168 83 37MB
German Pages 129 [143] Year 1972
Band 179 (1971) Heft 4
Zeitschrift für mit Zeits chrift für angewandte Psychologie Schriftleitung
WERNER FISCHEL, Leipzig und FRIEDHART K L I X , Berlin Redaktion J Ü R G E N M E H L , Berlin Unter Mitarbeit von B. G. AN ANJEW, Leningrad; H. DÜKER, Marburg; H.-J. EYSENCK, London; P. FR AI SSE, Paris; J . J . GIB SON, Ithaca, N. Y.; H. HIEB SCH, Jena; A. KOSSAKOWSKI, Berlin; D. KOVÄC, Bratislava; A. N. LEONTJEW, Moskau; B. F. LOMOW, Moskau; L. A. LURIJA, Moskau; D. A. OSCHANIN, Moskau; J . PIAGET, Genf; G. ROSENFELD, Berlin; K. SATO, Kyoto; W. STRAUB, Dresden
JOHANN AMBROSIUS BARTH LEIPZIG Z. Psycho).
Zeitschrift für Psychologie, Band 179 (1971) H e f t 4 mit Zeitschrift für angewandte Psychologie, Band 89, H e f t 4
INHALT
Laudatio für Herrn Professor Fischel
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LOMOW, B. F., Moskau. Entwicidungsstand und Perspektiven der Psychologie in der UdSSR unter dem Aspekt der Beschlüsse des X X I V . Parteitages der KPdSU
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TRAPPL, R . ,
C. B E R N E R , P . B E R N E R , E . GABRIEL, K . GLONING, B . K Ü F F E R L E
und
E. MÜLLER, Wien. Die Diagnose neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen auf Grund experimentalpsychologischer Testdaten mittels Diskriminanzanalyse W E I G L , E . , R . BÖTTCHER, H . - J . L A N D E R u n d E . METZE, B e r l i n
Neuropsychologische
Methoden zur Analyse der Funktionen und Komponenten sprachfunktionaler Teilsysteme. Mit 4 Abbildungen Buchbesprechungen
fürOriginalabhandlungen
tion Psychologie der Humboldt-Universität,
444 495
Bandtitelei und Namenregister
Manuskripte
438
I—IX
und Referate
werden an Dr. J. Mehl,
Sek-
DDR—102 Berlin, Oranienburger Straße 18 erbeten.
Für diese Zeitschrift werden grundsätzlich nur Arbeiten angenommen, die vorher weder im Inland noch im Ausland veröffentlicht worden sind. Das Manuskript ist satzfertig einzusenden, damit das Lesen der Korrektur bei Zeitmangel von der Redaktion veranlaßt werden kann. Jede Abhandlung ist mit einer kurzen Zusammenfassung in 3facher Anfertigung für die Ubersetzung in russischer und englischer Sprache abzuschließen. Mit der Annahme des Manuskriptes und seiner Veröffentlichung geht das alleinige Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung auf den Verlag über. Von Originalarbeiten liefert der Verlag an Stelle eines Honorars 50 Sonderdrucke. Buchbesprechungen werden nicht vergütet, dafür wird das Besprechungsexemplar Eigentum des Pieferenten. Von der Zeitschrift für Psychologie erscheint jährlich 1 Band mit 4 Heften zum Preis von 50,— M zuzüglich Postgebühren. Die Zustellung erfolgt bis zur Abbestellung, die nur für das Ende des Bandes ausgesprochen werden kann. Anzeigen f ü r die Zeitschrift bitte an die DEWAG-Werbung Leipzig, D D R - 7 0 1 Leipzig, Brühl 34-40, Ruf 79 740, einsenden. Zur Zeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 3.
ZEITSCHRIFT FÜR PSYCHOLOGIE Band 179, 1971
Heft 4
zugleich Zeitschrift für angewandte Psychologie
(Band 89)
Laudatio Herr Professor Dr. phil. habil. emeritus WEENER FISCHEL, ehemaliger Direktor des Instituts für Psychologie „Wilhelm Wundt" der Karl-Marx-Universität Leipzig und Ehrenmitglied der Gesellschaft für Psychologie in der DDR, hat aus Altersgründen darum gebeten, ihn von seinen Pflichten als Mitherausgeber der Zeitschrift für Psychologie zu entlasten. Verlag, Mitherausgeber und Redaktion bedauern, künftig auf den guten R a t ihres geschätzten Kollegen, eines weithin bekannten Wissenschaftlers, verzichten zu müssen. WERNER FISCHEL hat über 10 Jahre hindurch Inhalt und Niveau der Beiträge in unserer Zeitschrift wesentlich mitbestimmt. Es ist auch seiner Redaktionsführung zu verdanken, daß sich in diesem Jahrzehnt das internationale Ansehen und die Leserzahl der Zeitschrift für Psychologie außerordentlich erhöhten. Wir wünschen unserem verehrten Professor FISCHEL für die Zukunft weitere J a h r e schöpferischer wissenschaftlicher Aktivität und persönlichen Wohlergehens und sagen ihm unseren Dank für seine Arbeit an der Zeitschrift. Herausgeber, Redaktion und Verlag
28 Z. Psychologie 179/4
Die „Zeitschrift für Psychologie" veröffentlicht nachfolgend die Rede des Präsidenten der Sowjetischen Gesellschaft für Psychologie, die er zur Eröffnung des Allunionskongresses der sowjetischen Psychologen 1971 in Tbilissi gehalten hat. B. F. LOMOW umreißt darin den erreichten Stand und die weiteren Aufgaben der Psychologie in der Sowjetunion in Zusammenhang mit den Beschlüssen des X X I V . Parteitages der K P d S U , weil darin die Grundlagen für einen unvergleichlichen Aufschwung auch der sowjetischen Psychologie fixiert sind. LI Z u s a m m e n h a n g mit den Beschlüssen des V I I I . Parteitages der S E D gewinnt die in der Rede LOMOWS entworfene perspektivische Konzeption grundlegende B e d e u t u n g auch für die Entwicklung der Psychologie in der D D R . Die Psychologen unserer Republik sollten darum ebenso wie die Vertreter angrenzender Fachgebiete den bedeutsamen Inhalt dieser Rede gründlich zur Kenntnis nehmen und für das konzeptionelle Denken im eigenen Arbeitsbereich auswerten. Die „Zeitschrift für Psychologie" hat eine weite internationale Verbreitung. Nachdem in den letzten Jahren eine Reihe hervorragender Originalarbeiten sowjetischer Psychologen veröffentlicht wurden, freuen wir uns über die Gelegenheit, nun auch zur Verbreitung konzeptioneller Ideen der führenden sowjetischen Psychologen im R a h m e n der Internationalität der Psychologie beitragen zu können. Die Herausgeber
Entwicklungsstand und Perspektiven der Psychologie in der UdSSR unter dem Aspekt der Beschlüsse des XXIV. Parteitages der KPdSU
Von B. F.
LOMOW
Der X X I V . P a r t e i t a g der K P d S U e r ö r t e r t e lebenswichtige F r a g e n unserer Gesellschaft, legte die wichtigsten A u f g a b e n fest und s t e c k t e die e x a k t e n E n t w i c k l u n g s p e r s p e k t i v e n unseres L a n d e s ab. G r o ß e A u f m e r k s a m k e i t w i d m e t e der P a r t e i t a g in seiner Arbeit den F r a g e n der E n t w i c k l u n g der W i s s e n s c h a f t u n d der A n w e n d u n g ihrer E r r u n g e n s c h a f t e n in der P r a x i s des k o m m u n i s t i s c h e n A u f b a u s . Genosse B R E S H N E W sagte im R e c h e n s c h a f t s b e r i c h t : „Vor uns steht . . . eine A u f g a b e von historischer B e d e u t u n g , u n d zwar die organische Verbind u n g der E r r u n g e n s c h a f t e n der wissenschaftlich-technischen R e v o l u t i o n m i t den Vorzügen des sozialistischen W i r t s c h a f t s s y s t e m s , die breitere E n t w i c k l u n g
Die „Zeitschrift für Psychologie" veröffentlicht nachfolgend die Rede des Präsidenten der Sowjetischen Gesellschaft für Psychologie, die er zur Eröffnung des Allunionskongresses der sowjetischen Psychologen 1971 in Tbilissi gehalten hat. B. F. LOMOW umreißt darin den erreichten Stand und die weiteren Aufgaben der Psychologie in der Sowjetunion in Zusammenhang mit den Beschlüssen des X X I V . Parteitages der K P d S U , weil darin die Grundlagen für einen unvergleichlichen Aufschwung auch der sowjetischen Psychologie fixiert sind. LI Z u s a m m e n h a n g mit den Beschlüssen des V I I I . Parteitages der S E D gewinnt die in der Rede LOMOWS entworfene perspektivische Konzeption grundlegende B e d e u t u n g auch für die Entwicklung der Psychologie in der D D R . Die Psychologen unserer Republik sollten darum ebenso wie die Vertreter angrenzender Fachgebiete den bedeutsamen Inhalt dieser Rede gründlich zur Kenntnis nehmen und für das konzeptionelle Denken im eigenen Arbeitsbereich auswerten. Die „Zeitschrift für Psychologie" hat eine weite internationale Verbreitung. Nachdem in den letzten Jahren eine Reihe hervorragender Originalarbeiten sowjetischer Psychologen veröffentlicht wurden, freuen wir uns über die Gelegenheit, nun auch zur Verbreitung konzeptioneller Ideen der führenden sowjetischen Psychologen im R a h m e n der Internationalität der Psychologie beitragen zu können. Die Herausgeber
Entwicklungsstand und Perspektiven der Psychologie in der UdSSR unter dem Aspekt der Beschlüsse des XXIV. Parteitages der KPdSU
Von B. F.
LOMOW
Der X X I V . P a r t e i t a g der K P d S U e r ö r t e r t e lebenswichtige F r a g e n unserer Gesellschaft, legte die wichtigsten A u f g a b e n fest und s t e c k t e die e x a k t e n E n t w i c k l u n g s p e r s p e k t i v e n unseres L a n d e s ab. G r o ß e A u f m e r k s a m k e i t w i d m e t e der P a r t e i t a g in seiner Arbeit den F r a g e n der E n t w i c k l u n g der W i s s e n s c h a f t u n d der A n w e n d u n g ihrer E r r u n g e n s c h a f t e n in der P r a x i s des k o m m u n i s t i s c h e n A u f b a u s . Genosse B R E S H N E W sagte im R e c h e n s c h a f t s b e r i c h t : „Vor uns steht . . . eine A u f g a b e von historischer B e d e u t u n g , u n d zwar die organische Verbind u n g der E r r u n g e n s c h a f t e n der wissenschaftlich-technischen R e v o l u t i o n m i t den Vorzügen des sozialistischen W i r t s c h a f t s s y s t e m s , die breitere E n t w i c k l u n g
B. F. LOMOW, Entwicklungsstand und Perspektiven in der U d S S R
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eigener, dem Sozialismus wesenseigener Formen der Verbindung von Wissenschaft und Produktion." Der wesentliche Vorteil des Sozialismus besteht darin, daß der Mensch, gestützt auf das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln und auf die in den Händen des Volkes liegende politische Macht, erstmalig in der Geschichte die Möglichkeit erhielt , sich seine Existenzbedingungen bewußt und zielgerichtet zu gestalten. Im Sozialismus sind die Entwicklungsmöglichkeiten der Produktivkräfte unbegrenzt. Sie können sich, wie M A R X sagte, frei entfalten. Unter diesen Bedingungen wird die Wissenschaft zur Produktivkraft. Der Sozialismus ermöglicht eine breite und allseitige Anwendung der Wissenschaft. Bei der Lösung der Aufgaben einer Verbindung der wissenschaftlich-technischen Revolution mit den Vorzügen des sozialistischen Wirtschaftssystems spielt der gesamt e Wissenschaftskomplex eine wichtige Rolle. Einen wesentlichen Platz in diesem Komplex nimmt die Psychologie ein, die in gewissen Beziehungen die Errungenschaften der Gesellschafts- und Naturwissenschaften sowie der Technik sinnvoll vereint. Betrachtet man die soziale Seite des Aufbaus einer neuen Gesellschaft -die sozialökonomischen, kulturellen, sozialpsychologischen und ideologischen Probleme —, so spielen hierbei die Gesellschaftswissenschaften natürlich die entscheidende Rolle. Der Marxismus-Leninismus ist die allgemeine und spezielle Theorie, die theoretische Plattform und die Methodologie aller Probleme des sozialen Aufbaus, der politischen und gesellschaftlichen Leitung, der Erziehung des Menschen und des ideologischen Kampfes gegen die Feinde des Kommunismus. Der gesamte gesellschaftswissenschaftliche Komplex, der sich auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus entwickelt, ist dazu berufen, die sorgfältige Untersuchung aktueller Probleme beim Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung zu gewährleisten. Im Zusammenhang mit den Problemen des wissenschaftlich-technischen Fortschrittes ist es wichtig hervorzuheben, daß eine der Wesensmerkmale die Erweiterung seiner wissenschaftlichen Basis ist. Während früher die Entwicklung der Technik im wesentlichen durch die Erfolge auf dem Gebiet der Physik, Mathematik und Chemie gewährleistet wurde, so werden gegenwärtig immer häuliger Ergebnisse der Sozialökonomie, Biologie und Psychologie zur Lösung von Aufgaben herangezogen, vor die sich die Technik und die Industrie gestellt sehen. Durch die Verwendung dieses Materials können oft grundsätzlich neue Wege bei der Lösung von Problemen der Technik und Produktion gefunden werden. Von besonders großer Bedeutung sind die Wissenschaften, die sich mit dem Menschen und der Gesellschaft befassen, bei der Bestimmung der Entwick28*
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lungstendenzen und bei der Erarbeitung perspektivischer Programme des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Es ist verständlich, daß allein die Erkenntnis der Entwicklungsperspektiven der Physik, Mathematik, Chemie und anderer, in unmittelbarem Zusammenhang mit der Technik stehender Wissenschaften keine realistischen Prognosen zulassen kann, wenn diese isoliert und nicht im Zusammenhang mit der Lehre vom Menschen und der Gesellschaft betrachtet werden. Wissenschaft und Technik sind durch die Menschen für die Menschen geschaffen worden und folglich t r ä g t ihre Entwicklung einen starken psychologischen Aspekt. Die Probleme des wissenschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Schaffens, der Tätigkeit wissenschaftlicher Kollektive und die Herausbildung spezifischer Dispositionen oder Fähigkeiten bei den Menschen, die die wissenschaftlich-technischen Errungenschaften in die Praxis umsetzen, erfordern die Inangriffnahme umfangreicher Arbeiten auf dem Gebiet der Allgemeinen Psychologie, der Sozialpsychologie und anderer Zweige der Psychologie. Im Rechenschaftsbericht des Genossen B R E S H N E W und in den Direktiven des X X I V . Parteitages der K P d S U zum F ü n f j a h r p l a n der Entwicklung der Volkswirtschaft in der UdSSPi für die J a h r e 1971—1975 wird hervorgehoben, daß die Lösung der H a u p t a u f g a b e des F ü n f j a h r p l a n s auf der Grundlage einer Beschleunigung des Anwachsens der Arbeitsproduktivität erfolgen muß. Wie die Erfahrung der industriell hochentwickelten Länder zeigt, sind die psychologischen und sozialpsychologischen Faktoren bei einem bestimmten Stand der Industrieproduktion die wichtigste Reserve des Anwachsens der Arbeitsproduktivität. Eine wesentliche Vorbedingung für die Rationalisierung der Arbeitsprozesse ist die psychologische Analyse der Tätigkeit des Arbeiters bei besonderer Beachtung der Anforderungen, die an seine Aufmerksamkeit und sein Auffassungsvermögen, an sein Gedächtnis und sein Denken, an seine Gefühle und seinen Willen gestellt werden. Die wichtigste der Wissenschaft gestellte Aufgabe, die mit der Festlegung optimaler Arbeitsbedingungen verbunden ist, besteht darin, zu untersuchen, welchen Einfluß die psychischen Faktoren auf den Entwicklungsgang besonders der geistigen Arbeitsfähigkeit ausüben. Diese Faktoren können bekanntlich entweder zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit über einen langen Zeitraum und auf einem hohen Stand beitragen und die Entwicklung von Erschöpfungserscheinungen aufhalten, oder aber in entgegengesetzter Richt u n g wirken. Eine ernst zu nehmende Rolle kommt der Psychologie bei der Lösung einiger Fragen der Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen und der Vermeidung von Arbeitsunfällen zu, und zwar bei der Erarbeitung effektiver und anschaulicher Mittel des Arbeitsschutzes, bei der Erzeugung bestimmter Systeme von Gewohnheiten bei den Arbeitern usw.
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Von besonderer Wichtigkeit ist die psychologische Forschung bei der Lösung von Fragen des Verhältnisses zwischen der materiellen und der moralisch-psychologischen Stimulation, was in engem Zusammenhang mit dem Problem der Bedürfnisse, der Entwicklung des sozialistischen Wettbewerbs und der Schaffung beständiger, hochproduktiver Kollektive steht. Ein weitgespannter Problemkreis eröffnet sich der Psychologie im Zusammenhang mit den Aufgaben der Berufsausbildung, mit der Entwicklung des Erfinder- und Neuererwesens. Die Erforschung der Gesetzmäßigkeiten, die bei der Entstehung und Vervollkommnung von Fertigkeiten, bei der E n t wicklung meisterlicher Beherrschung und bei der Verbesserung des schöpferischen technischen Denkens wirken, ist eine notwendige Bedingung bei der Bationalisierung der Berufsausbildung sowie bei der Schaffung der Ausbildungstechnik und der optimalen Unterrichtsformen. Die Entwicklung der Produktion rückt die Aufgabe einer beruflichen Orientierung der Jugend unmittelbar in den Vordergrund. Unter den Gründen für die Fluktuation der Kader auf einigen Produktionsgebieten spielen die psychologischen Faktoren eine nicht unbedeutende Rolle (Unzufriedenheit mit der Ai'beit, Mangel an Interesse usw.). Die Psychologie h a t die Aufgabe, objektive Methoden der Einschätzung und Förderung der Fähigkeiten und Neigungen des Jugendlichen mit dem Ziel auszuarbeiten, ihm zu helfen, hinsichtlich seiner zukünftigen Entwicklung die richtigen Entscheidungen zu treffen. Bei einigen Tätigkeiten, die an den Menschen besondere Anforderungen stellen, ergibt sich die Aufgabe einer Auswahl der für die entsprechende Tätigkeit geeigneten Personen, deren Lösung die Beurteilung einer Reihe psychologischer Eigenschaften des Menschen (emotionale Stabilität, Aufmerksamkeit, Gedächtnis usw.) — neben anderen Eigenschaften — voraussetzt. Anhand statistischer Angaben ist erwiesen, daß der sogenannte menschliche (vor allem psychologische) Faktor einen wesentlichen Einfluß auf die Effektivität und Zuverlässigkeit der genutzten Technik ausübt. Im Zusammenhang damit ergibt sich das Problem einer Koordination der Technik einerseits und der Möglichkeiten und Eigenschaften des Menschen andererseits, einer informativen Zusammenarbeit zwischen dem Menschen und den technischen Anlagen, was wiederum in das Gebiet der Ingenieurpsychologie gehört. Die Lösung der erwähnten Probleme ermöglicht die Aufdeckung riesiger Reserven für die Erhöhung der Arbeitsproduktivität, die in den psychologischen Faktoren verborgen sind sowie eine zielgerichtete Anwendung dieser Reserven bei der Vervollkommnung der sozialistischen Produktion. Auf dem Gebiet der Arbeits-, Ingenieur- und Sozialpsychologie wurde in den letzten Jahren ein großer Schatz an Erfahrungen hinsichtlich der Zusammen-
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arbeit mit der Produktion gesammelt. Es ist bekannt, daß eine Gruppe von Psychologen der Leningrader Universität für ihren Beitrag zur Entwicklung einer neuen Sphäre der sozialistischen Produktion — die Sozialplanung in den Betrieben (dem Werk „Swellana", den Kositzki-Werken u. a.) — mit Medaillen der Allunionsausstellung ausgezeichnet wurde. Von den Psychologen des Irkutsker Pädagogischen Institutes wurde ein Programm für rationelles Arbeiten speziell für weibliche Arbeitskräfte vorgelegt, durch das eine vorzeitige Ermüdung verhindert und ein hoher Grad an Arbeitsfähigkeit während des gesamten Arbeitstages erhalten werden kann. Die Einführung dieses Programms bewirkte eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität um 4 % und, was besonders wichtig ist, eine Verringerung der Fluktuation der Arbeitskräfte. Am Institut für Allgemeine und Pägdagogische Psychologie der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der U d S S R wurden für die Arbeiterinnen der Teppichweberei „50. Jahrestag der Oktoberrevolution" sogenannte Karten der persönlichen Perspektiven ausgearbeitet, die zur Erhöhung der Effektivität der moralisch-psychologischen und ökonomischen Stimulation dieneil. Ein großer Arbeitskomplex, der die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Anlagenfahrer des Schtschekinsker Chernickombinates zum Inhalt hatte, wurde von den Wissenschaftlern des Unions-Forschungsinstituts für Ergonomie abgeschlossen. Die Einführung des von ihnen ausgearbeiteten Projektes gewährleistete eine Verbesserung in der Nutzung technologischer Objekte, eine Verminderung der Zahl der Betriebsstörungen und eine Verringerung der für die Beseitigung von Störungen benötigten Zeit (durchschnittlich um 15%). Dabei verringerte sich die zahlenmäßige Stärke des Hilfspersonals um 40%, und es wurde ein hoher Grad an Wirtschaftlichkeit erzielt. Die Einführung der von Leningrader und Kiewer Psychologen ausgearbeiteten Methoden bei der Auswahl von Kandidaten für die Fliegerschulen ermöglichte eine Verringerung der Zahl derjenigen Schüler, die wegen Fluguntauglichkeit entlassen werden mußten, um 50%, eine Verminderung der Anzahl von Fehlhandlungen während des Fluges und somit eine Erhöhung der Qualität der Ausbildung. Der Anwendungsbereich praktischer Arbeiten auf allen Gebieten der Psychologie, die mit der Vervollkommnung der Arbeitsprozesse im Zusammenhang stehen, wird sich auch weiterhin vergrößern. Die Effektivität dieser Arbeiten hängt jedoch unmittelbar von der Entwicklung der Theorie ab. Eine der wichtigsten Aufgaben der Psychologie ist gegenwärtig die weitere Ausarbeitung einer zusammengefaßten Theorie der Arbeitstätigkeit des Menschen unter den Bedingungen der modernen Produktion, eine engere und exaktere Bestimmung ihrer Struktur und ihrer Regulierungsmechanismen. Besondere Bedeutung erlangen die Untersuchungen sozial-psychologischer Aspekte der
B. F. LOMOW, E n t w i c k l u n g s s t a n d u n d P e r s p e k t i v e n in der U d S S R
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A r b e i t s t ä t i g k e i t . I m Z u s a m m e n h a n g d a m i t wird das P r o b l e m der Motivierung, des S c h ö p f e r t u m s u n d der zwischenmenschlichen Beziehungen in den Arbeitskollektiven aufgeworfen. Die A u s a r b e i t u n g dieses g e s a m t e n F r a g e n k o m p l e x e s ist f ü r die wissenschaftliche Arbeitsorganisation von großer B e d e u t u n g . Die Anwendungsmöglichkeiten der R e s u l t a t e psychologischer F o r s c h u n g e n in der P r o d u k t i o n b e s c h r ä n k e n sich nicht allein auf die V e r v o l l k o m m n u n g der existierenden Arbeitsprozesse u n d der v o r h a n d e n e n Technik. Die Psychologie wird i m m e r häufiger in den Prozeß der S c h a f f u n g neuer Technik einbezogen. Dadurch wird es ermöglicht, daß schon im Stadium der Ausarbeitung und Projektierung diejenigen Varianten der Mittel der Informationswiedergabe, der Gerätetafeln, der Steuerpulte und des gesamten Arbeitsplatzes bevorzugt werden, die die günstigsten Bedingungen für die Tätigkeit des Menschen garantieren. In den letzten J a h r e n w u r d e n in der Ingenieurpsychologie m e h r e r e interessante u n d gelungene P r o j e k t e ausgearbeitet, die zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der an S c h a l t p u l t e n t ä t i g e n A r b e i t s k r ä f t e dienen. So w u r d e im I n s t i t u t f ü r Allgemeine u n d Pädagogische Psychologie der A k a d e m i e der Pädagogischen W i s s e n s c h a f t e n der U d S S R eine V a r i a n t e einer Gerätet a f e l f ü r einen Chemiebetrieb entwickelt, bei der besonders die Gesetzmäßigkeiten der I n f o r m a t i o n s a u f n a h m e und -Verarbeitung d u r c h den Menschen berücksichtigt w u r d e n . Dieses G e r ä t e m o d e l l erleichtert dem S c h a l t w a r t die A u f g a b e des E r f a s s e n s von S i t u a t i o n e n , die k u r z vor H a v a r i e n a u f t r e t e n , sowie die E i n s c h ä t z u n g des Verlaufs des technologischen Prozesses. I n der Leningrader Universität w u r d e n Prinzipien des A u f b a u s v o n Zeichenalphab e t e n e r a r b e i t e t , einige F r a g e n der Ü b e r t r a g u n g sprachlicher Mitteilungen b e h a n d e l t u n d eine Reihe von Lösungen f ü r Mittel der I n f o r m a t i o n s w i e d e r g a b e ü b e r r ä u m l i c h e Beschaffenheiten v o n O b j e k t e n vorgelegt. U n t e r Beteiligung v o n Psychologen w u r d e eine I n t e g r a l - I n f o r m a t i o n s t a f e l f ü r Fluga p p a r a t e k o n s t r u i e r t , die erfolgreich e r p r o b t w u r d e . E i n e ganze Reihe origineller ingenieurpsychologischer Lösungen u n d E r findungen w u r d e p a t e n t i e r t . In den letzten J a h r e n e r f u h r e n die A r b e i t e n zur S c h a f f u n g ingenieurpsychologischer Anleitungen f ü r K o n s t r u k t e u r e neuer technischer E i n r i c h t u n g e n breiteste E n t f a l t u n g . Es w u r d e n H a n d b ü c h e r der Ingenieurpsychologie ausgebreitet. G e g e n w ä r t i g wird die S c h a f f u n g ingenieurpsychologischer u n d ergonomischer T G L in Angriff g e n o m m e n , in denen berücksichtigt wird, inwieweit die Industrieerzeugnisse den E i g e n s c h a f t e n desjenigen Menschen entsprechen, der sich ihrer bedienen wird. Viele Arbeiten auf d e m Gebiet der Arbeits- u n d Ingenieurpsychologie w e r d e n auf der G r u n d l a g e von W i r t s c h a f t s v e r t r ä g e n mit den B e t r i e b e n d u r c h g e f ü h r t . Schon allein diese F o r m des Z u s a m m e n h a n g s zwischen Wissenschaft u n d Praxis setzt die u n m i t t e l b a r e Realisierung der Forschungsergebnisse voraus. Der U m f a n g der auf der G r u n d l a g e von
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Wirtschaftsverträgen von den Psychologen der Staatlichen Universitäten in Moskau und Leningrad sowie anderer wissenschaftlicher Einrichtungen durchgeführten Arbeiten wuchs in den letzten 5 Jahren um das lOfache. Im Zusammenhang mit der Entwicklung praktisch anwendbarer ingenieurpsychologischer Arbeiten ergab sich in der Ingenieurpsychologie die Aufgabe, ein „Mensch-Maschine-System" auszuarbeiten. Dazu muß gesagt werden, daß in den ersten Entwicklungsetappen der Ingenieurpsychologie oft an die Analyse dieser Systeme herangegangen wurde, indem die gleichen Prinzipien und Methoden, die für die Analyse technischer Systeme ausgearbeitet worden waren, mechanisch auf die Tätigkeit des am Schaltpult arbeitenden Menschen übertragen wurden (d. h. ein Herangehen „von der Maschine zum Menschen"). Gegenwärtig werden die Unzulänglichkeit und Beschränktheit dieser Auffassung immer deutlicher. Es zeigt sich immer mehr, daß die Ausarbeitung einer wahrhaft wissenschaftlichen Theorie über das „Mensch-MaschineSystem" nur auf der Grundlage der Marx'schen Lehre von der Arbeit möglich ist, in der das Verhältnis „Mensch-Maschine" als Verhältnis „ArbeitssubjektArbeitswerkzeug" betrachtet wird. Im Zusammenhang damit gewinnt das Problem einer Projektierung der menschlichen Tätigkeit — als Grundlage für die Ausarbeitung der Systeme „Mensch-Maschine" — sowie die Erarbeitung exakter Methoden zur Lösung dieses Problems größte Bedeutung. Ahnlich der Aufgabe des Konstrukteurs, neue Technik und technologische Prozesse zu projektieren, ist es die Aufgabe des Fachmanns auf dem Gebiet der Ingenieurpsychologie, die Tätigkeit des Menschen zu projektieren, der sich dieser Technik bedient, und diese technologischen Prozesse zu lenken. In der gegenwärtigen Etappe besteht die Hauptaufgabe der Ingenieurpsychologie nicht darin, den Menschen rationell in den Rahmen der geschaffenen technischen Systeme „einzubeziehen", sondern darin, ausgehend von den Aufgaben des Systems „Mensch-Maschine", ein Projekt der menschlichen Tätigkeit auszuarbeiten und auf der Grundlage dieses Projektes die Forderungen an die technischen Einrichtungen festzulegen, die für diese Tätigkeit erforderlich sind. Die Projektierung der Tätigkeit auf der Grundlage genauer Kenntnisse ihrer Struktur und der sie regierenden Gesetzmäßigkeiten deckt umfangreiche Reserven für die Erhöhung der Effektivität und Zuverlässigkeit der Systeme „Mensch-Maschine" auf. Die große Perspektive ergibt sich aus dem Studium derjenigen Strukturveränderungen innerhalb der psychischen Tätigkeit des Menschen, die durch die Ausnutzung der modernen Technik, insbesondere sogenannter „denkender" Maschinen, bedingt sind. Es gibt Grund für die Annahme, daß der Einsatz dieser Maschinen zu Veränderungen in der Denktätigkeit des Menschen selbst führen wird, da diese von jeglichen mechanischen und routinemäßigen Operationen befreit wird. Somit werden breite Möglichkeiten einer Kontrolle
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der aufgestellten Hypothesen und eines gedanklichen Experimentiereiis unmittelbar während der Lösung der einen oder anderen Aufgabe gewährleistet. Auf Grund dieser Veränderung wird eine höhere Form der geistigen Tätigkeit erreicht. Die Aufdeckung von Reserven im schöpferischen Denken des Menschen unter der Bedingung des Zusammenwirkens mit Computern, die ihrerseits einen Einfluß auf die psychologischen Mechanismen der Entscheidungsbildung durch den Menschen ausüben, ist eine der Hauptaufgaben der Ingenieurpsychologie. Eine wesentliche Tendenz der modernen Technik ist die Entwicklung sogenannter großer und übergroßer automatisierter Steuersysteme (z. B . eines einheitlichen Nachrichtensystems). Die Schaffung solcher Systeme ist besonders charakteristisch für die sozialistische Planwirtschaft. Große und übergroße Systeme werden gekennzeichnet durch eine riesige Anzahl zugehöriger Untersysteme und Elemente, durch komplizierte funktionelle Wechselbeziehungen sowie durch einen kolossalen Informationsstrom und einen hohen Automatisierungsgrad; an ihrer Lenkung nehmen große Menschenkollektive teil. Die Entwicklung solcher Systeme stellt die Psychologie vor eine Reihe neuer Aufgaben, die mit der Erarbeitung einer einheitlichen Informationssprache für das gesamte System, der Festlegung der rationellsten Form der Informationswiedergabe für jede Ebene des Systems, der Konstruktion von Kommunikationsmitteln und der Festlegung optimaler Arbeitsverfahren der untereinander verbundenen Menschenkollektive usw. in Zusammenhang stehen. In den Direktiven des X X I V . Parteitages wird die Aufgabe gestellt, breiteste Anstrengungen bei der Schaffung und Einführung automatisierter Systeme der Planung und Leitung der Industriezweige, der territorialen Organisationen, der Industrieverbände und Betriebe mit dem Ziel zu unternehmen, ein gesamtstaatliches automatisiertes System der Informationsaufnahme und -Verarbeitung zur Berechnung, Planung und Leitung der Volkswirtschaft auf der Grundlage eines staatlichen Systems von Rechenzentren und eines einheitlichen automatisierten Nachrichtennetzes des Landes zu schaffen. Die Lösung der Frage der Vervollkommnung des Systems der Leitung, die durch den Genossen B r e s h n e w als eine der Kernfragen der Wirtschaftspolitik der Partei bezeichnet wurde, setzt die Anwendung der Ergebnisse des gesamten Wissenschaftskomplexes, darin einbegriffen auch die Psychologie, voraus. Vor uns steht die Aufgabe des Studiums der Leitungstätigkeit, der ingenieurpsychologischen Analyse des Aufbaus und der Anwendung automatisierter Leitungssysteme, der sozialpsychologischen Analyse der Produktions-
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und Leitungskollektive, der psycho-pädagogischen Analyse der Heranbildung leitender Kader und das Studium psychologischer Aspekte der Leitungstätigkeit. Die Lösung dieser für die Psychologie neuen Probleme erfordert neue Formen der Beziehungen und des Zusammenwirkens zwischen der Arbeits-, Sozial-, Ingenieurpsychologie, der pädagogischen Psychologie (gemeint ist natürlich die Erwachsenenbildung) und einiger anderer Gebiete der Psychologie. Eine der Hauptaufgaben beim Aufbau des Kommunismus ist die Formung des neuen Menschen. „Das große Aufbauwerk des Kommunismus", sagte Genosse B r e s h n e w , „kann unmöglich ohne die allseitige Entwicklung des Menschen selbst vorangebracht werden". Bei der Lösung der Aufgabe der Formung des neuen Menschen nimmt die Psychologie zweifellos einen der führenden Plätze ein. In erster Linie bezieht sich das natürlich auf die pädagogische Psychologie und auf diejenigen Gebiete der Psychologie, die mit der Praxis der Erziehung und Ausbildung der heranwachsenden Generation verbunden sind. Die Lösung der meisten Aufgaben auf allen Ebenen des Volksbildungssystems (Vorschulerziehung, allgemeinbildende Oberschule, Berufsausbildung mit Abitur, Erwachsenenbildung, Parteischulung, Hochschulpädagogik) ist untrennbar mit der Anwendung der auf dem Gebiet der pädagogischen und Alterspsychologie erzielten Ergebnisse verbunden. Sowohl die Ausbildung als auch die Erziehung des Kindes und des Erwachsenen können nur dann effektiv sein, wenn die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der Psyche in den verschiedenen Altersstufen,7 die Gesetzmäßigkeiten der Herausbildung Ö D der
menschlichen Persönlichkeit, seiner Moral, seiner Überzeugung, seines Willens, seines Charakters und eines selbständigen, aktiven Denkens sowie die Gesetzmäßigkeiten der Aneignung von Kenntnissen und Fertigkeiten und der allseitigen Entwicklung seiner Fähigkeiten ausreichend bekannt sind und entsprechend berücksichtigt werden. Das bezieht sich auf alle Elemente, Formen, Etappen und Aufgaben des Ausbildungs- und Erziehungsprozesses als die wichtigste Komponente der Volksbildung. Die Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten der psychischen Tätigkeit des Menschen und der Entwicklung psychischer Prozesse, Funktionen und Eigenschaften sowie das Aufdecken der „Potentiale der psychischen Entwicklung" sind für die Lösung grundlegender pädagogischer Probleme, wie z. B . die Festlegung des Inhalts der Ausbildung, die Erarbeitung effektivster Ausbildungs- und Erziehungsmethoden, die Beurteilung der Ergebnisse der pädagogischen Beeinflussung und die Vervollkommnung des Systems der Berufsausbildung und -lenkung von großer Bedeutung. Die Psychologen haben ein großes Werk in Angriff genommen, das die Uberwindung derjenigen Schwierig-
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keiten zum Inhalt hat, die in der Schule im Zusammenhang mit dem Ubergang zu einem neuen Unterrichtsinhalt entstanden sind. Eine bedeutende Arbeit wurde bei der Untersuchung der Möglichkeiten einer Förderung der psychischen Entwicklung in den verschiedenen Altersstufen geleistet. Untersuchungen, die im Institut für Allgemeine und P ä d a gogisehe Psychologie der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der U d S S R , an der Moskauer und Charkower Universität und am Psychologischen Institut des Ministeriums für Volksbildung der Ukrainischen S S R durchgeführt wurden, haben gezeigt, daß diese Möglichkeiten größer sind als diejenigen, auf die sich die Schule orientiert. Das ermöglicht ein neuartiges Herangehen an die Einschätzung der Entwicklungsrescrven der Kinder und die Erarbeitung solcher Prinzipien für den A u f b a u des Lehrprozesses, die die geistige Aktivität der Kinder stimulieren. Zum Teil werden die von den Psychologen ausgearbeiteten Anleitungen gegenwärtig an einigen Experimentalschulen erprobt. E s wurden einige Gesetzmäßigkeiten im Prozeß der Aneignung von Kenntnissen und Fertigkeiten untersucht, die für die Vervollkommnung der Unterrichtsmethodik in den Lehrfächern wichtig sind. Auch wurden konkrete Empfehlungen für die Schüler verschiedener Altersstufen ausgearbeitet, die die Herausbildung von Methoden einer bewußten Wissensspeicherung und von verallgemeinerten Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Inhalt haben. Außerdem werden Untersuchungen durchgeführt mit dem Ziel, die Gründe für das Sitzenbleiben zu finden und Mittel zur Überwindung dieser Erscheinung zu suchen. Die Psychologen leisten ihren Beitrag zur Ausarbeitung und Kontrolle neuer Unterrichtsprogramme und Lehrbücher sowie neuer Lehrmittel und -methoden. Gegenwärtig ist es besonders wichtig zu untersuchen, wie die Empfehlungen der Psychologen angewendet und welche Resultate dabei erzielt werden. i Im Institut für Allgemeine und Pädagogische Psychologie der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der U d S S R werden Methoden für das frühe Erkennen mathematischer und literarischer Fähigkeiten ausgearbeitet, die für die Festlegung optimaler Entwicklungsbahnen dieser Fähigkeiten von großer Bedeutung sind. Eine große Arbeit wird hinsichtlich der Erarbeitung perspektivischer Unterrichtsmethoden (programmierter Unterricht, Problemunterrricht) auf dem Gebiet des Schulfernsehens und der Vervollkommnung der technischen Lehrmittel geleistet. E r n s t h a f t e Untersuchungen werden auch auf dem Gebiet der Persönlichkeitsbildung des Schülers, der Herausbildung seiner Weltanschauung und seiner Überzeugung sowie der Anerziehung eines kommunistischen Verhält-
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nisses zui' Arbeit durchgeführt. Unter dem Aspekt der vom X X I V . Parteitag der K P d S U gestellten Aufgaben ist die maximale Elitwicklung dieser Richtung besonders wichtig. Große Aufmerksamkeit muß auch den psychologischen Problemen gewidmet werden, die darauf gerichtet sind, die lernende Jugend mit Methoden einer selbständigen Arbeit auszurüsten und sie schon während der Schulzeit auf die Notwendigkeit vorzubereiten, sich ständig und systematisch Wissen anzueignen. Die Zweige, die sich mit Problemen der Ausbildung und Erziehung der heranwachsenden Generationen beschäftigen, sind bei uns in erster Linie mit der Arbeit der allgemeinbildenden Oberschule verbunden. Ihre weitere E n t wicklung macht eine Erweiterung der Forschungsbasis erforderlich. Dem System der technischen und beruflichen Ausbildung, in welchem in den nächsten 5 J a h r e n 7,5 Millionen qualifizierter Arbeiter für alle Zweige der Volkswirtschaft ausgebildet werden, sowie den psychologischen Problemen der Vervollkommnung des pädagogischen Prozesses in den Hochschulen und in der Erwachsenenbildung muß größere Aufmerksamkeit als bisher gewidmet werden. Die Mitarbeiter vieler Hochschulen haben, vereinigt im Rat für psychologisch-pädagogische Probleme, der von Kapazitäten der Staatlichen Universität Leningrad am Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen der R S F S R gebildet wurde, mit der Lösung der neuen Probleme der Hochschulpädagogik begonnen. Die Psychologen der Leningrader Universität und des Forschungsinstitutes für Erwachsenenbildung der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der U d S S R haben die Grundlagen der Erwachsenenpsychologie ausgearbeitet und die Kennlinien des Lernvermögens der Erwachsenen in den verschiedenen Perioden des Alterangsprozesses bestimmt. Die sich im Zusammenhang damit ergebenden Fragen erfodern die Organisation komplexer Forschungen, die die pädagogische Psychologie mit der Sozial- und der Arbeitspsychologie vereinen. Im neuen F ü n f j a h r p l a n muß auch die Untersuchung psychologischer Probleme der Berufslenkung der Schüler, das Studium ihrer Neigungen und Fähigkeiten mit objektiven Methoden aktiviert werden. Die dem System der Volksbildung gestellten Aufgaben erfordern eine weitere Ausarbeitung der Theorie der psychischen Entwicklung des Kindes im Ausbildungs- und Erziehungsprozeß sowie die Ergründung der Gesetzmäßigkeiten, die bei der Herausbildung der Persönlichkeit des Schülers, seiner Weltanschauung, seiner Fähigkeiten und Bedürfnisse wirken. Der Kreis der psychologischen Probleme, die mit der Aufgabe der Formung eines neuen Menschens verbunden sind, erschöpft sich natürlich nicht in der pädagogischen und der Kinderpsychologie.
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Die Lösung einer Pieihe von Aufgaben der ideologischen Erziehungsarbeit, deren Kernstück die Herausbildung einer kommunistischen Weltanschauung der Werktätigen unseres Landes ist, setzt eine Intensivierung der Forschungen auch auf anderen Gebieten der Psychologie, insbesondere der Sozialpsychologie, voraus. Für die Erhöhung der Effektivität der Erziehungsarbeit ist es unbedingt erforderlich, diejenigen psychologischen Mechanismen, die auf das Verhalten und das Bewußtsein des Menschen, auf das Verhalten verschiedener sozialer Gruppen, insbesondere Arbeitskollektive einwirken, psychologische Mechanismen, die die öffentliche Meinung in diesen Kollektiven formen sowie andere Probleme zu untersuchen. Es macht sich ein ernsthaftes und tiefgreifendes Studium der psychologischen Probleme solcher Massenbewegungen und Masseninitiativen, wie sie z. B. der sozialistische Wettbewerb, die Allunionssubbotniks usw. darstellen, erforderlich. Bekanntlich gehören Film, Rundfunk und Fernsehen zu den effektivsten Mitteln der Masseninformation und Massenpropaganda. Ihre Entwicklung schafft gewaltige Möglichkeiten für die Erweiterung und Vertiefung der ideologischen Erziehungsarbeit unter allen Bevölkerungsschichten des Landes. Sie spielen auch eine große Rolle bei der Lösung, der Aufgabe einer Erhöhung des kulturellen Niveaus des Volkes. Getreu dem Vermächtnis LENINS führt die Partei einen beharrlichen Kampf um einen hohen Ideengehalt beim Einsatz der Mittel der Masseninformation und -propaganda. Innerhalb der Problematik, die mit der Entwicklung dieser Massenmedien entsteht, kommt den Problemen der Art und Weise und der Methode, d. h. der Technik, ihrer Anwendung, die neben anderen Aspekten auch psychologische Aspekte einschließen, eine nicht unbedeutende Rolle zu. Es handelt sich hierbei darum, wie im Film, im Rundfunk oder im Fernsehen das eine oder andere Material, die eine oder andere Idee darzubieten ist, damit der Hörer oder Zuschauer die notwendige Information aufnimmt und im Gedächtnis behält und welcher Art die psychologischen Mechanismen der Einwirkung des Films oder der Rundfunksendung auf die menschliche Motivation, auf die Formung der Interessen, des Geschmacks des Menschen usw. sind. Die richtige Lösung der Fragen bezüglich der Technik des Einsatzes der Massenmedien setzt die Untersuchung eines weitgespannten Problemkreises voraus, der von der Verständlichkeit bis zu den psychischen Massenerscheinungen reicht. Die Sozialpsychologie kann eine nicht unbedeutende Rolle bei der Anerziehung von Internationalismus, Arbeitsdisziplin, Verantwortungsbewußtsein und Gerechtigkeitssinn spielen. Schließlich ergibt sich aus den Aufgaben der Erziehung eines neuen Menschens die Notwendigkeit, Untersuchungen auf dem Gebiet der Psychologie
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der K u n s t und des künstlerischen Schaffens (insbesondere des Volkskunstschaffens) in den verschiedenen Zweigen der K u l t u r anzustellen. Die Aufgaben, die vor der Sozialpsychologie stehen, erfordern die aktive Erarbeitung ihrer Theorie und ihrer Methoden vom S t a n d p u n k t des Marxismus aus. E s ist völlig klar, daß die in der bürgerlichen Sozialpsychologie geformten Prinzipien, Methoden und der Begriffsapparat das K a i n s m a l der bürgerlichen Ideologie tragen. Die Problematik der Sozialpsychologie widerspiegelt scharf die Antagonie cler Auffassungen vom Menschen und der Gesellschaft zwischen der Psychologie der kapitalistischen Länder und der sowjetischen Psychologie. Sie muß v o m Klassenstandpunkt aus betrachtet werden. Aus diesem Grund verlangt die marxistische Sozialpsychologie eine kritische Analyse all dessen, was in den kapitalistischen Ländern geschieht. Der X X I V . Parteitag der K P d S U widmete den Fragen des Gesundheitswesens große Aufmerksamkeit und umriß Maßnahmen zu seiner weiteren Verbesserung. In den Direktiven zum Parteitag wurde die A u f g a b e einer breiteren Entwicklung der wissenschaftlichen Forschungen auf den wichtigsten Gebieten der Medizin und des Gesundheitsschutzes gestellt. Bei der Erfüllung dieser A u f g a b e kommt der klinischen Psychologie und einer Reihe anderer mit ihr verbundener Gebiete der Psychologie eine nicht unbedeutende Rolle zu. Die Bedeutung der klinischen Psychologie für viele Gebiete der Medizin und des Gesundheitsschutzes wird durch die Tatsache gekennzeichnet, daß der Arzt während des Heilungsprozesses unbedingt die Besonderheiten des Patienten berücksichtigen muß. Indem sie die Rolle der psychischen Besonderheiten des Menschen in der Ätiologie, im Krankheitsverlauf und in der Prophylaxe untersucht, versorgt die klinische Psychologie den Arzt mit Informationen über diejenigen Krankheitsfaktoren die sehr oft eine überaus große Bedeutung für den Ausgang der Krankheit haben. Bekanntlich können nicht nur psychogene, sondern auch viele rein somatische Krankheiten in Abhängigkeit von der psychischen Besonderheit des K r a n k e n einen verschiedenartigen Verlauf nehmen. D a s S t u d i u m der Rolle psychologischer Faktoren bei der Entstehung, während des Verlaufs und bei der Heilung von Krankheiten sowie die Beherrschung spezieller Methoden der psychologischen Analyse geben dem Arzt die Möglichkeit eines tieferen Verständnisses der Quellen und Ursachen der Erkrankung. Ebenfalls eine große Rolle spielen die Methoden der psychologischen Beeinflussung des Kranken. Das S y s t e m dieser Methoden, das die Bezeichnung „Psychotherapie" erhielt, kann in einer ganzen Reihe von Fällen als äußerst wirksames Heilmittel dienen. D a s Studium der psychischen Besonderheiten des Patienten hilft auch bei der Verhütung iatrogener Erkrankungen.
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In der klinischen Psychologie u n d in der Neuropsychologie w u r d e n effektive Methoden der Diagnose sowie Mittel und Methoden zur Heilung einer Reihe von K r a n k h e i t e n ausgearbeitet. Unter den neuesten neuropsychologischen Arbeiten müssen die Untersuchungen e r w ä h n t werden, die der Analyse der Reglerfunktionen der einzelnen Stirnhirnregionen gewidmet sind (Moskauer Universität u n d das I n s t i t u t f ü r Neurochirurgie — das B u r d e n k o - I n s t i t u t ) sowie die technisch präzisen Untersuchungen zur B e s t i m m u n g der Rolle der tiefer gelegenen H i r n s t r u k t u r e n bei komplizierten psychologischen Prozessen (Leningrader I n s t i t u t f ü r experimentelle Medizin). Die Ergebnisse dieser Forschungen sind f ü r die frühzeitige und e x a k t e Diagnostik von Gehirnschäden von großer B e d e u t u n g . Die psychologischen Untersuchungen eröffnen nicht n u r f ü r die Diagnostik, sondern auch f ü r die Rekonvaleszenz neue Möglichkeiten. Die in der Psychologie ausgearbeiteten Methoden zur Wiederherstellung psychischer F u n k t i o n e n nach Verletzungen und operativen Eingriffen ermöglichen die Rehabilitation vieler Menschen, die anderenfalls zu völliger Invalidität verurteilt wären. I m Z u s a m m e n h a n g mit der immer breiteren A n w e n d u n g pharmakologischer Mittel in der Medizin d a r u n t e r auch solcher Mittel, die sich auf die Psyche auswirken, bildete sich in den letzten J a h r e n ein ganzes Wissenschaftsgebiet — die Psychopharmakologie — heraus, die als ein Grenzgebiet der Biochemie, der Neurophysiologie und der Psychologie b e t r a c h t e t werden m u ß . Das S t u d i u m psychotroper Effekte der Arzneimittel eröffnet neue Möglichkeiten f ü r die Heilung psychischer Störungen sowie f ü r die U n t e r s u c h u n g psychischer Z u s t ä n d e und F u n k t i o n e n . Die auf dem Gebiet der klinischen Psychologie geleistete Arbeit ist f ü r die soziale u n d berufliche Readaption u n d Rehabilitation der K r a n k e n sowie f ü r die medizinische (berufliche, gerichtliche und militärische) B e g u t a c h t u n g v o n großer Bedeutung. Eine wichtige Stellung n i m m t die medizinische Psychologie auch bei der Erziehung und Ausbildung von Kindern mit Entwicklungsanomalien ein. Nebenbei gesagt, h a b e n die sowjetischen Psychologen auf diesem Gebiet sowie auf dem Gebiet der Erziehung und Ausbildung von Kindern, die in ihrer E n t wicklung zurückgeblieben sind, einen recht b e d e u t e n d e n Beitrag geleistet, der ihr Ansehen bei den Wissenschaftlern der ganzen Welt erhöhte. Die H a u p t a u f g a b e auf dem Gebiet der klinischen Psychologie besteht in der Ausarbeitung theoretischer Grundlagen der Diagnostik und Begutachtung, der Psychotherapie, der sozialen und beruflichen Readaption und Rehabilitation der Kranken und in der Erarbeitung effektiver Anwendungsmethoden psychologischer Faktoren in der Prophylaxe und bei der Heilung von Krankheiten. . U n t e r den M a ß n a h m e n , die auf eine weitere Verbesserung der Gesunderhaltung gerichtet sind, nehmen K ö r p e r k u l t u r und Sport einen wichtigen
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Platz ein. In den Jahren der Sowjetmacht gestaltete sich die die Sportpsychologie in unserem Land zu einem hochentwickelten Gebiet der Psychologie. Von den Psychologen wird hinsichtlich der Herausbildung sportlicher Fertigkeiten, der Entwicklung ausgezeichneter Willenseigenschaften bei den Sportlern und der Erreichung sportlicher Meisterschaft viel getan. In letzter Zeit werden die „Kontaktpunkte" zwischen der Sport- und der Sozialpsychologie markiert, wodurch sich für die Sportpsychologie neue Perspektiven eröffnen. Zweifellos wird die weitere Entwicklung der Forschungen auf dem Gebiet der Sportpsychologie einen Einfluß auf die Verstärkung der Massensportbewegung ausüben und zur Festigung des sportlichen Ruhms unseres Landes beitragen. Es gibt noch ein praktisches Anwendungsgebiet der Psychologie. Ich meine die Sphäre des Konsums und die Sphäre der Dienstleistungen, denen in den Direktiven des X X I V . Parteitages der K P d S U große Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Das Studium der Probleme des Bedarfs und der Geschmacksrichtung des Verbrauchers, der Organisation, Technik und Kultur der Dienstleistungen wird durch einen stark psychologischen Aspekt geprägt. Leider unternehmen wir in dieser Richtung äußerst wenig, genauer gesagt fast überhaupt nichts. Unterdessen eröffnet dieses Gebiet der Praxis der Psychologie (besonders der Sozial- und der Arbeitspsychologie) neue Möglichkeiten und neue Perspektiven. Ich bin so gründlich auf die Charakterisierung der Zusammenhänge zwischen Psychologie und Praxis, auf die Erfolge und Aufgaben auf diesem Gebiet eingegangen, weil diese Zusammenhänge gegenwärtig in der Entwicklung der Psychologie als Wissenschaft eine immer wesentlichere und ständigwachsende Rolle spielen. Gerade sie bestimmen ja den Differenzierungsprozeß der Psychologie, die Veränderung ihrer Problematik und die Bereicherung der Psychologie durch neue Auffassungen und neue Forschungsmethoden. Es ist denkbar, daß der Zeitpunkt nicht fern ist, da auf vielen Gebieten des praktischen Aufbaus des Kommunismus psychologische Dienste geschaffen werden. Eine solche Perspektive überträgt uns ein gewaltiges Maß an Verantwortung. Um einer solchen künftigen Aufgabe gewachsen zu sein, müssen wir ernsthaft an den Erwerb des erforderlichen theoretischen, methodologischen und methodischen Rüstzeugs herangehen. Im Zusammenhang damit wollte ich die Aufmerksamkeit auf eine überaus reale Gefahr lenken. Aufgrund der wachsenden Anforderungen seitens der Praxis hat sich bei den psychologischen Forschungsarbeiten ein spezifisches „Kadervakuum" gebildet, durch das in unser Fachgebiet Menschen „eingesaugt" werden, die über keinerlei psychologische Fachausbildung verfügen und nicht selten aus „Konjunktur"gründen auf das Gebiet der Psychologie übergewechselt sind. Es muß alles unternommen werden, daß hochqualifizierte Fachleute ausge-
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bildet werden und daß die Qualifikation derjenigen Mitarbeiter, die schon auf den verschiedenen Gebieten der angewandten Psychologie arbeiten, erhöht wird. Dazu sind natürlich große Anstrengungen erforderlich. Eine wichtige Bedingung f ü r die Lösung der vor der Psychologie stehenden praktischen Aufgaben und für die Ausarbeitung spezieller Theorien, die die eine oder andere Sphäre ihrer praktischen Anwendung versorgen, ist die Weiterentwicklung der allgemeinen Theorie der Psychologie. In unserem Land n a h m die Psychologie erstmalig bewußt einen marxistischen S t a n d p u n k t ein, und das gab ihr die Möglichkeit, in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum konsequent wissenschaftliche methodologische Grundlagen f ü r die Erforschung des gesamten Komplexes psychologischer Probleme zu schaffen. Die Prinzipien des Determinismus, des Reflexcharakters der Psyche, der Einheit von Bewußtsein und Handeln, der Einheit vom Subjektiven und Objektiven, die Prinzipien der Entwicklung der Psyche und der gesellschaftshistorischen Bedingtheit des Bewußtseins sowie die Auffassungen von der Persönlichkeit ermöglichten, die gesamte Problematik der allgemeinen Psychologie in einem neuen Licht zu sehen. Die Erfolge der sowjetischen Wissenschaftler auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Erforschung des Menschen als Subjekt der Arbeit, des Vermitteins und Erkennens, der Erkenntnisprozesse, der E n t wicklung von Wahrnehmung, Gedächtnis und Denken, des psychologischen Aufbaus der Tätigkeit, der geschichtlichen Entwicklung psychischer Funktionen, psychophysiologischer Grundlagen individueller Unterschiede und der Herausbildung von Fähigkeiten bereicherten die internationale Wissenschaft und brachten der sowjetischen Psychologie führende Positionen ein. In den J a h r e n nach dem 3. Kiewer Kongreß wurde die allgemeine Theorie, wie schon vorher, hauptsächlich in unseren wissenschaftlichen H a u p t z e n t r e n weiterentwickelt: in den Staatlichen Universitäten von Moskau und Leningrad, in der Universität von Tbilissi, im Forschungsinstitut für Allgemeine und Pädagogische Psychologie der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der UdSSR, im Psychologischen Institut der Akademie der Wissenschaften der Grusinischen S S R und im Institut für Psychologie des Ministeriums f ü r Volksbildung der Ukrainischen SSR. Das Entwicklungstempo der Psychologie erhöht sich jedoch von J a h r zu J a h r , was eine ununterbrochene Vertiefung der Erforschung ihrer fundamentalen Probleme erforderlich macht. Eines der charakteristischsten Merkmale für den gegenwärtigen Stand unserer Wissenschaft ist die Extensivität ihrer Entwicklung. Von J a h r zu J a h r wächst der Strom der Forschungsarbeiten, besonders auf dem Gebiet spezieller Fragen, an und häufen sich riesige Berge von Experimentalwerten. Versucht man jedoch, sich die Psychologie als ein Ganzes vorzustellen, so erhält man den Eindruck, als sei sie äußerst zerstückelt. 29
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Einige Gebiete und Richtungen der Psychologie (und in der modernen Psychologie kann man einige Dutzend Fachrichtungen aufzählen) entwickeln sich überaus ungleichmäßig, wodurch gewisse Disproportionen und Deformierungen der psychologischen Erkenntnisse entstehen. So wurden bei uns die pädagogische Psychologie verhältnismäßig stark, die klinische und forensische Psychologie jedoch sehr schwach entwickelt; viel wird auf dem Gebiet der Ingenieurpsychologie, aber bedeutend weniger auf dem Gebiet der Sozialpsychologie getan (obwohl die Bedeutung der Sozialpsychologie ständig wächst), und fast überhaupt keine Entwicklung ist auf dem Gebiet der Tierpsychologie zu verzeichnen usw. Eis muß hervorgehoben werden, daß sich in der intensiven Differenzierung der Psychologie die Gefahr verbirgt, die Struktur der psychologischen Kenntnisse auch weiterhin zu deformieren. Es ist der Zeitpunkt gekommen, da man allen Ernstes beginnen muß, in mühseliger Kleinarbeit die sich häufenden Werte zu systematisieren, die Struktur der derzeitigen psychologischen Kenntnisse, der Entwicklungstendenzen der Psychologie im Zusammenhang mit der wachsenden Rolle des menschlichen Faktors in der modernen Gesellschaft, ihrem kategorialen Apparat, ihre Methoden und Auffassungen zu studieren und auf dieser Grundlage ein Perspektivprogramm ihrer Entwicklung auszuarbeiten. Von besonderer Wichtigkeit ist es, die Notwendigkeit der auf eine Systernatisierung der Forschungsangaben gerichteten Arbeit hervorzuheben, da sie eine äußerst wichtige Bedingung für die Weiterentwicklung der allgemeinen psychologischen Theorie darstellt. Als lehrreiches Beispiel für die Bedeutung einer Systematisierung können die Biologie, Chemie, Politökonomie und andere Wissenschaften dienen. Die methodologischen Positionen der sowjetischen Psychologie bilden eine gute Grundlage für die Durchführung einer solchen Arbeit. Mit der Entwicklung der Psychologie wurde nicht nur die Erfordernis einer weiteren Ausarbeitung ihrer theoretischen Probleme, sondern auch einige Bedingungen für einen neuen Aufschwung des theoretischen Konzepts geschaffen. Im Zusammenhang damit sollen drei wichtige Momente erwähnt werden. Erstens entstand mit der Differenzierung der Psychologie eine ganze Reihe neuer Methoden bei der Untersuchung psychischer Erscheinungen, neue Forschungsmethoden und -Verfahrensweisen, neue Analysationsmöglichkeiten psychischer Erscheinungen, neue Möglichkeiten der Synthese und Verallgemeinerung von Forschungsangaben, traten wesentliche Veränderungen im Begriflsapparat unserer Wissenschaft ein. Dank der Forschungsergebnisse der letzten Zeit zeichnet sich ein neues — zwar noch nicht genügend deutliches und exaktes — analytisches Bild der psychischen Prozesse, Funktionen und Zuerforderlich macht. stände ab, welches neue theoretische Verallgemeinerungen
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Zusammenfassend kann gesagt werden, daß durch die Differenzierung der Psychologie, die eine Vielzahl von Fachrichtungen und Fachgebieten, wie z. B. die Sozial-, Ingenieur-, Gerichtspsychologie, dies pädagogische, klinische, kosmische, mathematische Psychologie, die Arbeitspsychologie, Psychophysik, Psychophysiologie, Neuropsychologie, Tierpsychologie u. a., hervorgebracht hat, die Eintwicklungsbasis der Allgemeinen Psychologie bedeutend erweitert wird. Damit erweist sich die Untersuchung der Probleme der Allgemeinen Psychologie als eine äußerst wichtige Bedingung für die weitere proportionale und harmonische Entwicklung ihrer Fachgebiete und Fachrichtungen. Zweitens wurden in der heutigen Entwicklungsetappe der Psychologie ihre Verbindungen zu den anderen Wissenschaften bedeutend breiter und tiefer. Während die Psychologie einst in der Hauptsache mit der Philosophie, der Pädagogik und einigen Gebieten der Biologie verbunden war (die Psychologie wurde sogar einfach als ein Bestandteil der Pädagogik betrachtet), so schalteten sich jetzt in das System dieser Verbindungen solche Wissenschaften wie die Ökonomie, die angewandte Soziologie, dieGerichtswissenschaft, die Physik, Mathematik und andere technische Wissenschaften ein; außerdem verbreiterten sich die Verbindungen mit der Philosophie, der Biologie und der Medizin. Innerhalb der erwähnten Wissenschaften wächst die Zahl derjenigen Probleme ständig, zu deren Lösung Theorien, Methoden und Forschungsangaben der Psychologie herangezogen werden müssen. Auf den Trennlinien zwischen der Psychologie und diesen Wissenschaften entstand eine ganze Reihe neuer wissenschaftlicher Richtungen. In der Struktur der modernen wissenschaftlichen Erkenntnis beginnt die Psychologie, eine immer größere Rolle als wichtiges Bindeglied zwischen den Gesellschafts-, Natur- und den technischen Wissenschaften zu spielen. Der allgemeine Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis ist ein mächtiges Stimulans für die Entwicklung der Psychologie und eröffnet damit neue Möglichkeiten für die Erforschung ihrer fundamentalen theoretischen Provbleme. Es sollen noch einige Worte über die „Lücken" und Schwierigkeiten gesagt werden, die in den Beziehungen der Psychologie zu den anderen Wissenschaften auftreten, sowie über die sich daraus ergebenden aktuellen Aufgaben. Bei der Entwicklung der materialistischen Traditionen der Psychologie unseres Landes nehmen ihre Beziehungen zur Physiologie (vor allem zur Ilumanphysiologie) einen bedeutenden Platz ein. Auf dem zwischen diesen Wissenschaften gelegenen Gebiet wurde und w'ird eine nicht unbedeutende E'orschungsarbeit geleistet, die für die Erforschung des Menschen von prinzipieller Bedeutung ist. In der überwiegenden Mehrzahl dieser Forschungen 29*
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werden jedoch nur die elementaren Verhaltensformen untersucht. Unterdessen wird gegenwärtig die Notwendigkeit immer dringender, die stofflichen Gehirnmechanismen komplizierter Verhaltensformen und komplizierter Ebenen des Psychischen zu untersuchen. Die Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen der Psychologie und der Physiologie muß offensichtlich vor allem in dieser Richtung verlaufen. Jedoch ist gerade auf diesem Gebiet eine bedeutende Lücke zu verzeichnen. Wie schon das Akademiemitglied P. K. Anochin bemerkte, gibt es bis heute noch keine überzeugenden Übergangskonzeptionen, die bei der Untersuchung psychischer Erscheinungen beispielsweise eine effektive Anwendung von Ergebnissen der speziellen Neurophysiologie einerseits und der Psychologie andererseits ermöglichen könnten. Die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit zwischen Psychologie und Physiologie verlangt nachdrücklich eine Ausarbeitung solcher Übergangskonzeptionen. In den letzten Jahrzehnten entstanden eine Reihe neuer Richtungen auf der Trennlinie zwischen der Psychologie und den technischen Wissenschaften sowie der Kybernetik. Am deutlichsten tritt hierbei die Ingenieurpsychologie in Erscheinung. Bei der Beurteilung des Standes dieses Wissenschaftsgebietes zeigt sich eine gewisse Neigung in Richtung vorwiegend technischer Aspekte bei der Analyse der Systeme „Mensch-Maschine" und eine Anwendung von Methoden und Konzeptionen, die sich aus den technischen Wissenschaften und der Kybernetik ergeben haben. Genau genommen geht die psychologische Problematik nicht selten in technischen Schemata „unter". Zweifelsohne stellt die Anwendung des in den technischen Wissenschaften und der Kybernetik entstandenen Apparates eine wesentliche Hilfe bei der Analyse der Systeme „Mensch-Maschine" dar, er birgt jedoch auch einige Gefahren in sich, da bei einer unvernünftigen Anwendung dieses Apparates der prinzipielle Unterschied zwischen der bewußten Tätigkeit des Menschen und der Arbeit technischer Anlagen verwischt und vertuscht werden kann. Eine äußerst wichtige Aufgabe ist gegenwärtig auf diesem Gebiet die psychologische Erforschung des Menschen als Subjekt der Arbeit. Einzig und allein unter dieser Bedingung kann die richtige Stellung der technischen und psychologischen Aspekte der Systeme „Mensch-Maschine" zueinander gefunden werden. Auch hier sind konstruktive, wegweisende Konzeptionen erforderlich. Jetzt noch einige Worte zur Sozialpsychologie. Die Sozialpsychologie ist eine unabdingbare Komponente jeder beliebigen sozialen Untersuchung sozial-ökonomischer, politischer, rechtswissenschaftlicher und ideologischer Probleme. Es kann jedoch nicht gesagt werden, daß die Problematik, die Auffassungen und Methoden auf diesem Gebiet genügend exakt bestimmt sind. Oft werden die psychologischen und konkret-sozialen Untersuchungen unter-
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einander vertauscht. Der Begriffsapparat dieser Wissenschaft ist vom marxistischen Standpunkt aus ungenügend ausgearbeitet. Hin und wieder übernimmt sie bürgerliche sozialpsychologische Konzeptionen, ohne sie vorher einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Unterdessen stellt die Sozialpsychologie, im Unterschied zur Psychophysiologie, Neuropsychologie und Ingenieurpsychologie, die einen für die sowjetische und internationale Wissenschaft gemeinsamen Aufgabenbereich haben, ein Gebiet des verschärften ideologischen Kampfes dar. Aus diesem Grund sind die Ergebnisse auf diesem Gebiet der Psychologie in den einzelnen Ländern einfach nicht vergleichbar; sie müssen vom Klassenstandpunkt aus beurteilt werden. Im Zusammenhang damit kommt der Aufgabe einer kritischen Analyse der in den kapitalistischen Ländern entstandenen Konzeptionen, Auffassungen und Methoden eine erstrangige Bedeutung zu. Eine unabdingbare Bedingung für die Lösung dieser Aufgabe ist die Weiterentwicklung der allgemeinen Theorie der Psychologie und vor allem ihrer methodologischen Probleme. Somit erfordert also die Entwicklung der Verbindungen zwischen der Psychologie und den anderen Wissenschaften eine Aktivierung der Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Allgemeinen Psychologie. Drittens wird die Psychologie, wie schon gesagt wurde, unmittelbar in die Lösung praktischer Fragen einbezogen, was sich als ein wichtiger Faktor ihrer Entwicklung erweist. Ich möchte nicht im einzelnen auf die Rolle der Praxis bei der Entwicklung einer allgemeinen Theorie der Psychologie eingehen. Einige Überlegungen, die dieses Problem betreffen, wurden in dem Artikel „Über die Rolle der Praxis bei der Entwicklung der allgemeinen Theorie der Psychologie" angestellt, der in der ersten Nummer der Zeitschrift „Fragen der Psychologie" in diesem Jahr (1971) veröffentlicht wurde. Ich möchte nur erwähnen, daß die Verbindung mit der Praxis in überaus starkem Maße zur Entwicklung der Problematik der Psychologie, zur Anwendung exakter Forschungsmethoden, zur Entstehung neuer Auffassungen und zur Bereicherung des Begriffsapparates unserer Wissenschaft beigetragen hat. Wenn über die Rolle der Praxis bei der Entwicklung der Psychologie gesprochen wird, so muß die Aufmerksamkeit auf ein überaus wichtiges Moment gelenkt werden. Damit die Theorie der Praxis dienen kann, muß sie einer Reihe von Anforderungen gerecht werden, die sozusagen ihre Konstruktivität, die Möglichkeit ihrer Anwendung bestimmen. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit einer Aufzählung dieser Anforderungen zu erheben, wollen wir einige von ihnen berühren. Eine von ihnen bezieht sich auf das Niveau und die Form des in der Theorie dargelegten Stoffes. Im Prinzip ist das mögliche Anwendungsgebiet der Theorie um so breiter, je höher dieses Niveau ist. Eine
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Verallgemeinerung ist jedoch stets mit einer Abstraktion der einen oder anderen Charakteristik der zu untersuchenden Erscheinungen verbunden, was oft zu Komplikationen bei der Anwendung theoretischer Verallgemeinerungen führt. Kurz gesagt, es entsteht die Frage des Grades an Verallgemeinerung, der im Wesentlichen durch die Aufgaben bestimmt wird, die der Theorie durch die Praxis gestellt werden. Die Frage des Grades an theoretischer Verallgemeinerung ist mit der Frage der Forderungen verbunden, auf deren Grundlage die Verallgemeinerungen aufbauen. Die Güte, Komplexität und Wirksamkeit einer wissenschaftlichen Theorie hängt von der Anzahl und Güte der gestellten Ausgangsforderungen ab. Im Prinzip wird die Theorie über eine um so größere logische Stabilität verfügen, je exakter die Postulate formuliert sind. Leider sind die Ausgangspostulate in den theoretischen Arbeiten bei weitem nicht immer exakt genug formuliert, wodurch die Uberprüfung der vorgelegten Hypothesen und deren Anwendung in der Praxis erschwert werden. Das wichtigste charakteristische Merkmal einer Theorie ist ihr prognostischer Wert, der dadurch bestimmt wird, inwieweit die Theorie in der Lage ist, die Entwicklung der einen oder anderen Erscheinung vorauszusagen. Es ist bekannt, daß Prognosen nur auf der Grundlage von Kenntnissen der die Erscheinung steuernden Gesetze möglich sind. Dabei ist nicht allein die Formulierung des Gesetzes selbst, sondern auch die Bestimmung der Bedingungen, unter denen, und der Bereiche, in denen es wirksam wird, von Bedeutung. Es muß darauf hingewiesen werden, daß in den theoretischen Arbeiten auf dem Gebiet der Psychologie oft das eine oder andere Gesetz formuliert wird, ohne die Bedingungen und seine Wirkungsbereiche zu erwähnen. Es ist verständlich, daß in einem solchen Falle eine Anwendung des Geset zes in der Praxis schwierig wird. Das sind — in kurzen Worten — die Ilauptentwicklungsfaktoren der allgemeinen Theorie der Psychologie in der gegenwärtigen Etappe und die Bedingungen, unter denen sich diese Entwicklung vollzieht. Zum Abschluß möchten wir einige — von uns aus gesehen — höchst aktuelle Probleme der Allgemeinen Psychologie behandeln. Natürlich ist es unmöglich, eine vollständige Aufzählung dieser Probleme zu geben, geschweige denn ihr Wesen in einem kurzen Vortrag zu ergründen. Deshalb müssen wir uns nur auf allgemeine Bemerkungen zu einigen Problemkomplexen beschränken. Vor allem wollen wir uns mit dem Problemkreis befassen, der sich auf die psychischen Funktionen und Prozesse bezieht. Ausgehend von der Leninschen Widerspiegelungstheorie hat die sowjetische Psychologie auf diesem Gebiet bekanntlich große Erfolge erzielt.
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Die Errungenschaften in der Erforschung der Empfindungen verschiedener Modalitäten, der unterschiedlichen Wahrnehmungsarten sowie der mnemonischen Prozesse fanden nicht nur in unserem Land, sondern auch international breiteste Anerkennung. Es wurden eine ganze Reihe wesentlicher Momente der Dynamik psychischer Prozesse und ihrer Mechanismen aufgedeckt. Große Erfolge gibt es auch auf dein Gebiet der Untersuchung neuropliysiologischer Grundlagen psychischer Prozesse und Funktionen. Leider beziehen sie sich bis jetzt hauptsächlich auf die elementaren Formen und Ebenen der psychischen Widerspiegelung. Entwickelte und sich ständig festigende Kontakte zwischen der Psychologie und der Physiologie existieren in der Hauptsache auf dem Gebiet der Untersuchungen von Empfindungen und Wahrnehmungen. Was jedoch die komplizierteren Formen und Ebenen psychischer Prozesse, insbesondere solcher wie das Denken betrifft, so steht den Psychologen und Physiologen bei der Untersuchung der neurophysio logischen Grundlagen eine umfangreiche gemeinsame Arbeit bevor. Bei der experimentellen Untersuchung psychischer Prozesse wird in der Regel von der Person, der empfindenden, speichernden und denkenden Persönlichkeit, abstrahiert. Eine solche Abstraktion ist in bestimmten Etappen der Wissenschaft zweifellos gerechtfertigt und stellt eine erforderliche Bedingung für die wissenschaftliche Analyse dar. Nebenbei gesagt erscheint deshalb die Kritik des sogenannten Funktionalismus, die bei uns einige Verbreitung fand, etwas seltsam und unverständlich. Ohne Abstraktion und Analyse ist eine Entwicklung der Wissenschaft undenkbar. Eine Gefahr entsteht nur dann, wenn der Wissenschaftler bei der Abstraktion der einen oder anderen Seite einer Erscheinung vergißt, daß er es mit einer Abstraktion zu tun hat und die Realität durch diese Abstraktion ersetzt. Gegenwärtig erfordern die gesammelten experimentellen Werte bei der Untersuchung psychischer Prozesse und Funktionen jedoch immer dringender eine Realisierung von Methoden, die von der Persönlichkeit ausgehen (ich meine nicht einfach die allgemeine Sanktionierung dieses Prinzips, sondern eben seine Realisierung in den konkreten experimentellen Forschungen). In diesem Zusammenhang muß das Studium der Operations- und Informationsaspekte psychischer Prozesse (wo überaus große Erfolge zu verzeichnen sind) durch die Untersuchung der Aspekte ihrer Motivierung ergänzt werden. Eine der möglichen konstruktiven Verfahrensweisen bei der Untersuchung dieses Aspektes wird durch die Theorie der Orientierungsfunktionen gewährleistet, die aktiv und erfolgreich in der Grusinischen S S R ausgearbeitet und von den Delegierten und Gästen unseres Kongresses wohlwollend aufgenommen wurde.
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Von großer Wichtigkeit für die analytische Untersuchung des Aufbaus der Psyche ist das Problem der Verhältnisse zwischen den psychischen Prozessen und den psychischen Funktionen. In den konkreten Forschungsarbeiten werden sie oft nicht unterschieden. Dennoch sind die Funktion und der Prozeß nicht ein- und dasselbe. In ihren Beschreibungen tauchen unterschiedliche Charakteristika auf. Bei der Beschreibung von Prozessen interessiert uns vor allem ihre Dynamik, bei der Beschreibung von Funktionen deren Grenzwerte, optimale Bedingungen und die Effektivität ihrer Aussage. Im Verlauf eines beliebigen konkreten Prozesses wird in der Regel nicht nur eine, sondern es werden mehrere Funktionen, ihr System, realisiert. Im Zusammenhang damit urteilen wir über die Parameter der Funktionen größtenteils auf der Grundlage des Studiums der Prozesse. Kurz gesagt, das Verhältnis zwischen den Prozessen und Funktionen ist recht kompliziert und das Studium dieser Verhältnisse erfordert die Ausarbeitung eines speziellen wissenschaftlichen Konzepts. Ein anderer Problemkreis, der von wesentlicher Bedeutung für die Weiterentwicklung der allgemeinen Theorie der Psychologie ist, bezieht sich auf die psychischen Zustände. Lange Zeit wurden auf diesem Gebiet so gut wie keine Forschungsarbeiten durchgeführt, und erst in letzter Zeit begannen die psychischen Zustände die Aufmerksamkeit der Psychologen und Physiologen auf sich zu ziehen. Das erklärt sich wohl vor allem aus den Aufgaben, die aus der Praxis hervorgehen, in der Hauptsache aus den Aufgaben, die mit dem Studium der Arbeitstätigkeit des Menschen verbunden sind. Besondere Schärfe erlangt das Problem der psychischen Zustände auf den Gebieten der Psychologie, die die Arbeitstätigkeit des Menschen unter spezifischen, komplizierten Bedingungen untersuchen (Überbelastung durch Information, sensorische und soziale Isolierung, Arbeiten tief unter dem Meeresspiegel, kosmische Flüge usw.). Hierbei spielen jedoch nicht nur die Bedürfnisse der Praxis eine Rolle. Die Notwendigkeit einer Untersuchung der psychischen Zustände wird durch den Gang der Entwicklung der allgemeinen Theorie der Psychologie diktiert. In Ubereinstimmung mit der dialektischen und materialistischen Auffassung vom Determinismus in der Psychologie rufen äußere Einwirkungen den einen oder anderen psychologischen Effekt nicht direkt und unmittelbar, sondern auf Grund innerer Bedingungen hervor. Die wichtigste Komponente dieser inneren Bedingungen ist der Zustand des Subjekts, durch den es im jeweilig gegebenen Zeitabschnitt gekennzeichnet wird und der sich in bestimmtem Maße auf den Verlauf der Prozesse auswirkt. Im allgemeinen kann der Zustand als eine aus vielen Komponenten und Maßeinheiten zusammengesetzte S t r u k t u r bezeichnet werden. Leider überwiegt bei der konkreten Untersuchung der Zustände (z. B. Streß, emotionale
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Anspannung, Monotoniebedingungen usw.) die Erforschung ihrer physiologischen Komponenten, wohingegen den psychologischen Aspekten nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt wird. Zu den wichtigsten Aufgaben gehören gegenwärtig die Ausarbeitung exakter und objektiver Methoden der Beschreibung psychischer Zustände, die Erforschung der Zusammenhänge zwischen ihren unterschiedlichen physiologischen und psychologischen Komponenten, die Beurteilung des informativen Gehalts der Systeme dieser Merkmale, die Untersuchung des Komplexes von Faktoren, die den Inhalt, die Struktur und die Dynamik psychischer Zustände sowie das Verhältnis zwischen ihren aktuellen und nicht aktuellen Komponenten bestimmen usw. Besondere Beachtung bei der Untersuchung der Bedingungen für die Entstehung psychischer Zustände verdienen die sozialen Faktoren. Das Problem der psychischen Zustände bezieht sich auf eine der perspektivischen Bereiche des Zusammenwirkens der allgemeinen Psychologie, der Sozialpsychologie, der Neuropsychologie und einiger anderer Richtungen der Humanwissenschaften. Das dritte Kernproblem (es ist ein ganzer Problemkomplex) der allgemeinen Theorie ist die Persönlichkeitspsychologie. Die theoretischen Forschungen auf diesem Gebiet sind von prinzipieller Bedeutung für viele (wenn nicht sogar für alle) Gebiete unserer Wissenschaft. Gleichzeitig stellt die gesamte Masse von Forschungsangaben, die sich in ihren einzelnen Teilgebieten anhäufen, eine Grundlage für diese Forschungen dar. Eine besonders intensive Arbeit bei der Erforschung psychologischer Aspekte des Persönlichkeitsproblems wird in der pädagogischen Psychologie geleistet, wo eine Menge wertvoller konkreter Angaben gespeichert ist, die die Herausbildung und Entwicklung der Eigenschaften der Persönlichkeit, ihrer Charaktereigenschaften und Charakterstruktur, ihrer Fähigkeiten, Neigungen und ihrer Weltanschauung kennzeichnen. Die psycho-pädagogischen Forschungen vereinigen sich gegenwärtig immer fester mit den Forschungen auf dem Gebiet der Sozialpsychologie. In der Sozialpsychologie werden die Position und die sozialen Anlagen der Persönlichkeit als Mitglied des Kollektivs in dem komplizierten System ihrer sozialen Verhältnisse, der Dynamik ihrer Beziehungen und die Rolle der Persönlichkeit bei der Bildung der öffentlichen Meinung sowie die Rolle des Einflusses der öffentlichen Meinung auf die Persönlichkeit untersucht. Auf eine etwas andere Ebene wird das Problem der Persönlichkeit im Zusammenhang mit dem Studium der individuellen Unterschiede psychischer Funktionen und deren Dynamik im Wachstiunsprozeß, des Wirksamwerdens der Anlagen und des Wechselverhältnisses zwischen Persönlichkeit und psychischen Zuständen gehoben.
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Gewisse Aspekte dieses allgemeinen Problems sind auch in der Untersuchung der Haupteigenschaften des Nervensystems, der neurophysiologischen und neuropsyehologischen Faktoren des individuellen Verhaltens enthalten. Die S u m m e aller in den verschiedenen Forschungsrichtungen angehäuften Angaben, Ideen und Konzeptionen schafft die Grundlage für eine e x a k t e Untersuchung der Triade der für die Psychologie prinzipiell wichtigen Begriffe: Individuum — Individualität — Persönlichkeit. F s handelt sich d a r u m zu verstehen, wie sich das menschliche Individuum entwickelt, wie es zur Individualität und zur Persönlichkeit wird. Als eine der wichtigsten Aufgaben der Psychologie erweist sich gegenwärtig die Systematisierung und Verflechtung all dessen, was auf den verschiedenen Gebieten der Psychologie geschaffen wurde und geschaffen wird und auf dessen Grundlage die Ausarbeitung einer psychologischen Theorie der Persönlichkeit als ein kompliziertes, strukturiertes und vielschichtiges, in sich abgeschlossenes Gebilde erfolgt. Wenn wir den Versuch unternehmen, den Aufbau der psychologischen Kenntnisse als ein Ganzes zu erfassen, so fällt das ausgeprägte Mißverhältnis zwischen der Lehre von den psychischen Funktionen, Prozessen und Zuständen einerseits und der Lehre von der Persönlichkeit andererseits, ins Auge. Nach den Forschungsmethoden, Auffassungen und dem Begriffsa p p a r a t zu urteilen, stellen sie so etwas wie zwei durch einen tiefen Abgrund voneinander getrennte Gebiete dar. Bei der Ausarbeitung einer einheitlichen Theorie der Psychologie müssen Wege gefunden werden, die es gestatten, diesen Abgrund zu überbrücken und mit einer einheitlichen Logik den gesamten Entwicklungsprozeß der menschlichen Psyche zu erfassen: von der ersten elementaren Empfindung bei dem Neugeborenen bis zur Herausbildung der Persönlichkeit. F s ist verständlich, das dazu eine ungeheurere theoretische Arbeit erforderlich ist. Von grundsätzlicher Bedeutung für die Schaffung einer solchen in sich abgeschlossenen allgemeinen Theorie der Psychologie ist die Lehre von der Tätigkeit, die in unserem Land geschaffen wurde und äußerst intensiv ausgearbeitet wird. Die Erforschung der Arbeits-, Lern- und S p i e l t ä t i g k e i t , ihrer D y n a m i k , S t r u k t u r und ihrer Mechanismen ist von f u n d a m e n t a l e r Wichtigkeit. In den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wird gegenwärtig erneut das Problem der Regulierung der Tätigkeit gestellt, das schon von SETSCHENOW aufgeworfen wurde. Bei seiner Ausarbeitung wird nicht nur von den Psychologen, sondern auch von Vertretern angrenzender Wissensgebiete eine große Arbeit geleistet. Im Zusammenhang mit dem Problem der Regulierung, kommt der Untersuchung der psychologischen Mechanismen der Prognose und der ge-
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danklichen Planung der Tätigkeit große Bedeutung zu. Die Bedeutung dieser Untersuchungen ergibt sich aus einem Paradoxon. Und zwar ist eine Regulierung der Tätigkeit nur auf der Grundlage einer ausreichend vollständigen Information über die Bedingungen möglich, unter denen sie ausgeübt wird. Doch zu jedem Zeit punkt verfügt der Mensch nur über ungenaue Information von den Ereignissen, die in dem jeweiligen Zeitpunkt stattfinden oder schon stattgefunden haben. Das Vergangene kann er jedoch nicht mehr steuern. Andererseits ist er in der Lage, die Zukunft, also das, was erst noch kommt zu steuern. Wie nun löst sich dieses Paradoxon auf? Hier gibt es nur einen Ausweg — die Prognose des Zukünftigen auf der Grundlage der Information über das Vergangene und die Planung der Tätigkeit (und des gesamten Verhaltens). Die Prognose des Verlaufs der Ereignisse und die Regulierung der Tätigkeit auf der Grundlage dieser Prognose ist eine der H a u p t f u n k t i o n e n der Psyche. Es ist dabei anzumerken, daß in der Mehrzahl der konkreten Forschungen hauptsächlich die gegenständliche, praktische Tätigkeit und nur in einigen Richtungen die geistige Tätigkeit untersucht wird. Die reale Lebensweise des Menschen, die durch seine psychische Verfassung bestimmt wird, erschöpft sich jedoch nicht in seiner gegenständlichen, praktischen Tätigkeit. Die praktische Tätigkeit ist nur die eine Seite der Lebensweise, des Verhaltens des Menschen im weitesten Sinne des Wortes. Die andere Seite ist die Kommunikation als spezifische Form des Zusammenwirkens des Menschen mit anderen Menschen. Gerade in den Kommunikationsprozessen vollzieht sich vor allem der Austausch und die „Übertragung" von Ideen, Interessen, Charaktereigenschaften, formieren sich die Anlagen der Persönlichkeit und ihrer Position. Sowohl im unmittelbaren als auch in einem durch die in der modernen Gesellschaft entwickelten Kommunikationssysteme vermittelten Prozeß eignet sich der konkrete Mensch den durch die gesamte Menschheit gesammelten Erfahrungsschatz an. Leider hat das Kommunikationsproblem in der Psychologie noch nicht den ihm gebührenden Platz eingenommen. Es werden fast keine Lintersuchungen dieses Problems durchgeführt. Lange Zeit wurde das Kommunikationsproblem bestenfalls nur in Verbindung mit dem Studium der kommunikativen Funktionen der Sprache untersucht. Die Perspektiven der allgemeinen Theorie der Psychologie erfordern nachdrücklich die Ausarbeitung dieses fundamentalen Problems, die Untersuchung der Dynamik, der Mechanismen und der Mittel der Kommunikation, die Untersuchung ihrer Entwicklung in der Ontogenese des Menschen sowie des Zusammenhangs zwischen Tätigkeit, Kommunikation und Erkenntnis. An der Erforschung dieses Problems sind viele Gebiete und Richtungen der Psychologie interessiert. Sie kann mit vollem Recht zu der Zahl derjenigen Forschungen gezählt werden, die bei der Erfassung bestimmter Aspekte der
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Gesamtproblematik der allgemeinen Psychologie, angefangen von den psychischen Prozessen bis zur Persönlichkeit, den Angelpunkt bilden. Es gibt einige Ergebnisse (darunter experimentelle Befunde), die die Annahme zulassen, daß die Bedingungen der Kommunikation einen bedeutenden Einfluß auf die Dynamik perzeptiver, intellektueller und mnemonischer Prozesse ausüben. Das bezieht sich auch auf die psychischen Zustände und in noch größerem Maße auf die kollektive Tätigkeit der Menschen und zwar in dem Maße, wie die Kommunikation so etwas wie einen inneren Mechanismus des kollektiven Lebens darstellt. Wenn von den fundamentalen Problemen der Allgemeinen Psychologie gesprochen wird, so muß unbedingt das Problem der biologischen und sozialen Aspekte in der psychischen Entwicklung und im Leben des Menschen erwähnt werden. Bekanntlich ging die sowjetische Psychologie aus dem Kampf gegen biologistische Konzeptionen der bürgerlichen Psychologie einerseits und die gesellschaftsorientierte andererseits hervor. In unserer Wissenschaft ist die These fest verankert, daß das Biologische die Entwicklung des Menschen nicht im voraus bestimmt, sondern einzig und allein in der Rolle einer gewissen Voraussetzung für die Entwicklung, in der Form einer „Anzahlung", auftritt. Im Zusammenhang mit den Resultaten, die bei Forschungsarbeiten auf dem Grenzgebiet zwischen der Biologie und der Psychologie erzielt wurden, gewinnt das Problem des Biologischen und Sozialen in der psyischen Entwicklung des Menschen gegenwärtig erneut an Schärfe. Heute kann uns eine allgemeine (im Prinzip durchaus richtige, jedoch sehr allgemeine) These über das Biologische als Voraussetzung für die Entwicklung nicht mehr zufriedenstellen. E s muß untersucht werden, was diese Voraussetzung darstellt, welches ihre charakteristischen Merkmale sind, wie ihre Struktur beschaffen ist usw. Offensichtlich darf die Frage des Verhältnisses zwischen dem Biologischen und dem Sozialen nicht abstrakt, sondern in bezug auf die verschiedenen Ebenen des Psychischen und auf die unterschiedlichen Entwicklungsetappen betrachtet und untersucht werden. Offensichtlich verdient es dieses Problem, daß man sich mit ihm befaßt. Die gegenwärtige Entwicklungsperiode der Psychologie wird durch die breite Entfaltung von Forschungsarbeiten auf den unterschiedlichsten Gebieten und in ihren Richtungen gekennzeichnet. Die Psychologie entwickelt sich nicht nur als eine äußerst wichtige Disziplin im System der Wissenschaften, sondern sie beginnt, unmittelbar an der Lösung praktischer Aufgaben teilzunehemen. Die Beschlüsse des X X I V . Parteitages der K P d S U eröffnen unserer Wissenschaft neue Perspektiven. E s besteht kein Zweifel daran, daß die sowjetischen
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Psychologen alle ihre K r ä f t e anstrengen werden, um die Beschlüsse der Partei in die Praxis umzusetzen.
Anschrift des Verfassers: P r o f . D r . B . F . LOMOW
Institut für Psychologie Prospekt Marxa 20, Moskau K . - 9 / U d S S R
Aus dem Institut für allgemeine und vergleichende Physiologie (Vorstand: Prof. Dr. 11. BORNSCHEIN), der Psychiatrischen Universitäts-Klinik (Vorstand: Prof. Dr. P. BERNER) und dem Neurologischen Institut der Universität Wien (Vorstand: Prof. Dr. F. SEITELBERGER)
Die Diagnose neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen aufgrund experimentalpsychologischer Testdaten mittels Diskriminanzanalyse Von
R.
TBAPPL,
C.
BERNER, B.
P.
KÜFFERLE
BERNER, und
E.
GABRIEL,
K.
GLONING,
II. M Ü L L E R
Die vorliegende Untersuchung wurde zur Prüfung folgender Hypothese unternommen: verschiedene Gruppen von neurologischen und psychiatrischen Patienten verhalten sich bei bestimmten experimentalpsychologischen Tests unterschiedlich; ist es nun möglich, die einzelnen Patienten nur aufgrund der Testleistungen sowie auf Grund von Geschlecht, Alter und Schulbildung ihrer Diagnosegruppe zuzuordnen? Krankengut E s wurden alle stationären Patienten der Psychiatrisch-Neurologischen Universitätsklinik Wien untersucht, bei denen in der Zeitspanne vom 15. 10. 1969 bis 15. 6. 1970 lokale zerebrale Läsionen (Gruppe I), diffuse Hirnläsionen (Gruppe I I ) oder eine endogene Depression (Gruppe I I I ) diagnostiziert worden war. Eine weitere Voraussetzung bestand darin, daß die Patienten 1. bei der Untersuchung medikamentfrei 2. zwischen 15 und 60 J ahre alt waren 3. die experimentalpsychologische Untersuchung aus medizinischen Gründen nicht unmöglich und 4. bei den lokal zerebral Geschädigten der klinische Befund stabilisiert war. Darüberhinaus wurde keine Auswahl getroffen. Die Gruppe I (lokale Läsionen) umfaßte 62, Gruppe I I (diffuse Läsionen) 40 und Gruppe I I I (Depression) 36 Patienten. Die Diagnose „lokale Hirnläsion" wurde dann gestellt, wenn die Lokalisation der Läsion auf Grund von Operationsbericht und/ oder von Isotopenuntersuchung, E E G , Angiographie und Pneumencephalographie mit Sicherheit bestimmt werden konnte. Eine diffuse zerebrale Läsion wurde angenommen, wenn neuroradiologische Befunde, E E G und/oder eine sichere Anamnese einer chronischen Intoxikation für die diffuse Schädigung sprachen. Eine endogene Depression wurde nach den Kriterien von
Aus dem Institut für allgemeine und vergleichende Physiologie (Vorstand: Prof. Dr. 11. BORNSCHEIN), der Psychiatrischen Universitäts-Klinik (Vorstand: Prof. Dr. P. BERNER) und dem Neurologischen Institut der Universität Wien (Vorstand: Prof. Dr. F. SEITELBERGER)
Die Diagnose neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen aufgrund experimentalpsychologischer Testdaten mittels Diskriminanzanalyse Von
R.
TBAPPL,
C.
BERNER, B.
P.
KÜFFERLE
BERNER, und
E.
GABRIEL,
K.
GLONING,
II. M Ü L L E R
Die vorliegende Untersuchung wurde zur Prüfung folgender Hypothese unternommen: verschiedene Gruppen von neurologischen und psychiatrischen Patienten verhalten sich bei bestimmten experimentalpsychologischen Tests unterschiedlich; ist es nun möglich, die einzelnen Patienten nur aufgrund der Testleistungen sowie auf Grund von Geschlecht, Alter und Schulbildung ihrer Diagnosegruppe zuzuordnen? Krankengut E s wurden alle stationären Patienten der Psychiatrisch-Neurologischen Universitätsklinik Wien untersucht, bei denen in der Zeitspanne vom 15. 10. 1969 bis 15. 6. 1970 lokale zerebrale Läsionen (Gruppe I), diffuse Hirnläsionen (Gruppe I I ) oder eine endogene Depression (Gruppe I I I ) diagnostiziert worden war. Eine weitere Voraussetzung bestand darin, daß die Patienten 1. bei der Untersuchung medikamentfrei 2. zwischen 15 und 60 J ahre alt waren 3. die experimentalpsychologische Untersuchung aus medizinischen Gründen nicht unmöglich und 4. bei den lokal zerebral Geschädigten der klinische Befund stabilisiert war. Darüberhinaus wurde keine Auswahl getroffen. Die Gruppe I (lokale Läsionen) umfaßte 62, Gruppe I I (diffuse Läsionen) 40 und Gruppe I I I (Depression) 36 Patienten. Die Diagnose „lokale Hirnläsion" wurde dann gestellt, wenn die Lokalisation der Läsion auf Grund von Operationsbericht und/ oder von Isotopenuntersuchung, E E G , Angiographie und Pneumencephalographie mit Sicherheit bestimmt werden konnte. Eine diffuse zerebrale Läsion wurde angenommen, wenn neuroradiologische Befunde, E E G und/oder eine sichere Anamnese einer chronischen Intoxikation für die diffuse Schädigung sprachen. Eine endogene Depression wurde nach den Kriterien von
R . TRAPPL U. Mitarb., Neurologische und psychiatrische E r k r a n k u n g e n
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BERNER und Mitarb. diagnostiziert. Die Diagnose der hirnorganischen Störung stützte sich bei dieser Untersuchung auf die Kenntnis, daß lokal oder diffus Hirngewebe zerstört, atrophisiert oder infolge von Intoxikationen funktionell geschädigt war. Klinische Ausfälle wurden hierbei nicht berücksichtigt; die Diagnose wurde auch dann gestellt, wenn der klinische B e f u n d nach einer Hirnverletzung für eine funktionelle Heilung sprach. Untersuchungsmethodik Alle Patienten wurden mit einer Batterie von 15 Tests untersucht, die in festgesetzter Reihenfolge durchgeführt wurden. Diese Testbatterie ist bei BERNER und Mitarb. beschrieben. Dabei ist noch zu ergänzen, daß der Objektbenennungstest ursprünglich auf Anregungen WEIGLS von einem der Autoren (G.) zur Untersuchung aphasischer Patienten entwickelt worden war. 10 Gegenstände (Schlüssel, Münze, Schere, Uhr, Zeitung, Pfeife, Glocke, Zündholzschachtel, Bürste und Tischtennisball) werden der Vp in bestimmter Reihenfolge dargeboten und sollen abwechselnd visuell, taktil und akustisch benannt werden. Die Latenzzeiten für die Namensfindung werden registriert. Die 10 Objekte sind außerdem nach Worthäufigkeit von 254:1,000.000 bis zu 2,4 : 1,000.000. nach den Angaben von MEIER ausgewählt und abgestuft. i Auswertungsmethodik D a s statistische Verfahren, mittels dessen die eingangs erwähnte Fragestellung beantwortet werden kann, ist die von R . A. FISHER eingeführte Diskriminanzanalyse (ausführliche Beschreibung und Literatur bei KENDALL und STUART). J e d e r Person kann aufgrund ihrer Variablenscores eindeutig ein Punkt im mehrdimensionalen Variablenraum zugeordnet werden: Die Diskriminanzanalyse geht von der Annahme aus, daß diese Punkte entsprechend der verschiedenen Kategorienzugehörigkeit der Person in verschiedenen Bereichen des Variablenraumes gehäuft auftreten. Gesucht werden nun Hyperebenen, die diese Bereiche optimal trennen und mit deren Hilfe neu hinzutretende Personen nur aufgrund ihrer Variablenwerte den einzelnen Bereichen (und damit auch den Kategorien) mit verschiedenen Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden können. Bei der Durchführung einer Diskriminanzanalyse wird zunächst mit Hilfe von Item werten von Personen, deren Kategorienzugehörigkeit bekannt ist, für jede Kategorie eine lineare Gleichung aufgestellt. Wenn nun eine Aveitere Person hinzukommt, deren Kategorienzugehörigkeit nicht bekannt ist, so müssen nur ihre \ a r i a b l e n w e r t e mit der zu jedem Yariablenwert gehörenden Konstanten multipliziert und die so gewonnenen Größen inklusive einer additiven K o n s t a n t e n addiert werden. Die Person gehört dann mit der größten Wahrscheinlichkeit jener K a t e g o r i e
440
Z. Psychol. B d . 179 (1971) H. 4
an, deren Gleichung den größten Wert geliefert hat. Die Wahrscheinlichkeit dieser Zuordnung kann überdies — wenngleich nur durch einen aufwendigeren Rechenvorgang — ermittelt werden. Letztlich ist es noch möglich, das Zutreffen der eingangs erwähnten Hypothese, daß die den Personen zugeordneten Punkte im mehrdimensionalen Variablenraum entsprechend der Kategorienzugehörigkeit der Personen gehäuft auftreten, statistisch zu überprüfen: Dies geschieht durch den nach dem indischen Mathematiker MAHALANOBIS benannten D2-W7ert, der im wesentlichen eine verallgemeinerte Form des Studentschen t-Wertes darstellt. Insgesamt waren 72 Itemscores von jedem der 138 Patienten bestimmt worden. Die 15 Tests ergaben z. T. mehr als einen Score pro Patient; außerdem wurden Alter, Geschlecht und Schulbildung als Items festgehalten. Da es wegen der umfangreichen Matrizenoperationen, die die- Diskriminanzanalyse erfordert, und der nur beschränkten Speicherkapazität der verwendeten elektronischen Datenverarbeitungsanlage nicht möglich war, sämtliche Items zu berücksichtigen, mußte eine Auswahl getroffen werden. Dies ist auch deswegen wünschenswert, weil eine zulässige Verringerung der Itemanzahl sowohl eine Verkleinerung der Testbatterie und damit eine Verringerung der Arbeit beim Bestimmen der Testscores als auch einen kleineren Rechenaufwand bei späteren Zuordnungen der Patienten zur Folge hat. Zuerst wurden aufgrund praktischer Überlegungen 49 Scores ausgewählt. Dann wurde untersucht, bei welchem Vergleich dieser Itemverteilungen sich zwischen den Gruppen signifikante Unterschiede ergaben. Um den geeigneten statistischen Test zu finden, wurden in einem nächsten Schritt sämtliche 3 mal 49 Variablenverteilungen auf Normalität untersucht (^ 2 -Wert errechnet aus 3. und 4. Momentkoeffizienten der Verteilungen). Da sich nur eine der 147 Verteilungen als normalverteilt erwies, mußte ein nichtparametrischer Test (Mann-Whitney U-Test) angewandt werden. Aus den so gewonnenen U-Werten konnten aufgrund der Tatsache, daß sich die U-Verteilung für Stichprobenumfänge über 20 rasch der Normalverteilung annähert, z-Werte errechnet werden, die auf ihre Signifikanz geprüft wurden. Beim Vergleich Gruppe I gegenüber Gruppell erwiesen sich 8 Variable, beim Vergleich Gruppe II gegenüber Gruppe III 7 Variable und beim Vergleich Gruppe I gegenüber Gruppe III 16 Variable als signifikant (p < 0,05) verschieden verteilt. Für die Diskriminanzanalyse wurden jene 9 Variablen herangezogen, bei denen sich in mindestens 2 der 3 Gruppenvergleiche signifikante Unterschiede ergeben hatten. Ergebnisse In Tabelle I sind die drei erhaltenen Diskriminanzfunktionen dargestellt. Tabelle II zeigt ihre Anwendung auf die Ausgangsstichprobe. Von 138 Zuordnungen sind somit 101 (73,0%) richtig. Am besten gelang die Zuordnung
R. TRAPPL U. Mitarb., Neurologische und psychiatrische Erkrankungen
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bei Gruppe I I I (Depressive) mit 83,3%, dann folgt Gruppe I (lokale Läsionen) mit 72,6% und zuletzt rangiert Gruppe II (diffuse Läsionen) mit 65,0%. Zur Überprüfung der Anwendbarkeit der gefundenen 3 Diskriminanzfunktionen wurden in der folgenden Zeit bis zum 1.12. 1970 30 weitere Patienten (20 lokal organisch Geschädigte und 10 Depressive) untersucht. 22 davon wurden richtig zugeordnet (73,3%), darunter 9 depressive Patienten. Der zur Kontrolle errechnete D 2 -Wert ergab sich zu 180,41: Dies zeigt daß die Mittelwertsunterschiede der 3 Gruppen in den 9 für die Diskriminanzanalyse verwendeten Variablen sehr signifikant sind (bei df = 18 : p < 0,00025). Tabelle I. 1 lein- Koeffizienten der Diskriminanzfunktionen
Alter (in Jahren) Aufzählversuch Tiere (Score) Aufzählversuch (Anfangsbuchstabe „M") (Score) Token Test (Score) Objektbenennungstest (Score) Objektbenennungstest (Mittelwert der Latenzzeit in i/io Sek.) Prozentsatz der Perseverationen in den Sprachtests Polaritätsprofil (Mittelwert x 100) MAS (Taylor) (Score) Additive Konstante
Funktion I
Funktion II
Funktion III
0,40071 0,12742
0,48751 0,16921
0,50774 0,13086
0,03788 0,12370 4,55036
0,13445 0,14887 4,72340
0,24966 0,17459 4,73622
0,83634
0,87114
^83055
1,36840 0,05622 0,08403 -96,46140
4,42566 0,05235 0,12484 -108,74889
1,48658 0,07189 0,17382 -120,02303
Tabelle II. Zuordnung der Ausgangsstichprobe bei Anwendung der Diskriminanzfunktionen Patientenzahl der Gruppen, davon zugeordnet zu Gruppe Gruppe I (lokal organisch) Gruppe II (diffus organisch) Gruppe III (depressiv)
I
II
III
62
45
15
2
40
7
26
7
36
0
6
30
Diskussion Die richtige Zuordnung der untersuchten Patienten zu den 3 Diagnosegruppen: „lokale Hirnläsion", „diffuse zerebrale Läsion" und „endogene Depression" gelang in fast drei Viertel der Fälle. Dazu muß gesagt werden, daß 1. die erhobenen Testdaten nicht normalverteilt waren, was eine Verschlechterung der Ergebnisse mit sich brachte; 2. mit der Art der Auswahl viele nicht exemplarische Fälle zur Untersuchung kamen; 3. nur die Depres30
Z. Psychologie 179/4
Z. Psychol. Bd. 179 (1971) H. 4
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siven eine h o m o g e n e G r u p p e darstellen. Weiteres l a g bei einem Teil der z u r G r u p p e 1 z u g e o r d n e t e n P a t i e n t e n n e b e n der lokalen L ä s i o n z u m i n d e s t f u n k tionell
auch
eine allgemeinere
Hirnfunktionsstörung
vor.
Eine
Durchsicht des g e s a m t e n D a t e n m a t e r i a l s läßt v e r m u t e n , daß Arten
und
verschiedene
Lokalisationen
von
Läsionen
vorläufige
verschiedene
verschiedenartige
neuropsychologische Ausfälle verursachen können. E s besteht
wahrschein-
lich eine g a n z e R e i h e v o n dillerenten h i r n o r g a n i s c h e n S y n d r o m e n , a u c h bei diffusen Läsionen. Die E r g e b n i s s e der U n t e r s u c h u n g erscheinen f ü r die Dia gn osen
„Depres-
sion" u n d die globalen Diagnosen „ l o k a l e " u n d „ d i f f u s e H i r n l ä s i o n " d u r c h a u s zufriedenstellend.
Die
Verbesserung
der
Diskriminanzfunktionen
und
die
weitere Linterscheidung der einzelnen h i r n o r g a n i s c h e n S y n d r o m e ist G e g e n s t a n d der j e t z t l a u f e n d e n U n t e r s u c h u n g e n . Das Rechenzentrum der Medizinischen Fakultät der Universität Wien ermöglichte in dankenswerter Weise die Benutzung seiner elektronischen Datenverarbeitungsanlage IBM/360, Modell 30. Zusammenfassung 62 Patienten mit lokalisierten, 40 mit diffusen zerebralen Läsionen und 36 endogendepressive Kranke wurden mit einer Batterie von 15 experimentalpsychologischen Tests untersucht und die so erhaltenen Daten gemeinsam mit Geschlecht, Alter und Schulbildung einer Diskriminanzanalyse unterzogen. 101 von 138 (73,0%) Zuordnungen waren bei Anwendung der 3 gefundenen Diskriminanzfunktionen auf die Ausgangsstichprobe zutreffend. Das Ergebnis war für die Depressionen mit 83,3% richtigen Zuordnungen am besten. Da die beiden hirnorganisch geschädigten Gruppen im Grunde nicht einheitlich sind, erscheint die Güte der errechneten Diskriminanzfunktionen befriedigend. Ihre Anwendung auf weitere 30 Patienten ergab in 22 Fällen (73,3%) richtige Zuordnungen. Summary 62 patients suffering from localized, 40 from diffuse cerebral lesions, and 36 from endogenous depressions were investigated by means of a series of 15 experimental psychological tests, and the data thus obtained together with those on sex, age, and education were subjected to a discriminant analysis. B y applying the three discriminant functions established, 101 out of 138 diagnoses (i. e. 7.3 per cent) were found to be in keeping with the results of the initial sample. The best result was achieved in the case of depressions where 83.3% had been diagnosed correctly. Given the fact that the two groups showing organic cerebral damage are not uniform in principle, the quality of the established discriminant functions appears to be satisfactory. Correct diagnoses were obtained in 22 cases (73.3 per cent) when they were applied to another 30 patients. Pe3H)Me EhJIH HCCJieHOBaHM 62 ÖOJlbHUX C JI0Kajm3Hp0BaHHbIMH, 40 SOJIbHLIX — C 3,Ily3HHMH ijepeöpajitHWMH nopaHieiiHHMH h 36 öojibhhx — c aiiAoremiOAiinpecciiBHiiMii 3a6ojieBaHHHMH c noMonjBK) nejioro KOMnnenca, cocTonmero H3 1 5 3KcnepiiMeHTajibHo-ncnxoJiornnecKHx TecTOB. IloJiyieHHtie tekhm 06pa30M pesyjibTaTbi 6hjih oöpaßoTaHH, Tan ®e, nan h
R . T R A P P L U.
Mitarb., Neurologische und psychiatrische Erkrankungen
443
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C., P . BERNER,
E . GABRIEL,
B . KÜFFERLE,
E . MÜLLER,
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Anschrift der Verfasser: A-1090 Wien Schwarzspanierstr. 17
30*
Aus der Arbeitsgruppe für Sprachpathologie der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und der Sektion Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrbereich Allgemeine Psychologie
Neuropsychologische Methoden zur Analyse der Funktionen und Komponenten sprachfunktionaler Teilsysteme 1 V o n E . WEIGL, R . BÖTTCHER, H . - J . LANDER u n d E . METZE
Mit 1 Abbildungen
I. Einleitung und Problemstellung Bekanntlich sind dem Studium des meist reibungslosen, schwer durchschaubaren Zusammenspiels der Funktionen und Komponenten des sprachfunktionalen Systems beim vollcntwickelten Menschen gewisse Grenzen gesetzt. Demgegenüber bietet die Erforschung dieses Systems im Zustand der Ontogenese, vor allem aber unter den Bedingungen hirnpathologischer Störungen den Vorteil, daß hierbei die Besonderheiten der einzelnen Funktionen und Komponenten sowie ihrer wechselseitigen Verbindungen häufig überhaupt erst sichtbar und exakt bestimmbar werden. In der vorliegenden Arbeit beschreiten wir den letztgenannten neuropsychologischen Weg mit dem Ziel, auf Grund speziell entwickelter experimenteller Methoden eine besondere Art von Funktions- und Komponentenanalyse des sprachfunktionalen Systems zu demonstrieren. Es soll der Nachweis erbracht werden, daß auf diese Weise nicht nur qualitative, sondern auch quantitative Daten in bezug auf das Ausmaß der Beteiligung einzelner FunkDer Begriff „ s p r a c h f u n k t i o n a l e s S y s t e m " wird hier im Sinne der A u f f a s s u n g der sowjetischen Psychologen WYGOTSKI (1965), LEONTJEW (1964), LURIA (1965, 1970) u. a. verwendet, die die höheren psychischen Funktionen als das Ergebnis der T ä t i g k e i t komplizierter intrazerebraler, miteinander in Wechselwirkung stehender, ontogenetisch bedingter Verbindungen zwischen oft weit entfernten, liochdiffcrenzierten kortikalen Zonen betrachten. Auf G r u n d dieser Verbindungen werden verschiedene Abschnitte der Hirnrinde zu einheitlich wirkenden funktionellen Hirnsystemen — PAWLOW sprach von „ f u n k t i o nell kombinierten Z e n t r e n " — zusammengeschlossen. E s handelt sich bei diesen Hirns y s l e m e a um in sich geschlossene, selbstregulierende Regelkreise, die sich ihrerseits wiederum aus autonomen Teilsystemen zusammensetzen (s. WEIGL, 1 9 6 9 a ) . Auch die Leistungen der menschlichen Sprache mit ihren m a n n i g f a c h e n Verwendungsformen beruhen auf der Tätigkeit solcher funktionellen Hirnsysteme. 1
Aus der Arbeitsgruppe für Sprachpathologie der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und der Sektion Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrbereich Allgemeine Psychologie
Neuropsychologische Methoden zur Analyse der Funktionen und Komponenten sprachfunktionaler Teilsysteme 1 V o n E . WEIGL, R . BÖTTCHER, H . - J . LANDER u n d E . METZE
Mit 1 Abbildungen
I. Einleitung und Problemstellung Bekanntlich sind dem Studium des meist reibungslosen, schwer durchschaubaren Zusammenspiels der Funktionen und Komponenten des sprachfunktionalen Systems beim vollcntwickelten Menschen gewisse Grenzen gesetzt. Demgegenüber bietet die Erforschung dieses Systems im Zustand der Ontogenese, vor allem aber unter den Bedingungen hirnpathologischer Störungen den Vorteil, daß hierbei die Besonderheiten der einzelnen Funktionen und Komponenten sowie ihrer wechselseitigen Verbindungen häufig überhaupt erst sichtbar und exakt bestimmbar werden. In der vorliegenden Arbeit beschreiten wir den letztgenannten neuropsychologischen Weg mit dem Ziel, auf Grund speziell entwickelter experimenteller Methoden eine besondere Art von Funktions- und Komponentenanalyse des sprachfunktionalen Systems zu demonstrieren. Es soll der Nachweis erbracht werden, daß auf diese Weise nicht nur qualitative, sondern auch quantitative Daten in bezug auf das Ausmaß der Beteiligung einzelner FunkDer Begriff „ s p r a c h f u n k t i o n a l e s S y s t e m " wird hier im Sinne der A u f f a s s u n g der sowjetischen Psychologen WYGOTSKI (1965), LEONTJEW (1964), LURIA (1965, 1970) u. a. verwendet, die die höheren psychischen Funktionen als das Ergebnis der T ä t i g k e i t komplizierter intrazerebraler, miteinander in Wechselwirkung stehender, ontogenetisch bedingter Verbindungen zwischen oft weit entfernten, liochdiffcrenzierten kortikalen Zonen betrachten. Auf G r u n d dieser Verbindungen werden verschiedene Abschnitte der Hirnrinde zu einheitlich wirkenden funktionellen Hirnsystemen — PAWLOW sprach von „ f u n k t i o nell kombinierten Z e n t r e n " — zusammengeschlossen. E s handelt sich bei diesen Hirns y s l e m e a um in sich geschlossene, selbstregulierende Regelkreise, die sich ihrerseits wiederum aus autonomen Teilsystemen zusammensetzen (s. WEIGL, 1 9 6 9 a ) . Auch die Leistungen der menschlichen Sprache mit ihren m a n n i g f a c h e n Verwendungsformen beruhen auf der Tätigkeit solcher funktionellen Hirnsysteme. 1
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tionen und Komponenten am Zustandekommen bestimmter laut- und schriftsprachlicher 2 Leistungen ermittelt werden können. Bei den nachfolgend mitgeteilten Untersuchungen zur Struktur und Dynamik des sprachfunktionalen Systems unter hirnpathologischen Bedingungen gingen wir von der Auswahl zweier vergleichbarer Funktionskonstellationen aus, und zwar des Sprachverstehens und der Sprachreproduktion 1. auf lautsprachlicher Ebene: audivtives Wortverständnis und Nachsprechen, 2. auf schriftsprachlicher Ebene: optisch-lexisches Wortverständnis (rezeptives Lesen) und expressives Lesen. Dabei studierten wir: 1. die wechselseitigen Beziehungen zwischen Sprachverstehen und Sprachreproduktion einerseits auf lautsprachlicher, andererseits auf schriftsprachlicher Ebene. Es wurden demnach verglichen: 1.1 die Leistungen des auditiven Verstehens vorgesprochener Wörter mit den Leistungen des Nachsprechens dieser Wörter; 1.2 die Leistungen des lexischen Verstehens optisch gebotener Wörter (rezeptives Lesen) mit den Leistungen des Lautlesens dieser Wörter (expressives Lesen); 2. die wechselseitigen Beziehungen zwischen lautsprachlicher und schriftsprachlicher Ebene, d. h. wir verglichen: 2.1 das lexische Verstehen optisch gebotener Wörter mit dem anschließenden auditiven Verstehen der entsprechenden vorgesprochenen Wörter; 2.2 und unigekehrt. Zur quantitativen Bestimmung der Anteile der von uns untersuchten Funktionen und ihrer Komponenten am Zustandekommen der geforderten sprachlichen Leistungen stützten wir uns auf spezielle methodische Prinzipien : 1. sukzessiver Ausschluß bzw. Freigabe einzelner Funktionen und Komponenten ; 2. sukzessive Koppelung der Leistungen bestimmter laut- und schriftsprachlicher Funktionen und Komponenten. Zur statistischen Beurteilung der mit den genannten Methoden erzielten Versuchsergebnisse bedienten wir uns eines besonderen Verfahrens (s. S. 457 und S. 471). Bei dem vcrgleichsweisen Studium der beiden genannten Funktionskonstellationen verwendeten wir einen methodischen Kunstgriff, indem wir 2 Zum Unterschied v o n „lautsprachlich" (Verstehen und Reproduzieren gesprochener Sprache sowie das willkürliche Sprechen) verwenden wir hier den Terminus „schriftsprachlich" im Sinn v o n rezeptivem Lesen (Leseverständnis), v o n expressivem (Laut-)Lesen sowie v o n den verschiedenen A r t e n des Schreibens (Abschreiben, Diktatschreiben, willkürliches Schreiben usw.).
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zwei unterschiedliche aphasische Syndrome „mit umgekehrtem Vorzeichen" auswählten: bei dem einen Syndrom handelt es sich um die Störung des auditiven Sprachverstehens bei intaktem rezeptivem Lesen, bei dem anderen Syndrom urn die Beeinträchtigung des rezeptiven Lesens bei ungestörtem auditivem Sprachverstehen. Weiterhin war in dem erstgenannten Fall außer dem Verstehen vorgesprochener Wörter auch das Nachsprechen gestört, während im zweiten Fall nicht nur das Verstehen gelesener Wörter, sondern auch das Lautlesen betroffen war (s. Tab. I). Tabelle I. I n t a k t e und gestörte Sprachfunktionen bei Fall 1 und Fall 2 intakt
gestört
Funktionen
W o r t v e r s t ä n dnis
Wortverständnis
Wortreproduktion
Fall 1
optisch-lexisch (rezeptives Lesen)
auditiv
Nachsprechen
Fall 2
auditiv
optis ch-lexis ch (rezeptives Lesen)
Lautlesen (expressives Lesen)
Um die eben beschriebene Form der Funktions- und Komponentenanalyse realisieren zu können, entschieden wir uns für 2 Aphatiker aus unserem Krankenbestand, die die von uns gestellten Bedingungen erfüllten. Es k a m uns darauf an, an diesen beiden Modellfällen die Brauchbarkeit unserer Methode zu demonstrieren. Die nicht geringe Anzahl von insgesamt 1200 Einzelversuchen erlaubte es uns, statistisch signifikante inter- und intraindividuelle Auswertungen der erzielten fclrgebnisse durchzuführen. Bei Fall 1 beobachteten wir zusätzlich, daß sich seine auditiven Wortverständnisleistungen signifikant in Abhängigkeit von der Zuhilfenahme der Labiolexie veränderten. Dies veranlaßte uns, bei ihm auch diese Stützfunktion in unsere Untersuchungen einzubeziehen. II. Krankengeschichten Fall 1 (Pat. Me. J . ) : Ehemaliger Angestellter, pensioniert, geb. 1 9 1 0 , erste Krankenhausaufnahme 1 9 6 5 wegen myokardischem Infarkt, gefolgt v o n einer kortikalen Embolie und Diabetes mellitus, apraktischen, optisch-agnostischen und sensorisch-aphasischen Störungen. Drei Monate später auf unseren Wunsch A u f n a h m e in der Nervenklinik der HumboldtUniversität Berlin (Charité). Neurologisch: o. B. E E G : unregelmäßiges bis leicht verändertes Hirnstrombild links temporo-basal bis okzipital, vorwiegend subkortikal. Aphasiologische Untersuchung: 1. S p r a c h e : 1.1. Sprachwahrnehmung und Verstehen. 1. 1.1. lautsprachlich: Reintonaudiogramm n o r m a l ; schwere Beeinträchtigungen des Erfassens und der semantischen Dekodierung auditiv perzipierter Sprachsignale, die jedocli mit Hilfe des Verfolgens der sichtbaren A r t i k u l a t i o n des Sprechers (Labiolexie) bis zu einem gewissen
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Grade kompensiert werden können. Ohne diese Kompensation ist sowohl die Perzeption einzelner Laute und Lautverbindungen, vor allem von Konsonanten, als auch von Lautstrukturen (Wörter und Sätze) stark betroffen. Ahnliche Phoneme werden verwechselt, ebenso wie Lautstrukturen, die der Patient insbesondere auf Grund der vorkommenden Vokale vergleicht (daher Verwechslung von Schwanz-Wand, Brust-Wurst, Propf-KropfKopf, rennen-retten usw. oder bei sinnfreien Lautstrukturen: Tirkel-Tiste, Roof-Hoor usw.) ; das Satzverständnis ist gleichfalls schwer behindert (rezeptiver auditiver Agrammatismus), obwohl das Erfassen von Satzstruktureii unter den Bedingungen der Labiolexie weitgehend erhalten ist. — 1.1.2. schriftsprachlich: Erkennen von Buchstaben, Wort- und Satzverständnis intakt. — 1.2. Sprachreproduktion: 1.2.1. lautsprachlich: Nachsprechen (ohne Labiolexie) und Benennen aufgehoben oder literal- und verbalparaphasisch. — 1.2.2. schriftsprachlich: expressives Lesen nicht möglich; Abschreiben: intakt (jedoch nur in Segmenten); Diktatschreiben: aufgehoben bzw. schwer paragraphisch (dabei Worttaubheit partiell kompensierbar durch Labiolexie). — 1. 3. Sprachproduktion: 1.3.1. lautsprachlich: Spontansprechen, dialogisiertes und Reihensprechen aufgehoben bzw. paraphasisch, zusätzlich Wortfindungsstörungen. — Sonstige Funktionen: Gnosie: optisch, auditiv und taktil völlig restituiert. — Praxie: leichte Gesichts- und pantomimische Apraxie. — Räumliche und zeitliche Orientierung: intakt. — Zeichnen: Diktat- und Abzeichnen intakt. — Denkoperationen: Rechnen: Zählen und einfache Operationen intakt (mit Stäbchen) ebenso wie schriftliches Lösen einfacher Aufgaben; Kopfrechnen: wegen verbo-rezeptiver und expressiver Störungen nicht möglich; Erkennen von Operationszeichen partiell gestört. Abstraktion bei Farb-Formordnen stark reduziert, sonst Logik, soweit prüfbar, intakt. — Gedächtnis: unmittelbares Behalten schwer gestört; Langzeitgedächtnis intakt (soweit prüfbar). — Diagnose : partiell restituierte sensorische Aphasie mit expressiver Alexie, totaler Agrapliie des Diktat- und Spontanschreibens; Störungen der Abstraktionsfähigkeit, und des Kurzzeitgedächtnisses. Fall 2 (Pat. Gre. P.): Erlernter Beruf Kürschner, später Elektrotechniker, geb. 1942. Infolge Mitralstenose IL—IV. mit Mitralinsuffizienz 1964 eine Hirnembolie mit nachfolgender spastischer Hemiparese rechts sowie schwere motorische Aphasie, Alexie und Agraphie. Nach der ersten Krankenhausaufnahme 1964/1965 im Klinikum Berlin-Buch, Uberführung in die Erste Medizinische Klinik der Humboldt-Universität Berlin (Charité) und temporäre stationäre Behandlung in der Nervenklinik der Humboldt-Universität Berlin (Charité) bis zum Exitus des Patienten 1968. — Neurologisch: spastische Hemiparese rechts, Steigerung der Eigenreflexe am rechten Arm, Trömner- und Knipsreflex rechts positiv, am Rumpf BDR rechts nicht auslösbar; untere Extremitäten : P S R und A S R rechts lebhafter als links, Babinski-, Oppenheim-, Rossolimo-, Mendel-, Bechterew-Reflexe rechts positiv. EEG: links-hemisphärielle Schädigung, besonders temporo-basal. — Nekrologischer R e f u n d 3 : makroskopisch sichtbare Gewebsveränderungen im Sinne eines ausgedehnten Erweichungsherdes links-frontal (Broca) und parietal-inferior, weniger temporal. Aphasiologische Untersuchung: 1. Sprache: 1.1. Sprachwahrnehmung und Verstehen. 1.1.1. lautsprachlich : Erfassen, Differenzieren und Wiedererkennen einzelner Laute und Lautverbindungen intakt ebenso wie die Perzeption und die semantische Dekodierung einfacher Lautstrukturen (Wörter und Sätze), aber Verständnisstörungen und rezeptiver Agrammatismus bei komplizierteren Wörtern und syntaktischen Zusammenhängen. — 3 Wir danken Herrn Prof. Dr. med. habil. H. SCHULZE, Nervenklinik der HumboldtL'niversität Berlin (Charité), für die Erhebung und die Mitteilung des obigen Befundes.
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1.1.2. schriftsprachlich: leichte rezeptive literale und schwere verbale und Satzalexie. Einzelbuchstaben werden optisch korrekt identifiziert (Zuordnen schriftidentischer und schriftverschiedener Buchstaben) mit Ausnahme von x, y, z und einigen forinähnlichen Schriftsymbolen; beim Zeigen genannter Buchstaben sporadische Verwechslungen (z. B. I) statt E, I statt L, V statt "Y). Das optische Erfassen und Wiedererkennen sowie die Differenzierung schriftähnlicher grapheinischer Strukturen (sinnfreie Wörter) bei ein- bis zweisilbigen Wörtern möglich (keine vorwiegend optisch-gnostische Beeinträchtigung), darüberhinaus jedoch gestört bzw. aufgehoben. Das rezeptive Lesen sinnvoller Wörter war schwer gestört, d. h. der Patient versagte dabei zum großen Teil vollkommen oder verwechselte schriftbildähnliche Wörter (z. B. Schilf-Schiff, Dose-Rose, Linoleum-Limonade): beim rezeptiven Satzlesen versuchte der Patient gewöhnlich vergeblich, die Bedeutung einzelner Wörter zu erfassen und daraus auf den Sinn des Ganzen zu schließen (rezeptiver lexischer Agrammatisnius). — 1.2. Sprachreproduktion: 1.2.1. lautsprachlich: (Patient bediente sich des Abiesens von den Lippenbewegungen des Sprechers nicht) Nachsprechen von Einzelphonemen fast intakt, bei Wörtern nur in bezug auf ein- bis dreisilbige Lautstrukturen partiell möglich (Literalparaphasien: Schul statt Flur, Piauch statt Strauch), außerdem, vor allem bei komplizierteren Komposita mnestische Schwierigkeiten (Haushaltsgerät — Ilaushaltsge . . ., Molkereierzeugnis — Molkerei, Schneiderartikel — Schneiderab . . .), dasselbe bei Sätzen. Benennen von Objekten und Tätigkeiten partiell beeinträchtigt, von Farbennamen total aufgehoben. — 1.2.2. schriftsprachlich: expressives Lesen: Buchstabenbenennen nahezu aufgehoben: lautsprachliche Reproduktion von schriftlich gebotenen Wörtern schwer gestört; in der relativ geringen Anzahl von Fällen, in denen ein Wort verstanden wurde, kam es dennoch selten zum korrekten Lautlesen, meist versagte Patient vollkommen oder er las paralexisch, und zwar entweder phonetisclx-paraphasisch (Akabei statt Papagei, Karozel statt Drossel, Etefan statt Elefant) oder semantischverbal-paraphasisch auf Grund von Verwechslungen schriftbildähnlicher Wörter (z. B. Fliege'statt Filz, Wurst statt Wurzel, Flasche statt Flachs, Silber statt Sirene) oder in Form von semantischen Deviationen (Feldverlesungen: Strumpf statt Perlon, Boot statt Hafen, Baum statt Tanne, Horner statt Stier). Expressives Satzlesen total aufgehoben. — Abschreiben von Buchstaben und Wörtern intakt, ebenso Nachlegen aus Einzelbuchstaben. Diktatschreiben: nicht möglieh. -- 1.3. Sprachproduktion: 1.3.1. lautsprachlich: Spontansprechen und dialogisiertes Sprechen: Telegrammstil mit phonetischen Paraphasien. — 1.3.2. schriftsprachlich: Spontanschreiben: nicht möglich. — Sonstige Funktionen: Gnosie: optisch, taktil und akustisch intakt. — Praxie: intakt mit Ausnahme leichter Unsicherheiten bei der Reproduktion mimischer Bewegungen (angedeutete Gesichtsapraxie). — Räumlichzeitliche Orientierung: intakt. — Zeichnen: intakt. — Denkoperationen : keine Akalkulie. Beeinträchtigungen des Klassifizierens und Ordnens. — Gedächtnis: Langzeitspeicherung, soweit prüfbar, i n t a k t ; unmittelbares Behalten sowohl verbo-akustisch als auch verbo-optisch und optisch-gegenständlich stark reduziert. — Diagnose: schwere efferent motorische (innervatorische) Aphasie mit afferent motorischen (ideokinetisehen) Elementen 4 sowie Alexie (rezeptiv und expressiv) und Agraphie (Spontan- und Diktatschreiben); Störungen der Abstraktionsfähigkeit und des Kurzzeitgedächtnisses. 4 Die Klassifizierung von efferent und afferent-motorischer bzw. innervatorischer und ideokinetisclier Aphasie verwenden wir im Sinn Lueias (1970) Leonhards (1954) und Schulzes (1965).
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Methodologie: Yersuchsplanung. Ergebnisse 5 A. Yariantenreihe I 1.
Zielstellung
Die quantitative Bestimmung der von gungen untersuchten verbo-rezeptiven beider Patienten soll die Feststellung der kommen dieser Leistungen effektiv oder der gestörten Funktionen ermöglichen. 2.
uns unter variierten Versuchsbedinund vcrbo-expressiven Leistungen Anteile der einzelnen, am Zustandepotentiell beteiligten Komponenten
K o m p o n e n t e n der F u n k t i o n e n des g e s t ö r t e n s t ä n d n i s s e s und der W o r t r e p r o d u k t i o n 2.1. Prä-artikulatorische6
verbo-rezeptive
Wortver-
Hauptkomponenten
Bei den Prozessen der Wahrnehmung und des Verstehens auditiv oder optisch gebotener Wörter unterscheiden wir „Hauptkomponenten" und „Begleitkomponenten". Als Hauptkomponenten bezeichnen wir jene innersprachlichen Vorgänge, die das Erfassen eines gehörten oder gelesenen Worts und dessen Zuordnung zu der entsprechenden Wortbedeutung gewährleisten. Diese Hauptkomponenten — zum Unterschied von ihren latent-artikulatorischen Begleitkomponenten (s. 2.2.) — realisieren die laut- und schriftsprachliche Wahrnehmung und deren semantische Dekodierung auf prä-artikulatorischer Ebene, d. h. ohne unmittelbare Inanspruchnahme des Sprechapparats selbst. Im Hinblick auf das auditive Wortverständnis sprechen wir von der „verboauditiven" Hauptkomponente (A), die clas Hören vorgesprochener Wörter, und in bezug auf das lexische Wortverständnis von der „verbo-optischen" Hauptkomponente (R), die das rezeptive (stumme) Lesen schriftlich gebotener Wörter betrifft. s
Ein Teil der hier ausführlich dargelegten Untersuchungen und deren Ergebnisse wurden
i n a n d e r e m Z u s a m m e n h a n g m i t g e t e i l t i n : BÖTTCHER, METZE u n d I . W E I G L ( 1 9 6 9 ) u n d E . WEIGL ( 1 9 6 9 b ) . 6 Wir fassen unter dem Begriff „prä-artikulatorisch" jene innersprachlichen Vorgänge zusammen, die in phonologischer oder graphematischer Hinsicht bereits eindeutig strukturiert sind (z. B. beim inneren Hören oder Lesen sprachlicher Gegebenheiten, bei der Konzeption sprachlicher Mitteilungen usw.), ohne daß dabei nachweisbare, spezifische Sprechbewegungen innerviert werden (s. S. 452 f.). Wir bezeichnen diese perzeptiven und konzeptionellen Vorgänge als „prä-artikulatorisch", da sie zum Unterschied von kognitiven Prozessen, die keine Laut- und Schriftstrukturen zum Inhalt haben, sozusagen ein potentielles Vorstadium der latenten oder manifesten Artikulation darstellen.
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Bei Fall 1 haben wir es außer der Funktion des Verstehens vorgesprochener Wörter zusätzlich mit der für diesen Pat. bedeutsamen Stützfunktion des Absehens von den sichtbaren Artikulationsbewegungen des Vis zu tun. Den Vorgang des optischen Erfassens dieser Artikulationsbewegungen bezeichnen wir als „labio-lexische" Hauptkomponente (L). Somit beziehen sich die Untersuchungen der Variantenreihe I auf die folgenden Haupt- bzw. Stützkomponenten (s. T a b . I I ) verbo-auditive Hauptkomponente A des Worthörens (Fall 1) labio-lexische Stützkomponente L des Absehens (Fall 1) verbo-optische Hauptkomponente R des rezeptiven Wortlesens (Fall 2). Tabelle I I . F u n k t i o n s - und K o m p o n e n t e n a n a l y s e der Y a r i a t e n r e i h e I
Fall 1
auditives W o r t v e r s t ä n d n i s Funktionen
Worthören
H a u p t - bzw.
v e r b o - a u d i t i v (A)
Fall 2
Haupt-
Nachsprechen
optisch-lexiscli (L)i
manifest artikula-
latent-artikula-
latent-artikula-
torisch (N)
torisch ( a ) 2
torisch ( l ) 5
Stützkomponenten Begleilkomponenten
Labiolexie1)
lexisches W o r t Verständnis
expressives
(rezeptives Lesen)
Wortlesen
verbo-optisch-lexiscl > ( R )
komponeuten latent-artikulatorisch (r)2
Begleilkomponenten 1
a u s s c h a l t b a r durch Abdecken des Mundbildes des Vis
2
a u s s c h a l t b a r durch Blasen
manifestartikulatorisch (E)
Zur Bestimmung des Anteils der genannten Hauptkomponenten am Zustandekommen des sinngemäßen Erfassens des betreffenden vorgesprochenen (Fall 1) bzw. gelesenen (Fall 2) Worts wurden in der vorliegenden Untersuchung Verfahren angewendet, auf die wir später eingehen (s. S . 452ff.).
2.2. Latent-artikulatorische
Begleitkomponenten
Wie zahlreiche Autoren objektiv, vor allem mit Hilfe elektromyographischer Methoden nachgewiesen haben (vgl. die einschlägige Literatur bei SOKOLOW, 1968), können mit der laut- und schriftsprachlichen Wahrnehmung unter bestimmten Umständen latente Sprechbewegungen einhergehen, deren
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verbo-kinästhetische Rückkopplungen eine gewisse Rolle für das Erfassen verbo-auditiver und verbo-optischer (lexischer) Mitteilungen zu spielen vermögen. Diese Mikrobewegungen bezeichnen wir als latent-artikulatorische, innersprachliche Begleitkomponenten. Die verschiedenen latent-artikulatorischen Komponenten, die das Worthören und das rezeptive Lesen begleiten können, besitzen ihre eigenen Charakteristiken: während bei der lautsprachlichen Wahrnehmung die limkodierung in latente Sprechbewegungen von der phonetisch-phonemischen Ebene her erfolgt, werden beim rezeptiven Lesen graphemische in latentartikulatorische Muster umkodiert. Auch das Absehen von den sichtbaren Artikulationsbewegungen des Sprechers kann beim Hörer latent-artikulatorische Mitbewegungen auslösen. Daher unterscheiden wir eine optisch labio-lexische Hauptkomponente (L) und eine latent-artikulatorische Begleitkomponente (1). Unsere Untersuchungen haben somit folgende latent-artikulatorischen Begleitkomponenten zum Gegenstand (s. Tab. II): des Worthörens a (Eall 1) des Absehens von den sichtbaren Artikulationsbewegungen des Sprechers 1 (Fall 1) des rezeptiven Wortlesens r (Fall 2). Die Feststellung des gesonderten Anteils jeder dieser Begleitkomponenten am Zustandekommen des auditiven und des lexischen Wortverständnisses sowie des Absehens geschieht mit Hilfe der unter 3. mitgeteilten Ausschlußverfahren.
2.3.
Verbo-expressive,
manifesl-artikulatorische
Komponenten
Im Anschluß an die verbo-rezeptiven Funktionen des Worthörens und rezeptiven Wortlesens prüften wir die ebenfalls gestörten verbo-expressiven Funktionen des Nachsprechens und Lautlesens. Auf diese Weise hatten wir im Falle der beiden Patienten die Möglichkeit, die Beziehungen zwischen lautbzw. schriftsprachlicher Wahrnehmung und Reproduktion quantitativ zu bestimmen. Bei Fall 1 konnten wir außerdem den Einfluß des optischen Erfassens sichtbarer Artikulationsbewegungen auf das Nachsprechen untersuchen. Durch das nachfolgend beschriebene Verfahren zur Ermittlung des Anteils der verschiedenen latent-artikulatorischen Begleitkomponenten gelang es uns, auch die Beziehungen zwischen diesen und den ihnen entsprechenden manifest-artikulatorischen Komponenten festzustellen.
452
Z. Psyehol. Bd. 179 (1971) H. 4
3. V e r f a h r e n z u r U n t e r s u c h u n g der e i n z e l n e n K o m p o n e n t e n Wie aus Tabelle I I I und V hervorgeht, stellten wir uns einerseits die Aufgabe, die genannten Hauptkomponenten (A bei Fall 1, R bei Fall 2) sowie die optische Komponente L der Labiolexie (bei Fall 1) in ihrer Wirkungsweise gesondert, d. h. unter Ausschluß ihrer latent-artikulatorischen Begleitkomponenten zu prüfen und andererseits, indem wir diese Begleitkomponenten (a und 1 bei Fall 1, r bei Fall 2) freigaben, auf dem Vergleichswege Aufschlüsse über deren Wirkungsweise zu erhalten. Außerdem legten wir uns die Frage vor, ob sich die Leistungen der manifesten Artikulation beim Nachsprechen (Fall 1) und Lautlesen (Fall 2) verändern, wenn zuvor bei der Sprachaufnahme die latente Artikulation ausgeschaltet oder freigegeben wurde. Welchen Anteil haben unter diesen Bedingungen die Haupt- und Begleitkomponenten am Zustandekommen der betreffenden manifest-artikulatorischen Leistungen? Tabelle I I I . Überblick über den Versuchsplan zur Variantenreilic I ; Fall 1 Zu untersuchende Einzelkomponenten des Worthörens
Ausschaltung und Freigabe Absehbild latente Artikulation
Versuchsvarianten I—1.4 1 —1.3
1 —1.2 1 —1.1
Nachsprechen
Yersuchsvarianlen Hauptkoniponente des Worthörens latcnt-artikulatorische Begleitkomponente des Worthörens optische Komponente Labiolexie latcnt-artikulatorische Begleitkomponente der Labiolexie
(A) verdeckt
ausgeschaltet durch Blasen
(a) verdeckt.
(L) sichtbar (1) sichtbar
1 - 2 . 4 (N),/(A) 1 - 2 . 3 (N)/(a)
ausgeschaltet durch Blasen freigegeben
1-2.2
(N)/(L)
1 - 2 . 1 (N)/(l)
3.1. Verfahren zur mechanischen Ausschaltung der latent-artikulatorischen Begleitkomponenten des Worthörens (Fall 1) und des rezeptiven Wortlesens (Fall 2) In seiner Arbeit „Die Bedeutung der afferenten, verbo-kinästhetischen Erregungen des Sprachapparats für die expressiven und rezeptiven Sprachvorgänge bei Normalen und Sprachgestörten" berichtete WEIGL (1964) über
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453
verschiedene Verfahren zum Ausschluß latenter Sprechbewegungen 7 . Auf direktem mechanischem Wege wurden solche Bewegungen von S O K O L O W ( 1 9 6 8 ) bei normalen Erwachsenen und Kindern, von N A S A H O W A ( 1 9 5 2 ) sowie K A D O T S C H K I N ( 1 9 5 5 ) bei normalen Schulkindern, von L U K I A ( 1 9 5 0 , 1 9 6 3 ) , B L I N K O W ( 1 9 4 8 ) sowie von W E I G L und F R A D I S ( 1 9 5 9 ) bei Aphatikern entweder durch Festhalten der Zunge zwischen den Zähnen oder durch Oflenhalhalten des Mundes bei leicht vorgestreckter Zunge erschwert oder verhindert. Von W E I G L ( 1 9 6 2 , 1 9 6 4 ) wurde außerdem ein anderes mechanisches Ausschlußverfahren entwickelt und bei normalen Erwachsenen, Aphatikern und im Falle kongenitaler Gehörlosigkeit angewendet. Dieses Verfahren, das auch in der vorliegenden Untersuchung dem Ausschluß latenter Sprechbewegungen diente, besteht darin, daß die Vp während des Hörens oder Lesens sprachlicher Mitteilungen durch kräftiges Blasen in ein Glasröhrchen — mit konstant aufgeblähten Backen — eine Flüssigkeitssäule während einer bestimmten Zeitdauer auf ein vorgeschriebenes Niveau zu heben hat. Auf diese Weise werden die zur Bildung der Sprachlaute erforderlichen latenten Sprechmuskel- und Atembewegungen „blockiert". Obwohl dieses Verfahren die vom Kortex ausgehenden eflerenten Sprachimpulse nicht ausschließt, kann es bei der Vp infolge der Blockierungen der latenten Sprechbewegungen nicht zu einer reaflerenten, verbo-kinästhetischen Rückkoppelung, d. h. zu einer Verifizierung der intendierten artikulatorischen Bewegungen kommen. Die Ergebnisse der Anwendung des genannten Verfahrens faßte W E I G L dahin zusammen: „Die Frage, ob unter den Bedingungen einer so radikalen, zeitweisen Blockierung der vom Sprachapparat ausgesendeten verbo-kinästhetischen, reaflerenten Erregungen bei Normalen und Sprachgestörten (Aphatikern und Gehörlosen) rezeptive Sprach- und Denkvorgänge überhaupt möglich sind, wird auf Grund einer Reihe von Experimenten positiv beantwortet. Mit anderen Worten, es gelang den Normalen, auch während des Blasens gehörte und gelesene Wörter und Sätze zu verstehen und nachträglich nachzusprechen. Dasselbe gilt für die Aphatiker, die — in den Grenzen der bei ihnen noch intakten rezeptiven und expressiven Sprachfunktionen — trotz der temporären Ausschaltung des für sie besonders wichtigen verbo-kinästhetischen Analysators ebenfalls positive Ergebnisse aufzuweisen hatten". (S. 87) In der vorliegenden Untersuchung verfolgte die Anwendung des genannten Ausschlußverfahrens das Ziel, mit seiner Hilfe eine experimentelle Funk(1964)
7
Verfahren zur elektromyographischen Registrierung latenter Spreehbewegungen wur-
d e n u. a. v o n JUSSBWITSCH ( 1 9 5 4 ) , BASSIN u n d BEIN ( 1 9 5 7 ) , K R Y S C H O W A
und K R O L I K O W S K A Feedbackprozesse wurden von CHBSNI
( I 9 6 0 ) , HERMANN
(1961) (1968)
u n d SCHTEINGART
entwickelt. Messungen verbo-kinästhetischer durchgeführt.
454
Z. Psychol. Bd. 179 (1971) H. 4
tions- und Komponentenanalyse bestimmter gestörter Sprachverwendungsformen durchzuführen. ,
3.2. Verfahren zur Untersuchung der labio-lexischen
Stützfunktion
Bei Fall 1 hatten wir, wie bemerkt, die Möglichkeit, das Absehen von den sichtbaren Artikulationsbewegungen des Sprechers während des Worthörens in unsere Funktions- und Komponentenanalyse einzubeziehen. Dabei kam es uns darauf an (s. Tab. III), einerseits den Einfluß der optischen labio-lexischen Stützkomponente (L) und andererseits ihrer latent -artikulatorischen Begleikomponente (1) auf die Leistungen des auditiven Wortverständnisses (A) und des Nachsprechens (N) zu bestimmen. Die Analyse der Wirkungsweise dieser Komponenten scheint uns um so wichtiger, als bisher — vor allem bei Aphatikern — darüber noch sehr wenig bekannt ist. 8 Zur Bestimmung der Rolle der labio-lexischen Komponenten bedienten wir uns wiederum des Prinzips der Ausschaltung und der Freigabe. Zu diesem Zweck wurden dem Patienten einmal die Wörter hinter einem Pappschirm vorgesprochen, so daß er ausschließlich auf die akustische Sprachwahrnehmung angewiesen war; in anderen Versuchsvarianten hatte der Patient die Möglichkeit, die Artikulationsbegungen des Vis während des Vorsprechens von Wörtern optisch wahrzunehmen 9 . Die gesonderte Bestimmung des Anteils der latent-artikulatorischen Begleitkomponente (1) der Labiolexie führten wir mit Hilfe des genannten Blas8 I.TTBIA (1963) fand, daß sich das Verstehen vorgesprochener Wörter bei sensorischer Aphasie unter den Bedingungen der Zuhilfenahme des Absehens von den sichtbaren Artikulationsbewegungen des Sprechers bis auf 100°/0 steigern läßt, ein Befund, den wir auch bei dem von uns beschriebenen Fall 1 weitgehend bestätigen konnten (s. S. 460). Auch BELTJUKOW (1967) weist auf die Notwendigkeit hin, labio-lexische Untersuchungen bei sensorischer Aphasie durchzuführen, um Fragen der Wechselwirkung zwischen den optischen, akustischen und sprachmotorischen Analysatoren präziser beantworten zu können. WEIGL und BIERWISCH (1970) warfen das Problem der Beziehungen zwischen den optisch wahrgenommenen Artikulationsbewegungen und den akustisch perzipierten phonemischen Strukturen auf. Sie halten in dieser Hinsicht zwei unterschiedliche Annahmen für möglich. Entweder bilden die absehbaren Artikulationsbewegungen „autonome kinemische Strukturen" (die Bezeichnung „Kineme" wird von ALICH (1960) für jene, in bestimmter Reihenfolge ablaufenden, optisch wahrnehmbaren artikulatorischen Bewegungsbilder verwendet, die lautsprachlichen Segmenten entsprechen) oder sie stellen lediglich diskontinuierlich wirkende optische Schlüsselreize dar, die in enger Zusammenarbeit mit den beim Hörer gleichzeitig auftretenden Mitbewegungen bestimmte Störungen auf verbo-akustischer Ebene zu kompensieren vermögen (s. S. 9). 9 Das Vorsprechen hinter dem Pappschirm erfolgte selbstverständlich bei einer Lautstärke, die dem Patienten das normale akustische Erfassen ermöglichte.
E . WEIGL U. Mitarb., Funktionen und Komponenten sprachfunktionaler Teilsysteme
455
Verfahrens durch. Bei einer Variante (s. T a b . I I I ) schalteten wir durch Blasen die Iatent-artikulatorische Begleitkomponente (1) während des Absehens aus, bei einer anderen gaben wir sie frei, d. h., der P a t . mußte während des Worthörens und Absehens nicht blasen. Der Vergleich der Ergebnisse dieser beiden Varianten bildete die Grundlage für die getrennte Bestimmung der Wirkungsweise der Komponenten L und 1. Außerdem prüften wir die Leistungen des Nachsprechens des Kranken unter den beiden eben genannten Bedingungen; auf diese Weise konnten wir den Einfluß der Stütz- und Begleitkomponente der Labiolexie auf die manifest-artikulatorischen Leistungen des Patienten ermitteln.
4. D u r c h f ü h r u n g d e r V e r s u c h e . M e t h o d e n d e r s t a t i s t i s c h e n u r t e i l u n g der V e r s u c h s e r g e b n i s s e . R e s u l t a t e 4.1. Durchführung
Be-
der Versuche bei Fall 1
E s wurde ein Wortmaterial von etwa 190 Substantiven (ein- bis fünfsilbige Konkreta) zur Prüfung des auditiven Wortverständnisses und des Nachsprechens verwendet 1 0 . Beim Worthören und bei dem sich anschließenden Nachsprechen wurden stets dieselben Wörter geprüft. Die absolute Anzahl der Einzelversuche, die den Berechnungen zugrundeliegen, schwankte bei den verschiedenen Versuchsvarianten zwischen 189 und 8 8 Wörtern. Dem Patienten wurde jeweils ein bestimmtes Wort vorgesprochen; er h a t t e sich zu vergewissern, ob er es verstehe; dann mußte er dieses Wort nachsprechen und schließlich dessen Bedeutung erklären. Da die Spontansprache dieses Patienten abgesehen von häufigen Paraphasien und Wortfindungsstörungen soweit intakt war, daß er sich verständlich machen konnte, waren wir in der Lage, sein Bedeutungserfassen bei jedem einzelnen vorgesprochenen Wort genau festzustellen. In den Fällen, in denen 10 Obwohl das auditive bzw. lexische Wortverständnis beider Patienten auf abstrakter wesentlich stärker als auf konkret gegenständlicher Ebene gestört war und daher zum Nachweis der von uns experimentell bewirkten Veränderungen der Leistungen des Sprachverstehens geeigneter gewesen wäre, beschränkten wir uns dennoch auf die ausschließliche Verwendung von Konkreta, da die, Kontrolle des Bedeutungserfassens in diesem Fall leichter und zuverlässiger ist. Im Hinblick auf diese Konkrcta ergaben unsere Vorversuche, daß das auditive und lexische Wortverständnis sowie das Nachsprechen und Lautlesen beider Patienten weitgehend unabhängig von Wortinhalt und Wortfrequenz war. Die Unterschiedlichkeit der Anzahl der jeweils durchgeführten Einzelexperimente (Wörter) erklärt, sich aus versuchstechnischen Gründen. So mußten wir z. B. bei der Anwendung des Blasverfahrens die Versuchszahl stark reduzieren, um die Patienten physisch nicht zu sehr zu belasten.
456
Z. Psychol. Bd. 179 (1971) H. 4
der Patient bei der Worterklärung die erwähnten Schwierigkeiten hatte, half er sich entweder mit Umschreibungen (z. B. bei dem Wort „Lotto": „Wenn ich Geld kriegen könnte . . ."; „Brautleute": „Wenn zwei zusammen gehn.") oder mit beschreibenden Gesten (z. B. bei „Koch" deutete der Patient die typische Kochmütze an; bei „Brillantine" zeigte er auf sein Haar). Im übrigen gab er regelmäßig an, wenn er die Bedeutung eines Worts gar nicht oder ungenau verstand. Er war in dieser Hinsicht sehr gewissenhaft und selbstkritisch. Varianten 1-1.4 und 1-2.4: bei verdecktem Absehbild, mit Blasen: Während das betreifende Wort hinter dem Pappschirm vorgesprochen wurde, hatte der Patient zu blasen; nach Absetzen des Blasröhrchens mußte er das Wort nachsprechen und dessen Bedeutung wiedergeben. Diese Varianten dienen zur Bestimmung des Anteils der Hauptkomponente des auditiven Wortverständnisses (A) und ihres Einflusses auf das anschliessende Nachsprechen (N). Ausgeschaltet sind dabei die gesamte Labiolexie (L und 1) sowie die latent-artikulatorische Begleitkomponentc des Worthörens (a). Varianten 1-1.3 und 1-2.3: bei verdecktem Absehbild, ohne Blasen: Der VI sprach dem Kranken hinter einem Pappschirm je ein Wort vor und ließ dieses dann nachsprechen und dessen Bedeutung erklären. Hierbei sollte der Anteil der latent-artikulatorischen Begleitkomponente des Worthörens (a) und deren Einfluß auf das anschließende Nachsprechen (N) festgestellt werden. Ausgeschlossen war in diesem Fall die Labiolexie (L und 1). Varianten 1-1.2 und 1-2.2: bei sichtbarem Absehbild, mit Blasen: Während dem Pat. die Wörter vorgesprochen wurden, hatte er das Blasgerät zu betätigen und nach Absetzen des Röhrchens das gehörte Wort nachzusprechen und dessen Bedeutung zu erklären. Die unter diesen Bedingungen durchgeführten Untersuchungen galten der Ermittlung des Anteils der optischen Komponente der Labiolexie (L) am Wortverstehen und Nachsprechen. Ausgeschlossen waren sowohl die latentartikulatorische Begleitkomponente des Worthörens (a) als auch die des Absehens (1). Varianten 1-1.1 und 1-2.1: bei sichtbarem Absehbild, ohne Blasen, d. h., es wurden keinerlei Ausschlußverfahren angewendet; der Pat. konnte sowohl die sichtbaren Artikulationsbewegungen des Vis wahrnehmen als auch während des Worthörens und des Absehens selbst Artikulationsbewegungen innersprachlich vollziehen. Der Vergleich der Varianten 1-1.1 und 1-2.1 mit den Varianten 1-1.2 und 1-2.2 ermöglicht durch Extrapolation, den Anteil der latent-artikulatorischen Begleitkomponente des Absehens (1) in bezug auf das Wortverstehen und das Nachsprechen zu bestimmen.
E . WBIGL U. Mitarb., F u n k t i o n e n und Komponenten sprachfunktionaler Teilsysteme
4. 2 Methoden
der statistischen
Beurteilung
der Ergehnisse
457
bei Fall 1 und 2
Zum Vergleich der mit Hilfe der von uns verwendeten Methodik erzielten Ergebnisse bedienten wir uns eines speziellen Verfahrens, das eine statistische Beurteilung der Wirkungsweise der innerhalb der einzelnen Varianten untersuchten Komponenten und Komponentenkomplexe gestattet. Der Vergleich wird von der Wirkungsseite, d. h. verhaltensseitig vorgenommen. Es werden die Wirkungsanteile analysiert, die die einzelnen Komponenten am Zustandekommen der Leistungen haben. Der statistische Vergleich soll nur nachweisen, ob der Wirkungsanteil statistisch signifikant ist. Das Prinzip dieses Verfahrens beruht auf dem Vergleich je zweier unterschiedlicher Komponentenkomplexe (Varianten), von denen der eine mehr Komponenten als der andere enthält. Bei jeder Variante wird der prozentuelle Anteil an korrekten Antworthäufigkeiten ermittelt. Aus den sich aus dem Vergleich der Varianten ergebenden Differenzen läßt sich der prozentuelle Anteil von Antworthäufigkeiten, der durch die zusätzliche Mitwirkung der betreffenden Einzelkomponenten bzw. Komponentenkomplexe zustandekommt, bestimmen. Die aus diesen Differenzen nicht unmittelbar ersichtlichen Anteile bestimmter Begleitkomponenten werden extrapoliert (s. Tab. IV R 4 a und R 5 a sowie R 4 b und R 5 b ). Die angegebenen Prozentzahlen stellen jeweils die Prozenthäufigkeiten der korrekten Spontanantworten bei den verschiedenen Varianten der beiden Funktionsbereiche (auditives bzw. lexisches Wortverständnis sowie Nachsprechen bzw. Lautlesen) dar. Der Unterschied zwischen den Versuchsergebnissen je zweier Varianten wurde in beiden Funktionsbereichen nach einem von VAN DER WAERDEN (1957) beschriebenen, nicht-parametrischen Verfahren für den Vergleich zweier relativer Häufigkeiten geprüft. Die Werte der entsprechenden statistischen Prüfgröße sind in Spalte 5 eingetragen. Die entsprechende Signifikanzgrenze wurde einseitig für eine Irrtumswahrscheinlichkeit von a — 2 , 5 % bestimmt und beträgt durchgängige 2 — 3,87.
4.3. Versuchsergebnisse
bei Fall 1
Die in den Rubriken R l a und R l b (s. Tab. IV) angegebenen Prozenthäufigkeiten der korrekten Spontanantworten des Patienten haben wir für jede Variante zusätzlich noch in Form von Säulendiagrammen zur Veranschaulichung dargestellt (s. Abb. l a und 1b). Diese Diagramme geben zunächst ein Bild von den Auswirkungen der Verwendung des genannten methodischen 31
z. Psychologie 179/4
458
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Um unter den Bedingungen der Anwendung der Deblockierungsmethode zu Aussagen über die Veränderungen der Wirkungsweise der bereits im Rahmen der Variantenreihe 1 untersuchten Haupt- und Begleitkomponenten einerseits und über die Anteile der entsprechenden Haupt- und Begleitkomponenten der intakten Funktionen an diesen Leistungsveränderungen andererseits zu gelangen, bedienten wir uns wiederum der oben beschriebenen Ausschluß- und Freigabeverfahren (s. Tab. VII und Tab. IX). Dabei erhielten wir „Funktionsund Komponentenfolgen",
468
Z. Psychol. Bd. 179 ( 1 9 7 1 ) H. 'i
— bei denen ausschließlich die Hauptkomponenten sowohl der deblockierenden Funktionen als auch der zu deblockierenden Funktionen wirksam wurden; — bei denen gleichzeitig die Mitwirkung einzelner oder sämtlicher Begleitkomponenten freigegeben war. Der Vergleich der Leistungsveränderungen bei diesen Varianten bildet einerseits die Grundlage zur quantitativen Bestimmung des Anteils der Haupt- und Begleitkomponcnten an den erzielten D-Effekten, andererseits der Beziehungen zwischen den Haupt- und Begleitkomponenten der deblockierenden und der zu deblockierenden Funktionen; — im unmittelbaren Anschluß an die Deblockierung des auditiven bzw. optisch-lexischen Wortverständnisses prüften wir die Leistungen des Nachsprechens bzw. Lautlesens der entsprechenden Wörter, um die Auswirkungen der Funktionskoppelungen auf die verbo-expressiven Funktionen zu ermitteln. Dabei kam es uns wiederum darauf an, unter den von uns variierten Versuchsbedingungen sowohl Aufschlüsse über die quantitativen Beziehungen zwischen den Komponenten der implizierten intakten rezeptiven und den gestörten expressiven Funktionen als auch zwischen den latent-artikulatorischen Begleitkomponenten der intakten Funktionen und den gestörten manifest-ärtikulatorischen Komponenten zu erhalten.
4. D u r c h f ü h r u n g d e r V e r s u c h e . Methoden der s t a t i s t i s c h e n B e u r t e i l u n g der V e r s u c h s e r g e b n i s s e . Resultate 4.1. Durchführung
der Versuche bei Fall 1
Das bei diesem Patienten in der Variantenreihe II verwendete Wortmaterial setzte sich aus etwa 50 Substantiven (Konkreta) zusammen, die er beim Vorsprechen nicht zu verstehen und nicht nachzusprechen vermochte. Die Anzahl der bei den Deblockierungsversuchen verwendeten Wörter wurde durch die Ergebnisse der Variantenreihe I bestimmt, d. h., daß wir jeweils aus den bei dieser Reihe gebotenen Wörtern solche auswählten, die auditiv nicht korrekt verstanden und nicht nachgesprochen werden konnten. Die Deblockierungsversuche verliefen in der Weise, daß der Pat. zunächst eine Reihe von 5 sinnverschiedenen Einzelwörtern in Gedanken lesen mußte, was ihm keine Schwierigkeiten bereitete, da sein Wortleseverständnis intakt war; dann wurde ihm nach Entfernung der Wortkärtchen eines dieser Wörter
E . WEIGL U. Mitarb., Funktionen und Komponenten sprachfunktionaler Teilsysteme
469
— das „kritische" — vom VI vorgesprochen, er hatte es nachzusprechen und die Wortbedeutung anzugeben. 13 Zur Ermittlung der Anteile der einzelnen Ko mponenten der deblockierenden Funktion (rezeptives Wortlesen) am Zustandekommen der D-Effekte im Hinblick auf die entsprechenden Komponenten der gestörten Funktionen (auditives Wortverständnis und Nachsprechen) stützen wir uns auf ein Untersuchungsschema, das — abgesehen von der zusätzlichen deblockierenden Funktion — dem der Yariantenreihe 1 analog ist (vgl. Tab. IV und Tab. VIII). Varianten 11—1.4 und II—2.4: mit verdecktem Absehbild, mit Blasen: Der Kranke hatte sowohl während des rezeptiven Wortlesens zu blasen als auch während ihm das kritische Wort hinter dem Pappschirm vorgesprochen wurde; schließlich mußte er das Wort nachsprechen und erklären. Mit Hilfe dieser Varianten soll der D-Effekt bestimmt werden, der von der Hauptkomponente des intakten rezeptiven Wortlesens (R) auf die Hauptkomponente des gestörten auditiven Wortverständnisses (A) ausgeht sowie ihr Einfluß auf das anschließende Nachsprechen (N). Ausgeschaltet sind dabei die Labiolexie (L und 1) sowie die latent-artikulatorischen Begleitkomponenten des rezeptiven Wortlesens (r) und des Worthörens (a). Varianten II—1.3 und II—2.3: mit verdecktem Absehbild ohne Blasen: Patient las die 5 Wörter, dann wurde ihm das kritische Wort hinter dem Pappschirm vorgesprochen; er mußte es nachsprechen und erklären. In diesem Fall kam es darauf an, den zusätzlichen Einfluß festzustellen, den die latent-artikulatorische Begleitkomponente des rezeptiven Wortlesens (r) auf das auditive Wortverständnis (A) sowie das anschließende Nachsprechen (N) ausübt. Ausgeschlossen war dabei die Labiolexie (L und 1). Varianten II—1.2 und II—2.2: mit sichtbarem Absehbild, mit Blasen: In der Zeit des rezeptiven Wortlesens der 5 Vorgelegten Wörter hatte der Kranke zu blasen; ebenso während des Vorsprechens des kritischen Worts 1 3 Es wurden bei den Deblockierungsversuchen stets 5 Wörter auf Wortkärtchen vorgelegt, unter denen sich 4 „neutrale", d. h. sinnverschiedene Wörter befanden sowie ein „kritisches" Wort, das der Patient bei den Versuchsvarianten I (ohne Deblockierung) weder zu verstehen noch nachzusprechen vermochte. (Das Wortmaterial, demgegenüber der Patient weder Verständnis- noch Nachsprechschwierigkeiten bei der Varialnte I hatte wurde bei der Variante I I nicht mehr verwendet.) Die zusätzlichen 4 „neutraln" Wörter, machten es dem Kranken unmöglich, vorauszusehen, welches der in der Vorlaufsreihe gebotenen Wörter das „kritische" sei, d. h. jenes Wort, das ihm im Anschluß daran auditiv geboten wurde, und das er dann nachzusprechen hatte. Auf diese Weise wurde eine bewußte Übertragung des lexischeu auf das nachfolgende auditive Wortverstehen und Nachsprechen verhindert (zur Technik der Deblockierung vgl. WEIGL, 1969a, S. 9 i f . )
Die weiter unten mitgeteilten quantitativen Ergebnisse beziehen sich selbstverständlich nur auf die „kritischen", nicht aber auf die „neutralen" Wörter.
470
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471
durch den VI; dann wurde das Blasen unterbrochen, und der Patient mußte das kritische Wort nachsprechen und dessen Bedeutung angeben. Es soll untersucht werden, in welcher Weise die optische Komponente der intakten labio-lexischen Funktion (L) an der Deblockierungswirkung von Seiten der Hauptkomponente des rezeptiven Wortlesens (R) in bezug auf die gestörte Hauptkomponente des auditiven Wortverstehens (A) und das anschließende Nachsprechen (N) beteiligt ist. Ausgeschlossen waren sämtliche latent- artikulatorische Begleitkomponenten (r, a, 1). Varianten II—1.1 und II—2.1: mit sichtbarem Absehbild, ohne Blasen: Diesmal sind sämtliche Haupt- und Begleitkoinponenten freigegeben. Durch Extrapolation (Vergleich zwischen den Varianten II— 1.2, II—1.1 sowie II—2.2, II—2.1) läßt sich die Wirkung der latent-artikulatorischen .Begleitkomponente der Labiolexie (1) unter den Bedingungen der Deblokkierung des auditiven Wort'CD verständnisses (A) und des anschließenden Nachsprechens (N) bestimmen.
4.2. Methoden der statistischen Beurteilung nisse bei Fall 1 und Fall 2 (s. Tab. VIII Abb. 3 und Abb. 4)
der Versuchsergebund Tab. X sowie
Die angegebenen Gesamtprozentzahlen stellen die Summe der Prozenthäufigkeiten an insgesamt korrekt gegebenen Antworten dar, die bei den Variantenreihen I und II erhalten wurden. Der Zuwachs an prozentuellen Antworthäufigkeiten zu den Ergebnissen der Variantenreihe I (vgl. Tab. IV und Tab. VIII sowie Tab. VI und Tab. X bzw. Abb. 1 und Abb. 3 sowie Abb. 2 und Abb. 4) ist also das Resultat des Deblockierungsvorganges (deblockierte, korrekte Antworten). Die in der Spalte „Gesaintprozentzahlen" dargestellten Werte dienen speziell dazu, den D-Effekt statistisch abzusichern. Die nachfolgende Spalte „D-Effekt — %" enthält die Prozenthäufigkeiten der korrekten Antworten, die speziell durch den Deblockierungsvorgang hervorgerufen wurden (deblokkierte korrekte Antworten). Diese Prozentangaben — wir bezeichnen sie als D-Effekte — beziehen sich hier nur auf den verbleibenden Anteil an m'c/iikorrekten Antworten der Varianten-
472
Z. Psychol.Bd. 179 (1971)H. 4
reihe I. Die statistische Absicherung des D-Effekts erfolgte nach dem in der Variantenreihe I bereits beschriebenen Prüfverfahren (s. S. 457f.). Dem Vergleich lagen die prozentuellen Antworthäufigkeiten der Variantenreihe I (vgl. Tab. IV bzw. Tab. VI) zugrunde. Die Werte der statistischen Prüfgröße %2 sind in der nächsten Spalte eingetragen.
Abb. 3 a , 3 b . Vergleichende Darstellung der bei der Variantenreihe II erzielten D-Effekte (Fall 1)
II-2.3 1-2.4
1-2.1*
k.Sp.Akorrekte
Spontanantworten
d.A. * deblockierte
Antworten
k.Sp.A.
'11-24
E . WEIGL U. Mitarb., Funktionen und Komponenten sprachfunktionaler Teilsysteme
473
In allen folgenden Rubriken werden die D-Effekte j e zweier Varianten miteinander verglichen. Der statistische Vergleich entspricht dem der Variantenreihe I (s. S. 457). Bei Fall 1 wurde in den Rubriken R 4 a und R 5 a sowie R 4 b und R 5 b der Tabelle V I I I , bei Fall 2 in den Rubriken R 2 a und R 2 b der Tabelle X durch zwei verschiedene Vergleiche der prozentuelle Anteil der betreffenden Begleitkomponenten am D-Effekt extrapoliert. In der Spalte „Komponentenkomplexe" sind die im T e x t (s. 4.1. und 4.4.) beschriebenen Varianten in symbolischer Form dargestellt.
4.3.
Versuchsergebnisse
bei Fall 1
Die in den Rubriken R l a und R l b der Tabelle V I I I angegebenen D-Effekte sind in den Abb. 3a und 3b in Form von Säulendiagrammen dargestellt. Aus der tabellarischen Darstellung der Ergebnisse geht hervor, daß die von uns verwendete Methode der sukzessiven Koppelung zu hochsignifikanten Leistungssteigerungen der beeinträchtigten Funktionen führte. Dies gilt ebenso für das auditive Wortverständnis wie für das Nachsprechen, wenn auch die D-Effekte in bezug auf die verbo-rezeptive Funktion des Verstehens wesentlich höher als im Hinblick auf die verbo-expressive Funktion des Nachsprechens vorgesprochener Wörter liegen Bestimmung der prozentuellen Anteile der einzelnen Komponenten der deblockierenden Funktion des rezeptiven Wortlesens (s. Tab. V I I I R l a ) : Verbo-optische Hauptkomponente des rezeptiven Wortlesens ( R ) : Die Koppelung der intakten Hauptkomponente R mit der gestörten Hauptkomponente A ergibt — bei Ausschaltung aller übrigen Komponenten — einen D-Effekt von (A)/(R) : 8 1 % . M. a. W . , während der Patient bei der Variante 1—1.4 nur 3 2 % aller vorgesprochenen Wörter verstand (s. Tab. IV), war er nun (Variante II—1.4) nach vorherigem rezeptivem Lesen imstande, von den 7 7 % nicht verstandener Wörter 8 1 % korrekt zu verstehen. Latent-artikulatorische Begleitkomponente des rezeptiven Wortlesens (r) (s. Tab. V I I I R 2 a ) : Die Freigabe dieser Komponente bei Variante II—1.3 Wir können in der vorliegenden Arbeit nicht näher auf die Frage eingehen, warum sich die D-Effekte unter bestimmten Bedingungen der 100 0 / 0 -Grenze nähern, in anderen Fällen hingegen, vor allem in bezug auf das schwer gestörte Nachsprechen (Fall 1) bzw. Lautlesen (Fall 2), weit unter dieser Grenze liegen. Nach unserer Erfahrung hängt dies damit zusammen, daß zur Deblockierung so stark beeinträchtigter Leistungen ein einziger Deblockant nicht ausreicht. Zur Verstärkung des D-Effekts bedienen wir uns in solchen Fällen mit Erfolg einerseits der Methode der Kombinierung der Leistungen mehrerer intakter Funktionen, andererseits der „Ketten-Deblockierung" (s. WEIGL, 1969a). 14
32
Z. Psychologie 179/4
474
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bewirkt im Vergleich zur Variante II—1.4 (ohne Freigabe) keine Veränderung des D-Effekts in bezug auf das auditive Wortverständnis 15 . Labio-lexische Stützfunktion (s. Tab. VIII R l a ) : Bei Variante I hatten wir festgestellt (s. S. 460), daß die labio-lexische Stützfunktion das auditive Wortverständnis des Pat. in hohem Maße fördert. Im folgenden werden wir untersuchen (Varianten I—1.1 und II—1.2), wie sich der Einfluß dieser Funktion und ihrer Komponenten unter den Bedingungen der Deblockierung verändert. Zunächst geht aus den Ergebnissen hervor, daß die Freigabe dieser Funktion bei unserem Patienten keine Veränderung der erzielten D-Effekte in bezug auf das Wortverständnis nach sich zieht. Die unter diesen Bedingungen festgestellten D-Effekte von 94% bzw. 87% unterscheiden sich von den DEffekten bei den Varianten ohne Mitwirkung der Labiolexie (81%) nicht signifikant. Um diese Ergebnisse zu verstehen, müssen wir jedoch die Komponenten der Labiolexie gesondert analysieren. Optische Komponente der Labiolexie (L) (s. Tab. VIII, R 3 a ): Bei der Variante II—1.2, bei der nur diese Komponente, d. h. das bloße Absehen, unter Ausschluß der latent-artikulatorischen Begleitkomponente (1) mitwirkt, lassen sich im Vergleich zu der Variante ohne Labiolexie (II—1.4) keine signifikanten Veränderungen der D-Effekte in bezug auf das auditive Wortverständnis nachweisen: L: 13% liegt knapp unterhalb der Signifikanzgrenze (%2 = 3,3). Dennoch darf dabei nicht übersehen werden, daß der D-Effekt ohne Mitwirkung der Labiolexie bereits 94% beträgt und somit fast die 100-%-Grenze erreicht. In diesem Sinne ist eine zusätzliche begünstigende Wirkung dieser Komponente theoretisch nicht auszuschließen. Latent-artikulatorische Begleitkomponente der Labiolexie (1) (s. Tab. VIII R 4 a und R 5 a ): Die Freigabe dieser Komponente bewirkt keine signifikante Veränderung des D-Effekts in bezug auf das auditive Wortverständnis (^2 1 ; 4). Wie wir im Zusammenhang mit der Deblockierung des anschließenden Nachsprechens noch zeigen werden, muß allerdings bei der Berechnung des Anteils der 1-Komponente in bezug auf die Deblockierung in Betracht gezogen werden, daß ihre Freigabe gleichzeitig mit der der r-Komponente des rezeptiven Lesens erfolgt, die eine hemmende Wirkung auf den D-Effekt ausübt (s. S. 475). Aus dem bisher gesagten geht hervor, daß der Pat. die vorgesprochenen Wörter, die er sonst nicht versteht, wesentlich häufiger sinngemäß zu erfassen vermochte, wenn er sie zuvor rezeptiv gelesen hatte. Dabei spielt der optische Faktor des Wortlesens im Zusammenhang mit diesen Deblockie1 5 Es wäre vorteilhafter gewesen, noch eine besondere Variante durchzuführen, bei der nur die r-Komponente freigegeben wird; dies war aus versuchstechnischen Gründen (Überbelastung des Patienten) nicht möglich.
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r u n g s v o r g ä n g e n die entscheidende Rolle. D i e l a t e n t e A r t i k u l a t i o n w ä h r e n d des rezeptiven Wortlesens, die an der Deblockierung des a u d i t i v e n Wortv e r s t ä n d n i s s e s des K r a n k e n ü b e r h a u p t nicht beteiligt zu sein scheint, h a t , wie wir noch sehen werden, eine n e g a t i v e W i r k u n g . Der b e g ü n s t i g e n d e Einfluß der beiden labio-lexischen K o m p o n e n t e n auf d a s deblockierte a u d i t i v e Wortv e r s t ä n d n i s k a m a u s noch zu erörternden G r ü n d e n nicht n a c h w e i s b a r z u m Ausdruck. Manifest-artikulatorische K o m p o n e n t e des N a c h s p r e c h e n s (N) (s. T a b . V I I I R l b ) : Die an die K o p p e l u n g der i n t a k t e n H a u p t k o m p o n e n t e R m i t der gestörten H a u p t k o m p o n e n t e A anschließende P r ü f u n g des N a c h s p r e c h e n s des betreffenden W o r t s (Variante 1 1 - 2 . 4 ) zeigt einen D - E f f e k t v o n ( N ) / ( A ) / ( R ) : 5 2 % , d. h., daß der K r a n k e , der bei der V a r i a n t e 1—2.4 p r a k t i s c h t o t a l vers a g t h a t t e (s. T a b . IV), d a n k der Deblockierung v o n den 9 8 % nicht nachgesprochenen Wörtern nun, bei der V a r i a n t e II—2.4, e t w a die H ä l f t e ( 5 2 % ) korrekt nachsprechen konnte. Die Verbesserung dieser m a n i f e s t - a r t i k u l a torischen L e i s t u n g ist in diesem F a l l ausschließlich der W i r k u n g der nicht artikulatorischen H a u p t k o m p o n e n t e (R) des rezeptiven Wortlesens zuzuschreiben (wir werden hierauf noch z u r ü c k k o m m e n ) . Einfluß der latent-artikulatorischen B e g l e i t k o m p o n e n t e des rezeptiven Wortlesens (r) auf d a s N a c h s p r e c h e n (N) (s. T a b . V I I I R 2 I,): B e i der V a r i a n t e II—2.3 zeigt sich, daß der Wert des D - E f f e k t s unter d e m Einfluß der freigegebenen K o m p o n e n t e r v o n 5 2 % auf 3 5 % d. h. (N)/(a) (r) : — 1 7 % sinkt. Dies b e s a g t , daß sich, sobald der K r a n k e w ä h r e n d des rezeptiven L e s e n s — n a t ü r lich unwissentlich — die Möglichkeit h a t , innerlich zu artikulieren, sein N a c h s p r e c h e n verschlechtert. Die latent-artikulatorische B e g l e i t k o m p o n e n t e (r) des rezeptiven L e s e n s ü b t d e m n a c h einen hemmenden Einfluß auf die m a n i f e s t - a r t i k u l a t o r i s c h e K o m p o n e n t e (N) a u s . Einfluß der labio-lexischen S t ü t z f u n k t i o n auf das Nachsprechen (s. T a b . V I I I R l b ) : U n t e r D e b l o c k i e r u n g s b e d i n g u n g e n ergibt sich bei Freig a b e dieser F u n k t i o n in einem F a l l e ( V a r i a n t e II—2.2) keine signifikante V e r ä n d e r u n g , w ä h r e n d im anderen F a l l ( V a r i a n t e II-2.1) eine signifikante S t e i g e r u n g des D - E f f e k t s v o n 3 5 % auf 5 0 % n a c h w e i s b a r ist. Z u m Vers t ä n d n i s dieser F e s t s t e l l u n g e n gehen wir zur A n a l y s e des Einflusses jeder der beiden K o m p o n e n t e n der L a b i o l e x i e auf die Deblockierung des N a c h s p r e chens über. Einfluß der optischen K o m p o n e n t e der L a b i o l e x i e (L) auf d a s N a c h sprechen (s. T a b . V I I I R 3 b ) : Der Vergleich der V a r i a n t e n II—2.2 u n d II—2.4 zeigt, daß in b e z u g auf d a s N a c h s p r e c h e n keine signifikante V e r ä n d e r u n g durch die Deblockierung a u f t r i t t (N)/(L) : 3 % . Einfluß der latent-artikulatorischen B e g l e i t k o m p o n e n t e (1) (s. T a b . V I I I R 4 b u n d R 5 b ) : Wie b e m e r k t , m u ß bei der B e r e c h n u n g des Anteils der 1 - K o m 32«
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ponente in bezug auf die Debloekierung des Nachsprechens die Tatsache berücksichtigt werden, daß ihre Freigabe simultan mit der der r-Komponente erfolgt, deren hemmende Wirkung sich bereits im Zusammenhang mit der Variante II—2.3 (s. Tab. V I I I R 2 b ), d . h . mit der Debloekierung des Nachsprechens bei Ausschaltung der Labiolexie erwiesen hatte (s. o.). Der D-Effekt bei Variante II—2.1 (s. Tab. V I I I R 4 b und R ä b ) in bezug auf das Nachsprechen ist demnach als Resultante zwischen der Wirkung der hemmenden r-Komponente und der der fördernden 1-Komponente anzusehen. Dies bedeutet, daß der begünstigende Einfluß der 1-Komponente durch die Mitwirkung der r-Komponente erheblich verringert wird, und somit der Anteil der 1-Komponente in Wirklichkeit den D-Effekt (N)/'(l): 1 2 % weit übersteigt. M. a. W., die latente Artikulation beim rezeptiven Wortlesen induziert die Debloekierung der manifesten Artikulation unter den Bedingungen der gleichzeitigen Mitwirkung der fördernden latent-artikulatorischen Begleitkomponente der Labiolexie (r) in negativer Weise.
4.4. Durchführung
der Versuche bei Fall 2
Die bei diesem Kranken in der Variantenreihe I I verwendeten, auf K ä r t chen geschriebenen 65 kritischen Wörter (Konkreta) waren solche, die er weder lexisch zu verstehen, noch laut zu lesen vermochte. Tabelle I X . Überblick über den Versuchsplan zur Variantenreihe I I ; Fall 2 Komponenten der deblockierenden Funktion: auditives Wortverständnis
Ausschaltungs- Komponenten der zu und Freigabe- deblockierenden Funktion: bedingungen lexisches Wortverständms la tente Artikulation
zu deblockierende Funktion: expressives Wortlesen Versuchsvarianten
Hauptkomponente ausgeschaltet des auditiven (A) durch Wortverständnisses Blasen
gestörte Ilauptkomponente des lexischen (R) I I —1.2 Wortverständnisses
la tent-artikulatorisehe Begleit(a) komponente des Worthörens
latent-artikulatorische Besleitkomponente des rezeptiven Wortlesens
freigegeben
(r)
I I —1.1
VersuchsVarianten II—2.2
II—2.1
Die Durchführung der in Tabelle I X gezeigten Varianten fand in folgender W7eise
statt:
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Varianten II—1.2 und II—2.2: rezeptives und expressives Wortlesen, mit B l a s e n : Während des Worthörens und des darauffolgenden rezeptiven Wortlesens mußte der Kranke blasen; dann wurde das Blasen unterbrochen, das Wortkärtchen entfernt, und der P a t . hatte das gelesene W o r t auszusprechen und dessen Sinn anzugeben. Die Entfernung des Wortkärtchens war notwendig, damit der P a t . nach Unterbrechung des Blasens nicht nachträglich auf Grund des vorliegenden Wortbildes noch vor dem Lautlesen latente Sprechbewegungen vollziehen konnte. Bei dem Aussprechen des zuvor, während des Blasens, gelesenen Wortes, handelt es sich um ein verzögertes „postexpressives" Lautlesen, da j a das Wortkärtchen selbst nicht mehr sichtbar war. Aus unseren Versuchsergebnissen geht hervor, daß zwischen diesem „postexpressiven" und dem normalen, unmittelbaren Lautlesen für den P a t . kein Unterschied bestand. Auf diese Weise sollte der von der intakten Hauptkomponente des auditiven Wortverstehens (A) auf die gestörte Hauptkomponente des rezeptiven Wortlesens (R) ausgehende D-Effekt sowie deren Einfluß auf das anschließende Lautlesen (E) geprüft werden. Ausgeschlossen waren die latent-artikulatorische Begleitkomponente des Worthörens (a) und des rezeptiven Wortlesens (r);r
_
_
.
Varianten II—1.1 und II—2.1: rezeptives und expressives Wortlesen, ohne B l a s e n : Dem P a t . wurden 3 Wörter vorgesprochen (er verstand sie ohne weiteres), dann wurde ihm das kritische Wort auf ein Kärtchen geschrieben vorgelegt, er hatte es in Gedanken zu lesen, und nachdem dieses Kärtchen entfernt worden war, laut auszusprechen und die Bedeutung dieses Wortes anzugeben. Durch Extrapolation konnte die zusätzliche Wirkung der a-Komponente, d. h. der latenten Sprechbewegungen während des Worthörens, auf den DEffekt in bezug auf das rezeptive und expressive Wortlesen festgestellt werden. In diesem Fall waren die beiden latent-artikulatorischen Begleitkomponenten (a) und (r) freigegeben.
4.5. Versuchsergebnisse
bei Fall 2
Die in den Abb. 4 a und 4 b dargestellten Säulendiagramme sollen die in Tab. X zusammengefaßten Versuchsergebnisse veranschaulichen. E s zeigt sich, daß die sukzessive Koppelung zwischen intaktem Worthören und gestörtem rezeptivem und expressivem Wortlesen zu signifikanten bzw. hochsignifikanten Leistungssteigerungen der beeinträchtigten Funktionen führte. Bei dem wesentlich schwerer gestörten Lautlesen liegen die D-Effekte niedriger als beim rezeptiven Lesen (s. Fußnote 14).
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Gesondert betrachtet stellt sich der Anteil der Komponenten des intakten Worthörens an den D-Effekten folgendermaßen dar: f
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