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German Pages 330 Year 2017
Mareike Alscher Zivilgesellschaftliche Organisationen ohne Jugend?
Maecenata Schriften
Herausgegeben von Rupert Graf Strachwitz Eckhard Priller Christian Schreier
Band 13
Mareike Alscher
Zivilgesellschaftliche Organisationen ohne Jugend? Eine organisationsbezogene Betrachtung zum Engagement junger Menschen
ISBN 978-3-11-052655-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-052907-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-052662-2 ISSN 1866-122X Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Wie geht es mit unserer Gesellschaft weiter? Werden sich die Tendenzen einer zunehmenden Individualisierung in der jungen Generation fortsetzen oder kann die Zivilgesellschaft künftig auf die Jugend bauen? Zivilgesellschaft ist vieles, aber im Kern nicht individuell. Dies drückt sich bereits in den zahlreichen und sehr heterogen ausgerichteten zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Rechtsformen von Vereinen, Stiftungen, gGmbHs und Genossenschaften aus. Es ist das Aushandeln, Zusammenkommen und Einbringen von unterschiedlichen Interessen für eine Gemeinschaft, die Gesellschaft oder ihre einzelnen Teile. Zivilgesellschaftliche Organisationen ohne Jugend, ohne deren Interessen und ohne deren Engagement sind weniger Zivilgesellschaft. Sie brauchen einander: die Organisationen die Jugend und die Jugend die organisierte Zivilgesellschaft. Ohne die Bereitschaft junger Menschen, sich in den Organisationen zu engagieren und verantwortungsvolle Aufgaben in ihrer Leitung zu übernehmen, sind zahlreiche Organisationen nicht nur in ihrer Existenz oder von Einschränkungen ihrer Tätigkeit bedroht, sondern es besteht die Gefahr, dass die Interessen der Jugend nicht ausreichend in der Arbeit der Organisationen und insgesamt in der Zivilgesellschaft Berücksichtigung finden. Vor diesem Hintergrund ist es besonders bedeutsam, die Situation des Engagements junger Menschen in zivilgesellschaftlichen Organisationen näher in den Blick zu nehmen. Bisherige Analysen beschränken sich häufig auf das Engagement dieser, für unsere Gesellschaft so wichtigen Gruppe. Die Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen und auch der Einfluss der vielfältigen Rahmenbedingungen, die das Engagement junger Menschen heute und künftig stark beeinflussen, bleiben zumeist außen vor. Die Idee des vorliegenden Bandes ist es, den zu engen Kontext des Engagements der Jugend zu überwinden. Die Darstellungen basieren auf meiner mehrjährigen Forschungstätigkeit am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, am Deutschen Jugendinstitut in München und am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. Den Institutionen bin ich für die Möglichkeit, zum Thema forschen zu können, sehr verbunden. Insbesondere weiß ich die finanzielle Förderung der Jacobs Foundation zur Durchführung eines Teils der Arbeit zu schätzen. Der Band ist eine Aktualisierung und Überarbeitung meiner im Jahr 2015 abgeschlossenen Dissertation. Neben dem theoretischen Ansatz werden eine Reihe empirischer Untersuchungen ausgewertet. Hierzu zählt der Freiwilligensurvey, die umfassendste empirische Erhebung zum Engagement in Deutschland, und besonders die am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung von der Projektgruppe Zivilengagement durchgeführte Organisationserhebung „Organisationen heute: Eigene Ansprüche und ökonomische Herausforderungen“.
VI | Vorwort
Mein Dank gilt dem MAECENATA Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft für die Möglichkeit der Veröffentlichung in seiner Reihe beim De Gruyter Verlag. Zudem ist dieses Buch das Ergebnis eines längeren Arbeitsprozesses, an dem in unterstützender Form viele Menschen beteiligt waren. Ihnen danke ich hiermit herzlich.
Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.2 1.3 1.4
Einleitung | 1 Ausgangspunkte der Thematik | 1 Ziel- und Fragestellung – Jugend und Organisation im Blickpunkt | 4 Konzeptioneller Bezugsrahmen | 6 Empirischer Untersuchungsansatz | 10
2 Zivilgesellschaft, Organisationen und Engagement | 13 2.1 Zivilgesellschaft in Bezug auf Organisation und Handeln | 13 2.2 Organisationen | 18 2.2.1 Organisationen: Stellenwert in Wissenschaft und Gesellschaft | 18 2.2.2 Organisationsverständnis und seine Dimensionen | 20 2.2.3 Grundformen von Organisationen | 31 2.2.4 Funktionen von Organisationen | 34 2.2.5 Organisationswandel | 37 2.2.5.1 Macht und Verteilung | 37 2.2.5.2 Organisationslernen | 43 2.3 Von der Dritten-Sektor-Organisation zur zivilgesellschaftlichen Organisation | 53 2.3.1 Einstieg in die Dritte-Sektor-Forschung und Defintion Dritte-Sektor-Organisationen | 53 2.3.2 Funktionen von Dritte-Sektor-Organisationen | 60 2.3.3 Zivilgesellschaftliche Organisationen: Herleitung und Definition | 63 2.3.4 Zivilgesellschaftliche Organisationen am Beispiel des Vereins | 72 2.3.5 Schlussfolgerungen aus der Organisationsforschung für zivilgesellschaftliche Organisationen im Kontext von Jugend | 76 2.4 Zivilgesellschaftliches Handeln – Engagement aus der individuellen Perspektive | 85 2.4.1 Forschungsfeld: Engagement | 85 2.4.2 Ausgewählte Rahmenbedingungen des Engagements | 90 2.4.3 Definition und Funktionen des zivilgesellschaftlichen Engagements | 97 2.4.4 Civic Voluntarism Model (CVM) | 107 2.4.5 Engagementspezifische Erweiterung des CVM | 114 2.4.6 Drei-Ebenen-Ansatz zur Erklärung von zivilgesellschaftlichem Engagement | 119 3 3.1
Junge Menschen heute und ihr Engagement | 123 Junge Menschen: Bestimmung einer Gruppe | 123
VIII | Inhaltsverzeichnis
3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 3.4.6 3.4.7 4
Methodische Grundsätze | 123 Jugend als Lebensphase | 124 Jugend als Alters- und Bevölkerungsgruppe | 126 Lebenswelten junger Menschen: Rahmenbedingungen für ihr Engagement | 130 Bildungsreformen am Beispiel von Bologna | 130 Arbeitsmarktsituation | 132 Werte und Mitsprache | 145 Religion | 148 Freizeitverhalten | 150 Neue Medien | 154 Zur Situation und zu Veränderungstendenzen des zivilgesellschaftlichen Engagements im Allgemeinen | 156 Zivilgesellschaftliches Engagement junger Menschen: Stand und Entwicklung | 162 Beteiligungsquoten insgesamt, nach Alter und Geschlecht | 162 Bildungshintergrund | 166 Zeitbudget | 168 Bereiche und Organisationsformen | 169 Leitungsfunktionen und Führungskompetenz | 171 Motive und Erwartungen | 172 Werte | 174
Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen – Empirische Analysen und Untersuchungsergebnisse | 175 4.1 Analysen zum Einfluss von Organisationsfaktoren auf individuelles Engagement | 175 4.2 Methodische Grundlagen des empirischen Vorgehens | 180 4.3 Lage des Engagements in den Organisationen | 185 4.3.1 Nachwuchssorgen | 185 4.3.2 Engagementbedarf in Organen und Gremien | 188 4.4 Junge Menschen nach Rechts- und Beteiligungsform | 192 4.4.1 Mitglieder | 192 4.4.2 Engagierte | 196 4.4.3 Ehrenamtliche Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen | 197 4.4.3.1 Anteile junger Menschen | 197 4.4.3.2 Alter der Personen in ehrenamtlicher Funktion | 201 4.4.3.3 Amtsdauer der Vorsitzenden in ehrenamtlicher Leitung | 205 4.5 Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 207 4.5.1 Nachwuchsarbeit – Verständnis und Ausrichtung | 207 4.5.2 Zivilgesellschaftliche Organisationsstrukturen und Nachwuchsarbeit | 208
Inhaltsverzeichnis | IX
4.5.2.1 4.5.2.2 4.5.2.3 4.5.2.4 4.5.2.5 4.5.2.6 4.5.3
Konzeptionelle Zusammenführung | 208 Selbstbestimmung und Führung | 214 Personalisierung | 221 Interaktionsverfestigung | 224 Formalisierung | 226 Spezialisierung | 244 Empirische Relevanz zivilgesellschaftlicher Organisationsstrukturen bei der Nachwuchsarbeit: Resümee | 251
5
Einflussfaktoren auf die Präsenz junger Menschen in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen in Vereinen – eine multivariate Betrachtung | 255
6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5
Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen | 279 Ausgangs- und Zielstellung | 279 Theoretischer Rahmen und Untersuchungskonzept | 280 Empirische Hauptergebnisse | 282 Praktische Handlungsempfehlungen | 287 Implikation für die Forschung | 291
Literatur | 293 Anhang | 315
X | Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis Abb. 2.1: Hierarchisch-monokratische Arbeitsorganisation und genossenschaftlich-demokratische Interessenorganisation | 32 Abb. 2.2: Phasenmodell Organisationslernen | 45 Abb. 2.3: Voraussetzungen für organisationales Lernen | 48 Abb. 2.4: Die organisierte Infrastruktur der Zivilgesellschaft: Zivilgesellschaftliche Organisation | 71 Abb. 2.5: Drei-Ebenen-Engagement-Erklärungsansatz | 121 Abb. 3.1: Absolute Anzahl und Anteil junger Menschen (bis 30 Jahre) an der Bevölkerung gesamt | 129 Abb. 3.2: Entwicklung des Anteils erweiterter Normalarbeitsverhältnisse (erweiterte NAV 21 W/h+) nach Altersgruppen und insgesamt, 1991–2012 | 135 Abb. 3.3: Entwicklung des Anteils atypischer Beschäftigung nach Altersgruppen und insgesamt, 1991–2012 | 137 Abb. 3.4: Anteil der Engagierten in der Altersgruppe der 17- bis 30-Jährigen und bei allen Befragten, 1984–2013 (in %) | 164 Abb. 5.1: Determinanten in Bezug auf das Vorhandensein junger Menschen (14–30 Jahre) in ehrenamtlicher Leitung in Vereinen | 274
Tabellenverzeichnis | XI
Tabellenverzeichnis Tab. 2.1: Tab. 2.2: Tab. 2.3: Tab. 2.4: Tab. 2.5: Tab. 2.6: Tab. 2.7: Tab. 3.1: Tab. 3.2: Tab. 3.3: Tab. 3.4:
Tab. 3.5: Tab. 3.6: Tab. 3.7: Tab. 3.8: Tab. 3.9: Tab. 3.10: Tab. 3.11: Tab. 4.1:
Tab. 4.2: Tab. 4.3:
Systemtheoretische Betrachtung von Zivilgesellschaft im Vergleich zu Politik und Wirtschaft | 14 Formale Strukturmerkmale bürokratischer Organisationen nach Max Weber | 26 Merkmale der Organisationsstruktur in der Kontingenztheorie | 28 Organisationsformen nach Zweck und Aufbau | 34 Gesellschaftliche und individuelle Funktionen von Organisationen allgemein und nach Aufbau | 35 Literaturbasierte Funktionskonzepte von Dritte-SektorOrganisationen | 61 Selbst- und fremdbezogene Motivgruppen | 119 Beschäftigte nach Beschäftigungsform und Alter in den Jahren 1991 und 2012 (in 1.000) | 134 Atypische Beschäftigung nach Formen und Alter (in %) | 138 Erwerbslosenquote nach Alter (in %) | 140 Einpersonenhaushalte nach monatlichem Haushaltsnettoeinkommen bis 900 Euro sowie nach Alter des Haupteinkommensbeziehers, 2012 (in %) | 143 Anteile des Engagements junger Menschen nach ausgewählten Merkmalen 1999–2014 (in %) | 165 Engagement und Bildung im Alter 14–24 Jahre 1999–2009 (in %) | 167 Engagement und Zeit im Alter 14–30 Jahre 1999–2014 (in %) | 168 Engagement nach Bereichen im Alter 14–30 Jahre 1999–2014 (in %) | 169 Organisatorischer Rahmen und Engagement im Alter 14–30 Jahre 1999–2014 (in %) | 170 Leitungs- und Vorstandsfunktionen 1999–2014 (in %) | 171 Professionalisierungstendenzen und Engagement im Alter 14–30 Jahre 1999–2014 (in %) | 173 Organisationale Einflussfaktoren bei der Mitglieder- und/oder Engagiertenbindung in Vereinen, Verbänden und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen | 180 Stichprobenzusammensetzung und Rücklauf | 184 Einschätzungen der befragten Organisationen nach Rechtsform (in %) | 187
XII | Tabellenverzeichnis
Tab. 4.4: Organe und Gremien nach ehrenamtlicher Besetzung und Rechtsform (in %) | 190 Tab. 4.5: Organisationen nach dem Vorhandensein von Organen/Gremien und ihrer ehrenamtlichen Besetzung nach Rechtsform Ehrenamtsbedarfsmuster | 191 Tab. 4.6: Junge Mitglieder (14–30 Jahre) in Vereinen und Genossenschaften (in %) | 193 Tab. 4.7: Mitgliederentwicklung in Vereinen und Genossenschaften insgesamt und bei der Gruppe der 14- bis 30-Jährigen zwischen 2005 und 2010 (in %) | 195 Tab. 4.8: Junge Engagierte (14–30 Jahre) nach Rechtsform (in %) | 196 Tab. 4.9: Junge Menschen (14–30 Jahre) in ehrenamtlicher Leitungsfunktion nach Rechtsform (in %) | 198 Tab. 4.10: Junge Menschen (14–30 Jahre) in ehrenamtlicher Aufsichts- und Beratungsfunktion nach Rechtsform (in %) | 200 Tab. 4.11: Anteil der Organisationen nach Rechtsform und Alter der jüngsten Person in ehrenamtlicher Leitungsfunktion (in %) | 202 Tab. 4.12: Zusammenhang zwischen Angaben zum Alter der jüngsten und der ältesten Person in ehrenamtlicher Leitungsfunktion bei Vereinen (in %) | 203 Tab. 4.13: Anteil der Organisationen nach dem Alter der ältesten Person in ehrenamtlicher Leitungsfunktion nach Rechtsform (in %) | 204 Tab. 4.14: Amtsdauer in Jahren des oder der Vorstandsvorsitzenden der ehrenamtlichen Leitung nach Rechtsform (in %) | 206 Tab. 4.15: Zuordnung empirischer Erhebungsmerkmale zur Nachwuchsarbeit zu organisationsstrukturellen Merkmalen von Vereinen (in Anlehnung an Horch 1992) | 209 Tab. 4.16: Organisationen mit Regelung zum stimmberechtigten Alter in der Mitgliederversammlung nach Rechtsform (in %) | 215 Tab. 4.17: Möglichkeiten zur Mitsprache und Mitentscheidung für aktive Nichtmitglieder nach Rechtsform (in %) | 217 Tab. 4.18: Anteil der Organisationen mit Internetangeboten (in %) | 218 Tab. 4.19: Zugangswege zu ehrenamtlichen Leitungsfunktionen nach Rechtsform (in %) | 221 Tab. 4.20: Zugangswege zu ehrenamtlichen Aufsichts- und Beratungsfunktionen nach Rechtsform (in %) | 223 Tab. 4.21: Bemühung um Altersdurchmischung und Berücksichtigung junger Frauen bei der Besetzung ehrenamtlicher Funktionen nach Rechtsform (in %) | 225 Tab. 4.22: Formen der Mitgliederwerbung bei Vereinen und Genossenschaften (in %) | 227
Tabellenverzeichnis | XIII
Tab. 4.23: Zielgruppen bei Mitgliederwerbung nach Rechtsform (in %) | 228 Tab. 4.24: Mitgliederwerbung und Zielgruppenorientierung bei Vereinen (in %) | 229 Tab. 4.25: Engagiertenwerbung nach Werbeformen und Rechtsform (in %) | 231 Tab. 4.26: Zielgruppen bei Engagiertenwerbung nach Rechtsform (in %) | 233 Tab. 4.27: Engagiertenwerbung nach Werbeformen und Zielgruppenorientierung bei Vereinen (in %) | 234 Tab. 4.28: Maßnahmen in Bezug auf Schul- und Studienreformen bei Vereinen und gGmbHs (in %) | 237 Tab. 4.29: Zielstellung bei der Einbindung junger Menschen nach Rechtsform (in %) | 238 Tab. 4.30: Förderung von Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten junger Menschen nach Rechtsform (in %) | 242 Tab. 4.31: Formale Regelungen zur Förderung junger Menschen nach Rechtsform (in %) | 243 Tab. 4.32: Einsatz von Hauptamtlichen für die Arbeit mit ehrenamtlich Engagierten nach Rechtsform (in %) | 245 Tab. 4.33: Regelmäßige Kooperationen zivilgesellschaftlicher Organisationen mit jugendorientierten Einrichtungen nach Rechtsform (in %) | 250 Tab. 5.1: Variablenmodell | 257 Tab. 5.2a: Determinanten in Bezug auf das Vorhandensein junger Menschen (14–30 Jahre) in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen, Modelle 1 bis 3 | 265 Tab. 5.2b: Determinanten in Bezug auf das Vorhandensein junger Menschen (14–30 Jahre) in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen, Modelle 4 bis 5 | 267
1 Einleitung 1.1 Ausgangspunkte der Thematik Für die Existenz und Funktionsfähigkeit moderner Gesellschaften hat das zivilgesellschaftliche Engagement ihrer Bürger und Bürgerinnen1 in mehrfacher Hinsicht einen unschätzbaren Stellenwert. Die Soziologie und andere Fachdisziplinen haben sich mehrfach mit diesem Phänomen auseinandergesetzt und dabei immer wieder auf die Potenziale und Grenzen eines zivilgesellschaftlichen Engagements verwiesen. Zivilgesellschaftliches Engagement stellt in seiner politischen Dimension einen wesentlichen Bestandteil der Demokratie dar und ist unverzichtbar für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Unter dem Blickwinkel des Sozial- und Wohlfahrtsstaates ist das Engagement zugleich ein wichtiger Koproduzent sozialer Leistungen und gewährleistet deren besondere Qualität. Für zivilgesellschaftliche Organisationen, die neben Staat, Wirtschaft und Familie zu den grundlegenden gesellschaftlichen Strukturelementen zählen, ist das Engagement sogar Existenzvoraussetzung. Ohne entsprechende Initiative und Verantwortungsübernahme in der Leitung und Führung können diese Organisationen nicht entund bestehen. Zudem lassen sich ohne ein Engagement wesentliche Teile der Tätigkeiten der Organisationen weder durchführen noch aufrechterhalten. Doch auch aus der individuellen Perspektive sind vielfache Wirkungen festzustellen. Neben der Gewährleistung der individuellen Teilhabe und Integration durch die selbstbestimmten, freiwillig erbrachten Tätigkeiten schafft das zivilgesellschaftliche Engagement sinnstiftende Momente für die Einzelne oder den Einzelnen und leistet idealerweise einen positiven Beitrag zum persönlichen Wohlbefinden und Lebensgefühl. Zivilgesellschaftliches Engagement erweitert den eigenen lebensweltlichen Horizont, qualifiziert durch Lernprozesse und führt nicht zuletzt zu einem Empfinden des Gebrauchtwerdens. Die Ausübung eines zivilgesellschaftlichen Engagements und damit verbunden die Gewährleistung der gesellschaftlichen, organisationsbezogenen und individuellen Wirkungen des Engagements erfolgen jedoch nicht vorrausetzungslos. Wer sich wie engagiert, ist von persönlichen Vorrausetzungen und Entscheidungen abhängig. Es ist aber immer auch eine Frage vorhandener Rahmenbedingungen und Gelegenheitsstrukturen. Diese werden allgemein durch die Gesellschaft, speziell jedoch durch den Staat, durch den Arbeitgeber und in einem besonderen Maße durch die zivilgesellschaftlichen Organisationen geschaffen. Die vielschichtigen Verbindungen
|| 1 Die vorliegende Arbeit legt Wert auf einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch. Aus diesem Grund werden in der Regel sowohl die weibliche als auch die männliche Form angeführt. Grundsätzlich sind aber stets alle sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten gemeint.
10.1515/978311052907-001
2 | Einleitung
und wechselseitigen Abhängigkeiten machen das Engagement zu einem komplexen Phänomen und dynamischen Prozess. Wenn man die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen in den Blick nimmt, unterscheiden diese sich auf den einzelnen Akteursebenen beträchtlich. Das zivilgesellschaftliche Engagement ist eingebettet in eine Gesellschaft, die das Engagement im Hinblick auf ihren Wohlstand, ihre Kultur und ihr politisches Leben mitprägt. Die insgesamt spezifische Gesellschaftskultur berührt beispielsweise in einem starken Maße die Dimension der Werte, die für ein Engagement wichtig sind. Das zivilgesellschaftliche Engagement ist besonders eng mit Werten wie Solidarität und Gemeinschaft verbunden. Eine Gesellschaft, die solche Werte nicht hervorbringt und fördert, schafft damit keine günstige Ausgangsvorausetzung für ein Engagement. Dem Staat fällt in seinem Verantwortungsbereich besonders die Aufgabe zu, bestimmte förderliche Rahmenbedingungen für ein Engagement zu schaffen. Hierzu zählen u.a. die Schaffung gesetzlicher Grundlagen und eine das Engagement unterstützende Infrastruktur sowie eine zielgerichtete Informationspolitik. Umfassende Möglichkeiten und gute Bedingungen für das Engagement bereitzustellen ist gleichzeitig eine Aufgabe, die den zivilgesellschaftlichen Organisationen zufällt. Hier wird das Engagement in einem hohen Maße initiiert, organisiert und koordiniert. Von ihnen sind das organisationale Innenleben und der strukturelle Aufbau in Anerkennung der spezifischen Engagementerfordernisse zu gestalten. Auf der individuellen Ebene stellen sowohl materielle als auch soziale Ressourcen, wie Zeit, Geld und Netzwerke, wichtige Rahmenbedingungen für das Engagement dar. Ein unterschiedliches individuelles Vermögen an Ressourcen führt dazu, dass sich nicht alle Menschen in gleichem Maße und ein ganzes Leben lang engagieren. Häufig lassen sich sogenannte Engagementepisoden im Lebensverlauf ausmachen, die individuell durch jeweils unterschiedliche Engagementgelegenheiten und -situationen geprägt sind. Die Darstellung unterschiedlicher Akteursebenen und ihr Einfluss auf das Engagement machen deutlich, dass soziologische Analysen zur Engagementsituation2 zeitlich und räumlich konkret erfolgen müssen. Nur so kann dem Umstand Rechnung getragen werden, dass das Engagement einer stetigen Dynamik und Veränderungen unterworfen ist. Die analytische Untersuchung leistet einen Beitrag zur stärkeren Wahrnehmung aktueller Veränderungen im Engagementverhalten, und sie kann darüber hinaus theoretische Zusammenhänge aufdecken, die wiederum zur Praxisgestaltung beitragen können. Die Einschätzungen zum zivilgesellschaftlichen Engagement in Deutschland unterscheiden sich gegenwärtig beträchtlich. Einerseits engagiert sich seit einigen Jah-
|| 2 Der Begriff Engagementsituation umfasst im Rahmen der Arbeit den Umfang und die Art und Weise der Beteiligung sowie die Rahmenbedingungen, die die Beteiligung formen.
Ausgangspunkte der Thematik | 3
ren mehr als jede dritte Person ab 14 Jahren (vgl. Gensicke/Geiss 2010: 17; Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a), andererseits werden Veränderungen im Engagement einzelner sozialer Gruppen ausgemacht. Diese können zeitlich gesehen durchaus schwanken. So wird beispielsweise ein Rückgang an Engagierten in den jüngeren Altersgruppen (vgl. Gensicke/Geiss 2010), von einer starken Zunahme jungen Engagements abgelöst (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a). Zugleich gibt es Hinweise zu einer veränderten Engagementsituation in den zivilgesellschaftlichen Organisationen. In diesem Zusammenhang wird auf Gefahren verwiesen, die für zivilgesellschaftliche Organisationen durch fehlendes ehrenamtliches Führungspersonal entstehen (Zimmer et al. 2010). Beispielsweise ist die Bindung und Gewinnung von ehrenamtlichen Führungskräften für 14 Prozent der Sportvereine ein existenzielles Problem (vgl. Breuer/Feiler 2015/2016: 23). Es ist damit laut Untersuchung das am häufigsten auftretende Problem unter Sportvereinen. Da die Existenz vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen von einem individuellen Engagement abhängt, ist es alarmierend, wenn die Organisationen zunehmend Probleme haben, Engagierte zu finden. Die Situation wirft Fragen nach einer allgemeinen Überalterung der Engagierten und damit der Organisationsstrukturen auf. Deshalb muss insbesondere die Engagementsituation junger Menschen für zivilgesellschaftliche Organisationen einen wachsenden Stellenwert erhalten. Junge Menschen stellen den engagierten Nachwuchs für sämtliche Tätigkeiten, die freiwillig und unentgeltlich übernommen und ausgeführt werden. Allein aufgrund des demografischen Wandels ist jedoch absehbar, dass es künftig an jungen Engagierten, die in den Organisationen Aufgaben übernehmen könnten, fehlen wird. Obwohl das Engagement in Deutschland in einem sehr hohen Maße organisationsgebunden ist, finden die Aspekte der Veränderungen der Engagementsituation und deren Konsequenzen für die zivilgesellschaftlichen Organisationen bislang in den wissenschaftlichen Betrachtungen bis hin zur Datenerhebung kaum Beachtung (vgl. Alscher/Priller 2010). So wurden sowohl die Verantwortung als auch die instrumentellen Möglichkeiten zivilgesellschaftlicher Organisationen, Nachwuchs in ihre Tätigkeit und ihr Wirken gezielt zu integrieren, bisher kaum analysiert. Hier setzt die vorliegende Untersuchung thematisch an. Der inhaltliche und analytische Schwerpunkt liegt dabei auf der Ebene der Organisationen, indem nach ihrer Bedeutung für das Engagement junger Menschen gefragt wird. Allein die Zuständigkeit der Organisationen für die Einbeziehung junger Menschen zu sehen, greift jedoch zu kurz. Es ist zugleich erforderlich, den Blick auf weitere mögliche Ursachen für eine veränderte Engagementsituation in Bezug auf junge Menschen zu richten. Die Untersuchung bezieht deshalb in einem umfassenden Sinn spezielle Rahmenbedingungen für das Engagement junger Menschen mit ein. Ziel ist es, aufzuzeigen, in welche lebens- und alltagsbezogenen Teilwelten das Engagement junger Menschen und ihre Engagementbereitschaft heute eingebettet sind. So sind junge Menschen zwar weiter engagiert, allerdings hat sich beispielsweise ihre Arbeitsmarktsituation verändert, und sie verbinden mit ihren Aufgaben im Engagement
4 | Einleitung
verstärkt interessenorientierte Erwartungen. Die veränderte Arbeitsmarktsituation führt zu höheren Flexibilitätsanforderungen, und die interessenorientierten Erwartungen ziehen Gestaltungsansprüchen im Engagement nach sich – Entwicklungen, die zunehmend bei der Schaffung von Engagementgelegenheiten zu beachten sind. Die methodologische Herangehensweise der Untersuchung umfasst somit drei Ebenen. Es handelt sich um die Betrachtung gesellschaftlicher, organisationsbezogener und individueller Faktoren, die zur Erklärung des Engagements junger Menschen beitragen Die Offenlegung der Integrationsmechanismen junger Menschen in zivilgesellschaftliche Zusammenhänge ist in mehrfacher Hinsicht relevant. Im Hinblick auf die Gesellschaft geht es in demokratiepolitischer Hinsicht um die Gewährleistung von Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten einer Generation, die künftig quantitativ gesehen eher kleiner wird. Auf der Ebene der Organisationen geht es um Legitimations- und Bestandsfragen: Inwiefern können die Organisationen noch agieren, wenn bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden? Und auf der individuellen Ebene geht es um vorhandene oder nicht vorhandene Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Integration und Entfaltung.
1.2 Ziel- und Fragestellung – Jugend und Organisation im Blickpunkt Bisherige Analysen haben sich bei der Erörterung von Einflussfaktoren auf das Engagement verstärkt auf die individuelle Ebene konzentriert. Dieser Umstand ist symptomatisch für die gesamte Engagementforschung, die sich stark auf das Individuum fokussiert. Es wurde und wird dabei vor allem untersucht, in welchem Umfang und mit welchen persönlichen Voraussetzungen sich Menschen engagieren. Dabei werden individuelle Motive und Einstellungen in den Blick genommen sowie sozioökonomische Ressourcen, Netzwerke und andere an das Individuum gebundene Engagementdeterminanten geprüft. Im Vergleich hierzu wurden die Lebenswelten von Menschen und insbesondere die Organisation als Einflussgröße auf das Engagement bislang kaum oder nur nach sehr ausgewählten Kriterien in entsprechende Analysen einbezogen. Bereits Münchmeier (1991: 297) thematisierte Wandlungsprozesse in den Lebenswelten junger Menschen im Zusammenhang mit ihrer Engagementsituation und verwies auf die damit verbundenen Herausforderungen für zivilgesellschaftliche Organisationen. Es sind also neben den Lebenswelten junger Menschen als Rahmenbedingung für ihre Engagementsituation zugleich die zivilgesellschaftlichen Organisationen relevant, die auf diese entsprechend eingehen müssen. Die zentrale Fragestellung der Untersuchung lässt sich deshalb wie folgt formulieren:
Ziel- und Fragestellung – Jugend und Organisation im Blickpunkt | 5
Welche Rolle spielen zivilgesellschaftliche Organisationen in Bezug auf das Engagement junger Menschen? Konkret ist zu fragen, inwiefern junge Engagierte in den Organisationen vorhanden sind und was die Organisationen tun, damit diese ausreichend präsent sind. Hierbei werden insbesondere Vereine in den Blick genommen. Deutlich wird, dass bei vielen Organisationen Handlungsbedarf im Bereich der Nachwuchsarbeit besteht. Gleichzeitig sollen weitere Einflussfaktoren auf das Engagement junger Menschen Berücksichtigung finden. Es wird gefragt: Was unterstützt und was behindert ein zivilgesellschaftliches Engagement junger Menschen? Bei der Identifizierung von Faktoren, die zur Verortung von Jugend im Engagement führen, konzentriert sich die folgende Untersuchung zwar auf die organisational gelagerten Rahmenbedingungen, die gesellschaftliche und die individuelle Ebene wird dabei jedoch nicht ausgeblendet. Dabei handelt es sich um eine Auswahl aus einer Komplexität möglicher Faktoren. Auswahlkriterium ist die besondere Nähe zur Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen beim Engagement junger Menschen. Mit der parallelen Betrachtung verschiedener Einflussfaktoren wird ein komplexer Ansatz gewählt, um einseitige kausale Schlussfolgerungen zu vermeiden. Aktuellen Untersuchungen zufolge hat sich das Engagement junger Menschen gerade in den letzten Jahren in verschiedener Hinsicht verändert. Um diesen Wandel näher zu beschreiben, wird in der vorliegenden Arbeit das individuelle Engagementverhalten junger Menschen betrachtet. Über eine Beschreibung der Lebensphase Jugend sollen zudem gesellschaftliche Ursachenzusammenhänge für eine veränderte Engagementsituation junger Menschen reflektiert werden. Was charakterisiert diese Lebensphase, und was ist in Bezug auf einen Wandel des Engagementverhaltens junger Menschen mitzudenken? Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, werden ausgewählte aktuelle Rahmenbedingungen, unter denen junge Menschen heute aufwachsen, arbeiten und leben, in den Kontext zum Engagement gesetzt. Die empirische Analyse3 erfolgt somit auf der (a) Mikro-, (b) Meso- und (c) Makroebene zu folgenden Annahmen und sich daraus ableitenden Fragestellungen: (a) Das Engagement junger Menschen weist einen Strukturwandel auf. Die damit einhergehenden Ausdifferenzierungen und Verlagerungen von Inhalten und Formen des Engagements zeichnen sich durch ein höheres Anspruchsniveau seitens der jungen Menschen aus. Für die Organisationen entstehen damit spezifische Anforderungen. Fragen, die sich auf der individuellen Ebene stellen, sind: – In welchem Maße engagieren sich junge Menschen?
|| 3 Genutzt werden u.a. Daten des Projekts „Junge Menschen in zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Projekt wurde von der Jacobs Foundation in den Jahren 2011–2012 gefördert und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in der Projektgruppe Zivilengagement realisiert. An dieser Stelle sei der Stiftung für die Projektförderung gedankt.
6 | Einleitung
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Welche Veränderungen sind in ihrem Engagementverhalten zu erkennen?
(b) Die zivilgesellschaftlichen Organisationen sind von einer Überalterung ihrer ehrenamtlichen Strukturen betroffen. Mitverantwortlich hierfür ist die Funktionsweise der Organisationen, die auf einer eher jugendaversen und weniger jugendaffinen Organisationspraxis aufbaut. Fragen, die sich auf der Ebene der zivilgesellschaftlichen Organisationen stellen, sind: – Inwiefern lässt sich eine Überalterung der zivilgesellschaftlichen Organisationen ausmachen? – Bestehen bei der Überalterung Unterschiede zwischen Mitgliedschaft, Engagierten und ehramtlichen Funktionsträgern? – Verfügen die Organisationen über proaktive Strategien bei der Einbindung junger Menschen? – Welche speziellen Aktivitäten tragen zur verstärkten Einbindung junger Menschen in ehrenamtliche Leitungsfunktionen bei? (c) Junge Menschen sehen sich bei ihrer Entwicklung zu eigenständigen Persönlichkeiten nicht nur mit vielfältigeren, sondern auch mit anderen gesellschaftlichen Anforderungen konfrontiert als in der Vergangenheit. Diese gesellschaftliche Dimension prägt die Lebensphase Jugend. Insgesamt ergeben sich aus den veränderten lebensphasenspezifischen Situationen neue Bedingungskonstellationen, die für die Entwicklung und Förderung des Engagements von Seiten der Organisationen zu beachten sind. Fragen, die sich auf der Ebene der Lebensphase Jugend stellen, sind: – Welchen gesellschaftlichen und individuellen Herausforderungen begegnen junge Menschen in der Jugendphase heute? – Welche Konsequenzen haben diese Herausforderungen für ihre Engagementbeteiligung?
1.3 Konzeptioneller Bezugsrahmen Für die Untersuchung werden aufgrund des komplexen Ansatzes Resultate aus fünf Forschungsbereichen einbezogen. – Hierzu zählt erstens die Zivilgesellschaftsforschung. Die hier vorliegenden Ergebnisse dienen als konzeptioneller Ausgangspunkt, um die Fragestellung der Arbeit gesellschaftstheoretisch einzuordnen. – Durch die Ausrichtung auf die zivilgesellschaftlichen Organisationen sind zweitens Bezüge zur soziologischen Organisationsforschung auszumachen.
Konzeptioneller Bezugsrahmen | 7
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Drittens wird auf Erkenntnisse der Forschung zum Dritten Sektor zurückgegriffen. Ausgehend vom Verständnis seiner inneren Logik sowie äußeren Funktionen wird damit ein Untersuchungsbereich „zivilgesellschaftliche Organisationen“ der Arbeit definiert. Viertens verbindet sich mit der Engagement- und Partizipationsforschung der zweite Untersuchungsbereich, der auf das Engagement allgemein und speziell auf das Engagement junger Menschen ausgerichtet ist. Fünftens sollen durch die Einbeziehung von Ergebnissen zur jugendbezogenen Forschung wichtige Erkenntnisse zur Situation junger Menschen in modernen Gesellschaften Berücksichtigung finden.
Im Einzelnen werden aus den fünf Forschungsbereichen jeweils spezielle Aspekte bedacht, die sich wie folgt darstellen lassen: 1.
Zivilgesellschaftsforschung
Mit dem Begriff der Zivilgesellschaft werden unterschiedliche Ideen verbunden. Die verschiedenen Auslegungen reichen von sehr allgemeinen, im Alltagsverständnis etablierten Vorstellungen von Zivilgesellschaft über systemtheoretische bis hin zu handlungslogischen und bereichsbezogenen Deutungen. Als gesellschaftliches Funktionssystem inkludiert die Zivilgesellschaft verschiedene Zusammenschlüsse, generiert freiwilliges Handeln und funktioniert über Werte (vgl. Reichel 2012). Als Gesellschaftskonzept steht Zivilgesellschaft für gemeinschaftliche Selbstorganisation und zivilgesellschaftliches Engagement (vgl. Kocka 2003), und als gesellschaftlicher Bereich wird Zivilgesellschaft als eine aus zivilgesellschaftlichen Organisationen bestehende Infrastruktur in Abgrenzung zu den Bereichen Markt, Staat und Familie gefasst (vgl. Habermas 1994; Adloff 2005). Zivilgesellschaft stellt einen wichtigen theoretischen Ausgangspunkt und Rahmen für die Untersuchung dar. Trotz unterschiedlicher Auslegungen wird deutlich, dass Zivilgesellschaft als Konzept originär mit einem zivilgesellschaftlichen Engagement und zivilgesellschaftlichen Organisationen verbunden ist. 2.
Organisationsforschung
Um den aktuellen Befund einer unzureichenden Einbindung junger Menschen in zivilgesellschaftliche Organisationen theoretisch einzuordnen, wird auf ausgewählte Erkenntnisse der Organisationsforschung und besonders deren soziologische Ausrichtung Bezug genommen. Allerdings muss festgestellt werden, dass sich die Organisationssoziologie in theoretischer als auch empirischer Hinsicht bisher weniger dezidiert mit zivilgesellschaftlichen Organisationen als besonderen Organisationstypus beschäftigt hat. Trotz dieses Defizits werden – wie aufzuzeigen sein wird – moderne Gesellschaften heute als Organisationsgesellschaften bezeichnet (Schimank 2001).
8 | Einleitung
Zur allgemeinen und spezifischen Klärung, was Organisationen sind und wie sie funktionieren, werden u.a. theoretische Aussagen von Weber (1972), Mayntz (1963), Coleman (1972) und Scott (2003) aufgegriffen. Es wird beabsichtigt, organisationsbezogene Eigenschaften zu identifizieren, die bei der Erklärung der Engagementsituation junger Menschen zu berücksichtigen sind. Im Einzelnen geht es um formale und informale Strukturbesonderheiten von Organisationen sowie um die Erörterung zweier Grundformen von Organisationen, die bereits von Weber (1972) als „hierarchisch-monokratische“ und „genossenschaftlich-demokratische“ Organisationstypen voneinander unterschieden wurden. Hierfür wird auf die in der Organisationsforschung vorhandenen kritischen Einschätzungen zum Kosten-Nutzen-Kalkül menschlicher Handlungen Bezug genommen. In diesem Zusammenhang sind Einschätzungen von Simmel (1992) und Caillé (2000) aufzuzeigen. Von den organisationstheoretischen Ergebnissen ausgehend, werden in Anlehnung an Horch (1992) spezielle Struktureigenschaften von freiwilligen Vereinigungen dargestellt. Ein besonderer inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf dem Phänomen des Organisationswandels. Um die Möglichkeiten organisationaler Veränderungsprozesse kennenzulernen, sind die für Organisationen relevanten Momente von Macht, Verteilung und Lernen zu erörtern. Eine wichtige Rolle hierbei spielt das Modell der Ressourcenzusammenlegung von Vanberg (1982). 3.
Dritte-Sektor-Forschung
Die Dritte-Sektor-Forschung hat in den letzten Jahren in unterschiedlichen Facetten an Bedeutung gewonnen. Sie beschäftigt sich im Wesentlichen mit der Verfasstheit und gesellschaftlichen Situation der Dritte-Sektor-Organisationen. Die einzelnen Erkenntnisse zu Dritte-Sektor-Organisationen sind für die vorliegende Arbeit wichtig, weil dadurch die inhaltlichen Verbindungslinien zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, zivilgesellschaftlichem Engagement und der gesellschaftlichen Bedeutung beider Größen deutlich wird. Dafür wird auf das spezielle Verständnis von Dritte-Sektor-Organisationen bei Amitai Entzioni (1973) zurückgegriffen, der diese von Organisationen unterscheidet, die im privatwirtschaftlichen und staatlichen Bereich agieren. Diesem Ansatz folgt die Dritte-Sektor-Forschung (vgl. Anheier 1997). Dritte-Sektor-Organisationen werden dabei als ein Teil der Zivilgesellschaft gefasst, die unterschiedliche Rechtsformen haben. Eine ihrer besonderen Eigenschaften ist es, das individuelle zivilgesellschaftliche Engagement eng in ihre Arbeit zu integrieren. In Anlehnung an diese Disposition werden mit Dritte-SektorOrganisationen ganz unterschiedliche gesellschaftliche Lösungsbeiträge und Funktionen assoziiert – ein Phänomen, das als Multifunktionalität bezeichnet wird (vgl. Zimmer/Priller 2007).
Konzeptioneller Bezugsrahmen | 9
4.
Engagementforschung
Die Forschung zum Engagement ist in Deutschland stark auf das Individuum gerichtet. Im Kern geht es um spezifische individuelle Ausprägungen des Engagements (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a; Deutscher Bundestag 2012; Meulemann/Beckers 2004; Krettenauer/Gudulas 2003; Wirth 2002). Dabei wird eine Vielzahl von Engagementbegriffen eingesetzt (vgl. Anheier 2011 et al.). Weniger bedeutsam sind bislang Untersuchungen, die zivilgesellschaftliches Engagement in den Kontext von Organisationen stellen (vgl. Priller et al. 2013; Baur et al. 2003). Die organisationale Rahmung des Engagements wird demnach überwiegend ausgeblendet. In den wissenschaftlichen Arbeiten ist die Beteiligung von jungen Menschen immer wieder ein Thema. Junge Engagierte ab 14 Jahre werden im Rahmen des Freiwilligensurveys (vgl. Gensicke/Geiss 2010; Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a) genauso berücksichtigt wie in anderen Untersuchungen. Beispielsweise haben sich die Shell Jugendstudie oder der DJI-Survey AID:A dem Engagement der 12- bis 25-Jährigen (vgl. Albert et al. 2015) bzw. der 13- bis 32-Jährigen (vgl. Rauschenbach/Bien 2012) gewidmet. Die unterschiedlichen Beiträge kommen zu unterschiedlichen, aber insgesamt eher positiven Ergebnissen hinsichtlich des Engagements junger Menschen. Nur sehr begrenzt liegen hingegen theoretische Ansätze zur Begründung eines Engagements vor (vgl. Emmerich 2012). Ebenso wenig spielt die Verbindung zwischen dem Engagement und zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Rolle. So stellt Braun (2003) fest, dass freiwillige Vereinigungen in ihrer Bedeutung als assoziative Lebenswelten kaum in der Forschung zur Kenntnis genommen werden. Das Engagement wird also mehrheitlich losgelöst von zivilgesellschaftlichen Organisationen analysiert – und dies, obgleich beides auch praktisch in sehr enger Verbindung miteinander steht. 5.
Jugendbezogene Forschung
Junge Menschen bilden eine spezifische soziale Gruppe in der Gesellschaft. Vorliegende Ansätze unterscheiden zwischen ihrer Darstellung als Bevölkerungsgruppe und als Lebensphase (vgl. Scheer 2009). Die vorliegende Betrachtung nimmt beide Varianten auf. In der Jugendforschung wird davon ausgegangen, dass sich das Aufwachsen von jungen Menschen heute in sehr verschiedenen Formen realisiert. Ökonomische, demografische und soziale Veränderungen prägen die persönliche Entwicklung junger Menschen (vgl. Rauschenbach 2012; Ferchhoff 2011; Gille et al. 2006). In verschiedenen Bereichen der Lebenswelten junger Menschen lassen sich Situationen und Veränderungen veranschaulichen, die als gesellschaftliche Einflussgrößen auf die Engagementsituation junger Menschen zu fassen sind (vgl. Lange/Wehmeyer 2014; Leven et al. 2015; Reinders 2005). Eine konkrete Dimension, anhand derer sich tiefgreifende Veränderungen abbilden lassen, sind beispielsweise die Schul- und Studienreformen
10 | Einleitung
und ihre Auswirkungen auf das Befinden und freizeitorientierte Verhalten junger Menschen (vgl. Schulmeister/Metzger 2011; Hofer et al. 2011). Auch die spezifischen Beschäftigungsformen junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt sind in einen Zusammenhang zu ihrem Engagementverhalten zu stellen. So gelten atypische Beschäftigungsformen beispielsweise als verbreitet unter jungen Menschen (vgl. Allmendinger et al. 2012). Solche Formen der Beschäftigung sind aufgrund von Befristung oder geringfügiger Bezahlung mit ökonomischen oder sozialen Konsequenzen – wie stärkeren Mobilitätsanforderungen – verbunden. Nach Daten des Freiwilligensurveys ist die sichere Einbindung in den Arbeitsmarkt eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein Engagement (vgl. Gensicke/Geiss 2010). Für eine Stärkung der Jugendbeteiligung in zivilgesellschaftlichen Organisationen werden allgemein verschiedene gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie eine nachhaltige Demokratieentwicklung, die Schaffung individueller Bildungschancen und eine gute soziale Integration junger Menschen ins Feld geführt (vgl. Fatke et al. 2006: 26). Die Jugendforschung bietet zusammengenommen dienliche Anknüpfungspunkte, die zur Erörterung der Engagementsituation junger Menschen herangezogen werden können.
1.4 Empirischer Untersuchungsansatz Um die Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen für das Engagement junger Menschen näher zu bestimmen, wird auf unterschiedliche Daten der Sozialforschung zurückgegriffen. Im Mittelpunkt steht eine Primärerhebung, die als Organisationserhebung „Organisationen heute – zwischen eigenen Ansprüchen und ökonomischen Herausforderungen“ in Form einer postalischen Befragung durchgeführt wurde. Sie war eingebettet in zwei Forschungsprojekte, wozu das Projekt „Jugendliche in zivilgesellschaftlichen Organisationen“ zählt. Bei der Organisationserhebung handelt es sich um eine umfangreiche empirische Datenbasis, die Informationen zu 3.111 Organisationen in den Rechtsformen Verein, gGmbH, Stiftung und Genossenschaft enthält. Im Rahmen der Organisationsbefragung wurden 11.971 zivilgesellschaftliche Organisationen im Zeitraum September 2011 bis Januar 2012 per Post angeschrieben (vgl. Priller et al. 2013). Die Erhebung wurde als standardisierter Fragebogen konzipiert, der auch online beantwortet werden konnte. Insgesamt enthält der umfangreiche Fragebogen allein rund 32 Fragen, die auf Informationen über die Integration junger Menschen in die Organisationen abzielen. Die Angaben der Organisationsbefragung zeigen, in welchem Umfang die zivilgesellschaftlichen Organisationen junge Menschen im Alter von 14 bis 30 Jahren in die einzelnen Beteiligungsformen (Mitglieder, ehrenamtlich Engagierte, ehrenamtliche Wahl- und Berufungsfunktionen) einbinden und welche Aktivitäten sie zur Einbindung junger Menschen verfolgen.
Empirischer Untersuchungsansatz | 11
Mittels einer binär logistischen Regression werden die organisationsspezifischen Bedingungsfaktoren für die Präsenz junger Menschen in Vereinen in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen betrachtet. Es wird nach strukturellen, kontextuellen und instrumentellen Faktoren gesucht, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die 14- bis 30Jährigen eine ehrenamtliche Leitungsfunktion in einem Verein übernehmen. Die organisierte Zivilgesellschaft steht für eine ausgesprochen stark ausgeprägte Heterogenität. Diese bezieht sich sowohl auf die Tätigkeitsfelder, den Engagementbezug, die Rechtsform und die Größe der Organisationen nach Mitgliedern und Beschäftigten als auch auf das Finanzvolumen. Um den Bereich in Bezug auf einzelne spezifische Fragestellungen entsprechend abzubilden, sind umfangreiche empirische Auswertungen erforderlich. An dieser Stelle ist der Fokus vor allem auf die Differenzierung nach Rechtsformen gerichtet. Dabei liegt der Schwerpunkt der Betrachtung auf Vereinen, wobei die anderen Rechtsformen als Referenzgruppen in die Analyse einbezogen werden. Obgleich Vereine eine besondere Aufmerksamkeit erfahren, handelt es sich hier ebenfalls um eine heterogene Gruppe. Zudem werden unterschiedlichen, für die Zivilgesellschaft typische Beteiligungsformen: Mitglieder, ehrenamtlich Engagierte und jene Engagierten, die eine ehrenamtliche Funktion, d.h. eine Leitungs- oder Aufsichts- und Beratungsfunktion übernehmen, in den Blick genommen. Das in der Arbeit zu definierende zivilgesellschaftliche Engagement konzentriert sich auf die beiden letztgenannten Beteiligungsformen. Neben der Auswertung des Datensatzes der Organisationsbefragung werden weitere relevante Inhalte per Sekundäranalyse aufbereitet. Einbezogen werden verfügbare Datensätze des Freiwilligensurveys, des Sozio-oekonomischen Panels und des Mikrozensus (u.a. zur Gruppe der Kernerwerbstätigen).4 Der Freiwilligensurvey wurde vor allem für die Jahre 1999, 2004 und 2009 in die Analyse einbezogen. Zum Zeitpunkt der Erstellung der Analysen lagen die Daten des Freiwilligensurveys 2014 zur Nutzung noch nicht vor. Bei der Erstellung des Manuskripts für den vorliegenden Band wurden an ausgewählten Stellen wichtige bereits publizierte Ergebnisse des Freiwilligensurveys 2014 aus dem vorliegenden Bericht- und Tabellenband berücksichtigt (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a und 2016b). Das Konzept des Freiwilligensurveys 2014 wurde jedoch in inhaltlicher und methodischer Hinsicht verändert. So wurde beispielsweise nicht mehr nach dem freiwilligen Engagement „derzeit“ gefragt, sondern nach dem Engagement in den letzten zwölf Monaten (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 58). Der Survey wurde zudem von einem anderen Umfrageinstitut realisiert. Die Folge sind beachtliche Abweichungen in der Engagementbeteiligung und -ausprägung. Dies schlägt sich besonders in der Altersgruppe der 14- 30-Jährigen bzw. 14- bis 29-Jährigen, mit der der aktuelle Freiwilligensurvey primär arbeitet, nieder. Eine Zunahme des Engagements in dieser Altersgruppe um 13 Prozent ist dabei nur schwer einzuordnen (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer || 4 Die einzelnen Datensätze werden im Verlauf der Arbeit vorgestellt.
12 | Einleitung
2016a: 93). Sie widerspricht auch einer Reihe anderer Erhebungen, wie dem soziooekonomsichen Panel oder der Shell Jugendstudie. Aus diesem Grund werden die Angaben des Freiwilligensurvey 2014 nur mit Vorbehalt einbezogen. Zudem sind umfangreiche Auswertungen vorliegender Studien zu den Themenbereichen Lebensphase Jugend, Engagement und Organisationen vorgenommen worden. So kann der gesamte inhaltliche Bezugsrahmen mit Ergebnissen zum Engagement, zu den Lebensorientierungen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen junger Menschen als auch zu Organisationen vertieft analysiert werden.
2 Zivilgesellschaft, Organisationen und Engagement 2.1 Zivilgesellschaft in Bezug auf Organisation und Handeln Der folgende Abschnitt dient der Einordnung des „zivilgesellschaftlichen Engagements“ und der „zivilgesellschaftlichen Organisationen“. Er ermöglicht einen Blick auf beide Aspekte als wesentliche und unverzichtbare Komponenten von Gesellschaft überhaupt. Dem Begriff Zivilgesellschaft haftet eine gewisse Unbestimmtheit an, da ihm weder ein theoretisch fundiertes noch eindeutiges Modell zugrunde liegt (vgl. Anheier et al. 2000: 73 f.; Anheier et al. 2011: 120; Simsa/Zimmer 2014: 21; Keane 1998: 36; Schubert/Fraune 2012: 9). Eine verbindliche Definition und eine systematische Klärung des Begriffs selbst wurden bisher nicht erreicht. Das Spektrum des Begriffsverständnisses beinhaltet Auffassungen, die insbesondere in der Vergangenheit Zivilgesellschaft als Gegenpart zum gesellschaftlichen Bereich des Militärs verstehen, häufig ist dann auch die Rede von der „Zivilbevölkerung“. Andere Definitionen fassen in Anlehnung an Hegels Bestimmung der bürgerlichen Gesellschaft unter Zivilgesellschaft alles zusammen, was nicht dem Staat zuzurechnen ist. Ganz allgemein lässt sich Zivilgesellschaft als Alternative und Gegenmacht zum Autoritären sowie als diskursiver Raum zur gleichberechtigten Aushandlung gesellschaftlicher Problemlagen beschreiben. Zivilgesellschaft stellt demnach ein Konzept für ein Gesellschaftsmodell dar, das dem Bereich der organisierten Bürgerinteressen und des Bürgerhandelns nicht nur einen wichtigen, sondern eigenständigen Stellenwert beimisst. Als sozialwissenschaftliches Konzept nimmt die Zivilgesellschaft verschiedene Forschungsfelder in sich auf, zu denen die Partizipations-, die Engagement-, die Dritte-Sektor-, die Wertewandel- und die Transformationsforschung zählen (vgl. Simsa/Zimmer 2014: 17; Anheier et al. 2011: 119 ff.). Eher wissenschaftlich fundierte Auslegungen von Zivilgesellschaft sind systemtheoretischer, gesellschaftlich konzeptioneller sowie bereichs- und handlungslogischer Art. Eine mögliche Annäherung an das Verständnis von Zivilgesellschaft besteht in einer systemtheoretischen Betrachtung. Eine Grundannahme der Systemtheorie ist die funktionale Differenzierung des sozialen Systems Gesellschaft in Funktionssysteme wie Gesundheit, Wissenschaft, Politik, Wirtschaft oder Religion (vgl. Luhmann 1998). Durch diese Differenzierung wird die Gesellschaft als solche stabilisiert, weil jedes System für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft insgesamt und für die einzelnen Funktionssysteme eine spezielle Bestimmung hat. Aufgabe der Politik ist es beispielsweise, allgemeingültige und rechtsverbindliche Entscheidungen zu treffen, wohingegen die Wirtschaft grundsätzlich darauf ausgerichtet ist, die Verfügbarkeit von Geld und Waren sicherzustellen.
10.1515/978311052907-002
14 | Zivilgesellschaft, Organisationen und Engagement
Reichel (2012) schlägt vor, Zivilgesellschaft als ein spezielles Funktionssystem von Gesellschaft zu betrachten. Hierfür beschreibt der Autor die Zivilgesellschaft mit den damit einhergehenden entsprechenden Eigenschaften (vgl. Tabelle 2.1). Tab. 2.1: Systemtheoretische Betrachtung von Zivilgesellschaft im Vergleich zu Politik und Wirtschaft Politik
Wirtschaft
Zivilgesellschaft
Funktion
Rechtsverbindliche Ent- Liquiditätssicherung scheidungen für Gesell- im Sinne der Sicherung schaft treffen von Angebot, Arbeitsplatz und Einkommen
Organisation gemeinsamen freiwilligen Handelns für das Gemeinwohl und zur Erzeugung sozialer Beziehungen
Organisationsgrad
Hoch, z.B. Regierung
Hoch, z.B. Unternehmen
Mittel, z.B. Protestbewegung oder zivilgesellschaftliche Organisation
Stabilität
Hoch
Hoch
Mittel
Quelle: eigene Darstellung nach Reichel (2012).
Die Funktion der Zivilgesellschaft ist demnach die Organisation gemeinsamen freiwilligen Handelns für das Gemeinwohl und zur Erzeugung sozialer Beziehungen (vgl. Reichel 2012: 70). Sie basiert auf einem menschlichen Bedürfnis nach sozialem Kontakt (vgl. ebd.: 58). Sofern diese Funktion durch die Organisationen der Zivilgesellschaft ausgeübt wird, wird dieser dadurch ein eigenständiger Stellenwert im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben zugesprochen (vgl. Priller 2007: 99). Davon abweichend liegen andere Funktionszuschreibungen vor. Ruth Simsa (2013: 135 f.) und Annette Zimmer (2014: 170) gehen davon aus, dass die Zivilgesellschaft und hier insbesondere die zivilgesellschaftlichen Organisationen auf der Funktionsebene der anderen Systeme handeln. Die Funktion der Zivilgesellschaft ist es deshalb, alternative wertbasierte (Dienst-) Leistungen anzubieten bzw. die Bearbeitung von Folgeproblemen der anderen Funktionssysteme zur Schadensbegrenzung zu gewährleisten. Die Aufgabe zur Schadensbegrenzung wird an anderer Stelle auch mit „Reparaturdienst für Schäden […] in der Gesellschaft […], die durch ein Versagen der Bereiche Markt, Staat und Familie entstehen“ benannt (vgl. Priller 2007: 99). Der wesentliche Unterschied zwischen den unterschiedlichen Perspektiven ist die Position, den zivilgesellschaftlichen Akteuren entweder eine eigenständige und anderen Systemen gleichwertige Funktion zuzusprechen, oder sie werden als nachfolgend im Sinne der alternativen Bereitstellung von Angeboten und Leistungen betrachtet. Aus letztgenannter Perspektive orientiert sich die Zivilgesellschaft an den Funktionen der anderen Systeme und hilft bei deren optimaler Verwirklichung.
Zivilgesellschaft in Bezug auf Organisation und Handeln | 15
Simsa (2013: 129) merkt im Zusammenhang mit der Betrachtung von Zivilgesellschaft als Funktionssystem an, dass gesellschaftliche Funktionssysteme auf formale Organisationen angewiesen sind. Dieser Umstand erschwert die Einordnung der Zivilgesellschaft als Funktionssystem. Denn Zivilgesellschaft ist nicht allein die Summe einer bestimmten Organisationsform X, wie noch auszuführen ist, sondern ein Konzept, das sich über mehr als die Summe der Organisationen definiert. Zu diesem Schluss kommt ebenfalls Reichel (2012), der außer formalen Organisationen andere Zusammenschlüsse für die Zivilgesellschaft als konstitutiv ansieht. Neben Protestbewegungen zählen hierzu informelle Initiativen sowie hybride Organisationen, die sowohl einen formalen als auch einen informalen Strukturteil aufweisen. Zivilgesellschaft ist dabei ein instabiles Funktionssystem bzw. „ein System im ständigen Werden und funktionaler Unruhe“ (Reichel 2012: 72). In der spezifischen Instabilität liegt wiederum die besondere Eigenart von Zivilgesellschaft. Zugleich gilt sie als wesentliche Voraussetzung für die Generierung von neuen Werten, die Entstehung sozialer Zusammenschlüsse und als Unterstützung für gesellschaftliche Veränderungen. Aus diesem Grund ist sowohl der Organisationsgrad der Zivilgesellschaft als auch die Stabilität des gesamten Systems ständig in Bewegung. Eine weitere Auslegung von Zivilgesellschaft besteht in ihrer Betrachtung als Gesellschaftskonzept. Jürgen Kocka definiert Zivilgesellschaft als ein positiv besetztes normatives Vorhaben, das für einen modernen Gesellschaftsentwurf steht. Er verbindet mit Zivilgesellschaft gemeinschaftliche Selbstorganisation (vgl. Kocka 2003: 31), Kritik an den allgemeinen gesellschaftlichen Gegebenheiten (vgl. Kocka 2002: 16), das Potenzial für den sozialen Zusammenhalt über zivilgesellschaftliches Engagement für das Allgemeinwohl (vgl. Kocka 2003: 31), eine diskursiv verhandelbare Alternative zur Logik des Marktes (vgl. ebd.) und eine institutionelle Seite, die er in zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Vereinen und anderen mehr oder weniger institutionalisierten Initiativen sieht (vgl. Kocka 2002: 16 f.). Neben der wissenschaftlichen Deutung von Zivilgesellschaft als Funktionssystem oder als Gesellschaftskonzept steht eine bereichs- und handlungslogische Interpretation des Bereichs, die in den Ausführungen von Kocka ebenfalls enthalten ist.5 Es geht dabei um die Entscheidung, wo Zivilgesellschaft stattfindet. Für die vorliegende Arbeit ist das Verständnis einer Zivilgesellschaft als konkreter Bereich vorrangig. Die Entscheidung für das Bereichskonzept hängt mit seiner analytischen Stärke zusammen. Dadurch ist es möglich, die zivilgesellschaftlichen Organisationen als organisierte Einheiten zu betrachten (vgl. Strachwitz 2010: 285 f.). Das bereichslogische || 5 Im Unterschied zur Auffassung von Zivilgesellschaft als einem Gesellschaftsbereich oder einer spezifischen Form des sozialen Handelns wird teilweise die Position der allgemeinen zivilgesellschaftlichen Umgestaltung der Gesellschaft vertreten. Diese Position stammt in einem hohen Maße aus den Oppositions- und Umbruchbewegungen in den ehemaligen sozialistischen Ländern Europas in den 1980/90er Jahren sowie aus den Demokratisierungsbestrebungen in Lateinamerika (vgl. Gosewinkel/ Rucht 2004: 29; Simsa/Zimmer 2014: 16).
16 | Zivilgesellschaft, Organisationen und Engagement
Verständnis unterstützt zudem eher die Begriffsentwicklung von zivilgesellschaftlichen Organisationen; das Handlungskonzept bietet hingegen einige konzeptionelle Anregungen für die Bestimmung eines zivilgesellschaftlichen Engagements. Die handlungslogische Auslegung von Zivilgesellschaft bezieht sich auf das Individuum bzw. den Charakter seines Handelns. Es geht um eine Beteiligungskultur in der Gesellschaft, in der die Bürgerinnen und Bürger mehr Mitverantwortungs- und Mitsprachemöglichkeiten erhalten. Olk und Klein (2009: 26) sprechen dabei von der Etablierung einer „zivilgesellschaftlichen Handlungslogik der beteiligungsorientierten Aushandlung, der Verantwortungsübernahme, der Kooperation und Koproduktion […] [in] alle[n] Bereiche[n] der Gesellschaft – […] Staat, Politik und Wirtschaft – im Sinne einer Zivilisierung wirtschaftlichen und politischen Handelns […]“. Gosewinkel et al. (2004: 11 f.) schlagen eine konkrete handlungslogische Umschreibung von Zivilgesellschaft vor. Gemeint ist ein sowohl auf Verständigung als auch auf Konflikt ausgerichtetes soziales Handeln, das im öffentlichen Raum stattfindet, durch Selbstorganisation und Selbstständigkeit gekennzeichnet ist, friedlich erfolgt und sich trotz der Berücksichtigung von Eigeninteressen auf das allgemeine Wohl bezieht (vgl. ebd.). Mit weiteren begrifflichen Oppositionspaaren beschrieben, geht es bei einem zivilgesellschaftlichen Handeln demnach um Respekt, aber nicht um Gleichgesinnung, um Kompromiss, aber nicht um bedingungslose Übereinstimmung, und auch um Empathie, aber nicht um uneingeschränkte Identifikation (vgl. Gosewinkel/Rucht 2004: 50). Zivilgesellschaft ist so betrachtet ein sehr offenes, nicht auf den Bereich der freiwilligen Assoziationen festzulegendes Konzept, das sich nur gegenüber dem „Unzivilen“, also z.B. willkürlicher Gewalt, abgrenzt (vgl. ebd.: 31/52). Umso mehr ist die so verstandene Zivilgesellschaft durch die Eigenschaft „Zivilität“ gekennzeichnet, d.h. durch den Verzicht auf Gewalt (vgl. ebd.: 33). Die Autoren merken an, dass diese Form des sozialen Handelns in den Bereichen Staat, Wirtschaft und Privatsphäre vorkommen kann, sich typischerweise aber in solchen Institutionen und Initiativen realisiert, die unter der bereichslogischen Umschreibung der Zivilgesellschaft subsumiert werden (vgl. Gosewinkel et al. 2004: 12). Im Unterschied zu einem handlungslogischen Verständnis von Zivilgesellschaft bezieht sich die bereichsbezogene Perspektive von Zivilgesellschaft auf das Vorhandensein einer intermediären Sphäre in der Gesellschaft. Diese ist zwischen Staat (vgl. Dubiel 1994: 75), Markt (vgl. Simsa 2013: 127) und Privatem angesiedelt und nimmt kollektive Zusammenschlüsse wie selbstorganisierte Initiativen oder Vereine in sich auf. Sie vertreten politische, soziale und lebensweltliche Interessen selbstbestimmt und partizipativ, sind aber den anderen Bereichen nicht zuzuordnen (vgl. Gosewinkel et al. 2004: 11; Simsa/Zimmer 2014: 21). Zivilgesellschaft ist als Bereich durch sechs Merkmale gekennzeichnet: Sie ist die Summe informeller und formeller Aktionen bzw. Institutionen, die nachhaltig und gemeinwohlorientiert handeln, ideell orientiert sowie nicht eigennützig gewinnorientiert sind und sich freiwillig, d.h. selbstbe-
Zivilgesellschaft in Bezug auf Organisation und Handeln | 17
stimmt und selbstverantwortlich, formieren (vgl. Strachwitz 2010: 287 f.). Diese Beschreibung von Zivilgesellschaft weist inhaltliche Parallelen zu jener von Jürgen Kocka auf. Die bereichslogische Auslegung von Zivilgesellschaft wird in wissenschaftlichsoziologischen Abhandlungen zum Thema häufig aufgegriffen und geht von einer demokratischen Verfasstheit des Bereichs aus (vgl. Etzioni 2005: 38 ff.; Adloff 2005: 8; Heinze/Olk 2001: 17). Aus einem diskurstheoretischen Verständnis heraus sieht auch Jürgen Habermas den institutionellen Kern von Zivilgesellschaft in Vereinigungen, Bewegungen und Organisationen, die weder staatlich noch primär ökonomisch veranlagt sind (vgl. Habermas 1994: 443 f.). Auch Neo-Toquville’sche Ansätze, wie sie z.B. von Robert Putnam vertreten werden, sehen Dritte-Sektor-Organisationen als Institutionen bzw. soziale Infrastruktur der Zivilgesellschaft (vgl. Anheier/Toepler 2005: 28). Sie betonen insbesondere die sozialintegrative, partizipatorische, gemeinschaftsbildende und vertrauenfördernde Funktion von Dritte-Sektor-Organisationen. Die mit der Zivilgesellschaft assoziierten Organisation werden also teilweise mit dem Dritten Sektor oder den Dritte-Sektor-Organisationen gleichgesetzt (vgl. Anheier et al. 2000: 73). Auf die Spezifik dieser Organisationen wird an anderer Stelle eingegangen. Bei der Verbindung von Dritte-Sektor-Organisationen und Zivilgesellschaft ist darauf zu achten, dass Zivilgesellschaft und Dritter Sektor zwei Konzepte sind, die unterschiedlichen Wissenschaftstraditionen angehören (vgl. Simsa/Zimmer 2014: 11 ff.). Das Zivilgesellschaftskonzept ist theoretisch an die Tradition der Politischen Theorie und Philosophie gebunden und empirisch in der Partizipationsforschung zu Hause. Der Dritte-Sektor-Ansatz ist mit seinem Fokus auf Organisationen stark empirisch, soziologisch und politikwissenschaftlich ausgerichtet. Es existieren hier verschiedene inhaltlich-theoretische Verbindungslinien wie zum Zivilgesellschaftsdiskurs allgemein, speziell zu organisationstheoretischen Ansätzen oder zur Theorie des Sozialkapitals. Eine normative Dimension des Zivilgesellschaftskonzepts findet sich in der Vorstellung darüber, dass Zivilgesellschaft den guten Teil der Gesellschaft abbildet, wobei die eher dunklen Seiten vernachlässigt werden (vgl. Schubert/Fraune 2012: 13; Anheier et al. 2011: 130). Sie wird vor allem in der handlungslogischen Interpretation von Zivilgesellschaft deutlich. Bei einer bereichslogischen Umschreibung von Zivilgesellschaft ist sie weniger ausgeprägt (vgl. Strachwitz 2010: 285 f.). Etzioni stellt in diesem Zusammenhang ebenfalls fest, dass sich die Organisationen der Zivilgesellschaft normativ nicht voneinander unterscheiden, denn: „Vom grundlegenden Standpunkt der Zivilgesellschaft aus gesehen ist eine freiwillige Vereinigung im Grunde so gut wie jede andere“ (Etzioni 2005: 40). Die „gute Zivilgesellschaft“ ist in der Realität nicht vorfindbar (vgl. Schubert/Fraune 2012: 11), und entspricht nicht dem für die Sozialwissenschaften zentralen Anspruch einer vorurteilslosen und nüchternen Beschreibung gesellschaftlicher Phänomene (vgl. Anheier et al. 2011: 131). Es ist die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität, die bei der skizzierten Problematik besonders deutlich wird.
18 | Zivilgesellschaft, Organisationen und Engagement
Insgesamt ist eine klare Entscheidung zu einem normativ unbelasteten Diskurs zu Zivilgesellschaft bisher nicht erfolgt. Eine umfassende Lösung in Bezug auf das Problem einer möglichen Normativität von Zivilgesellschaft muss deshalb einer weiter vertiefenden Begriffsklärung vorbehalten bleiben. Ein einfacher Schritt hierfür ist in der folgenden Definition von Zivilgesellschaft zu sehen: „Menschen schließen sich mit anderen Menschen zusammen und tun das, was sie für notwendig, für gut oder richtig halten. […] in vielen Fällen vertreten [diese] Gruppen nicht mehr als kollektiv geteilte, individuelle Interessen, deren gesamtgesellschaftlicher Nutzen immer auch hinterfragt werden kann.“ (Schubert/Fraune 2012: 10)
Verschiedene Interpretationsmöglichkeiten von Zivilgesellschaft machen insgesamt deutlich: Zivilgesellschaft ist weder ohne jedwede Form des zivilgesellschaftlichen Handelns oder Engagements noch ohne das ihr eigene institutionelle Gerüst denkbar. Beide Aspekte werden damit zu festen, unverzichtbaren Komponenten eines Gesellschaftsmodells, das neben Staat, Markt und Privatsphäre die Zivilgesellschaft enthält. Für die vorliegende Arbeit ist der deskriptive Zugang zur Zivilgesellschaft primär über spezifische, weder staatliche noch marktorientierte Organisationen relevant. In diesen Organisationen realisiert sich in besonderem Maße ein zivilgesellschaftliches Handeln in Form von Engagement.
2.2 Organisationen 2.2.1 Organisationen: Stellenwert in Wissenschaft und Gesellschaft Der Thematik Organisation haben sich verschiedene Wissenschaftsdisziplinen angenommen. Im deutschen Raum hat sich vor allem die Betriebswirtschaftslehre mit Organisationen beschäftigt (vgl. Wex 2004: 11). Auch andere Fachrichtungen – Verwaltungswissenschaft, Politikwissenschaft, Psychologie und Soziologie – haben das Phänomen der Organisation zum Gegenstand ihrer Betrachtungen gemacht. Die Organisationssoziologie als eine spezielle Disziplin zeichnet sich durch ein breites Perspektivspektrum aus, da verschiedene Ansätze, z.B. systemtheoretische und politikwissenschaftliche Organisationskonzepte, einbezogen werden (vgl. Wex 2004: 12 f.). Dabei haben nicht alle Organisationstypen die gleiche Aufmerksamkeit erfahren. Die moderne soziologische Analyse von Organisationen richtet ihren Fokus hier vor allem auf Wirtschaftsunternehmen (vgl. ebd.: 38).
Organisationen | 19
Im Vergleich dazu finden im Rahmen organisationssoziologischer Betrachtungen zivilgesellschaftliche Organisationen weniger Beachtung6. Sie wurden in der Soziologie insgesamt vernachlässigt (vgl. Bode 2006: 267; Simsa/Zimmer 2014: 16), was dazu führte, dass gesellschaftstheoretische Ansätze (vgl. Simsa 2013: 125), aber auch explizite organisationstheoretische Ansätze zu zivilgesellschaftlichen Organisationen größtenteils fehlen. Die folgenden Ausführungen zu Organisationen ordnen sich einer sozialwissenschaftlichen Betrachtung unter. Sie zielen auf die Aufschlüsselung verschiedener organisationsrelevanter Merkmale und Aspekte. Wichtige organisationsbezogene und -theoretische Inhalte und Erkenntnisse werden erörtert, die bei der Analyse der Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen für das Engagement junger Menschen von Bedeutung sind. Eine Rückbindung der Erkenntnisse auf zivilgesellschaftliche Organisationen erfolgt am Ende des dieses Kapitels. Organisationsgesellschaft Moderne Gesellschaften und Organisationen gehören zusammen. Im Zuge der Entstehung der kapitalistischen Gesellschaft mit ihrer sektoralen Ausdifferenzierung sowie der Auflösung traditioneller Bindungen sind Organisationen heute fester und weit verbreiteter Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Organisationen sind auf gesellschaftlicher und individueller Ebene omnipräsent (vgl. Türk 1995: 35 f.; Büschges 1976: 14 f.). Der Organisationssoziologe Perrow kommt in seinen empirischen Beschreibungen zum Stellenwert von Organisationen zu dem Schluss, dass diese wichtige Gesellschaftsbereiche „aufgesaugt“ haben (Perrow 1989: 3 f.). Die moderne Gesellschaft wird deshalb auch als Organisationsgesellschaft bezeichnet (Schimank 2001: 278). Die Organisationsgesellschaft nimmt unterschiedliche Organisationstypen in sich auf. Das Spektrum von Organisation ist folglich sehr breit. Entlang der drei Sektoren Markt, Staat und Zivilgesellschaft treten Organisationen z.B. als Wirtschaftsunternehmen, Gewerkschaften, Schulen, Universitäten, Vereine und Behörden in Erscheinung. Sie alle haben in Fragen des gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Zusammenlebens eine jeweils eigenständige Bedeutung. Jede Organisationsform basiert auf einem oft weit in die Vergangenheit zurückreichenden Entwicklungspfad. Moderne Organisationen, so wie wir sie heute kennen, sind überwiegend im 19. Jahrhundert entstanden (vgl. Zimmer 2007: 41). Exemplarisch hierfür ist beispielsweise der Verein als zivilgesellschaftliche Organisation. Ein Verein ist eine Organisationsform mit unterschiedlichen Erscheinungsformen. Es gibt wirtschaftliche und ideelle
|| 6 Für die Umschreibung von zivilgesellschaftlichen Organisationen existieren unterschiedliche Begriffe. Hierzu zählen beispielsweise Nonprofit-Organisationen oder Dritte-Sektor-Organisationen. In der Literatur werden die Termini weitgehend synonym verwendet. Es besteht jedoch die Möglichkeit der begrifflichen Abgrenzung, auf die an anderer Stelle näher eingegangen wird. Daran anschließend wird in dieser Arbeit vorrangig die Bezeichnung zivilgesellschaftliche Organisationen verwendet.
20 | Zivilgesellschaft, Organisationen und Engagement
sowie rechtsfähige und nicht rechtsfähige Vereine. Der ideelle Verein besitzt eine eigene Rechtsfähigkeit, sobald er sich durch sieben Mitglieder gegründet hat und über eine eigene Satzung verfügt. Ideelle Vereine, wie sie in der vorliegenden Untersuchung an anderer Stelle vertiefend betrachtet werden, sind gemäß dem Steuerrecht in der Regel als gemeinnützig anerkannt. Mit diesem Status verfolgen sie bestimmte Zwecke ohne eigenwirtschaftliche Interessen und gelten damit als Nonprofit-Organisationen (vgl. Zimmer 2007: 28).
2.2.2 Organisationsverständnis und seine Dimensionen Definitorischer Hintergrund Ein erster Zugang zum speziellen oder allgemeinen Organisationsverständnis bietet sich über eine Reihe vorliegender Definitionen an. In der Organisationsforschung ist das Organisationsverständnis sehr offen angelegt und schließt eine Vielfalt an Ausprägungen ein. Die Organisationssoziologie benutzt damit korrespondierend verschiedene Begriffe, die eine Nähe zu jenem der „Organisation“ haben oder synonym eingesetzt werden. Hierzu zählt z.B. der Begriff des korporativen und kollektiven Akteurs, der sozialen Gruppe oder auch der Institution7. Die Sozialwissenschaften fassen unter dem Begriff Organisation einerseits einen „Prozess“, andererseits ein „Gebilde“. Da sich beide Aspekte in analytischer Hinsicht ergänzen und bedingen, ist man in der Organisationsforschung zunehmend davon abgerückt, zwischen einer struktur- bzw. aufbauorientierten und einer prozess- bzw. ablauforientierten Perspektive zu unterscheiden (vgl. Preisendörfer 2008: 66). Für die folgende Betrachtung von Organisationen sind beide Dimensionen von Bedeutung. Das Prozessverständnis fasst Organisation als Zusammenführung offenbar unabhängiger Handlungen zu vernünftigen Folgen. Im Verständnis von Karl Weick (1974) sind Organisationen demnach die Verkettung von Geschehnissen und Entscheidungen, durch die sich Ziele ergeben (vgl. Lengfeld 2007: 25). Der Fokus liegt hier weniger auf der Organisation als formaler Einheit, sondern vielmehr auf Abstimmungs-, Koordinierungs- und Entscheidungsprozessen, durch die eine Organisation Gestalt annimmt. Diese prozessorientierte Sichtweise auf Organisationen findet sich in der Interpretation von informalen Organisationsstrukturen wieder, auf die noch eingegangen wird.
|| 7 Der Begriff der Institution hat verschiedene Bedeutungen. Er kann sich sowohl auf eine soziale Verhaltensweise oder Norm beziehen (z.B. Ehe) als auch abstrakte (z.B. Regel) oder konkrete (z.B. Verband) Einrichtungen bezeichnen (vgl. Schubert/Klein 2011). In der vorliegenden Untersuchung wird der Begriff der Institution gleichgesetzt mit jenem der Organisation sowie an entsprechenden Stellen im soeben beschriebenen Sinn verwandt.
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Das Strukturverständnis sieht Organisation als soziale Struktur, die aus dem planmäßigen und zielorientierten Zusammenwirken von Menschen entsteht, sich dabei zur Umwelt abgrenzt und mit anderen Akteuren agieren kann. Organisationen ordnen demnach die sonst eher zufällig nebeneinander bestehenden und voneinander unabhängigen Handlungen durch Regelung (vgl. Liebsch 2011: 20 f.) und werden deshalb auch als formalisierte Regelsysteme beschrieben (vgl. Vanberg 1982: 35). Dieses strukturierte Moment betonend, formulierte Renate Mayntz für eine Organisation, „dass es sich (erstens) um soziale Gebilde handelt, um gegliederte Ganze mit einem angebbaren Mitgliederkreis und interner Rollendifferenzierung. Gemeinsam ist ihnen zweitens, dass sie bewusst auf spezifische Zwecke und Ziele orientiert sind. Gemeinsam ist ihnen drittens, dass sie im Hinblick auf die Verwirklichung dieser Zwecke oder Ziele zumindest der Intention nach rational gestaltet sind“ (Mayntz 1963: 36). Es handelt sich hierbei um eine sehr allgemein gehaltene Definition, in der weder spezifische Zwecke festgelegt noch Angaben zum Selbstverständnis der Mitglieder gemacht werden. Dafür aber stellt sie eine Art Dach dar, unter dem sämtliche formalen Organisationen einen Platz finden. Laut Mayntz umfasst das Organisationsverständnis „neben den Vereinen und Verbänden auch die rational durchgeformten Institutionen auf allen wichtigen Lebensgebieten – von der Kirche über Wirtschaftsund Verwaltungsbetriebe bis hin zu Schulen, Gefängnissen und Wehrmacht“ (Mayntz 1969: 761 f.). Es gibt also eine Vielzahl an Organisationstypen, die sich unter dem Organisationsbegriff versammeln lassen. Zivilgesellschaftliche Organisationen gehören aus dieser Perspektive genauso dazu wie wirtschaftliche Unternehmen oder staatliche Einrichtungen. Insgesamt wird in Organisationsdefinitionen häufig das Element der Ziel- und Interessenorientierung betont (vgl. Allmendinger/Hinz 2002: 10 f.). So sind Organisationen „zweckgerichtete soziale Gebilde mit einer formalen Struktur […]. Diese Organisationsstruktur […], die als ein System von Regeln zu begreifen ist, soll die arbeitsbezogenen Beziehungen zwischen Mitgliedern der Organisation festlegen und ihre Aktivitäten auf die Erreichung des verfolgten Zieles ausrichten“ (Kieser/Kubicek 1977: 2). Noch deutlicher stellt die Zielorientierung Etzioni (1978) heraus, für den Organisationen ohne Ziele keine Existenzberechtigung haben (vgl. Etzioni 1978: 15). Etzioni folgend sind Organisationen durch die drei Eigenschaften Arbeitsteilung und Delegation, Macht und Kontrolle sowie die Substitution von Arbeitskräften gekennzeichnet (vgl. ebd.: 12). Das Moment der Interessenorientierung findet sich auch in den Ausführungen zu Organisationen bei dem Soziologen James S. Coleman, der moderne Organisationen
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als korporative Akteure bezeichnet (vgl. Coleman 1972).8 Sie verfügen über eine eigene Rechtspersönlichkeit und treten als juristische Personen auf (vgl. Coleman 1979: 2 ff.). Im Mittelpunkt des Coleman’schen Definitionsansatzes zu Organisationen steht die Idee der Ressourcenbündelung. Ein korporativer Akteur ist demnach ein Zusammenschluss von individuellen Akteuren, die ihre eigenen interessengeleiteten Ressourcen zusammenlegen, um gemeinsam ein daran gebundenes Ziel zu verfolgen. Die Art und der Umfang der eingebrachten Ressourcen ändern sich in Abhängigkeit zu den individuellen Akteuren bzw. den gemeinsamen Interessen. Die Ressourcen können „Geld sein (z.B., eine finanzielle Investition oder Mitgliedsbeiträge), […] Zeit oder Mühe. Man kann Aktionär sein, Gewerkschaftsmitglied, Mitglied eines Berufsverbandes, Vereinsmitglied oder Bürger einer Stadt und eines Staates, und die Ressourcen, die man einbringt, werden in den verschiedenen Fällen unterschiedlich sein“ (Coleman 1973: 2). Ungeachtet dessen, ob Fähigkeiten oder monetäre Güter in den korporativen Akteur investiert werden, geht es bei dem Zusammenschluss immer darum, gemeinsam Einfluss auszuüben. Das Handeln im Verbund ist dabei ein zentrales Merkmal. Über diesen Weg gelingt es dem individuellen Akteur, seine direkte Umwelt im Sinne seiner Themen zu beeinflussen bzw. zu kontrollieren (vgl. ebd.: 1). Vermittelt über den korporativen Akteur zielt die einzelne Person also auf einen individuellen Nutzen ab. Anders ausgedrückt: Vermittels der Korporation erwartet die Person sich Vorteile, die sie alleine nicht erzielen kann. Das individuelle Nutzenkalkül gehört spätestens seit Chester Barnards (1938) Konzept des „Anreiz-Beitrags-Gleichgewichts“ zum Grundlagenwissen der Organisationsforschung. Menschliches Handeln ist in dieser Perspektive rational und folgt der Logik der Nutzenmaximierung. Allgemein verbirgt sich dahinter die Theorie des rationalen Handelns. Für Organisationen bedeutet dies, dass Menschen ihnen beitreten, weil sie sich dadurch einen persönlichen Mehrwehrt erwarten. Dieser Mehrwert ergibt sich aus einer subjektiven Abwägung, ob die eingesetzten Kosten dem anvisierten Nutzen entsprechen, also streng genommen nicht mehr investiert als gewonnen wird. Die Entscheidung darüber, was investiert oder gewonnen werden kann, folgt jedoch keiner eindimensionalen Logik. Die Investition von Geld und dessen Gewinnmaximierung sind nur eine Möglichkeit, der der rational agierende Mensch nachgeht. Sie steht insbesondere für Unternehmensgründungen als Organisationstyp. Die Fokussierung auf die Zweck- und Zielorientierung im Organisationsverständ-
|| 8 James S. Coleman verwendet den Begriff des korporativen Akteurs meistens im Sinne einer Organisation. In einzelnen Abhandlungen setzt er den Terminus aber auch für Familien oder private Haushalte ein (vgl. Preisdörfer 2008: 26 f.). An dieser Stelle wird er synonym für Organisationen eingesetzt. In seiner theoretischen Arbeit zu korporativen Akteuren beschäftigte sich Coleman vor allem mit politischen Parteien und Interessenverbänden, d.h. mit Organisationen, die von der Basis her gegründet wurden (vgl. Schimank 2001: 283).
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nis bei den zuvor aufgezeigten Definitionsansätzen zu Organisationen setzt die Annahme eines zweckrational handelnden Akteurs oftmals voraus. Die Grenzen eines solchen Handelns, das das Organisationsverständnis maßgeblich verändern kann, rücken in den Hintergrund. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Individuen und Organisationen noch anderen Logiken als lediglich der zweckrationalen folgen. So sind unterschiedliche Orientierungen möglich, die von stärker eigennützigen bis hin zu stärker allgemeinwohlbezogenen reichen. Den Annahmen zu den Grenzen menschlicher Rationalität in Zusammenhang mit Organisationen in gewisser Weise vorgelagert ist die Auffassung, dass der Mensch als solcher mehr ist als ein rein rational agierender Akteur. Bereits Max Weber sah für seine zentrale analytische Kategorie des sozialen Handelns vier Typen vor: Neben dem zweckrational zielorientierten Handeln gibt es ein affektuelles, ein traditionelles, ein konkretes und ein wertrationales Handeln (vgl. Weber 1972: 12 f.). Letzteres erfolgt nach Weber auf der Grundlage eines Glaubens an den Eigenwert einer Sache, der z.B. ethischer, ästhetischer oder religiöser Art sein kann (vgl. ebd.). Auch Simmel nimmt in seinen Analysen zur Ausbildung von Individualität Bezug auf die Einseitigkeit der Annahme eines rein rational nutzenmaximierenden Akteurs (vgl. Simmel 1992: 797 ff.). Demnach ist der Mensch sowohl ein Kollektiv- als auch ein Individualwesen, das egoistischen genauso wie sozialen Orientierungen folgt. Die Überwindung des Konzepts des Homo oeconomicus ist ebenso im antiutilitaristischen Denken des Soziologen Alain Caillé enthalten (vgl. Adloff 2014: 13 ff.). Dieser bezieht sich bei der Suche nach einer Handlungslogik, die nicht primär auf Eigennutz im Sinne von Gewinn und Wachstum ausgerichtet ist, auf das Paradigma der Gabe, das er mit Bezug auf den Essay „Die Gabe“ von Marcel Mauss (1990) mitentwickelt hat (vgl. ebd.). Der Akt der Gabe ist eine Art Austausch, der auf gegenseitiger Wertschätzung beruht und dabei sowohl auf das eigene Selbst als auch auf das Andere, das Fremde, das Gegenüber gerichtet ist (vgl. ebd.: 16 ff.). Auf der Gabe beruht das Prinzip der Solidarität, eine Handlungslogik, die als wechselseitige Anerkennung durch Gabentausch in Abgrenzung zu einem eigennützigen Individualismus verstanden werden kann (vgl. ebd.: 19). Vor diesem Hintergrund lässt sich das individuelle Kosten-Nutzen-Verhalten vielschichtig denken. Was dem Einzelnen nutzt, kann sehr unterschiedlich ausfallen. Sinnstiftende, d.h. wertbasierte Orientierungen sind genauso denkbar wie ökonomische Ziele. Ein individueller Akteur kann so gesehen auch ein ideelles Interesse bei dem Anschluss an einen korporativen Akteur verfolgen. In der Folge trifft er vermutlich andere Kosten-Nutzen-Überlegungen als jene Person, die stärker materielle Absichten hegt. Ohne die kritische Diskussion um die Theorie des rationalen Handelns an dieser Stelle umfassend darstellen zu können (vgl. hierzu u.a. Schimank 2007: 87 ff.; Rucht 2000), ist es wichtig festzuhalten, dass es ein menschliches Handeln und Verhalten gibt, das keinem oder nicht ausschließlich einem rationalen Kosten-Nutzen-Kalkül
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folgt. Denn das Verhalten der Menschen ist ganz allgemein auf eine subjektive Zufriedenheit ausgerichtet, wobei diese z.B. auch durch Hilfeleistung für andere erreicht werden kann (vgl. Opp 1994: 13). Bestimmte organisationale Praktiken lassen sich folglich nicht mit dem Verständnis von Organisationen als rational handelnde korporative Akteure erfassen. Beispielsweise werden die Strukturen von zivilgesellschaftlichen Organisationen häufig durch ein zivilgesellschaftliches Engagement getragen, das nicht nur zweckrationalen Bestimmungen unterliegt. Zivilgesellschaftliche Organisationen zeichnen sich in Abgrenzung zu anderen Organisationstypen durch einzelne idealtypische Besonderheiten aus. Allgemein ausgedrückt, ist es der nicht vordergründig ökonomisch motivierte, freiwillige und basisdemokratische Charakter der Organisationen, der zu ihrer grundsätzlichen Besonderheit wird. Wie Adloff (2014: 25) in Anlehnung an Caillé (2000) ausführt, sind freiwillige zivilgesellschaftliche Assoziationen die Organisationsweise, die Gabe und Solidarität als Handlungslogiken inkorporiert. Individuen bringen in diesen Organisationen ihre materiellen, sozialen und Humanressourcen zusammen, ohne dabei das übergeordnete Ziel der Profiterzielung zu verfolgen. Aus der individuellen Perspektive argumentiert Simmel in diesem Zusammenhang für Vereine als zivilgesellschaftliche Organisation: Sie seien in der Lage, sowohl den individuellen als auch den sozialen Neigungen eines Menschen gerecht zu werden, weil der Verein „dem vorhandenen dualistischen Triebquantum in einer gewissen Verschmolzenheit genugtut“ (Simmel 1992: 800). Für Organisationen sind in Bezug auf ihre Verfasstheit also mindestens zwei Komponenten zu beachten: eine egoistische und eine soziale. In der Wirtschaft werden andere Ziele verfolgt als in den Bereichen Staat und Zivilgesellschaft. Dies wirkt sich auch auf die Beschaffenheit, d.h. auf die Organisationsstruktur und den Organisationstyp, aus, die ein korporativer Akteur annimmt (siehe hierzu Abschnitt 2.2.3). Zivilgesellschaftliche Organisationen sind aufgrund ihrer speziellen ideell-gemeinnützigen Zielsetzungen somit nicht wie Wirtschaftsunternehmen aufgebaut. Zusammengefasst geht es bei einer Organisation – in Abhängigkeit von einer eher prozessorientierten oder eher strukturbetonten Betrachtung – um das verschiedenartig ausgestaltete und zielgerichtete Zusammentun von Individuen. In Abhängigkeit davon, ob der Fokus auf der Rationalisierung von Produktionsabläufen oder auf der Rolle des zivilgesellschaftlichen Engagements in Organisationen liegt, sind jeweils andere Definitionsansätze gefragt. Ziele, Struktur und Umwelt Organisationen zeichnen sich durch verschiedene Merkmale aus. Sie ermöglichen es, das „Handeln“ und den Erfolg einer Organisation zu erklären. Zu den wesentlichen Merkmalen zählen nach Mayntz/ Ziegler (1977), Endruweit (2004) und Preisendörfer (2008) die Ziele, die Struktur und die Umwelt einer Organisation. Jede Organisation hat demnach einen bestimmten Aufbau und verfolgt ein spezielles Anliegen, wobei
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beide Größen in die Gesellschaft eingebettet sind und mit dieser in einem wechselseitigen Austauschverhältnis stehen. Organisationsziele können sich also verändern, wenn bestimmte gesellschaftliche Trends dies erfordern. Bei den Strukturen lässt sich generell zwischen einer formalen und einer informalen Anlage unterscheiden. Im Folgenden werden die Merkmale Ziele und Struktur zur Beschreibung von Organisationen vorgestellt. Auf das Merkmal Umwelt wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen. Organisationsziele Die Organisationsziele sind immanenter Bestandteil zahlreicher Organisationsdefinitionen. Damit gelten sie als ein wichtiges Kriterium zur Beschreibung von Organisationen. Ursächlich für den prominenten Stellenwert von Zielen sind ihre idealtypischen Funktionen. Ziele dienen der Motivation der Organisationsmitglieder, der Erfolgskontrolle, der Ausrichtung von organisationsinternen Entscheidungen und tragen zur Existenzsicherung der Organisation bei (vgl. Preisendörfer 2008: 62 f.). Sie sind von zentraler Bedeutung, da sich individuelle Akteure anhand der Organisationsziele entscheiden können, ob sie sich der Organisation anschließen oder nicht. Die Ziele der Organisation fungieren also als Orientierungs- und Bewertungsgrundlage für Organisationsmitglieder bzw. für deren organisationsgebundenes Handeln. Sie dienen der Aufrechterhaltung einer Organisation. Formale Organisationsstruktur Als eine weitere wichtige Komponente von Organisationen stellt die Organisationsforschung die Struktur heraus. Es wird zwischen formalen und informalen Strukturen unterschieden. Aus der formalen Perspektive werden spezifische Parameter betrachtet, die in der Summe die planbare Architektur der Organisation beschreiben. Demgegenüber bezieht sich die informale Struktur auf ein bestimmtes Verhalten der Organisationsmitglieder. Dieses ist zunächst unabhängig von der formalen Organisationsstruktur, kann aber einen Einfluss auf die Arbeit und das Funktionieren von Organisationen haben. Was in einer Organisation passiert und wie sie funktioniert, wird durch beide Strukturdimensionen beeinflusst, die formale Seite steht jedoch im Fokus der Organisationsforschung. Max Weber, der als Begründer der modernen Organisationssoziologie gilt, stellt für das Verständnis von formalen Strukturen einen wichtigen Ausgangspunkt dar. Darauf aufbauend hat sich die Forschung im Rahmen der Kontingenztheorie9 ganz
|| 9 Die Kontingenztheorie, auch situativer Ansatz genannt, ist eine Organisationstheorie, die in den 1960er und 1970er Jahren von britischen und amerikanischen Sozialwissenschaftlern entwickelt wurde. Im Fokus der Theorie stehen formale Organisationsstrukturen, die, dem Ansatz folgend, in Zusammenhang mit internen und externen Kontextbedingungen (situative Faktoren) und dem Verhalten der Mitglieder auf die Effizienz einer Organisation einwirken. Aufgrund der Berücksichtigung
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wesentlich mit formalen Organisationsstrukturen beschäftigt. Insgesamt wird in der Organisationsforschung immer wieder auf einzelne formale Strukturelemente Bezug genommen bzw. werden diese als feststehende Komponenten einer Organisation deklariert. Im Folgenden sollen sie, ausgehend von Webers Überlegungen und den genannten späteren Entwicklungen, skizziert werden. Max Weber (1972) setzte sich in seinem Hauptwerk „Wirtschaft und Gesellschaft: Grundrisse der verstehenden Soziologie“ mit den Zusammenhängen von gesellschaftlichen Rationalisierungsprozessen und Bürokratie auseinander. Er thematisierte verschiedene Herrschaftsformen und warf die Frage auf, in welcher Form Individuen sich Machtausübenden unterordnen. Dafür entwickelte er drei Idealtypen von Herrschaft, die unterschiedlichen Rationalitätslogiken folgen. Hierzu zählen die charismatische, die traditionale und die legale Herrschaft. Die Konzipierung der legalen Herrschaft ist für die Auslegung formaler Organisationsstrukturen von Bedeutung. Legale Herrschaften legitimieren sich über eine sachlich-rationale Ordnung und beschreiben damit die Bürokratie. Im Sinne des Weber’schen Modells zeichnet sich die bürokratische Organisation durch vier Struktureigenschaften aus (vgl. Tabelle 2.2). Tab. 2.2: Formale Strukturmerkmale bürokratischer Organisationen nach Max Weber Strukturmerkmal
Arbeitsteilung
Amtshierarchie
Inhalt
Feste Zuständigkei- Rangordnung auf ten für Tätigkeiten/ horizontaler und formalisierte Kom- vertikaler Ebene petenzprofile
Amtsführung
Aufgabenerfüllung
Anwendung technischer Regeln und Normen zur Ziel erreichung
Aktenmäßigkeit/ Regelhaftigkeit und Protokollierung aller Kommunika tionsvorgänge
Quelle: in Anlehnung an Kieser (2006a: 73 f.).
Mit Arbeitsteilung ist die verbindliche Festlegung von Aufgabenprofilen für Personen gemeint. Die inhaltlichen und weisungsgebundenen Verantwortlichkeiten werden dadurch formal festgelegt. Die Amtshierarchie beschreibt die horizontale und vertikale Anordnung der fachlichen Positionen, die mit bestimmten Rechten und Pflichten ausgestattet sind. Unter Amtsführung wird die alltägliche Erfüllung der Arbeitsinhalte gefasst, die bestimmten Regeln und Normen unterliegt. Hinter der Aufgabenerfüllung verbirgt sich die Aktenmäßigkeit der Arbeitsschritte und -vorgaben. Die Arbeitsabläufe und Kommunikationsinhalte werden demnach schriftlich festgehalten.
|| situativer Faktoren werden Organisationen in der Kontingenztheorie als offene Systeme betrachtet (vgl. Mense-Petermann 2006: 64).
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Bürokratische Organisationen, auf die diese Strukturprinzipien zutreffen, sind z.B. Einrichtungen der Verwaltung. Weber ging aufgrund der Strukturmerkmale von einer besonderen Effizienz derartiger Organisationen aus. Insgesamt jedoch betrachtete er die sich vollziehenden gesellschaftlichen Rationalisierungsprozesse weitaus umfassender; es ging ihm um die Art der Entwicklung der modernen Gesellschaft insgesamt. Mit der zunehmenden Bürokratisierung verband er auch den Verlust von Individualität. Im Rahmen der Kontingenztheorie (situativer Ansatz) erfolgte eine intensive Beschäftigung mit den von Weber herausgearbeiteten Strukturprinzipien. Dabei wird festgestellt, dass Organisationen nicht immer dem Idealtyp der Bürokratie entsprechen, sondern es davon abweichende Formen gibt. Auf dieser Erkenntnis aufbauend, wurden die in Webers Bürokratiekonzept vorhandenen organisationalen Strukturmerkmale begrifflich und inhaltlich zu insgesamt fünf Dimensionen abgewandelt (vgl. Kieser 2006b: 219). In Anlehnung an Kieser sind folgende Merkmale10 systematisch darzustellen (vgl. Tabelle 2.3). Für die aktuelle Organisationsforschung hat Preisendörfer die fünf wichtigsten Dimensionen zur Beschreibung der formalen Organisationsstruktur zusammengetragen (vgl. Preisendörfer 2008: 67 ff.). Im Einzelnen handelt es sich um die Dimensionen Arbeitsteilung, Koordination, Hierarchie, Delegation und Formalisierung. Insbesondere die ersten drei Dimensionen gelten zur Darstellung der formalen Organisationsstruktur als unverzichtbar. Die fünf Dimensionen sind in ihren Inhalten im Wesentlichen deckungsgleich mit den bereits beschriebenen Merkmalen der kontingenztheoretisch basierten Organisationsstruktur. – Arbeitsteilung hebt ab auf die Unterteilung von Aufgaben nach Funktionen und Produkten. Es geht in dieser Perspektive folglich um funktionale bzw. horizontale Differenzierung.
|| 10 Mit dem Merkmal Spezialisierung ist die Arbeitsteilung gemeint. Dabei geht es um die institutionalisierte Aufteilung von einzelnen Arbeitsschritten bzw. -aufgaben unter den Arbeitnehmern und Arbeitsnehmerinnen. Standardisierung beschreibt die einheitliche Anwendung von bürokratischen Regeln und anderen Richtlinien. Das Merkmal wird auch mit Programmierung umschrieben. Hingegen ist die Formalisierung die konkrete Festlegung organisationsinterner Regeln. Durch diese „Aktenmäßigkeit“ sind wichtige arbeitsrelevante Abläufe (z.B. Protokolle, Aufgabenbeschreibungen) und Strukturinformationen (z.B. über Inhalte von Arbeitseinheiten oder das Organigramm) schriftlich fixiert. Zentralisierung und Konfiguration sind Modifikationen der Amtshierarchie. Dabei fällt unter Zentralisierung die Aufteilung von Verantwortlichkeiten in der Leitung, also die Beantwortung der Frage nach dem zugestandenen Ausmaß an Einflussnahme der einzelnen Leitungsfiguren. In Abgrenzung dazu ist mit Konfiguration der Aufbau des Leitungssystems gemeint, der sich in einem Organigramm dargestellt. In der Regel wird hier nicht nur die Anzahl der Leitungsfiguren und der Mitarbeiter insgesamt angegeben (dividiert man die erste Gruppe durch die letzte, erhält man Informationen zur Leitungstiefe), sondern auch, wie viele Personen einer Leitungsfigur zugeteilt sind (Leitungsspanne). Konfiguration ist das Abbild des hierarchischen Gefüges im Sinne des äußeren Rahmens der Organisationsstruktur und kann verschiedenartig fein gegliedert sein.
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Die vertikale Differenzierung findet sich hingegen in der Dimension Hierarchie. Sie umfasst das, was vormals als Konfiguration bzw. äußere Verfasstheit des Leitungssystems beschrieben wurde. Neuerdings werden allerdings auch Formen des Projektmanagements mit in die Betrachtung einbezogen, die eher als hierarchiefern gelten. Delegation bezeichnet die Kompetenzverteilung bzw. Entscheidungsdelegation in Fragen von Ausgaben, Sonderzahlungen, Arbeitszeiten und Ähnlichem. Durch das Ausmaß an Delegation bestimmt sich, wie stark eine Organisation zentralisiert ist.
Tab. 2.3: Merkmale der Organisationsstruktur in der Kontingenztheorie Strukturmerkmal
Spezialisierung Standardisierung/ FormalisieProgrammierung rung
Zentralisierung Konfiguration
Inhalt
Feste Zuständigkeiten für Tätigkeiten/ formalisierte Kompetenzprofile
Aufteilung von Zuständigkeiten in der Leitung
Anwendung bürokratischer Regeln und spezieller Anweisungen
Festlegung von Vorschriften und Regeln
Struktur der Über- und Unterordnung
Quelle: in Anlehnung an Kieser (2006b: 219 f.).
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Das Merkmal Formalisierung beschreibt den Grad der schriftlichen Fixierung von Struktur- und Kommunikationsparametern. Die Dimension Koordination in der Organisationsstruktur ist ein Ergebnis der praktizierten Arbeitsteilung. Hinter Koordination oder auch Integration verbergen sich Informationen über die Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Je differenzierter die Struktur angelegt ist, umso mehr muss untereinander abgestimmt werden. Dies geschieht auf unterschiedliche Weise. Koordination erfolgt über strukturelle Instrumente wie Programme, Anweisungen oder Selbstabstimmung und über nichtstrukturelle Instrumente wie die Organisationskultur.
Informale Organisationsstruktur und Organisationskultur Informale Organisationsstrukturen können als Modifikationen oder Gegenstück zu formalen Organisationsstrukturen beschrieben werden. Sie äußern sich, wenn z.B. bestimmte formalisierte Regeln nicht eingehalten werden und Akteure Aufgaben übernehmen, deren Zuständigkeiten formal gesehen in anderen Bereichen liegen. Zur Herausbildung informaler Organisationsstrukturen kann es kommen, wenn das vorhandene Regelwerk die Situation nicht ausreichend abbildet. Es ergeben sich
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dann interne informale Abläufe als Ergebnis einer Interaktion der Organisationsmitglieder. Informale Momente der Organisationsstruktur werden auch als informale Regelungen bezeichnet. Informale Regeln stellen ein eigenes System in Bezug auf Kommunikationswege, Hierarchien und Sanktionssysteme dar (vgl. Schreyögg 1999: 14 ff.). Sie erfüllen Zugehörigkeitsbedürfnisse und den Wunsch nach kollegialer Vertrautheit, können aber auch zu Unverbindlichkeiten führen und desintegrierend wirken (vgl. ebd.). Damit können sie eine sowohl zweckmäßige als auch dysfunktionale Ergänzung zur formalen Anlage der Organisation sein. Die informale Seite der Organisation kann auch als Verhaltensstruktur ausgelegt werden (vgl. Scott 2003: 18 ff.). In der Organisationsforschung ist diese Strukturkomponente im Neo-Institutionalismus und in der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie untersucht und thematisiert worden. Die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie, deren Vertreter insbesondere die Sozialwissenschaftler James March und Herbert Simon sind, hat sich des Phänomens der informalen Strukturen aus der Perspektive der Entscheidungen angenommen (vgl. Preisendörfer 2008: 122 ff.). Die zentrale Idee dabei ist, dass eine Organisation erst über Aushandlungen zwischen individuellen Akteuren zu bestimmten Sachverhalten zu einer Organisation wird. Die Strukturen und Perspektiven von Organisationen werden unter Einbeziehung individueller Handlungen analysiert.Eine wichtige Erkenntnis war die von der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie hervorgebrachte Einsicht in eine begrenzte menschliche Rationalität („bounded rationality“). Aufgrund dieser eingeschränkten Rationalität werden Entscheidungen, die zwischen mehreren Akteuren ausgehandelt werden, häufig nicht reflektiert oder sachlich nachvollziehbar getroffen. Für Organisationen sind damit potenzielle Effizienz- und Effektivitätsverluste verbunden. Sie sind also nicht in der Lage, sämtliche Unwägbarkeiten in ihrer Umwelt zu antizipieren. Das bedeutet: Organisationen sind fehlbar. Neo-Institutionalisten gehen davon aus, dass Organisationen nicht ausschließlich durch menschlich rational geleitete Entscheidungen geprägt sind, sondern gleichsam durch institutionelle Einflüsse (vgl. Senge 2006: 46). Vorab bewusst geplante Ziele von Organisationen werden keinesfalls negiert (vgl. Simon 1997: 88 ff.), aber auch nicht als vordergründig erachtet. Organisationales Handeln wird demnach durch bestimmte soziale Regeln bzw. die Wirkung von Institutionen gelenkt. Im NeoInstitutionalismus, als ein makrotheoretischer Ansatz, wird die informale Organisationsstruktur dann thematisiert, wenn Organisationen selber als Institutionen begriffen werden, indem sie zur Herstellung kultureller Muster beitragen (vgl. Mense-Petermann 2006: 66 f.). So betrachte Lynne Zucker (1977) die Organisationen als Institutionen bzw. als Quelle für Institutionalisierung. Organisationen produzieren in diesem Verständnis bestimmte Inhalte mit Breitenwirkung, die von individuellen Akteuren stets unreflektiert übernommen werden. Auch wenn dem Neo-Institutionalismus kein einheitliches Konzept zum Begriff der Institution zugrunde liegt (vgl. Mense-Petermann 2006: 64), sind Normen und Werte eine Institutionenform. Senge
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(2006: 44) definiert Institutionen aus einer neo-institutionalistischen Forschungsperspektive wie folgt: Institutionen sind Handlungsregeln, die maßgeblich, verbindlich und auf Dauer angelegt sind. Institutionen koordinieren Interaktionen, verteilen Aufgaben, definieren Beziehungen und wirken stabilisierend (vgl. Meyer/Hammerschmid 2006: 163). Institutionen können also Verhaltensstrukturen sein und zu einer verbindlichen und auf Dauer angelegten Handlungsregelung avancieren (vgl. Senge 2006: 44). Laut Scott sind es diese unbewussten Institutionen, die eine Organisation auf maßgebliche Weise steuern (vgl. Scott 2001: 57). Organisationale Institutionen, die in Form von Überzeugungen und Einstellungen auftreten, werden auch als organisationale Manifestationen bezeichnet (Quack 2006: 180 f.). Sie in Form einer DeInstitutionalisierung zu verändern, bedeutet vorhandene Einstellungs-, Macht- und Interessenkonstellationen aufzubrechen, was mitunter eine Beeinflussung der individuellen Selbstwahrnehmung erfordert (vgl. ebd.: 177). Ihre Entkräftung bietet dann aber auch die Chance zum organisationalen Wandel. Diese Sichtweise macht die Bedeutung einer informalen Struktur für das Funktionieren einer Organisation besonders deutlich. Eng mit dem Phänomen der informalen Organisationsstruktur verbunden ist jenes der Organisationskultur. Schreyögg (1999: 438 f.) präsentiert hierzu sechs Merkmale, die mit einer Organisationskultur assoziiert werden. Eine Organisationskultur ist demnach ein eher schwer fassbares Phänomen: – implizit, das heißt, sie ist gewissermaßen ein natürlicher Bestandteil der Organisation; – kollektiv, denn es geht um gemeinschaftlich gelebte Überzeugungen, Werte und Handlungsmuster; – konzeptionell, das heißt, sie ist eine Art Schablone, anhand derer die Organisationsmitglieder ihr Handeln ausrichten; – emotional, weil sie die Gefühlswelt des Menschen formen; – interaktiv, indem die sie kennzeichnenden Praktiken, Einstellungen und Normen nicht bewusst gestaltet werden, sondern sich im alltäglichen Erleben vermitteln; – historisch, da sie sich stetig entwickelt und damit immer ein Resultat von Lernprozessen ist, durch die die anderen aufgeführten Dimensionen entstehen. Die Organisationskultur ist also eine Art die Organisation zusammenhaltendes eigenes System, das durch bestimmte – vom Menschen ausgehende – Kodexe, Denkschemata, Wertvorstellungen und weitere die Organisation gestaltende Verhaltenselemente geformt wird. Eine Organisationskultur ist immer an die vorhandenen Strukturen gebunden. Dass die Entkopplung von formalen Strukturelementen nicht möglich ist, lässt sich sehr gut in einer Eisbergassoziation veranschaulichen (vgl. Matys 2006: 50). Dabei ist oberhalb des Wasserspiegels die Struktur zu sehen, unterhalb des Wasserspiegels liegt die Kultur. Die Organisationsstruktur bildet so gesehen die Spitze des Eisbergs, dessen Kiel (also der verborgene Teil) tief in das Wasser hineinragt und insgesamt ein weitaus größeres Ausmaß hat. Dies liegt daran, dass die
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oben beschriebenen Kulturelemente und informellen Aspekte gerade durch ihre implizite, teils schwer fassbare Seite weitaus umfangreicher sind. Gleichwohl stellen die Strukturen eine wichtige Säule für die Entwicklung einer Organisationskultur dar. Trotz der affektiven Prägung einer Organisationskultur ist ihr handlungswirksamer und steuernder Charakter zu betonen. Denn eine Organisationskultur ist für den Erfolg und die Effektivität einer Organisation von zentraler Bedeutung. Es wird davon ausgegangen, dass eine in dem beschriebenen Sinne positive Organisationskultur motivierend auf die Organisationsmitglieder wirkt und auf diese Weise zu einer leistungsfähigen Organisation beiträgt (vgl. Mayrhofer 2013: 123 f.). Die Komplexität und die strukturelle Verankerung einer Organisationskultur bringen es insgesamt mit sich, dass sich diese nur langsam ausbildet und Veränderungsprozesse dementsprechend viel Zeit brauchen. Auch für zivilgesellschaftliche Organisationen ist eine Organisationskultur typisch. Im Einzelnen können zivilgesellschaftliche Organisationen über dieses „System“ ebenfalls beschrieben und erklärt werden (vgl. Mayrhofer 2013: 103).
2.2.3 Grundformen von Organisationen In der Organisationssoziologie besteht ein Grundkonsens darüber, dass sich Organisationen vom Aufbau und Zweck her unterscheiden. Eine allgemeine Unterscheidung wird im Hinblick auf eher gemeinschaftliche und eher individuelle Organisationsformen gemacht. Für die nähere Bestimmung zivilgesellschaftlicher Organisationen ist diese Unterscheidung in besonderem Maße richtungweisend. Max Weber hat das strukturbestimmende Moment von „Macht und Hierarchie“ in Organisationen dazu genutzt, zwei Organisationsformen auszuweisen, die er als „hierarchisch-monokratisch“ und „genossenschaftlich-demokratisch“ voneinander abgrenzt (vg. Weber 1972). Diese beiden Typen unterscheiden sich in Bezug auf die interne Machtverteilung bzw. -verortung. Bei „hierarchisch-monokratisch“ aufgebauten Organisationen liegt die Entscheidungsbefugnis in Organisationsbelangen bei einzelnen Personen; diese geben die entsprechenden Informationen nach unten an die Basis zur Ausführung weiter. Bei „genossenschaftlich-demokratisch“ strukturierten Organisationen sind es die Mitglieder an der Basis, bei denen sich die Macht konzentriert, Entscheidungen getroffen und nach oben weitergegeben werden. Vanberg (1982) nennt diese beiden Strukturvarianten „Grundmuster der Organisation korporativen Handelns“ (ebd.: 19). Die Wesensart der Macht in Organisationen ist laut Vanberg (1982) je nach Grundmuster verschieden. Exemplarisch stehen für den „monokratisch-hierarchischen“ Organisationstyp Unternehmen und für den „genossenschaftlich-demokratischen“ ausgewählte zivilgesellschaftliche Organisationen, beispielsweise Vereine. Diese theoretisch vorgenommene Differenzierung ist in der Realität so nicht aufrechtzuerhalten. Oft finden sich Organisationen, die beide Muster
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in sich vereinen. Ein Verein ist z.B. über seine Mitglieder dem Typus „genossenschaftlich-demokratisch“ zuzuordnen. Gleichzeitig werden bestimmte Entscheidungen und Verantwortlichkeiten auch hier an Personen in leitenden Positionen abgegeben bzw. von diesen ausgeführt. Letztlich sind die Positionsinhaber jedoch den Mitgliedern gegenüber rechenschaftspflichtig. Die sich herausbildenden hierarchischen Momente finden dadurch eine Be- und Einschränkung. Folgt man an dieser Stelle Schimank, existieren in der Logik von Weber zwei Typen korporativer Akteure: Es gibt den korporativen Akteur des Typus „top-down“ und den des „bottom-up“ (vgl. Schimank 2002: 32 f.) (vgl. Abbildung 2.1).
Abb. 2.1: Hierarchisch-monokratische Arbeitsorganisation und genossenschaftlich-demokratische Interessenorganisation Quelle: eigene Darstellung.
Formale Organisationen, die über die Verwirklichung von Einzelinteressen entstehen, werden als Arbeitsorganisationen bzw. Tauschbeziehungen bezeichnet (vgl. Schimank 2002: 33). Unternehmen oder staatliche Einrichtungen wie Schulen sind hierfür typisch (vgl. ebd.); solche Organisationen funktionieren über eine spezielle Anreizstruktur, die die Leitung und die Basis zusammenhält. Das einzelne Individuum ist Teil der Organisation oder arbeitet für sie, weil es dafür in einer subjektiv erstrebenswerten Art belohnt wird (vgl. ebd.: 34 f.). Damit verbunden ist eine spezielle Rangordnung, die im Sinne von Entscheidungs- und Gestaltungsmacht zugunsten der Leitung ausfällt. Im Unterschied dazu bezeichnet Schimank den korporativen Akteur, der sich von der Basis her entwickelt, als Interessenorganisation. Dabei handelt es sich z.B. um Vereine, politische Parteien oder Gewerkschaften (vgl. ebd.: 33). Interessenorganisationen gründen sich, wenn gemeinsame Interessen vorliegen und ein Einverständnis darüber besteht, dass sich diese im Verbund am besten ver-
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folgen lassen (vgl. ebd.). Durch die Interessenbindung ist ein hohes Maß an Identifizierung mit dem gemeinschaftlichen Ziel erforderlich, denn hierauf baut der Zusammenschluss auf. Das hohe Maß an Identifikation zwischen Organisationsziel und Individuum bedeutet wiederum andere Mitspracherechte, über die sich die Identifikation stabilisiert. In der Folge entsteht eine besondere Bindungsqualität. Die hier angelegte Kategorie findet sich im kollektiven Akteur wieder. Der kollektive Akteur ist mit dem des korporativen in der Variante „bottom-up“ gleichzusetzen. Die Rede ist hierbei von intermediären Gebilden, die mit einem geschichtlich einzuordnenden, nach Freiheit strebenden speziellen Macht- und Gestaltungsanspruch der Individuen zu verbinden sind (vgl. Coleman 1979: 15). Kollektive Akteure funktionieren nicht hierarchisch, sondern werden von der Basis her gelenkt, weshalb der Verein als dessen typische Variante gilt (vgl. Zimmer 2007: 44 f.). Blau, der in den 1960er und 1970er Jahren wichtige Beiträge für die Organisationssoziologie verfasste, betrachtet Organisationen als „soziale Strukturen [...], die jeweils für sich ihre eigenen Ziele verfolgen“ oder „die vereinten Bemühungen von Individuen widerspiegeln, die auf gemeinsam akzeptierte Ziele ausgerichtet sind“ (Blau 1972: 298). Organisationen, die stärker individuelle Ziele verfolgen, sind bei ihm beispielsweise Wirtschaftsunternehmen, für die der freie Wettbewerb im Vordergrund steht. Organisationen, die stärker auf einem gemeinschaftlichen Zusammenwirken aufbauen, sind Blau zufolge beispielsweise Regierungen oder Fußballmannschaften (vgl. Blau 1964: 216). Letztere sind häufig als Verein organisiert und gehören damit der Gruppe der zivilgesellschaftlichen Organisationen an. Da Blau dem Zweck als Unterscheidungskriterium gegenüber der Entscheidungsstruktur den Vorrang gibt, kommt er – anders als Schimank und Weber – zu dem Ergebnis, dass staatliche Einrichtungen einen gemeinschaftlichen Charakter haben. Sofern man die Entscheidungsstruktur einerseits und die Zweckausrichtung andererseits zusammendenkt, ergibt sich ein zweidimensionales Schema, in dem zivilgesellschaftliche Organisationen nicht mehr eine geschlossene Gruppe darstellen, so wie sie später im Abschnitt 2.3 definiert werden. Die Zweck-Aufbau-Differenzierung für Organisationen zeigt ihre enorme Heterogenität insgesamt und speziell für zivilgesellschaftliche Organisationen. In Abhängigkeit dazu, welche Definitionsmerkmale man ansetzt, verändert sich die jeweilige Gruppenzugehörigkeit (vgl. Tabelle 2.4). Organisationen können grundsätzlich individuelle oder gemeinschaftliche Anliegen verfolgen und dabei gleichzeitig einen eher hierarchisch-individuellen oder einen eher demokratisch-gemeinschaftlichen Aufbau aufweisen. Im Fall von zivilgesellschaftlichen Organisationen, zu denen sich Vereine, gGmbHs, Stiftungen, Gewerkschaften, bestimmte Genossenschaftstypen und Parteien zählen lassen, ist nicht bei allen in struktureller und inhaltlicher Hinsicht die „Idee Gemeinschaft“ leitgebend für den Kooperationsgedanken. Stattdessen sind Modifikationen auszumachen, die zeigen, dass die Kategorie zivilgesellschaftliche Organisation unter diesem Gesichtspunkt verschiedene Unterkategorien enthält.
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Tab. 2.4: Organisationsformen nach Zweck und Aufbau Zweck
Individueller Zweck
Gemeinschaftlicher Zweck
Aufbau Hierarchisch-monokratisch
Unternehmen in verschiedenen Staat, Kirche, gGmbH, Stiftung Rechtsformen, z.B. GbR
Genossenschaftlichdemokratisch
Produktivgenossenschaften
Verein, Teile der Genossenschaften, z.B. Sozialgenossenschaft11, Gewerkschaft, Partei12
Quelle: eigene Darstellung.
Betrachtet man nun die Funktionen von Organisationen, sind ebenfalls Unterschiede nach den einzelnen Organisationstypen erkennbar. Dabei kann die Darstellung der Funktionen zwar nicht mehr nach der zweidimensionalen Zweck-Aufbau-Differenzierung erfolgen, dafür aber können die Organisationsfunktionen hinsichtlich des Aufbaus verschieden interpretiert werden.
2.2.4 Funktionen von Organisationen Bis hierhin wurde deutlich: Organisationen sind fester struktureller Bestandteil von Gesellschaften. Gesellschaft als System, so könnte man mit Parson sagen, wird erst durch Organisationen möglich: Sie sind ein zentrales Strukturprinzip, über das moderne Gesellschaften funktionieren (vgl. Zimmer 2007: 41; Scott 1986: 24). Organisationen als soziale Zusammenschlüsse helfen Individuen dabei, sowohl miteinander als auch nebeneinander trotz heterogener Interessenlagen, Orientierungen und Wertemuster zu bestehen. Sowohl von den klassischen soziologischen Theoretikern wie
|| 11 Sozialgenossenschaften sind eine Genossenschaftsform, die laut Flieger (2003: 23 ff.) im sozialen Bereichen und vor dem Hintergrund sozialer Bedürfnisse tätig sind. Sie agieren oft gemeinnützig. Es handelt sich ferner um eine Personenvereinigung mit nicht geschlossener Mitgliederzahl, die einem Förderauftrag für den gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb folgt (vgl. Alscher 2008: 9). 12 An dieser Stelle sei bereits darauf hingewiesen, dass Parteien traditionell nicht zum Dritten Sektor gezählt werden, so wie es später besprochen wird. Grund hierfür ist ihre Nähe zum Staat, sobald die Partei in Regierungsverantwortung ist. Gleichwohl sind sie von ihrer Rechtsform her häufig nicht rechtsfähige Vereine (vgl. http:// www. bmi.bund.de/DE/Themen/Gesellschaft-Verfassung/Staatliche-Ordnung/Parteienrecht/Partei-gruendung/parteigruendung_node.html); sie entsprechen aufgrund ihrer mitgliederbasierten Organisationsstruktur verschiedenen anderen Dritte-Sektor-Merkmalen, so dass sie in dieser Übersicht in einer Kategorie mit z.B. Vereinen stehen.
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Durkheim als auch von den modernen wie Habermas werden Organisationen als soziale Systeme und eine wichtige Dimension des sozialen Wandels verstanden (vgl. Gabriel 1976). Ihre zentrale gesellschaftliche Funktion besteht in der Bewältigung von Koordinations- und Kooperationsproblemen in modernen Gesellschaften, denen der Einzelne ansonsten ausgeliefert wäre (vgl. Allmendinger/Hinz 2002: 10 f.). Anders formuliert dienen Organisationen „der Interdependenzbewältigung […], die auf die Herstellung und Stabilisierung kollektiver Handlungsfähigkeit einer Mehrzahl individueller Akteure hinaus[läuft]“ (Schimank 2002: 31). Stellt man sich den Straßenverkehr und seine Regelungen vor, hinter denen als Organisation die Polizei steht, werden die Auswirkungen deutlich: Das bestehende Regelsystem hilft wesentlich den Verkehr zu koordinieren. Deshalb wird davon ausgegangen, dass soziale Ordnung ohne Organisationen nicht möglich ist (vgl. Allmendinger/Hinz 2002: 25). Organisationen können darüber hinaus Innovationen in der Gesellschaft vorantreiben, sie aber auch behindern (vgl. ebd. sowie Tabelle 2.5). Tab. 2.5: Gesellschaftliche und individuelle Funktionen von Organisationen allgemein und nach Aufbau Genossenschaftlich-demokratische Interessenorganisation Gesellschaftlich
Hierarchisch-monokratische Arbeitsorganisation
Soziale Ordnung Innovation Gesellschaftliche Integration Verständigung
Individuell
Fügsamkeit
Verbesserung Lebenschancen Verfolgung persönlicher Interessen im Verbund
Eigene wirtschaftliche Absicherung
Quelle: eigene Darstellung.
Organisationen sind also Leistungsträger, durch die eine Gesellschaft sich weiterentwickeln kann und über die ihre Komplexität reduziert wird. Sie haben demnach zugleich einen stabilisierenden und dynamischen Effekt auf die Gesellschaft, der je nach Organisationsform unterschiedlich ausgestaltet sein kann. Neben dem Beitrag von Organisationen, soziale Ordnung herzustellen und sozialen Wandel sowie Innovation zu ermöglichen, lassen sich weitere Funktionen danach unterscheiden, ob die Organisation vom Aufbau her eher demokratisch oder eher hierarchisch strukturiert ist. Es bietet sich daher eine vertiefende Betrachtung im
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Sinne der zuvor angeführten idealtypischen Unterscheidung zwischen Interessenorganisationen (genossenschaftlich-demokratisch) und Arbeitsorganisationen (hierarchisch-monokratisch) an. Eine weitere gesellschaftliche Funktion von Organisationen besteht darin, gesellschaftliche Integration zu ermöglichen; sie fördern demnach die gesellschaftliche Einbindung der Individuen bzw. ihrer Mitglieder (vgl. Schimank 2001: 293 ff.). Die integrative Wirkung, in der sich die ordnende Funktion von Organisationen widerspiegelt, stellt sich jedoch bei Interessenorganisationen anders dar als bei Arbeitsorganisationen. Interessenorganisationen tragen zur gesellschaftlichen Integration bei, indem sich Individualinteressen freiwillig zusammenfügen, die sonst als widerständige Einzelmeinung auftreten und desintegrativ wirken (vgl. ebd.). Arbeitsorganisationen bzw. Tauschbeziehungen hingegen wirken gesellschaftlich-integrativ, indem sich die Individuen den Gesetzen und Regeln der Organisation unterordnen (vgl. ebd.: 294). Es geht also einerseits um Integration durch Verständigung und andererseits um Integration durch Fügsamkeit. Die individuelle Funktion von Organisationen liegt allgemein in einer Verbesserung der Lebenschancen von Einzelnen (vgl. ebd.: 283 f.). Interessenorganisationen leisten dies, indem sie ihren Mitgliedern die Möglichkeit zur erfolgreichen Durchsetzung ihrer Einzelinteressen bieten (vgl. ebd.). Demnach kann man etwas, was für einen persönlich wichtig ist, realisieren, wozu man alleine nicht in der Lage wäre. Beispielsweise ermöglichen Gewerkschaftsmitgliedschaften eine für den Arbeitnehmer bessere Aushandlung von Tarifen; die Mitgliedschaft in einem Alpenverein lässt eine umfangreiche Infrastruktur für das Wandern und Bergsteigen erwarten. Eine Kooperation in diesem Sinne kann zu einer Art sozialem Wohlstand beitragen, indem Teilen sich als Gegenprinzip zum Prinzip Besitz etabliert. Die individuelle Funktion von Arbeitsorganisationen ist weniger ideell, sondern stärker materiell ausgerichtet. Sie erfüllen das individuelle Bedürfnis nach wirtschaftlicher Absicherung, indem sie ihren Mitgliedern einen Arbeitsplatz und ein Einkommen bieten (vgl. Schimank 2001: 285 f.). Zusammengenommen tragen Organisationen, wie bereits von Etzioni (1978: 9) herausgestellt, zur Befriedigung individueller und privater sowie gesellschaftlicher und öffentlicher Bedürfnisse bei. Die Übersicht zu den Funktionen von Organisationen allgemein und nach Aufbau verdeutlicht, welche Potenziale bzw. welcher gesellschaftliche und individuelle Mehrwert wegbrechen würde, wenn Interessenorganisationen an Bedeutung verlören. Es ist davon auszugehen, dass ohne diese eine Gesellschaft weniger sozial ist. Daher bietet es sich an, den Blick auf die Funktionsweise von Organisationen zu richten. Damit werden theoretische Möglichkeiten der Organisationsgestaltung aufgezeigt, die zur Existenz- und Funktionssicherung von Organisationen allgemein und speziell von Interessenorganisationen, d.h. auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen, beitragen.
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2.2.5 Organisationswandel 2.2.5.1
Macht und Verteilung
Modell der Ressourcenzusammenlegung: Macht und Verteilung Ein zentrales Anliegen der Coleman’schen Konzeption eines korporativen Akteurs bestand in der theoretischen Verknüpfung der individuellen und der gesellschaftlichen Ebene. Ausgehend von der Handlung eines individuellen Akteurs schloss er auf die Funktion und die gesellschaftliche Bedeutung sozialer Kollektiveinheiten (vgl. Vanberg 1982: 10). Es handelt sich in gewisser Weise um einen theoretischen Brückenschlag, der vom interessengeleiteten Einzelnen über die Organisation bis hin zur Gesellschaft vollzogen wird. In diesem Denkschema sind korporative Akteure zugleich Machtinstanzen, über die gesellschaftlich relevante Ausgrenzungsmechanismen wirksam werden können. Colemans Analysen zur Bedeutung von korporativen Akteuren für Machtfragen in der Gesellschaft folgend, sind „die Interessen der korporativen Akteure […] nicht nur eine Summe der Interessen ihrer Mitglieder. Noch sind sie eine direkte Widerspiegelung der Interessen irgendeiner natürlichen Person“ (Coleman 1979: 4). Die einzelne Person gibt ihre Stimme an die dem Individuum übergeordnete juristische Person, wodurch diese Macht erlangt, „Macht, die im korporativen Akteur ihren Sitz hat und nicht irgendeiner mit diesem korporativen Akteur verbundenen Person zukommt“ (ebd.: 23). Indem also der Einzelne seine oder die Einzelne ihre Interessen und Ressourcen an die Organisation abtritt, erfolgt ein Machtverlust auf Seiten des Individuums. Mit der Gründung eines korporativen Akteurs verliert der individuelle Akteur somit an Entscheidungsautonomie, wohingegen der korporative Akteur an Einfluss gewinnt (vgl. ebd.: 22). In der Folge etablieren sich Macht- und Herrschaftsstrukturen. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Etzioni (1978: 10), der von einer partiellen Herrschaft der Organisationen über den Menschen ausgeht. In dieser Perspektive sind Organisationen Objekte, die sich zwar durch interessengeleitete Subjekte bilden, jedoch im Moment ihrer Entstehung als juristische Person eine Verselbstständigung erfahren. Der einzelnen Person gegenüber sind sie dann autark und ihr übergeordnet. Diese Entwicklung problematisiert Coleman, da sich in heterogenen und modernen Gesellschaften nur jene Interessen durchsetzen, die sich in korporativen Akteuren manifestieren lassen (vgl. Coleman 1979: 36). Meinungen, Positionen und Ideen, die es nicht schaffen, sich in diesem Sinne zu organisieren, werden folglich weniger oder gar nicht beachtet. Ob die Gründung eines korporativen Akteurs gelingt, ist wiederum abhängig von den Ressourcen, die den Individuen zur Verfügung stehen bzw. die sie zusammenlegen (vgl. ebd.: 37). Da Dinge wie Fähigkeiten oder finanzielles Kapital in Gesellschaften verschieden verteilt sind, kommt es unter denen, die sie haben, und
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denen, die sie nicht haben, zu einem entsprechend ungleich verteilten Gründungsgeschehen. In der Folge werden durch korporative Akteure ausschließlich jene Interessen repräsentiert, die dafür die notwendigen Ressourcen mitbringen. Eine solche ressourcenorientierte Perspektive wirft die Frage auf, was mit den Interessen jener Personen geschieht, denen es nicht gelingt, ihre Interessen – vermittels ihrer Ressourcen – in den Organisationen zu verwirklichen. Dies gilt sowohl für die sogenannten Interessenorganisationen, d.h. auch für zivilgesellschaftliche Organisationen, als auch für Arbeitsorganisationen. Für dieses Problem lässt sich eine stärker individuums- und eine stärker organisationszentrierte Antwort formulieren. Individuelle Strategien bedeuten die Suche nach alternativen Wegen und Sprachrohren zur Artikulation persönlicher Interessen. Sofern sich ein niedrigschwelliger Zugang zum oder Abgang vom korporativen Akteur anbietet, sieht Coleman in einer „Exit-Enter-Variante“ eine Lösung des Machtverteilungsproblems (vgl. Coleman 1979: 49 f.). Individuelle Akteure haben die Möglichkeit, bestehende Bindungen zu Organisationen aufzulösen und neue einzugehen. Eine ähnliche, auf das Verlassen und Widersprechen fokussierte Argumentation findet sich auch bei Hirschman (1974): Individuelle Akteure haben demnach die Wahl zwischen „voice“ und „exit“, wenn sie sich für oder gegen eine Organisationsmitgliedschaft entscheiden (vgl. ebd.). Andernfalls ist die Bildung von Koalitionen denkbar, die als Opposition auftreten, oder die Neugründung von Organisationen unter der Voraussetzung geringer Kosten (vgl. Coleman 1979: 49 f.). Beide Wege bleiben allerdings problembehaftet. Zum einen stellt die bloße Abwendung vom korporativen Akteur nicht automatisch eine Lösung für das oben beschriebene Machtverteilungsproblem dar. Zum anderen ist ein Aufbegehren durch Widerspruch oder Neugründung ebenfalls mit Kosten verbunden. Selbst geringe materielle und immaterielle Kosten können aber nur von jenen aufgebracht werden, die über die entsprechenden Ressourcen verfügen. Gegenüber Individuen haben Organisationen andere Handlungsmöglichkeiten, auf das Machtverteilungsproblem zu reagieren. Sie können beispielsweise ihre Strukturen und Ziele im Hinblick auf den Ausschluss von bestimmten Interessen überprüfen. Diese Herangehensweise nimmt neben dem Individuum die Organisation in den Blick. Sie bietet sich an, wenn es um die Entwicklung und den Erhalt von Organisationen geht. Exemplarisch führt Coleman hierzu u.a. die Notwendigkeit zur Veränderung der vorhandenen Informations- und Kontrollstrukturen von Organisationen an (vgl. Coleman 1979: 50 ff.). Ein grundlegender Aspekt bei der Analyse von Organisationen und ihren Strukturen im Hinblick auf Gerechtigkeitsfragen liegt somit in der Frage nach dem Vorhandensein spezifischer Integrationsmechanismen. In diesem Zusammenhang stellt das Ressourcenmodell von Viktor Vanberg einen weiterführenden theoretischen Ansatz dar. James Colemans Überlegungen zu Organisationen wurden im deutschsprachigen Raum von Viktor Vanberg (1982) übernommen und im Modell der Ressourcenzusam-
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menlegung weiterentwickelt. Vanberg thematisiert zwei zentrale, der Anlage des korporativen Akteurs geschuldete Probleme, die einen Zusammenhang zum Machtverteilungsproblem durch Organisationen aufweisen: das kollektive Entscheidungsproblem und das kollektive Verteilungsproblem. Der Auslöser dieser Probleme liegt in der zweckorientierten Zusammenführung von Ressourcen, wodurch individuelle Akteure nicht mehr eigenständig über ihre Ressourcenanteile entscheiden können. In der Offenlegung der Probleme sieht Vanberg den wesentlichen Vorzug des Modells, denn es „lenkt – […] als theoretisches Instrument – die Fragestellung systematisch auf diese beiden Probleme und ihre strukturellen Ursachen: Erstens, da […] die […] Ressourcen nicht mehr separat, durch die einzelnen Beteiligten, sondern im Verbund, als Bündel disponiert werden, ist danach zu fragen, wie eben diese Disposition über den Ressourcenpool organisiert ist. Zweitens, da der Einsatz der zusammengefassten Ressourcen nicht separate individuelle Erträge, sondern ein Gesamtergebnis, einen Korporationsertrag hervorbringt, ist danach zu fragen, durch welche sozialen Verteilungsregelungen dieser Korporationsertrag in individuelle Erträge umgesetzt wird“ (Vanberg 1982: 16 f.).
Das Modell der Ressourcenzusammenlegung fragt somit nach der Entscheidung hinsichtlich des Umgangs mit den Ressourcen und nach den Mechanismen, durch die das gemeinschaftlich erzielte Ergebnis auf die individuellen Akteure verteilt wird. Dabei geht es um die Vereinbarkeit von gemeinschaftlichen und individuellen Ansprüchen, die für die Existenzsicherung einer Organisation bedeutsam ist. Diese problemorientierte Perspektive eröffnet einen wichtigen Zugang zu Ungleichheitsfragen in organisierten Kontexten. Sie bietet daher einen geeigneten Analyserahmen für die der Untersuchung zugrunde liegende Frage nach der Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen in Bezug auf das Engagement junger Menschen. Zum besseren Verständnis werden die beiden genannten Probleme und ihre strukturellen Ursachen im Folgenden kurz erläutert. Kollektives bzw. korporatives Entscheidungsproblem im Ressourcenmodell Mit der Zusammenführung verschiedener akteursgebundener Ressourcen in einen korporativen Akteur entsteht die Anforderung, die Ressourcen zu „verwalten“. Die eingebrachten immateriellen und materiellen Güter müssen von einer Instanz X koordiniert und kontrolliert werden, da der individuelle Akteur diese Aufgabe im Verbund nicht mehr übernehmen kann. Vanberg (1982: 174) beschreibt diese Situation als Problem zentraler Koordination, mittels derer über die Ressourcen im Sinne der Mitglieder verfügt wird. Es müssen also bestimmte Verfahren zur Anwendung kommen, durch die die Interessen der individuellen Akteure abgesichert werden. Dieser Akt stellt für Organisationen des Typs „genossenschaftlich-demokratisch“ eine besondere Herausforderung dar, weil hier, anders als bei „monokratisch-hierarchisch“ strukturierten Organisationen, die Entscheidungsmacht bei der Gruppe und nicht bei einzelnen Personen liegt.
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Bei dem Problem kollektiver bzw. korporativer Entscheidung geht es also um die Gestaltung des Gruppenwillens unter Berücksichtigung des Einzelwillens. Durch spezielle Instrumente kann die individuelle Mitsprache bei wichtigen organisatorischen Entscheidungen des korporativen Akteurs gewährleistet werden. Hierzu zählen die Anwendung verschiedener Entscheidungsverfahren wie der Mehrheitsentscheid, die Mitgliederversammlung als Austragungsorgan sowie die Möglichkeit der Delegation von Entscheidungsmacht auf kleinere Gruppen bzw. kleinere Entscheidungsorgane (vgl. Vanberg 1982: 179 f.). Vanberg beschreibt diese Instrumente auch als „Organisationsmacht“ bzw. als Möglichkeit zur innerverbandlichen Einflussnahme (ebd. 1982: 183); der Einsatz solcher Instrumente dient dem respektvollen Ressourcenumgang. An ihnen machen individuelle Akteure fest, ob sie ihre Ressourcen in die Organisation einbringen oder davon absehen. Kollektives bzw. korporatives Verteilungsproblem im Ressourcenmodell Das Zusammenlegen von interessengebundenen individuellen Ressourcen, d.h. jene Voraussetzung, die erfüllt werden muss, um einen korporativen Akteur zu gründen, hat nicht nur den individuellen Verlust einer gewissen Entscheidungsmacht zur Folge. Auch geht der individuelle Bezug zur eingesetzten Ressource bzw. zu deren Ergebnis verloren. Sofern es keine dezidierte Leitung gibt, die über den weiteren Umgang mit den Ressourcen und deren Erträgen verfügt, stellt sich bei korporativen Akteuren eine zentrale Frage: Wie wird der individuelle Akteur an den in die Gemeinschaft eingebrachten Ressourcen bzw. am Ertrag beteiligt? Dabei weist die Problemstellung für Organisationen des Typus „genossenschaftlich-demokratisch“ eine zusätzliche Facette auf. Ein Verteilungsproblem ergibt sich hier oftmals aufgrund des besonderen Ertragscharakters, der als öffentliches Gut oder Kollektivgut beschrieben wird (vgl. Preisendörfer 2008: 40). Es geht also um ein der Allgemeinheit zugutekommendes Produkt, in das der oder die Einzelne eine Investition tätigt, von der Dritte ebenfalls profitieren können. Bezugnehmend auf die Idee des Homo oeconomicus wird allgemein von einer begrenzten individuellen Mitwirkungsbereitschaft an Kollektivgütern ausgegangen. Deshalb wird in „genossenschaftlich-demokratischen“ Organisationen „die Sicherstellung der individuellen Leistungsbereitschaft zu einem besonderen Problem organisationalen Handelns“ (Preisendörfer 2008: 40). Eine Antwort auf das Verteilungsproblem zu finden ist demnach von existenzsichernder Bedeutung. Es geht dabei um die Identifizierung spezieller Übersetzungsmechanismen, die den individuellen Input, vermittelt über einen gemeinschaftlichen Output, in einen individuellen Output umwandeln. Hierfür müssen die individuellen Akteure laut Vanberg (1982: 168) „unter sich für ihre Zusammenarbeit sozialorganisatorische Regelungen finden, die eine Korrelation zwischen individuellen Beiträgen und individuellen Belohnungen herstellen, wobei diese Regelungen insbesondere auch eine freiwillige Selbstbindung im Sinne einer gemeinsamen Unterwerfung unter ein Kontrollsystem beinhalten können“. Gemeint sind strukturelle Regelungen, die
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dem Individuum einen Mehrwert der von ihm in den korporativen Akteur eingebrachten Ressourcen garantieren. Ohne dass Vanberg diese Regelungen noch weiter spezifiziert, ist es das Moment der „freiwilligen Selbstbindung“, das hervorgehoben wird. „Freiwillig“ bedeutet hier offenbar zweierlei: Zum einen setzt es ein eigenständiges, für den gemeinschaftlichen Ressourcenpool motiviertes und sich an diesen bindendes Individuum voraus. Zum anderen beinhaltet das Moment der Freiwilligkeit ein individuelles Vertrauen in den korporativen Akteur und seinen fairen Umgang mit den eingebrachten Ressourcen. Eine Regelung der „freiwilligen Selbstbindung“ impliziert folglich eine Verantwortungsübertragung seitens der Organisation auf das Individuum. Auf diese Weise entzieht sich die Organisation der direkten Pflicht, für das vom individuellen Akteur Eingebrachte eine Gegenleistung in einer spezifischen Kennzahl festzulegen. Dafür wird an das Individuum appelliert, der Schaffenskraft und den Zielen der Organisation zu vertrauen. Ein derartiges Vertrauen, so Vanberg, ist eine wichtige Voraussetzung für eine individuell getätigte Investition in einen Gruppenkontext, bei dem zunächst keine Garantie auf ein Mindestmaß an Anerkennung für die Leistung besteht (vgl. Vanberg 1982: 16 f.). Dieses Vertrauen stellt eine Form des solidarischen Verhaltens dar, um das sich die Organisation jedoch mit entsprechenden Zugeständnissen bemühen muss, da individuelle Akteure sonst nicht in korporative Akteure investieren (vgl. ebd.: 165). Die Zugeständnisse sind demnach von zentraler Bedeutung, weil Solidarität nicht bedeutet, dass Individuen auf jeglichen persönlichen Vorteil verzichten würden (vgl. ebd.). Deutlich wird an dieser Stelle, dass einzelne Organisationen und insbesondere jene des Typus „genossenschaftlich-demokratisch“, wozu auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie Vereine zählen, in Fragen der Ertragsverteilung eine Form der Solidarität auf Seiten des Individuums voraussetzen. Dieser Gemeinschaftssinn ist eine Art Teillösung für das Verteilungsproblem, das sich bei kollektiven Erträgen ergibt. Anders formuliert: Im Mittelpunkt des individuellen Interesses steht nicht allein die direkte Übersetzung der von ihm in den korporativen Akteur eingebrachten Ressourcen in einen individuellen Vorteil. Es ist der korporative Akteur selbst (bzw. seine Ziele), für den sich die einzelne Person interessiert und einsetzt. In dieser besonderen Beziehung ist das Vertrauen zwischen dem individuellen und dem korporativen Akteur begründet. Vertrauen meint hier demnach auch eine Art Zutrauen in das Vermögen des korporativen Akteurs, für den individuellen Einsatz eine angemessene Gegenleistung zu erbringen. Die zentrale Frage ist nun, auf welche Mittel die Organisation zurückgreift, um dieses Vertrauen aufrechtzuerhalten. Es geht dabei um eine erweiterte Identifizierung der sogenannten sozialorganisatorischen Regelungen, die sich eine Organisation zu eigen macht, um individuelle Akteure an sich zu binden. Derartige Regelungen stehen in einem engen Zusammenhang mit der Organisationsgröße, mit den investierten Ressourcen sowie mit den damit verbundenen Erträgen (vgl. Vanberg 1982: 168). Denn:
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„Die Schwierigkeit, geeignete organisatorische Vorkehrungen zu finden und praktisch zu handhaben, wird mit der Größe des betreffenden korporativen Akteurs wachsen. Und […] solche Regelungen lassen sich […] wesentlich leichter finden, wenn die investierten Ressourcen und die korporativen Erträge homogen und direkt monetär messbar sind, als […] Investitionen und/oder Erträge […], die von heterogener Natur und nicht […] direkt messbar sind.“ (ebd.)
Darin liegen zwei Herausforderungen begründet: – Zum einen bieten sich keine pauschalen oder allgemeingültigen Regelungen an. Vielmehr gilt es, auf die betreffende Organisation zugeschnittene Ansätze zu identifizieren, die verschiedene Parameter berücksichtigen. Hierzu zählen sicher die Organisationsgröße sowie die Art der Ressourcen und Erträge. – Zum anderen stellt sich die Frage der individuellen Anerkennung und Absicherung nicht monetär messbarer Ressourcen und Erträge. Hierfür muss festgelegt werden, welche Gestalt diese beiden Größen annehmen. Auf der Input-Seite werden Parameter wie Zeit oder Anstrengung diskutiert (vgl. Preisendörfer 2008: 41). Auf der Output-Seite kann ein thematisch gebundenes Projektergebnis stehen. Doch selbst dann stellt sich die Frage, wie ein solches „Ergebnis“ an das Individuum zurückgeführt werden kann, zumal es im Einzelfall uneindeutig bleibt, inwiefern z.B. tatsächlich die individuelle Zeit zum Projektergebnis beigetragen hat (vgl. Preisendörfer 2008: 40). Andere Einflussgrößen wie das Projektbudget sind in der Regel ebenfalls für den Projekterfolg verantwortlich. Eine alternative Möglichkeit besteht darin, „den Korporationsertrag nicht nach Output- oder Inputfaktoren zu verteilen, sondern sich am jeweiligen Bedarf der beteiligten individuellen Akteure zu orientieren“ (ebd.). Die Ausrichtung an den Bedarfen zur Lösung des Verteilungsproblems setzt eine gewisse Kenntnis der individuellen Akteure voraus. Gleichzeitig wird damit ein eher kompliziertes Input-Output-Bestimmungsverfahren umgangen. Für zivilgesellschaftliche Organisationen im Allgemeinen und Vereine im Speziellen ist die skizzierte Problematik von zentraler Bedeutung, wenn es um die Sicherung der Ressource Engagement geht. Die für die Verteilungsproblematik relevante Ressource ist in diesem Fall das Engagement bzw. die Zeit. Wie diese Ressource speziell von jungen Menschen für zivilgesellschaftliche Organisationen gesichert werden kann, wird unter Berücksichtigung ihrer Bedarfe, die sich aus ihrer Lebenssituation und ihrem Engagementverhalten ermitteln lassen, im Weiteren untersucht. Grundsätzlich gilt, dass Organisationen Kenntnisse über die individuellen Bedarfe ihrer (potentiellen) Mitglieder haben müssen, um die Individuen an sich zu binden. Eine wichtige Voraussetzung für die kontinuierliche Identifizierung der Bedarfe, aber auch für die stete Überprüfung der eigenen Organisationsstrukturen, die ebenfalls bei der Einbindung junger Engagierter eine Rolle spielen, stellt das Organisationslernen dar.
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2.2.5.2 Organisationslernen Einführung in das Forschungsfeld Lernen ist nicht ausschließlich individuellen Akteuren vorbehalten. Es ist eine Fähigkeit oder Eigenschaft, die auch für Organisationen relevant ist. Theoretisch bedeutet Organisationslernen ganz allgemein die Veränderung der gesamten Organisation und impliziert die Einbeziehung aller Organisationsebenen (vgl. Krebsbach-Gnath 1996: 14). Organisationslernen ist nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit „lernende Organisation“. Bereits bei dieser Unterscheidung deuten sich die Herausforderungen an, die sich in dem dazugehörigen Forschungsfeld auftun. Denn von lernenden Organisationen auszugehen zieht ein stärker normativ, in der Praxis verankerten Verständnis des Gegenstands nach sich, wohingegen Organisationslernen für einen deskriptiv-analytischen Zugang zum Feld spricht (vgl. Berthoin Antal 1998: 39). Insgesamt wird in den analytischen und empirischen Arbeiten zum Organisationslernen der Zusammenhang zu den Organisationsstrukturen betont (vgl. Dierkes/Albach 1998: 30). Formale, informale und kulturelle Aspekte des Organisationslebens sind für etwaige Lernprozesse von hohem Stellenwert. Zu berücksichtigen gilt, dass Organisationslernen in der Forschung lange Zeit deutlich normativ und in diesem Fall positiv besetzt war (vgl. ebd.: 89). Denn die Möglichkeit, durch Lernprozesse etwas Neues zu schaffen, wird in der Organisationsforschung als einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren von Organisationen gesehen (vgl. Krebsbach-Gnath 1996: 3). Lernen kann sich aber auch negativ oder gar nicht auswirken, weil z.B. nicht genügend Akteure an dem Lernprozess teilgenommen haben oder das Wissen am Ende nicht organisational verankert wurde. Organisationales Lernen „provides a potential for change rather than any guarantee of its realization“ (vgl. Child/Heavens 2001: 309). Es ist zudem anzumerken, dass organisationales Lernen aus der Perspektive der Organisationsökologen skeptisch betrachtet wird (vgl. Preisendörfer 2008: 142 f.). Ihrer Argumentation folgend ist organisationales Lernen bzw. Organisationswandel mit einem gewissen Risiko behaftet und die sogenannte „organisationale Trägheit“ eine normale und teilweise auch förderliche Eigenschaft von Organisationen. Ein Risiko sehen die Forscher in der Sterbewahrscheinlichkeit von Organisationen, die sich nach entsprechenden Veränderungen erhöhen kann. Das Förderliche an ausbleibenden Lernprozessen ist eine gewisse Organisationsstabilität, die Verlässlichkeit nach außen vermittelt und Vertrauen nach innen aufbaut. Insgesamt ist der Diskurs zum Organisationslernen deutlich durch Beiträge zu Wirtschaftsunternehmen geprägt (vgl. Dierkes/Albach 1998: 16; Berthoin Antal 1998: 45 f.). Die Ausrichtung auf erwerbswirtschaftliche Organisationen bei Fragestellungen zum Organisationslernen in der Forschung hat eine Vernachlässigung anderer Organisationstypen nach sich gezogen. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Vereine oder Stiftungen haben bisher kaum Beachtung bezüglich des organisationalen Lernens erfahren (vgl. Egger 2007: 26).
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Lernen: Wer und wie Obgleich praktisch nur Individuen als Akteure von Lernprozessen auftreten können, ist Organisationslernen vom individuellen Lernen abzugrenzen bzw. sind diese beiden Prozesse aufeinander zu beziehen (vgl. Dierkes/Albach 1998: 28). Der genaue Unterschied zwischen den beiden Lernakteuren ist jedoch schwierig zu fassen. Einigkeit sollte dahin gehend bestehen, dass zumindest menschengetragene Organisationen ohne Individuen nicht lernen können. In den 1970er Jahren waren March und Olsen die Ersten, die sich gegen die Einschätzung wandten, organisationales Lernen sei die Summe individueller Lernanstrengungen (vgl. Friedman 2001: 398). Denn Organisationsmitglieder können lernen, ohne dass zugleich die Organisation lernt (vgl. Fiol/Lyles 1985: 804). Manches Wissen ist für die Organisation selbst nicht von Bedeutung, beispielsweise Wege und Abkürzungen in einer Institution kennenzulernen. Gleichzeitig kommt es beispielsweise vor, dass bestimmte lernrelevante Informationen aufgrund fehlender Kommunikationswege und -mittel bei den Individuen verbleiben. Eine mögliche Perspektive, in der individuelles Lernen und organisationales Lernen aufeinander bezogen werden, ergibt sich, wenn man individuelles Lernen als vermittelnde Instanz zu organisationalem Lernen sieht (vgl. Friedman 2001: 400). Hierzu wurden unterschiedliche theoretische Modelle formuliert, die Organisationslernen zumeist als Prozess erfassen (vgl. Argyris/Schön 1996; Huber 1991). Organisationslernen lässt sich demnach in mindestens vier Phasen unterteilen, die mehrmals und nicht sequenziell durchlaufen werden. Nach Huber (1991: 90 ff.) zählen zu diesen Phasen der Erwerb und die Kommunikation von Wissen, dessen Interpretation und die Institutionalisierung von Wissen. Dieses Modell wurde von Kerlen (2003: 22) um die Phase der Problemdefinition ergänzt, so dass sich der organisationale Lernprozess folgendermaßen veranschaulichen lässt (vgl. Abbildung 2.2). Ohne die einzelnen Phasen an dieser Stelle vertiefend abzuhandeln, wird deutlich, dass die Problemdefinition immer den Ausgangspunkt für den Lernprozess darstellt und gleichzeitig vorgibt, wie weit der Lernprozess inhaltlich und strukturell geht (vgl. Kerlen 2003: 146). Wissenserwerb umschreibt die Gewinnung von Wissen, die auf unterschiedliche Art erfolgen kann (vgl. Huber 1991: 91 ff.); die Kommunikation von Wissen dessen Verbreitung bzw. Diffusion in der Organisation. Auf diese Weise wird die Wissensbasis verbreitert (vgl. ebd.: 100 f.). Die Interpretation und Nutzung von Wissen impliziert dessen Übersetzung auf die Problemstellung bzw. den Lernprozess. Dabei gelten vielfältige Interpretationsangebote und der interaktive Dialog über sie als ein positiver Beitrag für einen vertieften Lernprozess (vgl. ebd.: 102 ff.) Die Speicherung von Wissen bildet den konkreten organisationsbezogenen Lernerfolg ab und kann, wie aufzuzeigen sein wird, als organisatorische Wissensbasis verstanden werden. Im Ergebnis eines solchen Lernprozesses steht sowohl die
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Neufassung bestehender Organisationsregeln und -strategien als auch die Neuausrichtung vorliegender normativer Handlungsüberzeugungen (vgl. Argyris/Schön 1996: 22).
Abb. 2.2: Phasenmodell Organisationslernen Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Huber (1991) und Kerlen (2003).
Definition Organisationslernen Versuche einer Begriffsbestimmung zum Organisationslernen sind vielfach unternommen worden. Die vorliegenden Definitionen sind entweder allgemeiner oder spezieller gehalten, da jeweils verschiedene Aspekte betont werden (vgl. KrebsbachGnath 1996: 27–30). Trotz der unterschiedlichen Schwerpunktsetzung bei den einzelnen Definitionen ist durchweg der geplante, auf Veränderung bedachte Charakter von Organisationslernen erkennbar. Organisationslernen ist somit kein zufälliger, sondern ein gesteuerter Prozess, der auf die Reorganisation eines bestimmten Organisationsbereichs abzielt. Exemplarisch für die Fülle an Definitionsvarianten seien an dieser Stelle drei Beispiele vorgestellt, die sich durch einen jeweils eigenen Spezialisierungsgrad voneinander unterscheiden: 1. „an organization that is continually expanding its capacity to create its future“ (Senge 1990: 14). In diesem sehr allgemein gehaltenen Verständnis lernt eine Organisation, wenn sie sich so verändert bzw. an äußere Rahmenbedingungen anpasst, dass sie zukunftsfähig ist. 2. „Unter Organisationslernen ist der Prozess der Erhöhung und Veränderung der Problemlösungs- und Handlungskompetenz sowie die Veränderung des gemeinsamen Bezugsrahmens von und für Mitglieder der Organisation zu verstehen“ (Probst/Büchel 1994: 17, zitiert in Krebsbach-Gnath 1996: 29). Aus dieser Perspektive ist organisationales Lernen gegeben, wenn eine Organisation in Bezug auf ihre Strukturen und Situation reflektiert und flexibel bleibt. 3. „Organisationslernen beschreibt Prozesse der Gewinnung, Verteilung, Interpretation, Umsetzung und Speicherung von Wissen in und zwischen Organisationen, um das Repertoire von möglichen Perzeptionen und Verhalten so zu erweitern, dass eine Organisation ihre Umwelt besser wahrnehmen und auf Ver-
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änderungen und Herausforderungen angemessen (re-)agieren kann“ (Berthoin Antal/Dierkes 2004: 733). Diese Definition organisationalen Lernens legt ihren Schwerpunkt auf den Umgang mit Wissen. Wissen im Sinne der Gewinnung und Verwertung wird als eine wichtige Voraussetzung angesehen, um neue Wege einschlagen zu können. Die Auseinandersetzung mit organisationalem Lernen impliziert eine Kenntnis darüber, was gelernt werden kann. Berthoin Antal/Dierkes (2004) gehen davon aus, dass Organisationslernen ein Prozess der Gewinnung, des Umgangs und der Speicherung von Wissen ist, der dazu dient, organisationales Verhalten bei Bedarf zu verändern oder anzupassen. Folglich ist Wissen eine Kategorie, auf die sich das Lernen bezieht. Denn um handlungsfähig zu bleiben – und darauf zielt organisationales Lernen ab –, ist eine Organisation auf Wissen angewiesen. Wissen umfasst demnach auch alles, „was tatsächlich in Handlung und Verhalten einfließt“ (Pautzke 1989: 66). Hierzu zählt neben dem expliziten, einem konkret in Wort und Handlung ausdrückbaren Wissen auch das implizite Wissen, das beispielsweise das Erfahrungswissen oder wertbasiertes Wissen umfasst. Informationen, die in einer Organisation schriftlich abrufbar sind, z.B. eine Satzung, sind somit genauso relevant wie der gelebte Wert, „sich gegenseitig zu unterstützen“. Ausgehend von diesem breiten Wissensverständnis, das auf der individuellen Ebene verankert ist, entwickelt Pautzke (1989: 76 ff.) unter Bezugnahme auf Werner Kirsch das Schichtenmodell der organisatorischen Wissensbasis. In diesem Modell wird dargestellt, auf welches Wissen eine Organisation überhaupt zurückgreift bzw. mit welchem Wissen sie arbeiten kann, wenn sie lernen will. Hierzu zählen der Bestand an geteiltem und zur Verfügung gestelltem individuellen Wissen (z.B. Organisationskultur, Regelsysteme), das latente externe Wissen (z.B. über Vorträge und Artikel) und das sogenannte kosmische Wissen (Wissen, das z.B. aus Gründen einer begrenzten Informationsverarbeitungskapazität nicht abgerufen wird) (vgl. ebd.). Lernen und Gründe Organisationen haben schon immer gelernt, aber die Gründe hierfür haben sich in gewisser Weise verändert. Es gab immer wieder Anlässe, die organisationales Lernen provozierten oder in Gang setzten. Ausgehend von ökonomisch, politisch und technologisch instabilen Umwelten konstatierten die Organisationsforscher Argyris und Schön (1978: 9) bereits in den 1970er Jahren die Notwendigkeit organisationalen Lernens zur Existenzsicherung von Organisationen. Die Herausforderungen für Organisationen bestehen in der Tiefe und dem Umfang gesellschaftlicher Veränderungen sowie in der hohen Veränderungsgeschwindigkeit dieser Rahmenbedingungen, wodurch ein externer Veränderungsdruck zum zentralen Auslöser für Organisationslernen wird (vgl. Krebsbach-Gnath 1996: 4; vgl. Dierckes/Albach 1998: 27 f.). In den Folgejahren ging es beim organisationalen Lernen vor allem um die Aufrechterhal-
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tung der Wettbewerbsfähigkeit wegen sich verändernder externer Rahmenbedingungen (vgl. Reinhardt 1993: 26; Zahn 1996: 43; Wilkens et al. 2006: 7). Den Umfelddruck sieht auch Krebsbach-Gnath als wichtigen Auslöser für organisationales Lernen an (1996: 40). Sie wendet sich damit gegen die Auffassung, dass Organisationen gegenüber ihrer Umwelt weitgehend autonom agieren, weil „die Autonomie von Organisationen nur so lange gewährleistet ist, wie sie durch ihr Verhalten die Interessen der relevanten Umfelder berücksichtigt“ (ebd.: 41). Für ihr Überleben sind Organisationen folglich darauf angewiesen, externe Entwicklungen zu berücksichtigen. Die skizzierten Auslöser, die zu organisationalem Lernen führen können, fasst Pautzke (1989: 119 f.) unter der Kategorie „Probleme, Krisen und Stress“ oder auch „problematische Umweltveränderungen“ zusammen. Die Analyse der Ursachen für Organisationslernen konzentriert sich somit auf exogene Faktoren, d.h. auf die Anpassungsfähigkeit von Organisationen aufgrund sich verändernder Umfeldbedingungen. Die einseitige Ausrichtung auf exogene Faktoren als Anreiz für organisationales Lernen wird jedoch an anderer Stelle als zu undifferenziert angesehen. Demnach sollten auch endogene Faktoren als Auslöser für organisationales Lernen in die Analyse einbezogen werden (vgl. Hardwig 2007: 22 f.), da das Innenleben von Organisationen selbst hochkomplex ist (vgl. Schüerhoff 2006: 66 f.). Unter endogene Faktoren für organisationales Lernen subsumiert Pautzke (1989: 120 f.) „innovative Ideen“, die genutzt werden können, um Veränderungsprozesse zu initiieren, und „Menschen“, also Organisationsmitglieder, die über Wissen verfügen oder Vorbilder für Lernprozesse sein können. An die Seite dieser eher positiv konnotierten Auslegung von endogen gelagerten Lernfaktoren lassen sich Faktoren aus dem Bereich interner Probleme stellen. Auslöser für Organisationslernen können demnach auch Unzufriedenheiten unter Organisationsmitgliedern sein oder eben auch Nachwuchsprobleme bezüglich der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen oder Engagierten. Voraussetzungen für organisationales Lernen Organisationslernen ist von ganz verschiedenen Faktoren abhängig. Der Organisationsforschung liegt hierzu ein breites Repertoire an Erkenntnissen vor, wobei es nicht die eine wichtige Determinante für organisationales Lernen gibt (vgl. KrebsbachGnath 1996: 44 ff.). Das, was Organisationslernen begünstigt oder fördert, ist an verschiedene Vorrausetzungen gebunden. In Abhängigkeit zu den der Organisation zur Verfügung stehenden Ressourcen sind Organisationen mehr oder weniger in der Lage, diese Voraussetzungen für sich proaktiv zu nutzen. In Anlehnung an vorhandene Erkenntnisse werden die Voraussetzungen im Folgenden anhand der vier Elemente Außenorientierung, Austausch, Beteiligung und Progressivität beschrieben. Dafür wird das Bild einer netzartigen Struktur gewählt, die deutlich machen soll, dass Organisationen die Elemente mehr oder weniger stark für sich nutzen können. Umso weniger Ressourcen eine Organisation hat, umso mehr schrumpft die netzartige Struktur zusammen. Dies kann auch bedeuten, dass sich eine Organisation einzelne
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Voraussetzungen gar nicht zu eigen machen. Auf mögliche Verbindungslinien und Ausdifferenzierungen, die sich im Rahmen dieser netzartigen Struktur ergeben, kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Gleichwohl soll das nachstehende Schaubild hierzu zumindest eine Idee vermitteln, die bei den folgenden Ausführungen im Hintergrund mitgedacht wird (vgl. Abbildung 2.3).
Abb. 2.3: Voraussetzungen für organisationales Lernen Quelle: eigene Darstellung.
Außenorientierung Bei der Außenorientierung einer Organisation geht es grundsätzlich um die Durchlässigkeit für und das Erkennen von Situationen, Entwicklungen und Besonderheiten, die außerhalb der Organisation liegen und stattfinden. Durch diese Eigenschaft setzt sich die Organisation in ein bestehendes Verhältnis zu ihrem Umfeld. Eine solche Umweltwahrnehmung ist aus reinen Existenzgründen für Organisationen bedeutsam, es geht demnach um ihr Überleben. Für den Bereich der Unternehmen sind in diesem Kontext Instrumente wie Frühwarnsysteme oder Analyseverfahren wie die Szenariotechnik als Vorreiter des Konzepts organisationalen Lernens zu nennen (vgl. Krebsbach-Gnath 1996: 8 ff.). Die Anwendung solcher Methoden soll eine möglichst langfristige Organisationsplanung unter Einbeziehung relevanter Umweltentwicklungen ermöglichen.
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Beim organisationalen Lernen wird die Rolle des Frühwarnsystems häufig von „Querdenkern“ übernommen (vgl. Berthoin Antal 1991) oder, mit Friedman (2001: 400 ff.) gesprochen, von „agents of organizational learning“. Diese sind in allen Organisationen denkbar und können sich demnach auch in zivilgesellschaftlichen Organisationen wiederfinden. Es handelt sich dabei um Personen, die den Mut und die Erfahrung haben sowie die Voraussicht mitbringen, für die Organisation relevante Trends und Entwicklungen im Umfeld zu erkennen und zu thematisieren. Pautzke (1989: 120) spricht in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Werner Kirsch von einem „antizipativen Krisenbewusstsein“, durch das Einzelne in der Lage sind, mögliche Lösungen der Etablierung einer Krise vorwegzunehmen. Der Umstand, dass es sich um Einzelpersonen handeln kann, die durch ihre besondere Sensibilität gewissermaßen die Initialzündung für organisationales Lernen geben, bedeutet nicht, dass dieses am Ende auch nur von diesen Akteuren getragen wird. Im Gegenteil zeichnet sich Organisationslernen gerade durch die Einbindung verschiedener Organisationsmitglieder in den Prozess aus, so dass das Gelernte am Ende überhaupt erst in einen organisationalen Wissensbestand überführt werden kann. Beteiligung Verschiedene Akteure können Organisationslernen befördern und vorantreiben. Organisationskulturelle und systemtheoretische Ansätze setzen eine Beteiligung aller Mitgliedern am Lernprozess sogar voraus (vgl. Krebsbach-Gnath 1996: 52), denn Organisationslernen ist eine gemeinschaftliche Angelegenheit. Laut König ist „Beteiligung […] bei allen Formen des Lernens und auf allen Ebenen der dabei resultierenden Entwicklung von Organisationen notwendige Bedingung“ (vgl. König 2009: 105). Über die Leitung hinaus sind es Organisationsmitglieder, Berater und externe Partner, durch die organisationale Lernprozesse angestoßen und begleitet werden (vgl. Berthoin Antal 2003: 90 f.; Dierkes/Albach 1998: 28). Beteiligung bedeutet nicht, dass die Einschaltung von Kontrollmechanismen obsolet ist. Eine stärkere Zentralisierung der formalen Strukturanlage steht nicht im Widerspruch zu möglichen Lernprozessen (vgl. Dierckes/Albach 1998: 30). Leitungsfiguren, die einen Lernprozess fördern und für ihn einstehen, sind sogar eine wesentliche Voraussetzung für den Lernerfolg. Child/Heavens (2001: 315) verweisen in diesem Zusammenhang auf die notwendige Bedingung einer „balance between controlling and creativity“. Die Eigenverantwortung und den Austausch stärkende Organisationsstrukturen sind demnach ebenso wichtig wie Vorgaben, die seitens der Leitung gemacht werden. König (2009: 27 f.) beschreibt fünf Ebenen der Beteiligung: Nutzer und Nutzerinnen/Klienten und Klientinnen/Kunden und Kundinnen; Umfeld/soziale Netzwerke; Organisationen/strategische Partner; politisch Verantwortliche sowie die Organisationsmitglieder einschließlich der Leitung. Welche Akteure tatsächlich in den Prozess eingebunden sind, ist im Einzelfall zu entscheiden. Fest steht jedoch, dass die Orga-
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nisationsleitung immer eine wichtige Rolle einnimmt, da bei ihr verschiedene Verantwortlichkeiten zusammenlaufen und sie als Vorbild fungiert. Die Palette tatsächlicher Beteiligungsformen ist ebenso facettenreich wie die potenziell zu beteiligenden Akteure. Mögliche Formen der Beteiligung sind Mitreden, Anhören oder Informieren (vgl. König 2009: 30). Ziel ist es, über die Beteiligung verschiedener Akteure am organisationalen Lernen die Ergebnisqualität und die Effizienz des Prozesses zu erhöhen (vgl. ebd.: 47 f.). Dies hängt damit zusammen, dass sich durch die Berücksichtigung und das Einbringen unterschiedlicher Positionen und Kenntnisse der organisationale Wissensbestand qualitativ eher verbessert als verschlechtert. Beteiligung zu ermöglichen bzw. organisationales Lernen als partizipativen Prozess zu gestalten bedeutet auch eine Klärung ihrer konkreten Ausgestaltung. Aus der Perspektive der Organisation sind damit organisationale Rahmenbedingungen gemeint, die Beteiligung erlauben und zugleich ermöglichen (vgl. König 2009: 31 f.). Beteiligung ist somit abhängig von organisationalen Aspekten wie der vorhandenen hierarchischen Struktur bzw. dem Ausmaß an Delegation, dem Verhältnis von Macht und Demokratie, der Organisationskultur, den verfügbaren Ressourcen und der Informationstransparenz. Wird keine Transparenz gegenüber den Mitgliedern gewährleistet und ist nicht für deren Information und Einbeziehung in den Prozess gesorgt, kann dies erfolgsmindernd sein. Aus der Perspektive der Individuen ist Beteiligung eine Frage des Wollens und Könnens (vgl. ebd.). Ohne die Bereitschaft der Organisationsmitglieder, neue Wege im Interesse der Organisation einzuschlagen, kann ein Organisationslernen nicht erfolgen. Von Bedeutung sind deshalb die Motivationen, die persönliche Offenheit und das Interesse für den Prozess sowie das Vorhandensein bestimmter Kompetenzen und Fähigkeiten, die in die organisationale Wissensbasis eingebracht werden. Dieses Wollen und Können ist teilweise steuerbar. Demnach besteht laut Child/Heavens (2001: 319) die Notwendigkeit zur Schaffung motivationaler Anreize und zur Etablierung institutionell verankerter Begegnungsräume, die zwischen Organisationsmitgliedern Konflikte und eine gemeinschaftliche Lösungssuche ermöglichen. Beteiligung kann also als ein Nehmen und Geben verstanden werden, durch das organisationales Lernen ermöglicht und zum integralen Bestandteil von Organisationen selbst wird. Austausch durch kontinuierlichen Dialog Ein kontinuierlicher Dialog ist sicher eine der zentralen Bedingungen für organisationales Lernen. Ohne ein Minimum an Respekt und Vertrauen miteinander zu sprechen, zu streiten, zu reflektieren, sich anzuhören ist es kaum möglich, bestimmte Probleme und Herausforderungen zu identifizieren. Child/Heavens (2001: 312 ff.) zeigen drei Kommunikationspole bzw. -wege auf, deren Konstituierung wichtig für organisationales Lernen ist. Dabei geht es erstens um die auf Austausch bedachte Verbindung zwischen der Leitung und den anderen Organisationsmitgliedern, zweitens um die Kommunikation und Beziehung zwischen den Organisationsmitgliedern –
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ausgenommen die Leitung – und drittens um die dialogorientierte Verbindung nach außen zu potenziellen Partnern und Interessierten an der Organisation. Bei all diesen Wegen geht es stets darum, Wissen zu transportieren, das für die Organisation auf diese Weise zugänglich wird und für organisationales Lernen von Bedeutung ist. Für die Kommunikation innerhalb einer Organisation kommt die Autorin Miriam Egger zu dem Schluss, dass flachere Hierarchien und dezentrale Strukturen, über die Aufgaben und Kompetenzen verteilt werden, zu einem verstärkten Austausch unter den Organisationsmitgliedern führen und damit eine günstige Voraussetzung für organisationales Lernen sind (vgl. 2007: 30). Sie beruft sich dabei auf Erkenntnisse aus dem Forschungsfeld Organisationslernen (vgl. u.a. Geißler 1995: 35; Boch et al. 1997: 6; Argyris 1999: 6). Eine Abflachung der Hierarchien in Organisationsstrukturen schafft demnach Raum für Austausch und ermöglicht vielfältige Zugänge zu Informationen. Information ist Wissen, und Wissen ermöglicht Entwicklung im Sinne von Veränderung. Die Förderung der Autonomie der Organisationsmitglieder erhöht also den Austausch untereinander und damit die Chance zur Entfaltung eines für das Organisationslernen kreativen Potenzials. Neben einem Austausch, der durch flachere Hierarchien gefördert wird, findet ein Austausch häufig auch in eher informalen Kontexten statt. Informale Gesprächsgelegenheiten ergeben sich z.B. auf einem Betriebsausflug, während einer Pause bei einer Weiterbildung oder auch bei einer Unterhaltung am Kaffeeautomaten. In diesen und anderen Situationen lassen sich Themen identifizieren, die für organisationales Lernen wichtig sind. Pautzke (1989: 121) spricht in diesem Zusammenhang von „verständigungsorientiertem Handeln“, das sich in genau solchen Konstellationen realisiert und zu Lernprozessen führen kann. Die Frage, wo und wie es zu einem verstärkten Austausch kommen kann, sollte von jeder Organisation beachtet werden. Damit das Gesagte auch entsprechend kanalisiert und für die Organisation zugänglich wird, ist den Austauschprozessen eine organisierte Komponente an die Seite zu stellen. Hierfür eignet sich die Festlegung von Raum und Zeit, um eine solche dialogorientierte Reflexion zu ermöglichen (Pautzke 1989: 123 f.). In der Praxis bedeutet dies z.B. die Festlegung von Ort und Zeit, wodurch die intensivere Auseinandersetzung mit wichtigen und vielleicht bereits problembehafteten Themen ermöglicht wird. An zuvor festgelegten Orten besteht die Möglichkeit, aktuelle Themen und Probleme zu benennen, zu besprechen und zu dokumentieren. Für organisationales Lernen haben solche Räume eine wichtige Schlüsselfunktion. Auf welche Art auch immer der Austausch in einer Organisation gelebt wird, den konkreten Möglichkeiten hierfür übergeordnet ist die „Form der Beziehungsgestaltung“ (vgl. Krebsbach-Gnath 1996: 46 ff.). Damit ist der verbale Umgang miteinander bzw. die spezifische Gesprächskultur gemeint. Hierzu zählt eine Konfliktkultur, in der das Äußern von Kritik möglich und eine Dialogorientierung vorhanden ist, in der es um Verständigung und nicht um die Dominanz einzelner Meinungen geht (vgl. ebd.).
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Progressivität Progressiv zu sein bedeutet, mehr zu sein als das, was gestern war und heute ist. Progressivität13 beschreibt ein Attribut, das neben dem Bestehenden Perspektiven einbezieht. Wenn eine Organisation sich durch ein hohes Maß an Progressivität auszeichnet, ist sie zeitgemäß und fortschrittlich aufgestellt. Eine Organisation, die nicht lernt, kann auch nicht progressiv sein. Denn in der Gegenwart bestehen zu können und für die Zukunft gewappnet zu sein bedeutet zwangsläufig, sich bestimmten Lernprozessen zu stellen. Insofern ist Progressivität zugleich Voraussetzung und Folge von organisationalem Lernen. Voraussetzung ist Progressivität dann, wenn eine Organisation eine aktive Auseinandersetzung mit ihren Potenzialen und Zielen betreibt. Die konkrete Form hierfür liegt in der Erarbeitung und Kultivierung eines Leitbilds für die Organisation, das in diesem Sinne erarbeitet, formuliert, angewendet und beobachtet werden muss. Ein Leitbild ist eine Art Idee im Sinne einer Maxime, durch die eine zukunftsweisende Vorstellung von einer Organisation gezeichnet wird. Leitbilder gelten als „wesentliche Determinante“ für organisationales Lernen und werden unter Einbeziehung verschiedener Organisationsmitglieder formuliert (vgl. Krebsbach-Gnath 1996: 52 ff.; Dierkes/Albach 1998: 29). Ausgehend von einer Ist-Analyse des Zustandes der Organisation, einschließlich ihrer Schwächen, Stärken und Chancen, vermittelt ein Leitbild eine Soll-Vorstellung der realen und visionär langfristig angelegten Ziele (vgl. ebd.). Es enthält zudem Informationen zur Organisationskultur, beispielsweise zu den gelebten Werten und Fragen der Integration (Wir-Gefühl) (vgl. König 2009: 58). Indem eine Organisation unter Anführung einer Begründung formuliert, wie sie sich in der Zukunft sieht, legitimiert sie sich gegenüber ihrer Umwelt. Organisationales Lernen fängt im Moment der Ist-Analyse im Rahmen der Leitbildentwicklung an und mündet in der steten Überprüfung der hier festgelegten Ziele und damit in der Wachsamkeit gegenüber dem organisationalen Handeln.
|| 13 Progressivität wird als Begriff in einschlägigen Fachwörterbüchern aus den Bereichen Soziologie, Politikwissenschaften und Ökonomie nicht definiert. Im Englischen findet sich der verwandte Begriff „Progressivism“. Er wird an dieser Stelle im oben beschriebenen Sinne verwendet und lehnt sich an das Adjektiv „progressiv“ an, das für „fortschrittlich“ und „sich entwickelnd“ steht.
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2.3 Von der Dritten-Sektor-Organisation zur zivilgesellschaftlichen Organisation 2.3.1 Einstieg in die Dritte-Sektor-Forschung und Defintion Dritte-SektorOrganisationen Das Erkenntnisinteresse der Dritte-Sektor-Forschung richtet sich auf die Makro-, Meso- und Mikroebene. Auf der Makroebene steht die Gesamtheit der entsprechenden Organisationen mit ihrer Bereichs- und Funktionslogik als eigenständiger Sektor im Mittelpunkt des Interesses. Hingegen werden auf der Mesoebene vor allem die einzelnen Organisationen mit ihren unterschiedlichen Strukturen und Leistungen in ihren Tätigkeitsfeldern betrachtet. Auf der Mikroebene steht das zivilgesellschaftliche Engagement der Bürgerinnen und Bürger im Fokus, die in Bezug auf die Dimensionen Mitgliedschaft, Engagement und Spendenverhalten untersucht werden. Es sind insbesondere die Disziplinen Soziologie, Ökonomie und Politikwissenschaften, die sich mit der Thematik auf unterschiedliche Weise beschäftigen. Dadurch, dass sich verschiedene Disziplinen der Nonprofit-Organisationen angenommen haben, gilt die Nonprofit-Forschung in Deutschland als multidisziplinär (vgl. Wex 2004: 16). Die Soziologie beschäftigt sich mit Fragen zur gesellschaftlichen Situation des Dritten Sektors und des zivilgesellschaftlichen Engagements, die Politikwissenschaft betrachtet die Organisationen als Akteure im Policy-Prozess, und die Ökonomie, beispielsweise die Betriebswirtschaftslehre, richtet ihre Analysen auf das Management der Organisationen (vgl. Priller 2007: 104). Im Rückblick lagen die Schwerpunkte der Arbeiten der Dritte-Sektor-Forschung auf der Makro- und Mesoebene. Obgleich das Engagement durch seine organisationsstrukturelle Verankerung immer ein Teilaspekt der Dritte-Sektor-Forschung war, wurde ihm erst in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit zuteil. Dritte-SektorOrganisationen werden dabei vordergründig als Infrastruktur für ein freiwilliges Engagement gesehen (vgl. Alscher et al. 2009: 64 ff.). Allgemein wird eine eher defizitäre Forschungssituation im Bereich des Dritten Sektors konstatiert, die im Fehlen einer fundierten empirischen Basis ihren Ausgang nimmt (vgl. Priller 2007: 103 f.). Als hierfür verantwortlich werden in erster Linie die wenig ausgeprägte Institutionalisierung der Dritte-Sektor-Forschung in der deutschen Wissenschaftslandschaft, fehlende finanzielle Ressourcen und ein eingeschränktes staatliches Interesse am Bereich ausgemacht (vgl. ebd.). Allein für die Vereinsforschung hält der erste Engagementbericht fest: „[…] die Quellenlage [ist] mit Bezug auf eine systematische Erfassung von Vereinslandschaften im gesamten Bundesgebiet nach wie vor unzureichend“ (Deutscher Bundestag 2012: 110). Einen Schritt, die Datenlage im Bereich des Dritten Sektors zu verbessern bzw. auszubauen, stellt der ZiviZ-Survey dar (vgl. Krimmer/Priemer 2013). Der Organisationssurvey ist als eine zu wiederholende Querschnittsbefragung unter Dritte-SektorOrganisationen konzipiert und nimmt verschiedene Inhalte in sich auf. Neben Fragen
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zum Engagement werden allgemeine Informationen zur Organisationsstruktur und zu den personellen sowie finanziellen Ressourcen bereitgestellt. Die Informationen lassen sich nach Tätigkeitsbereichen aus der Perspektive von Vereinen, Stiftungen, gemeinnützigen GmbHs und Genossenschaften aufbereiten. Eine einmalige Befragung von Dritte-Sektor-Organisationen erfolgte auch mit der Untersuchung „Organisationen heute – zwischen eigenen Ansprüche und ökonomischen Herausforderungen“, die sich inhaltlich auf drei Bereiche konzentrierte (vgl. Priller et al. 2013). Im Einzelnen handelt es sich dabei um die Themen „strukturelle Situation und Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung von Ökonomisierungsprozessen“, „Situation und Perspektiven der Beschäftigungsverhältnisse“ und „Engagement und Jugend“ (vgl. ebd.). Die Studie erarbeitete sowohl ein rechtsformübergreifendes als auch ein rechtsformspezifisches Bild zur themenspezifischen Lage von Dritte-SektorOrganisationen. Der Begriff „Dritter Sektor“ geht auf Amitai Etzioni (1973) zurück. Er führte ihn in den 1970er Jahren als einen Bereich von Organisationen mit spezifischen, durch Mitbestimmungsmöglichkeiten geprägten Organisationsstrukturen ein. Dieser Bereich wurde durch seine Organisationen, die durch die spezielle Handlungslogik und den Funktionsmechanismus „Solidarität“14 (vgl. Zimmer/Priller 2007: 16) gekennzeichnet sind, neben die Bereiche Markt, Staat und Familie gestellt (vgl. Priller 2007: 101). Die Handlungslogiken der anderen Bereiche sind „Tausch“ bzw. „Wettbewerb“ (Markt), „Hierarchie“ bzw. „Gesetzmäßigkeit“ (Staat) und Loyalität (Familie) (vgl. u.a. Gmür 2014:7; ebd.). Das international Johns Hopkins Projekt15 (JHP) formulierte daraufhin
|| 14 Neben „Solidarität“ werden auch die Attribute „Sinn“, d.h. sozialer Sinn, Gemeinsinn und Eigensinn (vgl. Zimmer/Priller 2007: 16), Altruismus oder Freiwilligkeit (vgl. Priller 2007: 101) eingesetzt. 15 Das Johns Hopkins Projekt (The Comparative Nonprofit Sector Project) bestimmt im Rahmen des internationalen Vergleichs auf nationaler Ebene die Größe, Struktur und Finanzierung des Sektors. Es analysiert auch dessen gesellschaftliche Bedeutung im jeweiligen nationalen Kontext. Für Deutschland wurden umfangreiche Projektergebnisse zu den Berichtszeitpunkten 1990 und 1995 vorgelegt (vgl. Anheier et al. 1997; Zimmer/Priller 2007: 29 f.; Priller/Zimmer 2001: 12 ff.). Für die Berichterstattung sind unterschiedliche Datenquellen, vorrangig aus der amtlichen Statistik, aber auch eigene Erhebungen genutzt worden (vgl. Zimmer/Priller 2007: 37). Das Johns Hopkins Projekt (The Comparative Nonprofit Sector Project) erfasst den Dritten Sektor inzwischen in mehr als 45 Ländern (vgl. http://ccss.jhu.edu/research-projects/comparative-nonprofit-sector; Zugriff 24.10.2016). Das Projekt wird vom Center for Civil Society Studies der Johns Hopkins University in Baltimore (USA) koordiniert. Es startete 1990 mit einer Gruppe von sieben Industrie- und fünf Entwicklungsländern. In der zweiten Phase (1995–1999) waren Länder aus Nord- und Südamerika sowie aus West- und Osteuropa stark vertreten. Lücken, die es noch in Afrika und Asien gab, konnten in den letzten Jahren durch weitere Länderberichte geschlossen werden. Die deutsche Teilstudie des Projekts war in der ersten Phase an der Universität Konstanz und in der zweiten Phase am Wissenschaftszentrum Berlin und am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster angesiedelt. Ziel des Projekts ist der Aufbau einer statistischen Dauerbeobachtung des Dritten Sektors, im Rahmen derer die Eingliederung des Sektors in die nationalen Statistiksysteme erfolgen soll. Die hierfür erforderliche Methodik
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einen umfassenden Definitionsansatz zur Bestimmung des Sektors und zur Klassifikation von Dritte-Sektor-Organisationen16, mit dem noch heute gearbeitet wird. Das Projekt trug wesentlich dazu bei, dass der Dritte-Sektor-Begriff im wissenschaftlichen Sprachgebrauch präsenter wurde und sich mittlerweile zu einer feststehenden Kategorie entwickelt hat. Dem Projektansatz folgend handelt es sich bei Dritte-Sektor-Organisationen um Organisationen, die – formal strukturiert, – organisatorisch unabhängig vom Staat, – nicht gewinnorientiert, – eigenständig verwaltet sowie – zu einem gewissen Grad von freiwilligen Beiträgen getragen werden und keine Zwangsverbände sind (vgl. Anheier et al. 1997: 15). Organisationen, die diesen Kriterien genügen, kommen in Deutschland vor allem in den Rechtsformen Verein bzw. Verband, Stiftung oder gemeinnützige gGmbH und zum Teil in Form der Genossenschaften17 vor18. Daneben können gemeinnützige AGs oder die Rechtsform der gemeinnützigen UG von ihrer Anlage her als Dritte-Sektor-
|| wurde in Zusammenarbeit mit der Statistikabteilung der Vereinen Nationen als „Handbook on Nonprofit Institutions in the System of National Accounts“ erarbeitet (vgl. United Nations 2003). Das Handbuch enthält eine Anleitung für den Aufbau eines nationalen Informationssystems zum Dritten Sektor. In einer Reihe von Ländern (in Europa sind es u.a. Belgien, Italien und Frankreich) wird dieser Ansatz bereits angewendet. In Deutschland wurde der Ansatz von dem Projekt „Zivilgesellschaft in Zahlen“ aufgenommen und teilweise in der finalen Umsetzung unabhängig von der nationalen Statistik umgesetzt (vgl. Krimmer/Priemer 2013). 16 Synonym für den Begriff Dritte-Sektor-Organisation wird in der Literatur oftmals auch der Begriff Nonprofit-Organisationen verwendet (vgl. u.a. Simsa/Zimmer 2014: 11 ff.). Die Definitionsmerkmale sind zumeist identisch (vgl. Meyer/Simsa 2013: 8). In der vorliegenden Arbeit werden vorwiegend die Begriffe Dritte-Sektor-Organisation oder später zivilgesellschaftliche Organisation verwendet. 17 Trotz der alle Genossenschaften einheitlich verbindenden Prinzipien – Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung – und des für alle geltenden gesetzlichen Rahmens sind sie in ihrem Erscheinungsbild sehr heterogen (vgl. Alscher 2008: 7 ff.). Eine traditionelle Produktivgenossenschaft kann nicht zwangsläufig mit einer Wohnungsbaugenossenschaft verglichen werden, da in ersterer individuelle Zwecke und in letzterer der gemeinschaftliche Zweck „Wohnen“ verfolgt wird. Zudem sind sie von ihrer Struktur her oftmals zwischen den Bereichen Markt und Zivilgesellschaft angesiedelt. Beide Aspekte erschwerten bisher eine klare Einordnung der Rechtsform in den Dritten Sektor. 18 Eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Rechtsformen im Hinblick auf Struktur und Aufbau wird im vorliegenden Abschnitt nicht gegeben. An den entsprechenden Stellen finden sich jedoch Hinweise zu bestimmten und wichtigen Unterschieden. Zudem erfolgt im Abschnitt 2.3.4 eine vertiefende Darstellung der Rechtsform Verein als Beispiel. Die Wahl des Vereins ist ebenso empirisch begründet, da dieser im empirischen Teil der Arbeit verstärkt in die Analyse einbezogen wird.
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Organisationen gelten. In der Summe bilden diese Organisationen den Dritten Sektor, der sich über unterschiedliche Tätigkeitsfelder erstreckt. Die Methodik, die für die Realisierung der Erfassung und statistischen Abbildung des Dritten Sektors entwickelt wurde, definierte mit der International Classification of Nonprofit Organizations (ICNPO) zwölf Tätigkeitsfelder und eine Kategorie „Sonstiges“ als Restgröße, mit denen der Bereich beschrieben wird (vgl. United Nations 2003). Hierzu zählen die Felder: Kultur und Erholung; Bürger- und Verbraucherinteressen, Rechtswesen, Politik; Bildungswesen und Forschung; Stiftungswesen, Spendenwesen und Ehrenamtlichkeit; Gesundheitswesen; Internationale Aktivitäten; Soziale Dienste; Wirtschafts- und Berufsverbände, Gewerkschaften; Umwelt- und Naturschutz; Religion; Wohnungswesen, Gemeinwesenarbeit; Internationale Aktivitäten; Entwicklung; Sonstiges. Mittlerweile sind in Anlehnung an die JHP-Einteilung (vgl. Krimmer/Priemer 2013) und unabhängig davon (vgl. Gensicke/Geiss 2010) weitere Tätigkeitsklassifikationen entwickelt worden, wobei zwischen den Varianten deutliche inhaltliche Überschneidungen vorliegen. Im Vergleich zur Weiterentwicklung der Tätigkeitsfelder sind Modifikationen beim Verständnis von Dritte-Sektor-Organisationen kaum vorgenommen worden. Eine Überlegung hierzu erfolgt im Abschnitt zur Begriffsentwicklung und -definition von „zivilgesellschaftlichen Organisationen“. Damit sind auch Veränderungen bei der JHP-Tätigkeitsklassifikation verbunden. Bestimmte Felder können dann nicht mehr, so wie dargestellt, aufrechterhalten werden. 19 Das Johns Hopkins Projekt sah mit seiner Methodik vor, zu den in der Klassifikation aufgeführten Bereichen umfangreiche Daten zu den Dritte-Sektor-Organisationen zu erheben. In dem internationalen Vergleichsprojekt einigte man sich hierfür auf die folgenden empirischen Erfassungsmerkmale: Anzahl der Organisationen, Anzahl der Beschäftigten bzw. Arbeitszeitaufwand (Haupt- und Ehrenamtlichkeit) in den Organisationen, Finanzvolumen der Organisationen (Einnahmen und Ausgaben), Anteil verschiedener Finanzierungsquellen am Finanzvolumen, Aktivitäten (Leistungen, Ergebnisse und Kapazitäten) der Organisationen und Tätigkeitsfelder der Organisationen. Mit Kapazitäten sind z.B. Betten in Krankenhäusern oder die Anzahl an Kindergartenplätzen gemeint. Unter Leistungen wird beispielsweise das Sportangebot in den Sportvereinen erfasst. Unter Ergebnissen wurden u.a. die Bettenbelegung in den Krankenhäusern und betreute Kinder in den Kindergärten quantifiziert.
|| 19 Der Bereich Wirtschafts- und Berufsverbände sowie Gewerkschaften im JHP-Ansatz muss z.B. für die später folgende Definition zivilgesellschaftlicher Organisationen aufgelöst werden. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände werden häufig als nichtrechtsfähige Vereine geführt, die in der später vorliegenden Definition einer eigenen Kategorie zivilgesellschaftlicher Organisationen zugerechnet werden.
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Das Forschungsinteresse war in erster Linie auf die quantitative Erfassung des Dritten Sektors gerichtet, den darauf bezogenen internationalen Vergleich und die Ermittlung der wirtschaftlichen Bedeutung des Sektors auf nationaler Ebene (vgl. Anheier et al. 2000: 78). Durch die Bestimmung der Bedeutung des Sektors soll vor allem der Stellenwert im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ermittelt werden. Dazu wurden die Organisationen primär als Dienstleister mit dem Fokus auf ihrem Beschäftigungspotenzial sowie ihrer Einnahmen- und Ausgabenstruktur betrachtet (vgl. Anheier 1997: 33 ff.). Bereits Amitai Etzioni (1973) hatte die Dienstleisterperspektive in besonderem Maße eingenommen. Er sah Dritte-Sektor-Organisationen vor allem in ihrer Rolle als Leistungsproduzent für öffentliche Güter. Das forschungsspezifische Erkenntnisinteresse lässt also an dieser Stelle eine starke wirtschaftliche Ausrichtung erkennen. Durch diese ist das Verständnis von Dritte-Sektor-Organisationen teilweise bis heute in einem besonderen Maße geprägt. Dabei ist zu beachten, dass die Dienstleistungsorientierung insbesondere von Organisationen im sozialen Bereich auf einer historisch gewachsenen Abhängigkeit vom Staat beruht (vgl. Zimmer/Priller 2007: 45). Die gegenwärtige Beziehung zwischen Drittem Sektor und Staat in Deutschland geht auf das 19. Jahrhundert zurück. In diese Zeit fällt die Etablierung des Subsidiaritätsprinzips, d.h. die Vorrangstellung kleinerer vor größeren organisatorischen Einheiten bei spezifischen, meist sozial gelagerten individuellen und gesellschaftlichen Bedarfen (vgl. ebd.). Die großen Sozialverbände wurden auf diesem Weg als besondere Regierungspartner in das politische System integriert und zur Etablierung einer „assoziativen Demokratie“ genutzt (vgl. Streeck 1999). Durch die enge Beziehung zwischen Sozialstaat und Drittem Sektor leistete Letzterer einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Wohlfahrtsproduktion und schaffte gleichzeitig Räume für zivilgesellschaftliches Engagement. Inzwischen zeigen sich jedoch zunehmend die Kehrseiten dieser engen Verbindung. So wird kritisiert, dass bei abnehmenden öffentlichen Ressourcen für den Sektor und gleichzeitig wachsenden gesellschaftlichen Bedürfnissen erforderliche Innovationen blockiert werden. Die Selbstausbeutung im Sektor wird zunehmend gefördert, die Qualität der Leistungen gefährdet, soziale Problemlagen werden verstetigt statt aufgelöst und Partizipationspotenziale gegen organisationale Wettbewerbstaktiken eingetauscht (vgl. Bode 2014: 83 ff.). Bei dieser allgemein gehaltenen Argumentation gilt es zu beachten, dass die Organisationen des Dritten Sektors gemäß der Logik des Johns Hopkins Projekts in ganz verschiedenen Bereichen tätig sind und sich in Größe und Struktur stark unterscheiden. Dieser Umstand legt die Unmöglichkeit einer Pauschalisierung von Dritte-Sektor-Organisationen in Bezug auf die Verbindung zwischen Staat und Drittem Sektor nahe. Große Sozialverbände sind nicht ohne Weiteres mit kleinen Kulturvereinen zu vergleichen. Es wird deshalb auch von der Zweiteilung des Sektors in einen lebensweltlichen und einen dienstleistungsorientierten Part gesprochen (vgl. Zimmer/Priller 2007: 45). Dritte-Sektor-Organisationen mit wirtschaftlicher Ausrichtung und einem oftmals daran gekoppelten Beitrag
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zur Wohlfahrtsproduktion stehen neben den mehr auf Beteiligung ausgerichteten Dritte-Sektor-Organisationen, die beispielsweise freizeit- und umweltorientierte Inhalte präsentieren. Das statistische Bild des Dritten Sektors in Deutschland in der Tradition des Johns Hopkins Projekts beinhaltet folgende Angaben: Für das Jahr 2011 geht man von rund 615.000 Dritte-Sektor-Organisationen in Deutschland aus (vgl. Priller et al. 2013: 12)20. Der überwiegende Teil der sich darunter subsumierenden Organisationen tritt als Verein auf (ca. 580.000), gefolgt von Stiftungen (ca. 18.000), gemeinnützigen GmbHs (ca. 9.000) und Genossenschaften (ca. 8.00021). Zieht man für frühere Jahre Vergleichsdaten heran, wird die Expansion des Bereichs gemessen an der Organisationsanzahl deutlich. So gab es Mitte der 1990er Jahre nur 416.000 Vereine (1996) und 385 Stiftungen (1995) (vgl. Zimmer et al. 2013: 24 f.). Ein weiterer wesentlicher Indikator zur Bestimmung der Größe des Dritten Sektors liegt in den vorhandenen Arbeitsplätzen. Insgesamt waren in den Organisationen im Jahr 1995 rund 2,1 Millionen und 2007 rund 2,3 Millionen Beschäftigte tätig (vgl. ebd.: 23). Damit werden annähernd 9 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in Deutschland durch den Dritten Sektor gestellt (vgl. Rosenski 2012: 214). Zählt man die nicht sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hinzu, erhöht sich die Anzahl der Beschäftigten insgesamt noch einmal um ca. 300.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen (vgl. ebd.). Neben den Beschäftigten sind die Mitglieder und die Engagierten wichtige Personengruppen im Dritten Sektor. Nach Angaben der Organisationen sind bei 86 Prozent Engagierte vorhanden (vgl. Priller et al. 2013: 22)22. Die deutliche Mehrheit, also drei Viertel der zivilgesellschaftlichen Organisationen, ist ohne bezahltes Personal und ausschließlich mit freiwillig Engagierten tätig (vgl. Krimmer/Priemer 2013: 38). Vor allem Vereine arbeiten mehrheitlich nur mit freiwillig Engagierten (vgl. ebd.: 41). Zudem sind in vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die mit Hauptamtlichen zusammenarbeiten, gleichzeitig Engagierte tätig (vgl. ebd.: 38).
|| 20 Zu ähnlichen Ergebnissen kommen andere Erhebungen wie der ZiviZ-Survey 2012, in dem 616.154 Dritte-Sektor-Organisationen ausgewiesen werden (vgl. Krimmer/Priemer 2013: 82). Die etwas höhere Anzahl zieht leichte Anteilsverschiebungen unter den dazugehörigen Rechtsformen nach sich. 21 Diese Angabe zu den Genossenschaften bildet ihre Gesamtzahl in Deutschland ab. Aus methodischen Gründen ist es bisher nicht gelungen, die tatsächliche Anzahl jener Genossenschaften zu bestimmen, die entsprechend den JHP-Kriterien als Dritte-Sektor-Organisationen gelten können. Eine Ursache hierfür liegt in der rechtlichen Aufhebung der Gemeinnützigkeit für Wohnungsbaugenossenschaften zu Beginn der 1990er Jahre. Noch heute agieren viele der damals offiziell anerkannten gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaften unter dem entsprechenden Label, ohne dass dies durch eine offizielle Kennzeichnung deutlich wird. Solche Doppeldeutigkeiten erschweren ihre Zuordnung zum Dritten Sektor. 22 Der ZiviZ-Survey 2012 beziffert den Anteil an Dritte-Sektor-Organisationen mit Engagierten mit 97 Prozent etwas höher (vgl. Krimmer/Priller 2012: 38).
Von der Dritten-Sektor-Organisation zur zivilgesellschaftlichen Organisation | 59
Die Eigenschaft der Organisationen, freiwillige Beiträge, also zivilgesellschaftliches Engagement, zu bündeln bzw. zu generieren, wird auch aus der individuellen Perspektive bestätigt. Laut Freiwilligensurvey 2014 haben die Organisationen für das Engagement einen außerordentlich bedeutsamen Stellenwert. Insgesamt erfolgen 65 Prozent des Engagements in Vereinen, Verbänden und religiösen Vereinigungen (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 523)23. Hinzu kommt das Engagement in Stiftungen, Gewerkschaften, gGmbHs und Genossenschaften. Dritte-Sektor-Organisationen sind folglich eine bedeutsame Infrastruktur für das Engagement. Dabei lassen sich erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsformen ausmachen. In erster Linie binden Vereine, in einem etwas geringeren Umfang aber auch Genossenschaften und Stiftungen Engagierte ein. Die gGmbH gehört traditionell nicht zu den engagementnahen Rechtsformen, was in ihrem strukturellen Aufbau begründet liegt. Die rechtlich verbindlichen Organe einer (g)GmbH sind die Gesellschafter bzw. die Generalversammlung, die Geschäftsführung und je nach Größe ein Aufsichtsrat (vgl. Nowotny 2013: 196). Eine (g)GmbH gründet sich durch eine Gesellschafterin bzw. einen Gesellschafter oder durch Gesellschafterinnen bzw. mehrere Gesellschafter. Die wesentlichen Entscheidungen werden von den Gesellschafterinnen und Gesellschaftern getragen, wodurch die (g)GmbH in ihrer Form eher einem Unternehmen gleicht und man deshalb nicht unbedingt von einem demokratischen Aufbau sprechen kann. Dessen ungeachtet sind, wie empirische Untersuchungen zeigen, auch in den gGmbHs zu einem hohen Anteil Engagierte zu finden. Sie sind vor allem in den rechtlich geforderten Strukturen in verschiedenen Leitungs- und in Aufsichtsgremien tätig (vgl. Priller et al. 2013: 22). Insgesamt ist das Engagement eine zentrale Ressource der Dritte-Sektor-Organisationen. Ohne Engagement wären viele von ihnen nicht überlebensfähig. Der hohe Anteil an Organisationen, in denen Engagierte vorkommen, deutet bereits darauf hin, dass es sich hierbei um ein breit gestreutes Phänomen handelt. Engagierte sind dabei nicht nur in allen Rechtsformen der Dritte-Sektor-Organisationen, sondern fast in jedem ihrer Tätigkeitsfelder zu finden. Die meisten Dritte-Sektor-Organisationen lassen sich hinsichtlich ihrer Tätigkeit in den Bereichen Sport, Kultur/Medien, Bildung/Erziehung, Soziale Dienste sowie Freizeit/Geselligkeit verorten (vgl. Krimmer/Priemer 2013: 21). Eine eher kleine Gruppe ist in den Feldern Bürger-/ Verbraucherinteressen, Internationale Solidarität und Gemeinschaftliche Versorgungsaufgaben tätig. Obgleich sich die Engagierten || 23 Eine mögliche Erklärung für die voneinander abweichenden Anteile beim Organisationsbezug des Engagements (Organisations- vs. Individualperspektive) ist der Ausschluss der Rechtsformen Genossenschaften und gGmbH im Freiwilligensurvey 2014. Sie werden nicht differenziert als Organisationstyp für ein freiwilliges Engagement betrachtet. Würde man das sich hier realisierende Engagement (vgl. Alscher 2008; Priller et al. 2013) hinzurechnen, ist zu vermuten, dass der Anteil des Engagements, das sich in Dritte-Sektor-Organisationen bzw. zivilgesellschaftlichen Organisationen realisiert, auch bei einer Individualbefragung ansteigen würde.
60 | Zivilgesellschaft, Organisationen und Engagement
nicht auf einige ausgewählte Tätigkeitsbereiche konzentrieren, werden die Bereiche Sport, Freizeit/Geselligkeit, Kultur/Medien, Umwelt sowie der Bevölkerungs- und Katastrophenschutz als engagementreiche Felder identifiziert (vgl. ebd.: 38 ff.). Als besonders beschäftigungsintensiv gelten hingegen die sozialstaatsnahen und damit durch entsprechende Finanzierungsquellen gekennzeichneten Bereiche Soziale Dienste, das Gesundheitswesen und Bildung/Erziehung. Im Jahr 2007 waren laut Analysen mit dem Unternehmensregister 42 Prozent der Beschäftigten im Dritten Sektor im Sozial- und 20 Prozent im Gesundheitswesen tätig (vgl. Zimmer et al. 2013: 28). In Abhängigkeit vom Ausmaß ihrer Dienstleistungsorientierung, ihrem Engagementpotenzial und der bei ihnen vorhandenen Beschäftigungsintensität setzen Dritte-Sektor-Organisationen unterschiedliche Schwerpunkte bei ihren Funktionen, wobei ihnen allgemein eine Multifunktionalität nachgesagt wird.
2.3.2 Funktionen von Dritte-Sektor-Organisationen Wie bereits aufgezeigt wurde, begegnet man den Dritte-Sektor-Organisationen in unterschiedlichen Bereichen. Mit ihren sehr mannigfaltigen Leistungen sind die Organisationen in ihrer Gesamtheit unentbehrlich für das Funktionieren der Gesellschaft. Etzioni (1973) zufolge sind durch Dritte-Sektor-Organisationen wichtige Beiträge zur umfassenden Lösung gesellschaftlicher Probleme möglich, die so durch die Sektoren Markt und Staat nicht bereitgestellt werden. Giddens (1999) setzte auf das gesellschaftliche Reformpotenzial der Organisationen, und Ulrich Beck (1997) spricht ihnen die Fähigkeit zur Lösung potenzieller Beschäftigungskrisen zu. Damit werden hohe Ansprüche an die Bedeutung von Dritte-Sektor-Organisationen formuliert. Mit zunehmender empirischer Relevanz des Dritten Sektors entwickelte sich ein breiter makrosoziologischer Diskurs zu seinen wesentlichen gesellschaftlichen Funktionen, die häufig auch von individueller Relevanz sind (vgl. Giddens 1999; Anheier et al. 2000; Dahrendorf 2000; Birkhölzer et al. 2004; Zimmer/Priller 2007; Simsa 2013). Anknüpfend an die von Etzioni positiv hervorgehobene allgemein problemlösende Bedeutung werden dem Dritten Sektor mehrere Funktionen zugeschrieben, die als beschäftigungswirksam, dienstleistungsorientiert, sozialintegrativ, innovativ, vermittelnd und demokratiefördernd eingeordnet werden. Ein Überblick über eine Auswahl verschiedener in der Literatur verwendeter Funktionskonzepte wurde von Neumayr und Schneider (2008) erstellt. In Anlehnung an die Autoren lassen sich die Konzepte wie in Tabelle 2.6 dargestellt systematisieren und ergänzen. Den Konzepten ist gemeinsam, dass alle das Wirkungsfeld der Dienstleistungen als gesellschaftliche Funktion von Dritte-Sektor-Organisationen benennen. Bezüglich keiner anderen Funktion besteht ein solches Einvernehmen, was sicherlich mit dem starken Einfluss der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung in diesem Bereich zusammenhängt.
Von der Dritten-Sektor-Organisation zur zivilgesellschaftlichen Organisation | 61
Tab. 2.6: Literaturbasierte Funktionskonzepte von Dritte-Sektor-Organisationen Autoren
Kramer 1981
RoseAckerman/ James 1986
Salamon et al. 2000
Land 2001
Frumkin Kendall 2002 2003
Zimmer/ Neumayr Priller et al. 2007 2007
Dienstleistung
x
x
x
x
x
x
x
x
Wertvermittlung und -erhaltung
x
x
x
x
x
x
x
x
x
Funktionen
Philanthropie/ Wohltätigkeit
x
Interessenbün- x delung und vertretung
x
Integration Innovation Gemeinschaftsbildung Soziales Unternehmertum
x x
x x
x x
x
x
x
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Neumayr/Schneider (2008: 400).
Gemessen an den Nennungen wird allerdings auch den Funktionen Wertevermittlung und -erhaltung, Interessenbündelung und -vertretung sowie Gemeinschaftsbildung eine nicht unwesentliche Bedeutung zugeschrieben. Interessenbündelung und -artikulation ist auch für Habermas eine zentrale Funktion der Organisationen, der sie als freiwillige Vereinigungen bzw. als Seismografen gesellschaftlicher Problemlagen fasst (vgl. Habermas 1994: 443 f.). Sie nehmen die Belange auf und „beantworten“ sie über den Mechanismus der selbst organisierten Interessenvertretung (vgl. ebd.). In diesen Kontext fällt die Betonung der Fähigkeit zur Politikgestaltung der Dritte-Sektor-Organisationen (vgl. Anheier et al. 2000: 77). Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen ermöglichen demnach die Weiterentwicklung von Demokratie, offenbaren Partizipationsmöglichkeiten, gewährleisten Vielfalt und die Einbindung der Bevölkerung in den aktuellen politischen Diskurs (vgl. ebd.: 71 ff.). Eine solche demokratiepolitische Färbung wird auch bei R. Putnam (1993) deutlich. Putnam greift die These der demokratieförderlichen Bedeutung zivilgesellschaftlicher
62 | Zivilgesellschaft, Organisationen und Engagement
Organisationen in seinem Werk „Making Democracy Work“ auf und entwickelt in seinen Analysen das Konzept des Sozialen Kapitals. Soziales Kapital wird insbesondere in zivilgesellschaftlichen Organisationen über Mitgliedschaften und Engagement erzeugt, die eine Art Keimfunktion für geteilte Werte, Normen und verbindendes Vertrauen haben. Dieser Output verweist auf die demokratische Leistungsfähigkeit und ökonomische Effizienz einer Gesellschaft. Trotz der partiellen Übereinstimmung weichen die Funktionskonzepte insgesamt deutlich voneinander ab. Zudem ist ihre empirische Relevanz oftmals nicht mit Daten belegt (vgl. Neumayr/Schneider 2008: 398 ff.). Dennoch gibt es empirische Hinweise dafür, dass Dritte-Sektor-Organisationen gleichzeitig mehrere Funktionen, wie Dienstleistung, Interessenvermittlung und Gemeinschaftsbildung, miteinander vereinbaren können (vgl. ebd.: 414). Es sind also nicht ausschließlich wirtschaftliche Leistungen, die von ihnen erbracht werden, sondern auch solche, die eine soziale und politische Komponente aufweisen. Laut Zimmer/Priller (2007: 20 ff.) ist dieser Funktionsmix als Multifunktionalität zu bezeichnen. Die Organisationen sind durch diese Multifunktionalität sowohl für staatliche, wirtschaftliche und private Akteure interessant. Der Staat setzt über die Organisationen politische Programme um und legitimiert sie auf diese Weise. Der Markt profitiert von den Organisationen, weil es ihm über eine Kooperation mit ihnen möglich ist, spezifische unternehmerische Ziele zu verfolgen. Hierzu zählt z.B. die Verbesserung des Ansehens des Unternehmens in der Öffentlichkeit oder die Erhöhung seiner Standortattraktivität (vgl. Deutscher Bundestag 2012: 260). Unternehmen erreichen dies u.a. damit, dass sie an Dritte-SektorOrganisationen spenden (Corporate Giving) oder Zeit und Kompetenzen von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Organisation zur Verfügung stellen (Corporate Volunteering) (vgl. ebd.: 348). Für den einzelnen Bürger sind die Dritte-Sektor-Organisationen Arbeitgeber und in einem hohen Maße Orte der Gemeinschaft, des Austauschs, der individuellen Weiterentwicklung und der Interessenbündelung und -artikulation (vgl. Zimmer/Priller 2007: 21 f.). Es ist dennoch die Dimension der eigenen sowie gemeinschaftlichen Selbstverwirklichung und des gemeinsamen Opponierens, die bei der Begriffsverwendung „Dritte-Sektor-Organisation“ gegenüber der Dienstleistungsfunktion nachrangig betrachtet wird. Obwohl diese auf die Einbeziehung der Individuen gerichtete Funktion in verschiedenen Konzepten vorkommt, findet sie in der Literatur kaum eine entsprechende Beschreibung. Insofern stellt sich die Frage, ob der Begriff „Dritte-Sektor-Organisation“ mit einem wirtschaftlichen Charakterzug überlastet wird. Um die damit entstehende Lücke zu den anderen Funktionen zu schließen, soll bei der Herleitung des Begriffs „zivilgesellschaftliche Organisation“ verstärkt an den sozial-partizipativen Charakterzug der Organisationen angeknüpft werden.
Von der Dritten-Sektor-Organisation zur zivilgesellschaftlichen Organisation | 63
2.3.3 Zivilgesellschaftliche Organisationen: Herleitung und Definition Herleitung Zivilgesellschaft und Dritter Sektor bzw. Dritte-Sektor-Organisation treten als Begriffspaar in der dazugehörigen Literatur in unterschiedlichen Formationen auf. Im ersten Kapitel wurde als Hintergrund für dieses Zusammenspiel das bereichsbezogene Verständnis von Zivilgesellschaft dargelegt. Im Weiteren ist die Rede von „der Gesellschaft in Form der organisierten Zivilgesellschaft des Dritten Sektors“ (Zimmer/Priller 2007: 218) oder von dem Dritten Sektor als „zivilgesellschaftliche Infrastruktur“ (vgl. Anheier et al. 2000: 73), auch von „zivilgesellschaftlichen Organisationen“ (vgl. Priller 2006) bzw. der Gleichstellung von Begriffen wie Dritter Sektor, zivilgesellschaftliche Organisationen und zivilgesellschaftliche Infrastruktur (vgl. Priller 2007: 98). Die Abgrenzung zwischen dem Dritten Sektor und der Zivilgesellschaft fällt in der vorgestellten Semantik eher vage bzw. unscharf aus, obgleich beide Konzepte – wie bereits gezeigt – verschiedenen Wissenschaftstraditionen folgen. Zu beobachten ist eine Verwendung des Begriffs zivilgesellschaftliche Organisationen ohne nähere Bestimmung, aber unter paralleler Nutzung anderer Organisationsbegriffe wie Nonprofit-Organisation. Dieses Phänomen wird als „babylonische Sprachverwirrung“ bezeichnet, die sich durch die Suche nach einer Konstanten bei gleichzeitig stattfindender Vielfalt und Dynamik auszeichnet (vgl. Simsa/Zimmer 2014: 20). Das stete Bemühen um eine einheitliche Bezeichnung für die Organisationen sieht sich stets mit der Herausforderung der Heterogenität der Organisationslandschaft konfrontiert. Neben den stark formalen Organisationen existieren zivilgesellschaftliche Aktionen wie Proteste oder Blogs, die nicht dem klassisch formalen Organisationsansatz entsprechen. Diese Situation legt die Entwicklung und Festlegung einer eher breiten Kategorie „zivilgesellschaftliche Organisation“ nahe. Die vorliegende Arbeit geht von einem Verständnis von zivilgesellschaftlichen Organisationen als Infrastruktur für ein Engagement allgemein und speziell für junge Menschen aus. Damit liegt der Akzent weniger auf der Dienstleistungsfunktion der Organisationen, wie es für Dritte-Sektor-Organisationen oftmals proklamiert wird, sondern es werden die partizipativen Momente stärker akzentuiert. Diese sind bei Fragen des Zusammenwirkens von jungen Engagierten und den Organisationen von besonderem Interesse, denn die Einbindung junger Menschen in die Organisationen ist nicht nur aus demografischen, sondern vor allem aus demokratiepolitischen Gesichtspunkten von Bedeutung. Die auf Beteiligung ausgelegte Eigenschaft der Organisationen in ihrem Eigennamen („zivilgesellschaftliche Organisationen“) stärker zu betonen stellt demnach einen eindeutigen Verweis auf den zivilgesellschaftlichen Charakter dar. Dabei werden zwei Ziele verfolgt: Zum einen soll die Verantwortung der Organisation, für alle Gesellschaftsgruppen Beteiligungsangebote zu machen, herausgestellt werden. Zum anderen ist das eher enge, auf Dienstleistung fokussierte Verständnis von Dritte-Sektor-Organisationen aufzubrechen. Dies dient ihrer stärke-
64 | Zivilgesellschaft, Organisationen und Engagement
ren Abgrenzung von Marktteilnehmern und eröffnet gleichzeitig die Möglichkeit, weitere zivilgesellschaftliche Phänomene miteinzubeziehen. Es werden also die eher gemeinschaftlichen Charakterzüge, im Sinne eines solidarischen und kooperativ-interessenverbundenen Zusammenwirkens, der Organisationen betont. Sie stellen einen Gegenpart zu der in den letzten Jahren gesellschaftlich forcierten und wissenschaftlich fokussierten Wirtschaftlichkeit der Organisationen dar (vgl. Simsa/Zimmer 2014: 33 f.). Definition Im folgenden Abschnitt wird der Versuch unternommen, zivilgesellschaftliche Organisationen zu definieren. Dies erfolgt einerseits vor dem Hintergrund der Einbeziehung eines Verständnisses von Dritte-Sektor-Organisationen und andererseits unter Berücksichtigung weiterer bereichsbezogener zivilgesellschaftlicher Perspektiven. Die Ausgangsfrage lautet: Über welche grundlegenden Eigenschaften verfügen zivilgesellschaftliche Organisationen, um bestimmen zu können, was das Zivilgesellschaftliche an Dritte-Sektor-Organisationen ist. Kann man diese pauschal als zivilgesellschaftliche Organisationen bezeichnen? Welche anderen freiwilligen Vereinigungen sind als zivilgesellschaftliche Organisationen zu fassen? Für die Beantwortung dieser Fragen wird unter Berücksichtigung des Konzepts Zivilgesellschaft und einzelner Merkmalsausprägungen von Dritte-Sektor-Organisationen auf die zivilgesellschaftlichen Dimensionen der Organisationen eingegangen. Im Anschluss daran wird ein Definitionsvorschlag für Dritte-Sektor-Organisationen als zivilgesellschaftliche Organisationen vorgelegt, der im Rahmen der vorliegenden Untersuchung maßgebend ist und im empirischen Teil zur Anwendung kommt. Unter Beachtung anderer freiwilliger Zusammenschlüsse wird dieser überprüft und im Hinblick auf weitere Personenzusammenschlüsse modifiziert und erweitert. Auf diesem Weg wird ein umfassendes Verständnis von zivilgesellschaftlichen Organisationen erarbeitet. Die Ergebnisse werden am Ende in einem Schaubild dargestellt. Zu Beginn der Arbeit wurde die Zivilgesellschaft als ein Gesellschaftskonzept besprochen, das sich in einem bereichs- und handlungslogischen Verständnis interpretieren lässt. Beide Interpretationszugänge bieten inhaltliche Anknüpfungspunkte für die Begriffsentwicklung „zivilgesellschaftliche Organisationen“. Die bereichslogische Bestimmung von Zivilgesellschaft bildet aufgrund der Sektorcharakteristik eine Art Areal, in dem Organisationen zivilgesellschaftlich werden. Anders ausgedrückt, lassen sie sich als zivilgesellschaftlich bezeichnen, weil sie die Zivilgesellschaft als Bereich beschreiben bzw. darstellen. So wie ein Unternehmen (z.B. GmbH) dem Bereich der Wirtschaft zugeordnet wird und damit ein Wirtschaftsunternehmen ist, sind Vereine und andere Zusammenschlüsse zivilgesellschaftliche Organisationen, weil sie der Zivilgesellschaft zugeordnet werden. Das Handlungskonzept von Zivilgesellschaft versteht Zivilgesellschaft als ein Handeln, dass u.a. partizipativ und im öffentlichen Raum erfolgt, also auf Beteiligung ausgerichtet ist, Verantwortungsübernahme sowie Mitsprache einschließt und auf
Von der Dritten-Sektor-Organisation zur zivilgesellschaftlichen Organisation | 65
das Gemeinwohl ausgerichtet ist. Sofern ein solches Handeln in Vereinen und anderen selbstorganisierten Zusammenschlüssen stattfindet (vgl. Gosewinkel et al. 2004: 11 f.), werden die Organisationen durch die entsprechenden Orientierungen zu zivilgesellschaftlichen Akteuren. Diese Handlungsart findet sich in Dritte-Sektor-Organisationen durch die ihnen eigene Freiwilligkeit wieder. Laut dem JHP-Definitionsansatz ist Freiwilligkeit kennzeichnend für die Organisationen. Dem Ansatz folgend handelt es sich um Zusammenschlüsse, die durch freiwillige Mitgliedschaft sowie freiwilliges Engagement und damit durch ein Mindestmaß an freiwilligen, das heißt primär uneigennützig erbrachten Leistungen getragen werden.24 Im Unterschied dazu sind zwar auch Unternehmen freiwillige Personenzusammenschlüsse bzw. Organisationen, es wird jedoch davon ausgegangen, dass die Beteiligung an ihnen einen ökonomischen Zwang voraussetzt, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen (vgl. Horch 1992: 43). Wie Anheier et al. (2000: 75 f.) herausarbeiten, wird das Moment der Freiwilligkeit von unterschiedlichen theoretischen Ansätzen dazu genutzt, Dritte-Sektor-Organisationen als institutionellen Kern der Zivilgesellschaft zu sehen. Freiwilligkeit oder zivilgesellschaftliches Engagement avanciert somit zum Nexus zwischen dem zivilgesellschaftlichen Diskurs und dem Dritte-Sektor-Ansatz (vgl. ebd. 2000: 75). Dritte-Sektor-Organisationen sind also über ihr Merkmal der Freiwilligkeit zivilgesellschaftlich. An die Freiwilligkeit sind weitere zivilgesellschaftliche Eigenschaften gebunden, denn ein freiwilliges Engagement impliziert Selbstbestimmung im Sinne der Interessenbündelung sowie -vertretung. So führt Zimmer (2014: 168 ff.) unter Bezugnahme auf Crouch (2011: 215 ff.) aus, dass diese Art der Selbstbestimmung eine Wertorientierung aufweist, in der die zivilgesellschaftliche Komponente von Dritte-Sektor-Organisationen liegt. Es ist die auf Solidarität und Reziprozität25 ausgerichtete Handlungsorientierung im organisationseigenen Engagement, die das zivilgesellschaftliche Potenzial der Organisationen ausmacht (vgl. ebd.). Der Bedeutung der Selbstbestimmung für den zivilgesellschaftlichen Charakterzug von Dritte-Sektor-Organisationen folgen Simsa und Zimmer (2014: 12), indem sie herausarbeiten, dass diese „insofern zivilgesellschaftliche Organisationen [sind], als sie Möglichkeiten der Partizipation, Beteiligung und Selbstorganisation eröffnen“. Selbstorganisation meint gleichsam Interessenbündelung und -artikulation. Mittels eines freiwilligen, nicht profitorientierten Engagements werden bestimmte Interessen über Dritte-Sektor-Organisationen vertreten. Selbstorganisation bzw. Engagement wird also Mittel und Ressource zur organisationsbezogenen Interessenbündelung und -artikulation. Diese Art der Interessenvertretung macht Zivilgesellschaft aus
|| 24 Eine nähere Definition von Freiwilligkeit bzw. freiwilligem und zivilgesellschaftlichem Engagement erfolgt im Abschnitt 2.4. 25 Reziprozität meint ein vordergründig uneigennütziges Geben und Nehmen (vgl. Zimmer 2014: 170).
66 | Zivilgesellschaft, Organisationen und Engagement
(vgl. Kocka 2002, 2003). Insofern sind Dritte-Sektor-Organisationen auch durch diese Funktion zivilgesellschaftliche Akteure. Die grundlegenden zivilgesellschaftlichen Dimensionen der betrachteten Organisationen sind also Freiwilligkeit, eine auf Solidarität und Reziprozität gerichtete Selbstbestimmung sowie selbstorganisierte Interessenbündelung und -vertretung. Dritte-Sektor-Organisationen sind demnach dann als zivilgesellschaftlich zu charakterisieren, wenn sie über diese Eigenschaften verfügen. Laut Simsa (2013) trifft dies jedoch nicht auf alle Dritte-Sektor-Organisationen zu; eine pauschale Einordnung von Dritte-Sektor-Organisationen als zivilgesellschaftliche Organisationen ist ihr zufolge nicht möglich. In einer sehr breiten Deutung der Bereichsbezogenheit von Zivilgesellschaft legt sie (2013: 127) die Zivilgesellschaft fest auf alle Akteure und Operationen, die weder Markt noch Staat sind, die politische Prozesse und soziale Lebensbedingungen gestalten und kollektiv erfolgen. Simsa zählt dabei nur solche DritteSektor-Organisationen zur Zivilgesellschaft, die Advocacy, also Interessenvertretung betreiben (z.B. freiwillige Vereine), nicht jedoch solche, die ausschließlich an einer Leistungserbringung orientiert sind (ebd.: 128). Dieser Ansatz wählt also die Ausprägung der leistungsbezogenen Wirtschaftlichkeit der Organisation als Entscheidungskriterium dafür, ob eine Organisation zivilgesellschaftlich ist oder nicht. Damit werden die Funktionen der Dienstleistungserbringung und der Interessenartikulation in Konkurrenz zueinander gestellt. Es erhebt sich allerdings die Frage, ob sich DritteSektor-Organisationen überhaupt als reine Dienstleistungsorganisationen identifizieren lassen. So werden selbst die in Bezug auf ihre reduzierte Missionsorientierung hinterfragten großen Sozialverbände als „zivilgesellschaftliche Randerscheinung“ (Bode 2006: 269) oder „unreine“ Phänomene (Heins 2002: 80) bezeichnet. Ihre Ausrichtung auf das Allgemeinwohl, ihr Engagementpotenzial und ihre Interessenorientierung wurden ihnen bisher jedoch nie vollständig abgesprochen. Fast man die vorangegangenen Ausführungen zusammen, ergeben sich folgende Bestimmungsmerkmale, die eine Dritte-Sektor-Organisation als zivilgesellschaftliche Organisation erfüllen muss: – formal strukturiert, – organisatorisch unabhängig vom Staat, – nicht gewinnorientiert, – eigenständig verwaltet, – zu einem gewissen Grad von freiwilligen Beiträgen getragen, keine Zwangsverbände, – durch eine wertgebundene, auf Solidarität Reziprozität beruhende Selbstbestimmung gekennzeichnet, – selbstorganisierte Interessenbündelung und –vertretung ermöglichend. Bei der Klassifizierung einer Dritten-Sektor-Organisation als zivilgesellschaftliche Organisation sind jedoch Differenzierungen zu berücksichtigen. Die damit angespro-
Von der Dritten-Sektor-Organisation zur zivilgesellschaftlichen Organisation | 67
chenen Variationen betreffen zum einen die Form des Zusammenspiels der Handlungslogiken, die für die einzelnen gesellschaftlichen Teilbereiche typisch sind (z.B. Markt –Wettbewerb oder Dritter Sektor – Solidarität) und in Dritte-Sektor-Organisationen unterschiedlich kombiniert werden. Zum anderen sind die jeweiligen Abweichungen auf Unterschiede in der formalen Struktur der einzelnen Rechtsformen zurückzuführen. Sofern eine Dritte-Sektor-Organisation verschiedene Handlungslogiken vereint, resultiert daraus laut Gmür (2014) ein spezifischer zivilgesellschaftlicher Mix. Dieser spezifische Mix führt dazu, dass Dritte-Sektor-Organisationen mehr oder weniger stark zivilgesellschaftliche Organisationen sind. Dem folgend gibt es staatsnahe, marktnahe, clanartige und voluntaristische Dritte-Sektor-Organisationen. Im Sinne von Gmür (2014) sind es die voluntaristischen Organisationen, deren zivilgesellschaftlicher Charakterzug am deutlichsten ausgeprägt ist, weil sich ihr Innenleben über den Einsatz zahlreicher Engagierter erhält. In der Realität sind in der Regel Mischformen dieser Typen zu finden, die sich in ihrem zivilgesellschaftlichen Mix stets verändern können (vgl. ebd.: 10 ff.). Am Beispiel der Wohlfahrtsverbände und ihren Einrichtungen lässt sich ein solcher zivilgesellschaftlicher Mix gut veranschaulichen. Aufgrund ihrer schrittweisen Einbindung in den Wohlfahrts- und Sozialstaat sind die Organisationen zunehmend zu Dienstleistungsorganisationen geworden (vgl. Zimmer 2014: 172). Sie gelten deshalb sowohl als staats- als auch als marktnah und darüber hinaus als voluntaristisch. Ihre Nähe zum Staat erklärt sich durch ihre Abhängigkeit von öffentlichen Geldern. Dadurch entstehen gegenüber dem Staat Rechenschaftsverpflichtungen, die dazu führen, dass bestimmte interne Prozesse standardisiert bzw. formalisiert werden. Eine Nähe zum Markt besteht insofern, als die Wohlfahrtsverbände und ihre Einrichtungen im Wettbewerb mit im Sozial- und Gesundheitsbereich tätigen Unternehmen stehen und derzeit nur über eine Anpassung an deren Prinzipien bestehen können. Es sind insbesondere die engen Beziehungen zum Staat und die damit verbundene finanzielle Abhängigkeit wie auch die über die Nähe zum Markt angestoßene Verbetriebswirtschaftlichung, die zu einer Vernachlässigung der zivilgesellschaftlichen Funktionen von Dritte-Sektor-Organisationen führen (vgl. Reiser 2010). Beachtet man die formale Anlage, d.h. die Rechtsformspezifika von Dritte-SektorOrganisationen, in Bezug auf ihre zivilgesellschaftliche Ausrichtung, werden ebenfalls diverse Ausprägungen deutlich. Dies lässt sich kurz anhand der Merkmale Selbstbestimmung (6) und Interessenbündelung und -vertretung (7) veranschaulichen. Selbstbestimmung kann von einem Gruppenkontext ausgehen oder von wenigen Einzelnen. In letzterem Fall erfolgt die Selbstbestimmung weniger basisdemokratisch, da die strukturelle Rückbindung z.B. an eine Mitgliederversammlung fehlt. Aus dieser Perspektive lässt sich zwischen eher gruppenbezogenen interessenorientierten und eher mäzenatenorientierten zivilgesellschaftlichen Organisationen unter-
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scheiden. Zu den mäzenatenorientierten zivilgesellschaftlichen Organisationen zählen Stiftungen und gGmbHs. Eine gruppenbezogene Interessenorientierung ist demgegenüber bei zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Vereinen bzw. Verbänden und Genossenschaften auszumachen. Weiter oben wurde ausgeführt, dass eine gGmbH durch nur eine Gesellschafterin bzw. einen Gesellschafter gegründet werden kann. Auch bei Stiftungen ist eine Interessenbündelung keine Gründungsvoraussetzung. Abgesehen von Bürgerstiftungen entstehen Stiftungen durch die Schenkung eines Stifters bzw. einer Stifterin oder einiger weniger Stiftungspersönlichkeiten (vgl. Nowotny 2013: 199 f.). Sowohl Interessenbündelung als auch Selbstbestimmung können also bei beiden Rechtsformen durch einen sozialen Einzelakt vor dem Hintergrund gemeinschaftlicher bzw. gesellschaftlicher Interessenlagen ersetzt werden. Es ist jedoch relativierend anzumerken: Stiftungen verfügen in der Regel über einen Vorstand, häufig auch über einen Beirat bzw. ein Kuratorium oder einen Stiftungsrat. Diese Organe stehen zwar nicht für Interessenbündelung, lassen aber ein bestimmtes Ausmaß an Interessenausgleich unter den Akteuren und im Sinne ihrer Gemeinnützigkeit auch eine Interessenbündelung und -vertretung vermuten. Die gGmbHs verfügen ebenfalls über bestimmte demokratische Organe und Gremien, die zu einem gewissen innerorganisatorischen Interessenausgleich beitragen können. Hinzu kommt, dass es sich bei den gGmbHs um Ausgründungen handeln kann, die z.B. von Verbänden und Vereinen vorgenommen wurden. Ziel der Vereine ist es dann, bestimmte Aufgaben und Leistungen über die Einheit einer gGmbH effizienter abwickeln zu können. Daraus ergibt sich wiederum eine enge organisatorische Kopplung, so dass die gGmbHs teilweise abhängig von den Strukturen und Entscheidungen ihrer Gründungsmütter und -väter sind. Konkret bedeutet dies beispielsweise, dass der Vorstand eines Vereins der Vorstand einer gGmbH sein kann oder in deren Aufsichtsrat einen Platz einnimmt. Interessenbündelung und -vertretung und Selbstbestimmung haben also mit der Gründung eines Vereins X stattgefunden und mittlerweile zu neuen, von ihm gleichsam abhängigen Strukturen geführt. Sie erfolgen demnach in einer Art den Strukturen der gGmbH vorgelagertem Prozess. Diese Ausführungen lassen erkennen, dass Dritte-Sektor-Organisationen nicht unterschiedslos zivilgesellschaftlich sind. Vielmehr sind in Bezug auf die zivilgesellschaftlichen Merkmale graduelle Varianzen auszumachen. Eine umfassende empirische Analyse, inwiefern Dritte-Sektor-Organisationen durch die beschriebenen Merkmale als zivilgesellschaftliche Organisationen anzusehen sind, ist derzeit nicht auszumachen. Ein Hinweis hierfür ist jedoch den Ergebnissen der in den Jahren 2011/2012 durchgeführten Organisationserhebung des WZB zu entnehmen: Sie kommt zu dem Schluss, dass in 97 Prozent der Vereine, 76 Prozent der Stiftungen, 56 Prozent der gGmbHs und 78 Prozent der betrachteten Genossenschaften Engagierte vorhanden sind. Ein jeweils hoher Anteil der Vereine (89 %), der Stiftungen (75 %), der gGmbHs (40 %) und der Genossenschaften (84 %) vertritt dabei die Position, dass ehrenamtlich Engagierte die Existenz der Organisation sichern (vgl. Priller et al. 2013:
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22). Gmür (2014: 9) führt wiederum aus, dass jede Dritte-Sektor-Organisation einen zivilgesellschaftlichen Kern hat, sofern sie durch zivilgesellschaftliches Engagement bzw. Freiwilligkeit getragen wird. Die Freiwilligkeit stellt so gesehen einen sehr wichtigen zivilgesellschaftlichen Charakterzug der Organisationen und anderer Zusammenschlüsse dar. Denn über sie lassen sich in der Regel auch die für zivilgesellschaftliche Organisationen typischen Merkmale 6 und 7, wie oben dargestellt, realisieren. Etwas komplizierter verhält es sich in der umgekehrten Richtung – also der Frage danach, ob jede zivilgesellschaftliche Organisation zugleich eine Dritte-Sektor-Organisation ist. Es ist derzeit nicht festgelegt, welche weiteren Organisationen neben den Dritte-Sektor-Organisationen einen zivilgesellschaftlichen Charakter haben. Um dies zu beantworten, ist eine Systematik erforderlich, die solche Aktivitäten identifizieren kann, auf die nicht zwangsläufig sämtliche Definitionskriterien für Dritte-Sektor-Organisationen zutreffen, die aber dennoch zivilgesellschaftlich sind. Hierfür ist es notwendig, ein Minimum an erforderlichen Merkmalen zur Bestimmung weiterer zivilgesellschaftlicher Organisationen herzuleiten. Geht man vom Verständnis einer Dritte-Sektor-Organisation als zivilgesellschaftliche Organisation aus, fällt auf, dass es nur ein Merkmal gibt, auf das man bei einer Definition zivilgesellschaftlicher Organisationen ohne Dritten-Sektor-Bezug verzichten kann. Dabei handelt es sich um die Eigenschaft der formalen Struktur. Die Anforderung, eine Dritte-Sektor-Organisation müsse eine formale Struktur haben, hat verschiedene Ursachen. Erstens werden durch einen spezifischen formalen Aufbau bestimmte Mitwirkungsrechte oder auch das Vorhandensein eines Mindestmaßes an Freiwilligkeit garantiert. Die Mitgliederversammlung oder der ehrenamtliche Vorstand im Verein sind hierfür typische Beispiele. Zweitens geht mit einer formalen Struktur der Status einer Körperschaft privaten Rechts und somit die Anerkennung als juristische Person einher. Für viele Leistungen, die Dritte-Sektor-Organisationen erbringen, ist dieser formale Status unabdingbar. Er stellt eine Quelle für finanzielle Ressourcen und bestimmte Rechte, aber auch Pflichten dar und ermöglicht es in vielen Fällen überhaupt erst, Angebote zu machen. Hat man als Personenzusammenschluss nicht den Status einer juristischen Person (z.B. Verein in Gründung), ist es schwieriger, bestimmte arbeitsrelevante Tauschbeziehungen einzugehen. Konkret kann sich dies auf die Notwendigkeit zur Anmietung von Arbeitsräumen beziehen. Entsprechende Mietverträge können auf Seiten der Mieter das Vorhandensein einer juristischen Person als Tauschpartner erfordern. Dies hängt mit Haftungs- und Abrechnungsfragen zusammen, die sich auf beiden Seiten ergeben. Räume sind wiederum notwendig, um überhaupt bestimmte Leistungen anbieten und spezielle Aktivitäten durchführen zu können. Eine formale Struktur bzw. der Status einer juristischen Person ist auch in analytisch-empirischer Hinsicht zentral. Eine quantitative Bestimmung des Dritten Sektors und die Berechnung seiner wirtschaftlichen Bedeutung im Hinblick auf Arbeitsplatzvolumen und Bruttowertschöpfung erfordern die Verfügbarkeit statistischer Kenn-
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zahlen. Diese sind vorhanden, solange die Organisation einen rechtlich formalen Status hat und dadurch in einem bestimmten Register erfasst ist. Die Vorgabe für eine formale Struktur einer Dritte-Sektor-Organisation steht aber in keinem direkten Zusammenhang mit dem Ausmaß an zivilgesellschaftlicher Qualität. Sie ist eher einem forschungspragmatischen Ansatz entlehnt, mit dem Organisationen leichter erfasst und davon ausgehend analysiert werden können. Alle anderen zuvor aufgeführten zivilgesellschaftlichen Merkmale sind für sämtliche Typen zivilgesellschaftlicher Organisationen maßgebend. Um als eine solche gelten zu können, dürfen sie demnach weder dem Markt (3) nach dem Staat (2) angehören. Die Unabhängigkeit vom Staat und die fehlende Profitorientierung sind damit von zentraler Bedeutung. Um eine darüber hinausgehende Fremdbestimmung auszuschließen, sollten sie auch stets eigenständig verwaltet sein (4). Andernfalls ist die demokratietheoretisch bedeutsame Interessenbündelung und -vertretung nicht gesichert. Die Ermöglichung von Interessenbündelung und -vertretung ist demnach ebenfalls eine konstitutive Eigenschaft. Da diese Interessen jedoch erst über die Freiwilligkeit (5) und ein darüber hinausgehendes wertgebundenes Handeln aktiviert werden, gehören auch ein Mindestmaß an zivilgesellschaftlichem Engagement und eine auf Solidarität und Reziprozität basierende Form der Selbstbestimmung (6) zu den entscheidenden Kriterien zur Bestimmung einer zivilgesellschaftlichen Organisation. Ausschlaggebend für die Qualifizierung als zivilgesellschaftliche Organisation sind demnach maximal sieben und mindestens sechs Definitionsmerkmale. Für ein besseres Verständnis von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die nicht als Dritte-Sektor-Organisationen gelten, ist u.a. auf Ergebnisse der Bewegungs- und Protestforschung (vgl. u.a. Sachße 2003; Rucht/Roth 2008) , auf nichtrechtsfähige Organisationen (vgl. Zimmer 2007) und diverse derzeit nicht eindeutig bestimmbare Zusammenschlüsse zu verweisen. Um die unterschiedlichen Typen zivilgesellschaftlicher Organisationen zu veranschaulichen, ist der Bereich Zivilgesellschaft in der Darstellung eines Kreises denkbar, der sich über unterschiedliche Organisationssektoren/-bereiche definiert. Die drei identifizierten Sektoren/Bereiche lassen sich grafisch als Kreise darstellen, wobei ihre Überschneidungen auf vorhandene Unschärfen hinweisen, die eine strikte Trennung erschweren. Diese Schnittmengen sind jedoch praktisch weniger relevant, da sie häufig auf theoretisch-konzeptionellen Begründungen der jeweiligen Forschungsgebiete basieren. Die starke Heterogenität, die die zivilgesellschaftlich organisierte Infrastruktur aufgrund ihres gesellschaftlichen Auftrags mit sich bringt, führt auch dazu, dass ein Rest verbleibt, der in der Abbildung als „Sonstige“ bezeichnet ist. Er wird nicht in einem eigenen Kreis dargestellt, sondern durch die Freiräume im Bereich Zivilgesellschaft beschrieben. Die Größe der Kreise ist dabei rein fiktiv (vgl. Abbildung 2.4).
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Abb. 2.4: Die organisierte Infrastruktur der Zivilgesellschaft: Zivilgesellschaftliche Organisation Quelle: eigene Darstellung.
Der Kreis „Dritter Sektor“ schließt alle Organisationen ein, die den zuvor aufgeführten Definitionsmerkmalen dieser Organisationen entsprechen und zusätzlich durch die erarbeiteten zivilgesellschaftlichen Merkmale gekennzeichnet sind. Das Spektrum ist demnach sehr breit. Dritte-Sektor-Organisationen wie die Wohlfahrtsverbände, die als extrem staatsnah gelten, finanziell weitgehend von öffentlichen Geldgebern abhängig sind und durch ihre Einbindung in die gesetzlich festgeschriebenen Leistungskataloge der Sozialgesetzgebung nur eingeschränkt selbstbestimmt agieren, sind ebenso enthalten wie ein frei von diesen Regelungen und Anforderungen tätiger Theaterverein. Diese breite Kategorie zivilgesellschaftlicher Organisationen ist ein Untersuchungsbereich der vorliegenden Arbeit, in der das zivilgesellschaftliche Engagement betrachtet wird. Das bedeutet, dass im empirischen Teil der Arbeit ausschließlich Dritte-Sektor-Organisationen als zivilgesellschaftliche Organisationen bedacht werden. Der Bewegungssektor nimmt jene Einheiten auf, die entweder über keine formale Struktur verfügen oder aber eine Mischung aus formaler und informaler Organisation sein können. Durch den partiellen formalen Bezug ergibt sich die Überschneidung mit den beiden anderen Bereichen. Im Kreis der nicht rechtsfähigen Organisationen sind u.a. politisch und arbeitnehmer- oder arbeitgeberorientierte Zusammenschlüsse
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enthalten. Das Feld „Sonstige“ nimmt organisierte Gruppen auf, die eher informal aufgebaut, dabei aber weder Bewegung noch Protest sind. Sie können keinem der anderen Bereiche zugeordnet werden und bilden eine eigene Kategorie. Ungeachtet dieser konzeptionellen Weiterentwicklung des Verständnisses von zivilgesellschaftlichen Organisationen ist eine weitere Konkretisierung dieser Gruppe erforderlich, die anderen Forschungsarbeiten vorbehalten bleiben muss. Die vorgenommene Bestimmung der zivilgesellschaftlichen Organisationen bleibt vorerst weitgehend theoretisch-konzeptioneller Natur. Sie umfasst eine gesellschaftliche und wissenschaftliche Positionierung, mit der die umfassenden Funktionen und Leistungen der Organisationen hervorgehoben werden. Insofern impliziert die Verwendung des Begriffs zivilgesellschaftliche Organisation ein weiter gehendes Erkenntnisinteresse, als es zumeist bei Dritte-Sektor-Organisationen vorliegt. Entsprechend der der Arbeit zugrunde liegenden Fragestellung fokussiert der Begriff stärker auf die engagementorientierten und partizipatorischen Eigenschaften der Organisationen.
2.3.4 Zivilgesellschaftliche Organisationen am Beispiel des Vereins Bei zivilgesellschaftlichen Organisationen sind wie bei Dritte-Sektor-Organisationen unterschiedliche Rechtsformen zu finden. Das Spektrum reicht von informalen Gruppen, Initiativen und locker organisatorischen Verbindungen über gGmbHs, Stiftungen und Genossenschaften bis zum Verein. Wie bereits ausgeführt wurde, können die vorgestellten Bestimmungsmerkmale für zivilgesellschaftliche Organisationen in unterschiedlicher Intensität vorhanden sein. Geht man von der Idee eines zivilgesellschaftlichen Mix aus, der sich durch die Kombination unterschiedlicher Handlungslogiken in den Organisationen ergibt, existiert kein Prototyp der „zivilgesellschaftlichen Organisation“. Nimmt man hingegen die Organisationsstruktur als Ausgangspunkt zur Bestimmung einer zivilgesellschaftlichen Organisation treffen auf Vereine am ehesten sämtliche zuvor angeführten Definitionsmerkmale zu. Vereine sind, gemessen an ihrer Anzahl, die wohl häufigste Form der zivilgesellschaftlichen Organisation. Aufgrund ihres damit verbundenen prototypischen Charakters und ihrer Bedeutung im Rahmen der später erfolgenden empirischen Analyse soll diese Rechtsform in Bezug auf ihre Entwicklung und Bedeutung und im Hinblick auf ihre speziellen Strukturmerkmale dargestellt werden. Eine nähere Betrachtung des Vereins bietet sich auch an, um im Anschluss daran die besonderen Merkmale von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Bezug auf die theoretischen Erkenntnisse der Organisationsforschung allgemein besser einordnen zu können. Gemessen an den Eintragungen in den Vereinsregistern bei den Amtsgerichten gibt es heute mehr Vereine denn je. Soweit es sich zurückverfolgen lässt, ist die Zahl der Vereine in den letzten Jahren deutlich gestiegen: Seit 1960 hat sich ihre Anzahl in Deutschland mehr als versechsfacht und kann heute auf 589.000 beziffert werden
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(Alscher/Priller 2016: 383). Hinzu kommen all jene Zusammenschlüsse, die den formalen Akt der Registrierung noch nicht durchlaufen haben oder nie durchlaufen werden. Sie firmieren nicht selten unter der Bezeichnung „Verein in Gründung“ oder „nicht eingetragener Verein“, sind jedoch insgesamt einem Graubereich zuzuordnen. Mit der enormen Zunahme der Vereine gehen auch Veränderungen hinsichtlich ihrer Aktivitätsräume einher. Zuletzt haben Kultur- und Umweltvereine einen besonderen Zuspruch erfahren. Organisationen im Bereich Freizeit sowie Beruf/Wirtschaft und Politik sind im Vergleich weniger häufig ins Leben gerufen worden (vgl. ebd.: 351). Nach Tätigkeitsbereichen aufgeschlüsselt sind Vereine insbesondere in den Bereichen Freizeit, Soziales, Beruf/Wirtschaft/Politik und Sport aktiv (Happes 2011: 5). Quantitativ weniger bedeutsame Tätigkeitsfelder von Vereinen sind die Bereiche Umwelt/Natur und Kultur (vgl. ebd.). Ein ideell ausgerichteter Verein, so wie er hier als zivilgesellschaftliche Organisation betrachtet werden soll, ist zunächst eine freiwillige Vereinigung von sieben Personen (später Mitglieder) mit dem Ziel der nicht rein ökonomisch motivierten gemeinschaftlichen Interessenverfolgung (vgl. Horch 1992: 38). Die Mitglieder und ihr gemeinsames Interessen bilden das Herzstück eines jeden Vereins, das sich in Form der Mitgliederversammlung institutionalisiert. Die Mitglieder sind im Sinne der interessenorientierten Freiwilligkeit der Ursprung für die zivilgesellschaftliche Seite von Vereinen. Um die Rechtsfähigkeit zu erlangen, müssen die Mitglieder eine Satzung erstellen, in der u.a. der Vereinszweck (Ziel), die Rechte und Pflichten der Mitglieder, die Vorstandswahlen, die Höhe des Mitgliedsbeitrages und der Vorstandsvorsitzende des Vereins festgelegt werden (vgl. Novotny 2013: 189 f.). Der Vorstand ist in der Regel ehrenamtlich, d.h. freiwillig und unentgeltlich tätig. Entspricht der Zweck der Tätigkeit des Vereins den Vorgaben des Gemeinnützigkeitsstatus, die in der Abgabenordnung festgelegt sind, kann sich der damit als ideell geltende Verein bei notarieller Bestätigung und Prüfung durch das Finanzamt im entsprechenden Register eintragen lassen. Er wird dann offiziell als eigene Rechtspersönlichkeit geführt. Vereine sind offene Gebilde, das heißt, sie ermöglichen den steten Ein- und Austritt von Personen bzw. Mitgliedern. Gemäß dem Mitgliederbestand sind sie deshalb in ihrer Größe sehr wandelbar. Von seinem Aufbau her gilt der Verein als demokratisch organisiert. Dies spiegelt sich in den spezifischen Organen des Vereins wider. Hierzu zählen die Mitgliederversammlung, der Vorstand und bei größeren Vereinen auch eine Geschäftsführung. Die Mitgliederversammlung entscheidet über die Ausrichtung des Vereins, seine Aktivitäten, die Satzung und den Vorstand (vgl. Nowotny 2013: 191). Sie ist damit das auf Selbstbestimmung basierende zentrale Organ eines Vereins. Der Vorstand vertritt den Verein rechtsgeschäftlich nach außen und hat darüber hinaus die Möglichkeit zur internen Geschäftsführung (vgl. Zimmer 2007: 26). Letztere obliegt jedoch im Wesentlichen dem Geschäftsführer oder der Geschäftsführerin. Darüber hinaus existieren keine vorgeschriebenen Leitungs- oder Kontrollorgane. Auch Verbände sind in der Regel als Vereine organisiert. Als Dachorganisationen vertreten sie die Interessen ihrer Mitgliedsorganisationen gegenüber
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der Politik sowie in der Gesellschaft und übernehmen und koordinieren verschiedene Aufgaben für diese. Zusammengefasst vertreten Vereine von der Struktur her keine Einzelinteressen und funktionieren stets durch die unentgeltliche Mitwirkung ihrer Mitglieder und Engagierten, über die an sie gebundenen Gremien und den rechtsformimmanenten und ehrenamtlich tätigen Vorstand. Laut Zimmer ist deshalb das Prinzip der Reziprozität, d.h. ein vordergründig uneigennütziges Geben und Nehmen, unter Mitgliedern und Engagierten eine Art oberstes Gebot in einem Idealverein (vgl. Zimmer 2014: 170). Insgesamt resultieren daraus stärker basisdemokratisch ausgerichtete Strukturen. Demnach liegt ein anderes, eher durch Mitbestimmung geprägtes Hierarchieverständnis vor. Die Institution Verein blickt auf eine lange Entwicklungsgeschichte zurück. Ihre Einordnung als zivilgesellschaftliche Organisation stellt einen Markierungspunkt dar, dessen Ursprung sich bis in die vorindustrielle Phase zurückverfolgen lässt (vgl. Zimmer 2007: 45 ff.). In dieser Zeit spricht man von vereinsähnlichen Erscheinungsformen im Sinne einer freiwilligen gesellschaftlichen Gruppenbildung (vgl. ebd.). Beispielhaft hierfür sind die im 17. Jahrhundert prominenten Sprachgesellschaften oder die im 18. Jahrhundert entstandenen patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaften, die im Wesentlichen von Adligen und dem gehobenen Bürgertum ins Leben gerufen wurden (Dülmen 1996: 20 ff.). Die einen wollten die deutsche Sprache und ein tugendhaftes Verhalten stärken, die anderen hatten als Partner des absolutistischen Staates einen gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch in Bereichen wie Wirtschaft und Landwirtschaft (ebd.). Ab Mitte des 19. Jahrhunderts führten die veränderten sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen zu einer neuen Vereinsdynamik (Zimmer 2007: 51 ff.). Angestoßen von der Paulskirchenverfassung aus dem Jahre 1848, in der die Vereins- und Versammlungsfreiheit erstmals rechtlich anerkannt wurde, erfolgte im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 die Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und ideellen Vereinen (vgl. Hueber 1984). Diese offizielle und formale Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und nichtökonomischen Vereinen kann als Geburtsstunde des heutigen Vereins als zivilgesellschaftliche Organisation gesehen werden. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden Vereine in ganz unterschiedlichen Bereichen mit ideeller oder auch gemeinnütziger Ausrichtung. Hierzu zählen neben klassenbewussten Arbeitervereinen in den Bereichen Konsum und Turnen u.a. Heimatvereine, Kunst- und Kulturvereine sowie karitative Vereine. Letztere sind als Vorgänger der heutigen Wohlfahrtsverbände zu betrachten. Sie versuchten, die damals problematischen Seiten der Industrialisierung und fortschreitenden Urbanisierung aufzufangen (vgl. Zimmer 2007: 65). Insgesamt reichte die Ziel- und Funktionssetzung der entstehenden Vereine von sozialen Ansprüchen über versorgungswirtschaftliche Absichten bis hin zu ideell-elitären Ambitionen (vgl. ebd.:
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52 ff.). Trotz der inhaltlichen und tätigkeitsbezogen voranschreitenden Differenzierung waren auch die Vereine im 19. Jahrhundert ein Produkt der bürgerlichen Mittelschicht (vgl. ebd.). Mit den zahlreichen selbst organisierten und weniger formalisierten Gruppierungen, die seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden, erhielt die deutsche Vereinslandschaft einen neuen Akzent: die gesundheitsorientierte Selbsthilfe, feministische und ökologische Gruppierungen sowie soziokulturelle Zentren und andere Initiativen gelten als „neue Vereine [und] verstanden sich als Ausdruck und zugleich Motor einer Reformära und Sinnbild einer veränderten politischen Kultur, die eine Gegenöffentlichkeit zum Status quo und der vorherrschenden Meinung in Politik und Medienwelt darstellte“ (vgl. Zimmer 2007: 58). Diese alternativen Zusammenschlüsse, die als Teil der sozialen Bewegungen gesehen werden (vgl. Rucht 1997), setzen sich für Formen des Zusammenlebens und Miteinanders ein, die ein Mehr an Partizipation, Natur, Solidarität und Toleranz gegenüber dem vermeintlich Fremden beinhalten. Mittlerweile sind viele von ihnen eingetragene Vereine und fester Teil der organisierten Zivilgesellschaft. Heute, im 21. Jahrhundert, sind Vereine mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert. Ihr Status einer politischen Gegenöffentlichkeit kann deshalb nicht mehr als ein allgemeingültiges Charakteristikum für sie benannt werden. Unterschiedliche gesamtgesellschaftliche Entwicklungen haben sie neuen Zwängen ausgesetzt. Hierzu zählen verstärkte Ökonomisierungstendenzen ebenso wie demografische Veränderungen. Vereine als zivilgesellschaftliche Organisationen bleiben von solchen gesellschaftlichen Veränderungen nicht unberührt. Ihr zivilgesellschaftliches Potenzial wird deshalb mittlerweile vereinzelt hinterfragt. In diesem Zusammenhang wird die Orientierung zivilgesellschaftlicher Organisationen an Werten und Logiken der Wirtschaft angeführt (Simsa/Zimmer 2014: 19/32). Die damit verbundene Ökonomisierung wird als eine die zivilgesellschaftlichen Organisationen betreffende Bedeutungszunahme wirtschaftstypischer Handlungsgrundsätze verstanden (vgl. Dross 2013: 3 ff.; Schimank/Volkmann 2008: 382 ff.; Liebig 2005: 47). Es geht dabei stärker um Effizienz, Wirtschaftlichkeit, Qualität, Transparenz, Innovation, Input-Output-Orientierungen sowie andere Ideen, Prinzipien und Techniken, die von den Organisationen aus dem Bereich der Wirtschaft übernommen werden. Gleichzeitig geraten davon unabhängige Funktionen und Gesetzmäßigkeiten unter einen neuen Rechtfertigungsdruck. Das Vertrauen in das Freiwillige, das Selbstorganisiert-Interessenorientierte, das Solidarisch-Selbstbestimmte wird eingetauscht gegen Kontrollinstrumente aus Bereichen wie dem Qualitätsmanagement oder den Transparenzangeboten. Greiling (2014: 231 ff.) spricht vom Wandel einer Trust-me- zu einer Prove-me-Kultur, der sich seit den 1990er Jahren in einem bereichs- und größenabhängigen Ausmaß unter den Nonprofit-Organisationen vollzieht. Die Folge ist eine zunehmende Professionalisierung der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die ihnen zu einem Mehr an gesamtgesellschaftlicher Anerkennung
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verhilft, gleichzeitig aber auch ihre bürgernahe und engagementfreundliche Ausrichtung in den Hintergrund treten lässt (vgl. ebd.). Dem folgt die Befürchtung einer Verdrängung der zivilgesellschaftlichen Orientierung von Vereinen bei einer gleichzeitigen Unterwanderung durch Vorgaben aus der „Business World“ wie die zur Messbarkeit jeglichen Outputs (vgl. Zimmer 2014: 175). Die Funktionen und Arbeitsweise vieler Vereine haben sich aus dieser Perspektive stark verändert. Ganz allgemein gesprochen konkurrieren zwei Vereinsideen miteinander: Auf der einen Seite steht der demokratisch-partizipative Verein, der einer Zeit entstammt, in der Ökonomisierung und demografischer Wandel noch Fremdwörter waren. Auf der anderen Seite wird der Verein zunehmend als kosten-nutzen-orientiertes Objekt betrachtet, das sich nicht mehr auf ein bedingungsloses und uneigennütziges Engagement der Menschen verlassen kann. Eine demokratischpartizipative Vorstellung eines Vereins ist auf Gemeinschaft und Mitbestimmung ausgerichtet. Demgegenüber beinhaltet eine stärker professionalisierte und nutzenorientierte Auslegung eine Rationalisierung der Vereinsstrukturen mit dem Ziel einer effektiven Leistungserbringung. Beide Dimensionen können in einem Verein aufeinandertreffen, wobei Unterschiede in Intensität und Ausmaß zumindest nach Tätigkeitsbereich und Größe des Vereins mitgedacht werden müssen. Zu diesem Zeitpunkt ist weder in empirischer noch in theoretischer Hinsicht auszumachen, welcher Vereinstyp für das 21. Jahrhundert stehen wird. Die Ökonomisierung von Vereinen und anderen Dritte-Sektor-Organisationen wird jedoch als Trend beschrieben (vgl. Simsa/Zimmer 2014: 19). Es kann also einerseits eine Frage der Zeit sein, bis die Vereine die Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaft so weit inkorporiert haben, dass sich ihre partizipativ-demokratische Komponente nur noch als eine mehrheitlich unbedeutende Restgröße darstellt oder sogar ganz an Bedeutung verliert. Es ist andererseits ebenso denkbar, dass Vereine Wege finden, ihre zivilgesellschaftliche Seite zu verteidigen oder gar auszubauen. Einen Ansatzpunkt hierfür stellt die stärkere Beteiligung junger Engagierter dar, was insbesondere über eine Modifizierung, im Sinne einer Demokratisierung, ihrer Strukturen zu erreichen ist.
2.3.5 Schlussfolgerungen aus der Organisationsforschung für zivilgesellschaftliche Organisationen im Kontext von Jugend Bestimmte Annahmen aus der Organisationsforschung sollten den speziellen Charakterzug von zivilgesellschaftlichen Organisationen berücksichtigen. Dabei gilt es erneut zu beachten, dass zivilgesellschaftliche Organisationen eine sehr heterogene Gruppe sind. Die folgenden Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf mitgliederbasierte zivilgesellschaftliche Organisationen, wozu insbesondere der Verein zählt. Die Mitgliedschaft und das zivilgesellschaftliche Engagement (Freiwilligkeit) als Strukturbesonderheit von Vereinen stehen deshalb im Fokus der Betrachtung. Da-
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mit ändert sich konkret das Ziel-, Struktur- und Ressourcenverständnis der Organisation. Auch sind Fragen des Organisationswandels vor diesem Hintergrund zu diskutieren. Ziele Allgemein sind Ziele für die Motivation und Orientierung der Organisationsmitglieder wichtig. Die Ziele von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die nicht ausschließlich auf rein zweckrationalen Erwägungen beruhen, haben eine besondere Anreizfunktion. Denn die interessenmotivierten freiwilligen Leistungen, d.h. das zivilgesellschaftliche Engagement, basieren hauptsächlich auf den Zielen. Im Unterschied zu Unternehmen gibt es beispielsweise in der Regel keinen zusätzlichen monetären Anreiz. Für die zentrale Fragestellung der vorliegenden Untersuchung bedeutet die prominente Rolle von Organisationszielen, dass bei ihrer Formulierung Jugend mitzudenken ist. Sofern zivilgesellschaftliche Organisationen Ziele vertreten, die für junge Menschen uninteressant oder nicht nachvollziehbar sind, kann es sein, dass diese sich von den Organisationen als Engagierte abwenden. Organisationsstruktur Es gibt spezifische organisationsbezogene Kriterien, die dazu führen, dass die formalen Strukturprinzipien aus der Organisationsforschung nicht zwangsläufig auf sämtliche Organisationstypen übertragbar sind. So treffen die Strukturprinzipien in besonderem Maße auf große Organisationen zu, was bei der Betrachtung kleinerer Einheiten berücksichtigt werden sollte (vgl. Preisendörfer 2008: 73). Dieser Einwand ist in Bezug auf zivilgesellschaftliche Organisationen zu bedenken. Denn gerade bei Vereinen lässt sich nachweisen, dass es sich, ausgehend von der Anzahl der Mitglieder, nicht selten um eher kleine Einheiten handelt. So haben 40 Prozent der Vereine bis zu 50 Mitglieder und im Vergleich dazu nur 9 Prozent mehr als 500 Mitglieder.26 Unabhängig davon ist die Organisationsstruktur zivilgesellschaftlicher Organisationen durch formale und informale Momente gekennzeichnet. Diese spezielle Anlage ist nicht zwangsläufig mit den in der Organisationsforschung diskutierten strukturellen Besonderheiten zu erfassen. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind insgesamt weniger stark formalisiert und standardisiert. In Ergänzung zur Veränderlichkeit der formalen Anlage zivilgesellschaftlicher Organisationen gewinnt die informale Dimension an Gewicht. Die sogenannte Verhaltensstruktur definiert sich deutlich über nicht formalisierte Regeln und Werte, wodurch sich ein eigenes System der organisationalen Zugehörigkeit und Ausgrenzung etabliert.
|| 26 Die Berechnung wurde mit dem Datensatz des Projekts Zivilgesellschaft in Zahlen vorgenommen und nachrichtlich am 26.11.2014 übermittelt.
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Laut Horch (1992: 46) ist die Einbindung eines zivilgesellschaftlichen Engagements eine der zentralen strukturellen Besonderheiten von freiwilligen Vereinigungen bzw. Nonprofit-Organisationen, wodurch die Übertragung des organisationssoziologischen Strukturbegriffs auf diese problematisch ist. Durch die Engagierten stellen sich Fragen zur Arbeitsteilung oder zum Hierarchiegefüge aus einer engagementspezifischen Perspektive. Der Bedarf an Management, Kontrolle, Öffentlichkeitsarbeit oder Rechnungslegung ist gerade bei Nonprofit-Organisationen, in denen ausschließlich Freiwillige tätig sind, deutlich anders, geringer oder gar nicht vorhanden. Horch schlägt deshalb vor, die Organisationsstruktur als einen „Komplex von Handlungsmustern“ zu verstehen. Damit ist sie weniger durch Formalisierung und Dokumentation geprägt (vgl. ebd.). So gesehen sind die Struktureigenheiten von Nonprofit-Organisationen informalerer Natur. Ausgehend von Horchs Ansatz verfügen Nonprofit-Organisationen wie Vereine im Einzelnen über folgende äquivalente Strukturmomente (vgl. ebd.: 46 ff.): – Hierarchie, Koordination und Delegation Selbstbestimmung und Führung – Arbeitsteilung und Standardisierung Personalisierung – Formalisierung Interaktionsverfestigung Die Mischung aus Selbstbestimmung und Führung ist vielleicht das grundlegende Strukturmoment, von dem ausgehend sich auch die anderen beiden strukturellen Besonderheiten erklären lassen. Die freiwillige und nicht vordergründig ökonomisch motivierte Interessenübereinkunft zieht einen mitgliederbasierten Strukturaufbau nach sich. Durch die Basis, das heißt durch die Mitglieder werden zentrale Entscheidungen getroffen, die das Vereinsleben betreffen. Mit dem Vorstand, der von den Mitgliedern eingesetzt wird, gibt es dennoch eine Führung. Selbstbestimmung erfolgt also ganz wesentlich durch die Mitgliederorientierung, die für alle theoretisch die gleichen Beteiligungsmöglichkeiten schafft. Wie ausgeführt ordnen sie sich von ihrer Anlage her deshalb auch dem genossenschaftlich-demokratischen Typus bzw. den Interessenorganisationen zu. Die Personalisierung steht für eine in geringerem Ausmaß differenzierte Zuständigkeitsstruktur in den Organisationen, die durch das Engagement bedingt ist. Sie ist in gewisser Weise Resultat der Selbstbestimmung. Insbesondere die engagierten Mitglieder orientieren sich somit im Umgang miteinander eher an personellen Eigenschaften und Charakterzügen als an vorgegebenen Rollenerwartungen. Wenn eine Person beispielsweise gut reden und verhandeln kann, tritt sie automatisch in den Vordergrund. Es ist dann weniger bedeutsam, ob sie eine bestimmte Betreuungs- oder Organisationsfunktion hat, sie agiert und wirkt mittels ihrer persönlichen Fähigkeiten, die von den anderen akzeptiert werden. In dem Moment, in dem Hierarchie und Arbeitsteilung an Bedeutung verlieren, tritt auch das Merkmal der Formalisierung in den Hintergrund. Ein im Vorfeld rational geplantes und zielorientiertes Regelwerk ist zumeist in Vereinen nicht dominant.
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Anstatt dessen ist das Merkmal der Interaktionsverfestigung für Vereine kennzeichnend. Durch die interessengesteuerte und freiwillige Zusammenkunft ist die Interaktion zunächst eher Ergebnis eines informellen sozialen Prozesses als ein Ergebnis der schriftlichen Fixierung von Vorschriften und Kommunikationsstrukturen. Wer was wie macht, ist verhandelbar und Resultat eines interaktiven Miteinanders. Gilt es vor Ort eine Moderation zu organisieren oder den Sportplatz aufzuräumen werden die Aufgaben von den Personen übernommen, die gerade vor Ort sind, die es selbst so wollen oder die dafür besonders geeignet sind. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind jedoch, wie bereits dargestellt, insgesamt eine sehr heterogene Gruppe. Insofern sind auch ihre Strukturmerkmale nicht einheitlich. Vereine agieren, wie Horch selbst anmerkt, nicht grundsätzlich nur engagementbasiert. Vereine, die im Umfeld der Wohlfahrtsverbände tätig sind, werden in der Regel von ihrem Tätigkeitsbereich her deutlich spezialisierter, standardisierter, formalisierter und zentralisierter sein als z.B. Heimat-, Schützen- oder Zirkusvereine, die zumeist rein über ein zivilgesellschaftliches Engagement funktionieren und von daher weniger formalisiert sind. Zudem ist heute beispielsweise die Qualifizierung von Engagierten und deren „Belohnung“ üblich. Dadurch gewinnen Aspekte der Standardisierung und Formalisierung an Bedeutung. Vereine, die aufgrund des mitgliederbasierten Aufbaus für eine breite organisationsstrukturelle Verankerung des Engagements stehen, können somit zugleich hoch professionell agieren. Ähnliches kann für Stiftungen oder gGmbHs gelten. Die gGmbH, die mit der Rechtsform GmbH verwandt ist und, wie an anderer Stelle ausgeführt, einem Unternehmen gleicht, ist allein wegen ihrer Verpflichtungen im Bereich der Rechnungslegung deutlicher formalisiert und standardisiert (vgl. Nowotny 2013: 197). Gleichwohl bedeutet dies nicht einen Ausschluss des zivilgesellschaftlichen Engagements. Eine gGmbH muss trotz der Nähe zu einem Wirtschaftsunternehmen nicht zwangsläufig über umfangreiche finanzielle und personelle Mittel verfügen, so dass zumindest Fragen der Spezialisierung, Zentralisierung und Konfiguration weniger von Bedeutung sein können. In Hinblick auf die Integration junger Engagierter kann davon ausgegangen werden, dass die allgemeine Höherbewertung von Selbstbestimmung und persönlicher Interaktion in zivilgesellschaftlichen Organisationen mit Nachteilen verbunden sein kann. Diese entstehen, wenn bestimmte Gruppen aus dem „Zirkel der Eingeweihten“ ausgeschlossen sind oder deren Interessen und Belange von ihnen keine ausreichende Berücksichtigung finden. Aktivitäten zur Jugendförderung brauchen verbindliche Vorgaben zu ihrer Durchsetzung aber auch die Jugend tolerierende und fördernder Einstellungen und Überzeugungen. Informelle Strukturen und zivilgesellschaftliche Organisationen Die angeführten strukturellen Besonderheiten, die für einzelne zivilgesellschaftliche Organisationen mehr gelten als für andere, sind durch einen starken informalen Einschlag gekennzeichnet. Insgesamt gibt es laut Horch in Nonprofit-Organisationen
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weniger Bürokratie und vereinheitlichte (Regel-)Abläufe und dafür mehr an den Menschen gebundene Abmachungen und Vorgaben. Formale Organisationsstrukturen werden also von informalen Organisationsstrukturen beeinflusst oder dominieren diese. Nonprofit-Organisationen gelten aus diesem Grund auch im besonderen Maße als „institutionalisierte Organisationen“ (vgl. Meyer/Rowan 1977: 352). Institutionalisierte Überzeugungen und Einstellungen sind insbesondere in den von Horch ausgemachten Strukturmerkmalen Personalisierung und Interaktionsverfestigung zu vermuten, da sich hier informell ausgehandelte Handlungsroutinen wiederfinden. Bestimmte organisationsgebundene Institutionen wie institutionalisiere Überzeugungen sind wie Quack (2006:177) ausführt schwer veränderbar. Sie schlagen sich in Handlungsroutinen nieder und bedürfen mitunter einer umfassenden Überprüfung der Selbstwahrnehmung der verantwortlichen Personengruppen und Funktionsträger, wenn es um ihre Modifikation geht. In Fragen der Einbindung junger Engagierter in zivilgesellschaftliche Organisationen geht es dabei um handlungswirksame Einstellungen sowie Macht- und Interessenkonstellationen, die deren Integration erschweren. So verweist die Engagementforschung darauf, dass zivilgesellschaftliche Organisation soziale Schließungsmechanismen produzieren, die verhindern, dass Jede und Jeder von den Funktionen des Engagements profitieren kann (vgl. Heinze/Olk 2002: 88). Der Zweck und die Kultur einer Organisation können auf eine bestimmte milieugebundene Zielgruppe ausgerichtet sein, wodurch andere Gruppen ausgeschlossen werden. Es wird jedoch konstatiert, dass ein immer wiederkehrendes Problem zu einem Wandel solcher Institutionen führen kann (vgl. Quack 2006). Vereine mit Schwierigkeiten bei der Nachwuchsrekrutierung als wiederkehrendes Problem sind so betrachtet dazu aufgefordert, institutionalisierte Einstellungen und Rollen gegenüber der Jugend zu überprüfen, um gegebenenfalls eine Veränderung ihrer eigenen Einstellungs-, Macht- und Interessenkonstellationen in Erwägung zu ziehen. Damit sind Prozesse der Deinstitutionalisierung verbunden. Umgang mit Ressourcen Eine wichtige Ressource zivilgesellschaftlicher Organisationen sind die Mitglieder und das zivilgesellschaftliche Engagement. Dabei gilt das Anreiz- und Einbindungsproblem neuer Mitglieder und Engagierter für Vereine als zentral (vgl. Horch 1992: 44). Für Coleman (1979) sind mit der Etablierung von Macht- und Herrschaftsstrukturen durch Organisationen Ausgrenzungsprobleme verbunden. Bestimmte Interessen werden in Organisationen nicht berücksichtigt, weil einzelne Personengruppen nicht über die erforderlichen Ressourcen für einen Organisationszugang verfügen. Dem Problem der Ressourceneinbindung steht also das Problem der Ressourcenausgrenzung gegenüber. Übersetzt auf die zentrale Fragestellung der vorliegenden Untersuchung bedeutet dies: Obwohl Vereine auf junge Mitglieder und Engagierte angewiesen sind, schaffen sie es aufgrund fehlender Zugangsmöglichkeiten nicht, diese einzubinden.
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Wie an anderer Stelle ausgeführt wurde, sind Vereine dem Organisationstyp „genossenschaftlich-demokratisch“ bzw. Interessenorganisation zuzuordnen. Damit einher geht ihre strukturell bedingte Offenheit für neue Mitglieder und Engagierte. Auch ist die organisationsspezifische Anlage von Mitbestimmungsmöglichkeiten, wie die Mitgliederversammlung, eine wesentliche Voraussetzung für die Einbeziehung vielfältiger Interessen. Theoretisch wird durch dieses Gremium bereits ein Mindestmaß an organisationsinternen Beteiligungsoptionen gewährleistet, wodurch die Interessenausgrenzung einzelner Gruppen erschwert wird. Dieser Argumentation folgt Vanberg (1982), der der partizipativen Gestaltung der Organisationsmacht eine Schlüsselfunktion in Bezug auf die Ressourcensicherung von Organisationen zuspricht (Lösung des kollektiven Entscheidungsproblems). Es geht im Allgemeinen und im Speziellen um das Angebot zur Mitsprache, das als Lösung für Ausgrenzungsprobleme bei Organisationen angesehen werden kann. Von Bedeutung ist an dieser Stelle die Frage nach der Ausgestaltung der Mitsprache. Welche (institutionellen) Varianten sind vorhanden, wie sind diese formalisiert, und wer entscheidet über ihre Modifizierung? Konkret geht es um die Identifizierung und Etablierung jugendspezifischer Mitspracheformate, die dazu beitragen können, junge Mitglieder und Engagierte als wichtige Ressource einzubinden. Damit sind eigene Gremien ebenso angesprochen wie digitale Optionen. Wie noch zu zeigen sein wird, ist ein Angebot zur Mitsprache für junge Menschen wichtig. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die Angebot in diese Richtung machen, d.h. ihre formalen Strukturen dahingehend modifizieren, können demnach einen Beitrag zur Integration junger Engagierter leisten. Im Modell der Ressourcenzusammenlegung von Vanberg (1982) besteht neben dem kollektiven Entscheidungsproblem das kollektive Verteilungsproblem. Es problematisiert den Weg der Rückbindung des Ressourceneinsatzes an den individuellen Akteur zur Sicherung seiner weiteren Mitwirkungsbereitschaft. Anders ausgedrückt: Es stellt sich die Frage, was der oder die Einzelne für seine organisationsgebundene Aktivität erhält. Aus dieser Perspektive grenzen Organisationen bestimmte Gruppen und deren Interessen aus, wenn sie nicht in einem gewissen Maß für zielgruppenadäquate organisatorische Zugeständnisse Sorge tragen. Solche Zugeständnisse umfassen in „genossenschaftlich-demokratischen“ Organisationen Anerkennungsformen gegenüber der Ressource Engagement. Um zu entscheiden, welche Wertschätzung zu der Ressource Engagement passt, sind wiederum Kenntnisse bezüglich der Erwartungen der Engagierten hilfreich. Wie Preisendörfer (2008: 40 f.) ausgeführt hat, bietet sich bei der Bestimmung einer individuellen Anerkennung für die Bereitstellung nichtmonetärer Ressourcen am besten eine Orientierung an den individuellen Bedarfen an. Ein Zugang zu den Bedarfen junger Engagierter ist so betrachtet über die Einbeziehung ihrer Engagementmotive und -erwartungen möglich. Das Wissen darüber, was junge Menschen aus ihrem Engagement mitnehmen möchten, kann hinsichtlich der Formulierung möglicher Zugeständnisse als weiterführend angesehen werden.
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Die Qualifizierung von Engagierten sei hier als ein Stichwort genannt, denn in den Motiven junger Engagierter zeichnet sich genau dieser Bedarf ab. Die Ressource junges Engagement ist demnach nur einzubinden, wenn die Interessen und Anliegen junger Menschen wahrgenommen werden. Im Abschnitt zu den Lebenswelten junger Menschen und ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement wird auf ausgewählte Aspekte zur Lebens- und Engagementlage junger Menschen eingegangen, die einen weiteren Aufschluss über ihre Interessen und Anliegen geben. Dabei gilt es zu berücksichtigen, was jungen Menschen allgemein im Leben wichtig ist und was sie beschäftigt. Organisationslernen Für zivilgesellschaftliche Organisationen wie Vereine ist organisationales Lernen künftig aus mindestens zwei Gründen ein zentrales Thema. – Erstens zeichnen sich gesellschaftliche Veränderungen ab, die das Thema Jugend als Nachwuchs in zivilgesellschaftlichen Organisationen prominent machen. Diese Veränderungen wurden zuvor als exogen gelagerte Lernursachen besprochen. Hierzu zählt beispielsweise der demografische Wandel und ein damit einhergehender Rückgang jüngerer Altersgruppen, der sich auch unter den Engagierten bemerkbar macht. Wie auszuführen sein wird ist absehbar, dass anteilig weniger junge Engagierte vorhanden sein werden. Ebenso sind mit den Veränderungen auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt Einschränkungen in Bezug auf ein umfassendes und für die Organisationen ausreichendes zivilgesellschaftliches Engagement junger Menschen verbunden. Die damit einhergehende Flexibilität ist mit einem verbindlichen Engagement nicht immer vereinbar. Bezüglich der Nachwuchssorgen von Vereinen zeigt sich in solchen Entwicklungen ein spezifischer, für diese Organisationen relevanter Umfelddruck, der Auslöser für organisationales Lernen sein kann. – Zweitens lassen sich endogene Faktoren, die organisationales Lernen auslösen können, benennen. Hierzu ist zum einen das Nachwuchsproblem in Bezug auf junge Engagierte zu zählen, zum anderen die für Vereine typischerweise auf Partizipation ausgerichteten Strukturen, die einen lernförderlichen Charakter haben. Sofern ein Nachwuchsproblem vorliegt, ist zu klären, ob dieses für die Organisation ein Existenzproblem darstellen kann. Wenn dem so ist, müssen Organisationen lernen, wie sie junge Engagierte einbinden können. Um das Überleben der Organisation sicherzustellen, können sie auf entsprechende innerorganisatorische Veränderungen angewiesen sein. Dabei wird davon ausgegangen, dass Organisationen grundsätzlich weniger lernfähig sind, wenn sie nicht darauf achten, verschiedene soziale Gruppen und ihre jeweiligen Kompetenzen und Erfahrungen wahrzunehmen und zu nutzen (vgl. Child/Heavens 2001: 317 ff.). Vereine, die schon heute keine oder nur in einem begrenzten Maß junge Engagierte eingebunden haben, fehlt es demnach an
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den erforderlichen Lernressourcen. Sie sind also grundsätzlich weniger lernfähig, was mit Konsequenzen für ihre organisationale Weiterentwicklung verbunden ist. Um sich jugendfreundlich aufzustellen, sind die Organisationen dazu angehalten, die eigene Struktur und Kultur vor dem Hintergrund der sich verändernden Umwelt und Lebenslagen der Jugend zu überprüfen. Ziel ist es, junge Menschen in beiden organisationalen Dimensionen (Struktur und Kultur) zu verankern. Um dieses Ziel zu erreichen, verfügen Vereine über die hierfür förderlichen Partizipationsstrukturen. Die sich hier potenziell akkumulierenden Humanressourcen können ein wichtiger Nährboden für organisationales Lernen sein. Gleichwohl wird auf die Fehlbarkeit beteiligungsorientierter Strukturen hingewiesen. Seibel (1992: 186 ff.) hebt in diesem Zusammenhang die Gefahr eines Versagens der internen Steuerung auf der Ebene der Beschlussorgane und der Leitung bei Dritte-Sektor-Organisationen hervor. Ursächlich für dieses Versagen ist eine unzureichende zweckrationale (effizienzorientierte) Steuerung der Organisationen, an deren Stelle die Orientierung an Traditionen und Einflussträger außerhalb der Organisationen treten. So meint Seibel, dass Politiker oder deren Frauen, die in Vorständen von Organisationen einen Posten innehaben, ihren persönlichen Einfluss dort geltend machen (vgl. ebd.: 190). Insofern erfolgt eine Überlagerung der Zweckmäßigkeit und Rationalität durch ideologische Orientierungen und politische Partialinteressen (vgl. ebd.: 198). Damit verbunden ist eine begrenzte Lernfähigkeit von Dritte-Sektor-Organisationen, also das partielle Unvermögen, auf über die Umwelt kommunizierte Warnsignale zu reagieren (z.B. Verknappung von Ressourcen) (vgl. ebd.: 205). Zudem sieht er Defizite in den Organisationen bei der Differenzierung in Funktionsbereiche und auf der persönlichen Ebene bei der Spezialisierung und Rollendifferenzierung (vgl. ebd.: 234). Erst diese Ausdifferenzierungen führen zu einer Entpersonalisierung, die wiederum Kommunikationsfähigkeit, Offenheit und Lernfähigkeit gewährleistet. Diese Problematik kann auch für die Einbindung junger Engagierter von Relevanz sein. Der Kern des Problems liegt dann in der Personalisierung von Organisationsstrukturen, die von Horch (1992) als besondere strukturelle Eigenart von zivilgesellschaftlichen Organisationen besprochen worden ist und die sich aus einer neoinstitutionalistischen Forschungsperspektive als mächtige organisationsinterne Institution interpretieren lässt (vgl. Quack 2006). Persönliche Interessen oder ideologische Orientierungen können also der Einbindung junger Menschen entgegenwirken. Hierfür gibt es bereits empirische Hinweise, auf die im Abschnitt zu den Einstellungen und Mentalitäten in Organisationen näher eingegangen wird. Es zeigt sich dort, dass bei der Besetzung der Vorstände das persönliche Ansehen einer Person wichtiger ist als die gleichberechtigte Einbindung junger und älterer Menschen in die Leitungsebene. Wie ausgeführt wurde, ist Organisationslernen ein geplanter und kein zufälliger Prozess. Die Eigenschaft des Geplanten ist demnach auch für Vereine entscheidend. Eine zukunftsfähige Gestaltung der Organisation ist demnach an die Berücksichtigung der äußeren Rahmenbedingungen gebunden, an die Gestaltungsbereitschaft
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und Aktivierung der Organisationsmitglieder und an einen bewussten Umgang mit der organisatorischen Wissensbasis. Dabei ist anzuerkennen, dass die Lernfähigkeit einer jeden zivilgesellschaftlichen Organisation durch verschiedene Umstände eingeschränkt ist. Hierzu zählen die Zwänge des operativen Tagesgeschäfts, die zivilgesellschaftliche Organisationen daran hindern können, in einen über Kooperation vermittelten Lernprozess einzutreten (vgl. Abram et al. 2010: 365). Als eine weitere Beschränkung ist die von Organisationsökologen beschriebene „organisationale Trägheit“ von Organisationen zu nennen. Teilweise wird durch diese Trägheit Organisationsstabilität und innerorganisatorisches Vertrauen garantiert. Verlässliche Strukturen und innerorganisatorisches Vertrauen sind gerade für zivilgesellschaftliche Organisationen relevant, da sie auf die Mitwirkung Engagierter angewiesen sind. Für ein zivilgesellschaftliches Engagement, das idealtypisch weder einem Pflichtmoment unterliegt noch vertraglich geregelt ist, spielen diese Komponenten eine zentrale Rolle. Vertrauen ist sozusagen die Währung für den freiwilligen Einsatz. Aus einer organisationsökologischen Perspektive befinden sich Vereine also auf einem schmalen Grat zwischen sinnvoller, ein Vertrauen fördernder Trägheit und einer den Organisationswandel blockierenden Trägheit. Für einen bewussten Umgang mit der organisationsspezifischen Situation sind eigene Strukturen und Handlungsroutinen im Rahmen eines gesteuerten Lernprozesses zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern. Der bereits im Abschnitt 2.2.5.2 dargestellte Lernprozess mit seinen fünf Phasen ist für die Jugendthematik in Vereinen beispielhaft wie folgt zu übersetzen: – Phase 1 – „Problemdefinition“: Z.B.: Junge Engagierte fehlen in ehrenamtlichen Wahl- und Berufungsfunktionen – Phase 2 – „Wissenserwerb“: Z.B.: Bedarfsanalyse zur Notwendigkeit ehrenamtlicher Funktionen, Informations- und Erfahrungsaustausch mit anderen Organisationen zum Thema, Diskussionsforen mit jungen Engagierten zum Thema – Phase 3 – „Kommunikation von Wissen“: Thema in Mitgliederversammlung und Vorstand einbringen, Online-Kommunikationsformen nutzen, Thema in Öffentlichkeit tragen und an strategische Partner wie z.B. Politik adressieren – Phase 4 – „Interpretation/Nutzung“: Entscheidung treffen in Bezug auf in Phase 2 erworbenes Wissen, z.B. Vereinbarkeit knapper Zeitbudgets junger Menschen mit zeitintensiven ehrenamtlichen Funktionen – Phase 5 – „Speicherung von Wissen“: Einführung des Prinzips Nachwuchsförderung in die informalen und formalen Strukturen. Konkret meint dies beispielsweise die Etablierung eines reflektierten Kommunikationsstils gegenüber der Jugend in der Organisation und die Einführung strukturell verankerter Mitsprachemöglichkeiten für junge Menschen.
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Zusammengefasst lässt sich für zivilgesellschaftliche Organisationen im Allgemeinen und für Vereine im Besonderen die Notwendigkeit organisationalen Lernens herleiten; zu beachten sind jedoch die speziellen Voraussetzungen und potenziellen Einschränkungen, die dabei zu machen sind.
2.4 Zivilgesellschaftliches Handeln – Engagement aus der individuellen Perspektive 2.4.1 Forschungsfeld: Engagement Die sozialwissenschaftliche Debatte zum Engagement ist durch unterschiedliche Diskussionsstränge gekennzeichnet. Das Engagement wird mit verschiedenen Begriffen erfasst, von einzelnen Fachdisziplinen mit inhaltlich vielfältigen Fragestellungen untersucht und ist zudem durch ein hohes Maß an Veränderungen gekennzeichnet. Es steht für eine ausgeprägte Heterogenität und Dynamik (vgl. Priller 2011: 12). Diese zeigt sich zum einen in der Bereichsvielfalt, für die ein Engagement steht. Es beschränkt sich nicht auf ein einzelnes Tätigkeitsfeld, sondern realisiert sich vom Sport über den Bereich Bildung bis zur Gesundheit und Umwelt in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen. Dabei handelt es sich im Kern um die Felder, die den Aktivitätsraum der zivilgesellschaftlichen Organisationen ausmachen. Das Engagement ist dynamisch, weil es sich über einen längeren Zeitraum nicht in einer einzigen Kennzahl quantifizieren lässt, weil es neue Inhalte hervorbringen kann und weil es seine Formen verändert, d.h. zugleich organisiert und stärker informal erfolgt. Das durch Pluralität gekennzeichnete Engagement ist eine notwendige Voraussetzung, um seine Offenheit für Neues garantieren zu können (vgl. Hoch et al. 2007: 242). Dieser Umstand erschwert jedoch zugleich seine empirische Erfassung und theoretische Kontextualisierung. Im folgenden Abschnitt wird vor diesem Hintergrund erstens auf die Rezeption der Thematik vorranging im wissenschaftlichen Umfeld eingegangen. Damit wird zugleich die Entwicklung und Situation im gesellschaftlichen Diskurs herausgestellt. Zweitens ist der Begriff des zivilgesellschaftlichen Engagements zu definieren, wie er in der vorliegenden Arbeit verwendet wird. Drittens werden die gesellschaftlichen Funktionen des zivilgesellschaftlichen Engagements beschrieben. Die gesellschaftstheoretisch relevante Einordnung des Engagements erklärt, warum die Idee des zivilgesellschaftlichen Engagements die Öffentlichkeit, die Politik und die Wissenschaften in Deutschland seit mittlerweile mindestens zwei Jahrzehnten zunehmend beschäftigt. Ein Diskurs zum zivilgesellschaftlichen Engagement wurde verstärkt seit Ende der 1980er Jahre initiiert. Er schlägt sich in verschiedenen empirischen Studien, wissenschaftlichen Veranstaltungen und insgesamt einem gesteigerten öffentlichen Interesse nieder (vgl. Beher et al. 1998: 17 ff.).
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Zu den Studien, die seit Anfang der 1990er Jahre vorliegen, gehören die Zeitbudget-Studie des Statistischen Bundesamts, die Daten aus dem European Volunteering Survey und die Eurovol-Studie (ebd.: 25 ff.). Damals bescheinigte die empirische Engagementforschung Deutschland keine guten Engagementquoten. Die deutsche Bevölkerung war demnach insgesamt weitaus weniger bereit, sich freiwillig in gemeinschaftliche und gesellschaftliche Belange einzubringen, als dies in anderen Ländern der Fall war (vgl. Klages 2003: 298; Gaskin et al. 1996: 65). Zudem fielen die Einschätzungen der Untersuchungen zum Umfang des Engagements sehr unterschiedlich aus. Dies ist heute noch der Fall, betrachtet man die Ergebnisse vorliegender Erhebungen. Das Spektrum der Engagementquote reicht von 17 Prozent bis 52 Prozent (vgl. Deutscher Bundestag 2012: 66). Das zivilgesellschaftliche Engagement der deutschen Bevölkerung nimmt je nach Messverfahren und Begriffsoperationalisierung in den Untersuchungen einen anderen Wert an. Zugleich waren die Fragestellungen in der Forschung durch eine sehr breite Vielfalt geprägt. So kam man zum Ende des 20. Jahrhunderts zu dem Schluss, dass das, „was die Öffentlichkeit, die Politik und die Wissenschaft tatsächlich über das Ausmaß, die Formen und den Gestaltwandel dieser Form des sozialen Engagements zu wissen glaubt, […] vielfach eher vom Einzelfall her geprägt, […]episodenhaft, zufällig, meist regional, sektoral oder institutionell begrenzt [ist]. Demgegenüber sind die Anstrengungen, das Ausmaß und seine vielfältigen Facetten zu erfassen, also Ehrenamt alters-, verbands-, erfahrungs- und sektorenübergreifend, sprich: systematisch, geplant, empirisch vermessen und geprüft ins Blickfeld zu rücken, eher spärlich geblieben “ (vgl. Beher et al. 1998: 11).
Diese Erkenntnis führte u.a. zu dem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Freiwilligensurvey (erstmalig 1999).27 Der Freiwilligensurvey kann als die wohl umfangreichste Erhebung zum Thema Engagement in Deutschland gelten (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a). Wichtige Impulse für die Engagementforschung gingen von der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ aus. Die Kommission wurde 1999 vom Deutschen Bundestag eingesetzt und veröffentlichte im Jahr 2002 ihren umfänglichen Bericht zur Situation und den Perspektiven des bürgerschaftlichen Enga-
|| 27 Beim Freiwilligensurvey handelt es sich um eine Repräsentativerhebung, die bisher zu vier Zeitpunkten als Telefonumfrage durchgeführt wurde. In den ersten beiden Wellen 1999 und 2004 umfasste die Stichprobe rund 15.000 Bundesbürger, die bis zur vierten Welle 2014 auf 28.690 Personen aufgestockt wurde. In der Erhebung werden Personen ab dem 14. Lebensjahr zu ihrem Engagement befragt. Die Daten des Freiwilligensurveys bieten umfassende Analysemöglichkeiten zur Ausrichtung, zum Umfang und Potenzial des Engagements in Deutschland. Die vorliegenden Daten ermöglichen gezielt Aussagen zur Engagementbereitschaft sowie zu den Motiven und Strukturen des Engagements. Die Angaben sind zudem nach sozialstrukturellen Merkmalen differenzierbar. Der Datensatz ist über das Deutsche Zentrum für Altersfragen zu beziehen.
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gements in Deutschland (vgl. Enquete-Kommission 2002). Sie forderte u.a. eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen zum Engagement, die Stärkung von Transparenz und einer Anerkennungskultur sowie die Ausweitung wissenschaftlicher Aktivitäten in dem Bereich. Ein wesentliches Ergebnis der Enquete-Kommission war die Einführung des Begriffs „bürgerschaftliches Engagement“. Dieser Terminus kommt noch heute in diversen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Anwendung und hat sich entsprechend als feststehende Kategorie im Feld etabliert (vgl. u.a. Rauschenbach/Zimmer 2011; Olk/Hartnuß 2011; Beetz et al. 2014). Der Beschluss des Deutschen Bundestages, je Legislaturperiode einen Engagementbericht zu erstellen, der anderen Regierungsberichterstattungen wie dem „Familienbericht“ oder dem „Kinder- und Jugendbericht“ entspricht, stellt einen umfassenden und weiteren zu erwähnenden politischen Schritt dar, das Wissen in diesem Bereich zu vertiefen (vgl. Deutscher Bundestag 2009). Potenzielle Forschungsdesiderate können in diesem Format aufgenommen bzw. thematisiert werden. Der erste Engagementbericht dieser Art wurde im Jahr 2011 vorgelegt. Es handelt sich um eine sehr umfängliche Berichterstattung zum Thema mit dem inhaltlichen Schwerpunkt auf dem Engagement von Unternehmen (vgl. Deutscher Bundestag 2012). Das Kernthema des Berichts ändert sich von Berichterstattung zu Berichterstattung. Es ist jedoch anzumerken, dass der Bericht in einer relativ kurzen Laufzeit von zweieinhalb Jahren von einer Sachverständigenkommission mit einem eher kleinen Mitarbeiterstab erstellt wurde. Betrachtet man dazu den Umfang des ersten Berichts, der insgesamt 1025 Seiten umfasst, ist nur begrenzt vorstellbar, wie das Thema unter diesen Bedingungen eine sachgerechte Behandlung erfahren soll. Versucht man, die Situation der aktuellen Engagementforschung auf den Punkt zu bringen, steht diese zugleich für Defizite und Facettenreichtum. Der Facettenreichtum zeigt sich in der steten Thematisierung unterschiedlicher Fragen. Es liegen unzählige Einzeluntersuchungen vor, die sich teils unterschiedlicher Engagementbegriffe bedienen. So wird das Engagement in kirchlichen Einrichtungen (vgl. Baldas/Bangert 2008) ebenso analysiert wie das im Sport (vgl. Breuer 2011), und die Auswirkungen des Engagements auf die Persönlichkeitsentwicklung Jugendlicher wird genauso in den Blick genommen (vgl. Reinders 2014) wie das spezifische Engagementverhalten älterer Menschen (vgl. Köcher/Bruttel 2012). Die Liste der Studien und Publikationen ist lang und wird sowohl von Praktikern als auch von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerin aus unterschiedlichen Disziplinen bereitgestellt. Genau darin liegt wiederum eine wichtige Ursache für das defizitäre Moment der Forschung. Obwohl bislang unzählige Studien und Untersuchungen erarbeitet und Daten erhoben wurden, werden immer wieder ähnliche Forderungen von der Wissenschaft formuliert. Denn es sind oftmals kleinteilige, zwischen den verschiedenen Disziplinen nicht abgestimmte Untersuchungen zum Engagement, durch die sich der Forschungsbereich auszeichnet. Bestimmte Forschungsdesiderate aufzulösen ist deshalb eine Forderung, die seit mehreren Jahren wiederholt geäußert wird. Darin zeigt
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sich auch der oftmals postulierte Eindruck, dass der Kenntnisstand zum Engagement trotz aller Fortschritte noch immer begrenzt ist (vgl. Priller 2011: 12). Zuletzt hat der erste Engagementbericht der Bundesregierung umfassend auf vielfältige Baustellen in der Engagementforschung aufmerksam gemacht (vgl. Deutscher Bundestag 2012). Zu den Anliegen zählen insbesondere die Forderung nach verlässlichen Grundlagendaten, nach einer theoretischen Fundierung des Themas und der Wunsch, bestimmte Wissenslücken zu schließen. Die Forderung nach einer soliden empirischen Datenbasis zum Engagement zielt darauf ab, einen gesicherten Kenntnisstand zu einem breiten Verständnis von Engagement zu erreichen, der sowohl Zeit-, Sach- und Geldspenden einschließt und sich durch eine valide sowie reliable Datenqualität auszeichnet (vgl. Enquete-Kommission 2002; Alscher et al. 2009; Anheier et al. 2011; Deutscher Bundestag 2012). Die Notwendigkeit zur Schaffung einer besseren Datensituation zum Engagement verweist auf den wissenschaftlichen Anspruch eines fundierten empirischen Gerüsts, das zu Analysezwecken genutzt werden kann. Eine Antwort auf diese Forderung ist im Freiwilligensurvey zu sehen. Systematische Bestandsaufnahmen wie der Freiwilligensurvey in den Wellen 1999, 2004 und 200928 oder die Engagementberichterstattung stellen eine Ausnahme dar. Auf der Mikroebene ist der Freiwilligensurvey ein zentrales Erhebungsinstrument, dessen analytisches Potenzial jedoch als nicht ausgeschöpft gilt und das nicht sämtliche Dimensionen des Engagementverhaltens erfasst (vgl. Klein/Schwalb 2013: 3). So sind beispielsweise informelle Lernprozesse im Engagement mit standardisierten Befragungen kaum einzufangen. Die Öffnung staatlicher Bildungseinrichtungen in Richtung anderer institutioneller Bildungsstrukturen stellt einen weiteren aktuellen Diskussionsschwerpunkt dar, bei dem auch die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen und das hier stattfindende Engagement verstärkt mitgedacht werden sollte (vgl. Deutscher Bundestag 2012: 158 f.). Längsschnittdaten zum individuellen Engagementverhalten sind mit einer kleinen Ausnahme29 nur über das Sozio-
|| 28 Aufgrund der Veränderung des Freiwilligensurveykonzepts in 2014 in organisatorischer, methodischer und inhaltlicher Hinsicht ist die systematische Bestandsaufnahme der damit verbundenen Engagementberichterstattung nur noch eingeschränkt gegeben. Die starken Veränderungen der ausgewiesenen Quoten lassen eine Vergleichbarkeit mit früheren Wellen kaum zu (vgl. Simonson/Vorgel/Tesch-Römer 2016a). 29 Eine neue und in diesem Feld einzigartige Längsschnittstudie stellt „jeps – Jugend. Engagement. Politische Sozialisation“ dar (vgl. Reinders 2014). Die Studie bietet die Möglichkeit, die Entwicklung junger Menschen vor dem Hintergrund ihrer gemeinnützigen Tätigkeit zu analysieren.
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oekonomische Panel (SOEP) zu beziehen. Das SOEP ist jedoch originär kein Engagementsurvey und enthält eine Frage zum Engagement, die in diesem Format nur eingeschränkt nutzbar ist.30 Für die Analyse von Engagementfragen, die die Mesoebene (zivilgesellschaftliche Organisationen) miteinbeziehen, werden weitaus größere Datendefizite konstatiert, als dies hinsichtlich der Individualebene der Fall ist. Die Forschungsaktivitäten im Bereich institutioneller und organisatorischer Rahmenbedingungen des Engagements auszuweiten und zu etablieren gehört mittlerweile zu den Kernanliegen in der Engagementforschung (vgl. Enquete-Kommission 2002: 25; Deutscher Bundestag 2012: 402). Vor diesem Hintergrund ist der beschriebene ZiviZ-Survey (vgl. Krimmer/Priemer 2013) als auch die ebenfalls vorgestellte Untersuchung „Organisationen heute– zwischen eigenen Ansprüchen und ökonomischen Herausforderungen“ (vgl. Priller et al. 2013) einzuordnen. Organisationsbefragungen sind dazu geeignet die organisationsbezogene Engagementsituation abzubilden und so z.B. das Engagement speziell in Bezug auf die Übernahme ehrenamtlicher Funktionen besser auszuleuchten. Mit den Surveyinformationen können die organisationalen Rahmenbedingungen für ein Engagement sichtbar gemacht werden. Einen weiteren Schritt zur Verbesserung der Datensituation zum Engagement ist die Verbindung von Individual- und Organisationsdaten (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016c). Bisher sind solche Anstrengungen noch nicht unternommen worden. Im Unterschied zu den teilweise auf der Mikro- und der Mesoebene erfolgten empirischen Fortschritten in der Engagementforschung wurden theoretische Anstrengungen kaum unternommen. Mit dem Hinweis auf die mangelhafte theoretische Fundierung der Engagementthematik (vgl. Priller 2010; Anheier et al. 2011) ist jedoch eine anspruchsvolle Aufgabe verbunden. Denn bei einem Engagement „[…] sind doch sehr verschiedenartige individuelle Akteure wie auch eine Unzahl von Organisationen auf den verschiedensten Ebenen und allgemeinere gesellschaftliche Entwicklungen am Werk“ (Klages 2003: 296). Es sind also unterschiedlichen Ebenen in eine umfassende Engagementtheorie einzubeziehen. Bisher ist eine solche Theorie des Engagements im deutschen Forschungsraum nicht auszumachen.
|| 30 Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist eine seit 1984 jährlich durchgeführte Wiederholungsbefragung von Haushalten, mit der auch Informationen über die einzelnen Haushaltsmitglieder erfasst werden. Somit sind Analysen auf Haushalts- und auf Personenebene u.a. zu Lebensbedingungen, Wertvorstellungen und Persönlichkeitseigenschaften möglich. Die Frage zum Engagement wird wie folgt gestellt: „Welche der folgenden Tätigkeiten üben Sie in Ihrer Freizeit aus? Geben Sie bitte zu jeder Tätigkeit an, wie oft Sie das machen: jede Woche, jeden Monat, seltener oder nie“. Eine der möglichen Antwortkategorien bezieht sich auf ein ehrenamtliches Engagement: „Ehrenamtliche Tätigkeiten in Vereinen, Verbänden oder sozialen Diensten“. Durch die Vorgabe ergibt sich eine engere Auslegung des Engagements, das in den vorgegebenen Organisationen bzw. Bereichen stattfindet. Dieser Umstand ist bei der Interpretation der Ergebnisse allgemein zu berücksichtigen. Im Abschnitt 3.3.2 sind eigene Berechnungen mit Daten des SOEP vorgenommen worden.
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Neben den bereits benannten empirischen und theoretischen Defiziten sind spezifische Wissenslücken zum Engagement wiederholt benannt worden. Hierzu zählt der Appell, auch negative Gesellschaftseffekte von Engagement in den Blick zu nehmen (vgl. Anheier et al. 2011: 124; Alscher et al. 2009: 24), förderliche als auch hemmende Rahmenbedingungen des Engagements stärker im Zusammenhang zu untersuchen (vgl. Priller 2010: 197; Enquete-Kommission 2002: 25), den Kenntnisstand zum informellen Engagement zu verbessern (vgl. Klein/Schwalb 2013: 5), das oftmals an formale Organisationen gebunden ist (vgl. Deutscher Bundestag 2012: 144), sowie das Wissen über die Motive und biografische Verankerung des Engagements auszubauen (vgl. Anheier et al. 2011: 124). Da es sich bei den Motiven in der Regel um komplexe Motivbündel handelt, wird dieses Forschungsfeld als besonders umfassend angesehen (vgl. Deutscher Bundestag 2012: 92). Eher neuere Ergebnisse knüpfen bereits an die formulierten Forschungsdesiderate an. Mit ihnen sind wichtige Erkenntnisse verbunden, deren inhaltliche Vertiefung und Etablierung im Feld einen nächsten Schritt darstellen würde. Die Bedingungen und Hemmnisse des Engagements wurden in einer speziellen Untersuchung in den Bereichen Soziales, Kultur und Sport analysiert (vgl. Rauschenbach/Zimmer 2011). Für den Bereich Kultur zeigte sich, dass das Engagement häufig in Organisationen stattfindet, die sich in einer zunehmenden Konkurrenzsituation und finanziell prekären Lage befinden (vgl. Schwalb 2011: 165 ff.). Die Engagementmotive sind Gegenstand aktueller Bemühungen in der Forschung (vgl. Haumann 2014; Hoeft et al. 2014). Insgesamt lässt sich die Liste der Forschungsbedarfe weiter detaillieren; an dieser Stelle sollte es jedoch genügen darzustellen, dass die Engagementforschung auf den Weg gebracht wurde, es aber weiterer Anstrengungen bedarf, um ihren gesellschaftlich relevanten Inhalten gerecht zu werden. Ein zentrales Argument für eine Fortführung, Verbreiterung und Vertiefung der Engagementforschung ist die Erkenntnis, dass das Engagement kein Selbstläufer ist. Die freiwillige Beteiligung an gesellschaftlichen Aufgaben stellt keine Selbstverständlichkeit dar.
2.4.2 Ausgewählte Rahmenbedingungen des Engagements Einleitung Verschiedene gesellschaftliche Prozesse bilden die Arena des zivilgesellschaftlichen Engagements. Das Engagement erfolgt in einer und durch eine Gesellschaft und ist von daher stets abhängig von den in dieser Umwelt ablaufenden Veränderungen einerseits und dem Zustand der Gesellschaft andererseits. Die Gegenwartsgesellschaft, so Beetz et al. (2014: 16 ff.), ist durch zwei zentrale Charakteristiken gekennzeichnet: zum einen durch einen generellen Formalismus und zum anderen durch den vorerst temporären Zustand von allem Kulturellen. Die Bedeutung formaler Organisationen zieht sich durch sämtliche gesellschaftlichen und persönlichen Lebensbereiche, und
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der Wechsel von verbindlichen Richtwerten wie Normen und Überzeugungen zu stets neu auszuhandelnden Orientierungen ist zu einer Art neuen Leitkultur geworden (vgl. ebd.). Auf diese gesellschaftliche Wesensart trifft ein zivilgesellschaftliches Engagement, bzw. aus ihr heraus entsteht es. Zivilgesellschaftliches Engagement steht im Zusammenhang mit konkreten Entwicklungen auf der Makroebene (vgl. Salamon/Anheier 1998; Emmerich 2012). Das Engagement erfolgt unter den Bedingungen von Individualisierungstendenzen, von Veränderungen im Wertesystem und ist eingebettet in sich wandelnde Familien- und Arbeitsmarktstrukturen. Es ist davon auszugehen, dass diese Faktoren auf der individuellen Ebene einen sowohl förderlichen als auch hinderlichen Einfluss auf das Engagement haben können. Entsprechend den individuell unterschiedlichen Bezügen zu den gesamtgesellschaftlichen Veränderungen sind die Auswirkungen dieser für einzelne engagierte Bevölkerungsgruppen, Generationen und Schichten unterschiedlich. Im folgenden Abschnitt wird auf ausgewählte Rahmenbedingungen des Engagements im Allgemeinen eingegangen. Individualisierung Die Individualisierung, so wie sie sich über verschiedene zeitliche Epochen nachzeichnen lässt, ist ein viel besprochener sozialer Wandlungsprozess. Mittlerweile bauen andere gesellschaftliche Entwicklungen wie die der Globalisierung, der Digitalisierung oder der Ökonomisierung auf dem Prozess der Individualisierung auf. Allgemein gesprochen haben Veränderungen auf der Makroebene dazu geführt, dass der oder die Einzelne sich aus ehemals eher kleinteiligen und in sich stärker geschlossenen Lebens- und Arbeitsformen herausgelöst hat. Durch die Industrialisierung, die Urbanisierung, das Bevölkerungswachstum und die Ausweitung der Verkehrs- und Kommunikationsnetze (vgl. Durkheim 1992: 321) haben sich Gesellschaften funktional differenziert und eine Freisetzung des Individuums aus vormals stärker normierten Familien- und Tätigkeitsstrukturen provoziert. Laut Simmel (1992: 795) lockert „die Differenzierung und Individualisierung […] das Band mit dem Nächsten, um dafür ein neues – […] zu den Entfernteren zu spinnen“. Auf diese Weise wurde eine Bewegung in Gang gesetzt, die eine Enttraditionalisierung und -strukturierung sozialer Verbindungen zur Folge hatte. Der Sinn der Individualisierung, so Simmel, liegt seit dem 19. Jahrhundert in der „Unverwechselbarkeit des Seins“ (Simmel 1992: 812). Für den Zeitraum ab Mitte des 20. Jahrhunderts wird ein neuer Individualisierungsschub konstatiert, der sich nunmehr auf die Gesellschaft insgesamt bezieht (vgl. Beck 1986: 131). Individualisierung lässt sich mit den drei Dimensionen „Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und -bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts- und Versorgungszusammenhänge, Verlust von traditionellen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitende Normen und […]eine neue Art der Einbindung“ (Beck 1986: 206) erfassen. Für die einzelne Person ist damit zumindest in westlichen Gesellschaften ein Zeitalter der unbegrenzten Wahlmöglichkeiten angebrochen: was man lernt, arbeitet und konsumiert, welche
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familiale Lebensform man wählt und wo man lebt – diese und weitere Kategorien sind heute mehr denn je weitgehend dem Individuum und seiner Entscheidung überlassen. Was möglich ist und sein kann, ist vielfältig ausleg- und gestaltbar. Das Individuelle erfährt eine gesellschaftliche Aufwertung auch insofern, als ihm mehr Verantwortlichkeit zugewiesen wird. Ferchhoff (2013: 45) spricht in diesem Zusammenhang von einer „ontologischen Bodenlosigkeit“ als Grunderfahrung eines jeden modernen Menschen. Ontologische Bodenlosigkeit geht von einem Verständnis der unbegrenzten Möglichkeiten des Individuums aus. Dadurch wird die Glaubwürdigkeit traditionsmächtiger Organisationen wie Gewerkschaften, Parteien und Vereine in Frage gestellt, denn das, was sie an Lebens- und Sinnvermittlung anzubieten haben, entspricht nicht mehr zwangsläufig dem, wonach Individuen heute streben (vgl. ebd.). Die Organisationsbindung von Individuen und deren zivilgesellschaftlichen Engagements wird so erschwert. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Engagement unter der Voraussetzung von Individualisierung optional wird; es ist eine Möglichkeit unter vielen, mit der die eigene Lebenszeit gefüllt werden kann. Wie viel Raum freiwillige Aktivitäten bei der individuellen Lebensgestaltung noch einnehmen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Individuelle Neigungen und persönliche Themen gehören dazu. Das Engagement unter jungen Menschen erfolgt in hohem Maße interessenorientiert. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind also zwangsläufig in der Situation, sich für diese Interessen öffnen zu müssen, sofern sie junge Engagierte einbinden wollen. Werte Da Werte zu den zentralen Orientierungen individuellen Handelns zählen, kommt ihnen auch in Fragen der gesellschaftlichen Ausrichtung und Entwicklung und damit auch für zivilgesellschaftliches Engagement eine wichtige Funktion zu. Werte sind generell eine dauerhafte Orientierung des Individuums in Bezug auf das sozial Wünschenswerte seines Handelns. Es handelt sich um individuelle Präferenzen, die mit einem zu erstrebenden Ziel in Verbindung gebracht werden (vgl. Inglehart 1997). Eine grundlegende gesellschaftstheoretische Annahme in den Sozialwissenschaften liegt in der integrationsfördernden und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkenden Funktion von Werten. Als „moralische Macht“ tragen Werte zur Regulierung von Gesellschaft bei und bilden einen Mechanismus sozialer Integration (vgl. Durkheim 1992: 45). Auf der Ebene der Gemeinschaften und Gesellschaft können Werte bei breiter Anerkennung zu einer allgemeinen Akzeptanz bestimmter Inhalte beitragen. Engagement als Wert stellt in dieser Hinsicht auch immer eine Form der sozialen Integration dar. Es handelt sich dabei nicht um eine passive Akzeptanz, sondern um einen aktiven Part der Engagierten, durch den soziale Integration gewährleistet wird. Durch einen kulturellen Wertewandel haben zunehmend individualistische und selbstbezogene Werte an Anerkennung gewonnen. Individualisierung ist demnach auch in der Kategorie der Werte zu erkennen. Es war zunächst Inglehart (1979, 1989), der mit seiner Postmaterialismus-These eine Verlagerung von materialistischen zu
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postmaterialistischen Bedürfnissen bzw. Werten konstatierte. Laut Inglehart (1979: 286 f.) bildet ein voranschreitender Wohlstand individuelle Bedürfnisse nach Ästhetik und Selbstverwirklichung aus, die nun neben jenen nach Sicherheit und Versorgung stehen. Dieser Wechsel ist wiederum die strukturelle Grundlage für einen umfassenden Wertewandel in der Gesellschaft. Postmaterialistische Werte gewinnen somit die Oberhand, während andere materialistische Orientierungen an Bedeutung verlieren. Dass es sich dabei nicht um eine Wenn-dann-Hypothese handelt, machte Klages deutlich. Er konnte nachweisen, dass Selbstverwirklichungswerte nicht zu einer kategorischen Negierung von sicherheitsorientierten Werten führen (vgl. Klages 1985: 18 ff.). Zudem unterzog er das Wertespektrum einer qualitativen und quantitativen Erneuerung, indem er zwischen „Pflicht-, Akzeptanz- und Sicherheitswerten“ und „Selbstentfaltungswerten“ unterschied. Die erste Gruppe umfasst z.B. „Fleiß“ oder „Sicherheitsstreben“, die zweite „Kreativität“ sowie „Selbstverwirklichung“ (vgl. ebd.). Trotz eines Bedeutungsgewinns individualistischer Werte sind stärker gemeinschaftsbezogene Werte nicht im völligen Rückzug inbegriffen. Vielmehr finden sich beide Wertedimensionen teilweise auch in Ergänzung zueinander in modernen Gesellschaften wieder (vgl. Klages/Gensicke 2002: 34). Zivilgesellschaftliches Engagement kann als ein wertbasiertes Handeln ausgelegt werden. Durch den Wertewandel hat es eine neue Ausrichtung erfahren. Engagement ist dabei heute weder ein rein selbstloses noch ein rein ichbezogenes Handeln. Auch für junge Menschen lässt sich bezüglich ihrer Engagementmotive eine Zusammenführung beider Aspekte nachweisen, auf die an anderer Stelle näher eingegangen wird. Sofern der Wertewandel also als Bedrohung für ein uneigennütziges zivilgesellschaftliches Engagement ausgelegt wird, ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Arbeit Arbeit und Engagement stehen in einem engen Zusammenhang (vgl. Erlinghagen et al. 1997; Seidelmann 2012). Erwerbsarbeit bietet durch die materielle und soziale Absicherung eine wichtige Ausgangsvoraussetzung für zivilgesellschaftliches Engagement. Die häufig positiv besprochene Situation des deutschen Arbeitsmarktes stellt demnach eine das Engagement fördernde Rahmenbedingung dar. Der deutsche Arbeitsmarkt gilt im internationalen Vergleich als Vorzeigemodell, das sich durch rückläufige Arbeitslosenzahlen und eine Zunahme erwerbstätiger Personen, insbesondere auch sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter, auszeichnet (vgl. Walwei 2011). Auch das deutsche System der dualen Ausbildung wird wegen seiner Praxisnähe als Erfolg gewertet (vgl. Giesecke/Heisig 2011: 45). Selbst die Auswirkungen der Wirtschaftskrise 2008 auf den Arbeitsmarkt werden für Deutschland als insgesamt moderat beschrieben (vgl. Rosemann/ Kirchmann 2010). Gemessen an der Entwicklung des Anteils abhängig Beschäftigter in der bundesdeutschen Bevölkerung lässt
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sich eine stabile Beschäftigungssituation nachweisen.31 Gleichzeitig sind zunehmend weniger Personen erwerbslos. Im Jahr 2012 waren rund 32 Millionen Personen erwerbstätig, wovon sich 24 Millionen in einem sogenannten Normalarbeitsverhältnis befanden und rund 8 Millionen in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis (vgl. Statistisches Bundesamt 2013a). Auch die Mehrheit der jungen erwerbsfähigen Personen geht einer Erwerbsarbeit nach. Junge Erwerbstätige sind aufgrund ihres Alters gegenüber anderen also nicht generell benachteiligt. In den letzten Jahren haben jedoch Normalarbeitsverhältnisse gegenüber atypischen Beschäftigungsverhältnissen unter den abhängig Beschäftigten an Bedeutung verloren. Das Normalarbeitsverhältnis stellt laut Keller und Seifert (2011: 140) „den abnehmenden Regelfall, atypische Formen den zunehmenden Ausnahmefall dar“. Die Rede ist deshalb von einem „flexiblen Beschäftigungssystem mit einem Kern an ‚Normalarbeit‘ und vielfältigen Ausweichmöglichkeiten“ (vgl. Hohendanner 2013: 36). Diese Entwicklung betrifft alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vermehrt jedoch junge Menschen. Sie sind gegenüber älteren Altersgruppen überdurchschnittlich häufig atypisch beschäftigt. Konkret handelt es sich dabei zumeist um befristete Beschäftigungsverhältnisse oder um solche, die als Leih- und Zeitarbeit deklariert werden (vgl. Statistisches Bundesamt 2013a). Diese beiden Formen können das Risiko der Arbeitslosigkeit und der Verstetigung der mit ihnen verbundenen Unsicherheit erhöhen. In der Jugendforschung ist deshalb die Rede von einer Ausweitung der Jugendarmut aufgrund veränderter Produktions- und Beschäftigungsverhältnisse (vgl. Butterwege 2013: 223) oder von geringeren Selbstverwirklichungsmöglichkeiten aufgrund einer prekären Beschäftigungssituation (vgl. Ferchhoff 2013: 45). Für atypisch Beschäftigte ist eine andere berufliche Entwicklung prognostizierbar als für Arbeitnehmer in langfristig angelegten Normalarbeitsverhältnissen. An die Stelle von Kontinuität tritt Flexibilität. Nachweislich sind ungewisse Berufslaufbahnen eher mit atypischen Beschäftigungsverhältnissen assoziierbar als mit Normalarbeitsverhältnissen. Keller und Seifert (2011: 141) weisen in diesem Zusammenhang auf die deutlich höheren Prekaritätsrisiken hin, von denen atypisch Beschäftigte im Vergleich zu Normalarbeitnehmern und -nehmerinnen betroffen sind. Neben einer veränderten Karrieremobilität zählt hierzu auch eine Lohndiskriminierung. Seit Mitte der 1990er Jahre hat die Lohnungleichheit in Deutschland durch das klare und stetige Wachstum der gering entlohnten Beschäftigung zugenommen (vgl. Eichhorst et al. 2010: 31). Mittlerweile wird für Deutschland ein besonders hohes Maß an Lohnungleichheit nachgewiesen (vgl. Rhein 2013). Geringe Löhne, die insbesondere durch den Ausbau des privaten Dienstleistungssektors zugenommen haben, betreffen Frauen, Ausländer und jüngere Arbeitnehmer in besonderem Maße (vgl. ebd.; Eichhorst et al. 2010: 31).
|| 31 Die Arbeitsmarktsituation wird im Abschnitt 3.2.2 vertiefend behandelt, wobei insbesondere die Beschäftigungssituation junger Arbeitnehmer analysiert wird.
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Ein atypisches Beschäftigungsverhältnis kann unabhängig vom Alter für jeden Erwerbstätigen zu einer Herausforderung werden. Aus der Perspektive der Lebensphase Jugend, mit ihren spezifischen Identitäts- und Orientierungsanforderungen, stellt sich diese Herausforderung entsprechend dar. Mittelfristig wird sich durch die arbeitsmarktbezogene Unisicherheit für ein Teil der jungen Menschen z.B. die Option auf soziale Teilhabe erschwert, was sich auf das Engagementverhalten junger Menschen auswirken kann. Familie Zivilgesellschaftliches Engagement hat viele Wurzeln. Die Familie ist eine davon. So wie die Familie in Fragen der Sozialisierung politischer Partizipation eine zentrale Funktion innehat (vgl. Verba et al. 1995: 418 ff.), kann auch ein enger Zusammenhang zwischen der Familie als Lernort und dem Engagement angenommen werden. In diesem Sinne sind Familien eine wichtige Ressource für Engagement, auch wenn die systematische Betrachtung dieses Zusammenhangs bisher kaum Beachtung gefunden hat (vgl. Jurczyk 2011: 365; Alscher 2011: 58). Wenn Eltern engagiert sind oder über spezifische Mitgliedschaften verfügen, kann dies zu einer Art sozialer Vererbung an die eigenen Kinder führen. Eltern leben ihren Kindern in diesem Sinne eine Aktivität vor, die in abgewandelter Form übernommen werden kann. Dabei erfüllen Familien eine der ihnen zugesprochenen Funktionen, die als Sozialisationsfunktion besprochen wird (vgl. Textor 1990). Nun haben sich die Familien durch verschiedene gesellschaftliche Wandlungsprozesse selbst verändert. Andere Arbeitsstrukturen, verlängerte Ausbildungszeiten, der Wandel der Geschlechterverhältnisse, eine Delegitimationskrise der Institution Ehe (vgl. Peuckert 2008: 28) und andere Entwicklungen haben dazu geführt, dass die Familienformen vielfältiger geworden sind. Diese Veränderung wird auch als Entgrenzungsprozess von Familie besprochen, durch den sie sich in Form und Struktur weiterentwickelt hat (vgl. Jurczyk 2011: 366 f.). Demnach umfasst Familie heute nicht mehr ausschließlich die Gruppe der Ehepaare mit leiblichen Kindern, sondern es wird eine Pluralität der Lebens- und Familienformen bei einer gleichzeitigen Deinstitutionalisierung des bürgerlichen Familienmusters konstatiert (vgl. Peuckert 2008: 23 ff.). Die Pluralisierung der Familienformen zeichnet sich durch instabilere Beziehungen, höheres Heiratsalter, niedrige Fertilität, einen wachsenden Anteil alleinlebender Personen sowie durch neue Formen des Zusammenlebens ohne Ehestatus aus. Das Statistische Bundesamt (2016: 123) zählt in Deutschland (2015) rund 11.408 Millionen Familien; hierunter werden ganz allgemein Mehrpersonenhaushalte mit ledigen Kindern im eigenen Haushalt verstanden. Insgesamt ist die Zahl der Familien in Deutschland seit 1996 um 1,7 Millionen zurückgegangen (vgl. Alscher 2011: 59; Statistisches Bundesamt 2015a: 119). Die veränderte Situation von Familien ist ein vielschichtiges Phänomen; sie zeigt sich u.a. in einer rückläufigen Zahl an Eheschließungen und -paaren (vgl. Statistisches Bundesamt 2015a: 119; Pötzsch 2011: 209) genauso
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wie in einem steigenden Anteil alternativer Familienformen, beispielsweise von Alleinerziehenden (Einelternfamilie) oder Lebensgemeinschaften (vgl. Statistisches Bundesamt 2015a: 119). Die Interpretation der zahlenmäßigen Entwicklung lässt also nicht nur den pauschalen Schluss eines Bedeutungsverlusts der Familie zu, sondern spricht gleichzeitig für einen familialen Formenwandel (vgl. Nave-Herz 2007). Die Entwicklungen im Bereich Familie sind für ein zivilgesellschaftliches Engagement in mindestens zweierlei Hinsicht zu diskutieren. Zum einen gehören Familien trotz vielfältiger Verpflichtungen und damit einhergehenden engen Zeitbudgets zu einer sehr engagierten Gruppe (vgl. Jurczyk 2011: 372; Alscher 2011: 64 ff.; Gensicke/Geiss 2010: 162 ff.). Wenn es also weniger Familien insgesamt gibt, wird sich auch das damit verbundene Engagementpotenzial verringern. Welche Auswirkungen dies auf das soziale Klima hat und inwiefern damit Vorbildfunktionen eingebüßt werden, die durch Eltern für andere soziale Gruppen übernommen wurden, kann in diesem Rahmen nicht geklärt werden. Dennoch ist davon auszugehen, dass mittel- bis langfristig mit familialen Engagementverlusten zu rechnen ist. Zum anderen sind die Zusammenhänge zwischen spezifischen familialen Lebensformen und einem zivilgesellschaftlichen Engagement weitestgehend ungeklärt. Dabei liegt es beispielsweise nahe, dass Alleinerziehende als Sozialisationsinstanz für ein Engagement nicht die gleiche Rolle einnehmen können wie ein Elternpaar. Bereits heute sind Alleinerziehende aufgrund ihrer angespannten sozioökonomischen Situation weniger engagiert als Haushalte, in denen zwei Elternteile leben (vgl. Gensicke/Geiss 2010: 165 f.). Kinder und später dann Jugendliche aus Haushalten von Alleinerziehenden haben so gesehen mit geringerer Wahrscheinlichkeit ein Engagementvorbild im eigenen Haushalt. Ihnen fehlt damit eine wichtige Voraussetzung, später selber einmal engagiert zu sein. Die Frage ist demnach, von welchen konkreten familialen Lebensformen die Sozialisationsfunktion Engagement übernommen werden kann und von welchen nicht. Es wird angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit eines jungen Engagements abnimmt, wenn die Eltern sich nicht engagieren. Weitere Rahmenbedingungen Weitere Rahmenbedingungen, die in der Diskussion um die Engagementpotenziale junger Menschen von Bedeutung sind, hier aber aufgrund des damit verbundenen Umfangs nicht näher analysiert werden können, sollen zumindest kurz genannt werden. Es zählt hierzu der demografische Wandel, der bereits zu einer quantitativen Verringerung der Gruppe junge Menschen geführt hat (vgl. Abschnitt 3.1.3). Damit sind weitreichende Auswirkungen für die zivilgesellschaftliche Engagementkultur und die zivilgesellschaftlichen Organisationen zu erwarten. Einer stetig wachsenden Anzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen steht eine zahlenmäßig abnehmende Gruppe junger Menschen gegenüber. In der Folge gibt es zwangsläufig weniger Menschen, die bestimmte Aufgaben übernehmen können. Insbesondere körperlich anstrengende Tätigkeiten wie im Katastrophenschutz stehen deshalb langfristig gesehen zur Disposition.
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Auch die zunehmende Mobilität bildet eine wichtige Bedingung für ein Engagement. Ein häufiger Wohnortwechsel, z.B. wegen Arbeitssuche oder aus Bildungsgründen, erschwert die langfristige Bindung Engagierter an eine Organisation. Langfristige Bindungen sind in erster Linie bei der Übernahme von Aufgaben wichtig, die ein hohes Maß an Verantwortlichkeit und Planbarkeit implizieren. Gleichzeitig eröffnet ein Ortswechsel den Einzelnen die Möglichkeit, sich um ein neues Engagement zu bemühen, wodurch Aufgaben, die sich zeitlich befristen lassen, in ganz verschiedenen Organisationen übernommen werden können. Ebenso sind Veränderungen im Bereich der traditionellen Sozialsysteme zu nennen. Eine Neuausrichtung der Sozialpolitik kann ebenfalls mit Auswirkungen auf das Engagement verbunden sein. Eine Beschränkung staatlicher Leistungen wie im Falle von Arbeitslosigkeit oder in Bezug auf den Appell an die Eigenverantwortlichkeit bei der Rentenvorsorge ist an Existenzfragen für jeden Einzelnen gebunden. Ob ihre Klärung Vorrang gegenüber weniger existenziellen Aufgaben wie einem Engagement hat, müsste unter Beachtung weiterer Faktoren geklärt werden. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass derartige Entwicklungen für eine Engagementaufnahme von Bedeutung sein können.
2.4.3 Definition und Funktionen des zivilgesellschaftlichen Engagements Der große inhaltliche Facettenreichtum und der damit einhergehende stark heterogene Charakter der Engagements erschweren seine Beschreibung und seine präzise Kennzeichnung. Für das Engagement werden verschiedene Begriffe eingesetzt. Doch obgleich die Vielfalt der Begriffe eine besondere Komplexität des gesellschaftlichen Phänomens suggeriert, sind die verwendeten Definitionsmerkmale nicht ebenso breit aufgestellt. Engagementdefintion in der Forschung Die Begriffe zivilgesellschaftliches, bürgerschaftliches, ehrenamtliches oder freiwilliges Engagement werden trotz ihrer Unterschiede von ihrer inhaltlichen Bestimmung her weitgehend synonym verwendet werden. Das Engagement meint dabei ein Handeln, das durch verschiedene Merkmale gekennzeichnet ist. Hierzu zählen im Einzelnen (vgl. Alscher et al. 2009; Enquete-Kommission 2002; Heinze/Olk 2001; Beher et al. 2000; Zimmer/ Nährlich 2000; Klages/Gensicke 1997): – die Freiwilligkeit, – die fehlende persönliche materielle Gewinnabsicht, – die Ausrichtung der Tätigkeit auf das Gemeinwohl, – die gemeinschaftliche Ausübung (vgl. Enquete-Kommission 2002) – und seine Realisierung im öffentlichen Raum. Anzumerken ist hier, dass obwohl die Orientierung des Handelns auf die Erzielung eines individuellen materiellen Nutzens ausgeschlossen wird, persönliche Gewinne
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in Form von Wissens- und Kompetenzaneignung oder der Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen möglich sind. Der erste Engagementbericht der Bundesregierung ist mit seinem Definitionsansatz einen neuen Weg gegangen. Er nimmt gewisse Elemente der vorhandenen Definitionsansätze auf und erweitert diese zugleich. Damit läuft der Begriff Gefahr, ins Unspezifische auszuufern, was zumindest für seine empirische Operationalisierung problematisch erscheint. Beim bürgerschaftlichen Engagement handelt es sich nach diesem Definitionsversuch um (Deutscher Bundestag 2012: 56): – „Freiwillige Mitverantwortung von Individuen und Organisationen im und für den öffentlichen Raum, dabei reflektiert und anerkennt es die Bürgerpflichten gegenüber dem Gemeinwesen; – es ist strukturbildend und schafft wichtige Impulse für das gesellschaftliche Miteinander, – es drückt sich in kontinuierlichen Leistungen, Innovationen und Problemlösungen aus, mit denen primär kein finanzieller Nutzen angestrebt wird, – es kann sowohl auf neue Regelfindung wie auch auf die Gestaltung des Miteinanders innerhalb staatlicher Rahmenordnung gerichtet sein.“ Im Unterschied zu anderen Definitionsansätzen zum Engagement ist dieses Verständnis durch zusätzliche inhaltliche Bestimmungsmerkmale gekennzeichnet. Insbesondere hinsichtlich der Erwähnung des Engagements in Zusammenhang mit seiner Anerkennung von Bürgerpflichten wurde dabei Kritik geübt. Klein und Schwalb (2013: 1 f.) sind der Auffassung, dass zur Definition des Begriffs bürgerschaftliches Engagement jener der Bürgerpflichten nicht erwähnt werden sollte. Nach ihrer Auffassung ist Engagement freiwillig und von seinem Ursprung her mit dem Gedanken einer Pflicht nicht vereinbar. Schwalb und Klein schlagen deshalb vor, sich weiterhin stärker an dem Begriffsverständnis der Enquete-Kommission zu orientieren. Sie übersehen dabei jedoch offenbar die Festlegung der Enquete-Kommission, der zufolge freiwilliges und bürgerschaftliches Engagement weitgehend identisch sind und: „Nur dort, wo Engagement als Bürgerpflicht im Rahmen des politischen Gemeinwesens vorgeschrieben werden kann (etwa bei der Bestellung von Schöffen), decken sich freiwilliges Engagement und bürgerschaftliches Engagement nicht“ (vgl. Enquete-Kommission 2002: 73). Dass sich gerade das bürgerschaftliche Engagement nicht von Bürgerpflichten wie z.B. staatsbürgerlichen Ehrenämtern distanziert, hat einen ideengeschichtlichen Hintergrund. Denn bürgerschaftliches Engagement bezieht sein Verständnis im besonderen Maße aus der Idee und Existenz eines Bürgerstatus. Das Innehaben von Rechten und Pflichten wird in diesem Sinne als eine Voraussetzung für ein Engagement gesehen (vgl. Enquete-Kommission 2002: 58). Die aufgezeigten Definitionsansätze beziehen sich im Schwerpunkt auf ein Engagement, das in einer Organisation stattfindet bzw. an einen organisationalen Kontext gebunden ist. Neben einem politischen, sozialen, kulturellen oder auf Geselligkeit
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ausgerichteten Engagement in Organisationen gibt es aber auch zahlreiche informelle Aktivitäten, die in Formen des nichtorganisierten Engagements stattfinden (vgl. Alscher et al. 2009). Informelles Engagement beinhaltet weniger stark organisierte Tätigkeiten, die im Sinne einer umfassenden Gemeinnützigkeit von Mensch zu Mensch erfolgen. Sie werden generell außerhalb der Kernfamilie (Eltern mit Kindern) im Rahmen von Netzwerken realisiert (vgl. Priller 2011: 13). Diese Netzwerke können sich aus Gleichgesinnten, Nachbarn, Freunden und Verwandten zusammensetzen. Laut Priller (2011: 12) erfolgt das Engagement „nicht nur in den zivilgesellschaftlichen Organisationen, sondern auch als informelle Tätigkeiten; die Grenzen zwischen formalem und informalem Bereich verschwinden zunehmend“. Eine Engführung des Engagements auf den organisationalen Kontext wird von daher als wenig sinnvoll bzw. als verhandelbar angesehen. Klein und Schwalb (vgl. 2013: 3) argumentieren beispielsweise, dass der Begriff des bürgerschaftlichen Engagements ein informelles Engagement bzw. ein familial-nachbarschaftliches Engagement nicht optimal abbilden kann. Das informelle Engagement hat in anderen Ländern wie der Schweiz oder Österreich einen etablierten Platz in der Engagementforschung eingenommen. In Österreich handelt es sich dabei um die Freiwilligenarbeit auf privater Basis (vgl. Rameder et al. 2011: 269). Hierzu zählt die Nachbarschaftshilfe, ausgenommen ist hingegen die Haus- und Familienarbeit (vgl. ebd.). In der Schweiz ist eine ganz ähnliche Beschreibung der informellen Freiwilligkeit zu finden. Sie ereignet sich außerhalb des eigenen Haushalts im nachbarschaftlichen und privaten Bereich, wozu die erweiterte Familie, der Freundeskreis und die direkte Hilfe an Notleidende zählen (vgl. Stadelmann-Steffen et al. 2010: 29; Ammann 2008: 25). In beiden Ländern wird auf die besondere Bedeutung der informellen Freiwilligkeit verwiesen. Für den Schweizer Fall wird konstatiert, dass ein informelles Engagement eher von Unterschichten ausgeübt wird und unter diesem Gesichtspunkt Fragen des sozialen Zusammenhalts durch Engagement neu zu diskutieren sind (vgl. Ammann 2008: 34). Eine ähnliche Einschätzung findet sich auch im deutschen Raum (vgl. Munsch 2011: 754). Für Österreich wird festgestellt, dass diese Engagementform in Untersuchungen nicht erhoben wird und hier eine Forschungslücke besteht (vgl. Rameder et al. 2011: 270). In der deutschen Engagementforschung findet das informelle Engagement, trotz jüngerer Anstrengungen (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a), vergleichsweise weniger Berücksichtigung. Insofern ist das vorliegende Engagementverständnis auch in diese Richtung weiterzuentwickeln. Ähnliche Abgrenzungsprobleme bestehen im Hinblick auf die Mitgliedschaft. Ob Mitglieder als Engagierte zu bezeichnen sind oder nicht, ist eine Frage des Mitgliedsverständnisses. Insgesamt bestehen jedoch deutliche Schwierigkeiten, den Begriff des Mitglieds zu definieren (vgl. Seckinger et al. 2009: 21). Unterschieden wird allgemein zwischen aktiven und passiven Mitgliedern. Passive Mitglieder leisten für eine spezifische Organisation einen finanziellen Beitrag (z.B. Greenpeace). Dies trifft auch auf aktive Mitglieder zu, die aber zusätzlich in ihrer Rolle als Mitglied Angebote von
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der Organisation in Anspruch nehmen und sich an ausgewählten Aktivitäten der Organisation, beispielsweise der Mitgliederversammlung, beteiligen (z.B. Sportverein). In einzelnen Fällen werden aber auch Ehrenamtliche als eine Form der Mitgliedschaft gefasst (vgl. Gängler 2001: 901). Es ist also durchaus möglich, dass bereits durch eine Mitgliedschaft Verantwortung für eine Organisation übernommen wird, was sich zumindest an ausgewählten Tätigkeiten und Definitionsansätzen zeigen lässt. In der Regel werden die damit verbundenen Aufgaben jedoch nicht als Engagement bezeichnet, da erst die freiwillige Übernahme von Aufgaben, die über eine Mitgliedschaft hinausgehen, als solches bezeichnet wird (z.B. Freiwilligensurvey). Es muss an dieser Stelle einer weiteren wissenschaftlichen Klärung vorbehalten bleiben, inwiefern Mitglieder als Engagierte anzusehen sind. Engagementbegriffe Eine Durchsicht der Engagementliteratur macht schnell deutlich, dass bei der Auswahl der Begrifflichkeit keine eindeutige Systematik zu erkennen ist. Es finden sich Bezeichnungen wie Ehrenamt, freiwilliges oder soziales Engagement genauso wie aktive Mitgliedschaft, Bürgerengagement, bürgerschaftliches oder zivilgesellschaftliches Engagement bzw. Zivilengagement. Insgesamt tut sich ein eher verwirrender Bestand an Begrifflichkeiten auf, der durch teils ausgewiesene, teils aber auch nicht zu erkennende definitorische Unterschiede gekennzeichnet ist. In wenigen Fällen liegen eindeutige Definitionen vor, in anderen Fällen wiederum wird der Begriff mit einigen Merkmalen inhaltlich näher beschrieben. Die sich hierbei ergebende Unschärfe äußert sich in begrifflichen Überschneidungen für ein und denselben Sachverhalt und einer dahin gehend mehr oder weniger verwirrenden Unbestimmtheit der jeweiligen Bezeichnungen für ein Engagement. Auf die fehlende begriffliche Eindeutigkeit wird von einzelnen Autoren hingewiesen (vgl. Alscher 2008: 21 ff.; Anheier 2011 et al.: 122; Priller 2011: 13), überwiegend jedoch ohne dem Problem abhelfen zu können. Die kategoriale Vielfalt zieht deshalb die Forderung nacheiner weiterführenden wissenschaftlichen Klärung nach sich (vgl. Priller 2010: 209). Die Auseinandersetzung um Begriffe ist dabei auch als Ausdruck des Ringens um gesellschaftliche und wissenschaftliche Positionierungen anzusehen (vgl. Rauschenbach 2002: 69). In der vorliegenden Untersuchung wird „zivilgesellschaftliches Engagement“ als Oberbegriff gewählt. Hierfür lassen sich insbesondere die folgenden drei Gründe anführen. – Erstens ist der Begriff des zivilgesellschaftlichen Engagements weniger stark als andere an bestimmte Traditionen und Werthaltungen gebunden. So impliziert ein ehrenamtliches, freiwilliges oder bürgerschaftliches Engagement eine gewisse inhaltliche, teils historisch bedingte Engführung. Zivilgesellschaftliches Engagement ist deshalb offener angelegt und ermöglicht das Mitdenken verschiedener Engagementformen. Das ehrenamtliche Engagement bzw. das Ehrenamt ist einer der ältesten Begriffe. In seiner ursprünglichen Form steht es je nach historischer Einordnung für ein
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öffentliches, aber unentgeltlich übernommenes Amt, für karitative Aktivitäten oder auch für den Erwerb von Ehre. Ein ehrenamtliches Engagement in seiner eher traditionellen Form wird mit Aktivitäten im Sport und in den Wohlfahrtsverbänden verknüpft (vgl. Wohlfahrt 2003; Bendele 1988) und mit einer dauerhaften Bindung an die Träger- und Großorganisationen assoziiert (vgl. z.B. Kohli/Künemund 1997; Baur/Braun 2000; Enquete-Kommission 2002). Gegen Ende der 80er Jahre sprach man bereits von neuen Formen der Ehrenamtlichkeit (vgl. Beher et al. 2000: 12 f.). Das „Neue“ wird als ein Ergebnis des Aufeinandertreffens mehrerer Einflussfaktoren gedeutet. Zu den wesentlichen Konstitutionsbedingungen des ehrenamtlichen Engagements werden die Lebenslage und die organisationalen Voraussetzungen gezählt; sie erklären den Strukturwandel des Ehrenamtes (vgl. Beher et al. 2000: 9 f.). Das neue und moderne ehrenamtliche Engagement ist stärker durch Selbstbezug und -organisation, durch alternative Themen wie Ökologie, durch eine gewisse Professionalität und durch eine deutliche Abgrenzung zur Erwerbsarbeit gekennzeichnet (vgl. ebd.). Aufgrund des historischen Bezugs, der in dem Wort „Ehre“ deutlich wird, ist der Begriff des ehrenamtlichen Engagements jedoch durch einen speziellen Charakterzug gekennzeichnet, der nicht zwangsläufig dem aktuellen Diskurs zum Engagement entspricht. Gleichwohl ist anzumerken, dass die Engagierten ihr Engagement häufig als Ehrenamt bezeichnen (vgl. Gensicke/Geiss 2010: 92). Und auch unter jungen Engagierten kommt die Bezeichnung Ehrenamt auf den zweiten Platz, wenn es um das Selbstverständnis ihres Engagements geht. Ein weiterer Begriff ist jener des freiwilligen Engagements. Er steht für eine vergleichsweise größere analytische Offenheit. Freiwilliges Engagement findet in ganz unterschiedlichen Bereichen sowie Organisationstypen statt und ist mit verschiedenen Motivationsmustern vereinbar (vgl. Alscher 2008: 29 ff.). Freiwilliges Engagement meint eine aus eigenem Antrieb übernommene Aufgabe, die vorranging unbezahlt ausgeübt wird und die in der Regel im Rahmen der organisierten Strukturen des Dritten Sektors stattfindet (vgl. Gensicke/Geiss 2010: 91 f.). In der Praxis zeigt sich, dass es vor allem der Begriff der Freiwilligenarbeit ist, auf den die Engagierten zurückgreifen, um ihr Engagement näher zu beschreiben (vgl. ebd.: 92). Inwiefern sich der Zusatz „Arbeit“ mit einer echten Freiwilligkeit, verstanden als ein selbstloses und nicht verpflichtendes Handeln, vereinbaren lässt, kann an dieser Stelle nicht umfassend geklärt werden. Fest steht jedoch, dass der wissenschaftliche Anspruch mit einer Realität konfrontiert wird, in der offenbar andere Kriterien oder Prioritäten hinsichtlich des Engagementverständnisses eine Rolle spielen. Verpflichtungsmomente, die sich mit dem Begriff der Arbeit assoziieren lassen, seien sie sozialer, normativer oder persönlicher Natur, sind bei der Verwendung des Begriffs freiwilliges – oder auch bei einem anders spezifizierten – Engagement in der Forschung bisher kaum thematisiert worden. Ihre empirische Relevanz bleibt demnach unbestimmt.
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Es besteht deshalb die Gefahr, dass durch das Adjektiv „freiwillig“ ein spezifisches Merkmal betont wird, dessen Bedeutung zwar zentral ist, seine Priorisierung jedoch sehr absolut erscheint. Die Verengung auf die „Freiwilligkeit“ impliziert einen Zuschnitt des Engagements, der im Realen so offenbar nicht immer vorzufinden ist. In diesem Zusammenhang sind die den Motivlagen der Engagierten integrierten Pflichtmomente zu nennen. Die Motive richten sich auch auf die Hoffnung Qualifikationen zu erwerben, beruflich voranzukommen und etwas dazuzuverdienen (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 419 ff.). Diese Motive werden als konkrete Nutzenerwägungen beschrieben, die Individuen zu einem Engagement motivieren (vgl. Haumann 2014: 14). Inwiefern dieser Nutzen in Zusammenhang mit einem konkreten Mangel oder einem sozial vermittelten „Zwang“ steht, wurde in der Forschung bislang nicht umfassend geklärt. Eine Pflichtkomponente kann im zivilgesellschaftlichen Engagement aber aus den dargelegten Gründen nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Vor diesem Hintergrund wird die Verwendung des Begriffs freiwilliges Engagement im vorliegenden Kontext als nicht zweckmäßig angesehen. Bürgerschaftliches Engagement ist der Begriff, den die gleichnamige EnqueteKommission geprägt hat (vgl. Enquete-Kommission 2002). Darunter wird eine freiwillige, nicht auf materiellen Gewinn gerichtete, gemeinwohlorientierte, öffentliche und in der Regel gemeinschaftlich ausgeübte Aktivität verstanden (vgl. ebd.: 86). Das Engagement wird dabei häufig darauf festgelegt, dass es in zivilgesellschaftliche Organisationen oder staatliche Institutionen eingebettet ist (vgl. Enquete-Kommission 2002: 57). Der Begriff „freiwilliges Engagement“ ist zwar dem des „bürgerschaftlichen Engagement“ sehr ähnlich, bei Letzterem liegt jedoch eine stärkere Betonung auf dem Moment der Verantwortungsübernahme im Sinne der Bürgerschaft vor (vgl. Gensicke et al. 2005: 50). In der politischen und wissenschaftlichen Diskussion wird der Begriff des bürgerschaftlichen Engagements häufig im Kontext von politischer Partizipation, sowie Demokratie- und Gemeinwesenentwicklung gesehen. Priller (2010: 199) verwies deshalb auf die demokratiepolitische Fokussierung des Begriffs hin, wodurch beispielsweise ein Engagement in sozialen Feldern oder im Internet ein nachrangiges Gewicht zukommt. Dies trägt der in letzter Zeit zu beobachtenden Ausweitung der Engagementbereiche und -formen nicht genügend Rechnung, weshalb die Zweckmäßigkeit und Treffgenauigkeit des Begriffs auf dem Prüfstand steht (vgl. Priller 2010: 200). Hinzu kommt, dass das Kriterium einer gemeinschaftlichen Ausübung der Tätigkeit nicht zwangsläufig die Realität abbildet. So thematisiert der Freiwilligensurvey seit 2009 die „Organisationsform“ Allein für ein freiwilliges Engagement (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 518). Ähnlich wie bei dem Begriff des freiwilligen Engagements ist folglich auch hier die unzureichende Offenheit für neue Entwicklungen im Engagement kritisch anzumerken.
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Für die Verwendung des Begriffs „zivilgesellschaftliches Engagement“ spricht neben der größeren Offenheit zweitens sein globaler Bezug. Er ist in seiner Bedeutung und in seinem Wortstamm im besonderen Maße anschlussfähig an die internationale Forschung zum Engagement. Im internationalen Kontext findet der Terminus „civic engagement“ – neben dem des etablierten „volunteering“ – breite Anwendung (vgl. Priller 2010: 200). Mit dem Begriff „zivilgesellschaftliches Engagement“ wird somit den Anforderungen einer internationalen Vergleichsperspektive besser Rechnung getragen, was für seine Verwendung spricht. Drittens wird mit dem Begriff des „zivilgesellschaftlichen Engagements“ seine besondere Verortung in der Zivilgesellschaft als intermediärer Bereich zwischen Markt, Staat und Familie festgelegt. Damit wird eine für das Engagement relevante bereichsbezogene Perspektive eingenommen, die sich auf die zivilgesellschaftliche Organisationen konzentriert. Der Zusammenhang zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und der Zivilgesellschaft als Bereich wird auch darin deutlich, dass die Zivilgesellschaft, wie kein anderer gesellschaftlicher Bereich, eine Engagementquelle ist, die verschiedene Formen des Engagements ausbildet (vgl. Olk 2001: 34). Gleichwohl wird an unterschiedlichen Stellen auf ein Engagement in Form eines spezifischen sozialen Handelns im Rahmen von staatlichen Institutionen und Einrichtungen sowie Wirtschaftsunternehmen Bezug genommen (vgl. Gosewinkel et al. 2004: 12). Es ist also grundsätzlich möglich, dass zivilgesellschaftliches Engagement auch in anderen als in den zivilgesellschaftlichen Organisationen stattfindet. Die hier vorgenommene engere Auslegung des zivilgesellschaftlichen Engagements liegt in der empirischen Fragestellung nach der Rolle der Organisationen in Bezug auf das Engagement junger Menschen begründet.
Definition zivilgesellschaftliches Engagement Als Fazit für die theoretische Begriffsbestimmung eines zivilgesellschaftlichen Engagements in der vorliegenden Arbeit kann also festgehalten werden: Zivilgesellschaftliches Engagement ist ein individuelles Handeln, das – erstens sich durch Freiwilligkeit auszeichnet, wobei ein gewisser Spielraum für das Vorhandensein von Pflichtmomenten besteht, – zweitens keinen primären Fokus auf eine materielle bzw. finanzielle Gewinnabsicht (in Abgrenzung zur Erwerbsarbeit) hat, – drittens im öffentlichen Raum stattfindet, d.h. in zivilgesellschaftlichen Organisationen, wozu auch weniger organisationsgebundene Zusammenschlüsse gezählt werden, – viertens eine Ausrichtung auf das Gemeinwohl aufzeigt, d.h. einer größeren Gemeinschaft zugutekommt. Möchte man eine gewisse Differenzierung zwischen Begriffen wie freiwilliges, ehrenamtliches, bürgerschaftliches oder zivilgesellschaftliches Engagement vornehmen,
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dann bezeichnet letzterer einen stärker offenen und damit umfassenderen Begriff. Er soll deshalb nicht unspezifisch daherkommen, nur weniger normen- und wertegebunden sein. Für den empirischen Teil der vorliegenden Arbeit ist zu beachten, dass im Rahmen der Untersuchung verschiedene Beteiligungsformen Berücksichtigung fanden. In der Erhebung wurde ein zivilgesellschaftliches Engagement mit anderen Begrifflichkeiten erfasst. Das zentrale Argument für die Verwendung anderer Begriffe als den des zivilgesellschaftlichen Engagements ist das Vorhandensein einer gewissen Diskrepanz in Bezug auf Ansatz und Anwendung von Begriffen im wissenschaftlichen und praktischen Engagementdiskurs. Die Auswahl eines Engagementbegriffs für die empirische Untersuchung erfolgte in Anlehnung an das weiter oben beschriebene Selbstverständnis der Engagierten. Zivilgesellschaftliches Engagement ist so gesehen nicht nur ein umfassender, sondern derzeit auch ein stärker wissenschaftstheoretisch aufgeladener Begriff. Beim empirischen Vorgehen werden an späterer Stelle drei Beteiligungsformen untersucht: die Mitgliedschaft, ein allgemeines ehrenamtliches Engagement und ein Engagement durch die Übernahme einer ehrenamtlichen Funktion. Die Mitgliederrolle wird aus den zuvor aufgezeigten Gründen nicht zum zivilgesellschaftlichen Engagement gezählt. Ehrenamtlich also auch zivilgesellschaftlich engagiert sind alle Personen, die überwiegend unentgeltlich und freiwillig eine Aufgabe für die Organisation übernehmen. Im Unterschied dazu sind in ehrenamtlichen Funktionen ausschließlich Personen tätig, die in ihr Amt gewählt oder berufen wurden und hier freiwillig und unentgeltlich aktiv sind. Zu diesem zivilgesellschaftlichen Engagement zählen Leitungsfunktionen (z.B. Vorstand, Geschäftsführung) sowie Aufsichts- und Beratungsfunktionen (z.B. Aufsichtsrat, Beirat, Ausschuss bzw. Arbeitskreis). Unter zivilgesellschaftlich engagierten Personen werden somit die ehrenamtlich engagierten Personen einschließlich derjenigen mit ehrenamtlicher Funktionsausübung gefasst. Funktionen des Engagements Die Funktionen des Engagements lassen sich nach unterschiedlichen Ebenen oder Bereichen differenzieren. An dieser Stelle soll näher auf die gesellschaftlichen und individuellen Funktionen eingegangen werden. Dem Engagement werden vier verschiedene gesellschaftliche Funktionen zugeschrieben. Diese Funktionen sind von normativer Natur, denn ihre tatsächlichen Ausprägungen werden eher selten hinterfragt. Die Frage danach, ob es sich deshalb um reale Funktionen und nicht mindestens im gleichen Maße um Erwartungen und Hoffnungen handelt, die sich an das Potenzial des zivilgesellschaftlichen Engagements richten, muss einer weiteren Klärung vorbehalten bleiben. Es ist jedoch grundsätzlich davon auszugehen, dass die Realisierung der Funktionen sowohl kontext-, bereichsund organisationsabhängig ist. So können politische Ereignisse die Funktionsfärbung ebenso beeinflussen wie die konkret übernommenen Inhalte, die vom Sport bis
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zu Umweltthemen reichen. Sofern sich der organisationale Rahmen des Engagements ändert, kann damit auch ein Funktionswandel einhergehen (vgl. Sachße 2011: 24). Das Engagement in einer Organisation eines Wohlfahrtsverbands ist mit einem anderen Ergebnis verbunden als jenes, das beispielsweise bei einer Sportorganisation erfolgt. Weiterhin ist anzumerken, dass es zahlreiche inhaltliche Überschneidungen zwischen den zuvor dargelegten Funktionen von Dritte-Sektor-Organisationen bzw. zivilgesellschaftlichen Organisationen und denen des zivilgesellschaftlichen Engagements gibt. Beide sind voneinander abhängig bzw. aufeinander angewiesen. – Eine viel rezipierte Funktion des Engagements ist sein Beitrag zur sozialen Kohäsion in der Gesellschaft (vgl. Offe/Fuchs 2001; Kistler/Schäfer-Walkmann 2002). In dieser Eigenschaft fördert zivilgesellschaftliches Engagement den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft. In modernen und heterogenen Gesellschaften soll es dazu beitragen, das Miteinander im Sinne eines zivilen Umgangs zu prägen (vgl. Alscher/Priller 2016: 386). Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist demnach ohne zivilgesellschaftliches Engagement gefährdet, weil mit ihm Diskussionsräume und damit Orte für ein wechselseitiges Verständnis unter den Bürgerinnen und Bürgern verloren gehen. Zivilgesellschaftliches Engagement ist so gesehen Gemeinschaft und führt zu einer insgesamt sozial besser funktionierenden Gesellschaft. – An diese Funktion gebunden ist jene zur sozialen Integration. Denn sozialer Zusammenhalt schließt den Gedanken einer gleichberechtigten Einbindung aller Gesellschaftsmitglieder in gesellschaftliche Belange ein. Zivilgesellschaftliches Engagement wird dabei als ein zentraler Integrationsmechanismus beschrieben, der vor dem Hintergrund zunehmender Pluralisierungs- und Entgrenzungserscheinungen in modernen Gesellschaften bedeutsam ist (vgl. Munsch 2011: 747 f.; Alscher et al. 2009: 19 f.). Die Option zur Mitwirkung und Teilhabe an gesellschaftlichen Belangen ist ein Angebot, das Aktivität und nicht Passivität bedeutet. Durch diese Aktivität, also durch das interessengebundene Engagement, kann wiederum jede Bürgerin und jeder Bürger etwas Eigenes gestalten und sich auf diese Weise integrieren. Zivilgesellschaftliches Engagement ist so gesehen „ein Schlüssel zur Tür der Gesellschaft und kann dabei helfen, aus einer Position der gesellschaftlichen Marginalisierung und Randlage mitten unter die Menschen zu kommen“ (Akgün 2008: 21). – Im Kontext der Debatte um eine partizipationsfreundliche Demokratie wird dem zivilgesellschaftlichen Engagement eine demokratiefördernde Bedeutung zugesprochen (vgl. Putnam 1993; Zimmer 1996; Schmitz 2000). Es geht um die Stärkung der Demokratie und die Förderung von Vertrauensverhältnissen durch zivilgesellschaftliches Engagement. Denn über eine entsprechende Tätigkeit bietet sich für jede Person die Möglichkeit, eigene Interessen in Assoziation mit anderen zu bündeln und zu artikulieren. Diese Interessenartikulation erfolgt unabhängig vom politischen System und lässt von daher eine andere und von diesem unabhängige Problemlösungsorientierung zu (vgl. Alscher et al. 2009: 19). Eine
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derartige Beteiligung beschränkt sich dabei nicht nur auf das Wirken der Bürger in speziellen Organisationen der politischen oder allgemeinen Interessenvertretung, sondern die Palette reicht von der Kultur über Soziales bis zu Umwelt und Tierschutz. Und schließlich wird das Engagement als lebendige Seite der Gesellschaft betrachtet, über die vermittelt Bürgerinnen und Bürger an der Erstellung sozialstaatlicher Leistungen kooperativ mitwirken können (vgl. Enquete-Kommission 2002). Die Erbringung von bestimmten Leistungen für andere, an denen man aber auch selbst partizipieren kann, wird als Wohlfahrtsproduktionsfunktion beschrieben (vgl. Alscher et al. 2009: 20). Durch die Aktivitäten wird die soziale Infrastruktur stabilisiert. Die Engagierten werden auf diese Weise ein Stück weit zu alternativen, nicht dem Markt oder Staat zugehörigen „Dienstleistern“. Gerade im sozialen Bereich, sei es in der Jugendarbeit oder der Altenpflege, übernehmen Engagierte Aufgaben, die im weitesten Sinne Teil des sozialstaatlichen Leistungsspektrums sind.
Neben den gesellschaftlichen existieren individuelle Funktionen des zivilgesellschaftlichen Engagements. Eine individuelle Funktion beschreibt die Verbesserung der eigenen Lebenszufriedenheit (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016: 472) und Lebensqualität (vgl. Alscher/Priller 2016: 383) durch ein Engagement. Eine Verbesserung der eigenen Lebensqualität erfolgt aus verschiedenen Gründen. Erstens wählen Engagierte ihre Tätigkeiten nach ihren eigenen Interessen und persönlichen Motiven aus. Sie suchen sich also etwas, dass ihnen Freude bereitet. In dieser Perspektive ist das Engagement sehr persönlich. Zweitens kommt man über ein Engagement oftmals mit anderen Menschen zusammen. Dadurch kann man auf Menschen treffen, die einem sympathisch sind, wodurch sich das persönliche Netzwerk erweitert. Es ist das Erleben einer Gemeinschaft, welches die Lebensqualität erhöht. Zivilgesellschaftliches Engagement hilft auch, die eigene soziale Identität zu entwickeln und individuelle Sinngebung zu erfahren (vgl. Beetz et al. 2014: 26 ff.). Sich zu engagieren bedeutet, verändernd aktiv zu werden bzw. etwas zu bewirken und hierfür eine „Belohnung“ zu bekommen, sei es durch Anerkennung oder innere Befriedigung. Beetz et al. (ebd.: 385 ff.) sprechen dabei von sogenannten Resonanzräumen, die sich den Engagierten im Sinne eines erfahrbaren Gebens und Nehmens eröffnen. Die Verweigerung solcher Räume, wie sie sich unter anderem besonders in den Bereichen Arbeit und Politik beobachten lässt, führt in der Regel zu einem Rückzug ins Private oder zu Frustration bei den Individuen. Inwiefern die aufgeführten Funktionen tatsächlich durch das Engagement realisiert werden, lässt sich bislang nicht umfassend empirisch belegen. Hierfür fehlt es an entsprechenden Daten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die einzelnen Funktionen von verschiedenen sozialen Gruppen unterschiedlich erlebt werden. Hierzu tragen individuelle, organisationale und gesellschaftliche Voraussetzungen bei. Wie noch aufzuzeigen sein wird, ist die Möglichkeit sich zu engagieren von persönlichen
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Ressourcen abhängig, über die nicht alle Menschen im selben Maße verfügen. Munsch (2011: 750 ff.) spricht von „gesellschaftlich strukturierten, eingeschränkten Zugängen zu sozialen und materiellen Ressourcen“, die eine Benachteiligung einzelner sozialer Gruppen im organisierten Engagement nach sich ziehen. Zivilgesellschaftliches Engagement findet inmitten der Gesellschaft und den mit ihr verbundenen sozialstrukturellen Schieflagen statt. Deshalb wird vor einer Überhöhung der gesellschaftlichen Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements gewarnt (vgl. Deutscher Bundestag 2012: 49). Ebenso sind den gesamtgesellschaftlichen Funktionen des Engagements Grenzen gesetzt. Die Funktion der Wohlfahrtsproduktion ist beispielsweise nicht losgelöst von bestimmten Gefahren oder Kehrseiten. Die Rolle des Engagements als Lückenbüßer bzw. Reparaturbetrieb für dauerhaft unzureichendes staatliches Handeln zeigt die Grenzen der Funktion der Wohlfahrtsproduktion auf (vgl. Deutscher Bundestag 2012: 47).
2.4.4 Civic Voluntarism Model (CVM) Ein in sich geschlossenes theoretisches Modell zum Engagement, das Erklärungsfaktoren auf der Mikro-, Meso- und Makroebene integriert, ist in der aktuellen Engagementforschung nicht auszumachen. Eine derartige Engagementtheorie liegt also in der deutschen Forschung zum Thema nicht vor (vgl. Priller 2010: 195). Um jedoch erklären zu können, warum Menschen sich engagieren, oder um zu begründen, weshalb es überhaupt wichtig ist, die Strukturen und Veränderungen im Engagement zu untersuchen, bedarf es nicht nur empirischer Angaben, sondern darüber hinausgehender umfassender theoretischer Argumente. Deshalb wird an dieser Stelle neben die zuvor ausgeführte Rolle, die die Organisationen in Fragen des Engagements einnehmen, jene des Individuums gestellt. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung stellt dies einen Versuch dar, die theoretischen Defizite in der Engagementforschung abzubauen. Zur Beantwortung der Frage, warum Menschen sich freiwillig einbringen, können Erklärungsansätze zur allgemeinen Begründung von Beteiligungsprozessen herangezogen werden, die auf der individuellen Ebene ansetzen. In diesem Zusammenhang wird häufig auf das „Civic Voluntarism Model“ (vgl. Verba et al. 1995) oder die „Integrated Theory of Volunteer Work“ (vgl. Wilson/Musick 1997) als Erklärungsmodelle für freiwillige Beteiligung Bezug genommen. Beide Modelle erklären, warum es zur freiwilligen Beteiligung kommt, und sind dabei auf die hierfür notwendigen Ressourcen fokussiert. In ihren Ergebnissen hinsichtlich der Einflussfaktoren kommen sie zu ähnlichen Ergebnissen (vgl. Emmerich 2012: 65 ff.). Keine Berücksichtigung finden in den Modellen die Fragen, wie bestimmte Aktivitäten über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden oder warum sie wieder aufgegeben werden. Eine besondere theoretische Erklärungskraft für ein zivilgesellschaftliches Engagement kann dem Civic Voluntarism Model (CVM) zugewiesen werden (vgl. Verba et
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al. 1995). Das Modell erklärt, warum sich einige Menschen politisch beteiligen und andere nicht. Hierfür werden Einflussfaktoren benannt, die zu verschiedenen Formen politischer Partizipation32 führen. Zu den wesentlichen Einflussfaktoren zählen: Ressourcen, individuelle politische Dispositionen33 und Rekrutierungsnetzwerke. In ihrer theoretischen Argumentation folgen die Autoren einer modifizierten RationalChoice Logik, indem der Fokus auf dem Aspekt der Kosten und nicht auf dem Nutzen liegt: „by […]paying attention to the costs in the participation calculus, a ressource explanation of participation makes rational actor theory more predicitve of the amount and source of participation“ (Verba et al. 1995: 284). Verba, Schlozman und Brady (1995) gehen davon aus, dass die Entscheidung, zu partizipieren, Kosten verursacht. Sie stellen fest, dass diese Kosten leichter zu tragen sind, wenn man über die dafür nötigen Ressourcen verfügt. Die Wahrscheinlichkeit zur Partizipation erhöht sich mit einer entsprechenden Ressourcenausstattung bzw. mit der Verringerung der Partizipationskosten. Das Civic Voluntarism Model versteht sich also als ein ressourcenorientierter Ansatz (vgl. ebd.: 270). Eine weitere für die theoretische Fundierung des CVM relevante Dimension ist die Berücksichtigung der „major social institutions“ wie Familien, Arbeit, Kirchen und gemeinnützige Organisationen (vgl. ebd.: 271). Die Autoren gehen davon aus, dass die für politische Beteiligung relevanten Einflussfaktoren in diesen sogenannten nichtpolitischen Institutionen sozialisiert werden (vgl. ebd.). In familialen, bildungs, arbeits- und freizeitbezogenen Kontexten werden Erfahrungen gesammelt und Bindungen eingegangen, aus denen im Lebensverlauf die partizipationsfördernden Ressourcen erwachsen. Laut Verba et al. gibt es keinen „single path to political participation. The factors associated with political activity […] derive from economic position in the labour force, from involvement with voluntary associations and religious institutions, and from families and schools“ (Verba et al. 1995: 459). Familien nehmen unter den Sozialisationsinstanzen zur politischen Partizipation eine zentrale Funktion ein. Der sozioökonomische Status der Eltern, ihr Bildungsstand und das Ausmaß ihrer politischen Involvierung entscheiden demnach mit darüber, ob ein Kind im weiteren Lebensverlauf politisch aktiv wird oder nicht (vgl. ebd.: 418 ff.). Die Bildung, die eine Person über die eigenen Eltern erhält, nimmt dabei eine Schlüsselposition ein. So führt bessere Bildung zumeist zu einem höheren Einkommen, eröffnet den Zugang zu größeren Netzwerken sowie politischen Informationen und ermöglicht den Erwerb von zivilen Fähigkeiten in unterschiedlichen institutionellen || 32 Es werden neun verschiedene Formen politischer Aktivitäten unterschieden. Hierzu zählen u.a. Wahlbeteiligung, Kampagnenarbeit, Spenden, Protest, informelle kommunale Aktivität, politisches Engagement in gemeinnütziger Organisation (vgl. Verba et al. 1995: 42). 33 Individuelle politische Dispositionen sind die hier verwendete Umschreibung für den von Verba et al. eingesetzten Begriff political engagement (1995: 343). Sie wird anstelle der Übersetzung „politisches Engagement“ eingesetzt, da das Wort Engagement im deutschen Sprachgebrauch eine abweichende Bedeutung hat.
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Settings (vgl. ebd.: 420). Personen mit einem Bildungsvorteil sind daher in Fragen der Partizipation privilegiert. Im Folgenden wird gezeigt, dass das CVM sich nicht nur auf politische Partizipation anwenden lässt, sondern sich auch als Erklärungsansatz für zivilgesellschaftliches Engagement anbietet. Es wird davon ausgegangen, dass zivilgesellschaftliches Engagement ebenfalls nur durch das Zusammenspiel der im Modell beschriebenen Faktoren erklärt werden kann (vgl. Emmerich 2012: 67). Allerdings sind bestimmte Besonderheiten eines zivilgesellschaftlichen Engagements zu berücksichtigen, auf die an entsprechender Stelle eingegangen wird. Einflussfaktoren im Civic Voluntarism Model Die partizipationsrelevanten Einflussfaktoren ermitteln Verba et al. (1995: 269), indem sie nach Antworten auf die Frage suchen, warum Menschen nicht partizipieren: „[…] because they can’t; because they don’t want to; or because nobody asked“. Jede Antwort verweist auf eine für Partizipationsentscheidungen bzw. -verhalten relevante Komponente: Ressourcen, individuelle politische Dispositionen sowie Rekrutierungsnetzwerke. Obgleich alle drei Faktoren für das Partizipationsverhalten von Personen als wichtig beurteilt werden, werden die Verfügbarkeit von Ressourcen und die subjektiv politischen Dispositionen aus methodischen und theoretischen Gründen ins Zentrum der Betrachtungen des Civic Voluntarism Model gestellt (vgl. ebd.: 270). Neben den genannten Faktoren verweisen Verba et al. auf weitere Einflussgrößen, die politische Partizipation stimulieren können, aber nicht zu den Kernelementen des CVM zählen (1995: 518 ff.). Im Folgenden wird auf die einzelnen Einflussfaktoren näher eingegangen. Einflussfaktor: Ressourcen Im Civic Voluntarism Model werden drei für politische Partizipation bedeutsame Ressourcen unterschieden: Geld, Zeit und Civic Skills. Alle drei Ressourcentypen spielen für die Frage, ob eine Person politisch aktiv wird, eine tragende Rolle (vgl. Verba et al. 1995: 366). Ein Minimum an Geld, Zeit und Civic Skills ist erforderlich, um politisch partizipieren zu können. Dabei gelten die Ressourcen Geld, Zeit und Civic Skills in ihrer Kombination als besonders effektiv, das heißt, jemand, der über alle drei Ressourcentypen verfügt, hat beste Voraussetzungen, politisch aktiv zu werden (vgl. ebd.: 271). Im CVM wird das einer Person zur Verfügung stehende Geld über das verfügbare Familieneinkommen gemessen. Der Faktor freie Zeit umfasst das Zeitbudget einer Person, das abzüglich verschiedener Tätigkeiten wie Kindererziehung und Arbeit übrig bleibt (vgl. ebd.: 289). Unter Civic Skills subsumieren die Autoren z.B. Sprachkenntnisse, wie einen guten Wortschatz, oder nachweisbare Erfahrungen im organisatorischen Bereich (vgl. ebd.: 304 f.). Es geht dabei um organisatorische und kommunikative Fähigkeiten, die es den Individuen bei politischen Zusammenkünften oder Veranstaltungen erleichtern, sich einzubringen und zurechtzufinden.
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Ist den Individuen der Zugang zu den einzelnen Ressourcen verwehrt oder verfügen sie über diese nur in einem begrenzten Umfang, ist ihre Partizipationswahrscheinlichkeit deutlich eingeschränkt. Denn über ein Einkommen sind Spenden möglich, die Protestteilnahme erfordert Zeit, und um eine Kampagne oder Petition zu starten, sind organisatorische und sprachliche Fähigkeiten von Vorteil (vgl. ebd.: 271). Die Relevanz der einzelnen Ressourcen für die Partizipationswahrscheinlichkeit einer Person ist jedoch unterschiedlich. Dies zeigt sich beispielsweise im Vergleich der Ressourcen Geld und Zeit. Der Einfluss des Einkommens auf die Realisierung von Partizipationsformen, die Geld in Anspruch nehmen, ist stärker als der Einfluss von individuell vorhandener Freizeit auf die Realisierung zeitintensiver Partizipationsformen (vgl. ebd.: 515). So kommt es vor, dass gerade viel beschäftigte Personen mit einem geringen Freizeitbudget politisch aktiv werden (vgl. ebd.). Im Bereich des zivilgesellschaftlichen Engagements kann ausgehend von einem ausgeprägten Freizeitbudget ebenfalls nicht automatisch auf eine höhere Engagementwahrscheinlichkeit geschlossen werden. Einerseits findet sich bestätigt, dass, sobald zeitbindende familiäre und berufliche Verpflichtungen abnehmen, mehr Zeit für ein freiwilliges Engagement bzw. für die Übernahme eines Ehrenamtes bleibt (vgl. Kahle/Schäfer 2005). Andererseits „scheint sich die verfügbare Zeit als Voraussetzung für ein bürgerschaftliches Engagement zu relativieren“ (Deutscher Bundestag 2012: 71 f.). Denn zeitlich stärker beanspruchte Personen wie Erwerbstätige sind eher engagiert als z.B. Rentner und Rentnerinnen (vgl. ebd.). Die Betrachtung von frei verfügbarer Zeit als Voraussetzung für ein freiwilliges Engagement sollte deshalb unter Berücksichtigung der anderen Ressourcen (Geld und Civic Skills) erfolgen, da Personengruppen mit überdurchschnittlich viel Freizeit mit diesen häufig schlechter ausgestattet sind (vgl. Gabriel et al. 2004: 342). Im Vergleich zum Ressourcentyp Zeit gilt Geld im Civic Voluntarism Model als eine sehr wichtige Voraussetzung für das Partizipationsverhalten. Denn Verba et al. konnten einen direkten und starken Zusammenhang zwischen der Höhe des Einkommens und der Spendenwahrscheinlichkeit nachweisen (vgl. Verba et al. 1995: 515 f.). Zu diesem Ergebnis kommt auch die Spendenforschung in Deutschland. Demnach wirkt sich die Höhe des vorhandenen Einkommens eindeutig auf das Spendenverhalten aus. Gemessen an dem jeweils verfügbaren Einkommen spenden Personen in unteren Einkommensgruppen geringere Geldsummen als Personen mit höheren Einkommen (vgl. Priller/Schupp 2011: 36). Doch sind es nicht nur Spenden, die mit der Verfügbarkeit von Geld variieren. Die Möglichkeit, sich freiwillig zu engagieren, ist ebenfalls von der individuellen Liquidität abhängig. Dies wird indirekt bereits über den Zusammenhang von Erwerbsarbeit und Engagement deutlich, denn das Vorhandensein einer Erwerbsarbeit beeinflusst die materielle Lage einer Person. Es wurde vielfach belegt, dass neben der Religionsbindung oder der Bildung die Erwerbsarbeit eine wichtige Voraussetzung für zivilgesellschaftliches Engagement ist: Menschen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, sind eher freiwillig aktiv als Personen ohne Arbeit (vgl. Mückenberger 1990; Erlinghagen et al. 1997; Schumacher 2003; Deutscher
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Bundestag 2012; Seidelmann 2012). Ein direkter Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit von Geld und Engagement zeigt sich bei der Berücksichtigung des individuellen Einkommens. Betrachtet nach der Einkommenssituation sind Personen mit geringerem Einkommen in Deutschland unterdurchschnittlich engagiert (vgl. Böhnke/Dathe 2010: 14 f.). Die einzelnen Ressourcenformen sind entlang soziodemografischer Merkmale ungleich unter den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen verteilt. Mit dieser durch Ungleichheit geprägten Verteilungsstruktur kann ein wesentlicher Teil des unterschiedlichen Partizipationsverhaltens erklärt werden (vgl. Verba et al. 1995: 288). Die stimulierende Beziehung zwischen sozialökonomischer Privilegierung und einem aktiven Partizipationsverhalten gehört zu den zentralen Aussagen im Civic Voluntarism Model (vgl. ebd.: 512). Laut Gabriel et al. (2004: 349 f.) beeinflusst die Ressourcenausstattung auch das Engagementverhalten, die Unterschiede zwischen ressourcenreichen und ressourcenarmen Personengruppen sind im Engagement jedoch weniger stark ausgeprägt. Einflussfaktor: Individuelle politische Dispositionen Politische Partizipation ist nicht zuletzt eine Einstellungsfrage. Sie wird getragen von Überzeugungen und Interessen und erfordert den Willen, sich für eine Sache einzusetzen. Verba et al. (1995: 345) benennen diesen für politische Aktivitäten wichtigen Einflussfaktor als political engagement bzw. individuelle politische Dispositionen und meinen damit das Zusammenspiel aus politischem Interesse, subjektiven politischen Kompetenzen34, politischer Informiertheit sowie Parteiidentifikation. Die individuellen politischen Dispositionen umschreiben das Ausmaß der persönlichen Wachsamkeit und Identifizierung sowie das Interesse und Wissen in Bezug auf politische Themen. Menschen, die gegenüber ihrer Umwelt aufmerksam sind sowie politischen Prozessen aufgeschlossen begegnen und in diese Zutrauen haben, verfügen über Eigenschaften, die für politische Partizipation förderlich sind. Im Unterschied dazu sind Gleichgültigkeit und politisches Desinteresse keine verträglichen Voraussetzungen für politische Partizipation. Verba et al. (1995: 343/347) umschreiben den Einflussfaktor individuelle politische Disposition auch als psychologische Prädispositionen oder als Motivationen. Sie bringen Menschen dazu, sich politisch einzubringen. Obgleich Ressourcen von durchschlagender Bedeutung für politische Partizipation sind, ist eine entsprechende Beteiligung häufig ein Ergebnis des Zusammenspiels beider Faktoren (vgl. || 34 Subjektive politische Kompetenz ist bereits eine Übersetzung des von Verba et al. (1995) benutzten Begriffs political efficacy (vgl. Hansen 2009: 19). Political efficacy wurde im Civic Voluntarism Model durch Einschätzungsfragen zur Wahrnehmung des individuellen Einflusses auf politische Entscheidungsträger gemessen; hierzu zählt z.B. die Frage: „How much influence do you think someone like you can have over local government decisions – a lot, a moderate amount, a little, or none at all?“ (vgl. Verba et al. 1995: 556).
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ebd.: 354). Auch ein zivilgesellschaftliches Engagement erfolgt nicht ohne individuelle Bezüge. Diese werden in einem separaten Abschnitt an späterer Stelle als Einfluss von biografischen Zusammenhängen und Motiven besprochen. Einflussfaktor: Rekrutierungsnetzwerke Im Civic Voluntarism Model wird neben Ressourcen und den individuellen politischen Dispositionen ein dritter Einflussfaktor für politische Partizipation benannt: Rekrutierungsnetzwerke. Netzwerke, die in nichtpolitischen Institutionen wie dem Arbeitsplatz, den gemeinnützigen Organisationen oder der Kirche bestehen, sind für eine Person und ihre Partizipationswahrscheinlichkeit in drei Richtungen wirkungsvoll (vgl. Verba et al. 1995: 369 ff.). – Erstens erhält der Einzelne über die Verbindung zu diesen Institutionen den Zugang zu sozialen Kontakten bzw. dortigen Netzwerken. In diesen werden Individuen konkret auf bestimmte Aktivitäten angesprochen bzw. zu diesen motiviert. Die persönliche Ansprache sticht in ihrer Funktion zur Aktivierung politischer Partizipation hervor. Sie ist in ihrer Bedeutung nahezu ebenso wichtig wie der Bildungshintergrund und der Einfluss der Civic Skills (vgl. Verba et al. 1995: 389). Besonders über die Einbindung in kirchliche Netzwerke bzw. Kirchen erfolgt eine Mobilisierung dieser Art (vgl. ebd.: 373). Die persönliche Ansprache erfolgt in der Regel durch vertraute Personen und ist dann am ehesten erfolgreich (vgl. ebd.: 140 ff.). Es sind vor allem Personen mit Einkommens- und Bildungsvorteilen bzw. Personen mit Partizipationserfahrungen, die auf politische Aktivitäten angesprochen werden (vgl. ebd.: 158/376). Auf diese Weise entsteht eine durch sozial-ökonomische Merkmale gekennzeichnete Netzwerkstruktur von Personen mit Partizipationserfahrungen oder -anliegen, die sich durch sich selbst erhält. – Zweitens eröffnen sich über die Einbindung in Netzwerke nichtpolitischer Institutionen Diskussionsräume, in denen verschiedene Themen behandelt werden (vgl. Verba et al. 1995: 369 f.). Über die Beteiligung an den Diskussionen werden Informationen und Hinweise über politische Inhalte und mögliche Aktivitäten erworben. Solche Gesprächsforen für politische Themen ergeben sich zumeist in gemeinnützigen Organisationen (vgl. ebd.: 373). Personen, die zu den Organisationen Kontakt haben oder sich dort aufhalten, verfügen folglich über ein breiteres Spektrum an partizipationsrelevanten Informationen. Durch sie sinken die Informationskosten, die bei Partizipationsentscheidungen entstehen, was sich positiv auf die Partizipationswahrscheinlichkeit einer Person auswirkt (vgl. ebd.: 370). – Drittens werden in den nichtpolitischen Institutionen Civic Skills ausgebildet (vgl. Verba et al. 1995: 40/377 ff.). Diese wirken förderlich auf politische Partizipation. Die Aneignungsmöglichkeiten von organisatorischen und kommunikativen Fähigkeiten variieren nach Institutionstyp. Sie werden insbesondere bei der Arbeit, aber auch in gemeinnützigen Organisationen trainiert (vgl. ebd.: 378).
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Insgesamt beeinflussen nichtpolitische Institutionen bzw. die dort angesiedelten Netzwerke das Partizipationsverhalten also in mehrfacher Hinsicht. Sie sind auf direkte und indirekte Weise eine Art Arena politischer Stimulierung. Kritisch vermerkt werden muss an dieser Stelle jedoch, dass Verba et al. (1995) in ihre Analyse zur Bedeutung der Rekrutierungsnetzwerke nur solche mit einem institutionellen Charakter in die Betrachtung einbeziehen. Informale und nichtinstitutionelle Settings sind nicht Bestandteil ihrer Betrachtung (vgl. Emmerich 2012: 67 f.). In der Engagementforschung liegen Ergebnisse vor, die ebenfalls auf den Zusammenhang von Rekrutierungsnetzwerken und freiwilligem Engagement eingehen, dabei jedoch stärker die Rolle der informalen sozialen Netzwerke berücksichtigen. Klages (2003) verweist hierbei auf die Rolle sozial gelagerter Vorentscheide im Engagement. Sozial gelagerte Vorentscheide werden im Rahmen der Erziehung und der weitergehenden Sozialisierung getroffen. Sie sind Teil der individuellen Lebensbiografie und zeigen sich später u.a. im Vorhandensein von Kontakten und Netzwerken. Klages spricht in diesem Zusammenhang von Gelegenheiten und Anstößen, die aus diesen privaten Netzwerken entstehen und zu einem Engagement führen (vgl. Klages 2003: 312). Auch Emmerich (2012) hebt den wichtigen Stellenwert informaler sozialer Netzwerke im Engagement hervor. Dabei sind es Freundes- und Bekanntenkreise, die die Engagementwahrscheinlichkeit des Einzelnen in besonderem Maße positiv befördern (vgl. ebd.: 183 ff.). Es sind jedoch nicht nur persönliche Netzwerke, die ein Engagement befördern, sondern auch organisationsbezogene Verbindungen. Aufgrund der häufigen Anbindung des Engagements an die zivilgesellschaftlichen Organisationen nehmen sie in Fragen des Engagementzugangs eine gesonderte Position ein. Demnach beeinflussen organisationsgebundene Netzwerke, wer einen Zugang zu bestimmten Positionen im Engagement erhält (vgl. Klages 2003). Laut Klages (2003: 321) erfolgt „die Einmündung ins Engagement bei der überwiegenden Mehrzahl der infrage kommenden Positionen über Rekrutierungsprozesse […], die gleichzeitig Selektionsprozesse sind, indem der Besitz von Eigenschaften, die einer sozialen Höherschätzung unterliegen, über die Zulassung mitentscheidet“. Rekrutierungsnetzwerke sind somit im Kontext eines zivilgesellschaftlichen Engagements biografisch vermittelt und existieren in den Organisationen selber. Über sie erschließen sich die für ein Engagement relevanten Informationen und die Möglichkeit, auf bestimmte Aktivitäten und Positionen angesprochen zu werden.
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Weitere Einflussfaktoren: Religion, lokale Bindung und Themenorientierung35 Ressourcen, Netzwerke und die individuellen politischen Dispositionen sind im Civic Voluntarism Model von zentraler Bedeutung für die Frage, warum Menschen politisch partizipieren. Ihr Einfluss ist von allgemeiner bzw. grundsätzlicher Art und langfristig angelegt. Parallel dazu sind solche Faktoren für die Fragestellung erwähnenswert, deren Relevanz nur für spezifische Gruppen gilt oder kurzfristig ausgerichtet ist. Hierzu zählen religiöse Einrichtungen bzw. die Kirche, das Ausmaß der lokalen Bindung einer Person sowie die individuelle Themenorientierung bzw. -ausrichtung (vgl. Verba et al. 1995: 518 ff.). Wie später zu zeigen sein wird, sind diese Dispositionen bei einem Engagement verstärkt in Betracht zu ziehen. Ein kleines Gegengewicht zur Bedeutung der Ressourcenausstattung in Partizipationsfragen bildet die lokale Bindung einer Person. Menschen, die lange an einem Ort leben, sind stärker in lokalen Kontexten aktiv als solche, die ihren Wohnort häufiger wechseln. Einflussreich ist auch die Rolle der Kirche. Personen, die Zugang zu religiösen Einrichtungen haben oder hier engagiert sind, profitieren davon im Hinblick auf die Möglichkeit zur politischen Partizipation in zweierlei Hinsicht: Sowohl die persönliche Ansprache für politische Aktivitäten als auch die Ausbildung partizipationsrelevanter kommunikativer und organisatorischer Fähigkeiten erfolgt in dieser Institution. Neben diesen eher institutionell gebundenen Einflussgrößen gibt es gesellschaftspolitische Themen, die zu politischer Partizipation führen. Wenn Personen von einzelnen Themen stark überzeugt (z.B. Atompolitik) oder selbst betroffen (z.B. Lohnpolitik) sind, stimulieren die gesellschaftlich verhandelten Inhalte ihr Partizipationsverhalten. In der Konsequenz bestimmt auch die individuelle Themenorientierung das Partizipationsverhalten einer Person.
2.4.5 Engagementspezifische Erweiterung des CVM Verba, Schlozman und Brady (1995) betonen in ihren Ausführungen zum Civic Voluntarism Model die besondere Bedeutung von Ressourcen, Netzwerken und individuellen politischen Dispositionen für Beteiligungsprozesse. Sie verringern die Kosten, die bei einem Partizipationsentscheid anfallen. Wie bereits ausgeführt, sind diese Faktoren für ein zivilgesellschaftliches Engagement ebenfalls von Relevanz. Zudem sind zur Erklärung für ein Engagement auf der individuellen Ebene weitere Einflussfaktoren auszumachen, um die das CVM zu erweitern ist. Dabei wird in einem ersten Schritt auf den Ansatz von Emmerich (2012) eingegangen. Er stellt zwar mit seinem Erklärungsversuch für ein Engagement keinen direkten Bezug zum CVM her,
|| 35 Themenorientierung ist die Übersetzung des im Civic Voluntarism Model verwendeten englischen Begriffs Issue Engagement (Hansen 2009: 21).
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zeigt aber wesentliche Möglichkeiten zur notwendigen engagementspezifischen Erweiterung sowie Ergänzung dessen auf und bestätigt mit seinen Ergebnissen die Übertragbarkeit des CVM auf ein Engagement. In einem zweiten Schritt werden darauf aufbauend ausgewählte Einflussfaktoren auf das Engagement einer vertiefenden Darstellung unterzogen. Freiwilliges Engagement, so Emmerich (2012: 91 ff.), entsteht durch das Aufeinandertreffen und Zusammenwirken von spezifischen Bedingungen auf der Makround Mikroebene bzw. durch deren logische Verschränkung. Sein theoretisches Erklärungsmodell für Engagement knüpft damit an die strukturtheoretisch-individualistische Sozialtheorie von Hartmut Esser (vgl. 1999a, 1999b, 2000, 2001, 2006) an. Die Erklärung kollektiver Phänomene muss demnach individuelles Handeln berücksichtigen. Emmerich konzentriert sich in seinem Erklärungsmodell für Engagement auf die Engagementbedingungen auf der Individual- bzw. Mikroebene. Er stellt dar, wie sich individuelle Situationsumstände auf die Entscheidung des Individuums für oder gegen ein Engagement auswirken. Dabei versucht er die makrostrukturelle Situation und Entwicklung, wie jene des Wertewandels, nicht ganz auszublenden (vgl. ebd.: 108). Die Mesoebene, die vor allem durch den Bereich der zivilgesellschaftlichen Organisationen gebildet wird, findet hingegen weder direkt noch indirekt Berücksichtigung. Emmerich versucht allgemein zu klären, „[…] unter welchen situativen Umständen zu erwarten ist, dass ein Akteur in Folge einer subjektiven Wahl ein freiwilliges Engagement übernimmt“ (ebd.: 110). Wie seine empirischen Analysen insgesamt nachweislich zeigen, hängt die Engagementwahrscheinlichkeit neben dem Beziehungskapital (Verbindungen im privaten Umfeld) am deutlichsten vom sozioökonomischen Status, dem Bildungsgrad, der Religionsverbundenheit und von den Engagementwerten („Benachteiligten helfen“) einer Person ab (vgl. ebd.: 191 ff.). Zugleich spielt die Ausprägung von bestimmten Kompetenzen wie jener der Kommunikationsund Organisationsfähigkeit eine wichtige Rolle. Da diese über die Ressourcen vermittelt werden, lassen sie sich nur indirekt nachweisen. An dieser Stelle wird die inhaltliche Nähe zum Civic Voluntarism Model deutlich. Allerdings differiert das Beziehungskapitalverständnis bei Emmerich (2012) vom Netzwerkverständnis bei Verba et al. (1995). Bei Letzteren beziehen sich Netzwerke auf solche in Institutionen (wie den Arbeitsplatz oder die Kirche). Ausgehend von dem von Emmerich entwickelten Modell, sind weitere subjektiv gelagerte Beweggründe, die zu einem Engagement führen zu berücksichtigen, die hier kurz betrachtet werden. An dieser Stelle wird auf die Bedeutung von biografischen Zusammenhängen und von Motiven zum Engagement eingegangen.
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Biografische Zusammenhänge Die Bedeutung biografischer Muster für ein Engagement stellt einen subjektiv gelagerten Beweggrund dar. Er wird häufig in biografie- und werteorientierten oder motivational ausgerichteten Erklärungsansätzen angeführt. Alle drei Perspektiven sind nicht trennscharf voneinander abzugrenzen, sondern stark miteinander verwoben. Eine theoriegeleitete und zugleich biografieorientierte Erklärung zum Engagement liefern Corsten et al. (2008). In ihrem Modell, das man als Theorie einer Engagementbiografie bezeichnen kann, benennen sie drei Bedingungen, die zu einem Engagement führen. Diese sind die sogenannten lebenspraktischen Quellen des Engagements (vgl. ebd.: 32 ff.). Es handelt sich erstens um das Zusammenwirken von Wir-Sinn und Gemeinsinn und zweitens um das Vorhandensein fokussierter Motive. Die Verbindung der beiden Faktoren auf individueller Ebene bildet die eigentliche und dritte Voraussetzung für ein Engagement (vgl. ebd.: 222). Wir-Sinn meint eine individuelle Sensibilität gegenüber einzelnen Formen sozialer Praxis bzw. Interaktion. Er drückt sich in beabsichtigten Handlungs- und Verhaltensformen aus, mit denen Menschen soziale Beiträge leisten, und hat immer etwas mit Gemeinschaft zu tun (vgl. ebd.: 32 f.). Der individuelle Wir-Sinn ist auf spezielle Varianten des Zusammenseins ausgerichtet, denn „wer sich für einen ‚Vereinsmeier‘ hält, sieht sich von sozialen Beziehungen angezogen, die z.B. über Ritualisierungen gleichsinniger Handlungen ein ‚Wir-Gefühl‘ generieren […]“ (ebd.: 34). Der Wir-Sinn als solcher ist noch keine Vorrausetzung für ein Engagement. Er muss erst zum Gemeinsinn werden. Personen mit Gemeinsinn verfügen neben einer Sensibilität für soziale Interaktionen über ein Gespür für überindividuelle Zusammenhänge und sehen diese in ihrem Bestand als bedroht an (vgl. ebd.: 35). Individuen, die über diese persönlich-biografischen Merkmale verfügen, wollen dem eigenen Gemeinsinn entsprechend handeln. Laut Corsten et al. (2008: 35) wird „erst durch die Auslegung und Prekarisierung überindividueller Zusammenhänge […] ein Prozess eingeleitet, infolge dessen Akteure aus ihrer Zuschauerrolle heraustreten und zu local player eines übergeordneten Gemeinsinns werden […]. Der Gemeinsinn lebt von dem Glauben der Akteure, dass etwas auf dem Spiel steht – ein spezifischer Wir-Sinn – und dass ‚ich es bin‘, der einen Unterschied […] bewirken kann. Insofern gehört zum Handlungsrepertoire des Gemeinsinns Bürgerschaftliches Engagement.“ Zunächst losgelöst vom Wir- bzw. Gemeinsinn stehen die fokussierten Motive als Bedingung für eine Engagementaufnahme. Fokussierte Motive sind Teil der Art und Weise, wie eine einzelne Person lebt. Sie zeichnen sich durch zwei wesentliche Merkmale aus: Sie sind erstens nicht abstrakt, wie z.B. das Motiv „Gesellschaft gestalten“, und sie erfordern ihre praktische Umsetzung. Zweitens haben sie einen emotionalen und keinen kognitiven Charakter und steuern in diesem Sinn eher unbewusst das eigene Verhalten (vgl. Corsten et al. 2008: 37 f.). Bei den fokussierten Motiven geht es also um eine Art abrufbaren Antrieb für eine bestimmte Sache, die von biografischer Bedeutung ist. Damit sich ein Mensch engagiert, muss der individuelle Wir- bzw. Gemeinsinn zu den eigenen fokussierten Motiven passen. Denn „ob sich jemand tatsächlich engagiert,
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hängt […] davon ab, ob sich der als prekär angesehene Wir-Sinn sinnadäquat zur Fokussierung der jeweiligen Lebenspraxis eines Akteurs verhält“ (ebd.: 41). Sieht eine Person beispielsweise die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der Gesellschaft als nicht gewährleistet an und hat dieser Eindruck für die Person eine emotional-biografische Bedeutung, wird sie sich für das wahrgenommene Defizit wahrscheinlich engagieren. Engagement aus dieser Perspektive zu begreifen bedeutet also, seinen lebensweltlichen Zusammenhang bzw. seine lebensweltliche Passung zu berücksichtigen (vgl. Jakob 2001: 180 f.; Munsch 2010: 40 f.). Munsch führt hierzu aus, dass „wofür und wie man sich engagiert und ob es zu Engagement als Bewältigungsform kommt, […] von biographischen Erfahrungen ab[hängt]“ (ebd.: 41). Folglich sind es biografische Erfahrungen bzw. biografiebezogene Engagementanlässe, die den Weg zum Engagement ebnen können. Der Entschluss, sich zu engagieren, erfolgt dann aus einer „Selbstthematisierung und biographische[n]Reflexion“ heraus (Pankoke/Boggert 2011: 252). Motive Eine den biografieorientierten Erklärungsansatz ergänzende Möglichkeit, sich den subjektiven Anlässen für ein Engagement zu nähern, setzt bei der Motivforschung an. Dabei ist zu beachten, dass sich Motive auch als Ergebnis eines individuellen Sozialisationsprozesses deuten lassen und somit Teil einer Biografie sind. Individuelle Motive sind somit als biografische Bestandteile zu fassen. In der Engagementforschung wird der Begriff des Motivs in der Regel verwendet, ohne ihn näher zu spezifizieren. Zugleich erfolgt die Verwendung synonymer Begriffe wie „Ziele“ oder „Erwartungen“. Motive sind grundlegende Ziel- und Wertedispositionen von Individuen oder, anders ausgedrückt, stabile Persönlichkeitsmerkmale, die sich auf das individuelle Handeln auswirken (vgl. Reinders 2014: 51). Motive wie Altruismus, Ehrgeiz oder Macht können sowohl in der Kindheit erlernt worden sein als auch auf einer Selbstzuschreibung basieren (vgl. ebd.). In der Engagementforschung finden zumeist jene Motive Beachtung, die der letztgenannten Gruppe angehören. Neben Einzelmotiven für ein Engagement wie Selbstbestimmung (Scherhorn 2002: 349 f.) oder anderen Menschen helfen (Klages 2003: 306) werden in der Engagementforschung häufig ganze Motivbündel angeführt, die bei der Aufnahme freiwilliger Tätigkeiten eine Rolle spielen. Vorliegende Ansätze zur Darstellung von Motivbündeln differenzieren zwischen einzelnen Motivgruppen. Unter den Ansätzen bestehen sowohl inhaltliche Überschneidungen als auch Unterschiede. Insgesamt stehen deutlicher am „Ich“ ausgerichtete Motivgruppen solchen gegenüber, die sich an die Gesellschaft richten, ohne dass sie sich jedoch gegenseitig voneinander ausschließen. Das bedeutet, dass Eigen- und Fremdnutzen in der Motivstruktur einer einzelnen Person aufeinandertreffen können. Klages (2000, in: Enquete-Kommission 2002: 115) nennt dieses Phänomen den „kooperativen Individualismus“.
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Das „Volunteer Functions Inventory“, eine Art funktionale Motivationstheorie, stellt sechs Motivgruppen für ein Engagement vor (vgl. Clary et al. 1998: 1517 ff.; Emmerich 2012: 88 f.). Motive sind demnach handlungsleitend, da sie ein persönliches Ziel verkörpern, das über eine spezifische Handlung eine konkrete Funktion erfüllt. Motive sind also für ein Engagement ausschlaggebend, weil das Individuum damit einen individuellen Nutzen verfolgt. Ob sich der Nutzen einstellt, hängt wiederum von den Engagementbedingungen ab. Es handelt sich um die folgenden sechs Motivgruppen, aufgrund derer sich Menschen, der funktionalen Motivitationstheorie folgend, engagieren: 1. die Wertefunktion (z.B. Mitgefühl, Helfen), 2. die Verständnisfunktion (z.B. Erfahrungen sammeln, Perspektiven erschließen), 3. die soziale Funktion (z.B. soziale Kontakte, gemeinsame Erfahrungen, Gruppenzugehörigkeit), 4. die Karrierefunktion (z.B. berufliche Perspektiven verbessern), 5. die Schutzfunktion (z.B. Vermeidung/Ablenkung von eigenen Probleme) und 6. die Verbesserungsfunktion (z.B. Selbstwertgefühl stärken). Abweichend von dieser Kategorisierung kommen Anheier/Toepler (2001: 114) in einem Gutachten für die Enquete-Kommission zu insgesamt vier Motivbündeln: altruistische Motive (z.B. Solidarität, Mitgefühl), instrumentelle Motive (z.B. Kontakte, Fähigkeiten), moralisch-obligatorische Motive (z.B. religiöse/politische Verpflichtungen bzw. Werte) sowie gestaltungsorientierte Motive (z.B. Mitbestimmung, Veränderung). Neuere Untersuchungen weisen insgesamt acht Motivgruppen aus (vgl. Haumann 2014: 19). Im Einzelnen handelt es sich dabei um die Gruppen: Dinge bewegen (z.B. Veränderung gesellschaftlicher Missstände), Wertüberzeugung und Altruismus (z.B. religiöse Orientierung, Hilfsbereitschaft), Sinngebung (z.B. gebraucht werden, Anerkennung erfahren), Bereicherung (z.B. Abwechslung, Leute treffen), Entfaltung (z.B. Interessen verfolgen), Entscheidungsfreiheit (z.B. Gestaltungsmöglichkeiten nutzen), Anstöße von außen (z.B. familiale Abhängigkeit), konkreter Nutzen (z.B. qualifizierender oder monetärer Mehrwert). Versucht man die Motivgruppen danach zu unterscheiden, ob sie stärker selbstbezogen oder stärker fremdbezogen sind, kommt man zu folgender Übersicht (vgl. Tabelle 2.8):
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Tab. 2.7: Selbst- und fremdbezogene Motivgruppen Autoren
Motivgruppen mit Selbstbezug Motivgruppen mit Fremdbezug
Clary et al. (1998)
Verständnis, Karriere, Schutz, Verbesserung
Werte, sozial
Anheier/Toepeler Instrumentell (in: Enquete-Kommission 2002)
moralisch-obligatorisch, gestaltungsorientiert, religiös/politisch
Haumann (2014)
Dinge bewegen Wertüberzeugung/Altruismus Anstöße von außen
Sinngebung, Bereicherung, Entfaltung, Entscheidungsfreiheit, konkreter Nutzen
Quelle: eigene Darstellung.
Die Übersicht verdeutlicht, wie vielfältig die individuellen Motive, die zu einem Engagement führen, ausfallen. Durch die teilweise feinen inhaltlichen Differenzierungen ist eine Unterteilung, wie sie hier vorgenommen wurde, nur eingeschränkt möglich. Das hängt damit zusammen, dass einzelne Motivgruppen streng genommen sowohl selbst- als auch fremdbezogen sind (z.B. religiös/politisch). Dennoch wird ein Übergewicht der selbstbezogenen Motivgruppen deutlich. Dieser Umstand ist ein Ergebnis des sogenannten Strukturwandels des Ehrenamtes, der sich u.a. in einer Veränderung der Motivlagen im Engagement hin zu Selbstfindungs- und -entfaltungsmotiven niederschlägt (vgl. Beher et al. 2000: 8 ff.). Die tatsächliche Erklärungskraft von Motiven für ein Engagement ist empirisch nur schwer ermittelbar, grundsätzlich wird jedoch davon ausgegangen, dass Menschen sich ohne Motive nicht engagieren (vgl. Emmerich 2012: 90).
2.4.6 Drei-Ebenen-Ansatz zur Erklärung von zivilgesellschaftlichem Engagement Die bisher vorgenommene Betrachtung von theoretischen Ansätzen zur Begründung, warum sich Menschen engagieren zeigt dass vor allem zwei Richtungen verfolgt werden. Zum einen wird die Wahrscheinlichkeit, warum Menschen sich engagieren mit dem Umfang der ihnen zur Verfügung stehen Ressourcen begründet. Angeführt werden dabei vor allem Zeit, Raum, Geld, Bildung, Kompetenzen und soziale Beziehungen. Die einzelnen Ressourcen können dabei durchaus eine verstärkende Wirkung haben. Hinzu kommen die religiöse Bindung, die individuellen Werte und Motive sowie der biographische Kontext, die sich förderlich oder hemmend auf das Engagement auswirken. Nicht zuletzt wird immer wieder auf den Einfluss bestimmter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen (Individualisierung, gesellschaftliche Werte, Familie) hingewiesen.
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Im Gegensatz zur Mikro- und Makroebene erfährt die Organisationsebene als Mesoebene in den theoretischen Ansätzen keine oder eine nur geringfügige Berücksichtigung. Dies ist als grundlegendes Defizit der bisherigen theoretischen Ansätze anzusehen, denn die zivilgesellschaftlichen Organisationen, über die oder in denen das zivilgesellschaftliche Engagement häufig stattfindet, bilden einen entscheidenden Teil der Infrastruktur für das Engagement. Sind die Organisationen jedoch strukturell neuem Engagement gegenüber eher verschlossen, wird dadurch die Einbindung verschiedener sozialer Gruppen erschwert. Beispielsweise können intransparente Zugangswege zu bestimmten Aufgaben und Positionen, eine fehlende Mitspracheorientierung oder eine begrenzte Anerkennungs- und Willkommenskultur dazu beitragen, dass bestimmte Interessen von Engagierten in den zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht vertreten sind. Aus diesem Grund erscheint es nicht nur logisch, sondern geradezu zwingend notwendig, auch die Mesoebene stärker in die Erörterung der Gründe für ein zivilgesellschaftliches Engagement einzubeziehen. Gerade aber weil unterschiedliche Ebenen in ein umfassendes theoretisches Erklärungsmodell des Engagements einbezogen werden müssen, gilt die Entwicklung eines solchen Modells als eine schwierig zu lösende Aufgabe (vgl. Klages 2003: 296). Es sind also mindestens drei Ebenen, die bei einer Theorie bzw. einem Erklärungsansatz des zivilgesellschaftlichen Engagements eine Rolle spielen: das Individuum, die zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Gesellschaft in ihrer Vielschichtigkeit. Der Drei-Ebenen-Engagement-Erklärungsansatz lässt sich in einem Schaubild wie folgt darstellen (vgl. Abbildung 2.5):
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Abb. 2.5: Drei-Ebenen-Engagement-Erklärungsansatz Quelle: eigene Darstellung.
Für die zivilgesellschaftlichen Organisationen sind die einzelnen potenziellen Einflussfaktoren benannt: Strukturmomente, Ziele und Organisationslernen bzw. die Fähigkeit hierzu. Konkret geht es in der formalen Dimension um bestimmte Festlegungen und Regeln, die in deer vorligenden Untersuchung die Jugendförderung betreffen. Mit der informalen Seite, die bei zivilgesellschaftlichen Organisationen deutlich stärker ausgeprägt ist (vgl. hierzu Horch 1992), sind organisationsinterne Einstellungen, Werte und Umgangsformen angesprochen, die ebenfalls auf die Engagementbereitschaft von Personen einwirken. Mit den Organisationszielen ist eine Anreizfunktion für die in der Regel interessenmotivierten Engagierten verbunden. Was eine Organisation will, wofür sie steht und welche Anliegen sie verfolgt, kann deshalb als eine wesentliche Voraussetzung für die potenzielle individuelle Engagementbereitschaft angesehen werden. Mit der Entscheidung darüber, welche Ziele eine Organisation verfolgt, ist auch das Organisationslernen angesprochen. Organisationslernen wird verstanden als die organisationale Kapazität, relevantes Organisationswissen beispielsweise über Außenorientierung oder Beteiligung zu generieren, um es anschließend für die Organisation abrufen zu können. Ein solches Wissen kann neben der ständigen Überprüfung und Neuausrichtung der Ziele weitere wichtige Maßnahmen und Entscheidungen zum Umgang mit Informationen beinhalten. Dies spielt im Kontext der Engagiertenrekrutierung durchaus eine Rolle.
3 Junge Menschen heute und ihr Engagement 3.1 Junge Menschen: Bestimmung einer Gruppe 3.1.1 Methodische Grundsätze Jugendliche, junge Menschen, Heranwachsende, die junge Generation, junge Erwachsene – all diese Begriffe haben eines gemeinsam: Sie versuchen, „Jugend“ zu definieren. Diese Gruppe allein über das Alter von der Kindheit und dem Erwachsensein abzugrenzen ist dabei wenig hilfreich. Einen Anfang und ein Ende für das Jungsein festzulegen gilt als schwierig (vgl. Hoffmann/Mansel 2010: 164 f.). Jugend beschreibt eher ein Strukturmuster im Sinne einer gesellschaftlich entwickelten Lebensform (vgl. Münchmeier 2008: 15). Dabei geht man davon aus, dass junge Menschen über die Ausgestaltung ihres Lebens nicht vollständig autonom entscheiden können. Durch verschiedene gesellschaftliche Bedingungen wird ihnen in gewisser Weise vorgegeben, was Jugend für sie sein kann bzw. wie sie diese interpretieren können. Insofern gibt es einerseits die eine Jugend, die mit denselben Anforderungen und Rahmenbedingungen konfrontiert ist. Andererseits lebt sich Jugend entsprechend den unterschiedlichen sozioökonomischen und soziokulturellen Voraussetzungen ganz verschieden (vgl. ebd.; Hoffmann/Mansel 2010: 165). Gerade aufgrund der Abhängigkeit der Jugend von ihren persönlichen Lebensbedingungen und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wird diese Lebensphase als variabel beschrieben (vgl. Hoffmann/Mansel 2010: 1; Bingel et al. 2008: 8 f.). Wer heute als jung gilt, trifft auf andere Chancen und Problemlagen als diejenigen, die vor zehn, zwanzig oder noch mehr Jahren als jung galten. Junge Menschen als eine Gruppe zu fassen bedeutet, zwischen der Lebensphase und der Alters- und Bevölkerungsgruppe zu unterscheiden. Die Lebensphase beinhaltet soziale, kulturelle, wirtschaftliche und (psycho-)biologische Deutungskomponenten und lässt sich in keinen festen Zeitrahmen pressen. Wenn Jugend als sozialstrukturelle Bevölkerungsgruppe greifbar gemacht wird, geschieht dies häufig mit dem pragmatischen Ziel ihrer Operationalisierung (vgl. Hoffmann/Mansel 2010: 166 ff.). Beide Perspektiven implizieren ein zeit- und kulturgebundenes Verständnis von Jugend (vgl. Ferchhoff 2011: 94). Das bedeutet, dass man zur Zeit des europäischen Mittelalters einen wesentlich anderen Jugendbegriff hatte, als er heute in hoch entwickelten postindustrialisierten Gesellschaften vorherrscht. In den folgenden Abschnitten wird auf beide Dimensionen näher eingegangen.
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3.1.2 Jugend als Lebensphase Demografische, kulturelle, soziale und ökonomische Veränderungen tragen dazu bei, dass Lebensphasen neu entstehen, sich entwickeln und modifizieren. Die Industrialisierung leistete einen Beitrag zur Entstehung des Lebensabschnitts Kindheit, die Verlängerung der Lebensdauer hat das Seniorenalter prominent gemacht, und die Einführung der Bildungspflicht beschreibt den Anfang für die Herausbildung einer Lebensphase Jugend. Der vorverlagerte erste Adoleszenzabschnitt (10. bis 14. Lebensjahr) kann als Einstieg in die Lebensphase Jugend verstanden werden. Die Kindheitsphase gilt mit der in diesem Zeitfenster eintretenden Geschlechtsreife als abgeschlossen. Es werden erstmalig Prozesse der Ablösung und Selbstsuche unternommen (vgl. Münchmeier 2008: 24; Hurrelmann/Quenzel 2012: 45). Im Rahmen einer weitergehenden umfassenden Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsarbeit erlernen junge Menschen bestimmte Bewältigungsmechanismen gegenüber den Anforderungen der Umwelt und erlangen somit das Vermögen zur individuellen Lebensgestaltung. Dabei haben sie idealerweise die Möglichkeit, verschiedene Rollen anzunehmen, wenn sie sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie Freizeit und Medien ausprobieren. Charakteristisch für die Lebensphase Jugend sind einerseits die begrenzte wirtschaftliche Autonomie und andererseits die weitläufig bestehenden Entfaltungsspielräume im psychosoziokulturellen Umfeld. Der Übergang ins Erwachsenenalter ist häufig nur sehr individuell bestimmbar. Idealtypisch wurde eine umfassende Autonomie und Selbstständigkeit in wesentlichen Teilbereichen des Lebens erreicht (vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012: 24 ff.). Gemäß dem Konzept der Entwicklungsaufgaben werden Individuen vor allem ab der Jugendphase mit gesellschaftlichen Erwartungen konfrontiert, die sie in bestimmbare Verhaltensweisen umsetzen müssen. Qualifizieren, Binden, Konsumieren und Partizipieren werden als zentrale Entwicklungsaufgaben beschrieben (vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012: 28). Dazu kommen je nach Ansatz das Loslösen vom Elternhaus und die Klärung der Geschlechterrolle (vgl. Havighurst 1982), wobei die Entwicklungsaufgaben insgesamt eher zu- als abgenommen haben (vgl. Lüders 2007). Die Bewältigung dieser Aufgaben führt in der Jugendphase erstmalig zur Individuation bzw. Identität sowie zur gesellschaftlichen Integration und somit zum Erwachsenwerden. Dabei ist die Inbezugsetzung der Entwicklungsaufgaben wichtig, die nicht isoliert voneinander erlebt werden können (vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012: 31 ff.). Die Aufgaben gelten als bewältigt, wenn die Berufs-, Partner-/Eltern- und Konsumentenrolle sowie die des politischen Bürgers übernommen wurden (vgl. ebd.: 39; Lex/Zimmermann 2012: 161). Im Feld Partizipieren ist dafür die Entfaltung eines eigenen sinnvollen Wertesystems erforderlich. Zudem muss die Fähigkeit zur Artikulation eigener Interessen und zur aktiven bürgerschaftlichen Beteiligung an der sozialen Gemeinschaft herausgebildet werden (vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012: 30/37).
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Der Wandel der Lebensphase Jugend ist ein in der Jugendforschung vielfach untersuchtes und besprochenes Phänomen. Ausdehnung, Verdichtung und Gleichzeitigkeit von Jung- und Erwachsensein sind hierfür einige zu nennende Schlagworte. Die Ausdehnung der Jugendphase ist eng an die Veränderungen auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt gebunden. Hierzu zählen ein neuer Bedarf an Arbeitsplätzen ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und immer anspruchsvoller werdende Qualifikationsanforderungen. Auch der Ausbau des Bildungssystems, der längere Ausbildungszeiten nach sich zog, trug dazu bei, dass sich die Jugendphase verlängert hat. Der Wandel der Jugendphase im Sinne seiner Ausdehnung wird in der Jugendforschung als „Entstrukturierung“ (vgl. Olk 1985; Abels 2008: 127) oder als ein „Verschieben der Konturen“ (vgl. Lex/Zimmermann 2012: 161) beschrieben. Mit der Ausdehnung verbunden ist das Konzept der Postadoleszenz, eine biografische Lebensphase, in der sich Jugend- und Erwachsenenstatus in gewisser Weise ineinanderfügen (vgl. Ferchhoff 2011: 96 f.). Neben einer kulturellen und politischen individuellen Autonomie bleibt eine ökonomische Teilabhängigkeit vom Elternhaus erhalten (vgl. ebd.). Ob die sich seit einigen Jahren abzeichnenden wirtschaftlichen, demografischen und bildungspolitischen Veränderungen wieder zu einer Verkürzung der Jugendphase führen, ist noch offen. Fest steht jedoch, dass sich mit den strukturellen Veränderungen im Bildungssystem die Bildungszeit wieder verkürzt hat und damit auch ein spezielles Jugendzeitfenster kleiner geworden ist (vgl. Lange/Wehmeyer 2014: 23). Für einen Teil der jungen Menschen lassen sich widersprüchliche Dynamiken feststellen, die einerseits auf eine Verknappung der Phase Jugend hindeuten, andererseits bzw. gleichzeitig auch auf eine Bewahrung dieses Zeitfensters verweisen. Für ein „Weniger“ an Jugend(zeit) im Lebensverlauf spricht die These der „Verdichtung der Jugendphase“ (vgl. Lüders 2007). Das Verdichtungsmoment besteht in einem Anstieg an Entwicklungsaufgaben bei gleichzeitiger Notwendigkeit einer schnellen Aufgabenbewältigung. Junge Menschen sind demnach dazu angehalten, ihre Biografie unter strukturell veränderten, d.h. insbesondere unter inhaltlich und zeitlich intensivierten Bedingungen zu bewältigen. Die inhaltliche Verdichtung lässt sich insbesondere an gestiegenen Lernanforderungen und Bildungserwartungen festmachen (vgl. Lange/Wehmeyer 2014: 24 f.). Junge Menschen sind deshalb verschiedenen Belastungen ausgesetzt, die sie unter Druck setzen und ihnen weniger Pausen zum Sichausprobieren lassen (vgl. ebd.). Für ein partielles Bewahren der Jugendzeit spricht das Phänomen der Statusinkonsistenz, das als ein typisches Merkmal der Lebensphase Jugend gilt (vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012: 42 f.). Demnach erreichen junge Menschen den Erwachsenenstatus heute in den Bereichen Konsum und Partizipation deutlich früher als in den Feldern Qualifizieren (Beginn der Erwerbstätigkeit) und Binden (Einnahme der Familienrolle). In den letztgenannten Feldern wird die Erwachsenenrolle häufig später oder – nach den Maßstäben früherer Gene-
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rationen – gar nicht eingenommen. Die Ungleichzeitigkeit in den einzelnen Bereichen, beispielsweise der frühe Eintritt der Geschlechtsreife bei verzögerter Familienplanung, ist mit besonderen Spannungen bei den Jugendlichen verbunden. Der Lebensrhythmus junger Menschen ist insgesamt nicht mehr vordergründig bestimmt durch ein Nacheinander von Ausbildung, Beruf und Familie, sondern durch verschiedene asynchron zueinander verlaufende Entwicklungen geprägt. Es ist davon auszugehen, dass die junge Generation die Langsamkeit und Schnelllebigkeit ihrer Lebensphase verschiedenartig, auch in Abhängigkeit von den individuellen Bildungshintergründen, erlebt. Für einen Teil der jungen Generation wird ausgemacht, dass die Jugendphase in einigen Bereichen als eine eigenständige Lebensphase erhalten bleibt. Jugend ist dann ein „Moratorium“, eine Art Auszeit, in der junge Menschen „Einhalt“ vor dem Erwachsenwerden machen (vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012: 46 f.). Dem gegenüber steht die „Transition“, die als eine Lebensorientierung beschrieben wird und auf den raschen und zielgerichteten Übergang in den Erwachsenenstatus ausgerichtet ist (vgl. Reinders 2006). Ein zentrales Merkmal des Lebensabschnitts Jugend ist die Existenz zahlreicher „kontingente[r] Verlaufsformen der Jugendentwicklung“ (Ferchhoff 2011: 104). Die eindeutige Schablone Jugend gibt es nicht. Zwei allgemeine Tendenzen, die den Lebensabschnitt Jugend heute kennzeichnen, lassen sich wie folgt benennen: Zum einen haben sich die Anforderungen an die jungen Menschen verändert, sie müssen in dichter Abfolge vieles leisten, bestimmte traditionelle Lebensformen haben an Bedeutung verloren bzw. haben sich die Möglichkeiten zur Selbstentfaltung, aber auch zur Selbstverantwortung erhöht. Zum anderen ist eine Bewahrung bzw. Verlängerung der Jugendphase typisch, da sie ihre Entwicklungsaufgaben nicht in zeitlich geregelter Abfolge bewältigen. Ferchhoff (2011: 105) beschreibt diese Entwicklung als „biographisches Paradox“. Eine ausgedehnte Jugendphase wird darin durch Eigenschaften wie Unabhängigkeitsstreben, die eher für ein Erwachsensein stehen, angereichert.
3.1.3 Jugend als Alters- und Bevölkerungsgruppe Wissenschaftlichen Studien zum Thema junge Menschen ist keine einheitliche Definition des Begriffs Jugend bzw. junge Menschen zu entnehmen. In der Regel wird mit sehr verschiedenen Alterskategorien gearbeitet. Die Shell Jugendstudie untersuchte zuletzt die 12- bis 25-Jährigen (vgl. Albert et al. 2015), der Survey Aufwachsen in Deutschland – AID:A, eine Erhebung des Deutschen Jugendinstituts, betrachtet Jugendliche zwischen 13 und 32 Jahren und arbeitet davon ausgehend auch mit anderen Altersgruppen (vgl. Rauschenbach/Bien 2012), und im letzten Europäischen Jugendbericht wurde die Altersgruppe der 15- bis 29-Jährigen in den Blick genommen (vgl. European Commission 2012). Die unterschiedlichen Altersgruppierungen resultieren
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einerseits aus den in den Untersuchungen vorliegenden spezifischen Fragestellungen. Andererseits lassen sich für die Lebensphase Jugend nur bedingt ein klarer Anfang und ein eindeutiges Ende festlegen. Die Interpretationen sind demzufolge äußerst unterschiedlich.36 Ferchhoff (2011: 98 f.) kommt zu dem Schluss, dass die Festlegung einer Altersspanne zur Kennzeichnung von Jugend vage und unbestimmt bleibt. Obgleich die Jugend in vielen rechtlichen Fragen heute bereits in eher jungen Jahren Verantwortung trägt, sind gleichsam Phänomene wie die Postadoleszenz auszumachen, die für ein Aufschieben oder eine Ausdehnung des Lebensaltersabschnitts Jugend sprechen. Insofern gilt die Entscheidung darüber, ob Jugend nun die Lebensalter 12 bis 18, 18 bis 21 oder 12 bis 35 Jahre umfasst, als äußerst schwierig (vgl. ebd.). Hurrelmann/Quenzel (2012: 26 ff.) beschreiben die Lebensphase Jugend als einen Zeitraum zwischen der Pubertät und dem Eintritt in ein eigenes Berufs- und Familienleben. Ganz grob wird die Lebensphase Jugend zwischen das 10. bzw. 12. bis 27. bzw. 30. Lebensjahr verortet (vgl. ebd.: 15 ff.). Für die Thematik Jugend in zivilgesellschaftlichen Organisationen ist die Wahl der Altersbegrenzung bzw. die Bestimmung des Einstiegs- und Ausstiegsalters der Jugendphase eine wichtige Frage der empirischen Abgrenzung. Nur über die Bestimmung einer konkreten Altersgruppe ist die Einbindung junger Menschen in die Organisationen empirisch feststellbar. Für die folgende Betrachtung wurde als Eintrittsalter das 14. Lebensjahr gewählt. Hierfür lassen sich unterschiedliche Begründungen anführen. So umfasst die erste Adoleszenzphase das 10. bis 14. Lebensjahr. Sie zeichnet sich durch spezifische Reifungsprozesse aus, durch die die Rolle des Kindes verlassen wird (vgl. Münchmeier 2008: 24). Diese Abgrenzung kann zur Bestimmung des Einstiegsalters 14 Jahre für die Gruppe der jungen Menschen herangezogen werden. Auch der rechtliche Kontext bietet einen Anknüpfungspunkt. Gemäß der Sozialgesetzgebung (SGB VIII, § 7) ist Jugendlicher, wer mindestens 14 Jahre alt ist. Mit diesem Alter sind zugleich einzelne Wahlfreiheiten verbunden, beispielsweise wird ab diesem Alter die freie Religionswahl gewährt (vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012: 39). Ein rein forschungspragmatisches Argument liegt in der Methode des in dieser Untersuchung genutzten Freiwilligensurveys: Engagierte werden hier erst ab dem 14. Lebensjahr erfasst (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016). Aussagen zum Engagement noch jüngerer Personen lassen sich demnach auf dieser Basis nicht treffen. Um die Situation der Organisationen bei der Einbindung junger Menschen jedoch besser
|| 36 Durch die Bezugnahme auf unterschiedliche Altersgruppen in jugendspezifischen Forschungsbeiträgen ist es in der vorliegenden Arbeit nicht möglich, alle Aussagen, die getroffen werden, auf eine Altersgruppe zu beziehen. Bei der Interpretation der einzelnen rezipierten Ergebnisse ist diese Voraussetzung zu beachten.
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einordnen zu können, ist die Spiegelung mit Daten zum individuellen Engagementverhalten wichtig. Da ein Schwerpunkt der Arbeit auf der Untersuchung der Frage nach der Einbindung junger Menschen in ehrenamtliche Funktionen liegt, stellt auch dies ein Argument dar, das zur Begründung eines Eintrittsalters von 14 Jahren in die Jugendphase dient. Aufgrund des mit den Funktionen verbundenen hohen Verantwortungsprofils erscheint die Übernahme solcher Funktionen von noch jüngeren Altersgruppen als stark eingeschränkt möglich. Für das Ende der Jugendphase wurde das 30. Lebensjahr gewählt. Als erste Orientierung hierfür dient der Eintritt in das Berufs- und Familienleben. Anhand ausgewählter Indikatoren lassen sich diese Übergänge näher bestimmen. Hierzu zählen das Alter beim ersten Hochschulabschluss, der Berufseintritt sowie das Alter bei der ersten Ehe und bei der Geburt des ersten Kindes. Hochschulabschlüsse werden je nach Art in unterschiedlichen Altersstufen erzielt. Der Fachhochschulabschluss wird im Durchschnitt mit 26,4 Jahren erreicht, der Abschluss zum Bachelor mit 23,8 und der zum Master mit 25,9 Jahren (vgl. Statistisches Bundesamt 2015b: 177 ff.). Dabei zeigt sich erstmalig in 2014 ein Sinken des Durchschnittsalters beim Abschluss. Dies könnte auf ein Wirken des Bologna-Prozesses zurückzuführen sein. Das Durchschnittsalter bei Abschluss einer Ausbildung liegt bei 22 Jahren, wobei die Auszubildenden in den letzten Jahren älter geworden sind (vgl. Vollmar/Klaukien 2013: 36). Der Eintritt junger Menschen in den Arbeitsmarkt kann aus den Ergebnissen der in den Mikrozensus integrierten Arbeitskräfteerhebung hergeleitet werden. Demnach nimmt der Anteil der Erwerbstätigen mit steigendem Alter zu. Von den 15- bis 25-Jährigen sind 37 Prozent, von den 15- bis 30-Jährigen 65 Prozent und von den 15- bis 35Jährigen 76 Prozent erwerbstätig (vgl. Wingerter 2011: 104). Eine Mehrheit der jungen Menschen hat folglich mit dem 30. Lebensjahr eine Arbeit aufgenommen. Der Eintritt in das Familienleben kann über das durchschnittliche Alter der Frauen bei ihrer Erstgeburt und das Heiratsalter bestimmt werden. Das Alter der Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes ist in den letzten Jahren stetig angestiegen: Im Jahr 2014 wurden Frauen das erste Mal mit durchschnittlich 30,9 Jahren Mutter (vgl. Statistisches Bundesamt 2015c). Im selben Jahr heirateten Männer mit durchschnittlich 33,7 und Frauen mit 31 Jahren (vgl. Statistisches Bundesamt 2015d). Die Ergebnisse zu den aufgeführten Indikatoren lassen es zweckmäßig und begründet erscheinen, in der folgenden Betrachtung mit jungen Menschen alle Personen im Alter von 14 bis 30 Jahren zu fassen. Der Bevölkerungsanteil der 14- bis 30-Jährigen und jüngeren Altersgruppen ist in den vergangenen Jahren geschrumpft (vgl. Abbildung 3.1).
Junge Menschen: Bestimmung einer Gruppe | 129
Abb. 3.1: Absolute Anzahl und Anteil junger Menschen (bis 30 Jahre) an der Bevölkerung gesamt Datenquellen: Statistisches Bundesamt 1991, 1996, 2001, 2006, 2011; Daten für 2012a nachrichtlich zugesandt vom Statistischen Bundesamt, 22.11.2013.
Seit 1989 ist der Anteil der 14- bis 30-Jährigen an der Bevölkerung in Deutschland um über 6 Prozentpunkte zurückgegangen.37 Ähnliches gilt für die bis 13-Jährigen, deren Anteil an der Bevölkerung im selben Zeitraum um rund 4 Prozentpunkte geschrumpft ist. In 2012 gab es in Deutschland noch 15.591.273 Millionen Personen im Alter von 14 bis 30 Jahren und 9.160.318 Personen im Alter bis 13 Jahren. Damit liegt der Bevölkerungsanteil der 14- bis 30-Jährigen im Jahr 2012 bei 19 Prozent. Die abnehmende Zahl der noch Jüngeren (bis 13 Jahre) macht deutlich, dass der Trend zu immer weniger jungen Menschen vorerst weiter anhalten wird. Damit bleibt die Anzahl junger Menschen gering, wodurch sie allein aus demografischen Gründen als Engagierte weniger in Erscheinung treten können. Dieses Ergebnis und die damit verbundene Entwicklung sind im Rahmen der vorliegenden Arbeit von besonderer Relevanz. Denn dadurch, dass es immer weniger junge Menschen gibt, erhöht sich das Nachwuchsproblem automatisch: 14- bis 30-jährige Engagierte sind für zivilgesellschaftliche Organisationen allein aufgrund des zurückgehenden Bevölkerungsanteils junger Menschen schwerer zu finden.
|| 37 Neuberechnungen zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland, die sich aus der Umstellung auf den Zensus ab 2011 ergeben, wurden hierbei noch nicht berücksichtigt.
130 | Junge Menschen heute und ihr Engagement
3.2 Lebenswelten junger Menschen: Rahmenbedingungen für ihr Engagement 3.2.1 Bildungsreformen am Beispiel von Bologna Unter den Rahmenbedingungen für ein Engagement kommt der Bildung ein besonderer Stellenwert zu. Auf der individuellen Ebene gilt Bildung, wie später zu zeigen sein wird, als ein wesentlicher Prädiktor für die Engagementbereitschaft. Veränderungen in den Bildungsinstitutionen und im Bereich der gesellschaftlichen Wertschätzung für Bildung beschreiben darüber hinaus spezielle Kontexte, die ebenfalls das Engagementverhalten beeinflussen können. Der Bereich Bildung nimmt in der Lebensbiografie junger Menschen einen wichtigen Raum ein. Das Bildungswesen durchlaufen sie alle, und ein beachtlicher Teil von ihnen ist durch ein Studium bis weit in die dritte Lebensdekade hinein in dieses involviert. Deshalb ist davon auszugehen, dass Veränderungen in diesem Bereich die Lebenssituation junger Menschen in einem besonderen Maße prägen und in diesem Kontext auch ihre Einstellungen und Möglichkeiten für das zivilgesellschaftliche Engagement beeinflussen. In den letzten Jahren wurden in Deutschland einige Reformen im Bildungsbereich auf den Weg gebracht. In der Regel erfolgten sie vor dem Hintergrund der PISA-Ergebnisse mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit junger Menschen in Deutschland zu verbessern und sie international wettbewerbsfähiger zu machen. Als ein Beispiel hierfür kann die Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge dienen, die in Deutschland für die Studierenden zu einigen Veränderungen geführt hat. Gründe für diese Umstellung im europäischen Hochschulraum lagen in den damaligen Herausforderungen nationaler Hochschulpolitiken, z.B. im wachsenden Trend zur Wissensgesellschaft, in der Internationalisierung der Arbeitsmärkte sowie in einem global begründeten Bedarf an einem stärkeren Bildungsaustausch zwischen den Ländern. Gleichzeitig wurden verschiedene Schwächen der nationalen Bildungssysteme, die auch auf das deutsche Hochschulsystem zutrafen, ins Visier genommen. Hierzu zählen beispielsweise lange Studienzeiten, hohe Abbruchquoten und ein erschwerter Zugang der Absolventen zum internationalen Arbeitsmarkt (vgl. Kiemle 2003: 7 f.). Der Anfang für die Umgestaltung des deutschen Hochschulsystems erfolgte bereits im Jahr 1998 (vgl. Witte 2006: 21), als im Rahmen einer Novelle des Hochschulrahmengesetzes die Einführung der neuen Abschlüsse Bachelor und Master probeweise erlaubt wurde. Parallel hierzu kam es durch die Bildungsminister der Länder Frankreich, Deutschland, Italien und Großbritannien im Frühjahr 1998 zur Unterzeichnung der „Gemeinsame[n] Erklärung zur Harmonisierung der Architektur der europäischen Hochschulbildung“ – der sogenannten Sorbonne-Erklärung (vgl. Toens 2007: 37). Mit dieser Erklärung sollte ein gemeinschaftlicher Rahmen für die
Lebenswelten junger Menschen: Rahmenbedingungen für ihr Engagement | 131
europäische Hochschulbildung geschaffen werden; sie gilt als Auslöser für den Bologna-Prozess, der seinen formalen Ausgangspunkt in der Unterzeichnung der Bologna-Deklaration im Jahr 1999 hat. Der Bologna-Prozess bezeichnet die Umsetzung der mit der Erklärung begonnenen europäischen Studienreformen, für die zehn Ziele definiert wurden. Hierzu zählen u.a. die Einführung vergleichbarer Studienabschlüsse, die Förderung von Mobilität sowie die Einführung des „European Credit Transfer and Accumulation System“ (ECTS), womit die Modularisierung von Studienstrukturen und -inhalten einherging. Mit der Umsetzung der Ziele sollte das Studium effizienter organisiert werden; in diesem Sinne wurde beispielsweise eine Verkürzung der Studienzeit angestrebt (vgl. Bloch 2009: 33 f.). Zahlreiche Untersuchungen der Hochschulforschung, die sich auf die Umsetzung der europäischen Studienreform konzentrieren und den Bologna-Prozesses analysieren, belegen eine breite Akzeptanz der Reform in der Forschung und Hochschulpolitik (vgl. ebd.: 35 f.). Nur vereinzelt lassen sich Beiträge finden, die den Bologna-Prozess kritisch hinterfragen. Sie befürchten eine zunehmende Tendenz zur Ökonomisierung der Bildung (vgl. ebd.) oder zeigen Akzeptanzprobleme unter Studierenden und Hochschullehrern und Hochschullehrerinnen in Bezug auf die Reform auf, die sich in einer mangelnden Beteiligung am Prozess ausdrücken (vgl. Klein 2007). Zu den Wahrnehmungen und Auswirkungen der Reformen auf individueller Ebene, d.h. bei Studierenden und Lehrenden, liegen inzwischen einige Studien vor. Sie liefern Hinweise darauf, dass unter den reformierten Studienbedingungen, die stark effizient- und karriereorientiert sind, sich zusätzlich nur solche Aktivitäten realisieren lassen, die in die Studienorganisation integrierbar sind (vgl. Bloch 2009: 303 f.). Ob Bachelor- und Master-Studierende sich neben ihrem Studium auch noch engagieren können, wird dabei in besonderer Weise in Frage gestellt. So sehen Lehrende der Psychologie für Bachelor-Studierende eindeutig verringerte Möglichkeiten, entsprechenden Aktivitäten im Freizeitbereich nachzugehen (vgl. Sedlemeier et al. 2010: 64). Weitere Untersuchungen zur Arbeitsbelastung von Bachelor-Studierenden zeigen, dass sie objektiv weniger Zeit in ihr Studium investieren als offiziell veranschlagt und dennoch über Stress und Belastung durch ihr Studium klagen (vgl. Groß/Boger 2011: 135 ff.). Insgesamt wird festgestellt, dass die Veränderung der Studienorganisation nicht ohne Konsequenzen für die Studierenden geblieben ist. Dies betrifft besonders auch die Verortung junger Menschen in gesellschaftlichen Zusammenhängen. Betrachtet man das Engagement der 20- bis 30-jährigen Studierenden in Deutschland, so zeigen sich zwischen den jüngeren und älteren Studierenden unterschiedliche Entwicklungen. Während das Engagement der 20- bis 24-Jährigen zwischen 1999 und 2009 abnahm, hat es bei den 25- bis 30-Jährigen deutlich zugenommen (vgl. Picot 2012: 75). Eine mögliche Ursache ist in der Einführung der Bachelor-Studiengänge zu sehen, von denen vor allem die jüngere Altersgruppe betroffen ist. Als Begründung
132 | Junge Menschen heute und ihr Engagement
wird das mit Bachelor-Studiengängen verbundene strengere Zeitregime angeführt, das die Möglichkeit zu einem zusätzlichen freiwilligen Engagement einschränkt. Die Reorganisation des Bildungssystems trägt zur Verdichtung der Jugendphase und damit zur Problematik zunehmender Zeitknappheit unter jungen Menschen bei (vgl. Lange/Wehmeyer 2014: 130 f.). Neben der Umstellung auf Bachelor- und MasterStudiengänge sind in diesem Zusammenhang weitere bildungsreformerische Maßnahmen wie die Einführung der Ganztagsschule oder die Umstellung von G9 auf G8 zu nennen. Durch die Reformen rückte die Ausbildung für junge Menschen stärker in den Lebensmittelpunkt. Studien verdeutlichen, dass sie dabei unter einem starken Leistungsdruck stehen, der sich u.a. in der zunehmenden Zahl psychischer Erkrankungen niederschlägt (vgl. Irle 2012). Es sind diese Reformen, die die Jugendverbände in Deutschland bereits erreicht haben: 70 Prozent der befragten Jugendverbände geben an, die Umstellung des Gymnasiums auf G 8 habe Auswirkungen auf ihre Arbeit, 68 Prozent von ihnen berichten, dass ihre Tätigkeit vom Ausbau der Ganztagsschulen betroffen sei, und 47 Prozent fühlen sich von den Veränderungen im Studiensystem betroffen (vgl. Lange/Wehmeyer 2014: 131). Gleichzeitig meinen drei Viertel der Jugendverbände, dass die Jugendlichen heute keine Zeit mehr hätten, sich zu engagieren. Und wenn sie sich engagieren wollten, bevorzugen sie zunehmend ein Engagement mit projekthaftem Charakter und verlagern ihre freiwilligen Tätigkeiten auf das Wochenende (vgl. ebd.: 108 ff.). Obgleich die Selbsteinschätzung befragter junger Menschen zu ihrem Engagement deutlich positiver ausfällt als die Fremdeinschätzung der Jugendverbände (vgl. ebd.: 128 f.), deuten diese Aussagen darauf hin, dass die Veränderungen im Bildungssystem die Möglichkeiten und Räume für ein zivilgesellschaftliches Engagement verändern oder sogar einschränken.
3.2.2 Arbeitsmarktsituation Der deutsche Arbeitsmarkt wird allgemein als stabil und sich im Aufwärtstrend befindend beschrieben. Von einem solchen Gesamtbild unabhängig sind differenzierte Betrachtungen beispielsweise nach Geschlecht oder Alter vorzunehmen. Die infolge der wirtschaftlichen Krise der letzten Jahre eher günstigen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt treffen nicht in gleichem Maße für junge Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu (Rosemann/Kirchmann 2010: 566 f.). Es wird sogar davon ausgegangen, dass junge Menschen beim Einstieg in das Berufsleben heute häufig unsichere Beschäftigungsangebote annehmen (Hurrelmann/Quenzel 2012: 142). Es wird deshalb konstatiert, dass ihre „[Beschäftigungs-]Lage weniger rosig aus[sieht] als jene älterer Altersgruppen (vgl. Allmendinger et al. 2012: 6). Im folgenden Abschnitt erfolgt eine genaue Betrachtung der Arbeitsmarktsituation junger Menschen. Denn wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, stellt die Er-
Lebenswelten junger Menschen: Rahmenbedingungen für ihr Engagement | 133
werbsarbeit eine wichtige Ausgangsvoraussetzung für ein Engagement dar. Der deutsche Arbeitsmarkt wird also besonders nach altersspezifischen Merkmalen analysiert. Erwerbsarbeit Um für eine altersspezifische Perspektive einen Überblick zu den Veränderungen im Beschäftigungssystem zu gegeben, eignen sich als Datengrundlage Angaben aus dem Mikrozensus.38 Selbständige und sich in Bildung und Ausbildung Befindende sind bei der folgenden Betrachtung ausgenommen. Zum Verständnis der vorgenommenen Analyse sollen die Kategorien Normalarbeitsverhältnisse (NAV) und atypische Beschäftigungsverhältnisse39 vorab definitorisch festgelegt werden. Allgemein wird unter einem Normalarbeitsverhältnis eine unbefristete, sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung verstanden (Dietz/Walwei 2006). Mit Ausnahme der Arbeitszeit sind im Mikrozensus dieselben Merkmale festgelegt (Asef et al. 2012: 56 f.; Wingerter 2009: 1081). Der Mikrozensus fasst unter Normalarbeitsverhältnissen nicht nur Vollzeitstellen, sondern alle unbefristeten Beschäftigungsverhältnisse mit einer Arbeitszeit von mindestens 21 Wochenstunden (ebd.). Dabei wird die Gruppe der unbefristet Teilzeitbeschäftigten mit einer Arbeitszeit von 21 bis 31 Wochenstunden in der Kategorie „NormalarbeitnehmerInnen“ separat ausgewiesen.40
|| 38 Der Mikrozensus ist eine seit 1957 durchgeführte repräsentative Haushaltsbefragung der amtlichen Statistik in Deutschland. Dabei werden ca. ein Prozent der Bevölkerung bzw. rund 830.000 Personen in etwa 370.000 privaten Haushalten und Gemeinschaftsunterkünften zu ihren Lebensbedingungen befragt. Der Mikrozensus bietet verschiedene Daten zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Bevölkerung und ihrer Struktur (vgl. www.destatis.de). Hierzu zählen auch Informationen aus dem Bereich Arbeitsmarkt. Der Mikrozensus kann auf unterschiedliche Art und Weise für wissenschaftliche Auswertungen genutzt werden. Themenspezifische Zeitreihen lassen sich beim Statistischen Bundesamt anfordern. Auf diese Möglichkeit ist für die vorliegenden Berechnungen zurückgegriffen worden. Hierbei handelt es sich um Zeitreihen zu Kernerwerbstätigen nach Erwerbsformen aus dem Mikrozensus. 39 In der Forschung gibt es dabei zahlreiche Abgrenzungsprobleme. So wird kontrovers diskutiert, ob eine sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung als atypisch gelten kann (vgl. Hohendanner 2013: 30). Das Gleiche gilt für Leiharbeit, die oft als unbefristete Vollzeitbeschäftigung geführt wird (ebd.: 15 ff.), oder für Formen neuer Selbstständigkeit, die zu den atypischen Beschäftigungsformen gezählt werden können (Schulze Buschoff 2007). 40 Auf der Grundlage der vom Statistischen Bundesamt zur Verfügung gestellten Zeitreihen zu Kernerwerbstätigen nach Erwerbsformen des Mikrozensus werden in Anlehnung daran zwei Typen der sogenannten Normalarbeitsverhältnisse unterschieden. Als Normalarbeitnehmer und Normalarbeitnehmerinnen gelten im vorliegenden Abschnitt erstens alle Personen, die auf unbefristeter Basis mindestens 21 Wochenstunden tätig sind. Diese Gruppe ist als erweiterte NAV 21 Wochenstunden plus definiert bzw. ausgewiesen. Davon unterschieden wird zweitens die Teilzeit als NAV (Teilzeit/ NAV). Diese Gruppe ist eine Unterform der Kategorie NormalarbeitnehmerInnen und umfasst alle unbefristet abhängig Beschäftigten, die zwischen 21 und 31 Stunden in der Woche arbeiten.
134 | Junge Menschen heute und ihr Engagement
Atypische Beschäftigung muss von den Normalarbeitsverhältnissen bzw. der Teilzeit als NAV unterschieden werden. Einer gängigen Definition zufolge sind atypische Beschäftigungsverhältnisse durch die Abwesenheit von mindestens einem der folgenden Merkmale gekennzeichnet: Vollzeit, unbefristet, Integration in soziales Sicherungssystem und Identität von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis (Keller/Seifert 2007; Destatis 2008). In Anlehnung an diese Definition werden befristet und geringfügig Beschäftigte sowie Zeit- und reguläre TeilzeitarbeitnehmerInnen (≤ 20 Wochenstunden) als atypisch Beschäftigte gefasst. In den aufbereiteten Daten des Mikrozensus, wie sie hier verwendet werden, sind dies die ausgewiesenen atypischen Beschäftigungsformen (vgl. Statistisches Bundesamt 2013a). Im Jahr 1991 waren 31,386 Millionen und 21 Jahre später (2012) 32,124 Millionen Personen abhängig beschäftigt. Demzufolge kann man insgesamt von einer relativ stabilen Beschäftigungssituation in Deutschland sprechen. Betrachtet man die Gruppe nach Alter und Beschäftigungsform, ergibt sich die in der Tabelle 3.1 abgebildete Situation: Tab. 3.1: Beschäftigte nach Beschäftigungsform und Alter in den Jahren 1991 und 2012 (in 1.000) 1991 Alter der Abhängig NormalarBeschäftig- Beschäftigte beitnehmerinsgesamt ten Innen (≥ 21 WoStd.)
2012 Atypische Beschäftigte
Abhängig Beschäftigte insgesamt
NormalarbeitnehmerInnen (≥ 21 WoStd.)
Atypische Beschäftigte
1.917
1.272 (66 %) 645 (34 %)
15–25
3.869
3.359 (87 %) 510 (13 %)
25–35
8.970
7.668 (85 %) 1.302 (15 %)
6.762
5.052 (75 %) 1.709 (25 %)
35–45
7.871
6.703 (85 %) 1.168 (15 %)
8.126
6.100 (75 %) 2.026 (25 %)
45–55
7.717
6.675 (86 %) 1.042 (14 %)
9.756
7.577 (78 %) 2.179 (22 %)
55–65
2.958
2.543 (86 %) 416 (14 %)
5.563
4.232 (76 %) 1.331 (24 %)
Insgesamt
31.385
26.948
4.438
32.124
24.233
7.890
Datenquelle: Statistisches Bundesamt (2013a): Mikrozensus 1991–2012, Zeitreihe „Kernerwerbstätige nach einzelnen Erwerbsformen“, nachrichtlich zugesandt vom Statistischen Bundesamt am 6.11.2013.
Im Jahr 2012 ist der Anteil der 45- bis 55-Jährigen unter den abhängig Beschäftigten am größten (9,756 Mio.). Gleichzeitig sind bei den abhängig Beschäftigten die wenigsten in der Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen vorhanden (1,917 Mio.). Die Verteilung hat sich in den letzten 20 Jahren verändert. Seit 1991 sind die Beschäftigungszahlen
Lebenswelten junger Menschen: Rahmenbedingungen für ihr Engagement | 135
in den beiden jüngeren Altersgruppen deutlich zurückgegangen, in den beiden älteren Altersgruppen jedoch beachtlich angestiegen. Bei den folgenden Interpretationen ist diese Entwicklung zu berücksichtigen. In der vergleichsweise kleinen Gruppe der Beschäftigten im Alter von 15 bis 25 Jahren sind Normalarbeitsverhältnisse rückläufig. Demgegenüber haben atypische Beschäftigungsformen in dieser Altersgruppe zugenommen. Diese Entwicklung trifft auch auf die anderen Altersgruppen zu. Erweiterte Normalarbeitsverhältnisse (erweiterte NAV 21 Wochenstunden plus) Die abnehmende Bedeutung der Normalarbeitsverhältnisse in Deutschland insgesamt ist das Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung, die in den letzten Jahren stattgefunden hat. Seit 2009 kann jedoch für alle Altersgruppen eine leichte Umkehrung bzw. eine Verlangsamung des Trends festgestellt werden: Seitdem ist auch die Zahl der erweiterten Normalarbeitsverhältnisse nicht mehr rückläufig (vgl. Abbildung 3.2).
Abb. 3.2: Entwicklung des Anteils erweiterter Normalarbeitsverhältnisse (erweiterte NAV 21 W/h+) nach Altersgruppen und insgesamt, 1991–2012 Datenquellen: Statistisches Bundesamt (2013a): Mikrozensus 1991–2012, Zeitreihe „Kernerwerbstätige nach einzelnen Erwerbsformen“, nachrichtlich zugesandt vom Statistischen Bundesamt am 6.11.2013; eigene Berechnung.
136 | Junge Menschen heute und ihr Engagement
Nach Altersgruppen differenziert sind bei der betrachteten Normalarbeitnehmerentwicklung zwei unterschiedliche Dynamiken erkennbar: Zum einen lassen sich Altersgruppen identifizieren, bei denen ein moderater Rückgang der erweiterten Normalarbeitsverhältnisse festzustellen ist; zum anderen ist die Altersgruppe 15 bis 25 Jahre von dem Rückgang besonders stark betroffen. Die insgesamt moderate Abnahme betrifft alle Altersgruppen ab dem 25. Lebensjahr. So standen 1991 von allen abhängig Beschäftigten 86 Prozent, zehn Jahre später 80 Prozent (2001) und zuletzt 75 Prozent (2012) in einem entsprechenden Normalarbeitsverhältnis. Von allen Altersgruppen sind die 45- bis 55-Jährigen am wenigsten von dem beschriebenen Rückgang betroffen. Anders verläuft die Entwicklung in der Gruppe der 15- bis 25-jährigen abhängig Beschäftigten: 1991 waren von ihnen 87 Prozent und 2001 noch 74 Prozent in einem erweiterten Normalarbeitsverhältnis beschäftigt, dies traf im Jahr 2012 nur noch auf 66 Prozent zu. Folglich haben die erweiterten Normalarbeitsverhältnisse unter den 15- bis 25-Jährigen am stärksten abgenommen, seit 2009 jedoch wieder leicht zugenommen. Insgesamt sind junge Menschen vom gesamtgesellschaftlichen Trend des Rückgangs erweiterter Normalarbeitsverhältnisse nicht ausgenommen. Die damit verbundenen Veränderungen betreffen allerdings die 15- bis 25-Jährigen in besonderem Maße. Teilzeit als Normalarbeitsverhältnis (Teilzeit/NAV) Eine gesonderte Betrachtung soll an dieser Stelle dem Typus der Teilzeit als Normalarbeitsverhältnis zukommen. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in diesem Beschäftigungsverhältnis sind unbefristet und mit einer Arbeitszeit von 21 bis 31 Wochenstunden angestellt. Die Teilzeit/NAV hat seit 1991 leicht zugenommen. Damals hatten 7 Prozent der Normalarbeitnehmer und der Normalarbeitnehmerinnen ein solches Arbeitsverhältnis inne, 2012 waren es 11 Prozent. Die Teilzeit/NAV stellt kein typisches Beschäftigungsverhältnis unter jungen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen dar. Es sind ältere Personen, wozu insbesondere die 45- bis 55-Jährigen und die 55- bis 65-Jährigen zählen, die in diesem Beschäftigungsverhältnis arbeiten. Atypische Beschäftigungsverhältnisse Während der Anteil junger Menschen in Normalarbeitsverhältnissen sinkt und seit 2009 stagniert bzw. wieder leicht ansteigt, ist die Dynamik bei den atypischen Beschäftigungsverhältnissen eine andere. So haben die atypischen Beschäftigungsverhältnisse zwischen 1991 und 2012 unter allen abhängig Beschäftigten um gut 10 Prozent zugenommen (vgl. Abbildung 3.3). Die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse wurde erst seit 2009 gestoppt. Seitdem ist ein Viertel aller abhängig Beschäftigten atypisch angestellt (2012: 25 %). Eine altersgruppenspezifische Betrachtung der Beteiligung an atypischen Beschäftigungsverhältnissen zeigt im Rückblick unterschiedliche Entwicklungsmuster.
Lebenswelten junger Menschen: Rahmenbedingungen für ihr Engagement | 137
Abb. 3.3: Entwicklung des Anteils atypischer Beschäftigung nach Altersgruppen und insgesamt, 1991–2012 Datenquellen: Statistisches Bundesamt (2013a): Mikrozensus 1991–2012, Zeitreihe „Kernerwerbstätige nach einzelnen Erwerbsformen“, nachrichtlich zugesandt vom Statistischen Bundesamt am 6.11.2013; eigene Berechnung.
Im Jahr 1991 war atypische Beschäftigung unter den 15- bis 25-Jährigen kaum verbreitet (13 %). Dies änderte sich in den Folgejahren. Bereits 2007 wurden 41 Prozent der 15- bis unter 25-jährigen abhängig Beschäftigten atypisch angestellt. In der Zeit danach gab es eine leichte Trendwende. Im Jahr 2012 ging ein Drittel der 15- bis 25-jährigen (34 %) abhängig Beschäftigten einer atypischen Beschäftigung nach. Unter den 25- bis 35-jährigen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen ist ein etwas anderes Muster zu erkennen. Es entspricht der Entwicklung der atypischen Beschäftigungsverhältnisse insgesamt: Im Jahr 1991 waren 15 Prozent und 2007 waren 27 Prozent atypisch beschäftigt. Das Niveau wird seither gehalten. So trafen die entsprechenden Beschäftigungsverhältnisse 2012 auf ein Viertel (25 %) der 25- bis 35-jährigen abhängig atypisch Beschäftigten zu. Von allen Altersgruppen sind die 45- bis 55-Jährigen in einem unterdurchschnittlichen Umfang in atypische Beschäftigungsverhältnisse eingebunden (2012: 22 %). Junge Menschen sind nicht gleichermaßen von atypischer Beschäftigung betroffen. Verschiedene Einflussfaktoren begünstigen die Einbindung in solche Arbeitsverhältnisse. Dazu zählen die individuelle Qualifikation und das Geschlecht. Es kann davon ausgegangen werden, dass junge Menschen mit geringerer Qualifikation (z.B.
138 | Junge Menschen heute und ihr Engagement
ohne Berufsausbildung oder Berufsfachhochschulabschluss) ein besonders hohes Risiko haben, atypisch beschäftigt zu sein. Dabei ist die Beschäftigungsquote Geringqualifizierter im Alter von 15 bis 29 Jahren in Deutschland ohnehin sehr niedrig (vgl. Eichhorst/Thode 2011: 16). Atypische Beschäftigung ist zudem weiblich. Von allen abhängig beschäftigten Frauen sind 36 Prozent, von den Männern hingegen nur 14 Prozent atypisch angestellt (2012) (vgl. Statistisches Bundesamt 2013a). Dabei gibt es zwischen jungen und älteren Frauen kaum Unterschiede. Anders verhält es sich bei den männlichen Arbeitnehmern. Von ihnen sind insbesondere die 15- bis 25-Jährigen (33 %) sowie die 25- bis 35-Jährigen (20 %) atypisch beschäftigt (ebd.). Formen atypischer Beschäftigungsverhältnisse Betrachtet man, in welchem Umfang die Beschäftigten in den einzelnen Altersgruppen in die unterschiedlichen Formen atypischer Beschäftigung eingebunden sind, zeigen sich für die Jahre 1991 und 2012 typische Muster für ältere und für jüngere Beschäftigte (vgl. Tabelle 3.2). Tab. 3.2: Atypische Beschäftigung nach Formen und Alter (in %)41 1991 Teilzeit (≤20 h/W)
2012
Alter
Befristet
Geringfügig
Zeitarbeit
Befristet
Teilzeit (≤20 h/W)
Gering- Zeitarbeit fügig
15–25
84
16
7
–
73
25
19
14
25–35
52
51
13
–
56
41
21
13
35–45
34
69
15
–
28
71
32
8
45–55
33
69
16
–
23
75
36
8
55–65
30
70
27
–
17
81
47
7
Insgesamt
44
58
15
–
35
64
32
9
Datenquellen: Statistisches Bundesamt (2013a): Mikrozensus 1991–2012, Zeitreihe „Kernerwerbstätige nach einzelnen Erwerbsformen“; nachrichtlich zugesandt vom Statistischen Bundesamt am 6.11.2013; eigene Berechnung.
|| 41 Die einzelnen atypischen Beschäftigungsformen sind in den hier verwendeten Zeitreihen des Mikrozensus nicht überschneidungsfrei. Das bedeutet, dass auch die hier ausgewiesenen Anteile zu den verschiedenen Formen nicht in der reinen Form zu interpretieren sind.
Lebenswelten junger Menschen: Rahmenbedingungen für ihr Engagement | 139
Zum einen trifft unter den älteren Beschäftigten ab 35 Jahre vermehrt die reguläre Teilzeit und Geringfügigkeit zu. Die Anteile jener atypisch Beschäftigten, die in diesen Formen angestellt werden, haben sich seit 1991 leicht bis deutlich erhöht. Zum anderen sind unter den beiden jüngeren Altersgruppen in atypischer Beschäftigung zwei andere Formen dominant. Erstens waren junge Menschen sowohl 1991 als auch 2012 überdurchschnittlich häufig von befristeten Anstellungsverhältnissen betroffen. Im Jahr 2012 waren 73 Prozent der 15- bis 25-Jährigen und 56 Prozent der 25- bis 35-Jährigen befristet erwerbstätig. Eine Ursache für den hohen Befristungsanteil unter jungen Menschen ist in betrieblichen Motiven zu finden. Betriebliche Motive schließen auf Seiten des Arbeitgebers wirtschaftlicher Unsicherheit und Bedenken gegenüber der Eignung von Berufsanfängern ein (vgl. Gundert 2007). Jungen Erwerbstätigen wird also aufgrund fehlender beruflicher Erfahrungen ein anderes Vertrauen entgegengebracht. Zweitens sind junge Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eher als ältere in Zeitarbeit tätig. Im Jahr 2012 arbeiteten 14 Prozent der 15- bis 25-Jährigen und 13 Prozent der 25- bis 35-Jährigen als Zeitarbeitnehmer und Zeitarbeitnehmerinnen. Obgleich Zeitarbeitnehmer und Zeitarbeitnehmerinnen oftmals sozialversicherungspflichtige und unbefristete Vollzeitstellen haben, „handelt es sich häufig nicht um dauerhaft angelegte Arbeitsverhältnisse, da ein Großteil der Leiharbeiter in der Warte- bzw. Probezeit entlassen wird“ (Hohendanner 2013: 32). Dadurch wird diese auf junge Menschen überproportional häufig zutreffende Beschäftigungsform zu einer extrem unbeständigen und riskanten Form der Anstellung. Eine über die Arbeit hinausgehende Lebensplanung ist dabei nahezu unmöglich. Es ist anzunehmen, dass die Beschäftigungssituation junger Zeitarbeitnehmer und Zeitarbeitnehmerinnen in hohem Maße durch rein wirtschaftliche Interessen der Arbeitgeberseite beeinflusst wird (vgl. ebd.: 34). Erwerbslosigkeit Insgesamt ist die Erwerbslosenquote42 in Deutschland in den letzten zwölf Jahren rückläufig: Im Jahr 2000 waren 3,1 Millionen Menschen erwerbslos, 2012 waren es nur noch 2,3 Millionen; die Erwerbslosenquote sank im betrachteten Zeitraum von rund 8 auf rund 6 Prozent (Statistisches Bundesamt 2013b: 348). Ein Blick auf das Alter der Erwerbslosen offenbart allerdings Unterschiede: Vor allem jüngere Personen sind mittlerweile häufiger erwerbslos (vgl. Tabelle 3.3). Während im Jahr 2000 vor allem Personen über 50 Jahre verstärkt von Erwerbslosigkeit betroffen waren, traf dies in
|| 42 Die Erwerbslosenquote ist der Anteil der Erwerbslosen an allen Erwerbspersonen (Summe aus Erwerbstätigen und Erwerbslosen). Erwerbslos ist gemäß dem Erwerbsstatuskonzept der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), wer nicht erwerbstätig ist, jedoch aktiv nach einer Erwerbstätigkeit sucht und diese kurzfristig aufnehmen kann (vgl. Asef et al. 2012: 31).
140 | Junge Menschen heute und ihr Engagement
den letzten Jahren zunehmend für die jüngeren Altersgruppen zu. Die seit 2005 vergleichsweise hohe Erwerbslosenquote Jüngerer deutet darauf hin, dass sich der Einstieg in den bzw. der Verbleib im Arbeitsmarkt für diese Gruppen schwieriger gestaltet (vgl. Asef et al. 2012: 37). Tab. 3.3: Erwerbslosenquote nach Alter (in %) 2000
2005
2010
2011
2012
Insgesamt
8
11
7
6
6
15–20 Jahre
7
15
11
10
9
20–25 Jahre
9
15
9
8
8
25–30 Jahre
7
13
8
7
7
30–35 Jahre
7
11
7
6
6
35–40 Jahre
7
9
7
5
5
40–45 Jahre
7
10
6
5
4
45–50 Jahre
7
10
6
5
4
50–55 Jahre
9
11
6
5
5
55–60 Jahre
14
14
8
6
6
60–65 Jahre
8
11
8
7
7
65 Jahre und älter
–
–
–
1
1
Datenquelle: Statistisches Bundesamt (2012a: 355; 2013b: 348).
Hinzu kommt, dass junge Menschen, die keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz gefunden haben und beim Wechsel von der Schule in die Ausbildung im sogenannten Übergangsbereich bleiben, nicht in den offiziellen Angaben zur Erwerbslosigkeit enthalten sind (vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012: 140). Demnach gelingt es mit Maßnahmen im Übergangsbereich, „den Anteil der unversorgten Bewerber und damit auch die Jugendarbeitslosigkeit niedrig zu halten“ (vgl. BIBB 2013: 25). Die Arbeitslosenquote junger Menschen war im Jahr 2004 doppelt so hoch, wenn die jungen Menschen, die sich in berufsvorbereitenden Maßnahmen befanden, miteinbezogen werden (vgl. Allmendinger/Ebner 2005: 15). Der Ausschluss junger Menschen vom Arbeitsmarkt ist also deutlich höher, wenn man sowohl die jungen erwerbslosen Menschen als auch jene im Übergangsbereich berücksichtigt.
Lebenswelten junger Menschen: Rahmenbedingungen für ihr Engagement | 141
Die derzeitige Arbeitsmarktsituation junger Menschen bleibt insgesamt nicht folgenlos. Auswirkungen sind u.a. in Bezug auf die berufliche Entwicklung sowie die ökonomische, soziale und gesundheitliche Lage der Jugendlichen auszumachen. Berufliche Entwicklung Atypische Beschäftigung unter jungen Menschen kann sowohl ein Einstiegsphänomen als auch mit einer besonderen Herausforderung bei der Karriereentwicklung verbunden sein. In verschiedenen Studien wurde untersucht, inwiefern atypische Beschäftigung eine Brückenfunktion erfüllt, die in ein Normalarbeitsverhältnis führt (z.B. Brülle 2013; Lehmer/Ziegler 2010; Boockmann/Hagen 2006). Die vorliegenden Ergebnisse belegen diese Funktion nicht eindeutig bzw. muss nach den spezifischen Beschäftigungsformen unterschieden werden. In Deutschland wurden in den Jahren 2006 und 2007 nur 26 Prozent der befristeten Arbeitsverhältnisse in unbefristete überführt (vgl. Eichhorst et al. 2010: 17). Auch Beschäftigte in Zeitarbeit und mit Minijob haben geringe Chancen auf eine Übernahme bzw. die Möglichkeit, im Unternehmen beruflich aufzusteigen (ebd.: 22/25). In eine ähnliche Richtung weisen Analysen zur Statusmobilität zwischen atypischen und Normalarbeitsverhältnissen (vgl. Gensicke et al. 2010). Die Mobilität atypisch Beschäftigter bei der Wiederaufnahme einer Beschäftigung oder in Bezug auf den Wechsel in ein Normalarbeitsverhältnis ist gegenüber Normalarbeitnehmern und Normalarbeitnehmerinnen eingeschränkt (ebd.). Bei den für junge Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen charakteristischen atypischen Beschäftigungsformen – Befristung und Zeitarbeit – bedeutet dies zweierlei: Zum einen nehmen die entsprechend Beschäftigten bei einem Arbeitswechsel mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut ein unsicheres Beschäftigungsverhältnis auf; zum anderen besteht für sie bei einer Beendigung des bestehenden Arbeitsverhältnisses ein erhöhtes Risiko, arbeitslos zu werden (Keller/Seifert 2011: 142; Gensicke et al. 2010: 138 f.). Brülle (2013) ergänzt in diesem Zusammenhang, dass die Übergangswahrscheinlichkeit von einem atypischen in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis einerseits von dessen Form abhängt, andererseits aber auch nach Arbeitszeitpräferenzen, Haushaltszusammensetzungen, Bereichen und Qualifikationsprofilen zu differenzieren ist. Beispielsweise haben befristet Beschäftigte unter den verschiedenen Formen atypischer Beschäftigung die höchste Übergangswahrscheinlichkeit in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis (vgl. Brülle 2013: 165). Ist das befristete Beschäftigungsverhältnis jedoch im öffentlichen Dienst angesiedelt, haben die Personen „signifikant schlechtere Chancen auf ein reguläres Beschäftigungsverhältnis“ (ebd.: 168). Den Ergebnissen zufolge können atypische Beschäftigungsverhältnisse also mit einer eingeschränkten Karrieremobilität assoziiert werden. Junge Menschen, die atypisch beschäftigt sind, müssen sich von daher auf „unvorhersehbare Beschäftigungsangebote [einstellen], die ein hohes Maß an Flexibilität und Eigenorganisation voraussetzen, Improvisation im Hinblick auf Lebenskonzepte [verlangen] und ein Aushalten von Unsicherheit [bedeuten] (Hurrelmann/ Quenzel 2012: 142).
142 | Junge Menschen heute und ihr Engagement
Ökonomische Auswirkungen Atypische Beschäftigungsverhältnisse sind neben Fragen der beruflichen Entwicklung auch mit ökonomisch gelagerten Unsicherheiten verbunden. Insbesondere befristet und geringfügig beschäftigte Personen sowie Zeitarbeitnehmer und Zeitarbeitnehmerinnen sind in Bezug auf den Lohn, die Beschäftigungsstabilität, den Zugang zu betrieblich-beruflicher Weiterbildung und bei den Rentenbezügen benachteiligt (Keller/Seifert 2011: 141). Dabei nimmt die Lohndiskriminierung eine besondere Position ein. Ein geringes Einkommen kann sich nachteilig auf Investitionen in anderen Lebensbereichen auswirken. Beispielsweise wird es für atypisch Beschäftigte aufgrund geringer und unsicherer Einkommen zu einer besonderen Herausforderung, sich den externen Anforderungen entsprechend weiterzubilden (vgl. Keller/Seifert 2011: 141). Entweder fehlen ihnen dazu die finanziellen Ressourcen, oder der stete Arbeitsplatzwechsel durch Befristung macht es ihnen schwer, den ständig wandelnden Ansprüchen gerecht zu werden. Atypisch Beschäftigte beziehen eher einen Niedriglohn43 und erzielen deutlich geringere Nettoverdienste (vgl. Statistisches Bundesamt 2012b). Das Argument, dass zeitlich begrenzte Niedriglohnbeschäftigung später zu besser bezahlter Beschäftigung führt, konnte empirisch bisher nicht bestätigt werden: in Deutschland ist die Chance auf eine besser bezahlte Erwerbsarbeit bei vorangegangenem Bezug eines Niedriglohns, sogar besonders gering (vgl. Bosch/Kalina 2007: 43 ff.). Die Ursachen für die starke Lohnungleichheit in Deutschland sind vielfältig: Neben personenbezogenen Merkmalen wie dem Alter sind betriebliche und institutionelle Faktoren wie das Ausmaß der Tarifbindung von Bedeutung (vgl. Rhein 2013). Die ungünstige Einkommenssituation kann dazu führen, dass atypisch Beschäftigte ihren Lebensunterhalt nicht vollständig durch ihre Berufs- bzw. Erwerbstätigkeit bestreiten können: Während 99 Prozent der Normalarbeitnehmer und der Normalarbeitnehmerinnen ihren überwiegenden Lebensunterhalt durch ihre Beschäftigung sichern, können dies nur 74 Prozent der atypisch Beschäftigten (vgl. Statistisches Bundesamt 2013a). Die restlichen 26 Prozent sind bei der Sicherstellung ihres Lebensunterhalts auf Unterhaltszahlungen von Angehörigen oder auf Leistungen der sozialen Sicherungssysteme angewiesen (ebd.). Das vordergründige Ziel von Erwerbsarbeit, über den Lebensunterhalt die eigene Existenz sicherzustellen, hat sich somit auch für viele junge Menschen relativiert (vgl. Kramer/Langhoff 2012: 40). Für junge atypische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen stellt das Beschäftigungsverhältnis keine verlässliche Einkommensgrundlage mehr da.
|| 43 Gemäß der international üblichen Definition, die auch von der ILO und der OECD verwendet wird, spricht man von einem Niedriglohn, wenn der Verdienst eines Beschäftigten geringer als zwei Drittel des Medianverdienstes ist (vgl. Statistisches Bundesamt 2012b: 16).
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Oft ist das eigene Erwerbseinkommen jedoch nicht die einzige monetäre Quelle zur Sicherung des Lebensunterhalts. In Mehrpersonenhaushalten fließen z.B. verschiedene Einkommen zusammen, wodurch sich bestimmte Unterhaltskosten, wie die Ausgaben für die Miete oder das Essen, reduzieren bzw. teilen lassen. Anders ist die Situation von Einpersonenhaushalten. In diesen gibt es keine weiteren Personen, die einen finanziellen Beitrag zum Haushaltseinkommen leisten. Deshalb soll an dieser Stelle exemplarisch die Einkommenssituation junger Menschen in Einpersonenhaushalten beleuchtet werden. Junge Menschen sind zunehmend in Einpersonenhaushalten zu finden. Im Jahr 1996 lebten 15 Prozent der 15- bis 30-Jährigen allein; 16 Jahre (2012) später haben bereits 20 Prozent von ihnen diese Lebensform gewählt44 (vgl. Statistisches Bundesamt 2013c). Betrachtet man das monatliche Haushaltsnettoeinkommen von Einpersonenhaushalten, zeigt sich, dass sowohl ältere als auch jüngere Personen mit einem eher geringen Haushaltseinkommen leben (vgl. Tabelle 3.4). Tab. 3.4: Einpersonenhaushalte nach monatlichem Haushaltsnettoeinkommen bis 900 Euro sowie nach Alter des Haupteinkommensbeziehers, 2012 (in %) 15–25 Jahre
25–35 Jahre
35–45 Jahre
45–55 Jahre
55–65 Jahre
65 + Jahre
bis 500 €
31
20
10
15
12
12
100
bis 900 €
19
16
9
14
15
27
100
Datenquellen: Statistisches Bundesamt (2013d): Mikrozensus 2012: Privathaushalte nach Alter des Haupteinkommensbeziehers bei Einpersonenhaushalten sowie monatlichem Nettoeinkommen des Haushalts; eigene Berechnung.
In der Gruppe der Einpersonenhaushalte mit einem Haushaltseinkommen von maximal 500 Euro monatlich sind 31 Prozent zwischen 15 und 25 Jahre sowie 20 Prozent zwischen 25 und 35 Jahre alt. Alleinlebende mit sehr niedrigem Haushaltseinkommen sind also zumeist junge Menschen. Unter den Einpersonenhaushalten, denen maximal 900 Euro monatlich als Haushaltseinkommen zur Verfügung stehen, sind wiederum auch zahlreiche ältere Personen zu finden. In dieser Gruppe sind 27 Prozent älter als 65 Jahre, 19 Prozent im Alter von 15 bis 25 Jahre und 16 Prozent im Alter von 25 bis 35 Jahre. Damit sind es überwiegend Rentner und jüngere Altersgruppen, die allein leben und über ein monatliches Haushaltseinkommen von bis zu 900 Euro verfügen. Das Haushaltseinkommen setzt sich aus unterschiedlichen Bezugsquellen zusammen. Dabei dominieren Renten, Arbeitslosengeld und Erwerbseinkommen (vgl.
|| 44 Die Angaben beziehen sich auf den Hauptwohnsitz.
144 | Junge Menschen heute und ihr Engagement
Statistisches Bundesamt 2013e). Junge Menschen mit einem geringen Haushaltseinkommen erhalten dies also entweder aus ihrer Erwerbstätigkeit oder über einen Arbeitslosengeldbezug. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass in jungen Jahren die niedrigen Haushaltseinkommen in Zusammenhang mit der altersspezifischen Lebenslage stehen können: So ist oft die Ausbildung noch nicht abgeschlossen, oder aber der Einstieg in den Arbeitsmarkt ist durch ein sehr geringes Einkommen gekennzeichnet (vgl. Schels 2008). Andere Autoren halten dagegen, dass die im europäischen Vergleich hohe Niedriglohnquote unter jungen Erwerbstätigen (unter 30 Jahre) in Deutschland nicht automatisch mit dem Phänomen von Einstiegslöhnen gleichzusetzen ist (vgl. Rhein 2013: 5 f.). Wenn atypische Beschäftigung, niedrige Löhne und ein niedriges Haushaltseinkommen zusammenfallen, steigt das Armutsrisiko. Nicht ohne Grund haben 51 Prozent der jungen Menschen Angst vor einer schlechten Wirtschaftslage und vor Armut (vgl. Leven et al. 2015: 95 ff.). Dies ist jedoch nicht nur ein vages Gefühl, sondern Realität: Atypische Beschäftigung geht mit einer erhöhten Armutsgefährdung einher. Dieses Phänomen, also die Kombination von atypischen Beschäftigungsverhältnissen und niedrigen Löhnen, ist als „working poor“ bekannt (vgl. Yollu-Tok/Sesselmeier 2012: 18; Eichhorst et al. 2010: 31). Zusammengefasst kann festgehalten werden: Die Gestaltung der eigenen Lebensbiografie erfolgt bei vielen jungen Menschen ohne die vollständige Gewährleistung einer durch die Erwerbstätigkeit abgesicherten ökonomischen Autonomie und ist mit Armutsrisiken verbunden. Soziale und gesundheitliche Auswirkungen Atypische Beschäftigungsverhältnisse haben nicht nur finanzielle bzw. wirtschaftliche Folgen. Untersuchungen belegen eine damit verbundene Zunahme gesundheitlicher Probleme.Der drastische Wandel der Arbeitswelt ist für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen häufig eng mit einem Anstieg psychischer Erkrankungen verbunden (vgl. WHO 2008; Langhoff 2009). Die Ergebnisse der vom Robert-Koch-Institut durchgeführten Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA) zeigen für 2010 einen stabilen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit, prekärer Beschäftigung und Gesundheit auf (vgl. Kroll/Lampert 2012: 6). Die Unsicherheit des eigenen Arbeitsplatzes oder die bestehende Arbeitslosigkeit wirken sich negativ auf die psychische Gesundheit, die individuelle Vitalität und damit verbunden auf das Erleben und Realisieren von Alltagsaktivitäten aus (vgl. ebd.: 4 f.). Junge Erwerbstätige sind von psychischen Belastungen, die durch unsichere Arbeitsverhältnisse entstehen, nicht ausgenommen. Kramer und Langhoff (2012: 44) zitieren hierzu Ergebnisse des Barmer Gesundheitsreports 2009, der „einen Anstieg der Erkrankungsdauer an psychischen Erkrankungen zwischen den 20- bis 24-Jährigen und den 25- bis 29-Jährigen um 25 %“ aufzeigt. Der DGB-Index Gute Arbeit thematisiert in diesem Kontext die Arbeitsqualität aus der Sicht junger Beschäftigter. Für 25 Prozent der unter 35-jährigen Beschäftigten ergeben sich auf der Arbeit psychische
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Belastungen, z.B. durch Zeitdruck oder widersprüchliche Anforderungsprofile (vgl. Gerdes 2012: 14). Vor diesem Hintergrund erscheint es umso problematischer, dass befristete Beschäftigungsverhältnisse oder Leiharbeit, die für junge Menschen typisch sind, in der Regel nicht freiwillig übernommen werden (vgl. Eichhorst et al. 2010: 16; Brülle 2013: 162). Doch auch in sozialer Hinsicht sind Konsequenzen auszumachen. Das Aufrechterhalten von sozialen Kontakten und das Erleben gesellschaftlicher Teilhabe werden unter der Bedingung befristeter Beschäftigung erschwert. Untersuchungen belegen, dass sich Arbeitslose, befristet Beschäftigte sowie Zeitarbeitnehmer und Zeitarbeitnehmerinnen weniger gut in die Gesellschaft integriert fühlen als unbefristet angestellte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (vgl. Gundert/Hohendanner 2011). Unsichere Beschäftigungsverhältnisse, verbunden mit niedrigen Haushaltsnettoeinkommen, mindern demnach den Eindruck dazuzugehören (ebd.). Selbst die Familienplanung kann durch unsichere Beschäftigungsverhältnisse negativ beeinflusst werden. Entsprechende Untersuchungen kommen diesbezüglich zwar zu keinem einheitlichen Ergebnis. Gebel und Giesecke (2009: 401) belegen jedoch mit ausgewählten Studien einen negativen Effekt befristeter Beschäftigung auf die Familienplanung. In ihrer Analyse mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels kommen sie zu einem anderen Ergebnis: Wenn Personen, die in einer Partnerschaft leben in befristeten Beschäftigungsverhältnissen sind, führt dies zumeist nicht dazu, die Familienplanung aufzuschieben (vgl. ebd.: 406 ff.). Gleichzeitig belegen sie aber, dass Arbeitslosigkeit eine Verzögerung der Erstgeburt nach sich zieht (ebd.). Gleichwohl sind Eltern mit einem befristeten Arbeitsvertrag weniger zufrieden als Eltern mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag (vgl. Muschalik et al. 2011: 205). Es kann dabei nicht ausgeschlossen werden, dass die damit verbundene berufliche Unzufriedenheit auf das Familienleben negativ auswirkt. Insgesamt ist atypische Beschäftigung mit sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen verbunden. Junge atypisch Beschäftigte, denen bestimmte ökonomische Grundlagen nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen, wird die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung und gesellschaftlichen Integration somit erschwert.
3.2.3 Werte und Mitsprache Nach Inglehart werden Werte besonders in der Jugendphase erworben und bleiben von da an relativ stabil (vgl. Inglehart 1979: 280). Werte sind generationengebunden, da sie sich durch bestimmte gemeinsame Erfahrungen in der Form gesamtgesellschaftlicher Trends und Entwicklungen herausbilden. Konsumverhalten, Krisen, Familiensituationen, Freizeittrends, Kommunikationsverhalten – diese und andere Sozialisationsbedingungen prägen die Wertorientierungen von jungen Menschen in einem besonderen Maße. Wenn Menschen jung sind und sich in einer sozialpsychologischen Entwicklungsphase befinden, verfügen sie über eine grundsätzlich größere
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Offenheit, bestimmte Informationen und Inhalte aufzunehmen. Über ein gemeinsames Erfahrungsspektrum kommen sie zu einem miteinander geteilten Wertesystem, nach dem sie ihr Verhalten ausrichten. Durch den Bezug zu allgemeinen Entwicklungen haben junge Menschen heute ein anderes Wertesystem als vor 20 oder mehr Jahren. Dabei haben vor allem eher unbefriedigte Bedürfnisse eine Chance, den Status eines gemeinsamen Werteguts zu erlangen (vgl. Inglehardt 1989). In sozialen und ökonomischen Krisenzeiten gewinnen unter jungen Menschen somit andere Wertmaßstäbe an Bedeutung als in Zeiten eines immateriellen und materiellen Wohlstands. Reinders (vgl. 2005: 25) kommt zu dem Schluss, dass Werte unter jungen Menschen flexibel sind, weil in der Jugendphase vieles zunächst ausprobiert wird und von daher weniger verbindlich ist. Dass bedeutet: Man kann, muss sich aber nicht nach Werten richten (vgl. ebd.). In den 1970er bis 1990er Jahren strebten Jugendliche vor allem nach Lebensgenuss, Abenteuer, Mitsprache und kombinierten dieses Lebensgefühl mit eher konservativen Orientierungen auf Stabilität und Ordnung (vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012: 204). Aufgrund der in den 90er Jahren beginnenden Krise auf dem Arbeitsmarkt waren die dominierenden postmaterialistischen Werte unter den jungen Leuten zwischen den 1990er und 2000er Jahren auf dem Rückzug (vgl. ebd.: 205). Mit Beginn der 2000er Jahre führten veränderte gesellschaftliche Problemlagen (z.B. Terror, Finanzkrisen, Arbeitsmarkt) dazu, dass unter jungen Menschen materialistische Orientierungen die Oberhand gewannen. Es geht dabei nicht um das reine Streben nach Besitz und Gewinn, sondern um Bindung und Ehrgeiz mit der Perspektive auf das Morgen und um Kreativität und Lebensgenuss im Hier und Jetzt (vgl. ebd.: 206). Indem junge Menschen sich zum Wertecluster „Leistung, Bindung“ hinwenden, tritt ein gesellschaftspolitisches Wertecluster eher in den Hintergrund (vgl. Gensicke 2015: 239 f.). Das, was für junge Menschen heute Selbstbezogenheit bedeutet, ist das ganz persönliche Vorankommen in Bezug auf Bildung, Beruf und Familie. Eher neu ist der besondere Respekt gegenüber Gesetz und Ordnung, das abnehmende Bedürfnis nach Macht, die Orientierung an Traditionen, ein gewisses Anpassungsverhalten sowie das Streben nach einem bewussten und engagierten Leben. Bemerkenswert ist der Bedeutungsaufschwung eines umweltbewussten und altruistischen Verhaltens sowie eines politischen Engagements bei den Werten junger Menschen (vgl. Gensicke 2015: 242 f.). Junge Menschen sind bemüht sich selbst einen Platz in der Gesellschaft zu geben, verlieren aber das große Ganze nicht aus dem Blick. Die positive Entwicklung von engagementnahen Werten wie „Randgruppen helfen“ oder „sich politisch zu engagieren“ geht einher mit einem gestiegenen politischen Interesse unter jungen Menschen. Die Shell-Studie 2015 weist darauf hin, dass mittlerweile 46 Prozent der 15- bis 24-Jährigen politisch interessiert sind (vgl. Schneekloth 2015: 157). Die Mehrheit junger Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren interessiert sich jedoch nicht im besonderen Maße für Politik und erachtet diese nicht als einen wichtigen Lebensbereich (vgl. Hanke 2016: 3 f.). Gleichwohl gilt politisches
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Interesse als ein wesentlicher Bedingungsfaktor für politische Partizipation (Gaiser/Gille 2012: 151). Als ebenso wichtig für eine aktive Teilhabe junger Menschen an gesellschaftlichen Belangen werden zu ihren Interessen passende auf Mitbestimmung ausgerichtete Gelegenheitsstrukturen erachtet. Beispielsweise findet die Bereitschaft zu politischem Konsumverhalten oder die Teilnahme an einer Online-Protestaktion unter den 18- bis 29-Jährigen deutlichen Zuspruch (vgl. Gaiser/Gille 2012: 150). Unkonventionelle Partizipationsformen, die einen eher flexiblen und individuellen Charakter aufweisen (z.B. auch Mitarbeit Bürgerinitiative, Beteiligung Unterschriftensammlung) erfahren durch junge Menschen deutlich mehr Zuspruch und werden im Vergleich zu konventionellen Formen politischer Partizipation (parteipolitisches Engagement) vielfältig genutzt (vgl. Hanke 2016). Die mitunter ausbleibende Umsetzung wird mit fehlenden Anlässen und strukturellen Angeboten hierfür erklärt (vgl. ebd.; Gaiser/Gille 2012). Es lässt sich von daher vermuten, dass politische und soziale Mitbestimmung sehr wohl unter jungen Menschen gefragt ist, die Partizipationsvarianten und deren Ausprägungen jedoch in Veränderung begriffen sind. Zudem geben die aufgezeigten Ergebnisse Anlass zur Annahme, dass es an jugendafinen Formen der Mitbestimmung in verschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhängen fehlt. Möglichkeiten zur Mitsprache und Mitbestimmung sowie die Einbeziehung in Entscheidungsprozesse sind für junge Menschen ein wichtiger Anreiz sich einzubringen. Für Personen, die über die Bereitschaft zur Beteiligung an gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Belangen verfügen, ist es generell wichtig, dass sie den Eindruck, das Gefühl und die Erfahrung erhalten, mit ihren Handlungen etwas zu erreichen (vgl. Weßels 2013a: 38). Die Schaffung konkreter Beteiligungsoptionen in den Organisationen ist deshalb von zentraler Bedeutung für die Einbindung Jüngerer. Es entspricht ihrem Enagementverhalten insofern, als dass ein vergleichsweise hoher Anteil der 14- bis 29-Jährigen „Mitsprache und Interessenvertretung“ als Haupttätigkeitsfeld im eigenen Engagement angibt (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 305). Den Daten des Freiwilligensurveys 2014 zufolge ist in der Wahrnehmung junger Menschen die Option zur Mitbestimmung in zivilgesellschaftlichen Organisationen gegeben, aber ausbaufähig (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016b: 262).45 So bezeichneten von den 14- bis 29-jährigen Engagierten im Jahr 2014 insgesamt 76 Prozent die Mitsprachemöglichkeiten im Rahmen ihres Engagements in Vereinen und Verbänden als mindestens gut. Weitere 20 Prozent sehen ausreichend Mitsprachemöglichkeit nur teilweise gegeben. Von allen Engagierten kommen zu einer positiven Einschätzung (mindestens gut) 79 Prozent. Ältere Personen sind also zufriedener mit den Mitbestimmungsmöglichkeiten in Vereinen und Verbänden.
|| 45 In den vorherigen Wellen des Freiwilligensurveys war die Zufriedenheit unter jungen Engagierten mit den vorhandenen Mitbestimmungsmöglichkeiten deutlich zurückgegangen war.
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Die Schaffung ausreichender Mitsprachemöglichkeiten für junge Menschen und für aktive Nichtmitglieder in den zivilgesellschaftlichen Organisationen ist eine entscheidende Grundlage für deren Integration. Vereine gelten allgemein als Lernplattform für eine stärkere Beteiligungskultur junger Menschen (vgl. Fatke/Schneider 2005: 39). Diesem Anspruch gerecht zu werden bedeutet, eine ausgeprägte Mitbestimmungskultur zu schaffen. Die entsprechende Gestaltung der Vereinsstrukturen spielt hierbei eine besondere Rolle. Die vorhandenen Mitbestimmungsoptionen können zudem Aufschluss über die Qualität und das Ausmaß der bestehenden organisationsinternen Demokratie geben (vgl. Olk/Roth 2007: 210 f.). Insgesamt steht einer Stärkung der unter jungen Menschen sichtbar werdenden pro-sozialen Werte die Gefahr gegenüber, dass junge Menschen zwar für sich sorgen können, jedoch weniger in der Lage sind für übergeordnete gesellschaftliche Themen wie Generationengerechtigkeit oder Nachhaltigkeit einzustehen. Religion wird in diesem Kontext vielfach als eine wichtige wertebildende Ressource diskutiert. Sie steht für Werte wie Toleranz, Gemeinsinn und gemeinwohlorientierte Haltungen, die über Glauben vermittelt werden (vgl. Schweitzer 2013: 199). In dieser Eigenschaft leistet Religion einen die Engagementbereitschaft fördernden Beitrag (vgl. ebd.). Allerdings verfügen religiös orientierte junge Menschen nicht unbedingt über ein anderes Wertesystem als andere Jugendliche (vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012: 210). Religionszugehörigkeit führt nicht automatisch zu einer Aufwertung sozialer und politischer Werte. Sehr wohl jedoch hat sie einen positiven Einfluss auf das Engagementverhalten junger Menschen. Um ein tieferes und weiterführendes Verständnis von Jugend, Religion und Engagement zu entwickeln, ist eine jugendbezogene Betrachtung von Religion erforderlich.
3.2.4 Religion Die sozialwissenschaftliche Forschung zu Religion und damit auch zu Religion und Jugend ist durch zwei eher gegensätzliche Annahmen geprägt. Neben der Säkularisierungsthese wird die Auffassung verfolgt, dass Religion nicht im Verschwinden begriffen ist, sondern sich ausdifferenziert. Für Fragen des Engagements ist in diesem Kontext die Konfessionszugehörigkeit bzw. die Kirchenbindung von zentraler Bedeutung. Bei jungen Menschen gilt sie als ein wichtiger Einflussfaktor in Bezug auf ihr Engagement (Gensicke/Geiss 2010: 199; Picot 2012: 97). Es ist dabei nicht die bloße Kirchenzugehörigkeit, die das Engagement fördert, vielmehr vermittelt sich über sie ein Verständnis von Zugehörigkeit, in diesem Fall zu einer Gemeinde, das sich förderlich auf die Engagementbereitschaft auswirkt. Zudem erhöhen sich durch die Kirchenbindung die institutionellen Zugangschancen zu einem Engagement, da die Kirche zahlreiche Organisationen unterhält, die über ein Engagement funktionieren (vgl. Picot 2012: 97).
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Der Säkularisierungsannahme folgend, hat sich die gesellschaftliche Bedeutung von Religion über die Jahre maßgeblich relativiert. Ein wesentliches Argumentationsmuster hierfür ist, das die Kirchenbindung und -praxis seit den 60er Jahren insgesamt, aber auch unter Jugendlichen deutlich abgenommen hat (vgl. Pickel 2010: 280). In der Shell Jugendstudie wird erstens auf einen Bedeutungsverlust klassischen Glaubens verwiesen, wobei die Kirche als Institution grundsätzlich akzeptiert wird, zweitens werden Unterschiede in Bezug auf die Religiösität junger Menschen nach Konfession sowie Ost und West festgestellt und drittens offenbart sich unter den Jungen eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf die Frage, was Glauben und Gott sein soll (vgl. Gensicke 2015). Darüber hinaus ist nicht zu erkennen, dass die Mehrheit der jungen Menschen zum Atheismus übergegangen ist. Trotz einer grundsätzlich nicht abweisenden Einstellung gegenüber der Institution Kirche sehen junge Menschen bei den kirchlichen Angeboten zu wenige Bezüge zu ihrem Leben und den damit verbundenen Herausforderungen (vgl. Gensicke 2015: 260). Gleichzeitig wird festgestellt, dass sich junge Menschen auf ein plurales Set verschiedener Formen von Religiosität beziehen (vgl. Schweitzer 2013: 203 ff.; Hurrelmann/Quenzel 2012: 210). Die Institution Kirche ist nur eine Variante, mit der der eigenen Religiosität Ausdruck verliehen wird. Die Einstellungen junger Menschen gegenüber kirchlich-institutioneller Religiosität sind demnach durch Zustimmung, Ambivalenz und Distanz geprägt (vgl. Feige 2010: 920 f.). Etwas anders stellt sich die Situation von Jugend und Religion also dar, wenn man eine religiöse Bindung nicht automatisch mit einer Kirchenbindung gleichsetzt. Es geht dann unabhängig von der Institution Kirche um die Identifizierung mit bestimmten Inhalten, Werten und Praktiken, die zu einer Glaubensrichtung gehören. Dadurch erweitert sich das Spektrum an religiösen Ideen, wodurch sich vorgegebene Glaubensrichtungen anders oder weniger eng auslegen lassen. Konfessionell vorgegebene Grenzen und in dieser Hinsicht beschränkte religionspädagogische Bindungsangebote werden von Jugendlichen sogar eher abgelehnt (vgl. Ziebertz/ Riegel 2008: 163). Das bedeutet, Jugendliche interessieren sich nicht unbedingt nur für eine Glaubensrichtung wie den Evangelismus und seine Grundsätze, sondern sind gleichzeitig offen für bestimmte Ideen und Praktiken aus anderen Glaubensrichtungen wie z.B. dem Buddhismus. Anders ausgedrückt: Die Absolutheit einzelner bestehender religiöser Weltanschauungen wird in Frage gestellt. Dieses Phänomen der Neuinterpretation religiöser Glaubensangebote losgelöst von Kirche wird auch als religiöse Individualität besprochen (vgl. Riesebrodt 2000). Dabei gilt die Jugend als Protagonist und Vorreiter für die Wiederbelebung und Neuausrichtung individueller Religiosität (vgl. Gründer/Scherr 2012: 69). Das neue Religiöse wird „vor allem in der Popularisierung und Politisierung traditionalistischer Varianten bestehender Glaubensformen“ (Gründer/Scherr 2012: 73) gesehen oder in der synkretistischen Spezifik jugendeigener Formen von Religiosität (vgl. Gärtner 2013: 229). Vorhandene religiöse Symbole und Grundgedanken werden
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von jungen Menschen neu und unter der Bedingung eigener Maßstäbe und Vorstellungen ausgelegt. Gärtner merkt in diesem Zusammenhang an, dass die Aneignung einer solchen individualisierten Religiosität eigenständig erfolgt und der Individuierung dient sowie maßgeblich durch die Peers legitimiert wird (vgl. ebd.). Der Rückgriff auf individualisierte Formen der Religiosität ist jedoch abhängig von konkreten Kontextbedingungen. Sofern individualisierte Formen von Religiosität im sozialen Umfeld nicht toleriert oder mit großer Skepsis betrachtet werden, ist die Freiheit eingeschränkt, zu diesen einen eigenständigen Zugang zu finden (vgl. ebd.: 227). Es muss vorerst offen bleiben, ob die Engagementbereitschaft junger Menschen von dem Bedeutungsverlust klassischen Glaubens negativ betroffen ist oder ob andere Formen der Religiosität diesen Trend auffangen. Sicher ist, dass junge Menschen die Kirche mit ihren Angeboten und damit verbundenen Traditionen nicht mehr automatisch anerkennen. Ihrer Funktion als Rekrutierungsnetzwerk, die ihr allgemein und auch im Civic Voluntarism Model zugesprochen wird, muss deshalb relativiert werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die positiven Zusammenhänge zwischen Engagement und Religion obsolet werden. Vielmehr besteht die Notwendigkeit, Religion zur Stärkung von Zivilgesellschaft (vgl. Schweitzer 2013: 199) jugendbezogen zu analysieren und zu deuten. Ein möglicher Schritt hierfür bestünde darin, den Dialog mit der Jugend zu ihren Vorstellungen von Religion zu intensivieren. In der Folge lassen sich möglicherweise religionspädagogische Konzepte und Angebote entwickeln, die auf den Bedarf junger Menschen reagieren und sie in ihrer eigenen Glaubensauslegung ernst nehmen und unterstützen. Idealtypisch gedacht, können Glaube und Religion dann auch in Zukunft wichtige Einflussgrößen für die Engagementbereitschaft junger Menschen sein.
3.2.5 Freizeitverhalten Das zivilgesellschaftliche Engagement junger Menschen spielt sich in ihrer Freizeit ab. Zeitliche Freiräume ermöglichen ihnen grundsätzlich Formen der Selbstentfaltung und Interessenfindung. Ohne Freizeit ist also jugendliches Engagement nicht denkbar. Es stellt sich demnach die Frage, wie das Freizeitverhalten der jungen Generation aussieht. Im folgenden Abschnitt wird deshalb auf die frei verfügbare Zeit junger Menschen in Bezug auf ihren Umfang und ihre Inhalte eingegangen. Freizeit ist das Ausmaß an privater Zeit, die der Erholung und der Interessenverwirklichung dient (vgl. Opaschowski/Pries 2008). Sie zeichnet sich durch die maximale Abwesenheit von Pflichtmomenten aus und wird bestimmt als eine Zeit, „die durch freie Wahlmöglichkeiten, bewusste Eigenentscheidung und soziales Handeln charakterisiert ist“ (ebd.: 428). Typisch für das moderne Phänomen der Freizeit ist ihr hoher Autonomiegrad. Je weniger fremdbestimmt eine Zeit ist, desto eher kann sie als Freizeit verstanden werden (vgl. Lange 2013: 103). Diese autarken Eigenschaften der Freizeit meint gleichsam nicht ein Ausbleiben jedweder Funktionen oder Absichten,
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die mit der Freizeit verbunden werden. Denn sie dient der Entspannung, der sozialen Interaktion, der Weiterbildung (vgl. Freericks 2010: 23) wie auch dem individuellen Konsumverhalten und der physischen Ertüchtigung (vgl. Prahl 2010: 409). Maßgebend ist die freizeitbezogene Eigenschaft des Selbstgewählten. Was man wann und wo tut, ist zu einem großen Anteil der eigenen Entscheidung überlassen. So betrachtet ist auch die Entscheidung, sich in seiner Freizeit zu engagieren, frei von externen Vorgaben und umso mehr eine individuelle Wahl dieser speziellen Freizeittätigkeit. Das den jungen Menschen zur Verfügung stehende freie Zeitbudget wird in Stunden unterschiedlich beziffert. Dabei lässt sich ein Trend zu weniger Freizeit nur eingeschränkt ausmachen. Laut Lange (2013: 108) hat sich das Freizeitbudget junger Menschen im Vergleich zu zurückliegenden Jahren kaum verändert und liegt bei fünf Stunden pro Tag (vgl. Lange 2013: 108). Dem Freizeitmonitor der Stiftung für Zukunftsfragen zufolge beläuft sich die frei verfügbare Zeit der 14- bis 34-Jährigen auf 3 Stunden und 44 Minuten (vgl. Reinhardt 2014: 155). Gleichzeitig wird darauf verwiesen, dass sich seit 2010 insbesondere das Freizeitbudget der 14- bis 17-Jährigen überdurchschnittlich verringert hat (vgl. ebd.: 9). Die Aussagen zum Freizeitverhalten junger Menschen lassen in gewisser Weise inhaltliche Schwerpunkte erkennen, deren Stellenwert sich nach Altersgruppen unterscheiden kann. Obwohl sich beispielsweise jugendliche Freizeit grundsätzlich in Gruppen vollzieht, ist die dominierende Freizeitbeschäftigung – mit Freunden zusammen zu sein – bei den 15- bis 17-Jährigen stärker ausgeprägt als bei den 22- bis 26Jährigen (vgl. Tully 2008: 181). Gegenteiliges wird für ein gesellschaftliches Engagement festgestellt: Dieser Freizeitinhalt gewinnt erst mit zunehmendem Alter an Bedeutung (vgl. ebd.). Laut der JIM-Studie46 hat sich das Freizeitverhalten der 12- bis 19-Jährigen nur leicht verändert. Ein Vergleich der Freizeitinhalte aus den einzelnen Jahren zwischen eher sozialen bzw. dem Müßiggang dienenden Inhalten und solchen, die einen deutlichen Medienbezug aufzeigen, ergibt keinen klar favorisierten Trend für beide Betätigungsfelder. Nach wie vor ist den Jugendlichen in der Freizeit genauso wichtig, Freunde zu treffen, Fernsehen zu schauen oder das Internet zu nutzen. Wobei der Anteil jener, die die Nutzung des Internets als Freizeitbeschäftigung angeben, über die Jahre leicht zugenommen und der Anteil derer, die „Fernsehen“ anführen, etwas zurückgegangen ist. Interessant ist auch der Freizeitinhalt „Ausruhen/nichts tun“, der in der JIM-Studie nur bis zum Jahr 2011 abgefragt wurde. Wenn auch auf einem
|| 46 Die JIM-Studie ist eine jährlich durchgeführte telefonische Befragung, die sich dem Umgang der 12- bis 19-Jährigen mit Medien und Informationen sowie ihren anderen Freizeitaktivitäten widmet. Sie bildet dabei allgemeine und spezifische Entwicklungen des Medien-, Informations- und Freizeitverhaltens junger Menschen in der genannten Altersgruppe ab. Die JIM-Studie ist derzeit für die Jahre 1998 bis 2014 online unter: www.mpfs.de/index.php?id=336 verfügbar (letzter Zugriff: 24.10.2016).
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niedrigeren Niveau als die zuvor genannten Aktivitäten, so haben seit 1998 zunehmend mehr Jugendliche diese Alternative als ihre bevorzugte Freizeitbeschäftigung genannt. Mit leichten Abweichungen kommt die Shell-Studie zu ähnlichen Ergebnissen in Bezug auf das Freizeitverhalten der 12- bis 25-Jährigen (vgl. Leven/Schneekloth 2015: 113 f.). Aktivitäten wie „Sich mit Leuten treffen“, „Musik hören“ oder „Fernsehen“ gehören zwischen 2002 und 2015 zu den dominierenden Freizeitbeschäftigungen und werden trotz je rückläufigen Anteilen immer noch von einer Mehrheit der jungen Leute angegeben. Im Zeitverlauf hat das das „Surfen im Internet“ als Freizeitbeschäftigung dabei sehr stark an Bedeutung gewonnen. Im Unterschied zur JIM-Studie wird die Aktivität „Rumhängen“, die vergleichbar ist mit der in dieser Studie angeführten Kategorie „Ausruhen/nichts tun“ von zunehmend weniger jungen Menschen als Freizeitbeschäftigung angegeben. Bemerkenswert ist weiterhin, dass „Lesen“ oder „zu Partys gehen“ deutlich weniger Zuspruch unter jungen Menschen erfährt als in der Vergangenheit. Dafür wird die Freizeit neben dem „Surfen im Internet“ vermehrt mit der Familie verbracht. Eine Erweiterung dieser Ergebnisse stellen u.a. Analysen zum Freizeitverhalten 16- bzw. 17-Jähriger nach einzelnen Kohorten dar. So konnte mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels gezeigt werden, dass informelle Freizeitaktivitäten von einem zunehmend geringeren Anteil der jüngeren Kohorten verfolgt werden (vgl. Hille et al. 2013: 17 ff.). Aktivitäten, die auf Geselligkeit und Entspannung ausgerichtet sind, wie z.B. Freunde treffen, Abhängen oder Fernsehen, haben, so die Studie, gegenüber bildungsorientierten Freizeitaktivitäten an Bedeutung verloren (vgl. ebd.). Unter bildungsorientierten Freizeitaktivitäten werden die Aktivitäten Musik machen, Sport treiben, Tanzen und ehrenamtliches Engagement zusammengefasst. Sie erfreuen sich eines immer regeren Zuspruchs unter den Jugendlichen. Demnach nehmen auf Geselligkeit und Entspannung gerichtete Freizeitbereiche bei den jüngeren Menschen von heute keine prominenten Rollen mehr ein. Junge Menschen setzen also stärker auf Inhalte, die ihnen faktisch etwas bringen, indem sie fassbare Resultate nach sich ziehen, als auf solche, deren Ergebnis sich eher im psychisch-mentalen Bereich bemerkbar macht. Dass der Stellenwert der sozialen Aktivität „Freunde treffen“ in Veränderung begriffen ist, wird auch im Freizeitmonitor 2013 festgestellt. Demnach haben die 14- bis 17-Jährigen hierfür wenig Zeit (vgl. Reinhardt 2013): ein Phänomen, das auf die gesamtdeutsche Bevölkerung zutrifft, obgleich das Bedürfnis nach sozialem Austausch vorhanden ist (vgl. ebd.). Freunde treffen oder sich gegenseitig einladen gehört demnach zu den Verlierern unter den Freizeitinhalten (vgl. ebd.: 21). Von dem Attraktivitätsgewinn der oben genannten bildungsorientierten Freizeitaktivitäten profitiert insbesondere das zivilgesellschaftliche Engagement: Je jünger die Geburtskohorte der 16- bzw. 17-Jährigen, umso höher ist der Anteil derer, die ein Engagement als Freizeitaktivität angeben (vgl. Hille et al. 2013: 17). Auch in der ShellStudie wird die Freizeitbeschäftigung „sich in einem Projekt engagieren“ zwischen
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2002 und 2015, wenn auch auf sehr geringem Niveau, von immer mehr Jugendlichen genannt (vgl. Leven/Schneekloth 2015: 113). Aus diesen Ergebnissen lässt sich ablesen, dass das zivilgesellschaftliche Engagement bei einer breiten Palette an möglichen freizeitbezogenen Betätigungsfeldern offenbar konkurrenzfähig geblieben ist. Obgleich sich der Umfang des Freizeitbudgets junger Menschen nicht maßgeblich verändert hat, ist zumindest für Teile von ihnen die Planbarkeit der Freizeit durch Verpflichtungen in Ausbildung oder Beruf schwieriger geworden. Laut Gensicke/Geiss (2010: 196 ff.) hat dies beträchtliche Folgen für ihr zivilgesellschaftliches Engagement. Anders ausgedrückt: Je mehr die Freizeit frei planbar ist, umso eher ist eine Person engagiert. Dabei ist eine Differenzierung nach Gruppen festzustellen, denn zwischen Schüler und Schülerinnen, Studenten und Studentinnen und Erwerbstätigen sind deutliche Unterschiede erkennbar. Da die 14- bis 30-Jährigen in allen diesen Gruppen vorkommen, bietet sich eine allgemeingültige Aussage zum Einfluss fehlender Planbarkeit von Freizeit und dessen Auswirkung auf ein Engagement nicht an. Schüler und Schülerinnen können ihre Freizeit vergleichsweise gut planen, was sich positiv auf die Ausübung eines zivilgesellschaftlichen Engagements auswirkt. Anzumerken sind hier Unterschiede zwischen den sogenannten G8- und G9-Schülern und Schülerinnen; bei ersteren ist die Freizeitplanung wegen schulischer Aufgaben unsicherer, wodurch ein Engagement erschwert wird. In der Gruppe der Studenten und Studentinnen sind es die jüngeren unter ihnen (bis 24 Jahre), also in der Regel die Bachelor-Studenten und -Studentinnen, die ihre Freizeit aufgrund von Verpflichtungen im Studium als weniger planbar einstufen. Einem zivilgesellschaftlichen Engagement kann deshalb nur eingeschränkt nachgegangen werden. Von den Erwerbstätigen kann fast jeder zweite seine Freizeit aufgrund beruflicher Verpflichtungen nicht völlig selbstbestimmt planen. Diese Personen sind gleichzeitig weniger häufig engagiert als Erwerbstätige, die bessere Möglichkeiten zur freien Zeiteinteilung haben. Insgesamt kann also davon ausgegangen werden, dass bestimmte Arbeitsverhältnisse sowie zum Teil auch die kürzeren Schul- und Ausbildungszeiten mit Pflichten oder auch zeitlichen Belastungen einhergehen, die die Möglichkeit, sich zu engagieren, begrenzen. Inwiefern die strukturellen Veränderungen im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich dazu führen, dass junge Menschen sich weniger engagieren können, bedarf allerdings einer weiteren empirischen Überprüfung (vgl. Lange 2013: 114 f.). Es sind somit zwei Entwicklungen im Freizeitverhalten junger Menschen bezüglich des Engagements zu berücksichtigen: Erstens zeigt sich, dass eine Veränderung im freizeitbezogenen Zeitbudget Jugendlicher nur für einzelne Altersgruppen auszumachen ist. Zweitens gibt es Hinweise auf ein verändertes, stärker bildungsorientiertes Freizeitverhalten, das deutlich medial geprägt ist. Die gemeinschaftlich verbrachte Freizeit hat dem gegenüber, mit Ausnahme der Familienfreizeit, an Bedeutung verloren. Freizeit, verstanden als Möglichkeit zur Selbstbestimmung und Nichtstun, hat sich qualitativ verändert. Inwiefern sich solche Veränderungen auf
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das Engagementverhalten junger Menschen auswirken, kann an dieser Stelle nicht weiterführen geklärt werden, ist aber bei zukünftigen Analysen zum Engagement zu berücksichtigen.
3.2.6 Neue Medien Mit der Nutzung der neuen Medien sind die meisten jungen Menschen bestens vertraut: Internet, Handy und Computer bilden feste Bestandteile ihres Alltags. Zugang zum weltweiten Netz haben so gut wie alle jungen Menschen – sie werden deshalb als „digitale Eingeborene“ bzw. als „digital natives“ bezeichnet (Hurrelmann/Quenzel 2012: 196 ff.). Durch das Web 2.0 ist eine Art Parallelwelt für junge Menschen entstanden, die es ihnen ermöglicht, einen Teil der eigenen Sozialisation in dieser Welt zu erleben. Bildung, Freundschaft, Freizeit – vieles findet vermittelt über die neuen Medien statt. In besonderem Maße wird das Internet als ein Raum gesehen, in dem sich junge Menschen ausprobieren und entwickeln (vgl. Böhnisch 2009). Konkrete Informationsbedürfnisse von jungen Menschen lassen sich jedoch am besten auf sehr vielfältige Weise befriedigen (Hasebrink/Schmidt 2012: 29). Den Trend zur parallelen Nutzung herkömmlicher und neuer Medienquellen sehen die Jugendforscher kritisch. Sie gehen dabei von einem negativen Einfluss des aktiven Medienkontakts auf die individuelle Sozialisierung und Identitätsentwicklung aus. In diesem Kontext sind einzelne für die Lebensphase Jugend typische Entwicklungsaufgaben zu nennen, deren Erfüllung durch einen zu starken Medienkonsum beeinträchtigt werden kann. Hierzu zählen die Fähigkeit, sich zu binden, zu partizipieren, und die eigenständige Loslösung vom Elternhaus. Je mehr Zeit die jungen Menschen – neben dem Fernsehen – für Aktivitäten mit ihrem Handy und dem Internet aufwenden, umso weniger Zeit bleibt ihnen für einen Face-to-Face-Dialog mit Verwandten und Freunden. Bestimmte Umgangsformen, die die oben genannten Entwicklungsaufgaben betreffen, erfordern jedoch gerade diesen Kontakt. Die Entwicklung der Bindungs- und Partizipationsfähigkeit ist beispielsweise auf Erfahrungen im zwischenmenschlichen Bereich angewiesen. Zugleich wird deutlich: Wie junge Menschen und wann sie welche Medien nutzen, ist permanent in Veränderung begriffen (vgl. Hasebrink/Lampert 2011: 3). Vom Computer zum Tablet, vom einfachen Handy zum Smartphone oder von Facebook zu Twitter: Ständig gibt es neue Angebote, die einen spezifischen Umgang mit ihnen erfordern. Die Nutzungsformen wandeln sich stetig in Abhängigkeit vom Alter und entsprechend den vorliegenden medialen Angeboten. Das Internet ist für die unter 30Jährigen mittlerweile genauso wichtig wie die traditionellen Medien Fernsehen und Radio. Geht es um die Glaubwürdigkeit der Medien, vertrauen die 14- bis 29-jährigen vor allem den Tageszeitungen (vgl. Behrens et al. 2014: 2001). Die wichtigste Informationsquelle für die jüngere Generation ist hingegen das Internet (vgl. Hase-
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brink/Schmidt 2012: 28). Online-Angebote wie Google spielen bei den 14- bis 29-Jährigen wie in keiner anderen Altersgruppe eine entscheidende Rolle bei der politischen Meinungsbildung (ebd.: 53 f.). Der hohe Stellenwert des Internets für junge Menschen wurde empirisch mehrfach bestätigt (vgl. van Eimeren/Frees 2012; Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2012; Grgic/Züchner 2013). Auch die Shell Jugendstudie 2015 belegt die besondere Relevanz des Internets für junge Menschen. Demnach haben mittlerweile 99 Prozent der 12- bis 25-Jährigen Zugang zum Internet (vgl. Leven/Schneekloth 2015: 120). Das Surfen im Internet ist sogar zu einer der bedeutendsten Freizeitbeschäftigung geworden (vgl. ebd: 113). Die Nutzung des Internets und die damit verbundenen Wechselwirkungen beginnen bereits in einem relativ jungen Alter. Ein aktiver Erstkontakt mit dem Netz findet mittlerweile im neunten Lebensjahr statt (vgl. Livingstone et al. 2010: 13). Medien prägen somit schon sehr früh die Interessen junger Menschen, und die Mediennutzung ermöglicht bereits in jungen Jahren eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, bietet Optionen zur Selbstinszenierung und eröffnet neue Begegnungsräume mit anderen. Im Einzelnen lassen sich drei grundlegende Formen der Internetnutzung junger Menschen im Alter von 13 bis 20 Jahren identifizieren: Kommunikation, Information und Unterhaltung sowie Partizipation (vgl. Begemann et al. 2011: 52 ff.). Die Nutzung von Kommunikationsdiensten wie Chats, E-Mail oder Skype und der Gebrauch von Unterhaltungsangeboten (z.B. Musik hören oder Videos schauen) dominieren das Online-Verhalten junger Menschen. Im Mittelpunkt der Nutzung der Kommunikationsdienste steht die Pflege von Freundschaften und Kontakten. Es geht hier also im Kern um Formen des sozialen Miteinanders, Austauschs und der Unterhaltung, die in der Online-Welt gelebt werden (vgl. Leven/Schneekloth 2015: 139 ff.; van Eimeren/Frees 2012). Eine direktere Beteiligung, im Sinne der Partizipation im Netz, geschieht in erster Linie über einen persönlichen Account bei den sozialen Medien wie YouTube, MySpace oder Facebook (vgl. Begemann et al. 2011: 56 ff.). Nahezu alle jungen Menschen verfügen über mindestens einen solchen Account. Die typischen Web-2.0-Anwendungen, z.B. Beiträge in Foren stellen oder einen eigenen Blog besitzen, werden weitaus weniger genutzt. Die unterschiedliche Beteiligung im und am Netz ist in mehrfacher Hinsicht durch sozio-demografische Merkmale junger Menschen geprägt. Einflüsse zeigen sich hinsichtlich des Geschlechts, des Bildungshintergrundes und des Alters (vgl. Begemann et al. 2011: 52 ff.). Mit zunehmendem Alter sind junge Menschen in stärkerem Maße beispielsweise an vielen Kommunikations-, Unterhaltungs- und Partizipationsangeboten des Internets beteiligt. Dies wird mit dem Prozess des Erwachsenwerdens begründet; durch ihn erweitert sich das Interessenspektrum junger Menschen, und die Option zur Verantwortungsübernahme gewinnt an Bedeutung (vgl. ebd.). Die Jugendmedien- und Freizeitforschung zum Internetverhalten junger Menschen hat mögliche Zusammenhänge zwischen einem zivilgesellschaftlichen Engagement und der Internetnutzung diskutiert. Dabei stehen sich kulturpessimistische
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und -optimistische Ansätze gegenüber. Erstere gehen davon aus, dass sich die zunehmende Relevanz des Internets negativ auf die Engagementbereitschaft junger Menschen auswirkt. Das Zeitbudget, das einst in Aktivitäten der zivilgesellschaftlichen Organisationen investiert wurde, fließt demnach in Vorhaben, die sich im Netz abspielen. Kulturoptimistische Positionen halten dagegen, dass sich beide Seiten wechselseitig positiv stimulieren können. In diesem Sinne bietet das Internet zahlreiche neue Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Beteiligung. Bisher wurde die oft diskutierte Annahme, die Präsenz junger Menschen im Internet könnte ihre Zeitressourcen zu stark und einseitig beanspruchen, empirisch kaum nachgewiesen. Ausgewählte Ergebnisse lassen jedoch erkennen, dass zwischen Engagierten und Nichtengagierten keine nennenswerten Unterschiede bezüglich der Internetnutzung zu beobachten sind (vgl. Begemann et al. 2011: 72 f.). Dies legt nahe, dass das Medium Internet nicht nur als Hindernis, sondern zugleich als Brücke in ein Engagement zu sehen ist. Für die zivilgesellschaftlichen Organisationen ist die Beachtung der spezifischen Zusammenhänge zwischen jungen Menschen und bestimmten Medienphänomenen zwingend notwendig, zumal sie in den aufgezeigten Dimensionen einen hohen Aktualitätswert haben. Vor allem das Problem vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen, Engagierte zu finden, wirft die Frage nach Veränderungen beim Zugang und der Ansprache potenzieller Mitglieder und Engagierter auf. Da aus Mitgliedern häufig Engagierte werden, ist auch die Werbung um sie von außerordentlichem Interesse. Will man jüngere Personen für die einzelnen Beteiligungsformen gewinnen, sind für diese Zielgruppe passende Formen der Ansprache zu finden. Aufgrund der großen Bedeutung, die verschiedene Medien im Alltag junger Menschen spielen, bietet es sich an, diese bei der Mitglieder- und Engagiertenwerbung zu nutzen. Ebenso relevant ist die Einbindung des Internets in die Aktivitäten der Engagierten. Das heißt, es ist verstärkt zu sondieren, inwieweit bei den freiwilligen Tätigkeiten das Medium Internet genutzt werden kann. Dabei setzen die Angebote zur Einbindung neuer Medien in verstärktem Maße bei den aktuellen Lebensrealitäten junger Menschen an und können den Zugang und die Einbindung dieser Gruppe in die Organisation erleichtern.
3.3 Zur Situation und zu Veränderungstendenzen des zivilgesellschaftlichen Engagements im Allgemeinen Das zivilgesellschaftliche Engagement ist aufgrund seines Facettenreichtums ein komplexes Phänomen, das sich nicht mit wenigen Worten in seiner gesamten Entwicklung beschreiben lässt. Es gibt verschiedene Dimensionen, in denen das Engagement jeweils andere Ausprägungen aufweist. Die Engagementquote ist der Anteil an Personen an der Bevölkerung, der sich engagiert. Sie steht für sich, fällt jedoch zugleich nach Geschlecht, Alter und der Region unterschiedlich aus. Ausdifferenzierungen und Unterschiede bestehen weiterhin abhängig vom jeweiligen Tätigkeitsfeld, dem Zeitumfang, den übernommenen Aufgaben, den Motiven und Werten, den
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persönlichen Gewinnen, dem organisatorischen Rahmen und dem Bildungshintergrund. Grob auszumachende Situationsbeschreibungen und Entwicklungen im Engagement in Deutschland sind: – eine in quantitativer Hinsicht konstante bis steigende Beteiligung der Bevölkerung; – eine sozialstrukturelle Diskriminierung; – eine gewisse Professionalisierung des Engagements im Sinne seiner Qualifizierung sowie Monetarisierung und – ein Formenwandel, der neben dem langfristigen und organisationsgebundenen Engagement andere kurzfristige, informelle, digitale und unternehmensbezogene Varianten des Engagements einschließt. Konstante bis steigende Beteiligung Langzeitbetrachtungen zeigen einen Aufwärtstrend für das Engagement: Zwischen den Jahren 1985 und 2011 hat sich der Anteil der Engagierten in der Bevölkerung von 23 auf 33 Prozent erhöht (vgl. Alscher/Priller 2016: 386). Seit 2011 trat ein leichter Rückgang ein, da in 2013 die Engagementbeteiligung noch bei 30 Prozent lag (vgl. ebd.). Auch die Ergebnisse zur Zeitverwendung in Deutschland verweisen für den Zeitraum zwischen 2011/2002 und 2012/2013 auf eine abnehmende Engagementbeteiligung (vgl. Statistisches Bundesamt 2015e: 17 ff.). Diese Informationen lassen sich mit Angaben aus dem Freiwilligensurvey nur teilweise untermauern. Demnach ist der Anteil der Engagierten zu den drei Erhebungszeitpunkten 1999, 2004 und 2009 weitgehend stabil geblieben und lag im Jahr 2009 bei 36 Prozent (vgl. Gensicke/Geiss 2010: 8). Somit engagierte sich gut ein Drittel der Bevölkerung ab 14 Jahre in Deutschland freiwillig. Laut dem Freiwilligensurvey 2014 ist das Engagement der Wohnbevölkerung in Deutschland hingegen seit 2009 stark gestiegen (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 91f.). Demnach engagierten sich im Jahr 2014 insgesamt 44 Prozent der Bevölkerung. Der damit verbundene Anstieg um rund 8 Prozentpunkte wird mit verschiedenen gesellschaftlichen Veränderungen wie der Bildungsexpansion oder dem sich etablierenden Politikfeld Engagementpolitik erklärt (vgl. ebd.: 86f.). Insgesamt ist die Engagementlandschaft sowohl durch Fluktuation als auch durch regelmäßige Wiederaufnahmen einer Tätigkeit und Neuzugänge an Engagierten gekennzeichnet (vgl. Erhardt 2009: 223 ff.). Die damit verbundene Bewegung wird häufig als besondere Dynamik des Engagements beschrieben. Sie lässt sich als Reaktion des Engagements auf bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen interpretieren und als Folge des Einflusses äußerer Rahmenbedingungen. Es lassen sich deshalb allgemein beständige und doch zugleich wandelbare Beteiligungsverhältnisse feststellen.
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Sozialstrukturelle Diskriminierung Neben der Engagementbeteiligung offenbaren sich sozialstrukturelle Unterschiede, die sich über Jahre verschärft haben. Ob sich eine Person engagiert hängt ganz wesentlich von der Bildung, dem Geschlecht, dem Beruf, dem Einkommen und dem Alter ab. Etabliert hat sich im Engagement eine Geschlechtsspezifik: Seit geraumer Zeit sind mehr Männer als Frauen engagiert. Im Jahr 1999 waren 30 Prozent der weiblichen und 39 Prozent der männlichen Bevölkerung engagiert (vgl. Gensicke et al. 2005: 264), fünfzehn Jahre später liegt der Anteil bei den Frauen weiterhin bei 30 und bei den Männern bei 38 Prozent (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 93). Eine überproportional starke Beteiligung der Mittelschicht gehört in diesem Kontext zu den prominentesten Erkenntnissen in der Engagementforschung. Dabei schlägt das Bildungsniveau bei der Engagementwahrscheinlichkeit einer Person besonders stark durch. Ein höheres Bildungsniveau trägt selbst bei von Armut betroffenen Menschen zu einem Engagement bei (vgl. Böhnke/Dathe 2010: 17). Die Bedeutung des Bildungsstatus ist seit 1999 ein sehr wichtiges Moment bei der Vorhersage für ein individuelles zivilgesellschaftliches Engagement (vgl. Gensicke et al. 2005: 89; Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 447 ff.). Unter jungen Menschen hat sich diese über den Bildungsstatus vermittelte sogenannte schichtspezifische Selektion auffällig verstärkt. Picot spricht deshalb auch von einem „Auseinanderdriften der Bildungswelten“ unter jungen Engagierten (Picot 2012: 78). Die eher begrenzte Möglichkeit zum sozialen Aufstieg in Deutschland (vgl. Pollak 2016) kann zu einer Manifestation der beschriebenen Ungleichheiten führen. In Bezug auf das Alter der Engagierten zeichnen sich ebenfalls gewisse Unterschiede ab. Grundsätzlich sind die mittleren Jahrgänge stärker engagiert als ältere oder jüngere Altersgruppen. Interessant sind hierbei die Veränderungen der letzten Jahre. Besonders stark angestiegen ist die Engagementquote von Personen, die mindestens 60 Jahre alt sind. Beispielweise engagierten sich im Jahr 1999 von den 65- bis 69-Jährigen 29 Prozent und 2009 bereits ganze 37 Prozent (vgl. Deutscher Bundestag 2012: 73 f.). Hingegen ist die Beteiligung unter den jüngsten Altersgruppen nach den Ergebnissen einiger aktueller Studien zurückgegangen (vgl. Schneekloth 2015; Gille 2015). Nach den Ergebnissen des Freiwilligensurveys 2014 ist die Engagementquote in allen Altersgruppen gestiegen, wobei die jüngeren Altersgruppen nun die höchsten Beteiligungsraten aufweisen (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 93). Hinter der insgesamt ausgeprägten Stabilität der Engagementbeteiligung verbergen sich also verschiedene gruppenbezogene Unterschiede und gegenläufige Tendenzen. Das Engagement kann durch bestimmte Einflussfaktoren befördert und behindert werden. Professionalisierung Die Professionalisierung des Engagements ist eine Tendenz, die im Verlauf der Jahre im Umfang und in ihren Ausprägungen zugenommen hat, und sie zeigt sich zunehmend facettenreicher. Besonders deutlich wird der Professionalisierungstrend, wenn
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von Freiwilligenarbeit bzw. dem Management von Ehrenamtlichen gesprochen wird (vgl. Rosenkranz/Weber 2012). Die semantische Verbindung von Freiwilligkeit einerseits und mit Pflicht verbundenen Aufgaben andererseits offenbart eine gewisse Neuausrichtung des Engagements. Auf die „Semiprofessionalität“ des Engagements wurde bereits mit der These zum Strukturwandel des Engagements eingegangen (Beher et al. 2000: 14). Die Semiprofessionalität, so die damalige These, richtet sich in erster Linie auf die Dimensionen Bezahlung und Qualifizierung des Engagements (vgl. ebd.). In beiden Richtungen haben die Engagierten gerade auch in der letzten Zeit neue Ansprüche entwickelt, die die Grenzen zu den Merkmalen formaler Erwerbsarbeit aufweichen.47 Auf der individuellen Ebene spielen ferner – wie bereits an anderer Stelle ausgeführt – erweiterte Motiv- und Wertestrukturen eine Rolle, die neben selbstlosen auch eigennützige Orientierungen zulassen. In Bezug auf die finanzielle Vergütung des zivilgesellschaftlichen Engagements konnten Klie und andere (vgl. Klie et al. 2009) unterschiedliche Spielarten einer Monetarisierung des Engagements feststellen. Monetarisierung meint dabei die Bedeutungszunahme des ökonomisch quantifizierbaren Nutzens des Engagements und verweist auf direkte oder indirekte Geldzahlungen, die für das Engagement geleistet werden (vgl. Klie et al. 2009: 9). Von einer allgemeinen Verbreitung der geldbasierten Vergütung des Engagements ist der Studie zufolge nicht auszugehen, sehr wohl aber von der Existenz mannigfaltiger Tauschwerte, die neben finanziellen Zuwendungen auch geldwerte Leistungen in Form diverser Ermäßigungen oder Zertifikate umfassen (vgl. ebd.). Aufgrund des engen Zusammenspiels zwischen Individuum und Organisation im Engagement sind beim Thema Professionalisierung auch die Organisationen in den Blick zu nehmen. Die Organisationslandschaft des Engagements ist zu heterogen, als dass ihr als Rahmenbedingung des Engagements einheitliche Professionalisierungsansprüche im Engagement unterstellt werden könnten. Gleichwohl macht beispielsweise eine Analyse der Mitgliederorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes den „funktionalistischen Organisationstyp“ aus (vgl. BackhausMaul/Hörnlein 2014: 122 f.). Dieser steht für hohe professionelle Anforderungen an die Engagierten und deren ressourcenorientierte Einbindung, was wiederum den Einsatz betriebswirtschaftlicher Handlungslogiken beim Umgang mit den Engagierten impliziert (vgl. ebd.). Es ist also immer auch eine Frage der organisationalen Engagementidentität, die dazu beitragen kann, dass das Engagement von Professionalisierungsansprüchen begleitet oder unterwandert wird.
|| 47 Das Thema Qualifizierung wird exemplarisch für eine Professionalisierung jungen Engagements in Abschnitt 3.4.6 besprochen.
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Formenwandel Oftmals ist die Rede von einem Formenwandel des Engagements, der die zeitliche Struktur des Engagements betrifft. Auf das zeitlich veränderbare Moment im Engagement hat ebenfalls die These zum Strukturwandel des Engagements aufmerksam gemacht (vgl. Beher et al. 2000: 13 f.). Das moderne Engagement ist demnach nicht mehr auf Dauer angelegt und an eine Mitgliedschaft gebunden, sondern erfolgt zunehmend befristet, in zeitlich kalkulierbaren Projekten und ohne dauerhafte mitgliedschaftliche Bindung. Obgleich ein zivilgesellschaftliches Engagement heute tatsächlich keine langfristige oder sogar lebenslange Aufgabe mehr darstellen muss, deuten die empirischen Ergebnisse zu den zeitlichen Strukturen des Engagements nicht auf einen schnellen, kontrastreichen Bruch oder totalen Wandel hin. Dafür sprechen folgende empirische Befunde: – Erstens ist die Mitgliedschaft nach wie vor ein zentraler Prädiktor für ein Engagement, beides hängt eng zusammen. Zumeist sind Mitglieder zugleich Engagierte (vgl. Krimmer/Priemer 2013: 44; Dathe et al. 2010: 5 f.). Ein Ergebnis, das so auch für junge Menschen nachgewiesen wurde, denn die stärkste Auswirkung auf das Zustandekommen eines Engagements hat unter verschiedenen Einflussfaktoren die Mitgliedschaft (vgl. Picot 2012: 98). Zudem zeigen sich mit Ausnahme der politischen Großorganisationen und politischer Interessengruppen seit mehreren Jahren stabile Mitgliederanteile an der Bevölkerung, die je nach Erhebung in den ausgewiesenen Jahren zwischen 44 und 56 Prozent schwanken (vgl. Deutscher Bundestag 2012: 99; Weßels 2013a: 30 ff.). Es kann also kein genereller Bedeutungsverlust der Mitgliedschaft als wichtige Vorstufe für ein zivilgesellschaftliches Engagement konstatiert werden. – Zweitens realisiert sich das Engagement zumeist regelmäßig, d.h. mindestens monatlich ( Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 342). – Es unterliegt drittens einer eher hohen Verbindlichkeit, da sich die Mehrheit (52%) seit mindestens sechs Jahren engagiert (vgl. ebd.: 344). Vor allem das Zeitvolumen, also das Zeitbudget, das die Engagierten in ihre Tätigkeit investieren, ist in der Woche zurückgegangen – die deutliche Mehrheit engagiert sich mittlerweile bis zu zwei Stunden die Woche (vgl. ebd.: 367).48 Diese Entwicklung zeichnete sich allgemein auch schon in den vergangenen Jahren ab, in denen die Engagierten zunehmend weniger Zeit in der Woche in ihr Engagement investierten (vgl. Deutscher Bundestag 2012: 148).
|| 48 Das mittlerweile 58 Prozent der Engagierten bis zu zwei Stunden die Woche ihr Engagement ausüben (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 335), kann auch methodische Gründe haben. So ist es möglich, dass sich die Einführung des Zeitfensters von 12 Monaten bei der Engagementabfrage auf die Angaben zum Zeitumfang ausgewirkt hat (vgl. ebd.: 59 f.).
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Die organisationale Verfasstheit ist ein weiteres formgebendes Moment für das Engagement. Laut Freiwilligensurvey findet ein Großteil des Engagements in zivilgesellschaftlichen Organisationen statt (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 523). Der gewichtige Stellenwert der Organisationen hat sich in den letzten Jahren kaum verändert. Das weniger organisationsgebundene Engagement bleibt hingegen auf der empirischen Ebene tendenziell untererfasst. So wird das Wissen über informelle Organisationsformen und das daran gebundene Engagement als stark begrenzt gesehen (vgl. Deutscher Bundestag 2012: 140 f.). Der Freiwilligensurvey 2014 macht darauf aufmerksam, dass sich bereits 16 Prozent aller Engagierten in sogenannten individuell organisierten Gruppen engagieren (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 518 ff.). Dies sind die Nachbarschaftshilfe, Initiativen und Projekte, selbstorganisierte Gruppen und die Form „Allein“. Zudem beschäftigt sich der Freiwilligensurvey 2014 in erweiterter Form mit informellen Unterstützungsformen außerhalb des Engagements (vgl. ebd.: 46 ff.). Zu den Veränderungen in den Engagementformen sind die verschiedenen Entwicklungen bei der Nutzung des Internets zu zählen. So kann das Online-Volunteering als eine neue Form des Engagements angesehen werden. Gemeint ist eine freiwillige, unentgeltliche und zugunsten Dritter im öffentlichen Raum ausgeübte Tätigkeit, die über das Internet geleistet wird (vgl. Jähnert 2012a: 1). Jähnert stellt drei Varianten des Online-Volunteerings vor (vgl. ebd.: 5): – die Produktion digitaler Güter in kopierbarer Form wie das Erstellen von Bildern oder das Bearbeiten von Texten im Netz, – die internetvermittelnde Kommunikation, mittels derer Engagierte internetgestützt beratend oder begleitend tätig werden können und – die Planung und Organisation von Events und Veranstaltungen. Mangels empirischer Daten zu diesen Engagementformen sind bislang nur sehr begrenzt Aussagen zur Verbreitung des Online-Volunteerings möglich. Die Engagierten machen demnach von diesen Varianten nur zögerlich Gebrauch. Nach der ARD/ZDFOnlinestudie 2014 greifen die Onlinenutzer im Netz weiterhin ganz überwiegend auf Informations- und Kommunikationsdienste zurück (vgl. van Eimeren/Frees 2014: 386). Nur 5 Prozent der befragten Online-User nutzen z.B. Webblogs (vgl. ebd.). Der Mitmachgedanke ist von daher unter den netzaffinen Personen noch nicht angekommen. Dabei besteht die Annahme, dass das Online-Engagement insbesondere für junge Menschen eine zu ihrer Lebenssituation besonders passende Art und Weise darstellt, sich zu engagieren (vgl. Deppe 2011: 663; Jähnert 2012b: 1). Beispielsweise entfallen geografische Restriktionen, die junge Menschen aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebens-, Studien- und Arbeitsorte daran hindern, sich zu engagieren. Analysen zu ihrem Internetverhalten zeigen jedoch bislang eine stärkere Nutzung passiv-rezipierender als aktiv-produzierender Angebote (vgl. Hasebrink/Lampert 2011: 4; vgl. Begemann et al. 2011: 56 ff.). Auf die entsprechenden Ergebnisse wurde bereits an anderer Stelle eingegangen. Der geringe Rückgriff auf Onlinevarianten des
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Engagements kann jedoch – wie noch zu zeigen sein wird – mit der bislang fehlenden diesbezüglichen Offenheit zivilgesellschaftlicher Organisationen zusammenhängen. Prinzipiell eignet sich das Online-Volunteering für einige Tätigkeiten im Engagement stärker als für andere. Korrekturarbeiten, das Verfassen von Protokollen oder beratende Leistungen sind mit einem Online-Engagement besser vereinbar als das konkrete Engagement für einen Menschen, wie es bei betreuenden Tätigkeiten notwendig ist. Diskutiert wird, ob und inwieweit neben dem individuellen Engagement auch ein Organisationsengagement existiert. Diesem Ansatz zufolge ist es nicht mehr die einzelne Person mit ihren freiwilligen Leistungen, die im Mittelpunkt der Analyse steht, sondern die Organisation oder, anders ausgedrückt, der korporative Akteur. Damit ist ein Perspektivwechsel von der Mikro- auf die Mesoebene verbunden, der auch zu den Veränderungen der Engagementformen gezählt werden kann. Es ist durchaus möglich, dass sich Unternehmen als Akteure engagieren. Ihr Engagement nimmt dann eine vermittelnde Rolle ein. Im Kontext der Debatte um eine Corporate Social Responsibility oder eine Corporate Citizenship ist dieser Aspekt verstärkt in den aktuellen Engagementdiskurs eingegangen (vgl. Backhaus-Maul et al. 2008). Im ersten Engagement-Bericht der Bundesregierung wurde das Engagement von Unternehmen in besonderem Maße untersucht (vgl. Deutscher Bundestag 2012: 233 ff.). Den Ergebnissen zufolge sind 64 Prozent der Unternehmen in Deutschland für den Zusammenhalt in der Gesellschaft und aufgrund unternehmerischer Zielsetzungen engagiert. Sie bringen sich zumeist mit Geldspenden in gesellschaftliche Belange ein, greifen darüber hinaus aber auch auf Sachspenden oder die Freistellung ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterin für entsprechende Tätigkeiten zurück. Ihr Engagement erfolgt auf lokaler Ebene für einen kurz- bis mittelfristigen Zeitraum in unterschiedlichen Bereichen, primär jedoch im Feld Erziehung, Kindergarten und Schule sowie Freizeit und Sport.
3.4 Zivilgesellschaftliches Engagement junger Menschen: Stand und Entwicklung 3.4.1 Beteiligungsquoten insgesamt, nach Alter und Geschlecht Junge Menschen leisten als zivilgesellschaftlich Engagierte einen wichtigen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft und tragen mit ihrer Tätigkeit zu deren demokratischer Gestaltung bei. Zugleich übernehmen sie zahlreiche Aufgaben innerhalb und außerhalb der zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie organisieren kulturelle Veranstaltungen, übernehmen die freiwillige pädagogische Betreuung einer Jugendgruppe oder die Anleitung einer Selbsthilfegruppe im sozialen Bereich, sie sind als Übungsleiter im Sport ebenso tätig wie in der schulischen Nachhilfe. Zum Engagement junger Menschen zählt auch die Übernahme ehrenamtlicher Funktionen
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in den zivilgesellschaftlichen Organisationen. Aufgrund ihres Alters stellen sie den Nachwuchs für die Leitungs-, Aufsichts- und Beratungspositionen in den Organisationen dar. Ihr Engagement sichert in diesem Sinne langfristig deren Funktionsfähigkeit und Existenz. Die Unverzichtbarkeit des Engagements der jungen Generation unterstreicht die Notwendigkeit, sich mit dem Engagement der 14- bis 30-Jährigen und seiner Entwicklung zu befassen. Für die zivilgesellschaftlichen Organisationen liefert eine solche Sondierung und Beschreibung wichtige Informationen für eine verbesserte Einbindung junger Engagierter. Die folgenden Abschnitte analysieren das Engagement junger Menschen auf der Grundlage eigener Auswertungen des Freiwilligensurveys 1999–200949 und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP).50 Sofern es erforderlich erscheint, werden Erkenntnisse weiterer ausgewählter Untersuchungen zum Thema in die Betrachtung miteinbezogen. Die Analyse auf Basis des Freiwilligensurveys konzentriert sich auf die Altersgruppe der 14- bis 30-Jährigen, wobei in relevanten Fällen das Engagement jüngerer Altersgruppen ebenfalls Berücksichtigung findet. Einige Daten des Freiwilligensurveys sind aus Gründen der inhaltlichen Passfähigkeit in andere Abschnitte der vorliegenden Untersuchung eingeflossen. Die methodische Anlage des SOEP erfordert die Auswahl einer etwas modifizierten Altersgruppe. Zu den jungen Engagierten werden hier die 17- bis 30-Jährigen gezählt. Der Blick auf das Engagement junger Menschen in Deutschland führt je nach Datenbasis und der damit verbundenen Definition von Engagement zu unterschiedlichen Ergebnissen. Dabei lässt das Engagement junger Menschen allgemein auf eine rege Beteiligung schließen. Analysen mit dem SOEP verweisen in einer Langzeitbetrachtung sogar auf ein zunehmendes Engagement junger Menschen (vgl. Abbildung 3.4).
|| 49 Die methodische Anlage des Freiwilligensurveys wurde bereits in den Abschnitten 1.4 und 2.4.1 erläutert. Zusätzlich sind wichtige Ergebnisse des Freiwilligensurveys 2014 berücksichtigt worden. 50 Der Aufbau und die Skalierung der Frage zum Engagement im SOEP wurde ebenfalls im Abschnitt 2.4.1 dargelegt. In der vorliegenden Auswertung sind die verfügbaren Skalenpunkte der Engagementfrage (wöchentlich, monatlich etc.) zu einer Quote zusammengefasst.
164 | Junge Menschen heute und ihr Engagement
Abb. 3.4: Anteil der Engagierten in der Altersgruppe der 17- bis 30-Jährigen und bei allen Befragten51, 1984–2013 (in %) Datenbasis: SOEP 1984–2013; eigene Berechnung.
Nimmt man das Jahr 1990 als Ausgangspunkt für die Entwicklung des Engagements junger Menschen, ist ihre Beteiligung seitdem um 7 Prozentpunkte gestiegen. So waren 1990 von den 17- bis 30-Jährigen 25 Prozent engagiert, wohingegen es im Jahr 2013 bereits 32 Prozent waren. Dieser Anstieg hat sich über die Jahre kontinuierlich vollzogen, wobei die Beteiligung zwischen 2011 und 2013 stagnierte bzw. leicht zurückging. Insgesamt sind junge Menschen in Relation zu allen Altersgruppen dennoch überdurchschnittlich engagiert. Andere Altersgruppen sind so gesehen in einem geringeren Maße aktiv. Den Ergebnissen des SOEP folgend, lässt sich ein unterdurchschnittliches Engagement der jungen Generation nicht nachweisen. Veränderungen im Engagement junger Menschen können demnach maximal als Lebenszyklusphänomen interpretiert werden, nicht jedoch als ein Aussterben der „Civic Generation“ (vgl. Gabriel et al. 2004: 350). In eine andere bzw. deutlichere Richtung gehen die Ergebnisse der Shell Jugendstudie und die Aussagen von AID:A, ein regelmäßig vom Deutschen Jugendinstitut durchgeführter Survey. In beiden Studien wird eine abnehmende Beteiligung unter jungen Menschen feststellt, denn auf die Frage „Bist du in
|| 51 Bis 1989 sind nur die alten, ab 1990 sowohl die alten als auch die neuen Bundesländer erfasst worden.
Zivilgesellschaftliches Engagement junger Menschen: Stand und Entwicklung | 165
deiner Freizeit für soziale oder gesellschaftliche Zwecke oder ganz einfach für andere Menschen aktiv?“ in der Shell-Studie hatten sich im Jahr 2010 insgesamt 39 Prozent der 12- bis 25-Jährigen und in der aktuellen Umfrage 34 Prozent (2015) zustimmend mit „Ja, oft“ geäußert (vgl. Schneekloth 2015: 193). Die Resultate der Studie AID:A fallen ähnlich aus (vgl. Gille 2015): Von den 13- bis 29-Jährigen waren 2009 insgesamt 66 Prozent und 2014/2015 noch 61 Prozent in einem Verein aktiv (vgl. ebd.: 48). Von dieser Entwicklung nicht betroffen ist hingegen die Übernahme von ehrenamtlichen Funktionen, die mit stabilen Anteilen durch die 18- bis 32-Jährigen erfolgt (vgl. ebd.: 47 f.) Der Freiwilligensurvey offenbart bis 2009 keinen gravierenden Wandel. Generell ist ein hoher und relativ stabiler Anteil junger Menschen engagiert. Im Jahr 2009 waren nach den Angaben des Freiwilligensurveys 34 Prozent der 14- bis 30-Jährigen zu den Engagierten zu zählen. (vgl. Tabelle 3.5). Tab. 3.5: Anteile des Engagements junger Menschen nach ausgewählten Merkmalen 1999–2014 (in %) 1999
2004
2009
2014*
Bevölkerung insgesamt
34
36
36
44
14- bis 30-Jährige
35
35
34
47
14- bis 19-Jährige
38
37
36
–
14- bis 24-Jährige
37
36
35
–**
14- bis 30-jährige Frauen
29
33
31
45
14- bis 30-jährige Männer
40
36
37
49
Bereitschaft zum Engagement bei Nichtengagierten, eindeutige Zustimmung mit „Ja“ (14–30 Jahre)
27
30
25
15
Datenbasis: Freiwilligensurvey 1999–2009; eigene Berechnung; für 2014 Bericht- und Tabellenband. * Im Freiwilligensurvey 2014 wird statt der Altersgruppe 14- bis 30-Jährige die Altersgruppe der 14bis 29-Jährigen ausgewiesen (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 7). ** Die Daten lagen für die Altersgruppen noch nicht vor.
Im Jahr 2014 sind laut Freiwilligensurvey 47 Prozent der 14- bis 29-Jährigen engagiert (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 93). Veränderungen zeigten sich jedoch bei der Betrachtung der Entwicklung des Engagements der jüngeren Altersgruppen im Zeitverlauf: Zumindest zwischen 1999 und 2009 ist der Anteil der engagierten 14bis 19-Jährigen von 38 auf 36 Prozent und der 14- bis 24-Jährigen von 37 auf 35 Prozent
166 | Junge Menschen heute und ihr Engagement
und somit jeweils um 2 Prozentpunkte zurückgegangen. Dieser leicht rückläufige Trend ist in den älteren Altersgruppen nicht festzustellen und kehrte sich im Jahr 2014 um. Hier engagierten sich von den 14- bis 19-Jährigen 52 Prozent (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016b: 10). Von allen Altersgruppen engagieren sich die jungen Menschen dieser Altersgruppe somit am meisten. Gegenläufig zu dieser positiven Entwicklung verläuft die Bereitschaft zum Engagement bisher Nichtengagierter in den jüngeren Altersgruppen. Konnten sich von den 14- bis 30-jährigen Nichtengagierten im Jahr 1999 noch 28 Prozent vorstellen, sich zu engagieren, fiel dieser Anteil auf 15 Prozent der 14- bis 29-jährigen Nichtengagierten im Jahr 2014 (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016b: 37). Junge Frauen sind zwar im Vergleich zu jungen Männern zu geringeren Anteilen engagiert, ihre Engagementbeteiligung hat sich jedoch positiv entwickelt. Im Jahr 1999 waren 29 Prozent der 14- bis 30-jährigen Frauen engagiert, 2009 sind es bereits 31 Prozent gewesen. Diese positive Entwicklung setzt sich in 2014 fort, indem sich 45 Prozent der 14- bis 29-jährigen Frauen engagierten (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016b: 7).
3.4.2 Bildungshintergrund Die veränderten Bildungswelten junger Menschen legen es nahe, die Komponente Bildung in die Analyse ihres Engagements einzubeziehen. Picot (2012: 75 ff.) geht in diesem Zusammenhang von einer deutlich „bildungsspezifischen Auswahl im Engagement“ Jugendlicher aus. Demnach sind Jugendliche mit schlechten Bildungsvoraussetzungen in nur geringem Umfang in zivilgesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden. Sie plädiert deshalb dafür, dass die Organisationen ihre institutionellen Auswahlmechanismen überdenken. Von den 14- bis 24-jährigen Engagierten hatten 2009 rund 44 Prozent einen hohen, aber nur 19 Prozent einen niedrigen Bildungsabschluss (vgl. Tabelle 3.6).
Zivilgesellschaftliches Engagement junger Menschen: Stand und Entwicklung | 167
Tab. 3.6: Engagement und Bildung im Alter 14–24 Jahre 1999–2009 (in %) 1999
2004
2009
Niedriger Bildungsabschluss
35
22
19
Hoher Bildungsabschluss
40
43
44
G8
–
–
41
G9
–
–
51
Schüler
38
39
38
Studierende
46
42
40
Auszubildende
28
34
34
Datenquelle: Picot (2012: 70 ff.).
Auch nach den Ergebnissen des Freiwilligensurveys 2014, sind junge Menschen in der Altersgruppe 14-29 Jahre mit hoher Bildung (51%) gegenüber Personen in derselben Altersgruppe mit niedriger Bildung (25%) doppelt so häufig engagiert (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016b: 7). Ebenso bemerkenswert sind die Engagementquoten unterschiedlicher Schülergruppen (vgl. Picot 2012: 71 f.). So sind Gymnasiasten gegenüber Sekundarschülern wesentlich stärker beteiligt. Dabei fällt der Anteil der engagierten G8-Absolventen mit 41 Prozent deutlich geringer aus als der der G9-Schüler (51 %). In eine ähnliche Richtung weisen die unterschiedlichen Beteiligungsquoten von Halbtags- und Ganztagsschülern: Jene, die nicht den ganzen Tag in die Schule gehen, sind in einem stärkeren Maße engagiert. Offenbar verringert der Nachmittagsunterricht das Zeitbudget für eine freiwillige Tätigkeit. Dass die schulische Qualifikation eine entscheidende Voraussetzung für ein Engagement junger Menschen ist und dieses von sozialen Selektionsmechanismen beeinflusst wird, belegen auch andere Studien (vgl. Düx et al. 2008: 35).52
|| 52 Der Freiwilligensurvey 2014 weist keine Ergebnisse aus, die das Engagement nach Schulformen differenzieren. Für Schüler und Schülerinnen (derzeit noch Besuch einer allgemeinbildenden Schule) wird eine Engagementquote von 55 Prozent angegeben (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 439).
168 | Junge Menschen heute und ihr Engagement
3.4.3 Zeitbudget Wenn sich die 14- bis 30-Jährigen engagieren, tun sie dies vermehrt mit einem Zeitaufwand von bis zu fünf Stunden pro Woche. Im Jahr 1999 haben sich von ihnen 57 Prozent mit diesem Zeitvolumen engagiert, 2009 waren es 67 Prozent (vgl. Tabelle 3.7). Tab. 3.7: Engagement und Zeit im Alter 14–30 Jahre 1999–2014 (in %) 1999
2004
2009
2014*
57
66
67
82
– täglich/mehrmals die Woche
41
41
40
25
– einmal pro Woche/mehrmals im Monat
42
44
44
46
– einmal im Monat oder seltener
16
15
16
29
Zeitvolumen für Engagement – bis 5 Stunden/Woche Häufigkeit des Engagements
Datenbasis: Freiwilligensurvey 1999–2009; eigene Berechnung; für 2014 Bericht- und Tabellenband. * Für das Jahr 2014 gelten die Werte für die Altersgruppe 14 bis 29 Jahre. Zu berücksichtigen ist bei der Ergebnisinterpretation, dass im Freiwilligensurvey 2014 nach dem Engagement in den letzten zwölf Monaten, während in den Wellen davor nach dem Engagement „derzeit“ gefragt wurde (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a).
Dieser Trend setzt sich in 2014 fort (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 338). Der Anteil derjenigen, die sich mehr als fünf Stunden pro Woche engagieren, ist hingegen weiter zurückgegangen (vgl. ebd. 2016b: 138). Hierfür ist nicht generell eine Verknappung der verfügbaren Zeit als Ursache zu vermuten. Eine Verkürzung der Gymnasialzeit wirkt sich nicht über alle Altersgruppen hinweg negativ auf eine Engagementbeteiligung aus (vgl. Lange/Wehmeyer 2014: 136). Für die Studierenden, die, trotz rückläufiger Beteiligungsquote, eine der engagiertesten Gruppen unter jungen Menschen darstellen (vgl. Picot 2012: 70), zeigen sich wiederum deutliche Vereinbarkeitsprobleme zwischen den Bereichen Bildung und Engagement (vgl. Lange/Wehmeyer 2014: 140 f.). Als ursächlich hierfür werden die Studienstruktur, berufliche Nebentätigkeiten und damit verbundene emotionale Belastungen angeführt (vgl. ebd.). Abgenommen hat zugleich die Häufigkeit des Engagements. Jugendliche üben ihre Aktivität zunehmend einmal im Monat oder seltener aus (2014: 29 %) (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 343). Zusammengenommen wird deutlich, dass
Zivilgesellschaftliches Engagement junger Menschen: Stand und Entwicklung | 169
sich junge Engagierte und auch die Engagierten insgesamt weniger häufig und mit weniger Zeitressourcen engagieren (vgl. ebd.: 347).
3.4.4 Bereiche und Organisationsformen Die Bereiche, in denen sich junge Menschen engagieren, haben sich leicht verändert.53 Nach wie vor ist der Bereich des Sports das größte Engagementfeld, obwohl er zuletzt etwas an Bedeutung verloren hatte (vgl. Tabelle 3.8). Tab. 3.8: Engagement nach Bereichen im Alter 14–30 Jahre 1999–2014 (in %) 1999
2004
2009
2014 *
14
13
12
21
Freizeit und Geselligkeit
6
4
3
5
Kirche und Religion
4
5
6
9
Schule/Kindergarten
6
7
6
9
Kultur/Musik
5
5
5
9
Feuerwehr und Rettungsdienste
4
4
4
5
Jugend- und Bildungsarbeit
2
4
3
5
Soziales
2
3
3
6
Politik und Interessenvertretung
2
2
2
3
Sport
Datenbasis: Freiwilligensurvey 1999–2009; Mehrfachnennungen möglich; eigene Berechnung; für 2014 Bericht- und Tabellenband. * Für das Jahr 2014 gelten die Werte für die Altersgruppe 14 bis 29 Jahre.
Im Jahr 2009 waren in diesem Bereich von allen 14- bis 30-Jährigen noch 12 Prozent engagiert. Stärker ist der Rückgang im Bereich Freizeit und Geselligkeit: Waren im Jahr 1999 dort von allen 14- bis 30-Jährigen 6 Prozent engagiert, traf dies im Jahr 2009 nur noch auf 3 Prozent zu. Zugenommen hat das Engagement junger Menschen in den Feldern Kirche und Religion (2009: 6 %). Andere Bereiche, beispielsweise Schule
|| 53 Die Ergebnisse des Freiwilligensurveys 2014 weisen auf eine deutlich veränderte Beteiligungssituation junger Engagierter nach Bereichen hin. Demnach haben bis auf den Bereich „Justiz oder Kriminalitätsprobleme“ alle Bereiche von dem insgesamt gestiegenen Engagement junger Menschen profitiert (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016b: 17ff.).
170 | Junge Menschen heute und ihr Engagement
und Kindergarten (2009: 6 %), Kultur und Musik (2009: 5 %) sowie freiwillige Feuerwehr und weitere Rettungsdienste (2009: 4 %), erfahren einen stabilen Zuspruch. Sie können als Engagementbereiche mit einer mittleren Beteiligungsrate gelten. Auf einem gleichbleibend eher niedrigen Niveau zeigt sich die Engagementbeteiligung der 14- bis 30-Jährigen in den Feldern Jugend- und Bildungsarbeit (3 %), Soziales (3 %) sowie Politik und Interessenvertretung (2 %). Tendenziell konnte bis 2009 eine Bedeutungszunahme und -stabilität der eher „vernünftigen“ Engagementbereiche ausgemacht werden. Religion, Schule und Kultur erfahren gegenüber Sport und Freizeit einen beständigen Zuspruch. Dieses Ergebnis passt zur leicht veränderten Situation der Motive und Einstellungen bezüglich des Engagements junger Menschen, auf die an späterer Stelle eingegangen wird. Es steht aber auch im Einklang mit der allgemeinen Wertesituation junger Menschen, auf die bereits weiter oben Bezug genommen wurde. Der organisatorische Rahmen, in dem das Engagement junger Menschen erfolgt, hat sich ebenfalls verändert. Dies wird insbesondere an der Beteiligung im Rahmen von Vereinen/Verbänden, in staatlichen/kommunalen Einrichtungen und an den selbstorganisierten Formen des Engagements deutlich. Innerhalb von zehn Jahren (1999–2009) hat das Engagement junger Menschen in den beiden zuerst genannten Organisationsformen jeweils um 3 Prozentpunkte abgenommen (vgl. Tabelle 3.9). Tab. 3.9: Organisatorischer Rahmen und Engagement im Alter 14–30 Jahre 1999–2014 (in %) 1999
2004
2009
2014*
Verein/Verband
56
55
53
52
Staatliche/kommunale Einrichtungen
11
10
8
8
Selbstorganisierte Gruppen und Allein**
12
14
17
18
Datenbasis: Freiwilligensurvey 1999–2009; eigene Berechnung; für 2014 Bericht- und Tabellenband. * Für das Jahr 2014 gelten die Werte für die Altersgruppe 14 bis 29 Jahre. ** Die Kategorie „Allein“ wurde im Freiwilligensurvey erst ab dem Jahr 2009 erhoben.
In Vereinen/Verbänden waren im Jahr 2014 noch 52 Prozent und in staatlichen/kommunalen Einrichtungen weiterhin 8 Prozent der 14-bis 29-Jährigen engagiert. Dafür haben selbstorganisierte Formen des Engagements weiter an Bedeutung gewonnen. Der Anteil des Engagements der 14- bis 30-Jährigen, der hier erfolgt, ist von 12 Prozent (1999) auf 18 Prozent (Quote der 14- bis 29-Jährigen in 2014) gestiegen. Picot (2012: 139) verweist in diesem Zusammenhang jedoch auf eine Relativierung der oftmals postulierten These, junge Menschen seien vornehmlich projektorientiert und weniger organisationsgebunden engagiert, da dies nur wenige ausgewählte Bereich zutrifft.
Zivilgesellschaftliches Engagement junger Menschen: Stand und Entwicklung | 171
Insgesamt hat sich demnach die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Organisationen für das Engagement junger Menschen nicht wesentlich verändert.
3.4.5 Leitungsfunktionen und Führungskompetenz Eine spezielle Form des Engagements ist die Übernahme von ehrenamtlich geführten Leitungspositionen. Generell werden ehrenamtliche Leitungs- oder Vorstandsfunktionen anteilig an allen Engagierten von weniger Personen übernommen. Im Jahr 1999 hatten 38 Prozent der Engagierten eine solche Position inne; zehn Jahre später traf dies auf nur noch 32 Prozent zu (vgl. Tabelle 3.10). Tab. 3.10: Leitungs- und Vorstandsfunktionen 1999–2014 (in %) 1999
2004
2009
2014*
Insgesamt (alle Engagierten)
38
35
32
28
Frauen
32
26
24
22
Männer
44
43
39
33
14- bis 30-jährige
31
28
28
21
14- bis 30-jährige Frauen
27
24
23
19
14- bis 30-jährige Männer
34
31
32
22
14- bis 30-jährige Engagierte
25
27
30
–
14- bis 30-jährige Frauen
20
24
24
–
14- bis 30-jährige Männer
29
29
34
–
Leitungs- und Vorstandsfunktionen
Anforderung im Engagement: Führungsqualität **
Datenbasis: Freiwilligensurvey 1999–2009; eigene Berechnungen; Für 2014 Bericht- und Tabellenband. * Für das Jahr 2014 gelten die Werte für die Altersgruppe 14 bis 29 Jahre. ** Wurde im Jahr 2014 nicht erhoben.
Auch der Freiwilligensurvey 2014 kommt zu dem Schluss, dass der Anteil Engagierter in Leitungs- und Vorstandsfunktionen weiter zurückging (2014: 28%) (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 311). Dieser Rückgang zeichnet sich auch unter den 14- bis 30-Jährigen ab: Von ihnen hatten 1999 noch 31 Prozent aller Engagierter dieser Altersgruppe eine ehrenamtliche
172 | Junge Menschen heute und ihr Engagement
Leitungs- oder Vorstandsfunktion, 2009 waren es 28 Prozent und in 2014 rund 21 Prozent von den 14- bis 29-jährig Engagierten (vgl. ebd. 2016b: 130). Junge Frauen sind dabei zunehmend weniger vertreten. Im Jahr 1999 hatten von den 14- bis 30-jährigen Frauen 27 Prozent und von den Männern in der gleichen Altersgruppe 34 Prozent eine ehrenamtliche Leitungs- oder Vorstandsfunktion inne. Die geringe Präsenz junger Frauen und verstärkt auch junger Männer in Leitungsoder Vorstandsfunktionen setzt sich in 2014 fort: hier übernehmen von den 14- bis 29jährig engagierten Frauen 19 Prozent und von den jungen Männern in derselben Altersgruppe noch 22 Prozent eine entsprechende Aufgabe (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016b: 130). Trotz der als problematisch anzusehenden Entwicklungen werden Führungsqualitäten im Engagement junger Menschen verstärkt nachgefragt. Im Jahr 1999 gaben von den engagierten 14- bis 30-jährigen Frauen 20 Prozent und von den jungen Männern 29 Prozent an, dass diese Fähigkeit in starkem Maße von ihnen gefordert wird. 2009 waren es bereits 24 Prozent der jungen Frauen und 34 Prozent der jungen Männer, für die dies zutraf. Es ist deshalb anzunehmen, dass seitens der Organisationen ein erhöhter Bedarf an Führungskompetenzen im Engagement junger Menschen besteht.
3.4.6 Motive und Erwartungen Die Motive, aufgrund derer junge Menschen ein Engagement aufnehmen, lassen eher seriöse Beweggründe vermuten. Reinders (2014: 54) geht davon aus, dass instrumentelle (z.B. Qualifikation, Mitbestimmung) und soziale Motive (z.B. Ideale, Spaß) die Entscheidung junger Menschen für ein Engagement bestimmen. Unabhängigkeitsund Sinnbestrebungen sowie Kompetenzerwerb können dabei als lebensphasenspezifische Motive gedeutet werden. Die Ergebnisse des Freiwilligensurveys bestätigen diese Annahme (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 422). Auffällig ist dabei das Motiv „Qualifikationserwerb“. Von den 14- bis 30-Jährigen möchten in 2009 insgesamt 47 Prozent über ihr Engagement eine Qualifikation erwerben (vgl. Tabelle 3.11); im Jahr 2014 stimmen dem bereits 50 Prozent der 14- bis 29-jährig Engagierten voll und ganz zu (vgl. ebd.).
Zivilgesellschaftliches Engagement junger Menschen: Stand und Entwicklung | 173
Tab. 3.11: Professionalisierungstendenzen und Engagement im Alter 14–30 Jahre 1999–2014 (in %) 1999
2004
2009
2014*
Erwartung: Qualifikation im Engagement erwerben
–
–
47**
50
Erwartung: beruflich Vorankommen durch Engagement
–
–
25**
31
Bereitschaft, freiwillige Tätigkeit gegen Bezahlung auszuüben
34
38
39
–***
Datenbasis: Freiwilligensurvey 1999–2009; eigene Berechnungen; Für 2014 Bericht- und Tabellenband. * Für das Jahr 2014 gelten die Werte für die Altersgruppe 14 bis 29 Jahre. **Die Aussagen „Ich will mir Qualifikationen erwerben“ in Bezug auf das Engagement und „Ich will durch mein Engagement beruflich vorankommen“ wurden zwischen 1999 und 2009 in einer Dreierskala abgefragt. In der Tabelle sind die Werte für die Kategorie „Stimme voll und ganz zu“ abgebildet. Im Freiwilligensurvey 2014 wurden die beiden Fragen auf einer Fünferskala abgefragt, abgebildet sind die Angaben für die Kategorie „Stimme voll und ganz zu“. *** Die Daten lagen für die Altersgruppen noch nicht vor.
Durch ihr Engagement beruflich voranzukommen, erhofften sich 25 Prozent der 14bis 30-Jährigen in 2009 und in 2014 insgesamt 31 Prozent der 14- bis 29-Jährigen (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 422). Eine weitere wesentliche Veränderung, die sich ebenfalls in den Kontext einer instrumentellen Motivlage unter jungen Menschen einordnen lässt, betrifft die beruflichen Perspektiven der jungen Engagierten. Sie haben zunehmend die Ambition, ihre freiwillige Tätigkeit auch hauptberuflich auszuüben: Waren im Jahr 1999 noch 34 Prozent der engagierten 14- bis 30-Jährigen daran interessiert, ihre ehrenamtliche Tätigkeit beruflich auszuüben, stieg dieser Anteil bis 2009 auf 39 Prozent. Diese Tendenz steht für hohe Qualifikationsansprüche junger Menschen im Engagement. Laut Gensicke/Geiss (2010: 120) ist das Engagement gemessen an den Erwartungen der Engagierten in Bezug auf ihre Tätigkeit „ernster geworden“. Picot (2012: 104 f.) führt hierzu als Erklärung die bei den 14- bis 24-jährigen Engagierten dominante Interessenorientierung unter ihren Erwartungen an. Sie verweist zugleich auf die Zunahme der Gemeinwohlorientierung bei gleichzeitigem Bedeutungsverlust der Geselligkeitsorientierung (vgl. ebd.). Interessenorientierung als Erwartung umfasst dabei Anliegen wie „Kenntnisse und Erfahrungen erweitern“ oder „eigene Verantwortung haben“. Im Vergleich dazu zeichnet sich die Gemeinwohlorientierung durch das Bedürfnis „anderen Menschen helfen“ oder „etwas für das Gemeinwohl tun“ aus. Die Geselligkeitsorientierung ist z.B. durch die persönlichen Ziele „Spaß an der Tätigkeit haben“ oder „mit sympathischen Menschen zusammenkommen“ gekennzeichnet. Erwartungen sind zwar nicht mit Motiven gleichzustellen, sie können aber im weitesten Sinne als solche angesehen werden. Jungen Menschen geht es also in einer rationalen Logik darum, etwas aus dem Engagement für sich mitzunehmen, wobei sie gleichzeitig nach Gemeinschaft suchen.
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3.4.7 Werte Es wurde bereits aufgezeigt, für welche Werte junge Menschen heute allgemein stehen. Im Trend liegt eine etwas konservative leistungsbezogene Grundhaltung bei einer parallelen Orientierung auf soziales und politisches Engagement. Picot (2012: 120 ff.) hat dazu analysiert, welche Werte in welchem Maße sich unter jungen Engagierten wiederfinden. Picot (2012: 112 ff.) kommt über eine Clusteranalyse zu fünf Wertetypen unter den 14- bis 24-Jährigen. Dabei handelt es sich um die Maximalisten, die sehr vielseitig orientiert sind, vor allem aber bürgerliche Werte wie „Gesetz und Ordnung“ respektieren oder für „fleißig und ehrgeizig sein“ stehen. Daneben gibt es die Konventionellen, die ebenfalls Vertreter der bürgerlichen Werte sind und sich zugleich als Verfechter der eigenen Kreativität und der Toleranz anderen gegenüber auszeichnen. Die Materialisten sind Hedonisten, die ihr Leben auf Konsum und Wettbewerb ausgerichtet haben. Im Kontrast dazu stehen die Idealisten, die in erster Linie auf die eigene Kreativität und auf gesellschaftliches Engagement sowohl in politischer als auch sozialer und ökologischer Hinsicht setzen. Die letzte Gruppe, die Minimalisten, werden als zurückhaltend beschrieben. Am ehesten vertreten sie bürgerliche, kreative und tolerante Werte. Unter Anwendung der von ihr erarbeiteten Wertetypen kommt sie zu dem Schluss, dass sich unter den Idealisten und den Minimalisten die meisten Engagierten finden, unter den Materialisten und Maximalisten hingegen deutlich weniger. Grundsätzlich sind Engagierte jedoch unter allen Wertetypen vertreten. Also sind selbst die, für die ein hoher Lebensstandard, Genuss sowie Macht von deutlicher Relevanz sind, engagiert. Wenig überraschend erscheint der Zusammenhang zwischen dem Wertemuster der Idealisten und ihrem Engagement, denn Idealisten sind jene jungen Menschen, denen ein gesellschaftliches Engagement in seinen verschiedenen Facetten besonders wichtig ist. Etwas anders verhält es sich bei den Minimalisten, von denen trotz eher geringer Affinität zu den Engagementwerten anteilig viele engagiert sind. Als Begründung hierfür führt Picot folgende Argumentation an: Es sind nicht unbedingt die Werte, die junge Menschen dazu bringen, sich zu engagieren (vgl. Picot 2012: 95/121). Viel eher sind der Bildungshintergrund und das Vorhandensein einer Mitgliedschaft wichtige Prädiktoren. Laut Picot zählen deshalb „härtere Faktoren wie die soziale Ausgangslage und die Gelegenheitsstrukturen“ zu den Auslösern für ein Engagement (ebd.: 122). Das bedeutet nicht, dass Werteeinstellungen für das Zustandekommen eines Engagements völlig bedeutungslos sind, sie sind hierfür jedoch eher nachrangig.
4 Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen – Empirische Analysen und Untersuchungsergebnisse 4.1 Analysen zum Einfluss von Organisationsfaktoren auf individuelles Engagement Zivilgesellschaftliche Organisationen zählen zu den wichtigsten Orten, an denen Engagement realisiert wird. Die Organisationen sind dabei auch Ideen- und Impulsgeber, sie leisten Anerkennung für das Engagement, sie stellen oft konkrete Räume zur Verwirklichung der Tätigkeit bereit und bieten als Organisation in vielerlei Hinsicht einen rechtlichen Rahmen, in dem das Engagement stattfindet. Häufig sind die Engagierten über die Organisationen haftpflichtversichert. Das Engagement hat aus anderer Perspektive für zivilgesellschaftliche Organisationen eine existenzsichernde Funktion, Vereine sind ohne ein Mindestmaß an freiwillig erbrachten Leistungen schlicht nicht denkbar. Trotz dieser vielfältigen Bezüge, die Organisationen zum Engagement haben, wurden sie bisher als dessen Träger, Organisator, Realisator und Umsetzer in der Forschung nur sehr begrenzt in die Engagementanalyse einbezogen. Im folgenden Abschnitt wird ein Überblick zu ausgewählten Ergebnissen gegeben, was Organisationen zur Bindung Engagierter an ihre Strukturen beitragen. Die Resultate lassen sich als organisationsspezifische Voraussetzungen und Strategien zur Bindung zivilgesellschaftlich Engagierter interpretieren. Es ist vorwegzunehmen, dass ein Jugendbezug bei den vorgestellten Arbeiten nur eingeschränkt besteht. Das unterstützt nochmals die spezifische Ausrichtung der vorliegenden Untersuchung. In der Regel erfolgt bislang eine allgemeine, also nicht altersgruppenspezifische Erörterung des Einflusses organisationsstruktureller Merkmale auf ein Engagement. Insgesamt sind folgende vier inhaltliche und methodische Schwerpunktsetzungen der bisherigen Betrachtungen zu nennen: – Als Erstes fällt auf, dass die vorliegenden Arbeiten sich nahezu ausschließlich mit Mitgliedern als Zielgruppe beschäftigen. Es werden also organisationsstrukturelle Merkmale bestimmt, die zu einer Mitgliederbindung beitragen. Die Mitgliedschaft kann zwar als wesentliche Vorstufe für ein Engagement gelten, eine Gleichsetzung mit einem zivilgesellschaftlichen Engagement bietet sich jedoch nicht automatisch an. Trotz des analytischen Fokus auf die Mitgliederbindung sind in den Studien bestimmte inhaltliche Parallelen zur Bindung zivilgesellschaftlich Engagierter nicht auszuschließen. Denn in beiden Fällen erfolgt ein Anschluss an die speziellen Strukturen einer zivilgesellschaftlichen Organisation.
10.1515/978311052907-004
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–
Weiterhin werden – zweitens – überwiegend Vereine in ihrer Rolle als zivilgesellschaftliche Organisationen analysiert. Diese thematische Ausrichtung geht mit der Mitgliederbetrachtung einher, da nur Vereine und Genossenschaften bei den zivilgesellschaftlichen Organisationen über Mitglieder verfügen. Ein dritter Schwerpunkt liegt auf der Betrachtung von Sportvereinen. Bei den vorliegenden Analysen ist eine Konzentration auf die Mitgliederbindung in Sportvereinen auszumachen. Die bereichsspezifische Herangehensweise setzt der Ergebnisübertragung auf Organisationen in anderen Bereichen gewisse Grenzen. So kann vermutet werden, dass sich sportinteressierte Personen besser über eine Übungsleiterpauschale erreichen lassen, wohingegen Personen im Umweltbereich eher auf Mitspracherechte als Anreiz setzen. Viertens ist eine methodische Besonderheit bei der Ermittlung organisationsstruktureller Einflussfaktoren auf die Mitgliedschaft oder das zivilgesellschaftliche Engagement zu erkennen: Es handelt sich sowohl um Organisationserhebungen als auch um individuelle Befragungen, über die organisationale Einflussfaktoren auf die Mitgliedschaft und das Engagement ermittelt werden.
Zu den Untersuchungen im Bereich der Sportvereine zählt eine Auswertung der DSBBestandserhebung zum Einfluss vereinsstruktureller Merkmale auf die Mitgliederbindung, die vereinspolitische Partizipation und das freiwillige Engagement (vgl. Baur et al. 2003). Der inhaltliche Fokus der quantitativen Mitgliederbefragung ist auf den Einfluss der Organisationsgröße und des Vereinstyps im Sinne seiner wettkampf- oder breitensportlichen Ausrichtung gerichtet. Die Studie zeigt, dass sich besonders die sogenannten „Kleinstvereine“ mit bis zu 100 Mitgliedern hinsichtlich einer engeren Mitgliederbindung, einer stärkeren vereinspolitischen Partizipation und einem höheren freiwilligen Engagement von den Sportvereinen anderer Größenordnungen absetzen (vgl. ebd.: 315 ff.). Eine Ausnahme besteht in Bezug auf die Übernahme ehrenamtlicher Funktionen. Diese lässt sich weniger durch die Vereinsgröße als vielmehr durch sozialstrukturelle Merkmale der Personen erklären (vgl. ebd.: 318). Der positive Einfluss einer kleinen Vereinsgröße wird mit einem unter seinen Mitgliedern ausgeprägten Bewusstsein für Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit in Verbindung gebracht (vgl. ebd.: 315). Hinsichtlich des Vereinstyps sind die Ergebnisse weniger eindeutig bzw. muss nach der Beteiligungsform unterschieden werden. Zwar ist eine stärkere Mitglieder- und Partizipationsbindung in wettkampfsportlichen Vereinen nachzuweisen, für ein freiwilliges Engagement bestehen jedoch keine Differenzen nach Vereinstyp (vgl. Baur et al. 2003: 319 ff.). Unabhängig davon, ob es sich um einen wettkampf- oder breitensportorientierten Verein handelt, sind Personen bereit, sich dort zu engagieren. Als ein Grund für den positiven Einfluss des Wettkampfsports auf die Mitglieder- und Partizipationsbindung wird die intensivere Identifizierung mit dem Angebot bzw. der Leistung angeführt (vgl. ebd.: 321). Der Sport wird hier nicht nur aus individuellen und gruppenbezogenen Gründen verfolgt, sondern
Analysen zum Einfluss von Organisationsfaktoren auf individuelles Engagement | 177
auch aufgrund einer Identifikation mit dem Wettkampfsport und den Wettkampfmannschaften des Vereins insgesamt. Eine weitere Mitgliederbefragung bei 34 Sportvereinen (unter 1238 Mitgliedern; Rücklauf 975) untersuchte die akteurs- und organisationsbezogenen Faktoren, die zu einer Mitgliederbindung beitragen (vgl. Nagel 2006). Laut Nagel gibt es eine Reihe von Sportvereinen, die einen Mitgliederrückgang verzeichnen, an dem auch organisationale Faktoren, die die Entscheidung für eine Mitgliedschaft beeinflussen, einen Anteil haben (vgl. ebd.: 34). Unter den vereinsspezifischen Gegebenheiten, die zu einer Mitgliederbindung beitragen, fasst Nagel (2006: 47) die Sportvereinskultur bzw. die solidargemeinschaftliche Handlungsorientierung. Im Einzelnen geht es dabei um den Einfluss der sozialen und emotionalen Verbundenheit, des gemeinschaftlichen Interesses und der offenen Kommunikation. In den empirischen Analysen bestätigt sich ein positiver Zusammenhang zwischen den inneren Merkmalen der Vereinskultur und der Dauer der Mitgliedschaft. Der Effekt der Vereinskultur überlagert andere Einflüsse, z.B. die Mitgliederzufriedenheit mit den Angeboten des Sportvereins oder den des Alters (vgl. ebd.: 52). Für Mitglieder, die eine soziale Gemeinschaft im Verein wahrnehmen, die die Möglichkeit zur Diskussion und Widerspruch sehen und mit dem Verein eine Zukunft verbinden, ist das Austrittsrisiko gering und eine dauerhafte Mitgliedschaft sehr wahrscheinlich. Dabei wird für jüngere Vereinsmitglieder unter 40 Jahren ein höheres Austrittsrisiko nachgewiesen (vgl. ebd.: 49), weil diese vermutlich mehr Wahlmöglichkeiten bei ihrer Freizeitgestaltung haben als ältere Personen (vgl. ebd.: 43). Ein dritter Beitrag aus dem Bereich des Sports thematisiert den Einfluss von Merkmalen der Vereinsbewertung auf die Mitgliederzufriedenheit (vgl. Dürr 2008). Dabei werden ehrenamtlich engagierte Mitglieder des Sportvereins bei der schriftlichen Befragung unter 1.076 Mitgliedern (Rücklauf 527) explizit aus der Analyse ausgeschlossen (vgl. ebd.: 112). Als durchgängig wichtige Faktoren für die Mitgliederzufriedenheit kristallisieren sich die Dimensionen Leistungsangebot (z.B. Sportstätten und -angebote) und Vereinskultur (z.B. Sozialengagement des Vereins, Kommunikation, Atmosphäre) heraus (ebd.: 182). Der Einfluss dieser Faktoren ist stärker als beispielsweise der des Mitgliedsbeitrags oder des Vereinspersonals. Ein besonderer Erkenntnisgewinn wird in der Bedeutung der Vereinskultur für die Mitgliederzufriedenheit gesehen. Vereinskulturelle Merkmale werden als vereinskonstitutiv beschrieben (vgl. ebd.: 194). Bei der Ermittlung von Organisationsmerkmalen für die Mitgliederzufriedenheit wurden zudem Altersdifferenzen ausgemacht. Für Mitglieder im Alter zwischen 18 und 21 Jahren ist beispielsweise die Höhe des Mitgliedsbeitrags wichtig, für 22- bis 26-jährige Mitglieder spielen hingegen Vereinsstrukturen (z.B. Vereinsverwaltung) und das Sozialengagement des Vereins eine größere Rolle (vgl. ebd.: 156 ff.). Anhand dieser Ergebnisse wird deutlich, wie wichtig altersbezogene Betrachtungen sind, wenn es darum geht, zivilgesellschaftlichen Organisationen in Bezug auf ihre Mitglieder- und Engagiertenkonstellation entsprechende Hinweise und Ratschläge zu geben.
178 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Mittels qualitativer Fallstudien unter Jugendlichen hat sich Michael Bräutigam (1993) mit den Vereinskarrieren von jungen Menschen beschäftigt. Auch diese Analyse konzentriert sich auf die Mitgliedschaft im Sportverein im Sinne der Ausübung einer sportlichen Aktivität. Die Mitgliederbindung junger Menschen erfolgt laut Bräutigam dadurch, dass Vereine die spezifischen Interessen Jugendlicher berücksichtigen, ihre Motive ernst nehmen und indem die Vereine ihnen Kontaktmöglichkeiten eröffnen, also Räume für den sozialen Austausch untereinander anbieten (vgl. Bräutigam 1993: 159 ff.). Nicht an den Sport gebunden ist eine Untersuchung zu dem Ressourcenmobilisierungspotenzial von Vereinen in der Schweiz (vgl. Bärlocher/Lichtsteiner 2010). Mit einer schriftlichen Befragung unter 15.400 Schweizer Vereinen (Rücklauf 2.317) wurden die organisationsbezogenen Faktoren zur Mobilisierung von freiwillig Engagierten ermittelt (vgl. ebd.: 150 ff.). Im Kern lassen sich vier organisationale Merkmale nennen, die die Engagementbereitschaft von Personen stärken. Hierzu zählen die Anzahl der Vereinsmitglieder bzw. die Größe des Vereins, die Finanzierungs- und Entlohnungsstruktur, der Tätigkeitsbereich und das Vereinsalter. So ist in Vereinen mit zunehmender Mitgliederzahl die Wahrscheinlichkeit größer, dass sich Freiwillige im Verein engagieren (vgl. ebd.: 151). Auch in Vereinen, die sich über selbst erwirtschaftete Mittel und Spenden finanzieren, sind Menschen stärker bereit, sich freiwillig einzubringen (vgl. ebd.). Weiterhin profitieren Sportvereine und größere soziale Vereine von einer erhöhten Engagementbereitschaft (vgl. ebd.), und überdies wirkt sich ein Angebot zur Entlohnung und ein fortgeschrittenes Alter des Vereins positiv auf das Engagement aus (vgl. ebd.: 151 f.). Einen negativen Einfluss auf die Bindung von Engagierten hat hingegen der Professionalisierungsgrad: Je professioneller ein Verein ist, umso weniger sind Engagierte bereit, ihre Zeit zur Verfügung zu stellen (vgl. ebd.: 151). Über die genannten Ergebnisse hinaus wird in weiteren Studien auf organisationsgebundene Merkmale zur Mitglieder- oder Engagiertenbindung hingewiesen. Die Fragestellungen sind dabei enger angelegt und beschränken sich auf spezielle Organisations- oder Engagementformen. So wurde die Besetzungsproblematik von Vorstandsposten unter besonderer Berücksichtigung der organisationsgebundenen Ursachen im lokalen Raum in einer Vereinsuntersuchung im Raum Münster und Halle/Saale analysiert (vgl. Zimmer et al. 2010). Zimmer et al. (ebd.: 30) kommen zu dem Ergebnis, dass die Besetzungsproblematik ehrenamtlicher Funktionen im Wesentlichen ein Problem der internen Kommunikation ist. Sie sei nicht auf ein fehlendes Interesse seitens der jüngeren Generation für solche Aufgaben zurückzuführen (vgl. ebd.). Überdies würden Vereinsvorstände trotz zunehmender Professionalisierungsanforderungen in Vereinen unzureichend qualifiziert, wodurch notwendige organisationale Entwicklungsprozesse erschwert werden (vgl. ebd.). Laut Weßels (2013a: 34 ff.) ist die Bereitstellung innerorganisatorischer Mitwirkungsmöglichkeiten ein zentrales Instrument, um den Mitgliederverlusten in zivilgesellschaftlichen
Analysen zum Einfluss von Organisationsfaktoren auf individuelles Engagement | 179
Organisationen zu begegnen. Am Beispiel von Gewerkschaften macht Weßels deutlich, dass diese sich stärker den mitspracheorientierten Bedürfnissen ihrer Mitglieder widmen müssen, um ein partielles Organisationsversagen im Sinne der Abwendung der Mitglieder von der Organisation zu verhindern (ebd.: 39). Für die Bindung junger Engagierter an zivilgesellschaftliche Organisationen wie Jugendverbände ist das Vorhandensein von hauptamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen förderlich (vgl. Lange/Wehmeyer 2014: 185; Seckinger et al. 2009: 36). Mit hauptamtlich Beschäftigten sind bessere Chancen auf konstante Ansprechpartner, Anleitung und Arbeitsentlastung für Engagierte möglich. Zur Mobilisierung junger Engagierter werden für Jugendverbände verschiedene Strategien angeregt. Jugendverbände sollten demnach verstärkt Kooperationen untereinander eingehen, um Konkurrenzsituationen zu vermeiden (vgl. Lange/Wehmeyer 2014: 189 f.), organisationale Freiräume anbieten, die den Engagierten Freizeit verschaffen, und verstärkt digitale Medien einsetzen, um eine größere Transparenz zu gewährleisten und organisationale Entscheidungsprozesse zu erleichtern (ebd.). Die analysierten Studien zusammenfassend, lassen sich folgende, ganz unterschiedliche organisationale Einflussfaktoren anführen, die einen positiven Einfluss auf die Einbindung von Mitgliedern und Engagierten in zivilgesellschaftlichen Organisationen haben (vgl. Tabelle 4.1): Neben Einflussfaktoren, auf die die Organisationen selbst kaum einwirken können (z.B. Alter, Größe), sind solche zu nennen, die sich aktiv gestalten lassen (z.B. Organisationskultur, Berücksichtigung von Interessen). In der Übersicht werden in Bezug auf die beiden Beteiligungsformen nicht nur zu beachtende Differenzen, sondern inhaltliche bzw. instrumentelle Überschneidungen deutlich. Daran zeigt sich die enge Bindung zwischen der Mitglieder- und der Engagiertenrolle. Die Ergebnisse werden im Rahmen der noch folgenden empirischen Analysen berücksichtigt.
180 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Tab. 4.1: Organisationale Einflussfaktoren bei der Mitglieder- und/oder Engagiertenbindung in Vereinen, Verbänden und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen Mitglieder Vereinsgröße (Mitgliederbasiert)
Engagierte
x
x
k.A. *
x
Tätigkeitsbereich
x
x
Organisationskultur (z.B. Kommunikation)
x
x
Leistungsangebot
x
k.A.
Interessen/Motive ernst nehmen
x
k.A.
k.A.
x
x
k.A.
k.A.
x
Vereinsalter
Finanzierungsstruktur- und Entlohnungsstruktur Mitsprache Hauptamt
Quelle: eigene Darstellung. * Keine Angabe (k.A.) bedeutet in diesem Fall, dass zum entsprechenden Einflussfaktor keine umfassenden Ergebnisse vorliegen.
4.2 Methodische Grundlagen des empirischen Vorgehens Der empirische Teil der vorliegenden Abhandlung basiert auf der Studie „Jugendliche in zivilgesellschaftlichen Organisationen“, die von der Jacobs Foundation in den Jahren 2011/2012 gefördert wurde. Im Folgenden werden die methodischen Grundlagen der entsprechenden Erhebungen vorgestellt und die Erschließung weiterer Datenund Dokumentenquellen angesprochen. Die Studie „Jugendliche in zivilgesellschaftlichen Organisationen“ 54 ermittelte auf der Grundlage eine Organisationserhebung die Anteile junger Menschen in ihrer Rolle als Mitglied, ehrenamtlich Engagierte und ehrenamtliche Funktionsträger. Von diesen Beteiligungsformen wurde das ehrenamtliche Engagement, eingeschlossen die ehrenamtliche Funktionsausübung, als zivilgesellschaftliches Engagement klas-
|| 54 Die Studie „Jugendliche in zivilgesellschaftlichen Organisationen“ ist in Bezug auf den methodischen Untersuchungsansatz eng mit der von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Untersuchung „Veränderungen in Dritte-Sektor-Organisationen und ihre Auswirkungen auf die Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse“ verbunden (vgl. Priller et al. 2013; Droß/Priller 2013; Droß 2013; Schmeißer 2013).
Methodische Grundlagen des empirischen Vorgehens | 181
sifiziert (vgl. Abschnitt 2.4.3). Um nun die Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen in Bezug auf das Engagement junger Menschen zu bestimmen, erfolgt in den Analysen aus zwei Gründen eine Konzentration auf Vereine. Zum einen sind Vereine unter den zivilgesellschaftlichen Organisationen die größte Gruppe, zum anderen basieren ihre Tätigkeiten im Wesentlichen auf zivilgesellschaftlichem Engagement.55 Informationen zu den anderen Rechtsformen wie gGmbHs und Stiftungen werden als Referenzgruppe angeführt. Dies bietet sich an, weil die einzelnen Rechtsformgruppen von ihren Strukturen her unterschiedlich sind. Für die Auswertung empirischer Daten und die damit verbundenen inhaltlichen und theoretischen Vorarbeiten erfolgte der Rückgriff auf verschiedene methodische Ansätze. Im Einzelnen handelt es sich um die Sekundäranalyse (vgl. Schnell et al. 2011: 243 f.), eine umfängliche Analyse verschiedener Dokumente sowie um eine Primärerhebung in Form einer schriftlichen Befragung mittels Postversand (vgl. Diekmann 2009: 514 ff.; Schnell et al. 2011: 351 f.). Mit der Analyse verschiedener Dokumente konnten relevante Materialien und Publikationen aus den Bereichen Jugend und zivilgesellschaftliche Organisationen zusammengetragen und aufbereitet werden. Die Sekundäranalyse umfasst die Auswertung von Datensätzen vorliegender Datenbestände. Bei den Datenquellen handelt es sich um folgende Untersuchungen, die auf der Personenebene durchgeführt wurden: – der Freiwilligensurvey (FWS), – der Mikrozensus und – das Sozio-oekonomische Panel (SOEP). Die einzelnen Datenquellen wurden bereits näher vorgestellt. Durch die sekundäranalytische Auswertung mit dem Freiwilligensurvey und dem SOEP werden die Ausprägung des Engagements von Jugendlichen auf der Individualebene sowie speziell mit dem Freiwilligensurvey die bevorzugten Formen und Bereiche junger Engagierter sowie ihre Motive, Bewertungen und Einschätzungen der Aktivitäten ermittelt. Auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Daten des Mikrozensus wird die bereits vorgestellte Beschäftigungssituation junger Menschen analysiert. Bei der Primärerhebung handelt es sich um die Organisationserhebung „Organisationen heute – zwischen eigenen Ansprüchen und ökonomischen Herausforderungen“. Die Organisationsbefragung stellt eine zentrale Säule der hier analysierten empirischen Daten dar. Es handelt sich dabei um eine schriftliche Befragung mit einer Online-Option. Ziel der Befragung war es, aktuelle Informationen zur Situation, zu den Veränderungen und Problemen von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Form von Vereinen, gemeinnützigen GmbHs (gGmbH), Genossenschaften und Stiftungen zu gewinnen.
|| 55 Vereine, die sich selbst als Jugendorganisation bezeichnen, sind nicht in die Analyse einbezogen worden, um eine Ergebnisverzerrung zu vermeiden.
182 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Zur Ermittlung der Adressen der zu befragenden Organisationen wurden entsprechend den Rechtsformen unterschiedliche Zugänge genutzt. Eine Stichprobe eingetragener Vereine konnte aus dem Datenbestand der V&M Service GmbH, Konstanz, gezogen werden (vgl. Happes 2011). Die Adressen der Stiftungen wurden der Maecenata-Stiftungsdatenbank56 entnommen. Für die gGmbHs und die Genossenschaften erfolgte eine umfangreiche Recherche über das Registerportal der Bundesländer57. Über eine umfangreiche Internetrecherche wurden zudem persönliche Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen bei den Zielorganisationen ermittelt. Da die große Mehrheit der Organisationen als Vereine organisiert sind, jedoch Aussagen für das gesamte Spektrum der Rechtsformen getroffen werden sollten, erfolgte die Ziehung einer disproportional geschichteten Zufallsstichprobe (vgl. Schnell et al. 2011: 271 f.). Diese Stichprobenziehung gewährleistet, dass kleinere Teilgesamtheiten wie gGmbHs, Genossenschaften und Stiftungen in einer für die Datenanalyse ausreichenden Anzahl im Sample vertreten sind. Der Anteil der befragten Vereine wurde also in Relation zu ihrer eigentlichen Anzahl in der Stichprobe reduziert, die der anderen Rechtsformen erhöht. Als Grundlage für die Einbeziehung von Organisationen aus verschiedenen Tätigkeitsfeldern wurde eine spezielle Einteilung für die Organisationserhebung entwickelt, die sich an die in Abschnitt 2.3.1 vorgestellte internationale Klassifikation der Tätigkeitsbereiche von Nonprofit-Organisationen anlehnt (vgl. United Nations 2003). In die Befragung gingen insgesamt die folgenden 14 Hauptgruppen ein, wobei die Tätigkeitsfelder in der Stichprobe, wie dargestellt, unterschiedlich besetzt sind: – Soziale Dienste und Hilfen (22 %) – Bildung, Erziehung und Kinderbetreuung (17 %) – Sport und Bewegung (14 %) – Kunst und Medien (13 %) – Gesundheitswesen (8 %) – Wohnungswesen (5 %) – Freizeit und Geselligkeit (4 %) – Umwelt- und Naturschutz (3 %) – Gemeinschaftliche Versorgungsaufgaben (2 %) – Bürgervertretung/politische Interessen (2 %) – Internationale Aktivitäten (2 %) || 56 Die Maecenata-Stiftungsdatenbank ist eine vom Maecenata-Institut initiierte und betreute Datenbank, die für wissenschaftliche Zwecke genutzt werden kann. Sie umfasst Informationen zu ca. 18.000 deutschen Stiftungen. Die Angaben beziehen sich u.a. auf den Namen, den Sitz und die Adresse der Stiftung (vgl. www.maecenata.eu/stiftungsdatenbank; letzter Zugriff 24.10.2016). 57 Über das Registerportal der Bundesländer ist u.a. die Einsicht in das Handels- und Genossenschaftsregister der einzelnen Bundesländer möglich. Über die Suchfunktion sind z.B. Informationen zum Sitz von gGmbHs oder Genossenschaften und anderen Organisationen zu generieren (vgl. www.handels-register.de/rp_web/faq.do; letzter Zugriff am 24.10.2016).
Methodische Grundlagen des empirischen Vorgehens | 183
– – –
Forschung (2 %) Arbeitsbeziehungen (1 %) Unternehmens- und haushaltsbezogene Dienstleistungen (1 %)
Der Fragebogen gliedert sich in neun thematische Blöcke: Organisationsstruktur Beschäftigung Tätigkeitsfelder der Organisation Einbindung der Organisation in die Umwelt Mitglieder Finanzierung Ehrenamtliches Engagement Angaben zur ausfüllenden Person Ehrenamtliche Funktionen Quer zu den thematischen Blöcken enthält der Fragebogen 32 Fragen, die auf Informationen zur Integration junger Menschen in die Organisationen abzielen. Hierzu zählen: Fragen zur Anzahl junger Mitglieder, Engagierter und Ehrenamtlicher; zu Qualifizierungs- und Mitspracheangeboten; zum Kooperationsverhalten und zur Förderung junger Menschen. Die Organisationsbefragung war bundesweit ausgerichtet. Insgesamt wurden 11.971 Vereine, gGmbHs einschließlich gemeinnütziger Unternehmergesellschaften58, Genossenschaften und Stiftungen angeschrieben. Befragt wurden die Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder, die für ihre Organisation Auskunft gaben. Die Fragebögen wurden schriftlich versandt. Das Anschreiben enthielt den Hinweis, eine OnlineVersion nutzen zu können. Von den versandten Fragebögen wurden 3.111 verwertbar beantwortet, was einer Rücklaufquote von 26 Prozent entspricht. Die Antwortbereitschaft fiel bei den einzelnen Rechtsformen unterschiedlich aus. So beantworteten 32 Prozent der angeschriebenen Vereine den Fragebogen, jedoch nur 18 Prozent der gGmbHs. Bei den Stiftungen betrug der Rücklauf 21 Prozent und bei den Genossenschaften 19 Prozent (vgl. Tabelle 4.2).
|| 58 Die gemeinnützigen Unternehmergesellschaften (gUG) wurden aufgrund der sehr geringen Fallzahl für die nachfolgenden Auswertungen den gGmbHs zugeordnet.
184 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Tab. 4.2: Stichprobenzusammensetzung und Rücklauf „Grundgesamtheit“ der befragten Organisationen in Deutschland im Jahr 2011
Geschichtete Bruttostichprobe
Rücklauf (Quote)
Ca. 580.000 Vereine (Vereinsstatistik 2011)
6.359
2.063 (32 %)
Ca. 18.000 Stiftungen (Bundesverband Deutscher Stiftungen 2011)
1.130
235 (21 %)
Ca. 9.000 gGmbHs (Handelsregister 2011; eigene Recherche)
3.466
618 (18 %)
Ca. 8.000 Genossenschaften (Genossenschaftsstatistik 2011; DZ BANK)
1.016
195 (19 %)
11.971
3.111 (26 %)
Insgesamt: ca. 615.000 Organisationen
Auswertungen zu den Anteilen junger Menschen Um die Anteile junger Mitglieder, Engagierter und ehrenamtlicher Funktionsträger beurteilen zu können, war es notwendig, einen Richtwert als Bewertungsmaßstab zu wählen. Dieser dient als eine Art Orientierungsgröße für den Entscheid, in welchem Maße junge Menschen in den Organisationen vorhanden sind. Der Wert wurde über den Anteil der 14- bis 30-Jährigen an der Bevölkerung ermittelt. In der deutschen Bevölkerung ist rund jede/r Fünfte zwischen 14 und 30 Jahre alt (19 %). Bei der Bewertung des Anteils junger Menschen an den einzelnen Beteiligungsformen wird dieser Wert als Orientierungsgröße genutzt. Damit lässt sich das Vorhandensein junger Menschen in den Organisationen einordnen. Zur Vereinfachung wird der Wert von 20 Prozent verwendet. Vereine, gGmbHs, Genossenschaften und Stiftungen mit Mitgliedern und/oder Engagierten stehen demnach gut da, wenn junge Menschen entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil bei den verschiedenen Aufgaben und Funktionen vertreten sind. Zugleich sind gewisse Rahmenbedingungen dieses Maßstabs aufzuzeigen. Zum einen besteht eine hohe, wenn nicht sogar eine über dem Durchschnitt liegende gesellschaftliche Erwartung an junge Menschen, sich zu engagieren. Zum anderen ist die Lebensphase Jugend durch ein breites Spektrum an Angeboten und Anforderungen gekennzeichnet, die sich einschränkend auf das Engagement auswirken können (vgl. Ferchhoff 2011). Zudem sind nicht alle denkbaren Arbeitsinhalte einer Organisation für junge Menschen interessant oder vorgesehen. Es ist also aus verschiedenen Gründen nicht immer realistisch, dass mindestens 20 Prozent der Mitglieder oder Engagierten im Alter von 14 bis 30 Jahren sind. Die Orientierungsgröße von 20 Prozent
Lage des Engagements in den Organisationen | 185
ist demnach nicht als absolutes, sondern eher als orientierungsgebendes Analysekriterium zu fassen. Um die Einbindung junger Menschen näher zu bestimmen, wurden ihre Anteile an den einzelnen Beteiligungsformen in den Organisationen in vier Anteilsgruppen eingeteilt: 1. Der ersten Gruppe wurden alle Organisationen zugeordnet, in denen es gar keine Personen im Alter von 14 bis 30 Jahren gibt (keine jungen Menschen). 2. Die zweite Gruppe umfasst jene Organisationen, die Jugendanteile von bis zu 20 Prozent aufweisen; junge Menschen sind hier unterhalb ihres Bevölkerungsanteils und damit unterdurchschnittlich vertreten (> 0-20%). 3. Eine dritte Gruppe ist durch einen Jugendanteil von über 20 und bis 50 Prozent gekennzeichnet. In diesen Organisationen sind die 14- bis 30-Jährigen ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend oder sogar überdurchschnittlich in die Organisation eingebunden (>20-50%). 4. Die vierte Gruppe enthält Organisationen, die sehr hohe Anteile, d.h. mehr als 50 Prozent, an jungen Mitgliedern, Engagierten oder ehrenamtlichen Funktionsträgern aufweisen (>50%). Im Ergebnis zeigt sich eine prozentuale Verteilung junger Menschen, die auf die verschiedenen Beteiligungsformen angewendet wird und Aufschluss darüber gibt, in welchem Maße Personen im Alter von 14 bis 30 Jahren in den befragten Organisationen vertreten sind. Multivariates Verfahren Im Rahmen der empirischen Analyse wurde zudem eine binäre logistische Regression eingesetzt (vgl. Backhaus et al. 2008; Blasius/Baur 2014: 1009 f.). Im vorliegenden Fall wird mit der binär logistische Regression geschätzt, inwiefern die Präsenz junger Engagierter in ehrenamtlichen Funktionen von spezifischen Nachwuchsaktivitäten der Organisationen abhängt.
4.3 Lage des Engagements in den Organisationen 4.3.1 Nachwuchssorgen Nachwuchssorgen haben zivilgesellschaftliche Organisationen, wenn nicht mehr ausreichend Mitglieder, Engagierte und Ehrenamtliche zu finden sind. Die Untersuchung derartiger Nachwuchsprobleme war bereits Gegenstand einzelner Forschungsprojekte. Dabei wurden vor allem die ehrenamtlichen Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen als vakante Posten thematisiert.
186 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Zu nennen ist hier die Studie „Vereine ohne Vorstand?“ des Zentrums für Nonprofit-Management an der Universität Münster, die ein verbreitetes Nachwuchsproblem für die Vereinslandschaft konstatiert. Von den befragten Vereinen in Münster und Halle an der Saale gab nahezu jeder zweite an, Schwierigkeiten bei der Besetzung frei werdender Ämter im Vorstand zu haben (Zimmer et al. 2010: 14). So ist die Generation der unter 30-Jährigen bei nahezu der Hälfte der befragten Vereine im Vorstand nicht vertreten (ebd.: 13). Allerdings machen die befragten Vereine hierfür nur selten die Vereinsstruktur und -kultur verantwortlich. Vielmehr sind sie der Auffassung, dass die Gründe für das Fehlen von Nachwuchskräften in den individuellen Lebenssituationen der in Frage kommenden Personen liegen (ebd.: 16 f.). Zu ähnlich kritischen Ergebnissen gelangt eine Befragung von Vereinen in Kassel. Hier hatten mit 55 Prozent sogar mehr als die Hälfte der Vereine Besetzungsprobleme bei den ehrenamtlichen Vorstandsposten (vgl. FreiwilligenZentrum Kassel e.V. 2012: 6). Bei einer weiteren Untersuchung, dem Sportentwicklungsbericht, konnten für die Sportvereine deutschlandweit ebenfalls konkrete Schwierigkeiten benannt werden. So hatten im Jahr 2013/2014 36% der Sportvereine mindestens ein existenzielles Problem (vgl. Breuer/Feiler 2015/2016: 23). Dieses alarmierende Ergebnis erhält besondere Brisanz, wenn man die existenziellen Problemlagen einzeln in den Blick nimmt. Vor allem die „Bindung und Gewinnung von ehrenamtlichen Funktionsträgern“ hat sich massiv verschlechtert. Hinzu kommen die Schwierigkeiten bei der Akquirierung neuer Mitglieder (vgl. ebd.: 21 ff.). Gemeinsam ist allen Studien, dass die kritische Situation auf ein Nachwuchsproblem in zivilgesellschaftlichen Organisationen zurückgeführt wird. Dies konnte mit der Organisationsbefragung „Organisationen heute – zwischen eigenen Ansprüchen und ökonomischen Herausforderungen“ auf eine breite, empirisch belastbare Basis gestellt werden. Engagierte fehlen demnach nicht nur in Vereinen, sondern auch in Genossenschaften, gGmbHs und Stiftungen. Den Ergebnissen der Organisationsbefragung zufolge kann die Engagement- und Nachwuchssituation der Organisationen mit Hilfe verschiedener Parameter beschrieben werden. Dabei sind die Angaben zu den Anteilen junger Menschen an verschiedenen Beteiligungsformen ebenso relevant wie Aussagen zu den praktizierten Formen der Nachwuchsarbeit. Die Einbindung junger Menschen in die Organisationen wird in den folgenden Abschnitten anhand dieser beiden Dimensionen abgebildet und analysiert. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, sind zivilgesellschaftliche Organisationen aufgrund ihrer Organisationsstruktur grundsätzlich auf ein zivilgesellschaftliches Engagement angewiesen. Engagierte bilden nach den Angaben der Organisationserhebung für die Organisationen eine wichtige Ressource. In fast allen Vereinen (97 %), bei der deutlichen Mehrheit der Genossenschaften (78 %) und der Stiftungen (76 %) sowie immerhin bei der Hälfte der gGmbHs (56 %) gibt es ehrenamtlich Engagierte. Sie übernehmen vielfältige Aufgaben, die sich je nach Organisationszweck und -form stark voneinander unterscheiden. Bei den Vereinen hat das Engagement
Lage des Engagements in den Organisationen | 187
ein besonders breites Spektrum – es ist sowohl in den Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen als auch darüber hinaus in zahlreichen anderen ausführenden und helfenden Tätigkeiten zu finden. Wenn auch in einem weitaus geringeren Umfang, so zeichnen sich die gGmbHs, wie die Ergebnisse der Organisationsbefragung zeigen, doch ebenfalls durch die beiden genannten Engagementformen aus. Bei den Stiftungen und Genossenschaften sind es hingegen mehrheitlich die Positionen in den vorhandenen Organen und Gremien, die ehrenamtlich übernommen werden. Entsprechend der spezifischen strukturellen Verankerung des Engagements kommt ihm bei allen Rechtsformen eine tragende Rolle zu: 89 Prozent der Vereine, 84 Prozent der Genossenschaften, 75 Prozent der Stiftungen und 40 Prozent der gGmbHs bewerten das Engagement als existenzsichernd (vgl. Tabellle 4.3). Gerade deshalb verlangen die Einschätzungen der Organisationen in Bezug auf ihre Engagementlage besondere Aufmerksamkeit. Tab. 4.3: Einschätzungen der befragten Organisationen nach Rechtsform (in %) Vereine
gGmbh
Genossenschaften
Stiftungen
Engagierte sichern Existenz
89
40
84
75
Problem, Engagierte zu finden
80
75
75
57
Wird schwerer, Leitungs-, Aufsichtsund Beratungsfunktionen zu besetzen
85
65
83
43
Wird schwerer, Jugend für Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen zu gewinnen
76
86
66
52
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); Mehrfachnennungen möglich; eigene Berechnung.
Keine der Rechtsformen kann heute mehr selbstverständlich und problemlos auf ein zivilgesellschaftliches Engagement zurückgreifen. Es fällt der Mehrheit – 80 Prozent der Vereine, 75 Prozent der gGmbHs, 75 Prozent der Genossenschaften und 57 Prozent der Stiftungen – schwer, ehrenamtlich Engagierte zu finden. Als besonders problematisch stellt sich die Besetzung der Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen dar. Die überwiegende Mehrheit der Vereine (85 %), gGmbHs (65 %) und Genossenschaften (83 %) sowie ein hoher Anteil der Stiftungen (43 %) ist der Auffassung, dass es zunehmend komplizierter wird, diese Positionen zu besetzen. In eine ganz ähnliche Richtung gehen die Meinungen in Bezug auf die Erreichbarkeit junger Menschen für die genannten Funktionen. Vor allem Vereine (76 %) und Genossenschaften (86 %), aber auch 66 Prozent der gGmbHs und 52 Prozent der Stiftungen geben an,
188 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
dass diese für ehrenamtliche Leitungs-, Aufsichts- und Beratungspositionen kaum noch zur Verfügung stehen. Alles in allem liegen zwar gewisse Unterschiede beim Engagement zwischen den Rechtsformen vor, doch insgesamt stehen sie vor einer ähnlichen Situation: Die Gewinnung von neuen Engagierten ist schwierig. Die Organisationen müssen sich demnach stärker um zivilgesellschaftlich Engagierte bemühen, da ansonsten ihre Existenz bedroht ist. Die bereits erkennbaren Lücken werfen Fragen nach dem Stellenwert junger Menschen als Engagierte in den Organisationen auf. In welchem Umfang sind junge Menschen als Mitglieder, ehrenamtlich Engagierte und ehrenamtliche Funktionsträger in Vereinen, gGmbHs, Genossenschaften und Stiftungen vorhanden? Was tun die Organisationen, um junge Menschen zu erreichen? Sind sie gemäß ihrer Organisationsstruktur und -kultur ein Ort, an dem die junge Generation einen Platz hat und an dem sie wahrgenommen wird? Welche Rolle spielt die Nachwuchsarbeit in den Organisationen? Junge engagierte Menschen sind der Nachwuchs. Sie sind nicht nur die Engagierten von heute, sondern auch jene von morgen. Künftig liegt es in ihrer Hand, die ehrenamtlichen Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen zu verantworten und mit Leben zu füllen. Die folgenden Ausführungen sollen auf die Frage nach der Einbindung und Ansprache junger Menschen seitens der Organisationen eine Antwort geben.
4.3.2 Engagementbedarf in Organen und Gremien Ehrenamtliche in Organen und Gremien Die Organ- und Gremienstruktur fällt bei den einzelnen Rechtsformen unterschiedlich aus. Insofern kommt bestimmten Organen und Gremien bei den verschiedenen Rechtsformen eine jeweils spezifische Bedeutung zu. Insgesamt umfasst die Organund Gremienstruktur alle Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen, die sowohl ehrenamtlich als auch hauptamtlich ausgeführt werden. Bezüglich der Nachwuchsproblematik besitzen die ehrenamtlich wahrgenommenen Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen einen besonderen Stellenwert und eine besondere Aussagekraft. Die Analyse der Organ- und Gremienstruktur gibt Aufschluss darüber, in welchem Maß sich für diese Positionen künftig die Nachwuchsfrage stellen wird und inwiefern die Jugend hier bereits vertreten ist. Um als juristische Person aufzutreten, haben bestimmte Organe bei den verschiedenen Rechtsformen einen konstitutiven Charakter. Das bedeutet, dass die Organisation ohne das jeweilige Organ nicht als juristische Person gelten bzw. auftreten kann und ihre Funktionsfähigkeit ohne ein solches Organ gefährdet ist. Die folgenden Organe sind für die einzelnen Rechtsformen typisch: Vereine verfügen über einen Vorstand und eine Mitgliederversammlung. Die Organe der gGmbHs sind die Geschäftsführung, die Gesellschafter- bzw. Generalversammlung und der Aufsichtsrat;
Lage des Engagements in den Organisationen | 189
Letzterer kann auch die Bezeichnung Kuratorium tragen. Die Genossenschaft zeichnet sich durch einen Vorstand, eine General- bzw. Mitgliederversammlung und ebenfalls durch einen Aufsichtsrat aus. Stiftungen benötigen einen sogenannten Stiftungsvorstand (vgl. Nowotny 2013: 183 ff.). Vorstände, aber auch Geschäftsführungen können als Leitungsorgane ehrenamtlich besetzt sein. Die Vorstände haben theoretisch eine operative Funktion, das heißt, sie vertreten die Organisation nach außen und leiten sie nach innen. Das Aufgabenspektrum der Geschäftsführung ist im Kern auf das administrative Geschäft gerichtet. Die Ehrenamtlichen mit Leitungsverpflichtung – sei es im Vorstand oder in der Geschäftsführung – tragen eine erhebliche Verantwortung, denn ihre Aufgabenpalette reicht von Fragen der allgemeinen Verwaltung über die Öffentlichkeitsarbeit bis – bei Vereinen und Genossenschaften – zur Durchführung der Mitgliederversammlung. Von ihnen erwartet man Eigenschaften wie soziale Kompetenz, Integrität und Glaubwürdigkeit, Entscheidungsfreude und Durchsetzungskraft, zugleich sind Fachkompetenz, Belastbarkeit und eine außergewöhnliche Einsatzbereitschaft gefordert. Ehrenamtliche Leitungskräfte sind nicht nur Ansprechpartner bei zahlreichen Fragen des Organisationsgeschehens, sondern auch für die Tätigkeit der Organisation verantwortlich. In Abhängigkeit von der Rechtsform und der Größe der Organisation sind die Vorstände häufig mit unterschiedlich vielen Personen besetzt; so kann ein Vereinsvorstand drei bis acht und mehr Personen umfassen (vgl. FreiwilligenZentrum Kassel e.V. 2012: 3). Gewöhnlich gehört dem Vorstand ein Vorsitzender bzw. eine Vorsitzende an. Ein Gremium umfasst in der Regel eine Gruppe von Experten, die für die Organisation eine bestimmte Aufgabe erfüllen. Es handelt sich hierbei oftmals um ehrenamtliche Aufsichts- und Beratungsfunktionen. Zu den Gremien zählen Beiräte, gegebenenfalls Kuratorien, Ausschüsse bzw. Arbeitskreise sowie Stiftungsräte und Präsidien. Die Gremien haben im Unterschied zu den Organen zumeist keinen konstitutiven Charakter für die Organisationen. In Aufsichtsräte, die Teil der Organstruktur einzelner zivilgesellschaftlicher Organisationen sind, werden ebenfalls ehrenamtliche Aufsichts- und Beratungsfunktionen übernommen. Um einen Überblick über die Organe und Gremien bei den einzelnen Rechtsformen zu erhalten, wurde in der Organisationserhebung nach ihrem Vorhandensein gefragt. Zudem wurde erfasst, ob die jeweiligen Funktionen in den Organisationen ehrenamtlich besetzt sind. Ziel war es, das rechtsformspezifische Ausmaß der ehrenamtlichen Organ- und Gremienstruktur zu erfahren. Ausgehend davon lässt sich der Bedarf an Nachwuchskräften für die Ehrenämter besser abschätzen. Mit Vorständen arbeiten vor allem Vereine (99 %), Genossenschaften (99 %) und Stiftungen (84 %) (vgl. Tabelle 4.4). In Vereinen (97 %) und Stiftungen (88 %) wird der Vorstand im Unterschied zu den Genossenschaften (56 %) nahezu ausschließlich ehrenamtlich besetzt. Verfügt eine gGmbH über einen Vorstand (24 %), ist dieser in
190 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
der Regel ebenfalls ehrenamtlich besetzt (77 %)59. Geschäftsführungen gibt es bei nahezu allen gGmbHs (99 %), bei 42 Prozent der Vereine, 37 Prozent der Stiftungen und bei 38 Prozent der Genossenschaften. Überraschenderweise werden diese bei einem Drittel der Vereine (34 %), bei immerhin einem knappen Fünftel der gGmbHs (17 %) und bei knapp der Hälfte der Stiftungen (47 %) ehrenamtlich übernommen. Somit wird sich bei einem nicht unerheblichen Teil der Organisationen selbst für die Position der Geschäftsführung früher oder später die Nachwuchsfrage für dieses Ehrenamt stellen. Tab. 4.4: Organe und Gremien nach ehrenamtlicher Besetzung und Rechtsform (in %) Verein
gGmbH
Genossenschaft
VorDavon handen ehrenamtlich
VorDavon handen ehrenamtlich
Stiftung
Vorhanden
Davon ehrenamtlich
Vorstand
99
97
24
77
99
56
84
88
Geschäftsführung
42
34
99
17
38
23
37
47
Aufsichtsrat
3
94
29
94
94
98
4
89
Kuratorium
14
100
20
95
1
100
39
99
Stiftungsrat
–
–
–
–
–
–
27
94
Präsidium
5
95
1
50
–
–
0
0
26
95
5
66
8
100
5
100
Ausschuss, AK
VorDavon handen ehrenamtlich
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Aufsichtsräte existieren bei den gGmbHs (29 %) und Genossenschaften (94 %). Bei beiden Rechtsformen ist dieses Organ fast ausschließlich ehrenamtlich besetzt (94 % und 98 %). Über Kuratorien verfügen 14 Prozent der Vereine, 20 Prozent der gGmbHs und 39 Prozent der Stiftungen, die überwiegend ehrenamtlich geführt werden (100 % Vereine, 95 % gGmbHs, 99 % Stiftungen). Der Stiftungsrat ist ein Gremium der Stiftungen (27 %), das beinahe ausnahmslos ehrenamtlich besetzt wird (94 %). Ein Viertel der Vereine (26 %) verfügt über Ausschüsse und Arbeitskreise, die nahezu durchgängig über ehrenamtlich tätige Personen funktionieren (95 %). Präsidien kommen
|| 59 Da für gGmbHs nach den rechtlichen Regelungen keine Vorstände vorgeschrieben sind, ist anzunehmen, dass sich diese Angabe häufig auf jene Vereine bezieht, die Gesellschafter der gGmbH sind.
Lage des Engagements in den Organisationen | 191
bei den zivilgesellschaftlichen Organisationen so gut wie nicht vor, wobei sie in Vereinen, sofern vorhanden (5 %), ehrenamtlich agieren (99 %). Den Angaben zufolge ist insbesondere bei Vereinen und Stiftungen die Organund Gremienstruktur ehrenamtlich geprägt. Leitungs- als auch Aufsichts- und Beratungsfunktionen werden hier häufig ehrenamtlich wahrgenommen. Demgegenüber konzentrieren sich die ehrenamtlich Tätigen bei den Genossenschaften auf einzelne Organe. Die gGmbHs weisen eine als latent zu bezeichnende ehrenamtliche Organund Gremienstruktur auf. Es sind hier vor allem die Aufsichtsräte, die ihre Funktion ehrenamtlich ausführen. Tab. 4.5: Organisationen nach dem Vorhandensein von Organen/Gremien und ihrer ehrenamtlichen Besetzung nach Rechtsform - Ehrenamtsbedarfsmuster Verein
gGmbH
Genossenschaft
Stiftung
Vorstand
+++++
++
+++
+++++
Geschäftsführung
+++
+
+
++
Aufsichtsrat
–
++++
+++++
–
Beirat/Kuratorium
++
++
–
++++
Stiftungsrat
–
–
–
+++
Präsidium
++
–
–
–
Ausschuss/Arbeitskreis
++++
+
++
++
+++++ Gremium/Organ sehr häufig bis häufig vorhanden und sehr häufig bis häufig ehrenamtlich geführt. ++++ Gremium/Organ manchmal vorhanden und sehr häufig bis häufig ehrenamtlich geführt. +++ Gremium/Organ sehr häufig bis manchmal vorhanden und manchmal ehrenamtlich geführt. ++ Gremium/Organ selten vorhanden und sehr häufig bis häufig ehrenamtlich geführt. + Gremium/Organ sehr häufig bis manchmal vorhanden und selten ehrenamtlich geführt. – Nicht vorhanden. Quelle: eigene Darstellung.
Entsprechend den vorhandenen ehrenamtlich geführten Organen und Gremien in den zivilgesellschaftlichen Organisationen sind also Vereine, gGmbHs, Genossenschaften und Stiftungen in jeweils unterschiedlichem Ausmaß auf ehrenamtlich tätige Personen angewiesen. Für jede Rechtsform lässt sich deshalb ein eigener potenzieller Nachwuchsbedarf bestimmen. Um eine Vorstellung vom rechtsformspezifischen Nachwuchsbedarf zu bekommen, wurde in Tabelle 4.5 das Vorhanden-
192 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
sein des jeweiligen Organs oder Gremiums in Relation zu seiner ehrenamtlichen Besetzung betrachtet. Am Beispiel der Vorstände in Vereinen bedeutet dies: Sofern sich hohe Vereinsanteile ausmachen lassen, die mit Vorständen arbeiten und diese gleichzeitig in der deutlichen Mehrheit ehrenamtlich agieren, kann von einer stark ehrenamtlich geprägten Struktur gesprochen werden. Weiterhin kann aus dieser Ausprägung ein erhöhter Nachwuchsbedarf abgeleitet werden. Im Ergebnis lässt sich für jede Rechtsform ein eigenes sogenanntes Ehrenamtsbedarfsmuster identifizieren. Ausgehend von den zuvor dargestellten Ergebnissen einer teilweise stark durch ein Engagement geprägten Organisationsstruktur und der existenziellen Abhängigkeit von diesem Engagement werden in den folgenden Abschnitten die einzelnen Beteiligungsformen hinsichtlich der Beteiligung junger Menschen an diesen besprochen. Dabei werden zunächst Mitglieder, dann ehrenamtlich Engagierte und schließlich ehrenamtlich wahrgenommene Organ- und Gremienfunktionen in den Blick genommen.
4.4 Junge Menschen nach Rechts- und Beteiligungsform 4.4.1 Mitglieder Zivilgesellschaftliche Organisationen sind zu einem hohen Anteil Mitgliederorganisationen. Je nach Organisation können die Mitglieder natürliche oder juristische Personen sein. Aufgrund des Organisationsaufbaus der Vereine und Genossenschaften sind vor allem hier Mitglieder vorhanden. Sie unterscheiden sich dadurch von Stiftungen und gGmbHs, bei denen Mitglieder formal keine Rolle spielen. Für Fragen der Einbindung junger Menschen als Nachwuchs in die Organisationen ist in erster Linie die Möglichkeit der Mitgliedschaft als Person von Bedeutung. Der folgende Abschnitt beschränkt sich deshalb auf Vereine und Genossenschaften und seine Mitglieder, die als natürliche Personen geführt werden. Organisationen, in denen ausschließlich andere Organisationen und Institutionen (juristische) Mitglieder sind, werden nicht in die Betrachtung einbezogen. Mitglieder verstanden als natürliche Personen haben verschiedene Funktionen und leisten auf unterschiedliche Art und Weise wichtige Beiträge für die Aktivitäten und das Leben der Organisationen. Mit der Umsetzung ihrer partizipatorischen Grundrechte sichern sie die demokratische Struktur und Arbeitsweise der Organisationen, und ihre Aktivitäten im Rahmen der Mitgliedschaft gewährleisten die Leistungsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Organisationen. In diesem Sinne bilden sie auch ein besonderes Engagementpotenzial. Mit ihren Mitgliedsbeiträgen helfen sie, die Funktionsfähigkeit der Organisationen aufrechtzuerhalten und zu sichern. Eine Mitgliedschaft in Vereinen ist leicht zu erreichen. Sie ist Ausdruck verschiedener Interessen, und die mit ihr verbundenen finanziellen Aufwendungen sind in der Regel relativ gering. Dagegen sind für den Erwerb eines Mitgliedschaftsstatus in
Junge Menschen nach Rechts- und Beteiligungsform | 193
Genossenschaften Mitgliedsanteile zu erwerben, deren Kosten sich nach der Satzung richten (vgl. Bauer 1999). Solche finanziellen Mittel stehen jungen Menschen nicht unbedingt zur Verfügung. Daher kommt es für sie häufig noch nicht in Frage, eine Mitgliedschaft in Genossenschaften zu erwerben, was bei den folgenden Ergebnissen zu beachten ist. Nach Angaben der Organisationserhebung sind in 71 Prozent der Vereine und in 44 Prozent der Genossenschaften ausschließlich natürliche Personen als Mitglieder vorhanden. Weiterhin haben 23 Prozent der befragten Vereine und 55 Prozent der befragten Genossenschaften natürliche und juristische Mitglieder.60 Junge Menschen sind unter den Mitgliedern in Deutschland jedoch insgesamt, also im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil, unterrepräsentiert (vgl. Dathe et al. 2010: 4 f.). Um dieses Defizit klar zu benennen und zu verändern, ist die Mitgliedersituation junger Menschen genauer zu betrachten. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich deshalb einerseits auf die Präsenz junger Mitglieder in Vereinen und Genossenschaften, andererseits geht es darum, wie junge Menschen von den Organisationen angesprochen und umworben werden. Es wird davon ausgegangen, dass eine jugendadäquate Ansprache für die Präsenz und Einbindung junger Mitglieder einen wichtigen Stellenwert hat. Anteil junger Mitglieder Generell können Organisationen junge Menschen über eine Mitgliedschaft integrieren und an sich binden. Im Ergebnis der Organisationsbefragung wird deutlich, dass in vielen Vereinen und Genossenschaften junge Mitglieder bislang unzureichend zu finden sind (vgl. Tabelle 4.6). Tab. 4.6: Junge Mitglieder (14–30 Jahre) in Vereinen und Genossenschaften (in %) Anteil junger Mitglieder
Verein
Genossenschaft
Keine jungen Mitglieder
13
6
Unterdurchschnittlich (> 0–20 %)
46
65
Überdurchschnittlich (> 20–50 %)
31
26
Sehr hoch (> 50 %)
10
3
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Betrachtet man den Anteil der Mitglieder im Alter von 14 bis 30 Jahren in diesen Organisationen, so haben 13 Prozent der befragten Vereine überhaupt keine Mitglieder || 60 Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sowohl juristische als auch natürliche Mitglieder haben, sind ebenfalls in die folgende Analyse miteinbezogen.
194 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
in dieser Altersgruppe. Bei weiteren 46 Prozent kommen junge Menschen unterhalb ihres Bevölkerungsanteils als Mitglieder vor. Der Anteil an Organisationen, in denen junge Menschen in der Rolle des Mitglieds eher unzureichend in Erscheinung treten, ist damit also relativ groß. Keine bzw. nur geringe Anteile an jungen Menschen sind auch bei vielen der befragten Genossenschaften zu finden. Während 6 Prozent der Genossenschaften ganz ohne junge Mitglieder arbeiten, sind sie bei 65 Prozent unterdurchschnittlich vertreten.61 Hierfür kann das fehlende Wissen unter jungen Menschen über diese Organisationsform eine Rolle spielen. In deutschen Bildungsinstitutionen wie Schulen oder Universitäten oder von Unternehmensberatungen werden Genossenschaften oft nur am Rande thematisiert (vgl. Alscher 2008). Gleichzeitig sind einige Vereine und Genossenschaften bezüglich ihrer Mitgliederverteilung gut aufgestellt. So verzeichnet fast ein Drittel (31 %) der Vereine einen überdurchschnittlichen, einige von ihnen (10 %) sogar einen sehr hohen Anteil an Mitgliedern im Alter von 14 bis 30 Jahren. Wenn für die 14- bis 30-Jährigen eine Mitgliedschaft in einem Verein in Frage kommt, entscheiden sie sich am ehesten für einen solchen ohne religiöse und politische Orientierung: Hier sind durchschnittlich 26 Prozent der Mitglieder in diesem Alter zu finden. Im Vergleich dazu ist ihr durchschnittlicher Anteil an den Mitgliedern in Vereinen mit politischer Ausrichtung (18 %) oder in religiös orientierten Vereinen (17 %) deutlich niedriger. Ebenfalls durch gewisse Unterschiede geprägt sind die Anteile junger Menschen in Vereinen, die eher im städtischen bzw. im ländlichen Raum tätig sind. Der Anteil der 14- bis 30-jährigen Mitglieder ist größer, wenn der Verein in Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern agiert (23 %); in Großstädten beläuft sich der entsprechende Anteil auf 18 Prozent. Freizeitangebote in Dörfern und kleinen Gemeinden werden häufig durch Vereine bereitgestellt. Offenbar ermöglicht eine Mitgliedschaft den hier lebenden jungen Menschen den Zugang zu bestimmten Angeboten, die sie sonst nicht in Anspruch nehmen könnten. Je urbaner der Lebensraum wird, desto breiter gefächert sind die Angebote, deren Nutzung keine Mitgliedschaft erfordert (z.B. über kommunale und privatwirtschaftliche Freizeit- und Sporteinrichtungen). Mitgliederentwicklung Aufgrund der Funktionen, die Mitglieder für Vereine und Genossenschaften einnehmen bzw. ausüben, ist die Sicherung des Mitgliederbestandes von zentraler Bedeutung. Die erkennbaren Defizite hinsichtlich der Einbindung junger Mitglieder wirft die Frage nach der allgemeinen Mitgliederentwicklung in den letzten Jahren auf. Tendenziell rückläufige Mitgliederzahlen sind als ein potenzielles Risiko für die Existenz und Funktionsfähigkeit der Organisationen anzusehen.
|| 61 Dieser Wert resultiert hauptsächlich aus Angaben der Wohnungsbaugenossenschaften und muss daher für diesen Bereich interpretiert werden.
Junge Menschen nach Rechts- und Beteiligungsform | 195
In der Organisationserhebung wurden die Organisationen gefragt, wie sich die Mitgliedersituation zwischen 2005 und 2010 entwickelt hat. Das Bild, das sie für diesen Zeitraum vermitteln, ist eher positiv. Sowohl die Mehrheit der Vereine (43 %) als auch der Genossenschaften (45 %) hatten demnach im betrachteten Zeitraum gleichbleibende Mitgliederzahlen. Ein knappes Drittel (32 %) der Vereine verzeichnete sogar steigende, während 25 Prozent sinkende Mitgliederzahlen vermerkten. Bei den Genossenschaften sieht die Entwicklung sogar noch besser aus: Den 45 Prozent mit gleichbleibender Mitgliederzahl steht ein Anteil von 17 Prozent mit sinkenden und 38 Prozent mit steigenden Mitgliederzahlen gegenüber. Der Trend beschreibt folglich für einen Großteil der Organisationen eine stabile bzw. sich verbessernde Mitgliedersituation. Dabei ist nicht außer Acht zu lassen, dass immerhin ein Viertel der Vereine von sinkenden Mitgliederzahlen berichtet. Diese Organisationen sind mit ernst zu nehmenden Veränderungen konfrontiert. Spätestens wenn die „Ressource“ Mitglied bereits im Schwinden begriffen ist, stellt sich die Frage nach den damit verbundenen Konsequenzen und somit auch nach dem engagierten Nachwuchs in der Organisation. Für die junge Generation zeichnet sich bei der Mitgliederentwicklung kein anderer Trend als in der Gesamtentwicklung ab (vgl. Tabelle 4.7). Tab. 4.7: Mitgliederentwicklung in Vereinen und Genossenschaften insgesamt und bei der Gruppe der 14- bis 30-Jährigen zwischen 2005 und 2010 (in %) Verein
Genossenschaft
Insgesamt
14- bis 30-Jährige
Insgesamt
14- bis 30-Jährige
Gestiegen
32
33
38
37
Gleich geblieben
43
47
45
53
Gesunken
25
20
17
10
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Bei der Mehrheit der Organisationen liegt eine stabile Mitgliederentwicklung bei den 14- bis 30-Jährigen vor. Der Anteil der Vereine und Genossenschaften mit steigenden Mitgliederzahlen unter den 14- bis 30-Jährigen ist größer als der mit sinkenden Zahlen. Demnach zeichnet sich auch für die junge Generation eher ein Aufwärtstrend ab. Bei dieser auf den ersten Blick positiven Entwicklung darf jedoch nicht übersehen werden, dass aktuell bei mehr als der Hälfte der Vereine (59 %) und bei knapp drei Viertel der Genossenschaften (71 %) keine 14- bis 30-jährigen Mitglieder vorhanden bzw. diese dort unterrepräsentiert sind (vgl. Tabelle 4.6). Eine „gleichbleibende“ Mitgliederentwicklung bei jungen Menschen bedeutet für viele Organisationen deshalb
196 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
das Aufrechterhalten dieser defizitären Einbindung. Anders ausgedrückt, meint „unverändert“ dann nicht mehr sicher bzw. beständig, sondern „stabil unterrepräsentiert“. In diesem Zusammenhang stechen auch jene Vereine hervor, in denen immer weniger junge Menschen Mitglied sind: Immerhin ein Fünftel der Vereine (20 %) konstatierte einen Rückgang junger Mitglieder unter seinen Mitgliedern insgesamt. Die Ergebnisse der Organisationsbefragung belegen, dass junge Mitglieder eher rar sind, auch wenn manche Organisationen mit bereits jetzt überdurchschnittlich hohen Anteilen junger Mitglieder und solche mit einem steigenden Anteil 14- bis 30jähriger Mitglieder einen gewissen Optimismus vermitteln. Offensichtlich sind die Organisationen für junge Menschen keine attraktiven Orte, an denen sich ihr für moderne Gesellschaften charakteristischer Anspruch auf Selbstbestimmung und -verwirklichung realisieren lässt (vgl. Weßels 2013a: 41). Sofern die Organisationen ein Interesse daran haben, ihren Demokratieauftrag zu erfüllen, müssen sie ihre Strukturen überprüfen und gegebenenfalls den aktuellen Bedingungen anpassen. Eine zahlenmäßig starke Mitgliederschaft und ihre heterogene Zusammensetzung legitimiert im stärkeren Maße die Anliegen der Organisation gegenüber der Politik und einer breiten Öffentlichkeit stärker legitimieren (vgl. ebd.: 40).
4.4.2 Engagierte Im Unterschied zu den Mitgliedern können Engagierte in allen in die Organisationsbefragung einbezogenen Rechtsformen vorkommen. In den vier Gruppen zum Anteil junger Engagierter vermittelt sich dabei ein recht unterschiedliches Bild für Vereine, gGmbHs, Genossenschaften und Stiftungen (vgl. Tabelle 4.8). Tab. 4.8: Junge Engagierte (14–30 Jahre) nach Rechtsform (in %) Anteil junger Engagierter
Verein
gGmbH
Genossenschaft
Keine jungen Engagierten
20
17
54
56
Unterdurchschnittlich (> 0–-20 %)
37
29
33
29
Überdurchschnittlich (> 20–50 %)
31
27
11
9
Sehr hoch (> 50 %)
12
27
2
6
* Fallzahl: < 40. Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Stiftung*
Junge Menschen nach Rechts- und Beteiligungsform | 197
Bei einem Fünftel (20 %) der befragten Vereine gibt es gar keine Engagierten im Alter von 14 bis 30 Jahren. In weiteren 37 Prozent der Vereine machen junge Menschen bis zu 20 Prozent der Engagierten aus. Rund 43 Prozent der Vereine weisen einen mindestens überdurchschnittlichen Anteil junger Engagierter auf. Für die gGmbHs zeigt sich eine andere Verteilung: Während junge Engagierte in 17 Prozent der gGmbHs fehlen, sind die drei anderen Anteilsgruppen jeweils mit gut einem Viertel besetzt. In 46 Prozent der gGmbHs und damit weniger als in den Vereinen (57 %) sind junge Engagierte nicht oder unter ihrem Bevölkerungsanteil zu finden. Weitaus kritischer sieht es bei den Genossenschaften und Stiftungen aus. Bei mehr als der Hälfte der Genossenschaften (54 %) sind keine jungen Engagierten vorhanden, bei den Stiftungen sind es sogar 56 Prozent. Da bei weiteren 33 Prozent der Genossenschaften und 29 Prozent der Stiftungen der Anteil der 14- bis 30-jährigen Engagierten unter 20 Prozent liegt, ist davon auszugehen, dass diese beiden Organisationsformen junge Menschen als Engagierte entweder nicht im Blick haben oder sie für junge Menschen nicht attraktiv sind. Die Präsenz junger Engagierter gestaltet sich, soweit vergleichbar, etwas kritischer als ihre Mitgliedersituation, denn in Vereinen fehlen junge Engagierte häufiger ganz, und in Genossenschaften und Stiftungen gehört ihre Abwesenheit sogar eher zur Regel als zur Ausnahme. Gleichwohl sind insbesondere unter Vereinen und gGmbHs einige zu finden, bei denen junge Engagierte in einem beachtlichen Maß integriert sind. Ähnlich wie bei den Mitgliedern sind auch die 14- bis 30-jährigen Engagierten am stärksten in Vereinen ohne religiöse und politische Orientierung aktiv. Hier ist durchschnittlich ein Drittel (33 %) der Engagierten im Alter von 14 bis 30 Jahren, während dieselbe Altersgruppe in Vereinen mit einer politischen (23 %) oder religiösen Ausrichtung (26 %) durchschnittlich nur ein Viertel der Engagierten ausmacht. Ein Unterschied bei der Präsenz junger Engagierter in Vereinen ist bei einem Stadt-Land-Vergleich kaum feststellbar: In Vereinen, die in ländlichen Gebieten agieren, sind durchschnittlich 25 Prozent der Engagierten im Alter von 14 bis 30 Jahren, in Großstädten beträgt deren Anteil 24 Prozent.
4.4.3 Ehrenamtliche Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen 4.4.3.1 Anteile junger Menschen Die Diskussion um die abnehmende Bereitschaft junger Menschen, sich in verbindlichen und verantwortlichen Positionen zu engagieren, wird vor allem für Vereine geführt. Genossenschaften und Stiftungen sind aufgrund ihrer formalen und rechtlichen Vorgaben aber ebenso auf Personen angewiesen, die sich in ihren ehrenamtlichen Organen und Gremien einbringen. Bei der Analyse der Anteile junger Menschen in ehrenamtlichen Funktionen ist zu berücksichtigen, dass sich die Situation von der im Bereich der Mitglieder und En-
198 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
gagierten unterscheidet. Insbesondere die Anforderungen, die mit der ehrenamtlichen Leitungsarbeit verbunden sind, können die Erfahrungen, Kompetenzen und Ressourcen der 14- bis 30-Jährigen durchaus überschreiten. Oft erfolgen der Berufseinstieg und die Planung zur Elternschaft erst um das 30. Lebensjahr. Damit wurden bereits gewisse Kompetenzen und Erfahrungen erworben, die bei der Entscheidung für die Übernahme einer verantwortlichen ehrenamtlichen Position eine Rolle spielen können. Das Erreichen eines gewissen Alters und die damit verbundene Lebenserfahrung legen die Ausübung einer leitenden Position dann eher nahe. Junge Menschen werden also wegen des spezifischen und in der Regel sehr anspruchsvollen Aufgabenprofils ehrenamtlicher Funktionen diese in einem geringeren Maße ausüben, als Mitglied zu sein oder sich auf andere Art und Weise zu engagieren. Diese Argumentation legitimiert allerdings nicht grundsätzlich ihr Fehlen in den genannten Positionen. Zwischen den einzelnen Rechtsformen bestehen in dieser Hinsicht beträchtliche Unterschiede (vgl. Tabelle 4.9). Tab. 4.9: Junge Menschen (14–30 Jahre) in ehrenamtlicher Leitungsfunktion nach Rechtsform (in %) Anteil junger Menschen in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen
Verein
gGmbH
Keine jungen Menschen
37
58
62
77
Unterdurchschnittlich (> 0–20 %)
31
11
22
10
Überdurchschnittlich (> 20–50%)
23
16
16
10
9
15
–
3
Sehr hoch (> 50 %)
Genossenschaft
Stiftung*
* Fallzahl: < 40. Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Unabhängig von der Rechtsform ist der Anteil der Organisationen ohne junge Menschen in ehrenamtlichen Leitungsorganen hoch. Ehrenamtliche Leitungsfunktionen werden in 37 Prozent der Vereine, 57 Prozent der gGmbHs, 62 Prozent der Genossenschaften und 77 Prozent der Stiftungen nicht durch junge Menschen wahrgenommen. Bei Stiftungen kann die mangelnde Präsenz junger Menschen in den ehrenamtlichen Leitungen auf die spezifische Ausprägung der internen sozialen Netzwerke zurückzuführen sein, denn durch sie gelangen in der Regel nur ausgewählte Personengruppen in ehrenamtliche Leitungsfunktionen. Dieses Phänomen ist als Kooptation bekannt (vgl. Sandberg 2013: 73), womit die geheime Wahl des Vorstands durch sich selbst gemeint ist: Nur der Vorstand hat Kenntnis über potenzielle Nachfolgekandidaten. Jüngere sind zumeist nicht in die entsprechenden Rekrutierungsnetzwerke eingebunden.
Junge Menschen nach Rechts- und Beteiligungsform | 199
Wie Analysen auf der individuellen Eben belegen, werden ehrenamtliche Leitungsfunktionen nicht voraussetzungslos übernommen. Für ehrenamtliche Führungskräfte weisen sogenannte Engagementbiografien Folgendes aus: Zwei von drei Personen im Alter von 31 bis 50 Jahren, die die entsprechenden Funktionen übernehmen, hatten bereits vor ihrem 30. Lebensjahr ein ähnliches Amt inne (vgl. Beher et al. 2008: 141). Da bei der Mehrheit der Organisationen die unter 30-Jährigen aktuell nicht in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen vertreten sind, werden sie so gesehen auch später nicht für die Übernahme ehrenamtlicher Führungsaufgaben zur Verfügung stehen. Vereine schneiden insgesamt am besten ab: Bei immerhin 23 Prozent ist der Anteil der 14- bis 30-Jährigen an den Leitungsfunktionen überdurchschnittlich und bei fast jedem zehnten Verein (9 %) sogar sehr hoch. In dieser letzten Gruppe ist also gut jeder Zweite in einer ehrenamtlichen Leitungsfunktion bis 30 Jahre alt. In den ehrenamtlichen Leitungsfunktionen sind die 14- bis 30-Jährigen am stärksten in Vereinen ohne religiöse und politische Orientierung vertreten; dort ist ihr durchschnittlicher Anteil an den Personen in ehrenamtlicher Leitungsfunktion mit 30 Prozent am größten. Bei Vereinen mit einer politischen Ausrichtung sind durchschnittlich 15 Prozent und bei religiös orientierten Vereinen 26 Prozent der ehrenamtlichen Leitungskräfte zwischen 14 und 30 Jahre alt. Auch ist der Anteil der 14- bis 30-Jährigen in ehrenamtlicher Leitungsposition größer, wenn der Verein in Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern tätig ist (20 %); in Großstädten liegt der entsprechende Anteil bei 16 Prozent. In dörflichen Strukturen ist das Engagement generell eng an die Mitgliedschaft gebunden, da hier ein höherer Grad an Verbindlichkeit besteht, auch in diesen Rollen aktiv zu werden. In Großstädten, die stärker durch individualisierte und anonymisierte Beziehungsformen gekennzeichnet sind, ist der Druck zur Übernahme von Leitungsfunktionen weniger stark ausgeprägt. Bei den Aufsichts- und Beratungsfunktionen offenbart sich ein ähnlich differenziertes Bild: Bei einem Großteil der Organisationen fehlen junge Menschen völlig. Der Teil der Organisationen, die hier ohne junge Menschen auskommen, ist – mit Ausnahme der Stiftungen – sogar noch höher als jene, in denen die 14- bis 30-Jährigen keine ehrenamtlichen Leitungsfunktionen besetzen (vgl. Tabelle 4.10).
200 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Tab. 4.10: Junge Menschen (14–30 Jahre) in ehrenamtlicher Aufsichts- und Beratungsfunktion nach Rechtsform (in %) Anteil junger Menschen in ehrenamtlichen Aufsichts- und Beratungsfunktionen
Verein
gGmbH
Genossenschaft
Stiftung*
Keine jungen Menschen
50
72
68
65
Unterdurchschnittlich (> 0–20 %)
18
16
20
9
Überdurchschnittlich (> 20–50 %)
22
12
10
26
Sehr hoch (> 50 %)
10
–
2
–
* Fallzahl: < 40. Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Ehrenamtliche Aufsichts- und Beratungsfunktionen werden bei 50 Prozent der Vereine, 72 Prozent der gGmbHs, 68 Prozent der Genossenschaften und bei 65 Prozent der Stiftungen nicht durch junge Menschen wahrgenommen. Für die künftig vakanten Aufsichts- und Beratungsaufgaben gibt es also bei der deutlichen Mehrheit der Organisationen keinen integrierten Nachwuchs. Die 14- bis 30-Jährigen fehlen in Vereinen hauptsächlich in den Ausschüssen und Arbeitskreisen, in gGmbHs und Genossenschaften in den Aufsichtsräten, und die Kuratorien und Stiftungsräte der Stiftungen arbeiten ebenfalls ohne junge Menschen. Die Anforderungsprofile, die sich bei der Übernahme einer ehrenamtlichen Aufsichts- und Beratungsfunktion ergeben, sind nicht vollkommen identisch mit denen der ehrenamtlichen Leitungsfunktionen. So unterscheiden sie sich im Spezialisierungs- und Verantwortungsgrad. Für die Ausübung einer Leitungsfunktion sind häufig breite Kenntnisse in diversen Bereichen (z.B. Kommunikationswesen, Betriebswirtschaft oder fachbezogenes Wissen) erforderlich. Aufsichts- und Beratungsfunktionen können im Vergleich dazu weitaus spezialisierter sein. Dadurch wird die übernommene Verantwortung auf ein Fachgebiet beschränkt, was wiederum mit der Investition geringerer Zeitressourcen für die Funktion verbunden sein kann. Die Verantwortung für die Abwesenheit der jungen Menschen in den entsprechenden ehrenamtlichen Funktionen liegt deshalb mehr bei den Organisationen. Zumindest kann die mangelnde Präsenz der 14- bis 30-Jährigen nicht im selben Maße mit ihren potenziell fehlenden Erfahrungs- und Kompetenzressourcen begründet werden. Für die Organisationen sollte es einfacher sein, junge Menschen für diese Aufgaben zu gewinnen, denn durch die Ausübung einer ehrenamtlichen Aufsichts- und Beratungsfunktion lassen sich bestimmte Kompetenzen unkomplizierter vermitteln. Sind in den entsprechenden Organen und Gremien mehrere Personen aktiv, bietet sich die Einbindung junger Menschen vor allem im Hinblick auf die Wissensvermitt-
Junge Menschen nach Rechts- und Beteiligungsform | 201
lung an. Die Übergabe einer spezialisierten Funktion ist dadurch leichter zu organisieren. Die Arbeitsinhalte der ehrenamtlichen Organe und Gremien werden gegenwärtig jedoch in vielen Fällen ohne junge Menschen entwickelt oder kontrolliert. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich für die zivilgesellschaftlichen Organisationen die Notwendigkeit abzeichnet neue, potenziell junge Mitglieder, Engagierte und ehrenamtliche Funktionsträger zu gewinnen. Ihnen gilt es in besonderer Weise den Weg in die Organisation zu erleichtern. Vereine nehmen bei der Einbindung junger Menschen eine gewisse Vorreiterrolle ein, zumindest zeichnen sich einige von ihnen durch eine recht junge Mitglieder- und Engagiertenstruktur aus.
4.4.3.2 Alter der Personen in ehrenamtlicher Funktion Die Nachwuchssorgen, mit denen sich manche Organisationen bei der Besetzung ihrer ehrenamtlichen Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen (Organe und Gremien) heute konfrontiert sehen, werfen weitere Fragen nach der derzeitigen Situation der Funktionsträger auf. Mit den Angaben zum Alter der Personen in ehrenamtlichen Funktionen soll deshalb in einem weiter differenzierten Schritt analysiert werden, inwiefern junge Menschen in die entsprechenden Positionen eingebunden sind. 62 Dabei wurde die Frage nach dem Alter auf die jeweils jüngsten und ältesten Personen in ehrenamtlichen Leitungs- sowie Aufsichts- und Beratungsfunktionen beschränkt. Eine geringere Präsenz sowohl der jüngeren als auch der älteren Altersgruppe deutet auf ein Ungleichgewicht hin. Das Fehlen der Jüngeren ist problematisch, weil es dann an Nachwuchs fehlt und eine Überalterung der betreffenden Strukturen wahrscheinlich ist. Ebenso kann die mangelnde Einbindung der Kompetenzen und der Lebenserfahrung älterer Personen die Weiterentwicklung und das Bestehen der Organisationen behindern. Angaben zum Alter der jüngsten Personen in ehrenamtlicher Leitungsfunktion nach Rechtsform Bei einer detaillierten Betrachtung der jüngsten Personen in ehrenamtlicher Leitungsfunktion nach den einzelnen Rechtsformen unterscheiden sich Vereine und gGmbHs von den Genossenschaften und Stiftungen (vgl. Tabelle 4.11).
|| 62 Zur Vergleichbarkeit der Altersgruppen wurden diese in neun gleich große Gruppen mit einem Jahresabstand von acht Jahren eingeteilt. Dies hat zur Folge, dass die untersuchte Gruppe der 14- bis 30-Jährigen in dieser Aufteilung nicht exakt abgebildet wird (14–29 Jahre).
202 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Tab. 4.11: Anteil der Organisationen nach Rechtsform und Alter der jüngsten Person in ehrenamtlicher Leitungsfunktion (in %) Alter
Verein
gGmbH
Genossenschaft
Stiftung
14–21 Jahre
12
8
2
2
22–29 Jahre
19
8
4
4
30–37 Jahre
18
18
15
4
38-45 Jahre
24
24
22
37
46–53 Jahre
16
19
23
23
54–61 Jahre
7
13
22
8
62–69 Jahre
3
9
9
11
70–77 Jahre
1
1
3
11
78 Jahre und älter
0
–
–
–
37,51
43,32
47,42
49,45
Mittelwert in Jahren
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Es gibt anteilig vergleichsweise viele Vereine (31 %) und gGmbHs (16 %), bei denen die jüngste Person mit der Funktion einer ehrenamtlichen Leitungskraft unter 30 Jahre alt ist. Insbesondere unter den Vereinen konnten solche ausgemacht werden, die junge Menschen stärker in ehrenamtliche Leitungsfunktionen integriert haben als die anderen Rechtsformen. Hier zeigt sich wiederum, dass bei immerhin 12 Prozent der Vereine selbst die 14- bis 21-Jährigen ein solches Amt übernehmen. Allerdings beträgt das Durchschnittsalter der jüngsten Person mit ehrenamtlicher Leitungsfunktion in den Vereinen rund 37 Jahre und in den gGmbHs 43 Jahre. Deutlich anders stellt sich die Situation bei Genossenschaften und Stiftungen dar. Bei ihnen sind die oberen Altersgruppen unter den Nennungen zur jüngsten Person in ehrenamtlicher Leitungsposition stärker vertreten. Aufgrund der besonderen Situation der Vereine wurde für sie geprüft, ob zwischen den Angaben zur jüngsten und zur ältesten Person ein Zusammenhang besteht (vgl. Tabelle 4.12).
Junge Menschen nach Rechts- und Beteiligungsform | 203
Tab. 4.12: Zusammenhang zwischen Angaben zum Alter der jüngsten und der ältesten Person in ehrenamtlicher Leitungsfunktion bei Vereinen (in %) Alter
Anteil der Vereine mit ältester Person nach Altersgruppen (14- bis 29-Jährige als Jüngste in ehrenamtlicher Leitung)
Anteil der Vereine mit ältester Person nach Altersgruppen (46-Jährige und Ältere als Jüngste in ehrenamtlicher Leitung)
14–29 Jahre
2
–
30–45 Jahre
7
0
46–61 Jahre
33
22
62–77 Jahre
57
77
1
1
78 Jahre und älter
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Im Ergebnis zeigt sich, dass in Vereinen, in denen die jüngste Person zwischen 14 und 29 Jahre alt ist, auch die älteste Person jünger ist: Während in Vereinen mit ehrenamtlichen Leitungspersonen im Alter von 14 bis 29 Jahre zu 57 Prozent die älteste Person 62 bis 77 Jahre alt ist, sind es im Vergleich dazu 77 Prozent bei Vereinen mit der jüngsten Person im Alter von 46 Jahren und älter. Sobald also jüngere Personen in der Leitung vertreten sind, ist auch eine „Verjüngung“ unter den Ältesten auszumachen, die eine ehrenamtliche Funktion innehaben. Diese zu betrachtende „Verjüngung“ kann darin ihren Ursprung haben, dass jüngere Personen ihresgleichen anziehen, was sich wiederum potenziell auf die gesamte Organisationskultur auswirkt: Insgesamt ist zu erwarten, dass sich jüngere ehrenamtliche Leitungskräfte bei der Werbung von Ehrenamtlichen eher jüngeren als älteren Personen zuwenden. Junge Menschen haben dann zugleich Ansprechpartner in der Organisation, die den Interessen ihrer Generation näher sind. Dadurch können in den Vereinen Altersschwellen abgebaut werden, und Jüngeren wird der Zugang zu ehrenamtlichen Funktionen erleichtert. Auffällig ist des Weiteren, dass vor allem Stiftungen und Genossenschaften angeben, die jüngste Person in ehrenamtlicher Leitung sei mindestens 46 Jahre alt. Wenn bereits gegenwärtig die jüngste Person in ehrenamtlicher Leitung in einem solchen mittleren Alter ist, kann tatsächlich von einer defizitären Einbindung junger Personen in die Funktionen gesprochen werden. Diesen Organisationen fehlt demnach künftig der ehrenamtliche Leitungsnachwuchs.
204 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Angaben zum Alter der ältesten Person in ehrenamtlicher Leitungsfunktion nach Rechtsform Zwischen den einzelnen Rechtsformen bestehen hinsichtlich der ältesten Person in ehrenamtlicher Leitungsfunktion beträchtliche Unterschiede (vgl. Tabelle 4.13). Tab. 4.13: Anteil der Organisationen nach dem Alter der ältesten Person in ehrenamtlicher Leitungsfunktion nach Rechtsform (in %) Alter gruppiert
Verein
gGmbH
14–21 Jahre
–
–
–
–
22–29 Jahre
1
–
–
–
30–37 Jahre
1
3
2
–
38–45 Jahre
3
3
1
1
46–53 Jahre
10
15
8
6
54–61 Jahre
19
21
23
18
62–69 Jahre
24
22
34
18
70–77 Jahre
33
27
25
40
9
9
7
17
65,01
63,36
64,63
68,80
78 Jahre und älter Mittelwert in Jahren
Genossenschaft
Stiftung
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Hier fallen Stiftungen mit einer besonders starken Besetzung der Altersgruppe der über 70-Jährigen ins Auge: In mehr als jeder zweiten Stiftung (57 %) ist die älteste Person in ehrenamtlicher Leitungsfunktion mindestens 70 Jahre alt. Stiftungen sind also durch eine Abwesenheit der jüngeren und eine starke Präsenz älterer Jahrgänge in der ehrenamtlichen Leitung gekennzeichnet. Ähnlich stellt sich die Situation bei den Vereinen dar: Bei 42 Prozent ist die älteste Person in ehrenamtlicher Leitungsfunktion mindestens 70 Jahre alt. Genossenschaften und gGmbHs unterscheiden sich von den anderen beiden Rechtsformen: Von ihnen hat ein deutlich geringerer Anteil (32 % und 36 %) Personen in ehrenamtlicher Leitungsfunktion, die zur Generation 70+ zählen. Das durchschnittliche Alter der ältesten Person bei den einzelnen Rechtsformen liegt zwischen 63 Jahren in gGmbHs und 69 Jahren in Stiftungen. In einer Gesellschaft, in der die Menschen von immer höheren Lebenserwartungen ausgehen können, zählt man mit Mitte 60 zwar schon zu den Älteren, aber nicht zu den Alten oder Hochbetagten. Personen ab Mitte sechzig zeichnen sich zudem
Junge Menschen nach Rechts- und Beteiligungsform | 205
durch eine zumeist positive und aktive Lebenseinstellung aus (vgl. Köcher/Bruttel 2012: 35): Sie wollen für das gesellschaftliche Geschehen Mitverantwortung tragen, weshalb ihre Präsenz in den Organisationen wichtig ist (ebd.: 341). Jedoch stimmt die als gelungen zu bezeichnende Integration nachdenklich, wenn man diesem Ergebnis die Angaben zum durchschnittlichen Alter der jüngsten Person gegenüberstellt. Von einer genauso erfolgreichen Einbindung jüngerer Jahrgänge kann hier nicht die Rede sein. Neben dem Alter von Personen in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen wurde auch das Alter jener erfragt, die eine ehrenamtliche Aufsichts- und Beratungsfunktion übernehmen. Aufgrund dieser Altersangaben lassen sich für die befragten Organisationen zwei Schlussfolgerungen ziehen: – Die Altersangaben zur jüngsten Person in ehrenamtlicher Aufsichts- und Beratungsfunktion werden – wie bei den Leitungsfunktionen – anteilig zumeist für die Gruppe der 38- bis 45-Jährigen gemacht. In der Tendenz lässt sich hier ein noch stärkeres Gewicht der oberen Alterskohorten erkennen. Das bedeutet, dass das Alter der jüngsten Person in den Aufsichts- und Beratungsgremien etwas höher angegeben wird als für die Leitungsfunktionen. Es sind abermals die Vereine, die eher die ganz Jungen (14–21 Jahre) in diese Funktionen einbinden. – Das Alter der ältesten Personen in ehrenamtlicher Aufsichts- und Beratungsfunktion beträgt bei 47 Prozent der Organisationen mindestens 70 Jahre. Wenn die stärkere Einbindung junger Menschen nicht konsequent verfolgt wird, droht den Aufsichts- und Beratungsfunktionen eine weiter zunehmende Überalterung.
4.4.3.3 Amtsdauer der Vorsitzenden in ehrenamtlicher Leitung Die vorliegenden Ergebnisse zum Alter der Personen in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen werfen die Frage auf, wie lange ehrenamtliche Führungspositionen von ein und derselben Person ausgeübt werden. Bei den ehrenamtlichen Leitungsstrukturen handelt es sich bei Vereinen, Genossenschaften und Stiftungen um die Vorstände. Hinzu kommen ehrenamtlich agierende Geschäftsführungen, die bei Vereinen und Stiftungen anzutreffen sind. Bei den gGmbHs werden die Leitungsorgane in der Regel nicht ehrenamtlich besetzt, es gibt jedoch vereinzelte Fälle, in denen auch hier zuweilen Vorstände und Geschäftsführer ehrenamtlich tätig sind. Um Informationen zur Amtsdauer zu erhalten, wurde in der Organisationserhebung gefragt, wie lange der/die derzeitige Vorsitzende des ehrenamtlichen Vorstands bereits im Amt ist. Da die unter 30-Jährigen bei hohen Anteilen der Organisationen in den ehrenamtlichen Leitungsfunktionen insgesamt fehlen oder unterrepräsentiert sind, können längere Amtsperioden der Leitungsvorsitzenden nicht ausgeschlossen werden. Die Länge der Amtszeit von Vorsitzenden in ehrenamtlichen Führungspositionen kann ein Indikator dafür sein, inwieweit junge Menschen Chancen und Möglichkeiten erhalten, in verantwortliche Positionen zu gelangen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass zu lange Amtsperioden einerseits die Überalterung in den
206 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Organisationen befördern, und diese andererseits durch die Gefahr eingespielter Routinen und abnehmender Innovationsfähigkeit für junge Menschen nicht mehr attraktiv sind. Die Mehrheit der Vereine (69 %), der gGmbHs (75 %), der Genossenschaften (67 %) und der Stiftungen (68 %) gibt die bisherige Amtszeit der jeweiligen Vorsitzenden mit bis zu zehn Jahren an (vgl. Tabelle 4.14). Tab. 4.14: Amtsdauer in Jahren des oder der Vorstandsvorsitzenden der ehrenamtlichen Leitung nach Rechtsform (in %) Amtsdauer in Jahren
Verein
gGmbH
Genossenschaft
Stiftung
1–10 Jahre
69
75
67
68
11–20 Jahre
22
23
20
24
9
2
13
8
9,48
7,49
10,41
9,33
21 Jahre und mehr Mittelwert in Jahren
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Bei knapp einem Viertel der Vereine (22 %), der gGmbHs (23 %) und der Stiftungen (24 %) sind die vorsitzenden Leitungspersonen bereits zwischen 11 und 20 Jahren aktiv. Vorsitzende, die länger als 21 Jahre im Amt sind, sind vor allem bei Genossenschaften (13 %) anzutreffen. Bei den gGmbHs, als eine vergleichsweise junge Rechtsform, kommen solch lange Amtszeiten kaum vor. Bei der Besetzung der ehrenamtlichen Führungspositionen spielen unterschiedliche Aspekte eine Rolle. Einerseits bietet sich ein ständiger personeller Wechsel bei derartigen Positionen nicht an, da das Aufgabenprofil sehr breit gefächert ist und bereits die Einarbeitung relativ viel Zeit in Anspruch nehmen kann. Andererseits ist gerade wegen der hohen Verantwortlichkeit, der anspruchsvollen Aufgabenstellung und der zum Teil großen zeitlichen Belastung ein regelmäßiger Wechsel sicherzustellen. Hierbei ist die nachkommende Generation an die Aufgabe rechtzeitig heranzuführen; anderenfalls kann die Funktionsfähigkeit der gesamten Organisation gefährdet werden. Die wünschenswerte Bereitschaft, Positionen wie den Vorsitz aufzugeben oder neu zu besetzen, kann jedoch mit andauernder Amtszeit abnehmen. Im Einzelfall ist genau zu prüfen, ob sich daraus Probleme bei der Heranführung und Einbindung junger Menschen ergeben.
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 207
4.5 Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen 4.5.1 Nachwuchsarbeit – Verständnis und Ausrichtung Allgemein wird unter Nachwuchsarbeit die Arbeit mit jungen Menschen verstanden. Es wird damit das Ziel verfolgt, Personen für bestimmte Aufgaben und Positionen zu gewinnen und sie auf diese vorzubereiten. Konkret werden Heranwachsende dabei mehr oder weniger gezielt gefördert. Das vorliegende Verständnis von Nachwuchsarbeit durch zivilgesellschaftliche Organisationen beinhaltet darüber hinaus die Vorstellung von einem andauernden Prozess der Beziehungspflege. Dabei geht es für die Organisationen um die systematische sowie aktive Gewinnung und Förderung von allen jungen Menschen als Mitglieder, Engagierte und Ehrenamtliche (vgl. Harnaß et al. 2013: 195 f.). Durch strategische Überlegungen der Organisationen in Bezug auf die Sicherung ihrer eigenen Existenz, Funktionalität und Arbeit kann sich insbesondere die Aufmerksamkeit für die personelle Besetzung ehrenamtlicher Funktionen erhöhen. Das Ziel von Nachwuchsarbeit sollte es sein, eine Organisationskultur und -struktur zu etablieren bzw. auszubauen, die jungen Menschen den Zugang zu den zivilgesellschaftlichen Organisationen erleichtert und ihnen in diesen bestimmte Entwicklungs- und Aufstiegswege ermöglicht. Insgesamt ist Nachwuchsarbeit eine dauerhafte Aufgabe in einer Organisation, die nicht zwangsläufig erfolgreich sein muss (vgl. ebd.: 209). Es ist immer möglich, dass potenzielle Kandidaten als Mitglieder oder für ehrenamtlich zu übernehmende Aufgaben im Verlauf der Bindung gleichzeitig andere Ziele verfolgen, deren Erreichung für den Einzelnen dann Priorität erlangt. In der Folge scheiden sie aus dem Organisationsleben wieder aus. Da die vorliegenden Analysen mit Nachdruck belegen, dass sich ein großer Teil der Organisationen des Fehlens junger engagierter Menschen durchaus bewusst ist, bietet sich eine gezielte Nachwuchsarbeit an, um diese defizitäre Situation zu verändern. Was unter Nachwuchsarbeit subsumiert werden kann, ist sehr vielfältig und differenziert zu betrachten. Eine grobe Unterscheidung kann zwischen jenen Formen, die eher einen prozesshaften, die informelle Organisationsstruktur und -kultur betreffenden Charakter haben, und solchen Formen, die konkrete Angebote und Regeln abbilden, gemacht werden. Zu Ersteren zählt beispielsweise die Aufrechterhaltung eines Fördergedankens; zu Letzteren gehören z.B. Amtszeitbeschränkungen für ehrenamtlich Vorsitzende oder Qualifikationsangebote im Engagement. Das Bewusstmachen der Nachwuchssituation, die Förderung einer nachwuchsfreundlichen Organisationskultur und der Einsatz konkreter Instrument sind keine kurzfristig zu bewältigenden Aufgaben. Besteht z.B. das Anliegen, die Einstellungen, die in den Organisationen gelebt werden, in Bezug auf ihre nachwuchsfreundliche oder eher -feindliche Eigenart zu überprüfen, stellen sich Aufgaben im Rahmen des organisationalen Lernens, die Zeit beanspruchen. Einstellungen und Mentalitäten lassen sich jedoch kaum regeln und nur durch einen umfassenden Reflektionsprozess verändern. Wie genau die Nachwuchsarbeit in einer Organisation aussehen soll, muss im
208 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Einzelfall entschieden werden. So ist z.B. zu prüfen, ob für viele kleinere Organisationen eine zu starke Formalisierung angemessen und zweckmäßig ist. Die unterschiedlichen Varianten der Nachwuchsarbeit wurden entlang der organisationsstrukturellen Merkmale von zivilgesellschaftlichen Organisationen bzw. Vereinen bestimmt und sortiert. Diese Herangehensweise wird im folgenden Abschnitt näher erläutert.
4.5.2 Zivilgesellschaftliche Organisationsstrukturen und Nachwuchsarbeit 4.5.2.1 Konzeptionelle Zusammenführung Nachwuchsarbeit, verstanden als ein kontinuierlicher und aktiv gestalteter Prozess mit dem Ziel, Heranwachsende mit bestimmten Aufgaben und Positionen zu betrauen, setzt allgemein gesprochen bei den Organisationsstrukturen an. Ausgehend von diesen lassen sich Maßnahmen und Instrumente ableiten, mit denen die Nachwuchsrekrutierung gezielt verfolgt wird. Organisationsstrukturen können, wie ausgeführt, formaler und informaler Art sein. Gegenüber Merkmalen der Spezialisierung63, Standardisierung, Formalisierung, Zentralisierung und Konfiguration stehen so betrachtet interaktiv und situativ ausgehandelte Kommunikationswege und Umgangsformen, die sich einer Verregelung mehrheitlich entziehen. Ob in einer Organisation eher die formalen oder die informalen Aspekte der Organisationsstruktur im Vordergrund stehen, hängt von vielfältigen Einflussgrößen ab. Horch (1992) hat für freiwillige Vereinigungen bzw. Nonprofit-Organisationen spezifische Strukturmerkmale identifiziert, die insgesamt stärker den informellen Charakter betonen (vgl. Abschnitt 2.3.5). Das zeigt sich im Einzelnen bei den Merkmalen Selbstbestimmung und Führung, Personalisierung und Interaktionsverfestigung (vgl. Horch 1992: 46 ff.). Diese Strukturmerkmale von Nonprofit-Organisationen beschreiben eine theoretische Position, die als Grundlage genutzt werden kann, um eine Bestimmung und Zuordnung einzelner Maßnahmen und Instrumente der Nachwuchsarbeit zu den Strukturmerkmalen vorzunehmen. Im Einzelnen sind dabei drei einschränkende Aspekte zu berücksichtigen: – Erstens spricht Horch von freiwilligen Vereinigungen bzw. Nonprofit-Organisationen, für die spezifische Variablen konstitutiv sind. Zu diesen zählt Horch (1992: 38 ff.) Interessenvereinigung, Autonomie, Freiwilligkeit, Ehrenamtlichkeit und Demokratie. Obgleich er selbst darauf verweist, dass diese Variablen auf eine Vielzahl an Typen freiwilliger Vereinigungen bzw. Nonprofit-Organisationen zu
|| 63 Wie bereits zuvor aufgezeigt, lassen sich die Kategorien Arbeitsteilung und Spezialisierung weitgehend identisch verwenden. Im Folgenden wird überwiegend der Begriff Spezialisierung benutzt.
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 209
–
–
treffen (z.B. Verein, Genossenschaft, Partei), bezieht er sie in seinem eigenen empirischen Ansatz auf Vereine (ebd.: 64 ff.). Zudem erkennt er, dass die Variablen insbesondere für einen informellen Vereinstyp stehen (ebd.: 66).64 Zweitens sind Vereine keine homogene Gruppe. Es wird also Vereine geben, die mehr oder weniger selbstbestimmt, personalisiert oder interaktionsbasiert auftreten. Drittens zeichnen sich die von Horch vorgeschlagenen Strukturmerkmale teilweise durch eine mangelnde inhaltliche Trennschärfe aus. Dies gilt vor allem für Personalisierung und Interaktionsverfestigung, die fließend ineinander übergehen können. Nachwuchsaktivitäten lassen sich demnach in Einzelfällen der einen oder der anderen Kategorie zuordnen.
Die Zuordnung und Herleitung der empirischen Erhebungsmerkmale zur Nachwuchsarbeit zu den von Horch ausgemachten spezifischen Strukturmerkmalen von freiwilligen Vereinigungen besitzt durch diese Einschränkungen exemplarischen Charakter und bezieht sich vordergründig auf Vereine65 (vgl. Tabelle 4.15). Tab. 4.15: Zuordnung empirischer Erhebungsmerkmale zur Nachwuchsarbeit zu organisationsstrukturellen Merkmalen von Vereinen (in Anlehnung an Horch 1992) Vereinsbezogene Fragen aus der Organisationserhebung „Organisationen heute – Strukturmerkmale zwischen eigenen Ansprüchen und ökonomischen Herausforderungen“ Selbstbestimmung Vorhandensein von einem Jugendgremium/-forum und Führung Vorhandensein eines altersbezogenen Stimmrechts für Mitglieder Vorhandensein von Mitsprachemöglichkeiten für Nichtmitglieder Vorhandensein von Internetangeboten im Kontext von Engagement und dessen Formen
|| 64 Im Abschnitt zur Definition zivilgesellschaftlicher Organisationen wurde bereits diskutiert, inwieweit Selbstbestimmung tatsächlich ein Merkmal ist, das für sämtliche zivilgesellschaftlichen Organisationen vorausgesetzt werden kann. Bei Stiftungen oder gGmbHs beispielsweise lässt sich dieses Merkmal nur begrenzt nachweisen. 65 Durch die damit verbundene Vereinsfixierung wird eine Übertragung der Ergebnisse auf andere zivilgesellschaftliche Organisationen jedoch nicht kategorisch ausgeschlossen. Zu Vergleichszwecken werden deshalb bei der später erfolgenden Darstellung der empirischen Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen den hier ausgemachten Organisationsstrukturen freiwilliger Vereinigungen und den Nachwuchsaktivitäten auch andere Rechtsformen miteinbezogen. Grundsätzlich bedarf es aber weiterführender Überlegungen zu den für sie (z.B. gGmbH) typischen organisationsstrukturellen Merkmalen. Damit wäre eine auf theoretischer und empirischer Ebene vertiefende Weiterentwicklung der Kategorie zivilgesellschaftliche Organisation verbunden.
210 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Vereinsbezogene Fragen aus der Organisationserhebung „Organisationen heute – Strukturmerkmale zwischen eigenen Ansprüchen und ökonomischen Herausforderungen“ Strukturell durchgeführten Veränderungsmaßnahmen: Abbau von Hierarchien Vorhandensein einer Jugendorganisation Personalisierung
Zugangswege zu ehrenamtlichen Funktionen Wichtigster Grund bei der Besetzung ehrenamtlicher Positionen
Interaktionsverfestigung
Bemühen um junge Frauen für ehrenamtliche Funktionen
Formalisierung
Vorhandensein von konkreten Formen der Mitglieder- und Engagiertengewinnung
Beachten einer ausgewogenen Altersdurchmischung in ehrenamtlichen Funktionen
Vorhandensein von Zielgruppen bei der Werbung von Mitgliedern, Engagierten und EhrenamtlerInnen Vorhandensein spezifischer Maßnahmen zur Gewinnung junger Engagierter im Zuge der Schul- und Studienreformen Vorhandensein von spezifischen Zielstellungen bei der Einbindung junger Menschen Amtszeitbeschränkung für Personen in ehrenamtlicher Funktion (Vorsitz) Vorhandensein formal festgelegter Zielstellungen zum Anteil junger Menschen Vorhandensein formaler Regelung zur Förderung junger Menschen. Verfolgung gezielter Förderung von Aufstiegsmöglichkeiten junger Menschen Spezialisierung
Finanzieller Unterstützung durch Dachverbände für Nachwuchsarbeit Beschäftigung von Hauptamtlichen für Engagierte Vorhandensein von Qualifikationsangeboten für Engagierte Vorhandensein von Zielgruppen für Qualifikationsangebote Vorhandensein von Kooperationsbeziehungen mit jugendorientierten Einrichtungen und dessen Formen
In Erweiterung der von Horch ausgemachten Strukturmerkmale und um dem Verständnis von Nachwuchsarbeit besser gerecht zu werden, sind zwei zusätzliche organisationsstrukturelle Merkmale von Vereinen eingeführt worden. Es handelt sich um
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 211
die Kategorien „Formalisierung“ und „Spezialisierung“. Sie wurden aus den in der Organisationsforschung diskutierten formalen Eigenschaften von Organisationen abgeleitet. Die Annahme besteht darin, dass diese das Spektrum der Vereine besser abdecken. Eine erhöhte Passfähigkeit durch die Einführung der zusätzlichen Strukturmerkmale liegt z.B. dann vor, wenn in einem Verein hauptamtliche Mitarbeiter tätig sind. Damit gehen automatisch andere Verbindlichkeiten der Arbeitsabwicklung einher, die eine stärkere Formalisierung und Spezialisierung der eigenen Strukturen erfordern. Die konsequente und aktive Durchführung von Nachwuchsarbeit kann sich wiederum einem gewissen Grad der Formalisierung nicht entziehen, wenn sie verbindlich sein will. Nachwuchsarbeit ausschließlich auf der Basis von Zurufen und Willenserklärungen zu leisten, bleibt vage und damit nicht verpflichtend im Hinblick auf ihre Durchführung. Die Zuordnung der empirischen Erhebungsmerkmale zur Nachwuchsarbeit wurde im Sinne der Bedeutung der Strukturmerkmale vorgenommen. Dabei werden die im Ressourcenmodell von Vanberg (1982) wichtigen Aspekte einer partizipativen Gestaltung der Organisation zur Lösung des kollektiven Entscheidungsproblems und die Bedeutung von Zugeständnissen und Anerkennungsformen zur Lösung des kollektiven Verteilungsproblems mitreflektiert. So finden sich zum einen in dem Strukturmerkmal Selbstbestimmung und Führung ausgewählte Faktoren, die auf Mitsprache ausgerichtet sind (Jugendgremium, Internet, altersbezogenes Stimmrecht in der Mitgliederversammlung, Verflachung von Hierarchien, Mitsprache für Nichtmitglieder). Den anderen Strukturmerkmalen, z.B. Spezialisierung, sind wiederum weitere Variablen zugeordnet worden, die den Bereich der Zugeständnisse für junge Engagierte berühren. Hierbei handelt es sich beispielsweise um Qualifikationsangebote. Die Zuordnung soll an ausgewählten Variablen anhand von Beispielen (vgl. Tabelle 4.17) für die fünf Strukturmerkmale erläutert werden: Erstens gehört zu der Kategorie Selbstbestimmung und Führung die Frage nach dem Vorhandensein eines Jugendgremiums/-forums. Bei dem Strukturmerkmal geht es um die allgemein verankerte Eigenschaft von Vereinen, Mitbestimmung zu ermöglichen. Mitspracheorientierte Foren wie Jugendgremien setzen genau an dieser Eigenschaft an. Deshalb wurde das entsprechende Merkmal in die Gruppe Selbstbestimmung und Führung aufgenommen. Jugendgremien o.Ä. könnten demnach in Vereinen ein gängiges Format sein, um speziell die Mitbestimmung für junge Menschen sicherzustellen. Auch die Frage nach den Möglichkeiten, sich über das Internet zu engagieren, kann als eine Form der Selbstbestimmung interpretiert werden. In Zeiten der digitalen Transformation erfahren internetbasierte Kommunikationsformen einen immer größer werdenden gesellschaftlichen Zuspruch und ermöglichen auf vielfältige Weise den Austausch von Meinungen und unterschiedlichen Positionen. Selbstbestimmung erfolgt also heutzutage auch digital. Sofern Vereine für Selbstbestimmung und Führung gleichermaßen stehen, ist der Rückgriff auf die entsprechenden Internet-Tools Ausdruck einer digitalen Selbstbestimmung, die bei den Interessen junger Menschen ansetzt.
212 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Zweitens ist in der Kategorie Personalisierung die Frage nach den Zugangswegen zu ehrenamtlichen Funktionen zu finden. Erfragt wurde in der Organisationserhebung die Optionen „aus der (Mitglieds-)Organisationen“, „von außen“ sowie „beides kommt vor“. Die strukturelle Eigenschaft „Personalisierung“ von Vereinen steht für einen an individuellen Charakterzügen orientierten Umgang miteinander. Horch (1992: 47) beschreibt dieses Merkmal als Gegensatz zu deutlicher regulierten und differenzierten, also spezialisierten und standardisierten Umgangsformen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass Anwärter und Anwärterinnen auf ehrenamtliche Funktionen vor allem aus der Organisation selbst kommen, weil die Funktionen mit ihren Anforderungen den Organisationsmitgliedern bekannt sind. Dadurch sind gute Möglichkeiten für die Entstehung von Vertrauen in persönlicher und fachlicher Art gegeben. Gleichzeitig wird aufgrund einer damit möglicherweise zusammenhängender Intransparenz Externen der Zugang erschwert. Vor dem Hintergrund dieser Argumentation ist auch die Frage nach den Gründen für die Ausübung einer ehrenamtlichen Funktion dem Strukturmerkmal Personalisierung zuzuordnen. Es wird hier nach verschiedenen Gründen gefragt, wobei man grob zwischen eher personifizierten Gründen wie „persönliches Ansehen“ und eher strukturellen Gründen wie „Vertretung von Jung und Alt“ unterscheiden kann. Die Personalisierung der Organisationsstruktur von Vereinen lässt im Antwortverhalten der Vereine eine Dominanz der personifizierten Gründe erwarten. Drittens wird bei dem Strukturmerkmal Interaktionsverfestigung davon ausgegangen, dass Tätigkeitsabläufe, Kommunikationsformen und andere relevante Momente alltäglicher Formen des Zusammenwirkens in einer Organisation mehrheitlich im Miteinander ad hoc ausgehandelt werden und sich auf diese Art etablieren. Sie sind also weniger deutlich formalisiert. Diesem Strukturmerkmal wurde die Frage nach dem Bemühen um junge Frauen für ehrenamtliche Funktionen und jene nach einer Beachtung der Altersdurchmischung unter den Personen mit ehrenamtlichen Funktionen zugeordnet. Es kann eine Frage des Umgangs miteinander und des gegenseitigen Aushandelns untereinander sein, ob auf bestimmte Dinge geachtet wird oder nicht. Interaktionsverfestigung meint dann beispielsweise, dass man sich um Personen für ehrenamtliche Funktionen auch aus Gründen subjektiver Situationsdefinitionen heraus bemüht. Dieser private Charakterzug spricht für ein informelles Übereinkommen, das zur Auswahl passender Personen für die Ämter führt. Dieses kann mit je unterschiedlichen Zielen verknüpft sein, wobei hier das Beispiel „Bemühen um junge Frauen“ nur eines von mehreren ist. Gleiches gilt für die Aufmerksamkeit gegenüber einer Altersdurchmischung: Ob eine solche Orientierung Beachtung findet, ist nicht festgelegt, sondern eine Entscheidung der Präferenzen in den Orientierungen der Organisationsmitglieder. Viertens sind in die Kategorie Formalisierung Merkmale aufgenommen worden, die der Nachwuchsarbeit einen verbindlichen, d.h. teilweise formal regulierten Charakter geben. Das Strukturmerkmal Formalisierung bezieht sich nach den Erkennt-
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 213
nissen der Organisationsforschung auf die konkrete Festlegung von organisationsinternen Regeln. Mit den hier zugeordneten Fragen wird davon ausgegangen, dass Vereine sehr verschieden sind. Eine stärkere Professionalisierung im Sinne von Beschäftigung, Finanzvolumen und Tätigkeitsfeld wird damit nicht ausgeschlossen. Grundsätzlich agieren Vereine trotz ihrer Bezüge zu Freiwilligkeit, Demokratie und Engagement nicht regellos. Das beste Beispiel hierfür ist die Satzung, über die jeder Verein verfügt und in der bestimmte Grundsätze festgelegt sind. Insofern ist die Frage nach den konkreten Formen der Mitglieder- und Engagiertengewinnung darauf gerichtet, zu erfahren, inwiefern Mitglieder und Engagierte geplant und durch im Vorfeld getroffene Abmachungen geworben werden. Die Frage nach dem Vorhandensein von Zielgruppen bei der Werbung von Mitgliedern, Engagierten und Ehrenamtlichen ordnet sich ebenfalls durch ihren gezielten Charakter in diese Kategorie ein. Mit der Frage sollen Informationen darüber gewonnen werden, ob mit Zielgruppen bei den Werbeaktivitäten gearbeitet wird – und wenn ja, um welche Zielgruppen es sich handelt. Ein Zielgruppenverständnis bedeutet, eine feste Vorstellung davon zu haben, wer in den Verein kommen soll. Gleiches gilt für die Frage nach dem Vorhandensein eines altersbezogenen Stimmrechts für Mitglieder oder für die Frage nach dem Vorhandensein formaler Regelungen zur Förderung junger Menschen. Der Fokus liegt stets auf der Bestimmung des Formalisierungsgrads im Verein in Bezug auf seine Nachwuchsaktivitäten. Die Frage nach einer gezielten Förderung von Aufstiegsmöglichkeiten junger Menschen in einer zivilgesellschaftlichen Organisation bzw. in einem Verein geht von dem Gedanken aus, dass man den engagierten Nachwuchs systematisch durch Begleitung fördern kann. Maßgebend ist dabei die Vorstellung von Karrieren in der Organisation, die mit einer Mitgliedschaft beginnen und sich in einem allgemeinen Engagement sowie in der Übernahme einer ehrenamtlichen Funktion fortsetzen. Ein so gedachter Aufstieg kann personelle Unterstützung erfordern. Fünftens gehören zur Merkmalskategorie Spezialisierung Fragen, die auf den Grad der Arbeitsteilung eingehen. Hierzu zählt z.B. die Frage nach einer finanziellen Unterstützung durch Dachverbände für die Nachwuchsarbeit oder die Frage nach dem Vorhandensein von Qualifikationsangeboten mit oder ohne Zielgruppen hierfür. Erstere geht davon aus, dass Dachverbände eine Teilverantwortung für die ihnen angehörigen Mitgliedsorganisationen übernehmen. Aufgaben, die dadurch für die Dachorganisationen anfallen, betreffen die Repräsentation und Weiterentwicklung der Organisationen. So gesehen fällt die Nachwuchsarbeit als ein auf den Verein bezogenes Existenzziel darunter. Dass Dachorganisationen ihre Mitgliedsorganisationen bei diesen Aktivitäten entlasten, ist als Ausdruck einer Aufteilung der hierfür erforderlichen Arbeitsaufgaben zu interpretieren. Etwas anders verhält es sich mit der Qualifizierungsfrage. Personen oder auch Engagierte werden qualifiziert, um sie zu bestimmten Tätigkeiten zu befähigen. Qualifikationsangebote sind also eine Art Vorstufe für angestrebte Spezialisierungen, die nach Zielgruppen ausgerichtet werden können, um die Passfähigkeit zwischen Bedarf, Angebot und Nachfrage besser abstimmen zu können. Aus diesem Grund wurden die Fragen nach dem Vorhandensein
214 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
von Qualifikationsangeboten dem Strukturmerkmal Spezialisierung zugeordnet. Durch die Zusammenführung von organisations- bzw. vereinsspezifischen Strukturmerkmalen und den empirischen Erhebungsmerkmalen zur Nachwuchsarbeit in Vereinen wird das Passungsverhältnis beleuchtet. Das Ziel besteht in einer Überprüfung der Strukturmerkmale von Vereinen anhand der Nachwuchsthematik. Die Ergebnisse hierzu werden in den folgenden Abschnitten dargestellt.
4.5.2.2 Selbstbestimmung und Führung Jugendgremien: eine eigene Struktureinheit für junge Menschen Zu den strukturellen Orten, an denen sich Mitsprache und Mitbestimmung für junge Menschen realisieren, gehören die Mitgliederversammlung, Ausschüsse und spezielle Jugendgremien, beispielsweise eine Jugendversammlung. In speziellen Jugendgremien können junge Menschen ihre Interessen artikulieren, da sie einen eigenständigen Diskussionsrahmen bieten. Die Meinungen und Belange älterer Mitglieder stehen den Positionen der jüngeren Mitglieder bei einem ersten Meinungsbildungsprozess nicht im Weg. Solche Plattformen können ganz verschiedene Formen annehmen und sind durchaus auch in kleineren Organisationen denkbar. Ein knappes Viertel (23 %) der Vereine und 3 Prozent der Genossenschaften verfügen über ein eigenes Gremium für junge Menschen. Derartige Jugendforen sind nicht an das Merkmal Mitglied gebunden. Insofern können sie auch in nicht mitgliederorientierten Organisationen vorkommen. In der Praxis ist dies jedoch kaum der Fall: Gerade einmal 9 Prozent der gGmbHs und nur 3 Prozent der Stiftungen bieten ein eigenes Gremium für junge Menschen an. In zahlreichen Organisationen gibt es demnach kein eigenes Jugendgremium. Junge Menschen finden in dieser Hinsicht in der Mehrheit der Organisationen keine spezifischen Orte, an denen sie in einem eigenen Willensbildungsprozess ihre Anliegen formulieren und entsprechende Maßnahmen zu deren Durchsetzung initiieren können. Stimmberechtigung von Mitgliedern nach Alter Mitgliederorganisationen zeichnen sich durch das Stimmrecht des Mitglieds aus; es steht für die formale Möglichkeit zur Mitbestimmung. Nicht umsonst gelten die Organisationen als „Schule der Demokratie“ (vgl. Zimmer 2007: 78 f.). Eigeninitiative, Partizipation und Selbstverwaltung sind Stichworte, die in diesem Zusammenhang oft fallen. Im Rahmen der Mitgliederversammlung, die gemäß der jeweiligen Satzung der Organisation in einem bestimmten Turnus erfolgt, hat jedes Mitglied formal die Chance, sich in grundlegende und wichtige organisationsrelevante Entscheidungen einzubringen. Dadurch kommt es zum Meinungsaustausch, zu Diskussionen, zu einer Interessenartikulation und zur verbalen Austragung von Konflikten.
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 215
Die Sicherung der Chancen zur Beteiligung und Mitbestimmung erfordert eine bestimmte Festlegung. In der Organisationserhebung wurde deshalb nach dem Alter gefragt, mit dem man als Mitglied in der Mitgliederversammlung stimmberechtigt ist. In den entsprechenden Vereinbarungen drückt sich ein Stück weit das Vertrauen aus, das die Organisationen jungen Menschen und ihren Reflexions- sowie Urteilskompetenzen entgegenbringen. Das formal geregelte Mitbestimmungsrecht ist ein deutliches Angebot zur aktiven Beteiligung. Die Frage, ab welchem Alter Mitglieder in Vereinen und Genossenschaften stimmberechtigt sind, findet zwei Antworten: Zum einen liegt bei 42 Prozent der Vereine und bei 33 Prozent der Genossenschaften keine formale Regelung zum stimmberechtigten Alter in der Mitgliederversammlung vor (vgl. Tab. 4.18). Ein nennenswerter Anteil von Organisationen verfügt demnach über keine entsprechenden Festlegungen. Sachverhalte, die nicht klar geregelt sind, bergen bestimmte Risiken. Organisationen ohne eine Vereinbarung zum stimmberechtigten Alter in der Mitgliederversammlung zeigen jungen Menschen diese Option zur Mitsprache erst gar nicht auf und können ihnen in dieser Hinsicht kein Angebot kommunizieren. Junge Mitglieder wissen folglich nicht, ab welchem Alter sie mitreden dürfen, und fühlen sich nicht angesprochen. Das damit einhergehende Unwissen und die Uninformiertheit bergen die Gefahr des Rückzugs junger Menschen aus dem Vereins- oder Genossenschaftsleben. Zum anderen gibt ein Großteil der Organisationen, die eine Regelung zum stimmberechtigten Alter in der Mitgliederversammlung haben, das entsprechende Alter mit 18 Jahren an (vgl. Tabelle 4.16). Diese Ergebnisse machen deutlich, dass sich die Organisationen bei der Festlegung des stimmberechtigten Alters in der Mitgliederversammlung an der juristischen Volljährigkeit einer Person orientieren (vgl. Deutscher Bundestag 1991). Auf Bundesebene – in vielen Fällen aber auch auf kommunaler Ebene – ist eine natürliche Person deshalb ab dem 18. Lebensjahr wahlberechtigt. Tab. 4.16: Organisationen mit Regelung zum stimmberechtigten Alter in der Mitgliederversammlung nach Rechtsform (in %) Verein Formale Regelung vorhanden
Genossenschaft
58
67
Ab 14 Jahre
6
–
Ab 16 Jahre
20
1
Ab 18 Jahre
70
98
Ab 21 Jahre
4
1
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
216 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Aufgrund des schwindenden demografischen Gewichts der jungen Generation und ihres damit in einer demokratischen Gesellschaft abnehmenden politischen Einflusses wird jedoch bereits seit einiger Zeit die Frage nach der Absenkung des Mindestwahlalters diskutiert (vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012: 15). Immerhin erklären laut Organisationserhebung 20 Prozent der Vereine, dass sie ihren Mitgliedern ab 16 Jahren ein Stimmrecht in der Mitgliederversammlung gewähren. Fasst man die Varianten Stimmrecht und Jugendgremium als institutionalisierte Formen der Mitsprache zusammen, gestaltet sich die Situation für junge Menschen in den Organisationen gegenwärtig nur zum Teil partizipationsfreundlich. Insbesondere das Fehlen von Regelungen zum stimmberechtigten Alter und von Jugendgremien ist in dem vorhandenen beschränkten Umfang als Defizit zu werten. Ein aktives Mitspracherecht für junge Menschen in den Organisationen bedarf folglich einer stärkeren Verbreitung dieser Formen. Mitsprachemöglichkeiten für aktive Nichtmitglieder Eine Mitgliedschaft ist eine Option, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Sie gibt jedem Einzelnen ein konkret formuliertes Recht auf Mitbestimmung. Es sind jedoch durchaus junge Menschen zu finden, die über keine Mitgliedschaft verfügen, diese aus unterschiedlichen Gründen nicht haben und auch nicht anstreben. Dazu zählt, dass eine Mitgliedschaft zumeist mit einem gewissen Grad an Verbindlichkeit verbunden ist, den Jugendliche in ihrer aktuellen Lebensphase, die durch starke Flexibilitätsansprüche gekennzeichnet ist, nicht immer eingehen können oder wollen. Um Menschen auch ohne Mitgliedschaft die Möglichkeit zur aktiven Mitsprache zu geben, können die Organisationen Mitsprachegelegenheiten für Nichtmitglieder schaffen. Damit leisten sie einen Beitrag zur Stärkung der Beteiligung dieser Gruppe. Zudem ist über solche Angebote die Bindung eines breiteren Personenkreises an die Organisationen möglich, der später beispielsweise für eine Mitgliedschaft gewonnen oder wegen der Besetzung ehrenamtlicher Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen angesprochen werden kann. In der Organisationserhebung wurden die Optionen zur Mitsprache und Mitentscheidung für in der Organisation aktive Nichtmitglieder gesondert erfragt. Grundsätzlich gibt es in fast allen Vereinen und Genossenschaften Beteiligungsmöglichkeiten für Nichtmitglieder. Es kommt kaum vor, dass die Organisationen dieser Gruppe keine Mitsprachemöglichkeiten anbieten (vgl. Tabelle 4.17).
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 217
Tab. 4.17: Möglichkeiten zur Mitsprache und Mitentscheidung für aktive Nichtmitglieder nach Rechtsform (in %) Verein
Genossenschaft
Teilnahme an Mitgliederversammlung
78
90
Mitwirkung Gremienarbeit
45
29
Vorschläge für Personal in ehrenamtlichen Funktionen einbringen
41
43
Diskussionsteilnahme an strategischen Fragen
39
30
Informelle Mitwirkung (z.B. Fördermitgliedschaft)
40
13
Zugang zu organisationsinternen Informationen
34
30
Beteiligung an organisationswirksamen Entscheidungen
21
15
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); Mehrfachnennungen möglich; eigene Berechnung.
Vor allem Vereine bieten Nichtmitgliedern verschiedene Möglichkeiten der Mitsprache. Die Genossenschaften hingegen sind in ihrer Angebotspalette etwas restriktiver. Die Teilnahme an der Mitgliederversammlung ist Nichtmitgliedern sowohl in Vereinen (78 %) als auch in Genossenschaften (90 %) mehrheitlich erlaubt. Je mehr Verantwortung und Einflusspotenzial jedoch mit der Mitsprachemöglichkeit verbunden sind, desto zurückhaltender räumen die Organisationen Nichtmitgliedern bestimmte Rechte und Pflichten ein. Von den Vereinen geben zwar 45 Prozent an, Nichtmitglieder könnten an der Gremienarbeit mitwirken, der Zugang zu organisationsinternen Informationen (34 %) und die Beteiligung an organisationswirksamen Entscheidungen (21 %) werden ihnen jedoch von einem deutlich geringeren Anteil der Vereine gewährt. Ein ähnliches Muster ist bei den Genossenschaften zu erkennen: Von ihnen beteiligen sogar nur 29 Prozent Nichtmitglieder an der Gremienarbeit. Einerseits ist unschwer nachvollziehbar, dass Nichtmitgliedern bestimmte Mitbestimmungsrechte vorenthalten werden. Im Einzelfall kann dies der Abgrenzung zu den Rechten und Pflichten der Mitglieder dienen: Eine Mitgliedschaft steht für eine besondere Identifikation mit bestimmten Zielen und Anliegen der Organisation sowie für die mit ihr verbundenen Sonderrechte, beispielsweise die Beteiligung an organisationsrelevanten Entscheidungen. Entzieht man den Mitgliedern diese Formen der Begünstigung, besteht die Gefahr, dass die Mitgliedschaft zumindest hinsichtlich der Partizipation ihres Sinnes entleert wird. Andererseits ist zu fragen, ob es sich Vereine und Genossenschaften, die in der großen Mehrheit Schwierigkeiten haben, Engagierte zu finden und ihre ehrenamtlichen Funktionen zu besetzen, erlauben können, in zentralen Belangen der Beteili-
218 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
gungsrechte zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern einen Unterschied zu machen (Priller et al. 2013: 23). Die Stärkung der Jugendbeteiligung und die Förderung des engagierten Nachwuchses werden durch solche Zugangsschranken eher erschwert. Internetangebote Angesichts der großen Bedeutung unterschiedlicher Medienquellen im Leben junger Menschen wurden die Organisationen in der Erhebung zu ihren Internetangeboten im Engagement befragt. Ein Weg, Medien im Engagement einzusetzen, ist die Verbindung von Internet und Engagement. Generell wird den Organisationen des Dritten Sektors eine gewisse Technikferne nachgesagt, mit der Folge, dass neue digitale Varianten zur Engagementförderung nicht in großem Umfang genutzt werden (vgl. Deppe 2011; Deeg 2012). Die Organisationen wurden gefragt, ob sie über internetbasierte Engagementangebote verfügen. Im Einzelnen sind die Optionen zum Engagement über Homepages und soziale Netzwerke, über E-Mail, virtuelle Arbeitsplattformen wie Doodle oder über Telefon-, Web- oder Videokonferenzen ermittelt worden. Die beiden letztgenannten Formen haben insbesondere im Zusammenhang mit der Nachwuchsproblematik für ehrenamtliche Leitungs- und Gremientätigkeiten Bedeutung – dies vor dem Hintergrund, dass junge Menschen auch aus Gründen einer zunehmenden Mobilität davon abgehalten werden können, ehrenamtliche Funktionen zu übernehmen (vgl. Picot 2012: 87 ff.). Bei den Organisationen existieren in unterschiedlichem Maße Angebote, sich über das Internet zu engagieren (vgl. Tabelle 4.18). Tab. 4.18: Anteil der Organisationen mit Internetangeboten (in %) Verein
gGmbH
Genossenschaft
Stiftung
Internetangebote vorhanden
74
61
52
39
Homepage, soziale Netzwerke und andere Foren
79
81
66
77
E-Mail
66
60
69
67
Telefon-, Web- oder Videokonferenz
15
17
16
17
Virtuelle Arbeitsplattformen, z.B. Doodle
14
12
16
5
6
7
1
6
Sonstiges
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); Mehrfachnennungen möglich; eigene Berechnung.
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 219
Bei der Mehrheit der Vereine (74 %), gut der Hälfte der gGmbHs (61 %) und der Genossenschaften (52 %) sowie bei mehr als einem Drittel der Stiftungen (39 %) wird das Internet im Engagement eingesetzt. Internetbasierte Engagementmöglichkeiten existieren in Vereinen, gGmbHs, Genossenschaften und Stiftungen hauptsächlich in zwei Formen: Hierzu zählt zum einen das Engagement über die Homepage, soziale Netzwerke und andere Foren sowie zum anderen über E-Mail. Obgleich das netzbasierte Nutzungsverhalten junger Menschen durch den Zugriff auf E-Mail und Accounts sozialer Netzwerke als überwiegend passiv-rezipierend gilt, gehen die Organisationen in ihren Angeboten einen Schritt weiter. Beiträge für spezielle Foren oder in sozialen Netzwerken im Engagement zu leisten wird als ein aktiv-produzierendes Internetverhalten beschrieben. Die Konzentration der Organisationen auf einzelne, bereits hinlänglich bekannte internetbasierte Engagementformen spricht jedoch für eine gewisse einseitige Ausrichtung. Die Nutzung des Internets erfolgt offenbar primär zu Kommunikations- und Informationszwecken. Dieses Ergebnis wurde auch für die Jugendverbände festgestellt, die das Internet kaum zur Diskussion oder aus partizipativen Gründen einsetzen (vgl. Lange/Wehmeyer 2014: 147). Virtuelle Arbeitsplattformen oder webbasierte Konferenzinstrumente gehören bislang nur begrenzt zum Repertoire der Organisationen. Diese internetbasierten Engagementformen haben einen besonders stark ausgeprägten aktiv-partizipativen Charakter; zudem ist über sie ein Engagement ortsungebunden möglich. Diese spezielle Eigenschaft ist nicht für jede Art des Engagements sinnvoll und geeignet. Sie kann aber insbesondere für jene Organisationen, die Schwierigkeiten bei der Besetzung ihrer ehrenamtlichen Organe und Gremien haben, von Bedeutung sein, um den Kreis, an einem Engagement Interessierter, zu erweitern. Mit dem Dienst Doodle können Termine koordiniert werden, Skype stellt eine Variante für Video- und Telefonkonferenzen dar. Gerade unter dem Gesichtspunkt der erhöhten Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen sind Wege zu finden, wie die mit den Ehrenämtern verbundenen Aufgaben flexibler zu gestalten sind. Virtuelle Arbeitsplatt- oder Konferenzformen, die dem gezielten Austausch von Informationen und Inhalten sowie ihrer Planung und Koordinierung dienen, ermöglichen Engagierten trotz räumlicher Distanzen oder knapper Zeitressourcen, miteinander in Kontakt zu sein. Sie unterstützen die Engagierten darin, die für ihre Tätigkeit wichtigen Inhalte über eine räumliche Entfernung hinweg zu kommunizieren. Vor diesem Hintergrund ist eine kritische Reflexion der internetbasierten Engagementmöglichkeiten seitens der Organisationen unerlässlich. Ziel ist es, auch für das ehrenamtliche Engagement Rahmenbedingungen in den Organisationen zu schaffen, die den Dynamiken in anderen Lebensbereichen (z.B. im Beruf) entsprechen.
220 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Strukturmerkmal: Hierarchien Das Vorhandensein von Hierarchien gilt als ein grundlegendes Charakteristikum von Organisationen. Durch sie kommt es zu einer klaren Zuweisung von Aufgaben an einzelne Struktureinheiten, was dazu beiträgt, das jeweilige Organisationsziel zu erreichen (vgl. Irle 1976: 194). Dem haftet als solches also nichts Nachteiliges, sondern eine effizienzfördernde Notwendigkeit an. In Bezug auf die Einbindung junger Menschen sind Hierarchien jedoch nicht nur förderlich. Denn bestehende Hierarchien altern mit den Organisationen. Junge Menschen erhalten bei den dadurch entstehenden verfestigten Strukturen und von den in ihnen dominierenden Personen möglicherweise das Signal „Wir sind alt und bestimmen“. Gerade auch das Fehlen von Jugendgremien oder sonstigen Plattformen zur Meinungsbildung junger Menschen stellt die Ausgewogenheit und Zukunftsorientierung der bestehenden hierarchischen Strukturen in Frage. Befragt man die Organisationen nach strukturellen Veränderungen, die sie in den letzten Jahren vorgenommen haben, ist festzustellen, dass diese in nur sehr eingeschränktem Maße durchgeführt wurden: Bei 90 Prozent der Organisationen erfolgte seit dem Jahr 2005 kein Abbau von Hierarchieebenen. Eine stärkere Offenheit für strukturelle Veränderungen in Bezug auf die Einrichtung eines Jugendgremiums würde eine Reflexion der bestehenden Hierarchien nach sich ziehen. Eigene Jugendorganisationen Das Vorhandensein einer Jugendorganisation ist für das Engagement junger Menschen in den Organisationen von wesentlicher Bedeutung. Durch ihre Existenz besteht die Option, die dort angesiedelte Jugendarbeit für die bessere Integration junger Menschen in die Organisation nutzbar zu machen. Gemäß den Ergebnissen der Organisationsbefragung verfügen ausschließlich Vereine über eigene Jugendorganisationen (22 %). Eine Jugendorganisation zu unterhalten birgt bei der Einbindung junger Menschen Vorteile, bedeutet aber auch, über bestimmte Ressourcen verfügen und diese entsprechend einsetzen zu müssen. Gemessen an den jährlichen finanziellen Gesamteinnahmen der Vereine sind deren Möglichkeiten in dieser Hinsicht jedoch eher gering (vgl. Priller et al. 2013: 40). Insofern sind die hier vorhandenen Aktivitäten der Vereine nur begrenzt ausbaufähig. Im Rahmen der Nachwuchsarbeit ist vielmehr die Frage nach dem Umgang mit den vorhandenen Strukturen weiterführend. Vereine, die ein Problem haben, Engagierte für die Organisationsarbeit zu finden, jedoch über eine Jugendorganisation verfügen, sollten das dort bestehende Engagementpotenzial auf eine Verwendbarkeit für ihre Zwecke prüfen.
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 221
4.5.2.3 Personalisierung Zugangswege zu ehrenamtlichen Funktionen Die Ursachen für das Nichtvorhandensein junger Menschen in ehrenamtlich geführten Organen und Gremien sind auf vielfältige Ursachen zurückzuführen. Die Zugangswege zu den entsprechenden Positionen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Wie gelangen Personen in ehrenamtliche Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen? Diese Frage wurde den Organisationen in der Organisationserhebung gestellt, um sowohl einen Eindruck von den vorhandenen Zugangsoptionen als auch von den Schließmechanismen zu bekommen, die es jungen Menschen erschweren oder sie sogar daran hindern, ehrenamtliche Positionen zu erreichen. Es wurde erfragt, ob der Zugang zu ehrenamtlichen Funktionen hauptsächlich über die internen Strukturen der Organisationen erfolgt oder ob bei den Zugangswegen auch eine gewisse Offenheit und Bereitschaft vorhanden ist, die ehrenamtlichen Funktionen mit interessierten Personen von außen zu besetzen. Die Angaben aus der Organisationserhebung vermitteln ein Bild, das zwischen den Rechtsformen zivilgesellschaftlicher Organisationen stark variiert. Deshalb bietet sich eine rechtsformspezifische Betrachtung an. Zunächst wird dabei auf die personelle Besetzung der ehrenamtlichen Leitungen eingegangen. Die Unterschiede sind beträchtlich und betonen eine deutlich voneinander abweichende Praxis in den Rechtsformen (vgl. Tabelle 4.19). In den Mitgliederorganisationen (Vereine und Genossenschaften) besteht eine eindeutige Tendenz, die ehrenamtlichen Leitungsfunktionen über interne Wege zu besetzen. Bei den Vereinen betrifft dies die ehrenamtlich agierenden Vorstände und Geschäftsführungspositionen, bei den Genossenschaften nur die Vorstände. Von den befragten Vereinen gaben 79 Prozent und von den Genossenschaften 70 Prozent an, dass die entsprechenden Personen aus der Organisation selbst kommen. Tab. 4.19: Zugangswege zu ehrenamtlichen Leitungsfunktionen nach Rechtsform (in %) Verein Aus der Organisation Von außen Beides kommt vor
gGmbH
Genossenschaft
Stiftung
79
47
70
30
5
23
10
48
16
30
20
22
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
222 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Die Vereine und Genossenschaften konzentrieren sich demzufolge bei der Neubesetzung der ehrenamtlichen Funktionen in hohem Maße auf Personen, die in der Organisation Mitglied sind oder sich dort bereits engagieren. Diese traditionellen Zugangsformen haben in Mitgliederorganisationen durchaus ihre Berechtigung: Die Mitglieder sind ihrer Organisation oft über längere Zeit eng verbunden und an deren Entscheidungen, Tätigkeiten und Aktivitäten beteiligt, häufig haben sie sich bereits ehrenamtlich engagiert, weshalb sie mit den vorhandenen Strukturen vertraut sind. Die Organisationen nutzen im Rückgriff auf diese Personen also ihre eigenen Ressourcen. Wenn junge Menschen jedoch nur begrenzt in der Rolle des Mitglieds oder des Engagierten in Erscheinung treten, haben sie keine oder nur geringe Chancen, in ehrenamtliche Führungspositionen zu gelangen. Die Nachwuchssituation der Organisationen gibt mit Nachdruck Anlass, die herkömmlichen Besetzungsverfahren zu überdenken. Vereine (5 %) und Genossenschaften (10 %), bei denen die Personen in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen von außen oder sowohl über interne als auch über externe Wege in die Organisationen gelangen (Vereine 16 %, Genossenschaften 10 %), könnten die Zeichen der Zeit bereits erkannt haben und zeigen, dass eine Außenorientierung möglich ist. Zumindest sind sie eher bereit, Personen, die bislang nicht in die Organisation involviert waren, in ehrenamtliche Leitungsfunktionen zu berufen. Für Stiftungen (30 %) und gGmbHs (47 %) ist die Fokussierung auf interne Rekrutierungsstrategien in einem eingeschränkteren Maße nachzuweisen. Aufgrund fehlender Mitglieder haben sie im Vergleich zu den Vereinen und Genossenschaften nicht dieselben Möglichkeiten. Im Unterschied zu den gGmbHs ist das Engagement der Stiftungen stark durch das Vorhandensein ehrenamtlicher Leitungsfunktionen geprägt; im Einzelnen betrifft dies die Vorstände und Geschäftsführungen. Um diese Positionen besetzen zu können, sind die Stiftungen darauf angewiesen, Personen von außen anzusprechen (48 %) oder zumindest sowohl interne als auch externe Rekrutierungsmöglichkeiten in Erwägung zu ziehen (23 %). Bei ihnen ist es eher üblich, dass der Kreis der Personen, der in den ehrenamtlichen Vorstand gelangt, sehr überschaubar und sorgsam ausgewählt ist. Da bei den gGmbHs Leitungspositionen zumeist hauptamtlich besetzt werden, ist die Frage nach den Zugangswegen zu ehrenamtlichen Leitungsfunktionen weniger bedeutsam; sie spielt vornehmlich bei den Aufsichts- und Beratungsfunktionen eine Rolle. Bei der Auswahl der Personen für ehrenamtliche Aufsichts- und Beratungsfunktionen unterscheiden sich die einzelnen Rechtsformen ebenfalls gravierend (vgl. Tabelle 4.20).
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 223
Tab. 4.20: Zugangswege zu ehrenamtlichen Aufsichts- und Beratungsfunktionen nach Rechtsform (in %) Verein Aus der Organisation Von außen Beides kommt vor
gGmbH
Genossenschaft
Stiftung
67
31
62
13
9
36
12
52
24
33
26
35
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Wenn es bei den Organisationen um die Besetzung dieser Positionen geht, betrifft das bei den Vereinen die Ausschüsse und Arbeitskreise und in Einzelfällen Präsidien, bei den gGmbHs und Genossenschaften die Aufsichtsräte und bei den Stiftungen die Kuratorien und Stiftungsräte. Was die Zugangswege betrifft, sind bei den Vereinen und den Genossenschaften abermals sehr große Ähnlichkeiten zu konstatieren. Wie bei den Leitungsfunktionen besetzen die Mitgliederorganisationen ihre ehrenamtlichen Aufsichts- und Beratungsfunktionen überwiegend auf internem Weg. Anteilig sind aber sichtbar sowohl mehr Vereine (24 %) als auch mehr Genossenschaften (26 %) bereit, ebenso Personen von innen wie auch von außen mit ehrenamtlichen Aufgaben zu betrauen oder diese ausschließlich von außen zu gewinnen (9 % Vereine, 12 % Genossenschaften). Da Vereine und Genossenschaften daran interessiert sein sollten, ihre Ausschüsse und Aufsichtsräte zu verjüngen, ist die Ansprache externer Personen für diese Aufgaben ein durchaus gangbarer Weg. Dies kann gelingen, wenn sie ihre Aufmerksamkeit hierbei gezielt auf jüngere Menschen richten. Bei den gGmbHs sind die Zugangswege zu den Aufsichts- und Beratungsfunktionen zu fast gleichen Teilen aufgeteilt. Rund je ein Drittel der Organisationen gibt an, ihre Aufsichtsräte mit Personen aus der Organisation (31 %) oder mit Personen von außen (36 %) zu besetzen bzw. beide Optionen (33 %) zu nutzen. Da die gGmbHs, wie sich bereits zeigte, in der Regel mit jungen Engagierten zusammenarbeiten, diese aber in ihren Aufsichts- und Beratungsfunktionen bisher eher fehlen, bietet sich der kombinierte Zugangsweg weiterhin verstärkt (von außen und von innen) an. Bei den Stiftungen erfolgt die Besetzung ihrer ehrenamtlich geführten Kuratorien und Stiftungsräte in einem noch stärkeren Maße durch Personen von außen, als dies auf die Leitung zutrifft. Berücksichtigt man jedoch die Angaben der Stiftungen zum Alter der jüngsten Person in ihren ehrenamtlichen Aufsichts- und Beratungsfunktionen und zu den Anteilen der 14- bis 30-Jährigen an diesen Positionen, ist nicht davon auszugehen, dass die Außenorientierung junge Menschen in besonderem Maße einschließt. Für einen Großteil der Organisationen besteht die Möglichkeit, die Zugangswege zu ihren ehrenamtlichen Organen und Gremien zu überdenken. In jedem Fall sollten
224 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Organisationen mit Schwierigkeiten bei der ehrenamtlichen Nachfolgeplanung den 14- bis 30-Jährigen eine erhöhte Aufmerksamkeit schenken und dabei eine Außenorientierung bei der Anwerbung von Nachwuchs in Betracht ziehen. Gründe für die Besetzung ehrenamtlicher Funktionen Fragt man die Organisationen, warum Personen in die ehrenamtlichen Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen gelangen, nennen die meisten Vereine als wichtigsten Grund: „Einer muss es ja machen“ (28 %). Für die gGmbHs sind „nützliche Kontakte“ am bedeutsamsten (15 %), bei den Genossenschaften wiederum ist es vor allem das „persönliche Ansehen“ (17 %). Die Stiftungen geben vor allem die „fachliche Kompetenz“ als wichtigsten Grund für die Entscheidung an, wer in die genannten Funktionen kommt (28 %). Neben dem wichtigsten Grund wurde auch nach allgemeinen Motiven gefragt. Unabhängig von der Rechtsform werden hier hauptsächlich nützliche Kontakte, das persönliche Ansehen und die fachliche Kompetenz genannt. Den Jugendanteil in den ehrenamtlichen Funktionen zu sichern, eine ausgewogene Vertretung von Jung und Alt bei diesen zu gewährleisten oder die Präsenz von Frauen in diesen zu stärken, spielt bei den Organisationen so gut wie keine Rolle. Die ehrenamtlichen Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen werden also nicht vordergründig aus Motiven der Sicherung des Nachwuchses besetzt. Vielmehr erfolgt die Besetzung aus Gründen, die an persönliche Eigenschaften der Funktionsträger gebunden sind. Gleichzeitig Nachwuchsprobleme zu haben steht hierzu auf den ersten Blick im Widerspruch. Es ist deshalb anzunehmen, dass die angegebenen Gründe nicht immer bewusst gewählt werden; sie sollten die Organisationen also zum Nachdenken anregen. Dadurch können bestimmte Mechanismen, die zur Besetzung der ehrenamtlichen Funktionen führen, auf ihre Bedeutung für die Situation junger Menschen in den Organisationen überprüft werden.
4.5.2.4 Interaktionsverfestigung Ehrenamtliche Organe und Gremien: Altersdurchmischung und junge Frauen Die Organisationen sind sich ihrer problematischen Situation bei der personalbezogenen Besetzung der ehrenamtlichen Organe und Gremien durchaus bewusst. Es sind von daher bestimmte tradierte Einstellungen und Handlungsmuster zu überprüfen, die mit einer offen angelegten Nachwuchsarbeit nur schwer vereinbar sind. Offen bedeutet, sich einzelnen Gruppen und Themen auch dann zuzuwenden, wenn dies nicht der bisher gängigen Praxis entspricht. Damit einher geht die Bereitschaft, mögliche Veränderungen bestehender Sichtweisen zu akzeptieren. Beispielhaft hierfür steht die Aufmerksamkeit für eine ausgewogene Altersdurchmischung in den ehrenamtlich geführten Organen und Gremien, denn es ist von den Ergebnissen zur Betei-
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 225
ligung junger Menschen an diesen nicht davon auszugehen, dass eine solche Aufmerksamkeit selbstverständlich ist. Ebenso wichtig ist es, sich verstärkt um junge Frauen für die ehrenamtlichen Funktionen zu bemühen. Die Relevanz hierfür lässt sich folgendermaßen herleiten: Folgend den Angaben des Freiwilligensurveys 2014 sind 14- bis 29-jährige engagierte Frauen (19 %) gegenüber den Männern derselben Altersgruppe (22 %) in Leitungsfunktionen im Engagement zu geringeren Anteilen vertreten (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016b: 150). Frauen dieses Alters bilden demnach durchaus eine besondere Ressource für die genannten Positionen. Die Ergebnisse der Organisationserhebung sprechen jedoch nicht dafür, dass junge Frauen von den Organisationen als Nachwuchspotenzial zur Besetzung der ehrenamtlichen Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen erkannt wurden – gerade einmal 30 Prozent der Vereine und noch geringere Anteile der gGmbHs, Genossenschaften und Stiftungen bemühen sich um sie (vgl. Tabelle 4.21). Wenn die Organisationen nicht beginnen, sich stärker um diese Gruppe zu bemühen, werden Frauen in Zukunft möglicherweise in einem noch stärkeren Umfang in den Leitungs, Aufsichts- und Beratungsfunktionen fehlen. Zwar geben immerhin 43 Prozent der Vereine, 31 Prozent der gGmbHs, 39 Prozent der Genossenschaften und 20 Prozent der Stiftungen an, auf eine ausgewogene Altersdurchmischung bei der Besetzung der ehrenamtlichen Organe und Gremien zu achten. Angemessen wäre jedoch, dass alle Organisationen, die Probleme haben, Nachwuchs für diese Positionen zu finden, diesem Aspekt Aufmerksamkeit schenken. Tab. 4.21: Bemühung um Altersdurchmischung und Berücksichtigung junger Frauen bei der Besetzung ehrenamtlicher Funktionen nach Rechtsform (in %) Verein
gGmbH
Genossenschaft
Stiftung*
Ja, wir bemühen uns um junge Frauen für ehrenamtliche Funktionen
30
15
19
5
Ja, wir beachten eine ausgewogene Altersdurchmischung bei der Besetzung ehrenamtlicher Organe und Gremien
43
31
39
20
* Fallzahl < 30. Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
226 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
4.5.2.5 Formalisierung Werbeformen und Zielgruppen Wie bereits an anderer Stelle aufgezeigt, ist es für die Organisationen überlebenswichtig, aktiv auf die 14- bis 30-Jährigen zuzugehen, um sie als Mitglieder, Engagierte und Kandidaten für ehrenamtliche Organ- und Gremienfunktionen zu gewinnen. Hierfür ist eine spezifische Ansprache dieser Gruppe wichtig. Zum Thema Gewinnung neuer junger Menschen in den genannten Beteiligungsformen wurden in der Organisationserhebung zwei Fragen gestellt: 1. Zunächst wurde gefragt, ob und wie Mitglieder und Engagierte für die Organisation gewonnen werden, um Aufschluss über das Vorhandensein und die Methoden einer aktiven Werbung zu erhalten. Neben der direkten Ansprache oder der Werbung auf Informationsveranstaltungen wurde u.a. der Einsatz von Medien bei der Werbung um neue Mitglieder und Engagierte abgefragt. Bei der Auswahl der unterschiedlichen Werbeaktivitäten für die Erhebung fanden die spezifischen Rahmenbedingungen des Aufwachsens junger Menschen Berücksichtigung. 2. Des Weiteren wurde erhoben, ob bei der Neugewinnung von Mitgliedern, Engagierten und Ehrenamtlichen spezielle Gruppen angesprochen werden. Ziel war es herauszufinden, inwiefern die Organisationen ihre Bemühungen um neue Personen in gewisser Weise taktisch auf Zielgruppen ausrichten. Auf diesem Weg sind Informationen zur gezielten Ansprache von beispielsweise jungen und älteren Menschen, Frauen oder Personen mit Migrationshintergrund als Mitglied, Engagierter und als Kandidat für ehrenamtliche Organ- und Gremienfunktionen erfasst worden. Ein Zielgruppenbewusstsein wird als Ausdruck einer konkreten Vorstellung darüber, wen man in die Organisation integrieren möchte, interpretiert. Dies kann als Zeichen einer gewissen strategischen Aufmerksamkeit gegenüber bestimmten Gruppen gewertet werden. Im Folgenden werden die Ergebnisse zum Thema Ansprache vorgestellt, wobei zunächst auf neue Mitglieder und Engagierte eingegangen wird. Im Anschluss daran wird separat die Zielgruppenorientierung bei der Anwerbung neuer Personen für ehrenamtlich auszuführende Organ- und Gremienfunktionen unter den zivilgesellschaftlichen Organisationen betrachtet. Werben um neue Mitglieder Die Antworten auf die Frage, ob und wie um Mitglieder geworben wird, belegen, dass in einer deutlichen Mehrheit der Vereine (84 %) und von nahezu der Hälfte der Genossenschaften (49 %) eine aktive Mitgliederwerbung betrieben wird (vgl. Tabelle 4.22). Bemerkenswert ist zugleich, dass jede zweite Genossenschaft sich nicht um neue Mitglieder bemüht, was für ein hohes Maß an Passivität bei der Mitgliederwerbung spricht.
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 227
Tab. 4.22: Formen der Mitgliederwerbung bei Vereinen und Genossenschaften (in %) Verein
Genossenschaft
Aktive Werbung
84
49
Mitglieder werben neue Mitglieder
81
67
Informationsveranstaltungen
52
25
Werbung in Medien
24
47
Zeitlich begrenzte Mitgliedschaft
20
2
9
8
17
24
Neue Mitglieder erhalten Vergünstigungen Sonstiges
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); Mehrfachnennungen möglich; eigene Berechnung.
Geht es um die Art und Weise der Mitgliederwerbung, kommt der direkten Ansprache ein zentraler Stellenwert zu: Die Werbung neuer Mitglieder erfolgt bei 81 Prozent der Vereine und 67 Prozent der Genossenschaften über bereits vorhandene Mitglieder. Dagegen spielen besondere Vergünstigungen für neue Mitglieder kaum eine Rolle (bei 9 % der Vereine, 8 % der Genossenschaften). Für Vereine hat der Rückgriff auf andere Formen wie die zeitlich begrenzte Mitgliedschaft (20 %) oder die Werbung durch Medien (24 %) eine nur eingeschränkte Bedeutung. Die Genossenschaften sind nach ihren eigenen Angaben zumindest in den Medien aktiver. Gemäß der Beschreibung junger Menschen als „digital natives“ sind mediale Formen der Werbung sowohl bei Mitgliedern als auch – wie später deutlich wird – bei der Werbung um Engagierte stärker in Betracht zu ziehen. Insgesamt erfahren junge Menschen, die als neue Mitglieder geworben werden sollen, eine noch sehr einseitig ausgerichtete Ansprache, denn diese konzentriert sich stark auf die persönliche Werbung durch Mitglieder. Andere Untersuchungen wie der Freiwilligensurvey ergeben, dass die persönliche Ansprache gerade bei jungen Menschen sehr häufig den Zugang zu den Organisationen schafft. Somit nutzen Vereine und Genossenschaften den Angaben der Erhebung zufolge zu einem hohen Anteil (81 % bzw. 67 %) bei der Mitgliederwerbung eine Variante, auf die Engagierte grundsätzlich positiv reagieren. Wie jedoch gezeigt werden konnte, sind junge Menschen nicht zwangsläufig in der Mitgliederstruktur vertreten. Es stellt sich deshalb die Frage, wer diese anspricht und wirbt. Unter der Annahme, dass man zu seiner eigenen Altersgruppe den direktesten Zugang hat, werden ältere Mitglieder nur begrenzt Jüngere in die Organisation holen können. Die Mitgliedersuche über Mitglieder beschränkt sich unterdessen auf das eigene persönliche Umfeld. Somit besteht die Gefahr einer sehr homogenen Mitgliederstruktur. Denn wer
228 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
seinesgleichen wirbt, schließt andere aus und gefährdet zugleich die soziale Durchmischung in der Organisation. Im Ergebnis wird die als „stabil unterrepräsentiert“ beschriebene Mitgliedersituation junger Menschen bestehen bleiben. Ein weiteres Argument, das die direkte Ansprache über die Mitglieder kritisch erscheinen lässt, bezieht sich auf die Rolle der Organisation selbst. Sie hat mit dieser Form der Mitgliederwerbung weniger zu tun, weil sie sich hierbei vornehmlich auf die „Ressource“ Mitglied verlässt. Stärker selbst als Organisation aktiv zu sein bedeutet hingegen, eine Öffentlichkeitsarbeit aufzubauen, für die die Organisation etwas leisten muss. Zielgruppenorientierung beim Bemühen um neue Mitglieder Gut die Hälfte der Vereine (54 %) und ein Fünftel der Genossenschaften (20 %) gaben an, sich bei ihrer Mitgliederwerbung um eine konkrete Zielgruppe zu bemühen (vgl. Tabelle 4.23). Tab. 4.23: Zielgruppen bei Mitgliederwerbung nach Rechtsform (in %) Verein
Genossenschaft
Zielgruppe vorhanden
54
20
Junge Menschen (14–30 Jahre)
68
65
Ältere Menschen (50 Jahre und älter)
33
44
Frauen
27
24
Menschen mit Migrationshintergrund
14
19
Sonstige
27
22
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); Mehrfachnennungen möglich; eigene Berechnung.
Knapp die Hälfte der Vereine und die deutliche Mehrheit der Genossenschaften arbeiten ohne Zielgruppen. Dies spricht bei einem großen Teil der Organisationen für fehlende Vorstellungen darüber, welche Gruppen als Mitglieder für die Organisation in Frage kommen. Sofern eine Zielgruppenorientierung vorhanden ist, dominieren junge Menschen sowohl bei Vereinen (68 %) als auch bei Genossenschaften (65 %). Eine etwas höhere Aufmerksamkeit finden zudem ältere Personen, während Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund bei beiden Rechtsformen als Zielgruppe für neue Mitglieder eine nur untergeordnete Rolle spielen. Das steht in starkem Widerspruch zum „Nachholbedarf“ dieser Gruppen. Frauen sind allgemein ähnlich wie junge Menschen bei Mitgliedschaften unterrepräsentiert (vgl. Dathe et al. 2010: 4 f.).
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 229
Da vermutet werden kann, dass eine Zielgruppenfokussierung durch bestimmte Assoziationen zu dieser begleitet wird, besteht an dieser Stelle das Interesse, eine mögliche Verbindung zwischen Zielgruppenorientierung und Werbevarianten zu überprüfen – denn eine Zielgruppenorientierung kann die Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen dieser Zielgruppe nach sich ziehen. Auf diese Weise lassen sich die Instrumente der Werbung besser abstimmen. Im Einzelnen ist beispielsweise die Erwerbssituation junger Menschen in den Blick zu nehmen, für die ein eher geringes Einkommen charakteristisch ist. Vergünstigungen könnten daher durchaus attraktiv sein. Auch der hohe Stellenwert, den die Medien und im Speziellen das Internet in den Lebenswelten junger Menschen einnehmen, ist im Kontext mit den Werbeaktivitäten in Betracht zu ziehen. Werbestrategien, die auf diese Entwicklungen eingehen, nutzen die neuen Medien für ihre Zwecke. Vielfältige Formen der Mitgliederwerbung entsprechen eher den heutigen diversen Lebenslagen von Menschen in einer modernen und heterogenen Gesellschaft. Aus diesen Gründen wurde mit den Angaben der Organisationserhebung für die Vereine geprüft, ob jene, die eine Zielgruppe und im Besonderen die Zielgruppe junge Menschen im Blick haben, ein spezielles Werbeverhalten an den Tag legen, wenn sie sich um neue Mitglieder bemühen (vgl. Tabelle 4.24). Tab. 4.24: Mitgliederwerbung und Zielgruppenorientierung bei Vereinen (in %) Vereine insgesamt
Vereine mit Vereine mit Vereine Zielgruppe Zielgruppe ohne insgesamt jung Zielgruppe
Aktive Werbung
84
95
97
72
Mitglieder werben neue Mitglieder
81
82
83
80
Informationsveranstaltungen
52
55
55
47
Werbung in den Medien
24
28
28
18
Zeitlich begrenzte Mitgliedschaft
20
23
27
15
9
9
9
9
17
18
15
17
Neue Mitglieder erhalten Vergünstigungen Sonstiges
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); Mehrfachnennungen möglich; eigene Berechnung.
Auf der Grundlage der obigen Ergebnisse aus der Organisationsbefragung können drei Aussagen getroffen werden:
230 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
1.
2.
3.
Die Zielgruppenorientierung fördert die Anstrengungen in Bezug auf die Mitgliederwerbung. So geben 95 Prozent der Vereine mit einer Zielgruppe an, eine aktive Werbung von Mitgliedern zu betreiben, was auf 72 Prozent der Vereine ohne Zielgruppe zutrifft. Dieses aktivere Verhalten durch die Zielgruppenorientierung setzt sich teilweise bei den unterschiedlichen Formen der Werbung fort. Dabei werden die Varianten „Mitglieder werben Mitglieder“ und „Neue Mitglieder erhalten Vergünstigungen“, unabhängig davon, ob eine Zielgruppenorientierung vorliegt oder nicht, von ähnlich hohen bzw. geringen Anteilen der Vereine angewendet. Demgegenüber geben 28 Prozent der Vereine mit, aber lediglich 18 Prozent der Vereine ohne Zielgruppenorientierung an, Werbung in den Medien zu betreiben. Ähnlich verhält es sich bei der zeitlich begrenzten Mitgliedschaft. Diese wird von 23 Prozent der Vereine mit, jedoch nur von 15 Prozent der Vereine ohne eine Zielgruppe bei der Mitgliederwerbung angeboten. Der Orientierung auf junge Menschen bei der Mitgliederwerbung kommt eine besondere Rolle zu. Vereine, die auf junge Menschen als Mitglieder abzielen, stehen für ein anderes Werbeverhalten als jene ohne Zielgruppe. Die spezielle Zielgruppenorientierung auf junge Menschen führt dabei zu einem ähnlichen Werbeverhalten, wie es für die zivilgesellschaftlichen Organisationen allgemein beim Vorhandensein einer Zielgruppe aufgezeigt wurde. Erwähnenswert ist der höhere Anteil mit dem Angebot einer zeitlich begrenzten Mitgliedschaft. Diese wird von Vereinen, die ihre Aufmerksamkeit bei der Mitgliederwerbung explizit auf junge Menschen richten, besonders häufig angeboten (27 %). Daraus kann abgeleitet werden, dass die Mitgliederwerbung dieser Vereine einen zur Zielgruppe passenden Charakter hat.
Werben um neue Engagierte Eine aktive Werbung von ehrenamtlich Engagierten erfolgt durch 85 Prozent der befragten Vereine, 68 Prozent der gGmbHs, 65 Prozent der Genossenschaften und 39 Prozent der Stiftungen (vgl. Tabelle 4.25).
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 231
Tab. 4.25: Engagiertenwerbung nach Werbeformen und Rechtsform (in %) Verein
gGmbH
Genossenschaft
Stiftung
Aktive Werbung
85
68
65
39
Hineinwachsen durch Mitgliedschaft
68
–
72
–
Ansprache durch leitende Personen
65
63
64
78
Mitglieder werben ehrenamtlich Engagierte
48
–
24
–
Informationsveranstaltungen
24
43
13
23
Werbung in den Medien
14
24
6
11
Mitmachaktionen
29
32
18
22
5
14
4
6
Sonstiges
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); Mehrfachnennungen möglich; eigene Berechnung.
Zwischen den Rechtsformen bestehen damit deutliche Unterschiede: Während Vereine, gGmbHs und Genossenschaften sehr aktiv sind, verhalten sich Stiftungen vergleichsweise passiv. Wenn sich Organisationen um neue Engagierte bemühen, steht – ähnlich wie bei der Mitgliederwerbung – die direkte Ansprache im Vordergrund. Bei einem Großteil der Organisationen und unabhängig von der Rechtsform werden neue Engagierte besonders häufig über leitende Personen geworben. Stiftungen geben diese Variante am häufigsten an (78 %), doch auch bei Vereinen (65 %), gGmbHs (63 %) und Genossenschaften (64 %) steht diese Form der Werbung deutlich im Vordergrund. Bei der Mehrheit der Mitgliederorganisationen (Vereine und Genossenschaften) rekrutieren sich die Engagierten zudem aus den Mitgliedern. Die anderen Varianten, neue Engagierte zu gewinnen, spielen eine eher geringe Rolle. Einzig die gGmbHs sind bei ihren diesbezüglichen Maßnahmen etwas breiter aufgestellt. Beispielsweise greifen gegenüber 14 Prozent der Vereine immerhin 24 Prozent der gGmbHs auf die Werbung in den Medien zurück. Gerade bei der Engagiertenwerbung ist die Einbettung der verschiedenen Medien in den Alltag junger Menschen stärker zu berücksichtigen. Die intensive Nutzung von Formen der direkten Ansprache bei der Werbung um neue Engagierte durch die Organisationen entspricht auch den Angaben aus Untersuchungen des Freiwilligensurveys, wie junge Menschen zu ihrem Engagement gekommen sind. Häufiger als die Engagierten insgesamt erhalten junge Menschen den Anstoß zum Engagement von anderen Personen (vgl. Picot 2012: 162). Die Werbung
232 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
durch den persönlichen Kontakt hat also ebenso wie bei der Mitgliederwerbung bei der Gewinnung von Engagierten einen hohen Stellenwert und funktioniert offensichtlich: Denn wenn die persönliche Ansprache nicht mehr funktionieren würde, wären stärker rückläufige Engagementquote zu erwarten, als derzeit zu beobachten ist. Die persönliche Ansprache ist aus einem anderen Blickwinkel betrachtet jedoch kritisch zu hinterfragen: Sofern leitende Personen um Engagierte werben, haben diese zumeist ein anderes Alter als die 14- bis 30-Jährigen (vgl. Abschnitt 4.4.3.2). Das Aufeinanderzugehen verschiedener Generationen ist aufgrund unterschiedlicher Orientierungen eine Aufgabe für sich. Bei immer älter werdenden leitenden Personen ergeben sich daraus nicht nur schnell echte Herausforderungen, sondern durchaus auch Diskrepanzen. Nicht zuletzt deshalb kommt der Anwerbung über (neue) Medien oder durch Informationsveranstaltungen eine zunehmend stärkere Bedeutung zu. Diese Aussage lässt sich mit Daten des Freiwilligensurveys 2014 untermauern: Die 14- bis 29-Jährigen fühlen sich in Bezug auf das Engagement nicht ausreichend informiert, da die Mehrheit von ihnen (53%) fordert, der Staat und die breite Öffentlichkeit müssten mehr Beratung und Information zum Engagement anbieten (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016b: 277). Es liegt auf der Hand, dass die Organisationen selbst dafür Sorge tragen sollten, über ihre Engagementangebote und -bedarfe umfassend zu informieren. Gerade für Personengruppen, die durch eine persönliche Ansprache nicht erreicht werden, sind andere Wege der Werbung in Betracht zu ziehen. Zielgruppenorientierung beim Bemühen um neue Engagierte Auch bei der Engagiertenwerbung ist davon auszugehen, dass die Arbeit mit Zielgruppen den Zugang zu diesen Gruppen erleichtert. Sofern das Anliegen darin besteht, junge Menschen als engagierten Nachwuchs in die Organisation zu integrieren, sind spezifische Vorstellungen zu dieser Gruppe zielführend (vgl. Tabelle 4.26).
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 233
Tab. 4.26: Zielgruppen bei Engagiertenwerbung nach Rechtsform (in %) Verein
gGmbH
Genossenschaft*
Stiftung*
Eine der folgenden Zielgruppen vorhanden:
40
35
16
14
Junge Menschen (14–30 Jahre)
76
57
50
36
Ältere Menschen (50 Jahre und älter)
42
63
41
64
Frauen
39
47
68
50
Menschen mit Migrationshintergrund
20
21
14
5
* Fallzahl: < 30. Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); Mehrfachnennungen möglich; eigene Berechnung.
In Tabelle 4.28 fällt zunächst auf, dass eher geringe Anteile der Organisationen bei der Engagiertenwerbung mit Zielgruppen arbeiten. Bei Genossenschaften und Stiftungen trifft dies in einem nur geringen Umfang zu (16 bzw. 14 Prozent), so dass sich die weiteren Ausführungen auf Vereine und gGmbHs beschränken. Liegt ein Zielgruppenverständnis vor, werden die 14- bis 30-Jährigen vor allem von Vereinen (76 %) genannt. Dies kann als Reaktion auf ihre starken Nachwuchssorgen verstanden werden. Mehr als die Hälfte (57 %) der gGmbHs wendet sich zwar auch jüngeren Menschen zu, an der Spitze stehen jedoch ältere Menschen (63 %). Während Frauen zumindest bei mehr als jedem dritten Verein (39 %) und fast jeder zweiten gGmbH (47 %) eine Rolle spielen, stehen Personen mit Migrationshintergrund als Zielgruppe lediglich am Rande (20 % bzw. 21 %). In Bezug auf die Engagiertenwerbung wurde ebenfalls geprüft, ob jene Vereine, die eine Zielgruppe und im Besonderen die Zielgruppe junge Menschen im Blick haben, ein spezielles Werbeverhalten an den Tag legen (vgl. Tabelle 4.27).
234 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Tab. 4.27: Engagiertenwerbung nach Werbeformen und Zielgruppenorientierung bei Vereinen (in %) Vereine insgesamt
Vereine mit Zielgruppe insgesamt
Vereine mit Zielgruppe jung
Vereine ohne Zielgruppe
Aktive Werbung
85
97
98
78
Mitglieder werben ehrenamtlich Engagierte
48
55
55
42
Hineinwachsen durch Mitgliedschaft
68
71
73
65
Ansprache leitende Person
65
69
69
63
Mitmachaktionen
29
36
37
24
Werbung in den Medien
14
17
19
11
Informationsveranstaltungen
24
28
27
20
5
6
6
4
Sonstiges
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); Mehrfachnennungen möglich; eigene Berechnung.
Die obigen Ergebnisse lassen drei Aussagen zu: 1. Vereine mit einer Zielgruppenfixierung zeigen ein aktiveres Werbeverhalten. 2. Sie nutzen zu höheren Anteilen verschiedene Werbeformen. 3. Es sind Unterschiede im Werbeverhalten von Vereinen ohne Zielgruppe und Vereinen mit der Zielgruppe junge Menschen festzustellen. Die Orientierung auf junge Menschen spielt bei der Engagiertenwerbung demnach eine wichtige Rolle. Dies zeigt sich vor allem in einem insgesamt stärkeren Rückgriff auf vielfältige Werbevarianten. Zielgruppenorientierung beim Bemühen um Personen für ehrenamtliche Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen Die fehlende Präsenz junger Menschen in ehrenamtlich geführten Organen und Gremien legt es nahe, sich um diese besonders zu kümmern. Wie bereits für die Mitglieder und Engagierten nachgewiesen wurde, ist eine Zielgruppenorientierung der Organisationen beim Bemühen um neue Personen in diesen Positionen nicht unbedingt selbstverständlich. Ganz ähnlich bzw. noch eindeutiger als bei der Mitglieder- und Engagiertenwerbung gestaltet sich die Situation, wenn Personen für die ehrenamtlichen Funktionen gewonnen werden sollen: Die deutliche Mehrheit der Organisationen machte hierzu keinerlei Angaben. Es ist somit davon auszugehen, dass die Gewinnung von Personen für ehrenamtliche Funktionen in der Regel über andere
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 235
Mechanismen als über eine Zielgruppenorientierung erfolgt. Die Aussagen zur Orientierung auf junge Menschen können im Folgenden nur für jene Organisationen getroffen werden, die sich hierzu geäußert haben. Den Fokus auf junge Menschen für ehrenamtliche Funktionen gerichtet haben demnach ein Drittel der Vereine (33 %) und ein Siebtel der gGmbHs (15 %). Die Vereine benennen junge Menschen vor allem als Zielgruppe für ehrenamtliche Leitungsfunktionen (77 %), jedoch hat nur knapp die Hälfte der Vereine junge Menschen für ehrenamtliche Aufsichts- und Beratungsfunktionen im Blick (45 %). Bei den befragten gGmbHs ist es genau umgekehrt: Sie richten sich eher an die 14- bis 30-Jährigen bei ihrer Werbung für ehrenamtlich tätige Aufsichtsräte (88 %). Dies kann auf den geringen Stellenwert ehrenamtlicher Leitungsfunktionen in gGmbHs bei gleichzeitig nachweisbarer Relevanz ihrer ehrenamtlichen Gremien zurückgeführt werden. Nahezu identische Anteile an Vereinen und gGmbHs, die sich auf bestimmte Zielgruppen für ehrenamtliche Funktionen konzentrieren, nannten hierfür ältere Menschen. Demzufolge werden junge und ältere Personen gleichermaßen von den Organisationen angesprochen. Bei der Gewinnung von Personen für ehrenamtliche Funktionen erfahren junge Menschen also entweder keine oder keine sich von anderen Zielgruppen abhebende Beachtung. Maßnahmen der Organisationen in Reaktion auf Schul- und Studienreformen Die jüngsten Bildungsreformen bleiben nicht ohne Folgen für das ehrenamtliche Engagement junger Menschen und die zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die Einführung des Abiturs nach acht Jahren (G8), die Förderung und Ausweitung von Ganztagsschulen sowie die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge ziehen häufig einen Verlust an Zeit und Gelegenheit für zivilgesellschaftliches Engagement nach sich, denn (s.o.) die Reformen bedeuten eine Verdichtung und Verkürzung von Lernprozessen, wodurch die Zeitressourcen junger Menschen stärker durch die Bildungseinrichtungen gebunden sind und nicht mehr in ein Engagement investiert werden können (vgl. Jakob 2011: 25 f.). Die zivilgesellschaftlichen Organisationen verorten sich mit ihren Nachwuchssorgen also in einer Zeit, in der sich der Bildungskontext junger Menschen deutlich verändert hat. In der Organisationserhebung wurden zwei Fragen im Kontext mit den Bildungsreformen und dem Engagement gestellt: Zum einen wurden organisationseigene Maßnahmen erfasst, die darauf ausgerichtet sind, junge Menschen trotz knapper Zeitressourcen für ein Engagement zu gewinnen. Zum anderen wurde auf vorhandene Kooperationsformen zwischen den zivilgesellschaftlichen Organisationen und Einrichtungen, die mit jungen Menschen zu tun haben, eingegangen. Bei der Zusammenarbeit mit solchen Institutionen ist von einer erhöhten Aufmerksamkeit der Organisationen für junge Menschen auszugehen. Durch solche Kooperationen können sich Synergien ergeben, die dazu zu nutzen sind, junge Menschen für ein Engagement zu sensibilisieren.
236 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Die Mehrheit der Organisationen hat bisher keine speziellen Maßnahmen zur Gewinnung junger Engagierter in Reaktion auf die Schul- und Studienreformen in Betracht gezogen. Hierfür können verschiedene Ursachen verantwortlich sein. Es besteht die Möglichkeit, dass die Organisationen von der beschriebenen Problematik (noch) nicht betroffen sind; in diesem Fall besteht kein Grund, tätig zu werden. Durch die Maßnahmen der bereits aktiven Organisationen bestätigt sich jedoch ein gewisser Handlungsbedarf. Sie verdeutlichen, dass einige Organisationen von den Entwicklungen im Bildungssystem durchaus betroffen sind. Vor allem Genossenschaften (85 %) und Stiftungen (83 %) verhalten sich sehr passiv und haben bisher überwiegend keinerlei Maßnahmen aufgrund der Schulund Studienreformen ergriffen.66 Die Stiftungen verzeichnen zwar laut eigenen Angaben die geringsten Nachwuchssorgen, bilden aber bezüglich der Integration junger engagierter Menschen das Schlusslicht. Die Genossenschaften wiederum sind in hohem Maße von der Problematik betroffen, ihre ehrenamtlichen Leitungs-, Aufsichtsund Beratungsfunktionen nicht mehr besetzen zu können. In beiden Fällen ist deshalb eine fehlende Sensibilität gegenüber den individuellen und organisationsbezogenen Auswirkungen der Schul- und Studienreformen nicht auszuschließen. Differenzierte Aussagen sind für Vereine und gGmbHs möglich (vgl. Tabelle 4.28). Von den befragten Vereinen gaben 39 Prozent an, bereits Maßnahmen in Reaktion auf die Schul- und Studienreformen ergriffen zu haben; von den gGmbHs waren es sogar 44 Prozent. Dabei bevorzugen die Organisationen die Entwicklung kurzfristiger bzw. projektbezogener Engagementmöglichkeiten: 68 Prozent der Vereine und 75 Prozent der gGmbHs setzen auf diese Variante. Die individuelle Beratung bezüglich eines zeitlichen Zuschnitts des Engagements wird von weitaus weniger Vereinen (30 %) und gGmbHs (39 %) durchgeführt. Der geringste Stellenwert kommt solchen Maßnahmen zu, die eine Kooperation mit den Bildungseinrichtungen implizieren, z.B. das Service Learning.67
|| 66 Auf der Grundlage der damit verbundenen Datenbasis sind differenzierte Angaben zu den Maßnahmen nicht möglich. 67 Service Learning ist ein Bildungskonzept, das in den 1960er Jahren in den USA entstand. Seit den 2000er Jahren wird es zunehmend in Deutschland angewendet. Die Methode basiert auf einer Kooperation zwischen Schulen oder Universitäten und außerschulischen Partnern, z.B. zivilgesellschaftlichen Organisationen. Im Rahmen der Kooperation werden Projekte erarbeitet, die Schülern und Studenten die Möglichkeit bieten, theoretisch erarbeitete Unterrichtsinhalte praktisch zu erproben, um ihr Handeln und ihre Erfahrungen wiederum im Unterricht reflektieren zu können. Service Learning wird als eine Möglichkeit beschrieben, die Bereitschaft zum freiwilligen Engagement zu fördern (vgl. Schröten 2011).
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 237
Tab. 4.28: Maßnahmen in Bezug auf Schul- und Studienreformen bei Vereinen und gGmbHs (in %) Verein
gGmbH
Maßnahmen vorhanden
39
44
Entwicklung kurzfristiger bzw. projektbezogener Engagementmöglichkeiten
68
75
Individuelle Beratung für zeitlichen Zuschnitt des Engagements
30
39
Service Learning
18
27
Verlagerung von Aktivitäten der Organisationen in Bildungseinrichtungen
28
19
Sonstiges
10
13
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); Mehrfachnennungen möglich; eigene Berechnung.
Jungen Menschen infolge ihrer Beanspruchung durch das Bildungssystem temporäre Engagementangebote zu machen, ist eine Möglichkeit, sie vorübergehend in eine Organisation einzubinden. Fraglich ist, inwiefern dadurch Nachwuchssorgen gelindert werden. Ein kurzfristiges Engagement ist wichtig, eignet sich jedoch vor allem zur Übernahme von Tätigkeiten mit einem eindeutig festgelegten Anfang und Ende. Der Projektcharakter passt nicht zu allen ehrenamtlichen Aufgaben, und für das Tätigkeitsprofil ehrenamtlicher Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen ist er eher ungeeignet. Eine individuelle Beratung zum persönlichen Zeitkonto für das Engagement bietet den Organisationen dagegen eher die Gelegenheit, die eigenen Bedarfe in das Gespräch einzubringen. Mit den Bildungseinrichtungen zu kooperieren, um jungen Menschen ein Engagement zu ermöglichen, ist sicher ein anspruchsvoller Weg. Diverse Abstimmungsprozesse zwischen verschiedenen Akteuren (z.B. Ministerien, Schulleitung, Organisation, Lehrkörper) können hierbei notwendig sein. Die damit verbundene Mühe lohnt sich jedoch dann, wenn sich in der Folge langfristige Beziehungsstrukturen entwickeln und eine Engagementkultur in den Bildungsinstitutionen etabliert wird. Perspektivisch wird das zivilgesellschaftliche Engagement damit Teil einer Lernkultur, deren Output auch in Zusammenhang mit den Nachwuchssorgen der Organisationen von Bedeutung ist. Zielstellungen der Organisationen bei der Einbeziehung junger Menschen In der Nachwuchsarbeit der Organisationen können konkrete und differenzierte Zielstellungen bei der Einbindung junger Menschen hilfreich sein. Sie geben eine gewisse Handlungsorientierung vor. Um eine solche formulieren zu können, muss den 14- bis
238 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
30-Jährigen in den Organisationen – in welcher Weise auch immer – jedoch eine gewisse Bedeutung zukommen. Bemerkenswerterweise spielen junge Menschen aber bei 45 Prozent der Stiftungen keine Rolle. Bei den Vereinen (15 %), gGmbHs (19 %) und Genossenschaften (26 %) ist dies in wesentlich geringeren Anteilen der Fall. Alle Organisationen, in denen junge Menschen eine Rolle spielen, wurden nach der Zielstellung gefragt, der sie bei der Einbindung junger Menschen in die eigene Organisation nachgehen. Die Mehrheit der Vereine (71 %) und gGmbHs (60 %), knapp die Hälfte der Genossenschaften (49 %), jedoch nur ein Viertel der Stiftungen (26 %)68 verfolgen eine Zielstellung, wenn sie sich um junge Menschen als ehrenamtlich Engagierte bemühen. Es gibt somit nicht nur einen hohen Anteil an Stiftungen, bei denen junge Menschen keine Rolle spielen. Gleichzeitig verfolgt ein vergleichsweise geringer Anteil von ihnen keine konkrete Absicht, wenn sie junge Engagierte in ihre Tätigkeit einbeziehen. Stiftungen sind demnach zurzeit eine Organisationsform, deren Jugendorientierung äußerst schwach ausgeprägt ist. Die Zielstellungen, die die Organisationen bei der Integration der engagierten 14bis 30-Jährigen verfolgen, sind sehr vielfältig (vgl. Tabelle 4.29); sie lassen sich grob in zwei Gruppen aufteilen: Tab. 4.29: Zielstellung bei der Einbindung junger Menschen nach Rechtsform (in %) Verein
gGmbH
Genossenschaft
Zielstellung vorhanden
71
60
49
Junge Menschen sollen im Zentrum der Organisation stehen
27
20
10
Funktionsfähigkeit der Organisation sichern
72
44
68
Ausbildung von Führungsqualität für die Organisation
32
17
20
Vermittlung von Werten wie Solidarität und Toleranz
56
65
42
Steigerung des Selbstbewusstseins
40
40
20
Allgemeine Qualifizierung
40
58
30
Stärkung von Verantwortungsübernahme
75
65
56
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); Mehrfachnennungen möglich; eigene Berechnung.
|| 68 Der Anteil der Stiftungen, die eine entsprechende Zielstellung verfolgen, ist zu gering, um weitere Auswertungen vornehmen zu können.
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 239
Zum einen sind es solche, die stärker mit der Organisation selbst zu tun haben bzw. auf diese gerichtet sind; sie sind als organisationsbezogene Zielstellungen zu bezeichnen. Hierunter fallen: „Junge Menschen sollen im Zentrum der Organisation stehen“, die Einbindung junger Menschen soll die „Funktionsfähigkeit der Organisation sichern“, und sie soll zur „Ausbildung von Führungsqualitäten für die Organisation“ führen. Zum anderen liegen jugend- bzw. gesellschaftsbezogene Zielstellungen bei der Einbindung junger Menschen in den Organisationen vor. Es handelt sich dabei um die „Vermittlung von Werten wie Solidarität und Toleranz“, die „Steigerung des Selbstbewusstseins“ und die „allgemeine Qualifizierung“. Die „Stärkung von Verantwortungsübernahme“, die sowohl in hohem Maße von Vereinen als auch gGmbHs und Genossenschaften als Zielstellung formuliert wurde, steht zwischen den beiden Gruppen. Vergleicht man die einzelnen Zielstellungen, werden die jugend- bzw. gesellschaftsbezogenen Zielstellungen von den Organisationen in einem höheren Maße verfolgt als die organisationsbezogenen. Ausgenommen hiervon ist die „Funktionsfähigkeit der Organisation zu sichern“, was von vergleichsweise hohen Anteilen der Vereine (72 %), gGmbHs (44 %) und Genossenschaften (68 %) als Ziel formuliert wird. Für die Nachwuchsgewinnung ehrenamtlicher Organ- und Gremienmitglieder wäre gerade das Anliegen „Ausbildung von Führungsqualitäten für die Organisation“ von besonderer Relevanz, doch nur bei 32 Prozent der Vereine, 17 Prozent der gGmbHs und 20 Prozent der Genossenschaften spielt dies eine Rolle. Die Nachwuchsarbeit der Organisationen sollte sich deshalb noch stärker auf die organisationsbezogenen Zielstellungen fokussieren. Altersbegrenzung für Personen in ehrenamtlicher Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktion Eine Vereinbarung zur Altersbegrenzung für Personen in ehrenamtlichen Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen kann eine Organisation dabei unterstützen, sich bewusst auf ein geeignetes Alter für die Übernahme der verantwortlichen Positionen festzulegen. Jüngere Personen sind dadurch notwendigerweise rechtzeitig einzubinden. Eine Regelung zu den Altersgrenzen für die Ausübung ehrenamtlicher Funktion lässt sich als Bestandteil der Satzung fixieren (vgl. Schwarz 2005: 239 ff.). Die Frage nach der Existenz einer formal geregelten Altersbegrenzung für Personen, die ehrenamtliche Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen übernehmen, führt bei den Organisationen zu einem relativ einheitlichen Bild. Bei der deutlichen Mehrheit gibt es keine Regelungen zur Altersbegrenzung in Bezug auf ein Mindestoder Höchstalter: Nur rund 11 Prozent haben eine solche Regelung für Personen in Leitungsfunktionen und 8 Prozent für Personen in den ehrenamtlichen Gremien. Zwischen den einzelnen Rechtsformen bestehen dabei erhebliche Unterschiede. Bei 39 Prozent der Genossenschaften, aber nur bei 10 Prozent der Vereine sind Regelungen bezüglich einer Altersbegrenzung betreffend die Leitungsfunktionen festzustellen. Bei den Vereinen, die über eine Festlegung zur Altersbegrenzung für ehrenamtliche
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Aufsichts- und Beratungsfunktionen verfügen, ist der Anteil noch geringer (6 %). In den Organisationen, die über eine Altersbegrenzung für die ehrenamtlichen Funktionen verfügen, wird das durchschnittliche Mindestalter sowohl bei der Übernahme von ehrenamtlichen Leitungsfunktionen als auch bei der Besetzung von ehrenamtlich ausgeführten Aufsichts- und Beratungsfunktionen mit 18 Jahren angegeben. Offenbar orientiert man sich hier ähnlich wie bei der Frage bezüglich des stimmberechtigten Alters in der Mitgliederversammlung an der juristischen Volljährigkeit einer Person (vgl. Deutscher Bundestag 1991). Den Diskussionen zur Herabsetzung des Wahlalters auf der Ebene der Kommunen und des Bundes folgend, bietet es sich auch hier an, das derzeitige Mindestalter zu überdenken (vgl. Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen 2008). Das vorgegebene Höchstalter einer Person in ehrenamtlicher Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktion liegt im Durchschnitt bei 72 Jahren. Bei der Entscheidung über den Einsatz und Nutzen von Altersbegrenzungen im Ehrenamt ist die Diskussion zu veränderten Altersbildern miteinzubeziehen. Spätestens seit der Jahrtausendwende werden mit dem Alter weniger defizitäre Merkmale wie ein abfallendes Leistungspotenzial assoziiert (vgl. Kruse/ Berner 2012; Hüther 2012). Der Blick richtet sich zunehmend auf die auch noch im Alter vorhandenen Kompetenzen und Potenziale; dabei geht es um Aktivität und Produktivität im Alter. Dem Alter selbst sollte nach aktuellen Erkenntnissen und Forderungen nicht mehr so viel Bedeutung beigemessen werden wie bisher, und die Grenzen des Alters sind demnach aufzuweichen (vgl. BMFSFJ 2010). In eine ähnliche Richtung gehen die Einschätzungen der Expertenkommission „Gemeinsam gegen Diskriminierung: Für eine gerechtere Teilhabe jüngerer und älterer Menschen“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2012). Diese hat sich für die vollständige Abschaffung von Altershöchstgrenzen bei den Trägern bürgerschaftlichen Engagements ausgesprochen: Ältere Menschen sollen nicht aufgrund von Altersgrenzen aus ihren Ehrenämtern entlassen werden. Diese Forderung ist nachvollziehbar, sofern junge Menschen die Chance bekommen, in gleichem Maße in den ehrenamtlichen Funktionen vertreten zu sein wie ältere Personen und von den Funktionen nicht aufgrund fehlender Lebenserfahrungen und Kompetenzen ausgeschlossen werden. Da die Mehrheit der Organisationen jedoch keine Regelung zum maximalen Alter bei der Übernahme einer ehrenamtlichen Funktion getroffen hat, ist davon auszugehen, dass die Personen in den entsprechenden Ämtern so lange sind, wie sie es für richtig halten. Keine Regelung zu haben kann demnach auch die Anwendung der „natürlichen Altersgrenzen“ meinen. Da die vorliegenden Ergebnisse darauf hindeuten, dass junge Menschen in den Ehrenämtern mehrheitlich unterrepräsentiert sind, ist diese Praxis zu überdenken. Jugendverbände können hierbei eine Vorbildrolle einnehmen: Bei ihnen ist es eher üblich, in ihren Satzungen Altersgrenzen für die Beteiligung in ihren Strukturen festzulegen. Für die Festlegung eines Höchstalters bei der Besetzung ehrenamtlicher Funktionen sind die genannten innerorganisatorischen Tatbestände, jedoch auch die skizzierten Entwicklungen zu berücksichtigen.
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 241
Amtszeitbeschränkung für Vorsitzende in der ehrenamtlichen Leitung Ein weiteres im Rahmen der organisationsspezifischen Nachwuchsarbeit einsetzbares formalisiertes Instrument ist die Amtszeitbeschränkung für Vorsitzende in der ehrenamtlichen Leitung. Hierbei geht es um die Festlegung einer maximalen Zeitspanne in Jahren, in denen die ehrenamtliche Funktion ausgeübt werden kann. Für Stiftungen werden beispielsweise Amtszeitbeschränkungen zur Nachfolgeplanung für Leitungsfunktionen explizit empfohlen (vgl. Nauck 2013: 41). Eine entsprechende Regelung zur Amtsdauer für Personen in ehrenamtlichen Funktionen ist in der Satzung festzulegen (vgl. Schwarz 2005: 239 ff.). Wird die Amtszeit begrenzt, stellt sich bereits vor ihrem Ablauf die Frage, wie die Funktion neu zu besetzen ist. Die aktuellen Amtsinhaber können an der Neubesetzung mitwirken und sich auch emotional auf das Ende ihrer Amtszeit einstellen. Regelungen zur Amtsdauer findet man auch in anderen Zusammenhängen. Im Rahmen des präsidentiellen Regierungssystems der USA darf beispielsweise seit der Verfassungsänderung von 1952 der Präsident nur einmal in Folge wiedergewählt werden (vgl. Hartmann 2000). Für eine Amtszeitbeschränkung bei Politikern gibt es verschiedene Argumente: Ihnen zufolge wird so der Karrierismus eingedämmt, der Wettbewerb unter den Kandidaten und Kandidatinnen für ein bestimmtes Amt erhöht, potenziellen Minderheiten die Möglichkeit zur Bewerbung für ein Amt eingeräumt, die Hierarchien in den jeweiligen Organisationen geschwächt und ein inhaltlicher Diskurs befördert, weil mit neuen Gesichtern oft auch neue Themen verbunden sind (vgl. Basham 2001). Diese Argumente lassen sich auf die Amtszeitbeschränkungen für Ehrenamtliche übertragen. Mit der Einführung von Amtszeitbeschränkungen wird das Entstehen verkrusteter Strukturen und eingefahrener Routinen, die Innovationen erschweren, verhindert. Insofern ist es bedenklich, wenn Personen viele Jahre oder sogar Jahrzehnte in ihren ehrenamtlichen Funktionen verbleiben. Eine solche Praxis erschwert zudem die Heranführung und Einarbeitung anderer Personen an bzw. in diese Positionen. Bei einem zu langen Verbleib in der Rolle des Vorsitzenden in einer ehrenamtlichen Leitungsfunktion besteht ferner die Gefahr einer demokratischen Delegitimierung der Organisation bzw. ihrer interner Struktur und Arbeitsweise. In der Organisationsbefragung wurde deshalb nach der Existenz einer formal geregelten Amtszeitbeschränkung gefragt. Die Antworten hierauf zeigen, dass eine solche in den meisten Organisationen nicht vorhanden ist. Von allen befragten Organisationen gaben 86 Prozent an, dass keinerlei Vereinbarungen darüber existieren, wie lange ein Vorsitz von einer Person ausgeübt werden darf. Sie kann demzufolge immer wiedergewählt werden und ihre einmal erreichte Funktion für einen unbegrenzten Zeitraum ausüben. Bei Genossenschaften liegt am ehesten eine Regelung zur Amtszeitbeschränkung vor (26 %). Im Vergleich dazu kommt eine solche bei lediglich 16 Prozent der Stiftungen, 14 Prozent der Vereine und 8 Prozent der gGmbHs zur Anwendung.
242 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Wie gezeigt werden konnte, beläuft sich die bisherige durchschnittliche Amtszeit der Vorsitzenden in den Organisationen auf zehn Jahre. Da diese Amtszeiten aber oft nicht formal begrenzt sind, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Fortführung der ehrenamtlichen Funktion durch dieselbe Person. Eine aktive Nachwuchsarbeit erfordert deshalb eine intensivere Auseinandersetzung mit den aufgeführten Instrumenten. Gezielte Förderung von Aufstiegsmöglichkeiten junger Menschen Wie die Ergebnisse der Organisationserhebung zeigen, findet eine gezielte Förderung junger Engagierter bei der Mehrheit der Organisationen nicht statt (vgl. Tabelle 4.30). Tab. 4.30: Förderung von Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten junger Menschen nach Rechtsform (in %) Verein
gGmbH
Genossenschaft
Stiftung
Ja, wir fördern gezielt die Aufstiegsmöglichkeiten junger Engagierter
32
31
12
4
Nein, wir fördern nicht gezielt die Aufstiegsmöglichkeiten junger Engagierter
68
69
88
96
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Am ehesten sind die Vereine (32 %) und gGmbHs (31 %) um die systematische Förderung junger Menschen bemüht. Im Vergleich dazu verfolgen Genossenschaften (12 %) und Stiftungen (4 %) dieses Anliegen kaum. Sicherlich lässt sich nicht jeder Mensch im Alter von 14 bis 30 Jahren durch eine konzentrierte Begleitung an eine Aufgabe in ehrenamtlichen Organen und Gremien heranführen. Wird dies als Ziel von den Organisationen jedoch erst gar nicht in Betracht gezogen, kann es durchaus zum Fehlen der Jüngeren kommen. Durch eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Entwicklungs- und Aufstiegschancen junger Engagierter investieren die Organisationen in eine Art organisationsbezogene Karriereentwicklung ehrenamtlich Engagierter. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von den sogenannten Engagementbiografien (vgl. Beher et al. 2008: 141 f.). Dies bedeutet, dass gerade Personen, die bereits eine ehrenamtliche Leitungs-, Aufsichts- oder Beratungsfunktion innehatten, häufig auch zu einem anderen – späteren – Zeitpunkt bereit sind, eine solche Aufgabe zu übernehmen. Die Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten junger Mitglieder und Engagierter gezielt zu fördern bedeutet sprichwörtlich, sie frühzeitig an die Hand zu nehmen. Auf diese Weise können sie schrittweise mit der Bandbreite des Organisationsgeschehens vertraut gemacht werden, und es erfolgt eine rechtzeitige Vorbereitung für die Übernahme ehrenamtlicher
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 243
Funktionen. Man findet diese Idee beispielsweise im Konzept einer Paten- oder Mentorenschaft. Für den Verein Verantwortliche identifizieren dann junge Mitglieder oder Engagierte, die bereits aktiv sind, und sprechen sie auf die Möglichkeit zur persönlichen Weiterentwicklung im Verein an. Ein erfahrenes älteres Organisationsmitglied wird schließlich ausgewählt, um den Nachwuchskandidaten oder die Nachwuchskandidatin zu unterstützen. Festlegung von Förderung und Anteilen junger Menschen Neben den bereits vorgestellten Varianten kann das Anliegen, junge Menschen in die Organisation einzubeziehen, auch auf andere Art und Weise formalisiert werden. Durch die Dokumentation des Förderanliegens, also die formale Festlegung, wird ein bestimmter Grad an Verbindlichkeit erreicht, denn wenn die Förderung junger Menschen offiziell geregelt ist, hat dies eher einen verpflichtenden Charakter. Junge Mitglieder oder Engagierte profitieren in dieser Hinsicht von solch einer Regelungen, da sie sich auf diese berufen können. Die Angaben aus der Organisationsbefragung belegen jedoch: Je restriktiver die Instrumente zur Förderung junger Menschen sind, desto geringer ist der Anteil der Organisationen, die diese einsetzen (vgl. Tabelle 4.31). Tab. 4.31: Formale Regelungen zur Förderung junger Menschen nach Rechtsform (in %) Verein
gGmbH
Genossenschaft
Stiftung
Ja, die Förderung junger Menschen ist formal geregelt
15
12
1
5
Nein, die Förderung junger Menschen ist nicht formal geregelt
85
88
99
95
Ja, wir verfügen über schriftlich festgelegte Zielstellungen zum Anteil junger Engagierter
5
5
1
3
Nein, wir verfügen nicht über schriftlich festgelegte Zielstellungen zum Anteil junger Engagierter
95
95
99
97
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Insgesamt liegt eine formale Regelung zur Förderung der 14- bis 30-Jährigen bei 15 Prozent der Vereine, 12 Prozent der gGmbHs, 1 Prozent der Genossenschaften und 5 Prozent der Stiftungen vor. Die Anteile derer, die über schriftlich festgelegte Zielstellungen zum Anteil junger Menschen in der eigenen Organisation verfügen, fallen, wie in der Tabelle ausgewiesen, noch weit geringer aus. Damit sind ganz allgemein die
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Organisationen mit internen Regelungen zur stärkeren Einbeziehung junger Menschen nicht gut aufgestellt. In zahlreichen Fällen wird das Anliegen nicht formal verfolgt. Den Ernst der Lage – d.h. in Bezug auf das Nachwuchsproblem – haben die Organisationen zwar erkannt, doch leiten sie daraus keine entsprechend stringenten Konsequenzen für die Nachwuchsförderung ab.
4.5.2.6 Spezialisierung Finanzielle Unterstützung von Dachverbänden für die Arbeit mit jungen Menschen Eine finanzielle Unterstützung für die Arbeit mit jungen Menschen durch Dachorganisationen ist eine weitere Option, die eigene Nachwuchsarbeit auszubauen und zu intensivieren. Gleichzeitig ist es eine Form der Arbeitsentlastung für die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die seitens der Dachorganisationen gegenüber dem in den Organisationen bestehenden Nachwuchsproblem erfolgt. Durch die finanziellen Mittel der Dachorganisation können einzelne der zuvor aufgezeigten Aktivitäten betreffend den Nachwuchs in den Organisationen leichter auf den Weg gebracht werden. Die deutliche Mehrheit der Vereine (70 %) und Genossenschaften (89 %), aber auch 58 Prozent der gGmbHs und 32 Prozent der Stiftungen gaben an, Mitglied in einem Dachverband zu sein. Demzufolge ist seitens der Verbände eine finanzielle Unterstützung, die sich an ihre Mitglieder und deren Arbeit mit jungen Menschen, richtet theoretisch in einem beachtlichen Umfang möglich. Den Angaben aus der Organisationserhebung zufolge sieht das Bild in der Praxis jedoch anders aus: So erhalten nur ein knappes Viertel der Vereine (22 %) und sehr geringe Anteile der gGmbHs (11 %), Genossenschaften (1 %) sowie Stiftungen (4 %) von ihren Dachorganisationen einen finanziellen Beitrag für die Nachwuchsarbeit. Offenbar haben die Dachverbände das von den Organisationen artikulierte Nachwuchsproblem nicht im Blick. Entsprechend bietet sich für die Organisationen ein stärkerer Dialog mit den jeweiligen Dachorganisationen zum Thema junge Menschen in zivilgesellschaftlichen Organisationen an. Beschäftigung von Hauptamtlichen Wie in vielen Lebensbereichen und -situationen ist es auch im Engagement hilfreich, einen konkreten Ansprechpartner zu haben, der über spezifische Informationen verfügt, diese weitergeben und Personen gezielt und sachkundig beraten kann. Wenn in einer Organisation jemand für die Engagierten zuständig ist, trägt dies dazu bei, diese besser zu informieren, sie einzubinden und ihnen ihre Bedeutung für die Organisation deutlich zu machen. Für das Engagement Verantwortliche können zudem die Aufgabe des Freiwilligenmanagements übernehmen. Ihr Zuständigkeitsbereich umfasst in diesem Fall die Planung, Gewinnung und Begleitung von Engagierten (vgl. Biedermann 2012: 58). Mit dieser Aufgabe werden im günstigsten Fall
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 245
Hauptamtliche betraut, eigens hierfür eingestellte Personen, die die Kontinuität in der Arbeit mit den Engagierten sichern. Die mit dem Einsatz von Personal verbundenen Kosten können jedoch ein Hinderungsgrund für die Beschäftigung solcher Personen sein. Beispielsweise haben von den befragten Organisationen lediglich 61 Prozent Beschäftigte (vgl. Priller et al. 2013: 30); es gibt also zahlreiche Organisationen, in denen keine Hauptamtlichen, sondern ausschließlich Engagierte tätig sind. Angesichts der Angaben in der Organisationserhebung, die besagen, dass 81 Prozent der Organisationen die Aktivitäten von ehrenamtlich Engagierten als existenzsichernd ansehen, ist ihr Einsatz jedoch zumindest unter dem Gesichtspunkt einer verbesserten Arbeit mit Engagierten anzustreben. Der Freiwilligensurvey 2014 weist darauf hin, dass die 14- bis 29-jährigen Engagierten vor allem in Organisationen engagiert sind, die über einen Ansprechpartner oder eine Ansprechpartnerin für ein Engagement verfügen (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 523). Eine andere repräsentative Befragung zu den Einstellungen junger Menschen zum Engagement machte ebenfalls eindrücklich die Bedeutung von Ansprechpartnern deutlich. Demnach gelingt ein ehrenamtliches Engagement junger Menschen nur dann, wenn sie von einem erwachsenen „Manager“ unterstützt werden (vgl. Büro für Selbsthilfe und Ehrenamt Osnabrück 2005). Gleichzeitig geben seit 2004 anteilig weniger junge Engagierte an, einen Ansprechpartner oder eine Ansprechpartnerin zu haben (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016b: 260). Vor diesem Hintergrund wurde in der Organisationserhebung nach der Existenz von Hauptamtlichen, die für die ehrenamtlich Engagierten zuständig sind, gefragt (vgl. Tabelle 4.32). Tab. 4.32: Einsatz von Hauptamtlichen für die Arbeit mit ehrenamtlich Engagierten nach Rechtsform (in %) Vereine
gGmbH
Genossenschaft
Stiftung
Ja, wir beschäftigen Hauptamtliche für die Arbeit mit ehrenamtlich Engagierten
17
31
13
5
Nein, wir beschäftigen keine Hauptamtlichen für die Arbeit mit ehrenamtlich Engagierten
83
69
87
95
Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Das Vorhandensein von Beschäftigten, die für die Engagierten zuständig sind, ist in allen Rechtsformen eher die Ausnahme. Von den befragten Vereinen gaben 17 Prozent an, eine Person für die Arbeit mit ehrenamtlich Engagierten hauptamtlich zu be-
246 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
schäftigen. Dies traf auch auf 31 Prozent der gGmbHs, 13 Prozent der Genossenschaften und 5 Prozent der Stiftungen zu. Die Mehrheit der Organisationen verfügt jedoch über keine Hauptamtlichen, die speziell für die ehrenamtlich Engagierten zu ständig sind. Dies ist bezüglich der stärkeren Einbindung junger Engagierter in die Organisation zu bedenken. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die gGmbHs, da ein vergleichsweise hoher Anteil von ihnen sich im oben beschriebenen Sinne professionell um die Engagierten kümmert. Sofern eine Beschäftigung Hauptamtlicher für die Belange der Engagierten aus finanziellen Gründen nicht erfolgt, sind diesbezügliche Kooperationsmöglichkeiten in Erwägung zu ziehen. Beispielsweise können Vereine, die in identischen oder ähnlichen Tätigkeitsfeldern agieren, abwägen, sich die Kosten für die Anstellung einer hauptamtlich verantwortlichen Person für das Engagement in den Organisationen zu teilen. Ist ein Hauptamt jedoch gar nicht möglich, können Aufgaben, die in den Bereich des Freiwilligenmanagements fallen auch ein attraktives Engagementfeld darstellen und von Engagierten übernommen werden. Qualifikationsangebote und Zielgruppen Die individuelle Qualifizierung und der persönliche Bildungsgrad bilden heute mehr denn je eine Ressource für eine erfolgreiche wirtschaftliche und soziale Integration von Menschen in die Gesellschaft. Dies trifft auf die jungen Menschen in besonderem Maße zu. Aufgrund der Veränderungen im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt sind die Anforderungen an die individuelle Bildung junger Menschen gestiegen. Der Bedarf an analytischen und kreativen Fähigkeiten hat sich auf dem Arbeitsmarkt deutlich erhöht (vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012: 139). Wer hochqualifiziert ist und über die Befähigung zur Selbstorganisation verfügt, gehört demnach zu den Gewinnern (ebd.: 139 ff.). In dem Moment, in dem junge Menschen die gesamtgesellschaftlich steigenden Ansprüche an ihre Bildungsprofile auf- und annehmen, bleibt es offenbar nicht aus, dass sie diese als Erwartungen an das Engagement weitergeben. Zuvor wurde bereits ausgeführt, dass junge Menschen trotz ausgeprägter Gemeinwohlorientierung mit dem klaren Anliegen in ein Engagement gehen, ihre eigenen Interessen zu verwirklichen. Besonders deutlich wurde dies anhand ihres ausgeprägten Qualifikationsmotivs (vgl. Abschnitt 3.4.6). Hinzu kommt, dass junge Engagierte vor allem einen Verbesserungsbedarf bei der Anerkennung ihres Engagements als Qualifikationsleistung anmahnen. Nach Berechnungen mit den Daten des Freiwilligensurveys meinten 1999 bereits 48 Prozent der 14- bis 30-Jährigen, der Staat solle ihr Engagement als Praktikum bzw. Weiterbildung anerkennen; im Jahr 2014 vertraten 54 Prozent diese Position (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016b: 278). Zivilgesellschaftliche Organisationen sind in der Mehrheit keine klassischen Bildungsinstitutionen. Ihnen fällt nicht wie Schulen und anderen Ausbildungsinstitutionen die Aufgabe der fachbezogenen und allgemeinbildenden Wissensvermittlung zu. Dabei ist hervorzuheben, dass zu den originären Funktionen der zivilgesellschaftlichen Organisationen
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 247
(Dienstleistung, Interessenartikulation und Sozialintegration) nicht die Qualifizierung der Engagierten zählt. Im Rahmen ihrer Nachwuchsaktivitäten müssen sie sich jedoch mit den Ambitionen junger Menschen auseinandersetzen, da sie bestimmte Entwicklungen nicht aufhalten können – sie müssen sich diese vielmehr zunutze machen. Die Organisationen haben dahin gehend die Möglichkeit, sich das Feld Kompetenzerwerb im Engagement umfassend zu erschließen. Immaterielle Anreize (z.B. Qualifizierungsoptionen) bieten sich im Zusammenhang mit der Nachwuchsförderung sogar an (vgl. Hussmann et al. 2013: 244 ff.; Nauck 2013: 64). Düx et al. (2008: 174 ff.) konnten in ihren Befragungen die besonderen Chancen und Formen des Kompetenzerwerbs im freiwilligen Engagement herausstellen. Das hohe Maß an Freiwilligkeit, Selbstbestimmung und praktischer Nähe wird als charakteristische Stärke des außerschulischen Lernens in den zivilgesellschaftlichen Organisationen beschrieben. Erwachsene, die in ihrer Jugend engagiert waren, verfügen insbesondere in den Bereichen Rhetorik, Führungskompetenz und Organisation über mehr Wissen und Können als Nichtengagierte. Diese als sozialkulturell gefassten Kompetenzen werden an anderen Lernorten kaum vermittelt. Sie werden jedoch insbesondere durch die Übernahme und Ausführung von ehrenamtlichen Leitungsfunktionen erworben. Lernchancen ergeben sich Düx et al. zufolge im Engagement auch bei der Herausbildung demokratischer Kenntnisse und Einstellungen sowie bei der Entwicklung einer ausgeprägten Reflexionsfähigkeit. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass zivilgesellschaftliche Organisationen durchaus über Qualifikationspotenzial verfügen. Um junge Menschen an sich zu binden, können die Organisationen also mit dem im Engagement erworbenen Kompetenzen werben. Beispielsweise ist jungen Menschen der besondere Qualifizierungsoutput zu verdeutlichen, der durch die Übernahme und Ausführung von ehrenamtlichen Leitungsfunktionen entsteht. Das Aufzeigen eines solchen Kompetenzerwerbs trägt dazu bei, dass dieser von den jungen Menschen überhaupt wahrgenommen und wertgeschätzt wird. Zudem können die Organisationen jungen Menschen spezifische Qualifikationsangebote unterbreiten. In der Organisationsbefragung wurde vor diesem Hintergrund nach Qualifikationsmöglichkeiten für ehrenamtlich Engagierte und deren Ausrichtung auf spezielle Zielgruppen gefragt. Knapp die Hälfte der Vereine verfügt über Qualifikationsangebote für Engagierte (45 %) und konzentriert sich dabei vor allem auf tätigkeitsbezogene Schulungen (67 %). Die Inhalte solcher Angebote sind eng an die jeweils übernommene Aufgabe gebunden. Engagiert man sich beispielsweise für Personen mit Migrationshintergrund, sind Schulungen hilfreich, die das interkulturelle Verständnis fördern. Auch Sprachkurse können von Nutzen sein. Von den befragten gGmbHs offeriert die Hälfte ihren Engagierten Qualifikationsangebote (51 %); sie sind in dieser Hinsicht die aktivste Rechtsform. Ähnlich wie Vereine bieten sie vor allem tätigkeitsbezogene Schulungen an (67 %).
248 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Vereine, die Qualifikationsangebote machen, richten sich dabei zumeist an eine Zielgruppe (60 %): In der Regel handelt es sich um Personen in ehrenamtlich leitender Funktion (73 %). Junge Menschen werden von knapp jeder zweiten Organisation angesprochen (48 %). Von den gGmbHs haben 46 Prozent eine Zielgruppe bei ihren Angeboten im Blick: Diese sind in erster Linie an ältere (55 %) und jüngere Menschen (45 %) gerichtet. Wie an anderer Stelle gezeigt wurde, konzentrieren sich die gGmbHs bei der Werbung um neue Engagierte ebenfalls vor allem auf ältere Personen. Da zahlreiche gGmbHs als Dienstleister im Sozial- und Bildungsbereich tätig sind und hier in hohen Maße wirtschaftliche Aktivitäten verfolgen (vgl. Priller et al. 2013: 54), setzen sie offenbar verstärkt auf die Erfahrungen und Kompetenzen älterer Menschen als Engagierte. Stiftungen (16 %) und Genossenschaften (32 %) verhalten sich bezüglich ihrer Qualifikationsangebote für Engagierte eher zurückhaltend. Sofern diese überhaupt vorhanden sind, richten sie sich an Personen in ehrenamtlicher Leitungsfunktion. Jungen Menschen werden hingegen keine speziellen Schulungsmöglichkeiten geboten. Im Unterschied zu den anderen Rechtsformen setzen Genossenschaften (41 %) und Stiftungen (31 %) jedoch intensiver auf die Ausbildung ökonomischer Fertigkeiten von Engagierten. In beiden Fällen ist hierfür sicher das stark an Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen gebundene Engagement mitverantwortlich. Bei den Genossenschaften kann ferner die traditionell ökonomische Ausrichtung der genossenschaftlichen Tätigkeit eine Rolle spielen. Stiftungen wiederum zeichnen sich durch die Existenz eines festen Kapitalstocks aus, den es zu erhalten und zu mehren gilt. Aus diesen Situationen resultieren für die ehrenamtlichen Funktionsträger spezifische Anforderungen und Tätigkeitsprofile, bei denen ökonomische Kenntnisse unerlässlich sind. Die zunehmende Wirtschaftlichkeit und die sich andeutenden Ökonomisierungstendenzen bei den zivilgesellschaftlichen Organisationen stellen für alle Rechtsformen eine Herausforderung dar (vgl. Priller et al. 2013). Hinzu kommt der sich in den letzten Jahren stetig wandelnde rechtliche Rahmen in Bezug auf das Engagement (vgl. Alscher et al. 2009: 150 f.). So wurde im Jahr 2007 das „Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements“ verabschiedet und im Jahr 2013 das „Ehrenamtsstärkungsgesetz“ durch den Deutschen Bundestag beschlossen. Insofern ergeben sich für alle ehrenamtlichen Leitungsfunktionen immer wieder neue und komplexe Aufgaben, für die juristische und ökonomische Kompetenzen erforderlich sind. Hinweise auf die Anforderungsausweiterung lassen sich u.a. im Sportentwicklungsbericht 2013/2014 finden. Bei den Sportvereinen zählt die Notwendigkeit, die zahlreichen Gesetze, Verordnungen und Vorschriften zu berücksichtigen, zu den existenziellen Problemen (vgl. Breuer/Feiler 2015/2016: 24). In einer Befragung Kasseler Vereine äußern die ehrenamtlichen Vorstände einen konkreten Schulungsbedarf in den Feldern Arbeits- und Sozialrecht, Betriebswirtschaft und Vereinsrecht (vgl. FreiwilligenZentrum Kassel e.V. 2012: 9).
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 249
Erwähnt werden sollte nicht zuletzt, dass keine der Rechtsformen sich mit ihren Qualifikationsangeboten in nennenswertem Umfang an Personen mit Migrationshintergrund richtet. Dies weist abermals auf den Ausschluss dieser Gruppe aus zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen hin; sie werden von den Organisationen allgemein nicht gezielt als potenzielle Mitglieder und Engagierte angesprochen. Insgesamt bieten also fast jeder zweite Verein und mehr als jede zweite gGmbH Qualifizierungsmöglichkeiten, was den Qualifizierungsbestrebungen junger Menschen in ihrem Engagement entgegenkommt. Allerdings richten sich die Angebote nicht unbedingt an sie, der Schwerpunkt liegt vielmehr auf der Vermittlung von Kompetenzen für Personen in ehrenamtlicher Leitungsfunktion und für ältere Menschen. Ehrenamtliche Leitungsfunktionen werden jedoch selten von jungen Menschen ausgeübt, deshalb besteht die Gefahr, dass junge Menschen die Informationen zu den Qualifikationsangeboten nicht erreichen, da der Fokus auf anderen Gruppen liegt. Sie können nur von jenen Fortbildungen profitieren, die sich an sie richten oder offen für alle sind. Folgt man den Angaben der Organisationen zu ihren Qualifikationsangeboten, haben junge Menschen zu diesen zum Teil keinen Zugang. Zugleich ist zu überdenken, ob die Schulungsinhalte bestimmten Anforderungen im Engagement entsprechen (z.B. juristische und ökonomische Fähigkeiten). Im Zusammenhang mit der stärkeren Einbindung junger Engagierter in die Organisationen als Nachwuchs für künftige Aufgaben sollte geprüft werden, ob und wie sich eine bessere Abstimmung von Angebot und Nachfrage im Bereich der Qualifizierung realisieren lässt. Damit würden die Organisationen in sich selbst investieren, weil sie so gesehen ihren eigenen Nachwuchs ausbilden. Zugleich nehmen sie die Qualifizierungswünsche junger Menschen auf und beantworten sie. Im Ergebnis steht eine Win-win-Situation für beide Seiten. Kooperationsbeziehungen mit jugendorientierten Einrichtungen Ganz allgemein können durch die Kooperation mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen Synergien entstehen, die für die Nachwuchsarbeit von Bedeutung sind. Im Austausch mit anderen Einrichtungen oder durch den Zusammenschluss mit ihnen sind beispielsweise Fragen in Bezug auf die personelle Besetzung ehrenamtlicher Leitungs-, Aufsichts- und Beratungsfunktionen einfacher zu klären (vgl. Nauck 2013: 66). Auch in anderer Hinsicht bieten sich Kooperationen als gangbarer Weg an, um die Arbeit mit und für Engagierte zu erleichtern. Allgemein erweisen sich zivilgesellschaftliche Organisationen als äußerst kooperationsfreundlich. Sie arbeiten vor allem eng untereinander zusammen und nutzen dabei primär die Möglichkeit zum Informationsaustausch, zur Durchführung gemeinsamer Projekte und zur Öffentlichkeitsarbeit (vgl. Priller et al. 2013: 36 ff.). Die Gewinnung weiterer Engagierter spielt hingegen bislang kaum eine Rolle. Zu berücksichtigen ist, dass Kooperationen zwischen Organisationen zahlreiche Abstimmungsprozesse erfordern, die nur mittel- bis langfristig zu bewältigen sind.
250 | Zivilgesellschaftliche Organisationen und das Engagement junger Menschen
Den Angaben der Organisationserhebung zufolge kooperieren zahlreiche zivilgesellschaftlichen Organisationen ebenfalls mit Einrichtungen, die mit jungen Menschen zu tun haben (vgl. Tabelle 4.33). Tab. 4.33: Regelmäßige Kooperationen zivilgesellschaftlicher Organisationen mit jugendorientierten Einrichtungen nach Rechtsform (in %)* Verein
gGmbH
Genossenschaft**
Stiftung
Kooperationsbeziehung vorhanden***
65
70
24
63
Gemeinsame Aktionen/Projekte
43
51
35
55
Erschließung finanzieller Mittel
21
23
10
18
Mitarbeit in Gremien
28
39
9
14
Interkulturelle Arbeit
19
25
8
15
Gewinnung ehrenamtlicher Engagierter
14
11
9
2
Gemeinsame Angebote, Dienstleistungen
28
35
30
27
Sonstiges
16
22
0
38
* Antwort: regelmäßig (weitere: gelegentlich, selten, nie); Mehrfachnennung möglich. ** Fallzahl < 30. *** Hierbei handelt es sich um die Eingangsfrage, die nur mit Ja oder Nein zu beantworten war. Datenbasis: WZB – Organisationen heute (2011/2012); eigene Berechnung.
Solche Einrichtungen sind beispielsweise Schulen, Universitäten oder Jugendorganisationen und Jugendämter. Ein hoher Anteil der gGmbHs (70 %), aber auch knapp zwei Drittel der Vereine (65 %) und der Stiftungen (63 %) arbeiten mit diesen Institutionen zusammen. Abweichend hiervon kooperiert lediglich ein knappes Viertel (24 %) der Genossenschaften.69 Es fallen die vergleichsweise hohen Anteile der gGmbHs auf, die mit jugendorientierten Einrichtungen im Austausch sind. Dabei ist ein Zusammenhang mit der Tätigkeitsausrichtung der gGmbHs wahrscheinlich: In vielen Fällen sind sie mit ehrenamtlich Engagierten im sozialen Bereich aktiv, wozu auch die Bildung zählt. Insgesamt kümmern sich die Organisationen um die einzelnen Kooperationsformen mit unterschiedlicher Intensität, zumeist aber nur gelegentlich bis selten, was insgesamt für eher lockere Beziehungen spricht.
|| 69 Auf eine weitere Darstellung wird aufgrund der geringen Fallzahl verzichtet.
Nachwuchsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen | 251
Eine regelmäßige Zusammenarbeit erfolgt primär über gemeinsame Aktionen und Projekte: 43 Prozent der Vereine, 51 Prozent der gGmbHs und 55 Prozent der Stiftungen sind in diesem Bereich aktiv (vgl. Tabelle 4.33). Besonders auffällig sind die äußerst geringen Anteile von Vereinen (14 %), gGmbHs (11 %) und Stiftungen (2 %), die ihre regelmäßigen Kooperationsbeziehungen zur Gewinnung ehrenamtlich Engagierter nutzen. Anscheinend wird aus den verschiedensten Gründen eine Zusammenarbeit mit jugendorientierten Einrichtungen verfolgt, wobei jedoch das Ziel, Engagierte zu finden, ausgespart bleibt. Die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und mit Bildungseinrichtungen in Bezug auf gemeinsame Nachwuchsaktivitäten lässt sich also noch besser abstimmen. Gemeinsame Projekte, die durchgeführt werden, können sich diesem Thema widmen, die Erschließung finanzieller Mittel kann zu diesem Zweck erfolgen, und die Gewinnung von Engagierten ist den Daten zufolge durch Kooperationen zu intensivieren.
4.5.3 Empirische Relevanz zivilgesellschaftlicher Organisationsstrukturen bei der Nachwuchsarbeit: Resümee Im Ergebnis der empirischen Analysen bestätigen sich in der Tendenz die von Horch (1992) bestimmten Strukturmerkmale für Vereine im Kontext mit den Nachwuchsaktivitäten. Dabei sind die traditionellen Strukturmerkmale Formalisierung und Spezialisierung kaum oder nur teilweise von Relevanz. Dies deutet darauf hin, dass die Nachwuchsarbeit in Vereinen bislang eher nach informellen als nach formellen Regeln erfolgt. Damit einher geht die Gefahr, dass die Integration junger Engagierter durch bestimmte Einstellungs-, Macht- und Interessenkonstellationen erschwert wird. Die Resultate und deren Konsequenzen werden im Folgenden zusammenfassend erläutert. 1. Das Strukturmerkmal Selbstbestimmung und Führung wurde bezüglich der empirischen Daten insbesondere in der Dimension Selbstbestimmung betrachtet. Die Ergebnisse der hier zugeordneten Fragen lassen den Schluss zu, dass diese Strukturkategorie bei Vereinen im Hinblick auf die Nachwuchsarbeit mit Einschränkungen vorhanden ist (mittelstarke Ausprägung). Als Ursache für das nur eingeschränkte Vorhandensein ist das mehrheitliche Fehlen von Jugendgremien, Jugendorganisationen und nicht durchgeführten strukturellen Veränderungen, verstanden als eine Verflachung der organisationsinternen Hierarchien, anzuführen. Die Verflachung vorhandener Hierarchieebenen verfolgen die untersuchten Vereine kaum. Im Unterschied hierzu sind Mitsprachemöglichkeiten für Nichtmitglieder und Internetangebote zum Engagement grundsätzlich gegeben. Allerdings ist das Angebot in beiden Bereichen nicht sehr ausdifferenziert. Mitsprachemöglichkeiten für Nichtmitglieder werden z.B. umso weniger gewährleistet, je mehr Verantwortung und Vertrauen damit einhergeht. Internetoptionen
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2.
3.
zum Engagement werden von den Organisationen zu kommunikativen Zwecken angeboten, in weitaus geringerem Maße werden sie jedoch aus partizipativen Gründen eingesetzt. Insofern lässt sich für das Strukturmerkmal Selbstbestimmung in Nachwuchsfragen eine mittlere Ausprägung für die untersuchten Vereine feststellen. Im Sinne der von Vanberg (1982) postulierten Bedeutung einer partizipativen Gestaltung der Organisationsstrukturen zu dessen Erhalt bzw. zur Absicherung der Ressource Engagement, ist der Ausbau einer jugendaffinen Mitsprachekultur unter Vereinen zu überdenken. Andernfalls erfolgt die Selbstbestimmung in Vereinen nur durch ausgewählte Gruppen, was zu einem Rückzug junger Engagierter aus den Organisationen führen kann. Das Strukturmerkmal Personalisierung ist hingegen bei den untersuchten Vereinen stark ausgeprägt. Nach den vorliegenden Ergebnissen werden ehrenamtliche Funktionen in einem hohen Maße aufgrund persönlicher Eigenschaften besetzt, deren Bewertung von den vorhandenen Netzwerken vorgenommen wird. Zudem erfolgt die Rekrutierung von Personen für ehrenamtliche Organ- und Gremienfunktionen überwiegend von innen heraus, das heißt, die in Frage kommenden Personen sind bereits im Verein aktiv. Diese Vorgehensweise geschieht aus nachvollziehbaren Gründen, die erheblich mit Vertrauen verknüpft sind. Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Auswahl weniger offiziell und für interessierte Außenstehende eher verborgen erfolgt. Dadurch kann der Ausschluss von (jungen) Personen, die nicht in den entsprechenden Netzwerken vertreten sind, von den Aufgaben provoziert werden. Personalisierung ist im Kontext mit einer Nachwuchsarbeit ein wichtiges Strukturmerkmal, da sie bei der Nachwuchsarbeit hinderlich sein kann. Ähnlich wie Interaktionsverfestigung ist die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen zur Gestaltung dieser Strukturmerkmale aufgrund ihres privaten Charakters für Außenstehende, zum Teil auch für die Organisationsmitglieder, eingeschränkt. Diverse Aktivitäten zur Förderung des engagierten Nachwuchses erfordern jedoch genau das Gegenteil: eine transparente, offene und allgemeinverständliche Ausgestaltung. Nur auf diese Weise können unterschiedliche soziale Gruppen an dem Prozess partizipieren. Verfügen jedoch nur ausgewählte einzelne Personen über Informationen zu den Optionen, wie man sich in einem Verein allgemein oder in verantwortungsvollen Positionen engagieren kann, stellt dies möglicherweise für junge Menschen eine Barriere dar, sich überhaupt einzubringen. Für das Strukturmerkmal Interaktionsverfestigung zeigt sich, dass dieses sich auch in relevanten Nachwuchsaktivitäten niederschlägt. Das Merkmal kann von daher in Sachen Nachwuchsarbeit als mittelstark ausgeprägt gelten. Ursächlich hierfür sind ein mehrheitlich ausbleibendes Bemühen, junge Frauen für ehrenamtliche Funktionen zu gewinnen, und die eingeschränkte Beachtung einer Altersdurchmischung unter den Personen in diesen Ämtern. Diese Ergebnisse suggerieren eine gewisse Verschlossenheit gegenüber drängenden Herausforderungen wie z.B. die stärkere Einbeziehung junger Frauen in verantwortliche
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Positionen. Interaktionsverfestigung kann die Chancen benachteiligter Gruppen, wie der der jungen Frauen, in ehrenamtliche Wahlämter zu gelangen, verringern. Sowohl bei dem Strukturmerkmal der Personalisierung als auch bei dem der Interaktionsverfestigung besteht die Gefahr, dass die zweckrationale Steuerung der Organisation vernachlässigt wird, die für die Nachwuchsarbeit einen besonderen Stellenwert haben kann. Zugunsten personifizierter Gewohnheiten und Traditionen, die in den Organisationen verbreitet, gelebt und weiter strukturell sozialisiert werden, werden eher rationale Überlegungen zurückgestellt. Aufgrund der durchschlagenden Bedeutung dieser beiden Strukturmerkmale, die sich auch im Kontext mit der Nachwuchsarbeit zeigen, liegt es nahe, hier im Sinne einer neoinstitutionalistischen Argumentationsweise von Institutionen zu sprechen, die sich als Einstellung und Überzeugungen deuten lassen. Wie an anderer Stelle ausgeführt wurde, ist ihre Veränderbarkeit an eine De-Institutionalisierung gebunden, die nur durch eine Beeinflussung individueller Selbstwahrnehmung bewirkt werden kann. Konkret bedeutet dies beispielsweise das Bewusstmachen der Gründe, die zu einer mangelnden Beachtung von Frauen für ehrenamtliche Führungsaufgaben beitragen. Es wird vermutet, dass die Gründe hierfür auch in persönlichen Einstellungen und Wertemustern liegen, durch die Frauen bestimmte Eigenschaften wie Durchsetzungskraft, die für Führungspositionen notwendig erscheinen, aberkannt werden. 4. Das Strukturmerkmal Formalisierung ist bei den Nachwuchsaktivitäten von Vereinen weniger deutlich vorhanden. Man kann von einer eher schwachen Ausprägung sprechen. Dies zeigt sich insbesondere an der geringeren Besetzung härterer Indikatoren wie dem Vorhandensein einer Amtszeitbeschränkung für den Vorsitz des ehrenamtlichen Vorstands oder dem Vorhandensein von formalen Regeln zur Förderung junger Engagierter im Verein. Auch beschäftigt sich nur ein Drittel mit einer gezielten Förderung der vereinsbezogenen Aufstiegsmöglichkeiten junger Engagierter. Macht man den Grad der Formalisierung hingegen an der Festlegung von Zielgruppen für Qualifikationsangebote oder der Werbung um Mitglieder und Engagierte fest, ergibt sich ein etwas anderes Bild: Zahlreiche Vereine sind um die Anwerbung neuer Mitglieder und Engagierter mit konkreten Instrumenten bemüht, und eine Mehrheit verfügt über eine Regelung zum altersbezogenen Stimmrecht in der Mitgliederversammlung. Diese Beispiele machen deutlich, dass Vereine sehr wohl bestimmten Regeln bei ihren Nachwuchsaktivitäten folgen. Hier sind Anknüpfungspunkte für eine Intensivierung entsprechender Anstrengungen gegeben. Jedoch werden die Aktivitäten entweder nicht von einer Mehrheit verfolgt, oder sie fokussieren sich zumeist auf ausgewählte Varianten, die aus einer breiten Palette an Möglichkeiten herausgegriffen werden. Im Einzelnen sind damit u.a. die überwiegend personenbezogene Werbung um Mitglieder und Engagierte oder die dominierende Stimmberechtigung ab einem Alter von 18 Jahren in der Mitgliederversammlung angesprochen. Insgesamt ist der
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5.
Formalisierungsgrad der Nachwuchsarbeit somit als nicht sehr hoch einzustufen. Dies kann den systematischen und breitenwirksamen Charakter der Nachwuchsarbeit einschränken. Die verschiedenen den Nachwuchs fördernden Aktivitäten sind damit in ihrer Verbindlichkeit gefährdet. In eine ähnliche Richtung – jedoch weniger eindeutig – weisen die Resultate zum Strukturmerkmal Spezialisierung. Vereine nutzen ausgewählte Nachwuchsaktivitäten, die zur Ausformung des Strukturmerkmals Spezialisierung beitragen, nur zum Teil. Die Beschäftigung hauptamtlicher Personen für Engagierte zählt nicht dazu. Dies erfordert jedoch auch den Einsatz finanzieller Mittel. Da ein großer Teil der Vereine zumeist nur über ein kleineres finanzielles Budget verfügt, ist es offenbar den „wohlhabenderen“ unter ihnen vorbehalten, auf solche Instrumente zur Nachwuchsförderung zurückgreifen zu können. Hingegen werden Qualifikationsangebote von fast der Hälfte der Vereine gemacht und Kooperationsbeziehungen u.a. mit jugendorientierten Einrichtungen eingegangen. Dies spricht für eine Teilspezialisierung. Gleichwohl richten sich die Qualifikationsangebote nicht gleichberechtigt an alle Zielgruppen. Der eindeutige Schwerpunkt des Schulungsangebots liegt auf tätigkeitsbezogenen Qualifizierungsmaßnahmen, und die Kooperationsbeziehungen mit jugendorientierten Einrichtungen sind in der Mehrheit auf die gemeinsame Durchführung von Projekten beschränkt. Im Ergebnis ist das Strukturmerkmal Spezialisierung unter den befragten Vereinen schwach bis mittelstark ausgeprägt. Sofern Vereine von ihren Ressourcen her die Möglichkeit haben, lässt sich die Nachwuchsarbeit stärker professionalisieren.
5 Einflussfaktoren auf die Präsenz junger Menschen in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen in Vereinen – eine multivariate Betrachtung Es konnte bisher gezeigt werden, dass die Organisationen die Gewinnung und Mobilisierung neuer Engagierter als problematisch ansehen. Gerade die Besetzung der ehrenamtlichen Organ- und Gremienfunktionen fällt einem Großteil der Organisationen schwer. Dabei sind junge Menschen in den ehrenamtlichen Leitungsfunktionen auffallend häufig unterrepräsentiert. Gleichzeitig verfolgen die Organisationen spezifische Aktivitäten, den engagierten Nachwuchs zu fördern; die einzelnen Maßnahmen und Möglichkeiten werden jedoch mit unterschiedlicher Intensität verfolgt. Unklar ist bislang, welche Merkmale sich als statistisch abgesicherte Einflussfaktoren für die Präsenz junger engagierter Menschen in zivilgesellschaftlichen Organisationen erweisen. Dieser Frage soll in diesem Kapitel speziell in Bezug auf die Einbeziehung junger Menschen in ehrenamtliche Leitungsfunktionen in Vereinen nachgegangen werden.70 Die konkrete Frage lautet: Welche organisationsspezifischen Bedingungsfaktoren beeinflussen in welchem Maße die Präsenz von jungen Menschen in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen von Vereinen? Dabei wird insbesondere gefragt: Welche nachwuchsorientierten Instrumente bzw. Maßnahmen haben einen Einfluss, dass junge Menschen in Vereinen ehrenamtliche Leitungsfunktionen übernehmen? Unter organisationsspezifischen Bedingungsfaktoren wird ein breites Set an Einflussgrößen verstanden. Im Einzelnen handelt es sich um strukturelle, kontextuelle und instrumentelle Faktoren. Die einzelnen Faktoren sind wie folgt zu verstehen: 1. Strukturvariablen stehen in Zusammenhang mit dem Aufbau und der Arbeitsweise der Organisation;
|| 70 Die verwendeten Daten sind eine Teilstichprobe des Datensatzes „WZB – Organisationen heute (2011/2012)“. Sie umfasst zum einen alle befragten Vereine (ausgenommen sind Jugendorganisationen), in denen Mitglieder, ehrenamtlich Engagierte und ehrenamtliche Leitungspersonen vorhanden sind. Auch wurden nur jene Vereine betrachtet, die eine Angabe zum Vorhandensein junger Menschen in Leitungsfunktionen machten. Zum anderen sind im Analysesample nur solche Vereine enthalten, für die Informationen zu den im Variablenmodell enthaltenen Fragen vorliegen. Die Stichprobe umfasst insgesamt 244 Fälle, die in die Regressionsanalyse eingegangen sind. Bei der Ergebnisinterpretation ist die Limitation der vorhandenen Fallzahlen zu berücksichtigen.
10.1515/978311052907-005
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2. 3.
Interne Kontextvariablen liegen innerhalb der Organisation, sind wegen ihrer Kopplung an externe Prozesse jedoch volatil; Instrumente-/Maßnahmenvariablen sind konkrete Maßnahmen der Organisation zur Nachwuchsgewinnung.
Da die Fragestellung eine deutliche Praxisrelevanz aufweist, kommt den instrumentellen Determinanten ein besonderer Stellenwert zu. Der Fokus liegt demnach auf der Ermittlung der Bedeutung von Instrumenten und Maßnahmen der Nachwuchsarbeit. Diese haben gerade für praktische Schlussfolgerungen eine hohe Handlungsrelevanz. Zur Beantwortung der Frage wird ein multivariates Analyseverfahren gewählt. Es handelt sich dabei um eine binär logistische Regression (vgl. Backhaus et al. 2008). Mittels der binär logistischen Funktion wird die Wahrscheinlichkeit bestimmt, mit der das Ereignis y = 1 (abhängige Variable) unter Berücksichtigung unterschiedlicher Einflussgrößen (x) (unabhängige Variablen) eintritt (vgl. Backhaus et al. 2008). Mit diesem Ansatz lassen sich also jene Determinanten bestimmen, die dazu beitragen, dass junge Menschen in Leitungsfunktionen sind. Für die Durchführung der binär logistischen Regression wurde als abhängige Variable „Jung ist in Leitung“ (y = 1) bzw. „Jung ist nicht in Leitung“ (y = 0) festgelegt. Zur Bestimmung der Erklärungsgrößen, ob junge Menschen in ehrenamtlicher Leitungsfunktion sind, wurden insgesamt 18 erklärende Variablen71 getestet. Die Auswahl der getesteten Variablen erfolgte aufgrund theoretischer und forschungspraktischer Überlegungen, die in Tabelle 5.1 zusammengefasst sind. Für die Ergebnisinterpretation der Beziehung zwischen x und y wurden die AMEs herangezogen (vgl. Mood 2010). Die AME zeigen den || 71 Die erklärenden Variablen haben in den meisten Fällen ein nominales Skalenniveau mit binärer Ausprägung, weshalb häufig keine zusätzliche Codierung erforderlich war (vgl. Tabelle im Anhang). In drei Fällen wurde eine Dichotomisierung der nominal skalierten Variable vorgenommen. Zudem wurden einzelne Variablen als Dummy-Variablen recodiert und sind mit einer von ihnen als Referenzkategorie in das Modell eingegangen. Für die Referenzkategorie bei den ursprünglich ordinal skalierten Variablen wurde eine Extremkategorie ausgewählt. So sind z.B. für die Variable Jahresgesamteinnahmen (1) (ordinal) die vier Dummy-Variablen „gering (0 bis 5.000 Euro)“, „mittel (> 5.000 bis 10.000 Euro)“, „hoch (> 100.000 bis 1 Million Euro)“ und „sehr hoch (> 1 Million Euro)“ gebildet und letztere ist als Referenzkategorie verwendet worden. Bei den ursprünglich nominal skalierten Variablen ist die Wahl der Referenzkategorie inhaltlich motiviert (vgl. Long/Frees 2001: 265). Für die Variable Haupttätigkeitsfeld (3) wurde der Bereich Bildung als Referenzkategorie gesetzt. Der Bildungsbereich umfasst vor allem Vereine, die als Kindergärten oder im Umfeld von Schulen agieren. In diesen Institutionen sind aus lebensphasenspezifischen Gründen zumeist ältere (vor allem Eltern) Zielgruppen aktiv (vgl. Geiss/Picot 2009). Der Bereich wurde also als Referenzkategorie gewählt, weil junge Engagierte hier nicht die dominante Engagiertengruppe sind. Auf die Referenzkategorie beziehen sich die Regressionskoeffizienten. Weiterhin ist eine metrisch skalierte unabhängige Variable im Set (Alter der Organisation). Neben den einzelnen Codierungsschritten war in drei Fällen eine Zusammenfassung der Einzelvariablen notwendig, um die Fallzahlen in den jeweiligen Gruppen zu erhöhen (Haupttätigkeitsfelder, Finanzen, Leitlinien).
Junge Menschen in Leitungsfunktionen – Einflussfaktoren | 257
durchschnittlichen Einfluss einer unabhängigen Variable (X) auf die Wahrscheinlichkeit des Auftretens der abhängigen Variable (y) bezogen auf die Stichprobe, wobei alle anderen unabhängigen Variablen konstant zu halten sind (vgl. Best/Wolf 2012.: 839 ff.). Ausformuliert bedeutet dies für den vorliegenden Fall, dass sich die Wahrscheinlichkeit für Junge in der Leitungsebene um durchschnittlich „z“ Prozentpunkte erhöht, wenn der Verein über ein Merkmal „x“ verfügt. Zusätzlich werden die Regressionskoeffizienten abgebildet, da es grundsätzlich möglich ist, ihre Vorzeichen und ihre statistische Signifikanz in die Interpretation miteinzubeziehen. Tab. 5.1: Variablenmodell Erklärungsfaktor/Variable
Grund: Auswahl (Hypothesen)
Struktur Jahresgesamteinnahmen 2010 (1) – bis 5.000 € – 5001 bis 100.000 € – 101.000 bis 1 Mio. € – über 1 Mio. €
Vereine haben häufig nur geringe Einnahmen: 68 % verfügten im Jahr 2012 über maximal 20.000 Euro (vgl. Krimmer/Priemer 2013). Die monetären Ressourcen sind jedoch wichtig, um in bestimmte Bereiche der Nachwuchsarbeit investieren zu können. Hierzu zählen z.B. Qualifikationsangebote, Freiwilligenmanagement, die Unterstützung oder der Unterhalt einer eigenen Jugendorganisation. Es wird deshalb davon ausgegangen, dass keine oder geringere Jahreseinnahmen bei Vereinen einen negativen Einfluss auf die Präsenz junger Menschen in der ehrenamtlichen Leitung haben.
Tätigkeitsraum (2) – Dorf/Gemeinde – Kleinstadt – Mittelstadt – Großstadt
Traditionell wird für Dörfer von einem stärker ausgeprägten Gemeinschaftsgefühl und größerer sozialer Kontrolle ausgegangen, wohingegen Großstädte für Mobilität, Anonymität und Heterogenität stehen (vgl. Häussermann 2011). Demografische und ökonomische Gründe führen mittlerweile eher zur Verstädterung: In der Folge gibt es weniger Menschen auf dem Land. In den Städten treten jedoch Probleme der Residualisierung und Gentrifizierung auf, Prozesse, die zu einer Verdrängung bestimmter sozialer Gruppen führen (ebd.). Es wird davon ausgegangen, dass bestimmte Aspekte des Aktivitätsraums des Vereins, d.h. beispielsweise bei ländlichen Regionen demografische und bei Großstädten sozioökonomische Gründe, einen negativen Einfluss auf die Präsenz junger Menschen in den ehrenamtlichen Leitungsfunktionen haben.
Haupttätigkeitsfeld (3) – Bildung – Kunst – Sport
Zivilgesellschaftliches Engagement findet in Vereinen statt, die in unterschiedlichen Bereichen agieren. Erkenntnisse aus der Engagementforschung weisen darauf hin, dass sich das freiwillige Engagement junger Menschen je nach Bereich
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Erklärungsfaktor/Variable
Grund: Auswahl (Hypothesen)
– – – – –
verschieden verändert hat (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016b: 17 ff.). Beispielsweise ist ihr Engagement in den Bereichen Sport und Kultur im besonderen Maße angestiegen. Das Haupttätigkeitsfeld steht für ein bestimmtes Ziel der Organisation. Es dient der Motivation der Organisationsmitglieder (vgl. Preisendörfer 2008: 62 f.). Es wird davon ausgegangen, dass die Haupttätigkeitsfelder der Vereine die, gemessen am Engagement junger Menschen, an Attraktivität gewonnen haben, jugendafine Ziele besetzen. Organisationsziele/-tätigkeitsfelder können demnach die Präsenz junger Menschen in der Leitung positiv beeinflussen.
Freizeit Gesundheit Soziales Politik Sonstige
Veränderung Tätigkeitsfeld seit 2005 (4) – Modifikation – Erweiterung – Reduzierung
In der Organisationsforschung geht man davon aus, dass Organisationen, die gleichzeitig mehrere verschiedene Ziele verfolgen, erfolgreicher sind als jene, die sich auf nur ein Ziel konzentrieren (Etzioni 1978: 29 f.). Für Externe sind jene Organisationen attraktiver, die unterschiedliche Angebote unterbreiten (ebd.). Durch Zielerweiterung kann also eine Organisation zugleich die Bindung ihrer Mitglieder fördern und neue Mitglieder gewinnen (ebd.: 28). Eine Veränderung der Tätigkeitsfelder kann sowohl die Erweiterung als auch die Modifikation von Zielen bzw. Inhalten der Organisation bedeuten. Im Fokus steht hierbei die Idee, dass sich eine Organisation durch die Veränderung ihrer Tätigkeitsfelder dynamisch gegenüber den Anforderungen in der Umwelt verhält. Übersetzt auf die Jugendfrage würde dies einen für diese Gruppe sensibilisierten Umgang mit den organisationsspezifischen Angeboten bedeuten. Es wird davon ausgegangen, dass Vereine, die ihre Tätigkeitsfelder verändern, für eine größere Zahl junger Menschen an Attraktivität gewinnen. Eine Veränderung ist in drei Varianten möglich: Modifikation, Erweiterung oder Reduzierung des Tätigkeitsfeldes. Mit der Veränderung der Tätigkeitsfelder durch Vereine, insbesondere mittels Modifikation und Erweiterung, erhöht sich demnach die Wahrscheinlichkeit, dass junge Menschen in Leitungsfunktionen vertreten sind.
Leitlinie – Engagementförderung (5) – Sehr wichtig – Wichtig – Unwichtig
Die Frage, ob ein Verein die Förderung des Engagements als wichtig erachtet, lässt sich ebenfalls dem Bereich der Ziele zuordnen, die ein Verein sich setzt. Organisationstheoretisch gehören Ziele auch zu den Organisationsprogrammen, eine Dimension, über deren Anpassung Veränderungen in Organisationen initiiert werden können (vgl. Gabriel 1976). Es wird davon ausgegangen, dass das Ziel Engagementförderung bei Vereinen zu einer höheren Wahrscheinlichkeit
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Erklärungsfaktor/Variable
Grund: Auswahl (Hypothesen) führt, dass junge Menschen in den ehrenamtlichen Leitungsfunktionen zu finden sind.
Alter/Gründungsjahr der Organisation (6)
Vereine wurden häufig vor 1980 gegründet (vgl. Priller et al. 2013: 16). Damit kann eine Überalterung der Themen und verantwortlichen Personen verbunden sein. Es wird davon ausgegangen, dass ein zunehmendes Alter der Vereine die Präsenz junger Menschen in der ehrenamtlichen Leitung negativ beeinflusst.
Interner Kontext Problem: Finanzielle Planungssicher- Probleme wie fehlende Planungssicherheit aufgrund einer unklaren Einnahmeentwicklung oder ein nachlassendes Geheit (7) meinschaftsgefühl sowie ein abnehmendes MitbestimProblem: Nachlassendes Gemeinmungsinteresse innerhalb einer Organisation sind interne schaftsgefühl in der Organisation (8) Kontextfaktoren. Einerseits handelt es sich um Probleme innerhalb einer Organisation, andererseits ist eine Kopplung Problem: Abnehmendes Mitbestimdieser Probleme an externe Prozesse nicht auszuschließen. mungsinteresse in der Organisation Hierzu zählen beispielsweise der Attraktivitätsverlust traditi(9) oneller Formen der Politik und politischer Beteiligung in der Gesellschaft (vgl. Weßels 2013b) oder die Ökonomisierung von Nonprofit-Organisationen allgemein (vgl. Droß 2013: 9 f.). In der Organisationsforschung wird angenommen, dass Anpassungs- und Veränderungsprozesse sowie die Effizienz einer Organisation auch von äußeren, in der Umwelt liegenden Faktoren beeinflusst werden (vgl. Gabriel 1976: 317; Kieser 2006a: 215 ff.). Es wird davon ausgegangen, dass die genannten internen Kontextfaktoren aufgrund ihres problembehafteten Charakters die Präsenz junger Menschen in ehrenamtlicher Leitungsposition negativ beeinflussen. Instrumente/Maßnahmen Amtszeitbeschränkung für Vorstandsvorsitzende (10)
In der Literatur findet sich der Hinweis, dass eine zeitliche Beschränkung der ehrenamtlichen Leitungsämter in Nonprofit-Organisation die Nachwuchsgewinnung fördert (Schwarz 2005: 239 ff.). Aus der Politik sind verschiedene Argumente bekannt, die für die Amtszeitbeschränkung von Politikern und Politikerinnen sprechen. Hierzu zählt unter anderem eine Verbesserung der Chancen von Minderheiten, sich ebenfalls für eine Kandidatur zu bewerben (vgl. Basham 2001). Es wird davon ausgegangen, dass das Vorhandensein einer Amtszeitbeschränkung für die ehrenamtlich vorsitzende Person in Vereinen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass junge Menschen in der ehrenamtlichen Leitung vorhanden sind.
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Erklärungsfaktor/Variable
Grund: Auswahl (Hypothesen)
Anerkennung für Engagierte (11)
Das freiwillige Engagement erfolgt in der Regel unentgeltlich. Dies schließt bestimmte Formen der immateriellen und materiellen Entschädigungen jedoch nicht aus (Beher et al. 1998: 109 f.). Bei den verschiedenen Anerkennungsformen geht es um die Würdigung und Wertschätzung des Engagements ebenso wie um dessen Förderung (vgl. Wezel 2011). Auf diese Weise wird den Engagierten in besonderem Maße deutlich gemacht, dass es auf sie ankommt, wenn es um die Realisierung eines bestimmten Vorhabens geht. Es wird deshalb davon ausgegangen, dass das Vorhandensein einer praktizierten spezifischen Anerkennungskultur bei Vereinen einen positiven Einfluss auf die Präsenz junger Menschen in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen hat.
Aktivität zur Einbeziehung: Förderung von Aufstiegsmöglichkeiten für Engagierte (12)
Die Art der Tätigkeiten und damit verbunden die innerorganisatorischen Positionen sind für das Engagement junger Menschen von Bedeutung. Das Vorhandensein von Aufstiegsmöglichkeiten kommt dem Streben nach der Aneignung und dem Ausprobieren von Fähigkeiten in anspruchsvollen Tätigkeiten und Funktionen entgegen. Untersuchungen belegen, dass eine regelmäßige Begleitung der Engagierten diese deutlich zu ihrer Tätigkeit motiviert (vgl. Kegel 2011: 605 f.). Sie bekommen so die Chance, einen passenden Platz für sich in der Organisation zu finden und sich an organisationsinternen Veränderungen und Herausforderungen zu beteiligen (vgl. ebd.). Der Jugend Aufstiegsmöglichkeiten zu geben bedeutet, ihnen selbst gewählte Verantwortung zu übertragen und die Möglichkeit zur Mitgestaltung zu bieten. Zugleich sind mit dem Nachweis über die Ausübung „höherwertiger“ Tätigkeiten entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten vorzuweisen (vgl. Düx et al. 2008: 175 f.), was ihrem Streben nach Qualifikation entgegenkommt. Es wird davon ausgegangen, dass das Vorhandensein von Aufstiegsmöglichkeiten junge Menschen zum Engagement motiviert und die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie eine Leitungsposition innehaben.
Aktivität zur Einbeziehung: In jugendspezifischen Gremien haben junge Engagierte die eigenes Jugendgremium in der Orga- Möglichkeit, ihre Anliegen und Positionen hinsichtlich des nisation (13) Vereinslebens spezifisch auf ihre Altersgruppe bezogen zu definieren und zum Ausdruck zu bringen. Gremien sind eine sehr konkrete Form der institutionalisierten Mitsprache. Auf der individuellen Ebene entspricht dies der Forderung und dem Bedürfnis junger Menschen nach Mitsprache und Interessenvertretung im Engagement. Organisationstheoretisch wird argumentiert, dass Organisationen dem Bedürfnis nach
Junge Menschen in Leitungsfunktionen – Einflussfaktoren | 261
Erklärungsfaktor/Variable
Grund: Auswahl (Hypothesen) Beteiligung gerecht werden, indem sie ihre Organisationsstrukturen danach ausrichten (vgl. Gabriel 1976; Weßels 2013a: 38). Die Einrichtung eines Jugendgremiums würde demnach eine Anpassung der Organisationsstruktur an die individuellen Forderungen und Bedürfnisse bedeuten, wodurch die Beteiligung befördert wird. Es wird davon ausgegangen, dass ein Jugendgremium in Vereinen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass junge Menschen in den Leitungsfunktionen vertreten sind.
Aktivität zur Einbeziehung: Bemühung um junge Frauen für ehrenamtliche Funktionen (14)
Frauen sind ab dem 20. Lebensjahr in allen Altersgruppen weniger engagiert als Männer (vgl. Picot 2012: 84). Hinzu kommt, dass sie auch in der ehrenamtlichen Leitung unterrepräsentiert sind (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016b: 150). Wegen der insgesamt rückläufigen Anzahl der Personen in ehrenamtlicher Leitung müssen mehr Frauen im Rahmen eines Stakeholder-Managements für die Leitung gewonnen werden (vgl. Zimmer et al. 2010: 19 ff.). Es wird davon ausgegangen, dass das spezifische Bemühen um junge Frauen seitens der Vereine die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass junge Frauen in der ehrenamtlichen Leitung vorhanden sind.
Aktivität zur Einbeziehung: Förderung junger Menschen ist formal geregelt (15)
Für junge Menschen haben Regelungen, die ihre Förderung als Engagierte betreffen, einen hohen Stellenwert, da sie in den Organisationen häufig in der Minderheit sind. Insofern können sie bei fehlenden formalen Regelungen der Förderung gegenüber älteren Personen benachteiligt sein. Junge Engagierte sind deshalb auf formale Unterstützungsformen angewiesen, die ihnen als Minderheiten entsprechende Räume zur Beteiligung und Artikulation ihrer Interessen zugestehen. Das Freiwilligenmanagement gilt als ein Ansatz, Engagierte zu begleiten, zu binden und wertzuschätzen (vgl. Kegel 2011). Es ist hierbei notwendig, bestimmte Vorlagen und Routinen zur Begleitung der Freiwilligen festzulegen (vgl. ebd.: 600). Eine solche Vorlage ist eine organisationsinterne Regelung zur Förderung der jungen Engagierten. Es ist anzunehmen, dass das Vorhandensein formaler Regelungen zur Förderung junger Menschen einen positiven Effekt auf ihre Präsenz in den ehrenamtlichen Leitungsfunktionen ausübt.
Regelung zum Alter, ab wann man in der Mitgliederversammlung stimmberechtigt ist (16)
Gemäß den Daten des Freiwilligensurveys sind die Mitsprachemöglichkeiten in den Organisationen ausbaufähig (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016b: 262; Picot 2012: 154). Mitbestimmungsmöglichkeiten zu gewährleisten kann
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Erklärungsfaktor/Variable
Grund: Auswahl (Hypothesen) als Möglichkeit zur Bindung von Mitgliedern und Engagierten aufgefasst werden. Mitgliedern werden allgemein Ambitionen hinsichtlich ihrer Mitsprache unterstellt (vgl. Weßels 2013a: 34 f.). Ähnliche Aussagen lassen sich bezüglich der Motive der Gruppe der Engagierten formulieren. Von den jungen Engagierten geben 47 % als Motiv ihres Engagements an, „Gesellschaft im Kleinen mitgestalten“ zu wollen (Zustimmung: voll und ganz) (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 422) und vergleichsweise häufig geben sie als ihr Tätigkeitsfeld „Interessenvertretung und Mitsprache“ an (42%) (vgl. ebd.: 305); weiterhin haben sie verstärkt das Anliegen, eigene Interessen zu vertreten (vgl. Picot 2012: 102 ff.) – diese Ergebnisse gelten als ein Indikator für Mitbestimmungsbedürfnisse. Um den Bedürfnissen und Forderungen nach Mitsprache nachzukommen, sind die Organisationen aufgefordert, ihre internen Regeln und Strukturen im Hinblick auf Mitsprachemöglichkeiten zu überprüfen (vgl. Weßels 2013a: 36 ff.). Übersetzt auf die Jugendthematik bedeutet dies: Wenn jungen Menschen gegenüber verbindliche Mitsprachemöglichkeiten kommuniziert werden, erhöht sich für sie die Attraktivität des Vereins und damit auch ihre Bereitschaft für ein Engagement. Es wird davon ausgegangen, dass eine Regelung zum stimmberechtigten Alter in der Mitgliederversammlung bei Vereinen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einhergeht, dass junge Menschen in der ehrenamtlichen Leitung vertreten sind.
Qualifikationsangebote für Engagierte (17)
Nachweislich engagieren sich junge Menschen zunehmend mit einem starken Qualifikationsmotiv (vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016a: 422; Picot 2012: 101 f.). Im Zuge des Bologna-Prozesses wurden Veränderungen im Bildungssystem bewirkt, die dazu geführt haben, dass beispielsweise ihre Lebensläufe heute deutlich effizienz- und karriereorientierter sind als früher (Bloch 2009: 303 f.). Auf dem Ausbildungsmarkt nimmt der Anteil der Abiturienten und Abiturientinnen, die sich für eine duale Ausbildung entscheiden, zu (vgl. BIBB 2013: 168 ff.). Diese Tendenzen sprechen für ein leistungsorientiertes Bildungssystem, in dem das individuelle Qualifikationsprofil für die Integration in den Bildungsund Arbeitsmarkt von zentraler Bedeutung ist. Es wird davon ausgegangen, dass Qualifikationsangebote im Engagement die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass junge Menschen in den ehrenamtlichen Leitungsfunktionen vorhanden sind.
Junge Menschen in Leitungsfunktionen – Einflussfaktoren | 263
Erklärungsfaktor/Variable
Grund: Auswahl (Hypothesen)
Bemühen um junge Menschen für eh- Für Organisationen wie Gewerkschaften existieren verschierenamtliche Leitungsfunktionen (18) dene Modelle der Mitgliederrekrutierung (vgl. Heery 2003). Ausgehend hiervon kann das aktive Bemühen um externe Gruppen, wie jüngere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, zu einer Erhöhung ihres Anteils unter den Mitgliedern insgesamt führen (ebd.: 523). Dieses Ergebnis lässt sich auf Vereine und die Frage der Einbeziehung junger ehrenamtlicher Leitungspersonen übertragen, da auch Vereine mitgliederbasierte zivilgesellschaftliche Organisationen sind. Es wird davon ausgegangen, dass das Bemühen um junge Menschen für ehrenamtliche Leitungspositionen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass diese in den entsprechenden Ämtern vertreten sind.
Ziel der multivariaten Betrachtung ist es herauszufinden, welche Einflussfaktoren sich als statistisch signifikant erweisen und zum Vorhandensein junger Menschen in Leitungsfunktionen beitragen. Mit der Analyse wurde Neuland betreten, da die genannten Fragestellungen bisher nicht umfassend untersucht wurden.72 Aus diesem Grund haben die Ergebnisse eher einen explorativen Charakter. Sie stellen lediglich einen ersten Schritt dar, um die Thematik multivariat zu untersuchen. Eine vertiefende Behandlung der Frage muss weiterführenden Analysen vorbehalten bleiben. Um herauszufinden, welche Einflussgrößen die Wahrscheinlichkeit einer Präsenz junger Menschen in Leitungsfunktionen erhöhen, wurden im Rahmen der Regressionsanalyse verschiedene Modelle geprüft. Ausgehend von einem Ausgangsmodell mit 18 erklärenden Variablen sind diesem schrittweise einzelne Variablen entnommen worden, so dass im Ergebnis fünf Modelle vorlagen (vgl. Tabelle 5.2a und 5b).73 Die schrittweise Reduzierung des Ausgangsmodells durch die Selektion einzelner Variablen erfolgte aus modellübergreifenden Gründen und inhaltlichen Überlegungen hinsichtlich der spezifischen Variablen. Erstere beziehen sich auf alle ausgeschlossenen Variablen, letztere lassen sich zusätzlich für einzelne Variablen
|| 72 Die Untersuchungsthematik wurde in der bisherigen Forschung vordergründig hinsichtlich Fragen der Mitgliedschaft in Sportvereinen behandelt. Zudem verweisen die bereits vorgestellten Untersuchungen zur Bindung von Mitgliedern und Engagierten auf die nicht ausreichend statistisch gesicherten Ergebnisse (vgl. Bärlocher/Lichtensteiner 2010). 73 Insgesamt wurden mehr als fünf Modelle berechnet, um zu prüfen, ob sich die Ergebnisse in Abhängigkeit zu den ausgeschlossenen Variablen(-blöcken) verändern. Die verschiedenen Modellberechnungen haben gezeigt, dass die Ergebnisse in Bezug auf die Effekte einzelner Prädiktoren weitgehend konstant bleiben. Die dargestellten Modelle entsprechen den durchgängig vorhandenen Effektmustern auch der anderen Modelle und bilden insgesamt die statistisch bedeutsamen Haupteffekte ab.
264 | Junge Menschen in Leitungsfunktionen – Einflussfaktoren
anführen. Dabei handelt es sich um die Variablen Alter/Gründungsjahr der Organisation (6), Veränderung Tätigkeitsfeld (4), Leitlinie Engagementförderung (5), Anerkennung für Engagierte (11) und Förderung von Aufstiegsmöglichkeiten für Engagierte (12). Die modellübergreifenden Gründe ergeben sich zum einen aus der Priorisierung von Variablen aus der Kategorie Instrumente/Maßnahmen gegenüber Struktur- und Kontextvariablen. Zum anderen galt es, signifikante Werte des Ausgangsmodells stabil zu halten. Die stärkere inhaltliche Gewichtung von Variablen aus der Kategorie Instrumente/Maßnahmen ist auf die bereits dargestellte besondere Praxisrelevanz dieser Fragestellung zurückzuführen. Für Vereine stellen Informationen zu nachwuchsfördernden Instrumenten/Maßnahmen eine konkrete Handlungsgrundlage für entsprechende Aktivitäten dar. Insofern kamen zunächst ausschließlich strukturelle und kontextgebundene Determinanten für einen Ausschluss in Frage. Im Einzelnen betrifft dies die Modelle 2 und 3, denen erstens die Variablen Alter/Gründungsjahr der Organisation (6) und Leitlinie Engagementförderung (5) (M2) sowie zweitens die Variablen Veränderung Tätigkeitsfeld (4) (M3) entnommen wurden. Eine zentrale Voraussetzung für dieses Vorgehen war die Prämisse, möglichst nur Variablen aus der Analyse auszuschließen, von denen konstant keine Effekte ausgingen und die nicht zu einer Verschlechterung der erreichten Modellwerte führten. Dies beutet, dass sich die im Modell 1 abzeichnenden Effekte (Jahresgesamteinnahmen, Tätigkeitsraum, Haupttätigkeitsfeld, Qualifikation und Bemühen um junge ehrenamtliche Leitung) auch in den anderen Modellen entsprechend abbilden. Gleichzeitig wurde eine Variable nur dann ausgeschlossen, wenn dies nicht im Widerspruch zu den getesteten Signifikanzen74 lag. Sofern diese Bedingungen erfüllt waren, sind im Weiteren die Variablen Anerkennung für Engagierte (11) (M4) und Förderung von Aufstiegsmöglichkeiten für Engagierte (12) (M5) verworfen worden. Diese stark inhaltlich-strukturell begründete Herangehensweise führte dazu, dass einzelne Variablen trotz stets ausbleibender Effekte in allen Modellen enthalten sind. Hierzu gehören die Variablen Tätigkeitsraum (2), die internen Kontextvariablen (7, 8, 9), die Variable Förderung junger Menschen ist formal geregelt (15) sowie die Amtszeitbeschränkung für Vorstandsvorsitzende (10). Bei einzelnen Variablen zeigten sich bei vertiefenden Auswertungen, dass neben den modellinternen berücksichtigten Faktoren weitere Ausschlussgründe vorlagen. – Obgleich die Variable Alter/Gründungsjahr der Organisation (6) (Ausschluss in M2) mit der Präsenz junger Menschen in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen korreliert, zeigte sich, dass bei älteren Vereinen der Anteil junger Menschen in der ehrenamtlichen Leitung höher ist als in jüngeren Vereinen. Es besteht also kein direkter Zusammenhang zwischen dem Alter/Gründungsjahr der Organisation (6)
|| 74 Statistisch signifikante Befunde deuten darauf hin, dass das Ergebnis auf die Grundgesamtheit der Vereine übertragbar ist. Damit geht nicht einher, dass das signifikant getestete Ergebnis wichtiger ist als ein anderes.
Junge Menschen in Leitungsfunktionen – Einflussfaktoren | 265
–
–
und der Präsenz jüngerer Engagierter in der ehrenamtlichen Leitung. Dies führte zum Ausschluss der Variable Alter/Gründungsjahr der Organisation (6) in Modell 2. Die Aufnahme der Variable Veränderung Tätigkeitsfeld (4) (Ausschluss in M3) in die Analyse erfolgte von Beginn an ausschließlich aus theoretischen Gesichtspunkten. Vorangegangene oder nachgestellte vertiefende empirische Betrachtungen haben keine Hinweise auf einen Zusammenhang mit der Präsenz junger Menschen in der Leitung erkennen lassen. Für die unabhängige Variable konnten weder signifikante Ergebnisse (Wald-Statistik) noch eine entsprechende Korrelation zu der unabhängigen Variable „Jung ist in Leitung“ nachgewiesen werden. Da sie sich auch in den Modellschätzungen als statistisch nicht signifikant erwies, wurde sie schlussendlich verworfen. Die Variable Anerkennung für Engagierte (11) (Ausschluss M4) erwies sich entgegen anfänglicher Erwartungen in mehreren Modellschätzungen als nicht statistisch relevant für die Präsenz junger Menschen in der ehrenamtlichen Leitung. Eine mögliche Ursache hierfür ist darin zu sehen, dass sich im Rahmen der Analyse bereits andere Instrumente, die genau genommen auch Varianten der Anerkennung darstellen, als bedeutsam erwiesen haben. Hierzu zählt beispielsweise das Bemühen um Junge für die Leitung oder auch Qualifikationsangebote. Es ist demnach denkbar, dass solche Formen der Wertschätzung für junge Engagierte wichtiger sind als andere spezifische Maßnahmen. Die Variable Anerkennung für Engagierte (11) wurde deshalb aus der Betrachtung ausgeschlossen, was zu keinen Veränderungen der weiteren Modellwerte führte.
Die den Modellen entnommenen Variablen sind zu Überblickszwecken in der Tabelle „Determinanten in Bezug auf das Vorhandensein junger Menschen (14–30 Jahre) in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen“ an den entsprechenden Stellen kenntlich gemacht (vgl. Tabelle 5.2a und 5.2b). Tab. 5.2a: Determinanten in Bezug auf das Vorhandensein junger Menschen (14–30 Jahre) in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen, Modelle 1 bis 3 M1 b
SE
M2 AME
b
SE
M3 AME
b
SE
AME
Struktur Jahresgesamteinnahmen (€) (1): bis 5.000 5.001 bis 100.000
0,40 1,03
0,04
0,80 0,97
0,09
0,58 0,88
0,06
1,69* 0,86
0,18
2,0* 0,83
0,21
1,68* 0,74
0,18
266 | Junge Menschen in Leitungsfunktionen – Einflussfaktoren
M1 b 101.000 bis 1 Mio.
SE
1,33 0,80
AME 0,14
–
–
0,71 0,52
Kleinstadt
–0,04 0,47
Mittelstadt
1,67** 0,53
Referenz: über 1 Mio.
–
M2 b
SE
1,49 0,79 –
M3 AME 0,16
b
SE
1,32 0,74 –
AME 0,14
–
–
–
–
0,08
0,79 0,51
0,08
0,86 0,51
0,09
0,00
0,01 0,46
0,00 –0,06 0,44 –0,01
Tätigkeitsraum (2): Dorf/Gemeinde
Großstadt
0,18 1,66** 0,52
0,18 1,63** 0,52
0,18
–0,51 0,57 –0,05 –0,55 0,55 –0,06 –0,38 0,54 –0,04
Haupttätigkeitsfeld (3): Kunst
1,63* 0,81
0,17
1,47 0,77
0,16
1,3 0,75
0,14
Sport
1,68* 0,75
0,18
1,49* 0,70
0,16
1,38* 0,69
0,15
Freizeit
0,07 1,10
0,01 –0,02 1,08
0,00 –0,04 1,08
0,00
Gesundheit
0,70 1,05
0,07
0,73 1,03
0,08
0,53 1,00
0,06
Soziales
0,65 0,87
0,07
0,65 0,84
0,07
0,47 0,78
0,05
Politik
–0,69 0,87 –0,07 –0,77 0,88 –0,08
Sonstige
–0,52 1,16 –0,06 –0,53 1,13 –0,06 –0,23 1,10 –0,02 –
–
TF modifiziert
1,35 0,93
TF erweitert
0,13 0,82
Referenz: Bildung
–
–
–
–
0,14
1,30 0,92
0,14
0,01
0,18 0,78
0,02
–0,9 0,87 –0,10
–
–
–
–
–
–
Veränderung TF seit 2005 (4):
TF reduziert
–1,01 1,10 –0,11 –0,92 1,05 –0,10
Engagementförderung (5): Sehr wichtig Wichtig Referenz: unwichtig Alter/Gründungsjahr (6) interner Kontext
0,48 0,75
0,05
–0,23 0,71 –0,02 –
–
–
0,00 0,01
0,00
–
–
–
Junge Menschen in Leitungsfunktionen – Einflussfaktoren | 267
M1 b
M2
SE
AME
b
SE
M3 AME
b
SE
AME
Probleme: Fin. Planungssicherheit (7)
–0,19 0,27 –0,02 –0,20 0,26 –0,02 –0,21 0,26 –0,02
Gemeinschaftsgefühl (8) Mitbestimmung (9)
0,26 0,36
0,03
0,26 0,35
0,03
0,22 0,35
0,02
–0,05 0,36 –0,01 –0,07 0,36 –0,01 –0,05 0,35 –0,01
Instrumente/Maßnahmen Amtszeitbeschränkung (10)
0,90 0,74
0,09
0,80 0,71
0,09
0,83 0,69
0,16
Anerkennung f. Engagierte (11)
0,21 0,45
0,02
0,28 0,44
0,03
0,30 0,43
0,03
Aufstiegsmöglichkeit (12)
0,52 0,53
0,05
0,59 0,51
0,06
0,62 0,51
0,07
Jugendgremium (13)
1,05 0,56
0,11
1,06* 0,54
0,11
1,02* 0,52
0,11
Bemühen Frau Funktionen (14)
0,76 0,56
0,08
0,87 0,55
0,09
0,90 0,53
0,10
formale Förderung (15)
0,54 0,68
0,06
0,63 0,68
0,07
0,64 0,65
0,07
Regel Abstimmungsalter (16)
0,98 0,51
0,10
0,88 0,49
0,09
0,95* 0,48
0,10
Qualifikationsangebote (17)
1,24* 0,48
0,13 1,35** 0,48
0,14
1,3** 0,46
0,14
1,60** 0,49
0,17 1,52** 0,47
0,16 1,45** 0,46
0,16
0,49
0,48
0,47
157,25***
154,95***
151,91***
244
244
244
Formen zur Einbeziehung:
Bemühen um junge Leitung (18) Pseudo R² (McFaddens) LR χ² N
Tab. 5.2b: Determinanten in Bezug auf das Vorhandensein junger Menschen (14–30 Jahre) in ehrenamtlichen Leitungsfunktionen, Modelle 4 bis 5 M4 b
SE
M5 AME
b
SE
AME
Struktur Jahresgesamteinnahmen (€) (1): bis 5.000
0,49
0,87
0,05
0,48
0,86
0,05
268 | Junge Menschen in Leitungsfunktionen – Einflussfaktoren
M4 b
M5
SE
AME
b
SE
AME
5.001 bis 100.000
1,62*
0,73
0,18
1,61*
0,73
0,18
101.000 bis 1 Mio.
1,31
0,73
0,14
1,28
0,73
0,14
–
–
–
–
–
–
0,90
0,50
0,10
0,77
0,48
0,09
Kleinstadt
–0,04
0,44
0,00
–0,05
0,44
–0,01
Mittelstadt
1,62**
0,52
0,18
1,55**
0,50
0,17
Großstadt
–0,37
0,54
–0,04
–0,32
0,53
–0,04
Kunst
1,33
0,75
0,15
1,49*
0,73
0,17
Sport
1,40*
0,68
0,15
1,49*
0,68
0,17
Freizeit
–0,04
1,08
0,00
–0,01
1,08
0,00
Gesundheit
0,56
0,99
0,06
0,74
0,97
0,08
Soziales
0,50
0,78
0,05
0,36
0,77
0,04
Politik
–0,86
0,87
–0,09
–0,73
0,83
–0,08
Sonstige
–0,13
1,10
–0,01
0,11
1,08
0,01
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Referenz: über 1 Mio. Tätigkeitsraum (2): Dorf/Gemeinde
Haupttätigkeitsfeld (3):
Referenz: Bildung Veränderung TF seit 2005 (4): TF modifiziert TF erweitert TF reduziert Engagementförderung (5): Sehr wichtig Wichtig Referenz: unwichtig Alter/Gründungsjahr (6)
Junge Menschen in Leitungsfunktionen – Einflussfaktoren | 269
M4 b
SE
M5 AME
b
SE
AME
Interner Kontext Probleme: Fin. Planungssicherheit (7)
–0,20
0,25
–0,02
–0,19
0,25
–0,02
0,23
0,34
0,02
0,26
0,34
0,03
–0,07
0,35
–0,01
–0,09
0,34
–0,01
0,86
0,69
0,09
0,84
0,69
0,09
0,68
0,51
0,07
1,01*
0,51
0,11
1,02*
0,51
0,11
Bemühen Frau Funktionen (14)
1,44
0,45
0,16
1,09*
0,50
0,11
formale Förderung (15)
0,66
0,66
0,07
0,83
0,66
0,09
Regel Abstimmungsalter (16)
0,99*
0,47
0,11
1,03*
0,47
0,11
Qualifikationsangebote (17)
1,34**
0,46
0,15
1,37**
0,45
0,15
Bemühen um junge Leitung (18)
1,44**
0,45
0,16
1,54***
0,44
0,17
Gemeinschaftsgefühl (8) Mitbestimmung (9) Instrumente/Maßnahmen Amtszeitbeschränkung (10) Anerkennung f. Engagierte (11) Formen der Einbeziehung: Aufstiegsmöglichkeit (12) Jugendgremium (13)
Pseudo R² (McFaddens) LR χ² N
0,47
0,47
151,42***
149,57***
244
244
Erklärung zu Tabelle 5.2a und 5.2b: Angegeben sind für die binär logistischen Regressionsmodelle die Regressionskoeffizienten (b), die Standardfehler (SE) und die Average Marginal Effects (AME). Signifikanzniveau: * p