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German Pages 217 [218] Year 1980
Zukunftsaspekte der Verwaltung
S c h r i f t e n r e i h e der H o c h s c h u l e Speyer Band 81
Zukunftsaspekte der Verwaltung Vorträge und Diskussionsbeiträge der 48. Staats wissenschaftlichen Fortbildungstagung 1980 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
herausgegeben von Frido Wagener
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1980 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 04819 9
Vorwort
Zu Beginn eines neuen Jahrzehnts ist es nicht ungewöhnlich, über gute und schlechte Entwicklungsmöglichkeiten bis zum Ende des Jahrzehnts nachzudenken. Ursprünglich sollte i n Speyer deshalb eine verwaltungswissenschaftliche Tagung zum Thema „Verwaltung in den achtziger Jahren" stattfinden. Ein Zukunftshorizont von zehn Jahren erwies sich jedoch für manche Verwaltungsaufgabe als ein recht kurzer Prognosezeitraum und für viele andere Verwaltungsgebiete als so langfristig, daß Voraussagen reine Spekulation gewesen wären. Bei mancher Großinvestition für die öffentliche Grundausstattung weiß man, daß die entsprechende Einrichtung 1990 nicht benutzbar sein wird, wenn nicht bereits heute die Pläne vorliegen und die Finanzierung gesichert ist. Die Entwicklung vieler anderer Verwaltungsprobleme ist so sehr von politischen, sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Unwägbarkeiten sowie von der „zufälligen" nächsten Novelle des Gesetzgebers abhängig, daß Zehnjahresprognosen kaum etwas m i t Wissenschaft zu tun haben. Es sprach daher vieles dafür, zu Beginn der achtziger Jahre, die nicht „glänzend" zu werden versprechen, nur kurz- und mittelfristige, jedenfalls nicht zeitlich begrenzte Zukunftsaspekte der Verwaltung i n unsere Überlegungen einzubeziehen. Die deutsche öffentliche Verwaltung m i t mehr als vier Millionen Mitarbeitern ist so groß, in sich so differenziert und hat eine so umfassende, kaum zu übersehende A u f gabenstellung, daß sie sich insgesamt nicht ruckartig, sondern nur langsam und unmerklich ändern kann. Dabei muß immer unterstellt werden, daß es überhaupt eine friedliche, nicht krisenhafte Weiterentwicklung gibt. Aufgabe der Tagung war es, solche „normalen" Veränderungstrends des Gesamtsystems und seiner Teilbereiche zu finden sowie ihre möglichen Richtungen und Auswirkungen zu analysieren. „Zukunftsaspekte" waren dabei fast immer nur auf der Grundlage einer „Vermessung" und maßstabsgerechten Darstellung der gegenwärtigen Lage und durch ein vorsichtiges und kritisches Ausziehen der Linien und Kurven i n die (grundsätzlich ungewisse) Zukunft zu finden. Ich habe den Eindruck, dies ist den aktiven Teilnehmern der Tagung i n einem beachtenswerten Maße gelungen. Dafür und für ihr Engagement möchte ich als Tagungsleiter und Herausgeber herzlich danken.
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Vorwort
Für die vielfältige Mitarbeit bei der Vorbereitung dieses Bandes darf ich auch meinem damaligen Assistenten, Herrn Oberregierungsrat Dr. Hans-Hermann Scheffler, und meiner Sekretärin, Frau Regina Hense, Dank sagen. Frido Wagener
Inhaltsverzeichnis
Begrüßung Ansprache des Rektors, Professor Dr. Dieter Duwendag, Speyer
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Eröffnung Ansprache des Ministers des Innern und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz, Kurt Böckmann, Mainz
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Vom Neubau zur Pflege — wohin entwickelt sich unser Verwaltungssystem? Von Professor Dr. Frido Wagener, Speyer
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Theoretiker fragen Praktiker (Podiumsdiskussion) : Bürgernähe gegen Bürokratie — kann das Konzept erfolgreich sein? Moderator:
Professor Dr. Helmut
Theoretiker:
Professor Dr. Horst Bosetzky, Berlin Ότ, Friedhart
Speyer
Hegner, Berlin
Professor Dr. Heinrich Praktiker:
Quaritsch,
51
Siedentopf,
Oberbürgermeister Günther
Speyer
Bantzer,
Kiel
Senatsdirektor Professor Ulrich Becker, Hamburg Ltd. Senatsrat Rudolf Nöte, Berlin Regierungspräsident Erwin Schleberger,
Münster
Landrat Gerhard Schwetje, Landau
Allgemeine Diskussion Bericht von Assessor Klaus
Frey,
Speyer
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Inhaltsverzeichnis
Die Gemeinden im Staat der achtziger Jahre — was folgt auf die Reformen? Von Professor Dr. Eberhard
Laux, Düsseldorf
75
Diskussion zu dem Referat von Professor Dr. Eberhard
Laux
Bericht von Dipl.-Kfm. Rolf Maier, Speyer
107
Personal- und Organisationspolitik — was geschieht ohne Dienstrechtsreform? Von Beigeordneter a.D. Gerhard
Banner, Vorstand der KGSt, Köln 111
Diskussion zu dem Referat von Beigeordneten a. D. Gerhard Bericht von Dipl.-Ing. Georg Wilhelm
Adamowitsch,
Banner
Speyer
140
Neue Technologien für die Büros — werden sie akzeptiert? Von Professor Dr. Eduard Gaugier, Mannheim Diskussion zu dem Referat von Professor Dr. Eduard Bericht von Dipl.-Wirtschaftsing. Wilfried
143 Gaugier
Frankenbach,
Speyer . . . . 160
Schutz der Umwelt und der Landschaft — ist die Verwaltung den Aufgaben gewachsen? Von Professor Dr. Karl-Hermann
Hübler, Berlin
Diskussion zu dem Referat von Professor Dr. Karl-Hermann Bericht von Assessor Peter Fricke,
165 Hübler
Speyer
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Bevölkerungsrückgang und Verwaltungsaufgaben — werden in Zukunft öffentliche Einrichtungen leerstehen? Von Professor Dr. Rainer Thoss, Münster
189
Stellungnahmen zu dem Referat von Professor Dr. Rainer Thoss Geschäftsführendes Präsidialmitglied Dr. Bruno Weinberger, scher Städtetag, Köln
Deut198
Geschäftsführendes Präsidialmitglied Dr. Hans Tiedeken, Deutscher Landkreistag, Bonn : . 200
Inhaltsverzeichnis Beigeordneter Werner
9
Cholewa, Deutscher Städte- und Gemeinde-
bund, Bonn
205
Regierungspräsident Dr. Trudpert Müller, Karlsruhe
208
Diskussion zu dem Referat von Professor Dr. Rainer
Thoss und den
Stellungnahmen Bericht von Dipl.-Volkswirt Bernhard
Wolf, Speyer
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Schlußwort des wissenschaftlichen Leiters der Tagung Professor Dr. Frido
Wagener
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Begrüßung Ansprache des Rektors Professor Dr. Dieter Duwendag Sicher ist es nicht ganz ohne Absicht, daß diese 48. Staatswissenschaftliche Fortbildungstagung am Beginn eines neuen Jahrzehnts stattfindet. Manche Tagungen, so sagt man, seien zeitlos, und zwar insofern, als ihre Themen zeitlich austauschbar sind, ohne an A k t u a l i tät zu verlieren. Dies ist für diese Veranstaltung ganz überwiegend nicht der Fall. Vergegenwärtigen w i r uns einmal die Situation von vor etwa 10 Jahren und vergleichen w i r sie m i t den Themen der heutigen Tagung: Manche Begriffe existierten vor 10 Jahren überhaupt noch nicht, und die meisten Themen würden damals nicht oder nicht in dieser Form gestellt worden sein. Positiv gewendet, verfolgt diese Veranstaltung zweierlei: Bestandsaufnahme sowohl des Erreichten wie des Unerledigten und die Erarbeitung von Perspektiven und Lösungsansätzen für die vor uns liegenden Aufgaben. Das Rahmenthema steckt ab ein Scenario der künftigen Verwaltungspolitik: sieben Themenkomplexe, sieben Fragen, sieben Fragezeichen. Fragen dieser A r t sind nun offenbar sehr attraktiv. Nicht anders kann ich m i r die für Speyerer Verhältnisse rekordverdächtige Anzahl von fast 300 Tagungsteilnehmern erklären. Eine Frage, zumal wenn sie gut gestellt ist, impliziert nun meistens schon die halbe Antwort. Und natürlich sind es die Antworten, die besonders interessieren, die i n den Referaten und i n der Diskussion erwartet werden. Und so kann ich nur wünschen, daß die Antworten ebenso attraktiv ausfallen mögen wie die Fragestellungen. Niemand w i r d behaupten wollen, daß m i t den sieben Themenkomplexen sämtliche Zukunftsaspekte der Verwaltung ausgeschöpft sind. So dominieren ganz eindeutig die innenpolitischen Verwaltungsaufgaben. Aber es gibt auch so etwas wie eine „außenpolitische" Dimension, nämlich die entwicklüngspolitische Verwaltungshilfe, wenn man die Auffassung teilt, deutsches Verwaltungssystem und Verwaltungshandeln seien eine A r t Exportartikel, insbesondere für Entwicklungsländer (ein Projekt übrigens, an dem die Hochschule seit einiger Zeit intensiv arbeitet). Aber davon abgesehen ist es sicher zutreffend, daß die wohl dornigsten Zukunftsaufgaben der öffentlichen Verwaltung i m Verlaufe dieser Tagung zur Sprache kommen werden. Aber noch aus einem anderen Grunde ist diese Tagung wohl längst fällig gewesen. Es gibt in gewissen Abständen immer wieder bestimmte
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Begrüßung
Wellen i n der sogenannten öffentlichen Meinung, die mal den einen, mal den anderen Berufsstand i n Ungnade fallen lassen: Die Hochschulen und die Professoren sind ein Beispiel, die öffentliche Verwaltung, zuweilen auch als Bürokratie" bezeichnet, ein anderes. I n Speyer nun kommt beides zusammen, kulminiert die K r i t i k an diesem wie an jenem. Denn bekanntlich beschäftigt sich die Hochschule Speyer in Lehre, Fortbildung und Forschung m i t dem Erkenntnisobjekt „Staat und öffentliche Verwaltung". Diese Tagung bietet nun allen Teilnehmern die Gelegenheit, einem zweifellos vorhandenen Defizit an sachlicher Darstellung und sachbezogener Diskussion ein wenig abzuhelfen: Damit es nicht zu einer noch weiteren, unreflektierten Ausbreitung jener Philosophie des öffentlichen Dienstes kommt, von der boshafte K r i t i k e r gesagt haben, es sei die „ I just work here"-Philosophie der Bürokratie. Mein erster persönlicher Gruß gilt dem Minister des Innern und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz, Herrn Böckmann. Ich verbinde m i t diesem Willkommensgruß, sehr verehrter Herr Staatsminister, den Dank der Hochschule für Ihre freundliche Bereitschaft, die Tagung zu eröffnen. Sie tragen die protokollarisch schwere Bürde, zugleich als pars pro toto zu stehen für alle nicht namentlich genannten Tagungsteilnehmer: die Bundes- und Landtagsabgeordneten, die Vertreter der Bundes- und Länderministerien, der Regierungs- und Polizeipräsidien, der Städte und Gemeinden, der Landratsämter und der kommunalen und regionalen Spitzenverbände. Herzlich willkommen heiße ich die Repräsentanten der hohen und höchsten Gerichtsbarkeit, an ihrer Spitze den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts von Rheinland-Pfalz, Herrn Professor Dr. Bickel. Für die überaus zahlreich erschienenen Vertreter der obersten Bundes- und Landesbehörden begrüße ich den Präsidenten des Bundesamts für gewerbliche Wirtschaft, Herrn Dr. Rummer, und den Präsidenten des Landesrechnungshofs Rheinland-Pfalz, Herrn Staatssekretär a. D. Schreiner. Ich freue mich besonders, daß auch einige Gäste aus dem Ausland zugegen sind und darf für sie alle den Sektionschef des österreichischen Bundesministeriums für Finanzen, Herrn Dr. Grüner, herzlich begrüßen. Last not least gilt mein Gruß und ganz besonderer Dank allen Referenten und Diskussionsleitern, die — sozusagen als das thematische Rückgrat der Tagung — dieser Veranstaltung Richtung und I m pulse geben sollen. Schließlich werden Sie längst bemerkt haben, daß Thematik und inhaltliche Ausgestaltung dieser Tagung die Handschrift eines Experten tragen: Ich darf Ihnen, lieber Herr Kollege Wagener, als wissenschaftlichem Leiter herzlich für das Zustandekommen dieser Tagung danken.
Eröffnung Ansprache des Ministers des Innern und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz Kurt Böckmann Der Einladung dieser Hochschule, anstelle meines verhinderten K o l legen Dr. Möcklinghoff die 48. staatswissenschaftliche Fortbildungstagung zu eröffnen, bin ich gerne gefolgt. Gerade das diesjährige Leitthema ist für Politiker, für Verwaltungspraktiker und Verwaltungswissenschaftler gleichermaßen von Bedeutung. Schließlich spiegeln die einzelnen Themen Fragen und Probleme wider, m i t denen sich die Verwaltung heute und sicher noch weit mehr i n den nächsten Jahren auseinanderzusetzen hat. Es verdient deshalb Anerkennung, wenn die Hochschule sich i n dieser Tagung, m i t der sie eine lange Tradition erfolgreicher Begegnungen zwischen Praxis und Theorie fortsetzt, m i t den „Zukunftsaspekten der Verwaltung" beschäftigen w i l l . Die Kürze der Zeit erlaubt m i r leider nicht, Ihnen eine fertige Konzeption, wie die Verwaltung i n der Zukunft aussieht, vorzustellen. Ich bitte deshalb um Verständnis, wenn ich mich insoweit darauf beschränke, einige wesentliche Punkte anzureißen. Wer i n die deutsche Verwaltungsgeschichte schaut, kann feststellen, daß es immer wieder Kräfte der öffentlichen Verwaltung selbst waren, die zusammen m i t politischen Reformern die öffentlichen Institutionen angesichts neuer sozialer, politischer und wirtschaftlicher Anforderungen weiterentwickelt haben. Es gibt herausragende Beispiele dafür, wie Verwaltungserfahrungen und politische Erfahrungen zusammenfallen können. Die Adresse der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer verweist m i t dem Namen des Freiherrn vom Stein auf einen solchen großen Staatsmann und Verwaltungsreformer. Auch die jüngste Geschichte — und ich beziehe mich dabei auf die Territorial- und Funktionalreform i n Rheinland-Pfalz — ist ein Lehrstück dafür, wie die notwendigen Veränderungen von Politikern und Verwaltungsleuten gemeinsam getragen worden sind. Natürlich gab es i n beiden Lagern auch Widerstände. Aber letztlich hat sich die Verbindung von administrativem Sachverstand und politischem Interesse durchgesetzt. Dabei bedurfte es des Einsatzes von Politikern auf allen Ebenen, vom Gemeinderatsmitglied bis zum M i n i -
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Eröffnung
sterpräsidenten. Man w i r d dem Ergebnis dieser nicht gerecht, wenn man sie i m nachhinein als Veränderungen bezeichnet. I n Rheinland-Pfalz Voraussetzungen für ein wirksames politisches Bereich geschaffen.
Reformbemühungen bloß technokratische haben w i r wichtige Leben i m örtlichen
So haben w i r m i t der neu geschaffenen Verbandsgemeinde eine bürgernahe und dennoch leistungsstarke Gemeindeverwaltung, die heute — 10 Jahre danach — als gelungen bezeichnet werden kann. I m institutionellen Bereich der Behördenlandschaft wurden i n erheblichem Umfang Aufgaben konzentriert, so daß eine ganze Reihe bisher selbständiger Behörden und Dienststellen i n die allgemeine Verwaltung — insbesondere die Kreisverwaltung — eingegliedert wurden. Dabei wurden den Gemeinden gerade die publikumsintensiven Aufgaben überlassen, soweit die Technisierung und Spezialisierung des A u f gabenvollzugs ihre Leistungskraft nicht überforderte. Wenn ich hier die Rolle des Politikers bei der Weiterentwicklung der öffentlichen Verwaltung betone, so nicht, weil ich diese staatswissenschaftliche Tagung als Staatsminister des Innern eröffne. Vielmehr geht es m i r um die Sache. Die maßgebliche Zukunftsfrage scheint m i r zu sein, daß Staat und Verwaltung öffentliche Aufgaben von einem Ausmaß wahrzunehmen haben die jedenfalls für Friedenszeiten und für eine freiheitlich demokratische Gesellschaft die bisherigen Erfahrungen sprengen. Diese Aufgaben zu bewältigen, dürfen w i r nicht der Verwaltung überlassen. Hier bedarf es vermehrter Anstrengungen der Politiker. Daß dabei auch den Wissenschaftlern eine besondere Aufgabe zukommt, braucht wohl nicht besonders betont zu werden. Man braucht nicht den Gründen nachzugehen, wie es zu diesem Zuwachs an Quantität der Verwaltungsaufgaben gekommen ist. W i r sind uns darüber i m klaren, welche Anforderungen die Industriegesellschaft, die städtischen Ballungsräume, die Bevölkerungsentwicklung, die ländlichen Problemgebiete, die Mobilität der Bürger und vieles mehr an das Verwaltungshandeln stellen. Ich w i l l hier das Thema der Entstaatlichung beiseite lassen, weil sich bisher zeigte, daß für eine solche Aufgabe politischer Konsens nur sehr schwer zu erreichen ist. Aber auch wenn ich die heutige Ausdehnung des Staatssektors zunächst einmal als gegeben hinnehme, so befinden w i r uns nach meiner Meinung doch an einer Grenzmarke, jenseits derer unsere bewährten Verwaltungsinstitutionen und auch unsere repräsentative Demokratie gefährdet sind. Es ist hier zwar über die Zukunftsaspekte der Verwaltung zu sprechen, dennoch bitte ich um I h r Verständnis für zwei Bemerkungen zu der Frage, was der allumfassende Staat für die Freiheit des Bürgers, für die individuelle
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Gerechtigkeit, für die politische Meinungsbildung in den Städten und Gemeinden, für den Parlamentarismus in Bund und Ländern bedeutet. Aus der Sicht der Verwaltung scheint m i r die Feststellung wichtig, den Staat nicht zur Generalagentur für Lebensqualität machen zu können ohne gleichzeitig den Bürger auf Schritt und T r i t t m i t einer entsprechend allgegenwärtigen Verwaltung zu umgeben. Zuviel Staat, zuviel hoheitliche Regelung ist nicht gut — selbst wenn sie i m Streben nach möglichst viel Gerechtigkeit gut gemeint ist. Es bleibt dabei ein Zuviel an persönlicher Freiheit, an Gestaltungskraft und Gestaltungsvermögen i m außerstaatlichen Raum auf der Strecke, ganz zu schweigen von der Kostenseite. W i r müssen wieder — wie es Hans Heigert vor kurzem i n der Süddeutschen Zeitung gefordert hat — „mehr M u t zur Ungleichheit" aufbringen. Man könnte es auch etwas prosaischer so ausdrücken, wie es neulich ein städtischer Kulturdezernent für seinen Bereich zum Verhältnis Staat zu freigemeinnützigen Trägern getan hat: „Laßt viele Blumen blühen! Aber nicht i m Wildwuchs, sondern i n einer Gartenlandschaft!" „Bayern", sagte ein Zeitgenosse, „ist ein Land, wo immer gepflastert w i r d " . Auch Stein wurde vorgeworfen, „eine i n Unruhe ausartende Tätigkeit, die jedes Neue schnell umfaßt und die nicht ermüdet, das Neue nach kurzer Zeit m i t etwas Neuerem zu vertauschen." Es gilt gerade auch deshalb, darüber nachzudenken, i n welcher Weise und mit welchem Instrumentarium der Bürger i n den Planungs- und Entscheidungsablauf der Verwaltung eingebunden werden kann. Gelingt uns hier eine einigermaßen überzeugende Lösung, w i r d dies i n zweifacher Hinsicht von Vorteil sein. Einmal w i r d damit dem immer wieder betonten Argument der Allzuständigkeit des Staates entgegenwirkt. Andererseits w i r d dadurch eine Möglichkeit geschaffen, über die Bürgerbeteiligung Ziel- und Effizienzkontrolle zu verbessern. W i r müssen deshalb dem Bürger verdeutlichen, daß vieles, was ihn heute an der Verwaltung stört, nicht einfach bürokratischer Wildwuchs ist, sondern auf Erwartungen zurückzuführen ist, die er an den Staat gerichtet hat. Sieht man zum Beispiel auf die personelle Seite, dann sind eben nicht — wie vielfach zu Unrecht behauptet w i r d — die Verwaltungsapparate ausgebaut worden. Personalzuwachs haben w i r etwa i n den Bereichen Schule, Soziales, Gesundheit, Polizei, und zwar, w e i l die Bürger nach besseren Bildungsangeboten, sozialer Hilfe, medizinischer Versorgung, öffentlicher Sicherheit und Ordnung verlangt haben. Ich meine, w i r sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem deutlich wird, daß der Bürger das alles nicht bloß als Steuerzahler finanzieren
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muß, sondern daß er die verfassungsmäßig verbürgten Grundwerte faktisch nicht behalten kann, wenn der Ausgleich zwischen liberalem und sozialem Rechtsstaat nicht gelingt. Trotz des wachsenden politischen Bewußtseins hinsichtlich dieses Spannungsfeldes sollten w i r nicht einfach damit rechnen, daß die sozialen Erwartungen von selbst umkippen. W i r müssen uns heute verstärkt darum bemühen, die individuelle und soziale Verantwortung wieder stärker ins Spiel zu bringen. Dazu stehen der Politik mehr als nur propagandistische M i t t e l zur Verfügung. Zum Beispiel kann die Eigenverantwortung des Bürgers durch eine angemessene Eigenbeteiligung an öffentlichen Leistungen gestärkt werden. W i r müssen uns doch darüber klar sein, welches Bewußtsein vom Nur-Noch-Fordern w i r schaffen, wenn Staatsleistungen ohne Rücksicht nach den individuellen Bedürfnissen verteilt werden. Sicherlich gibt es viele Probleme, die der einzelne unter den heutigen Lebensbedingungen nicht mehr für sich allein lösen kann. Aber auch hier sind Staat und Verwaltung nicht die allein zur Verfügung stehende Alternative. W i r haben Gewerkschaften, Kirchen, Wirtschaftsverbände, kulturpflegende Vereinigungen, Sportvereine usw., die Probleme des Arbeitslebens, der karitativen Hilfe, der ökonomischen Ordnung, von Kunst und Bildung, Freizeit und Sport lösen können. Diesen Sektor zwischen Staats- und Privatsphäre gilt es, i n Zukunft noch mehr als bisher zu pflegen, nicht nur wegen der sinnvollen Arbeitsteilung, sondern auch aus Gründen der gesellschaftlichen Integration und Verantwortung dieser Gruppen i n unserer auf Subsidiarität und Pluralität angelegten Staatsordnung. Die öffentlichen Aufgaben werden heute i m wesentlichen von Gesetzgebung und Verwaltung bestimmt. I n diesem Zusammenhang bleibt noch nach dem Verhältnis dieser beiden Staatsgewalten zueinander zu fragen. Viele K r i t i k e r sehen heute i n dem nach ihrer Meinung eindeutigen Übergewicht der Verwaltung gegenüber dem Parlament das Hauptübel für die übermäßige Ausdehnung des Staates. Überall, d. h. i n allen Ländern werden Bestrebungen sichtbar, die Verwaltung näher an die Kontrolle durch das Parlament heranzuführen. Ob und wie weit dies gelingt, w i r d sich zeigen müssen. Die Parlamente t u n jedenfalls gut daran, genau darauf zu achten, daß i n Einzelfällen der gesetzgeberische Wille durch die Verwaltung genau eingehalten wird. Was die Durchschaubarkeit der Verwaltung angeht, haben inzwischen viele Landesregierungen Konsequenzen gezogen und entsprechende Arbeitsgruppen zur Verringerung der bestehenden Vorschriften eingesetzt. So haben w i r i n Rheinland-Pfalz beschlossen, die Geltungsdauer von Verwaltungsvorschriften auf die Dauer von 5 Jahren zu begrenzen. Dies ist — wie ich meine — auch ein Beitrag zur besseren Durchschaubarkeit unserer Verwaltung.
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Ich w i l l an dieser Stelle einen weiteren Punkt anfügen, der mir überdenkenswert erscheint. Es ist das Problem der Zusammenwirkung zwischen Politik und Verwaltung. Herr Professor Wagener spricht i n diesem Zusammenhang gerne von den sogenannten „Fachbruderschaften" i n der Verwaltung, d. h. vom Zusammenwirken der Praktiker über alle Verwaltungsebenen und politischen Vorgaben hinweg, wenn es darum geht, ein aus Verwaltungssicht notwendiges Ziel zu erreichen. Ich könnte dazu eine ganze Reihe von Beispielen aus meiner Ministertätigkeit anführen, die das belegen würden, was Professor Wagener hiermit sagen w i l l . Dennoch, w i r Politiker sollten uns nicht die all zu unkritische Umsetzung politischer Vorgaben durch die Verwaltung wünschen. Schließlich ist es gerade die tägliche Praxis, die erst die Qualität solcher Vorgaben zeigt. Und nicht selten konnten i n der Vergangenheit fehlerhafte Entwicklungen nur dadurch verhindert werden, daß aus der Verwaltung mutige und kritische Stimmen den Politiker zum Umdenken angehalten haben. Hinzu kommt, daß — wie Sie alle wissen — das öffentliche Interesse sehr schnell wechseln kann. Die Arbeit der Verwaltung lebt aber ganz wesentlich von der Kontinuität und dazu gehört ein öffentlicher Dienst, der sich — frei von Alltagspolitik — dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet fühlt. Der wissenschaftliche Leiter dieser Tagung, Herr Professor Wagener, hat m i t der von i h m erwarteten Sachkunde i n das Tagungsprogramm jene kritischen Punkte aufgenommen, die für die Zukunft der öffentlichen Verwaltung von besonderer Bedeutung sind. Ich möchte, wie ich es bereits zur Gesetzgebungsproblematik getan habe, deshalb auf weitere Programmpunkte eingehen. Damit w i l l ich nicht den Referaten und Diskussionen vorgreifen, vielmehr m i t kurzen Hinweisen Anschauungsmaterial aus der Regierungspraxis für die weiteren Verhandlungen anbieten. Lassen Sie mich m i t den Problemen der Gemeinde beginnen, m i t denen ich aus kommunaler wie staatlicher Sicht besonders vertraut bin. Die Zukunft der Gemeinden hängt ganz wesentlich von der Qualität ihrer Verwaltung ab. Diese w i r d sich nach meiner Meinung dauerhaft nur sichern und verbessern lassen durch eine entsprechende Ausbildung der Beschäftigten. W i r sind deshalb in Rheinland-Pfalz dabei, wie der Bund und andere Bundesländer auch, die Ausbildung des gehobenen Dienstes — der weit mehr als der höhere oder mittlere Dienst nach außen dem Bürger gegenübertritt — in einer Fachhochschule durchzuführen. W i r wollen die Ausbildung an der Fachhochschule so ausgestalten, daß trotz theoretischer Kenntnisvermittlung der Praxisbezug gewährleistet bleibt, um eine bürgerfreundliche Verwaltung zu sichern. 2 Speyer 81
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Die Zukunft der Gemeinden heißt aber auch, deren Wünsche und Bedürfnisse finanzierbar zu machen. Ich weiß, daß an dieser Stelle Verwaltungskritiker am liebsten die ganze Mischfinanzierung, wie w i r sie heute haben, i n den Papierkorb werfen möchten. Nur, was t r i t t an ihre Stelle? Die Alternative, wie sie bisher angeboten wird, nämlich den Freiraum der Gemeinden durch Zuweisung von Pauschalbeträgen zu vergrößern, ist wohl noch nicht allzu überzeugend. Es muß bei aller K r i t i k an dem bisherigen System anerkannt werden, daß es immerhin den Bund und die Länder i n die Lage versetzt, über die Kirchturmpolitik hinaus ganze Regionen strukturell zu stärken und an den Standard vergleichbarer und benachbarter Gebiete heranzuführen. Dabei geht es wohl weniger darum, die sogenannte Profilierungssucht mancher Kommunalpolitiker i n Grenzen zu halten — ich glaube ohnehin an deren Verantwortlichkeit —. Es geht ganz einfach um eine gleichförmige Weiterentwicklung der gemeindlichen Infrastruktur zum Wohle unserer Bürger. Nur so können beispielsweise die i n Zukunft noch verstärkt auf uns zukommenden Stadt-UmlandProbleme bewältigt werden. So werden sich meines Erachtens die verantwortlichen Politiker gerade bei der Krankenhausfinanzierung etwas einfallen lassen müssen, wenn beispielsweise ein Krankenhaus für ca. 90 Mill. D M geplant am Ende rund 160 M i l l . D M kostet, ist etwas nicht i n Ordnung. Hier muß sich in Zukunft zeigen, ob Politik und Verwaltung gemeinsam i n der Lage sind, diese Probleme zu lösen. Es gibt weitere aktuelle Themen, die zukünftig für Politik und Verwaltung ebenfalls bedeutsam sind. So gilt es heute noch mehr als i n früheren Jahren, Fragen der Ökologie und der Ökonomie sehr sorgfältig zu analysieren. Umweltschutz ist sicher schon i n früheren Jahren sehr ernst genommen worden und nicht erst seit den „Grünen" ein neues Thema für die Politik. Vielleicht ist es früher aber mehr eine lautlose Angelegenheit der zuständigen Verwaltungsexperten gewesen. Die Sensibilisierung unserer Bevölkerung hat jedenfalls die neuen Dimensionen dieser Fragen deutlich gemacht. Die Politik ist deshalb gefordert, darauf die notwendigen Antworten zu geben. W i r haben i n Rheinland-Pfalz versucht, durch eine Organisationsänderung innerhalb der Landesregierung den Stellenwert dieser neuen Herausforderung zu unterstreichen. So wurden die m i t Umweltschutz i m weitesten Sinne befaßten Abteilungen aus einzelnen Ressorts zusammengefaßt und beim bisherigen Sozialministerium angegliedert und durch die eigens dafür geschaffene Stelle eines Staatssekretärs neu gewichtet. W i r erhoffen uns von dieser neuen Verwaltungsorganisation eine noch bessere und effektivere Bearbeitung dieser speziellen Probleme.
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Lassen Sie mich ein weiteres Problem für die zukünftige Verwaltung aufzeigen. Ich meine die allgemeine Datenverarbeitung und der damit zusammenhängende Datenschutz. Dabei muß leider festgestellt werden, daß heute kaum noch ein verantwortlicher Politiker über Datenverarbeitung reden kann, ohne Gefahr zu laufen, wegen datenschutzrechtlicher Probleme kritisiert zu werden. Zunächst einmal geht es aber doch schlicht und einfach nur um die Frage neuer Bürotechnologien, d. h. neuer Techniken zur Verbesserung des Bearbeitungsablaufs ohne das eigentliche Entscheidungshandeln. Aber lassen Sie mich einiges zu dem — jedenfalls nach der veröffentlichten Meinung — viel wichtigeren Bereich des Datenschutzes etwas sagen. Ich begrüße es natürlich, wenn Bund und Länder durch die Schaffung von Datenschutzbeauftragten eine Verwaltungskontrolle installieren. W i r haben i n Rheinland-Pfalz dafür schon lange vorher eine Datenschutzkommission gehabt, für deren Abschaffung zugunsten eines Datenschutzbeauftragten w i r nach wie vor keine Notwendigkeit sehen. Datenschutz muß sein, wer wollte dies leugnen. Aber bei allem Verständnis für die Sorgen unserer Bürger muß ich darauf hinweisen, daß i n den überwiegenden Fällen, die der Verwaltung bekannten persönlichen Daten ausschließlich zweckgebunden verwertet werden. Ich warne deshalb dringend davor, den Verunsicherungsversuchen, wie sie aus einer ganz bestimmten politischen Absicht heraus unternommen werden, zu erliegen. Das Vertrauen der Bürger in die Gesetzestreue der Verwaltung ist ein zu kostbares Gut, als daß es durch m u t w i l l i g geschürte Hysterie zerstört werden darf. Für die Landesregierung von Rheinland-Pfalz darf ich versichern, daß sie alles i n ihrer Macht Stehende tun wird, um die mißbräuchliche Verwendung geschützter Daten zu verhindern. Diese Fragen geben m i r ein weiteres Stichwort. Ich habe vorhin schon auf die Ausbildung des gehobenen Dienstes i m Rahmen einer Fachhochschule hingewiesen. Bürgerfreundliche Verwaltung ist nach meinem Verständnis natürlich nicht nur eine Frage des mittleren und gehobenen Dienstes, sondern auch des höheren Dienstes. Ich begrüße deshalb sehr das Bemühen dieser Hochschule i n einwöchigen Fortbildungskursen die Beamten auf die ständig wechselnden Anforderungen des öffentlichen Dienstes vorzubereiten. Die rheinland-pfälzische Landesregierung hat darüber hinaus dem Landtag ein Fortbildungsprogramm vorgelegt, i n der Absicht, die damit i m Zusammenhang stehenden Fragen auch i m Parlament einmal zu diskutieren. Ich bin der festen Überzeugung, daß auch dies zum besseren Verständnis zwischen Parlament und Verwaltung einerseits und Verwaltung und Bürger andererseits beiträgt. 2*
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Über diesen Aktivitäten vergessen w i r die anderen Gruppen des öffentlichen Dienstes, insbesondere des höheren Dienstes, nicht. Insoweit ziehen w i r Nutzen aus der engen Zusammenarbeit mit der Hochschule Speyer auf dem Gebiete der Ausbildung wie der Fortbildung. Die Speyerer Wissenschaftler — Rechts-, Wirtschafts-, Sozial-, Verwaltungswissenschaftler — beschäftigen sich i n vielfältigen Perspektiven mit dem Verhältnis von Bürger und Verwaltung. Ihre Forschungsergebnisse gehen in die Lehre ein. I n der Hochschule ist jetzt ein Lehrstuhl für Psychologie, insbesondere Verwaltungspsychologie begründet worden. Mein Vertreter i m Verwaltungsrat, Herr Staatssekretär Dr. Uelhoff, hat diese Einrichtung sehr unterstützt. W i r begrüßen es, wenn die psychischen Komponenten einer bürgerfreundlichen Verwaltung noch stärker als bisher bei der Ausbildung und Fortbildung berücksichtigt werden. W i r alle wissen, daß die nächsten Jahre schwierige Fragen für den Staat bringen werden. W i r sehen aber keinen Anlaß, angesichts der Zukunft unserer Verwaltung pessimistisch zu sein. Lassen Sie mich deshalb die Gelegenheit nutzen, gerade die Verwaltungswissenschaftler unter Ihnen anzusprechen. Die Verwaltungspraxis braucht Ihre Hilfe. Helfen Sie mit, durch Ihre wissenschaftliche Arbeit das Instrumentar i u m zu liefern, das sie braucht, um den Aufgaben der 80er Jahre gerecht zu werden.
Vom Neubau zur Pflege — wohin entwickelt sich unser Verwaltungssystem? Von Frido Wagener
Über die achtziger Jahre ist i n den vergangenen Monaten fast so häufig geredet worden wie über das Wetter. Wahrscheinlich m i t demselben Ergebnis. Etwas mehr als kurzfristige Voraussagen sind offenbar schwierig und daher fehlerhaft. Ein Teil der deutschen Verwaltung — nämlich der Deutsche Wetterdienst — sollte vielleicht aus Sparsamkeitsgründen zu dem bewährten kleinen grünen Frosch i m Einmachglas zurückkehren. Ein skeptischer Beobachter unserer Tagung kann allerdings (ob ernst oder nicht ernst gemeint) ebenfalls Zweifel daran anmelden, ob unsere Meinung über das zukünftige Verwaltungssystem eine höhere Treffergenauigkeit als mittel- und langfristige Wettervoraussagen hat. Bei alledem, was w i r überlegen, müssen w i r ja davon ausgehen, daß es eine relativ ungestörte Weiterentwicklung des Umfeldes der Verwaltung — also keine Weltwirtschaftskatastrophen, keine kriegerischen Zuspitzungen und anderes Unvorstellbares — gibt. W i r müssen also fast naiv optimistisch sein. Und können w i r das heute eigentlich? Dies sollte uns aber nicht abschrecken und verunsichern. Voraussagen auf dem schwierigen und hochkomplexen Gebiet der öffentlichen A n gelegenheiten haben — i m Gegensatz zum Wetter — eine ganz wichtige Folge: sie wecken dann, wenn der Inhalt der Voraussage von einer genügend großen Mehrheit als nicht wünschenswert angesehen wird, Gegenkräfte und Gegenwirkungen, die sich dahin auswirken können, daß die vorausgesagte ungünstige Entwicklung vermieden werden kann und tatsächlich nicht eintritt. Vorausgesehene gefährliche Entwicklungen sind jedenfalls immer ungefährlicher als gefährliche Entwicklungen, von denen man überrascht wird. Schon das Bemühen, die Zusammenhänge der Gegenwart zu erkennen und richtig zu bewerten als Voraussetzung für jede Zukunftsüberlegung, erhöht die Wahrscheinlichkeit, sich etwas richtiger bei seinen Einzelentscheidungen zu verhalten, als wenn man sich von Zufall zu Zufall i n die Zukunft taumeln läßt. M i t diesen einleitenden Hinweisen dürfte theoretisch genügend begründet sein, weshalb sich die Hochschule Speyer i n diesem Frühjahr
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Frido Wagener
m i t Zukunftsaspekten der Verwaltung beschäftigt. Praktisch haben Sie uns j a schon, liebe Tagungsteilnehmer, bestätigt, daß Sie unsere Themen für überlegenswert halten. W i r haben die bei weitem höchste Teilnehmerzahl seit vielen Jahren. Ich darf mich bereits hier für dieses besondere Interesse bedanken. B ü r o k r a t i e - K r i t i k ist i n Mode 1 . Seit zwei, drei Jahren verkünden alle politischen Parteien, daß es m i t der Bürokratie (oder u m noch deutlicher negativ zu werden, m i t dem „Bürokratismus") nicht so weiter gehen könne. Die CDU veranstaltete weit beachtete Kongresse zu diesem Thema, die SPD folgte, allerdings „ m i t gedämpftem Trommelschlag". Herr Lohmar von der SPD verkündete allerdings sogar einen neuen ausbeuterischen Klassenkampf der öffentlichen Bürokraten gegen den Rest der Bevölkerung. Lange Passagen der Landtagswahlkämpfe der letzten Zeit waren und sind dem Versprechen gewidmet, daß man die Bürokratie bekämpfen wolle. Die Aussagen von Strauß und Börner, Späth u n d Rau zu diesem speziellen Thema kann man fast austauschen. Dies ist auch gar nicht verwunderlich. Es besteht ja öffentliche Übereinstimmung darüber, daß die Bürokratie bei uns überhand nimmt. Nach Umfragen scheut jeder zweite Bürger i n der Bundesrepublik Deutschland den Weg zum A m t . I n seiner Vorstellung dominiert der muffelige Beamte, der griesgrämig und träge den Amtsschimmel reitet 2 . Was halten die Bürger von ihrer Verwaltung? Nach dem Wenigen, was man aus empirischen Untersuchungen weiß, jedenfalls nicht viel; unfreundlich, herablassend, umständlich, formalistisch, abweisend, m i t einem Wort: „bürokratisch" — so erleben viele von ihnen die Behörden, m i t denen sie zu t u n haben 3 . 1 Aus der unübersehbaren Literatur seien genannt: Horst Bosetzky, Innovative Bürokratie, D Ö V 1979, S. 194 ff.; Heiner Geißler (Hrsg.), Verwaltete Bürger — Gesellschaft in Fesseln. Bürokratisierung und ihre Folgen für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, Berlin 1978; Hans Günther Dehe, Möglichkeiten und Grenzen einer Entbürokratisierung, D Ö V 1980, S. 76 ff.; Jürgen Gramke, Praktizierte Bürgernähe, Band 31 der Schriftenreihe „Fortschrittliche Kommunal Verwaltung", Köln 1978; Friedhart Hegner, „Bürgernähe" von Politik und Verwaltung als Anliegens- und Problemgerechtigkeit, Die Verwaltung 1979, S. 187 ff., S. 311 ff.; Franz-Xaver Kaufmann (Hrsg.), Bürgernahe Gestaltung der sozialen Umwelt. Probleme und theoretische Perspektiven eines Forschungsvorhabens, Meisenheim 1977; Hans Koschnik, Die Verwaltung — Moloch oder Dienstleistung?, in: Die Neue Gesellschaft 1979, S. 1076 ff.; Ulrich Lohmar, Staatsbürokratie, Das hoheitliche Gewerbe, M ü n chen 1978; Ernst Pappermann, Kommunal·Verwaltung der achtziger Jahre, Demokratische Gemeinde 1979, S. 1042 ff.; vgl. auch bereits meine Äußerungen im Bericht für die Staatsrechtslehrertagung 1978, in: Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, W D S t R L Heft 37, Berlin, New York 1979, S. 231 f. 2 Ernst Pappermann, Öffentlicher Dienst — öffentliche Meinung, Demokratische Gemeinde 1979, S. 400 ff., 497 ff.; interessant in diesem Zusammenhang
auch Manfred Birr eck ! Dieter Kolb / Johanna Kratzsch / Helgomar Pichlmayer,
Zweiweg-Kabelfernsehen und bürgernahe Verwaltung, Beiträge des Instituts für Zukunftsforschung, München 1979.
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Seit drei, vier Jahren (also etwas länger als die Bürokratieschelte) hört man den Ruf nach Privatisierung und nach Entstaatlichung. Es gibt keine Partei, die etwas auf sich hält, die nicht ein Programm zur Befreiung des mündigen Bürgers von Staatseingriffen und Bevormundungen formuliert hätte. Und gelegentlich gedeihen solche guten Vorsätze sogar bis zur Gesetzesreife; siehe die „Beschleunigungsnovelle" zum Bundesbaugesetz 4 . U m einige weitere Worte aufzuzählen, von denen vor fünf bis zehn Jahren nichts oder nur wenig zu hören war, darf ich „Gesetzesflut", „Verrechtlichung" und „Gerichtsüberlastung" nennen. Politologen und Politiker sinnen (mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen) über die „Regierbarkeit" oder „Verwaltbarkeit" unserer Gemeinwesen nach. Schließlich — so hört man — sei das A n sehen der öffentlichen Verwaltung noch nie so schlecht und ihre P r i v i legien noch nie so unerschütterlich gewesen 5 . Ich bin ziemlich sicher, meine Damen und Herren, daß Sie sich als Verwaltungsleute (jedenfalls überwiegend) nicht schuldig fühlen an den Vorwürfen und Mängeln, die m i t den genannten Stichworten zum Ausdruck gebracht werden. Sie könnten sich nun sagen: Irgendeinen Prügelknaben braucht die Bevölkerung 6 und brauchen die Politiker, und die öffentliche Verwaltung eignet sich für diese Rolle besonders gut. Dieses leidende, tragische Hinnehmen der Bürokraten-Beschimpfung ist aber nicht ganz ungefährlich. Zur Zeit werden als Lösungsmittel noch Bürgernähe, Delegation nach unten, Bürgerfreundlichkeit, weniger Gesetze und bessere Formulare empfohlen. Wenn dies nichts nutzt (und vieles spricht dafür, daß es nichts nutzen wird), könnte die jetzige Stimmung dahin führen, daß sich eines Tages die Meinung politisch durchsetzt, die öffentliche Verwaltung selber sei nicht nur Prügelknabe, sondern die Schuldige. Dann könnte man dazu neigen, unser Verwaltungssystem und unseren öffentlichen Dienst an „Haupt und Gliedern" zu reformieren, und man w i r d dann bestimmt m i t deutscher Gründlichkeit auch seine positiven Seiten über Bord werfen. W i r müssen also fragen: 3 Das Bild des öffentlichen Dienstes in der Bevölkerung hat sich nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland verschlechtert, vgl. die gleichliegende Problemsituation in Großbritannien, in: „Verwaltungswissenschaftliche Informationen" der Deutschen Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften, Heft 3/4 1979, S. 128 ff. 4 Vom 6. 7.1979 (BGBl. I S. 949). 5 Zum Komplex Ansehen und Selbstverständnis des öffentlichen Dienstes vgl. meine Darstellung in W D S t R L 37, S. 229 ff. * Vgl. Johannes Gross, Die Misere der öffentlichen Gefühle, FAZ-Beilage vom 1. März 1980.
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— Woher kommt das alles? — Wo stehen wir? — Wohin entwickelt sich alles? — Wo liegen die Hauptschwachstellen unseres Staates und seiner Verwaltung? — Gibt es ernstzunehmende Faktoren, die zu einer negativen Entwicklung führen? — Kann man etwas ändern, und wie könnte man es ändern? Sie werden Verständnis dafür haben, wenn ich eine solche umfassende Fragestellung nicht flächendeckend angehen kann. Ich möchte den Gesamtkomplex „Wohin entwickelt sich unser Verwaltungssystem?" i n mehrere Überlegungsschritte teilen, die Gesamtfrage sozusagen i n Teilperspektiven auflösen. Ich denke dabei an insgesamt sieben Ansätze.
I. Bestimmungsfaktoren des Staates und seiner Verwaltung Die erste der sieben Teilbetrachtungen hat von einem hochgelegenen Standort sehr breit zu schauen und sieht daher die Einzelheiten wenig scharf. Es ist zu fragen: Welche wesentlichen Elemente und Kräfte bestimmen den bundesrepublikanischen Staat und seine Verwaltung? Lange Jahre machte sich ja verdächtig, wer bei uns vom „Staat" sprach, ohne ihn zu schmähen. Der Staat w i r d aber immer noch weith i n gleichgesetzt m i t Bürokratie, Hierarchie, Repression, nicht mehr zu ertragender Steuerlast, ja m i t Unfreiheit. Dies angeblich überbürokratisierte, unregierbare, von seinen staatsverdrossenen Bürgern abgelehnte Gemeinwesen: Was ist es eigentlich? Was hält es zusammen? Was läßt es jedoch in der weiten Welt als gar nicht so fragil erscheinen? Hervorstechende Merkmale dieses Staates sind ein (im internationalen Vergleich) stark ausgeprägter Föderalismus und eine immer noch bedeutsame Stellung der kommunalen Selbstverwaltung. Die vergleichsweise weitgehende Dezentralisierung unseres politisch-administrativen Systems w i r d durch mehrere Faktoren wesentlich gefördert. Föderalismus und Selbstverwaltung sind i n Deutschland historisch gewachsen. Es gibt eine polizentrische Siedlungsstruktur. Die Verdichtungsräume mittlerer Größe (Rhein-Ruhr, Rhein-Main, Hamburg, München, Rhein-Neckar) verteilen sich relativ gleichmäßig über das gesamte Bundesgebiet. Die politische Hauptstadt Bonn ist nicht (wie überwiegend i m Ausland) gleichzeitig Wirtschafts-, Finanz- und K u l turhauptstadt. Trotz der starken Dezentralisation des Gesamtsystems ist die staatliche Einheit der Bundesrepublik aber nicht gefährdet. Es
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sind genügend Faktoren zur Sicherstellung der Einheitlichkeit vorhanden, nämlich: 1. Es gibt so gut wie keine territorial abgegrenzten Sprach- oder Nationalitätenprobleme. W i r haben keine „Separatisten". Es gibt ein intaktes Nationalgefühl „Deutscher" zu sein. 2. Trotz Föderalismus und kommunaler Selbstverwaltung sind nahezu alle wichtigen Lebensbereiche durch bundeseinheitliche Gesetze und Hegelungen geordnet. Länder und Kommunen sowie alle Gerichte wenden i n einem ganz dominierenden Anteil Bundesrecht an. 3. Es gibt keine wichtigen regionalen politischen Parteien. Die auf nationaler Ebene organisierten politischen Parteien folgen i n ihrer internen Parteistruktur weitgehend der Länder- und Kreisgliederung. 4. Es gibt ein bundeseinheitliches Wirtschaftssystem, wobei ein zum sonstigen Westeuropa vergleichsweise weitgehender politischer Konsens über eine (sozial gebundene) Marktwirtschaft besteht. 5. Nicht zuletzt gibt es bei Bund, Ländern und Gemeinden einen nahezu einheitlich geregelten und sich auch als einheitlich verstehenden öffentlichen Dienst i n einer Größenordnung von vier M i l lionen Menschen, dem handelnden Teil unseres Verwaltungssystems. Gegenüber diesen Faktoren, die zunächst einmal äußerlich den Bestand und die Funktionen unseres Gemeinwesens garantieren, kann man nun ins Feld führen, daß solche ja unbestreitbaren Erscheinungen wie Staatsverdrossenheit, Steuerverdrossenheit, Parteienverdrossenheit von jeweils bestimmten Teilen der Bürger den Staat doch gefährden. Die vielerlei Arten von Leistungsverweigerung der Jugend, der offenbar tiefgreifendere Generationenkonflikt als normal, der höhere Drang zum Individualismus und der gleichzeitige hilflose Hang zu neuen Heilslehren, der generell höhere Grad zur „Aufmüpfigkeit" der Bürger, der teilweise Verlust an Grundkonsens und die daraus folgende Bildung von Ein-Ziel-Gruppen wie die „Grünen", nicht zuletzt der Terrorismus, die überbordende Verrechtlichung unseres sozialen Lebens, die Bürokratisierung und die gleichzeitige Befürchtung der Unregierbarkeit und Unverwaltbarkeit der großen Städte, der Länder und des Bundes — alles dies macht uns weniger sicher, dem Staat Bundesrepublik Deutschland Bestandskraft und anhaltende Funktionstüchtigkeit für die achtziger Jahre vorauszusagen. Dennoch: Es kommt auf die Gewichtung der Faktoren an. Sind nicht die zuletzt genannten Erscheinungen entweder Ausdruck der spätindustriellen Gesellschaft genereller Art, also nicht nur auf unseren
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Staat bezogen, und ist manches nicht nur unter dem Gesichtspunkt des „Schönwetterstaates" zu sehen, den man spielerisch i n Frage stellen kann, so lange jedenfalls, als man davon überzeugt ist, daß dann, wenn es ernst werden sollte, er sich schon durchsetzen w i r d und die eigene Sicherheit und Versorgung aufrechterhalten bleiben. Alles i n allem also ein durch vielerlei Erscheinungen nicht ungefährdetes Staats- und Verwaltungssystem. I h m werden jedoch durch zahlreiche stabilisierende Faktoren m i t hohem Gewicht Einheitlichkeit, Bestandskraft und Funktionstüchtigkeit verliehen. Dieser erste grobe Ansatz legt schon nahe, m i t unserem Verwaltungssystem, das zweifellos zu den stabilisierenden Faktoren i n der Gesamtrechnung gehört, künftig besonders pfleglich umzugehen, was immer dies i m einzelnen bedeuten mag. I I . Entwicklung der öffentlichen Aufgaben Bei unserem zweiten Ansatz, der Entwicklung der öffentlichen Aufgaben, haben w i r Schwierigkeiten, einigermaßen trittfesten theoretischen Boden zu finden. Bei verstärkten Bemühungen um ein theoretisches Durchdringen des Komplexes „öffentliche Aufgaben" hat die Ansicht an Boden gewonnen, daß allgemeingültige Soll-Vorstellungen und Kriterien für die Bestimmung öffentlicher Aufgaben nicht zu finden sind. I n einem Staatswesen westlicher Prägung werden vielmehr jeweils die Aufgabenbereiche als öffentliche Aufgaben angesehen, die die politischen Vertretungskörperschaften in einem bestimmten Zeitpunkt und für ein bestimmtes Gebiet i m Rahmen einer bestimmten sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage durch Gesetz, durch die Aufnahme i n den Haushaltsplan oder anderswie zur öffentlichen Aufgabe erklärt haben. Es gibt also bei uns eine zeit-räumliche Indeterminiertheit der öffentlichen Aufgaben. Das heißt, sie können zunehmen oder abnehmen, ohne daß man dies intersubjektiv ernsthaft (sozusagen von einem nicht anfechtbaren Maßstab aus) kritisieren könnte. Wenn dies so ist, dann bleibt uns zunächst einfach festzustellen, daß sich der öffentliche Anteil an allen Tätigkeiten seit etwa 100 Jahren (historisch ruckartig) immer weiter ausweitet und daß keine Zeichen der grundsätzlichen Trendumkehr zu erkennen sind. Es wäre also zu fragen: Gibt es Faktoren dafür, daß sich die öffentlichen Aufgaben auch bei uns noch laufend ausweiten, obwohl Stagnation oder langsameres Wachstum des Sozialprodukts, langfristige Arbeitslosigkeit und abnehmende Bevölkerungszahl ja vielleicht anderes erwarten ließen. Ich w i l l hierzu drei kurze (vielleicht verkürzte) Hinweise geben.
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1. Aufgabenausweitung
in
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Kampagnen
Zunächst ist ein Sachverhalt hervorzuheben, den ich „Aufgabenvorrang i n Fünf-Jahres-Kampagnen" nennen möchte. Bessere und wesentlich teuerere Leistungen des Staates entstehen bei uns offenbar i n Wellen oder „Kampagnen". Es sind hier die Stichworte „Bildungskatastrophe", „Umweltschutz", „Sicherheit", und heute „Energie" zu nennen. Welches die nächste große Kampagne sein wird, ist noch unklar. Wenn die Bundesrepublik ab 1986 echtes Einwanderungsland für Griechen, Türken, Portugiesen und Spanier sein wird, w i r d wahrscheinlich eine sehr teure „Bevölkerungspolitik" an der Reihe sein. Die Kampagnen laufen i n einem groben Abstand von drei bis fünf Jahren. Zunächst gerät die jeweilige Angelegenheit i n eine Finanzschwemme. Die Woge geht hoch, und nun entsteht ein physikalisches Wunder, sie verebbt nämlich nicht wieder (sie geht nicht wieder herunter). Die der Kampagne unterworfene öffentliche Aufgabe w i r d dann auf einem neuen hohen Niveau weitergeführt und stagniert dort. Inzwischen hat sich der Problemstau als Anlauf für eine neue Woge und Kampagne auf einem anderen Gebiet gebildet, und dieses Gebiet w i r d ebenso i m Standard der Aufgabenerfüllung auf ein neues wesentlich höheres Niveau gehievt. A l l e anderen Aufgaben bleiben der Tendenz nach auf ihrem alten früheren Niveau. Es sei denn, die Interessenten und Promotoren dieses Aufgabenbereichs können auch eine der geschilderten Kampagnen „anzetteln". Eine vergleichbare Kampagne zum Abbau und Zurückdrängen eines öffentlichen Aufgabenbereichs haben w i r i n den letzten drei Jahrzehnten nicht erlebt. Die „Privatisierungs"-Diskussion ist diffus geblieben 7 und findet eigentlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit i n kleinen Zirkeln statt. Die Sache ist jedoch nicht i n eine politisierte allgemeine Akzeptanz übergeführt. Es ist auch schwer, i n der parlamentarischen Demokratie eine Aufgabenabbau-Kampagne i n Gang zu setzen. Dies gelingt wohl nur i n Kalifornien und i n Dänemark. Bei uns neigt jedenfalls das ganze System zum wellenförmigen Ausbau, und zwar bei einem insgesamt immer höheren öffentlichen Wasserstand.
7 Die einzelnen Standpunkte faßt Manfred Groser, Das Privatisierungsthema in der politischen Willensbildung, in: aus politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung das Parlament, Β 14/80, S. 3 ff., zusammen; vgl. auch Gerhart Rudolf Baum, Probleme der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, Schriften zur Staats- und Gesellschaftspolitik, Band 17, Bonn 1980, S. 13 ff.
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2. Vertikale
Fachbruderschaften
Nunmehr möchte ich eine Erscheinung beleuchten, die ich bereits seit einiger Zeit als „Aufgabenerfindung i n vertikalen Fachbruderschaften" kritisiere 8 . Ausgangspunkt ist das Zauberwort „wertgleiche Lebensverhältnisse" 9 . Instrumente sind ein Fond i m Bundeshaushalt, aus dem zunächst eine Spitzenfinanzierung für einige Landes- oder Kommunalobjekte von der Bundesseite gewährt werden kann, oder ein Fond i m Landeshaushalt zur Spitzenfinanzierung von Kommunalaufgaben. Das ehemalige „Finanzierungssystem für eklatante Notfälle" w i r d dann langsam zum herrschenden und absolut gängigen Planungs-, Entscheidungs- und Finanzierungssystem für alle wichtigen öffentlichen Aufgabenkomplexe. Man ändert dann die Verfassung und findet das anheimelnde Wort: „Gemeinschaftsaufgabe". Gemacht w i r d das „kooperativ", so daß (Gott sei Dank) keiner mehr voll (politisch) verantwortlich ist. I m Bund-Länder-Verhältnis kennen w i r bereits heute die W i r t schaftsstrukturverbesserung, den Hochschulbau, die Agrarstrukturverbesserung, die Bildungsgesamtplanung, die Forschungsförderung, die Gemeindeverkehrsfinanzierung, die Krankenhausfinanzierung, die Städtebauförderungsmittel, die Wohnungsbaumittel und neuerdings sogar die 50 °/o-Bundesmitfinanzierung von Kunstankäufen durch Landes« und Kommunalmuseen i m Ausland. Ebenfalls vor einigen Monaten wurde unter zustimmendem Kopfnicken der Wissenschafts- und Kulturbeilagen der großen Zeitungen gemeldet, daß die Länder nunmehr auch ihre altehrwürdigen Akademien der Wissenschaften i n 50/50-Finanzierung an den Bund verkauft haben. I m vorigen Jahr hat man endlich auch ein Bund-Länder-Programm für die sogenannten Export-Rückbürgschaftsprogramme aufgestellt. Die vertikalen Fachbrüder waren wieder am Werk und ihr Bund-LänderKränzchen hat auch auf diesem Gebiet die ja so dringend notwendige administrative Gleichschaltung, d. h. i m Grunde Entpolitisierung und volle Administrierung des Bereichs erreicht. Das Energiesparprogramm, das Konjunkturprogramm für Zukunftsinvestitionen der Nation (ZIP), durch das m i t Hilfe von Schulden das Elefantenhaus des Zoos i n Krefeld finanziert wird, alles das läuft in 8
W D S t R L 37, S. 238 ff. Art. 72 Abs. 2 Nr. 3, 106 Abs. 3 Nr. 2 GG. Zu diesem immer wieder anzutreffenden als Verfassungspostulat verwendeten Begriff vgl. den Beitrag in der F A Z vom 8.4.1980, S. 4 betreffend die Anhörung zum Strukturbericht der Bundesregierung. Zum raumordnungsrechtlichen Grundsatz vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ROG. 9
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Bund-Länder-Gemeinde-Verfilzung sektoral und vertikal ab. Die jeweiligen Fachbrüder reisen, treffen sich, reden den ganzen Tag (und auch zwei) und einigen sich dann über die Finanzierung, notfalls nach dem K r i t e r i u m der Zahl der Apfelbäume i n den einzelnen Ländern. Jedenfalls einigen sie sich immer so, daß das Tortenstück für den jeweiligen Fachbereich, das aus dem Gesamtkuchen entnommen werden soll, immer etwas größer ist, als für den Gesamtkuchen verträglich, d. h. wenn der Bundesfinanzminister, die Länderfinanzminister, das Bundeskanzleramt und die Staatskanzleien die Tortenstückchen, die auf die horizontalen Einheiten entfallen, alle zusammenlegen, dann hat man immer eineinviertel Torte. Dem Finanzminister gelingt es zwar manchmal, von dem letzten Viertel wieder ein Stück i n die Tiefkühltruhe zu tun, das letzte Achtel des überschießenden Kuchens muß aber garantiert durch neue Schulden finanziert werden. Jedenfalls: Vertikale Fachbrüder, besonders die guten und engagierten, können (nimmt man alles zusammen) gar nicht anders handeln, als den Staat und unser Verwaltungssystem zu überlasten.
3. Haushaltsvorzug
für das Bestehende
Schließlich wäre noch auf unsere Übung der „Haushaltsaufstellung auf der Basis des letzten Standes" hinzuweisen. I n unserem Haushaltswesen w i r d der Stand jedes Titels vom Vorjahr als Nullniveau für das nächste Jahr verstanden. Daher bricht dann das „Dezemberfieber" aus. Man muß ausgeben, um Bedarf beweisen zu können. Solange w i r keinen echten Nullbasishaushalt 1 0 haben, neigt dieses Verfahren grundsätzlich zur Ausdehnung der Ausgabenseite jedes Haushalts. Und wenn die „Streichergruppe" i m Finanzministerium beim Zusammenstreichen der Ressortwünsche noch so rabbiat ist, die Ausgabenhöhe rutscht insgesamt Jahr für Jahr nicht unwesentlich höher als die sowieso schon einkalkulierte Inflationsrate. Bedarfsbegründung für jeden Titel w i r k lich von N u l l her würde zwar einen unendlichen Schreibkram hervorrufen und ein bemerkenswertes Ansteigen des Personals i m Haushaltsbereich zur Folge haben. Vielleicht wären die einzusparenden Haushaltsmittel insgesamt aber dennoch um das Zehnfache höher. Stellen Sie sich allein vor, was es bedeuten würde, wenn sich jeder Referent, Dezernent, Amtsleiter usw. mindestens eine Woche lang i n jedem Jahr hinsetzten müßte und i m einzelnen nachvollziehbar zu begründen hätte, warum er überhaupt Geld zur Erfüllung seiner Aufgabe braucht. Diese Beschäftigung, d. h. dieses Verfahren auf alle A k t i v i t ä t e n aller öffent10
Dazu kritisch Bert Rürup, Gisela Färber, Programmhaushalte der „zwei-
ten Generation" — Idee, Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit von ZBB, Sunset und RCD —, D Ö V 1980, S. 661 ff.
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liehen Hände i n der Bundesrepublik gestülpt, würde allein, weil dieses Verfahren bestände, Milliarden einsparen. 4. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis unseres zweiten Ansatzes ist demnach davon auszugehen, daß i n der speziellen Lage der Bundesrepublik das Staatsund Verwaltungssystem unter den Stichworten — Fünf-Jahres-Kampagnen — Aufgabenüberlastung durch vertikale Fachbrüder und — institutionelle Vermutung für die Ausweitung jedes Haushaltstitels zu einer dauernden Ausweitung der öffentlichen Aufgaben neigt, obwohl dies nicht mehr von vornherein plausibel ist. Grundlegende Veränderungen bei den kampagneartigen Aufgabenvorrängen sind wohl nicht zu erwarten. Fraglich ist aber, ob es sich unser Staats- und Verwaltungssystem unentwegt weiter leisten kann, von den „vertikalen Fachbrüdern" m i t immer höherem Aufgabenstandard überlastet zu werden. M i t einer pfleglichen Behandlung dieser Erscheinung ist es wohl nicht getan. Hier muß die horizontale Sichtweise (die Bündelung i n Ebenen, Einheiten und Gebieten) wieder stärker betont werden. Hier und bei dem Nullhaushalt können w i r i n Zukunft wohl an einem „Umbau" nicht vorbei (an einen „Neubau" ist natürlich nicht zu denken).
I I I . Gesetzmäßigkeit der Verwaltung Die Betrachtung unseres dritten Überlegungsbereichs, der „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung", w i r d einem positivistisch eingestellten Juristen vielleicht als wenig notwendig erscheinen. Steht doch i n Art. 20 Abs. 3 GG, daß die „vollziehende Gewalt . . . an Gesetz und Recht gebunden" ist und w i r d doch der hieraus abgeleitete Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes nirgendwo ernsthaft i n Zweifel gezogen. Dennoch laufen hier Entwicklungen, die es zu beobachten gilt. Bei der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung geht es ja längst nicht mehr um die Legitimierung monarchischer Exekutivgewalt zu Eingriffen i n Freiheit und Eigentum des Bürgers. Die Zeiten, wo man von gesetzesfreier Verwaltung i n sogenannten besonderen Gewaltverhältnissen (Soldaten-, Beamten-, Schüler-, Strafgefangenenverhältnis) ausging, sind ebenfalls vorbei. Trotz der offenbar eindeutigen Verfassungsbestimmung und trotz des noch herrschenden Selbstverständnisses der
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deutschen Verwaltung sind die Grenzen für die Geltung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung seit einiger Zeit sehr schwer zu bestimmen. Das Feld der leistenden und planenden Verwaltung ist unendlich breit und kaum übersehbar geworden. Die Forderung, daß für jede Tätigkeit der Verwaltung eine spezielle gesetzliche Grundlage vorhanden sein muß, ist praktisch kaum zu erfüllen. Ein so verstandener Gesetzesvorbehalt würde nicht nur für die Verwaltung, sondern auch wohl für die Parlamente eine untragbare Belastung bedeuten. Einen mittleren Weg zwischen der extremen Geltung des Gesetzesvorbehalts für die Verwaltung und der Überlastung der Parlamente versucht die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu weisen. Danach sollen die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaates eine Regelung der „wesentlichen" Sachfragen durch den Gesetzgeber gebieten. Diese allgemein gehaltene, als „Wesentlichkeits"-Rechtsprechung bezeichnete Auslegung des Gesetzesvorbehalts gilt i n gleicher Weise für die Eingriffs- wie für die Leistungsverwaltung 1 1 . Unverkennbar ist bei dieser Auslegung, daß man i n das Dilemma gerät, den Umfang dessen festlegen zu müssen, was als „wesentlich" angesehen werden muß und welche Sachfragen als „unwesentlich" betrachtet werden können 1 2 . Inzwischen w i r d die Wirksamkeit des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung durch Entwicklungen gefährdet, die nicht auf verfassungsdogmatischem, sondern auf ganz anderem Gebiet liegen. Offenbar beeinträchtigen mehrere Trends i n unserem Politik- und Verwaltungssystem die Anwendung und Wirksamkeit der Gesetzmäßigkeitsforderung. Dies hängt damit zusammen, daß sich der Inhalt der Gesetze wesentlich geändert hat und daß es zu viele und zu komplizierte Gesetze gibt. I m 19. Jahrhundert war das Gesetz eine Spielregel für eine Gesellschaft, die i n ihrer Struktur statisch gedacht wurde. Sie regulierte sich grundsätzlich selbst. Nach einem langen Einigungs- und Setzungsprozeß wurden bestimmte Regeln, über die man Einigung (Konsens) erzielt hatte, für alle verbindlich als Gesetz festgelegt. Gesetze waren also Konsensdeklarationen. Man hielt die Inhalte sowieso für verbindlich. Heute geht es nicht mehr u m Spielregeln, über die man sich einig geworden ist (das kommt auch noch vor), sondern u m Kampfentscheidungen knappster A r t i m Rahmen einer unübersehbaren Zahl von Teil11
Vgl. zuletzt BVerfGE 49, 89 ff. = D Ö V 1979, S. 49 ff. Vgl. hierzu Gunter Kisker, Neue Aspekte im Streit um den Vorbehalt des Gesetzes, NJW 1979, S. 1313 ff. (insbes. 1317 ff.). 12
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fragen. Überwiegend werden Fachfragen behandelt, über die sich eine größere Menschenzahl nicht als verbindliche Kegel einigen kann. Die Inhalte sind nur noch ganz wenigen Beteiligten aus sich selbst heraus verständlich. Irgendwo ist ein Mißstand aufgetreten, vom Fernsehen und von der Presse aufgegriffen, und bald reagiert das Parlament durch Änderungen oder Ergänzungen von Gesetzen oder die Regierung durch Erlasse, Richtlinien, Pläne und Programme und „erledigt" den Mißstand durch neue und schärfere, gewöhnlich umfangreichere Regelungen, als sie für den jeweiligen Bereich wahrscheinlich schon bestanden haben. Wenn die Vorschriften nur noch für jeweils wenige Fachleute verstehbar und nur für kleinste Lebensbereiche erlassen sind, wenn ihr Inhalt vielfach so gestaltet ist, daß eine andersartige Regelung (oder gar keine Regelung) fast ebenso gut ist, w i r d die strikte Forderung an die Verwaltung, an „Gesetz und Recht" gebunden zu sein, unglaubwürdig. Der Verfassungsgrundsatz verliert an Wirksamkeit, wenn weite Teile von „Gesetz und Recht" für die Mehrzahl der Beteiligten (auch für Teile des Verwaltungspersonals) nicht mehr intellektuell einsehbar und emotional „nachfühlbar" sind. Durch Massenhaftigkeit und mangelhafte Nachvollziehbarkeit der Vorschriften läßt ihre Geltungskraft nach 13 . Der Rechtsstaat neigt zur Komplettierung. Nach mehr als 30 Jahren Gültigkeit des Grundgesetzes sind alle wichtigen Lebens- und Sozialbereiche durch gesetzliche und sonstige Regelungen i n vollem Umfange durchnormiert. Das Regelungsgebäude ist nicht nur vollständig errichtet und eingerichtet, sondern es ist bereits (wie manche Wohnung) mit Einrichtungsgegenständen so voll gepfropft, daß man sich kaum noch bewegen kann. Dieses Gesetzgebungs- und Vorschriftenwerk ist inzwischen so kompliziert und unübersichtlich geworden, daß auch Juristen sich jeweils nur i n Teilbereichen m i t Mühe auskennen. Die Bürger vermögen nicht i m vollen Umfange zu überblicken, welches Recht für sie gilt. Auch die Verwaltungsbeamten beherrschen die geltenden Vorschriften nur noch in einem sehr engen Fachbereich. Die deutsche Verwaltung arbeitet i m allgemeinen durchaus korrekt und rechtsstaatlich. A u f weiten Gebieten des Umweltschutzes, der Sozialhilfe, des Strafvollzugs, der Polizei, des Baugenehmigungsverfahrens, der Regionalplanung, des Hochschulrechts, des Lebensmittelrechts, bei den Vorschriften über Sozialwohnungen, Heime, Volkshochschulen, technische Überwachungspflichten usw. ist jedoch eine Lage eingetreten, bei der realistischerweise nur noch Teile der jeweiligen Gesetze 18
Zur Entwicklung der Gesetzesproduktion in den letzten 100 Jahren vgl.
Hans-Jochen Vogel, Zur Diskussion um die Normenflut, JZ 1979, S. 322.
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und Verordnungen, Richtlinien und Erlasse von der Verwaltung beachtet, voll durchgesetzt und kontrolliert werden können. Es wäre allerdings ein Mißverständnis anzunehmen, daß die Verwaltung bei uns eine Tendenz zur Nichtbeachtung von Gesetzen oder gar zur Rechtswidrigkeit habe. Das Gegenteil ist der Fall. Dies w i r d unter anderem dadurch gesichert, daß der betroffene Bürger gegen jeden eingreifenden A k t der Verwaltung und auf jede unterlassene Handlung der Verwaltung vor den Verwaltungsgerichten i n mehreren Instanzen klagen kann. Jedoch zeigt sich, daß i m Verwaltungsgerichtsprozeß immer weniger vorausgesehen werden kann, wie die erste Instanz entscheiden w i r d und daß die Prozesse wegen der Überlastung der Verwaltungsgerichte durch eine Vielzahl von Klagen immer länger dauern. Es wäre nach dieser Lageschilderung zu fragen, ob es wahrscheinlich ist, daß die „Gesetzesflut" zukünftig in gleichbleibenden Schüben weitersteigt, so daß um die Gesetzmäßigkeit unserer Verwaltung ernsthaft zu bangen wäre. Vieles spricht dafür, daß die Themen „Gesetzesflut", „Regelungsdichte" und (eng damit zusammenhängend) „Bürokratisierung" bereits einen solchen Politisierungsgrad erreicht haben, daß eine Umsteuerung wahrscheinlich wird. Es ist also m i t einer wieder abflachenden Kurve, zumindest m i t einer Stagnation des Gesamtbestandes rechtlicher Regelungen i n mittelfristiger Sicht zu rechnen 14 . Dieser Rechtsbestand wäre dann kontinuierlich umzuwälzen, anzupassen, langsam zu verändern, i m überholten Teile aufzuheben und i m tatsächlich noch Ungeregelten neu zu erlassen. Es ginge nicht mehr um 30 Jahre Neubau, sondern um die Pflege eines mehr als ausreichenden Bestandes. Fraglich bleibt allerdings, ob die Selbstheilungskräfte unseres politisch-administrativen Systems bei einem sicherlich nicht wesentlichen zurückschraubbaren Gesamtbestand von rechtlichen Steuerungsvorschriften für die Verwaltung ausreichen wird, um auf Dauer unser wohl i n der Welt einmalig exzessives Verwaltungsgerichts- und Verfassungsgerichtsklagesystem aufrechterhalten zu können. Die mündigen und manchmal auch nur aufmüpfigen Bürger (einschließlich vieler Ausländer) haben gelernt, m i t diesen Instrumenten umzugehen und nicht unwichtige Teile öffentlicher Aktivitäten auf längere Frist lahmzulegen. Das w i r d man ihnen kaum wieder abgewöhnen können. Die doppelte Anzahl an Verwaltungs- und Verfassungsrichtern w i r d auch kaum etwas nutzen. Die deutliche und nach dem Zweiten Weltkrieg verständliche Überbetonung der I I I . Gewalt gegenüber Gesetzgebung und Verwaltung i n unserem Verfassungssystem w i r d weiterhin für 14 I n dieser Richtung Hans-Hermann Scheffler, Verwaltungsvorschriften, D Ö V 1980, S. 240.
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Wachsende Bedeutung der
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Problemstau, Blockierung und zeitweise Unbeweglichkeiten i n der Verwaltung sorgen, insbesondere dann, wenn die jetzige junge verwaltungsfremde (und teilweise verwaltungsfeindliche) Richtergeneration der Verwaltungsgerichte erster Instanz ihren Marsch 'n die zweite und dritte Instanz hinter sich gebracht haben wird.
I V . Verwaltung und Arbeitsmarkt Bei unserem vierten Überlegungsbereich „Verwaltung und Arbeitsm a r k t " kann ich mich kürzer fassen. Vor etwa drei Jahren spielte dies Thema i n der Öffentlichkeit eine größere Rolle als heute. W i r sollten es aber nicht ganz auslassen, denn es w i r d gegenwärtig nur durch einen mittelhohen Wirtschaftsaufschwung überdeckt. Ich meine die Rolle des Staates und seiner Verwaltung als größter Arbeitgeber und damit als automatisch Mitverantwortlicher für die offenbar langfristig anhaltende Arbeitslosigkeit. Gerade i n den achtziger Jahren steigt die Zahl der Erwerbsfähigen (der nicht mehr Jungen und noch nicht Alten) erheblich an. Akademikerjahrgänge nie gekannter Größenordnung werden einen Arbeitsplatz suchen. Die Zahl der jungen ausgebildeten Facharbeiter w i r d erheblich sinken. Z u r Lösung des Problems ist zweierlei vorgeschlagen worden: Wenn der Staat die Arbeitslosen i m Grunde m i t sozialen Umverteilungsmitteln unterhalten muß, ohne daß sie für das Gemeinwesen etwas leisten, dann sollte er doch ein wenig „drauflegen", mehrere 100 000 neue Stellen i m öffentlichen Dienst schaffen und damit sowohl für sich als auch für die Arbeitslosen selbst das Problem lösen 15 . Zusätzlich sollte es i n der Verwaltung generell, d. h. auch den Beamten, ermöglicht werden, nur noch vormittags oder nur noch nachmittags zu arbeiten, u m sich i m übrigen der „Selbstverwirklichung" hinzugeben. Sie kennen das Teilzeitarbeitsproblem für Beamte, das ja inzwischen von SPD und CDU, A - und B-Ländern, Bundestag und Bundesrat sowie ÖTV und DBB so kleingekocht worden ist, daß man die Sache sowieso vergessen kann. Bei der Frage „Verwaltung und Arbeitsmarkt" ist zunächst einmal klarzustellen, daß die Betrachtung eines einheitlichen Riesenblocks von 4 M i l l . Beschäftigten zu unsinnigen Fehleinschätzungen führt. Es geht hier nicht um den öffentlichen Dienst, sondern u m Lehrer, Polizisten, Krankenschwestern, Busfahrer, Müllwerker, Postboten, Lokomotivführer, Sekretärinnen, Registratoren und Hausmeister. So und so ähnlich sehen die Berufe i m öffentlichen Dienst aus, wenn man sie nach der 15 Vgl. dazu Claus Schäfer, Mögliche und tatsächliche Beschäftigungseffekte öffentlicher Ausgabepolitik, in WSI-Mitteilungen 1977, S. 350 ff.; Ingo von Münch, Der Beamte im sozialen Rechtsstaat, ZBR 1978, S. 125 ff.
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großen Zahl sortiert. Vier Fünftel der Betroffenen dürften damit schon genannt sein. („Arbeitsmarkt und Oberregierungsräte" ist — wegen der kleinen Zahl — kein Thema.) Staat und Kommunen als Arbeitgeber haben zwischen 1969 und 1973 einschließlich des Ersatzbedarfs i n jedem Jahr zwischen 250 000 und 300 000 neue Arbeitskräfte eingestellt. Die Altersstruktur des öffentlichen Dienstes hat sich i n den letzten Jahren aber außerordentlich verjüngt 1 6 . A l l e i n wegen dieses veränderten Altersaufbaus w i r d in den nächsten Jahren ein wesentlich geringerer Ersatzbedarf notwendig sein, so daß von daher m i t erheblich verminderten Einstellungschancen zu rechnen ist. Hinzu kommt, daß seit 1975 i m Hinblick auf wachsende Personalkosten und sinkende Investitionsmöglichkeiten eine generelle Bremsstimmung i n der Personalpolitik der öffentlichen Hände eingetreten ist. Zur Zeit w i r d zwar wieder etwas „Gas" gegeben, aber doch nur i n sehr speziellen Bereichen. Diese globale Betrachtungsweise gibt uns aber nur einen ersten Zugang zu dem Problem. Gerade für die Personalpolitik i m öffentlichen Bereich muß man sich vor der Vorstellung eines homogenen Arbeitsmarktes hüten. Es müssen vielmehr eine Vielzahl von kaum gegenseitig durchlässigen Teilarbeitsmärkten m i t unterschiedlichen Gesetzlichkeiten und Beschäftigungsentwicklungen betrachtet werden. Der Bundesbahnarbeiter, der Polizist und der Lehrer sind nicht austauschbar. Ein Spezialarbeitsmarkt m i t ganz besonderen Gesetzlichkeiten besteht für Lehrer. Für sie kommt als Arbeitgeber fast ausschließlich der Staat i n Betracht. Hier hat sich eine unheilträchtige Situation dadurch gebildet, daß sich Schülerzahlen und Zahlen der als Lehrer ausgebildeten Hochschulabsolventen rapide auseinanderentwickelt haben. Der Rückgang der Geburtenzahlen w i r k t sich auf die Grund- und Hauptschulen bereits aus, i m Sekundarbereich w i r d der sogenannte Schülerberg erst i n zwei bis drei Jahren den Höhepunkt der Belastung erreichen, aber dann gehen auch hier die Schülerzahlen i n ein „ T a l " 1 7 . (Nach 1990, wenn die Universitäten „leer stehen", können sich dann die Professoren wieder der Forschung zuwenden.) Je nachdem wie man Klassenfrequenzen usw. ansetzt, ist von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung geschätzt worden, daß le Nach Mitteilung des Statistischen Bundesamtes waren am 30.6.1977 zwei Drittel des vollbeschäftigten Personals des unmittelbaren öffentlichen Dienstes unter 45 Jahre alt, vgl. Mitt. DSt. vom 4.10.1979; in Baden-Württemberg war zum gleichen Zeitpunkt jeder dritte im öffentlichen Dienst unter 30 Jahre alt, vgl. Staatsanzeiger Baden-Württemberg vom 27.6.1979. 17 Zur Entwicklung der Situation im Schul- und Hochschulbereich vgl. Staatsanzeiger Baden-Württemberg Nr. 29 vom 9.4.1980.
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i m Jahre 1985 bei günstigen Relationen ein Lehrerüberschuß von 118 000 und bei ungünstigen Relationen von 220 000 besteht. Hier wächst ein sicher nicht zu unterschätzendes Unzufriedenheitspotential heran. „Berufsverbote" werden erst kommen: ganz anders und m i t ganz andersartiger Berechtigung als man zur Zeit diesen demagogischen Begriff benutzt. Bei aller Dringlichkeit des Problems, die Öffentlichkeit reagierte auf den Vorschlag des früheren Bundesinnenministers, zur Milderung des Arbeitslosenproblems mehr Teilzeitbeamte einzustellen, und auf den Vorschlag des Deutschen Beamtenbundes, zusätzlich 300 000 neue Stellen zu schaffen, sehr negativ. Sollte die Zahl der „leistungsschwachen" und „faulen" Beamten, die von den Steuerzahlern leben, noch erhöht werden? — dann doch lieber Arbeitslose! Aus dem vierten Ansatz unserer Untersuchung ist daher abzuleiten, daß aller Voraussicht nach der öffentliche Dienst i m nennenswerten Umfange nicht zur Lösung des Arbeitslosenproblems benutzt werden wird. Es werden also — nicht zuletzt wegen des schlechten Image des öffentlichen Dienstes — keine hunderttausende oder Millionen neuer Stellen i m öffentlichen Dienst eingerichtet werden. Zur Beantwortung der Frage „Wohin entwickelt sich unser Verwaltungssystem?" wären zum öffentlichen Dienst natürlich sehr viel mehr Aspekte zu betrachten. Das w i r d sicher morgen Herr Banner auch tun (einiges habe ich vor IV2 Jahren auf der Staatsrechtslehrertagung i n Bonn ausgeführt) 18 . Unter der anfangs genannten Prämisse einer langsamen und friedlichen Fortentwicklung unseres Landes kann an dieser Stelle soviel vorausgesagt werden, daß es i n den achtziger Jahren wahrscheinlich keine exzeptionelle Zunahme, aber auch wohl keine ins Gewicht fallende Schrumpfung des öffentlichen Dienstes bei uns geben wird. Nachdem die große Dienstrechtsreform auch offiziell gestorben ist (der „Neubau" also gar nicht stattgefunden hat), bleibt bei dieser Lage nur die hoffentlich verständnisvolle „Pflege" des Instruments, um dessen Besitz uns — das darf ich Ihnen versichern — die Welt beneidet. V. Organisation und technische Hilfsmittel Unser fünfter Ansatz soll einem Ausblick auf die Entwicklung der innerbehördlichen Organisation und des Einsatzes von technischen Verwaltungshilfsmitteln dienen. Wenn ich hierbei wiederum nur ein Teilproblem herausgreife, dann tue ich dies auch i m Hinblick auf die morgi1β
Vgl. W D S t R L , Heft 37, S. 218 ff.
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gen Ausführungen von Herrn Gaugier, schreiben w i r d 1 9 .
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der j a das Zukunftsbüro be-
Über viele Jahrzehnte war es so, daß der Einsatz von technischen Hilfsmitteln i n der Verwaltung aus Wirtschaftlichkeitsgründen und der Ausnutzung der hohen Stückzahlen dazu führte, daß die Verwaltungseinheiten größer organisiert werden mußten oder daß die Aufgabe eine Ebene i n der Verwaltungshierarchie höher anzusiedeln war. Insgesamt hatte der Einsatz technischer Hilfsmittel fast immer eine Zentralisationswirkung. Hier hat sich nun auf einem der wichtigsten Teilgebiete, nämlich bei dem Einsatz der EDV (und bei allem was damit zusammenhängt) eine Trendumkehr ergeben, die i n ihren Auswirkungen i n den nächsten zehn bis zwanzig Jahren gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Als Beispiel darf ich die Organisation der kommunalen (und teilweise staatlichen) Datenverarbeitungszentralen nennen. Vor mehr als zehn Jahren hatte das KGSt-Rundschreiben 3/1969 „Zusammenarbeit zwischen Kommunalverwaltung und staatlicher Verwaltung bei integrierter Datenverarbeitung" empfohlen, i n einer Größenordnung von jeweils mindestens 200 000 bis 300 000 Einwohnern (möglichst jedoch mehr) Zusammenschlüsse von Landkreisen und kreisfreien Städten zu kommunalen Datenzentralen zustande zu bringen. Diese Zahlen w u r den später nach oben korrigiert. Schätzungen lagen bei 500 000 Einwohnern. I n Nordrhein-Westfalen wurden mindestens 400 000 Einwohner als Funktionsgröße für eine kommunale Datenzentrale für notwendig gehalten. Heute bieten bundesweit etwa 70 kommunale Datenzentralen m i t durchschnittlich mehr als 800 000 Einwohnern flächendeckende personelle und maschinelle Datenverarbeitüngsleistungen vorwiegend zur Erledigung von Massenaufgaben ihren Mitgliedsverwaltungen an. Bevorzugte Anwendungsbereiche sind — Berechnung und Zahlbarmachung von Leistungen (Personalbezüge, Versorgungsbezüge, Sozialleistungen), — Veranlagung von Steuern, Gebühren und Abgaben, — Buchung der Kassenbewegungen in Einnahme und Ausgabe sowie — Speicherung, Fortführung und Auswertung der Einwohnerdaten. I n den sechziger Jahren mußte man auf der Kreisebene von rund 650 kommunalen Hauptverwaltungseinheiten (Landkreisen und kreisfreien Städten) m i t zum Teil weniger als 20 000 Einwohnern ausgehen. Für 19
Vgl. auch die eingehende Studie von Gaugier / Althauser / Kolb / Mallach,
Rationalisierung und Humanisierung von Büroarbeiten, 2. Aufl., Ludwigshafen/Rhein 1980; Ralf Reichwald, Zur Notwendigkeit der Akzeptanzforschung bei der Entwicklung neuer Systeme der Bürotechnik, Hochschule der Bundeswehr, München 1978.
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die damaligen zur Verfügung stehenden, sehr teueren und anfälligen Datenverarbeitungsanlagen waren die kommunalen Hauptverwaltungseinheiten durchweg zu klein. Hier haben sich nun wesentliche Voraussetzungen geändert: 1. Die Verwaltungsstruktur hat auf der Kreisebene nur noch rund 320 Hauptverwaltungseinheiten (88 kreisfreie Städte und 236 Landkreise). 2. Die Mikrocomputertechnik hat den Kostenanteil der Maschinen wesentlich verbilligt und ermöglicht dezentralen EDV-Einsatz für einzelne kommunale Aufgabenbereiche; die Leistungsfähigkeit ist so hoch wie bei den früheren Großanlagen. Die Maschine ist bereits (oder w i r d noch) so „ b i l l i g " , daß Schichtbetrieb nicht mehr notwendig ist: Sie braucht nur bei Bedarf zu laufen. 3. Die Kompatibilität der verschiedenen Systeme ist wesentlich gewachsen. 4. Die Integration der Datenverarbeitung als umfassendes Führungshilfsmittel durch Informationssysteme ist von der kommunalen Ebene und auch von der Landes- und Bundesebene weitgehend aufgegeben worden. Damit sind die wesentlichen äußeren Voraussetzungen für die Organisation der Computer-Regionen als Sonderverwaltungen entfallen 2 0 . Es hat sich auch die Einstellung der Bürger, der Politik und des Personals gegenüber der Datenverarbeitung verändert. Es w i r d eine stärkere Benutzer-Orientierung gefordert. Mehr Gestaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung (Organisationshoheit) bei der verwaltungsinternen Aufbau- und Ablauforganisation sowie eine möglichst weitgehende Einbeziehung der EDV i n das Arbeitsfeld des Sachbearbeiters (Integration der EDV i n den Arbeitsablauf), verbunden m i t einer humanen Gestaltung des Arbeitsplatzes, werden angestrebt. Zu berücksichtigen ist bei der Gesamtfrage, daß w i r vor einer tiefgehenden Strukturveränderung in den Büroberufen stehen. Es gibt eine neue Bürotechnologie. Ich darf folgende Stichworte anführen: — Computerunterstützte Textverarbeitung, — Fernkopieren, — Teletex-Stationen, — Verbindung der Fernsprechanschlüsse und Datenstationen, — Verbindung zwischen EDV und M i k r o f i l m — COM —. 20 Vgl. das richtungsweisende Urteil des VerfGH Nordrhein-Westfalen vom 9. 2.1979, D Ö V 1979, S. 637 mit Anmerkung Wagener.
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Bei allen diesen neuen Hilfsmitteln w i r d eine außerordentlich dichte Verflechtung mit der EDV eintreten. Diese neue Bürotechnologie w i r d reibungsloser und schneller i n den Haupteinheiten der öffentlichen Verwaltung eingeführt werden, wenn die EDV wieder verwaltungsnah wird. Die Philosophie der gemeinsamen kommunalen Datenverarbeitungszentralen i n einer Größenordnung von einer halben bis zu einer M i l lion Einwohner ist also nicht mehr überzeugend. Ein großer Teil der Problematik des technischen Hilfsmittels „Großcomputer" erledigt sich mittelfristig offenbar auch dadurch, daß für eine ganze Reihe von Fachaufgaben der Verwaltung (etwa i m Bauwesen, Planungswesen, auch bei Geldbewilligungen nach gesetzlichen Standardfestlegungen) sogenannte bürotaugliche Kompact-Computer im Schreibtischformat entwickelt werden, die von den Anwendern i n den Fachabteilungen keine speziellen EDV-Kenntnisse mehr erfordern. Der Bedienungskomfort w i r d offenbar wesentlich höher, wenn fachliche Komplettlösungen für einen bestimmten Bereich m i t wenigen Programmen angeboten werden können. Das wichtigste daran ist, daß aus Wirtschaftlichkeitsgründen der Computer nicht mehr dauernd ausgelastet zu sein braucht, sondern seinen Preis schon mehr als einbringt, wenn er eine Stunde oder weniger pro Tag läuft. Ein eigener Rechner, der direkt i m A m t steht, m i t genau zugeschnittenen Programmen erleichtert den Mensch-MaschineDialog und bringt heute und i n Zukunft wesentliche Kostenvorteile. Begrenzt werden die Dezentralisationsmöglichkeiten wohl nur von der Seite der Programmentwicklung und Programmpflege. Nicht jede Verwaltungseinheit und nicht jedes A m t kann sich die dafür notwendigen Spezialisten halten. Die realistische Zukunft dürfte jedenfalls nicht günstig sein für organisatorisch selbständige Computerregionen oder für Innenministerien m i t dem unangefochtenen Vorbehaltsgut der Herrschaft über EDVOrganisation und EDV-Einsatz. Die EDV als technisches Hilfsmittel gehört zurück i n die Einheiten der Normalorganisation der öffentlichen Verwaltung. Dies w i r d nicht schnell gehen und m i t mancherlei Übergangsstadien und Querelen verbunden sein, denn sowohl mit der Systemtheorie als auch m i t Parkinsons Gesetz kann man begründen, daß eine einmal bestehende behördliche Einheit nur m i t äußerster A n strengung wieder zu beseitigen ist, insbesondere dann, wenn man als Chef einen EDV-Fachmann eingesetzt hat.
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V I . Gebiet und Zuständigkeit Unsere sechste Zukunftsperspektive soll sich m i t der heutigen und voraussichtlichen Bedeutung der Kategorien „Gebiet und Zuständigkeit" beschäftigen. Es liegt nahe, hier an die Gebietsreform und die Funktionalreform anzuknüpfen. Daß ich dies tue, w i r d Sie nicht überraschen, denn i n der Schriftenreihe dieser Hochschule ist 1968 mein Buch „Neubau der Verwaltung" erschienen, das dann ja einen gewissen Einfluß auf die Gebietsreform gehabt hat.
1ξ Ergebnisse der Gebietsreform Was ist an unserem Verwaltungssystem durch die Gebietsreform eigentlich neu gebaut worden? Ganz verkürzt folgendes: (1) Die fünf Hauptebenen der Verwaltung sind i n der Bundesrepublik (im Gegensatz zu ausländischen Beispielen) erhalten geblieben. Einige Quasi-Ebenen (Verbandsgemeinden, Verwaltungsgemeinschaften, Ämter, Samtgemeinden) haben eine weitere Verbreitung erfahren als vorher. (2) Die ehemals ehrenamtliche Laienverwaltung m i t ihren Gemütsvorteilen und Sachmängeln i n den ländlich-dörflichen Gebieten ist für etwa 10 Millionen Einwohner durch eine hauptamtliche Verwaltung des gehobenen Dienstes ersetzt worden. Mehr als 6 000 Ortsgemeinden sind dabei ziemlich unwichtig geworden, es zählen eigentlich nur noch die 3 436 Großgemeinden, Verbandsgemeinden, Verwaltungsgemeinschaften usw. (3) Die Zahl der Landkreise und kreisfreien Städte hat sich um etwa die Hälfte vermindert; ihre Größenordnung daher etwa verdoppelt. (4) I n einigen Fällen sind Großstädte durch Eingemeindungen extrem vergrößert worden, ganz überwiegend ist das Stadt-Umland-Problem aber nicht gelöst. I n Saarbrücken und Hannover sind schon „Reparatur-Gesetze" ergangen. Für Frankfurt dürfte einiges bevorstehen. Die großen Eingemeindungen i n kleinere Großstädte und i n Mittelstädte, unter der Vorstellung, neue Oberzentren zu bilden (Lahn, Paderborn, Villingen-Schwenningen), können heute schon als Problemfälle oder als gescheitert erkannt werden, denn es gibt gar nicht die Bevölkerung, die sich dort konzentrieren sollte. (5) Die Länderneugliederung und damit ein Teil der Neugliederung der Regierungsbezirke ist gescheitert 21 . 21 Die Diskussion um die Länderneugliederung ist nach der Neufassung des Art. 29 GG im Jahr 1976 abgeebbt; vgl. aus neuerer Zeit hierzu Reinhard
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Wenn man es so simpel sieht, daß die Gebietsreform 16 000 Gemeinden und 200 Landkreise „vernichtet" hat, daß w i r nun ein großes Mandatsdefizit haben und daß entsprechend viel kommunale Selbstverwaltung zerstört worden ist, dann hätte die Gebietsreform nicht stattfinden dürfen. Richtig ist jedoch, daß eine desparate Zahl von Laienverwaltungen durch eine überschaubare Zahl von hauptamtlichen Verwaltungen ersetzt wurde. Es bleibt die Frage, ob dasjenige, was vom „Neubau der Verwaltung" gelungen ist, i n den achtziger Jahren wieder abgerissen werden wird. Seit etwa 1977 (inzwischen allerdings bereits wieder abklingend) liest, hört oder sieht man ja kaum etwas anderes als den „Schildbürgerstreich L a h n " 2 2 oder es w i r d (wie etwa die „Wirtschaftswoche") plakativ und selbstgewiß ohne Fragezeichen vom „Übermut der Behörden", von „Betrug am Bürger" und von den „fatalen Folgen der Gebietsreform" geschrieben. Wissen die, die über den „Betrug am Bürger" schreiben, eigentlich i n wie erschreckend geringem Maße in der Bundesrepublik die Bürger, die i m Gebiet von Landkreisen wohnen, immer noch kommunal und nach dem Personal geringer öffentlich versorgt und ausgestattet werden, als die Bürger, die in kreisfreien Städten wohnen? Die Gebietsreform hat hier „Hauptamtlichkeit" überhaupt erst möglich gemacht; selbstverständlich braucht man mehr Personal, wenn es vorher gar kein Personal gab. Haben die kritischen, journalistisch ausgebildeten Vielfach-Sachverständigen, die sich leider erst meldeten, als alles vorbei war, völlig vergessen, daß vor der Gebietsreform eine Schulreform stattfand, daß die kleineren Dörfer ihre ein- und zweiklassigen Schulen unter allseitig heftigem Beifall verloren haben und daß erst dann gefragt wurde, was sie denn überhaupt an öffentlichen Einrichtungen tragen könnten (die Kirche war übrigens nie i n jedem Dorf; dort gab es immer Kirchspiele und -Sprengel)? Die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen über die Folgen der Gebietsreform werden zur Zeit von der VW-Stiftung m i t mehr als 600 000 D M gefördert 23 . (Ach, wie wunderbar wäre es gewesen, wenn Timmer, Neugliederung des Bundesgebietes und künftige Entwicklung des föderativen Systems, in: Raumplanung und Eigentumsordnung, Festschrift
für Werner Ernst, München 1980, S. 463 ff.
22 Aus neuerer Zeit etwa Michael Borchmann, Stadt Lahn — Die Reform der Reform, DVB1. 1980, S. 39 ff. 23 Kleinere Abhandlungen zu diesem Problem liegen bereits vor, vgl. Walter Schmitt Glaeser, Die kommunale Landschaft nach den Gebietsreformen und ihre Folgewirkungen für die Raumordnung und Landesplanung, der landkreis 1980, S. 130 ff. Zum Personalbereich vgl. die kritische Untersuchung von Hübler / Fuchs, Personalwesen und Gebietsreform. Untersuchung ausgewählter Gemeinden in Baden-Württemberg, Baden-Baden 1979; s. auch die Zwischenbilanz zur Stadt-Umlandreform in der Bundesrepublik Deutschland
von Meinhard Schröder, Die Verwaltung 1979, S. 1 ff.
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man dieses Geld 15 Jahre früher — vor der Gebietsreform — zur Verfügung gehabt hätte.) Immerhin zeigen die ersten Ergebnisse, daß das Geschrei, eine Mittelstadt ohne Kreissitz würde eingehen, unsinnig war. Es zeigt sich weiter, daß w i r i n den neugegliederten Gemeinden vergleichsweise zuviel Beamte des gehobenen Dienstes haben (das muß ja so sein, wenn es i n den mittelkleinen Gemeinden früher keinen „Stellenkegel", sondern nur den einen „Hauptamtlichen" gab, den man jetzt nicht „vergiften" kann). I n Bayern hat die Reformschelte immerhin einige Ergebnisse gehabt. Vor der Kreisreform hatte Bayern zwei Gesetze zur Stärkung der Verwaltungskraft kleiner kreisangehöriger Gemeinden erlassen, dann wurde man tapferer und legte die Gemeinden regierungsbezirksweise zusammen oder bildete Verwaltungsgemeinschaften nach der Mindestgröße 5 000 Einwohner. Nachdem der tapfere frühere Innenminister die Kommunalbanklaufbahn einschlug, hat dann ein drittes Gesetz, das eigentlich den Titel „ Z u r Schwächung der Verwaltungskraft kleinerer kreisangehöriger Gemeinden" haben müßte, 200 Widerstandsgemeinden die Verwaltungsgemeinschaftsfreiheit zurückgeschenkt. Alles i n allem dürfte in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten die politische K r a f t und die Motivation fehlen, den Neubau wieder abzureißen. Das heißt nicht, daß man nicht hier und da wieder umbauen sollte, daß man insbesondere die fehlenden Teile anzupassen hätte. Eine vorsichtige Pflege des Bestandes dürfte also nötig sein. Sie ist i n diesem Bereich ja auch wohl wahrscheinlich. 2. Ergebnisse der Funktionalreform Zur Funktionalreform kann ich mich erheblich kürzer fassen. Die Funktionalreformen i n den Ländern liefen ja alle unter den vordergründigen Stichworten „Bürgernähe" und „Delegation nach unten". Bei näherem Zusehen muß man zunächst feststellen, daß Funktionalreform (alles i n allem) wenig bewegt hat und wohl auch wenig bewegen wird. Das Ganze ist ein Showgeschäft m i t mehr oder weniger steriler Geschäftigkeit einiger Ministerpräsidenten, mehrerer Länderinnenminister und der Mehrzahl der Landtage gewesen. Ich habe das Ganze vor einigen Jahren einmal als „Entstrüppungsaktion", als Delegation von „Riesenkatalogen von Kleinviehzuständigkeiten" bezeichnet: ich bleibe dabei, allerdings m i t Einschränkungen, was das 1. und 2. Funktionalreformgesetz von Nordrhein-Westfalen betrifft. Neu sind wohl die Bemühungen um das Aufspringen auf den fahrenden Zug der Bürokratiekritik. Großartige Kommissionen haben dazu gedient, daß man i m Endergebnis m i t Karikaturen versehene kleine
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Schriftchen von Staatsministerien anfordern kann, i n denen steht, wie der böse Beamte höflicher sein soll und wie sich der Bürger zweckmäßigerweise dem Bürokraten nähert. Wenn jetzt dort Gesetze aus der Mitte des 19. Jahrhunderts i n Massen aufgehoben werden sollen, dann hat man dies i n Nordrhein-Westfalen m i t der Sammlung des bereinigten Landesrechts u n d der Sammlung des bereinigten Ministerialblatts schon vor 20 Jahren getan. Bei wichtigeren und bedeutsamen Verwaltungsaufgaben hat die Funktionalreform denn auch selten eine größere W i r k u n g gehabt. Die Straßenverkehrsämter auf die Verbandsgemeindeebene zu geben, wurde i n Rheinland-Pfalz von dem sonst ja nicht gerade modernistischen Landesrechnungshof verhindert. Die Zusammenfassung der Schulaufsicht bei den Regierungspräsidenten i n Rheinland-Pfalz war hinsichtlich der Gymnasien eine Dezentralisation, aber bei den Schulämtern auf Kreisebene j a wohl eine Zentralisationsmaßnahme. Die Bildung von Zuständigkeitsplafonds bei 25 000 und dann wieder 60 000 Einwohnern für die kreisangehörigen Gemeinden i n NordrheinWestfalen ist zumindest für die 25 000er Grenze eher eine Zentralisation, denn die „Privilegierungs"-Möglichkeit für einige Bauämter, Jugendämter usw. lag dort früher bei 20 000 Einwohnern und teilweise niedriger. Für den kreisangehörigen Raum ist i n Nordrhein-Westfalen allerdings eine wesentlich größere Durchsichtigkeit i m Zuständigkeitsgeflecht erreicht worden. Die kreisangehörigen Gemeinden wurden auch generell gestärkt. Neue (insbesondere Aufsichts- und Planungs-) Aufgaben wurden dafür jedoch wieder auf der Kreisebene angesiedelt 24 . Eine Sache widerspricht allerdings meiner These von der nützlichen Bereinigung und Säuberungsaktion, aber relativen Folgelosigkeit der Funktionalreform für die Gesamtheit unseres Verwaltungssystems: Von der Fachwelt der übrigen Bundesrepublik ungläubig bestaunt, hat man i n Baden-Württemberg die Bauaufsicht grundsätzlich auf die kreisangehörigen Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften m i t mehr als 8 000 Einwohnern übertragen 2 5 . I n Baden-Württemberg ist manches anders und vieles besser als i m übrigen Bundesgebiet, ob aber i n der Frage der Bauaufsicht für kreisangehörige Gemeinden nur Baden-Württemberg richtig marschiert und die gesamte „übrige Kompanie falschen Schritt hat", scheint m i r jedoch zweifelhaft zu sein. 24 Zum Verhältnis von Kreisen und Gemeinden vgl. den Bericht über das Professorengespräch 1979 des Deutschen Landkreistages von Günter Seele, in: der landkreis 1980, S. 143 ff. 25 Erstes Gesetz zur Funktionalreform vom 14.3.1972 (GBl. S. 92); allerdings hatten bereits vorher Gemeinden, die nicht untere Verwaltungsbehörde waren, von der Möglichkeit, Bauaufsichtsbehörde nach § 82 Abs. 2 LBO BW zu werden, Gebrauch gemacht.
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Wenn man sich die Funktionalreform und ihre Ergebnisse i n einem größeren zeitlichen Zusammenhang vergegenwärtigt und wenn man insbesondere berücksichtigt, daß sowohl zu den Zielen der Gebietsreform als auch der Funktionalreform die „Einheit der Verwaltung" als auch die „Einräumigkeit der Verwaltung" gehört haben, dann hat sich auf diesem Gebiet keine eigentliche Trendumkehr ereignet. Sonderbehörden sind sowohl i n Baden-Württemberg als auch in RheinlandPfalz, zum Teil auch i n Niedersachsen und Schleswig-Holstein weitgehend erhalten geblieben. Das Interesse der Fachressorts und der Fachleute an der vertikalen Überbetonung von Fachaufgaben hat jeweils gesiegt. Die Beseitigung von solchen Unsinnigkeiten, wie das Kindergeld bei den Arbeitsämtern, ist gar nicht erst versucht worden. Die Jugendhilfe w i r d demnächst eine A r t Sonderbehörde innerhalb der Verwaltungen der Kreise und kreisfreien Städte werden. Die aus gutem Grund stark gebietsbezogene deutsche Verwaltung, die immer den gebietlichen Bündelungseffekt für das Wichtigste gehalten hat, und die die mögliche suboptimale Erfüllung der einzelnen Fachaufgabe hinnahm, w i r d nur noch gedämpft verteidigt. Die überwölbende Tendenz bei allen Zuständigkeitsfestlegungen ist offenbar ungebrochen; sie lautet: „Vom Gebiet zur Funktion." Das, was sich bei der Gemeinde, dem Kreis, dem Regierungspräsidenten und auch beim Land als Zuständigkeiten angesammelt hat, w i r d nicht mehr der Universalität des jeweiligen Wirkungskreises zugerechnet. Die jeweiligen Fachleute bedauern dies Nebeneinander, was ja nur eine Behinderung der einzelnen Fachaufgabe bedeutet. Man versucht, diese Einheitlichkeit m i t einer bewundernswürdigen Vielfalt von unterschiedlichsten Gestaltungen „aufzudröseln". Heraus schaut fast immer eine viertel, halbe oder auch manchmal ganze Sonderbehörde. Die Planer und Raumordner, die Nahverkehrsleute, nicht zuletzt die Pädagogen, können es besonders gut. Man muß sich räumlich und auch fachlich möglichst von Hauptverwaltungseinheiten separieren, dann kann man eventuell „Chef" werden. Ob man schließlich und letztlich noch viel bewegt, ist weniger wichtig. Ich hoffe nicht, daß das Vorbild der amerikanischen 24 000 special districts die Frage „Gebiet und Zuständigkeit" i n den achtziger Jahren in der Bundesrepublik beherrscht. Unser immer noch gebietsbetontes Aufgaben- und Zuständigkeitssystem m i t Bündelungseffekt hat so viele Vorteile, daß w i r es unbedingt gegen funktionsbesessene „Neubauer" verteidigen und die Idee des Föderalismus und der kommunalen Selbstverwaltung m i t seiner horizontalen Fragmentierung „pflegen" müssen. Damit sind w i r allerdings schon beim nächsten Abschnitt,
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V I I . Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung I n unserem siebten und letzten Überlegungsbereich möchte ich einiges zur Lage und zur Zukunft von Föderalismus und kommunaler Selbstverwaltung andeuten. Dies kann hier selbstverständlich nur holzschnittartig geschehen. Der Föderalismus (oder die bundesstaatliche Ordnung) in der Bundesrepublik begreift die Länder als Glieder des Bundes m i t eigener — vom Bund nicht abgeleiteter, sondern von ihm anerkannter — staatlicher Hoheitsmacht. Aus diesem Grunde kann die bundesstaatliche Ordnung (auch mit Zwei-Drittel-Mehrheit) nicht geändert werden. Föderalismus läßt sich also (theoretisch) nur durch Revolution abschaffen. Ob w i r nicht auf einem anderen Wege der „Abschaffung" sind, wollen w i r weiter überlegen. Kommunale Selbstverwaltung (Gemeinden und Kreise) w i r d durch Art. 28 GG verfassungsrechtlich zwar nicht für die einzelne Einheit, aber als Institution gewährleistet. Hierüber wachen das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsgerichtshöfe der Länder und haben dies auch bei der kommunalen Neugliederung getan. Dennoch scheint m i r die kommunale Selbstverwaltung, d. h. die eigenverantwortliche politische Entscheidung über örtliche und regionale Angelegenheiten, auch als Institution nicht ungefährdet zu sein. Schutz des Verfassungsrechts allein w i r d Sie allerdings wenig überzeugen, wenn es nicht auch andere Gründe für die Aufrechterhaltung und den Schutz von Föderalismus und kommunaler Selbstverwaltung gibt. Es müssen also Gründe dafür gefunden werden, weshalb heute und auch i n Zukunft unsere durch die selbständige Stellung der Bundesländer und der kommunalen Selbstverwaltung gestufte und dezentralisierte Demokratie ein erhaltenswertes Konstruktionsprinzip ist. Dafür läßt sich in der Tat eine ganze Reihe von Gründen vorbringen: (1) Es geht um den Einübungseffekt für die Demokratie (Schule der Demokratie). (2) Es zeigt sich eine höhere Sach- und Bedarfsgerechtigkeit der ortsnahen Entscheidung (Dezentralisationsvorteil). (3) Die Gewaltenteilung w i r d durch eine hohe Zahl von unabhängigen Entscheidungs- und Handlungszentren gefördert (Gewaltenteilungseffekt). (4) I m Gesamtaufbau des Staates werden viele Pilotentscheidungen ermöglicht; nur so können Bund, Länder und Kommunen als Gesamtheit flexibel bleiben (Innovationseffekt).
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(5) Die Stufung des Gesamtstaates in relativ abgeschüttete Ebenen dient dem Abbau der Gefahr der politischen Konfliktüberladung der Zentrale. Die punktuelle politische Konfliktlösungskapazität ist begrenzt. Wenn alle wichtigen politischen Entscheidungen nach Bonn laufen, ist eine Konfliktüberladung wahrscheinlich. Ein gutes politisches Gesamtsystem braucht zahlreiche Ebenen, die gegenüber der jeweiligen Spitze relativ abgeschottet sind, damit der menschlichen (organisationssoziologischen) Tendenz, Entscheidungen immer weiter nach oben zu schieben, entgegengewirkt werden kann (Konfliktüberladungs-Sicherung). Die letzte Überlegung ist der heute wohl vorrangig tragende Grund für die Beibehaltung, ja die erneute Stärkung des Föderalismus und der kommunalen Selbstverwaltung. Diesen „Zielen" (oder diesem „Anforderungsprofil") wäre nun die tatsächliche Entwicklung gegenüberzustellen. Zunächst sind einige große Trends auszumachen über die Entwicklungen des privaten und öffentlichen Bereichs insgesamt und über Teilentwicklungen der einzelnen Ebenen innerhalb des öffentlichen Bereichs. Es w i r d heute weithin die Meinung vertreten, daß der öffentliche Anteil, sozusagen der „staatliche Korridor", am Sozialprodukt nicht mehr wesentlich steigen dürfe. Wenn w i r den Bereich der Sozialversicherung einbeziehen, dann verhielten sich die Staatsausgaben zum Volkseinkommen ganz grob vor dem Ersten Weltkrieg wie 10 : 90, 1925 wie 20 : 80, 1960 wie 35 : 65 und heute wie 47 : 53. Wenn w i r uns nun anschauen, welche Anteile nach den eigenen Nettoeinnahmen innerhalb des staatlichen Korridors auf die drei großen Ebenen, also auf Reich bzw. Bund, Länder sowie Gemeinden und Gemeindeverbände entfallen, so war dies vor dem Ersten Weltkrieg ein Zentralanteil von rund 10 %, ein Anteil der Länder von 30 °/o und ein A n t e i l der Gemeinden von 60 °/o. 1925 war bereits eine wesentliche Verschiebung nach oben eingetreten, nunmehr lautete das Verhältnis der Ausgaben der Ebenen 30 : 30 :40. Heute ist das Verhältnis m i t fast 50 °/o für den Bund, 30 % für die Länder und 20 °/o für die Gemeinden und Gemeindeverbände bereits deutlich „zentralistisch" ausgerichtet. Diese grobe Bestimmung von wandernden Anteilen kann natürlich, wenn man nichts näheres dazu erläutert, zu Fehlbeurteilungen führen. Die eigenen Nettoeinnahmen sagen nichts darüber, was der Bund an die Länder und was insbesondere die Länder an die Gemeinden und Gemeindeverbände an Finanzzuweisungen unterschiedlichster A r t geben. Das Verhältnis 50 : 30 :20 ist keinesfalls das Verhältnis des Ge-
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wichts der Verwaltung der drei Ebenen. (Hier liegt das Schwergewicht immer noch bei den Kommunen und Ländern.) Die Transferzahlungen von oben nach unten würden Selbständigkeit und Ausdehnung von Föderalismus und kommunaler Selbstverwaltung i n einem weit günstigeren Licht erscheinen lassen, wenn sie bedarfsneutral, global oder wenigstens nach gesetzlich festgelegten Schlüsseln m i t möglichst wenig Merkmalen nach unten verteilt würden. Aber dies ist nun gerade die Crux der Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte. M i t dem zunächst eingenommenen Geld w i r d i n unserem Ebenensystem bei der Weiterleitung nach unten „Macht" ausgeübt. Es w i r d vielfältigst „gesteuert", wenn auch nicht selten konterkarierend. Die Stichworte lauten Mischfinanzierung, Zweckzuwendungen, Verwendungsnachweise, Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, landeseinheitlicher Standard öffentlicher Infrastruktur. Was w i r uns auf diesem Gebiet leisten, steht i n der Welt wohl einzig da. Daß unser Gesamtverwaltungssystem unter diesen Bedingungen noch nicht zusammengebrochen ist, kann nur daran liegen, daß es von Hause aus so unvergleichlich gut ist und das w i r vergleichsweise so gute Beamte haben, die m i t einem solchen schwierigen System immer noch gerade (allerdings unter größten A n strengungen) fertig werden. A b und an liest man, daß etwa Niedersachsen, Baden-Württemberg oder Bayern dieses oder jenes neue Mischfinanzierungsprogramm nicht mitmachen wollen. I n jeder Woche findet sich jedoch ein neues Beispiel für die Mischfinanzierung m i t dem schönen Titel „Förderung von Modellvorhaben durch den Bund", „nationale Aufgabe", „Gemeinschaftsaufgabe", „kooperativer Föderalismus" usw. Man streitet sich ein bißchen über die Verteilung von Bundesmitteln für die Städtebauförderung, für den Wohnungsbau, Niedersachsen n i m m t sogar i n einem Jahr einmal keine Wohnungsbaumittel mehr an, dann gibt es aber doch wieder ein Bund-Länder-Programm für Modernisierung und dann für Energieeinsparung 26 . Nachdem die verschiedenen Konjunkturprogramme i n der Form des Bund-, Länder- u n d Gemeindemischmaschs, insbesondere das Milliardenprogramm Z I P (Zukunftsinvestitionsprogramm) 2 7 prozyklisch v o l l i n die Baukonjunktur hineingeschlagen haben und jetzt gerade auslauf en, wo die Baukonjunktur wieder nachläßt, hat man wenigstens ein neues Bund-Länder-Programm „Erdgasleitungen" m i t 170 M i l l . D M aufgelegt 28 . 26
Vgl. Bundesbaublatt 1980, S. 66, Verteilung von Bundesmitteln für Städtebauförderung, Modernisierung und Energieeinsparung. 27 Programm für Zukunftsinvestitionen vom 23. März 1977, BundestagsDrucksache 8/270. 28
Wolf gang Bahr, Bund-Länder-Programm „Erdgasleitungen", in: Innere
Kolonisation — Land und Gemeinde 1980, S. 20.
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Das Aktionsprogramm R u h r 2 9 m i t 6,9 Milliarden D M soll m i t 21 °/o vom Bund finanziert werden. Die Novelle zum Krankenhausfinanzierungsgesetz w i l l keineswegs m i t der unsinnigen Mischfinanzierung Schluß machen. Das „Juliustürmchen" für die „Deutsche Nationalstiftung" w i r d wohl zu den seltsamsten Erscheinungen auf dem Gebiete der Mischfinanzierung führen 3 0 . Die Ersteigerung von deutschen Kunstwerken für Ländermuseen m i t 50 : 50 Finanzierung durch Herrn Abs bei Sotheby i n London war schon ein kleiner Auftakt. Der gleiche Bundesfinanzminister, der den Bundesanteil an der Umsatzsteuer zu Lasten der Länder m i t gar nicht schlechten Gründen erhöhen w i l l , drängt den Ländern 100 M i l l . D M jährlich für Modellvorhaben i n Mischfinanzierung für psychiatrische Krankenhäuser auf. Als die Länder sich gesperrt haben, dieses Geld anzunehmen und darauf verwiesen haben, diese Finanzmittel den Ländern i m Rahmen des Krankenhausfinanzierungsgesetzes zu lassen, wurde dies als „skandalöser Vorgang" bezeichnet. Man sprach vom „sachwidrigen Länderfinanzegoismus". Das A n sinnen der Länder ziele auf eine „handstreichartige Plünderung eines lukrativen Modellförderungstitels des Bundes" 3 1 . Ich w i l l hier einfach abbrechen. Ich könnte Ihnen Beispiele über Beispiele bringen. Tatsächlich geht die finanzielle und administrative Ebenenverfilzung laufend weiter. Es sieht sich an, als wenn Bakterien auf bestem Nährboden wachsen. Ich sehe nirgendwo echten Widerstand. Einige der Länder werden (meist notgedrungen) immer schwach. Dann müssen die anderen es auch. Gleichzeitig, und das ist kaum noch zu verstehen, zahlen übrigens die Länder Millionen um Millionen (vertraglich gebunden) für reine Bundesaufgaben, nämlich für den Bau von Kanälen und den Ausbau anderer Bundeswasserstraßen sowie für die Elektrifizierung von Bundesbahnstrecken i n den jeweiligen Ländern. Das ganze ist keine Krankheit, die nur den Föderalismus befallen hat. Ähnliches und weithin noch fataler zeigt sich i m Verhältnis zwischen Ländern und Gemeinden. Hier gibt es seit einiger Zeit eine interessante Dokumentation, die jeder, der an der zukünftigen Entwicklung unseres Verwaltungssystems interessiert ist, aufmerksam studieren sollte. Ich meine die Untersuchung „Zuordnung der Infrastruktureinrichtung en zu den Planungsebenen", erschienen als Band 4.0022 i n der Schriftenreihe 29
Landesregierung Nordrhein-Westfalen,
Politik für das Ruhrgebiet — Das
Aktionsprogramm — September 1979. Zur Situation des Ruhrgebiets vgl. auch Friedrich Landwehrmann, Europas Revier, Das Ruhrgebiet gestern, heute, morgen, Düsseldorf 1980. 30 Siehe Rolf Zundel, Kulturbürger-Idee oder Schildbürger-Streich, Die Zeit vom 12.10.1979, S. 5 f. 31 Süddeutsche Zeitung Nr. 25 vom 8. 2.1980.
V o m Neubau zur Pflege
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Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes NW, Essen 1979. Die hier gegebene Bestandsaufnahme läßt erkennen, wie die Sach- und Finanzverantwortung für Bau und Betrieb von Infrastruktureinrichtungen i m Lande Nordrhein-Westfalen auf Staat und Kommunen aufgeteilt ist. Es stellt sich heraus, daß die Einrichtungen des Bildungswesens, Gesundheitswesens, Sozialwesens, für K u l t u r , Sport und Erholung, Verkehr und Kommunikation, Ver- und Entsorgung, Verwaltung und Sicherheit ganz überwiegend von den Gemeinden und Gemeindeverbänden getragen und zu einem beträchtlichen Teil zum Bereich der weisungsfreien Selbstverwaltung gehören. Die Untersuchung wischt diese i m Sinne der kommunalen Selbstverwaltung erfreuliche Erkenntnis indessen m i t dem Hinweis vom Tisch, daß es kaum eine Infrastruktureinrichtung gebe, an der nicht eine Mitfinanzierungsmöglichkeit des Landes durch Zweckzuweisungen bestehe. Auch insoweit müsse das Land das Recht zur Mitplanung erhalten 3 2 . Sieht man die Tabelle, aufgeteilt nach kommunalem Bereich, „gemeinsamem" Bereich und staatlichem Bereich, durch, so ergeben sich erschreckende Erkenntnisse. Ich zitiere jetzt den nur wenig überzeichnenden Kommentar des Städtetages 33 : „Das Aufgabenfeld ,Bildungswesen' weist überhaupt keine Einrichtung aus, die allein dem kommunalen Bereich zugewiesen wäre, i m Gesundheitswesen bleiben für die Gemeinden nur die Friedhöfe — welch makabrer Gedanke —, das Sozialwesen kennt ebenfalls keine ausschließlich gemeindliche Einrichtung. Bei der K u l t u r bleiben immerhin kommunales Kino, Varieté und Kabarett — welch doppelbödige Feststellung — für die Gemeinden übrig, i m Sport die Go-Cart-Bahn. Müßig zu sagen, daß bei Verkehr und Kommunikation kommunale Alleinverantwortung nicht mehr gegeben sind und daß selbst Rathäuser und Verwaltungsgebäude schon dem gemeinsamen' Bereich zugeordnet werden, w e i l es auch dort . . . Zweckzuweisungen g i b t 3 4 . " W i r sind uns bewußt, meine Damen und Herren, wo etwas „gemeinsam" betrieben wird, schwindet die politische Verantwortlichkeit. Aber sie aufrechtzuerhalten, ist die Idee der repräsentativen Demokratie. 82
AaO, S. 24, 27, 82. Eildienst Städtetag Nordrhein-Westfalen vom 7.12.1979. 84 Den Einfluß staatlicher Zweckzuweisungen auf kommunales Investitionsverhalten bestätigen umfangreiche Analysen der Haushaltsrechnungen zahl88
reicher Städte von Bernd Reissert im Rahmen einer von Fritz W. Scharpf
geleiteten Untersuchung, vgl. WZB-Mitteilungen 10/1980, S. 9 f.; vgl. auch Kurt Gerhardt, Was kann ein Kreistag noch selbst entscheiden? Die Grenzen unserer Selbstverwaltung, Landkreisnachrichten Baden-Württemberg 6/1979, S. 140 f. 4 Speyer 81
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Frido Wagener
Das Fatale ist, daß die unmittelbar Beteiligten die Krankheit des Systems gern haben, daß sie zumindest gar nicht einsehen, weshalb sie davon lassen sollen. Alle Beteiligten an unserem Mischfinanzierungs- und Mischplanungssystem profitieren nämlich (sowohl Verwaltungsleute als auch Politiker und Verbandsvertreter). Es können immer mehrere von mehreren Ebenen öffentlich einweihen. Wenn etwas schief geht, kann man immer sagen, die anderen haben nicht mitgezogen. Das ganze erinnert inzwischen an den Zustand der Drogenabhängigkeit. M i t bloßen „Pflege"-Maßnahmen ist hier nicht mehr zu helfen. Drogen (richtig angewandt und i n Maßen benutzt) haben lindernde und manchmal auch heilende Wirkung. I m Übermaß genommen, führen sie zur Sucht und zu immer stärkerem Konsum. Recht und Ordnung werden unwichtig. Der Schluß ist der vollständige Zusammenbruch. Die „Fixer" (also die Städte, Gemeinden und Kreise, aber auch die meisten Länder) sind nur verführt worden. Die „Dealer" sind die Schlimmen, sie sitzen i n Mainz, Wiesbaden, Stuttgart, München, Düsseldorf, Hannover und Kiel, die schlimmsten sitzen allerdings in Bonn. Wenn w i r nicht umkehren, wenn w i r den vertikalen Fachbrüdern in den achtziger Jahren nicht zu widerstehen lernen, wenn w i r nicht wieder stärker die horizontale Koordination und den finanziellen Ausgleich i n der einzelnen Verwaltungseinheit m i t gebündelten Aufgaben betonen, sind der gerade vom Ausland als vorbildlich entdeckte deutsche Föderalismus und die vielgepriesene deutsche kommunale Selbstverwaltung sanatoriumsreif.
Podiumsdiskussion : Theoretiker fragen Praktiker Bürgernähe gegen Bürokratie — Kann das Konzept erfolgreich sein? Moderator:
Professor Dr. Helmut Quaritsch, Speyer
Theoretiker:
Professor Dr. Horst Bosetzky, Berlin Dr. Friedhart Hegner, Berlin Professor Dr. Heinrich Siedentopf, Speyer
Praktiker:
Oberbürgermeister Günther Bantzer, K i e l Senatsdirektor Professor Ulrich Becker, Hamburg Ltd. Senatsrat Rudolf Note, Berlin Regierungspräsident Erwin Schieberger, Münster Landrat Gerhard Schwei je, Landau
Helmut Quaritsch Das Thema, das w i r heute nachmittag erörtern werden — „Theoretiker fragen Praktiker: Bürgernähe gegen Bürokratie. Kann das Konzept erfolgreich sein?" — w i r d zunächst in der Podiumsdiskussion behandelt werden. Diese Diskussion w i r d bis 16 Uhr dauern. Nach einer halbstündigen Pause w i r d sich die allgemeine Diskussion zum gleichen Gegenstand, aber auch zum Vortrag von Herrn Wagener von heute morgen anschließen. Vorab möchte ich Ihnen die Teilnehmer unserer Podiumsdiskussion vorstellen. A u f Seiten der Theoretiker sind dies Herr Professor Dr. Bosetzky, Organisations- und Verwaltungssoziologe an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin, dann Herr Dr. Hegner vom Institut für Management des Wissenschaftszentrums Berlin und schließlich Herr Professor Dr. Siedentopf, Ordinarius für vergleichende Verwaltungswissenschaft und öffentliches Recht an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Die Praxis w i r d i n dieser Runde repräsentiert von Herrn Oberbürgermeister Bantzer aus Kiel, Herrn Senatsdirektor Professor Becker vom Senatsamt für den Verwaltungsdienst in Hamburg, Herrn Leitendem Senatsrat Note, zuständig für Organisation und Stellenplan i n der Berliner Verwaltung, Herrn Regierungspräsidenten Schleberger aus Münster und Herrn Landrat Schwetje aus Landau i n der Pfalz. 4*
Podiumsdiskussion
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Das Thema „Bürgernähe gegen Bürokratie" gehört zu jenen, die sich sehr allgemein, dann aber wenig aussagekräftig erörtern lassen. Ich schlage vor, es unter vier konkreten Gesichtspunkten zu behandeln: — Zunächst, ob weniger Vorschriften die Verwaltung bürgernäher machen. Dazu gehört auch die Klarheit unserer Formularsprache. — Zweitens: das benutzerfreundliche Amt, besonders das Verhalten des Staatsdieners gegenüber dem Bürger. — Drittens sollte gefragt werden, inwieweit das strikte Festhalten am Prinzip der demokratischen Repräsentation, also der Verzicht auf unmittelbare Bürgerbeteiligung am Verwaltungshandeln, zum Thema gehört. — Unter einem vierten und letzten Punkt müßte dann untersucht werden, ob wegen mehr Bürgernähe der Verwaltung Maßnahmen zurückgenommen werden müssen, die i n der Verwaltungsreform vor zehn Jahren durchgesetzt wurden. Raum für die Behandlung darüber hinausgehender Diskussionspunkte w i r d die allgemeine Aussprache bieten, die nach 16.30 Uhr beginnen wird. Darf ich nun Sie, Herr Bosetzky, bitten, zum Thema Verringerung des Normbestandes und Klarheit der Formularsprache eine Frage an die Praktiker zu formulieren. Horst Bosetzky I n der unter Punkt 1 zusammengefaßten Materie unseres Themas steckt zwar die geringste Brisanz, doch veranlaßt mich das Problem „Klarheit der Formularsprache" zu folgender Frage an die Praktiker: Denken Sie an die Einführung von Testverfahren für Formulare? M i r schwebt dabei vor, die inhaltliche und sprachliche Verständlichkeit der Formulare vor ihrer Ingebrauchnahme von demjenigen Adressatenkreis überprüfen zu lassen, der später i n erster Linie auf ihre Verwendung angewiesen ist. Vor allem die m i t unserer Hochsprache bzw. der juristisch eingefärbten Amtssprache am wenigsten vertrauten sozialen Schichten, auch die gesellschaftlichen Randgruppen, sind dabei zu berücksichtigen. Auf diese Weise könnte nicht nur ein Beitrag zur größeren Effektivität der Verwaltung, sondern auch zur größeren Bürgernähe geleistet werden. Günther
Bantzer
Die Beantwortung Ihrer Frage, Herr Bosetzky, ist deswegen etwas schwierig, weil Sie nicht präzisiert haben, an welche konkreten Formulare Sie denken. Bei der Vielzahl der heute i n der Verwaltung verwendeten Formulare ist die A r t der Verwaltungshandlung, die durch
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ein Formular vorbereitet werden soll, für die Gestaltung des Formulares von entscheidender Bedeutung. M i t einem Bauantrag werden sozial schwache Schichten oder Randgruppen kaum etwas zu tun haben und die Fragebogen für Heizkostenbeihilfe, die speziell diesen Personenkreis berühren, sind so einfach gestaltet, daß sie beinahe von einem des Schreibens Unkundigen zutreffend ausgefüllt werden können. Wenn ich dabei zusätzlich die vielfältigen Unterstützungsleistungen bedenke, die die Verwaltung gerade den von Ihnen ins Auge gefaßten Personen bei der Ausfüllung von Anträgen zuteil werden läßt, dann frage ich mich, i n welchen Bereichen administrativen Handelns solche Tests sinnvoll erscheinen. Erwin Schieb erger I m Gegensatz zu Herrn Bosetzky beurteile ich die eingangs diskutierte Frage anders. Die Vereinfachung und Verringerung des Vorschriftenbestandes, seien es nun Rechtsnormen oder Verwaltungsvorschriften, ist von grundsätzlichem Belang. Ich würde es schon als einen Erfolg ansehen, wenn es gelänge, den gegenwärtigen Stand an Vorschriften zu halten und ein weiteres Anwachsen zu verhindern. Eine kürzlich vorgenommene Bestandsaufnahme in meiner Behörde hat ergeben, daß 189 unterschiedliche Förderungsrichtlinien m i t einem Umfang zwischen zwei und dreißig Druckseiten anzuwenden sind. Welche Folgen dies für die Empfänger von Förderungsmitteln hat, brauche ich wohl nicht weiter auszuführen. Was die Formulare anbetrifft, so scheint es m i r nicht unsere vorrangige Aufgabe zu sein, diese für gesellschaftliche Randgruppen verständlich zu machen. Es geht vielmehr darum, daß sie für uns alle verständlich sind, und da muß ich leider feststellen, daß w i r von diesem Ziel noch weit entfernt sind. Bemühungen um mehr Klarheit i m Formularwesen entbindet die Verwaltung allerdings nicht davon, den Bürger i n den Dienststellen zu beraten und zu betreuen. Gerhard Schwetje Wie Herr Schieb erger bin auch ich der Auffassung, daß dem Thema Vereinfachung und Verringerung der Vorschriften ein hoher Stellenwert zukommt. Der immer wieder geforderte Abbau von Bürokratie kann nur gelingen, wenn ihm eine Verkleinerung des Normbestandes vorausgeht. Auch i n anderer Hinsicht möchte ich Herrn Schleberger zustimmen: Ich halte es für verfehlt, wenn w i r uns i n der Praxis bevorzugt um die sozialen Randgruppen bemühen sollen. Unsere Aufgabe besteht darin, für alle i n gleicher Weise dazusein und unsere Aufmerksamkeit für Randgruppen sollte nicht überproportional zum Verhältnis dieses Personenkreises zur Gesamtbevölkerung sein. Zum Test von
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Formularen vertrete ich die Ansicht, und so w i r d auch i n meinem Hause verfahren, daß die Behörde m i t möglichst klein gehaltenen Erstauflagen gewissermaßen einen Probelauf durchführen sollte, um dann bei einer zweiten Auflage alle Erfahrungen m i t der ersten Auflage zu berücksichtigen. Helmut Quaritsch Vielen Dank, meine Herren, für Ihre Stellungnahmen. Bitte gestatten Sie eine Unterbrechung der vorgesehenen Diskussionsfolge, denn Herr Bosetzky hat das Wort für eine Zwischenbemerkung erbeten. Horst Bosetzky Meine Vorstellung über „Handgruppen" reicht wesentlich weiter als der Begriff, den Sie i n Ihren bisherigen Stellungnahmen damit verbunden haben. Ich verstehe darunter all diejenigen, die von ihrer sozialen Herkunft her Schwierigkeiten i m Umgang m i t dieser A r t der Hochsprache haben. Immerhin haben die Antworten der Vertreter der Praxis erkennen lassen, daß auch sie die Notwendigkeit sehen, den Bürger bei der Ausfüllung von Formularen und darüber hinaus administrativ zu betreuen. Ob dieser Befund m i t der Forderung nach dem mündigen Staatsbürger vereinbar ist, möchte ich als weitere Frage aufwerfen. Helmut Quaritsch Die Aussprache w i r d von Herrn Note aus Berlin fortgesetzt. Rudolf Note Lassen Sie mich, ungeachtet der Zwischenfrage von Herrn Bosetzky, am bisherigen Diskussionsstand anknüpfen. Ein Beispiel für eine Testvorbereitung von Formularen bietet der sogenannte Wohngeldvordruck, der i m Auftrag des Bundeskanzleramtes von einem Institut untersucht und zusammen m i t Mitarbeitern der Berliner Verwaltung neu gefaßt wurde. Dieser Wohngeldvordruck wurde durch Testpersonen unterschiedlicher sozialer Provenienz und Qualifikation überprüft, m i t Änderungsvorschlägen versehen und nach allgemeiner Ansicht verbessert. Lediglich insoweit verfügt man in der Berliner Verwaltung über einschlägige Erfahrung. I m übrigen hat die Berliner Verwaltung etwa 50 000 Vordrucke i n Gebrauch, von denen etwa 20 000 einen Bürgerbezug auf weisen. Hierbei handelt es sich allerdings auch um Bescheide i n Vordruckform, wie Sozialamtsbescheide, beispielsweise die Übernahme von Pflegekosten durch den Staat.
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Bei dieser A r t von Formularen scheidet ein Testverfahren aus einer Reihe von Gründen, die i n der Natur der Sache liegen, aus, obwohl hier auf Verständlichkeit besonderer Wert gelegt werden muß. Bei der Vielzahl der sonst i n Gebrauch befindlichen Formulare können Testverfahren nur in Einzelfällen i n Betracht gezogen werden. Dies alles schließt aber nicht aus, daß die Verfasser von Vordrucken sich um größtmögliche sprachliche Klarheit und Praktikabilität bei der Erstellung von Formularen bemühen werden. Ulrich Becker I n der Hamburger Verwaltung sind w i r gerade dabei, durch „betroffene" Mitarbeiter den Kindergeldvordruck testen zu lassen. Daran mögen Sie erkennen, daß w i r Testverfahren nicht nur für soziale Randgruppen für erforderlich halten. A n diesem Beispiel zeigt sich aber auch noch etwas anderes: Jede Komplizierung der gesetzlichen Normierung hat zwangsläufig zur Folge, daß auch das hiervon abhängige Formularwesen komplizierter wird. Deswegen sind, wenn Vereinfachungen i n diesem Bereich gefordert werden, zwei Adressaten aufgerufen: der Gesetzgeber und die Verwaltung. Bürokratisierung ist eine Erscheinung, die sich bei allen Großorganisationen, auch der privaten Wirtschaft, nachweisen läßt. Da aber Großorganisationen i m allgemeinen über eine gute technische Ausstattung verfügen, müßte es heute möglich sein, die herkömmliche Formularpraxis durch individuelle Schreiben m i t konkretem Bezug zum Entscheidungsanliegen abzulösen. Es ist gerade die Möglichkeit eines menschlicheren Umgangs m i t dem Bürger, die ich von der modernen Technik erwarte. Helmut Quaritsch Vielen Dank Herr Note und Herr Becker. Ich möchte nun zum gleichen Diskussionsgegenstand unseren nächsten Theoretiker, Herrn Hegner, bitten. Friedhart
Hegner
Bitte gestatten Sie mir, bevor ich zur Sache komme, eine kleine Vorbemerkung. Jemand, der wie ich, zehn Jahre m i t dem Thema Bürgernähe zu tun hat, reagiert hierauf aufgrund seiner Erfahrungen allergisch. Schon der Begriff Bürgernähe führt i n die Irre, weil es den Bürger und die Nähe nicht gibt. Erste Voraussetzung für eine Entwicklung zu mehr Bürgernähe i n der Verwaltung ist eine stärkere Differenzierung in der Behandlung des Themas. Ausgangspunkt einer solchen differenzierten Betrachtungsweise ist das Verwaltungshandeln. Je nachdem, ob dieses Verwaltungshandeln nun eine begünstigende
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oder eine belastende Entscheidung bezweckt, stellt sich das Problem Bürgernähe wegen der Unterschiedlichkeit des Erwartungshorizontes völlig verschieden dar. Unsere sehr unterschiedlichen Erfahrungen aus der Steuerverwaltung und aus der Sozialverwaltung bzw. aus dem Bereich der psychiatrischen Betreuung durch die öffentlichen Gesundheitsbehörden haben gezeigt, daß das „psychosoziale Klima", i n dem eine Entscheidung getroffen wird, für die Bewertung von Bürgernähe ungleich wichtiger ist als Formulare und die damit zusammenhängenden Fragen. Z u differenzieren ist aber nicht nur nach der Entscheidungsart, sondern auch nach dem Adressaten der Entscheidung. Die Akzeptanzbereitschaft gegenüber Verwaltungsentscheidungen ist bei unterschiedlichen sozialen Schichten unterschiedlich ausgeprägt. Der Akademiker reagiert anders auf eine begünstigende oder belastende Verfügung als der Handwerker oder der Arbeiter. Auch hier ist mit Formularvereinfachung nichts zu erreichen. Lediglich bei den ca. 30 °/o der Bevölkerung, die aus Unkenntnis oder Unfähigkeit, den komplizierten Verwaltungsbereich zu durchschauen, nicht zu ihrem Recht kommen, können räumliche Dekonzentration, Bürgerbeteiligung, Verhalten der Beamten, Klarheit der Formulare und einfachere Gesetze einen Beitrag zur Bürgernähe leisten. Zu diesem Personenkreis gehören aber nicht einmal in erster Linie die Randgruppen, sondern dazu zählen alle diejenigen, die von ihrem Bildungsniveau und ihrer beruflichen Tätigkeit her keine Affinität zu administrativen Prozessen und zur öffentlichen Verwaltung haben. Helmut Quaritsch Das schwer verständliche Bürokratendeutsch und die auf extreme Genauigkeit und Vollständigkeit zielenden Formulare belasten alle sozialen Gruppen. U m die zeitlichen und geistigen Ansprüche an den Bürger scheint man sich i n unseren Amtsstuben nicht viel zu kümmern Darf ich nun die Praktikerrunde fragen, was sie zu den Darlegungen von Herrn Hegner anzumerken hat? Zunächst Herr Schieber g er, dann Herr Becker bitte. Erwin Schleberger Herr Hegner hat zwar keine präzise Frage an uns gerichtet, doch fordern seine generellen Feststellungen eine A n t w o r t heraus. M i t ihm bin ich der Auffassung, daß w i r uns zu sehr an dem Problem Formulare festgebissen haben. Das ist ein lediglich peripheres Problem. Die Herstellung von Bürgernähe ist eine zentrale Aufgabe der öffentlichen Verwaltung. Doch w i r d die Erreichung dieses Zieles durch divergierende Vorstellungen über den Begriffsinhalt erheblich erschwert. I n Nordrhein-Westfalen hat man den Begriff fixiert und
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versteht darunter die bürgerschaftlich verantwortete Verwaltung, also die kommunale Selbstverwaltung. Hierauf läßt sich aber der in der öffentlichen Diskussion gebrauchte Begriff nicht einengen. Bürgernähe i n diesem Sinne ist mehreres zugleich: einsichtiges, verständliches Verwaltungshandeln, einfaches Verfahren, rasche sachrichtige Entscheidung, eine ortsnahe „kundenorientierte" Verwaltung und i n gewissen Bereichen eine unterschiedlich organisierte Bürgerbeteiligung. I n diesen weit gespannten Rahmen gehören Überlegungen zur Bürgernähe hinein. I n Anbetracht dessen w i r d der wahre Stellenwert der Vordrucke deutlich. Gerade deswegen halte ich es für völlig unvertretbar, eine weitere Differenzierung des Formularwesens, etwa nach der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen anzustreben. Das einfachste Mittel, diesem sehr komplizierten Thema beizukommen, ist die Verringerung der Vorschriften. Doch kann die Verwaltung dazu nur einen vergleichsweise bescheidenen Beitrag leisten. Bei den Runderlassen, den Verwaltungsvorschriften und den Förderungsrichtlinien sollte ein Anfang gemacht werden. Einschlägige Bemühungen aus jüngster Zeit betreffend die Förderungsrichtlinien geben zu einer optimistischen Beurteilung wenig Anlaß. Helmut Quaritsch Vielen Dank, Herr Schieb erger. Gestatten Sie mir, darauf hinzuweisen, daß es schon kurz nach 15.00 Uhr ist und w i r noch drei weitere Gegenstände erörtern wollen. Ich möchte deshalb m i t der noch bevorstehenden Stellungnahme von Herrn Becker die Aussprache zu Punkt 1 abschließen. Ulrich Becker Bürgernahes Verwaltungshandeln ist, wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe, von Ihnen, Herr Hegner, als Anliegengerechtigkeit in der Behandlung des Bürgers bezeichnet worden. Dieser Begriff, den ich aufgreifen möchte, enthält zwei Komponenten, eine persönliche und eine sachliche, d. h. das Verwaltungshandeln soll objektiv wie subjektiv richtig ausfallen. Diese Sichtweise bringt das hier behandelte Problem auf eine kurze aber zutreffende Formel. Was die Vorschriftenflut anbelangt, so haben w i r es hier m i t einem keineswegs neuen Phänomen zu tun. Ein Beleg dafür ist die i m Jahre 1866 erschienene Abhandlung von Karl Twesten: Der preußische Beamtenstaat, besonders für die Zeit zwischen Friedrich dem Großen und den Befreiungskriegen; die Vorschriftenhypertrophie war schon damals ein geläufiges Thema. Die hier angesprochene Aufgabe hat also Tradition. Ihre Bewältigung ist indessen wegen der Komplexität der sozialen Verhältnisse, auf die die Vorschriften zu reagieren haben, nicht leichter
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geworden. Patentrezepte vermag niemand anzubieten, auch w i r nicht i n dieser Runde. Einen Aspekt von der Gegenseite her möchte ich aber doch hier einbringen: Bürgernähe i n dem Sinn, daß die Verwaltung uns allen enger auf den Pelz rückt, scheint m i r kein erstrebenswertes Ziel zu sein. Helmut Quaritsch I n unserer Diskussionsrunde kommen w i r nun zu Punkt 2, nämlich zur Frage des bürgerfreundlichen bzw. benutzerfreundlichen Amtes. Hierzu erteile ich Herrn Kollegen Siedentopf das Wort. Heinrich
Siedentopf
M i t einigen meiner Vorredner bin ich der Meinung, daß der Begriff Bürgernähe i n der jahrelangen Diskussion verkommen ist. Zunächst wurde er in der kommunalen Gebietsreform verwendet, ein wenig i n der Absicht, die Gemütsvorteile der kommunalen Selbstverwaltung zu erhalten. Dann wurde er auf den Gesamtbereich der Verwaltung ausgedehnt, m i t der Folge, daß diese zunehmend als Serviceeinrichtung betrachtet und jedenfalls i n der öffentlichen Meinung ihrer entscheidungsfällenden Funktion entfremdet wird. Die Verwaltung erschöpft sich i n der Darreichung von Leistungen und der Entgegennahme von Formularen. Bei einer solchen Betrachtung stehen w i r in der Gefahr, daß nun auch der Begriff der Verwaltung zu verkommen droht. Eine besonders unangenehme Ausprägung dieser Entwicklung stellen für mich die Verhaltenskataloge für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes dar, in denen diesen gesagt wird, wie sie sich gegenüber dem Bürger zu benehmen haben. Es gibt bedeutende Exemplare dieser A r t aus Bayern und anderen Bundesländern, aber auch für Kommunalverwaltungen. Mehr als Regeln für den zivilisierten Umgang von Menschen untereinander, also Selbstverständlichkeiten, sind dort nicht zu finden. Deshalb meine Frage an die Praktiker: Schreiben Sie solche Richtlinien, weil Sie glauben, daß die Beamten dies nötig haben, dann läge ein Ausbildungsmangel vor, oder wollen Sie nur der Öffentlichkeit nachweisen, daß auf diesem Sektor etwas getan wird? Günther
Bantzer
Die Kultivierung des sozialen Kontaktes ist eine Aufgabe, die vom Entstehen organisierter Gesellschaften an die Menschheit begleitet. Die Pflege dieses Kontaktes, die auf der allgemeinen Ebene schon wichtig genug ist, gewinnt für spezielle gesellschaftliche Lagen, zu denen das Verhältnis des Bürgers zur Behörde gehört, gesteigerte Bedeutung. Die Notwendigkeit einer behördlichen Kontaktaufnahme
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verändert die Beziehungen zwischen Menschen. Die Ungezwungenheit der gesellschaftlich-privaten Begegnung entfällt, wenn die gleichen Personen, getrennt durch den Schreibtisch oder die Theke, sich als Antragsteller und Sachbearbeiter wiedertreffen. Hier herrschen offenbar komplizierte psychologische Zusammenhänge vor, deren Gewicht für den Ablauf eines Verwaltungsverfahrens und den Ausgang einer behördlichen Entscheidung nicht gering veranschlagt werden darf. Wenn Behörden auf solche Tatbestände durch Verhaltensrichtlinien zu reagieren versuchen, so begrüße ich dies. Aus meiner Behörde kann ich berichten, daß die individuelle Behandlung des Bürgers, z.B. m i t Hilfe von persönlich gehaltenen Anschreiben, Hinweisen auf verlängerte Bürostunden oder einen behördlichen Notdienst, die Bereitschaft, auch unangenehme Verwaltungsentscheidungen hinzunehmen, vergrößert hat. Dies beweist schon die Tatsache, daß ich gerade über den Teil der Verwaltung die meisten Beschwerden erhalte, der am wenigsten publikumsintensiv arbeitet und als Folge davon m i t diesen Verhaltenstechniken die geringste Erfahrung hat. Gerhard Schwetje Sicher gehört manches von dem, was heute in behördlichen Verhaltensrichtlinien Seiten füllt, zu den Selbstverständlichkeiten des zwischenmenschlichen Umgangs. Insoweit haben Sie, Herr Siedentopf, recht; es liegt kein spezielles Problem Bürger — Beamter vor. Andererseits sollten w i r nicht vergessen, daß vieles, was noch vor 10 Jahren i n den Verhaltensformen als selbstverständlich galt, heute i n Vergessenheit und außer Übung geraten ist. Dies ist m i t ein Grund dafür, daß w i r gehalten sind, unsere Beamten darauf hinzuweisen, obgleich die Beachtung solcher Umgangsformen auch manchem Bürger i m Verhältnis zur Verwaltung i n Erinnerung gerufen werden müßte. Es sind geistig-psychologische Elemente, denen bei der Überwindung der Bürokratie m. E. mehr Bedeutung beizumessen ist als Maßnahmen organisatorischer A r t . Z u diesen Elementen gehört neben der Beseitigung der Jobmentalität i n erster Linie die Bereitschaft der Mitarbeiter, einem verwaltungsungewohnten Publikum zu helfen, für dieses i n seiner Lage Verständnis aufzubringen und Entscheidungen in einer verständlichen Form abzufassen und zu begründen. Wenn aber Bürgernähe unter diesen besonderen Aspekten betrachtet werden muß, dann gehört zu einer gerechten Beurteilung auch die Feststellung, daß eine Betreuung der vorbezeichneten A r t nur bei entsprechender Personalausstattung der Behörden möglich wird. Die immer wieder beklagte Aufblähung der öffentlichen Verwaltung erweist sich bei näherer Betrachtung nur sektoral als richtig. Gerade i n den klassischen Verwaltungsbereichen besteht eine beachtliche Disproportion zwischen der Anzahl der zu
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bearbeitenden Vorgänge und dem Personalbestand der Verwaltung. Hierin sehe ich eine der Hauptursachen, daß gerade in den besonders empfindlichen Bereichen der Eingriffsverwaltung häufig schematisch administriert wird. Helmut Quaritsch Erlauben Sie dem Diskussionsleiter eine Anmerkung zum Thema. Es hat m. E. wenig Sinn, über Bürgernähe so zu diskutieren, wie dies aus einer wissenschaftlich exakten Betrachtungsweise geboten erscheinen mag. W i r sollten vielmehr das Thema in der Ausprägung angehen, die es durch die Verwendung des Begriffs in der Öffentlichkeit und i n den Medien erfahren hat. Dort gehört zu diesem Thema das Problem des Mitarbeitertrainings, das von Unternehmen der privaten Wirtschaft vornehmlich als Verkäuferschulung nachdrücklich betrieben wird. Es wäre nun interessant zu wissen, ob die öffentlichen Bediensteten i n den empfindlichen Berührungszonen zwischen Bürger und Verwaltung eine vergleichbare Ausbildung erfahren? Erwin Schieb erger Lassen Sie mich m i t dem Eingeständnis beginnen, daß auf dem von Herrn Quaritsch angesprochenen Gebiet die Verwaltung erhebliche Versäumnisse aus der Vergangenheit wettzumachen hat. Weder bei der Personalausbildung noch i m Organisationsbereich wurde das Erforderliche getan. Der Eindruck vom bürgerfreundlichen bzw. benutzerfreundlichen A m t w i r d entscheidend von den publikumsintensiven Behörden, wie dem Einwohnermeldeamt, dem Straßenverkehrs-, Sozial«, Jugend-, Finanz- und Postamt bestimmt. Die typischen Verwaltungshandlungen dieser Ämter liegen aber fast ausschließlich in der Hand von Beamten des mittleren oder gehobenen Dienstes, deren Ausbildungs- und Prüfungsordnungen von den hier aufgeworfenen Problemen so gut wie keine Kenntnis nehmen. Weiterhin muß berücksichtigt werden, daß i n diesen Ämtern m i t der Publikumsbetreuung nicht nur Beamte, sondern auch Angestellte befaßt sind. Ein Zahlenvergleich aus dem kommunalen Bereich mag dies verdeutlichen: Von den insgesamt 1,3 Millionen Beschäftigten sind lediglich 130 000 Beamte. Der übergroße Anteil der Bediensteten sind Angestellte und Arbeiter. Eine geordnete Ausbildung der Angestellten fehlte bis zum 1. 7. 1979 gänzlich. Seit diesem Zeitpunkt existiert eine Ausbildungsordnung für den Beruf des Verwaltungsfachangestellten, und auf dieser Grundlage sind die Länder gehalten, entsprechende Ausbildungsordnungen zu erlassen. Berücksichtigt man alle diese Faktoren, so kann man wohl ermessen, wie wenig vorbereitet unsere öffentlichen Bediensteten für Aufgabenstellungen dieser A r t sind. Besondere Umgangsprobleme m i t dem
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Bürger haben die Angehörigen technischer Berufe, deren Einsatz i n publikumsintensiven Verwaltungen i n immer stärkerem Ausmaß erforderlich wird. Gerade für diesen Personenkreis erscheinen zusätzliche Ausbildungsmaßnahmen notwendig, da die technischen Ausbildungsgänge für Berufsfelder i n der öffentlichen Verwaltung außer Fachkenntnissen nichts vermitteln. Schließlich stößt die Organisation der Verwaltung rasch an Grenzen für Reformmaßnahmen zu mehr Bürgernähe. Dazu trägt zum einen die Statik des öffentlichen Dienstrechts bei, das eher Beharrungsvermögen als Flexibilität der Beschäftigten fördert; da spielt zum anderen ein kompliziertes Personalvertretungsrecht auf Bundes- wie auf Länderebene eine maßgebliche Rolle. Beide Faktoren zusammen lassen nicht selten schon kleinere, i m Interesse des Bürgers liegende Organisationsverbesserungen, wie unterschiedliche Öffnungszeiten, scheitern. Zusammenfassend darf ich feststellen, daß beträchtliche Versäumnisse aufzuholen sind, daß manches in dieser Hinsicht unternommen wird, daß aber der Verwaltung wesentlich stärkere Anstrengungen zur Erreichung von mehr Bürgernähe abverlangt werden müßten. Helmut Quaritsch Um falschen Eindrücken vorzubeugen und auch, um das Thema in den richtigen Proportionen zu halten, sollten w i r betonen, daß auch i n manchen Bereichen der privaten Wirtschaft Kundenfreundlichkeit nicht selbstverständlich ist. Angesichts so mancher deprimierender Erfahrung mit dem privaten Dienstleistungsgewerbe sind Minderwertigkeitskomplexe der öffentlichen Verwaltung nicht angezeigt. Ulrich Becker Die Freie und Hansestadt Hamburg hat sich des Themas Bürgernähe in besonderer Weise angenommen. Eine Gruppe von Leitern publikumsintensiver Dienststellen hat sich zusammengesetzt und Vorschläge unterbreitet, die alle darauf abzielen, Eigeninitiativen der Beamten i n ihren Dienststellen für Bürgernähe zu fördern oder auch zu wecken. Bürgernähe soll nicht durch neue Vorschriften verordnet, sondern unmittelbar praktiziert werden. Was nun die von Ihnen, Herr Siedentopf, angesprochenen Verhaltensrichtlinien angeht, so mag es dabei Exemplare geben, die i n erster Linie Selbstdarstellungsfunktionen erfüllen oder Alibifunktion haben. W i r verfügen aber i n der Hamburger Verwaltung gerade aus jüngster Zeit über eine kleine Anleitung eines Finanzamtsvorstehers zu all den Fragen, die die Beamten „vor Ort", insbesondere i m Umgang m i t den Bürgern, berühren. M i t hohem psychologischen Geschick werden hier Beamte in ihren Tätigkeitsbereich eingeführt und es werden ihnen Fertigkeiten vermittelt, die sonst nur
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i n langen Jahren dienstlicher Erfahrung gewonnen werden könnten. I n der Fortbildung unserer Mitarbeiter setzen w i r i n der Tat gezielt die Erkenntnisse der Verkäuferschulung ein. Diese Fortbildungsveranstaltungen, die verwaltungsspartenspezifisch durchgeführt werden, liegen in der Hand eines Instituts, das auch Unternehmen der Privatwirtschaft betreut. Allerdings setzen die der Verwaltung zu Fortbildungszwecken zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel einer breit angelegten Schulung Grenzen. Horst Bosetzky I n welcher A r t und Weise reagiert die Verwaltung auf besonderes bürgerfreundliches Verhalten ihrer Bediensteten? Spielt das bei Beförderungen eine Rolle und ziehen Sie hieraus Konsequenzen bei der dienstlichen Beurteilung? Günther
Bantzer
Ich halte nichts davon, eine A r t „öffentlicher Hitparade" bezüglich der Verwaltung durchführen zu lassen. Relevante Beförderungskriterien sind von einem solchen System gleichfalls nicht zu erwarten. Helmut Quaritsch Den Professoren und Referenten bei den Fortbildungsveranstaltungen der Hochschule in Speyer sind allerdings kritische Beurteilungen durch die Kursteilnehmer — alles höhere Beamte vom Oberregierungsrat bis zum Ministerialrat — durchaus geläufig. Günther
Bantzer
Herr Quaritsch, das, was Sie soeben angesprochen haben, ist nicht m i t dem System vergleichbar, das Herr Bosetzky vorgeschlagen hat. Helmut Quaritsch Herr Bantzer Problem. Günther
und Herr Note, bitte Ihre Stellungnahme zu diesem
Bantzer
Ich stehe nachdrücklich auf dem Standpunkt, daß ein Gespräch von fünf Minuten oder auch einer Viertelstunde zwischen einem Mitarbeiter und einem Bürger keine tragfähige Grundlage für eine gegenseitige Beurteilung sein kann. Die Stadt K i e l hat kürzlich auf Anregung von dritter Seite i m kommunalen Krankenhaus den freundlichsten Pfleger und die netteste Krankenschwester durch die Patienten ermitteln las-
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sen. Das Ergebnis dieser A k t i o n war ein solcher Unfriede unter den Mitarbeitern, daß w i r künftig von solchen Experimenten absehen werden. Da fühlte sich beispielsweise die Nachtschwester ungerecht beurteilt, weil sie, trotz der stärksten beruflichen Belastung, aus einsehbaren Gründen keine Chance bei solchen Auswahlverfahren haben kann. Für andere Mitarbeitergruppen würden sich ähnliche Resultate ergeben und auch bei den aus der privaten Wirtschaft bekannt gewordenen Experimenten stand am Ausgang überwiegend der Verdruß. I n der Ausbildung unserer Beamtenanwärter und unserer Angestellten mag i m Hinblick auf eine bürgerfreundliche Administration bisher zu wenig geleistet worden sein, doch gilt dies auch beispielsweise für die Datenverarbeitung. Es gibt also Versäumnisse nicht nur auf einem Sektor, und deren gleichzeitige Behebung übersteigt i n aller Regel die finanziellen und personellen Möglichkeiten einer Behörde. Andererseits darf trotz des Zugeständnisses von Versäumnissen nicht übersehen werden, daß w i r unseren jungen Leuten insgesamt eine sehr praxisnahe Ausbildung zuteil werden lassen. Der Kontakt zum Bürger ist darin eingeschlossen, und häufig erfahren w i r von den älteren Bediensteten, welcher der Anwärter sich für eine Verwendung i n publikumsintensiven Verwaltungssparten eignet und welcher nicht. Ein Zusammenhang zwischen Beförderungserfolg und bürgernaher Verwaltungsleistung läßt sich bei der gegenwärtigen Struktur unseres Beförderungssystems kaum nachweisen. Nach wie vor spielt hier das Ancienitätsprinzip die entscheidende Rolle, und Bemühungen der Behördenleiter, diesen Grundsatz zugunsten des Leistungsprinzips i m Einzelfall zu durchbrechen, haben bestenfalls i n 30 °/o der Fälle Erfolg. Rudolf Note Die meisten Publikumsdienststellen sind i n ihrer Personalausstattung m i t Bediensteten der Eingangsgruppen besetzt. Werden Leistungen von solchen Mitarbeitern bei Beförderungsentscheidungen honoriert, so hat das wegen des hierarchischen Prinzips unserer Behördenorganisation zur Folge, daß der Mitarbeiter aus der Publikumsdienststelle herausgenommen werden muß. Die Verwaltung schadet sich damit selbst. Das hierarchische Prinzip w i r k t sich auf die Publikumsdienststellen noch i n einer anderen Weise negativ aus: Es besteht eine weit verbreitete Neigung des Publikums, den Auskünften und Entscheidungen der dort Beschäftigten m i t Mißtrauen und dem Vorbehalt der Inkompetenz zu begegnen. Der Gang zum Vorgesetzten gehört deshalb zu den eingefahrenen Verhaltensformen vieler Bürger. Veränderungen in der Richtung, wie sie die Frage von Herrn Bosetzky impliziert, sind daher nur bei weitreichenden Eingriffen i n die Stellenplan- und Organisationsstruktur unserer öffentlichen Verwaltung zu realisieren.
Podiumsdiskussion
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Helmut Quaritsch Für die Podiumsdiskussion verbleiben lediglich noch fünf Minuten. Aus diesem Grunde können w i r die beiden letzten für diese Podiumsrunde vorgesehenen Besprechungsgegenstände nicht mehr erörtern. W i r sollten daher die Bürgerbeteiligung und die örtliche Dekonzentration i n der allgemeinen Aussprache behandeln. Herr Hegner hat nun das Wort zu abschließenden Bemerkungen zu den bisher erörterten Fragenkomplexen. Friedhart
Hegner
Bei allen Bemühungen um Bürger- oder Benutzerfreundlichkeit können Staat und Verwaltung nicht die Tatsache verdecken, daß sie Herrschaft ausüben, und sie sollen das auch nicht verdecken. Staat und Verwaltung produzieren Entscheidungen, die den Bürger i n unterschiedlicher Weise i n seiner Rechtssphäre berühren. Die behördliche Entscheidungsfunktion ist daher etwas grundlegend anderes als das Feilbieten von Waren und kann aus diesem Grunde auch nur sehr bedingt m i t Methoden verfolgt werden, die diesem kommerziellen Sektor entstammen. Sind Verwaltungsentscheidungen sachgerecht, d. h. den gesetzlichen Anforderungen konform, und darüber hinaus anliegensgerecht, d. h. i n einem auf das Anliegen des Bürgers angemessen reagierenden Verfahren ergangen, so verwirklicht sich darin das notwendige Maß an Bürgernähe, das von der Verwaltung berechtigtermaßen gefordert werden darf. Unter diesen Voraussetzungen ist die Kompliziertheit von Formularen — bei rechtlich und tatsächlich komplexen Sachverhalten — ebenso hinzunehmen wie das nüchterne, i m übrigen aber sachlich richtige Verhalten eines Finanzbeamten, der seine Entscheidung unt?_r Absehung von trivialem „keep smiling", aber i m Bemühen um Transparenz des Entscheidungsvorgangs übermittelt. Helmut Quaritsch Herzlichen Dank, Herr Hegner. Sie haben uns nicht nur für die nun beginnende Pause Gesprächsstoff gegeben, sondern auch den richtigen Einstieg für die allgemeine Diskussionsrunde geliefert.
Allgemeine Aussprache Bürgernähe gegen Bürokratie — Kann das Konzept erfolgreich sein? Bericht von Klaus Frey Die allgemeine Aussprache wurde von Prof. Dr. Helmut Quaritsch, Speyer, geleitet. Sie richtete sich nach den thematischen Vorgaben der Podiumsdiskussion. Es wurden daher zunächst Probleme erörtert, die mit den Gegenständen Verkleinerung des Normenbestandes und Verringerung der Hegelungsintensität zusammenhingen. I n dem Rahmenthema der Veranstaltung, Bürgernähe gegen Bürokratie, sah Prof. Dr. Eberhard Laux, Düsseldorf, i n erster Linie die Frage nach der guten Organisation von großen Dienstleistungseinheiten gestellt. Primäres Anliegen bei der Organisation großer Behörden wie auch großer wirtschaftlicher Unternehmen, sei aber nach wie vor die Optimierung des inneren Betriebes. Der Kunde bzw. der auf eine behördliche Handlung angewiesene Bürger, bleibe bei dieser Betrachtung ausgeblendet. Hierin liege ein gravierender Mangel, dessen Behebung die moderne Betriebswirtschaftslehre sich als Aufgabe gestellt habe, indem sie m i t Hilfe der Behandlung der Relation Mitarbeiter — Außenstehender, diesen m i t i n die organisatorische Betrachtung einbeziehe. Schnell wirksame Abhilfemöglichkeiten hielt Prof. Laux beim gegenwärtigen Organisationsverständnis aber für nicht gegeben. Für am vordringlichsten und auch kurzfristig am effektivsten erachtete er Verbesserungen i n der Personalführung. M i t Hilfe dieses Instrumentariums müsse die dienende Funktion der Verwaltung dem Mitarbeiter laufend vermittelt werden. Die Mehrzahl aller i m öffentlichen Dienst Beschäftigten nehme Tätigkeiten wahr, die lediglich einen mittelbaren Bezug zum Bürger aufweisen. Die Reduktion der Beziehung Behörde — Bürger auf einen Aktenvorgang schaffe Motivationsprobleme, deren Folge ein bürokratischer Administrationsstil sei und denen nur durch gezielte Maßnahmen der Personalführung entgegengewirkt werden könne. Darin liege aber eine Daueraufgabe und kein auf den aktuellen Anlaß begrenztes Problem. Ministerialrat Wolfram Witaschek, Düsseldorf, vertrat den Standpunkt, daß die bekannte Forderung nach weniger Bürokratie die allge5 Speyer 81
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Allgemeine Aussprache
meine Forderung nach weniger Staat einschließe. Adressat dieser Forderung seien aber i n erster Linie der Gesetzgeber und die Politiker. Von diesen erlebe man dauernd die Versprechung, der Staat werde seine Leistungen schnell und unbürokratisch vermitteln. Die Wirklichkeit stelle sich i n aller Regel so dar, daß, wie beim Heizölkostenzuschuß, zuerst komplizierte gesetzliche Voraussetzungen aufgestellt würden und dann an die Verwaltung die Forderung gerichtet werde, nun zügig den jeweiligen Anspruchsberechtigten zu ermitteln und diesem das ihm Gebührende zuzuteilen. Der Abbau von Bürokratie müsse m i t der Vermeidung derartiger Widersprüche beginnen und setze eine Vorleistung der Politiker voraus. Die Verwaltung sei dann erst i n zweiter Linie am Zuge. Ministerialrat Prof. Dr. Ulrich Hieb er, Stuttgart, warf die Frage auf, wer, insbesondere welcher Politiker bereit sei, den Bürger auf die notwendigen, ihn negativ berührenden Folgen der Verwaltungsvereinfachung vorzubereiten. Die Anzahl der wirklich überflüssigen Vorschriften sei keineswegs so groß wie immer wieder behauptet werde. Die große Anzahl der Verwaltungsrichtlinien und der Durchführungsvorschriften verfolge den Zweck, bis i n die letzte Vollzugshandlung hinein Gleichheit sicherzustellen. I n der täglichen Praxis der Behörden zeige sich, daß der Bürger i n besonderem Maße auf Gleichbehandlung Wert lege und echte oder auch hur vermeintliche Ungleichheiten nicht hinnehme. Stelle man dabei i n Rechnung, daß es nicht nur um ermessensausfüllende, sondern auch um gesetzesinterpretierende Richtlinien gehe, auf die die Bediensteten des mittleren und gehobenen Dienstes in hohem Maße angewiesen seien, dann sei nicht ersichtlich, an welcher Stelle Regelungen abgebaut werden könnten, ohne gleichzeitig höchst unwillkommene Folgen i n Kauf zu nehmen. Ein Beispiel aus jüngster Zeit verdeutliche dies. Als i m Zuge der Vereinfachung des Baugenehmigungsverfahrens i n Baden-Württemberg die Genehmigungspflicht für Einfamilienhäuser und Innenraumveränderungen bei bis zu viergeschossigen Bauwerken entfiel, da habe es von Seiten der Architekten und der Prüf statiker Protest gegeben. Ohne die Mitverantwortung der Behörde seien diese Berufsgruppen nicht bereit, für derartige Bauvorhaben gerade zu stehen. Hieran zeige sich, i n welchem Ausmaß der Zusammenhang zwischen Freiheit und Verantwortung i n Vergessenheit geraten sei. Die Frage, wer eigentlich für die Regelungshypertrophie verantwortlich sei, führe, wie Prof Dr. Rainer Wahl, Freiburg, zeigte, i n einen Kreislauf von gegenseitigen Schuldzumessungen: Der Beamte verweise auf den Politiker, dieser auf den anspruchsvollen Bürger und der Bürger wiederum mache die schlechte Verwaltung verantwortlich. Immerh i n könne aber diesen jeweiligen Freizeichnungsversuchen entnommen
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werden, daß allen Beteiligten das Problem bewußt sei. Daraus könne weiter geschlußfolgert werden, daß es generell lohnenswert sei, die Zahl der Vorschriften zu vermindern. Das größte Problem stelle hierbei die Frage dar, i n welcher Weise qualitativ und nicht nur quantitativ darauf reagiert werden könne. Ein Verfahren, das sich hierzu anbietet, bestehe i n der Reduktion der Normierung auf den oder die typischen Fälle. M i t Hilfe dieser Technik könnten nicht nur eine gesetzliche Regelung, sondern auch Verwaltungsvorschriften und das Formularwesen wesentlich vereinfacht werden. Es wäre dann Angelegenheit des Bürgers, seinen untypisch gelagerten Fall gegenüber der Verwaltung darzustellen, u m somit auf kooperativer Grundlage zu einer gerechten Entscheidung zu gelangen. Dieses Modell stoße lediglich dort auf Grenzen, wo echte administrative Betreuungsbedürftigkeit vorliege, weil der Bürger außerstande sei, seine Interessen zu artikulieren. Regierungspräsident Erwin Schleberger, Münster, vertrat die von i h m als provokant bezeichnete Auffassung, daß Einzelfallgerechtigkeit als Ziel regelnden Verhaltens unerreichbar bleibe und deswegen nicht zum zentralen Orientierungswert administrativen Handelns gemacht werden sollte. Die Regelungsfülle bewirke vielmehr das genaue Gegenteil. Gerechte Entscheidungen würden unter diesen Umständen nur noch demjenigen zuteil, der entweder genügend Zeit oder Personal zur Verfügung habe, um sich m i t der Fülle komplizierter Vorschriften auseinander zu setzen. Unter diesen Voraussetzungen sei eine Verstärkung der Kompetenzen der ortsnahen Dienststellen m i t einer Ausweitung des Ermessensbereiches zu ihren Gunsten auch dann gegenüber einer trügerischen Vision der einzelfallgerechten Verbescheidung vorzugswürdig, wenn sich hier oder da eine divergierende Entscheidungspraxis entwikkeln sollte. M i t dem Beitrag von Regierungspräsident Schleberger beendete Prof. Quaritsch die Aussprache zum ersten Diskussionsgegenstand und schlug vor, Fragen des unmittelbaren Kontaktes zwischen Bürger und Verwaltung i n den Mittelpunkt der weiteren Aussprache zu stellen. Zu den Gegenständen, Ansehen der öffentlichen Verwaltung, Beziehung des Publikums zu den öffentlichen Bediensteten sowie zur raschen und richtigen Entscheidungspraxis, meldete sich der leitende Regierungsdirektor Dr. Friedrich Karl Scharping, Hamburg, zu Wort. Er erwähnte zwei Umfragen des Wickert-Instituts aus den Jahren 1974 und 1979. A u f die Frage, wie denken sie ganz allgemein über Behörden, hätten 1974 55 °/o der Befragten m i t negativ geantwortet, 29 °/o hätten die Frage positiv beantwortet. I m Jahre 1979 habe sich bezüglich der gleichen Frage eine eindeutige negative Tendenz feststellen lassen: 77 °/o hätten ein negatives B i l d von der Behörde gehabt, nur 5 °/o ein positives, während 9 °/o unentschieden gewesen seien. Andererseits zeige 5*
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Allgemeine Aussprache
aber eine 1979 i m Auftrag der Stiftung Warentest durchgeführte Befragung nach den persönlichen Erfahrungen des Bürgers i m Umgang m i t Behörden ein durchaus anderes Bild. 11 °/o der Befragten hätten m i t sehr gut und 35 °/o m i t gut geurteilt. 38 °/o seien zufrieden gewesen, 11 °/o hätten mangelhafte und 3 % sehr mangelhafte Erfahrungen gemacht. Diese sehr divergierenden Umfrageergebnisse aus dem gleichen Jahr zeigten, wie wenig Verlaß auf solche Befragungen bestehe. Bereits Nuancenunterschiede in der Fragestellung führten zu erheblichen Ergebnisverschiebungen. Seine persönlichen Erfahrungen als Leiter einer sehr publikumsintensiven Dienststelle (Straßenverkehrsbehörde) mit den Leistungsbewertungen seitens des Publikums stehe den Ergebnissen der Stiftung Warentest erheblich näher als denen des anderen demoskopischen Institutes. Die praktische Erfahrung bestätige, was auch Prof. Laux hervorgehoben habe, daß das Verhältnis zwischen Publikum und Behördenmitarbeiter durch Maßnahmen der Führung positiv beeinflußbar sei. Ein motivierter, m i t den inneren Betriebsabläufen zufriedener Bediensteter gerate so gut wie nie m i t seinem Publikum in Konf l i k t und ein m i t solchen Bediensteten konfrontiertes Publikum entwickle kein negativ geprägtes Urteil über Behörden. Eine Bewertung der Mitarbeiter durch das Publikum auch i n der Absicht, die Resultate solcher Bewertungen bei Personalentscheidungen zu verwerten, sei aus den von Oberbürgermeister Bantzer schon vorgetragenen Gesichtspunkten abzulehnen. Rasche und richtige Sachentscheidungen seien als K r i terium für Personalentscheidungen weitaus tauglicher als die zufallabhängigen Momenteindrücke eines Behördenbesuchers. Nach den Erfahrungen, die i n Deutschland m i t Bürgerberatungsstellen gesammelt wurden, fragte Dr. Wolf gang Pichler von der Universität Linz. I n Österreich könnten diese Einrichtungen weder von der kompetenziellen Seite noch von der Publikumsfrequenz zufriedenstellend arbeiten. Die zweite Frage von Dr. Pichler betraf den Zustand der Selbstverwaltung i n Deutschland, vor allem inwieweit von dieser Idee noch echte Impulse für Partizipation und Bürgernähe ausgehen könnten? Zu den deutschen Erfahrungen m i t Bürgerberatungsstellen ergriff Dr. Friedhart Hegner, Berlin, das Wort. Solche Beratungszentren seien bei der Neuorganisation der Finanzämter eingerichtet worden, u m über eine Grobsortierung der Beratungssuchenden eine Entlastung der Sachbearbeitungsstellen zu erzielen. Dieses Ziel sei jedoch nicht erreicht worden. Dafür gäbe es mehrere Ursachen: Einmal sei nicht klar vorentschieden worden, in welchem Ausmaß die Beratungszentren sich den Problemen des Einzelfalles annehmen sollten, und zum anderen habe auf die komplizierte Gesetzesmaterie i n einer Vielzahl von Fällen nur m i t Weiterverweisung reagiert werden können. Die Folge sei gewesen,
Allgemeine Aussprache
daß nach kurzer Zeit der Besucherstrom i n den Finanzbehörden wieder direkt auf die Sachbearbeiter zugekommen sei und die Beratungsstellen weitgehend beschäftigungslos geblieben seien. Nach diesen Erfahrungen könne prognostiziert werden, daß die i n manchen Städten m i t großem Aufwand installierten Informationszentren ein Fehlschlag sein werden. Wirksamer als solche Maßnahmen sei für den Besucher die rasche Vermittlung von Orientierung innerhalb der Behörde, ein Ziel, das unter Einsatz geringer M i t t e l erreichbar sei. Ausgesprochen schlechte Erfahrungen lägen auch auf dem Gebiet der vorgezogenen Beratung vor. Die Rentenversicherungsträger, die Rentenanträge m i t der Bitte um Überprüfung des Antragsformulars an 55jährige übersandt hatten, hätten an der enttäuschend geringen Rücklaufquote erkennen müssen, wie gering das Interesse für derartige Experimente bei den noch nicht rentenberechtigten Versicherten ist. Eine Auswertung dieser Erfahrungen mache deutlich, daß Beratung nur gezielt und nicht flächendeckend i n der Verwaltung eingesetzt werden sollte. Oberbürgermeister Dr. Roland Geitmann, Schramberg, vertrat die Ansicht, daß die niedrige besoldungsrechtliche Eingruppierung der Bediensteten in publikumsintensiven Dienststellen auch m i t dem niedrigen Stellenwert zusammenhänge, den der Bürgerkontakt i n der Bewertung i m Verhältnis zu anderen Verwaltungsaufgaben erfahre. Weder der B A T noch die Merkmale der Beamtenstellenbewertung eröffneten Möglichkeiten, die Intensität des Bürgerkontaktes und die damit verbundenen Schwierigkeiten als beachtenswertes K r i t e r i u m bei Personalentscheidungen zu verwenden. Nur wenn hier ein Umdenken einsetze, bestehe die Möglichkeit, qualifizierteres Personal für Publikumsdienststellen zu gewinnen. Senatsdirektor Prof Ulrich Becker, Hamburg, widersprach bezüglich der Beamtenbeurteilung Dr. Geitmann. Er betonte, daß i n der Hamburger Verwaltung für Beamte des mittleren Dienstes i n publikumsintensiven Dienststellen ein Bewertungssystem geschaffen worden sei, das es ermögliche, für besondere Leistungen einen Bewertungszuschlag bis zu fünf Punkten zu erteilen. Die politische Dimension, die das Phänomen Bürgernähe in BadenWürttemberg aufweise, sprach Regierungspräsident Dr. Trudpert Müller, Karlsruhe, an. Sie bestehe darin, daß sich Repräsentanten der Polit i k — Regierungsmitglieder und Abgeordnete — bisweilen persönlich u m Einzelvorgänge i n der Verwaltung kümmerten. Solche Interventionen von politischer Seite kämen einer beschleunigten Sacherledigung sehr zustatten. Andererseits ergäbe sich dadurch aber ein erhöhter Bearbeitungsaufwand, da die m i t Bericht versehenen A k t e n durch mehrere Verwaltungsinstanzen nach oben und dann wieder zurückgereicht werden müßten. I n einem inneren Zusammenhang m i t der politischen
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Dimension der Bürgernähe sei die enorme Expansion des Petitionswesens in Baden-Württemberg zu sehen. Obgleich die Erfahrung lehre, daß Petitionen den Ausgang von Verwaltungsverfahren kaum veränderten, sei nicht selten festzustellen, daß durch die Petition auch einfach gelagerte Fälle einen politischen Bezug erhielten, der einer sachlichen Erledigung eher hinderlich sei. Besondere Probleme i m Hinblick auf eine bürgernahe Verwaltung ergäben sich bei den m i t Technikern besetzten Fachbehörden. Insoweit könnten die bereits von Prof. Becker bei der Podiumsdiskussion aus Hamburg berichteten Erfahrungen auch aus der Sicht des Regierungspräsidiums Karlsruhe bestätigt werden. Nachzutragen sei allerdings, daß gerade die jüngeren Mitarbeiter, auch solche außerhalb der technischen Verwaltung, durch strikte Anwendung ihrer Vorschriften unter Außerachtlassung jedweder großzügigen A t t i tude die Beziehung zwischen Behörde und Bürger nicht förderlich gestalteten. Einen differenzierten Begriffsinhalt, je nachdem auf welche räumlichen Verhältnisse der Begriff bezogen sei, sah Landrat Dr. Paul Schädler, Ludwigshafen, bei der Bürgernähe als gegeben an. Aufgaben, die i n Gemeinden und kleinen Städten organisatorisch ohne Probleme bewältigt würden, erforderten bei größeren territorialen Einheiten unter dem Gesichtspunkt der Bürgerfreundlichkeit einen erheblichen Aufwand. Bürgernähe habe weiterhin einen verwaltungsstrukturellen Aspekt. Die Nachteile einer zentralistischen Verwaltungsstruktur seien weder durch psychologische Schulung der Bediensteten noch durch die großzügigsten Beratungsstellen wettzumachen. Bürgerberatung sei i m übrigen aber eine begrüßenswerte Einrichtung, wenn sie nicht dahingehend mißverstanden werde, daß m i t ihrer Hilfe Sachentscheidungen überflüssig gemacht bzw. deren Korrektur betrieben werden solle. Durch Bürgerbesprechungen eröffne sich eine gute Chance, über ein besseres gegenseitiges Kennenlernen, auch das Verständnis zwischen Bürger und Behörde grundlegend zu verbessern. Derartige Bemühungen dürften jedoch nicht dahin führen, daß die staatlichen Repräsentanten vor den Forderungskatalogen gesellschaftlicher Gruppen kapitulierten, sich beispielsweise bei Bürgerinitiativen noch anbiederten, wenn es gelte, eine i m Allgemeinwohl für richtig erkannte Entscheidung auch gegen Widerstände dieser A r t durchzusetzen. Regierungsvizepräsident Dr. Udo Andriof, Tübingen, bemängelte die starke Dekonzentration der deutschen Verwaltung/ Hierin liege ein Grund, daß Verwaltungsverfahren bis zu ihrer Entscheidung sehr lange dauerten und gleichzeitig oder zeitlich versetzt auf verschiedenen Verwaltungsebenen betrieben würden. Eine Zuständigkeitsbündelung bei den allgemeinen Verwaltungsbehörden könne Abhilfe leisten und gleichzeitig dem Bürger einen Dienst erweisen.
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Ein anderes Unbehagen des Bürgers gegenüber der Verwaltung — das Problem der Zentralisation — sprach Prof. Dr. Quaritsch an. Die Schlagworte Rationalisierung, Effektuierung, Ausrichtung der Bürokratie an letzten Erkenntnissen der betrieblichen Optimierung kennzeichneten einen Zustand, über den heute kein Beteiligter mehr glücklich sei. Weder die zentralisierte Schule noch die Großklinik hätten die i n solche Organisationsmodelle gesetzten Erwartungen erfüllt. Der vornehmlich vom Perfektionsstreben einer fast ausschließlich i n technischen Zusammenhängen denkenden Gesellschaft geprägte Glaube an die unbegrenzte Veränderbarkeit sozialer Zusammenhänge habe den Menschen überfordert. Diese Denkungsart müsse i m übrigen auch dafür verantwortlich gemacht werden, daß der Bürger die schon mehrfach erwähnten großen Schwierigkeiten i m Umgang mit Technikern in der Verwaltung habe. Probleme der Konzentration bzw. Dekonzentration sowie Fragen der optimalen Betriebsgröße behandelte Regierungspräsident Schleberger, Münster, bei einer weiteren Wortmeldung. Zum ersten Gegenstandsbereich stellte er fest, daß der Grundsatz der Einheit der Verwaltung, d. h. Zuständigkeitsbündelung bei den allgemeinen Verwaltungsbehörden in den süddeutschen Staaten nur sehr lückenhaft durchgeführt sei. Sowohl bei der Kreis- wie bei der Mittelinstanz existierten zahlreiche Sonderbehörden, die Kooperations- und Koordinationsprobleme schafften. Bundesweit sei, allerdings erst neuerdings, eine Erscheinung zu verzeichnen, die, wenn auch auf andere A r t , zu den gleichen Schwierigkeiten führe: die Zustimmüngs- und Genehmigungsvorbehalte zugunsten der obersten Landesbehörden. Bezüglich des Problems der optimalen Betriebsgröße räumte Regierungspräsident Schleberger ein, daß bei den i m Verlauf der vergangenen 15 Jahre durchgeführten Verwaltungsreformen, Fragen des wirtschaftlichen Einsatzes von Personal und Sachmitteln einen ungleich höheren Rang eingenommen hätten als der Bürgerkontakt. Die Probleme der behördlichen Großstrukturen träten heute erst i n Ansätzen hervor. Wirksame Gegenmittel ohne gleichzeitige Rückgängigmachung der Ergebnisse der Verwaltungsreform stünden derzeit nicht zur Verfügung. Auch Landrat Gerhard Schwetje, Landau, bestätigte die Fehlentwicklung, die Regierungspräsident Schleberger i m Hinblick auf die behördliche Betriebsgröße eingeräumt hatte. Übertriebene Wissenschaftsgläubigkeit und eine eindeutige Überbewertung des rationalen Faktors innerhalb der menschlichen Charaktereigenschaften, seien dafür als weitere Ursachen zu nennen. Die Pflege des persönlichen Kontaktes zum Bürger sei indessen nicht nur ein Organisationsproblem der Behörden. I n erster Linie erscheine wichtig, daß die Behörde über genügend Zeit verfüge, um einen Vorgang individuell und nicht schematisiert zu
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behandeln. Die Verwirklichung einer derartigen Forderung setze aber voraus, daß die staatlichen Aufgaben sich insgesamt spürbar verringern müßten. Ein Beispiel für gänzlich unbürokratisches Organisationsverhalten erwähnte Ministerialrat Dr. Hellmut Meier, Bundesrechnungshof, Dienststelle Berlin: die Einführung der gleitenden Arbeitszeit in den Behörden. Hier habe sich gezeigt, wie rasch Behörden zu außergewöhnlichen Anstrengungen i m Organisationsbereich i m Stande seien. Der Verdacht, es könne hierbei Eigeninteresse i m Spiel gewesen sein, könne, insbesondere i n Anbetracht der Kontroversen um die Überwachung der Gleitzeit, nicht mehr völlig von der Hand gewiesen werden. A u f einen Konnex zwischen dem Thema Bürgernähe und der modernen Gesetzgebungstechnik machte Akademischer Oberrat Dr. Ralph Ganter von der Universität Mannheim aufmerksam. Seiner Ansicht nach stelle es für die Verständlichkeit von Gesetzen und anderen Hechtsvorschriften einen Mangel dar, wenn die tragenden Motive und die Begründungen für die jeweiligen Regelungen nicht i n der Vorschrift selbst enthalten sind. Dem Bürger werde dadurch der Zugang zum Staat erschwert, die meisten staatlichen Entscheidungen blieben für ihn erklärungsbedürftig, und eine Entscheidungskontrolle könne der Bürger aus eigener K r a f t nicht bewältigen. Darüber hinaus warf Dr. Ganter die Frage auf, ob der Staat nicht gut beraten sei, seine Befugnisse, auf öffentlich-rechtlicher Grundlage zu agieren, i m Interesse von größerer Bürgernähe zu begrenzen und statt dessen privatrechtliche Handlungsformen einzusetzen. Prof. Dr. Heinrich Siedentopf, Speyer, kam m i t der Problematik der Bürgerbeteiligung an umweltrelevanten Verwaltungsentscheidungen auf ein Diskussionsthema zu sprechen, dem i m Verlauf der Aussprache noch keine Aufmerksamkeit zuteil geworden war. Unabhängig davon, wie man zur Zweckmäßigkeit einer Verbandsklage stehe, lehre die Erfahrung, daß der politische Druck, der von Bürgerinitiativen und anderen gesellschaftlichen Kräften auf die Verwaltung ausgeübt werde, heute schon ausreiche, um gelegentlich Entscheidungsunfähigkeit zu produzieren. Vor allem seien es die ortsnahen Verwaltungsbereiche, die unter Berufung auf solche faktischen Widerstände sich um eine Entscheidung drückten. Dieser Tatbestand müsse sehr genau bedacht werden, wenn einerseits gefordert werde, die Kompetenzen der unteren Verwaltungsbehörden i m Interesse des Bürgers zu verstärken, auf der anderen Seite aber nicht sichergestellt sei, daß gerade dieser Bürger durch exzessive Partizipation die Verwaltung nicht paralysieren könne. I n seinen Schlußbemerkungen wies Prof Dr. Quaritsch auf die in der Diskussion sichtbar gewordenen engen Grenzen hin, die den Anforde-
Allgemeine Aussprache
rungen an größtmögliche Bürgernähe durch die Realitäten eines komplizierten Rechts- und Verwaltungssystems gesetzt seien. Auch in A n betracht der Tatsache, daß i m Verlauf der Aussprache Gesichtspunkte hervorgetreten seien, die dem Anliegen zu mehr Bürgernähe förderlich erschienen, behalte diese Feststellung ihre Berechtigung. M i t dem Dank an alle diejenigen, die einen Beitrag zur Diskussion geleistet haben bzw. dieser mit Interesse gefolgt seien, Schloß Prof. Quaritsch die Veranstaltungen des ersten Tages.
Die Gemeinden im Staat der achtziger Jahre — was folgt auf die Reformen ? Zur gegenwärtigen
Situation
der deutschen
Kommunalverwaltung
Von Eberhard Laux
I. Einleitung Dem Generalthema hat Frido Wagener bereits eine Tendenz unterlegt, die mich veranlaßt hat, diesem Referat einen Untertitel zu geben: „ Z u r gegenwärtigen Situation der deutschen Kommunal Verwaltung" Alle wesentlichen Grundlagen, sowohl inhaltlich wie formal, scheinen m i r für die kommunale Selbstverwaltung weitgehend gesetzt zu sein; größere innenpolitische Veränderungen stehen nicht am Horizont. Prognostische Überlegungen für das nächste Jahrzehnt sind weniger dramatisch, wenn Stichworte wie „Konsolidierung", „Konjunktursteuerung", „Schutz der Umwelt", „Integration von Ausländern", „Energiesparmaßnahmen", „Stadtpflege" und „Verkehrsberuhigungsmaßnahmen" die Diskussion beherrschen. Erhalten, Pflege und Bewahren, Schutz, Sicherung, das sind zwar Vokabeln, die auch i n Prognosen einzubauen, aber nicht i n reformerische Kampfgesänge umzusetzen sind. Es ist das Panorama der Ebene, nicht des Anstiegs. Ich möchte auch keinen wissenschaftlichen Vortrag halten. Von einigen Ausnahmen 1 abgesehen, bestand i m letzten Jahrzehnt die Wissenschaft von der Selbstverwaltung bei aller erfreulichen Lebhaftigkeit der Diskussion i m wesentlichen aus der Fortschreibung oder Umformulierung tradierter Lehrmeinungen. Dem A r t . 28 GG vermag ich nichts abzugewinnen, was nicht i n dem wuchernden Schrifttum gesagt wäre. Und ein Wissen u m das Ganze haben zu wollen, scheint m i r ohnehin 1 Hier wären besonders zu nennen: Joachim Burmeister, Verfassungstheoretische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltungstheorie, München 1977 (Studien zum öffentlichen Recht und zur Verwaltungslehre, Bd. 19). Ernst Pappermann, Zum Problem der Sonderstellung größerer Städte im Kreis, in;
Verwaiturigsarchiv, Bd. 65 (1974), S. 163 ff. ; Wolf gang Roters, Kommunale Mitwirkung an höherstufigen Entscheidungsprozessen, Stuttgart 1975 (Kommunalwissenschaftliche Schriften des Deutschen Landkreistages, Bd. 3). Die kritische Verarbeitung dieser Ansätze ist bisher noch unbefriedigend.
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etwas überheblich zu sein bei so komplexen Gebilden, i n denen w i r leben. Nehmen Sie also bitte dieses Referat als den Versuch eines kommunalpolitisch engagierten Beobachters, sich ein B i l d von der Gegenwart zu machen, einer Gegenwart, die ja die Zukunft von gestern ist. Gestern, das waren zumindest vordergründig die Reformen. M i r geht es mehr um die geistigen Hintergründe, die größeren Zusammenhänge, als um bekannte Details. Das B i l d w i r d ernüchternd sein. Wer sehen und hören kann, w i r d ohnehin feststellen müssen, — daß K r i t i k und Protest aus den Reihen der Selbstverwaltung schärfer und heftiger werden, — daß auch Zeichen von Resignation sich einzustellen beginnen, — daß sich zwischen die Töne berufsmäßigen Gejammers sich auch solche mischen, die darauf hindeuten, daß man sich m i t dem Rücken an der Wand fühlt. Darüber sollte gesprochen werden. W i r müssen auch analysieren, ob w i r i n unseren Institutionen nur am eigenen Wohlstand leiden oder an schleichenden Veränderungen mit ungutem Ende. Fangen w i r bei den „Reformen" an, die w i r meinen, hinter uns zu haben. Oder ist das etwa doch nicht so?
I I . Die Jahrhundert-Reformen oder: Was geschieht, wenn die Reihenfolge nicht stimmt? Eines fällt auf: K a u m jemand empfindet über die Ergebnisse der Reformen, die w i r als Gebiets- und Funktionalreform bezeichnet haben, so rechte Freude. Nun pflegt uns das i n Deutschland m i t Reformen öfter so zu gehen. Aber das Unbehagen hat einige reale Hintergründe, auf die noch eingegangen werden soll. Zunächst läßt sich nüchtern feststellen, daß die kommunale Selbstverwaltung die Reformen ohne größere Schäden überstanden hat. Daß Nachteile von anderen Erscheinungen drohen, hat Frido Wagener mehrfach — und auch i n dieser Tagung — nachgewiesen 2 . Weiter: Die Reformen glichen eher Sanierungen; die Konstruktion blieb unangetastet. So radikal wie ζ. B. unsere dänischen Nachbarn sind w i r nicht verfahren 3 . 2 So zuletzt: Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, in: Heft 37 der Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Berlin New York 1979, S. 215 ff. 8 Siehe dazu die deutschsprachige Informationsschrift des Kreistagsverbandes in Dänemark: Das regionale Niveau, Die Kreisgemeinden in Dänemark,
Die Gemeinden i m Staat der achtziger Jahre
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Je weiter die Reformen fortgeschritten sind, desto mehr wuchs die Erkenntnis, daß das Machen häufig vor dem Denken gestanden hat, daß also ein Defizit an Politik nicht übersehen werden kann 4 . Die Maßnahmen hatten Vorrang vor einer Präzisierung der politischen Ziele und ihrer ständigen Korrektur. Die politische Beurteilung des Reformgehalts war von deutlichen Unsicherheiten gekennzeichnet. Rückblikkend gesehen war es sicher ein Dilemma, daß solche i n ihrer W i r k u n g vielleicht etwas überschätzten Reformen zu einer Zeit i n Gang gesetzt wurden, i n der planerisch-organisatorische Konzepte m i t dem Anspruch hoher Integration entwickelt wurden, ohne daß man schon m i t ihnen hätte Erfahrungen sammeln können. (Erinnert sei an die leider zu schnell beendete Diskussion u m die Entwicklungsplanung.) Zudem haben sich die meisten Länder dahin verstanden, die Gebietsreform müßte flächendeckend sein. Alle Ebenen und Räume sollten überprüft werden. Ohne umfassende Änderungen gehe es nicht. Das hat der Reform eine Richtung gegeben, die gute Lösungen nicht immer garantierte. Bei einem solchen Grundverständnis ging i m Zuge der Reform die einfache Erkenntnis verloren, daß es nicht u m andere, sondern u m nachweisbar bessere Lösungen gehen müsse, wenn sie politisch verantwortbar sein sollen. Bei manchen Maßnahmen projizierte man i n die Zukunft mehr nach dem Prinzip Hoffnung als m i t gebotenem Realitätssinn, während man doch m i t der richtigen Überlegung angetreten war, einen längst fälligen Anpassungsprozeß zu vollziehen. Besonders i m Bereich der ländlichen Verwaltung ließen sich Gebietsgrenzen, die vor 150 Jahren entstanden waren, aus vielerlei Gründen, die hier nicht wiederholt werden sollen, nicht mehr halten. Auch was unter der Leitvorstellung einer Maßstabsvergrößerung konzipiert worden ist, war i m Ansatz situationsgerecht. Wäre man doch bei solchen schlichten Formeln geblieben, statt sich m i t „fürchterlichem Fleiß" (Berkenhoff) einem Zugzwang zu unterwerfen, bei rigorosen Zeitvorstellungen! Man hätte sich i n einem so hochentwickelten System wie der Bundesrepublik daran erinnern müssen, daß Reformen nur dann gelingen können, wenn sie von dem M u t zur Lücke ausgehen. Darauf war vor zehn Jahren durchaus hingewiesen worden. Es war aber auch ein anderer gedanklicher Ansatz zu einfach: Was i m Prinzip brauchbar für die kleineren ländlichen Gemeinden und Kreise sei, müsse auch für große Einheiten gelten. Damit ist man nicht 1978; ferner Wolf gang Steiniger, Die Kreisgemeinden im Kommunalrecht
Dänemarks, in: Der Landkreis 1980, S. 247 ff. 4 Klaus Stern hatte schon 1975 darauf hingewiesen, daß eine breit fundierte kommunale Realanalyse erforderlich sei, „an der es weitgehend trotz abgeschlossener Gebietsreform merkwürdigerweise noch immer in weitem Maße fehlt". (Zur Position der Gemeinden und Gemeindeverbände in der Verfassungsordnung, in: D Ö V 1975, S. 515.)
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gut zurechtgekommen. Z u den unerledigten Resten gehört die Neuordnung des Umlandes großer Städte und regionaler Räume. Das ist sicher kein Zeichen von Versagen oder Unfähigkeit, sondern ein Beweis dafür, daß die Realität wesentlich komplizierter ist, als daß sie sich bausteinartig i n organisationsrechtliche Konstrukte einfügen ließ. Bei dem berechtigten Willen zu rational nachvollziehbarer Politik ist man oft über das nicht Meßbare ungeduldig hinweggegangen bzw. hat man die Beweisbarkeit des Errechneten nicht ausreichend geprüft, und bei manchen Maßnahmen war dann sogar die rationale Politik unter die Räder des Reformkarrens geraten. I n der Endphase der Gebietsreform Nordrhein-Westfalens gab es kaum mehr ein Sachverständigengutachten, das die Absichten der Landesregierung für gut hielt; das Parlament hatte die Reform politisch nicht mehr i m Griff. Damit kein MißVerständnis entsteht: Diese K r i t i k soll nur auf Fehleinschätzungen aufmerksam machen, ohne die gelungenen Maßnahmen aus dem Blick zu verlieren. Gehen w i r nun auf die einzelnen Teile der Reform ein. I I I . Die Gebietsreform oder: Das Größere ist nicht immer das Bessere 1. Grundmodelle Die Ergebnisse der Gebietsreform lassen sich aus den i n Anlage 1 zusammengestellten Tabellen ablesen. Die statistischen Daten sprechen für sich. Besonders bei den kleineren Einheiten von Gemeinden und Kreisen hat man die Maßstabsvergrößerung konsequent durchgehalten, soweit man dieses Ziel überhaupt i n der Ortsebene angestrebt hat. I n Ländern m i t einer gegliederten Ortsstufe hat man einen anderen A n satz verfolgt; dazu unten Näheres. Sieht man sich das B i l d aber etwas genauer an, so gibt es einiges zu entdecken, was Fragen auf w i r f t : Die Gebietsreform hat die Vielfalt der Organisationsstrukturen nicht beseitigt. Die Länder haben i m wesentlichen ihr bisheriges Gliederungssystem fortentwickelt. Nur Hessen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland sind ausschließlich zur Einheitsgemeinde übergegangen und haben damit auf früher vorhandene Varianten i n der örtlichen Gliederung verzichtet. Nun ist diese Buntheit sicher kein Schaden, da die entscheidenden konstruktiven Prinzipien erhalten geblieben sind, Die bei aller Unterschiedlichkeit des Kommunalrechts einheitlichen organisatorischen Grundsysteme: — die kreisfreie Stadt
Die Gemeinden i m Staat der achtziger Jahre
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— die gegliederte politisch-administrative Organisation i m Gebiet der Kreise werden noch deutlicher. Sie bilden bei der Vielfalt der Lösungen — unabhängig von der verfassungsrechtlichen Grundlegung — die einzige Möglichkeit, die kommunale Organisation i n ihrer Funktionsweise überhaupt hinreichend genau zu deuten.
2. Die Vernachlässigung
des Problems der Fläche
Überraschend ist, wie sehr i n den Gebieten außerhalb der kreisfreien Städte die Einwohnerzahl das durchschlagende K r i t e r i u m gewesen ist und wie wenig die Fläche 5. Das w i r d besonders i n verdichteten Siedlungsräumen deutlich. Einige Beispiele aus Nordrhein-Westfalen sollen die Behauptung belegen, daß die juristische Unterscheidung Gemeinde (Stadt) einerseits und Kreis andererseits die Realität nur unvollkommen abdeckt. Folgende Daten sind nicht zufällig: E-Zahl
E/qkm
Fläche in qkm
477 312 347 267
1171 1206 849 883
407 259 408 302
i. T.
Kreis Mettmann Stadt Bielefeld Ennepe-Ruhr-Kreis Stadt Münster
Die kreisfreie Stadt Hamm hat (nur) 758 E/qkm. Dagegen weitere Daten für Kreise: Neuss Recklinghausen Unna Rhein. Berg. Kreis Erftkreis ...... Herford . . . . . . . .
703 826 705 560 557 518
E/qkm E/qkm E/qkm E/qkm E/qkm E/qkm
Gelegentlich sind „Monstren" entstanden, die einen erschrecken machen, so ζ. B. i n Nordrhein-Westfalen 21 kreisangehörige Gemeinden zwischen 150 und 300 q k m Flache und weniger als 30 000 Einwohner, ζ. T. geringfügig darüber. Es gibt auch noch Kreise, die nicht viel größer als 300 q k m sind. Und wenn man die Flächen von kreisfreien Städten 6 Siehe dazu Walter Schmidt Glaeser, Die kommunale Landschaft nach den Gebietsreformen und ihre Folgewirkungen für die Raumordnung und Landesplanung, in: Der Landkreis, 1980, S. 130 ff.; weiter Günter Seele, Die Neugliederung der Kreise — eine erste Bilanz, ebenda, 1979, S. 494 ff.
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dagegensetzt, so ist ζ. B. die Stadt Schmallenberg m i t 302 q k m bei 24 803 Einwohnern so groß wie Münster m i t 267 007 oder Bielefeld m i t 312 000 E. I n Nordrhein-Westfalen gibt es viele mittlere Städte und größere Gemeinden m i t Durchmessern von 20 km. Ist da noch etwas von „örtlicher Gemeinschaft" übrig geblieben? Wie sollen solche Gebilde ihre Identität gewinnen, die doch wohl zum B i l d der Gemeinde gehört 6 ? Man w i r d sich wohl zu anderen Interpretationen der Gebietsstruktur als bisher üblich entschließen müssen, u m jemand noch zu erklären, wie sich unser Territorium i n der Struktur seiner Gebietskörperschaften darstellt. Zudem ließ sich i n N W beobachten, daß die zu Beginn der Gebietsreform eingehaltenen (vernünftigen) Gliederungsprinzipien sich immer weiter i n Richtung großflächiger Gebilde verschoben haben. A m Anfang wußte man wohl noch besser, was Gemeinde i m ländlichen Raum ist 7 . 3. Ungeprüfte
planerische
Hypothesen
Wie man sich trotz mancher Warnungen auf Grund regionalplanerischer Hypothesen schlicht verrechnet hat, zeigt sich ζ. B. an der Stadt Nettetal i m Kreis Viersen. Dieses aus mehreren ζ. T. recht leistungsfähigen Gemeinden entstandene Gebilde beruhte auf der Zielvorstellung, man müsse gegenüber der — längst gelaufenen — kräftigen Entwicklung des holländischen Raumes Venlo ein Gegengewicht m i t betonter Zentrenbildung schaffen, obwohl zwischen Venlo und Düsseldorf - Krefeld - Duisburg — Luftlinie ca. 40 k m — noch Städte wie Viersen und Mönchen-Gladbach liegen. Nun, die Bevölkerungszahl stagniert seit der Stadtbildung; u n d damit fragt man sich nach dem Wert solcher Kraftakte. Vielleicht bin ich etwas altmodisch, w e i l ich „Gemeinde" sehen und begehen können muß und nicht herumirren möchte i n einem Schilderwald von Ortsteilen. Der Vorteil einer leistungsfähigen Verwaltung ließ sich auch anders erreichen als durch gewaltsame Zusammenfassung auf Grund regionalplanerischer Modelle. 6 Ausführlich zum Thema: Gemeindliche Integration als Maßstab für die Gebietsgestaltung, dem hier nur angerissenen Grundproblem, hat sich Wolfgang Loschelder, Kommunale Selbstverwaltungsgarantie und gemeindliche Gebietsgestaltung, Berlin 1978 (Schriften zum öffentlichen Recht, Band 308), S. 250 ff. geäußert. 7 Eine umfassende Beschreibung und Bewertung steht noch aus. Es ist zu erwarten, daß sie von der auf 20 Bände angelegten Schriftenreihe: Die kom-
munale Gebietsreform, hrsg. von Hans-Joachim v. Oertzen und Werner
Thieme, Baden-Baden; im Erscheinen seit 1979, geleistet wird. Wo waren aber im Gegensatz für Dienstrechtsreform solche Bemühungen vor der Gebiets« und Funktionalreform? Einige interessante kritische Stellungnahmen zum politischen Gehalt der Gebietsreform hat soeben Heinz Zielinski (Hrsg.), Lokale Politik zwischen Eigenständigkeit und staatlicher Abhängigkeit, Königstein 1980 (Sozialwissenschaftliche Studien zur Stadt- und Regionalpolitik Bd. 13) vorgelegt.
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M i r selbst wurde bei meinen zahlreichen Arbeiten zur Gebietsreform immer unklarer, was die Promotoren noch unter „Gemeinde" verstanden. Vermutlich hat man die Warnung René Königs nicht beachtet, daß die herrschende Gemeindeideologie auf einem „Vorurteil einer ganzheitlichen Betrachtungsweise" beruht 8 . Und das gilt für das Kleine wie das Große. Es ist sicher zu früh, alles abschließend zu bewerten, aber Hypertrophes ist selten ohne Krankheiten 9 : Daß historische Zusammengehörigkeit, räumliche Übersichtlichkeit und Fühlungsnähe der Einwohner konstruktive Elemente für die Gemeindebildung sind und bleiben müssen, dafür schien gelegentlich die Landespolitik das Gespür verloren zu haben. Auch wiegt der Rückgang von 45 % aller Mandate i n gemeindlichen Vertretungen (153 000 statt 276 000) schwer 10 .
I V . Die sog. „Funktionalreform" oder: Ein politisches Leporello-Album 1. Ein Denkfehler
und seine Folgen
Selten ist ein verwaltungspolitischer Begriff m i t einer solchen Fracht von Unklarheiten belastet worden und hat sich der Mangel einer politischen Grundlegung so desorientierend bemerkbar gemacht wie hier 1 1 . 8 Grundformen der Gesellschaft: Die Gemeinde, Hamburg 1958 (rowohlts deutsche Enzyklopädie, Bd. 79), S. 109: „Man setzte die Integration der Gemeinde als selbstverständlich voraus und betrachtete alle Probleme unter dieser wesentlichen Voraussetzung." 9 Was es an kaum mittelfristig lösbaren Schwierigkeiten bringt, wenn Konzeptionen gewaltsam durchgesetzt werden, vor denen ständig gewarnt worden ist, zeigt der Bericht von K. R. Hinkel, Probleme bei der Auflösung der Stadt Lahn, in: Verwaltungsarchiv, Bd. 71 (1980), S. 161 ff. 10 Angaben aus: Die Gemeinde der Bundesrepublik Deutschland nach der Gebietsreform 1978, Beiträge zur Statistik und Stadtforschung des Deutschen Städtetages, Reihe H, Heft 12/1978, S. 21. Dazu Rainer Frey, Verwaltungsreformen in Deutschland. Voraussetzung zur Verwirklichung lokaler Demokratie?, in: ders., Kommunale Demokratie, Bonn-Bad Godesberg 1976, S. 97 ff., hier S. 133 ff. 11 Zum Thema „Funktionalreform" s. statt zahlloser Veröffentlichungen Bernhard Stüer, Funktionalreform und kommunale Selbstverwaltung, Göttingen 1980 (Schriftenreihe des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Heft 33), der nahezu alle einschlägige Literatur gesammelt und geordnet hat, leider nicht immer mit kritischer Distanz. Siehe ferner den Band von Dietrich Thränhardt (Hrsg.), Funktionalreform — Zielperspektiven und Probleme einer Verwaltungsreform, Meisenheim/Glan 1978 (Sozialwissenschaftliche Studien zur Stadt- und Regionalpolitik Bd. 3). Der DST hat die Meinungen aus dem Kreis seiner Mitglieder in dem Band: Neuordnung der Verwaltung, Ein Beitrag zur Funktionalreform, Neue Schriften des Deutschen Städtetages Heft 31, Köln 1975, wiedergegeben.
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I n den Landesparlamenten war man sich einig, daß der Gebietsreform eine Funktionalreform folgen solle, völlig i m Gegensatz zu der Logik, daß man zunächst über Ziele und Zwecke und dann erst über Maßnahmen reden sollte. Entweder hatte man sich nicht genau überlegt, was die Gebietsreform in ihrer Substanz sein muß te, oder man hatte das nach wenigen Jahren vergessen. Gebietsreform, das war doch eben nicht eine Flächenvergrößerung allein zu dem Zwecke einer größeren Einwohnerzahl, sondern die Anpassung der Träger an die größeren politischen und administrativen Dimensionen der Aufgabenerfüllung einer erkennbaren (!) Zukunft. Damit war für die kommunale Ebene die Zielrichtung deutlich gemacht: Bessere Funktionsfähigkeit, und zwar nicht nur der Städte und Gemeinden, sondern zwangsläufig auch der Kreise, die unabdingbar zum System kommunaler Trägerschaften gehören. (Das Verhältnis zwischen Gemeinden und Kreisen ist ein „interkommunales", sagt Adalbert Leidinger treffend 12 .) Diese Ziele stehen i n allen Dokumenten, Denkschriften, Sachverständigengutachten zur Gebietsreform etc. Was zu tun blieb, war einmal die Erfüllung der i n fast allen kommunalen Verfassungsgesetzen enthaltenen Forderung an die Länder, staatliche Aufgaben i m Bereich kommunaler Gebietskörperschaften, insbesondere die der Sonderbehörden, auf die Kommunalverwaltung zu überführen. Zum anderen aber mußten selbstverständlich die Aufgabenbestände den größeren Einheiten nach dem Prinzip angepaßt werden, daß Aufgaben, politische Verantwortlichkeit, Zuständigkeiten, Kommunikationsbeziehungen i m gesellschaftlichen Bereich und die M i t t e l zur Erfüllung der Aufgaben einander adäquat, besser noch kongruent sein mußten. Für solche Folgemaßnahmen den Begriff „Funktionalreform" zu wählen, war fragwürdig und setzte die Landesgesetzgeber i n einen Handlungszwang, den die Sache allein nicht rechtfertigte. Wer den notwendigen Anpassungen etwas anderes als die eben genannte Zielrichtung unterlegte, hat m i t dazu beigetragen, daß sich nun seit Jahren diese Reform über zahlreiche Stationen hinschleppt und m i t unterschiedlichen Zielen belegt wird. Wenn man nicht zu der Einsicht kommt, daß man es m i t begrenzten Maßnahmen zu tun hat und nicht m i t dem „Eigentlichen", dann ist dies eine Reform ohne Ende. Mittlerweile w i r d unter Funktionalreform folgendes verstanden 13 : — Neuregelung der Kompetenzen der kommunalen Organe 12
I n : Eildienst Landkreistag N W 1978, S. 259. " Siehe die verwaschene Formulierung in der Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der CDU-Fraktion, BT-Drucksache vom 22.7. 1974 7/2409, die von Stüer, a.a.O. (Anm. 11), S. 20 wiedergegeben wird: „Unter Funktionalreform wird . . . die Gesamtheit aller Maßnahmen verstanden/die geeignet sind, die Arbeit der öffentlichen Verwaltung in allen Ebenen, insbesondere den Dienst am Bürger, zu verbessern und das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag günstig zu beeinflussen."
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— Demokratisierung des Willensbildungsprozesses — größere Teilhabe der Bürger am politischen und Verwaltungsgeschehen — Maßnahmen gegen eine wachsende Bürokratie — innerbehördliche Rationalisierungsmaßnahmen. Für sich allein sind dies durchaus wichtige Themen einer Reform der Verwaltung, aber man zwängt sie i n einen Ansatz, dessen Konturen nebulos geworden sind. Ich folge Frido Wagener ohne Einschränkung, wenn er sagte 14 : „Aus einer Funktionalreform nach den Stichworten ,Bürgernähe 4 und ,Delegation nach unten 4 als zweitem Teil der Territorialreform kann und w i r d nichts werden." Weil man das aber offenbar nicht zugeben wollte, hat man immer neue Aktionsrichtüngeii für eine ungewisse politische Leistungsbilanz gesucht. 2. Der Streit um die Aufgabenbestände Bleiben w i r bei der Anpassung der Zuständigkeiten und der Sicherung der Funktionsfähigkeit kommunaler Aufgabenträger. U m bei dem letzteren anzufangen: Was bisher nicht geleistet wurde, das hat ebenfalls Frido Wagener m i t seiner K r i t i k an den wachsenden vertikalen Verflechtungen und damit der Schwierigkeit horizontaler Koordinierung auf gewiesen. Darauf hätte man vorrangig sein Augenmerk richten müssen; denn solche Tendenzen waren bereits sichtbar, als die Gebietsreform begann. Freilich waren vor allem die kommunalen Landesverbände beinahe ein Jahrzehnt m i t der Gebietsreform fast völlig ausgelastet. Für andere große Themen blieben oft nicht genug Zeit und Raum. Die Zuständigkeiten aber wurden zum Streitobjekt zwischen den Kreisen und den kreisangehörigen Städten u n d Gemeinden sowie ihren Verbänden. Gewiß, es lag schon i m Ansatz der Maßstabsvergrößerung und der Aufgabenentwicklung, daß die Kreise bei der Kompetenzverteilung die Gewinner waren. Da auch i m kommunalen Bereich das Haben mehr zu gelten scheint als das Sein, u m den Titel eines Buches von Erich Fromm zu mißbrauchen, war die K r i t i k an dieser Entwicklung groß. Bei der Überprüfung der Aüfgabenbestände stimmt die Behauptung des Zugewinns der Kreise ohnehin nicht só ganz, wenn man eine 14 I n : Deutsches Institut für Urbanistik, Funktionalreform in NordrheinWestfalen, ein Tagungsbericht, Berlin 1977, S. 29. Dort weitere pointierte Aussagen der Vertreter der kommunalen Spitzen verbände (Schleberger, Papper-
mann, Rehm). *
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politische Gewichtung vornimmt. Die Regelungen für Abfallbeseitigung ζ. B. berühren den K e r n der Selbstverwaltung nicht, und Ortsnähe kann bei manchen Aufgaben ebensogut durch eine Außenstelle der Kreisverwaltung wie durch eine Gemeinde oder kreisangehörige Stadt hergestellt werden. Schließlich sind auch die Kreistagsabgeordneten vom selben Volke i n derselben Wahl gewählte Gemeindebürger! Aber politisch hatte man nun einmal den kreisangehörigen Gemeinden eine sehr weitgehende Delegation von Aufgaben versprochen ohne Rücksicht auf die Frage, ob die neuen Gemeinden m i t ihren ζ. T. schwierigen Integrationsproblemen qualitativ überhaupt i n der Lage waren, eine Vielzahl neuer Aufgaben zu übernehmen und für den ortsansässigen Bürger befriedigend zu erledigen, und ohne ausreichende Beachtung der höchst unterschiedlichen Gebietsstrukturen. Man gerierte sich so, als ob ganze Aufgabenblöcke hätten verschoben werden können. Das waren alles Zeichen einer ungenauen Bewertung der kommunalen Organisations· und Aufgabenstruktur außerhalb der kreisfreien Städte. Eines darf man freilich nicht übersehen: Gerade bei der sog. Funktionalreform haben sich die Fehler der Gebietsreform drastisch ausgew i r k t . Wenn zwischen den unterschiedlichen Zielen der Reform Kompromisse zu finden waren, dann hätten sie bei der Behandlung der Stellung der größeren kreisangehörigen Städte i m Zweifel immer zu deren Gunsten gefunden werden müssen. Sonst ging man an der Realität vorbei. Manche der „Einkreisungen" waren und sind schlimme Entscheidungen. Es war und bleibt immer unverständlich, wie Politiker, die sich um eine bürgernahe Verwaltung bemühten, i m Falle der Stadt Neuss so darüber hinwegsehen konnten, daß Stolz auf Vergangenheit, auf eigene, i n Generationen erbrachte beachtliche kommunale Leistung, das starke Zusammengehörigkeitsgefühl der Bevölkerung ein so minderes Gewicht haben konnten, wo örtlich an der Verwaltungskraft doch kein Zweifel bestehen konnte. Die Einkreisung von Neuss ist typisch für manche bedenklichen Arrangements. Bei der Alternative zwischen einer Zusammenfassung m i t Düsseldorf und der Aufrechterhaltung eines nicht mehr so großen Kreises Grevenbroich wich man auf eine neue, scheinbar bequeme Lösung aus: Neuss wurde kreisangehörig, der Kreis bekam den Namen der Stadt, die Stadt erhielt Gebietszuwachs und behielt weitgehend ihre Zuständigkeiten. Ein wahrhaft imponierendes Ergebnis rheinischer Kompromißkunst! Wäre es nicht einer Überlegung wert gewesen, ob man angesichts der strukturellen Unterschiede i n den Kreisgebieten den Beteiligten, d. h. den Kreisen und kreisangehörigen Städten und Gemeinden mehr Spielraum zur Regelung der Aufgabenteilung hätte belassen sollen? Jetzt sind allerdings gerade die Kreise aufgerufen, nicht nur m i t dem Gedanken ortsnaher Verwaltung, sondern dem der örtlichen politischen
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Verantwortung ernst zu machen und den i n einer Phase der Integration befindlichen neuen, oft stark vergrößerten Gemeinden weitestgehend den Vorrang bei der Übernahme von freiwilligen Aufgaben zu lassen. Wirtschaftliche Aufgabenerfüllung ist nicht die einzige wichtige Zielvorstellung einer Ordnung, i n der verdrossene Partner eine dauerhafte Stabilisierung behindern könnten. Es gibt erfreulicherweise viele Zeichen, daß man beginnt, zu dem zurückzukehren, was vor den Reformen selbstverständlich war: Dem Gedanken der Zusammenarbeit. 3. Exkurs: Der theoretische Streit um das sog. „funktionale Selbstverwaltungsverständnis
itl B
Die sehr effektive Konstruktion der Aufgabenverteilung und Zusammenarbeit i m Kreisgebiet hatte ich zu Beginn der Reformen als „Verwaltung i m Verbund" bezeichnet 16 und zugleich auf die beiden oben geschilderten Organisationsmodelle verwiesen. M i r schien dies eine (bildhafte) Möglichkeit zu sein, um Systemzusammenhänge und Wirkungsweisen zu beschreiben, zugegeben: nicht ganz unproblematisch. Dabei war der Ausgangspunkt in der Tat ein „funktionaler", nämlich die Frage, wie das System i m einzelnen funktionierte und nach den Gebietsreformen (besser) funktionieren könnte. Die gelegentlich zu enge herkömmliche staats- und verwaltungsrechtliche Betrachtungsweise deckte dies nicht ab, w e i l sie sich i n erster Linie auf die institutionelle Sicherung, die Zuständigkeitsverteilung für Aufgaben, die formalen Kompetenzen der Organe und Verwaltungsträger, auf Eingriffs- und Mitwirkungsrechte u. ä. konzentrierte. Alles, was sich nicht formal festlegen läßt — und das ist i n der Verwaltung häufig das Entscheidende —, kann von ihr nur unter dem Aspekt der Verträglichkeit bzw. des Verstoßes bewertet werden. Die von m i r beschriebenen Zusammenhänge haben i n der gereizten Atmosphäre der Reformen zu einer Reihe von Mißverständnissen geführt, denen aber die Wissenschaft bei sorgsamerer Analyse hätte entgehen können. Für eine wirklichkeitsnahe Beurteilung der Wirkungsweise und der Zusammenhänge von Organisationen muß man heute die Methodik und die Interpretationsmöglichkeiten von System- und Organisationstheorie nutzen. Das weiß jeder, der sich m i t der Beurteilung von Organisationsmodellen befassen muß. Man kann heute kein Realsystem mehr m i t hinreichender Genauigkeit analysieren und bewerten, wenn dies nicht zugleich m i t Hilfe juristischer, politikwissenschaftlicher, soziologischer, ökonomischer und organisationstheoretischer Ansätze ge15
Dazu Stüer, a.a.O., S. 173 ff. Vor allem in dem Beitrag: Die administrative Funktion des Kreises, in: Der Kreis, Ein Handbuch, Band 1, Köln und Berlin 1972, S. 93 it 16
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schieht. Die alten Staats- und Verwaltungsrechtler haben dies gewußt, ζ. T. aus eigenen praktischen Erfahrungen. Sie hätten auch kaum mißverstanden, was hier gemeint war. „Funktionales Selbstverwaltungsverständnis", das ist zunächst nicht mehr als eine vielleicht etwas schnell i n die wissenschaftliche Diskussion eingeführte Vokabel (— die ich nicht erfunden habe —), ober keine grundsätzlich andere Position, geschweige denn ein neues „Verständnis". Es ist der Name für einen Ansatz, der eine erweiterte und möglicherweise genauere Interpretation der Verwaltungswirklichkeit ermöglichen könnte 1 7 . M i t der Gefährdung von gemeindlichen Rechtspositionen hat das nichts zu tun, wenn man nicht sämtliche Kreisordnungen der Bundesrepublik für verfassungsrechtlich bedenklich ansehen w i l l . Die ζ. T. heftige Reaktion in den Verbänden auf solche neu eingeführten Gedankengänge war aus der Bedrängnis zu verstehen, Bestände zu sichern und i n der Reformdiskussion Position beziehen zu können. Manche „ K r i t i k " mußte unter solchen Umständen hingenommen werden. Damit kann aber die wissenschaftliche Diskussion nicht abgeschlossen sein 18 . M i r selbst ging es um etwas Praktisches: Gegenüber den immer tiefer gezogenen Gräben zwischen den kommunalen Gebietskörperschaften sollte auf die Tatsache vielfältiger administrativer Beziehungen, der verwaltungsmäßigen Zusammenarbeit i m Tagesgeschäft, auf die Kommunikation i m politisch-gesellschaftlichen Bereich innerhalb eines Kreisgebietes sowie auf die Gemeinsamkeiten i n der kommunalpolitischen Verantwortung aufmerksam gemacht werden. Gerade diese Gemeinsamkeit und Partnerschaft kommunaler Träger hatte sich bewährt, mUßte bewahrt und wieder hergestellt werden, selbstverständlich bei klarer Regelung von Kompetenzen und Verantwortung und unter Beachtung des Rechts. Was denn sonst? I m Kommunalrecht steht auch etwas über ein solches Zusammenwirken, worüber schnell hin weggelesen wird, da es sich um eine juristisch weniger greifbare Materie handelt. So heißt es z. B. i n § 20 K r O SchlH (ähnlich i n § 20 K r O Hess): „(1) Die Selbstverwaltung des Kreises soll die Selbstverwaltung der kreisangehörigen Gemeinden ergänzen und fördern. (2) Kreis und Gemeinden sollen i m Zusammenwirken alle Aufgaben der örtlichen Selbstverwaltung erfüllen. 17 Siehe auch die Fortführung der Interprétation durch Ernst Pappermann, Verwaltungsverbund im kreisangehörigen Raum usw.* in: D Ö V 1979, S. 181 ff. 1β Diese Diskussion zeigt bisher ein wachsendes theoretisches Dilemma: Wenn eine Wissenschaft Begriffe einér anderen usurpiert und dann mit I n halten belegt, die dem eigenen logischen System entsprechen, wie das häufig bei der Verwendung soziologischer, psychologischer, politikwissenschaftlicher und organisationstheoretischer Begriffe oder „Vokabeln" durch Juristen und Wirtsdiäftswissensc^aftler gesdiieht/dann ist das theoretisch bedenklich und verwirrend dazu : Problem der Begrif fs- und Inhaltsvertatfschung!
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(3) Der Kreis soll sich über den Ämtern und Gemeinden auf diejenigen Aufgaben beschränken, deren Durchführung durch den Kreis erforderlich ist, um seine Einwohner gleichmäßig zu versorgen und zu betreuen." Die kommunale Selbstverwaltung ist nicht eine „Familie", sondern eine politische Funktionsebene, die man bei allen Abgrenzungen nicht i n wesensverschiedene Beteiligte dividieren sollte.
V. Die Überarbeitung des kommunalen Organisationsrechts oder: Experimentelle Demokratie? 1. Kommunale
Gemeinschaftsarbeit
Fast das gesamte Kommunalrecht ist i n den letzten Jahren überarbeitet worden. Sehen w i r einmal von der Novellierung des kommunalen Wirtschaftsrechts und dem Organisationsrecht für die Krankenhäuser ab, so ist die Neuformulierung ganzer Teile unmittelbar durch die Gebietsreform ausgelöst worden. Das betraf vor allem das Recht der kommunalen Gemeinschaftsarbeit, i n die hier auch die Vorschriften über die Verwaltungsgemeinschaften und die gemeinsamen Bürgermeistereien i n Baden-Württemberg (§§ 59 bis 63 GO), die Regelungen über die Samtgemeinden i n Niedersachsen (§§ 67 bis 79 GO) und über die Verbandsgemeinden in Rheinland-Pfalz (§§ 64 bis 73 GO) einbezogen werden sollen. Nur die letzteren waren i m übrigen eine A r t Neuschöpfung. Zusammen m i t den Ländern Bayern und Schleswig-Holstein ist zugleich diejenige Gruppe markiert, die die gegliederte Ortsstufe erhalten wissen wollte. Dabei ist man i n Rheinland-Pfalz hart an die Grenze des verfassungsmäßig Zulässigen gegangen. Wenn das Verwaltungsgericht Koblenz jüngst rechtskräftig entschieden hat 1 9 , daß der Ortsgemeinde das Recht zustehe, wenigstens Gemeindearbeiter hauptamtlich beschäftigen zu können, so zeigt sich, daß der wissenschaftliche Disput um die Allzuständigkeit i m örtlichen Wirkungskreis zwar zur Schärfung des Bewußtseins über rechtliche Grenzlinien nicht überflüssig war, daß er zugleich aber i n solchen Fällen wenig zur Beurteilung der. tatsächlichen Verhältnisse beitragen konnte. Denn was den Ortsgemeinden faktisch an Entscheidungsraum verbleibt, ist wenig. Immerhin lassen solche Konstruktionen noch eine umfassendere politische Repräsentation von Bürgern zu als die großen Einheitsgemeinden.
19
In: Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz 1980, S. 28.
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2. Bildung
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von Orts- und Bezirksbeiräten
I n den letzten Jahren wuchs die politische Überzeugung, daß die B i l dung von Ortsbeiräten und Bezirksvertretungen ein entscheidender Schritt zu einer Stärkung der repräsentativen Demokratie i n der Ortsebene sein könne 2 0 . Sieht man einmal von den traditionellen Regelungen i n Berlin und Hamburg ab, so war die Bildung von Ortsbeiräten früher ein brauchbares Instrument, bei Eingemeindungen den Bürgern eine Wahrung ihrer Interessen zu ermöglichen und ihre Integration i n die aufnehmende Stadt zu erleichtern. Es läßt sich heute noch kein Urteil darüber fällen, ob diese Maßnahmen, für die ζ. B. i n NordrheinWestfalen i n den Städten kein Wahlrecht besteht, ein w i r k l i c h fruchtbarer Schritt waren. Sie sind einschneidende Veränderungen i m politisch-administrativen Gefüge größerer Städte und bringen zwangsläufig mehr Organisation, Kompetenzprobleme, weitere Formalisierung der Willensbildung, politische Leistungs- und Profilierungszwänge, Status- und Prestigefragen m i t sich. Ob demgegenüber der Gewinn an politischer Substanz ins Gewicht fällt, muß man wohl skeptisch beurteilen. Gewiß ist Geduld vonnöten. Die Verlangsamung von Entscheidungsprozessen mag man bei der allgemeinen Hektik noch hinnehmen; schwerer wiegen wohl die Probleme, die Kreativität neuer Gremien noch einigermaßen steuern zu können u n d die ohnehin schwierige Koordinierung zu gewährleisten. Eines ist zumindest deutlich geworden: Die Schlüsselkräfte i n Politik und Verwaltung werden noch mehr belastet als bisher. Wo soll das enden? Aber so etwas interessiert Verfechter demokratischer Radikalität nicht.
3. Neuordnungen
im
Organbereich
21
A m interessantesten waren die Erörterungen und Reformen i m Organbereich. Es kann hier nur einiges herausgegriffen werden: Kommunale Vertretungen haben durch die Neuregelungen ζ. T. einen Umfang erreicht, bei dem man Zweifel an Funktionsfähigkeit und A r 20
Dazu Wolfgang
Holler und Karl-Heinz Naßmacher, Rat und Verwaltung
im Prozeß kommunalpolitischer Willensbildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „das Parlament", Β 4/1976. Zu der gesamten Problematik der politischen Beteiligung im repräsentativen System, besonders im kommunalen Bereich, siehe die umfassende Schrift der Konrad-Adenauer-Stiftung — Institut für Kommunalwissenschaften —: Politische Beteiligung im repräsentativen System, Teil 1, Bonn 1979 (Studien zur Kommunalpolitik Bd. 21). 21
Ausführlich Michael Borchmann und Emil Vesper, Reformprobleme im
Kommunalverfassungsrecht, Stuttgart 1976 (Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik Bd. 58).
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beitsweise bekommen kann. Bis zu 100 Mitgliedern, das sind Größen, die für ein echtes Parlament, also einen Landtag, angemessen sein mögen. Fast zwangsläufig entstehen dann aber Tendenzen zur Übernahme von Regelungen der Parlamentsorganisation (stärkere Fraktionsarbeit, umfassende geschäftsordnende Maßnahmen, Rolle des Oppositionsführers, ein nicht unerheblicher eigener Verwaltungsaufwand, auch m i t eigenen Assistenten, wachsendes Protokoll usw. usw.) 22 . W i l l man das noch mehr fördern? I n der Kommunalverwaltung überwiegen schließlich die Sachprobleme, nicht der Streit um die richtige Politik. Die Selbstverwaltung w i r d i n erster Linie durchführende Ebene bleiben. Hier scheinen Mißverhältnisse vorprogrammiert zu sein. Ein Teil der Diskussionen galt der Verwaltungsspitze, i n der man das Zentrum der Macht entdeckt hatte. Kollegialer Gemeindevorstand, A b wahlbefugnisse, Verkürzung der Wahlzeiten, Abschaffung der Volkswahl, das waren einige Forderungen i n der etwas diffusen Diskussion. Ζ. T. haben sie auch gesetzliche Regelung gefunden. Die Grundhaltung ist allgemein besorgniserregend: Ob Magistratsmodell oder monokratische Spitze, das ist schließlich kein Glaubensbekenntnis und w i r f t auch keine grundsätzlichen Organisationsprobleme auf. Aber die Tendenz zur Schwächung von elementaren Steuerungsfunktionen, von wichtigen Informationszentren aus Gründen des politisch besseren Zugriffes ist ein Zug zum formal-demokratischen Purismus, der die bisher nur befürchtete Unregierbarkeit der Städte zur konkreten Gefahr werden läßt. Wer der umfassenden Verantwortung fachlich oft hervorragend ausgebildeter oder vorbereiteter Verwaltungschefs mißtraut, wer meint, daß die Vertraulichkeit einer i m allgemeinen gut funktionierenden Verwaltung eine Gefährdung demokratischer Kontrolle sei, dessen B i l d vom leitenden Verwaltungsbeamten ist letztlich das eines willfährigen Funktionärs, den man auf eine Position setzt und, wenn er nicht spurt, wieder verschwinden lassen kann. Man muß sich nicht wundern, wenn Risikoscheu und anpassendes Taktieren Fortschritte machen und daß die Besten zu resignieren beginnen.
V I . Maßnahmen zur bürgernahen Verwaltung oder: Ein Bürger namens Laokoon — Tragöde oder Gipsfigur? Das Thema ist auf dieser Tagung ausführlich diskutiert worden. Daher nur einige kurze Bemerkungen:
22
Dazu Rainer Frey und Karl-Heinz
Kommunalpolitik, S. 199 ff.
in: Archiv für
Naßmacher, Parlamentàrisierung der
Kommunalwissenschaften,
14. Jg. 1975,
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Selbstverwaltung ist als bürgernahe Verwaltung verfaßt worden. Bürgernähe ist hier „wesensbestimmend", sagt Edzard Schmidt-Jortzig 23. Alles was w i r seit Generationen in der kommunalen Selbstverwaltung getan haben, dient dem Zweck, bürgernahe Verwaltung zu praktizieren. Die relativ hohe Beteiligung bei den Kommunalwahlen ist der beste Beweis für den politischen Erfolg. Daran haben Generationen gearbeitet, dies muß verstärkt fortgesetzt werden. Es ist richtig, daß man sich heute theoretisch und praktisch m i t diesem Problemfeld befaßt. Soweit man sich auf interne Maßnahmen konzentriert, um die W i r kungen von Verwaltungshandeln auf den Bürger ständig i m Auge behalten zu können, tut man etwas staatspolitisch sehr Wichtiges. Was meint man aber mit gesetzgeberischen Maßnahmen zu erreichen, wie sie neuerdings i n Nordrhein-Westfalen in den §§ 6 a bis 6 c Gemeindeordnung (s. Anlage 2) enthalten sind? Abgesehen von Problemen der Sachkompetenz und der Haftung i n § 6 a fällt es bei den §§ 6 b und 6 c schwer, sich klarzumachen, welchen Mangellagen der Landtag von Nordrhein-Westfalen eigentlich hatte abhelfen wollen. Es nimmt nicht wunder, daß auf der Hauptversammlung des Städtetages Nordrhein-Westfalen am 30. 1. 1980 an dieser Regelung ζ. T. heftige K r i t i k geübt wurde, gerade von kommunalpolitischer Seite. Der Vorbericht des Städtetages ist lesenswert 24 ! Bürgerbeschwerden? Der Verwaltungschef einer Großstadt konnte feststellen, daß 9 5 % von ihnen gegenstandslos waren. Selbstverständlich werden sie bearbeitet. Warum aber noch Formalisierung? Der Gesetzgeber muß wissen, daß Verrechtlichung solcher Materien nur Nachteile bringt. Was besorgt macht, ist der Hintergrund, auf dem solche gesetzgeberischen Maßnahmen (sozusagen eine liberale Bevormundung) entstehen. Was hält man eigentlich von einer Kommunalverwaltung, daß man meint, ihr solche Vorschriften zu alten Problemen machen zu müssen? Wen wundert es noch, wenn man über Gesetze hinwegsieht, die bestenfalls noch den Rang von überflüssigen Verwaltungsvorschriften haben? Zum Thema „Bürgerinitiativen" — und ich meine damit nachweislich lokale Gruppierungen — nur wenige Sätze: Wer den aktiven Bürger w i l l , muß i n Bürgerinitiativen ein Zeichen lebendigen kommunalen Lebens sehen. Daß nicht alles klug und bedeutend ist, was da vorgebracht wird, muß getragen werden. W i r reden zuviel darüber, daß man miteinander reden soll, anstatt miteinander zu reden. Da werden w i r noch einiges lernen müssen 25 . 23 Verfassungsmäßige und soziologische Legitimation gemeindlicher Selbstverwaltung im modernen Industriestaat, in: DVB1. 1980, S. I f f . ; ein beachtenswerter Beitrag zur gegenwärtigen Situation der Selbstverwaltung. 24 Gemeindeordnung in der Bewährung, in: Städtetag Nordrhein-Westfalen, Die Städte in den achtziger Jahren, Köln 1980, S. 155 ff.
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VfL Entwicklung der kommunalen Aufgaben oder: Die Knappheit sitzt mit am Tisch Ich habe nicht erst den Versuch unternommen aufzulisten, was an neuen Aufgaben auf die Selbstverwaltung zugekommen ist und wie sie sich i m einzelnen ausgewirkt haben 26 . Daß die Aufgabenbelastung sich so beschleunigt hat, das beklagen heute die gleichen Leute unter dem Stichwort „Gesetzesflut", die doch die Maschine kräftig i n Gang gehalten haben. Nun, späte Einsicht kann immer noch helfen. A n dem Faktum einer großen Regelungsdichte w i r d sich nichts wesentliches ändern lassen 27 . Aber man w i r d einen schärferen Blick für das Regelungsbedürfnis und für die Machart gewinnen müssen. Die Situation der Weltwirtschaft w i r d uns ohnehin die Prioritäten unerbittlich aufzwingen. 1. Inhalte Soweit sich die Aufgabenentwicklung in Investitionen niederschlägt, liegt für die Kommunen eine Prognose bis 1990 vor 2 8 . Sie schließt m i t einem realen Bedarf von 820 Mrd. D M für den Zeitraum von 1976 bis 1990 ab. Hieran sind die kommunalen Unternehmen m i t 143 Mrd. D M beteiligt. Fast die Hälfte entfällt auf Stadterneuerung und den Verkehrsbereich (incl. Straßen und Lärmschutz). Wichtig ist die Aussage, daß der Ersatzbedarf gegenüber dem Neubedarf erheblich an Bedeutung zunehmen wird. Aus der Vielzahl von Aufgaben soll i m folgenden nur auf einige Bereiche wegen ihrer tendenziellen Besonderheit eingegangen werden. Fangen w i r bei den Themen an, die mehr aus dem Wachstum als aus der Knappheit entstanden sind. a) Umweltschutz und Gesundheitsvorsorge Daß hier umfassende Aufgaben vor uns liegen, bedarf keiner Erläuterung. Aber es gibt auch folgendes zu bedenken, selbst wenn es politisch unbequem ist: 25 Einer der interessantesten Beiträge zu diesem Lernprozeß ist die von Peter Dienel initiierte und praktizierte „Planungszelle". Dazu sein gleichnamiges Buch, Opladen 1978. Ein Bericht aus der Praxis solcher Initiativen hat im März 1980 der Oberstadtdirektor der Stadt Köln zum Bürgergutachten „Rathaus Gürzenich Köln" veröffentlicht. 26 Die gründlichste Veröffentlichung zu diesem Thema ist der von Erhard Mäding im Auftrage der Konrad-Adenauer-Stiftung hrsg. Band: Reform kommunaler Aufgaben, Bonn 1978 (Studien zur Kommunalpolitik Bd. 19) mit
Beiträgen u. a. von Erhard Mäding und Heinrich Siedentopf.
27 Zu Recht warnt Ernst Pappermann davor, den Traum einer einfachen Verwaltung zu träumen (Kommunalverwaltung der achtziger Jahre, in: Demokratische Gemeinde 1979, S. 1042 ff. und 1131 ff.; hier bes. S. 1044. 28 Vom Deutschen Institut für Urbanistik, Kommunaler Investitionsbedarf bis 199Ò, Berlin 1980.
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Beim Klettern auf der Skala seiner Bedürfnisse ist der Bürger immer mehr bei der Betrachtung seines eigenen Leibes angelangt. Ausgestattet m i t unübersehbaren Wohltaten und geschützt durch das Netz sozialer Sicherungen macht sich der homo teutonicus begreiflicherweise nun Sorge, daß er alles möglichst lange nutzen könne. Dieser Bürger, das sind w i r alle. Die Erkenntnisse, daß dazu Gesundheit nötig ist, hat zu einer Fülle von Maßnahmen geführt, die sich gezielt auf die einzelnen Leibesorgane richten. Ich möchte das als „Anatomisierung der öffentlichen Aufgabenfindung" bezeichnen. I m Augenblick sind w i r bei den Ohren; w i r haben den öffentlichen L ä r m entdeckt, den L ä r m der anderen. Um das Gedröhn von Lautsprechern aller Größen i m eigenen Haus ist man weniger besorgt. Der Bürger hat gelernt, die Auswirkungen seiner eigenen Exzesse als öffentliches Bedürfnis zu formulieren und findet sich da A r m in A r m m i t jenen Aposteln, deren ideologische Rigorosität Sorge macht, weil sie die Sünde als solche bekämpfen wollen. (Der Raucher als Feind der Gesellschaft!) Man muß sich schon dieser Mentalität bewußt sein, wenn man den objektiven Gehalt der sicher ernsten Problematik testen w i l l . Der heimatliche Bildschirm, i n den man auch seine Kinder stundenlang starren läßt, w i r d zur Lebensqualität. Beim Bildschirm i n den Betrieben, d. h. dort, wo man sein Geld verdient, entdeckt man plötzlich, daß das etwas m i t den eigenen Augen zu tun hat und ruft nach präzisen Regelungen, die arbeitsmedizinisch nicht untermauert werden können. Bei aller Bedeutung der Materie w i r d es besonders in den Kommunen eines der wichtigsten Anliegen sein, zu einer vernünftigen Gewichtung der praktischen Maßnahmen zu finden, Ordnungen zu konzipieren, ehe man sich ins Investieren stürzt, wobei zu berücksichtigen ist, daß w i r längst an Grenzen der kommunalen Leistungsfähigkeit stehen. W i r werden ja nicht alle gleich taub vom öffentlichen Lärm, auch die nicht, die i n klarer Kenntnis der Wirkungen des Verkehrs sich m i t ihren Häusern eng an die Autobahntrassen gezwängt haben. Verkehrsberuhigung ist wichtig, aber eine Stadt besteht nicht nur aus ruhigen Inselchen, sondern zugleich aus einem ökonomischen Gesamtgefüge, das unsere Existenz bildet. Besonnenheit w i r d i n Zukunft gerade in solchen empfindlichen Investitionsbereichen eine weit wichtigere Tugend der Kommunalpolitiker sein als unruhige Betriebssamkeit mit ungenauer Zielmarkierung und Abwägung. b) Soziale Hilfen Zugenommen haben die Hilfe und Unterstützung von Personengruppen, die, aus welchen Gründen auch immer, an unserem gesellschaftlichen System notleidend geworden sind, ohne daß man dabei nach dem
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wachsenden Ausmaß privater Schuld fragen darf. I n Zukunft müssen w i r wohl stärker auf die qualitative Seite achten, die solange einer Fehlbewertung unterliegt, als w i r das Ganze unter Randgruppengesichtspunkten betrachten und weniger aus mitbürgerschaftlicher Verpflichtung. Das gilt auch für die Integration von Ausländern, die w i r noch lernen müssen. Hier hat sich etwas Merkwürdiges erwiesen: W i r sind heute weit entfernt von jener aufklärerischen Toleranz der alten Preußen, die die Nützlichkeit m i t Humanität fruchtbar zu verbinden wußten. Es ist uns vielleicht auch etwas abhanden gekommen, was man doch am Beispiel des Ruhrgebietes, einer erfolgreichen Aufnahmeregion, ablesen kann. Wer indes meint, man müsse sofort für die Integration der heutigen Gäste und Mitbürger von morgen Maßstäbe anlegen wie an den gegenwärtigen Standard unserer Bevölkerung, der verkennt den Umfang der Gesamtproblematik und das Maß an aufgeschlossener Geduld, was nicht nur unsere Generation dafür aufbringen muß. Sicher bestehen vielfältige Mißstände; sie werden allerdings weniger dramatisch, wenn man sie an den Schwierigkeiten der heimatlos gewordenen Bürger der 50er Jahre mißt. c) Ordnungs- und Kontrollaufgaben Allgemein werden kontrollierende, steuernde und überwachende Funktionen an Bedeutung gewinnen. Das ist nicht einem Anwachsen der Ordnungsaufgaben alter A r t gleichzusetzen, obwohl diese aus der Grauzone der Geringschätzung wieder heraustreten. Ein großes Maß an Selbstgestaltungsmöglichkeiten, die der kommunale Bürger heute hat, erfordert seinen Preis in Richtung der Disziplinierung des Ganzen; deswegen werden w i r nicht gleich ein Polizeistaat. Bedenken sollte man aber dabei, was Manfred Rommel 29 so formuliert hat: „ W i r laufen immer wieder Gefahr, daß i n dem Bestreben, falsches Verhalten zu verhindern, das Verhalten überhaupt verhindert wird." Das sei zugleich denjenigen ins Stammbuch geschrieben, die überall nach neuen Verboten rufen. d) Pflege der Urbanen K u l t u r
Ein positiver Entwicklungsschritt war der Übergang vom Städtebau zur Städtepflege. Hier, und das ist von großer Bedeutung für die Formulierung des Standorts der kommunalen Selbstverwaltung in den 80er Jahren, deutet sich hinter manchem modisch-nostalgischen Gehabe an, wie stark der Mensch einer lokalen Identifikation bedarf und wie er sie " I n der Neuen Zürcher Zeitung, Fernausgabe 280 vom 2./3.12.1979.
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sucht. Das ist über der Gebietsreform und den Fragen der juristischnormativen Legalisierung etwas i n den Hintergrund geraten. Auch insoweit sei auf Manfred Rommel verwiesen 30 , der jüngst auf die Bedeutung der Themen: Stadt, K u l t u r p o l i t i k und Kunstpolitik aufmerksam gemacht hat, Themen, die man auch deutlicher für die dünn besiedelten Gebiete w i r d formulieren müssen. Das führt ins Zentrum dessen, was kommunale Selbstverwaltung gerade i n der Zukunft sein muß. Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Rau, hat nicht von ungefähr i n einer Rede anläßlich der Hauptversammlung des Städtetages Nordrhein-Westfalen i m Januar 1980 die Frage nach Heimat, Geborgenheit und städtischer K u l t u r gestellt. So mißtrauisch man sein muß, wenn man i n kritischen Zeiten das Irrationale beschwört, so sehr erscheint es m i r von Bedeutung, daß die Gewichte hier besser geordnet werden und daß w i r i n solchen Zielvorstellungen nicht ein Ausweichen i n Aufgabenbereiche sehen, die wenig kosten. Kommen w i r zu den Themen der Knappheit: e) Sicherung der Arbeitsplätze Karl-Heinrich Buhse, der gegenwärtige Präsident des Deutschen Landkreistages, hat kürzlich m i t Nachdruck darauf hingewiesen 31 , daß sich die Zukunft der Selbstverwaltung außerhalb der verdichteten Gebiete daran entscheiden wird, inwieweit es angesichts der Bevölkerungsentwicklung, aber auch der Verteilungsprobleme wirtschaftlicher Produktionskraft gelingen dürfte, die notwendigen qualifizierten A r beits- und Ausbildungsplätze auf dem Lande zu erhalten. I n peripheren Gebieten ist hier manches schon i n eine bedenkliche Entwicklung geraten. Eng damit zusammen hängt die i n den letzten Jahren gewachsene Erkenntnis, daß kommunale Wirtschaftsförderung vorrangig die Erhaltung ortsansässiger Betriebe, die Lösung ihrer Standortprobleme, aber auch die Bemühungen u m die Integration der Arbeitskräfte und ihre örtliche Verbundenheit sein muß 3 2 . 80 Ebenda. Besonders erwähnt werden müssen in diesem Zusammenhang die Initiativen aus dem Raum der kreisangehörigen Städte und Gemeinden. Dazu Peter Michael Mombaur, Kulturpolitik als gemeindliche „Aufgabe" und „Kulturpolitik im Umbruch", beide in: Städte und Gemeindebund 1979, S. 313 ff. u. 379 ff.; weiter der ausführliche Vorbericht des Arbeitskreises „Gemeindliche Kulturarbeit" zur 7. Mitgliederversammlung des Nordrhein-Westfälischen Städte- und Gemeindebundes am 29.2.1980 (nicht veröffentlicht). 31 Zu den Chancen des ländlichen Bereichs, in: Der Landkreis 1980, S. 17 ff.; dazu auch Peter Michael Mombaur, Konzeptionen und Aktivitäten für eine ausgewogene Raumentwicklung, in: Information zur Raumentwicklung, Heft 4 (1979), S. 215 ff. 32 Dazu Wolf gang-Hans Müller, Inhaltliche und formale Organisation kommunaler Wirtschaftsförderung, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, 15. Jg. 1976, S. 185 ff.
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f) Wohnungsbau Das Defizit an preisgünstigen Mietwohnungen wächst. Ansprüche, veränderte Lebensgewohnheiten, besonders sehr junger Bürger, baulichstrukturelle Mängel, auch von frühen Nachkriegsbauten, alles das kumuliert sich zu kritischen Größenordnungen. g) Sicherung der Energieversorgung Bei aller verwaltungspolitischen großräumigen Sicht bleibt der kommunalen Selbstverwaltung die Verpflichtung zur Erarbeitung örtlicher Versorgungskonzepte als Kombination der verschiedenen Energieträger. Auch hier kann und darf sie auf eigene politische Überlegungen und auf langfristige Planung nicht verzichten 33 . Eines wage ich nur als Frage zu stellen: Was haben w i r wirklich zur Sicherung unserer Existenz i n Krisenzeiten, die die 80er Jahre sein werden, getan? Hören Sie dazu mal einen örtlichen Beauftragten für den Zivilschutz! 2. Die Machart Was Technik der Aufgabensetzung betrifft, so müßte endlich eine durchgreifende Änderung in der Praxis von Bund und Ländern einsetzen: — Mehr Programm und Kontrolle statt Feinsteuerung — Mehr Ziel- und Rahmensetzung als Beteiligung — Mehr Verfahrensnormen als exakte Handlungsanweisungen (Regelungsperfektionismus) — Mehr örtliches Ermessen statt vorprogrammierte Routine — Mehr Rechtsaufsicht als Mitwirkungsvorbehalte — Mehr Auftrag als Befehl, um in der Sprache der Bundeswehr zu reden, ein Programm, das i m sich ausweitenden Rechts- und Sozialstaat nicht immer ganz leicht zu realisieren sein wird. Aber häufig kommt es mehr auf den politischen Stil als auf die Regelung i m Einzelfall an. M i t Recht hat sich Heinrich Köppler gegen solche Gesetzesvorschriften gewandt, die eigentlich „Testmodelle" sind. Das Experimentieren und Testen sollte man den einzelnen Kommunalverwaltungen selbst überlassen und sie auch dazu ermutigen. 33 Siehe dazu die Grundsätze und Hinweise des VKXJ vom Februar 1980: Aufstellung und Weiterentwicklung örtlicher Versorgungskonzepte durch kommunale Querverbundunternehmen, Anlage zum VKU-Nachrichtendienst, Folge 376.
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V i n . Die kommunalen Finanzen oder: Klare Verhältnisse im eigenen Portemonnaie Daß das kommunale Finanzsystem sich i m Laufe der Zeit verbessert hat, kann niemand bestreiten. Daß es nicht perfekt ist, wer wollte das erwarten? Daß es nicht ausreichend ergiebig ist, bleibt ein historischer Dauerzustand. Das kann hier nicht i m einzelnen ausgebreitet werden 3 4 . Aber: W i r sind ein vergleichsweise reiches Land. W i r haben uns immer wieder neue Aufgaben m i t großen finanziellen Belastungen geleistet und leisten können. K e i n Wunder, daß man Sorge haben muß, ob eines Tages die gesamte Finanzmasse ausreicht. Letztlich ging es i n den 70er Jahren nur u m Verteilungskämpfe. Die kommunale Strategie läßt sich ζ. Z. gar nicht anders formulieren, als dies von den kommunalen Spitzenverbänden geschieht. Solange der Staatshaushalt relativ wenig verschuldet war, drückten die kommunalen Schulden nicht besonders. A n gesichts der hohen Staatsverschuldung kann es ζ. Z. nur darauf ankommen, für die Kommunalverwaltung klare und festgeschriebene Anteile zu sichern, Mischfinanzierungen zu vermindern, Zweckzuweisungen i n allgemeine Finanzzuweisungen umzuwandeln und den Raum für eigene Steuern zumindest zu erhalten. Insgesamt also eine Strategie der relativen Abkoppelung von der jährlichen staatlichen Finanzpolitik. Es w i r d zudem noch wichtig werden, sich keine Investitionen m i t hohen Folgekosten aufdrängen zu lassen, ohne dafür eine Verbesserung der Dauerzuweisungen zu erreichen. Das dürfte bei der Aufgabenfindung recht heilsam sein. M i t einer solchen Zielrichtung dürfte man anstelle des Zwanges, etwas Vorprogrammiertes mitmachen zu müssen, eine bessere Anpassung an die zeitlich und örtlich unterschiedlichen Bedürfnisse der einzelnen kommunalen Investitionsträger erreichen, selbst dann, wenn man auf etwas verzichten würde. N u r dann entsteht auch wieder Raum für eigenständige Finanzpolitik. Verlorengegangen ist die Kunst, m i t wenig Geld viel zu machen. Die i n den 50er Jahren i n „armen" Kommunen gearbeitet haben, werden das wissen.
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Zur gegenwärtigen Finanzsituation siehe Richard R. Klein und Engelbert
Münstermann,
Gemeindefinanzbericht 1979, in: Der Städtetag 1979, S. 56 ff.;
Hans Karrenberg
und Engelbert Münstermann, Gemeindefinanzbericht 1980,
in: Der Städtetag 1980, S. 73 ff.; zu Strukturfragen siehe die ersten Überlegungen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes: Anforderungen an ein kommunales Steuer- und Finanzsystem, in: Städte- und Gemeindebund 1980, S. 85 ff.
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I X . Änderung in der Organisationspolitik? oder: Ist das Einheitsdogma noch durchzuhalten? 1. Das organisatorische
Grundmodell
W i r haben für die örtliche Ebene zwei konträre Organisationssysteme in den westlichen Ländern: a) das special-district-system für gemeindeübergreifende (vor allem in den USA, aber auch in England),
Aufgaben
b) das System kommunaler Allzuständigkeit m i t Stufungsmöglichkeiten in der kommunalen Organisation, wie ζ. B. bei uns durch Gemeindeverbindungen der Ortsebene, durch Kreise und höhere Kommunalverbände. Es besteht kein Anlaß, von diesem Prinzip abzugehen, wofür sich bisher noch ein Grundkonsens bietet. Aber man kann wohl nicht darüber hinwegsehen, daß w i r trotz der Reformen vermutlich ohne weitere Sonderorganisationen nicht auskommen werden. Sie sind bei den Sparkassen, i m Versorgungs- und Verkehrsbereich, in der Datenverarbeitung, ζ. T. bei der stationären Krankenversorgung schon vorhanden. Es scheint m i r besser zu sein, nach Lösungen zu suchen, Aufgaben in kommunaler Trägerschaft zu behalten, als sie der kommunalen Selbstverwaltung entlaufen zu lassen. Hierbei w i r d auch die Funktion der sog. „höheren Kommunalverbände" zu überdenken sein. Frido Wagener hat in einem kurzen Bericht über eine Informationsreise in den USA zwar auf die „dramatische Fragmentierung" der öffentlichen Verwaltung in den Verdichtungsräumen der USA hingewiesen, aber für die dortige Entwicklung auch folgendes ausgeführt 35 : „Es w i r d allgemein angenommen, daß die Ausdehnung der special districts nach Zahl und Aufgabe nur deshalb möglich und notwendig ist, weil die zusammenfassende Behandlung der Stadt-Umlandprobleme in einer Verwaltungsorganisation bisher nicht gelungen ist." Ist dieses Problem bei uns gelöst 36 ? Die Großräume Braunschweig und Hannover sind aufgelöst. Der Stadtumlandverband Frankfurt versucht sich recht mühselig zu etablieren, der Stadtverband Saarbrücken ist eine gewagte Konstruktion, die eigentlich nur aus der Kleinheit dieses Bundeslandes zu verstehen ist. Die Umlandprobleme um Stuttgart und München sind von der Verwaltungsorganisation her kaum be35
Nicht veröffentlicht. Eine grundlegende Studie zu diesem Problemfeld hat soeben Friedel Erlenkämper unter dem Titel: Die Stadt-Umland-Problematik der Flächenstaaten der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1980 (Neue Schriften des Deutschen Städtetages, Heft 39) vorgelegt. M
7 Speyer 81
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friedigend geregelt. Bei Hamburg und Bremen bedarf es ohnehin der Staatsverträge. Ob sich die neue Ordnung i m Ruhrgebiet mit dem Kommunalverband Ruhr voll bewähren wird, das wagt dort keiner sehr optimistisch zu sehen. Vielleicht lassen sich auch bei uns solche Regionen m i t ihren vielfältigen Gegebenheiten überhaupt nicht i n multifunktionale Modelle zwingen, wohl aber ihre Aufgaben in Form von kommunalen special districts bewältigen. Das alles sind allerdings mehr erste Gedanken als schon konstruktive Überlegungen. 2. Die „Einheit
der Verwaltung"
Genauso scheint es m i t der Vorstellung von der (innerorganisatorischen) „Einheit der Verwaltung" zu sein, m i t der man einmal kritischer umgehen müßte. Wenn man unsere Großstädte ansieht, so ist die Einheit vorwiegend eine räumlich-politische und eine fiktiv-formale. Tatsächlich besteht eine relativ große Selbständigkeit der einzelnen städtischen Aufgabenträger, so daß man eher von Einheitlichkeit der politischen Willensbildung und der rahmensetzenden Steuerung als von der „Einheit der Verwaltung" sprechen kann. Es geht auch gar nicht anders, da das ohnehin schon durch zahlreiche neue Aufgaben und durch zunehmende Schwierigkeiten der zentralen Personalwirtschaft überlastete Verwaltungssystem sich allmählich intern blockieren würde, ließe man nicht die Zügel etwas lockerer. Es ist hier nicht von Preisgabe eines konstruktiven Prinzips, sondern vom Abbau von Vorurteilen gegen eine flexiblere Organisation die Rede. Großstädte gleichen mehr vielgliedrigen Konzernen als geschlossenen Betrieben; Hamburg hat soviel Mitarbeiter wie VW. Was i n der internen bürokratischen Organisation nur noch durch erweiterte Delegation zu bewältigen ist, müßte auch für die Gesamtstruktur gelten. Die Neuordnung des kommunalen Krankenhauswesens nach dem Modell des Eigenbetriebes mit verbesserter Leitungsstruktur, größerer Verantwortlichkeit der Betriebsführung und einem eigenständigen Kontrollinstrumentarium war m. E. ein richtiger Schritt, um den immerhin zwanzig Jahre lang gerungen worden ist. Er führt, da die Einheit des Haushaltes und des Personalrechts i m Prinzip nicht angetastet worden ist, keineswegs zu einer Auflösung der Gesamtorganisation, sicherlich aber — und das ist gewollt und notwendig — zu einer Aufwertung spezieller Leitungspositionen. Für die vielfältigen Aktivitäten i m städtischen Sozial- und Jugendbereich w i r d ohnehin schon gelegentlich zu Formen des Trägervereins gegriffen, um die — bürokratisch organisierte — Kernverwaltung funktional wie optisch von Bereichen des städtischen Leistungsangebots zu trennen, bei denen situative Anpas-
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sungsfähigkeit und Akzeptanz i m Vordergrund stehen. Wie soll man ζ. B. sonst der Behördenscheu, ja gelegentlich fast -feindlichkeit junger Menschen begegnen? Das einfache B i l d ineinandergreifender Hierarchien, die dann nur schwierig mit Überlastung des zentralen Steuerungsbereichs funktionieren, scheint m i r nicht mehr haltbar zu sein. Obwohl relativ wenig aus dem Ruder läuft, ist die Sorge um die Kontrollmöglichkeiten übertrieben groß. Die Organisationsprobleme der umfassenden Fachaufgaben können nicht mehr allein m i t dem Modell der klassischen Verwaltungszweige gelöst werden. Man darf i m politischen Bereich dann nur nicht eine Stelle für alles verantwortlich machen wollen. Machtausübung und Autorität i n höchst pluralen Gebilden können nicht mehr an alten Organisationsvorstellungen orientiert bleiben. Das gilt für das Verhältnis von Staat zu Kommune genauso wie innerorganisatorisch. Hierüber sollte man in den 80er Jahren nachdenken. Wer freilich der Forderung nach einer rigorosen Transparenz und nach politischem Durchgriff nachhängt, der w i r d das alles kaum verstehen.
X . Die kommunale Grundposition oder: Die Strategie praktisch gesicherter Autonomie Kommen w i r zum Kern der Überlegungen: Was ist kommunale Selbstverwaltung am Eingang der 80er Jahre, wie sieht sie sich selber und für die nahe Zukunft? Das, was bei der Betrachtung der 70er Jahre sehr i m Vordergrund gestanden hat, die Erhaltung und Weiterentwicklung einer leistungsfähigen „Umsetzungsebene zentraler Programme" 3 7 , also ein besseres Austarieren des Prinzips der Dezentralisation im Staatsaufbau, scheint heute nicht mehr so entscheidend zu sein. I m Zuge der Gebietsreform hat man wohl erkannt, daß dieser Anpassungsprozeß sich i n verschiedener Weise bewältigen ließ. Schon m i t Beginn der 70er Jahre war aber deutlich geworden, wo die größeren Gefährdungen lagen, nämlich i n den Zwängen vertikaler fachlicher Verflechtungen, der Gefahr schrumpfender „Autonomie" der Selbstverwaltung, auffällig i m Kontrast zu dem wachsenden Freiheitsraum des Bürgers. Das Ziel der Reformen, nämlich die konsequente 87 Ich darf hier auf meine Ausführungen zum Thema „Kommunale Selbstverwaltung im Staat der siebziger Jahre" im Archiv für Kommunalwissenschaften, 9. Jg. 1970, S. 218 ff. verweisen. Das ist nicht alles überholt, vor allem nicht die Forderung nach kommunalpolitischer Aktionsfähigkeit und klar definierten Aktionsräumen, aber die Akzente in der Diskussion haben sich deutlich verschoben.
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Entwicklung abgestufter Aktions- und Initiativräume i m lokalen Bereich, drohte unterlaufen zu werden. Wenn man heute die Äußerungen der Sprecher kommunaler Spitzenverbände analysiert, so w i r d ein neuer Zug kommunalen Selbstverständnisses erkennbar. Man kann ihn so formulieren: Die Sicherung der Autonomie 3 8 in der Praxis, und nicht nur de jure. Dabei w i r d zwar nicht das Ziel aufgegeben, auf Bundes- und Landesebene politisch angemessen mitzuwirken, aber gedanklich w i r d die Priorität der Eigenständigkeit wiederhergestellt. Deutlich wurde dies auf der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages i n K i e l 1979, wo eindringlich auf die politischen Gefahren einer Einengung kommunalen Handlungsspielraums 3 9 hingewiesen wurde. Für den D L T hat Karl-Heinrich Buhse40 wiederholt weniger Zentralismus gefordert, und Horst Waffenschmidt, Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, nannte vor k u r zem drei Gefährdungen der kommunalen Selbstverwaltung 4 1 : „ — Rückgang der Selbstverwaltung bei kommunalen Aufgaben — verringerte Eigenständigkeit der Finanzwirtschaft — stärkere Abhängigkeit von höheren Planungsebenen." Man könnte noch andere Signale nennen, ζ. B. den Protest der nordrhein-westfälischen Großstädte gegen A r t und Weise, wie i n Sachen Lohnsummensteuer entschieden wurde, die energische Verwahrung des Städtetages Nordrhein-Westfalen i m Februar 1980 gegen die Praxis der Kommunalaufsichtsbehörde i n Fragen der Realsteuerhebesätze 42 . Der Verkoppelung der kommunalen Politik m i t höherrangigen Entscheidungsprozessen w i r d offenbar nicht mehr das Gewicht eingeräumt 88 „Autonomie" wird hier nicht im engen Sinne der Satzungshoheit verwendet, sondern als Inbegriff für Personal-, Finanz-, Planungs-, Organisations-, Steuer- und Rechtssatzungshoheit, wie es Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, München 1977, S. 310/311 formuliert. Siehe dazu auch den Vortrag des Verf.: Autonomie als politisches Prinzip — Zur Entwicklung der Selbstverwaltung in unserer Zeit — hrsg. von der Landesplanungsgemeinschaft Westfalen, Münster 1975. Zu den Umrissen der kommunalen Autonomie hat jüngst Franz-Ludwig Knemeyer, Gewährleistung des notwendigen Handlungs- und Entfaltungsspielraums der kommunalen Selbstverwaltung (in NJW 1980, S. 1140 ff.) beachtliche Ausführungen gemacht, besonders zum rechtlichen Instrumentarium. 59 Dazu der Tagungsband „Starke Städte — lebendige Demokratie, Köln 1979 (Neue Schriften des Deutschen Städtetages, Heft 38). Neuerdings noch einmal bekräftigt durch Manfred Rommel, Die unregierbare Stadt, in: Die Zeit, Nr. 18 vom 25. 4.1980, S. 16. 40 Mehr Selbstverwaltung — weniger Zentralismus, in: Der Landkreis 1979, S. 582 ff. 41 Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung in den 80er Jahren, in: Städte- und Gemeindebund 1980, S. 37 ff. 42 A.a.O. (Anm. 23), S. 49.
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wie vor Jahren, als man die Sicherung des formalen Anhörungsrechtes i n der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien als einen großen Erfolg feierte. I m Gegenteil, die Erkenntnis setzt sich durch, — daß zur Erhaltung von Autonomie Verzichte erforderlich werden, auch gegenüber dem zentralen Angebot an Investitionsmaßnahmen, — daß Distanz von Landes- und Bundespolitik notwendig ist und daß dies kein Verstoß gegen die geltenden Grundsätze des Zusammenwirkens i m Staatsganzen ist. Kurz, es regt sich überall Widerstand und Besinnung; es gilt nicht allein Selbstbehauptung wie i n der Gebietsreform, sondern Erhaltung der Selbstbestimmung. Autonomie, das meint Eigenständigkeit bei der Wahrnehmung der Funktionen, die der kommunalen Selbstverwaltung i n der Staatsorganisation zukommen, bedeutet die drastische Reduzierung der ausufernden staatlichen M i t w i r k u n g i n kommunalen Entscheidungen auf das unbedingt Notwendige und der Verzicht auf staatliche Feinsteuerung. Daß die Gefährdung der Autonomie nicht eine Erfindung der kommunalen Spitzenverbände ist, zeigt das Urteil des Verfassungsgerichtshofes NW zur Organisationsfreiheit der Kommunen und zum ministeriellen Recht einer Abgrenzung der Einzugsgebiete kommunaler Datenzentralen mehr als deutlich 4 3 . Geben w i r es doch zu: I n den Reformen waren die Kommunen eben nicht Partner, sondern Objekte. Ihre Durchführung hat letztlich die Kommunalverwaltungen in eine Passivität gezwungen, aus der sie wieder herauskommen müssen. Das muß man aber auch besonders auf der Ebene der Länder registrieren; diese haben sich offenbar i n den letzten zehn Jahren angewöhnt, i m Bereich der Selbstverwaltung überall m i t agieren zu können, nachdem man die Gebietsstruktur hatte durchgreifend verändern dürfen. Hier w i r d ein Prozeß des Umdenkens auch i n den Parteien und i n den Wirtschafts verbänden, wichtigen Trägern eines neuen Zentralismus, erforderlich sein. Wenn Wirtschaftsverbände die Kommunen nötigen, sich an Konjunkturprogrammen zu beteiligen, obwohl dies lokal fragwürdig ist, dann mag das zwar verständlich sein, ist aber langfristig gesehen mehr schädlich als nützlich. Dieses Bekenntnis zur Vielfalt und vielleicht auch etwas Freude an der Individualität der einzelnen Kommune, das sollte die Einstellung von Bundes- und 48
In: DÖV 1979, S. 637 mit Anmerkungen von Frido Wagener. Überhaupt
scheint das Problem der Einengung der kommunalen Organisationshoheit durch die staatliche Gesetzgebung noch nicht voll ausgelotet zu sein. Eine grundlegende theoretische Arbeit zur Interpretation dieses verfassungsrechtlich relevanten Autonomiebereichs liegt seit dem Buch von Edzard SchmidtJortzig, Kommunale Organisationshoheit, Göttingen 1979 (Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien, Bd. 102) vor.
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Länderverwaltung mehr charakterisieren und wichtiger sein als die Sicherung des Durchgriffes m i t detailliert reglementierter vertikaler Kontrolle, hinter der immer so etwas wie sterile Gleichmacherei steckt. M i t erweiterten Anhörungen und ähnlichen schwachen Beteiligungsrechten ist es allein nicht getan 44 . Konkurrenz und Unterschied müssen bejaht werden. Das bedingt Vertrauen. Wer lieber zahlreiche konfliktregelnde Mechanismen einbaut, damit er sich vor enttäuschtem Vertrauen bewahrt, ist vielleicht ein guter Technokrat, ein politisch denkender Kopf ist er nicht. Man muß auch Konsequenzen daraus ziehen, daß die weitere Verrechtlichung in den Beziehungen der Verwaltungsträger keine Vorteile bringt. Das alles scheint für die 80er Jahre wesentlich wichtiger zu sein als die Findung und Übernahme neuer Aufgaben, die kaum mehr zu bewältigen sind. Daß Autonomie in den Augen des Bürgers nicht allein durch die ohnehin hervorragende Versorgungsleistung repräsentiert werden darf, ist oben m i t dem Hinweis auf Bemerkungen von Manfred Rommel angedeutet worden. W i r sollten uns bewußt den höherwertigen humanen Bedürfnissen zuwenden, ohne allerdings die zu vergessen, deren elementare Bedürfnisse bei weitem noch nicht gedeckt sind. Dabei steht natürlich die Frage i m Hintergrund, ob unsere Bürger willens sind, das zu honorieren, was die Institution der kommunalen Selbstverwaltung ihnen bietet. Aber ich möchte behaupten, daß eine Kongruenz zwischen dem Grad kommunaler Autonomie und den Identifikationsmöglichkeiten des Bürgers 4 5 i m örtlichen Raum und damit überhaupt m i t dem öffentlichen Bereich besteht. Kommunale Autonomie muß wieder voll i n ihre Rechte eingesetzt werden.
X I . Schluß Ich sagte zu Anfang, daß ich angesichts der umfassenden Problematik nur einige persönliche Beobachtungen wiedergeben möchte. Ich muß damit in Kauf nehmen, daß meine Darstellung sich sehr subjektiv anhört. Wenn man sich 30 Jahre in Praxis und Theorie mit ein und demselben Gegenstand befaßt hat, dann fällt es ohnehin schwer, die Kühle der Distanz zum Objekt zu wahren, die dem Raum der Wissenschaft angeblich angemessen sein soll. Mancher w i r d einige positive Aussagen vermissen, die zu einem Gesamtbild gehören. M i r schien es wichtiger zu sein, auf Mängel und Gefährdungen aufmerksam, zu machen, die schnell 44 Worauf Eberhard Schmidt-Aßmann, Die Stellung der Gemeinden in der Raumplanung, in: Verwaltungsarchiv 71. Bd., S. 117ff., insbes. S; 125, mit Hecht hinweist 45 Dazu Schmidt-Jortzig, a.a.O., Anm. 23. ,
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zu einem negativen Trend führen können. Aber lassen Sie mich m i t einem persönlichen Bekenntnis enden: M i r ist es beruflich vergönnt, viele kleine und größere Gemeinden und Kreise und vor allen Dingen die großen Städte unseres Landes zu erfahren und zu erleben. Ich tue dies m i t großer Freude und bin immer wieder stolz, ein Bürger der deutschen Selbstverwaltung zu sein. Ich hoffe, das geht Ihnen auch so.
Anlage 1 Veränderungen durch die Gebietsreform* Tabelle1: Zahl der Gemeinden Land Schleswig-Holstein Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Hessen Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Bayern Saarland Stadtstaaten Bundesgebiet
Zahl der Gemeinden 1968 1978
Abnahme Vo Anzahl
1378 4 231 2 277 2 684 2 905 3 379 7 077 347 4
1 132 1030 396 423 2 320 1 111 2 052 50 4
-
24 282
8 518
- 1 5 764
Tabelle 2: Strukturelle Gemeinden m i t . bis unter . . . Einwohnern
1968
unter 500 500 1 000 1 000 2 000 2 000- 5 000 5 000- 1Ò000 10000- 20 000 20 000- 50 000 50 000 - 100 000 100 000 - 200 000 200 000 - 500 000 500 000 und mehr Zusammen
246 3 201 1881 2 261 585 2 268 5 025 297
17,9 75,7 82,6 84,3 20,1 67,1 71,0 85,6
—
—
64,9
Veränderung
Anzahl
1978
1968
10 760 5 706 3 850 2 406 869 380 199 55 30 16 11
1748 1400 1631 1699 935 621 332 84 35 21 12
44,3 23,5 15,9 9,9 3,6 1,6 0,8 0,2 0,1 0,1 0,1
24 282
8 518
100
*/o
1978 20,5 16,4 19,2 20,0 11,0 7,3 3,9 1,0 0,4 0,3 0,1 100
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Tabelle 3: Zahl der Kreise und kreisfreien j
,
kreisfreie Städte 1968 1978
Schleswig-Holstein Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Hessen Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Bayern Saarland Stadtstaaten Bundesgebiet
4 15 37 9 12 9 48 1 4
4 9 23 6 12 9 25
139
92
-
4
Städte Landkreise 1968 1978 11 37 31 20 24 35 71 6a)
17 60 57 39 39 63 143 7 -
-
235a)
425
a) Einschließlich Stadtverband Saarbrücken.
Tabelle 4 a: Verwaltungsorganisation (1) Länder mit Einheitsgemeinden
Zahl
Nordrhein-Westfalen Hessen Saarland (2) Länder mit Einheitsgemeinden Verwaltungsgemeinschaften
in den Kreisen (1978)
373 Gemeinden 416 Gemeinden 50 Gemeinden und
Schleswig-Holstein
98 selbständige Gemeinden 1 028 Gemeinden in 121 Verwaltungsgemeinschaften
Niedersachsen
273 selbständige Gemeinden 744 Gemeinden in 141 Verwaltungsgemeinschaften
Rheinland-Pfalz
37 selbständige Gemeinden 2 271 Gemeinden in 164 Verwaltungsgemeinschaften
Baden-Württemberg
183 selbständige Gemeinden 918 Gemeinden in 171 Verwaltungsgemeinschaften
Bayern
740 selbständige Gemeinden 1 287 Gemeinden in 393 Verwaltungsgemeinschaften
I n S c h l e s w i g - H o l s t e i n u n d i n Hessen h a b e n a u t o m a t i s c h alle S t ä d t e m i t 20 000 b z w . 50 000 E i n w o h n e r n eine S o n d e r s t e l l u n g , f ü h r e n aber k e i n e besondere Bezeichnung. I n diese G r u p p e f a l l e n i n S c h l e s w i g H o l s t e i n 13 u n d i n Hessen 6 Städte. I n d e n a n d e r e n L ä n d e r n w i r d die
Die Gemeinden i m Staat der achtziger Jahre
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S o n d e r s t e l l u n g u n d die entsprechende B e z e i c h n u n g auf A n t r a g liehen: Tabelle 4 b: Städte nach ihrem Status Land
Bezeichnung
Baden-Württemberg Bayern Niedersachsen
Große Kreisstadt Große Kreisstadt Große selbständige Stadt Selbständige Gemeinde Große kreisangehörige Stadt Mittelstadt
Rheinland-Pfalz Saarland
ver-
Anzahl 71 24 7 21 8 3
F ü r N o r d r h e i n - W e s t f a l e n g i l t ab 1. 1. 1979 eine ä h n l i c h e Regelung. D a n a c h e r h a l t e n alle k r e i s a n g e h ö r i g e n G e m e i n d e n m i t m e h r als 60 000 E i n w o h n e r n die B e z e i c h n u n g „ G r o ß e k r e i s a n g e h ö r i g e S t a d t " u n d die m i t m e h r als 25 000 E i n w o h n e r n die der „ M i t t l e r e n k r e i s a n g e h ö r i g e n S t a d t " . N a c h d e m d e r z e i t i g e n S t a n d b e t r i f f t das 27 G e m e i n d e n m i t m e h r als 60 000 E i n w o h n e r n u n d 95 G e m e i n d e n zwischen 25 000 u n d 60 000 E i n w o h n e r n . • Aus: Beiträge zur Statistik und Stadtforschung, hrsg. vom Deutschen Städtetag, Reihe H, Heft 12/1978.
Anlage 2 Auszug aus der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung i n der Fassung der Bekanntmachung v o m 1.10.1979 (GVB1. S. 594) § 6a Pflichten der Gemeinden gegenüber ihren Einwohnern (1) Die Gemeinden sind in den Grenzen ihrer Verwaltungskraft ihren Einwohnern bei der Einleitung von Verwaltungsverfahren behilflich, auch wenn für deren Durchführung eine andere Behörde zuständig ist. Zur Rechtsberatung sind die Gemeinden nicht verpflichtet. (2) Die Gemeinden haben Vordrucke für Anträge, Anzeigen und Meldungen, die ihnen von anderen Behörden überlassen werden, bereitzuhalten. (3) Soweit Anträge beim Kreis oder beim Regierungspräsidenten einzureichen sind, haben die Gemeinden die Anträge entgegenzunehmen und unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche, an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Die Einreichung bei der Gemeinde gilt als Antragstellung bei der zuständigen Behörde, soweit Bundesrecht nicht entgegensteht. Durch Rechtsverordnung des Innenministers können Anträge, die bei anderen Behörden zu stellen sind, in diese Regelung einbezogen werden.
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erhard
a
§ 6b Unterrichtung der Einwohner (1) Der Rat unterrichtet die Einwohner über die allgemein bedeutsamen Angelegenheiten der Gemeinde. Bei wichtigen Planungen und Vorhaben der Gemeinde, die unmittelbar räum- oder entwicklungsbedeutsam sind oder das wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Wohl ihrer Einwohner nachhaltig berühren, sollen die Einwohner möglichst frühzeitig über die Grundlagen sowie Ziele, Zwecke und Auswirkungen unterrichtet werden. (2) Die Unterrichtung ist in der Regel so vorzunehmen, daß Gelegenheit zur Äußerung und zur Erörterung besteht. Zu diesem Zweck kann der Rat Versammlungen der Einwohner anberaumen, die auf Gemeindebezirke (Ortschaften) beschränkt werden können. Die näheren Einzelheiten, insbesondere die Beteiligung der Bezirksvertretungen in den kreisfreien Städten, sind in der Hauptsatzung zu regeln. Vorschriften über eine förmliche Beteiligung oder Anhörung bleiben unberührt. Ein Verstoß gegen die Sätze 1 und 2 berührt die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht.
§ 6c Bürgerantrag (1) Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Anregungen oder Beschwerden an den Rat zu wenden. Die Zuständigkeiten der Ausschüsse, der Bezirksvertretungen und des Gemeindedirektors werden hierdurch nicht berührt. Zur Erledigung von Anregungen und Beschwerden kann der Rat einen Beschwerdeausschuß bilden. Der Antragsteller ist über die Stellungnahme zu den Anregungen und Beschwerden zu unterrichten. (2) Die näheren Einzelheiten regelt die Hauptsatzung.
Aussprache zum Referat von Eberhard Laux Bericht von Rolf Maier Die Aussprache wurde von Professor Dr. Günter Püttner, geleitet.
Tübingen,
I n einem ersten Diskussionsbeitrag wurde ein Vergleich zwischen Großbritannien und der Bundesrepublik gezogen. Senior Lecturer Raymond McDermott, Polytechnic of Central London, wies darauf hin, daß entgegen früherer Praxis in Großbritannien, Orte mit 5 000 bis 10 000 Einwohnern heute keinen Rat m i t beschließenden Funktionen und keinen eigenen Haushalt mehr haben. Derartige kleine Gemeinden seien zu größeren Einheiten m i t mindestens 50 000 Einwohnern zusammengefaßt worden. Dennoch halte er die Kommunalverwaltung in Großbritannien für èffizìent, so bedauerlich die „Entmündigung" der kleinen Gemeinden, besonders i n ländlichen Gebieten auch sei. Er stellte daher die Frage, inwieweit sich die Selbstverwaltungen solcher Gemeinden i n der Bundesrepublik noch als effektiv erweisen. Wenn ja, so habe man in Großbritannien gerade auf dieser Ebene etwas an der Substanz der echten kommunalen Verwaltung verloren. Zur Schulverwaltung in Großbritannien sagte McDermott, i n seinem Land gebe es eine „Kommunale Einheit" der Schulverwaltung, eine „Dienstleistungs-Schulverwaltung". Eine Trennung zwischen inneren und äußeren Angelegenheiten in der Schulverwaltung gebe es nicht. Er stellte hierzu die Frage, ob die Schwierigkeiten, die es in der Bundesrepublik auf diesem Gebiet gebe, vielleicht auf die Trennung in staatliche und kommunale Aufgaben zurückzuführen seien. Ministerialdirigent Dr. Gerd Pflaumer, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn, widersprach den Ausführungen von Laux zum § 6 b GO NW in dreierlei Eigenschaft. Zunächst halte er die Regelungen des § 6 b als Bürger für notwendig, da es in der Mehrzahl der Gemeinden keineswegs üblich sei, die Bürger in genügendem Umfang frühzeitig über Planungen und Vorhaben zu unterrichten. Die Bestimmungen des § 6 b seien für solche Fälle durchaus ein Instrument, um frühzeitige Unterrichtung zu verlangen und um gegebenenfalls in Bürgerversammlüngen über wichtige Dinge m i t dem Gemeinderat zu reden.
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Aussprache
Zweitens hielt es Pflaumer als Organisator für empfehlenswert, Veränderungen in Organisationen erst nach möglichst frühzeitiger Konsensbildung mit den Betroffenen durchzuführen. Dieser Grundsatz sei insbesondere auch auf das Verhältnis der Gemeinde zum Hat zu übertragen. Schließlich sprach Pflaumer aus der Sicht eines Mitarbeiters des Bundespresseamtes die vor drei Jahren vom Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung über die staatliche Informationspolitik und Öffentlichkeitsarbeit gemachte Aussage an, daß es zum Grundkonsens der Demokratie gehöre, die Bürger über Planungen und Vorhaben einer staatlichen Institution frühzeitig zu unterrichten. Der Bundeskanzler habe in einer Rede zu diesem Thema einmal von einer „Bringschuld des Staates" gesprochen. Die K r i t i k an den §§ 6 a und 6 c der GO NW hielt Pflaumer dagegen für gerechtfertigt. Landrat Dr. Paul Schädler, Landkreis Ludwigshafen, ging auf die unterschiedlichen Auswirkungen der Verwaltungsreform i n den verschiedenen Bundesländern ein. Zur Information sprach Schädler den Raumordnungsverband Rhein-Neckar an, der aufgrund eines Staatsvertrages zwischen den Ländern Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz als länderübergreifender Planungsverband gegründet worden sei. Da Rheinland-Pfalz als erstes Bundesland die Territorialund Verwaltungsreform in Angriff genommen habe, sei dieses Land von allzu großen Verwaltungseinheiten verschont geblieben. I m Gegensatz zum Beispiel zu Nordrhein-Westfalen würden Städte mit 150 000 bis 160 000 Einwohnern bereits als Großstädte bezeichnet und die Durchschnittsgröße der rheinland-pfälzischen Landkreise liege bei etwa 100 000 Einwohnern. I m folgenden wies Schädler in Beantwortung der Frage McDermotts nach der Effektivität kleinerer Gemeinden, wie auch Wagener vor ihm, darauf hin, daß die Personalausstattung des ländlichen Raumes der Landkreise, der Gemeinden und der Verbandsgemeinden wesentlich sparsamer sei als die der Städte. I n den Städten seien die Reibungsverluste derart groß, daß dort ständig nach mehr Geld gerufen werde. Schädler schlug zur Effizienzerhöhung der Stadtverwaltungen die Entwicklung von Stadtkreismodellen vor, die die Stadtteile in die Position selbständiger Gemeinden bringen würde. Wenn zum Beispiel Bebauungspläne auf Stadtteilebene beschlossen werden dürften, wäre auch in den Städten die verlorengegangene Überschaubarkeit zurückzugewinnen. Die Dezentralisierung würde zu Arbeitsteilung und örtlicher Verantwortung führen, wie das auch in den Kreisen der Fall sei. Als besonders effektive Form der kommunalen Verwaltung verteidigte Schädler gegen Laux den Spezialfall der Verbandsgemeinde, einer
Aussprache
A r t kleiner Landkreise i m Landkreis. Hierzu seien selbständige Ortsgemeinden mit fest umrissenen Aufgaben zusammengefaßt, zu denen zum Beispiel das Beschließen von Bebauungsplänen gehöre. Die B i l dung von Verbandsgemeinden habe keineswegs zur Aushöhlung der Kompetenzen von Ortsgemeinden geführt. Zur Diskussion über die kommunalen Finanzen zitierte Schädler die oft gehörte Behauptung, die Städte seien die Ernährer ihrer Nachbargemeinden und diese ließen sich von den Städten aushalten. Demgegenüber stellte er fest, daß bisher nicht daran gedacht werde, den Gemeinden einen Ausgleich für die Lasten zu geben, die sie für die Städte i n ihrer Nachbarschaft zu tragen hätten. Zu nennen seien hier zum Beispiel die Bereitstellung von Freiflächen für Rheinausbau, Hochwasserschutzmaßnahmen, Straßenbau, Naherholungsgebiete und Wasserschutzgebiete. Regierungsvizepräsident Alfred Gärtner, Düsseldorf, bezeichnete die kommunale Neugliederung in Nordrhein-Westfalen als einen Triumph der Inkonsequenz. Man habe sich einer Gigantomanie der Neuordnung kommunaler Einheiten verschrieben, diese aber nicht durchgehalten. Hierbei sei nicht bewertet, ob die konsequente Durchführung des Konzeptes eine gute Lösung gewesen wäre. Er verwies i n diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, der in der Neugliederungspraxis der Bereiche Wesseling, Köln und Leverkusen kein wirkliches Ordnungsprinzip erkennen konnte. Gärtner hielt es für unwahrscheinlich, daß i n den nächsten Jahrzehnten die vollzogenen Neugliederungen rückgängig gemacht würden, da derartige Umgliederungen lediglich i n Zeitintervallen von halben Jahrhunderten vorgenommen würden. Entgegen Laux hielt er die Funktionalreform i m umfassenden Sinne für notwendig, da bei Schaffung neuer Organisationseinheiten diese auch neue Aufgaben erhalten müßten. Er stimmte aber den kritischen Anmerkungen über „pseudodemokratische Veranstaltungen" wie Bezirksvertretungen zu. Diese seien in allen kreisfreien Städten vorgeschrieben worden, hätten aber keine Kompetenzen erhalten. Gärtner warnte davor, große kommunale Einheiten zu schaffen, diese aber wieder i n kompetenzlose Untereinheiten zu gliedern, da sich solche Gremien zwangsläufig Kompetenzen nehmen würden. Genau das führe aber zum Zerfall des angestrebten Systems. I n Übereinstimmung m i t Laux kritisierte Gärtner die Bestimmungen der §§ 6 a bis c GO NW. Er halte es für falsch, basisdemokratische Spielarten einzuführen, da sie zu mangelnder Entscheidungsfreude der demokratisch legitimierten Vertreter der Gemeinwesen führten. Wenn man wirkliche Basisdemokratie einführen wolle, müsse man sich auch konse-
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Aussprache
quent für den Volksentscheid einsetzen; dies aber halte er i n der Bundesrepublik für nicht durchführbar. Die Bürgerversammlungen seien eine absolute Fehlentwicklung, da sie in Fachfragen, zum Beispiel einer Trassenführung, inkompetent seien und Bürger so meist aus persönlichen Motiven heraus abstimmten. Dies führe dazu, daß Gemeindevertreter nicht mehr bereit seien, gegen die offenbarte Meinung solcher Versammlungen zu votieren und damit Verantwortung demokratisch gewählter Gremien abgebaut werde. Professor Dr. Eberhard Laux, Düsseldorf, wandte sich i n seinen abschließenden Bemerkungen gegen eine „Regelungswut", die zu einer unüberschaubaren Flut von gesetzlichen Vorschriften führen würde. Man könne sich nicht auf der einen Seite über zu viele Gesetze beklagen, wenn man auf der anderen Seite Selbstverständlichkeiten eines demokratischen Lebens i n Gesetzen regele. A u f die Ausführungen von Gärtner bezüglich der Funktionalreform sagte Laux, daß diese, wenn sie lediglich eine Neuordnung der Aufgabenverteilung beinhalte, eine Folgemaßnahme der Gebietsreform gewesen sei und damit auch i n den diesbezüglichen Bestimmungen ihren Niederschlag hätte finden können. A n die Kreise richtete Laux i n diesem Zusammenhang die Aufforderung, ihren Gemeinden weitere A u f gaben zu übertragen. Dies würde bei den durch die Gebiets- und Funktionalreform für die Kreise hinzugekommenen Aufgaben zu einer Entlastung der Kreise führen und wäre zugleich ein kommunalpolitisch kluges wie auch verwaltungsmäßig richtiges Verhalten.
Personal- und Organisationspolitik — was geschieht ohne Dienstrechtsreform ? Von Gerhard Banner
I. Notwendigkeit einer Personal- und Organisationspolitik Wer in seiner Arbeit erfolgreich sein will, braucht eine Zielvorstellung (ein Leitbild) und einen Bestand an Grundsätzen, m i t anderen Worten: eine Politik. Fehlt diese, kann man keinen Erfolg nachweisen, aber jedes beliebige Ergebnis als Erfolg ausgeben. Die Funktionen Personal und Organisation steuern das „Innenleben" der Verwaltung und bilden die administrative Infrastruktur ihrer operativen, nach außen wirkenden Aktivitäten. I n der Kommunalverwaltung, der dieses Referat die meisten Beispiele entnimmt, sind das A u f gabenfelder wie Schule, Kultur, Soziales, Gesundheit, Stadtentwicklung, öffentliche Einrichtungen. Eine nicht voll leistungsfähige administrative Infrastruktur beeinträchtigt unvermeidlich die Wirksamkeit der operativen Aufgabenerfüllung. I n diesem Zusammenhang fällt folgendes auf: W i r sprechen völlig unbefangen von einer kommunalen Schul-, K u l t u r oder Gesundheitspolitik, messen Konzepten und politischen Leitlinien i n diesen Bereichen große Bedeutung zu und üben K r i t i k , wenn sie Mängel aufweisen oder fehlen. Ganz anders unser Sprachgebrauch bei Personal und Organisation: Der Ausdruck Organisationspolitik ist ungebräuchlich, das Wort Personalpolitik löst eher negative Assoziationen aus — Gedanken an Parteibuchwirtschaft, Ochsentour, Verwaltung als Selbstbedienungsladen der Beamten. Tatsächlich gibt es i n der heutigen Verwaltung nichts, was den Namen Personalpolitik oder Organisationspolitik verdiente. Die Funktionen Personal und Organisation — werden vorwiegend mechanistisch-instrumentell gehandhabt; — gestalten nicht, sondern verwalten; — agieren nicht, sondern reagieren; — leben konzeptionell von der Hand i n den Mund. Das Fehlen politischer Leitvorstellungen und konzeptionellen Handelns hat schwerwiegende Nachteile: Kompromisse werden an der falschen Stelle geschlossen; Schritte, die vom Pfad der Leistungsfähigkeit
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Gerhard Banner
wegführen, werden nicht als solche erkannt; organisatorische und personelle Maßnahmen behindern sich gegenseitig, statt sich zu verstärken. A l l dies beeinträchtigt den Wirkungsgrad der operativen Verwaltungsaufgaben (Sachpolitiken und -programme). Bei der grundlegenden Bedeutung der Funktionen Personal und Organisation für die Leistungsfähigkeit und Steuerbarkeit der Verwaltungsapparate ist es dringend notwendig, eine Personal- und Organisationspolitik zu entwickeln, die den gleichen Rang einnimmt wie die Sachpolitiken und den qualitativen Vergleich mit diesen nicht zu scheuen braucht. Es w i r d sich zeigen, daß die Funktionen Personal und Organisation so vielfältig aufeinander angewiesen und miteinander verzahnt sind, daß es sowohl unter Konzept- und Strategieentwicklungs- wie unter Durchsetzungsgesichtspunkten zweckmäßig erscheint, vom B i l d einer einheitlichen Personal- und Organisationspolitik auszugehen. Aus Gründen der Darstellbarkeit werden Elemente einer Personalpolitik und einer Organisationspolitik i m folgenden nacheinander zur Diskussion gestellt. Der Entwicklungsstand der Materie gestattet es nicht, fertige Rezepte zu liefern; es können nur holzschnittartig Probleme konturiert und Strategieansätze aufgewiesen werden.
II. Elemente einer Personalpolitik I. Ziel der Personalarbeit Die meisten Praktiker empfinden die Formulierung personalpolitischer Leitlinien als schwierig, wenn nicht unmöglich. Das hängt u. a. damit zusammen, daß das Oberziel der Personalarbeit i m Bewußtsein der Praxis unklar ist. SoH eine Personaldienststelle i n erster Linie — die Mitarbeiter rechtlich richtig behandeln? — eine qualifizierte Personalfürsorge betreiben? — möglichst viel Leistung aus den Mitarbeitern herausholen? — dafür sorgen, daß sie sich im Sinne der Verwaltungsziele verhalten? — ihr Potential entwickeln? Fragt man Führungskräfte in Personaldienststellen der Verwaltung nach dem primären Ziel der Personalarbeit, so kann man durchaus die A n t w o r t bekommen: „Das gesamte Personal der Behörde zentral verwalten." Personal Wirtschaft spiegelt sich in dieser und ähnlichen A n t worten als eine A r t „menschliche Materialwirtschaft" wider. W i r d i m weiteren Verlauf der Diskussion die Zielformulierung vorgeschlagen: „ I m Interesse der Leistungsfähigkeit der Verwaltung — auch gegen-
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über den Bürgern — alles tun bzw. fördern, was dazu beiträgt, das menschliche Potential der Verwaltung optimal zu entwickeln und zu nutzen und dabei die größtmögliche Übereinstimmung zwischen den Zielen der Verwaltung und denjenigen der Mitarbeiter herbeiführen", entsteht regelmäßig ein dankbares Aha-Erlebnis. Aber sogleich kommen Zweifel auf, ob sich ein so „hoher" Anspruch zur zentralen Steuerungsidee der praktischen Personalarbeit machen läßt. Das personelle Feld der Verwaltung gilt für viele als rechtlich zementiert und einer Dynamisierung kaum zugänglich. Personalarbeit scheint sich i n Personalsachbearbeitung, d. h. i n der Anwendung öffentlichen Personalrechts auf die Mitarbeiter, zu erschöpfen. Daß sie die Aufgabe haben könnte — selbstverständlich unter voller Beachtung der rechtlichen Vorgaben —, aktiv Verwaltungsprobleme zu lösen, ist ein ungewohnter Gedanke. Dennoch gibt es Anlaß zu vorsichtigem Optimismus. Nicht nur die Fachdienststellen, sondern auch viele Mitarbeiter i n Personalstellen betrachten die heutige, einseitig verwaltende Personalarbeit m i t Unbehagen. Sie haben häufig das Gefühl, das Gegenteil von dem zu tun, was sie eigentlich tun müßten, spüren das Dilemma und suchen nach Möglichkeiten der Abhilfe. I n Seminaren zu diesem Thema fällt es nicht schwer, sie davon zu überzeugen, daß es auch i m Personalwesen Spielräume für Veränderungen gibt, die man nutzen und erweitern kann 1 . Dazu später Beispiele.
2. Zentralproblem
Mitarb eiter führung
Der menschliche „Produktionsfaktor" ist bei weitem der teuerste, empfindlichste, am schwersten zu handhabende und zu reproduzierende. Geld oder Grundstücke kann man verwalten, Menschen begehren auf, wenn sie das Gefühl haben, bloß verwaltet zu werden. Sie wollen — und brauchen — affektive Sicherheit i n Form von Anerkennung und K r i t i k , Zuwendung, Verständnis, Anleitung, Führung, aber auch Selbständigkeit, Selbstverantwortung und Mitwirkung. Die größte Crux, aber auch 1 Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) veranstaltet neuerdings für die ihr angeschlossenen Städte, Gemeinden und Kreise eine Seminarreihe „Personalwirtschaft". Gegenstand der einwöchigen Seminare sind die Lerneinheiten Personalplanung, Personalführung, Personalbeurteilung, Personalauswahl, Fortbildung, Personalpolitik. Seminarziel ist, ein personalpolitisches Gesamtkonzept gemeinsam zu entwickeln. Die Veranstaltungen — höchstens 18 Teilnehmer — sind mitarbeitsintensiv und bewußt strategieorientiert. Die Verwaltungen entsenden den Beigeordneten oder den Leiter und einen weiteren Mitarbeiter des örtlichen Personalamts. So wird der Vereinzelung nach Rückkehr an den Arbeitsplatz entgegengewirkt und die Umsetzung des Gelernten gefördert.
8 Speyer 81
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die größte Leistungsreserve und Verbesserungschance i m Personalwesen der Verwaltung liegt i n der Mitarbeiterführung, d. h. i m Verhältnis der Vorgesetzten zu ihren Mitarbeitern. Daher sollen die Argumente zum Thema Personalpolitik auf diesen Punkt konzentriert werden. Welche Aufgaben und Pflichten hat ein Vorgesetzter gegenüber seinen Mitarbeitern? Er soll sie — unter anderem — einweisen und anlernen, ihnen Aufgaben stellen, Arbeitsziele setzen und sie zu deren Erreichung motivieren. Er soll ihnen die Chance geben, etwas zu leisten und zu zeigen, was sie können. Er soll anerkennen, kritisieren, beraten, ansprechbar sein. Er soll die Mitarbeiter zur Zusammenarbeit m i t anderen Stellen der Verwaltung anhalten, und er soll berufliche Entwicklungsmöglichkeiten m i t ihnen erörtern. Obwohl über die Vorgesetztenpflichten weitestgehende Einigkeit besteht, zeigt die Beobachtung, daß die meisten Vorgesetzten sie unzureichend wahrnehmen. Die fachliche Arbeit dominiert und drängt die persönliche Beziehung häufig i n den Hintergrund. Mitarbeiterführung ist weithin versachlicht, ja bürokratisiert. Dafür einige Beispiele: — Nachwuchskräfte werden i n den Dienststellen, denen sie zugewiesen werden, m i t der linken Hand ausgebildet. — Neue Mitarbeiter werden unzureichend i n ihren Arbeitsplatz eingewiesen. — Anerkennung und K r i t i k werden gar nicht oder in übertriebener Form ausgesprochen. — Es w i r d viel geschrieben und ziemlich wenig miteinander geredet. — Leistungsbeurteilungen werden fast immer „geschönt", ein Beurteilungsgespräch findet, wenn überhaupt, nur als oberflächliche Pflichtübung statt. — Vorgesetzte geben erkennbar aussichtslose oder unberechtigte A n träge von Mitarbeitern, über die sie nicht selbst zu entscheiden haben, kommentarlos oder gar befürwortend an die Personalstelle weiter. (Ganz schlimm ist, wenn sie anschließend dort anrufen und die Ablehnung des Antrags nahelegen, da sie ihn nur pro forma weitergegeben hätten.) Solche Verwaltensweisen sind, m i t Ausnahme der pathologischen Variante der letzten, i n der Verwaltung an der Tagesordnung. Warum ist das so? I n zahlreichen Untersuchungen ist festgestellt worden, daß Vorgesetzte und Mitarbeiter oft so wenig Kontakt miteinander haben, daß sie sich kaum kennen. Der dienstliche Verkehr w i r d auf ein M i n i m u m beschränkt. Als Begründung führen die Vorgesetzten vor allem die Überlastung m i t den als vordringlich angesehenen Sachaufgaben ins Feld. Das führt zu einem circulus vitiosus. Aus Kontakt-
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entwöhnung w i r d Kontaktscheu, die bis zu einer A r t Berührungsangst gehen kann: Der Vorgesetzte fürchtet, i n eine Diskussion über Probleme des Mitarbeiters gezogen zu werden, in der ihm die Argumente ausgehen könnten, weil er vom Mitarbeiter und seiner Arbeit zu wenig weiß. I n der Vermeidung ernsthafter Beurteilungsgespräche zeigt sich die Wirkung dieses Mechanismus besonders drastisch. Gelegentlich stößt man auf die Behauptung, i n der Verwaltung werde autoritär geführt. Wie wenig haltbar solche Feststellungen sind, zeigt das soeben geschilderte, unglaublich weit verbreitete Verhaltensmuster. Die wirkliche Krankheit der Verwaltung heißt Nichtführung, ihre U r sache ist Unsicherheit. Führung w i r d i n der Verwaltung weithin abgelehnt, von oben eher noch stärker als von unten. Die Vorgesetzten fühlen sich zuerst als Fachleute. Soweit Führungsdenken bei ihnen vorhanden ist, entfernt es sich vom Bezug auf die Person des Mitarbeiters und konzentriert sich auf organisatorische und strukturelle Lösungen, etwa nach dem Schema: „Warum soll ich Nachwuchskräfte ausbilden, das ist doch Sache des Personalamts", oder „Soll doch das Personalamt die unangenehmen Entscheidungen allein treffen, wie kommt es dazu, von m i r eine Stellungnahme zu verlangen?" Wo w i r Schwierigkeiten mit einer anderen Person bekommen, suchen w i r nach organisatorischen Lösungen, die uns von dieser Person abschirmen, oder w i r beantragen beim Personalamt, den Mann zu versetzen 2 . A n das nächstliegende, daß nämlich der Mitarbeiter i m Normalfall an Spannungen ebenso wenig interessiert ist wie der Vorgesetzte, w i r d of nicht gedacht. Doch ist ein klärendes Gespräch natürlich um so schwieriger, je weniger Kontakt beide zuvor miteinander hatten. Diese Darstellung mag bei der bewußten Beschränkung auf negative Verhaltensbeispiele etwas einseitig geraten sein. Ich behaupte nicht, die Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehungen seien i n der öffentlichen Verwaltung generell i n einem desolaten Zustand. Andererseits läßt sich kaum bestreiten, daß die Chancen, die i n der Mobilisierung dieser Be2
Dies ist kein Plädoyer an die Vorgesetzten, sich „zusammenzureißen" und wieder — wie in früheren Zeiten — markant zu führen. Was der Verwaltung nottut, ist mitarbeiterbezogene, nicht führerbezogene Führung. Aber sie braucht mehr bewußte Führung — und gleichzeitig mehr Selbständigkeit, Selbstverantwortung und Partizipation (an der richtigen Stelle) auf der M i t arbeiterseite! I n der Balance zwischen diesen nur auf den ersten Blick widersprüchlichen Postulaten liegt die größte Herausforderung an das innere System der Verwaltung in den kommenden Jahren und zugleich die einzige ernsthafte Chance, die Verwaltung zu dynamisieren und zu „entbürokratisieren". Das Fehlen einer gefestigten, zeitgemäßen Führungsphilosophie und das daraus folgende Fehlen einer Führungsausbildung wirkt sich sehr nachteilig aus. Es macht für die Leistungsfähigkeit der Verwaltung einen erheblichen Unterschied, ob ihre Führungskräfte reiten lernen oder ob sie im behördlichen Sozialisationsprozeß nur erfahren, wie man sich erfolgreich auf dem Pferd festhält. 8*
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Ziehung liegen, von der Verwaltung nicht wahrgenommen werden. Die Versachlichung und Bürokratisierung der persönlichen Beziehungen, zu der w i r es weithin haben kommen lassen, verschüttet wichtige Motivations- und Leistungsreserven. Daher muß alles getan werden, um die i m Wertsystem vieler Verwaltungsangehöriger verwurzelte Nachrangigkeit der persönlichen Beziehungen gegenüber den Fachaufgaben zu beenden und das schwierige Geschäft der Mitarbeiterführung sozial aufzuwerten 3 . Anhand zweier Beispiele w i r d i m folgenden illustriert, wie man ansetzen könnte, u m die häufig blockierte Führungsbeziehung wieder verfügbar zu machen und damit das zentrale Hemmnis für Leistung und persönliche Entwicklung der Mitarbeiter zu beseitigen. a) Beispiel 1: Mitarbeiterbeurteilung Die Personaldienststellen i n der öffentlichen Verwaltung klagen vielfach darüber, daß die Leistungsbeurteilungen als Hilfsmittel für Personalsteuerungsentscheidungen kaum verwendbar sind. Ihre Ergebnisse sind regelmäßig „geschönt". Die weitgehende Unbrauchbarkeit der Leistungsbeurteilung hat folgende Ursachen: — Wie w i r gesehen haben, besteht zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter oft wenig Kontakt. Das Führungsverhältnis tendiert zur Bürokratisierung und ist häufig blockiert. Eine offene Erörterung der Leistung — vor allem der Leistungsmängel — ist unter solchen Umständen nicht möglich. — Der weitgehend auf freiwillige Unterstützung seiner Mitarbeiter angewiesene Vorgesetzte möchte das gegenseitige Verhältnis nicht durch K r i t i k „belasten". — Der objektiv urteilende Vorgesetzte, der genau weiß, daß viele seiner Kollegen dies „lockerer" sehen, muß davon ausgehen, daß er seinen Mitarbeitern Karrierenachteile zufügt. — Der Vorgesetzte selbst w i r d nicht nach der Qualität der von i h m abgegebenen Beurteilungen beurteilt. Fehlbeurteilungen (ζ. B. Wegloben) sind für ihn ohne Risiko. Wie zahlreiche Erfahrungen gezeigt haben, ist die psychologische Barriere, die objektiven Leistungsbeurteilungen i m Weg steht, so hoch, daß s Der hier nur skizzierte Sachverhalt ist für den Bereich der Bundeswehr in der Studie „Führungsfähigkeit und EntscheidungsVerantwortung in den Streitkräften" (Bericht der de Maizière-Kommission, hrsg. vom Bundesminister der Verteidigung, Bonn 1979) in seinen Verzweigungen und Konsequenzen dargestellt. Es handelt sich um ein Problem unserer Gesellschaft; daß es auch in der öffentlichen Verwaltung wiederkehrt, überrascht daher nicht.
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kurzfristig weder m i t der Rationierung der überdurchschnittlichen Beurteilungen („Zwangsgauß") noch m i t einem Training der Vorgesetzten in der Praxis der Mitarbeiterbeurteilung dagegen anzukommen ist. Läßt sich diese ungünstige Ausgangssituation dennoch in personalpolitischen Gewinn ummünzen? Bekanntlich kann die Leistungsbeurteilung für zwei verschiedene Zwecke genutzt werden: — als Entscheidungshilfe für die Personalsteuerung — als Führungs- und Kommunikationsmittel. Wie w i r gesehen haben, fällt sie i n der ersten Funktion infolge der Tendenz zur Positivverschiebung ζ. Z. praktisch aus. Indem w i r die Steuerungsfunktion aber, sozusagen „gegen den Strich", zur Hauptfunktion deklarieren, machen w i r die Leistungsbeurteilung gleichzeitig unbrauchbar für ihre Funktion als Führungsmittel. Ein Beurteilungswesen kann nämlich nicht beide Zwecke gleichzeitig befriedigend erreichen. Es liegt unter diesen Umständen nahe, die Leistungsbeurteilung schwerpunktmäßig als Führungs- und Kommunikationsmittel auszubauen. A n diesem Punkt lohnt die Mühe, denn eine verbesserte M i t arbeiterführung schlägt für die Leistungsfähigkeit der Verwaltung erheblich stärker zu Buche als die millimeterweise Verbesserung eines i n seiner Aussagekraft dennoch stets bezweifelbaren Teil-Informationssystems für Personalentscheidungen. Die Leistungsbeurteilung könnte dann etwa so aussehen: Die Vorgesetzten vereinbaren m i t ihren M i t arbeitern Arbeitsziele. Über die dienstlichen Aufgaben w i r d ständig gesprochen. Daher ist das i n regelmäßigen Zeitabständen erfolgende Beurteilungsgespräch, das i m Kern ein Beratungs- und Förderungsgespräch ist, kein einmaliges herausragendes und peinliches Ereignis mehr. I n ihm w i r d anhand der vereinbarten Arbeitsziele und einer Checkliste (Beurteilungsbogen) der Leistungserfolg der zurückliegenden Periode besprochen und in wesentlichen Zügen festgehalten. Das Ergebnis geht an die Personaldienststelle. Diese weiß, daß hier ein kritischer Punkt liegt und macht daher deutlich, daß der Beurteilung nur untergeordnete Bedeutung für Personalentscheidungen (in erster Linie Beförderungen) zukommt. Ausschlaggebend für die Karrieresteuerung ist ein Bewerberauswahlverfahren, dessen Kernelement ein Auswahlgespräch ist. Die Personaldienststelle kann noch einen Schritt weitergehen und völlig auf die Übermittlung der Leistungsbeurteilung verzichten. Das braucht ihr nicht schwerzufallen, denn es ist erwiesen, daß die Leistung eines Mitarbeiters auf seinem derzeitigen Arbeitsplatz kaum Rückschlüsse auf seine Bewährung auf einem andersgearteten Dienstposten
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zuläßt. Die Leistungsbeurteilung würde i n diesem Fall i n der Hand des beurteilten Mitarbeiters bleiben. Formalisierte Informationen zur Personalsteuerung kann die Personalstelle aus einer besonderen Befähigungsbeurteilung gewinnen. Diese hat nicht den am bisherigen Arbeitsplatz erreichten Erfolg des Mitarbeiters zum Gegenstand, sondern seine Befähigung, d. h. sein Leistungsvermögen. Sie enthält also Informationen, die eine Prognose erlauben, auf welchen Arbeitsplätzen der M i t arbeiter in Zukunft erfolgreich sein könnte. Bewertet werden nicht, wie bei der Leistungsbeurteilung, Arbeitsgüte, Arbeitsmenge, Arbeitsweise usw., sondern beobachtbare Merkmale wie Lernfähigkeit, Aufgeschlossenheit für nicht erlernte Fachgebiete, Überblick, Einfallsreichtum, Organisationsfähigkeit, konzeptionelles Arbeiten, Kontaktfähigkeit, Fähigkeit zur Gruppenarbeit, Verhandlungsgeschick, Initiative, Beharrlichkeit, Belastbarkeit usw. Die Befähigungsbeurteilung sollte — i m Einklang m i t der Empfehlung der Dienstrechtskommission — kein Gesamturteil enthalten und damit der Tatsache Rechnung tragen, daß die Mitarbeiter verschiedenste, i n unterschiedlichem Maße ausgeprägte Fähigkeiten haben. Die Aussichten, als Entscheidungshilfe geeignete Befähigungsbeurteilungen zu gewinnen, sind durchaus gut, denn — die Befähigungsbeurteilung als solche ist zunächst ohne Aussagekraft. Sie gewinnt ihren Inhalt und ihr Gewicht erst i m Vergleich m i t den Anforderungsmerkmalen einer Stelle, deren Besetzung mit dem Beurteilten erwogen wird; — dieses Stellen-Anforderungsprofil ist i m Zeitpunkt der Abgabe der Befähigungsbeurteilung i n der Regel noch nicht bekannt; — daher w i r d meist weder ein Anlaß noch die Möglichkeit bestehen, die Beurteilung zu „schönen". W i r d die Mitarbeiterbeurteilung, i n der geschilderten Weise vorwiegend (Leistungsbeurteilung) oder ausschließlich (Befähigungsbeurteilung) als Führungs- und Kommunikationsmittel benutzt, besteht die Chance, daß i n der Verwaltung allmählich — das heute so häufige Versteckspiel zwischen Beurteiler und Beurteiltem beendet w i r d ; — der Mitarbeiter erfährt, was sein Vorgesetzter von ihm hält; auf diese Information hat er Anspruch, und er bedarf ihrer für seine affektive Sicherheit; — die gegenseitigen Beziehungen offener werden und K r i t i k wie A n erkennung entspannter geäußert und entgegengenommen werden k ö n n e n — ü b r i g e n s i n beiden Richtungen; — die Leistungsbeurteilung zur Förderung des Mitarbeiters genutzt werden kann, ζ. B. bei der Erkennung eines Fortbildungsbedarfs.
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I m Beurteilungswesen liegt also ein „Hebel" zur Verbesserung der Mitarbeiterführung, den zu nutzen sich lohnt. Ein weiterer Hebel w i r d nachfolgend skizziert. b) Beispiel 2: Führungskräfteauswahl I n der öffentlichen Verwaltung sind ständig Führungs- (Vorgesetzten-)positionen zu besetzen. I n den dazu erforderlichen Auswahlvorgängen ist es üblich, die Kandidaten vorwiegend unter fachlichen Gesichtspunkten miteinander zu vergleichen. Die Qualität jedes Auswahlvorgangs hängt davon ab, daß die Entscheider die richtigen Fragen stellen. Da die Leistung einer Führungskraft nicht i n erster Linie von ihrer Fachkenntnis, sondern von ihrer Führungsbefähigung bestimmt wird, müssen bei der Auswahl vor allem diesbezügliche Fragen gestellt werden. So kann die Qualität der Mitarbeiterführung in einer Behörde allmählich verbessert werden. Der potentielle Führungsnachwuchs, aber auch manche Fachdienststelle, w i r d den Übergang zu einer ausdrücklichen Betonung der Führungsbefähigung bei der Vorgesetztenauswahl als einschneidende Änderung bisheriger „Spielregeln" empfinden. Das kann vorübergehend zu Widerständen führen, die sich jedoch minimieren lassen, wenn der neue Standard zunächst bei den Mitarbeitern eingeführt wird, die schon Vorgesetzte sind und deren weitere Beförderung zur Diskussion steht. Die dadurch i m Verwaltungsapparat gesetzten Normen werden bald nach unten auf die Fälle der erstmaligen Ernennung von Mitarbeitern zu Vorgesetzten und auf die Beförderungsgrundsätze insgesamt durchschlagen. Nachfolgend eine Auswahl von Fragen, die zur Ermittlung der Führungsbefähigung sinnvoll gestellt werden können (welche dieser Fragen tatsächlich gestellt werden, muß nach den Anforderungen der zu besetzenden Stelle i m Einzelfall entschieden werden): — Hat sich der zu Befördernde auf mehreren verschiedenartigen A r beitsplätzen bewährt? — Hat er seinen Bereich gut organisiert? — Hat er bei Aufgabenzuwachs sofort nach mehr Personal gerufen oder zuerst alle internen Möglichkeiten seines Bereichs ausgeschöpft? — Sind aus seinem Bereich überdurchschnittlich viele Verbesserungsvorschläge gekommen? — Hat er es verstanden, sich i n schwierigen Situationen durchzusetzen? — Hat er andere Verwaltungsbereiche offen informiert und gut m i t ihnen zusammengearbeitet? — Hat er wirksame Dienstbesprechungen abgehalten? — Hat er etwas von seinen Mitarbeitern verlangt?
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— Hat er Arbeitsziele m i t ihnen vereinbart? — Hat er m i t seinen Mitarbeitern offene Beurteilungsgespräche geführt? — Hat er seine Mitarbeiter gefördert? Wieviele von ihnen sind beruflich weitergekommen? — Hat er gezeigt, daß er wirksam mit Gruppen arbeiten kann? — Hat er sich erfolgreich bemüht, erstklassige Mitarbeiter zu gewinnen? (First-class men hire first-class men, second-class men hire third-class men.) — Hat er sich bei Bürgern, Klienten usw. Ansehen erworben? — Hat er, falls er i n einer politiknahen Stelle tätig werden soll, die Fähigkeit erkennen lassen, wirksam m i t der Politik zusammenzuarbeiten? (Zu dieser Frage später mehr.) Die bloße Tatsache, daß führungsrelevante Kriterien Einfluß auf die Besetzung von Vorgesetztenstellen haben, tut bereits ihre Wirkung. Die Verwaltung schafft damit Klarheit über die Richtung des Führungsverhaltens, das sie von ihren Vorgesetzten erwartet, d. h. belohnen wird. Dadurch schafft sie Anreize, die das erwartete Verhalten zunehmend wahrscheinlich werden lassen. I n dem Maße, i n dem die Verwaltungsspielregel „befördert wird, wer nicht negativ aufgefallen ist", ersetzt w i r d durch die neue Spielregel „befördert w i r d nur, wer die Ziele der Verwaltung aktiv fördert", findet bei den Vorgesetzten und beim Führungsnachwuchs eine Umorientierung statt, die der Leistungsfähigkeit der Verwaltung zugute kommt. Von entscheidender Bedeutung ist, daß die Auswahl von Vorgesetzten i n einem überzeugenden und von der Verwaltung akzeptierten Verfahren getroffen wird. Ein solches Verfahren kann nach heute überwiegender Anschauung nicht von einer Einzelperson, sondern muß von einer Kommission gehandhabt werden; ihr gehören üblicherweise mindestens der Leiter der Fachdienststelle, in der die Stelle zu besetzen ist, und der Leiter oder Vertreter der Personaldienststelle an, häufig auch ein Mitglied des Personalrats. Es sollte eigentlich keine Meinungsverschiedenheiten mehr darüber geben, daß Vorgesetztenstellen, zumindest in großen Verwaltungen, grundsätzlich auszuschreiben sind. Die Ausschreibung muß die wesentlichen, die Stelle prägenden Anforderungsmerkmale („Anforderungsprofil") enthalten, damit sich die geeigneten Bewerber angesprochen fühlen und ungeeignete sich möglichst nicht bewerben. Der Praxis bereitet die Formulierung von Anforderungsmerkmalen noch Schwierigkeiten. Wichtig ist, daß das „Anforderungsprofil" von der Kommission, die die Auswahlentscheidung vorbereitet und von dem Vorgesetzten, der sie endgültig trifft, gemeinsam getragen wird. Der Idealfall wäre,
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daß dieser Personenkreis das Profil gemeinsam erarbeitet. I m Regelfall w i r d es jedoch von der Fachdienststelle entworfen, vom Personalamt überprüft und dann in der Kommission erörtert, um so die notwendige gemeinsame Verständnisbasis zu schaffen. Das Anforderungsprofil w i r d also ad hoc erstellt und nicht, wie die Dienstrechtsreformkommission vorgeschlagen hat, ein für allemal für sämtliche Planstellen erarbeitet und ständig auf dem Laufenden gehalten. Letzteres wäre m i t einem völlig unvertretbarem Verwaltungsaufwand verbunden, denn die A n forderungsprofile der meisten Stellen sind einer ständigen Veränderung unterworfen. Es genügt vollkommen, wenn das Anforderungsprofil i m Zeitpunkt des Freiwerdens einer Stelle von den Entscheidern formuliert wird. U m die notwendige Detailinformation über die Stelle zu gewinnen, kann es zweckmäßig sein, den derzeitigen oder früheren Inhaber der Stelle zu den Anforderungen zu befragen. Diese Anforderungsmerkmale müssen nun von der Kommission m i t dem „Befähigungsprofil" der Bewerber verglichen werden. Sofern es Befähigungsbeurteilungen gibt, können sie herangezogen werden. Die darin enthaltenen Informationen reichen jedoch zur Urteilsbildung nicht aus. Die Auswahlkommission muß also das Befähigungsprofil der Bewerber ergänzen, i. d. R. jedoch von Grund auf ermitteln. Das geschieht in dem gut vorbereiteten und strukturierten Auswahlgespräch 4. A n schließend muß die Kommission zur Abrundung ihrer Information die Vorgesetzten der Bewerber zu deren Befähigung, aber auch zur Leistung auf dem derzeitigen Dienstposten hören. I n diesem Zusammenhang sind auch die oben erwähnten „Führungsfragen" zu stellen und zu diskutieren. Ein Kurztraining der Kommissionsmitglieder i n Interviewtechnik ist auf Dauer unerläßlich. Dieses Verfahren ist aufwendig, aber der Aufwand ist gerechtfertigt. Nichts kommt die Verwaltung und die Steuerzahler teurer zu stehen als die Fehlbesetzung einer Führungsposition. Daher müssen w i r auf die Auswahl der Führungskräfte wesentlich mehr Zeit und Sorgfalt verwenden, als w i r das heute tun. I n dem Maße, i n dem sich ein Verfahren der skizzierten A r t einspielt, wächst die Zahl der Führungskräfte i n den Fachdienststellen, die daran als Betroffene oder Entscheider beteiligt waren, so daß die der Führungsauslese zugrundeliegenden Kriterien und Wertvorstellungen sich fortschreitend i n der Verwaltung verbreiten und das Führungsverhalten beeinflussen.
4 Ein Verfahren dieser Art hat die KGSt vor kurzem ihren Mitgliedern empfohlen (KGSt-Bericht Nr. 3/1980, Personalauswahl: Besetzung einzelner Stellen).
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c) Personalentscheidungen und Parteipolitik A n dieser Stelle ist etwa der Einwand fällig: „Das ist doch gar nicht zu schaffen, denn die interessanten Stellen werden bekanntlich nach ganz anderen, meist parteipolitischen Gesichtspunkten besetzt." Dieser Einwand beschreibt zweifellos eine verbreitete Realität, wenn auch die Verhältnisse von Kommunalverwaltung zu Kommunalverwaltung sehr verschieden sind. Die Schlußfolgerung, eine Verbesserung der Situation sei ein hoffnungsloses Unterfangen, ist jedoch voreilig. I n letzter Zeit mehren sich die Fälle, i n denen die Förderer der Ämterpatronage i n den politischen Vertretungen und den Verwaltungsapparaten m i t den von ihnen geschaffenen Zuständen nicht mehr recht glücklich sind und Einkehr üben. Da dieses Nachdenken nicht öffentlich, sondern i m stillen Kämmerlein stattfindet, ändert sich nichts, denn i n diesem Bereich setzen sich Verbesserungen nur durch, wenn die Verwaltung sie aktiv betreibt. Der erfolgversprechendste Anlaß zum Tätigwerden sind Pannen, d. h. offensichtliche Fehlbesetzungen mit parteipolitischem Hintergrund. Verbesserungen setzen die Auflockerung bestimmter festgefahrener Anschauungen i m Verwaltungsapparat und i n der politischen Vertretung voraus und bedürfen der Überzeugungsarbeit. Von der Entblockierung von Verwaltungsanschauungen war bereits die Rede. Darauf w i r d später noch eingegangen. A n dieser Stelle nur folgendes: Wenn Verwaltungsführung, Personalamt und Personalrat sich einig sind, die Auswahl von Führungskräften — und damit zwangsläufig die Personalauswahl insgesamt — i n der oben skizzierten A r t zu verbessern, ist die für eine Zustandsveränderung erforderliche „kritische Masse" vorhanden. Bei konsequentem Vorgehen ist die Veränderung dann i n die Praxis umsetzbar und w i r d auch von der politischen Vertretung nicht ernsthaft i n Frage gestellt werden, selbst dann nicht, wenn diese rechtlich die letzte Entscheidung hat. Natürlich steigt die Erfolgschance einer Spielregeländerung, wenn es gelingt, die politische Vertretung von vornherein zu überzeugen. Welche Chancen hat eine Überzeugungsstrategie? Zur Beantwortung dieser Frage ist es hilfreich, einen Seitenblick auf die Funktion der Ämterpatronage zu werfen. Ohne Zweifel gibt es Kommunalpolitiker, die unfähige Beamte für geleistete Parteidienste m i t einer Beförderung belohnen wollen und denen es gelingt, dafür eine politische Mehrheit zu finden. Nach meiner Erfahrung ist das jedoch eher die Ausnahme. Der häufigere Grund für Patronage ist folgender: Die Politiker fühlen sich — zu Recht oder zu Unrecht — unter dem Druck der Bürgerwünsche und -erwartungen. Da diese letztlich nur vom Verwaltungsapparat befriedigt werden können, ist den Politikern i m höchsten Maße an einer
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„responsiven", i n bezug auf den Bürger sensiblen Verwaltung gelegen. Die politische Vertretung, die i m Kommunalbereich das oberste Verwaltungsorgan ist, kann i m übrigen beanspruchen, daß die Verwaltung entsprechend dem politischen Willen „mitzieht". Da die Politiker eine politisch sensible und reagible Verwaltung nicht auf direktem Weg erzeugen können, suchen sie nach einem „funktionalen Äquivalent", d. h. nach einer Möglichkeit, den gewünschten Zustand auf andere Weise zu erreichen. Als funktionales Äquivalent bietet sich die Besetzung von Verwaltungspositionen m i t Parteifreunden an. Da andere Möglichkeiten nicht auf Anhieb ersichtlich sind, glauben die Politiker, auf Ämterpatronage angewiesen zu sein. Es geht i n Wirklichkeit nicht primär um den Parteifreund, sondern um den „Mann, m i t dem man arbeiten kann", der nicht ständig m i t verwaltungsegozentrischen, bürokratischen, bürgerfernen, kurz: „beamtenhaften" Vorlagen und Bedenken Hindernisse, Pannen und politische Rückschläge produziert. Die meisten Politiker wissen sehr genau, daß der richtige Mann durchaus nicht immer der Mann mit dem „richtigen Parteibuch" ist. Oft ist es ein Mann ohne Parteibuch oder m i t einem anderen Parteibuch. Aber an den eigenen Parteifreund kommt man leichter heran, ihn kann man fördern, ohne i m eigenen Lager Reputationsnachteile zu erleiden. Sind die vielen Mißverständnisse i m Zusammenhang m i t politischer Patronage erst einmal ausgeräumt, liegt für eine Verwaltungsführung, die das schwierige Geschäft der Personalauswahl stärker zur Verbesserung der Funktionstüchtigkeit der Verwaltung nutzen w i l l , die Folgerung eigentlich auf der Hand: Sie muß bei ihren eigenen Personalentscheidungen und bei der Vorbereitung von Personalentscheidungen für die politische Vertretung sicherstellen, daß politiknahe Dienstposten m i t Personen besetzt werden, die ihnen nicht nur fachlich und führungsmäßig gewachsen sind, sondern die auch die politischen Bezüge ihrer Arbeit überblicken und i n der Lage sind — selbstverständlich i m Rahmen des geltenden Rechts, i n Loyalität gegenüber ihren Vorgesetzten und unter voller Beachtung wichtiger Verwaltungspositionen — erfolgreich m i t der Politik zusammenzuarbeiten. Es ist daher unverzichtbar, daß bei der Besetzung politiknahner Führungsstellen, wie oben bei den „Führungsfragen" ausgeführt, auch nach der politischen Kompetenz der in Betracht kommenden Bewerber gefragt wird. Bei politiknahen Stellen ist diese Bestandteil der fachlichen Eignung. M i t dem Besitz eines Parteibuches, das dürfte deutlich geworden sein, hat sie wenig oder nichts zu tun. Der Anreiz zur politischen Patronage schwindet in dem Maße, i n dem die Verwaltung die politische Vertretung von der Güte ihres Personalauswahlmodus überzeugen kann. Umgekehrt: Verletzt die Verwaltungsführung ihre Pflicht zur sachgerechten Personalsteue-
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rung durch Passivität, braucht sie sich nicht zu wundern, wenn in das von ihr geschaffene Vakuum sachfremde Einflüsse eindringen. Es ist hoffentlich auch deutlich geworden, daß dies kein Plädoyer zur Beseitigung bewährter Grundsätze des öffentlichen Personalrechts, sondern zu deren Wiederherstellung ist. Kein Verfassungsgrundsatz w i r d so beiläufig-routinemäßig verletzt wie der des A r t . 33 Abs. 2 GG. Demoralisierend ist für einen Personalkörper nicht das Auswahlkriterium „Fähigkeit, politisch zu denken und zu handeln" bei politiknahen Dienstposten. Demoralisierend ist vielmehr dessen verschämte, inoffizielle Anwendung unter faktischer Eingrenzung auf Parteibuchbeamte und Hintanstellung fachlicher Auswahlkriterien, also das Nebeneinander von offiziell verkündeten, aber praktisch irrelevanten und offiziell abgestrittenen, aber i n Wirklichkeit ausschlaggebenden Kriterien. Natürlich beseitigt der vorgeschlagene Weg nicht alle Widersprüche. Er ist aber geeignet, zur Klarheit beizutragen und den Leistungsgrundsatz dort, wo er durch Patronage zurückgedrängt worden ist, wieder zu stärken. Ein angesehener kommunaler Wahlbeamter sagte vor kurzem in einer Diskussion über Bürgernähe der Verwaltung: „Bürgerferne Verwaltung ist immer unpolitisch, unpolitische Verwaltung ist immer bürgerfern." Die Kommunalverwaltung kann es nicht dabei belassen, die Angestellten i m Einwohnermeldeamt in bürgernahem Verhalten zu schulen, sie muß auch etwas gegen die Bürgerferne mancher leitenden Beamten tun, die selten einen Bürger dienstlich zu Gesicht bekommen, deren Handeln sich aber einschneidend auf die Bürger auswirkt. Die Maßstäbe, nach denen Vorgesetzte ausgewählt werden, sind der wirksamste Hebel, um hier weiterzukommen. 3. Entwicklungsbedürftige
Bereiche einer aktiven
Personalarbeit
Zur weiteren Illustration des Komplexes „Personalpolitik" nachfolgend eine Auswahl von Themen, m i t denen sich die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) i n Zusammenarbeit m i t der kommunalen Praxis i n der nächsten Zeit beschäftigen wird: Vorgesetztenb eurteilungen Sie können i n der Form der Mitarbeiterbefragung durchgeführt werden. Die Mitarbeiter nehmen per Fragebogen zum Führungsverhalten ihres Vorgesetzten Stellung. Dieser gewinnt damit die Möglichkeit, sein Verhalten zu überprüfen und ggf. zu korrigieren. Diese Methode ist i m Bundesministerium für Wirtschaft praktiziert worden und w i r d neuerdings auch in Kommunalverwaltungen erprobt.
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Beurteilungsseminare
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(Assessment Center)
Anwärter auf Führungspositionen lösen mehrere Tage lang i n vorstrukturierten Situationen Entscheidungs-, Planungs-, Kommunikations- und Personalführungsprobleme und werden dabei von besonders geschulten Führungskräften auf ihre Führungseignung beobachtet. Beurteilungsseminare werden seit mehreren Jahren erfolgreich von der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung und einzelnen Bundesministerien zur Steuerung des Aufstiegs i n den höheren Dienst eingesetzt. I n der Kommunalverwaltung ginge es wegen der andersartigen Personalstruktur nicht um den Aufstieg i n den höheren Dienst, sondern um die Beurteilung der Eignung zum Vorgesetzten — genau wie in der Wirtschaft, wo die Assessment Center-Technik ursprünglich entwickelt wurde. Einführung neuer Mitarbeiter in den Arbeitsplatz Integration von Spezialisten (Ingenieuren, Ärzten usw.) in die Verwaltung Es muß untersucht werden, m i t welchen Maßnahmen der innere Abstand vieler Spezialisten zu den Normen der Verwaltung verringert und wie andererseits bei den gelernten Verwaltungsleuten Verständnis für die besonderen Bedürfnisse und die Denkweise von Spezialisten geweckt werden kann. Der Amtsleiter Hier sollen die führungsmäßigen Anforderungen, die an die zentrale Vorgesetztenfigur der Kommunalverwaltung zu stellen sind, umfassend untersucht und beschrieben werden.
I I I . Entwicklungslinien der Organisationspolitik 8 1. Ziel der Organisationsarbeit Wie w i r gesehen haben, muß eine Personalpolitik der öffentlichen Verwaltung von Grund auf entwickelt werden. Das setzt voraus, daß die Verwaltung den Personalbereich als ein Feld „entdeckt", in dem aktives, konzeptionelles, d. h. politisches Änderungshandeln möglich ist. Inzwischen gibt es genügend Anzeichen dafür, daß dieser Entdeckungsprozeß anläuft. Etwas günstiger «liegen die Dinge i m Bereich der Organisation. Organisationspolitische Vorstellungen sind i n Teilen der 5
Vgl. Gerhard Banner, Jürgen Ostermann und Heinrich Siepmann, Die Ar-
beit der KGSt — heute und morgen, Entwicklungslinien kommunaler Organisationsarbeit, Sonderdruck der Mitteüungen der KGSt, Oktober 1978.
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öffentlichen Verwaltung durchaus vorhanden. Hier geht es mehr um eine Akzentverschiebung. Dabei ist es notwendig, zwei Grundvorstellungen, die derzeit die Organisationsarbeit beherrschen, zu überdenken. Erstens: Die Organisationstätigkeit ist heute auf bereichsweise Rationalisierung (de facto: Einsparungen) mittels auf bau- und ablauf organisatorischer Eingriffe und Technologieeinsatz ausgerichtet. Diese Strategie der „bereichsweisen Optimierung" m i t reduziertem Instrumentarium greift zu kurz, u m eine Leistungsverbesserung des Gesamtsystems Verwaltung herbeiführen zu können. Zweitens: Die Dienststellen für Organisation sehen die Rationalisierungsverantwortung vorwiegend bei sich selbst und zu wenig bei den Fachdienststellen. Vor diesem selbstgesetzten Anspruch müssen sie zwangsläufig scheitern. Sie „laufen sich tot". Schlimmer: Dieser Denkansatz verhindert, daß das in den Fachdienststellen angelegte Organisationspotential in Schubkraft zur Verbesserung der Leistung der Gesamtverwaltung umgesetzt wird. Zur Illustration dieser Thesen folgendes Beispiel: Wenn irgendwo i m Verwaltungsapparat UnWirtschaftlichkeiten oder Reserven vermutet werden, löst dies überlicherweise eine Arbeits- oder Organisationsuntersuchung aus, die das Ziel verfolgt, durch Änderungen der Aufbauorganisation, Vereinfachung von Abläufen oder Technologieeinsatz zu Einsparungen zu kommen. Durchgeführt w i r d die Untersuchung, wie selbstverständlich, von der Organisationsstelle. Warum eigentlich? Behaupten w i r nicht ständig, die Vorgesetzten — i n der Kommunalverwaltung besonders die Amtsleiter — seien für die Leitung ihrer Bereiche voll verantwortlich? Es ist doch ein schwerer taktischer Fehler, einem Anderen seine Verantwortung abzunehmen. Dennoch w i r d so gehandelt, und kaum jemand findet etwas dabei. Die Umkehrung der normalen Schlachtordnung hat i n den letzten Jahren dazu geführt, daß die Umsetzung der Ergebnisse von Organisationsuntersuchungen zunehmend am Widerstand der Fachdienststellen scheitert. Die Zahl der Organisationsuntersuchungen stagniert oder geht sogar zurück. Welche Lehren lassen sich daraus ziehen? Die herkömmliche Strategie der von einer zentralen Organisationsstelle ausgehenden Zwangseingriffe oder Abwehrhandlungen (z.B. Verweigerung von Planstellen) führt zwar nach wie vor zu Einsparungen. Deren Wirkungsgrad sinkt jedoch aus 2 Gründen: Erstens ist die Kommunal Verwaltung heute wesentlich stärker durchrationalisiert als noch vor 10 oder 20 Jahren; daher müssen zusätzliche Rationalisierungserfolge heute schwerer erkämpft werden. Zweitens werden die Eingriffe der Organisationsstelle heute von den Fachdienststellen nicht mehr problemlos hingenommen.
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Es häufen sich die Fälle, i n denen die Fachbereiche Himmel und Hölle einschließlich der Politik i n Bewegung setzen, u m die Rationalisierungsvorschläge der Organisationsstelle zu konterkarieren. Während Rationalisierungsreserven i m günstigen Fall gelegentlich noch gegen den W i l l e n der betroffenen Verwaltungsteile mobilisiert werden können, ist eine Leistungsverbesserung der Gesamtverwaltung auf diese Weise nicht möglich. Leistungsreserven lassen sich nur freisetzen, wenn der Verwaltungsapparat „mitzieht", und das t u t er nur, wenn er dazu einen Anreiz verspürt. Hier w i r d die Personalpolitik für den Organisator lebenswichtig. Er w i r d i n Zukunft nur erfolgreich sein, wenn er Anreize, die nur eine konsistente Personalpolitik erzeugen kann, systematisch m i t seinen organisatorischen Zielsetzungen verknüpft 6 . Das Oberziel einer Organisationsstelle kann also nicht darin bestehen „die Verwaltung zu rationalisieren", vielmehr muß es i h r über Rationalisierung hinaus u m Leistungssteigerung gehen. Da diese sich nicht zentral anordnen läßt, müssen durch Kombination der organisatorischen m i t personalpolitischen Maßnahmen die Führungskräfte i m Verwaltungsapparat dazu gebracht werden, ihre Bereiche ständig von sich aus zu optimieren. Dazu ist es notwendig, die täglich i n den Fachdienststellen stattfindende organisatorische Arbeit zu qualifizieren und i h r Ansehen zu steigern. Das Ziel der Organisationsstelle könnte dann etwa lauten „die Fachdienststellen befähigen und motivieren, sich ständig auf einem hohen Leistungsstand zu halten". Über Tempo und Tiefe der hier aufgezeigten Umorientierung i n der Organisationsarbeit gibt es i n der Kommunalverwaltung Diskussionen, nicht dagegen über ihre prinzipielle Notwendigkeit.
2. Aufwertung
der Organisationsarbeit
in den Ämtern
Erschwerend für die Veränderung organisatorischer Denkansätze und Praktiken w i r k t sich die i n der Verwaltung herrschende Verantwort6 Die KGSt hat in ihrem Gutachten „Organisationsuntersuchungen in der Kommunalverwaltung", 5. Auflage, Köln 1977, eine intensive Mitwirkung der Fachdienststellen an den von der Organisationsstelle durchzuführenden Organisationsuntersuchungen empfohlen. Der wünschenswerte weitere Schritt — weitgehender Übergang solcher Untersuchungen in die Verantwortung der Fachbereiche — setzt den kombinierten Einsatz der Instrumente einer Personal· und Organisationspolitik voraus. Vgl. dazu Gerhard Banner, Personalpolitik — ein notwendiger Katalysator bei Organisationsänderungen, in: Hans-Joachim von Oertzen (Hrsg.), Antworten der öffentlichen Verwaltung auf die Anforderungen der heutigen Gesellschaftssysteme, Band 5 der Schriften der deutschen Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften, Bonn 1980. Einige der dort verwendeten Argumente und Beispiele wurden in die vorliegende Ausarbeitung übernommen.
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tungsverteilung aus. Ein kommunaler Amtsleiter — das Beispiel ist verallgemeinerungsfähig — nimmt die ihm zukommende Verantwortung nicht einheitlich für seinen gesamten Leitungsbereich, sondern fragmentiert wahr. Er holt sich — Personal beim Personalamt, — Planstellen und die Organisation seines Bereichs beim Hauptamt, — Investitionsmittel bei der Kämmerei, — Baunterhaltungs- und -betriebsmittel beim Hochbauamt, — Bürobedarf bei der Beschaffungsstelle. I n diesem „Zuteilungssystem" n i m m t er — bildlich gesprochen — von den genannten Stellen, soviel er bekommen kann. Gerät die Gemeinde i n Schwierigkeiten, ihren Haushaltsplan abzugleichen, fordern Verwaltung und politische Vertretung — durchaus logisch und systemgerecht — nicht etwa die Fachdezernenten und -amtsleiter, i n deren Bereich das Personal tätig ist, sondern den für das Personalamt zuständigen Beigeordneten auf, Personalkosten einzusparen. Die geläufige Redensart „jeder Amtsleiter ist für seinen Bereich voll verantwortlich" ist ein bloßes Lippenbekenntnis. I n Wirklichkeit lassen w i r unsere Führungskräfte in einem System der organisierten Unverantwortlichkeit leben. Die i n langer Verwaltungstradition gefestigte zentrale Bewirtschaftung bestimmter Ressourcen stößt heute an Grenzen ihrer Zweckmäßigkeit. Man w i r d sie nach und nach i n differenzierter Form auflockern müssen. Dafür gibt es kein Patentrezept. Je systematischer die Verwaltungen die Führungsfähigkeit ihres leitenden Personals stärken, desto eher können sie ihm Verantwortung für bisher zentral bewirtschaftete Faktoren übertragen. Städte, deren Finanzlage Sparkampagnen notwendig machte, waren i n der Regel u m so erfolgreicher, je allgemeiner die bezifferten zentralen Sparvorgaben waren. „Sparen Sie χ Stellen der Besoldungsgruppe y ein!" ist i n der Praxis schwerer zu realisieren als „Sparen Sie χ Prozent Ihrer Personalkosten ein!" Die erfolg versprechendste Vorgabe scheint zu lauten: „Sparen Sie χ Prozent Ihrer Kosten ein!" I m letzten Fall hat sich gezeigt, daß Führungskräfte der öffentlichen Verwaltung durchaus i n der Lage sind, i n Kosten zu denken. Sie nahmen ihren Bereich plötzlich als Einheit wahr und zerteilten ihn nicht mehr i n einen Personal-, Sach-, Investitionsbereich usw. I m Rahmen der generellen Vorgabe waren sie i n der Lage, Einsparungsprioritäten zu setzen und Aufgabenbereiche, die ihnen besonders am Herzen lagen, dabei zu schonen. Eine solche „attraktive" Möglichkeit macht Führungskräfte erfinderisch und mindert ihre durchaus verständlichen Vorbehalte und Widerstände gegen die Sparkampagne als
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solche. Man kann davon ausgehen, daß die einschneidenden finanziellen Engpässe der vor uns liegenden Jahre an dieser und mancher anderen Stelle zum Motor von Veränderungen werden, die bisher nicht erforderlich schienen. Aber noch leben w i r i m gewohnten Verwaltungsklima. Dazu zwei Beispiele: I n der Sitzung eines Ratsausschusses wurden einem Amtsleiter erhebliche Arbeitsrückstände und Mängel i n der Aufgabenerledigung vorgeworfen. Er rechtfertigte sich damit, daß er seit Jahren zu wenig Personal habe; seine Anträge auf Personalvermehrung seien stets abgelehnt worden. Darauf fragte ihn der Beigeordnete für die Allgemeine Verwaltung: „Haben Sie beim Hauptamt einmal eine Organisationsuntersuchung beantragt, um für Ihre Behauptung, Sie hätten zu wenig Personal, den Beweis erbringen zu können?" Die Reaktion des Amtsleiters war ungläubiges Entsetzen darüber, daß einem ausgewachsenen Verwaltungsmann zugemutet wurde, den Strick, an dem er aufgeknüpft werden sollte, auch noch selbst einzukaufen. I n der Verwaltung herrschte die durch nichts zu erschütternde Überzeugung, Organisationsuntersuchungen dienten der Einsparung von Planstellen, nicht deren Vermehrung. A n dieser subjektiven Gewißheit hatten auch einige vorausgegangene Untersuchungen i n anderen Verwaltungsbereichen, die zu berechtigten Personalaufstockungen geführt hatten, nichts ändern können. Der Gedanke, er könne oder müsse versuchen, Mehrarbeit oder A r beitsspitzen i n eigener Verantwortung durch organisatorische Verbesserungen aufzufangen, streifte diesen Amtsleiter und viele seiner Kollegen nicht einmal. Das war nicht verwunderlich, denn ihre Vorgesetzten hatten dies nie von ihnen verlangt. Für derartige Dinge gab es ja eine Organisationsstelle. Zweites Beispiel: I n der sommerlichen Hitzewelle vor einigen Jahren brachte ein Personalrat das Thema „Hitzefrei" zur Sprache. Das örtliche Hauptamt lehnte dies ab, teilte aber den Amtsleitern mit, sie könnten i m Notfall selbstverständlich die erforderlichen personellen und organisatorischen Maßnahmen treffen. I n den folgenden Tagen riefen mehrfach hochbezahlte Amtsleiter beim Hauptamt an und fragten „Ist es heute so heiß, daß man von einem Notfall sprechen kann?" Wie soll sich eine Führungskraft für ihren Bereich v o l l verantwortlich fühlen und selbständig handeln, wenn ihr nur Verantwortungssplitter übertragen sind und das System sie durch ständige Bevormundung zur Unselbständigkeit erzieht? I n Einzelfällen finden i n der Kommunalverwaltung schon heute Organisationsuntersuchungen i n Verantwortung der Fachämter statt, wobei die Organisationsstelle qualifizierte Beratung bereithält. Diese Ent9 Speyer 81
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Wicklung dürfte sich i n den kommenden Jahren verstärken. Vor ein paar Monaten sagte m i r ein erfahrener Organisator: „Bei Untersuchungen, die die Organisationsstelle von oben anordnete, sind w i r oft gescheitert. Kürzlich nahm ein großes A m t seine Organisation selbst unter die Lupe. Ich war der aus fünf Amtsangehörigen bestehenden Projektgruppe von unserer Organisationsstelle als Berater zugeteilt. Also war ich nur einer von sechs, dazu ein ,Fremder' und konnte jederzeit überstimmt werden. Das ist nicht ein einziges Mal geschehen. Es entstand ein Vertrauensverhältnis, Probleme wurden offen diskutiert und das meiste, was ich für richtig hielt, wurde auf Vorschlag der anderen m i t Zustimmung aller umgesetzt. Es war mein bisher größtes Erfolgserlebnis."
IV. Personal- und organisationspolitische Strategie 1. Rolle der Personal- und Organisationsstellen Voraussetzung für die skizzierte Umorientierung sind Änderungen im Rollenverständnis der Personal- und Organisationsstellen. Beide Dienststellen müssen zunehmend durch ihre Maßnahmen deutlich machen, daß die Leiter der Fachdienststellen für ihren Bereich voll verantwortlich sind, die Pflicht haben, ihn ständig organisatorisch und personell zu optimieren und zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie diese Pflicht versäumen. Die Führungskräfteauswahl muß gewährleisten, daß niemand Dienststellenleiter wird, der dazu nicht bereit oder i n der Lage ist. Die verstärkte Wahrnehmung der Führungsverantwortung durch die Dienststellenleiter drückt sich vor allem darin aus, daß die immer schon in den Fachbereichen liegenden Personalführungs- und Organisationsaufgaben ernsthaft wahrgenommen werden. Neben dieser Aufwertung der Pflichten der Fachdienststellen kann in Einzelfällen auch eine Übertragung von Kompetenzen von der Personal- oder Organisationsstelle auf die Fachdienststellen notwendig sein. Außerdem müssen w i r Abschied nehmen von der Neigung, alles regeln zu wollen. Vieles w i r d nur aus Unsicherheit geregelt. Das hinnehmbare Maß an Uneinheitlichkeit ist größer als w i r glauben, und die Furcht, bei Nichtregelung eines Tatbestandes bräche das Chaos aus, ist regelmäßig unbegründet. Schließlich muß kritisch überprüft werden, an welchen Punkten unsere Neigung, die Arbeit immer stärker zu spezialisieren, an ihre Grenze stößt und von den Mitarbeitern nicht mehr hingenommen wird. W i r handeln widersprüchlich, wenn w i r unser Personal immer qualifi-
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zierter ausbilden und i h m andererseits eng spezialisierte Arbeitsplätze anbieten und es m i t immer neuen internen Regelungen i n seiner Bewegungsfreiheit einschränken. Die — i m Kern notwendige — zentrale Machtausübung über die Gewährung oder Verweigerung von Planstellen und Personal muß heruntergespielt, gegenüber den Fachdienststellen muß eine Beratungshaltung (Klientenorientierung) aufgebaut werden. Dazu gehört, daß die Organisationsstelle Mitarbeiter der Fachbereiche i n organisatorische Techniken einweist und daß die Personalstelle die Fachbereiche systematisch ermutigt, der Mitarbeiterführung mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden. 2. Zusammenarbeit
von Personal- und Organisationsstelle
Personal- und Organisationsarbeit sind zwei Seiten derselben Medaille. Leider werden sie i n der Verwaltung zu stark voneinander getrennt. I m Einzelfall, aber auch bei der konzeptionellen Entwicklungsarbeit müssen beide Dienststellen viel intensiver zusammenwirken, als das traditionell geschieht. Hier zunächst ein paar Beispiele für die notwendige Kooperation i m Einzelfall: — Was nützt ein Stellenplan auf dem Papier, dem die Personalstelle personalwirtschaftlich nicht folgen kann (etwa wegen eingeschränkter Einsatzfähigkeit des zur Verfügung stehenden Personals)? — Was nützt die einleuchtendste Organisationsänderung auf dem Reißbrett, wenn der Personalrat anschließend der damit verbundenen Umsetzung von Mitarbeitern nicht zustimmt? Es ist vielfach zweckmäßig, daß Personal- und Organisationsstelle den Personalrat schon im Anfangsstadium an ihren Überlegungen beteiligen. — Bevor eine Rationalisierungsmaßnahme in K r a f t treten kann, muß feststehen, was m i t dem Personal geschieht, das freigesetzt w i r d oder — etwa bei Technikeinsatz — veränderten Stellenanforderungen nicht gewachsen ist. Anderenfalls ist die Zustimmung des Personalrats nicht zu erwarten. I n den Fällen, i n denen Mitarbeiter infolge dieser Maßnahme i m Lohn absinken, muß rechtzeitig über die damit verbundenen Probleme gesprochen werden. Daß Personal- und Organisationsstelle hätten zusammenarbeiten müssen, w i r d in der Praxis häufig deutlich, wenn der Personalrat sich plötzlich gegen eine bereits laufende Maßnahme stellt. I n solchen Fällen bildet der Personalrat manchmal geradezu eine Brücke zwischen Personal- und Organisationsarbeit. Es geht aber nicht an, daß die Verwaltung sich nachträglich vom Personalrat koordinieren läßt. Sie muß das rechtzeitig selbst tun. 9·
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Die Zusammenarbeit zwischen Personal- und Organisationsstelle kann dadurch gefördert werden, daß Organisatoren (Organisationsberater) und Personalleute (Personalberater) für dieselben Verwaltungsbereiche zuständig gemacht werden. Eine solche deckungsgleiche Zuständigkeit i n beiden Dienststellen ist außerordentlich „suggestiv". Sie bietet die Chance, daß — die Verwaltung qualifiziert beraten wird; sie hat nämlich jetzt in beiden Dienststellen Anlaufpersonen, die sich für einen Verwaltungsbereich insgesamt verantwortlich fühlen, statt i n fachlicher Spezialisierung für die Gesamtverwaltung zuständig zu sein; — bei dem Personal der Organisations- und der Personalstelle der Blick für administrative Zusammenhänge und der Professionalisierungsgrad steigen; — aus der Zusammenarbeit i m Einzelfall allmählich eine systematische Zusammenarbeit beider Dienststellen in konzeptionell-strategischen Fragen erwächst. 3. Strategisches Vorgehen Eine Personal- und Organisationspolitik kann nicht routinemäßig, sondern muß strategisch entwickelt werden. Andernfalls käme nur ineffektives Stückwerk heraus. Dazu ist notwendig, daß Personal- und Organisationsstelle, über ihr heute noch überwiegend verwaltendes und ordnendes Selbstverständnis hinausgehend, bewußt i n ein Strategiefeld eintreten, auf dem sie i n ständiger Rückkopplung zur Verwaltungsführung, zu den Fachbereichen, zum Personalrat und zur politischen Vertretung aktiv die Leitlinien ihrer künftigen Arbeit entwikkeln. Das Agieren in diesem Netzwerk hat zum Ziel, vorhandene Spielregeln — etwa das Vorgehen bei der Auswahl von Führungskräften — zu ändern und neue zu schaffen. Dazu brauchen die beiden Dienststellen i n unterschiedlichem Ausmaß Zustimmung, stillschweigendes Einverständnis oder zumindest Tolerierung seitens der anderen am Diskussions- und Auseinandersetzungsprozeß beteiligten Partner. Anzustreben ist ein Geflecht lockerer, flexibler Absprachen und Einverständnisse über neue Vorgehensweisen, das i n seiner Gesamtrichtung geeignet ist, die organisatorische und personelle Problemlösungsfähigkeit der Fachbereiche zu fördern. Zustimmung fällt i n der Politik nicht vom Himmel. Neue Spielregeln müssen i n oft schwierigen Verhandlungen konsensfähig gemacht werden; später muß jede Gelegenheit genutzt werden, sie zu verbessern. Dabei werden Personal- und Organisationsstelle versuchen, immer wieder folgende strategisch-taktischen Grundsituationen herzustellen:
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— Günstiges K l i m a für die Änderung schaffen, — Günstige Situationen nutzen, — Anreize einbauen, — Bundesgenossen gewinnen, — Einflußpromotoren zum Engagement veranlassen, — Pionierbereiche suchen, die bereit sind, als erste m i t der Änderung zu experimentieren, — Erfolgreiche Beispiele schaffen, — Nachfrage erzeugen, — Eigene Interessen der Betroffenen ansprechen, — Ängste, Blockierungen und Nullsummen-Denken abbauen. Da i m personell-organisatorischen Strategiefeld einerseits alles mit allem zusammenhängt, andererseits die Kräfte beschränkt sind, erhebt sich die Frage: wo anfangen? Zweckmäßig ist, nach Punkten zu suchen, wo i m Sinne einer „Hebelwirkung" m i t einem M i n i m u m an Kraftaufwand ein Höchstmaß an Veränderungsnutzen erzielt werden kann. Als Hebel bezeichne ich eine Maßnahme, die erstens relativ wenig Führungsenergie erfordert, weil sie: — auf ein allgemein empfundenes Problem zielt und daher einleuchtet bzw. schwer kritisierbar ist; — wenig Widerstand erzeugt, weil sie den Interessen größerer Mitarbeitergruppen, der Personalvertretung oder der Politik nicht zuwiderläuft; — überschaubar begonnen und schrittweise weiterentwickelt werden kann; — leicht stabilisierbar ist und wenig Pflegeaufwand erfordert und die zweitens über den ersten Schritt hinaus Wirksamkeit ausstrahlt, weil sie: — eine Anreiz- und Signalwirkung auf die Verwaltung und die betroffenen Mitarbeiter ausübt; — die Tendenz hat, weitere, gleichfalls i n die gewünschte Richtung zielende Maßnahmen nach sich zu ziehen. Zur Verdeutlichung des Hebelkonzepts sei noch einmal die Auswahl von Führungskräften als Beispiel herangezogen. Wenn das oben beschriebene Verfahren i n der Verwaltung praktiziert w i r d und damit Klarheit entsteht, welches Führungsverhalten erwünscht ist, kann — im Sinne der definierten Hebelwirkung — damit gerechnet werden, daß weitere Klarstellungen oder Spielregeln sich als notwendig erweisen
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Gerhard Banner
und von den Vorgesetzten, vom potentiellen Führungsnachwuchs oder von der Personalvertretung nach und nach gefordert werden. Dazu können etwa gehören: — Die allgemeine Bekanntgabe der Kriterien und Verfahren, nach denen Führungskräfte ausgewählt werden; — Die Herausgabe von Führungsgrundsätzen, die u. a. Regeln enthalten über Einweisung i n den Arbeitsplatz, Dienstbesprechungen, A r beit m i t Gruppen, Vereinbarung von Arbeitszielen, Förderung der Mitarbeiter; — Spielregeln zum geplanten Dienstpostenwechsel (job rotation) bei bestimmten Beschäftigtengruppen; — Spielregeln zur Fortbildung, besonders zum ning (Inhalte, Methoden, Umfang, Zulassung);
Führungskräftetrai-
— Spielregeln zu Inhalt und Verfahren der dienstlichen Beurteilung; — Spielregeln zur Durchführung von Umfragen zur Arbeitszufriedenheit und zur Zufriedenheit m i t den Vorgesetzten sowie zu einer etwaigen Beurteilung „von unten nach oben". Geht eine Personalstelle diese Änderungen isoliert an, kann sie auf Widerstände stoßen, die sich als unüberwindlich erweisen. I m Windschatten einer „Hebelmaßnahme" wie der Neuorientierung der Besetzung von Führungsstellen sind solche Änderungen leichter zu bewirken, weil sie dem Verwaltungsapparat nicht aufgedrängt zu werden brauchen, sondern von ihm mehr oder weniger gefordert werden. A u f diese Weise kann der Bestand an sich gegenseitig verstärkenden personalund organisationspolitischen Instrumenten, die die Verwaltungsleistung verbessern, allmählich komplettiert werden. Erfolgsvoraussetzung ist, daß Personal- und Organisationsstelle strategisch vorgehen, änderungsbegünstigende Situationen schaffen oder nutzen und dafür die geeigneten Lösungskonzepte bereithalten. Es wurde versucht zu zeigen, daß die dringend notwendige Aufwertung der Personal- und Organisationsarbeit i n den Fachbereichen seitens der Personal- und der Organisationsstelle — eine verstärkte Beratungs- und Klientenorientierung, — eine engere Zusammenarbeit, — mehr konzeptionell-strategische Aktivitäten erfordert. Die Aufgabe der beiden Querschnittsdienststellen erschöpft sich jedoch nicht i n den Funktionen beraten, helfen, überzeugen, planen. Hinzukommen muß Kontrolle. Sie muß gewährleisten, daß die neuen Spielregeln tatsächlich eingehalten und die verstärkten Aktivitäten der Fachdienststellen i m Personal- und Organisationsbereich auf dem Lei-
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stungspfad und nicht abseits von i h m stattfinden. Zur Kontrolle gehört Macht. Macht ist nach Crozier die Beherrschung von Unsicherheitsquellen 7 . Die Personalstelle verfügt über Personal, die Organisationsstelle über Stellen. Beide Ressourcen sind knapp und werden von den darauf angewiesenen Fachbereichen ständig nachgefragt. Dieser Umstand gibt der Personal- und der Organisationsstelle eine Verhandlungsposition, die stark genug ist, die geschaffenen Spielregeln i n Richtung auf eine verbesserte Verwaltungsleistung zu stabilisieren. Die Steuerungs- und Kontrollfunktion muß nach dem Grundsatz ausgeübt werden „soviel Autonomie und Selbstverantwortung der Fachdienststellen wie möglich, soviel zentrale Steuerung wie nötig". V. Rolle der Verwaltungsführung Eine personal- u n d organisationspolitische Strategie kann nur erfolgreich sein, wenn sie von der Verwaltungsführung unterstützt wird. Diese Unterstützung ist nicht leicht zu gewinnen. Dem Verwaltungschef einer Großstadt stehen höchstens 30 °/o seiner Arbeitszeit für die eigentliche Leitung der Verwaltung zur Verfügung. Der Rest entfällt auf Umweltbeherrschung und „Außenpolitik" (Auseinandersetzung m i t der politischen Vertretung, Kontakte zu anderen Behörden, zur Wirtschaft, zu Verbänden, zu den Medien, allgemeine Repräsentation u. ä.). Es kommt hinzu, daß natürlich auch auf der Ebene der Verwaltungsleitungen die traditionelle Auffassung verbreitet ist, die Funktionen Personal und Organisation seien letztlich instrumentell-technischer Natur und nur i n besonderen Einzelfällen führungsrelevant. Häufige Folge dieser Fehleinschätzung ist, daß die Führungen wichtige organisatorische und personelle Entscheidungen übers Knie brechen oder m i t der linken Hand treffen, ohne ihre Gesamtwirkung zu bedenken. Dennoch besteht kein Grund zur Resignation. Schlüssige Konzepte der Personal- und Organisationsstelle haben durchaus die Chance, von der Verwaltungsführung unterstützt und übernommen zu werden. Das 7 Macht ist für Organisationen funktionsnotwendig, da organisiertes Handeln letztlich durch Machtbeziehungen stabilisiert ist. Macht kann daher nicht „abgeschafft" werden. Dieses Thema wird in dem scharfsinnigen, aber kom-
plizierten Buch von Michel Crozier und Erhard Friedberg,
Macht und Organi-
sation — die Zwänge kollektiven Handelns, Königstein/Ts. 1979, umfassend analysiert. Zu ihrem Schaden spricht die Verwaltung nicht über Macht. Der Gegenstand ist tabuisiert und wird im liebenswürdigen Schein der „kameradschaftlichen Bürokratie" verdrängt — anschaulich nachzulesen in dem K r i m i nalroman unter den verwaltungssoziologischen Lehrbüchern: Horst Bosetzky und Peter Heinrich, Mensch und Organisation — Aspekte bürokratischer Sozialisation, Köln u. a. 1980. Eine so wichtige Richtung der Organisationsgestaltung wie die Organisationsentwicklung (organization development) bringt sich durch ihre Tendenz, das Machtthema unter der Decke zu halten, um ein Stück Kredit und setzt sich dem Vorwurf der Realitätsferne aus.
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Gerhard Banner
gilt vor allem dann, wenn sie strategisch-taktisch qualifiziert durchgearbeitet sind und vorhandene Machtgleichgewichte nicht zu sehr stören. Da jede organisatorische und personelle Maßnahme Machtbeziehungen tangiert, müssen Personal- und Organisationsstelle diesem Punkt besondere Beachtung schenken. Kurzfristig daß sie
muß von den Verwaltungsführungen verlangt werden,
— auf eine personal- und organisationspolitische drängen und dafür einstehen;
Gesamtkonzeption
— bei personellen und organisatorischen Einzelentscheidungen stets deren Gesamtwirkung auf den inneren Zustand und die Leistungsmotivation der Verwaltung i m Auge haben; — bei der Personalauswahl, vor allem bei der Auswahl von Führungskräften, den Leistungsgrundsatz auch gegen Widerstände durchsetzen und sich von Rückschlägen nicht beirren lassen; — den Kontakt zur Personalvertretung als wichtige Führungsaufgabe erkennen. Ein in regelmäßigen Gesprächen geschaffenes und gepflegtes Vertrauensverhältnis zwischen Verwaltungsführung und Personalrat läßt viele organisatorische und personelle Streitpunkte gar nicht erst entstehen, erleichtert die tägliche Personal- und Organisationsarbeit auf der operativen Ebene und erspart der Verwaltungsführung viel Zeitaufwand für nachträgliches Krisenmanagement. Mittelfristig dürfte die heute vorherrschende instrumentell-apparative Sicht der Verwaltung i n den Augen der Führungskräfte an Überzeugungskraft verlieren. Die Verwaltung w i r d von ihnen voraussichtlich mehr i n der A r t eines „lebenden Organismus" wahrgenommen werden. Wenn m i t diesem Wandel der Perspektive eine — wünschenswerte — Renaissance „organisatorischer Werte" (verantwortete Führung, Selbständigkeit, Selbstverantwortung, Partizipation, Solidarität, Stolz auf die Organisation) einhergeht, müßte die Bereitschaft der Führungen wachsen, sich aktiv für die dringend notwendigen Investitionen in das soziale System, besonders in das Humankapitel, der Verwaltungen zu engagieren. V I . Was geschieht ohne Dienstrechtsreform? Die Verwaltungskultur der Bundesrepublik ist eine Rechtskultur. Der Bürger assoziiert Verwaltung vor allem m i t Vorschriften, der junge Beamte „lernt" Verwaltung nicht unmittelbar am Beispiel der Verwaltungsaufgaben, sondern am Reflex ihrer rechtlichen Regelungen. Diese Denktradition erklärt, weshalb die Reform des öffentlichen Dien-
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stes von einer Reform des öffentlichen Dienstrechts erhofft wurde. Sie erklärt ferner, weshalb m i t dem Scheitern der „Rechtsreform", d. h. des einheitlichen öffentlichen Dienstrechts, auch die Reform des öffentlichen Dienstes weithin als gescheitert galt. I n der öffentlichen Diskussion ist vollkommen untergegangen, daß i m Mittelpunkt des Dienstrechtsreform-Gutachtens keineswegs die Rechtsreform, sondern das Instrumentarium der Personalsteuerung (Dienstpostenbewertung, Beurteilungswesen usw.) stand. I n der Verpackung einer Rechtsreform hat die Kommission i n Wirklichkeit eine Verwaltungsreform vorgeschlagen. Daß diese nahezu ohne eine einzige neue Rechtsvorschrift möglich war und ist, wurde unter dem Eindruck, den die streiterzeugende Verpackung auf die Kontrahenten machte, übersehen. Begünstigt wurde dieser Ausblendungsvorgang durch das „kulturspezifische" Vorurteil, Probleme löse man, indem man sie regelt („ohne rechtliche Regelung läuft nichts"). Die Koppelung des Verwaltungsreformvorstoßes mit einer Rechtsreform, deren Scheitern angesichts der gesellschaftlichen Meinungsund Machtstruktur programmiert war, erweist sich rückblickend als folgenschwerer Mißgriff, denn — der Verwaltung wurde suggeriert, i m Bereich der Personalsteuerung kämen demnächst neue Rechtsvorschriften. Diejenigen Teile der Verwaltung, die alles Heil von Vorschriften erwarten, stellten eigene Problemlösungsbemühungen daraufhin ein; — das Scheitern der hochgespielten Rechtsreform erweckte den Eindruck, nun sei jegliche Reform gescheitert und verbreitete Resignation und Defätismus. Durch die Fixierung auf ein derzeit unlösbares Randproblem wurde die Aufmerksamkeit änderungsbereiter Kräfte von der inneren Verwaltungsreform — einer ständigen, von Rechtsänderungen i m Prinzip unabhängigen Daueraufgabe der Verwaltung — abgelenkt. Es fehlt gegenwärtig noch an einem breiten Verständnis dafür, daß Verwaltungsreform kaum etwas m i t rechtlichen Änderungen zu tun hat. Vielfach w i r d argumentiert, das „Innenleben" der Verwaltung bedürfe schon deswegen der eingehenden Normierung, weil eine einheitliche Verwaltungspraxis auf andere Weise nicht zu gewährleisten sei. Läßt man prinzipielle Zweifel an einer zu einem obersten Wert hochstilisierten einheitlichen Praxis einmal beiseite, bleibt immer noch die Frage, ob zentrale rechtliche Regelungen überhaupt geeignet sind, eine einheitliche Praxis herbeizuführen. Dazu zwei Beispiele: Der i n § 18 BBesG geregelte Grundsatz der funktionsgerechten Besoldung w i r d in weiten Bereichen der staatlichen Verwaltung nicht be-
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Gerhard Banner
achtet. Um ihn durchzusetzen, bedürfte es der Dienstpostenbewertung nach analytischer Methode. Jede andere A r t der Dienstpostenbewertung dürfte schon wegen mangelnder Eindeutigkeit und Nachvollziehbarkeit gegen § 18 BBesG verstoßen und rechtswidrig sein. Die von vornherein politisch schwächlichen Anläufe des Bundesinnenministeriums i n Richtung einer analytischen Bewertung wurde schon i m Stadium der Modellentwicklung i m eigenen Hause so wirksam behindert, daß heute niemand mehr an ihre Durchsetzbarkeit glaubt 8 . (Damit kontrastiert, daß i m überwiegenden Teil der Kommunalverwaltung die Beamtenstellen seit Anfang der siebziger Jahre nach der analytischen Methode bewertet werden. Derzeit ist die Kommunalverwaltung dabei, die gründlichen Vorarbeiten des Bundesinnenministers bei der bevorstehenden Neuauflage des Bewertungsgutachtens der Kommunalen Gemeinschaftsstelle zu berücksichtigen.) Zweites Beispiel: Nach dem Gesetz, das sich insoweit auf Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes stützt, werden Beamte nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung befördert. I n manchen Verwaltungen geschieht das. I n anderen erfolgen die Beförderungen weitestgehend nach der Altersliste, womit der Sinn des Gesetzes praktisch ins Gegenteil verkehrt wird. Von einheitlicher Handhabung keine Spur! (Offenbar sind die wirklichen Beeinträchtigungen des Leistungsgrundsatzes nicht, wie gern behauptet wird, i m öffentlichen Dienstrecht angelegt, sondern werden von der Verwaltung i m „Eigenbau" produziert.) Die Beispiele zeigen: I m Bereich der internen Funktions- und Verhaltensweisen der Verwaltung gewährleistet der Erlaß zentraler Vorschriften — selbst solcher m i t Verfassungsrang — nicht unbedingt, daß diese einheitlich vollzogen, ja nicht einmal, daß sie überhaupt beachtet werden. Rechtsvorschriften sind offenbar nicht besonders geeignet, das Innenleben der Verwaltung zu steuern oder gar zu „reformieren". Man braucht dies nicht zu bedauern, i m Gegenteil. Setzte jeder noch so kleine Fortschritt in der Verwaltung neue Rechtsvorschriften voraus, käme das bei der Schwerfälligkeit der Rechtsetzungsmaschinerie einem Fortschrittsverbot gleich. Die Kommunal Verwaltung hat von jeher versucht, ihre Probleme zu lösen, ohne auf deren Regelung von Staats wegen zu warten. Die oben aufgezeigten Verbesserungsmöglichkeiten im Personal- und Organisationsbereich bewegen sich i m Rahmen des geltenden Rechts. Manches davon ist in einzelnen Verwaltungen verwirklicht, weitere Schritte werden folgen. Die Städte, Gemeinden und Kreise werden im Rahmen der gegebenen Spielräume weiter experimentieren und ihre Ergebnisse 8 Den Phasenverlauf dieser Tragikomödie hat Heinrich Siepmann nachgezeichnet: Dienstpostenbewertung für Beamte — analytische Stellenbewertung oder so weiterwursteln wie bisher?, in: V O P 1980, S. 403 f.
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miteinander vergleichen, so daß die besten Lösungen die Chance haben, sich auf dem Markt der Ideen durchzusetzen. Ist das ein ungeordneter Zustand, der einheitlichkeitsbewußten ministeriellen Regelungsverfassern Unbehagen bereiten müßte? Ich glaube, die Kommunalverwaltung ist in dieser Hinsicht ein Markt, und ein echter Markt w i r k t immer ein bißchen unordentlich. Frido Wagener hat einmal gesagt, ein gewisses Maß an Unordnung sei der Preis der Freiheit. Hier sei hinzugefügt: Es ist auch der Preis der Innovation. Systeme, die alles von zentralen Regelungen erwarten, schließen „Privatinitiative", Experimente, Versuch und I r r t u m und schließlich das bloße unvoreingenommene, kreative Nachdenken über Problemlösungen aus und tendieren zur bürokratischen Selbstblockierung. Was die Verwaltung für ihre Leistungsfähigkeit und für die Leistungsbereitschaft ihrer Mitarbeiter vor allem braucht, ist ein größeres Maß an organisatorischer und personeller Bewegungsfreiheit der Vorgesetzten und besonders der Behördenleitungen. Nur auf der Grundlage verantworteter Freiheit kann eigenständiger Führungs- und Gestaltungswille gedeihen und ein Verwaltungsklima entstehen, das Experimente und den Wettstreit um die besten Lösungen begünstigt und den m i t größeren Änderungen unvermeidlich verbundenen, oft schwierigen und durch keine Regelung ersetzbaren organisationsinternen Lernprozessen eine Chance gibt. Die strukturellen Voraussetzungen für interne Reformen sind in der Kommunalverwaltung zweifellos günstiger als i n den meisten staatlichen Verwaltungen. Damit stellt sich die Frage nach der „Exportierbarkeit" der kommunalen Strukturalternative. Soziale Organisations- und Verhaltensmuster sind nie i m Maßstab 1 : 1 auf andere Situationen übertragbar. Vielleicht enthält dieser Bericht dennoch einige Anregungen, die i m staatlichen Behördenbereich von Nutzen sein können.
Aussprache zum Referat von Gerhard Banner Bericht von Georg Wilhelm Adamowitsch Die Diskussion wurde von Professor Ulrich Becker, Hamburg, geleitet. Professor Dr. Herbert König, Hamburg, nahm zu verschiedenen in dem Referat von Banner aufgeführten Aspekten Stellung. Für den Bereich der Personal- und Organisationspolitik vertrat er die Meinung, daß man sinnvoller Weise auch zuerst von Organisationspolitik und erst dann von Personalpolitik reden könne, zumal zwischen dem Nachdenken über organisatorische Struktur und die Personalpolitik noch die Diskussionen über das Budget, die politische Programmgestaltung und davor geschaltet die eigentliche Problemfindung lägen. Dabei vertrat er die These, daß heute zuviel Problemlösung betrieben werde, ohne zu wissen, welche Probleme eigentlich vorlägen. Zum anderen verwies König auf die positiven Auswirkungen i m ministeriellen Bereich, die von der Doppelanbindung der Mitglieder dieser Häuser ausgehen, indem sie dem Fachressort angehörten, aber auch direkten Zugang zum Personalreferenten hätten. Zum Verhältnis der Leistungsbeurteilung zur Befähigungsbeurteilung vertrat König die Auffassung, daß man beide nicht völlig voneinander getrennt sehen könne, da sie sich weitgehend überschneiden w ü r den. Des weiteren scheine ihm die Frage nach der Zuteilung der verschiedenen Elemente beider Beurteilungsformen noch nicht ausreichend geklärt zu sein. Dieses falle unter die Verwaltungsreform, die von Herrn Banner i m Anschluß an die verlorengegangene Dienstrechtsreform zu Recht i n seinem Referat gefordert worden sei. Für den Bereich der Organisationspolitik wies König auf die erfolgreichen Beispiele i n der Praxis hin, erfahrene Fachreferenten als Organisationsreferenten einzusetzen. Diese würden über die notwendige Praxis verfügen, um m i t den Instrumenten der Organisationsentwicklung notwendige Konzepte erfolgreich einführen zu können. Personal- und Organisationspolitik bestimmten einen wesentlichen Aufgabenbereich des Hauptamtes der Kommunen. Durch eine stärkere Kooperation m i t der kommunalen Entwicklungsplanung und der Kämmerei lasse sich die notwendige politische Programmsteuerung besser realisieren. Indem Budget, Organisa-
Aussprache
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tion und Personalwesen den politischen Zielsetzungen i n Staat und Kommunen untergeordnet würden, ließen sich die politischen Vorstellungen besser durchsetzen. Zu der Frage, was ohne Dienstrechtsreform geschieht, war König der Auffassung, daß hier eine Systemreform stattfinden müsse. Das Problem bei Rechtsreformen liege meist darin, daß man vorher nicht überlegt habe, wie das System eigentlich auszusehen habe. Bei der Neuordnung des Laufbahnrechts sollten vor allem auch die Überlegungen der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel berücksichtigt werden. Ferner wies König darauf hin, daß es der KGSt vergleichbare Bundes- oder Ländereinrichtungen nicht gebe. Entsprechende Überlegungen seien an Kompetenzfragen gescheitert, obwohl auf Grund der bei Bund und Länder zu findenden Probleme eine solche Organisation sinnvoll wäre. Abschließend vertrat König die Meinung, daß bei der Normsetzung wieder ein vernünftiger Adressatenzuschnitt gefunden werden müsse, dabei seien vor allem die Kapazitäten der Verwaltung zu berücksichtigen. Der Diskussionsleiter Professor Ulrich Becker wies darauf hin, daß die Errichtung einer sogenannten Ländergemeinschaftsstelle den Überlegungen des Bundes entgegenkommen würde, die Fragen des Personalwesens und der Organisation von Bund, Ländern und Gemeinden stärker gemeinsam zu diskutieren und zu betreiben. I n einem Diskussionsbeitrag vertrat der Präsident der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung Professor Dr. Manfred Lepper, Köln, i m Gegensatz zum Referenten die These, daß ohne Dienstrechtsreform nicht viel geschehen werde. Er verwies i n diesem Zusammenhang auf den noch immer bestehenden Beamtenvorbehalt der Art. 33 GG wie aber auch auf bestehende Mißstände i m Einstellungsbereich für den öffentlichen Dienst. Als Beispiel dazu verwies er auf die unterschiedliche Versorgung von Beamten der Gehaltsgruppe A 9 i m Vergleich zu den Angestellten i m öffentlichen Dienst, die trotz gleicher Tätigkeitsmerkmale i n B A T I V a oder I I I eingestuft seien. Diesen Mißstand machte er verantwortlich für die Motivationslage vor allem in der Bundesverwaltung wie auch i n der Kommunalverwaltung, wo in vielen Bereichen Beamte und Angestellte dieser Gehaltsgruppe nebeneinander Dienst tun. Für den nicht dienstrechtlichen Teil der Dienstrechtsreform sah Lepper mehr Spielraum für mögliche Aktivitäten vor allem i m Bereich der Organisationsfragen. Das Verständnis hierfür sei i n der Kommunalverwaltung erheblich stärker ausgeprägt als in den Bundes- und Länderverwaltungen. Die Existenz der KGSt sei nur ein Beispiel dafür. Die unterschiedliche Bewertung dieser Probleme zeige sich auch darin, daß bis heute in dem größten Bundesland
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Aussprache
Nordrhein-Westfalen nicht einmal ein Organisationsreferat für die Landesverwaltung eingerichtet worden sei. Eine Schlußfolgerung daraus sei aber auch, daß das, was i n den Kommunalverwaltungen i m Organisationsbereich gemacht werde, nicht ohne weiteres auf die staatliche Verwaltung übertragbar sei. Die Dienstrechtsreform sei zum einen an fehlender Reformeuphorie gescheitert, zum anderen habe die dazu notwendige politische Kraft nicht mehr bestanden. Die Notwendigkeit für eine weiterführende Strukturierung von Organisation und Personalarbeit in der öffentlichen Verwaltung bestehe weiterhin. Der Diskussionsbeitrag von Professor Dr. Eberhard Laux, Düsseldorf, beschäftigte sich mit der Funktion und Zusammenarbeit m i t den Personalräten, die für die Organisationsberatungspraxis eine entscheidende Bedeutung hätten. Die Probleme, die zwischen Verwaltungsführung und Personalrat entstehen könnten, lägen zumeist in den Bereichen der Organisations» und Personalpolitik. Ausschlaggebend sei aufgrund seiner Erfahrungen oft das Fehlen von Organisationsstellen oder Fachleuten, die die entsprechenden Abteilungen beraten könnten. Zum anderen scheine ein weiterer Grund für die mangelnde Zusammenarbeit zwischen Personalverwaltung und Personalrat in einem fehlenden System von Spielregeln zu liegen, auf das sich beide Seiten beziehen könnten. Es gäbe aber auch Beispiele aus der Praxis, wo von Seiten der Personalvertretung entschiedende Anstöße für notwendige organisatorische Verbesserungen ausgegangen seien. Zusammenfassend stellte Laux fest, daß die Zusammenarbeit m i t den Personalräten m i t in den Mittelpunkt der Personal- und Organisationspolitik gestellt werden müsse. Dr. Gerhard Pflaumer vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung stellte in seinem Diskussionsbeitrag fest, daß die Organisationsarbeit in der öffentlichen Verwaltung noch einer erheblichen Professionalisierung bedürfe. Es sei unbedingt notwendig, daß i n der Referendarausbildung Möglichkeiten gefunden würden, wesentliche Gesichtspunkte der Organisationsentwicklung einzubringen. I n diesem Zusammenhang komme auch der Fortbildung eine besondere Bedeutung zu. Die in diesem Bereich festzustellenden Ansätze zur Organisationsausbildung i n der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung wie aber auch an der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung müßten erweitert werden. Vor allem sollte aber bei der Auswahl von Führungskräften auch deren Kenntnisse der Organisationsproblematik mit zum Auswahlkriterium gemacht werden, denn jede Führungskraft sei Organisator im Nebenamt.
Neue Technologien für die Büros — werden sie akzeptiert? Von Eduard Gaugier
I. Innovationscharakter neuer Bürotechniken Die Frage des Themas bezieht sich auf neue Arbeitsmittel, die die technische Entwicklung der letzten Jahre für die Informationsbearbeitung und Informationsverarbeitung anbietet. Obwohl es sich dabei lediglich um technische Hilfsmittel m i t reinem Instrumentalcharakter für Arbeitsprozesse handelt, die man zumeist i n Büros antrifft, sprechen mindestens zwei Gründe dafür, sich gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt m i t den Akzeptanzproblemen zu beschäftigen, die sich mit dem Einsatz der modernen Informationsverarbeitungstechnik verbinden. Seit einer Reihe von Jahren unterliegen diese Technologien einem rapiden Wandel. Für die nahe Zukunft prognostiziert man eine noch weitergehende und sehr viel stärkere Verbreitung neuer Informationsverarbeitungstechniken i n vielen Bereichen der Wirtschaft und der Verwaltung. Eine tiefgehende und weitgreifende „bür ο technische Umbruchsphase" scheint unmittelbar bevorzustehen. Hinzu kommt, daß die neuen Informationsverarbeitungstechniken häufig die Anforderungen an die Mitarbeiter i m Bürobereich nennenswert verändern und daß die Arbeitsorganisation i n den Einsatzbereichen dieser neuen technischen Hilfsmittel mehr oder weniger stark verändert werden muß. Aus beiden Aspekten folgt, daß die Einführung neuer Informationsverarbeitungstechniken i n der Regel eine besondere Herausforderung an die zuständigen Führungskräfte, an die Vertretungen der Mitarbeiter (Betriebsrat, Personalrat) sowie an die betroffenen Mitarbeiter selbst beinhaltet. Die bevorstehende Einführung und Expansion neuartiger Bürotechniken i n Wirtschaft und Verwaltung stellt sich geradezu als ein exemplarischer Testfall dafür dar, ob und inwieweit w i r es seit Beginn der Industrialisierung gelernt haben, den technischen Wandel zu beherrschen und neue Arbeitstechniken gleichzeitig als einen Beitrag zur Rationalisierung und zur Humanisierung der Arbeit zu gestalten.
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Eduard Gaugier
Betrachtet man die Technisierung des Arbeitsprozesses i m Bürobereich i n der Vergangenheit, so stellt man fest, daß damit bislang keine sehr tiefgreifenden Folgen für die betroffenen Mitarbeiter verbunden waren. Die Einführung der elektrischen Schreibmaschine, die Verwendung von Diktiergeräten, der Einsatz moderner Kopiertechniken und der Mikroverfilmung sowie der weitverbreitete Gebrauch des Taschenrechners deuten zwar darauf hin, daß auch die Informationsbearbeitung und -Verarbeitung seit Jahrzehnten einem technischen Wandel unterliegt. Das Tempo dieser Entwicklungen i m Bürobereich war jedoch häufig sehr viel langsamer als beispielsweise die Technisierung der Fertigung in Fortschrittsbranchen. Die neuen Techniken für die Informationsverarbeitung greifen jedoch viel stärker i n die bisherige A r t der Büroarbeit ein; die Geschwindigkeit des technischen Wandels scheint sich auch in diesem Bereich nunmehr intensiv zu beschleunigen. Deshalb ist die Frage ernst zu nehmen, ob und inwieweit die Betroffenen die neuen Technologien für die Büroarbeit innerlich bejahen und annehmen. Betroffene i m Sinne des Themas sind zunächst die Mitarbeiter, die unmittelbar die neuen und künftigen Techniken der Informationsbearbeitung und -Verarbeitung verwenden. Hinzu kommen jene Mitarbeiter, die als „Zuarbeiter" oder als „Nachfolgekräfte" indirekt von den Leistungen der neuen Bürotechniken betroffen sind. I n engem Bezug zu den neuen Techniken sind auch die Führungskräfte zu sehen, die an der Spitze von Organisationen oft ohne direkte Selbsterfahrung m i t den neuen Bürotechniken über die Anschaffung und Verwendung dieser Hilfsmittel disponieren und die von den Leistungen dieser Techniken mehr oder weniger betroffen sind. Besondere Anforderungen stellen die neuen Bürotechniken an die Führungskräfte, die für die Fachabteilungen verantwortlich sind, in denen die neuen Techniken zum Einsatz kommen. I n Bezug auf die personellen Auswirkungen solcher Umstellungen w i r d man auch die Führungskräfte i m Personalwesen zu den Betroffenen zu zählen haben. Nicht zuletzt sind die Betriebsräte und Personalräte zu nennen; gerade bei ihnen ist i n der Gegenwart öfters eine erhebliche Unsicherheit zu erkennen, wenn sie i m Rahmen ihrer rechtlichen Zuständigkeit bei der Einführung neuer Informationsverarbeitungstechniken m i t w i r k e n sollen. Zwei weitere Personengruppen stehen m i t der Einführung neuer Bürotechniken i n einem mehr oder weniger engen Zusammenhang; dennoch sollen sie i m Sinne des Themas nicht als „Betroffene" verstanden werden. Dabei handelt es sich einmal um die Steuerzahler, die die Investitionen der öffentlichen Hand für neue Informationsverarbeitungstechniken zu finanzieren haben. Hinzu kommen Kunden und Lieferanten sowie bei der öffentlichen Verwaltung auch die Bürger selbst,
Neue Technologien f ü r die Büros
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die die Verwendung neuer Bürotechniken als „Leistungsempfänger" sehr wohl betreffen können. Man denke nur beispielhaft an den m i t EDV erstellten Steuerbescheid oder an die zentrale Besoldungsabrechnung, die m i t dem Einsatz neuer Bürotechniken arbeitet. II. Komponenten der Akzeptanz neuer Techniken für Informationsbearbeitung und Informationsverarbeitung Zur Beantwortung der Frage, ob und inwieweit die unmittelbar Betroffenen die neuen Technologien für die Büros akzeptieren, stützt sich der Verfasser auf eine Untersuchung, die er i m Jahre 1978/79 m i t M i t arbeitern i m Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung i n besonders ausgewählten Firmen durchgeführt hat 1 . I m Rahmen dieser empirischen Untersuchung wurden fünf Fallstudien durchgeführt, i n denen die Einführung neuer Bürotechniken i m einzelnen untersucht wurde. Die Forschungsergebnisse stammen aus einer Großbank, die zur Bearbeitung von Massenbelegen Bildschirmgeräte eingeführt und diese Terminals mit der EDV gekoppelt hat. Die zweite Fallstudie stammt aus einem Versicherungsunternehmen i m öffentlich-rechtlichen Bereich m i t mittlerer Größe. Diese Gesellschaft verwendet seit einiger Zeit Bildschirme zur aktenlosen Sachbearbeitung i m Dialogverkehr. Auch hier sind die Terminals m i t der EDV kombiniert. Ferner wurde die Verwendung von Bildschirmgeräten für Kassierer eines Geldinstituts untersucht; die Einführung der Datensichtgeräte und ihre Verbindung zum zentralen Datenspeicher ermöglichen es dem Kassenpersonal, den Bankkunden weitgehend ohne Disponenten direkt bedienen zu können. Eine weitere Fallstudie betrifft einen Industriebetrieb der Metallverarbeitung, der einen zentralen Schreibdienst eingeführt und damit auf organisierte Textverarbeitung umgestellt hat. Schließlich erstreckte sich die Untersuchung auf ein großes Chemieunternehmen, das ebenfalls zur zentralen Textverarbeitung übergegangen ist und diese teilweise i n vorprogrammierter Form m i t Textautomaten erledigen läßt. Bei diesen fünf Fallstudien wurde versucht, den Ablauf und die Probleme des Umstellungsprozesses auf neue Bürotechniken zu analysieren. Ferner richtete sich die empirische Untersuchung darauf, die Auswirkungen der neuen Informationsverarbeitungstechniken auf Rationalisierung und auf Humanisierung der Büroarbeiten zu erfassen. I m Rahmen dieser fünf Fallstudien haben insgesamt 559 Mitarbeiter m i t Fragebogen geantwortet; weitere 29 Vertreter der Unternehmenslei1
Eduard Gaugier, Ulrich Althauser, Meinulf Kolb, Angelika Mallach, Ratio-
nalisierung und Humanisierung von Büroarbeiten, 2. Auflage, Ludwigshafen 1980. 10 Speyer 81
Eduard Gaugier
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tung, der betroffenen Führungskräfte und der Betriebsräte wurden i n Intensivinterviews befragt. Die Basis dieser empirischen Erforschung bildete die Einführung neuer Bürotechniken, die zum Zeitpunkt der Erhebung i n allen fünf Firmen etwa zwei bis vier Jahre zurücklag. Die Untersuchung fand also nicht i m akuten Umstellungsstadium statt; die Befragten, die alle selbst diese Umstellungsprozesse mitgemacht hatten, konnten daher die Einführung der neuen Bürotechniken aus einer gewissen Distanz beurteilen, die freilich nicht so groß war, daß das Erinnerungsvermögen der Befragten allzu sehr beeinträchtigt erscheinen mußte. 1. Globale Arbeitszufriedenheit Zunächst überrascht, daß die Untersuchungsergebnisse eine hohe, allgemeine Arbeitszufriedenheit der Befragten m i t der ausgeübten Tätigkeit i m Büro nach der einige Jahre zurückliegenden Umstellung zu erkennen geben. 79,4 °/o der Befragten gaben an, m i t der von ihnen ausgeübten Tätigkeit bei einer globalen Beurteilung „zufrieden" oder „eher zufrieden" zu sein. Lediglich 16,7 °/o äußerten sich hierzu kritisch („unzufrieden" bzw. „eher unzufrieden"). Aus vielen anderen Untersuchungen weiß man, daß bei der Ermittlung der globalen Arbeitszufriedenheit regelmäßig hohe Werte auftreten. Auch bezüglich der Messung der allgemeinen Arbeitszufriedenheit darf man Probleme nicht übersehen, die i n der sozialen Erwünschtheit positiver Antworten, in individuellen Unterschieden i m Stellenwert der Berufsarbeit sowie i n Verzerrungen bei der individuellen Wahrnehmung der realen Arbeitssituation begründet sein können. Deshalb empfiehlt es sich, die Ermittlung der globalen Arbeitszufriedenheit durch konkrete Detailanalysen zu ergänzen. Auch die Frage, wie die Mitarbeiter das Ansehen ihrer Tätigkeit nach der technischen Umstellung einschätzen, erbrachte vorwiegend positive Werte. Aus der Sicht der betroffenen Mitarbeiter stellt sich das Image ihrer Tätigkeit nach der Einführung moderner Bürotechniken wie folgt dar: Ansehen gleich groß
52,4%
Ansehen höher
24,6 °/o
Ansehen niedriger
.
9,1 %
Wie diese Werte zeigen, sind die betroffenen Mitarbeiter überwiegend der Ansicht, daß die neuen Informationsverarbeitungstechniken das A n sehen ihrer Tätigkeit nicht beeinflußt haben. Fast ein Viertel der Befragten spricht von einem Image-Zuwachs. Nur jeder 11. Mitarbeiter wertete die technische Umstellung als einen Nachteil für das Ansehen seiner beruflichen Tätigkeit.
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Neue Technologien für die Büros
Wesentlich kritischer haben die Mitarbeiter die Frage beantwortet, wie sie ihre persönlichen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten i m arbeitgebenden Unternehmen nach der Umstellung auf neue Informationsverarbeitungstechniken einschätzen. Eine schlechte Beurteilung der eigenen Entwicklungsmöglichkeiten äußerten 65,9 °/o der Befragten; nur 29,0 °/o gaben eine positive Einschätzung für ihre persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten nach der Umstellung an. Wesentlich besser als der Durchschnitt beurteilen die Mitarbeiterinnen i n der zentralen Textverarbeitung ihre Entwicklungschancen; hier liegen die positiven Einschätzungen teilweise über 50 °/o. Es ist möglich, daß die Mitarbeiterinnen i n der zentralen Textverarbeitung die Möglichkeit sehen, sich für eine Tätigkeit i n Einzelsekretariaten zu qualifizieren. Die vorwiegend kritischen Werte für die Einschätzung der individuellen Entwicklungsmöglichkeiten nach der Umstellung können — wie oben gezeigt wurde — offensichtlich die globale Arbeitszufriedenheit nicht allzu stark beeinträchtigen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob für Mitarbeiter, die m i t neuen Bürotechniken arbeiten, die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten eine weniger wichtige Rolle spielen. 2. Umstellungsvorgang Für die Akzeptanz neuer Bürotechniken ist die Abwicklung des Umstellungsprozesses von erheblicher Bedeutung. Bei der Einführung neuer technischer Arbeitsmittel spielt die Information der Mitarbeiter eine wesentliche Rolle. Die befragten Mitarbeiter gaben an, die ersten Irformationen über die geplante Einführung neuer Bürotechniken auf folgenden Wegen erhalten zu haben: vom Vorgesetzten von der Unternehmensleitung
54.4 °/o 8,7 °/o
vom Betriebsrat
0,8 °/o
durch Gerüchte
11.5 °/o
ohne Antwort
24.6 »/ο
Beachtenswert erscheint bei diesen Resultaten, daß nahezu zwei D r i t tel der Mitarbeiter ihre Erstinformation von den Führungskräften erhalten haben. Auch die Informationsvermittlung auf dem Wege von Gerüchten kann man nicht ignorieren. Ferner wurden die Mitarbeiter befragt, wie sie bei der erstmaligen Information auf die geplante Umstellung reagiert haben und wie sie nunmehr zum Zeitpunkt der Befragung die einige Jahre zurückliegende Einführung neuer Bürotechniken beurteilen. 10*
Eduard Gaugier
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Reaktion auf die Umstellung
bei Erstinformation
bei der Befragung
Bejahung der Umstellung Ablehnung der Umstellung
40,5 °/o 13,5 °/o
70,6 °/o 8,3 °/o
ohne Urteil ohne Antwort
26,5 °/o 19,8 °/o
21,0 °/o
—
Diese Befragungsergebnisse zeigen, daß die eigene Erfahrung mit den neuen Bürotechniken die Akzeptanz derselben stark gesteigert hat. Ebenso deutlich ist, daß das Ausmaß der Ablehnung neuer Bürotechniken i m Zeitablauf schwindet. Einen kritischen Wert enthält die Feststellung, daß über ein Viertel der Befragten sich nach der erstmaligen Information über die geplante Umstellung kein Urteil über die bevorstehende Einführung neuer Informationsverarbeitungstechniken machen konnte. Dieser Informationsmangel hat dazu beigetragen, daß i n einem der fünf untersuchten Unternehmen 60 °/o der betroffenen Angestellten nach der Information über die geplante Umstellung gekündigt haben. I n diesem Fall war allerdings mit der Einführung neuer Informationsverarbeitungstechniken die Notwendigkeit verbunden, daß ein Teil der betroffenen Mitarbeiter innerhalb des Filialnetzes des Unternehmens versetzt werden mußte. Bei den meisten Untersuchungsfirmen hatten die betroffenen M i t arbeiter nach der Erstinformation die Möglichkeit, Wünsche und eigene Vorschläge zur Umstellung zu äußern. Teilweise wurden diese Anregungen bei der Einführung der neuen Bürotechniken berücksichtigt. Man kann vermuten, daß dieses Verhalten der Unternehmen die Akzeptanz der neuen Bürotechniken bei den Mitarbeitern gesteigert hat. 3. Arbeitsplatzgestaltung Eine Hypothese der Untersuchung lautete: Die veränderten Arbeitsbedingungen beeinflussen u. a. die Akzeptanz neuer Informationsverarbeitungstechniken. U m diese Vermutung zu überprüfen, wurde den betroffenen Mitarbeitern eine Reihe einschlägiger Fragen gestellt. Eine dieser Fragen lautete: „Fühlen Sie sich durch Ihre Tätigkeit stark beansprucht?" Bejahende Antworten gaben 43,3 °/o der Mitarbeiter; 54,4 °/o verneinten diese Frage. Körperliche Beschwerden führten rund 40 °/o der Befragten auf ihre Tätigkeit an Arbeitsplätzen m i t neuen Informationsverarbeitungstechniken zurück. Besonders hohe Werte für eine starke körperliche Beanspruchung ergaben sich bei Arbeitsplätzen zur Datenerfassung mit Hilfe von Bildschirmgeräten; hier fühlen sich
Neue Technologien für die Büros
149
67,8 «/ο der Mitarbeiterinnen durch ihre Tätigkeit besonders stark in Anspruch genommen. Eine weitergehende Detailanalyse brachte eine Reihe kritischer Beurteilungen und verschiedene positive Wertungen. Als wenig befriedigende Arbeitsplatzbedingungen erwiesen sich folgende Umstände: mangelhafte Belüftung
(73,0 °/o)
fehlende A r m - und Fußstützen
(69,4 °/o)
Lärmbelästigung
(54,0 °/o)
fehlender Ruheraum
(52,8 %)
Die folgenden Hinweise zeigen weitgehend positive Gestaltungen der Arbeitsbedingungen : bequeme Sitzmöglichkeiten
(83,7 °/o)
gute Beleuchtung
(63,5 °/o)
Von ganz besonderer Wichtigkeit ist das Ergebnis, daß 85,7 °/o der Befragten die technischen Hilfsmittel ihres Arbeitsplatzes als „gut bedienbar" bezeichneten. Für die Akzeptanz der neuen Bürotechniken kommt diesem Wert eine außerordentliche Bedeutung zu. Insbesondere löst dieser sehr positive Wert die Frage aus, ob die starke und weitverbreitete K r i t i k an der sogenannten Benutzerfeindlichkeit der neuen Bürotechniken i m Widerspruch zur Realität steht oder ob den i m Rahmen dieser Untersuchung befragten Mitarbeitern hinreichende Vergleichsmöglichkeiten zur Beurteilung ihrer eigenen technischen Arbeitsmittel fehlten. 4. Handlungsspielraum Neben der technischen Bedienbarkeit der neuen Informationsverarbeitungstechniken darf man die Arbeitsorganisation, i n die die Bürotechnik eingebettet ist, nicht ignorieren. Für die Akzeptanz der Informationsverarbeitungstechniken dürfte es daher bedeutsam sein, ob und inwieweit die modernen technischen Hilfsmittel den individuellen Gestaltungsraum der einzelnen Mitarbeiter i m Rahmen der Arbeitsorganisation verändern. Zur Beantwortung dieser Frage können verschiedene Untersuchungsergebnisse dienen. Der Handlungsspielraum der Mitarbeiter läßt sich an ihrer Möglichkeit messen, den Arbeitsplatz tauschen zu können. Die Frage nach der Möglichkeit des Arbeitsplatztausches vor und nach der Einführung neuer Bürotechniken ergab folgende Werte:
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Eduard Gaugier
vor der Umstellung
nach der Umstellung
keine Möglichkeit auf Anweisung des Vorgesetzten
30,2 % 33,3 o/o
31,7 °/o 39,7 °/o
nach Absprache mit Kollegen
14,7 °/o
22,6 °/o
Möglichkeit des Arbeitsplatztausches
Wie aus dieser Übersicht hervorgeht, haben die neuen Bürotechniken die Möglichkeit, den Arbeitsplatz zu tauschen, i m allgemeinen nicht nennenswert beeinflußt. Eine Ausnahme bildet jedoch auch hier die zentrale Textverarbeitung. Die dort eingesetzten Mitarbeiterinnen geben an, daß sie nunmehr i n größerem Umfang ihren Arbeitsplatz tauschen können. Der Gestaltungsraum der Mitarbeiter i m Rahmen der Arbeitsorganisation läßt sich ferner anhand der Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Planung am Arbeitsplatz und zur Selbstkontrolle der Arbeitsergebnisse beurteilen. Nach den Auskünften der befragten M i t arbeiter verhält sich das Ausmaß der eigenverantwortlichen Entscheidungs- und Planungsmöglichkeit nach der Einführung neuer Bürotechniken wie folgt: mehr Dispositionsmöglichkeiten
15,9 °/o
weniger Dispositionsmöglichkeiten
17,9 °/o
gleichviel
42,5 %
Von einem Schwund an eigenverantwortlichen Entscheidungs- und Planungsmöglichkeiten berichten insbesondere die Mitarbeiterinnen in der zentralen Textverarbeitung. Das Ausmaß der eigenverantwortlichen Selbstkontrolle am Arbeitsplatz stellt sich i m Urteil der Mitarbeiter nach der Umstellung folgendermaßen dar: mehr Selbstkontrolle
24,2 °/o
weniger Selbstkontrolle
11,9%
gleichviel
38,1 °/o
Eine weitere Frage bezog sich auf den Einfluß des Mitarbeiters auf seinen Arbeitsrhythmus. Während vor der Umstellung 21,4% der Befragten der Meinung waren, daß ihr Arbeitsrhythmus von den technischen Hilfsmitteln und den Vorgesetzten abhängig sei, stieg dieser Prozentsatz nach der Einführung neuer Bürotechniken auf 32,9 %> an. Vor allem beim Einsatz von Kassenterminals i n Geldinstituten ergab sich eine gesteigerte Abhängigkeit des Arbeitsrhythmus von den technischen Hilfsmitteln.
Neue Technologien für die Büros
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Nach Ansicht der befragten Mitarbeiter hat sich ihre Arbeitssituation bei der Einführung neuer Informationsverarbeitungstechniken mehr oder weniger stark geändert. Dabei sind positive und kritische Veränderungen zu unterscheiden. Als kritische Veränderungstendenzen müssen die folgenden Werte gelten.
große Belastung durch Arbeitsmengen starke Konzentration erforderlich einseitige Beanspruchung von Fähigkeiten
vor der Umstellung
nach der Umstellung
44,4 °/o 58,7 °/o
64,7 °/o 85,3 °/o
29,0 °/o
43,7 ®/o
Diesen kritischen Entwicklungen stehen eine Veränderungen gegenüber.
gute Durchschaubarkeit des Arbeitsablaufes am Arbeitsplatz gute Durchschaubarkeit des Arbeitsablaufes in der Abteilung
Reihe von
positiven
vor der Umstellung
nach der Umstellung
56,3 °/o
76,2 °/o
49,6 %
67,9 °/o
I n Bezug auf die Akzeptanz der neuen Informationsverarbeitungstechniken weisen die beiden Tabellen ambivalente Werte auf, die zweifellos in der individuellen Beurteilung durch die Mitarbeiter unterschiedliche Gewichte besitzen. Eine weitere Frage bezog sich auf die Zusammenarbeit m i t Arbeitskollegen, mit Führungskräften und mit Kunden. Nach Auskunft der befragten Mitarbeiter hat die Einführung neuer Bürotechniken die Kooperation in den verschiedenen Unternehmensbereichen wie folgt beeinflußt: keine Veränderung
40 - 50 °/o
Verbesserung
20 - 30 °/o
Verschlechterung
10 - 20 %
Auch an diesem Beispiel zeigt sich, daß m i t der Anwendung neuer Informationsverarbeitungstechniken ein Teil der Faktoren, die die A k zeptanz der neuen Techniken beeinflussen, vorwiegend konstant bleiben; andere erfahren i n den Augen der Mitarbeiter i n unterschiedlichem Ausmaße positive und negative Veränderungen.
Eduard G a u g e r
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5. Vergütung
und Sicherheit des Arbeitsplatzes
Schließlich liegt die Annahme nahe, daß die Entlohnung und die Sicherheit der Beschäftigung die Bereitschaft für neue Bürotechniken beeinflussen können. Hinsichtlich der Vergütung wurden die Mitarbeiter befragt, inwieweit sie ihre Entlohnung nach der Umstellung als anforderungsgerecht bzw. als leistungsgerecht betrachten. I n beiden Fällen verneinen die Mitarbeiter mehrheitlich diese beiden Komponenten einer positiven Lohnfindung. Das Vorliegen einer anforderungsgerechten Vergütung bejahen 43,7 % und verneinen 53,2 % der Befragten. Eine leistungsgerechte Vergütung konstatieren 39,3%; gegenteiliger Meinung sind 55,6 %. Bei der zentralen Textverarbeitung liegen die positiven A n t worten erheblich über diesen Durchschnittswerten. Teilweise existieren i n diesen Einsatzbereichen moderner Bürotechniken Prämiensysteme, die eine leistungsbezogene Vergütung der dort eingesetzten Mitarbeiterinnen gestatten. Für die Akzeptanz neuer Bürotechniken kann es von Relevanz sein, ob die Betroffenen m i t der Einführung neuer Techniken positive Erwartungen für die Absicherung ihres Arbeitsverhältnisses verbinden. Diese Annahme erscheint besonders dann begründet, wenn am Arbeitsmarkt höhere Arbeitslosenzahlen vorliegen. Von den befragten Mitarbeitern waren 56,3 % der Meinung, daß ihr Arbeitsverhältnis i m Zuge der Umstellung sicherer geworden sei. Ein knappes Viertel (24,2 %) sah i n der Einführung neuer Bürotechniken eine größere Gefährdung ihres Arbeitsplatzes. Die vorstehende Zusammenfassung ausgewählter Ergebnisse aus der empirischen Untersuchung von 1978/79 gibt für das gestellte Thema einige Hinweise. — Die Akzeptanz neuer Informationsverarbeitungs- und Informationsbearbeitungstechniken w i r d von einer Reihe unterschiedlicher Faktoren beeinflußt. — Diese Akzeptanzfaktoren weisen bei unterschiedlichen Bürotechniken verschiedenartige Ausprägungen auf. — Offensichtlich ist die Akzeptanz neuer Bürotechniken stark situationsabhängig. — Die Akzeptanz neuer Informationsbearbeitungs- und Informationsverarbeitungstechniken hängt nicht allein von diesen Technologien selbst ab. Zusätzlich besitzen einen erheblichen Einfluß die A r t des Umstellungsprozesses (Informationsqualität), die Veränderungen der Arbeitsorganisation i n Verbindung m i t den neuen Bürotechniken,
Neue Technologien f ü r die Büros
153
die Anpassung des Entgeltsystems sowie die Ausgestaltung der A r beitssituation der einzelnen Mitarbeiter.
I I I . Zukunftsaspekte der Akzeptanz Die bisher vorgetragenen Untersuchungsergebnisse beziehen sich auf einen bestimmten Status der letzten zwei bis drei Jahre. Sie geben Hinweise auf Bedingungen und Faktoren für die Akzeptanz neuer Informationsbearbeitungs- und -Verarbeitungstechniken. Sie allein erlauben aber noch keine hinreichenden Aussagen über das erwartbare Verhalten der Betroffenen gegenüber künftigen Bürotechniken. Eine Aussage über die Akzeptanz i n der Zukunft muß versuchen, die überschaubare Entwicklung der Bürotechniken in die Überlegungen einzubeziehen. 1. Dynamik
der Bürotechniken
Die in den kommenden Jahren erwartbare Entwicklung der Techniken zur Informationsbearbeitung und Informationsverarbeitung läßt sich ungefähr wie folgt skizzieren. Der derzeitige Stand der modernen Bürotechnik macht es unwahrscheinlich, daß in absehbarer Zeit fundamentale, tiefgreifende und abrupte Veränderungen der einschlägigen Techniken bevorstehen. Ähnlich starke Umwälzungen, wie sie der erstmalige Einsatz von Terminals für Büro- und Verwaltungstätigkeiten gebracht hat, sind i n den kommenden Jahren nicht anzunehmen. Beispielsweise erwarten Experten nicht, daß es schon i n naher Zukunft befriedigend gelingt, das persönlich gesprochene Wort ohne zwischengeschaltete, menschliche Arbeitsprozesse direkt, d. h. ausschließlich durch technische Abläufe i n Schriftform zu reproduzieren. Gelegentliche diesbezügliche Sensationsmeldungen täuschen nach Auskunft von Kennern der technologischen Entwicklung über die tatsächlichen Fortschritte, die zur Lösung dieser Problematik bisher erzielt wurden, hinweg. Sicher werden die heutigen Techniken für die Informationsverarbeitung weiter verbessert werden; ihre Anwendungsgebiete werden sich ausdehnen. Insbesondere ist anzunehmen, daß neue Kombinationen vorhandener Einzeltechniken ihre Verwendungsmöglichkeiten erweitern. Diese Entwicklungen tragen dazu bei, daß sich der Informationsfluß und die Prozesse der Informationsverarbeitung in Büro und Verwaltung auch i n Zukunft verändern werden. Beispiele solcher Entwicklungen sind einmal die zunehmende Integration von Textverarbeitungs- und Computersystemen, ferner die Kombination von Texterzeugung, Daten-
154
Eduard Gaugier
Verarbeitung und Telekommunikation sowie drittens die stark expandierende Terminalisierung in weiten Bereichen der Sachbearbeitung in der Verwaltung. Versucht man, ein Szenario für einen typischen Sachbearbeiter an einem Büroarbeitsplatz der nahen Zukunft zu umschreiben, dann lassen sich dafür folgende Einzelangaben machen. — Dieser typische Sachbearbeiter bearbeitet seine Unterlagen mit Hilfe eines Bildschirmes i m Realzeitverfahren und i m Dialog mit einer zentralen Rechner-Speicher-Einheit. — Er benützt im Rahmen seiner Zugriffsberechtigung Datenbänke.
verschiedene
— Zur Lösung der i h m übertragenen Aufgaben bedient er sich verschiedener Software-Pakete. — Über sein Terminal kann er Schriftsätze (Briefe) an interne und externe Adressaten schicken und umgekehrt Schreiben auf demselben Wege empfangen. — Auf dem Wege der Telekommunikation und m i t Hilfe eines Drukkers, der an das Terminal angeschlossen ist, kann er sich Unterlagen beschaffen. — Schließlich kann sich der typische Sachbearbeiter der Zukunft direkt an seinem Arbeitsplatz m i t Hilfe des Bildschirmgerätes schulen und fortbilden. Die Realisierung solcher Entwicklungsmöglichkeiten, die heute durchaus nicht mehr utopisch erscheinen, hängt u. a. auch davon ab, ob die Betroffenen die bürotechnischen Instrumente der Zukunft akzeptieren. Nach unserer heutigen Einsicht beeinflussen die Akzeptanz dieser bürotechnischen Möglichkeiten eine Reihe von Zukunftsbedingungen. Einige Voraussetzungen, die für die Annahmebereitschaft der weiterentwickelten Bürotechnik wesentlich erscheinen, werden in den folgenden Abschnitten skizziert. 2. Gestaltung der Arbeitsorganisation Hinsichtlich der organisatorischen Gestaltung der Büro- und Verwaltungsarbeiten weisen die neuen und künftigen Techniken der Informationsverarbeitung ambivalente Merkmale auf. Einerseits ermöglichen sie eine fortschreitende Spezialisierung und eine zunehmende Arbeitsteilung. Damit besteht die Gefahr, daß nach dem gewerblichen Bereich nunmehr in Büro und Verwaltung Probleme der Arbeitsorganisation in Erscheinung treten, die man als „Taylorismus" zu bezeichnen pflegt. Aus dieser Befürchtung heraus ist das Stichwort vom Neotaylorismus
Neue Technologien für die Büros
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für die hochtechnisierte Informationsverarbeitung entstanden. Zur Verhinderung dieser Bedrohungen w i r d man sich rechtzeitig daran erinnern müssen, daß der französische Arbeitswissenschaftler Georges Friedmann schon i m Jahre 1959 m i t seinem Buch „Grenzen der Arbeitsteilung" darauf hingewiesen hat, daß die Natur des Menschen einer Intensivierung der Arbeitsteilung entgegensteht. Beim Einsatz neuer Bürotechniken besteht noch immer die Neigung, die Arbeitsteilung und Spezialisierung zu forcieren. Wenn dabei die anthropologisch bedingten Grenzen erreicht und überschritten werden, ist zu vermuten, daß gerade die von solchen Entwicklungen betroffenen Angestellten und Beamten aufgrund ihrer Orientierung an der bisherigen Arbeitsorganisation die künftigen Techniken der Informationsverarbeitung zunehmend ablehnen werden. Andererseits ist es nicht ausgeschlossen, daß die modernen Bürotechniken größere Chancen für neue und human orientierte Arbeitsstrukturen aufweisen. Arbeitsstrukturen, die positiv die menschliche Person bei den Mitarbeitern i n Büro und Verwaltung respektieren, sind dadurch gekennzeichnet, daß sie sinnvoll erachtete Arbeitsinhalte für die einzelnen Arbeitsplätze vorsehen, daß die Aufgabenstellungen ein Höchstmaß an Motivationspotentialen aufweisen und daß die Arbeitsinhalte den einzelnen Mitarbeitern einen größeren Dispositions- und Verantwortungsbereich zuordnen. Freilich muß man zugestehen, daß bislang auch in der Wirtschaft weithin empirische Experimente fehlen, die zeigen, wie man solche Arbeitsstrukturen bei der Einführung neuer Informationsverarbeitungstechniken realisieren kann. Dennoch dürfte es für die künftige Akzeptanz neuer Bürotechniken von erheblicher Bedeutung sein, ob es gelingt, in Verbindung m i t ihrem Einsatz Arbeitsstrukturen zu entwickeln, die die betroffenen Mitarbeiter bejahen können. Die Erwartung erscheint durchaus begründet, daß die Annahme der Techniken zur Informationsverarbeitung erschwert bzw. sogar gefährdet wird, wenn tayloristische Vorstellungen von der Arbeitsorganisation ihre Einführung begleiten. 3. Erhaltung
der persönlichen
Kommunikation
Die neuen Bürotechniken und ihre voraussehbaren Weiterentwicklungen ermöglichen die sogenannte Kommunikationsautonomie einzelner Büroarbeitsplätze (Eberhard Witte). Damit kommt zum Ausdruck, daß man beim Einsatz hochentwickelter Bürotechniken auf persönliche Arbeitskontakte zur Informationsbeschaffung und zur Informationsweitergabe weitgehend verzichten kann. Schon heute meinen Experten, daß sich über die Hälfte aller Textnachrichten für die elektronische Weitergabe eignet.
156
Eduard Gaugier
Der intensive Einsatz dieser Technologie hat zur Folge, daß Büroarbeit eine starke Entpersönlichung erfährt, weil eine arbeitsbedingte, persönliche Kommunikation der Aufgabenträger überflüssig wird. Dam i t w i r d die zwischenmenschliche Dimension der Arbeit i n Büro und Verwaltung zurückgedämmt. Die neuen Informationsbearbeitungs- und Informationsverarbeitungstechniken schließen demnach die Gefahr der Isolation des einzelnen Mitarbeiters an seinem Arbeitsplatz ein. Wenn die künftigen Bürotechniken die Tendenz einschließen, daß die einzelnen Mitarbeiter ihren Informationsbedarf weitgehend ohne persönlichen Kontakt m i t Arbeitskollegen befriedigen können, dann kann für die Akzeptanz dieser Technik in der Zukunft von Bedeutung sein, ob und inwieweit sich der Verlust an aufgabenbezogener Kommunikation durch aufgabenfreie, zwischenmenschliche Kontakte kompensieren läßt. Damit stellt sich die Frage, ob man sich in der künftigen Arbeitsorganisation Freiräume für eine aufgabenlose Kontaktpflege vorstellen kann und inwieweit man diese interpersonelle Kommunikation zu bejahen bereit ist. 4. Anpassung der Arbeitszeitregelungen Die Bürotechnik ermöglicht die Speicherung großer Datenmengen, die Telekommunikation m i t Hilfe von Terminals und die Anwendung einer arbeitsplatzorientierten Software. Diese Entwicklungen lassen die herkömmlichen Regelungen für die Arbeitszeiten i m Büro und i n der Verwaltung obsolet erscheinen. Der Wegfall ständiger Rückkoppelungen und laufender Kooperation m i t Arbeitskollegen macht die einheitliche Handhabung des Arbeitsbeginns, der Arbeitspausen und des Arbeitsendes für alle Mitarbeiter teilweise überflüssig. Die neuen Techniken für die Informationsverarbeitung gestatten es, die Einteilung der A r beitszeit weitgehend dem einzelnen Mitarbeiter zu überlassen, soweit er nicht i m Parteienverkehr und für externe Kontakte zuständig ist. Ferner ermöglichen die neuen Bürotechniken eine extensive Anwendung der gleitenden Arbeitszeit, bei der sich die Kernarbeitszeit auf ein M i n i m u m reduzieren läßt. Schließlich w i r d bereits jetzt ernsthaft erwogen, wie sich die Chancen für die sogenannte elektronische Heimarbeit ergeben werden, wenn man die Techniken der Telekommunikation ausweitet und den Mitarbeitern portable Bildschirmgeräte nach Hause mitgeben kann. I m übrigen w i r d sich die Erfüllung des Aufgabensolls in Heimarbeit ohne Schwierigkeiten m i t dem Terminal erfassen lassen. Damit sind auch die technischen Voraussetzungen für eine leistungsorientierte Vergütung dieser Heimarbeit gegeben. Natürlich w i r d man die Realisierbarkeit solcher denkbaren Entwicklungsmöglichkeiten anhand von Experimenten i n einzelnen Organisatio-
Neue Technologien für die Büros
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nen der Wirtschaft und der Verwaltung überprüfen müssen. Falls solche Pilotprojekte erfolgreich verlaufen, ist anzunehmen, daß sich die Chancen für die Akzeptanz der künftigen Bürotechniken erheblich steigern lassen. Dies gilt insbesondere für die Annahme der Techniken bei den weiblichen Büro- und Verwaltungskräften. N i m m t man an, daß gerade bei den Mitarbeiterinnen eine besonders ausgeprägte Präferenz für die individuelle Gestaltung der Arbeitszeit besteht, dann fördern die skizzierten Entwicklungen der Bürotechnik ihre künftige Akzeptanz. 5. Qualifizierung
der Mitarbeiter
Seit einiger Zeit diskutiert man den Einfluß der fortschreitenden Technisierung auf die Qualifikationserfordernisse der Mitarbeiter. Für den Bereich der industriellen Leistungserstellung hat man insbesondere vier Thesen über die Auswirkungen des technischen Fortschrittes auf die Mitarbeiterqualifikation aufgestellt: — These von der Dequalifikation — These von der Höherqualifikation — These von der Anders-Qualifikation (Qualifikationsverlagerung) — Polarisierungs- bzw. Dychotomisierungsthese Für die bisherigen Frühphasen der Bürotechnisierung neigt die Fachliteratur inzwischen zur Annahme der Polarisierungsthese, die in der Vorstellung von einer gleichzeitigen Kombination von Dequalifikation und Höherqualifikation als Folge der technischen Entwicklung ausgeht. I n ihrer Tendenz deuten die neuen Techniken der Informationsverarbeitung darauf hin, daß einerseits mit ihnen die Notwendigkeit einer erheblichen Höherqualifizierung von Spezialisten, Experten, Programmgestaltern, Organisatoren etc. verbunden ist. Andererseits geben diese technischen Entwicklungen zu erkennen, daß die nötige Qualifikation für die Vielzahl der vorwiegend verrichtenden Bürofunktionen sinkt. Computerprogramme bauen den dispositiven Aufgabenteil bei vielen Büroarbeitsplätzen ab; die computergesteuerte Aufgabenerledigung breitet sich auch i m Verwaltungsbereich stark aus. Ob diese Dychotomisierung der erforderlichen Mitarbeiterqualifikation anhält, ist freilich nicht allein von der künftigen Bürotechnik abhängig. Auch die organisatorische Ausgestaltung der Arbeitsinhalte beeinflußt die erforderliche Qualifikation der Mitarbeiter an ihren A r beitsplätzen. Dennoch w i r d man davon auszugehen haben, daß die neuen Techniken der Informationsverarbeitung die Anforderungen an die Qualifikation der betroffenen Mitarbeiter verändern und auch i n Zukunft modifizieren werden. Ferner stellt es sich als eine Notwendig-
158
Eduard Gaugier
keit dar, daß die Ausbildung der Mitarbeiter und ihre Weiterbildung den technisch-organisatorischen bedingten Änderungen folgen muß. Schließlich muß man vermuten, daß die Akzeptanz der neuen Bürotechniken seitens der Mitarbeiter beeinträchtigt wird, wenn die Qualifikationsveränderungen m i t grundlegenden Bedürfnissen des arbeitenden Menschen kollidieren und wenn die Ausbildungsgänge und die Weiterbildung der Mitarbeiter sich nicht ausreichend an den Qualifikationsverlagerungen ausrichten. IV. Uberwindung des technologischen Determinismus Hinter den bisherigen Überlegungen zur Akzeptanz einer sich dynamisch entwickelnden Bürotechnik steht die Frage, ob und inwieweit es möglich erscheint, den sogenannten technologischen Determinismus wenigstens partiell zu überwinden. M i t diesem Stichwort verbindet man heute insbesondere zwei Inhalte. Einmal meint man, daß sich die technische Entwicklung i m allgemeinen und damit auch die Schaffung neuer Bürotechniken ausschließlich nach eigengesetzlichen Regeln der Technik vollziehe („Eigengesetzlichkeit der technologischen Entwicklung"). Außerdem beinhaltet der technologische Determinismus die Vorstellung, daß eine bestimmte Technik zwangsläufig eine ganz bestimmte Arbeitssituation und Arbeitsorganisation bedinge. Nach dieser Vorstellung ergeben sich aus bestimmten Entwicklungen der Technik strenge Bedingungen für die Ausgestaltung der Arbeitsorganisation. Wendet man diese beiden Inhalte der These vom technologischen Determinismus auf die Bürotechnik an, so ergeben sich die folgenden Überlegungen. Die zukünftige Technik der Informationsverarbeitung und die sie umgebende Arbeitsorganisation i m Büro resultieren allein aus der technologischen Eigengesetzlichkeit. Zwangsläufig t r i t t dann eine Reduzierung der Handlungsspielräume der Büroangestellten, ein partieller Abbau der beruflich erforderlichen Qualifikation, eine Entpersönlichung der Arbeitsprozesse durch Computersteuerung sowie ein partieller Verlust der beruflichen Entwicklungs- und Entfaltungschancen auf. Für die Akzeptanz der künftigen Bürotechniken läßt diese These vom technologischen Determinismus wenig Chancen. Demgegenüber dürften die Mitarbeiter in Büro und Verwaltung den erwartbaren Techniken aufgeschlossener begegnen, wenn sich die tatsächliche Entwicklung der Informationstechnologie vom Konzept des technologischen Determinismus löst, d. h., wenn die Konstruktion der künftigen Bürotechnik nicht ausschließlich technischen und ökonomischen Normen folgt. Die Aspekte der menschengerechten Gestaltung der Arbeitsmittel bekommen hinsichtlich der Akzeptanz eine wachsende Bedeutung.
Neue Technologien für die Büros
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Ferner darf man annehmen, daß die Chance für die positive Annahme der zukünftigen Bürotechnik wächst, wenn die Hypothese von der ausschließlichen Abhängigkeit der Arbeitsorganisation von der eingesetzten Technik überwindbar ist. Unbestritten w i r d auch in Zukunft sein, daß die Bedingungen der Technik einen wesentlichen Einfluß auf die Arbeitsorganisation ausüben. Diese allgemeine Tendenz w i r d künftig verstärkt auch i m Büro und in der Verwaltung gelten. Dennoch gibt es heute Anzeichen dafür, daß die Arbeitsorganisation i m Büro nicht total von der Technik der Informationsverarbeitung determiniert sein muß. Die Experimente m i t neuen Arbeitsstrukturen, die i n den letzten Jahren vorwiegend in der industriellen Fertigung stattfinden, deuten auf entsprechende Dispositionsmöglichkeiten bei der organisatorischen Ausgestaltung hin. Solche experimentelle Projekte sollten nunmehr intensiv auch in Büros und Verwaltungen m i t neuen Technologien erfolgen, damit man die organisatorischen Variationsmöglichkeiten ausloten kann. Schließlich werden die Aussichten für die Akzeptanz der künftigen Techniken zur Informationsverarbeitung zusätzlich steigen, wenn auch die Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter rechtzeitig und hinreichend an jenen Qualifikationserfordernissen ausgerichtet wird, die die neuen Bürotechniken und die m i t ihnen praktizierten Formen der Arbeitsorganisation m i t sich bringen. Nach diesen Überlegungen erweist sich die Annahme der erwartbaren Bürotechniken durch die betroffenen Mitarbeiter als eine Funktion der menschengerechten Gestaltung der technischen Hilfsmittel selbst, als eine Funktion der Integration der Bürotechnik in eine human erachtete Arbeitsorganisation sowie als eine Funktion der Personalentwicklung gemäß der Qualifikationsverlagerungen, die sich aus den neuartigen Techniken und aus den veränderten Formen der Büroorganisation ergeben. I n dieser Funktionsgleichung sind die drei genannten Faktoren nicht additiv, sondern multiplikativ miteinander verbunden, d. h. keiner der drei Faktoren darf den Wert N u l l annehmen, wenn die Mitarbeiter i n Büro und Verwaltung die künftigen Techniken der Informationsbearbeitung und Informationsverarbeitung wenigstens überwiegend akzeptieren sollen.
Aussprache zum Referat von Eduard Gaugier Bericht von Wilfried Frankenbach Präsident Professor Dr. Manfred Lepper, Köln, leitete die Diskussion. Er schlug vor, den Schwerpunkt der Aussprache auszurichten auf die Frage, wieweit es gelingen werde, das vorhandene Organisationssystem der öffentlichen Verwaltung so zu gestalten, daß die von den technischen Hilfsmitteln angebotenen neuen Möglichkeiten nutzbringend eingesetzt werden könnten. Er verwies i n diesem Zusammenhang auf die Aufgabe der Führungspersönlichkeiten und der Organisationsleiter in den Behörden, die neuen Möglichkeiten m i t einer gewissen Aufgeschlossenheit und organisatorischen Kreativität zu erfassen, da sonst der Integrationsprozeß mißlingen würde. Regierungsrat Rolf Justi, Marburg, eröffnete die Aussprache, indem er die Probleme beschrieb, mit denen er bei einer von ihm vorgeschlagenen Einführung der EDV i n seiner Behörde, einem Landratsamt, rechnen müsse. I h m würde sofort entgegengehalten, daß es Möglichkeiten zum Einsatz der EDV ohnehin nur dort gäbe, wo massenweise auftretende Vorgänge m i t relativ geringer Differenzierung vorliegen. Es sei sicher kein großes Problem, eine Straßenverkehrs- oder eine Zulassungsstelle zu automatisieren. Die Automatisierungsprobleme träten aber i n vielen anderen Bereichen auf (ζ. B. i n der Kommunalaufsicht), in denen Tag für Tag andere Fragestellungen und eine Vielzahl von Rechtsfragen zu bearbeiten seien. Als zweiten Problembereich sprach er die Fragen an, die von den Personalräten i m Zusammenhang m i t Automatisierungsvorhaben gestellt würden. Er habe selbst bei einer von i h m durchgeführten Umstellung der Datenerfassung von Klarschriftlesegeräten auf Bildschirme dem Personalrat Antworten auf die Fragen geben müssen, wieviele Arbeitsplätze wegrationalisiert würden, und ob die Schreibkräfte sicher sein könnten, daß nicht i n zwei Jahren ihre Arbeit vollständig vom Sachbearbeiter übernommen werde. I h m sei es zwar gelungen, den Personalrat dahingehend zu beruhigen, aber ein schlechtes Gewissen habe er dabei schon gehabt. Der Konflikt, der hier zu lösen sei, bestehe seiner Meinung nach darin, daß die öffentliche Verwaltung auf der einen Seite Arbeitsplätze schaffen solle, auf der anderen Seite aber durch den Einsatz der neuen Technologien Arbeitsplätze wegrationalisiere.
Aussprache
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Professor Dr. Manfred Lepper betonte i n diesem Zusammenhang, daß viele Ängste und Befürchtungen einfach darauf beruhten, daß die erforderlichen Informationen über die Möglichkeiten der Mikroelektronik den Betroffenen vielfach nicht zur Verfügung stünden und damit auch deren Vorstellungsvermögen überfordert sei. Seiner Meinung nach sei dies auch ein Ausbildungs- und Fortbildungsproblem, das m i t den A k zeptanzproblemen in einem natürlichen Zusammenhang stehe. Senatsdirektor Professor Ulrich Becker, Hamburg, bat den Referenten zur Erleichterung der Diskussion um zusätzliche Informationen darüber, i n welchen Bereichen der öffentlichen Verwaltung die modernen Bürotechnologien überhaupt einsetzbar sind. Er könne sich zwar vorstellen, daß ζ. B. ein Veranlagungssachbearbeiter i m Finanzamt, ein Sachbearbeiter i n einer Kraftfahrzeugzulassungsstelle oder i m Einwohnermeldewesen m i t Bildschirmgeräten arbeiten könne, aber in anderen Bereichen wie ζ. B. i n der Kommunalaufsicht wäre das schon etwas schwieriger. Denkbar wäre hier nicht eine unmittelbare Verarbeitung im Dialog, sondern ein Informationssystem, das es ζ. B. ermögliche, ständig den Haushaltsstand der zu beaufsichtigenden Kommunen abzurufen. Hier wäre seiner Auffassung nach der eine oder andere Hinweis darüber hilfreich, welche konkreten Einsatzmöglichkeiten und welche daraus resultierenden Änderungen es eigentlich gäbe. Stadtkämmerer Ewald Schmiedt, Northeim, verwies auf die Gefahren eines Qualifikationsabbaues zwischen großen und kleinen Verwaltungen, der dadurch entstehen könne, daß eben nicht alle Behörden i n der Lage seien, die neuen Informations- und Bearbeitungsmöglichkeiten, seien sie i n der Textverarbeitung oder i n der elektronischen Datenverarbeitung, zu finanzieren beziehungsweise sich daran zu beteiligen. Außerdem könne die Entwicklung der neuen Technologien weg von den Großrechnern, hin zu den Kleinrechnern zugleich auch die bisher angestrebte Einheitlichkeit der Datenverarbeitung und möglicherweise der Textbe- und -Verarbeitung gefährden. Leitender Regierungsdirektor Dr. Joseph Altmann, Braunschweig, bezweifelte, ob die bisher gestellten Fragen überhaupt zu dem zu diskutierenden Thema gehörten. M i t Sicherheit müßten aber die Akzeptanzbedingungen erörtert werden, was zwangsläufig zu der wichtigen Frage nach der Motivation führe. Aus eigener Erfahrung mußte er feststellen, daß selbst der Einsatz von einfachen Textverarbeitungsautomaten nicht mit dem gewünschten Erfolg durchgesetzt werden konnte, weil die aus einem gewissen Beharrungsstreben resultierenden Widerstände des Personals nicht überwunden werden konnten. Nach seinem Dafürhalten sei deshalb die Motivationsfrage von außerordentlicher Bedeutung. 11 Speyer 81
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Aussprache
I m Schlußwort bemerkte der Referent, Professor Dr. Eduard Gaugier, Mannheim, daß er sich nicht vom Thema herausgefordert gefühlt habe zu untersuchen, an welchen Stellen des öffentlichen Dienstes moderne Bürotechniken einsetzbar seien. I m Hinblick auf die Anfragen von Justi und Becker hielt er es allerdings für zweckmäßig, kurz auf diese Fragestellung einzugehen. Erste Einsatzbedingung sei, daß die zu verarbeitenden Daten faßbar und speicherbar seien. Außerdem müsse die Problemlösung gewissen Gesetzmäßigkeiten folgen, das heißt, der Problemlösungsprozeß muß programmierbar und i n einer Programmiersprache ausdrückbar sein. Er verwies auf Analysen, die ergäben, daß cirka 80 °/o dessen, was i n konventioneller Weise sozusagen m i t Kopf, Hand und Papier bearbeitet werde, programmierbar sei. Er habe diese Analysen zwar weder selbst errechnet noch nachkontrolliert, wenn man sich aber an Einzelfällen einmal veranschauliche, was die konsequente organisatorische Durchdringung von verschiedenartigsten individuellen Arbeitsprozessen zu leisten vermöge, dann sei selbst derjenige, der bisher von der Individualität der Einzelaufgaben beeindruckt war, überrascht. Beispielsweise wäre es schon eindrucksvoll zu erleben, wie ein so höchst individuell erscheinender Vorgang einer Policenbearbeitung bei einer Versicherung weitestgehend programmierbar sei. Das erstrecke sich bis i n den Bereich von Managementaufgaben. Es gebe heute Unternehmen, die dazu übergingen, der unteren Führungsschicht, d. h. also dem Meister, dem Betriebsleiter und dem Vorarbeiter ein Bildschirmterminal hinzustellen, m i t dem diese erstens ihre Personalbewegungsmeldungen erstatten und zweitens einen normierten Datensatz über den einzelnen Mitarbeiter, der in ihrem Verantwortungsbereich steht, für Personaldispositionen auf einem breiteren Informationsstand als sozusagen nur aus dem Gedächtnis oder aus Handakten heraus abrufen könnten. Unter diesem Gesichtspunkt könnte er sich durchaus vorstellen, daß i n dieser Richtung noch einige Analysen denkbar wären, u m sinnvolle Einsatz- und Verwendungsmöglichkeiten der vorhandenen Informationsverarbeitungstechniken i m öffentlichen Dienst zu untersuchen. A u f die Diskussionsbeiträge von Justi und Altmann eingehend, bestätigte er die zentrale Bedeutung des Personalrats und der Motivation. I n dem i h m aus eigener Anschauung bekannten Bereich der Wirtschaft sei i n der Tat eine erhebliche Sperre i n der rationalen Bewältigung der anstehenden technischen und organisatorischen Veränderungsprozesse festzustellen. Viele Betriebsräte fühlten sich i n dieser Materie nicht sicher. Sie seien zwar nicht immer dagegen, aber sie verfügten einfach nicht über das Instrumentarium und das Wissen, das sie zu einer M i t entscheidung und Mitverantwortung für entsprechende Umstellungsvorgänge gegenüber der von ihnen vertretenen Mitarbeiterschaft in die
Aussprache
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Lage versetze. Er folgerte daraus, daß es zu einer der wesentlichen Funktionen derjenigen gehört, die heute Umstellungsprozesse einleiten, frühzeitig, wenn nicht die betroffenen Mitarbeiter selber, so doch den Betriebsrat, i n die Erwägungen der alternativen und unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten voll m i t einzubeziehen und zu informieren. Das Motivationsproblem der betroffenen Mitarbeiter sei auch i n der W i r t schaft sehr groß, wenngleich dort natürlich i m Einzelfall gewisse Parameter des personalpolitischen Instrumentariums zur Verfügung stünden, die der öffentliche Dienst zumindest nicht i n gleicher Weise besäße. Er sei aber sehr überrascht, daß, obwohl i n den letzten zehn bis fünfzehn Jahren eine i m Grunde schon nicht mehr überschaubare Literatur wissenschaftlicher Beschäftigung m i t Innovationsproblemen und der Bewältigung personaler Widerstände bei organisatorischen und technischen Innovationen, entstanden sei, die Praxis davon nur wenig zur Kenntnis nähme. Hier läge einer der wenigen Bereiche, wo die wissenschaftliche Durchdringung des Problems der Rezeption durch die Praxis i m Gegensatz zu vielen anderen Gebieten weit voraus sei. Gerade deshalb hielte er es für lohnenswert, wenn die Führungskräfte der Verwaltung ab und zu einmal auf ein qualifiziertes wissenschaftlich einschlägiges Werk zurückgreifen würden, um sich ein wenig davon ansprechen zu lassen, wie Innovationswiderstände überwunden werden könnten.
Schutz der Umwelt und der Landschaft — ist die Verwaltung der Aufgabe gewachsen? Von Karl-Hermann Hübler Die dem Thema zugrundeliegende Fragestellung kann, bezieht man sie auf die Gegenwart, schlicht m i t nein beantwortet werden. Es geht m i r i m Rahmen dieses Referates darum, einen Vergleich zwischen den 1971 i m Umweltprogramm der Bundesregierung 1 formulierten umweltpolitischen Zielen und der derzeit feststellbaren „Umweltrealität" zu ziehen und sodann zu analysieren, welche Ursachen für die behaupteten Defizite maßgeblich sein können. Sodann w i l l ich einige Anmerkungen zu den jetzt bekannten Absichten der für die Umweltpolitik Verantwortlichen zur Veränderung der jetzigen Situation machen. I m Schlußteil meines Referates w i l l ich schließlich einige ausgewählte Hinweise zu einigen m. E. möglichen und erforderlichen Veränderungen geben. I. Vorbemerkungen Zum Verständnis des Referates erscheinen vier erforderlich.
Vorbemerkungen
(1) Ich wähle als Bezugspunkt meiner Analyse die Vorlage des Umweltprogrammes 1971 an den Deutschen Bundestag, obgleich Umweltpolitik — zwar nicht unter dieser Bezeichnung — schon lange in Deutschland, ζ. T. schon seit Hunderten von Jahren betrieben und vielfach auch hierzu gesetzliche Vorschriften vorlagen und vollzogen w u r den. Zu erinnern ist an das Wasserrecht, das Gewerberecht oder an das Naturschutzrecht. Das Umweltprogramm 1971 zeichnet sich dadurch aus, daß — erstmals der Versuch unternommen wurde, die interdependenten Sachverhalte, die sich aus dem komplexen System Umwelt ergeben und die bis dato sektoral oder medial (Wasser, L u f t u. dgl.) „verwaltet" wurden, in ein umfassendes Zielsystem zusammenzufassen und Grundsätze zu formulieren, die die gesamte Umwelt zum Gegenstand haben; 1
Umweltprogramm der Bundesregierung, BT-Drucks. VI/2710.
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— Umweltpolitik i m gesamtgesellschaftlichen und auch ökonomischen Zusammenhang gesehen und nicht mehr nur als eine staatliche Aufgabe spezialisierter Experten und Verwaltungsfachleute betrachtet wurde. Das Umweltprogramm der Bundesregierung 1971 würde ich heute von seinen Zielsetzungen her nach wie vor als ein brauchbares Instrument der Umweltpolitik bezeichnen. Hinweisen möchte ich, daß nach Vorlage dieses Programmes auch die Mehrzahl der Bundesländer und der größeren Kommunen ähnliche programmatische Zielsetzungen formuliert haben, die sich grundsätzlich i n ihren Zielen von dem Programm des Bundes kaum unterscheiden. Auf sie soll deshalb i m folgenden nicht weiter eingegangen werden. (2) Die zweite Vorbemerkung betrifft die Formulierung des Themas. W i r sind hier zwar eine Hochschule für Verwaltungswissenschaften und sollen uns speziell m i t den Verwaltungsproblemen der einzelnen Sachgegenstände befassen. Für mein Thema habe ich jedoch Mühe, eine exakte Unterscheidung zwischen politischen Entscheidungsprozessen und dem Verwaltungshandeln zu treffen. Ein Bezug nur auf die Verwaltung wäre zu „schmalbrüstig", weil eine Reihe von Defiziten i m Verwaltungsvollzug nur durch die nach Vorlage des Umweltprogrammes getroffenen politischen Entscheidungen zu erklären sind. (3) I n 45 Minuten zum genannten Thema Stellung nehmen zu müssen, hat zur Folge, daß vieles nur angedeutet und holzschnittartig vorgetragen werden kann. Auch deshalb muß ich auf ausführliche Erklärungen und auch auf eine Beweisführung verzichten. Ich hoffe insofern auf Ihre Nachsicht. (4) Die Fairness gebietet es schließlich, auf den Sachverhalt hinzuweisen, daß ich als früherer Verwaltungsbeamter seinerzeit an der Aufstellung des o. g. Umweltprogrammes partiell mitgewirkt habe. Seit meinem Rollen- oder Funktionstausch vor rund fünf Jahren habe ich die Möglichkeit, die Ergebnisse dieses aus größerer Distanz zu beobachten. Dieser Tatbestand birgt viele Vorteile und Risiken i n gleicher Weise für mich und für jene, die die nachfolgende Analyse und Bewertung hören. II. Umweltpolitik in den siebziger Jahren A u f drei generelle Aussagen zur Umweltpolitik aus den siebziger Jahren hinzuweisen, erscheint i n diesem Zusammenhang nützlich: 1. I m Umweltprogramm 1971 ist dem Vorsorgeaspekt, d. h. der Aufgabe des Schutzes und der Erhaltung der natürlichen Ressourcen i n der
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Umweltpolitik ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt worden; es w i r d dabei auf die Gesamtheit der Maßnahmen abgestellt. De facto waren aber die ersten und wichtigen Maßnahmen nach Vorlage des Programms gesetzliche Regelungen auf Bundes- und Länderebene „sektorale und mediale Reparaturmaßnahmen für die Umwelt", die ihren Ausdruck im Benzin-Blei-Gesetz, dem Abfallbeseitigungsgesetz, dem Bundesimmissionsschutzgesetz u. dgl. fanden. Die Erfolge staatlicher Umweltpolitik wurden in den siebziger Jahren am Umfang und der Regelungsdichte solcher sektoraler oder punktueller, weitgehend nicht am Gesamtsystem orientierter Reparaturmaßnahmen gemessen2. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß diese Regelungen dringlich waren. Nur, es wurde versäumt, bei diesen Regelungen die eingefahrenen medialen Schienen bei der Vorbereitung, beim Erlaß und beim Verwaltungsvollzug dieser Gesetze zu verlassen und den Bezug zu den übergreifenden umweltpolitischen Zielsetzungen herzustellen. Die Zunft der „vertikalen Fachbruderschaften" i m Umweltschutz, um einen Begriff von Frido Wagener 3 zu gebrauchen, feierte fröhliche Urstände. Anzumerken bleibt schließlich in dem Zusammenhang, daß auch aus politischen und ökonomischen Gründen ein großes Interesse vor allem am Umweltschutz, also an der Reparatur von Umweltschäden besteht, weil neue Arbeitsplätze geschaffen wurden und sich innerhalb kurzer Zeit eine ganze Branche neu etabliert hat: die Entsorgungsindustrie oder, wie sie neuerdings bezeichnet wird, die ökoindustrie. Für ein Gesetz, i m Vollzug des Umweltprogrammes erlassen, treffen diese kritischen Anmerkungen so nicht zu. I m 1976 erlassenen Bundesnaturschutzgesetz (nach langen Auseinandersetzungen der Bundesregierung m i t den Ländern wegen einer Verfassungsänderung [nach A r t . 72 GG], dann als Rahmengesetz [nach A r t . 75 GG] i n Kraft getreten) 2
Vgl. dazu beispielhaft die Auflistung von Günter Hartkopf: Entwicklung und Bilanz der Umweltschutzgesetzgebung des Bundes, in: der landkreis 1978, S. 257, oder: Überblick über die wichtigsten Aktivitäten der Bundesregierung auf dem Gebiet des Naturschutzes und der Landespflege, in: Innere Kolonisation 1979, S. 201. 3 Frido Wagener meint mit „vertikalen Fachbruderschaften" jene Art der Zusammenarbeit zwischen Akteuren auf den jeweiligen Ebenen (ζ. B. EG, Bund, Länder, Kommunen), die versuchen, ihr sektorales Aufgabengebiet zu Ungunsten anderer durchzusetzen oder die versuchen „vertikal zu koordinieren". (Vgl. Frido Wagener: Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, W D S t R L , Heft 37, S. 238 ff.) Obwohl Frido Wagener dieses Phänomen auf die Bereitstellung und Bewilligung von Haushaltsmitteln bezieht, muß der Einfluß dieser Fachbruderschaften bei der Umweltpolitik auch für die Vorbereitung und Durchführung gesetzlicher Regelungen nicht gering eingeschätzt werden. Versuche, dieser sektoralen „Abschottung" durch horizontale Koordinierungseinrichtungen (z.B. Abteilungsleiterausschuß für Umweltfragen, Kabinettsausschuß) zu begegnen, sind gemacht; dennoch scheint deren W i r kung gering zu sein, weil als Ergebnis eben Sektoral- oder Medialgesetze entstanden sind.
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hat i n den i n den §§ 1 und 2 formulierten Zielen und Grundsätzen der Vorsorgeaspekt einen sehr hohen Stellenwert und diese Vorschriften enthalten auch den Versuch, Umwelt komplex zu definieren. Allerdings, der Rückzug w i r d sehr schnell angetreten. Denn dort, wo i n dem Gesetz die konkrete Instrumentierung beginnt, ist der Abschnitt 4 überschrieben m i t „Schutz, Pflege und Entwicklung bestimmter Teile von Natur und Landschaft", d. h. die eingangs formulierten umfassenden Ziele werden reduziert auf Sektoralmaßnahmen und punktuelle Ausschnitte eines komplexen Systems Umwelt. 2. Bereits kurze Zeit nach Vorlage des Umweltprogrammes wurden erste „Spezialumweltgesetze" erlassen. Dieser rasche Prozeß: Programmformulierung, Instrumentierung durch Gesetze, der sicher aus der damaligen Perspektive unabdingbar war, hatte jedoch die negative Nebenwirkung, daß eine breite Zieldiskussion i n Parteien und gesellschaftlichen Gruppen 4 über die Umweltpolitik nicht erfolgt ist, deren Fehlen sicher heute m i t eine Ursache der unterschiedlichen Einschätzung der Situation ist. Die i m Umweltprogramm und i n den meisten Gesetzen formulierten Ziele waren so allgemein, daß darüber kaum Meinungsverschiedenheiten sichtbar wurden. Dort, wo der Versuch unternommen wurde, diese Ziele — z. B. bei der Vorbereitung der Gesetze — zu konkretisieren, wurden dann sehr schnell die Widerstände der Betroffenen und Interessenten deutlich; jedoch nicht an den allgemeinen Zielsetzungen, sondern jeweils an partiellen Festlegungen. (Beispiele hierfür sind die Wiederstände der Industrie gegen das Abwasserabgabengesetz, der Kommunen gegen das Verkehrslärmgesetz und der Landwirtschaft, der es gelang, den § 8 Abs. 7 BNatSchG durchzusetzen [„Die im Sinne dieses Gesetzes ordnungsgemäße land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung ist nicht als Eingriff i n Natur und Landschaft anzusehen."]) (Vgl. dazu auch § 1 Abs. 3 BNatSchG.) 3. Der Umweltpolitik ist es ebenso wenig gelungen wie anderen ressortübergreifenden Querschnittsaufgaben (z. B. Raumordnung), diesen Anspruch auszufüllen. Umweltpolitik w i r d zumeist — i m Verhältnis zu anderen staatlichen Aufgaben — als eine Sektoraufgabe begriffen, selbst wenn verbal die Bedeutung erkannt ist 5 . Nun sind zugegebener4 Dies bemängelt auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in seinen jüngst veröffentlichten Thesen zur Umweltpolitik: Umweltschutz und industrielle Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. vom BDI, Köln 1979, S. 3. 5 Josef Kölble hat bereits 1973 die Grenzen aufgezeigt, die sich aus den Grenzen der Verfassung für eine von der Sache notwendige ressortübergreifende Querschnittsaufgabe „Umweltpolitik" ergeben: Ist Art. 65 G G (Ressortprinzip im Rahmen von Kanzlerrichtlinien und Kanzlerentscheidungen) überholt?, in: D Ö V 1973, S. 1.
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maßen bei einer weiten Definition des Begriffes „ U m w e l t " eine Vielzahl staatlicher und kommunaler Aufgaben unter diesem Begriff zu subsumieren und die Forderung nach einer „Super- oder Überbehörde" könnte daraus abgeleitet werden. Dies w i r d m. W. ernstzunehmend auch nicht gefordert. Nur: wenn der für die allgemeine Umweltpolitik zuständige B M I für die Bundesverwaltung 1975 in einem Erlaß „Grundsätze für die Prüfung der Umweltverträglichkeit öffentlicher Maßnahmen des Bundes" (Bek. des B M I vom 12. 9. 1975 — U I 1 — 500 — 100/9 — abgedruckt im GemMinBl. Nr. 37, Ausg. Α., S. 717 ff.) bestimmt und bis heute, abgesehen von einigen Einzelversuchen, dieses Instrument der Umweltpolitik nicht eingesetzt wird, zeigt sich beispielhaft der begrenzte Handlungsrahmen einer ressortübergreifenden Politik 6 . Daß dieser ressortübergreifende Anspruch auf Länder- und Kommunalebene in der Mehrzahl der Fälle nicht eingelöst werden kann, ließe sich ebenfalls belegen. Und selbst dort, wo eigene Umweltbehörden in den letzten Jahren errichtet wurden (ζ. B. in Bayern, i m Saarland, i n Berlin und neuerdings in Hamburg), kann dieser Anspruch vielfach nicht eingelöst werden, weil eine numerische Addition von einigen Umweltkompetenzen noch keinesfalls sicherstellen kann, daß der ressortübergreifende Anspruch realisiert werden kann (die vielfach als beispielhaft dargestellte Bayerische Organisationslösung der Errichtung eines Ministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen muß unter dem Aspekt gesehen werden, daß für einen „tragenden Pfeiler" der Umweltpolitik — die Wasserwirtschaft — das Innenministerium zuständig ist). Mindestens diese drei Sachverhalte müssen bei der Beantwortung der Frage, ob die Verwaltung in der Lage ist, die Ziele der Umweltpolitik zu realisieren, berücksichtigt werden. Sicher gibt es noch eine Vielzahl weiterer Bedingungen, die hier i n diese Analyse einzubeziehen wären. Je nachdem, wie grundsätzlich diese Frage angegangen werden soll, müßten vorab die Erklärungsversuche des Mensch-Umwelt-Verhältnisses aus marxistischer oder marktwirtschaftlicher Perspektive untersucht werden, es müßte die Rolle des Staates definiert und geprüft werden, wieweit die Zielsetzungen der Umweltpolitik mit diesen Erklärungsmodellen i n Übereinstimmung sind. Eine Fülle von unterschiedlichen Ergebnissen und Bewertungen hierzu liegen vor. Ich kann jedoch aus Zeitgründen hierauf nicht weiter eingehen 7 . 6 Vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen im Umweltbericht 1976 der Bundesregierung; ferner W. V. Kennedy : Die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Bundesrepublik Deutschland, IlnG-preprints III/78 — 16, Berlin 1978. 7 Vgl. dazu die vom Verf. veröffentlichte Zusammenstellung: Zum Stand einer ökologisch orientierten Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutsch-
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I I I . Zum „Erfolg" staatlicher Umweltpolitik Der Versuch, die i m Thema des Referates enthaltene Frage zu beantworten, ließe sich methodisch in verschiedener Weise bewerkstelligen. Da ich hierzu selbst empirische Untersuchungen nicht durchführen konnte, w i l l ich einen Weg wählen, der trotz des Mangels an empirischen Daten einige Aussagen zur Frage enthält und meine eingangs getroffene Feststellung belegt. Erfolge staatlicher Politik und damit auch die Umsetzung von Programmen und Zielen in die Realität durch die Verwaltung, sofern es sich um staatliche und kommunale Aufgaben handelt, werden seit einiger Zeit analysiert und bewertet. Evaluierungsforschung, Wirkungskontrollen und Programmforschung sind Begriffe, die seit einiger Zeit in Wissenschaft und Praxis ein hohes Interesse beanspruchen. Ich w i l l Sie an dieser Stelle nicht mit den vielfältigen erkenntnistheoretischen und methodischen Problemen konfrontieren, die bei der Begriffsbildung beginnen und bei dem Streit um das, was als Wirkungen staatlicher Politik bezeichnet werden kann, enden 8 . Nach meiner subjektiven Einschätzung stehen die wissenschaftlichen Ansprüche der Evaluierung derzeit noch im reziproken Verhältnis zu den praktischen Ergebnissen dieses Bereiches. Dies betrifft auch die Ergebnisse der Umweltpolitik. Umweltpolitiker und auch die vollziehende Verwaltung sind deshalb in der Mehrzahl der Entscheidungsfälle auf Vermutungen und Hypothesen angewiesen. Da eine umfassende Erfolgskontrolle staatlicher Umweltpolitik nicht vorliegt, ist es relativ schwierig, die Eignung oder die Leistungsfähigkeit der Verwaltung in dem Zusammenhang zu bewerten. Dessenungeachtet sollen beispielhaft die Ergebnisse einiger solcher Evaluierungen hier dargestellt werden: 1. Erfolge staatlicher Umweltpolitik werden nachgewiesen in Form der erlassenen Regelungen (wie o. dargestellt), i n der Einrichtung von weiteren staatlichen oder m i t staatlichen Mitteln geförderten Institutionen (z. B. Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltbundesamt, Landesanstalten für Ökologie u. dgl.). Ob und in welcher Form diese land — dargestellt an den Veränderungen von Landschaften, in: Zeitschrift für Umweltpolitik (ZfU), I I . 3 (1979), S. 243-280; vgl. beispielhaft: Martin Jänicke: Zur Theorie des Staatsversagens, in: Analysen und Prognosen 1979, S. 18-23; Volker Ronge: Die Gesellschaft an den Grenzen der Natur — Aufsätze zur Politischen Ökologie, Bielefeld 1978. 8 Vgl. beispielhaft: Hans-Ulrich Derlien: Die Erfolgskontrolle staatlicher
Planung, Baden-Baden 1976; Johann Eckhoff, R. Muthmann, Olaf Sievert, Gerhard Werth, J. Zahl: Methoden und Möglichkeiten der Erfolgskontrolle staatlicher Entwicklungsmaßnahmen, Schriftenreihe des BMBau, 03.066, Bonn
1977; Hellmut Wollmann, Gerd Michael Hellstern: Sanierungsmaßnahmen —
städtebauliche und stadtstrukturelle Wirkungen, Schriftenreihe des BMBau, 02.012, Bonn 1978.
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Regelungen und Institutionen tatsächlich die Umwelt im Sinne der Zielsetzungen beeinflussen, welche Nebenwirkungen der Vollzug dieser Gesetze und anderer rechtlicher Regelungen zur Folge hat, bleibt bei dieser A r t Wirkungsbilanz offen. Auch die uns in dem Zusammenhang besonders interessierende Frage des Verwaltungsvollzugs kann nicht beantwortet werden (vgl. ζ. B. die länderspezifischen unterschiedlichen Schwierigkeiten, die sich bei der Administration des Abwasserabgabengesetzes ergeben). Der Vollzug der Umweltschutzgesetze erfolgt vor allem auf der Gemeindeebene. Daß dort besondere Probleme bestehen, ist unumstritten. W. Hoppe 9 gibt an, daß mehr als zwei Drittel der Kommunen überfordert sind, umweltpolitische Aufgaben zu realisieren. 2. Eine andere Form, die Ergebnisse staatlicher Umweltpolitik zu bilanzieren, läßt sich beispielhaft mit der Darstellung von Bundeskanzler H. Schmidt 10 beschreiben: „Es steht deshalb unserem Lande gut an, daß wir nach zehn Jahren harter Arbeit in Sachen Natur- und Umweltschutz, wo wir heute an der Spitze liegen, Zwischenbilanz ziehen. Tausende von wilden Mülldeponien beispielsweise sind seit der Schaffung des Abfallbeseitigungsgesetzes verschwunden . . . " „Seit Verabschiedung des ersten Umweltprogramms der Bundesregierung vor acht Jahren haben die öffentlichen Hände in der Bundesrepublik mehr als 32 Milliarden D M in den Umweltschutz investiert. Dazu kommen noch einmal 18 Milliarden D M für Investitionen der Industrie- und Gewerbebetriebe. Das sind insgesamt rund 50 Milliarden D M Investitionen im Laufe der letzten acht Jahre. 1979 wurde mehr für den Naturschutz ausgegeben als 1971 — die Tendenz ist also steigend. Diese 50 Milliarden mußten erst verdient werden, ehe sie investiert werden konnten. Ohne daß jemand Geld verdient, kann man es nicht für den Naturschutz ausgeben... Zu dieser Summe von rd. 8 Milliarden jährlichen Investitionen kommt heute noch einmal dieselbe Summe an laufenden Betriebsausgaben für den Umweltschutz hinzu. Grob gesprochen und nicht zu hoch geschätzt gibt die Bevölkerung der Bundesrepublik gegenwärtig ungefähr ein Prozent des Bruttosozialproduktes aus. Das ist mehr als ein Prozent des Volkseinkommens . . . "
Sieht man diese in der Tat stolzen Ergebnisse, so könnte die Annahme gerechtfertigt sein, daß offensichtlich auch die Verwaltung, die ja bei der Mehrzahl der hier genannten Investitionsentscheidungen in irgendeiner Form beteiligt ist, sei es planend, genehmigend, selbst investierend, Mittel bewilligend, Auflagen erteilend oder private Unternehmen beratend, i n der Lage ist, die ihr in dem Zusammenhang gestellten A n forderungen zu erüllen. Jedoch auch diese Form der Erfolgskontrolle 9 Leitsätze des Mitberichterstatters zur Staatsrechtslehrertagung Berlin 1979 von Werner Hoppe: Staatsaufgabe Umweltschutz, abgedruckt in: D Ü V 1979, S. 788 - 790. 10 Helmut Schmidt : Rede vor dem Deutschen Naturschutzring am 19.10.1979 in Erlangen; als Manuskript veröffentlicht vom Bundespresseamt Bonn, S. 16 und 17.
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kann nur i n sehr begrenztem Rahmen Auskunft über die Leistungen staatlicher Umweltpolitik geben, w e i l — diesen Daten gegenübergestellt werden muß, welche natürlichen Ressourcen i m gleichen Zeitraum verbraucht, zerstört oder in ihrem Wert gemindert wurden; — ein Großteil der o. g. finanziellen M i t t e l für Umweltreparaturen (Wasserreinhaltung, Luftreinhaltung), also für den technischen Umweltschutz aufgewandt wurden und — weil schließlich sowohl bei den staatlichen, kommunalen als auch bei den privaten Investitionen Aufwendungen m i t i n die Berechnungen einbezogen werden, die anderen Zielsetzungen dienen (z. B. Rationalisierungsinvestitionen m i t günstigen Umweltnebenwirkungen) 11 . 3. Seit der Sachverständigenrat für Umweltfragen i n seinem Jahresgutachten 197412 ein Vollzugsdefizit i n der Umweltpolitik festgestellt hat, sind eine Reihe von Versuchen unternommen worden, diese These des Vollzugsdefizits empirisch zu belegen. Hingewiesen w i r d auf die empirische Untersuchung von R. Mayntz u. a. 13 , die vom Sachverständigenrat i n Auftrag gegeben wurde und i n der der Implementationsstand von Gesetzen i m Bereich der Luftreinhaltung und des Wasserschutzes untersucht wurde. Eine Untersuchung von G. Winter 14 befaßt sich ebenfalls m i t dem Vollzugsdefizit i m Wasserrecht. Schließlich ist i n dem Zusammenhang ein Untersuchungsbericht von Interesse, der 1979 aus A n laß des „Hamburger Giftskandals Stolzenberg" von einem Hamburger Untersuchungsausschuß zusammengestellt und teilweise veröffentlicht wurde 1 5 . Während die beiden genannten Fallstudien lediglich den Implementationsstand von Gesetzen analysieren, also Ausschnitte der Umwelt 11 I n dem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, daß eine Vielzahl von privaten und staatlichen Maßnahmen, die anderen Zielen und Zwecken dienen, aus vielerlei Gründen mit dem „modernen Etikett Umwelt" versehen werden (z. B. das Bundesjagdgesetz wird als ein „Umweltgesetz" bezeichnet). I n einer Untersuchung ist dieses Phänomen auch für große Teile der For-
schung nachgewiesen worden: Günter Küppers, Peter Lundgreen, Peter Wein-
gart: Der Steuerungseffekt des Umweltprogrammes, in: Wirtschaft und Wissenschaft 1978, S. 17 ff. 12 Umweltgutachten 1974, hrsg. vom Rat für Sachverständigen f. Umweltfragen, Mainz 1974, S. 181 ff.
18 Renate Mayntz, Hans-Ulrich Derlien, Eberhard Bohne, Beate Hesse, Jochen Hocke und Axel Müller: Vollzugsprobleme der Umweltpolitik — empiri-
sche Untersuchungen der Implementation von Gesetzen im Bereich der Luftreinhaltung und des Gewässerschutzes, Wiesbaden 1978. 14 Gerd Winter, Das Vollzugsdefizit im Wasserrecht — ein Beitrag zur Soziologie des öffentlichen Rechts, Berlin 1975. 15 Abgedruckt in Nr. 13 „DIE ZEIT" vom 21. 3.1980, S. 13.
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zu erfassen versuchen, w i r d i n dem zuletzt genannten Hamburger Bericht der Gesamtkomplex — Verwaltungsvollzug i n der Umweltpolitik — behandelt. A u f diese Unterscheidung ist deshalb besonders hinzuweisen, weil Gewässerschutz und Luftreinhaltung auf der Handlungsebene — also vor Ort — von Fach- oder Sektoralbehörden durchgeführt werden und ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den allgemeinen Zielen der Umweltpolitik und den spezifischen Problemen des Gesetzesvollzuges nur bedingt hergestellt werden kann. Nicht ausreichender Personalbestand, „nennenswerte qualitative Mängel des vorhandenen Personals" 16 , unzureichende technische Ausstattung, werden als Ursachen des Vollzugsdefizits ermittelt. Von besonderer Bedeutung für die Effektivität der Vollzugsbehörden ist offensichtlich deren behördenorganisatorische Eingliederung (ζ. B. Sonderbehörden oder Teile der allgemeinen inneren Verwaltung). Für den Bereich der Landespflege und des Naturschutzes hat am Beispiel Rheinland-Pfalz Rudolf Stich 17 1978 eine unzureichende Personalausstattung festgestellt, die einen Vollzug des Landespflegegesetzes in Frage stellen. Der Beirat für Naturschutz und Landespflege beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten kam bei seinen Beratungen 1978 am Beispiel der Untersuchung der Vollzugssituation i n einem Landkreis des Landes Nordrhein-Westfalen zu einem ähnlichen Ergebnis. Für den Vollzug des am 30.1. 1979 erlassenen Berliner Naturschutzgesetzes wurden von den Bezirksämtern 103 neue Stellen für erforderlich gehalten; 36 Stellen wurden vom Senator für Inneres akzeptiert, das Abgeordnetenhaus bewilligte sodann keine einzige Stelle hierfür 1 8 . Diese Einzelbeispiele ließen sich sicher noch verlängern; allerdings scheint die Gefahr zu bestehen, daß aus solchen Untersuchungen abgeleitet wird, daß nicht ausreichendes Personal (zu wenige Planstellen), eine unzureichende Qualifikation des Personals und das Fehlen von Sachmitteln die entscheidenden Ursachen des Vollzugsdefizits sind. 4. Ein letztes Beispiel für den Versuch, die Wirkungen und Ergebnisse staatlicher Umweltpolitik zu erfassen, soll hier dargestellt werden. Es w i r d der Versuch unternommen, die Frage zu beantworten, wie sich die Umwelt seit Beginn der Umweltpolitik verändert hat. Natürlich würde dies Erkenntnisse über komplexe Stoff- und Kreislaufanalysen voraussetzen, die zwar gefordert sind, deren Aufstellung aber derzeit kein Gegenstand der Umweltpolitik ist. Insofern kann diese 16 17
Renate Mayntz, a.a.O., S. 71, 477.
Rudolf Stich, Personelle Probleme des Vollzugsdefizits in der Umweltschutzverwaltung, in: öffentlicher Dienst, Festschrift für C. H. Ule, Köln 1977. 18 Quelle: Der Tagesspiegel vom 28.11.1978.
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Beschreibung der Umweltveränderungen nur exemplarisch erfolgen. Nur stichwortartig einige Hinweise: Der Anteil der Tier- und Pflanzenarten, die i n den letzten Jahren ausgestorben oder unmittelbar von dem Aussterben bedroht sind, hat in den letzten Jahren beängstigend zugenommen 19 . I m Zeitraum 1965 - 1974 nahmen in der Bundesrepublik — die landwirtschaftliche Nutzfläche täglich um 140 ha ab, — die Waldfläche um 11 ha täglich ab, — das Gartenland um 13 ha täglich ab, — die Moorfläche um 4 ha täglich ab, — die Wasserflächen u m 9 ha täglich zu, — die Gebäudeflächen um täglich 68 ha zu, — die Verkehrsflächen um täglich 31 ha zu, — die innergemeindlichen Freiflächen täglich um 8 ha zu, — die Brachflächen und das Öd- und Unland täglich 52 ha zu. Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß sich dieser Prozeß in den folgenden Jahren verlangsamt bzw. verändert hat; i m Gegenteil, er hat sich verstärkt. Und: bedeutsam ist natürlich die regionale Dimension. I n den Verdichtungsräumen verschärft sich diese Problematik, wie zahlreiche Einzeluntersuchungen nachweisen 20 , insbesondere durch eine langfristige Veränderung des Klimas durch Luftverunreinigungen, wie sie jetzt prognostiziert werden 2 1 . Diese Faktenliste ließe sich beliebig verlängern. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen bei der Bundesregierung hat i n seinem Gutachten 1974 und 1978 eine Vielzahl weiterer Sachverhalte dargestellt. Umweltpolitik soll nicht ein Selbstzweck sein, sondern an den Erfordernissen des Bürgers ausgerichtet sein. Ein Versuch, zu ermitteln, wie die Bürger nun die Ergebnisse staatlicher Umweltpolitik einschätzen, könnte an den jüngsten Wahlergebnissen der „Grünen" gemessen werden. Aber auch eine Untersuchung der Zielsetzungen von Bürgerinitiativen kann der Tendenz nach aufzeigen, wo die größten Vollzugsdefizite vermutet werden. W. Andritzky und U. W. Terlinden 22 haben 1977/78 19 Vgl. dazu die einschlägigen Untersuchungen und die jetzt aufgestellten „Boten Listen", in denen diese Arten erfaßt sind. 20 Zur Gesamtproblematik vgl. die Ergebnisse des Umweltforums 1978: Grenzen des Landschaftsverbrauchs, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen, Bonn 1978, H. 13. 21 Bericht über die Auswirkungen von Luftverunreinigungen auf das zentrale Klima, herausgegeben vom B M I , Umweltbrief Nr. 20, Bonn 1980.
22
Walter
Andritzky, Ulla Terlinden,
der Umweltpolitik, Berlin 1978.
Mitwirkung von Bürgerinitiativen an
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i m Auftrag des Umweltbundesamtes diese Frage untersucht und festgestellt, daß der Energiebereich (40 vH), der Verkehrsbereich (33 vH) und der Landschafts- und Naturschutz (32 vH) die Hauptgegenstände von Bürgeraktionen waren, daß demzufolge dort Mängel i m Vollzug gesetzlicher Regelungen festgestellt werden können oder diese Regelungen selbst von den Bürgern in Frage gestellt werden. Daß diese Wertung nicht nur für die Bundesrepublik gilt, zeigen die Ergebnisse einer Umfrage der Schweizerischen Gesellschaft für Umweltschutz, die in den letzten Monaten durchgeführt wurde 2 3 : I n dieser Umfrage wurden zwölf Umweltprobleme angegeben, und es wurde nach den fünf wichtigsten gefragt. Bis Ende Oktober 1979 waren 553 Antworten eingegangen. 62 Antworten wurden als unbrauchbar ausgeschieden. Die Auswertung ergab die folgende Reihenfolge: 1. Natur- und Landschaftszerstörung
324 Punkte
2. Verkehrslärm
310 Punkte
3. schlechte Luftqualität (ζ. B. Autoabgase)
277 Punkte
4. Energieverschwendung
243 Punkte
5. Beeinträchtigung der Wohnqualität in Städten und Dörfern 6. Einsatz von Chemikalien in der Landwirtschaft (Fremdstoffe in der Nahrungskette)
235 Punkte
7. Gefahren der Kernenergie 8.
198 Punkte
9. Aussterben von Tier- und Pflanzenarten 10. hohe Geschwindigkeit im Verkehr 11. übriger Lärm 12. Gefahren der anderen Energieträger (ζ. B. Erdöl, Kohle) ..
214 Punkte
160 Punkte 154 Punkte 42 Punkte 35 Punkte
Bei allen Vorbehalten, die zu den Ergebnissen solcher Umfragen und Auswertungen gemacht werden müssen, würde ich dennoch die tendenzielle Aussage ableiten, daß zwischen den Anforderungen einer umfassenden Umweltpolitik und dem jetzigen Realisierungsstand eine beträchtliche Diskrepanz besteht, deren Verringerung nicht nur ein Personal- und Sachmittelproblem zu sein scheint. Die Wahlergebnisse der Grünen, gleichgültig, wie ihre Zielsetzungen auch politisch einzuschätzen sein mögen, die weiter zunehmenden A k t i vitäten von Bürgerinitiativen und auch das kritische Bewußtsein der Öffentlichkeit, dokumentiert durch die Berichterstattung in der Presse, läßt mit einiger Sicherheit vermuten, daß die o. g. Ergebnisse staatlicher und kommunaler Umweltpolitik von vielen Bürgern, seien sie nun unmittelbar durch Umweltveränderungen betroffen oder „ n u r " engagiert, kritischer gesehen werden. Eine persönliche Anmerkung sei in dem Zu" U W D Nr. 4/1980, S. 16.
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sammenhang erlaubt: es erstaunt, wie leichtfertig die etablierten Parteien diese Bewertungen eines Teils der Bürger reflektieren. Von einigen Ausnahmen, z. B. der differenzierteren Argumentation E. Epplers, abgesehen, beschränkt sich die Reflektion i m Wesentlichen auf machtpolitische Erwägungen, also wie verändern sich die Mehrheitsverhältnisse, wenn die Grünen ins Parlament kommen; die Gesamtproblematik w i r d reduziert auf die Fragen pro oder contra Kernenergie oder pro und contra Wirtschaftswachstum.
IV. Ökologischer Orientierungsrahmen Die i m Abschnitt I I I skizzierte Situation ist offensichtlich auch von den für die Umweltpolitik Zuständigen erkannt, wenngleich unterschiedliche Folgerungen gezogen werden. Bundeskanzler Schmidt 24 stellt fest: „Zugunsten des Naturschutzes müssen die Kompromisse ein bißchen nach vorn geschoben werden, es muß ein bißchen mehr Bewegung in die Sache kommen. Das gilt für die Planung und Ausführung aller Bauvorhaben. Aber diese Bewegung nach vorn zugunsten des Naturschutzes darf nicht dazu führen — und das w i l l in Wirklichkeit kein Naturschützer —, daß alle Bauvorhaben stillgelegt werden."
Der für die allgemeine Umweltpolitik der Bundesregierung zuständige Staatssekretär Dr. Hartkopf schätzt die Situation ähnlich ein. E r 2 5 stellte fest, daß „das Rechtssystem i m Umweltschutz weitgehend vollständig" sei; es fehlen noch einige Einzelgesetze (z. B. Chemikaliengesetz) und der Vollzug der Gesetze. A n anderer Stelle seiner Ausführungen werden allerdings von Hartkopf erhebliche ökologische Defizite festgestellt, die zu der Forderung führen, eine „ökologische Wende" herbeizuführen, Umweltpolitik in den achtziger Jahren insbesondere unter ökologischen Zielsetzungen und Strategien zu realisieren. Ein Ökologieprogramm des Bundes ist angekündigt 26 , und die administrative Phase der Umweltpolitik soll verstärkt werden 2 7 , das Vorsorgeprinzip soll in das Zentrum der Umweltpolitik gerückt werden, die Verbandsklage im Naturschutz eingeführt (beabsichtigt ist eine Novelle 24 25
Helmut Schmidt, a.a.O.
Günter Hartkopf, Möglichkeiten und Grenzen einer ökologisch orientierten Umweltpolitik in den 80er Jahren, Vortrag aus Anlaß des 50jährigen Jubiläums des Hochschulstudiums des Gartenbaues und der Garten- und Landschaftsgestaltung am 21. 3.1979 in der T U Berlin, veröffentlicht in der „Frankfurter Rundschau" vom 30. März 1979 — Dokumentation. 28 Gerhard Baum, Aktionsprogramm Ökologie, in: Umwelt Nr. 74 (herausgegeben vom BMI), 1980, S. 1. 27 Günter Hartkopf, Perspektiven einer ökologisch ausgerichteten Umwelt — Rechtspolitik, in: Umwelt Nr. 73 (herausgegeben vom BMI), 1979, S. 4 ff.
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des BNatSchG, nachdem das Land Bremen die Verbandsklage i n sein Landesnaturschutzgesetz aufgenommen hat) und die Schaffung eines Bundesumweltgesetzbuches w i r d i n Erwägung gezogen. Ob eine Verankerung des Umweltschutzes als Grundrecht i n der Verfassung erfolgen kann oder wird, w i r d von G. Hartkopf 28 hingegen skeptisch beurteilt. Die angekündigten Absichten deuten darauf hin, daß i n der zweiten Phase der Umweltpolitik der Versuch unternommen werden soll, die vielfach zersplitterten Umweltschutzmaßnahmen, die vornehmlich zunächst auf die Wiederherstellung bereits beeinträchtigter natürlicher Ressourcen abzielen, auf der Basis der ökologischen Komponente wieder i n ein integriertes Konzept zusammenzufassen; ein ökologischer Orientierungsrahmen soll den künftigen Raster für die staatliche und kommunale Umweltpolitik bilden und zugleich der Wirtschaft Anhaltspunkte für künftige Produktions- und Investitionsentscheidungen geben 2 9 . Als eine Voraussetzung für die Aufstellung des o. g. Ökologieprogrammes w i r d eine Verstärkung der ökologischen Forschung für erforderlich gehalten 30 . Aus rechtlicher Sicht sind zwar von W. Hoppe gegen ein solches umfassendes Konzept, dessen Umrisse bisher nur angedeutet wurden, eine Reihe von Bedenken vorgebracht worden; es ist jedoch grundsätzlich nicht i n Frage gestellt worden 3 1 .
28 29 80
Günter Hartkopf, Perspektiven ..., a.a.O., S. 6. Gerhard Baum, a.a.O., S. 1. Vgl. dazu das Gutachten von H. Ellenberg, O. Fränzle und P. Müller:
Ökosystemforschung im Hinblick auf Umweltpolitik und Entwicklungsplanung (herausgegeben vom BMI), Bonn 1978. Die Ergebnisse dieses Gutachtens sind allerdings nach Auffassung des Verfassers Beleg dafür, daß offensichtlich die nicht bestrittenen Wissens- und Erkenntnislücken im ökologischen Bereich, die durch das vorgeschlagene Forschungsprogramm beseitigt werden sollen, weiterhin als ein Argument dafür verwendet werden können, daß erst nach Vorlage dieser Ergebnisse Ökologiepolitik betrieben werden kann. Demgegenüber wird die These vertreten, daß bereits eine Vielzahl ökologisch fundierter Erkenntnisse vorliegen, an deren Umsetzung es jedoch vor allem mangelt. I n dem Gutachten der genannten Autoren ist die Frage, wie die zu erwartenden Ergebnisse in politische Entscheidungen und administratives Handeln umgesetzt werden sollen — nicht beantwortet, obgleich das Gutachten von einem problemorientierten Ansatz (im Hinblick auf Umweltpolitik und Entwicklungsplanung) ausgeht. Zu fragen ist deshalb, ob auch solcherart vorgeschlagene umfangreiche Forschungsansätze als eine Umetikettierung i m Sinne von Küppers, Lundgreen und Weingart (a.a.O.) bezeichnet werden müssen? 81
Werner Hoppe, a.a.O., S. 789.
12 Speyer 81
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K a r l - H e r m a n n Hübler
V. Zukünftige Umweltpolitik Eingangs des Referates habe ich die Auffassung vertreten, daß die Verwaltung nicht i n der Lage sei, die Aufgabe einer an ökologischen Erfordernissen orientierten Umweltpolitik zu realisieren. Pauschalantworten bergen die Gefahr i n sich, daß an Einzelfällen das Gegenteil bewiesen werden kann. Die o. g. Feststellung ist deshalb als Tendenzaussage zu werten. Dessenungeachtet möchte ich zum Schluß meiner Ausführungen den Versuch unternehmen, die Sachverhalte zu nennen, die geändert werden müßten, um für einen mittelfristigen Zeitraum zu einer positiveren A n t w o r t kommen zu können: 1. Eine ökologisch orientierte Umweltpolitik, d. h. i m Sinn der Terminologie einer Vorsorgepolitik, muß bei einem sparsamen Verbrauch der natürlichen Ressourcen ansetzen; d. h. Umweltpolitik w i r d vor allem dort zu betreiben sein, wo über die Inanspruchnahme der natürlichen Ressourcen entschieden wird. Das erfordert eine Änderung der Handlungsrahmen, innerhalb derer i n einer nach wie vor sektoral gegliederten Verwaltung die wichtigsten „Verbrauchsentscheidungen getroffen werden". Landespflege und Naturschutz — als Ansatz für eine solche Ökologiepolitik bezeichnet — kann nicht weiter als eine sektorale Fachaufgabe verstanden werden, sondern muß auf der jeweiligen staatlichen und kommunalen Entscheidungsebene eine vergleichbare starke rechtliche und organisatorische Stellung wie der Finanzminister oder Kämmerer erhalten, der über den Verbrauch der finanziellen Ressourcen entscheidet. Daß dies auf der kommunalen Ebene nicht von einem Garten- und Friedhofsamt aus, wie es die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung vorschlägt, erfolgen kann, soll nicht weiter erörtert werden. Daß auch Änderungen auf der Mehrzahl der Entscheidungsebenen erforderlich werden (z. B. beim Bund: BMI, BML), daß auch die Fragen der Zusammenfassung der räumlichen Planung, der Gemeindeentwicklungsplanung und der Umweltpolitik i n dem Zusammenhang bedeutsam sind (Beispiel: Bayern, Saarland), liegt auf der Hand. Diese Fragenkomplexe können sich aber nicht nur auf die Verwaltungsstruktur beziehen; sie sind für die Parlamente in gleicher Weise bedeutsam. 2. Es ist die Zieldiskussion i n der Umweltpolitik fortzuführen bzw. sowohl i n der politischen Praxis als auch i n der Verwaltung zu prüfen, welche konkreten Entwicklungsziele überhaupt zu realisieren sind. Diese Diskussion ist bisher überwiegend außerhalb der Entscheidungsträger (z. B. bei den Grünen) geführt worden. U m diese Notwendigkeit an einem Beispiel aufzuzeigen: die Funktionsfähigkeit von Ökosystemen ist auf verschiedenen Entwicklungsstufen möglich. Fast alle Ökosysteme auf dem Gebiet der Bundesrepublik sind durch Eingriffe der
Schutz der U m w e l t und der Landschaft
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Menschen verändert, ζ. T. i n einem Jahrtausende währenden Prozeß. Die Frage nun, welche Stufen von Ökosystemen i n den einzelnen Regionen erhalten oder entwickelt werden sollen, ist bisher — abgesehen von punktuell auf Naturschutzgebiete bezogene Erörterungen — i m Rahmen der räumlichen Entwicklung nicht gestellt worden. Die Formel von nur unbedingt notwendigen Eingriffen, wie sie ζ. B. i m BNatSchG normiert ist, taugt aus dieser Perspektive deshalb nicht, weil diese Notwendigkeit dann immer i m Einzelfall begründet werden kann, ohne daß die generellen Veränderungen der Ökosysteme, die oft sehr viel später nach dem Eingriff transparent werden, nicht i n den zur Entscheidung anstehenden Sachverhalt einbezogen werden. Diese Forderung kann nicht bedeuten, daß zugunsten gesellschaftlichen und ökonomischen Fortschritts auf jede ökologische Veränderung verzichtet werden muß; w i r müssen nur die langfristigen ökologischen Folgen und Nebenwirkungen dann i n die Entscheidungsparameter staatlichen und privaten Handelns einbeziehen. Die Behauptung, daß zur Realisierung dieser Forderung die wissenschaftlichen Grundlagen fehlen, kann ernsthaft nicht belegt werden. Für den ökologischen Bereich sind mindestens Aussagen m i t der gleichen Genauigkeit und Ungenauigkeit möglich (vgl. ζ. B. die vorliegenden ökologischen Gutachten und Prognosen zu den geplanten Veränderungen des Wattenmeeres) wie über die ökonomischen Auswirkungen, die der Bau einer Bundesfernstraße zur Folge haben kann. Und Entscheidungen über die künftig anzustrebenden Stufen von Ökosystemen oder die natürliche Umwelt sind ausschließlich von den politisch Verantwortlichen zu treffen; die Wissenschaft kann allenfalls Argumente und Prognosen darüber vorlegen, welche Wirkungen eintreten, wenn Eingriffe oder Veränderungen geplant sind (wenn — dann). 3. Die Mehrzahl der Forderungen für eine Verbesserung der U m weltpolitik stehen i m Widerspruch zu den Forderungen nach Entbürokratisierung. Dieser K o n f l i k t ist m. E. prinzipiell nicht zu lösen. Zu fragen ist allerdings, ob die gesetzliche Regelungsdichte weiter vergrößert werden soll oder ob nicht künftig der Versuch unternommen werden muß, wenige eindeutige konkrete Grundsatzentscheidungen zu treffen, die den Rahmen für alle Beteiligten klar abstecken und die Vielzahl der notwendigen Einzelentscheidungen unter Beachtung der regionalen und lokalen ökologischen Situation den örtlich zuständigen Stellen zu übertragen. Kriterien für diese Kompetenzverteilung wären möglicherweise i n den Sicherheitsrisiken und bei der Reversibilität der Veränderungsprozesse zu suchen. Die Forderung nach der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, wie sie jetzt allerorten interpretiert wird, wäre auch i m Hinblick auf die jetzt festzustellende regional unterschiedliche Belastung der natürlichen Ressourcen und auch auf die unterschiedliche 12·
180
K a r l - H e r m a n n Hübler
Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes neu zu überdenken 32 . Statt die Regelungsdichte weiter zu erhöhen, sollten i n starkem Maße die Entscheidungshilfen verbessert werden wie z. B. durch die Aufstellung von Umwelt-, Energie- und Landschaftsbilanzen, die Verbesserung der Umweltstatistik und Ergänzung um ökologische Sachverhalte u. dgl. 4. Von den Verwaltungsjuristen w i r d das Vordringen der Volkswirte, Soziologen und Politologen i n der öffentlichen Verwaltung beklagt. Dies mag auch durch „Standesinteressen" m i t begründet werden. Ich würde demgegenüber aus meiner subjektiven Perspektive feststellen, daß in den letzten Jahren eine zunehmende „Ökonomisierung" der Verwaltung stattgefunden hat oder eine Durchdringung der Verwaltung mit Ökonomen. Ich halte das vom Prinzip her für notwendig; die nächste Welle muß — soll die Eingangsfrage positiv beantwortet werden können — eine Ökologen- bzw. Landespflegerwelle sein, und zwar nicht nur i n den entsprechenden Referaten und Abteilungen, sondern auch in den Stabsstellen und Zentralen. Der Einwand, daß dafür hinreichend ausgebildete Verwaltungsfachleute nicht zur Verfügung stehen, mag derzeit zutreffen. U m so dringlicher ist es Aufgabe auch der öffentlichen Verwaltung, dieses Defizit zu beseitigen. Das Interesse jüngerer Menschen an einer solchen Tätigkeit ist in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen. Daß Juristen und Ökonomen nach ihrem jetzigen Selbstverständnis und ihrer Ausbildung i n der Lage sind, die sich aus einer komplexen Umweltpolitik ergebenden Aufgaben i n der Verwaltung allein zu vollziehen, bezweifle ich aus meiner früheren Erfahrung deshalb, weil von dort her Ökologie als eine Summe von Einzelfällen oder Einzeltatbeständen (Güter i m volkswirtschaftlichen Sinn) verstanden w i r d und die kausalen ökologischen Systemzusammenhänge, die Fristigkeit der Prozesse und auch deren Irreversibilität andere Denk- und Vorgehensweisen erfordern. Neben der Frage der Qualifikation derjenigen, die eine ökologisch orientierte Umweltpolitik i n der Verwaltung künftig zu vollziehen haben, kommt natürlich auch noch der Frage der hinreichenden quantitativen Ausstattung große Bedeutung zu. Allerdings könnte dieses Vollzugsdefizit auch dadurch verringert werden, daß Umverlagerungen von Personal- und Sachkosten aus jenen Bereichen, deren Bedeutung gesamtgesellschaftlich abnimmt, schneller als bisher erfolgen (z. B. Straßenbauverwaltungen, Land wirtschaf tsverwaltung). Ich möchte hier auf eine Erläuterung meiner Hypothese verzichten, daß Fernstraßen auch deshalb gebaut werden, weil zwischenzeitlich 82
Vgl. dazu auch: Karl Hermann Hübler, Eckart Scharmer, Klaus Weicht-
mann, Stefan Wirz, Zur Problematik der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, Bd. 80 der Abhandlungen der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Hannover 1980.
Schutz der U m w e l t und der Landschaft
181
allerorten personell hervorragend ausgestattete Autobahnneubauämter existieren und die Rekultivierung von Ödland auch weiter deshalb betrieben wird, weil Flurbereinigungsämter ihre Aufgaben erfüllen müssen und Deiche auch deshalb geplant und gebaut werden, weil vorzüglich ausgestattete Deichbauämter existieren. 5. Mein letzter Vorschlag in dem Zusammenhang besteht darin, eine Umverlagerung von Forschungsmitteln zur Klärung ökologischer Grundsatzfragen vorzunehmen, d. h. jene Umweltbereiche stärker m i t staatlichen Forschungsmitteln auszustatten, bei denen nicht unmittelbar Arbeitsplatz- und Exporteffekte zu erwarten sind. I m Gegensatz zu einer Reihe von Ökologen bin ich dabei der Auffassung, daß der Implementationsforschung der Vorrang vor der ökologischen Grundsatzforschung gebühren sollte, denn der Weg von den Grundsatzerkenntnissen bis zur Umsetzung in die Praxis ist trotz aller Bemühungen schon sehr weit; er muß zunächst verringert werden. Diese Vorschläge mögen einerseits bescheiden sein, werden sie an grundsätzlichen Vorschlägen zur Veränderung des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems gemessen, sie mögen andererseits für die zu weitgehend sein, die die Umweltpolitik als eine ähnliche modische Wellenerscheinung 33 wie die Bildungspolitik, Sicherheitspolitik oder Gesundheitspolitik klassifizieren. Ich meine, daß die Umweltpolitik — und w i r haben jetzt mindestens die zweite oder dritte Welle derselben Polit i k zu beobachten — für das Ende dieses Jahrhunderts zumindest in den industrialisierten und dichtbesiedelten Ländern ein „Dauerbrenner" bleiben wird; unabhängig davon, ob die Grünen i n den nächsten Bundestag einziehen oder nicht, weil die Grenzen der Nutzung der natürlichen Ressourcen i n immer stärkerem Maße Auswirkungen auf den Einzelnen haben werden und die Prozeßgeschwindigkeit nur Nutzung oder Zerstörung der natürlichen Ressourcen ungleich schneller voranschreitet als sich die Möglichkeit des Staates entwickelt, diesen Prozeß zu steuern.
88
Frido Wagener, a.a.O., S. 234.
Aussprache zum Referat von Karl-Hermann Hübler Bericht von Peter Fricke
Die Diskussion wurde von Professor Dr. Carl Bohret, Speyer, geleitet. Professor Dr. Carl Hermann Ule, Heidelberg, machte zu den Ansichten Hüblers mehrere kritische Anmerkungen. Er wies darauf hin, daß es ein Umweltprogramm schon immer gegeben habe. Nicht erst seit dem Reichsnaturschutzgesetz von 1935, sondern bereits 1920 hätten Naturschutzgebiete — ζ. B. i n Pommern — existiert. Schon i n der Gewerbeordnung von 1869 seien zwar Vorschriften über die Genehmigung von stark luftverschmutzenden und lärmbelästigenden Anlagen enthalten gewesen, aber dazu habe eine aus dem Jahre 1899 stammende technische Anleitung vorgelegen, Vorläuferin der T A L u f t 1964, der T A L ä r m 1968 und dann der T A L u f t 1974. I n dieser T A sei ganz klar gesagt worden, daß bei der Genehmigung solcher Anlagen zwischen den Interessen der Einzelnen als Nachbarn und der Allgemeinheit auf der einen Seite und den industriellen Interessen abgewogen werden müsse. Damals habe man also ganz klar dieses Abwägen als eine Hauptaufgabe der Verwaltung gesehen und nicht eine einseitige Entscheidung zugunsten des Umweltschutzes. Die Bedeutung des Umweltschutzgesetzes von 1974 und vorher wohl auch schon der Änderung der Gewerbeordnung 1960, aufgrund derer die technischen Anleitungen 1964 und 1968 ergehen konnten, habe dann doch die Entscheidung für den Vorrang des Umweltschutzes gebracht. Schon 1971, i m Umweltprogramm der Bundesregierung, habe der Gedanke der Vorsorge eine Rolle gespielt. Danach müßten quasi vorbeugend, auf prognostizierte Schäden hin, bestimmte Anforderungen an Industrieanlagen gestellt werden. Das Vorsorgeprinzip i n § 5 Nr. 2 Bundesimmissionsschutzgesetz gewinne, wenn man einmal die Rechtsprechung verfolge, dann auch ständig an Bedeutung. Gerade dies müsse für die Frage, wie die Verwaltung sich nun um diesen Zwiespalt zwischen industrieller Entwicklung auf der einen Seite und Umweltschutz auf der anderen Seite einzustellen habe, m i t bedacht werden.
Aussprache
183
Zum Problem des Vollzugsdefizits i m Umweltbereich meinte Ule, daß dieser Nachweis schwer zu führen sei. Auch i m Gutachten von Renate Mayntz über Vollzugsdefizite i m Umweltschutz sei dies überzeugend nicht gelungen, wenn man einmal von Dingen absehe, die fast außerhalb der Legalität passierten. Es würde jedoch auch in anderen Bereichen der Verwaltung manchmal etwas genehmigt, was eigentlich nicht hätte genehmigt werden dürfen. Abschließend bemerkte der Diskussionsredner, i m Umweltschutz müsse es darum gehen, einen vernünftigen Ausgleich zu finden zwischen den Interessen der Industrie und dem Interesse an der Erhaltung der vorhandenen Umwelt. I n seiner direkten Entgegnung betonte Hübler, sein Bezugspunkt sei das Umweltprogramm von 1971 gewesen. Umweltpolitik habe es zwar schon immer gegeben, doch hätte es sich dabei um mehr punktuelle Ansätze gehandelt, die rechtlich nicht abgesichert gewesen seien. Zum Vorsorgeprinzip merkte er an, man müsse früher ansetzen. Man dürfte nicht erst dann eingreifen, wenn bei der Produktion bereits Schäden eingetreten seien bzw. Abfallprodukte reduziert werden müßten, sondern man müsse, wie neuerdings i m Ökologieprogramm, der gewerblichen Wirtschaft frühzeitig einen Rahmen aufzeigen. Insofern könne auch dieses Vorsorgeprinzip nicht in dem engen rechtlichen Rahmen des Bundesimmissionsschutzgesetzes gesehen werden. Zum Vollzugsdefizit meinte Hübler, dies sei eine Wertungsfrage. Wenn man sich jedoch die personelle Ausstattung i m Bereich Naturschutz und Landschaftspflege i n den einzelnen Ländern i m Verhältnis zu den i n Gesetzen formulierten Aufgabenkatalogen ansehe, dann könne man sich ausrechnen, daß diese Gesetze i n absehbarer Zeit kaum vollzogen werden könnten. Abschließend machte er deutlich, daß ein „vernünftiger Ausgleich" zu wenig sei, denn das hieße, so weiterzumachen wie bisher. Wichtiger wäre, sich über die Wirkungen jedes Eingriffs Gedanken zu machen und die Zustimmung zu solchen Eingriffen von dem Ausmaß der Wirkungen auf die Veränderung der Landschaft abhängig zu machen. Oberforstmeister Freiherr Jürgen von Eynatten, vom Rheinlandpfälzischen Ministerium für Landwirtschaft, Kleinbau und Forstwirtschaft, erinnerte daran, daß die Gesetzgebung zur Erhaltung der Wälder bereits 250 Jahre alt sei und ein teilweise notwendig gewordener Wiederaufbau des Waldes auf gesetzlicher Grundlage hier wirklich zu Erfolgen geführt habe. Professor Dr. Rainer Wahl, Freiburg, konzentrierte seinen Diskussionsbeitrag auf die i m Referat als besonders problematisch angesprochenen Hauptpunkte: mangelndes Systemdenken i m Ansatz, mangelnder Querschnittsbezug und mangelnde Zieldiskussion. Die selben Män-
184
Aussprache
gel seien i m Bereich der Landes- und Entwicklungsplanung festgestellt worden und gerade da habe man einen Zyklus von Erwartungen und Enttäuschungen hinter sich, aus denen man eigentlich nur lernen könne. Die bisherige Diskussion habe die Schwierigkeiten aufgezeigt, eine Querschnittsaufgabe überhaupt anzugreifen. Die Erfolge der klassischen Querschnittsaufgaben Finanz- und Haushaltsplanung seien vor allen Dingen darauf zurückzuführen, daß jede Verwaltungsstelle auf Finanzen angewiesen sei. Diese Situation sei jedoch nicht auf die Raumplanung und wohl auch kaum auf den Umweltschutz übertragbar. Ein Problem liege auch darin, daß nicht all das, was man sich an Querschnittsbezug wünsche, umgesetzt werden könne. Ein komplexes Problem müsse i m Prozeß „kleingearbeitet" werden und das sei genau das Problem der Instrumentierung. I h m stelle sich so die Frage, wie der Z w i schenraum zwischen dem Anspruch nach Systemdenken und Systemanspruch und der notwendigerweise dann sektoral werdenden Maßnahmen, überprüft werden könne. Professor Dr. Herbert König, Hamburg, stimmte den Ausführungen von Wahl zu. A u f Dauer werde man darauf angewiesen sein, die Umweltpolitik nicht durch die Hintertür der „mittelbaren" Politik wie der Wirtschaftspolitik usw. einzuführen, sondern durch die Vordertür einer unmittelbar beeinflußbaren Infrastruktur i m Verbund m i t Verkehrspolitik und anderen. Die Umweltdiskussion sei insgesamt zum falschen Zeitpunkt geführt worden, nämlich erst dann, als konkrete Maßnahmen hätten getroffen werden müssen. Politik könne man nicht betreiben zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schlechthin, ebensowenig wie zur Verbesserung der Umweltqualität. Das seien Leerformeln. Man müsse den Ausgangspunkt, Defizit i m Ökosystem, „kleinbrechen", bis hin zum ganz konkreten Problem, wie dem Aussterben von irgendwelchen Pflanzenarten. Zum Nachweis eines sinnvollen Umweltschutzes habe es wenig Sinn, Listen über ausgegebene Gelder zu führen oder über erlassene Regelungen. Wichtiger sei der Wirksamkeitsaspekt, d. h. welche Probleme m i t einer A k t i o n wirklich angegangen und nach Möglichkeit erfüllt worden sind. König warnte ausdrücklich vor einer zu starken Technisierung der Umweltpolitik und vor der Leerformel der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse", die schon an der Grenze zu Großbritannien oder Italien i n sich zusammenbreche. Weiterhin warnte er vor einer zu starken Quantifizierung der Politik. Man solle nicht den Versuch unternehmen, alles messen zu wollen. Das Wichtigste bei unseren Politikern sei deren Nase und deren Daumen. M i t den „Grünen" sei ein Generationskonflikt ausgebrochen, wie man ihn noch nicht erlebt habe. Man solle zumindest hinhören.
Aussprache
185
Dem Katalog der Vorschläge von Hübler solle hinzugefügt werden, 1. das Nachdenken über die Position der Umweltpolitik i m Politikspektrum überhaupt; 2. die Erkundung der Probleme, die die Umweltdiskussion erst ausgelöst haben und 3. das Nachdenken über den Erfolgnachweis der Politik. Regierungsdirektor Dr. Wolfgang Zeh, Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, ging auf den von Hübler i n den Vordergrund gestellten Aspekt der Wirksamkeit von Programmen und Gesetzen ein. I h n interessierte, inwieweit die bisher vorhandenen Ergebnisse von Wirkungsweisen- oder Wirkungsfaktorenuntersuchungen Hinweise auf die i m Referat vorgeschlagenen Strategien und Empfehlungen geben würden. Gegen die Empfehlung, man dürfte den Normenbestand nicht weiter verdichten, sondern müsse i m Gegenteil auf der Programmebene stärker richtlinienartig arbeiten, spreche zumindest i n Ansätzen die Studie von Mayntz. Dort habe man gerade festgestellt, daß die Verwaltungsbeamten verzweifelt nach mehr Vorgaben, nach mehr Regeln riefen. Die Frage sei deshalb, ob es dann eine Strategie geben könne, die noch mehr L u f t lasse, wenn die Praxis nach engeren Vorgaben rufe, offenbar, weil sie sich nicht so ganz traue, das, was man aus den Zielen und Vorschriften entnehmen könne, auch anzuwenden. Unter Vollzugsdefizit i m engeren Sinne verstehe er, daß die Behörden aufgrund der Gesetze nicht tätig werden oder falsch tätig werden. Es sei zwar durchaus denkbar, daß bestimmte Gesetze gerade dadurch wirksam würden, daß einmal nicht so streng durchgegriffen würde und dadurch Kooperationsbereitschaft ausgelöst und so Ziele erreicht würden, die bei strengem Vollzugsverhalten gar nicht erreichbar wären. Das sei aber erst die zweite Frage. I m Umweltschutz und gerade bei Immissionsschutz gebe es echte Vollzugsdefizite i n diesem engeren Sinne. Die Verwaltungsbediensteten gingen i m Immissionsschutz von Anfang an dazu über, i m Konferenzstil und Verhandlungsstil m i t den Betreibern von emitierenden Anlagen zu verhandeln. Dabei werde sogar glatt gegen das Gesetz m i t dem M i t t e l der Befristung verstoßen, obwohl es i m Gesetz hieße, daß die Genehmigung erst erteilt werden dürfe, wenn alle Voraussetzungen vorlägen. Zeh plädierte i n diesem Zusammenhang für ein Zurück zum Vollzug und für scharfe und möglichst nicht zu umgehende Vorgaben. Dies bedinge leider eine insgesamt „bürgerfernere Verwaltung". Ministerialdirigent Helmut Kuhn, Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt, Baden-Württemberg, ging zunächst noch einmal auf das Vollzugsdefizit ein. Es gehöre gerade auch zu einem guten Verwaltungsbeamten, daß er wisse, wann er etwas vom „strengen Voll-
186
Aussprache
zug" eines Gesetzes abweichen dürfe oder sogar müsse. Die Gesetzgebung zum Umweltschutz sei nahezu vollständig und sogar schon sehr perfektionistisch. Beim Vollzug seien jedoch Schwächen aufgetaucht, die überhaupt erst zum Entstehen einer „Grünen Partei" geführt hätten. Die Verwaltung sei durchaus gewillt, die Gesetze so zu vollziehen, wie es sich der Gesetzgeber gedacht habe. Heute sei es jedoch oft so, daß die i m richtigen Vollzug einer Bestimmung ergangenen Entscheidungen eines Verwaltungsbeamten durch einen höherstehenden Beamten gnädig zurückgenommen würden, da der nur noch den Einzelfall sehe. Dies führe insgesamt zu einer Verunsicherung des Verwaltungspersonals. Er vertrat die Ansicht, daß bei Stärke der Verwaltungsoberen, letztendlich auch die Verwaltung selbst stark sei. Bürgermeister Bernhard Wimmer, Speyer, befaßte sich noch einmal mit dem Vollzugsdefizit aus der Sicht des Praktikers an der „Front". Die Praxis müsse versuchen, das was möglicherweise ein Gesetzgeber i m abstrakten Regelungsrahmen übersehen habe abzugleichen und zu glätten. Das könne man aber nicht als „Kungelei" bezeichnen. Es komme schon einmal vor, daß man sich über Gesetze hinwegsetzen müsse. Es gehe oft gar nicht anders. Andernfalls würden die Praktiker schon manchmal gar nicht mehr wissen, was sie tun sollten. Der Umgang mit den natürlichen Ressourcen müsse sorgfältiger geplant und bedacht werden als i n der Vergangenheit. Insoweit stimme er dem Referenten zu. Er gab zu bedenken, daß der Landschaftsverbrauch, der heute beklagt werde, seine Ursache in der Ausdehnung der Städte habe und auch in dem Wunsche jedes Einzelnen, ζ. B. ein Eigenheim zu besitzen. Bei jedem Bauvorhaben entstehe so ein Konflikt, der dann nur i m Einzelfall lösbar sei. Die vorhandenen Instrumente seien ebenso ausreichend wie die Vernunft der Praktiker, die die Gesetze auszuführen hätten. Allerdings habe mittlerweile eine Regelungsflut eingesetzt, die selbst Fachleuten i n Fachbehörden Schwierigkeiten bereiten würde. Perfektionistische und komplizierte Regeln führten dazu, daß selbst Fachleute über die Auslegung von Begriffen stritten. Diese Schwierigkeiten müßten dann erst recht bei Beamten i m Ordnungsamt auftreten. Hübler beschäftigte sich in seinem Schlußwort zunächst m i t dem Diskussionsbeitrag von von Eynatten. Er wies darauf hin, daß gerade mit den Waldgesetzen nicht verhindert werden konnte, daß in den Ballungsräumen der Wald weiter abgenommen habe. Zu den Anmerkungen von Wahl sagte der Referent, er kenne alle Höhen und Tiefen der Querschnittsarbeit aus eigener Ansicht in der Landesplanung und Raumordnung. Wenn jedoch Umweltpolitik als eine relativ ganzheitliche Politik formuliert sei und Interdependenzen i m Zielsystem aufgezeigt seien, dann könne man beim Instrumentieren nicht nur sagen,
Aussprache
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man mache das nur ganz punktuell. Er sei gegen eine ökologische Gesamtplanung. Man sollte Rahmendaten setzen und solle den Verantwortlichen größeren Spielraum beim Vollzug geben. Gegen die von Zeh angeregte „bürgerferne Verwaltung" i m Umweltschutz äußerte Hübler Bedenken. Ein gewisser Ermessens- und Auslegungsspielraum müsse i n jedem Einzelfall vorhanden sein. Umweltschutz könne man nicht m i t einem „eisernen Besen" betreiben. Abschließend stellte Hübler klar, daß gerade die von Wimmer erwähnten Einzelfallentscheidungen einen Großteil der Mängel im Landschaftsschutz verursacht hätten. Ein Ökosystem breche zwar nicht zusammen, wenn ein Haus gebaut werde, aber wenn dann 1000 Häuser nach und nach i n Einzelfallentscheidungen genehmigt würden, dann verändere sich das System langfristig. Man müsse sich eben vorher überlegen, ob man ein bestimmtes Gebiet ζ. B. in Bauland umwidmen könne und sich fragen, welche Folgen damit verbunden seien und ob dadurch beispielsweise das K l i m a beeinflußt werde. Gerade Einzelfallentscheidungen seien es gewesen, die dazu geführt hätten, daß in Ballungsräumen keine Freiräume mehr zur Verfügung stünden. Man müsse vielmehr versuchen, einmal umgekehrt vorzugehen und sich fragen, welche Freiräume werden gebraucht für das K l i m a einer Stadt und in diesem Gebiet dürfe dann nichts geändert werden, Bauangebote müßten dann eben an anderer Stelle gemacht werden.
Bevölkerungsrückgang und Verwaltungsaufgaben — werden in Zukunft öffentliche Einrichtungen leerstehen? Von Rainer Thoss Wenn sich eine Tagung m i t Zukunftsaspekten der Verwaltung beschäftigt, dann darf eine Betrachtung der Konsequenzen des Bevölkerungsrückgangs ganz sicher nicht fehlen, denn die veränderte Bevölkerungsentwicklung w i r d zweifellos i n der Zukunft die öffentliche Verwaltung vor eine Reihe von Problemen stellen. Aber ich möchte gleich eingangs darauf hinweisen, daß ich i n diesem Zusammenhang nicht so sehr das Problem sehe, daß öffentliche Einrichtungen leerstehen könnten (das begreife ich eher als Chance für eine bessere Versorgung!), sondern daß die Bedingungen für die Finanzierung dieser Einrichtungen sich ändern müssen. I n meinem Vortrag möchte ich so vorgehen, daß ich zunächst einen Überblick über die Größenordnung des zu erwartenden Bevölkerungsrückgangs und seine räumliche Verteilung gebe. Danach werde ich dann die Konsequenzen für die öffentlichen Einrichtungen behandeln. Ich stütze mich dabei auf Empfehlungen, die vom Beirat für Raumordnung zu Beginn dieses Jahres verabschiedet wurden 1 .
I. Bevölkerungsentwicklung 1. Entwicklung
ohne Wanderungen
Eine erste A n t w o r t auf die m i r i m Thema gestellte Frage ergibt sich aus der geschätzten natürlichen Bevölkerungsentwicklung i n den verschiedenen Gebietstypen (Tab. 1). Nach Ansicht der PROGNOS A G w i r d die Bevölkerung ohne Wanderungen i m Gesamtgebiet der Bundesrepublik Deutschland von 1974 bis 1990 um etwa 4 v H abnehmen.
1
Beirat für Raumordnung, Empfehlungen vom 28. Februar 1980.
Rainer Thoss
190
Tabelle 1: Regionale Bevölkerungsverteilung in der Bundesrepublik Deutschland 1974 und 1980 (ohne Wanderungen) nach Gruppen von Gebietseinheiten des BROP Regionsgruppe
1974 Tsd.
vH
vH
Tsd.
1990
vH
vH
zum Vergi. Fläche
A Β E
28 793,6 5 192,8 2 037,1
46,4] 8,3 \ 3,3
58,0
27 400,3 4 918,4 1 693,1
46,0] 8,2 2,8
57,0
35,9
C D
15 241,5 10 784,2
24,6 1 17,4J
42,0
14 830,3 10 789,7
24,9 Ì 18,1/
43,0
64,1
insgesamt
62 049,2
J
100,0
59 631,8
j
100,0
100,0
Gruppe A : Gebietseinheiten mit national bedeutsamen Verdichtungsräumen 3, 5, 10, 14, 16, 18, 24, 28, 30, 31, 34. Gruppe Β : Gebietseinheiten mit industriellen Verdichtungszonen 15, 26. Gruppe C:
Gebietseinheiten mit größeren Verdichtungsräumen oder Räumen mit hohem Erholungswert 2, 9, 11, 13, 17, 20, 25, 29, 35, 36, 37.
Gruppe D:
Gebietseinheiten mit kleineren Verdichtungsräumen oder ohne Verdichtungsräume in Peripherielage 1, 4, 6, 7, 8, 12, 19, 21, 22, 23, 27, 32, 33.
Gruppe E:
Sonderfall Berlin (West) 38.
Quelle: R. Koch und J. Scheider, Statistische Informationen, in: Informationen zur Raumentwicklung, H. 1/2, 1977, S. 167, S. 170 - 175.
Unterstellt man einmal, daß die Infrastrukturausstattung i m Bundesgebiet nicht abgebaut w i r d und daß kein nennenswerter Zustrom von Gastarbeitern und Asylsuchenden stattfindet, dann kann man als erste, grobe A n t w o r t festhalten, daß der durchschnittliche Effekt des Bevölkerungsrückgangs auf die Auslastung der Infrastruktur relativ gering sein wird. Ich sehe zunächst keinen Grund zu der Befürchtung, daß Überkapazitäten entstehen, sondern ich würde eher davon sprechen, daß auf diese Weise Unzuträglichkeiten, die sich für die Bevölkerung aus den heute noch existierenden Engpässen ergeben, etwas abgemildert werden können. Die Ausstattung je Einwohner verbessert sich. Nun zur räumlichen Verteilung des Bevölkerungsrückganges: Ohne Ausgleich durch Zuwanderungen werden an der Abnahme u m 4 v H vor allem die Verdichtungsgebiete beteiligt sein. Bei insgesamt abnehmender Bevölkerung sind zwar auch für die ländlichen Gebiete i n der Bundesrepublik in vielen Fällen schon Geburtendefizite zu erwarten, aber i n den Verdichtungsgebieten werden diese noch größer sein. Dies würde bei insgesamt sinkender Einwohnerzahl zu Verschiebungen der Bevölkerungsverteilung zugunsten der ländlichen Gebiete führen. Die überwiegend ländlichen Gebietseinheiten vom Typ C oder D würden ihren
Bevölkerungsrückgang u n d Verwaltungsaufgaben
191
Anteil an der insgesamt verminderten Bevölkerung von 42 auf 43 v H steigern. Der Anteil der stärker verdichteten Gebietseinheiten (Gruppen Α, Β und E) würde dementsprechend um einen Prozentpunkt (von 58 auf 57 vH) sinken. Die Verteilung w i r d etwas gleichmäßiger. Auch die Zahl der Erwerbsfähigen w i r d i m Prognosezeitraum vor allem in den ländlichen Gebietseinheiten ansteigen. Durch das Hereinwachsen der geburtenstarken Jahrgänge der 60er Jahre in das erwerbsfähige Alter ist besonders dort ein Anwachsen des inländischen Erwerbspotentials zu erwarten; verdichtete Regionen sind (ohne Wanderungen) von diesem Zuwachs an Erwerbspersonen weniger betroffen. U m einige Beispiele zu nennen: i n den Gebietseinheiten Ems (7) und Osnabrück (6) w i r d die Zahl der Personen i m erwerbsfähigen Alter um 23,4 bzw. 15,5 v H steigen, i n den Gebietseinheiten München (34) und Frankfurt (24) dagegen nur um 2,9 bzw. 0,3 vH. 2. Entwicklung
mit Wanderungen
Nach Meinung der PROGNOS A G w i r d diese Tendenz nun aber völlig umgekehrt durch die zu erwartenden Wanderungen. Dies liegt daran, daß nach Ansicht von PROGNOS für die zuwachsenden Anbieter von Arbeit an ihren jeweiligen Wohnorten nicht genügend viele Beschäftigungsmöglichkeiten gefunden werden können. I m Gegenteil: Bei Fortschreibung der bisherigen Trends zeichne sich eine Tendenz zur räumlichen Konzentration der Arbeitsplätze (und insbesondere der qualifizierten Arbeitsplätze) auf wenige Verdichtungsräume ab. Bis 1990 würde sich unter Status-quo-Bedingungen für die regionale Verteilung die Zahl der Arbeitsplätze beispielsweise i n den Gebietseinheiten Düsseldorf, Frankfurt und Rhein-Neckar-Südpfalz um 2,0, 2,4 bzw. 4,6 v H erhöhen. I n den ländlich geprägten Gebietseinheiten Lüneburger Heide und Ems würde sie sich dagegen um 4,5 bzw. 5,2 v H verringern; in der Gebietseinheit Landshut-Passau sogar um 10,8 vH. Sollte also der Abnahme und der räumlichen Konzentration der A r beitsplätze — wie i n der Prognose unterstellt — nicht entgegengewirkt werden, so würde dies entweder (ohne interregionale Wanderungen) zu umfangreicher offener und versteckter Arbeitslosigkeit i n den ländlichen Räumen bei gleichzeitiger Existenz offener Stellen i n den Verdichtungsgebieten führen, oder aber es wären großräumige Wanderungen erheblichen Ausmaßes zwischen den Gebietseinheiten zu erwarten. A u f diese Weise würden zwar die Bevölkerungsverluste einiger Verdichtungsgebiete ausgeglichen. Die ländlichen Gebiete und andere strukturschwache Regionen hätten dann jedoch sehr hohe WanderungsVerluste hinzunehmen.
Rainer Thoss
192
I m Rahmen der insgesamt nach unten gerichteten natürlichen Bevölkerungsentwicklung hätten bestimmte Teile des Bundesgebietes, die sowohl den Gebietskategorien der Verdichtungsräume als auch der ländlichen Gebiete zugehören können, unter Einbeziehung der befürchteten Wanderungsvorgänge eine besonders starke Bevölkerungsabnahme zu verzeichnen. So ist ζ. B. für die der Gruppe D angehörenden Gebietseinheiten Ems, Trier und Landshut-Passau m i t folgenden Abnahmen der Einwohnerzahlen zu rechnen: Ems
12,9 v H
(19)
Trier
13,3 v H
(33)
Landshut-Passau
13,6 v H
( 7)
Aber auch die Verdichtungsräume haben Abnahmen zu befürchten, und zwar: ( 3)
Hamburg
(15)
Essen
(26)
Saarland
...
9,5 v H 10,8 v H 13,6 v H
Wenn sich also die Status-quo-Trends der Bevölkerungsveränderung und der Veränderung der Zahl der Arbeitsplätze und der Arbeitskräfte fortsetzen, so steht zu befürchten, daß großräumige Wanderungsbewegungen stattfinden, die m i t den Zielen der Raumordnung unvereinbar sind. So w i r d ζ. B. i m Bundesraumordnungsprogramm gefordert, „daß i n keiner Gebietseinheit Bevölkerungsabnahmen durch Abwanderung eintreten sollten, also weder in ländlich geprägten, schwach strukturierten Gebietseinheiten noch i n stagnierenden Gebietseinheiten mit hohem Verdichtungsanteil" 2 . Zusammenfassend ergeben sich m i t h i n aus der Raumordnungsprognose 1990 für unsere Fragestellung folgende beiden Feststellungen: — Die bis 1990 allein aufgrund der natürlichen Bevölkerungsentwicklung (bei Verhinderung großräumiger Wanderungen) zu erwartende Veränderung der relativen Bevölkerungsverteilung über die Gebietseinheiten würde zu einer Umkehrung des bisherigen Verdichtungsprozesses führen, das heißt zu einer geringfügigen Entballung. I n diesem Falle — der den Zielen der Raumordnung entsprechen würde — würde die Entlastung der öffentlichen Einrichtungen durch die Bevölkerungsabnahme vor allem in den überlasteten Verdichtungsräumen eintreten. 2 Raumordnungsprogramm für die großräumige Entwicklung des Bundesgebietes (Bundesraumordnungsprogramm), Schriftenreihe des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Nr. 06.002, S. 42.
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Bevölkerungsrückgang und Verwaltungsaufgaben
— Andererseits aber drohen sehr gravierende Veränderungen der Raumstruktur, wenn es nicht gelingt, die sich nach der Status-quoEntwicklung abzeichnenden Tendenzen der Arbeitsplätzekonzentration und des hierdurch stärkeren Wanderungssogs der meisten Verdichtungsräume gegenüber den strukturschwachen Regionen abzufangen. Dies widerspricht nicht nur den Zielen der Raumordnung, sondern es führt auch zur Entlastung der Infrastruktur an den falschen Stellen. Die Konsequenzen, die die zweite Alternative für einige Bereiche der Infrastruktur haben würde, zeigt Tabelle 2. Selbst die befürchteten — nicht zielkonformen — Abwanderungen würden demnach nur in Teilbereichen dazu beitragen können, daß das Ziel der Gleichwertigkeit aller Lebensverhältnisse in den Teilregionen der Bundesrepublik erreicht werden könnte, geschweige denn, daß dort öffentliche Einrichtungen „leerstehen" werden. Die Versorgungslage w i r d nur ein wenig verbessert. Als vordringliche Konsequenz ergibt sich demnach aus der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung, daß das Eintreten der befürchteten Entwicklung in den von Abwanderung bedrohten Gebietseinheiten verhindert werden muß, indem dort erstens die notwendigen Arbeitsplätze geschaffen werden und zweitens die öffentlichen Einrichtungen nicht nur erhalten, sondern sogar noch attraktiver gemacht werden. Tabelle 2: Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung bis 1990 auf die Infrastrukturausstattung in ländlichen Gebietseinheiten mit Infrastrukturschwächen
Indikator
Mindeststandards
Kindergartenplätze pro 100 der 3 bis unter 6 jährigen Nutzfläche je Schüler an Realschulen u. Gymnasien in m 2 Betten in Akutkrankenhäusern pro 10 000 Einw. Bundesautobahn in k m pro Eha
Fehlbestand (bzw. über Norm) im Jahre 1990 in den Gebietseinheiten: (1) (7) (19) (22) (27) (32) (33)
80 (vH)
-24 ( - 30)
-51 ( - 64)
3,75 (vH)
+ 0,57 + 0,69 + 1,16 + 0,59 + 1,87 + 0,65 + 1,98 (+18) (+18) ( + 31) ( + 16) (+50) (+17) (+53)
70 (vH)
- 5 ( - 7)
0,15 (vH)
-0,11 -0,13 0,00 - 0 , 0 1 - 0 , 0 5 0,00 - 0 , 1 2 ( - 75)