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German Pages 416 [420] Year 1897
Verlag von Georg Reimer Berlin.
Zehn Jahre
Deutscher Kämpfe. Schriften zur Tagespolitik
Heinrich von Treitfchke.
Dritte Auflage. Theil 1: Po» 1805—1870.
Berlin. Druck und Verlag von Georg Reimer.
1897.
Wilhelm Wehrenpfennig.
In diesem Bande ist Alles zusammengestellt, was ich in den letzten zehn Jahren, so lange ich mit einiger Regelmäßigkeit an der öffentlichen Debatte theilnehme, über die Politik des Tages geschrieben habe. Voran steht als Einleitung eine Rede aus etwas älteren Tagen; sie spricht in unbestimmter Ahnung den leitenden Gedanken des Buches aus, welchen der Aufsah „Bund und Reich" noch ein mal aufnimmt. Von vielen Seiten aufgefordert diese Sammlung herauszugeben, habe ich mich nur schwer dazu entschlossen. Nicht als fürchtete ich den Tadel über so manchen groben Irrthum. Wohl habe ich selbst bei der Durchsicht lebhaft empfunden, wie oft ich mich getäuscht, und wie Vieles heute schon längst als abgethan und selbstverständlich er scheint was noch vor wenigen Jahren Zweifel und Streit erregte. Aber wer von großen Zeiten nicht zu lernen weiß verdient nicht sie zu erleben; nur selten falsch zu sehen und den erkannten Irrthum rasch zu berichtigen ist das Beste, was in der Politik wie im Kriege sich erstreben läßt. Unbefangene Leser werden trotz einzelner Wider sprüche eine ruhig bewahrte Ueberzeugung in jedem dieser Auffätze wiederfinden. Sie werden auch die dem politischen Schriftsteller unentbehrliche leidige Kunst des Wiederholens geduldig hinnehmen und den Zwang der Verhältnisse billig berücksichtigen, welcher den Publicisten kaum minder beengt, als den handelnden Staatsmann, und ihn oftmals nöthigt die Stimme zu erheben wo er schweigen, sie zu dämpfen wo er laut zürnen wollte. Peinlich ist mir nur der Gedanke, daß vielleicht mehrere treff liche Männer, selbst einige meiner nahen Freunde, durch den Wieder abdruck dieser Blätter sich gekränkt fühlen können. Wer die Sache schlagen will, muß zuweilen auch die Männer treffen, und es kann nicht fehlen, daß dabei einzelne scharfe und ungerechte Worte mit
unterlaufen.
Hinterher zu streichen ging nicht an. Sollte das Buch
seinen Zweck erfüllen, so mußten die Schriften völlig unverändert wieder erscheinen, wie
sie im Drange der Stunden hingeworfen
wurden; selbst thatsächliche Irrthümer sind nur an wenigen Stellen durch Anmerkungen berichtigt. sichtiges Urtheil zu hoffen;
Ich wage gleichwohl aus ein nach
denn persönliche Gehässigkeit habe ich
dem politischen Kampfe immer fern gehalten, und wo ich fehlte, da ist mir meine Schuld von
der deutschen Presse längst redlich heim
gezahlt worden. Diese Sammlung will einen Beitrag geben zur Geschichte unserer jüngsten Vergangenheit, von der Befreiung Schleswig-Holsteins bis herab zu
der socialen Gährung und
den kirchlichen Kämpfen der
Gegenwart und zu den großen Aufgaben, die noch ungelöst vor dem deutschen Reiche liegen.
Vielleicht mag sie da und dort einem
Zweifelnden und Schwankenden herzhaftes Zutrauen erwecken zu der neuen Ordnung der deutschen Dinge. Ihnen aber,
lieber Freund,
soll das Buch bewegte Jahre ge
meinsamer Arbeit in das Gedächtniß zurückrufen.
Als Herausgeber
der Preußischen Jahrbücher haben Sie die meisten dieser Schriften einst entstehen sehen; Sie wissen wie viel Leid und Lust an manchem Blatte haftet.
Sie werden viele Stellen wiederfinden, wo wir selb
ander sorgsam jedes Wort erwogen, viele andere, wo Sie mit der Weisheit des erfahrenen Greises,
doch selten mit Erfolg, versuchten
mir Wasser in den Wein zu schütten.
Es war ein guter Kampf,
und ich denke, wir werden noch oft als treue Kameraden Schulter an Schulter stehen. Berlin, 31. Oktober 1874. Heinrich von Treitschke.
Vorwort zur zweiten Auflage.
Dies Buch fand bei seinem ersten Erscheinen in der Presse sehr geringe Beachtung, vielleicht weil es keiner unserer Parteien recht behagen konnte. Trotzdem ist heute eine neue Auflage nöthig ge worden. Ich weiß es wohl, eine Sammlung tagespolitischer Schriften stellt die Nachsicht der Leser auf eine harte Probe. Das Beste was der Publicist zu ahnen und zu sagen vermag klingt trivial wenn es durch den Gang der Ereignisse bestätigt wurde, und selbst der ver zeihliche Irrthum erscheint abgeschmackt sobald ihn die Thatsachen widerlegt haben. Einer schwer arbeitenden Zeit ist kaum zuzumuthen, daß sie die Gedanken einer noch nicht abgeschlossenen Vergangenheit schon mit mildem historischem Sinne beurtheile. Wenn mein Buch dennoch in manchen Kreisen freundlich aufgenommen wurde, so er kenne ich daraus mit freudigem Danke, datz die hoffnungsvolle An sicht vom deutschen Leben, welche sich in diesen Blättern ausspricht, doch selbst in unseren Tagen des Haders und des Unmuths noch viele Anhänger zählt. Der neuen Ausgabe find die während der letzten fünf Jahre entstandenen Aufsätze hinzugefügt. Meine Absicht war, der Samm lung nunmehr einfach die Bezeichnung „Fünfzehn Jahre deutscher Kämpfe" zu geben. Da aber der Verleger Bedenken trug, den alten, dem Büchermärkte bekannten Namen zu verändern, so mußte der Titel eine etwas weitläuftige Faffung erhalten. Berlin, 15. November 1879. T.
Zur dritten Auflage.
Nur wenige Worte möchte ich dieser neuen Auflage der Zehn Jahre deutscher Kämpfe mit auf den Weg geben. Der Anordnung Treitschke's entsprechend, ist der Aufsatz „Unsere Aussichten", der bisher die Sammlung abschloß, herausgenommen, um die inzwischen erschienene Neue Folge der Deutschen Kämpfe (Leipzig, S. Hirzel 1896) einzuleiten. Die Aenderungen, die sonst noch nöthig waren, betreffen nicht den Inhalt, sondern nur das äußere Gewand des Buches. Der zweiten Auflage waren von Treitschke eigentlich im Widerspruch mit dem Titel auch die Artikel hinzugefügt, die er seither — d. h. von 1874 bis 1879 — geschrieben hatte. Dieses Verfahren, zu dem sich der Autor auf Drängen des Verlegers entschloffen hatte, erwies sich als verfehlt; das Werk wurde, wie man oft klagen hören konnte, zu stark und unhandlich. Um dem abzuhelfen, ist nunmehr der Stoff auf zwei Bände vertheilt. Dadurch wurde es zu meiner Freude möglich, die neue Ausgabe im Format und in der Ausstat tung den „Historischen und politischen Aufsätzen" anzunähern. Der Einschnitt, der solchergestalt erforderlich war, mußte, wenn angängig, ein natürlicher sein, er konpte daher nur beim Jahre 1870 gemacht werden. Es ließ sich also nicht vermeiden, daß die beiden Hälften etwas ungleich geriethen. Nun hätte es nahe gelegen, den Unterschied durch Aufnahme der ersten publizistischen Arbeiten Treitschke's auszugleichen. Trotzdem sich manche der alten Freunde für den Vorschlag aussprachen, glaubte ich davon absehen und diese Artikel dem eben erschienenen neuen vierten Bande der Historischen und politischen Aufsätze zuweisen zu sollen. Hinzugefügt aber habe
ich hier, wie schon bei der Neuen Folge der Deutschen Kämpfe den Fundort. Durch eckige Klammern find solche Angaben und einige wenige Zusähe kenntlich gemacht. Die Ansprache, die dieses Werk eröffnet, hat zuerst weiteren Kreisen der Landsleute offenbart, daß ihnen in Treitschke ein Führer erstehen werde in dem Ringen um die nationale Einheit. Sie wurde als Flugblatt gedruckt und vertheilt und blieb manchem Hörer eine köst liche Erinnerung an die hochgehende Begeisterung der Leipziger Festtage. Nachhaltig muß der Einfluß gewesen sein, den der Redner, auch nachdem er bald darauf nach Freiburg berufen war, auf seine ehe maligen Mitbürger ausübte. Das bekundet eine Geschichte, die es wahrlich verdient der Vergeffenheit entrissen zu werden. Vor mir liegt eine stark verblaßte Photographie Treitschke's, die im Tornister eines preußischen Unter offiziers den Krieg von 1866 mitgemacht hat. Sie rührt her von einem schlichten Leipziger Bäckermeister, der fie als Quatiergeber seinem Quatiergast, den er lieb gewonnen, mit den Worten zum Abschied reichte: Das ist ein deutscher Mann nach meinem Herzen! Wie Treitschke fortan seines Führeramtes gewartet, wie er in manchen Fragen selbst dem großen Staatsmanne gegenüber Recht be halten, den er wirksamer wie jeder andere unterstützt hat, dafür ist diese Sammlung ein unvergängliches Zeugniß. Anschaulich tritt einem darin entgegen, wie der junge Publizist mit den Verhältniffen wächst, bis er nach dem böhmischen Feldzuge der Nation mehr wie einmal das Wort von den Lippen nimmt. Den Völkern wie den hoch begabten Männern kommen Stunden, da ihnen eine innere Stimme sagt: Jetzt oder niemals sollst Du Dein Bestes, Dein Eigenstes der Welt offenbaren. Als Treitschke also das Schweden Gustav Adolfs charatterisirte, dachte er unzweifelhaft auch an die glorreichen Jahre, in denen fich das Geschick der Deutschen vollendete. Frohgemuther hat er niemals gekämpft, wie in jenen herrlichen Tagen des Ge lingens. So geschah es wohl, daß er später — nur zu oft zu minder erfreulichen Waffengängen gezwungen — in wehmüthiger Er innerung rühmte, ein wie erhebendes Gefühl eS gewesen sei, fich mit
allen wackeren und patriotischen Männern eins zu wissen und Schulter an Schulter mit ihnen für daffelbe Ziel zu streiten. Treitschke dachte hoch von der Thätigkeit eines deutschen Publi zisten , gleichwohl war er der Ueberzeugung, daß Blätter, die dergestalt in den Tageskampf geworfen würden, der Mehrzahl nach dem Schicksal der Tagesschriften verfallen seien. Aber er ließ auch Ausnahmen zu, von dem Genius eines Friedrich Gentz glaubte er, um ein Beispiel anzuführen, daß er dem, was der Stunde dienen solle, Dauer zu sichern vermöge für ferne Zeiten. Was von den formvollendeten Arbeiten des Berathers Metternich's gilt, der freilich bei aller staatsmännischer Weisheit sich viel zu sehr von der Flucht der Erscheinungen hinreißen ließ, um sich selber treu zu bleiben, trifft in weit höherem Maaße Treitschke selbst. So lange das ruhmwürdige Andenken an die Heldenzeit des großen Krieges als einigendes Band die deutschen Stämme umschlingt, die der große Patriot alle — jeden gerade in seiner Eigenart — so herzlich liebte, werden die Nachgebornen sich stets von Neuem begeistern an den wunderbaren Worten, mit denen der deutscheste aller unserer Publizisten die Siege der vaterländischen Heere begleitet hat. Ich schließe diese Vorbemerkung, indem ich hier den Satz einfüge, deffen sich Treitschke bediente, als er die dritte Auflage von Ludwig Häuffer's Deutscher Geschichte besorgte: So möge denn dies Buch in der neuen Ausgabe deutsche Männer belehren und erheben wie bisher, und den Namen Heinrich von Treitschke's nicht untergehen lassen im Vaterlande. Berlin, am 28. April 1897. Erich Liesegang.
Inhalt. Von 1865 — 1870. Seite
1.
Als Einleitung: Rede zur Erinnerung an die Leipziger Völkerschlacht, 5. August 1863 .....................................................................................
1
2.
Die Lösung der schleswig.holsteinischen Frage.....................................
9
3.
Herr Biedermann und die Annexion....................................................
31
4.
Die Parteien und die Herzogthümer.....................................................
37
5.
Herr v. Beust und die Preußischen Jahrbücher................................
67
6.
Der Krieg und die Bundesreform.........................................................
75
7.
Politische Correspondenz.........................................................................
101
8.
Die Zukunft der norddeutschen Mittelstaaten....................................
122
9.
Politische Correspondenz.........................................................................
150
10.
Politische Correspondenz.........................................................................
173
11.
Reinhold Pauli und Minister Golther.................................................
184
12.
Zum Jahresanfang.................................................................................
192
13.
Die Verfassung des norddeutschen Bundes........................................
211
14.
Die schöne Gleichheit der Franzosen.....................................................
233
15.
Altpreußen und die deutsch-russischen Ostseeprovinzen........................
237
16.
Zum Jahreswechsel.................................................................................
245
17.
Badens Eintritt in den Bund.............................................................
265
18.
Das Strafgesetzbuch vor dem Reichstage............................................
277
19.
An den Briesschreiber der Weser-Zeitung.............................................
289
X
Inhalt. Seite
20.
Nochmals die Briefe der Weser-Zeitung.............................................
297
21.
Ein Lied vom schwarzen Adler.............................................................
303
22.
Die Feuerprobe des norddeutschen Bundes.........................................
306
23.
Was fordern wir von Frankreich?.........................................................
321
24.
Friedenshoffnungen.................................................................................
370
25.
Luxemburg und das deutsche Reich
.....................................................
385
26.
Die Vertrage mit den Südstaaten.........................................................
393
Als Einleitung Rede zur Erinnerung an die Leipziger Völkerschlacht, gehalten am letzten Tage des dritten deutschen Turnfestes').
Leipzig, 5. August 1863.
Deutsche, geliebte Landsleute! Ueberwältigt stehe ich vor der unmöglichen Aufgabe, diese festlich wogende Menge mit einer Men schenstimme zu beherrschen. Und doch ist eines noch unmöglicher: in wenigen raschen Worten würdig zu reden zur Feier der „herrlichen Schlacht", wie Vater Arndt sie nannte, die unserem Volke die Be freiung brachte. Welch' eine Fülle von Ruhm und Muth und Helden zorn drängt sich zusammen in jenen großen vier Tagen — von dem Morgen des 16. Oktober an, da die Husaren in Schkeuditz Fanfare bliesen und der eiserne Nork seinen Offizieren zutrank auf den guten Spruch: „Anfang, Mittel und Ende, Herr Gott, zum Besten wende!" — bis zu der Nacht des 18., als das Schicksal den frommen Wunsch erhörte, und tausend und abertausend Krieger das Danklied sangen, weithin über das blutige, schlachtgewohnte Blachfeld, endlich bis zu dem Tage des Sturmes auf die Stadt, da den alten Blücher auf unserem Markte der jauchzende Hochruf begrüßte! Doch das ist unsere Weise nicht, uns selbstgefällig zu spiegeln an den Thaten ver gangener Zeit. Wir werden das Gedächtniß eines Geschlechtes, das leuchtend dastand durch Zucht und sittlichen Ernst, dann am würdig sten begehen, wenn wir uns redlich fragen: sind wir es werth, die Söhne solcher Väter zu heißen? ’) [