Zivil- und Wirtschaftsrecht im Europäischen und Globalen Kontext / Private and Commercial Law in a European and Global Context: Festschrift für Norbert Horn zum 70. Geburtstag [Reprint 2011 ed.] 9783110915648, 9783899492422

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German Pages 1354 [1360] Year 2006

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Table of contents :
Vorwort
I. Zivilrecht
Die Einbeziehung von AGB in internationale Kaufverträge
Strukturelemente des europäischen Bürgschaftsrechts
Zwei Fragen zur Umrechnung von Devisenforderungen
„Personale“ Unmöglichkeit. – Die Zumutbarkeit pflichtgemäßen Verhaltens –
Haftung des gerichtlichen Sachverständigen nach neuem Recht – Zweifelsfragen und Streitstände zu § 839a BGB
Revisionsrichterliche Überprüfung der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen
Der Entwurf eines Sachenrechtsgesetzes der VR China
Nationalsozialismus und Pflichtteilsrecht
Die sozialistische Marktwirtschaft und das einheitliche chinesische Vertragsrecht
Schlüssiger Beratungsvertrag und ausdrücklicher Haftungsausschluss
Einkaufs-AGB – Eine kritische Analyse der BGH-Judikatur
Zur Reform des Kreditsicherungsrechts. – Der UNCITRAL Legislative Guide on Secured Transactions und das nationale Recht –
Publicity for transfers of property: Is the whole world out of step (except New Zealand)?
Die Rezeption deutschen Zivilrechts in China am Beispiel des Deliktsrechts
II. Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht
Lex Mercatoria und Internationales Schuldvertragsrecht. – Eine rechtsökonomische Skizze –
Das Zinsverbot im Aktienrecht
Die Bankbestätigung gem. § 37 Abs. 1 S. 3 AktG im Rahmen der präventiven Kapitalaufbringungskontrolle
The von Maltzan Case: Property Rights After Three Generations
Stock Options – Quo Vadis?
Rechtsdienstleistungen durch Geschäftsführer, ein Fall für das Rechtsberatungsgesetz (RBerG) / Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG)?
Umwandlung der AG ohne Mitwirkung der Hauptversammlung. – Eine Studie zu § 62 UmwG –
Living La Vida Lex Mercatoria
Zum Einfluss der Globalisierung auf das Recht und auf das Verhalten von Beratern und Organen von Unternehmen
Bilanz- und steuerrechtliche Aspekte der sog. Scheinauslandsgesellschaften. – Am Beispiel der englischen Private Company Limited by Shares –
Internationalrechtliche Haftungsfragen beim Auftreten einer anwaltlich tätigen Limited Liability Partnership (LLP) englischen Rechts in Deutschland
Zur Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Die Modifikation des Gesellschaftsgesetzes Chinas
The Takeover Directive and the „Commercial Approach“ to Harmonisation of Private Law
Schuldübergang und Haftung in der Spaltung
Zur „Unverzüglichkeit“ einer Ad-hoc-Mitteilung im Kontext nationaler und europäischer Dogmatik
Verrechtlichung des Verhältnisses von Staat und Markt im deutschen, europäischen und amerikanischen Recht. – Vergleichsskizze für drei WTO-Mitglieder –
Das Kündigungsrecht gemäß § 8 Nr. 2 VOB/B
Yukos and the Rule of Law in Russia: Lessons in Litigation
Das Haftungssystem im Transportrecht – Individualvereinbarungen, AGB und zwingende CMR-Bestimmungen im grenzüberschreitenden Transport
Zerfällt das Handelsgesetzbuch? – Eine Gedankenskizze zur Zukunft des Vierten Buchs –
Satzungsmäßige prozentuale Stimmrechtsbeschränkungen nach schweizer Aktienrecht. – Überlegungen zur Sicherung guter Corporate Governance –
Konvergenz zwischen Firmen- und Kennzeichenrecht?
Niederlassungsfreiheit und nationales Gläubigerschutzsystem
Corporate Governance Codes and Their Implementation
Pluralistische Ordnungen im chinesischen Wirtschaftswandel. – Am Beispiel des Wirtschaftsrechts –
III. Bank- und Kapitalmarktrecht
Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen nach § 37a WpHG
Clearing und Settlement im Fokus europäischer Rechtspolitik
Informations- und Beratungspflichten bei der Kreditvergabe
Neue rechtliche Mechanismen zur Lösung internationaler Schuldenkrisen. – Die Vorteile der Anwendung von „Collective Action Clauses“ bei Staatsanleihen –
Überweisungsvertrag, Girovertrag und Kontrahierungszwang
Zur Insolvenzfestigkeit gepoolter Bankensicherheiten
Neue Problemfelder des § 489 BGB
Zur Reichweite von Vorauszahlungsbürgschaften nach § 7 Abs. 1 MaBV
The De Facto and „Soft Law“ Financial Services Integration Processes Within the Western Hemisphere
Das Risiko im Wertpapiergeschäft
Die Auslegung von § 1 Abs. 1, 1a KWG durch die BaFin im Lichte der Rechtsprechung
Ist der Kapitalmarkt unmoralisch? – Grundstrukturen funktionsfähiger Kapitalmärkte –
Immobiliardarlehen in bewegten Zeiten
IV. Schiedsgerichtsbarkeit
Politik gegen Kommerz. – Erfahrungen und Reflektionen zur Streiterledigung zwischen Staaten und Privatunternehmen –
Constitutional Aspects of Arbitration in Spain
The Case for an International Commercial Court
The Future of International Commercial Arbitration
Enforcement of Foreign Arbitral Awards in China
Parallel Proceedings – A Thing To Be Avoided?
Die Neuregelung des österreichischen Schiedsrechts – Felix Austria!?
Reality Test: Current State of Affairs in Theory and Practice Relating to „Lex Arbitri“
Schiedsgerichtsbarkeit, Schiedsgutachtenwesen und Höchstpersönlichkeit der Entscheidungsbefugnis
V. Rechtsphilosophie, Methodenlehre, Rechtsgeschichte
Das anthropologische Kreuz der Entscheidung in Politik und Recht
Spracherziehung als Staatsaufgabe. – Zur Zulässigkeit vorschulischer obligatorischer Sprachförderung –
Recht und Realität – Franz Sommers unbeachteter rechtsphilosophischer Entwurf
„Methodenehrlichkeit“? – Die juristische Fiktion im Wandel der Zeiten
Risikomanagement als Methode des Wirtschaftsrechts. – Theoretische Grundfragen und Fallstudie zum Gesellschaftsrecht –
Wu Jingxiongs Exposition thomistischer Rechtsphilosophie
Irrwege des Biologismus. – Ein Kapitel aus der Geschichte des Verhältnisses von Biologie und Recht –
Das Gleichheitsrecht zwischen Verfassungsdogmatik und Rechtsphilosophie
Interessen- und Wertungsjurisprudenz als Methode und Theorie des Rechts für das 21. Jahrhundert?
Vertrauensenttäuschung durch Rechtsprechungsänderungen im deutschen und im englischen Zivilrecht
Die Verbreitung des Naturrechts in Italien – ein Forschungsplan
From Comparative Law to Ius Commune
Zur Willkürlichkeit von Richtersprüchen. – Anmerkungen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wegen „willkürlicher Begründungen“ und wegen Verletzung von „Treu und Glauben“ –
Praxis der Vertragsgestaltung und juristische Methodenlehre
„Richterrecht“ und Rechtsbegriff im frühen 20. Jahrhundert
International Harmonization of Private Law: The Virtue of Law
Der sächsische Kanzler Dr. Nikolaus Krell (1552–1601) – Ein Jurist als Justizopfer? – Zugleich ein Beitrag zum Verhältnis von Recht, Politik und Religion
VI. Verzeichnis der Veröffentlichungen von Norbert Horn
VII. Autorenverzeichnis
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Zivil- und Wirtschaftsrecht im Europäischen und Globalen Kontext /  Private and Commercial Law in a European and Global Context: Festschrift für Norbert Horn zum 70. Geburtstag [Reprint 2011 ed.]
 9783110915648, 9783899492422

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Zivil- und Wirtschaftsrecht im Europäischen und Globalen Kontext Private and Commercial Law in a European and Global Context Festschrift für Norbert Horn zum 70. Geburtstag

Zivil- und Wirtschaftsrecht im Europäischen und Globalen Kontext Private and Commercial Law in a European and Global Context Festschrift für NORBERT H O R N zum 70. Geburtstag

herausgegeben von

Klaus Peter Berger · Georg Borges · Harald Herrmann Andreas Schlüter · Ulrich Wackerbarth

W DE

_G

RECHT

De Gruyter Recht · Berlin

Die Herausgeber bedanken sich für die freundliche Unterstützung bei: Bundesverband Deutscher Banken e.V. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft Verein zur Förderung des Instituts für Bankwirtschaft und Bankrecht an der Universität zu Köln e.V.

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die U S - A N S I - N o r m über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN-13: 978-3-89949-242-2 ISBN-10: 3-89949-242-0

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Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < h t t p : / / d n b . d d b . d e > abrufbar.

© Copyright 2006 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung u n d Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Datenkonvertierung/Satz: Dörlemann Satz, Lemförde D r u c k : H . Heenemann G m b H & Co., Berlin Bindung: Bruno Helm Buchbinderei, Berlin

Norbert Horn zum 18. August 2006 PIERRE Α . K A R R E R

PETER BALZER J Ü R G E N BASEDOW

C H R I S T I A N KATZENMEIER

THEODOR BAUMS

WERNER KRAWIETZ

W A L T E R BAYER

GERHART KREFT

H E I K O BECK

STEFAN K R Ö L L

K L A U S PETER BERGER

HERBERT KRONKE

U W E BLAUROCK

KATJA LANGENBUCHER

K A R L - H E I N Z BÖCKSTIEGEL

W A L T E R F. LINDACHER

GEORG BORGES

KLAUS LUIG

W I N F R I E D BRUGGER

GEORG M A I E R - R E I M E R

RICHARD M .

HEINZ-PETER

BUXBAUM

CARSTEN P. CLAUSSEN BERNARDO M . JAN H .

CREMADES

DALHUISEN

MANSEL

JIAN M I LOUKAS MISTELIS THOMAS M . J . MÖLLERS

O T T O DEPENHEUER

PETER O .

H A R A L D GESELL

PETER-CHRISTIAN MÜLLER-GRAFF

HORACIO A . GRIGERA NAÓN

FRANK MÜNZEL

B A R B A R A GRUNEWALD

MICHAEL NIETSCH

MÜLBERT

GUANG G U O

GERD NOBBE

MATHIAS HABERSACK

JOSEPH J . NORTON

WALTHER HADDING

GERHARD OTTE

HANS-PETER

HAFERKAMP

H A N S - M A R T I N PAWLOWSKI

HELEN E. HARTNELL

H A N N S PRÜTTING

MAURICIO HARTWIG-JACOB

ROGER W .

FRANZ H Ä U S E R

GÜNTER H .

HANS-JÜRGEN HELLWIG

FRANK A .

JOACHIM HENNRICHS

JAN SCHAPP

MARTIN HENSSLER

PETER S C H L O S S E R

HARALD HERRMANN

ANDREAS SCHLÜTER

ROBERT HEUSER

KARSTEN SCHMIDT

ERIC HILGENDORF

BENEDIKT S C H M I T Z

ROSENDAHL ROTH

SCHÄFER

STEPHAN H O B E

UWE H .

HEINRICH HONSELL

JAN SCHRÖDER

SCHNEIDER

STEFAN H U S T E R

HANS-PETER

PING J I A N G

WEIXING SHEN

WILLI JOACHIM

A N J A STEINBECK

SCHWINTOWSKI

ULRICH

WACKERBARTH

PHILIP Κ.

D O N WALLACE, JR.

DIETER

REINHARD

EDDY

WELTER

H A R M PETER

WESTERMANN

F R I E D R I C H G R A F VON W E S T P H A L E N WOLFGANG

WIEGAND

LAN

WOOD

WYDUCKEL

WYMEERSCH XU

YONGLIU

ZHENG

Inhalt Vorwort

XV

I. Zivilrecht KLAUS PETER BERGER

Die Einbeziehung von AGB in internationale Kaufverträge . . . . GEORG

3

BORGES

Strukturelemente des europäischen Bürgschaftsrechts HEINRICH

21

HONSELL

Zwei Fragen zur Umrechnung von Devisenforderungen

39

WILLI JOACHIM

„Personale" Unmöglichkeit - Die Zumutbarkeit pflichtgemäßen Verhaltens CHRISTIAN

49

KATZENMEIER

Haftung des gerichtlichen Sachverständigen nach neuem Recht Zweifelsfragen und Streitstände zu § 839a BGB

67

WALTER F. LINDACHER

Revisionsrichterliche Überprüfung der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen FRANK

83

MÜNZEL

Der Entwurf eines Sachenrechtsgesetzes der VR China GERHARD

OTTE

Nationalsozialismus und Pflichtteilsrecht WEIXING

95

113

SHEN

Die sozialistische Marktwirtschaft und das einheitliche chinesische Vertragsrecht

125

Vili

Inhalt

HARM PETER WESTERMANN

Schlüssiger Beratungsvertrag und ausdrücklicher Haftungsausschluss

143

F R I E D R I C H G R A F VON W E S T P H A L E N

Einkaufs-AGB - Eine kritische Analyse der BGH-Judikatur

. . .

159

WOLFGANG WIEGAND

Zur Reform des Kreditsicherungsrechts - Der UNCITRAL Legislative Guide on Secured Transactions und das nationale Recht PHILIP R .

177

WOOD

Publicity for transfers of property: Is the whole world out of step (except New Zealand)?

191

LAN X U

Die Rezeption deutschen Zivilrechts in China am Beispiel des Deliktsrechts

207

II. Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht JÜRGEN BASEDOW

Lex Mercatoria und Internationales Schuldvertragsrecht - Eine rechtsökonomische Skizze -

229

T H E O D O R BAUMS

Das Zinsverbot im Aktienrecht

249

WALTER BAYER

Die Bankbestätigung gem. § 37 Abs. 1 S. 3 AktG im Rahmen der präventiven Kapitalaufbringungskontrolle RICHARD M .

271

BUXBAUM

The von Maltzan Case: Property Rights After Three Generations

291

CARSTEN P. CLAUSSEN

Stock Options - Quo Vadis? BARBARA

313

GRUNEWALD

Rechtsdienstleistungen durch Geschäftsführer, ein Fall für das Rechtsberatungsgesetz (RBerG) / Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG)?

329

Inhalt

IX

M A T H I A S HABERSACK

Umwandlung der AG ohne Mitwirkung der Hauptversammlung - Eine Studie zu § 62 UmwG -

337

HELEN ELIZABETH H A R T N E L L

Living La Vida Lex Mercatoria

355

H A N S - J Ü R G E N HELLWIG

Zum Einfluss der Globalisierung auf das Recht und auf das Verhalten von Beratern und Organen von Unternehmen

377

JOACHIM HENNRICHS

Bilanz- und steuerrechtliche Aspekte der sog. Scheinauslandsgesellschaften - Am Beispiel der englischen Private Company Limited by Shares -

387

M A R T I N HENSSLER UND H E I N Z - P E T E R M A N S E L

Internationalrechtliche Haftungsfragen beim Auftreten einer anwaltlich tätigen Limited Liability Partnership (LLP) englischen Rechts in Deutschland

403

STEPHAN H O B E

Zur Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

425

PING JIANG

Die Modifikation des Gesellschaftsgesetzes Chinas

437

H E R B E R T KRONKE

The Takeover Directive and the „Commercial Approach" to Harmonisation of Private Law

445

GEORG M A I E R - R E I M E R UND H A R A L D GESELL

Schuldübergang und Haftung in der Spaltung

455

THOMAS M . J . MÖLLERS

Zur „Unverzüglichkeit" einer Ad-hoc-Mitteilung im Kontext nationaler und europäischer Dogmatik

473

PETER-CHRISTIAN MÜLLER-GRAFF

Verrechtlichung des Verhältnisses von Staat und Markt im deutschen, europäischen und amerikanischen Recht - Vergleichsskizze für drei WTO-Mitglieder -

491

χ

Inhalt

HANNS PRUTTING

Das Kündigungsrecht gemäß § 8 Nr. 2 V O B / B ROGER W .

ROSENDAHL

Yukos and the Rule of Law in Russia: Lessons in Litigation ANDREAS

509

. . .

521

SCHLÜTER

Das Haftungssystem im Transportrecht Individualvereinbarungen, AGB und zwingende CMR-Bestimmungen im grenzüberschreitenden Transport . . . .

537

KARSTEN SCHMIDT

Zerfällt das Handelsgesetzbuch? - Eine Gedankenskizze zur Zukunft des Vierten Buchs -

557

U W E H . S C H N E I D E R UND M I C H A E L N I E T S C H

Satzungsmäßige prozentuale Stimmrechtsbeschränkungen nach schweizer Aktienrecht - Überlegungen zur Sicherung guter Corporate Governance -

. .

ANJA S T E I N B E C K

Konvergenz zwischen Firmen- und Kennzeichenrecht?

571 589

ULRICH WACKERBARTH

Niederlassungsfreiheit und nationales Gläubigerschutzsystem

. .

605

EDDY WYMEERSCH

Corporate Governance Codes and Their Implementation

619

YONGLIU ZHENG

Pluralistische Ordnungen im chinesischen Wirtschaftswandel - Am Beispiel des Wirtschaftsrechts -

633

III. Bank- und Kapitalmarktrecht PETER BALZER

Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen nach § 37a WpHG

649

HEIKO BECK

Clearing und Settlement im Fokus europäischer Rechtspolitik

. .

669

Informations- und Beratungspflichten bei der Kreditvergabe . . .

697

U W E BLAUROCK

Inhalt MAURICIO

XI

HARTWIG-JACOB

Neue rechtliche Mechanismen zur Lösung internationaler Schuldenkrisen - Die Vorteile der Anwendung von „Collective Action Clauses" bei Staatsanleihen -

717

FRANZ HÄUSER

Uberweisungsvertrag, Girovertrag und Kontrahierungszwang GERHART

. .

KREFT

Zur Insolvenzfestigkeit gepoolter Bankensicherheiten

PETER O . MÜLBERT UND BENEDIKT

761

SCHMITZ

Neue Problemfelder des § 489 BGB GERD

735

777

NOBBE

Zur Reichweite von Vorauszahlungsbürgschaften nach § 7 Abs. 1 MaBV JOSEPH J.

NORTON

The De Facto and „Soft Law" Financial Services Integration Processes Within the Western Hemisphere GÜNTER H .

835

SCHÄFER

Die Auslegung von § 1 Abs. 1, la KWG durch die BaFin im Lichte der Rechtsprechung HANS-PETER

845

SCHWINTOWSKI

Ist der Kapitalmarkt unmoralisch? - Grundstrukturen funktionsfähiger Kapitalmärkte REINHARD

819

ROTH

Das Risiko im Wertpapiergeschäft FRANK A .

801

859

WELTER

Immobiliardarlehen in bewegten Zeiten

873

XII

Inhalt

IV. Schiedsgerichtsbarkeit KARL-HEINZ

BÖCKSTIEGEL

Politik gegen Kommerz - Erfahrungen und Reflektionen zur Streiterledigung zwischen Staaten und Privatunternehmen BERNARDO M .

CREMADES

Constitutional Aspects of Arbitration in Spain JAN H .

909

DALHUISEN

The Case for an International Commercial Court HORACIO A . GRIGERA

931

NAÓN

The Future of International Commercial Arbitration GUANG

899

949

GUO

Enforcement of Foreign Arbitral Awards in China PIERRE A .

959

KARRER

Parallel Proceedings - A Thing To Be Avoided?

977

STEFAN K R Ö L L

Die Neuregelung des österreichischen Schiedsrechts Felix Austria!?

989

LOUKAS MISTELIS

Reality Test: Current State of Affairs in Theory and Practice Relating to „Lex Arbitri" PETER

1005

SCHLOSSER

Schiedsgerichtsbarkeit, Schiedsgutachtenwesen und Höchstpersönlichkeit der Entscheidungsbefugnis

1023

V. Rechtsphilosophie, Methodenlehre, Rechtsgeschichte WINFRIED BRUGGER

Das anthropologische Kreuz der Entscheidung in Politik und Recht OTTO

1039

DEPENHEUER

Spracherziehung als Staatsaufgabe - Zur Zulässigkeit vorschulischer obligatorischer Sprachförderung - 1051

XIII

Inhalt WALTHER

HADDING

Recht und Realität - Franz Sommers unbeachteter rechtsphilosophischer Entwurf HANS-PETER

1061

HAFERKAMP

„Methodenehrlichkeit"? - Die juristische Fiktion im Wandel der Zeiten HARALD

1077

HERRMANN

Risikomanagement als Methode des Wirtschaftsrechts - Theoretische Grundfragen und Fallstudie zum Gesellschaftsrecht -

1091

ROBERT HEUSER

Wu Jingxiongs Exposition thomistischer Rechtsphilosophie

...

1113

ERIC HILGENDORF

Irrwege des Biologismus - Ein Kapitel aus der Geschichte des Verhältnisses von Biologie und Recht-

1131

STEFAN H U S T E R

Das Gleichheitsrecht zwischen Verfassungsdogmatik und Rechtsphilosophie

1149

WERNER KRAWIETZ

Interessen- und Wertungsjurisprudenz als Methode und Theorie des Rechts für das 21. Jahrhundert? KATJA

1163

LANGENBUCHER

Vertrauensenttäuschung durch Rechtsprechungsänderungen im deutschen und im englischen Zivilrecht

1179

K L A U S L U IG

Die Verbreitung des Naturrechts in Italien - ein Forschungsplan

. 1199

JIAN M I

From Comparative Law to lus Commune

1215

H A N S - M A R T I N PAWLOWSKI

Zur Willkürlichkeit von Richtersprüchen - Anmerkungen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wegen „willkürlicher Begründungen" und wegen Verletzung von „Treu und Glauben" -

1227

XIV

Inhalt

JAN SCHAPP

Praxis der Vertragsgestaltung und juristische Methodenlehre . . . JAN SCHRÖDER

„Richterrecht" und Rechtsbegriff im frühen 20. Jahrhundert

1243

. . .

1255

International Harmonization of Private Law: The Virtue of Law .

1271

D O N WALLACE, J R .

D I E T E R WYDUCKEL

Der sächsische Kanzler Dr. Nikolaus Krell (1552-1601) - Ein Jurist als Justizopfer? - Zugleich ein Beitrag zum Verhältnis von Recht, Politik und Religion

1285

VI. Verzeichnis der Veröffentlichungen von Norbert Horn

1307

VII. Autorenverzeichnis

1333

Vorwort Am 18. August 2006 feierte Norbert Horn seinen 70. Geburtstag. Aus diesem Anlass ehren wir ihn mit dieser Festschrift. Norbert Horn ist ein Rechtswissenschaftler ersten Ranges. Er zeichnet sich durch die enorme Bandbreite seiner wissenschaftlichen Interessen und Aktivitäten ebenso aus wie durch seine Mittlerrolle zwischen rechtswissenschaftlicher Theorie und juristischer Praxis. Nach seiner Assistentenzeit bei Helmut Coing am Max Planck Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt a.M. begann Norbert Horn seine Laufbahn als Hochschullehrer im Jahre 1973 an der Universität Bielefeld. Während dieser Zeit gründete er das »Centre for International Trade and Investment Contracts« (CITIC), eine an seinen Lehrstuhl angegliederte Forschungsstelle, die eine umfangreiche Sammlung internationaler Musterverträge und Vertragsklauseln betreute. Von 1973 bis 1981 war Norbert Horn Direktor des in Bielefeld ansässigen Zentrums für Interdisziplinäre Forschung (ZIF). In dieser Funktion veranstaltete er am ZIF verschiedene Forschungsprojekte und Konferenzen zu Themen des internationalen Wirtschaftsrechts, wie Codes of Conduct und transnationales Vertragsrecht. Die Tagungsbände erschienen in der damals begründeten, noch heute fortgeführten und hoch angesehenen internationalen Schriftenreihe »Studies in Transnational Economic Law«. Zwischen 1982 und 1988 führte Norbert Horn, teils im Auftrag der Bundesregierung, teils der Vereinten Nationen, Seminare im internationalen Wirtschaftsrecht für Experten aus Entwicklungsländern (Manila, damals noch Peking, Shanghai, aber auch Nairobi, Djakarta und Singapur) durch. Im Jahr 1989 wechselte Norbert Horn an die juristische Fakultät der Universität zu Köln und übernahm zugleich die Leitung des dortigen Instituts für Bankrecht. Im Jahre 1995 gründete Norbert Horn in Köln das Rechtszentrum für Europäische und Internationale Zusammenarbeit (RIZ), das er zusammen mit zwei Kölner Fakultätskollegen leitete. Zehn Jahre wurde dort in drei Abteilungen mit insgesamt 25 Mitarbeitern zu den unterschiedlichsten Themen des europäischen und internationalen Wirtschaftsrechts geforscht und gelehrt, eine Vielzahl von Konferenzen abgehalten, u.a. zwei Konferenzen zum Bankrecht in Peking, und eine eigene Schriftenreihe begründet. Seit 2005 ist Norbert Horn Vorsitzender des Vorstandes des »Arbitration Documentation and Information Center« (ADIC) in Köln, einer Einrichtung, die an die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) angegliedert ist.

XVI

Vorwort

Die in dieser Festschrift veröffentlichten Beiträge spiegeln die außergewöhnliche Bandbreite des Wirkens und des Werks von Norbert Horn wider. Seine wissenschaftlichen Wurzeln liegen in der Rechtsgeschichte. In diesem Gebiet verfasste er seine Doktorarbeit im Jahre 1968. Schon die Habilitationsschrift aus dem Jahr 1972 widmete sich aber dem internationalen Finanzmarktrecht. Zugleich finden sich dort erste Spuren der Lehre von der modernen Lex Mercatoria, einem transnationalen Handelsrecht, über dessen Existenz heute noch weltweit lebhaft diskutiert und gestritten wird. Norbert Horn hat den Gedanken der Neuverhandlungspflicht in das deutsche Zivilrecht eingeführt. Seine Kommentierung des Bürgschaftsrechts im »Staudinger« wurde zur Standardkommentierung dieses Rechtsgebietes. Er ist Herausgeber und maßgeblicher Autor des Heymann Kommentars zum HGB und hat Teile des AGB-Rechts in dem von ihm mit herausgegebenen Standardkommentar erläutert. In seine Kölner Zeit fiel die deutsche Wiedervereinigung. Hierzu verfasste Norbert Horn »Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet«, ein umfassendes Handbuch, das in zwei Auflagen erschienen ist und erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Rechts der neuen Länder in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung hatte. Aber auch der Methodenlehre und Rechtsphilosophie gilt Norbert Horns großes wissenschaftliches Interesse. Zu diesem Thema verfasste er 1996 ein Lehrbuch, das seit dem Jahr 2004 in 3. Auflage vorliegt. Es ist in chinesischer und portugiesischer Ubersetzung erschienen und kann zu den Standardwerken auf diesem Gebiet gezählt werden. Noch heute gibt Norbert Horn an der Kölner Fakultät Vorlesungen zum internationalen Wirtschaftsrecht und zur Rechtsphilosophie. Nebenbei war und ist Norbert Horn regelmäßig als Gutachter sowie als nationaler und internationaler Schiedsrichter tätig. Die Festschrift ehrt aber auch den Menschen Norbert Horn. Die vielen Mitarbeiter, die seit Beginn seiner Laufbahn an seinen Lehrstühlen in Bielefeld und Köln arbeiteten, haben ihn stets als ruhigen und bedachten, aber auch humorvollen Menschen kennen gelernt. Für sie hatte er immer ein offenes Ohr; auf seinen Ratschlag und gesunden Menschenverstand, nicht nur in juristischen Fragen, konnte man sich immer verlassen. Norbert Horns Limericks sind legendär, ebenso seine Tanzbegeisterung. Die Kölner Fakultät verdankt ihm sogar eine eigene Hymne, das »Bensberger Juraprofessorenlied«, das er aus Anlass seiner Emeritierung im Jahre 2001 dichtete. Seine Mitarbeiter aus der Kölner Zeit erinnern sich gern an gemeinsame Urlaubstage mit dem Skiläufer Norbert Horn in St. Moritz. Gerne versammeln sich seine Schüler, die er durch seinen legendären »Horn Letter«, ehemals »epistula cornae«, auf dem Laufenden hält, bei ihm zum gelegentlichen Wiedersehen. Aber erst durch seine Frau Goldi und seine Kinder Eva, Susanne und Christian vervollständigt sich das Bild. Norbert Horn ist auch Familien-

Vorwort

xvri

mensch und tritt schon mal als Nikolaus vor seinen Enkeln auf. Schülern und Freunden steht die von Norbert und Goldi Horn gelebte glückliche Familie als leuchtendes Vorbild vor Augen. Bedanken möchten wir uns bei allen, die diese Festschrift möglich gemacht haben, Autoren ebenso wie Sponsoren, dem de Gruyter Verlag und den Mitarbeitern des Instituts für Bankrecht an der Universität zu Köln, die mit großem Einsatz die Fertigstellung der Festschrift betreut haben. Dem Rechtswissenschaftler Norbert Horn wünschen wir, dass er noch viele Jahre Rechtswissenschaft und Praxis durch seinen Sachverstand und seine Erfahrung bereichert, dem Ehemann und Familienvater noch viel Zeit mit seiner Frau, seinen Kindern und seinen Enkeln.

Klaus Peter Berger Georg Borges Harald Herrmann Andreas Schlüter Ulrich Wackerbarth

I. Zivilrecht

Die Einbeziehung von AGB in internationale Kaufverträge KLAUS P E T E R

BERGER

I. Einleitung Aus der großen Bandbreite des akademischen Werkes von Norbert Horn ragen neben dem Bank- und Kapitalmarktrecht zwei Bereiche besonders heraus: das deutsche AGB-Recht und das internationale Vertrags- und Handelsrecht. Zwischen beiden besteht ein immanenter Konflikt. Die in der internationalen Vertragspraxis verwendeten, häufig sehr umfangreichen Klauselwerke haben den Zweck, einen eigenständigen vertraglichen Regelungsrahmen zu bilden. Dadurch soll der Vertrag so weit wie möglich von den Einflüssen, Besonderheiten und Unwägbarkeiten nationalen Rechts gelöst werden. Dieser Zweck wird durch das deutsche AGB-Recht häufig konterkariert. Man denke nur an die Rechtsprechung des BGH zur indiziellen Wirkung der Klauselverbote der §§ 308 ff. BGB 1 im unternehmerischen Geschäftsverkehr.2 Aus der Sicht der internationalen Vertragspraxis erweist sich das deutsche AGB-Recht schon seit Langem als „Störenfried" unternehmerischer Vertragsgestaltung. Zuweilen werden die §§ 305 ff. BGB und ihre Auslegung durch die deutsche Rechtsprechung daher von der Praxis als Grund für eine Flucht aus dem deutschen Recht angeführt.3 Der folgende Beitrag befasst sich mit einem Ausschnitt aus dieser Problematik: der Einbeziehung von AGB in internationale Kaufverträge, die dem UN-Ubereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) 4 unterliegen.

Paragrafen ohne Gesetzesangaben sind solche des BGB. Kritisch dazu im internationalen Geschäftsverkehr Wolf/Hom/Lindacher AGBG, 4. Aufl. 1999, § 2 Anh. Rn. 58ff.; OlmerlbrandnerlHensenlSchmidt AGBG, 9. Aufl. 2001, Anh. § 2 Rn. 37 3 Vgl. die Anmerkung von Hobeck zum ICC Schiedsspruch Nr. 10279, SchiedsVZ 2005, 112. 4 Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf v. 11. April 1980, BGBl. 1989 II, S. 588. 1

2

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Klaus Peter Berger

II. Das Leitmotiv: Die erhöhte Selbstverantwortung des Unternehmers 1. Vertragsrecht Das Leitmotiv für die Beurteilung von AGB-rechtlichen Fragestellungen im b2b-Kontext muss die erhöhte Selbstverantwortung des Unternehmers sein. Dieser Gedanke ist im Recht selbst angelegt. Gerade aus diesem Grund wird dafür plädiert, die unterschiedliche Schutzbedürftigkeit von Verbrauchern und Unternehmern als inhärenten Bestandteil der „wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung" i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 anzusehen. 5 a. Deutsches Vertragsrecht So ist das deutsche Handelsrecht vom Verzicht auf einzelne Schutzgedanken des allgemeinen Privatrechts gekennzeichnet. 6 Der Gesetzgeber geht generell von einer erhöhten Selbstverantwortung des Unternehmers für seine geschäftlichen Angelegenheiten aus. Unternehmern 7 wird, selbst bei Vorliegen von Ungleichgewichtslagen, grundsätzlich die Fähigkeit zur privatautonomen Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse unterstellt. 8 Im Handelsgesetzbuch spiegelt sich dieser Grundsatz in der Geltung von Handelsbräuchen (§ 346 HGB) ebenso wieder wie in der Aufstellung eines besonderen, nur für Kaufleute geltenden Haftungsmaßstabs in § 347 HGB und in den §§ 348, 350, 377 HGB. Auch die Rechtsprechung geht in anderen Bereichen ohne weiteres von dieser erhöhten Selbstverantwortung des Kaufmanns aus. So erklärte der B G H im Jahre 1993, ein Kaufmann, der in einer bestimmten Branche Handel treibt, sei an eine branchentypische Schiedsvereinbarung gebunden, auch wenn er keine Schiedsvereinbarung abgeschlossen habe. 9 b. Internationales Vertragsrecht Im internationalen Vertragsrecht ist der Gedanke als „Vermutung der professionellen Kompetenz" („presumption ofprofessional competence") international tätiger Kaufleute und ihre daraus abgeleitete höhere Verantwortung für die Gestaltung ihrer rechtlichen Beziehungen seit Langem etabliert. Er 5 WW/ZHR 153 (1989), 300, 312. ' Vgl. K. Schmidt Handelsrecht, 5. Aufl. 1999, § l.IV.2.b. 7 Damit sind nicht die früheren Minderkaufleute oder Kleinstgewerbetreibenden gemeint. Bei ihnen kann durchaus eine dem Verbraucher vergleichbare Interessenlage vorliegen. 8 Pfeiffer in: Pfeiffer (Hrsg.) Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 1, Rn. 8. 9 BGH NJW 1993, 1798 mit Anm. KappusLM H. 7/1993, § 1027 ZPO, Nr. 18; dieser Ansatz ist mit § 1031 ZPO in seiner heutigen Fassung nicht mehr zu vereinbaren.

Die Einbeziehung von AGB in internationale Kaufverträge

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wurde in einer Fülle von internationalen Schiedssprüchen entwickelt. 10 Darüber hinaus stellt dieser Grundsatz heute ein Prinzip des transnationalen Wirtschaftsrechts dar.11 Seine wesentliche Funktion liegt darin, als Maßstab für die Risikoverteilung im Vertrag zu dienen.12 Aufgrund dieser Vermutung obliegt es etwa grundsätzlich den Parteien, für den Fall der Änderung der wirtschaftlichen oder technischen Rahmenbedingungen unterhalb der Schwelle von höherer Gewalt („force majeure") und wirtschaftlicher Unmöglichkeit („hardship") bereits bei Vertragsschluss durch Vereinbarung von Neuverhandlungsklauseln Vorsorge zu treffen. 13 2. AGB-Recht a. Inländischer Geschäftsverkehr Auch im Zusammenhang mit der Einbeziehung und Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen wird im deutschen Recht von einer geringeren Schutzbedürftigkeit des kaufmännischen AGB-Kunden ausgegangen. Dieser Gedanke ist Ausdruck einer größeren Geschäftsgewandtheit und -erfahrenheit von Unternehmern im Vergleich zu Endverbrauchern. 14 Dem liegen die Annahmen zugrunde, dass der Unternehmer wegen der größeren Vielzahl der Geschäftsvorfälle besser in der Lage ist, sich gegen die nachteiligen Wirkungen einer Klausel abzusichern und die durch einzelne Klauseln eingeräumten Rechte einerseits und dadurch begründeten unbilligen Benachteiligungen andererseits besser erkennen kann. 15 Diese unterschiedliche gesetzliche Bewertung der Verantwortlichkeiten von Unternehmern und Verbrauchern kommt in § 310 Abs. 1 zum Ausdruck. Er erklärt zum einen die Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 sowie die Klauselkataloge der §§ 308 f. für nicht anwendbar, wenn AGB gegenüber einem Unternehmer verwendet werden. Zum anderen verlangt § 310 Abs. 1, dass auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche 10 Vgl. nur ICC Schiedsspruch Nr. 1990, Clunet 1974, 897; Nr. 1512, Clunet 1974, 905; Nr. 2291, Clunet 1976, 989; Nr. 2438, Clunet 1976, 969 mit Anm. Detains aaO, 971; Nr. 3130, Clunet 1981, 932; Nr. 3380, Clunet 1981, 927; Nr. 5364, Clunet 1991, 1059; allg. Berger Formalisierte oder schleichende Kodifizierung des transnationalen Wirtschaftsrechts, 1996, S. 236. 11 Vgl. Prinzip 1.9 der CENTRAL Transnational Law Database unter www.tldb.de; vgl. zum Konzept der „schleichenden Kodifizierung" als methodische Basis der Datenbank Berger aaO. S. 194ff.; zum Aufbau und zur Funktionalität der Tldb Berger RIW 2002, 256ff. 12 Berger RIW 2000, 1, 9. 13 Carbonneau Col.J.Transn'l.L. 1985, 589, 593: „Given the parties' [presumed] professional sophistication as international merchants, ICC arbitrators interpret party silence about possible future contingencies as a conscious decision to assume the risk of such eventualities"; Berger Vanderbilt J.Transn'l.L. 2003, 1347, 1353. 14 Pfeiffer in: Pfeiffer (Hrsg.) (Fn. 8) 1999, § 9, Rn. 2. 15 Pfeiffer aaO, Rn. 3.

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angemessen Rücksicht zu nehmen ist. Dies gilt in besonderem Maße für die Berücksichtigung der Besonderheiten des internationalen Handels. 16 Die in § 310 Abs. 1 enthaltene gesetzliche Anordnung der Nichtanwendung der Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 macht deutlich, dass für den Gesetzgeber die Besonderheiten des kaufmännischen Geschäftsverkehrs nicht nur bei der Frage nach dem „wie", sondern schon bei der Frage nach dem „ob" der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle eine Rolle spielte. b. Internationaler Geschäftsverkehr Dieser Gedanke gilt auch für den internationalen Geschäftsverkehr. So soll nach zutreffender Ansicht das internationale Moment eines b2b-Geschäfts bereits nach deutschem AGB-Recht starke Beachtung finden und zu einer verminderten Schutzwürdigkeit des international tätigen Unternehmers führen: „Der Gedanke der gestuften Schutzbedüftigkeit ... ist auch für den internationalen Handelsverkehr fruchtbar zu machen: innerhalb der Kaufmannschaft benötigt und verdient der am internationalen Geschäftsverkehr Teilnehmende tendenziell weniger Schutz als der sich auf reine Inlandsgeschäfte Beschränkende." 17 Aber auch außerhalb des deutschen Rechts muss sich angesichts der Tatsache, dass die Verwendung von Musterverträgen und AGB heute zur üblichen Praxis des internationalen Handelsverkehrs gehört, 18 der Gedanke der erhöhten Verantwortlichkeit des Unternehmers auch auf diesem Gebiet auswirken.

III. Die Einbeziehung v o n AGB 1. Nationaler Geschäftsverkehr Bekanntlich ist auch bei b2b-Verträgen eine ausdrückliche oder stillschweigende Willensübereinstimmung der Vertragspartner über die Geltung der AGB erforderlich. Der Verwender muss zum Ausdruck bringen, dass neben dem individualvertraglich vereinbarten „Vertragskern" auch bestimmte, klar und unzweideutig bezeichnete AGB Vertragsinhalt werden

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Ulmer/Brandner/Hensen/Schmidt (Fn. 2) Rn. 37. Wolf/Horn/Lindacher(¥n. 2) Rn. 60; vgl. auch Ulmer/Brandner/Hensen/Schmidt(Fn. 2) Rn. 37 's Vgl. nur Day/Griffin The Law of International Trade, 1993, S. 4 f.; ICC (Hrsg.) Guide to Export-Import Basics, 2. Aufl. 2003, S. 54ff. 17

Die Einbeziehung von A G B in internationale Kaufverträge

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sollen. Der andere Teil muss hiermit einverstanden sein bzw. der Geltung der AGB nicht widersprechen, etwa durch Verweis auf eine eigene Abwehrklausel. 19 Bei einem Vertrag zwischen zwei deutschen Unternehmern verlangt die Rechtsprechung hierfür im Gegensatz zu Verbraucherverträgen nicht, dass die AGB dem zum Vertragsschluss führenden Schreiben des Verwenders beigefügt werden, solange klar und eindeutig auf sie hingewiesen wird und der Vertragspartner des Verwenders, etwa durch den Hinweis, dass die AGB auf Wunsch übersandt werden, in der Lage ist, sich über die AGB ohne weiteres Kenntnis zu verschaffen. 20 Insoweit verkehrt also die Rechtsprechung des BGH im Hinblick auf die eingangs erörterte erhöhte Verantwortung des Unternehmers die im b2c-Kontext bestehende Verteilung der Verantwortung in ihr Gegenteil: Sind die dargestellten Voraussetzungen gegeben, muss nicht der Verwender die AGB übersenden, sondern der kaufmännische Geschäftspartner des Verwenders die Übersendung verlangen, wenn er sich Kenntnis vom Inhalt der AGB verschaffen will. 2. Internationaler Geschäftsverkehr Im Hinblick auf das oben 21 dargestellte, für nationale und internationale b2b-Geschäfte gleichermaßen geltende Leitmotiv müssten diese Überlegungen auch oder sogar erst recht für den grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr Relevanz haben. Tatsächlich hat aber der BGH in einer Leitentscheidung aus dem Jahre 2001 22 anders entschieden. Durch diese Entscheidung hat das Gericht nicht nur für eine unterschiedliche Behandlung von nationalem und internationalem Geschäftsverkehr gesorgt. Vielmehr wurde die Anforderung für den internationalen b2b-Verkehr gegenüber dem nationalen Handelsverkehr deutlich verschärft. In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um die Lieferung einer gebrauchten Fräsmaschine von Deutschland nach Spanien. Der Kaufvertrag unterlag dem CISG. Die AGB des deutschen Verkäufers enthielten eine Klausel, wonach gebrauchte Maschinen „ohne jegliche Gewähr für anhaftende Mängel" verkauft werden. Die AGB waren der Auftragsbestätigung des deutschen Verkäufers nicht beigefügt. Die Auftragsbestätigung enthielt aber den Hinweis, dass der deutsche Verkäufer den Vertrag „unter Zugrundelegung" seiner Verkaufs- und Lieferbedingungen abschließen wollte. Der BGH geht in seiner Entscheidung zunächst zutreffend davon aus, dass die Frage der Einbeziehung von AGB nicht unter Rückgriff auf das nach dem IPR des Forums anwendbare Recht, sondern autonom, nach den

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BGHZ 102, 304; 117, 194; BGH NJW-RR 2001, 484; v. Westphalen NJW 2002, 1689. BGH NJW 1976, 1886; BGHZ 117, 190, 198; BGH NJW 2002, 372. Vgl. oben II. BGH NJW 2002, 370.

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Vertragsabschlussvorschriften des CISG (Artt. 14,18) zu beurteilen ist.23 Da diese keine speziellen Regeln zu dieser Frage enthalten, ist, so der BGH zutreffend, auf die allgemeinen Vertragsabschlussvorschriften und insbesondere auf die Auslegungsvorschrift des Art. 8 CISG zurückzugreifen. Ohne Anhaltspunkte in den Vertragsverhandlungen oder den Gepflogenheiten und Handelsbräuchen sei nach Art. 8 Abs. 2 CISG darauf abzustellen, wie „eine vernünftige Person der gleichen Art wie die andere Partei [d.h. die Verwendergegenseite]" das Angebot des Verwenders aufgefasst hätte. Um der Verwendergegenseite die Möglichkeit zu geben, von den AGB in zumutbarer Weise Kenntnis zu erlangen, sei aber nicht nur erforderlich, dass für diese der Wille des Verwenders der AGB erkennbar ist, er wolle seine Bedingungen in den Vertrag einbeziehen. Zusätzlich sei vielmehr „im Einheitskaufrecht vom Verwender von AGB zu fordern, dass er dem Erklärungsgegner deren Text übersendet oder anderweitig zugänglich macht." 24 Der BGH statuiert also eine pauschale Ubersendungsobliegenheit des AGB-Verwenders. Er befindet sich damit im Einklang mit der überwiegenden Meinung in der Literatur.25 Damit verlangt der BGH von einem international tätigen Unternehmer etwas, von dem er den inländischen gerade freistellt, nämlich die Übersendung bzw. das Zugänglichmachen der AGB. Einen ähnlichen Ansatz bei der Auslegung des CISG haben auch der Osterreichische Oberste Gerichtshof 26 und der niederländische Hof's-Hertogenbosch 27 verfolgt. Dagegen hat das Tribunal Commercial von Nivelles in Belgien den bloßen Hinweis auf die AGB für die Einbeziehung in einen dem CISG unterliegenden Vertrag als ausreichend erachtet.28

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Stadler Allgemeine Geschäftsbedingungen im internationalen Handel, 2003, S. 55; Schlechtriem/Schwenzer-Schlechtriem Kommentar zum Einheitlichen Kaufrecht (CISG), 2. Aufl. 2004, Art. 14 Rn. 16. 24 BGH aaO. (Fn. 22) 371. 25 MünchKommBGB-//.P. Westermann 4. Aufl. 2004, Art. 4 CISG Rn. 5; MünchKommHGB/ftrrarc'2004, Art. 14 CISG, Rn. 39; Staudinger-Afog««s Art. 14 CISG, Rn. 41; Stoffels AGB-Recht, 2003, Rn. 253; Piltz NJW 1996, 2768, 2770f.; den. IHR 2004, 133, 134; Teklote Die Einheitlichen Kaufgesetze und das deutsche AGB-Gesetz, 1994, S. 112ff.; Ventsch/Kluth IHR 2003, 61, 62; Janssen IHR 2004, 195, 200; für eine „gemäßigte Textverschaffungsobliegenheit" Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 2) Rn. 77. 26 Vgl. die Entscheidung des Österreichischen Obersten Gerichtshofes RdW 1996, 203. 27 Hof's-Hertogenbosch, Urteil v. 23. 10. 2002, Nederlands Internationaal Privaatrecht (NIPR) 2003, Nr. 192, dazu Janssen (Fn. 25), 194 ff. 28 Tribunal Commercial de Nivelles, Urteil v. 19. 9. 1995, R.G. 1707/93, UNILEX D.1995, 24.2.

Die Einbeziehung von A G B in internationale Kaufverträge

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IV. Die Argumentation des BGH Der BGH stützt diese verschärften Anforderungen an die Einbeziehung von AGB im internationalen b2b-Kontext im Wesentlichen auf vier Erwägungen. Sie können weder einzeln betrachtet, noch in ihrer Gesamtschau überzeugen. 1. „Erhebliche

Unterschiede" zwischen den „Nationalen Klauselwerken "

verwendeten

Zunächst hebt der BGH hervor, dass der Vertragspartner des Verwenders häufig nicht absehen könne, mit welchem Klauselinhalt er sich im Einzelnen einverstanden erklärt. Dies beruhe auf den unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen und Gepflogenheiten und den daraus resultierenden „erheblichen Unterschieden zwischen den jeweiligen nationalen Klauselwerken." 2 9 Diese Argumentation ist aus mehreren Gründen nur schwer nachvollziehbar. Zum einen bestehen auch im nationalen Geschäftsverkehr „erhebliche Unterschiede" zwischen den verwendeten AGB. Dies hat den BGH nicht gehindert, in ständiger Rechtsprechung in Inlandsfällen das Risiko der Kenntnisnahme von AGB der kaufmännischen Verwendergegenseite zuzuweisen. Die bloße Tatsache, dass im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr diese Unterschiedlichkeit auch durch die jeweilige nationale Rechtsordnung bestimmt wird, ändert an der Basis für diese Risikoverteilung an sich nichts. Für den grenzüberschreitend tätigen Unternehmer ist der Umgang mit diesen fremden Rechtsordnungen gerade essentielles Element seiner erhöhten kaufmännischen Verantwortlichkeit. Zum anderen müssen sich die Unterschiede in den international verwendeten AGB nicht zwangsläufig aus der Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen ergeben. Dies folgt schon aus dem Zweck vieler AGB, die den Vertrag gerade aus den Zwängen des nationalen Rechts lösen wollen. Hieraus folgt auch, dass es häufig nicht, wie vom BGH pauschal vorausgesetzt, „nationale Klauselwerke" sind, die im internationalen Handel Verwendung finden. 30 Vielmehr werden vielfach AGB verwendet, die von internationalen Verbänden oder gar „neutralen", internationalen Organisationen formuliert wurden. Dies gilt etwa für die „Allgemeinen Lieferbedingungen für den Export von Anlagegütern", die unter der Ägide der Europäischen Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen (ECE) bereits 1953 formuliert wurden31 und auch heute noch häufig der Lieferung von Industrieanlagen zugrunde BGH aaO. (Fn. 22) 371. Vgl. Karollus LM (Nr. 9) CISG Art. 14, S. 550. 31 Vgl. Ferid Die Allgemeinen Lieferbedingungen für den Export von Anlagegütern gemäß Empfehlung der ECE vom März 1953, 1954, S. 10 ff. 29

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gelegt werden oder die „General Conditions for the Supply of Mechanical, Electrical and Electronic Products" der europäischen Maschinenbau-Vereinigung ORGALIME 32 . Gleiches gilt auch für den von der Internationalen Handelskammer (ICC) entwickelten „ICC Model International Contract of Sale"33. Die Verwendung derartiger, von neutralen „Autoritäten" formulierter Bedingungswerke ist „gerade im internationalen Geschäftsverkehr eine verbreitete Erscheinung". 34 Für die Entwicklung dieser AGB war von vornherein nicht die Anbindung an die Besonderheiten eines nationalen Rechts, sondern gerade umgekehrt das Bestreben zur Schaffung international akzeptabler und interessengerechter Vertragsbedingungen ausschlaggebend. Auf „nationale Besonderheiten" der im internationalen Geschäftsverkehr verwendeten Klauselwerke als Rechtfertigung für eine strenge Einbeziehungskontrolle von AGB abzustellen, wie dies der BGH in seiner Entscheidung von 2001 tut, erweist sich daher als verfehlt. 2. Strengere Einbeziehungskontrolle als Ersatz für fehlende

Inhaltskontrolle

Im Zusammenhang mit der Unterschiedlichkeit „nationaler Klauselwerke" zieht der BGH als weiteren Rechtfertigungsgrund für eine strengere Einbeziehungskontrolle die Erwägung heran, dass die materielle Inhaltskontrolle derartig unterschiedlicher Klauseln nach nationalem Recht „nicht überall gewährleistet" ist. 35 Richtig an dieser Überlegung ist, dass sich auch bei Kaufverträgen, die dem CISG unterliegen, die Inhaltskontrolle von Vertragsklauseln nach dem anwendbaren nationalen Recht richtet. Dies wird aus der auch vom BGH herangezogenen Vorschrift des Art. 4 S. 2 a) CISG gefolgert. 36 Danach betrifft das CISG nicht „die Gültigkeit des Vertrages oder einzelner Vertragsbestimmungen". Richtig an der Erwägung des BGH ist auch, dass die Inhaltskontrolle von AGB in den verschiedenen Rechtsordnungen sehr unterschiedlich ausgestaltet ist. So liegt ein Hauptgrund für die vereinzelt anzutreffende Tendenz der Praxis zur Flucht in das schweizerische Recht gerade darin, dass im schweizerischen Recht mangels eines speziellen AGB-Gesetzes eine umfassende Inhaltskontrolle von AGB unterhalb der in Art. 20 des schweizerischen Obligationenrechts genannten Schwelle der Sittenwidrigkeit, Unmöglichkeit bzw. Widerrechtlichkeit bisher nicht stattfindet. 37 32 33

34 35

36 37

Text abrufbar unter www.orgalime.org. Vgl. dazu ICC (Hrsg.) Guide to Export-Import Basics (Fn. 18) S. 83 ff.

Wolf/Horn/Lindacher(Vn. 2) Rn. 52. BGH aaO. (Fn. 22) 371.

Wolf/Horn/Lindacher{Fn. 2) Rn. 75; Ulmer/Brandner/Hensen /Schmidt (Fn. 2) Rn. 12.

Vgl. das schweizerische Bundesgericht BGE 112 II 455f.; Honsell/Vogt/Wiegand-Jacobs Obligationenrecht I, 2. Aufl. 1996, Art. 19/20 Rn. 27

Die Einbeziehung von A G B in internationale Kaufverträge

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Trotz dieser erheblichen Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen erweist sich der Hinweis des BGH auf die fehlende Gewährleistung der Inhaltskontrolle nach nationalem Recht als Rechtfertigung für eine strengere Einbeziehungskontrolle als sehr problematisch. Auch bei sonstigen Vertragswerken, die nicht dem CISG unterliegen, besteht diese Gefahr. Für Vertragsbedingungen, die nicht „nationale Klauselwerke" darstellen, sondern von internationalen Organisationen formuliert wurden, kann sich die Kontrolle nach streng nationalen Maßstäben sogar als kontraproduktiv erweisen. Gerade aus diesem Grund wird für das deutsche Recht die zutreffende Ansicht vertreten, derartige Klauselwerke sollten in Anlehnung an die VOB-Rechtsprechung des BGH 3 8 als „fertig bereitliegende Vertragsordnung" verstanden werden, bei der im Rahmen der Inhaltskontrolle einzelner Klauseln zu berücksichtigen ist, dass dem internationalen Handelsverkehr ein in sich geschlossenes und insgesamt ausgewogenes Regelwerk zur Verfügung gestellt werden soll. 39 Im Hinblick auf den Zweck derartiger Regelwerke, als „selbst gesetztes Recht der Wirtschaft" 40 einen eigenständigen Regelungsrahmen zu schaffen und den Vertrag von den Zwängen nationalen Rechts zu lösen 41 , erweist sich dieser Ansatz gerade in diesem Zusammenhang als besonders sinnvoll. Schließlich verkennt der BGH aufgrund seiner rein national ausgerichteten Perspektive, dass der Vertragspartner des Verwenders bei einem Vertrag, der dem CISG unterliegt, auch ohne Rückgriff auf nationales Recht im Hinblick auf die Inhaltskontrolle von Vertragsbedingungen nicht schutzlos gestellt ist. Ohnehin sind selbst dann, wenn für die Inhaltskontrolle auf nationales Recht zurückgegriffen wird 42 , die Wertungsmaßstäbe für diese Inhaltskontrolle in erste Linie den Regelungen des CISG zu entnehmen. 43 So lässt sich aus dem in Art. 7 C I S G verankerten und als allgemeines Prinzip des transnationalen Wirtschaftsvertragsrechts anzusehenden 44 Prinzip von Treu und Glauben und dem in Art. 8 Abs. 2 C I S G angelegten Vernünftigkeitsmaßstab für die Auslegung von Willenserklärungen ein konventionsinternes Uberraschungsverbot herleiten. 45 Ein solches ist auch in Art. 2.1.20 der U N I D R O I T Principles of International Commercial Contracts enthal-

BGHZ 127, 281; 86, 141; Prütting/Wetnreich/Wegen-Berger BGB, 2006, § 307 Rn. 5. Ulmerl BrandneriHensenlSchmidt (Fn. 2) Rn. 37 4 0 Vgl. Croßmann-DoerthJW 1929, 3447; ders. JW 1930, 3724; RaiserOis Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1937, S. 61. 41 Vgl. Berger in: Berger (Hrsg.) The Practice of Transnational Law, 2001, S. 1, 19. « Vgl. oben Fn. 36. 43 Ulmer/Brandner/Hensen/Schmidt (Fn. 2) Rn. 12. 4 4 Vgl. Prinzip 1.1 der CENTRAL Transnational Law Database (Fn. 11). 45 Schlechtriem/Schwenzer-Schmidt-Kessel (Fn. 23) Art. 8 Rn. 57; Wolf/Horn/Lindacker (Fn. 2), Rn. 77 38 39

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ten 46 , deren Regeln ebenfalls auf den Grundprinzipen von Treu und Glauben, Fairness und Vernünftigkeit beruhen.47 Art. 8 CISG kommt damit in gewissem Umfang die Funktion einer inhaltlichen Kontrolle von Vertragsbedingungen zu. 48 So ist auch das Prinzip des Vorrangs der Individualvereinbarung und die Auslegungsregel „contra proferentem" im CISG und in den UNIDROIT Principles fest verankert.49 Weitergehend lässt sich aus den Bestimmungen des CISG und aus den UNIDROIT Principles ein internationaler oder gar transnationaler Fairnessstandard herleiten, der auch bei der Inhaltskontrolle international verwendeter AGB im b2b-Kontext zur Auslegung der jeweils anwendbaren nationalen AGB-Vorschriften oder gar unabhängig vom anwendbaren nationalen Recht über den Gedanken von „good faith and fair dealing" herangezogen werden kann. Tatsächlich ist schon lange vor Veröffentlichung der UNIDROIT Principles für das deutsche Recht der Gedanke eines „internationalen Gerechtigkeitsstandards" im Sinne eines von einer durchschnittlichen Staatenmehrheit gemeinsam getragenen Grundbestandes von Rechtsgrundsätzen als Maßstab der Inhaltskontrolle internationaler AGB entwickelt worden.50 Sinn dieses Ansatzes war es, nicht nur den Bedürfnissen nach einheitlichen Maßstäben im internationalen Handelsverkehr Rechnung zu tragen, sondern auch einen Anlass zu beseitigen, einer (d. h. der deutschen) Rechtsordnung nur wegen ihrer international als zu streng empfundenen Inhaltskontrolle durch Rechtswahl ausweichen zu müssen.51 In die gleiche Richtung geht das Plädoyer für die Anerkennung eines „genuin internationalen Interesses des grenzüberschreitenden Handels an im Kern vergleichbaren Geltungsschranken standardisierter Konditionen".52 Die Argumentation des BGH im Zusammenhang mit dem Ersatz der Inhaltskontrolle durch Einbeziehungskontrolle läuft also letztlich darauf hinaus, dass im Rahmen eines internationalen Vertragswerkes, auf das zudem noch internationales Einheitsrecht Anwendung findet, sich für die Frage der Inhaltskontrolle von AGB der hohe Schutzstandard des deutschen Rechts durch die Hintertür einer verschärften Einbeziehungskontrolle selbst dann 46 UNIDROIT (Hrsg.) UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts, 2004, S. 67f.; vgl. dazu Boneil Kn International Restatement of Contract Law, 2. Aufl. 1997, S. 153 f. 47 Vgl. den Kommentar Nr. 1 zu Art.l. 7 der UNIDROIT Principles, aaO. S. 18: »... good faith and fair dealing may be considered to be one of the fundamental ideas underlying the Principles." 48 Schlechtnem/Schwenzer-Schmidt-Kessel (Fn. 23) Art. 8 Rn. 59. 49 Vgl. zum CISG Schlechtriem/Schwenzer-Schmidt-Kessel (Fn. 23) Art. 8 Rn. 58, 59; zu den UNIDROT Principles Art. 2.1.21 (Vorrang der Individualvereinbarung) und Art. 4.6 (Auslegung contra proferentem). 50 Wolf (Fn. 5) 312 ff. 51 Wolf aaO, 313. 52 Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 2) Rn. 61.

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durchsetzt, wenn das an sich anwendbare nationale Recht diesen Schutzstandard nicht kennt. Letztlich bewegt sich der BGH damit auf der Ebene der von der schweizerischen Rechtsprechung mangels gesetzlicher Maßstäbe für die Inhaltskontrolle von AGB vorgenommenen „verdeckten Inhaltskontrolle", d.h. der Prüfung der Einbeziehung von AGB mit Blick auf ihren Inhalt.» 3. Unzumutbarkeit einer Erkundigung durch die Verwendergegenseite Im Mittelpunkt der Entscheidung des BGH steht die im Vergleich zum nationalen b2b-Geschäft Umkehrung der Risikoverteilung im Hinblick auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt der AGB. Im Gegensatz zum nationalen Geschäftsverkehr hält der BGH es im internationalen Geschäftsverkehr für unzumutbar, „dem Vertragspartner [des Verwenders] eine Erkundigungsobliegenheit hinsichtlich der nicht übersandten Klauselwerke aufzuerlegen und ihm die Risiken und Nachteile nicht bekannter gegnerischer AGB zu überbürden.*^ Die faktische Basis für diesen Rechtssatz sieht der BGH darin, dass der Vertragspartner eines internationalen Kaufvertrages zwar in vielen Fällen die Möglichkeit hat, Erkundigungen über den Inhalt der vom Gegner in Bezug genommenen AGB einzuholen, es hierdurch jedoch zu Verzögerungen beim Geschäftsabschluss kommen kann, woran beide Vertragsteile kein Interesse haben können. Es sei daher interessengerechter, wenn der Verwender seine AGB gleich beifüge. Wieso es allerdings Aufgabe des (AGB-)Rechts ist, im internationalen b2b-Geschäft auf dem Wege einer verschärften Einbeziehungskontrolle für eine Beschleunigung des Vertragsabschlusses zu sorgen, wieso für diese Beschleunigung der Verkäufer durch Ubersendung und nicht der Käufer durch sekundenschnelle Nachfrage per Email oder EDI 55 sorgen muss und wieso dieses „Beschleunigungsargument" nicht in gleichem Maße auch im nationalen Geschäftsverkehr gelten soll, bleibt im Dunkeln. Dies überrascht nicht. Zwar ist das Prinzip „time is of the essence" Bestandteil des transnationalen Wirtschaftsrechts. 56 Es kann aber nicht Aufgabe der Rechtsprechung sein, den Parteien vorzuschreiben, wie sie eine Verlangsamung oder Beschleunigung ihrer Geschäfte erreichen. 53

Vgl. dazu Honsell/Vogt/Wiegand-Jacobs (Fn. 37) Rn. 27: „Je unbilliger die AGB sind, um so höher werden die Anforderungen an das Zustandekommen einer .Einigung' geschraubt". 54 BGH aaO. (Fn. 22) 372. 55 Vgl. zum „Electronic Data Interchange" (EDI) Boss/Ritter Electronic Data Interchange Agreements, 1993, S. 15ff. 5< · Vgl. Prinzip IV.5.5 CENTRAL Transnational Law Database (Fn. 11).

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Für die dogmatische Begründung seines Ansatzes stützt sich der BGH auf den in Art. 7 CISG niedergelegten Grundsatz von Treu und Glauben im internationalen Handel und auf eine „allgemeine Kooperations- und Informationspflicht der Parteien", deren genaue Rechtsgrundlage das Gericht nicht nennt. Richtig ist, dass sowohl das Prinzip von Treu und Glauben 57 als auch die Informations- und Kooperationspflicht der Parteien58 anerkannte Elemente des transnationalen Wirtschaftsvertragsrechts sind. Die Bezugnahme auf diese transnationalen Rechtsprinzipien wirkt aber wie ein Fremdkörper in der ansonsten stark auf das nationale Recht ausgerichteten Entscheidung. Vor allem aber verkennt der BGH die Funktion und Wirkungsweise dieser Prinzipien. Ihr Zweck ist es, eine im Einzelfall interessengerechte und mit den Maßstäben des internationalen Handels vereinbare Entscheidung zu finden. Die Ableitung eines pauschalen Rechtssatzes, der sich zudem noch in Widerspruch zum nationalen deutschen AGB-Recht setzt, erscheint vor diesem Hintergrund, auch im Hinblick auf die oben (unter II.) diskutierten Wertungen, als äußerst problematisch. Dass die Risikoverteilung im Hinblick auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme anders als im nationalen b2b-Geschäft ausfällt, rechtfertigt der BGH zudem damit, dass im nationalen Geschäftsverkehr die verwendeten AGBKlauseln innerhalb einer Branche vielfach ähnlich ausgestaltet und unter den beteiligten Handelskreisen regelmäßig bekannt sind. Diese Voraussetzung treffe im internationalen Geschäftsverkehr nicht in gleichem Maße zu. Dass dieser Gedanke vor allem bei international einheitlichen AGB nicht trägt, wurde bereits oben im Zusammenhang mit dem vom BGH hervorgehobenen Schutz der Verwendergegenseite vor „nationalen Besonderheiten" diskutiert. 59 Entscheidend ist aber, dass das für die Risikoverteilung maßgebliche Kriterium aus dem Blick gerät. Ganz unabhängig vom Inhalt der jeweiligen AGB muss nämlich von international wie von national tätigen Kaufleuten erwartet werden, dass ihnen die (Branchen-)Ublichkeit der Verwendung von AGB bekannt ist. Gerade dieser Aspekt ist Ausfluss der gesteigerten Anforderungen an die Verantwortung des Kaufmanns. Der BGH selbst hat genau diese Wertung für die Frage der Einbeziehung von AGB in grenzüberschreitende Inter-Banken-Verträge vorgenommen. Ganz unabhängig vom Inhalt der AGB wurde deren Geltung für derartige Verträge insoweit angenommen, als „von ihnen [den ausländischen Banken] nach den Umständen erwartet werden kann, dass ihnen die Branchenüblichkeit der Einbeziehung von AGB bekannt ist." 60

Vgl. Prinzip 1.1 CENTRAL Transnational Law Database (Fn. 11). Vgl. Prinzip IV.5.8 CENTRAL Transnational Law Database (Fn. 11). 59 Vgl. oben 1. ω BGH WM 2004, 1177, 1178; vgl. dazu Kroll EWIR § 24 AGBG, 1/05. 57 58

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4. Notwendigkeit des Schutzes von Nicht-Kaufleuten Als letztes Argument zur Rechtfertigung der im Vergleich zum nationalen b2b-Geschäft verschärften Anforderungen an die Einbeziehung von AGB im internationalen Geschäftsverkehr nennt der BGH das Bemühen, eine Schlechterstellung des nicht-unternehmerischen Vertragspartners im Vergleich zum nationalen Verbraucherschutzrecht bei Kaufverträgen, die dem CISG unterliegen, zu vermeiden. 61 Diese Argumentation beruht auf der Tatsache, dass die Kaufmannseigenschaft der Vertragspartner für die Anwendbarkeit des CISG keine Rolle spielt. Verbrauchsgüterkäufe werden zwar nach Art. 2 a) CISG von der Anwendbarkeit des Übereinkommens ausgenommen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Verkäufer die Absicht des Käufers, die erworbene Ware nur für den persönlichen Gebrauch zu erwerben, weder kannte noch kennen musste. Das Ubereinkommen findet unter diesen Umständen auch auf Verbraucherverträge Anwendung. 62 Trotz dieser Gefahr der Uberschneidung von nationalem Verbraucherschutzrecht und internationalem Kaufrecht ist die Argumentation des BGH aus mehreren Gründen nicht haltbar. Zum einen entlarvt sie eine generelle Tendenz der deutschen Rechtsprechung, die verbraucherschützenden Aspekte, die dem deutschen AGB-Recht spätestens seit der Umsetzung der EUKlauselrichtlinie in § 310 innewohnen, direkt oder unterschwellig, auch im b2b-Geschäft wirken zu lassen. In beiden Bereichen sind jedoch für die Rechtsanwendung ganz unterschiedliche Schutzwürdigkeitserwägungen maßgeblich. Aus diesem Grund erweist sich auch der Weg des H o f s Hertogenbosch 63 als problematisch, die Notwendigkeit der Übersendung der AGB aus Art. 2:104 (2) der Principles of European Contract Law herzuleiten. Diese Vorschrift schließt es zwar aus, dass AGB durch die bloße Bezugnahme wirksam in einen Vertrag einbezogen werden können. 64 Die Principles sind jedoch als Blaupause für ein Europäisches Vertragsrecht gedacht. Sie erfassen also vor allem auch Verbraucherverträge. Der offizielle Kommentar zu Art. 2:104 (2) macht daher auch deutlich, dass eine solche Regel in einigen Ländern nur für Verbraucherverträge gilt. 65 Im Kontext des CISG geraten derartige Interpretationsansätze mit dem Gebot der autonomen Auslegung des Übereinkommens in Konflikt. 66 Die Problematik der unbesehenen Übertragung von Schutzzwecken, die im b2c-Bereich ihren Sinn haben, auf den unternehmerischen Geschäftsver« BGH aaO. (Fn. 22) 372. 62 Schlechtriem/Schwenzer-Ferrari 63 Vgl. oben Fn. 27. 64

(Fn. 23) Art. 2 Rn. 15.

Vgl. dazu Wilhelmsson in: Hartkamp/Hesselink/Hondius/Joustra/du Perron/Veldman

(Hrsg.) Towards a European Civil Code, 3. Aufl. 2004, S. 431, 437 65 Vgl. Lando/Beale (Hrsg.) Principles of European Contract Law, Parts I and II, 2000, S. 151 f. ω Schmidt-Kessel NJW 2002, 3445.

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kehr zeigt sich bei der, ebenfalls im Rahmen der Einbeziehungskontrolle zu erörternden Frage, wann Vertragsbedingungen als „ausgehandelt" i.S.v. § 305 Abs. 1 S. 3 gelten und damit einer AGB-Kontrolle entzogen sind. Der B G H überträgt hier in ständiger Rechtsprechung die für das b2c-Geschäft entwickelte strenge Formel, wonach der Verwender „den gesetzesfremden Kerngehalt seiner AGB ernsthaft zur Disposition stellen und dem anderen Teil Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen und zugleich die reale Möglichkeit verschaffen muss, den Inhalt der Vertragsbedingungen zu beeinflussen", auf b2b-Verträge. 67 Mit der Lebenswirklichkeit des kaufmännischen Verhandeins ist dieser Ansatz schon im nationalen Geschäftsverkehr nicht zu vereinbaren. 68 Dies gilt erst recht im internationalen b2b-Geschäft. In der internationalen Schiedspraxis finden sich daher auch Schiedssprüche, die eine differenziertere Sichtweise einnehmen. 69 Statt einer pauschalen Übertragung der im b2c-Kontext durchaus sinnvollen engen Formel des Aushandelns bietet sich auch hier eine einzelfallbezogene Wertung an, bei der die enge Formel der Rechtsprechung immer, aber auch nur dann, Anwendung findet, wenn es zwischen den kaufmännischen Vertragspartnern ein dem b2c-Geschäft vergleichbares evidentes70 Machtungleichgewicht gibt. 71

V. Der interessengerechte Lösungsansatz 1. Das Grundproblem des Lösungsansatzes des BGH Das Bemühen des B G H , im Interesse eines effektiven Verbraucherschutzes auch für b2b-Verträge, die dem C I S G unterliegen, strenge Anforderungen an die Einbeziehung zu stellen, offenbart zugleich die Grundschwäche des Ansatzes des BGH, statt einer Einzelfallwürdigung eine starre und pauschale Regel aufzustellen. Diese Erkenntnis ist umso bedauerlicher und verwirrender, als der Ausgangspunkt der Argumentation des BGH gerade die Möglichkeit eröffnet hätte, Raum für einzelfallbezogene Entscheidungen zu BGHZ 153, 321; NJW 2005, 2543; 2004, 1454. Vgl. Berger NJW 2001, 2152, 2153; Wolf in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band I, Bürgerliches Recht, 2000, S. 111, 120ff.; vgl. bereits Hensen NJW 1986, 1986, 1987; Rabe NJW 1987, 1978, 1980; Trappe in: Deutsche Gesellschaft für Transportrecht (Hrsg.) Transportrecht und Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen, 1988, S. 117, 119ff. M Vgl. ICC Schiedsspruch Nr. 10279, SchiedsVZ 2005, 108, l l l f . 70 Vgl. zu „evidenten" Machtungleichgewichtslagen als Rechtsfertigung der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle Wackerbarth AcP 200 (2000), 45, 56ff. 71 Vgl. Berger ZGS 2004, 415, 420f; den. in Abels/Lieb (Hrsg.) AGB und Vertragsgestaltung, 2005, S. 31, 42ff.; Prütting/Weinreich/Wegen-Berger (Fn. 38), § 305 Rn. 14; vgl. auch oben F n . 7 67 68

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schaffen. Genau besehen ist dieser Raum sogar im CISG angelegt. Der BGH hat diesen Raum nicht genutzt, weil das Gericht im Laufe seiner Argumentation seinen eigenen Obersatz aus den Augen verloren hat.72 Art. 8 Abs. 2 CISG, der ja den Ausgangspunkt der Argumentation des BGH bildete73, stellt für die Auslegung der Willenserklärung des AGB-Verwenders darauf ab, wie „eine vernünftige Person der gleichen Art wie ... [die Verwendergegenseite]" diese Erklärung unter den gleichen Umständen, d.h. in der gleichen äußeren Situation, aufgefasst hätte. Art. 8 Abs. 3 CISG verlangt, dass dabei alle erheblichen Umstände zu berücksichtigen sind. Die dadurch legitimierte und am Einzelfall orientierte Wertung ist auch für die Frage der Einbeziehung von AGB maßgeblich.74 In diesem Kontext kann und muss auch die Tatsache Berücksichtigung finden, ob es sich beim Vertragspartner des Verwenders um einen Verbraucher oder um einen diesem ausnahmsweise gleichzustellenden Unternehmer 75 handelt oder nicht. Der BGH hat mit dem Aufstellen einer pauschalen Versendungsobliegenheit des AGB-Verwenders die durch seinen eigenen Ansatz eröffnete Chance einer, auf einer autonomen Auslegung des CISG beruhenden, einzelfallbezogenen Differenzierung zwischen b2c- und b2b-Verträgen ungenutzt gelassen. 2. Erkundigungsobliegenheit der Verwendergegenseite und Zumutbarkeit der Nachfrage Im Fall der Einbeziehung von AGB ist also eine pauschale Ubersendungspflicht des Verwenders abzulehnen.76 Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob von der Verwendergegenseite die Kenntnis der Tatsache, dass ihre Vertragspartei auf der Grundlage ihrer AGB abschließen will, erwartet werden kann. 77 Anlass hierüber nachzudenken hat die Verwendergegenseite in jedem Fall. Grundvoraussetzung für die wirksame Einbeziehung bleibt nämlich, dass für die Verwendergegenseite erkennbar ist, dass ihre Vertragspartei deren vorformulierten Vertragsbedingungen in den Vertrag einbeziehen will.78 Der entsprechende Hinweis des Verwenders muss also so deutlich sein, dass eine vernünftige Partei i.S.v. Art. 8 Abs. 2 CISG ihn versteht.79 Ist diese Voraussetzung erfüllt, liegt das Risiko der fehlenden Kenntnis-

Pötter/Hübner EWiR Art. 14 CISG, 1/02. Vgl. oben III.2 nach Fn. 23. 74 Schlechtriem/Scbwenzer-Schmidt-Kessel (Fn. 23) Art. 8 Rn. 53. 75 Vgl. oben Fn. 7 76 Karollus (Fn. 30) S. 550; Pötter/Hübner (Fn. 72) a a O ; Schmidt-Kessel {Fn. 66), S. 3445; Stadler (Fn. 23) S. 95; Holthausen RIW 1989, 513, 517 77 Für eine einzelfallorientierte Prüfung auch Karollus (Fn. 30) S. 549f.; Schmidt-Kessel (Fn. 66) 3445. 78 Vgl. oben III.l. 79 Schlechtriem/Schwemer-Schmidt-Kessel (Fn. 23) Rn. 53. 72 73

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nähme bei der Verwendergegenseite, es sei denn, von ihr konnte trotz dieses Hinweises im Einzelfall eine Kenntnisnahme vom Inhalt der AGB nicht erwartet werden. Letzteres kann etwa dann der Fall sein, wenn der Hinweis an versteckter Stelle steht oder die AGB zwar auf einer Homepage des Verwenders abrufbar sind, der Vertragspartner aber nicht über die technischen Möglichkeiten verfügt, sich Zugang zu dieser Homepage zu verschaffen. Wird der Vertrag nicht online abgeschlossen, genügt der Hinweis den genannten Anforderungen zudem nur, wenn das Angebot des Verwenders deutlich nicht nur auf die Geltung der AGB, sondern auch auf die InternetAdresse, wo diese zum Download bereit stehen, hinweist.80 Dieser Ansatz ermöglicht es, Zumutbarkeitserwägungen im Einzelfall anzustellen statt einem starren Rechtsatz folgen zu müssen. Die vom BGH angeführte allgemeine Informations- und Kooperationspflicht81 spielt auch hier eine wichtige Rolle. Sie dient allerdings nicht als Basis für eine pauschale Ubersendungsobliegenheit des Verwenders. Vielmehr liefert sie einen Abwägungsmaßstab für die Frage, ob die Erkundigung dem Vertragspartner des Verwenders tatsächlich zumutbar war oder ob im Einzelfall besondere Gründe dafür sprechen, dass der Verwender von sich aus seine AGB zur Verfügung stellen musste. Dieser Ansatz lenkt zugleich den Blick auf den eigentlichen Schwerpunkt der Einbeziehungsprüfung, die Frage, ob das Einbeziehungsangebot des Verwenders für den Vertragspartner verständlich ist. So wäre in dem vom BGH entschiedenen Fall zu fragen gewesen, in welcher Sprache der Hinweis auf die Einbeziehung der AGB des Verkäufers erfolgte und ob diese Sprache mit der Verhandlungssprache übereinstimmte, aus anderen Gründen vom spanischen Verkäufer hätte verstanden werden müssen (Heimatsprache) oder jedenfalls in Englisch als der lingua franca des internationalen Wirtschaftsverkehrs erfolgte. In diesen Fällen trägt die Verwendergegenseite das Sprachrisiko.82 In anderen Fällen sind die AGB dagegen schon mangels für den Empfänger erkennbaren Hinweises nicht Vertragsbestandteil geworden.83 In vielen Fällen werden die AGB dagegen schon aufgrund eines in der betreffenden Branche geltenden Handelbrauchs oder einer zwischen den Parteien entstandnen Gepflogenheit gelten. An beides sind die Parteien nach Art. 9 CISG gebunden, selbst wenn sie diesen Handelsbrauch nicht positiv kannten, sondern nur kennen mussten, vorausgesetzt, der betreffende Brauch ist im internationalen Handel den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig weithin bekannt und wird von ihnen Brunner UN-Kaufrecht-CISG, 2004, Art. 4, Rn. 42. Vgl. oben Fn. 57 82 Vgl. nur OLG Koblenz, IPRax 1994, 46, 48; OLG Hamburg NJW 1980, 1232, 1233; Ulmer/Brandner/Hensen/Schmidt (Fn. 2) Rn. 17. 83 Vgl. OLG Stuttgart, IPRax 1988, 293 f. 80 81

Die Einbeziehung von AGB in internationale Kaufverträge

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regelmäßig beachtet. 8 4 Auch dieser Grundsatz ist Ausdruck der gesteigerten Verantwortung des im internationalen Handelsverkehr tätigen Unternehmers. 3. Einzelfallgerechtigkeit

statt pauschaler Rechtssatz

Statt einen pauschalen Rechtssatz aufzustellen, hätte der B G H also, ausgehend von dem für das nationale b2b-Geschäft entwickelten Rechtssatz 85 , einem flexiblen Ansatz den Vorzug geben können, ohne damit Schutzlücken zu schaffen. Ein solcher Ansatz stünde auch im Einklang mit einer modernen, auf Aspekten von Treu und Glauben, Fairness und Vernünftigkeit fußenden Vertragsrechtstheorie: „... the use of legal rules precisely fixed in advance is not helpful, since the regulated subject matter is neither absolute nor fixed. In this respect, general standards are preferable for reasons of flexibility and efficiency. Flexibility, when introduced through the use of legal standards, as opposed to principles, is more in accord with the requirement of planning in relational transactions. It is by no means an element of uncertainty, but is, in fact, a promoter of ultimate, though not always immediate, specificity." 86 Auch die Väter der U N I D R O I T Principles haben zu Recht die Notwendigkeit einer einzelfallgerechten Anwendung des grundlegenden Prinzips von „good faith and fair dealing", auf denen letztlich auch die Regeln über die Einbeziehung und die Kontrolle von AGB beruhen, besonders betont: „... good faith and fair dealing must be construed in the light of the special conditions of international trade. Standards of business practice may indeed vary considerably from one trade sector to another, and even within a given trade sector they may be more or less stringent depending on the socio-economic environment in which the enterprises operate, their size and technical skill, etc." 87 Angesichts der Vielschichtigkeit der Rechtsprobleme des internationalen Wirtschaftsrechts, der Dynamik der Vertragspraxis und der Vielfalt der Bräuche und Usancen wäre es illusorisch anzunehmen, man könnte jede Fallkonstellation interessengerecht durch Aufstellung eines pauschalen Rechtssatzes erfassen. Vielmehr bedarf es dazu gerade im internationalen Wirtschaftsvertragsrecht stets der Konkretisierung allgemeiner Prinzipien und Regeln im jeweiligen Einzelfall. 88 84

Stadler {Fn. 23) S. 93. 85 Vgl. oben III.l. 86 Nassar Sanctity of Contracts Revisited, 1995, S. 25. 87 Kommentar Nr. 3 zu Art. 1.7 UNIDROIT Principles, UNIDROIT (Fn. 46), S. 20. 88 Bergeron. 10) S. 96.

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K l a u s Peter Berger

VI. Fazit Die deutsche AGB-Rechtsprechung leidet an einem grundsätzlichen Dilemma. Durch die direkte oder unterschwellige Übertragung von im b2c-Kontext gerechtfertigten Schutzerwägungen in das b2b-Geschäft wird die im deutschen und internationalen Vertragsrecht angelegte Annahme der erhöhten Selbstverantwortung des Unternehmers immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Die Wurzel für dieses Phänomen liegt letztlich in der Entstehungsgeschichte des AGB-Gesetzes. Während der Beratungen wurde das AGB-Gesetz im Hinblick auf die „rechtspolitische Fragwürdigkeit des Kaufmannsbegriffs" und der „Schutzbedürftigkeit der Masse der Vollkaufleute" von einem Verbraucherschutzgesetz zu einem allgemeinen Schutzgesetz erweitert. 89 Damit wurde die Basis dafür gelegt, dass heute auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr der Freiraum für privatautonome Gestaltungsfreiheit gefährdet wird, der im b2c-Verkehr schon längst durch regulatives Sonderrecht in immer bedenklicherer Weise zurückgedrängt wird. 90 Die Ausführungen haben auch gezeigt, dass einzelfallorientierte Betrachtungsweisen im Bereich des AGB-Rechts und selbst auf dem Gebiet des internationalen Einheitsrechts nicht gleichbedeutend mit der Schaffung von Schutzlücken sind. Die Besonderheiten und die Komplexität der grenzüberschreitenden Wirtschaft verlangt vielmehr nach einzelfallorientierter Rechtsanwendung. Entscheidungen wie die des B G H zur Einbeziehung von AGB in internationale Kaufverträge, die dem CISG unterliegen, erweisen sich daher nicht, wie der B G H in seiner Entscheidung hervorhebt, als „praxisnahe Rechtsanwendung" 91 . Im Zeitalter der Globalisierung der Weltmärkte und des Wettbewerbs der Rechtsordnungen gefährden sie vielmehr die internationale Konkurrenzfähigkeit des deutschen Rechts.

8 9 Vgl. Ulmer in: Verhandlungen des Fünfzigsten Deutschen Juristentages, 1974, S. H 8 , H21 ff. 9 0 Vgl. dazu zu Recht kritisch Dauner-Lieb NJW 2004, 1432; vgl. auch Kotz J u S 2003, 209 ff. « B G H (Fn. 22) 372.

Strukturelemente des europäischen Bürgschaftsrechts GEORG

BORGES

I. Einführung Die Vereinheitlichung des Privatrechts in Europa wird eine neue Dimension erreichen, wenn es gelingt, den Text eines gemeinsamen Vertragsrechts zu verabschieden. Dieses Ziel, das durch die EU-Kommission und das Europäische Parlament mit Nachdruck vorangetrieben wird, soll nach aktuellem Planungsstand zunächst im so genannten Gemeinsamen Referenzrahmen (GRR) (Common Frame of Reference - CFR) verwirklicht werden, dessen Entwurf bis Ende 2007 vorliegen und der im Herbst 2009 durch die Kommission verabschiedet werden soll.1 Für den Entwurf dieser Texte kann auf umfangreiche Vorarbeiten der Wissenschaft zurückgegriffen werden. So haben die Study Group on a European Civil Code mit den Principles of European Contract Law1 und die Accademia dei Giusprivatisti Europei mit dem Vorentwurf eines Europäischen Vertragsgesetzesbuchs3 bereits Entwürfe für ein gemeinsames europäisches Recht im Bereich des allgemeinen Vertragsrechts vorgelegt; derzeit wird intensiv an der Regelung der einzelnen Schuldverhältnisse gearbeitet. Gegenstand der aktuellen Arbeiten ist auch das Recht der Personalsicherheiten, nicht zuletzt der Bürgschaft. Die Study Groups hat bereits einen Text vorgelegt,5 der in diesem Jahr, wie schon die bisherigen Texte, mit einem commentary sowie national notes zu den Regeln der Mitgliedstaaten veröffentlicht werden soll.6

1 Vgl. die Mitteilung „Europäisches Privatrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstandes - weiteres Vorgehen", KOM (2004) 651 endg., s. dazu auch Schmidt-

Kessel GPR 2005, 2 ff. 2

Lando/Beale

(Hrsg.) Principles of European Contract Law, Parts I and II, 2000; Lando/ Part III, 2003.

Clive/Prüm/Zimmermann (Hrsg.) Principles of European Contract Law, 3 Gandolfi (Hrsg.) Code Européen des Contrats, Avant-projet, 2001.

4 Das Recht der Personalsicherheiten wurde von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Drobnig bearbeitet; Informationen zu dieser Gruppe sind abrufbar unter www.sgecc.net. 5 Der Text ist abrufbar unter www.sgecc.net, Rubrik „Texts", „Personal Securities". 6 Die Materialien waren bei Abschluss des Manuskripts noch nicht zugänglich.

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Georg Borges

Norbert Horn hat das deutsche Bürgschaftsrecht durch seine herausragende Kommentierung in Staudingers Kommentar zum BGB7 und zahlreiche weitere Veröffentlichungen8 über viele Jahre wissenschaftlich begleitet und geprägt. Es liegt daher nahe, ihm Überlegungen zum europäischen Bürgschaftsrecht zu widmen, zumal die Erkenntnisse Horns vielfach auch für das europäische Recht Gültigkeit haben. Der nachfolgende Beitrag ist in vier Teile gegliedert: Auf eine kurze Darstellung des Entwurfs der Study Group zum Bürgschaftsrecht (II.) folgt ein Überblick über Strukturmerkmale der Bürgschaft in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen (III.). Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem Bürgenschutz in Europa (IV., V.).

II. Überblick über den Entwurf der Study Group Der Entwurf der Study Group9 ist ein hoch ambitioniertes Regelwerk: Er umfasst alle Formen der Personalsicherheit und regelt ausdrücklich nicht nur die Bürgschaft, sondern auch Garantien, Stand-By Letters of Credit, die Mitverpflichtung zu Sicherungszwecken. Entsprechend unterscheidet der Entwurf zwischen der akzessorischen Sicherheit (dependent personal security), der Bürgschaft (suretyship guarantee) (Art. 101 (a)), und der nichtakzessorischen Sicherheit (independent personal security), der Garantie (indemnity/independent guarantee) (Art. 101 (b)). Der Text ist in vier Teile gegliedert. Der erste Teil (Common Rules) enthält in zehn Artikeln Definitionen sowie allgemeine Bestimmungen, die für alle Sicherungsrechte gleichermaßen gelten, vor allem Regeln zur Mehrheit von Sicherungsgebern (Artt. 106-110). Der zweite Teil (Suretyship Guarantees), mit 13 Artikeln der umfangreichste, ist der Bürgschaft gewidmet. Der Entwurf definiert die Bürgschaft als eine vertragliche Verpflichtung, durch die sich der Sicherungsgeber zu einer Leistung verpflichtet, die eine Verbindlichkeit des Schuldners gegenüber dem Sicherungsnehmer sichert und von dieser Verbindlichkeit abhängig ist (Art. 101 (a)). Art. 201 enthält eine Vermutung zugunsten einer akzessorischen Personalsicherheit. Die Akzessorietät der Bürgschaft ist in Art. 202 näher beschrieben. Art. 203 betrifft die Einwendungen des Bürgen gegenüber dem Gläubiger. Hier gilt als Grundsatz, dass der Bürge alle Einwendungen des Schuldners gegenüber dem Gläubiger geltend machen kann (Art. 203 (1)). Art. 204 regelt den Umfang der Bürgenverpflichtung. Gemäß Art. 205 ist die Bürgschaft, wenn nicht anders vereinbart, eine Solidarbürgschaft, der 7

Aus Horns Feder stammen die Bearbeitung der 12. Auflage, 1981 und der 13. Auflage, 1997; die Neubearbeitung wird voraussichtlich 2007 erscheinen. 8 Etwa das Buch Bürgschaften und Garantien, 8. Aufl. 2001, die Beiträge in Festschrift Franz Merz, 1992, 217ff.; DZWir 1997, 265ff.; WM 1997, 1081 ff., ZIP 2001, 93ff. 9 Der Erörterung liegt die 23. Version vom 25. 10. 2005 zugrunde.

Strukturelemente des europäischen Bürgschaftsrechts

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Gläubiger kann also wahlweise gegen den Hauptschuldner oder den Bürgen vorgehen. Für den Fall der subsidiären Bürgschaft bestimmt Art. 206, welche Maßnahmen der Gläubiger gegen den Hauptschuldner ergreifen muss, bevor er auf den Bürgen zugreifen kann. Art. 207 verpflichtet den Gläubiger, den Bürgen von Nichtleistung oder Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners unverzüglich zu informieren. Bei Verletzung dieser Pflicht haftet der Gläubiger dem Bürgen auf Schadensersatz. Die Zeitbürgschaft ist in Art. 208, recht umfangreich, geregelt. Danach endet die Verpflichtung des Bürgen mit Ablauf der vereinbarten Zeit, sofern der Gläubiger nicht vorher Leistung verlangt hat. Ist die Bürgschaft nicht auf innerhalb eines bestimmten Zeitraums entstehende Verbindlichkeiten beschränkt, kann der Bürge gemäß Art. 209 seine Haftung durch Kündigung gegenüber dem Gläubiger auf den Umfang der Hauptschuld zum Zeitpunkt der Erklärung beschränken. Nach Art. 210 haftet der Gläubiger dem Bürgen, wenn dessen Regress beim Hauptschuldner oder einem Dritten aufgrund des Verhaltens des Gläubigers fehlschlägt. Die Artt. 211-213 betreffen das Verhältnis des Bürgen zum Hauptschuldner. Der Bürge kann von ihm in bestimmten Fällen nach Maßgabe des Art. 211 Befreiung von der Bürgschaft verlangen, insbesondere bei wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners. Vor Leistung an den Gläubiger muss der Bürge gemäß Art. 212 den Schuldner informieren. Nach Leistung an den Gläubiger kann der Bürge gemäß Art. 213 beim Schuldner Regress nehmen. Außerdem geht die Hauptforderung auf ihn über. Der dritte Teil (Independent Personal Securities) enthält in insgesamt acht Artikeln die besonderen Regeln zu Garantien und anderen nichtakzessorischen Personalsicherheiten. Der vierte Teil, Artt. 401-408 {Special Rules for Personal Securities of Consumers), enthält spezifische Regeln für Verbraucherverträge über Personalsicherheiten. Diese Regeln gelten gemäß Art. 401, wenn der Sicherungsgeber Verbraucher ist, nicht aber, wenn der Gläubiger ebenfalls Verbraucher ist, oder wenn der Schuldner keine natürliche Person ist und der Sicherungsgeber „substantional influence" auf den Schuldner ausüben kann. Damit werden Gesellschafter mit „substantional" Einfluss ein unklarer und daher problematischer Begriff - auf die Gesellschaft vom Bürgenschutz ausgenommen. Von den Regeln des vierten Teils kann gemäß Art. 402 nicht zum Nachteil des Sicherungsgebers abgewichen werden. Den Kern des Verbraucherschutzes bilden die in Art. 403 geregelten vorvertraglichen Aufklärungspflichten, die ihr Vorbild im englischen Recht haben (dazu unten V.2.c). Nach Art. 404 sind die Regeln der Haustürgeschäftewiderrufsrichtlinie auch auf Sicherungsverträge anwendbar. Die Erklärung des Bürgen ist gemäß Art. 405 schriftlich (in writing) zu fassen und vom Bürgen zu unterzeichnen. Das Fehlen der Form führt zur Nichtigkeit des Vertrags. Art. 406 enthält weit-

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Georg Borges

gehende Einschränkungen hinsichtlich A r t und U m f a n g der Sicherungsverpflichtung. G e m ä ß A r t . 4 0 6 (a) wird ein als Globalsicherheit bezeichnetes Sicherungsrecht als Bürgschaft im U m f a n g der Hauptverbindlichkeit angesehen (dazu unten V . l . ) . D i e Bürgschaft des Verbrauchers ist subsidiär, sofern nicht ausdrücklich anders vereinbart, A r t . 4 0 6 (b). E i n e auf ein unabhängiges Sicherungsrecht gerichtete Vereinbarung wird als Bürgschaft umgedeutet, A r t . 4 0 6 (c). G e m ä ß A r t . 4 0 7 muss der Gläubiger den Bürgen jährlich ü b e r den U m f a n g der gesicherten Schuld informieren. A r t . 4 0 8 regelt ein Kündigungsrecht, mit dem der Bürge den U m f a n g der H a f t u n g b e schränken kann.

III. Die Struktur der Bürgschaft in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen In B e z u g auf die Struktur der Bürgschaft sind in h o h e m M a ß e

Ge-

meinsamkeiten festzustellen. Die Bürgschaft ist in allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bekannt und meist gesetzlich geregelt. 1 0 Sie ist ein Rechtsgeschäft, durch das sich der Bürge gegenüber dem Bürgschaftsgläubiger verpflichtet, für die Leistung eines D r i t t e n , des Hauptschuldners, einzustehen. 1 1 Sie entsteht durch Vertrag zwischen Bürge und Bürgschaftsgläubiger ohne Beteiligung des Hauptschuldners. D a b e i ist die Erklärung des Bürgen nach 10 Dtschl.: §§ 765ff. BGB; Osten.: §§ 1346ff. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB); Griechenl.: Artt. 847ff. griech. ZGB; Frankr.: Artt. 2011 ff. code civil (franz. c.c); Belgien: Artt. 2011 ff. code civil (belg. c.c.); Luxemb.: Artt. 2011 ff. code civil (lux. c.c.); Italien·. Artt. 1936ff. codice civile (ital. c.c.); Spanien: Artt. 1822ff. código civil (span, c.c.); Portugal: Artt. 627ff. código civil (port, c.c.); Niederl.: Artt. 850ff. Nieuw Burgerlijk Wetboek (NBW); Slowenien: Artt. 1012ff. Obligacijski zakonik (Obligationengesetz); Estland: §§ 142ff. Völaöigusseadus (est. OA); Lettland: §§ 1691 Civil Likums (lett. ZGB); Litauen: Artt. 6.76ff. Lietuvos Respublicas Civilinis Kodeksas (lit. ZGB); Polen: Artt. 876ff. Kodeks Civilny (KC); Schweden: 10 Kap. 9-12ff. Handelsbalk (schwed. HGB); Finnland: L takauksesta ja vierasvelkapauttauksesta 361/1999 (Bürgschaftsgesetz); Tschechien: §§ 546ff. Obcänyky Zákonik (tschech. BGB); Slowakei: §§ 546ff. Obciänyk^ Zákonnik (slovak. BGB); Ungarn: §§ 272ff. ung. ZGB; Malta: Artt. 1925ff. civil code; bekannt, ohne gesetzl. Regelung z.B. in England (s. dazu Staudinger/Hom BGB, 13. Aufl. 1997, Vorbem. zu §§ 765 ff. Rn. 469ff.); Irland(s. dazu Hartley Bürgschafts- und Garantierecht im Vereinigten Königreich und Irland, 1974); Dänemark: (siehe dazu Dübeck Einführung in das dänische Recht, 1996, S. 211 f.). Die Nachweise zu den einzelnen Rechtsordnungen würden den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Daher sind die Nachweise in den nachfolgenden Fußnoten dieses Abschnitts auf eine Auswahl von Mitgliedstaaten beschränkt. Für umfassende Nachweise sei auf die National Notes im Entwurf der Study Group, Drobnig (Hrsg.) Personal Security, ersch. vorauss. Okt. 2006, verwiesen. 11 § 765 BGB; Engl.: Paget's Law of Banking, 11. Aufl. 1996, S. 617f. mwN.; Andrews/ Millen Law of Guarantees, 4. Aufl. 2005, Rn. 1-001; Art. 2011 franz. c.c.; Art. 850 Abs. 1 NBW; Art. 876 § 1 KC.

Strukturelemente des europäischen Bürgschaftsrechts

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fast allen Rechtsordnungen formbedürftig (dazu unten IV.l.). Die Bürgschaft kann auch mehrere, gar eine Vielzahl von Verbindlichkeiten abdecken, und sie kann nach wohl allen Rechtsordnungen auch für künftige Verbindlichkeiten eingegangen werden.12 Damit besteht die Möglichkeit der Globalbürgschaft, die offenbar allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bekannt ist. Eines der entscheidenden Wesensmerkmale der Bürgschaft, ihre Akzessorietät gegenüber der Hauptschuld, ist den europäischen Rechtsordnungen gemeinsam.13 Daraus folgt, dass die Bürgschaftsverpflichtung nicht entsteht oder erlischt, wenn die Hauptschuld nicht wirksam entsteht oder erlischt. Der Umfang der Bürgschaftsverpflichtung richtet sich nach dem Umfang der Hauptschuld. Gemeinsam ist den Rechtsordnungen auch der ebenfalls aus der Akzessorietät abgeleitete Grundsatz, dass der Bürge auch Einwendungen des Hauptschuldners gegen die verbürgte Forderung erheben kann.14 Gemeinsamkeiten bestehen auch im Verhältnis der Bürgenverpflichtung gegenüber der Hauptschuld. Insoweit sind, auch dies weitgehend übereinstimmend in den verschiedenen Rechtsordnungen, verschiedene Arten der Bürgschaft zu unterscheiden. Dazu gehört zunächst der Typus der selbstschuldnerischen Bürgschaft oder Solidarbürgschaft. Charakteristikum dieser Form ist, dass der Bürge ohne nennenswerte Maßnahmen gegenüber dem Hauptschuldner in Anspruch genommen werden kann, meist reicht die Nichtleistung bei Fälligkeit aus. Der zweite Typus ist die subsidiäre Bürgschaft. Hier kann der Bürge erst nach erfolglosen Maßnahmen gegen den Hauptschuldner in Anspruch genommen werden. Erforderlich ist hier teilweise nur Verzug des Hauptschuldners, teilweise eine vorangegangene Klage gegen diesen. Der Gegenpol zur selbstschuldnerischen Bürgschaft ist die Ausfallbürgschaft. Hier kann der Bürge erst nach erfolgloser Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Hauptschuldners in Anspruch genommen werden. Unterschiede bestehen in Bezug auf den gesetzlichen Regelfall. Während dies in einigen Staaten die subsidiäre Bürgschaft ist,15 steht bei an-

12 § 765 Abs. 2 BGB; Engl.: Andrews!Millen (Fn. 11) Rn. 1-001; Art. 1130 franz. c.c. („Les choses futures peuvent être l'objet d'une obligation.") s. dazu Eusterhus Die Akzessorietät im Bürgschaftsrecht. Eine Untersuchung zum deutschen und französischen Recht, 2002, S. 16; Art. 851 Abs. 2 NBW; Art. 878 KC. 13 §§ 767 Abs. 1, 768, 770 BGB; Engl.: Paget's (Fn. 11) S. 618; Artt. 2012, 2013 Abs. 1 franz. c.c., s.a. Hauschild Der Schutz des Bürgen. Eine vergleichende Untersuchung zum französischen und deutschen Recht, 199^ S. 26; Art. 851 Abs. 1 NBW; Art. 879 § 1 KC, s. a. Pyziol, in Horn/Pleyer (Hrsg.) Recht der Kreditsicherheiten in Osteuropa, 199^ S. 109, 138f. 14 § 768 BGB; Engl.: Andrews/Millen (Fn. 11) Rn. 11-005; Art. 2036 Abs. 1 franz. c.c.; Art. 852 Abs. 1 NBW; Art. 883 KC. Als Ausnahme gilt vor allem in den romanischen Rechtsordnungen, dass sich der Schuldner nicht auf einen Mangel der Geschäftsfähigkeit des Schuldners berufen kann; vgl. Artt. 2012 Abs. 2, 2036 Abs. 2 belg. c.c.; Artt. 2012 Abs. 2, 2036 Abs. 2 franz. c.c.; Artt. 2012 Abs. 2, 2036 Abs. 2 lux. c.c.; Artt. 1939, 1945 2. Halbs, i tal. c.c.; s. auch Art. 877 KC. 15 Vgl. § 771 BGB; Art. 2021 franz. c.c.; Art. 1830 span, c.c.; § 1702 Abs. lett. ZGB.

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deren die solidarische Bürgschaft im Vordergrund16 - so auch der Entwurf (Art. 205). Für die Praxis ist dieser Aspekt aber nicht von entscheidender Bedeutung, da diese Vorgabe durchgehend dispositiv ist. Ein gemeinsames Strukturmerkmal ist auch der Übergang der Forderung des Gläubigers auf den Bürgen, wenn dieser den Bürgschaftsgläubiger befriedigt.17 Gemeinsamkeiten bestehen schließlich beim Erlöschen der Bürgschaft. Sie erlischt, wenn die Hauptschuld erlischt, oder der Bürge den Gläubiger befriedigt, bei der Zeitbürgschaft auch durch Zeitablauf, ebenso mit Entlassung des Bürgen durch den Gläubiger. Im Detail bestehen freilich Divergenzen. Man kann daher als ein Zwischenergebnis feststellen, dass die Bürgschaft, was ihre Struktur angeht, in den mitgliedstaatlichen Gesetzen im Wesentlichen gleichartig geregelt ist. Schon de lege lata kann man daher in Bezug auf die Struktur der Bürgschaft von einem gemeinsamen europäischen Recht sprechen. Die Regelung der Bürgschaft im Entwurf der Study Group entspricht jedenfalls in den hier angesprochenen Strukturmerkmalen einer gemeinsamen Tradition der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen.

IV. Der Bürgenschutz in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen Der gesetzliche Schutz des Bürgen ist ein Dreh- und Angelpunkt des Bürgschaftsrechts, denn es kommt darauf an, das rechte Maß an Bürgenschutz zu finden. Dass der Bürge des Schutzes bedarf, ist in Europa unstreitig, Vorschriften zum Schutz des Bürgen finden sich in wohl allen europäischen Rechtsordnungen. Umgekehrt kann die Bürgschaft für den Kreditgeber durch ein überzogenes Maß an Bürgenschutz unattraktiv werden und Anreize zur Verlagerung auf andere Instrumente setzen. Der Schutz des Bürgen ist in den Mitgliedstaaten regelmäßig nur zum Teil gesetzlich geregelt. Häufig beruht Bürgenschutz vor allem auf Richterrecht. In anderen Staaten hat der Gesetzgeber eingegriffen, freilich eher punktuell. Rechtlicher Bürgenschutz kann durch ganz unterschiedliche Instrumente bewirkt werden, und man kann schon trefflich darüber streiten, welche Regeln als Maßnahmen des Bürgenschutzes zu verstehen sind. Der europäische Vergleich zeigt hier eine große Vielfalt an Lösungen, die hier nur ansatzweise genannt werden können. 16 Engl.: Andrews!Millett (Fn. 11) Rn. 11-002; Art. 855 NBW; Art. 881 KC (gesamtschuldnerische Haftung), s.a. Pyziol (Fn. 13) S. 109, 139; § 1355 AB GB; A n . 1944 Abs. 1 ital. c.c. (gesamtschuldnerische Haftung). 17 § 774 BGB; Engl.: Andrews/Millett (Fn. 11) Rn. 11-017; Art. 2029 franz. c.c.; Art. 865 NBW.

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1. Die Form der Bürgschaft Die Formbedürftigkeit der Bürgschaft kann ein Instrument des Bürgenschutzes sein. Dies gilt vor allem in den Staaten, die für die Bürgschaft eine konstitutive Schriftform vorsehen.18 Hier wird mit der Schriftform nicht zuletzt ein Warnzweck zugunsten des Bürgen verfolgt.19 In den Staaten, die die Schriftform als Beweisform kennen, tritt dieser Schutzzweck oft weniger deutlich zutage. Dies gilt insbesondere für Länder des romanischen Rechtskreises, die eine dem Art. 1341 des französischen Code Civil nachgebildete allgemeine Beweisform kennen, für die Bürgschaft aber keine spezifische Form regeln.20 Jedoch wird teilweise bei Bürgschaften von Verbrauchern das konstitutive Schriftformerfordernis eingesetzt.21 In England, Irland und Schottland wird die Schriftform ebenfalls als Instrument des Bürgenschutzes eingesetzt.22 Zwar handelt es sich bei der englischen Schriftform, dem sog. statute of frauds,23 der Sache nach um eine dem Art. 1341 franz. c.c. verwandte Beweisform. 24 Jedoch wurde die Form in England weitgehend abgeschafft, für die Bürgschaft jedoch ausdrücklich beibehalten. 25 Noch deutlicher liegt es im schottischen Recht, das den traditionellen englischen statute of frauds abschaffte und eine konstitutive Schriftform einführte, die unter anderem für einseitige, unentgeltliche Verpflichtungen und damit häufig für Bürgschaften von Privatpersonen gilt. 26 Da die konstitutive Schriftform der Beweisform in Bezug auf die Warnfunktion zugunsten des Bürgen überlegen ist, 27 erscheint es sachgerecht, im 18 § 766 BGB; § 144 Abs. 2 est. OA; Art. 849 griech. ZGB; § 1346 Abs. 2 ABGB; Art. 876 § 2 KC i.V.m. Art. 73 § 1, 78 KC; Art. 6.79 lit. ZGB; § 1695 lett. ZGB; § 546 tschech. ZGB; § 546 slovak. ZGB; § 273 ung. ZGB. 19 So etwa bei § 766 BGB (BGHZ 132, 119, 122; siehe eingehend zur Warnfunktion der Schriftform Borges Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr, 2003, S. 596ff., speziell bei der Bürgschaft S. 620f.); Art. 849 griech. ZGB (Hamouzopoulos Recht der Kreditsicherheiten in den europäischen Ländern, Teil VIII, Griechenland, 1999, S. 250); § 1346 Abs. 2 ABGB (öst. O G H ÖBA 1992/311, S. 83, 85). 2 0 Art. 1341 franz. c.c.; Art. 1341 belg. c . c . ; Art. 1341 lux. c.c.; Art. 2721 ital. c.c. (aber Schriftform für Bürgschaft gegenüber Bank nach Art. 117 TU, Betti La fideiussione e le garanzie personali del credito, 2000, S. 137, 312ff.); ebenso Art. 859 Abs. 1 N B W (nur für Verbraucher). 21 So Art. L 313-7, 313-8 franz. code de la consommation. 2 2 Vgl. Andrews/Millett (Fn. 11) Rn. 3 - 0 0 2 m w N . 2 3 Statute of Frauds 1677, sec. 4 (s. dazu Cheshire Fifoot and Furmston's Law of Contract, 14. Aufl. 2001, S. 221 ff.); Statute of Frauds (Ireland) 1695 (s. dazu Hartley (Fn. 10), S. 25). 2 4 Vgl. MünchKommBGB / Sonnenberger Band 10, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rn. 519 mwN. 2 5 Durch den Law Reform Act 1954; s. auch Andrews!Millett (Fn. 11) Rn. 3 - 0 0 2 m w N . 2 6 S. 1 (2) (a) (ii) Requirements of Writing Act 1995; s. auch Marshall General Principles of Scots Law, 6. Aufl. 1995, Rn. 9 - 1 3 f. 2 7 Dazu Borges (Fn. 19) S. 556ff., 695.

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gemeinsamen europäischen Vertragsrecht für die Bürgschaft eine konstitutive Schriftform vorzusehen. Zu Recht verlangt daher der Entwurf der Study Group, wenngleich nur für Verbraucherverträge, in seinem Art. 405 für die Bürgschaft die konstitutive Schriftform. 2.

Aufklärungspflichten

Ein Element des Bürgenschutzes sind Aufklärungspflichten des Bürgschaftsgläubigers gegenüber dem Bürgen. Das österreichische Recht beispielsweise hat entsprechende Pflichten gesetzlich geregelt,28 in anderen Staaten hat die Rechtsprechung Aufklärungspflichten aus allgemeinen Grundsätzen hergeleitet. Dies gilt namentlich für das englische Recht. Hier gewährt die Rechtsprechung ein Anfechtungsrecht im Fall von misrepresentation und undue influence. Misrepresentation liegt vor bei falschen Angaben des Gläubigers über die Bürgschaft und die damit verbundenen Risiken. Wenn die falschen Angaben für die Bürgschaft kausal sind - Verschulden ist nicht erforderlich - kann der Bürge seine Erklärung anfechten.29 Weitaus größere praktische Bedeutung hat die Anfechtung wegen undue influence. Im Grundsatz gilt, dass der Sicherungsgeber, der seine Erklärung wegen undue influence durch den Sicherungsnehmer oder einen Dritten, etwa den Hauptschuldner, abgegeben hat, diese anfechten kann.30 Dieser Behelf hat vor allem bei Bürgschaften von Angehörigen und Arbeitnehmern Bedeutung erlangt (dazu unten V. 3.). Nicht selten gelten für Bürgschaften von Verbrauchern spezielle gesetzliche Erfordernisse der Information und Aufklärung des Bürgen.31 Teilweise wird die Aufklärungspflicht durch formale Anforderungen, namentlich Unterzeichnung des Bürgschaftsformulars oder der Informationsschrift, flankiert.32 3. Befreiung von der

Bürgschaft

Zum Bürgenschutz im engeren Sinne gehört die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Bürge vom Schuldner oder vom Gläubiger Befreiung von der Bürgschaft verlangen kann. Gegen den Schuldner hat der Bürge regel28 Nach § 25a des österr. KSchG sind im Fall der Bürgschaft eines Ehegatten Kreditinstitute zur Information des Ehegatten über wichtige Aspekte der Bürgschaft verpflichtet. 29 Vgl. Andrews!Millett (Fn. 11) Rn. 5-006 ff. m. Nachw. zur engl. Rspr. 30 Andrews/Millett (Fn. 11) Rn. 5-030. 31 So etwa ss. 107-109 des engl. Consumer Credit Act 1974; s. dazu Andrews!Millett (Fn. 11) Rn. 17-007; Paget's (Fn. 11) S. 633; ähnlich Art. L. 311-8ff. franz. code de la consommation; s. dazu Hauschild (Fn. 13) S. 52ff. 32 So etwa nach s. 105 des engl. Consumer Credit Act 1974; s. dazu Andrews!Millett (Fn. 11) Rn. 17-004; Paget's (Fn. 11) S. 633.

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mäßig unter bestimmten Voraussetzungen, etwa bei Verschlechterung der Vermögensverhältnisse, einen Anspruch auf Sicherheitsleistung oder Befreiung von der Bürgschaft, 33 so auch Art. 211 des Entwurfs. Wenn der Gläubiger andere Sicherheiten aufgibt, wird der Bürge insoweit frei. 34 Ein Recht zur Kündigung oder ein Anspruch auf Entlassung aus der Bürgschaft gegenüber dem Bürgschaftsgläubiger wird aber nur in engen Ausnahmefällen gewährt. Einige Staaten stellen den für künftige Verbindlichkeiten haftenden Bürgen frei, wenn der Gläubiger trotz Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners weiteren Kredit gewährt, so etwa das italienische Recht 35 . In Deutschland etwa nimmt die Rechtsprechung ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund an. 36 Als wichtigen Grund anerkennt die deutsche Rechtsprechung im Fall der Kontokorrentbürgschaft etwa eine wesentliche Verschlechterung der Vermögenslage des Schuldners 37 oder das Ausscheiden eines bürgenden Gesellschafters aus der Gesellschaft 38 . Rechtsfolge der Kündigung ist die Beschränkung der Bürgschaft auf den Umfang der Hauptschuld zum Zeitpunkt der Kündigung. 39 Der Entwurf nimmt diese Schutzelemente in den Artt. 209 und 210 auf und geht darüber noch hinaus.

4. Materielle

Schranken

Zum Kern des Bürgenschutzes gehört die materielle Wirksamkeitskontrolle von Bürgschaften. Hier werden unterschiedliche Instrumente herangezogen. Ein wichtiges Schutzinstrument ist die Begrenzung der Bürgenhaftung auf einen Höchstbetrag, der vor allem bei der Globalbürgschaft Bedeutung hat (s. unten V.l). Im Bereich der Nähebeziehungen haben etwa die deutsche und die österreichische Rechtsprechung seit Anfang der 90er Jahre unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit recht scharfe Einschränkungen etabliert. Hinzu treten oft gesetzliche Regeln (s. unten V.2.). Die deutsche Rechtsprechung hat in jüngster Zeit die AGB-Kontrolle von Bürgschaften zu einem scharfen Instrument des Bürgenschutzes entwickelt « Vgl. z . B . § 775 Nr. 1 BGB; § 148 Nr. 2 est. O . A . ; § 1706 (2) lett. ZGB; Ch. 16 A n . 1948 malt, e x . ; § 1365 ABGB; A n . 648 b) port. c.c. Enger (bei Zahlungsunfähigkeit) z . B . A r t . 2 0 3 2 Nr. 2 belg. c.c., A r t . 2 0 3 2 Nr. 2 franz. c.c.; A r t . 2032 Nr. 2 lux. c.c.; A r t . 1953 Nr. 2 ital. c.c. 34 Vgl. z . B . § 776 BGB; A r t . 2 0 3 7 franz. c.c.; A r t . 1955 ital. c.c.; § 1360 ABGB; ähnlich A r t . 887 K C (Schadensersatz). 35 A r t . 1956 Abs. 1 ital. c.c. Seit der Reform von 1993 ist gem. Abs. 2 der im Vorhinein abgegebene Verzicht des Bürgen auf die Inanspruchnahme der Freistellung ungültig. Ä h n lich A r t . 654 port. c.c. 36 Siehe auch Staudinger/Hom (Fn. 10), § 765 Rn. 2 3 0 f f . m. zahlr. Nachw. 37 BGH NJW 1985, 3007, 3008. 38 BGH W M 1985, 1059, 1060. 39 BGH NTW 1985, 3007, 3 0 0 8 ; Staudinger/Horn (Fn. 10) § 765 Rn. 233.

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(s. unten V.2.). In den meisten anderen Mitgliedstaaten scheint es keine vergleichbare Entwicklung zu geben.

5.

Zwischenergebnis

Beim Schutz des Bürgen sind im Ergebnis noch recht deutliche Divergenzen zwischen den europäischen Rechtsordnungen festzustellen. Allerdings zeigen sich auch hier konvergierende Entwicklungen oder zumindest Trends zugunsten bestimmter Lösungen. Dies gilt etwa für die Schriftform der Bürgschaft, das Höchstbetragserfordernis der Globalbürgschaft oder das Bestehen von Aufklärungspflichten des Gläubigers gegenüber dem Bürgen. Der Entwurf der Study Group geht über das Schutzniveau der meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen noch hinaus.

V. Ausgewählte Problemfälle der Bürgschaft

1. Besondere Risikolagen der Bürgschaft Der Schutz des Bürgen wird seit den 90er Jahren in zahlreichen europäischen Staaten intensiv diskutiert. In der Diskussion zeigen sich drei Problemschwerpunkte: die Uberforderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bürgen durch die Bürgschaft, die mangelnde Begrenzung der Bürgenverpflichtung und die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Bürgen durch seine Beziehung zum Hauptschuldner. Das Problem der Überforderung des Bürgen steht im Zentrum der Überlegungen zum Bürgenschutz. Für diese Problematik haben einige Staaten gesetzliche Beschränkungen der Bürgenverpflichtung eingeführt. Nach französischem Recht können Bürgschaften von Verbrauchern durch Banken nicht geltend gemacht werden, wenn die Bürgenschuld bei Übernahme der Bürgschaft in deutlichem Missverhältnis zur Leistungsfähigkeit des Bürgen steht.40 In Österreich kann der Umfang einer den Schuldner überfordernden Verbindlichkeit gemäß § 25d Konsumentenschutzgesetz (KSchG) durch Gericht herabgesetzt werden.41 Das Problem der Begrenzung der Bürgenhaftung kulminiert in der Globalbürgschaft; die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit hat ihren Schwerpunkt bei Bürgschaften natürlicher Personen, die in Nähe- oder Abhängigkeitsbeziehungen zum Schuldner stehen, namentlich von Angehörigen und Arbeitnehmern. 40 Art. L. 313-10 franz. code de la consommation; s. dazu Hausebild (Fri. 13), S. 80f.; Staudinger/Horn (Fn.10) Vorbem. zu §§ 765 ff. Rn. 462; 41 Siehe zu Voraussetzungen und Umfang der Herabsetzung OGH ÖBA 2001/955, S. 405, 407f.; Rummel/Krejci ABGB u. Nebengesetze, 3. Aufl. 2002, § 25d KSchG Rn. 5ff.

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Diese Aspekte der Bürgschaft werden zur Nagelprobe für die Einheitlichkeit des europäischen Bürgschaftsrechts, denn nur wenn sich auch hier übereinstimmende Wertungen finden, wird man von einem gemeinsamen Fundus des europäischen Bürgschaftsrechts sprechen können. Daher werden diese Problemkreise nachfolgend kurz erörtert. 2.

Globalbürgschaften

Im Fall der Globalbürgschaft zeigen sich Glanz und Elend dieses Sicherungsmittels mit besonderer Deutlichkeit. Globalbürgschaft meint hier die Haftung des Bürgen für alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen des Gläubigers gegenüber dem Schuldner aus einer bestimmten Geschäftsbeziehung. Der besondere Wert der Globalbürgschaft folgt aus ihrer Flexibilität hinsichtlich der gesicherten Hauptschuld. Zur Sicherung stetig wechselnder Verbindlichkeiten, insbesondere eines Betriebsmittelkredits, ist die Globalbürgschaft daher im Bereich der Personalsicherheit ohne realistische Alternative. Ein weiterer, wesentlicher Vorzug aus Gläubigersicht liegt darin, dass sie einen Schutz gegen Vermögensverschiebungen durch den Schuldner auf den Bürgen bietet. 42 Dies hat bei Angehörigenbürgschaften (dazu unten 3.) Bedeutung, aber auch bei Bürgschaften von Geschäftsführern und Gesellschaftern. Andererseits hat diese Bürgschaftsform gravierende Nachteile für den Bürgen. So ist der Umfang der Haftung bei Eingehen der Bürgschaft nicht festgelegt und kann sich ohne Zutun des Bürgen erhöhen. Das Risiko des Bürgen kann sich aber auch durch Verschlechterung der Bonität des Hauptschuldners entscheidend erhöhen. Auch hier begründet die Globalbürgschaft spezifische, über die einfache Bürgschaft hinausgehende Risiken: Durch die Verbürgung für alle künftigen Verbindlichkeiten wird für den Gläubiger ein Anreiz gesetzt, Darlehen in einer Situation zu gewähren, in der weder unverbürgter Kredit gewährt würde noch der Bürge die Bürgschaft erstmalig eingehen würde. 43 Die Problematik der Globalbürgschaft ist praktisch hochrelevant. In zahlreichen europäischen Staaten war bis in die 90er Jahre zu beobachten, dass Banken zur Sicherung unternehmensbezogener Darlehen routinemäßig Globalbürgschaften nahestehender Personen des Schuldner hereinnahmen. Die Globalbürgschaft ist damit ein problematisches Instrument, das rechtlicher Regulierung bedarf. In dieser Einschätzung stimmen die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen jedenfalls überwiegend überein; Schutzregeln und Einschränkungen gehören regelmäßig zum Repertoire des Bürgschaftsrechts. 42 43

Dieser Aspekt ist für Banken wichtig; vgl. OGH ÖBA 1999/ 805, S. 647. In diese Richtung auch Horn in FS Merz, 1992, S. 217f.

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Dem Bürgenschutz speziell bei der Globalbürgschaft dienen unterschiedliche Instrumente, vor allem das Erfordernis der Begrenzung der Bürgenverpflichtung auf einen Höchstbetrag. So hat Horn schon Anfang der 80er Jahre die Auffassung entwickelt, dass die Globalbürgschaft auf einen Höchstbetrag begrenzt sein muss, um wirksam zu sein. 44 In diesem Punkt divergieren die Regeln in Europa. Die Mehrzahl der Staaten kennt kein gesetzliches Höchstbetragserfordernis. Jedoch scheint es einen Trend dahin zu geben. So haben in jüngerer Zeit einige Mitgliedstaaten ein gesetzliches Höchstbetragserfordernis eingeführt. 45 Damit lässt sich das Höchstbetragserfordernis zwar noch nicht als gemeinsamer Bestand des europäischen Rechts bezeichnen. Jedenfalls de lege ferenda aber spricht die Tendenz für ein gesetzliches Höchstbetragserfordernis. Besonders weitgehende Einschränkungen haben sich, freilich erst in jüngster Zeit, in Deutschland herausgebildet. Zwar kennt das deutsche Recht bisher keine gesetzliche Einschränkung der Globalbürgschaft. Jedoch hat der B G H durch die sog. Anlassrechtsprechung ein flexibles Instrument des Bürgenschutzes geschaffen. Ausgangspunkt ist der Grundsatz, dass die Bürgschaft im Zweifel nur die Verbindlichkeit deckt, aus deren Anlass sie eingegangen wurde. Zwar kann etwas anderes vereinbart werden, jedoch greifen hier die Instrumente der AGB-Kontrolle mit dem Verbot überraschender Klauseln (§ 305c BGB) und der damit verbundenen besonderen Hinweisobliegenheit 46 , der Transparenzkontrolle und dem damit verbundenen Verschleierungsverbot 47 und der Angemessenheitskontrolle, in deren Rahmen materielle Schutzgesichtspunkte - insbesondere das in § 767 Abs. 1 S. 3 BGB zum Ausdruck kommende Verbot der Fremddisposition - zur Geltung gebracht werden. 48 Im Ergebnis sind nach der Rechtsprechung nicht ausgehandelte Globalbürgschaften - grundsätzlich auch von Kaufleuten 49 - wohl nur zulässig, wenn der Bürge aufgrund seines Verhältnisses zum Hauptschuldner die Möglichkeit hat, den Umfang der Haftung zu beeinflussen. 50 Unzulässig ist 44 Staudinger/Hom BGB, 12. Aufl. 1981, Vorbem. zu §§ 765-778 Rn. 22, 48, § 765 Rn. 10, 12; erneut und ausführl. begründet in FS Merz, 1992, S. 217, 219ff. 45 Vgl. Art. 1938 ital. c.c; eingef. 1994 (s. Staudinger/Horn (Fn. 10) Vorbem. zu §§ 765ff. Rn. 466 mwN.); vgl. § 143 Abs. 2 est. OA; Art. 858 NBW (jew. Höchstbetrag erford. bei Bürgschaften von Verbrauchern). « BGHZ 126, 174, 176ff.; BGHZ 130, 19, 26f.; BGHZ 143, 95, 102f.; BGH NJW 1997, 3230, 3232; BGH NJW 2001, 3331. 47 Vgl. BGHZ 143, 95, 99, 100 (Transparenz nur gewahrt, wenn der Bürge das übernommene Risiko in Bezug auf Entwicklung der gesicherten Verbindlichkeit abschätzen kann). 48 BGHZ 143, 95, 97 BGHZ 130, 19, 26f.; BGHZ 143, 95, 102f.; BGH NJW 1997, 3230, 3232; BGH NJW 2001, 3331; BGHZ 132, 6, 9f. 4 9 BGH NJW 1998, 3708, 3709; BGH NJW-RR 2002, 343, 344. ™ Dies folgt im Ergebnis aus der Rspr.; vgl. z . B . BGHZ 130, 19, 32f.; BGHZ 137, 153, 159 f.

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auch eine Klausel, durch die der Höchstbetrag aufgrund von Nebenforderungen (Zinsen etc.) überschritten werden kann. 51 Der Entwurf der Study Group nimmt die Instrumente der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen teilweise auf, geht aber hierüber weit hinaus. Nach Art. 406 (a) werden Globalsicherheiten als Festbetragsbürgschaften in Höhe der Hauptverbindlichkeit zum Zeitpunkt der Eingehung der Bürgschaft umgedeutet. Dies geht über die Beschränkung auf einen Höchstbetrag weit hinaus und nimmt den Grundgedanken der Anlassrechtsprechung auf. Auch hierüber geht der Entwurf jedoch hinaus, da er die Globalbürgschaft schlechthin verbietet, wogegen sie nach deutschem Recht in ausgehandelten Verbraucherverträgen zulässig ist. Andererseits scheint der Entwurf teilweise auch weniger weitgehenden Schutz zu bieten: Wenn Art. 408 eine Kündigungsmöglichkeit für Bürgschaften einführt, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums entstehende Verbindlichkeiten abdecken, dann scheint diese Form der „zeitlich begrenzten Globalbürgschaft" einschränkungslos zulässig zu sein, obwohl sich auch hieraus erhebliche Risiken für den Bürgen ergeben können. Weitergehenden Schutz nach allgemeinen Regeln schließt der Entwurf nicht aus. Damit sind Schutzinstrumente wie die deutsche AGB-Kontrolle von Bürgschaften nicht ausgeschlossen. Ein einheitliches Schutzniveau wird freilich nicht erreicht. 3. Bürgschaften Angehöriger und Arbeitnehmer Ein besonders schwieriges Problem stellen Bürgschaften von nahen Angehörigen und von Arbeitnehmern des Schuldners dar. In Deutschland und zahlreichen anderen europäischen Staaten waren die Banken dazu übergegangen, die Bürgschaft von Ehegatten, oft auch von Kindern, für unternehmensbezogene Kredite zu verlangen. Teilweise wurden auch Bürgschaften von Arbeitnehmern des Hauptschuldners hereingenommen. a) Sittenwidrigkeit der unter emotionalem Druck eingegangenen Bürgschaft In Deutschland hat der BGH, ausgelöst vor allem durch ein wegweisendes Urteil des BVerfG 52 , seit Mitte der 90er Jahre unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit scharfe Einschränkungen zur Angehörigenbürgschaft entwickelt. Nach ständiger Rspr. des BGH ist die Bürgschaft eines Angehörigen des Schuldners sittenwidrig, wenn die Haftsumme den Bürgen finanziell überfordert und weitere Umstände hinzutreten. Sittenwidrig ist danach 51 52

BGH NJW 2002, 3167, 3169. BVerfGE 89, 214ff.

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vor allem eine Bürgschaft, die der Gläubiger in Ausnutzung der Nähebeziehung und der damit verbundenen emotionalen Verbindung zwischen Schuldner und Bürge annimmt. Bei krasser finanzieller Uberforderung wird ein solches Ausnutzen vermutet. 53 Diese liegt jedenfalls dann vor, wenn der Schuldner aus dem pfändbaren Teil seines Einkommens nicht einmal die Zinsen aus dem verbürgten Kredit abdecken kann. 54 Diese Grundsätze hat der B G H auf Bürgschaften von Arbeitnehmern (ohne Einfluss auf die Geschäftsführung) übertragen. 55 Arbeitnehmer sind nach Ansicht des B G H vergleichbar schutzbedürftig wie Angehörige. Zwar fehlt es an einer emotionalen Verbundenheit, wie sie zwischen engen Angehörigen typischerweise besteht. Jedoch nimmt der B G H bei Arbeitnehmerbürgschaften - jedenfalls in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit - eine Vermutung dahin an, dass der Arbeitnehmer durch Angst um seinen Arbeitsplatz in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt war. 56 In Osterreich ist die Rechtsprechung einen ähnlichen Weg gegangen. Auch nach österreichischem Recht können Bürgschaften insbesondere von Angehörigen sittenwidrig und damit nichtig sein. Die Sittenwidrigkeit setzt eine krasse Uberforderung des Bürgen 57 und zusätzlich weitere negative Umstände voraus. 58 Dabei sind vor allem drei Faktoren von Bedeutung: das Maß der Uberforderung des Bürgen oder die sonstige inhaltliche Unangemessenheit der Bürgschaft, die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit, etwa durch ein Näheverhältnis zwischen Bürge und Hauptschuldner, schließlich die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis dieser Umstände durch den Gläubiger.59 Eine Vermutung hinsichtlich der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit entsprechend der BGH-Rechtsprechung hat der O G H jedoch abgelehnt.60

» B G H Z 136, 347, 351; B G H Z 146, 37, 42 (für Mithaftung); B G H Z 151, 34, 37; B G H Z 156, 302, 307; B G H NJW 2001, 815, 817 (für Mithaftung); B G H NJW 2002, 744, 745 (für Mithaftung); B G H NJW 2002, 2228, 2229; B G H NJW 2005, 971, 972. 54 B G H Z 135, 66, 70 (für Mithaftung); B G H NJW 2000, 1182, 1183; B G H NJW 2001, 815, 816; B G H NJW 2002, 744, 745 (für Mithaftung); zusammenfassend, aus jüngerer Zeit etwa B G H NJW 2005, 971 ff. 55 B G H Z 156, 302. 5' B G H Z 156, 302, 309. 57 O G H J B L . 1998, 35; st. Rspr.; s. a. Rummel/Gamerith (Fn. 41), vor § 1360 Rn. 5a mwN. 58 Rummel/Gamerith (Fn. 41) vor § 1360 Rn. 5a m w N . 59 Vgl. O G H ÖBA 1999/805, S. 647, 648; O G H Ö B A 2000/884, S. 619, 620; O G H ÖBA 2000/910, S. 924, 925; O G H ÖBA 2001/955, S. 405, 406; O G H ÖBA 2001/998, S. 918f.; O G H ÖBA 2001/935, S. 166, 167; Rummel/Gamerith (Fn. 41) vor § 1360 Rn. 5a m w N . 60 Vgl. O G H OBÄ 2000/884, S. 619, 620. In diese Richtung aber O G H ÖBA 2000/910, S. 924, 925.

Strukturelemente des europäischen Bürgschaftsrechts

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b) Aufklärungspflicht bei Nähebeziehungen Eine konstruktiv völlig andere Lösung folgt aus den Grundsätzen der englischen Rechtsprechung, die interessanterweise ebenfalls vor allem seit den 90er Jahren zu Bürgschaften von Angehörigen Stellung genommen und hier neue Schutzinstrumente entwickelt hat.61 Dogmatischer Ausgangspunkt ist hier das Recht zur Anfechtung einer Bürgschaft, die aufgrund unredlicher Beeinflussung (undue influence) eingegangen wurde. Dieser Rechtsbehelf steht zwar jedem Bürgen offen, hat aber praktische Bedeutung vor allem bei Bürgschaften von Angehörigen und Arbeitnehmern. Das Anfechtungsrecht besteht zunächst dann, wenn bewiesen werden kann, dass die Bürgschaft unter undue influence eingegangen wurde.62 Größere praktische Bedeutung hat das Anfechtungsrecht wegen Vermutung von undue influence. Nach der englischen Rechtsprechung begründen bestimmte Näheverhältnisse die Vermutung, dass der Bürge die Bürgschaft unter undue influence eingegangen ist. Diese Vermutung ist bei Bürgschaften von minderjährigen Kindern wohl unwiderlegbar.63 Bei Ehegatten kommt lediglich eine widerlegbare Vermutung für das Bestehen von undue influence in Betracht. 64 Allerdings gilt dies nicht in jedem Fall. Vielmehr betont das House of Lords in der aktuellen Leitentscheidung Etridge, dass es im Grundsatz im Interesse der Ehefrau liegen wird, das Unternehmen ihres Ehemanns zu unterstützen. 65 Es kommt daher entscheidend auf die Merkmale des Sicherungsgeschäfts an 66 : Je ungünstiger das Sicherungsgeschäft und je weniger ein Eigeninteresse besteht, umso eher besteht die Vermutung einer unsachlichen Beeinflussung.67 Die Bank kann die Vermutung widerlegen, wenn sie nachweist, dass der Bürge unabhängigen Rechtsrat erhalten hat. 68 In der Praxis führten die Ban61 Die maßgebliche Leitentscheidung ist Barclays Bank v. O'Brien [1994] 1 A.C. 180. Den aktuellen Stand der englischen Rechtsprechung markiert die Entscheidung Royal Bank of Scotland ν. Etridge (No. 2) [2002] 2 A.C. 773, die ältere Urteile (auch Barclays Bank v. O'Brien) teilweise korrigiert und den Stand des englischen Rechts zur Wirksamkeit von Ehegattenbürgschaften zusammenfasst. Siehe zu der Entscheidung die ausführliche Darstellung bei Andrews/Millett (Fn. 11) Rn. 5-030ff. 62 Vgl. ζ. B. Allcard v. Skinner [1887] L.R. 36 Ch.D. 145; Bank of Credit and Commerce International v. Aboody [1990] 1 Q.B. 923; siehe auch die Darstellung bei Andrews/Millett (Fn. 11), Rn. 5-030. 63 Vgl. Andrews/Millett (Fn. 11) Rn. 5-030; Chitty on Contracts, 29. Aufl. 2004, Bd. 1, General Principles Rn. 7-063-7-066A. M Andrews/Millett (Fn. 11) Rn. 5-030. 65 Royal Bank of Scotland ν. Etridge (No. 2) (Fn. 61), Nr. 28. 66 Vgl. sehr deutlich Lord Scott in Royal Bank of Scotland ν. Etridge (No. 2) (Fn. 61), Anm. 156: „It is ... the combination of relationship and the nature of the transaction that gives rise to the presumption" 67 Vgl. Royal Bank of Scotland v. Etridge (No. 2) (Fn. 61), Nr. 24 ff.; siehe auch Andrews/ Millett (Fn. 11), Rn. 5-030. 68 Andrews!Millett (Fn. 11) Rn. 5-038.

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ken den Nachweis dadurch, dass sie vom Bürgen verlangten, unabhängigen Rechtsrat einzuholen, und sich durch die Bestätigung eines Anwalts (solicitors) davon überzeugten, dass der Bürge über den Inhalt der Bürgschaft informiert worden sei.69 In der Entscheidung Royal Bank of Scotland v. Etridge verschärft das House of Lords die Anforderungen deutlich: Erforderlich ist danach, dass sich die Bank durch direkte Kommunikation mit dem Bürgen vergewissert, dass eine hinreichende Aufklärung erfolgte.70 Die rechtliche Beratung muss durch einen unabhängigen Anwalt erfolgen71, der alle erforderlichen Informationen durch die Bank erhält72 und dem Bürgen die Risiken und die Alternativen klar vor Augen führt73. Arbeitnehmer sind nach im Wesentlichen denselben Grundsätzen geschützt wie Ehegatten.74 Auch der Arbeitnehmer, der für Verbindlichkeiten des Arbeitgebers bürgt, muss durch unabhängigen Rechtsrat gewarnt werden, um die Vermutung eines undue influence auszuschließen.75 Vergleicht man die englische Rechtsprechung mit der Lösung des deutschen und des österreichischen Rechts, so zeigen sich starke gemeinsame Wertungen: Soweit anzunehmen ist, dass der Bürge die Bürgschaft nicht aus freier Entscheidung, sondern unter dem Einfluss einer Nähebeziehung oder sonstigem emotionalen Druck eingegangen ist, ist sie unwirksam oder jedenfalls vernichtbar. Die Divergenzen dürften durch grundlegende Stilunterschiede des deutschen und englischen Rechts zu erklären sein: Die deutsche Lösung, wonach z.B. der Ehegatte eine krass überfordernde Bürgschaft rechtlich nicht wirksam eingehen kann, dürfte aus der Sicht des englischen Rechts, das die Vertragsfreiheit der Ehefrau unangetastet lässt, paternalistisch bevormundend wirken. Die englische Lösung hingegen lässt Schutzlücken, was auch in der englischen Literatur durchaus kritisch gewürdigt wird. 76

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Andrews!Millen (Fn. 11) Rn. 5-038. Royal Bank of Scotland ν. Etridge (No. 2) (Fn. 61), Nr. 54, 79, 171, 175, 191. Siehe auch Andrews!Millett (Fn. 11) Rn. 5-038 f. 71 Siehe zu diesem Aspekt, der mehrfach die englischen Gerichte befasste, Andrews/Millett (Fn. 11) Rn. 5-042. 72 Vgl. Royal Bank of Scotland ν. Etridge (No. 2) (Fn. 61), Nr. 79; siehe auch Andrews/ Millen (Fn. 11) Rn. 5-040. 73 Siehe auch Andrews/Millett (Fn. 11) Rn. 5-043. 74 Andrews/Millett (Fn. 11) Rn. 5-039. 75 Siehe ζ. B. das illustrative Beispiel Credit Lyonnais Bank Nederland v. Burch [1997] 1 All. E.R. 144. 76 Vgl. z.B. Andrews/Millett (Fn. 11) Rn. 5-044, die darauf hinweisen, dass der Bürge schutzlos ist, wenn dieser trotz hinreichender Aufklärung die Bürgschaft eingeht. 70

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c) Die Lösung des Entwurfs der Study Group Der Entwurf der Study G r o u p nimmt die L ö s u n g des englischen Rechts in seinem Art. 403 auf. Gemäß Art. 403 (1) muss der Gläubiger den Sicherungsgeber über die Wirkung der Sicherheit im Allgemeinen sowie über die besonderen Risiken der Sicherheit für den Sicherungsgeber informieren. Darüber hinaus muss sich der Sicherungsnehmer davon überzeugen, dass der Sicherungsgeber unabhängigen Rat erhalten hat, wenn er Grund zur Annahme hat, dass die Sicherheit aufgrund eines Vertrauensverhältnisses (relationship of trust and confidence) zwischen Sicherungsgeber und Hauptschuldner eingegangen wurde, Art. 403 (2). Werden diese Pflichten nicht erfüllt, ist der Sicherungsvertrag anfechtbar. Uberzeugend ist, dass diese Bestimmung zumindest nicht ausdrücklich auf Angehörige beschränkt ist und wohl auch auf Arbeitnehmer anwendbar ist. Diskussionsbedürftig ist es aber, wenn der Entwurf ausschließlich darauf abstellt, ob ein erhebliches Risiko (significant risk) einer unsachlichen Beeinflussung oder unzureichender Information besteht. Sowohl im deutschen und österreichischen als auch im englischen Recht hat die Rechtsprechung als die zwei entscheidenden Gesichtspunkte die Beziehung zwischen Bürgen und Hauptschuldner und die Nachteiligkeit des Sicherungsgeschäfts deutlich herausgearbeitet. Es erscheint daher sachgerecht, die Regel auf überfordernde Bürgschaften zu beschränken, anstatt eine Aufklärungspflicht mit so scharfen Folgen pauschal auf alle Bürgschaften aus Vertrauensverhältnissen auszudehnen. Aus deutscher Sicht erscheint wichtig, dass die L ö s u n g der Study Group die allgemeinen Grundsätze, etwa zur Sittenwidrigkeit von Rechtsgeschäften, wohl nicht verdrängt. D a s Institut der Sittenwidrigkeit ist auch in den P E C L enthalten. Danach könnte also die Sittenwidrigkeitskontrolle von Bürgschaften nach dem Muster des deutschen und österreichischen Rechts bestehen bleiben. Die Vereinheitlichung des Bürgenschutzes würde aber in diesem wichtigen Aspekt nicht erreicht.

VI. Fazit Der Uberblick über das europäische Bürgschaftsrecht zeigt ein hohes Maß an Gemeinsamkeit der europäischen Rechtsordnungen. Dies gilt vor allem für die Struktur der Bürgschaft, die schon de lege lata gemeinsames europäisches Recht darstellt, auf das sich der Entwurf der Study Group stützen kann. D e lege ferenda erlaubt dieser Befund die Erwartung, dass es durchaus möglich sein wird, für die Struktur der Bürgschaft N o r m e n zu formulieren, die sich auf eine gemeinsame Tradition der meisten oder gar aller Mitgliedstaaten gründen.

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Im Bereich des Bürgenschutzes lassen sich ungeachtet der Vielfalt der Schutzinstrumente und der starken Divergenzen der mitgliedstaatlichen Regelungen in erheblichem Maße übereinstimmende Wertungen finden, sogar in den Problemschwerpunkten. Dies gilt etwa für das Höchstbetragserfordernis bei der Globalbürgschaft, das zwar derzeit noch kein gemeinsamer Bestand der europäischen Rechtsordnungen ist, sich aber dahin zu entwickeln scheint und zu Recht in den Entwurf der Study Group aufgenommen wurde. Gemeinsame Wertungen bestehen wohl auch bei Bürgschaften von Angehörigen und Arbeitnehmern. Die grundlegende Entscheidung, dass Bürgschaften nicht durchsetzbar sind, wenn anzunehmen ist, dass der Bürge sie unter emotionalem Druck eingegangen ist, scheint sich in der aktuellen Rechtsprechung mehrerer Staaten durchzusetzen und sollte Bestandteil des gemeinsamen Vertragsrechts sein. Eine Reihe von Fragen sind noch offen, etwa die Beschreibung der Adressaten des Bürgenschutzes, der nach dem Entwurf der Study Group auf Verbraucherverträge beschränkt ist. Offen ist sicher auch noch, ob der Bürgenschutz eher durch Aufklärungspflichten oder durch materielle Wirksamkeitskontrolle (Sittenwidrigkeit, AGB-Kontrolle) erfolgen sollte und ob und ggf. wie insoweit Rechtseinheit erzielt werden kann. Die abschließende Entscheidung dieser ebenso interessanten wie wichtigen Fragen darf man freilich vom vorliegenden Entwurf der Study Group nicht erwarten. Vielmehr steht der Entwurf insoweit am Anfang der nun gebotenen wissenschaftlichen Diskussion zum Bürgenschutz im europäischen Privatrecht.

Zwei Fragen zur Umrechnung von Devisenforderungen HEINRICH

HONSELL

Ich widme diesen Beitrag Norbert Horn, dem Freund und Kollegen, dessen Interesse stets der Rechtsgeschichte und dem modernen Wirtschaftsrecht in gleicher Weise gegolten hat.

I. Der maßgebliche Wechselkurs für die Umrechnung von Devisenforderungen Die Frage der Umrechnung von Devisenforderungen ist seit langem kontrovers. So besteht keine Einigkeit darüber, auf welchen Zeitpunkt für den Wechselkurs abzustellen ist, wenn der Schuldner nach Art. 84 Abs. 2 OR oder § 244 Abs. 2 BGB statt in der Fremdwährung in der eigenen Währung zahlen darf. Im deutschen und schweizerischen Recht wird diese Frage verschieden beantwortet. Art. 84 Abs. 2 OR stellt auf den Zeitpunkt der Fälligkeit ab (Verfallszeit). Hingegen ist nach deutschem Recht der Zeitpunkt der Zahlung maßgeblich. § 244 Abs. 2 BGB lautet: „Die Umrechnung erfolgt nach dem Kurswert, der zur Zeit der Zahlung für den Zahlungsort maßgebend ist." Trotz dieses klaren Gesetzeswortlautes hat das Reichsgericht ursprünglich - ebenso wie das schweizerische Recht - auf den Zeitpunkt der Fälligkeit abgestellt. 1 RGZ 101, 312 ff. (vereinigte Zivilsenate) ist wieder zum Zeitpunkt der Zahlung zurückgekehrt. Maßgeblich für die U m rechnung ist nach heute h . M . in Deutschland also der Zeitpunkt der Zahlung, nicht der Fälligkeit. 2 Für den Zeitpunkt der Fälligkeit spricht, dass die-

1 RGZ 96, 121, 123; 95, 262, 264; weitere Nachweise bei Staudinger/K. Schmidt Kommentar zum BGB, 1997 § 244 Rn. 85. 2 RGZ 101, 312 ff (vereinigte Zivilsenate); zuvor schon RGZ 98, 160, 161; seither st. Rsp. RGZ 106, 74, 79; 111, 316, 318 f; 112, 61, 62; 149, 1, 4; 167, 60, 63; RG Recht 1920 Nr. 1152; LZ 1924, 544; JW 1924, 1593; Recht 1924 Nr. 967; BGH NJW 1958, 1390, 1391 weitere Judikatur bei Staudinger/Schmidt (Fn. 1) § 244 Rn. 85; Nussbaum Das Geld 1925, 246; Enneccems/'Lehmann § 11 II 2; Larenz I § 12 IV; Planck/Siber § 244 Anm 2; MünchKommBGB/vMaydelli. Aufl. § 244 Rn. 49; Soergel/Teichmann BGB, 12. Aufl. 1990 § 244 Rn. 32; BrodmannJW 1921, 441; a.M. noch RGZ 96, 121, 123; 96, 262, 264; OLG Hamburg

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ser vom Verhalten der Parteien unabhängig ist und ein spekulatives Zuwarten ausschließt. Stellte man auf den Zahlungszeitpunk ab, hätte der Gläubiger bei steigendem Kurs der Fremdwährung einen Vorteil, bei sinkendem einen Nachteil. Der Gläubiger kann indes nicht spekulieren, weil er den Zeitpunkt der Zahlung nicht in der Hand hat. Der Schuldner kann auf sinkende Kurse spekulieren, indem er bei einem Kursrückgang die Zahlung verzögert. Er muss dann für die Fremdwährung weniger aufwenden. Die Befürworter des Zahlungszeitpunkts lösen diesen Fall, indem sie dem Gläubiger einen Schadensersatzanspruch wegen des Kursverlustes gewähren. Dies ist entbehrlich, wenn man auf die Fälligkeit abstellt, weil dann der höhere Devisenkurs in diesem Zeitpunkt maßgeblich ist.

II. Exkurs: Der maßgebliche Zeitpunkt für die Ermittlung des Markt- oder Börsenpreises beim Verzug 1. Grundsatz Ein verwandtes Problem stellt sich bei der Frage nach dem Zeitpunkt für die Ermittlung des Markt- oder Börsenpreises bei Verzug und Nichterfüllung. Art. 191 Abs. 3 O R und Art. 215 Abs. 2 O R bestimmen für den Verkäufer- und Käuferverzug, dass der Gläubiger die Differenz verlangen kann zwischen dem vereinbarten Preis und dem Markt- bzw. Börsenpreis im „Erfüllungszeitpunkt". Die abstrakte Schadensberechnung, die allein auf die Preisdifferenz abstellt, ist gerechtfertigt, weil sich der Gläubiger im Erfüllungszeitpunkt anderweitig eindecken (Art. 191 O R ) oder die Sache anderweitig veräußern (Art. 215 O R ) kann. Der Markt ermöglicht Ersatzgeschäfte zu jeder Zeit, lediglich die Preise differieren nach Zeit und - was hier nicht interessiert - Ort. Eine konkrete Interessenberechnung durch Nachweis eines Deckungskaufs oder Notverkaufs ist also nicht notwendig. Es genügt, dass man die Sache kaufen oder verkaufen kann und dass es eine Differenz zwischen Vertragspreis und Preis des abstrakten Ersatzgeschäftes gibt. Streitig ist allerdings, was der Begriff „Erfüllungszeitpunkt" bedeutet. Während einige meinen, dies sei der Preis im Zeitpunkt des Untergangs des Erfüllungsanspruches, 3 bzw. im Falle des Art. 107 O R der Preis bei Ablauf der Nachfrist, 4 stellt die zutreffende Ansicht auf den Zeitpunkt ab, in dem die Erfüllung hätte erfolgen sollen, also auf die Fälligkeit. 5 Das deutsche HansGZ 1917 Β Nr. 56; Recht 1920 Nr. 1151 ; OLGE 45, 120, 121 ; OLG Dresden SächsArch 1918, 113; differenzierend Nussbaum JW 1920, 13. 3 BGE 43 II 356; 45 II 290 E. 6. 4

BSK-Koller Art. 191 Ν 21 raNw.; ebenso BK-Giger Art. 191 Ν 55; Knoepfel Die Son-

derordnung des kaufmännischen Verkehrs im Kaufrecht (Handelskauf), Diss. 1988, 72. 5 BGE 120 II 296, 300 E. 3b a.E; ZK-Schmie Art. 191 Ν 27.

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Recht kennt die abstrakte Schadensberechnung nach dem Marktpreis nur beim Handelskauf. Nach § 376 Abs. 2 HGB berechnet sich der Schadenersatz nach dem „Unterschied des Kaufpreises und des Markt- oder Börsenpreises zur Zeit und am Orte der geschuldeten Leistung". Das ist nicht der tatsächliche, sondern der vertraglich vereinbarte Lieferzeitpunkt, also wiederum die Fälligkeit. 2. Variante: Der Gläubiger bat die Wahl Für Waren mit zeitlich und örtlich variierenden Marktpreisen 6 kannte schon das römische Recht diese abstrakte Schadensberechnung. Pomponius Dig. 19,1,3,3: Si per venditorem vini mora fuerit, quo minus traderet, condemnari eum oportet, utro tempore plurus vinum fuit, vel quo venit vel ubi agatur. In der Romanistik ist streitig, was mit tempus quo venit vel ubi agatur gemeint ist. Vermutlich war dies der Zeitpunkt der Lieferung oder der Klageerhebung. 7 Der Käufer konnte also zwischen dem Kurs bei Fälligkeit und bei Klageerhebung wählen. Er konnte aber nicht den höchsten Zwischenwert verlangen. Ein Schadenersatz kommt in Betracht, wenn diese Preise über dem Vertragspreis liegen. Durch die Wahlmöglichkeit ist der Käufer geschützt, falls der Preis fällt. Er kann die Differenz zwischen dem Vertragspreis und dem Preis im Lieferzeitpunkt verlangen.8 Ist der Preis gestiegen, so gebührt der Gewinn bis zur Klageerhebung ebenfalls dem Käufer. Steigt der Preis nach dem Lieferzeitpunkt (weiter) an und fällt er nachher wieder, so entgeht dem Käufer dieser Vorteil zu Recht; denn er hätte in dem Zeitpunkt klagen können, als der Preis seinen höchsten Stand hatte. Spekulatives Zuwarten ging also zu seinen Lasten. Es bestand daher gar kein Bedürfnis, ihm den höchsten Zwischenwert zu ersetzen. Die Regelung des römischen Rechts war das Vorbild für Art. 41 Abs. 1 S 2 WechselG (Art. 1031 OR) und Art. 36 Abs. 1 S 2 ScheckG (Art. 1122 OR). Diese Vorschriften enthalten für auf fremde Währung lautende Wechsel und Schecks die Sonderregel, dass der Inhaber bei Verzug zwischen der Umrechnung nach dem Kurs des Verfall- bzw. beim Scheck des Vorlegungstages oder nach dem Kurs des Zahlungstages wählen kann. Art. 41 Abs. 1 S 2 WechselG bestimmt für den Wechsel: „Lautet der Wechsel auf eine Wäh6

Sie gab es schon in der Antike, vgl. etwa Gaius Dig. 13,4,3; Papinian Dig. 35,2,63,2. Näher hierzu Honsell Q u o d interest im bonae fidei iudicium - Studien zum römischen Schadensersatzrecht (1969) 2 ff. 8 Ist er schon gleich nach Vertragsschluss gefallen, also niedriger als der Vertragspreis, so liegt kein Schaden vor. Der Käufer muss froh sein, wenn der Verkäufer nicht liefert, was freilich gerade in dieser Konstellation kaum der Fall sein wird. 7

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rung, die am Zahlungsorte nicht gilt, so kann die Wechselsumme in Landeswährung nach dem Werte gezahlt werden, den sie am Verfalltage besitzt. Wenn der Schuldner die Zahlung verzögert, so kann der Inhaber wählen, ob die Wechselsumme nach dem Kurse des Verfalltages oder nach dem Kurse des Zahlungstages in die Landeswährung umgerechnet werden soll". Diese Regelung hat auch in den Entwurf der Lando-Kommission 9 und in die Unidroit-Principles 10 Eingang gefunden. 11 Der römischen Wahlmöglichkeit wohnt eine gewisse Weisheit inne 12 , weil sie den Vertragstreuen Teil begünstigt und Spekulationen zu seinen Lasten verhindert.

III. Der Umrechnungskurs bei der Aufrechnung gegen und mit Devisenforderungen 1. Die Zulässigkeit der Aufrechnung gegen und mit Devisenforderungen Die Aufrechnung oder - wie man in der Schweiz sagt - Verrechnung von Fremdwährungsschulden ist ein seit langem umstrittenes Thema mit einigen offenen Fragen. Nach der kaum begründeten herrschenden Lehre in Deutschland ist die Aufrechnung mangels Gleichartigkeit ausgeschlossen. Eine Ausnahme wird nur gemacht, wenn dem Schuldner die Ersetzungsbefugnis nach § 244 Abs. 1 BGB13 zusteht. 14 Der österreichische OGH 1 5 bejaht die Gleich9 S. Lando/Baele Principles of European Contract Law, Parts I and II (2000) 343f. Art. 7: 108 Abs. 3 lautet: „If, in a case falling within the preceding paragraph, the debtor has not paid at the time when payment is due, the creditor may require payment in the currency of the place where payment is due according to the rate of exchange prevailing there either at the time when payment is due or at the time of actual payment." 10 Unidroit Unidroit principles of international commercial contracts (2004) 163 ff. 11 S. dazu Grothe Fremdwährungsverbindlichkeiten (1999) 529ff. 12 Gelobt wird sie ζ. Β. von Mann Das Recht des Geldes 268 und Honseil FS Lange (1992) 509, 517 13 Entspricht Art. 84 Abs. 2 OR. 14 RGZ 106, 99; KG NJW 1988 2181; RGZ 167, 60, 62; OLG Frankfurt OLGZ 67, 17; BGHZ 8, 339, 343; 22, 395, 400; MünchKomm/ScW«ter(Fn. 2) § 387 Rn. 16; Staudinger/ K. Schmidt (Fn. 1) § 244 Rn. 47; Feldmann]uS 1983, 35^ 359; GruberMDR 1992, 121, 122; Steenken Fremdwährungsschulden im deutschen und englischen Recht (1992) 71 ff.; M. Wolf Die Aufrechnung im internationalen Privatrecht (1989) 82; schwankend Vorpeil AWD 1993, 529, 532; weitergehend Birk AWD 1969 12, 15; den. AWD 1973 425ff.; Hoffmann IPrax 1981, 155f., Meier-Reimer und K. Schmidt FS Odersky (1996) 686, 688ff., 699f., welche die Aufrechnung zulassen wollen, wenn die Forderungen frei konvertibel sind. Unter den Anhängern der Gegenmeinung ist streitig, ob eine Effektivklausel die Aufrechnung ausschliesst. Dafür Palandt/Heinrichs BGB, 65. Aufl. 2006, § 245 Rn. 15 und § 387 Rn. 9; MünchKommIFeldmann § 387 Rn. 7; Erman/ Westermann BGB, 11. Aufl. 2004 § 387 Rn. 10; Henn MDR 1956, 584 f.; dagegen Birk AWD 1969, 16; für die Schweiz Böckli Über die Kompensation von Forderungen verschiedener Währungen, SJZ 1927, 225, 229. 15 IPrax 2002, 412.

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artigkeit von Fremdwährungsschulden im Sinne von §§ 1438, 1440 ABGB und lässt folglich die Aufrechnung zu, allerdings mit der Einschränkung, dass die Aufrechnung ausgeschlossen ist, sofern es sich um effektive Fremdwährungsschulden handelt. Im Schrifttum folgt man überwiegend der Meinung des O G H und vertritt die Ansicht, dass es bei Forderungen verschiedener Währungen lediglich um eine unterschiedliche Leistungsmodalität gehe, welche der Aufrechnung grundsätzlich nicht entgegenstehe. 16 Während also der deutsche Bundesgerichtshof die Aufrechnung nur zu Gunsten des Fremdwährungsschuldners zulässt, der nach § 244 Abs. 2 BGB auch in Inlandswährung zahlen darf, lässt der O G H die Verrechnung grundsätzlich zu und schließt sie lediglich bei Vereinbarung von Effektivklauseln aus. Dies entspricht auch der Rechtsprechung und h.L. in der Schweiz. In der sehr sorgfältig und ausführlich begründeten Entscheidung BGE 63 II 383, 391 ff.17 hat das Bundesgericht die Verrechenbarkeit von Fremdwährungsforderungen bejaht. Die Entscheidung ist ein Musterbeispiel für eine grammatikalische Auslegung unter Heranziehung aller drei Amtssprachen. In Art. 120 Abs. 1 O R heißt es: „Wenn zwei Personen einander Geldsummen oder andere Leistungen, die ihrem Gegenstande nach gleichartig sind, schulden, so kann jede ihre Schuld, insofern beide Forderungen fällig sind, mit ihrer Forderung verrechnen." Die Unklarheit der deutschen Fassung ergibt sich daraus, dass der Relativsatz „die ihrem Gegenstande nach gleichartig sind" sich bloß auf das vorangehende Subjekt andere Leistungen oder auf beide Alternativen Geldsummen oder andere Leistungen beziehen kann. Bezieht man ihn auf beide Alternativen, so gilt auch für Geldschulden das Erfordernis der Gleichartigkeit. Bezieht man ihn nur auf die zweite Alternative, so gilt die Gleichartigkeit nur für die sonstigen Schulden und betrifft dann so praktische Fälle wie den, dass sich die Parteien gegenseitig Gold, Eier oder sonst etwas schulden. Die französische und die italienische Fassung vermeiden die Doppeldeutigkeit, indem sie statt eines Relativsatzes ein Attribut verwenden „sommes d'argent ou d'autres prestations de même espèce", „somme di denaro o di altre prestazioni della stessa specie." Bei Verwendung eines Adjektivattributs ist klar, dass sich dasselbe nur auf das letztgenannte Subjekt „d'autres prestations", bzw. „altre prestazioni" bezieht, denn das Attribut gilt nur für das N o m e n bei dem es steht. 18 Das ist ein Musterbeispiel dafür, wie Unklarheiten durch Heranziehung anderer Amtssprachen beseitigt werden können. Neben dieser grammatikalischen Auslegung prüft das Bundesgericht sehr sorgfältig auch das teleologische Argument und k o m m t zu dem Schluss, dass Fremdwährungsforderungen gleichartig sind, sofern sich ihr Wert be16

Janert Die Aufrechnung im internationalen Privatrecht (2002) 159 mNw. S. dazu auch WïWVerrechnung im internationalen Privatrecht (1992) 46. 18 Vgl. auch Art. 1243 Abs. 1 des italienischen Codice Civile: .. una somma di danaro o una quantità di cose fungibili dello stesso genere ..." 17

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stimmen lässt, d. h. wenn ein Wechselkurs besteht. Weitere Voraussetzungen sind: freie Konvertibilität und unbehinderter Devisenverkehr. Aus Art. 84 Abs. 2 O R dürfe nicht e contrario gefolgert werden, dass der Gläubiger einer Fremdwährungsschuld kein Wahlrecht habe. In der Tat wäre es eine nicht begründbare Asymmetrie, nur dem Fremdwährungsschuldner die Aufrechnung zu gestatten. Die Frage, ob eine Effektivklausel die Verrechnung ausschließt, hat das Bundesgericht offen gelassen.19 Während also nach deutschem Recht nur der Fremdwährungsschuldner verrechnen kann, weil er eine Ersetzungsbefugnis hat, wenn der Zahlungsort im Inland liegt, können dies nach schweizerischem und österreichischem Recht beide Parteien, sofern keine Effektivklausel vereinbart ist. Diese Lösung hat den klaren Vorzug, dass sie beide Parteien gleich behandelt. Es wäre in der Tat nicht einzusehen, weshalb nur der Fremdwährungsschuldner die Aufrechnung sollte erklären können, nicht hingegen der Fremdwährungsgläubiger. Das gilt auch für verschiedene Währungen, sofern für jeden Zeitpunkt ein Wechselkurs ermittelt werden kann. Es macht keinen Sinn, den Vorteil der Aufrechnung dem einen zu gewähren und dem anderen zu versagen. Stets geht es darum, dass derjenige, der eine Aufrechnungsposition innehat, eine gesicherte Position besitzt, da er allein mit Hilfe einer Aufrechnungserklärung Befriedigung für seine Forderung erlangen kann. 20 Hingegen wird man eine Effektivklausel als vertragliches Verrechnungsverbot iSv. Art. 126 OR interpretieren müssen. Auch in Frankreich gehen Rechtsprechung und h.L. von der Gleichartigkeit währungsverschiedener Forderungen aus.21 Dabei wird aber die Frage im Schrifttum eher unter dem Aspekt der Liquidität, als der Gleichartigkeit der Forderungen behandelt. Liquidität ist dann gegeben, wenn der Betrag der fremden Forderung unschwer zu bestimmen, wenn also die Währung voll konvertibel ist. 22 Im Gegensatz zum deutschen oder schweizerischen Recht ist die Aufrechnung (set-off) im englischen Recht eine Figur des Prozessrechts. 23 Soweit ersichtlich gibt es keine gefestigte Rechtsprechung zum set-off währungsfremder Forderungen. Allerdings werden Forderungen verschiedener Währungen als gleichartig betrachtet. 24 Nach Derbam25 soll die Währung

» BGE 63 II 391, 393; dafür etwa ZK-Weber OR Art. 84 Ν 341 mNw.; BSK OR I-Peter Art. 120 Ν 10; dagegen Böckli (Fn. 14) 229. 20 Wie hier Meier-Reimer NJW 1985, 2052. 21 M. Wolf Die Aufrechnung im internationalen Privatrecht (1989) 43 f. mNw.; vgl. auch Art. 1291 Abs. 1 des französischen Code Civile: „... une somme d'argent, ou une certaine quantité de choses fongibles de la même espèce ..." 22 Janert Die Aufrechnung im internationalen Privatrecht (2002) 178 f. 23 Janert Die Aufrechnung im internationalen Privatrecht (2002) 160 f. 24 Janert Die Aufrechnung im internationalen Privatrecht (2002) 172. " Derham Set-off (1996).

Zwei Fragen zur Umrechnung von Devisenforderungen

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der geringeren Forderung in die Forderung der höheren Währung umgerechnet werden, wenn beide Forderungen auf ausländische Währungen lauten. 26 Bei nur einer währungsfremden Forderung soll diese in britische Pfund umgerechnet werden.27 2. Der Umrechnungskurs Steht fest, dass die Verrechnung zulässig ist, so fragt es sich, nach welchem Kurs sie zu erfolgen hat. Hier spielt die alte Streitfrage eine Rolle, ob die Aufrechnung ipso iure eintritt, sobald sich zwei aufrechenbare Forderungen gegenüberstehen (so die Lehre des Glossators Martinus und heute Art. 1290 CC, § 1438 ABGB) oder ob sie ope exceptionis, also durch Aufrechnungserklärung einer der Parteien ausgelöst wird (so der Glossator Azo und heute § 388 BGB, Art. 124 OR). 2 8 Es ist eine Folge der alten ipso iure-Kompensation, dass überwiegend angenommen wird, die Aufrechnung wirke ex tunc. Erfolgt die Aufrechnungserklärung, so tritt die Wirkung, was z.B. Zinsen, Verzugsfolgen und Kurse anlangt, danach mit Wirkung ex tunc ein, d. h. in dem Moment, in dem sich die Forderungen erstmals aufrechenbar gegenüber gestanden haben (Art. 124 Abs. 2 OR, § 389 BGB, sog. Aufrechnungslage).29 Hiervon abweichend nehmen einige an, es sei immer der Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung maßgeblich.30 Die Frage, welcher Zeitpunkt für den Wechselkurs relevant ist, ist bis heute umstritten. Das Reichsgericht stellte - ausgehend von der irrigen Prämisse, es sei nur der Heim Währungsschuldner nach § 244 Abs. 1 BGB zur Aufrechnung befugt - auf den Zeitpunkt der Erklärung ab, weil erst in diesem Moment Gleichartigkeit der Forderungen gegeben sei. Der Bundesgerichtshofhat die Frage für den Aktienkurs behandelt.31 Das Gericht stellte auf die Aufrechnungslage ab und kam so zu einer Rückwirkung. Dagegen haben sich Stimmen in der Literatur für eine ex nunc-Wirkung ausgesprochen.32 Vor diesem Hintergrund vertritt Reichel die Ansicht, für die Umrechnung maßgebend sei der höchste Kurs zwischen Aufrechnungslage und Aufrechnungserklärung.33 In der schweizerischen Literatur wird im Hinblick auf So auch Richter Brandon in Despina R (1978) 1 Q.B. 396, 415. Derbam Set-off (1996) 131. 28 S. Honseil Rom. Recht 6. Aufl. 2006 112; zur Dogmengeschichte s. noch Demburg, Geschichte und Theorie der Kompensation (2. Aufl. 1868) 283ff.; zum Glossatorenstreit auch Deichmann Gruchot 42 (1898) 257, 263. 2 9 Vgl. BGHZ 80, 278; NJW-RR 1991, 569. 30 Meier-Reimer NJW 1985, 2052. 31 BGHZ 27, 125. 32 Z.B. K. Schmidt FS Odersky (1996) 685. 33 Reichel AcP 126 (1926) 313, 316, 324; ders. SJZ 1920/21, 213; den. HansRZ 1920, 733. 26 17

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Art. 124 Abs. 2 OR überwiegend der Zeitpunkt der Verrechnungslage für die Umrechnung als maßgeblich betrachtet. Teilweise wird auch die Ansicht vertreten, für die Umrechnung maßgebend sei der Zeitpunkt der Fälligkeit der Hauptforderung. Dadurch soll dem Fremdschuldner die Möglichkeit genommen werden, durch die Wahl zwischen den Schuldtilgungsarten Zahlung oder Verrechnung, den günstigsten Umrechnungskurs wählen zu können. Eine andere Meinung hält den Zeitpunkt der Verrechnungserklärung für maßgeblich.34 Das ist auch h.L. in Deutschland. 35 Dasselbe gilt im österreichischen Recht. Teilweise wird auch die Auffassung vertreten, dem Aufrechnungsgegner soll im Zahlungsverzug die Wahl zwischen dem Umrechnungskurs im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung und dem Zeitpunkt der Fälligkeit gelassen werden, um Manipulationsmöglichkeiten des Aufrechnenden, wie der Erzielung eines Kursgewinns durch Zuwarten, entgegenzuwirken. 36 Richtig ist jedoch auf die rückwirkend eintretende Aufrechnungslage nach § 389 BGB abzustellen.37 Soweit die h.M. damit argumentiert, dass die Gleichartigkeit der Forderungen erst mit Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 244 Abs. 1 BGB hergestellt werde, ist dies bereits oben widerlegt worden. Auch wenn man indes die Richtigkeit dieser Prämisse einmal unterstellt, folgt daraus nicht, dass für den Umrechnungskurs nur der Zeitpunkt der Erklärung maßgeblich sei, denn die in § 389 BGB angeordnete Rückwirkung kann als Fiktion auch in Fällen greifen, in denen die Gleichartigkeit erst später eingetreten ist. Eine bloße Behauptung bleibt auch die These, nur die Tilgungswirkung werde zurückbezogen, nicht aber der Aufrechnungstatbestand. 38 Verfehlt ist schließlich auch die Ansicht, die auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der Hauptforderung abstellt, damit der Fremdwährungsschuldner nicht durch die Wahl der Schuldtilgungsart (Zahlung oder Verrechnung) den günstigeren Kurs bestimmen könne. 39 Das Erfordernis der Fälligkeit gilt nicht für beide Forderungen, also nicht für die Fremdwährungsschuld, sondern lediglich für die Gegenforderung, die vom Fremdwährungsschuldner zur Aufrechnung benutzt wird. Der Schuldner darf die 34

Janert Die Aufrechnung im internationalen Privatrecht (2002) 150 f. mNw. RGZ 106, 99, 100; 167, 60, 63; Grothe Fremdwährungsverbindlichkeiten (1999) 560ff., 583; BGB-RGRKM//S 389 Rn. 15; Erman/ Werner(Fn. 14) § 389 Rn. 17; MünchKommBGB/ vMaydell (Fn. 2) § 389 Rn. 49; Palandt/Heinrichs (Fn. 14) § 389 Rn. 15; K. Schmidt FS Odersky (1996) 700f.; Henn M DR 1956, 587; den. RIW 1957, 153; Maier-Reimer NJW 1985, 2051; Vorpeil Km 1993, 534. 36 Janert Die Aufrechnung im internationalen Privatrecht (2002) 159 f. 37 So schon Reichel AcP 126 (1926) 313, 324ff.; Steenken Fremdwährungsschulden im deutschen und englischen Recht (1992) 74f.; dies bestreitet zu Unrecht K. Schmidt FS Odersky (1996) 700 f. 38 GemhuherDie Erfüllung und ihre Surrogate (2. Aufl. 1994) § 12 III 4; K. Schmidt aaO. 699. 39 Wild Verrechnung im internationalen Privatrecht (1992) 56 mNw. 35

Zwei Fragen zur Umrechnung von Devisenforderungen

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Hauptforderung grundsätzlich vor deren Fälligkeit bezahlen oder durch Verrechnung tilgen. 40 Außerdem verkennt diese These die Rückwirkung der Aufrechnung. Diese betrifft nicht nur die Verzinsung (usw.), sondern auch die Umrechnung. 41 Wenn es auf die Aufrechnungserklärung nicht ankommt, scheidet ein spekulatives Zuwarten mit derselben aus. Spekulationsversuchen ist so ein Riegel vorgeschoben. Der Verrechnende profitiert nicht von der Wahl eines ihm günstigen Zeitpunktes, weil nur die in der Vergangenheit liegende Verrechnungslage entscheidend ist. Allerdings ist das Spekulationsargument in den Verrechnungsfällen ohnedies nicht von Gewicht, weil ja auch der Gegner, nach der hier vertretenen Auffassung, verrechnen oder jedenfalls zahlen kann. 42

IV. Zusammenfassung Die Frage des richtigen Zeitpunkts für die Umrechnung von Fremdwährungsforderungen ist seit langem umstritten. Art. 84 Abs. 2 OR stellt für den maßgeblichen Wechselkurs richtig auf den Zeitpunkt der Fälligkeit ab, während nach § 244 Abs. 2 BGB im deutschem Recht der Zeitpunkt der Zahlung ausschlaggebend ist. Ein ähnliches Problem findet man bei der Ermittlung des Zeitpunkts von Markt- oder Börsenpreisen bei Verzug und Nichterfüllung. Auch hier stellt die zutreffende Ansicht auf die Fälligkeit ab. Eine Variante ist es, entsprechend der Regelung im römischen Recht, dem Gläubiger die Wahl zwischen dem Marktpreis im Lieferzeitpunkt und demjenigen zur Zeit der Klageerhebung einzuräumen. Umstritten ist schließlich auch die Bestimmung des Umrechnungskurses bei der Aufrechnung gegen und mit Devisenforderungen. Während nach deutschem Recht nur der Fremdwährungsschuldner verrechnen darf, können dies nach schweizerischem und österreichischem Recht beide Parteien. Für den Umrechnungskurs wird nach der h. L. in Deutschland der Zeitpunkt der Verrechnungserklärung herangezogen. In der schweizerischen und österreichischen Literatur wird dagegen überwiegend und zutreffend auf den Zeitpunkt der Verrechnungslage abgestellt. Dies schließt Spekulationen auf einen günstigeren Kurs aus.

4 0 Vgl. § 3 8 7 BGB in Verbindung mit § 271 Abs. 2 BGB. Im schweizerischen Recht sagt zwar Art. 120 O R , dass beide Forderungen fällig sein müssen, das wird jedoch zu Recht als Redaktionsversehen betrachtet, weil auch Art. 81 O R die Tilgung vor Fälligkeit grundsätzlich gestattet. 41 A . M . Κ. Schmidt FS Odersky (1996) 700 f. 4 2 Ebenso K. Schmidt FS Odersky (1996) 699.

Personale" Unmöglichkeit - Die Zumutbarkeit pflichtgemäßen Verhaltens WILLI

JOACHIM

I. Einleitung und Ausgangsfall 1.

Problemaufriss

Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (im Folgenden: SMG) hat die „subjektive Komponente" auch in das Schuldrecht Einzug gehalten. Für verschiedene Leistungshindernisse bei persönlicher Leistungspflicht ist der Begriff der „personalen" Unmöglichkeit geprägt und in § 275 Abs. 3 BGB 1 aufgenommen worden. Von dieser personalen Sichtweise deutlich abzugrenzen sind die zahlreichen Anwendungsfälle der Störung der Geschäftsgrundlage, welche nunmehr ebenfalls durch das SMG in das BGB unter § 313 Eingang gefunden hat. Dazu hat der Jubilar schon seit 25 Jahren wesentliche und richtungsweisende „Grundlagenarbeiten" geleistet und zwar zu den einschlägigen Stichwörtern: „Neuverhandlungspflicht"2 bzw. unter dem Thema „Vertragsbindung unter veränderten Umständen". 3 Er hat auf die Vertragsdauer und die während der Laufzeit eines Vertrages auftretenden tatsächlichen und rechtlichen Probleme hingewiesen. Wiederholt hat er sich für eine gesetzliche Regelung der Grundzüge über die Störung bzw. den Wegfall der Geschäftsgrundlage stark gemacht.4 Die Nach- bzw. Neuverhandlungspflicht im Schuldrecht hat er im Wesentlichen propagiert und formuliert. Bei Änderung bzw. nachträglicher Veränderung vertragswesentlicher Umstände soll als Rechtsfolgenprogramm zunächst die Anpassung des Vertrags verlangt §§ ohne Angabe sind solche des BGB. Horn AcP 181 (1981), 255-288; den. in: Gutachten zur Überarbeitung des Schuldrechts, herausgegeben vom BJM, I 1981, S. 551-645; den. Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Finance, 1985. 5 Horn Vertragsdauer als Rechtsproblem, NJW 1985, 1118. 4 Hom NJW 1985, 1118; Köhler Oie Lehre von der Geschäftsgrundlage als Lehre von der Risikobefreiung, Festgabe für den Bundesgerichtshof (BGH) I, 2000, S. 295, 296 ff; Hey Die Kodifizierung der Grundsätze über die Geschäftsgrundlage, in: Kontinuität im Wandel, Beiträge für C.-W Canaris, 2002, S. 21, 22 ff. 1

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werden können. Erst als „ultima ratio" soll ein Vertragsrücktritt bzw. beim Dauerschuldverhältnis das Recht zur Kündigung in Betracht kommen. 5 Dieses „Horn sehe Haus" über den schuldrechtlichen Regelungs- und Reparaturbetrieb bei Störung der Geschäftsgrundlagen hat der Reformgesetzgeber in § 313 und hier in den Absätzen 1 - 3 umgesetzt. Von dieser bis ins Einzelne ausgerichteten Lehre über die Störung und den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist das Konzept der personalen Unmöglichkeit exakt abzugrenzen. Nur so kann praktische Handhabbarkeit geschaffen und letztlich Rechtssicherheit für die Rechtsgemeinschaft nachvollziehbar begründet werden. Auch als visionärer Rechtsdogmatiker ist der Jubilar hervorgetreten. An seine Beiträge zum Allgemeinen Schuldrecht anknüpfend soll das „Horn sche Haus" zu einem „Gesamtgebäude" ausgebaut und fortgeführt werden. 2. Sachverhalt Die rechtsdogmatischen Erwägungen zur Unmöglichkeitslehre mögen an folgendem Ausgangsfall verdeutlicht werden: Der Formel-Eins-Rennfahrer M.S. hat sich gegenüber dem Formel-EinsRennveranstalter Berni Energy (B.E.) zur Teilnahme am Formel-Eins-Rennlauf in Imola verpflichtet. Am Tag vor dem Start des Formel-Eins-Rennens erkrankt M.S.'s Mutter ernsthaft. Muss M.S. seinen Dienstvertrag erfüllen und das Formel-Eins-Rennen am Sonntag bestreiten? Kann er wenigstens - kurzfristig - am Sonntag vor dem Rennen zum Krankenbett seiner Mutter eilen? Oder muss er durchgängig am Training über die Startplatzvergabe bzw. „Qualifying" teilnehmen? 3. Rechtslage M.S. ist gemäß § 611 Abs. 1 zur Dienstleistung verpflichtet. Gemäß § 613 muss er seine Fahrleistung höchstpersönlich erbringen. Nach § 275 Abs. 3 könnte seine Leistungspflicht ausgeschlossen sein. Nach dieser Vorschrift kann der Schuldner die von ihm persönlich zu erbringende Leistung verweigern, wenn sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen gewährt die Norm dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht. Die Subsumtion des vorliegenden Sachverhalts unter die einschlägigen Rechtsnormen führt zu folgendem Ergebnis : M.S. hat die Rennfahrerleistungen persönlich zu erbringen. Hundert Tausende von Tifosis und Ferraristi, Millionen von Rennfahrer-Fans in aller 5

So Horn aaO. (Fn. 4).

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Welt erwarten sein Antreten und Gewinnen des Rennens. Als Renn-Veranstalter hat B.E. unter Berücksichtigung der Investitionen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der weltweiten Vermarktung des „Formel-Eins-Zirkus" ein erhebliches Leistungsinteresse als Gläubiger am Durchführen des Rennens, und zwar mit allen „Rennfahrer-Assen", also auch und gerade mit M.S. Der Schuldner M.S. hat eine enorme persönliche Betroffenheit anzuführen. Das seiner Fahrerleistung entgegenstehende Hindernis stellt einen der schwersten persönlichen Schicksalsschläge im Leben eines jeden Menschen dar. Unter Zugrundelegung eines engen und strengen Maßstabs bei der Anwendung von § 275 Abs. 3 und dem hier enthaltenen persönlichen Leistungsverweigerungsrecht kann diese Einrede im Einzelfall nur als krasser Ausnahmefall gewährt werden. Die zusätzlich anzustellende Interessenabwägung zwischen dem Gläubiger- und dem Schuldnerinteresse führt in Anbetracht des Ausnahmecharakters des bei M.S. seiner Leistungserbringung entgegenstehenden Hindernisses zur Bejahung des Ausschlusses der Leistungspflicht. Im Ergebnis kann sich M.S. daher auf sein Leistungsverweigerungsrecht im konkreten Fall berufen. Die Zusatzfrage nach dem zeitweiligen Krankenbesuch ist wie folgt zu beantworten: Selbst wenn am Samstag vor dem Rennen noch Trainingsläufe anberaumt sein sollten, kann M.S. unter Hinweis auf § 616 eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit von seiner Leistungspflicht als Rennfahrer befreit werden, ohne den Anspruch auf die Gegenleistung, d.h. sein Entgelt zu verlieren und ohne zur Nach-Leistung verpflichtet zu sein. Bekanntlich stellt die Sondervorschrift des Dienstvertrags- bzw. Arbeitsrechts eine Ausnahmevorschrift zu § 326 Abs. 1 dar. Grundsätzlich besteht kein Anspruch auf die Gegenleistung, hier des Rennfahrerlohns, wenn dieser seinerseits das Rennen und entsprechende Trainingseinheiten nicht absolvieren muss. Im vorliegenden Fall sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 616 erfüllt. Demzufolge hat M.S. einen Anspruch auf volle Lohnzahlung trotz des zeitweiligen Krankenbesuchs. Im Ausgangsfall greift eine Ausnahme vom arbeitsrechtlichen Grundsatz: „Ohne Arbeit kein Lohn!". Regelmäßig wird M.S. auch bei nur zeitweiser Teilnahme am „Qualifying" eine veritable, d.h. sportlich herausfordernde Startposition einnehmen, wenn auch nicht stets die „pole position".

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II. Überblick zu § 275 BGB 1. Grobstruktur a. § 275 beinhaltet den Ausschluss der Leistungspflicht bei Fällen der Unmöglichkeit. Sie erscheint - wie bisher - in verschiedenen Ausprägungen. b. § 275 Abs. 1 enthält die tatsächliche Unmöglichkeit. Danach ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. c. § 275 Abs. 2 regelt die praktische Unmöglichkeit. Hiernach kann der Schuldner die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat. Im Gegensatz zu § 275 Abs. 1 ist Abs. 2 als Einrede ausgestaltet, d.h. dem Schuldner steht bei Erfüllung der entsprechenden Tatbestandsmerkmale ein Leistungsverweigerungsrecht zu, das er im Einzelfall geltend machen kann, nicht muss. d. § 275 Abs. 3 beinhaltet die „personale" bzw. „persönliche" Unmöglichkeit. Diese Formel stammt ersichtlich von Conans, einem der maßgebenden, lebenden Rechts gelehrten und „Väter" der Schuldrechtsreform.6 Von der Gesetzeskonzeption ist das Tatbestandsmerkmal „persönlich" bewusst in Anführungszeichen zu setzen, weil der Ausschluss der Leistungspflicht i.S.v. § 275 Abs. 1 und Abs. 2 regelmäßig an objektive Merkmale knüpft; subjektive Einflüsse sollen grundsätzlich außer Ansatz bleiben. Die Redeweise von der „personalen" Unmöglichkeit wird in der Literatur bisweilen als nicht weiter führend kritisiert. 7 Vor dem Hintergrund einer bisher an objektiven und greifbaren Tatbeständen festzumachenden Unmöglichkeitslehre erscheint diese Sichtweise zunächst nachvollziehbar. Genauer scheint es, bei § 275 Abs. 3 vom Sonderfall der „Unzumutbarkeit persönlicher Leistungen" zu sprechen. § 275 Abs. 3 enthält eine Sonderregelung für eine Leistung, welche in der Person des Schuldners zu erbringen ist. Im Vordergrund stehen Arbeitsund Dienstverträge i.S.v. § 611 sowie § 613 Abs. 1, wonach der zur Dienstleistung Verpflichtete die Dienste im Zweifel persönlich zu erbringen hat; daneben erscheinen einzelfallsbezogene Werkverträge nach § 631 und Geschäftsbesorgungsverträge gem. §§ 675, 670, 662ff. 6 7

Canaris Schuldrechtsmodernisierung, 2002, S. XIII. So Münchener Kommentar (UK)-Emst BGB, 4. Aufl. 2003, § 275 Rn. 107.

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Nicht nur objektive, sondern subjektive, auf die Leistung bezogene persönliche Umstände des Schuldners sollen in Augenschein genommen werden und zur Unmöglichkeit führen können. Vor diesem Hintergrund ist vorliegend von der „personalen" bzw. „persönlichen" Unmöglichkeit die Rede, obwohl grundsätzlich tatsächliche bzw. praktische, mithin objektiv mess- und feststellbare Formen die Unmöglichkeit i.S.v. § 275 prägen. Der Reformgesetzgeber erachtet die subjektive Erweiterung durch § 275 Abs. 3 für geboten, weil die Leistung selbst auf die Person des Schuldners ausgerichtet sei. 8 e. Nach § 275 Abs. 3 kann der Schuldner die persönlich zu erbringende Leistung verweigern, wenn sie ihm unzumutbar ist, und zwar unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers. Damit die persönliche Unmöglichkeit im Zusammenhang mit der tatsächlichen und praktischen Unmöglichkeit gesehen werden kann, erfordert die subjektive Unmöglichkeit einen praktikablen und zugleich strengen Maßstab. f. Die enge Auslegung der Tatbestandsmerkmale von § 275 Abs. 3 ist zudem deshalb geboten, um eine exakte Abgrenzung zur Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 (objektive G G ) und Abs. 2 (subjektive GG) herbeizuführen. Die ähnlich zu § 275 Abs. 3 bei § 313 Abs. 1 gelagerten Tatbestandsmerkmale lauten wie folgt: Haben sich Umstände, die zur Vertragsgrundlage geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien bei Kenntnis den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen, kann Vertragsanpassung verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann. Ähnlich wie bei § 275 Abs. 3 ist auch bei § 313 Abs. 1 eine -

Einzelfallbeurteilung, Interessenabwägung, 9 Risikoanalyse und -Zuweisung, Zumutbarkeitsbeurteilung und letztlich eine

- auf die Gerechtigkeit des Einzelfalls abzielende Billigkeitsbeurteilung 10 angezeigt. 8 Begründung zu § 275, BT-Drucks 14/6040, S. 130 re. Sp.; dazu Dauner-Lieb Das Neue Schuldrecht, 2002, S. 110; MK-£mji (Fn. 7), § 275 Rn. 107; Palandt-Heinrichs BGB, 65. Aufl., 2006, § 275 Rn. yO-Jaxernig-VollkommerBGB, 11. Aufl. 2005, § 275 Rn. 30. 9 Zur Interessenabwägung grundsätzlich Horn Gutachten, S. 563-571, 626-635; den. NJW 1985, 1118, 1121. 10 Dazu eingehend Joachim Inhalte, Argumentationsstrukturen und Anwendungsbereiche der Billigkeit im deutschen Privatrecht, Bielefeld, 1981, S. 1-551.

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Um § 275 Abs. 3 in Anbetracht dieser Ähnlichkeiten - zumindest im Ansatzpunkt - sauber und für die Praxis handhabbar abzugrenzen, bedarf es bei Anwendung von § 275 Abs. 3 der Zugrundelegung eines engen und strengen Maßstabs sowie bei § 313 Abs. 1 - und ähnlich Abs. 2 - Überlegungen zur Opfergrenze der Parteien und einer im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung und Zumutbarkeitsbeurteilung angelegten, einzelfallorientierten Billigkeitsentscheidung. Die Beurteilung der Zumutbarkeit pflichtgemäßen Verhaltens eröffnet dem Rechtsanwender einen erheblichen Beurteilungsspielraum im Einzelfall. Grundsätzlich kann dies eine Gefahr für die Rechtssicherheit und die praktische Handhabbarkeit eines Teils der Schuldrechtsreform bedeuten. Grund und Folgen der Einführung von § 275 Abs. 3 müssen daher genau erfasst und zukünftig verstärkt von Rechtsprechung und Lehre konkretisiert werden. 2. Einordnung in das neue

Leistungsstörungsrecht

An dieser Stelle sollen die erwähnten Normen in das Allgemeine Leistungsstörungsrecht eingeordnet werden. Bekanntlich enthält das Allgemeine Leistungsstörungsrecht Regelungen, die für alle Schuldverhältnisse und insbesondere für alle Verträge gelten. Das besondere Leistungsstörungsrecht ergänzt die allgemeinen Regeln durch Sondervorschriften, auch Gewährleistungsrecht genannt, für bestimmte Vertragstypen, namentlich für Kauf-, Miet-, z.T. Dienst-, Werkund Reisevertrag.11 a. Die Neufassung des Allgemeinen Leistungsstörungsrechts sowie die Änderungen im Kauf- und Werkvertragsrecht stellen Schwerpunkte der Schuldrechtsreform dar. Unmittelbarer Anlass für das Schuldrechtmodernisierungsgesetz von 2001 (SMG) waren die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 1999/44/EG vom 25. 5. 1999, die Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000/ 35/EG vom 29. 6. 2000 sowie die E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG vom 8. 6. 2000. Die erstgenannte Richtlinie orientiert sich wesentlich an dem UN-Kaufrecht. Zentrale Norm des neuen Leistungsstörungsrechts ist die in § 280 niedergelegte Pflichtverletzung.12 b. Neben dem allgemeinen Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung, § 280 Abs. 1, treten besondere Regelungen für den Schadensersatz statt der Leistung, § 280 Abs. 3 i.V.m. §§ 281-283. Die bisherige Kategorie des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung entfällt. 11

Palandt-Heinrichs (Fn. 8), Vorb ν § 275, Rn. 4, Jauernig-Vollkommer (Fn. 8), Vor §§ 275-292, Rn. 1 ff. 12 Vgl. zum neuen Schuldrecht im Uberblick Pfeiffer Neues Schuldrecht - Gesetzessynopse mit Kurzerläuterung, 2002, S. VI, VII; Palandt-Heinrichs (Fn. 8), Vorb ν § 275, Rn. lOff; Jauernig-Vollkommer (Fn. 8), Vor §§ 275-292, Rn. Iff.

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c. Die Unmöglichkeit in Form der tatsächlichen, praktischen und persönlichen i.S.v. § 275 Abs. 1 - Abs. 3 bleibt als systematisch ausgestalteter Grund für das Freiwerden von der Verbindlichkeit erhalten. d. Der Verzögerungsschaden wird nur unter den besonderen Voraussetzungen des Verzugs ersetzt, § 280 Abs. 2, § 286. e. Weitere wesentliche Änderungen stellen die Behandlung anfänglicher Leistungsstörungen dar. Anfängliche Unmöglichkeit zieht nicht mehr die Unwirksamkeit des Vertrages nach sich, § 311 Abs. 1. Der Rücktritt des Gläubigers kann beim gegenseitigen Vertrag auch dann erfolgen, wenn der Schuldner eine angemessene Nachfrist verstreichen lässt, § 323 Abs. 1, also unverschuldet, d.h. ohne Verzug. Durch § 325 ist die bisherige und oft für den Gläubiger als schmerzhaft empfundene Alternativität von Schadensersatz und Rücktritt aufgehoben. f. Die vorstehend erwähnte Störung der Geschäftsgrundlage hat als Rechtsinstitut gemäß § 313 Eingang in das Schuldrecht gefunden, ähnlich wie die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund, § 314 sowie des Verschuldens bei Vertragsschluss, § 311 Abs. 2. Insoweit hat der Gesetzgeber richterrechtlich entwickelte Rechtsinstitute kodifiziert. 13 g. Die primäre Rechtsfolge einer nachhaltigen Störung bzw. eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage stellt die Neuverhandlungspflicht der Parteien über die Vertragsanpassung dar.14 Dieses Regelungsprogramm setzt das SMG dergestalt um, indem es in § 313 Abs. 1 zunächst und vorrangig das Recht auf Anpassung des Vertrages niederlegt. Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten bzw. - bei Dauerschuldverhältnissen - das Recht zur Kündigung ausüben. Dies regelt in nachrangiger Anwendbarkeit § 313 Abs. 1 S. 1 und 2. h. Im Rahmen dieser kurzen Gesamtschau ist die personale Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 3 als eine vom Schuldner im konkreten Einzelfall zu erhebende Einrede ausdrücklich in das SMG übernommen worden. Der Reformgesetzgeber berücksichtigt bei der Leistungsstörung auch und gerade subjektive Momente. Dabei muss es sich allerdings um eng begrenzte und besonders zu begründende Ausnahmefälle handeln.

» Grundlegend Horn Gutachten, S. 551-645; ders. NJW 1985, 1118, 1123f; Pfeiffer (Fn. 12) S. VIII; Palandt-Heinrichs (Fn. 8), Vorb ν § 275 Rn. 16 und 23. 14 Richtungsweisend dazu Horn AcP 181 (1981), 276f.; ders. NJW 1985, 1118, 1125.

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3. European und Unidroit Principles Die European Principles, Art. 9: 102 II b) und die Unidroit Principles, Art. 72.2.b), enthalten parallel lautende Vorschriften.15 Neben der zentralen Pflichtverletzung kommt es auch an auf die verschiedenen Formen der Unmöglichkeit. Dabei findet die Variante der personalen Unmöglichkeit Berücksichtigung. Die internationale Rechtsvereinheitlichung erfasst im modernen Leistungsstörungsrecht unter Betonung des Ausnahmecharakters ebenfalls subjektive Elemente.

III. Personale Unmöglichkeit im Sinn von § 275 Abs. 3 BGB 1. Tatbestandsmerkmale im Uberblick Die wesentlichen Tatbestandsmerkmale der personalen Unmöglichkeit sind die folgenden: a. Persönlich zu erbringende Leistung Mit Blickrichtung auf das Arbeits- bzw. Dienstvertragsrecht ist gemäß §§ 611 Abs. 1, 613 S. 1 die Leistung regelmäßig durch den Schuldner selbst und nicht durch Erfüllungsgehilfen zu erbringen. b. Abwägungsvorgang Die Leistung muss dem Schuldner unzumutbar sein. Dabei sind zu berücksichtigen aa. das der Leistung des Schuldners entgegenstehende Hindernis, bb. das Leistungsinteresse des Gläubigers, cc. die umfassende Interessenabwägung führt zur Unzumutbarkeit der Leistungserbringung. c. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal Um § 275 Abs. 3 handhabbar gestalten und eng auslegen zu können, sollen - gleichsam als ungeschriebene Tatbestandsmerkmale - aus § 275 Abs. 2 entlehnt hinzukommen: aa. Beachtung des konkreten Inhalts des Schuldverhältnisses, bb. Beachtung der Gebote von Treu und Glauben, § 242, cc. Grobes Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers. 15

Palandt-Heinrichs (Fn. 8), § 275 Rn. 26.

Personale" Unmöglichkeit

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d. Weiteres ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal Zur Gewährleistung der engen Auslegung von § 275 Abs. 3 ist gemäß § 275 Abs. 2 S. 2 bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen auch zu berücksichtigen, ob er das Leistungshindernis zu vertreten hat. Das Vertreten stellt Verschulden i.S.v. § 276 dar, erfasst also die Formen von Vorsatz und Fahrlässigkeit. e. Ziel: Vorbeugung einer tatbestandlichen Ausuferung von § 275 Abs. 3 Die genaue Prüfung der vorstehenden geschriebenen und ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale dient dazu, den Anwendungsbereich von § 275 Abs. 3 einzugrenzen, gegenüber anderen Normen abzugrenzen, z.B. § 313 Störung der GG, und letztlich einer Ausuferung der personalen Unmöglichkeit vorzubeugen.

2. Einzelheiten zu § 275 Abs. 3 a. Zusammenhang zwischen § 275 Abs. 2 und Abs. 3 Bei § 275 Abs. 3 ist im Wesentlichen Folgendes zu berücksichtigen: Hat der Schuldner Leistungen aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Werkvertrages persönlich zu erbringen, übernimmt § 275 Abs. 3 die Funktion von Abs. 2 bzgl. der praktischen Unmöglichkeit. 16 Deshalb müssen die eingeschränkten Voraussetzungen des Abs. 2 über die genaue Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses, der Gebote von Treu und Glauben, des groben Missverhältnisses zum Leistungsinteresse des Schuldners sowie Verschuldensformen berücksichtigt werden. b. Subsidiarität von § 275 Abs. 3 gegenüber Abs. 1 § 275 Abs. 3 ist gegenüber Abs. 1 subsidiär, tritt also in seiner Anwendbarkeit zurück. Zur Erläuterung dient folgendes Beispiel: Der wegen Krankheit arbeitsunfähige Arbeitnehmer wird bereits nach § 275 Abs. 1 von seiner Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung frei, und zwar sogar dann, wenn er die Erkrankung verschuldet hat. 17

Pahndt-Heinricbs (Fn. 8), § 275 Rn. 30; Jauemig-Vollkommer (Fn. 8), § 275 Rn. 30. Däubler Ν ZA 2001, 1331, 1332; Palandt-Heinrichs (Fn. 8), § 275 Rn. 30; a.A. Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106. 16 17

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c. Anwendung im Arbeitsrecht Im Arbeitsrecht ist die personale Unmöglichkeit des Öfteren anzutreffen. § 275 Abs. 3 gewährt dem Schuldner auch dann ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn gesundheitliche Gefährdungen am Arbeitsplatz wegen Nichterfüllung von Arbeitgeberpflichten nach § 61818 vorliegen, z.B. wenn der Arbeitgeber asbesthaltige Büroräume vorhält oder keine Schutzkleidung bei Erbringung von Arbeitsleistungen in Tiefkühlräumen zur Verfügung stellt.19 Hierbei sind sämtliche, genauer: die relevanten Einzelfallumstände in den Abwägungsprozess einzustellen, namentlich die Regelungen des Arbeits- und des Tarifvertrages sowie etwaige Betriebsvereinbarungen. d. Der Leistung entgegenstehendes „Hindernis" Das „Hindernis" muss den persönlich zu bewirkenden Leistungsteil erfassen, nur dann ist § 275 Abs. 3 anwendbar, andernfalls bleibt es bei Abs. 2. Der Terminus trifft nicht alle hier zu behandelnden Fälle. Zwar geht es um „Hindernisse" im tatsächlichen, daneben aber auch im moralischen bzw. ideellen, gleichsam „übertragenen" Sinn. Für den Schuldner müssen gravierende negative Folgen greifbar sein; sie können materielle wie immaterielle Ausprägungen aufweisen. 20 e. Komplexer Abwägungsprozess Die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung erfordert in Anbetracht des detaillierten Abwägungsprozesses und der dabei zu berücksichtigenden hohen Anforderungen gewichtige Umstände in der Schuldnersphäre. Erweist sich das Gläubigerinteresse speziell an der Leistung des Schuldners als wichtig, bleibt letzterer noch zur Leistung verpflichtet, die er bei einem geringer zu bewertenden Gläubigerinteresse als unzumutbar verweigern könnte. Unter Zugrundelegung eines strengen Maßstabs bei Feststellung der Unzumutbarkeit muss sie sich bei der Leistungserbringung als den Schuldner in hohem Maß belastend darstellen, 21 gleichsam für ihn ein grobes Missverhältnis und einen Verstoß gegen Treu und Glauben bedeuten. Die Verwendung verschiedener unbestimmter Rechtsbegriffe und Vornahme einer Abwägung lassen einen komplexen Wertungsakt im Einzelfall zu. Der Ausnahmefall ist bei der Rechtsanwendung stets herauszuarbeiten und zu begründen. Henssler/Mutkers ZGS 2002, 219; Palcmdt-Heinrichs (Fn. 8), § 275 Rn. 30. BAG BB 1998, 2527; BAG NJW 1999, 162; NJW 1996, 3028; Jauernig-Schlechtriem (Fn. 8), §§ 618, 619 Rn. 2; Wellenhofer-Klein RdA 2003, 155; Schillo-BehlingOB 1997, 2022; Möllers NJW 1996, 1050; Palandt-Putzo (Fn. 8), § 618 Rn. 4. m MK-Ernst (Fn. 7), § 275 Rn. 115. 21 So MK-£ÍTZJÍ (Fn. 7 ) , § 2 7 5 Rn. 1 1 6 ; ähnlich Dauner-Lieb (Fn. 8 ) , S. 111. 18 19

Personale" Unmöglichkeit 3. Rechtsfolgen

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von § 275 Abs. 3 BGB

a. Leistungsverweigerungsrecht Beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 275 Abs. 3 kann der Schuldner die Leistung verweigern, sog. Leistungsverweigerungsrecht. Dieses ist als Einrede ausgestaltet, muss mithin vom Schuldner im jeweiligen Einzelfall ausdrücklich erhoben werden. Er wird nicht kraft Gesetzes von der Leistungserbringung befreit wie in Abs. 1 niedergelegt, sondern nur dann, wenn er sich in privatautonomer Entscheidung darauf beruft. 22 In der „Rennfahrer-Realität" des „Formel-Eins-Zirkus" ist der mehrmalige Formel-Eins-Weltmeister gestartet und als Sieger durch das Ziel gefahren, und zwar trotz des unmittelbar zuvor zu beklagenden Todesfalles im engsten Familienkreis. b. Wirksamkeit des Vertrages Beim gegenseitigen Vertrag steht es der Wirksamkeit eines Vertrages nicht entgegen, dass der Schuldner nach § 275 Abs. 1-3 nicht zu leisten braucht und das Leistungshindernis schon bei Vertragsschluss vorliegt, § 311 a Abs. 1. Der Arbeits-, Dienst-, Werk- und entgeltliche Geschäftsbesorgungsvertrag bleiben mithin wirksam. c. Gegenleistungsanspruch Wird der Schuldner gemäß § 275 Abs. 3 von seiner Leistungspflicht frei, entfällt regelmäßig sein Anspruch auf die Gegenleistung, § 326 Abs. 1. Daraus folgt des weiteren: §§ 275, 326 sind zugleich Gefahrtragungsregeln; nach § 275 trägt der Gläubiger die Leistungsgefahr, der Schuldner die Gegenleistungs- bzw. die Preisgefahr. 23 Das Entfallen der Gegenleistung kann im Arbeitsrecht anders sein, falls der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls gemäß § 615 S. 3 trägt; in dieser Norm konkretisiert der Gesetzgeber die Betriebsrisikolehre und gewährt dem Arbeitnehmer in derartigen Fällen gleichwohl den Anspruch auf Vergütung, § 615 S. 3, und zwar dann, wenn dem Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls zufällt. 24 Der Arbeitgeber hat dieses Wirtschafts- bzw. Betriebsrisiko stets dann zu tragen, wenn die Ursache für den Arbeitsausfall in seiner Verantwortungssphäre und seinem Einflussbereich liegt. Dazu zählen unter anderem unter Anknüpfung an räumliche Vorstellungen: Aus22 Dauner-Lieb (Fn. 8), S. 110; MK-Ernst (Fn. 7), § 275 Rn. 96ff., 119; Palandt-Heinrichs (Fn. 8), § 275 Rn. 32; Jauemig-Vollkommer{Fn. 8), § 275 Rn. 32. 23 Palandt-Heinrichs (Fn. 8), § 275 Rn. 33; Jauemig-Vollkommer (Fn. 8), § 275 Rn. 35. 24 Palandt-Heinrichs (Fn. 8), § 275 Rn. 30; Jauermg-Schlechtnem (Fn. 8), § 615 Rn. 9 f.

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fall von Betriebs- und Hilfsstoffen wie Strom, Heizung, Arbeitsmaterial und Maschinen, Brand der Arbeitsstätte, Explosion, Unmöglichkeit der Arbeit in Folge der Witterung am Arbeitsplatz, behördliches Betriebsverbot, grundsätzlicher Auftragsmangel und - wirtschaftlich hervorgerufene - Absatzschwierigkeiten. 25 Immer dann, wenn beispielsweise - um im Formel-EinsRennbeispiel zu bleiben - die Rennstrecke und/oder das Rennfahrzeug nicht bzw. nicht fahrtauglich zur Verfügung stehen, behält der ArbeitnehmerRennfahrer seinen Vergütungsanspruch, obwohl er nicht zur Dienst- bzw. Fahrleistung verpflichtet ist. Er muss auch nicht nachleisten. An derartige Überlegungen zur Risikobereichseinteilung und -Zuweisung knüpfen Gesetzgeber, Rechtsprechung und Rechtslehre hinsichtlich Risikoüberlegungen zunehmend an. Aktuelle Überlegungen zu Risikobereichseinteilungen und -Zuweisungen verwendet der moderne Gesetzgeber; auch die Literatur benutzt derartige Gedanken. 26 Sie finden nicht nur im Arbeitsrecht Berücksichtigung, sondern treten auch auf als ausdrückliche Risikoverteilung bei der Vermietung von Gewerbeflächen und insbesondere in Einkaufszentren bzw. Shoppingcentern. 27 d. Nichterfüllung als Pflichtverletzung Der Anspruch auf die Erfüllung der Leistungspflicht des Schuldners ist auch dann ausgeschlossen, wenn er die personale Unmöglichkeit zu vertreten hat. In diesem Fall stellt die Nichterfüllung eine Pflichtverletzung i.S.v. § 280 Abs. 1 dar, welche ihn unter Berücksichtigung von § 275 Abs. 2 S. 2 gem. §§ 280, 283 oder - beim gegenseitigen Vertrag - § 311 a zum Schadensersatz verpflichtet. 28 4.

Zwischenergebnis

Aufgrund vorstehender Ausführungen können Sinn und Zweck von § 275 Abs. 3 wie folgt festgehalten werden: Mit dieser Norm berücksichtigt das SMG die „individuelle Betroffenheit" 29 des Schuldners. Anders als in Abs. 1 und Abs. 2 mit der tatsächlichen und praktischen Unmöglichkeit als einem 2 5 Bspw. BAG NJW 1972, 342; Ν ZA 1991, 67; Richardi NJW 198^ 1231, 1235; Ehmann NJW 1987, 401 ; PaUndt-Putzo (Fn. 8), § 615 Rn. 21, 21a. 26 Joachim BB 1988, 119; den. GuT 2003, 166; ders. GuT 2004, 147; ders. GuT 2005, 99 und 135; ders. Dach und Fach - Klarheit oder Krach?!, in: £/ BGH NJW 2006, 47 (51). 61 BGH NJW 2006, 47 (51). 62 Hierzu im Einzelnen: Produkthaftungshandbuch/Foerste, 2. Aufl. 1997, § 25, Rn. 39ff. 63 Produkthaftungshandbuch/Foerste (Fn. 62) § 25, Rn. 109ff. 64 Produkthaftungshandbuch/Foerste (Fn. 62) § 25, Rn. 109. 65 Hierzu Christensen Verkehrspflichten in arbeitsteiligem Prozess, 1995, S. 81 ff.; S. 123 ff.

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„Vorlieferanten" in der Weise vorzunehmen, dass dieser als technisch kompetent und zuverlässig eingeordnet wird, weil er verantwortungsbewusst geleitet und auch so organisiert ist. 66 Folglich treffen den Assembler umfassende Sicherungspflichten. 67 Diese gelten auch im Bereich der „horizontalen" Arbeitsteilung, weil der Verkehr mit Recht darauf vertraut und auch darauf vertrauen darf, dass der Hersteller dafür Sorge trägt, dass keine unnötig gefährlichen Produkte in den Verkehr gebracht werden. Daraus folgt, dass der Besteller - jedenfalls in seiner Funktion als Assembler/ Gesamthersteller - ein vitales Interesse daran hat, dass die von seinem Lieferanten eingeschalteten „Vorlieferanten" technisch kompetent, zuverlässig und auch - bezogen auf den jeweils letzten Stand von Wissenschaft und Technik - hinreichend organisiert sind. 68 bb) Argumentation nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 lit. c G P S G Unterstrichen wird diese Argumentationskette auch durch die Erwägung, die mit § 5 Abs. 1 Nr. 1 lit. c GPSG verbunden ist. Danach ist der Hersteller, aber auch der „Einführer eines Verbrauchsproduktes" verpflichtet, beim InVerkehr-Bringen Vorkehrungen zu treffen, „die den Eigenschaften des von ihnen in den Verkehr gebrachten Verbraucherprodukts angemessen sind, damit sie imstande sind, zur Vermeidung von Gefahren geeignete Maßnahmen zu veranlassen, bis hin zur Rücknahme des Verbrauchsprodukts, der angemessenen und wirksamen Warnung und dem Rückruf". Folglich muß wohl der Hersteller, aber auch der „Einführer eines Verbraucherprodukts" 69 die entsprechenden Vorkehrungen treffen, um sicherzustellen, das erforderliche Warn- und Rückrufaktionen unverzüglich durchgeführt werden können, weil nur so der Verbraucherschutz gewährleistet wird. Zwar kann man das Argument des BGH, es komme auf eine vertragliche Vereinbarung betreffend den „Produktionsort" an, mit der Erwägung verteidigen: Nur dann, wenn die Parteien eines Liefervertrages Einvernehmen über den „Produktionsort" erzielt haben, an dem der „Vorlieferant" tätig werden darf, dann ist auch im Sinn von § 5 Abs. 1 Nr. 1 lit. c GPSG eine hinreichende Absicherung zugunsten des Herstellers/Einführers erreicht. Doch so ist die Argumentationskette des B G H offensichtlich nicht gemeint. Die

« OLG Köln NJW-RR 1990, 414 f. - Kohlebürsten. 67 Produkthaftungshandbuch/Foerste (Fn. 62) § 25, Rn. 48. 68 Im einzelnen: Produkthaftungshandbuch/Foerste (Fn. 62) § 24, Rn. 147ff. 69 Hierzu die Begriffsbestimmungen § 2 Abs. 12 GPSG - „Einführung einer jeder im Europäischen Wirtschaftsraum niedergelassenen natürlichen oder juristischen Person, die ein Produkt aus einem Drittland in den Europäischen Wirtschaftsraum einführt oder dieses veranlaßt".

Einkaufs-AGB - Eine kritische Analyse der BGH-Judikatur

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vertragliche Vereinbarung betreffend den „Produktionsort" steht nämlich im Kontext des BGH-Urteils im Gegensatz zu der Argumentation der AGBVerwenderin, sie wolle verhindern, dass der Lieferant seine „Produktion in „Billiglohnländer" verlegt. 70 Damit ist aber gleichzeitig klar, dass die rein geografische Argumentation des B G H nicht geeignet ist, die Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 Nr. 1 lit. c GPSG zu erfüllen. Sie ist aber auch, um das aus § 823 Abs. 1 BGB abgeleitete Argument zu Ende zu führen, in gleicher Weise im Kontext der „vertikalen" sowie der „horizontalen" Arbeitsteilung zu begründen. In all diesen Fällen kommt es entscheidend nicht auf den „Produktionsort" an, sondern darauf, dass der vom Lieferanten eingeschaltete „Vorlieferant" die technisch-organisatorischen Voraussetzungen erfüllt, die haftungsrechtlich zu bedenken und auch zu beachten sind. Dies übersieht der BGH. Denn eine „Offenlegung" der Lieferbeziehungen ist gerade im Kontext der Arbeitsteiligkeit deliktsrechtlicher Haftungsregime unerlässlich, um eine entsprechende Kanalisierung der Haftung gegenüber dem „Vorlieferanten" zu erreichen. Mehr noch: Der in dieser Klausel vom eingeschalteten „Vorlieferanten" geforderte Qualifikationsnachweis liegt auch im ureigensten Interesse des Lieferanten. Denn die deliktsrechtliche Delegation der Pflichtenerfüllung im Sinn von § 823 Abs. 1 BGB gelingt - wie bereits angedeutet - dem Lieferanten nur dann, wenn der eingeschaltete „Vorlieferant" technisch kompetent, zuverlässig und hinreichend nach dem Stand von Wissenschaft und Technik organisiert ist. Derartige Qualifikationsnachweise sind im übrigen in allen einschlägigen Qualitätssicherungsvereinbarungen Gang und Gäbe, weil deren Erfüllung - von der Erfüllung weiterer Kontroll- und Prüfpflichten des Assemblers/Herstellers einmal abgesehen - nur so sichergestellt werden kann, dass der Lieferant nicht für Pflichtwidrigkeiten des „Vorlieferanten" deliktsrechtlich gegenüber dem geschädigten Dritten verantwortlich ist. Daraus folgt gleichzeitig, dass darin in keiner Weise eine unangemessene Benachteiligung des Lieferanten im Sinn von § 307 Abs. 1 BGB erblickt werden kann. cc) AGB-Verwender als Händler Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass es sich bei der vom BGH entschiedenen Konstellation wohl um eine Händlerin als AGB-Verwenderin gehandelt hat, ergeben sich keine grundsätzlichen Abweichungen. Zum einen ist darauf aufmerksam zu machen, dass auch der Händler gem. § 5 Abs. 3 GPSG verpflichtet ist, keine Verbraucherprodukte in den Verkehr zu bringen, von denen er „weiß oder anhand der ihm vorliegenden Information oder seiner Erfahrung wissen muß, dass dieses Produkt geeignet ist, die Sicherheit und Gesundheit der Verwender, Dritter oder sonstiger Personen zu 7

° BGH NJW 2006, 47 (51).

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gefährden. Nichts anderes gilt im Kontext des § 823 Abs. 1 BGB, zumal hier anerkannt ist, dass erweiterte Prüf-, Warn- oder Beobachtungspflichten dem Vertriebshändler obliegen, wenn besondere Umstände gegeben sind.71 Soweit aber die AGB-Verwenderin Händlerin ist, bleibt im Rahmen der gebotenen generell-abstrakten Kontrolle von AGB-Klauseln stets auch zu bedenken, dass sie die - erweiterten - Pflichten als Importeur/Einführerin in den EWR treffen können. Im Hinblick auf die Pflicht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 c GPSG ist dieser Gesichtspunkt bereits kurz apostrophiert worden. Auf die besondere Haftung des Importeurs gem. § 4 Abs. 2 ProdhaftG sei zusätzlich verwiesen, weil danach eine umfassende gesetzliche Haftung gem. § 1 ProdhaftG auch für die Körper- und Sachschäden gilt, die ein außerhalb des EWR tätiger Lieferant bzw. ein „Vorlieferant" verursacht hat. Daher ist auch aus diesem Gesichtswinkel nicht zu erkennen, dass eine unangemessene Benachteiligung im Sinn von § 307 Abs. 1 BGB eingreift, sofern der Besteller/ AGB-Verwender von den „Vorlieferanten" seiner Lieferanten entsprechende Qualitätsnachweise einfordert. Daher bleibt die Frage, ob denn die Unbedenklichkeit dieser Klausel auch insoweit gilt, als sie vorsieht, der Lieferant sei verpflichtet, die Einschaltung eines bestimmten „Vorlieferanten" sich „genehmigen zu lassen". Entgegen der Auffassung des BGH ist auch dieses Kriterium unkritisch. Denn es reicht im Kontext der deliktsrechtlichen Arbeitsteilung sicherlich nicht aus, wenn die technisch-sachliche Einbindung zwischen Lieferant und „Vorlieferant" lediglich tatsächlich-praktisch vollzogen, nicht aber darauf vom Lieferanten überprüft wird, ob sie den erforderlichen Qualitätsanforderungen entspricht, weil nur so die Qualitätsfähigkeit gewährleistet werden kann, 72 zumal gerade auch insoweit weitreichende Uberwachungs- und Kontrollpflichten geschuldet werden. 73 Dass im übrigen die Klausel die Genehmigung des geschuldeten Qualitätsstandards nicht auf der Ebene „Vorlieferant" belässt, sondern sich quasi in Form eines Genehmigungsvorbehalts „einmischt", ist dann jedenfalls ganz und gar unbedenklich, wenn die Bestellerin/ AGB-Verwenderin in ihrer Funktion als Herstellerin des Gesamtprodukts auftritt. Denn dadurch wird die Qualitätssicherung zugunsten des Verbrauchers gesteigert und die Haftungskonzentration auf den „Vorlieferanten" als Verursacher des Produktfehlers erhöht. Die Klausel ist aber auch dann nach § 307 Abs. 1 BGB nicht zu beanstanden, wenn sie lediglich die Funktion der Händlerin oder die des EWR-Importeurs/Einführers übernimmt. Denn die Qualitätssicherung eines ganz oder teilweise fremd hergestellten Produkts liegt im Sinn aller Parteien, die am Prozeß der Warenher71 BGH VersR I960, 855 - Kondenstopf; BGH VersR 1977, 839, 840 - Autokran; BGH NJW 1980 1219f. - Klapprad; BGH ZIP 1994, 214 - Gewindeschneidemittel I; BGH NJW-RR 1995, 342, 343 - Gewindeschneidemittel II. 71 Im einzelnen: Produkthaftungshandbuch/Foerste (Fn. 62) § 25 Rdr. 57ff. 7> Produkthaftungshandbuch/Foerste (Fn. 62) § 25 Rn. 48ff.; § 25 Rn. 118.

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Stellung und des -Vertriebs beteiligt sind. Deshalb ist das von der Bestellerin/ AGB-Verwenderin hier formularmäßig veranlasste „Einmischen" keineswegs eine Ingerenz, sondern im Rahmen der üblichen Qualitätssicherungsvereinbarungen, die ja verbraucherschützende Funktionen entfalten, legitimiert.

III. Zusammenfassung Die hier geäußerte Kritik an der BGH-Judikatur mag darin begründet liegen, dass der B G H sich, wie eingangs gesagt, nur sehr selten - im Vergleich zu Verkaufs-AGB - mit Einkaufs-AGB und deren Besonderheiten befassen muß. Denn die hier behandelten Urteile lassen erkennen, dass der B G H teilweise der Marktmacht des Bestellers/AGB-Verwenders zu sehr Tribut zollt, 7 4 so dass damit die berechtigten, gleichrangigen Interessen des Lieferanten beeinträchtigt werden. Auf der anderen Seite läßt insbesondere das Urteil des B G H vom 5. 10. 2005 7 5 erkennen, dass der B G H teilweise eine zu strenge Kontrolle gem. § 307 BGB anwendet. Sie erweist sich vor allem im Bereich der Rechtsmängelhaftung sowie der Produkthaftung als nicht praxisgerecht und sollte daher revidiert werden.

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BGH NJW-RR 2001, 484. BGH NJW 2006, 47

Zur Reform des Kreditsicherungsrechts - Der U N C I T R A L Legislative Guide on Secured Transactions und das nationale Recht WOLFGANG

WIEGAND

Die Freundschaft mit Norbert Horn begann vor genau vierzig Jahren, als wir uns am Rechtshistorikertag 1966 in Basel das erste Mal begegneten. Damals fast ausschliesslich Rechtshistoriker, die wir zwar geblieben sind, dachten wir kaum daran, dass wir uns später im Bereich des Wirtschafts- und Bankrechts wieder treffen würden. Gerade in diesem Gebiet haben wir jedoch in den letzten zwanzig Jahren eng zusammengearbeitet, wobei der Jubilar durch seine wiederholte Mitwirkung am Berner Bankrechtstag maßgeblich dazu beigetragen hat, diesen in der Fachwelt zu etablieren. Deshalb drängt es sich geradezu auf, ihm in seiner Festschrift einen Beitrag aus diesem Gebiet zu widmen. Das Recht der Kreditsicherheiten bietet sich gleich aus mehreren Gründen dafür an: Zum einen hat Norbert Horn sich in zahlreichen seiner zahllosen Publikationen damit beschäftigt, zum anderen ist das Kreditsicherungsrecht weltweit in Bewegung geraten, womit zugleich ein weiterer Aspekt angesprochen ist: die Internationalität der Betrachtungs- und Arbeitsweise des Jubilars, die ihrerseits wiederum die Frage nach dem Verhältnis zu den nationalen Rechtsordnungen aufwirft. Im Folgenden sollen deshalb zunächst die Gründe für die angestrebten Reformen der Kreditsicherung erläutert und die Situation in den deutschsprachigen Ländern analysiert werden. Sodann wird der UNCITRAL Guide und das ihm zu Grunde liegende Modell vorgestellt. Den Abschluss bilden Überlegungen zur Umsetzung dieses Konzeptes in den nationalen Rechten.

I. Ausgangslage Das Leitmotiv aller Reformbestrebungen ist die Erleichterung des Zugangs zu Krediten, das schlagwortartig in dem Postulat „more credit at lower rates" zusammengefasst wird. Dieses Postulat wird in vielfältigen Zusammenhängen verwendet und hat nicht immer die gleiche Stoßrichtung.

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So ist etwa das unter dem verkürzenden Begriff „Basel II" 1 vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht entwickelte neue Konzept 2 der Risikobewertung und der daran orientierten Kreditvergabe unter anderem damit begründet worden, dass dadurch im Ergebnis der Zugang zum Kredit für die kreditwürdigen Kunden erleichtert werde. Es mag dahinstehen inwieweit dies zutrifft, 3 jedenfalls handelt es sich nicht um eine eigentliche Reform des Kreditsicherungsrechts, um die es im Folgenden geht. Dabei soll das Kreditvolumen vergrößert, der Kredit verbilligt und der Zugang durch Veränderungen erleichtert werden, die einander wechselseitig bedingen: Unnötige Restriktionen wie sie etwa das Faustpfandprinzip mit sich bringt, sollen beseitigt, die Begründung von Sicherungsrechten soll vereinfacht und vereinheitlicht, die Publizität und zugleich die Rechtssicherheit erhöht werden. Auslöser dieser Bestrebungen ist zumeist der Umstand, dass das jeweils eigene System der Kreditsicherung als unzulänglich und in doppelter Hinsicht als ineffizient empfunden wird: Zum einen werden die Kreditresourcen nicht ausgeschöpft, zum anderen verursacht die Begründung und die Realisierung der Sicherheiten (zu) hohe Transaktionskosten. 4 Um die Reformbestrebungen und insbesondere das UNCITRAL Projekt und seine möglichen Wirkungen, aber auch die damit verbundenen Probleme beschreiben zu können, ist es erforderlich, diese Unzulänglichkeiten und ihre Gründe zu erläutern. Dabei beschränke ich mich auf die Situation in der Schweiz, in Deutschland und Osterreich, weil deren Rechtsordnungen einerseits eine gemeinsame zivilistische Basis haben, sich aber andrerseits auf geradezu exemplarische Weise voneinander unterscheiden. 5 Eine zweite Beschränkung liegt auf der Hand und ist deshalb bisher nicht besonders hervorgeho' Die offizielle Bezeichnung lautet: Basel II: International Convergence of Capital Measurement and Capital Standards: a Revised Framework. Abrufbar in jeweils aktualisierter Fassung auf der Homepage der Bank for International Settlement (www.bis.org). 2 Summarisch kann hier verwiesen werden auf die Beiträge in: Basel II - die rechtlichen Konsequenzen, Berner Bankrechtstag Bd. 12, (Hrg. Wiegand} Bern 2006 und die Beiträge in Band 24 der Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Internes und externes Rating. Aktuelle Entwicklungen im Recht der Kreditsicherheiten- national und international (Hrg. Hadding/Hopt/Schimansky) Berlin 2005. 3 Aus der Sicht der Kreditnehmer erschien dies vielen zweifelhaft; insbes. Verbände der KMU befürchteten eine Benachteiligung auf Grund der neuen Risikobemessungsmechanismen. Inzwischen sind diese Bedenken jedoch weitgehend ausgeräumt worden. 4 Auf die ökonomische Literatur kann in dem hier vorgegebenen engen Rahmen, abgesehen von vereinzelten Hinweisen, nicht eingegangen werden. Auf die ökonomischen Aspekte und Effekte wird im jeweils relevanten Zusammenhang zurückzukommen sein. 5 Eine umfassende Darstellung des Rechts der Kreditsicherheiten und der internationalprivatrechtlichen Behandlung in den wichtigsten westlichen Industrieländern (USA, England, Deutschland, Italien, Frankreich) sowie der Schweiz findet sich in der grundlegenden Untersuchung von Barbara Graham-Siegenthaler Kreditsicherungsrechte im internationalen Rechtsverkehr, Berner Bankrechtliche Abhandlungen, Band 13 (Hrg. Wiegand) Bern 2005; auf diese Arbeit wird generell verwiesen und später im Einzelnen eingegangen.

Z u r Reform des Kreditsicherungsrechts

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ben worden: Im Folgenden geht es nur um die Mobiliarsicherheiten, denen auch nahezu alle derzeitigen Reformvorhaben gelten. Nicht einbezogen werden die Grundpfandrechte, die einer Internationalisierung und Vereinheitlichung aus vielfältigen, nicht zuletzt historischen Gründen nur schwer zugänglich sind. Hier gilt noch heute was Munzinger, der Verfasser des Schweizerischen Obligationenrechts von 1881, gesagt hat: „Nun gehört aber der eine Theil des Volkslebens mit seinen Wurzeln dem heimischen engen Boden an; diese Wurzeln sind konservative Anhänglichkeit zum heimatlichen Grund und Boden und zur Familie. Es ist das mehr individuelle Element, das in seiner Stabilität und Zähigkeit kräftig und wirksam ist, die wahre Quelle der Widerstandskraft und damit auch unserer Freiheit. Damit hangen das Personenrecht, das Familien- und Erbrecht, das Eherecht und die Rechte am Grundeigentum zusammen und es entspricht deshalb auch der inneren Natur dieser Rechtsverhältnisse, wenn sie in dem engern Kreise der Kantone oder Landschaften regulirt und allmählig aus sich heraus entwickelt werden". 6 Dem stellt er das „Verkehrsrecht" gegenüber, dessen nationale und internationale Vereinheitlichung er anstrebte. Zu diesem Verkehrsrecht zählte er die Kreditsicherung durch Verpfändung von beweglichen Sachen und Rechten, die deshalb als Teile des Obligationenrechts geregelt werden sollten. 7 Auf diesen bis heute für die Internationalisierung wichtigen Aspekt wird zurückzukommen sein.

II. Bestandsaufnahme und Analyse 1. Die Schweiz a) Konzeption des Gesetzes Die Unausgewogenheit und Unzulänglichkeit des Systems der Mobiliarsicherheiten ist seit langem bekannt, vielfach beschrieben und beklagt worden. 8 Sie beruht auf Einstellungen und Einschätzungen, die am Ende des 19. Jahrhunderts - nicht nur in der Schweiz9 - zu Fehlentscheidungen des

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Motive zu dem Entwürfe eines Schweizerischen Handelsrechts (Bern 1865), 14. Dazu und zum Begriff des Verkehrsrechts Wienand Sachenrecht im Obligationenrecht, in Das Obligationenrecht 1883-1993 (Hrg. Carom Bern 1984) 107 ff. 8 Umfassende Zusammenstellung und Beschreibung bei Berger Registrierung von Mobiliarsicherheiten- Vorschläge zur Reform des Kreditsicherungsrechts, ZBernJV 2002, 197 ff; seither G. Walter Sicherungsrechte heute - Probleme und Lösungsansätze, in Festschrift für Heinz Rey (Hrg. Honseil Zürich 2003) 141 ff. 9 Zur Parallele in Deutschland, die jedoch ein umgekehrtes Resultat bewirkte, unten B. 7

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Gesetzgebers geführt haben.10 Das Postulat der Publizität aller Sicherungsrechte wurde kategorisch befolgt, einerseits durch die Einführung eines Eigentumsvorbehaltsregisters, zum andern durch uneingeschränkte Umsetzung des Faustpfandprinzips, das dann in einem zweiten Schritt durch eine „flankierende Massnahme", den Art. 717 ZGB, abgesichert wurde. Beide Entscheidungen des Gesetzgebers sollten sich als unglückselig erweisen, allerdings aus völlig verschiedenen Gründen. Mit dem Eigentumsvorbehaltsregister11 sollte die nach Ubergabe der Kaufsache entfallende Publizität der Zuordnung sichtbar gemacht werden. Diese im Ansatz bis heute überzeugende Konzeption war jedoch durch die missglückte rechtstechnische Umsetzung von vornherein zum Scheitern verurteilt. Der grundlegende Mangel bestand und besteht darin, dass das Register seinen eigendichen Zweck weitgehend verfehlt, und zwar aus folgenden Gründen: Die Eintragung erfolgt im Gerichtsbezirk, in dem der Schuldner seinen Wohnsitz hat und verliert ihre Wirkung,12 wenn er in einen anderen Gerichtsbezirk zieht, wo sie erneuert werden muss. Diese Lösung ist mit hohem Aufwand und großer Unsicherheit verbunden, die noch dadurch erhöht wird, dass über den Zeitpunkt und die Wirkung der Eintragung dem Gesetzestext nichts zu entnehmen ist. Infolgedessen sind darüber dogmatischkonstruktive Kontroversen entstanden, die jedoch erhebliche praktische Konsequenzen haben. So war lange Zeit streitig, ob der vereinbarte Eigentumsvorbehalt auch noch nach (!) Konkurseröffnung13 eingetragen werden könne, und es ist bis heute streitig, ob der Eigentumsvorbehalt aufschiebend oder auflösend bedingt, die Eintragung deklaratorisch oder konstitutiv14 sei. Dies alles hat bewirkt, dass der Eigentumsvorbehalt als Kreditsicherungsmittel für den Verkäufer weitgehend unbrauchbar ist. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass er in der Praxis ein Mauerblümchendasein fristet. Während es sich beim Eigentumsvorbehalt nur um eine im Gesetz angelegte Fehlentwicklung handelt, waren die Konsequenzen des Art. 717 ZGB weitaus gravierender. Mit dieser Bestimmung sollten Umgehungen des Faustpfandprinzips ausgeschlossen werden;15 sie lautet: 10 Zum Folgenden mit weiterführenden Nachweisen Wiegand Eigentumsvorbehalt, Sicherungsübereignung und Fahrnispfand, in Berner Bankrechtag, Band 5 (Hrg. Wiegand Bern 1998) 75, 81 ff. 11 Art. 715 ZGB: „Der Vorbehalt des Eigentums an einer dem Erwerber übertragenen beweglichen Sache ist nur dann wirksam, wenn er an dessen jeweiligem Wohnort in einem vom Betreibungsbeamten zu führenden öffentlichen Register eingetragen ist". 12 Ursprünglich sofort, heute nach Ablauf einer Dreimonatsfrist. 13 Die Rechtsprechung hat erst relative spät einem solchen Eintrag die Wirkung im laufenden Konkursverfahren versagt (BGE 93 [1967] 96, 105). 14 Zu den Einzelheiten der damit verbundenen dogmatischen Kontroversen Wiegand (Fn. 10) 85 ff. 15 Zur Entstehungsgeschichte Wiegand Fiduziarische Sicherungsgeschäfte, ZBernJV 1980, 537, 545 ff, dort auch zu der im Folgenden beschriebenen Interpretation.

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„(1) Bleibt die Sache infolge eines besondern Rechtsverhältnisses beim Veräusserer, so ist der Eigentumsübergang Dritten gegenüber unwirksam, wenn damit ihre Benachteiligung oder eine Umgehung der Bestimmungen über das Faustpfand beabsichtigt worden ist. (2) Das Gericht entscheidet hierüber nach seinem Ermessen". Die Gerichte haben von dem ihm durch den Gesetzgeber eingeräumten Ermessen in der Weise Gebrauch gemacht, dass sie jede durch Besitzkonstitut vorgenommene Ubereignung, die der Sicherung einer Forderung diente, unter die Vorschrift subsumiert haben, ohne die subjektiven Voraussetzungen im konkreten Fall zu prüfen. Der Tatbestand wurde objektiviert und Benachteiligung und Umgehung zu einem Tatbestandsmerkmal verschmolzen, aus dessen Vorliegen sich die entsprechende Absicht der Parteien gewissermassen von selbst ergibt. Damit war die Sicherungsübereignung durch Besitzkonstitut - die für die Praxis wichtigste Form - als Kreditsicherungsmittel ausgeschieden. Für die schweizerische Wirtschaft hatte dies fatale Folgen; denn insbesondere Gewerbetreibende und die kleineren Unternehmen wurden dadurch, sofern sie nicht auf Grundpfandkredit zurückgreifen konnten, ihrer wesentlichen Kreditsubstrate beraubt. 16 Besonders drastisch sichtbar wurde das in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als die Immobilien- und die dadurch ausgelöste Bankenkrise bei den KMU eine echte Finanznot verursachte. b) Folgen und Folgerungen Die Praxis hat versucht, die Konsequenzen abzumildern, indem sie - von der Rechtsprechung gebilligt - teilweise abenteuerlich anmutende Hilfskonstruktionen 17 entwickelte und in großzügiger Weise von der Sicherungszession18 Gebrauch machte. Das ändert indessen nichts daran, dass auf Grund des hier nur grob skizzierten Befundes die Literatur nahezu einhellig eine Reform des Rechts der Mobiliarsicherheiten fordert. 19 Im Hinblick darauf und insbesondere den später näher zu besprechenden U N C I T R A L Guide ist es jedoch wichtig, einige Aspekte festzuhalten: Nicht das dem Eigentumsvorbehaltsregister zu Grunde liegende Konzept ist gescheitert, sondern dessen verfehlte Umsetzung. Dies zeigt, welch zentrale Bedeutung der Umsetzung eines an sich als richtig erkannten Konzeptes zukommt, was am Ende näher zu erläutern sein wird. Weiter basieren sowohl das richtig verstandene Eindrücklich geschildert bei Berger; vgl. auch G. Walter (beide Fn. 8). Etwa die dogmatisch absurde „Abtretung des Eigentumsvorbehalts". 18 Zusammenfasssende Darstellung bei H. P. Walter Die Sicherungszession im schweizerischen Recht, in Berner Bankrechtstag Band 5 (Fn. 10) 43 ff. 19 Außer den in Fn. 8 Genannten Antoine Eigenmann L'effectivité des sûretés mobilières, Fribourg 2001 und besonders eindringlich Graham-Siegenthaler (Fn- 5) 724ff. 16

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Eigentumsvorbehaltsregister20 wie auch der Art. 717 ZGB auf einem dogmatischen Ansatz, der für die Kreditsicherung, genauer für deren Reform, von zentraler Bedeutung ist: der relativen Wirksam- bzw. Unwirksamkeit. Die Verankerung dieses Konzepts im bestehenden Recht der Kreditsicherheiten wird sich bei einer eventuellen Umsetzung des U N C I T R A L Guide's als vorteilhaft erweisen.21 2. Deutschland a) Die Konzeption des Gesetzes Schon während des Gesetzgebungsverfahrens konnte keine Einigkeit über das Modell der Kreditsicherung erzielt werden, was zur Folge hatte, dass dem BGB im Grunde kein Konzept der Mobiliarsicherheiten zu Grunde liegt.22 Das hatte weitreichende Konsequenzen: 23 Die Debatte über die Reform der Kreditsicherheiten begann unmittelbar nach Inkrafttreten des BGB und hat - wenngleich mit gewissen Schwankungen in der Intensität - nie eine Ende gefunden. 24 Die Praxis hat die durch die fehlenden Restriktionen im Gesetz eröffneten „Spielräume" in vollem Umfang ausgenutzt. Da das BGB zwar dem Faustpfandprinzip folgt, jedoch von „flankierenden Massnahmen" wie dem Art. 717 ZGB abgesehen hat, ist das Pfandrecht an beweglichen Sachen rasch durch die Sicherungsübereignung verdrängt worden. Der Gesetzgeber hat diese Möglichkeit - entgegen lange Zeit verbreiteter Ansicht - gesehen und zumindest stillschweigend in Kauf genommen, 25 wenngleich man wohl keine Vorstellung vom Ausmaß hatte, das diese Verlagerung annehmen würde. 26 Noch viel weniger ahnen konnte der Gesetzgeber, welche Konsequenzen die Zulassung der formlosen Vereinbarung des Eigentumsvorbehalts haben würde. Zum einen wurde der Eigentumsvorbehalt zur fast obligatorischen Begleiterscheinung alltäglicher Geschäfte, zum andern wurde er in immer neuen Varianten „erweitert" und „verlängert". Aus diesen beiden Möglichkeiten, der Sicherungsübereignung durch Besitzkonstitut und dem formfrei zu vereinbarenden Eigentumsvorbehalt, entstand eine große Masse nicht erkennbarer Sicherungsrechte.

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Dazu mit eingehender Begründung Wiegand (Fn. 10) 85 ff. Dazu unten IV. 22 Dazu eingehend Hromadka Die Entwicklung des Faustpfandprinzips im 18. und 19. Jahrhundert (1971) 133 ff. 23 Vgl. z u m folgenden insgesamt Staudinger/ Wiegand (2004) Anh. zu §§ 929 ff Ν 6 ff. 24 Dazu mit Nachweisen Staudinger/ Wiegand (Fn. 23) Ν 34ff. 25 Hromadka (Fn. 22) 144 ff; Gaul Lex commissoria u n d Sicherungsübereignung, AcP 168, 352, 357 ff. 26 Staudinger/ Wiegand (2002) Vorbem 1 zu §§ 1204. 21

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b) Entwicklung und Analyse Völlig außer Kontrolle ist das System durch die Entwicklung in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg geraten. Dies hat seine ökonomischen Ursachen in der besondern Kapitalknappheit und der ihr korrespondierenden Suche nach Sicherungsmitteln. Das veranlasste die Praxis zu Verknüpfungen von Sicherungsübereignung, Eigentumsvorbehalt kombiniert mit einem Zugriff auf die Surrogate durch Verarbeitungsklauseln und Vorauszessionen.27 Diese „Hypertrophie der Sicherungsrechte" (Hanisch) führte notwendigerweise zu Kollisionen, die die Durchsetzung von Kreditsicherheiten in ökonomisch nicht zu verantwortender Weise erschwert und vielfach unmöglich gemacht hat. Der mit dem Schlagwort „Konkurs des Konkurses" gekennzeichnete Zustand war einer der Gründe für die Insolvenzreform, die gewisse Milderungen in der Vollstreckung mit sich gebracht, aber damit nur Symptome kuriert hat.28 Unberührt blieben die im materiellen Recht angelegten Systemfehler, die neben den pragmatischen, aber oft bedenklichen Lösungen der Praxis29 zu exzessiven und letztlich schädlichen dogmatischen Kontroversen geführt haben, weil sie jedenfalls der Rechtssicherheit und damit der Praktikabilität des Rechts der Mobiliarsicherheiten abträglich sind. Ich verweise nur auf die unter keinem theoretischen Gesichtspunkt haltbare Vertragsbruchtheorie,30 mit der man versucht, auf künstlichem Weg eine Prioritätsordnung zu begründen, für die sich im Gesetz keinerlei Stütze oder auch nur Anhaltspunkte finden. Auch die monströse Ubersicherungsdebatte31 ist letztlich nur vordergründig ein Problem der „richtigen" Rechtsanwendung; in der Sache handelt es sich auch hier um das Resultat eines Systems der Mobiliarsicherheiten, dem immanente Kontrollmechanismen fehlen. Dies zeigt sich schon daran, dass nach „Beendigung" des Streites über die nachträgliche Ubersicherung derjenige über die anfängliche neue Nahrung bekommt.32 Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass in Deutschland nach wie vor ein erheblicher Reformbedarf besteht, da das derzeit praktizierte System hohe Transaktionskosten verursacht und zumindest partiell ineffizient ist.33 27 Umfassende und richtungweisende Darstellung bei Drobnig Empfehlen sich Maßnahmen zur Reform der Mobiliarsicherheiten?, Gutachten zum 51. Deutschen Juristentag (1976) Sektion F; zusammenfassend Darstellung Staudinger/Wiegand (Fn. 23) Ν llff. 28 Einzige Ausnahme bildet das ausdrückliche Verbot des sog. Konzernvorbehalts, nunmehr § 449 Abs. 3 BGB. 2 9 Etwa durch die sog. Poolvereinbarungen, die auch nach Inkrafttreten der Insolvenzreform wegen eines andauernden Bedarfs entgegen den Erwartungen nicht ausgestorben sind, dazu Staudinger/ Wiegand (Fn. 23) Ν 303 ff. 30 Vgl. etwa BGH JZ 1999, 404 mit zumindest partiell kritischer Anmerkung von Kieninger. 31 Zusammenfassung bei Staudinger/ Wiegand (Fn. 23) Ν 154 ff. 32 Dazu Lwowski Anfängliche und nachträgliche Ubersicherung bei Kreditsicherheiten, in Band 24 der Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung (Fn. 2) 107 ff. 33 Vgl. dazu Eidenmüller Internationale Entwicklungen im Recht der Kreditsicherheiten, in Band 24 der Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung (Fn. 2) 117, 154.

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3. Österreich a) Grundlagen Die Kreditsicherungsregeln des österreichischen Rechts weisen teilweise Ubereinstimmung mit dem deutschen, teilweise mit dem schweizerischen Recht auf. Die eigentlichen gesetzlichen Grundlagen, die Vorschriften des ABGB, entstammen einer früheren Schicht der Privatrechtsentwicklung, was etwa dadurch sichtbar wird, dass unter besonderen Voraussetzungen die symbolische Ubergabe zulässig ist. So bestimmt § 452 ABGB: „Bei Verpfändung derjenigen beweglichen Sachen, welche keine körperliche Übergabe zulassen, muss man sich, wie bei der Übertragung von Eigentum (§ 427) solcher Zeichen bedienen, woraus jedermann die Verpfändung leicht erfahren kann" .34 Diese Vorschriften sind in komplexen Prozessen, die hier nicht nachzuzeichnen sind, moderneren Verhältnissen angepasst worden. b) Neuere Entwicklungen So ist der Eigentumsvorbehalt ohne direkte Grundlage im Gesetz 35 entwickelt und unter Verzicht auf jegliches Publizitätsmerkmal anerkannt worden. 36 Allerdings konnten Ausdehnungen und Ausuferungen wie im deutschen Recht weitgehend vermieden werden. 37 Die Entwicklungsgeschichte der Sicherungsübereignung ist geradezu ein Lehrstück: Sie wurde gestützt auf die Zulässigkeit des Besitzkonstituts gemäß § 428 ABGB in gleicher Weise konstruiert wie im deutschen Recht. Die Rechtsprechung erkannte sie zunächst an und die Sicherungsübereignung fand sogar Aufnahme in den Vorschriften des Vollstreckungsrechts.38 Vor allem durch Publikationen von Wellspacher wurde dann eine Kehrtwendung eingeleitet und die Anwendung der pfandrechtlichen Publizitätsregeln verlangt. Diese nun in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung hat praktisch zur gleichen Rechtslage geführt 39 wie in der Schweiz der Art. 717 ZGB. c) Veränderungen und Analyse Während in den bisher behandelten Rechtsordnungen die Sicherungszession eine vergleichbare Rolle spielt, aber keine signifikanten Besonderheiten aufweist, sind in Osterreich zwei bemerkenswerte Vorgänge zu verzeichnen: 34 35 36 37 38 39

Zur weitreichenden Bedeutung dieses hervorgehobenen Satzes im Folgenden. Grundsätzlich hierzu Bydlinski in Klang IV/2 449 ff, dort auch zum Folgenden. Harrer Sicherungsrecht (Wien 2002) 93 ff spricht von einer „Erfolgsgeschichte". Koziol/Welser Bürgerliches Recht I (2002) 370 ff. § 10 Abs. 3 KO und AO. Zum Ganzen Koziol/Welser (Fn. 37) 365 ff mit Nachweisen.

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Zum einen ist bei der Sicherungszession die Entwicklung parallel zu derjenigen der Sicherungsübereignung verlaufen, so dass auch hier die pfandrechtlichen Publizitätserfordernisse Anwendung finden müssen. 40 Hinsichtlich dieser Erfordernisse deutet sich jedoch ein interessanter Paradigmenwechsel41 an: Der O G H hat in einer Serie von Entscheidungen festgehalten, dass ein Zessionsvermerk in der EDV-Buchhaltung des Sicherungsgebers die Publizitätskriterien des oben zitierten § 452 ABGB erfülle und im Sinne dieser Vorschrift als ein Zeichen anzusehen sei, „woraus jedermann die Verpfändung leicht erfahren kann". Die weiteren Konsequenzen für die sonstigen Erfordernisse (Verpfändungsanzeige) können hier außer Betracht bleiben, entscheidend ist Folgendes: Die österreichische Rechtsprechung, die von der Literatur mehrheitlich gebilligt wird, anerkennt einen Vermerk in einer elektronischen Buchhaltung als Publizitätsakt im Sinne jener Vorschrift, die bei Sicherungsübereignung und -Zession einer publizitätslosen Begründung von Sicherungsrechten entgegengehalten wurde. 4. Erstes Resümee Die Übersicht hat gezeigt, dass keine der drei Rechtsordnungen über ein zufrieden stellendes System der Mobiliarsicherheiten verfügt. Sie weisen unterschiedliche Schwächen auf, die trotz in vieler Hinsicht gemeinsamer Grundlagen auf anders gesetzten Prioritäten und teilweise divergierenden Konzepten beruhen. Der Befund wirft die Frage auf, ob es unter den gegebenen Umständen überhaupt sinnvoll sein kann, die Möglichkeiten eines einheitlichen Reformkonzeptes zu diskutieren. Diese Frage stellt sich natürlich nicht nur in den hier exemplarisch herangezogenen Rechtsordnungen, sie stellt sich in gleicher Weise etwa für den romanischen Rechtskreis, in dem sich ganz ähnliche Befunde ergeben. Die Antwort muss meines Erachtens überall gleich ausfallen, weil die Gründe dieselben sind: Sie liegen auf ökonomischem wie auf rechtspolitischem Gebiet, sind allgemein bekannt und sollen deshalb hier nicht extensiv, sondern nur schlagwortartig wiederholt werden: Globalisierung bedeutet zugleich Internationalisierung nicht nur der Handels ströme, sondern auch deren Finanzierung. Beides kann durch Angleichung oder gar Harmonisierung von Regelungen vereinfacht und verbilligt werden. Es ist deshalb nur konsequent, wenn man die Vereinheitlichung des Rechts als die signifikanteste rechtlich Entwicklung der zweiten Hälfte des 20. und die größte Herausforderung des neuen Jahrhun-

4 0 Dazu und zu der im Folgenden beschriebenen Entwicklung Koziol Sicherungszession und andere Mobiliarsicherheiten aus rechtsvergleichender Sicht, in Berner Bankrechtstag (Fn. 10) 19, 25 ff. 41 Eingehende Analyse Larger Die Zession im sachenrechtlichen Übertragungssystem des ABGB, in Festschrift Weiser {Wien 2004) 639 ff.

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derts bezeichnet hat. 42 Globalisierung bedeutet aber auch Wettbewerb von Systemen, deshalb werden Länder mit weniger effizienten Kreditsicherungssystemen langfristig ganz erhebliche Wettbewerbsnachteile erleiden ein Effekt, der sich schon abzuzeichnen beginnt. Beide Aspekte, auf die noch zurückzukommen sein wird, lassen es geboten erscheinen, sich mit den Reformkonzepten und ihrer Verwendbarkeit zu befassen. Ich beschränke mich dabei auf den UNCITRAL Guide als den universellsten Ansatz, weil mir dies im Hinblick auf den Nutzen universell angeglichener Kreditsicherung geboten zu sein scheint. Daneben gibt es regionale Ansätze, 43 etwa der EU aber auch der siid- und mittelamerikanischen Staaten, die eine notwendige Ergänzung darstellen, sowie eine Reihe von sachlich parallelen Regelungen, die ihre Geltung behalten werden. 44

III. UNCITRAL Draft Legislative Guide on Secured Transactions 1. Entwicklung und Stand des Projekts45 Die Arbeiten für den Guide wurden im Jahre 2002 aufgenommen und sollen im Jahre 2007 abgeschlossen werden. 46 Die erste und richtungweisende Weichenstellung war die Entscheidung für einen Guide. Eine Convention wie diejenige über die Zession - oder auch ein Model Law - wie dasjenige über die Schiedsgerichtsbarkeit - hätten Entscheidungen für ausformulierte Regelungen erfordert und keine Spielräume eröffnet. Man war sich indessen nicht zuletzt auf Grund der Erfahrungen mit der Assignment Convention einig, dass dies im noch komplexeren Gebiet der allgemeinen Kreditsicherung nicht erfolgversprechend sei. Infolgedessen entschied man sich dafür, den staatlichen Gesetzgebern eine Leitlinie für die nationale Gesetzgebung an die Hand zu geben, das diesen einerseits ein Modell zur Verfügung stellt, ihnen aber bei der Umsetzung eine gewisse Flexibilität einräumt. Der Guide 42 So Buxbaum Die Rechtsvergleichung zwischen nationalem Staat und internationaler Wirtschaft, RabelsZ, 1996, 201 ff. 43 Die Regionalisierung des Rechts ist ein Teil, aber oft nur ein Zwischenschritt bei der Globalisierung rechtlicher Lösungen, dazu Buxbaum (Fn. 42) und Wiegand Amerikanisierung des Rechts, insbesondere des Bank-, und Wirtschaftsrechts, in Festschrift Buxbaum (Hrg. Baums, Hopt, Horn, London 2000) 601 ff. 44 Z.B. Kapstadt Konvention: http://www.unidroit.org/english/conventions/mobileequipment/main.htm; oder die Uncitral Convention on the Assignment of Receivables in International Trade, http://www.uncitral.org/uncitral/en. 45 Dazu und zum Folgenden insgesamt Bazinas The Uncitral Draft Legislative Guide on Secured Transactions, Unif. L.Rev., 2005, 141 ff. 46 Sämtliche Materialien, sowie die die Beratungen zusammenfassenden Reports finden sich unter http://www.uncitral.org/uncitral/en/commission/working_groups/6Security_ Interests.html.

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enthält deshalb jeweils zunächst allgemeine Erwägungen zu den einzelnen Kapiteln, an die sich dann Empfehlungen anschließen. Diese sollen hier nicht im Detail erörtert werden, zumal die Beratungen in zentralen Punkten noch nicht abgeschlossen sind. Es geht vielmehr nur darum, das feststehende Grundkonzept und die Wünsch- und Machbarkeit seiner Umsetzung zu diskutieren. 2.

Anwendungsbereich

Das Schwergewicht lag von Anfang an bei den Sicherungsrechten an beweglichen Gütern (goods). Dabei ist es geblieben, jedoch wurde und wird zur Zeit die Einbeziehung weiterer Sicherungsgegenstände (assets) diskutiert, wie etwa Bankkonten und Letter of Credit. 47 Die folgenden Überlegungen stellen im Wesentlichen auf bewegliche Sachen ab. 3.

Grundstrukturen

Der Guide lässt eine Vielfalt von Sicherungsrechten zu, im Zentrum steht aber das besitzlose, durch Registereintrag publizierte Sicherungsrecht. Voraussetzung ist seine Begründung durch eine schriftliche Sicherungsabrede, die bestimmte Elemente enthalten muss. Das entsprechende Working Paper 48 sieht vor: (7) The law should specify that a security right, including a purchase-money security right, is created by agreement between the grantor and the secured creditor. (9) The law should provide that the security agreement must, at a minimum, identify the secured creditor and the grantor, and reasonably describe the secured obligation and the assets to be encumbered. A generic description of the secured obligation and the encumbered assets should be sufficient. (10) The law should provide that the security agreement by which a non-possessory security right is created must be in writing and signed by the grantor. The law should specify that that requirement is met by an electronic communication if the information contained therein is accessible so as to be usable for subsequent reference (see article 6 of the UNCITRAL Model Law on Electronic Commerce and article 9, para. 2, of the draft Convention on Electronic Contracting). Dieses security agreement bringt das Sicherungsrecht zum Entstehen und bildet die Grundlage für den Registereintrag (filing), der keine konstitutive Wirkung hat. 49 Er entscheidet vielmehr nur über die Priorität der eingetra47 48 49

Dazu Report der 8. Sitzung Wien (5.-9. September 2005) = A/CN.9/588. WP. 16 recommendations 7, 9-10. Bazinas (Fn. 45) 145.

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genen Sicherungsrechte und deren Wirkung gegenüber Dritten. Über diese beiden zentralen Elemente sind die Diskussionen zwar noch nicht abgeschlossen, die Grundstruktur steht jedoch fest. Deshalb kann für die hierzu erörternde Frage der Übernahme und Umsetzung von Folgendem ausgegangen werden: Durch eine Sicherungsabrede kann ein Sicherungsrecht begründet werden, das weder einer vorgegebenen Form eines „dinglichen" Rechts entsprechen, noch eine summenmäßige Begrenzung der gesicherten Forderung(en) enthalten, noch einer zeitlichen Begrenzung unterliegen muss. Dieses „funktionale" Sicherungsrecht wird mit Abschluss des security agreement inter partes wirksam, vorausgesetzt, das nationale Recht wird solche abstrakten Sicherungsrechte anerkennen. 50 Im engeren Sinne sicherungsrechtlich relevant wird dieses Recht erst durch Eintragung in ein Register, die seinen Rang begründet und über seine Drittwirkung bestimmt.

IV. Übernahme und Umsetzung 1. Wünschbarkeit der Umsetzung Der Guide richtet sich primär an Länder, die ein modernes Kredit- und Kreditsicherungssystem aufbauen. Hier ist eine große Bereitschaft festzustellen, dem neuen System zu folgen. Exemplarisch ist die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa, wo das Registersystem teilweise bereits antizipiert oder auf Grund des EBRD-Modellgesetzes 51 praktiziert 52 und als ein Wettbewerbsvorteil in dem oben angesprochenen Sinne betrachtet wird. Schon deshalb wird für die westeuropäischen Länder ein gewisser Anpassungsdruck entstehen. Unabhängig davon besteht dieser Druck auf Grund der oben beschriebenen Unzulänglichkeiten aller drei betrachteten Sicherungssysteme. Bedenken könnten sich aus zweierlei Gründen ergeben: Zum einen werden vermehrte Bürokratie und höhere Kosten befürchtet, was indessen durch die Praxis in Ländern wie Neuseeland oder Norwegen, wo solche Registersysteme bestehen, anschaulich widerlegt wird. Zum andern handelt es sich natürlich um eine weitere Amerikanisierung der Rechtsordnung; denn der Guide basiert in ganz erheblichem Maße auf Art. 9 des U C C . Indessen ist wie bei der generellen „Rezeption amerikanischen Rechts" 5 3 ohne Dazu unten IV. 2. EBRD Modellgesetz: http://www.ebrd.com/pubs/find/index.htm. 52 Zur exemplarischen Situation in Litauen Andrius Smaliukas Reform of security over movable property in Lithuania: the second stage, Law in transition 2004, 18ff. 53 Wiegand Die Rezeption amerikanischen Rechts, in Die Schweizerische Rechtsordnung in ihren internationalen Bezügen (Hrg. Jenny/Kälin Bern 1988), siehe auch Wiegandin Fest50 51

schrift Bttxbaum (Fn. 43).

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Animositäten nach sachlichen Kriterien zu entscheiden. Diese sprechen ohne Zweifel für eine Modernisierung des Kreditsicherungsrechts in den hier behandelten Ländern. 2. Machbarkeit und Grenzen Die erwähnte Praxis in einer Reihe von Ländern belegt die technische Machbarkeit, die mit Perfektionierung elektronischer Mittel und Methoden und gleichzeitiger Steigerung der Datensicherheit noch zunimmt. Eigentliche Daten und Geheimnisschutzprobleme entstehen nicht, denn sie können durch entsprechende Kautelen in den schriftlich abzufassenden security agreements ausgeschlossen werden. Fraglich bleibt die Vereinbarkeit mit den überkommenen Sachenrechtssystemen. Der numerus clausus der dinglichen Rechte, der als solcher schon kein axiomatischer Grundsatz 54 ist, steht dem nicht entgegen. Durch ein Sicherheitenregister verliert er aber noch mehr von seiner ursprünglichen Bedeutung. Hinsichtlich der übrigen Elemente ist die Situation verschieden zu beurteilen, wie sich aus der oben durchgeführten Analyse ergibt. In der Schweiz sind die Voraussetzungen insofern günstig als eine Umsetzung bei den zentralen Elementen an das geltende Recht anknüpfen kann. 55 Die Registrierung ist als Institut im Eigentumsvorbehaltsregister bereits vorhanden, das nur modernen Verkehrsverhältnissen angepasst, insbesondere zentralisiert56 werden müsste. Auch die abgestufte Wirksamkeit ist - wie oben beschrieben - bereits jetzt ein wesentliches Charakteristikum des Rechts der Mobiliarsicherheiten. Bedenken bestehen dagegen im Hinblick auf das Fehlen summenmäßiger und zeitlicher Begrenzung. Letztere würde wohl als übermäßige Bindung im Sinne von Art. 27 ZGB anzusehen sein. Dem Wesen des Guide's als einer flexiblen Vorgabe entspricht es jedoch, dass er es dem nationalen Gesetzgeber überlässt, notwendige Anpassungen vorzunehmen. Dies vorausgesetzt, könnte eine Modernisierung des Rechts der Mobiliarsicherheiten auf der Basis des Guide's eine wesentliche Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten insbesondere für die KMU mit sich bringen. Ähnliches gilt für Osterreich, wo in Bezug auf die Sicherungsübereignung - wie oben dargelegt - eine der Schweiz vergleichbare Situation besteht. Für den Eigentumsvorbehalt würde eine Verbesserung der Publizität eintreten und damit das einzige nicht erkennbare Sicherungsrecht wegfallen, das heute zu Recht als systemwidrig angesehen wird. Ansätze, die in die 54 Wiegand Die Entwicklung des Schuldrechts im Verhältnis zum Sachenrecht, AcP 1990, 112 ff. 55 In diesem Sinne Berger, befürwortend auch Walter (beide Fn. 8) und Graham-Siegenthaler (Fn. 5). 5 6 Dazu schon Wiegand (Fn. 15).

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Richtung des Guide's gehen, sind in der oben erwähnten Rechtsprechung des O G H festzustellen. 57 Am schwierigsten ist die Situation in Deutschland, wo aber der größte Reformbedarf besteht. Eine Umstellung auf eine durchgehende Publizität der Mobiliarsicherheiten ist dringend geboten und immer wieder gefordert worden. Die Einführung eines modernen Registersystems wäre dafür der einzig richtige Weg. Natürlich ist der Aufwand in praktischer wie in dogmatischer Hinsicht groß und die Veränderung der wirtschaftlichen Gegebenheiten erheblich. Zu Recht ist jedoch darauf hingewiesen worden, dass nach der Modernisierung des Schuldrechts die Zeit für eine Sachenrechtsmodernisierung gekommen sei. 58 In allen drei Ländern wird man vielleicht schrittweise vorgehen können und zunächst die Registrierung der bisherigen Formen der Sicherungsrechte mit den beschriebenen Wirkungen vorsehen können (sogenannter struktureller Ansatz: Einheitsregister für verschiedene Sicherungsrechte). In einem zweiten Schritt, der nicht zwingend ist, könnte nach einer Probephase dann der Ubergang zum „funktionellen Ansatz" (Drobnig) erfolgen, in dem das Register nur noch ein Einheitssicherungsrecht (security interest) kennt.

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Das Justizministerium hat bereits eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit diesem Projekt befasst. 5 « Eidenmüller (Fn. 33) 154.

Publicity for transfers of property: Is the whole world out of step (except N e w Zealand) ? PHILIP R .

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I. Introduction It is a great privilege to contribute to this volume in honour of Professor Dr. Norbert Horn who has brought outstanding light and learning to the study of comparative financial and commercial law in all its aspects, including its history and philosophy. He has always enjoyed the profound respect of his students, colleagues and the international legal community. This paper considers the role of publicity in the transfer of property on a world comparative basis. I show (1) that there is wide international disparity, and (2) that the ideology about this issue has a fundamental impact on commercial and financial law round the world. It is accordingly suggested that legal systems should rethink their attitudes to this subject which are largely the product of history. Only New Zealand seems to have broken free from the thralldom of the past on this matter. The approach of this paper is to simplify and distil the principles in extremely reductionist and abbreviated form. Necessary qualifications and fine distinctions are ignored. The reason for this is that this is thought to be the best way of working out what is going on, seeing the patterns and discovering the fundamental formulae which would otherwise be obscured by detail and legal noise. In a concept paper like this, citation will be kept to a minimum.

II. Main methods of transfer The main transfers with which this paper is concerned are sales, trusts and security interests. These are the principal methods of transferring assets. Leases are not considered. The only one of these which requires special explanation is the trust. In the sense used in this article there is a trust - for want of a better word where a person holds the best public title to an asset for the real owner and

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the asset is immune from the private creditors of the titleholder. It really does not matter whether we call this fiducia or deposit or trust or custodianship or a right in rem or a right to revindication - it is function which matters. We are only concerned with commercial and financial trusts, not wills, succession and family settlements which are a minority use. In this sense where a warehouse holds furniture in custody and the owner can reclaim the furniture on the insolvency of the warehouse company, there is a "trust" as defined above because the warehouse has the best most public title to the asset (possession for goods), but the asset is immune from the private creditors of the warehouse. Most jurisdictions call this bailment or deposit, and, apart from the central characteristic of immunity, apply somewhat different consequences to deposit when compared to the classical trust. Another example is where a bank has custody of bearer bonds of a customer. This example is functionally little different from the ordinary deposit of goods. Yet another example is where a broker holds the investments of its client. Other cases are book-entry systems for securities, unit trusts (collective investment schemes which are not companies), pension funds, nominee holdings of securities, bondholder trustees and trustees of security interests for a syndicate of banks. Essentially the holders are intermediaries who either hold assets for safekeeping or manage the assets - hence it is convenient for them to have title as opposed to a mandate. The amounts involved in commercial and financial trusts are huge. For example, the largest trust in Europe is probably Euroclear which holds securities worth in the region of $11 trillion - more than the GDP of Europe. The largest trust in the world is probably the Depository Trust Corporation which holds securities worth about $23 trillion - the GDP of the world is about $35 trillion. Whatever name is given to these arrangements, they are essentially trusts since the title to the securities is held by a titleholder (often a global depository bank in the case of bearer bonds held for Euroclear, and Cede & Co in the case of DTC) and the securities are immune from the private creditors of the titleholder. In fact these clearing systems are a chain of trusts and sub-trusts from the titleholder down to the ultimate investor who is the true owner - if all the trustees and sub-trustees were to become insolvent, the ultimate investor would be entitled to its share of the securities. 1 It may be remarked parenthetically that the English did not invent the trust - they developed it. But we cannot go into the history here. 2

1 For works on securities settlement systems, see works by Austen-Peters (2000); Beaves (1998); Benjamin and Yates (2002); Benjamin (2002); Bernasconi (2000); Guynn and Marchand (1999); Mooney, Rocks and Schwartz (1994); Ooi (2002); Potok (2002); Rogers. 2 For comparative works on trusts, see works by Bolgar (1953); Diamond (1995-); Fratcher, Glasson and Gore (1992-); Hayton (1999); Hayton, Kortmann, Verhagen (1999); Lupoi

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III. Methods of publicity The main methods by which legal systems publicise a transfer of property to third parties, including creditors, are - Possession by the transferee of the asset or the equivalent of possession. In the case of physical assets, such as tangible movables (goods) or intangibles which are chattelised by a paper wrapping, such as negotiable instruments, possession is physical possession - the asset has to be delivered to the transferee or its agent. In the case of assets recorded in a title register, the equivalent of possession is registration of the transferee as the holder of the interest in the register. Title registered assets are very numerous - real property, ships and aircraft, shares, book-entry securities, sometimes debt instruments and most types of intellectual property except copyright and some other unregistrable IP categories. In the case of contracts, receivables, bank accounts and the like, the equivalent of possession is the giving of notice of the transfer to the obligor liable on the contract etc. These ideas of possession are sometimes transformed into various concepts of control, especially in US doctrine in relation to bookentry securities and bank accounts, under UCC Article 9. The same idea has crept into the EU Financial Collateral Directive 2002. - Filing in a register indexed by debtor, as opposed to asset. Filing applies almost exclusively to security interests. Examples are the requirements for the registration of charges at the company's register in English-based jurisdictions and the equivalent under Article 9 of the UCC.

IV. Jurisdictions of the world There are about 319 jurisdictions in the world encased in about 192 sovereign states. Most of these are based on the legal system of a Western European country. These countries transmitted their legal systems by colonialism, settlers and emulation. For present purposes we can crudely group these into three main groups, (1) the Anglo-American common law, originally championed by England, (2) the Napoleonic, originally championed by France, and (3) the Roman-Germanic, originally championed mainly by Germany with major contributions from the Netherlands, amongst others. The Western European countries did not invent commercial law, but they systematised it at a crucial period in history which favoured transmission of their ideologies. The original fount was Italy (Rome), subsequently codified by Justinian's lawyers. Very few legal systems have escaped one of these (1996); Lupoi (1997); McCutcheon and Soares (1993); Thiele (2003); Waters (1995); Wilson (1981); Wood (1995); Wulf{1965). There is a substantial journal literature.

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philosophies - some 20 or 30, mainly Islamic and a few others which are a legal vacuum as regards a sophisticated commercial law, eg L a o s , Bhutan. A rough weighting of 3 0 % , 30% and 30% for the three main groups and 10 % for the rest would not be too far out. The above is very broad-brush and subject to many qualifications, but it will suffice for the purpose of this analysis. O n e can classify legal systems into many subdivisions, so the question is whether one is a lumper or a splitter. 3

V. Disparity of legal systems as regards publicity for transfers The chart set out below shows in very reductionist form the attitude of the three main groups to the publicity required for the three main methods of transfer in relation to the three main categories of assets - real property (land), tangible movables (goods) and intangible movables (represented by debts). There are about 50 classes of asset (Article 9 of the U C C contemplates around 40), but it seems best to keep things simple here. The test is whether publicity is necessary for the validity of the transfer on the insolvency of the transferor. Insolvency in credit economies is the acid test since, if a transfer is not valid on the insolvency of the transferor, the transfer is seriously at risk - a risk which most transferees would not be willing to accept. For example, security interests are intended as a protection against insolvency and are futile if not effective in that event. Few sellers of assets would accept a situation where they have paid for the asset but lose the asset if the seller becomes bankrupt. Few beneficiaries could accept a situation where their assets went to pay the creditors of the trustee on its bankruptcy. This chart shows a remarkably inconsistent range of responses. In relation to sales, the current position - in very general terms - is that both the Anglo-American common law and (it is believed) the Napoleonic jurisdictions do not require the publicity of delivery of goods to transfer title effective on the insolvency of the seller, but the Roman-Germanic jurisdictions - to the extent based on Germany - do require delivery, subject to qualifications. In relation to transfers of land the general rule in the Anglo-American jurisdictions is that the transfer is effective on the insolvency of the seller even if not registered in the land register - non-registration merely leaves the buyer at risk of being overridden. In the Napoleonic and RomanGermanic jurisdictions the general rule is that a land transfer is ineffective against third parties, including the creditors of the seller, unless it is registered. This spread of approaches as to land is also generally true of all other 3 In the author's Maps of World Financial Law, 5th edn, September 2005, (Allen & Overy LLP), legal systems are divided into nine groups.

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Chart 1 : Publicity for Transfers of property valid on transferor's insolvency Deal Sale

Asset Land Goods Debts

Trust

Land Goods Debts

Security

Land Goods Debts

C L - C o m m o n law jurisdictions N a p - Napoleonic jurisdictions R - G - C o r a Roman-Germanic jurisdictions Publicity necessary for validity of property transfer on insolvency of transferor (seller, settlor chargor): N o publicity

I

Publicity by filing I

Publicity by possession

I

(delivery, title

Trust not available

l[Jj

I registration or securities, SB title-registered assets, whether investments, book-entry intellectual to obligor ggj property, ships or aircraft. Scots case lawnotice has been wavering on this issue. When we come to contract debts, the basic position in the Anglo-American jurisdictions is that notice to the obligor is not necessary for the validity of the assignment on the insolvency of the seller in the Anglo-American jurisdictions (note, however, that the U S U C C Article 9 requires the publicity of filing for some sales of receivables), but it is in most of the Napoleonic (with exceptions such as Belgium and the Loi Dailly in France) and it is in half the Roman-Germanic jurisdictions (including Japan, Korea, Scotland, Scandinavia and China) but not the core European group (Germany, Netherlands, Switzerland, Austria and the Balkans). Belgium abandoned the rule in 1994 and the Netherlands in 2004 4 .

4 In Napoleonic jurisdictions, the requirement for notice is usually based on the French C C Art 1690, e.g. Luxembourg. See, for example, Italy, C C Art 2800; Spain, C C Art 347; Q u e b e c , C C 1641; Colombia, C C Arts 1959-1972; Ecuador, C C Arts 1868-1876; Vene-

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As regards the commercial trust, e.g. settlement systems, global custodianship, pension funds, collective investment schemes etc, broadly the Anglo-American jurisdictions do not require publicity for commercial trusts but the Napoleonic and Roman-Germanic do - and do not have the trust except for certain statutory exceptions and except for deposits of goods which are functionally similar to a trust in that the deposit is ring-fenced from the creditors of the custodian. As regards security interests, the Anglo-American jurisdictions have elaborate systems for the public filing of security interests, while the core members of the Roman-Germanic group (notably Germany and the Netherlands) do not require any kind of publicity for security interests over receivables and inventory, but require registration in an asset title register if there is one. But most members of the Napoleonic group do require public filing for their (usually restricted) security interests over movables. So the position as regards the need for publicity in relation to the main forms of transfer of property - sale, security, trust - seems confusing internationally at first sight. Thus the Anglo-American common law are insistent on publicity for security but not for sale nor the trust, the Germanic insist on publicity for trusts (and do not allow it) and for sales, but not for security interests over personal property, while the Napoleonic insist on it for both trusts (which are not allowed) and security interests, but not for sales. The original German position was that property rights should be publicized, both to prevent false wealth and to protect markets against security interests. These leading groups therefore disagree on fundamentals.

VI. Purposes of publicity The purposes of publicity for transfers are mainly - the need to avoid false wealth - the protection of priorities against competing claimants. In many countries publicity was also intended to improve tax collection. For example, if land has to be registered, it is easy both to tax the land and to tax transfers and mortgages of the land by documentary stamp duties. The trust zuela, CC Arts 1549-1557. Belgium abolished the rule in 1994. For Roman-Germanic jurisdictions not requiring notice, see, for example, Germany BGB s 398 ff; Switzerland C O Art 167. For Roman-Germanic or related jurisdictions which require notice, see, for example, Japan CC Art 467; Korea CC Art 450; Sweden, Promissory Notes Act ss 10, 31 ; Denmark, Instrument of Debt Act. In English-based jurisdictions, the "reputed ownership" clause applying to individual bankruptcies (see, for example, English BA 1914, s 38(c), abolished in 1986) required notice to the debtor for trade debts, but this provision never applied to companies.

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is seen by many tax authorities as a means of avoiding tax, although in fact the company - which is a much more advanced structure of separate patrimonies - is just as effective for tax avoidance and also involves the problem of taxing both the association and those interested in the association - beneficiaries or shareholders. The doctrine of false wealth - sometimes called reputed ownership or ostensible ownership - is very ancient in bankruptcy law. The core idea is that, if a debtor has many apparent possessions but no assets, then creditors may be deceived into granting credit. When the creditor enforces, the true owner - the seller, the beneficiary, the secured creditor - appears from behind its secret curtain and claims the assets in priority to the deceived creditor who is thereby deprived of the asset. The traditional answer to this is to require the secret owner to remove the camouflage and declare its ownership by having possession or its equivalent so that all can see who is the real owner. In the case of priorities, the argument is similar. The doctrine here is that, if a buyer or beneficiary or secured creditor remains secret, then third parties, especially purchasers and mortgagees dealing with the apparent owner, should be able to take free of the secret interest if they do not know of the secret interest and themselves are the first to obtain possession of the asset or the equivalent, provided that they gave value, eg paid the price or advanced a loan, before they had notice.

VII. Role of specificity Mention may be made here of the doctrine of specificity which plays a fundamental role in property transfers. The basic notion is that, if a party wishes to transfer an asset, then it is necessary to specify and identify the asset. This is necessary in order to know who may enjoy the asset and also creditors need to know who owns the asset for the purposes of execution and bankruptcy. Nothing wrong with that. If publicity is required for a transfer, it is necessary to identify the asset which must be possessed or registered. Hence, specificity is indissolubly linked to publicity, a fatal combination of ideologies. Specificity has been a major problem in the sale of goods in bulk (grain, oil) and also in relation to trusts and transfers of investments in clearing systems, as well as concepts of fungibility. In civil systems it has militated against the development of the trust - because the assets held by the trustee are constantly changing - and against the tracing of embezzled or other improper money through mixed bank accounts in cases where the delinquent recipient is bankrupt.

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In the case of security interests, specificity has been used for a purpose beyond its original intention and employed to restrict the assets which can be secured. If the asset must be specified, then this may exclude future property with the result that the assets available to unsecured creditors are enlarged - although transactors often avoid this result by adding assets to the collateral by lists when the assets come into existence. The remaining risk is that assets added in the suspect period may be avoided under the Pauline action as security for pre-existing debt. In English-based jurisdictions, it is possible to create a charge over all present and future assets of a company super-generically or a class of present and future assets, eg "all our investments", but this is not possible in the US (the Article 9 assets must be specified although they can be future) and it is not possible in most other jurisdictions, except for those which have adopted enterprise charges by statute, eg Poland. The degree of specificity varies, eg "the Jersey potatoes in the bag marked 22, weighing 50 kilos, and located on the second shelf on the right of the doorway in the warehouse at 5 Kerk Straat, Amsterdam", as opposed to "all the sacks of potatoes in our warehouse in Amsterdam". Specificity in relation to security interests is quite relaxed in Germany and the Netherlands, but is normally strict in traditional Napoleonic jurisdictions. It may be noted that publicity, like specificity, is also used in many jurisdictions to restrict security interests since, if it is not practicable for the secured creditor to get possession, then it is not possible to take security over the assets concerned, eg goods or bulk receivables. Thus in both Austria and Switzerland, security over inventory is impracticable (they do not have the German fiduciary transfer), and in traditional Napoleonic jurisdictions security over bulk receivables is not feasible since it not realistic to give notice to all the debtors. 5

VIII. Review of policies of false wealth As mentioned, the objective of publicity for transfers is partly to avoid the problem of false wealth. The sanction of invalidity of the transfer is punitive since the transferee loses the property and the price/loan so that the creditors of the transferor are paid twice and therefore doubly enriched. An extremely strong policy is required to justify this draconian and unreasonable result. 5 For comparative works on security interests, see works by Ali (2002) Allen, Hiscock, Roebuck (1970s); Bridge and Stevens (2001); Bridgeford (1997); Constant (1920), Drobnig (1998); Hames and McBain (1998); Harvey; LoPucki (1998); McCormack (2003); McCormack and Dahan (1999); Moojen and Sint Truiden (1995); Norton and Andenas (1998); Thiele (2003); Wood (1995).

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It is considered that the policy is doubtful for a number of reasons and no longer has the force it once had. This can be illustrated in relation to security interests, although the principles apply to the other transfers as well, perhaps with even greater credibility. Most English-based common law jurisdictions require company charge registration over most assets, usually within 21 to 30 days, at the companies registry in the jurisdiction of incorporation. US states, most Canadian provinces and New Zealand (not compulsory) have debtor-indexed filing of most non-possessory security interests for personal property e.g. Article 9 of US Uniform Commercial Code, Personal Property Security Acts in all Canadian provinces except Quebec (although the Quebec regime is functionally similar) and New Zealand. There are special US federal rules for title registers - mainly real property, ships, aircraft and intellectual property. US Article 9 requires filing at the debtor's place of incorporation and, if there is no foreign public registration system, in the District of Columbia. There are detailed differences compared to English-style registration. Civil law style registration is found mainly in the Napoleonic group, where security is limited. There are various registers for (1) permitted nonpossessory security over goods, especially machinery, vehicles and transportation equipment and agricultural goods and (2) various limited forms of general business charge, e.g. Belgium, France, Greece, Italy, Spain - none in Portugal. Registration is often local (e.g. in a district court, as opposed to registration in a corporate registry at the place of incorporation) and fails if location of the asset is moved even within the jurisdiction e.g. goods, spare parts. Some jurisdictions in the Roman-Germanic group have quite wide security but do not have general public registration systems for non-possessory security over tangible or intangible moveables - mainly Germany, the Netherlands (and associated Dutch jurisdictions, but Indonesia has introduced registration), Japan and Korea. Security over title registered assets, such as real property, must usually be registered in the title register for validity against creditors. Chart 2 ("Publicity for validity and priority of security interests") shows in very reductionist form the approach of core jurisdictions in the main groups to (1) the mode of publicity necessary for the validity of the security interest, and (2) whether priorities, especially double-mortgages and double sales, are governed by filing or the best title rule, i.e. the first to get the best most public "legal" title for value (sometimes only if without notice, sometimes regardless of notice). The chart demonstrates a very varied position on the method of publicity for validity, but a high consensus on priority, i.e. in relation to most assets priorities are determined by first to get best title -

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Chart 2: Publicity for validity and priority of security interests Validity Priority CLASS ASSETS Eng ι s g Nap Eng U S R - G Nap Trade Assets

Finance Assets

Goods Receivables

Investments^^·



Bank Deposits I

Land Title Assets

; .; * -i

¡¡¡II

Ships/ Aircraft IP

1

IIS Affiggi ig - '

H Pli sillijlj

Eng = English common law countries (fixed charges) U S = Art. 9 countries R - G = Core Roman-Germanic countries Nap = Core Napoleonic countries File

i

I

Possession (including control, registration in title register, notice to obligor)

I

m

No publicity

possession or equivalent. The chart ignores the many qualifications that are necessary. Goods and receivables are treated differently in common law jurisdictions because "possession" is usually impractical and so is replaced by filing, which in turn (at least in the Article 9 jurisdictions) governs priority. The objections to compulsory publicity to counter false wealth include - the role of false wealth preceded the advent of financial statements and modern corporate disclosure. Creditors do not inspect assets; they look at financial statements. Financial statements do not however record the up-to-date position; - it seems far-fetched to conclude that unsecured creditors who are suppliers are interested in practice. They offer very short-term credit of a few

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months at most and are often paid out of bank secured money. They can also practically everywhere protect themselves by retention of title or purchase money security interests which are super-priority, - banks offering unsecured credit can talk to management and require the usual negative pledge applicable to both existing and future security. There is a fraud risk but it is considered difficult and extremely risky for corporate management to conceal that they have charged all their assets : they would rapidly be found out. The law should not impose a punitive result on secured creditors to monitor the very rare case of management fraud - the appropriate target for sanction is the fraudster. The same applies to bondholders - in fact the limited negative pledges in international bonds show a marked lack of concern for charges which would subordinate the bondholders. - publicity by possession is extremely inefficient. Thus the rule evident in most Napoleonic countries and about half the Roman-Germanic jurisdictions (not Germany) that an assignment of a debt must be notified to the obligor in order to be valid on the insolvency of the seller seems to have little value from the point of view of publicity since creditors cannot see the debt or see whether notice has been given and it is not realistic to expect them to contact each of the obligors. The rule remains because of unrelated debtor-protection policies, but the effect is to reduce the marketability of an important form of asset. Most important assets nowadays are invisible - contracts, receivables, investments, intellectual property. In the case of security interests, the Anglo-American jurisdictions replace publicity by possession or equivalent by publicity by filing in a debtor- indexed register - in England since 1900 and the US since 1962. The advantages are that filing is cheap and easy, that only one register has to be searched, that the filing can cover assets which are not amenable to possession, notably goods and bulk receivables or investments, and that the ready availability of filing blunts objections to universal charges - unsecured creditors are warned. It is however questionable whether these filing systems should extend their reach so as to invalidate unfiled security interests over non-universal collateral or discrete assets. Most security packages are intended to be as universal as the law allows. These packages include secured bank loans to small and medium-sized companies, large private companies (public listed companies do not generally borrow secured - they borrow unsecured with negative pledges) and the very important and large sector of specially-formed single purpose companies for projects, real estate developments, ships, aircraft and securitizations - most secured enterprise finance is now through these vehicles. As regards non-universal charges, financial collateral in markets is a huge sector but is usually over cash or near-cash (highly liquid bonds) and is

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often excluded from publicity by filing. The other main sectors are discrete charges over goods supplied under letters of credit (publicity is satisfied by possession via the bill of lading - the amounts are trivial in comparison to the other sectors), home loans and consumer credit. It follows f r o m this that, if the law merely required publicity by filing only for universal charges, the publicity would be achieved for probably more than 90 % of the assets involved of the type which the law considers should be publicised. The smaller the collateral in relation to the overall, the less unsecured creditors are interested. It is odd therefore that the AngloAmerican view, which is so liberal in other areas of publicity, should be so insistent on false wealth publicity for security interests. The contrast with G e r m a n y and the Netherlands as regards goods, contracts and receivables is stark. The US requirement for publicity is m u c h wider than that in the English-based jurisdictions. This is because the US requires filing for transactions which have the same effect as a security interest, ie title finance, such as financial leasing, hire purchase, factoring, repos and retention of title, as well as certain true sales. The questions raised by this extended approach are (1) the policy of false wealth is weak in relation to the issue of validity and the policy should be to restrict the adverse effects of the punitive sanction rather than to extend them, (2) the system creates unpredictability since there is blurring between financial leases and sales and true leases and sales, and (3) the policy leads to the filing of n u m e r o u s minor items of no interest to unsecured creditors. Article 9 also requires filing for certain true sales of receivables and therefore replicates the old view that assignments of debts should be publicised. O n this score Article 9 seems conservative. The U C C Article 9 preoccupation with title finance may have resulted f r o m the very substantial use of these techniques following the notorious US Supreme C o u r t case of Benedict ν Ratner'm 1925 which held that a creditor must have control over receivables and the like in order to have a security interest and which therefore compromised secured lending on manufacturing assets until the advent of Article 9. Creditors resorted to title finance to avoid these consequences and also because of a quite unfavourable enforcement climate. The academic view was that whatever was like a security interest should be treated as a security interest and therefore they caged the bird. The issue is perhaps not whether title finance is like a security interest but whether the bird should be caged - the whole idea of title finance worldwide from Islamic finance to railroad financings, was to escape those rigours of collateral law which were (and are) seen as unreasonable. T w o other factors, which may have influenced the somewhat stringent Article 9 approach, are that the U C C security interests apply to individuals as well as corporates (contrary to the English-based scheme) so that the pro-

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tection of consumers had to be taken into account and that the preoccupation with priorities was exacerbated by the fact that priorities is much more of an issue in relation to small ticket title finance, eg vehicles, than traditional bank mortgages and charges, because of the higher incidence of fraud at that level. As soon as Article 9 included these minor items, it had to get embroiled in the title finance priorities, so that Article 9 almost sinks beneath the weight and complexity of the rules. In reality, this false wealth motive is mainly intended to prevent fraud and is therefore on a par with writing requirements - a formality often considered a tiresome antiquity in the modern world and more inclined to produce injustice than to prevent it.

IX. Review of policies of publicity for priorities The second main reason for publicity is to protect markets, especially mortgagees and purchasers of assets, from secret adverse claims which upset the title of the acquirer. The policy competition is between protecting original property rights and protecting markets. On the whole the policy should be to protect markets by cutting of prior adverse claims not known to the acquirer, and most jurisdictions take this view. One could not have a situation where the bank rings you up while you are eating your sandwich to insist that you desist from your munching as the bank has a charge over the loaf. In book-entry systems, where millions of securities are transferred every day and transactions take place within seconds, the whole system would come to halt if acquirers had to check title. For example, buyers will usually know that the securities sold by a broker are often held in trust for a client, but the buyer could not possibly call for and inspect the custodian agreement to check if the broker has power to sell and that the client has consented. Hence the rule has to be that mere knowledge of prior interests is not enough - only knowledge of fraud should bring into question the buyer's title. The basic international consensus is that the first party to get the best public title, ie possession or equivalent, for value wins, often on the basis that the acquirer had no notice of the prior adverse interest. There are significant erosions of this principle for particular assets. In the US, in the case of security interests over Article 9 assets where it not feasible to protect priorities by possession - principally goods and receivables - the first to file wins, and English case law tends to suggest a similar result. The essential point is that, if a buyer or secured creditor or beneficiary requires priority protection against double-dealing by the debtor, then it must get the best public title, ie the priority protection should be voluntary and should not be compulsory or be enforced by invalidity of the interest if

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it is not publicized. Otherwise the buyer or creditor must rely on contract compliance not to double-mortgage or sell. Hence the policy of insisting that a transfer is invalid if it is not publicized seems questionable for priority purposes.

X. Summary of impact of publicity The need for publicity for transfers has had a massive impact on day-today transactions in legal systems. The publicity requirement is one of the main reasons that civil code jurisdictions have not adopted the universal trust. The other objections historically included problems over tieing up property and succession, both of which can be met by appropriate measures. Revenue authorities in civil countries are also suspicious of the trust as a tax evasion method. It is considered that modern societies require intermediaries who will hold title to assets on the basis that the asset is immune from the creditors of the intermediary and that therefore there are good reasons to endorse the trust for all assets, not just goods. It is noteworthy that the Roman-Germanic jurisdictions which have legislated for the universal trust or adopted it are not just a small and idiosyncratic group, eg Liechtenstein, Scotland and South Africa, but include Japan and China, as well as Taiwan. By contrast the Deposit Laws and similar statutes in Germany, Austria and elsewhere are piecemeal. Napoleonic jurisdictions which have the full trust include Quebec, Panama and Louisiana. The various bank trusteeships in Latin America are usually quite limited. So the Napoleonic group is fairly resistant. Note the rejection by France of a fiducie bill in the 1990s, apparently at the instance of the fisc. The adoption by China of the universal trust is considered to be one of the most important legal events of the past 25 years because it dramatically overrides a deep philosophy of its nominal group. 6 6 For trust laws, see, for example, Trusts Qersey) Law 1984; Trusts (Guernsey) Law 1989; Malta, Trusts and Trustees Act 2004; Panama, Trust Law 1984; China, Trust Law 2001; Mauritius, Trusts Act 1989; Japan, Trust Law 1922; Quebec, CC Arts 1261 ff; Taiwan, Trust Law 1996; Liechtenstein, Persons and Company Law of 1926, A n s 897-932, as amended, and Trust Enterprises Law 1928; Scotland, case law and Trusts (Scotland) Act 1961; South Africa, case law and Trust Property Control Act 1988; Sri Lanka, Trusts Ordinance 9 of 1971. For trust provisions in Latin America, see, for example, Bolivia, CC Art 1170, Com C Arts 1409 1427; Chile, CC Arts 732-763 and 1164-1166 (laws of 1960 and 1975 allow banks to be trustees); Colombia, C Com 1226-1244, Res 214 of 5 February, 1975 (public-deed trusts, usually limited to 20 years, but only with authorised credit institutions and banks as trustees); Costa Rica, Commercial Code 633-662; Guatemala, Com C 766-793 (bank trustees and a limit of 25 years); Mexico - the "fideicomisos" can cover any alienable property

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Since everybody has a device whereby assets are protected from the insolvency of the intermediary in the case of goods, it is difficult to see why this principle should not be extended to all other assets including land, investments and other intangibles. Publicity, and its accompanying doctrine of specificity, are widely used to limit security interests, mainly in civil jurisdictions, in order to protect unsecured creditors. The arguments in favour of wide security interests are that it is economically sensible to protect the suppliers of medium-term credit out of the savings of the citizen (the true creditor in interest is the depositor), that the cost of enterprise credit is reduced and its amount increased and that both debtor and creditor are better off if the business is charged as a whole. The ethical basis is that the secured creditor usually paid for the assets. The protection of unsecured creditors needs to be considered in the light of the fact that most of them supply very short-term credit, that they are usually paid out of bank money, that they cannot supply new money in the case of financial difficulties and they can and do protect themselves by super-priority retention of title or equivalent agreements. Aside from these considerations, the invalidation of security interests by reason of lack of publicity seems doubtful nowadays as a protection against false wealth, except perhaps in the case of universal security interests. The invalidation of security interests for lack of publicity because of the need to protect market priorities does not seem justifiable. Priority protection by publicity should be a voluntary matter for the parties, ie it should be up to them whether they wish to incur the extra expense of publicity.

XI. Conclusion In my experience, each legal group vigorously defends its system of publicity as the most rational result and as being justified on both practical and theoretical grounds. But there are internal inconsistencies. And we cannot all be right. New Zealand does not require publicity for the sale of any asset in order for the transfer to be effective on insolvency of the seller. It also has the unibut only banks can be trustees: General Law of Negotiable Instruments and Credit Transactions of 26 August, 1932, as amended (there is a 30 year limit, subject to qualifications); Paraguay's Banking Law of 1973, believed to have been updated 1996, has provisions for bank trusteeship; Peru, Leg Decree 769 of 28 October, 1993, arts 314-350 (available for property of any kind but most are subject to a maximum duration of 20 years ; only banks may be trustees); Venezuela, Trustee Law of 1956 (Venezuelan banks and insurance companies may act as trustees, but the trust must be publicly registered at a mercantile registry). For the Philippines, see C C Arts, 1440-1475.

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versal trust which does not have to be publicized. It adopted a version of the U C C Article 9 for security interests, but, unlike the US and Canada and unlike the English-based systems for registration of corporate charges, it does not invalidate a charge on the insolvency of the debtor if the charge is not filed, even if it is universal. In all cases, the parties can often improve their priority against competing sellers and chargees if the transfer is publicized, but this is voluntary. Is N e w Zealand the only jurisdiction which is in step with the times ?

Die Rezeption deutschen Zivilrechts in China am Beispiel des Deliktsrechts LAN

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I. Einleitung „Das moderne Deliktsrecht ist in allen Rechtsordnungen das Produkt einer langen historischen Entwicklung, die in verschiedenen Ländern unterschiedlich verlaufen ist und zu einer unterschiedlichen Struktur der heute geltenden Regeln beigetragen hat". 1 Das gilt auch für das chinesische Deliktsrecht. Seine Geschichte kann bis auf die politische Reform am Ende der Qing-Dynastie (1904-1911) zurückgeführt werden. Damals wurde das Deliktsrecht des BGB wörtlich in den Zivilrechtsentwurf der Qing-Regierung 2 (1911) übernommen. Auch im Zivilrechtsentwurf der Peking-Regierung 3 (1925) und im ab 1929 schrittweise in Kraft getretenen, in Taiwan noch bis heute geltenden Chinesischen Zivilgesetzbuch (ZGB) wurde das Deliktsrecht des BGB kodifiziert. Nachdem das Chinesische Zivilgesetzbuch nach der Gründung der VR China (1.10.1949) im Bereich des chinesischen Festlandes abgeschafft worden war, folgte die Zeit des rechtlichen Nihilismus. Man hatte die Vorstellung, dass alle Gesetze öffentliches Recht seien oder sein sollten. Ein bürgerliches, privates Recht konnte im damaligen Rechtsleben der VR China keinen Platz finden. 4 Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts setzten verstärkte Bemühungen zur Schaffung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für die VR China ein. Zu Beginn des Jahres 2002 begann eine heftige Diskussion über das Recht der Schuldverhältnisse. Sie betrifft insbesondere das Deliktsrecht und die Frage, ob dieses auf dem Weg der kontinental-europäischen Rechtsfamilie (§§ 823 ff. BGB; Art. 1382ff. Code civil) fortschreiten, sich an das anglo-amerikanische

1

Hein Kötz Deliktsrecht, 8. Auflage, Neuwied 1998, Rn. 16. Da Qing Min Lü Cao An 3 Beiyang-Zhengfu (4k#®Jíf). 4 A'IE Huaisbi ( « W « ) From a Century of BGB to the Chinese Civil Code (WiSB K S fitfWiSifiJ't'WSii AM®), in: Peking University Law Journal ( Ή Ι - ϋ ^ ) , Vol. 13, No. 1, Beijing 2001, S. Iff. 2

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Modell halten oder aber beide Systeme kombinieren sollte. 5 Nunmehr ist am 2 3 . 1 2 . 2 0 0 2 der Entwurf des Chinesischen Zivilgesetzbuchs auf der 31. Sitzung des Ständigen Ausschusses dem 9. Nationalen Volkskongress zur Überprüfung und Beschlussfassung zugeleitet worden. Auch in diesem Entwurf ist der Einfluss des Deliktsrechts des BGB nicht zu übersehen. Es lohnt sich daher, die Hintergründe und einzelnen Stadien der Rezeption dieses Rechts näher auszuleuchten.

II. Die Generalklausel im Deliktsrecht des BGB Erst mit Aufkommen der Kodifikationsbewegung in Europa am Ende des 18. Jahrhunderts traten an die Stelle der bis dahin bestehenden einzelnen Haftungstatbestände vielfach deliktische Generalklauseln. Zum Leitbild für viele spätere Kodifikationen wurde die Generalklausel im Code civil (Art. 1382ff.). Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 und das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für die deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie von 1811 hingegen führten zwar ebenfalls im Grundsatz eine Generalklausel ein, doch wurde diese zugleich durch Sonderbestimmungen über den Schadensersatz in bestimmten Sachlagen in ihrer praktischen Bedeutung abgeschwächt. 6 Auch die Verfasser des BGB verfolgten das Konzept einer Generalklausel. Statt der ursprünglich vorgesehen „großen" entstand allerdings im Lauf des Verfahrens die heutige sogenannte „kleine" Generalklausel: 7 Im ersten Entwurf des BGB war nach dem Vorbild des Code civil folgender § 704 Abs. 1 vorgesehen: „Hat jemand durch eine aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit begangene widerrechtliche Handlung ... einem anderen einen Schaden zugefügt,... so ist er dem anderen zum Ersatz des durch die Handlung verursachten Schadens verpflichtet". Auf diese Weise ergab sich eine Schadensersatzpflicht allgemein als Folge widerrechtlich-schuldhafter Schadenszufügung. Die Verfasser des ersten Entwurfs des BGB begründeten die Vorschrift damit, dass ein ausreichender Schutz gegen unerlaubte Handlungen nicht erreicht werden könne, solange man die Ersatzpflicht nur an einzelne, möglicherweise nicht erschöpfende Deliktstatbestände knüpfe. 8

5 LIANG Huixing Three Thoughts on the Current Codification of Chinese Civil Law in: Peking University Law Journal ( W S ^ ) , Vol. 13, No. 1, Beijing 2001, S. 110 ff. 6 Helmut Coing Europäisches Privatrecht, Band II, Uberblick über die Entwicklung des Privatrechts in den ehemals gemeinrechtlichen Ländern, 1. Auflage, München 1989, S. 325. 7 Dieter Medicas Schuldrecht II, Besonderer Teil, 11. Auflage, München 2002, Rn. 739ff.; Hein Kötz/Gerhard Wagner Deliktsrecht, 9. Auflage, Neuwied 2001, Rn. 42 ff. 8 Hein Kotz (Fn. 1) Rn. 42.

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Derartige umfassende deliktische Generalklauseln scheinen sich als einfache Regelung für jede Art von rechtswidriger und schuldhafter Schadenszufügung anzubieten. Jedoch gibt es „bei näherem Hinsehen zwei gewichtige Nachteile: Erstens bedarf bei einer solchen Generalklausel das Merkmal der Rechtswidrigkeit einer Präzisierung; zweitens führt eine große deliktische Generalklausel auch bei der Bestimmung des Anspruchsberechtigten zu Schwierigkeiten". 9 Um diese Schwierigkeiten zu vermeiden, wählte man im Laufe der Beratung des BGB eine Mittellösung. Das hängt zugleich damit zusammen, dass anders als noch bei der Ausarbeitung des Code civil der naturrechtliche Einfluss im Deutschland des 19. Jahrhunderts schwächer geworden war; an seine Stelle war der Einfluss von Savigny und seiner historischen Schule getreten. Die Verfasser des deutschen BGB waren zudem im Gegensatz zu Domat und Pothier „nicht Idealisten, sondern Ministerialbeamte, nicht Revolutionäre, sondern Professoren". 10 Man fürchtete ferner, wenn man die deutsche Rechtsprechung nicht an gesetzlich fixierte Maßstäbe binde, werde es in der Rechtsprechung in Deutschland „zu ähnlichen Auswüchsen kommen, welche zahlreiche Urteile der französischen Gerichte aufweisen". 11 Die §§ 823, 826 BGB stellen also keine umfassende Generalklausel mehr zur Verfügung, sondern enthalten mit § 823 Abs. 1, § 823 Abs. 2 und § 826 BGB drei allgemeine Deliktstatbestände (sogenanntes System der drei „kleinen" Generalklauseln), 12 nach denen Schadensersatz schuldet, wer rechtswidrig und schuldhaft bestimmte Rechte oder Rechtsgüter eines anderen verletzt hat (§ 823 Abs. 1 BGB), wer schuldhaft „gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz" verstößt (§ 823 Abs. 2 BGB), oder wer vorsätzlich in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen Schaden zugefügt hat (§ 826 BGB). 13 Dieses System der drei kleinen Generalklauseln hat ausländische deliktsrechtliche Gesetzgebungen stark beeinflusst. Es wurde im 20. Jahrhundert ' Dieter Medicus Schuldrecht II, Besonderer Teil, 10. Auflage, München 2000, Rn. 740. 10 Konrad Zweigert/Hein Kötz Einführung in die Rechts vergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Band I, 2. Auflage, Tübingen 1984, S. 364. " Mugdan Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Protokolle II, Berlin 1898, S. 771. 12 Karl Larenz/Claiis-Wilhelm Canaris Schuldrecht II/2, 13. Auflage, München 1994, § 75 I, S. 355. 13 Während die Generalklausel des ersten Entwurfs die Ersatzpflicht an die Verletzung subjektiver Rechte oder einen Verstoß gegen die Gesetze oder die guten Sitten geknüpft hatte, hat die zweite Kommission diese Regelung also erheblich eingeschränkt. Die Verletzung subjektiver Rechte und bestimmter Persönlichkeitsgüter wurde als Haftungstatbestand zwar beibehalten; im Fall des Gesetzesverstoßes sollte aber nicht jeder schuldhafte Gesetzesverstoß, sondern nur ein solcher gegen ein Gesetz, das zum Schutz der Interessen eines anderen bestimmt ist („Schutzgesetz"), zum Ersatz verpflichten; für den Fall eines Verstoßes gegen die guten Sitten wurde die Haftung auf den Fall der vorsätzlichen Schadenszufügung beschränkt.

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vielfach übernommen, so etwa im Schweizerischen Obligationenrecht von 1911 (Art. 41), im griechischen Zivilgesetzbuch von 1940 (Art. 914), im italienischen Codice civile von 1942 (Art. 2043) und im neuen portugiesischen Zivilgesetzbuch von 1966 (Art. 483), zudem in einigen Zivilgesetzbüchern der sozialistischen Länder.14

III. Hintergründe der Rezeption fremden Rechts in China 1. Gründe für die Rechtsreform Nach der industriellen Revolution suchten die Industrieländer dringend einen Absatzmarkt, wobei man bald an China dachte. So kam es zum unvermeidlichen Zusammentreffen der unterschiedlichen Rechtskreise im 19. Jahrhundert. Anfangs stellte dies für die westlichen Länder einen erheblichen Nachteil dar, weil sie sich den fremden chinesischen Rechten beugen mussten, um Zutritt zum chinesischen Markt zu erhalten. Es kam zu vielen Zwischenfällen, in denen die Ausländer „ungerecht" behandelt wurden.15 Die Westmächte bemühten sich daraufhin, die Anwendung des chinesischen Rechts auszuschließen. Der Opium-Krieg (1848),16 den China verlor, war das entscheidende Ereignis, das das Verhältnis zwischen China und dem Ausland ändern sollte. Die westlichen Länder deckten Chinas Schwäche auf, nicht stark genug zu sein, um sich selbst zu verteidigen. In der Folge wurden viele verschiedene „ungleiche Verträge" zwischen der Qing-Regierung und dem Westen geschlossen. Ein Beispiel bildet der erste Vertrag aus dem Jahr 1842: Die Engländer setzten damals die Konsulargerichtsbarkeit durch, so dass fortan dem britischen Konsulat die ausschließliche Zuständigkeit für alle Prozesse gegen Engländer zukam. Es handelte sich um eine schwere Beeinträchtigung der chinesischen Souveränität und stellte zugleich einen harten Schlag gegen die Würde des chinesischen Rechtssystems dar. Auch die Innenpolitik Chinas war nach dem Opium-Krieg in Unruhe geraten. Man bemühte sich, das Land aus seiner Bedrängnis zu retten, insbesondere indem man die westliche moderne Technik zu übernehmen versuchte; man glaubte, dass die Westmächte ihre Stellung nur durch gute Waffen, Motorkraft und Schnelligkeit gewonnen hätten. Doch konnte diese als ideal aufgefasste Kombination von chinesischer Substanz mit westlicher Technik China nicht retten. Aus der Niederlage Chinas im chinesisch-japa14

Konrad Zweigert/Hein YANG Honglie Shanghai 1937, S. 343. 16 Yapian zhanzheng 15

Kotz (Fn. 10) S. 357 Chinesische Rechtsgeschichte

I, 1. Auflage,

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nischen Krieg im Jahre 1895 lernte man, dass das kleine und von China verachtete Japan neben der Technik des Westens auch einiges von dessen Geist, vor allem das Verwaltungs- und Rechtssystem aufgenommen hatte. Dies hatte dem Land fünfzig Jahre lang zu Aufschwung und Blüte verholfen. Für die chinesische Rezeption des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs war diese Erkenntnis von entscheidender Bedeutung. Man kann den Beweis dafür in einer Denkschrift des Reformers Kang Youwei finden: „Die geographische Nähe und die Ähnlichkeit der Sprache und Rechtskultur zwischen China und Japan könnte die Bearbeitung der Kodifikation erleichtern." 17 2. Die Rezeption des ausländischen Zivilrechts zu Beginn des 20. Jahrhunderts Die erste umfassende Rezeption des ausländischen Rechts auf dem Gebiete der zivilen Gesetzgebung in China wurde im Jahre 1903 gemäß einem kaiserlichen Edikt durchgeführt. In kurzer Zeit wurde eine Reihe wichtiger Ergebnisse erzielt. 18 „Formal betrachtet kann der Ubergang vom vormodernen zu einem sich modernisierenden Rechtssystem auf ein genaues Datum festgelegt werden: Am 15. Mai 1904 wurde nach Vorschlägen verschiedener hoher Beamter der Qing-Regierung das Amt für die Revision der Gesetze gegründet". 19 Wichtige Straf-, Zivil- und Prozessgesetze Japans und westlicher Mächte wurden in der Folge ins Chinesische übersetzt. Damit stand den chinesischen Juristen, die im traditionellen Recht, also dem Recht der Gewohnheiten und ethischen Normen, der aus der Vergangenheit überlieferten Verhaltensnormen (Ii) und der vom Herrscher erlassenen Gesetze (fa) ausgebildet waren, erstmals ausländisches Rechtsmaterial zur Verfügung. Ende 1905 entsandte die Qing-Regierung sorgfältig ausgewählte Studienkommissionen nach Japan, in die Vereinigten Staaten, nach England. 1907 wurden die Arbeiten zur Abfassung eines bürgerlichen Gesetzbuches in Angriff genommen. Die damit befasste Kommission war zum Großteil aus chinesischen Juristen zusammengesetzt, die vom Studium des Rechts in Japan, Europa und Amerika zurückgekehrt waren; der japanische Jurist Matsuoka Yoshimasa wirkte als Berater mit. Unter der Leitung des Vorsitzenden der Kommission, Shen Jiaben, wurde eine Reihe von ausländischen Gesetzen übersetzt. Gestützt auf diese Vorarbeiten entstand der zwischen 1911 und 1916 sukzessive veröffentlichte Zivilrechtsentwurf der Qing-Dynastie.

17

PAN Weihe (iSÄiu) Die chinesische Rechtsgeschichte im Zivilrecht der neueren Zeit 1. Auflage, Taipei 1982, S. 271. 18 Hans H. Ruete Der Einfluß des abendländischen Rechtes auf die Rechtsgestaltung in Japan und China, Bonn 1940, S. 32 ff. 19 Robert Heuser Einführung in die chinesische Rechtskultur, 1. Auflage, Hamburg 1999, S. 127

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Eine genaue Beurteilung dieser ersten chinesischen Rezeption auch des Deliktsrechts des BGB fällt allerdings schwer. Denn nicht nur an der Systematik, sondern auch am Inhalt der einzelnen Bestimmungen zeigt sich, dass der Zivilrechtsentwurf im Wesentlichen eine Ubersetzung des deutschen und des japanischen BGB war. Der Unterschied zum japanischen BGB lag nur darin, dass die chinesischen Gesetzgeber bereits die Endfassung des deutschen BGB rezipieren konnten, während das japanische BGB schon vor 1896 verkündet worden war. 20 Man muss im Übrigen zugeben, dass diese Rezeption ihr eigenes Ziel nicht erreicht hat, wenn auch in China das Rechtsleben nach einer Kopie des deutschen Rechtssystems revolutioniert wurde. Die Erstellung des Entwurfs erfolgte voreilig und ohne dass man der Frage nachgegangen wäre, ob das deutsche BGB den Grundlagen des philosophischen Gedankensystems und des sozialen Hintergrundes gerecht werden könne. Die jungen chinesischen Juristen übernahmen die deutschen Rechtsvorstellungen unverdaut und unkritisch, weil sie vorher nur geringe Kenntnisse von der chinesischen Rechtsgeschichte erworben und kein rechtsvergleichendes Studium absolviert hatten. Aufgrund des baldigen Sturzes der letzten chinesischen feudalen Dynastie traten die schon fertig bearbeiteten Entwürfe des Zivilgesetzbuchs der Qing-Dynastie zudem nicht in Kraft. Immerhin aber brachten sie ein völlig neues Rechtssystem und einzelne wertvolle und bedeutsame Rechtsvorstellungen nach China, die zur Gesamtentwicklung des Zivilrechts beitrugen. Dieser Abschnitt der chinesischen Rechtsgeschichte war schmerzhaft und wirkt noch immer schmerzhaft nach. China war sich als großes und geographisch isoliertes Land über einen langen Zeitraum hinweg selbst genug. Chinesen strebten nicht nach außen, um Grenzen zu überschreiten und die eigene Kultur zu verbreiten, schon gar nicht, um von fremden Kulturen zu lernen. Die chinesische Rechtskultur mit ihrer Geisteshaltung und ihren Institutionen ist seit über einem Jahrtausend fast unverändert geblieben. Wie in allen Ländern mit alter Kultur, in denen man neue Gesetze übernahm, hatte und hat China bis heute das Problem, dass die übernommenen Rechtsordnungen mit der alten Staatsordnung und den nationalen Traditionen nur schwer harmonieren. Das erklärt sich vor allem aus der Art des Rezeptionsvorgangs. Die Rezeption des europäischen Rechts in China ist mit der Rezeption etwa des römischen Rechts in Deutschland nicht zu vergleichen. Übernommen wurde in Deutschland „nicht das ,italienische Recht', auch nicht das klassische römische Recht der ersten drei Jahrhunderte nach Chr., sondern das corpus iuris civilis, ... in der Bearbeitung, die es durch die italienische und französische Rechtswissenschaft des 12. bis 15. Jahrhunderts

PAN Weibe (Fn. 17) S. 157 ff.

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erhalten hatte". 21 Das römische Recht hat sich also erst im Lauf von Jahrhunderten über die Verwaltungs- und Gerichtspraxis gegen den Widerstand des heimischen Rechts allmählich durchgesetzt. Einen solchen Rezeptionsvorgang gab es in China nicht. Die Übernahme europäischen Rechts wurde von Politikern vorgeschlagen, von Juristen im Detail ausgearbeitet und sodann mit einem einzigen Gesetzgebungsakt verwirklicht. In der Folge jedoch holten die chinesischen Juristen die versäumten Studien in der Rechtskultur und dem Rechtsdenken des ausländischen, insbesondere des deutschen Rechts nach; dieser Vorgang dauert bis heute an. Die Entwicklung des Deliktsrechts in China erweist sich vor diesem Hintergrund als ein komplexer Aneignungs-, Verarbeitungs- und Umsetzungsvorgang des europäischen Deliktsrechts.

IV. Die deliktsrechtliche Generalklausel in den chinesischen Kodifikationen 1. Erster Entwurf des Chinesischen Zivilgesetzbuchs Entwurf der Qing-Dynastie (1904-1911)

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Im ersten Entwurf des Zivilgesetzbuches wurden die drei deliktischen Generalklauseln des deutschen BGB beinahe wörtlich übernommen; auch der dreigliedrige Aufbau von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld wurde rezipiert: § 945: Wer rechtswidrig und schuldhaft das Recht eines anderen verletzt hat, ist schadensersatzpflichtig. § 946: Wer schuldhaft gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt, den trifft die gleiche Verpflichtung. § 947: Wer vorsätzlich in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen Schaden zugefügt hat, haftet wie nach § 945. 22 Freilich fasst § 945 die in § 823 BGB aufgezählten Rechtsgüter nur als „Recht" zusammen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, mit diesem „Recht" seien die „Persönlichkeit oder das Eigentum" eines anderen angesprochen. 23 Weshalb der chinesische Gesetzgeber die Aufzählung der einzelnen Rechtsgüter nicht übernommen hat, ist allerdings unklar. Diese Tatsache erklärt sich aus dem damaligen historischen Hintergrund.

21 Jan Schröder Rechtsquellen des deutschen Privatrechts in der neuen Zeit, Gesamtausgabe der Aufsätze der Chinesisch-Deutschen Rechtswissenschaft ( Î ^ f t ^ ^ ^ i ê Î t  ) , Band I, 1. Auflage, Beijing 2003, S. 213. 22 Sammlung der Gesetzesentwürfe (ftíí Í ^ ^ S S ) , Band 1,1. Auflage, Taipei 1986, S. 178. 23 Sammlung der Gesetzesentwürfe (Fn. 22), S. 179f.

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Der Begriff des „subjektiven Rechts" wird im Chinesischen mit dem Wort „quan Ii" 24 zum Ausdruck gebracht. Dieses Wort taucht schon in der Literatur um ca. 500 v. Chr. auf, war damals jedoch noch kein selbständiger Begriff, sondern bedeutete „Macht und Eigentum". 25 Im heutigen Sinne wurde das Wort erstmals 1864 in der chinesischen Ubersetzung eines von einem amerikanischen Sinologen geschriebenen Textes verwendet.26 Von seiner geschichtlichen Herkunft her wird der Begriff des „subjektiven Rechts" als ein den Bürgern durch staatliches Gesetz gewährter Anspruch verstanden. Das heißt, dass subjektive Rechte das staatliche Gesetz zur Voraussetzung haben; sie sind nicht angeboren, naturgegeben, sondern staatlich verliehen. Diese Vorstellung erschwert das Verständnis des subjektiven Rechts in China schon seit langer Zeit. Seit Jahrtausenden besteht hier die traditionelle staats-, bürokratie- und pflichtenzentrierte politische Kultur. Die verschiedenen Rechte und Rechtsgüter in § 823 Abs. 1 BGB erschienen dem damaligen chinesischen Gesetzgeber daher zu umfangreich. Sie waren aus seiner Sicht auch nicht notwendig. Die vom Gesetz geschützten Rechte waren nur „Persönlichkeit und Eigentum". Weil deren Träger zudem nur chinesische Patrizier sein konnten, wird in der Literatur die These vertreten, die Qing-Regierung habe das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch übernommen, obwohl sie nur unklare Vorstellungen davon hatte, was das Bürgerliche Recht ist. 2. Zweiter Entwurf des Chinesischen Zivilgesetzbuchs Entwurf der Übergangsregierung (1912-1927)

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Auch der zweite Entwurf des Chinesischen Zivilgesetzbuchs ist von der Zusammenfassung der im BGB genannten Rechtsgüter unter dem Begriff „Recht" nicht abgewichen. Jedoch hat sich der Umfang dieses „Rechts" mit der Änderung der politischen und gesellschaftlichen Umstände im 20. Jahrhundert, insbesondere infolge der immer tieferen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem BGB allmählich verbreitert. 27 a) Historischer Hintergrund Nach dem Sturz der Qing-Dynastie kam die Kodifikationsarbeit infolge der Spaltung der Regierung zwischen Peking und Kanton nur langsam voran. Seit dem Jahre 1921 wirkte der französische Professor Jean Escarra als 24 25

ZHANG Junbao

(Äftffi) Grundsätze des Zivilrechts ( R & ^ S i ü ) , 3. Auflage, Beijing

2 0 0 0 , S. 64.

26 LI Guilian Über das „subjektive Recht" (WÄ „&W"), in: Peking University Law Review (rt^&WHT tè) Nr. 1, Beijing 1988, S. 16. 27

WANG Zejian

Deliktsrecht ( t t t t f f Ä f t ) , Band I, 2. Auflage, Beijing 2002, S. 72f.

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Ratgeber der chinesischen Regierung. Er nahm bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung des chinesischen Rechtswesens und erwarb sich große Verdienste um die Neugestaltung des chinesischen Rechts. 28 Die Reformarbeiten am Chinesischen Zivilgesetzbuch gingen vom ersten Entwurf aus. Auch nach umfangreichen rechtsvergleichenden Studien kam man zudem wieder auf das deutsche und das japanische Bürgerliche Gesetzbuch zurück. Gleichzeitig wurden auch neue ausländische Gesetze (z.B. das Schweizerische Zivilgesetzbuch) 29 und die Rechtsgewohnheiten und Rechtsprechung in den chinesischen Provinzen ausgewertet. Der zweite Entwurf des Zivilgesetzbuchs, der 1925 vorgelegt wurde, trat allerdings, wenn er auch vorübergehend in Form von „Rechtsgrundsätzen" angewandt wurde, ebenfalls nicht in Kraft. b) Deliktische Generalklausel Die deliktischen Generalklauseln befinden sich im zweiten Buch, dem Schuldrecht, und zwar in dessen erstem Abschnitt „Begründung von Schuldverhältnisse" und dort im Titel „Deliktsrecht" zwischen dem 1. Titel „Vertrag" und dem 3. Titel „Ungerechtfertigte Bereicherung" in §§ 246,24Z 30 Der wesentliche Inhalt der deliktischen Grundtatbestände des ersten Entwurfs wurde beibehalten. N u r wurde der dritte Grundtatbestand des deutschen Deliktsrechts mit dem ersten Tatbestand in einem Paragraphen zusammengefasst. § 246: Wer rechtswidrig und schuldhaft bestimmte Rechte eines anderen verletzt hat, ist schadensersatzpflichtig. Das gilt auch für denjenigen, der vorsätzlich in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen Schaden zugefügt hat. § 247: Wer schuldhaft gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt, den trifft die gleiche Verpflichtung. Weshalb aber hat der chinesische Gesetzgeber den ersten mit dem dritten Tatbestand zusammengefasst? In der Gesetzesbegründung erklärte der Gesetzgeber, dass der erste Entwurf nach dem deutschen und dem japanischen Bürgerlichen Gesetzbuch kodifiziert worden sei. Dementsprechend habe das Gesetz in erster Linie Individualinteressen geschützt. Weil sich die gesellschaftlichen Verhältnisse jedoch bedeutend verändert hätten, sei es an der Zeit gewesen, nunmehr auch die gesellschaftlichen Interessen zu betonen. Der neue Entwurf stütze sich daher auch auf das Schweizerische Zivilgesetzbuch von 1907 und das Schweizerische Obligationenrecht von 1911. 28

ZHANG Sheng (iKt7) Forschung nach der Kodifikation des chinesischen Zivilrechts in der Neuen Zeit 1. Auflage, Beijing 2004, S. 45ff. « ZENG Shixiong (Ötttt) Grundsätze des Schadensersatzes («f*»efêi£JÂH), Beijing 2001, S. 74 f. 30 Sammlung der Gesetzesentwürfe (Fn. 22), S. 181 ff.

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Dieser Einfluss wird insbesondere bei einem Vergleich der beiden Entwürfe des Chinesischen Zivilgesetzbuchs im Bereich des Familien- und Erbrechts deutlich. 31 Sieht man sich jedoch die schweizerische deliktische Generalklausel an, so stellt man fest, dass die Gesetzesbegründung die Veränderung der deliktischen Generalklausel nicht erklären kann. Art. 41 des Schweizerischen Obligationenrechts 32 enthält keine dem § 247 ZGB entsprechende Vorschrift, die als Vorbild infrage gekommen wäre. Um den wahren Grund zu erforschen, sollte man zuerst einen Blick auf den allgemeinen Unterschied zwischen den beiden Entwürfen werfen. Im zweiten Entwurf des Chinesischen Zivilgesetzbuchs wurden im Vergleich zum ersten Entwurf vor allem starke Kürzungen vorgenommen. Gegenüber den 1569 Paragraphen des ersten Entwurfs umfasste der neue, trotz der Eingliederung des Handelsrechts, nur 1522 Paragraphen. Diese Kürzungen hatten ihren Grund darin, dass man die detaillierten Dispositivvorschriften, die der erste Entwurf vorsah, für chinesische Verhältnisse als unangebracht erkannt und daher beschlossen hatte, nur die grundsätzlichen Bestimmungen niederzulegen, um so ein Anwendungsgebiet für lokale Gewohnheiten zu lassen. 33 Dieser Beschluss betraf insbesondere Vorschriften mit dem Tatbestandsmerkmal der guten Sitten. Nach der konfuzianischen Weltanschauung beruht die Gesellschaftsordnung allein auf der Sittlichkeit und ethischen Normen. Träger des sozialen Lebens ist nicht das Recht, sondern die Moral. Die Beziehungen des Einzelnen zur Gemeinschaft, zur Familie, zum Staat, die Beziehungen der Individuen untereinander, also das gesamte menschliche Leben wird danach von den Vorschriften der Moral und der Sittlichkeit getragen und bestimmt. Nach der alten chinesischen Tradition soll das Volk durch sittlich vorbildliche Menschen und nicht durch Gesetze regiert werden; es soll durch Tugend und durch die Regeln sittlicher Lebensführung geleitet werden. Gesetze und Strafen zerstören das Gefühl für das sittlich Gebotene. Die Gesetze sind nur ein notwendiges Übel, das man in Kauf nehmen muss, um moralwidriges Verhalten zu erfassen. Daher steht der Begriff des Rechts für den Chinesen stets vor dem Hintergrund der Strafe, insbesondere für ein Verhalten, das gegen die guten Sitten verstößt. Demnach schien der zweite Teil des § 246 ZGB relativ entbehrlich zu sein. Das mag erklären, weshalb er bei der Verkürzung des gesamten Gesetzeswerkes mit dem ersten deliktischen Tatbestand zusammengefasst wurde.

31 XIE Zhenmin Geschichte der Kodifikationen in der Chinesischen Demokratischen Republik (Ψ^ΚΜ v . t t í ) , 1. Auflage, Beijing 2000, S. 749. 32 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersätze verpflichtet. Ebenso ist zum Ersätze verpflichtet, wer einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufügt.

33

XIE Zhenmin (Fn. 31) S. 749.

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3. Das Zivilgesetzbuch der Guomindang-Regierung das geltende Zivilgesetzbuch in Taiwan

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a) Historischer Hintergrund Im Jahr 1926 waren die Staatsorgane in China wieder vereinigt. Die Guomindang-Regierung nahm die Kodifikationsarbeit rasch wieder auf, damit die Gerichte nicht länger mit den Gesetzen der letzten Dynastie arbeiten mussten. Besondere Ausschüsse wurden für die Kodifikation der wichtigsten Gesetze ins Leben gerufen.34 Nachdem der politische Zentralrat am 10. Dezember 1928 in 19 Hauptpunkten die nötigen Anweisungen erteilt hatte, die vor allem eine Ubereinstimmung der Kodifizierungsarbeiten mit den Grundsätzen der Guomindang sichern sollten, ging der Zivilrechtsausschuss mit bemerkenswerter Energie an die Arbeit. In der Folge trat in den Jahren von 1929 bis 1931 in einzelnen Abschnitten das Chinesische Zivilgesetzbuch der Nationalregierung in Kraft. Es galt bis Februar 1949, also bis die Kommunistische Partei das Zivilgesetzbuch der Guomindang abschaffte. Das Chinesische Zivilgesetzbuch hat in Taiwan weiterhin Geltung. b) Deliktische Generalklausel Das BGB hat den Aufbau des taiwanesischen Deliktsrechts entscheidend geprägt.35 Nicht nur enthält das Chinesische Zivilgesetzbuch wie das BGB eine dreistufige Generalklausel; vielmehr wird auch die Gefährdungshaftung in einer ganzen Reihe von Spezialgesetzen geregelt.36 Zudem folgt die Billigkeitshaftung (§§ 187f.) dem Vorbild von §§ 827, 831 BGB. Auch die Forschung zum Deliktsrecht ist in Taiwan weit entwickelt. Ein Grund dafür ist, dass viele taiwanesische Juristen seit den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Europa, insbesondere in Deutschland, Frankreich und England Rechtswissenschaften studiert haben. Manche von ihnen sind heute bedeutende Rechtsgelehrte in China (ζ. B. Prof. Dr. Wang Zejian, Schüler von Larenz und Prof. Dr. Zeng Shixiong, Schüler von v. Caemmerer). Juristen wie sie haben die deliktsrechtliche Dogmatik in Taiwan entscheidend beeinflusst. Die drei allgemeinen deliktischen Tatbestände sind im Zivilgesetzbuch Taiwans sämtlich in § 184 enthalten: 37 XIE Zhenmin (Fn. 31) S. 812. WANG Zejian (Fn. 27) S. 176 f. 36 In den vergangenen 50 Jahren sind in Taiwan das „Produkthaftungsgesetz" (¡^SiÄttä), „Gesetz zum Ersatz atomarer Schäden" (fé-fSWüíféft), „Verbraucherschutzgesetz" „Luftverkehrsgesetz" (Kfflftt^É), usw. in Kraft getreten. Vgl. WANG Zejian (Fn. 27) S. 17ff. 37 WANG Zejian (Fn. 27) S. 55 ff. 34

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§ 184: (l)Wer rechtswidrig und schuldhaft bestimmte Rechte eines anderen verletzt hat, ist schadensersatzpflichtig. Das gilt auch für denjenigen, der vorsätzlich in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen Schaden zugefügt hat. (2) Wer gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt, dessen Verschulden wird vermutet. § 184 ZGB hat also die drei deliktischen Grundtatbestände des deutschen Deliktsrechts ausgehend von den §§ 945-947 BGB des ersten Entwurfs über die §§ 246 und 247 des zweiten Entwurfs in schließlich nur einem Paragraph weiter verdichtet. Vergleicht man diese Regelung mit den drei deutschen deliktischen Generalklauseln, so stellen sich zwei Fragen, deren Beantwortung für das Verständnis des heutigen Deliktsrechts in Taiwan von grundlegender Bedeutung ist. Zunächst geht es um die Frage, welche Rechte deliktischen Schutz genießen. § 823 Abs. 1 BGB zählt vier personengebundene Rechtsgüter, nämlich Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit auf; zudem werden auch Eigentum und sonstige Rechte als geschützte Rechtsgüter festgelegt. § 184 Abs. 1 S. 1 ZGB hat demgegenüber wie der erste und zweite Entwurf des ZGB den bloßen Begriff des „Rechts" beibehalten. Aus der diesbezüglichen Literatur und den Entscheidungen der vergangenen Jahre kann man jedoch deutlich erkennen, dass unter dem Begriff des „Rechts" im Sinne des § 184 Abs. 1 ZGB anders als in den vorigen zwei Entwürfen nicht mehr nur „Eigentum oder Persönlichkeit" 38 verstanden werden. Vielmehr entspricht der Anwendungsbereich des Rechtsbegriffs in etwa dem Bereich der von § 823 BGB geschützten Rechtsgüter 39 und geht teilweise sogar darüber hinaus. Geschützt sind nicht nur Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Name, Ruf, Ehre 40 , Kreditwürdigkeit, sexuelle Selbstbestimmung (nach § 195 ZGB wie in § 825 BGB und § 824 BGB), Status, dingliche und obligatorische Rechte, das Recht am geistigen Eigentum und das Recht am Gewerbebetrieb; vielmehr ist vor allem auch für reine Vermögensschäden Ersatz zu leisten.41 Die Entwicklung der Interpretation des Begriffs des „Rechts" im chinesischen Deliktsrecht spiegelt daher die Geschichte der Rezeption des deutschen Deliktsrechts in China insgesamt wieder, die nunmehr vom ursprünglich Sammlung der Gesetzesentwürfe (Fn. 22), S. 179f. ZHENG Yubo (*2 i-Ä) Bürgerliches Recht, Schuldrecht, AT (Räffitft.öife), 1. Auflage, Taipei 1996, S. 143; SHI Shangkuan ( £ « ) Schuldrecht AT ( ® ì è & i è ) , 1. Auflage, Taipei 1978, S. 106. 4 0 Z u m geschützten Bereich nach § 195 ZGB werden außer dem oben genannten allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch „sonstige Persönlichkeitsrechte" ( R f é A f ë f e ) gezählt. 41 Nach § 823 Abs. 1 BGB genießt das Vermögen keinen deliktischen Schutz. Ein Vermögensschaden kann auf der Grundlage des § 823 Abs. 1 BGB nur dann ersetzt werden, wenn er als weitere Folge einer Verletzung der in dieser Vorschrift genannten Rechtsgüter eingetreten ist (Hein Kötz [Fn. 1] Rn. 75). U m in Taiwan einen Schutz des reinen Vermögens zu erreichen, wird in manchen Fällen das reine Vermögen auch als „Recht" angesehen. Vgl. WANG Zejian (Fn. 27) S. 100ff. 38

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groben Rechtsverständnis bis hin zum inhaltlich komplizierten Detail fortgeschritten ist. Die zweite Frage betrifft die Auslegung von § 184 Abs. 2 ZGB. In der Literatur wird dazu die Ansicht vertreten, dass „die Verschuldensvermutung als eigenes Zurechnungsprinzip schon bei der speziellen deliktischen Handlung Anwendung findet und ihr Anwendungsbereich mit der Entwicklung der Wirtschaft immer weiter ausgeweitet wird". 42 Darüber hinaus müsse man „angesichts der Erfahrungen der Rechtspraxis zu dem Ergebnis kommen, dass die Haftung für vermutetes Verschulden bei speziellen deliktischen Handlungen üblich sei". 43 Deshalb beinhalte die Haftung für vermutetes Verschulden eine eigene Zurechnungsordnung. 44 Nach einer anderen Meinung stellt § 184 Abs. 2 keinen selbständigen Haftungstatbestand dar.45 Er soll vielmehr nur eine Verschuldensvermutung enthalten, also eine Beweislastumkehr in dem Fall, dass gegen ein „Schutzgesetz" verstoßen wird. Fraglich ist dann allerdings, was unter einem solchen Schutzgesetz zu verstehen ist. Offenbar sollen hier nur spezielle Normen des Zivilrechts, wie etwa die Vorschrift über die Bauhaftung (§ 126 Allgemeine Grundsätze des Zivilrechts der VR China) in Betracht kommen. Für diese Ansicht spricht, dass § 184 Abs. 2 seinem Wortlaut nach in der Tat keine Schadensersatzpflicht bestimmt, sondern nur eine Verschuldensvermutung enthält. Gegen diese Auffassung spricht allerdings die Rechtslage im deutschen Recht, die nach der Absicht des Gesetzgebers in § 184 übernommen werden sollte. Diskussionen wie diese zeigen, dass sich die chinesischen Juristen weiterhin bemühen, fremde Rechtsinstitutionen in das eigene System einzubetten und das Recht auf diese Weise ständig weiter zu verbessern. 4. Allgemeine Grundsätze des Zivilrechts der VR China (1986) a) Historischer Hintergrund Kurz nach der Gründung der Volksrepublik China 1949 verlangte die Kommunistische Partei Chinas eine Änderung des Rechtssystems. Das neue Recht der Volksrepublik China sollte den Willen des Volkes repräsentieren. Von den reaktionären Guomindang-Gesetzen sollte nichts übernommen werden, auch nicht, „wie manche juristisch ausgebildeten Genossen meinten", die „guten" Teile dieser Gesetze. Demgemäß hob Art. 17 des 42 WANG Urning (3EMÍH) Zivilrecht-Deliktsrecht (Kffi-fttXfîAtt), 1. Auflage, Beijing 1993, S. 34ff. 43 WANG Urning (Fn. 42) S. 68. 44 WANG Urning (Fn. 42) S. 93. 45 LIU Shiguo (i'J LM) Forschung zum modernen Schadensersatz wegen deliktischer Haftung 1. Auflage, Beijing 1998, S. 58ff.

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Gemeinsamen Programms vom 2 9 . 9 . 1 9 4 9 das gesamte „das Volk unterdrückende" Recht der „reaktionären Guomindang-Regierung" auf. Zu den Aufgaben des Rechts zählte man in den ersten Jahren der Volksrepublik vor allem die Unterdrückung des politischen Gegners und die „gesellschaftliche Befreiung". Die gesetzgeberische Aufmerksamkeit konzentrierte sich deshalb auf die Gebiete des Straf- und des Familienrechts. Die maoistische Skepsis gegenüber Regeln führte freilich dazu, dass alle entsprechenden Bestimmungen schon im Titel als „vorläufig", „Entwurf", „versuchsweise durchgeführt" abgewertet wurden. Ein Großteil der Juristen blieb in den Arbeitslagern oder wurde in ferne Dörfer verbannt. „Wir haben keinen Himmel und kein Recht", „wer nicht zerstört, kann nicht aufbauen", zitiert man Mao. Juristische Termini, die eigene Rechte der Betroffenen andeuteten, waren verpönt, so der „Vertrag". Die Kulturrevolution machte jedoch kaum Anstalten, ein vollständiges neues System an die Stelle des halbzerstörten alten zu setzen. 46 Gleichwohl haben die chinesischen Juristen des Öfteren versucht, ein eigenes Bürgerliches Gesetzbuch zu schaffen. Die Bemühungen um eine zivilrechtliche Gesetzgebung (so genannter „neuer erster Entwurf" und „neuer zweiter Entwurf") 4 7 vor der Kulturrevolution scheiterten aus politischen Gründen. Nach dem Ende der Kulturrevolution, insbesondere nach der Öffnungspolitik im Jahre 1978 setzte sich allerdings die Auffassung durch, China brauche ein einheitliches bürgerliches Gesetzbuch, um den neuen Herausforderungen der sich rasch entwickelnden Wirtschaft gerecht zu werden. Im November 1979 wurde ein Entwurfskomitee unter der Leitung des Ständigen Ausschusses des Volkskongresses gebildet. Dessen nach dem Vorbild insbesondere der sozialistischen Gesetzbücher entwickelter „neuer dritter Entwurf" 4 8 wurde gleichwohl nicht Gesetz. Die Regierung war der Ansicht, die Zeit für eine Kodifikation in China sei noch nicht gekommen, die Gesetzgebung solle vielmehr den Weg der „einfachen Gesetze" gehen. Mit den immer zahlreicher werdenden einzelnen Gesetzen ergab sich jedoch ein Problem. Es fehlte an einem Gesetz, das die allgemeinen Grundsätze für zivilrechtliche Rechtsgeschäfte regelte. Deshalb entschied sich der chinesische Gesetzgeber, auf der Grundlage des neuen dritten Entwurfs Allgemeine Grundsätze des Zivilrechts zu schaffen. Diese Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts der VR China wurden auf der 4. Sitzung des 6. NaFrank Munzel Das Recht der Volksrepublik China, 1. Auflage, Darmstadt 1982, S. 13. ZHANG Junhao (Fn. 25) S. 49ff. Der „neue erste Entwurf" wurde im Dezember 1956 nach den Gesetzgebungserfahrungen der damaligen Sowjetunion erarbeitet; er besteht aus AT, Eigentums-, Schuld- und Erbrecht und hat ca. 500 Paragraphen. Der „neue zweite Entwurf" wurde im Juli 1964 erarbeitet; er besteht aus AT, Eigentumsrecht und Recht des Vermögenswechsels mit insgesamt 262 Paragraphen. 48 Sammlung der Gesetzesentwürfe (Fn. 22), S. 50. 46

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tionalen Volkskongresses am 12. April 1986 verabschiedet. Sie sind am 1. Januar 1987 in Kraft getreten.49 Wichtigster Regelungsgegenstand des Gesetzes sind die zivilen Rechte wie Eigentum und schuldrechtliche Forderungen, ferner zivile Rechtsgeschäfte. Struktur und gesetzliche Begriffe wurden weitgehend vom deutschen BGB beeinflusst. Deshalb bezeichnet man die Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts auch als vereinfachten Allgemeinen Teil des BGB. Für die deliktsrechtlichen Ansprüche ist vor allem das sechste Kapitel der Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts von Bedeutung, in dem die zivile Haftung geregelt ist. Am meisten Raum nimmt davon die in 17 Paragraphen geregelte deliktische zivile Haftung ein. Sie macht zusammen mit anderen relevanten Vorschriften etwa ein Sechstel des gesamten kleinen Gesetzeswerkes aus, was einen Rückschluss auf den Stellenwert der deliktsrechtlichen Regelungen für den chinesischen Gesetzgeber zulässt. 50 Vermutlich aufgrund der jungen Rechtstradition im modernen chinesischen Zivilrecht sind viele Voraussetzungen und begriffliche Definitionen noch nicht soweit geklärt, dass sich das chinesische Deliktsrecht in allen Einzelheiten darstellen ließe. Vor allem fehlt es an Sammlungen höchstrichterlicher Entscheidungen, aus denen sich Interpretationshilfen ergeben könnten. Lediglich die Auslegung des Obersten Volksgerichts gibt Hinweise zur Klärung offener Fragen. 51 b) Deliktische Generalklausel 75 Jahre nach dem ersten Entwurf des Chinesischen ZGB ist in China mit § 106 Abs. 2 und 3 der Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts erstmals die französische allgemeine deliktische Generalklausel (Art. 1382f. Code civil) Gesetz geworden. Der chinesische Gesetzgeber hat also den Weg der drei kleinen Klauseln des deutschen Deliktsrechts verlassen: § 106: Wenn Bürger oder juristische Personen gegen Verträge verstoßen oder andere Pflichten nicht erfüllen, müssen sie die zivile Haftung übernehmen. Wenn Bürger oder juristische Personen schuldhaft staatliche oder kol49 Die Allgemeinen Grundsätze umfassen neun Kapitel: Grundprinzipien, Bürger (natürliche Personen), Juristische Personen, Rechtsgeschäfte und Stellvertretung, Zivilrechte, Zivile Haftung, Klageverjährung, Rechtsanwendung bei Zivilbeziehungen mit Auslandsberührung und Ergänzende Regeln. 50 Allgemeine Grundsätze des Zivilrechts (KäifiM) Englische Übersetzung in: Laws of the People's Republic of China, Chinese-English Edition, Band 2, 1. Auflage, Changchun 2000, S. 221. 51 „Ansichten des Obersten Volksgerichtes zu einigen Fragen bei der Anwendung der Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts" ( M A R S E N FÄiWftfif ®J» » T M W S E ) , verabschiedet am 26.1.1988, in Kraft seit dem 2.4.1988 (versuchsweise durchgeführt) (Wir), in: Leitnormen bei der Rechtsanwendung der chinesischen Justizorgane Band für Zivilrecht, 1. Auflage, Bejing 2000, S. 1892.

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lektive Vermögensgüter verletzen oder Vermögensgüter oder den Körper anderer Personen verletzen, müssen sie die zivile Haftung übernehmen. Wenn die Gesetze es bestimmen, muss die zivile Haftung auch ohne Verschulden übernommen werden. Der Einfluss des BGB auf das Deliktsrecht der Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts ist trotz der Übernahme der französischen Generalklausel nicht verloren gegangen. In § 106 der Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts nicht enthaltene Prinzipien des deutschen Deliktsrechts sind in anderen, über das Gesetz verstreuten Vorschriften der Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts übernommen. Nicht zu übersehen ist freilich, dass die chinesischen deliktsrechtlichen Regelungen systematisch nicht mehr dem Schuldrecht (Kapitel 5, Abschnitt 2) zugeordnet, sondern vom Schuldrecht getrennt in die zivile Haftung (Kapitel 6) eingegliedert worden sind, die zugleich auch die Rechtsfolgen für vertragliche Nicht- und Schlechterfüllung regelt. Am neuen Entwurf des Chinesischen ZGB aus dem Jahr 2002 zeigt sich dies noch deutlicher. 5. Gegenwärtiger Entwurf eines Chinesischen ZGB (2002) a) Historischer Hintergrund Nach der Rückkehr der beiden Sonderverwaltungsgebiete Hongkong (1997) und Macao (1999) hat sich die Vereinheitlichung des Rechtssystems in der VR China nicht wie gewünscht verwirklicht. Das ist eine Tatsache, die man zwar bedauern, aber zugeben muss. Während das BGB das Privatrecht in ganz Deutschland vereinheitlicht hat und nach dem Beitritt der DDR unmittelbar auch auf deren Gebiet in Kraft getreten ist, hat man zwar in China seit Ende der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts das deutsche BGB rezipiert und gleichzeitig wertvolle Strukturen und Inhalte aus den französischen, schweizerischen und japanischen Gesetzbüchern herangezogen. Gleichwohl gibt es in China bis heute noch kein einheitliches Zivilgesetzbuch. Für die chinesischen Juristen ist das eine Schande. 52 In den chinesischen Grundgesetzen zu den Sonderverwaltungsgebieten Macao und Hongkong wurde festgelegt, dass die Gesetze, Rechtsverordnungen, Verwaltungsbestimmungen und die anderen bisher in Macao und Hongkong geltenden Rechtsnormen weiterhin in Kraft bleiben, wenn nicht die Legislative der Region gemäß dem gesetzlichen Verfahren Änderungen vornimmt. 53 Das portugiesische Recht in Macao und das britische Recht in Hongkong werden also wohl noch 50 Jahre fortgelten. Welches Recht aber 52 XIEHuaishi (Fn. 4) S. Iff. 53 Art. 8 The Basic Law of the Macao Special Administrative Region of the People's Republic of China, Laws of the People's Republic of China, Chinese-English Edition, Band 2, 1. Auflage, Changchun 2000, S. 988.

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soll in Macao und Hongkong nach Ablauf dieser Zeit angewendet werden? Ein umfassendes bürgerliches Gesetzbuch auszuarbeiten, ist nicht allein Grundbedingung für die Wiedervereinigung ganz Chinas. Das Fehlen eines bürgerlichen Gesetzbuches gefährdet auch die Rechtssicherheit auf dem chinesischen Festland. Die Juristen müssen sich mühsam mit verschiedenen Spezialgesetzen beschäftigen, um einen Fall oder eine Rechtsfrage zu lösen. Nachdem sich seit dem Ende des 20. Jahrhunderts die politischen und sozialen Verhältnisse im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren stabilisiert hatten, mehrten sich daher die Forderungen, ein Chinesisches Zivilgesetzbuch des 21. Jahrhunderts zu kodifizieren. 54 Nach einigen Jahren heftiger Diskussion über verschiedene Entwürfe ist nunmehr am 23.12.2002 der Entwurf des Chinesischen Zivilgesetzbuches auf der 31. Sitzung des Ständigen Ausschusses dem 9. Nationalen Volkskongress zur Uberprüfung und Beschlussfassung zugeleitet worden: b) Generalklausel Der neue, in Erweiterung des Pandektensystems aus neun Büchern bestehende Entwurf regelt deliktische Handlungen im 8. Buch mit dem Titel „Deliktische Haftung", 55 und zwar in insgesamt 68 Vorschriften. Die wichtigsten Prinzipien der Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts wurden beibehalten, die Systematik wurde gegenüber den Allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts jedoch verbessert. Ähnlich wie im Äthiopischen Zivilgesetzbuch 56 besteht das Deliktsrecht des Entwurfs aus allgemeinen Bestimmungen und speziellen deliktischen Haftungstatbeständen. Die Begriffe und wichtige deliktische Prinzipien stehen dennoch weitgehend unter dem Einfluss des BGB. An der Spitze steht die deliktische Generalklausel, die die Grundtatbestände bildet (§§ 1 und 2 des Abschnitts „Allgemeine Bestimmungen"). Anders als in den Allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts werden hier Verschuldenshaftung, Haftung für vermutetes Verschulden und Haftung ohne Verschulden (Gefährdungshaftung) explizit erwähnt, wird also die französische Tradition, auf deren Boden die Generalklausel steht, weiterentwickelt. Nach dem Wortlaut entsprechen die geschützten Rechte und Rechtsgüter 54 XU Guodong (ÍÉHÍfc) (Hrsg.) Polemik über den Gedankengang der Kodifikation des chinesischen Bürgerlichen Gesetzbuches (ψ Π R ' ä f t i a 1 . Auflage, Beijing 2001, S. 243. 55 Die Begründung dafür liegt darin, dass erstens deliktische Handlungen anders als vertragliche Handlungen rechtswidrig sind; zweitens - vom Gesetzeszweck ausgehend - , dass Vertragsrecht rechtmäßige vertragliche Handlungen anspornen, den Rechtsverkehr also fördern soll, Deliktsrecht dagegen deliktische rechtswidrige Handlungen verhindern und Rechtsgüter schützen soll. Vgl. XU Guodong (Fn. 54) S. 124 ff. 56 XU Guodong (Fn. 54) S. 79 f.

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denen der Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts. Weitere Rechte und Rechtsgüter sind in den nachfolgenden Bestimmungen der Abschnitte Nr. 2 „Schadensersatz" und Nr. 4 ff. (spezielle deliktische Haftungstatbestände) geregelt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird ebenfalls als geschütztes Recht erwähnt, doch finden sich die konkreten Vorschriften insbesondere im Buch 4 (Persönlichkeitsrecht).57 Darüber hinaus werden Kausalität (§ 5), gemeinsame Verletzung (§ 3), Haftungsformen (§ 4), Schadensersatz beim Tode des Geschädigten (§ 6) und die Rechtsanwendung bei speziellen deliktischen Haftungstatbeständen (§ 7) geregelt. Im Abschnitt 2 (Schadensersatz) werden die Einzelheiten des Schadensersatzes geregelt. Rechtfertigungs- bzw. Haftungsausschließungsgründe finden sich in Abschnitt 3. In den Abschnitten 4 bis 8 werden sechs Haftungstatbestände (Verkehrsunfälle-, Umwelt-, Produkt-, hochgefährliche Arbeits-, Tierhalter- und Bauhaftung) in 17 konkreten Fällen aufgezählt. Im letzten Abschnitt befinden sich Sonderbestimmungen über das deliktische Subjekt (z.B. Haftung des Vormunds und Geschäftsherrn), zudem Regelungen zur Anspruchskonkurrenz. Trotz der strukturellen Änderungen entsprechen die Regelungen inhaltlich denen der Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts. Die Verbesserungen gegenüber den Allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts bestehen vor allem darin, dass die Anspruchsgrundlagen deutlich herausgestellt und viele Voraussetzungen und begriffliche Definitionen geklärt werden. Auch wenn der Entwurf vom Aufbau seiner Vorgänger abweicht, ist die deliktsrechtliche Systematik des BGB im Kern beibehalten worden. Im Ergebnis stellt sich der deliktsrechtliche Aufbau als Kompromissprodukt dar.58 Nach der Tradition der Rechtskultur auf dem chinesischen Festland musste die deliktsrechtliche Gesetzgebung weiterhin den Weg der kontinental-europäischen Rechtsfamilie beschreiten. Wären allerdings nur zwei oder drei deliktische Tatbestände geregelt worden, so hätte ein juristisch nicht hinreichend ausgebildeter Richter konkrete Fälle unter Umständen nur schwer lösen können. Da die chinesischen Richter zum Teil nicht von Haus aus Juristen und ihre juristische Qualifikation wie ihre juristischen Kenntnisse daher zwangsläufig beschränkt sind, ist deshalb wie schon in den Allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts eine detailreichere Regelungstechnik gewählt worden.

5 7 Dieses Buch wurde auf der Grundlage der „Personenrechte" in Abschnitt 4, Kapitel 5 der Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts geregelt, um den tragischen Erfahrungen der Kulturrevolution Rechnung zu tragen. Vgl. XU Guodong (Fn. 54) S. 119f. 58 YANG Lixín (¥¡ Vgl. dazu etwa Williams ν Natural Life Health Foods Ltd, [1998] 1 W.L.R. 830ff. 22 Hedley Byrne and Co Ltd ν Heller & Partners Ltd [1964] A.C. 465, 483 per Lord Reid, 528-529 per Lord Devlin; Williams ν Natural Life Health Foods Ltd [1998] 1 W.L.R. 830, 835 per Lord Steyn. 2 3 Vgl. etwa Henderson ν Merret Syndicates Ltd [1995] 2 AC 145; Williams ν Natural Life Health Foods Ltd [1998] 1 W.L.R. 830 ff. per Lord Steyn·, Finch/Freedman (2002) J.B.L. Sep., 475, 483.

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(1) der Anspruchsgegner gegenüber dem Anspruchssteller eine besondere persönliche Verantwortung übernommen hat (assumption of responsibility), (2) der Anspruchsteller sich auf diese Übernahme persönlicher Verantwortung verlassen hat (reliance of assumption) und (3) der Anspruchsteller sich auch vernünftigerweise auf die Verantwortungsübernahme verlassen durfte (reasonable reliance). Im Lichte der Entscheidung Williams ν Natural Life Health Foods Ltd24 ist zu vermuten, dass es bei der Beurteilung der deliktischen Haftung eines fahrlässig handelnden Mitglieds der LLP eine Rolle spielt, ob das Mitglied der LLP persönliche Verantwortung für die Beratung übernommen hat, ob sich der Mandant hierauf verlassen hat und ob ein solches Vertrauen berechtigt war. 25 Nach englischem Verständnis besteht insbesondere im Verhältnis zwischen einem Freiberufler und dem Empfänger der Dienstleistung eine besondere Beziehung, welche die erstgenannte Haftungsvoraussetzung erfüllt. 26 Für freiberufliche Tätigkeiten ist deswegen eine entsprechende persönliche Verantwortung typisch. 27 Uberträgt man diese Grundsätze auf die LLP, so müssen in vielen Fällen auch die Partner einer freiberuflichen LLP für ihre persönlichen beruflichen Sorgfaltspflichtverletzungen (tort of negligence) einstehen. Die Übertragung der aufgezeigten Haftungsgrundsätze auf die LLP-Berufsträger wird auch durch den Gesetzgeber gestützt. So stellt die gesetzgeberische Explanatory Notes to Limited Liability Partnerships Act 2000 28 in diesem Zusammenhang zur Haftung des handelnden LLP-Partners Folgendes fest: „Should a partner be negligent in the work that he carries out for a client, there will generally be two possible causes of action against that partner: contract and tort. However, because the limited liability partnership will be a separate legal entity with which the client has contracted, only one action (the tort action) is potentially available against the member. Should the courts consider the case of a negligent member of an LLP whose conduct has resulted in economic loss for his client, the courts' decision cannot be forecast with certainty. But, recent case law (Williams & Anor ν (1) Natural Life Health Foods Ltd (2) Richard Mistlin (1998) 1 WLR 830) suggests that in deciding whether such a member was potentially liable to « Williams ν Natural Life Health Foods Ltd [1998] 1 W.L.R. 830ff. 25 Siehe dazu Explanatory Notes to Limited Liability Partnerships Act 2000, Chapter 12, para. 16; kritisch Finch/Freedman (2002) J.B.L. Sep., 475, 483. 26 Gower/Davies Principles of Modern Company Law, 7th ed., London 2003, S. 168 Fn. 97; Whittaker/Machell Limited Liability Partnerships - The New Law, Bristol 2001, S. 126; Griffiths (1998) C.F.I.L.R. 2, 157, 169. 27 Bank (Fn. 3) § 6. IV. 2. a. cc; anders Kilian Ν ZG 2000, 1008, 1013. 28 Explanatory Notes to Limited Liability Partnerships Act 2000, Chapter 12, paras. 15,16.

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a client, the courts would have regard to various factors including whether the member of the LLP assumed personal responsibility for the advice, whether the client relied on the assumption of responsibility and whether such reliance was reasonable." Geht man von dieser Rechtsprechungsprognose des Gesetzgebers aus, so ist daran zu erinnern, dass auch nach englischem Recht den Angehörigen der freien Berufe traditionell besondere persönliche Sorgfaltspflichten gegenüber ihren Mandanten auferlegt werden. 29 Der Grund hierfür liegt in der von besonderem gegenseitigem Vertrauen geprägten engen persönlichen Beziehung zwischen Freiberufler und Mandant/Patient. 30 Auch wenn einschlägige Entscheidungen bislang - soweit ersichtlich - nicht vorliegen, wird man davon ausgehen müssen, dass die englische Rechtsprechung von diesen tradierten Rechtsgrundsätzen nicht zu Gunsten der LLP-Partner abweichen wird.31 Noch ungeklärt ist in der englischen Doktrin und Praxis, ab welchem Mitwirkungsbeitrag in einer arbeitsteilig strukturierten Beratungsgesellschaft das Haftungsrisiko beginnt. 32 Die Rechtsprechungsgrundsätze dürften u . E . dahingehend zu verstehen bzw. weiterzuentwickeln sein, dass die bloße kollegiale Uberprüfung der Mandatsbearbeitung eines anderen Partners noch keine Haftung begründet. 33

III. Mitgliederhaftung bei dem Auftreten einer LLP englischen Rechts in Deutschland 1. Gesellschaftsstatut und gesellschaftsrechtliche Haftung Bei dem Auftreten einer in England gegründeten LLP (im Folgenden: LLP englischen Rechts oder englische LLP) mit Verwaltungssitz in Deutschland ist auf der Grundlage der jedenfalls für die in EG-Staaten gegründeten und

29 Gower/Davies (Fn. 26) S. 168 Fn. 97; Whittaker/Machell (Fn. 26) S. 126; Griffiths (1998) C.F.I.L.R. 2, 157, 169. 30 „[...] a professional adviser; whether he he solicitor, factor stockbroker or surveyor is of course in a fiduciary relationship to his client. ", Brown ν IRC [1965] A.C. 244, 265F-G per Lord Upjohn·, außerdem Bristol and West Building Society ν Mothew [1998] Ch. 1 ; Nocton ν Lord Ashhurton [1914] A.C. 932; McMaster υ Byrne [1952] 1 All E.R. 1362; Hedley Byrne & Co Ltd ν Heller & Partners Ltd [1964] A.C. 465; Whittaker/Machell (Fn. 26) S. 125; Griffiths (1998) C.F.I.L.R. 2, 157, 169; Finch/Freedman (2002) J.B.L. Sep., 475, 485; Williers (2001) S.L.P.Q. 6 (2), 112, 121. 31 So auch Bank (Fn. 3) § 6. IV. 2. a. cc. (2); offen gelassen Weller/Kienle DStR 2005, 1060, 1063 (Frage des Einzelfalls) im Anschluss an Finch/Freedman (2002) J.B.L. Sep., 475,483,485f. 32 Zu dieser Frage Bank (Fn. 3) § 6. IV. 2. a. dd. - ee.; Mabey (2000) S.J. Feb., 148, 149; Whittaker (2002) J.B.L. Nov., 601, 605; Kilian NZG 2000, 1008, 1013. 33 Siehe dazu Whittaker (2002) J.B.L. Nov., 601, 606.

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in einem anderen EG-Staat tätigen Gesellschaften 3 4 maßgeblichen Gründungstheorie von der Geltung des ausländischen Gesellschaftsstatuts auszugehen. 3 5 Ahnliches gilt für die in EWR-Staaten sowie anderen staatsvertraglich mit der E G durch Assoziierungsabkommen verbundenen Staaten 3 6 oder in den U S A 3 7 gegründeten Gesellschaften. Die Grundsätze der Centros 3 8 und Inspire A r t 3 9 - Rechtsprechung sind unmittelbar auf die L L P anwendbar. D a die L L P gegenüber ihren Mitgliedern durch eine eigene Rechtspersönlichkeit verselbständigt ist, liegt keine bloße Teilrechtsfähigkeit im Sinne der neueren Rechtsprechung zur Gesellschaft Bürgerlichen Rechts vor. Daher kann die Rechtsprechung des E u G H zur Niederlassungsfreiheit grundsätzlich auf die LLP übertragen werden 4 0 , auch wenn der E u G H sich nicht zur LLP, sondern zu anderen Gesellschaftsformen mit eigener Rechtspersönlichkeit geäußert hat. 4 1 Eine L L P englischen Rechts kann damit nicht nur über hierzulande errichtete Zweigniederlassungen in Deutschland aktiv werden, sondern auch ihren Verwaltungssitz in Deutschland unterhalten. 4 2 Das gilt selbst dann, wenn dies von vornherein so geplant war, es sich also nur u m eine formell ausländische Gesellschaft handelt. Damit genießt die L L P englischen Rechts auch in Deutschland grundsätzlich das Haftungsprivileg ihres englischen Gesellschaftsstatuts. Unabhängig davon, ob die englische LLP in Deutsch-

Die Rechtsprechung des EuGH wird nachgezeichnet bei Henssler (Fn. 3), S. 127, 133 ff. Dazu BGHZ 154, 185, 189; ferner etwa Palandt/Heldrich 65. Auflage, München 2006, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rn. 6, 9; Marc-Philippe Weller Europäische Rechtsforrawahlfreiheit und Gesellschafterhaftung, Köln 2004, S. 41 ff., 68 ff. 36 Zur Niederlassungsfreiheit auf der Grundlage völkerrechtlicher Verträge der EG siehe grundlegend Marc-Philippe Weller Niederlassungsfreiheit via völkerrechtlicher EG-Assoziierungsabkommen - zugleich Besprechung der Entscheidung BGH, Urt. v. 19. 9. 2005 II ZR 372/03, ZGR 2006 (im Druck). 37 Der BGH hat klargestellt, dass aufgrund Art. XXV Abs. 5 S. 2 des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtvertrages zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29.10.1965 (BGBl. II 1956, S. 487) für US-Gesellschaften in Deutschland ähnliches gelte wie im Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit, siehe BGH IPRax 2005, 339 und 340 mit Anmerkung Stümer IPRax 2005, 305. Auch im Geltungsbereich dieses Vertrages ist demzufolge grundsätzlich an das Gründungsrecht anzuknüpfen, siehe BGHZ 153, 353, 356f. 38 EuGH Slg. 1999 1-1459 = NJW 1999, 2027. 39 EuGH Slg. 2003 1-10155 = NJW 2003, 3331. 40 Siehe zu Besonderheiten für Personenvereinigungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit (einschließlich derer mit bloßer Teilrechtsfähigkeit) AnwaltKommentar/Hoffmann Bd. 1, BGB, Allgemeiner Teil mit EGBGB, Bonn 2005, Rn. 150; ausführlich zur entsprechenden Qualifikation der Limited Partnership nach dem Limited Partnerships Act 1907 ebenda Rn. 155 mwN. 41 Siehe zur einer ähnlichen Frage (Übertragung auf Stiftungen liechtensteinischen Rechts) Frick Liechtenstein JZ 2004, 224, 228 f. 42 Weller/Kienle DStR 2005, 1060, 1061, 1064 (Pflicht zur Anerkennung einer ScheinLLP). 34

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land ihren Hauptsitz oder nur Zweigniederlassungen unterhält, lässt sich daher vereinfacht formuliert feststellen: Alle Rechtsfragen, die das Gesellschaftsrecht bzw. das Verbandsrecht betreffen, richten sich auch bei einem Auftreten in Deutschland nach englischem Gesellschaftsrecht. In einem solchen Fall legt das englische Gesellschaftsstatut auch fest, wie weit die Gesellschaft und die anderen Gesellschafter kraft gesellschaftsrechtlicher Vorschriften gleichfalls für die genannte Verbindlichkeit haften. Weiter gilt: Im Bereich des Gesellschaftsrechts darf das nationale Recht das englische selbst aufgrund einer Sonderanknüpfung nur verdrängen, wenn dies gemeinschaftsrechtlich zulässig wäre. 43 2. Statut der Vertrags-, Delikts- und vorvertraglichen Vertrauenshaftung Wie gesehen genießen auch die anwaltlichen Berufsträger das volle Haftungsprivileg des englischen LLP-Gesellschaftsrechts. Eine persönliche Haftung handelnder Mitglieder nach dem im jeweiligen Einzelfall anwendbaren deutschen oder ausländischen Vertrags- oder Deliktsrecht bleibt davon grundsätzlich unberührt. Dabei bestimmt das Vertrags- bzw. Deliktsstatut, wer die Pflichtverletzung begangen hat, ob ihm das Handeln von Gehilfen zuzurechnen ist und wer als Teilnehmer haftet. Hierbei gelten die allgemeinen Vorschriften des jeweiligen Vertrags- bzw. Deliktsstatuts über die Haftung für Hilfspersonen (in Deutschland z.B. §§ 278 bzw. 831 BGB) und die allgemeinen Vorschriften über die Haftung der Teilnehmer (in Deutschland § 830 BGB in direkter bzw. entsprechender Anwendung). Zu klären ist daher die Frage, welches Vertragsrecht den Anwaltsvertrag mit dem Mandanten und damit auch die vertragliche Haftung des Anwalts beherrscht. Das ist aus der Sicht des deutschen internationalen Privatrechts nach Art. 27ff. EGBGB zu beurteilen. Danach ist das zum Vertragsstatut gewählte Recht anzuwenden (Art. 27 EGBGB); bei einer in Deutschland mittels seiner hier ansässigen Niederlassungen anwaltliche Dienstleistungen anbietenden LLP englischen Rechts wird häufig eine Wahl deutschen Rechts erfolgen. 44 Unterbleibt eine Rechtswahl, so ist das anwendbare Recht mittels Art. 28 EGBGB zu bestimmen. Bei internationalen Sozietäten ist regelmäßig gemäß Art. 28 Abs. 2 S. 2 EGBGB an den Niederlassungsort anzuknüpfen, der im Mandat als federführend bestimmt wurde. Fehlt es daran, dann ist regelmäßig auf die Niederlassung abzustellen, die den besonders prägenden Gegenstand der Anwaltsleistung erbringt, etwa forensisch tätig ist. 45 Bei einer in 43

Eingehend zu diesem Themenkomplex Bank (Fn. 3) § 14. Zu entsprechenden Überlegungen einer sachgerechten professionellen Rechtswahlgestaltung siehe Knöfel {Fn. 3) S. 248ff. « Knöfel (Fn. 3) S. 280ff.; Weller/Kienle DStR 2005, 1102, 1105. 44

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Deutschland anwaltlich über ihre hiesige Niederlassung tätigen LLP englischen Rechts wird danach sehr häufig das deutsche Vertragsrecht anwendbar sein. Im Einzelfall kann der Anwaltsvertrag auch als Verbrauchervertrag im Sinne des Art. 29 EGBGB zu qualifizieren sein, 46 was bei gewöhnlichem Aufenthalt des Mandanten in Deutschland mangels abweichender Rechtswahl zur Geltung des deutschen Vertragsrechts führt. Wird die Anwalts-LLP englischen Rechts in Deutschland tätig, so hat ein deutsches Gericht das anwendbare Deliktsrecht nach den Art. 40-41 EGBGB zu ermitteln. Regelmäßig wird dann das Deliktsstatut gemäß Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB akzessorisch zum Vertragsstatut zu bestimmen sein. Ein deutsches Vertragsstatut führt damit auch zu einem deutschen Deliktsstatut. Greift ausnahmsweise die akzessorische Anknüpfung des Art. 41 EGBGB nicht ein, hat aber der Mandant seinen gewöhnlichen Aufenthalt und die anwaltliche tätige Niederlassung der LLP ihren Sitz in Deutschland (oder liegt anderenfalls der Sitz der Hauptverwaltung in Deutschland), dann ist das deutsche Recht gemäß Art. 40 Abs. 2 S. 2 EGBG zum Deliktsstatut berufen. In den anderen Fallkonstellationen ist gemäß Art. 40 Abs. 1 EGBGB das Deliktsrecht des Handlungsorts, also des Vornahmeorts der unerlaubten Handlung, oder - nach Wahl des Geschädigten - das Recht des Erfolgsorts anzuwenden. Auch hier wird bei den uns interessierenden Fallkonstellationen nicht selten das deutsche Deliktsrecht heranzuziehen sein. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Vertrags- und Deliktshaftung einer anwaltlich arbeitenden LLP, die über ihre in Deutschland gelegene Hauptverwaltung oder Niederlassung hier tätig ist, ebenso wie die Haftung ihrer Mitglieder regelmäßig nach deutschem Recht zu beurteilen ist. Im Ergebnis bedeutet dies: Die LLP genießt als juristische Person auch in Deutschland grundsätzlich das gesellschaftsrechtliche Privileg der Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen. Zählt man mit der herrschenden Lehre auch die Insolvenzverschleppungshaftung 47 und das Institut der Durchgriffshaftung und die Haftung wegen existenzvernichtenden Ein-

46 BGH IPRax 2005, 150 m. Aufsätzen Spickhoff {S. 125), Staudinger (S. 129); dazu auch Mankowski RIW 2004, 481, 487 f. 47 So auch MüKo-InsO/Reinhart, Bd. 3, München 2003, A n . 102 EGInsO Rn. 23; Altmeppen/Wilhelm DB 2004, 1083, 1088; Vallender/Fuchs ZIP 2004, 829, 830; Spindler/Berner RIW 2004, 7, 12; Ulmer NJW 2004, 1201, 1207; den. KTS 2004, 291, 299; Fleischer ZGR 2004, 437, 456; Paefgen ZIP 2004, 2253, 2260f.; unabhängig von der Qualifikation für eine Sonderanknüpfung am Mittelpunkt der hauptsächlichen Gesellschaftsinteressen Huber in: Lutter (Hrsg.) Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, Köln 2005, S. 307 331 ff., 359ff.; differenzierend: Mock/Schildt in: Hirte/Bücker (Hrsg.) Grenzüberschreitende Gesellschaften, Köln, Berlin, München 2005, § 16 Rn. 43 ff.

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griffs 48 z u m Gesellschaftsrecht, dann greift auch insoweit das englische Recht ein. 4 9 Dagegen unterfallen die Eigenhaftung des Vertreters und die Sachwalterhaftung nach §§ 2 8 0 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB auch dann, wenn sie Gesellschafter als Vertreter oder Sachwalter erfassen, grundsätzlich nicht dem Gesellschaftsstatut. 5 0 Sie folgen vielmehr im Grundsatz dem Statut des angebahnten Vertrags 51 bzw. werden eigenständig entsprechend Art. 2 8 Abs. 2 S. 2 E G B G B oder deliktisch angeknüpft. 5 2 In den von uns untersuchten Problemkonstellationen führen diese Verweisungsregeln, sofern sich die Haftung der anwaltlichen Gesellschafter auf die Grundsätze der culpa in contrahendo stützt, regelmäßig gleichfalls z u m deutschen Recht.

3.

Zwischenergebnis

Festzuhalten ist damit: Die Vertrags- und Deliktshaftung, einschließlich der vorvertraglichen Vertrauenshaftung der über eine deutsche (Hauptoder Zweig-)Niederlassung anwaltlich tätigen LLP und ihrer Mitglieder beurteilt sich im Regelfall nicht nach dem englischen, sondern dem deutschen Recht. Das führt zu einer Kombination von englischem Gesellschaftsrecht mit deutschem außergesellschaftsrechtlichem Haftungsrecht. F ü r den handelnden Anwalt sind diese haftungsrechtlichen Konsequenzen ausgesprochen vorteilhaft. Sie werden daher in der LLP-Anwaltsliteratur als großer

48 Zum genuin korporativen Charakter der Durchgriffshaftung BGH WM 1957, 1047, 1049; BGHZ 78, 318, 334; BGH NJW 1992, 2026, 2030; so auch Forsthoff/Schulz in: Hirtel Bücker (Fn. 47) § 15 Rn. 51 ff.; Eidenmüller in·. Eidenmüller (Hrsg.) Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, München 2004, § 4 Rn. 17ff.; den. NJW 2005, 1618, 1620; Fleischeria·. Lutter (Fn. 47) S. 80f., 89f.; Ulmer NJW 2004, 1201, 1204, 1208; ders. KTS 2004, 291, 303f.; Spindler/Bemer RIW 2004, 7, 11; Burg GmbHR 2004, 1379, 1380; so im Ergebnis auch Schumann DB 2004, 743, 745; Paefgen DB 2003, 487, 491; Riegger ZGR 2004, 510, 525; Horn NJW 2004, 893, 899; Kuntz NZI 2005, 424, 431. Siehe außerdem Altmeppen/Wilhelm DB 2004, 1083, 1088; Altmeppen NJW 2004, 97, 101; Meilicke GmbHR 2003, 1271, 1272; Schön ZHR 168 (2004), 268, 292f. für die Existenzvernichtungshaftung; für die Existenzvernichtungshaftung differenzierend MüKo-BGB/ATiW/er Bd. II, 4. Aufl. München 2006, IntGesR Rn. 617; a. A. (insolvenzrechtliche Qualifikation der Existenzvernichtungshaftung) Weller (Fn. 35) S. 235ff., 282; Fleischer in: Lutter (Fn. 47) S. 49, 124ff., 129 f. 49 So auch Bank (Fn. 3) § 14. II. 1.-2. 50 Vgl. Spahlinger/Wegen in: Internationales Gesellschaftsrecht in der Praxis, München 2005, S. 96; ί / W NJW 2004, 1201, 1204, 1207; Paefgen DB 2003, 487, 488, 492. 51 Rehm in: Eidenmüller (Fn. 48) § 5 Rn. 6, dort zur partiellen Geltung des Gesellschaftsstatuts etwa bei Verletzung von Organpflichten wie der unterlassenen Aufklärung über mangelnde Liquidität der ausländischen Gesellschaft. 52 Siehe zur Anknüpfung vorvertraglicher Vertrauenshaftung am Beispiel der Eigenhaftung des Vertreters bzw. Sachwalters, Mansel Festschrift für Schlosser, Tübingen 2005, S. 545, 558f.

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Vorzug der Organisationsform der LLP bei Auftreten auf dem deutschen Anwaltsmarkt hervorgehoben. 53 Da der handelnde Partner der LLP regelmäßig nicht selbst Vertragspartner des Mandanten ist, scheidet eine vertragliche Haftung aus. Die deutschen Gerichte sind zwar europarechtlich nicht gehindert, auf seine Haftung auch die Prinzipien der deutschen culpa in contrahendo-Haftung aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB sowie der Rechtsscheinhaftung anzuwenden. Diese kennen aber weit strengere Voraussetzungen als das englische Deliktsrecht, welches insoweit die gleiche Haftungsfunktion erfüllt. Der Bundesgerichtshof lehnt in ständiger Rechtsprechung eine generelle Berufshaftung der Rechtsanwälte ab, 54 weshalb sich nach dem maßgeblichen deutschen Recht für den Regelfall einfacher anwaltlicher Fehlleistungen bei der Mandatsbetreuung keine vorvertragliche Haftung des persönlich handelnden Anwalts bejahen lässt. Da das deutsche Deliktsrecht vor reinen Vermögensschäden nur ausnahmsweise schützt, namentlich im Fall des § 826 BGB und bei Verletzung eines insbesondere strafrechtlichen Schutzgesetzes (wie z . B . § 266 StGB) in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB, muss ein handelnder LLP-Anwalt auch kaum damit rechnen, nach deutschem Recht deliktsrechtlich von seinem Mandanten für eventuelle Fehler zur Verantwortung gezogen zu werden. 4. Haftungsbegünstigung durch kollisionsrechtliche dépeçage f a. Dépeçage: Kollisionsrechtlich gespaltene Anknüpfung eines einheitlichen Problemkreises Gibt man sich mit diesen Grundsätzen zufrieden, so führt dies zu der unbefriedigenden Konsequenz, dass die Mitglieder einer freiberuflichen LLP bei einem Tätigwerden von ihrer deutschen Niederlassung in Deutschland aus haftungsrechtlich sogar besser gestellt sind als alleine nach englischem Recht. Das LLP-Gesellschaftsrecht verzichtet darauf, die Haftung für berufliches Handeln der Mitglieder anzuordnen, weil das englische Deliktsrecht insoweit ausreichend durchgebildet erscheint und auch den Schutz vor anwaltstypischen reinen Vermögensschäden gewährleistet. Dieser Regelungszusammenhang zwischen dem lückenhaften gesellschaftsrechtlichen Haftungsregime und dem lückenausfüllenden Deliktsrecht innerhalb der englischen Rechts-

Weller/Kienle DStR 2005, 1102, 1106 f. » BGH NJW 1989, 293, 294 (Rechtsanwalt); BGH NJW 1991, 32, 33 (Rechtsanwalt); BGH NJW 1992, 2080, 2083 (Steuerberater); MüKo-BGB/Emmerich Bd. 2a, 4. Auflage, München 2003, § 311 Rn. 221 ff.; Henssler in: Henssler/Streck (Hrsg.) Handbuch des Sozietätsrechts, Köln 2001, E Rn. 168; ders. JZ 1994, 178, 184; ders. AnwBl 1996, 3, 6f. 53

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Ordnung wird nun in den hier interessierenden Konstellationen durch das internationale Privatrecht infolge der Verweisung auf das englische Gesellschaftsrecht einerseits und das deutsche Deliktsrecht andererseits zerrissen. Aufgabe des internationalen Privatrechts ist es, den Anwendungsbereich konkurrierender Rechtsordnungen zu bestimmen. 55 Die Aufspaltung eines einheitlichen rechtlichen Regelungszusammenhangs durch das Kollisionsrecht ist unter dem Stichwort dépeçage bekannt. Goldschmidt verdanken wir die Erkenntnis, dass die Ursache der Aufspaltung einheitlicher Regelungsvorgänge durch das internationale Privatrecht dessen analytische Methode ist. Sie bestehe darin, den Sachverhalt, der in seiner Gesamtheit dergestalt mit mehreren Rechten in Verbindung steht, dass die Zuordnung zu einem einzigen von ihnen den Grundsatz der Achtung vor den übrigen verletzen würde, in mehrere Teile zu zerlegen, von denen jeder Einzelne nur zu einem einzigen Recht gehört, das ihn sodann gesondert zu beurteilen habe. 56 Da aber jede Rechtsordnung idealtypisch auf Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit angelegt ist, kann die beschriebene Aufspaltung und Zuweisung der verschiedenen Aspekte eines Regelungsbereichs an unterschiedliche Rechtsordnungen zu Normenwidersprüchen führen. 57 Es ist die Aufgabe des Rechtsinstituts der Anpassung, die durch die Rechtsaufspaltung entstandenen Normwidersprüche wieder aufzulösen und zu korrigieren. Die bei der dépeçage stets zu beantwortende Frage ist, unter welchen Bedingungen sie hinzunehmen ist und wann die durch sie bedingten Normwidersprüche nicht mehr zu akzeptieren sind, so dass es zu einer Anpassung kommen muss. b. Funktionale Aufspaltung Die Methode der Angleichung oder Anpassung beseitigt solche Normwidersprüche bzw. ihre Folgen. Sie ist auch im Gesellschaftsrecht bereits bekannt. 58 Bei dem gesetzlich nicht ausdrücklich im deutschen Internationalen Privatrecht geregelten, aber dennoch anerkannten Rechtsinstitut der Anpassung ist die Terminologie noch unsicher. 59 In den hier zu untersuchenden Problemkonstellationen liegt eine so genannte funktionale Aufspaltung vor: 60 Bei der Anwendung des englischen 55

Dazu siehe den erhellenden Beitrag von Jahr RabelsZ 54 (1990) 481 ff. Goldschmidt Festschrift für Martin Wolff Tübingen 1952, S. 202, 208ff.; siehe den Hinweis bei Weller {Fn. 35) S. 104 ff. 57 Siehe nur Kegel/Schung Internationales Privatrecht, 9. Aufl. München 2004, § 2 II 3 b (S. 141). 58 Siehe nur Mansel Liber amicorum Kegel München 2002, S. 111 ff. ; zustimmend Huber in: Lutter (Fn. 47) S. 307, 338. 59 Siehe nur Dannemann Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung, Tübingen 2004, 3 ff., 419 ff. 60 Zum Begriff der funktionalen Aufspaltung siehe Loosckelders Die Anpassung im internationalen Privatrecht, Mannheim 1995, S. 326f. 56

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Gesellschaftsrechts und des deutschen außergesellschaftsrechtlichen Haftungsrechts auf die allgemeine Rechtsfrage der Fahrlässigkeitshaftung des handelnden Berufsträgers für Vermögensschäden des Mandanten wird kollisionsrechtlich gerade jeweils derjenige Normenkomplex der betreffenden Rechtsordnung für anwendbar erklärt, der keinen Anspruch gegen den Berufsträger bereit hält. Es kommt zu einer funktionellen Disharmonie der berufenen Rechte. 61 c. Anpassungsvorgang Mit Anpassung ist die modifizierte Anwendung der Kollisionsnormen der lex fori oder des durch diese berufenen Sachrechts gemeint. Normanpassung kann somit auf unterschiedliche Weise geschehen. Erfolgt die Anpassung auf der Ebene des Kollisionsrechts, dann wird bereits das Wirksamwerden des Normwiderspruchs verhindert. 62 Das geschieht durch eine besondere, von der Regel abweichende Qualifikation 63 oder durch die Herausbildung einer eigenen, nur auf den Angleichungsfall bezogenen Kollisionsnorm. Anpassung kann aber auch auf rein sachrechtlicher Ebene durchgeführt werden. Wird das anwendbare Sachrecht angeglichen, dann werden die anwendbaren Normen in Tatbestand oder Rechtsfolge verändert oder es wird eine neue, allein für die grenzüberschreitende Anpassungsproblematik geltende Sachnorm geschaffen. 64 d. Anpassungslage bei der Haftung des LLP-Partners Die die Anpassung rechtfertigende so genannte Anpassungslage ist dann gegeben, wenn das nach den allgemeinen Verweisungsregeln erzielte Anwendungsergebnis den beteiligten Rechtsordnungen für sich genommen fremd ist und sie vielmehr für sich genommen im funktionalen Ergebnis Ubereinstimmung erzielen würden. Denn hier führt die Aufspaltung nach der analytischen Methode des Internationalen Privatrechts zu nicht mehr als sachgerecht anzuerkennenden Ergebnissen. Eine Anpassungslage wäre demnach für unseren Fall der Fahrlässigkeitshaftung des handelnden LLP-Mitglieds mit seinem persönlichen Vermögen für Vermögensschäden des Mandanten dann gegeben, wenn das englische MüKo-BGB/5onnen¿erger Bd. 10, 4. Aufl., München 2006, Einl. IPR Rn. 610. Auf der Grundlage eines anderen Anpassungsverständnisses a. A. Looschelders (Fn. 60) S. 195ff., 210f. 6 3 Im Einzelnen ist streitig, ob hier von einer Anpassung gesprochen werden kann oder von funktioneller Qualifikation, siehe näher MüKo-BGB/Sonnenberger (Fn. 61) Einl. IPR Rn. 596ff. 64 Looschelders (Fn. 60) 1995, S. 164ff. 61

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und das deutsche Recht jeweils für sich genommen eine Haftung bejahen würden, es aber aufgrund des durch die Verweisungsnormen des deutschen Rechts angeordneten Zusammenspiels zu einer Freistellung des anwaltlichen Gesellschafters käme. Nach englischem Recht würde - wie oben aufgezeigt - der anwaltlich handelnde LLP-Partner persönlich zwar nicht nach Gesellschaftsrecht, 65 im Einzelfall aber doch nach deliktsrechtlichen Grundsätzen haften. 66 Nach deutschem Recht wäre eine deliktische Vermögenshaftung für den angenommenen Regelfall der Fahrlässigkeitshaftung - wie oben dargelegt tatbestandlich meist zu verneinen. Damit kommt es entscheidend auf die gesellschaftsrechtliche Haftungslage nach deutschem Recht an. Das deutsche Gesellschaftsrecht hält naturgemäß keine Regeln für die gesellschaftsrechtliche Haftung eines Mitglieds einer LLP englischen Rechts bereit. Es ist daher danach zu fragen, welchem deutschen Organisationstypus die LLP vergleichbar ist. Wäre sie einer Kapitalgesellschaft funktional vergleichbar, dann wäre die gesellschaftsrechtlich bestimmte persönliche Haftung des handelnden Berufsträgers im Rahmen der hier anzustellenden vergleichenden Wertung zu verneinen. Sollte eine LLP hingegen einer Partnergesellschaft funktional vergleichbar sein, dann wäre die persönliche gesamtschuldnerische Gesellschafterhaftung gemäß § 8 Abs. 1 PartGG der Regelfall. Waren aber nur einzelne Partner mit der Bearbeitung eines haftungsauslösenden Auftrags befasst, so haften gemäß § 8 Abs. 2 PartGG nur diese für berufliche Fehler neben der Partnerschaft. Eine persönliche Haftung des handelnden Berufsträgers wäre damit für den Fall anwaltlicher Pflichtverstöße gegeben. Die Suche nach einer der englischen LLP vergleichbaren Rechtsform im deutschen Recht steht vor dem Dilemma, dass der englische LLPA diese Gesellschaftsform nicht nur den Freien Berufen zur Verfügung stellt, sondern sie für jede unternehmerische Betätigung (any „lawful business with a view to profit") 67 öffnet. Orientiert man sich bei vordergründiger Betrachtung strikt an diesem breiten Anwendungsfeld, dann gibt es im deutschen Recht keine unmittelbare Parallelgesellschaft. Blickt man dagegen auf den sozialpolitischen Anlass für die Entwicklung dieses gesellschaftsrechtlichen Hybrids, dann haben sowohl die US-amerikanische als auch die englische LLP und die deutsche PartG die gleichen Wurzeln. Ihr gemeinsames Regens Siehe noch Bank (Fn. 3) § 11. VI. 2. ω Vgl. Williams υ Natural Life Health Foods Ltd. [1998] 1 W.L.R. 830, 8 3 5 A - C per Lord Steyn; siehe auch Trevor Ivory Ltd ν Anderson [1992] N.Z.L.R. 517, 524 per Cooke Ρ; Griffiths (1998) C.F.I.L.R. 2, 157-169; Griffin (1999) L.Q.R. 115, 36, 40; Borrowdale (1998) J.B.L. Mar., 97,110; Walters (1998) Comp. Law. 19 (8), 226, 227f.; Payne (1998) J.B.L. Nov., 573, 573; Stallworthy (1998) I.C.C.L.R. 8 (12), N105, N106. 67 Sec. 2 (2a) LLPA. Nur gemeinnützigen Organisationen bleibt diese Rechtsform also verwehrt.

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lungsanliegen ist es, angesichts der in den letzten Jahrzehnten rapide gewachsenen Haftungsrisiken insbesondere den Freien Berufen eine Gesellschaftsform zur Verfügung zu stellen, die zwar dem Bedarf nach einer personalistischen Organisationsstruktur und steuerrechtlicher Transparenz Rechnung trägt, zugleich aber eine Einschränkung der unbeschränkten, persönlichen und gesamtschuldnerischen Haftung erlaubt, wie sie für Personengesellschaften typisch ist. 68 Den Anstoß für die Entwicklung der neuen Gesellschaftsform gaben die zahlreichen Schadensersatzprozesse gegen Anwalts- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die sich Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts in den USA mehrten. 69 Auch im englischen Recht war die LLP von ihrer Genese her zunächst als Berufsausübungsform für die Freien Berufe konzipiert. Die ausländischen Gesetzgeber haben die aufgezeigte Entwicklung zum Anlass genommen, die Haftungsvorteile konsequent auch den gewerblichen Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Nur der deutsche Gesetzgeber hat den - verfassungsrechtlich problematischen 70 - Ansatz über eine Privilegierung allein der Freien Berufe gewählt. Trotz dieses nicht kongruenten Anwendungsbereichs muss für den Fall der freiberuflichen Berufsausübung die deutsche PartG als die der LLP deutlich am nächsten stehende Gesellschaftsform bezeichnet werden. Eine Orientierung an einer deutschen Freiberufler-GmbH würde den Hybrid-Charakter, der der LLP zu Eigen ist, vollständig vernachlässigen und auch steuerrechtlich71 zu nicht befriedigenden Ergebnissen führen. 72 Im Schrifttum wurde überzeugend aufgezeigt, dass eine LLP, die das Innenrecht entsprechend den (weitgehend dispositiven) Gesetzesvorgaben ausgestaltet, personenrechtlich geprägt und daher als partnerschaftsäquivalent einzustufen ist. Kriterien dieser Gleichwertigkeitsprüfung sind u. a. die anwaltliche Weisungsfreiheit sowie die Unabhängigkeit der LLP-Partner. 73 Trägt man den Gemeinsamkeiten in Entstehungsgeschichte, Normzweck und Organisationsstruktur Rechnung, so wird bei freiberuflicher Ausrichtung der Gesellschaft die gesellschaftsrechtliche Haftungslage durch die 68 Zum mit der Reform des Jahres 1998 verfolgten Regelungsanliegen des deutschen Gesetzgebers vgl. BT-Drucks. 13/9820 S. 21. 69 Cain Law Partnership, 2nd ed., Chicago 1999, S. 84, Bromberg/Ribstein On Limited Liability Partnership and the Revised Uniform Partnership Act, ed. 1997, Boston, S. 4. 70 So zutreffend Wiedemann Gesellschaftsrecht II, München 2004, S. 88; vgl. ferner Henssler Festschrift für Wiedemann (Fn. 4) S. 907, 928. 71 Steuerrechtlich wird die LLP als partnership, nicht als Kapitalgesellschaft eingestuft, vgl. zur US-LLP Henssler Festschrift für Wiedemann (Fn. 4) S. 907, 925. 72 Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass auch die deutsche GmbH schon von ihrem Anwendungsbereich nicht unmittelbar als Parallelgesellschaft passt, da sie im Gegensatz zur LLP für jeden denkbaren, also auch für karitative Gesellschaftszwecke zur Verfügung steht. 73 Näher Weller/Kienle DStR 2005, 1102, 1103.

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Handelndenhaftung des aktiv mitarbeitenden Partners gemäß § 8 Abs. 1 und 2 PartGG bestimmt. Folglich liegt eine Anpassungslage vor, denn würde nur das englische Gesellschafts- und Deliktsstatut gelten, würde der handelnde Partner im Regelfall eines entstandenen anwaltlichen Vertrauensverhältnisses persönlich nach Deliktsrecht für Vermögensschäden eines Mandanten infolge anwaltlicher Berufsfehler haften. Fänd nur das deutsche Gesellschafts- und Deliktsrecht Anwendung, käme man zwar im Regelfall nicht über das deutsche Deliktsrecht, wohl aber entsprechend der grundsätzlich persönlichen Haftung gemäß § 8 Abs. 1 PartGG zu dem im Kern identischen Ergebnis. Das deutsche Personengesellschaftsrecht privilegiert in § 8 Abs. 2 PartGG nur die nicht unmittelbar in die Mandatsbearbeitung eingeschalteten Partner, entspricht daher bei der Haftung wegen fehlerhafter Berufsausübung dem englischen Recht. N u r infolge der Kombination von englischem Gesellschafts- und deutschem Deliktsstatut kommt es zu einer haftungsrechtlichen Freistellung auch des handelnden Partners. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu den Wertungen des deutschen und des englischen Rechts, da - wie bereits erläutert - der englische Gesetzgeber für die freiberufliche LLP nur deshalb auf die Einführung einer gesellschaftsrechtlichen Handelndenhaftung verzichtet hat, weil er davon ausging, dass eine solche Haftung bereits aus allgemeinen common lawDeliktsrecht folgt. Die gesetzliche Regelung im LLPA ist damit - bewusst lückenhaft. 74 Sachgerecht erscheint es deshalb, in Fällen der grenzüberschreitenden Verwaltungssitzverlegung oder auch bei der Gründung von Zweigniederlassungen bei einer LLP englischen Rechts auf das Gesamtkonzept der Gesellschafterhaftung abzustellen. Daher liegt die These nahe, dass die Beschränkung der nach der Gründungstheorie zu übertragenden Regeln auf den Bereich des Gesellschaftsrechts nicht dazu führen darf, dass die Gesellschafterhaftung sowohl hinter dem Gesamthaftungssystem des Gründungsstaates als auch hinter demjenigen des Sitzstaates zurückbleibt. 75

74 Diesen Rückschluss erlauben die Explanatory Notes to Limited Liability Partnerships Act 2000, Chapter 12, para. 16. Hier wird hinsichtlich einer persönlichen Haftung der LLP Gesellschafter für Fälle sorgfaltswidrigen Verhaltens auf die Rechtsprechungsentwicklung im Gesellschaftsrecht verwiesen. 75 In Auseinandersetzung mit den Thesen dieses Beitrags anderer Auffassung Bank (Fn. 3) § 16.

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e. Durchführung der Anpassung hinsichtlich der persönlichen Handelndenhaftung der LLP-Partner aa. Kollisionsrechtliche Anpassung im Wege abweichender Qualifikation Da das deutsche gesellschaftrechtliche Haftungsrecht nach der EuGH-Rechtsprechung 76 nicht auf eine in England gegründete LLP angewendet werden kann, bleibt nur die Anpassung des Deliktsstatuts. Die Anpassung ist nach dem Grundsatz des geringsten Eingriffs in bestehende Rechte durchzuführen. 7 7 Das bedeutet: Das richterrechtlich entwickelte Institut der fahrlässigen Vermögenshaftung des englischen Deliktsrechts erfüllt Funktionen einer persönlichen Handelndenhaftung des im Einzelfall anwaltlich tätigen LLPBerufsträgers. Daher sind die oben beschriebenen englischen Deliktsrechtsgrundsätze (und nicht etwa die deutsche Vorschrift des § 8 Abs. 1 und 2 PartGG in analoger Anwendung), soweit die Anpassungslage besteht, im Wege der kollisionsrechtlichen Anpassung (!) als gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren (irreguläre Qualifikation) und über den Verweisungsbefehl in das englische Gesellschaftsrecht auch durch deutsche Gerichte anzuwenden. Das kraft der regelgerechten Deliktsrechtsanknüpfung berufene Deliktsrecht (idR hier das deutsche) wird dadurch nicht verdrängt, sondern bleibt anwendbar. D e n n das englische Deliktsrecht wird, soweit es die persönliche H a f t u n g des handelnden LLP-Partners regelt, funktional als Gesellschaftsrecht angewendet. Gemeinschaftsrechtlich ist der beschriebene Anpassungsvorgang zulässig, denn die - hier ergänzende - Anwendung des englischen Deliktsrechts entspricht der Rechtslage im Gründungsstaat. Auch nach dem weiten Verständnis des EuGH, der eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit bei jeder Maßnahme bejaht, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindert oder weniger attraktiv erscheinen lässt, 78 ist damit ein Eingriff in den Schutzbereich der europäischen Grundfreiheit von vornherein nicht denkbar. Der Gesellschaft werden gerade keine Verpflichtungen auferlegt, die über die nach ihrem Gründungsrecht bestehenden Verpflichtungen hinausgehen. Weder die primäre noch die sekundäre Niederlassungsfreiheit aus Art. 43 Abs. 1 S. 1, 2; 48 EGV sind damit berührt. Gemeinschaftsrechtlich unzulässig wäre es dagegen, auf die LLP englischen Rechts und ihre Mitglieder generell das Haftungssystem des deutschen § 8 Abs. 1 und 2 PartGG anzuwenden. Die Folge wäre eine Form der Gesellschafterhaftung, deren Umfang über diejenige des englischen Rechts hinausginge. Auch der kollisionsrechtliche Anpassungsgrundsatz des geringsten Eingriffs in bestehende Rechte wäre verletzt. 76

Siehe dazu bereits oben unter III. Siehe dazu MxX.o-VGK/Sonnenberger (Fn. 61) Einl. IPR Rn. 613. 78 EuGH v. 9. 3. 1999 C-212/97, Slg. 1999, 1-1459, Centros Rn. 34; Koemg/Haratsch Europarecht, 4. Aufl., Tübingen 2003, Rn. 643. 77

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bb. Sachrechtliche Anpassung Als alternativer Anpassungsansatz erscheint auf den ersten Blick ein Rückgriff auf die Rechtsscheinshaftungsgrundsätze des deutschen Rechts erwägenswert. So lässt sich argumentieren, dass ausländische (englische) Mandanten einer in England tätigen LLP davon ausgehen, der konkrete Mandatsbearbeiter sei ihnen persönlich nach tort law-Grundsätzen verantwortlich. Im Zweifel werden sie die gleiche Erwartungshaltung auch dann haben, wenn sie in einer deutschen Niederlassung derselben LLP einen Mandatsvertrag schließen, selbst wenn dieser dem deutschen Recht unterliegt. Im Ergebnis überzeugt eine solche Anpassungslösung gleichwohl nicht. Man wird nämlich nicht unterstellen dürfen, dass eine Anwalts-LLP englischen Rechts, die in Deutschland tätig wird, ohne einen abweichenden Haftungswillen kundzutun, einen Vertrauenstatbestand dahin schafft, sie wolle einer Haftung im Ausmaß des englischen Deliktsrecht unterliegen. Dem deutschen Rechtsverkehr, auf dessen Erwartungshaltung hier abzustellen ist, wird vielleicht die mit der LLP verbundene Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen bekannt sein, aber kaum die begleitende deliktische Handelndenhaftung. Zudem ist die kollisionsrechtliche Anpassung mittels irregulärer Qualifikation auch konstruktiv der einfachere Weg mit dem geringst möglichen Eingriff. Dieses Merkmal des kleinsten Eingriffs bestimmt aber die Auswahl zwischen den verschiedenen Möglichkeiten der Anpassung. 7 9

IV. Ergebnis und Folgerungen 1. Durch die deutschen Gerichte anzuwendendes Haftungsrecht Als Ergebnis der vorstehenden Überlegungen lässt sich festhalten: Wenn deutsche Gerichte die Haftung eines in Deutschland anwaltlich handelnden Partners einer in England gegründeten LLP zu beurteilen haben, die in Deutschland mittels einer hier errichteten Zweigniederlassung oder Hauptniederlassung (auch bei einem in Deutschland befindlichen Verwaltungssitz) aktiv wird, ergibt sich folgende kollisionsrechtliche Lage für die deutschen Gerichte: (1) Sie haben das aufgrund der Anknüpfung an den Gründungssitz berufene englische LLP-Gesellschaftsrecht für Fragen der verbandsrechtlichen Gesellschafterhaftung anzuwenden. Das gilt unabhängig davon, ob die englische LLP in Deutschland ihren Hauptsitz oder nur Zweigniederlassungen unterhält. Daher richten sich alle Rechtsfragen, die das 79

Siehe zuvor unter aa.

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Gesellschaftsrecht bzw. das Verbandsrecht betreifen, auch bei einem Auftreten in Deutschland nach englischem Gesellschaftsrecht. In einem solchen Fall legt das englische Gesellschaftsstatut zugleich fest, wieweit die Gesellschaft und die anderen Gesellschafter kraft gesellschaftsrechtlicher Vorschriften für das Handeln eines LLP-Partners als Vertreter der LLP haften. Danach haften die LLP-Partner regelmäßig nicht persönlich, sondern es haftet nur die LLP selbst. (2) Die deutschen Gerichte haben daneben für Fragen der Deliktshaftung das nach deutschem Internationalen Privatrecht (Art. 40-42 EGBGB) zu bestimmende anwendbare Deliktsrecht heranzuziehen. Wie oben gezeigt, ist das in den hier zu untersuchenden Fällen einer im Inland von seiner deutschen Niederlassung auftretenden LLP regelmäßig das deutsche Deliktsrecht. Dieses kennt im Regelfall keine Deliktshaftung für fahrlässig infolge anwaltlichen Fehlverhaltens hervorgerufene Vermögensschäden des Mandanten (der LLP). Sobald die das deutsche internationale Deliktsrecht künftig ablösende, in Vorbereitung befindliche so genannte Rom II-EG-Verordnung80 in Kraft treten wird, wird das Deliktsstatut nach den Vorschriften der Verordnung zu bestimmen sein. Das wird jedoch keine Auswirkung auf den gedanklichen Ansatz der hier vorgetragenen Gesamtlösung haben. (3) Die deutschen Gerichte haben daneben für Fragen der Vertragshaftung des handelnden LLP-Partners (auch für die Frage, ob er überhaupt Vertragspartner wurde) das durch die Art. 27 ff. EGBGB bestimmte Vertragsstatut anzuwenden. Das ist in den hier behandelten Konstellationen regelmäßig das deutsche Recht. Im Regelfall wird der handelnde LLP-Berufsträger nicht Vertragspartner seines Mandanten. Der Anwaltsvertrag wird im Regelfall mit der LLP geschlossen, so dass eine Vertragshaftung des handelnden LLP-Partners grundsätzlich schon mangels zugrunde liegenden Vertragsverhältnisses ausscheidet. Sobald die das internationale Vertragsrecht der Art. 27-37 EGBGB ablösende, in Vorbereitung befindliche so genannte Rom I-EG-Verordnung81 in Kraft treten wird, wird das Vertragsstatut nach deren Kollisionsnormen zu ermitteln sein, ohne dass der gedankliche Lösungsansatz des vorliegenden Beitrags dadurch berührt würde. (4) Sie haben daneben für Fragen der vorvertraglichen Haftung das entsprechende Haftungsstatut anzuwenden. Das ist für die hier relevanten Fallkonstellationen regelmäßig das deutsche Recht, das nur unter engen Voraussetzungen eine persönliche Haftung des Berufsträgers bejahen würde. Die genannte Rom I-EG-Verordnung schließt nach dem zurzeit 80

Siehe dazu etwa Mansel Festschrift für Laufs Berlin Heidelberg 2006, S. 609, 618 f. Siehe zum letzten Stand Mankowski IPRax 2006, 101 ff., dort auch Abdruck des Verordnungsvorschlags, ebenda S. 193 ff. 81

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vorliegenden Vorschlag die vorvertragliche (Vertrauens)haftung aus ihrem Regelungsbereich aus. Das entsprechende vorvertragliche Haftungsstatut müsste dann entweder deliktisch über die Rom II-EG-Verordnung bestimmt werden oder autonom allein nach dem Kollisionsrecht der deutschen lex fori. (5) Daneben (auch neben dem berufenen Deliktsstatut, siehe unter 2.) haben die Gerichte in den hier interessierenden Konstellationen die richterrechtlich entwickelten, allgemeinen Deliktsrechtsgrundsätze des englischen Rechts in ihrer Anwendung auf die persönliche Haftung der LLP-Berufsträger anzuwenden. Die Rechtfertigung für deren Anwendung ergibt sich aus dem Grundgedanken der kollisionsrechtlichen Anpassung. Für die hier beschriebenen Zwecke sind diese Haftungsregeln des englischen Rechts ad hoc als „gesellschaftsrechtlich" zu qualifizieren, auch wenn sie im Wege der regulären Qualifikation dies nicht sind. Die Anpassung 82 erlaubt die beschriebene irreguläre gesellschaftsrechtliche Qualifikation der deliktsrechtlichen englischen Rechtsregeln. Der Vorgang der Anpassung selbst ist dem autonomen deutschen internationalen Gesellschaftsrecht zuzuordnen. Auf diese Weise kann eine persönliche Haftung des handelnden LLP-Berufsträgers begründet werden. 2. Berufsrechtliche und andere Folgerungen aus der kraft Anpassung erzielten Haftungslage Lehnt man entgegen dem hier vorgestellten Lösungsansatz eine persönliche Haftung der Gesellschafter einer in Deutschland tätigen LLP ab,83 so wirken die entstehenden Folgen bis weit in das Berufsrecht und das Steuerrecht hinein. 84 Ohne Haftung des mandatsbearbeitenden Rechtsanwalts müsste die berufsrechtliche Einordnung der personalistisch organisierten LLP als Personengesellschaft revidiert werden. Die LLP wäre dann aufgrund des weit reichenden Haftungsprivilegs berufsrechtlich gesehen einer Kapitalgesellschaft85 gleichzustellen. Gemäß der Ermächtigung in Art. 11 der europäischen Niederlassungsrichtlinie 98/5/EG 86 wäre Deutschland befugt, die LLP auch hin-

82 Von einem anderen gedanklichen Ausgangspunkt aus, wie ihn etwa MüKo-BGB/So«nenberger (Fn. 61) Einl. IPR Rn. 599 ff. vertritt, könnte man hier vielleicht auch nur eine funktionale Qualifikation annehmen; doch bestünde für den vorliegenden Untersuchungsauftrag nur ein Unterschied in der Benennung des methodischen Vorgangs, nicht aber in den heranzuziehenden Entscheidungskriterien oder dem Ergebnis. 83 So etwa Bank (Fn. 3) § 16. 84 Dazu demnächst Henssler/'Mansel. 85 Diese Einschätzung wird von Explanatory Notes to Limited Liability Partnerships Act 2000, Chapter 12, para. 13 unterstützt: „The LLP's existence as a separate legal entity makes it more closely akin to a company than to a partnership. " 86 Richtlinie 98/5/EG ABl EG v. 14. 3. 1998 Nr. L 77, S. 36ff.

Internationrechtliche Haftungsfragen einer anwaltlich tätigen LLP

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sichtlich der berufsrechtlichen Anforderungen an den für anwaltliche Kapitalgesellschaften geltenden Regelungen zu messen. Anders als eine der PartG vergleichbare Gesellschaft könnte die LLP - sofern es gleichzeitig zur gesetzlichen Regelung der Anwalts-AG 87 käme - einem eigenständigen Zulassungsverfahren unterworfen werden mit der Folge der Pflichtmitgliedschaft in der regional zuständigen Rechtsanwaltskammer. Insbesondere müsste die LLP die für Kapitalgesellschaften geltende deutlich erhöhte Mindesthaftpflichtversicherungssumme (vgl. § 59j BRAO; § 8 Abs. 2 EuRAG) beachten. In der Wahl der Zusammensetzung des Gesellschafterkreises wäre sie nicht mehr frei; steuerrechtlich und registerrechtlich 88 müsste sie sich ebenfalls wie eine Kapitalgesellschaft behandeln lassen. Insbesondere die steuerrechtlichen Folgen wären gravierend und würden die Attraktivität der LLP für in Deutschland niedergelassene Anwälte stark beeinträchtigt. Derzeit scheitert die Umwandlung großer europa- bzw. weltweit agierender partnerships in eine englische LLP insbesondere an der in einigen EU-Mitgliedstaaten noch ungeklärten steuerrechtlichen Behandlung. Der hier vorgestellte Lösungsansatz hat demgegenüber zur Folge, dass die LLP ebenso wenig wie die PartG nicht einmal einem freiwillig angestrengten Zulassungsverfahren unterworfen werden kann. 89 Eine Kammermitgliedschaft oder eine sonstige Form der berufsrechtlichen Registrierung kommt ebenfalls nicht in Betracht. Es besteht aber auch gar kein Anlass, diesen mühsamen Weg einzuschlagen, da die in Deutschland niedergelassene partnerschaftsähnliche LLP nicht nur den Anforderungen des RBerG genügt, sofern sie durch hierzulande zur Rechtsberatung befugte Personen tätig wird. In entsprechender Anwendung des § 7 Abs. 4 PartGG ist sie außerdem als postulationsfähig anzusehen und kann damit selbst - und nicht nur die für sie tätigen Anwälte 90 - als Prozessvertreter auftreten. Stellt man die LLP der PartG gleich, so zwingt die europäische Niederlassungsfreiheit dazu, die Postulationsfähigkeit auch dieser Gesellschaftsform zu bejahen (ungeachtet der prozessualen oder gesellschaftsrechtlichen Qualifikation der Postulationsfähigkeit), soweit diese Gesellschaft ihrerseits durch in Deutschland postulationsfähige Personen tätig wird. Eine ausländische anwaltliche Kapitalgesellschaft erhält demgegenüber eine eigene Postulationsfähigkeit erst aufgrund eines staatlichen Zulassungsaktes. 91 Anderenfalls

87 Zur Anwalts-AG s. BGHZ 161, 376 = NJW 2005, 1568; zu den Folgerungen dieser Entscheidung für ausländische Kapitalgesellschaften Henssler AnwBl 2005, 374. 88 An die Stelle der sachgerechten Eintragung in das Partnerschaftsregister (vgl. Henssler in: Henssler/Prütting BRAO, 2. Aufl., München 2004, § 5 PartGG Rn. 6) würde die Eintragung ins Handelsregister treten. 89 Siehe auch Henssler Festschrift für Busse (Fn. 3), S. 127, 143 ff. 90 Zu einem solchen Fall LG München I NJW 2006, 704. « Vgl. § 59k BRAO.

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Martin Henssler und Heinz-Peter Mansel

müssen die einzelnen Anwälte selbst vor Gericht auftreten, was regelmäßig ihre persönliche Haftung nach sich zieht. 92 3.

Gesamtwürdigung

Aus unserer Sicht sach- und interessengerecht wie rechtspolitisch angezeigt ist damit nur das hier vorgestellte Ergebnis, das zwar die Haftung des Mandatsbearbeiters in Kauf nimmt, zugleich aber die Nähe der freiberuflich tätigen LLP zur Personengesellschaft betont und damit die berufs-, steuerund registerrechtlichen Schwierigkeiten vermeidet, die sich aus der haftungsrechtlichen Nähe zur Kapitalgesellschaft ergeben würden.

'2 Dazu Henssler NJW 1999, 241, 243.

Zur Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts STEPHAN

HOBE

I. Einleitung Drei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus der jüngeren Zeit geben Anlass, in eine kurze Bestandsaufnahme von dessen dort offenkundig werdendem Verständnis von der Öffnung des Grundgesetzes für die internationale Zusammenarbeit einzutreten. Dieses seit Klaus Vogel1 geradezu klassisch gewordene Thema deutschen Verfassungsrechts, das auch später vielfach literarisch behandelt worden ist, 2 hat zudem naturgemäß auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer wieder eine Rolle gespielt. An prominenter Stelle hat sich das Gericht hier zum einen nur mit dem Verhältnis des Grundgesetzes zur völkerrechtlichen Ordnung beschäftigt, wie dies auch nachfolgend den Schwerpunkt dieser Betrachtung bilden soll. Zudem finden sich andererseits in jüngerer Zeit auch mehrfach Stellungnahmen zur Öffnung durch die europäische Integration. Hierzu sah sich das Gericht, etwa durch die bedeutenden Verfahren, die sich mit der Fortschreibung der Verträge für die europäische Integration befassten, veranlasst. Ein gewisser Höhepunkt war hier sicherlich das Urteil zum Ausführungsgesetz des Vertrages von Maastricht, 3 wo das Bundesver1 Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, Tübingen 1964. 2 Chr. Tomuschat Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, W D S t R L 36 (1978), 7ff. ; ders. Die staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, in: ]. Isensee/P. Kirchhoff (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, Heidelberg 1992, § 172, 483ff.; S. Hobe Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, Berlin 1998; ]. Kokott/E. Vesting Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes: Konsequenzen von Europäisierung und Internationalisierung, W D S t R L 63 (2004), 7ff.; 41 ff.; Chr. Seiler Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, Tübingen 2005; Chr. Tietje Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes: Konsequenzen von Europäisierung und Internationalisierung, DVB1. 2003, 1081. 3 BVerfGE 89, 155.

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fassungsgericht seine These des Bestehens eines Kooperationsverhältnisses zum Europäischen Gerichtshof Grund legte. Bot diese These vom Kooperationsverhältnis längere Zeit Anlass für vielfältige Spekulationen, wurde sie doch der Bezeichnung nach in der Rechtsprechung bis in die jüngere Zeit hinein verfolgt. Dabei ist auffällig, dass das Gericht auf der einen Seite seinen Anspruch auf Prüfung potenzieller Grundrechtsverletzungen auf sog. „ausbrechende Rechtsakte" zurückgenommen hat und im BananenmarktUrteil 4 letztlich sogar auf die Solange //-Rechtsprechung eingeschwenkt ist. Andererseits bleibt abzuwarten, ob in der Beantwortung der Klage des Abgeordneten Gauweiler gegen das Ratifikationsgesetz zum europäischen Verfassungsvertrag hier weitere Ausführungen gemacht werden5, wenn denn dieses Verfahren nach der vorläufigen Aussetzung der Ratifikationsverfahren zum europäischen Verfassungsvertrag überhaupt Fortgang nehmen wird. Die hier vorzunehmenden Anmerkungen sollen also im Schwerpunkt die Aussagen des Gerichts zur Öffnung der grundgesetzlichen Ordnung für die Völkerrechtsordnung in den Blick nehmen 6 , obwohl auch europarechtliches Potenzial deutlich werden wird. Die drei Entscheidungen der jüngsten Zeit erlauben es, hieraus einiges abzulesen über das neuere Verständnis des Gerichts von der Öffnung des Verfassungsstaats Bundesrepublik Deutschland für die internationale Zusammenarbeit; insofern wird nach den Konsequenzen dieser neuen Rechtsprechungslinien zu fragen sein. Dies alles geschieht neben dem Respekt für das Schaffen des Jubilars in dankbarer Erinnerung an fünf Jahre fruchtbarer Zusammenarbeit mit Norbert Horn als Direktor am Rechtszentrum für Europäische und Internationale Zusammenarbeit, wo der Verfasser dieser Zeilen im Jahr 2000 seine Antrittsvorlesung zu einem ähnlichen Thema des Verhältnisses der Rechtsordnungen des nationalen Rechts, des Europarechts und des europäischen Völkerrechts gehalten hat. 7

• BVerfGE 102, 147 (164). 5 Az 2 BvR 839/05 sowie 2 BvE 2/05. 6 Siehe dazu auch R. Hofmann The German Federal Constitutional Court and Public International Law: New Decisions, New Approaches?, in: German Yearbook of International Law 2004, 9ff. 7 S. Hobe Deutsches Recht, Europarecht, Völkerrecht - Gedanken zum Verhältnis dreier Rechtsordnungen in Zeiten sich verstärkender Europäisierung und Globalisierung, in: M. Hofmann/H. Küpper (Hrsg) Kontinuität und Neubeginn - Staat und Recht in Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Festschrift für Georg Brunner, Baden-Baden 2001, 523-536.

Zur Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für das Völkerrecht

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II. Aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verhältnis des Grundgesetzes zum Völkerrecht Nachfolgend sollen zunächst die drei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kurz vorgestellt werden und sodann die entsprechenden Leitlinien der Rechtsprechung hieran aufgezeigt werden. 1. Die erste hier zu referierende Entscheidung, der sog. Görgülu-Fallbetraf die Verfassungsbeschwerde von Herrn Görgülu gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg.8 Im Ergebnis hatte der Beschwerdeführer die aus seiner Sicht mangelhafte Umsetzung des in seiner Sache ergangenen Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie die damit einhergehende Missachtung des Völkerrechts durch das Oberlandesgericht Naumburg9 geltend gemacht. Stark zusammengefasst bemühte sich der Beschwerde führende Kindsvater um das Sorgerecht für seinen, von der Kindsmutter ohne sein Wissen zur Adoption freigegebenen Sohn. Alle Formen der Geltendmachungen seines vermeintlichen Anspruchs vor Gericht waren ebenso erfolglos gewesen wie eine zwischenzeitlich von der Dritten Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts zurückgewiesene Verfassungsbeschwerde gegen eine entsprechend die Entscheidung der ersten Instanz aufrecht erhaltene Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg.10 Der Beschwerdeführer hatte dann erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung des Art. 8 EMRK, nämlich des Respekts für das Privat- und Familienleben geltend gemacht,11 woraufhin im noch immer parallel laufenden Sorgerechtsfall das Amtsgericht Wittenberg antragsgemäß das Sorgerecht auf Herrn Görgülu übertrug.12 Allerdings stellte das Oberlandesgericht durch Anordnungen vom 30. 3. 2004 und 30. 6. 2004 die vorherige Sorgerechtssituation wieder her,13 u. a. mit der Begründung, dass das Urteil des Europäischen Menschengerichtshofs gemäß Art. 46 der Europäischen Menschenrechtskonvention nur für die Bundesrepublik Deutschland als Staat, nicht aber für deren unabhängige Gerichte bindend sei. Hiergegen wendete sich die Verfassungsbeschwerde von Herrn Görgülu, der neben seiner Menschenwürde die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 und 6 des Grundgesetzes und des Rechts auf ein faires Verfahren mit der hauptsächlichen Begründung geltend gemacht hat, das Oberlandesgericht habe Völkerrecht verkannt. In seinem Urteil stellt das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Verletzung des Art. 6 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip durch Nur 2 BvR 1481/04. Beschluss vom 30. Juni 2004 - 14WF64/04. 10 Beschluss vom 31. Juli 2001 - 1 BvR 1174/01. 11 EGMR, No. 74969/01, Urteil vom 26. Februar 2004 Görgülu. 12 Beschluss vom 19. März 2004. 13 Beschluss - 14WF64/04.

8 9

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das Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg fest. Das Gericht konstatiert seiner ständigen Rechtsprechung gemäß zunächst, dass die Europäische Menschenrechtskonvention über Art. 59 Abs. 2 in die deutsche Rechtsordnung inkorporiert sei und hier mit dem Rang von einfachem Gesetzesrecht gelte.14 Dabei bemüht sich das Gericht, besonders herauszustellen, dass die Gewährleistung der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihrer Zusatzprotokolle kein eigenständiger unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab sei und sich insofern ein Beschwerdeführer nicht unmittelbar mit einer Verfassungsbeschwerde auf die Verletzung der in der EMRK enthaltenen Menschenrechte stützen könne. Allerdings gelte die EMRK insofern indirekt, als sie die Auslegung der Grundrechte und der rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes wesentlich beeinflusse. Die Konvention und Rechtsprechung des EGMR seien als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte und der rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes heranzuziehen. Dies sei Ausdruck der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes. 15 Ausdrücklich heißt es sodann: „Das Grundgesetz ist jedoch nicht die weitesten Schritte der Öffnung für völkerrechtliche Bindungen gegangen [...]. Dem Grundgesetz liegt deutlich die klassische Vorstellung zugrunde, dass es sich bei dem Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht um ein Verhältnis zweier unterschiedlicher Rechtskreise handelt und dass die Natur dieses Verhältnisses aus Sicht des nationalen Rechts nur durch das nationale Recht selbst bestimmt werden kann; dies zeigen die Existenz und der Wortlaut von Art. 25 und 59 Abs. 2 GG. Die Völkerrechtsfreundlichkeit entfaltet Wirkung nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes." 16 Im Ergebnis verzichte das Grundgesetz nicht auf die Deutschland zukommende Souveränität, was auch im supranationalen Bereich darin seinen Ausdruck finde, dass die Unterwerfung unter nicht deutsche Hoheitsakte nicht jedweder verfassungsrechtlichen Begrenzung und Kontrolle entzogen sei.17 Dies führe dazu, dass die Bindungswirkung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von dem jeweiligen Zuständigkeitsbereich der staatlichen Organe und von dem einschlägigen Recht abhänge. Insbesondere könnten sich Verwaltungsbehörden und Gerichte nicht unter Berufung auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von der rechtsstaatlichen Kompetenzordnung und der Bindung an Gesetz und Recht lösen. Dabei könne sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Gerichtshofs als auch deren ge" Rn. 30, 31, 32. '5 Rn. 32, 33. Vgl. dazu schon BVerfGE 74, 358 (370). » Rn. 34. 17 Rn. 35, 35.

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gen vorrangiges Recht verstoßende schematische „Vollstreckung" gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen. Insofern erfordere die über das deutsche Zustimmungsgesetz ausgelöste Pflicht zur Berücksichtigung der Gewährleistung der Menschenrechtskonvention, dass ein entsprechendes Urteil des EGMR zur Kenntnis genommen werde und in den Willensbildungsprozess des zu einer Entscheidung berufenen Gerichts einfließe. Insbesondere müssten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Konventionsverstöße im innerstaatlichen Bereich feststellten, dazu führen, dass sich entsprechende Behörden und Gerichte mit der Entscheidung des EGMR auseinandersetzten, was entweder zur völkerrechtskonformen Auslegung der Rechtsanwendungspraxis führen könne oder zur Berücksichtigung von Entscheidungen des Gerichtshofs von deutschen Gerichten. Insbesondere sei es Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, Verletzungen des Völkerrechts durch die fehlerhafte Anwendung oder Nichtbeachtung völkerrechtlicher Verpflichtungen durch deutsche Gerichte nach Möglichkeit zu verhindern und zu beseitigen.18 Dies fördere insbesondere die gemeineuropäische Grundrechtsentwicklung. 19 Insofern stellt das Bundesverfassungsgericht fest, das Oberlandesgericht Naumburg habe sich nicht in zureichendem Ausmaß mit der Entscheidung des EGMR bezüglich der Auslegung des Art. 8 EMRK auseinandergesetzt, weshalb ein Verstoß gegen Art. 6 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 G G vorliege. Im Ergebnis bleibt also festzuhalten, dass das Bundesverfassungsgericht zwar einerseits durchaus einen Einfluss der nur einfachen Gesetzesrang aufweisenden Menschenrechtskonvention auf die völkerrechtskonforme Auslegung des deutschen Rechts bejaht, andererseits allerdings deutliche Einschränkungen gegenüber einer Vorrangwirkung des Völkerrechts festlegt. Letztlich wird ein solcher Vorrang abgelehnt, da nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts das Grundgesetz „das letzte Wort" habe. 20 Insgesamt verpflichtet auch eine autoritative Auslegung des Völkerrechts durch ein völkerrechtliches Gericht deutsche Gerichte und Behörden jeweils nur dazu, sich intensiv mit diesen Entscheidungen auseinander zu setzen. Der Entscheidung liegt insofern eine deutlich dualistische Grundvorstellung des Verhältnisses von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht mit der Tendenz eines Primats des innerstaatlichen Rechts zugrunde. 2. In der zweiten näher zu beobachtenden Entscheidung vom 26. 10. 2004 ging es um den Einfluss der allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 G G auf die deutsche Rechtsordnung. Hier handelte es sich darum, dass im September 1945 die sowjetische Militäradministration in Deutschland in mehreren Befehlen entschädigungslose Enteignungen der « Rn. 61. i' Rn. 62. 20 Vgl. hierzu Rn. 35.

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privaten Landbesitzer über 100 ha Land angeordnet hatte. Rechtsschutz gegen diese Enteignungen war nicht vorhanden. Im Kontext der Verhandlungen um den Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland hatten sowohl die Regierung der damaligen Deutschen Demokratischen Republik als auch die Regierung der damaligen Bundesrepublik Deutschland in einer gemeinsamen Erklärung über die Regelung offener Eigentums- und Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 festgestellt, dass alle Enteignungen zwischen 1945 und 1949, die durch die sowjetische Militäradministration vorgenommen worden seien, nicht wieder rückgängig gemacht würden, während bei Enteignungsmaßnahmen durch Behörden der Deutschen Demokratischen Republik zwischen 1949 und 1990, getreu dem Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung" vorgegangen würde. Gemäß Art. 41 des Einigungsvertrages wurde diese gemeinsame Erklärung Teil dieses Vertrages und später durch Einschluss in Art. 143 Abs. 3 des Grundgesetzes Bestandteil der Verfassungsordnung des wiedervereinigten Deutschland. Die Beschwerdeführer machten nun geltend, dass ihnen nach 1990 ihre Entschädigungsforderungen jeweils von den entsprechenden zuständigen Verwaltungsbehörden und Gerichten endgültig versagt worden seien. Hierin liege ein Verstoß gegen völkerrechtliche Grundsätze und insofern auch ein Verstoß gegen ihre Rechte nach Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 25 des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hält zunächst fest, dass die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts über Art. 25 des Grundgesetzes Teil der deutschen Rechtsordnung seien und einen höheren Rang als das einfache Gesetzesrecht genössen. 21 Uber Art. 20 Abs. 3 GG seien alle deutschen Staatsorgane an das Völkerrecht gebunden. 22 Es gebe allerdings keine Verpflichtung, jedwede Völkerrechtsnorm in das nationale Recht umzusetzen. Diese Verpflichtung beziehe sich nur auf solche Normen, die den wesentlichen Grundkonzepten des Grundgesetzes entsprächen. 23 Für das Bundesverfassungsgericht besteht die Verpflichtung, das Völkerrecht zu beachten aus drei Elementen: Zunächst sind alle deutschen Staatsorgane gehalten, Deutschland bindende Normen zu respektieren. Sodann steht der deutsche Gesetzgeber unter der Verpflichtung zu garantieren, dass im Rahmen der deutschen Rechtsordnung Verletzungen des Völkerrechts durch deutsche Staatsorgane korrigiert werden könnten. Schließlich könnten deutsche Staatsorgane auch verpflichtet sein, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen, wenn andere Staaten es verletzten. 24 2'

Rn. Rn. 23 Rn. » Rn. 22

88. 90. 91-92. 93.

Z u r Ö f f n u n g der innerstaatlichen Rechtsordnung f ü r das Völkerrecht

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Im Ergebnis kommt der Senat nun dazu, dass die Enteignungsmaßnahmen, die zwischen 1945 und 1949 von der sowjetischen Militäradministration vorgenommen wurden, der Bundesrepublik Deutschland nicht zurechenbar seien. 25 Das Völkerrecht habe die Bundesrepublik Deutschland nicht zur Restitution verpflichtet. Jedenfalls habe die Bundesrepublik Deutschland nach der deutschen Wiedervereinigung die Kompetenz inne gehabt, über das Fortbestehen der besatzungsrechtlichen Enteignungen zu entscheiden. Insbesondere sei sie dabei von Völkerrechts wegen nicht zur Restitution verpflichtet gewesen, sondern habe nur der Verpflichtung zur erfolgsbezogenen Zusammenarbeit dahingehend unterlegen, einen Zustand näher am Völkerrecht zu erreichen. 26 Insbesondere habe die Bundesrepublik Deutschland gegen keine Norm des Völkerrechts verstoßen, die eine solche Beachtenspflicht hätte begründen können. 27 Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention schütze nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht nur bestehende Besitzrechte, sondern auch legitime Erwartungen. Im Kontrast hierzu sei die Erwartung in die zukünftige weitergehende Gültigkeit eines zuvor entstandenen Eigentumsrechts, welches aber über eine lange Periode nicht mehr ausgeübt werden konnte, nicht geeignet, eine solche legitime Erwartungshaltung herbeizuführen. 28 Insofern habe auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geurteilt, dass Eigentumsrechte, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit enteignet worden seien, nicht mehr Anlass zu diesen Erwartungshaltungen hätten geben können. 29 Dieses Urteil betont also für den Bereich der allgemeinen Regeln des Völkerrechts gewisse Beachtenspflichten des Völkerrechts durch die Staatsorgane, die unter mehreren Möglichkeiten solche zu wählen hätten, welche am nächsten an der völkerrechtlichen Vorgabe lägen. Allerdings liegt dem weiter ein dualistisches Verständnis des Verhältnisses der Rechtsordnungen zueinander zugrunde, mit der Tendenz der Annahme eines Primats des staatlichen Rechts, dem die völkerrechtliche Vorgabe, um in nationales Recht umsetzbar zu sein, entsprechen müsse. 3. Das dritte, im hiesigen Kontext anzuführende Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Ζ 2005 betrifft das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den europäischen Haftbefehl. Hier erklärte das Bundesverfassungsgericht das deutsche Haftbefehlsgesetz, also das Durchführungsgesetz und zudem die Auslieferungsbewilligungsentscheidung bezüglich eines Deutsch-Syrers für verfassungswidrig. Der sich in Deutschland aufhaltende Beschwerde führende Deutsch-Syrer war zunächst aufgrund 25 26 27 28 29

Rn. Rn. Rn. Rn. Rn.

97 108 ff. 118ff. 145. 148 mit Verweis auf EGMR-Urteil vom 12. 7. 2001.

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internationalen Haftbefehls gesucht worden, wobei anfangs Auslieferungshindernisse durch das Bundesministerium der Justiz geltend gemacht worden waren. Nachdem die Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg auf der Grundlage des Rahmenbeschlusses über den europäischen Haftbefehl und das Ubergabeverfahren im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz erklärt hatte, das Auslieferungsersuchen dürfe nunmehr nicht mehr abgelehnt werden und deshalb die vorläufige Auslieferungshaft anordnete, was vom Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg bestätigt worden war, 30 machte der Beschwerdeführer ini Wege eines Antrags auf einstweilige Anordnung vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich geltend, bis zu einer endgültigen Entscheidung nicht ausgeliefert werden zu dürfen. 31 In seinem Urteil im Hauptsacheverfahren stellt das Bundesverfassungsgericht dann einen Verstoß des europäischen Haftbefehlsgesetzes gegen Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG fest, weil die spezifischen verfassungsrechtlichen Anforderungen des qualifizierten Gesetzesvorbehalts aus Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG durch den deutschen Gesetzgeber nicht erfüllt worden seien. Aus Art. 23 Abs. 1 des Grundgesetzes folge vielmehr, dass die Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze, so wie sie im Inland herrsche, auch für die Situation der möglichen Auslieferung an das Ausland über Art. 23 Abs. 1 GG Gültigkeit beanspruchen könne. Dabei ordnet das Bundesverfassungsgericht das Unionsrecht als Teilrechtsordnung dem Völkerrecht zu. 32 Bei der Umsetzung des völkerrechtlichen Rahmenbeschlusses habe der deutsche Gesetzgeber unverhältnismäßig in die Auslieferungsfreiheit eingegriffen, indem etwa den grundrechtlich besonders geschützten Belangen deutscher Staatsangehöriger bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses nicht Rechnung getragen worden sei. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist vor allem auch deshalb bemerkenswert, weil das Gericht hier zum einen die völkerrechtliche Natur des Rahmenbeschlusses besonders herausstellt, 33 damit auf die nicht unmittelbare Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses, wie sie in Art. 34 Abs. 2 lit b) EU-Vertrag festgeschrieben ist, in besonderem Maße Bezug nimmt und schließlich mit aller Deutlichkeit jedwede vertikale Direktwirkung, wie sie vom Europäischen Gerichtshof zu Richtlinien in bestimmten Fällen angenommen wurde, bei Rahmenbeschlüssen für nicht anwendbar erklärt. 34 Ohne dass dieses hier explizit verbalisiert wurde, 35 distanziert sich 30 Beschluss des Hanseatischen OLG Hamburg vom 23. 11. 2004 - Ausi 28/03 - (Zulässigkeit der Auslieferung bejaht). f Beschluss vom 24. 11. 2004, EuGRZ 2004, 667f. 32 Rn. 81. » Rn. 80. 34 Rn. 80. 35 Vgl. aber das Sondervotum des Richters Gerhardt, welches in Rn. 188 ausdrücklich auf Pupino eingeht.

Zur Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für das Völkerrecht

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das Bundesverfassungsgericht damit von der zuvor ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Pupino,ib wo der Gerichtshof immerhin eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts dann für erforderlich gehalten hatte, wenn es eine lückenhafte parallele Regelung des nationalen Rechts zu einem europäischen Rahmenbeschluss gebe. Hier hätte sich durchaus auch argumentieren lassen, die Struktur des Haftbefehls mit der erleichterten Auslieferungsmöglichkeit sei durch die im Grundgesetz in Art. 23 Abs. 1 zu fordernde Garantie der Strukturgleichheit in den anderen europäischen Rechtsstaaten letztlich risikolos und damit für den engen europäischen Integrationsraum auch zu fordern. Insofern hätte man argumentieren können, dass der im Rahmenbeschluss artikulierte Wille hier auch die Auslegung des deutschen Rechts hätte maßgeblich im Sinne einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung beeinflussen können. Wiederum wird die Umsetzung der völkerrechtlich begründeten Vorgabe in nationales Recht von nationalen Grundrechten geprägt. Und wiederum determiniert nicht der auf europäischer Ebene geteilte Wille die Auslegung nationalen Rechts, sondern ist umgekehrt der staatliche Wille der entscheidende Maßstab. Im Ergebnis wird auch hierin eine grundsätzlich dualistische Konzeption mit Tendenz zum Primat des nationalen Rechts deutlich.

III. Die zentralen Aussagen zur Ö f f n u n g des Grundgesetzes Welches Bild wird nun zusammengefasst durch diese drei hier kurz skizzierten Entscheidungen gezeichnet? Es sind drei Entscheidungen, die sich mit der Frage der Öffnung der Bundesrepublik Deutschland für die internationale Zusammenarbeit befassen. Dies wird zum einen für den Fall der Inkorporation internationalen Rechts im Range von Gesetzesrecht über Art. 59 Abs. 2 GG, sodann in dem Fall der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts über Art. 25 GG und schließlich für die besondere Struktur eines europäischen Rahmenbeschlusses letztlich über Art. 23 GG stipuliert. Zunächst noch einmal zur Öffnung gegenüber dem Völkervertragsrecht, welches über Art. 59 Ab. 2 GG in den deutschen innerstaatlichen Rechtsraum eindringt. Hier wird auf der einen Seite zwar von einer deutlichen Öffnung zur internationalen Zusammenarbeit gesprochen, letztlich die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention als Maßstab auch des Handelns deutscher Behörden herausgestellt und insbesondere die 36 E u G H , EuZW 2005, 433; siehe dazu etwa Chr. Hillgruber Unionsrecht und nationales Recht - Der Fall Pupino, J Z 2005, 841 ; M. Adam Die Wirkung von EU-Rahmenbeschlüssen im mitgliedstaatlichen Recht, EuZW 2005, 558; Chr. Herrmann Urteilsanmerkung, EuZW 2005, 436; Th. Fetzer/Th. Groß Die Pupino-Entscheidung des E u G H - Abkehr vom intergouvernementalen Charakter der EU? - Erwiderung auf Herrmann EuZW 2005, 550.

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wichtige Aussage getroffen, jede Person könne im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen, dass deutsche Staatsorgane die Europäische Menschenrechtskonvention nicht beachtet oder missinterpretiert hätten und sich daraus eine Verletzung der Grundrechte des deutschen Grundgesetzes ergebe. Dies ist, soweit ersichtlich, das erste Mal, dass die Verletzung des regionalen europäischen Völkerrechts der Menschenrechtskonvention in der Auslegung durch den EGMR zur Begründung einer Verletzung deutscher Grundrechte herangezogen wird. 37 Insofern zeigt sich in dieser Entscheidung zunächst einmal eine gewisse Tendenz zur völkerrechtsfreundlichen Öffnung des Grundgesetzes. Allerdings grenzt das Gericht diesen möglichen Öffnungsspielraum selbst deutlich dadurch wieder ein, dass es als Konsequenz formuliert, deutsche Staatsorgane seien (nur) gehalten, sich mit entsprechenden Auslegungen und Gerichtsentscheidungen auf europäischer Ebene auseinander zu setzen. Im zweiten Bereich der über Art. 25 GG in den deutschen Rechtsraum inkorporierten Völkerrechtsregeln kommt es für das Gericht entscheidend darauf an, welche Qualität die Völkerrechtsregel hat. Nur dann, wenn es sich um eine Regel zwingenden Völkerrechts handele, folge im Falle ihrer Nichtbeachtung auch eine entsprechende Rechtsverletzung. Man wird also hier sagen können, dass das Öffnungspotential des Art. 25 GG auch hier an strenge Voraussetzungen geknüpft und deutlich zurückgenommen wird. Und schließlich ist für den dritten Bereich, der Ausführung des europäischen Rahmenbeschlusses zum Haftbefehl durch deutsche Gesetzgebung, deutlich geworden, dass das Gericht den Rahmenbeschluss als Handlungsraum der 3. Säule der Europäischen Union dem Völkerrecht zuordnet und ihm keinerlei präjudizielle Wirkung für das deutsche Recht zuerkennt. Vielmehr sei die deutsche Ausführungsgesetzgebung nicht am Maßstab der unionsrechtlichen Vorgabe zu messen, sondern ausschließlich am keinesfalls europarechtlich überformten Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes. Damit geht es konform mit einem Urteil des polnischen Verfassungsgerichtshofs, der seinerseits keine Zweifel an dem Vorrang nationalen polnischen Verfassungsrechts in zwei Urteilen zum europäischen Haftbefehl bzw. Polens Mitgliedschaft in der Europäischen Union gelassen hatte. 38 So schließt sich insgesamt der Kreis eines Verständnisses vom Öffnungspotential der deutschen Verfassungsordnung für die internationale Kooperation. Das Kooperationsverhältnis des Bundesverfassungsgerichts zu einem anderen internationalen Gericht, nämlich dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, 39 war ja dahingehend zu verstehen gewesen, dass So auch R. Hofmann Fn. 6, 22. Urteil vom 27 4. 2005, Ρ 1/05 und Urteil vom 11. 5. 2005, Az. Κ 18/04, in: www.trybunal.gov.pl. 39 Dazu etwa Chr. Tietje Europäischer Grundrechtsschutz nach dem Maastricht-Urteil, Solange III?, JuS 1994, 197; Chr. Tomuschat Die Europäische Union unter der Aufsicht des 37 38

Z u r Ö f f n u n g der innerstaatlichen Rechtsordnung für das Völkerrecht

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das Bundesverfassungsgericht hiermit eigene Prüfungskompetenz jedenfalls auf dem eigenen Terrain der Grundrechte geltend machen wollte und sich später dahingehend präzisiert hat, dass jedenfalls für den Fall ansonsten nicht erlangbaren Rechtsschutzes, dieser Prüfungsanspruch aufrecht erhalten bleiben müsse. 40 Damit konnte immerhin gesagt werden, dass angesichts der Dichte der Grundrechtsverbürgungen in Europa, zuletzt deutlich geworden in der Europäischen Grundrechte-Charta 41 und in Teil II des Entwurfs zum europäischen Verfassungsvertrag 42 , das Bundesverfassungsgericht hier seinen Prüfungsanspruch letztlich zurückgenommen hat. Für den völkerrechtlichen Bereich ist einerseits anerkennenswert, dass das Gericht die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung auch mit der Verletzung europäischen Völkerrechts begründet hat, andererseits jedweden völkerrechtlichen Suprematsvorstellungen für die über Art. 25 G G inkorporierten allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts nur bei Vorliegen von Normen des zwingenden Völkerrechts Rechnung getragen wird. Maßstab potentieller Rechtsverletzungen und damit auch des Öffnungspotentials der Verfassung sind damit also im Wesentlichen die teilweise durch völkerrechtliche Auslegungen angereicherten oder zu völkerrechtsfreundlicher Auslegung Anlass gebenden Grundrechte und damit die innerstaatliche Rechtsordnung. Dies erscheint eingangs des 21. Jahrhunderts als eine wichtige Standortbestimmung für den offenen Verfassungsstaat der Bundesrepublik Deutschland. Der Verfassungsstaat öffnet sich zwar der Zusammenarbeit in Europa und in der ganzen Welt, tut dies aber wesentlich nach Maßgabe der Vorstellungen seiner eigenen Rechtsordnung, die die weitere Leitentscheidung vorgibt. Für die Offenheit gegenüber der Völkerrechtsordnung geht es insofern im Zweifelsfall um die Herstellung eines verfassungsgemäßen Zustands „näher am Völkerrecht", der Maßstab der kooperativen Offenheit im europäischen Kontext wird maßgeblich durch die Verfassung und insofern die Ausführung des Gehaltes des Art. 23 Abs. 1 GG durch Verfassungssubstrat gewährleistet. Die Urteile reflektieren somit eine eher zurückhaltende Auffassung vom Öffnungspotential der Verfassung für die Völkerrechtsordnung. Insgesamt ist es vor allem die Beachtung von und argumentative Auseinandersetzung mit völkerrechtlichen Geboten, die aus staatlicher Sicht geschuldet ist, wobei die Nichtbeachtung eigentlich nur im Fall der Nichtbeachtung von zwingenden Völkerrechtsnormen wirkliche Relevanz hat. Abgerundet wird dies eher restriktive Bild der Öffnung insofern, als die Materien der 2. und Bundesverfassungsgerichts, E u G R Z 1993, 489; H. Gersdorf OÍS Kooperationsverhältnis zwischen deutscher Gerichtsbarkeit und Europäischem Gerichtshof, DVB1. 1994, 674. 40 BVerfGE 102, 147 (161, 163f.) (Bananenmarktordnung); zuvor BVerfGE 89, 155 (174 f.) - Maastricht - . 41 ABl. 2000 C 364/1 (Proklamation von Nizza). 42 ABl. 2004 C 310/41.

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3. Säule der Europäischen Union zwar grundsätzlich als auf völkerrechtlicher Grundlage gewährt betrachtet werden, diese völkerrechtliche Vorgabe der Europäischen Union dabei für das Gericht aber keinerlei präjudizierende Wirkung für die Auslegung des nationalen Rechts hat. Die Öffnung der deutschen Rechtsordnung für die Völkerrechtsordnung ist somit zwar noch wahrnehmbar, beschränkt sich aber im Wesentlichen auf die von den deutschen Staatsorganen zu tätigende völkerrechtsfreundliche Auslegung der eigenen Rechtsordnung sowie die richtige Einschätzung der Relevanz des Völkerrechts. Diese Relevanz wird allerdings insofern deutlich, als nach den hier skizzierten drei Urteilen der klare Primat der staatlichen Rechtsordnung gegenüber der Völkerrechtsordnung kaum modifiziert wird. 43 Damit tritt das Gericht allen Versuchen entgegen, die Verfassung nicht mehr als ausschließlichen Bezugspunkt von Legitimation und Legitimität zu sehen und den Staat nicht mehr als allein entscheidenden Ausgangspunkt der Staatsrechtslehre zu betrachten. 44

43 44

So auch R. Hofmann Fn. 6, 37. So zuletzt Chr. Tietje DVB1. 2003, 1094 f.

Die Modifikation des Gesellschaftsgesetzes Chinas PlNG JlANG Das bisherige Gesellschaftsgesetz der Volksrepublik China wurde am 29. 12. 1993 von dem achten Nationalen Volkskongress angenommen und trat am 1. Ζ 1994 in Kraft. Mit der Vertiefung der chinesischen Wirtschaftsreform und der Entwicklung der sozialistischen Marktwirtschaft entsprach das Gesellschaftsgesetz nicht mehr den neuen Verhältnissen. Sowohl in akademischen als auch in Kreisen der Praktiker wurde der Ruf nach Modifikationen des Gesellschaftsgesetzes immer lauter. Auf dem Nationalen Volkskongress und der Politischen Konsulativkonferenz des Chinesischen Volkes im März 2004 wurden von 601 Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses und von 13 Mitgliedern der Politischen Konsulativkonferenz des Chinesischen Volkes Vorschläge und Anträge auf Modifikationen des Gesellschaftsgesetzes eingereicht. Am 27. 10. 2005 hat der zehnte Nationale Volkskongress das modifizierte Gesellschaftsgesetz beschlossen. Die Modifikation ist umfassend. Die wichtigsten wesentlichen Veränderungen sind folgende:

I. Die Bedingungen für die Errichtung einer Gesellschaft wurden vereinfacht, um dem Grundsatz der Markttransaktionsfreiheit Rechnung zu tragen Es gibt eine allgemeine weltweite Entwicklungstendenz, die Schwelle für Gesellschaftsgründungen immer niedriger werden zu lassen. Das entspricht dem Grundsatz der Markttransaktionsfreiheit. Das bisherige Gesellschaftsgesetz Chinas sieht relativ viele staatliche Eingriffe sowie Einschränkungen hinsichtlich des Stammkapitals, der Art und Weise der Einlage, der Zahl der Gesellschafter usw. vor. Nach dem Prinzip - Vereinfachung bei der Errichtung aber mehr Kontrolle bei dem Betreiben und der Steuerabgabe nach der Errichtung - wird die Gründung einer Gesellschaft durch die Modifikationen wesentlich vereinfacht. 1. Das Mindeststammkapital einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung wurde von 500000,- RMB bzw. 300000,- RMB und 100000,- RMB gleich auf 30 000,- RMB verringert. (Nach dem bisherigen Gesellschafts-

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gesetz musste eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Gegenstand die Produktion, der Vertrieb oder der Großhandel ist, über ein Stammkapital von mehr als 500000,- Yuan; eine GmbH, die Einzelhandel betreibt, über ein Stammkapital von mehr als 300000,- Yuan; und eine GmbH, deren Geschäftsgegenstand in Technik, Beratung oder Dienstleistung besteht, über ein Stammkapital von mehr als 100 000,- Yuan verfügen. Das Stammkapital musste mit einem Mal eingezahlt werden.) Die Regelung, dass das gesamte Stammkapital auf einmal eingezahlt werden muss, wurde abgeschafft. Die Gesellschafter dürfen die Einlage innerhalb von zwei Jahren proportional in Raten erbringen. Gefordert wird nur, dass die erste Einlage aller Gesellschafter insgesamt nicht weniger als 20 % des Stammkapitals betragen darf. Das Stammkapital einer Investmentgesellschaft darf über einen Zeitraum von fünf Jahren eingezahlt werden. Das Stammkapital einer Aktiengesellschaft wurde auf 5000000,- Yuan verringert. 2. In dem bisherigen Gesellschaftsgesetz waren folgende Einlageformen festgesetzt: Geldeinlagen, Sacheinlagen, Einlagen in Form von Industrieeigentumsrechten, nicht patentierter Technik und Grundstücksnutzungsrechten. Nach der Modifikation wurde das Industrieeigentumsrecht durch das Immaterialgüterrecht ersetzt. Darüber hinaus kann man nunmehr auch alle Vermögenswerten Rechte, deren Wert in Geld bestimmt werden kann und die abtretbar sind, als Einlage in eine Gesellschaft einbringen, wenn nichts anderes in den Gesetzen und Verordnungen vorgeschrieben ist. 3. Nach dem bisherigen Gesellschaftsgesetz durfte das immaterielle Vermögen nicht mehr als 20 % des Stammkapitals einer Gesellschaft ausmachen. Durch die Modifikation wurde diese Beschränkung hinsichtlich des immateriellen Vermögens abgeschafft. Stattdessen ist jetzt vorgeschrieben, dass die Geldeinlage nicht weniger als 30 % des Stammkapitals ausmachen darf. 4. Die Beschränkung des Investitionskapitals auf einen bestimmten Anteil an dem gesamten Kapital wurde abgeschafft. Nach dem bisherigen Gesellschaftsgesetz durfte die gesamte Investition einer Gesellschaft 50% des Nettovermögens nicht übersteigen. 5. Das bisherige Gesellschaftsgesetz erlaubte als Ein-Mann-Gesellschaft nur das staatliche Einzelunternehmen. Nach der Modifikation kann eine natürliche oder juristische Person auch allein eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung errichten. Nicht zugelassen ist eine Aktiengesellschaft mit nur einem Gesellschafter. Das Gesetz schreibt jedoch einige einschränkende Bedingungen für Gesellschaften mit nur einem Gesellschafter vor, insbesondere wenn dieser Gesellschafter eine natürliche Person ist. So beträgt das Mindeststammkapital 100000,- Yuan. Der Gesellschafter muss die Einlage mit einem Mal leisten. Der Gesellschafter kann

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sein Privatvermögen nicht von dem Vermögen der Gesellschaft trennen; er haftet für die Schulden der Gesellschaft mit seinem gesamten Vermögen. 6. N a c h dem bisherigen Gesellschaftsrecht bedarf die Errichtung einer Aktiengesellschaft der Genehmigung der von dem Staatsrat ermächtigten Staatsratsabteilung und der Provinzregierung. Nach der Änderung des Gesellschaftsrechts ist das Verfahren zur Errichtung einer Aktiengesellschaft mit so genannten incorporators, die sogleich alle ausgegebenen Aktien erwerben, genau so ausgestattet wie das einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Für die Errichtung einer Aktiengesellschaft durch Börsennotierung ist die Genehmigung der Aktienaufsichtskommission des Staatsrats erforderlich.

II. Die Regelungen mit dispositivem Charakter haben zugenommen. Das verdeutlicht die zunehmende Autonomie der Gesellschaft Die Gesellschaft sollte eine autonome Organisation sein. Die Satzung sollte nun mehr autonome Regelungen enthalten. In dem bisherigen Gesellschaftsgesetz überwiegen zwingende Regelungen; das ließ für die Gestaltung der Satzung relativ wenig Freiraum. Nach der Änderung besteht mehr Raum für fakultative Regelungen. 1. D a s Dividendenrecht der Gesellschafter und das Vorzugsrecht bei der Kapitalerhöhung dürfen nunmehr in der Satzung eigenständig und unabhängig von den Einlagenproportionen geregelt werden. D a s macht den Weg frei für die Einführung der Vorzugsaktie. 2. Die Veräußerung von Aktien an einen Dritten, der kein Gesellschafter ist und die Kaufoption anderer Gesellschafter können in der Gesellschaftssatzung festgesetzt werden, die Regelungen in dem bisherigen Gesellschaftsgesetz wurden gestrichen. 3. Bezüglich der Gesellschaftsverfassung, wie beispielsweise bei der Einberufung der Gesellschaftsversammlung, der Ausübung des Abstimmungsrechts auf der Gesellschaftsversammlung, der Amtszeit des Vorstands und der Befugnisse der Vorstandsmitglieder und des Führungspersonals, besteht nun im Rahmen der Ausgestaltung durch die Satzung ein größerer Freiraum. 4. Die Befugnisse des Geschäftsführers werden nicht mehr vom Gesetz bestimmt. In dem neuen Gesellschaftsgesetz werden die Befugnisse der willensbildenden Organe (Gesellschaftsversammlung, Vorstand und Aufsichtsrat) vorgeschrieben. Dahingegen sind die Regelungen für die han-

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delnden Organe (CEO, Manager) und deren Befugnisse dispositiv. Die Befugnisse des Geschäftsführers können in der Satzung festgelegt werden. Diese Veränderung verschärft jedoch das Problem, in welchem Umfang die Gesellschaft Beschränkungen der Befugnisse eines Geschäftsführers gegen gutgläubige Dritte einwenden darf. 5. Nur für die an der Börse zugelassenen Aktiengesellschaften ist die Bestellung eines unabhängigen Vorstandmitglieds in dem neuen Gesellschaftsgesetz zwingend vorgeschrieben. Außerdem wurde von der Staatsvermögens-, Aufsichts- und Verwaltungskommission angeordnet, dass in Staatsunternehmen ein unabhängiges Vorstandsmitglied bestellt werden muss. Für alle übrigen Gesellschaften kann dies in der Satzung festgesetzt werden. 6. Die Bildung von öffentlichen Rücklagen bleibt auch in dem neuen Gesellschaftsgesetz zwingend vorgeschrieben. Die Bildung eines öffentlichen Wohlfahrtsfonds ist fakultativ und kann in der Satzung festgelegt werden. Ζ Während der Modifikation wurde der Gesetzgebungsvorschlag befürwortet, dass alle Vorstandsmitglieder die Gesellschaft nach außen vertreten können sollen. Aber wegen der Vorschrift in den Generalprinzipien des Zivilrechts, dass der gesetzliche Vertreter einer juristischen Person nur aus einer Person bestehen darf, wurde dieser Vorschlag von dem ständigen Ausschuss des Staatsrats zurückgewiesen. Folglich darf nur eine Person die Gesellschaft nach außen vertreten. Nach dem bisherigen Gesellschaftsgesetz kann nur der Vorstandvorsitzende gesetzlicher Vertreter sein. Nach der Modifikation können auch Geschäftsführer und Manager zum gesetzlichen Vertreter bestellt werden.

III. Die Handlungen der beherrschenden Gesellschafter werden kontrolliert, um die Interessen der kleinen Aktionäre zu schützen In dem bisherigen Gesellschaftsgesetz werden nur die Rechtsverhältnisse zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft im Allgemeinen geregelt. Regelungen über die Rechtsverhältnisse zwischen den beherrschenden Gesellschaftern und der Gesellschaft sind nicht vorhanden. Weltweit sind Holdinggesellschaften, Gruppenunternehmen und multinationale Konzerne im Moment sehr üblich. Daher ist die Kontrolle über die Handlungen der beherrschenden Gesellschafter im Gesellschaftsgesetz für die gesunde Entwicklung der Gesellschaft erforderlich. 1. Die Regelung über die kumulierende Stimmabgabe verschafft nunmehr den nichtbeherrschenden Gesellschaftern die Möglichkeit, mit einer ihrer Einlageproportion entsprechenden Personenzahl in dem Vorstand und dem Aufsichtsrat vertreten zu sein.

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2. Die Beeinträchtigung der Interessen der Gesellschaft durch die Ausnutzung der Verhältnisse zwischen den beherrschenden Gesellschaftern und den wirklichen Anteilsinhabern ist verboten. Verstößt ein beherrschender Gesellschafter oder ein wirklicher Anteilsinhaber gegen dieses Verbot, so hat er den der Gesellschaft dadurch entstehenden Schaden zu ersetzen. 3. Die Beeinträchtigung der Interessen anderer Gesellschafter durch die Ausnutzung der beherrschenden Position der beherrschenden Gesellschafter sowie der wirklichen Anteilsinhaber ist verboten. Andere Gesellschafter können an Stelle der Gesellschaft für die Gesellschaft Klage erheben, wenn die beherrschenden Gesellschafter der Gesellschaft Schaden zufügen und die Gesellschaft keine Klage erhebt. Außerdem können die Gesellschafter auf Anfechtung klagen, wenn die Einberufung der Gesellschaftsversammlung und der Vorstandssitzung sowie das Abstimmungsverfahren gegen das Recht oder die Satzung verstoßen. Darüber hinaus können die Gesellschafter auf die Nichtigkeit eines Beschlusses klagen, wenn dessen Inhalt gegen Recht oder Satzung verstößt. 4. Um als Gesellschaft für einen Gesellschafter oder einen wirklichen Anteilsinhaber eine Bürgschaft zu übernehmen, ist der Beschluss der Gesellschaftsversammlung erforderlich. Der betreffende Gesellschafter oder wirkliche Anteilsinhaber ist von dieser Abstimmung ausgeschlossen. 5. Nach dem neuen Gesellschaftsgesetz haben die Gesellschafter mit differierenden Meinungen zu der Gesellschaftsverschmelzung, der Gesellschaftsausgliederung, der Übertragung des großen Vermögens und dem Aussetzen der Gewinnausschüttung nach fünf aufeinander folgenden Gewinnjahren ein Ausscheidensrecht. Die Gesellschaft ist verpflichtet, ihre Anteile gegen einen angemessenen Preis anzukaufen.

IV. Die inneren Aufsichtsmaßnahmen wurden verbessert. Regelungen über die Treuepflicht der Gesellschafter sowie deren H a f t u n g wurden hinzufügt Die Verbesserung der Aufsichtsmaßnahmen hinsichtlich des Führungspersonals ist Aufgabe aller Gesellschaftsgesetze. Dies wurde durch die Wirtschaftskrise in Südostasien und die Unternehmensskandale in den USA deutlich. In den letzten Jahren hat es in einigen an der Börse zugelassenen Aktiengesellschaften Straftaten des Führungspersonals gegeben. Daher bedarf es der Vervollständigung der entsprechenden Regelungen im Gesellschaftsgesetz. Im Wesentlichen sind hier folgende Maßnahmen zu nennen: 1. Das neue Gesellschaftsgesetz bestimmt ausdrücklich die Treue- und Fleißpflicht der Gesellschafter. Die Vorstandmitglieder und das Führungspersonal dürfen ohne die Genehmigung der Gesellschaftsversamm-

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lung die der Gesellschaft zustehenden Geschäftschancen nicht wahrnehmen und keine Provisionen für Geschäfte mit der Gesellschaft kassieren. Verstoßen die Vorstandsmitglieder, Aufsichtsratsmitglieder oder das Führungspersonal gegen diese Vorschrift und erleidet die Gesellschaft dadurch schwere Verluste, haben sie den Schaden zu ersetzen. 2. Die Gesellschafter können Klage erheben, wenn das Führungspersonal gegen das Recht oder die Satzung verstößt und die Interessen der Gesellschafter schädigt. Das bietet den Gesellschaftern doppelten Schutz: Zum einen kann die Gesellschaft gegen das Führungspersonal auf Schadensersatz klagen. Zum anderen haben auch die Gesellschafter dieses Recht. 3. Die Stellung des Aufsichtsrates wurde gestärkt. Der Aufsichtsrat hat nach dem neuen Gesellschaftsgesetz mehr Befugnisse. In einer Gesellschaft, die über ein Stammkapital von mehr als 5 0 0 0 0 0 0 , - Yuan verfügt oder mehr als 200 Mitarbeiter hat, muss ein Aufsichtsrat gebildet werden. Mindestens ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder müssen dabei von den Mitarbeitern gewählt werden. Die neu hinzugekommenen Befugnisse des Aufsichtsrats sind folgende: A. Der Aufsichtsrat kann der Gesellschaftsversammlung Vorschläge über die Abberufung von Vorstandsmitgliedern und des Führungspersonals machen. B. Die Aufsichtsratsmitglieder können als Nichtstimmberechtigte an der Vorstandssitzung teilnehmen und Vorschläge unterbreiten oder Anfragen an den Vorstand richten. C. Der Aufsichtsrat kann die Gesellschaftsversammlung einberufen und den Vorsitz führen, wenn der Vorstand diese Befugnis nicht wahrnimmt. D. Der Aufsichtsrat kann im Namen der Gesellschaft klagen. E. Der Aufsichtsrat oder die Aufsichtsperson in der Gesellschaft ohne Aufsichtsrat kann Nachforschungen anstellen, wenn die Wirtschaftssituation der Gesellschaft abnormal erscheint, sowie einen Wirtschaftsprüfer bestellen, wenn dies erforderlich ist; die Kosten trägt die Gesellschaft. Die für die Ausübung der Befugnisse des Aufsichtsrats erforderlichen Kosten übernimmt die Gesellschaft. 4. Um die Interessen der Mitarbeiter zu schützen, wurden Vorschriften über die Errichtung und die Funktionen der Personalversammlung hinzugefügt. Die Position und die Funktionen der Gewerkschaft werden deutlicher festgesetzt.

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V. Z u m Schutz der Interessen der kleinen Aktionäre und Gläubiger wurden die Regelungen über die Ä n d e r u n g , A u f l ö s u n g und die Abwicklung der Gesellschaft vervollkommnet Das größte Problem des bisherigen Gesellschaftsgesetzes in der Praxis ist der Mangel an Abwicklungsregelungen. Die Interessen der Gläubiger sind schwer durchzusetzen. In Bezug auf dieses Problem sind folgende Änderungen vorgenommen worden: 1. Das Prinzip - Durchdringung des Schleiers der Gesellschaft - wurde in den Allgemeinen Teil des Gesellschaftsgesetzes aufgenommen. Zum Schutz der Interessen der Gläubiger müssen die Gesellschafter die gesamte Haftung für die Schulden der Gesellschaft übernehmen, wenn sie die unabhängige Position der Gesellschaft als juristische Person und die beschränkte Haftung der Gesellschafter missbrauchen. 2. Die Haftung der Vermittler, die Aufgaben der Anlagebewertung, Kapitalabschätzung und Identifizierung übernehmen, wurde verschärft. Das bisherige Gesellschaftsgesetz enthält nur Ordnungsstrafen für die Vermittler. Nach dem neuen Gesellschaftsgesetz haben diese Organisationen den Schaden der Gläubiger zu ersetzen, der durch die falsche Bewertung und Abschätzung entstanden ist. 3. Die Frage, ob auch Minderheitsaktionäre die Auflösung der Gesellschaft fordern können, wurde während der Modifikation vielfach diskutiert. Schließlich wurde festgesetzt: Die Aktionäre, deren Stimmen zusammen 10 % aller Stimmen erreichen, können die Auflösung der Gesellschaft vor Gericht fordern, wenn die Gesellschaft in Schwierigkeiten ist und deren weitere Existenz zu großen Verlusten für die Gesellschafter führen kann. 4. In der Praxis kam es vor, dass eine Gesellschaft ohne Abwicklungsverfahren aufgelöst worden ist. Die Klage eines Gläubigers wurde dann zumeist aus diesem Grund zurückgewiesen. Entsprechend wurde in dem neuen Gesellschaftsgesetz vorgeschrieben, dass die Gesellschaft während der Abwicklung fortbesteht. Außerdem darf das Gesellschafsvermögen nach dem neuen Gesellschaftsgesetz nicht vor der Tilgung der Schulden an die Gesellschafter verteilt werden. Die Modifikation des Gesellschaftsgesetzes spiegelt die Forderungen aus chinesischen Unternehmenskreisen sowie die Entwicklungserfolge der Gesellschaftsrechtswissenschaften wider und hat darüber hinaus von Erfahrungen des ausländischen Gesellschaftsrechts profitiert. Bedingt durch die Entwicklung der Reform der chinesischen politischen Struktur entspricht der Entwurf des Gesellschaftsgesetzes noch nicht ganz der neusten Entwicklung auf der Welt. Dieses Problem wird man nur in der Praxis allmählich lösen können. Das wird auch von den juristischen Kreisen verfolgt.

The Takeover Directive and the "Commercial Approach" to Harmonisation of Private Law HERBERT

KRONKE

I. Introduction Norbert Horn is one of the few scholars who has constantly been labouring in a number of the law's vineyards, both adjacent and distant ones. Asked for a label that conveniently categorises his profile as a writer and teacher, I would try the historian among banking lawyers and the sociologist among civil-code commentators. Many are his in-depth analyses of comparative, cross-border and European aspects of company law.1 And in recent years, his attention turned increasingly to the process of modernisation and harmonisation of private and, in particular, commercial law as carried out at the worldwide level by U N I D R O I T and UNCITRAL. This contribution to the Festschrift in his honour focuses on a methodological issue raised by the adoption of the Directive 2004/25/EC of 21 April 2004 on Takeover Bids. 2 Neither the financial press nor authoritative commentators saw apparently reason to welcome the product of 30 years' travails. "Mini directive", "typical Brussels compromise" and the like were the buzzwords commonly used. Some commentators even suggested that the Commission should have withdrawn its proposal when it became clear that it would not fly in its "hard" version. 3 Might the "soft" version, however, not eventually turn out to be both the most effective and the most efficient way to obtaining results that correspond to businesses' needs without imposing new layers of regulatory and transactional law in an attempt to create formal unity? I propose to survey the landscape of European company law making over time and to identify policies, objectives and approaches of the 1 To name but two recent ones, Horn Rechtsfragen internationaler Unternehmenszusammenschlüsse, in Corporations, Capital Markets and Business in the Law, Liber amicorum Richard M. Buxbaum (Th. Baums, Klaus]. Hopt, N. Horn, eds.), London/The H a g u e / B o s ton: Kluwer, 2000, 315; idem Deutsches und europäisches Gesellschaftsrecht und die EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit - Inspire Art, NJW 2004, 893. 2 O.J. L 142, 30 April 2004, p. 12. 5 Cf. Baum Report on discussion, Z G R 2004, 506.

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harmonisation process in Europe. This is particularly tempting as the Member States' Governments and the Secretariats of the private-law formulating agencies are increasingly conscious of the changes which objectives and methods have been and continue to be undergoing over time and of the potential and actual, measurable, impact those changes have on results, i.e. on the shape and the degree of success of our instruments. The history of worldwide harmonisation of private law is usefully looked at by distinguishing three different stages. Firstly, the groundbreaking endeavours of Ernst Rabel and his contemporaries, starting with the foundation of U N I D R O I T as a "republic of scholars" in 1926, which came to fruition in 1964 and, eventually, 1980 with the adoption of the Hague and Vienna sales conventions. Secondly, a stage characterised by an amalgam of a flurry of activities and great modesty as regards substance on the one hand and a dose of politicisation on the other hand. Thirdly, beginning in the 1990s, the move to increasingly focused, highly technical and sectorial instruments that did not shy away from boldly venturing into territories hitherto considered no-go areas such as property law, insolvency law and even civil procedure.

II. Three Eras of European Company Law Making The book of European company law would appear to be made up of three chapters covering three stages or eras: Firstly, the Commission's plan to create the good corporate citizen of Europe. Secondly, the period of the "Grand Design". Currently, I would submit, we are living in the era of the "New Modesty"; academia and bureaucracy driven boldness subsides while practical steps forward, however small, are valued. It is important to note that the "constitutional" bases, i.e. the Treaty's description of what had to be done, did not really change from Rome to Maastricht and from there to Amsterdam. The former Article 54, now 44, provides for harmonisation of the Member States' company law by way of co-ordination. The Council and the Commission are instructed to co-ordinate "to the necessary extent4 the safeguards which, for the protection of members and others, are required by Member States of companies or firms ... with a view to making such safeguards equivalent throughout the Community". While the Commission may have harboured wider-ranging ambitions, the work initially undertaken was clearly focused on the essentials for the constitution of and the participation of business organisations in a common, later internal, market. 4

The italics are mine.

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The First Directive of 9 March 1968 on co-ordination of safeguards which, for the protection of the interest of members and others, are required by Member States of companies 5 covered issues of disclosure/publicity and nullity and validity of obligations undertaken by the organisation through its organs and agents. The directive's scope encompassed all limited liability companies. That changed quickly and it was, for some time, the publicly held and stock-exchange listed company only which the Community legislator targeted, except for accounting rules. What followed immediately made especially German company law practitioners and, even more so, professors rejoice: the Second Directive of 13 December 1976 on co-ordination of safeguards in respect of the formation of public limited liability companies and the maintenance and alteration of their capital. 6 The most revered of all sacred cows of German company law had been successfully brought to the (common) market and sold to our partners. After the Third Directive (on mergers) 7 and the Sixth Directive (on division/scission) 8 - as well as two directives regarding accounting - the groundwork had been done and the first stage of company law harmonisation was drawing to a close. One late-comer that belongs functionally to it was adopted in 1989, the Twelfth Directive on single-member private limited companies. 9 This instrument is a major achievement and worth mentioning, first, because it is the only one apart from the Second (disclosure) Directive that reflects the original intention to provide for a harmonised framework for both the public and private companies and, second, because it brought not only (conservative) harmonisation but also a very significant dose of modernisation for many domestic systems which had previously no consistent rules for single-member companies at all and where these economically beneficial business vehicles existed in the shadow and in disguise. The second chapter of the story of European company law - not necessarily to be identified with a period of time clearly in all its emanations subsequent to the laying of the groundwork - is characterised by draft instruments whose ambition was to impose supranational types of organisational structure on pre-existing domestic systems. The 1992 proposal for a Fifth Directive on structure, powers and obligations of the organs of the public company would share the crown for the longest gestation period with the Takeover Directive if it had not been withdrawn by the Commission in 2001, i.e. in its 29 th year. Amended once every decade, in 1983 and 1991, the proposal testifies to the belief - partly scholarly, partly political - that all theory can and should be turned into practice and that the Member States 5 6 7 8 9

Directive Directive Directive Directive Directive

68/151/EEC, O.J. L 65, 14 March 1968, 8. 77/91/EEC, O.J. L 26, 31 January 1977, 1. 78/855/EEC of 9 October 1978, O.J. L 295, 20 October 1978, 36. 82/891/EEC of 17 December 1982, O.J. L 378, 31 December 1982, 47 89/667/EEC of 21 December 1989, O.J. L 395, 30 December 1989, 40.

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or, rather, the internal market needed a theoretically consistent, modern and functionally advanced framework for the publicly held and listed company. Work on the proposed Fifth Directive had been suspended because priority had been given to another monument of this era, the proposal - trimmed again and again - for a Council Regulation for a European Company (better known under its Latin name Societas Europea, SE). Not only the amendments to the drafts between 1991 and the Regulation's adoption in 2001 but also the separate track provided by the directive regarding the involvement of employees testify to the state of exhaustion and the change of aspirations. The choice between two-tier and single-tier administrative set-up and, even more, the menu-approach regarding employee involvement indicate a change of paradigm and the transition from the era of the Grand Design to the one where the Community exercises modest restraint and leaves the strategic structural decisions to shareholders who are, to the extent that they are not retail investors, expertly advised. The chapter of the Grand Design, the herculean effort to reshape company law in the company law scholars' image, would not be described adequately if we did not mention the conspicuous sub-chapter of the travails to give birth to an organic body of rules addressing the phenomenon of legal diversity within economic unity, in other words the group of companies. 10 In this respect, at least at one point in time, the German mission to spread the word and to persuade more partners than just the Portuguese that benefits were to be reaped from having the so-called "organic group regimen" in place, a body of rules that specifically addressed the situation where one shareholder (usually the controlling or majority shareholder) pursued economic interests also within another company. A conflict-of-interest situation, basically, which all legal systems know in the abstract, but which is of particular practical importance if a significant number of public (even stockexchange listed) companies are actually subsidiaries of other companies or individuals whose fellow-shareholders, the minority, need to be protected against decisions taken in the outside interest.

III. Reasons for Changes of Approach Before moving to the objectives for company law harmonisation as formulated today, it may be beneficial to briefly pause and to inquire into the reasons underlying the undisputed loss of interest in the grand design. As has been observed correctly by Justice Chnstiaan Timmermans, the fact that 10 On this topic, see most recently contributions by Wymeersch, Hommelhoff, Johnson/La Porta/Lopez-de Silanes/Shleifer and Lutter in Capital Markets and Company Law (K. J. Hopt, E. Wymeersch eds.), Oxford: OUP, 2003, 573-620.

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the First Directive was negotiated among six Member States and the Second by nine, whereas today 25 would be sitting around the table may have some, but is unlikely to have critical impact. After all, other areas of high complexity and significant vested interests such as VAT as well as elements of the internal market where unanimity in the Council is required sailed along smoothly while, for example, the SE lay in the doldrums.11 There are four factors that come to mind when one inquires into the reasons for re-evaluating and repositioning the harmonisation of company law. All of them have, mutatis mutandis, left a similar imprint in other areas of private law making in Europe as well. Firstly, the liberalisation of markets was held to be unacceptable until such time as the new-entry players on such markets offered the same guarantees of behavioural and financial reliability as local players constituted under domestic law; this objective has been achieved. Secondly, an investor's decision on where in the Community to invest was not to be distorted by company-law related considerations; this objective - not one mandated by the Treaty but politically popular - has lost ground to the notion of competition among jurisdictions.12 Thirdly, the subsidiarity principle, Article 5 EC Treaty. Fourthly, the very specific conflict-of-laws fallout of the right of establishment (Articles 43 and 48), as affirmed by the European Court of Justice in its decisions Daily Mail, Centros, Uberseering and Inspire Artn: a rule of private international law that would strip a company constituted under the law of one Member State of its legal personality when it re-locates in another Member State or forces it to re-incorporate or provides for its being treated as a "pseudo-foreign" entity would be in violation of the Treaty. In other words, from this point of view too, the internal market has been completed without the need for substantive company law to be more broadly and deeply harmonised. This analysis would in turn justify the scepticism regarding the case for detailed harmonisation and strengthen the case for preferring control by the country of origin and requiring and enhancing functional equivalence rather than conceptual unity, coincidence or approximation.

11 Timmermans Harmonization in the Future of Company Law in Europe, in Capital Markets and Company Law, op. cit., supra note 10, 623. 12 For an early voice, cf. Merkt Das Europäische Gesellschaftsrecht und die Idee des "Wettbewerbs der Gesetzgeber", RabelsZ 59 (1995) 545. 13 Comments are countless. Suffice it to quote Horn supra note 1; Behrens Das Internationale Gesellschaftsrecht nach dem Überseering-Urteil des EuGH und den Schlussanträgen zu Inspire Art, IPRax 2003, 193; Lipstein The Law relating to the movement of companies in the European Community, in Festschrift für Erik Jayme (H. -P. Mansel, Th. Pfeiffer, H. Kronke, Chr. Kohler, R. Hausmann eds.), vol. I, Munich, Sellier European Law Publishers, 2004, 527; Kronke/Mazza Kooperations- und Gesellschaftsrecht, in Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht (H. Kronke, W. Melis, A.K. Schnyder eds.), Cologne, Verlag Dr. Otto Schmidt, 2005, Teil Κ, η" 5 - 9 ; 94-99.

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IV. The Takeover Directive's Menu of Options: A "Commercial Approach" to Commercial Law The Commission, the Council and the Parliament may not have entered the era of the New Modesty entirely unfettered by political considerations and restraints. But why should legal history be less capable of pursuing its objectives through cunning than political history? Since there was no way to satisfy both the defenders of the level-playing-field gospel and the believers in competition between systems - and no empirical data sufficient to prove the superiority of either so as to convince the other 14 - Member States and business organisations have been handed a menu and will be given the freedom to choose from among options following their respective political preferences or their commercial judgment. The early comments cited above at first glance suggest nostalgia for the days of the grand design. In my view and subject to becoming wiser further down the road, the Directive 2004/25/EC, in the shape of the "Portuguese" or "Italian" compromise, is a most commendable product delivered by the humble workers in the vineyards of economic integration through private law. Starting point is the Community legislature's recognition (Article 3(1) Directive 2004/25/EC) that, against the background of fundamental divergences among domestic approaches to takeover bids, not more than a framework enshrining the following principles was feasible: (i) equal treatment of all holders of the securities of an offeree company; (ii) sufficient time and information for the holders of those securities to enable them to make an informed decision whether to sell out to the bidder or not; (iii) duty of the board of the offeree company to act in the interest of the company as a whole and to enable the holders of the securities to decide on the merits of the bid; (iv) avoidance of market distortions; (v) duty of the offeror to make the bid only after ensuring that he can fulfil in full any cash consideration; (vi) ensuring that the offeree company is not hindered in the conduct of its affairs for longer than is reasonable by a bid for its securities. Previous drafts had been sunk because there was, and is, apparently no chance of reaching a consensus on the target company's - or, rather, its management's - admissible defence tools and defence strategies capable of defeating a - from the management's viewpoint - "hostile" takeover bid. The solution found is a number or, more precisely, a shrewdly engineered cascade of options. And, indeed, the solution resembles very much the socalled commercial approach as recently employed in worldwide efforts to modernise transnational commercial law in a distinctly result-oriented fashion.

14 Hertig/McCabery Company and Takeover Law Reforms in Europe: Misguided Harmonization Efforts or Regulatory Competition?, EBOR 4 (2003) 179.

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A clarification may be appropriate at the outset. The commercial approach is not about passing judgment on the economic usefulness or desirability of harmonisation as such. We leave that to those who have embarked, first, on demonstrating that drafting the Uniform Commercial Code was a futile exercise and, more recently, that the same holds for the Vienna Sales Convention (CISG) - without ever having shown any substantial interest, let alone insight, in the practice of transnational commercial transactions. The commercial approach is about States parties to an instrument being called upon to choose, for example, between maintaining domestically the status quo (or introduce some minor and mild modifications) on the one hand or, on the other hand, radical and economically beneficial change of direction.15 The 2001 Cape Town Convention on International Interests in Mobile Equipment and the Protocol Thereto on Matters Specific to Aircraft Equipment16 is probably so far the best example of an instrument solely aimed at reaching a predetermined economic objective and where Contracting States stand to gain from making the right choices. The objective is lower credit cost, and it is pursued by way of providing for predictable, measurable, risk-reducing creditor rights (in the form of rules capable of being assessed ex ante instead of compromise standards) in default and insolvency situations. During the preparation of the instruments it became clear that formal harmonisation was neither possible nor - as we have just seen - desirable. Therefore, the Convention and the Protocol on certain key issues offer a menu of options. What is important for the present context is that, where Contracting States have the option to choose between a "soft" (and economically neutral or detrimental) and a "hard" (and economically beneficial) solution, as in the case of the insolvency regime (Article XI of the Protocol), they almost without exception make the right choice regardless of whether they are from among the common law or the civil law systems or from among the industrialised or developing countries. The Directive's invitation to make choices is based on the target management's duty to remain neutral, except for their discretion to look for more 15 Cf. Wool Rethinking the notion of uniformity in the drafting of international commercial law: a preliminary proposal for the development of a policy-based unification model, Unif. L. Rev. 1997, 46; idem Economic Analysis and Harmonised Modernisation of Private Law, Unif. L. Rev. 2003, 3 8 9 ; Kranke Der "Commercial Approach" in der Rechtsangleichung und das Internationale Privat- und Verfahrensrecht, in Festschrift für Dieter Henrich, Bielefeld, Gieseking Verlag, 2000, 385. 16 For details regarding the instruments' status, the relevant declarations made etc., www.unidroit.org. Most important for their interpretation and application are the 'Official Commentary' by Professor Sir Roy Goode CBE, QC, as approved for distribution by the TJNIDROIT Governing Council pursuant to Resolution N o . 5 adopted by the Cape Town Diplomatic Conference, Rome 2002, and 'Contract Practices Under the Cape Town C o n vention', by the Legal Advisory Panel of the Aviation Working Group, Cape Town Papers vol. 1, London, 2004.

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Herbert Kronke

attractive counter bids from a "white knight". Activating defence devices requires ad-hoc authorisation by a general shareholders' meeting. Public and exchange-listed companies are required to disclose regularly in the annual report the most detailed information regarding potential takeover deterrents (both structural and ad hoc supplied "poison pills") flowing from the structure of their capital, different classes of shares, different rights and obligations attaching to any such classes, any restrictions on the transfer of securities, significant direct and indirect shareholdings (including indirect shareholdings through pyramid structures and cross-shareholdings), the holders of any securities with special control rights and a description of those rights, the system of control of any employee share scheme, any agreement between shareholders that may result in restrictions on the transfer of securities and/or voting rights, the rules governing appointment and replacement of board members, the powers of board members, any agreement of which the company is a party and which take effect, alter or terminate upon a change of control of the company following a takeover bid, etc., etc. (Article 10). The management's duty to remain neutral during the bid period has, logically, been complemented by suspending the effectiveness of the aforementioned potentially bid-defeating provisions and devices for the duration of that period. Now, the Directive opens the way for a Member State to opt out of the full-disclosure model (Article 12(1)). In case a Member State does avail itself of this faculty, its listed companies, in turn, must be given the right to opt in to this regime (Article 12(2)), the idea being that the premium to be expected from the market in consideration of such openness vis-à-vis market forces or, conversely, the discount placed on shares issued by companies that do not provide the informational bases for an efficient market for corporate control, will provide a system of incentives to do the right thing. The continent-wide corporate-governance discussion, the "soft codes" it generated, as well as theoretical insight in the powers of markets are producing tangible results. 17 I am delighted to see that at least one distinguished colleague 18 shares my earlier assessment that we may be looking at the launch vehicle for major company law reform "from within". I would, however, not use his metaphor of the "Trojan Horse". Nothing is hidden in the belly. Moreover, all potential addressees negotiated for its content or briefed the negotiators. So, what I see floating ashore might better be described as a "message in the bottle". First responses from within the corporate community to the choi17 For details as well as the position of current German, Austrian, Swiss and Liechtenstein takeover law, including its specific cross-border aspects, cf. Kronke/Haubold Börsen- und Kapitalmarktrecht, in Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, supra note 13, Teil L, n° 414-427 18 Hirte The Takeover Directive - a Mini-Directive on the Structure of the Corporation: Is it a Trojan Horse?, Eur. Company & Fin. L. Rev. 2 (2005), 1.

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ces offered by the menu-like Statute of the SE - suffice it to say that Europe's biggest insurance group Allianz decided to put on the new corporate cloak 19 and that other German companies as well as Suez, one of the continent's biggest utilities, are considering to follow suit - suggest that the addressees are literate and know how to read such messages. Moreover, widely held concerns that offering choices automatically triggers a race to the bottom turn out to be ill-founded. Lastly and more generally, even board-fixed Germany just celebrated 2005 as the "year of the shareholder". In an unheard-of shareholder rebellion shareholders of Deutsche Börse ousted its C E O who did not show any inclination to listen to its owners' voice as regards business strategy. In another instance, a C E O who, obsessed by an ego that required the building of the only, real world-embracing corporation, had destroyed value to an unprecedented extent was finally forced to go by unruly but wise shareholders. Isn't all that encouraging and does it not indicate that trust in investors'sound commercial judgment on how best to organise business activities is justified? Press reports suggest that certain Governments who were among the staunch defenders of the level-playing field paradigm, but others as well, tend to go for an opt-out in their implementation legislation. That will be the dawn of investors' coming of age and graduation day as regards their potential role on shaping European company law.

V. Recipes for the Future? The only recipe the worldwide private-law formulating agencies would venture to offer is that there are no recipes. Every subject needs to find its type of instrument (hard law or soft law) and the appropriate measure and degree of uniformity and flexibility. Merchants and commercial lawyers, practitioners and scholars alike, would probably agree that commercial law, by its very nature, tends to and should indeed listen rather than talk. Or, to vary Oliver Wendell Holmes' famous words only slightly: the life of commercial law is experience, not logic. In May 2003, the Commission presented an action plan for the modernisation of company law. In the wake of Enron, Worldcom, Parmalat, Cirio and other spectacular corporate-fraud cases Governments and regulators in all four corners of the world launched inquiries and proposed urgency measures and sweeping reforms. Some of the items on the Commission's agenda do not need further explanation and justification, and they will require to be tailored in hard-law instruments. Others take up projects of the past - such as certain aspects of group structures - but are likely to tackle the tasks differently. 19

Financial Times, 12 September 2005, p. 17.

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Herbert Kronke

Undoubtedly the era of the grand design had its great merits, but it has had its time. Now is a time to pause and to reflect. Looking at all this in a long-term and comparative perspective, we will benefit from contributions such as Professor Richard Buxbaum's, one of the honorandum's close friends among leading international commercial lawyers. 20 In his seminal "Federalism and Company Law" 21 he brilliantly identifies the dangers of imposing, in a federal or otherwise two-tiered constitutional structure one tier's, possibly ideology-driven, views of the right dose of regulatory intervention, or laisser-faire, in corporate governance and corporate transactions on the other tier. The Takeover Directive's approach is exemplary in that it avoids just that.

20 Horn Hommage à Richard M. Buxbaum, in Corporations, Capital Markets and Business in the Law, supra note 1, xi. 21 82 Mich. L. Rev. 1163 (1984).

Schuldübergang und Haftung in der Spaltung GEORG M A I E R - R E I M E R UND H A R A L D

GESELL

I. Einführung In der Praxis weit verbreitet, ist die Spaltung von Unternehmen doch ein recht junges Institut im deutschen Recht. Sie wurde erstmals zum 1. Januar 1995 durch das neue Umwandlungsgesetz in das allgemeine deutsche Unternehmensrecht eingeführt. Ihren Vorläufer hatte sie in dem Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen (SpTrUG) aus dem Jahre 1991, das, wie viele andere Bestimmungen zum Recht der neuen Bundesländer, Norbert Horn als einer der ersten umfassend dargestellt hat.1 Die Spaltung wirft verschiedene neuartige und immer noch nicht vollständig gelöste Fragen auf. Sie hat in der Regel die Folge, daß die aus der Spaltung hervorgehenden oder nach ihr verbleibenden Unternehmen kleiner sind als das Unternehmen des übertragenden Rechtsträgers vor der Spaltung. Dem Abfluß von Vermögen bei dem übertragenden Rechtsträger steht außer bei der Ausgliederung kein Zufluß in Form einer Gegenleistung gegenüber, weil die Gegenleistung den Gesellschaftern des übertragenden Rechtsträgers in der Form von Beteiligungen an dem aufnehmenden oder durch die Spaltung neu gegründeten Unternehmensträger zufließt. Diese Substanz-Minderung birgt Gefahren für Gläubiger, deren Forderungen vor der Spaltung begründet waren (Alt-Gläubiger). Diese sehen sich in die Lage versetzt, daß die Haftungsmasse und das Ertragspotential ihres Schuldners durch die Spaltung gemindert ist. Von extremen Umgehungsfällen abgesehen, sieht das Gesetz keine Schranken hinsichtlich der Aufteilung von Schulden und haftendem Vermögen auf verschiedene Rechtsträger vor.2 Um so größer ist die Möglichkeit einer Gefährdung der Gläubiger durch die Spaltung. Das Gesetz schützt die Alt-Gläubiger des übertragenden Rechtsträgers gegen diese Gefahren in doppelter Weise: 1 Horn Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet (1991) S. 376ff.; (2. Aufl. 1993) S. 867ff. 2 Grundsatz der Spaltungsfreiheit. Dazu Hommelhoff/Schwab in Lutter UmwG (3. Aufl. 2004) § 133 Rn. 15; Habersack FS Bezzenberger (2000) S. 93; Maier-Reimer in Semler/Stengel UmwG (2003) § 133 Rn. 1.

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Georg Maier-Reimer und Harald Gesell

- Wenn sie eine konkrete Gefährdung ihrer Ansprüche geltend machen können und ihre Forderungen noch nicht fällig sind, können sie, wie auch bei der Verschmelzung, Sicherheit verlangen.3 - Alle an dem Spaltungsvorgang beteiligten Rechtsträger, d. h. alle übernehmenden Rechtsträger sowie, im Falle der Abspaltung oder Ausgliederung, der übertragende Rechtsträger, haften gesamtschuldnerisch für die im Zeitpunkt der Spaltung begründeten Verpflichtungen des übertragenden Rechtsträgers. 4 Diese gesetzliche Regelung scheint klar zu sein.5 Jedoch soll das Gesetz nach einer neueren und mittlerweile wohl als herrschend zu bezeichnenden Auffassung die Lage verkennen. Diejenigen, die nach dem Spaltungs- und Ubernahmevertrag oder Spaltungsplan (im folgenden zusammenfassend „Spaltungsvertrag")6 die Schuld nicht tragen sollen, haften nach dieser Auffassung nur untereinander gesamtschuldnerisch, im Verhältnis zu demjenigen, der die Schuld nach dem Spaltungsvertrag tragen soll, aber nur akzessorisch. 7 Dieser Auffassung wurde an anderer Stelle in konkreter Erwiderung auf die für sie vorgetragenen Argumente entgegengetreten.8 Die Einbindung in einen größeren Zusammenhang steht aus. Eine solche Einbindung soll in dieser Norbert Horn gewidmeten Arbeit versucht werden; die Hoffnung,, damit sein Interesse zu wecken, stützen wir auch darauf, daß ein weiterer Schwerpunkt im Werk des Jubilars dem Prototypen einer akzessorischen Haftung, nämlich der Bürgschaft, gewidmet ist. 9

3 § 22 iVm § 125 UmwG; dieses Recht steh: auch den Alt-Gläubigem des übernehmenden Rechtsträgers zu. 4 § 133 UmwG. 5 Hommelhoff/Schwab (Fn. 2) § 133 Rn. 24 sprechen dagegen von einer Interpretation als Gesamtschuld iSv §§ 421 ff. BGB. 6 Soweit es nicht um Spezifica der Spaltung zur Aufnahme oder derjenigen zur Neugründung geht, verwenden wir im folgenden die Terminologie der Spaltung zur Aufnahme und sprechen deshalb nur vom übertragenden und vom übernehmenden Rechtsträger. Das Gesagte gilt jeweils entsprechend für den neuen Rechtsträger. 7 Habenack (Fn. 2) S. 93ff.; Hommelhoff/Schwab (Fn. 2) § 133 Rn. 24ff. und passim; Mickel Die Rechtsnatur der Haftung gespaltener Rechtsträger nach § 133 Abs. 1 und 3 UmwG (2004), S. 121 ff., 244 ff., 260f.; K. Schmidt Gesellschaftsrecht (4. Aufl. 2002) § 13 IV 5a; Marsch-Barner in Kallmeyer UmwG (3. Aufl. 2006) § 133 Rn. 3; aM (Gesamtschuld): Ihrig ZHR Beiheft 68 (1999), S. 80, 85f.; Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz Umwandlungsgesetz - Umwandlungsteuergesetz (3. Aufl. 2001) § 133 Rn. 2; Vossius in Widmann/ Mayer Umwandlungsgesetz, § 133 Rn. 25 f. 8 Maier-Reimer m Semler/Stengel (Fn. 2) § 133 Rn. 29 ff. 9 Horn in Staudinger, BGB (§§ 765-787, 13. Bearbeitung 1997 sowie 12. Aufl. 1981).

Schuldübergang und Haftung in der Spaltung

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II. Zuweisung der Schuld 1. Hauptschuldner und Mithafter Der Spaltungsvertrag regelt, welcher Beteiligte für welche Verbindlichkeit (im folgenden „Schuld") verantwortlich sein soll, indem er sie ausdrücklich einem übernehmenden Rechtsträger zuweist oder bei der Abspaltung/Ausgliederung durch Unterlassung einer Zuweisung mittelbar bestimmt, daß die Schuld beim übertragenden Rechtsträger verbleiben soll.10 Derjenige, der nach dem Spaltungsvertrag die Schuld tragen soll, wird nach einer von Karsten Schmidt11 vorgeschlagenen Terminologie üblicherweise als „Hauptschuldner" bezeichnet; diejenigen, die nach dem Spaltungsvertrag für diese Schuld nicht verantwortlich sein sollen, werden „Mithafter" genannt. Die Akzessorietätslehre legt diese Terminologie zugrunde und meint, daß die einzelne Schuld nur eine solche des Hauptschuldners, die „Mithaftung" der anderen Beteiligten daher eine Haftung für fremde Schuld sei. Der Sinn der gesamtschuldnerischen Haftung liege darin, die Gläubiger zu sichern.12 Dieser Sicherungszweck sei typisch für akzessorische Haftungslagen. Ob die einzelne Schuld wirklich nur eine Schuld des sogenannten Hauptschuldners und ob die Haftung der anderen Beteiligten eine solche für fremde Schuld sei, ist aber gerade die Frage. Sie wird durch die als Kurzbezeichnung zweckmäßige, im Gesetz nicht vorgegebene Terminologie des Hauptschuldners und Mithafters nicht präjudiziell. Die Terminologie ist eine treffende Breviloquenz, die aber weder zur Stützung einer bestimmten Rechtsfolge herangezogen werden noch diese gar begründen kann.13 Die Formulierung des Gesetzes „als Gesamtschuldner" soll nach der Akzessorietätslehre nur das Verhältnis zwischen mehreren Mithaftern betreffen.14 Sie hätte demnach im Normalfall - Abspaltung oder Ausgliederung auf nur einen Rechtsträger oder Aufspaltung auf nur zwei Rechtsträger keinen Anwendungsbereich. Ob die Mithafter gesamtschuldnerisch oder nur akzessorisch haften, hat Auswirkungen vor allem darauf, ob Einwendungen und Einreden, die in der Person eines der Schuldner entstehen, auch zugunsten der anderen wirken oder nicht. Darauf ist unten näher einzugehen.15

10 Auf die bei der Aufspaltung „vergessenen" Verbindlichkeiten ist hier nicht einzugehen; dazu Maier-Reimer (Fn. 8) § 133 Rn. 37f. 11 K. Schmidt ZGR 1993, 366, 386ff.; s. auch Ihrig (Fn. 7) S. 80, 83. 12 Habersack (Fn. 2) S. 102; Hommelhoff/Schwab (Fn. 2) § 133 Rn. 26; Micke! (Fn. 7) S. 249 ff. 13 Habersack (Fn. 2) S. 97f. sieht in der Terminologie schon ein Indiz für die Akzessorietät der Haftung. '< Hommelhoff/Schwab (Fn. 2) § 133 Rn. 30. 15 Dazu unten IV.

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Georg Maier-Reimer und Harald Gesell

2. Wirkung der

Zuweisung

Anknüpfungspunkt für die Akzessorietätslehre ist die Unterscheidung zwischen Hauptschuldner und Mithafter oder, um eine Prädisposition durch die gewählte Terminologie zu vermeiden, die Unterscheidung zwischen demjenigen, dem die Schuld im Spaltungsvertrag zugewiesen ist, und demjenigen, dem sie nicht zugewiesen ist.16 Die Zuweisung der Schuld im Spaltungsvertrag hat nach der gesetzlichen Regelung drei Folgen: (a) Im Innenverhältnis haften die an der Spaltung beteiligten Rechtsträger für die Schuld nicht gemäß der Auffangregelung des § 426 Abs. 1 BGB zu gleichen Anteilen, sondern derjenige, dem die Schuld zugewiesen ist, hat sie allein zu tragen. Im Sinne des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB ist „ein anderes bestimmt", und zwar im Spaltungsvertrag. 17 (b) Im Verhältnis zu den Gläubigern hat die Zuweisung vor allem die Folge, daß diejenigen, denen die Schuld nicht zugewiesen ist, die sogenannten Mithafter, nur für fünf Jahre haften. Sie werden frei, wenn - die Forderung nicht binnen fünf Jahren nach der Spaltung fällig wird oder - nicht binnen fünf Jahren (oder einer durch Hemmung verlängerten Frist) die Forderung rechtskräftig festgestellt oder schriftlich anerkannt, oder eine die Feststellung ersetzende Maßnahme getroffen wird.18 (c) Vor Ablauf der fünf Jahre ergibt sich eine weitere Wirkung gegenüber den Gläubigern: Zur Sicherheitsleistung gemäß § 22 U m w G ist nur derjenige Beteiligte verpflichtet, „gegen den sich der Anspruch richtet".19 Die Akzessorietätslehre mißt der Zuweisung weiterreichende Folgen bei. Sie möchte - entgegen dem gesetzlichen Wortlaut - auch vor Ablauf der Enthaftungsfrist die Wirkung der Zuweisung auf das Verhältnis zu den Gläubigern übertragen mit den Folgen, die dies insbesondere für die Wirkung von Einreden und Einwendungen hat, die nur in der Person eines Beteiligten begründet sind. Die im Außenverhältnis gleichrangige gesamtschuldnerische Haftung aller Beteiligten hält die Akzessorietätslehre konzeptionell und deshalb auch in ihren Folgen für verfehlt. Dem soll im folgenden nachgegangen werden, zunächst zur Konzeption (III), dann zu den Rechtsfolgen (IV).

So die Formulierung von § 133 Abs. 3 U m w G . Habersack (Fn. 2) S. 97, hält diese Argumentation „auch im A n s a t z " nicht für befriedigend. Warum das unbefriedigend sein soll, verrät er nicht. 18 § 133 Abs. 3 bis 5 U m w G . 19 § 133 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbs. U m w G ; dazu unten bei III 5 (d). 16

17

Schuldübergang u n d H a f t u n g in der Spaltung

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III. Spaltungshaftung und Unternehmensübergang 1. Grundlagen der Übernehmerhaftung Die Schuldenhaftung bei der Spaltung ist ein Ausschnitt aus dem allgemeineren Thema der Schuldenhaftung beim Unternehmensübergang, dessen Bandbreite durch zwei Eckpunkte markiert wird: die Übertragung eines Unternehmens durch Verschmelzung und durch Einzelrechtsnachfolge. Im Falle der Verschmelzung ergibt sich zwangsläufig aus der Gesamtrechtsnachfolge in das gesamte Aktiv- und Passivvermögen des übertragenden Rechtsträgers (und aus dessen Erlöschen), daß der Ubernehmende die gesamten Verbindlichkeiten mit übernimmt. Für den Fall der Übertragung eines Unternehmens durch Einzelrechtsnachfolge bestimmt das Gesetz den - jeweils abdingbaren 20 - Übergang der Schulden für zwei Fälle, nämlich - für den Fall, daß der Übernehmer mindestens den Kern des übertragenen Unternehmens erwirbt und dessen Firma fortführt (§ 25 HGB) und - für den Fall, daß das Unternehmen in eine Gesellschaft eingebracht wird (§ 28 HGB). In beiden Fällen haftet der bisherige Inhaber zunächst weiter, wird dann aber nach denselben Grundsätzen enthaftet, wie der Mithafter bei der Spaltung. 21 Im Ergebnis führt deshalb die Unternehmensübertragung auch zu einem - zeitlich versetzten - befreienden Schuldübergang und entspricht insoweit der Lage bei der Spaltung. 22 Namentlich Karsten Schmidt sieht in diesen Bestimmungen den Ausdruck eines Prinzips der von ihm so genannten Haftungskontinuität, nach welchem die Schulden dem Unternehmen anhaften und deshalb mit dem Unternehmen auf einen neuen Unternehmensträger übergehen. Er fordert daher - teils de lege lata, teils de lege ferenda - , daß die Haftungsregelung der §§ 25, 26 und 28 HGB unabdingbar sein und im Fall des § 25 von der Voraussetzung der Firmenfortführung gelöst werden sollte. 23

2. Haftungskontinuität

bei der Aufspaltung

Die Spaltung steht - prototypisch in der Form der Aufspaltung - zwischen diesen beiden Eckpunkten. Im Falle der Unternehmensteilung würden die Rechte und Interessen der Gläubiger empfindlich beeinträchtigt, 20 21 22

Zur Kritik hieran siehe K. Schmidt Handelsrecht (5. Aufl. 1999) § 8 I 5 b. § 26 iVm § 25 oder § 28 Abs. 3 HGB. Auf die Parallelität weisen insbesondere auch K. Schmidt/Ch. Schneidert 2003, 1961,

hin. 23

K. Schmidt Handelsrecht (Fn. 20) § 8 I 8, 5; III 1 b.

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wenn es die Beteiligten in der Hand hätten, die Schuldenhaftung entsprechend den zugewiesenen Vermögensteilen zu begrenzen oder gar die Schulden mit Wirkung gegen die Gläubiger anders als das Aktivvermögen zu verteilen. Vor der Spaltung haftete den Gläubigern das gesamte Vermögen des Schuldners, und zwar ungeteilt. Der Schuldner hatte - außer durch entsprechende dingliche Belastung - nicht die Möglichkeit, das Vermögen oder seine künftigen Erträge einzelnen Gläubigern zuzuordnen und anderen zu entziehen. Im Falle einer Unternehmensteilung durch Aufspaltung ist die gesamtschuldnerische Haftung die einzige Art, die Gläubiger wirksam zu schützen und ihnen den freien Zugriff auf das gesamte Vermögen zu erhalten. Der Ubergang des (Aktiv-) Vermögens durch Gesamtrechtsnachfolge legt eine solche gesamtschuldnerische Haftung besonders nahe. Die Lage entspricht derjenigen der gesamtschuldnerischen Erbenhaftung, die sich vorbehaltlich der Möglichkeiten einer Beschränkung auf den Nachlaß auch nach der Nachlaßteilung fortsetzt. 24 Der Gläubigerschutz verlangt, daß allen (Alt-)Gläubigern der Zugriff auf das gesamte Vermögen mit seinem Ertragspotential erhalten bleibt. Dies erreicht die gesamtschuldnerische Haftung. Wie bei der Verschmelzung sieht das Gesetz mit Recht davon ab, die Haftung entsprechend der durch die Spaltungsrichtlinie eröffneten Möglichkeit auf das übertragene oder verbliebene Vermögen zu beschränken. 25 Mit dem Schutz der Gläubiger vereinbar wäre eine solche Beschränkung der Haftung der übernehmenden Rechtsträger auf das jeweils übernommene Vermögen zwar noch. Die praktische Umsetzung einer solchen Beschränkung würde aber auf kaum überwindbare Schwierigkeiten stoßen. Wenn sie als gegenständliche Beschränkung verstanden würde, müßte sie mit Surrogationsregeln verbunden werden, die in einem lebenden Unternehmen nicht durchführbar sind. Würde sie wertmäßig definiert, so blieben jedenfalls Ertragsund Wertsteigerungspotentiale zum Nachteil der Gläubiger außer Betracht. Die im Gesetz bestimmte unbeschränkte gemeinsame Haftung aller an der Spaltung beteiligten Rechtsträger ist deshalb die sachgerechte Lösung des Problems. Das wird im Ergebnis auch allenthalben anerkannt. 26 Zum §§ 1967 Abs. 2, 2058 BGB; arg. §§ 2060, 2061 Abs. 1 Satz 2 BGB; BGH NJW 1998, 682. Die Möglichkeit einer Beschränkung der Haftung auf das zugeteilte „Nettoaktivvermögen" sieht die Spaltungsrichtlinie für die Aufspaltung von Aktiengesellschaften vor, wenn den Gläubigern ein Anspruch auf Sicherheitsleistung eingeräumt wird; Richtlinie vom 17. 12. 1982, 82/891 EWG zur Spaltung von Aktiengesellschaften, ABl. Nr. L 378, S. 47ff.; Art. 12 Abs. 2, 3. Es ist unklar, was mit dem Nettoaktivvermögen gemeint ist. Nach überwiegender Ansicht ist damit eine gegenständliche Beschränkung gemeint; siehe Heidenhain EuZW 1995, 327, 330; Rümker m Festgabe Hellner, WM 1994, Sonderheft S. 73, 74. Das kann jedoch deshalb nicht richtig sein, weil es ein gegenständliches Nettoaktivermögen nicht gibt. 26 Hörtnagel (Fn. 7) § 133 Rn. 1 ; Hommelhoff/Schwab (Fn. 2) § 133 Rn. 14 f. ; Ihrig (Fn. 7) S. 80, 82. 25

Schuldübergang und Haftung in der Spaltung

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Teil wird die Regelung jedoch so dargestellt, daß das Gesetz zugunsten der Gläubiger fünf Jahre lang fingiere, die Spaltung habe nicht stattgefunden, woraus sich die fünfjährige Haftung aller Beteiligten erkläre. 27 Diese Sicht trifft die Dinge jedoch nicht. Denn das Gesetz projiziert eben nicht das übertragene Vermögen auf den übertragenden (im Falle der Aufspaltung gar nicht mehr existierenden) Rechtsträger zurück und beschränkt die Haftung nicht auf das übertragene Vermögen, sondern läßt die Ubernehmer mit ihrem gesamten Vermögen haften, auch soweit es nicht durch die Spaltung auf sie übergegangen ist. Das Gesetz fingiert also keineswegs, daß eine Spaltung nicht stattgefunden habe, sondern zieht mit der Haftung gerade die Konsequenz aus der Spaltung und ordnet dafür an, daß jeder, der auch nur einen Teil des Unternehmensvermögens übernommen hat, mit seinem gesamten Vermögen für sämtliche Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers gesamtschuldnerisch haftet. 3. Gleiches Schutzbedürfnis bei anderen

Spaltungstypen

Das für die Aufspaltung Gesagte gilt in gleicher Weise für die Abspaltung und die Ausgliederung. Aus der Sicht der betroffenen Gläubiger macht es keinen Unterschied, ob der Teil des gesamten Unternehmens, welcher nicht dem übernehmenden Rechtsträger A zugewiesen ist, auf einen anderen übernehmenden Rechtsträger übergeht (wie es notwendig im Falle der Aufspaltung geschieht) oder bei dem übertragenden Rechtsträger Β verbleibt. Es macht für die Gläubiger auch keinen substantiellen Unterschied, ob der Träger dieses Restvermögens als der ursprüngliche Rechtsträger bestehen bleibt oder durch die Aufspaltung untergeht und insoweit eine Gesamtrechtsnachfolge auf einen anderen übernehmenden Rechtsträger stattfindet. 4. Spaltung als

Teilverschmelzung

Die gesamtschuldnerische Haftung entspricht daher vom System her genau dem Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge in das Aktivvermögen. Sie entspricht auch dem gesetzlichen Verständnis der Spaltung als „TeilVerschmelzung" 28 . Diese Parallele hat der Gesetzgeber ausdrücklich gezogen. In der Begründung heißt es, mit der gesamtschuldnerischen Haftung werde „die volle Parallele zur Verschmelzung hergestellt" 29 . Auf dieser Grundlage ist die gesamtschuldnerische Mithaft aller Beteiligten die selbstverständliche Folge der Spaltung und nicht etwa eine Belastung für die Mithafter, die der Rechtfertigung bedürfte. Vielmehr bedeutet die Enthaftung nach fünf Jahren 27 28 29

Habersack (Fn. 2) S. 99; Hommelhoff/Schwab Teichmann in Lutter (Fn. 2) § 123 Rn. 17. Reg. Begr., Ganske S. 165.

(Fn. 2) § 133 Rn. 15.

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eine Privilegierung - ganz ebenso wie die Enthaftung des früheren Geschäftsinhabers in den Fällen der Einzelrechtsnachfolge gemäß § 26 HGB. 5. Temporäre Schuldnermehrheit Die Akzessorietätslehre sieht dies anders. Für sie steht fest, daß der eigentliche Schuldner nur der Hauptschuldner sein könne, weshalb die Haftung der anderen eine solche für fremde Schuld sein müsse. Das hätte der Gesetzgeber so regeln können. Er hat sich aber durch die Anordnung der gesamtschuldnerischen Haftung anders entschieden. Das von ihm gewählte Konzept ist stimmig und entspricht einem - sonst im deutschen Recht nur unvollkommen verwirklichten - Prinzip der Haftungskontinuität des Unternehmens. Das vom Gesetzgeber gewählte Modell widerspricht auch nicht den weiteren Bestimmungen des Umwandlungsgesetzes. (a) Zwar findet die (partielle) Gesamtrechtsnachfolge auch auf der Passivseite statt. Denn mit der Spaltung gehen gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 U m w G auch die Verbindlichkeiten „entsprechend der im Spaltungs- und Ubernahmevertrag vorgesehenen Aufteilung jeweils als Gesamtheit auf die übernehmenden Rechtsträger über". Der Ubergang bedeutet jedoch nicht, daß der übertragende Rechtsträger befreit würde. Die Vorschrift ist in Verbindung mit § 133 U m w G und der dort bestimmten gesamtschuldnerischen Haftung zu lesen. Danach befreit der Ubergang der Schuld gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG den übertragenden Rechtsträger zunächst nicht. Exakt so ist dies für die gesondert geregelten Fälle der Ausgliederung bestimmt. 30 Die Schuld des übertragenden Rechtsträgers bleibt bei ihm danach identisch. Seine fortbestehende Haftung ist die Fortsetzung seiner bisherigen Schuld und nicht etwa eine neue, von der bisherigen Schuld verschiedene akzessorische Haftung für die Schuld eines anderen. Es gibt keinen Anhaltspunkt und auch keinen Grund dafür, weshalb das Haftungsverhältnis des übertragenden Rechtsträgers als Mithafter in anderen Fällen der Ausgliederung oder in den Fällen der Abspaltung anders sein sollte als in den ausdrücklich geregelten Fällen. Denn die Forthaftung ergibt sich unmittelbar aus § 133 UmwG; die §§ 156, 166 und 172 UmwG verdeutlichen nur, wie die gesamtschuldnerische Weiterhaftung des übertragenden Rechtsträgers als Mithafter zu verstehen ist. (b) Was für die Haftung des übertragenden Mithafters gilt, gilt in gleicher Weise für die gesamtschuldnerische Mithaft eines übernehmenden Rechtsträgers. Denn das Gesetz behandelt alle diese Fälle gleich. Die Haftungsqualität des übernehmenden Rechtsträgers als Mithafter entspricht genau derjenigen des übertragenden Rechtsträgers als Mithafter. 30

§§ 156, 166, 172 UmwG.

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(c) Die Spaltung bewirkt also eine subjektive Vervielfältigung der Schuld. Eine solche durch Gesamtrechtsnachfolge (und nicht durch Schuldbeitritt) bewirkte nachträgliche subjektive Vervielfältigung der Schuld ist nichts Ungewöhnliches. Sie entspricht exakt der gesamtschuldnerischen Haftung der Erben. 31 Lediglich deren Möglichkeit der Beschränkung der Haftung auf das ererbte Vermögen findet im deutschen Spaltungsrecht, anders als in der Spaltungsrichtlinie, keine Parallele. 32 Dies berührt jedoch nicht die konstruktive Ähnlichkeit der Haftungsstruktur. 33 (d) Die Akzessorietätslehre stützt sich gewichtig auf § 133 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz UmwG. Danach ist zur Sicherheitsleistung nur derjenige beteiligte Rechtsträger verpflichtet, „gegen den sich der Anspruch richtet". Daraus soll sich „mit aller Deutlichkeit" 34 ergeben, daß eigentlicher Schuldner nur der „Hauptschulder" sei. Diese Argumentation überzeugt nicht. Mit der Beschränkung der Verpflichtung auf denjenigen, „gegen den sich der Anspruch richtet", regelt das Gesetz nicht nur die Zuordnung der Sicherungspflicht zwischen Hauptschuldner und Mithafter. Gleichzeitig ist nämlich auch geregelt, daß die (Alt-) Gläubiger des übernehmenden Rechtsträgers Sicherheit nur von diesem und nicht von anderen Spaltungsbeteiligten verlangen können. Ohne die Beschränkung auf denjenigen, gegen den sich der Anspruch richtet, könnten sie aufgrund der allgemeinen Verweisung in § 125 Sicherheit jedenfalls auch von anderen übernehmenden Rechtsträgern, möglicherweise auch vom übertragenden Rechtsträger verlangen. Aber auch mit Blick auf die Zuordnung der Sicherungspflicht zwischen Hauptschuldner und Mithafter ist das Argument nicht stichhaltig. Denn auch nach der Akzessorietätslehre besteht ein Anspruch gegen den Mithafter. Die Beschränkung der Pflicht auf denjenigen, gegen den sich der Anspruch richtet, bedarf deshalb jedenfalls der Auslegung. Deshalb und wegen des erweiterten Regelungsbereichs im Verhältnis zu den Altgläubigern des übernehmenden Rechtsträgers ist diese Wortfassung der Vorschrift nicht geeignet, die eindeutige Anordnung der gesamtschuldnerischen Haftung in Frage zu stellen. 31 Vgl. auch RGZ 136, 33 sowie Scheybing in Nörr/Scheyhing Sukzessionen (1. Aufl. 1983) § 30 B2 zu weiteren Fällen der subjektiven Vervielfältigung der Schuld, dort aber im Wege des (gesetzlichen) Schuldbeitritts. 32 Dazu oben III 2. 33 Ohne Parallele im Erbrecht ist die Haftungslage bei der Abspaltung und der Ausgliederung, weil (abgesehen vom Fall der Totalausgliederung) nur ein Teil des Vermögens übergeht und der übertragende Rechtsträger erhalten bleibt: eine solche „Teilerbschaft" kann es im Recht der natürlichen Personen nicht geben. Da das Gesetz die Haftungsverhältnisse bei der Aufspaltung und diejenigen bei Abspaltung und Ausgliederung in der gleichen Weise ohne irgendeinen Unterschied regelt, kann die für die Aufspaltung gezogene Parallele auch auf die Fälle der Abspaltung und Ausgliederung übertragen werden. 34 So Habersack (Fn. 2) S. 103.

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6. Gesetzlich normierte Haftungskontinuität Mit der Anordnung der gesamtschuldnerischen Haftung geht das Gesetz bei der Spaltung einen Weg, den es in den Fällen der Übertragung auch des ganzen Unternehmens durch Einzelrechtsnachfolge nicht konsequent gegangen ist. Es erhält den Gläubigern unabdingbar den Zugriff auf das gesamte vor der Spaltung haftende Vermögen mit seinem Ertragspotential. Der Haftungszugriff ist weder gegenständlich noch wertmäßig auf das übertragene Vermögen beschränkt. Dies entspricht dem insbesondere von Karsten Schmidt35 formulierten Prinzip der Haftungskontinuität.36 Danach hat eine Aufteilung des Unternehmens, gleich in welcher Form, grundsätzlich zur Folge, daß alle bisherigen Verbindlichkeiten des Unternehmens auf alle an der Aufteilung Beteiligten übergehen; auf diese Weise soll die Kontinuität der ursprünglichen Haftungsmasse gewahrt werden. Dieses Prinzip ist außerhalb des Umwandlungsgesetzes nicht als solches etabliert, sondern von weiteren Elementen wie der Firmenfortführung abhängig oder abdingbar gestaltet.37 Für die Fälle der Spaltung ist es aber ausdrücklich gesetzlich geregelt. Es gibt keinen Grund, diese gesetzliche Regelung zu korrigieren.38 7. Bindung an gewählte Form Durch die Spaltung kann auch ein einzelner Vermögensgegenstand übertragen werden. Für solche Fälle paßt der Gedanke der Haftungskontinuität bei der Unternehmensübertragung nicht. Maßgebend ist jedoch, daß sich die Beteiligten auch in einem solchen Fall der durch Gesamtrechtsnachfolge gekennzeichneten Form der Unternehmensteilung und der Übertragung von Unternehmensteilen bedienen. An diese Form sind sie gebunden, weshalb die Haftungsfolgen wie im Falle einer teilweisen Unternehmensübertragung eintreten.

K. Schmidt Handelsrecht (Fn. 20) § 8 I. K. Schmidt/Ch. Schneidert 2003,1961, 1967, behandeln die Ausgliederung nach § 152 UmwG mit Selbstverständlichkeit als einen Anwendungsfall des Prinzips der Haftungskontinuität, wie er in §§ 25, 28 HGB zum Ausdruck komme. 37 Zur Kritik daran K. Schmidt Handelsrecht (Fn. 20) § 8 I 3, 4. 38 Gleichwohl sieht K. Schmidt (Gesellschaftsrecht (Fn. 7) § 13 IV 5a) als Befürworter des Prinzips der unternehmerischen Haftungskontinuität einen Korrekturbedarf für die Interpretation des § 133 in der Form, daß nur der „Hauptschuldner" als Primärschuldner anzusehen sei und die anderen Beteiligten akzessorisch hafteten. 35 36

Schuldübergang u n d H a f t u n g in der Spaltung

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IV. Folgen Das mit der Akzessorietätslehre verfolgte Anliegen besteht darin, eine vermeintlich unangemessene Privilegierung der Gläubiger zu vermeiden, welche sich aus der Einzelwirkung von Einreden und Einwendungen (im folgenden zusammenfassend „Einreden") im Falle einer Gesamtschuld ergebe.39 Die Einzelwirkung führe nämlich dazu, daß der Gläubiger besser gestellt werde, als er es ohne die Spaltung gewesen wäre.40 Ob dies richtig ist, soll im folgenden am Beispiel einiger Einwendungen und Einreden geprüft werden. 1. Besonderheit der Spaltungslage

Die durch die Spaltung eintretende Gesamtschuld weist Besonderheiten auf, die sie mit einigen, aber nicht allen Fällen einer gesetzlich geregelten Gesamtschuld teilt. Anders als etwa die Gesamtschuld mehrerer deliktischer Nebentäter (§ 840 BGB) beruht die Gesamtschuld der Spaltungsbeteiligten auf ein und demselben Schuldgrund. Andererseits besteht die Gesamtschuld nicht von vornherein; vielmehr begann das Schuldverhältnis mit nur einem Schuldner (nämlich dem übertragenden Rechtsträger). Die Gesamtschuld entsteht erst nachträglich, durch eine subjektive Vervielfältigung der Schuld im Wege der Gesamtrechtsnachfolge,41 nachfolgend als „Sukzession" bezeichnet. Die gesamtschuldnerische Haftung bedeutet, daß bei allen Beteiligten eine Sukzession in denselben, einheitlichen Schuldgrund angenommen wird. Diese Besonderheit des einheitlichen Schuldgrundes ist bei der Behandlung von Einwendungen und Einreden angemessen zu berücksichtigen. 2.

Alt-Einreden

Einreden, deren Voraussetzungen bereits im Zeitpunkt der Spaltung gegeben waren, wirken selbstverständlich für alle Beteiligten. Das gilt auch für Einreden, deren Rechtsgrund schon vor der Spaltung angelegt war. Dies ist keine Frage von Gesamtschuld oder Akzessorietät, sondern eine Folge der oben dargestellten Einheitlichkeit des Schuldgrundes bei allen Gesamtschuldnern; Inhalt und Beschaffenheit der im Wege der Sukzession auf die Gesamtschuldner übergegangenen Schuld entsprechen denen der ursprünglichen Schuld im Zeitpunkt der Sukzession.42 Auch der Hauptschuldner 39

Habersack (Fn. 2) S. 103; ähnlich Hommelhoff/Schwab (Fn. 2) § 133 Rn. 67. Mickel (Fn. 7) S. 244ff., 257 41 Dazu oben III 5 (c) 42 Vgl. BGH NJW 1996, 249 für den insoweit vergleichbaren Fall der Begründung einer Gesamtschuld im Wege des Schuldbeitritts. 40

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kann deshalb die Einrede aus einem Gegenrecht geltend machen, das dem Mithafter zugewiesen ist; § 417 BGB ist insoweit entsprechend anzuwenden. 4 3

3. Beendigung des Schuldgrundes Wird der Schuldgrund nach Wirksamwerden der Spaltung durch Anfechtung, Rücktritt oder Kündigung beendet, so wirkt auch dies zwangsläufig zugunsten aller Beteiligten. Zwar hat nach § 425 Abs. 2 BGB die Kündigung im Falle der Gesamtschuld nur Einzelwirkung. Das gilt aber nach herrschender Meinung nur für die sogenannte Fälligkeitskündigung, nicht für die Kündigung, die das Rechtsverhältnis, wie beispielsweise einen Mietvertrag, beendet. 4 4 Zur Gesamtschuld wird allerdings z u m Teil vertreten, die Anfechtung habe nur Einzelwirkung. 4 5 Dies beruht jedoch auf der A n nahme, daß im Falle der Gesamtschuld ein Bündel von einzelnen Schuldverhältnissen bestehe und deshalb die Anfechtung nur das jeweils betroffene Schuldverhältnis zum Erlöschen bringe. 46 Diese Auffassung mag für den gemeinschaftlich abgeschlossenen Vertrag (§ 427 BGB) zutreffen. Für eine nachträglich durch Sukzession entstandene Gesamtschuld aufgrund eines einheitlichen Schuldgrundes kann es nicht gelten. Von der Frage der Wirkung solcher Erklärungen zu unterscheiden ist die Frage nach ihren Voraussetzungen und der Art ihrer Ausübung; auf Letztere ist hier nicht näher einzugehen. 4, Erfüllung, Erfüllungssurrogate (a) Die Erfüllung und ihre Surrogate wie die Leistung an Erfüllungs Statt, die Aufrechnung und die durch Hinterlegung bewirkte Erfüllung haben Gesamtwirkung (§ 422 BGB). H a t der Hauptschuldner erfüllt, so hat es damit sein Bewenden. H a t ein Mithafter erfüllt, so ergibt sich aus dem Spaltungsvertrag sein Erstattungsanspruch gegen den H a u p t schuldner. 47 Der gegen diesen gerichtete Anspruch des Gläubigers geht einschließlich dafür bestellter Sicherheiten gemäß §§ 426 Abs. 2, 401, 412 BGB auf ihn über. Die Erstattungspflicht ergibt sich auch für die A k zessorietätslehre aus dem Spaltungsvertrag. Einen gesetzlichen Forde43 Das sehen auch die Vertreter der Akzessorietätslehre so, vgl. Hommelhoff/Schwab (Fn. 2) § 133 Rn. 63. 44 Bydlinski in Münchener Kommentar zum BGB (Bd. 2a, 4. Aufl. 2003) § 425 Rn. 4; Heinrichs in Palandt BGB (65. Auflage 2006) § 425 Rn. 2, 15; aM Noack in Staudinger BGB (§§ 397-432, 13. Bearbeitung 2005) § 425 Rn. 13. 45 Noack (Fn. 44) § 425 Rn. 90 ff. 46 Noack (Fn. 44) § 425 Rn. 1 ff. 47 Dazu oben II 2 (a).

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rungsübergang kann sie nicht aus einer Analogie zu § 128 HGB begründen. 48 Ein Forderungsübergang einschließlich des Ubergangs der Sicherheiten läßt sich für die Akzessorietätslehre nur mit einer analogen Anwendung des § 774 BGB begründen. Auf der Grundlage der Gesamtschuld folgt das richtige Ergebnis unmittelbar aus dem Gesetz, (b) Bisher offenbar nicht erörtert ist die Lage, in der einer der übernehmenden Rechtsträger der Gläubiger der betroffenen Forderung war. Ist dies der Hauptschuldner, so erlischt die Forderung durch Konfusion. Ist ein Mithafter der Gläubiger, so tritt nach der Akzessorietätslehre keine Konfusion ein. Die Gesamtschuld müßte auf den ersten Blick Konfusion auch in diesem Fall annehmen. Zwingend ist dies nicht, wie der Vergleich mit dem Miterben, der zugleich Nachlaßgläubiger ist, ergibt. Dessen Forderung bleibt bestehen. Sofern er nicht Befriedigung nur aus dem Nachlaß verlangt, mindert sie sich jedoch um seine Erbquote. 49 Entsprechendes gilt für die Spaltungshaftung. Die Quote des Mithafters ist Null. Die Forderung bleibt daher in vollem Umfang bestehen. 5. Unvermögen Die subjektive Unmöglichkeit hat in der Gesamtschuld Einzelwirkung (§ 425 Abs. 2 BGB). Ist nur dem Hauptschuldner die Erfüllung unmöglich, so kann bei der Gesamtschuld der Gläubiger vom Mithafter gleichwohl Erfüllung verlangen, wenn diesem die Leistung möglich ist. Dies ist in der Spaltung besonders relevant für Sachschulden, wenn die Sache oder die Produktionsmittel zu ihrer Herstellung dem Mithafter zugewiesen sind. In diesem Fall ist dem Hauptschuldner die Erfüllung infolge der Spaltung unmöglich. Er hat sein Unvermögen zwar zu vertreten, 50 doch könnte wegen des Unvermögens nur Schadensersatz von ihm verlangt werden. Nach der Akzessorietätslehre müßte dann auch der Mithafter lediglich auf Schadensersatz haften. Daß dies unangemessen wäre, erkennt auch die Akzessorietätslehre an. Sie glaubt aber, dieses Ergebnis ohne Einschränkung der Akzessorietät ver48 Denn hier findet ein gesetzlicher Forderungsübergang nach herrschender Meinung nicht statt, BGHZ 39, 323; Baumbach/Hopt, § 128 Rn. 25. 49 Edenhofen in Palandt (Fn. 44) § 2058 Rn. 3. 50 Der übertragende Rechtsträger hat sein Unvermögen durch die Spaltung selbst verursacht; Unvermögen des übernehmenden Rechtsträgers besteht im Zeitpunkt der Entstehung seiner Schuld und ist ihm bekannt; er haftet nach § 311a Abs. 2 BGB. Stellt man auf die Identität der Schuld ab, die durch Sukzession auf den übernehmenden Rechtsträger übergegangen ist (im Text oben III 5 (c) und IV 1), so ist dem übernehmenden Rechtsträger das durch die Spaltung verursachte Unvermögen des ursprünglichen alleinigen Schuldners zuzurechnen.

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meiden zu können, denn der Hauptschuldner könne sich nicht auf sein Unvermögen berufen und entsprechend könne sich der Mithafter nicht auf das Unvermögen des Hauptschuldners berufen. 51 Dies ergebe sich aus den zu der akzessorischen Gesellschafterhaftung entwickelten Grundsätzen. Dort wird in der Tat vertreten, daß der selbst leistungsfähige Gesellschafter auf Erfüllung hafte, auch wenn der Gesellschaft die Erfüllung nicht möglich sei. Begründet wird dies mit der Rechtsprechung zu § 283 a . E BGB. 5 2 Soweit ersichtlich, gab es in der Rechtsprechung keinen Fall, in dem ein Gesellschafter aufgrund seiner akzessorischen Haftung zur Erfüllung einer Gesellschaftsschuld verurteilt wurde, obwohl der Gesellschaft die Erfüllung unmöglich war. Die in der Literatur gegebene Begründung für eine solche Haftung war schon nach altem Recht nicht tragfähig. Nach der dafür herangezogenen Rechtsprechung zu § 283 a.F. BGB brauchte über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Leistung nicht Beweis erhoben zu werden, wenn feststand, daß ein Leistungshindernis vom Schuldner zu vertreten wäre. 53 Der Schuldner wurde in solchen Fällen zur Erfüllung verurteilt. Wenn aber feststand, daß die Erfüllung unmöglich ist, konnte auch nach der alten Rechtsprechung kein Leistungsurteil ergehen. 54 Dies galt auch für das Unvermögen des Schuldners. 55 Für die Gesellschafterhaftung wurde aus diesen Grundsätzen abgeleitet, daß das Unvermögen die Gesellschaft nicht von der Pflicht zur Erfüllung befreie und deshalb auch der Gesellschafter auf Erfüllung hafte. Selbst wenn man dem bei der Spaltungshaftung im Ergebnis folgen würde, läge darin eine Durchbrechung der Akzessorietät. Die frühere Rechtsprechung zu § 283 a. F. BGB war teils materiell-rechtlich, teils verfahrensrechtlich begründet. 56 Soweit sie verfahrensrechtlich begründet war, kann sie für eine akzessorische Haftung die Existenz des Erfüllungsanspruchs gegen den Hauptschuldner nicht begründen. Soweit sie materiell-rechtlich begründet war, ist mit der Schuldrechtsmodernisierung jedenfalls ihre Grundlage entfallen. Denn nach heutigem Schuldrecht befreit die objektive wie subjektive anfängliche und nachträgliche Unmöglichkeit 5> So Mickel (Fn. 7) S. 204 ff, Hommelhoff/Schwab (Fn. 2) § 133 Rn. 40. 52 Habersack Großkommentar HGB (Bd. 2, 4. Aufl. 2004) § 128 Rn. 31 ff; abweichend Mickel (Fn. 7) S. 205 f., die aus § 133 UmwG eine gesetzliche Freistellungspflicht des leistungsfähigen Mithafters gegenüber dem Hauptschuldner (und sogar den übrigen Mithaftern) herleiten will, die diesen zur Leistung an den Gläubiger befähige, so daß ein Unvermögen des Hauptschuldners ausgeschlossen sei. Eine derartige Freistellungspflicht im Innenverhältnis wäre mit der Zuweisung der Schuld im Spaltungsvertrag unvereinbar. Soll sie gegenüber dem Gläubiger bestehen, beruht ihre Annahme auf einer petitio principii. 53 Ständige Rechtsprechung seit RGZ 54, 28, 33. 5« BGHZ 62, 388, 393; 68, 372, 377; 97, 178, 181. 55 BGHZ 141, 179ff.; kritisch hierzu trotz sonstiger Zustimmung zu der Rechtsprechung Emmerich in Münchener Kommentar zum BGB (Bd. 2, 3. Aufl. 1994) § 275 Rn. 83 ff. 5 6 Kritisch dazu Wiedemann in Soergel, BGB (Bd. 2, 12. Aufl. 1990) § 280 Rn. 26 ff., 31 f.

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den Schuldner von der Erfiillungspflicht ohne Rücksicht darauf, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat oder nicht. 57 Wenn in einem solche Fall der Mithafter gleichwohl auf Erfüllung haften soll, ist dies also eine Durchbrechung der Akzessorietät, die mit der Formulierung, der Hauptschuldner und deshalb auch der Mithafter könne sich auf das Unvermögen des Hauptschuldners nicht berufen, nicht beseitigt wird. Tritt das Leistungshindernis bei dem Hauptschuldner nicht unmittelbar durch die Spaltung, sondern erst nachträglich ein, so mag es je nach seiner Ursache zur vollständigen Befreiung des Hauptschuldners führen. Bleibt die Leistung dem Mithafter möglich, so bleibt er als Gesamtschuldner zur Leistung verpflichtet, nach der Akzessorietätslehre wäre er befreit. Das gälte sogar dann, wenn der Hauptschuldner zur Erfüllung einer Speziesschuld deshalb nicht mehr in der Lage ist, weil er die Sache in Unkenntnis der Schuld an den Mithafter verkauft hat. 58 Wenn der Mithafter zur Erfüllung fähig bleibt, wird der Fall in der Regel so liegen, daß das Leistungshindernis ohne die Spaltung nicht eingetreten wäre. 59 In der fortgeltenden Erfüllungshaftung des Mithafters kann daher kein ungerechtfertigter Vorteil für den Gläubiger liegen. 6. Verzug Der Verzug hat in der Gesamtschuld Einzelwirkung (§ 425 Abs. 2 BGB). Das gilt auch für den Verzug nach Eintritt der Fälligkeit aufgrund einer Kündigung, beispielsweise eines Darlehens. Für die Akzessorietätslehre müßte die Fälligstellung und der Verzug einschließlich der Verzugsfolgen bei dem Hauptschuldner auch zu Lasten des Mithafters wirken, der davon vielleicht gar nichts weiß. Daß hier die Gesamtschuld die sachgerechte Lösung bietet, sollte nicht zweifelhaft sein. Schwierige Fragen ergeben sich allerdings für den Fall, daß der Gläubiger nach Eintritt des Verzugs eine Frist setzt und danach Schadensersatz verlangt. Mit dem Schadensersatzverlangen entfällt der Anspruch auf Erfüllung (§ 281 Abs. 4 BGB). Das führt in der Tat zu erheblichen Folgeproblemen. Diese ergeben sich aber bei allen Gesamtschuldverhältnissen. Es geht nicht um eine spaltungsspezifische Besonderheit. Eine möglicherweise als unbefriedigend empfundene Regelung dieser Lage für die Gesamtschuld kann daher kein Grund sein, die Gesamtschuld bei der Spaltung zugunsten der 5 7 § 275 Abs. 1, 2 BGB. Nach altem Recht war strittig, ob das nachträgliche zu vertretende Leistungshindernis den Schuldner von der Primärleistungspflicht befreite; bejahend Wiedemann (Fn. 56) § 280 Rn. 30, 32, mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes in Rn. 28f. und 31. 58 Die Schuld beschränkt sich dann auf die Herausgabe des Kaufpreises, § 285 BGB. 59 Anders wäre dies nur in dem Ausnahmefall, daß der übernehmende Rechtsträger als Mithafter zur Erfüllung der Schuld aus seinem übrigen Vermögen in der Lage wäre.

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Akzessorietät wegen deren „überlegenen Rechtsfolgen" über Bord zu werfen. Die Lösung dürfte darin liegen, in dem Ersatzverlangen mit der Folge des § 281 Abs. 4 BGB ein Gestaltungsrecht zu sehen; dann kann dieses Recht nur gegenüber demjenigen Beteiligten ausgeübt werden, dem das Vertragsverhältnis zugewiesen ist. Der Verzug des Gläubigers hat bei der Gesamtschuld Wirkungen zugunsten aller Schuldner (§ 424 BGB). Nach der Akzessorietätslehre soll sich die Gesamtwirkung des Annahmeverzugs - an sich systemwidrig - „erst recht" aus § 424 BGB ergeben. 60 7. Verjährung Die Verjährung und die zu ihrem Neubeginn oder ihrer Hemmung führenden Maßnahmen oder Ereignisse haben in der Gesamtschuld Einzelwirkung (§ 425 Abs. 2 BGB). Die Ansprüche gegen Hauptschuldner und Mithafter verjähren danach selbständig. Für die Akzessorietätslehre müßte die Verjährung des Anspruchs gegen den Hauptschuldner auch dem Mithafter die Verjährungseinrede geben, selbst wenn gegen ihn die Verjährung durch Klageerhebung gehemmt wäre. Die Rechtsprechung zur Gesellschafterhaftung in der o H G durchbricht hier die Akzessorietätswirkung: Die Klage gegen die Gesellschaft hemmt die Verjährung nur gegenüber den Gesellschaftern, die der Gesellschaft noch angehören, nicht gegenüber ausgeschiedenen Gesellschaftern. Dies soll entsprechend bei der Spaltung gelten.61 Damit wird - mittels einer Durchbrechung der Akzessorietät - ein Ergebnis erreicht, das bei der Gesamtschuld ohnehin besteht. 8. Gestaltungsrechte Es bleibt die Frage, wie Fälle zu behandeln sind, in denen ein anderer Beteiligter oder der Gläubiger durch Ausübung eines Gestaltungsrechts das Schuldverhältnis oder die Schuld beenden oder vernichten könnte. In Betracht kommt entweder die mögliche Vernichtung des Schuldverhältnisses durch Anfechtung oder seine mögliche Beendigung durch Rücktritt oder Kündigung oder die Erfüllung der Schuld durch Aufrechnung. Diese Fälle sind unterschiedlich zu beurteilen, denn die Ausübung des Gestaltungsrechts in den zuerst genannten Fällen führt zum Erlöschen der Schuld ohne den Einsatz weiteren Vermögens, während die Aufrechnung zum Erlöschen der Schuld nur durch den Einsatz der aufgerechneten Forderung führt.

Hommelhoff/Schwab (Fn. 2) § 133 Rn. 78, im Anschluß an Mickel{Fn. 7) S. 227f. « Mickel (Fn. 7) S. 214f.; ihr folgend Hommelhoff/Schwab (Fn. 2) § 133 Rn. 67. 60

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a) Anfechtungs-, Kündigungs-, Rücktrittsrecht Das Gestaltungsrecht kann nur von demjenigen ausgeübt werden, auf den das Vertragsverhältnis als solches übergegangen ist. Für andere Beteiligte stellt sich nur die Frage, ob ihnen eine Einrede deshalb zusteht, weil entweder ein anderer Spaltungsbeteiligter oder der Gläubiger ein solches Recht ausüben könnte. Außer in „kranken" Fällen wird das Vertragsverhältnis dem Hauptschuldner zugewiesen sein, so daß der Hauptschuldner das Gestaltungsrecht ausüben könnte oder es ihm gegenüber vom Gläubiger ausgeübt werden könnte. N i m m t der Gläubiger in einem solchen Fall den Mithafter in Anspruch, so ist es angemessen, dem Mithafter die Einrede zu gewähren, der Hauptschuldner könne anfechten, zurücktreten oder kündigen. Der Hauptschuldner ist nach dem Spaltungsplan verpflichtet, die Mithafter von der Inanspruchnahme freizustellen. Wenn er nicht erfüllt, ist er deshalb zur Ausübung des Gestaltungsrechts verpflichtet. Der Gläubiger verliert durch die Gewährung einer solchen Einrede nichts, worauf er eine berechtigte Erwartung haben könnte. In vergleichbaren Fällen ist die entsprechende Anwendung der §§ 770 Abs. 1 BGB, 129 Abs. 2 HGB auf die Gesamtschuld anerkannt. 6 2 Die Möglichkeit des Gläubigers anzufechten, zu kündigen oder zurückzutreten, sollte eine solche Einrede nicht begründen.

b) Aufrechnungsmöglichkeit Steht dem Hauptschuldner eine Gegenforderung zu, die entweder der Hauptschuldner oder der Gläubiger oder beide aufrechnen könnten, so fragt sich, ob sich der Mithafter hierauf berufen kann. Die Frage ist für das Bürgschaftsrecht anders geregelt als für die Gesellschafterhaftung. Der Bürge kann die Leistung nur verweigern, wenn sich der Gläubiger durch Aufrechnung befriedigen könnte, nach h . M . aber nicht, wenn die Aufrechnungsbefugnis nur dem Hauptschuldner zusteht. 6 3 Für die Gesellschafterhaftung scheint § 129 Abs. 3 HGB dasselbe zu bestimmen. Hier ist jedoch anerkannt, daß der Gesellschafter die Leistung auch verweigern kann, wenn die Aufrechnungsbefugnis nur der Gesellschaft zusteht. 6 4 Für die Spaltungshaftung sollte es nur darauf ankommen, ob der H a u p t schuldner sich durch Aufrechnung befriedigen kann. Beruhte die Schuld beispielweise auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung mit der Folge des Aufrechnungsverbots des § 393 BGB, so kann dem Gläubiger der Schutz dieser Bestimmung auch in der Spaltung nicht entzogen werden. 62 Bydlinski (Fn. 44) § 425 Rn. 10; Ehmann in Erman BGB (11. Aufl. 2004) § 425 Rn. 12. " § 770 Abs. 2 BGB; Sprau in Palandt (Fn. 44) § 770 Rn. 3; Horn (Fn. 9) § 770 Rn. 9. 64 Emmerich in Heymann HGB (2. Aufl. 1996), § 129 Rn. 13; ihm zustimmend Horn ebda., § 171 Rn. 6.

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Es kann also nur in Betracht kommen, dem in Anspruch genommenen Mithafter eine Einrede mit der Begründung zu geben, daß der Hauptschuldner seinerseits aufrechnen könnte. Eine solche Einrede erscheint in der Tat sachgerecht.65 Die Freistellungspflicht aus dem Spaltungsplan impliziert auch die Verpflichtung des Hauptschuldners, die Forderung durch Aufrechnung zum Erlöschen zu bringen.

V. Fazit Die von den Vertretern der Akzessorietätslehre behauptete Privilegierung der Gläubiger durch die Einzelwirkung der Gesamtschuld besteht nicht. Die Gesamtschuld führt vielmehr in den meisten Fällen unmittelbar zu dem sachgerechten Ergebnis, das die Akzessorietätslehre nur mit Bemühungen oder auf Umwegen erreichen kann. Schwierigkeiten bereitet allein der Fall der nicht ausgeübten Gestaltungsrechte. Dessen sachgerechte Lösung ergibt sich indessen auch für die Akzessorietätslehre nicht immer von selbst. Es bedarf einer vorsichtigen Analogie zu den einschlägigen Vorschriften. Insgesamt kann nicht davon die Rede sein, daß die Rechtsfolgen der Akzessorietätslehre denen der im Gesetz bestimmten Gesamtschuld überlegen seien. Es gibt somit keinen Grund, dem Gesetz den Gehorsam zu verweigern.

65 Ebenso Noack (Fn. 44) § 422 Rn. 27 f. für den insoweit vergleichbaren Fall der gesamtschuldnerischen Haftung von Miterben.

Zur „Unverzüglichkeit" einer Ad-hoc-Mitteilung im Kontext nationaler und europäischer Dogmatik THOMAS M . J .

MÖLLERS

I. Problemstellung Seit vielen Jahren hat sich der Jubilar nicht nur mit dem Bankrecht, sondern der ganzen Breite des Unternehmens- und Wirtschaftsrechts und vor allem auch des Kapitalmarktrechts beschäftigt. Er gehört zu der höchst überschaubaren Anzahl von Kollegen, die das Wirtschaftsrecht schon seit Jahrzehnten auch in seinen internationalen und europäischen Bezügen vertreten.1 Zudem beschäftigt sich Norbert Horn auch immer mit Verve mit den Grundlagen des Rechts.2 Der folgende Beitrag greift diese beiden Forschungsansätze auf. Er beschäftigt sich dabei mit nur einem einzigen Begriff: der „Unverzüglichkeit", wie wir sie in § 15 WpHG finden. § 15 WpHG verpflichtet börsennotierte Unternehmen dazu, kursrelevante Insiderinformationen „unverzüglich" dem Anlegerpublikum mitzuteilen (sog. Pflicht zur Ad-hoc-Publizität). Die Pflicht zum „unverzüglichen" Handeln fand sich ursprünglich in § 44a BörsG3 und wurde durch das 2. Finanzmarktförderungsgesetz 4 in § 15 WpHG neu gefasst. Die Vorschriften zur Ad-hoc-Publizität wurden seitdem mehrfach geändert5, die Begrifflichkeit der Pflicht zum „unverzüglichen" Handeln schien allerdings seit nun fast 20 Jahren mit einem Rückgriff auf § 121 BGB geklärt zu sein. Allerdings geben eine Reihe von Fällen aus der jüngeren Zeit Anlass zu Zweifeln, ob eine solche Auslegung zutreffend ist. Ist beispielsweise ein bör1 Institutionell zu nennen ist vor allem die Arbeit im Rechtszentrum für europäische und internationale Zusammenarbeit (R.I.2.) und jetzt im Arbitration Documentation and Information Center (ADIC) sowie an Veröffentlichungen wie etwa Horn Europäisches Finanzmarktrecht - European Financial Market Law, 2003. 2 Horn Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 2004 (mit Ubersetzung ins Portugiesische und Chinesische). 3 Eingeführt durch Art. 1 Nr. 4 des Börsenzulassungsgesetzes v. 16. 12. 1986, BGBl. I 1986, S. 2478 ff. 4 Zweites Finanzmarktförderungsgesetz (2. FFG) v. 26. 7 1994, BGBl. I 1994, S. 1749. 5 Zuletzt brachte das Anlegerschutzverbesserungsgesetz (AnSVG) v. 28. 10. 2004, BGBl. I 2004, 2630, Änderungen für die Ad-hoc-Publizität mit sich. Zur vollständigen Gesetzgebungsgeschichte vgl. die zum Kapitalmarktrecht zusammengestellten Materialien unter http://www.thomas-moellers.de.

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Thomas M.J. Möllers

sennotiertes Unternehmen verpflichtet, ein Telefax, das eine potentiell Adhoc-publizitätspflichtige Mitteilung enthält, an einem Freitagabend entgegenzunehmen und sogleich eine Ad-hoc-Mitteilung an die Öffentlichkeit zu geben, oder kann es bis Montag warten? Darf ein börsennotiertes Unternehmen, das 20 Prozent des stimmberechtigten Kapitals eines Dax-Wertes übernehmen will, dies am Sonntag früh per Ad-hoc-Mitteilung bekannt geben, wenn eine Wochenzeitschrift schon am Samstagabend über diese Pläne berichtet?6 Kurzum: Gibt es einen Wochenendbereitschaftsdienst? Und wenn ja, in welchem Umfang? Der unbestimmte Rechtsbegriff der Unverzüglichkeit gibt mithin Anlass, darüber nachzudenken, wie schnell Unternehmen reagieren müssen und in welchem Umfang sich Ad-hoc-Mitteilungspflichten organisatorisch verdichten. Die Untersuchung wird zeigen, dass der Rückgriff auf § 121 BGB gleich in doppelter Weise unzutreffend ist.

II. Die Legaldefinition des § 121 BGB 1. Der Rückgriff auf 5 121 BGB und die Einheit der Rechtsordnung Wirft man einen Blick in die einschlägigen Kommentare, so scheint die Antwort eindeutig, wird doch ohne weiteres auf die Legaldefinition des § 121 BGB zurückgegriffen, wonach „unverzüglich" zu einem Handeln ohne schuldhaftes Zögern verpflichtet.7 Weil auch die Aufsichtsbehörde8 und weitere Stimmen in der Literatur auf die Legaldefinition des § 121 BGB abstellen, findet man sich in guter Gesellschaft und möchte fast von einer „ganz herrschenden Ansicht", ja einer unstrittigen Rechtslage sprechen.9 Unterstützung findet diese Ansicht durch gewichtige Stimmen der allgemeinen zivilrechtlichen Literatur, die betonen, dass die Legaldefinition des § 121 BGB für das gesamte private und öffentliche Recht gelte.10 Dogmatisch abrunden 6 Die BaFin ermittelt, weil die Porsche AG den geplanten Erwerb von 20 Prozent der stimmberechtigten Aktien der Volkswagen AG erst mit Ad-hoc-Mitteilung vom 25. 9. 2005 mitteilte, obwohl SPIEGEL ONLINE darüber schon am Vorabend, einem Samstag, berichtet hatte; http://boerse.ard.de/content.js?go9=meldung&key=dokument_124150; abgerufen am 26. 9. 2005. 7 Kumpel/'Assmann in: Assmann/Schneider WpHG, 3. Aufl. 2003, § 15 Rn. 217; Zimmer in: Schwark KMRK, 3. Aufl. 2004, § 15 Rn. 137; Geibelm·. Schäfer WpHG, BörsG, VerProspG, 1999, § 15 WpHG Rn. 53. 8 Schreiben des BAWe vom 8. 2. 2002; abgedruckt bei Kümpel/Assmann in: Assmann/ Schneider WpHG, (Fn. 7), § 15 Rn. 218; abrufbar unter http://www.bafin.de/schreiben/ 92_2002/wa_020208.htm, Abruf v. 23. 6. 2005. 9 von Khtzing Ad-hoc-Publizität, 1999, S. 233; Waldhausen Die ad-hoc-pflichtige Tatsache, 2001, S. 46. 10 Palandt/Heinrichs BGB, 64. Aufl. 2005, § 121 Rn. 3; Singer in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2004, § 121 Rn. 8; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004, § 36 Rn. 88.

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ließe sich dieses Ergebnis mit der Rechtsfigur der Einheit der Rechtsordnung. Danach sind dieselben Begriffe gleich auszulegen, auch wenn sie in unterschiedlichen Gesetzen verwendet werden. So soll die Einheit der Rechtsordnung gewahrt bleiben.11 Uber § 823 Abs. 2 BGB gilt etwa die Interpretation strafrechtlicher Normen grundsätzlich auch im Zivilrecht.12 Ihr Pendant findet diese Regel in der in pari materia-rule im anglo-amerikanischen Recht, unterstützt wird sie durch den logischen Satz von der Identität13.

2. Konkretisierungen

des §121 BGB

Folgt man § 121 BGB, ergibt sich folgendes Bild: Mit dem Begriff „unverzüglich" ist kein konkreter Zeitraum festgelegt. Da nur schuldhaftes Zögern schadet, bedeutet „unverzüglich" nicht etwa sofort. 14 Vielmehr ist in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Interessen der beteiligten Parteien zu prüfen, nach Ablauf welcher Zeitspanne die Anfechtungserklärung möglich und zumutbar war.15 Dem Interesse des Anfechtungsgegners an einer möglichst raschen Klärung der Situation steht das Interesse des Anfechtungsberechtigten gegenüber, sich seine Vorgehensweise überlegen zu können. 16 Einerseits steht dem Anfechtungsberechtigen eine angemessene Überlegungsfrist zu. 17 Andererseits sind auch die Interessen des Anfechtungsgegners zu berücksichtigen: 18 Danach hat der Anfechtungsberechtigte die Erklärung so rechtzeitig abzugeben, wie ihm dies unter den gegebenen Um11 Engisch Die Einheit der Rechtsordnung, 1935; ders. Einführung in das juristische Denken, 8. Aufl. 1983, S. 160ff.; Canaris Systemdenken und Systembegriffe in der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983, S. 13 ff.; Pawlowski Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl. 1999, Rn. 486; s. auch Latenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 167; Raisch Juristische Methoden, 1995, S. 148; Voge/Juristische Methodik, 1998, S. 58ff.; Kramer Juristische Methodenlehre, 1998, S. 65, Rüthers Rechtstheorie, 2. Aufl. 2005, Rn. 145ff.; Baldus Die Einheit der Rechtsordnung - Bedeutungen einer juristischen Formel in Rechtstheorie, Zivil- und Staatsrechtswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, 1995; Felix Einheit der Rechtsordnung - Zur verfassungsrechtlichen Relevanz einer juristischen Argumentationsfigur, 1998. 12 Raisch Juristische Methoden, 1995, S. 148. 13 E. SchneiderLopk für Juristen, 5. Aufl. 1999, S. 81 ff. 14 RG Urt. v. 22. 2. 1929, RGZ 124, 115, 118 = J W 1929, 1457 m. Anm. Oertmann BGH Urt. v. 26. 1. 1962, WM 1992, 511, 513 = DB 1962, 600f.; Palandt/Heinrichs § 121 Rn. 3; Staudingerl Singer (Fn. 10), § 121 Rn. 9; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts (Rn. 10), § 36 Rn. 88. 15 RG Urt. v. 22. 2. 1929, RGZ 124, 115, 118 = JW 1929, 1457 m. Anm. Oertmann; BGH Urt. v. 26. 1. 1962, WM 1992, 511, 513 = DB 1962, 600 f. 16 Bork Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2000, Rn. 913. 17 Palandt/Heinrichs (Fn. 10) § 121 Rn. 3; Hk-BGB/ööraer BGB, 4. Aufl. 2005, § 121 Rn. 3; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts (Rn. 10), § 36 Rn. 88. 18 Palandt/Heinrichs (Fn. 10) § 121 Rn. 3.

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ständen und unter Berücksichtigung der Interessen des anderen Teils an alsbaldiger Aufklärung möglich und zumutbar ist.19 Ein Zögern schließt die Anfechtung nur dann aus, wenn es schuldhaft geschieht. Dies trifft nur zu, wenn das Zuwarten nicht durch die Umstände des Falles geboten war.20 Der Anfechtungsberechtigte muss nicht etwa immer schon spätestens am Tage nach Erlangung der Kenntnis des Anfechtungsgrundes die Anfechtungserklärung abgeben21 und darf, soweit erforderlich, auch den Rat eines Rechtskundigen einholen.22 Bei der Formulierung von bestimmten Fristen herrscht eine gewisse Unsicherheit. Zum Teil wird in entsprechender Anwendung des § 626 Abs. 2 BGB eine zeitliche Obergrenze von zwei Wochen gezogen.23 Obwohl die Festlegung auf eine exakte Anzahl von Tagen abgelehnt wird, geht man zum Teil in der Rechtsliteratur davon aus, dass eine Anfechtung nach drei Tagen in der Regel zumutbar und damit fristgerecht sei.24 Schließlich reicht nach dem klaren Wortlaut des § 121 Abs. 1 S. 2 BGB für die rechtzeitige Erklärung gegenüber Abwesenden die unverzügliche Absendung der Anfechtungserklärung. Verzögerungen bei der Übermittlung der Anfechtungserklärung gehen zulasten des Anfechtungsgegners. 25 Zugegangen ist die Anfechtungserklärung erst, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. 26 Ein Telefax mit einer geschäftlichen Erklärung geht etwa während der üblichen Geschäftsstunden zu, ansonsten mit dem nächsten Geschäftsstundenbeginn. 27 Ein Telefax, das am Freitag nachmittags um 16.13 Uhr eingeht, geht » BGH Urt. V. 23. 6. 1994, NJW-RR 1994, 1108, 1109; Staudinger/Singer (Fn. 10) § 121 Rn. 8; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts (Rn. 10), § 36 Rn. 88; Köhler BGB, Allgemeiner Teil, 28. Aufl. 2004, § 7 Rn. 30. 20 RG Urt. v. 22. 2. 1929, RGZ 124, 115, 118 = J W 1929, 1457 m. Anm. Oertmann; BGH Urt. v. 26. 1. 1962, WM 1992, 511, 513 = DB 1962, 600f.; MünchKomm!Kramer BGB 4. Aufl. 2001, § 121 Rn. 7 21 MünchKomm/Kramer (Fn. 20) § 121 Rn. 7 22 OLG Oldenburg Urt. v. 30. 10. 2003, NJW 2004, 168; Palandt/Heinrichs (Fn. 10) § 121 Rn. 3; MünchKomm/Kramer (Fn. 20) § 121 Rn. 7; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts (Rn. 10) § 36 Rn. 88. 23 OLG H a m m Urt. v. 9. 1. 1990, NJW-RR 1990, 523; OLG Oldenburg Urt. v. 30. 10. 2003, NJW 2004, 168; PalandtiHeinrichs (Fn. 10) § 121 Rn. 3; Bork Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, Rn. 913. Nach anderer Ansicht soll auch noch eine Frist von einem Monat zur Erlangung eines Arrestbefehls ausreichend sein, Staudinger/Singer (Fn. 10) § 121 Rn. 9 f. 24 Bork Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, Rn. 913; ähnlich Köhler BGB, Allgemeiner Teil, § 7 Rn. 30: „wenige Tage". 25 Palandt/Heinrichs (Fn. 10) § 121 Rn. 4; Staudinger/Singer § 121 Rn. 11. 26 BGH Urt. v. 3. 11. 1976, B G H 2 67, 271 = NJW 1977,194; BGH Urt. v. 13. 2. 1990, NJW 1980, 990; Palandt/Heinrichs (Fn. 10) § 130 Rn. 5; MünchKomm/Einsele § 130 Rn. 19; HKBGB/Dörner § 130 Rn. 4. 27 Palandt/Heinrichs (Fn. 10) § 130 Rn. 5; MünchKomm/Einsele § 130 Rn. 20.

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damit erst mit dem Geschäftsstundenbeginn am nächsten Montag um 9.00 Uhr zu. 28 3. Bedenken wegen der Unterschiede im Einzelnen Lässt man diese Ausführungen auf sich einwirken, kommen deutliche Zweifel auf, ob für den Unverzüglichkeitsbegriff von § 15 WpHG ein Rückgriff auf § 121 BGB gelingt. Dies beginnt schon damit, dass es sich bei einer Ad-hoc-Mitteilung nicht um eine Willenserklärung handelt. Eine Ad-hocMitteilung dient der Aufklärung über tatsächliche Vorgänge, sie hat keine rechtsgeschäftliche Wirkung. Die Ad-hoc-Mitteilungspflicht kann auch durch ein Unterlassen verletzt werden. Es handelt sich bei ihr somit um eine Pflicht, die unabhängig vom Willen des Handelnden eintritt.29 Eine Ad-hocMitteilung richtet sich erga omnes, es bedarf nicht eines Zugangs bei der anderen Seite. Während eine Willenserklärung regelmäßig mündlich, mittels Brief, E-Mail oder Telefax angefochten wird, ist die Ad-hoc-Mitteilung in einem überregionalen Börsenpflichtblatt oder einem elektronisch betriebenen Informationsverbreitungssystem zu publizieren, § 15 Abs. 3 WpHG. Es gilt, im Rahmen der „Unverzüglichkeit" die unterschiedlichen Beteiligten und die unterschiedlichen Interessen im allgemeinen Zivilrecht und im Kapitalmarktrecht angemessen zu berücksichtigen. Bei § 121 BGB will der Anfechtende Bedenkzeit, um die durch Irrtum oder Drohung hervorgerufene Willenserklärung mittels Anfechtung ex tunc unwirksam werden zu lassen. Er hat gegebenenfalls für den Vertrauensschaden des Anfechtungsgegners einzustehen, § 122 BGB. Auf der anderen Seite ist der Adressat der anfechtbaren Willenserklärung zu schützen, der auf Rechtsklarheit und Rechtssicherheit drängt. Bei der Ad-hoc-Publizität dagegen steht nicht die rechtszeitige Anfechtung einer Willenserklärung im Raum, sondern die rechtzeitige Mitteilung von kursrelevanten Insiderinformationen des börsennotierten Unternehmens. Durch eine unverzügliche Mitteilung sollen Insiderverstöße vermieden werden. 30 Zudem sollen die kursrelevanten Informationen vom Kapitalmarkt verarbeitet werden können. Der Kapitalmarkt soll auf die kursrelevanten Informationen reagieren, d.h. diese in den Kurs der Aktie einpreisen können. 31 Wird die Information unverzüglich in 28 OLG Rostock Urt. v. 24. 9. 1997, NJW-RR 1998, 526, 527; MünchKomm/£msW