, der zu einer immer intensiveren Suche nach Alterna23 Reinsch,
Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 24. Thüsing3, AÜG, Einf. Rdn. 10; Rieble/Klebeck, NZA 2003, 23. 25 Reinsch, Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 26. 26 Reinsch, Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 25. 24 Dazu
30
B. Die arbeitsmarktpolitische Relevanz der Arbeitnehmerüberlassung
tiven zu den für den kirchlichen Lohnsektor ganz überwiegend geltenden und häufig als „zu teuer“ empfundenen Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes und Arbeitsvertragsrichtlinien für die Einrichtungen der Diakonie zwingt.27 Deshalb hat sich seit dem Zeitpunkt der Flexibilisierung der Arbeitnehmerüberlassung ab dem Jahr 2002 immer stärker auch im kirchlichen Arbeitsrecht das Phänomen der „Tarifflucht“28 gezeigt, um den häufig als unwirtschaftlich empfundenen Arbeitsbedingungen der kircheninternen Entgeltregelungen, zuvorderst der Arbeitsvertragsrichtlinien, zu entgehen. Schließlich unterfallen die Personaldienstleister nicht dem Anwendungsbereich der beim Entleiher geltenden Tarifverträge oder sonstigen Arbeitsbedingungen.29 Darüber hinaus müssen – allerdings nicht nur die kirchlichen – Anbieter von Sozialdienstleistungen für den prognostizierten Zeitraum bis zum Jahr 2050 mit einer Verdopplung der Hilfebedürftigen im Kranken- und Pflegebereich bei gleichzeitiger Verringerung der finanziellen Mittel und mit einem stetig wachsenden Mangel an verfügbaren Fachkräften in nahezu allen Berufszweigen der sozialen Dienste rechnen.30 Die kirchlichen Unternehmen müssen sich demnach immer mehr in der Dichotomie eines kontinuierlich steigenden Bedarfs an sozialen Dienstleistungen und an geeignetem Fachpersonal sowie einer immer stärkeren ökonomischen Rationalisierung behaupten, ohne dass ihnen dabei eine etwaige Monopolstellung im sozialen Dienstleistungssektor entscheidende Vorteile gegenüber sonstigen Anbietern sozialer Dienstleitungen brächte. Neben den in der Sozialwirtschaft gängigen Rationalisierungs- und Kostensenkungsprogrammen im Personalbereich wie tariflichen Ausdifferenzierungen oder Ausgliederungen von Betriebsteilen oder Tätigkeitsfeldern in eigene Tochterunternehmen oder vollständig in externe Dienstleistungsgesellschaften kommen im kirchlichen Bereich dafür neben der sogenannten „echten“ Arbeitnehmerüberlassung auch noch die Gestellung31 und die „unechte“ Arbeitnehmerüberlassung in Betracht.32 27 Joussen, ZMV-Sonderheft 2007, 24. Eine kritische Betrachtung liefert auch Bartl, diakonie-unternehmen, 2/2012, S. 9 ff. 28 Tillmanns, NZA 2013, 178, 179; Riechert/Stomps, NZA 2012, 707, 711; Baumann-Czichon, AuK 2006, 47. 29 BAGE 87, 257 = SAE 1999, 176 mit Anmerkung D. W. Belling; Schaub/Koch, ArbR-Hdb. § 120, Rdn. 92; Wagner, S. 58 f. 30 Idler, diakonie-unternehmen, 2/2011, S. 28, 30; Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Demografischer Wandel in Deutschland, Heft 2 – Auswirkungen auf Krankenhausbehandlungen und Pflegebedürftige im Bund und in den Ländern, 2010, S. 29 f., online abrufbar unter www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoel kerung/DemografischerWandel/KrankenhausbehandlungPflegebeduerftige587110210 9004.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. 31 Zur Rechtsstellung von Ordensmitgliedern, diakonischen Gemeinschaften und DRK-Schwestern siehe ausführlich Thiel, ZMV 2000, 162. Die Frage, ob Ordensmit-
III. Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung in kirchlicher Daseinsfürsorge31
Repräsentative statistische Erhebungen über die Ausgliederung von Stammpersonal in eigene oder vollständig externe Dienstleistungsunternehmen existieren für den Bereich der Diakonie und den Bereich der Caritas bislang nicht. Bisher durchgeführte Umfragen bei Mitarbeitervertretungen und ausgewählten Vertretern in allen landeskirchlichen Diakonischen Werken, die Auswertung von Geschäftsberichten und Statistiken sowie Befragungen bei den Mitgliedseinrichtungen des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Diakonie Rheinland / Westfalen / Lippe und des Verbands diakonischer Dienstgeber in Deutschland zeigen indes in der Tendenz einhellig – wenn auch im Detail mit teilweise divergierenden Fallzahlen –, dass im diakonischen Sozialbereich Ausgliederungen bestimmter Arbeitsbereiche flächendeckend erfolgen und die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung zu den üblichen Praktiken in der Strukturierung des Personalbedarfs gehören, auch wenn die Personalüberlassung anders als Ausgliederungen nicht flächendeckend erfolgt.33 Nach den Eigenangaben der Verbände im Rahmen der nicht repräsentativen Befragungen werden EKD-weit für die Zeitarbeit in etwa knapp über 70 Prozent spezielle Tarifverträge, im Übrigen überwiegend kirchlich-diakonische Kollektivregelungen angewandt.34 glieder als Vereinsmitglieder Arbeitnehmer im Sinn des AÜG sind und damit in den personellen Anwendungsbereich der Arbeitnehmerüberlassungsregelungen fallen – vor allem im Hinblick auf die nur „vorübergehende“ Überlassung – hat das Bundesarbeitsgericht (BAGE 151, 131) dem Europäischen Gerichtshof mit der Rechtssache C-216/15 [Betriebsrat Ruhrlandkliniken] zur Entscheidung vorgelegt. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 17.11.2016 – Az. C-216/15 = NZG 2016, 1432, dazu ausgeführt, dass auch solche Personen in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/104/EG fallen, die als Vereinsmitglied ohne arbeitsvertragliche Grundlage in einem Drittbetrieb weisungsabhängig tätig und dort eingegliedert sind. Das Bundes arbeitsgericht hat sich mit Beschluss vom 21.2.2017 – Az. 1 ABR 62/12, dieser Rechtsauffassung angeschlossen. Nach dieser Entscheidung unterfallen Ordensschwestern, Diakonissen usw. entgegen der bisherigen BAG-Rechtsprechung dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/104/EG sowie des AÜG, so dass auch das Instrument der Gestellung im innerkirchlichen Bereich nicht mehr rechtssicher praktizierbar ist. Den betreffenden Vereinen und Verbänden ist in diesem Fall jedenfalls dazu zu raten, eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis zu beantragen und den Einsatz ihrer Mitglieder in den Einsatzbetrieben vorsorglich an den Regeln des AÜG auszurichten. 32 Allein letztere ist Arbeitnehmerüberlassung im Sinn des AÜG, wobei die terminologische Differenzierung mit der Neufassung von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG, namentlich durch die Ersetzung des Merkmals „gewerbsmäßig“ durch das Merkmal „wirtschaftliche Betätigung“ im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2008/104/EG, hinfällig geworden sein dürfte. Zumindest aber hat die Abgrenzung der „echten“ von der „unechten“ Arbeitnehmerüberlassung signifikant an Trennschärfe verloren. 33 Dahme/Kühnlein/Stefaniak/Wohlfahrt, Leiharbeit und Ausgliederung, S. 92 f.; Döring, Arbeitsverhältnisse in der Diakonie, S. 3 ff. 34 Döring, Arbeitsverhältnisse in der Diakonie, S. 6.
32
B. Die arbeitsmarktpolitische Relevanz der Arbeitnehmerüberlassung
Die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich auf ihrer 11. Synode im November 2011 mit der Entwicklung von Zeit- und Leiharbeit befasst und nachdrücklich gegen das Outsourcing von Stammpersonal und die damit vorrangig beabsichtigten Kostensenkungen vor allem im Lohnbereich, gegen ersetzende Leiharbeit und nicht hinnehmbare Niedriglöhne ausgesprochen und zugleich empfohlen, auf diakonische Unternehmen, die über arbeitsrechtliche Konstruktionen in den sogenannten Ersten Weg ausweichen wollen, mit abgestuften Konsequenzen wie Beratung, Ermahnung, Abmahnung bis zum Ausschluss aus dem jeweiligen kirchlichen Werk einzuwirken.35 Auch die Katholische Kirche reagierte auf diese Entwicklung und schreibt den Rechtsträgern, die der Gesetzgebungsgewalt des Ortsbischofs unterliegen, die Anwendung der Grundordnung in Art. 2 Abs. 1 Grundordnung verbindlich vor. Kirchliche Rechtsträger, die nicht der Gesetzgebungsgewalt des Ortsbischofs unterliegen, müssen nach Art. 2 Abs. 2 Grundordnung seit dem 31.12.2013 die Grundordnung verbindlich in ihr Statut implementieren und anwenden36, anderenfalls sollen sie im Hinblick auf die arbeitsrechtlichen Beziehungen nicht mehr am Selbstverwaltungsrecht der Kirchen gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV teilhaben, wobei keine vollständige Trennung von diesen Einrichtungen, sondern lediglich ein Verweis in das weltliche Arbeitsrecht bei gleichzeitigem Ausschluss von der Teilhabe an den Arbeitsrechtsregelungen des Dritten Wegs die Folge ist.37 Die kirchenrechtlichen und arbeitsrechtlichen Konsequenzen aus diesen Erklärungen sind indes zumindest zweifelhaft, sollen jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht näher betrachtet werden.38 Die Evangelische Kirche und die Katholische Kirche und die ihnen zugeordneten Einrichtungen und Werke beschäftigen in Deutschland zusammen etwa 1,4 Millionen sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter.39 Nach An gaben der Evangelischen Kirche in Deutschland waren im Jahr 2011 etwa 35 11. Synode der EKD, Kundgebung: „Zehn Forderungen zur solidarischen Ausgestaltung des kirchlichen Arbeitsrechts“ vom 9.11.2011, dort unter Punkt 6, online abrufbar unter http://www.ekd.de/synode2011/beschluesse/beschluss_XI_4_kundge bung_ausgestaltung_kirchliche_arbeitsrecht.html, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. In der EKD-Denkschrift „Solidarität und Selbstbestimmung im Wandel der Arbeitswelt“, S. 108 f., wird dieses Anliegen nochmals aufgegriffen und bekräftigt. 36 Tillmanns, NZA 2013, 178, 179. 37 Zu der zum 1.3.2013 neu verkündeten Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse ausführlich Tillmanns, NZA 2013, 178. 38 Zu den Bedenken vor allem gegen einen Ausschluss kirchlicher Einrichtungen aus staatskirchenrechtlicher Sicht ausführlich Tillmanns, NZA 2013, 178, 179 ff. 39 Stellungnahme des DGB zur BT-Drs. 17/5523 „Grundrechte der Beschäftigten von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen stärken“, S. 3, online abrufbar unter http://www.dgb.de/themen/++co++f24ccf84-7726-11e1-7846-00188b4dc422, zuletzt abgerufen am 21.1.2018.
III. Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung in kirchlicher Daseinsfürsorge33
8 Prozent der in diakonischen Einrichtungen Beschäftigten im Wege der „unechten“ Arbeitnehmerüberlassung tätig.40 Schätzungen nichtkirchlicher Stellen gehen sogar von bis zu 17 Prozent Anteil von Arbeitnehmern an der Belegschaft aus, die in kirchlichen Einrichtungen im Wege der Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt waren und sind.41 Der Einsatz von Leiharbeitnehmern betrifft dabei mittlerweile alle Berufsgruppen, das heißt Arbeitnehmerüberlassung erfolgt nicht allein oder überwiegend mittels ausgelagerter Dienstleistungs- und Servicegesellschaften im „patientenfernen“ Bereich für den Betrieb von zum Beispiel Küchen, Technischem Dienst, EDV oder Gebäudereinigung, sondern auch in „patientennahen“ Berufs- und Tätigkeitsfeldern wie zum Beispiel in der ambulanten Pflege, bei Sozialdiensten, Kranken- und Pflegepersonal, im therapeutischen Bereich bis hin zu den ärztlichen Berufen.42 Der Einsatz von Leiharbeitnehmern in caritativen und diakonischen Einrichtungen und Unternehmen wirft dabei verschiedene arbeitsrechtliche, den individuellen Leiharbeitnehmer wie auch die Belegschaft des Entleihbetriebs betreffende Fragen auf, zuvorderst die Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeit von Arbeitnehmerüberlassung im kirchlichen Dienst wie auch nach den Grenzen der Arbeitnehmerüberlassung, nach den Auswirkungen auf die Loyalitätsobliegenheiten der Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb bis hin zu den kollektiv-rechtlichen Mitbestimmungsrechten der Mitarbeitervertretungen zum Einsatz von Leiharbeitnehmern in der jeweiligen caritativen und diakonischen Einrichtung. Der Kirchengerichtshof der EKD hat in seinen drei Beschlüssen vom 9.10.2006, 2.4.2008 und 25.8.2014 zur Frage der Mitbestimmung der Mitarbeitervertretung zum Einsatz von Leiharbeitnehmern in der Weise Stellung genommen, dass er den Einsatz von Leiharbeitnehmern in diakonischen Einrichtungen zwar für grundsätzlich zulässig erachtet, der Einsatz aber nicht dazu führen darf, dass Stammpersonal dauerhaft substituiert und die in den Dienststellen vorhandene Dienstgemeinschaft dadurch gestört oder sogar aufgehoben wird.43 Von der Festlegung einer festen zeitlichen Grenze für die Dauer der Arbeitnehmerüberlassung in kirchlichen Einrichtungen hat der Kirchengerichtshof der EKD in seinem Beschluss vom 9.10.2006 ausdrücklich abgesehen. Den Einsatz einer Leiharbeitnehmerin in derselben Dienststelle für einen Zeitraum von zwei Jahren hielt er jedoch für mit dem Leitbild der Dienstgemeinschaft nicht mehr vereinbar.44 40 Bognanni,
in: Stern 3/2011, S. 71. in: Stern 3/2011, S. 71. 42 Richartz, ZMV 2011, 138, 139. 43 KGH.EKD, Beschlüsse vom 9.10.2006, Az. II-0124/M 35-06 = NZA 2007, 761, und vom 2.4.2008, Az. II-0124/N72-07 sowie vom 25.8.2014, Az. II-0124/W10-14. 44 KGH.EKD, Beschluss vom 9.10.2006, Az. II-0124/M 35-06 = NZA 2007, 761. 41 Bognanni,
34
B. Die arbeitsmarktpolitische Relevanz der Arbeitnehmerüberlassung
Der für den katholischen Bereich zuständige Kirchliche Arbeitsgerichtshof hatte sich ebenfalls mit der Problematik der Mitbestimmung der Mitarbeitervertretung bei der Einstellung von Leiharbeitnehmern zu befassen, konnte indes in seiner Urteilsentscheidung vom 27.11.2007 letztlich die Fragen der Zulässigkeit und zu den Grenzen der Arbeitnehmerüberlassung im caritativen Bereich offen lassen, weil sich das Zustimmungsrecht der Mitarbeitervertretung auf die Einstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erstreckte, die nach § 3 Abs. 1 S. 2 MAVO ausdrücklich nicht unter den Mitarbeiterbegriff fielen.45 Gegenüber den tragenden Entscheidungsgründen des Kirchengerichtshofs der EKD zeigte sich der Kirchliche Arbeitsgerichtshof allerdings aufgeschlossen.46 Spätestens seit den Entscheidungen des Kirchengerichtshofs der EKD und des Kirchlichen Arbeitsgerichtshofs ist die innerkirchliche wie auch die arbeits- und kirchenrechtliche Fachdiskussion um den Einsatz von Leiharbeitnehmern in diakonischen und caritativen Unternehmen und Einrichtungen voll zum Leben erwacht.47 Vor allem die Entscheidungen des Kirchengerichtshofs der EKD haben neben Zustimmung auch ablehnende Kritik erfahren. Auch wenn an der Beibehaltung des Dritten Wegs selbst als maßgeblichem Verfahren für die Arbeitsrechtssetzung in der Kirche, Diakonie und Caritas wie auch an den auf dem Dritten Weg zustande gekommenen Arbeitsrechtsregelungen grundsätzlich festgehalten werden soll48, wird jedenfalls im Hinblick auf den 45 KAGH, Urteil vom 27.11.2009 – Az. M 06/09 = ZMV 2010, 37. Ein Zustimmungsrecht der Mitarbeitervertretung für die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern ist mittlerweile in § 34 Abs. 1 Satz 2 MAVO aufgenommen worden. Die Zustimmung kann verweigert werden, wenn die Arbeitnehmerüberlassung länger als sechs Monate erfolgen soll, § 34 Abs. 2 Nr. 3 MAVO. 46 KAGH, Urteil vom 27.11.2009 – Az. M 06/09 = ZMV 2010, 37; siehe dazu auch Richardi, NZA 2011, 1185, 1188. 47 Richartz, ZMV 2011, 138; Schwarz-Seeberger, ZMV 2011, 141; Reichenbach, ZMV-Sonderheft 2009, 36; Preis, ZMV-Sonderheft 2009, 14; Dütz, ZMV-Sonderheft 2007, 9; Joussen, ZMV-Sonderheft 2007, 24; Wild, ZMV-Sonderheft 2007, 63; Winter, ZMV-Sonderheft 2007, 61; Fuhrmann, KuR 2005, 219; grundsätzlich zu der Frage des Einsatzes von Leiharbeitnehmern zur Tarifumgehung Brors/Schüren, BB 2004, 2745; Melms/Lipinski, BB 2004, 2409; Willemsen/Annuß, BB 2005, 437; Lambrich/Trappehl, Tarifflucht, S. 127 ff. 48 Das als Reaktion auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.11.2012, BAGE 143, 354 = NZA 2013, 448, zur verfassungsrechtlichen Legitimation des Dritten Wegs anlässlich der 11. Synode der EKD erlassene Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz der EKD (ARGG-EKD) vom 13.11.2013 (ABl. EKD 2013, S. 420) sieht nun zwar eine stärkere strukturelle Einbindung der Gewerkschaften bei der nun als grundsätzlich zulässig erachteten innerkirchlichen tarifvertraglichen Arbeitsrechtssetzung neben dem „klassischen“ Dritten Weg vor. Es wird jedoch von den Tarifvertragsparteien auch weiterhin die Einhaltung der generellen Friedenspflicht unter Ausschluss des Arbeitskampfs verlangt. Die Mittel des Arbeitskampfs sind nach
III. Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung in kirchlicher Daseinsfürsorge35
Einsatz von Leiharbeitnehmern in caritativen und diakonischen Einrichtungen ein weiterer Regelungsbedarf gesehen, etwa durch Verabschiedung eines Verhaltenskodex für den Einsatz von Leiharbeitnehmern: Leiharbeit soll danach nur zulässig sein, soweit sie nicht ersetzende Leiharbeit zur Umgehung kirchlicher und diakonischer Arbeitsrechtsregelungen ist.49 Ferner werden Fragen aufgeworfen nach dem Grund- und Eigenverständnis kirchlicher Einrichtungen, nach der Zuordnung von diakonischen und caritativen Einrichtungen zur Kirche, nach der Zulässigkeit von Ausgliederungen eigener Berufsgruppen in eigene oder fremde Dienstleistungsanbieter, nach der „Flucht“ diakonischer und caritativer Arbeitgeber aus den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen, vor allem aus den Arbeitsvertragsrichtlinien, in für den Arbeitgeber vermeintlich günstigere Entlohnungssysteme oder sogar Tarifverträge unter Aufgabe des Arbeitsrechtsregelungsverfahrens des Dritten Wegs, oder nach den Mitbestimmungsrechten der Mitarbeitervertretungen beim Einsatz von Leiharbeitnehmern. Die Evangelische Kirche in Deutschland geht in der Folge des Beschlusses des Kirchengerichtshofs der EKD vom 9.10.2006 davon aus, dass jedenfalls der langfristige oder sogar substituierende Einsatz von Leiharbeitskräften auf kirchlichen oder diakonischen Arbeitsplätzen gegen Kirchenrecht verstößt.50 Ähnlich sah es der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt der Evangelischen Kirche in Deutschland KDA-EKD in seinem Impulspapier „Leiharbeit auf dem Prüfstand“ aus dem Jahr 2009 und stellt dort unter anderem fest, dass Leiharbeit im kirchlichen Bereich als Dauerarbeitsverhältnis mit dem Gedanken der Dienstgemeinschaft nicht vereinbar ist.51 Insgesamt stehen damit der Inhalt und die Frage nach der Relevanz des überkommenen Begriffs der Dienstgemeinschaft wieder stärker im Fokus der Diskussion um den Einsatz von Leiharbeitnehmern. dem allen Arbeitsrechtsregelungsverfahren zugrundeliegenden Konsensprinzip insgesamt und während aller Phasen der kollektiven Vertragsbeziehungen zwischen der Dienstgeber- und -nehmerseite ausgeschlossen, siehe § 3 Satz 2 ARGG-EKD. 49 Bericht des Rates der EKD über die Weiterarbeit am Arbeitsrechtsregelungsänderungsgesetz anlässlich der 5. Tagung der 11. Synode der EKD im November 2012, These Nr. IX, S. 14, online abrufbar unter http://ekd.de/download/s12_iii_f_1_be richt_argg.pdf, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. 50 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Fragen und Antworten zum Arbeitsrecht der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie, Seite 14 (Punkt 21. Zusammenfassung, neunter Spiegelstrich), Mai 2011, online abrufbar unter http:// www.ekd.de/download/faq_arbeitsrecht_kirche_und_diakonie_20110707.pdf, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. 51 Impulspapier „Leiharbeit auf dem Prüfstand“ 2009, dort Forderung Nr. 9, S. 18; online abrufbar unter http://www.kwa-ekd.de/wp-content/uploads/2016/08/KDA-Im puls-2009_Leiharbeit_Nachdruck2012.pdf, zuletzt abgerufen am 21.1.2018.
C. Die gesetzlichen Grundlagen und die ökonomische Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung I. Die Genese des AÜG 1. Die Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung bis 1933 Die heutige Form der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung hat sich im 20. Jahrhundert herausgebildet.1 Unterschiedliche Formen der Stellenvermittlung existierten zwar bereits vor 1918, weil vor allem infolge der zunehmenden Industrialisierung und der Intensivierung der Landwirtschaft in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein erhöhter Bedarf an Vermittlungstätigkeit bestand.2 Damit einhergehende Missstände – vor allem wurden Arbeitgeber und Arbeitnehmer häufig zum Vertragsbruch verleitet, damit eine kostenpflichtige Neuvermittlung vorgenommen werden konnte – versuchte das Stellenvermittlungsgesetz vom 2.6.19103 reichseinheitlich durch Schaffung eines öffentlichen Arbeitsnachweises und durch staatliche Kontrollmaßnahmen zu beheben.4 Ein zu dieser Zeit bereits in Erwägung gezogenes Verbot der gewerbsmäßigen Stellenvermittlung scheiterte vor allem an dem damals noch unzulänglichen Ausbau der öffentlichen Arbeitsverwaltung.5 Durch das Arbeitsnachweisgesetz vom 22.7.19226 wurde die staatlich kontrollierte Stellenvermittlung eingeführt, indem eine staatliche Monopolstellung begründet und gemäß § 48 Abs. 1 Arbeitsnachweisgesetz jede gewerbsmäßige Stellenvermittlung untersagt wurde. Gleichzeitig nahm der Gesetzgeber die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung erstmals ausdrücklich in eine gesetzliche Regelung auf. Nach § 48 Abs. 5 Arbeitsnachweisgesetz „[galt] als gewerbsmäßige Stellenvermittlung … ferner die Zuweisung von Arbeitnehmern, deren Arbeitskraft der Zuweisende gewerbsmäßig dritten Personen für vorübergehende Beschäftigung zur Verfügung stellt, ohne selbst die Ausrüstung mit den erforderlichen Werkzeugen und die sozialen Versicherungslasten des Arbeitgebers für die vermittelten Personen zu übernehmen.“ 1 Witten,
S. 36; Hergarten, S. 9. Schüren/Hamann4, AÜG, Einl. Rdn. 22 ff. 3 RGBl. I S. 860. 4 Pieroth, S. 27. 5 Pieroth, S. 27. 6 RGBl. I, S. 657. 2 Ausführlich
I. Die Genese des AÜG37
Vom Verbot wurden somit neben der gewerblichen Stellenvermittlung auch Formen der Arbeitnehmervermittlung erfasst, die der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung recht ähnlich waren.7 Vom Verbot nicht erfasst war hingegen die Überlassung von Arbeitnehmern durch den Verleiher, wenn dieser die Ausrüstung mit den erforderlichen Werkzeugen und die sozialen Versicherungslasten des Arbeitgebers für die vermittelten Personen, also typische Arbeitgeberlasten, übernahm. Die Arbeitnehmerüberlassung im heutigen Sinne – das heißt, die abgesicherte Dauerbeschäftigung beim Verleiher und die Erbringung der Arbeitsleistung bei wechselnden Entleihern – war gesetzlich nicht beschränkt.8 Das dem Arbeitsnachweisgesetz nachfolgende Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 16.7.19279 enthielt in § 54 Abs. 3 eine § 48 Abs. 5 Arbeitsnachweisgesetz nachempfundene Regelung zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung. Die der Stellenvermittlung ähnliche Arbeitnehmerüberlassung wurde weiterhin als verbotene Stellenvermittlung fingiert und blieb somit der gewerbsmäßigen Stellenvermittlung gleichgestellt und damit verboten.10 Die Arbeitnehmerüberlassung im heutigen Sinn blieb hingegen weiterhin erlaubt. Durch die Dritte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzierung und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 6.10.193111 wurde zunächst klargestellt, dass eine zulässige gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung voraussetzt, dass der Stellenvermittler selbst Arbeitgeber des zugewiesenen Arbeitnehmers ist.12 Differenziert wurde danach, ob der Verleiher zugleich Arbeitgeber des überlassenen Arbeitnehmers war oder nicht: Nur im ersten Fall war die Arbeitnehmerüberlassung erlaubt. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass der Verleiher wirklich Arbeitgeber des überlassenen Arbeitnehmers war, also alle typischen Arbeitgeberrisiken und -pflichten übernahm.13 Praktische Bedeutung erlangte die Arbeitnehmerüberlassung im heutigen Sinne allerdings nur in sehr engen S. 9 m. w. N.; Pieroth, S. 28; Schüren/Hamann4, AÜG, Einl. Rdn. 33. AÜG, Einl. Rdn. 33. 9 RGBl. I, S. 187. 10 § 55 Abs. 1 AVAVG; Pieroth, S. 28. 11 RGBl. I S. 537, 541 – Zweiter Teil, Art. 1, Nr. 1 dieser Verordnung. 12 Nach Art. 1, Nr. 1 des Zweiten Teils der Dritten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzierung und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen wurde die gewerbsmäßige Stellenvermittlung als dem staatlichen Vermittlungsmonopol widersprechend verboten, wenn der Zuweisende gewerbsmäßig die Arbeitskraft von Arbeitnehmern dritten Personen zur Verfügung stellt, „ohne selbst Arbeitgeber der Zugewiesenen sein“. 13 Pieroth, S. 29. 7 Hergarten,
8 Schüren/Hamann4,
38
C. Die gesetzlichen Grundlagen und die ökonomische Bedeutung
Grenzen, vor allem in der Montanindustrie, teilweise im Baugewerbe und in Saisonbetrieben.14 2. Die historische Entwicklung der Kodifikation der Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland von 1933 bis 1945 Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme änderte sich an der bis dahin bestehenden Rechtslage zunächst nichts. Das Gesetz über Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung vom 5.11.193515 stellte in § 1 Abs. 1 lediglich klar, dass die Arbeitsvermittlung nur von der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung betrieben werden durfte. Nach § 1 Abs. 3 des Gesetzes konnte der Reichsarbeitsminister im Zusammenwirken mit dem Präsidenten der Reichsanstalt die (gewerbsmäßige) Arbeitsvermittlung für einzelne Berufe durch andere Organisationen zulassen. Aufgrund § 4 Abs. 2 Nr. 1 der Durchführungsverordnung vom 26.11.193516, zu deren Erlass § 3 des Gesetzes den Reichsarbeitsminister ermächtigte, trat § 54 AVAVG außer Kraft, womit die Einbeziehung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung in die Arbeitsvermittlung zugleich entfiel.17 Die gewerbliche Überlassung von Arbeitnehmern galt jedoch als „asozial“ und ideologisch bedenklich.18 Sie widersprach der „nationalsozialistischen Auffassung des Arbeitsverhältnisses als eines auf der gegenseitigen Treuepflicht beruhenden Führer- und Gefolgschaftsverhältnisses“, weil „bei dem Aufnahmebetrieb trotz tatsächlicher Einreihung in die Gefolgschaft rechtlich ein Gefolgschaftsverhältnis nicht zustande [komme]“.19 Hinzu traten finanzielle Erwägungen, weil durch die Erhöhung der Betriebskosten für ausgeliehene Arbeitskräfte beim entleihenden Unternehmen eine Verteuerung der Herstellungskosten für „kriegswichtige“ Erzeugnisse und Bauvorhaben befürchtet wurde. Mit Erlass des Reichsarbeitsministers vom 20.12.194120 wurden die Arbeitsämter schließlich angewiesen, das Ausleihen von Arbeitskräften mit den Mitteln der Verordnung über die Beschränkung des Arbeitsplatzwechsels vom 1.9.1939 zu unterbinden. Es sollte darauf hingewirkt werden, dass die Arbeitnehmer grundsätzlich unmittelbar mit dem EntleiherS. 8 ff.; Witten, S. 36; Schüren/Hamann4, AÜG, Einl. Rdn. 38. 15 RGBl. I, S. 1281. 16 RGBl. I, S. 1361. 17 Hergarten, S. 9; Witten, S. 36 f. 18 Schüren/Hamann4, AÜG, Einl. Rdn. 40. 19 So noch Sturn, RABl. 1942 V, S. 235, welcher solcherlei Bedenken nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4.4.1967 nicht mehr hatte, auch wenn in Teilen der Öffentlichkeit das Verleihen von Arbeitskräften weiterhin als anstößig oder gar sittenwidrig empfunden wurde, Sturn, BB 1969, 1436. 20 RABl. I, S. 6. 14 Theuersbacher,
I. Die Genese des AÜG39
betrieb zumindest befristete Arbeitsverhältnisse begründeten. Die Auswirkungen dieser neuen Rechtslage waren hingegen gering, weil der damalige Arbeitsmarkt ohnehin nicht mehr privatwirtschaftlich organisiert war, sondern durch gesetzliche Regelungen über Dienstverpflichtung, Arbeit und Arbeitseinsatz bestimmt wurde.21 Auf diesem Erlass vom 20.12.1941 beruhte das auch nach dem Jahr 1945 zunächst fortgeltende Verbot der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland.22 3. Die gesetzgeberische Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland nach 1945 In der unmittelbaren Nachkriegszeit erfolgte bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23.5.1949 eine Zwangsbewirtschaftung des Arbeitsmarkts, die die private Stellensuche oder Arbeitskräftewerbung untersagte.23 Eine gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung war demnach untersagt. Mit der Errichtung der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung im Jahr 195224 wurde die Arbeitsvermittlung zunächst bundeseinheitlich organisiert. Durch das Gesetz über die Wiederaufnahme der nicht-gewerbsmäßigen Arbeitsvermittlung durch die Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege vom 9.7.195425 wurde der rechtmäßige Status solcher Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, die bis zum 31.1.1933 erlaubterweise nichtgewerbliche Arbeitsvermittlung betrieben hatten, aber aufgrund von Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes einstellen mussten, wiederhergestellt. Mit der Neufassung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 3.4.195726 wurde die gewerbsmäßige Arbeitnehmer überlassung, sofern deren Zweck ausschließlich darin bestand, die Arbeitskraft von Arbeitnehmern regelmäßig dritten Personen für eine Beschäftigung zur Verfügung zu stellen, der dem staatlichen Vermittlungsmonopol unterliegenden Arbeitsvermittlung gleichgestellt und damit untersagt, § 37 Abs. 3 AVAVG.27 Die Neuregelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung knüpfte somit an die Rechtslage nach dem Erlass des Reichsarbeitsministers 21 Pieroth,
S. 29; Witten, S. 36 f. AÜG, Einl. Rdn. 41. 23 Pieroth, S. 29 f.; Schüren/Hamann4, AÜG, Einl. Rdn. 42. 24 BGBl. I, S. 123. 25 BGBl. I, S. 179. 26 BGBl. I, S. 321. 27 § 37 Abs. 3 AVAVG lautete: „Als Arbeitsvermittlung gilt ferner die Zuweisung von Arbeitnehmern, deren Arbeitskraft der Zuweisende regelmäßig dritten Personen für eine Beschäftigung zur Verfügung stellt, ohne selbst die Arbeit auf eigene Rechnung ausführen zu lassen und ohne selbst die Ausrüstung mit den erforderlichen Werkzeugen für die zugewiesenen Arbeitskräfte zu übernehmen.“ 22 Schüren/Hamann4,
40
C. Die gesetzlichen Grundlagen und die ökonomische Bedeutung
vom 20.12.1941 an. Verstöße gegen die der staatlichen Arbeitsvermittlung gleichgestellte gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung waren darüber hinaus strafbewehrt.28 Mit seiner Entscheidung vom 4.4.196729 erklärte das Bundesverfassungsgericht § 37 Abs. 3 AVAVG für nichtig und bahnte somit den Weg für die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung im Sinne von § 1 Abs. 1 AÜG.30 Andererseits hatte das Bundesverfassungsgericht in einer vorangegangenen Entscheidung das staatliche Arbeitsvermittlungsmonopol und den damit einhergehenden Ausschluss der freien Wahl des Berufs des selbständigen Arbeitsvermittlers noch als verfassungsgemäß angesehen.31 Mit seiner Entscheidung vom 4.4.1967 erkannte das Bundesverfassungsgericht jedoch relevante Unterschiede zwischen dem arbeitsmarktsteuernden Instrument der Arbeitsvermittlung und der bloßen Arbeitnehmerüberlassung und grenzte beide arbeitsmarktpolitischen Instrumente sachlich scharf voneinander ab, freilich mit dem Hinweis versehen, dass in der Praxis die bestehenden Unterschiede mitunter nicht ohne Weiteres erkennbar sind. Die Anerkennung der Verfassungsgemäßheit der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung führte schnell zu einer wachsenden Zahl an Zeitarbeitsunternehmen. Bereits kurz nach der Nichtigerklärung von § 37 Abs. 3 AVAVG wurden 950 Zeitarbeitsunternehmen mit Sitz in der Bundesrepublik sowie rund 100 ausländische Verleiher registriert. Die bislang zulässigen, praktisch jedoch wenig bedeutsamen „echten Leiharbeitsverhältnisse“, bei denen zwei oder mehrere Unternehmen die Überlassung von Arbeitnehmern als beidoder mehrseitige „Personalmanagementmaßnahme“ nutzten, indem ungenutzte Personalkapazitäten des einen Unternehmens anderen Unternehmen mit Personalengpässen kurzzeitig zur Entlastung zur Verfügung gestellt wurden, verloren mit den sich nun bietenden Gestaltungsspielräumen der „unechten Leiharbeitsverhältnisse“ durch die gewerblichen Verleiher, deren ganz überwiegende oder alleinige Tätigkeit in der Überlassung von Arbeitnehmern an entleihende Unternehmen bestand, weitgehend an Bedeutung. Mit der Aufhebung von § 37 Abs. 3 AVAVG kam es allerdings häufig zu sozial-, arbeits- und steuerrechtlichen Missständen, vor allem wegen nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge und verletzter Meldepflichten.32 Zu 28 Nach § 228 Abs. 1 Nr. 3 AFG a. F. stellte ein Verstoß gegen das Verbot eine Ordnungswidrigkeit dar. 29 BVerfGE 21, 261 [Adia]. 30 Dazu ausführlich Röwekamp, ArbuR 1984, 323. 31 BVerfGE 21, 245. 32 Erster Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – AÜG, BT-Drs. 7/2365, S. 7 f.; Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 15.8.1971, BT-Drs. 6/2303, S. 9.
I. Die Genese des AÜG41
verzeichnen waren ferner Verstöße wegen illegaler Beschäftigung und die ansteigende Ausbeutung ausländischer Arbeitnehmer.33 Mit der Einführung eines Gesetzes zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung sollte den aufgekommenen Missständen begegnet werden. In der Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts34 und der daran anknüpfenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts35 sollte nach dem Willen des Gesetzgebers das AÜG sicherstellen, „bei der Arbeitnehmerüberlassung Verhältnisse herzustellen, die den Anforderungen des sozialen Rechtsstaats entsprechen und eine Ausbeutung der betroffenen Arbeitnehmer ausschließen“.36
Der Gesetzgeber regelte erstmals spezialgesetzlich die grundsätzliche Zulässigkeit der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung, an deren Ausübung eine Kontrollerlaubnis geknüpft war. Die Erteilung der Erlaubnis sowie die Durchführung der Kontrollmechanismen zum Schutz der Leiharbeitnehmer nahm fortan die Bundesanstalt für Arbeit wahr. Darüber hinaus wurde für den Erfahrungsgewinn auf dem Gebiet der gewerbsmäßigen Arbeitnehmer überlassung auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung eine Berichtspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag über die Entwicklungen bei der Gesetzesanwendung normiert.37 Wegen der aufgrund der sozial-, arbeits- wie steuerrechtlichen Berührungspunkte der Arbeitnehmerüberlassung hohen Komplexität der Regelungswerke hat das AÜG bereits frühzeitig umfangreiche Änderungen und Ergänzungen erfahren. Die wichtigsten Gesetzesänderungen werden im Überblick wiedergegeben. Bereits zwei Jahre nach Inkrafttreten wurden die Strafen und Geldbußen bei Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbeständen erheblich erhöht.38 Maßgebliche Änderungen brachten im Jahr 1981 zudem das Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung (BillBG)39 sowie das Gesetz zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (AFKG)40 mit dem Ziel, 33 Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 15.8.1971, BT-Drs. 6/2303, S. 9. 34 BVerfGE 21, 261. 35 BSGE 31, 235. 36 Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 15.8.1971, BT-Drs. 6/2303, S. 9 f. 37 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu BT-Drs. 6/3505, S. 2. Der jüngste Bericht ist der Zwölfte Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – AÜG – BT-Drs. 18/673; online abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/006/ 1800673.pdf, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. 38 Art. 250 EGStGB, BGBl. 1974, I, S. 469. 39 BGBl. I, S. 1390. 40 BGBl. I, S. 1497.
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C. Die gesetzlichen Grundlagen und die ökonomische Bedeutung
nicht erwünschte Formen der Arbeitnehmerüberlassung, vor allem aber die illegale Beschäftigung von Ausländern und Schwarzarbeitern zu bekämpfen. Die Vorschriften zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung erfuhren auch in den darauffolgenden Jahren zahlreiche Anpassungen vor allem zu einer sozialverträglichen Ausgestaltung der Leiharbeitsverhältnisse.41 Durch das Beschäftigungsförderungsgesetz (BeschFG) vom 26.4.198542 wurde der zeitliche Einsatzrahmen von Leiharbeitnehmern erweitert, indem sich die Überlassungsdauer von ursprünglich drei auf zunächst sechs, später auf neun, anschließend auf zwölf Monate erhöhte. Mit der Aufhebung des Arbeitsvermittlungsmonopols der Bundesanstalt für Arbeit durch Art. 1 des Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 26.7.199443 konnten von nun an auch Private genehmigungspflichtige Arbeitsvermittlung betreiben. Der Aufhebung des in § 4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) vom 25.6.196944 geregelten Arbeitsvermittlungsmonopols war eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs45 vorausgegangen, wonach im staatlichen Vermittlungsmonopol ein Verstoß gegen Art. 90 Abs. 1 EWG-Vertrag46 zu sehen war, weil die Monopolstellung der Bundesanstalt zwangsläufig zu einem Verstoß gegen Art. 86 EWG-Vertrag führte.47 Der Europäische Gerichtshof qualifizierte die öffentlich-rechtliche Bundesanstalt für Arbeit als ein öffentliches Unternehmen im Sinne von Art. 90 Abs. 1 EWG-Vertrag und zugleich als ein mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrautes Unternehmen im Sinne von Art. 90 Abs. 2 EWG-Vertrag.48 Damit unterlag die Bundesanstalt den europäischen wettbewerbsrechtlichen Regeln, vor allem durfte sie ihre Monopolstellung nicht missbräuchlich ausüben.49 Der Europäische Gerichtshof stellte in seiner dazu Schüren/Hamann4, AÜG, Einl. Rdn. 53 ff. S. 710. 43 BGBl. I, S. 1786. 44 BGBl. I, S. 582. 45 EuGH, Urteil vom 23.4.1991, Az. C-41/90 [Höfner-Elser] = EuZW 1991, 349. 46 Art. 90 Abs. 1 EWG-Vertrag lautet: „Die Mitgliedstaaten werden in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine diesem Vertrag und vor allem dessen Artikeln 7 und 85 bis 94 widersprechende Maßnahmen treffen oder beibehalten.“ 47 Art. 86 S. 1 EWG-Vertrag lautet: „Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.“ 48 Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 21, 245, 254) hatte die Arbeitsvermittlung durch die Bundesanstalt für Arbeit als eine ausschließlich hoheitliche Aufgabe angesehen und die Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke folglich abgelehnt. 49 EuGH, Urteil vom 23.4.1991, Az. C-41/90 [Höfner-Elser] = EuZW 1991, 349. 41 Ausführlich 42 BGBl. I,
I. Die Genese des AÜG43
Entscheidung hingegen fest, dass die Bundesanstalt aufgrund des ihr gesetzlich übertragenen Vermittlungsmonopols ihre marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzte, weil sie die ihr im Wege des staatlichen Monopols übertragenen Aufgaben nicht erfüllen konnte, und zwar zum Schaden der privaten Vermittlungsunternehmen, die diese Dienstleistung in Anspruch nehmen wollten, aber mit straf- und zivilrechtlichen Sanktionen rechnen mussten.50 Die Entscheidung führte dazu, dass das Alleinvermittlungsrecht der Bundesanstalt für Arbeit vom Gesetzgeber ersatzlos gestrichen wurde. Private Arbeitsvermittler konnten von nun an gewerbsmäßige Arbeitsvermittlung betreiben, sofern sie über eine entsprechende Erlaubnis verfügten. Ein und dieselbe natürliche oder juristische Person konnte gewerbsmäßig Arbeitsüberlassung und -vermittlung nebenher betreiben, auch wenn eine räumliche Trennung der Geschäftsräume für das jeweilige Gewerbe bestehen musste und gegebenenfalls Auflagen einzuhalten waren.51 Zwischen gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung und gewerbsmäßiger Arbeitsvermittlung durch Private war jedoch weiterhin zu unterscheiden.52 Das Verhältnis zwischen beiden Rechtsinstituten bedurfte allerdings einer erneuten Abstimmung, weil die Vorschriften zur Arbeitnehmerüberlassung ihre Rechtfertigung bislang vorrangig im Schutz des staatlichen Arbeitsvermittlungsmonopols fanden.53 Problematisch war vor allem die Frage der fiktiven Arbeitsvermittlung nach § 1 Abs. 2 AÜG a. F. in den Fällen von § 3 Abs. 1 Nr. 3 bis 6 AÜG a. F.54 Vordergründig wurde eine Liberalisierung der Einsatzmöglichkeiten 50 Im entschiedenen Fall ging es um die Vermittlung von Führungskräften der Wirtschaft durch private Personalberatungsunternehmen. In der Literatur fand die Entscheidung überwiegend Zustimmung, siehe nur Eichenhofer, NJW 1991, 2857; Pallasch/Steckermeier, NZA 1991, 913; Speyer, EuZW 1991, 399. 51 Hamann, NZS 1995, 244. 52 Private Arbeitsvermittler bedurften einer Vermittlungserlaubnis, § 23 Abs. 1 AFG, die gemäß § 23 Abs. 3 AFG an besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen geknüpft war (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt). Die Überlassungserlaubnis konnte nur versagt werden, wenn einer der in § 3 Abs. 1 AÜG a. F. abschließend aufgezählten Versagungsgründe vorlag (Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt). 53 Bauer, NZA 1995, 203; Hamann, NZS 1995, 493. 54 Danach galt die Vermutung der vormals den privaten Anbietern nicht erlaubten Arbeitsvermittlung, wenn der Leiharbeitnehmer befristet beim Entleiher angestellt wurde, es sei denn, dass sich für die Befristung aus der Person des Leiharbeitnehmers ein sachlicher Grund ergab (Nr. 3), Leiharbeitnehmer beim Entleiher unbefristet angestellt wurden, die Anstellung durch Kündigung beendet wurde und die Leiharbeitnehmer innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erneut eingestellt wurden (Nr. 4), die Dauer des Arbeitsverhältnisses mit dem Leiharbeitnehmer auf die Zeit der erstmaligen Überlassung an einen Entleiher beschränkt wurde (Nr. 5) oder wenn der Verleiher einem Entleiher denselben Leiharbeitnehmer länger als drei aufeinanderfolgende Monate überließ (Nr. 6).
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C. Die gesetzlichen Grundlagen und die ökonomische Bedeutung
von Leiharbeitnehmern diskutiert, durch welche die Vorschriften zum Synchronisationsverbot nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG a. F., zur Wiedereinstellungssperre nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 AÜG a. F., zum Verbot der Ersteinsatzsynchronisation nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 AÜG a. F. zur Höchstdauer der Überlassung nach § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a. F. entweder ganz entfallen oder zumindest teleologisch eingeschränkt werden sollten.55 Umfangreiche Änderungen erfuhr das AÜG im Rahmen seiner Reform durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz (AFRG) vom 24.3.1997.56 Die Neuregelungen dienten neben der Eingliederung des Arbeitsförderungsgesetzes in das SGB III der Aufhebung beschäftigungshemmender Vorschriften und der Beseitigung von Hindernissen, die einer Nutzung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze entgegenstanden.57 Aufgrund der Aufhebung des Alleinvermittlungsmonopols der Bundesanstalt für Arbeit wurden auch weitreichende Befristungen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung erheblich gelockert. Die Dauer der zulässigen Überlassung an denselben Entleiher wurde von neun auf zwölf Monate verlängert, Wiedereinstellungen der Leiharbeitnehmer nach vorangegangener Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurden einmalig erlaubt.58 Bedeutsam war zudem die Aufhebung von § 13 AÜG a. F. durch das AFRG. Nach § 1 Abs. 2 AÜG a. F. wurde in den Fällen von § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AÜG a. F. vermutet, dass der Verleiher eine – bis dahin nicht erlaubte – Arbeitsvermittlung betrieb. Weitgehend unbestritten war, dass in diesen Fällen das bisherige Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher enden sollte; stattdessen sollte zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher ein Arbeitsverhältnis kraft Legalfiktion zustande kommen.59 Die Fiktion wurde auf § 13 AÜG a. F. gestützt, obwohl dessen Normwortlaut nur den Arbeitsentgeltschutz bei nicht erlaubter Arbeitsvermittlung regelte.60 Das Bundesarbeitsgericht erkannte jedoch in der Vorschrift über den Wort55 So Mummenhoff, DB 1992, 1982; a. A. Hamann, NZS 1995, 493. § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG a. F. wurde neugefasst und § 3 Abs. 1 Nr. 4–6 AÜG a. F. wurden schließlich aufgehoben durch Art. 6 Erstes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl. I, S. 4607. 56 BT-Drs. 13/4941, S. 1 ff. 57 BT-Drs. 13/4941, S. 247. 58 Für Vorstehendes siehe zusammenfassend BT-Drs. 13/4941, S. 247. 59 So die ganz h.Rspr. seit BAGE 29, 7; BAGE 31, 135. Für den Fall der nichtgewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung lehnte das Bundesarbeitsgericht allerdings eine Vermutungswirkung ab, BAGE 91, 200, 204 f. 60 § 13 AÜG a. F. lautete: „Beruht ein Arbeitsverhältnis auf einer entgegen § 4 des Arbeitsförderungsgesetzes ausgeübten Arbeitsvermittlung, so können die arbeitsrechtlichen Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber dieses Arbeitsverhältnisses nicht durch Vereinbarung ausgeschlossen werden.“
I. Die Genese des AÜG45
laut der Norm hinaus einen umfassenden Sozialschutz von Leiharbeitnehmern sicherstellenden Normzweck mit der Folge, dass Zweifel an einer an sich erlaubten Verleihtätigkeit nicht zu deren Lasten gehen sollten.61 Der gewerberechtliche Verstoß des Verleihers sollte demnach auch keine Unwirksamkeit der Arbeits- und Rechtsverhältnisse zwischen Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer nach § 134 BGB nach sich ziehen. Folglich vertrat das Bundesarbeitsgericht die Ansicht, dass dem fiktiv vermittelten Leiharbeitnehmer ein unabdingbarer Entgeltanspruch gegen den Entleiher zustand und darüber hinaus kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher zustande kommen sollte.62 Mit der Aufhebung des Arbeitsvermittlungsmonopols entfiel der Regelungszweck für § 13 AÜG a. F.63 Die Aufhebung von § 13 AÜG a. F. warf jedoch die Frage auf, ob damit auch eine materielle Rechtsänderung mit einem geringeren Sozialschutz für die Leiharbeitnehmer beabsichtigt war, weil die Fiktionswirkung einer vermuteten Arbeitsvermittlung für den Fall der nicht erlaubten Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr eintreten sollten. Es war indes erklärtes Ziel, dass das AÜG in seiner Schutzfunktion für die Leiharbeitnehmer nicht beschnitten werden sollte, sondern der materielle Sozialschutz unverändert fortbestehen sollte. Die Aufhebung von § 13 AÜG a. F. wurde folglich ganz überwiegend als eine Überreaktion des Gesetzgebers infolge der Aufhebung des Arbeitsvermittlungsmonopols angesehen und eine Fortgeltung der bisherigen Fiktionen bejaht.64 Für die Fälle nach § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a. F. hat das Bundesarbeitsgericht jedoch eine Fiktionswirkung abgelehnt, weil die lediglich die Arbeitsvermittlung des überlassenden Unternehmers fingierende Norm des § 1 Abs. 2 AÜG a. F. keine geeignete Rechtsgrundlage für einen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Vertragsfreiheit des Beschäftigungsunternehmers bietet.65 Durch das als Job-AQTIV-Gesetz bezeichnete Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 10.12.200166 erfuhr das Arbeitsförderungsrecht tiefgreifende Umstrukturierungen. Daneben wurde auch das Recht der Arbeitnehmerüberlassung maßgeblich reformiert. Das Gesetz diente vorrangig der Effizienzsteigerung der öffentlichen Arbeitsvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit durch die Entbürokratisierung der bestehenden 61 BAGE 29, 7. So im Übrigen auch schon die knappe Gesetzesbegründung, BTDrs. 6/2303, S. 15. 62 BAGE 29, 7. 63 BT-Drs. 13/4941, S. 250. 64 Hamann, BB 1999, 1654; Düwell, BB 1997, 46; Feuerborn/Hamann, BB 1997, 2530. 65 BAGE 95, 165, 167 ff. 66 BGBl. I, S. 3443; BT-Drs. 14/6944.
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C. Die gesetzlichen Grundlagen und die ökonomische Bedeutung
Vermittlungsstrukturen und eine entsprechende Kanalisierung der bisherigen Vermittlungsleistungen, um vor allem schwer vermittelbare Arbeitslose wieder dauerhaft in sozialversicherungspflichtige Anstellungsverhältnisse zu vermitteln und dadurch Arbeitslosigkeit nachhaltig abzubauen.67 Die Höchstdauer der gewerbsmäßigen Überlassung wurde zudem von 12 auf 24 Monate angehoben. Nach Art. 7 des Job-AQTIV-Gesetzes wurde durch die damalige Neufassung von § 10 Abs. 5 AÜG a. F. das Gleichbehandlungsgebot bzw. Schlechterstellungsverbot als sogenanntes Equal Pay- / Equal Treatment-Prinzip zugunsten von Leiharbeitnehmern unter der Bedingung eingefügt, dass der Leiharbeitnehmer mehr als zwölf Monate im Betrieb des Entleihers tätig war. Ab dem 13. Monat musste der Entleiher dem Leiharbeitnehmer ausnahmslos die in seinem Betrieb für vergleichbare Arbeitnehmer geltenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts gewähren.68 Die mit dem Einsatz von Leiharbeitnehmern häufig einhergehende Umgehung der für die Stammbelegschaft geltenden tarifvertraglichen Bestimmungen vor allem bezüglich wesentlicher Arbeitskonditionen sollte dadurch vermieden werden, dass mit der Implementierung des Schlechterstellungsverbots nach dem Equal Pay- / Equal Treatment-Grundsatz gemäß §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 AÜG, wonach Leiharbeitnehmer bereits ab dem ersten Tag ihrer Überlassung hinsichtlich der wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts grundsätzlich mit den vergleichbaren Arbeitnehmern des Entleihers gleichzustellen sind. Unter den Arbeitsbedingungen sind dabei alle nach dem allgemeinen Arbeitsrecht vereinbarten Bedingungen, wie Dauer der Arbeitszeit und des Urlaubs oder die Nutzung sozialer Einrichtungen zu verstehen. Der Begriff des Arbeitsentgelts ist weit aufzufassen, dazu zählen nicht nur das Entgelt als Gegenleistung für die erbrachten Arbeitsleistungen, sondern auch Zuschläge, Ansprüche auf Entgeltfortzahlung, Sozialleistungen und andere Lohnbestandteile. Die in § 9 Nr. 2 a. E. AÜG zugleich geregelte Tarifausnahme zum Equal Pay- / Equal Treatment-Gebot soll den Sozialpartnern eine flexible Gestaltung der Arbeitsbedingungen ermöglichen, zum Beispiel für Pauschalierungen beim Arbeitsentgelt und für Leistungen für die Zeiten während des Verleihs oder verleihfreie Zeiten. Der Gesetzgeber machte Ende des 20. Jahrhunderts wegen einer weltweiten Konjunkturkrise und einer stagnierenden Entwicklung beim Abbau der Arbeitslosenzahlen einen erheblichen Flexibilisierungsbedarf vor allem auch bei der Zeit- und Leiharbeit aus. Nachdem zudem schwerwiegende Missstände bei der Bundesagentur für Arbeit offengelegt wurden, setzte die Bundesregierung zur Erarbeitung von Vorschlägen für die Neugestaltung des 67 BT-Drs. 68 Dazu
14/6944, S. 1 f. Melms/Lipinski, BB 2004, 2409.
I. Die Genese des AÜG47
Arbeitsmarkts die Kommission für „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ ein.69 Die Vorschläge der Kommission für „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“70 fanden weitgehend Eingang in den vier Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Das AÜG erfuhr dabei weitreichende Neuerungen durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.200271, durch welches neben umfassenden Änderungen bei der staatlichen Arbeitsvermittlung vor allem eine Deregulierung und Flexibilisierung des Rechts der Arbeitnehmerüberlassung erfolgte.72 Zur Vermeidung weiterer und zur Verringerung bestehender Arbeitslosigkeit sollten neu geschaffene integrationsorientierte Zeitarbeitsgesellschaften, sogenannte Personal-Service-Agenturen (PSA), vermittlungsorientierte staatliche Arbeitnehmerüberlassung vor allem für schwer vermittelbare Arbeitslose betreiben.73 Der Gesetzgeber erhoffte sich darüber hinaus, durch die Beseitigung als unflexibel empfundener Regelungsinstrumente, die Attraktivität der Arbeitnehmerüberlassung weiter zu steigern, vor allem durch die Abschaffung des Synchronisationsverbots, des besonderen Befristungsverbots und des Wiedereinstellungsverbots.74 Entfallen war ferner auch die Höchstüberlassungsdauer. Gleichzeitig wurde der bislang nur eingeschränkt geltende Grundsatz der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern mit vergleichbaren Arbeitnehmern des Entleihers hinsichtlich der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gesetzlich verankert, wobei ausnahmsweise Abweichungen durch einen Tarifvertrag oder in den ersten sechs Wochen auch durch eine individualvertragliche Vereinbarung zugelassen wurden, sofern ein angemessenes Schutzniveau für die Leiharbeitnehmer tariflich gewährleistet war.75 Die Neuregelungen des AÜG, vor allem das Gleichstellungsgebot mit der Möglichkeit tarifvertraglicher Abweichungen, sah das Bundesverfassungsgericht als verfassungskonform an. Einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1 oder 3 Abs. 1 GG erkannte das Bundesverfassungsge69 Die so bezeichnete Hartz-Kommission, benannt nach ihrem Vorsitzenden Peter Hartz; Schüren/Hamann4, AÜG, Einl. Rdn. 86. 70 Insgesamt kumulierten die Vorschläge in 13 sogenannten „Innovationsmodulen“. Der Bericht der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ ist abrufbar unter http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/ moderne-dienstleistungen-am-arbeitsmarkt.pdf;jsessionid=4A5A704B79F3A236E3A 0B41573510B1E?__blob=publicationFile&v=2, zuletzt abgerufen am 06.02.2018. 71 BGBl. I, S. 4607. 72 Dazu ausführlich Hümmerich/Holthausen/Welslau, NZA 2003, 7. Einen guten Überblick zu den einzelnen Änderungen bieten Lembke, BB 2003, 98 und Kokemoor, NZA 2003, 238. Siehe auch den Bericht der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, S. 157. 73 BT-Drs. 15/25, S. 27 f. 74 BT-Drs. 15/25, S. 24. 75 BT-Drs. 15/25, S. 24.
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C. Die gesetzlichen Grundlagen und die ökonomische Bedeutung
richt ebenso wenig wie eine Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit der Sozialpartner.76 Schließlich wurde durch die Einfügung einer Tariföffnungsklausel die Möglichkeit des Abschlusses von Tarifverträgen für Leiharbeitnehmer gerade eröffnet.77 Die Neuregelung der Tariföffnungsklausel sah das Bundesverfassungsgericht zudem als verhältnismäßig an, weil die Klausel der Verbesserung der Stellung der Leiharbeitnehmer und damit dem Schutz ihrer Berufsfreiheit dient.78 Darüber hinaus dienten die Neuregelungen dem verfassungsrechtlich legitimierten Gemeinwohl, weil vor allem die vermittlungsorientierte Leiharbeit neue Beschäftigungsmöglichkeiten erschließe und damit eine Brücke aus der Arbeitslosigkeit darstellt.79 Zudem lag nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG vor, weil den Verleihunternehmen aufgrund der Tariföffnungsklausel die Möglichkeit eingeräumt wird, die Tarifverträge branchenabhängig und der Qualifikation der Leiharbeitnehmer entsprechend auszugestalten.80 Tiefgreifende Änderungen erfuhr das AÜG zunächst durch das Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 28.4.201181, welches einerseits der Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit dient.82 Der Anwendungsbereich wurde zunächst auf die vom AÜG bislang nicht erfasste nichtgewerbliche Arbeitnehmerüberlassung erstreckt. Klargestellt wurde durch den neu in § 1 Abs. 1 AÜG eingefügten Satz 2 zudem, dass die Arbeitnehmerüberlassung ihrer Natur nach „vorübergehend“ ist, freilich ohne den früheren Vorgängerregelungen zu folgen und eine starre Höchstüberlassungsdauer festzuschreiben.83 Der Gesetzgeber anerkannte darüber hinaus weiterhin die erhebliche Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung für die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt und die sich daraus ergebenden Chancen für neu entstehende sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, gleichzeitig lag ihm daran, zwischenzeitlich aufgetretene Fälle des Missbrauchs der Arbeitnehmerüberlassung zu unterbinden.84 Einen Missbrauch der Arbeitneh76 BVerfG, AP Nr. 2 zu § 3 AEntG, mit zustimmenden Anmerkungen von Lembke, BB 2005, 495 sowie Hamann, jurisPR-ArbR 11/2005 Anm. 1. 77 BVerfG, AP Nr. 2 zu § 3 AEntG. 78 BVerfG, AP Nr. 2 zu § 3 AEntG. 79 BVerfG, AP Nr. 2 zu § 3 AEntG. 80 BVerfG, AP Nr. 2 zu § 3 AEntG. 81 BGBl. I, S. 642. 82 ABl. L 327/9 vom 5. Dezember 2008, S. 9. 83 Zu den Auslegungsvarianten zum Begriff „vorübergehend“ Hamann, NZA 2011, 70. 84 BT-Drs. 17/4804, S. 7.
I. Die Genese des AÜG49
merüberlassung und einen Widerspruch zur gesetzlichen Intention, Unternehmen zeitig Fremdpersonal zur Verfügung zu stellen, sah der Gesetzgeber vor allem darin, dass systematisch Stammbeschäftigte der Unternehmen durch Leiharbeitnehmer ersetzt oder selbst im Wege von Firmenausgründungen als Leiharbeitnehmer an ihren ehemaligen Stammarbeitsplätzen beschäftigt wurden, um namentlich die tariflichen Arbeitsbedingungen der Einsatzbranche zu umgehen und sich der Pflichten eines verantwortungsvollen Arbeitgebers zu entziehen.85 Mittlerweile liegt eine Vielzahl von Mantel- und Rahmentarifverträgen, aber auch Haus- und Flächentarifverträgen vor, die die Verhältnisse zwischen Leiharbeitnehmern und Verleihern regeln. Diese Tarifverträge bieten vor allem hinsichtlich des Entgelts für die Entleiher zumeist auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz – MiLoG) vom 11.8.201486 günstigere Bedingungen als die für die jeweiligen Unternehmen und damit für die Stammbelegschaft geltenden Tarifverträge. Anders als noch in den Jahren zuvor, bot und bietet der Einsatz von Leiharbeitnehmern neben den originären Zielen der Leiharbeit – Abdeckung von Produktionsspitzen, flexibler Personaleinsatz – den Entleihern weiterhin die Möglichkeit, als Kostensenkungsinstrument eingesetzt zu werden. Die ehemals für den Entleiher teurere Arbeitnehmerüberlassung eröffnete die Möglichkeit und Anreize, vor allem die Personalkosten zu senken und damit günstigere als für die eigenen Arbeitnehmer geltende Arbeits- und Entgeltbedingungen zu nutzen. Das führte neben betriebsbedingten Kündigungen dazu, dass unter anderem mit einer Ausgliederung von Teilen der Stammbelegschaft, die anschließend in externen, mitunter eigens dafür gegründeten Personaldienstleistungsgesellschaften beschäftigt wurden, um sodann von dieser Dienstleistungsgesellschaft an den ehemaligen Arbeitgeber zurückverliehen zu werden, erhebliche Kostenvorteile entstehen konnten, weil die so eingesetzten Leiharbeitnehmer zu günstigeren tariflichen Bedingungen dieselben Arbeiten verrichteten.87 Auch wenn diese Entwicklung politisch gewollt war, weil auf diesem Weg sogenannte „Klebeeffekte“ ein85 BT-Drs.
17/1321, S. 3, Antwort auf Frage 5. S. 1348. 87 Ein in den Medien sehr ausführlich beleuchtetes Beispiel war der Einsatz von Leiharbeitnehmern in einem Drogerie-Unternehmen, die zum Teil lediglich die Hälfte des Arbeitsentgelts in Relation zu den Stammmitarbeitern erhielten, siehe zum Beispiel statt vieler „Gleiche Arbeit, weniger Geld“, taz vom 13.1.2010, online abrufbar http://www.taz.de/!5149555/, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. Das Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung erhielt daraufhin die – freilich inoffizielle – Bezeichnung „Lex Schlecker“; BT-Drs. 17/426; BT-Drs. 17/551; BT-Drs. 17/1155. 86 BGBl. I,
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C. Die gesetzlichen Grundlagen und die ökonomische Bedeutung
treten sollten88, führte dieser sogenannte „Drehtüreffekt“ zu erheblichem Lohndumping.89 Auch nach der Änderung des AÜG zugunsten ehemaliger Beschäftigter des Entleihers sollen zwar künftig Leiharbeitnehmer an das Unternehmen, bei dem sie bislang angestellt waren, auch weiterhin zurückverliehen werden können. Eine für den Leiharbeitnehmer ungünstige tarifvertragliche Abweichung vom „Equal Pay- / Equal Treatment“-Gebot ist jedoch für solche Leiharbeitnehmer ausgeschlossen, die in den vorangegangenen sechs Monaten vor der Überlassung ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher hatten, § 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 3 AÜG.90 Davon zuungunsten von Leiharbeitnehmern abweichende Tarifverträge sind unwirksam, § 9 Nr. 2 letzter Halbsatz AÜG, während der Entleiher gleichzeitig verpflichtet wird, dem Leiharbeitnehmer die im Betrieb des Entleihers für vergleichbare Arbeitnehmer geltenden Arbeitsbedingungen zu gewähren, § 10 Abs. 4 AÜG.91 Zur Verhinderung von gesteigertem Lohndumping, dessen nicht unerheblichen Anstieg vor allem wegen der ab dem 1.5.2011 auch für neue, vor allem osteuropäische Mitglieder92 der EU geltenden Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit sowie der auch im deutschen Arbeitsrecht im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung kollektiv geltenden Tarifnormen dieser Länder 88 Heuchemer/Schielke, BB 2011, 758; BT-Drs. 15/25, S. 2: Ein wichtiges Ziel des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt war u. a. die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Zu den Änderungen Leuchten, NZA 2011, 608; Lembke, NZA 2011, 319. 89 Zum Teil unterschreiten die Einkünfte von Leiharbeitnehmern die Einkünfte von Stammbeschäftigten um mehr als 30 Prozent, so dass Leiharbeitnehmer sogar auf staatliche Fürsorgeleistungen angewiesen sind. Hinzu kommt, dass das durchschnittliche Arbeitsentgelt vom Jahr 2008 zum Jahr 2009 insgesamt leicht gesunken ist. Dazu die Studie des DGB „Niedriglohn und Lohndumping im Verleihgewerbe“, arbeitsmarktaktuell 2/2011, online abrufbar unter http://www.dgb.de/themen/++co++ 05964e7a-3299-11e0-6480-00188b4dc422, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. 90 Hamann, NZA 2011, 70, und Heuchemer/Schielke, BB 2011, 758, halten die sechsmonatige „Kunstpause“ für geeignet, den „Drehtüreffekt“ zu unterbinden, weil Umgehungsmöglichkeiten ausgeschlossen sind. Lembke, DB 2011, 414, sieht hingegen Umgehungsspielräume und hält wegen der Ausdehnung des „Equal Pay/Equal Treatment“-Grundsatzes zulasten der Koalitionsfreiheit der Tarifparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG die „Drehtürklausel“ für verfassungsrechtlich bedenklich. 91 Die durch das 1. AÜGÄndG vom 28.4.2011 (BGBl. I S. 642) eingefügten Schutzmechanismen zugunsten von Leiharbeitnehmern entsprachen damit teilweise den Beschlüssen des 68. Deutschen Juristentages 2010 zum Arbeits- und Sozialrecht (Beschluss 9 a und b), online abrufbar unter http://www.djt.de/fileadmin/downloads/68/68_ djt_beschluesse.pdf, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. Die darüberhinausgehenden Forderungen des 68. Deutschen Juristentages, auf die Möglichkeit zum Abschluss von Tarifverträgen mit ungünstigeren Arbeitsbedingungen für Leiharbeitnehmer ganz zu verzichten (Beschluss 9 c), fanden indes im Änderungsgesetz keinen Niederschlag. 92 Dazu gehörten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn.
I. Die Genese des AÜG51
befürchtet wurde93, hat der Gesetzgeber den Tarifpartnern im neugeschaffenen § 3a AÜG die Vereinbarung einer Lohnuntergrenze aufgegeben, die nicht nur während der Entleihzeit, sondern auch und gerade in entleihfreien Zeiträumen gelten soll.94 Gleichzeitig gilt zugunsten der Leiharbeitnehmer das Günstigkeitsprinzip: Liegt in einem Entleihbetrieb die Equal-Pay-Marke unter der festzulegenden Lohnuntergrenze in der Leih- und Zeitarbeit, so ist für die Entlohnung des Leiharbeitnehmers der tarifliche Mindestlohn in der Leiharbeit maßgebend, § 10 Abs. 4 AÜG. Die Aufnahme der Arbeitnehmer überlassung in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) hat der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen jedoch verworfen.95 Missbräuche entstanden und bestehen indes dort, wo der Einsatz von Leiharbeitnehmern unter anderem dazu dient, mitbestimmungsrechtliche Instrumente auszuhebeln, etwa bei der Wählbarkeit in den Betriebsrat, § 14 Abs. 2 AÜG, bei der Maßgeblichkeit für den Schwellenwert für die Anzahl der Betriebsratsmitglieder, § 9 BetrVG, oder die Anzahl der Freistellungen, § 38 BetrVG. Während die Novelle des AÜG von 2011 im Wesentlichen das Ziel verfolgte, die Leiharbeitsrichtlinie 2008 / 104 / EG möglichst wortlautgetreu in nationales Recht umzusetzen, unternimmt die Neuregelung von 2017 den Versuch, die Leiharbeit auf ihre Kernfunktion hin zu orientieren und den Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen zu verhindern.96 Erreicht werden soll das Regelungsziel durch Schärfung der Arbeitnehmerüberlassung als Instrument zur zeitlich begrenzten Deckung eines Arbeitskräftebedarfs, die Verhinderung von Missbrauch von Leiharbeit, die Stärkung der Stellung von Leiharbeitnehmern und die Erleichterung der Arbeit von Betriebsräten im Entleiherbetrieb.97 Der Gesetzgeber geht dabei zwar weiterhin davon aus, dass Leiharbeit ihrer Kernfunktion entsprechend „vorübergehend“ erfolgt, darüber hinaus wird – neben weiteren Neuerungen98 – nun in § 1 Abs. 1 S. 4 93 Heuchemer/Schielke,
BB 2011, 758. AÜG wurde im Verlauf der Beratungen des Bundesrats hinzugefügt, BRDrs. 161/11. Die Lohnuntergrenze richtet sich nach der Ersten Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung (LohnUGAÜV 1) vom 21.12.2011, ergänzt durch die Zweite Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmer überlassung vom 21.3.2014 bzw. Dritte Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung vom 26.5.2017. 95 Lembke, BB 2010, 1533; BT-Drs. 16/11669. 96 BT-Drs. 18/9232, S. 1, 14, 15. 97 BT-Drs. 18/9232, S. 1, 14, 15. 98 Dazu zusammenfassend Wank, RdA 2017, 100. Weitere Eckpunkte der Novellierung sind, dass vorbehaltlich einer abweichenden tarifvertraglichen Regelung eine Gleichstellung von Leiharbeitnehmern mit Stammarbeitnehmern nach spätestens neun Monaten Beschäftigung im Entleihbetrieb erfolgt, im Fall erlaubnisloser Arbeitnehmer 94 § 3a
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C. Die gesetzlichen Grundlagen und die ökonomische Bedeutung
i. V. m. Abs. 1b S. 1 AÜG n. F. (wieder) eine Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten konstituiert, bis zu der eine Überlassung zur Vermeidung der Verdrängung der Stammbelegschaft im Einsatzbetrieb höchstens zulässig sein soll.99 Die vom Gesetzgeber gewählte Regelungstechnik soll dabei zwei Konstellationen auseinanderhalten: So ist eine dauerhafte oder übertarifliche Überlassung von vornherein nicht „vorübergehend“, wohingegen bei einer Überlassung bis zu 18 Monaten bzw. innerhalb eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung die Erfüllung des Merkmals „vorübergehend“ im Einzelfall zu prüfen sein soll.100
II. Die europäische Richtlinie 2008 / 104 / EG Durch das Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 28.4.2011101 wurde neben dem Ziel, den missbräuchlichen Einsatz von Arbeitnehmern zu unterbinden, gleichzeitig die Richtlinie 2008 / 104 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit102 umgesetzt. Die Gesetzesänderung zum Zweck der Verhinderung missbräuchlicher Arbeitnehmerüberlassung trat bereits am Tag der Gesetzesverkündung in Kraft, die übrigen Änderungen zum 1.12.2011.103 1. Die Schaffung einer unionseinheitlichen Grundlage für Arbeitnehmerüberlassung Nachdem der Richtliniengeber nach anfänglichen Beratungen in den 1980er und 1990er Jahren zum Schutz der Arbeitnehmer zunächst Rahmenüberlassung Leiharbeitnehmern ein Widerspruchsrecht gegen die Vertragsfiktion zum Entleiher zusteht, Leiharbeitnehmer nicht als „Streikbrecher“ eingesetzt werden dürfen und bei den gesetzlichen Schwellenwerten des BetrVG zu berücksichtigen sind. 99 BT-Drs. 18/9232, S. 15. Gemäß § 19 Abs. 2 AÜG n. F. bleiben dabei Zeiten vor dem 1.4.2017 unberücksichtigt. 100 Wank, RdA 2017, 100, 107. 101 BGBl. I S. 642; BR-Drs. 847/10. 102 BR-Drs. 847/10, S. 1; ABl.-EU L 327/9. 103 Das betraf vor allem die durch Art. 2 Abs. 1 des Regierungsentwurfs in §§ 3 Abs. 1 Nr. 3 und 9 Nr. 2 AÜG eingefügte „Drehtürklausel“, die verhindern soll, dass Stammarbeitnehmer in konzerninterne oder externe Leiharbeitsfirmen ausgegliedert werden, um anschließend als Leiharbeitnehmer an ihren alten Arbeitsstellen zu ungünstigeren Tarifbedingungen weiter zu arbeiten; sogenannter „Drehtüreffekt“ oder „Sale and Lease back“-Praxis, die vor allem im „Fall Schlecker“ medienöffentlich wurde und vom Gesetzgeber zum Anlass der Gesetzesänderung genommen wurde, BT-Drs. 17/426, BT-Drs. 17/551, BT-Drs. 17/1155; Böhm, DB 2010, 672.
II. Die europäische Richtlinie 2008 / 104 / EG53
vereinbarungen für Teilzeitarbeit und befristete Arbeit erlassen hatte104, folgte schließlich am 19.11.2008 mit der Richtlinie 2008 / 104 / EG die dritte gemeinschaftsrechtliche Arbeitsschutzrichtlinie zur Regelung atypischer Beschäftigungsverhältnisse.105 Die Richtlinie 2008 / 104 / EG trat am 5.12.2008 in Kraft. Der deutsche Gesetzgeber hatte im Hinblick auf die sich abzeichnende Richtlinie 2008 / 104 / EG bereits mit den Hartz-Reformgesetzen in den Jahren 2001 und 2002 einige sich erst noch im Entwurf und in der Diskussion zur Richtlinie 2008 / 104 / EG befindende Elemente in das AÜG aufgenommen, so etwa das Schlechterstellungsverbot in Form des Grundsatzes „Equal Pay / Equal Treatment“ zugunsten von Leiharbeitnehmern. Die durch das Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 28.4.2011106 in nationales Recht umgesetzte Richtlinie 2008 / 104 / EG bildet daher nun den europarechtlichen „Überbau“ für das Schlechterstellungsverbot und dessen spezifische Ausnahmen. Der 11. Erfahrungsbericht zum AÜG ging deshalb bei den zum 1.12.2011 in Kraft getretenen Änderungen auch davon aus, dass die wesentlichen Instrumente der Richtlinie 2008 / 104 / EG ganz überwiegend schon vor dem Inkrafttreten und der Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG im AÜG geregelt sind.107 In der Literatur wird hingegen noch weitergehender Umsetzungsbedarf gesehen.108 Teilweise wird die Neufassung des AÜG dagegen sogar für eine verfassungswidrige Überregulierung gehalten, weil die für die Zeitarbeitsunternehmen geltenden Beschränkungen einen Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG und die Gewerbefreiheit nach Art. 14 GG darstellen sollen.109 Das AÜG ist richtlinienkonform auszulegen. Ergibt die Auslegung die Unvereinbarkeit der nationalen Regelung mit einer Richtlinie, können und dürfen dem Europäischen Gerichtshof zufolge die nationalen Gerichte die betreffende Vorschrift unangewendet lassen.110
104 Teilzeitrichtlinie RL 1997/81/EG vom 15.12.1997 und Befristungsrichtlinie RL 1999/70/EG vom 28.6.1999. 105 Zur Entstehungsgeschichte der drei Richtlinien ausführlicher Schüren/Wank, RdA 2011, 1. 106 BGBl. I, S. 642. 107 BT-Drs. 17/464, S. 7. 108 Boemke, RIW 2009, 177; Fuchs, NZA 2009, 57; Lembke, BB 2010, 1533; Lembke, DB 2011, 414; Thüsing, RdA 2009, 118; Schüren/Hamann4, AÜG, Einl. Rdn. 607 ff. 109 Näher Hirdina, NZA 2011, 325. 110 EuGH, Urteil vom 19.1.2010, Az. C-555/07 = BB 2010, 507 [Kücükdevici]; ebenso BVerfGE 126, 286; bestätigt von BVerfG, WM 2011, 1874.
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C. Die gesetzlichen Grundlagen und die ökonomische Bedeutung
2. Der wesentliche Schutzzweck der Richtlinie 2008 / 104 / EG Die Grundanliegen der Richtlinie 2008 / 104 / EG sind die gemeinschaftsrechtliche Verankerung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für die Leiharbeitnehmer sowie die gleichzeitige Sicherstellung und Wahrung eines tarifpolitischen Systems, das einerseits dem Recht und der Funktion der nationalen Sozialpartner durch die Möglichkeit der Abrede tarifvertraglicher Regelungen für die jeweiligen Arbeitsbedingungen Rechnung tragen soll, andererseits einen Mindestschutz für die Leiharbeitnehmer sicherstellt. Dadurch gewährleistet die Richtlinie 2008 / 104 / EG entsprechend ihrem Erwägungsgrund 12 einen diskriminierungsfreien, transparenten und verhältnismäßigen Rahmen zum Schutz der Leiharbeitnehmer. Der europäische Gesetzgeber setzt damit das als Grundprinzip für das europäische Arbeitsrecht gedachte Flexicurity-Konzept weiterhin um, das heißt die Verbindung der zentralen Begriffe Flexibilität und qualitative Sicherheit.111 Der vorrangige Schutz der Leiharbeitnehmer orientiert sich dabei an den vergleichbaren Arbeitnehmern im entleihenden Unternehmen, das heißt an deren wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur dann vorgesehen, wenn sie sachlich und nachvollziehbar durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind.112 Diese in Art. 5 Abs. 1 bis 4 der Richtlinie 2008 / 104 / EG geregelten Ausnahmen verlangen aber gleichermaßen die Sicherstellung eines angemessenen Schutzniveaus für die Leiharbeitnehmer, wobei die Richtlinie 2008 / 104 / EG den Mitgliedstaaten offenlässt, wie sie dieses Schutzniveau herstellen. Nach Erwägungsgrund 1 der Richtlinie steht die Leiharbeit im Einklang mit den Grundrechten und befolgt die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Prinzipien, vor allem das Recht nach Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, wonach jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer ein Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen hat.113 Die Richtlinie 2008 / 104 / EG sieht sich gemäß dem Erwägungsgrund 2 Richtlinie 2008 / 104 / EG zugleich als Fortführung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9.12.1989114, die zur Verwirklichung eines europäischen Binnenmarktes in Punkt 7 die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen durch die Angleichung der Arbeitszeiten, der Arbeitszeitgestaltung sowie der Arbeitsformen vorsah, zu denen das unbefristete als auch befristete Arbeitsverhält111 Siehe
dazu das Grünbuch der Kommission, KOM (2006), S. 708, endgültig. NZA 2009, 57. 113 Blanke, in: Europäisches Arbeitsrecht und die EU-Charta der Grundrechte, S. 71 ff. 114 KOM (89), S. 248, endgültig. 112 Fuchs,
II. Die europäische Richtlinie 2008 / 104 / EG55
nis, die Teilzeitarbeit, die Leiharbeit und die Saisonarbeit gehören sollten.115 Neben dem Hauptziel der gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung des Leiharbeitnehmerschutzes nach Erwägungsgrund 23 der Richtlinie 2008 / 104 / EG dient diese nicht nur dem Schutz des Flexibilisierungsbedarfs der Unternehmer, sondern nach Erwägungsgrund 11 auch dem Bedürfnis der Arbeitnehmer, Beruf und Privatleben in Einklang bringen zu können. Zu diesem Zweck soll das dem AÜG auch zuvor schon bekannte „Equal Pay- / Equal Treatment“-Prinzip nun auch gemeinschaftsrechtlich verankert werden (Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2008 / 104 / EG). Nach den Erwägungsgründen 16 und 17 der Richtlinie 2008 / 104 / EG sollen dabei nationale Regelungen, die tarifvertragliche Abweichungen zulassen, unberührt bleiben, sofern das „Gesamtschutzniveau“ bzw. ein „angemessenes Schutzniveau“ für Leiharbeitnehmer gewahrt bleiben.
115 KOM (89), S. 248, endgültig. Punkt 7 der Gemeinschaftscharta ist dadurch weitgehend gegenstandslos geworden.
D. Die soziale Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung I. Die objektive Schlechterstellung Eine stabile Erwerbsarbeit hat eine hohe Bedeutung für eine gelungene soziale Integration.1 Vor allem unbefristete Beschäftigungsverhältnisse sind geeignet, Arbeitnehmern eine einfache und zuverlässige Sozial- und Lebensplanung zu ermöglichen. Nach Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 2008 / 104 / EG sind unbefristete Arbeitsverhältnisse die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses. Die objektive und die subjektiv empfundene soziale Integration und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer ist nach den selbständig Tätigen am weitesten ausgeprägt.2 Die durch den befristeten wie auch unbefristeten Einsatz von Leiharbeitnehmern zugunsten der Arbeitgeber bestehende Flexibilität in der Personalstrukturierung geht regelmäßig mit einem erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko, einer strukturell größeren Planungsunsicherheit, geringeren Weiterbildungsmöglichkeiten sowie geringeren Löhnen zu Lasten der Leiharbeitnehmer einher. Leiharbeitnehmer müssen somit schon allein wegen des befristeten Charakters der Überlassung eher mit Arbeitsplatzwechseln oder sogar dem Stellenverlust rechnen. Zudem führen häufigere Arbeitsplatzwechsel zu einer geringeren sozialen Anbindung und Integration sowohl im Entleihbetrieb wie auch bei notwendigen Ortswechseln im privaten sozialen Umfeld; schließlich endet mehr als die Hälfte der Beschäftigungsverhältnisse bereits nach durchschnittlich drei Monaten.3
1 Gundert/Hohendanner,
IAB-Kurzbericht 4/2011, S. 6. IAB-Kurzbericht 4/2011, S. 3, Abb. 2. 3 Gundert/Hohendanner, IAB-Kurzbericht 4/2011, S. 3; arbeitsmarktaktuell – DGB Nr. 8/Oktober 2015, Risiken und Reformbedarf in der Leiharbeit, S. 1, Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes, online abrufbar http://www.dgb.de/themen/ ++co++9fb0193a-78a7-11e5-8664-52540023ef1a, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. Beschäftigungsverhältnisse im Leihgewerbe von noch nicht einmal einjähriger Dauer führen zudem dazu, dass arbeitslos werdende Leiharbeitnehmer wegen Nichterfüllens der Anwartschaftszeit innerhalb der Rahmenfrist im Sinn des §§ 142, 143 SGB III gleich in den ALG II-Bereich abgleiten, auch wenn sie an sich zuvor sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. 2 Gundert/Hohendanner,
II. Die subjektiv empfundene Schlechterstellung57
II. Die subjektiv empfundene Schlechterstellung Festgestellt werden kann zugleich, dass befristet oder in Leiharbeit Beschäftigte ein signifikant geringeres Teilhabeempfinden aufweisen als unbefristet Beschäftigte oder selbständig Tätige4, denn diese objektive Benachteiligung findet sich im Wesentlichen in den subjektiven Wahrnehmungen der Leiharbeitnehmer wieder, die sich ähnlich wie befristet Beschäftigte oder gar Arbeitslose weniger gut in die Gesellschaft integriert fühlen als unbefristet Beschäftigte oder selbständig Tätige.5 Differenzierungen ergeben sich zudem zwischen Leiharbeitnehmern der sogenannten alten und neuen Bundesländer aufgrund des weitgehend geringeren Entgeltniveaus der in den neuen Bundesländern beschäftigten Leiharbeitnehmer.6 Das geringere Zugehörigkeitsgefühl resultiert bei diesen Leiharbeitnehmern somit nicht nur aus den objektiven Benachteiligungen im Vergleich zu unbefristet Beschäftigten und selbständig Tätigen, sondern auch im Vergleich zu in den alten Bundesländern beschäftigten Leiharbeitnehmern. Bezüglich der unterschiedlichen Entlohnung zwischen Leiharbeitnehmern in den alten und solchen in den neuen Bundesländern hat auch die Einführung einer Lohnuntergrenze im Sinne von § 3a AÜG bislang keine Abhilfe geschaffen.7
4 Gundert/Hohendanner,
IAB-Kurzbericht 4/2011, S. 3. IAB-Kurzbericht 4/2011, S. 3. 6 Gundert/Hohendanner, IAB-Kurzbericht 4/2011, S. 3. 7 Bereits nach § 3 Nr. 1 des zum 1.7.2010 in Kraft getretenen BZA/DGB-Tarifvertrags zur Regelung von Mindestarbeitsbedingungen in der Zeitarbeit betrug das anfängliche Mindestentgelt zum Beispiel der Entgeltgruppe 1 im Sinne von § 3 BZA/ DGB-Entgeltrahmentarifvertrag in den Ländern Berlin, Brandenburg, MecklenburgVorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen 6,65 Euro, in den übrigen Bundesländern 7,60 Euro. Für die übrigen Entgeltgruppen sah der Tarifvertrag ebenfalls eine geringere Mindestentlohnung für ostdeutsche Leiharbeitnehmer vor. Eine Angleichung der Mindestentgelte Ost an die Mindestentgelte West ist bislang nicht vorgesehen, auch wenn eine schrittweise Lohnangleichung erfolgt. Auf Vorschlag der führenden Tarifvertragsparteien erklärte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch die zum 1.1.2012 in Kraft getretene Erste Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung vom 21.12.2011, die Zweite Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung vom 21.3.2014 (BAnz. AT 26.03.2014 V1) sowie die Dritte Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung vom 26.5.2017 (BAnz AT 31.5.2017 V1) die dort geregelten Lohnuntergrenzen für verbindlich. 5 Gundert/Hohendanner,
E. Das Modell der Arbeitnehmerüberlassung als Schutzgut im Lichte des Grundgesetzes und der unionsrechtlichen Grundfreiheiten I. Der grundgesetzliche Schutz der Arbeitnehmerüberlassung bei wirtschaftlicher Betätigung Das Bundesverfassungsgericht erkannte grundsätzlich ein durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Interesse der Leiharbeitnehmer an der Leiharbeit an. Es stellte dazu in seiner Entscheidung vom 4.4.1967 fest: „Hinzu kommt, dass Arbeitnehmer-Überlassungsverträge ein besonderes wirtschaftliches Bedürfnis erfüllen können. Sie mobilisieren die Arbeitskraft solcher Arbeitnehmer, die aus verschiedenen Gründen keine Dauerstellung, auch nicht für eine Teilzeitbeschäftigung, annehmen können oder wollen. Dies gilt namentlich für Arbeitskräfte, die einerseits auf eine besonders elastische Gestaltung der Arbeitszeit Wert legen, andererseits, wenn sie zur Verfügung stehen, sofort in einer ihren individuellen Fähigkeiten entsprechenden Weise eingesetzt werden möchten und durch die Beziehung zu dem ihnen bekannten, zuweisenden Unternehmer gesichert sein wollen“.1
In gleichem Maße sind auch die Interessen der verleihenden Unternehmer und zugleich Vertragsarbeitgeber, im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit anderen Betrieben mit Gewinnerzielungsabsicht oder im Rahmen einer wirtschaftlichen Betätigung Arbeitskräfte zur Erbringung von Dienstleistungen zu überlassen, schützenswert. Sowohl Leiharbeitnehmer als auch überlassende Arbeitgeber partizipieren im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit folglich am Schutz der Berufsfreiheit bzw. der Berufsausübungsfreiheit von Art. 12 Abs. 1 GG.
1 BVerfGE 21, 261 [Adia]. Das in § 12a AFG i. d. F. vom 22.12.1981 enthaltene spartenspezifische Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in Betrieben des Baugewerbes erachtete das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 77, 84) hingegen als verfassungskonform. Die Vorschrift trat nach Art. 8 Gesetz vom 16.12.1997 (BGBl. I S. 2970) außer Kraft.
II. Die Trennung von staatlicher Arbeitsvermittlung59
II. Die Trennung von staatlicher Arbeitsvermittlung und privater Arbeitnehmerüberlassung Im Hinblick auf die Reichweite des erforderlichen Schutzes der Leiharbeitnehmer ist zwischen der Arbeitsvermittlung einerseits und der Arbeitnehmerüberlassung andererseits zu differenzieren. Die frühere Regelung in § 37 Abs. 3 AVAVG, nach welcher das staatliche Arbeitsvermittlungsmonopol auch die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung erfasste und somit ein generelles Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung durch Private enthielt, erklärte das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig.2 Es erkannte in dem Verbot ein objektives Berufszugangshindernis für die gewerbliche Tätigkeit der Arbeitnehmerüberlassung, dessen Erforderlichkeit bereits deshalb zu verneinen ist, weil nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts mildere Mittel als der Eingriff in das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Recht der freien Berufswahl zur Verfügung stehen.3 Als hinreichend geeignetes, effektives und zugleich milderes Mittel betrachtete das Bundesverfassungsgericht den durch die jeweilige Fachgerichtsbarkeit gewährleisteten Rechtsschutz für die überlassenen Arbeitnehmer. Der Schutz der arbeitsrechtlichen Position der überlassenen Arbeitnehmer zum Beispiel hinsichtlich der gegebenenfalls tariflichen Vergütung oder Urlaubsansprüche obliegt der Arbeitsgerichtsbarkeit und ist damit hinreichend gewährleistet, gleiches gilt für die ordnungsgemäße Abführung der Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen für die überlassenen Arbeitnehmer, über die im Streitfall die Sozialgerichte befinden.4 Die Entscheidung darüber, ob Vergütungen, die für die Leistungen der überlassenen Arbeitnehmer aufzubringen sind, noch tragbar oder überteuert sind, kann hingegen der Selbstverantwortung der entleihenden Unternehmer überlassen bleiben.5 Bei Zweifeln an der Angemessenheit der Vergütung für die Arbeitnehmerüberlassung besteht dort schließlich weiterhin Rechtsschutz durch die Arbeitsgerichte. Für nicht gerechtfertigt hielt das Bundesverfassungsgericht zudem die Gleichsetzung der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung mit der staatlichen Arbeitsvermittlung, die der Gesetzgeber im damaligen § 37 Abs. 3 AVAVG angeordnet hatte. Während sich bei der Arbeitnehmerüberlassung die Rechtsbeziehungen zwischen dem Verleiher und dem überlassenen Arbeitnehmer nicht auf einen einzelnen Fall beschränken, sondern von Dauer sind und primär während der Zeit, in welcher der Arbeitnehmer in dem fremden Betrieb tätig wird, fortbestehen, ist die Arbeitsvermittlung hingegen darauf ge2 BVerfGE
21, 21, 4 BVerfGE 21, 5 BVerfGE 21, 3 BVerfGE
261. 261, 269 f. 261, 270. 261, 270.
60
E. Das Modell der Arbeitnehmerüberlassung als Schutzgut
richtet, dass zwischen dem arbeitsuchenden Arbeitnehmer und dem einen Arbeitsplatz anbietenden Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis zustande kommt.6 Die Dauer des Arbeitsvermittlungsverhältnisses knüpft somit an den Abschluss eines Arbeitsvertrags des vermittelten Arbeitnehmers mit dem neuen Arbeitgeber an und endet zugleich mit dessen Abschluss. Anders als die auf Dauer angelegte Arbeitnehmerüberlassung ist die Arbeitsvermittlung darauf ausgerichtet, möglichst kurzzeitig durchgeführt zu werden.7 Darüber hinaus übernimmt der Verleiher die üblichen Arbeitgeberrisiken und Arbeitgeberpflichten, wohingegen die der Bundesanstalt für Arbeit vorbehaltene Arbeitsvermittlung vordergründig darauf abzielt, Arbeitssuchende mit Arbeitgebern zur Begründung von Arbeitsverhältnissen zusammenzuführen.8 Eine Gleichsetzung beider arbeitsmarktpolitischer Instrumente und damit eine Erstreckung des Arbeitsvermittlungsmonopols auf die selbständige Arbeitnehmerüberlassung waren und sind somit mangels einer existierenden Vergleichsgrundlage abzulehnen.9
III. Keine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG Eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip wegen der Verwendung des unbestimmten Tatbestandsmerkmals „vorübergehend“ in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG verneinte das Bundesarbeitsgericht, weil unbestimmte Rechtsbegriffe vom Gesetzgeber verwendet werden können, wenn sich die Voraussetzungen der Anwendbarkeit der Norm zwar begrifflich nicht genauer bestimmen lassen, aber den herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden zugänglich sind.10 Das ist bei § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG der Fall, weil die Gesetzesmaterialien den Willen des Gesetzgebers erkennbar werden lassen und somit eine Auslegung anhand der hergebrachten Auslegungsmethoden ermöglichen. Da die Neuerungen der Gesetzesän6 BVerfGE
21, 261, 268; BVerfGE 77, 84, 86. 21, 261, 268. Das Arbeitsvermittlungsmonopol des Staats, dessen Aufgabe es ist, in einer Industriegesellschaft einerseits die Arbeitslosigkeit durch den Nachweis offener Stellen und andererseits den Mangel an Arbeitskräften der Wirtschaft und Verwaltung zu vermeiden und zu beheben und damit einem schutzbedürftigen Gemeinschaftswert zu dienen, und das damit einhergehende Verbot der selbständigen Arbeitsvermittlung hielt das Bundesverfassungsgericht für verfassungsrechtlich zulässig, weil ansonsten schwerwiegende Gefahren durch eine nicht einheitliche Arbeitsverwaltung drohten. 8 BVerfGE 21, 261, 268; BVerfGE 77, 84, 114 f. 9 BVerfGE 21, 261, 267 f. 10 BAGE 145, 355, 363 ff., unter Verweis auf BVerfGE 90, 1 [Jugendgefährdende Schriften]. A. A. Seel, öAT, 2013, 23, 25; ebenso Teusch/Verstege, NZA 2012, 1326, 1328. Zur Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe Nigge, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff, S. 24. 7 BVerfGE
IV. Der unionsrechtliche Schutz der Arbeitnehmerüberlassung61
derungen von 2011 ohnehin auf der Richtlinie 2008 / 104 / EG beruhen, ist zudem das primäre und sekundäre Unionsrecht zur richtlinienkonformen Auslegung heranziehbar. Vom Bundesarbeitsgericht wurde allerdings nicht weiter thematisiert, dass Art. 12 GG gegenüber Art. 2 Abs. 1 GG hinsichtlich der Handlungsfreiheit im Bereich des Berufsrechts und der wirtschaftlichen Betätigung ohnehin das speziellere Schutzrecht ist, auch wenn beide Schutzrechte in der Regel gemeinsam zitiert werden.11
IV. Der unionsrechtliche Schutz der Arbeitnehmerüberlassung Der staatliche Schutz der Berufsausübungsfreiheit und der wirtschaftlichen Betätigung der Unternehmer im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung nach Art. 12 Abs. 1 GG wird sowohl primär- als auch sekundärrechtlich durch das Unionsrecht flankiert. Nach Art. 1 des 2. Teils der Europäischen Sozialcharta (ESC) vom 18.10.196112 wird das Recht auf Arbeit gewährleistet. In Teil 2 Art. 2 bis 4 ESC werden die Rechte auf gerechte, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen sowie ein gerechtes Arbeitsentgelt festgeschrieben. Ergänzend werden in der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9.12.198913 in den dort erfassten zwölf Grundsätzen die sozialen Schutzbedürfnisse der Arbeitnehmer, vor allem auf freie Wahl und Ausübung eines Berufs, angemessenen Sozialschutz, faire und angemessene Arbeitsbedingungen sowie Freizügigkeit, unionseinheitlich manifestiert. Auch wenn diese Regelungen lediglich Verpflichtungen zwischen den vertragsschließenden Staaten und keine unmittelbaren Rechtsansprüche der Arbeitnehmer in den Vertragsstaaten begründen, können sie als Programmsatz verstanden im Rahmen der grundrechts- und richtlinienkonformen Auslegung durchaus Berücksichtigung finden. Ergänzt werden beide Chartas durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) vom 16.12.200014 und vom 1.12.200915, welche in Art. 16 GRC den Schutz der unternehmerischen Freiheit und in Art. 31 Abs. 1 GRC das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen garantiert. Trotz fehlender unmittelbarer Geltung der Schutzfreiheiten zwischen einzelnen privaten Unionsbürgern finden sie zumindest mittelbar 11 So aber die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, siehe nur BVerfGE 68, 193, 223 f.; BVerfGE 70, 1, 34 f.; BVerfGE 77, 84, 118; BVerfGE 95, 173, 188. 12 BGBl. 1964 II, S. 1262. 13 KOM (89), S. 248 endgültig. 14 ABl. 2000, C-364/12. 15 ABl. 2010, C-83/389.
62
E. Das Modell der Arbeitnehmerüberlassung als Schutzgut
Eingang in die Rechtsprechung der europäischen Gerichtsbarkeit, so dass sie zumindest mittelbar normative Verbindlichkeit entfalten.16 Somit sind sie auch im Rahmen der unionskonformen Auslegung zu berücksichtigen. Sofern die Arbeitnehmerüberlassung grenzüberschreitend erfolgen soll, unterfällt sie den vom EUV geschützten Grundfreiheiten, vor allem der Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 23 ff. EUV, der Personenverkehrsfreiheit gemäß Art. 39 ff. und 43 ff. EUV sowie der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 ff. EUV. Auf sekundärrechtlicher Ebene regelt abschließend die Richtlinie 2008 / 104 / EG über Leiharbeit vom 19.11.200817 den Schutz von Leiharbeitnehmern, wobei dort ausdrücklich auf Art. 31 GRC als Verwirklichungsziel zur Gewährleistung gesunder, sicherer und würdiger Arbeitsbedingungen in Erwägungsgrund 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG ausdrücklich Bezug genommen wird. Die Richtlinie 2006 / 123 / EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt vom 12.12.200618 regelt zwar den Rechtsrahmen für gegen wirtschaftliche Gegenleistung erbrachte Dienstleistungen, nimmt indes Dienstleistungen im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung ausdrücklich von ihrem Anwendungsbereich aus, Art. 2 Abs. 2 lit. e) der Richtlinie 2006 / 123 / EG. Auch die EMRK enthält im Hinblick auf die Arbeitnehmerüberlassung schützenden Grundfreiheiten keine ausdrücklichen Regelungen.
16 Dazu Hanau, NZA 2010, 1, 2 ff.; Willemsen/Sagan, NZA 2011, 258, 260 ff. Allgemein zu den Grundlagen gemeinschaftsrechtlicher sozialer Rechte Krebber, RdA 2009, 224. 17 ABl. L 327/9. 18 ABl. L 376/36.
F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich des AÜG auf wirtschaftlich tätige Unternehmen am Beispiel von Arbeitnehmerüberlassung im kirchlichen Dienstleistungsbereich Eine Untersuchung des sachlichen und persönlichen Anwendungsbereichs des AÜG am Beispiel der Arbeitnehmerüberlassung im kirchlichen und diakonischen Bereich liegt nahe, weil einerseits der Einsatz von Leiharbeitnehmern zum Teil durch eigens dafür ausgegründete Leiharbeitsfirmen auch im kirchlichen Bereich immer beliebter geworden ist, zum anderen, weil der Kreis der Arbeitnehmer mit ca. 1,4 Millionen Beschäftigten in den Wohlfahrtsverbänden der beiden christlichen Kirchen nach der Metall- und Elektroindustrie, dem öffentlichen Dienst und dem Einzelhandel den größten Beschäftigtenanteil in der Privatwirtschaft ausmacht. Im sozialen Sektor stellen die kirchlichen Wohlfahrtsverbände sogar den Hauptteil an Beschäftigten.1 Neben dem für die individualrechtlichen Beziehungen zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer bedeutsamen Spannungsfeld zwischen dem säkularen Arbeitsrecht und den von den Kirchen aufgestellten und geforderten Loyalitätsanforderungen kommen beim Einsatz von Leiharbeitnehmern in kirchlichen Einrichtungen der Diakonie und der Caritas weitere Fragestellungen hinzu, die das Selbstverständnis der Kirchen betreffen und damit auch Auswirkungen auf die Vereinbarkeit und die Ausgestaltung der Arbeitnehmer überlassung in kirchlichen Einrichtungen haben.2 Nicht zuletzt treibt auch der Personalkostenfaktor die mit sonstigen Privatanbietern am Markt konkurrierenden kirchlichen Einrichtungen hin zu Überlegungen, durch Outsourcing und den Einsatz von Leiharbeitnehmern dem Kostendruck der häufig als nicht mehr wettbewerbsfähig empfundenen AVR zu entgehen. Bei der Frage nach der Vereinbarkeit von Arbeitnehmerüberlassung in kirchlichen Einrichtungen liegt der Fokus vor allem auf der Konturierung des kirchlichen Selbstverständnisses, welches sich im Begriff der Dienstgemeinschaft zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer manifestiert.3
1 Stefaniak,
S. 2. zu den Loyalitätsanforderungen Schliemann, ZMV-Sonderheft
2 Grundlegend
2009, 29. 3 Zu den unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten von Leiharbeitnehmern Joussen, ZMV-Sonderheft 2007, 24.
64
F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
I. Der erweiterte sachliche Anwendungsbereich Mit der Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG wurde zugleich der sachliche Anwendungsbereich des AÜG erweitert. Musste die Arbeitnehmerüberlassung bislang im Rahmen einer gewerbsmäßigen Tätigkeit ausgeübt werden, damit das AÜG anwendbar war, erfasst der Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG nun jede wirtschaftliche Betätigung. Das hat dazu geführt, dass bislang überlassende Betriebe, deren Überlassungstätigkeit jedenfalls nicht prägend von einer Gewinnerzielungsabsicht getragen war und daher auch nicht vom AÜG erfasst wurden, nach der Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG vom Anwendungsbereich des AÜG erfasst werden, wenn sie ihre Überlassungstätigkeit als Teil eines wirtschaftlich handelnden Betriebs ausüben, das heißt am Markt in einer Konkurrenzsituation zu Mitbewerbern auftreten. Erfasst werden damit nunmehr auch vorrangig altruistisch handelnde Einrichtungen, wie zum Beispiel kirchliche Unternehmen, die Arbeitnehmer vorrangig im innerkirchlichen, aber durchaus auch im außerkirchlichen Bereich überlassen. 1. Der verfassungsrechtliche Schutz von diakonischer Betätigung a) Der korporative Schutz der Religionsfreiheit Die Kirchenautonomie und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht finden ihre normativen Wurzeln in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV, die den Kirchen eine Sonderstellung innerhalb der staatlichen Rechtsordnung einräumen und garantieren.4 Primärrechtlich geschützt ist der Status der Kirchen und das jeweilige nationale Staat-Kirche-Verhältnis in Art. 17 Abs. 1 EUV, Art. 22 GRC. Das Recht der kirchlichen Selbstverwaltung beinhaltet auch das Recht, das Ämterwesen selbständig zu regeln, und zwar durch eine eigenständige Amtsstruktur wie auch durch besondere privatrechtliche Gestaltungswege.5 Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht umfasst sämtliche Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne des kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen, wobei allein den Kirchen ein seitens des Staats zu beachtender Kompetenzspielraum zur Bestimmung des kirchlichen Propriums als Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit zusteht.6 Nach ständiger Rechtsprechung des Bun4 Richardi, Arbeitsrecht, § 1, Rdn. 16; Campenhausen/Wall, Staatskirchenrecht, S. 40 f. 5 Joussen, Essener Gespräche 46, S. 55; BVerfGE 70, 138, 162. 6 BVerfGE 137, 273, 306 ff.
I. Der erweiterte sachliche Anwendungsbereich65
desverfassungsgerichtes sind nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV im Hinblick auf die christliche Religionsgemeinschaft nicht nur die verfassten Kirchen und deren rechtlich selbständigen Teile, sondern alle der jeweiligen Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform Teilhaber des selbständigen Ordnungs- und Verwaltungsrechts der Kirchen, wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe nach berufen sind, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen.7 Die so gewährleistete Freiheit der Kirche im Staat beinhaltet, dass sich die Kirche zur Erfüllung ihres Auftrags auch der Organisationsformen des staatlichen Rechts bedienen kann, ohne dass dadurch die Zugehörigkeit der auf dieser Rechtsgrundlage gegründeten Einrichtungen zur Kirche aufgehoben wird.8 b) Der individual-rechtliche Schutz der Religionsfreiheit Das Bundesverfassungsgericht erkennt schließlich ein durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschütztes Grundrecht auf caritative Betätigung als eine Ausprägung der korporativen Religionsausübung an, weil die christlichen Konfessionen ihrem Selbstverständnis nach nicht ohne caritative Betätigung existieren könnten und ihren Angehörigen und Mitgliedern daher ein geschütztes Recht auf ungestörte Ausübung der „Caritas“ zustehen muss.9 Notwendig ist dafür jedoch ein Mindestmaß an Einflussmöglichkeiten der Kirchen, um auf Dauer eine Übereinstimmung der religiösen Betätigung der Einrichtung mit den kirchlichen Vorstellungen gewährleisten zu können, ohne dass es dazu aber einer satzungsmäßigen Absicherung der Einflussmöglichkeit bedarf.10 Zur Wahrung der Einflussmöglichkeit muss die Kirche jedoch in der Lage sein, einen etwaigen Dissens in religiösen Angelegenheiten zwischen ihr und der Einrichtung unterbinden zu können.11 2. Die Geltung des AÜG im diakonischen Bereich Die Religionsgesellschaften, denen verfassungsrechtlich ein öffentlichrechtlicher Sonderstatus zuerkannt wird, haben das Recht, durch eine ent7 So grundlegend BVerfGE 46, 73, 87 [Goch]; BVerfGE 53, 366, 391 [399]; BVerfGE 57, 220, 243; BVerfGE 70, 138, 162; daran anschließend BAGE 143, 354; BVerfGE 137, 273. 8 BVerfGE 53, 366, 391; BVerfGE 57, 220, 243; BVerfGE 70, 138, 165; Richardi, Arbeitsrecht, § 3, Rdn. 6. 9 BVerfGE 20, 150, 159; BVerfGE 24, 236, 247; BVerfGE 46, 73, 87; BVerfGE 53, 366, 391; BVerfGE 137, 273, 310. 10 BAG, NZA 1997, 1240, 1241. 11 BAGE 58, 92, 102; BAGE 68, 170, 176 f.; BAGE 149, 144, 156 ff.
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
sprechende Regelung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage die Dienstverhältnisse nach ihrem bekenntnismäßigen Verständnis zu gestalten.12 Bedienen sich die Religionsgesellschaften indes wie jedermann für die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen der privatautonomen Ausformung durch Dienst- oder Arbeitsvertrag, findet auf diese Rechtsverhältnisse staatliches Arbeitsrecht Anwendung, wobei die Adaption des staatlichen Rechts auf kirchliche Arbeitsverhältnisse deren Zugehörigkeit zu den „eigenen Angelegenheiten“ im Sinne von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV nicht aufhebt.13 Vielmehr richten sich auch unter der Geltung der staatlichen Regeln des Arbeitsrechts die Bedingungen der Arbeitsverträge „nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben“.14 Den Kirchen steht es daher bei der Entlehnung der staatlichen Regeln zum Arbeitsrecht frei, aufgrund des ihnen verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstverwaltungsrechts Dienstordnungen zu erlassen, in denen Aufgaben und Voraussetzungen für die Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen und Dienstpflichten für die einzelnen Dienstverhältnisse und Berufsgruppen geregelt werden, mithin also das Recht, die Arbeitsverhältnisse nach ihrem Selbstverständnis zu gestalten.15 a) Das „für alle geltende Gesetz“ im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WRV Nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV wird das Selbstbestimmungsrecht „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ gewährt. Diese Formulierung beinhaltet keinen Gesetzesvorbehalt.16 Schranken können jedoch alle formellen Bundes- oder Landesgesetze sein, die für alle Normadressaten gleichermaßen und damit auch für die Religionsgesellschaften bei der Ordnung ihrer eigenen Angelegenheiten gelten, also nur solche Rechtsnormen, die für die Kirche dieselbe Bedeutung haben wie für jedermann.17 Trifft das Gesetz die Religionsgemeinschaft oder die Kirche indes in ihrer Besonderheit als Kirche, indem deren Selbstverständnis betrof70, 138, 165; Richardi, Arbeitsrecht, § 2, Rdn. 24. 53, 366, 391; BVerfGE 57, 220, 243; BVerfGE 70, 138, 165: „schlichte Folge einer Rechtswahl“; Richardi, Arbeitsrecht, § 2, Rdn. 25, § 3, Rdn. 8; Hammer, Arbeitsrecht, S. 171 ff. 14 BVerfGE 70, 138, 166 ff.; NZA 2001, 717, 718; sinngemäß BVerfGE 137, 273, 307 f. 15 Richardi, Arbeitsrecht, § 2, Rdn. 26; Hammer, Arbeitsrecht, S. 172; ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, so zuletzt BVerfGE 137, 273, 307 ff. 16 BVerfGE 42, 312, 333; BVerfGE 53, 366, 404; BVerfGE 66, 1, 20; BVerfGE 72, 278, 289. 17 Sogenannte „Jedermann“-Formel, BVerfGE 42, 312, 332 [334 m. w. N.]; BVerfGE 66, 1, 20. 12 BVerfGE 13 BVerfGE
I. Der erweiterte sachliche Anwendungsbereich67
fen ist oder deren geistlich-religiöser Auftrag beschränkt wird, und damit anders oder schärfer als die übrigen Normadressaten, bildet es kein für alle gleichermaßen geltendes Gesetz und folglich auch keine verfassungsgemäße Schranke.18 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird über die weiterhin vertretene sogenannte Jedermann-Formel hinaus eine differenzierende Verhältnismäßigkeitsabwägung zwischen der Kirchenfreiheit und den kollidierenden Grundrechten und Verfassungsgütern vorgenommen.19 Dadurch ist zwischen dem Schutz der Kirchenfreiheit und dem staatlichen Rechtsgüterschutz einschließlich des Grundrechtsschutzes Dritter eine angemessene Zuordnung der beteiligten Rechtsgüter vorzunehmen.20 Ob eine Norm zu dem für alle geltenden Gesetz gehört, ist somit im Licht der Wertentscheidung der verfassungsrechtlichen Garantie für das kirchliche Selbstbestimmungsrecht auszulegen.21 Das gilt vor allem für den caritativen wie auch für den diakonischen Arbeitsbereich der kirchlichen Einrichtungen, weil die dort erbrachten sozialen Dienstleistungen als Ausdruck der christlichen Nächstenliebe Lebens- und Wesensäußerung der Kirchen sind und daher dem „Überschneidungsbereich“ von Kirchenautonomie und staatlichem Arbeitsrecht angehören.22 Der Gesetzeszweck der jeweiligen Normen des staatlichen Arbeitsrechts und die Kirchenautonomie sind daher entsprechend der Güterabwägungs- und Wechselwirkungslehre im Wege der praktischen Konkordanz verhältnismäßig einander zuzuordnen.23 b) Das AÜG als „für alle geltendes Gesetz“ Das AÜG selbst lässt offen, inwieweit das staatliche Recht der Arbeitnehmerüberlassung ein „für alle geltendes Gesetz“ im Sinne von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV und damit eine Schranke des geschützten Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften bildet. Dadurch, dass sich die Kirchen und die an dem gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht partizipierenden selbständigen kirchlichen Einrichtungen bei der Ausgestal18 BVerfGE 42, 312, 334; BVerfGE 72, 278, 289 ff.; BVerwGE 101, 309, 314; BVerwGE 117, 145, 147 ff.; BVerwG, NVwZ 2013, 65, 66 f.; Bayerischer VGH, NJW 2012, 1162, 1163. 19 BVerfGE 53, 366, 400; BVerfGE 66, 1, 20; BVerfGE 70, 138, 167; BVerfGE 72, 278, 289; Thüsing, in: FS Rüfner, S. 905. 20 Maunz/Dürig/Korioth, Art. 140 [Art. 137 WRV], Rdn. 47; Hesse, HdbStKirchR I, § 17, S. 549 ff. 21 Richardi, Arbeitsrecht, § 2, Rdn. 31; Hammer, Arbeitsrecht, S. 124. 22 Hammer, Arbeitsrecht, S. 128. 23 Hammer, Arbeitsrecht, S. 128, Richardi, Arbeitsrecht, § 2, Rdn. 31; eingehend auch Bock, S. 148 ff., 156; Hesse, HdbStKirchR I, § 17, S. 549 ff.; BVerfGE 70, 138, 166 f.; BAGE 30, 247, 254 ff.
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
tung privatrechtlicher Arbeitsverhältnisse des staatlichen Arbeitsrechts ähnlich einer Rahmenrechtsquelle bedienen, ohne dass für die Arbeitnehmer überlassung eigene, durch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht geprägte kirchliche Ordnungen bestünden, findet das AÜG uneingeschränkt als Rechtsquelle auch im kirchlichen, vorrangig im diakonischen und caritativen Bereich Anwendung.24 aa) Die Schranken im Bereich der echten Arbeitnehmerüberlassung Für die Fälle der sogenannten echten Arbeitnehmerüberlassung, die – in Abgrenzung zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung nach früherer Rechtslage – die nicht-gewerbsmäßige Überlassung erfasste und nach Transformation der Richtlinie 2008 / 104 / EG nun für die nicht-wirtschaftlichen Zwecken dienende Überlassung von Arbeitnehmern steht, gelten keine speziellen, die Überlassung als solche regelnden formellen Gesetze. Zum Teil werden zwar Einzelnormen auch für die echte bzw. nicht-wirtschaftliche Überlassung als anwendbar angesehen, so zum Beispiel für §§ 5 Abs. 1 S. 2 und 8 BetrVG hinsichtlich der Wählbarkeit von im Wege der echten Überlassung zur Verfügung gestellten Arbeitnehmern in den Betriebsrat des Entleihunternehmens.25 Sofern solche Normen bestehen, richten sie sich jedoch allgemein an jeden, der ihrem Anwendungsbereich unterfällt, und haben somit keinen spezifisch an kirchlich beschäftigte Leiharbeitnehmer oder kirchliche Leihunternehmen gerichteten Norminhalt.26 Sie können somit eine Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bilden. Im Fall der für anwendbar erachteten Normen des BetrVG sind die staatlichen Regelungen des Kollektivrechts wegen § 118 Abs. 2 BetrVG allerdings ohnehin nicht für den Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts anwendbar und stellen folglich 24 Zur Geltung staatlicher Normen im kirchlichen Bereich Hammer, Arbeitsrecht, S. 172; Richardi, Arbeitsrecht, § 2, Rdn. 25 f.; Scheuner, Rechtsgrundlagen der Beziehungen von Kirche und Staat, in: Schriften zum Staatskirchenrecht, S. 176; Link, in: FS Listl, S. 712 f.; Campenhausen/Wall, Staatskirchenrecht, S. 179 ff. Das kanonische Recht affirmiert die Anwendbarkeit der staatlichen Normen sogar ausdrücklich. Nach can. 1290 gilt: „Was das weltliche Recht in einem Gebiet über die Verträge im Allgemeinen und im Besonderen und über deren Erfüllung bestimmt hat, das ist im kanonischen Recht mit denselben Wirkungen hinsichtlich der der Leitungsgewalt der Kirche unterworfenen Angelegenheiten zu beachten, wenn das nicht dem göttlichen Recht widerspricht oder das kanonische Recht nicht eine andere Bestimmung trifft und unter Wahrung der Vorschrift von can. 1547.“ 25 BAGE 133, 202, 208 zur Wählbarkeit aus dem öffentlichen Dienst überlassener Bediensteter. 26 Die beispielhaft genannte Einbeziehung öffentlich-rechtlicher Angestellter in den Anwendungsbereich des BetrVG nach § 5 Abs. 1 S. 2 BetrVG findet bei kirchlich Beschäftigten ohnehin keine Anwendung wegen § 118 Abs. 2 BetrVG.
I. Der erweiterte sachliche Anwendungsbereich69
keine Schranke der Kirchenautonomie im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WRV dar.27 bb) Die Schranken im Bereich der unechten Arbeitnehmerüberlassung Inwieweit sich eine Schranke für einen wirtschaftlichen Zwecken dienenden Leiharbeitnehmereinsatz im Sinne des AÜG vor allem bei einem kirchlichen Entleihunternehmen ergeben kann, ist anhand des AÜG zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts sind die Kirchen trotz ihrer Autonomie an das für alle geltende Arbeitsrecht gebunden, wenn sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben Personen in abhängiger Stellung nach den Regeln des staatlichen Arbeitsrechts beschäftigen.28 In diesem Fall überschneiden sich der Bereich der Kirchenautonomie und der Bereich der staatlichen Arbeitsrechtsetzung mit der Folge, dass sich die Kirchenautonomie nur auf die spezifisch kirchlichen Bezüge erstreckt und im Übrigen das staatliche Arbeitsrecht Anwendung findet.29 Den anerkannten Religionskörperschaften steht daher außerhalb der Regelungsbereiche mit spezifisch kirchlichen Bezügen kein verfassungsrechtlich geschütztes Recht zur Statuierung eines auch im allgemeinen Rechtsverkehr zu beachtenden eigenen Arbeitsrechts zu.30 Somit gelten auch im kirchlichen Bereich grundsätzlich die staatlichen Arbeitsrechtsnormen, die allerdings durch die Besonderheiten des kirchlichen Dienstes, vor allem unter Berücksichtigung des Selbstverständnisses der Religionsgesellschaften, modifiziert werden.31 Denn bei der Anwendung des staatlichen Arbeitsrechts ist die besondere verfassungsrechtliche Stellung der Kirchen aus Art. 4 und 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV zu beachten.32 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung entgegen zuvor ergangenen anderslautenden Endscheidungen des Bundesarbeitsgerichts bestätigt.33 Die caritativen und diakonischen Einrichtungen sind daher, sofern sie sich zur Ausgestaltung der 27 So
schon BVerfGE 46, 73, 95 f. [Goch]; BVerfGE 53, 366, 403. 57, 220, 243; BVerfGE 70, 138, 165; BAGE 30, 122, 131 ff.; BAGE 37, 331, 336, BAGE 130, 146, 153 ff. 29 Hammer, Arbeitsrecht, S. 128; Richardi, Arbeitsrecht, § 2, Rdn. 31. 30 Heinig, Religionsgesellschaften, S. 162 f.; Rüfner, HdbStKirchR II, § 65, S. 879, 880 f. m. w. N. 31 Hammer, Arbeitsrecht, S. 128; Maunz/Dürig/Korioth, Art. 140 GG [Art. 137 WRV], Rdn. 41; Winter, Staatskirchenrecht, S. 198 ff.; Campenhausen/Wall, Staatskirchenrecht, S. 179 ff.; Heinig, Religionsgesellschaften, S. 162 f. 32 Hammer, Arbeitsrecht, S. 128. 33 BVerfGE 57, 220, 244 ff., in der Entscheidung wurde allerdings ein Schranken bildendes Gesetz für ein gewerkschaftliches Zutrittsrecht zu einer diakonischen Einrichtung verneint; im Anschluss daran LAG Köln, NZA-RR 1999, 655. 28 BVerfGE
70
F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
Rechtsverhältnisse mit den bei ihnen Beschäftigten, im Speziellen auch der mittels Leiharbeit Beschäftigten, des staatlichen Dienst- und Arbeitsrechts bedienen, an dessen Regelungen gebunden.34 Somit bildet das AÜG eine geeignete Schranke im Sinne von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV. c) Die Regelung der Arbeitnehmerüberlassung in den kirchlichen Ordnungen Der Einsatz von Leiharbeitnehmern wird in nur wenigen kirchlichen Ordnungen ausdrücklich erwähnt, so etwa für den katholischen Bereich in §§ 3, 34 MAVO, § 1 Abs. 2 lit. f KAVO-2008, für den evangelischen Bereich in § 1 Abs. 5 lit. b AVR-DW-EKD, § 1 Abs. 5 lit. b AVR.DD, § 1 Abs. 2 lit. f TV-EKBO. Jedes Diakonische Werk entscheidet eigenständig darüber, ob es die Regelungen der AVR-DW-EKD bzw. AVR.DD35 gegebenenfalls auch modifiziert oder andere im Bereich der gliedkirchlichen Diakonischen Werke existierende Regelungen anwendet oder selbst solche Regelungen entwickelt und in der jeweiligen gliedkirchlichen arbeitsrechtlichen Kommission abschließt. Eine solche ähnliche Regelung enthalten zum Beispiel § 1 Abs. 5 lit. b) AVR DWBO und § 1 Abs. 5 lit. b AVR-DW-EKD in der Fassung der Diakonie Sachsen, welche dennoch weitestgehend der Regelung in § 1 Abs. 5 lit. b AVR-DW-EKD und § 1 Abs. 5 lit. b AVR.DD nachempfunden sind. aa) Die Ordnungen im Bereich der Diakonie Diese Normen bestimmen indes keine Vorgaben zur Zulässigkeit und zur etwaigen zeitlichen oder inhaltlichen Beschränkung der Arbeitnehmerüberlassung im kirchlichen und diakonischen und caritativen Bereich. In der Diakonie kann allenfalls den Regelungen in § 1 Abs. 5 lit. b AVR-DW-EKD und in § 1 Abs. 5 lit. b AVR.DD ein Hinweis auf die zeitliche Komponente für den Einsatz von Leiharbeitnehmern entnommen werden, wenn die Arbeitnehmerüberlassung nur zur kurzfristigen Überbrückung von Personalengpässen dienen soll.36 Da § 1 Abs. 5 lit. b AVR-DW-EKD und § 1 Abs. 5 34 Heinig,
Religionsgesellschaften, S. 163 m. w. N. Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband ist die Dachorganisation der Diakonie in Deutschland. Als evangelischer Wohlfahrtsverband ist sie der soziale Dienst der Kirchen und trat 2012 die Nachfolge des Diakonischen Werkes der EKD an. Damit wurden auch die Arbeitsvertragsrichtlinien AVR-DW-EKD in die Arbeitsvertragsrichtlinien AVR.DD überführt. 36 § 1 Abs. 5 AVR-DW-EKD lautet: „Von den Abweichungsmöglichkeiten in § 17 und den Anlagen 14 und 17 der Arbeitsvertragsrichtlinien können Einrichtungen nur Gebrauch machen, wenn a) auf alle Dienstverhältnisse der Einrichtung und der mit ihr verbundenen Einrichtungen, die Mitglied in einem Diakonischen Werk sind, die 35 Die
I. Der erweiterte sachliche Anwendungsbereich71
lit. b AVR.DD jedoch lediglich die Voraussetzungen für von den Arbeitsvertragsrichtlinien abweichende Dienstvereinbarungen regeln und ansonsten keine weiteren Aussagen zur zeitlichen Komponente der Überlassung treffen, kann aus der Existenz dieser Normen lediglich geschlossen werden, dass die Arbeitnehmerüberlassung als solche als grundsätzlich zulässig vorausgesetzt wird. Das Mitarbeitervertretungsrecht im Bereich der Diakonie enthält keine expliziten Regelungen für überlassene Arbeitnehmer. § 2 Abs. 3 MVG-EKD regelt lediglich den Mitarbeiterstatus von aufgrund von Gestellungsverträgen beschäftigten Personen. bb) Die Ordnungen im Bereich der Caritas Für den Bereich der Caritas regelt § 3 Abs. 1 Satz 2 MAVO den Satus von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dem Dienstgeber zur Arbeitsleistung im Sinne des AÜG überlassen werden; ein solcher Status soll ihnen überlassenen Beschäftigten im Geltungsbereich der MAVO nicht zukommen. In § 34 Abs. 2 Nr. 3 MAVO wird das Zustimmungsverweigerungsrecht der Mitarbeitervertretung für die Fälle geregelt, in denen die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern länger als sechs Monate dauert. Etwaige Zulässigkeitsvoraussetzungen oder Beschränkungen der Leiharbeit lassen sich auch daraus nicht herleiten. Durch die Erwähnung des Einsatzes von Mitarbeitern nach dem AÜG implizieren diese Regelungen jedoch die grundsätzliche Zulässigkeit der Arbeitnehmerüberlassung auch im caritativen Bereich und setzen die Arbeitnehmerüberlassung damit als grundsätzlich zulässiges personalpolitisches Instrument des kirchlichen Dienstgebers voraus. d) Das Fazit Das personalpolitische Instrument der Arbeitnehmerüberlassung wird im kirchlichen Bereich als grundsätzlich zulässiges Personalinstrument vorausgesetzt. Mangels spezieller kircheneigener Regelungen zu den Voraussetzungen oder den Schranken der Arbeitnehmerüberlassung richten sich die Rechtsverhältnisse zwischen Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer im Arbeitsvertragsrichtlinien oder eine gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlage angewandt werden, b) Leiharbeitnehmer nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) nur zur kurzfristigen Überbrückung von Personalengpässen eingesetzt werden. Bei Einrichtungsträgern, in deren Einrichtungen insgesamt mehr als 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt sind, ist eine kurzfristige Überbrückung im Sinne dieser Regelung anzunehmen, wenn nicht mehr als 5 vom H. der insgesamt im Jahresdurchschnitt beschäftigten Vollkräfte in den Einrichtungen des Trägers Leiharbeitnehmer im Sinn des AÜG sind. Bei der Ermittlung der Anzahl der Vollkräfte sind Teilzeitbeschäftigte anteilig zu berücksichtigen.“
72
F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
gesamten kirchlichen, also auch im diakonischen und im caritativen Bereich für alle Rechtsformen, nach denen diakonische und caritative Einrichtungen Arbeitnehmer an wiederum kirchliche Einrichtungen oder auch an kirchenferne Einrichtungen verleihen oder von diesen entleihen, nach den Vorgaben des AÜG als „für alle geltendes Gesetz“ im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WRV.
II. Die tatbestandliche Erstreckung des AÜG auf kirchliche Verleihunternehmen Mit der Implementierung der Richtlinie 2008 / 104 / EG in das AÜG ist eine Erweiterung auch des persönlichen Anwendungsbereichs des AÜG einhergegangen, die vor allem Änderungen für solche Verleihunternehmen mit sich gebracht hat, die dem AÜG wegen fehlender oder irrelevanter Gewinnerzielungsabsicht bislang nicht unterlagen. Im Folgenden soll untersucht werden, welche Konsequenzen damit für kirchliche Einrichtungen und Personaldienstleister verbunden sind. 1. Die Entbehrlichkeit der Gewinnerzielungsabsicht und die wirtschaftliche Betätigung des Leiharbeitsunternehmers Nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG a. F. bedurften diejenigen Verleihunternehmer der Erlaubnis, die Leiharbeitnehmer gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung an Dritte überlassen wollten. Durch die Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG in nationales Recht ist eine Gewinnerzielungsabsicht nun gerade nicht mehr erforderlich. Nach der Neuregelung von § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG besteht eine Erlaubnispflicht für diejenigen Verleihunternehmer, die im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit Leiharbeitnehmer zur Arbeitsleistung an Dritte überlassen. Abgestellt wird allein auf die wirtschaftliche Betätigung der verleihenden Einrichtungen. a) Die frühere Rechtslage zur gewerbsmäßigen Betätigung Im Hinblick auf den Anwendungsbereich lag dem bisherigen AÜG der gewerberechtliche Begriff zur Gewerbsmäßigkeit zugrunde.37 Die Gewerbsmäßigkeit der Arbeitnehmerüberlassung ist eng verbunden mit der Frage der Anerkennung der Gemeinnützigkeit im Sinne der §§ 52 ff. AO, weil sie voraussetzt, dass eine Förderung nur selbstlos erfolgt, wenn „nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke“ unterstützt werden, § 55 Abs. 1 AO. Für die Beurteilung der Gewerbsmäßigkeit war vor allem erforderlich, dass die 37 BAGE
65, 43, 51 f.
II. Tatbestandliche Erstreckung des AÜG auf kirchliche Verleihunternehmen73
selbständige Verleihtätigkeit des Leiharbeitsunternehmers auf Dauer angelegt war und mit Gewinnerzielungsabsicht vorgenommen wurde.38 Weil lediglich die Absicht der Gewinnerzielung zur Bejahung der Gewerbsmäßigkeit als ausreichend angesehen wurde, kam es nicht darauf an, ob tatsächlich ein Gewinn erwirtschaftet, sondern ob unmittelbar oder mittelbar ein Überschuss der Erträge gegenüber den Aufwendungen angestrebt wurde.39 An einer Gewinnerzielungsabsicht sollte es daher regelmäßig fehlen, wenn die Überlassung von Arbeitnehmern lediglich gegen Erstattung der dem Verleiher entstehenden Kosten erfolgen sollte und diesem dadurch auch mittelbar keine wirtschaftlichen Vorteile erwachsen sollten.40 Gemeinnützige Einrichtungen wie diakonische und caritative Unternehmen fielen regelmäßig häufig aus dem persönlichen Anwendungsbereich des AÜG heraus, wenn deren Betätigung vorrangig auf die Deckung der Kosten ausgerichtet war und damit keine relevante Gewinnerzielungsabsicht vorlag.41 Das war vor allem der Fall, wenn Betriebsteile – etwa aus Gründen der Neustrukturierung oder zur Reduktion der Personalkosten – aus einer kirchlichen Einrichtung ausgegründet und die Beschäftigten in einer rechtlich selbständigen Betriebsform neu angestellt wurden, etwa in Form von eigenen Personalservicegesellschaften, um die ausgegliederten Angestellten anschließend an diese Mutterbetriebe oder an sonstige externe Einsatzbetriebe wieder (zurück) zu verleihen.42 Bestanden der Zweck und der Aufgabenbereich des VerleihTochterunternehmens ganz überwiegend darin, die bei dem Entleiher ehemals Beschäftigten ausschließlich an diesen zu verleihen und waren die Erlöse nur zur Deckung der eigenen Aufwendungen bestimmt, fehlte es folglich an einer Gewinnerzielungsabsicht und damit an der Gewerbsmäßigkeit der Arbeitnehmerüberlassung.43 Für diakonische und caritative Leiharbeitsunternehmen, die allein oder in Form eines sogenannten Mischbetriebs die Arbeitnehmerüberlassung vor allem an kirchliche Einrichtungen zum Selbstkostenpreis betrieben, schied bereits wegen §§ 52 ff. AO die Gewerbsmäßigkeit der Ar38 Rieble/Vielmeier,
EuZA 2011, 474, 476. NZA 2011, 791, 794. 40 BAGE 113, 218, 225; BAGE 65, 43, 51 f.; BAG, NZA 2011, 351, 353; BAG, NZA 2011, 791, 794; LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 2009, 75, 77. 41 Schüren/Hamann4, AÜG, § 1, Rdn. 276. 42 Sogenanntes „Sale and Lease back“-Modell. Von der Auslagerung häufig betroffene Berufsgruppen sind das Wäscherei- und Reinigungspersonal, Küchen- und EDV-Servicekräfte. Weitere Beispiele für ausgelagerte Berufsgruppen nennt Richartz, ZMV 2011, 138, 139. 43 Schüren/Hamann4, AÜG, § 1, Rdn. 276; Hamann, EuZA 2009, 287, 300; BAGE 94, 144, 150 ff.; BAGE 110, 27, 34; BAGE 113, 218, 225; BAG, NZA 2005, 1006, 1008. Für einzelne Normen des AÜG bejahte die Rechtsprechung allerdings die Analogiefähigkeit auch für Fälle nicht-gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung, z. B. BAGE 110, 27, 31 für § 14 Abs. 1 AÜG. 39 BAG,
74
F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
beitnehmerüberlassung aus, weil diese nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke – zum Beispiel gewerbliche Zwecke oder sonstige Erwerbszwecke – verfolgten. b) Die wirtschaftliche Betätigung aa) Der Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG Der persönliche Anwendungsbereich des AÜG ist infolge der Transformation der Richtlinie 2008 / 104 / EG in das AÜG gegenüber der früheren Rechtslage ausgedehnt worden. Weil gemeinnützige, nicht oder nicht vorrangig auf Gewinnerzielung ausgerichtete Unternehmen schon nach der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich dem persönlichen Anwendungsbereich von EG-Richtlinien unterlagen, sind folglich die Bestimmungen der Richtlinie 2008 / 104 / EG auf gemeinnützige Einrichtungen wie diakonische und caritative Einrichtungen anwendbar.44 Der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG ist weiter gefasst als der bisherige Anwendungsbereich des AÜG, weil sie nach der Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG voraussetzt, dass es sich bei den Leiharbeitsunternehmen oder entleihenden Unternehmen um solche Unternehmen handelt, die lediglich eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, und zwar unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht, Art. 1 Abs. 2 a. E. der Richtlinie 2008 / 104 / EG. (1) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Der Gesetzgeber hat den Begriff der Wirtschaftlichkeit ohne weitere tatbestandliche Konkretisierung oder nähere Erläuterungen in der Gesetzesbegründung aus Art. 1 Abs. 2 Richtlinie 2008 / 104 / EG in das AÜG übernommen. (a) Die Entbehrlichkeit des Strebens nach wirtschaftlichem Vorteil Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs der Wirtschaftlichkeit kann somit auf den europarechtlichen Unternehmensbegriff abgestellt werden, der zur Bestimmung der Unternehmereigenschaft eine wirtschaftliche Tätigkeit als notwendig voraussetzt, aber auch genügen lässt.45 Ob das verleihende 44 EuGH, Urteil vom 8.6.1994 – Az. C-382/920 = Slg. 1994, I-2435; Thüsing, RdA 2009, 118, 119. 45 EuGH, Urteil vom 16.6.1987 – Az. C-118/85, Rs. 118/85 = Slg. 1987, 2599, Rdn. 7; EuGH, Urteil vom 19.2.2002 – Az. 309/99 = Slg. 2002, I-1577, Rdn. 46 f.;
II. Tatbestandliche Erstreckung des AÜG auf kirchliche Verleihunternehmen75
Unternehmen mit der Zurverfügungstellung von Leiharbeitnehmern mittelbar oder unmittelbar einen wirtschaftlichen Vorteil anstrebt, ist folglich unbeachtlich; auf die Motive des Leihunternehmers im Hinblick auf eine Gewinnerzielung kommt es somit nicht mehr an.46 Vom persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG werden daher nun auch alle gemeinnützigen Institutionen wie diakonische und caritative Einrichtungen erfasst, wenn sie bei der Ausübung der Arbeitnehmerüberlassung als Verleiher am Markt auftreten und damit in Konkurrenz zu anderen Verleihern stehen und wie diese am Wirtschaftsverkehr teilnehmen.47 Eine wirtschaftliche Tätigkeit soll danach jede Tätigkeit sein, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten.48 Ein Markt im wettbewerbsrechtlichen Sinne liegt dann vor, wenn Auftraggeber Dienstleistungen von mehreren Anbietern in Anspruch nehmen können und zwischen den Anbietern ein gewisser Wettbewerb besteht.49 (b) Die Übertragbarkeit der Rechtsprechung Der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit ist zwar vom Europäischen Gerichtshof vorwiegend im Rahmen von wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten begrifflich bestimmt und ausgefüllt worden. Es könnte deshalb zweifelhaft sein, ob das vorwiegend wettbewerbsrechtliche Begriffsverständnis der Wirtschaftlichkeit auf die Fälle der Arbeitnehmerüberlassung uneingeschränkt übertragbar ist, weil die Art der Betätigung des Verleihunternehmens am Markt für den mit der Richtlinie 2008 / 104 / EG erstrebten Sozialschutz für die Leiharbeitnehmer an sich nicht allein entscheidend sein kann. Die bewusste Aufnahme des Merkmals der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ durch den Richtliniengeber in den Wortlaut der Richtlinie 2008 / 104 / EG spricht indes dafür, dass das Merkmal unionseinheitlich auch im Sinne des Verständnisses der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufgefasst werden soll.50
EuGH, EuZW, 2006, 306, 310; EuGH, NZA 2011, 1077, 1079 f.; Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 477. 46 Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 478; Hamann, RdA 2011, 321, 323. 47 Ulber5, AÜG, § 1, Rdn. 191, 205; Lembke, DB 2011, 414; Lembke, FA 2011, 290; Hamann, RdA 2011, 321, 323; Boemke, RIW 2009, 177, 178; Leuchten, NZA 2011, 608, 609; Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 477 f.; Böhm, DB 2011, 473, 474. 48 Ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, siehe nur EuGH, EuZW, 1999, 93; EuGH, EuZW 2008, 605. 49 Schewiola, ArbRB 2013, 182, 183; EuGH, Urteil vom 16.3.2004 – Az. C-264/01. 50 Thüsing/Thieken, DB 2012, 347, 350.
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
(2) Das Fazit Mit der auf der Grundlage der Richtlinie 2008 / 104 / EG geschaffenen Gesetzeslage sind nunmehr auch gemeinnützigen, ideellen Zwecken dienende Unternehmen, die marktbezogene Dienstleistungen wie die Zurverfügungstellung von Leiharbeitnehmern anbieten, vom persönlichen Anwendungsbereich des AÜG erfasst, soweit sie mit ihrem Produkt oder ihrer Dienstleistung – namentlich der Überlassung von Arbeitskraft – am Wirtschaftsleben teilnehmen und wenn sie bei objektiver Betrachtung in wirtschaftlicher Konkurrenz zu den sonstigen privaten oder auch ideelle Zwecke verfolgenden Anbietern von Leiharbeit stehen.51 Erlaubnispflichtige Leiharbeit im Sinne der Richtlinie 2008 / 104 / EG und im Sinne des AÜG ist de lege lata daher jede Form der Arbeitnehmerüberlassung, sei es mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht, sofern der Verleiher am Markt wie jeder andere mitkonkurrierende Anbieter auftritt.52 Eine subjektive Gewinnerzielungsabsicht oder eine sonstige Absicht, am Markt tätig zu sein, setzt das Merkmal der wirtschaftlichen Betätigung nicht mehr voraus. Die Marktbezogenheit der Tätigkeit beurteilt sich allein danach, ob die Tätigkeit in Konkurrenz zu anderen Unternehmen steht, die dieselbe Dienstleistung anbieten.53 Ob das der Fall ist, bemisst sich anhand objektiver Maßstäbe danach, ob das Dienstleistungsunternehmen seine Tätigkeit zu Lasten oder zumindest in Konkurrenz zu anderen Marktteilnehmern anbietet und durchsetzt.54 Das ist in der Regel anzunehmen, wenn eine diesbezügliche Nachfrage am Markt bedient werden soll. bb) Die Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG Zum Teil wird in der Literatur die Ansicht vertreten, dass ausschließlich gemeinnützigen, caritativen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder sonstigen allein ideellen Zwecken dienende Unternehmen sowie hoheitliche Gewalt ausübende Unternehmen vom Anwendungsbereich des AÜG ausgenommen sein sollen.55 Darüber hinaus sollen auch „Tätigkeiten für den Hausge51 Ulber5,
AÜG, § 1, Rdn. 205; Sansone, S. 473. 847/10, S. 7. Bislang wurde indes auch der Verleih durch gemeinnützig anerkannte Einrichtungen als gewerbsmäßig angesehen, Elfter Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – BT-Drs. 17/464, S. 19 f. 53 Ulber5, AÜG, § 1, Rdn. 203, 207; Rieble, Gutachten, S. 18. 54 ErfK18/Wank, AÜG, § 1, Rdn. 42, 45; Ulber5, AÜG, § 1, Rdn. 203, 207; Rieble, Gutachten, S. 18. 55 So Hamann, NZA 2011, 70, 71; Hamann, RdA 2011, 321, 323; Hamann, EuZA 2009, 287, 300 und wohl auch Sansone, S. 473, allerdings ohne Angabe von Gründen. 52 BR-Drs.
II. Tatbestandliche Erstreckung des AÜG auf kirchliche Verleihunternehmen77
brauch, private Tätigkeiten“ vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG ausgenommen sein.56 Diese Ansicht stützt sich im Wesentlichen auf das bei ideelle Zwecke verfolgenden Unternehmen typischerweise vollständige Fehlen des in der Regel mit der Arbeitnehmerüberlassung verfolgten Zwecks der Gewinnerzielung und knüpft damit wieder stärker an das nach der früheren Gesetzeslage erforderliche Kriterium der Gewerbsmäßigkeit des Leiharbeitsunternehmens an, auf welches es der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum nunmehr de lege lata maßgeblichen Begriff der „Wirtschaftlichkeit“ aber gerade nicht ankommen soll.57 Diese Ansicht findet daher weder eine Stütze in der Genese der Richtlinie 2008 / 104 / EG noch im Wortlaut des Richtlinientexts und des AÜG. cc) Die Stellungnahme Vom Regelungszweck der Richtlinie 2008 / 104 / EG ausgehend mag in solchen, sich ausschließlich gemeinnützig oder sonst ideell betätigenden Unternehmen ohne jeden Marktbezug kein oder ein nur geringes Bedürfnis für einen Leiharbeitnehmerschutz durch die Vorschriften des AÜG und der Richtlinie 2008 / 104 / EG bestehen. So sah auch schon die Rechtsprechung zum früheren Kriterium der Gewerbsmäßigkeit bei nicht auf Gewinnerzielung angelegter, uneigennütziger Arbeitnehmerüberlassung die Gefahr der Absenkung des Sozialschutzes der betroffenen Arbeitnehmer typischerweise als geringer als bei gewerbsmäßig ausgerichteter Arbeitnehmerüberlassung an.58 Ein Marktbezug der Arbeitnehmerüberlassung mag auch in den Fällen zu verneinen sein, in denen aus sozialpolitischen Motiven eine lediglich künstliche Arbeitsnachfrage geschaffen werden soll, etwa zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen über den „Dritten Arbeitsmarkt“, weil insoweit keine marktbestimmte Nachfrage nach Arbeitskräften bedient wird.59 So stellt Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2008 / 104 / EG diese Fälle von vornherein zur Regelungsdisposition der Mitgliedstaaten und eröffnet somit deren Exklusion aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie, indem den Mitgliedstaa56 Schüren/Wank,
RdA 2011, 1, 3. 65, 43, 52 ff.; Sansone, S. 473, Fn. 2678, wirft Hamann, NZA 2011, 70, 71 und RdA 2011, 321, 323, vor, „missverständlich“ auf den verfolgten Zweck abzustellen. Gleichzeitig stellt aber auch Sansone allein auf die Tätigkeit des Leihunternehmens ab, ohne die tatsächliche Marktbezogenheit der Arbeitnehmerüberlassung zu berücksichtigen. 58 BAG, NZA 2011, 351, 353. 59 Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 478; Schüren/Wank, RdA 2011, 1, 3. Zu den Neuerungen der arbeitsmarktpolitischen Instrumente Voelzke, jurisPR-SozR 5/2009 Anm. 4. 57 BAGE
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
ten die Befugnis eingeräumt wird, national bestehende Regelungen für berufliche Ausbildungs-, Eingliederungs- und Umschulungsprograme neu zu schaffen und beizubehalten.60 In den von der Richtlinie 2008 / 104 / EG selbst vom Anwendungsbereich ausgenommenen Fällen besteht zudem in der Regel kein Bedürfnis für einen besonderen Schutz dieser Arbeitnehmer durch die Vorschriften der Richtlinie 2008 / 104 / EG und des AÜG. Denn arbeitsmarktpolitischen Zwecken dienende Beschäftigungsverhältnisse und die Schutzinteressen der betroffenen Arbeitnehmer in den Ausbildungs-, Eingliederungsund Umschulungsvorschriften sind ihrerseits zumeist gesondert geregelt, in Deutschland zum Beispiel über die Regelungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und zur Arbeitsförderung im Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), so dass ein Bedarf für einen eigenständigen Schutz der Leiharbeitnehmer jedenfalls in diesem Bereich nicht zu verzeichnen ist.61 Das Instrument der Arbeitnehmerüberlassung und die arbeitsmarktpolitischen Mechanismen der (Wieder)Eingliederung von Arbeitskräften in den Arbeitsmarkt weisen allerdings keine Schnittmenge auf, sodass vor allem bei im unionsrechtlichen Sinn wirtschaftlichen, aber nichtgewerbsmäßigen Verleihunternehmen, wie sie zum Beispiel im kirchlichen Bereich bestehen können, die Frage des fehlenden Marktbezugs wenn überhaupt nur theoretischer Natur ist. Es bedarf, um ausschließlich gemeinnützigen, caritativen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder sonstigen ideellen Zwecken dienende Unternehmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG auszunehmen, somit der Prüfung im Einzelfall, ob die Dienstleistung „Arbeitnehmerleihe“ des allein gemeinnützige oder ideelle Zwecke verfolgenden Unternehmens tatsächlich in nicht marktrelevanter Konkurrenz zu anderen Marktteilnehmern angeboten wird und es deshalb keines Arbeitnehmerschutzes durch die Richtlinie 2008 / 104 / EG bedarf. Auch wenn ein genereller Ausschluss der gegebenenfalls analogen Anwendung zumindest einzelner sozialer Schutznormen des AÜG im Fall eines nicht-wirtschaftlichen Zwecken dienenden Unternehmens jedenfalls von vornherein nicht geboten ist, dürfte das allerdings nur ganz geringe Fallzahlen betreffen. Schon bei dem früheren tatbestandlichen Erfordernis der Gewerbsmäßigkeit der Arbeitnehmerüberlassung wurde zudem zutreffend in Frage gestellt, ob das Kriterium der Gewerbsmäßigkeit überhaupt in einem inneren Zusammenhang zum intendierten sozialen Leiharbeitnehmerschutz stand und ob der 60 Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG lautet: „Die Mitgliedstaaten können nach Anhörung der Sozialpartner vorsehen, dass diese Richtlinie nicht für Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse gilt, die im Rahmen eines spezifischen öffentlichen oder von öffentlichen Stellen geförderten beruflichen Ausbildungs-, Eingliederungs- und Umschulungsprogramms geschlossen wurden.“ 61 Dazu im Überblick Voelzke, jurisPR-SozR 5/2009 Anm. 4.
II. Tatbestandliche Erstreckung des AÜG auf kirchliche Verleihunternehmen79
erstrebte soziale Schutz der leihweise Beschäftigten im Fall der Bejahung der Gewerbsmäßigkeit der Überlassung mit der Folge der Anwendbarkeit des AÜG überhaupt gewährleistet werden konnte.62 Schließlich hat das Bundesarbeitsgericht wiederholt einzelne Normen des AÜG für die Fälle der nichtgewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung für analog anwendbar erklärt, etwa hinsichtlich der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des Leiharbeitnehmers, für welche es dem Bundesarbeitsgericht zufolge keine Rolle spiele, ob der Verleiher mit der Überlassung einen eigenen arbeitstechnischen Zweck verfolge und § 14 AÜG a. F. entsprechend angewendet werden könne.63 Anhand dieser Rechtsprechung erfolgte eine Einzelfallbetrachtung mit der Maßgabe der Einzelfallprüfung, inwieweit der Leiharbeitnehmerschutz geboten erschien und durch analoge Anwendung einzelner AÜG-Normen gewährleistet werden konnte, sodass es auf das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit der Überlassung dort nicht mehr ankam. Auch auf der Grundlage des nun maßgeblichen Kriteriums der Wirtschaftlichkeit der Überlassung ist im Hinblick auf den intendierten Leiharbeitnehmerschutz ein innerer, unlösbarer Zusammenhang nicht erkennbar, weil der Leiharbeitnehmerschutz nicht nur bei einer Betätigung des Verleihers am Markt geboten sein kann. Zwar mag auch bei nicht-wirtschaftlicher Überlassung im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich ein geringeres Bedürfnis für den Sozialschutz der Leiharbeitnehmer anzunehmen sein. Das schließt indes eine analoge Erstreckung zumindest einzelner Normen auf Fälle der nicht-wirtschaftlichen Tätigkeit des Verleihers dem Regelungsziel des Leiharbeitnehmerschutzes folgend nicht von vornherein aus. Vielmehr stellt sich auch dort im Einzelfall weiterhin die Frage nach der Schutzbedürftigkeit der überlassenen Arbeitnehmer und folglich nach der Gebotenheit einer Analogiebildung zu den kodifizierten Fällen der wirtschaftlichen Überlassung. Schließlich haben Legislative und Judikative nach dem europarechtlichen effet utile-Grundsatz dafür Sorge zu tragen, die Erreichung des intendierten Schutzzwecks der Richtlinie 2008 / 104 / EG zu fördern und zu gewährleisten. So sind keine Gründe gegen die Übertragung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des Leiharbeitnehmers im Entleihbetrieb erkennbar.64 Das muss jedenfalls für solche 62 Hamann,
EuZA 2009, 287, 299. BAGE 60, 368, 379 [381 ff.]; BAGE 94, 144, 150; BAGE 110, 27, 31 für die entsprechende Anwendung von § 14 Abs. 1 AÜG a. F.; anders als das LAG Bremen, EzAÜG § 10 AÜG Fiktion Nr. 123, lehnt das Bundesarbeitsgericht, BAG, Urteil vom 12.7.2016 – Az. 9 AZR 51/15, sowie BAG, BB 2016, 2686, so auch schon BAG, NZA 2011, 351, die analoge Anwendung von § 10 Abs. 1 AÜG a. F. ab. 64 Zur Rechtsprechung siehe BAGE 113, 218, 225; BAGE 65, 43, 51 f.; BAG, NZA 2011, 351, 352 f.; BAG, NZA 2011, 791, 794. 63 So
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
Fälle gelten, in denen die nicht vorhandene wirtschaftliche Tätigkeit des Verleihers keine Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung von Leiharbeitnehmern in einer vergleichbaren Interessenlage bietet. Im Vergleich zur früheren Rechtslage ist somit ein Unterschied zur Gesetzeslage de lege lata nicht erkennbar. Die zur nicht-gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung ergangene Rechtsprechung kann somit auf die Fälle der nicht-wirtschaftlichen Überlassung übertragen werden, weil es auch in diesen Fällen aus den Gründen des Sozialschutzes von Leiharbeitnehmern im Einzelfall geboten sein kann, die Fälle der nicht-wirtschaftlichen, allein gemeinnützigen oder ideellen Zwecken dienenden Arbeitnehmerüberlassung – wie sie gerade im kirchlichen Bereich denkbar ist – im Wege der Analogie einzelner Normen des AÜG zum Schutz der Leiharbeitnehmer in den Anwendungs- und damit in den Schutzbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG und des AÜG einzubeziehen. Dafür spricht auch der Erwägungsgrund 12 der Richtlinie 2008 / 104 / EG, nach dem „[diese Richtlinie] einen diskriminierungsfreien, transparenten und verhältnismäßigen Rahmen zum Schutz der Leiharbeitnehmer [festlegt] und gleichzeitig die Vielfalt der Arbeitsmärkte und der Arbeitsbeziehungen [wahrt].“
Im Übrigen führt das im Vergleich zur „Gewerbsmäßigkeit“ im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG a. F. nunmehr weiter gefasste Merkmal der wirtschaftlichen Tätigkeit ohnehin dazu, dass im Vergleich zur früheren Rechtslage bereits tatbestandlich eine höhere Anzahl an verleihenden Unternehmen vom sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des AÜG erfasst wird und somit auch eine höhere Anzahl von Leiharbeitnehmern am Sozialschutz der Richtlinie 2008 / 104 / EG und des AÜG teilhat.65 c) Die Wertungen und Rückschlüsse aus §§ 51 bis 55 AO Im Nachfolgenden soll untersucht werden, ob anhand der Regelungen zur steuerlichen Begünstigung nach §§ 51 bis 55 AO Rückschlüsse oder sogar eine Indizwirkung bezüglich der Abgrenzung von wirtschaftlich und nichtwirtschaftlich handelnden Dienstanbietern gezogen werden können. Dazu müssen die Voraussetzungen für die steuerliche Begünstigung im Sinne von §§ 51 bis 55 AO den Umständen gegenübergestellt werden, die zur Nichtanwendbarkeit des AÜG führen sollen – dass also durch gemeinnützig, mildtätig oder kirchlich tätige Anbieter von Leiharbeitsdienstleistungen 65 So sinngemäß auch das Bundesarbeitsgericht, BAG, NZA 2011, 351, 353 (Rdn. 26), das nachvollziehbare Gründe für die Anwendbarkeit der Richtlinie 2008/104/EG jedenfalls auch für die nicht-gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung sieht.
II. Tatbestandliche Erstreckung des AÜG auf kirchliche Verleihunternehmen81
keinerlei wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird und mangels Bedienung einer marktüblichen Nachfrage an Arbeitsleistung folglich auch kein Konkurrenzverhältnis zu gewerblichen Mitanbietern besteht. Es genügt für die Anerkennung steuerbegünstigter Zwecke bereits, dass die Förderung oder Unterstützung als solche selbstlos erfolgt, wenn dadurch nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke – zum Beispiel gewerbliche Zwecke oder sonstige Erwerbszwecke – verfolgt werden. Die eine Steuerbegünstigung rechtfertigende Selbstlosigkeit ist gerade geprägt durch ein uneigennütziges, altruistisches, nicht den eigenen Vorteil suchendes Handeln zum Wohle Dritter, wofür kennzeichnend ist, dass die Motivation, das Wohl der Allgemeinheit zu fördern, von eigenen Egoismen weitgehend befreit ist.66 Das selbstlose Handeln honoriert der Staat durch die gewährte steuerliche Begünstigung. Schon aus naheliegenden betriebswirtschaftlichen Gründen sind jedoch auch steuerbegünstigte Dienstleister gehalten, wirtschaftlich zu handeln, wozu aus der jeweils angebotenen Dienstleistung Einnahmen generiert und auch Gewinne erwirtschaftet werden müssen, etwa zur Sicherstellung der Entlohnung der Arbeitnehmer oder zur Vornahme etwaiger baulicher oder baupolizeilicher Maßnahmen an Gebäudeeinrichtungen. Solcherlei Gewinnerzielung schadet der steuerlichen Begünstigung solange nicht, wie diese nicht zum ausschließlichen, überwiegenden oder jedenfalls gleichrangigen, sondern lediglich zum beiläufigen Zweck des Dienstanbieters wird.67 Steuerbegünstigte Dienstleister verfolgen dann notwendig – selbst wenn nicht in erster Linie – auch eigenwirtschaftliche Zwecke, wodurch der Marktbezug hergestellt wird, der dem europäischen Wirtschaftlichkeitsbegriff zugrunde liegt. Die Voraussetzungen nach §§ 51 bis 55 AO bieten folglich keine hinreichenden Anhaltspunkte, um anhand der steuerlichen Begünstigung eines Anbieters von Leiharbeitsdienstleistungen zu klären, ob dieser wirtschaftlich handelt und damit dem Anwendungsbereich des AÜG unterliegt. Den §§ 51 bis 55 AO kommt auch keine Indizwirkung zu, weil eine altruistische, nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Betätigung das Selbstverständnis, die innere Verfasstheit und betriebliche Struktur des Anbieters betrifft und keine Rückschlüsse auf seine „Außenwirkung“ gegenüber den konkurrierenden Marktteilnehmern zulässt. Insgesamt haben die subjektiven Merkmale der steuerbegünstigten Zweckrichtung eines Dienstanbieters keine Auswirkungen auf die Auslegung des Begriffs der wirtschaftlichen Tätigkeit in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG. 66 Koenig-Koenig,
Abgabenordnung, § 55, Rdn. 4. Abgabenordnung, § 55, Rdn. 6. Diese zeigen sich zum Beispiel häufig bereits im Firmennamen der kirchlichen Einrichtung zum Beispiel als „gGmbH“, „gAG“ oder in sonstigen Rechtsformen wie gemeinnützigen Stiftungen oder Vereinen. 67 Koenig-Koenig,
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
d) Die privilegierte konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung aa) Die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung im historischen Kontext Nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG in der Fassung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt konnte innerhalb eines Konzerns nicht erlaubnispflichtige Arbeitnehmerüberlassung erfolgen, soweit der Leiharbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend nicht bei seinem Arbeitgeber erbrachte.68 Der Gesetzgeber ging davon aus, dass bei dieser gesetzlich privilegierten Konstellation Arbeitnehmer grundsätzlich entlassen werden können, um sie als Leiharbeitnehmer über eigens gegründete, nicht nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG a. F. erlaubnispflichtige Personaldienstleistungsgesellschaften in deren ehemaligen Unternehmen oder in anderen konzernangehörenden Unternehmen zu in der Regel ungünstigeren Arbeitsbedingungen einzusetzen.69 Der Gesetzgeber nahm an, dass die soziale Schutzbedürftigkeit der Leiharbeitnehmer anders als bei der gewerblichen Überlassung geringer sei, weil nur der konzerninterne Arbeitsmarkt betroffen sei.70 Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts betrieben innerhalb eines Konzerns verleihende Unternehmen kein Gewerbe, weil ihre Tätigkeit nicht, jedenfalls nicht hauptsächlich auf die Gewinnerzielung ausgerichtet war.71 Daher sollte das AÜG gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG a. F., vor allem im Hinblick auf den sonst bestehenden Erlaubnisvorbehalt der Überlassung und dem „Equal Pay- / Equal Treatment“Grundsatz, auf solche Konstellationen unanwendbar sein, in denen eine vorübergehende Überlassung von Arbeitnehmern zwischen Konzernunternehmen erfolgte, wobei das Merkmal „vorübergehend“ als flexible Zeitkomponente extensiv ausgelegt werden sollte.72 Schließlich galt die damalige Höchstüberlassungsfrist von zuletzt 24 Monaten nach § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a. F. gerade nicht für die konzerninterne Überlassung. Für die Beurteilung der Gewinnerzielungsabsicht stellte das Bundesarbeitsgericht zunächst allein darauf ab, ob dem verleihenden Konzernunternehmen unmittelbar oder mittelbar Vorteile durch die Arbeitnehmerüberlassung entstanden; etwaige Vorteile beim entleihenden Konzernunternehmen oder bei dem Konzernmutterunternehmen sollten bei der Beurteilung unbe68 BGBl. 2002
I, S. 4607. jedenfalls die Begründung zum Regierungsentwurf BT-Drs. 17/4804, S. 8 f. (Begründung unter B zu Art. 1 Nr. 2 b und 4 b). 70 BT-Drs. 10/3206, S. 33. 71 BAGE 65, 43; BAG, DB 1989, 1139; Schüren/Hamann4, AÜG, § 1, Rdn. 485, 507. 72 BAGE 65, 43; BAG, DB 1989, 1139. 69 So
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rücksichtigt bleiben.73 Das Bundesarbeitsgericht verringerte in nachfolgenden Entscheidungen die Anforderungen an die Gewinnerzielungsabsicht und bejahte diese und damit die Gewerbsmäßigkeit der Arbeitnehmerüberlassung bereits, wenn zwischen der verleihenden konzernangehörenden Personalführungsgesellschaft und dem Mutterkonzern ein Gewinnabführungsvertrag bestand.74 Von einer Gewinnerzielungsabsicht war demnach auch in den Fällen auszugehen, in denen ein konzernangehöriges Unternehmen Arbeitnehmer einstellte, um sie an andere Konzernunternehmen zu solchen Bedingungen zu überlassen, die für diese Unternehmen mit geringeren Kosten verbunden waren, als wenn sie die Arbeitnehmer selbst eingestellt hätten.75 bb) Die gegenwärtige Regelung der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung Zur wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne der Richtlinie 2008 / 104 / EG gehört auch die bislang von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als nicht-gewerbsmäßig angesehene Überlassung durch konzerninterne Personalführungsgesellschaften, die als Service-Agenturen und ausgelagerte Personalabteilungen ihre Leiharbeitnehmer gegen Erstattung des Selbstkostenpreises überlassen.76 Die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung ist damit grundsätzlich Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG, auch wenn dabei umstritten bleibt, ob die nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG vorgesehene Privilegierung vor allem zugunsten der Verleiher mit der Richtlinie 2008 / 104 / EG vereinbar und damit noch europarechtskonform ist.77 73 BAG,
NZA 2005, 1006, 1008; BAGE 94, 144, 151 f. NZA 2011, 791, 794 f.; dem Bundesarbeitsgericht folgend LAG Hamm, EzA-SD 2011, Nr. 19, 11, mit zustimmender Anmerkung Hamann, jurisPR-ArbR 34/2011 Anm. 3; ähnlich zuvor auch schon LAG Schleswig-Holstein, EzAÜG § 1 AÜG Konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung Nrn. 19 und 43. 75 Hamann, jurisPR-ArbR 34/2011 Anm. 3. 76 Sansone, S. 473; Rieble/Vielmeier, EuZA 2001, 474, 480; Hamann, EuZA 2009, 287, 303; Hamann, RdA 2011, 321, 324; Boemke, RIW 2009, 177, 178; Blanke, Gutachten, S. 118; Blanke, DB 2010, 1528, 1530. 77 Ablehnend Lembke, FA 2011, 290, 291; Lembke, DB 2011, 414, 416. Auch Hamann, ZESAR 2012, 103, 109; Blanke, DB 2010, 1528, 1530, und Wank, RdA 2010, 193, 203, gehen von der Europarechtswidrigkeit des im AÜG weiterhin aufrechterhaltenen Konzernprivilegs aus, weil die Richtlinie 2008/104/EG ein solches Privileg nicht kenne. Forst, NZA 11/2011, Editorial, geht indes davon aus, dass der Gedanke des effet utile hinsichtlich des Flexicurity-Konzepts der EU der Privilegierung konzerninterner Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG nicht entgegensteht, um einen flexiblen Personaleinsatz zu ermöglichen. Der Gesetzgeber selbst geht bei § 1 Abs. 3 AÜG insgesamt von einer Ausnahmevorschrift aus, die Fälle betrifft, in denen ein besonderer Schutz der Leiharbeitnehmer nicht erforderlich sei, weil diese gerade nicht in einer typischen Verleihsituation eingesetzt würden, BT74 BAG,
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(1) Die Voraussetzungen der Privilegierung Eine Privilegierung der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung durch Nichtanwendung der einschränkenden AÜG-Vorschriften soll nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG zwischen Konzernunternehmen im Sinne von § 18 AktG möglich sein, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird. Durch eine Erlaubnisfreiheit der Überlassung privilegiert sind demnach nur noch ungeplante, also „zufällige“ oder gelegentliche Überlassungen zwischen Konzernunternehmen, so dass strukturelle Personalausgliederungen in konzerninterne Personaldienstleistungsgesellschaften, etwa mit dem Ziel der Personalkostenreduktion, vom bisherigen Konzernprivileg nicht mehr profitieren.78 Das nach der früheren Rechtslage gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG a. F. maßgebliche Kriterium der vorübergehenden Überlassung von Arbeitnehmern innerhalb eines Konzerns genügt zur Abgrenzung der privilegierten konzerninternen von der erlaubnispflichtigen Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr, weil nach der Vorgabe der Richtlinie 2008 / 104 / EG nunmehr jede Arbeitnehmerüberlassung zeitlich beschränkt ausgestaltet sein soll.79 (2) Die notwendige Marktrelevanz des konzerninternen Verleihers Fraglich ist allerdings, ob die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs darstellt, weil es – jedenfalls bei ausschließlich innerhalb des Konzerns tätigen Verleihunternehmen – am Angebot der Dienstleistung am Dienstleistermarkt und damit an der an sich erforderlichen Konkurrenzsituation zu anderen potentiellen Marktteilnehmern fehlt. Eine „wirtschaftliche Tätigkeit“ ist in diesem Bereich der Arbeitnehmerüberlassung zwar nicht von vornherein ausgeschlossen. Sie setzt aber voraus, dass die Dienstleistung des konzerninternen Verleihunternehmens marktbezogen ist, dass sie also über die konzerninterne Nachfrage nach Leiharbeitnehmern hinaus auch konzernfremden Betrieben und Unternehmen potentiell zur Verfügung steht und dass das Verleihunternehmen dadurch in Konkurrenz zu anderen Entleihern steht.80 Allein die ausschließlich auf den konzerninternen Einsatz bezogene Beschäftigung von Leiharbeitnehmern entbehrt jedoch der notwendigen Drs. 17/4804, 8. Zu der Frage der fehlenden Schutzbedürftigkeit der Leiharbeitnehmer kritisch Hamann, ZESAR 2012, 103, 109. 78 Leuchten, NZA 2011, 608, 609. 79 Zu diesem Merkmal, nach dem die Einstellung des Arbeitnehmers nicht zum Zweck dessen Überlassung im Konzern erfolgen darf, siehe Böhm, DB 2011, 473, 474. 80 Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 480; Boemke, RIW 2099, 177, 178: in Anlehnung an § 14 AO; Lembke, FA 2010, 290; Lembke, DB 2011, 414, 416; Hamann,
II. Tatbestandliche Erstreckung des AÜG auf kirchliche Verleihunternehmen85
Marktbezogenheit der Dienstleistung und führt an sich schon deshalb zur Nichtanwendbarkeit des AÜG, weil das Merkmal der wirtschaftlichen Betätigung im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG nicht vorliegt.81 (3) Das Fazit Der Gesetzgeber ging gleichwohl von der Erforderlichkeit einer Ausnahmevorschrift wie in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG für die konzerninterne Personalleihe aus, weil die gelegentliche Überlassung von Arbeitnehmern zum Beispiel für die Abdeckung eines kurzfristigen Spitzenbedarfs in kleineren Unternehmen oder in gemeinnützigen Organisationen nötig ist, um vor dem Hintergrund der tatbestandlichen Ausweitung des Anwendungsbereichs des AÜG eine vereinfachte Arbeitnehmerüberlassung zu ermöglichen.82 Erfolgt der Einsatz der Leiharbeitnehmer ausschließlich innerhalb des Konzerns, fehlt es an der erforderlichen Marktrelevanz und damit am Merkmal der Wirtschaftlichkeit der Arbeitnehmerüberlassung. e) Der Ausschluss nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG bei der Nachbarschaftshilfe Vom Geltungsbereich des AÜG sind nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG mit Ausnahme des § 1b S. 1, des § 16 Abs. 1 Nr. 1 f und Abs. 2 bis 5 sowie der §§ 17 und 18 AÜG die Fälle der „Nachbarschaftshilfe“ ausgenommen, wenn ein für den Verleiher und den Entleiher geltender Tarifvertrag das für den Fall von (drohender) Kurzarbeit oder von Entlassungen vorsieht.83 Damit entfällt vor allem die Erlaubnispflicht für die Arbeitnehmerüberlassung und der entleihende Arbeitgeber ist nicht an das Gleichbehandlungsgebot nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG gebunden. Gleichzeitig ist er von den Meldepflichten nach § 28a Abs. 4 SGB IV befreit.84 NZA 2011, 70, 71 f.; Blanke, DB 2010, 1528, 1530; Blanke, Gutachten, S. 118; anders Waas, ZESAR 2009, 207, 208. 81 So auch Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 480 f., die der Ausnahmeregelung in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG sogar die innere Rechtfertigung absprechen. A. A. Thüsing/ Thieken, DB 2012, 347, 350, die den Anwendungsbereich des AÜG hinsichtlich der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung weiter fassen wollen als die Richtlinie 2008/104/EG. Nach Lembke, BB 2012, 2497, 2499, soll im Fall konzerninterner Überlassung „vorsichtshalber“ von der Anwendbarkeit des AÜG ausgegangen werden, ohne dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der wirtschaftlichen Betätigung im Einzelfall vorliegen müssen. 82 BT-Drs. 17/4804, S. 8. 83 ErfK18/Wank, § 1 AÜG, Rdn. 79. 84 ErfK18/Wank, § 1 AÜG, Rdn. 85.
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
aa) Die diakonische und caritative Nachbarschaftshilfe Gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG ist die Anwendbarkeit des AÜG auf Arbeitgeber desselben Wirtschaftszweigs zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassungen weitestgehend ausgeschlossen, wenn ein sowohl für den Entleiher als auch für den Verleiher geltender Tarifvertrag existiert. Vorausgesetzt wird demnach eine für den Verleiher und den Entleiher gleichermaßen geltende tarifliche Sonderregelung für den Fall des personellen Sonderbedarfs. Denkbar ist eine solche „Nachbarschaftshilfe“ in Fällen, in denen diakonische und caritative Einrichtungen sich durch die gegenseitige Überlassung von Arbeitskräften bei (drohender) Kurzarbeit oder anstehenden Entlassungen unterstützen. Um von den Voraussetzungen der Arbeitnehmer überlassung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG befreit zu werden, muss ein für beide geltender Tarifvertrag bestehen, durch den die Anwendung des AÜG ausgeschlossen wird. Daran fehlt es bei diakonischen und caritativen Einrichtungen indes schon deshalb, weil die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im diakonischen und caritativen Bereich nicht über das staatliche Tarifvertragssystem, den Zweiten Weg, sondern regelmäßig auf dem Dritten Weg zustande kommen und in der mit Vertretern der Dienstnehmer- und der Dienstgeberseite paritätisch besetzten, weisungsunabhängigen Arbeitsrechtlichen Kommission der Diakonie Deutschland und in den arbeitsrechtlichen Kommissionen der Gliedkirchen beschlossenen eigenen Regelungswerken, vor allem Arbeitsvertragsrichtlinien, festgeschrieben werden. Diesen Arbeitsvertragsrichtlinien fehlt es jedoch an der Qualifizierung als Tarifvertrag im Sinne des TVG.85 bb) Die Arbeitsrechtsregelungsverfahren nach dem Dritten Weg Die Verfahren zur Festlegung der kircheneigenen arbeitsrechtlichen Bestimmungen sind jeweils in gesonderten Regelungen der kirchlichen Religionsgemeinschaften festgelegt, und zwar im Bereich der Katholischen Kirche durch die Kommissionen zur Ordnung des diözesanen Arbeitsrechts (KODA) und in den Bistümern und Diözesanverbänden durch die Regelungen der Regional-KODA. In den evangelischen Landeskirchen regeln die jeweiligen Arbeitsrechtsregelungsgesetze sowie das ARRG.EKD für die Evangelische Kirche in Deutschland das Verfahren zur Festlegung der arbeitsrechtlichen Bedingungen in den kirchlichen wie auch diakonischen und caritativen Arbeitsbereichen, und zwar im Wesentlichen durch paritätisch mit Dienstnehmervertretern und Dienstgebervertretern besetzte arbeitsrechtliche Kommis85 Dazu sehr ausführlich van Endern, S. 5 ff.; ferner Hammer, Arbeitsrecht, S. 359; Richardi, Arbeitsrecht, § 15, Rdn. 59 ff.
II. Tatbestandliche Erstreckung des AÜG auf kirchliche Verleihunternehmen87
sionen.86 Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.11.201287 ist für die Durchführung der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungsverfahren nunmehr auch die Beteiligung von Gewerkschaften vorgesehen.88 Art. 7 Abs. 2 GrOkathK bestimmt für die katholische Kirche ausdrücklich den Ausschluss des Zweiten Wegs und von Arbeitskampfmaßnahmen. Anders als das staatliche Tarifsystem, in dem die tarifautonomen Parteien im Interesse der von ihnen Vertretenen notfalls Arbeitskampfmittel einsetzen können, sieht das von den Kirchen entwickelte Modell des Dritten Wegs Arbeitskampfmaßnahmen gerade nicht vor.89 Sowohl das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, als auch die fehlende notwendige Kampfparität zwischen der Dienstgeberseite und der Dienstnehmerseite führen dazu, dass ein Arbeitskampfrecht in den kirchlichen Einrichtungen grundsätzlich nicht in Betracht kommt.90 Zur Verhinderung der Blockierung von Einigungsverfahren in den arbeitsrechtlichen Kommissionen sehen sowohl die Zentral-KODA als auch das ARRG.EKD ein Schlichtungsverfahren in ebenfalls paritätisch besetzten Schlichtungsausschüssen vor. So ist das Schlichtungsverfahren im Bereich der evangelischen Kirche in den §§ 12 bis 14 des 4. Abschnitts ARRG.EKD geregelt. Auch in den evangelischen Landeskirchen können Schlichtungsverfahren für den landeskirchlichen Bereich vorgesehen werden, § 44 AVR.DD.91 Im Bereich des katholischen Arbeitsrechts ist ebenfalls statt des nach Art. 7 Abs. 2 GrOkathK ausgeschlossenen Arbeitskampfrechts ein Vermittlungssystem für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorgesehen, etwa nach §§ 14 ff. Zentral-KODA-Ordnung und den regionalen KODA-Ordnungen durch den Vermittlungsausschuss oder nach § 22 AVR.Caritas durch Anrufung der Schlichtungsstelle. 86 Eine detaillierte Zusammenstellung von Verweisen auf die landeskirchlichen Regelungen bietet Richardi, Arbeitsrecht, S. 220 ff. 87 BAGE 143, 354. 88 So gehören nach § 4 ARRG.EKD grundsätzlich auch von Gewerkschaften entsandte Mitglieder der arbeitsrechtlichen Kommissionen an und können Gewerkschaften nach § 10 ARRG.EKD Verfahren der Arbeitsrechtsregelung initiieren. 89 Aus der zum Dritten Weg veröffentlichten großen Anzahl an Literatur: Campenhausen/Wall, Staatskirchenrecht, S. 184 f.; Richardi, Arbeitsrecht, § 14; Richardi, NZA 2002, 929; Pahlke, NJW 1986, 350; Tiling, NZA 2007, 78; Joussen, NZA 2007, 730; Thüsing, RdA 1997, 163; Dütz, Essener Gespräche 18, S. 67, 85 ff.; Hammer, Arbeitsrecht, S. 198 ff., 328 ff.; Schubert, RdA 2011, 270; Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205; van Endern, S. 45 ff. 90 Zuletzt bestätigt von BVerfG, NJW 2016, 229, 232; BAGE 143, 354; BAGE 144, 1; BAG, NZA 2013, 448. Dazu van Endern, S. 50 f. 91 Zur Frage der Zwangsschlichtung Joussen, NZA 2007, 730; Joussen, Essener Gespräche 46, S. 98 f.
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
cc) Die Ausnahmen vom Dritten Weg Den Kirchen und ihren Verbänden bleibt es unbenommen, vom selbst gewählten Dritten Weg Ausnahmen zuzulassen, indem unmittelbar mit der Landeskirche, mit Kirchengemeinden, Kirchenkreisen, kirchlichen Verbänden und sonstigen Körperschaften sowie deren Werken und rechtlich unselbständigen Einrichtungen und andererseits den kirchlichen und nichtkirchlichen Gewerkschaften Tarifverträge zur Regelung der Arbeitsverhältnisse abgeschlossen werden. Solche Tarifverträge existieren beispielsweise in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (TV EKBO), bei dem Verband kirchlicher und diakonischer Anstellungsträger Nordelbien (Kirchlicher Tarifvertrag Diakonie KTD und der Kirchliche Arbeitnehmerinnen Tarifvertrag KAT) und dem Diakonischen Dienstgeberverband Niedersachsen (Tarifvertrag Diakonie Niedersachen TV DN).92 Die beteiligten Kirchen und Verbände sind Tarifpartner im Sinne des Tarifrechts, die ausgehandelten Tarifwerke sind damit Kollektivvereinbarungen im Sinne des TVG. Allerdings enthalten sie keine Ausnahmeregelungen im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG. Sofern der kirchliche Verleiher, welcher auch ein aus dem entleihenden diakonischen oder caritativen Unternehmen ausgegliederter Personalserviceanbieter sein kann, allerdings einem Tarifvertrag unterliegt, gelten diese Tarifregelungen nicht ohne Weiteres ebenfalls für die entleihende kirchliche Einrichtung, weil dort die jeweiligen Arbeitsvertragsrichtlinien oder sonstige kirchliche Tarifbestimmungen Anwendung finden. Mitunter sind Leiharbeitnehmer sogar ausdrücklich vom persönlichen Anwendungsbereich eines Tarifvertrags ausgenommen.93 dd) Der fehlende Tarifnormcharakter von Arbeitsrechtsregelungen des Dritten Wegs (1) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Die Arbeitsvertragsrichtlinien erlangen durch deren individualvertragliche Inbezugnahme im Arbeitsvertrag zwischen Dienstnehmer und Dienstgeber Geltung zwischen den Vertragsparteien. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts fehlt es den Arbeitsvertragsrichtlinien am Normcharakter von Tarifverträgen, weil sie nicht von anerkannten Tarifvertragsparteien ausgehandelt werden und nicht nach Maßgabe des TVG zustande 92 Zu Einzelheiten und den Hintergründen des Zustandekommens der Tarifverträge Assmann, ZMV-Sonderheft 2009, 51, und Busch, ZMV-Sonderheft 2009, 55. 93 Zum Beispiel nimmt § 1 Abs. 2 lit. f) TV EKBO Leiharbeitnehmer ausdrücklich vom persönlichen Anwendungsbereich des Tarifvertrags aus, sofern für diese eigenständige Tarifbestimmungen existieren.
II. Tatbestandliche Erstreckung des AÜG auf kirchliche Verleihunternehmen89
kommen. Es handelt sich demnach nicht um Tarifnormen, sondern um Kollektivvereinbarungen eigener Art.94 Die Auslegung von Arbeitsvertragsrichtlinien erfolgt gleichwohl nach den für die Tarifauslegung maßgeblichen Grundsätzen.95 Abweichungen vom Anwendungsbereich des AÜG konnten daher bislang nur durch Tarifverträge im Sinne des TVG erfolgen.96 Auch nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge fanden und finden weiterhin auf kirchliche Arbeitsverhältnisse keine Anwendung, weil die Kirchen und die ihnen zugeordneten Einrichtungen und Werke ansonsten mittelbar zur Anwendung des Tarifvertragssystems und damit zur Lösung vom Dritten Weg gezwungen würden.97 Nach der jüngsten Gesetzesänderung im April 2017 ist den Kirchen und öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften allerdings gestattet, vom Gesetz abweichende Überlassungshöchstdauern in ihren kircheninternen Regelungen vorzusehen; die Anwendbarkeit des AÜG für den kirchlichen Bereich insgesamt kann indes auch durch solche Regelungen nicht ausgeschlossen werden, insoweit bleibt es bei der bisherigen Rechtslage. Das Bundesarbeitsgericht hatte zwar durchaus in Erwägung gezogen, dass die Entscheidung darüber, ob und inwieweit eine normative Wirkung durch kirchengesetzliche Regelung angeordnet werden könne, ebenfalls Bestandteil des verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrechts nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV sein kann.98 Letztlich hatte es diese Frage aber offengelassen, weil im zu entscheidenden Fall keine kirchengesetzliche Norm existierte, der eine normative Geltung kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen hätte zugesprochen werden können. In seinen nachfolgenden Entscheidungen folgte das Bundesarbeitsgericht jedoch seiner bisherigen Rechtsprechung, nach welcher durch eine kirchengesetzliche Regelung eine normative Wirkung für kirchenrechtliche Arbeitsrechtsregelungen jedenfalls nicht derart angeordnet werden kann, dass die kirchenrechtlichen Arbeitsrechtsregelungen normative Kraft entfalteten, ohne aber dass sie Tarifverträge 94 BAGE 14, 61, 63; BAGE 28, 14, 17 f.; BAGE 34, 182, 184 f.; BAG, AP Nr. 1 zu § 7 AVR Caritasverband; AP Nr. 3 zu § 12 AVR Diakonisches Werk; BAG, ZMV 2002, 87, 88; BAG, AP Nr. 45 zu BGB § 611 Kirchendienst; BAG, AP Nr. 57 zu BGB § 611 Kirchendienst mit zahlreichen Verweisen auf die ständige Rechtsprechung; NZA 2012, 1054, 1056 f. Eine Zusammenfassung der bisherigen einschlägigen Rechtsprechung bietet Richardi, Arbeitsrecht, § 15, Rdn. 4 ff. 95 Ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, siehe nur BAGE 14, 61; BAGE 129, 1; BAGE 130, 146; BAG, ZMV 2006, 96; BAG, NZA-RR 2007, 397; BAG, EzA § 611 BGB 2002 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 13. 96 ErfK18/Wank, § 1 AÜG, Rdn. 81; Schüren/Hamann4, AÜG, § 1, Rdn. 452. Auch in § 3 Abs. 1 Nr. 3 und § 9 Nr. 2 AÜG werden Tarifverträge als Ausnahme vom Equal Pay/Equal Treatment-Gebot verlangt; BT-Drs. 17/4804, S. 9. 97 Riechert/Stomps, NZA 2012, 707, 711. 98 BAGE 101, 9, 18.
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im Sinne des TVG sind.99 Dazu verwies es wiederholt darauf, dass die in § 4 Abs. 1 TVG enthaltene Geltungsanordnung normativer Wirkung von Tarifverträgen auf das Grundrecht von Art. 9 Abs. 3 GG gestützt wird, welches jedoch auf die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen nicht, auch nicht analog, anwendbar ist, weil die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen gerade auf dem Dritten Weg kraft des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zustande gekommen sind und daher keine Tarifwirkung beanspruchen können.100 Die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen erlangen daher nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts weiterhin verbindliche Geltung zwischen den Vertragsparteien allein über individualvertragliche Bezugnahmeklauseln im betreffenden Arbeitsvertrag.101 Die vertraglichen Bezugnahmeklauseln selbst unterliegen dabei den Maßstäben der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen.102 Vor allem dynamische Bezugnahmeklauseln sind dahingehend auszulegen, dass arbeitsvertraglich sämtliche auf dem Dritten Weg zustande gekommenen kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen Geltung erlangen sollen, also vornehmlich nicht nur die Arbeitsvertragsrichtlinien, sondern auch alle Verfahrensordnungen, Dienstvereinbarungen103 und Beschlüsse der arbeitsrechtlichen Kommissionen sowie der Unter- und Regionalkommissionen.104 (2) Die Stellungnahme Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist konsequent, weil die Kirchen sich im Rahmen des ihnen zustehenden Selbstverwaltungsrechts aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV anders als der staatliche Gesetzgeber im Rahmen des weltlichen Arbeitsrechts im Grundsatz nicht für den Zweiten Weg des Tarifvertragssystems, sondern für ein alternatives Arbeitsrechtsregelungsverfahren nach dem Dritten Weg entschieden haben, in dem die tarifvertraglichen Eigenheiten, vor allem die Maßnahmen zum Arbeitskampf zwischen Dienstnehmern und -gebern, keine oder jedenfalls nur eingeschränkt Anwendung finden. Damit haben die christlichen Religionsge99 BAGE 141, 16, 21; BAGE 142, 247; BAG, AP Nr. 57 zu BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer; BAG, NJOZ 2012, 1595; BAG, NZA 2014, 362. Kritisch dazu Richardi, Arbeitsrecht, § 15, Rdn. 59 ff. 100 BAG, AP Nr. 53 zu GG Art. 140; BAG, AP Nr. 1 zu MitarbeitervertretungsGEK § 42 Rheinland-Westfalen. 101 BAG, NZA 2012, 1054, 1056 f.; BAGE 129, 1; BAGE 120, 55; BAG, AP Nr. 45, 57 zu BGB § 611 Kirchendienst; BAG, AP Nr. 1 zu MitarbeitervertretungsGEK § 42 Rheinland-Westfalen. 102 BAGE 128, 73, 77 ff.; BAG, AP Nr. 56 zu § 611 BGB Kirchendienst. 103 Dazu Reichold, ZTR 2016, 295, 300. 104 BAGE 142, 247; BAG, NJOZ 2012, 1595.
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meinschaften einerseits das Recht zur Selbstverwaltung und autonomen Gestaltung ihrer eigenen Angelegenheiten aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 ff. WRV im Rahmen der für alle geltenden Gesetze wahrgenommen. Andererseits bewegen sie sich mit der Entscheidung für das Modell des Dritten Wegs im verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen der Koalitionsfreiheit von Art. 9 Abs. 3 GG, nach welcher das vom staatlichen Gesetzgeber gewählte Tarifvertragsmodell keineswegs als verfassungsrechtlich ausschließlich zulässiges Instrument zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen vorgesehen ist.105 Den Kirchen kann daher auch ein dem Zweiten Weg entsprechendes Tarifvertragsmodell nicht aufgezwungen werden.106 Freilich steht es ihnen frei, sich im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts bei der Wahl der Mittel und Verfahren zur Setzung der innerkirchlichen Arbeitsrechtsregelungen auch des Zweiten Wegs zu bedienen. Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.11.2012107, welche schon jetzt eine stärkere Einbindung der Gewerkschaften als anerkannte Tarifpartner in diesen Verfahren zur Folge hat, steht zu erwarten, dass jedenfalls im Bereich der Diakonie eine fortschreitende Annäherung an den Zweiten Weg erfolgen wird, so wie es einige diakonische Verbände und die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz mittels Tarifverträgen unter Partizipation von Gewerkschaften für den Bereich der verfassten Kirchen bereits praktizieren. Davon differenziert zu sehen ist die Frage nach der Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen. Erst wenn auch im Hinblick auf Maßnahmen des Arbeitskampfes eine Hinwendung zum Zweiten Weg, also zum staatlicherseits praktizierten Tarifsystem unter Einwirkung von Arbeitskampfmaßnahmen, zu verzeichnen ist, käme eine Gleichbehandlung der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zu den säkularen Tarifwerken in Betracht. Bis dahin scheiden jedoch für solche Arbeitsverhältnisse im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung, die den auf dem Dritten Weg zustande gekommenen Arbeitsbedingungen, namentlich den Arbeitsvertragsrichtlinien, unterliegen, als Ausnahmeregelungen im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG aus, weil § 1 Abs. 3 105 Joussen, Essener Gespräche 46, S. 94; Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205, 1208; Rehm, NZA 2011, 1211, 1212. So schon BVerfGE 50, 290, 371; BVerfGE 84, 212; bestätigt zuletzt von BAG, AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 180. Zu der kontrovers diskutierten Frage, wie weit die in § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG enthaltene Ermächtigungsgrundlage für die Tarifvertragsparteien reicht oder ob sich der Ausschluss des AÜG aus demselben Tarifvertrag ergeben muss oder ob eine jeweils für den Verleiher und für den Entleiher eigenständig geltende tarifvertragliche Regelung ausreichend ist, bietet ErfK18/Wank, § 1 AÜG, Rdn. 82 ff., einen Überblick über die dazu vertretenen Ansichten. 106 Joussen, Essener Gespräche 46, S. 94. 107 BAGE 143, 354.
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Nr. 1 AÜG ausschließlich Tarifverträge im Sinne des TVG als tarifautonome Ausnahmeregelungen anerkennt. ee) Die Unwirksamkeit der Tarifverträge der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP) (1) Die Christlichen Gewerkschaften Mit der Entstehung von Arbeitervereinen im 19. Jahrhundert gründeten sich als Alternative zu diesen Vereinen die ersten Christlichen Gewerkschaften in Deutschland. Dem heutigen Christlichen Gewerkschaftsbund Deutschlands gehören als Dachverband derzeit 14 Einzelgewerkschaften an.108 Das Grundanliegen der Christlichen Gewerkschaften besteht in der gewerkschaftlich organisierten Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen unter Beachtung der christlichen Soziallehre und Sozialethik.109 Einige Christliche Gewerkschaften vor allem im Zeitarbeits- und Dienstleistungsbereich hatten sich darüber hinaus seit 2002 zur Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP) zusammengeschlossen.110 Die CGZP hatte bereits kurz nach der Einführung der Tariföffnungsklausel in das AÜG seit 2002 im Jahr 2003 den bundesweit ersten Flächentarifvertrag für Zeitarbeitsunternehmen für den Bereich der Arbeitnehmer überlassung mit der Interessengemeinschaft Nordbayerischer Zeitarbeitsunternehmen (INZ)111 im Sinne von §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 AÜG und darüber hinaus mehrere Firmentarifverträge abgeschlossen. Die CGZP hatte sich mit dem Abschluss von Tarifverträgen im Sinne von § 1 Abs. 1 TVG dem staatlichen Tarifvertragssystem unterworfen und war damit nicht Beteiligte der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungssetzung im Sinne des Dritten Wegs. Die dem staatlichen Tarifvertragssystem immanenten Arbeits108 Laut Eigendarstellung, online abrufbar unter http://www.cgb.info/organisation/ einzelgewerkschaften.html, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. 109 Eigenbeschreibung des Christlichen Gewerkschaftsbunds Deutschlands CGB, online abrufbar unter http://www.cgb.info/ueber-uns/kurzdarstellung.html, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. 110 Dazu gehörten nach damaliger Eigenauskunft zuletzt die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM), die DHV – Die Berufsgewerkschaft (DHV) und die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Dienstleistungen (GÖD) zur Tarifgemeinschaft. 111 Zwischenzeitlich aufgegangen im Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP), der wiederum im Jahr 2011 mit dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA) zum Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) fusionierte. Die mit der CGZP bis dahin geschlossenen Tarifverträge wurden fortgeführt.
II. Tatbestandliche Erstreckung des AÜG auf kirchliche Verleihunternehmen93
kampfmaßnahmen werden zwar nicht völlig ausgeschlossen, sollen allerdings behutsam und zurückhaltend ausgeübt werden.112 (2) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und die Literatur Mit seinem Beschluss vom 14.12.2010 verneinte das Bundesarbeitsgericht die Tariffähigkeit der CGZP sowohl als Gewerkschaft im Sinne von § 2 Abs. 1 TVG als auch als Spitzenorganisation der in ihr zusammengeschlossenen Gewerkschaften im Sinne von § 2 Abs. 3 TVG, weil sie weder originär zum Abschluss von Tarifverträgen befugt war und auch nicht derivativ an der Tariffähigkeit der in ihr zusammengeschlossenen Gewerkschaften partizipierte.113 Die Negation der Tariffähigkeit führte nach zwei weiteren Beschlüssen des Bundesarbeitsgerichts vom 22.5.2012 und 23.5.2012 zugleich zur Nichtigkeit ex nunc aller von der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge, teilweise aber auch mit ex tunc-Wirkung.114 Das Bundesarbeitsgericht stellte damit rechtskräftig die Nichtigkeit aller von der CGZP geschlossenen Tarifverträge fest, über die Rechtsfolgen aus der Nichtigkeit der Tarifverträge besteht dennoch zum Teil Uneinigkeit, vor allem im Hinblick auf das zugunsten der Leiharbeitnehmer rückwirkend geltende „Equal Pay- / Equal Treatment“-Gebot.115 Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Nichtigkeit der von der CGZP geschlossenen Tarifverträge hat in der Literatur überwiegend Zustimmung erfahren, jedenfalls im Hinblick auf die festgestellte fehlende Tariffähigkeit der CGZP mangels originärer Tarifmächtigkeit sowie aufgrund der Inkongruenz zwischen ihrer satzungsmäßigen Tarifzuständigkeit und des Zuständigkeitsbereichs ihrer Mitglieder.116 Auch ein stellvertretender Abschluss der Tarifverträge in fremdem Namen durch die CGZP für die in ihr 112 Nach der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Dienstleistungen (GÖD) soll es „keine Streiks um des Streiks willen“ geben, http://www.goed-online.de/grund saetze-zur-tarifarbeit-der-goed.html, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. 113 BAGE 136, 302, 328 ff. 114 BAG, NZA 2012, 623 und NZA 2012, 625. A. A. Neef, NZA 2011, 615, 619. Zu den Auswirkungen der Nichtigkeit der Tarifverträge der CGZP vgl. Steinheimer/ Haeder, NZA-Onlineaufsatz 4/2012, 1. 115 Das Bundesverfassungsgericht wies eine gegen die Entscheidungen gerichtete Urteilsverfassungsbeschwerde zurück, BVerfG, NJW 2015, 1867. Einen Überblick über die aus der Nichtigkeit resultierenden Folgen bieten unter anderem Ferme, NZA 2011, 619; Zeppenfeld/Faust, NJW 2011, 1643; Schüren, RdA 2011, 368; Andorfer/ Tuengerthal, BB 2011, 2939. Sehr kritisch Lembke, NZA-Beilage 2012, 66, 67, zum BAG-Beschluss vom 14.12.2010, wonach die Begründung den Eindruck vermittle, die christliche Tarifkonkurrenz auszuschalten. 116 Steinheimer/Haeder, NZA Online-Aufsatz 4/2012,1, 3; Ulber, RdA 2011, 353, 360; Schüren, RdA 2011, 368, 370 f.
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zusammengeschlossenen Mitglieder wird ganz überwiegend abgelehnt.117 Andere Teile der Literatur kritisieren den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts im Ergebnis und überwiegend auch in der Begründung, weil die CGZP stellvertretend im Namen ihrer Mitgliedsgewerkschaften tätig geworden sei und es auf deren eigene Tariffähigkeit folglich bei der Beurteilung der Wirksamkeit der von ihr geschlossen Tarifverträge nicht ankomme.118 Kritisch wird zudem die Einschränkung der koalitionären Betätigungsfreiheit der Mitgliedsgewerkschaften hinsichtlich der vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Erfordernisse für Spitzenorganisationen im Sinne von § 2 Abs. 2, 3 TVG betrachtet.119 Die von der CGZP geschlossenen Tarifverträge sind auf dem Zweiten Weg, also im Rahmen des im staatlichen Bereich praktizierten Tarifvertragssystems zustande gekommen. Unabhängig von der Frage, inwieweit die von den Christlichen Gewerkschaften für den Bereich der Zeitarbeit und von der CGZP geschlossenen Tarifverträge überhaupt die Anwendbarkeit des AÜG nach Maßgabe von § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG ausschließen, scheidet die Anwendbarkeit der Tarifverträge für das sonstige kirchliche Arbeitsrecht schon wegen der fehlenden vertraglichen Beteiligung der diakonischen Dienstgeber und arbeitsrechtlichen Kommissionen an den tariflichen Vereinbarungen der CGZP aus. Die von den diakonischen Verbänden geschlossenen Tarifverträge – die ebenfalls keine Ausschlussklauseln gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG enthalten – erlangten ihrerseits der CGZP gegenüber aber auch keine Wirkung, weil diese selbst nicht tarifgebunden war. Es fehlte daher schon an einer für kirchliche Verleiher wie auch Entleiher gleichermaßen geltenden tariflichen Regelung. 2. Das Fazit Die Überlassung von Arbeitnehmern unterliegt auch im kirchlichen Bereich den Regelungen des AÜG. Die Anwendung des AÜG auch auf Betriebe und Einrichtungen, die ausschließlich kirchlichen – wie auch anderweitigen gemeinnützigen – Zwecken dienen, hängt davon ab, inwieweit der von der Richtlinie 2008 / 104 / EG und dem AÜG intendierte Sozialschutz für die Leiharbeitnehmer auch ohne die Richtlinie 2008 / 104 / EG und das AÜG sichergestellt ist. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur früheren nicht-gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung, bei der eine zutreffend Schüren, NZA 2011, 1406. NZA-Beilage 2012, 66, 67 („gekünstelt“ wirkende Begründung) und NZA 2011, 1062, 1063 („konstruierter“ Beschluss, der mehr Fragen aufwerfe als beantworte). Ähnlich kritisch Neef, NZA 2011, 615, 616 f.; Giesen, ZAAR, 2011, 61. 119 Löwisch, SAE 2011, 61. 117 So
118 Lembke,
II. Tatbestandliche Erstreckung des AÜG auf kirchliche Verleihunternehmen95
analoge Anwendung einzelner Sozialschutz gewährender Normen des AÜG bejaht wurde, kommt eine analoge Anwendung solcher Normen im Einzelfall auch im Bereich der nicht-wirtschaftlichen Tätigkeit von Verleihbetrieben in Betracht. Die herausgearbeiteten und weitgehend anerkannten Kriterien der Rechtsprechung sind insoweit übertragbar. Die im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung tätigen kirchlichen Personaldienstleister verfolgen im Regelfall jedenfalls nicht nur ausschließlich ideelle, gemeinnützige – also nicht-wirtschaftliche – Zwecke, sondern stehen den übrigen nichtkirchlichen Leihunternehmen am Markt gleichermaßen als Dienstleister und damit als potentielle Konkurrenten gegenüber. Von der verfassten Kirche unabhängige diakonische und caritative Verleiher stehen mit den von ihnen angebotenen Dienstleistungen im Bereich der Freien Wohlfahrtspflege vorrangig im Bereich der Hilfe, Unterstützung, Betreuung und Begleitung von Menschen in und am Rande der Gesellschaft in unmittelbarer Dienstleisterkonkurrenz zu anderen privaten, nichtkirchlichen Anbietern von Leiharbeit. Vor allem Leiharbeitsunternehmen, die sich die Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder auf christlich-sozialer Grundlage zum Ziel gesetzt haben und sich in Ausübung ihrer Koalitionsfreiheit organisieren, stehen mit den von ihnen angebotenen Dienstleistungen vor allem in den Bereichen der Krankenpflege, der Altenbetreuung und -pflege, der Familien- und Jugendfürsorge, der Arbeit und Betreuung von Behinderten am Dienstleistungsmarkt in einem unmittelbaren Konkurrenzverhältnis zu anderen privaten und sonstigen nichtkirchlichen Dienstanbietern. Damit unterliegen sie folglich dem sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG sowie des AÜG. Das gilt auch für kirchliche Leiharbeitsunternehmen, die als ausgegliederte Dienstleister ausschließlich unternehmensintern Leiharbeitnehmer an ihre Mutterbetriebe verleihen, denn sie treten – wenn auch singulär nur im kirchlichen Personalbereich – gleichwohl am Markt auf und stehen folglich in einer Konkurrenzsituation zu Mitbewerbern und handeln demnach wirtschaftlich im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Auf sie findet das AÜG gleichermaßen Anwendung, sofern keine – im kirchlichen Bereich praktisch allerdings bislang nicht relevante – konzerninterne Überlassung im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG vorliegt. Kommen in kirchlichen Einrichtungen die auf dem Dritten Weg im Rahmen des verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrechts nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV zustande gekommenen kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zur Anwendung, scheitern etwaige vom „Equal Pay- / Equal Treatment“-Gebot abweichende Arbeitsbedingungen nach Maßgabe von § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG bereits an deren fehlendem Tarifnormcharak-
96
F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
ter. Die in der Nordelbischen Kirche, der Diakonie Niedersachsen und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz bestehenden kirchlichen Tarifverträge enthalten wiederum keine abweichenden Ausnahmeregelungen im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG. Insoweit existieren insgesamt keine vom AÜG abweichenden Tarifnormen. Die von der CGZP geschlossenen Tarifverträge für den Bereich der Zeitund Leiharbeit sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts insgesamt nichtig. Bis zu ihrer Nichtigerklärung fehlte es aber ohnehin an der gegenseitigen Tarifbindung der kirchlichen Tarifpartner. Kirchliche Leiharbeitsunternehmen, für welche die nach dem Arbeitsrechtsregelungsverfahren des Dritten Wegs ausgehandelten Arbeitsbedingungen galten und gelten, waren folglich nicht an die Arbeitsbedingungen der von der CGZP geschlossenen Tarifverträge gebunden. Es existieren daher gegenwärtig weder nach den im kirchlichen Personalbereich geltenden Tarifverträgen noch nach den übrigen Arbeitsrechtsregelungen des Dritten Wegs Regelungen im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG, die die Nichtanwendbarkeit des AÜG im Ganzen oder in Teilen im kirchlichen Bereich zur Folge hätten.
III. Das religiöse Selbstverständnis als Schranke für die Arbeitnehmerüberlassung in kirchlichen Einrichtungen Auch wenn die Religionsgemeinschaften die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten im Rahmen der für alle geltenden Gesetze definieren, bleibt es ihnen im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts unbenommen, aus ihrem Selbstverständnis heraus gewachsene kirchenrechtliche Regelungen über den Einsatz von Leiharbeitnehmern im kirchlichen Bereich aufzustellen. Auch die kirchlichen Arbeitsgerichte hatten in der Vergangenheit mehrfach über die vor allem zeitlichen Grenzen des Fremdpersonaleinsatzes in kirchlichen Einrichtungen zu entscheiden.120 In den Entscheidungen kam auch das sowohl in der Diakonie wie auch in der Caritas überkommene Prinzip der Dienstgemeinschaft als das Grundprinzip zum Tragen, welches das Rechtsverhältnis zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer prägt und maßgeblichen Einfluss auf die Frage der Zulässigkeit der Arbeitnehmerüberlassung im diakonischen und caritativen Sektor hat.
120 Vor allem die Beschlüsse des KGH.EKD vom 9.10.2006 – Az. II-0124/M35-06 = NZA 2007, 761, vom 2.4.2008 – Az. II-0124/N72-07 und vom 25.8.2014 – Az. II0124/W10-14.
III. Religiöses Selbstverständnis als Schranke für Arbeitnehmerüberlassung97
1. Die Entscheidungen der kirchlichen Gerichte für Arbeitssachen und der kirchlichen Schiedsstelle a) Die Entscheidungen der Kirchengerichte für Arbeitssachen aa) Der Beschluss des Kirchengerichtshofs der EKD vom 9.10.2006 Der Kirchengerichtshof der EKD hat in seiner Entscheidung vom 9.10.2006 zur grundsätzlichen Frage der Zulässigkeit der Arbeitnehmerüberlassung und zur zulässigen Dauer des Einsatzes von Leiharbeitnehmern in diakonischen Einrichtungen Stellung genommen.121 Im entschiedenen Fall sollte eine Leiharbeitnehmerin im Wege der Arbeitnehmerüberlassung als Betreuungshelferin im Behindertenbereich der Dienststelle befristet auf zwei Jahre angestellt werden. Die Leiharbeitsfirma war von der betroffenen Dienststelle und einer weiteren diakonischen Einrichtung gemeinsam gegründet worden und stellte ihr Personal vornehmlich im sozialen Bereich, und dort vor allem in diakonischen Einrichtungen zur Verfügung. Das kirchengerichtliche Arbeitsrechtsverfahren diente dazu, die verweigerte Zustimmung der Mitarbeitervertretung durch die gerichtliche Entscheidung gemäß § 38 Abs. 4 i. V. m. § 41 Abs. 3 MVG.EKD zu ersetzen. Anders als in § 14 Abs. 3 AÜG i. V. m. § 99 BetrVG, wonach die Beteiligung des Betriebsrats beim Einsatz von Leiharbeitnehmern zwingend vorgegeben ist, ist die Zustimmungsbedürftigkeit der Mitarbeitervertretung für Leiharbeit im Arbeitsrecht der evangelischen Kirche nicht ausdrücklich geregelt.122 § 14 Abs. 3 AÜG kommt bei kirchlichen Entleihbetrieben allerdings nicht zur Anwendung, weil das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht als Ausdruck des Selbstverwaltungsrechts vorrangig gilt. Die Zustimmungsbedürftigkeit des Einsatzes von Leiharbeitnehmern ist indes weitgehend anerkannt, weil es sich jedenfalls in Fällen, in denen der Stammbelegschaft nicht angehörende, weisungsgebundene Beschäftigte in den Organisationsablauf der Dienststelle eingebunden werden sollen, um eine „Einstellung“ im Sinne von § 42 lit. a) MVG.EKD handelt.123 Das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht entspricht damit im Wesentlichen den von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Kriterien, wonach die Mitbestimmungs121 KGH.EKD,
NZA 2007, 761. ZevKR 54 (2009), 62, 65. 123 Fey/Rehren, MVG.EKD, § 42, Rdn. 14e; Andelewski/Brachmann, MVG.EKD, § 42, Rdn. 23. Zur Informationspflicht der Dienststellenleitung gegenüber der Mitarbeitervertretung über Arbeitnehmer in Fremdfirmen, siehe KGH.EKD, Beschlüsse vom 24.8.2010 – Az. II-0124/R28-09 – und vom 15.4.2013 – Az. I-0124/U29-12. 122 Heinig,
98
F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
bedürftigkeit von personellen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal im Betrieb nach § 99 BetrVG ausgelöst wird.124 Die Entscheidung befasste sich somit im Wesentlichen mit der Frage, ob im zu entscheidenden Fall die Einstellung von Leiharbeitnehmern rechtswidrig im Sinne von § 42 lit. a) MVG.EKD gewesen war. Diese Frage bejahte der Kirchengerichtshof der EKD. Er begründete das Ergebnis im Wesentlichen mit dem kirchlichen Leitbild des Begriffs der Dienstgemeinschaft, der in der Präambel zum MVG.EKD und in §§ 1 und 2 der Loyalitätsrichtlinie der EKD Verwendung findet. Der Kirchengerichtshof der EKD führte im ersten Leitsatz in seinem Beschluss zur Frage des Einsatzes von Leiharbeitnehmern in diakonischen Einrichtungen vom 9.10.2006 zunächst aus, dass „das Institut der Leiharbeit diakonischen Dienstgebern nicht verschlossen [ist]“.125
Das gilt indes nur, sofern der Einsatz von Leiharbeitnehmern der Überbrückung eines kurzfristigen Beschäftigungsbedarfs dient, wie zum Beispiel in Vertretungsfällen wegen Urlaubs, bei Krankheit des Stammpersonals oder bei kurzfristigem Spitzenbedarf.126 Unzulässig ist hingegen die auf Dauer angelegte Beschäftigung von Leiharbeitnehmern, das heißt die Substituierung und damit der dauerhafte Ersatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch Leiharbeitnehmer, weil der Mitarbeitersubstitution – ungeachtet der unionsrechtlichen und der tatbestandlichen Zulässigkeit nach der Richtlinie 2008 / 104 / EG und dem AÜG – vor allem das kirchliche Leitbild von der Dienstgemeinschaft entgegensteht.127 Dazu führt der Kirchengerichtshof der EKD in seiner Beschlussbegründung aus, dass „nach kirchlichem (Arbeits-)Recht [die] Unternehmerüberlassung zwecks Überbrückung von Vertretungsfällen oder zur Abdeckung kurzfristigen Spitzenbedarfs – in Grenzen – hinzunehmen [ist]. Dagegen ist eine ständige Substitution durch „Leiharbeit“ mit den Anforderungen der Dienstgemeinschaft nicht zu vereinbaren. Die Leiharbeit widerspricht durch die „ständige“ Spaltung der Mitarbeiterschaft in „Stammbelegschaft“ und Leiharbeitnehmer und durch die Verdoppelung der Dienststellenleitungen – Dienststellenleitung der entleihenden Dienststelle, Dienststellenleitung oder Führung des Verleihunternehmens – dem Erfordernis der organisatorischen Einheit – eine Mitarbeiterschaft, eine Dienststellenleitung“.128
Diese Ausführungen lassen den Rückschluss zu, dass der Kirchengerichtshof der EKD den Einsatz von Leiharbeitnehmern grundsätzlich – wenn auch 124 Siehe
1369.
nur BAG, NZA 1995, 281; BAG, NZA 1999, 722; BAG, NZA 2006,
125 KGH.EKD,
NZA 2007, NZA 2007, 127 KGH.EKD, NZA 2007, 128 KGH.EKD, NZA 2007, 126 KGH.EKD,
761, 761, 761, 761,
764. 764. 764. 764.
III. Religiöses Selbstverständnis als Schranke für Arbeitnehmerüberlassung99
unter bestimmten Bedingungen und nur in zeitlichen Grenzen – als rechtlich unbedenklich und damit als zulässig ansieht. Jedenfalls stehen die gegen den dauerhaften Einsatz von Leiharbeitnehmern vorgetragenen Bedenken der prinzipiellen Möglichkeit der Arbeitnehmerüberlassung an sich nicht entgegen. Die aus Dienstgeber und Dienstnehmern geformte Dienstgemeinschaft erfordert zwingend eine „einheitliche Leitung der Dienststelle“ und „eine einheitliche Zuordnung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eben dieser Dienststelle auf Grund der zwischen diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit der Dienststelle geschlossenen Arbeitsverträge“, zudem sind alle insgesamt verbunden in dem gemeinsamen Ziel der missio von Wort und Tat.129 Dieser Auftrag der Kirche verlangt, dass die kirchliche Verbundenheit nicht nur „vertikal“ zwischen Dienststellenleitung und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besteht, sondern ebenso „horizontal“ unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich ihrerseits demselben Dienstherrn gegenüber verpflichtet und verbunden wissen.130 Die mehrfache, einerseits zwischen dem Dienstgeber und den Dienstnehmern, andererseits zwischen den Dienstnehmern untereinander bestehende Verbundenheit erfordert daher gegenseitige Loyalitätspflichten und -rechte und besteht dort nicht, wo neben den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Leiharbeitnehmer als Substitutionskräfte eingesetzt werden. Denn in diesem Fall existiert weder eine „vertikale“ noch eine „horizontale“ Verbundenheit, weil vor allem die fehlende arbeitsvertragliche Bindung der Leiharbeitnehmer zum entleihenden Dienstgeber zur Folge hat, dass die Loyalitätspflichten und -rechte, welche die Dienstgemeinschaft kennzeichnen, nicht bestehen.131 Die dauerhafte Substitution von Mitarbeitern durch Leiharbeitnehmer, die im Arbeitsverhältnis zum Verleiher stehen und nur dem Weisungsrecht der Dienststelle unterworfen sind, also letztlich zwei Dienstgebern dienen, konterkariert die Idee vom gemeinschaftlichen Handeln von Mitarbeitenden und Dienststellenleitung im Rahmen der Dienstgemeinschaft.132 Das kirchliche Grundprinzip des Leitbilds der Dienstgemeinschaft lässt den dauerhaften Einsatz von Leiharbeitnehmern nicht zu.133 Darüber hinaus ist der kirchliche Dienstgeber nicht frei in seiner unternehmerischen Entscheidung, welche Leistungen er extern vergibt, weil diese Entscheidungen stets dem Leitbild der Dienstgemeinschaft entsprechen müssen und diesem nicht entgegenstehen dürfen.134 129 KGH.EKD, 130 KGH.EKD, 131 KGH.EKD, 132 KGH.EKD, 133 KGH.EKD, 134 KGH.EKD,
NZA 2007, NZA 2007, NZA 2007, NZA 2007, NZA 2007, NZA 2007,
761, 761, 761, 761, 761, 761,
764. 764. 764. 764. 764. 764 f.
100
F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
Der Kirchengerichtshof der EKD ließ schließlich zwar die positive Bestimmung einer festen zeitlichen Grenze für die Überlassung von Leiharbeitnehmern ausdrücklich offen, sah jedoch die Überlassung von Leiharbeitnehmern an eine diakonische Einrichtung für einen Zeitraum von zwei Jahren als mitbestimmungspflichtige Einstellung im Sinne von § 42 lit. a) MVG.EKD an. Im entschiedenen Fall bejahte der Kirchengerichtshof der EKD folglich ein Zustimmungsverweigerungsrecht der Mitarbeitervertretung jedenfalls in den Fällen, in denen die Überlassung letztlich die Substitution von Stammarbeitsplätzen durch den dauerhaften Einsatz von Leiharbeitnehmern zur Folge hat.135 Der Entscheidung des Kirchengerichtshofs der EKD lassen sich insgesamt folgende Kernaussagen entnehmen: 1. Der kirchliche Arbeitgeber, welcher seine Einrichtung auf Grundlage des kirchlichen Dienstes organisiert, hat im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidungen stets das Leitbild der Dienstgemeinschaft zu beachten. Unter dieser Maßgabe ist der Einsatz von Fremdpersonal – ungeachtet seiner rechtlichen Grundlage – in kirchlichen Einrichtungen regelmäßig zulässig. 2. Der Einsatz von Leiharbeitnehmern in kirchlich-diakonischen Einrichtungen ist dem Grunde nach zulässig, und zwar unabhängig davon, ob diese von einem kirchlich-diakonischen oder caritativen Verleiher, von einem sonst der Kirche zugeordneten Verleiher oder von einem nichtkirchlichen Verleiher überlassen werden. 3. Der dauerhafte, substituierende Einsatz von Leiharbeitnehmern widerspricht dem kirchenrechtlichen Leitbild der Dienstgemeinschaft, nach dem diese eine organisatorische Einheit im Sinn von „eine Mitarbeiterschaft, eine Dienststellenleitung“ erfordert.136 4. Leiharbeitnehmer unterliegen nicht denselben Loyalitätsobliegenheiten wie die in derselben Dienststelle beschäftigten Dienstnehmer, wodurch die Wahrnehmung und Erfüllung des kirchlichen Auftrags erschwert wird.137 5. Im Fall der nach dem AÜG unzulässigen Überlassung oder im Fall eines Verstoßes gegen das Leitprinzip der Dienstgemeinschaft steht der betreffenden Mitarbeitervertretung ein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 42 lit. a) MVG.EKD zu.
135 KGH.EKD,
NZA 2007, 761, 765. NZA 2007, 761, 763; Heinig, ZevKR 54 (2009), 62, 66. 137 Heinig, ZevKR, 54 (2009), 62, 66. 136 KGH.EKD,
III. Religiöses Selbstverständnis als Schranke für Arbeitnehmerüberlassung101
bb) Der Beschluss des Kirchengerichtshofs der EKD vom 2.4.2008 In einer weiteren Entscheidung vom 2.4.2008 bestätigte der Kirchengerichtshof der EKD seine Auffassung zur Zulässigkeit und zu den Grenzen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern in diakonischen Einrichtungen, ohne jedoch signifikant neue Gründe anzuführen.138 Auch in diesem Verfahren ging es um die Frage des Mitbestimmungsrechts der Mitarbeitervertretung nach § 42 lit. a) MVG.EKD, namentlich ob auch bei der Einstellung privatrechtlich beschäftigter Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die Zustimmung der Mitarbeitervertretung erforderlich ist. Der Kirchengerichtshof der EKD stellte lediglich nochmals fest, dass § 42 lit. a) MVG.EKD auch auf die Fälle des Einsatzes von Leiharbeitnehmern anwendbar ist, in denen diese derart in die Dienststelle eingegliedert sind, dass sie zusammen mit den anderen Beschäftigten der Dienststelle weisungsgebundene Tätigkeiten zu verrichten haben, die der Verwirklichung des „arbeitstechnischen Zwecks“ der Dienststelle dienen und die von der Dienststelle organisiert werden müssen.139 cc) Der Beschluss des Kirchengerichtshofs der EKD vom 25.8.2014 In dieser Entscheidung vom 25.8.2014 bestätigte der Kirchengerichtshof noch einmal die Rechtsauffassung aus seiner Entscheidung vom 9.10.2006 zum Einsatz von Fremdpersonal in diakonischen Einrichtungen und griff ferner die Entscheidung des Kirchlichen Arbeitsgerichtshofs für den Bereich des katholischen Arbeitsrechts vom 7.6.2013140 auf, wonach ein drittbezogener Personaleinsatz in kirchlichen Einrichtungen – ungeachtet seiner rechtlichen Grundlage – das Leitbild der kirchlichen Dienstgemeinschaft als Grundprinzip des kirchlichen Dienstes nicht infrage stellen darf.141 Der Kirchengerichtshof der EKD machte zudem noch einmal deutlich, dass das 138 KGH.EKD, Beschluss vom 2.4.2008 – Az. II-0124/N72-07. Der Beschluss über die Nichtannahme der Beschwerde setzt sich zwar hauptsächlich mit den Gründen für die Nichtannahme auseinander, bestätigt aber dennoch erneut die in der Entscheidung vom 9.10.2006 aufgestellten Kriterien für den Einsatz von Leiharbeitnehmern. Im zu entscheidenden Fall wurde ein Zustimmungsverweigerungsrecht der Mitarbeitervertretung jedenfalls deshalb verneint, weil der Einsatz der betreffenden Leiharbeitnehmerin auf drei Monate begrenzt und damit „unschwer“ als ‚kurzfristig‘ “ angesehen werden konnte. 139 Fey/Rehren, MVG.EKD, § 42, Rdn. 14d; VerwG.EKD, NZA-RR 1998, 335, 336, bestätigt von VerwG.EKD, ZMV 2001, 133. 140 KAGH, Urteil vom 7.6.2013 – Az. M22/12. 141 KGH.EKD, Beschluss vom 25.8.2014 – Az. II-0124/W10-14.
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
Recht des Unternehmers auf eigene organisatorische Entscheidung und Gestaltung der Betriebs- und Personalstruktur in einer kirchlichen Einrichtung seine Grenze im Leitbild der Dienstgemeinschaft findet. Das hat zur Folge, dass der grundsätzlich zulässige Einsatz von externem Fremdpersonal seinerseits dort seine Grenze findet, wo die vergebene Leistung mit der Erfüllung des kirchlichen Auftrags in Verkündigung, Mission und Diakonie unmittelbar zusammenhängt.142 Insoweit steht dem kirchlichen Unternehmer in seinem Entleihbetrieb ein geringerer personalstruktureller Entscheidungsspielraum für den Einsatz von Leiharbeitnehmern als Unternehmern, die außerhalb des kirchlich-diakonischen oder caritativen Bereichs agieren. dd) Das Urteil des Kirchlichen Arbeitsgerichtshofs vom 27.11.2009 Für den Bereich der katholischen Kirche ließ der Kirchliche Arbeitsgerichtshof in seinem Urteil vom 27.11.2009 die Frage nach der Zulässigkeit des Einsatzes von Leiharbeitnehmern mangels Entscheidungsrelevanz ausdrücklich offen. Der Begründung des Kirchengerichtshofs der EKD über die Zulässigkeit und die Grenzen der Leiharbeit im kirchlichen Bereich hat der Kirchliche Arbeitsgerichtshof nicht widersprochen. Er unterstellte die Richtigkeit der Entscheidung des Kirchengerichtshofs der EKD, ohne sich jedoch mit ihrer Begründung inhaltlich im Einzelnen auseinanderzusetzen.143 Der Kirchliche Arbeitsgerichtshof ließ stattdessen ausdrücklich offen, wie der Einsatz von Leiharbeitnehmern kirchenrechtlich zu beurteilen ist.144 Ein mitarbeitervertretungsrechtliches Mitbestimmungsrecht verneinte er im konkret zu entscheidenden Fall schließlich, weil sich das Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung gemäß des zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden § 34 Abs. 1 MAVO a. F. anders als nach § 42 lit. a) MVG.EKD nicht auf die Einstellung aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bezog, sondern gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 MAVO Leiharbeitnehmer ausdrücklich vom Anwendungsbereich der MAVO ausgenommen waren. Folglich bestand schon von vornherein ein Mitwirkungsrecht der Mitarbeitervertretung nicht.145
142 KGH.EKD,
Beschluss vom 25.8.2014 – Az. II-0124/W10-14. Urteil vom 27.11.2009 – Az. M 06/09 = ZMV 2010, 37. 144 KAGH, Urteil vom 27.11.2009 – Az. M 06/09 = ZMV 2010, 37. 145 Allerdings ist die Mitarbeitervertretung beim Einsatz von Leiharbeitnehmern nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 MAVO mittels Anhörung und Mitberatung zu beteiligen. 143 KAGH,
III. Religiöses Selbstverständnis als Schranke für Arbeitnehmerüberlassung103
ee) Das Urteil des Kirchlichen Arbeitsgerichtshofs vom 7.6.2013 In der Entscheidung vom 7.6.2013 hatte sich der Kirchliche Arbeitsgerichtshof erneut mit der Frage der Zustimmung der Mitarbeitervertretung zum Einsatz von Fremdpersonal in einem Hospital der Caritas nach § 34 MAVO zu befassen.146 Die Vorschrift war zwischenzeitlich dahingehend geändert worden, dass jedweder Fremdpersonaleinsatz in einer kirchlichen Einrichtung der Caritas, vor allem im Wege der Arbeitnehmerüberlassung, der Zustimmung der Mitarbeitervertretung bedarf. Der Kirchliche Arbeitsgerichtshof stellte dabei noch einmal unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Kirchengerichtshofs der EKD vom 09.10.2006147 deutlich heraus, dass ein drittbezogener Personaleinsatz in kirchlichen Einrichtungen das Leitbild der kirchlichen Dienstgemeinschaft als Grundprinzip des kirchlichen Dienstes nicht infrage stellen dürfe. Vor allem der dauerhafte, das Stammpersonal substituierende Einsatz von Fremdpersonal in kirchlichen Einrichtungen widerspräche diesem kirchlichen Grundsatz. Damit bestätigte der Kirchliche Arbeitsgerichtshof zugleich seine Entscheidung vom 27.11.2009.148 ff) Die Entscheidungen der erstinstanzlichen Kirchlichen Arbeitsgerichte Auch die Kirchlichen Arbeitsgerichte der (Erz-)Diözesen haben sich bislang in mehreren Entscheidungen mit dem Einsatz von Leiharbeitnehmern befasst, wobei sich die Entscheidungen schwerpunktmäßig zumeist auf kollektivrechtlichen Fragen der Beteiligung von Mitarbeitervertretungen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Leiharbeitnehmern in Einrichtungen der Caritas befassten. (1) Das Kirchliche Arbeitsgericht für die Bayerischen (Erz-)Diözesen So brauchte das Kirchliche Arbeitsgericht für die Bayerischen (Erz-)Diözesen in seinem Urteil vom 22.8.2008 zur Frage der grundsätzli146 KAGH, Urteil vom 7.6.2013 – Az. M 22/12; online abrufbar unter http://www. dbk.de/fileadmin/redaktion/microsites/Kirchlicher_Arbeitsgerichtshof/Urteil_22_12. pdf, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. Infolge der Neuregelung von § 34 Abs. 1 MAVO steht der Mitarbeitervertretung ein Mitwirkungsrecht ausdrücklich auch für den Einsatz von Leihpersonal zu; so zuletzt auch bestätigt vom Kirchlichen Arbeitsgerichtshof, KAGH, Urteil vom 25.11.2016 – Az. M 06/2016. 147 KGH.EKD, NZA 2007, 761. 148 KAGH, Urteil vom 27.11.2009 – Az. M 06/09 = ZMV 2010, 37.
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
chen Zulässigkeit des Einsatzes von Leiharbeitnehmern keine Stellung zu beziehen, weil es in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Rechtsstreit um die dienstgeberseitigen Informationspflichten gegenüber der Mitarbeitervertretung im Zusammenhang mit der geplanten Ausgründung einer Tochtergesellschaft zum Zweck der Arbeitnehmerüberlassung ging.149 Bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hatte das Kirchliche Arbeitsgericht für die Bayerischen (Erz-)Diözesen dem Dienstgeber aufgegeben, keine weiteren Einstellungen von Leiharbeitnehmern aus seiner Tochtergesellschaft bei sich vorzunehmen, um die drohende Verletzung kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts, vor allem des Mitwirkungsrechts der Diözese Würzburg nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 MAVO, abzuwenden.150 Das Kirchliche Arbeitsgericht für die Bayerischen (Erz-)Diözesen bejahte schließlich im Hauptsacheverfahren eine Informationspflicht des Dienstgebers gegenüber der Mitarbeitervertretung der Diözese Würzburg nach § 27a MAVO, weil es sich bei der vom Dienstgeber geplanten Ausgründung von Teilbereichen der Personalstruktur in eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft um eine wirtschaftliche Angelegenheit handele; diese Informationspflicht sah es als durch den Dienstgeber verletzt an.151 Mit den von der Mitarbeitervertretung vorgebrachten Argumenten bezüglich eines Verstoßes gegen das Prinzip der Dienstgemeinschaft durch den dauerhaften Einsatz von Leiharbeitnehmern auf – ihren alten – Arbeitsplätzen setzte sich das Kirchliche Arbeitsgericht allerdings nicht auseinander. Zur hier interessierenden Frage von Zulässigkeit und Grenzen der Arbeitnehmerüberlassung im kirchlichen Bereich machte das Kirchliche Arbeitsgericht daher keine Ausführungen. (2) D ie Entscheidungen des Kirchlichen Arbeitsgerichts der Diözese Rottenburg-Stuttgart (a) Das Urteil vom 15.6.2007 In der dem Urteil des Kirchlichen Arbeitsgerichts der Diözese RottenburgStuttgart vom 15.6.2007 zugrundeliegenden Rechtssache ging es ebenfalls um die Anhörungs- und Mitberatungsrechte der Mitarbeitervertretung vor der Einstellung von Leiharbeitskräften in einer caritativen Einrichtung im Be149 Kirchliches Arbeitsgericht Augsburg, Urteil vom 22.8.2008 – Az. 6 MV 08; online abrufbar http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/microsites/Kirchlicher_Arbeits gerichtshof/karg_augsburg_urteil_vom_22.08.08__az_6_mv_08.pdf; zuletzt abgerufen am 21.1.2018. 150 Kirchliches Arbeitsgericht Augsburg, Urteil vom 22.8.2008 – Az. 6 MV 08. 151 Kirchliches Arbeitsgericht Augsburg, Urteil vom 22.8.2008 – Az. 6 MV 08.
III. Religiöses Selbstverständnis als Schranke für Arbeitnehmerüberlassung105
reich der ambulanten Dienste, die das Kirchliche Arbeitsgericht als durch den Dienstgeber verletzt ansah.152 In dem entschiedenen Fall ging es um einen nicht nur kurzfristigen und unvorhersehbaren, sondern einen Teile des Stammpersonals ersetzenden, also substituierenden Einsatz von Leiharbeitskräften in einer caritativen Einrichtung mit ambulanten Diensten, an dem die Mitarbeitervertretung nach Auffassung des Kirchlichen Arbeitsgerichts wegen der erheblichen Bedeutung des dauerhaften Einsatzes von Leiharbeitnehmern hätte mitwirken müssen, und zwar durch Anhörung und Mitberatung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 MAVO.153 Das Gericht betonte dabei ausdrücklich die erheblichen Auswirkungen des Einsatzes von Leiharbeitskräften auf die Dienstgemeinschaft, weil gerade durch den dauerhaften Leiharbeitnehmereinsatz zwei Gruppen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entstünden, die „Stammbelegschaft“ und die „Leiharbeiter“, welche in unterschiedlicher Weise den Regelungen der MAVO unterfielen, verschieden weisungsabhängig seien und unterschiedlichen Arbeitsbedingungen unterlägen, vor allem im Hinblick auf die für die dieselben Tätigkeiten gewährte Entlohnung.154 Eine weitergehende Spezifizierung der Auswirkungen, welche der Dienstgemeinschaft drohen, nahm das Gericht nicht vor. (b) Das Urteil vom 20.3.2009 Auch in der Entscheidung des Kirchlichen Arbeitsgerichts der Diözese Rottenburg-Stuttgart vom 20.3.2009 ging es um Mitwirkungsrechte der Mitarbeitervertretung bei der zunächst auf die Dauer von drei Jahren befristeten Beschäftigung von Leiharbeitnehmern in der Dienststelle der Mitarbeitervertretung, wobei die Leiharbeitnehmer vertraglich bei einer Tochterfirma der entleihenden Dienststelle angestellt waren.155 Die Mitarbeitervertretung machte ihre Mitwirkungsrechte vor allem nach § 34 MAVO bei der Einstellung von dauerhaft angestellten Leiharbeitnehmern geltend und stützte sich dabei auf die ihrer Ansicht nach teleologisch zu reduzierende Norm von § 3 Abs. 1 Satz 2 MAVO, wonach die dort geregelte Nichtanwendbarkeit der MAVO für dem Dienstgeber zur Arbeitsleistung überlassene Mitarbeiterin152 Kirchliches Arbeitsgericht
Rottenburg-Stuttgart, Urteil vom 15.6.2007 – Az. AS
153 Kirchliches Arbeitsgericht
Rottenburg-Stuttgart, Urteil vom 15.6.2007 – Az. AS
154 Kirchliches Arbeitsgericht
Rottenburg-Stuttgart, Urteil vom 15.6.2007 – Az. AS
155 Kirchliches Arbeitsgericht
Rottenburg-Stuttgart, Urteil vom 20.3.2009 – Az. AS
15/07. 15/07. 15/07. 29/08.
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
nen und Mitarbeiter nur für solche Leiharbeitnehmer gelten soll, die nicht dauerhaft, sondern nur zur Überbrückung einer Ausnahmesituation für einen kurzfristigen Zeitraum angestellt werden. Die Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs der MAVO lehnte das Kirchliche Arbeitsgericht der Diözese Rottenburg-Stuttgart indes aus kompetenzrechtlichen Gründen ab.156 Zwar stellte das Kirchliche Arbeitsgericht wiederholt erhebliche pauschale Auswirkungen auf die Dienstgemeinschaft durch die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern fest, unterließ aber auch in dieser Entscheidung eine konkrete Benennung dieser Auswirkungen. b) Die Entscheidung der Schiedsstelle Hannover vom 30.5.2006 Auch in dem Schiedsverfahren vor der Schiedsstelle des Diakonischen Werks der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover stand die Ersetzung der von der Mitarbeitervertretung für den Einsatz von Leiharbeitnehmern einer Tochtergesellschaft bei der Muttereinrichtung verweigerte Zustimmung zur Entscheidung.157 Im Unterschied zu den Sachverhalten, welche den bislang aufgezeigten kirchengerichtlichen Entscheidungen zugrunde lagen, ging es in diesem Schiedsverfahren um ein verleihendes Unternehmen, welches nicht Mitglied des Diakonischen Werks und damit der Kirche und Diakonie nicht zugeordnet war, auch wenn es seine Leiharbeitnehmer vor allem an diakonische Einrichtungen überließ. Daher wandte es auch auf die Leiharbeitnehmer nicht die sonst für kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geltenden Arbeitsvertragsrichtlinien oder sonstiges kirchliches Arbeitsrecht, sondern gewerkschaftlich abgeschlossene Zeitarbeitstarifverträge an. Den grundsätzlichen Einsatz von Leiharbeitnehmern sah die Schiedsstelle durch eine Dienstvereinbarung im Sinne von § 3 ARRG-D der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, wonach für alle privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse der in der Einrichtung beschäftigten Mitarbeiter Arbeitsverträge abzuschließen waren, in denen die Geltung der AVR-K vereinbart werden sollte, als nicht ausgeschlossen an.158 Die weitergehende Schlussfolgerung, die Dienstvertragspartner hätten mit der zwingenden Anwendung der AVR-K für alle in der Dienststelle Beschäftigten unmittelbar oder mittelbar auch den Einsatz von Leiharbeitnehmern kategorisch ausschließen wollen, 156 Kirchliches Arbeitsgericht Rottenburg-Stuttgart, Urteil vom 20.3.2009 – Az. AS 29/08. 157 Beschluss vom 30.5.2006 – Az. 4 VR MVG 4/06. Die Beschwerde gegen den Beschluss wurde vom Kirchengerichtshof der EKD wegen Unstatthaftigkeit zurückgewiesen, KGH.EKD, Beschluss vom 9.10.2006 – Az. I-0124/M33-06 = ZMV 2007, 33. 158 Schiedsstelle Hannover, Beschluss vom 30.5.2006 – Az. 4 VR MVG 4/06, S. 3 (dort unter Punkt 1.a.).
III. Religiöses Selbstverständnis als Schranke für Arbeitnehmerüberlassung107
sah die Schiedsstelle als vom Vertragswillen der Dienstvertragspartner nicht hinreichend gedeckt an und bejahte folglich die Zulässigkeit des Leiharbeitnehmereinsatzes.159 Auch sonstige Verstöße gegen kirchenrechtliche Vorgaben und Vorschriften verneinte die Schiedsstelle jedenfalls im Hinblick auf den kurzfristig ausgestalteten Leiharbeitnehmereinsatz, weil die geringeren Loyalitätsanforderungen, welchen die Leiharbeitnehmer unterlägen, nur einen vorübergehenden Einsatz zuließen.160 Folgerichtig unterschied die Schiedsstelle davon den dauerhaften, substituierenden Leiharbeitnehmereinsatz und sah in dem vom Dienstgeber vorgesehenen Einsatz einen Verstoß gegen das Prinzip der Dienstgemeinschaft, weil für die Leiharbeitnehmer, obwohl diese anstelle von Stammpersonal eingesetzt wurden, geringere Loyalitätsobliegenheiten gelten sollten. Durch den dauerhaften Einsatz entstehe eine faktische Bindung an die Kirche und ihren Dienst, wobei die Schiedsstelle Parallelen zu mittels Gestellungsverträgen eingesetzten Personen erkannte.161 Die Schiedsstelle kam ferner zu dem Schluss, dass die dauerhaft eingesetzten, das vorhandene Stammpersonal substituierenden Leiharbeitnehmer kirchliche Arbeitnehmer im Sinne der Loyalitätsrichtlinie der EKD sind.162 Im Hinblick auf diese Leiharbeitnehmer hat die Schiedsstelle folglich die Zustimmungsverweigerung der Mitarbeitervertretung als rechtmäßig angesehen. c) Die Auswertung der Entscheidungen und das Zwischenergebnis Die Entscheidungen der kirchlichen Gerichte und der Schiedsstelle der EKD gehen zunächst allesamt ohne weitergehende Erörterung von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Leiharbeitnehmerüberlassung in kirchlichen, diakonischen und caritativen Einrichtungen aus. Der Problemschwerpunkt der Entscheidungen liegt hingegen stärker bei der Frage nach den Schranken des Leiharbeitnehmereinsatzes, und dort vor allem bei der Frage nach Dauer und Auswirkung dieses Einsatzes auf die Personalstruktur in der jeweiligen Einrichtung. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Leitbild der Dienstgemeinschaft als den kirchlichen Dienst maßgebend prägendes Leitprinzip. Daran knüpft schließlich die Frage nach den Mitwirkungsrechten der Mitarbeiter159 Schiedsstelle Hannover, (dort unter Punkt 1.a.). 160 Schiedsstelle Hannover, (dort unter Punkt 1.a.). 161 Schiedsstelle Hannover, (dort unter Punkt 2.a.). 162 Schiedsstelle Hannover, (dort unter Punkt 2.a.).
Beschluss vom 30.5.2006 – Az. 4 VR MVG 4/06, S. 3 Beschluss vom 30.5.2006 – Az. 4 VR MVG 4/06, S. 4 Beschluss vom 30.5.2006 – Az. 4 VR MVG 4/06, S. 5 Beschluss vom 30.5.2006 – Az. 4 VR MVG 4/06, S. 5
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
vertretung und den Grenzen der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit in kirchlichen Einrichtungen an. aa) Die Beschlüsse des Kirchengerichtshofs der EKD Am aufschlussreichsten für die Frage von Zulässigkeit und Grenzen des Leiharbeitnehmereinsatzes in kirchlichen Einrichtungen aus der Sicht der kirchlichen Gerichte ist die Entscheidung des Kirchengerichtshofs der EKD vom 9.10.2006, welche durch die Beschlüsse vom 2.4.2008 und vom 25.8.2014 bestätigt wurde.163 Der Kirchengerichtshof der EKD geht dabei zunächst ausdrücklich von der grundsätzlichen Zulässigkeit des Fremdpersonaleinsatzes wie der Leiharbeit aus. Von weiterer besonderer Bedeutung ist dabei das vom Kirchengerichtshof der EKD gegen einen dauerhaften Leiharbeitnehmereinsatz angeführte Kernargument des dem kirchlichen Arbeitsrecht zugrundeliegenden Prinzips der Dienstgemeinschaft von Dienstgebern und Dienstnehmern, welches der Kirchengerichtshof der EKD jedenfalls beim dauerhaften Leiharbeitnehmereinsatz als verletzt ansieht und das sowohl im MVG.EKD als auch in der Loyalitätsrichtlinie der EKD erwähnt wird. Offen gelassen hat der Kirchengerichtshof der EKD allerdings die Frage, inwieweit die angenommene zeitliche Begrenzung des Leiharbeitnehmereinsatzes als Ausprägung des Prinzips der Dienstgemeinschaft anzusehen ist und welche Kriterien nach diesem Prinzip maßgeblich sein sollen. Der Beschluss vom 9.10.2006 setzt sich im Vergleich zu den übrigen zur Frage der Zulässigkeit ergangenen Entscheidungen allerdings am ausführlichsten mit der Frage der Vereinbarkeit des dauerhaften Leiharbeitnehmereinsatzes mit dem Leitbild und Prinzip der Dienstgemeinschaft im kirchlichen Dienst auseinander. Der Beschluss vom 25.8.2014 macht hingegen die Beschränkung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit kirchlicher Unternehmer im Bereich des Fremdpersonaleinsatzes deutlich; dort wo die vergebene Leistung mit der Erfüllung des kirchlichen Auftrags in Verkündigung, Mission und Diakonie unmittelbar zusammenhängt, scheidet ein mit dem Leitbild der Dienstgemeinschaft nicht konformer Einsatz von Leiharbeitnehmern aus. bb) Die Entscheidungen der Kirchlichen Arbeitsgerichte für den katholischen Bereich Die übrigen Entscheidungen der kirchlichen Arbeitsgerichte für den Bereich der Katholischen Kirche und der Caritas gehen zwar ebenfalls von der 163 KGH.EKD, NZA 2007, 761, 765; KGH.EKD, Beschlüsse vom 2.4.2008 – Az. II-0124/N72-07 und vom 25.8.2014 – Az. II-0124/W10-14.
III. Religiöses Selbstverständnis als Schranke für Arbeitnehmerüberlassung109
Zulässigkeit der Leiharbeitnehmerüberlassung als Personalmodell aus. Sie bieten indes keine neuen Ansätze für die Schranken des Leiharbeitnehmereinsatzes in kirchlich-caritativen Einrichtungen. Allenfalls die Entscheidung des Kirchlichen Arbeitsgerichts der Diözese Rottenburg-Stuttgart unternimmt im Ansatz eine Begründung seiner Entscheidung vom 15.6.2007 mit dem Prinzip der Dienstgemeinschaft, gegen welches nach Auffassung des Gerichts durch den substituierenden Leiharbeitnehmereinsatz verstoßen wird. Eine über diese bloße Feststellung hinausgehende Erörterung der Auswirkungen auf die Dienstgemeinschaft und worin konkret der Verstoß zu sehen ist, liefert das Kirchliche Arbeitsgericht allerdings nicht, auch nicht in seiner nachfolgenden Entscheidung vom 20.3.2009. Auch dort bleibt letztlich offen, welche konkreten Auswirkungen auf die Dienstgemeinschaft mit dem Einsatz von Leiharbeitnehmern zu befürchten sind, die die Annahme eines Verstoßes durch den Einsatz von Leihpersonal rechtfertigten. Die Begründung erscheint vor allem auch deshalb nur wenig tragfähig, weil das Kirchliche Arbeitsgericht zur Untermauerung seiner Annahme eines Verstoßes gegen das Leitbild der Dienstgemeinschaft lediglich typische, mit jedem Einsatz von Leiharbeitnehmern auch im säkularen Bereich zusammenhängende Phänomene beschrieben hat, die in den Rechtsbeziehungen des Entleihers zu seinem Stammpersonal und den Leiharbeitnehmern in jedem Entleihbetrieb, und zwar unabhängig von dessen Zuordnung zu Kirche, Diakonie oder Caritas, vorzufinden sind: Das Kirchliche Arbeitsgericht betont vor allem die mit dem Einsatz von Leiharbeitnehmern einhergehende Entstehung zweier Mitarbeitergruppen, namentlich derjenigen der verbleibenden Stammbelegschaft und derjenigen der Leiharbeitnehmer, die sich im Wesentlichen darin unterscheiden, dass die einen den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen und der Weisungsbefugnis des Entleihers unterliegen, während die anderen externen Arbeitsbedingungen unterworfen sind. Daran ist zumindest zutreffend, dass zwischen der Stammbelegschaft des Entleihers und den bei ihm eingesetzten Leiharbeitskräften des Verleihers unterschiedliche arbeitsrechtliche Verhältnisse und Arbeitsbedingungen bestehen können und zumeist auch tatsächlich aufgrund besonderer, für die Leiharbeitnehmer geltender Tarifverträge bestehen. Aufgrund des „Equal Pay / Equal Treatment“-Gebots werden die Arbeitsbedingungen zwischen der Stammbelegschaft und den Leiharbeitnehmern zwar grundsätzlich gleichgestellt, dennoch besteht wegen der Tariföffnungsklauseln in §§ 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 2, 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 S. 2 AÜG die Möglichkeit, unter Beachtung der „Drehtür“-Klausel in §§ 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 4, 9 Nr. 2 AÜG und unter Einhaltung einer bestehenden Lohnuntergrenze nach § 3a AÜG für die Leiharbeitnehmer durchaus auch ungünstigere Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen wie auch die gespaltene Arbeitgeberstellung zwischen Verleiher und Entleiher führen im Fall von divergierenden tariflichen Regelungen über die
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
Arbeitsbedingungen somit zwangsläufig zu einer Trennung der Personalstrukturen in die Gruppe der Stammbelegschaft und diejenige der Leiharbeitnehmer. Deshalb besteht auch für die Leiharbeitnehmerüberlassung im nichtkirchlichen Arbeitsbereich ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 14 Abs. 3 S. 1 AÜG, § 99 Abs. 1 BetrVG, weil es sich beim Leiharbeitnehmereinsatz des Entleihbetriebs wegen der damit verbundenen Auswirkungen auf die Belegschaftsstruktur um eine mitbestimmungspflichtige personelle Einzelmaßnahme handelt.164 In nichtkirchlichen Einrichtungen kann der Betriebsrat seine Zustimmung unter anderem nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG im Fall von Gesetzesverstößen verweigern, wobei der nicht bloß vorübergehende, also dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmern im Entleihbetrieb als Verstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG zur Verweigerung der Zustimmung im Sinne von § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG wegen eines Gesetzesverstoßes berechtigt.165 Schließlich bejaht auch das Kirchliche Arbeitsgericht ein kollektivrechtliches Mitwirkungsrecht der Mitarbeitervertretung nach § 29 MAVO. Allein die Anamnese der mit der Arbeitnehmerüberlassung rechtstatsächlich typischerweise verbundenen und vom Gesetzgeber unter Verweis auf die Richtigkeitsgewähr tariflicher Vereinbarungen zugelassenen rechtlichen Folgen für die Belegschaftsstruktur im Entleihbetrieb lässt für sich allein genommen allerdings noch keinen Rückschluss auf die Auswirkungen für die Dienstgemeinschaft im kirchlichen Entleihbetrieb zu.166 Erst Recht lässt sich ohne Weiteres auch noch kein Verstoß gegen das Prinzip der Dienstgemeinschaft allein aus der Aufzählung der gesetzlich vorgegebenen Gestaltungsmöglichkeiten der arbeitsrechtlichen Beziehungen der an der Arbeitnehmer überlassung Beteiligten herleiten, weil diese sowohl den säkularen als auch kirchlichen Arbeitsrechtsverhältnissen innewohnen können. Das Kirchliche Arbeitsgericht ließ vielmehr offen, welche spezifischen Auswirkungen im Verhältnis zwischen Dienstgebern und Dienstnehmern in der Dienstgemeinschaft durch den Leiharbeitnehmereinsatz eintreten können. Den Entscheidungen kann daher lediglich entnommen werden, dass der Einsatz von Leiharbeitnehmern bei Beachtung der Mitwirkungsrechte der Mitarbeiterver164 GK-BetrVG/Raab, § 99, Rdn. 15, 28, 48. Anderes gilt bei dem Einsatz von Fremdfirmenarbeitnehmern, wenn diese lediglich als Erfüllungsgehilfen ihres Vertragsarbeitgebers im Einsatzbetrieb tätig werden. 165 LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2012 – Az. 4 TaBV 1163/12, Rdn. 43 ff.; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9.1.2013 – Az. 15 Sa 1635/12; LAG Niedersachsen, Beschluss vom 19.9.2012 – Az. 17 TaBV 124/11; ArbG Cottbus, Beschluss vom 25.4.2012 – Az. 2 BV 8/12; ArbG Offenbach, Urteil vom 1.8.2012 – Az. 10 BV 1/12; Sieweke, NZA 2012, 426, 427; offen gelassen von LAG Düsseldorf, NZA 2012, 1378 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; a. A. ArbG Leipzig, Urteil vom 15.2.2012 – Az. 11 BV 79/11; Teusch/Verstege, NZA 2012, 1326. 166 BT-Drs. 17/4804, S. 9.
III. Religiöses Selbstverständnis als Schranke für Arbeitnehmerüberlassung111
tretung an sich zulässig, aber zeitlich auf zwei Jahre begrenzt und nur unter Beachtung des Leitbilds der Dienstgemeinschaft erfolgen kann, ohne dass den Entscheidungen jedoch konkretisierende Anhaltspunkte und Kriterien für etwaige Schranken des Leiharbeitnehmereinsatzes in kirchlichen Einrichtungen entnommen werden können. cc) Die Entscheidung der Schiedsstelle Hannover vom 30.5.2006 Die Begründung der Schiedsstelle des Diakonischen Werks der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover, die dem ersten Beschluss des Kirchengerichtshofs der EKD vom 9.10.2006 zeitlich nur kurz vorausgegangen war, weist zu diesem Beschluss einerseits eine Parallele im Hinblick auf den dort ebenfalls bejahten Verstoß gegen das Prinzip der Dienstgemeinschaft auf. Andererseits ist die Begründung nicht frei von Widersprüchen. Obwohl die Schiedsstelle zunächst in der angenommenen strukturellen Spaltung der Belegschaft in dienststelleneigenes „Stammpersonal“ und dienststellenfremde „Leiharbeitnehmer“ zunächst einen solchen Verstoß gegen das Leitbild der Dienstgemeinschaft erkennt, kommt sie anschließend jedoch zu dem Ergebnis, dauerhaft eingesetzte Leiharbeitnehmer seien kirchliche, der Loyalitätsrichtlinie der EKD unterfallende Arbeitnehmer. Dabei wird der Wortlaut von § 1 Abs. 1 der Loyalitätsrichtlinie der EKD verkannt, wonach die Richtlinie „die Anforderungen an die in privatrechtlichen Dienstund Arbeitsverhältnissen beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ der EKD, des Diakonischen Werks der EKD, der Gliedkirchen und deren Diakonische Werke sowie deren Mitglieder regelt. Leiharbeitnehmer gehören mangels arbeitsvertraglicher Konjunktion zur kirchlichen Dienstelle indes gerade nicht zu diesem Personenkreis. Ungeachtet des entgegenstehenden eindeutigen Wortlauts der Leiharbeitsrichtlinie der EKD hätte die nun deduzierte Schlussfolgerung, auch Leiharbeitnehmer sind kirchliche Arbeitnehmer, also Dienstnehmer, im Umkehrschluss zur eingangs der Entscheidung aufgestellten These der Schiedsstelle, wonach gerade der längere Leiharbeitnehmereinsatz zu einer Spaltung der Belegschaft im kirchlichen Entleihbetrieb führe, schon keinen Verstoß gegen das Prinzip der Dienstgemeinschaft zur Folge: Das Stammpersonal wie auch die Leiharbeitnehmer unterlägen gegenüber dem Entleiher denselben, abgestuften Loyalitätsobliegenheiten, woran sich auch durch den unveränderten Arbeitgeberstatus des Verleihers gegenüber den Leiharbeitnehmern nichts ändern würde. Die kirchenrechtliche Gleichbehandlung von Stammpersonal und Leiharbeitnehmern hätte bei dieser Betrachtungsweise den Vorteil, dass eine Spaltung der Personalstruktur in Stammbelegschaft und Leiharbeitnehmer nicht
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einträte. Bei den Leiharbeitnehmern träte hingegen eine Kumulation an Arbeitnehmerpflichten, namentlich solchen Pflichten gegenüber dem Entleiher und solchen Pflichten gegenüber dem Verleiher ein, weil der Leiharbeitnehmer nun gegenüber dem kirchlichen und nichtkirchlichen Verleiher gleichermaßen wie gegenüber dem kirchlichen Entleiher zur Loyalität verpflichtet wäre. Hinzu kommt, dass vor dem Hintergrund der Notwendigkeit der individualvertraglichen Einbeziehung von kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten für deren Geltung bereits sowohl im Überlassungsvertrag zwischen Verleiher und Entleiher sowie im zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer zu schließenden Arbeitsvertrag eine entsprechende Inbezugnahme vereinbart werden muss; andernfalls hätten die kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten mangels Bindungswirkung im Verhältnis zum Leiharbeitnehmer von vornherein schon keine Geltung und können auch nicht zu dessen Lasten vereinbart werden167. Außerdem träte ein, was durch die Regelungen im AÜG gerade vermieden werden soll und auch durch die Systematik der arbeitsrechtlichen Regelungen zur Leiharbeit zum Ausdruck kommt: Der Leiharbeitnehmer würde zum „Diener zweier Herren“, denen gegenüber er gleichermaßen zur Arbeitsleistung verpflichtet ist. Die alleinige Stellung des Verleihers als Vertragsarbeitgeber bestünde nicht mehr. Die Pflichtenkumulation in der Person des Leiharbeitnehmers führte zwangsläufig zu einer Pflichtenkollision. Und in dem Fall, in welchem ein Leiharbeitnehmer von einem nichtkirchlichen Verleiher an einen kirchlichen Entleiher überlassen würde, bestünde seitens des Leiharbeitnehmers gegenüber dem kirchlichen Entleiher sogar eine höhere Loyalitätsanforderung als gegenüber dem nichtkirchlichen Entleiher, weil er neben den säkularen Arbeitnehmerpflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB zusätzlich den kirchlichen Auftrag zu beachten und die ihm übertragenen Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen hat.168 Der Leiharbeitnehmer wäre gegenüber dem kirchlichen Entleiher, dem er an sich nur zeitlich befristet zugewiesen sein soll, zu größerer Loyalität verpflichtet als gegenüber seinem nichtkirchlichen Vertragsarbeitgeber. An der auseinanderfallenden Arbeitgeberstellung zwischen Verleiher und Entleiher nimmt die Schiedsstelle indes keinen Anstoß, sondern zieht zur argumentativen Untermauerung einen Vergleich zu den Fällen der Einbeziehung von Personen in die Dienstgemeinschaft heran, die aufgrund eines Geden Loyalitätsanforderungen Schliemann, ZMV 2009, 29. § 4 Nr. 4 Leiharbeitsrichtlinie der EKD hinsichtlich der Loyalitätsobliegenheiten für die nichtchristlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Christliche oder sogar evangelische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter treffen sogar gesteigerte Loyalitätsobliegenheiten, die nicht nur die innerdienstliche, sondern auch die außerdienst liche Lebensführung betreffen können. 167 Zu 168 So
III. Religiöses Selbstverständnis als Schranke für Arbeitnehmerüberlassung113
stellungsvertrags in einer aufnehmenden kirchlich-diakonischen Einrichtung beschäftigt sind.169 Dabei wird wiederum übersehen, dass aufgrund Gestellungsvertrags in kirchlich-diakonischen Einrichtungen Beschäftigte – anders als Leiharbeitnehmer – gemäß § 2 Abs. 3 MVG.EKD einen kollektivrechtlich fingierten Mitarbeiterstatus in der aufnehmenden Einrichtung erlangen, auch wenn ihnen ansonsten die Arbeitnehmereigenschaft im Verhältnis zur aufnehmenden Einrichtung abgesprochen wird.170 An einer solchen ausdrücklich angeordneten Fiktionswirkung fehlt es aber im Fall von Leiharbeitnehmern mangels einer entsprechenden Regelung im kirchlichen Mitarbeitervertretungsrecht. Handelt es sich jedoch – wie die Schiedsstelle Hannover in ihrer Entscheidung auch zwischenzeitlich annahm – beim Stammpersonal wie auch bei zeitlich unbegrenzt eingesetzten Leiharbeitnehmern um Dienstnehmer im Sinne der Dienstgemeinschaft, ist eine strukturelle Spaltung der Belegschaft im kirchlichen Entleihbetrieb von vornherein schon nicht erkennbar. Ein Verstoß gegen das Prinzip der Dienstgemeinschaft läge – folgte man der Schiedsstelle in ihrer Argumentation – schon gar nicht vor. Im Ergebnis konsequent bejaht die Schiedsstelle Hannover beim dauerhaften Leiharbeitnehmereinsatz – trotz des zuvor an sich bejahten Verstoßes gegen das Prinzip der Dienstgemeinschaft – deren „volle Zugehörigkeit zur Dienstgemeinschaft“.171 Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die sonstigen Arbeitsbedingungen aufgrund möglicher abweichender tariflicher Regelungen divergieren können, weil schließlich auch sonstige, der Dienstgemeinschaft unstreitig zugehörige Berufsgruppen unterschiedlichen Arbeitsbedingungen unterliegen können, wie der Eingruppierungskatalog der AVR.DD für verschiedene Berufsgruppen, nach § 17 AVR.DD abgeschlossene Dienstvereinbarungen als flexibles Reaktionsmodell auf wirtschaftlich
169 So führt die Schiedsstelle Hannover im Beschluss vom 30.5.2006 – Az. 4 VR MVG 4/06, S. 5 (unter Punkt 2.a.), folgendermaßen aus: „Das [der substituierende Leiharbeitnehmereinsatz] führt in gleicher Weise faktisch zu einer Bindung an die Kirche und ihren Dienst. Die fehlende arbeitsvertragliche Bindung zum Entleiher … steht dem nicht grundsätzlich entgegen.“ 170 BAGE 27, 163, 169 f., betr. Rote-Kreuz-Schwestern in von ihrer Schwesternschaft betriebenem Krankenhaus; BAG, AP Nr. 2 zu § 5 BetrVG 1972 Rotes Kreuz, ebenso für Rote-Kreuz-Schwestern in einem durch Dritte betriebenen Krankenhaus; LAG Hessen, Urteil vom 30.7.2009 – Az. 5 Sa 225/09. Die Fiktion des Mitarbeiterstatus ergibt sich aus § 2 Abs. 3 MVG.EKD und wurde vom Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland wie auch vom Bundesarbeitsgericht bestätigt, siehe VerwG.EKD, Beschluss vom 25.4.1996 – Az. 0124/11-95 = ZMV 1996, 302; bestätigt von BAG, NZA 1997, 1297. 171 Schiedsstelle Hannover, Beschluss vom 30.5.2006 – Az. 4 VR MVG 4/06, S. 5 (dort unter Punkt 2.a.).
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schwierige Situationen oder auch die Notlagenregelung nach Anlage 17 zu den AVR.DD zeigen. Entgegen ihren vorangegangenen Ausführungen stellt die Schiedsstelle Hannover jedoch anschließend fest, dass die der Loyalitätsrichtlinie der EKD entspringenden, im kirchlich-diakonischen Entleihbetrieb grundsätzlich bestehenden Loyalitätsobliegenheiten im Verhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher nicht gelten.172 Wenn auch im Ergebnis richtig, so verkennt die Entscheidung, dass solche Pflichten schon dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 der Loyalitätsrichtlinie der EKD nach im Verhältnis der Leiharbeitnehmer zum diakonischen Entleiher nicht bestehen können, weil es an dem dafür notwendigen dienst- und arbeitsvertraglichen Rechtsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher fehlt. Gerade im Verhältnis des Leiharbeitnehmers zum nichtkirchlichen und nicht-diakonischen Verleiher können schon deshalb keine kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten entstehen, weil solche Pflichten als Ausdruck des verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV nur im Verhältnis des Dienstnehmers zu seinem kirchlichen Dienstgeber als Vertragsarbeitgeber begründet werden können.173 Selbst wenn Loyalitätsobliegenheiten im Verhältnis des Leiharbeitnehmers zu seinem kirchlichen Verleiher bestünden, könnten diese ihre Rechtswirkungen nur durch eine gesondert zu vereinbarende Drittwirkung gegenüber dem Entleiher eine echte Rechtspflicht entfalten, etwa in Gestalt eines echten Vertrags zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer zugunsten des Entleihers.174 Auf diese vertragliche Gestaltungsmöglichkeit ist die Schiedsstelle indes nicht eingegangen. Die Widersprüchlichkeit in der Begründung der Entscheidung der Schiedsstelle Hannover lässt den Erkenntniswert der Entscheidung zunächst gering erscheinen. Das gilt vor allem für die Frage nach den sonstigen, vor allem (zeitlichen) Grenzen der Leiharbeitnehmerüberlassung. Im Hinblick auf die dauerhafte Leiharbeitnehmerüberlassung lassen sich daher keine widerspruchsfreien Argumentationsansätze finden. Deutlich wird allerdings auch in dieser Entscheidung, dass als Anknüpfungspunkt für die Zulässigkeit der Arbeitnehmerüberlassung im kirchlichen Bereich das überkommene Leitprinzip der Dienstgemeinschaft zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer als Ausdruck des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaft maßstäblich ist.
172 Schiedsstelle Hannover, Beschluss vom 30.5.2006 – Az. 4 VR MVG 4/06, S. 5 (dort unter Punkt 2.a.). 173 BVerfGE 70, 138, 165; BVerfG, NZA 2001, 717; BVerfG, NZA 2002, 609. 174 So ErfK18/Wank, AÜG, Einl., Rdn. 37; Schüren/Hamann4, AÜG, Einl., Rdn. 179, und § 1 Rdn. 72, 82.
III. Religiöses Selbstverständnis als Schranke für Arbeitnehmerüberlassung115
dd) Das Zwischenergebnis Die Arbeitnehmerüberlassung findet im kirchlichen Bereich ihre Grenzen über die sich aus den gesetzlichen Regelungen des staatlichen Rechts im AÜG ergebenden Beschränkungen hinaus in den Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts. Die kirchenrechtliche Judikatur stimmt wie aufgezeigt weitgehend darin überein, dass dabei vor allem das Leitbild der Dienstgemeinschaft von Dienstgebern und Dienstnehmern maßgeblich ist, gegen welches durch den – vor allem längerfristigen oder gar dauerhaften – Einsatz von Leiharbeitnehmern nicht verstoßen werden darf. Insoweit schränkt das Leitbild der Dienstgemeinschaft die unternehmerische und personalorganisatorische Entscheidungsfreiheit kirchlicher Dienstgeber im Vergleich zu säkularen Arbeitgebern und Entleihern stärker ein. Eine Rechtfertigung für diese eingeschränkte Unternehmerfreiheit ergibt sich aus dem religiösen Selbstbild des diakonischen und caritativen Dienstes als Dienst am Nächsten, welches die Religionsgemeinschaften als Ausprägung ihres Selbstordnungsrechts gemäß Art. 137 Abs. 3 WRV i. V. m. Art. 140 GG den ihnen zugehörigen diakonischen und caritativen Dienstgebern im Sinne einer Selbstbindung verpflichtend auferlegen können und auferlegen. Das Merkmal der Dienstgemeinschaft zeichnet sich in den kirchenrechtlichen Entscheidungen jedoch durch eine auffallende Konturenlosigkeit aus, die in der Bestimmung eines höchstens zweijährigen Überlassungszeitraums als mit dem Leitbild der Dienstgemeinschaft noch im Einklang stehend kulminiert. Der Festlegung dieses Zeitraums durch den Kirchengerichtshof der EKD fehlt es daher an einer inneren Rechtfertigung. 2. Die Literatur Die Rechtsprechung der kirchlichen Arbeitsgerichte hat in der Literatur jedenfalls im Hinblick auf die Ergebnisse der Entscheidungen weitgehend Zustimmung erfahren. Die Literaturansichten sehen ebenso wie die kirchlichen Gerichte die Fragen der Zulässigkeit von Leiharbeit im kirchlichen Bereich eng verknüpft mit dem Schlüsselbegriff der Dienstgemeinschaft und dem damit verbundenen Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften. Während weitgehende Einigkeit hinsichtlich der Signifikanz des Leitprinzips der Dienstgemeinschaft für das kirchliche Arbeitsrecht und damit auch für die Fragen der Zulässigkeit und der Grenzen der Arbeitnehmerüberlassung im kirchlichen Bereich – gerade im Fall der dauerhaften Überlassung – festzustellen ist, weist das Meinungsbild in der Literatur über den theologischen Gehalt und die inhaltliche Konturierung des Begriffs vor dem Hintergrund seiner theologischen Genese und der kirchenrechtlichen Historie einen
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größeren Facettenreichtum als die kirchenrechtliche Rechtsprechung auf. Schien das Leitprinzip der Dienstgemeinschaft spätestens ab den 1950er Jahren zunächst arriviert und in den letzten Jahrzehnten jedenfalls nicht mehr ernsthaft in Zweifel gezogen worden zu sein, hat der ab den 2000er Jahren aufkommende verstärkte Einsatz von Leiharbeitnehmern auch in kirchlichen Einrichtungen mit dazu beigetragen, dass die Diskussion um die Frage der theologischen Substanz des Begriffs der „Dienstgemeinschaft“ und die daran anknüpfende Frage nach den etwaigen kirchenrechtlichen Folgen neu belebt wurde. a) Zur Frage der Differenzierung zwischen Stamm- und Leihpersonal Auswirkungen hat die Diskussion um den Inhalt des Begriffs der Dienstgemeinschaft auf die Frage der Dazugehörigkeit des Leihpersonals zur Dienstgemeinschaft und damit zum Stammpersonal des Entleihbetriebs. Mittelpunkt der Diskussion ist, ob das kirchliche Dienstverständnis eine Differenzierung zwischen dem Stammpersonal und den Leiharbeitnehmern rechtfertigt oder sogar notwendig macht, was wiederum darauf Auswirkungen hat, welchen besonderen Loyalitätsobliegenheiten in kirchlichen Einrichtungen beschäftigte Leiharbeitnehmer unterworfen werden können. Das Kirchenrecht selbst bietet insgesamt nur wenige konkrete Anhaltspunkte und erst recht keine eindeutigen Regelungen. aa) Die Frage der Geltung kirchlicher Loyalitätsobliegenheiten für nicht wirksam überlassene Leiharbeitnehmer Einigkeit besteht dabei zunächst darin, dass der Begriff der Dienstgemeinschaft nicht allein juristisch geklärt werden kann, sondern darüber hinaus auch eine theologische Frage vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses der Kirchen betrifft.175 Auch ist allein mit den Kriterien und Wesensmerkmalen der im säkularen Recht kodifizierten Arbeitnehmerüberlassung eine Bestimmung der Zulässigkeit und der Grenzen der Arbeitnehmerüberlassung im kirchlichen Bereich ohne Berücksichtigung des kirchlichen Selbstverständnisses nicht möglich.
175 Thüsing, in FS Richardi, S. 996; Wegner, S. 11, 13; Hahn, ZMV-Sonderheft 2010, 33, 34 ff.
III. Religiöses Selbstverständnis als Schranke für Arbeitnehmerüberlassung117
(1) Die Regelungslücke im Kirchenrecht Allein kirchenrechtlich betrachtet besteht eine Regelungslücke. Eine eindeutige kirchenrechtliche Anordnung der Geltung der Loyalitätsobliegenheiten in solchen Fällen bietet der kirchliche Normbestand nicht; die Loyalitätsrichtlinie der EKD wie auch die Grundordnung für den kirchlichen Dienst im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse im katholischen Bereich regeln diesen Fall ausdrücklich nicht. Vor dem Hintergrund des kirchlichen Selbstverständnisses ist es aus der Sicht des kirchlichen Dienstgebers zwar wünschenswert, dass dauerhaft überlassene Arbeitnehmer genauso wie das arbeitsvertraglich dem kirchlichen Entleihbetrieb näherstehende Stammpersonal denselben Loyalitätsobliegenheiten unterworfen sind. Vor allem wird – gemessen an kirchenrechtlichen Maßstäben – eine Spaltung der Belegschaft in Stamm- und Leihpersonal vermieden. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang allerdings vor allem die rechtliche Grundlage, auf welcher die kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten rechtsbindende Wirkung unmittelbar zwischen dem kirchlichen Entleihbetrieb und den dieser Einrichtung überlassenen Leiharbeitnehmern entfalten sollen: Denn eine unmittelbare vertragliche Verbindung besteht zwischen beiden gerade nicht. (2) D ie „an sich“ notwendige vertragliche Vereinbarung kirchlicher Loyalitätsobliegenheiten Zunächst einmal davon abgesehen, dass der Überlassungsvertrag zwischen Verleiher und Entleiher jedenfalls bei dauerhafter und damit unzulässiger Überlassung wegen mangelnder Erlaubnis nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist, stellte sich eine an die Unwirksamkeit der Überlassung anknüpfende Geltung von kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten als zusätzlich rechtlich belastend zuungunsten des überlassenen Arbeitnehmers dar. Schließlich unterläge er dann einer stärkeren Pflichtenbindung, obwohl er seinem ursprünglichen Vertragspartner, dem Verleiher, einst nur „normale“ Loyalität versprochen hat. Dieses Ergebnis erscheint somit schon deshalb fragwürdig, weil die faktische Einbindung unzulässig überlassener Arbeitnehmer in die Dienstgemeinschaft letztlich ausschließlich zu Lasten der Leiharbeitnehmer ginge, die in diesem Fall strengeren Loyalitätsobliegenheiten unterlägen. Nicht vereinbar ist dieses Ergebnis auch mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Rechtsfolgen verbotener Arbeitnehmerüberlassung, nach der ein Rechtsverhältnis des Leiharbeitnehmers mittels fingierten Arbeitsverhältnisses zum Entleiher gerade nicht zustande kommen soll.176 Die 176 Siehe nur BAG, BB 2014, 3007; BAG, AP AÜG § 1 Nr. 37; BAG, NZA-RR 2015, 520.
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nachwirkende Geltung kirchlicher Loyalitätsobliegenheiten gegenüber dem kirchlichen Entleiher im Fall unzulässiger Überlassung entbehrt der erforderlichen Rechts- und Vertragsgrundlage. Zudem erscheint es in den Fällen, in denen die Überlassung zur Substitution von Stammpersonal und damit seitens des Entleihers treuwidrig zur Umgehung von Kündigungsschutz und Sozialschutz erfolgt, geradezu unbillig, dem Leiharbeitnehmer nunmehr stärkere kirchliche Loyalitätsobliegenheiten aufzuerlegen. Demselben Entleiher müsste der (vormalige) Leiharbeitnehmer seinerseits nun zu höherer Loyalität verpflichtet sein. Allein die faktische Eingliederung der überlassenen Arbeitnehmer kann daher in den Fällen der dauerhaften und deshalb rechtsmissbräuchlichen Überlassung nicht ohne Weiteres eine unmittelbare rechtliche Bindung an die kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten zur Folge haben, nicht zuletzt um den von Gesetzes wegen an sich untersagten Einsatz von Leiharbeitnehmern nicht auch noch durch die Geltung gesteigerter Loyalitätsobliegenheiten zu honorieren und damit letztlich zu legitimieren. Deshalb müssen in diesen Fällen der unzulässigen Überlassung an einen kirchlichen Entleiher die Wertungen der Richtlinie 2008 / 104 / EG und des AÜG das Interesse des kirchlichen Entleihers an einer hinsichtlich der gesteigerten kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten vereinheitlichten Belegschaft überwiegen, mit der daraus resultierenden Folge einer Spaltung der Belegschaft. Dieses Ergebnis ist insofern auch sachgerecht, weil der kirchliche Entleiher maßgeblich den Einsatz von Leiharbeitnehmern initiiert und damit im eigenen unternehmerischen Verantwortungsbereich die Ursache für die Spaltung seiner Belegschaft gesetzt hat. Auch aus § 10 Abs. 1 S. 4 AÜG folgt nichts anderes. Die in § 10 Abs. 1 AÜG für den Fall der Unwirksamkeit der Überlassung geregelte Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer erfolgt zwar zu den im Entleihbetrieb geltenden Arbeitsbedingungen, was an sich auch die Bindung an die besonderen Treuepflichten des Arbeitnehmers gegenüber dem kirchlichen Entleiher als neuem Arbeitgeber zur Folge hätte. Eine Bindung an die gesteigerten kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten kann indes nicht durch säkulares Recht, sondern nur im Rahmen kirchlichen (Vertrags-)Rechts statuiert werden. Die Kirchen entscheiden selbst im Rahmen des ihnen garantierten Propriums, welches Personal welchen Loyalitätsobliegenheiten unterworfen sein soll. Dazu bedarf es einer entsprechenden kirchenrechtlichen Regelung – wie etwa in Gestalt der Loyalitätsrichtlinie der EKD – und deren arbeitsvertraglicher Inbezugnahme. Säkularem Recht fehlt diesbezüglich schon aus verfassungsrechtlichen Gründen eine innerkirchliche Bindungswirkung. Für eine Nichtgeltung von kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten gegenüber nicht wirksam überlassenen Leiharbeitnehmern spricht ferner, dass die in der
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kirchlichen Dienststelle beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenfalls erst kraft vertraglicher Inbezugnahme der Loyalitätsrichtlinie deren Verpflichtungen unterworfen sind. Da ein unmittelbares Arbeitsvertragsverhältnis zwischen dem kirchlichen Entleiher und dem Leiharbeitnehmer aber gerade wegen der unzulässigen Überlassungssituation nicht besteht, können folglich im Fall unzulässiger dauerhafter oder rechtsmissbräuchlicher Überlassung kirchliche Loyalitätsobliegenheiten zulasten nicht wirksam überlassener Leiharbeitnehmer auch nicht ohne Weiteres entstehen. Allenfalls in den Fällen der Vertragsfiktion nach § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer können kirchliche Loyalitätsobliegenheiten zusätzlich zu den ohnehin bereits fingierten Arbeitsbedingungen vereinbart werden und damit ebenfalls wieder im Wege einer ausdrücklichen vertraglichen Inbezugnahme Gültigkeit erlangen. Dieser Fall liegt indes bei unzulässiger dauerhafter Überlassung gerade nicht vor. Im Hinblick auf die Geltung von kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten gegenüber den nicht wirksam überlassenen Leiharbeitnehmern fehlt es somit an einer dafür an sich notwendigen kirchlichen Rechtsgrundlage. Es handelt sich dabei allerdings nicht um eine zu schließende Regelungslücke. Es handelt sich vielmehr um eine Ausprägung der Rechtsnatur kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen, denen eine unmittelbare, mit tarifvertraglichen Regelungen vergleichbare Bindungswirkung gerade fehlt.177 So können Loyalitätsobliegenheiten folglich auch nicht durch sonstige Kirchenrechtsregelungen unmittelbar gegenüber den nicht wirksam überlassenen Arbeitnehmern angeordnet werden, sondern bedürfen regelmäßig einer individualvertraglichen Inbezugnahme.178 Der säkular kodifizierten Leiharbeitnehmerschutzregelung in § 10 Abs. 1 AÜG fehlt es dafür ohnehin schon am verfassungsrechtlichen Geltungsanspruch für den Bereich des von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV geschützten Selbstverwaltungsrechts. Eine unmittelbare Geltung kirchlicher Loyalitätsobliegenheiten im Verhältnis des kirchlichen Entleihers zum – dann vormaligen – Leiharbeitnehmer bedarf somit einer entsprechenden Willensäußerung aller Parteien und damit 177 Das Ergebnis erscheint insoweit paradox, weil die im Rahmen des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts verfassungsrechtlich anerkannten Besonderheiten des Dritten Wegs dann dazu führen, dass kirchliches Arbeitsrecht gegenüber im kirchlichen Dienst Tätigen gerade nicht gilt. Diese insoweit aber konsequente Folge beruht indes auf den Besonderheiten und Wertungen der Arbeitnehmerüberlassung. 178 Ein anderes Ergebnis kommt in Betracht in den Fällen, in denen kirchliche Tarifverträge bestehen, zum Beispiel der Kirchliche Arbeitnehmerinnen Tarifvertrag (KAT) der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland oder der Tarifvertrag der verfassten Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Soweit ersichtlich enthalten aber auch diese Tarifwerke keine Regelungen zu nicht wirksam überlassenen Arbeitnehmern.
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also eines Vertrags. Eine anderweitige rechtliche Bindungsmöglichkeit von Leiharbeitnehmern an kirchliche Loyalitätsobliegenheiten besteht nicht. bb) Der Vergleich zum Betriebsübergang auf einen kirchlichen Erwerber Dieses Ergebnis entspricht auch den vergleichbaren Fällen des Betriebsübergangs eines weltlichen Betriebs in eine kirchliche Einrichtung, in denen sich ebenfalls die Frage stellt, ob vom weltlichen Betrieb übernommene Arbeitnehmer denselben kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten des kirchlichen Erwerbers unterliegen. Auch dort wird mit dem Hinweis auf den (lediglich) kraft Gesetzes erfolgten Eintritt in den kirchlichen Dienst nach der herrschenden Meinung verlangt, dass eine Bindung der übernommenen Mitarbeiter an gesteigerte kirchliche Loyalitätsobliegenheiten nur durch eine selbstbestimmte Willensbetätigung erfolgen kann, weil andernfalls der Schutzzweck des § 613a BGB unterlaufen wird und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen keine hinreichende Rechtfertigung für eine Einschränkung des Schutzes des Arbeitnehmers vor Eingriffen in den Bestand seines Arbeitsverhältnisses darstellt.179 Die aufgrund der Fiktionswirkung von § 10 Abs. 1 AÜG entstehende Vertragsbindung des bisherigen Leiharbeitnehmers an den kirchlichen Entleihbetrieb stellt einen vergleichbaren Fall gesetzlicher Vertragsgestaltung dar. Auch dort erfolgt die Neugestaltung der Vertragslage kraft Gesetzes zum Schutz des Arbeitnehmers mittels Übergangs des Arbeitsverhältnisses auf den Entleiher, ohne dass es dazu einer gesonderten, auf diese Rechtsfolge abzielenden Willensbetätigung bedarf.180 Daher wäre es unverhältnismäßig und auch nicht geboten, in diesen Fällen dem aufgenommenen Arbeitnehmer neben dem gesetzlich „aufgezwungenen“ neuen Vertragsarbeitgeber über die bisherigen Arbeitspflichten hinaus weitere kirchliche Loyalitätsobliegenheiten aufzuerlegen. Insoweit besteht eine vergleichbare Rechts- und Interessenlage zu den Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis des nicht wirksam überlas179 Blens,
ZMV-Sonderheft 2007, 49, 50 f. m. w. N. in § 613a Abs. 6 BGB geregelte Widerspruchsrecht ist seiner Rechtsqualität nach zwar empfangsbedürftige Willenserklärung, inhaltlich indes nicht auf die Begründung von Pflichten, sondern als Gestaltungsrecht gerade auf die Verhinderung des Vertragsübergangs auf den Erwerber gerichtet, ErfK18/Preis, § 613a BGB, Rdn. 97. Im Übrigen sah auch schon der Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze (BT-Drs. 18/9232, S. 9) in § 9 Nr. 1 AÜG n. F. ein schon länger diskutiertes Widerspruchsrecht des Leiharbeitnehmers vor, welches die Fiktion des Arbeitsverhältnisses zum Entleiher unter Widerrufsvorbehalt. Im Fall des Widerspruchs besteht das bisherige Arbeitsverhältnis zum Verleiher fort. 180 Das
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senen Leiharbeitnehmers zum kirchlichen Entleihbetrieb de iure fingiert wird. Folglich ist dort ebenso eine ausdrückliche oder zumindest konkludente Willensbetätigung der übernommenen Mitarbeiter notwendige Voraussetzung für die Geltung kirchlicher Loyalitätsobliegenheiten. Zusammengefasst bedarf es somit in jedem Fall einer vertraglichen Vereinbarung über die Geltung kirchlicher Loyalitätsobliegenheiten zwischen dem vormaligen Entleiher und dem nicht wirksam überlassenen Leiharbeitnehmer, wodurch indes ein „normales“ Arbeitsverhältnis begründet wird und der vormalige Leiharbeitnehmer folglich mit dem Vertragsschluss dem Stammpersonal und damit der Dienstgemeinschaft zuzurechnen ist. Nur dann unterliegt er auch den kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten. b) Der Begriff der Dienstgemeinschaft aa) Die Ambivalenz des Begriffs der Dienstgemeinschaft Der seit den 1950er Jahren im kirchlichen arbeitsrechtlichen Sprachkontext etablierte Begriff der Dienstgemeinschaft beinhaltet sowohl eine kollektive als auch eine individuale Komponente. Während das kollektiv-rechtliche Begriffsverständnis im Wesentlichen dazu dient, die Besonderheiten des kirchlichen Dritten Wegs durch eigenständige innerkirchliche Ordnungen und Organisationsformen in Abgrenzung zum säkularen Tarifvertragssystem zu begründen, spiegelt das individual-rechtliche Begriffsverständnis vor allem das Verhältnis der Religionskörperschaften zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wider.181 Insoweit verkörpert der Begriff ein ambivalentes Verständnis, indem er nach außen und nach innen wirkt. Während sich die nach außen gerichtete Wirkung im Wesentlichen dahingehend versteht, als maßgebliches Abgrenzungsmerkmal zum staatlichen Tarifvertragssystem und als Rechtfertigung für den kirchlichen Sonderweg zu dienen, betrifft die nach innen gerichtete Wirkung vor allem die individualarbeitsrechtliche Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse zu den im kirchlichen Dienst Beschäftigten.182 Das kollektiv-rechtliche Verständnis der Dienstgemeinschaft mit „Außenwirkung“ hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen als zulässiges Abgrenzungsmerkmal zum säkularen Tarifvertragssystem anerkannt. Den Kirchen steht im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts das Recht zu, bei der Gestaltung des kirchlichen Dienstes das besondere Leitbild 181 Weiß,
Die kirchliche Dienstgemeinschaft, S. 525. zum Abgrenzungscharakter der Dienstgemeinschaft Lührs, AuK
182 Allgemein
2006, 95.
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der christlichen Dienstgemeinschaft aller ihrer Mitarbeiter zugrunde zu legen, welches zudem einer gerichtlichen Kontrolle nicht zugänglich ist.183 Auch die gerichtliche Überprüfung von Loyalitätsobliegenheiten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen durch die staatlichen Gerichte ist nur eingeschränkt zulässig.184 Einigkeit scheint immerhin darin zu bestehen, dass der Begriff der Dienstgemeinschaft ein theologisches Begriffsverständnis voraussetzt, welches als Grundlage einer juristischen „Auffüllung“ dieses unbestimmten Rechtsbegriffs dient.185 Die Doppeldeutigkeit des Begriffs resultiert einerseits aus der zulässigen wie auch notwendigen theologischen Deutung, soll der Begriff doch vor allem als Abgrenzungsmerkmal der Kirche nach außen gegenüber dem Staat als Folge des kirchlichen Selbstverwaltungs- und Selbstorganisationsrechts nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV im Rahmen eines eigenen Dritten Wegs zur autonomen Regelung der innerkirchlichen Arbeitsrechtsbedingungen dienen. Das setzt zwangsläufig ein theologisch begründetes Selbstverständnis als Kirche voraus. Eine juristische Sinngebung des Begriffs der Dienstgemeinschaft ist erforderlich, weil der unbestimmte Rechtsbegriff der Dienstgemeinschaft zunächst inhaltlich ausgefüllt werden muss, ehe Rechtsfolgen an ihn geknüpft werden können. Während die Kasuistik des Bundesverfassungsgerichts mittlerweile ein recht konzises Begriffsverständnis der Dienstgemeinschaft als Abgrenzungsmerkmal gegenüber dem Staat herausgearbeitet hat, ist der das nach innen gerichtete kirchliche Verständnis betreffende Sinngehalt des Begriffs hingegen vergleichsweise diffus geblieben.186 Das betrifft vor allem die Fragen der Auferlegung der Beachtung der tragenden Grundsätze der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre und die daran anknüpfende Frage nach der Rechtsfolge bei Verstößen gegen das Leitprinzip der Dienstgemeinschaft einschließlich möglicher Sanktionen. Im Kontext der Arbeitnehmerüberlassung erlangen die Fragen nach den Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zur Dienstgemeinschaft sowie zur Geltung und Bindung an kirchliche Loyalitätsobliegenheiten vor allem für nicht wirksam überlassene Leiharbeitnehmer eine herausgehobene Bedeutung.
183 Grundlegend BVerfGE 53, 366, 403 f., BVerfGE 70, 138, 167; zuletzt BVerfGE 137, 273, 307 ff.; BVerfG, NJW 2016, 229, 232. 184 BVerfGE 137, 273, 307 ff. 185 Eingehend Ehrlich, Dienstgemeinschaft und Arbeitnehmerüberlassung, S. 69 ff., 77 ff. 186 Siehe nur BVerfGE 53, 366, 403 f., BVerfGE 70, 138, 167; zuletzt BVerfGE 137, 273, 310 ff.; BVerfG, NJW 2016, 229, 232.
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bb) Das Fehlen einer kirchenrechtlichen Definition Eine kirchenrechtliche Definition des Begriffs der Dienstgemeinschaft existiert nicht, auch wenn er in einigen wenigen kirchlichen Regelwerken erwähnt wird. Ausdrücklich genannt wird er jeweils in den Präambeln des ARGG-EKD, MVG.EKD und der MAVO, ferner in § 1 Abs. 2 der AVR.DD. Die Loyalitätsrichtlinie der EKD nennt den Terminus nicht ausdrücklich, erläutert indes die Anforderungen an den kirchlichen Dienst als Auftrag, das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen, welcher von allen Anstellungsträgern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu beachten ist.187 In Art. 1 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse für den katholischen Bereich ist eine Art Legaldefinition enthalten, wonach alle in der katholischen Kirche Tätigen durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung dazu beitragen, dass die kirchliche Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann. Im Übrigen finden sich lediglich Hinweise auf die Anforderungen im kirchlichen Dienst, die allenfalls Indizien für das innerkirchliche Dienstverhältnis von Dienstgeber und Dienstnehmer beinhalten. Nach § 2 Nr. 1 der Loyalitätsrichtlinie der EKD ist der Dienst in der Kirche durch den Auftrag bestimmt, das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen, wobei alle in Kirche und Diakonie angestellten Frauen und Männer gleichermaßen in unterschiedlicher Weise dazu beitragen, diesen Auftrag zu erfüllen.188 Nach § 1 ARRG. EKD ist der kirchliche Dienst durch den Auftrag der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat bestimmt. Dieser Auftrag erfordert in der Gestaltung des kirchlichen Arbeitsrechts eine vertrauensvolle, partnerschaftliche Zusammenarbeit von Leitungsorganen und Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. cc) Die Literaturansichten Ganz überwiegend wird der vom Kirchengerichtshof der EKD in seiner Entscheidung vom 9.10.2006189 zugrunde gelegte Begriff der Dienstgemeinschaft als zu eng und fehlinterpretiert aufgefasst. Von einer Dienstgemeinschaft ist nicht erst bei einer organisatorischen Einbindung in eine kirchliche Dienststelle auf arbeitsvertraglicher oder sonstiger rechtlicher Basis mit vertraglichen Pflichten auszugehen. Eine Dienstgemeinschaft ist stattdessen be187 § 2
Abs. 1 der Loyalitätsrichtlinie der EKD. Kirchengerichtshof der EKD leitet aus §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 der Loyalitätsrichtlinie der EKD das Grundprinzip der Dienstgemeinschaft ab, KGH.EKD, NZA 2007, 761. 189 KGH.EKD, Beschluss vom 9.10.2006 – Az. II-0124/M 35-06. 188 Der
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reits überall dort verwirklicht, wo Fremdpersonal in den kirchlichen Betrieb faktisch eingegliedert ist, am kirchlichen Arbeitsleben in Wahrnehmung kirchlicher Aufgaben und damit schließlich am Sendungsauftrag der Kirche teilhat.190 Anders als der Kirchengerichtshof der EKD – und der Kirchliche Arbeitsgerichtshof ihm jedenfalls im Ergebnis folgend – wird für die Zugehörigkeit zur Dienstgemeinschaft eine vertragliche Grundlage zwischen den Mitarbeitern und der Dienstelle für die Zugehörigkeit zur Dienstgemeinschaft gerade nicht verlangt.191 Zum Teil wird jedoch auf die Kirchlichkeit des Verleih- und des Entleihbetriebs, das heißt die Zuordnung zur Kirche, abgestellt192. Welche Rechtsfolgen an dieses weiter gefasste Begriffsverständnis der Dienstgemeinschaft anknüpfen sollen, wird hingegen sehr differenziert beurteilt. Einige Autoren sehen Leiharbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen infolge ihrer funktionalen Eingliederung in den kirchlichen Entleihbetrieb als Teil der Dienstgemeinschaft an, für welche demzufolge dieselben, zumindest aber abgestufte Loyalitätsobliegenheiten gelten sollen wie für das vorhandene Stammpersonal des kirchlichen Entleihbetriebs.193 Zum Teil wird in der Literatur vertreten, dass an eine kirchliche Einrichtung entliehene Arbeitnehmer jedenfalls dann gleichrangig wie das vorhandene Stammpersonal der kirchlichen Einrichtung der Dienstgemeinschaft angehören, wenn sie dauerhaft oder rechtsmissbräuchlich zur Substitution des Stammpersonals eingesetzt werden.194 Denn in diesen Fällen sind sie faktisch ebenso wie das Stammpersonal dauerhaft in den kirchlichen Dienst 190 Baumann-Czichon, AuK 2007, 35, 37; Manterfeld, AuK 2007, 30, 34; Thüsing, in FS Richardi, S. 998; Joussen, ZMV-Sonderheft 2007, 24, 29 f.; so wohl auch Richardi, Arbeitsrecht, § 5, Rdn. 33 f.; Andelewski/Stützle, NZA 2007, 723, 724; Conring, Curacontact 2007, 4 f. wirft dem KGH.EKD vor, irrig von einer „Dienststellengemeinschaft“ auszugehen; im Ergebnis einer sozialwissenschaftlichen Auswertung auch Lührs, KuR 2007, 220, 244 f.; Ehrlich, Dienstgemeinschaft und Arbeitnehmer überlassung, S. 265 f.; Schneider, Leiharbeit in kirchlichen Einrichtungen, S. 33 f.; Heinig, Zum Verhältnis von kirchlichem Arbeitsrecht und Streikrecht aus verfassungsrechtlicher Sicht, S. 7 ff. 191 Anders wohl noch Richardi, Arbeitsrecht, § 5, Rdn. 24 f., der einen Arbeitsvertrag voraussetzt. 192 Joussen, epd-Dokumentation 17/2013, S. 19, 23. 193 Conring, Curacontact 2007, 4; Thüsing, in FS Richardi, S. 997 f., unterscheidet nach der Überlassungsdauer, vor allem danach, ab wann bei längerer Überlassung ab 3 oder 12 Monaten der Einsatz substituierenden Charakter annimmt. Danach sollen auch die Loyalitätsobliegenheiten abgestuft gelten. Manterfeld, AuK 2007, 30, 32, bezieht sogar die Ehrenamtlichen in den Begriff der Dienstgemeinschaft ein und plädiert ebenfalls für ein abgestuftes Loyalitätsobliegenheitenprogramm. BaumannCzichon, AuK 2007, 35, 36, bezieht alle im Auftrag der Kirche Tätigen in die Dienstgemeinschaft mit ein und hält ein Abstufungssystem zumindest für denkbar. 194 Thüsing, in FS Richardi, S. 998.
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eingegliedert.195 Problematisch ist freilich die daran anknüpfende Frage, ob in den Fällen unwirksamer Überlassung allein die faktische Eingliederung in die Arbeitsorganisation des kirchlichen Entleihbetriebs zur Folge hat, dass auf diese Weise eingesetzte Leiharbeitnehmer dem Stammpersonal gleichgestellt auch kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten unterliegen.196 Wieder andere wollen danach differenzieren, ob es sich um Leihpersonal von externen oder internen Servicegesellschaften handelt.197 Kircheninterne Servicegesellschaften sind danach ohnehin Teil der Dienstgemeinschaft, so dass auch in der Belegschaft des Entleihbetriebs keine Spaltung eintreten kann.198 Das Stamm- wie auch das Leihpersonal verwirklichen demnach gemeinsam den Sendungsauftrag in einer Dienstgemeinschaft.199 Infolgedessen unterliegen beide Personalgruppen denselben kirchlichen Arbeitsbedingungen einschließlich der besonderen kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten.200 Ferner soll jedenfalls bei kirchenfernen Verleihern auch nach der Anzahl der Leiharbeitnehmer im Entleihbetrieb und dem zugrundeliegenden Anlass ihres Einsatzes unterschieden werden, weil andernfalls die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Einrichtung an der Teilhabe des kirchlichen Sendungsauftrags in Frage steht.201 Andere Autoren sehen nur die Mitarbeiter im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn als juristische Dienstgemeinschaft an. Ausschließlich an diese Mitarbeiter seien die üblichen Loyalitätsanforderungen zu stellen.202 Teilweise soll andererseits danach differenziert werden, inwieweit für die Kirche Tätige den Sendungsauftrag der Kirche erfüllen. Ausgehend vom weitumfassenden theologischen Verständnis des „Priestertums aller Gläubigen“203 gehört der Dienstgemeinschaft danach jeder an, der Teil der Erfüllung des 195 Thüsing,
in FS Richardi, S. 998. Thüsing, in FS Richardi, S. 998. 197 Joussen, ZMV-Sonderheft 2007, 24, 29 ff.; Richardi, Arbeitsrecht, § 5, Rdn. 33 f. 198 Joussen, ZMV-Sonderheft 2007, 24, 29 ff. 199 Joussen, ZMV-Sonderheft 2007, 24, 29 ff. 200 Joussen, ZMV-Sonderheft 2007, 24, 29 ff. 201 Richardi, Arbeitsrecht, § 5, Rdn. 34; Richardi, Sonderstellung der Kirche im Dienst- und Arbeitsrecht, S. 26 f.; Richardi, Das Mitarbeitervertretungsrecht als kirchliches Betriebsverfassungsrecht – Struktur und Rechtsanwendungsprobleme, S. 35, 46 f. 202 Andelewski/Stützle, NZA 2007, 723, 724. Ähnlich Dütz, Essener Gespräche 18, S. 65, 89; von Campenhausen, Essener Gespräche 18, 9, 21 [24 f.]. Innerhalb der Caritas müsste das analog für alle Mitarbeiter im Sinn der MAVO gelten. 203 Ausführlich zur theologischen Herleitung des Begriffs der Dienstgemeinschaft Hirschfeld, S. 55 ff. Ebenso Marx, ZMV-Sonderheft 2010, 7; Hahn, ZMV-Sonderheft 2010, 33; Reuter, S. 52; Richardi, ZfA 84, 109, 117 ff.; Manterfeld, epd-Dokumenta196 So
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Sendungsauftrags ist, und zwar ungeachtet von seiner Mitgliedschaft in einer Kirche oder des Vorliegens und der inhaltlichen Ausgestaltung eines Beschäftigungsverhältnisses.204 Dieses Verständnis scheint sich beispielsweise auch in § 2 MVG.EKD und § 3 Abs. 1 MAVO widerzuspiegeln, wonach als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst alle in einem arbeitsrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Arbeits- oder Dienstverhältnis Beschäftigten, Auszubildende oder per Gestellung oder aufgrund Ordenszugehörigkeit Tätige anerkannt sind. Genauso gehören die Ehrenamtlichen zu denjenigen, welche – ohne in einem Beschäftigungsverhältnis zu einer kirchlichen Dienststelle zu stehen – an der Erfüllung des Sendungsauftrags, der missio, mitwirken. Im Umkehrschluss gehört demnach nicht zur Dienstgemeinschaft, wer durch sein Wirken keinen Beitrag zur Erfüllung der Sendung leistet oder vorrangig Sendung empfängt.205 Im Hinblick auf die Anforderung an das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses wird wiederum zwischen interner und externer Arbeitnehmer überlassung differenziert.206 Beim Einsatz kircheninterner Leiharbeitnehmer, also von bei einem der Kirche zugeordneten Überlassungsunternehmen beschäftigten Leiharbeitnehmern, kommen die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen von vornherein zur Anwendung, weil diese zur Dienstgemeinschaft gehörten und folglich auch den gesteigerten Loyalitätsanforderungen unterliegen.207 Bei der an sich zulässigen externen Arbeitnehmerüberlassung können die Vorgaben nach dem theologischen Verständnis der Dienstgemeinschaft allerdings nicht vollständig umgesetzt werden, weil ein Beschäftigungsverhältnis zu einem der Kirche zugeordneten Verleiher gerade nicht tion 17/2013, S. 16 ff.; Joussen, epd-Dokumentation 17/2013, S. 19 ff.; Germann, epd-Dokumentation 17/2013, S. 29 ff.; Albrecht, epd-Dokumentation 17/2013, S. 35 ff. 204 Ehrlich, Dienstgemeinschaft und Arbeitnehmerüberlassung, S. 185, 208, leider offenlassend, auf welcher Rechtsgrundlage Verleiher und Entleiher den Leiharbeitnehmer zur Beachtung und Erfüllung des Sendungsauftrags verpflichten können sollen. Als Grundlage dafür kommt allein ein echter Vertrag zugunsten Dritter zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer in Betracht. Begünstigter ist der Entleiher. 205 Ehrlich, Dienstgemeinschaft und Arbeitnehmerüberlassung, S. 185. 206 Ehrlich, Dienstgemeinschaft und Arbeitnehmerüberlassung, S. 187 ff., 213 ff. Gemeint ist die Überlassung durch einen der Kirche zugeordneten Verleiher („intern“) und durch einen kirchenfernen Verleiher („extern“). So auch Wiegelmann, S. 118, 120 ff. 207 Ehrlich, Dienstgemeinschaft und Arbeitnehmerüberlassung, S. 252 f. Diese Ansicht überzeugt nur teilweise, weil der Einsatz von kirchlichem, aber betriebsfremdem Leihpersonal aufgrund der im Entleihbetrieb mitunter geltenden ungünstigeren Tarifbedingungen somit zur Folge haben kann, dass eine Spaltung der Belegschaft im kirchlichen Einsatzbetrieb eintritt. Die Zugehörigkeit zur Dienstgemeinschaft zeigt sich nicht nur in der Bindung an kirchliche Loyalitätsobliegenheiten, sondern auch hinsichtlich aller sonstigen Arbeitsbedingungen.
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besteht.208 Eine zeitliche Beschränkung der Überlassung existiert aus kirchenrechtlicher Sicht nicht, weil der Kirchengesetzgeber eine solche Restriktion nicht postuliert, obgleich er das kann.209 Mitunter wird sogar die Abkehr vom Einsatz externer Arbeitnehmerüberlassungsgesellschaften in kirchlichen Einrichtungen postuliert, weil kirchlicher Dienst und externe Arbeitnehmerüberlassung vor allem unter dem Aspekt der Lohngerechtigkeit prinzipiell nicht zu vereinbaren seien.210 Schließlich wird die Ersetzung des Begriffs der Dienstgemeinschaft durch denjenigen der Sozialpartnerschaft vorgeschlagen, durch welchen besser verdeutlicht werden könne, dass die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen einerseits sowie die Arbeitgeber andererseits partnerschaftlich die jeweiligen Arbeitsbedingungen festlegen können.211 3. Die zusammenfassende Stellungnahme Unbestrittene Einigkeit besteht bei der Frage nach der Zulässigkeit und den Schranken der Arbeitnehmerüberlassung in kirchlichen Einrichtungen darin, dass neben den ohnehin geltenden Regelungen aus dem AÜG das kirchliche Selbstverständnis im Rahmen des verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungs- und Selbstorganisationsrechts zu beachten ist. Das Selbstverständnis der Kirchen kulminiert im kirchlichen Arbeitsrecht im Begriff der Dienstgemeinschaft. Der als arriviert geltende Begriff der Dienstgemeinschaft beinhaltet aufgrund seines sowohl theologischen als auch juristischen Sinngehalts ein dichotomes Begriffsverständnis. In dem wiederbelebten Spannungsfeld sind das theologische und juristische Verständnis nicht deckungsgleich und können es auch nicht sein. Während der theologische 208 Ehrlich,
Dienstgemeinschaft und Arbeitnehmerüberlassung, S. 252 f. Dienstgemeinschaft und Arbeitnehmerüberlassung, S. 212. Stattdessen soll jede kirchliche Einrichtung den Einsatz von Leiharbeitnehmern zeitlich begrenzen können. 210 Schneider, Leiharbeit in kirchlichen Einrichtungen, S. 59. Das Phänomen der Auflösung der Lohngerechtigkeit ist allerdings kein kirchenspezifisches, sondern findet sich aufgrund der Tariföffnungsklausel in § 10 Abs. 4 S. 2 AÜG bei jeder Form der Überlassung und ist vom Gesetzgeber vor dem Hintergrund von Art. 9 Abs. 1 GG bewusst als zulässiges Institut zur Ausnahme vom „Equal Pay“-Grundsatz vorgesehen worden. Auch die Richtlinie 2008/104/EG sieht in ihren Erwägungsgründen 16 und 17 abweichende Vereinbarungen vom Grundsatz des „Equal Pay“ durch die Sozialpartner vor, so dass Unterschiede im Entlohnungssystem zwischen Stammpersonal und Leiharbeitnehmern von vornherein angelegt sind. Insoweit vermag diese Ansicht nicht zu überzeugen. 211 Freyermuth, in: Freyermuth/Fündeling/Stempin, S. 101. 209 Ehrlich,
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Hauptsinn der Dienstgemeinschaft im Wesentlichen all diejenigen in der Kirche Tätigen erfasst, die – ungeachtet ihres rechtlichen Status – am Sendungsauftrag der Kirche teilhaben und mitwirken, muss der juristische Sinngehalt des Begriffs der Dienstgemeinschaft notwendigerweise auch die rechtlichen Beziehungen und mitunter divergierenden Interessen aller Betroffenen, im Fall der Leiharbeit im Dreiecksverhältnis zwischen Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer, in den Blick nehmen. Insoweit hängt die juristische Bedeutung zwar einerseits vom theologischen Sinngehalt der Dienstgemeinschaft ab, andererseits ist allein die theologische Deutung für die Bestimmung der juristischen, spezifisch arbeitsrechtlichen Konsequenzen und Maßstäbe nur bedingt heranziehbar. Schließlich sind die rechtlichen, durch Gesetz reglementierten Beziehungen zwischen den Agierenden einer vollständigen Adaption und Umsetzung des theologischen Verständnisses nicht zugänglich, weil ein dort ständig vorzunehmender Abwägungsprozess zwischen den Rechten und Rechtsgütern der Beteiligten der theologischen Deutung der Dienstgemeinschaft als Teilhabe am Sendungsauftrag der Kirche gerade fremd bleiben muss. Insoweit handelt es sich weniger um einen einheitlichen Begriff der Dienstgemeinschaft, bestehend aus einer theologischen und zugleich juristischen Verständniskomponente, sondern vielmehr um ein von vornherein zu differenzierendes, inhaltlich aber untrennbares Begriffspaar der Dienstgemeinschaft im theologischen Sinn und der Dienstgemeinschaft im juristischen Sinn. Gerade auch in der Frage, ob das theologische Verständnis der Dienstgemeinschaft kraft Kirchengesetzes juristisch bindend ist oder per vertraglicher Vereinbarung für alle in den kirchlichen Einrichtungen eingesetzten Mitarbeiter für verbindlich erklärt werden kann, kommen die juristischen Eigenheiten vor allem der Regelungen zur Arbeitnehmerüberlassung zum Tragen. Das betrifft vor allem die Fälle des Einsatzes von Leiharbeitnehmern eines kirchenfernen externen Verleihers bei einem kirchlichen Entleiher. Das weitgefasste Verständnis der Dienstgemeinschaft aller im Sendungsauftrag der Kirchen Tätigen ungeachtet ihres rechtlichen Status reflektiert zwar das theologische „Idealbild“ der Dienstgemeinschaft, führt jedoch genau dort zu juristischen Grenzen, wo Kirche, Diakonie und Caritas nicht mehr allein im Rahmen ihres Selbstordnungsrechts kraft innerkirchlicher Rechtsetzungsgewalt durch Kirchengesetz oder Satzung agieren können, sondern gleichermaßen die „für alle geltenden Gesetze“ zu beachten haben. Für die Konkretisierung des Begriffs der Dienstgemeinschaft im juristischen Sinne ist daher ein innerkirchlicher Abwägungsprozess erforderlich, bei dem maßgeblich zu berücksichtigen ist, ob im Entleihbetrieb ein sachlich nachvollziehbar notwendiger oder nur ein ökonomisch motivierter Personalbedarf durch den Einsatz von Fremdpersonal abgedeckt werden soll. Vor allem ist in kirchenrechtlicher Hinsicht von Belang, ob durch den Einsatz von
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Fremdpersonal der Sendungsauftrag der betreffenden kirchlichen Einrichtung als Entleihbetrieb gefördert und gewährleistet wird. Ferner ist zu berücksichtigen, in welchen kirchlichen Bereichen das Fremdpersonal eingesetzt werden soll und ob dafür kircheninterne oder kirchenexterne Leiharbeitnehmer eingesetzt werden. Anhand dieser Kriterien kann wiederum ein Loyalitätsprofil aufgestellt werden, welches ein nach Anlass und Zweck des Fremdpersonaleinsatzes differenzierendes und nach den Loyalitätsanforderungen abstufendes Pflichtenmodell für die einzusetzenden Leiharbeitnehmer vorsieht. Das setzt indes zunächst ein eindeutiges Bekenntnis der Kirchen zu ihrem Personal und ihren eigenen Arbeitsrechtsregelungen und schließlich zum Dritten Weg voraus, wenn sie in der Wahrnehmung ihres verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrechts und damit im Kernbereich ihres kirchlichen Selbstverständnisses als glaubwürdig wahr- und angenommen werden wollen. Zur Vermeidung von Loyalitätskonflikten und divergierenden Loyalitätsanforderungen an das Stamm- und das Leihpersonal kann im Hinblick auf den Einsatz von Leihpersonal danach differenziert werden, in welchem ihrer Tätigkeitsbereiche die Kirchen und die ihnen zugeordneten Einrichtungen erhöhte Loyalitätsanforderungen an das dort beschäftigte Personal stellen. Je näher die jeweils zu erbringenden Tätigkeiten den Bereich der Verkündigung und damit das Selbstverständnis der Kirchen tangieren, desto höhere Loyalitätsanforderungen können an das in diesem Bereich eingesetzte Personal gestellt werden, um die Umsetzung des Sendungsauftrags unter Berücksichtigung des eigenen Selbstverständnisses sicherzustellen. Während der Einsatz von kirchlichem Leihpersonal dabei regelmäßig unproblematisch ist, weil dieses Personal schon von vornherein den kirchlichen Loyalitätsanforderungen unterliegt, ist beim Einsatz von nichtkirchlichem Leihpersonal eine Differenzierung erforderlich. Der Einsatz von nichtkirchlichem Leihpersonal führt jedenfalls dort nicht zu Loyalitätskonflikten, wo die Kirchen ihrerseits lediglich geringe oder jedenfalls nur unwesentliche, ihr Selbstverständnis nicht maßgeblich tangierende Loyalitätsobliegenheiten an das bei ihnen beschäftigte Personal stellen. In diesen dem „verkündigungsfernen“ Bereich zuzuordnenden Tätigkeitsfeldern ist somit eine Konfliktkonstellation nur gering oder von vornherein sogar völlig ausgeschlossen. Dort, wo die Kirchen jedoch gesteigerte Loyalitätsanforderungen an das eigene Stammpersonal stellen zur Wahrnehmung des Sendungsauftrags und zur Sicherung eines glaubwürdigen Selbstverständnisses, kann auch nur kirchliches, das heißt zu den Konditionen der auf dem Dritten Weg geschaffenen Arbeitsrechtsregelungen beschäftigtes Personal zum Einsatz kommen. Andernfalls setzten sich die Kirchen in Widerspruch zu ihrem eigenen Selbst-
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verständnis: Dort, wo dem eigenen Stammpersonal aus Gründen der Sicherstellung des eigenen Verständnisses erhöhte Loyalitätsobliegenheiten und kirchliche Arbeitsrechtsregelungen auferlegt werden, kann nicht gleichzeitig oder anstelle dessen nichtkirchliches und den erhöhten Loyalitätsanforderungen und den kirchlichen Arbeitsrechtsbedingungen nicht unterliegendes Fremdpersonal zum Einsatz kommen. Andernfalls stellten die Kirchen ihr eigenes Selbstverständnis und damit schließlich den Sendungsauftrag in Frage. Den Kirchen steht es dabei frei, entweder den Loyalitätsanforderungen entsprechend ausschließlich ihr Stammpersonal einzusetzen und auf den Einsatz von Leihpersonal zu verzichten oder die Geltung der kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten für alle festzuschreiben, die am Sendungsauftrag mitwirken. Sie können dafür den innerkirchlichen Willen durch Kirchengesetz oder Satzung manifestieren, nach welchem das gesamte in den Kirchen, bei Diakonie und Caritas eingesetzte Leihpersonal – und zwar kircheninternes wie auch kirchenexternes Leihpersonal – als Teil der Dienstgemeinschaft unter Zugrundelegung des Begriffs der Dienstgemeinschaft im theologischen Sinn am kirchlichen Auftrag teilhat und folglich den kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten unterfällt. So können durch Kirchengesetz oder entsprechende Verbandssatzungen alle der Kirche zugeordneten Einrichtungen verpflichtet werden, in allen Fällen, in denen nicht ohnehin schon unmittelbar die kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten zu beachten sind, ähnlich den Arbeitsvertragsrichtlinien die besonderen Loyalitätsobliegenheiten in einem abgestuften Pflichtensystem zwingend zur vertraglichen Grundlage aller Überlassungsverhältnisse zu erheben.212 Vor allem externe nichtkirchliche Verleiher wären dann gehalten, vertraglich mit ihren Leiharbeitnehmern die Einhaltung der Loyalitätsobliegenheiten gegenüber den kirchlichen Entleihern zu vereinbaren. Das hätte freilich zur Folge, dass auf dieses Leihpersonal auch die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen einschließlich des kirchlichen Lohnsystems Anwendung zu finden haben. Das setzt indes wiederum den Willen der Kirchen zur innerkirchlichen Selbstbindung hinsichtlich der Gestaltung ihrer Arbeits- und Überlassungsverhältnisse voraus. Schließlich bedingt kirchliches Selbstverständnis kirchliches Handeln. Zugleich zieht die Selbstvergewisserung über das eigene kirchliche Selbstverständnis eine größere Legitimation des Begriffs der Dienstgemeinschaft einerseits als Abgrenzungsmerkmal zum säkularen Arbeitsrecht nach sich, andererseits erhält das Leitprinzip stärkere Konturen, wodurch begriffliche Widersprüche und Verstöße gegen das Leitbild der Dienstgemeinschaft vermieden und infolgedessen die Legitimation für den Dritten Weg der Kirchen gestärkt werden kann. 212 So
auch Heinig, ZevKR 54, 62, 74 f.
IV. Der Status des Leiharbeitnehmers im kirchlichen Arbeitsrecht131
Das Personalmodell der Arbeitnehmerüberlassung als Instrument zur bloßen Ökonomisierung kirchlicher Personalstrukturen durch „Tarifflucht“ aus den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen hätte damit freilich ausgedient.
IV. Der Status des Leiharbeitnehmers im kirchlichen Arbeitsrecht Das staatliche Betriebsverfassungsrecht findet gemäß § 118 Abs. 2 BetrVG keine Anwendung auf die Religionsgemeinschaften und ihre caritativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet ihrer Rechtsform. Auch im Übrigen findet sonstiges, die Mitwirkungsrechte der Beschäftigten gewährendes staatliches Recht etwa nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 SprAuG, § 112 BPersVG, § 1 Abs. 4 S. 2 MitbestG, § 1 Abs. 2 S. 2 DrittelbG für Religionsgemeinschaften im kirchlichen Bereich keine Anwendung. Dadurch wird die arbeitsrechtliche Regelungsautonomie der Religionsgesellschaften, die ihnen nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts zusteht, sichergestellt.213 Von dieser Regelungsautonomie haben die christlichen Religionsgemeinschaften im Rahmen des dienst- und arbeitsrechtlichen Mitwirkungsrechts der bei ihnen Beschäftigten einerseits im MVG.EKD und in den gliedkirchlichen Regelungen im Bereich der evangelischen Kirche, andererseits in der MAVO für den Bereich der katholischen Kirche Gebrauch gemacht. 1. Der Leiharbeitnehmer im Verständnis der Arbeitsrechtsregelungen der Evangelischen Kirche a) Die kirchliche Einrichtung Das MVG.EKD findet seinem sachlichen Geltungsbereich nach in kirchlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen der EKD, der Gliedkirchen und ihrer Zusammenschlüsse, der Diakonie und deren Einrichtungen Anwendung. Andere kirchliche und freikirchliche Einrichtungen, Werke und Dienste im Bereich der evangelischen Kirche können das MVG.EKD für ihren Bereich für anwendbar erklären. Eine für die Geltung des MVG.EKD notwendige kirchliche Einrichtung besteht dort, wo die Kirche ein Mindestmaß an Einflussnahmemöglichkeit auf die Einrichtung ausüben kann, um auf Dauer eine Übereinstimmung der religiösen Betätigung der Einrichtung entsprechend dem kirchlichen Selbstverständnis zu gewährleisten.214 Erst, wenn siBetrVG, § 118, Rdn. 197 ff.; Fitting, BetrVG, § 118, Rdn. 56. 46, 73, 87; BVerfGE 53, 366, 392; BVerfGE 70, 138, 162; BAGE 102, 74, 78 ff.; BAG, NZA 2008, 653; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 213 Richardi/Forst, 214 BVerfGE
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
chergestellt ist, dass die Einrichtung im Einklang mit dem Bekenntnis der Kirche und in Verbindung mit deren Amtsträgern tätig wird, partizipiert sie an der arbeitsrechtlichen Regelungsautonomie als Teil des Selbstverwaltungsrechts nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV. Denn nur im Fall ihrer kirchlichen Zuordnung nimmt die Einrichtung am Selbstverwaltungsrecht der Religionsgesellschaften teil.215 Das heißt, dass auch erst dann abweichend vom staatlichen Kollektivarbeitsrecht in Form des BetrVG kirchliches Kollektivarbeitsrecht in Gestalt des MVG.EKD zur Anwendung kommt. aa) Die Anerkennung als kirchliche Einrichtung Für die Zuordnung genügt allerdings nicht nur die satzungsmäßige Integration kirchlicher Einflussnahmemöglichkeiten auf die Entscheidungsgremien der Einrichtung, etwa durch die Besetzung von Organen mit kircheneigenen oder von der Kirche berufenen Personen. Darüber hinaus muss die Kirche die Einrichtung auch als kirchlich anerkannt haben, weil eine Zuordnung gegen den kirchlichen Willen nicht erfolgen kann.216 Die Anerkennung der Zugehörigkeit einer Einrichtung zur Diakonie im Bereich der Evangelischen Kirche erfolgt durch das Diakonische Werk der EKD217 oder durch die Diakonischen Werke der Gliedkirchen und seit 2007 anhand der Zuordnungsrichtlinie der EKD.218 Der Kirche zugeordnet sein kann neben dem diakonischen Entleiher auch das verleihende Unternehmen, etwa, wenn es als Tochterunternehmen des Entleihers wie das Mutterunternehmen ebenfalls der Kirche zugeordnet und von dieser anerkannt ist. Das MVG.EKD findet in diesem Fall auch auf das Tochterunternehmen Anwendung, ohne dass sich an der Arbeitgeberstellung des Verleihers etwas änderte. Auch in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen ähnlichen Fall einer gemischt kommunal und kirchlich betriebenen Einrichtung, in der die beiden Gesellschafter des Verleihunternehmens kirchlicher und kommunalrechtlicher Natur sind, ist maßgeblich, ob die Einrichtung auf die Verwirklichung des kirchlichen Zwecks gerichtet ist und eine gewisse Einflussmöglichkeit der Kirche die Erfüllung dieses Auftrags für eine gewisse Dauer sicherstellt.219 8.7.2010 – Az. 26 TaBV 843/10; Richardi, Arbeitsrecht, § 3, Rdn. 8 ff.; Andelewski, MVG.EKD, § 1, Rdn. 9. 215 Richardi, Arbeitsrecht, § 3, Rdn. 9. 216 Richardi, Arbeitsrecht, § 17, Rdn. 21. 217 Seit dem Jahr 2014 Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung. 218 ABl. EKD 2007, 405. 219 BAGE 102, 74, 78 ff.
IV. Der Status des Leiharbeitnehmers im kirchlichen Arbeitsrecht133
bb) Die Zuordnung diakonischer Einrichtungen Nach § 4 Abs. 1 Zuordnungsrichtlinie der EKD220, die für die Zuordnung der rechtlich selbständigen diakonischen Einrichtungen zur Evangelischen Kirche in Deutschland, zu ihren Gliedkirchen und zu den gliedkirchlichen Zusammenschlüssen maßgeblich ist, erfüllen die Diakonischen Werke ihre kirchlich-diakonischen Zwecke und Aufgaben, die jeweils in der Satzung verankert sind. Zentrale Funktion der diakonisch-missionarischen Werke sind schon nach Art. 15 Abs. 1 der EKD-Grundordnung „Wesens- und Lebensäußerung der Kirche“. Zu diesen Aufgaben gehören dem Selbstverständnis der evangelischen Kirche folgend im Wesentlichen die Wahrnehmung ihres diakonisch-missionarischen Auftrags und die Förderung und Unterstützung der diakonischen Arbeit sowohl für den einzelnen Bedürftigen als auch für die dem jeweiligen Diakonischen Werk angeschlossenen, rechtlich selbständigen oder eigenen Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege und die Durchführung der sozialen Arbeit der Evangelischen Kirchen an Menschen aller Altersgruppen unabhängig von Geschlecht und Religionszugehörigkeit.221 Die nach der Zuordnungsrichtlinie notwendige Verbindung zwischen den diakonischen Einrichtungen und der Kirche wird durch die organschaftliche und personelle Verflechtung zwischen den Diakonischen Werken und der verfassten Kirche sowie durch die Kooperation bei der Schaffung, Änderung und Anwendung des kirchlichen Rechts gewährleistet, § 4 Abs. 2 Zuordnungsrichtlinie der EKD. Die Zuordnungsrichtlinie der EKD betrifft daher ausschließlich das Verhältnis selbständiger diakonischer Einrichtungen zur Kirche selbst und hat auf das Rechtsverhältnis der Dienstnehmer zu ihrem Dienstgeber innerhalb der Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege der Diakonie keinen unmittelbaren Einfluss. So können entweder der Kirche zugeordnete oder kirchenrechtlich ausgegliederte und verselbständigte, aber der Kirche etwa über das entleihende Mutterunternehmen weiterhin verbundene Verleiher oder sonstige nichtkirchliche, gewerbliche Leihunternehmen beauftragt werden. Jedenfalls bei dem der Kirche zugeordneten Verleiher kommt kirchliches Arbeitsrecht, regelmäßig vor allem die Loyalitätsrichtlinie der EKD, die AVR.DD oder jene AVR der gliedkirchlichen Werke und das MVG.EKD zur Anwendung. Das gilt erst recht, wenn der Verleiher selbst
220 ABl. EKD
2007, 405. sinngemäß zum Beispiel in der Präambel des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung (online einsehbar unter https://www.diakonie.de/fileadmin/ user_upload/Diakonie/PDFs/Ueber_Uns_PDF/Satzung_EWDE_2017-10-12.pdf, zuletzt abgerufen am 21.1.2018) und § 3 der Satzung des Diakonischen Werks BerlinBrandenburg-schlesische Oberlausitz (online einsehbar unter http://www.kirchenrechtekbo.de/document/262, zuletzt abgerufen am 21.1.2018). 221 So
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
Mitglied eines Diakonischen Werks ist, weil diese aufgrund ihrer Mitgliedschaft satzungsgemäß an das kirchliche Arbeitsrecht gebunden sind. cc) Der Wille zur kirchlichen Zugehörigkeit Andererseits ist eine Zuordnung zur Kirche nicht zwangsläufig schon deshalb gegeben, wenn die Gesellschafter des Verleihunternehmens als kirchlich anerkannt sind.222 Denn maßgeblich ist einerseits, ob das Unternehmen mit dem Verleih von Arbeitnehmern zur Erbringung von Dienstleistungen den kirchlichen Auftrag dem Selbstverständnis der Kirche entsprechend erfüllt – was bei der Erbringung von sozialen Dienstleistungen im Rahmen der Wohlfahrtspflege eher unproblematisch ist – und ob zum anderen eine hinreichende Einflussnahmemöglichkeit durch die Kirche sichergestellt ist. Letzteres ist jedenfalls nicht gegeben, wenn die Gründung des Verleihunternehmens nach dem Willen seiner Gesellschafter zumindest auch den Zweck hat, durch die Änderung der Personalstruktur Kosten einzusparen, und eine kirchliche Zuordnung deshalb von vornherein nicht gewollt ist. Denn die Zuordnung zur Kirche hätte die konsequente Übernahme und Anwendung der kirchlichen und diakonischen Arbeitsrechtsregelungen, namentlich der AVR, mit den dazugehörigen Arbeitslohnregelungen zur Folge, was in diesem Fall von den Beteiligten aber gerade vermieden werden soll. b) Die Nichtzugehörigkeit von Leiharbeitnehmern zur Belegschaft der entleihenden Dienststelle Die kollektiv-rechtliche Interessenvertretung der Beschäftigten im Bereich der evangelischen Kirche richtet sich nach dem MVG.EKD, das ganz überwiegend auch in den Gliedkirchen der EKD und ihren Vereinigungen Anwendung findet. Nach § 2 Abs. 1 MVG.EKD zählen zu den Beschäftigten, auf die das MVG.EKD Anwendung finden soll, diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in öffentlich-rechtlichen Dienst- oder privatrechtlichen Dienstund Arbeitsverhältnissen oder zu ihrer Ausbildung bei einer Dienststelle angestellt sind. Dienststellen sind nach § 3 Abs. 1 MVG.EKD rechtlich selbständige Körperschaften, Anstalten, Stiftungen und Werke sowie die rechtlich selbständigen Einrichtungen der Diakonie. Nach weitgehend einhelliger Auffassung gehören Leiharbeitnehmer jedoch nicht zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im „betriebsverfassungsrechtlichen“ Sinne von § 2 Abs. 1 MVG.EKD des entleihenden Betriebs oder der entleihenden 222 Diese
Frage werfen Andelewski/Stützle, NZA 2007, 723, 725 (dort Fn. 18) auf.
IV. Der Status des Leiharbeitnehmers im kirchlichen Arbeitsrecht135
Dienststelle.223 Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass Leiharbeitnehmer gemäß § 14 Abs. 2 S. 1 AÜG bei der Wahl der betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmervertretungen im Entleiherbetrieb nicht wählbar sind.224 Leiharbeitnehmer sind zwar grundsätzlich im nichtkirchlichen Bereich nach § 7 S. 2 BetrVG auch im entleihenden parallel wie auch im verleihenden Betrieb aktiv wahlberechtigt, wenn sie im entleihenden Betrieb länger als drei Monate eingesetzt werden.225 Das gilt indes nicht im kirchlichen Bereich. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung ohnehin schon die Betriebszugehörigkeit von Leiharbeitnehmern wegen der fehlenden arbeitsvertraglichen Verbindung zum Entleiher verneint.226 Allenfalls bei Betriebsänderungen im Sinne von § 111 BetrVG können Leiharbeitnehmer mitgezählt und damit als betriebszugehörig angesehen werden.227 Zwar stehen Leiharbeitnehmern in nichtkirchlichen Einrichtungen trotz des nur eingeschränkten aktiven und ausgeschlossenen passiven Wahlrechts die sich aus § 14 Abs. 2 S. 2 ff. AÜG eingeräumten Informations- und Schutzrechte in dem entleihenden Unternehmen zu. Das ändert jedoch nichts daran, dass gegenüber den Leiharbeitnehmern nicht die entleihende Dienststelle, sondern das verleihende Unternehmen die maßgebliche Arbeitgeberfunktion einnimmt.228 Die entleihende Dienststelle erlangt selbst dann keinen Arbeitgeberstatus gegenüber dem Leiharbeitnehmer, wenn das verleihende Unternehmen ein Tochterunternehmen der entleihenden Dienststelle ist.229 Leiharbeitnehmern in kirchlich-diakonischen Einrichtungen steht nach §§ 9 und 10 MVG.EKD weder ein aktives noch ein passives Wahlrecht im Entleihbetrieb zu.230 Abzustellen ist nicht auf § 14 Abs. 2 S. 1 AÜG, sondern auf §§ 9 und 10 MVG.EKD, die wie sonstige kirchenautonome Regelungen Ausdruck des Selbstverwaltungsrechts der Religionsgemeinschaften sind und 223 Fey/Rehren, MVG.EKD, § 2, Rdn. 8, die sich allerdings noch auf die Vorgängerregelung von § 14 Abs. 2 AÜG beziehen, die auch das aktive Wahlrecht ausschloss; Baumann-Czichon, ArbuR 2007, 362; Schwarz-Seeberger, ZMV 2011, 141. 224 Fey/Rehren, MVG.EKD, § 2, Rdn. 8; ErfK18/Koch, § 7 BetrVG, Rdn. 6; Schüren/Hamann4, AÜG, § 14, Rdn. 62. 225 Sog. Kumulationstheorie, GK-BetrVG/Raab, § 7, Rdn. 107 ff., 110. 226 BAG, AP Nr. 1 zu § 9 BetrVG 2002; BAG, AP Nr. 28 zu § 38 BetrVG 1972; BAG, AP Nr. 11 zu § 7 BetrVG 1972. 227 BAG, NZA 2012, 221, 222. 228 Fey/Rehren, MVG.EKD, § 2, Rdn. 8. 229 BAG, NZA 2005, 1006, 1007 f.; BAG, AP Nr. 8 zu § 7 BetrVG 1972; BAG, NZA 2010, 832, 834 f.; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 27.4.2011 – Az. 3 TaBV 36/10; LAG Hamm, Urteil vom 6.5.2011 – Az. 7 Sa 1583/10; LAG Niedersachsen, Urteil vom 3.5.2011 – Az. 3 Sa 1432/10. 230 Fey/Rehren, MVG.EKD, § 9, Rdn. 23.
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
damit staatliches Recht verdrängen. Nach § 118 Abs. 2 BetrVG findet das BetrVG auf Religionsgemeinschaften und deren caritative und erzieherische Einrichtungen keine Anwendung, wobei zu den genannten Einrichtungen auch solche zählen, die nach dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft zu deren Wesens- und Lebensäußerung gehören, wenn eine hinreichende organisatorische Verbindung dieser Zugehörigkeit nach außen manifestiert ist.231 Dazu zählen in jedem Fall der Zuordnungsrichtlinie der EKD unterfallende Einrichtungen. Als Sondernorm zu §§ 7 und 8 BetrVG ist damit auch § 14 Abs. 2 AÜG von der Anwendung auf den kirchlich-diakonischen Bereich ausgenommen. Im Hinblick auf die Informations- und Schutzrechte zugunsten von Leiharbeitnehmern aus § 14 Abs. 2 S. 2 und 3 AÜG wird dennoch eine entsprechende Geltung der AÜG-Regelung für den kirchlichen Bereich in Erwägung gezogen, weil das MVG.EKD dazu keine eigenen, staatliches Recht verdrängenden Normen enthält.232 Der Verweis in § 14 Abs. 2 AÜG auf die nach dem BetrVG bestehenden Informations- und Schutzrechte von Leiharbeitnehmern geht indes bei kirchlich-diakonischen Entleihern ins Leere, weil das BetrVG nach § 118 Abs. 2 BetrVG im kirchlich-diakonischen Bereich gerade keine Anwendung findet. Leiharbeitnehmer sind indes trotz des Verweises auf die Schutznormen zugunsten von Leiharbeitnehmern im Entleihbetrieb nicht schutzlos gestellt, weil diese sich nach § 28 MVG.EKD an die Mitarbeitervertretung wenden und an der Mitarbeiterversammlung nach § 31 MVG.EKD teilnehmen können.233 Im Übrigen können weitere Informations- und Schutzrechte der Leiharbeitnehmer im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Entleiher – etwa in einem Vertrag zugunsten Dritter – vereinbart oder durch den kirchlichen Gesetzgeber, zum Beispiel durch die ausdrückliche Inbezugnahme von § 14 Abs. 2 AÜG im MVG.EKD oder einer vergleichbaren Regelung, so implementiert werden, dass kirchlich-diakonische Entleiher an diese, die Leiharbeitnehmer schützenden Rechte gebunden sind. c) Die Fiktion nach § 2 Abs. 3 MVG.EKD An der Nichtzugehörigkeit von Leiharbeitnehmern zur Mitarbeiterschaft des Entleihbetriebs ändert auch die Statusfiktion nach § 2 Abs. 3 MVG.EKD 231 GK-BetrVG/Weber,
§ 118, Rdn. 234, 236 f. mit zahlreichen Nachweisen. jedenfalls Fey/Rehren, MVG.EKD, § 2, Rdn. 8. 233 So Fey/Rehren, MVG.EKD, § 28, Rdn. 1; Fey/Rehren, MVG.EKD, § 31, Rdn. 5. Das ist jedoch zweifelhaft, weil § 28 und § 31 MVG.EKD ausdrücklich von der Mitarbeitervertretung und von Mitarbeitern sprechen, zu denen Leiharbeitnehmer gerade nicht gehören; im Übrigen wird auch auf den an sich nicht anwendbaren § 14 Abs. 2 S. 2 AÜG verwiesen. 232 So
IV. Der Status des Leiharbeitnehmers im kirchlichen Arbeitsrecht137
nichts, weil es sich bei der Überlassung von Leiharbeitnehmern nicht um Gestellungsverträge i. S. v. § 2 Abs. 3 MVG.EKD handelt. Gestellungsverträge sind Vereinbarungen vor allem zwischen Orden, Schwestern-, Bruderoder Diakonenschaften und einer diakonischen und kirchlichen Einrichtung zur Besorgung bestimmter Aufgaben.234 Anders als bei der Überlassung von Leiharbeitnehmern an entleihende Einrichtungen und Dienststellen haben die gestellten Mitarbeiter in der Regel keinen Arbeitnehmerstatus, weil sie ihre Arbeit zu ihrer Gemeinschaft in persönlicher Abhängigkeit erbringen, die ausschließlich aus der körperschaftlichen Zugehörigkeit zu ihrer diakonischen Gemeinschaft resultiert und damit vereinsrechtlicher Natur ist.235 Im Wege der Gestellung überlassene Personen sind daher statusrechtlich grundsätzlich keine Mitarbeiter der aufnehmenden Dienststelle. Das zeigt auch ein Blick auf § 2 Abs. 3 MVG.EKD, wonach der kollektivrechtliche Mitarbeiterstatus von gestellten Personen fingiert wird. Es handelt sich einerseits um eine – ansonsten überflüssige – Fiktion des Mitarbeiterstatus, andererseits bezieht sich die Fiktion lediglich auf den kollektivrechtlichen Status der gestellten Personen und hat ein eingeschränktes Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung nach § 42 lit. a MVG.EKD zur Folge. Eine generelle individualrechtliche Fiktion eines Rechtsverhältnisses zwischen der gestellten Person und aufnehmender Dienststelle ist damit nicht verbunden, auch wenn zum Teil gestellte Personen als Mitarbeiter des aufnehmenden Unternehmens angesehen werden, wenn diese so in den Betrieb eingegliedert sind, dass die zu verrichtende Tätigkeit weisungsgebunden und dem arbeitstechnischen Zweck des Betriebs dienend erfolgt und unter der organisatorischen Herrschaft des Arbeitgebers steht.236 Eine solche Eingliederung kommt beim Einsatz von Leiharbeitnehmern im Entleihbetrieb indes nicht in Betracht, weil der Verleiher auch in diesem Fall stets den Status als Vertragsarbeitgeber gegenüber dem Leiharbeitnehmer beibehält.237 Somit scheidet auch eine Fiktion des kollektivrechtlichen Mitarbeiterstatus zugunsten von Leiharbeitnehmern nach § 2 Abs. 3 MVG.EKD aus.
234 Fey/Rehren,
MVG.EKD, § 2, Rdn. 7. die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, siehe nur BAGE 2, 289, 291 ff.; BAGE 27, 163, 169 f.; BAGE 80, 256, 260 ff., für den Arbeitnehmerstatus von Rote-Kreuz-Schwestern. 236 VerwG.EKD, KuR 985, 77; VerwG.EKD, Beschluss vom 5.6.1997 – Az. 0124/B11-97. 237 Fitting, BetrVG, § 5, Rdn. 262. 235 So
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
d) Die Loyalitätsrichtlinie der EKD aa) Der sachliche Anwendungsbereich Anders als die Zuordnungsrichtlinie regelt die Loyalitätsrichtlinie der EKD238 die beruflichen Anforderungen an die in privatrechtlichen Dienstund Arbeitsverhältnissen zu Dienststellen der EKD und zum Diakonischen Werk der EKD beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Loyalitätsrichtlinie entfaltet in den evangelischen Landeskirchen keine unmittelbare Wirkung, sondern versteht sich nach ihrem § 1 Abs. 1 S. 2 als Empfehlung an die Gliedkirchen und deren Diakonische Werke, ihrerseits entsprechende Regelungen zu erlassen und die Wirkung der Loyalitätsrichtlinie auch auf den diakonischen Bereich der Gliedkirche zu erstrecken, was diese auch ganz überwiegend getan haben.239 So hat das Diakonische Werk der EKD, welches im Rechtsnachfolger Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung fortbesteht, im Jahr 2005 seinerseits die Loyalitätsrichtlinie der EKD durch Beschluss der Diakonischen Konferenz übernommen. Die Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland hat von der Möglichkeit zum Erlass einer eigenen Loyalitätsverordnung in Gestalt der LoyalitätsVO-EKM Gebrauch gemacht und die Anforderungen an die in den Dienststellen der Föderation sowie in den Dienststellen der föderierten Landeskirchen privatrechtlich Beschäftigten im Jahr 2007 gesondert geregelt.240 Kurz danach hat auch das Diakonische Werk Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland die LoyalitätsVO-EKM übernommen.241 Die Loyalitätsrichtlinie der EKD entfaltet indes unmittelbare Wirkung für die bei der EKD und bei deren Gliedkirchen sowie in der Diakonie und in deren jeweiligen Einrichtungen auf der Grundlage eines privatrechtlichen Arbeitsvertrags Beschäftigten.242 bb) Der persönliche Anwendungsbereich Nach § 2 Abs. 1 Loyalitätsrichtlinie der EKD richten sich die kirchenspezifischen Loyalitätsobliegenheiten an „Frauen und Männer, die in Anstellungsverhältnissen in Kirche und Diakonie tätig sind“.243 Gemäß § 1 Abs. 1 238 ABl. EKD
2005, S. 413. Arbeitsrecht, § 4, Rdn. 49. 240 KABl.-EKM 2007, 62. 241 KABl.-EKM 2008, 163. 242 Andelewski/Stützle, NZA 2007, 723, 725. 243 § 2 Abs. 1 Loyalitätsrichtlinie der EKD lautet: „Der Dienst der Kirche ist durch den Auftrag bestimmt, das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen. Alle Frauen und 239 Richardi,
IV. Der Status des Leiharbeitnehmers im kirchlichen Arbeitsrecht139
der Loyalitätsrichtlinie der EKD werden dafür privatrechtliche Arbeits- und Dienstverhältnisse zwischen den zur Loyalität verpflichteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Dienststellen der EKD und dem Diakonischen Werk der EKD bzw. im Fall der Übernahme der Loyalitätsrichtlinie zwischen den Dienststellen der Gliedkirchen und ihren Diakonischen Werken und den dort Beschäftigten vorausgesetzt. Das Erfordernis der dienst- und arbeitsvertraglichen Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen den Beschäftigten und den jeweiligen Dienststellen ermöglicht erst die Qualifikation der Loyalitätsobliegenheiten als Rechtspflichten, an deren Verletzung überhaupt dienst- und arbeitsrechtliche Maßnahmen wegen Verstoßes gegen Schutz- und Rücksichtnahmepflichten anknüpfen können. Der persönliche Anwendungsbereich der Loyalitätsrichtlinie der EKD ist damit enger gefasst als derjenige des kirchlichen Kollektivrechts nach dem MVG.EKD, welches nicht nur die Interessen von privatrechtlich, sondern auch von in öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen Beschäftigten schützen will.244 (1) Der abgestufte Personaleinsatz Nach § 4 der Loyalitätsrichtlinie der EKD, der ein abgestuftes Programm hinsichtlich der von den dort genannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erfüllenden Loyalitätsobliegenheiten enthält, können in den kirchlich-diakonischen Einrichtungen und Dienststellen abhängig von der Nähe der konkret ausgeübten Tätigkeit zu Glaubwürdigkeit und Verkündigung durch die Kirche und zu deren spezifischen Aufgaben neben konfessionell gebundenen auch nicht-konfessionelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt werden. § 4 Loyalitätsrichtlinie der EKD spiegelt somit das vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Recht der Religionsgemeinschaften wider, innerhalb ihres nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts unabhängig, also ohne jedwede staatliche Einflussnahme oder Kontrolle, darüber zu befinden, ob und wie hinsichtlich der innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine „Abstufung“ der Loyalitätsobliegenheiten erfolgen soll.245 Männer, die in Anstellungsverhältnissen in Kirche und Diakonie tätig sind, tragen in unterschiedlicher Weise dazu bei, dass dieser Auftrag erfüllt werden kann. Dieser Auftrag ist die Grundlage der Rechte und Pflichten von Anstellungsträgern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.“ 244 Fey/Rehren, MVG.EKD, § 2, Rdn. 1. 245 Grundlegend BVerfGE 70, 138; BVerfGE 99, 100; BVerfG, NZA 2001, 717; BVerfG, NZA 2002, 609; sich den Entscheidungen anschließend Dütz, NJW 1990, 2025; Spengler, NZA 1987, 833; Seelemann, ZevKR 44, 226.
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
In kirchlichen und diakonischen Einrichtungen beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spezifisch kirchliche Loyalitätsobliegenheiten aufzuerlegen, ist zudem grundsätzlich mit der EMRK vereinbar.246 Die Loyalitätsrichtlinie der EKD sieht in § 4 Abs. 4 ausdrücklich vor, dass auch nichtchristliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den kirchlichen Auftrag zu beachten und die ihnen übertragenen Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen haben. Auch solche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die einer anderen als der evangelischen Konfession, einer anderen als der christlichen Religion oder einer sonstigen religiösen Gemeinschaft angehören, nicht religiös sind oder einer sonstigen Weltanschauung folgen, können im kirchlichen und diakonischen Dienst beschäftigt werden. Maßgeblich ist in diesem Fall, dass sichergestellt ist, dass die Einrichtung, die nichtchristliche oder nichtreligiöse Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, ihren Verkündigungsauftrag ohne Beeinträchtigung wahrnehmen kann.247 Auf die Art und Weise der Wahrnehmung des Verkündigungsauftrags hat die Art der Beschäftigung – sei es unmittelbar beim entleihenden Dienstgeber oder verleihenden Arbeit- oder Dienstgeber – dagegen keine Auswirkungen. Auch wenn die Loyalitätsrichtlinie nicht unmittelbar auf Leiharbeitnehmer in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen Anwendung findet, kann aus § 4 Abs. 4 der Loyalitätsrichtlinie dennoch der Schluss gezogen werden, dass der Einsatz von Leiharbeitnehmern – seien sie auch einer anderen Konfession oder Religion zugehörig oder sogar nicht religiös – in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen grundsätzlich keinen Verstoß gegen die Loyalitätsrichtlinie der EKD darstellt.248 Zutreffend wird schließlich darauf hingewiesen, dass häufig der Einsatz von Leiharbeitnehmern vor allem aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt, wenn diakonischen Einrichtungen andernfalls die Schließung droht und damit der Verkündigungsauftrag insgesamt gefährdet wäre.249 (2) Der Wortlaut der Richtlinie Leiharbeitnehmer werden zwar nicht ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Loyalitätsrichtlinie der EKD ausgeschlossen. Aufschlussreich ist allerdings schon, dass sie im Wortlaut der Richtlinie überhaupt keine Erwähnung finden. Deren Nichtnennung lässt in Zusammenschau mit dem in § 1 246 Siehe dazu die Zusammenstellung der EKMR/EGMR-Rechtsprechung bei Plum, NZA 2011, 1194. 247 Andelewski/Stützle, NZA 2007, 723, 725. 248 So schon Andelewski/Stützle, NZA 2007, 723, 725; Joussen, RdA 2007, 328, 331 ff. 249 Andelewski/Stützle, NZA 2007, 723, dort Fn. 17.
IV. Der Status des Leiharbeitnehmers im kirchlichen Arbeitsrecht141
Abs. 1 Loyalitätsrichtlinie der EKD benannten Kreis der zur Loyalität Verpflichteten auf eine bewusste Nichteinbeziehung von Leiharbeitnehmern in deren Kreis schließen.250 Jedenfalls spricht die unterbliebene Erwähnung von Leiharbeitnehmern durch den kirchlichen Gesetzgeber dafür, dass diese von der Loyalitätsrichtlinie gerade nicht miterfasst werden sollen. Auch die in § 5 der Loyalitätsrichtlinie der EKD aufgezeigten Rechtsfolgen bei Verstößen gegen Loyalitätsobliegenheiten stützen diese Annahme, weil die dort aufgezählten arbeitsrechtlichen Maßnahmen ausschließlich gegenüber den Dienstnehmern des entleihenden Dienstgebers, nicht jedoch gegenüber in derselben Dienststelle beschäftigten Leiharbeitnehmern ergriffen werden können.251 Denn Leiharbeitnehmer sind nicht bei den entleihenden kirchlichen Einrichtungen oder sonstigen entleihenden Unternehmen beschäftigt, sondern bei ihrem jeweiligen verleihenden Vertragsarbeitgeber, und unterliegen folglich nicht den gleichen Rücksichtnahme- und Loyalitätsobliegenheiten wie die Stammarbeitnehmer.252 Freilich kann eine vertragliche Vereinbarung zwischen Entleiher und Verleiher etwa im Rahmen des Überlassungsvertrags oder mittels eines Vertrags zugunsten Dritter253 zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher eine mittelbare Bindung der entliehenen Mitarbeiter an die Loyalitätsobliegenheiten im kirchlichen Entleihbetrieb begründen. Etwaige Verstöße hätten indes nach den allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen lediglich nur in diesen Vertragsverhältnissen Konsequenzen zur Folge, nicht aber im direkten Verhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer. Ferner wird die Rechtsbeziehung zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer wiederholt als „Arbeitsverhältnis“ bezeichnet, zum Beispiel in §§ 8 Abs. 1 Nr. 4, 9 Nr. 3 und 4, 11 Abs. 4 S. 1 AÜG. Im Übrigen bestünde für die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG kaum ein Anwendungsbereich, wenn bereits zu Beginn der Überlassung ein originäres Arbeitsverhältnis zum Entleiher zustande käme. Gleichwohl werden unterschiedliche Modelle für die Rechtsbeziehungen zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher diskutiert, bis hin zu Änderungsvorschlägen zum 250 Thüsing,
in FS Richardi, S. 991 f. weist Thüsing, in FS Richardi, S. 992, zutreffend hin. 252 Schüren/Schüren4, AÜG, Einl., Rdn. 109; ErfK18/Wank, AÜG, Einl., Rdn. 26; Reinsch, Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 30, 249 ff. 253 Einen Überblick über die diskutierten Rechtsverhältnisse zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer bietet ErfK18/Wank, AÜG, Einl., Rdn. 36 f., der wohl einen echten Vertrag zugunsten Dritter favorisiert. Ein echter Vertrag zugunsten Dritter führte zu einem unmittelbaren Anspruch des kirchlichen Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer auf die Arbeitsleistung und zugleich auf Beachtung von kirchlichen Rücksichtnahme- und Loyalitätsobliegenheiten und damit faktisch zu dessen Arbeitnehmer- oder Dienstnehmerstellung. 251 Darauf
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
AÜG für die die Rechtsbeziehungen zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher betreffenden Regelungen.254 An der unveränderten Arbeitgeberstellung des Verleihers ändert auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern im Rahmen von Arbeitnehmerrechten nach dem BetrVG nichts, weil durch die in Einzelfällen bejahte kollektivrechtliche Anerkennung des Arbeitnehmerstatus von Leiharbeitnehmern beim Entleiher kein dienst- oder arbeitsrechtliches Rechtsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher begründet wird.255 Das gilt auch im Fall von Leiharbeitnehmern, die von einem Tochterunternehmen an den Rechtsträger dieses Unternehmens verliehen werden256, und bedeutet, dass auch im Fall der Arbeitnehmerüberlassung durch einen Verleiher an eine kirchliche oder diakonische Dienststelle, welcher der Verleiher als Tochterunternehmen strukturell zugeordnet ist, der Verleiher weiterhin allein Arbeitgeber des Leihpersonals bleibt. Ungeachtet der Frage, auf welcher Rechtsgrundlage kirchliche Loyalitätsobliegenheiten der überlassenen Arbeitnehmer gegenüber entleihenden Dienststelle überhaupt vereinbart werden können, hätte schließlich eine Übertragung von Loyalitätsobliegenheiten auf die überlassenen Mitarbeiter eine Pflichtenkumulation in der Stellung des Leiharbeitnehmers gegenüber seinem Vertragsarbeitgeber als Verleiher und dem kirchlichen Einsatzunternehmen als Entleiher und damit eine Pflichtenkollision zur Folge.257 Leiharbeitnehmer unterliegen daher im kirchlichen Entleihbetrieb nicht den sich aus der Loyalitätsrichtlinie der EKD ergebenden dienstrechtlichen Verpflichtungen. Der Loyalitätsrichtlinie unterfallen sie allenfalls im Bereich ihres Vertragsarbeitgebers, namentlich wenn dort die Anwendung dieser Richtlinie in einem kirchlichen Verleihbetrieb als Mitglied eines Diakoni254 Dazu ausführlich Reinsch, Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 85 ff. 255 So bejaht das Bundesarbeitsgericht, BAG, NZA 2012, 221, die ausnahmsweise Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Ermittlung der Belegschaftsstärke bei Betriebsänderungen im Sinne von § 111 BetrVG; krit. dazu Mosig, NZA 2012, 1411, 1413; Tschöpe, NJW 2012, 2161, 2162; Rieble, NZA 2012, 485, 487. 256 BAG, NZA 2005, 1006, allerdings noch zur früheren konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung unter analoger Anwendung von § 14 Abs. 1 AÜG; Fey/Rehren, MVG.EKD, § 2, Rdn. 8. 257 Denkbar wäre eine Vereinbarung über die Anwendung der Loyalitätsrichtlinie im Überlassungsvertrag zwischen dem Verleiher und dem kirchlichen Entleiher, wobei sichergestellt sein muss, dass die überlassenen Arbeitnehmer dieser Verpflichtung nachkommen. Dies müsste indes im Arbeitsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer erfolgen, um klarzustellen, dass der Leiharbeitnehmer als Erfüllungsgehilfe des Verleihers den Loyalitätsverpflichtungen nachkommt und dass sich die Vereinbarung zwischen Verleiher und Entleiher nicht als unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter herausstellt.
IV. Der Status des Leiharbeitnehmers im kirchlichen Arbeitsrecht143
schen Werks angeordnet oder etwa durch Betriebsvereinbarung der Sozialpartner beschlossen wird oder der Verleiher und Leiharbeitnehmer infolge einer kirchengesetzlichen oder satzungsmäßigen Bestimmung die Geltung und Beachtung kirchlicher Loyalitätsobliegenheiten vereinbaren. (3) Der Kirchengerichtshof der EKD Dem Ergebnis, dass die Loyalitätsrichtlinie der EKD dem Einsatz von Leiharbeitnehmern sowohl kirchlicher und diakonischer wie auch nichtkirchlicher Verleihunternehmen grundsätzlich nicht entgegensteht, steht auch die grundlegende Entscheidung des Kirchengerichtshofs der EKD vom 9.10.2006 nicht entgegen, weil der Kirchengerichtshof einen Verstoß gegen die Loyalitätsrichtlinie erst für die Fälle bejaht hat, in denen der dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmer zur Substitution von Stammarbeitsplätzen im Entleihbetrieb führt.258 Der Kirchengerichtshof der EKD kam in seinem Beschluss vom 9.10.2006 schließlich zu dem Ergebnis, dass die Bedarfsleiharbeit an sich zulässig, die – zum damaligen Zeitpunkt der Entscheidung nach dem AÜG noch zulässige – dauerhafte Überlassung von Leiharbeitnehmern in der Evangelischen Kirche und in ihren Einrichtungen indes als nicht mehr zulässig anzusehen ist, vor allem, wenn sie zur Substitution von Stammarbeitnehmern führt oder dieser dient.259 Der Kirchengerichtshof der EKD stützt sich in seiner Begründung im Wesentlichen auf den Begriff der Dienstgemeinschaft, dem ein mehr als zweijähriger Einsatz von Leiharbeitnehmern in kirchlichen Einrichtungen widerspreche: Der Einsatz verstoße gegen die Präambel des MVG.EKD, gegen die Loyalitätsrichtlinie der EKD, vor allem gegen das aus §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Loyalitätsrichtlinie der EKD ableitbare Grundprinzip des Leitbilds der Dienstgemeinschaft.260 Einen Verstoß gegen das Prinzip der Dienstgemeinschaft sieht der Kirchengerichtshof der EKD dabei in mehrerlei Hinsicht: Dient der Einsatz von Leiharbeitnehmern dem dauerhaften Ersatz von bei dem Dienstgeber angestelltem Stammpersonal, erfolgt eine dauerhafte Spaltung der Mitarbeiterschaft in Stammpersonal und Leiharbeitnehmer. Die Spaltung der Unternehmensbelegschaft zeigt sich vor allem in den für die Stammbelegschaft und für die Leiharbeitnehmer unterschiedlich geltenden Loyalitätsobliegenheiten gegenüber ihren jeweiligen Vertragspartnern. Der Einsatz von Leiharbeitnehmern in kirchlichen wie auch in diakonischen Einrichtungen führt folglich zu verschiedenen, rechtlich unterschiedlich zu beurteilenden Belegschaften innerhalb derselben Dienststelle. Darüber hinaus 258 KGH.EKD,
NZA 2007, 761, 763. NZA 2007, 761. 260 KGH.EKD, NZA 2007, 761. 259 KGH.EKD,
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
erfolgt eine „Verdoppelung“ der Dienststellenleitungen, und zwar einerseits in Gestalt der Dienststellenleitung der entleihenden Einrichtung, andererseits in Form der Dienststellenleitung des verleihenden Unternehmens, was dem Verständnis der Dienstgemeinschaft von einer organisatorischen Einheit widerspreche. Stattdessen gilt: „Eine Dienststellenleitung und die im Anstellungsverhältnis mit der Dienststelle Beschäftigten bilden die Dienstgemeinschaft.“261
In den sonstigen Fällen, in denen der Leiharbeitnehmereinsatz nicht zur Substitution des bisherigen Stammpersonals führen soll, ist somit ein Leiharbeitnehmereinsatz zulässig, sofern die Wahrnehmung des Verkündigungsauftrags durch die jeweilige Einrichtung nicht gefährdet ist. Das ist jedenfalls bei den unter § 4 Abs. 4 der Loyalitätsrichtlinie der EKD fallenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern grundsätzlich ebenso wenig anzunehmen wie bei den eingesetzten Leiharbeitnehmern. (4) Die Pflichten gegenüber einem nichtkirchlichen Verleiher Entfaltet die Loyalitätsrichtlinie der EKD schon keine Wirkung gegenüber in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen tätigen Leiharbeitnehmern, findet sie erst recht keine Anwendung auf Leiharbeitnehmer eines nichtkirchlichen Verleihunternehmens, der weder der Kirche noch den caritativen oder diakonischen Verbänden und sonstigen Organisationen zugeordnet ist. Inhalt und Wirkung der privatrechtlichen Beschäftigtenverhältnisse zwischen Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer ergeben sich deshalb allein aus dem staatlichen Recht, welches dem jeweiligen Arbeitsverhältnis zugrunde liegt. Werden demnach Leiharbeitnehmer eines nichtkirchlichen Leiharbeitgebers in kirchlich-diakonischen Einrichtungen beschäftigt, besteht darin auch kein Verstoß gegen die – sei es unmittelbar geltende, in den Gliedkirchen übernommene oder in den Diakonischen Werken der Gliedkirchen für anwendbar erklärte – Loyalitätsrichtlinie der EKD. Im Übrigen lässt sich auch aus den das Arbeitsverhältnis der in kirchlichen Einrichtungen Beschäftigten maßgeblich beeinflussenden Bestimmungen der Loyalitätsrichtlinie der EKD kein genereller Ausschluss des Personalinstruments der Leiharbeit herleiten. e) Die Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Deutschland In § 1 Abs. 5 AVR.DD wird der Einsatz von Leiharbeitnehmern und dessen Reglementierung im Zusammenhang mit dem Abschluss von Dienstver261 Zu allem Vorstehendem KGH.EKD, NZA 2007, 761 (Unterstreichungen im Original).
IV. Der Status des Leiharbeitnehmers im kirchlichen Arbeitsrecht145
einbarungen bei schwierigen Wettbewerbsbedingungen für diakonische Einrichtungen ausdrücklich genannt. Danach kann gemäß § 17 AVR.DD zur Sicherung des Leistungsangebots diakonischer Einrichtungen vor allem in schwierigen Wettbewerbssituationen zwischen der Dienstgeber- und der Dienstnehmerseite eine von den Arbeitsvertragsrichtlinien abweichende Dienstvereinbarung über die Arbeitsbedingungen getroffen werden. Eine solche Öffnungsklausel soll unter anderem auch in dem Fall des Einsatzes von Leiharbeitnehmern zur kurzfristigen Überbrückung von Personalengpässen zulässig sein. Dabei wird nicht danach unterschieden, ob es sich um kirchliche oder nichtkirchliche Leiharbeitnehmer und kirchliche oder nichtkirchliche Verleihunternehmen handelt. Erforderlich ist hingegen, dass der Einsatz nur zur kurzfristigen Überbrückung von Personalengpässen erfolgt. Kurzfristigkeit soll dabei nach § 1 Abs. 5 lit. b S. 2 AVR.DD vorliegen bei Einrichtungsträgern, die mehr als 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen, wenn nicht mehr als fünf Prozent des im Jahresdurchschnitt vollbeschäftigten Stammpersonals an Leiharbeitnehmern eingesetzt werden. Das temporäre Element der Kurzfristigkeit wird nach dieser Regelung vom quantitativen Merkmal des Anteils der Leiharbeitnehmer an der Gesamtbelegschaft bestimmt. Ein kurzfristiger Leiharbeitnehmereinsatz kann indes auch als nicht geregelter Fall vorliegen, wenn zum Beispiel wegen außergewöhnlich hohen Arbeitsanfalls oder bei plötzlicher Arbeitsunfähigkeit mehrerer Stammmitarbeiterinnen und -mitarbeiter ein akuter Personalbedarf entsteht oder ein längerfristig geplanter Einsatz in der einzelnen Einrichtung nur kurzfristig erfolgen soll.262 Die Arbeitsrechtliche Kommission des Diakonischen Werks der EKD263 ging mit der Regelung in § 1 Abs. 5 lit. b AVR.DD vom grundsätzlich zulässigen Einsatz von Leiharbeitnehmern in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen aus, und zwar auch vom Einsatz von Leiharbeitnehmern von nichtkirchlichen Verleihern. Diese und ähnliche Regelungen haben die Diakonischen Werke der Landeskirchen unverändert oder sinngemäß in ihre regionalen Arbeitsvertragsrichtlinien übernommen, so dass die Zulässigkeit des Leiharbeitnehmereinsatzes für den gesamten Bereich der Diakonie als anerkannt angesehen werden kann. So sind eigenständige Regelungen in Anlehnung an die AVR.DD enthalten zum Beispiel in § 1 Abs. 5 lit. b) AVR-DWBO, § 1 Abs. 1 lit. c) und § 24 Abs. 6 AVR-K der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, § 1 Abs. 5 lit. b) AVR.KW für das Diakonische Werk in Kurhessen262 Scheffer/Mayer, 263 Seit
AVR.EKD, § 1, Nr. 6. 2012 Arbeitsrechtliche Kommission der Diakonie Deutschland.
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
Waldeck, § 1 Abs. 5 lit. b) AVR.EKG in der für das Diakonische Werk der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen geltenden Fassung. Die AVR.DD werden teilweise auch durch arbeitsrechtliche Regelungen der Diakonischen Werke für entsprechend anwendbar erklärt, zum Beispiel in § 1a AR-AVR des Diakonischen Werkes der Evangelischen Landeskirche in Baden. Eine entsprechende Anwendung der AVR.DD erfolgt ebenfalls im Diakonischen Werk der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche SchaumburgLippe und in der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe.264 Die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 5 lit. b AVR.DD bestehen allerdings nur im Hinblick auf die Zulässigkeit von die AVR.DD verdrängenden Dienstvereinbarungen. Sie lassen zwar Rückschlüsse auf die grundsätzliche Zulässigkeit des Personalinstruments der Leiharbeit zu, etwaige Schranken hinsichtlich des Einsatzes von Leiharbeitnehmern in diakonischen Einrichtungen zum Beispiel im Hinblick auf die Überlassungsdauer können den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen hingegen nicht entnommen werden. 2. Der Leiharbeitnehmer im Verständnis der Arbeitsrechtsregelungen der Katholischen Kirche Auch nach der jüngsten Novellierung im Jahr 2011 der für den Bereich der Caritas geltenden MAVO werden gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 MAVO Leiharbeitnehmer nicht als Mitarbeiter angesehen und sind damit ausdrücklich vom Anwendungsbereich des katholischen Mitarbeitervertretungsrechts ausgeschlossen. Die kollektiven Mitwirkungsrechte der Mitarbeitervertretung wurden zumindest dadurch gestärkt, dass die Beschäftigung von Personen, die dem Dienstgeber zur Arbeitsleistung im Rahmen des AÜG überlassen werden, der Zustimmung der Mitarbeitervertretung nach § 34 Abs. 1 S. 2 MAVO bedarf. Diese Zustimmung kann verweigert werden, wenn die überlassene Person länger als sechs Monate beim entleihenden Unternehmen beschäftigt werden soll, § 34 Abs. 2 Nr. 3 MAVO. Damit ist das für den katholischen Arbeitsbereich geltende Mitbestimmungsrecht im Wesentlichen bis auf den zeitlichen Rahmen der Überlassung der Regelung zur eingeschränkten Mitbestimmung der Mitarbeitervertretung bei der Einstellung oder der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern nach § 42 lit. a) MVG.EKD angeglichen. Darüber hinaus enthalten weder die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbands noch die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse Regelungen zum Einsatz von Leiharbeitnehmern. Art. 1 S. 1 der Grundordnung des kirch264 Arbeitsrechtsregelung über die Anwendung der AVR Diakonie Deutschland vom 21.1.2015 – KABl. 2015, S. 53.
IV. Der Status des Leiharbeitnehmers im kirchlichen Arbeitsrecht147
lichen Dienstes unterstellt zwar alle in einer Einrichtung der Katholischen Kirche Tätigen ungeachtet ihrer arbeitsrechtlichen Stellung der Dienstgemeinschaft; in Zusammenschau mit Art. 1 S. 2 der Grundordnung des katholischen Dienstes wird hingegen deutlich, dass damit nicht gemeint ist, dass auch Leiharbeitnehmer eines fremden Vertragsarbeitgebers der Dienstgemeinschaft zugeordnet werden. Der Dienstgemeinschaft unterfallen stattdessen auch solche Beschäftigten, die nicht mittels „klassischen“ Arbeitsvertrags angestellt, sondern auf anderer Rechtsgrundlage, wie zum Beispiel der Gestellung, in der katholischen Einrichtung beschäftigt werden. Auch von den katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden gesteigerte Loyalitätsobliegenheiten, namentlich die Anerkennung und Beachtung der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erwartet, Art. 4 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes. Im Hinblick auf die arbeitsrechtlichen Pflichten besteht insoweit ein Gleichlauf mit den Regelungen der Diakonie. Hier wie dort richten sich indes die Loyalitätsobliegenheiten an diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in einem Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis zum Träger der katholischen Einrichtung stehen, mithin also nicht an in der Einrichtung eingesetzte Leiharbeitnehmer. 3. Das Zwischenergebnis Die Zulässigkeit des Einsatzes von Leiharbeitnehmern in kirchlichen Einrichtungen wird zumindest inzident vorausgesetzt. Zur Gestaltung der Überlassung in kirchlichen Einrichtungen ergeben sich aus den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen selbst keine Vorgaben oder Restriktionen. Weder aus der Zuordnungsrichtlinie noch aus der Loyalitätsrichtlinie der EKD noch aus den für die Arbeitsverträge geltenden Arbeitsvertragsrichtlinien oder vergleichbaren gliedkirchlichen Arbeitsrechtsregelungen können Einschränkungen für den Einsatz von Leiharbeitskräften in diakonischen Einrichtungen entnommen werden. Nach § 1 Abs. 5 AVR.DD wird der Einsatz von Leiharbeitnehmern als grundsätzlich zulässig vorausgesetzt, und zwar unabhängig davon, ob die Verleihunternehmen selbst der Kirche zugeordnet sind oder nicht. Auch der Einsatz von nichtreligiösen Leiharbeitnehmern, die ihrerseits gegebenenfalls von einem nichtkirchlichen Unternehmen verliehen werden, in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen wird nicht ausgeschlossen und ist nach den Voraussetzungen des AÜG als für alle geltendes Gesetz als zulässig anzusehen, soweit sichergestellt ist, dass die Wahrnehmung des Verkündigungsauftrags nicht beeinträchtigt wird. Gleiches gilt für den katholischen Bereich der Caritas.
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F. Der erweiterte sachliche und personelle Anwendungsbereich
V. Das Ergebnis Das AÜG ist als „für jedermann geltendes Gesetz“ auch im Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts anwendbar. Kirchliche Verleiher wie Entleiher sind vom personellen und sachlichen Anwendungsbereich erfasst, soweit sie wirtschaftlich im Sinne der Richtlinie 2008 / 104 / EG und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs agieren. Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG und vom AÜG sind bei ausschließlich nichtwirtschaftlich agierenden Betrieben zwar denkbar, vor dem Hintergrund des unionseinheitlich weiten Verständnisses wirtschaftlicher Betätigung jedenfalls im Bereich der unechten Arbeitnehmerüberlassung aber auch für kirchliche Verleiher und Entleiher nahezu ausgeschlossen. Der verfassungsrechtliche Schutz des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts gesteht den Kirchen im Gegensatz zum säkularen Bereich das Recht zu, für ihren Bereich eigene oder wenigstens zusätzliche Kriterien neben den Voraussetzungen des AÜG aufzustellen. Da das AÜG als „für alle geltendes Gesetz“ den äußeren rechtlichen Rahmen für die Arbeitnehmerüberlassung auch im kirchlichen Bereich bildet, können sich aus dem Selbstverständnis der Kirchen heraus nur weitere einschränkende Merkmale für den Einsatz von Leiharbeitnehmern ergeben. Diesbezüglich kommt im besonderen Maß das Leitbild der Dienstgemeinschaft zum Tragen. Dabei sind zwei Begriffe zu unterscheiden: Während die Dienstgemeinschaft im theologischen Verständnis auf dem Sendungsauftrag der Kirchen, der missio, und der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat beruht und damit jeden erfasst, der an diesem Sendungsauftrag mitwirkt, beinhaltet der Begriff der Dienstgemeinschaft im juristischen Sinne einen rechtlich kaum greifbaren Inhalt, aus dem handhabbare, gegebenenfalls einschränkende Kriterien für die Überlassung von Leiharbeitnehmern im Sinne eines kirchlichen Verbotsgesetzes herleitbar wären. Ungeachtet der Frage, ob und welches Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im kirchlichen Bereich in qualitativer und quantitativer Weise bereits dem Begriff der „Dienstgemeinschaft“ entnommen werden kann, steht es den Religionsgemeinschaften im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts jedoch frei, die weiteren Voraussetzungen und Beschränkungen der Arbeitnehmerüberlassung neben dem AÜG kirchengesetzlich zu regeln und den kirchlichen Einrichtungen verbindlich vorzugeben. Unter dem Schutz ihres Selbstverwaltungsrechts haben die Religionsgemeinschaften die rechtliche Gestaltungsmöglichkeit, innerkirchlich bindende Kriterien für die Überlassung von Leiharbeitnehmern in ihrem kirchlichen Bereich aufzustellen, aufgrund derer alle der Kirche zugeordneten Einrichtungen verpflichtet werden können, die besonderen Loyalitätsobliegenheiten
V. Das Ergebnis149
in den Überlassungsverhältnissen bindend vor allem für externe nichtkirchliche Leiharbeitnehmer festzuschreiben. Die Bindung der Leiharbeitnehmer an kirchliche Loyalitätsobliegenheiten setzt ihrerseits eine vertragliche Grundlage mit dem Verleihbetrieb voraus. Als Maßstab für ein abgestuftes Loyalitätsprofil kann dienen, welches Maß an Loyalitätsobliegenheiten dem eigenen Stammpersonal in vergleichbaren Einsatzkonstellationen abverlangt wird. Dabei kommt zur Vermeidung von rechtlichen Loyalitätslücken und Loyalitätskonflikten die Arbeitnehmerüberlassung in „verkündigungsfernen“ Tätigkeitsfeldern eher in Betracht als in „verkündigungsnahen“ Bereichen. Die Rechtsprechung des Kirchlichen Gerichtshofs der EKD und des sich ihm anschließenden Kirchlichen Arbeitsgerichtshofs, nach welcher der Einsatz externer Leiharbeitnehmer von mehr als zwei Jahren in einem kirchlichen Entleihbetrieb eine Gefährdung der Dienstgemeinschaft zur Folge hat und infolgedessen unzulässig sein soll, ist sowohl im Ergebnis als auch hinsichtlich der Begründung abzulehnen. Einerseits wird das den Entscheidungen zugrunde gelegte Verständnis von einer Dienstgemeinschaft grundlos verengt zu einer Form der Betriebsgemeinschaft, zum anderen fehlt es in den Entscheidungsgründen an der Darlegung einer nachvollziehbaren zeitlichen Koinzidenz zwischen der Überlassungsdauer und der Spaltung oder Störung der Dienstgemeinschaft: Allein der zeitliche Rahmen des Fremdpersonaleinsatzes im Entleihbetrieb begründet für sich genommen noch keine Gefährdung oder Spaltung der Dienstgemeinschaft. Für die Feststellung, dass der Fremdpersonaleinsatz das Leitbild der Dienstgemeinschaft beeinträchtigt, ist der Zeitraum der Überlassung von Fremdpersonal allein nicht aussagekräftig. Hinzukommen muss, dass das Fremdpersonal auch von den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen ferngehalten werden soll, so dass die „Flucht“ aus dem Dritten Weg letztlich eine dauerhafte Spaltung der Belegschaft beim kirchlichen Entleiher zur Folge hat. Die in der Rechtsprechung der kirchlichen Arbeitsgerichte schließlich vorgenommene Bestimmung des Zeitraums von zwei Jahren, ab welchem von einer Störung der Dienstgemeinschaft auszugehen sein soll, findet weder in den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen noch im Leitbild der Dienstgemeinschaft eine Stütze und stellt sich folglich mangels eines sonstigen Rechtfertigungsgrunds als willkürlich dar.
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung im Lichte richtlinienkonformer Auslegung1 I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern 1. Die Wiedereinführung einer zeitlichen Komponente Nach § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG erfolgt die Überlassung von Leiharbeitnehmern „vorübergehend“. Entgegen der historischen Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland, die Überlassungszeiträume immer weiter zu liberalisieren bis hin zum Fortfall einer zeitlichen Begrenzung2, ist eine dauerhafte und damit zeitlich unbegrenzte Überlassung nach der Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG nicht mehr vorgesehen. Das Merkmal der vorübergehenden Überlassung war nach früherer Rechtslage charakteristisches Merkmal allein für die privilegierte konzerninterne Arbeitnehmer überlassung, auf die wesentliche Regelungen des AÜG nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG a. F. keine Anwendung finden sollten. Es gilt nun für alle Formen der Arbeitnehmerüberlassung, wodurch zugleich die bisherige Rechtfertigung für die Privilegierung der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung entfällt.3 Die Möglichkeit für entleihende Arbeitgeber, Stammarbeitnehmer dauerhaft und unbefristet durch Leiharbeitnehmer zu ersetzen, ist ebenfalls nicht mehr gegeben. Durch die Umsetzung der europarechtlichen Regelung in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG kehrt das nationale Regelungsregime der Arbeitnehmerüberlassung in Gestalt des an die Richtlinie 2008 / 104 / EG angepassten AÜG nach der zwischenzeitlichen Aufgabe einer Begrenzung der Überlassungsdauer zum traditionellen Verständnis der Leih1 Die Ausführungen dieses Teils beziehen sich auf die Rechtslage nach der AÜGReform 2011 und dem in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG eingeführten unbestimmten Merkmal „vorübergehend“. Dieses Merkmal findet sich auch nach der jüngsten AÜG-Novelle in § 1 Abs. 1 S. 4 AÜG n. F. wieder, nunmehr mit einem Verweis auf das in § 1 Abs. 1b AÜG n. F. wiederbelebte Instrument einer Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten. Mit der Übertragbarkeit und den Auswirkungen der Schlussfolgerungen von Teil G und H auf die mit der Reform 2017 novellierte Rechtslage im Hinblick auf die wieder eingeführte starre Überlassungshöchstdauer befasst sich Teil I. 2 Erstes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl. I, S. 4607. 3 So auch die Gesetzesbegründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 17/4804, S. 8 (Begründung Teil B zu Nr. 2 b).
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern151
arbeit als zeitlich begrenztes Instrument der Überlassung von Leiharbeitnehmern zurück.4 Während Art. 3 Abs. 1 lit. e) der Richtlinie 2008 / 104 / EG die „Überlassung“ als den Zeitraum legal definiert, in dem der Leiharbeitnehmer dem entleihenden Unternehmer zur Verfügung gestellt wird, um dort unter dessen Aufsicht und Leitung vorübergehend zu arbeiten, wird das wieder eingeführte zeitliche Merkmal „vorübergehend“ zwar in Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 lit. b), c), d) und e) Richtlinie 2008 / 104 / EG genannt, ohne jedoch legal definiert oder an anderer Stelle der Richtlinie erläutert zu werden. Auch die Materialien zur Entstehung der Richtlinie 2008 / 104 / EG geben keinen Aufschluss zum Verständnis des Zeitmoments, nicht zuletzt wohl auch, weil das Merkmal „vorübergehend“ bzw. „temporarily“ erst in der Endphase der Beratungen in den Richtlinienentwurf eingefügt wurde. Der Wortlaut des AÜG wie auch die Gesetzesbegründung enthalten ebenfalls keine klarstellende Bestimmung des Merkmals der vorübergehenden Überlassung.5 2. Die vorübergehende Überlassung als unbestimmter Rechtsbegriff Das AÜG in der Fassung bis zum 30.11.2011 ließ seit der Aufgabe der Überlassungshöchstdauer von 24 Monaten in § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a. F. nicht nur längerfristige, sondern sogar dauerhafte und damit zeitlich unbeschränkte Überlassungen von Arbeitnehmern zu. Mit der Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG zum 1.12.2011 soll die leihweise Überlassung von Arbeitnehmern allerdings nur „vorübergehend“ gestattet sein. Die europäische Richtlinie 2008 / 104 / EG führt damit in ihrem Bestreben, einen diskriminierungsfreien, transparenten und verhältnismäßigen Rahmen zum Schutz der Leiharbeitnehmer festzulegen6, gleichzeitig wieder zu einer Annäherung des nationalen Arbeitnehmerüberlassungsrechts an seinen ursprünglichen Charakter und seine einstmalige Funktion, ein flexibles arbeitsrechtliches Instrument für die zeitlich begrenzte Personalplanung und -strukturierung zur Verfügung zu stellen. Der deutsche Gesetzgeber hat den Begriff der „vorübergehenden“ Überlassung aus der europäischen Richtlinie 2008 / 104 / EG in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG übernommen, ohne den Inhalt des im Vergleich zur vorangegangenen Rechts4 Schüren/Wank,
RdA 2011, 1. Schüren/Wank, RdA 2011, 1, wollte der Gesetzgeber eine Diskussion um die angemessene Dauer vermeiden. Die Gesetzesbegründung verweist daher lediglich darauf, dass „der Begriff ‚vorübergehend‘ im Sinne der Zeitarbeitsrichtlinie als flexible Zeitkomponente verstanden [wird]“, BT-Drs. 17/4804, S. 8. 6 Erwägungsgrund 12 der Richtlinie 2008/104/EG. 5 Nach
152
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
lage zeitlich restriktiveren Tatbestandsmerkmals zu definieren oder zu erläutern.7 Ausdrücklich wies der Gesetzgeber daraufhin, dass „die Einfügung in § 1 Absatz 1 [AÜG] … der Klarstellung [dient], dass das deutsche Modell der Arbeitnehmerüberlassung dieser europarechtlichen Vorgabe entspricht.“8
Das Merkmal der vorübergehenden Überlassung soll im Sinne der Richtlinie 2008 / 104 / EG als flexible Zeitkomponente verstanden werden, weshalb auf starre Höchstüberlassungsfristen verzichtet worden ist.9 Die Richtlinie 2008 / 104 / EG selbst enthält ebenso keine Legaldefinition oder eine das Tatbestandsmerkmal der „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung erläuternde Richtlinienbegründung, die mittels richtlinienkonformer Auslegung zur inhaltlichen Bestimmung des Merkmals „vorübergehend“ in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG herangezogen werden könnte. Zwar wird das Merkmal „vorübergehend“ mehrfach in der Richtlinie 2008 / 104 / EG genannt, so in Art. 1 Abs. 1 und in den Begriffsbestimmungen in Art. 3 Abs. 1 lit. b) bis e). Der Richtlinien- und der Gesetzeswortlaut allein lassen Rückschlüsse darauf, ob auch die dauerhafte, zeitlich unbestimmte Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG zulässig ist oder ob die Regelung in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG zugleich ein Verbot der dauerhaften Überlassung darstellt, nicht zu. Auch die Rechtsfolgen, die bei einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung eintreten sollen, lassen sich weder der Richtlinie 2008 / 104 / EG noch dem AÜG entnehmen. Der Gesetzgeber knüpft jedenfalls an die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung keine ausdrücklichen Sanktionen: Es droht weder eine verwaltungsrechtliche Versagung der Erlaubnis der Arbeitnehmerüberlassung nach § 3 AÜG – § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG spricht lediglich davon, dass die Erlaubnis zu versagen ist, wenn dem Leiharbeitnehmer „für die Zeit der Überlassung“ die vergleichbaren Arbeitsbedingungen und -entgelte nicht gewährt werden – noch führt die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung zur Unwirksamkeit zivilrechtlicher Individual- oder Kollektivvereinbarungen nach §§ 9, 10 AÜG. Gemäß Art. 5 Abs. 5 Richtlinie 2008 / 104 / EG sollen die EU-Mitgliedstaaten zwar ausschließen, dass das Verbot der vorübergehenden Überlassung durch mehrere aufeinanderfolgende Überlassungen – „Kettenüberlassungen“, ähnlich wie „Kettenbefristungen“ – umgangen wird.10 Aus dem Verbot der 7 Nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG a. F. war lediglich die konzerninterne Überlassung von Arbeitnehmern als notwendig zeitlich vorübergehend ausgestaltet, um die Privilegierung der Konzernüberlassung zu rechtfertigen. 8 BT-Drs. 17/4804, S. 8. 9 BT-Drs. 17/4804, S. 8. Leuchten, NZA 2001, 608, 609; ausführlich Hamann, NZA 2011, 70, 72. 10 Dieses Verbot entspricht am ehesten dem französischen Modell der Arbeitnehmerüberlassung, durch welches verhindert werden soll, dass Stammarbeitsplätze durch Leiharbeitsplätze dauerhaft ersetzt werden, dazu Blanke, Gutachten, S. 103 f.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern153
„Kettenüberlassung“ allein kann allerdings noch nichts für den Wortsinn der lediglich „vorübergehenden“ Überlassung gewonnen werden. Klarer wird hingegen, dass die Arbeitnehmerüberlassung anders als nach der bisherigen deutschen Rechtslage wieder stärker als ein arbeitsrechtliches Sonderinstrument anzusehen ist, was auch aus dem 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008 / 104 / EG hervorgeht, wonach unbefristete Arbeitsverhältnisse als die „übliche Beschäftigungsform“ angesehen werden. Mit der Übernahme des Merkmals „vorübergehend“ wird das deutsche Modell der Arbeitnehmerüberlassung an das europäische Modell angeglichen.11 Der abstrakte Sinngehalt des in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG verwendeten Begriffs der „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung muss jedoch als unbestimmter normativer Rechtsbegriff im Wege der Auslegung anhand der objektiven Wertungen der Verfassungs- und Rechtsordnung und darüber hinaus europarechtskonform bestimmt werden.12 a) Die Unzulässigkeit der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung aa) Die entsprechende Anwendung des AÜG auf die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung Nach dem Wortlaut der Richtlinie 2008 / 104 / EG ist der Begriff der „Leiharbeitsunternehmen“ nur auf solche verleihenden Arbeitgeber beschränkt, die Arbeitnehmer an entleihende Unternehmen überlassen, damit diese dort vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung arbeiten, Art. 3 Abs. 1 lit. b) Richtlinie 2008 / 104 / EG. Danach würden solche Konstellationen vom Wortlaut nicht erfasst, in denen keine nur vorübergehende, sondern eine dauerhafte, zumindest auf unbestimmte Zeit angelegte Arbeitnehmerüberlassung erfolgt, was zur Folge hätte, dass gerade die dort besonders schutzbedürftigen Leiharbeitnehmer von den Schutzbestimmungen der Richtlinie 2008 / 104 / EG, namentlich dem Gleichstellungsgebot bzw. Schlechterstellungsverbot des Equal Pay- / Equal Treatment-Prinzips, Art. 5 Abs. 1 Richtlinie 2008 / 104 / EG und § 10 Abs. 4 AÜG, nicht profitierten. Schon nach einer vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2008 / 104 / EG vertretenen Ansicht in der Rechtsprechung und in der Literatur sollte deshalb ein zeitlich unbegrenzter Einsatz von Leiharbeitnehmern zulässig sein13; schließlich entsprach dieses Ergebnis auch noch der damaligen Rechtslage. 11 BT-Drs.
17/4804, S. 8; ebenso BR-Drs. 847/10, S. 7. BVerfGE 7, 198 [Lüth]; Klement, S. 248. 13 BAG, BB 2011, 3135; LAG Niedersachsen, BB 2007, 2352; LAG Niedersachsen, EzAÜG § 1 AÜG Konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung Nr. 18; LAG Düsseldorf, LAGE § 14 AÜG Nr. 4; Boemke/Lembke³, AÜG, § 3, Rdn. 69; Forst, RdA 12 Grundlegend
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
Eine Durchbrechung des Gleichstellungsgebots und damit die Möglichkeit einer Schlechterstellung von Leiharbeitnehmern im Verhältnis zum Stammpersonal sieht die Richtlinie 2008 / 104 / EG selbst in Art. 5 Abs. 2 nur für Kollektivvereinbarungen über das Arbeitsentgelt vor, wenn Leiharbeitnehmer einen unbefristeten Vertrag mit dem entleihenden Unternehmen abschließen. Einige Autoren gehen dennoch davon aus, dass die dauerhafte Überlassung von Arbeitnehmern nicht nur zulässig, sondern „erst recht“ auch vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG und richtlinienkonform vom AÜG erfasst wird.14 Weil es nach dem Zweck der Richtlinie 2008 / 104 / EG15 vorrangig um den Schutz solcher Arbeitnehmer geht, die nach dem vereinbarten Zweck ihrer Beschäftigung nicht bei ihrem Arbeitgeber, sondern bei einem entleihenden Unternehmen eingesetzt würden, müssen gerade diese Arbeitnehmer in den Schutzbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG einbezogen werden.16 Einigen Autoren zufolge stellt die Richtlinie 2008 / 104 / EG einen Mindestschutz für Leiharbeitnehmer auf, der für alle entliehenen Arbeitnehmer gelten soll, sei es, dass sie zeitlich begrenzt oder dauerhaft entliehen worden sind. Dem Terminus „vorübergehend“ soll demnach sowohl in Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 lit. b) bis e) der Richtlinie 2008 / 104 / EG als auch in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG das Wesen eines Tatbestandsmerkmals als konstitutiver Voraussetzung für die Arbeitnehmerüberlassung und den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG sowie des AÜG fehlen.17 Es sei demnach rein deskriptiver Natur18, welche sich auch darin zeigt, dass die gesetzliche Vermutung der Arbeitsvermittlung nach § 1 Abs. 2 AÜG keine zivilrechtlichen Konsequenzen (mehr) nach sich ziehe, weil mit dem Fortfall von § 13 AÜG a. F. der gesetzliche Anknüpfungspunkt für die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher weggefallen sei.19 Die bloße Erwähnung im Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG 2011, 228, 229; Schüren, BB 2007, 2346, 2347; Willemsen/Annuß, BB 2005, 437, 438. 14 Boemke, RIW 2009, 177, 179. Nach Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 487, wäre ein anderes Ergebnis „widersinnig“. Ebenso Lembke, DB 2011, 414 f. 15 Erwägungsgründe 12, 18 und 23 Richtlinie 2008/104/EG. 16 Boemke, RIW 2009, 177, 179; Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 487; Lembke, DB 2011, 414, 415. 17 Lembke, DB 2011, 414, 415 und FA 2011, 290 spricht bei § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG von einer „Vorschrift als bloße[m] ‚Programmsatz‘ ohne Rechtsfolgen“. 18 Lembke, DB 2011, 414, 415; ähnlich Ludwig, BB 2013, 1276, 1278 f.; Thüsing, NZA 2014, 10, 12 und Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 633 sehen die dauerhafte Überlassung ebenfalls als nicht verboten an, schließen – insoweit konsequent – eine analoge Anwendung der Richtlinie 2008/104/EG und des AÜG in diesen Fällen indes aus. 19 BAGE 95, 165, 167 ff.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern155
bietet somit keinen Ansatzpunkt für eine europarechtskonforme Auslegung zur Bestimmung und Ausfüllung des Merkmals der „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG sei anhand des Schutzzwecks der Richtlinie 2008 / 104 / EG teleologisch dahingehend auszulegen, dass dem Kriterium „vorübergehend“ kein eigenständiger Bedeutungsgehalt beigemessen werden kann. Stattdessen hat der Richtliniengeber das „deutsche Modell“ der grundsätzlich unbefristeten Leiharbeitnehmerüberlassung aufnehmen wollen, was sich in Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2008 / 104 / EG zeige.20 Das Merkmal „vorübergehend“ beinhaltet nach dieser Sichtweise allenfalls ein rechtspolitisches Monitum. Der tatbestandlichen Einbeziehung von dauerhaft überlassenen Arbeitnehmern in den Schutzbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG und des AÜG liegt die Annahme zugrunde, dass dauerhaft überlassene Arbeitnehmer stärker als lediglich vorübergehend überlassene Arbeitnehmer belastet würden.21 Der Schutzzweck der Richtlinie 2008 / 104 / EG, die überlassungsspezifischen Belastungen von Leiharbeitnehmern zu minimieren, wird bei dauerhaft überlassenen Arbeitnehmern allerdings nicht automatisch stärker berührt als bei vorübergehend überlassenen Arbeitnehmern, denen durch zeitlich befristete und damit häufiger wechselnde Einsatzunternehmen ein höheres Maß an Flexibilität und damit auch eine mitunter höhere Belastung abverlangt wird. Eine teleologische Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2008 / 104 / EG wie auch eine analoge Anwendung des AÜG lassen sich mit einer vermeintlich stärkeren Belastung dauerhaft überlassener Arbeitnehmer folglich nicht begründen. Hinzu kommt, dass eine Analogie an der notwendigen planwidrigen Regelungslücke scheitert, weil das Merkmal „vorübergehend“ vom Richtlinien- wie vom Gesetzgeber bewusst in den Richtlinien- und AÜG-Wortlaut aufgenommen worden ist. bb) Die Unzulässigkeit der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung Wird die dauerhafte Überlassung von Arbeitnehmern nicht als solche im Sinne von § 1 Abs. 1 AÜG angesehen und kommt auch eine analoge oder teleologische Extension des AÜG nicht in Betracht, stellt sich die Frage, ob 20 Lembke, DB 2011, 414, 415; so auch Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 489, die die Formulierung der Richtlinie 2008/104/EG ebenfalls lediglich als „Programmsatz“ verstehen wollen. Nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2008/104/EG können die Mitgliedstaaten den Tarifparteien das Recht einräumen, bezüglich des Arbeitsentgelts vom Grundsatz der Gleichbehandlung abzuweichen, wenn die Leiharbeitnehmer einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen (Art. 3 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2008/104/EG – Verleiher) haben und auch während der Beschäftigungspausen ihr Entgelt erhalten sollen. Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 634. 21 Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 634.
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
aus dem Umstand der positiv geregelten vorübergehenden Arbeitnehmer überlassung in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG gleichzeitig ein Verbot der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung entnommen werden kann oder ob die als statthaft angenommene dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung lediglich ungeregelt geblieben ist.22 Die Frage eines Verbots oder der stillschweigenden Zulässigkeit einer dauerhaften Überlassung ist vor allem vor dem Hintergrund des erstrebten Sozialschutzes für die Leiharbeitnehmer im Sinne von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008 / 104 / EG zu klären. Dabei ist gleichzeitig zu beachten, dass Verbote und Einschränkungen der Leiharbeit gemäß Art. 4 der Richtlinie 2008 / 104 / EG nur restriktiv aus Gründen des Allgemeinwohls bestehen sollen. (1) Der Meinungsstand Der deutsche Gesetzgeber sah nach der Rechtslage vor der Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG in das AÜG eine unbefristete Überlassung zuletzt noch als zulässig an. Die charakteristische Beschränkung der Arbeitnehmer überlassung durch die Wiedereinführung einer zeitlichen Komponente in Gestalt des Merkmals „vorübergehend“ geht auf den Richtliniengeber zurück. Der Richtliniengeber fügte – wenn auch erst in späteren Entwurfsfassungen zur Richtlinie 2008 / 104 / EG – den Begriff „temporarily“ ein, der in den Phasen der Richtliniensetzung zwar zunächst unterschiedlich übersetzt wurde, in allen Fassungen aber stets den zeitweiligen Charakter der Leiharbeit zum Ausdruck brachte.23 Unzweifelhaft gelten damit die Richtlinie 2008 / 104 / EG und das AÜG für die Fälle der vorübergehenden Überlassung, soweit es sich dabei um eine wirtschaftliche Betätigung des Verleihers handelt, unter Berücksichtigung der in § 1 Abs. 3 AÜG bezeichneten Ausnahmen. (a) Die Literatur Die Ansichten über die Zulässigkeit bzw. ein Verbot der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung gehen vor allem wegen des Schweigens des Richtlinien- wie des Gesetzgebers sowohl in der Literatur als auch in der mittlerweile dazu ergangenen Rechtsprechung weit verzweigt auseinander. In Teilen der Literatur wird aus der sowohl in der Richtlinie 2008 / 104 / EG als auch im AÜG unterbliebenen Kodifikation eines ausdrücklichen Verbots der dauerhaften Leiharbeitnehmerüberlassung geschlossen, dass diese grundsätzlich eine bloße Nichtregelung Giesen, FA 2012, 66, 69. in dem mehrjährigen Verfahren verwandte Begriff „temporarily“ wurde unterschiedlich übersetzt als „zeitweilig“, „befristet“, erst am Ende des Richtlinienerlassverfahrens mit „vorübergehend“. 22 Für
23 Der
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern157
zulässig sein soll und direkt, zumindest aber im Wege einer Analogie vom AÜG erfasst werde.24 Zur Begründung wird auf die Entstehungsgeschichte des Merkmals „vorübergehend“ und die Richtlinienberatungen abgestellt, wonach diesem Merkmal und damit dem Normtext in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG lediglich ein „Appell ohne Rechtsfolge“ zuzubilligen ist.25 Zum anderen wird der Sozialschutz der Leiharbeitnehmer betont, der mittels eines Erst-rechtSchlusses auch für eine Analogie der gesetzlichen Regelungen in den Fällen dauerhafter Überlassung gelten soll.26 In anderen Teilen der Literatur wird in der dauerhaften Überlassung ein Verstoß gegen den Regelungszweck der Richtlinie 2008 / 104 / EG gesehen, weil die Anforderungen für die erlaubte vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung dem Wortlaut der Richtlinie 2008 / 104 / EG und des AÜG folgend nicht auf die dauerhafte Überlassung übertragbar seien und demnach bei Zulässigkeit der dauerhaften Überlassung gerade in diesem besonders schutzbedürftigen Bereich ein geringeres Schutzniveau hingenommen wird.27 Auch im Anschluss an die Entstehungsgeschichte der Richtlinie 2008 / 104 / EG und unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008 / 104 / EG wird die von vornherein bestehende Unzulässigkeit der dauerhaften Überlassung befürwortet.28 (b) Die Rechtsprechung (aa) Die Arbeitsgerichte und die Landesarbeitsgerichte Auch in der Rechtsprechung der Gerichte für Arbeitssachen, namentlich der Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichte, gehen die Ansichten über die normative Erfassung an sich, ihrer Herleitung und die Rechtsfolgen einer Erfassung der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung bislang auseinander. Die 24 Boemke, RIW 2009, 177, 179; nach Lembke, DB 2011, 414, 415 und BB 2012, 2497, 2500 ff., ist das Merkmal „vorübergehend“ lediglich deskriptiver Natur; Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 633 f.; Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 489, wollen die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung insgesamt in den Schutzbereich der Richtlinie 2008/104/EG einbeziehen und sehen in deren Verbot eine unzulässige Einschränkung der Leiharbeit; Ramstetter/Hartmann, AuA 2013, 410, 412; Teusch/Verstege, NZA 2012, 1326, 1330; Ludwig, BB 2013, 1276, 1279. 25 Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 489; ähnlich auch Lembke, DB 2011, 414, 415; Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 634; Ludwig, BB 2013, 1276, 1280. 26 Boemke, RIW 2009, 177, 179; Krannich/Simon, BB 2012, 1414, 1420. 27 Giesen, FA 2012, 66, 68; Bartl/Romanowski, NZA Online 3/2012, 1, 2; Düwell, ZESAR 2011, 449, 459; Ulber, ArbuR 2010, 10, 11; Zimmer, ArbuR 2012, 422, 423. Das gilt vor allem für die Erlaubnispflichtigkeit und den Equal Pay/Equal TreatmentGrundsatz. 28 Hamann, EuZA 2009, 287, 310 f.; Hamann, RdA 2011, 321, 326.
158
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
Entscheidungen divergieren im Wesentlichen bei den Fragen des Verbots der dauerhaften Überlassung und der Rechtsfolgen im Fall der Annahme ihrer Unzulässigkeit. Zum Teil wird dem Tatbestandsmerkmal „vorübergehend“ auch nur eine deklaratorische, allenfalls klarstellende Funktion, jedenfalls aber keine materiell-rechtliche Relevanz im Sinne eines Verbots beigemessen.29 Andererseits soll die dauerhafte Überlassung generell unzulässig sein, wobei zumeist schon deren Erlaubnisfähigkeit verneint wird.30 Klärungsbedürftig war schließlich die Frage, ob die Dauerhaftigkeit der Überlassung anhand der konkreten Tätigkeit des zu ersetzenden Arbeitnehmers oder anhand der Arbeitsbedingungen der Arbeitsstelle zu beurteilen ist. Eine einheitliche Entwicklung zum Verständnis von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG im Kontext zur Richtlinie 2008 / 104 / EG war bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts am 10.7.2013 jedenfalls nicht erkennbar. (bb) Das Bundesarbeitsgericht Das Bundesarbeitsgericht hat sich mit der Frage der Unzulässigkeit dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung erstmalig in seinem Beschluss vom 10.7.201331 befasst und diese bejaht. Der Ausgangsfall betraf den dauerhaften Einsatz von Leiharbeitnehmern auf einer dauerhaft vorhandenen Arbeitsstelle beim Entleiher. Der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts erkannte in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG eine Verbotsnorm, weil der Wortlaut der Norm, deren gesetzessystematische Stellung und der gesetzgeberische Wille den Schluss rechtfertigen, dass die Norm nicht nur eine programmatische Deklaration des Gesetzgebers enthält, sondern materiell-rechtliche, mithin normative Wirkung entfaltet.32 Der Gesetzgeber hat die unionsrechtlichen Vorgaben der 29 LAG Niedersachsen, ArbR 2013, 137; so auch die 4. Kammer des LAG BerlinBrandenburg, BB 2013, 116, und die 7. Kammer des LAG Berlin-Brandenburg, BB 2013, 251; die 18. Kammer des LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.3.2013 – Az. 18 TaBV 2150/12, hält die dauerhafte Beschäftigung von Leiharbeitnehmern zwar für unzulässig, sieht gleichwohl aber in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG keine Verbotsnorm; diese Frage offenlassend LAG Düsseldorf, AiB 2013, 203 und NZA 2012, 1378, 1380; ferner LAG München, Beschluss vom 27.3.2013 – Az. 8 TaBV 110/12. 30 So die 9. Kammer des LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1.3.2013 – Az. 9 TaBV 2112/12, die 24. Kammer des LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9.1.2013 – Az. 24 TaBV 1969/12, und die 15. Kammer des LAG Berlin-Brandenburg, NZA-RR 2013, 234; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2012 – Az. 11 Sa 84/12; LAG Niedersachsen, Beschluss vom 19.9.2012 – Az. 17 TaBV 124/11; ArbG Cottbus, Urteil vom 24.4.2013 – Az. 2 Ca 1364/12; ArbG Frankfurt/Oder, Urteil vom 17.4.2013 – Az. 6 Ca 1754/12. 31 BAGE 145, 355; noch offen gelassen von der Vorinstanz LAG Niedersachsen, Beschluss vom 16.11.2011 – Az. 17 TaBV 99/11. 32 BAGE 145, 355, 363; in der Folge BAG, NZA 2015, 240, 242 f.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern159
Richtlinie 2008 / 104 / EG unverändert umsetzen wollen, um das deutsche Regelungsmodell der Arbeitnehmerüberlassung richtlinienkonform umzusetzen.33 Der Zweck der unter der Überschrift „Erlaubnispflicht“ verorteten Regelung in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG kann nur erreicht werden, wenn die zeitlich unbegrenzte Einstellung von Leiharbeitnehmern unterbleibt, woraus sich folglich der Verbotscharakter der Norm erschließt.34 Inwieweit sich ein Verbot unmittelbar auch aus der Richtlinie 2008 / 104 / EG selbst herleiten lässt, ließ das Bundesarbeitsgericht offen. Den mit dem Verbotscharakter einhergehenden Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Leiharbeitgebers und des Entleihers aus Art. 12 Abs. 1 GG sieht das Bundesarbeitsgericht aus Gründen des überwiegenden Interesses der Leiharbeitnehmer an einer zeitlichen Kohärenz der Verleiher- und Entleiherstellung gegenüber dem Leiharbeitnehmer sowie des kollektiven Interesses der Belegschaft, vor einer dauerhaften Spaltung in das Stammpersonal und die Gruppe der Leiharbeitnehmer geschützt zu werden, als gerechtfertigt an.35 Die Annahme eines Verbots der dauerhaften Überlassung hat keine unzulässige Einschränkung der nach Art. 16 GRC gewährleisteten Vertragsfreiheit zu Lasten der Unternehmer zur Folge, weil der Eingriff aus Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und zudem auch die unternehmerische Freiheit in einem verhältnismäßigen Rahmen achtet.36 Für den obligatorischen Verbotscharakter von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG spricht ferner zum einen die systematische Stellung der Regelung in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG unmittelbar unter der Überschrift „Erlaubnispflicht“, aber vor Satz 3 dieses Absatzes, welcher die Fälle regelt, in denen eine Arbeitnehmerüberlassung nicht vorliegt und folglich auch eine Erlaubnispflicht nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG nicht besteht.37 Das Bundesarbeitsgericht sieht in seinem Verständnis von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG auch keine unzulässige, die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung überschreitende Normauslegung, weil sich diese an die überkommenen Methoden der Auslegungstechnik hält38. Eine Notwendigkeit zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens verneinten sowohl der Erste als auch der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts trotz der in zweifelhaften 33 So
auch der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts, BAG, NZA 2015, 240, 242. 145, 355, 363 ff.; BAG, NZA 2015, 240, 242. 35 BAGE 145, 355, 363 ff. 36 BAGE 145, 355, 363 ff.; BAG, NZA 2015, 240, 243. 37 BAG, NZA 2015, 240, 242 f. 38 BAG, NZA 2015, 240, 243. 34 BAGE
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
Auslegungsfragen der europäischen Verträge gemäß Art. 237 Abs. 3 AEUV bestehenden Vorlagepflicht.39 Beide Senate sahen übereinstimmend die Regelung in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG in offenkundiger unionsrechtlicher Übereinstimmung mit der Richtlinie 2008 / 104 / EG und verneinten folglich eine unionsrechtlich unklare oder zweifelhafte Auslegungssituation und damit eine Vorlagepflicht.40 Sowohl die Genese der Richtlinie als auch der Schutzzweck der Richtlinie lassen erkennen, dass eine dauerhafte Überlassung von Leiharbeitnehmern gerade nicht als eine zulässige Form der Überlassung, sondern als deren Missbrauch und folglich als unzulässige und damit schon von vornherein nicht gestattete Form der Überlassung anzusehen ist.41 (cc) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Anlässlich eines Vorabentscheidungsverfahrens des finnischen Arbeitsgerichts Työtuomioistuin hatte sich der Europäische Gerichtshof erstmals mit der Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG zu befassen. Ausgehend von der Frage, ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG, nach dem keine richtlinienwidrigen nationalen Vorschriften oder Tarifbestimmungen in Kraft sein oder angewandt werden dürfen, neben den nationalen Behörden auch an die jeweiligen nationalen Gerichte adressiert sei, betraf das Vorabentscheidungsverfahren die weiterführende Frage, ob ein längerfristiger Einsatz von Leiharbeitnehmern im Rahmen der gewöhnlichen Dauerarbeitsaufgaben des Entleihunternehmens als verbotener Einsatz von Leiharbeitskräften einzustufen ist. Das warf wiederum die weitere Frage auf, ob aus der Richtlinie 2008 / 104 / EG unmittelbar selbst ein Verbot der dauerhaften, nicht vorübergehenden Überlassung zu schlussfolgern ist und schließlich ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG die Beibehaltung oder die Einführung von Verboten oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit untersagt, sofern diese nicht aus Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt sind. Der Europäische Gerichtshof befasste sich lediglich mit der ersten Fragestellung und vertrat dazu die Auffassung, dass sich die in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG enthaltene Überprüfungspflicht hinsichtlich richtlinienwidriger nationaler Bestimmungen und Tarifbestimmungen sowie die Rechtfertigung von Verboten oder Einschränkungen der (dauerhaften) Leiharbeit im Interesse des Gemeinwohls ausschließlich an die Behörden der 39 BAGE
145, 355, 370; BAG, NZA 2015, 240. zu den Voraussetzungen der Vorlagepflicht EuGH, NJW 1983, 1257 (allerdings noch zu der Vorgängerregelung in Art. 177 Abs. 3 EWGV). 41 BAG, NZA 2015, 240, 244. 40 Grundsätzlich
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern161
einzelnen Mitgliedstaaten richtet, nicht jedoch an die nationalen Gerichte.42 Der Europäische Gerichtshof entnimmt Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG in einer Gesamtschau der Vorschrift und seines Regelungskontextes vor allem in Verbindung mit der Regelungsprärogative in Art. 11 der Richtlinie 2008 / 104 / EG, wonach die nationalen Gesetzgeber richtlinienwidrige Regelungen aufzuheben oder anzupassen haben, dass nur den nationalen Behörden auferlegt sei, die nationalen Vorschriften und Tarifbestimmungen zu überprüfen, um sicherzustellen, dass die Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit nur im Allgemeininteresse erfolgen und gerechtfertigt sein müssen. Das gleiche gelte für die Pflicht, die Kommission über die Ergebnisse dieser Prüfung zu informieren. Die in Art. 4 Abs. 2, 3 und 5 der Richtlinie 2008 / 104 / EG enthaltenen Pflichten zur Anhörung und Information sowie die an die Sozialpartner gerichtete Durchführungspflicht könnten die nationalen Gerichte nicht erfüllen, folglich kann Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG somit nur an die nationalen Behörden adressiert sein.43 Mangels einer Überprüfungspflicht des nationalen Rechts am Maßstab der Wertungen der Richtlinie unterliegen die nationalen Gerichte damit auch nicht der Verpflichtung, diejenigen nationalen Regelungen, die entgegen der Richtlinie gerade nicht gerechtfertigte Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern enthalten, unangewendet zu lassen44. In Anbetracht des Ergebnisses dieser Auslegung hielt der Europäische Gerichtshof die Beantwortung der weiteren Vorlagefragen – insoweit konsequent – für nicht erforderlich. Unbeantwortet blieben die ebenfalls zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen, ob die Richtlinie den längerfristigen Einsatz von Leiharbeitnehmern neben Stammarbeitnehmern des Entleihbetriebs im Rahmen der gewöhnlichen Arbeitsaufgaben grundsätzlich untersagt und welches zeitliche Verständnis dem Merkmal „vorübergehend“ beizumessen ist.45 Die ausführlichen Erörterungen der Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar vor allem zu der Frage der materiellen Wirkung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG griff der Europäische Gerichtshof nicht auf.46 42 EuGH, Urteil vom 17.3.2015 – Az. C-533/13 [AKT] = NZA 2015, 423. Kritisch zu dieser Entscheidung Happ, BB 2015, 1150, 1152; Albers, ZESAR 2015, 347; Boemke/Sachadae, EuZA 2015, 313; Temming, jurisPR-ArbR 25/2015 Anm. 1. 43 In Deutschland ist dies das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Eine eigenständige „Leiharbeitsgesetzprüfungbehörde“ braucht nach Stiebert, NJW 2015, 1234, 1235, nicht geschaffen zu werden. 44 EuGH, Urteil vom 17.3.2015 – Az. C-533/13 [AKT]. 45 EuGH, Urteil vom 17.3.2015 – Az. C-533/13 [AKT]. 46 EuGH, Schlussanträge vom 20.11.2014, C-533/13, Celex-Nr. 62013CC0533. Der Generalanwalt Szpunar bejahte den materiellen Regelungscharakter von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG, der das Verbot ungerechtfertigter Verbote und
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Auch die daran anknüpfenden Fragen, unter welchen Voraussetzungen mögliche Einschränkungen oder Verbote im Gemeinwohlinteresse geregelt sein können und ob die Richtlinie 2008 / 104 / EG die dauerhafte Überlassung überhaupt untersagt und damit vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgehend nur vorübergehende Überlassung als einzig gestattete Form der Leiharbeit im Sinne der Richtlinie zulässt, ließ der Europäische Gerichtshof offen. Er stellte lediglich klar, dass Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2008 / 204 / EG den Mitgliedstaaten nicht vorgebe, bestimmte Regelungen zur Einschränkung der Leiharbeit im Interesse des Allgemeinwohls zu erlassen, sondern einen Beurteilungsspielraum eröffne, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten von ihrer Regelungsbefugnis Gebrauch machen können.47 Die staatlichen Behörden – nicht aber die nationalen Gerichte – trifft folglich eine Überprüfungspflicht im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verboten und Einschränkungen der Leiharbeit.48 Eine inhaltliche Präzisierung des Begriffs der „vorübergehenden“ Überlassung unterblieb schließlich ebenfalls, so dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs den nationalen Gesetzgebern, Behörden und Gerichten insgesamt keine relevanten Anhaltspunkte für die Rechtspraxis sowie für ein der Richtlinie 2008 / 104 / EG zu entnehmendes Verbot der dauerhaften Überlassung und das Verständnis des unbestimmten Rechtsbegriffs der „vorübergehenden“ Überlassung an die Hand gegeben hat. Es ist zumindest zweifelhaft, ob der Europäische Gerichtshof seinem Auftrag zur Wahrung, Konkretisierung und Fortbildung des Rechts gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV mit dieser Entscheidung nachgekommen ist, noch dazu angesichts der klar formulierten entscheidungserheblichen Fragen des vorlegenden Gerichts.49 Mit der Negation einer materiellen Wirkung von Art. 4 der Richtlinie 2008 / 104 / EG verneint der Europäische Gerichtshof zugleich den Anwendungsvorrang von Unionsrecht im Bereich der unionsweiten Regelung der Einschränkungen der Leiharbeit durch gesetzliche oder tarifliche Regelungen beinhalte (Rdn. 28 ff.). Die übrigen Absätze von Art. 4 enthielten zudem prozessuale Mechanismen, die dieses Verbot flankierten. 47 EuGH, Urteil vom 17.3.2015 – Az. C-533/13 [AKT] = NZA 2015, 423 f. 48 Zu den weiterführenden Fragen der materiell-rechtlichen Wirkung von Art. 4 der Richtlinie 2008/104/EG, zum Anwendungsvorrang von Unionsrecht und der Berücksichtigung des effet utile des Unionsrechts siehe Happ, BB 2015, 1152. 49 Die Entscheidung hat dementsprechend überwiegend sehr kritische Reaktionen hervorgerufen: Stiebert, NJW 2015, 1234, 1235: „einfacher Trick“, „Urteil ohne praktischen Nutzen“, „für das deutsche Recht fatale Sichtweise“; Sittard/Houf, EuZW 2015, 385, 387: „kaum nachzuvollziehen“, „wenig überzeugend“; Zimmermann, NZA 2015, 528, 530: „groß ist die Enttäuschung“; Boemke/Sachadae, EuZA 2015, 313, 316: „vermag weder im Ergebnis noch in der Begründung zu überzeugen“; ähnlich Temming, jurisPR-ArbR 25/2015 Anm. 1.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern163
Arbeitnehmerüberlassung sowie den effet utile-Grundsatz der praktischen Wirksamkeit von Unionsrechts.50 (2) Die Stellungnahme Eine Richtlinie selbst kann nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dem Grundsatz der Rechtssicherheit bei der Begründung von Verpflichtungen folgend, keine Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen; gegenüber dem Einzelnen können die Regelungen einer Richtlinie unmittelbar nur Rechte einräumen.51 Inwieweit die Richtlinie 2008 / 104 / EG selbst ein Verbot der dauerhaften Überlassung enthält, ist der Entscheidungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV i. V. m. Art. 267 AEUV vorbehalten. Den nationalen Fachgerichten, namentlich den Fachgerichten der Arbeitsgerichtsbarkeit, obliegen die Auslegung und die Anwendung des nationalen Rechts unter gleichzeitiger Wahrung der Europarechtskonformität der nationalen Vorschriften. Bestehen Zweifel über die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit europarechtlichen Vorgaben, ist das nationale Gericht gehalten, diese Fragestellungen im Wege des Vorabent scheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorzulegen. Das Bundesarbeitsgericht hat von einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof abgesehen, weil sich seiner Ansicht zufolge ein Verbot der dauerhaften Überlassung bereits aus der nationalen Regelung in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG ergibt. Der Wortlaut von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG folgt indes – dem Willen des Gesetzgebers zufolge, der die Richtlinie 2008 / 104 / EG „eins zu eins“ umsetzen wollte – der Begriffsbestimmung der „Überlassung“ in Art. 3 Abs. 1 lit. e) der Richtlinie 2008 / 104 / EG. Maßgeblich für die Auslegung nationaler Vorschriften ist dabei das Motiv des Gesetzgebers, europäisches Recht umzusetzen zu wollen.52 Ausnahmsweise ist daher sogar eine Gesetzesauslegung gegen den an sich erklärten Willen des nationalen Gesetzgebers statthaft, wenn die Intention des Gesetzgebers unzweifelhaft allein darin bestand, europäisches Recht umsetzen zu wollen. In diesem Fall ist nationales Recht nicht mehr nur auf der Grundlage des Wortlauts der Regelung europarechtskonform auszulegen. Vielmehr ist der normative Regelungsinhalt der nationalen Gesetzesvorschrift unmittelbar anhand der europarechtlichen Vorgaben und deren Auslegung zu ermitteln. Es stellt 50 Happ,
BB 2015, 1152. Urteil vom 6.10.2015 – Az. C-508/14 (Rdn. 47 f.); EuGH, Urteil vom 7.1.2004 – Az. C-201/02 (Rdn. 56 f.) [Wells]; EuGH, Urteil vom 26.2.1986 – Az. 152/84 (Rdn. 48 f.) [Marshall]; EuGH, Urteile vom 17.7.2008 – Az. C-152/07 bis C-154/07 [Arcor u. a.]. 52 Thüsing, NZA 2013, 1248 f. 51 EuGH,
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sich daher die Frage, inwieweit aus der Richtlinie 2008 / 104 / EG selbst ein Verbot der dauerhaften Überlassung folgen kann und dementsprechend schon den Anwendungsbereich der Richtlinie für das Personalmodell der Leiharbeit insgesamt unionsweit determiniert. Die Annahme, dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung sei als nicht geregelter Fall der Personalüberlassung genauso zulässige Leiharbeit im Sinne der Richtlinie 2008 / 104 / EG – und damit auch im Sinne des AÜG – wie die in der Richtlinie ausdrücklich geregelte zeitlich limitierte, vorübergehende Überlassung, erscheint dabei in mehrerlei Hinsicht zweifelhaft. (a) Die Regelungsziele der Richtlinie 2008 / 104 / EG Die auf Art. 153 Abs. 2 AEUV sowie Art. 137 Abs. 2 EUV gestützte Richtlinie 2008 / 104 / EG soll gemäß ihren Erwägungsgründen 14 und 18 sowie Art. 2 der Richtlinie 2008 / 104 / EG einen sozialen Mindestschutz für Leiharbeitnehmer gewährleisten. Im Sinne von Art. 151 AEUV dient die Richtlinie unter anderem auch der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, um dadurch auf dem Wege des Fortschritts deren Angleichung zu ermöglichen, und zwar vor allem hinsichtlich eines angemessenen sozialen Schutzes und der Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials, mit dem Ziel, ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau sicherzustellen. Art. 9 der Richtlinie 2008 / 104 / EG stellt ausdrücklich klar, dass abweichende Regelungen der Mitgliedsstaaten nicht hinter den Mindestregelungen der Richtlinie zurückbleiben und daher lediglich zugunsten des Schutzes der Leiharbeitnehmer abweichen dürfen. (aa) Die primärrechtlichen Schutzgarantien Erwägungsgrund 7 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, auf den Erwägungsgrund 2 der Richtlinie 2008 / 104 / EG ausdrücklich verweist, sieht vor, dass die Verwirklichung des Binnenmarkts allen Arbeitnehmern der europäischen Gemeinschaft Verbesserungen im sozialen Bereich unter anderem auch hinsichtlich der Freizügigkeit und der Lebens- und Arbeitsbedingungen, der Sicherheit in der Arbeitsumwelt und des sozialen Schutzes bringen soll. Auch die Europäische Sozialcharta vom 18.10.196153 benennt in Teil I, Punkte 2 und 3, das Recht der Arbeitnehmer auf gerechte, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen zur Sicherstellung der diskriminierungsfreien 53 Europäische Sozialcharta vom 18.10.1961, Vertrag Nr. 35, in der revidierten Fassung vom 1.7.1999, Vertrag Nr. 163.
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Ausübung sozialer Rechte als zu gewährleistendem Grundsatz des Arbeitnehmerschutzes. In der Gesamtschau der von der Richtlinie 2008 / 104 / EG in Bezug genommenen unionsweit geltenden Schutzinstrumente zugunsten von Arbeitnehmern zeigt sich, dass der Richtliniengeber ausgehend von seiner Regelungskompetenz, seinem Regelungsauftrag und seinem Regelungswillen ein unionsweit einheitliches Modell für die Überlassung von Arbeitskräften innerhalb des gesamten EU-Binnenmarktes schaffen wollte. Das Ziel der Richtlinie 2008 / 104 / EG, für das Personalmodell der Leiharbeit einen unionsweit geltenden sozialen Mindestschutz für die Leiharbeitnehmer zu gewährleisten, wäre jedoch bei einer gleichzeitigen – zudem auch noch stillschweigenden, im Richtlinienwortlaut nicht ausdrücklich genannten – Anerkennung eines Personalmodells zur dauerhaften Überlassung von Arbeitskräften nicht sinnvoll herzustellen. Die Anerkennung der Zulässigkeit eines ungeregelten Modells dauerhafter Überlassung führte indes zwangsläufig zu unionsweiter Rechtsunsicherheit, sollten sich die in der Richtlinie 2008 / 104 / EG genannten Rechte, Pflichten und Verfahrensregeln explizit nur auf das Modell der zeitlich beschränkten Überlassung von Leiharbeitnehmern beziehen. Letzteres spricht daher ebenfalls für eine ausschließliche Anerkennung des Personalmodells der zeitlich befristeten Überlassung bei gleichzeitigem Ausschluss eines dauerhaften, dazu auch noch ungeregelten Überlassungsmodells durch den Richtliniengeber. Die bei der Anerkennung auch eines dauerhaften Überlassungsmodells entstehende Parallelität zweier Überlassungsmodelle, von denen lediglich eines ausdrücklich geregelt ist, muss letztlich Rechtsunsicherheit bedingen, welche im Übrigen nicht nur die Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer, sondern gleichermaßen auch Behörden und Gerichte bei der Umsetzung und Anwendung der Richtlinie 2008 / 104 / EG und des AÜG träfe. Diese müssten schließlich ein gänzlich ungeregelt gebliebenes Personalmodell als existent voraussetzen, auf welches die Kodifikationen der Richtlinie 2008 / 104 / EG zur vorübergehenden Überlassung allenfalls nur mithilfe von Analogien angewendet werden könnten. Das liefe indes dem ausdrücklich erklärten Ziel der Richtlinie 2008 / 104 / EG, einen unionsweit einheitlichen und vor allem transparenten Rahmen zur Schaffung eines sozialen Mindestschutzes für Leiharbeitnehmer zu implementieren, vollständig zuwider. (bb) D ie abschließende Regelung der Überlassung in der Richtlinie 2008 / 104 / EG Auch aus dem Erwägungsgrund 12 der Richtlinie 2008 / 104 / EG ergibt sich, dass die Richtlinie einen diskriminierungsfreien, transparenten und ver-
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hältnismäßigen Rahmen zum Schutz „der Leiharbeitnehmer“ festlegen wollte. Der Richtliniengeber hat weder in seinen Beratungen, den Materialien noch im Wortlaut der Richtlinie eine Differenzierung dahingehend vorgenommen, dass zwischen vorübergehend und dauerhaft überlassenen Arbeitnehmern zu unterscheiden wäre. Darüber hinaus beruft sich der Richtliniengeber in den Erwägungsgründen 1 und 2 der Richtlinie auf die Prinzipien der Charta der Grundrechte der Europäischen Union54, namentlich auf Art. 31 GRC, wonach „jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer“ das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen hat, und auf die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer55, dort Erwägungsgrund 7, wonach die Verwirklichung des Binnenmarktes eine Verbesserung der Lebensund Arbeitsbedingungen „der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft“ begünstigen soll. Das soll vor allem durch eine Angleichung der Arbeitsbedingungen für Arbeitsformen wie der – in Erwägungsgrund 2 der Richtlinie 2008 / 104 / EG ausdrücklich genannten – Leiharbeit erfolgen. Die Schaffung und Sicherstellung unionsweit einheitlicher Arbeitsbedingungen im Bereich der Leiharbeit kann allerdings nur mittels einer umfassenden und gleichzeitig abschließenden Regelung des Personalinstruments der Leiharbeit sinnvoll gelingen. Eine Nichtregelung der im besonderen Maße für Rechtsmissbrauch anfälligen dauerhaften Überlassung eröffnete vor dem Hintergrund der mit der vorübergehenden Überlassung verbundenen, die Leiharbeitnehmer schützenden Pflichten für die Verleih- und Entleihbetriebe einen derart hohen Anreiz für die Entleihunternehmen, die überlassenen Arbeitnehmer dauerhaft auf Stammarbeitsplätzen zu beschäftigen, dass gerade die sozialpolitischen Ziele der Richtlinie 2008 / 104 / EG nicht effektiv erreichbar wären. Das gilt nicht nur für die angestrebte Gleichstellung der wesentlichen Arbeitsbedingungen der überlassenen Arbeitnehmer an die Bedingungen des Stammpersonals des Entleihbetriebs nach dem „Equal Pay / Equal Treatment“Grundsatz, sondern auch für den Schutz vor missbräuchlicher Überlassung, den Zugang zu normaler Beschäftigung mittels unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse zum Entleihbetrieb (Art. 6 der Richtlinie 2008 / 104 / EG) sowie die Sicherstellung eines Mindestschutzniveaus für die Leiharbeitnehmer (Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2008 / 104 / EG). Es finden sich in den Beratungsunterlagen indes keine Anhaltspunkte, weshalb das Schweigen des Richtliniengebers gerade dort am größten geblieben sein soll, wo der angestrebte Sozialschutz und Schutz der Leiharbeitnehmer vor Missbrauch am ehesten geboten ist. Ausweislich des Wortlauts der Erwägungsgründe 1 und 2 ist es Ziel der Richtlinie 2008 / 104 / EG, die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer im Per54 ABl.
C 326 (2012). (89), S. 248 endgültig.
55 KOM
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sonalstrukturbereich der Leiharbeit umfassend und damit abschließend zu regeln. Sofern zum Teil auf den Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2008 / 104 / EG verwiesen wird, wonach Verbote und Einschränkungen der Leiharbeit auf ihre Rechtfertigung hin zu überprüfen sind, was für die grundsätzliche Zulässigkeit von auch dauerhafter Leiharbeit spräche56, wird allerdings verkannt, dass es sich dabei um Verbote und Einschränkungen handelt, die einen Bezug zu der von der Richtlinie gestatteter Leiharbeit haben. Aus dem Wortlaut von Art. 18 der Richtlinie 2008 / 104 / EG zu schließen, der Richtliniengeber habe neben der dort explizit genannten und in Art. 3 der Richtlinie 2008 / 104 / EG legaldefinierten vorübergehenden Leiharbeit stillschweigend auch die dauerhafte Überlassung als zulässige Form anerkennen wollen, misst dem vermeintlichen Schweigen des Richtliniengebers einen Bedeutungsgehalt bei, der weder in den Beratungsmaterialien noch im Wortlaut der Richtlinie selbst Anknüpfungspunkte findet. Der Richtliniengeber hat zur Vereinheitlichung des europäischen Binnenmarkts das Personalinstrument der Leiharbeit als ausschließlich „vorübergehend“ einsetzbares Personalmodell charakterisiert. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass eine dauerhafte Überlassung schon als Personalmodell von vornherein rechtspolitisch nicht gewollt und damit materiell unzulässig ist.57 Der Erwägungsgrund 18 ist schließlich im Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG zu lesen, wonach Leiharbeit gerade als zeitlich beschränkter Fremdpersonaleinsatz charakterisiert wird. Diejenigen Stimmen, die den sozialen Schutz der dauerhaft überlassenen Arbeitnehmer stattdessen mittels einer Analogie zum AÜG – und damit letztlich auch zur Richtlinie 2008 / 104 / EG – gewähren wollen58, weil diese Arbeitnehmer gleichermaßen schutzbedürftig seien, übersehen die dafür erforderliche Regelungslücke in der Richtlinie 2008 / 104 / EG und im AÜG. Der nach diesen Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 633. von Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 634, vorgebrachte „Argumentum a maiore ad minus“, der dauerhaft nur einem Entleihbetrieb überlassene Arbeitnehmer sei wegen des ihn nicht treffenden Flexibilitätszwangs im Vergleich zum mehr oder weniger häufig wechselnden vorübergehend überlassenen Arbeitnehmer partiell bessergestellt, überzeugt schon deshalb nicht, weil die strukturelle Schlechterstellung des dauerhaft überlassenen Arbeitnehmers dem Regelungsziel der Richtlinie 2008/104/EG zuwiderläuft und weiterhin zu Missbrauch führen kann, welcher nach Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie gerade unterbunden werden soll. Der Leiharbeitnehmer soll schließlich nicht vor (zu) vielen Wechseln seines Einsatzortes, sondern vor rechtsmissbräuchlichem, das Stammpersonal des Entleihbetriebs substituierendem Einsatz zu strukturell schlechteren Arbeitsbedingungen als das Stammpersonal geschützt werden. 58 Boemke, RIW 2009, 177, 179; Lembke, DB 2011, 414, 415 und BB 2012, 2497, 2500 ff.; Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 633 f.; Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 489; Ramstetter/Hartmann, AuA 2013, 410, 412; Teusch/Verstege, NZA 2012, 1326, 1330; Ludwig, BB 2013, 1276, 1279. 56 So
57 Das
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Ansichten erstrebte Sozialschutz der dauerhaft überlassenen Fremdarbeiter ist darüber hinaus nicht erst mittels von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft rechtstechnisch noch zu konstruierender Rechtsanalogien, sondern am ehesten von vornherein durch ein Verbot der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung herstellbar. Andernfalls offenbarte das Schweigen des Richtlinienwie des Gesetzgebers zu den Fällen dauerhafter Überlassung gerade dort eklatante Regelungslücken, wo das Schutzbedürfnis der Leiharbeitnehmer am höchsten ist. (cc) Das in der Richtlinie 2008 / 104 / EG unmittelbar geregelte Verbot der dauerhaften Überlassung Ein Verbot der dauerhaften Überlassung ergibt sich unmittelbar aus der Richtlinie 2008 / 104 / EG selbst. Gemäß Erwägungsgrund 18 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG können Verbote oder Einschränkungen von Leiharbeit nur durch begründete Interessen der Allgemeinheit gerechtfertigt werden. Als solche, ein Verbot rechtfertigende Interessen benennt die Richtlinie 2008 / 104 / EG selbst ausdrücklich neben dem Gesundheitsschutz und der Sicherheit am Arbeitsplatz sowie dem reibungslosen Funktionieren des Arbeitsmarktes eben auch die Verhinderung des missbräuchlichen Einsatzes von Leiharbeitnehmern. In Zusammenschau mit Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008 / 104 / EG, wonach die Mitgliedstaaten Maßnahmen unter anderem auch gegen aufeinanderfolgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden, treffen sollen, ergibt sich die Rechtfertigung für ein Verbot der dauerhaften Überlassung aus der Richtlinie selbst. Will die Richtlinie wiederholende Kettenüberlassungen verhindern, so müssen erst recht personalsubstituierende Dauerüberlassungen von dem Verbot erfasst sein. Andernfalls unterliefe eine dauernde Überlassung die Bestimmungen der Richtlinie 2008 / 104 / EG, was nach Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie gerade aus Gründen des Allgemeininteresses verhindert werden soll.59 Das gilt umso mehr, weil die in Art. 5 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie 2008 / 104 / EG vorgesehenen Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer – „Equal Pay / Equal Treatment“ – gerade eine Möglichkeit zur Ungleichbehandlung eröffnen, der sich dauerhaft überlassene Arbeitnehmer nicht entziehen können. (dd) Die Vereinbarungen der Sozialpartner Nicht geregelt und damit unklar bliebe bei angenommener zulässiger, aber nicht geregelter dauerhafter Überlassung ferner, inwieweit durch Tarifver59 Ebenso
BAG, NZA 2015, 240, 244.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern169
träge oder sonstige Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern von der Richtlinie 2008 / 104 / EG abweichende Regelungen vor allem zulasten von Leiharbeitnehmern getroffen werden könnten. Die Mindestschutzgarantie nach Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2008 / 104 / EG fände auf die Fälle der dauerhaften Überlassung jedenfalls keine Anwendung, weil sie ausdrücklich nur für den Bereich der vorübergehenden Überlassung gilt. Eine analoge Anwendung von Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2008 / 104 / EG schiede indes mangels planwidriger Regelungslücke aus. Vereinbarungen der Sozialpartner im Bereich der dauerhaften Überlassung könnten somit im Rahmen und in den Grenzen der Koalitionsfreiheit getroffen werden, ohne dass der in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2008 / 104 / EG vorgegebene soziale Mindestschutz für die Leiharbeitnehmer eine besondere Berücksichtigung finden müsste. Das widerspricht diametral der Schutzintention der Richtlinie 2008 / 104 / EG. (ee) K eine Erstreckung auf sonstige Formen des drittbezogenen Personaleinsatzes Dahingehende Befürchtungen, mit dem Verbot der dauerhaften Überlassung würden zugleich auch andere Formen der Dienstverschaffung, wie zum Beispiel die Personalgestellung, untersagt60, sind unbegründet. Die Arbeitnehmerüberlassung ist auch weiterhin der bisherigen anerkannten Rechtspraxis folgend von sonstigen Formen des drittbezogenen Personaleinsatzes danach abzugrenzen, ob mit der Erbringung der Dienstleistungen im Betrieb des Entleihers oder Auftraggebers nach dem Willen der Vertragsparteien zugleich eine die Arbeitnehmerüberlassung charakterisierende Verlagerung des arbeitsbezogenen Weisungsrechts einhergeht.61 Von der Arbeitnehmerüberlassung sind auch weiterhin die sonstigen Formen des drittbezogenen Personaleinsatzes zu unterscheiden, etwa aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags, durch den der Unternehmer auf eigenverantwortliche Art und Weise für den Dritten und für eigenes Risiko in der Betriebs- und Wirtschaftssphäre des Dritten tätig wird. Die überlassenen Arbeitnehmer werden in diesen Fällen daher als Erfüllungsgehilfen des Unternehmers tätig und sind somit keine Arbeitnehmer im Sinne des AÜG. Das gilt ohnehin für selbständiges, beim leistenden Unternehmer nicht abhängig beschäftigtes Personal, wie es zum Beispiel im Rahmen einer Personalgestellung zum Einsatz kommt62. Alle aber Ludwig, BB 2013, 1276, 1278 f. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, siehe nur BAGE 77, 52, 57 ff.; BAGE 87, 186, 190 ff.; BAGE 105, 317, 326 ff.; BAG, Urteil vom 10.10.2007 – Az. 7 AZR 487/06; BAG, Urteil vom 13.8.2008 – Az. 7 AZR 269/07. 62 EuGH, Urteil vom 26.1.2012 – Az. C-218/10 [ADV] Allround Vermittlungs AG/FA Hamburg-Bergedorf = DStRE 2012, 500. 60 So
61 Ständige
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sonstigen Personalmodelle des drittbezogenen Personaleinsatzes sind nach dem Regelungsziel der Richtlinie 2008 / 104 / EG von dieser nicht, auch nicht inzident, erfasst, so dass die Unzulässigkeit der dauerhaften Überlassung folglich auch keine Auswirkungen auf diese hat. (ff) Das Postulat einer ausdrücklichen Verbotsnorm Die teilweise vertretene Ansicht, der der Richtlinie 2008 / 104 / EG folgende Wortlaut von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG erfülle nicht die Anforderungen an eine hinreichend transparente und bestimmte Verbotsnorm63, um ein so weitreichendes Verbot der dauerhaften Überlassung zu statuieren, lässt die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen an die Transparenz und Bestimmtheit von Normen, die Generalklauseln oder unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, außer Acht. Nach dem aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Bestimmtheitsgrundsatz und dem korrespondierenden rechtsstaatlichen Grundsatz der Normklarheit und Justitiabilität müssen unbestimmte, der Auslegung und Konkretisierung bedürftige Begriffe die Rechtslage für die Betroffenen in zumutbarer Weise so hinreichend erkennbar und messbar werden lassen, dass diese ihr Verhalten dementsprechend einrichten können.64 Gerade bei abstrakten und unbestimmten Begriffen sind Auslegungsschwierigkeiten hinzunehmen65. Die Anforderungen an die Bestimmtheit von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen können nicht allgemein pauschal festgelegt werden, sondern hängen im Wesentlichen von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts und der Möglichkeit einer hinreichenden sprachlichen Präzisierung ab.66 Bei den Anforderungen an eine hinreichend bestimmte Regelung ist auch die Intensität der Auswirkungen für die Betroffenen mit zu berücksichtigen.67 Der Normwortlaut von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG gibt nach dem Willen des Gesetzgebers den Inhalt der Richtlinie 2008 / 104 / EG und den Willen des Richtliniengebers wieder. Der auf ein Verbot der dauerhaften Überlassung gerichtete Wille des Richtliniengebers ist im Wege der Auslegung der Richtlinie ermittelbar und schließlich im Rahmen der europarechtskonformen Auslegung der nationalen Norm zu berücksichtigen. Wenn der Regelung in 63 Lembke,
DB 2011, 414, 415; Ludwig, BB 2013, 1276, 1277. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, siehe BVerfGE 8, 274, 325 f.; BVerfGE 9, 137, 146 f.; BVerfGE 37, 132, 142; BVerfG, NJW 1978, 2446, 2447; BVerfG, NJW 1981, 1311; BVerfGE 59, 104, 114; BVerfGE 78, 205, 212 ff., BVerfGE 87, 234, 262 f.; BVerfG, NVwZ 2014, 1571. 65 BVerfGE 78, 205, 262 f.; BVerfGE 103, 332, 384 ff. 66 BVerfG, NJW 1981, 1311. 67 BVerfG, NJW 1978, 2143; BVerfG NJW 1981, 1311. 64 Ständige
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§ 1 Abs. 1 S. 2 AÜG indes bereits im Wege der europarechtskonformen Auslegung der Verbotscharakter dieser Norm entnommen werden kann, besteht kein Bedarf für die Statuierung einer eigenständigen nationalen Verbotsnorm, erst recht nicht über die Pflicht zur Transformation der Richtlinie 2008 / 104 / EG in nationales Recht hinaus. Es handelt sich damit bei § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG nicht um eine intransparente Norm, die der Auslegung nicht zugänglich und damit nur eine vage Regelung wäre. Das zeigt sich auch in den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und der dort vorgenommenen methodisch-wissenschaftlichen Auslegung im Hinblick auf den Verbotsnormcharakter von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG.68 Ist eine Norm indes zur Bestimmung ihres abstrakt oder unbestimmt formulierten materiellen Bedeutungsgehalts der wissenschaftlich anerkannten Auslegungsmethoden zugänglich und hält sich die Auslegung durch die Fachgerichte im Rahmen der Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung69, begründen allein Schwierigkeiten bei der Konkretisierung des materiellen Norminhalts noch keinen Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Vor allem aber ist der Begriff „vorübergehend“ lediglich im Hinblick auf die damit geregelte zulässige Dauer der Überlassung des Arbeitnehmers unbestimmt. Dass im Umkehrschluss eine dauerhafte Überlassung nicht zulässig sein soll, ergibt sich daraus mit der gleichen Sicherheit, wie bei einer alternativ denkbaren Regelung mit einer konkreten zeitlichen Begrenzung der Überlassungsdauer. Ein Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes liegt deshalb nicht vor. Es obliegt schließlich der Exekutive und der Judikative, den materiellen Bedeutungsgehalt der betreffenden Norm im Rahmen der jeweiligen Beurteilungs- und Entscheidungskompetenzen näher zu bestimmen.70 (b) Die Verhinderung des personalsubstituierenden Missbrauchs Ausgeschlossen werden sollen nicht nur Kettenbefristungen mit einzelnen Arbeitnehmern, sondern auch der sich wiederholende Einsatz wechselnder Leiharbeitnehmer auf einem Dauerarbeitsplatz im Wege der Personalrota 68 BAGE
145, 355, 363 ff.; BAG, NZA 2015, 240, 242 f. m. w. N. Löwer, Zuständigkeiten und Verfahren des Bundesverfassungsgerichts, in: HStR III³ 2005, § 70, Rdn. 126, 209. 70 Soweit ersichtlich hat die Bundesagentur für Arbeit keine über den Gesetzeswortlaut des AÜG hinausgehenden Inhaltsbestimmungen zur vorübergehenden Überlassung vorgenommen, sondern lediglich allgemeine Hinweise veröffentlicht: online abrufbar unter https://www.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/documents/ webdatei/mdaw/mdk1/~edisp/l6019022dstbai378739.pdf, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. 69 Dazu
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
tion.71 Andernfalls bestünde ein Widerspruch zum Regelungsziel in Art. 6 der Richtlinie 2008 / 104 / EG, Leiharbeitnehmern den Zugang zu unbefristeten Arbeitsverhältnissen im entleihenden Unternehmen zu ermöglichen, was aber durch die Besetzung dauerhafter Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern gerade vereitelt werden würde.72 Gleichzeitig läge auch ein Verstoß gegen das den Mitgliedstaaten in Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008 / 104 / EG aufgegebene Gebot vor, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung des Missbrauchs zu treffen. Mit der Zulassung dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung würde indes gerade keine geeignete Maßnahme zur Unterbindung der dauernden Substitution von Stammarbeitsplätzen geschaffen, das Regelungsziel der Richtlinie 2008 / 104 / EG würde somit unterlaufen. Widersprüchlich wäre es ferner, den dauerhaften Einsatz von Leiharbeitnehmern, der eine Substitution von Stammarbeitnehmern zur Folge hätte, als zulässiges Personalinstrument anzusehen, während gleichzeitig Kettenüberlassungen zur Umgehung des leiharbeitnehmerischen Sozialschutzes als ein geradezu archetypischer Fall der rechtsmissbräuchlichen Umgehung der Richtlinie 2008 / 104 / EG nach Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008 / 104 / EG unterbunden werden sollen.73 Hinzu kommt, dass gerade das Personalmodell der dauerhaften Überlassung, welches am weitesten vom „Normalbild“ des unbefristeten Arbeitsverhältnisses abweicht, weder europarechtlich noch nationalgesetzlich kodifiziert ist. Der deshalb von den Befürwortern der grundsätzlichen Zulässigkeit von dauerhafter Überlassung unterbreitete Vorschlag, dem Anliegen der Richtlinie 2008 / 104 / EG, den Leiharbeitnehmern bei der dauerhaften Überlassung drohenden Gefahren und Rechtseinbußen mithilfe einer institutionellen Missbrauchskontrolle zum Schutz vor Missbrauch von Arbeitnehmerrechten als Kontrollmaßstab für die Zulässigkeit der dauerhaften Überlassung zu begegnen74, vermag auch nicht weiterzuhelfen, weil die dauerhafte Arbeitnehmer überlassung bereits als solche dem primären Regelungsziel der Richtlinie 2008 / 104 / EG entgegensteht und als nicht geregeltes Personalinstrument einer Missbrauchskontrolle schon nicht zugänglich ist. Schließlich können nicht normierte Regelungen eines ungeregelten, aber als zulässig angesehenen Personalmodells nicht umgangen, folglich auch nicht missbräuchlich angewendet 71 Bartl/Romanowski, NZA Online 3/2012, 1, 2; Düwell, ZESAR 2011, 449, 450; Hamann, RdA 2011, 321, 324; Hamann, EuZA 2009, 287, 310 f.; Sansone, S. 461 f.; Giesen, FA 2012, 66, 68. 72 Bartl/Romanowski, NZA Online 3/2012, 1, 2; Düwell, ZESAR 2011, 449, 450; Sansone, S. 461 f.; Hamann, RdA 2011, 321, 325. 73 So auch Hamann, RdA 2011, 321, 324. 74 So Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 635.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern173
werden. Analog anwendbares Gesetzesrecht existierte mangels planwidriger Regelungslücke nicht. Eine behördliche oder gerichtliche Missbrauchskontrolle als institutionelles Korrektiv müsste zwangsläufig funktionslos bleiben. Darüber hinaus bedarf es auch keiner schon vom konstruktiven Ansatz her sehr zweifelhaften Analogie zu den Regeln der vorübergehenden Überlassung des AÜG, um den sozialen Schutz der dauerhaft eingesetzten Leiharbeitnehmer zu gewährleisten. Denn es fehlt bereits an einer notwendigen Regelungslücke, weil sowohl der Richtliniengeber als auch der Gesetzgeber das Personalmodell der Arbeitnehmerüberlassung in der Richtlinie 2008 / 104 / EG und im AÜG abschließend, nämlich als ausschließlich zeitlich begrenzt zulässig, geregelt haben. Auch im Fall der Annahme, die Richtlinie 2008 / 104 / EG erfasste entgegen ihrem Wortlaut nicht nur die vorübergehende Überlassung, sondern auch die dauerhafte Überlassung als parallel zulässiges Personalmodell, fehlt es an der für eine Analogie zu den positivierten AÜGRegelungen notwendigen Planwidrigkeit der Regelungslücke. Eine Analogie ist zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen.75 Eine Planwidrigkeit liegt vor, wenn die Gesetzeslücke ungewollt ist. Fehlt es an der ungewollten Gesetzeslücke, ist ein Analogieschluss unzulässig.76 Hätten aber der Richtlinien- und der Gesetzgeber die dauerhafte Überlassung bewusst als zulässig angesehen, aber willentlich ungeregelt gelassen, hätten beide freilich dennoch die dauerhafte Überlassung bewusst als nicht geregeltes Personalmodell neben dem ausdrücklich geregelten Modell der zeitigen Überlassung in ihren Willen aufnehmen müssen. Ein dahingehender Wille kann indes den Beratungsmaterialien nicht entnommen werden. Selbst unterstellt, der Richtliniengeber und der Gesetzgeber hätten die dauerhafte Überlassung als zulässiges Personalmodell bewusst nicht geregelt, scheidet eine Analogie wegen fehlender Planwidrigkeit der Regelungslücke aus. Vielmehr wäre es konsequenterweise so, dass das AÜG – entgegen seinem eindeutigen Wortlaut – auf die Fälle der dauerhaften Überlassung dann sogar direkt anwendbar wäre, nur ohne entsprechende Vorschriften für die dauerhafte Überlassung.77 Ein Analogieschluss zu den geregelten Fällen der nur 75 Siehe
nur BGHZ 184, 101; BGH, NJW 2014, 3779; BGH, NJW-RR 2015, 629. 157, 370, 374; BGH, NJW-RR 2015, 629, 631. 77 So wohl auch Ludwig, BB 2013, 1276, 1279, der das AÜG für die – als zulässig angesehene – dauerhafte Überlassung ohnehin für direkt anwendbar hält. 76 BGHZ
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung ist jedoch richtlinien- und gesetzeshistorisch sowie teleologisch nicht herleitbar und im Übrigen auch widersprüchlich. Der angestrebte soziale Schutz überlassener Arbeitnehmer lässt sich sowohl vom regelungstechnischen Ansatz wie auch vom grundlegenden Regelungsziel der Richtlinie 2008 / 104 / EG unter Berücksichtigung des Effektivitätsgrundsatzes „effet utile“ im Sinne von Art. 4 Abs. 3 AEUV einfacher und effektiver mittels der Gestattung der zeitlich beschränkten Überlassung bei einem gleichzeitigen Verbot der dauerhaften Überlassung erreichen. Den effektivsten Sozialschutz für dauerhaft, jedenfalls aber auf unbestimmte Zeit überlassene Arbeitnehmer gewährt am ehesten ein Verbot deren dauerhaften Überlassung. Entweder werden die Leiharbeitnehmer im Fall des drittbezogenen Personaleinsatzes vom Verleiher an den Entleiher lediglich vorübergehend überlassen oder sie gelangen alternativ in ein Arbeitsverhältnis unmittelbar mit dem Entleiherbetrieb als ihrem Vertragsarbeitgeber. In dem ersten Fall folgt der Sozialschutz nach den Regelungen des AÜG, im letzten Fall ergibt sich der Sozialschutz aus den einschlägigen arbeitsrechtlichen Regelungen, vor allem des Befristungs- und Kündigungsschutzrechts sowie des für den Betrieb des Arbeitgebers geltenden Tarifrechts. (c) Die Entstehungsgeschichte der Richtlinie 2008 / 104 / EG Auch die Genese der Richtlinie 2008 / 104 / EG spricht dafür, dass der Richtliniengeber den arbeitsmarktpolitischen Bereich der Leiharbeit umfassend regeln und dabei nur die „vorübergehende“ Leiharbeit als allein zulässige Erscheinungsform ansehen wollte.78 Die Erörterungen zum Begriff „vorübergehend“ im Rahmen des Richtlinienverfahrens und die terminologische Implementierung des Begriffs in Art. 3 Abs. 1 lit. b) und c) der Richtlinie 2008 / 104 / EG stellen darauf ab, dass die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers beim Entleiher zulässigerweise nur vorübergehend erfolgen soll.79 Dem Richtliniengeber wäre es darüber hinaus – trotz aller ohnehin schon bestehenden Unzulänglichkeiten bei der Umsetzung in nationales Recht80 – ohne Schwierigkeiten in der Kodifikation möglich gewesen, die Fälle der dauerhaften und diejenigen Fälle der vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung terminologisch getrennt im Richtlinienwortlaut zu positivieren und die jewei78 Düwell, ZESAR 2011, 449, 450; Hamann, EuZA 2009, 287, 310; Ulber, ArbuR 2010, 10, 11. 79 Düwell, ZESAR 2011, 449, 450. 80 Nach Giesen, FA 2012, 66, 69, besteht hinsichtlich der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung arbeitsrechtlicher Gestaltungsspielraum, von dem der deutsche Gesetzgeber allerdings bislang keinen Gebrauch gemacht hat.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern175
ligen Voraussetzungen und Grenzen der Zulässigkeit der beiden Überlassungsformen nebeneinander oder auch gemeinsam zu regeln. Stattdessen hat der Richtliniengeber im Rahmen des Richtlinienverfahrens, in dem die ursprünglichen Entwürfe explizit noch keine zeitliche Komponente vorsahen, die zeitliche Bestimmung „temporarily“ bzw. „vorübergehend“ in den Richtlinien- und in den Gesetzeswortlaut aufgenommen, ohne dass sich den Gesetzgebungsmaterialien der Wille entnehmen ließe, dass mit der Aufnahme einer zeitlichen Komponente in den Wortlaut der Richtlinie zwei verschiedene, inhaltlich und sachlich getrennte Überlassungsmodelle, namentlich einerseits der dauerhaften und andererseits der vorübergehenden Überlassung, zwar als zulässig anerkannt werden, aber nur das Modell der zeitweiligen Überlassung normativ geregelt werden sollte. (d) D ie Kohärenz zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit Es kann zunächst festgestellt werden, dass die Richtlinie 2006 / 123 / EG vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt und die dazu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs insoweit keine Erkenntnisansätze bieten, weil die Richtlinie selbst ihren Anwendungsbereich ausdrücklich beschränkt und Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im Zusammenhang mit der Überlassung von Arbeitskräften, vor allem soweit sie den Schutz der überlassenen Arbeitnehmer betreffen, von ihrem Regelungsbereich ausnimmt.81 Insoweit ist es auch konsequent, dass der Richtliniengeber die Richtlinie 2006 / 123 / EG in der Richtlinie 2008 / 104 / EG nicht in Bezug genommen hat. Der Richtliniengeber und der nationale Gesetzgeber liegen mit dem Wortlaut der geschaffenen Regelungen der Richtlinie 2008 / 104 / EG sowie des AÜG allerdings ganz auf der Linie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den Grundfreiheiten der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, welcher schon in einer Entscheidung aus dem Jahr 2007 die Leiharbeit als vorübergehende und damit zeitlich befristete Tätigkeit charakterisiert hat.82 Nach dieser Rechtsprechung „[ist die] Tätigkeit von Leiharbeitsunternehmen … dadurch gekennzeichnet, dass sie entleihenden Unternehmen Arbeitnehmer vorübergehend zur Verfügung stellen, damit diese dort verschiedene Aufgaben entsprechend den Bedürfnissen und nach 81 So Erwägungsgrund 86, Art. 1 Abs. 6 und Art. 2 Abs. 2 lit. e) sowie die Vorrangbestimmung in Art. 3 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2006/123/EG. 82 EuGH, NZA 2007, 1151 [Jouini]. Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 633, sehen in dieser Formulierung lediglich „eine Beschreibung des Tatsächlichen“ bzw. des „Normalen“ und messen ihr daher keinen relevanten Bedeutungsgehalt bei.
176
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
Anweisung dieser entleihenden Unternehmen wahrnehmen … nämlich Dienstleistungen zu erbringen, die darin bestehen, den entleihenden Unternehmen Arbeitnehmer gegen Entgelt vorübergehend zur Verfügung zu stellen“.83
Dass mit der Bestimmung einer zeitlichen Komponente für die Überlassung von Arbeitskraft zugleich eine Änderung des bisherigen Verständnisses der zeitlich begrenzten Natur von Leiharbeit entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hätte erfolgen sollen, kann indes weder dem Wortlaut der Richtlinie 2008 / 104 / EG noch aus den Beratungsunterlagen entnommen werden. Gemäß Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2008 / 104 / EG soll die Transformation der Richtlinie in das nationale Recht im Einklang mit den Vorschriften des Vertrags über die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit stehen, das heißt nach Art. 26 AEUV, Art. 49 bis 55 AEUV für die Niederlassungsfreiheit sowie Art. 56 bis 62 AEUV für die Dienstleistungsfreiheit, und unbeschadet der Richtlinie 96 / 71 / EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen umgesetzt werden. Der Europäische Gerichtshof hatte im Hinblick auf den Begriff der Dienstleistung bereits schon zu Art. 60 EWG-Vertrag festgestellt, dass unter anderem eine Tätigkeit, die darin besteht, dass ein Unternehmen anderen Entleihunternehmen entgeltlich Arbeitnehmer, die im Dienst dieses Unternehmens bleiben, zur Verfügung stellt, ohne dass ein Arbeitsvertrag mit den Entleihunternehmen geschlossen wird – also Arbeitnehmerüberlassung –, als eine Dienstleistung im Sinne von Art. 60 Abs. 1 EWG-Vertrag anzusehen ist.84 Im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit von Rechtsanwälten in einem anderen Vertragsmitgliedsstaat als dem Heimatmitgliedstaat hat der Europäische Gerichtshof grundlegend klargestellt, dass die vom Vertrag als Dienstleistungsfreiheit geschützte transnationale Überlassung von Arbeitskräften ihrem Charakter nach vorübergehend ist, wobei die vorübergehende Natur unter Berücksichtigung ihrer Dauer, ihrer Häufigkeit, ihrer regelmäßigen Wiederkehr und ihrer Kontinuität zu beurteilen ist.85 Auch wenn unter der Dienstleistungsfreiheit im Sinne von Art. 56 bis 62 AEUV die Erbringung von Dienstleistungen im transnationalen EU83 EuGH,
NZA 2007, 1151, 1153 [Jouini]. Urteil vom 17.12.1981 – Az. C-279/80 [Webb] (dort Rdn. 9); EuGH, Urteil vom 10.2.2011 – Az. C-307/09 [Vicoplus] (dort Rdn. 27), zur gleichlautenden Regelung der Dienstleistungsfreiheit in Art. 57 Abs. 1 AEUV. 85 EuGH, Urteil vom 27.3.1990 – Az. C-113/89 [Rush Portuguesa]; EuGH, NJW 1996, 579 [Gebhard], noch zur Vorgängerregelung in Art. 50 Abs. 3 EUV. So auch EuGH, Schlussantrag vom 30.09.2010 – Az. C-338/09, zur Dienstleistungsfreiheit bei Betrieb einer öffentlichen Verkehrslinie. 84 EuGH,
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern177
weiten Bereich zu verstehen ist und die zeitliche Beschränkung im Wesentlichen darin ihre Rechtfertigung findet, dass die überlassenen oder entsandten Arbeitnehmer keinen Zutritt zum Arbeitsmarkt des Zweitmitgliedstaats erhalten sollen, weil sie nach Erfüllung ihrer Aufgaben in ihr Herkunfts- oder Wohnsitzland zurückkehren und somit keine Störung des Arbeitsmarkts des Zweitmitgliedsstaats anzunehmen ist86, so ist dieses Verständnis der Personalüberlassung dem Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2008 / 104 / EG zufolge gleichwohl dem in der Richtlinie 2008 / 104 / EG unionseinheitlich geregelten Personalüberlassungsmodell zugrunde zu legen. Die Überlassung von Personal ist damit als Bestandteil der europarechtlich gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit folglich von vorübergehender Natur. Davon geht auch die der Richtlinie 2008 / 104 / EG zugrunde gelegte Richtlinie 96 / 71 / EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen aus, die gemäß Art. 1 Abs. 3 lit. c) dieser Richtlinie sowohl für die Arbeitnehmerüberlassung als auch für die Arbeitnehmerentsendung gilt, wenn dort in Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie „als entsandter Arbeitnehmer jeder Arbeitnehmer [gilt], der „während eines begrenzten Zeitraums“ seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als demjenigen erbringt, in dessen Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet.“87 Die Erbringung einer Dienstleistung im Rahmen des transnationalen drittbezogenen Personaleinsatzes ist demnach – sei es in Form der Überlassung oder der Entsendung – stets von vorübergehender Natur. Dass der Richtliniengeber mit der in der Richtlinie 2008 / 104 / EG gewählten Formulierung zugleich eine – dazu auch noch im Gesetz nicht erwähnte – inhaltliche Abkehr vom bisherigen Verständnis der Natur des drittbezogenen Fremdpersonaleinsatzes hat vornehmen wollen, ist den Beratungsmaterialien nicht entnehmbar. Eine dahingehende Willensbekundung wäre indes schon vor dem Hintergrund der als überkommen anzusehenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Verständnis der Rechtsnatur dieses Personalmodells zur Klarstellung einer gewollten Differenzierung zwischen vorübergehender und dauerhafter Personalüberlassung notwendig gewesen, nicht zuletzt um dem Gebot hinreichender Bestimmtheit zu genügen.88
86 EuGH, Urteil vom 9.8.994 – Az. C-43/93 [Vander Elst] (dort Rdn. 21); EuGH, Urteil vom 27.3.1990 – Az. C-113/89 [Rush Portuguesa] (dort Rdn. 15). 87 Hervorhebung durch den Autor. 88 Ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, siehe nur EuGH, Urteil vom 17.7.2008 – Az. C-226/07 [Flughafen Köln/Bonn] (dort Rdn. 23); EuGH, Urteil vom 23.2.1994 – Az. C-236/92 [Lombardia] (dort Rdn. 9 f.).
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
(e) Die Flexicurity-Grundsätze Nach Erwägungsgrund 9 der Richtlinie 2008 / 104 / EG, wonach auf Seiten der Arbeitnehmer und der Unternehmer Modelle für neue Formen der Arbeitsorganisation und neue Vertragsmodelle mit besserer Kombination von Flexibilität und Sicherheit zur verbesserten Anpassungsfähigkeit erarbeitet werden sollen, und vor dem Hintergrund der Flexicurity-Grundsätze89, in deren Licht die Richtlinie 2008 / 104 / EG und damit auch das AÜG auszulegen sind90, stellt sich die zeitlich begrenzte Arbeitnehmerüberlassung als dasjenige Modell sowohl des Richtliniengebers als auch der Mitgliedstaaten dar, welches dem Flexibilitätsbedarf der Unternehmen bezüglich des Personaleinsatzes wie auch dem Bedürfnis der Arbeitnehmer nach Vereinbarkeit von Beruf und Privatem hinreichend gerecht wird. Schließlich ist ein weiteres Personalmodell der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung im gesamten Beratungsverlauf des Richtlinienverfahrens nicht diskutiert worden. Darüber hinaus trifft die Mitgliedsstaaten die Pflicht, in ihren nationalen Reformprogrammen ausdrücklich über ihre Flexicurity-Strategien Bericht zu erstatten.91 Über ein als zulässig erachtetes, aber ungeregeltes Modell der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung könnte indes kaum berichtet werden, um den angestrebten Lernprozess auf europäischer Ebene zu bereichern. Das Ziel der Richtlinie, auf Gemeinschaftsebene einen harmonisierten, diskriminierungsfreien, transparenten und verhältnismäßigen Rahmen zum Schutz der Leiharbeitnehmer bei gleichzeitiger Wahrung der Vielfalt der Arbeitsmärkte und Arbeitsbeziehungen zu schaffen92, würde bei der Anerkennung der Zulässigkeit dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung trotz unterbliebener Kodifikation wenigstens teilweise verfehlt. Bei der Anerkennung der Zulässigkeit dauerhafter Überlassung stünde die Richtlinie 2008 / 104 / EG folglich in Widerspruch zu ihrem eigenen Regelungszweck. Daran ändert auch der dagegen vorgebrachte Verweis auf den Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2008 / 104 / EG nichts, wonach bestehende Verbote und Beschränkungen der Leiharbeit daraufhin überprüft werden sollen, ob sie dem Leiharbeitnehmerschutz dienen und Einschränkungen und Verbote folglich gerade am erforderlichen Leiharbeitnehmerschutz zu messen sind.93 Denn dabei wird übersehen, dass der Sozialschutz der Leiharbeitnehmer im Fall der dauerhaften 89 KOM
(2007), S. 359 endgültig. nur Erwägungsgründe 2, 8, 11, 12 der Richtlinie 2008/104/EG. 91 KOM (2007), S. 359, endgültig, S. 15. 92 Erwägungsgründe 12 und 23 der Richtlinie 2008/104/EG. 93 So aber Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 633 f., die aus dieser Formulierung des Erwägungsgrundes 18 den Schluss ziehen, dass Verbote von Arbeitnehmerüberlassung nur sehr „kritisch“ zu werten seien und daher die grundsätzliche Zulässigkeit auch dauerhafter Leiharbeit angenommen werden kann. 90 Siehe
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern179
Überlassung – wie auch bei vorübergehender Überlassung – schon dadurch verringert wird, dass für Leiharbeitnehmer abweichende, in der Regel ungünstigere tarifliche Arbeitskonditionen der Verleiherbranche gelten, obwohl dem Entleiher wegen des vorhandenen Stammarbeitsplatzes und des bestehenden Arbeits- und Personalbedarfs die Anstellung offenbar auch mittels eines „normalen“, wenn auch gegebenenfalls befristeten, Arbeitsverhältnisses im Entleihbetrieb wirtschaftlich möglich und zumutbar wäre. Dem dauerhaft überlassenen Leiharbeitnehmer wird demnach eine Beschäftigung zu den Konditionen der beim Entleiher beschäftigten Stammarbeitnehmer auch dauerhaft verwehrt. Die dadurch entstehenden strukturellen Nachteile können durch die Sozialschutznormen der Richtlinie 2008 / 104 / EG und des AÜG nicht ausgeglichen werden. Das der Richtlinie 2008 / 104 / EG zugrunde liegende „Normalbild“ eines unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses gemäß ihrem Erwägungsgrund 15, die daran anknüpfende Pflicht zur Förderung der Leiharbeitnehmer bei der Suche nach dauerhaften Arbeitsplätzen beim Entleiher nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG und § 13a AÜG und zur weitestgehenden Gleichstellung der Leiharbeitnehmer mit dem Stammpersonal des Entleihers gemäß Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2008 / 104 / EG wären im Fall der dauerhaften Überlassung von Leiharbeitnehmern nicht nur zweckfrei. Vielmehr würden diese arbeitsmarktpolitischen Ziele im Rahmen des Fremdpersonaleinsatzes sogar noch dadurch konterkariert, dass in diesem Fall schon die grundsätzliche Notwendigkeit einer Förderung und einer Anpassung der Arbeitsverhältnisse an das Normalbild der unbefristeten Beschäftigung von vornherein negiert wird, weil vorhandene Arbeitsplätze beim Entleiher mit dauerhaft überlassenem Fremdpersonal statt mit unmittelbar bei ihm beschäftigtem Stammpersonal besetzt werden können. Damit widerspricht das Personalmodell der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung der traditionellen Vorstellung des Richtliniengebers vom Normalfall des unbefristeten Arbeitsverhältnisses zu einem einzigen Arbeitgeber94 und stellt sich somit wie ein Fremdkörper im Wertungsgefüge der Richtlinie 2008 / 104 / EG dar.95
94 Siehe dazu auch das Grünbuch der Kommission, KOM (2006), S. 708, endgültig (S. 5 unter Punkt 2.a.), welches auf der Sozialpolitischen Agenda der Kommission (KOM [2005], S. 33 endgültig) beruht. 95 Insoweit greift auch das Argument, der Leiharbeitnehmer sei bei dem Verleiher unbefristet beschäftigt und daher nicht schlechter gestellt, nicht durch, weil der Arbeitnehmer weiterhin im Spannungsfeld zweier ihm gegenüber wie als Arbeitgeber auftretender Beteiligter steht – dem Verleiher als Vertragsarbeitgeber einerseits, dem Entleiher als Dienstarbeitgeber andererseits. Darüber hinaus kann der Leiharbeitnehmer anderen tariflichen Bestimmungen als den im Entleihbetrieb geltenden unterworfen werden.
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
(f) Das Fehlen eines Sanktionenregimes Der Annahme der Unzulässigkeit der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung steht auch nicht entgegen, dass der Gesetzgeber an die nicht bloß vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung keine ausdrücklichen Sanktionen mit Folgen für die Rechtsverhältnisse der Beteiligten geknüpft hat. Dass sowohl die Richtlinie 2008 / 104 / EG als auch das AÜG im Fall der dauerhaften Leiharbeitnehmerüberlassung keine expliziten Sanktionsregelungen vorsehen96, bedeutet nicht, dass der unzulässige dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmern ohne jede Rechtsfolge bleibt. Zudem kam die EU-Kommission in einem von einer Zeitarbeitnehmerin gegen die Bundesrepublik Deutschland beantragten Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV auch zu dem Ergebnis, dass die Unionsmitgliedsstaaten nicht verpflichtet seien, Sanktionen für den Fall langfristiger Überlassung von Leiharbeitnehmern an entleihende Unternehmen vorzusehen, weil auch langfristige Überlassung keinen Verstoß gegen die Leiharbeitsrichtlinie 2008 / 104 / EG darstelle.97 Nach Art. 10 Abs. 2 S. 2 und Erwägungsgrund 21 der Richtlinie 2008 / 104 / EG müssen die Mitgliedstaaten wirksame, abschreckende und verhältnismäßige Sanktionen vorsehen. Auch wenn den Mitgliedstaaten dabei ein eigener Beurteilungsspielraum zusteht, besteht eine Regelungspflicht für ein konkretes Sanktionsregime nicht. Der Gesetzgeber hatte sich folglich in seinen Beratungen im Gesetzgebungsverfahren zum Missbrauchsverhinderungsgesetz trotz mehrfacher Hinweise auf eine fehlende Regelung von Sanktionen im Falle von unzulässiger Überlassung von Leiharbeitnehmern dazu entschlossen, eine solche Regelung, etwa im Sinne der früheren Fiktion von Arbeitsvermittlung und der daraus folgenden gesetzlichen Anordnung eines fingierten Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer gemäß § 10 Abs. 1 AÜG a. F., zunächst nicht wieder in das AÜG aufzunehmen.98
96 Eine
Ordnungswidrigkeit im Sinne von § 16 AÜG liegt nicht vor. der EU-Kommission, Az. CHAP (2015)00716. Zum Teil wurde aus der in dem Schreiben getroffenen Feststellung, dass die Leiharbeitsrichtlinie den Unionsstaaten keine Höchstüberlassungsdauer vorschreibe, der Schluss gezogen, dass die Kommission damit dauerhafte Überlassung als zulässig ansehe. 98 Siehe dazu nur die Hinweise des Sachverständigen Düwell, wie sich aus den Beratungsunterlagen des Bundestages, BT-Drs. 17/5238, S. 9, und des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Ausschussdrucksache 17 (11) 431, S. 56, ergibt. 97 Antwortschreiben
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern181
(aa) Die Versagung und der Widerruf der Erlaubnis Da es sich bei dauerhafter Überlassung um eine nicht zulässige, sondern verbotene Form der Überlassung handelt, ist wegen fehlender Erlaubnisfähigkeit im Sinne von § 1 AÜG die Erlaubnis gemäß § 3 AÜG zu versagen oder gemäß § 5 AÜG zu widerrufen. Dafür spricht auch, dass das AÜG ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt enthält und insoweit das arbeitsmarktpolitische Instrument der Arbeitnehmerüberlassung insgesamt abschließend regelt.99 (bb) Die Wirksamkeit des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags Fraglich ist, ob eine entgegen § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG nicht vorübergehend erfolgte Überlassung zu einer Unwirksamkeit des zwischen Verleiher und Entleiher bestehenden Arbeitnehmerüberlassungsvertrags nach § 134 BGB führt. Das Bundesarbeitsgericht hat den Verbotsnormcharakter von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG zwar im Zusammenhang mit dem Zustimmungserfordernis des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG bejaht, was jedoch nicht ohne Weiteres auch zu einer Anerkennung als Verbotsnorm im Sinne von § 134 BGB führt.100 Der Begriff des Verbotsgesetzes im Sinne von § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG ist nicht kongruent mit dem Verständnis einer Verbotsnorm im Sinne von § 134 BGB, weil die der personellen Maßnahme entgegenstehende Norm für ein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG lediglich zum Ausdruck bringen muss, dass ihrem Zweck entsprechend die personelle Maßnahme selbst verhindert werden soll. Anders als bei § 134 BGB ist nicht erforderlich, dass sich aus der Vorschrift darüber hinaus auch unmittelbar die Unwirksamkeit der personellen Maßnahme ergibt.101 Das Bundesarbeitsgericht hat sich zum Charakter von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG als Verbotsnorm i. S. v. § 134 BGB – auch mangels Entscheidungsrelevanz – bislang nicht geäußert und auch keine dahingehende Tendenz erkennen lassen. Unabhängig davon spricht für einen Verbotsnormcharakter im Sinne von § 134 BGB, dass eine dauerhafte, nicht vorübergehende Überlassung sowohl vom Richtlinien- wie auch vom Gesetzgeber als nicht zulässige Form der Arbeitnehmerüberlassung angesehen wird und somit dem Rechtsgeschäft zur Überlassung von vornherein die rechtliche Missbilligung ausgesprochen wird. Der gesetzgeberischen Intention wird somit am ehesten entsprochen, Berlin-Brandenburg, NZA-RR 2013, 234, 236; Schüren/Hamann4, AÜG, § 1, Rdn. 4; Düwell, DB 2011, 1520; Nielebock, S. 111, 121 f. m. w. N. 100 BAGE 145, 355, 361; Krannich/Simon, BB 2012, 1414, 1418 f.; Lembke, NZA 2013, 1312, 1316; a. A. Hamann, RdA 2011, 321, 327; Ulber/Stang, AUR 2015, 250. 101 BAGE 127, 51, 57; BAGE 135, 57, 62. 99 LAG
182
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
wenn die von vornherein nicht erlaubnisfähige Überlassung auch das zivilrechtliche Verdikt der Nichtigkeit des Überlassungsgeschäfts nach § 134 BGB zur Folge hat. Die Nichtigkeit des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags allein hat allerdings auch noch keine unmittelbare Auswirkung auf das Rechtsverhältnis des nicht vorübergehend überlassenen Arbeitnehmers zum Verleiher und Entleiher, denn die Nichtigkeit des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags berührt das Beschäftigungsverhältnis des Leiharbeiters zum Verleiher nicht und führt nach der bestehenden Gesetzeslage auch zu keinem tatsächlichen oder fingierten Arbeitsverhältnis zum Entleiher. Die in § 10 Abs. 1 AÜG geregelte Fiktionswirkung bezieht sich ausdrücklich nur auf die Fälle der Unwirksamkeit der Arbeitnehmerüberlassung aus dem in § 9 Nr. 1 AÜG genannten Grund, namentlich der Überlassung trotz fehlender Überlassungserlaubnis. Für sonstige Unwirksamkeitsgründe der Überlassungsvereinbarung wie nach § 134 BGB ist eine Fiktionswirkung in § 10 Abs. 1 AÜG gerade nicht (mehr) vorgesehen, so dass es trotz einer – angenommenen – Nichtigkeit der Überlassungsvereinbarung beim bestehenden Arbeitsverhältnis des Leiharbeitnehmers zum Verleiher bleibt. Eine abschreckende Sanktionswirkung wäre allein mit der Nichtigkeit des Überlassungsvertrags nach § 134 BGB folglich nicht verbunden.102 Stattdessen bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen, die Unwirksamkeit des Arbeitsverhältnisses anordnenden Regelung, der ein entsprechender Sanktionscharakter innewohnt. Die Notwendigkeit einer eigenständigen Sanktionsregelung ergibt sich zudem auch anlässlich des mit der Nichtigerklärung der Überlassungsvereinbarung einhergehenden Eingriffs in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Vertragsfreiheit des Entleihers und des Leiharbeitnehmers.103 (cc) Das fingierte Rechtsverhältnis zum Entleiher Am Bestand der Rechtsverhältnisse zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher sowie Entleiher und Verleiher ändert sich de lege lata im Fall der nicht vorübergehenden Überlassung folglich nichts. Die Rechtsbeziehungen bleiben unverändert fortbestehen. Seitens des Gesetzgebers wäre es indes konsequent und auch im Hinblick auf den in Erwägungsgrund 21 sowie Art. 10 der Richtlinie 2008 / 104 / EG enthaltenen Regelungsauftrag an die Mitgliedstaaten empfehlenswert, für die Fälle der nicht vorübergehenden Überlassung eine ausdrückliche Sanktionsfolge dahingehend vorzusehen, dass wie im Fall auch Stang/Ulber, NZA 2015, 910, 913. die Eingriffsrelevanz für Art. 12 GG weist auch das Bundesarbeitsgericht, BAGE 146, 384, 393, hin, welches eine Sanktionsfolge im Sinne einer Fiktionswirkung gerade wegen des Fehlens einer Rechtsgrundlage ablehnt. 102 So
103 Auf
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern183
der nicht oder nicht mehr vorliegenden wirksamen Erlaubnis gemäß § 9 Nr. 1 AÜG etwa die Unwirksamkeit des Überlassungsvertrags zwischen dem Entund dem Verleiher bejaht und in Anlehnung an die frühere Regelung in § 13 AÜG a. F. und § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG a. F. das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Entleihbetrieb und dem dort als Leiharbeitnehmer Beschäftigten fingiert wird.104 Eine solche zivilrechtliche Sanktion ist mit der Richtlinie 2008 / 104 / EG vereinbar und der Eingriff in die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Vertragsfreiheit sowie in die von Art. 12 GG geschützte unternehmerische Entscheidungsfreiheit als geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahme zum Sozialschutz der Leiharbeitnehmer gerechtfertigt.105 Freilich belässt Art. 10 der Richtlinie 2008 / 104 / EG die Bestimmung und die Regelung der konkreten Art der Sanktion der Beurteilungsfreiheit der Mitgliedstaaten, sofern die Sanktion wirksam, angemessen und abschreckend ist.106 104 Düwell, ZESAR 2011, 449, 454; Bartl/Romanowski, NZA Online 3/2012, 1, 6, bejahen mittels Analogie zu § 10 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer; noch anders Ulber3, AÜG, § 1, Rdn. 230e, und Hamann, NZA 2011, 70, 74, die Arbeitsvermittlung annehmen wollen; ihnen folgend LAG BadenWürttemberg, Urteil vom 22.11.2012 – Az. 11 Sa 84/12. Nach der 15. Kammer des LAG Berlin-Brandenburg, ArbR 2013, 112, soll eine auf Dauer angelegte Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr von der Erlaubnis nach § 1 AÜG gedeckt sein und demnach ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher nach § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG zustande kommen; ebenso LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2012 – Az. 11 Sa 84/12; ArbG Cottbus, Urteil vom 24.4.2013 – Az. 2 Ca 424/12. Die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG ist trotz der die Fiktionswirkung ablehnenden Rechtsprechung des Bundes arbeitsgerichts, siehe dazu nur BAG, DB 2011, 479; BAGE 95, 165; BAGE 146, 384 m. w. N., gleichwohl weiterhin umstritten. Daher lehnen andere Instanzgerichte unter Verweis auf die langjährige BAG-Rechtsprechung zur früheren Rechtslage vor der Umsetzung der Richtlinie 2008/104/EG eine Fiktionswirkung ab, so etwa die 7. Kammer des LAG Berlin-Brandenburg, BB 2013, 251; ArbG Mönchengladbach, Beschluss vom 29.3.2012 – Az. 1 BV 14/12. Das Bundesarbeitsgericht, BAGE 146, 384 und BAG, BB 2014, 3007, hat seine Auffassung unlängst noch einmal bestätigt, nach der ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer bei dessen nicht nur vorübergehender Überlassung nicht, auch nicht mittels einer Fiktion in Anlehnung an § 10 Abs. 1 AÜG, zustande kommt. Nach Auffassung des 9. Senats ist vor dem Hintergrund eines im Fall einer Fiktion des Arbeitsverhältnisses einhergehenden Eingriffs in Art. 12 GG und den im Arbeitsrecht geltenden Grundsatz, dass ein Arbeitsverhältnis den Parteien nicht ohne Weiteres aufgezwungen werden kann, eine gesetzliche, die Fiktionswirkung anordnende Regelung verfassungsrechtlich notwendig. Mangels gesetzlicher Kodifikation scheiden auch die von der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze des institutionellen Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB als Grundlage für eine Fiktionswirkung aus, BAGE 146, 384, 396. 105 Zur Verhältnismäßigkeit des fingierten Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 10 Abs. 1, 13 AÜG a. F. siehe nur BAGE 29, 7; BAGE 60, 205; BAGE 77, 52; Schüren/ Hamann4, AÜG, § 1, Rdn. 362 ff.; Schüren/Hamann4, AÜG, § 10, Rdn. 20 ff. 106 BAGE 146, 384, 394. Zur Neuregelung von 2017 siehe Teil I.
184
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
Der Eingriff in die unternehmerische Vertragsfreiheit des Entleihers stellt zugleich einen Eingriff in die Vertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers dar, dem gleichermaßen ein Vertragsverhältnis zum Entleiher aufgezwungen wird. Denkbar ist dabei, den im „Aufdrängen“ eines Beschäftigungsverhältnisses zum Entleiher liegenden Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Vertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers dadurch zu mildern, dass diesem in Anlehnung an die in § 613a Abs. 6 BGB vorgesehene Widerspruchsoption im Fall des Betriebsübergangs ebenfalls ein befristetes Widerspruchsrecht gegen die Vertragsfiktion gegenüber dem Entleiher eingeräumt wird.107 Im Hinblick auf die unternehmerische Vertragsfreiheit des Entleihers ist ein milderes Mittel als eine gesetzliche Fiktion eines Arbeitsverhältnisses ohne Widerspruchsmöglichkeit indes nicht erkennbar, aber auch nicht notwendig. Der Entleiher ist im Fall der nicht vorübergehenden Überlassung aufgrund des in seinem Betrieb tatsächlich dauerhaft bestehenden Beschäftigungsbedarfs nicht schutzbedürftig und muss sich daher so behandeln lassen, als ob er von vornherein unmittelbar selbst den Leiharbeitnehmer befristet oder unbefristet angestellt hätte. Insoweit ist er im Fall der fingierten Anstellung des Leiharbeitnehmers rechtlich und wirtschaftlich nicht schlechter gestellt und hat dem Leiharbeitnehmer die Arbeitskonditionen zu gewähren wie seinem Stammpersonal. (dd) D ie Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer nach §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG Erfolgt die Überlassung ohne die nach § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis, ordnet § 9 Nr. 1 AÜG die Unwirksamkeit der Verträge zwischen Verleiher und Entleiher sowie zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer an. Gemäß § 10 Abs. 1 AÜG wird in diesem Fall ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer zum Entleiher fingiert. Die Fiktionswirkung tritt jedoch nur im Fall der von vornherein nicht erteilten oder widerrufenen Erlaubnis ein. Nicht ausreichend ist es, wenn lediglich die materiell-rechtlichen Gründe für die Versagung oder den Widerruf vorliegen, die Erlaubnis aber dennoch erlassen wurde. Eine formell ordnungsgemäß erteilte und auch nicht widerrufene Erlaubnis führt trotz ihrer materiellen Rechtswidrigkeit somit zu keiner Fiktionswirkung nach §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG. Denkbar wäre zwar, trotz einer formell rechtmäßig ergangenen Erlaubnis auch im Fall der dauerhaften Überlassung eine Fiktionswirkung anzunehmen. Denn die nicht statthafte dauerhafte Überlassung ist mangels Vorliegens der materiell-rechtlichen Voraussetzungen nach § 1 AÜG von vornherein nicht 107 Dahingehend
wohl Stang/Ulber, NZA 2015, 910, 913.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern185
erlaubnisfähig. Eine dennoch ergangene Überlassungserlaubnis wäre daher von Anfang an materiell rechtswidrig. Fraglich ist daher, ob es bei der nicht bloß vorübergehenden Überlassung daher auf die Frage der formellen Rechtmäßigkeit der erteilten Erlaubnis gar nicht erst ankommt. § 9 Nr. 1 AÜG stellt indes auf eine formale Betrachtungsweise bezüglich des Vorliegens der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nach § 1 AÜG ab, so dass die Fälle einer formell ordnungsgemäßen, materiell jedoch rechtswidrigen Erlaubnis nicht den Fällen des von vornherein gegebenen Fehlens einer Erlaubnis gleichgestellt werden können und folglich keine Fiktionswirkung gemäß §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG zur Folge haben. Für diese formale Sichtweise spricht, dass die ergangene öffentlich-rechtliche Erlaubnis der Überlassung grundsätzlich ein schützenswertes Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Rechtmäßigkeit der Gestattung der Arbeitnehmerüberlassung begründet. Dieses schützenswerte Vertrauen würde erschüttert, wenn trotz der formell ordnungsgemäßen Gestattung der Überlassung aufgrund von für den Rechtsverkehr nicht erkennbaren Umständen Zweifel an der materiellen Rechtsmäßigkeit der Überlassung mit der drohenden Rechtsfolge einer Vertragsfiktion zum Entleiher bestehen bliebe und dadurch den Rechtsschein der Rechtmäßigkeit der Arbeitnehmerüberlassung zerstörte. Das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Recht- und Gesetzmäßigkeit hoheitlichen Handelns muss daher allein an die formell rechtmäßig erteilte Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis anknüpfen können. Folglich scheidet in den Fällen einer formell rechtmäßig ergangenen Erlaubnis ungeachtet ihrer materiellen Rechtmäßigkeit eine Fiktionswirkung nach §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG aus. (ee) Die betriebsverfassungsrechtlichen Folgen Betriebsverfassungsrechtlich besteht schließlich im Fall des nicht nur vorübergehenden Einsatzes von Leiharbeitnehmern nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats des Entleihbetriebs nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG.108 Erfolgt die Einstellung des Leiharbeitnehmers nicht vorübergehend und verweigert der Betriebsrat die Zustimmung, besteht ein Einstellungshindernis. Sachliche Gründe für die vorläufige Durchführung einer personellen Maßnahme im Sinn von § 100 BetrVG liegen beim Einsatz von Leiharbeitnehmern regelmäßig nicht vor.
108 Grundlegend
BAGE 145, 355; bestätigt von BAG, NZA 2015, 240.
186
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
(ff) Die Ordnungswidrigkeitentatbestände gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AÜG Eine klassische Sanktionsmöglichkeit bietet zudem § 16 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AÜG im Falle des Verleihs und des Einsatzes eines Leiharbeitnehmers ohne entsprechende Erlaubnis nach § 1 AÜG. Eine Erlaubnis kann nur erteilt werden, wenn die Überlassung nur vorübergehend erfolgen soll, so dass die nicht mehr vorübergehende Überlassung gerade nicht mehr von einer Erlaubnis gedeckt sein kann und Verleiher wie auch Entleiher bei dennoch erfolgender dauerhafter Überlassung ordnungswidrig handeln. Selbst wenn mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts das fingierte Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer nunmehr zutreffend abgelehnt wird109, tragen jedenfalls die mögliche Versagung und der Widerruf der Erlaubnis nach §§ 1 AÜG gemäß §§ 3 und 5 AÜG, das Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG sowie die Erfassung der erlaubnislosen Überlassung als Ordnungswidrigkeit nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AÜG dem Sanktionsgebot gemäß Erwägungsgrund 21 und Art. 10 der Richtlinie 2008 / 104 / EG hinreichend Rechnung. Freilich wäre eine gesetzgeberische Klarstellung aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit wünschenswert. (g) Die primärrechtliche Auslegung des Richtlinien-Wortlauts Die Richtlinie 2008 / 104 / EG unterliegt nach ihrer Umsetzung als Sekundärrecht aufgrund des bestehenden Unionsrechtsbezugs der Prägung des europäischen Primärrechts und muss sich dementsprechend daran messen lassen.110 Wird ein materieller Rechtsbereich vom Unionsrecht bestimmt, wird er von allen europarechtlichen Rechtsquellen und damit auch von den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts, das heißt auch des Primärrechts, erfasst.111 Gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV bilden die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die Verträge rechtlich gleichrangige Bestimmungen und beanspruchen im Rahmen der grundrechtskonformen Auslegung gegenseitige Beachtung. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist damit integraler Bestandteil des europäischen Primärrechts.112 Sie bindet 109 BAGE
146, 384. Europarecht, Rdn. 994 f. 111 Frenz, Europarecht, Rdn. 995; EuGH, Urteil vom 22.11.2005 – Az. C-144/04 (Rdn. 75) [Mangold]; EuGH, Urteil vom 12.12.2002 – Az. C-442/00 (Rdn. 30–32) [Caballero]. 112 Diese Frage noch offenlassend Tettinger, NJW 2001, 1010. 110 Frenz,
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern187
nach Art. 51 Abs. 1 GRC alle Organe und Einrichtungen der Union sowie die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts. Ungeachtet der Frage, ob auch Private unmittelbar Verpflichtete sein können, sind die Wertungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in jedem Fall im Rahmen der grundrechtskonformen Auslegung öffentlich-rechtlicher wie auch privatrechtlicher Vorschriften zu beachten. Einschränkungen bei der Ausübung der geschützten Rechte und Freiheiten sind nur aufgrund gesetzlicher Regelungen zulässig, die den Wesensgehalt der geschützten Rechte und Freiheiten achten sowie erforderlich und angemessen sind, Art. 52 Abs. 1 GRC. (aa) Der Schutz der Arbeitsbedingungen nach Art. 31 GRC Nach den Erwägungsgründen 1, 12, 13, 16, 17 und 18 der Richtlinie 2008 / 104 / EG wird im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung uneingeschränkt das nach Art. 31 GRC gewährleistete Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf gesunde, sichere und würdige sowie gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen als Ausprägung des Rechts auf menschenwürdige Behandlung in Anlehnung an die Richtlinie 89 / 391 / EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit gewährleistet.113 Diesem Regelungsziel folgt die Richtlinie 2008 / 104 / EG mit den in den Art. 2, 4 Abs. 1, 5 und 9 Abs. 2 enthaltenen Schutz- und Gleichheitsrechten sowie dem „Equal Pay- / Equal Treatment“-Grundsatz zugunsten der Leiharbeitnehmer und stellt somit angesichts bestehender unionsweit großer Unterschiede einen sozialen Mindestschutz für die Leiharbeitnehmer im Hinblick auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im Geltungsbereich der Richtlinie sicher. (bb) Der Schutz der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 GRC In der Richtlinie 2008 / 104 / EG wird die in Art. 16 GRC gewährleistete Unternehmerfreiheit nicht ausdrücklich erwähnt, welche gerade für die Arbeitnehmerüberlassung bedeutsam ist. Sie gewährleistet jedwede Form der wirtschaftlichen Betätigung aller Selbständigen, wobei rein wirtschaftliche Erwartungen allerdings nicht zum Schutzgut zählen.114 Der Schutz umfasst 113 ABl. EG Nr. L 183/1 vom 29.6.1989; siehe dazu auch die Charta-Erläuterungen zu Art. 31 GRC, ABl. 2007, C 303/23, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta für deren Auslegung zu berücksichtigen sind. 114 EuGH, Urteil vom 14.5.1974 – Az. C-4/73 [Nold]; Jarass, GrCh/Jarass EUGrundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 2–3.
188
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
indes die Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, die Vertragsfreiheit und den freien Wettbewerb.115 Die unternehmerische Freiheit gehört nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, kann jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern unterliegt einer sozialen Funktionsbindung.116 Das bedeutet, dass die unternehmerische Freiheit dem Gemeinwohl dienenden Beschränkungen und Eingriffen unterliegen kann, soweit sie dem verfolgten Zweck entsprechend geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sind und den Wesensgehalt des Freiheitsrechts nicht berühren.117 Die Richtlinien der Union sind genauso wie nationalgesetzliche Vorschriften im Licht von Art. 16 GRC auszulegen.118 So wie die übrigen von der Grundrechtecharta geschützten Rechte darf auch Art. 16 GRC gemäß Art. 52 Abs. 1 GRC aber auch nur unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und bei Sicherstellung eines zweckmäßigen Schutzes der betroffenen Rechte eingeschränkt werden.119 Es bedeutet eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit des Entleihers, wenn er das Leihpersonal nicht dauerhaft, sondern nur zeitig in seinem Betrieb einsetzen darf.120 Im gleichen Maß ist die unternehmerische Freiheit des Verleihers beschränkt, der ebenso nur zeitlich begrenzt überlassen darf. Dieser Eingriff ist indes verhältnismäßig gering, weil der Wesensgehalt als Kern der unternehmerischen Freiheit wie auch der Vertragsfreiheit an sich nicht berührt ist, sondern nur eine spezielle Form der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit über die Wahl des Einsatzes von Fremdpersonal im eigenen Betrieb betroffen ist, nicht aber die unternehmerische Betätigung an sich ihrem Wesen nach in Frage steht.121 Dem Unternehmer bleibt die Möglichkeit erhalten, in den Schranken der Richtlinie 2008 / 104 / EG Perso115 EuGH,
Urteil vom 17.10.2013 – Az. C-101/12 (Rdn. 25). EuGH, Urteil vom 14.10.1999 – Az. C-104/97 P [Atlanta]. 117 EuGH, Urteil vom 11.7.1989 – Az. 265/87 [Schräder]; EuGH, Urteil vom 14.10.1999 – Az. C-104/97 P [Atlanta]. 118 EuGH, Urteil vom 18.7.2013 – Az. C-426/11 [Alemo-Herron]; Jarass, GrCh/ Jarass EU-Grundrechte-Charta, Art. 16, Rdn. 3; Willemsen/Sagan, NZA 2011, 258; Hanau, NZA 2010, 1. 119 Siehe nur EuGH, Urteil vom 17.10.2013 – Az. C-101/12; ebenso die Erläuterungen zur GRC, dort zu Art. 16 GRC, ABl. 2007, C 303/23. 120 Thüsing/Stiebert, ZESAR 2014, 27, 28 (dort Fn. 7); Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 634. Stiebert, NJW 2015, 1234, 1236, scheint bereits die Zulässigkeit der Einschränkung von Art. 16 GRC anzuzweifeln und verneint damit schon ein Verbot der dauerhaften Überlassung an sich. Im Lichte der Grundrechtecharta wäre die Richtlinie 2008/104/EG folglich als chartawidrig anzusehen. 121 So auch BAG, NZA 2015, 240, 243; zum Wesensgehalt der unternehmerischen Freiheit siehe EuGH, Urteil vom 18.7.2013 – Az. C 426/11 [Alemo-Herron]. 116 Grundlegend
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern189
nal zu entleihen und in seinem Betrieb einzusetzen oder aber eine andere Form von Fremdpersonaleinsatz zu wählen oder ganz eigenes Personal zu beschäftigen. Allein der Umstand, dass es für den Unternehmer wirtschaftlich günstiger sein kann, fremdes Personal dauerhaft anstelle von eigenem Personal einzusetzen, ist als lediglich wirtschaftliches Interesse vom Schutzzweck von Art. 16 GRC schon nicht erfasst. Auch für den Verleiher stellt sich die zeitliche Beschränkung der Überlassung seiner Leiharbeitnehmer vornehmlich als gegebenenfalls wirtschaftliche Limitierung seines Geschäftsmodells dar. Der Eingriff in die unternehmerische Freiheit ist daher insgesamt als geringfügig anzusehen. Die Einschränkung ist zudem durch legitime und überwiegend schützenswerte Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt. Nach Erwägungsgrund 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG soll im Rahmen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern die Einhaltung von Art. 31 GRC gewährleistet werden, wonach jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen haben soll. Wenn dazu der zeitliche Einsatz von Fremdpersonal durch eine zeitlich flexible Komponente für die Überlassung beschränkt wird, besteht darin ein geeignetes Mittel vor allem auch im Hinblick auf die „Equal Pay / Equal Treatment“-Grundsätze bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Flexicurity-Grundsätze, um die Schutzrechte von Leiharbeitnehmern im Einklang mit dem Flexibilitätsbedarf der Unternehmen zu gewährleisten.122 Vor allem hat der Richtliniengeber den Belangen der Unternehmer nach einem flexiblen Modell des Personaleinsatzes dadurch Rechnung getragen, dass er mit der Formulierung „vorübergehend“ einen zeitlich variablen Rahmen für die Überlassung ohne die Bestimmung einer fixen Höchstüberlassungsdauer vorgesehen hat, womit sogar nicht nur ein mehrmonatiger, sondern mitunter auch mehrjähriger Einsatz von Fremdpersonal im eigenen Betrieb möglich ist. Gleichzeitig ist der dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmern unzulässig. Ein viel stärkerer Eingriff läge hingegen bei der zeitlichen Fixierung in Gestalt einer starren Höchstüberlassungsdauer vor, weil damit dem anerkennenswerten Bedarf der Unternehmer nach einem dem Einzelfall zeitlich anpassungsfähigen Personalmodell nicht hinreichend entsprochen werden würde. Schließlich stellte sich auch die Frage nach einer hinreichend sachlich begründeten Festlegung und Rechtfertigung für die konkret bestimmte Überlassungsdauer, um einen Verstoß gegen das Willkürverbot zu vermeiden. Ein Verstoß gegen das europarechtliche und grundgesetzliche Willkürverbot wird bei einer flexiblen Zeitkomponente wie dem Merkmal „vorübergehend“ mit einer behördlich und gerichtlich überprüfbaren flexiblen Zeitkom122 Siehe
auch die Erwägungsgründe 9 und 11 der Richtlinie 2008/104/EG.
190
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
ponente vermieden. Damit entspricht die Einschränkung der unternehmerischen Freiheit zugleich dem Verhältnismäßigkeitsgebot nach Art. 52 Abs. 1 GRC.123 (h) Die Ausnahme Zutreffend weist Giesen indes darauf hin, dass die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung nicht schlechthin unzulässig, sondern nur dort zu missbilligen ist, wo erlaubnispflichtige Überlassung erfolgt. Denn nach der Konzeption der Richtlinie 2008 / 104 / EG und des AÜG soll vor allem im Bereich der konzeptionell erlaubnispflichtigen Arbeitnehmerüberlassung der Sozialschutz zugunsten von Leiharbeitnehmern Geltung beanspruchen können und sichergestellt werden.124 Findet danach das AÜG – aus anderen Gründen als der nicht zulässigen dauerhaften Überlassung – keine Anwendung, etwa weil die Überlassung nicht im Rahmen einer wirtschaftlichen Betätigung des Verleihers erfolgt, besteht für ein Verbot der dauerhaften Überlassung folglich kein Anlass. Denn diese Fälle unterfallen wie auch schon nach der früheren Rechtslage der Kategorie der – wenn auch seltener auftretenden – „echten“ Arbeitnehmerüberlassung, in denen eine dauerhafte und zugleich nicht-wirtschaftliche Überlassung jedoch ohnehin kaum denkbar ist. cc) Das Fazit Die Richtlinie 2008 / 104 / EG wie auch das AÜG regeln das Personalmodell der vorübergehenden Überlassung von Leiharbeitnehmern abschließend als einzig zulässiges Personalmodell von unechter Arbeitnehmerüberlassung. Die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung ist somit – und zwar auch nicht als gesetzlich ungeregelter Fall der unechten Arbeitnehmerüberlassung – unionsrechtlich unzulässig, soweit sie einer Erlaubnispflicht unterliegt. Aus der Unzulässigkeit der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung folgt deren fehlende Erlaubnisfähigkeit. Das Verbot ergibt sich dabei nicht erst aus der nationalen Regelung des AÜG in dessen § 1 Abs. 1 S. 2 im Rahmen der europarechtskonformen Auslegung, sondern bereits aus der Richtlinie 2008 / 104 / EG selbst. Folglich scheiden neben der direkten Anwendung des AÜG auch dessen analoge Anwendung für die Fälle der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung aus. Nur durch eine abschließende Regelung der Arbeitnehmerüberlassung bei gleichzeitigem Verbot der dauerhaften Überlassung kann den 123 Zu Vorstehendem im Ergebnis auch BAG, NZA 2015, 240, 243, und BAGE 145, 355, 368. A. A. Thüsing, NZA 2013, 1248, 1249; zweifelnd auch Lipinski, NZA 2013, 1245, 1246 f. 124 Giesen, FA 2012, 66, 68.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern191
unionsrechtlichen Vorgaben zur Sicherstellung eines Mindestmaßes an Sozialschutz der Leiharbeitnehmer entsprochen und einem rechtsmissbräuchlichen Einsatz von Leiharbeitnehmern effektiv begegnet werden. Auf sonstige Formen des drittbezogenen Personaleinsatzes findet das Verbot der dauerhaften Überlassung keine Anwendung. Mit der Beschränkung der Überlassung auf vorübergehende Zeiträume folgt die Richtlinie 2008 / 104 / EG der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Leiharbeit als einer Form der Dienstleistungsfreiheit. Angelehnt ist sie außerdem an die Rechtsprechung zur Entsendung von Arbeitnehmern im transnationalen Bereich. Daran ändert auch das Fehlen einer genuinen Sanktionsnorm nichts, weil ein Verstoß gegen das Verbot der dauerhaften Überlassung nicht gänzlich ohne Rechtsfolgen bleibt. Die in dem Verbot der dauerhaften Überlassung liegende Einschränkung der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 GRC ist dadurch gerechtfertigt, dass sie dem übergeordneten Gemeinwohl der Schaffung gesunder, sicherer und würdiger Arbeitsbedingungen im Sinn von Art. 31 GRC dient. Indem die Überlassungsdauer auf einen „vorübergehenden“ Zeitraum beschränkt bleibt, stehen das Interesse der Leiharbeitnehmer an gesunden, sicheren und würdigen Arbeitsbedingungen aufgrund der implementierten „Equal Pay / Equal Treatment“-Grundsätze zur Sicherung des Sozialschutzes der Leiharbeitnehmer zur Gewährleistung gerechter und angemessener Arbeitsbedingungen mit dem unternehmerischen Interesse an einem flexiblen Personaleinsatz in einem verhältnismäßigen Ausgleich. Gleichzeitig wird die Regelung einer zeitliche variablen Überlassungsdauer dem europarechtlichen und dem grundgesetzlichen Willkürverbot gerecht. Schließlich ist durch den behördlichen und gerichtlichen Kontrollvorbehalt sichergestellt, dass die Leiharbeitnehmerrechte, aber auch die unternehmerische Freiheit der entleihenden und der verleihenden Betriebe geschützt werden.125 b) Die vorübergehende Überlassung als Abgrenzungsmerkmal zur Arbeitsvermittlung Das Merkmal der „vorübergehenden“ Überlassung von Leiharbeitnehmern dient nach einer in der Literatur vordringenden Ansicht der Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung zur Arbeitsvermittlung. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4.4.1967 wurde die Arbeitsvermittlung von der Arbeitnehmerüberlassung ursprünglich danach abgegrenzt, ob der über125 Nach dem EuGH, Urteil vom 17.3.2015 – Az. C-533/13 [AKT], besteht allerdings keine Pflicht der nationalen Gerichte, die Leiharbeit untersagende oder einschränkende Regelungen unangewendet zu lassen.
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
lassene Arbeitnehmer in den Betrieb des Entleihers arbeitsrechtlich integriert wird oder in einer arbeitsrechtlichen Beziehung zum Verleiher bleibt und dieser zugleich weiterhin das Arbeitgeberrisiko trägt.126 Nur im letzteren Fall sollte Arbeitnehmerüberlassung vorliegen. War die Arbeitgeberstellung des Entleihers hingegen zweifelhaft, wurde und wird weiterhin widerlegbar vermutet, dass der überlassende Unternehmer Arbeitsvermittlung betreibt, § 1 Abs. 2 AÜG. In Zusammenschau mit § 13 AÜG a. F. wurde zugleich wie im Fall der echten Arbeitsvermittlung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem überlassenen Arbeitnehmer und dem entleihenden Unternehmer fingiert.127 Nach § 35 Abs. 1 S. 2 SGB III wird Arbeitsvermittlung derart legal definiert, dass sie alle Tätigkeiten umfasst, die darauf gerichtet sind, Ausbildungssuchende mit Arbeitgebern zur Begründung eines Ausbildungsverhältnisses und Arbeitsuchende mit Arbeitgebern zur Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses zusammenzuführen, ohne dass es dabei darauf ankommt, ob der angestrebte Vermittlungserfolg auch tatsächlich eintritt. Erfasst wird also lediglich die Kontaktvermittlung, ohne dass es auf einen Vertragsschluss zwischen Arbeitgeber und Arbeitssuchendem ankommt.128 Entgegen der Ansicht Boemkes lehnt die überwiegende Literatur eine Einbeziehung der nicht nur vorübergehenden, also dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung in den sachlichen Anwendungs- und damit in den Schutzbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG und schließlich auch des AÜG ab. Stattdessen sollen in den Fällen der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung die Regelungen über die Arbeitsvermittlung Anwendung finden.129
126 BVerfGE
21, 261, 267 f. 60, 205; BAG, AP Nr. 4 zu § 13 AÜG. Nach der Aufhebung von § 13 AÜG a. F. war umstritten, ob aus der Regelung in § 1 Abs. 2 AÜG a. F. das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem überlassenen Arbeitnehmer und dem entleihenden Unternehmer fingiert werden konnte. Das Bundesarbeitsgericht lehnte die Fiktion eines solchen Arbeitsverhältnisses entgegen der vorangegangenen Rechtsprechung allerdings ab, BAGE 95, 165, 167 ff.; BAGE 105, 317, 321 ff. 128 ErfK18/Wank, § 1 AÜG, Rdn. 51; BrandSGB/Brand, SGB III, § 35, Rdn. 16. 129 Hamann, EuZA 2009, 287, 312; Hamann, RdA 2011, 321, 326; Ulber, ArbuR 2010, 10, 11; Ulber3, AÜG, § 1, Rdn. 230e; Schüren/Wank, RdA 2011, 1, 3; Leuchten, NZA 2011, 608, 609. 127 BAGE
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern193
c) Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zur „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG aa) Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichte Die Rechtsprechung der Arbeits- und Landesarbeitsgerichte stellte sich bis zu den grundlegenden Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 2013 uneinheitlich dar. Vorrangig hatten sich die Gerichte für Arbeitssachen bislang in Verfahren zur Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zu einer personellen Maßnahme nach § 99 Abs. 4 BetrVG inzident mit der Frage befasst, ob § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG ein Verbotsgesetz im Sinne von § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG für die Fälle der dauerhaften Überlassung enthält, welches ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats zur Folge hat. Damit ist die inzidente Frage nach der Unzulässigkeit der dauerhaften Überlassung und nach den maßgeblichen Kriterien für eine zulässige vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung verbunden. Nur solche personellen Maßnahmen stellen einen hinreichenden Verstoß dar und führen zu einem Zustimmungsverweigerungsrecht, wenn sie selbst gegen eine gesetzliche oder tarifliche Verbotsnorm oder gegen sonstige Normen verstoßen, die eine vom Gesetzgeber gewünschte Verhaltensweise missbilligen.130 Dabei ist indes zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Zulässigkeit der personellen Einzelmaßnahme selbständig nach den für sie einschlägigen Regeln zu beurteilen und zudem nur eines von mehreren maßgeblichen Kriterien für den Inhalt und den Umfang der Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers ist, wie sich bereits aus der Aufzählung der Verweigerungsgründe in § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG ergibt. Auch wenn die Frage der Zulässigkeit der personellen Maßnahme eine notwendige klärungsbedürftige Vorfrage für das Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats darstellt, sind beide Rechtsfragen dennoch getrennt zu klären. An den Inhalt und den Umfang der Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG sind dabei mitunter strengere Anforderungen geknüpft als an die Zulässigkeit der personellen Maßnahme, weil der Betriebsrat in die Lage versetzt werden muss, prüfen zu können, ob einer der Zustimmungsverweigerungsgründe im Sinne 130 BAG, NZA 2009, 1156, 1158 und NZA 2011, 1435, 1437, wobei in den entschiedenen Fällen ein Zustimmungsverweigerungsrecht bei einem Verstoß gegen den Equal Pay-/Equal Treatment-Grundsatz verneint wurde; ErfK18/Kania, § 99 BetrVG, Rdn. 23 f.
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
von § 99 Abs. 2 BetrVG vorliegt.131 So war schon nach der früheren, eine unbefristete Überlassung gestattenden AÜG-Gesetzeslage erforderlich, dass der Betriebsrat – neben den persönlichen Angaben zum Leiharbeitnehmer – auch darüber unterrichtet wurde, wie oft, wie lange und in welchem zeitlichen Umfang der betreffende Leiharbeitnehmer eingesetzt werden soll, um die Auswirkungen der Überlassung für die Stammbelegschaft einschätzen zu können.132 Daran hat sich gerade nach der Gesetzesänderung des AÜG im Jahr 2011 nichts geändert, und zwar unabhängig davon, welche Bedeutung dem Merkmal „vorübergehend“ beigemessen wird133, weil der Betriebsrat auch weiterhin die Auswirkungen des Fremdpersonaleinsatzes für die Stammbelegschaft abwägen können muss. Nach der überwiegenden arbeitsgerichtlichen und landesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung wird ein Gesetzesverstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG und daran anknüpfend ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats bejaht, wenn durch die beabsichtigte Arbeitnehmerüberlassung ein reiner Beschäftigungsbedarf abgedeckt werden soll, der dauerhafte Leiharbeitnehmereinsatz zur Umgehung tariflicher Arbeitsbedingungen führt und sich infolgedessen als missbräuchlich herausstellt.134 Andererseits halten einige Landesarbeitsgerichte den Einsatz von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen nicht schlechthin für ausgeschlossen, sofern nur der arbeitsplatzbezogene Einsatz vorübergehend erfolgt.135
131 BAG, NZA 2005, 827, 829; BAG, NJOZ 2010, 2612, 2615; BAG, NZA 2011, 418, 419; BAG, NZA 2011, 1435, 1437. 132 BAG, NZA 2011, 871, 873; BAG, NZA 2011, 1435, 1437; Schüren/Hamann4, AÜG, § 14, Rdn. 159. 133 Zutreffend Hamann, jurisPR-ArbR 1/2013 Anmerkung 4. 134 LAG Berlin-Brandenburg, BB 2013, 116; LAG Berlin Brandenburg, Beschlüsse vom 1.3.2013 – Az. 9 TaBV 2112/12, und vom 9.1.2013 – Az. 24 TaBV 1868/12 und Az. 24 TaBV 1869/12; LAG Niedersachsen, AiB 2013, 130; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2012 – Az. 11 Sa 84/12; ArbG Offenbach, AiB 2012, 685; a. A. noch ArbG Leipzig, AiB 2012, 402 und in den Urteilen vom 23.3.2012 – Az. 5 BV 85/11 und Az. 3 BV 84/11. Offengelassen in den Entscheidungen von LAG Düsseldorf, AiB 2013, 203; LAG Niedersachsen, Beschluss vom 16.11.2011 – Az. 17 TaBV 99/11. 135 LAG Berlin-Brandenburg, BB 2013, 116; LAG Berlin-Brandenburg, NZA-RR 2013, 234; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1.3.2013 – Az. 9 TaBV 2112/12; LAG Niedersachsen, AiB 2013, 130. Dieser Ansicht folgend ArbG Frankfurt/Oder, Urteil vom 17.4.2013 – Az. 6 Ca 1754/12; ArbG Cottbus, Urteil vom 24.4.2013 – Az. 2 Ca 424/12.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern195
bb) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner mittlerweile als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung in der von vornherein auf Dauer angelegten Überlassung von Leiharbeitnehmern einen Verstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG gesehen und demzufolge ein Zustimmungsverweigerungsrecht für den Betriebsrat nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG angenommen.136 Damit kommt dem Bundesarbeitsgericht zufolge dem Merkmal „vorübergehend“ nicht bloß deklaratorischer Charakter, etwa im Sinne eines unverbindlichen Programmsatzes, sondern eine normative Wirkung zu. Gleichzeitig ist § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG als Verbotsgesetz im Sinne von § 99 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 BetrVG anzusehen, welches ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats jedenfalls im Fall der beabsichtigten dauerhaften, gegebenenfalls auch substituierenden, Arbeitnehmerüberlassung zur Folge hat.137 Das Bundesarbeitsgericht stützt seine Auffassung im Wesentlichen auf die Gesetzessystematik und die Entstehungsgeschichte von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG. Ausgehend vom Willen des Gesetzgebers, die Richtlinie 2008 / 104 / EG, die eine mehr als vorübergehende Leiharbeit ausschließt, vollständig in nationales Recht umzusetzen, läuft eine Regelung ohne normative Wirkung ins Leere.138 Gleichzeitig spricht der unterschiedliche Zeitpunkt des Inkrafttretens der einzelnen Regelungen des AÜG dafür, dass der Gesetzgeber selbst der Regelung in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG nicht bloß deklaratorische Bedeutung beigemessen hat.139 Zudem stehen einem Verbot der dauerhaften Überlassung auch nicht das Grundrecht der Verleiher und Entleiher auf Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG und das Recht auf unternehmerische Freiheit gemäß Art. 16 GRC entgegen, weil Eingriffe in diese Rechte zum Schutz überwiegender Interessen des Gemeinwohls, namentlich dem Schutz der Leiharbeitnehmer, verhältnismäßig und damit gerechtfertigt sind.140 Inwieweit die Richtlinie 2008 / 104 / EG selbst ein unionsrechtliches Verbot der nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung enthält, haben der Erste und der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts bislang offengelassen mit der Begründung, dass der nationale Gesetzgeber jedenfalls nicht daran 136 BAG, DB 2013, 2334; BAGE 145, 355 = DB 2013, 2629; BAGE, 146, 384 = DB 2014, 548; BAG, NZA 2015, 240. 137 BAG, DB 2013, 2334; BAGE 145, 355; BAGE 146, 384; BAG, NZA 2015, 204. Ablehnend Lembke/Ludwig, NJW 2014, 1329, 1332; Thüsing, NZA 2013, 1248; Lipinski, NZA 2013, 1245, 1246; die Frage offenlassend Nießen/Fabritius, NJW 2014, 263. 138 Grundlegend BAGE 145, 355; bestätigt von BAGE 146, 384; BAG, NZA 2013, 1267; BAG, NZA 2014, 196; BAG, NZA 2015, 240. 139 BAGE, 145, 355, 363 ff. 140 BAGE, 145, 355, 363 ff.
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
gehindert ist, ein solches Verbot nationalgesetzlich zu statuieren, so wie das Bundesarbeitsgericht eine solche Verbotsnorm in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG angenommen hat.141 Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts sah in dieser richterlichen Rechtsfortbildung keinen Verstoß gegen das Normverständnis der Richtlinie 2008 / 104 / EG.142 In der Konsequenz sah das Bundesarbeitsgericht schließlich auch von einer Vorlage dieser Frage zur Vorabentscheidung an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 EUV ausdrücklich ab, weil nach seiner Ansicht keine unionsrechtlichen Bedenken gegen die von ihm vorgenommene Auslegung von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG bestehen.143 Weitergehende Überlegungen zu spezifischen Abgrenzungsmerkmalen zur Differenzierung der lediglich „vorübergehenden“ von der nicht (mehr) vorübergehenden Überlassung brauchte das Bundesarbeitsgericht in den entschiedenen Fällen nicht vorzunehmen, weil die Leiharbeitnehmer von den Entleihbetrieben von vornherein ohne jede zeitliche Beschränkung dauerhaft auf einem vorhandenen Stammarbeitsplatz beschäftigt wurden und die Überlassung somit evident dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG zuwiderlief. Eine konkretisierende Inhaltsbestimmung des Merkmals „vorübergehend“ durch das Bundesarbeitsgericht steht damit weiterhin aus. d) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aa) Die Rechtsprechung zu Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG Nach dem Europäischen Gerichtshof enthält Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 140 / EG einen Regelungsrahmen für die Mitgliedstaaten, innerhalb dessen sie Verbote und Einschränkungen von Leiharbeit festlegen können. Eine bestimmte Regelung wird den Mitgliedstaaten nicht vorgeschrieben. Den Behörden obliege daher die Überprüfung und Sicherstellung, dass Verbote und Einschränkungen des Leiharbeitnehmereinsatzes gerechtfertigt sind.144 Seine Sichtweise – vor allem hinsichtlich der alleinigen Zuständigkeit der Behörden unter Ausschluss der Zuständigkeit der nationalen Gerichte – begründet der Europäische Gerichtshof mit einer Gesamtschau von Art. 4 Abs. 1 im Zusammenhang mit den Absätzen 2 und 3 der Richtlinie 2008 / 104 / EG. Wie das Merkmal „vorübergehend“ zur Bestimmung der zu141 BAGE,
145, 355, 363 ff.; BAG, NZA 2015, 240. NZA 2015, 240, 242. 143 BAGE 145, 355, 370, verneint eine Vorlagepflicht wegen der seiner Ansicht nach hinreichend klaren unionsrechtlichen Regelung. Kritisch dazu Lembke, NZA 2013, 815, 820; Thüsing, NZA 2013, 1248, 1249; Zimmermann, NZA 2015, 528, 529. 144 EuGH, Urteil vom 17.3.2015 – Az. C-533/13 [AKT]. 142 BAG,
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern197
lässigen Höchstüberlassungsdauer zu verstehen sein soll, hat der Europäische Gerichtshof indes nicht beantwortet, so dass das Verständnis dieses Merkmals auch unionsrechtlich bislang unbestimmt und offen ist. Keine Beachtung fanden deshalb auch die in Art. 2 der Richtlinie 2008 / 104 / EG in Bezug genommenen „Flexicurity“-Grundsätze, welche den Entleihbetrieben ihrerseits ein Mindestmaß an unternehmerischem Spielraum für den Einsatz von Leiharbeit als an sich anerkanntem Personalmodell gewährleisten sollen. bb) Die Rechtsprechung zur Befristungsrichtlinie 1999 / 70 / EG und EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung Die Befristungsrichtlinie 1999 / 70 / EG, die in Umsetzung der EGBUNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung vom 18.3.1999 über befristete Arbeitsverträge145 den Schutz und die Diskriminierungsfreiheit von befristet Beschäftigten sicherstellen soll, ist bereits ihrem Präambelwortlaut nach auf mittels Leiharbeit Beschäftigte nicht anwendbar.146 Auch nach § 3 Nr. 1 der inkorporierten Rahmenvereinbarung beziehen sich die Rahmenvereinbarung und folglich auch die Befristungsrichtlinie 1999 / 70 / EG nur auf befristet beschäftigte Arbeitnehmer mit einem direkt zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer geschlossenen Arbeitsvertrag. Infolgedessen entschied der Europäische Gerichtshof, dass die befristeten Arbeitsverhältnisse eines Leiharbeitnehmers, der einem entleihenden Unternehmen durch ein Leiharbeitsunternehmen zur Verfügung gestellt wird, nicht in den Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung und damit auch nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 1999 / 70 / EG fallen.147 Jedoch müssen im Dreiecksverhältnis bei der Arbeitnehmerüberlassung stets die Arbeits- und Vertragsverhältnisse zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher, zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher sowie zwischen Verleiher und Entleiher auseinandergehalten werden. Während zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher kein Arbeitsverhältnis zustande kommt, besteht ein solches Verhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher als dessen Vertragsarbeitgeber. Eine denkbare Übertragung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Anwendbarkeit der Befristungsrichtlinie 1999 / 70 / EG auf die Fälle der Arbeitnehmerüberlassung kommt daher allenfalls im Verhältnis zwischen 145 ABl.
Nr. L 175, S. 43. 4 der Präambel der EGB-UNICE-CIPE-Rahmenvereinbarung lautet: „Die Vereinbarung gilt für Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnissen mit Ausnahme derer, die einem Unternehmen von einer Leiharbeitsagentur zur Verfügung gestellt werden.“ Einig waren sich die Unterzeichner der Rahmenvereinbarung allein in der Absicht, eine der Rahmenvereinbarung vergleichbare Regelung zum Schutz von Leiharbeitnehmern in Erwägung zu ziehen. 147 EuGH, Urteil vom 11.4.2013 – Az. C-290/12 [Della Rocca]. 146 Absatz
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher in Betracht, weil zwischen diesen Parteien kein unmittelbares arbeitsvertragliches Rechtsverhältnis besteht und folglich schon der persönliche Anwendungsbereich von § 3 Nr. 1 der Richtlinie 1999 / 70 / EG nicht eröffnet ist.148 Im Verhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher wird der Leiharbeitnehmer als „normaler“ Arbeitnehmer vom Anwendungsbereich des § 3 Nr. 1 der inkorporierten Rahmenvereinbarung erfasst, weshalb auch das TzBfG in diesem Rechtsverhältnis zur Anwendung kommen kann.149 Aufgrund der im Überlassungs-„Dreieck“ tatbestandlich nur im Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher zur Anwendung kommenden Befristungsrichtlinie 1999 / 70 / EG ist die Aussagekraft der Richtlinie und diejenige der „Della Rocca“-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für das Verständnis von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG indes eher eingeschränkt. Sofern manche Autoren aus der Richtlinie und der „Della Rocca“Entscheidung eine Auslegung des Merkmals „vorübergehend“ in Anlehnung an die Befristungsregeln von § 14 TzBfG schlussfolgern wollen und zum Teil sogar die zeitliche Deckung von Arbeitsvertrag und Überlassung ähnlich einem Synchronisationsverbot als Ausschlusskriterium verstehen wollen, werden sowohl die tatbestandliche Reichweite der Richtlinie 1999 / 70 / EG in ihrer Anwendbarkeit auf das Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher überdehnt sowie das Merkmal „vorübergehend“ in mit dem Unionsrecht nicht konformer Weise zu eng anhand der Befristungsvoraussetzungen ausgelegt. Konzise Rückschlüsse auf ein Verbot der dauerhaften Überlassung können der Richtlinie 1999 / 70 / EG und der „Della Rocca“-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ebenfalls nicht entnommen werden.150 cc) Die Rechtsprechung zu Art. 57 Abs. 3 AEUV Das Überlassen von Arbeitnehmern unterfällt zwar nicht dem Schutzbereich der unionsweit gewährleisteten Freizügigkeit nach Art. 45 AEUV. Sie ist aber Bestandteil der Dienstleistungs- und der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 ff. und 56 ff. AEUV, was sich vor allem aus der Schutzgarantie in Art. 57 Abs. 3 AEUV ergibt.151 Nach Art. 57 Abs. 3 AEUV kann der Dienst148 Lembke,
NZA 2013, 815, 817. NZA 2013, 1214. Dem Bundesarbeitsgericht zustimmend und zugleich kritisch zur Ansicht des Europäischen Gerichtshofs Greiner, NZA 2014, 284. 150 So aber Thüsing, NZA 2013, 1248. Ebenso Lembke, NZA 2013, 815, 820, der die „Della Rocca“-Entscheidung bei der europarechtskonformen Auslegung von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG berücksichtigen will und nur die befristungsrechtlichen Ansätze und ein Verbot der nicht vorübergehenden Überlassung ablehnt, ohne jedoch Kriterien für das Verständnis des Merkmals „vorübergehend“ zu benennen. 151 Giesen, FA 2012, 66; Krannich/Simon, BB 2012, 1414, 1416. 149 BAG,
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern199
leistende zum Zweck der Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem Mitgliedstaat ausüben, in dem die Leistung erbracht wird, und zwar unter den Voraussetzungen, welche dieser Mitgliedstaat für seine eigenen Angehörigen zum Erwerb der Berufsqualifikation vorschreibt. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Rechtsprechung zur vorübergehenden staatsübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen nach Art. 57 Abs. 3 AEUV im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit im Interesse eines einheitlichen Begriffsverständnisses auf die Arbeitnehmerüberlassung Anwendung finden kann. Die Verwendung des identischen Begriffs „vorübergehend“ sowohl in Art. 57 Abs. 3 AEUV als auch in der Richtlinie 2008 / 104 / EG sowie der identische räumlich-sachliche Regelungsbereich von Art. 57 AEUV und der Richtlinie 2008 / 104 / EG sprechen dafür, die Rechtsprechung des Europäisches Gerichtshofs zu Art. 57 Abs. 3 AEUV zum Zweck eines unionsweit rechts einheitlichen Verständnisses auch auf die Richtlinie 2008 / 104 / EG zu übertragen.152 Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat schließlich bei der unionsweiten Anerkennung von in den Mitgliedstaaten erworbenen Berufsqualifikationen – so die Richtlinie 2005 / 36 / EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen vom 7.9.2005153 – Berücksichtigung und damit zugleich Anerkennung durch den Richtliniengeber gefunden.154 Das Merkmal der vorübergehenden Dienstleistungserbringung im Sinn von Art. 57 Abs. 3 AEUV hat der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung dahingehend konkretisiert, dass neben der Dauer der Dienstleistung auch ihre Häufigkeit, regelmäßige Wiederkehr oder Kontinuität zu berücksichtigen sind.155 Eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit kann nur bei zwingenden Gründen des Allgemeininteresses und auch nur im Fall ihrer Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein. Danach ist an sich auch eine länger andauernde, mitunter mehrjährige Dienstleistungserbringung zulässig, sofern keine zwingenden Allgemeininteressen entgegenstehen.156 Eine Beschränauch Krannich/Simon, BB 2012, 1416. L 255/22. 154 Nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2005/36/EG wird der vorübergehende und gelegentliche Charakter der Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen im Einzelfall beurteilt, vor allem anhand der Dauer, der Häufigkeit, der regelmäßigen Wiederkehr und der Kontinuität der Dienstleistung. Ähnliches betont auch der Erwägungsgrund 77 der Richtlinie 2006/123/EG über die Erbringung von Dienstleistungen im Binnenmarkt. 155 EuGH, NJW 1996, 579, 580 [Gebhard]; EuGH, EuZW 2000, 763; EuGH, EuZW 2003, 344, 346 f.; EuGH, NVwZ 2004, 206, 207 [Schnitzer] zur gleichlautenden Vorgängerregelung in Art. 50 Abs. 3 EUV; EuGH, Urteil vom 17.12.2015 – Az. C-342/14 [Grenzüberschreitende Hilfeleistung in Steuersachen ohne physische Präsenz im Inland]. 156 EuGH, NJW 1996, 579, 580 [Gebhard]; EuGH, EuZW 2000, 763; EuGH, EuZW 2003, 344, 346 f.; EuGH, NVwZ 2004, 206, 207 [Schnitzer] zur gleichlauten152 So
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
kung der Dienstleistungsfreiheit kann somit nicht allein durch ein zeitliches Moment erfolgen, sondern bedarf stets einer sachlichen Rechtfertigung. Solche zwingenden Gründe können beispielsweise der Verbraucherschutz oder der Arbeitnehmerschutz, dort vor allem der Leiharbeitnehmerschutz, sein. Maßgeblich ist dabei auch der Wille der beteiligten Parteien. Eine nicht bloß vorübergehende, sondern dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung liegt sonach vor, wenn das verleihende und entleihende Unternehmen von vornherein den Willen haben, den Leiharbeitnehmer dauerhaft auf unbestimmte Zeit zu überlassen.157 Dieses Verständnis muss in richtlinienkonformer Anwendung und zum Zweck eines einheitlichen Begriffsverständnisses auch im Hinblick auf § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG zugrunde gelegt werden, andernfalls bliebe das nationale Recht hinter dem europarechtlichen Schutzbereich zurück. Ein solcher Wille des deutschen Gesetzgebers, mit den im AÜG vorgenommenen Änderungen hinter den Vorgaben der Richtlinie 2008 / 104 / EG zurückzustehen, kann indes den Gesetzesmaterialien nicht entnommen werden. Im Gegenteil wollte der Gesetzgeber vielmehr eine Vollharmonisierung des AÜG mit der Richtlinie 2008 / 104 / EG erreichen.158 e) Die Auslegung des Merkmals „vorübergehend“ Die Auslegung des Merkmals „vorübergehend“ ist verknüpft mit der Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung von der Arbeitsvermittlung. Die in § 1 Abs. 2 AÜG enthaltene Vermutung, der nach früherer Auffassung i. V. m. § 13 AÜG a. F. die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und entleihendem Unternehmer entnommen wurde, verlor nach dem Wegfall von § 13 AÜG a. F. zwar die Grundlage für die Fiktion des Arbeitsverhältnisses, wurde andererseits aber auch nicht als völlig funktionslos angesehen.159 Selbst wenn das Anliegen, die dauerhaft überlassenen Leiharbeitnehmer in den Schutzbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG und in den Anwendungsbereich des AÜG einzubeziehen, nachvollziehbar und an sich begrüßenswert ist, stößt diese Ansicht dennoch an die Grenzen des zu beachtenden Wortlauts der Richtlinie 2008 / 104 / EG und der europarechtskonformen Auslegung des AÜG. Sowohl Art. 1 Abs. 1 als auch Art. 3 Abs. 1 lit. b) bis e) der Richtlinie den Vorgängerregelung in Art. 50 Abs. 3 EUV; EuGH, Urteil vom 17.12.2015 – Az. C-342/14 [Grenzüberschreitende Hilfeleistung in Steuersachen ohne physische Präsenz im Inland]. Krannich/Simon, BB 2012, 1414, 1416; ebenso Lipinski/Praß, BB 2014, 1465, 1466. 157 Giesen, FA 2012, 66; Krannich/Simon, BB 2012, 1414, 1416. 158 BT-Drs. 17/4804, S. 8. 159 Schüren/Hamann4, AÜG, § 1, Rdn. 366.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern201
2008 / 104 / EG und die richtlinienkonform auszulegende Vorschrift in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG sprechen von „vorübergehender“ Arbeitnehmerüberlassung. Die Fälle der dauerhaften, also von vornherein zeitlich unbegrenzten Überlassung von Arbeitnehmern an ein entleihendes Unternehmen werden vom Wortlaut der Leiharbeitsrichtrichtlinie nicht mehr erfasst. Auch die legal-definitorischen Begriffsbestimmungen in Art. 3 Abs. 1 lit. b) bis e) der Richtlinie 2008 / 104 / EG erwähnen eine dauernde Überlassung nicht. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wer nicht vorübergehend überlässt, ist im Sinne der Richtlinie 2008 / 104 / EG nicht Leiharbeitsunternehmer; wer nicht vorübergehend überlassen wird, ist nicht Leiharbeitnehmer; an wen nicht vorübergehend überlassen wird, ist kein entleihendes Unternehmen im Sinne der Richtlinie 2008 / 107 / EG. Folglich liegt in diesen Fällen der dauerhaften, nicht bloß zeitigen Arbeitnehmerüberlassung bereits begriffsterminologisch keine Überlassung im Sinne der Richtlinie 2008 / 104 / EG und damit auch nicht im Sinne des AÜG vor. Wenn hingegen der vorübergehende Zustand der Überlassung als ein dem deutschen Modell der Arbeitnehmerüberlassung bereits immanentes Merkmal angesehen wird und in der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung demnach auch kein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG zu erkennen sein soll160, wird bei dieser Ansicht nicht berücksichtigt, dass die im Zeitpunkt der Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG geltende frühere Fassung des AÜG eine zeitliche Höchstüberlassungsdauer gerade nicht mehr kannte. Vielmehr erfolgte erst wieder im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG in nationales Recht in das AÜG eine erneute Implementierung einer zeitlichen Komponente. Insoweit stellt eine nicht bloß zeitweilige, mithin dauerhafte Überlassung einen Verstoß gegen die europäische Richtlinie 2008 / 104 / EG und das AÜG dar. Zwar knüpft der gesamte Gesetzeswortlaut des AÜG an den Verstoß keine ausdrückliche Sanktionsfolge an. Allein dieser Umstand führt indes nicht zur materiell-rechtlichen Bedeutungslosigkeit dieses Merkmals. Andernfalls müsste die normative und tatbestandliche Signifikanz verneint werden, die Frage nach dem Regelungsinhalt des Merkmals „vorübergehend“ wäre obsolet. Zusammengefasst, es fehlte bei diesem Verständnis von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG dem Merkmal „vorübergehend“ an einer inneren Rechtfertigung. Das Merkmal könnte dann allenfalls als ein Regelbeispiel für ein zulässiges Modell der Überlassung im Fremdpersonaleinsatz aufgefasst werden, ohne jedoch wie sonst gesetzgeberisch üblich als Regelbeispiel benannt zu sein.161 Dieses Ergebnis kann den Gesetzesmaterialien jedoch nicht 160 Huke/Neufeld/Luickhardt,
BB 2012, 961, 964. diesem Verständnis Lembke, DB 2011, 414, 145, der das Merkmal „vorübergehend“ als bloßen „Programmsatz“ versteht, dem allenfalls eine deskriptive oder bestenfalls klarstellende Funktion zukommen soll. 161 Mit
202
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
entnommen werden und entspricht auch nicht dem gesetzgeberischen Willen. Denn anderenfalls hätte das Merkmal „vorübergehend“ keine so beachtliche Erwähnung in der Gesetzesbegründung gefunden.162 Wenn schließlich darauf verwiesen wird, der Gesetzgeber habe bewusst keine einschränkenden Regelungen in das AÜG aufnehmen wollen163, wird außer Betracht gelassen, dass der Gesetzgeber selbst in der Gesetzesbegründung von einer neu einzuführenden „Zeitkomponente“ spricht, die unter Verzicht auf eine starre Höchstüberlassungsdauer „flexibel“ gestaltet sein soll.164 Dieses gesetzgeberische Ansinnen war vor dem Hintergrund der Harmonisierung der gesetzlichen Regeln des AÜG mit der Richtlinie 2008 / 104 / EG – und der damit einhergehenden Änderung der materiellen Rechtslage gegenüber der vorangegangenen Fassung des AÜG – nur im Wege einer materiellen Rechtsänderung umsetzbar. Andernfalls hätte schon von vornherein kein Regelungsbedarf bestanden, der eine Gesetzesänderung und Vollharmonisierung im Sinne der Leiharbeitsrichtlinie erforderlich gemacht hätte. aa) Der Wortlaut der Richtlinie 2008 / 104 / EG und des AÜG Sowohl der Wortlaut der Richtlinie 2008 / 104 / EG als auch des AÜG lassen eindeutige Rückschlüsse auf den Inhalt und die Bedeutung des Merkmals „vorübergehend“ nicht zu. Allgemeinsprachlich wird dem Wort „vorübergehend“ die Bedeutung eines nur zeitweilig, eine gewisse Zeit andauernden oder momentanen Zustands beigemessen.165 Dadurch gelingt jedoch lediglich eine negative Abgrenzung zur dauerhaften und zeitlich unbefristeten Überlassung. Weil der Richtliniengeber und in der Folge der deutsche Gesetzgeber eine zeitlich bemessene Höchstüberlassungsgrenze bislang nicht vorgesehen haben, bis zu welcher die vorübergehende Überlassung zulässig sein soll, kann allein aus den objektiven Umständen der Leiharbeitnehmerüberlassung keine Fixierung einer trennscharfen Ausgestaltung des zeitlichen Moments der Überlassung gezogen werden. Entscheidendes Gewicht für die Bestimmung der zeitlichen Komponente kommt somit dem subjektiven Willen der an der Arbeitnehmerüberlassung vertraglich beteiligten Entleiher und Verleiher zu. Maßgeblich ist dabei der zum Zeitpunkt der Überlassung oder im Zeitpunkt des Abschlusses des Überlassungsvertrags geäußerte Wille der Beteiligten, den Leiharbeitnehmer auf Dauer oder 162 BT-Drs.
17/4804, S. 8.
163 Huke/Neufeld/Luickhardt,
BB 2012, 961, 964. 17/4804, S. 8. 165 So nach Duden, Die deutsche Rechtschreibung, online verfügbar unter http:// www.duden.de/rechtschreibung/voruebergehend. 164 BT-Drs.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern203
nur für einen bestimmten Zeitraum zu überlassen.166 Dieser kann sich dabei aus der Art oder dem Zweck des Leiharbeitsverhältnisses zwischen dem Leiharbeitsunternehmer und dem Leiharbeitnehmer im Sinne von § 11 AÜG ergeben, wobei nach § 11 Abs. 1 S. 1 AÜG i. V. m. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 NachwG die voraussichtliche Dauer des Leiharbeitsverhältnisses bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen in die Vertragsurkunde aufzunehmen ist. Andererseits kann und muss sich künftig der Wille zur lediglich vorübergehenden Überlassung der Leiharbeitnehmer aus der vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Verleiher und dem Entleiher im Sinne von § 12 AÜG ergeben. Aus dem schriftlichen Vertrag im Sinne von § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG muss sich das gesamte Rechtsgeschäft einschließlich aller Hauptpflichten, der wichtigsten Nebenpflichten, eventueller Vorverträge sowie aller Nebenabreden entnehmen lassen.167 Zwar regelt § 12 AÜG das Schriftformgebot sowie die Aufklärungs- und Hinweispflichten des Entleihers, spezifische Vorgaben zum Inhalt des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags finden sich in der Norm und auch im übrigen AÜG hingegen nicht. Wie auch schon nach der früheren AÜG-Gesetzeslage ergibt sich der Kanon der gegenseitigen Leistungspflichten in einer Zusammenschau mit § 1 Abs. 1 AÜG. Die Gestaltung der vertraglichen Vereinbarung ist den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen und kann sich dabei je nach den Umständen und den Einzelheiten des Überlassungsverhältnisses an § 3 Abs. 1 S. 2 Var. 1 und 2 TzBfG sowie § 14 Abs. 2 TzBfG orientieren.168 Zur Beantwortung der Frage, ob die Arbeitnehmerüberlassung vorübergehend erfolgt, ist daher auf den sich aus dem Überlassungsvertrag entnehmbaren Willen der Vertragsschließenden abzustellen, nämlich ob die Überlassung dauerhaft oder zeitlich limitiert erfolgen soll oder ob der zeitliche Rahmen der Überlassung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch ungewiss ist. Dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG und § 1 Abs. 1 AÜG kann jedoch nicht entnommen werden, wo die zeitliche Grenze der Arbeitnehmerüberlassung gezogen werden soll, weil der Richtlinien- und der Gesetzgeber auf die Regelung einer Höchstüberlassungsdauer gerade verzichtet haben. Selbst mehrjährige Überlassungen können folglich grundsätzlich noch als vorübergehend und damit vom Wortlaut der Richtlinie 2008 / 104 / EG und des AÜG gedeckt angesehen werden, solange die Vertragsparteien des Überlassungsrechtsverhältnisses nicht von vornherein dauerhaft überlassen wollen oder sich die wiederholte Überlassung nicht letztlich als objektiv rechtsmissbräuchlich herausstellt.169 Leuchten, NZA 2011, 608, 609. AÜG, § 12, Rdn. 19. 168 Hamann, NZA 2011, 70, 72, der allerdings von der Entscheidung des deutschen Gesetzgebers für die „Zweckbefristungs-Lösung“ auszugehen scheint. 169 Ähnlich Hamann, NZA 2011, 70, 72; a. A. Lembke/Ludwig, NJW 2014, 1329, 1332; Thüsing, NZA 2013, 1248; Lipinski, NZA 2013, 1245, 1246. Zur Neuregelung von 2017 siehe Teil I. 166 Ebenso
167 Schüren/Hamann4,
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
bb) Die Entstehungshistorie der Richtlinie 2008 / 104 / EG Die Richtlinie 91 / 383 / EWG zur Ergänzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis vom 25.6.1991170, die ihrem originären Regelungszweck folgend einen besseren Gesundheitsschutz und höhere Sicherheitsstandards auch für Leiharbeitnehmer sicherstellen sollte, erwähnte zwar Leiharbeitsverhältnisse als vom Schutzbereich der Richtlinie erfasste Beschäftigungsverhältnisse171, allerdings ohne Vorgaben oder Erläuterungen, was unter einem Leiharbeitsverhältnis zu verstehen war. Art. 1 der Richtlinie 91 / 383 / EWG lautete: „Diese Richtlinie gilt für … 2. Leiharbeitsverhältnisse zwischen einem Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber einerseits und einem Arbeitnehmer andererseits, wobei letzterer zur Verfügung gestellt wird, um für und unter der Kontrolle eines entleihenden Unternehmens und / oder einer entleihenden Einrichtung zu arbeiten.“
Eine zeitliche Beschränkung wie in der Richtlinie 2008 / 104 / EG enthielt der Richtlinienwortlaut gerade nicht. Der Richtlinienwortlaut des Kommissionsentwurfs zur Richtlinie 2008 / 104 / EG vom 20.3.2002 enthielt ebenfalls noch keine Beschränkung im Hinblick auf die vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG erfassten Leiharbeitsverhältnisse. Art. 1 Abs. 1 des Kommissionsentwurfs lautete172: „Diese Richtlinie gilt für Arbeitsverträge oder Arbeitsverhältnisse zwischen einem Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer, der zur Verfügung gestellt wird, um für ein entleihendes Unternehmen unter dessen Aufsicht zu arbeiten.“
Auch wenn sich anders als in der Endfassung der Richtlinie 2008 / 104 / EG im Wortlaut des Kommissionsentwurfs eine zeitliche Begrenzung der Arbeitnehmerüberlassung noch nicht widerfand, ging die Kommission bereits zu Beratungsbeginn im Regelfall von einer zeitlichen Begrenzung der Leiharbeitnehmerüberlassung aus, weil der durch die Personalplanung motivierte Bedarf für Leiharbeitnehmer seinerseits zeitlich beschränkter Natur ist. Die Kommission kam zu dem Schluss, dass, „selbst wenn auch hier keinerlei konkrete Daten vorliegen, unbedingt darauf hinzuweisen [ist], dass nach der CIETT-Studie die Hauptmotivation der entleihenden 170 Richtlinie 91/383/EWG des Rates vom 25. Juni 1991 zur Ergänzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis (ABl.-EG L 206/19). 171 ABl.-EG L 206/19. Zur Richtlinie 91/383/EWG siehe Fuchs, NZA 2009, 57, 59. 172 KOM (2002), S. 149 endgültig, S. 21.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern205 Unternehmen für den Rückgriff auf Leiharbeitnehmer die Vertretung abwesenden Personals und die Bewältigung eines zeitweilig stärkeren Arbeitsanfalls sind.“173
Es sollte demnach eine anlassbezogene Überlassung erfolgen. Auch wenn der Begriff „vorübergehend“ in diesem frühen Entwurfsstadium der Richtlinie 2008 / 104 / EG noch keine Verwendung fand, stellte die Kommission auf eine „zeitweilig“ erforderliche Überbrückung eines Personalengpasses als Anlass für den Fremdpersonaleinsatz ab. Im Hinblick auf die Absichtserklärungen der „Strategie von Lissabon174“, mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen, ging die Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag davon aus, „dass sie [die Leiharbeit] nur dann einen dauerhaften Antrieb für die Schaffung von Arbeitsplätzen darstellen [kann], wenn sie für die Arbeitnehmer und die Arbeitsuchenden hinreichend attraktiv ist, m. a. W. wenn sie trotz ihres befristeten Charakters … hochwertige Arbeitsplätze bietet.“175
Insoweit trifft es entgegen mancher Autoren nicht zu, dass den Beratungsunterlagen zum Richtlinienentwurf überhaupt keine Hinweise auf den vorübergehenden Charakter des Leiharbeitsmodells entnommen werden können.176 Der Richtliniengeber ging vielmehr – jedenfalls im voranschreitenden Verlauf der Beratungen – vom Grundfall der anlassbezogenen zeitlich begrenzten Überlassung als Regelfall der Überlassung aus und nicht von einem dauerhaften Einsatz von Leiharbeitnehmern. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss EESC ging dagegen in seiner Stellungnahme vom 19.9.2002 nicht auf die zeitliche Begrenzung der Leiharbeitnehmerüberlassung ein.177 Auch der Europäische Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten EMPL unterbreitete in seinem Bericht keinen Vorschlag zu einer zeitlichen Beschränkung der Überlassung.178 Art. 1 Abs. 1 des geänderten Vorschlags für die Richtlinie 2008 / 104 / EG vom 28.11.2002 griff erstmalig auch im Wortlaut der Richtlinie selbst den 173 KOM
(2002), S. 149 endgültig, S. 36 unten. I.5. der Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates vom 23./24.3.2000 in Lissabon, online abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sum mits/lis1_de.htm, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. 175 KOM (2002), S. 149, endgültig, S. 6. 176 So aber Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 488. 177 KOM (2002), S. 149, endgültig – C5-0140/2002 – 2002/0072 (COD), online abrufbar unter http://eescopinions.eesc.europa.eu/eescopiniondocument.aspx?language =de&docnr=1027&year=2002, zuletzt abgerufen am 21.1.2018. 178 Bericht des Ausschusses vom 23.10.2002 (A5-0356/2002 endgültig) zum Vorschlag der Kommission KOM (2002), S. 149 – C5-0140/2002 – 2002/0072 (COD). 174 Punkt
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
Charakter der Leiharbeit als zeitlich begrenztes Strukturierungsinstrument auf. Art. 1 Abs. 1 des geänderten Entwurfs lautete daher179: „Diese Richtlinie gilt für Arbeitnehmer, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Arbeitsverhältnis eingegangen sind und die entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um befristet180 unter deren Aufsicht zu arbeiten.“
In den Begriffsbestimmungen „Leiharbeitnehmer“, „Leiharbeitsunternehmen“ und „entleihendes Unternehmen“ in Art. 3 des geänderten Entwurfs wird erneut das Merkmal der „befristeten“ Überlassung verwendet. Weitere inhaltliche Änderungen wurden im Verlauf der sich anschließenden Beratungen nicht vorgenommen. Der Begriff der „befristeten“ Tätigkeit im Entleiherbetrieb erfuhr zuletzt die Änderung in „vorübergehende“ Tätigkeit in redaktioneller Anpassung des Änderungsantrags Nr. 23 des Europäischen Parlaments.181 Eine inhaltliche Änderung war damit jedoch nicht verbunden. Den Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2008 / 104 / EG hat der deutsche Gesetzgeber schließlich inhaltlich unverändert in § 1 Abs. 1 AÜG übernommen. cc) Das Merkmal „vorübergehend“ bei der privilegierten konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG a. F. Die Vorgängerfassung des geltenden AÜG verwendete den Begriff der „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung als Voraussetzung für die privilegierte nicht-gewerbsmäßige konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung. Nach der vorangegangenen Rechtslage fand das AÜG auf die Fälle der Arbeitnehmerüberlassung zwischen zwei oder mehreren konzerneigenen Unter179 Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern, KOM (2002), S. 701, endgültig, S. 8. 180 Unterstreichung durch den Autor. Die anderen Sprachfassungen enthalten ebenfalls entsprechende Textformulierungen: französisch („temporaire“), englisch („temporarily“), spanisch („temporalmente“), italienisch („temporaneamente“), griechisch „npoawpivd“), bulgarisch („BpeMeHHo“), tschechisch („po pfechodnou dobu“ [„für eine Übergangszeit“]), dänisch („midlertidigt“), estnisch („ajuti-selt“), kroatisch („privremeno“), lettisch („pagaidu“), litauisch („laikinai“), ungarisch („ideiglenes“), maltesisch („temporanjament“), niederländisch („tijdelijk“), polnisch („tymczasowo“), portugiesisch („temporariamente, temporária, temporário“), rumänisch („temporar“), slowakisch („docasne, docasny, docasnej“), slowenisch („zacasno“), finnisch („tilapäisesti“) und schwedisch („tillfälligt“). 181 Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 489; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament gemäß Artikel 251 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG-Vertrag zum gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Leiharbeit, KOM (2008), S. 569, endgültig, S. 6.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern207
nehmen keine Anwendung, um bei lediglich vorübergehender Überlassung von Arbeitnehmern zwischen Konzernunternehmen im Sinn von § 18 AktG vor allem die Verleihunternehmen von den „bürokratischen Förmlichkeiten“ des AÜG a. F. zu befreien.182 Dazu gehörten zuvorderst die Erlaubnispflicht nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG a. F. für die Arbeitnehmerüberlassung und die zum Zeitpunkt der Inkraftsetzung von § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AÜG a. F. durch das BeschFG 1985 zum 1.5.1985183 bestehende Höchstüberlassungsdauer von 12 bzw. zuletzt 24 Monaten. Für die Privilegierung der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung war indes bis zum 30.11.2011 Voraussetzung, dass die Überlassung vorübergehend erfolgen musste. Die zum Merkmal der vorübergehenden konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung entwickelten Kriterien können unter der Berücksichtigung der Funktion der Arbeitnehmerüberlassung als Instrument der vorübergehenden Personalbedarfsdeckung beim Entleiher grundsätzlich auch zur Auslegung des durch die Richtlinie 2008 / 104 / EG in das AÜG eingeführten Begriffs der vorübergehenden Überlassung herangezogen werden.184 (1) Die Rechtsprechung und die herrschende Literatur Nach dem Sinn und Zweck der Regelung, die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung wegen der insoweit regelmäßig nicht bestehenden Gefährdung des arbeits- und sozialrechtlichen Status der Leiharbeitnehmer zu erleichtern, legte die Rechtsprechung und die sich ihr weitgehend anschließende Literatur den Begriff „vorübergehend“ weit aus.185 Das lag grundsätzlich auch im Interesse der überlassenen Arbeitnehmer, weil ein Wechsel des Arbeitgebers für die betreffenden Arbeitnehmer vor allem im Hinblick auf zahlreiche an die Betriebs- oder Unternehmenszugehörigkeit anknüpfende Arbeitsbedingungen unter Umständen nachteilige Folgen gehabt hätte. Durch die Aufrechterhaltung der arbeitsrechtlichen Beziehungen zu dem abordnenden Konzernunternehmen sollten diese Nachteile vermieden werden.186 Eine vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung sollte nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift sogar noch in den Fällen gegeben sein, in denen der betreffende Arbeitnehmer im Rahmen einer mehrjährigen Abordnung an den Ent182 Boemke/Lembke²,
AÜG, § 1, Rdn. 188; BT-Drs. 10/3206, S. 33. S. 710, 715. 184 Zutreffend Ulber, ArbuR 2010, 10, 11. 185 BAG, NZA 1989, 18, 20; BAG, Urteil vom 5.5.1988 – Az. 2 AZR 735/87; BAGE 65, 43. Zustimmend Gitter, SAE 1991, 155; Grunsky, EWiR 1991, 113; Boemke/Lembke², AÜG, § 1, Rdn. 199 ff.; Thüsing/Waas², AÜG, § 1, Rdn. 194b. 186 BAG, NZA 1989, 18; BAG, Urteil vom 5.5.1988 – Az. 2 AZR 735/87; BAG, BB 1991, 275, 276; Becker, DB 1988, 2561, 2564. 183 BGBl. I
208
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
leiher überlassen wurde.187 Die tatsächliche Dauer der Überlassung spielte somit grundsätzlich nur eine nachrangige Rolle, solange der Arbeitnehmer nicht bereits von vornherein endgültig überlassen werden sollte und eine tatsächliche Rückkehrmöglichkeit in den Betrieb des Verleihers bestand188. Auch eine Zweckbegrenzung für die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung war nicht erforderlich.189 Maßgeblich und ausreichend war folglich der übereinstimmende Wille der Beteiligten zum Zeitpunkt der Überlassung, welche vom ver- und vom entleihenden Konzernunternehmen von vornherein jedenfalls als nicht endgültig geplant sein durfte.190 (2) D ie Übertragbarkeit der Kriterien zur vorübergehenden konzerninternen auf die Arbeitnehmerüberlassung im Licht der Richtlinie 2008 / 104 / EG Als Rechtfertigung der die Konzernleihe privilegierenden Regelung in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG a. F. war nicht die vorübergehende Überlassung an den entleihenden Konzernteil, sondern das Nichttätigwerden beim Vertragsarbeitgeber maßgeblich.191 Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung einer „vorübergehenden“ Konzernleihe war somit nicht die Einsatzdauer beim entleihenden Konzernunternehmen, sondern eher die Rückkehrmöglichkeit des Leiharbeitnehmers in das verleihende Konzernunternehmen. Darin unterscheidet sich die europarechtliche Interpretation des Merkmals „vorübergehend“ von der konzerninternen Überlassung: War der Bezugspunkt bei der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung das Nichttätigwerden beim abordnenden Vertragsarbeitgeber, kommt es bei der Arbeitnehmerüberlassung im Sinne der Richtlinie 2008 / 104 / EG auf den vorübergehenden Einsatz beim Entleiher an.192 187 BAG, BB 1991, 275, 276; LAG Hamm, Nr. 244 EzAÜG. Rüthers/Bakker, ZfA 1990, 245, 299; Martens, DB 1985, 2144, 2149; Becker, DB 1988, 2561, 2564. Zweifelnd Ulber³, AÜG, § 1, Rdn. 253, im Hinblick auf die frühere konzerninterne Überlassung. Gaul, BB 1996, 1224, erachtete eine mehrjährige Überlassung zwar als zulässig, hielt allerdings das häufig betonte Kriterium der „endgültigen“ Überlassung zur Abgrenzung von der vorübergehenden Überlassung für ungeeignet. 188 Boemke/Lembke², AÜG, § 1, Rdn. 200; Schüren/Hamann4, AÜG, § 1, Rdn. 507. 189 Rüthers/Bakker, ZfA 1990, 245, 299; Becker, DB 1988, 2561, 2564. 190 Boemke/Lembke², AÜG, § 1, Rdn. 199; Schüren/Hamann4, AÜG, § 1, Rdn. 507; Martens, DB 1985, 2144, 2149, beschreibt die vorübergehende Überlassung treffend als von der (tatsächlichen) Dauer unabhängige, jedoch als nicht endgültig geplante Personalmaßnahme. 191 LAG Schleswig-Holstein, NZA-RR 2009, 75, 77; Hamann, RdA 2011, 321, 325. Das ergab sich bereits aus der negativen Formulierung in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG a. F., wonach die Privilegierung eintreten sollte, „wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend nicht bei seinem Arbeitgeber leistet“. 192 Hamann, RdA 2011, 321, 325; Boemke, DB 2011, 414, 415.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern209
Der grundsätzlichen Übertragbarkeit der Rechtsprechung und der ihr folgenden Literatur steht der abweichende Bezugspunkt allerdings nicht entgegen. Die Privilegierung der Konzernleihe war schon vor der Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG weniger von der Dauer der tatsächlichen Überlassung des Arbeitnehmers bestimmt, sondern vielmehr davon abhängig, ob das verleihende und das entleihende Unternehmen zum Zeitpunkt der Überlassung sich darüber einig waren, dass der Leiharbeitnehmer nicht endgültig im Betrieb des Entleihers eingegliedert werden sollte und ob von vornherein die Rückkehr des Arbeitnehmers in den Betrieb des Entleihers vorgesehen war. Entscheidend war somit der mittels Auslegung zu bestimmende Wille der Parteien des Überlassungsvertrags, den Leiharbeitnehmer von vornherein nur zeitig und nicht dauerhaft an das andere Konzernunternehmen zu überlassen. Der nachträglich geänderte Wille der an der konzerninternen Leiharbeitnehmerüberlassung Beteiligten, den betreffenden Leiharbeitnehmer nicht mehr nur vorübergehend, sondern endgültig, jedenfalls aber für einen unbestimmten Zeitraum an das entleihende Konzernunternehmen abzuordnen, war insoweit unschädlich, solange im Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Parteiwille erkennbar war, das Leihpersonal nicht endgültig zu überlassen und ihm eine Rückkehrmöglichkeit in das abordnende Unternehmen zu erhalten. Der Wille des entleihenden und des verleihenden Unternehmens musste sich dementsprechend auf die als nicht endgültig geplante, vorübergehende Überlassung beziehen. Waren sich die Beteiligten indes von Anfang an darüber einig, dass die Überlassung endgültig sein sollte, lag von vornherein keine privilegierte Konzernleihe, sondern eine Arbeitsvermittlung vor. (3) D er Inhalt der Vereinbarung über die Rückkehr des Leiharbeitnehmers zum Vertragsarbeitgeber Einigkeit bestand darin, dass zum Zeitpunkt der Überlassung des Arbeitnehmers an das Konzernunternehmen zwischen den Parteien des Leiharbeitsverhältnisses die Überlassung als nicht endgültig geplant und gewollt sein sollte.193 Uneinigkeit bestand darüber, ob das verleihende und das entleihende Konzernunternehmen den genauen Zeitpunkt des Beginns der Überlassung und den Zeitpunkt der Rückkehr des Leiharbeitnehmers in das entleihende Konzernunternehmen bereits im Moment der Überlassung festgelegt haben mussten. Die herrschende Meinung ließ die Bestimmbarkeit des Rückkehrzeitpunkts genügen, sofern die Parteien des Leiharbeitsverhältnisses davon ausgingen, 193 Thüsing/Wank²,
AÜG, § 1, Rdn. 194b.
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
dass die Überlassung nicht endgültig sein sollte, und dem Leiharbeitnehmer nicht nur eine Rückkehroption zustand, sondern die Rückkehr auch vertraglich fest vereinbart war.194 Die Rechtsprechung folgte dieser Auffassung und verlangte lediglich, dass sicherzustellen war, dass der Arbeitnehmer nach Beendigung seines Einsatzes seine Arbeitsleistung wieder bei dem abordnenden Konzernunternehmen erbringen konnte.195 Nur vereinzelt wurde gefordert, dass der Zeitpunkt des Beginns und des Endes der Tätigkeit des Arbeitnehmers beim entleihenden Konzernunternehmen bei der Aufnahme der Tätigkeit genau festgelegt sein musste und der Einsatz von vornherein auf ein konkretes Überlassungsende befristet sein sollte; andernfalls lag nach dieser strengeren Ansicht keine „vorübergehende“ Arbeitnehmerüberlassung mehr vor.196 (4) D as Verhältnis der Konzernleihe zur Vermutung im Sinne von § 1 Abs. 2 AÜG a. F. Bedeutsam war die vorübergehende Konzernleihe auch für die Frage, inwieweit sie die Vermutungswirkung nach § 1 Abs. 2 AÜG a. F. auslöste. Die vom Gesetzgeber für die Konzernleihe durch das Merkmal „vorübergehend“ aufgestellten zeitlichen Grenzen waren nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch bei der Auslegung der gesetzlichen Vermutung des § 1 Abs. 2 AÜG a. F. zu beachten197. Jedenfalls in den Fällen der nicht-gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung sollte die Arbeitsvermittlung widerlegbar vermutet werden, wenn nach der gesamten Gestaltung und Durchführung der Vertragsbeziehungen der Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses auf den Entleiher übergeht.198 Ein wichtiges Indiz dafür sollte die Art der vom überlassenen Arbeitnehmer beim Entleiher wahrzunehmenden Aufgaben sein: Handelte es sich um solche Aufgaben, die bei einer Direktanstellung des Arbeitnehmers dazu geeignet wären, eine Befristung des Arbeitsverhältnisses auf die Dauer der jeweiligen Überlassung sachlich zu rechtfertigen, stützte eine Wertung dieses Tatbestandes die Annahme einer unzulässigen privaten Arbeitsvermitt194 Siehe nur ErfK11/Wank, § 1 AÜG, Rdn. 60, Thüsing/Waas², AÜG, § 1, Rdn. 194b; Boemke/Lembke², AÜG, § 1, Rdn. 199; Gaul, BB 1996, 1224; Liebscher, BB 1996, 801. 195 LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 3.5.2006 – Az. 10 Sa 913/05; LAG Hessen, NZA-RR 200, 572. 196 Ulber³, AÜG, § 1 Rdn. 253; Ulber, ArbuR 2010, 10, 11; Gaul, BB 1996, 1224. 197 BAG, BB 1991, 275. 198 BAG, BB 1991, 275, 277.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern211
lung.199 Nahm der überlassene Arbeitnehmer indes Daueraufgaben wahr, die bei einer direkten Anstellung des Arbeitnehmers eine Befristung des Arbeitsverhältnisses sachlich nicht hätten rechtfertigen können, so sollte das für eine Schwerpunktverlagerung des Arbeitsverhältnisses vom überlassenden Arbeitgeber zum Entleiher sprechen. In den letzteren Fällen lagen beim Entleiher Dauerarbeitsplätze vor, die nach den vom Gesetzgeber mit der Schaffung der in § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a. F. enthaltenen Überlassungshöchstfrist von zuletzt 24 Monaten verfolgten Zielsetzungen nur vorübergehend, dagegen nicht auf Dauer von denselben Leiharbeitnehmern besetzt werden sollten.200 Bei einer langfristigen nicht-gewerbsmäßigen Überlassung eines Arbeitnehmers zur Wahrnehmung von Daueraufgaben des Entleihers handelte es sich demnach funktional um eine unzulässige private Arbeitsvermittlung, die folglich die Vermutungswirkung von § 1 Abs. 2 AÜG a. F. auslöste.201 (5) D ie rechtsmissbräuchliche Gesetzesumgehung bei der konzerninternen Personalausgliederung Durch die extensive Auslegung des nach früherer Gesetzeslage für die privilegierte konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung erforderlichen Merkmals „vorübergehend“ bot sich Unternehmen ein attraktives Kosteneinsparmodell in Form der Ausgliederung ihres Stammpersonals in konzerninterne Personaldienstleistungsgesellschaften an. Eine Personalkostenreduktion ergab sich dabei dadurch, dass für das konzernintern ausgegliederte Leiharbeitspersonal nicht mehr die bestehenden Tarifverträge beim Altarbeitgeber, sondern die Tarifverträge oder sonstigen Arbeitsbedingungen beim neuen Vertragsarbeitgeber des Verleihbetriebs galten. Auch im Fall der Änderung oder Verlagerung des Betriebszwecks vom ursprünglichen Unternehmensbereich hin zur Arbeitnehmerüberlassung führte das „Herauswachsen“ aus dem fachlichen Geltungsbereich der bislang geltenden Tarifverträge bei gleichzeitiger Vereitelung der verlängerten Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG oder § 4 Abs. 5 TVG zu einer Kostenreduktion, weil nunmehr die für Zeitarbeitsfirmen geltenden Tarifverträge anzuwenden waren, freilich zu ungünstigeren Bedingungen für die Leiharbeitnehmer. 199 BAG, BB 1991, 275, 277. Nach a. A. von Boemke/Lembke², AÜG, § 1, Rdn. 189, hatte eine hypothetisch mögliche Befristungsvereinbarung keinerlei Vermutungswirkung. Eine Indizwirkung für eine Verlagerung des Arbeitsschwerpunkts vom Verleiher auf den Entleiher sprachen Boemke/Lembke², AÜG, § 1, Rdn. 189, dem Einsatz des überlassenen Arbeitnehmers auf einem Dauerarbeitsplatz zu, weil dies auf den Willen der Arbeitsleihvertragsparteien schließen ließe, eine Rückkehr des überlassenen Arbeitnehmers nicht zu beabsichtigen. 200 BAG, BB 1991, 275, 277; BT-Drs. 6/2303, S. 12. 201 BAG, BB 1991, 275, 277.
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
In solchen Fällen war nach der früheren Rechtslage umstritten, ob konzernangehörende Verleihunternehmen, die ausschließlich den konzerninternen Bedarf an Leiharbeitskräften bedienten, wegen rechtsmissbräuchlicher Umgehung von arbeitnehmergünstigen Tarifbedingungen und des Kündigungsschutzes unzulässig waren. So bejahten einige Instanzgerichte und Teile der Literatur die grundsätzliche Zulässigkeit einer dauerhaften konzerninternen Überlassung.202 Dem Bundesarbeitsgericht zufolge soll eine rechtsmissbräuchliche Gesetzesumgehung vorliegen, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm durch Vertragsgestaltungen vereitelt wird, für die kein sachlicher Grund vorliegt.203 Maßgeblich sei dabei allein die objektive Funktionswidrigkeit der Vertragsgestaltung, eine etwaige Umgehungsabsicht sei hingegen erforderlich.204 Nach dem Bundesarbeitsgericht, den arbeitsgerichtlichen Instanzgerichten und weiten Teilen der Literatur wurde die dauerhafte Umstellung auf den konzerninternen Einsatz von Leiharbeitnehmern außerdem jedenfalls dann als ein rechtsmissbräuchliches Personalaustauschkonzept angesehen, wenn sich die konzerninterne Ausgliederung von Stammpersonal in eigene Personalgesellschaften als Umgehung des Änderungskündigungsschutzes nach § 2 KSchG darstellte oder lediglich dazu dienen sollte, vorhandenes Stammpersonal durch weisungsgebundenes Fremdpersonal, also Leiharbeitnehmer, aus Kostengründen zu ersetzen, ohne dass sich an den bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten und Tätigkeitsabläufen etwas änderte.205 Die 202 So zum Beispiel LAG Düsseldorf, EzAÜG § 1 AÜG Konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung Nr. 21; LAG Niedersachsen, BB 2007, 2352. Dieser Rechtsprechung folgend Mengel, RdA 2008, 175, 178 m. w. N.; Forst, RdA 2011, 228, 229 ebenfalls m. w. N.; Willemsen/Annuß, BB 2005, 437; Melms/Lipinski, BB 2004, 2409. A. A. LAG Berlin, NZA-RR 2005, 353, wonach diese Form der Überlassung rechtsmissbräuchlich sei. 203 BAG, AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 204 BAG, AP Nr. 29 zu § 620 BGB Bedingung; BAG, BB 2013, 189. 205 Grundlegend BAGE 84, 209 [Crewing] und BAGE 103, 31 [Rheumaklinik]; ebenso BAG, Urteil vom 16.12.2004 – Az. 2 AZR 67/04; BAG, NZA 2005, 761; BAG, NZA 2012, 1351, 1352, zur Frage von unzulässigen Mehrfachbefristungen von Arbeitsverhältnissen und im Anschluss an EuGH, AP Nr. 9 Richtlinie 99/707EG [Kücük]; LAG Bremen, Urteil vom 2.12.1997 – Az. 1 Sa 339/96; LAG Berlin-Brandenburg, BB 2013, 251 und NZA-RR, 2013, 234. Bitter/Kiel, in FS Etzel, S. 64. BAGE 87, 257 = SAE 1999, 176 hatte einen ähnlichen Fall der „Tarifflucht“ durch „Herauswachsen“ aus dem fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags durch eine Änderung des Betriebszwecks einer konzerninternen GmbH auf konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung zu entscheiden, allerdings ohne die – im konkreten Fall durchaus veranlasste – Frage nach deren Rechtsmissbräuchlichkeit aufzugreifen; siehe dazu aber die ausführliche Anmerkung von D. W. Belling, SAE 1999, 181, 185; Wagner, S. 62 ff., befasst sich ebenfalls mit der Problematik der „Tarifflucht“ durch Verlagerung des Betriebszwecks mittels Arbeitnehmerüberlassung, allerdings ohne
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern213
unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers stellt sich in diesen Fällen als willkürlich und daher treuwidrig dar, weil deren alleiniger oder zumindest ganz überwiegender Zweck in der Vereitelung des Kündigungsschutzes der betroffenen Arbeitnehmer oder einer weiteren Tarifbindung bestand, welche als eine Gesetzesumgehung angesehen wurde.206 Die Rechtsprechung verneinte in diesen Fällen das dringende betriebliche Erfordernis im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG, sah die ausgesprochenen Austauschkündigungen als unzulässig an und erklärte Aufhebungsverträge im Fall von Betriebsübergängen wegen der Umgehung von § 613a Abs. 4 BGB gemäß § 134 BGB für unwirksam.207 Darüber hinaus wurde dem sogenannten Scheinentleiher die Arbeitgeberstellung zugesprochen.208 Vorgeschlagen wurde auch, die Fälle der betrieblichen Umstrukturierung durch Verlagerung oder Veränderung des Betriebszwecks, die zur Nichtmehranwendbarkeit der bestehenden tariflichen Arbeitsbedingungen führten, im Wege einer Analogie zu § 3 Abs. 3 TVG wieder dem Geltungsbereich des „verlassenen“ Tarifvertrags zu unterwerfen.209 Ein Rechtsmissbrauch wurde hingegen verneint, wenn die ausgegliederten Arbeitnehmer ihrerseits auch von der Ausgliederung profitierten, etwa weil die konzerninterne Verleihgesellschaft die Funktion eines konzerninternen Arbeitsamts übernahm oder der Qualifizierung und Weiterbildung210 der Arbeitnehmer diente oder als Personalauffanggesellschaft die Beschäftigung des ausgegliederten Personals im Fall einer drohenden Insolvenz des entleihenden Unternehmens sicherstellte. Das AÜG steht der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers, das bestehende Personal auszugliedern, zunächst einmal nicht entgegen, weil es anders als das KSchG oder TVG die Arbeitnehmer nicht vor einer Aushöhlung des Kündigungsschutzes oder vor tariflosen Arbeitsverträgen bewahrt.211 Schließlich eröffnet das AÜG in § 1 Abs. 3 Nr. 2 im Falle einer Personalausgliederung in eine interne Personaldienstleistungsgesellschaft infolge der Konzernleihe den Verlust des bestehenden Kündigungsschutzes und die Abauf das Problem des Rechtsmissbrauchs einzugehen. Eine Analyse der Rechtsprechung bieten Moll/Ittmann, RdA 2008, 321. 206 Verbreitet wurde daher auch die konzerninterne Ausgliederung von Stammpersonal als „Strohmann-Konstruktion“ bezeichnet, Schüren/Hamann4, AÜG, § 1, Rdn. 378 ff.; Blanke, Gutachten, S. 113 f.; Brors/Schüren, BB 2004, 2745; a. A. Willemsen/Annuß, BB 2005, 437; Melms/Lipinski, BB 2004, 2409. 207 BAGE 84, 209 [Crewing]; BAGE 103, 31 [Rheumaklinik]; BAG, DB 2009, 291. 208 LAG Berlin-Brandenburg, NZA-RR 2013, 234. 209 D. W. Belling, SAE 1999, 181, 188 f. 210 Lembke, BB 2012, 2497, 2498. 211 Zum TVG siehe D. W. Belling, SAE 1999, 181, 187.
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
senkung des Niveaus der tariflichen Arbeitsbedingungen. Daher sind die negativen Auswirkungen der Konzernleihe von Gesetzes wegen gestattet, sofern sie nur „vorübergehend“ erfolgt.212 Eine Grenze der Gestattung ergibt sich indes in den Fällen des institutionellen Rechtsmissbrauchs im Rahmen von § 242 BGB aus dem Gebot von Treu und Glauben. Naheliegend ist es daher, den Kerngedanken der in der Rechtsprechung und in der Literatur anerkannten Fälle der missbilligten Gesetzesumgehung als Sonderfälle eines institutionellen Rechtsmissbrauchs für eine inhaltliche Bestimmung des Merkmals „vorübergehend“ anhand des Leitbilds und des Regelungszwecks der Richtlinie 2008 / 104 / EG heranzuziehen. Das Instrument einer Prüfungskontrolle arbeitsrechtlicher Maßnahmen anhand einer institutionellen Rechtsmissbrauchskontrolle im Sinne von § 242 BGB ist sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur anerkannt und bietet einen ausreichenden Schutz gegen die Umgehung der mit der Leiharbeitsrichtlinie 2008 / 104 / EG verfolgten Schutzzwecke. dd) Die Verwendung des Merkmals „vorübergehend“ in sonstigen arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen Das Kriterium „vorübergehend“ findet auch in sonstigen arbeits- und sozialrechtlichen Regelungswerken Erwähnung, so in § 14 Abs. 1, 2 Nr. 1 ArbZG für Ausnahmen von den Arbeitszeitnormen oder in §§ 96 Abs. 1 Nr. 2, 101 Abs. 5 SGB III für die Voraussetzungen der Inanspruchnahme des Kurzarbeitergelds. Die zeitliche Bemessung für zulässige vorübergehende Ausnahmen von den geltenden Arbeitszeitnormen oder für das Kurzarbeitergeld knüpft dabei je nach dem Regelungszweck der Vorschrift an den Grund für eine Ausnahme an und macht somit eine Güterabwägung im Einzelfall erforderlich und orientiert sich am gesetzlichen Schutzzweck im jeweiligen Regelungskontext. Für den Fall des Kurzarbeitergelds ergeben sich Anhaltspunkte für den vorübergehenden Zeitraum aus §§ 101 Abs. 1 und 109 Abs. 1 Nr. 2 SGB III, wobei diese zeitlichen Grenzen lediglich Indizwirkung für die im Einzelfall angemessene zeitliche Bestimmung haben.213 Auf das zeitliche Verständnis der „vorübergehenden“ Überlassung im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG lässt sich das Verständnis zu dem an sich 212 Zur Frage der Europarechtswidrigkeit von § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG a. F. siehe Lembke, FA 2011, 290, 291; Lembke, DB 2011, 414, 416. Auch Hamann, ZESAR 2012, 103, 109, Blanke, DB 2010, 1528, 1530, und Wank, RdA 2010, 193, 203, gehen von der Europarechtswidrigkeit des national weiterhin aufrechterhaltenen Konzernprivilegs aus, weil die Richtlinie 2008/104/EG ein solches Privileg nicht kenne. 213 Zum Merkmal der „vorübergehenden Arbeiten“ im Sinne von § 14 ArbZG siehe ErfK18/Wank, § 14 ArbZG, Rdn. 4; Gagel/Bieback, SGB II/SGB III, § 96, Rdn. 74 ff.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern215
wortlautidentischen Tatbestandsmerkmal in den übrigen Regelungswerken außerhalb des AÜG nicht übertragen, weil es einerseits überhaupt an zeitlichen Konkretisierungen im AÜG fehlt und sich zum anderen die Zielsetzungen des SGB III und des Kurzarbeitergeldes als arbeitsmarktpolitisches Steuerungs- und Schutzinstrument vom Regelungszweck des AÜG unterscheiden, so dass auch eine Güterabwägung im Einzelfall für eine zeitliche Bemessung des vorübergehenden Zustands inhaltlich nicht deckungsgleich mit dem Schutzzweck des AÜG ist.214 Auch die Legaldefinition der Pflegebedürftigkeit in § 10 S. 3 AEntG215 ist für das Verständnis des Merkmals „vorübergehend“ im Sinne des AÜG nicht nutzbringend, weil das dort ebenfalls erwähnte Merkmal im Kontext und in Abgrenzung zum Begriffsverständnis der Pflegebedürftigkeit im Sinne der Regelungen der sozialen Pflegeversicherung zu verstehen ist.216 ee) Die Sachgrundbefristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG (1) D ie Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Sachgrund des vorübergehenden Bedarfs In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt sich bislang noch keine Entscheidung finden, die sich explizit mit den Voraussetzungen der zeitweiligen, vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung befasst. In seiner Entscheidung vom 17.3.2015 war dem Europäischen Gerichtshof zwar die Anfrage eines finnischen Arbeitsgerichts zur Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG im Fall einer vermeintlich dauerhaften Überlassung vorgelegt worden, welche er indes unbeantwortet ließ.217 Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs findet sich zu dem dem Befristungsrecht immanenten Begriff der Sachgrundbefristung bei vorübergehend bestehendem Bedarf an Arbeitsleistung in § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG. Auch im Rahmen des Befristungsrechts stellt sich die Frage, ob häufig wiederkehrende Befristungen von Arbeitsverhältnissen aus sachlichem Grund, sogenannte Kettenbefristungen, rechtsmissbräuchlich sind, weil sich die Kettenbefristungen in einer Gesamtschau der befristeten ArbeitsverhältKrannich/Simon, BB 2012, 1414, 1417. S. 3 AEntG lautet: „Pflegebedürftig ist, wer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens vorübergehend oder auf Dauer der Hilfe bedarf.“ 216 Erbs/Kohlhaas/Ambs, AEntG, § 10, Rdn. 2 f. Das gilt vor allem für den kurzzeitigen Pflegebedarf von unter sechs Monaten. 217 EuGH, Urteil vom 17.3.2015 – Az. C-533/13 [AKT]. 214 Ähnlich 215 § 10
216
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
nisse als eine Vermeidung der Einstellung von unbefristeten Arbeitnehmern zur Verringerung oder Umgehung des Kündigungsschutzes darstellt.218 Dazu hat der Europäische Gerichtshof mehrfach entschieden, dass auch mehrere aufeinanderfolgende Befristungen von Arbeitsverhältnissen zur vorübergehenden Ersetzung von wiederkehrend ausfallenden Stammarbeitnehmern zulässig sind, sofern keine ständige und dauerhafte Ersetzung von Arbeitnehmern erfolgt.219 Dabei sind die Umstände des Einzelfalls ausschlaggebend, vor allem die Art der Tätigkeit, die Dauer der Vertretungen und die Anzahl der Befristungen, wobei dem Arbeitgeber im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit durchaus ein eigener Wertungsspielraum zugebilligt wird.220 Die wiederholte Befristung von Arbeitsverträgen soll jedenfalls nicht automatisch unzulässig sein, nur weil die Größe des betroffenen Unternehmens oder der betroffenen Einrichtung und die Zusammensetzung des Personals darauf schließen lassen, dass der Arbeitgeber mit einem wiederholten oder ständigen Bedarf an Vertretungskräften konfrontiert ist.221 Insoweit erfolgt eine Beschränkung aufeinander folgender Befristungen im Rahmen einer institutionellen Missbrauchskontrolle. Ein Rückgriff auf die sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG mit der dort enthaltenen fixen Höchstbefristungsdauer von zwei Jahren scheidet dabei allerdings schon deswegen aus, weil der Richtliniengeber eine starre Höchstüberlassungsdauer unionsrechtlich gerade nicht normieren wollte und eine solche Höchstdauer dem Merkmal „vorübergehend“ als flexibler Zeitkomponente somit zuwiderliefe.222 (2) Die Übertragbarkeit der Kriterien zur Bedarfsprognose Der Anknüpfungspunkt für eine mögliche Übertragung der Kriterien für eine Sachgrundbefristung auf die Arbeitnehmerüberlassung ist eine fundierte Prognose des Arbeitgebers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses darüber, ob zum Zeitpunkt des Ablaufs der Befristung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Bedarf an der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht mehr 218 Siehe zu diesem Problem nur Bauschke, öAT 2012, 27; Drosdeck/Bitsch, NZA 2012, 977; Linsenmaier, RdA 2012, 193; Preis/Greiner, RdA 2012, 148; MünchKomm/Hesse7, § 14 TzBfG, Rdn. 16; ErfK18/Müller-Glöge, § 14 TzBfG, Rdn. 23 ff. 219 EuGH, NJW 2006, 2465 [Adeneler]; EuGH, NZA 2012, 135 [Kücük]. 220 EuGH, NZA 2012, 135, 136 [Kücük]. 221 EuGH, NZA 2012, 135, 139 [Kücük]. 222 BT-Drs. 17/4804, S. 8; Bartl/Romanowski, NZA Online 3/2012, 1; Thüsing/ Stiebert, DB 2012, 632, 633. Für eine an der Dauer einer sachgrundlosen Befristung orientierte zeitliche Höchstgrenze Stang/Ulber, NZA 2015, 910, 912; Francken, NZA 2013, 1192, 1194.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern217
bestehen wird.223 Die Prognose muss sich darauf erstrecken, dass der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung des befristet beschäftigten Arbeitnehmers nur zeitweise und nicht dauerhaft, gegebenenfalls sogar unter rechtsmissbräuchlicher Verwendung befristeter Arbeitsverträge, besteht.224 Will man die Prognosevoraussetzungen im Rahmen einer Vertragsbefristung auf die inhaltliche Bestimmung des Merkmals „vorübergehend“ übertragen, ist zu beachten, dass die Anforderungen an die zu stellende Prognose im Hinblick auf die verschiedenen Regelungsziele des TzBfG und des AÜG nicht ohne Weiteres auf die vorübergehende Überlassung übertragbar sind. Zunächst setzt die Prognose eine hinreichende Bedarfsanalyse und eine nachvollziehbare unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers im Hinblick auf den Sachgrund voraus.225 Eine gegebenenfalls behördlich oder gerichtlich auf Ermessensfehler überprüfbare Prognose wird allerdings für die Notwendigkeit des Einsatzes von Leiharbeitnehmern nicht verlangt. Auch eine Bestimmung des Zeitraums wie bei der Bemessung der Befristung soll vor allem nach der Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG nicht erforderlich sein, weil das Personalmodell der Leiharbeit flexibel und ohne eine starre, gegebenenfalls durch gerichtliche Entscheidungen festgelegte Höchstüberlassungsdauer gestaltet sein soll.226 Das Merkmal „vorübergehend“ im Sinne des AÜG ist folglich inhaltlich weiter gefasst als bei § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TzBfG, weil die Prüfung des Vorliegens eines vorübergehenden Bedarfs als Sachgrund für eine Befristung an strengere Voraussetzungen geknüpft ist. Ungeachtet der Frage, ob und anhand welcher Kriterien eine Bedarfsprognose für die Arbeitnehmerüberlassung zu erstellen ist, stellt sich ein Heranziehen der Voraussetzungen für die Sachgrundbefristung auch unionsrechtlich als problematisch dar.227 Der Richtliniengeber hat das Merkmal „vorübergehend“ bewusst als flexibles Zeitmoment formuliert. Der nationale Gesetzgeber ist ihm darin zum Zweck der Vollharmonisierung gefolgt. Die vom deutschen Gesetzgeber und der deutschen Rechtsprechung geregelten und 223 ErfK18/Müller-Glöge,
§ 14 TzBfG, Rdn. 17 f. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, so BAG, ZTR 2008, 508; BAG, AP § 14 TzBfG Haushalt Nr. 19; BAG, NZA 2015, 928. 225 ErfK18/Müller-Glöge, § 14 TzBfG, Rdn. 17 f.; MünchKomm-HbArbR³/Wank, § 95, Rdn. 41 f. 226 BT-Drs. 17/4804, S. 8. 227 So Hamann, RdA 2011,321, 326, anders aber noch in NZA 2011, 70, 72; Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632, 633; Giesen/Müller, KSZW 2012, 20, 22. Zu der Vorstellung des Gesetzgebers, das Ausfüllen des Merkmals „vorübergehend“ Wissenschaft und Rechtsprechung zu überlassen, siehe Düwell, ZESAR 2001, 449, 451 f. Jedenfalls im Ergebnis auch Krannich/Simon, BB 2012, 1414, 1417. A. A. Bartl/Romanowski, NZA Online 3/2012, 1, 4, die allerdings verkennen, dass sich der Gesetzgeber von seinem ersten AÜG-Entwurf vom 2.9.2010, der noch eine Zweckbefristungslösung enthielt, verabschiedet hat; zum Vorentwurf ferner Hamann, NZA 2011, 70, 72. 224 Ständige
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
entwickelten strengen Voraussetzungen der Sachgrundbefristung engen das Merkmal „vorübergehend“ ausgehend vom weitgefassten Wortlaut der Richtlinie 2008 / 104 / EG ungerechtfertigt ein. Ein für eine Befristung eines Arbeitsverhältnisses erforderlicher Sachgrund kann – übertragen auf die Arbeitnehmerüberlassung – allenfalls ein Indiz für den Willen von Verleiher und Entleiher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses dafür sein, dass die Arbeitnehmerüberlassung nicht dauerhaft, sondern zu einem bestimmten Zweck oder aus einem konkreten Anlass für einen bestimmbaren Zeitraum gewollt ist, ohne jedoch eine solche Prognose im Sinne einer befristungsrechtlichen Bedarfsprognose zur tatbestandlichen Voraussetzung einer Überlassung zu erheben. Andernfalls hat die Übertragung der befristungsrechtlichen Sachgrund-Kriterien eine nicht gerechtfertigte Einschränkung des europarechtlich konzipierten Modells der Arbeitnehmerüberlassung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG zur Folge. ff) Die arbeitnehmerbezogene oder arbeitsplatzbezogene Tätigkeit Lange Zeit ungeklärt und höchstrichterlich offengelassen war die Frage, ob das Merkmal „vorübergehend“ anhand der Art des Arbeitsplatzes, auf dem der Leiharbeitnehmer eingesetzt wird, oder personenbezogen hinsichtlich des eingesetzten Leiharbeitnehmers zu beurteilen sein soll. In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte wird dazu teilweise vertreten, dass der Einsatz von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen grundsätzlich unzulässig ist, weil dadurch ein tatsächlicher Dauerbeschäftigungsbedarf und nicht nur ein kurzfristiger Personalbedarf abgedeckt wird.228 Nach der Gegenansicht in der Rechtsprechung wird der personenbezogene zeitlich begrenzte Einsatz von Leiharbeitnehmern auf einem Dauerarbeitsplatz im Entleihbetrieb für grundsätzlich zulässig erachtet.229 Entscheidend für das Verständnis des Merkmals „vorübergehend“ ist nicht die Art der Ausgestaltung des Arbeitsplatzes, auf welchem der Leiharbeitnehmer eingesetzt wird, sondern die Dauer des Einsatzes des konkreten Leiharbeitnehmers. Das Bundesarbeitsgericht hat sich dieser Frage zwar in zwei seiner Entscheidungen gewidmet, eine endgültige Klärung indes bislang offengelas228 LAG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 19.12.2012 – Az. 4 TaBV 1163/12 und vom 9.1.2013 – Az. 24 TaBV 1868/12; LAG Berlin-Brandenburg, NZA-RR 2013, 234; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.7.2013 – Az. 4 Sa 18/13; LAG Hamburg, AE 2014, 36; LAG Hamburg, LAGE § 1 AÜG Nr. 15; LAG Niedersachsen, AiB 2013, 130; nach dem konkreten Einzelfallbedarf an Arbeitskraft differenzierend LAG Schleswig-Holstein, DB 2014, 489. 229 LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.5.2014 – Az. 14 TaBV 184/14; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 2.10.2012 – Az. 17 TaBV 38/12; LAG Hamburg, Beschluss vom 4.9.2013 – Az. 5 TaBV 6/13.
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern219
sen.230 Es bejahte eine unzulässige dauerhafte Überlassung in dem Fall, in dem ein Leiharbeitnehmer zeitlich unbeschränkt auf einem Dauerarbeitsplatz eingesetzt werden sollte und die Überlassung schon allein deshalb gegen den Wortlaut von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG verstieß.231 (1) D ie Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a. F. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu der früheren Fassung von § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a. F., welche noch eine zeitliche Einsatzlimitierung auf 24 Monate vorschrieb, sah im Einklang mit der herrschenden Literatur aus Gründen des Gesetzeswortlauts, der Systematik der Regelung und der gesetzgeberischen Historie die Einsatzlimitierung nicht arbeitsplatz-, sondern arbeitnehmerbezogen an.232 Maßgeblich war demnach nicht, ob der betreffende Leiharbeitnehmer auf einem Dauerarbeitsplatz eingesetzt wurde, sondern ob der Einsatz an sich innerhalb der zeitlichen Grenzen von § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a. F. erfolgte. Für den Entleiher bot sich dadurch der Vorteil, auch auf Dauerarbeitsplätzen Leiharbeitnehmer im Rotationsverfahren einsetzen zu können, was jedoch zu Kettenüberlassungen führen konnte. (2) D ie Übertragung der bisherigen Rechtsprechung auf § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG Es spricht viel dafür, dieses Verständnis auch dem Merkmal „vorübergehend“ im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG zugrunde zu legen. Zunächst schließt der Wortlaut dieser der Richtlinie 2008 / 104 / EG entsprechenden Regelung ein solches auf den Einsatz des konkret betroffenen Leiharbeitnehmers abstellendes Verständnis nicht aus. Zum anderen ist das deutsche Personalmodell der Leiharbeit in Umsetzung der Richtlinie 2008 / 104 / EG ein auf die vorübergehende Überlassung konzipiertes Überlassungsmodell, in dem die Überlassung im Verhältnis zwischen Leiharbeitnehmer zum Entleiher zeitlich beschränkt erfolgen soll.233 Der Schutzzweck der Richtlinie 2008 / 104 / EG erfordert keine weiterreichende Einschränkung des Einsatzes von Leiharbeitnehmern. Im Vordergrund der Richtlinie 2008 / 104 / EG stehen der soziale Schutz des Leiharbeitnehmers und die Verhinderung von Missbrauch bei der Überlassung. Das erfordert indes keine über das Verbot der dauerhaf230 BAGE
145, 355; BAGE 146, 384. 145, 355; BAGE 146, 384. 232 BAGE 103, 304. 233 BT-Drs. 17/4804, S. 8. 231 BAGE
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G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
ten Überlassung des konkreten Leiharbeitnehmers hinausgehende Beschränkung des Einsatzes von Leiharbeitnehmern dergestalt, dass ein Einsatz auf Dauerarbeitsplätzen beim Entleiher zusätzlich zu untersagen wäre.234 Dem Schutzgedanken der Richtlinie 2008 / 104 / EG wird bereits hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass der konkrete arbeitnehmerbezogene Einsatz von Leiharbeitnehmern wegen eines dauerhaften oder sonst objektiv rechtsmissbräuchlichen Personaleinsatzes im Rahmen einer institutionellen Missbrauchskontrolle untersagt werden kann. Zudem griffe ein Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen unnötig tief in die unternehmerische Freiheit des Entleihers ein, selbständig darüber entscheiden zu können, durch welche aus seiner Sicht erforderlichen innerorganisatorischen betrieblichen Maßnahmen ein Personalmehrbedarf aufgefangen werden soll, etwa durch eine zeitweilige Umgruppierung, Versetzung oder Umsetzung von besonders qualifiziertem oder erfahrenem Stammpersonal. Die so zeitweilig vakant werdenden Dauerarbeitsplätze des Stammpersonals können einerseits durch eigens dafür eingestelltes Vertretungspersonal oder durch Leihpersonal nachbesetzt werden. Die vom Entleiher getroffene Entscheidung für den Einsatz von Leihpersonal ist dabei von der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 GRC, Art. 12 Abs. 1 GG gedeckt und stellt sich nicht ohne Weiteres als eine rechtsmissbräuchliche Umgehung von Arbeitnehmerschutzrechten dar. Nach dem Wortlaut, dem Schutzzweck und der Gesetzessystematik enthält § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG somit eine leiharbeitnehmerbezogene Beurteilungsperspektive. Andernfalls erhielte das Verständnis des Merkmals „vorübergehend“ ein befristungsrechtliches Gepräge im Sinne des TzBfG, welches unionsrechtlich weder gerechtfertigt, noch geboten oder zweckmäßig übertragbar ist.235 Schließlich finden sich in den Richtlinien- und Gesetzesmaterialien für eine solches Normverständnis auch keine Anhaltspunkte. Ein weiterer Aspekt für die arbeitnehmerbezogene Sichtweise besteht darin, dass das unbefristete Arbeitsverhältnis unionsrechtlich als der übliche Normalfall eines Arbeitsverhältnisses gilt und für befristete Arbeitsverhältnisse objektiv sachliche Gründe vorliegen müssen.236 Gleichzeitig gilt nach § 4 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge237 der Grundsatz, dass befristet beschäftigte Arbeitnehmer in ihren Beschäftigungsbedinzutreffend Steinmeyer, DB 2013, 2740. denken wäre etwa an die Sachgrundbefristung gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG wegen vorübergehend bestehenden betrieblichen Bedarfs an der Arbeitsleistung. 236 Siehe Nr. 6 der Allgemeinen Erwägungen der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Befristungsrichtlinie 1999/70/EG. 237 Etwa in Gestalt des pro-rata-temporis-Grundsatzes. 234 So
235 Zu
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern221
gungen wegen der Befristung nicht benachteiligt werden, also ohne sachlichen Grund nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen. Für den Unternehmer kann und darf es daher auch keinen Unterschied machen, ob Leiharbeitnehmer auf Dauerarbeitsplätzen eingesetzt werden, welche in der Regel mit unbefristetem Stammpersonal besetzt sind, oder ob der Einsatz auf Arbeitsplätzen erfolgt, an denen nur ein vorübergehender Bedarf besteht und die vorwiegend mit befristet beschäftigtem Personal besetzt sind. Entscheidend ist stattdessen der zeitliche Bedarf für den konkreten Personaleinsatz, der durch den betreffenden Leiharbeitnehmer abgedeckt werden soll. Der zeitliche Bestand des Arbeitsplatzes, auf dem der Leiharbeitnehmer zum Einsatz kommt, ist hingegen irrelevant. Nichtsdestotrotz kann einem längerfristigen Einsatz von Leiharbeitnehmern gleichwohl eine Indizwirkung insoweit zukommen, dass die Überlassung nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft von den Parteien gewollt ist. Allerdings bedarf es dazu weiterer Hinweise, um auf einen dahingehend gerichteten Willen bei Verleiher und Entleiher schließen zu können. gg) Die institutionelle Missbrauchskontrolle und der soziale Schutz der Leiharbeitnehmerrechte nach der Richtlinie 2008 / 104 / EG Die Richtlinie 2008 / 104 / EG enthält keine zeitliche Höchstüberlassungsdauer. Geregelt ist in Art. 5 Abs. 5 Richtlinie 2008 / 104 / EG, dass die Mitgliedsstaaten geeignete Maßnahmen treffen sollen, um eine rechtsmissbräuchliche Umgehung des Sozialschutzes nach Art. 5 Abs. 1 bis 4 Richtlinie 2008 / 104 / EG zum Nachteil von Leiharbeitnehmern zu verhindern. Das AÜG enthält als eine solche Schutzmaßnahme in § 3 Abs. 1 Nr. 3 und § 9 Nr. 2 zur Vermeidung eines „Drehtüreffekts“ eine Gegenausnahme zur Tariföffnungsklausel, wonach abweichende tarifliche Vereinbarungen für diejenigen Leiharbeitnehmer nicht gelten sollen, welche in den letzten sechs Monaten vor der Überlassung an den Entleiher aus einem Arbeitsverhältnis mit diesem oder mit einem konzernangehörigen Unternehmen des Entleihers ausgeschieden sind.238 § 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008 / 104 / EG zufolge soll „insbesondere“ bei wiederkehrenden zeitlich aufeinander folgenden befristeten Überlassungen, sogenannten Kettenüberlassungen, die allein der Umgehung des Sozial- und Kündigungsschutzes dienen, ein Rechtsmissbrauch vorliegen. Im Fall der Kettenüberlassung ist der einzelne Überlassungsturnus zwar zeitlich begrenzt und damit an sich vorübergehend im Sinne der Richtlinie 2008 / 104 / EG. In der Gesamtschau aller zeitlichen Überlassungsabschnitte kann sich die Aneinanderreihung mehrerer zeitlich aufeinander fol238 Dazu Fuchs, NZA 2009, 57, 60; Haas, BC 2012, 270, 272; Hamann, RdA 2011, 321, 327; Blanke, DB 2010, 1528.
222
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
gender Überlassungen jedoch nicht mehr als bloß vorübergehende, sondern als dauerhafte, zeitlich unbeschränkte Überlassung herausstellen, die der Intention des Richtliniengebers, nach der die Überlassung insgesamt nur vorübergehend sein soll, entgegensteht und daher rechtsmissbräuchlich ist.239 Auch wenn die Annahme des institutionellen Rechtsmissbrauchs ein subjektives Element oder sogar einen Umgehungswillen nicht voraussetzt240, verdeckt die wiederholte Überlassung in solchen Fällen den wahren Willen von Verleiher und Entleiher, entgegen dem nach außen kundgetanen Willen dauerhaft überlassen zu wollen. Eine solche repetitive Überlassung von Leiharbeitnehmern kann daher den Schluss zulassen, dass der Wille der Beteiligten von vornherein auf eine dauerhafte Überlassung, etwa zur Substitution von Stammarbeitnehmern durch Leiharbeitnehmer zur Kosteneinsparung, gerichtet ist. Andererseits ist nicht in jeder zeitlich aufeinander folgenden Überlassung ohne weitere Anhaltspunkte schon eine rechtsmissbräuchliche Arbeitnehmerüberlassung zu sehen.241 Um den vom Richtlinien- und Gesetzgeber angestrebten Flexibilisierungseffekt des arbeitsmarktpolitischen Instruments der Arbeitnehmerüberlassung nicht ins Leere laufen zu lassen, muss das Merkmal „vorübergehend“ extensiv ausgelegt werden. Eine extensive Auslegung scheint vor dem Hintergrund der in der Richtlinie 2008 / 104 / EG verwendeten weiten tatbestandlichen Formulierung geradezu geboten. Als unbestimmter Rechtsbegriff ist das Merkmal der vorübergehenden Überlassung auch einer extensiven Auslegung und inhaltlichen Ausfüllung zugänglich.242 Die teleologische Grenze ist im Rahmen einer institutionellen Missbrauchskontrolle durch die Aufsichtsbehörden und Gerichte zu bestimmen243, welche sich am Regelungsziel der Richtlinie 2008 / 104 / EG orientieren muss. Dafür kann die überkommene Rechtsprechung zu den Fällen der missbilligten Gesetzesumgehung herangezogen werden, nach welcher die Verwendung eines arbeitsrechtlich zulässigen Instruments als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, wenn dadurch der Gesetzeszweck umgangen oder vereitelt wird.244 Der Einsatz von Leiharbeitnehmern ist danach auch unter Berücksichtigung der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten unternehmerischen Entscheidungsfreiheit des verleihenden Arbeitgebers und des entleihenden Unternehmers nicht mehr nur vor239 Ulber,
ArbuR 2010, 10, 11. 142, 308, 324; BAG, DB 2013, 2334 f. 241 Darauf weisen Krannich/Simon, BB 2012, 1414, 1415, zutreffend hin. 242 Nigge, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff, S. 24. 243 Hamann, NZA 2011, 70, 73; Krannich/Simon, BB 2012, 1414, 1417. 244 BAGE 142, 308, 324; BAG, DB 2013, 2334 f. Im Ergebnis zustimmend Kock, NJW 2013, 1261 f.; Drosdeck/Bitsch, NJW 2013, 1345, 1346 ff. Eher ablehnend Bruns, NZA 2013, 769, 771 f. 240 BAGE
I. Die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern223
übergehend, wenn er aus offensichtlich unsachlichen, unvernünftigen oder willkürlichen Gründen erfolgt.245 Das ist etwa der Fall, wenn allein oder vorrangig aus Gründen der Personalkostenreduktion oder zur Umgehung von Arbeitnehmerschutzrechten wie beispielsweise des Kündigungsschutzes vorhandenes Stammpersonal dauerhaft durch Leiharbeitnehmer ersetzt oder Dauertätigkeiten mittels Rotation der eingesetzten Leiharbeitnehmer abgedeckt werden sollen und damit eine Verringerung des strukturellen Sozialschutzes im Entleihbetrieb einhergeht. In diesen Fällen ist der Einsatz von Leihpersonal ausschließlich oder jedenfalls prägend vom Willen getragen, dauerhaft Kosten zu reduzieren oder Arbeitsschutzmechanismen wie den Kündigungsschutz und Befristungsregelungen zu umgehen. Ein weiterer nachvollziehbarer sachlicher Einsatzgrund wie die Abdeckung von Auftragsspitzen oder das Abfedern von Personalengpässen liegt dann gerade nicht vor, so dass sich der Einsatz von Leihpersonal nicht als flexibles, sondern missbräuchlich eingesetztes Personalmodell zur Substitution der Stammbelegschaft oder zur Umgehung von Arbeitnehmerschutzrechten darstellt. Andererseits ist eine vorübergehende und damit richtlinienkonforme Überlassung bei extensiver Auslegung dieses Merkmals dort noch zu bejahen, wo über die Fortdauer des bestehenden Beschäftigungsbedarfs und folglich über eine Prognose zur bestehenden Notwendigkeit des Leiharbeitnehmereinsatzes aus nachvollziehbaren sachlichen Gründen (noch) insoweit Ungewissheit herrscht, als eine präzise Datierung des Endes des zu prognostizierenden Personalmehrbedarfs zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen Verleiher und Entleiher noch nicht abschließend möglich ist.246 Eine fixe zeitliche Determination des Endes des Personalbedarfs beim Entleiher ist zum Zeitpunkt der Überlassung oder des Abschlusses des Überlassungsvertrags daher vor dem Hintergrund der unionsrechtlich flexiblen Ausgestaltung der Überlassung nicht zu verlangen. hh) Die Grundrechtsabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 und 2 GG Die Überlassung von Leiharbeitnehmern ist ebenso wie deren Einsatz im Entleihbetrieb von der Berufsausübungsfreiheit als einer Form der erwerbsbezogenen Tätigkeit und als Teilhabe am Wettbewerb von Art. 12 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt. Dazu gehört auch die Vertrags- und Dispositionsfreiheit des Unternehmers.247 245 Hamann,
NZA 2011, 70, 74; Krannich/Simon, BB 2012, 1414, 1417. NZA 2011, 70, 74; Krannich/Simon, BB 2012, 1414, 1417. 247 BVerfGE 97, 228, 254; BVerfG, NJW 2009, 2033, 2042. 246 Hamann,
224
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
Geschützt ist schließlich auch das Recht des Leiharbeitnehmers zur freien Arbeitsplatzwahl.248 Betroffen ist das Recht zur freien Arbeitsplatzwahl erst bei der Frage der Rechtsfolge im Fall der nicht bloß vorübergehenden Überlassung. Anders als der in § 10 Abs. 1 AÜG geregelte Fall der fehlenden Erlaubnis ist der Fall der nicht vorübergehenden Überlassung nicht geregelt, so dass es auch zu keiner Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher kommt. Das Bundesarbeitsgericht lehnt eine analoge Anwendung von § 10 Abs. 1 AÜG auf diese Fälle ab, gerade weil der mit der Fiktion einhergehende Eingriff in das Recht der freien Arbeitsplatzwahl einer gesetzlichen Grundlage bedarf.249 Aber auch im Fall einer gesetzlichen Regelung eines fingierten Arbeitsverhältnisses zum Entleiher stellte sich die Frage, ob der betreffende Leiharbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis zu einem Vertragspartner gezwungen werden muss, den er sich nicht ausgesucht hat. Das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns und gesetzlicher Regelungen spricht, vergleichbar den Fällen des Betriebsübergangs nach § 613a BGB, dafür, dem Leiharbeitnehmer zumindest ein Widerspruchsrecht einzuräumen und ihm so die Möglichkeit zu geben, die einmal getroffene Wahl seines Vertragsarbeitgebers zu aktualisieren und neu vorzunehmen. Fraglich ist zudem, ob eine Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher de lege lata überhaupt geboten ist, weil das Arbeitsverhältnis zum Verleiher mangels Anwendbarkeit von § 10 Abs. 1 AÜG nicht zwangsläufig unwirksam wird. In Betracht käme eine Unwirksamkeit allenfalls nach § 134 BGB, was allerdings voraussetzt, dass das Rechtsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer vom Schutzzweck des Verbotsgesetzes in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG erfasst wird. Diese Frage wurde höchstrichterlich bislang offengelassen; das Bundesarbeitsgericht hat sich lediglich zum Verbotsnormcharakter von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG im Rahmen des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG geäußert.250 Im Hinblick auf die zeitliche Beschränkung der Arbeitnehmerüberlassung und den damit einhergehenden Eingriff in die Vertragsfreiheit von Verleiher und Entleiher ergibt sich die Rechtfertigung aus dem Schutzzweck der Richtlinie 2008 / 104 / EG, namentlich den Gründen des Allgemeinwohls und der Sicherstellung eines Mindestmaßes an Sozialschutz für die Leiharbeitnehmer zur Sicherstellung fairer, gesunder und würdiger Arbeitsbedingungen. Der zeitlich befristete Einsatz von Leiharbeitnehmern schützt vor der Substitution 248 BVerfGE
84, 133, 146 f.; BVerfG, NZA 1995, 619, 620. Urteil vom 12.7.2016 – Az. 9 AZR 51/15, sowie BAG, BB 2016, 2686; so auch schon BAG, NZA 2011, 351; BAG, ArbR 2015, 350. 250 BAG, DB 2013, 2334; BAGE 145, 355 = DB 2013, 2629; BAGE, 146, 384 = DB 2014, 548; BAG, NZA 2015, 240. 249 BAG,
II. Das Ergebnis225
des Stammpersonals bei gleichzeitiger Umgehung von Befristungs- und Kündigungsschutzregelungen. Auch im Fall der Rotation von Leiharbeitnehmern auf denselben Arbeitsplätzen kann im Wege einer institutionellen Rechtsmissbrauchskontrolle nach § 242 BGB ein ausreichendes Maß an Sozialschutz sichergestellt werden. Der vorübergehende Charakter der Arbeitnehmerüberlassung sichert folglich in Zusammenschau mit den Grundsätzen des „Equal Pay / Equal Treatment“ ein ausreichendes Maß an Sozialschutz für die Leiharbeitnehmer. In gleichem Maß wird durch die tatbestandlich flexibel gestaltete zeitliche Komponente den unionsrechtlichen „Flexicurity“-Grundsätzen und damit auch den personalstrukturellen Interessen der entleihenden Unternehmer Rechnung getragen.
II. Das Ergebnis Bei dem Merkmal der „vorübergehenden“ Überlassung von Leiharbeitnehmern handelt es sich um ein unbestimmtes, normatives Tatbestandsmerkmal nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG, das mittels Auslegung im Sinne der Richtlinie 2008 / 104 / EG und nach dem Sinn und Zweck der Regelung auszufüllen ist. Das Merkmal enthält ein materielles Verbot der dauerhaften Arbeitnehmer überlassung, um dem nach Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008 / 104 / EG bestehenden Gebot, den Missbrauch der Leiharbeit vor allem durch die Substitution von Stammarbeitnehmern mit entsprechender normativer Gestaltung nationaler Regelungen in den Mitgliedstaaten zu verhindern, gerecht zu werden. Das Merkmal „vorübergehend“ hat nicht lediglich deskriptiven Charakter, dem materiell-rechtliche Regelungswirkung fehlte, sondern ist normatives Tatbestandsmerkmal von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG. Andernfalls ist der in Art. 6 der Richtlinie 2008 / 104 / EG bestimmte Zweck der Richtlinie, Leiharbeitnehmern den Zugang zu dauerhaften Arbeitsplätzen vorrangig zu ermöglichen, nicht erreichbar. Auch hätten die entleihenden Unternehmer bei gestatteter dauerhafter Leihe von Leiharbeitnehmern kein Interesse mehr am Aufbau und an der Bestandserhaltung des eigenen Stammpersonals und würden wie auch schon vor der Novellierung des AÜG im Jahr 2011 die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung zu einem festen Instrument ihrer Personalstrukturierung machen. Dann wären alle Leiharbeitnehmer strukturell schlechter gestellt und das Rundanliegen der Richtlinie 2008 / 104 / EG verfehlt. Das Ziel des Richtlinien- wie auch des nationalen Gesetzgebers, das Merkmal der vorübergehenden Überlassung als flexible Zeitkomponente ohne starre zeitliche Grenzen für die Arbeitnehmerüberlassung auszugestalten, liefe zudem ins Leere. Damit verbietet sich ein Rückgriff auf andere Arbeitsund sonstige Überlassungsverhältnisse regelnde Bestimmungen mit zeitlicher Beschränkung. Mangels planwidriger Regelungslücke scheidet schließlich
226
G. Das zeitliche Moment der Leiharbeitnehmerüberlassung
eine analoge Anwendung des AÜG auf die Fälle der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung aus. Sowohl der Richtliniengeber als auch der nationale Gesetzgeber haben ihre rechtspolitische als auch verfassungsrechtliche Aufgabe, zur Wahrnehmung des verbindlichen Steuerungsanspruchs des Staates in Form von klar und bestimmt formulierten Normen zu artikulieren251, mit dem Merkmal „vorübergehend“ erfüllt. Denn bei diesem Merkmal handelt es sich nach der Genese und nach den Wertungen der Richtlinie 2008 / 104 / EG um ein normatives und daher ausfüllungsbedürftiges Tatbestandsmerkmal. Im Rahmen der vorübergehenden Dienstleistungserbringung kann zum Zweck der Rechtsharmonisierung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur zwischenstaatlichen Arbeitnehmerentsendung sowie auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur privilegierten Konzernleihe nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG a. F. zurückgegriffen werden, nach welcher auch mehrjährige Überlassungen noch als zulässig anzusehen sind, soweit die Beteiligten, ihrem Willen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nach, von einem zeitigen und nicht von vornherein endgültigen Charakter der Überlassung oder Dienstleistungserbringung im Entleihbetrieb ausgehen. Demnach sind grundsätzlich auch mehrjährige Überlassungen von Leiharbeitnehmern an den Entleiher als tatbestandlich „vorübergehend“ im Sinne der Richtlinie 2008 / 104 / EG und im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG anzusehen. Die zeitliche Grenze für die vom Willen des Entleihers und des Verleihers getragene Arbeitnehmerüberlassung ist indes erreicht, wenn sich die Überlassung objektiv als rechtsmissbräuchlich herausstellt, weil die Überlassung allein oder jedenfalls ganz überwiegend objektiv nicht nachvollziehbaren, sachfremden oder willkürlichen Zwecken dienen soll. Das ist der Fall, wenn Stammarbeitsplätze entfallen sollen oder Dauerarbeitsplätze durch Leiharbeitnehmer im Rotationsverfahren besetzt werden und dadurch der Schutzzweck der Richtlinie 2008 / 104 / EG vereitelt wird. Schließlich kann in diesen Fällen auch die Intention des Richtliniengebers und Gesetzgebers, Leiharbeitnehmern ein Mindestmaß an Sozialschutz zu gewährleisten, nicht umgesetzt werden, weil diese im Fall der dauerhaften rechtsmissbräuchlichen und substituierenden Überlassung von einem noch besseren Sozialschutz, namentlich dem Arbeitnehmerstatus im Entleihbetrieb, ferngehalten werden. Das soll nach der Richtlinie 2008 / 104 / EG gerade ausgeschlossen sein. Ferner kann sich die Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen einer institutionellen 251 Schoch, Entformalisierung staatlichen Handelns, in: HStR III³ 2005, § 37, Rdn. 121; Degenhart, Staatsrecht I, Rdn. 351 f., 374 f.; BVerfGE 14, 13, 16; BVerfGE 17, 306, 314; BVerfGE 21, 73, 78 f.; BVerfGE 52, 1, 41; BVerfGE 108, 52, 74 f.; BVerfGE 108, 169, 181 f.; BVerfGE 114, 196, 235 f.; BVerfG, NVwZ 2008, 1338, 1340; OVG Schleswig-Holstein, SchlHA 2011, 101, 103.
II. Das Ergebnis227
Missbrauchskontrolle nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB als unzulässig herausstellen, wenn sie einseitig allein den Interessen einer Vertragspartei dient, namentlich wenn sie ausschließlich dazu dienen soll, das Lohnniveau der Arbeitnehmer dauerhaft – beispielsweise durch die Flucht aus tariflichen Verpflichtungen – zu senken oder kündigungsschutzrechtliche Normen zu umgehen oder auszuhöhlen. Die Rechtsmissbrauchskontrolle wird zum einen durch die Bundesanstalt für Arbeit als zuständiger Behörde nach § 17 AÜG, zum anderen durch die Gerichte für Arbeitssachen wahrgenommen. Im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG stellt sich die zeitliche Beschränkung der Überlassungsdauer auch als verhältnismäßig dar. Einer Fixierung eines starren Höchstüberlassungszeitraums fehlt es an der Erforderlichkeit, weil der Sozialschutz zugunsten von Leiharbeitnehmern bereits durch die Richtlinie 2008 / 104 / EG sichergestellt wird. Ferner findet sie auch keine Stütze im Wortlaut der Richtlinie 2008 / 104 / EG. Schließlich ist eine weiter als in der Richtlinie 2008 / 104 / EG gehende Einschränkung der unternehmerischen Freiheit im Sinne von Art. 16 GRC nicht gerechtfertigt. Nach der Richtlinie soll das Instrument der Personalüberlassung flexibel ausgestaltet sein; diesem Ziel stehen starre Höchstüberlassungsgrenzen ohne Rechtfertigung entgegen. In diesem Sinn ist folglich auch das AÜG richtlinienkonform auszulegen. Unschädlich ist es hingegen, dass der vom Richtlinien- wie auch vom Gesetzgeber in Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2008 / 104 / EG und § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG gewählte Wortlaut freilich eine gewisse Konturenlosigkeit in sich trägt, welcher zwangsläufig Unsicherheiten in der Gesetzesanwendung des AÜG zur Folge hat. Das ist jedoch allen unbestimmten Tatbestandsmerkmalen zu eigen und unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten hinnehmbar, weil das Tatbestandsmerkmal „vorübergehend“ den überkommenen Auslegungsmethoden zugänglich ist.
H. Die Zusammenfassung I. Zum Merkmal „vorübergehend“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG und von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG 1. Die Richtlinie 2008 / 104 / EG regelt das Personalinstrument der unechten Arbeitnehmerüberlassung unionseinheitlich abschließend. Den Mitgliedstaaten wird dabei kein konkretes Regelungsmodell vorgegeben. Als einzig zulässige Form der Überlassung ist indes nur die zeitweilige, vorübergehende Überlassung gestattet. Die nicht vorübergehende, dauerhafte Überlassung ist unzulässig, insoweit enthalten sowohl die Richtlinie 2008 / 104EG selbst als auch das AÜG nach unionsrechtskonformer Auslegung ein materielles Verbot. Die Fälle der dauerhaften Überlassung sind auch nicht als ungeregelte Fälle der Arbeitnehmerüberlassung durch den Richtliniengeber und den Gesetzgeber stillschweigend gestattet. Daher scheiden Rechtsanalogien zu den Regelungen des AÜG mangels planwidriger Regelungslücke aus. Allein dieses Verständnis der Richtlinie 2008 / 104 / EG trägt dem Richtlinienzweck, einen unionsweit einheitlichen und transparenten Rahmen zur Sicherstellung eines sozialen Mindestschutzes für im Rahmen wirtschaftlicher Tätigkeit überlassener Leiharbeitnehmer zu schaffen, Rechnung. 2. Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist somit hinsichtlich des Verständnisses von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG als Verbotsnorm zuzustimmen. 3. Gleichzeitig erfüllt die Richtlinie 2008 / 104 / EG den primärrechtlichen Zweck nach Art. 31 GRC, für die Arbeitnehmer gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen sicherzustellen und gemäß der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer zum Zweck der Verwirklichung des Binnenmarktes eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft durch eine Angleichung der Arbeitsbedingungen für Arbeitsformen wie der Leiharbeit zu bewirken. 4. Die in dem Verbot der dauerhaften Überlassung liegende Einschränkung der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 GRC ist gerechtfertigt, weil sie dem übergeordneten Gemeinwohl der Schaffung gesunder, sicherer und würdiger Arbeitsbedingungen im Sinn von Art. 31 GRC dient und das unternehmerische Interesse von Verleiher und Entleiher mit dem Interesse der Allgemeinheit an einem sozialwürdigen Personalinstrument der Leiharbeit in einen verhältnismäßigen Ausgleich bringt.
I. Zum Merkmal „vorübergehend“229
Die Beschränkung der zulässigen Überlassungsdauer auf einen zeitigen „vorübergehenden“ Zeitraum ist gerechtfertigt, weil die Sicherung des Sozialschutzes der Leiharbeitnehmer zur Gewährleistung gerechter und angemessener Arbeitsbedingungen einerseits und andererseits das unternehmerische Interesse von Verleiher und Entleiher an einem flexiblen Personaleinsatzmodell in einem verhältnismäßigen Ausgleich zueinander stehen. In den Fällen nicht-wirtschaftlicher, vor allem „echter“ Überlassung kann die Überlassung ausnahmsweise dauerhaft erfolgen. 5. Durch die Implementierung einer flexibel gestalteten zeitlichen Komponente tragen der Richtliniengeber und der Gesetzgeber dem europarechtlichen und dem grundgesetzlichen Willkürverbot nach Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung. 6. Eine starre zeitliche Fixierung des zulässigen Überlassungszeitraums durch den nationalen Gesetzgeber – mitunter auf bis nur wenige Monate1 – findet weder im Wortlaut der Richtlinie 2008 / 104 / EG und folglich bislang auch im AÜG selbst keine Stütze.2 Die Fixierung einer gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer stellte hingegen einen schwerwiegenderen Eingriff in die unternehmerische Handlungsfreiheit des Entleihers dar als das flexible zeitliche Merkmal der „vorübergehenden“ Überlassung. Für die Festlegung einer starren Überlassungshöchstdauer bedürfte es folglich eines die unternehmerischen Interessen weit überwiegenden objektiven Rechtfertigungsgrunds. Das gilt sowohl für die zeitliche Fixierung der Überlassungsdauer an sich als auch für die konkret festgelegte Höhe der Überlassungsdauer. Dabei müssen das Interesse an einem Mindestmaß an Sozialschutz der Leiharbeitnehmer und das unternehmerische Interesse der Entleiher an einem flexiblen Personalinstrument in einen schonenden Ausgleich praktischer Konkordanz gebracht werden. Das Interesse an einem höheren Mindestmaß an Sozialschutz für die Leiharbeitnehmer müsste bei einer denkbaren fixen zeitlichen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber dabei die unternehmerischen Interessen der entleihenden Unternehmer an einer flexiblen Handhabung der Überlassungsverhältnisse deutlich überwiegen. Dafür müsste der Gesetzgeber darlegen, dass die Festlegung einer starren Höchstüberlassungsdauer ein höheres Niveau an Sozialschutz für die Leiharbeitnehmer zur Folge hat, als es durch eine lediglich flexible Ausgestaltung der Überlassungsverhältnisse im Sinn der Richtlinie 2008 / 104 / EG erreichbar ist. Dieses „Mehr“ an Sozialschutz bedürfte seinerseits einer objektiven und willkürfreien Rechtfertigung. Andernfalls stellte sich eine zeitliche Fixierung der Höchstüberlassungsdauer schon als nicht geeignetes Mittel, zudem nicht gerechtfertigt und damit als unionsrechtswidrig dar. 1 Schuster/Grüneberg, 2 Anders
AiB 2012, 81, 82. wohl Zimmermann, NZA 2015, 528, 531.
230
H. Die Zusammenfassung
7. Durch den weiten personellen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2008 / 104 / EG und des AÜG wird ein hoher Sozialschutz für die Leiharbeitnehmer erreicht. Je eher den Leiharbeitnehmern ein vergleichbarer Sozialschutz wie den Stammarbeitnehmern des Entleihbetriebs nach dem Equal Pay / Treatment-Grundsatz zugebilligt wird, desto umfassender werden die europarechtlichen Ziele des Sozialschutzes erreicht. Damit lässt auch der Bedarf nach der Festlegung einer Höchstüberlassungsdauer nach, die Notwendigkeit für eine Rechtfertigung derselben schwindet. Je stärker die entliehenen Mitarbeiter dem Personal des Entleihbetriebs gleichgestellt werden, desto stärker nähert sich das Leiharbeitsverhältnis dem „normalen“ Arbeitsverhältnis des Stammpersonals des Entleihbetriebs an und desto weniger attraktiv wird das Modell der Leiharbeit für den Entleiher als Kosteneinsparmodell und als Mittel zur Umgehung des Befristungs- und Kündigungsschutzes. Auf diese Weise kommt das Personalmodell der Leiharbeit wieder seiner ursprünglichen Zweckbestimmung näher, nämlich als nur im Ausnahmefall eingesetztes Personalinstrument zur vorübergehenden Abdeckung von personellen Engpässen oder Betriebsspitzen. 8. Andere Formen des drittbezogenen Personaleinsatzes werden von der Richtlinie 2008 / 104 / EG und dem AÜG nicht erfasst. 9. § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG genügt dem rechtsstaatlichen Gebot hinreichender Bestimmtheit und Transparenz gesetzlicher Normen. Durch das europarechtskonforme Verbot dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung erfüllt der deutsche Gesetzgeber das Gebot gemäß Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008 / 104 / EG, geeignete Maßnahmen zur Sicherstellung eines Mindestsozialschutzes durch Verhinderung des missbräuchlichen Einsatzes von Leiharbeitnehmern zu treffen. Sowohl vor dem Hintergrund der Genese des Richtlinienverfahrens als auch den unionsrechtlichen „Flexicurity“-Grundsätzen stellt sich das gesetzliche Modell einer zeitweiligen Überlassung als einzig zulässiges Modell zur Überlassung von Arbeitnehmern dar. 10. Das Merkmal „vorübergehend“ ist nicht lediglich deklaratorischer Natur, sondern besitzt hinsichtlich des unionsrechtlichen Verbots dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung seinerseits Verbotscharakter und folglich normative Regelungskraft. 11. Ob eine Überlassung dauerhaft oder vorübergehend erfolgt, ist maßgeblich am im Überlassungsvertrag manifestierten Willen von Verleiher und Entleiher zu bemessen. In der Vereinbarung muss erkennbar zum Ausdruck kommen, dass die Überlassung zeitlich beschränkt erfolgen soll. Dabei muss das konkrete Ende der Einsatzzeit nicht von vornherein feststehen, sofern erkennbar ist, dass die Überlassung aus sachlichen Gründen zeitig erfolgen soll. Abzustellen ist in diesem Zusammenhang auf den konkreten Leiharbeitnehmer und nicht auf den Einzelarbeitsplatz.
II. Zu den Grenzen der Arbeitnehmerüberlassung231
12. Das Merkmal „vorübergehend“ im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG ist konform mit der Richtlinie 2008 / 104 / EG und im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 57 Abs. 3 AEUV extensiv dahingehend auszulegen, dass auch mehrjährige Überlassungen erlaubt sind, sofern dafür objektive Sachgründe und nachvollziehbare Interessen seitens des Entleihers vorliegen und die Überlassung nicht von vornherein als willkürlich erscheint. Dabei kann auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur grenzüberschreitenden Arbeitnehmerentsendung und auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Verständnis des früheren Merkmals „vorübergehend“ im Rahmen der privilegierten konzerninternen Überlassung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG a. F. zurückgegriffen werden. 13. Eine Überlassung erfolgt nicht mehr „vorübergehend“, wenn sie aus evident sachfremden oder willkürlichen Gründen erfolgt. Das ist der Fall, wenn die Überlassung ausschließlich oder vorrangig nur der Personalkostenreduktion oder Substitution des Stammpersonals zur Umgehung von Arbeitnehmerschutzrechten dient und damit rechtsmissbräuchlich erfolgt. Die tatbestandliche Grenze des Merkmals „vorübergehend“ ist im Einzelfall mittels einer institutionellen Missbrauchskontrolle am Maßstab von § 242 BGB zu bestimmen. Die Kontrolle obliegt den Aufsichtsbehörden und der Fachgerichtsbarkeit. 14. Der Eingriff in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Vertrags- und Dispositionsfreiheit durch die zeitliche Beschränkung der Überlassungsdauer ist im Hinblick auf den Flexibilisierungsbedarf des entleihenden Unternehmers und auf das erstrebte Mindestmaß an Sozialschutz zugunsten der Leiharbeitnehmer verhältnismäßig.
II. Zu den Grenzen der Arbeitnehmerüberlassung in kirchlichen Einrichtungen 15. Das AÜG ist „für alle geltendes Gesetz“ im Sinne von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV und bildet eine verhältnismäßige Schranke des kirchlichen Selbstorganisationsrecht. 16. Anders als bislang ist der einheitlich verstandene Begriff der „Dienstgemeinschaft“ stattdessen als inhaltlich verschiedenes, aber untrennbares Begriffspaar im Sinn einer Dienstgemeinschaft im theologischen Sinn und einer Dienstgemeinschaft im juristischen Sinn aufzufassen. Die Begriffe sind inhaltlich nicht deckungsgleich, bedingen jedoch einander. Während die Dienstgemeinschaft im theologischen Sinn alle diejenigen in der Kirche Tätigen ungeachtet ihres rechtlichen Status erfasst, die am Sendungsauftrag der Kirchen teilnehmen, ist allein der Begriff der Dienstgemeinschaft im juristischen Sinn dazu geeignet, die Rechtspflichten zwischen den Beteiligten bei
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H. Die Zusammenfassung
der Arbeitnehmerüberlassung an kirchliche Entleiher näher zu bestimmen. Das folgt unmittelbar aus dem nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV geschützten Selbstverwaltungsrecht. 17. Hinsichtlich des Begriffs der Dienstgemeinschaft im juristischen Sinn ist bei der Frage der Zulässigkeit und der Grenzen der Arbeitnehmerüberlassung neben den säkularen Leiharbeitsregelungen auch zu berücksichtigen, ob durch den Fremdpersonaleinsatz der Sendungsauftrag der betreffenden kirchlichen Einrichtung weiterhin sichergestellt wird. 18. Zum Zweck einer einheitlichen Dienstgemeinschaft im juristischen Sinne ist zur Sicherstellung der kirchlichen Loyalitätsanforderungen und auch zur Vermeidung von Loyalitätskonflikten bei dem Einsatz von Leihpersonal in kirchlichen Einrichtungen danach zu unterscheiden, ob kircheninternes oder kirchenexternes Leihpersonal zum Einsatz kommt und wie eng der Personaleinsatz den Sendungsauftrag der kirchlichen Einrichtung berührt. Dabei gilt, je näher die betreffende Tätigkeit des Leihpersonals dem Verkündigungsauftrag steht, desto eher ist sie von kirchenloyalem Stammpersonal der entleihenden kirchlichen Einrichtung zu erfüllen und desto weniger kommt der Einsatz von kirchenexternem Leihpersonal in Betracht. Bei dem Sendungsauftrag weniger nah stehenden Aufgaben kann zur Loyalität verpflichtetes Leihpersonal, im verkündigungsfernen Bereich kirchenfernes Leihpersonal zum Einsatz kommen. 19. Die Kirchen haben im Rahmen des ihnen zustehenden Selbstverwaltungs- und -organisationsrechts gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV das Recht, die Geltung kirchlicher Loyalitätsobliegenheiten auch für das bei ihnen insgesamt eingesetzte Leihpersonal kirchenrechtlich oder in der Diakonie und in der Caritas durch Verbandssatzung oder Verordnung für die zugeordneten kirchlichen Einrichtungen festzuschreiben. Dabei empfiehlt sich ein im Hinblick auf die Nähe zum Verkündigungsauftrag abgestuftes Loyalitätsobliegenheitenmodell. Dafür können die Kirchen bestimmen, dass ausschließlich zur Beachtung der kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten verpflichtetes Leihpersonal in ihren oder zugeordneten Einrichtungen zum Einsatz kommt. 20. Eine Geltung kirchlicher Loyalitätsobliegenheiten seitens der Leiharbeitnehmer gegenüber dem kirchlichen Entleiher bedingt die Anwendung kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen auch zugunsten der Leiharbeitnehmer. Das hat zwar die Unattraktivität der Arbeitnehmerüberlassung in kirchlichen Einrichtungen als alternativem, vor allem kostensparenden Personalinstrument zur Folge, führte indes zu einer Stärkung des Leitbilds der Dienstgemeinschaft und damit zu einer höheren Legitimation des Dritten Wegs der beiden Kirchen. 21. Die Rechtsprechung des KGH.EKD und des Kirchlichen Arbeitsgerichtshofs zur aus Gründen des Erhalts der Dienstgemeinschaft höchstens
II. Zu den Grenzen der Arbeitnehmerüberlassung233
zweijährigen Überlassungshöchstdauer von Leihpersonal in kirchlichen Einrichtungen ist sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis abzulehnen. Für die von der Kirchenrechtsprechung angenommene Spaltung der Dienstgemeinschaft ab einer zweijährigen Überlassungsdauer fehlt es an einem nachvollziehbaren zeitlichen und sachlichen Konnex. Allein der Zeitraum der Überlassung des Leihpersonals ist als Kriterium für die Bejahung der Verletzung des Leitbilds der Dienstgemeinschaft ungeeignet. Zudem gestattet § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG bei richtlinienkonformer Auslegung auch mehrjährige Arbeitnehmerüberlassungen. Entscheidend für die Bewahrung des Leitbilds der Dienstgemeinschaft ist vielmehr, wie sehr das eingesetzte Leihpersonal am Verkündigungsauftrag des kirchlichen Entleihers teilnimmt, ob das Leihpersonal kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten unterliegt und ob kirchliche Arbeitsrechtsbedingungen zur Anwendung kommen.
I. Die Reregulierung 2017 Mit Wirkung zum 1.4.2017 erfolgte schließlich die jüngste Reform des AÜG mit dem Ziel, die Leiharbeit auf ihre Kernfunktion hin zu orientieren und den Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen zu verhindern.1 Dafür soll neben weiteren Reformzielen vor allem die Funktion der Arbeitnehmerüberlassung als Instrument zur zeitlich begrenzten Deckung eines Arbeitskräftemangels geschärft und der Missbrauch von Leiharbeit verhindert werden.2 Die Gesetzesbegründung nennt als Ziel der Neuregelungen unter anderem, der durch dauerhaften Einsatz von Leiharbeitnehmern verursachten Verdrängung von Stammpersonal entgegenzuwirken.3 Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts4, nach der eine dauerhafte Überlassung unstatthaft ist, weil § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG5 ein diesbezügliches Verbot enthält, greift die Gesetzesbegründung dabei nicht explizit auf. Im Folgenden sollen die relevanten Änderungen im Überblick aufgezeigt und anhand der gefundenen Ergebnisse kritisch gewürdigt werden.6
I. Die Neuerungen der Reform Ausgehend vom vorübergehenden Charakter der Arbeitnehmerüberlassung in § 1 Abs. 1 S. 4 AÜG n. F. können Leiharbeitnehmer nach dem am 21.10.2016 nach 3. Beratung beschlossenen Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze7 künftig nur noch bis zu einer Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten bei einem Entleiher eingesetzt werden. Gemäß § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG n. F. darf derselbe Leiharbeitnehmer vom Verleiher insgesamt nicht länger als 18 Monate demselben Entleiher überlassen werden und seitens des Ent-
1 So schon der Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drs. 294/16. Schließlich BT-Drs. 18/9232, S. 15. 2 BR-Drs. 294/16, S. 1; BT-Drs. 18/9232, S. 1. 3 BR-Drs. 294/16, S. 10; BT-Drs. 18/9232, S. 1. 4 BAGE 145, 355, 370; BAG, NZA 2015, 240. 5 Die Rechtsprechung ist auf § 1 Abs. 1 S. 4 AÜG n. F. übertragbar. 6 Einen Überblick über alle wesentlichen Änderungen bietet Wank, RdA 2017, 100. 7 BR-Drs. 294/16, S. 1; BT-Drs. 18/9232, S. 1.
I. Die Neuerungen der Reform235
leihers nicht länger als 18 Monate eingesetzt werden.8 Dabei stellt der Gesetzgeber auf eine schon nach der früheren Rechtslage sehr umstrittene leiharbeitnehmerbezogene Sichtweise ab, so dass Leiharbeitnehmer auf Dauerarbeitsplätzen eingesetzt werden können.9 Zeiträume aus vorangegangenen Überlassungen sind dabei auf die Höchstüberlassungsdauer anzurechnen, wenn die Unterbrechungszeiträume zwischen den Überlassungszeiträumen nicht mehr als drei Monate übersteigen. Aufgrund tariflicher oder betrieblicher Vereinbarungen können abweichende und damit auch längere Überlassungszeiträume zwischen den Sozialpartnern vereinbart werden.10 Nicht tarifgebundene Entleiher können durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung solche tariflichen Vereinbarungen für anwendbar erklären und ebenfalls die Überlassungsdauer von 18 Monaten überschreiten, allerdings nur bis zu höchstens 24 Monaten. Leiharbeitnehmer werden spätestens nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts dem Stammpersonal gleichgestellt, § 8 Abs. 1 und 4 S. 1 AÜG n. F. (Equal Pay-Grundsatz). Im Hinblick auf eine Gleichstellung beim Arbeitsentgelt können tariflich sogar noch länger abweichende Zeiträume vereinbart werden, sofern in gesonderten Zuschlagstarifverträgen sichergestellt ist, dass das Gehaltsniveau der Leiharbeitnehmer stufenweise an gleichwertige tarifvertragliche Arbeitsentgelte der Einsatzbranche herangeführt wird, § 8 Abs. 4 S. 2.11 Die stufenweise Heranführung muss nach spätestens sechs Wochen Einarbeitungszeit beginnen und nach spätestens 15 Monaten das als gleichwertig angesehene Arbeitsentgelt erreicht haben. Im Überlassungsvertrag muss die Arbeitnehmerüberlassung ausdrücklich als Vertragsgegenstand bezeichnet sein. Erfolgt eine solche Bezeichnung nicht und wird die Arbeitnehmerüberlassung folglich nicht offen ausgeübt, wird gemäß § 9 Nr. 1a AÜG n. F. ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher fingiert. Gleiches gilt nach § 9 Nr. 1b AÜG n. F. im Fall der Überschreitung der Höchstüberlassungsdauer. In allen bisherigen und neuen Konstellationen der Vertragsfiktion zum Entleiher, steht dem Leiharbeitnehmer nun ein einmona8 Geschuldet ist der gewählte Zeitraum wohl einem Kompromiss der Koalitionsparteien, der die Forderungen einer Überlassungshöchstdauer zwischen 12 und 24 Monaten vereinen sollte, Bissels/Falter, ArbRAktuell 2017, 4. Die vom Gesetzgeber zur Begründung angeführte Adaption „tarifvertraglicher Vereinbarungen aus der betrieblichen Praxis“ (BT-Drs. 18/9232, S. 20) ist allerdings weder statistisch belegt noch sonst plausibel. 9 Seel, öAT 2016, 27, 28; Wank, RdA 2017, 100, 109, sieht darin eine nicht EUrichtlinienkonforme Ausgestaltung der Überlassung, weil der Schutz der Stammbelegschaft vor Substitution nicht gewährleistet sei. 10 BR-Drs. 294/16, S. 2; BT-Drs. 18/9232, S. 20. Zur tarifvertraglichen Ausgestaltung der Überlassungshöchstdauer siehe Seiwerth, NZA 2017, 479. 11 BR-Drs. 294/16, S. 2; BT-Drs. 18/9232, S. 24.
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I. Die Regulierung 2017
tiges Widerspruchsrecht zu.12 Vor der Überlassung hat der Verleiher die Namen der betreffenden Leiharbeitnehmer zu konkretisieren. Die sogenannte „Drehtür“-Klausel, nach welcher tariflich abweichende Regelungen nicht für Leiharbeitnehmer gelten, die in den sechs Monaten vor der Überlassung bei dem Entleiher beschäftigt waren, wird in § 8 Abs. 3 AÜG n. F. beibehalten. Neu hingegen ist wiederum, dass gemäß § 1 Abs. 1b S. 8 AÜG n. F. ausdrücklich die Kirchen und die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften abweichende Überlassungshöchstdauern in ihren jeweiligen Regelungen vorsehen können.13 Folglich kann in den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen eine eigenständige Überlassungshöchstdauer für im kirchlichen Bereich eingesetztes Leihpersonal vereinbart werden – etwa durch Kirchengesetz oder kirchliche Verordnung, auch wenn es sich dabei nicht um eine Tarifvereinbarung im Sinne der Rechtsqualität des TVG handelt.14 Die Begründung zum Gesetzentwurf stellt klar, dass zu den Kirchen auch deren caritative und erzieherischen Einrichtungen gehören, die ebenfalls durch kirchenrechtliche Arbeitsregelungen wie den Arbeitsvertragsrichtlinien abweichende Überlassungszeiträume regeln dürfen.15 Das bedeutet, dass durch innerkirchliche Arbeitsrechtsregelungen wie kirchliche Gesetze, Verordnungen, Richtlinien, Arbeitsvertragsrichtlinien und innerkirchliches Satzungsrecht entsprechend verkürzte oder ausgedehnte Überlassungszeiträume abweichend von der 18-Monatsregel in § 1 Abs. 1b AÜG n. F. vereinbar sind.
II. Die Kritik Das Ziel des Gesetzgebers, den Missbrauch im Bereich der Leiharbeit bekämpfen zu wollen, ist ein legitimes Anliegen im Rahmen der Wahrnehmung seiner Schutzfunktion für strukturell schlechter gestellte Leiharbeitnehmer. Es bestehen indes erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer starren gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer, vor allem hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit europäischem Primärrecht und Sekundärrecht. Zwar sah der Gesetzgeber auch früher schon eine gesetzliche Höchstüberlassungsdauer vor, allerdings noch zu Zeiten vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2008 / 104 / EG. 12 BR-Drs. 294/16, S. 22, 27; BT-Drs. 18/9232, S. 25. Von Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2017, 50, 51, und Wank, RdA 2017, 100, 112, sprechen richtigerweise von einer „Festhaltenserklärung“. 13 BR-Drs. 294/16, S. 2; BT-Drs. 18/9232, S. 21. 14 Lembke, NZA 2017, 1, 5, will die Öffnungsklausel nur auf kircheninterne Regelungen erstrecken, in denen die Religionsgemeinschaften als Entleiher, nicht als Verleiher auftreten. 15 BR-Drs. 294/16, S. 17; BT-Drs. 18/9232, S. 21.
II. Die Kritik237
Im Hinblick auf die neuerliche Einführung einer starren Höchstüberlassungsdauer ist hingegen nun auch das Unionsrecht zu beachten. Der Richtliniengeber hat die Arbeitnehmerüberlassung als „vorübergehend“ charakterisiert, ohne den Mitgliedstaaten ein bestimmtes Arbeitnehmer überlassungsmodell vorzugeben. Nach Art. 288 Abs. 3 AEUV steht es den Mitgliedstaaten damit frei, die Form und Mittel der Umsetzung der verbindlichen Richtlinienziele zu wählen. Die Festlegung einer nationalen fixen Überlassungshöchstdauer ist damit weder vorgegeben noch ausgeschlossen.16 Sichergestellt sein muss hingegen, dass die Mitgliedstaaten ein gewisses Mindestniveau an Sozialschutz gewährleisten. Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG sind Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt, wozu die Richtlinie den Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarkts und eventuellen Missbrauch zählt. An diesem Maßstab muss sich auch die Neuregelung in § 1 Abs. 1b AÜG n. F. messen lassen. Nicht nachvollziehbar ist schließlich, weshalb die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Merkmal „vorübergehend“ in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG keine Berücksichtigung fand, weil aufgrund des vom Bundesarbeitsgerichts erkannten materiellen Verbots der dauerhaften Überlassung in der bisherigen Vorschrift des § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG so schon der vom Gesetzgeber angeführte Regelungsbedarf – die Verhinderung der Verdrängung von Stammpersonal im Entleihbetrieb durch dauerhaft überlassenes Leihpersonal17 – infrage steht.18 1. Die Verhältnismäßigkeit und die Zweckmäßigkeit einer starren Höchstüberlassungsgrenze Hat sich die Richtlinie 2008 / 104 / EG mit dem flexiblen Merkmal der „vorübergehenden“ Überlassung mit dem Primärrecht, vor allem mit Art. 16 GRC, und mit der Übernahme dieses Merkmals in das AÜG auch das nationale Recht mit europäischem Primärrecht und Sekundärrecht als vereinbar gezeigt, so bedarf eine starre Höchstüberlassungsdauer zu ihrer Rechtfertigung eines objektiven Sachgrunds, weil darin eine noch schwerwiegendere Beschränkung der unternehmerischen Freiheit des Verleihers und des Entlei16 Hamann/Klengel, EuZA 2017, 194, 203, schlagen statt der Überlassungshöchstdauer ein an § 14 Abs. 1 TzBfG orientiertes Modell von Regelbeispielen vor um sicherzustellen, dass keine Substitution des Stammpersonals erfolgen kann. 17 BR-Drs. 294/16, S. 10; BT-Drs. 18/9232, S. 20. 18 Ulber, AiB 2017, 27, 30, spricht denn auch von einer gesetzgeberischen „Mogelpackung“, Lembke, NZA 2017, 1, von einer „reformatio in peius“.
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I. Die Regulierung 2017
hers als ohnehin schon durch das Merkmal „vorübergehend“ liegt. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG lässt als Rechtfertigung Gründe des Allgemeininteresses gelten und nennt vor allem den Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarkts zu gewährleisten und Missbrauch zu verhüten. Der Gesetzgeber verfolgt mit der AÜG-Reform ein legitimes Ziel, wenn er mit der Einführung einer fixen Höchstüberlassungsdauer die Verdrängung von Stammpersonal im Entleihbetrieb und damit den missbräuchlichen Einsatz von Leihpersonal verhindern will.19 Es ist allerdings schon fraglich, ob der intendierte Schutz der Leiharbeitnehmer in der vom Gesetzgeber gewählten Weise einer starren Höchstüberlassungsdauer überhaupt erreichbar ist.20 Schon die früheren, stufenweise nach oben angepassten Höchstüberlassungszeiträume haben kaum einen arbeitsmarktpolitischen Effekt auf die tatsächlichen Überlassungszeiträume auf dem Leiharbeitsmarkt gehabt, so dass bereits Zweifel an einem arbeitsmarktpolitischen Bedürfnis an der Wiedereinführung einer solchen Höchstgrenze bestehen.21 Dem ausdrücklich erklärten Anliegen der AÜG-Reform, einer dauerhaften Substitution von Stammpersonal effektiv entgegenzuwirken22, ist schließlich bereits das Bundesarbeitsgericht durch seine Rechtsprechung zum Merkmal „vorübergehend“ wesentlich näher gekommen.23 Der Gesetzgeber geht selbst von einem notwendigen Schutz des Stammpersonals vor einer Verdrängung durch Leihpersonal aus, so dass die Leiharbeitnehmer vordergründig gar nicht zu dem gesondert durch die AÜG-Reform zu schützenden Personenkreis zu zählen scheinen.24 Ein effizienter Sozialschutz von Leiharbeitnehmern ergibt sich ferner weniger aus einer gesetzlich oder gegebenenfalls tariflich reglementierten Überlassungshöchstdauer, sondern vielmehr aus einer möglichst frühzeitigen Angleichung der Arbeitsbedingungen des Leihpersonals an die Arbeitsbedingungen des Stammpersonals des Einsatzbetriebs nach dem Grundsatz des „Equal Pay / Equal Treatment“, und zwar im Sinne des Grundsatzes der Gleichbehandlung ab dem ersten 19 BR-Drs.
294/16, S. 10; BT-Drs. 18/9232, S. 20. RdA 2017, 100, 108, wirft zudem zutreffend die Frage nach der Angemessenheit der starren Überlassungshöchstdauer beispielsweise in Vertretungsfällen auf. Zwar können diese Fälle in flexibel gestalteten tarifvertraglichen Bestimmungen abgedeckt werden, dort wo keine Tarifverträge bestehen oder nicht anwendbar sind, bleibt es aber bei der starren 18-Monatsregelung. 21 Happ/Most, BB 2015, 565, 566. 22 BR-Drs. 294/16, S. 16; BT-Drs. 18/9232, S. 20. 23 BAGE 145, 355; BAG, NZA 2015, 240. 24 So jedenfalls Wank, RdA 2017, 100, 109. 20 Wank,
II. Die Kritik239
Einsatztag gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG.25 Die höchstzulässige Dauer der Überlassung spielt dabei eine viel geringere Rolle. Vor dem Hintergrund, dass § 8 Abs. 4 AÜG n. F. nach dem Equal-Pay-Grundsatz eine Angleichung der Arbeitsbedingungen des Leihpersonals aufgrund Tarifvertrags grundsätzlich spätestens nach neun Monaten Einsatzzeit vorschreibt, erhöht sich der Sozialschutz der Leiharbeitnehmer vielmehr gerade bei längerfristigen Überlassungszeiten über neun Monate hinaus. Der für solche Verleihzeiten geschaffene Sozialschutz betrifft allerdings nur höchstens ein Viertel aller Leihverhältnisse, die neun Monate oder länger dauern.26 Werden jedoch dem Leihpersonal die gleichen Arbeitsbedingungen wie dem Stammpersonal gewährt, kann schließlich nicht mehr davon ausgegangen werden, dass Leiharbeitnehmer strukturell schlechter gestellt sind und diskriminiert werden.27 Längere Überlassungszeiträume, die eine Angleichung der Arbeitsbedingungen an diejenigen des Stammpersonals zur Folge haben, sind für das Leihpersonal grundsätzlich eher günstig, für den Entleiher aus wirtschaftlicher Perspektive hingegen weniger attraktiv. Leiharbeitnehmer mit kürzeren Überlassungszeiträumen partizipieren an dem vom Reform-Gesetzgeber intendierten höheren Sozialschutz so gut wie kaum. Allein im Zeitraum von 2009 bis 2012 zeigte sich, dass Leiharbeitsverhältnisse zu einem hohen Anteil von kurzer und sehr kurzer Dauer von bis zu drei Monaten sind.28 Nur etwa 17 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse enden erst nach 18 Monaten oder später.29 Der Sozialschutz von kurzfristig, aber häufig an verschiedene Einsatzbetriebe verliehenen Leiharbeitnehmern ist demnach strukturell wesentlich geringer als derjenige des von bei einem Entleihbetrieb längerfristig eingesetzten Leihpersonals. Gerade bei längerfristig eingesetztem Leihpersonal besteht folglich schon keine gesteigerte Schutzbedürftigkeit. Ein besonderer Sozialschutz besteht viel eher bei mehrheitlich kurzfristig eingesetztem Leihpersonal, welches vom Grundsatz der Diskriminierungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG aufgrund der tariflichen Abweichungsmöglichkeit in § 8 Abs. 4 AÜG n. F. 25 Im Ergebnis ebenso die Bundesrechtsanwaltskammer in ihrer Stellungnahme Nr. 14/2016, S. 6, online abrufbar unter http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellung nahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2016/juni/stellungnahme-der-brak-2016-14. pdf, zuletzt abgerufen am 2.3.2018. 26 Ulber, AiB 2017, 27, 28 f. 27 Zutreffend Thüsing, NZA 2014, 10, 11. 28 Zwölfter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – AÜG, BT-Drs. 18/673, S. 44. 29 Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Zeitarbeit – Aktuelle Entwicklungen, Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, Februar 2018, Seite 13, https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktbe richte/Branchen/generische-Publikationen/Arbeitsmarkt-Deutschland-ZeitarbeitAktuelle-Entwicklung.pdf, zuletzt abgerufen am 13.4.2018.
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I. Die Regulierung 2017
ausgenommen werden kann und dadurch strukturell noch stärker benachteiligt wird.30 An dieser Schlechterstellung ändert die AÜG-Reform von 2017 jedoch nichts. Die Festlegung einer starren Höchstüberlassungsgrenze ist schließlich auch ein untaugliches Mittel zur Behebung der strukturellen Benachteiligung von Leiharbeitnehmern, die nur kurzfristig zum Einsatz in Entleihbetrieben kommen. Richtiger Ansatzpunkt wäre die noch frühzeitigere Angleichung der Arbeitsbedingungen an die Bedingungen des Stammpersonals. Im Übrigen bedürften an sich zulässige tarifliche Ausnahmeregelungen ihrerseits einer sachlichen Rechtfertigung für die dort geregelten Überlassungszeiträume. Allein die tatsächlichen, meist anhand von Wirtschaftlichkeitskriterien geltend gemachten Bedürfnisse der jeweiligen Einsatzbranche genügen dafür grundsätzlich nicht. Weiterhin bietet auch die AÜG-Reform keinen Schutz vor einem rotierenden, der rechtsmissbräuchlichen Kettenüberlassung gleichendem Einsatz verschiedener Leiharbeitnehmer auf einem Dauerarbeitsplatz des Entleihers. Spätestens nach 18 Monaten endet die zulässige Höchstüberlassungszeit des betreffenden Leiharbeitnehmers, auf dem Arbeitsplatz kann dann der nachfolgende Leiharbeitnehmer wiederum für maximal 18 Monate zum Einsatz kommen.31 In Verbindung mit der arbeitnehmer- und nicht arbeitsplatzbezogenen Bestimmung der Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten können Dauerarbeitsplätze des Entleihers folglich zeitlich nahezu unbegrenzt mit wechselnden Leiharbeitnehmern besetzt werden.32 Wie durch die Regelung einer fixen Überlassungshöchstdauer unabhängig von der konkreten Dauer einer Überlassung „einer dauerhaften Substitution von Stammbeschäftigten entgegengewirkt [wird]“33, vermag sich aufgrund der das Gegenteil ermöglichenden Neuregelungen der Reform 2017 nicht erschließen.34 Das ausdrücklich mit der Konkretisierung des bisherigen alleinigen Kriteriums der vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung und der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beabsichtigte Ziel der Reform, Rechtssicherheit zu schaffen35, ist allein mit der Fixierung der Überlassungshöchstdauer jedenfalls nicht zu erreichen und auch nicht erreicht worden. Mit dem in Art. 5 Abs. 5 der Leiharbeitsrichtlinie erklärten Ziel und Regelungsauftrag an die 30 Ulber,
AiB 2017, 27, 28 f. öAT 2016, 27, 28. Bissels/Falter, ArbRAktuell 2017, 4 f., sprechen von „Arbeitnehmerrondelle[n]“. 32 So auch Ulber5, AÜG, § 1, Rdn. 249. 33 BT-Drs. 18/9232, S. 20 (zu Buchstabe c). 34 Auch Hamann/Rudnik, NZA 2017, 209, 210, sprechen von einem Nachteil für die beteiligten Unternehmen und Leiharbeitnehmer. 35 BT-Drs. 18/9232, S. 20 (zu Buchstabe c). 31 Seel,
II. Die Kritik241
Mitgliedstaaten, rechtsmissbräuchliche Kettenüberlassungen effektiv zu verhindern, ist die AÜG-Novelle zudem jedenfalls nur schwer in Einklang zu bringen.36 Will der Entleiher darüber hinaus verhindern, dass die Leiharbeitnehmer in den Genuss der Gleichbehandlung mit dem Stammpersonal hinsichtlich des Entgelts kommen, gestaltet er die Überlassungszeiträume entsprechend kurz unterhalb der zeitlichen Angleichungsschwelle des Tarifvertrags. Nach Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008 / 104 / EG sollen die Mitgliedstaaten indes gerade dafür Sorge tragen, dass aufeinanderfolgende Überlassungen verhindert werden. Allein die Festlegung einer starren Höchstüberlassungsdauer für den Leihpersonaleinsatz kann einen solchen Schutz gerade nicht gewähren. Ein effektiver Schutz vor einer rechtsmissbräuchlichen Leiharbeitnehmer-Rotation ist wiederum nur über eine institutionelle Missbrauchskontrolle im Sinne von § 242 BGB erreichbar.37 Die gesetzliche Fixierung der Höchstüberlassungsdauer stellt sich vor dem Hintergrund der in der Richtlinie 2008 / 104 / EG den Mitgliedstaaten aufgetragenen Gewährleistung eines Mindestsozialschutzes zur Verhinderung von Diskriminierung von Leih arbeitnehmern folglich als von vornherein nicht geeignetes Mittel dar.38 Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen vor allem des wiederholt nur kurzfristig überlassenen Leihpersonals ist nicht zu erwarten. Ungeeignet ist die fixierte Höchstüberlassungsdauer auch hinsichtlich des vom Gesetzgeber erstrebten Schutzes des Stammpersonals vor Personalsubstitution. Im Übrigen existieren auch keine forensischen Daten, die eine Korrelation zwischen der vom Gesetzgeber gewählten zeitlichen Grenze von 18 bzw. 24 Monaten Überlassungshöchstdauer und einer besonderen Schutzbedürftigkeit von Leiharbeitnehmern nach diesem Überlassungszeitraum nahelegen. In der Gesetzesbegründung ist lediglich davon die Rede, dass mit der Einführung der 18-monatigen Überlassungshöchstdauer bestehende Regelungen aus der betrieblichen Praxis aufgegriffen werden.39 Nicht erwähnt wird, welche Praxisregelungen aus welcher Einsatzbranche aufgegriffen wurden und aus welchen Gründen der Gesetzgeber sich gerade für die ge36 An der EU-Rechtskonformität der Neuregelung ebenso zweifelnd Schüren/Fas holz, NZA 2015, 1473, 1474; Ulber5, AÜG, § 1, Rdn. 249, 250, spricht sogar davon, dass das Gesetz die Möglichkeiten der Unternehmen zur Zerstörung tariflich gesicherter Dauerarbeitsplätze durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern mit Niedriglöhnen ausweiten will. 37 So im Ergebnis jedenfalls auch Hamann/Klengel, EuZA 2017, 194, 209 f. 38 Ebenso die Bundesrechtsanwaltskammer in ihrer Stellungnahme Nr. 14/2016, S. 5 f., online abrufbar unter http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/ stellungnahmen-deutschland/2016/juni/stellungnahme-der-brak-2016-14.pdf, zuletzt abgerufen am 2.3.2018. 39 BR-Drs. 294/16, S. 10; BT-Drs. 18/9232, S. 20.
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I. Die Regulierung 2017
wählte Höchstdauer entschieden hat.40 Ferner betont der Gesetzgeber die Möglichkeit zur Abweichung von der Höchstdauer durch Tarifvertrag, um die notwendige Flexibilität zu erhalten.41 Damit nutzt der Gesetzgeber den schon vor der AÜG-Novelle nach den Erwägungsgründen 16 und 17 der Richtlinie 2008 / 104 / EG existierenden Spielraum, vom Gesetz tariflich abweichende Vereinbarungen der Koalitions- und Sozialpartner über die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu gestatten, sofern ein Mindestmaß an Sozialschutz gewährleistet wird. Dieser Spielraum wird durch die Richtlinie 2008 / 104 / EG allerdings ausdrücklich den Sozialpartnern der jeweiligen Einsatzbranche zugewiesen, um innerhalb des weitgefassten zeitlichen Einsatzrahmens nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG den Bedürfnissen der jeweiligen Branche angepasste Überlassungszeiträume zu vereinbaren. Die seit dem 1.4.2017 geltende gesetzliche fixierte Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten ist folglich schon von vornherein nicht geeignet, einen höheren Sozialschutz von Leiharbeitnehmern herzustellen und mangels sachlicher Rechtfertigung willkürlich gewählt. Das Recht der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 GRC, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG wird folglich insgesamt unverhältnismäßig eingeschränkt.42 2. Die Vereinbarkeit mit Unionsrecht a) Zur starren Überlassungshöchstdauer Allein dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG folgend, ist eine starre Fixierung der Höchstüberlassungsdauer durch den nationalen Gesetzgeber an sich nicht ausgeschlossen. Die Fixierung einer Höchsteinsatzdauer muss jedoch mit den Zielsetzungen der Richtlinie 2008 / 104 / EG in Einklang stehen und ferner mit dem primären Unionsrecht vereinbar sein. Im Besonderen ist zu berücksichtigen, dass die Richtlinie 2008 / 104 / EG auf den Flexicurity-Grundsätzen beruht, welche auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Flexibilität und Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt abstellen. Dabei soll neben dem Flexibilitätsbedarf der Unternehmer auch das Bedürfnis der Arbeitnehmer, Beruf und Privatleben zu vereinbaren zur Schaffung 40 Zum vermutlichen Grund Bissels/Falter, ArbRAktuell 2017, 4. Ebenso Willkürlichkeit annehmend Ulber5, AÜG, § 1, Rdn. 266. 41 BR-Drs. 294/16, S. 10; BT-Drs. 18/9232, S. 20. 42 So auch die Bundesrechtsanwaltskammer in ihrer Stellungnahme Nr. 14/2016, S. 4 ff., online abrufbar unter http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmenpdf/stellungnahmen-deutschland/2016/juni/stellungnahme-der-brak-2016-14.pdf, zuletzt abgerufen am 2.3.2018.
II. Die Kritik243
von Arbeitsplätzen und zur Teilnahme am und zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, Berücksichtigung finden.43 Von der Beschränkung besonders betroffen ist das Recht der unternehmerischen Freiheit gemäß Art. 16 GRC, welches nach Art. 52 Abs. 1 GRC nur durch Gesetz eingeschränkt werden darf, sofern der Wesensgehalt der Grundrechte bewahrt wird und die Einschränkung verhältnismäßig ist. Die Einschränkung muss vor allem dem Allgemeininteresse oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer dienen. Zweifel bestehen auch im Rahmen der primärrechtlichen Auslegung an der Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Festlegung einer Überlassungshöchstgrenze, weil die Eignung einer Höchstgrenze für die Sicherstellung des Sozialschutzes der Leiharbeitnehmer – die ausdrücklich erklärte Zielsetzung der Leiharbeitsrichtlinie gemäß Art. 2 der Richtlinie 2008 / 104 / EG – infrage steht. Ein besonderes Anliegen der Richtlinie 2008 / 104 / EG ist die Schaffung eines angemessenen Rahmens für den flexiblen Einsatz von Leiharbeit unter Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer. Dem Aspekt der Sicherheit der Leiharbeitsplätze hat der Richtliniengeber mit dem Merkmal „vorübergehend“ Rechnung getragen. Entscheidend für eine Sicherstellung des Sozialschutzes ist jedoch vielmehr, dass geeignete Arbeitsrechtsregelungen zur Angleichung des Arbeitsentgelts an die Bedingungen des Stammpersonals geschaffen werden, durch die eine Lohndiskriminierung des Leihpersonals verhindert werden kann. Gleichzeitig muss das Instrument der Leiharbeit im Sinne der Flexicurity-Grundsätze den Verleihern und den Entleihern als flexibles Personalstrukturinstrument erhalten bleiben, um auf die Anforderungen am Arbeitsmarkt entsprechend flexibel reagieren zu können.44 Dieses in der Richtlinie 2008 / 104 / EG ausbalancierte Verhältnis zwischen Sicherstellung eines sozialen Mindestschutzes und unternehmerischem Flexibilitätsbedarf lässt das Reformgesetz außer Acht. Die Intention der AÜG-Reform ist letztlich unverhältnismäßig stark auf den Aspekt der Sicherheit gerichtet, noch dazu mit einer gemessen am Regelungsziel ungeeigneten Begrenzung der Überlassungsdauer. Die vom Gesetzgeber gewählte Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten bedarf ihrerseits eines rechtfertigenden objektiven Sachgrunds, der allerdings aus den Gesetzesmaterialien zur AÜG-Reform nicht hervorgeht.45 43 Erwägungsgründe
9 und 11 der Richtlinie 2008/104/EG. wohl Hamann/Klengel, EuZA 2017, 194, 201, nach denen mit dem Richtlinienziel der Flexibilität die Unzulässigkeit der Überlassungshöchstdauer nicht begründet werden kann. 45 Anders wohl Franzen, RdA 2015, 141, 150. Ulber5, AÜG, § 1, Rdn. 266 f., hält die 18-monatige Überlassungshöchstdauer für willkürlich gewählt und schlägt eine (mindestens) 24-monatige Überlassungsdauer als unionsrechtskonform vor. 44 Anders
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I. Die Regulierung 2017
Darüber hinaus muss sich eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit an Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG messen lassen. Verbote und Einschränkungen der Leiharbeit sollen danach nur restriktiv aus Gründen des Allgemeinwohls erfolgen. Auch wenn der Schutz der Stammarbeitnehmer legitimer Zweck im Rahmen der Allgemeinwohlinteressen für Einschränkungen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008 / 104 / EG ist46, muss sich die Einschränkung dennoch als verhältnismäßige Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Regelungszwecks darstellen. Daran fehlt es jedoch aus vorstehenden Gründen. Der Gesetzgeber hätte mit besser geeigneten Mitteln das erstrebte Regelungsziel – Schutz vor Personalsubstitution – verfolgen können.47 b) Zur Anerkennung kircheninterner Regelungen Die in § 1 Abs. 1b S. 8 AÜG n. F. vorgesehene Möglichkeit, dass die Kirchen und öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften eigene von der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer abweichende Überlassungszeiten regeln dürfen sollen48, ist unionsrechtlich unbedenklich. Zwar sieht die Richtlinie 2008 / 104 / EG eine Ausnahme zugunsten der Kirchen und anerkannten öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften nicht ausdrücklich vor. Allerdings werden das jeweilige nationale Staat-Kirche-Verhältnis und der Status der Kirchen und Religionsgesellschaften durch Art. 17 Abs. 1 EUV und Art. 22 GRC primärrechtlich geschützt. Dieser besondere Schutz ist im Rahmen der primärrechtlichen Auslegung der Richtlinie 2008 / 104 / EG in der Weise zu berücksichtigen, dass das jeweilige nationale Staat-Kirche-Verhältnis durch Unionsrecht nicht berührt werden soll. Mit der Erwähnung der kirchlichen Sonderregelungen wird die in diesem Kontext bedeutsame arbeitsrechtliche Sonderstellung der Kirchen aufgrund Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV betont, welche auf dem Dritten Weg ihre Arbeitsrechtsregelungen autark im Rahmen der für jedermann geltenden Gesetze bestimmen können. Die Kirchen können daher die innere Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse der bei ihnen Beschäf46 Happ/Most,
BB 2015, 565, 568. zutreffend Happ/Most, BB 2015, 565, 569. Franzen, RdA 2015, 141, 150, sieht das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarkts jedenfalls dann als geeigneten Rechtfertigungsgrund für eine zeitlich fixierte Beschränkung der Überlassung an, wenn die Wirkungslosigkeit milderer Mittel wie tariflicher Regulierungen zugunsten von Leiharbeitnehmern belegt sei. Wirkungslose tarifliche Regelungen können jedoch durch wirkungsvollere Regelungen ersetzt werden, so dass in Gestalt tariflicher Bestimmungen gegenüber einer gesetzlichen Überlassungshöchstdauer stets ein milderes Mittel zur Verfügung stünde. 48 Einen solchen Vorschlag sah das Gutachten von Brors/Schüren, Gutachten für das MAIS NRW, auf welchem der Regierungsentwurf beruhte, auch noch nicht vor. 47 So
III. Das Fazit245
tigten frei von staatlichem Einfluss gestalten. Nicht durch die Kirchen frei gestaltbar ist und war bislang die Dauer der Überlassung von in kirchlichen Einrichtungen eingesetztem Leihpersonal und der Einsatz von Personal eines kirchlichen Verleihers im Rahmen kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen, weil das AÜG in der Fassung aus dem Jahr 2011 nur Ausnahmeregelungen durch Tarifverträge im Sinne von § 1 Abs. 1 TVG zulässt bzw. zuließ. Mit der Einführung einer gesetzlichen Höchstüberlassungsgrenze ist es daher konsequent, in Anerkennung des Dritten Wegs den Kirchen die Befugnis einzuräumen, für die innerkirchlichen Bereiche der Arbeitnehmerüberlassung Abweichungen von der Höchstdauer durch dementsprechende innerkirchliche Arbeitsrechtsregelungen vorzusehen.
III. Das Fazit Die mit der AÜG-Reform 2017 eingeführte starre Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten ist im Hinblick auf das vom Gesetzgeber angestrebte Reformziel kein geeignetes, sondern unverhältnismäßiges Mittel und zeigt sich als mit dem Unionsrecht sowie Art. 16 GRC und Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Dem Eingriff in die durch Art. 16 GRC und Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Freiheit fehlt die objektive Rechtfertigung. Zudem ist die zeitliche Grenze von 18 Monaten ohne sachliche Begründung und zugleich unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG willkürlich festgelegt. § 1 Abs. 1 S. 4 AÜG n. F. ist daher richtlinienkonform weiterhin dahingehend auszulegen, dass eine Überlassung unbeschadet sonstiger tariflicher oder (neu) kirchlicher Regelungen „vorübergehend“ im unionsrechtlichen Sinn über die in § 1 Abs. 1b AÜG n. F. geregelte starre Überlassungshöchstdauer hinaus erfolgen darf und ihre Grenze in der institutionellen Missbrauchskontrolle findet. Nach Art. 288 Abs. 3 AEUV sind die nationalen Gerichte zu unionskonformer Auslegung des nationalen Rechts in diesem Sinne verpflichtet. Solange die Unionsrechtskonformität der Überlassungshöchstdauer nicht in einem Vorabent scheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV durch den Europäischen Gerichtshof bestätigt ist, sind die nationalen Gerichte verpflichtet, die Regelung in § 1 Abs. 1b AÜG n. F. wegen des Anwendungsvorrangs des Europarechts unangewendet zu lassen bzw. bei letztinstanzlicher Entscheidung nach Art. 267 Abs. 3 AEUV dem Europäischen Gerichtshof vorab vorzulegen.49
49 BVerfG,
NZA 2015, 375; BVerfG, NJW 2018, 606; BVerfG, NJW 2018, 686.
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Sachwortverzeichnis Arbeitsbedingungen 27, 30, 46, 49 f., 54, 61 f., 96, 109 f., 113, 118 f., 125 ff., 164 ff., 187 ff., 211, 228 f., 238 ff. Arbeitskampf, -maßnahmen 87, 90 f. Arbeitnehmerentsendung 177, 226, 231 Arbeitnehmerfreizügigkeit 50 Arbeitnehmerüberlassung –– dauerhafte 153 ff. –– Kettenüberlassung 152 f., 168, 172, 219, 221, 240 f. –– konzerninterne 82 ff., 206 ff. –– rechtsmissbräuchliche 118 f., 191, 203, 220 ff. –– vorübergehende 150 ff., 191 ff., 228 ff. Arbeitsrechtliche Kommission 145 Arbeitsrechtsregelungsverfahren 86 ff. Arbeitsvermittlung 47, 59 f., 154, 180, 191 f., 200, 209 ff. Arbeitsvertragsrichtlinien 30, 35, 71, 86, 88 ff., 144 f., 236 Befristung –– Befristungsrichtlinie 197 –– Befristungsverbot 47 –– Kettenbefristung 152, 171, 215 –– Sachgrundbefristung 215 ff. Berufsausübungsfreiheit 58, 61, 159, 195, 223 Betätigung –– diakonische 64 f. –– wirtschaftliche 58, 61, 64, 72, 74 ff., 148 Betriebsübergang 120, 184, 213, 224 Charta der Grundrechte 54, 61, 166, 186 f., 195
Daseinsfürsorge, kirchliche 29 ff. Dienstgemeinschaft 33, 35, 63, 96, 99 f., 116, 121 ff., 148 f., 231 f. Dienstleistungsfreiheit 50, 62, 176 f., 191, 199 Drehtüreffekt 26, 50, 221, Dritter Weg 32, 34, 86 f., 88 ff., 95 f., 121 f., 129, 149 Effet Utile 79, 163, 174, Einrichtung, kirchliche 131 ff. Equal Pay / Equal Treatment 27, 29, 46, 50 f., 82, 93, 166, 187, 191, 235 Flexicurity-Grundsätze 178 ff., 189, 225 f., 242 f. Gewerkschaft 87 f., 91 ff. Glaubenslehre, Sittenlehre 122, 147 Gleichbehandlung 46 f., 54, 85, 91, 111, 168, 238, 241, 243 Grundfreiheiten 58 ff. Höchstüberlassungsdauer 189, 197, 202 f., 207, 216 f., 221, 229 f., 235 ff., 241 ff. Kirchenautonomie 64, 67 Kirchengerichtshof der EKD 97 ff., 108, 143 Kirchlicher Arbeitsgerichtshof 102 f. Klebeeffekt 26, 49 Koalitionsfreiheit 48, 91, 95, 169 Loyalitätsobliegenheit, kirchliche 21, 100, 112, 116 ff., 139 ff., 232 f. Loyalitätsrichtlinie der EKD 138 ff.
Sachwortverzeichnis263 Missbrauchskontrolle, institutionelle 172 f., 214 ff., 221 ff., 231, 241 Missio 99, 126, 148 Nachbarschaftshilfe 86 Ordnungen, kirchliche 70 f., 121 Personaleinsatz –– abgestufter 139 ff. –– drittbezogener 24, 169 f., 174, 177, 191, 230 Personenverkehrsfreiheit 62 Proprium 64, 118 Religionsfreiheit 64 f. Religionsgemeinschaft, Religions körperschaft 21, 65 ff., 96, 114 f., 131, 135 f., 148, 236 Sanktion, -sregelung 180 ff., 201 Schiedsstelle Hannover 106, 111 Schlichtungsverfahren 87 Selbstverständnis, religiöses 96 ff. Selbstverwaltungsrecht, kirchliches 21, 32, 66, 89 ff., 95 ff., 119, 121, 129, 131 f., 135, 148, 232
Sendungsauftrag 123 ff., 148, 231 f. Substitution 98 ff., 118, 124, 143 f., 172, 222 ff., 231, 238, 244 Synchronisationsverbot 44, 47, 198 Tarifvertrag 30 f., 35, 47 ff., 52, 86 ff., 92 ff., 109, 121, 211, 235, 239, 241 f., 245 Unternehmerische Freiheit 159, 188 f., 191, 195, 220, 245 Verbotsnorm 158, 170 f., 181, 193, 196, 228 Vorabentscheidungsverfahren 20, 159 f., 163, 245 Warenverkehrsfreiheit 62 Werkvertrag 19, 51, 234 Zeitarbeit 31, 51, 92, 94 Zuordnung, kirchliche 133 f. Zuordnungsrichtlinie der EKD 132 f., 136, 138, 147 Zustimmungsersetzungsverfahren 193 ff. Zustimmungsverweigerungsrecht 20, 71, 100, 181, 185 f., 193 ff.