Zehn Jahre Preußisch-deutscher Eisenbahnpolitik [Reprint 2022 ed.] 9783112660041, 9783112660034


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German Pages 55 [108] Year 1876

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Einleitung
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Zehn Jahre Preußisch-deutscher Eisenbahnpolitik [Reprint 2022 ed.]
 9783112660041, 9783112660034

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Zehn Jahre

Mchisch-ömWr Gisenöahnpütikik.

Leipzig, Verlag von Veit & Comp.

Zehn Jahre

Mutitle!) ° deutscher Gisenöahnpolitik.

Leipzig, Verlag von Veit & Comp. 1876.

Der Entwurf einer Verfassung des norddeutschen Bundes, welchen Gin,eituu 00

Art. 41. Die Eisenbahn-Verwaltungen sind

Art. 44 (Vorlage Art. 41). Die Eisenbahn-Verwaltungen sind

Art. 44. Die Eisenbahn-Verwaltungen sind

verpflichtet, die nöthigen Personen- und Güterzüge mit entsprechender Fahrgeschwindigkeit einzuführen, auch direkte Expeditionen im Personen- und Güterverkehr unter Gestattung des Ueberganges der Transportmittel von einer Bahn auf die andere, gegen die übliche Vergütigung eiuzurichten.

verpflichtet, die für den durchgehenden Verkehr und zur Herstellung ineinandergreifender Fahrpläne nöthigen Personenzüge mit entsprechender Fahrgeschwindigkeit, desgleichen die zur Bewältigung des Güterverkehrs nöthigen Güterzüge einzuführen, auch direkte Expeditionen im Personen- und Güter-Verkehr unter Gestattung des Ueberganges der Transportmittel von einer Bahn auf die andere, gegen die übliche Vergütung einzurichten.

verpflichtet, die für den durchgehenden Verkehr und zur Herstellung ineinandergreifender Fahrpläne nöthigen Personenzüge mit entsprechender Fahrgeschwindigkeit, desgleichen die zur Bewältigung des Güterverkehrs nöthigen Güterzüge einzuführen, auch direkte Expeditionen im Personen-und GüterVerkehr unter Gestattung des Ueberganges der Transportmittel von einer Bahn auf die andere, gegen die übliche Vergütung einzurichten.



Art. 42. Art. 45 (Vorlage Art. 42). Art. 45. Dem Bunde steht die Kontrole der Dem Bunde steht die Controle über Dem Reiche steht die Controle über Tarife zu. Er wird dieselbe ausüben das Tarifwesen zu. Derselbe das Tarifwesen zu. Dasselbe wird nazu dem Zwecke, die Gleichmäßigkeit und wird namentlich dahin wirken: mentlich dahin wirken: möglichste Herabsetzung derselben zu er- 1) -x daß baldigst auf ‘den Eisen ' ­ 1) ■■ ‘daß baldigst ~ aufp allen dmtschm reichen, insbesondere für den Trans­ bahnen im Gebiete des Bun­ Eisenbahnen übereinstimmende port von Kohlen, Coaks, Holz, Erzen, Betriebsreglements eingeführt wer­ des übereinstimmende Be­ Steinen, Salz, Roheisen, Düngungs­ triebs-Reglements einge­ den; mitteln und ähnlichen Gegenständen führt werden, einen dem Bedürfniß der Landwirth­ 2) daß die möglichste Gleichmäßig­ 2) daß die möglichste Gleichmäßigkeit schaft und der Industrie entsprechenden keit und Herabsetzung der Tarife und Herabsetzung der Tarife er­ ermäßigte» Tarif für größere Entfer­ zielt, insbesondere, daß bei größeren erzielt, insbesondere daß bei.grö­ nungen und schließlich den Ein-Pfennigßeren Entfernungen für den Entfernungen für den Transport Tarif für Centner und Meile im ganzen von Kohlen, Coaks, Holz, Erzen, Transport von Kohlen, Coaks, Bundesgebiet einzuführen. Holz, Erzen, Steinen, Salz, RohSteinen, Salz, Roheisen, Dhngungsmitteln und ähnlichen Gegenständen, Eisen, Düngungsmitteln, und ähn­ ein dem Bedürfniß der Landwirth­ lichen Gegenständen, ein dem Be­ dürfniß der Landwirthschaft und schaft und Industrie entsprechender ermäßigter Tarif, und zwar zunächst Industrie entsprechender ermäßigter thunlichst der Ein-Pfennig-Tarif Tarif, und zwar zunächst thun­ lichst der Ein-Pfennig-Tarif eingeführt werde. eingeführt werde.

Art. 43. Bei eintretenden Nothständen, insbesondere bei ungewöhnlicher Theuerung der Lebensmittel sind die Eisenbahn-Verwaltungen verpflichtet, für den Transport, namentlich von Getreide, Mehl, Hülsenfrüchten und Kartoffeln zeitweise einen dem Bedürfniß entsprechenden, von dem Bundes-Präsidium

Art. 46 (Vorlage Art. 43). Bei eintretenden Nothständen, insbesondere bei ungewöhnlicher Theuerung der Lebensmittel sind die Eisenbahn-Verwaltungen verpflichtet, für den Transport, namentlich von Getreide, Mehl, Hülsenfrüchten und Kartoffeln zeitweise einen dem Bedürfniß entsprechenden, von dem Bundes-Präsidium

Art. 46. Bei eintretenden Nothständen, ins­ besondere bei ungewöhnlicher Theuerung der Lebensmittel, sind die Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, für den Transport, namentlich von Getreide, Mehl, Hülsenfrüchten und Kartoffeln, zeitweise einen dem Bedürfniß entspre­ chenden, von dem Kaiser auf Vorschlag

CO

I

auf Vorschlag des betreffenden Bun-auf Vorschlag des betreffenden Bun-des betreffenden Bundesraths-Ausschusdesraths-Ausschusses festzustellenden desraths-Ausschusses festzustellenden ses festzustellenden, niedrigen Spezial­ niedrigen Spezial-Tarif einzuführen, niedrigen Spezial-Tarif einzuführen, Tarif einzuführen, welcher jedoch nicht welcher jedoch nicht unter den unter den niedrigsten auf der betreffenniedrigsten auf der betreffenden den Bahn für Rohprodukte geltenden Bahn für Rohprodukte gelten- Satz herabgehen darf. den Satz herabgehen darf. Die vorstehend sowie die, in den

Art. 42 bis 45 getroffenen Bestim­ mungen sind aus Bayern nicht an­ wendbar. Dem Reiche steht jedoch auch Bayern gegenüber das Recht zu, im Wege der Gesetzgebung einheittiche Normen für die Konstruktion und Ausrüstung der für die Landesvertheidigung wichtigen Eisen­ bahnen aufzustellm. Art. 44.

Art. 47 (Vorlage Art. 44).

Art. 47.

Den Anforderungen der BundesBehörden in Betreff der Benutzung der Eisenbahnen zum Zweck der Vertheidigung des Bundesgebietes haben sämmtliche Eisenbahn-Verwaltungen unweigerlich Folge zu leisten. Insbesondere ist das Militär und alles Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern.

Den Anforderungen der BundesBehörden in Betreff der Benutzung der Eisenbahnen zum Zweck der Vertheidigung des Bundesgebietes haben sämmtliche Eisenbahn-Verwaltungen unweigerlich Folge zu leisten. Insbesondere ist das Militär und alles Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern.

Den Anforderungen der Behörden in Betreff der Benutzung der Eisenbahnen zum Zweck der Ber­ theidigung Deutschlands haben sämmt­ liche Eisenbahn-Verwaltungen unwei­ gerlich Folge zu leisten. Insbesondere ist das Militär und alles Kriegsmate­ rial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern.

des Reichs

I

g |

21

Diese Zusammenstellung ergiebt, daß der constituirende Reichs­

tag der Regierungsvorlage eine sehr gelinde Kritik angedeihen ließ,

daß er mit den Vorschlägen derselben im Wesentlichen einverstanden

war und sie für eine ausreichende Grundlage des deutschen Eisen­ bahnrechtes erachtete.

Nur an zwei Tagen, am 20. März und am

1. April, fanden Verhandlungen von einiger Bedeutung über die Eisenbahnartikel statt. Der Abgeordnete Michaelis versuchte an beiden Tagen eine Erweiterung der Rechte des Bundes bezüglich der Eisenbahnverhältnisse herbeizuführen.

Seine Versuche waren erfolglos.

Am 20. März, bei der Debatte über Art. 4, Nr. 8 beantragte er die

Streichung der Worte: „im Interesse der Landesvertheidigung und des allgemeinen Verkehrs."

Falls diese Worte stehen blieben, be­

fürchtete er Zweifel an der Zuständigkeit des Bundes zum Erlaß eines Eisenbahngesetzes.

Ein einheitliches Eisenbahngesetz müsse aber bal­

digst erlassen werden, „ein Gesetz, welches die Bedingungen der Conzessionirung, die Bedingungen des Verkehrs auf den Eisenbahnen,

soweit sie im allgemeinen staatlichen Interesse festgesetzt werden müssen,

gemeinsam für das gesammte deutsche Eisenbahnwesen festsetze."

Ein

Aufsichtsrecht des Bundes über die Localbahnen und was damit zu­

sammenhängt, wünscht der Abgeordnete nicht.

Diese Aufsicht könne

man ruhig den Localbehörden selbst überlassen. — Das Amendement

Michaelis wurde vom Regierungstisch und vom Abgeordneten Miquel bekämpft; von ersterer Seite, weil man Zuständigkeits-Bedenken be­

züglich der Rechte des Bundes bei der Eisenbahngesetzgebung nicht

hegte, vom Abg. Miquel, weil er grundsätzlich die Bundesregierungen von aller Einwirkung auf die localen und provinziellen Interessen fern

halten wollte. Der Antrag wurde mit dem Vorbehalt späterer Wieder­ einbringung zurückgezogen.

Diese Wiederholung findet sich vermuthlich in dem Amendement

Michaelis u. Gen. zum Art. 42 der Regierungsvorlage (jetzt Art. 45.), welcher beginnen sollte: „Dem Bunde steht die Oberaufsicht über die

sämmtlichen Eisenbahnen des Bundesgebietes, insbesondere die Con­ trolle über das Tarifwesen zu" u. s. w. (wie der Artikel jetzt lautet

22 cfr. Nr. 65 der Drucksachen). Der Hauptantragsteller vertheidigte seinen

Vorschlag auf das wärmste.

Der Zusatz erschien ihm erforderlich, um

dem Bunde den nothwendigen Einfluß auf das Eisenbahnwesen zu sichern. Der Regierungscommifsar Delbrück sprach sich gegen den Antrag aus,

da derselbe „über das Maaß hinausgehe, welches unter den verbünde­

ten Regierungen in Beziehung auf diese Materie als das Einzuhaltende vereinbart ist und festgehalten wird." Der Antrag wurde verworfen. Die übrigen Abänderungsvorschläge des Reichstages, fast nur •

redaktioneller Natur, erfreuten sich der Zustimmung der verbündeten Regierungen.

Die einzigen Aenderungen von gewisser materieller

Bedeutung sind die der jetzigen Art. 45. 46.

Der Reichstag wünschte

in zwei, an sich nicht wesentlichen, aber immerhin charakteristischen

Punkten,

eine andere Richtung der Tarifpolitik,

Regierung vorgeschlagene.

als die von der

Während die Regierungen für die Massen­

artikel Kohlen, Coaks, Holz u. s. w. die „schließliche" Einführung des

Einpfennigtarifes beantragten, wollte der Reichstag „zunächst thunlichst" diesen Tarif einführen.

Man glaubte, derselbe werde schon

in Kurzem ein überwundener Standpunkt sein, und dann sei die ganze Verfaffungsbestimmung hinfällig.

Der Reichstag stellte also in diesem

Punkte höhere Anforderungen, als die Regierungen, an die Eisenbahnen. Umgekehrt fügte der Reichstag für die Höhe der sog. Nothstandstarife

(Art. 46) die Einschränkung hinzu, daß dieselben „nicht unter den

niedrigsten auf der betreffenden Bahn für Rohprodukte geltenden Satz herabgehn dürfen."

Letztere Bestimmung ist überhaupt noch nicht

praktisch geworden.

Erstere hingegen ist aus mehrfachen Gründen,

welche allerdings vom Reichstag nicht in Rücksicht gezogen werden konnten,

heute vollständig obsolet;

Der Einpfennigtarif heißt:

einmal aus einem äußerlichen.

Eine Gebühr von einem Silberpfennig

(Vi2 Silbergroschen) für einen Centner und eine Meile.

Nun giebt

es heute weder Silberpfennige, noch Centner, noch Meilen mehr. Die

Erfahrungen, welche seit dem Bestehen der Verfassung im Eisenbahn­

tarifwesen gemacht sind, gehen aber dahin, daß man besser gethan hätte, dieses, zur damaligen Zeit vielleicht gerechtfertigte volkswirthschaftliche

23 Schlagwort aus der Verfassung herauszulassen.

Die Verfassung sagt

weder, für welche „größere Entfernungen", noch für welche Quantitäten

der Einpfennigtarif zu erstreben ist.

Sie enthält nichts darüber, ob

derselbe durch „Expeditionsgebühren" erhöht werden darf oder nicht. Wenn die Bahnen also auch die Forderung der Verfassung erfüllen wollten, so war ihr Ermessen bezüglich der Einzelnheiten in der Fest­

setzung ein so freies, daß von einer Uebereinstimmung des Einpfennig-

tarifes bei sämmtlichen Bahnen keine Rede sein konnte. der letzten Jahre hat ferner ergeben,

Die Erfahrung

daß dieser Tarif bei vielen

Bahnen als Minimalsatz zu hoch, bei anderen aber zu niedrig ist. Es giebt Bahnen in Deutschland, welche, wenn sie einigermaßen

rentiren sollen, den Einpfennigtarif nicht einführen können; andere aber müssen, sei es aus Concurrenzrücksichten, sei es aus anderen

Gründen, nicht nur bei den in der Verfassung namhaft gemachten,

sondern bei noch vielen anderen Artikeln, unter den Einpfennigtarif heruntergehn.

Wären dieses die einzigen bedenklichen Seiten des

Einpfennigtarifs in der Verfassung,

so könnte man denselben,

in

Berücksichtigung der sehr allgemein gehaltenen Fassung für höchstens überflüssig, dagegen nicht für gefährlich 'erachten.

Schädlich hat sich

derselbe aber dadurch erwiesen, daß er ein — und nicht das ge­ ringste — Hinderniß für die Weiterförderung der Tarifreform ge­ worden ist. Er knüpft an das Werthclassificationssystem an. In Rück­ sichtauf ihn war eine folgerichtige Ein- und Durchführung des Collo- und

Wagenraumsystems nicht thunlich; und bis in die neueste Zeit mußte die­ sem durch die Preis- und Maaßverhältnisse des Jahres 1866/67 zufäl­

lig entstandenen Schlagwort bei den Tarifreformbestrebungen Rechnung

getragen werden. Soweit dieser Verfassungsartikel also in die Praxis

getreten ist, erwies er sich als schädlich und umgekehrt, soweit er nützlich hätte wirken können, ist er unpraktisch, ein todter Buchstabe, geblieben. Forscht man nun nach den gesetzgeberischen Gedanken, welche den

Eisenbahnartikeln zu Grunde liegen, sucht man sich aus denselben die Richtung zu construiren, nach welcher die damaligen gesetzgebenden Faktoren die deutsche Eisenbahnpolitik hingelenkt wünschten, so darf

re4“8"

24

zunächst nicht unerwähnt bleiben, daß die späteren,

die bayerischen

Eisenbahnreservatrechte betreffenden Zusätze nicht durch den freien Willen der Körperschaften eingefügt wurden.

Sie waren eine Folge

der Versailler Verträge, sie haben leider Deutschland in ein Deutsch­ land mit und ein Deutschland ohne Bayern getrennt.

Auf das

gesammte deutsche Reich finden nur die Art. 4 Nr. 8, 41 und 47, und

in beschränkter Weise Art. 42 Anwendung. Das bayerische Reservat­ recht wird von der Regierung des zweitmächtigsten der-Bundesstaaten

wie bekannt mit peinlichster Sorgfalt bewacht und behütet; wo man kann, sucht man das aus Art. 4 Nr. 8 sich ergebende Aufsichtsrecht

des Reichs über die bayerischen Bahnen im Interesse der Landes­ vertheidigung und des allgemeinen Verkehrs auf ein möglichst geringes

Minimum zu reduziren oder sich ganz von demselben zu emanzipiren. Leider wird sich zur Beseitigung dieses Zwiespaltes nichts thun laffen.

Im Uebrigen soll das deutsche Reich in doppelter Richtung seinen Einfluß auf die Verwaltung der Eisenbahnen geltend machen; erstens

im Jntereffe der Landesvertheidigung und zweitens im Interesse des allgemeinen (Art. 4 Nr. 8 und Art 42) bez. gemeinsamen (Art. 41) Verkehrs.

Soweit eines dieser Interessen in Frage kommt, kann

das Reich selbst gegen den Widerspruch der Bundesregierungen neue Eisenbahnen anlegen oder conzessioniren, im letzteren Falle auch das

Expropriationsrecht ertheilen.

Mit Rücksicht auf die Interessen der Landesvertheidigung allein haben die Eisenbahnen allen dahin gehenden Anforderungen der

Reichsbehörden unweigerlich Folge zu leisten.

Im Kriegsfall kann

also, wenn dies der Militärverwaltung nöthig erscheint, eine vollständig militärische Organisation der Eisenbahnen eingerichtet werden.

Für

Friedenszeiten ist eine gleichmäßige Beförderung des Militärs und

des Kriegsmaterials vorgesehn. Bayern muß sich den gesetzgeberischen Schritten des Reichs bezüglich der einheitlichen Construktion und Aus­

rüstung der Bahnen, soweit die Landesvertheidigung in Betracht kommt, gleichfalls unterwerfen.

Die theoretisch viel bedeutungsvolleren Rechte des Reiches bei

25

der Verwaltung der deutschen (excl. der bayrischen) Bahnen erstrecken sich auf den Bau, die Ausrüstung, die Betriebseinrichtungen, die Ta­

rife.

Von besonderer Tragweite ist die grundlegende Norm des Art.

42, nach welchem die deutschen Eisenbahnen wie ein einheitliches Netz verwaltet werden müssen.

Die richtige Consequenz dieser Be­

stimmung würde gewesen sein, daß das Publicum nunmehr nicht länger empfunden hätte, daß es sich auf verschiedenen Bahnen bewegte, daß

die Personen- und Gütertarife eine Einrichtung erhalten hätten, als wenn es in ganz Deutschland nur eine einzige Bahn gäbe;

wie

denn z. B. im Postverkehr man sich der Vorstellung völlig entwöhnt hat, daß die Briefe, die Paquete die verschiedensten Gebiete durch­

laufen.

Von dem Ideal, welches hier den Gesetzgebern vorschwebte,

sind wir leider noch recht weit entfernt, wenngleich sich nicht verkennen läßt, daß dieser Verfassungsartikel die Grundlage für mancherlei

Verbesierungen im Eismbahnverkehr, beispielsweise die Verkürzüngen und Vereinfachungen der Lieferfristen, geworden ist. — Die Vorbe­ dingung einer einheitlichen Verwaltung ist die Anlage und Ausrüst­

ung der Bahnen nach einheitlichen Normen; die Folge davon das Bedürfniß nach gleichen Betriebs-Bahnpolizei-Signalordnungen.

In

allen diesen Beziehungen ist mancherlei an den herrschenden Zuständen

gebeffert worden. Auch der ihm in Art 43 auferlegten Verpflichtung, die Sicherheit des baulichen Zustandes der Bahnen zu überwachen und für eine dem Verkehrsbedürfniß entsprechende Ausrüstung der­

selben mit Betriebsmaterial Sorge zu tragen, ist das Reich, soweit thunlich, nachgekommen.

Mit den Artikeln 44—46 wollte man offenbar ermöglichen, daß das Reich die bessernde Hand an solchen Stellen anlegen könnte, an

welchen die Mißstände im Eisenbahnwesen, die Zersplitterung des deut­ sche» Eisenbahnnetzes, sich besonders fühlbar gemacht hatten.

hat diese Bestimmung äußerlich in

Man

die Form von Wünschen, von

Verpflichtungen, von Ermahnungen gekleidet. Die Bahnen sind „ver­ pflichtet" zur Feststellung ineinandergreifender Fahrpläne, zur Ein­

führung direkter Personen-und Güterverkehrs; das Reich „wird wirken"

26 auf Einführung von Betriebsreglements, auf Ermäßigung der Tarife.

Leider sind diese gesetzlichen Bestimmungen in Folge des Mangels an Festsetzung von Strafen für den Fall ihrer Uebertretung, sowie in

Rücksicht darauf, daß es an jedem Hinweis gebricht, durch welche Mittel das Reich „wirken" soll, lauter leges imperfectae. Wenn man sich dies

überhaupt bei Berathung derselben klar gemacht hat — was ja wohl

anzunehmen ist — so befand man sich theils in Unkenntniß über die im Eisenbahnwesen herrschenden Zustände, man glaubte, die Eisenbahnen

würden selbstverständlich sich die Verfassung als Richtschnur nehmen, sobald dieselbe in Kraft getreten — und das war ein Irrthum — theils aber wollte man mit der Verfassung keine lex in perpetuum valitura publiziern. Man erhoffte das baldige Zustandekommen eines Eisen­

bahngesetzes und meinte, es sei noch Zeit genug, an die endgültige Re­ gelung dieser Verhältnisse bei Erlaß des Reichseisenbahngesetzes zu gehen, ch-n Eis-nDas war das Grundgesetz für den deutschen Eisenbahnverkehr. tei'isTL7 Es enthielt eine Fülle richtiger neben mancherlei unrichtigen Gedanken,

es erstrebte Großes, steckte sich hohe Ziele, ohne daß die Mittel an die Hand gegeben wurden, diese Ziele zu erreichen; es wollte ein

Provisorium sein, ohne daß man sich auch nur einigermaßen klar darüber war, welches Definitivum an seine Stelle treten sollte. Und

in dem Deutschland, für dessen Eisenbahnen dieses Grundgesetz im Sommer 1867 bez. im Frühjahr 1871 in Kraft trat, sah es auch noch recht buntscheckig aus. Die Bestimmungen mußten von sehr verschiedener Wirkung sein je nach dem Gebiet, auf welches sie angewandt wurden;

je nachdem sie mit

Gesetz oder Gewohnheitsrecht, mit CoNzessionen

und wohlerworbenen Privatrechten oder mit staatsrechtlichen Normen in Berührung traten.

Wenn schon das Bild des preußischen Eisen­

bahnnetzes auf den Beschauer keinen wohlthuenden Eindruck machte, ob­

gleich man dort ein gutes Eisenbahngesetz besaß und auch wenigstens zeit­ weise eine richtige Eisenbahnpolitik verfolgt hatte, so wurde durch den

Zutritt der übrigen deutschen Staaten dieses Bild noch erheblich un­

schöner.

An Eisenbahngesetzen fehlte es in dem außerpreußischen

Deutschland so gut wie gänzlich.

Die Länder hatten theils gar keine

27 Bahnen, theils ausschließlich Staatsbahnen, theils Staats- und Pri­

vatbahnen, theils waren sie an fremden, ihr Gebiet berührenden, Staats- oder Privatbahnen betheiligt.

Württemberg, Baden, Olden­

burg hatten mit großer Liebe ein Netz von Staatsbahnen in ihren Ländchen ausgebaut, in Sachsen überwogen die Staatsbahnen über

die auch kräftig entwickelten Privatbahnen, Mecklenburg hatte einen ganz eigenthümlichen Eisenbahnbesitz, in Elsaß-Lothringen gab es Reichsbahnen.

Die einzelnen Bahncomplexe durchkreuzten sich viel­

fach äußerlich, standen aber, was die ganze Organisation betrifft, im Uebrigen durchaus unvermittelt neben einander. Das einzige gemein­ same Band, welches sie umschlang, der Verein Deutscher Eisenbahnen­

verwaltungen, war noch erheblich loser, als das Band des Deutschen

Bundes, in welchem sich bis 1866 die Deutsche Einheit personifizirt

Die Verfaffung dieses Vereins, welchem übrigens

hatte. den

deutschen

belgische

und

noch

die österreichischen,

sowie viele

außer

holländische,

russische Bahnen angehörten, ist nicht mit Unrecht

mehrfach mit der Verfaffung des weiland polnischen Staates, seine Geschäftsordnuug mit der des polnischen Reichstages verglichen worden.

Seine Mitglieder hatten ein unbeschränktes librum veto, es fehlte an jeglicher Executive, so daß, wenn es überhaupt ein einzelnes Mal ge­

lang einen Beschluß zustandezubringen, die Ausführung desselben

vollständig in der Luft schwebte; daß es mehr als einmal vorkam,

daß ein vor kurzem gefaßter Beschluß nach einiger Zeit auf's neue gefaßt wurde, ohne daß Jemand eine Ahnung davon hatte, daß das zu beschließende bereits geltendes Recht war.

Daß solche Zustände

das Verkehrsleben beeinträchtigen mußten, bedarf keiner näheren

Ausführung; in Rücksicht auf diese Beeinträchtigung hatte man ja

vornehmlich die Eisenbahnartikel der Verfaffungsurkunde angenommen; dagegen hatte man unter diesen Zuständen nachgerade so lange ge­

lebt, daß der größte Theil des Publicums an denselben so recht

nichts mehr zu bemängeln hatte.

Man kannte es nicht anders, als

daß man von den Eisenbahnen schlecht behandelt wurde, hatte sich an die Langsamkeit und Unpünktlichkeit der Frachtgutbeförderung, an die

28 unklaren und unzuträglichen Tarife, an die unpünktliche Ankunft und

den unpünktlichen Abgang der Personenzüge gewöhnt, und seine An­

sprüche an die Eisenbahnen auf ein sehr niedriges Niveau herabge­

stimmt. Riß dann doch einmal bei allzu eklatanten Fällen des Miß­ brauchs dem Staatsbürger die Geduld und beschwerte er sich bei der

Eisenbahn oder der Aufsichtsbehörde, so dauerte es Wochen, Monate lang, bis er Bescheid bekam, dann wurde er womöglich mit einer aus­

weichenden Antwort, mit einer Bezugnahme auf ihm gänzlich unbe­

kannte vertragsmäßige oder gesetzliche Bestimmungen, denen er sich unterworfen haben sollte, abgespeist und hatte die Lust an dem Be­ schweren verloren.

Die öffentlichen Blätter nahmen entweder keine

Beschwerden an, oder, wenn sie dies einmal thaten, so schwiegen die Eisenbahnen dieselben todt.

Die „fahrplanmäßige" Verspätung in der

Ankunft des Cöln-Berliner Courierzuges in Berlin wurde s. Z. Monate lang in den Berliner Blättern besprochen, ohne daß dies den geringsten

Eindruck auf die betheiligten Verwaltungen machte. Bei dieser Sachlage kann es nicht Wunder nehmen, daß die

neuen Verfaffungsbestimmungen zunächst keine merkbaren Aende­ rungen der bestehenden Eisenbahnverhältnisse nach sich zogen, daß sie vorerst ein stilles Dasein auf dem Papiere führten.

Freilich be­

schäftigte man sich im Reichskanzleramte mit Eisenbahnsachen, es

wurden zu diesem Zwecke sachverständige Kräfte in dasselbe berufen,

die Tarife thunlichst überwacht, neue Conzessionen mit Rücksicht auf die Interessen der Landesvertheidigung und des allgemeinen Ver­

kehrs geprüft, ein Betriebs- und Bahnpolizeireglement — unter engem Anschluß an die betreffenden Reglements des Vereins deutscher

Eisenbahnverwaltungen — ausgearbeitet. Dabei blieb es aber auch. Zu einem Eingreifen in die vorhandenen Mißstände gebrach es an

den nöthigen Mitteln.

Wenn man in einzelnen Fällen im Sinne

der Verfassung vorgehen wollte, so stieß man sich sofort den Kopf an

den Regierungen oder den Privatbahnen, welche auf das ängstlichste auf Conservirung der faktischen Zustände, trotz der Veränderung ihrer rechtlichen Grundlagen, bedacht waren.

29 Der Volksvertretung

schlug von Zeit zu Zeit das Gewissen. A->>r^

Man hatte sich eine Weiterentwickelung der deutschen Eisenbahnverhältnisse auf der neu geschaffenen Grundlage so leicht gedacht; als

aber nichts geschah, und, wie wir gesehen haben, nichts geschehen

konnte, um diese Entwicklung zu fördern, erachtete der Reichstag für angemeffen, in Resolutionen die Regierung zu einem weiteren Vorgehn

zu ermuthigen.

Die Resolutionen, welche jedes Mal mit sehr be­

deutender Majorität gefaßt wurden, lauteten:

1) Am 5. Mai 1869:

Der Bundeskanzler sei zu ersuchen,

baldthunlichst die in den Artikeln 14 bis 47 der Verfassung des Norddeutschen Bundes enthaltenen Bestimmungen durch Erlaß der erforderlichen reglementarischen Festsetzungen und allgemeinen admi­

nistrativen Anordnungen in's Leben treten zu lassen.

2) Am 21. April 1870: Der Bundeskanzler sei aufzufordern,

dem nächsten Reichstage ein Gesetz über das Eisenbahnwesen zum Zweck der Einführung gleichmäßiger Grundsätze für die Conzessioni-

rung, den Bau und Betrieb der Eisenbahnen, insonderheit auch Behufs

der Verwirklichung der in den Artikeln 41 bis 47 der .Verfassung enthaltenen Bestimmungen, sowie der Herstellung geeigneter Organe Behufs Ausübung der dem Bunde in Bezug auf die Eisenbahnen

zustehenden Befugniffe vorzulegen.

3) Am 14. Juni 1871:

Dem Herren Reichskanzler seien die

Petitionen des Vereins mittelrheinischer Fabrikanten in Mainz —

II. 34 — und des bleibenden Ausschuffes des Deutschen Handels­ tages zu Berlin — II. 292 — mit der Aufforderung zur Berück­

sichtigung zu überweisen, das durch den Beschluß des Reichstags des

Norddeutschen Bundes vom 21. April 1870 beantragte Gesetz über

das Eisenbahnwesen insbesondere zum Zweck der Herstellung ge­ eigneter Organe für die Ausübung der dem Reiche in Bezug auf

die Eisenbahnen zustehenden Befugniffe mit thunlichster Beschleu­ nigung vorzulegen. Auch sonst fehlte es nicht an Aeußerungen von einzelnen Stellen^^m*aus, welche auf eine tiefere Empfindung der herrschenden Mißstände'bahnuä^

30 schließen lassen.

Das Organ des Deutschen Handelsstandes, der

Deutsche Handelstag hatte der Eisenbahnfrage stets eine rege Auf­

merksamkeit geschenkt. Innerhalb der Zeit vom Jahre 1862 bis 1874 trat derselbe sechs Mal zu Plenarsitzungen zusammen; in fünf dieser Sitzungen selben wurden Resolutionen betr. die Eisenbahnverhältnifle

gefaßt. Meist beschäftigten sich dieselben allerdings mit dem Tarifwesen,

und standen mehrfach unter dem Einfluß der zur Zeit der jedesmaligen Versammlung herrschenden Ansichten. Alle Resolutionen aber bekunden, daß man die Mißstände hauptsächlich auf die Zersplitterung des Deutschen Eisenbahnnetzes zurückführte, daß man die allgemeine wirthschaftliche Lage

des Landes durch die Eisenbahnen nicht genügend gefördert erblickte, und von einer straffen Aufsicht der Regierung sich Besserung versprach.

Im Jahre 1872 wurde eine Resolution folgenden Wortlauts ange­ nommen:

„Alle durch die Reichsverfaffung und durch einzelne Lan­

desgesetze in die Hände des Staates gelegten Aufsichtsrechte sind mit Ernst und Nachdruck zu handhaben.

Vor Allem wird die Bildung

einer Reichscentralbehörde für das Eisenbahnwesen wiederholt bean­ tragt, welche nicht nur auf erhobene Beschwerden gegen Mißbräuche

einschreitet, sondern von Amtswegen darüber wacht, daß die Artikel

41—47 der Reichsverfassung zur Ausführung kommt." @cfenb«*™

Diese Anstöße genügten aber bei der allgemeinen Unempfindlich-

näd)4bim,c feit gegen die im Eisenbahnwesen vorhandenen Mängel, bei der Macht

snÄmch-nund deni großen Einfluß der am Fortbestehn der herrschenden Zu­ stände lebhaft interessirten Eisenbahnverwaltungen

Eisenbahnsrage in Fluß zu bringen.

nicht,

um

die

Die Verhältnisse selbst mußten

schlimmer, mußten unerträglicher werden,

ehe sich

die allgemeine

Meinung aufrütteln ließ, und diese Verschlimmerung trat ein nach der Beendigung des Deutsch-französischen Krieges.

Handel und Ver­

kehr, welche unter dem andauernden Drucke der unsicheren politischen

Lage der Jahre 1866—1870

unthätig und still darniedergelegen

hatten, nahmen nach der glücklichen Beendigung des Deutsch -franzö-

sischen Krieges, als ein Jahre langer Frieden gesichert schien, einen plötzlichen,

maßlosen, in diesem Umfange von Niemand geahnten

31 Aufschwung.

Derselbe traf zusammen mit einer völligen Erschöpfung

der Eisenbahnen, deren Material durch den Krieg abgenutzt, deren

Personal lückenhaft geworden war, und welche nun auf einmal einen Verkehr bewältigen sollten, wie sie ihn früher nie gekannt hatten.

Die lässige Verwaltung der vergangenen Jahre, der Mangel an Fürsorge für die Zeiten außergewöhnlichen Verkehrs machten sich

sofort in traurigster Weise fühlbar.

Die Deutschen Eisenbahnen

konnten nach keiner Richtung mehr den an sie vom Publicum und vom Handelsstande gemachten Anforderungen genügen.

Es fehlte an

Beförderungsmitteln, die Kaufmannsgüter mußten Wochen, ja Monate vorher angemeldet werden,

ehe sie zum Transport angenommen

wurden; von Einhaltung der Lieferfristen war keine Rede mehr, die

Zugverspätungen häuften sich, die Unfälle vermehrten sich in er­ schreckender Weise.

Die Eisenbahnverwaltungen und die Aufsichts­

behörden standen den nunmehr von allen Seiten auf sie losstürmenden

Klagen und Beschwerden rathlos gegenüber, sie wußten nicht wo aus

noch ein.

Die an eine laxe Handhabung des Aufsichtsrechtes ge­

wöhnten Eisenbahnen entschuldigten sich, wenn sie einmal zur Rechen­

schaft gezogen wurden, mit den Folgen des Krieges und diese Ent­

schuldigung genügte in der Regel, es blieb alles beim Alten. Nun muß

ja ohne weiteres zugegeben werden, daß ein plötzlicher Umschwung zur Besserung etwas rein unmögliches war. Die Folgen jahrelanger, tief eingewurzelter Mißstände, noch verschärft durch die Einwirkungen

der kriegerischen Ereignisse, treten plötzlich zu Tage, und solche Folgen

sind nicht von heute auf morgen zu ändern.

Aber das trat doch

Jedermann vor Augen, daß eine Ueberwindung dieser schweren Zeit­

verhältnisse leichter gewesen wäre, wenn wir ein weniger zersplittertes, ein organischer ausgebautes und

einheitlicher

bahnnetz in Deutschland gehabt hätten.

verwaltetes Eisen­

Einheitliche Dispositionen,

ein Ausgleich des Mangels an einem Platze mit dem Ueberfluß an einem anderen, waren bei den bestehenden Verhältnissen nicht möglich. Die Eisenbahnen, besonders und in erster Linie die Privatbahnen,

hüteten sich, einander auszuhelfen, wo eine solche Aushülfe vielleicht

32 möglich gewesen wäre.

Jede Bahn war sich selbst die nächste, ja sie

hatte ja vielfach ein lebhaftes Interesse daran, daß ein Concurrenzunternehmen sich beim Publicum discreditirte.

Es gab aber im

Deutschen Reich keine Stelle, von welcher aus man einem derartigen

Unfug hätte steuern können. Nur ein Umstand war es, welcher die Bahnen anspornte, ihre

Bemühungen auf eine Besserung selbstthätig zu richten.

Trotz ihrer

mangelhaften Einrichtungen wuchsen ihre Einnahmen von Woche zu Woche, theils durch die Truppen- und Kriegsmaterialien-Transporte,

theils durch das Wachsen des Verkehrs.

Der Gedanke lag zu nahe,

als daß er nicht sofort ergriffen worden wäre, daß die Einnahmen sich

noch steigern müßten, wenn die Bahnen in der Lage wären, einen noch größeren Verkehr an sich heranzuziehen und zu bewältigen. Zu diesem Ende galt es mit einer Vermehrung der Beförderungsmittel, mit

einem Ausbau und einer Ergänzung der Schienennetze vorzugehen.

Es wurden also Massen von neuen Wagen, Locomotiven, Schienen bestellt, die Preise derselben schnellten in die Höhe, sie beflügelten

den Aufschwung der Kohlen- und Eisenindustrie.

Die hohen Divi­

denden der Privatbahnen reizten zum Bau .neuer Bahnen.

Die

volkswirtschaftliche Theorie, daß jede Bahn, wo auch immer sie läge, nützlich sei und reiche Erträge abwerfen müsse, fand neue Anhänger, und die Gesuche um Conzessionen zum Bau von Eisenbahnen fanden bei allen Regierungen, vornehmlich aber der preußischen ein freundliches Entgegenkommen.

Es wurden Conzessionen erbeten und ertheilt für

Linien, an welche früher kein Mensch gedacht hatte; es war als ob

alle Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte, alle wirthschaftlichen Vorgänge in den Nachbarländern, ganz und gar vergessen worden

wären, die Theorie der alleinseligmachenden Concurrenz auch im Eisen­ bahnwesen stand wiederum in voller prächtiger Blüthe; mit der freien Entfaltung aller wirthschaftlichen Kräfte,

mit der möglichsten Be­

schränkung der staatlichen Einwirkung und Controlle glaubte man am ehesten und besten wiederum normale Zustände auch im Deutschen Eisenbahnwesen herbeiführen zu können.

33 Für die preußische Staatsregierung hatte dieses Rennen und

Jagen nach Eisenbahnconzessionen jedoch auch seine bedenkliche Seite.

Die ungemeffene Vermehrung der Privatbahnen hatte eine erhebliche Stärkung ihrer Stellung und damit naturgemäß eine Schwächung der

Rechte der Regierung über sie zur Folge.

Schon jetzt aber war der

Einfluß, welchen die Regierung mittelst der Staatsbahnen auf die

Privatbahnen ausübte, in dem westlichen Theile der Monarchie ein äußerst geringfügiger.

Die Hauptstadt stand nur mit den östlichen

und südöstlichen Grenzen durch Schienen in Verbindung.

Nach dem

Westen zu wurde diese Verbindung fast ausschließlich durch Privat­

bahnen hergestellt, die Magdeburg-Halberstädter, Berlin-PotsdamMagdeburger, Cöln-Mindener, Rheinische Bahn; und

die Linien

dieser Corporationen wurden nur stellenweise unterbrochen oder beein­

flußt durch die hannoversche Staasbahn und die unter Staatsver­ waltung stehende bergisch-märkische Eisenbahn. Als nun in der Presse ein Projekt ernstlich erörtert wurde, noch eine direkte Privatbahn von

Berlin an den Rhein zu bauen, und dieselbe mit den linksrheinischen, insbesondere auch den elsaß-lothringischen Bahnen in Verbindung zu

setzen, erschien es der Regierung doch bedenklich, den Bau einer Bahn, deren volkswirthschaftliche und militärische Bedeutung so in die Augen

sprang, einer Privatgesellschaft zu überlaffen. Sie beschloß, den Bau der Bahn auf Staatskosten vorzunehmen und verlangte vom Landtag 120 Smu'

im Winter 1872/73 einen Credit von 120 Millionen Thalern, von

welchen über 50 Millionen für den Bau einer Bahn von Berlin in südwestlicher Richtung nach Wetzlar, der Rest zum Bau anderer wichtiger Strecken, zur Beschaffung neuen Betriebsmaterials und zum

Ausbau bestehender Linien bestimmt war.

Am 14. Januar 1873

fand die erste Lesung der Vorlage im Abgeordnetenhause statt.

In

den Debatten sprach sich der Abgeordnete Lasker dafür aus, daß für

die Zukunft der Alleinbesitz der Bahnen durch den Staat zu erstreben sein werde; er bedauerte lebhaft, daß die Politik des Ministers v. d.

Heydt verlaffen war. Die Nothwendigkeit einer Aenderung der preu­ ßischen Eisenbahnpolitik folgerte er theils aus allgemeinen volkswirth3

34

schaftlichen Gesichtspunkten, hauptsächlich aber warf er dem Handels­ minister vor, daß derselbe nicht mehr die richtigen Grundsätze bei

Ertheilung von Eisenbahnconzessionen befolge, daß für ihn hiebei im wesentlichen persönliche Gunst

und Ungunst bestimmend seien.

Er nannte den Unternehmer Stroußberg als einen Mann, welcher

bei dem Handelsminister Alles durchzusetzen vermöge, er nannte einen

Beamten und mehrere Persönlichkeiten aus hochangesehenen Familien, die sich um Eisenbahnconzessionen bewürben, nicht sowohl um diese

Eisenbahnen auch zu bauen und in Betrieb zu nehmen, als vielmehr um die Conzessionen gegen einen sogenannten Gründergewinn weiter zu veräußern.

Der Abgeordnete erklärte es im Interesse der Wohl­

fahrt des Landes für erforderlich,

daß

über diese Vorgänge das

nöthige Licht verbreitet, und daß darin Wandel geschaffen würde.

Es gelang dem Handelsminister nicht, sich vor dem Hause gegen diese schweren Anklagen sofort zu vertheidigen. Dieselben hatten das pein­

lichste Aussehen im ganzen Lande, ja über dessen Grenzen hinaus, hervorgerufen, und die Regierung konnte nicht schweigen.

Der Mi­

nisterpräsident Graf Roon richtete daher unter dem 31. Januar 1873 einen Brief an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, in welchem er den, ihm direkt unterstellten höheren Beamten gegen die Beschul­

digungen des Abgeordneten Lasker in Schutz nahm und alle An­ klagen des Abgeordneten auf Grund einer vorgenommenen amtlichen

Untersuchung zu entkräften sich bemühte.

Bei der Berathung des

Etats der Eisenbahnverwaltung, am 7. Februar, wurde dieser Brief verlesen, und sofort ein Theil seines Inhalts, welcher sich persönlich

gegen den Abgeordneter Lasker richtete, zurückgenommen.

Der Ab­

geordnete Lasker aber ergriff die Gelegenheit, um nunmehr das Bild

einer Eisenbahnpolitik des preußischen Handelsministeriums vor dem

Hause zu entrollen,

von deren Gemeinschädlichkeit sich bis dahin

Niemand etwas hatte träumen lassen.

Die von ihm in der Sitzung

vom 14. Januar in allgemeinen Umrissen mitgetheilten Thatsachen

erwiesen sich bei näherer Beleuchtung als fast durchweg begründet, ja sie stellten sich jetzt noch erheblich schlimmer dar,

als bei der

35 ersten Verhandlung.

Der Ministerpräsident war selbst in

hohem

Grade erstaunt über diese Vorgänge, er nahm den ganzen Inhalt

des Briefes vom 31. Januar zurück und versprach alles zu thun, um diese traurige Angelegenheit weiter aufzuklären. Der Handelsminister konnte kaum einige Worte sagen zur Berichtigung einiger Thatsachen

in untergeordneten Punkten. Es galt ein Mittel ausfindig zu machen, um den Thatbestand völlig klarzustellen. Die Ansichten der Volksvertreter und der Regierung Kommission

begegneten sich darin, daß der beste Weg der der Einsetzung einer

Spezial-Untersuchungskommission sei und eine allerhöchste Botschaft

vom 14. Februar 1871 beantragte die Niedersetzung einer solchen.

Derselben wurde die Aufgabe gestellt:

„In Betreff der bei Erthei-

lung von Eisenbahnconzessionen zur Anwendung gebrachten Verwal­

tungsgrundsätze und der bei Ausnutzung solcher Conzessionen ent­

standenen Mißstände Ermittlungen anzustellen, damit nach Maßgabe der durch dieselben gewonnenen Resultate ersehen werden könne:

a) Ob und in wie weit die einschlägigen Gesetze und die Ver­ waltungsnormen die Erfüllung der bei Ertheilung von Eisenbahn­

conzessionen beabsichtigten Zwecke zu sichern und das Publikum gegen

Täuschungen und Beeinträchtigungen zu schützen geeignet, und b) welche Aenderungen in der Gesetzgebung und in der Ver­

waltungspraxis erforderlich seien, um vorhandenen Uebelständen und Mißbräuchen thunlichst abzuhelfen."

Die Spezial-Untersuchungscommission erledigte ihren Auftrag in

56 Sitzungen, welche am 25. Februar begannen.

Der Bericht-wurde

dem Hause im November 1873 vorgelegt. Derselbe enthält nicht nur eine aktenmäßige Darlegung des Verfahrens bei der Conzessionser-

theilung für eine große Anzahl preußischer Eisenbahnen, er stellt auch die Mißstände, welche hierbei hervorgetreten sind, in klarer und über­ sichtlicher Weise zusammen, und macht Vorschläge, durch welche Mittel

diesen Mißständen für die Zukunft vorzubeugen ist. Was die Schluß­ folgerungen betrifft, welche die Commission aus dem reichen, ihr vor3*

36 liegenden Material gezogen hat, so ist unter diesen ihre grundsätzliche

Stellung zur Eisenbahnfrage von besonderem Interesse. Die Commission

ist zwar der Meinung, daß der ausschließliche Staatseisenbahnbau für die Gegenwart unausführbar erscheint, daß aber andrerseits „volks -

wirthschaftliche Rücksichten und

Gründe auf die Vereinigung aller

Eisenbahnen in den Händen des Staates als letztes Ziel hinführen." „Die Eisenbahnen seien öffentliche, ihrem Wesen und Zwecke nach den

Landstraßen gleichende Transportanstalten.

Nur zwingende finan­

zielle Gründe hätten dem Staat den Bau der Eisenbahnen aus der Hand genommen und denselben der Speculation und der Industrie

übergeben."

Ferner lautet der Vorschlag VI. 2. der Commission:

„Es erscheint wünschenswerth, die Aufsicht über die Eisenbahnen dem Reiche zu übertragen, dieselbe durch Erlaß eines Reichseisenbahnge­

setzes zu regeln und eine Reichsrecursinstanz einzusetzen." Der Bericht der Commission ist erst in der Frühjahrssession des

Abgeordnetenhauses vom Jahre 1876 zur Verhandlung gekommen,

und zwar aus Gründen welche mit der Niedersetzung der Commission in keiner direkten Beziehung gestanden haben.

Unmittelbare Folgen

hat derselbe nicht gehabt, als daß die preußische Regierung eine alte, seit Jahren verlaffene Praxis wieder einführte, daß die Eisenbahn­ conzessionen von nun an nicht mehr vom Handelsminister allein,

sondern von

dem

gesammten Staatsministerium

ertheilt wurden.

Mittelbar aber ist der Bericht von ganz erheblichem Einfluß gewesen

für die Weiterentwickelung sowohl der Deutschen, als der preußischen

Eisenbahnpolitik.

In dem Bericht haben wir gleichsam einen Nieder­

schlag der Anschauungen, welche sich mehr oder weniger bei der Re­

gierung und im Lande allmählich ausgebildet hatten, und die darin

gipfelten, daß es so mit den Eisenbahnen nicht weiter ging.

Der

Bericht hatte aber klare Andeutungen darüber gemacht, wie es denn weiter gehen sollte, und diese Andeutungen fanden Beachtung und

Würdigung; für Preußen durch eine Rückkehr zu der früheren Po­

litik, für das Reich in einem Fortschritt zur Entfaltung einer kräf­ tigeren Reichspolitik.

37 Mit staatsmännischem Scharfblick hatte der Reichskanzler in letzterem Sinne gleichzeitig bereits vorgearbeitet.

Er hatte allmählich

angefangen die sämmtlichen Regierungen der Deutschen Bundesstaaten zu sondiren rote sie über eine Weiterentwicklung der Reichseisenbahn­

politik dächten, ob ihnen insbesondere mit einer Stärkung der Reichscentralgeroalt in den Eisenbahnverhältnissen gedient sei, was sie von

Einsetzung einer Reichscentral behörde zur Wahrnehmung der dem Reiche verfassungsmäßig übertragenen Befugnisse hielten, und welche

etwaigen Vorschläge sie zu machen hätten, um von Reichswegen in die Deutsche Eisenbahnfrage erfolgreich einzugreifen.

Den Anschauungen,

welche aus diesen Anfragen hervorleuchteten, ertheilten, wie man sich erzählt, nur einige der kleineren Staaten rückhaltslos ihre Zustintmung.

Im Ganzen schien die Sachlage damals kaum darnach angethan, daß der Reichskanzler sich von einem Anträge an den Bundesrath, be­ treffend die Einsetzung einer höchsten Reichsbehörde für das Eisen­

bahnwesen einen praktischen Erfolg hätte versprechen können.

Unter

diesen Umständen warmes sehr erwünscht, daß am 26. April 1873 ber ant^_

württembergische Abgeordnete Dr. Elben im Verein mit 130 Abge­ ordneten fast aller Parteien beim Reichstage einen Gesetzentwurf be­

treffend „die Errichtung eines Reichseisenbahnamtes" einbrachte. Dein Amte sollte die Aufgabe zufallen, die dem Deutschen Reiche in Be­

ziehung auf das Eisenbahnwesen zustehenden Befugnisse auszuüben, es sollte berechtigt sein, Auskunft von den Eisenbahnen über ihre

Einrichtungen zu verlangen, über Beschwerden entscheiden, gegen Pri­

vatbahnen dieselben Rechte ausüben, wie die Landesaufsichtsbehörden,

und gegen die Staats- und Reichsbahnen im reichsverfassungsmäßigen Wege vorgehen dürfen.

Der Reichstag berieth über den Entwurf in erster Lesung am 17.,

in zweiter am 28. und 29. Mai, in dritter am 13. und 14. Juni 1874.

Die Berathungen gestalteten sich zu einer erschöpfenden Behandlung der ganzen deutschen Eisenbahnfrage.

Sie bieten einen neuen Beleg

dafür, wie tief der Volksvertretung das Bewußtsein eingeprägt war,

daß nach einer oder der anderen Richtung in dem Eisenbahnwesen etwas

38 geändert werden muffe.

Ueber das „wie" der Aenderung war man

im Allgemeinen soweit in Uebereinstimmung, daß man ein Reichseisen­ bahngesetz für nothwendig erachtete, und ein großer Theil der Freunde

des Gesetzentwurfs wollte ein Reichseisenbahnamt ausschließlich zu dem Zwecke einsetzen, um ein Reichseisenbahngesetz fertig zu bringen. Im Einzelnen aber gingen die Ansichten über die Mittel und Wege der Reformen weit auseinander; die Freunde und Gegner der Vor­

lage gehörten den verschiedensten politischen und volkswirthschaftlichen Richtungen an.

Der Hauptantragsteller Dr. Elben leitete die Debatten

der ersten Lesung mit einer vortrefflichen Schilderung der Eisenbahn­ zustände im deutschen Reiche ein.

Dem Reiche fehle es aber an jeder

Handhabe, die gesetzlichen Bestimmungen über das Eisenbahnwesen auch zur Anwendung zu bringen.

Damit sei jede Möglichkeit aus­

geschloffen, in der Eisenbahnfrage vorwärts zu kommen.

Die Ein­

setzung des Reichseisenbahnamtes würde der erste Schritt zur An­

bahnung befferer Verhältnisse sein. — Der Reichskanzler ergriff sofort das Wort, um die Richtigkeit der Ausführungen des Antragstellers durchweg zu bestätigen.

„Es ist wohl kein Abschnitt der Verfassung",

sagte er, „der vollen Fertigkeit so nahe gebracht, wie dieser, und an­

scheinend leichter in die Ausführung zu übersetzen, wie gerade dieser, wo dem Reiche große Attributionen in der Theorie verliehen sind.

Aber es fehlt die praktische Handhabe.

Es ist gewissermaßen ein

geladenes Gewehr, aber es fehlt der Abzug, an dem es abgedrückt

werden kann; diese kleine Zuthat ist meines Erachtens Alles, was die Reichsregierung bedarf, um auch diesen Abschnitt seiner Ausführung

allmählich näher zu bringen."

Er fügte hinzu, daß er den Antrag

Elben seinerseits freudig, wie lang ersehnte Hilfstruppen begrüße, daß er fest entschlossen sei, soweit sein amtlicher und persönlicher Ein­

fluß reiche, dem Antrag zur Seite zu stehn, daß er den Antragstellern

wesentlich dankbar sei, wenn sie ihm hülfen

„sein schwerbelastetes

kanzlerisches Gewissen durch Ausführung dieses Antrages zu erleichtern." Für den Gesetzentwurf sprachen in den verschiedenen Lesungen haupt­ sächlich die Abgeordneten Braun, Miquel, Lasker, Hammacher, gegen

39 denselben Eckhardt, Mohl, v. Roggenbach,

Laufe der Berathungen stellte sich heraus,

Reichensperger.

Erst im

mit welchen technischen

Schwierigkeiten das Zustandekommen des Gesetzes

verknüpft war.

Man stieß sich fortwährend an den Verfassungsbestimmungen.

Hier

galt es, dem Bundesrath keine Rechte zu entziehen, dort in die Rechte der Einzelstaaten nicht einzugreifen, dann kam es wieder darauf an,

der neuen Behörde selbst eine ihrer und des Reichs würdige Macht­

stellung zu verleihen.

Die Antragsteller hatten übersehen, daß die

Behörde, welche oft berufen war, in bestehende Rechtsverhältnisse ein­ zugreifen, in der Regel ihre Entscheidungen unter der alleinigen Ver­ antwortlichkeit des Reichskanzlers zu fällen hatte;

Entscheidungen unangreifbar waren.

und daß diese

Im Reichstag erachtete man dieß

für besonders bedenklich, eine Rekursinstanz erschien unbedingt erfor­

derlich. Aber wie eine solche finden? Nach langen Debatten improvisirte der Reichstag schließlich in dritter Lesung das sog. verstärkte Reichs­

eisenbahnamt; d. h. er bestimmte, daß, wenn gegen eine Verfügung des

Reichseisenbahnamtes Gegenvorstellung erhoben würde, auf Grund der Behauptung, daß jene Behauptung in den Gesetzen und rechtsgiltigen Vorschriften nicht begründet sei, das Reichseisenbahnamt sich durch

richterliche Kräfte zu verstärken und unter eigener Verantwortung in kollegialer Berathung und Beschlußfassung zu befinden habe.

Bundesrath

hat für

Der

den Geschäftsgang dieser Recursbehörde ein

Regulativ entworfen, und neuerdings in verbesserter Auflage wieder­ holt, in welchem vorgesehn wird, daß diese Entscheidungen des ver­

stärkten Reichseifenbahnamtes mit möglichster Unparteilichkeit erfolgen, und daß sich der Einfluß der richterlichen Kräfte durchaus fühlbar machen kann.

Gleichwohl ist, wie verlautet, bis dahin diese Behörde

noch niemals in Funktion getreten. Die nachfolgende Zusammenstellung des Antrags Elben mit den

Beschlüssen der zweiten Lesung, dem Antrag Lasker (welcher der dritten Lesung zu Grunde gelegt wurde) und den Beschlüssen dritter Lesung mag den Beweis liefern, welche sozusagen technische Anstrengungen

es kostete, das Reichseisenbahnamt ins Leben zu rufen:

40

Antrag Elben und Genossen.

Beschlüsse des Reichstags in zweiter Lesung.

Gesetz, betreffend die Errichtung eines Gesetz, betreffend die Errichtung eines Reichs-Eisenbahn-Amtes. Reichs-Eisenbahn-Amtes.

Wir Wilhelm rc.

Wir Wilhelm rc.

§. 1.

§• 1.

Zur Ausübung der dem deutschen Reiche in Bezng auf das Eisenbahn­ wesen zustehenden Befugnisse wird eine Centralbehörde errichtet, welche die Benennung „Reichs-EisenbahnAmt" erhält. Das Reichs-Eisenbahn-Amt hat seinen Sitz in Berlin und besteht aus einem Präsidenten und der er­ forderlichen Anzahl von Räthen.

Zur Ausübung der dem deutschen Reiche in Bezug auf das Eisenbahn­ wesen zustehenden Befugnisse wird eine Centralbehörde errichtet, welche die Benennung „Reichs-EisenbahnAmt" erhält. ( Das Reichs - Eisenbahn- Amt ist eine ständige und kollegiale Behörde, welche ihren Sitz in Berlin hat. Dasselbe besteht aus einem Präsi­ denten und der erforderlichen Anzahl von Räthen. Personen, welche bei der Verwal­ tung von deutschen Eisenbahnen be­ schäftigt sind, können keinerlei Thä­ tigkeit in dem Reichs-Eisenbahn-Amt oder für dasselbe ausüben.

§• 2. Der Präsident und die Mitglie­ der des Reichs-Eisenbahn-Amtes werden vom Kaiser, die erforder­ lichen Subaltern- und Unterbeamten vom Reichskanzler ernannt.

Unverändert.

41

Abänderungs-Antrag des Dr. Lasker und Genossen.

Beschlüsse des Reichstags in dritter Lesung. Gesetz, betreffend die Errichtung eines Reichs-Eisenbahn-Amtes.

Wir Wilhelm rc.

Wir Wilhelm rc.

§• 1. Unter dem Namen „Reichs-Eisenbahn-Amt" wird eine ständige Cen­ tralbehörde eingerichtet, welche aus einem Vorsitzenden und der erforder­ lichen Zahl von Räthen besteht und ihren Sitz in Berlin hat. Auch können an geeigneten Orten Reichs-Eisenbahn-Kommissare be­ stellt werden, welche vom ReichsEisenbahn-Amt ihre Instruktion em­ pfangen.

§• 1. Unter dem Namen „Reichs-Eisenbahn-Amt" wird eine ständige Cen­ tralbehörde eingerichtet, welche aus einem Vorsitzenden und der erforder­ lichen Zahl von Räthen besteht und ihren Sitz in Berlin hat. Auch können nach Maßgabe des Bedürfnisses Reichs-Eisenbahn-Kommiffare bestellt werden, welche vom Reichs-Eisenbahn-Amt ihre Instruk­ tion empfangen.

§• 2. Der Vorsitzende und die Mitglieder des Reichs-Eisenbahn-Amtes sowie die Reichs-Eisenbahn-Kvmmissare werden vom Kaiser, die Subalternund Unterbeamten werden vomReichskanzler ernannt Auf den Vorsitzenden finden die Vorschriften des §. 25 des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten vom 31. März 1873, Anwendung. Personen, welche bei der Berwaltung einer deutschen Eisenbahn betheiligt sind, können keinerlei Thätigkeit bei dem Reichs-Eisenbahn-Amt oder als Reichs-Eisenbahn-Kommissare ausüben.

§. 2. Der Vorsitzende und die Mitglie­ der des Reichs-Eisenbahn-Amts so­ wie dieReichs-Eisenbahn-Kommissare werden vom Kaiser, die Subälternund Unterbeamten werden vomReichskanzler ernannt. Auf den Vorsitzenden finden die Vorschriften des §. 25 des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten vom 31. März 1873, Anwendung. Personen, welche bei der Verwal­ tung einer deutschen Eisenbahn betheiligt sind, können keinerlei Thä­ tigkeit bei, dem Reichs-Eisenbahn-Amt oder als Reichs-Eisenbahn-Kommis ­ sare ausüben.

42 8- 3.

§. 3.

Das Reichs-Eisenbahn-Amt führt seine Geschäfte unter Verantwortlichkeit und nach den Anweisungen des Reichskanzlers. Dasselbe ist berechtigt, innerhalb der durch die Verfassung bestimmten Zuständigkeit des Reichs über alle Einrichtungen und Maßregeln von den betreffenden Verwaltungen Auskunft zu fordern, sich auch jederzeit durch persönliche Kenntnißnahme zu informiren. Es erläßt zu diesem Behufe die erforderlichen Anordnungen und entscheidet über die eingehenden Beschwerden.

Das Reichs-Eisenbahn-Amt führt seine Geschäfte unter Verantwort­ lichkeit und nach den Anweisuugen des Reichskanzlers. Dasselbe ist berechtigt, innerhalb der durch die Verfassung bestimmten Zuständigkeit des Reichs über alle Einrichtungen und Maßregeln von den betreffenden Verwaltungen Aus­ kunft zu fordern, sich auch jederzeit durch persönliche Kenntnißnahme zu informiren. Es erläßt zu diesem Behufe die erforderlichen Anordnun­ gen und entscheidet über die einge­ henden Beschwerden, nach Maßgabe der Reichsverfassung und des zu er­ lassenden Reichs-Eisenbahn-Gesetzes. Bis znm Erlaß eines ReichsEisenbahn-Gesetzes stehendem ReichsEisenbahn-Amt gegen die PrivatEisenbahnen zur Durchführung der erlassenen Verfügungen alle den Auf­ sichtsbehörden der betreffenden Bun­ desstaaten beigelegten Befugnisse zu. Staats-Eisenbahnverwaltungen sind nöthigenfalls zur Befolgung der ge­ troffenen Anordnungen im verfas­ sungsmäßigen Wege (Art. 7 Nr. 3, Art. 17 und 19 der Reichs-Verfas­ sung) anzuhalten. Verfügungen des Reichs-Eisenbahn-Amtes den Reichs-Eisenbahnen gegenüber bringt.der Reichskanzler zum Vollzug.

Bis zum Erlaß eines ReichsEisenbahn-Gesetzes stehendem ReichsEisenbahn-Amt gegen die PrivatEisenbahnen zur Durchführung der erlassenen Verfügungen alle den Aufsichtsbehörden der betreffenden Bundesstaaten beigelegten Befugnisse zu. Staats-Eisenbahnverwaltungen sind nöthigenfalls zur Befolgung der getroffenen Anordnungen im verfassungsmäßigen Wege (Art. 7 Nr. 3, Art. 17 und 19 der Reichs-Verfassung) anzuhalten.

§• 4.

§• 4. An geeignetenOrten können ReichsEisenbahn-Kommissarien bestellt wer­ den. Dieselben werden vom Kaiser ernannt, und vom Reichs-EisenbahnAmt mit Vollmacht und Instruktion versehen.

Unverändert.

43 §. 3.

Vorbehaltlich der Bestimmung int §. 5 Nr. 4 führt das Reichs-Eisenbahn-Amt seine Geschäfte unter Verantwortlichkeit und nach den Anweisungen des Reichskanzlers.

Vorbehaltlich der Bestimmung im §. 5 Nr. 4 führt das Reichs-Eisenbahn-Amt seine Geschäfte unter Ver­ antwortlichkeit und nach den Anwei­ sungen des Reichskanzlers.

§• 4.

tz. 4.

Das Reichs - Eisenbahn - Amt hat innerhalb der durch die Verfassung bestimmten Zuständigkeit des Reichs: 1) das dem Reiche zustehende Auf­ 1) das Aufsichtsrecht über das Eisen­ sichtsrecht über das Eisenbahn­ bahnwesen wahrzunehmen; wesen wahrzunehmen; 2) für die Ausführung der in der 2) für die Ausführung der in der Reichsverfassung enthaltenen BeReichsverfassung enthaltenen Be­

Das Reichs-Eisenbahn-Amt hat:

44

§■ 5.

§• 5. Die Vorschriften des §. 25 des Gesetzes, betreffend die Rechtsver­ hältnisse der Reichsbeamten vom 31. März 1873, finden auf den Prä­ sidenten und die Abtheilungschefs des Reichs-Eisenbahn-Amts gleichfalls Anwendung. Urkundlich rc.

Gegeben rc.

Unverändert.

45 stimmungen, sowie der sonstigen auf das Eisenbahnwesen bezüg­ lichen Gesetze und verfassungs­ mäßigen Vorschriften Sorge zu tragen; 3) auf Abstellung der in Hinsicht auf das Eisenbahnwesen hervor­ tretenden Mängel und Miß­ stände hinzuwirken. Dasselbe ist berechtigt, innerhalb seiner Zuständigkeit über alle Einrichtungen und Maßregeln von den Eisenbahn-Verwaltungen Auskunft zu erfordern oder nach Befinden durch persönlicheKenntnißnahme sich zu unterrichten und hiernach das Erforderliche zu veranlassen.

stimmungen, sowie der sonstigen auf das Eisenbahnwesen bezüg­ lichen Gesetze und verfassungs­ mäßigen Vorschriften Sorge zu tragen; 3) auf Abstellung der in Hinsicht auf das Eisenbahnwesen hervor­ tretenden Mängel und Miß­ stände hinzuwirken. Dasselbe ist berechtigt, innerhalb seiner Zuständigkeit über alle Ein­ richtungen und Maßregeln von den Eisenbahn-Verwaltungen Auskunft zu erfordern oder nach Befinden durch persönliche Kenntnißnahme sich zu un­ terrichten und hiernach das Erfor­ derliche zu veranlassen.

§. 5.

§. 5.

Bis zum Erlaß eines ReichsBis zum Erlaß eines ReichsEisenbahn-Gesetzes gelten folgende Eisenbahn-Gesetzes gelten folgende Vorschriften: _ Vorschriften: 1) In Bezug auf die Privat-Eisen- 1) In Bezug auf die Privat-Eisenbahnen stehen dem Reichs-Eisenbahnen stehen dem Reichs-Eisen­ bahn-Amte dieselben Befugnisse bahn-Amte zur Durchführung zu, welche den Aufsichtsbehör­ seiner Verfügungen dieselben Be­ den der betreffenden Bundes­ fugnisse zu, welche den Aufsichts­ staaten beigelegt sind. Werden behörden der betreffenden Bun­ zur Durchführung der Verfü­ desstaaten beigelegt sind. Wer­ gungen des Reichs-Eisenbahnden zu diesem Zwecke Zwangs­ Amts Zwangsmaßregeln erfor­ maßregeln erforderlich, so sind derlich, so sind die Eisenbahndie Eisenbahn-Aufsichtsbehörden Aufsichtsbehörden der einzelnen der einzelnen Bundesstaaten ge­ Bundesstaaten gehalten, den des­ halten, den deshalb an sie er­ halb an sie ergehenden Requi­ gehenden Requisittonen zu ent­ sitionen zu entsprechen. sprechen. 2) Staats - Eisenbahn - Verwaltun­ 2) Staats - Eisenbahn - Verwaltun­ gen sind nöthigenfalls zur Er­ gen sind nöthigenfalls zur Er­ füllung der ihnen obliegenden füllung der ihnen obliegenden Verpflichtungen im verfassungs­ Verpflichtungen im verfassungs­ mäßigen Wege (Art. 7 Nr. 3, mäßigen Wege (Art. 7 Nr. 3, Art. 17 und Art. 19 der Reichs­ Art. 17 und Art. 19 der Reichs­ verfassung) Trnzuhalten. verfassung) anzuhalten. 3) Den Reichs-Eisenbahnen gegen­ 3) Den Reichs-Eisenbahnen gegen­ über wird der Reichskanzler die über wird der Reichskanzler die Verfügungen des Reichs-Eisen­ Verfügungen des Reichs-Eisen-

46 bahn-Amtes zum Vollzüge brin­ gen. 4) Wird gegen eine von dem ReichsEisenbahn-Amte verfügte Maß­ regel Beschwerde erhoben, mit der Angabe, daß dieselbe in den Gesetzen und rechtsgültigen Vor­ schriften nicht begründet sei, so hat das Reichs-Eisenbahn-Amt über dieBeschwerde immer selbst­ ständig und unter eigener Ver­ antwortlichkeit in kollegialer Be­ rathung und Beschlußfassung zu befinden.

Zu diesem Zwecke wird der Bun­ desrath ein Regulativ erlassen, welches den kollegialen Geschäftsgang ordnet und die hierbei dem Präsidenten zustehenden Befugnisse regelt,

bahn-Amtes zum Vollzüge brin­ gen. 4) Wird gegen eine von dem ReichsEisenbahn-Amte verfügte Maß­ regel Gegenvorstellung erhoben auf Grund der Behauptung, daß jene Maßregel in den Gesetzen und rechtsgültigen Vorschriften nicht begründet sei, so hat das durch Zuziehung von richterlichen Beamten zu verstärkende ReichsEisenbahn-Amt über die Gegen­ vorstellung immer selbstständig und unter eigener Verantwort­ lichkeit in kollegialer Berathung und Beschlußfassung zu befinden. Zu diesem Zwecke wird der Bundesrath ein Regulativ erlassen, wel­ ches den kollegialen Geschäftsgang ordnet und die hierbei dem Präsi­ denten zustehenden Befugnisse regelt.

Urkundlich rc.

Urkundlich rc.

Gegeben rc.

Gegeben rc.

47

Und doch hatte erst der Reichstag gesprochen, es fehlte noch die Zustimmung des Bundesrathes, welche nach den Vorgängen im Januar

und Februar 1873 gewiß nicht leicht zu erlangen war.

Schon am

13. Juni hatten die Beschlüffe der zweiten Lesung des Reichstags

lebhafte Anfechtung erfahren, am 17. Juni wurde der Gesetzentwurf,

wie er aus der dritten Lesung des Reichstags hervorgegangen, vorge­ legt, am 20. Juni wurde er, wie die Zeitungen damals meldeten in einer vom Reichskanzler persönlich geleiteten und besonders zu diesem

Zwecke anberaumten Abendsitzung gegen die Stimmen von Württem­

berg und beiden Mecklenburg angenommen. — Am 27. Juni vollzog

der Kaiser den Gesetzentwurf, dem Reichstage wurde noch in der­

selben Session ein Etat für die neue Behörde vorgelegt, und dieselbe

trat am 16. September in Thätigkeit. Bevor wir das Reichseisenbahnamt bei seiner Wirksamkeit be- ®j.ee ^™6>= gleiten und des Näheren untersuchen, wie dasselbe die ihm übertragene schwierige Aufgabe auffaßte, und welche Mittel es ergriff, um zur Besserung der Deutschen Eisenbahnverhältnisse beizutragen, müssen

wir zurückkehren zu den Vorgängen, welche sich im Anschluß an die Niedersetzung der Spezialuntersuchungscommission in Preußen auf

dem Gebiete der Eisenbahnpolitik um dieselbe Zeit entwickelten, als

der Reichsag zuerst über die Einsetzung des Reichseisenbahnamtes be­

rieth. Als die Arbeiten der Untersuchungscommission so weit vorge­ schritten waren, um klarzustellen, daß durch die Vorgänge im Eisenbahn­

conzessionswesen die persönliche Ehrenhaftigkeit des Handelsministers Graf Jtzenplitz nicht im geringsten beeinträchtigt wurde, nahm derselbe

seine Entlassung. An seineStelle trat am 13. Mai der Unterstaatssekre­ tär vr. Achenbach. Das Abgeordnetenhaus nahm sofort die Berathungen

über den Gesetzentwurf betr. die 120 Millionen-Anleihe wieder auf,

und gleich am ersten Tage, am 15 Mai, ergriff der neue Minister

die Gelegenheit, vor der Kammer eine Art von Programm seiner Eisenbahnpolitik zu darzulegen. Er war kein Gegner der Privatbahnen,

gab vielmehr rückhaltslos zu, daß ohne die Privatindustrie das Deutsche Eisenbahnnetz nicht die Entwicklung hätte erlangen können, in welcher

18,31

48 es jetzt dastand; wenn von Anfang an ein ausschließlich staatlicher Eisenbahnbetrieb stattgefunden hätte, ohne daß ihm das belebende Element der Privatthätigkeit zur Seite gestanden, so würde die Gefahr

eines Erschlaffens, einer Ermüdung auch des Staatsbahnbetriebes

nahe gelegen haben.

Gleichzeitig bedauerte der Minister, daß in

Preußen die Wege der v. d. Heydt'schen Eisenbahnpolitik verlaffen seien.

Um an dieselbe wieder anknüpfen zu können, sei es erforderlich, daß der

Staat schon jetzt eine mächtige Rolle in dem Eisenbahnbetrieb spiele,

daß die Entwicklung des Staatsbahnnetzes nicht hinter der des Pri­

vatbahnnetzes zurückbleibe. Die staatliche Concurrenz beeinfluffe auch in vortheilhafter Weise den Betrieb der Privatbahnen; die Staats­

bahnen müßten Regulatoren der Privatbahnen sein, zu diesem Zwecke aber der Staat in die Lage versetzt werden, auf allen Hauptlinien,

in Preußen also speziell auch auf den von der Reichshauptstadt nach

Westen führenden Linien, die Concurrenz mit den Privatbahnen auf­ zunehmen.

Dieses Programm des Ministers fand Zustimmung und Wider­ spruch.

Der Abg. Richter befürchtete unter anderem, eine so starke

Kräftigung des preußischen Staatsbahnbesitzes möchte das Verhältniß

Preußens zum Reiche, deffen Einfluß im Eisenbahnwesen zu kräftigen

nian eben im Begriffe stehe, beeinträchtigen; das Reichseisenbahnamt werde einen schweren Stad haben einem so mächtigen preußischen Han­

delsminister gegenüber! Der Abg. Lasker betonte wiederum den Charak­ ter der Eisenbahnen als öffentliche Straßen. Dadurch, daß der Staat die­

selben Privatunternehmern zur Verfügung stelle, schädige er die öffent­ lichen Interessen zu Gunsten einer Minderheit Privater, eine Schädi­

gung, welche umso bedenklicher sei, weil fertige Eisenbahnen zugleich das

faktische Monopol für sich besäßen, daß der Betrieb auf ihnen nicht von Jedermann wahrgenommen werden könne. Der Staat habe daher

die Pflicht, eine volle Aufsicht zu führen: 1) Ueber den Betrieb der Eisenbahnen, 2) darüber, daß das Monopol nicht über den erlaubten

Umfang hinaus benutzt werde, „dadurch, daß das Publikum der Willkür

gewisser Fuhrherren

preisgegeben werde,

49 weil sie einen Schlagbaum vor dieser Landstraße haben". Endlich müsse der Staat die besten Mittel aufsuchen, durch welche er

seinen Einfluß ausüben könne.

Der Handelsminister hob ebenfalls

in einer Rede bei der dritten Lesung noch einmal hervor, daß der Eisenbahnbetrieb nicht als freies Gewerbe betrachtet werden könne; wollte man ihn aber als solches betrachten, so gehöre derselbe aus­

schließlich dem Staate, weil wenn der Staat die Eisenbahnen nicht regiere, die Eisenbahnen den Staat regieren würden.

Besser als

strenge Gesetze seien kräftige thatsächliche Mittel, und das beste dieser Mittel ein ausgedehnter Eisenbahn.besitz.

Das Abgeordnetenhaus genehmigte mit großer Mehrheit den

Gesetzentwurf, es ertheilte damit dem neuen Minister ein werthvolles

Vertrauensvotum und hatte sich nunmehr klar darüber geäußert, welche Richtung in der preußischen Eisenbahnpolitik ihm genehm war.

Daß Preußen mit dem Reiche hiebei Hand in Hand gehen müsse, erschien selbstverständlich.

Auf beiden Seiten war wenigstens der

beste Wille hiezu vorhanden, und es mußte sich nunmehr erproben,

ob ein solches Nebeneinandergehen der Aufsicht des besitzlosen Reichs­ eisenbahnamts und der Verwaltung eines mit reichen, Eisenbahnbesitz

ausgestatteten Particularstaates in der Praxis möglich war.

Die erste Aufgabe, welche dem Reiche und Preußen zur gemein- ^2"’ schaftlichen Lösung übertragen war, bewegte sich auf dem Gebiete des toe,e"' Eisenbahntarifwesens.

aus, wie hier.

Auf keinem Gebiete sah es so schlimm

Jede Eisenbahn hatte ihren besonderen Tarif, dazu

kamen Tarife der verschiedenen zu einem Verbände vereinigten Eisen­ bahnen; System herrschte in denselben in keiner Beziehung, sie waren dem Publicum fast unzugänzlich und nur wenige bevorzugte Per­ sönlichkeiten waren in der Lage, mit annähernder Sicherheit den

Frachtsatz von einem Orte zum andern voraus berechnen zu können. In einer der schwierigsten Fragen, in der der Differenzialtarife, war

von Seiten der Landwirthschaft einmal bereits die Hülfe des Reiches angerufen worden, und der Reichstag hatte auch eine entsprechende Petition dem Reichskanzler mit dem Ersuchen überwiesen, die nöthigen 4

50 thatsächlichen Ermittlungen zu veranlassen und dem Reichstage mitzutheilen.

Es war darauf eine aus Vertretern der Eisenbahnen, des

Handels, der Industrie und der Landwirthschaft gebildete Enquete-

Commission am 18. März 1872 in Berlin znsammengetreten, und

hatte bis zum 21. März berathen, ohne übrigens zu einem irgend faßbaren Ergebniß zu gelangen. — Zu einer Lösung der Tarif­

reformfrage ging um dieselbe Zeit der Anstoß von den Reichsbahnen in Elsaß-Lothringen aus.

Als dieselben endgültig in den Besitz und

die Verwaltung des Deutschen Reichs gelangten, zeigte sich gar bald,

daß auf die dortigen Verhältnisse keines der im übrigen Deutschland gang und gäben Tarifsysteme, welche sich fast überall auf Grundlage

der localen Verkehrsverhältnisse nach und nach herausgebildet hatten, paßte.

Man beschloß daher den Versuch mit einem ganz neuen

Systeme zu machen, mit welchem man sich während des Krieges durchbeholfen hate. Statt des Werthes der Waaren, überhaupt statt

der Eigenschaften der Güter, nahm man als maßgebend das Gewicht

und den Raum an, welchen dieselben in Anspruch nehmen.

Man

unterschied auf dieser Grundlage nur noch die Beförderung von Eilgut

und gewöhnlichem Gut, und in bedeckten und offenen Wagen, und stellte die Preise verschieden je nach dem Quantum der gleichzeitig zur Beförderung aufgegebenen Waaren.

Diese ganz neue Frachtbe­

rechnung schien sich in Elsaß-Lothringen gut zu bewährren; einige

andere deutsche Bahnen waren nicht abgeneigt, Verbandsverkehre

auf der gleichen Basis anzunehmen, und auch von dem Handelsstande

des übrigen Deutschlands wurde das System zum Theil mit unver­ hohlener Sympathie begrüßt.

Die preußische Regierung erachtete

dasselbe für geeignet, in ganz Deutschland an Stelle der sog. Werth­

classificationssysteme eingeführt zu werden, und als im Januar 1873 der Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen der Tariffrage näher

zu treten beschloß, scheiterte eine Vereinbarung daran, daß die preußi­ schen Staats- und die Reichsbahnen für das elsaß-lothringische, das

sogenannte natürliche, die meisten übrigen Bahnen für das Werth­ classificationssystem stimmten.

51 Diese Verhandlungen waren aber nur die ersten Plänkeleien in dem, Ende des Jahres 1873 beginnenden erbitterten Tarifkampf.

Die Bahnen hatten bis zum Jahre 1873 reiche Einnahmen gehabt.

Als im Jahre 1873 mit dem Wiener und dem amerikanischen Krach der Rückschlag in der Handelsbewegung vor sich ging und als sich gleichzeitig herausstellte, daß durch den gesunkenen Werth des Geldes,

die Erhöhung der Preise aller zum Eisenbahnbau nöthigen Materialien, die Steigerung der Arbeitslöhne, auch die Reineinnahmen der Eisen­ bahnen unangenehm beeinflußt werden würden, schien es vielen Eisen­ bahnverwaltungen nicht mehr als gerechtfertigt, die Steigerung ihrer

Ausgaben durch eine Steigerung ihrer Einnahmen auszugleichen.

Sie zogen also eine allgemeine Erhöhung der Frachtsätze in ernstliche Erwägung.

Die Verwirklichung dieser Bestrebungen war nicht leicht.

Die Privatbahnen bedurften fast alle einer Genehmigung der Auf­ sichtsbehörden, die generelle Erhöhung der Frachten war aber auch

nicht durchzuführen, wenn nicht die große Mehrzahl, ja eigentlich alle deutsche Bahnen dieselbe gleichzeitig und gleichmäßig vornahmen. Der Streit darüber, ob die ersten Schritte zur Ausführung der Tarifer­ höhung von den Privatbahnen oder von den Staatsbahnen ausge­

gangen sind, ist ein ziemlich müßiger.

Als im Winter 1872/73 die

preußischen Privatbahnen bei dem Handelsminister einmal anklopften,

fanden sie kein Gehör.

Es wurde aber die Frage einer ernstlichen

Prüfung unterzogen, ob in den Verhältniffen die Nothwendigkeit einer

allgemeinen Tariferhöhung begründet sei. Das Ergebniß dieser Prü­ fung war ein Schreiben der preußischen Minister für Handel und für Finanzen vom 14. October 1873 an den Reichskanzler, in welchem

dieselben sich für die Tariferhöhung aussprachen und eine Erklärung

des Reichskanzlers darüber erbaten, ob etwa in Rücksicht auf den Art. 45 der Verfassung einer solchen Erhöhung Bedenken entgegen­ ständen. In seiner Antwort vom 24. November 1873 ersucht der Kanzler die Minister, zunächst noch die Betriebsergebniffe des Jahre 1873

abzuwarten, da ihm bis dahin die Verhältnisie eine allgemeine Er­

höhung der Frachtsätze noch nicht zu rechtfertigen schienen. Gleichzeitig 4*

52

beauftragte der Reichskanzler das Reichs-Eisenbahn-Amt mit Ermitt­

lung der Betriebsergebnisse

der Deutschen Bahnen für 1873 und

Feststellung des Maßes der Steigerung der einzelnen Ausgabefaktoren. Das Reichs-Eisenbahn-Amt richtete in einem Schreiben vom 12. März

1874 eine Rundfrage an sämmtliche Deutschen Eisenbahnen über diese Gegenstände, und legte die Ergebnisse seiner Ermittlungen in einer

Denkschrift vom 5. Mai 1874 an den Bundesrath nieder. Sämmt­ liche befragte Bahnen, außer der Homburger, sprachen sich für die Einführung aus, wenn auch nicht überall im gleichen Umfange. Ab­

weichende Ansichten wurden namentlich von einzelnen Privatbahnen mit Erbitterung bekämpft.

Der Reichskanzler beantragte darauf beim

Bundesrath eine Beschlußfassung dahin, „daß vom Standpunkte des

Reichs gegen eine mäßige, im Durchschnitt den Betrag von 20 Procent jedenfalls nicht übersteigende Erhöhung der Eisenbahnfrachttarife unter der Voraussetzung nichts zu erinnern sei, daß gleichzeitig, oder doch

so bald es die erforderlichen Vorarbeiten gestatteten, das in der Denkschrift empfohlene Tarifsystem in seinen Grundzügen zur Ein­

führung gelange." Die durch die Erhöhung schwer in Mitleidenschaft gezogenen

Kreise des Handels und der Industrie hatten anfänglich den Be­

strebungen der Bahnen nur eine laue Aufmerksamkeit geschenkt. Man hielt dieselben für aussichtslos, umsomehr, als im Frühjahr 1873 der

Aufschwung von Handel und Industrie seinen Höhepunkt erreicht hatte, und ja ohne allen'Zweifel eine allgemeine Erhöhung der Frachtsätze um 20 Procent den Niedergang nur beschleunigen mußte. Jedenfalls

glaubte man dessen sicher sein zu können, daß eine so folgenschwere Maßregel nicht ohne zuvorige Vernehmung auch der Handels- und

industriellen Kreise zur Ausführung gebracht werden würde.

Man

hatte indessen, besonders in den rheinischen Jndustriegegenden, nicht versäumt,

den Gang der Bewegung zu verfolgen,

eine lebhafte Opposition vorbereitet.

und im Stillen

Da erschien die Denkschrift des

Reichs-Eisenbahn-Amtes vom 5. Mai, und es entstand sofort eine allgemeine Bestürzung. Nur ein kleiner Theil des Deutschen Handels-

53 standes stand in dieser Frage auf der Seite der Eisenbahnen, es waren vornehmlich die Aktienbesitzer, welche eine Fortdauer ihrer reichen Einnahmen erwarteten, und die an einem hohen Course der

Privatbahnen interessirten Theile der Börse. Die große Mehrheit der

Kaufleute, Industriellen und Landwirthe war gegen die Erhöhung.

Man befürchtete eine bedauerliche Schädigung dieser Gewerbszweige von derselben und konnte die Ansicht der Eisenbahnen, daß die Folge

der Erhöhung eine Steigerung ihrer Einnahmen sein werde, nicht

theilen, da die erhöhten Frachtsätze durch eine Verminderung der

Transporte mehr wie ausgeglichen würden.

Ueberdieß sei die Stei­

gerung der Preise für Materialien und Arbeitslöhne nur eine vor­

übergehende gewesen, die bereits im Rückgänge begriffen sei.

Man

beschloß also schleunigst gegen das Vorgehn der Reichsregierung Ver­

wahrung einzulegen, und es wurde auf den 5. Juni eine freie Ver­

sammlung einer Anzahl Handelskammern nach Frankfurt a. M., auf den 12. Juni eine erweiterte Ausschußsitzung des Deutschen Handels­

tages nach Düffeldorf berufen. Beide Versammlungen gaben fast ein­

stimmig ihrem Bedauern Ausdruck, sie verlangten Sistirung der Maß­ regeln bis nach der Befragung der Interessenten aus den Kreisen des Handels, der Industrie und der Landwirthschast.

vergeblich.

Ihr Protest war

In Düffeldorf konnte der Vorsitzende des Ausschusses die

Mittheilung machen, daß am 11. Juni 1874 der Bundesrath sich

über die Frage schlüssig gemacht, und dieselbe im wesentlichen inr Sinne der Anträge der Reichsregierung entschieden hatte.

Ja, der

Bundesrath ging insofern noch weiter, als das Reichseisenbahnamt, als

er eine sofortige interimistische Erhöhung der bestehenden Fracht­ sätze um höchstens 20 Procent gestattete, und nur die definitive

Erhöhung von der vorherigen Einführung eines gemeinsamen Tarif­ systems abhängig machte.

Die Landesregierungen beeilten sich, den in ihren Gebieten belegenen Bahnen die Erlaubniß zur interimistischen Tariferhöhung zu ertheilen; und fast alle Bahnen machten von dieser Erlaubniß sofort

Gebrauch.

Es war überhaupt eine eigenthümliche, beachtenswerthe

54 Erscheinung, daß in dieser Frage von Anbeginn an eine fast vollkommne Uebereinstimmung unter den verschiedenen Bahnen herrschte.

Es war eine Harmonie in den Verhandlungen der Verbände, wie man sie früher nie gekannt; die Aeußerungen der Eisenbahnen auf

die Umfrage des Reichs-Eisenbahn-Amtes sahen sich mit wenigen Ausnahmen bis auf die Details so gleich, daß man hätte vermuthen

können, die eine sei von der andern abgeschrieben.

So war man

auch darüber gleich einverstanden, daß von der Erlaubniß „bis auf höchstens 20 Procent^ zu erhöhen, in vollem Umfange Gebrauch ge­ macht werden sollte, d. h. das Maximum des Aufschlages von 20 Procent

sollte überall ausgenutzt werden.

Nur wenige Ausnahmen wurden

gestattet; z. B. die Frachten der Seehafenplätze sollten überall da, wo eine Concurrenz mit ausländischen Häfen in Frage kam, nur um

soviel in die Höhe gesetzt werden, daß die Concurrenz nach wie vor

ausgenommen werden könnte.

Inzwischen wollte man sich dann be­

mühen, die ausländischen Bahnen gleichfalls zur Erhöhung ihrer Fracht­ sätze zu bestimmen. — Länger aber, als bis zum Juli, dauerte dieser paradiesische Zustand nicht an.

Sobald es an die Ausführung, der

gefaßten Beschlüsse ging, begann auf's neue der Kampf Aller gegen Alle in einer nie dagewesen Erbitterung und für das Publicum er­ gaben sich nun Zustände, wie sie schlimmer kaum jemals gewesen waren.

So stellte sich sofort heraus, daß trotz aller vorangegangenen Dis­ kussionen, trotz der langen Zeit, welche bis zur Genehmigung der Tarif­

erhöhung verstrichen war, eine große Anzahl von Bahnen gar nicht darauf vorbereitet war, die Erhöhung zu dem frühst möglichen Termin, dem 1. August 1874, einzuführen.

Einzelne Lahnen besannen sich;

sie zogen in Erwägung, daß sie sich durch die interimistische Erhöhung

ihrer Tarife für die Zukunft bei den Berathungen über die Tarif­

reform die Hände banden.

Gleichzeitig leuchteten ihnen auf einmal

die Argumente der protestirenden Kaufleute und Industriellen ein, imb es war ihnen gar nicht unangenehm, durch ein solches Entgegen­ kommen gegen Handel und Industrie vor lästigen Concurrenten einen

wünschenswerthen Vorsprung zu erreichen. Die Rheinische und Ober-

55

schlesische Bahn erhöhten also so gut wie gar nicht. Wieder andere machten einen Unterschied zwischen den Gegenständen, die sie fuhren und den Strecken, welche ihre Bahn durchlief; sie schufen dadurch neue differenzielle Tarifbildungen, welche die bedenklichsten Folgen hatten. Die Vereinbarung, die Seetarife bis auf weiteres nicht zu erhöhen, wurde mehrseitig einfach unberücksichtigt gelassen. Einzelne Bahngruppen benutzten die Gelegenheit zur Einführung neuer Systeme in den Verbandstarifen, und erhöhten in diesen einfach statt um höchstens, um durchschnittlich 20 Procent, von der vollständig richtigen Voraussetzung ausgehend, daß kein noch so geübter Rechen­ meister ihnen den Nachweis erbringen würde, daß die gesammten Aenderungen in den Tarifen sich nicht auf durchschnittlich zwanzig Procent beliefen. In letzterer Beziehung wurde besonders arg ge­ sündigt von den am Verkehr zwischen östreichischen Plätzen und den deutschen Nordseehäfen beschäftigten Bahnen. Am 1. October 1874 traten plötzlich Tarife in Kraft, die noch dazu erst am 6. October bekannt wurden, nach welchen die ganzen Verkehrsverhältnisse zwischen den Hansestädten und den wichtigsten Städten Oestreichs geradezu auf den Kopf gestellt wurden. Die Bahnen hatten nicht daran gedacht, die beteiligten Kreise vorher gutachtlich zu hören, und erst, als die Tarife einige Tage gegolten hatten, sahen sie ein, wie unzweckmäßig sie verfahren hatten. In aller Eile wurde also der status quo ante wieder hergestellt mit dem Vorbehalt, demnächst wieder neue Tarife einzuführen. In Folge dessen tappten die Kaufleute, welche den Ver­ kehr zwischen den betreffenden Plätzen vermittelten, über die Frachtsätze Wochen lang im Düstern. — Auch mit der Publication der Tarif­ erhöhungen nahm man es nicht so gar genau. Vielfach publicirte man in Blättern, welche da, wo die Tarife galten, gar nicht gelesen wurden, man publicirte, zu spät, unvollständig. Kurz der ganze Mangel an Einheitlichkeit in den deutschen Eisenbahnverhältnissen zeigte sich in diesen Monaten in der grellsten Beleuchtung. Das Publicum seufzte nach einer Beendigung dieser kläglichen Mißstände, Handel und Ver­ kehr litten unsäglich, die Landesregierungen waren zur Abhülfe wenig

56 geneigt oder im Stande und die Reichsregierung stand mit gebundenen Händen da. Mehr als einmal brachten die Zeitungen einen Bescheid

des Reichs-Eisenbahn-Amtes an die Beschwerdeführer, „daß sich dasselbe nach den bestehenden Gesetzen außer Stande befinde, mehr zu thun, als die Beschwerden den

Landesaufsichtsbehörden zur Abhülfe zu

überweisen." D'^Taris-

Die Hoffnungen und Wünsche der durch die Tariferhöhung und

ihre Folgen schwer geschädigten Kreise richteten sich nunmehr auf die Tarifreform, welche nach dem Bundesrathsbeschluß vom 11. Juni 1874 mit dem 1. Januar ins Leben treten sollte.

Das Reichseisen­

bahnami war beauftragt die Vorverhandlungen zur Tarifreform unter Verständigung mit Vertretern der Eisenbahnen, des Handels, der Indu­

strie und der Landwirthschaft in die Wege zu leiten und berief auf den 22. Juli eine Anzahl Vertreter der letzteren drei Classen, auf ben 31. Juli

Vertreter der Deutschen Eisenbahnverwaltungen nach Berlin, um über

das in der Denkschrift vom 5. Mai in seinen Grundzügen festgestellte Tarifsystem zu berathen.

wenig erfreulich.

Die Ergebniffe dieser Berathungen waren

Die Kaufleute, Landwirthe und Industriellen er­

klärten zunächst, sie seien in den wenigen Wochen seit Publication des

Bundesrathsbeschlusses nicht im Stande gewesen, sich über das neue Tarifsystem und seine voraussichtlichen Folgen für die Höhe der Frachten,

ein klares Bild zu machen; dieß umsoweniger, als die Vorschläge be­ züglich der Einreihung bestimmter Artikel in die Specialtarife kaum

formulirt gewesen waren, und über die Höhe der Frachtsätze nichts feststand.

Aus diesem Grunde trat man denn auch nur unter Ver­

wahrung überhaupt in die Berathungen ein. — Die Eisenbahnen

hatten es vermöge ihrer besseren Organisation ermöglicht, schon auf

den 7/8. Juli eine Vorversammlung des sog. Tarifverbandes nach Harz­

burg zu berufen, in welcher sie sich über ein gemeinsames Vorgehn in Berlin im Allgemeinen schlüssig machten.

In den Conferenzen war

auch ihre Haltung eine rein oppositionelle.

Sie brachten — gleich­

falls unter Protest gegen die ihnen angeblich angethane Vergewaltigung — schließlich ein Tarifsystem mit 12 Specialtarifen zustande, über

57 deren Sätze ebenfalls nichts gesagt wurde. — Bei der Reichsregierung

scheint sich nach Abschluß dieser Berathungen die Erkenntniß Bahn

gebrochen zu haben, daß man bei der bisherigen Behandlung der Tarif­ frage doch wohl die Mächte, gegen welche man zu kämpfen hatte,

unterschätzt haben möge.

Die Eisenbahnen, im glücklichen Besitze ihrer

interimistischen Tariferhöhung, hatten an der Tarifreform, kein allzu­

lebhaftes Jntereffe, auch die Bestrebungen des frachtzahlenden Publicums nach Reform der Frachttarife erniatteten unter dem lähmenden Eindrücke der Tariferhöhung und in der richtigen Erwägung, daß eine jede Reform eine neue Verschiebung der Frachtsätze nach sich ziehn mußte. Inzwischen hatte der erste Präsident des Reichseisenbahnamtes,

HerrScheele, imAugustseinAmtniedergelegt; der Präsident der Direktion der Hannoverschen Staatsbahnen Herr Maybach trat an seine Stelle.

Dieser erste Akt des volkswirthschaftlichen Schauspiels der Tarif­ erhöhung, dieser erste Versuch der Reichsregierung auf einem wichtigen Gebiete des Eisenbahnwesens thätig einzugreifen, wirft ein Helles Licht auf ihre rechtliche und thatsächliche Stellung gegenüber den Landes­

regierungen.

Die Tariferhöhung mußte in weiten Kreisen des Volkes

eine arge Mißstimmung Hervorrufen, und es gelang — diese Miß­

stimmung gegen die Reichsregierung zu lenken, welche ja die Tarifer­

höhungen „genehmigt" habe.

Die Reichsregierung, d. h. nicht einmal

diese, sondern der Bundesrath hatte aber nichts gethan,

als erklärt:

„es seien vom Standpunkt des Reichs gegen die Erhöhung keine Ein­

wendungen zu erheben;" er hatte ferner sich bemüht, die weitgehendeir Bestrebungen der Landesregierungen und Eisenbahnen in möglichst

enge Schrenken zu ziehn, und durch die Tariferhöhung eine schneidige Waffe in die Hand zu bekommen zur Durchführung der Tarifrefornt.

Diese doch offenbar auf eine Milderung der durch die Tariferhöhung hervorgerufenen Uebelstände gerichteten Bestrebungen

der Reichsre­

gierung wurden theils todtgeschwiegen, theils denselben nunmehr direkt entgegengearbeitet.

Und der gesetzliche Boden, auf welchem die Re­

gierung stand, erwies sich sofort als ein so schwankender, daß sie

nichts hiergegen machen konnte.

Sie mußte es ruhig ansehn, als die

58

Tariferhöhung ungleichmäßig ausgeführt, als die 20 Procent über­ schritten, ja als auch der Termin, bis zu welchem die interimistische

Tariferhöhung gestattet war, der 1. Januar 1875, einfach unberück­ sichtigt gelassen wurde. — Konnte die Reichsregierung diesen Mißer­ folg nicht vermeiden? Wir glauben allerdings, wenn man, als die preußische Regierung die Frage der Tariferhöhung zu einer Frage der

Reichseisenbahnpolitik machte, kühler und mit ruhiger Zurückhaltung an die Sache herangetreten wäre, man wohl besser hätte prozediren

können.

Die Mitbetheiligung des Reichs erfolgte auf Grund des Art.

45 der Verfassung, nach welchem das Reich auf möglichste Herabsetzung

der Tarife hinzuwirken hat.

dings keine Herabsetzung.

Nun ist eine allgemeine Erhöhung aller­ Das Reich als solches ging ja aber auch

mit einer Erhöhung nicht um; andrerseits war, wie wir schon im früheren, andeuteten ihm in der, Verfassung kein Mittel an die Hand

gegeben, durch welches es seine „Wirksamkeit auf Herabsetzung der Tarife" ausüben konnte, und die ganze Bestimmung war eine so vage,

daß der Reichskanzler dem preußischen Ministerium mit Fug und Recht

hätte antworten können: Das Reich muß zunächst den Bundesregie­ rungen die Verantwortlichkeit für diesen Schritt überlassen; sollte sich

ergeben, daß derselbe für das Wohl des ganzen Reichs schädlich wirkt, so behält sich dasselbe vor, auf eine Herabsetzung der Tarife hinzu­

wirken. — Mit einer solchen Antwort hätte die Reichsregierung sich

keines ihrer Rechte begeben, dagegen hätte sie sofort klargelegt, wie schwach ihre ganze Stellung war; sie hätte hierdurch vielleicht Anstoß

gegeben, die geltenden Gesetzesbestimmungen so zu ändern, daß in Zukunft ihre Machtlosigkeit nicht wieder in dieser augenfälligen Weise

an den Tag getreten wäre. Gleichzeitig mit den Bestrebungen auf dem Gebiete des Eisenbahn«vÄÄ«'tarifwesens entfaltete das Reichseisenbahnamt eine angestrengte Thä1874. tigkeit mit Vorarbeiten für ein Reichseisenbahngesetz, auf welche

es sowohl durch das Gesetz vom 21. Juni 1873, als durch die Reichs­ tagsverhandlungen, die dem Erlaß dieses Gesetzes vorausgingen, hinge­

wiesen war.

Schon im März 1874 wurde der Entwurf eines Reichs-

59 eisenbahngesetzes der öffentlichen Kritik zur Verfügung gestellt und den

Bundesregierungen zur Aeußerung mitgetheilt. Es fand dankbare Aner­ kennung, daß die höchste Reichseisenbahnbehörde auf diese Weise dem ganzen deutschen Volk Gelegenheit bot, an den Vorarbeiten für ein so

wichtiges, in fast alle Lebens- und Verkehrsverhältniffe tief einschnei­ dendes Gesetz sich zu betheiligen.

Der Entwurf enthielt nicht nur die

staats- und reichsrechtlichen Bestimmungen über die Regelung des Ei­ senbahnwesens, er beschäftigte sich in seinem größeren Theil auch mit

der Regelung des Eisenbahntransportrechtes und einer vollständigen Re­ vision der einschlägigen Bestimmungen des Handelsgesetzbuches.

Der­

selbe wurde von der öffentlichen Kritik nach allen Richtungen hin be­ urteilt, er fand theils Zustimmung, theils mannigfache Ausstellungen,

die sich sowohl auf die Oeconomie, als auf die Form und den Inhalt, die Grundprinzipien und die Einzelheiten des Gesetzes bezogen. Auch

ein großer Theil der Bundesregierungen äußerte sich nach und nach

über denselben.

Während aber die öffentliche Kritik fast einstimmig —>

von wenigen Ausnahmen, z. B. dem bekannten schwäbischen Sonder­ ling Moritz Mohl abgesehn — der Meinung war, daß die Rechte,

welche der Entwurf für das Reich in Anspruch nahm, noch nicht ge­ nügten, fanden wie bekannt viele einzelstaatlichen Regierungen, daß

die Grundprinzipien des Entwurfes mit der Verfassung in Widerspruch ständen, und schon aus diesem Grunde von einer weiteren Verfolgung

dieses Entwurfes abgesehn werden müsse. — Das Reichseisenbahnamt hatte sich in den wenigen verflossenen Monaten seiner Thätigkeit davon

überzeugt, daß die ihm zugewiesene Stellung eine äußerst precäre war,

daß man es überall auf den guten Willen der Einzelstaaten und der Eisenbahnen angewiesen hatte.

Hierin wollte der Entwurf Wandel

schaffen; er betrachtete als das zu erstrebende Ziel die alleinige

Ausübung der Aufsichtsrechte durch das Reich und seine Or­

gane, dieses Ziel sollte aber ganz allmählich erreicht, einstweilen eine Concurrenz zwischen den Reichs- und den Landesaufsichtsbehörden in

vielen Punkten beibehalten, und nur der höchsten Reichsbehörde, dem

Reichseisenbahnamte, die Befugniß verliehen werden, nach und nach

60 „einzelne der Reichsaufsicht überhaupt unterliegende Zweige des Eisen­ bahnwesens seiner ausschließlichen Aufsicht allgemein zu unterwerfen."

Dabei dachte man sich allerdings wohl — die Motive enthalten darüber mehrfache Andeutungen — daß es Aufgabe des Reichseisenbahnamtes

sein werde, durch energische Handhabung der ihm bereits verliehenen Aufsichtsrechte, die Einzelstaaten geneigt zu machen, sich aller ihrer Rechte zu Gunsten des Reichs zu entäußern. —

Gerade diese grundsätzliche Auffassung wurde von den verschie­ denen Standpunkten aus heftig angegriffen.

Mehrere Eisenbahnen

besitzende Regierungen besorgten, es werde ihnen durch eine solche Thätigkeit ein Theil ihrer Eisenbahnsouveränetät nach dem andern

entrissen; sie gingen vereinzelt so weit, die bis dahin vom Reichseisen­

bahnamte entfaltete Thätigkeit einer herben Beurtheilung zu unter­ ziehen und verwahrten sich gründlich gegen eine weitere Kräftigung

einer solchen ihnen trotz ihrer schwachen Befugniffe unbequemen Be­ hörde.

Die öffentliche Meinung des Volkes, soweit sie in den Tages­

und Fachzeitschriften, in den Berichten der Handelskammern, der landwirthschaftlichen und der industriellen Vereine zu Tage trat, meinte

umgekehrt, es sei der Stellung einer höchsten Reichsbehörde nicht wür­ dig, wenn man dieselbe darauf anweise, sich ihren Boden erst Schritt

für Schritt zu erkämpfen,' statt ihr von Anfang an klar zu sagen:

hier ist dein Gebiet — dort ist das Gebiet der Landesregierung. Gleich­ zeitig aber fühlte man schon damals,

daß die Rechte der Reichsre-

gierung sofort möglichst weit gehen mußten, daß die beste Lösung der

schwierigen Frage in einer Uebertragung des unmittelbaren Aufsichts­ rechtes auf die Reichsaufsichtsbehörde gefunden werde, und daß diese mit den zur wirksamen Ausübung der Aufsichtsrechte im Interesse des

Publicums nöthigen Organen auszurüsten sei.

Man stellte also der

Reichsregierung seine Unterstützung auch für den Fall in Aussicht,

daß sie weitergehende Ansprüche erhebe als der Entwurf, und sprach

es vielfach aus, daß auch die Uebertragung des Eisenbahnconzessionsrechtes

auf das Reich, sowohl für die Privat- als für die Staatsbahnen nothwendig sei.

Darum kümmerte man sich allerdings wenig, ob

61 solche Erweiterung der Rechte des Reichs mit der Verfassung sich ver­

trage.

Wenn nothwendig, müsse eben die Verfassung hier abgeändert

werden.

Im Herbste des Jahres 1874 konnte hiernach nicht wohl zweifel­ haft sein, von welcher Seite die Bestrebungen der Reichsregierung

nach weiterer Entwicklung des Reichseisenbahnrechtes Unterstützung, auf welcher Seite dieselben Widerspruch fanden.

Im Volke war

man mit dem Vorgehn der Reichsregierung einverstanden, nicht so eine Anzahl Bundesregierungen und die Privatbahnen.

Die Stellung

der kleineren Staaten war eine nicht bestimmt ausgeprägte, und der

größeste unter den Bundesstaaten hielt sich mehr reservirt.

Er ver­

folgte inzwischen innerhalb seiner eigenen Grenzen die im Frühjahr

1873 begonnene Politik mit Ruhe und Besonnenheit weiter.

Im April 1875 erschien der zweite, — umgearbeitete, — der^Eniwun

sog. „vorläufige Entwurf eines Reichseisenbahngesetzes." Hatte schon der erste Entwurf alle centrifugalen Kräfte unseres Vater­

landes in gelinde Aufregung versetzt, so steigerte der vorläufige Ent­ wurf diese Aufregung noch in hohem Maaße. Derselbe hatte den haupt­ sächlichen Fehler seines Vorgängers, die Unklarheit über das Ver­

hältniß der Reichs- zur Landesaufsicht, glücklich vermieden.

Der ganze

Geist deffelben, die schärfere und conzisere Sprache, bewiesen, daß das Reichseisenbahnamt von dem Bewußtsein durchdrungen war, daß die

erste Vorbedingung für eine gedeihliche Weiterentwicklung unserer Eisenbahnverhältniffe eine vollständige Klarheit über die gegenseitigen Be­

ziehungen sein müsse.

Der Kernpunkt des Entwurfs liegt im Art. 2..-

„Die unmittelbare Aufsicht über das Eisenbahnwesen steht dem Reiche

zu." Der Entwurf erstrebt für die Deutscheu Eisenbahnverhältniffe einen Zustand, in welchem an Stelle der Einzelinteresfen in erster Linie die

allgemeine Wohlfahrt bei der Verwaltung der Eisenbahnen zur Richt­ schnur dienen soll, in welchem die Eisenbahnen nicht die unverant­ wortlichen Herren, sondern die verantwortlichen Diener des öffent­ lichen Verkehrs, in welchem sie nicht industrielle und gewerbliche In­

stitute, nicht kaufmännische Unternehmungen, sondern öffentliche Straßen

62 werden sollen.

Nach diesen Grundsätzen sollen die Eisenbahnen con-

zessionirt, gebaut, verwaltet, betrieben werden.

Wo sie dagegen ver­

stoßen, tritt die Aufsichtsbehörde ein mit Rügen und Strafen.

Daß solche Befugniffe des Reichs einzelnen Bundesregierungen ebenso wenig gefielen, wie der großen Mehrzahl der Privatbahnen,

bedarf kaum Per Erwähnung.

Im ersten Schrecken suchten die letz­

teren bei der Börse gegen die ihnen drohende Gefahr Hülfe zu finden.

Eine solche Verschärfung der Reichsaufsicht werde die Reinerträge der Privatbahnen drücken, die obligatorische Bildung von Reserve- und Erneuerungsfonds sei äußerst bedenklich, die Bestimmung des Art. 20, nach welchem für Kriegsbeschädigungen und Demolirungen aus Reichs­ oder Staatsmitteln kein Ersatz geleistet werde, mache die ganze Exi­

stenz der Privatbahnen zu einer problematischen.

Das leichtgläubige

Publicum, welchem es nicht bekannt war, daß diese letzteren beiden Bestimmungen in Preußen längst geltendes Recht waren, ließ sich auch

zum Verkauf seiner Eisenbahnaktien bestimmen, und die Stimmung gegen den vorläufigen Gesetzentwurf war einstweilen gemacht. — Die

von der Börse nicht abhängige öffentliche Kritik begrüßte dagegen den

Entwurf mit warmem Zuruf, erachtete denselben für eine entschieden

verbesserte Auflage des früheren Entwurfs, und bedauerte nur, daß das Reichseisenbahnamt wiederum das Conzessionsrecht nicht für das Reich in Anspruch genommen hatte. Von einigen Seiten wurde auch das

Fehlen der Bestimmungen über das Eisenbahntransportrecht bemängelt. — In den Bemerkungen zum Entwurf erklärte das Reichseisenbahn­ amt, derselbe sei lediglich als Grundlage für eine in Aussicht genom­

mene informatorische Vorberathung mit Commiffarien einiger Bundes­ regierungen zu betrachten.

Für diese Vorberathung nahm man die

Zeit von Anfang Juni an in Aussicht; die Bundesregierungen hatten also Muße, den Gesetzentwurf durchzustudiren, ihre Commiffare zu in-

struiren und ihre Auffassung bei der informatorischen Vorberathung gel­

tend zu machen. Die Kgl. sächsische Regierung war aber bekanntlich über

die in dem Entwurf zu Tage tretenden, ihrer Auffassung nach bedenk­ lichen Anschauungen der Reichsregierung so wenig erbaut, daß sie den

63 Termin der Vorberathungen nicht abwarten konnte,

sondern schon

vorher einigen ihrer mitverbündeten Regierungen unverhohlen ihren ab­

lehnenden Standpunkt gegenüber dem Gesetzentwurf nicht vorenthalten zu dürfen glaubte, wobei sie sich alle Mühe gab, eine Coalition zur Be­

kämpfung deffelben zustandezubringen. Diese Schritte, welche erst neuer­

dings das sächsische Hofjournal ausgeplaudert hat, waren nicht ohne

allen Erfolg.

Die informatorischen Vorberathungen fanden vom 7. bis 12. Juni 1875 unter Theilnahme von Commiffarien der Regierungen von Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Sachsen- 7-is75?um Weimar, Oldenburg, Lübeck, Bremen und Hamburg, der Militärver­

waltung und des Reichskanzleramtes statt. Die Verhandlungen waren, wie verlautete, ziemlich lebhaft.

Es zeigte sich bald, daß eine Verstän­

digung über die Prinzipienfragen schwer zu erreichen war, und daß daher die Gefahr nahe lag, es werde zu positiven Ergebnissen nicht kommen.

Das Verlangen der unmittelbaren Reichsaufsicht über die Eisenbahnen

fand Widerspruch, wesentlich aus politischen Gründen.

Die sonstigen

volkswirthschaftlichen Gründe gegen die Reichsaufsicht waren unerheblich. Der Präsident des Reichseisenbahnamtes konnte den Grundpfeiler des Entwurfs dagegen nicht umstürzen lassen, er wurde namentlich auch

von einigen der kleinstaatlichen Commiffarien unterstützt.

Endlich be­

schränkte man sich darauf, einzelne Theile des Entwurfs einer cursorischen Durchberathung zu unterziehn.

Ueberall jedoch fanden die

Widersacher etwas zu mäkeln, und wurde auf die Generaldebatte:

Mittelbare oder unmittelbare Aufsicht? zurückgegriffen, es bekundete sich durchweg eine antipathische Gesinnung gegen die Richtung, welche die Reformprojekte der Reichsregierung eingeschlagen hatten.

Nach­

dem man sich in dieser wenig erquicklichen Weise durch vier lange Tage

hindurch in unfruchtbaren Debatten herumgestritten hatte, erklärte der Vorsitzende, die bisherigen Resultate der Berathungen

seien rein

negative, die Basis des Entwurfs vollständig verrückt, so daß eine Fortsetzung

dieser Verhandlungen zwecklos sein werde.

Dieselben

wurden also abgebrochen und am folgenden Tage ging die Commission,

64 indem man noch einige freundliche Abschiedsworte wechselte, aus ein­

ander — um vorläufig nicht wieder zusammenzutreten.

Freilich waren die Ergebnisse rathungen rein negative.

dieser informatorischen Vorbe-

Und doch hatten sie wesentlich beigetragen

zur Klärung der Situation.

Was man bis dahin nur hatte ver­

muthen können, das war jetzt klar erwiesen.

Die Wege, welche die

Reichsregierung in ihrer Eisenbahnpolitik wandelte, fanden nicht die

Zustimmung aller derjenigen Bundesgenosien, auf deren Einverständniß man das größeste Gewicht legte, und den Regierungen gesellten

sich die mächtigen Privatbahnen mit ihrer ganzen Clientel hinzu. Letztere befanden sich fteilich in ihrer, durch eine gemeinschaftlich ab­ gefaßte Broschüre kundgegebenen Opposition gegen den vorläufigen Entwurf in einem merkwürdigen Widerspruch gegen sich selbst.

Im

Jahre 1873 war von dem sog. Verein der Deutschen Privatbahnen

der Entwurf eines „Gesetzes über das Eisenbahnwesen im Deutschen

Reich" ausgearbeitet worden, in welchem es ausdrücklich hieß, die Aufsichtsrechte über die Deutschen Eisenbahnen seien direkt und un­

mittelbar vom Reiche auszuüben, so daß das „Reich nicht nur als

höhere Instanz über der Aufsicht der Eisenbahnen durch die einzelnen

Bundesstaaten zu fungiren haben."

Und nun wurde gegen diese

selbige Aufsicht nach Kräften angekämpft. Bei dem immer noch vorhandenen allgemeinen Bedürfniß nach

weiteren Fortschritten in der Eisenbahngesetzgebung hätte man füglich erwarten können, daß diejenigen Opponenten, welche die Reichspolitik

nicht billigten, ihrerseits der Reichsregierung Fingerzeige gegeben hätten

über die Wege, welche zu dem doch gewiß noch nicht erreichten Ziele führten.

Es ist bezeichnend, daß hievon keine Rede war.

Ein Vor­

schlag der Regierung nach dem andern wurde verworfen, die Kritik war eine rein negirende, unfruchtbare, und doch wurden von keiner Seite

Vorschläge gemacht, von keiner der diffentirenden Regierungen, wie ihnen doch freistand, dem Bundesrathe ein Entwurf eines Reichseisen­

bahngesetzesvorgelegt.

Im Grunde war es aber doch eine starke Zumu-

thung an die Reichsregierung, wenn man von ihr immer neue gesetz-

65

geberische Arbeiten erwartete, lediglich um diese Arbeiten, wenn ste vor­ lagen, zu verwerfen, und nichts besseres an ihre Stelle zu setzen.

Von

welcher beinahe naiven Vertrauensseligkeit man hiebei an einzelnen

Orten erfüllt war, das beweist am besten das stete Zurückgreifen auf den freundlichen Abschied, welchen der Präsident Maybach den Com-

miffarien der Regierungen für die Vorberathung des vorläufigen Entwurfs ertheilte.

Diese Worte, in welchen der Präsident seiner

Ueberzeugung Ausdruck gab,

daß das große nationale Werk der

Eisenbahnreformgesetzgebung trotz aller Hindernisse schließlich doch

gelingen werde, waren für sie ein Beweis, daß die Regierung nicht

Nachlassen werde mit ihren Bemühungen für das Zustandekommen eines Eisenbahngesetzes, daß sie nicht von der Unfruchtbarkeit, sondern

von den glänzenden Resultaten der Vorberathung des vorläufigen Entwurfs tief durchdrungen sei; über diesem höflichen „Auf Wieder­

sehn" wurden die vier Tage erfolgloser, ermüdender Debatten voll­

ständig vergessen! In der That, es wäre wunderbar gewesen, wenn

die Reichsregierung nicht jetzt endlich sich davon überzeugt hätte, daß auf diesem Wege für sie kein Weiterkommen war. In der Tarifreformfrage waren inzwischen die Vorarbeiten fortge-

setzt worden. Am 3. Dezember 1874 überreichte der Reichskanzler

Bundesrath eine neue Denkschrift des Reichseisenbahnamtes, welche da­

durch erforderlich wurde, daß in dem Bundesrathsbeschluffe vom 11.

Juni als Zeitpunkt des Eintritts der Tarifreform der 1. Januar 1875 festgestellt war.

Die Einhaltung dieses Termins war unmöglich; es

galt also, sich über den weiteren Verlauf der Angelegenheit schlüssig zu machen.

Die Tarifreform stand immer noch in engem Zusammen­

hang mit der Tariferhöhung.

Das Reichseisenbahnamt ging von dem

Bestreben aus, die in dem ersten Bundesrathsbeschluß gemachten Fehler einigermaßen zu redressiren. Bei einer großen Anzahl insbesonder