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German Pages 400 [404] Year 1998
LEXICOGRAPHICA Series Maior Supplementary Volumes to the International Annual for Lexicography Suppléments à la Revue Internationale de Lexicographie Supplementbände zum Internationalen Jahrbuch für Lexikographie
Edited by Sture Allén, Pierre Corbin, Reinhard R. K. Hartmann, Franz Josef Hausmann, Ulrich Heid, Oskar Reichmann, Ladislav Zgusta 84
Published in cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography (EURALEX)
Wörterbücher in der Diskussion III Vorträge aus dem Heidelberger Lexikographischen Kolloquium Herausgegeben von Herbert Ernst Wiegand
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1998
Die Deutsche Bibliothek - dP-Einheitsaufhahme [Lexicographica / Series maior] Lexicographica : supplementary volumes to the International annual for lexicography / publ. in Cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography (EURALEX). Series maior. - Tübingen : Niemeyer. Früher Schriftenreihe Reihe Series maior zu: Lexicographica 84. Wörterbücher in der Diskussion m . - 1998 Wörterbücher in der Diskussion III: Vorträge aus dem Heidelberger Lexikographischen Kolloquium / hrsg. von Herbert Ernst Wiegand. - Tübingen : Niemeyer, 1998 (Lexicographica : Series maior ; 84) ISBN 3-484-30984-9
ISSN 0175-9264
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druckvorlage: Matthias Kammerer, Karlsruhe Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Hugo Nädele, Nehren
Inhalt
Vorwort
Elisabeth Breidt Neuartige Wörterbücher für Mensch und Maschine: Wörterbuchdatenbanken in COMPASS
VII
1
Ian F. Roe Collins Cobuild Valency Dictionary: The Patterns of English Verbs, Adjectives and Nouns: Zum Verfassen eines Lernerwörterbuches
27
Martha Ripfel Bedeutungserläuterungen im allgemeinen einsprachigen und im Textwörterbuch am Beispiel des Redensartenwörterbuchs zur Fackel
43
Stefan J. Schierholz Zur Semantik der Präposition „auf' in komplexen Nominalphrasen sowie notwendigen und möglichen Darstellungen im Wörterbuch
56
Angelika Storrer Hypermedia-Wörterbücher: Perspektiven für eine neue Generation elektronischer Wörterbücher
107
Ingrid Lemberg Lexikographische Erläuterungen im Deutschen Rechtswörterbuch: Gestaltungsmuster in einem Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache
135
Jochen A. Bär Vorschläge zu einer lexikographischen Beschreibung des frühromantischen Diskurses
157
Wolfgang Müller Wörterbücher der Zukunft - oder: Terrae incognitae
215
Ingrid Lemberg / Sybille Petzold / Heino Speer Der Weg des Deutschen Rechtswörterbuchs in das Internet
265
Fritz Hermanns Kausative Adjektive. Bericht über eine lexikologisch-lexikographische Recherche
289
VI
Inhalt
Klaus Mudersbach Ein Vorschlag zur Beschreibung von Phrasemen auf der Basis eines universalen pragmatischen Modells
319
Herbert Ernst Wiegand Altes und Neues zur Makrostruktur alphabetischer Printwörterbücher
348
Anhang: Abstracts und Résumés
373
Namenregister Sachregister
383 389
Vorwort
Das Heidelberger Lexikographische Kolloquium ist inzwischen 15 Jahre alt. Über seine Entstehung und Entwicklung habe ich 1989 und 1996 in den Vorworten der beiden Bände „Wörterbücher in der Diskussion" (Lexicographica. Series Maior 27) und „Wörterbücher in der Diskussion II" (Lexicographica. Series Maior 70) relativ ausfuhrlich berichtet. - In diesem Band sind Vorträge publiziert, die während des Wintersemesters 1996/97 und während des Sommersemesters 1997 gehalten wurden. Da am Schluß des Bandes - auf Wunsch der Reihenherausgeber - englische und französische Abstracts zu allen Beiträgen zusammengestellt sind, verzichte ich dieses Mal auf eine einfuhrende Charakterisierung der Beiträge. Allen Autoren und Autorinnen danke ich hiermit für ihre Mitarbeit im Kolloquium und dafür, daß sie ihre Vorträge für diesen Band in die gewünschte Form gebracht haben. Besonders danke ich Matthias Kammerer, der nicht nur die Druckvorlage hergestellt, sondern auch das Namen- und Sachregister erarbeitet hat. Es ist geplant zum zwanzigjährigen Bestehen des Heidelberger Lexikographischen Kolloquiums den letzten Band mit Vorträgen aus dem Kolloquium zu veröffentlichen. Oberurff, im September 1997
H. E. W.
Elisabeth Breidt
Neuartige Wörterbücher für Mensch und Maschine: Wörterbuchdatenbanken in COMPASS
1 1.1 1.2 2 2.2 2.3 3 4 4.1 4.2 4.3 4.4
Wozu ein neuartiges Wörterbuch? Wörterbücher, die intelligentere Nachschlagesysteme unterstützen Virtuelle, monofunktionale Wörterbücher Multifunktionale vs. monofunktionale Wörterbücher Funktionen der verschiedenen Angabeklassen Was ist ein Rezeptionswörterbuch? Das COMPASS-System Anforderungen an ein Wörterbuch für Mensch und Maschine Der menschliche Benutzer Der Computer als ,Wörteibuchbenutzer' Eigenschaften gedruckter Wörterbücher Eigenschaften elektronischer Wörterbücher für Menschen
4.5 5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 6 7 7.1 7.2
Anforderungen an ein COMPASS-Wörterbuch Vom normalen, zweisprachigen zum COMPASS-Wörterbuch Technische Anpassung des Wörterbuchs Analyse der Artikelstruktur Parsen der Artikelstruktur Computergestützte Nachbearbeitung Auflösen von Verdichtungsoperationen Verfeinerung des Taggings: Klassifikation von MWAs Korpusbasierte Ergänzungen Formalisierung kontextueller Muster Zusammenfassung Literatur Wörterbücher Sonstige Literatur
1 Wozu ein neuartiges Wörterbuch?1 Viele zweisprachige Wörterbücher liegen inzwischen in elektronischer Form vor. In Kombination mit geeigneten Benutzeroberflächen vereinfachen solche elektronischen Wörterbücher das Nachschlagen ganz erheblich, vor allem, wenn auch der zu bearbeitende Text elektronisch vorliegt. Allerdings werden elektronische Wörterbücher den Möglichkeiten des elektronischen Mediums derzeit nicht gerecht. Die Wörterbücher sind mehr oder weniger das direkte Abbild des gedruckten Buchs, und die Nachschlagetechnik beschränkt sich im allgemeinen darauf, eine Zeichenkette im Text mit den Zeichenketten der Wörterbuchlemmata zu vergleichen und den zugehörigen Artikel darzustellen. Gängige Nachschlagesysteme setzen weder Standardverfah1
Eine englische Version dieses Beitrags ist im Internet unter http://www.sfi5.nphil.uni-tuebingen.de/ Compass/lexicographica97.html zu finden. Der Beitrag faßt Forschungseikenntnisse verschiedener Projektmitglieder des COMPASS-Projekts zusammen und basiert in Teilen auf Atkins et al. (1994), Thielen et al. (1996) und Atkins & Breidt (19%). Die hier dargestellten Standpunkte geben jedoch meine persönlichen Ansichten wieder, und die Verantwortung für etwaige Fehler liegt ausschließlich bei mir. An dieser Stelle möchte ich besonders Sue Atkins und Angelika Storrer für viele fruchtbare Diskussionen danken.
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Elisabeth Breidt
ren der maschinellen Sprachverarbeitung ein,2 noch nutzen sie die Möglichkeit, aus der Menge der Informationen im Wörterbuch funktionsspezifisch je nach Verwendungszweck eine Auswahl zu treffen. Ein Grund für letzteres könnte sein, daß die elektronisch vorliegenden Wörterbuchdaten nicht entsprechend computergerecht aufbereitet sind. Nichtsdestoweniger würden Benutzer elektronischer Wörterbücher es sicherlich begrüßen, wenn der Computer einen größeren Teil des Nachschlageprozesses übernehmen und die vielfältigen Informationen, die ein Wörterbuchartikel zu vermitteln sucht, auf diejenigen Angaben reduziert würde, die für einen bestimmten Benutzungszweck relevant sind.
1.1 Wörterbücher, die intelligentere Nachschlagesysteme unterstützen Im EU-Projekt COMPASS3 haben wir die formalen Anforderungen an zweisprachige Wörterbücher untersucht, um sie für computergestütztes Nachschlagen und eine automatische Auswertung der Wörterbuchinformationen geeignet zu machen. Nachdem ein maschinenlesbares Wörterbuch in eine entsprechende Wörterbuchdatenbank konvertiert wurde, können spezielle Programme direkt auf die einzelnen Informationen in einem Artikel zugreifen und - wenn gewünscht - dem Benutzer nur ausgewählte Teile des Artikels zeigen. Das COMPASS-System ist ein Beispiel für ein Nachschlagesystem, das eine solche Wörterbuchdatenbank benutzt. Das System übernimmt einen Teil des Nachschlageprozesses, u.a. die Ermittlung der Grundform und der Wortart des Suchwortes und das Erkennen spezieller lexikalischer Verwendungskontexte. Abbildung 1 zeigt den Nachschlageprozeß in einem herkömmlichen Wörterbuch und die Schritte, die von COMPASS übernommen werden. Lesen
— • unbekanntes Wort
4
Grundform
i
manuelles Nachschlagen / Eintippen Abb. 1:
Bedeutung verstehen
Lesen
•
Î
Teil d. Artikels auswählen
Î
COMPASSSystem
• Artikel lesen
Herkömmlicher vs. computergestützter Nachschlageprozeß
1.2 Virtuelle, monofunktionale Wörterbücher Neben dem Wunsch, das elektronische Medium besser für Nachschlagewerke auszunutzen, wächst neuerdings aufgrund der zunehmenden Verfügbarkeit fremdsprachiger Texte (z.B. über das Internet) der Bedarf nach einer bestimmten Art monofunktionaler, zweisprachiger Wörter2 3
Evtl. abgesehen von einer linguistisch basierten Rechtschreibkorrektur des eingegebenen Suchwortes. ,Adapting bilingual dictionaries for COMPrehension ASSistance', von der EU unter LRE 62-080 von April 1994 bis April 1996 gefördert.
Neuartige Wörterbücherßr Mensch und Maschine: Worterbuchdatenbanken in COMPASS
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bücher. Da man meistens solche Texte nur lesen und verstehen, sie aber nicht aus der Fremdsprache in die Muttersprache übersetzen möchte, wäre hierfür ein reines Rezeptionswörterbuch nicht nur völlig ausreichend, sondern auch effizienter in der Benutzung: Es wäre übersichtlicher und könnte erheblich weniger Informationen als ein herkömmliches, zweisprachiges Wörterbuch enthalten, da letzteres ja u.a. auch für die Hinübersetzung in die Fremdsprache gedacht ist. Bis jetzt gibt es so gut wie keine solchen Rezeptionswörterbücher, weil die Produktionskosten für separate Rezeptions- und Produktionswörterbücher (herkömmlicher Art) statt eines integrierten Buchs im Verhältnis zu den kleineren Absatzmärkten gegenüber denen der Standardwörterbücher zu hoch sind. Berkov (1996) argumentiert sogar, daß für die Mehrzahl der Sprachen, die nur von einer kleinen Bevölkerung gesprochen werden, ein multifunktionales Wörterbuch wesentlich sinnvoller wäre als mehrere monofunktionale. Angesichts der Möglichkeiten, die das elektronische Medium bietet, sollte ein solcher Standpunkt revidiert und die Idee eines reinen Rezeptionswörterbuchs erneut in Betracht gezogen werden. Im COMPASS-Projekt haben wir zwei solche elektronischen Rezeptionswörterbücher auf der Basis multifunktionaler, zweisprachiger Wörterbücher erzeugt. Das COMPASS-System soll das Lesen elektronischer, fremdsprachiger Texte unterstützen. Zu diesem Zweck wählt das System die Teile des zweisprachigen Wörterbuchartikels aus, die für das Verstehen des fremdsprachigen Wortes relevant sind. Bei Bedarf zeigt COMPASS auch den ganzen Artikel. Auf diese Weise wird auf der Basis eines multifunktionalen Wörterbuchs ein virtuelles Rezeptionswörterbuch erzeugt. Der vorliegende Artikel ist folgendermaßen gegliedert: Abschnitt 2 beschreibt die verschiedenen Funktionen, die ein zweisprachiges Wörterbuch erfüllen kann (2.1), und die Funktionen der wichtigsten lexikographischen Angabeklassen (2.2). Vor diesem Hintergrund gehen wir genauer auf den Zweck und die Inhalte eines Rezeptionswörterbuchs ein (2.3) - unabhängig davon, ob es elektronisch oder auf Papier realisiert wird. In Abschnitt 3 folgt ein kurzer Überblick über das COMPASS-System, für das zwei elektronische Rezeptionswörterbücher realisiert worden sind. Abschnitt 4 vergleicht wichtige Eigenschaften herkömmlicher, gedruckter Wörterbücher, elektronischer Wörterbücher (für Menschen) und Computerlexika (für Computer), um die Konvertierungsschritte in Abschnitt 5 zu motivieren, die für die Umwandlung eines konventionellen zweisprachigen Wörterbuchs in ein COMPASS-Wörterbuch notwendig sind.
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Multifimktionale vs. monofunktionale Wörterbücher
2.1 Funktionen eines zweisprachigen Wörterbuchs Mittlerweile ist wohlbekannt und weithin anerkannt, daß ein zweisprachiges Wörterbuch nach mehreren Gesichtspunkten charakterisiert werden kann (eine guten Überblick hierzu geben Kromann et al. 1991, 2715ff, und Hausmann & Werner 1991, 2740fF): der Sprachrichtung, der Muttersprache (LI) des Benutzers und dem Verwendungszweck des Wörterbuchs. Eine Sprachrichtung von Ausgangs- (AS) zu Zielsprache (ZS) kann verschiedene Verwendungszwecke haben und kann für Sprecher der AS, der ZS oder für beide konzipiert sein.
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Elisabeth Breidt
In Bezug auf den Verwendungszweck herrscht weitgehend Übereinstimmung, daß eine Sprachrichtung zumindest einem Sprecher der AS zur Produktion in der ZS oder einem Sprecher der ZS zur Rezeption der AS dienen kann. Zur Bezeichnung von Wörterbüchern, die diese beiden Funktionen unterstützen, gibt es verschiedene, weitere Termini (vgl. Bogaards 1990), wie .Aktiv-' und ,Passivwörterbuch' (z.B. Smolik 1969, Kromann et al. 1984), ,Hinübersetzungs-' und ,Herübersetzungswörterbuch' (Hausmann 1977) oder .dictionnaire de thème' und .dictionnaire de version' (AI 1983). Kromann et al. (1991) verwenden auch die Begriffe .encoding' und .decoding dictionary'. Hausmann & Werner (1991, 2741) folgend, erweitern wir diese Kriterien um einen weiteren Aspekt, ob das Wörterbuch für einen expliziten Übersetzungsvorgang oder für eine übersetzungsunabhängige Aufgabe in der Fremdsprache eingesetzt wird. Während ein Übersetzungswörterbuch eine Verbindung zwischen Wörtern zweier Sprachen herstellt, genügt es für ein reines Rezeptionswörterbuch, Wörter auf Konzepte abzubilden und umgekehrt fur ein reines Produktionswörterbuch Konzepte auf Wörter. Die entsprechenden übersetzungsunabhängigen Prozesse, Verstehen eines fremdsprachigen Ausgangstextes oder Produktion eines fremdsprachigen Textes, sind außerdem beide Teil des komplexeren Übersetzungsprozesses. Für das reine Verstehen von L2 braucht der Benutzer weniger Informationen als fur die Übersetzung von L2 nach LI, was sich in einem Rezeptionswörterbuch widerspiegeln sollte (vgl. 2.2). Bei einer Hinübersetzung nach L2 im Vergleich zur Produktion von L2 ist weniger offensichtlich, inwiefern sich die erforderlichen Informationen für diese beiden Funktionen unterscheiden. Ein wichtiger Unterschied ist, daß die Makrostruktur eines reinen Produktionswörterbuchs konzeptuell angelegt sein sollte, wie dies z.B. bei Longman's Language Activator versucht wurde, wohingegen die Makrostruktur eines Übersetzungswörterbuchs ohne weiteres rein alphabetisch organisiert sein kann. Vor diesem Hintergrund ergeben sich 6 mögliche Zwecke für eine Sprachrichtung eines Wörterbuchs, wie in Tabelle 1 zusammengestellt. AS -> ZS
Übersetzungsvorgang
übersetzungsunabhängiger V.
AS-Sprecher (ZS = L2)
Übersetzung in fremde ZS (Hinübersetzung)
Produktion in fremder ZS
ZS-Sprecher
Übersetzung aus fremder AS (Herübersetzung)
Verstehen von fremder AS (Rezeption)
Übersetzung in fremde AS (Hinübersetzung)
Produktion in fremder AS
(AS = L2) Tab. 1:
Funktionen einer Sprachrichtung eines zweisprachigen Wörterbuchs
Die beiden unteren Funktionen für Sprecher der ZS sind weniger bekannt und spielen eine geringere Rolle: Die Verwendung eines AS->ZS-Wörterbuchs zur Produktion oder Übersetzung in der AS. Ein Englischsprechender beispielsweise könnte in einem Deutsch-Englisch-Wörterbuch Angaben über das deutsche Lemma suchen, wie z.B. Aussprache, Orthographie, grammatische Eigenschaften oder spezielle Verwendungskontexte. Diese Information kann sowohl für die übersetzungsunabhängige Produktion der AS Deutsch als auch zur Übersetzung ins Deutsche herangezogen werden In beiden Fällen wird das Deutsch-Englisch-Wörterbuch eher wie ein monolinguales deutsches statt als zweisprachiges Wörterbuch benutzt.
Neuartige Wörterbücherßr Mensch und Maschine: Wörterbuchdatenbanken in COMPASS
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2.2 Funktionen der verschiedenen Angabeklassen Da die meisten Wörterbücher mehreren Verwendungszwecken für eine Sprachrichtung gleichzeitig dienen sollen, enthalten die Artikel bestimmte Angaben, die nur für den einen oder anderen Zweck relevant sind, und Angaben, die je nach Verwendungszweck eine unterschiedliche Funktion haben. Um monofunktionale Wörterbücher erzeugen zu können, ist es notwendig, die Funktion der einzelnen Angabeklassen für die verschiedenen Benutzungssituationen zu identifizieren. Kromann et al. (1984; 1991, 2720ff.) bieten eine gute Diskussion von Funktion und Relevanz der wichtigsten Angabeklassen in bezug auf ein Aktiv- oder Passivwörterbuch. Generell hängt die Funktion einer Angabe von der Wörterbuchfunktion und der Adressierung4 der Angabe ab. Wir unterscheiden rein strukturierende Funktion, inhaltliche Funktion und be-
deutungsunterscheidende Funktion. 2.2.1 Rein strukturierende Funktion Einige wenige Angaben (Homographen- und Bedeutungszähler, Querverweisangabe)3, dienen - ähnlich zu Strukturanzeigern (d.h. Interpunktion und Typographie) - ausschließlich der Strukturierung eines Artikels: Sie fuhren den Benutzer zu der Stelle, an der ein bestimmtes Wort oder eine bestimmte Bedeutung abgehandelt wird. Die Angabe zur Lemmaform (oder 'Lemmazeichengestaltangabe') hat ebenfalls hauptsächlich strukturierende Funktion, abgesehen von den in die Lemmaform integrierten Silbentrennungs- und Betonungsangaben und der orthographischen Information, die zusätzlich für die Produktion in der AS relevant sind.
2.2.2 Inhaltliche Funktion Die wichtigsten Angaben sind diejenigen, die die gesuchte Information übermitteln: Sie haben inhaltliche Funktion. Für das Sprachverstehen sind die verschiedenen Bedeutungen eines unbekannten Wortes der AS gesucht. Diese Information kann für jede Bedeutung in Form einer Erklärung oder mittels einer Übersetzung gegeben werden. Unterbedeutungen oder weitere Übersetzungsmöglichkeiten des Wortes in typischen Kontexten sind für diesen Zweck nicht nötig, da der Benutzer nur das zugrundeliegende Konzept des AS-Wortes verstehen und nicht das Wort in die Muttersprache übersetzen möchte. Von den verschiedenen Phrasentypen (oft pauschal ,Beispielangabe' genannt) sind nur spezielle lexikalische Kontexte relevant. Hierzu gehören Phraseologismen, festgefügte Ausdrücke und semantisch nicht-transparente Kollokationen. Für die Herübersetzung aus der fremden AS sind Unterbedeutungen und verschiedene Verwendungsangaben hingegen interessant. Daneben sind verschiedene Übersetzungsvarianten für dieselbe Bedeutung und Angaben zu Kollokatoren in der ZS für den Produktionsschritt in der Muttersprache als Teil des Übersetzungsprozesses hilfreich. Zur Hinübersetzung in die fremde ZS - oder allgemeiner für die Produktion der ZS braucht der Benutzer Informationen, wie man eine bekannte Wortbedeutung in der ZS ausdrückt und wie das Übersetzungsäquivalent korrekt verwendet wird. Zusätzlich zu den bereits 4 5
Jede Angabe steht in einer Adressierungsrelation zu einer anderen Angabe (meistens Lemma, Phrase oder Übersetzungsangabe), auf die sich ihr Inhalt bezieht. Die lexikographische Terminologie in diesem Artikel richtet sich nach Breidt (1994) und Wiegand (1989).
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Elisabeth Breidt
erwähnten Angaben kann diese Information mittels Beispielphrasen, typischen Kontexten oder Subkategorisierungsmustern gegeben werden. Alle Angaben, die auf eine Übersetzung adressiert sind, z.B. grammatische oder pragmatische, sind nur für diese Funktion, d.h. ausschließlich für Sprecher der AS, nützlich. Verwendungsangaben mit lemmatischer Adresse sind dagegen weniger interessant. Sie haben höchstens strukturierende Funktion, um den Benutzer zur gesuchten Bedeutung zu führen, wie z.B. Fachgebietsangaben. Für die weniger typischen Funktionen der Produktion oder Übersetzung in die AS sind einige Angaben zu morpho-syntaktischen, phonetischen und grammatischen Eigenschaften des Lemmas relevant (Silbentrennungs-, Betonungs-, Ausspracheangabe, Angabe zur grammatischen Verwendung), die für alle anderen Wörterbuchfunktionen keine inhaltliche Funktion haben. In geringerem Maße können auch Angaben zu speziellen Verwendungsweisen des Lemmas für diese beiden Funktionen interessant sein. 2.2.3 Bedeutungsunterscheidende Funktion Die meisten Angaben dienen dazu, den Benutzer in seiner Suche nach Informationen über eine bestimmte Bedeutung eines Wortes bzw. nach seiner Übersetzung zu lenken. Für die Produktion, bei der die Bedeutung des Lemmas bereits bekannt ist, haben solche Angaben strukturierende Funktion, für die Rezeption dagegen desambiguierende Funktion, da die Bedeutung des Lemmas unbekannt ist. Hierzu gehören Angaben zu Wortart, Subkategorisierung und sonstigen grammatischen Eigenschaften und Fachgebietsangaben. In bestimmten Fällen von Homonymie können auch die Aussprache-, Orthographie- oder Genusangabe mit lemmatischer Adresse zur Identifizierung der korrekten Bedeutung dienen. Für die Herübersetzung aus der AS können typische Verwendungskontexte ebenfalls zum Auffinden der gesuchten Bedeutung beitragen. Sind in einem Wörterbuch erst einmal die einzelnen Angaben entsprechend ihrer Funktion identifiziert und gekennzeichnet worden (z.B. mit SGML-Markierungen), so daß sie für eine Computerverarbeitung zugänglich sind, können aus einem multifunktionalen Wörterbuch automatisch monofunktionale erzeugt werden. Das COMPASS-System zum Beispiel kann dann aus einem Artikel diejenigen Angaben auswählen, die für das Sprachverstehen relevant sind. Zusätzlich kann ein linguistikbasiertes Nachschlagesystem wie COMPASS einige der Angaben mit desambiguierender Funktion automatisch auswerten, die der Benutzer dann gar nicht mehr zu sehen braucht. Entsprechend des Desambiguierungsergebnisses kann ein solches System den passenden Teil des Artikels zur Präsentation auswählen.
2.3 Was ist ein Rezeptionswörterbuch? Vor dem Hintergrund der bisherigen Diskussion können wir jetzt die Konzeption eines Rezeptionswörterbuchs genauer definieren. Ein Rezeptionswörterbuch kann als zweisprachiges Gegenstück zu einem einsprachigen Bedeutungswörterbuch verstanden werden. Es unterstützt das Verstehen von fremdsprachigem Text in Fällen, in denen keine volle Übersetzung in die Muttersprache erforderlich ist. Diese Art von Vorgang gewinnt in der heutigen multi-kulturellen Gesellschaft und im internationalen Handel immer mehr an Bedeutung, da immer mehr fremdsprachige Informationen verfügbar werden. In den meisten Ländern hat ein beachtlicher
Neuartige Wörterbücher ßr Mensch und Maschine: Wörterbuchdatenbanken in COMPASS
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Teil der Bevölkerung in irgendeiner Form eine oder mehrere Fremdsprachen gelernt, kann dieses Wissen aber nicht entsprechend nutzen. Eine wichtige Gruppe stellen hier die sogenannten ,faux débutants' dar: Leute, deren Syntaxkenntnisse der Fremdsprache zwar in den meisten Situationen ausreichend sind, um die wichtigsten grammatischen Zusammenhänge in einem Satz zu erkennen, deren Wortschatz aber nicht ausreicht, um den Satz zu verstehen. In solchen Fällen sollte das Nachschlagen im Wörterbuch den Benutzer so wenig wie möglich von der Hauptaufgabe des Lesens abhalten. Das Wörterbuch sollte folglich die gesuchte Information effizient darstellen und unnötige Informationen weglassen. Solche Wörterbücher wurden bisher nicht publiziert, möglicherweise aus wirtschaftlichen Gründen. Es gibt nur einige ,Passiv-Wörterbücher', die für eine einzelne Sprachgruppe konzipiert sind, wie z.B. die VanDale-Wörterbücher zum Niederländischen. Diese sind allerdings neben der Rezeption auch zur Herübersetzung gedacht. Entsprechend der Funktionstypen von lexikographischen Angaben, die in 2.2 eingeführt wurden, folgt nun eine Aufstellung deijenigen Angaben im zweisprachigen Wörterbuch, die typischerweise Informationen übermitteln, die zum Fremdsprachenverständnis relevant sind und daher in einem Rezeptionswörterbuch vorkommen sollten. Wenn nicht anders angegeben, sind die Angaben immer auf das Lemma adressiert. 2.3.1 Angaben mit inhaltlicher Funktion 1. Übersetzungsangabe mit einem Übersetzungsäquivalent zu einer Bedeutung des Lemmas oder mit einer Umschreibung davon in der ZS; gibt es mehrere Obersetzungsmöglichkeiten, sollte immer ein möglichst eindeutiger ZS-Ausdruck gewählt werden, auch wenn dies u.U. nicht immer die stilistisch beste Übersetzung sein sollte. 2. Mehrwortausdruck (Phraseologismus, festgefügter Ausdruck oder Kollokation), der einen speziellen lexikalischen Kontext angibt, in dem das Lemma eine besondere Bedeutung hat, die es in anderen Kontexten nicht haben könnte.
2.3.2 Angaben mit desambiguierender Funktion 3. Wortartangabe (nur bei Wortartambiguität) 4. Subkategorisierungsangabe, die ein bestimmtes Komplementschema (bzw. Valenzmuster) des Lemmas in einer bestimmten Bedeutung angibt 5. Angabe zur grammatischen Verwendung mit lemmatischer Adresse, die weitere grammatische Eigenschaften des Lemmas wie z.B. Flexionsformen oder präpositionale Ergänzungen enthält 6. Bedeutungsparaphrasenangabe in der ZS; im Kontext des Textverstehens dient diese Angabeklasse nicht dazu, wie in einem Produktionswörteibuch bestimmte Verwendungskontexte der Übersetzung anzugeben, sondern dazu, das Übersetzungsäquivalent, auf das es adressiert ist, mittels einer Bedeutungsparaphrase zu desambiguieren. 7. Fachgebietsangabe mit lemmatischer Adresse 8. Subkategorisierungsmuster, das eine bestimmte grammatische Umgebung des Lemmas anzeigt
Im Falle bestimmter, seltener Homonymien oder Homographien können die folgenden weiteren Angabeklassen ebenso zur Desambiguierung der Bedeutung eines Lemmas beitragen; in allen anderen Fällen sind sie fur die reine Rezeption unwichtig und können bei einem Rezeptionswörterbuch weggelassen werden: 9. 10. 11. 12.
Ausspracheangabe Betonungsangabe, z.B. durch diakritische Zeichen Genusangabe mit lemmatischer Adresse Stil-/Sprachebenenangabe mit lemmatischer oder sublemmatischer Adresse
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Elisabeth Breidt
2.3.3 Angaben mit strukturierender Funktion 13. Lemmaform 14. Bedeutungsnummer 15. Querverweisangabe, die auf ein Synonym oder ein verwandtes Wort verweist
Falls ein linguistikbasiertes Nachschlagesystem wie COMPASS einen Teil des Nachschlageprozesses und der Bedeutungsdesambiguierung übernimmt, um die korrekte Bedeutung des Lemmas in einem bestimmten Kontext zu ermitteln, können einige Angaben mit desambiguierender und strukturierender Funktion vor dem Benutzer verborgen bleiben (sie enthalten allerdings für das Nachschlagesystem wichtige Informationen), z.B. Angaben zur Wortart, Komplementstruktur oder anderen morpho-syntaktischen Eigenschaften (3-5), Subkategorisierungsmuster (8), andere lexikalische Kontexte (2) und Querverweise auf ein Synonym (15).
2.3.4 Angaben ohne Funktion für die Rezeption Für das Sprachverstehen unnötig sind folgende Angabeklassen - obwohl sie natürlich von allgemeinem Interesse sein können und fiir andere Verwendungszwecke des Wörterbuchs wichtig sind: 16. Lemma-Variantenformen mit Rechtschreibvarianten und sonstige Orthographie-Angaben (z.B. zur Trennung) 17. Silbentrennungsangabe 18. Betonungs-und Ausspracheangabe 19. Wortformenangabe (es sei denn, diese sind zur Homonymenunterscheidung wichtig) 20. Querverweis zu separater, grammatischer Erklärung (z.B. in einem Kasten oder im Anhang) 21. Unterbedeutung des Lemmas mit einer Übersetzung; da der Benutzer hauptsächlich die Bedeutung des ASWortes verstehen möchte, sind feinere Bedeutungsunterscheidungen, die unterschiedlich zu übersetzen sind, im Vergleich zur zusätzlich nötigen Zeit, um diese durchzulesen und mit dem gegebenen Kontext zu vergleichen, nicht so wichtig. 22. Weitere Obersetzungsäquivalente zur selben Bedeutung des Lemmas 23. Kollokatoren in der AS, die eine Unteibedeutung oder einen typischen syntagmatischen Kontext spezifizieren 24. Bedeutungsparaphrase in der AS; diese sind fiir den Sprecher der ZS, der die AS nicht so gut kennt, wenig hilfreich, da er sie im Zweifelsfall ebensowenig versteht wie das Lemma selbst. Stattdessen stellt die Übersetzungsangabe selbst eine Art Bedeutungsparaphrase in der ZS dar (vgl. Punkt 6). 25. Diasystematische Angaben zur regionalen Verwendung, Geläufigkeit, Stil, Sprachebene usw.; obwohl diese von geringem Nutzen sein können, wird dieser bei weitem durch die größere Ablenkung vom Leseprozeß wieder aufgehoben. Gewöhnlich ist der Benutzer an solch detaillierten Informationen zum Lemma gar nicht interessiert oder kann diese bereits aus dem Kontext, in dem das Lemma verwendet wird, erschließen. 26. Alle Angaben, die sich auf ein Übersetzungsäquivalent beziehen, z.B. Genusangabe, Angabe zur grammatischen Verwendung, Kollokatoren zur Übersetzung oder diasystematische Angaben; ein Sprecher der ZS braucht solche Informationen über seine Muttersprache nicht zum Textverstehen (obwohl sie in manchen Fällen eine zusätzliche Hilfe für eine Herübersetzung darstellen). 27. Beispielangaben zu einem typischen Verwendungskontext des Lemmas in einer Bedeutung 28. Mehrwortausdruck mit einer semantisch transparenten, nicht-idiomatischen Phrase; solche 'Wendungen' stellen für das Verstehen keinerlei Schwierigkeiten dar, auch wenn sie eine besondere, nicht-wörtliche Übersetzung in die ZS erfordern.
Ein reines Rezeptionswörterbuch (egal ob Papier- oder elektronisch) muß daher nur 11, maximal 15 von 28 der wichtigsten Angabeklassen berücksichtigen. Die übrigen Angabeklassen können weggelassen werden, da sie entweder Informationen zur ZS oder primär zur Übersetzung enthalten oder in der falschen Sprache formuliert sind. Ein Artikel in einem Rezeptions-
Neuartige Wörterbücher fir Mensch und Maschine: Worterbuchdatenbanken in COMPASS
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Wörterbuch, das von COMPASS ausgewertet und dargestellt wird, zeigt sogar nur noch Angabeklassen 1, 2, 6, 7, 13 und in seltenen Fällen 9 bis 12 (vgl. Abb. 5). Abbildungen 2 und 3 zeigen einen multifunktionalen, zweisprachigen Wörterbuchartikel zu anfangen und den entsprechenden Rezeptionsartikel. Zum Vergleich sind in Abbildung 4 die Angaben aufgelistet, die COMPASS anzeigt, falls kein spezieller lexikalischer Kontext erkannt wurde (linke Seite) und falls ein Mehrwortlexem erkannt wurde (rechte Seite), z.B. im Kontext
,warum er damit derm nichts anfangen könne'. anfangen sep irreg 1 vt (a) (beginnen) Arbeit, Brief, Gespräch, (inf: anbrauchen) neue Tube etc to start, to begin; Streit, Verhältnis, Fabrik to start, (b) (anstellen, machen) to do. das muflt du anders ~ you'll have to go about it differently; was soll ich damit ~? what am I supposed to do with that?; (was nützt mir das?) what's the use of that?; damit kann ich nichts ~ (nützt mir nichts) that's no good to me; (verstehe ich nicht) it doesn't mean a thing to me; was fangen wir jetzt an? what shall we do now?; nichts mit sich/jdm anzufangen wissen not to know what to do with oneselfsb; mit dir ist heute (aber) gar nichts anzufangen! you're no fun at all today! 2 vi to begin, to start, wer fängt an? who's going to start or begin?; fang (du) an! (you) begin or start!; ich habe schon angefangen I've already started; du hast angefangen! you started!; (bei Streit) you started it!; es fing zu regnen an or an zu regnen it started raining or to rain; das fingt ja schfin or heiter an! (iro) that's a good start!; er fingt an, alt zu werden he's beginning to get old; jetzt fängt das Leben erst an life is only just beginning; fang nicht wieder davon or damit an! don't start all that again!, don't bring all that up again!; mit etw ~ to start sth; klein/unten ~ to start small/at the bottom; er hat als kleiner Handwerker angefangen he started out as a small-time tradesman; bei einer Firma ~ to start with a firm or working for a firm. Abb. 2:
Multifunktionaier Artikel zu anfangen (Collins Deutsch-Englisch 1991) anfangen 1 vt (a) to begin. (b) to do (to go about), mit etw nichts ~ können sth is no good to sb; sth doesn't mean a thing to sb; mit dir ist heute (aber) gar nichts anzufangen! you're no fun at all today! 2 vi to start, das fingt ja schOn or heiter an! (iro) that's a good start!.
Abb. 3:
Rezeptionsartikel zu anfangen anfangen 1 begin 2 do 3 start
Abb. 4:
or
mit etw nichts anfangen kOnnen 1 sth is no good to sb 2 sth doesn't mean a thing to sb
Informationen zu anfangen, die COMPASS dem Benutzer zeigt
Nach einer kurzen Übersicht über das COMPASS-System im nächsten Abschnitt beschreiben die restlichen Abschnitte, wie ein herkömmliches, zweisprachiges Wörterbuch, das elektronisch vorliegt, in eine Wörterbuchdatenbank konvertiert wird, die mit COMPASS benutzt werden kann.
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Elisabeth Breidt
3 Das COMPASS-System Das COMPASS-System bietet einen intelligenten Zugang zu speziell angepaßten, elektronischen Wörterbüchern und unterstützt dadurch das Verstehen von fremdsprachigen OnlineTexten. Momentan bietet es Unterstützung fiir Englisch-Französisch und Deutsch-Englisch, auf der Grundlage des Oxford-Hachette Englisch-Französisch-Wörterbuchs (1994) (im folgenden OHEF) und des Collins/Pons Großwörterbuchs Deutsch-Englisch (1991) (im folgenden CDE) 6 Nachdem ein Text in COMPASS geöffnet wurde, startet ein Klick auf ein Wort im Text eine linguistische Analyse des entsprechenden Satzes und das Nachschlagen des ausgewählten Wortes. COMPASS filtert alle Informationen im Artikel aus, die nicht fiir das Verstehen des fremdsprachlichen Ausdrucks in diesem Kontext wichtig sind. Anstelle einer vollen Übersetzung des ganzen Satzes wie bei einem maschinellen Übersetzungssystem beschränkt sich das System darauf, eine Übersetzung für das nachgeschlagene Wort anzubieten. Das Ergebnis entweder eine einzelne, in dem speziellen Kontext passende Übersetzung oder eine Auswahl an Übersetzungen für die verschiedenen Bedeutungen des Wortes - wird übersichtlich und zurückhaltend dargestellt. Für den Fall, daß die von COMPASS getroffene Informationsauswahl nicht zufriedenstellend ist, kann der Benutzer sich auch jederzeit den vollen Wörterbuchartikel anzeigen lassen. Da der gesamte Ablauf sehr schnell ist, wird der Benutzer möglichst wenig vom Lesen abgelenkt. Außerdem unterstützt das System Sprachenlernen „nebenbei", da es auf den Sprachkenntnissen des Benutzers aufbaut und zu häufigerem Nachschlagen unbekannter Wörter animiert. Zu diesem Zweck kann es auch in ein computergestütztes Sprachlernsystem integriert werden. Durch den Einsatz moderner Verfahren zur maschinellen Sprachverarbeitung übernimmt COMPASS einen Teil der intellektuellen Aufgaben beim Nachschlagen. Zur Zeit gehört hierzu: - morphologische Analyse des flektierten Textwortes und Bestimmen der Grundform, die nachgeschlagen werden soll, - Bestimmung der Wortart des unbekannten Wortes, - Zugriff auf den/die entsprechenden Artikel und Speichern der gesamten Information in einer Datenstruktur, - Prüfen, ob das ausgewählte Wort Teil eines Mehrwortlexems oder eines Subkategorisierungsmusters ist, das eine spezielle Übersetzung erfordert, und - Markieren der Teile des Artikels zur Darstellung, die zum Satzkontext passen.
Das Auflösen von Mehrdeutigkeiten, für die heutige Sprachverarbeitungstechniken noch keine zufriedenstellenden Ergebnisse liefern, wie die Auswahl der korrekten oder womöglich der besten Übersetzung aus einer Reihe verschiedener (Teil-)Bedeutungen, bleibt dem Benutzer überlassen. Das System hat vier Hauptkomponenten. Den Kern des Nachschlagesystems bildet LOCOLEX, das unabhängig vom Projekt von Rank Xerox entwickelt wurde (Bauer, Segond & Zaenen 1995). Es verbindet die verschiedenen Komponenten miteinander und steuert den Nachschlageprozeß und die Kontextauswertung. Für jede AS enthält ein entsprechendes
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Wir danken den beiden Verlagen, die uns die Wörterbücher fiir dieses Forschungsprojekt zur Verfügung gestellt haben.
Neuartige Wörterbücher fir Mensch und Maschine: Worterbuchdatenbanken in COMPASS
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Sprachmodell alle sprachspezifischen Module - mit Ausnahme der Wörterbuchdatenbanken die alle als endliche Automaten realisiert sind. Die COMPASS-Wörterbuchdatenbanken basieren auf maschinenlesbaren, zweisprachigen Wörterbüchern, die geparst, SGML-markiert und lexikographisch angepaßt wurden, um die automatische Auswertung der Artikel zu ermöglichen. Die Datenbanken enthalten formale Repräsentationen von Kontextmustern wie Phraseologismen und Kollokationen in der Form von regulären Ausdrücken. Diese werden vom System in endliche Automaten umgewandelt und mit dem Automaten verglichen, der zu dem Satz erzeugt wurde, in dem das gesuchte Wort steht. Stimmen zwei Automaten überein, wird der entsprechende Mehrwortausdruck zusammen mit seiner Übersetzung gekennzeichnet und anschließend die Datenstruktur an die Benutzerschnittstelle zur Darstellung weitergegeben. Für eine ausfuhrlichere Beschreibung des Systems und der zugrundeliegenden Techniken verweisen wir auf Breidt & Feldweg (1996), Karttunen & Yampol (1993) sowie Tapanainen (1994). Eine graphische Benutzerschnittstelle für Apple Macintosh System 7 vervollständigt die Systemarchitektur (siehe auch Wetzel 1996). Durch eine optimale Darstellung der von LOCOLEX markierten Information in einem Pop-Up-Fenster kann der Benutzer schneller zum gelesenen Text zurückkehren statt die Aufmerksamkeit auf den Nachschlagevorgang zu richten. Die Benutzerschnittstelle bestimmt einen möglichst optimalen Platz innerhalb des Textfensters, so daß möglichst wenig vom Kontext verdeckt wird. Das Pop-Up-Fenster verschwindet nach einer voreingestellten Zeit von selbst wieder, es sei denn, der Benutzer fuhrt darin eine Aktion aus. Die Fensterüberschrift zeigt die Grundform des ausgewählten Wortes oder die kanonische Form eines erkannten Mehrwortausdrucks. Der Textbereich enthält eine Übersetzung fiir jede Bedeutungsgruppe (Abb. 5) oder eine Übersetzung des erkannten Mehrwortausdrucks (Abb. 6). Gilt eine Übersetzung für mehrere Bedeutungen, wird diese nur einmal angezeigt. Kann LOCOLEX ein Wort nicht im Wörterbuch finden oder nicht morphologisch analysieren, erscheint ein Dialogfenster mit einer Meldung und einem Eingabefeld, in dem der Benutzer das nachzuschlagende Wort editieren oder stattdessen ein anderes eingeben kann. Dieses Eingabefenster kann auch jederzeit über das Menü geöffnet werden, um COMPASS wie ein herkömmliches elektronisches Wörterbuch zu benutzen. Im Fall von deutschen Komposita, die nicht im Wörterbuch stehen, weil sie semantisch transparent sind, liefert die Benutzerschnittstelle ein Pull-Down-Menü mit einer Liste einfacherer Wörter, in die das Kompositum zerlegt werden kann. Aus diesen kann der Benutzer eines nach dem anderen zum Nachschlagen auswählen. Die Kompositazerlegung hierfür wird von der Komponente zur deutschen Morphologieanalyse geliefert.
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EoDzemcbef Weber w l dismissal wenn die Privatisierung nicht bald kommt retirement atig 1992, als wir unser erstes Sperpaket Jürgen Weber atmet erst: release verabschiedet haben, befa expulsion ¡och auf der Intensivstation" sagt der A Vorstandsyorsitzende der har.sa Aber jetzt ist das Schlimmste überstanden. tosrd 'A? t vrsr chairaen Der Patient Lufthansaffiegt mittlerweile im normalen Krankenzimmer." Doch an eine gKIpMiMs ist vorerst nicht zu denken. Auch 1993 schreibt Lufthansa rote Zahlen, wenn auch nicht mehr so hohe Mit seinem Erste-Hilfe-Frogramm hat Weber dem flügellahmen Kranich wieder frischer. Wind unters zerzauste Gefieder gepustet Knapp 7000 von 8000 geplanten Stellen im Unternehmen sind gekappt, die Produktivität ist gestiegen, die jahrelang steigenden Stuckkosten konnten erstmals gesenkt werden Weil Weber zudem die Abschreibungszeiten der Flugzeugflotte streckte, wird sich der Vor jähr esverlust in diesem Jahr auf 500 Millionen Mark halbieren Die Anfangserfolge haben Weber ermutigt: 1994 will der Chefpilot erstmals wieder ein Abb. 5:
COMPASS-Oberfläche mit dem Pop-Up-Fenster
Doch an eine Entlassung ist vorerst nicht zu denken. Auch 1993j||i|l|ij Lufthansa rote Zahlen, wenn auch nicht mehr so hohe. Mit seinem Erste-HiljJg^rogrOm hat Weber dem flügellahmen Kranich wieder frischen Wind unters zerzg. > Gefieder gepustet: Knapp 7000 •
(hohe) rote Zahlen schreiben 0
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Die Anfangserfolge haben ' Abb. 6:
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Pop-Up-Fenster mit erkanntem Mehrwortlexem
Wenn der Benutzer mehr über eine bestimmte Bedeutung des Wortes wissen will, erhält er nach Auswahl der angezeigten Übersetzungsmöglichkeit dieser Bedeutung durch Klicken auf die Lupe eine Teilartikel-Ansicht
mit weiteren Übersetzungen und Verwendungsangaben für
diese Bedeutung. Ein Klick auf das Buch-Symbol liefert den kompletten Artikel
(vgl. Abb. 7),
inkl. Mehrwortausdrücken, Beispielphrasen und allen Homographen unabhängig von ihrer Wortart. Das Pfeil-Symbol dient zum Nachschlagen
von Querverweisen,
kann der Benutzer im Text die ausgewählte Übersetzung
notieren.
mit dem Bleistift
A u f diese Weise fungiert
die Benutzeroberfläche während der Sitzung auch als Gedächtnisstütze, und am Ende kann ein Ausdruck des annotierten Textes gemacht werden. Zusätzlich wird ein Sitzungsprotokoll mit
Neuartige Wörterbücher ßr Mensch und Maschine: Wörterbuchdatenbcmken in COMPASS
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einer Reihe von konfigurierbaren Angaben erzeugt, wie z.B. dem unbekannten Wort, dem Satzkontext, der ausgewählten Übersetzung oder dem entsprechenden Wörterbuchartikel.
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Das Buch auf dem Tisch kauft er.
In (1) liegt keine komplexe NP vor, weil sich „das Buch auf den Tisch" nicht an die Spitze des Satzes stellen läßt. Hingegen gehören in (2) „das Buch" und „auf dem Tisch" zusammen,13 weil sich die PP zusammen mit der davorstehenden NP an die Erstposition im Satz verschieben läßt. Mit Hilfe der Substitutionsprobe kann die komplexe NP durch eine Proform, die ein „referenzidentisches Element von sehr allgemeiner Bedeutung" ist, ersetzt werden. Die Proform muß das Genus- und Numerusmerkmal der davor positionierten NP tragen.14 (lb) (2b) (3) (3a) (4) (4a)
-> *Er legt es. -> Erkauftes. Er initiiert den ANGRIFFA UF den Korb. -» Er initiiert ihn. Er spricht den Kollegen auf den Vorfall an. -* 7Er spricht ihn an.
Satz (lb) wird durch die Prowortsubstitution ungrammatisch, während (2b) korrekt ist. Während (3a) wohlgeformt ist, weil „der Angriff auf den Korb" eine komplexe NP ist, kann in (4a) das Personalpronomen „ihn" für „den Kollegen" zwar eingesetzt werden, aber der Sinn der Aussage verändert sich damit.
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Auch nach den Untersuchungen von Fuchs steht „auf' an fünfter Stelle der Präpositionshäufigkeiten; vgl. Fuchs (1991, 105). Bei der Ausweitung von Corpusbelegen werden auch erweiterte NPn berücksichtigt, an die sich eine PP anschließt, die die Präposition „auf' enthält („die neuntägige Reise auf den Mond"). Allerdings werden die Erweiterungen nicht einer gesonderten Auswertung unterzogen, so daß die Formulierung „nicht erweiterte NP" verwendet werden kann. Die nicht erweiterte NP kann auch Bestandteil einer PP sein, so daß der Typ (PP (PP)) vorliegt, z.B. „mit diesem Attentat auf den Präsidenten". Da die erste PP jedoch immer eine NP enthält, wird nur der einfachere Fall, nämlich die komplexe NP, betrachtet. Vgl. Droop (1977, 11 f.), Lehmus (1983, 89). Für die Kodifikation der in den Beispielen enthaltenen Konstituenten gelten die folgenden Festlegungen: Die Konstituenten, die aus syntaktischen oder semantischen Gründen zusammengehören, werden in Versalien geschrieben. Eine Begründung für die Zusammengehörigkeit dieser Konstituenten wird in Kapitel 3 gegeben. Die Konstituenten, auf die im laufenden Text besonders hingewiesen wird, werden unterstrichen. Die Lesart, „er kauft das Buch, und das Kaufen findet auf dem Tisch statt", ist auch denkbar, wird aber im weiteren nicht berücksichtigt, weil es sich hieibei um eine nicht usuelle Lesart handelt. Vgl. Droop (1977,13 f.).
Zur Semantik der Präposition „auf in komplexen Nominalphrasen
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In der Trennprobe wird die PP von der davorstehenden NP entfernt und an eine andere Position im Satz gebracht. Diese Trennung über das Verb oder andere Verbdependentien hinweg ist nur unter bestimmten Bedingungen möglich,15 so daß beim Vorliegen einer komplexen NP der Satz in der Regel ungrammatisch oder der Sinn der Aussage verändert wird. (lc) (2c)
-* Auf den Tisch legt er das Buch. -» °Aufdem Tisch kauft er das Buch.
In (lc) ist die Trennung möglich, weil die PP von dem Verb „legen" abhängt. In (2c) wird der Sinn des Satzes verändert, weil „das Kaufen" jetzt „auf dem Tisch" stattfindet. Mit Hilfe eines Relativsatzes läßt sich das Abhängigkeitsverhältnis der PP prüfen. Wenn es sich um eine postnominale PP handelt, kann die PP in einem Relativsatz stehen, der sich auf das vorangehende Substantiv bezieht. Allerdings muß das in dem Relativsatz verwendete Verb über einen weiten semantischen Skopus verfugen.16 Handelt es sich um ein Präpositionalobjekt (= PPO) oder eine Adverbialbestimmung, die sich auf den Satz bezieht, so läßt sich der Test nicht anwenden. (ld) (2d)
-> *Er legt das Buch, das auf den Tisch ist. -> Er kauft das Buch, das auf dem Tisch ist.
Satz (ld) wird ungrammatisch, während durch die Relativsatzparaphrase (2d) die Abhängigkeit der PP von dem vorangehenden Substantiv gezeigt wird. Es ist zu bemängeln, daß keiner der Tests in jedem Fall absolute Klarheit über die topologischen Verhältnisse ergibt; dennoch lassen sich die vier Tests in Kombination verwenden, um komplexe NPn, die die Präposition „auf enthalten, zu isolieren. Ein ergänzendes Entscheidungskriterium bietet die Wortstellung der einzelnen Konstituenten in der komplexen NP. In der Regel folgt die Präposition „auf unmittelbar dem vorderen in der komplexen NP vorkommenden Substantiv. Dieses Kriterium ist nach der Auswertung von etwa 10000 Corpusbelegen17 festgestellt worden und kann daher bei der Bestimmung einer komplexen NP zu Hilfe genommen werden. Setzt man die erfolgreiche Anwendung der genannten Tests voraus, so kann man versuchen, die komplexen NPn nach verschiedenen Typen zu differenzieren. Vorher besteht das unsortierte Set an komplexen NPn zum Beispiel aus den in (5) bis (10) aufgeführten: (5) (6) (7) (8) (9) (10)
die Reduktion auf einen einzigen Begriff das Echo auf dem Bergplateau der Ansturm auf das Lager den Schwerpunkt auf den Export legen der Stuhl auf dem Teppich die Wanderung auf den Hügel
Eine genauere Exploration der Binnenstruktur von komplexen NPn ist zum einen von grammatischem Interesse, zum anderen von lexikographischem Interesse, wenn es um die Erstellung von Wörterbuchartikeln geht. In bezug auf die Semantik der Präposition „auf muß festgestellt werden, in welcher Weise die Semantik der Präposition „auf bei ihrer Verwendung in komplexen NPn in Wörterbüchern anzugeben ist. Dazu ist es allerdings erforderlich, die linguisti-
15 Vgl. Droop (1977,14 f. u. 27 ff). 16 Vgl. Droop (1977, 59 u. 93 f.); vgl. Lehmus (1983, 92 ff). 17 Alle Corpusbelege stammen aus FAZ 1994 oder TAZ 1995.
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Stefan J. Schierholz
sehe Analyse zu den komplexen NPn detaillierter durchzuführen als es die tatsächlich notwendigen Angaben für Wörterbuchartikel erfordern; denn nicht alle Eigenschaften, die die Binnenstruktur einer komplexen NP bestimmen, müssen auch als Wörteibuchangabe eingetragen werden. Darüber hinaus muß eine auf die Lexikographie ausgerichtete semantische Analyse nicht nur einen einzigen Wörterbuchtyp im Auge haben, sondern die Bedürfnisse einzelner Benutzergruppen und mehrerer Wörterbuchtypen berücksichtigen. Die Angaben für ein Spezialwörterbuch zu Präpositionen, welches in maschinenlesbarer Form vorliegt und als Lexikon in einem maschinellen Übersetzungssystem eingesetzt werden soll, müssen natürlich anders aussehen als die Angaben in einem Lernerwörterbuch, das sich an Deutschlerner der Grundstufe richtet. Innerhalb der semantischen Analysen zu komplexen NPn mit der Präposition „auf' soll der Schwerpunkt auf denjenigen komplexen NPn liegen, in denen die Präposition von dem davor positionierten Substantiv regiert wird. Was unter einer regierten Präposition zu verstehen ist, ist an anderer Stelle und aus dem Blickwinkel unterschiedlicher theoretischer Ansätze dargelegt worden,18 wird aber unten noch einmal in verkürzter Form zusammengefaßt. In früheren Untersuchungen ist bereits festgestellt worden, daß regierte Präpositionen inklusive des sie regierenden Substantivs als wörterbuchwürdig anzusehen sind.19 Allerdings ist bislang nicht geklärt, wieviel Semantik in komplexen NPn mit regierter Präposition enthalten ist und ob diese Semantik überhaupt wörterbuchwürdig ist. Erst nach der linguistischen Analyse soll entschieden werden, welche Angaben für welche Wörterbücher erforderlich sind. Um die syntaktischen und semantischen Verhältnisse, die in komplexen NPn mit der Präposition „auf' herrschen, besser erfassen zu können, werden die Terminologie von Schierholz sowie Erweiterungen und Präzisierungen von Wiegand für die Benennung der einzelnen Funktionen übernommen bzw. ergänzt.20 Danach gibt es verschiedene Typen von komplexen NPn, die eine PP mit der Präposition „auf' - oder einer anderen Präposition - enthalten. Eine dieser Typen ist die Präpositionalattributskonstruktion (= PPA-Konstmktion), die entweder als erweiterte PPA-Konstruktion (11) oder als nackte PPA-Konstruktion (12) vorkommen kann: (11) (12)
die REDUKTIONA UF einen einzigen Begriff der ANSTURM AUF das Lager
Die Vorgänger-NPPPA („die Reduktion", „der Ansturm") ist die NP, die vor der Präposition („auf') steht und das VorgängersubstantivPPA („Reduktion", „Ansturm") enthält. Die Präposition in einer PPA-Konstruktion heißt PppA und ist von Präpositionen in anderen syntaktischen Konstruktionen abzugrenzen. Als Nachfolger-NPPPA („einen einzigen Begriff', „das Lager") wird die NP bezeichnet, die nach der P p p a steht und das NachfolgersubstantivPPA („Begriff', „Lager") enthält. Die Pppa bildet zusammen mit der Nachfolger-NPPPA das Präpositionalattribut (= PPA), das in der Regel postponiert ist. Bestimmend für die PPA-Konstruktion ist das Rektionsverhältnis, das vom VorgängersubstantivPPA als Regens ausgeht und das für die P P P A bestimmte syntaktische und semantische Eigenschaften bedingt,21 die noch im einzelnen darzustellen sind. Eine nackte PPA-Konstruktion sei dadurch definiert, daß sie nur aus den für die 18 Vgl. u.a. Rauh (1993; 1995b), Schierholz (1996a), Wiegand (1996a). 19 Vgl. u.a. Wiegand (1985, 71 ff.), Schierholz (1996a, 197ff.; 1996b; 1996d), Wiegand (1996a, Kap. 1 und
4).
20 Vgl. Schierholz (1996a, 150 f.); vgl. Wiegand (1996a, Kap. 1). 21 Vgl. Schierholz (1996a, 166 ff.); vgl. Wiegand (1996a).
Zur Semantik der Präposition „ auf" in komplexen Nominalphrasen
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grammatikalische Korrektheit notwendigen Konstituenten besteht, das sind in (12) alle fünf aufgeführten Lexeme. Eine erweiterte PPA-Konstruktion sei dadurch definiert, daß zu den notwendigen Konstituenten nicht notwendige Konstituenten (z.B. Adjektive, Genitivattribute) hinzutreten. Dies gilt z.B. für das Zahladjektiv „einzigen" in (11), das als nicht notwendige Konstituente zu „einem Begriff" hinzutritt, weil man auch sagen könnte: die Reduktion auf einen Begriff. Zu trennen von der PPA-Konstruktion sind die übrigen komplexen NPn, in denen die Präposition „auf auftritt. Eine relativ umfangreiche und gut abgrenzbare Gruppe besteht in der Konstruktion mit einer attributiven adverbialen Bestimmung (= AAB-Konstruktion), die sich in bezug auf Wortstellung, Flexion oder den von der Präposition geforderten Kasus nicht von der PPA-Konstruktion zu unterscheiden braucht, die aber andere Dependenzverhältnisse aufweist, weil die Präposition nicht von dem davorstehenden Substantiv regiert wird. Dazu die folgenden Beispiele: (13) (14)
eine Reise AUF DEN MOND eine Tour AUF DEN KILIMANDSCHARO
Analog der oben verwendeten Terminologie ist die Vorgänger-NPAAB („eine Reise", „eine Tour") die NP, die vor der Präposition steht und die das VorgängersubstantivAAB („Reise", „Tour") enthält. Nachfolger-NPAAB („den Mond", „den Kilimandscharo") heißt die NP, die nach der Präposition steht und die das NachfolgersubstantivAAB („Mond", „Kilimandscharo") enthält. Die Präposition heißt PAAB und ist von dem V o r g ä n g e r s u b s t a n t i v A A B nicht in der gleichen Weise regiert wie die PppA. Die PAAB bildet zusammen mit der Nachfolger-NPAAB die attributive adverbiale Bestimmung (= AAB). Darüber hinaus existieren weitere komplexe NPn mit der Präposition „auf, die sich nicht ohne weiteres mit der gleichen Terminologie erfassen lassen, sondern durch andere Merkmale strukturiert sind (vgl. Kapitel 3). Daß es sich bei diesen Unterscheidungen nicht um spezifisch lexikographische Festlegungen handelt, wird allein dadurch deutlich, daß auch in umfangreichen Arbeiten mit grundsätzlich anderen Zielsetzungen ähnliche Differenzierungen vorliegen. Diese bestehen in vergleichbarer Weise bei Lauterbach, der zwischen Ergänzungen, Ergänzungen und Angaben und Angaben unterscheidet,22 bei Schmidt,- der - wenn auch nicht ausführlich dargelegt - zwischen valenzgebundenen und freien Präpositionalattributen differenziert,23 aber auch bei Teubert, der im Ansatz Ergänzungen und Angaben unterscheidet, allerdings diese Unterscheidung in seinen Datenauswertungen nicht konsequent durchhält.24 Im Rahmen der Prinzipien- und Parametertheorie werden von Rauh präpositionale Formen des Englischen hinsichtlich ihrer syntaktischen und semantischen Merkmale dahingehend analysiert, daß insgesamt fünf präpositionale Varianten vorkommen: lexikalische, grammatische, fixierte grammatische, fixierte lexikalische und regierte Präpositionen,25 Von diesen lassen sich für die hier intendierten Untersuchungen in erster Linie die Beschreibungen zu den regierten 22 23 24 25
Vgl. Lautetbach (1993,139ff.). Vgl. Schmidt (1993, 151 f.). Vgl. Teubert (1979, 24 ff.). Vgl. Rauh (1995b, 129ff.) und Rauh (1993, 6 ff). In den anderen Arbeiten Rauhs werden einmal drei Typen (Rauh 1995a), einmal vier Typen (Rauh 1991a bzw. 1992) festgestellt. Die Typologie in 1995b mit fünf verschiedenen Varianten ist jedoch die am besten ausgearbeitete.
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Stefan J. Schierholz
Präpositionen, die lexikalisch gefordert werden und sich wie funktionale Kategorien verhalten, und den lexikalischen Präpositionen, die lokale, temporale oder skalare Bedeutung haben können und Elemente einer lexikalischen Hauptkategorie sind, verwenden. Auch in einer präskriptiven Grammatik, wie der Duden-Grammatik, ergeben die Einteilungen der Präpositionsverwendungen im Resultat Ahnliches, wenn auch die Beschreibungsverfahren gänzlich andere sind. Während bei der Unterscheidung von Präpositionalobjekten und Adverbialen Bestimmungen Satzglieder als Ganzes betrachtet werden, geht es bei der Betrachtung der Attribute um den Innenbau von Satzgliedern 26 Unter inhaltlichen Gesichtspunkten charakterisiert das Attribut die Information, die im Kern eines Satzgliedes, zu dem das Attribut steht, gegeben ist. Abgegrenzt vom attributiven Präpositionalgefiige werden die attributiven adverbialen Bestimmungen, die nach einem Substantiv stehen und wie die adverbialen Bestimmungen nach attributiven Bestimmungen des Raumes, der Zeit, der Art und Weise und des Grundes unterschieden werden.27 In der Monographie von Bouillon, in der die Präposition „auf in ihrem syntaktischen und semantischen Gebrauch untersucht wird,28 werden PPn, die frei zum nominalen Kern hinzutreten können (bei Bouillon: Attribut, wie in (15)) und PPn, die auf einige Proben wie ein PPO reagieren (16), unterschieden. (15) (16)
Das Haus IM WALD wird verkauft. Jeder hat ein RECHT AUF Arbeit.
In der semantischen Analyse wird zwischen den PPn unterschieden, in denen die Präposition eine informative Bedeutung hat (das sind die hier als AAB bezeichneten PPn) und den PPn, in denen die Präposition eine redundante oder leere Bedeutung innehat (das sind die hier als PPA bezeichneten PPn).29 Es werden sowohl für die PP als Attribut verschiedene Lesarten der Präposition „auf' ermittelt (z.B. Lokalbestimmung, prospektiver Zeitpunkt, prospektive Zeitdauer, Maßangaben)30 als auch für die PPn als PPO (z.B. Basis, Prospektivität, Ziel)31 Bei dem Versuch der Subklassifizierung der Wörter, die die Präposition „auf fest fordern, lassen sich in vielen Fällen Bedeutungsähnlichkeiten zwischen dem redundanten „auf und dem informativen „auf herstellen. Nicht immer ist bei Bouillons Einteilung jedoch klar, ob sich diese auf das Vorgänger- oder Nachfolgersubstantiv bezieht. So ist sowohl die Semantik des Nachfolgersubstantivs das Kriterium, wenn das PPA die Grundlage bezeichnet, auf der das vom VorgängersubstantivppA ausgedrückte Gefühl oder die Handlung beruht (z.B. bei „Eid", „Steuern", „Stolz", „Berufung", „Schwur*', „Vertrauen"),32 als auch die Ableitungsmöglichkeit von dem
26 Wie in Duden (1984) finden sich auch in Duden (1995) die Widersprüche über die Beziehungen des Attributs, die bereits Gegenstand der Kritik waren (vgl. Schierholz 1996a, 160) und sinngemäß lauten: Da Attribute sich nicht unmittelbar auf den Satz, sondern auf einzelne Gliedkerne des Satzes beziehen, sind Attribute syntaktisch nicht notwendig, obwohl sie doch nicht immer weggelassen werden können; vgl. Duden (1995, 635 f.) und Duden (1984, 592). 27 Vgl. Duden (1995,641). 28 Bouillon (1984). Der größere Teil von Bouillons Arbeit enthält Verwendungsweisen von „auf' im Zusammenhang mit Verben; dennoch kann ein wesentlicher Teil seiner Analysen genutzt werden. 29 Vgl. Bouillon (1984, 32). 30 Vgl. Bouillon (1984, 66 ff.) 31 Vgl. Bouillon (1984, 91 ff.). 32 Vgl. Bouillon (1984, 93 ff.).
Zur Semantik der Präposition „ auf in komplexen Nominalphrasen
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Verb, das eine Tätigkeit des Geistes ausdrückt und auf eine Richtung hinweist (z.B. bei „Konzentration").33 Gleichwohl bleiben alle Untersuchungen in bezug auf die komplexe NP unbefriedigend, und es bleibt die Kritik an der unvollständigen Erarbeitung der syntaktischen Binnenstruktur komplexer NPn, wie sie an anderer Stelle in bezug auf Grammatiken, die Fachliteratur und auf die praktische sowie theoretische Lexikographie festgestellt worden ist.34 Allerdings muß auf ein grundsätzliches Problem von vornherein aufmerksam gemacht werden. Nach den bisherigen Erfahrungen im Umgang mit Präpositionen kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Detailanalysen und Resultate zur Präposition „auf auf andere Präpositionen ohne weiteres übertragbar sind, so daß auch in dieser Arbeit nur ein kleiner Ausschnitt - wenn auch ein gut definierbarer - betrachtet werden kann.
3 Die Präposition „auf Im folgenden wird das Vorkommen der Präposition „auf' in komplexen NPn anhand syntaktischer und semantischer Merkmale in systematischer Weise dargestellt, und es werden Überlegungen angestellt, inwieweit lexikographische Angaben zu dem unterschiedlichen Vorkommen der komplexen NPn mit „auf' notwendig sind und an welche Lemmazeichen die Angaben zu adressieren sind. Wenn die Gruppe, in der die regierte Präposition „auf vorkommt, einer besonders genauen Analyse unterzogen wird, liegt das daran, daß die Semantik der regierten Präpositionen relativ wenig erforscht ist, aber auch daran, daß die Semantik der regierten PPPA „auf eine kompliziert strukturierte Komplexität mit sich bringt.
3.1 Attributive adverbiale Bestimmungen des Raums Die Präposition „auf kann in zwei unterschiedlichen Typen von AAB-Konstruktionen, die sich auf den Raum beziehen, vorkommen, in der lokalen stationären AAB und in der direktionalen AAB. 3.1.1 Die lokale stationäre AAB In dieser AAB-Konstruktion bezeichnet die AAB einen stationären Punkt bzw. eine feste Position und enthält eine PAAB, die eine im Dativ stehende Nachfolger-NPAAB regiert. Die AAB ist identifizierbar, indem man nach dem von der Nachfolger-NPAAB Bezeichneten mit einer mit „wo" eingeleiteten Frage fragt. (17)
Mein Appetit A UF DEM FEST war riesengroß. Wo war der Appetit riesengroß?
33 Vgl. Bouillon (1984, 102). 34 Vgl. Schierholz (1995; 1996a, 159 ff.; 1996b; 1996c); vgl. Wiegand (19%, Kap. 2 und 3).
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Stefan J. Schierholz Das Echo A UF DEM DACHBODEN ist Oberschallartig. Wo ist das Echo Oberschallartig?
Wenn das NachfolgersubstantivAAB eine konkrete Bedeutung hat, weist die P A A B die Eigenschaften einer lexikalischen Präposition auf: Es können lokale Adverbien für die NachfolgerN P A A B eingesetzt werden, und es läßt sich ein Modifikator, z.B. ein temporales Adverbial, zwischen das VorgängersubstantivAAB und die P A A B einfügen. (17a) (17b) (18a) (18b)
Mein Appetit dort war riesengroß. Der Appetit am Nachmittag A UF DEM FEST war riesengroß. Das Echo dort ist Oberschallartig. Das Echo gestern A UF DEM DACHBODEN war überschallartie.
Die Topologie von „am Nachmittag" bzw. „gestern" ist frei, d.h. das Adverbial bzw. das Adverb können vor oder hinter der lokalen AAB stehen. Die VorgängersubstantiveAAB, „Appetit" und „Echo", stehen zu der P A A B „ a u f nicht in einer Rektionsbeziehung. Es lassen sich innerhalb der lokalen stationären AABen weitere Unterscheidungen treffen, indem z.B. lokale stationäre AABen mit und ohne Basisfläche differenziert werden. 35 Während in (17) und (18) von dem VorgängersubstantivAAB etwas Abstraktes bezeichnet wird, wird in den folgenden Fällen von dem VorgängersubstantivAAB etwas Konkretes bezeichnet, und die Präposition „ a u f drückt den „Oberflächenkontakt" des Bezeichneten zu dem Darunterliegenden, vom NachfolgersubstantivAAB Bezeichneten, aus.36 (19) (20)
Der Tisch AUF DEM PODEST maßte gesäubert werden. Der Vogel A UF DEM BA UM war ein Gimpel.
Die Verwendung eines lokalen Adverbs anstelle der Nachfolger-NPAAB und die Einfügung eines temporalen Adverbs sind auch in (19) und (20) möglich. Allerdings gilt für die verwendeten Beispiele, daß je nach zugrundeliegendem Kontext mehr oder weniger Restriktionen in bezug auf die Insertion eines weiteren Adverbs vorliegen, wie es die folgenden Beispiele demonstrieren. (17') (17'a) (18') (18'a) (19') (19'a) (20') (20'a)
Der Appetit A UF EINEM FEST ist riesengroß. *Der Appetit heute A UF EINEM FEST ist riesengroß. Das Echo A UF EINEM DA CHBODEN ist nicht zu überhören. *Das Echo heute AUF EINEM DACHBODEN ist nicht zu überhören. Der Tisch AUF DEM PODEST muß gesäubert werden. *Der Tisch heute A UF DEM PODEST muß gesäubert werden. Der Vogel A UF DEM BA UM ist ein Gimpel. *Der Vogel heute A UF DEM BA UM ist ein Gimpel.
Obwohl es sich nur um leichte Abwandlungen der Sätze (17) bis (20) handelt, kann ein temporales Adverb nicht hinzugefugt werden. Die Adverbeinfügung scheitert ebenfalls, wenn das vom NachfolgersubstantivAAB Bezeichnete nicht konkret, sondern metaphorisiert verwendet wird. (21)
Die Arbeit AUF DEM BA U wird schlecht bezahlt.
In (21) ist nicht „die Arbeit auf einem bestimmten Gebäude" gemeint, sondern „die Arbeit in der Baubranche". Somit kann zwar mit dem Interrogativpronomen „wo" nach der AAB gefragt
35 Vgl. Fuchs (1991, 107f ). 36 Vgl. Eroms (1981,156f ).
Zur Semantik der Präposition „auf" in komplexen Nominalphrasen ..
werden, aber es kann nicht ein temporales Adverb zwischen VorgängersubstantivAAB und eingefügt werden.
65 PAAB
(21a) *Die Arbeit heute A UF DEM BA U wird schlecht bezahlt. (21b) Die Arbeit AUF DEM BA U wird heute schlecht bezahlt. (21c) Heute wird die Arbeit AUF DEM BAU schlecht bezahlt.
In (21b) und (21c) kann „heute" entweder nur vor oder nur hinter der AAB-Konstruktion stehen. Es ist somit ein temporales Adverb, das im Satzrahmen verwendet wird und sich nicht in spezifizierender Weise auf die lokale AAB bezieht. Darüber hinaus wird das Adverb „heute" in (21b) und (21c) in modifizierter Bedeutung verwendet, nämlich im Sinne von „heutzutage". Die Analysen demonstrieren, daß die Präposition „ a u f in lokalen stationären AAB-Konstruktionen immer Bestandteil der AAB ist und daß die Verwendung von „ a u f in einer Ortsbestimmung als Ganzes gelernt werden kann. Andererseits ist die Verwendung von AABen mit „ a u f durch verschiedene Aspekte beschnitten. 3.1.2 Die direktionale A A B In einer direktionalen AAB-Konstruktion gibt die AAB die Richtung und/ oder das Ziel einer Handlung an, und die Nachfolger-NPAAB steht im Akkusativ. Eine Identifizierung der direktionalen AAB kann in der Regel mit Hilfe des Interrogativpronomens „wohin" erfolgen, mit dem nach dem von der Nachfolger-NPAAB Bezeichneten gefragt werden kann. (22) (23)
Ein Klaps AUF DEN PO kann Schaden erregen. Seine Wanderung AUF DEN BERG dauerte ewig.
Wohin? Wohin?
In den Sätzen (22) und (23) ist es ohne weiteres möglich, vor die AAB einen Modifikator oder Spezifizierer zu setzen, der das von der Nachfolger-NPAAB Bezeichnete genauer erfaßt. Auch die Einfügung eines temporalen Adverbs ist möglich. (22a) (22b) (23a) (23b)
der Klaps genau AUF DEN PO der Klaps heute AUF DEN PO seine Wanderung genau AUF DEN BERG seine Wanderung heute A UF DEN BERG
Syntaktisch betrachtet ist die Präposition „ a u f ein Bestandteil der direktionalen AAB und gehört nicht zu dem VorgängersubstantivAAB Semantisch betrachtet hat „ a u f einen wesentlichen Anteil daran, daß die Richtungs- und Zielangabe formuliert wird. Kennzeichnend ist außerdem, daß die vom VorgängersubstantivAAB bezeichnete Handlung das anvisierte Ziel auch erreicht. 3.1.3 Z u den lexikographischen Angaben Weil die Überlegungen zur Notwendigkeit von lexikographischen Angaben in bezug auf die AAB-Konstmktionen des Raums relativ umfangreich sind, sollen die Einzelaspekte bereits an dieser Stelle diskutiert werden. Da die Präposition „ a u f Bestandteil der lokalen stationären AAB ist und da zum einen die Semantik des NachfolgersubstantivsAAB, zum anderen kontextuelle Faktoren die Variationsmöglichkeiten innerhalb der AAB-Konstruktion bestimmen (vgl. (17) bis (21)), erscheint eine besondere Wörterbuchangabe nicht erforderlich zu sein. Es besteht nämlich von vornherein das Entscheidungsproblem, an welches Lemmazeichen eine solche Angabe zu adressieren sei, wenn
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Stefan J. Schierholz
weder das Vorgänger- noch das NachfolgersubstantivAAB in eindeutig nachvollziehbarer Weise die Konstruktion der komplexen NP steuern, sondern textuelle Faktoren wie Tempus, Verbwahl, Determination oder Aspektualität bestimmend sind. Es läßt sich wohl auch kaum eine sinnvolle Frage eines potentiellen Wörterbuchbenutzers formulieren, in der dieser von einem Wörterbuch Antworten zu den Konstruktionsprinzipien von komplexen NPn im Zusammenhang mit AABen oder zu dem gleichzeitigen Vorkommen eines temporalen Adverbs mit einer AAB des Raums erwartet. Nach den obigen Darstellungen muß man zu ähnlichen Schlußfolgerungen bezüglich einer lexikographischen Angabe für direktionale AABen kommen. Etwas anders verhält es sich mit der Präposition „auf. Da „auf' unterschiedliche Bedeutungen hat, müssen diese in dem Wörterbuchartikel, der an das Lemmazeichen von „ a u f adressiert ist, verzeichnet sein. Darüber hinaus benötigt ein Wörterbuchbenutzer die Wortartenangabe, die unterschiedlichen Kasusrektionen sowie Beispielangaben zum Gebrauch der Präposition in einer AAB-Konstruktion. Überprüft man die Wörterbuchartikel verschiedener Wörterbücher daraufhin, 37 so sind die genannten Angaben mit Ausnahme einer Beispielangabe, die eine AABKonstruktion enthält, vorhanden. Lediglich in DDUW 1994 findet man in dem Wörterbuchartikel zum Lemma auf eine Beispielangabe mit einer AAB-Konstruktion („die Vegetation auf den Inseln"). Wenn man jedoch den Standpunkt vertritt, daß eine Verwendung von „ a u f innerhalb einer AAB des Raums ausreichend erläutert ist, wenn nur Adverbiale Bestimmungen aufgeführt sind, bieten alle drei Wörterbücher ein umfangreiches Angebot an Kompetenzbeispielangaben. Eine reine Adverbiale Bestimmung („auf dem Bauch", „auf den B a h n h o f ) ist von einer AAB nicht zu unterscheiden und wenn der Gebrauch einer Adverbialen Bestimmung zusammen mit einem Verb demonstriert wird („auf dem Mond landen"), werden die meisten Wörterbuchbenutzer diesen Gebrauch auf die entsprechende AAB-Konstruktion („die Landung auf dem Mond") übertragen können. Jedoch gibt es bei den AABen des Raums eine ganze Reihe von Sonderfällen, die bei genauerer Betrachtung die Antwort auf die Frage nach der Wörterbuchwürdigkeit von AABen anders ausfallen lassen. Ob eine AAB des Raums oder welche AAB des Raums nach einem Substantiv vorkommen kann, hängt nämlich auch davon ab, welches VorgängersubstantivAAB und welches Nachfolgersubstantiv in der komplexen NP vorkommen. (24) "die Ausreise IN PORTUGAL (24a) die Ausreise NACH PORTUGAL (25) *die Anreise A UF DER STADT (25a) die Anreise AUF DEM DAMPFER (25b) 'die Anreise AUF DEM ZUG
Während nach „Ausreise" nie eine lokale stationäre AAB erscheinen kann, hängt es bei „Anreise" von dem vom NachfolgersubstantivAAB Bezeichneten ab, ob eine AAB mit „ a u f stehen kann. In (24) legt also das VorgängersubstantivAAB fest, welcher Typ von AAB folgen darf bzw. muß. Um diesen Sachverhalt genauer zu untersuchen, sind etwa 4000 Substantive daraufhin geprüft worden, ob sie als VorgängersubstantivAAB in einer lokalen stationären und bzw. oder in einer direktionalen AAB-Konstruktion vorkommen können. 38 Danach kann eine AAB, die ei-
37 DDUW (1994), DW (1994) und LGWDaF (1994). 38 Vgl. Schierholz (1992, 39ff.). Diese Substantive sind im Zuge der Erstellung eines maschinenlesbaren Lexikons mit syntaktischen Kodierungen versehen worden.
Zur Semantik der Präposition „ auf" in komplexen Nominalphrasen
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nen lokalen stationären Punkt bezeichnet, nach etwa 90 Prozent aller Substantive angefügt werden, und eine direktionale AAB kann nach ca. fünf Prozent aller Substantive vorkommen. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, daß weitere Restriktionen für einen korrekten sprachlichen Gebrauch existieren. In den genannten Prozentwerten wird nur der gesamte Typ lokale stationäre AAB bzw. direktionale AAB (in Schierholz 1992 als Ortsbestimmung bzw. Zielangabe bezeichnet) berücksichtigt. Somit wird innerhalb der lokalen bzw. direktionalen AABen nicht jede potentiell mögliche Präposition, die in einer AAB stehen kann, einzeln untersucht, sondern es wird ein AAB-Anschluß an ein VorgängersubstantivAAB möglich, wenn nur eine einzige von allen in lokalen bzw. direktionalen AABen verwendbaren Präpositionen eingesetzt werden kann. Für direktionale AABen besteht die Menge der Präpositionen aus folgenden Elementen: „an", „ a u f , „bis", „hinter", „in", „nach", „neben", „unter", „vor", „zu", „zwischen". Somit lassen sich mit den Elementen der Menge die folgenden AAB-Konstruktionen bilden. (26) (27) (28) (29) (30) (31) (32) (33) (34) (35) (36)
der Weg AN DIE ELBE die Einfuhr A UF DEN BALKAN die Reise BIS BUXTEHUDE die Exkursion HINTER DEN URAL der Ausflug IN DIE STAATEN die Straße NACH HAMBURG der Schuß NEBEN DIE PERSON der Gang UNTER DIE ERDE die Reise VOR DIE TORE Hamburgs die Fahrt ZU DEN ELTERN der Treffer ZWISCHEN DIE AUGEN
Alle in (26) bis (36) vorkommenden Substantive gehören zu den fünf Prozent, die als VorgängersubstantivAAB mit direktionaler AAB zu zählen sind. In Abhängigkeit von der Semantik des NachfolgersubstantivsAAB bzw. von der intendierten Äußerung ist eine der Präpositionen mit direktionaler Bedeutung verwendbar. Es gibt jedoch kaum VorgängersubstantiveAAB, hinter denen alle der oben genannten Präpositionen vorkommen können. (37) (37a) (37b) (37c) (37d) (37e) (37f) (37g) (37h) (37i) (37j)
die Reise AN DEN NIL die Reise AUF DEN BALKAN die Reise BIS BUXTEHUDE die Reise HINTER DEN URAL die Reise IN DEN SUDAN die Reise NACH HAMBURG ''die Reise NEBEN DIE TORE Hamburgs die Reise UNTER DIE ERDE die Reise VOR DIE TORE Hamburgs die Reise ZU DEN ELTERN die Reise ZWISCHEN DIE BEIDEN ZIELPUNKTE
An „Reise" lassen sich immerhin neun der elf Präpositionen anschließen, aber die folgenden Beispiele zeigen, daß viele VorgängersubstantiveAAB mit wesentlich weniger Präpositionen aus der Menge der Präpositionen, die zur Formulierung einer direktionalen AAB zur Verfugung stehen, vorkommen können. Dies ist von den semantischen Gegebenheiten abhängig, zeigt aber, daß man nach einer detaillierten Analyse nicht von der AAB der Richtungs- und Zielangabe sprechen darf, sondern innerhalb der direktionalen AABen Subdifferenziemngen vornehmen muß:
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Stefan J. Schierholz
(38) die Überfahrt nach Kairo; ?die Überfahrt an I?hinter / ?neben / 'ante/- /'zwischen; (39) die Abfahrt in die Staaten; 'rf/e Abfahrt bis / ^hinter /1 neben /1 unter /7zwischen; (40) rf/e Begleitung zu den Eltern; Vie Begleitung hinter / ?neben / '«nie/- / ?zwischen; (41) rf/e Einfuhr auf den Baikarr, 7die Einfuhr an / ^hinter / ^neben / 'wnier / ''zwischen-, (42) der Treffer neben die Zieldaten', 'der Treffer an / 'Ali / ''nach / 'zu Es muß darauf hingewiesen werden, daß zu den Beispielen in ( 3 8 ) bis ( 4 2 ) keine systematischen Corpusanalysen vorgenommen worden sind, sondern die gesetzten Fragezeichen auf subjektiver Kompetenz beruhen. Aber auch, wenn nur ein Teil der in (38) bis (42) angegebenen VorgängersubstantiveAAB plus PAAB, die mit Fragezeichen versehen sind, in der deutschen Sprache nicht vorkommen können, bedeutet dies fiir die direktionalen AABen, in denen die PAAB
„auf' steht, daß die
NachfolgersubstantiveAAB
PAAB
„ a u f in Abhängigkeit v o n der Semantik der Vorgänger- und
verwendet werden muß. Bei einigen
VorgängersubstantivenAAB
(„Durchfahrt", „Küste") kann keine direktionale A A B mit „ a u f folgen, obwohl direktionale A A B e n , 3 9 die v o n anderen Präpositionen eingeleitet werden, vorkommen können („die Durchfahrt an / in / nach"; „die Küste bis / nach"). Bei einigen VorgängersubstantivenAAB (z.B. „Einfuhr") kann eine direktionale A A B mit „ a u f folgen, aber andere Präpositionen, die normalerweise in A A B e n der Richtung stehen können, sind nicht möglich. Darüber hinaus existiert ein interessanter Zusammenhang zu den Vorgängersubstantivenpp A , die die Präposition „ a u f regieren: diesen kann nämlich in der Regel keine direktionale A A B folgen, die mit der
PAAB
„ a u f eingeleitet wird (vgl. unten). 40 Aufgrund dieser Datenlage muß auch für die A A B des Raums die Notwendigkeit einer „Konstruktionsidentifizierungsangabe" plus mindestens einer Kompetenzbeispielangabe, 4 1 die an das VorgängersubstantivAAB zu adressieren sind, erwogen werden. Dazu sind u.a. die folgenden Teilschritte erforderlich: 1. In einer Wörterbuchgrammatik kann festgehalten werden, welche Typen von AABen es gibt und welche in den Wörterbuchartikeln angegeben sind. 2. Es ist festzulegen, wie die Verwendimg einer PAAB, die in einem speziellen Fall ausschließlich verwendet werden kann, anzugeben ist, also z.B. „die Einfuhr nach", aber nicht „die Einfuhr an", obwohl „an" eine der Präpositionen ist, die zur Menge der Präpositionen gehört, die in einer direktionalen AAB vorkommen können.
39 Diese Restriktionen sind nicht mit einer Inkompatibilität zwischen der Bedeutung des Vorgänger- und NachfolgersubstantivsAAB zu verwechseln. So gibt es den Faustschlag auf die Nase, aber nicht den Faustschlag auf den Abschlußball. 40 Ein ähnliches Phänomen tritt zu der Präposition „vor" in lokalen AABen auf. Bei den folgenden Substantiven kann keine AAB, die mit „vor" eingeleitet ist, angeschlossen werden, wohl jedoch eine andere AAB. die mit einer lokalen stationären PAAB wie „an", „auf', „außerhalb", „bei", „hinter", „in", „über", „neben", „unter", „gegenüber", „innerhalb", „zwischen", „oberhalb", .jenseits", „unterhalb" beginnt: Achtung, Angst, Ekel, Grauen, Furcht, Respekt, Scheu, Verantwortung, Vorzug, Warnung. Diese Substantive regieren die Präposition „vor", so daß die Verwendung einer lokalen AAB mit „vor" mißverständlich sein würde oder gar nicht möglich ist. Verantwortlich ist jedoch auch die Semantik der beteiligten Konstituenten, die kompatibel sein muß und auch die Bedeutung von „vor" beeinflußt: (i) die Achtung vor der Brücke (ii) die Achtung vor der Dame PPA (iii) die Rettung vor der Brücke lokale AAB (iv) die Rettung vor dem Bären PPA (v) die Warnung vor dem Hunde PPA (vi) Warnung vor der Brücke. 41 Zur PPA-Konstruktion vgl. Wiegand (1996a, Kap. 1).
Zur Semantik der Präposition „ auf in komplexen Nominalphrasen
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3. Substantive, die in ihrer Funktion als VorgängersubstantivAAB nicht vor einer lokalen stationären AAB stehen können (z.B. „Herkunft"), sollten eine Wörteibuchangabe erhalten, aus der hervorgeht, daß man eine lokale stationäre AAB nicht anschließen kann.42
Jedoch ist eine lexikographische Angabe zu lokalen stationären AABen nicht grundsätzlich notwendig. Bei Substantiven, zu denen - nachdem umfangreiche empirische Datenauswertungen vorgenommen worden sind - festgestellt wird, daß sie in ihrer Funktion als VorgängersubstantivAAB keinen besonderen Restriktionen unterliegen (vermutlich gehören z.B. „Tisch", „Vogel", „Klaps" dazu), ist keine gesonderte Angabe erforderlich. Hier reicht die Bedeutungsangabe, die an das Lemmazeichen der P A A B „auf' adressiert ist, aus; denn in diesen lokalen stationären AABen hat „auf die gleiche Bedeutung wie in einer lokalen stationären Adverbialen Bestimmung, in der „ a u f vorkommt. Für die Substantive, die als VorgängersubstantivAAB vor einer direktionalen AAB stehen können, ist eine lexikographische Angabe jedoch in jedem Einzelfall zu empfehlen, wenn sich der geringe Prozentsatz, der sich aufgrund der kleinen Stichprobe von etwa 4000 Substantiven ergeben hat, für die Gesamtmenge der in einem Wörterbuch lemmatisierten Substantive bestätigen sollte.
3.2 Attributive adverbiale Bestimmungen der Art und Weise Mit Hilfe einer AAB der Art und Weise wird das vom VorgängersubstantivAAB Bezeichnete genauer bestimmt, indem die Intensität oder die Art, wie etwas erfolgt, angegeben wird. Diese AAB kann mit Hilfe des Interrogativpronomens „wie" oder durch „wie sehr" erfragt werden. (43) (44)
ein Kampf AUF LEBEN UND TOD eine Scheidung A UF ITALIENISCHE ART
Wie (sehr) ist / erfolgt der Kampf Wie ist I erfolgt die Scheidung?
Da man für alle Handlungen annehmen kann, daß sie auf irgendeine Art und Weise durchgeführt werden, lassen sich theoretisch alle Handlungsbezeichnungen mit einer ¿/«/-Phrase modifizieren, also z.B. „auf italienische Art" oder „auf spanische Art". 43 Es ist lediglich eine semantische Kompatibilität zwischen dem vom Vorgänger- und Nachfolgersubstantiv Bezeichneten erforderlich, um eine modale ¿»«/"-Phrase an ein VorgängersubstantivAAB anfügen zu können. So kann eine „Jagd auf italienisch" eine besondere Art des Jagens auf italienische Weise sein, die eine metaphorische Bedeutung hat oder nur einem begrenzten Sprecherkreis bekannt ist. Relativ undenkbar ist jedoch „ein Durst auf italienisch", da „Durst" nicht eine kulturelle, sprachliche oder gruppenspezifische Handlung bezeichnet. Somit kann man nicht generell festlegen, daß eine AAB der Art und Weise notwendigerweise in bestimmten Wörterbuchartikeln enthalten sein muß. Sollte es sich um phraseologismusähnliche Formulierungen handeln („ein Kampf auf Leben und Tod"), oder sollte es sich um
42 Derartige Wörterbuchangaben, die man wohl als Negativangaben bezeichnen müßte, dürften vor allem aus fremdsprachendidaktischer Perspektive in der Kritik stehen. Allerdings werden bereits von Bergenholtz (Bergenholtz 1985, 241 f.) in Anlehnung an die erste Ausgabe des Longman Dictionary of Contemporary English (vgl. LDOCE 1978, xxviii) Grammatikangaben empfohlen, die Warnungen vor falschen grammatischen Konstruktionen enthalten. 43 Ähnliche Formulierungen sind eine Aufnahme auf englisch, eine Scheidung auf italienisch. Hier scheiden die au/-Phrasen jedoch wegen der Kleinschreibung des Adjektivs als Nachfolger-NPAAB aus.
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ein Lemmazeichen handeln, zu dem aus bestimmten Gründen eine landestypische Art anzugeben ist (z.B. Bezeichnungen für bestimmte Mahlzeiten oder Kochrezepte), kann in sehr umfangreichen einsprachigen Wörterbüchern, in denen eine Vielzahl von Beispielangaben Usus ist, eine Kompetenzbeispielangabe erfolgen; eine gesonderte Grammatik- oder Konstruktionsidentifizierungsangabe für eine AAB der Art und Weise ist nicht erforderlich. In dem Wörterbuchartikel, der an das Lemmazeichen von „auf adressiert ist, sollte eine Bedeutungsangabe enthalten sein, aus der die dargestellte Bedeutung von „ a u f hervorgeht und der Gebrauch in einer AAB erkennbar ist.
з.3 Attributive adverbiale Bestimmungen mit Maß- und Dimensionsangaben Eine AAB mit einer Maßangabe ist immer eine spezifische Angabe, in der das Ausmaß oder die Dimension, das oder die sich auf den Inhalt des vom VorgängersubstantivAAB Bezeichneten bezieht, durch einen numerischen Wert präzisiert wird. Dieses Ausmaß kann unterschiedlicher Art sein: es kann sich auf Abstände, Temperaturen, Intensitätsgrade, Prozente, Größen, Zeiten и. ä. beziehen; es kann sich auf eine Zeitspanne beziehen, in der formuliert wird, wie lange etwas dauert, 44 und es kann sich auf das Verhältnis zwischen zwei Größenangaben beziehen, indem angegeben wird, wieviel von der Menge A auf die Einheit B zu geben ist (vgl. (51)). Erfragbar ist diese AAB mit einer Frage, die durch „auf wieviel", „auf wie viele" oder „auf wie lange" eingeleitet wird. (45) (46) (47) (48) (49) (50) (51)
eine Verringerung AUF NULL ein Anstieg A UF DIE HÄLFTE des Umsatzes eine Verlängerung A UF SIEBEN TA GE eine Begrenzung AUF DREI MONATE eine Erhöhung AUF 39 000 EINHEITEN der Übergang AUF 80 PROZENT der Arbeitszeit zwei Löffel Kakao AUF EIN GLAS Milch
auf wieviel? auf wieviel? auf wie lange ? / auf wie viele ? auf wie lange? / auf wie viele? auf wieviel? aufwieviel? auf wieviel?/wieviele Glaser?
Eine präzisere Bestimmung der Vorgängersubstantive als VorgängersubstantiveAAB ist ohne die Berücksichtigung des vom Nachfolgersubstantiv Bezeichneten nicht möglich, weil einige Vorgängersubstantive auch mit nicht numerischen Bezeichnungen in der Nachfolger-NP vorkommen, welche dann aber als Nachfolger-NPppA anzusehen sind (z.B. „der Übergang auf die Marktwirtschaft"). Allerdings gibt es auch Substantive, die ausschließlich als VorgängersubstantivAAB fungieren (z.B. „Zunahme", „Anstieg", „Erhöhung", „Verringerung"), weil sie nur mit numerischen Angaben in der Nachfolger-NPAAB vorkommen, und somit nicht die Präposition „auf regieren. In einem Wörterbuchartikel, der an das Lemmazeichen eines Substantivs adressiert ist, das als VorgängersubstantivAAB mit Maßangabe füngieren kann, ist eine besondere lexikographische Angabe, die sich auf die Dimension selbst bezieht, nicht erforderlich. Es reicht aus, wenn in einer Beispielangabe gezeigt wird, in welcher Weise eine numerische AAB hinter dem VorgängersubstantivAAB stehen kann. Da man bei der Beispielangabe aus verschiedenen Dimensionen auswählen kann („die Begrenzung auf einen Liter / auf drei Monate / auf 10 Prozent / auf 44 Auf die Erstellung einer weiteren Gruppe, die AAB der zeitlichen Dauer, ist in diesem Zusammenhang verzichtet worden.
Zur Semantik der Präposition „auf in komplexen Nominalphrasen
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90 Watt"), sollte die höhere Frequenz einer AAB-Konstruktion, die sich aus verschiedenen Textcorpora ermitteln läßt, den Ausschlag geben, welche Beispielangabe im Wörterbuch verzeichnet wird. Allerdings sollte der Bereich der AABen mit Maßangabe noch genauer untersucht werden, damit klar wird, unter welchen Bedingungen eine Maßangabe stehen kann und welche Serialisierungsmöglichkeiten es mit weiteren Modalangaben oder AABen eines anderen Typs gibt. In dem Wörterbuchartikel, der an das Lemmazeichen von „auf adressiert ist, muß diese lexikalische Bedeutung und Verwendungsweise von „auf gesondert erklärt und mit einer Beispielangabe versehen werden.
3.4 Feste Wendungen Eine feste Wendung, auch als Redewendung, Phraseologismus oder Kollokation bezeichnet, liegt in der Regel dann vor, wenn die Gesamtbedeutung der Wendung nicht aus den Bedeutungen der einzelnen lexematischen Bestandteile abgeleitet werden kann und der Austausch einzelner Lexeme keine systematische Bedeutungsänderung ergibt. Komplexe NPn mit der Präposition „auf, die feste Wendungen sind, kann man auch dadurch identifizieren, daß sie im Textcorpus mit hoher Frequenz oder ausschließlich in dieser einen lexematischen Umgebung vorkommen. (52) (53) (54)
in Hinsicht auf mit Bezug auf mit (dem) Schwerpunkt auf
Die Substantive „Hinsicht" und „Bezug" kommen im Corpus mit „auf nur vor, wenn davor eine weitere Präposition steht. Bei „Hinsicht" ist diese Präposition in der Regel „in", bei „Bezug" kann diese Präposition variieren, z.B. „unter", „ohne", „in" (dann aber klein geschrieben: „in bezug a u f ) . Außerdem lassen sich die Wendungen in (52) und (53) durch sekundäre Präpositionen („hinsichtlich" bzw. „bezüglich") ersetzen. Das Substantiv „Schwerpunkt" (54) erscheint zusammen mit der Präposition „auf zwar in verschiedenen lexematischen Umgebungen (vgl. (56)), aber „mit (dem) Schwerpunkt auf ist mit und ohne den Artikel („dem") als eine feste Wendung isolierbar, die semantisch kaum variieren kann. Zu dieser Gruppe kann man auch die Funktionsverbgefuge rechnen, die dadurch erkennbar sind, daß nicht eindeutig festzulegen ist, ob die Präposition „auf von dem beteiligten Verb oder dem Substantiv regiert wird. (55) (56) (57)
Rücksicht nehmen auf den Schwerpunkt auf etwas legen lautet die Anklage auf Totschlag
Die Substantive vor der Präposition „auf können zwar auch ohne die genannten Verben im Corpus auftreten ((55) bis (57)), stehen aber im Zusammenhang mit der Präposition „auf relativ oft in der gleichen lexematischen Umgebung, so daß man auch von einer Doppelrektion der Präposition „auf sprechen kann. Ebenfalls können die folgenden Substantive mit der Präposition „auf als feste Wendung aufgefaßt werden.
72 (58) (59) (60)
Stefan J. Schierholz Angriff auf Angriff Kilometer auf Kilometer ein Spiel auf Zeit
In (58) und (59) wird eine unmittelbare Aufeinanderfolge ausgedrückt, in der auch eine temporale Dimension enthalten ist, und es muß immer das gleiche Substantiv vor und hinter der Präposition stehen. In (60) handelt es sich um eine fachsprachliche Formulierung, in der zu einer Handlung ein bestimmter Zweck angegeben wird. Dieser Zweck wird in stark verkürzter Weise formuliert, so daß eine gewisse Metaphorik bleibt. In allen drei Beispielen müssen die Substantive in der au/*-Phrase artikellos stehen, so daß eine spezifische Bedeutung vorliegt und keine Variationsmöglichkeiten gegeben sind. Es soll hier nicht dargestellt werden, in welchen Typen von Phraseologismen die Präposition „auf' vorkommen kann, welche Funktion die Präposition in den Phraseologismen einnimmt oder unter welchem Lemma die Phraseologismen im Wörterbuch einzuordnen sind. Da man die Bedeutung der Präposition jedoch nicht isoliert angeben kann, muß die ganze Wendung im Wörterbuch angegeben und in ihrer Bedeutung erklärt werden.
3.5 Die regierte Präposition „auf' Die regierte Präposition „ a u f kommt in der PPA-Konstruktion vor und wird von dem VorgängersubstantivppA regiert. Die PPPA regiert den Kasus der Nachfolger-NPp PA , der bei PPAen mit der P p p a „ a u f immer der Akkusativ ist. Damit können alle PPn, in denen „ a u f den Dativ regiert, keine PPAe sein. Eine Abgrenzung der PppA von der PAAB muß also in bezug auf die Verwendung der PAAB in direktionalen AABen erfolgen, in denen die Nachfolger-NPAAB ebenfalls im Akkusativ steht. Die folgenden Sätze enthalten je eine PPA-Konstruktion mit den Vorgängersubstantiven PPA „Appetit" und „Echo". (61) (62)
Der APPETIT AUF den Kuchen wird immer größer. Das ECHO A UF den Vortrag war sehr mäßig.
Da das VorgängersubstantivppA und die PppA „auf eine Einheit bilden, kann diese auch als ein festes Syntagma bezeichnet werden; dieses ist jedoch von den festen Wendungen zu unterscheiden. PPA-Konstruktionen werden bei Droop als „dreigliedrige Syntagmen" bezeichnet; Droop sieht deren Kennzeichen u.a. darin, daß die Präposition der regierenden NP festliegt, das Substantiv der PP variabel ist und das beteiligte Veib nur in einem engen semantischen Rahmen variieren kann.45 Jedoch werden damit die Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb der PPA-Konstruktion zu unpräzise erfaßt; denn nicht die regierende NP (= Vorgänger-NP PPA ), sondern das VorgängersubstantivppA bestimmt, welche PppA gefordert wird, und der semantische Rahmen des in einem Satz beteiligten Verbs variiert je nach VorgängersubstantivppA in unterschiedlicher Weise, spielt aber fiir die syntaktischen Merkmale (Präpositions- und Kasusselektion) der Binnenstruktur einer PPA-Konstruktion keine Rolle und fiir die semantischen Konstruktionsbedingungen nur eine untergeordnete Rolle.
45 Vgl. Droop (1977, 166 f.).
Zur Semantik der Präposition „ auf" in komplexen Nominalphrasen
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In Wiegand (1996a) werden auf der Basis der Taxonomie der syntaktischen Relation v o n Lehmann 44 sowie der Untersuchungen von Jung 47 die syntaktischen Verhältnisse in der PPAKonstruktion in systematischer Weise dargestellt und v o n verwandten syntaktischen Konstruktionen abgegrenzt
48
Danach kann die oben verwendete Redeweise, daß das Vorgängersub-
stantivppA die Pppa regiert und daß die Pppa die Nachfolger-NPp P A regiert, aufrecht erhalten werden, läßt sich aber dadurch präzisieren, daß man sagt, daß „das VorgängersubstantivppA lexikalisch die PräpositionppA als Status" regiert - also eine lexikalische Statusrektion vorliegt und daß die P P P A zu der Nachfolger-NPpp A in einer Kasusrektion steht, weil die P p p a den Kasus der Nachfolger-NPppA festlegt. 4 9 Zur Identifizierung einer PPA-Konstruktion stehen verschiedene Testverfahren zur Verfugung, 5 0 von denen sich nicht alle auf jede PPA-Konstruktion anwenden lassen und von denen die folgenden Tests bei der Bestimmung der PPA-Konstruktion mit „ a u f benutzt werden. 1. Wenn es sich bei einem Substantiv um ein Deadjektivum oder ein Deverbativum handelt (z.B. „Eifersucht", „Hoffnung", „Stolz", „Verzicht"), dessen zugrundeliegendes Lexem die gleiche Präposition fordert (z.B. „eifersüchtig", „hoffen", „stolz", „verzichten"), liegt ein VorgängersubstantivppA vor, weil die PPA-Konstruktion mit dem zugrundeliegenden Verb oder Adjektiv plus der Präposition paraphrasiert werden kann. (63) (63a) (64) (64a)
die EIFERSUCHTA UF den Nebenbuhler = Jemand ist eifersüchtig auf den Nebenbuhler. sein VERZICHT A UF eine Lohnerhöhung = Er verzichtet auf eine Lohnerhöhung.
Allerdings ist dieser Test nicht anwendbar, wenn das zugrundeliegende Veib oder Adjektiv einen Akkusativ, Dativ oder Genitiv regiert oder wenn das VorgängersubstantivppA ohne Entsprechung im Verbal- oder Adjektivbereich ist (z.B. „Appetit auf', „Attentat auf', „Chance auf', „Recht auf'). Bei diesen Substantiven muß einer der folgenden Tests angewendet weiden. 2. In einer PPA-Konstruktion kann das PPA durch das Pronominaladverb „darauf' substituiert werden ((65) und (66)), während in einer direktionalen AAB ein Lokaladverb zu substituieren ist.51 (65) die ABGABE AUF Grundbesitz (66) die ANTWORT AUF die Frage
-> die ABGABE DARAUF -> die ANTWORT DARAUF
Liegt in der Nachfolger-NPppA die Bezeichnung eines Lebewesens vor, muß anstelle des Pronominaladverbs die Pppa plus einem Personal- oder Demonstrativpronomen substituiert werden." (67) das ATTENTAT AUF den Leibwächter -> *das ATTENTAT DARAUF -> das ATTENTAT AUF ihn Allerdings treten die Substitutionsprobleme nicht nur bei Lebewesenbezeichnungen auf, sondern auch in anderen Fällen.53
46 47 48 49 50
Vgl. Lehmann (1983). Vgl. Jung (1995). Vgl. Wiegand (1996a, Kap. 3). Vgl. Wiegand (1996a, Kap. 3). Ausführliche Darstellungen der Testverfahren zur Abgrenzung der PPA-Konstraktion finden sich in Schierholz (1996a, 166 ff.), kritische Anmerkungen und Ergänzungen in Wiegand (1996a, Kap. 2). 51 Neben der Substitution kann das lokale Adverb auch in einem angeschlossenen Satz, der sich auf die AAB bezieht, vorkommen. (i) Die Feier A UF SYL T war langweilig. (ii) -» Die Feier DORT war langweilig. (iii) -> DORT würde ich gerne wohnen. 52 Vgl. Helbig/Buscha (1988, 265). 53 Vgl. Wiegand (1996a, Kap. 2).
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Stefan J. Schierholz -> *der ANGRIFF DARAUF -> der ANGRIFF AUF sie Es gilt jedoch, daß die Pronominaladverbsubstitution in vielen Fällen erfolgreich eingesetzt werden kann, obwohl es von der Semantik des NachfolgersubstantivspPA abhängt, ob der Test positiv verläuft. Korrespondierend zur Pronominaladverbsubstitution erfolgt die Bildung des Interrogativpronomens „worauf4, mit dem nach dem PPA gefragt werden kann. Auch hier gilt in bezug auf das in der NachfolgerNPPPA Bezeichnete die Differenzierung nach Nicht-Lebewesen und Lebewesen.
3.
(68)
der ANGRIFF AUF die Kaserne
(69) (70) (71)
die REAKTION AUF die Entführung die GARANTIE AUF das neue Auto der EIFERSUCHT AUF den Nebenbuhler
-» worauf? worauf? -> *worauf? auf wen?
Allerdings verhalten sich Beispiele wie (68), bei denen es Probleme mit der Pronominaladverbsubstitution gibt, im Fragetest anders, weil auch mit „worauf' nach dem PPA gefragt werden kann. Da in einer PPA-Konstruktion die PPPA von dem VorgängersubstantivppA regiert wird und da die PPPA eine abstrakte Bedeutung besitzt, die nicht gleich der Bedeutung der lexikalischen Präposition „auf* ist, kann nicht ein Spezifikator, der im semantischen Fokus der Präpositionsbedeutung steht (bei „auf z.B. „geradewegs", „genau") vor die PPPA eingefügt werden, ohne die komplexe NP ungrammatisch werden zu lassen. (72) (73)
die KLAGE AUF Rückgabe die WIRKUNG AUF das Publikum
*die KLAGE geradewegs AUF Rückgabe *die WIRKUNG genau AUF das Publikum
Auch dieser Test - in Schierholz (1996a) von Rauh (1992b) übernommen und in Wiegand 1996a in seiner Anwendbarkeit aufs Deutsche zurückgewiesen54 - kann nur unter bestimmten Bedingungen verwendet werden. Die Insertion eines Spezifikators erzeugt immer dann ungrammatische PPA-Konstmktionen, wenn es sich um die nackte PPA-Konstruktion handelt. „Die Beschwerde (der Nachbarin) ausgerechnet über ihren ordentlichsten Mieter war der Vermieterin unangenehm"" ist jedoch eine erweiterte PPA-Konstruktion. Diese läßt auch zu (72) und (73) eine Spezifikatorinsertion zu, wie in den folgenden - allerdings konstruierten - Beispielen: (72') Die KLAGE meines Nachbarn ausgerechnet A UFRückgabe der Lieblingsecke meines Grundstücks istfür mich ein schwerer Schock. (73') Er plante diese WIRKUNG genau A UF das Publikum, das sonst so passiv dasitzt. Um diesen Test zur PPA-Bestimmung anwenden zu können, werden die meisten Corpusbelege vor der Oberprüfung auf eine nackte PPA-Konstruktion reduziert. Für die Bestimmung der Substantive, die als Vorgängersubstantiv PPA die P P P A „auf' regieren, reichen diese drei Testverfahren aus, wenn sie kombiniert angewendet werden. Dennoch ist zu berücksichtigen, daß die Entscheidung darüber, ob eine Substitution grammatikalisch korrekt ist, immer von der Subjektivität des Untersuchenden abhängt. U m diesen subjektiven Spielraum weiter zu reduzieren, wird das folgende Verfahren bei der Bestimmung der Vorgängersubstantive gewählt. Aus einer vorläufigen Liste von Substantiven, die potentiell als VorgängersubstantiveppA angesehen werden können, 36 werden Corpusbelege zu jedem Substantiv gesammelt. Anschließend prüfen drei Personen unabhängig voneinander die Anwendbarkeit der oben genannten
54 Vgl. Rauh (1992b, 15ff), Schierholz (1996a, 169ff ), Wiegand (1996a, Kap. 2). 55 Wiegand (1996a, Kap. 2). 56 Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die Erstellung dieser vorläufigen Liste zu erläutern. Es sei allerdings darauf hingewiesen, daß man die Substantive, die als VorgängersubstantiveppA fungieren können, nicht irgendwo nachschlagen oder abschreiben kann, sondern daß zur Ermittlung potentieller Kandidaten jahrelanges Sammeln, Recherchieren, Corpusabfragen und Sekundärliteraturanalysieren notwendig ist.
Zur Semantik der Präposition,. auf in komplexen Nominalphrasen
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Testkriterien; kritische Fälle, also Fälle, in denen die Testkriterien nicht in Übereinstimmung angewendet werden, werden ausfuhrlich bis zu einer Entscheidung diskutiert. 57 Nach dieser Vorgehensweise sind insgesamt 94 VorgängersubstantiveppA, die die P p p a „ a u f regieren, ermittelt worden. Etwa 50 Prozent der Substantive haben eine verbale oder adjektivische Ableitungsbasis, von der die gleiche Präposition regiert wird. Zu knapp 40 Prozent der Substantive liegen Corpusbelege vor, in denen das VorgängersubstantivppA plus „darauf' vorkommt (also z.B. „Vertrauen darauf', „Rücksicht darauf). Somit beruht die Entscheidung, ein Substantiv als Vorgängersubstantiv PPA zu betrachten, nur in einigen Fällen ausschließlich auf den subjektiven Beurteilungen einiger Fachleute, die man allerdings aus guten Gründen als PPA-Fachleute bezeichnen darf. In den bisherigen Untersuchungen zu regierten Präpositionen ist wiederholt betont worden, daß eine regierte Präposition nicht über Regeln erlernbar ist, sondern mit dem VorgängersubstantivppA eine Einheit bildet und daß diese als Ganzes erlernt werden muß. 58 Aus diesem Grunde muß in Wörterbüchern eine lexikographische Angabe enthalten sein, die an das Lemmazeichen des Substantivs, das als VorgängersubstantivppA fungieren kann, adressiert ist. Dies gilt für alle allgemeinen einsprachigen Wörterbücher des Deutschen, aber in besonderer Weise für Lernerwörterbücher sowie fiir zweisprachige Wörterbücher. Solange es nur darum geht, in den Wörterbüchern eine Grammatik- oder Konstruktionsidentifizierungsangabe einzutragen, durch die die Selektion der richtigen Präposition angezeigt wird, sowie eine Kompetenzbeispielangabe, in der der richtige Gebrauch des VorgängersubstantivsppA plus der P p p a demonstriert wird, besteht in der lexikographischen Fachliteratur weitgehend Einigkeit. Danach enthalten die im LGWDaF enthaltenen Strukturformeln in der Regel die notwendigen lexikographischen Angaben zur PPA-Konstruktion. 59 Strittig ist jedoch, wieviel Semantik zur Verwendung der regierten Präposition in einem Wörterbuchartikel enthalten sein muß. 60 Bevor darauf eine Antwort gegeben werden kann, soll zunächst eine detaillierte semantische Analyse der PPA-Konstruktion mit der P p p a „ a u f erfolgen. Wenn bestimmte semantisch motivierte Konstruktionsbedingungen zu den einzelnen PPA-Konstruktionen vorliegen oder wenn die Semantik von PPA-Konstruktionen irgendwelchen Prinzipien unterliegt, kann überlegt werden, in welcher Form Wörterbuchangaben zur Semantik der Binnenstruktur von PPA-Konstruktionen aussehen könnten bzw. in welcher Weise in einer Wörterbuchgrammatik über die PPA-Konstruktion informiert werden kann.
57 Hiermit möchte Claudia Hardut und Andrew Kerr, meinen Mitarbeitern in dem vom Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kunst geförderten Erfurter Forschungsprojekt, „Präpositionsvalente Substantive. Trilinguale Grundlagenforschung zum Deutschen, Englischen und Portugiesischen" (kurz: SUBVAL). für ihre aktive und kritische Unterstützung danken. Eine Kurzbeschreibung der Projektziele findet sich in Schierholz (1996d). 58 Vgl. u.a. Bergenholtz (1984), Wiegand (1985), Schierholz (1996a u. 1996b). Wiegand (1996a, Kap. 3). 59 Zur Kritik und zu Verbesserungsvorschlägen in der Gestaltung der Strukturformeln vgl. Schierholz (1996b u. 1996c). 60 Vgl. Wiegand (1996a, Kap. 3).
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4
Stefan J. Schierholz
Semantische Analysen zur Binnenstruktur von PPA-Konstruktionen
Um die Binnenstruktur der beteiligten Konstituenten erfassen zu können, ist es erforderlich, nicht nur das VorgängersubstantivppA, die Pppa und das NachfolgersubstantivppA einzeln zu analysieren, sondern auch das Zusammenspiel der drei Konstituenten untereinander. Unter lexikographischen Gesichtspunkten gibt es insbesondere vier Dinge, die zu betrachten sind: 1. Die Bedeutung des VorgängersubstantivsppA ist wichtig, weil eine Wörteibuchangabe, die sich auf die PPAKonstruktion bezieht, an das Lemmazeichen desjenigen Substantivs, das als VorgängersubstantivPPA fungieren kann, zu richten ist. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß das VorgängersubstantivppA und die Pppa eine Einheit bilden, die als solche in Wörterbüchern anzugeben ist. 2. Die PppA ist interessant, wenn die Bedeutung der Präposition für die Konstitution der Einheit, VorgängersubstantivppA plus PppA, eine ausschlaggebende Rolle spielt. Jedoch sind dazu einige wichtige Voraussetzungen erforderlich: Die Pppa „auf' muß mindestens eine lexikalische Bedeutung besitzen, die nicht ohne weiteres aus der Bedeutung der nicht-regierten Präposition „auf' abgeleitet werden kann; denn für den Fall, daß diese Ableitung ohne weiteres möglich wäre, könnte man diese in dem Wörterbuchartikel, der an das Lemma auf adressiert ist, angeben und an anderen Stellen im Wörterbuch auf diese Wörterbuchangabe verweisen. Diese eine Bedeutung der PppA „auf' kann jedoch nicht eine lexikalische Bedeutung in dem Sinne sein, wie sie die nicht-regierte Präposition „auf' innehat, weil damit alle Unterscheidungsversuche zwischen der Paab und der PPPa in Frage gestellt wären und die Pppa ihren Status als regierte Präposition verlieren müßte. Wenn die regierte Pppa „auf' dennoch eine Bedeutung hat, die man möglicherweise eine abstrakte Bedeutung nennen kann, so ist zu prüfen, ob die Pppa etwas zu der Semantik der Einheit, VorgängersubstantivppA plus PppA, beisteuert. Ein solcher Anteil kann darin bestehen, daß zu „auf' nur eine einzige Bedeutung vorliegt, die spezifisch für die PPPA ist, die nichts mit einer der Bedeutungen der Paab „auf' zu tun hat und die „auf' ausschließlich als Pppa von dem VorgängersubstantivppA erhält - ganz gleich, welche lexikalische Bedeutung das VorgängersubstantivppA besitzt. Ein solcher Anteil kann aber auch in seiner abstrakten Bedeutung variabel sein und - möglicherweise in Abhängigkeit von der Bedeutung des jeweiligen VorgängersubstantivspFA - in verschiedene Bedeutungsgruppen sortierbar sein. Ist letzteres der Fall, ist von besonderem Interesse, ob sich bestimmte Bedeutungsgruppen der abstrakten P ppa „auf' finden lassen, die mit bestimmten Bedeutungsgruppen der VorgängersubstantivepFA korrelieren. Derartige semantische Clusterungen können für Deutschlerner, in bestimmten Wörterbuchbenutzungssituationen und für didaktische Darstellungszwecke möglicherweise Hilfestellungen bieten. Darüber hinaus sind solche Cluster aus lexikologischer Sicht interessant, weil den regierten Präpositionen oft nur die abstrakte Bedeutung zugedacht wird, aber nie formuliert wird, wie man sich abstrakte Bedeutung vorzustellen hat und ob die PFPA „auf' in allen PPA-Konstruktionen mit „auf' die gleiche Bedeutung besitzt. 3. Wenn sich durch die Einheit, VorgängersubstantivppA plus PPPA, eine neue Bedeutung für das Lemma in seiner Funktion als VorgängersubstantivPPA ergibt, so ist dies insbesondere für die praktische Lexikographie von Interesse, weil dann nicht nur eine Grammatikangabe, Kompetenzangabe, Strukturformel oder Konstruktionsidentifizierungsangabe erforderlich ist, in der die regierte Präposition enthalten ist, sondern auch die neue Bedeutung des Lemmas in seiner Funktion als VorgängersubstantivppA angegeben werden muß. 4. Für sprachproduktive Prozesse, in denen eine PPA-Konstruktion vorkommt, ist es wesentlich, inwieweit das VorgängersubstantivppA allein oder die Einheit, VorgängersubstantivppA plus PPPA, für die gesamte PPAKonstruktion Selektionsrestriktionen vorgeben. Dies bedeutete für einen Lerner, daß er die besonderen semantischen Bedingungen, die in bestimmten PPA-Konstruktionen herrschen, mitzulernen hätte. Für die lexikographische Praxis ergeben sich dadurch zusätzliche Anforderungen an die Semantik in den Wörterbuchangaben.61 Inwieweit Selektionsrestriktionen in Abhängigkeit von der jeweiligen Muttersprache variieren, ist eine weitere Frage, die im Zusammenhang mit zweisprachigen Wörterbuchangaben und individuell auf das betreffende Sprachenpaar bezogen, entschieden werden muß. Bei den folgenden semantischen Untersuchungen wird darauf geachtet, daß nicht auf den Vorgaben eines bestimmten theoretischen Ansatzes darüber entschieden wird, in welcher Weise die
61 Vgl. z.B. die Detailanalysen zum VorgängersubstantivppA „Attentat" in Schierholz (1996a, 178 f.).
Zur Semantik der Präposition „ auf in komplexen Nominalphrasen
77
Bedeutungen der VorgängersubstantiveppA kategorisierbar sind. Die Analysen basieren ausschließlich auf einer Art paradigmatischer Reihenbildung, in der durch vergleichende Untersuchungen Bedeutungsähnlichkeiten zwischen den Vorgängersubstantiven PPA festgestellt werden sollen. Lexeme, die als Vorgängersubstantiv PPA im Textcorpus eine Frequenz unter drei haben,62 werden nicht in die Untersuchung einbezogen.
4.1 Die Semantik des VorgängersubstantivsppA Im folgenden werden 94 VorgängersubstantiveppA in unterschiedliche Lexemfelder sortiert. Ein Lexemfeld wird anhand von Bedeutungsähnlichkeiten konstituiert, die mindestens zwei substantivische Lexeme in ihrer Funktion als Vorgängersubstantiv PPA aufweisen. Diese Ähnlichkeiten werden mit Hilfe der Analyse von Corpusbelegen, von Bedeutungsangaben in allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern und mit Hilfe der eigenen linguistischen Kompetenz ermittelt. Welche Lexemfelder konstituierbar sind bzw. welche Merkmale zur jeweiligen Bedeutungserfassung verwendet werden, liegt nicht a priori fest, sondern ergibt sich durch die Detailanalyse jedes einzelnen Lexems. Bei einem polysemen Substantiv wird ausschließlich diejenige Bedeutung untersucht, die es als Vorgängersubstantiv PPA hat, wenn es die Präposition „auf regiert. Innerhalb dieser Bedeutung kann das Vorgängersubstantiv PPA wiederum verschiedene Bedeutungen haben, so daß es mehreren Lexemfeldern zuzuordnen wäre. Inwieweit dies bei der semantischen Gruppierung eine Rolle spielt, ist nicht in systematischer Weise berücksichtigt worden. Daraus ergibt sich, daß in dieser Untersuchung jedes VorgängersubstantivPPA nur in einem Lexemfeld vorkommen kann. Für alle 94 Vorgängersubstantivei>PA gilt, daß sie Abstrakta sind in dem Sinne, daß man das von ihnen Bezeichnete nicht anfassen kann. Allerdings kann man innerhalb der Abstrakta erhebliche graduelle Abstufungen in bezug auf den Abstraktheitsgrad feststellen. 63 Zu den Tabellen 1 bis 12 sind über die jeweils in der Legende gemachten Erläuterungen hinaus folgende Hinweise zu beachten. In der ersten Spalte „Vorgängersubstantiv" stehen die Mitglieder des jeweiligen Lexemfelds; hinter der Spaltenüberschrift ist in Klammern die Anzahl der Mitglieder eingetragen. In der Spalte „Art der Handlung" wird ein Lexem eingetragen, das die typische Bedeutung des Vorgängersubstantivs PPA bezeichnet. Dieses Lexem ist entweder mit einem genus proximum identisch, das in einem allgemeinen einsprachigen Wörterbuch 64 in der Bedeutungsangabe steht, oder es handelt sich um ein zutreffenderes Hyperonym, das sich aus der vergleichenden Analyse der vorliegenden Corpusbelege ergibt. Darüber hinaus kann in der Spalte „Art der Handlung" eine grundsätzliche Eigenschaft, die dem vom VorgängersubstantivPPA Bezeichneten zukommt, angegeben sein, wenn diese zur Bedeutungsbestimmung einen wesentlichen Beitrag liefert. In der Spalte „Präpositionsbedeutung" wird die Bedeutung, die die P PPA „auf' in der PPA-Konstruktion unter Bezugnahme auf das Vorgängersubstantiv PPA
62 Die Frequenzwerte basieren auf FAZ 1994. 63 Die hier vertretene Auffassung zur Abstraktheit eines Substantivs ist nicht die gleiche wie in Schierholz (1991) (vgl. Schierholz 1991, 18ff). Der dort verwendete Terminus „Abstraktheit" ist in der aktuellen Forschung zu Lexemnetzen inzwischen durch den zutreffenderen Terminus „Allgemeinheit" ersetzt worden; vgl. Hammerl (1991,4 ff ). 64 Konsultiert werden zu diesem Zweck entweder DDUW (1989) oder DW (1994).
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Stefan J. Schierholz
besitzt, eingetragen. Es sei darauf hingewiesen, daß diese Bedeutung nirgendwo nachgeschlagen werden kann, sondern daß nur die vergleichende Analyse der Corpusbelege als Grundlage der Bedeutungsbestimmung dient und von daher ein gewisser subjektiver Spielraum bleibt. In der Spalte „Beispiel" ist der Corpusbeleg, der aufgrund der Belegauswertungen als der typische für das jeweilige VorgängersubstantivPpA angesehen wird,65 in der Regel in vereinfachter Form, d.h. als nackte PPA-Konstruktion und mit abgekürzter Schreibweise des VorgängersubstantivsppA eingetragen. In der Spalte ,,F' steht der Frequenzwert, den die Einheit, Vorgängersubstantiv plus Präposition „ a u f , im Textcorpus besitzt. Der Wert bezeichnet eine quantitative Frequenz, wenn er normal gedruckt ist, und eine qualitative Frequenz, wenn er fett gedruckt ist. Der Begriff quantitative Frequenz wird hier so gebraucht, daß darunter die Häufigkeit zu verstehen ist, wie oft die Einheit, Vorgängersubstantiv plus Präposition „ a u f , vorkommt. Das bedeutet, daß nicht festgestellt wird, bei wieviel Prozent der Corpusbelege es sich um eine PPA-Konstruktion handelt. Es wird lediglich sichergestellt, daß eine ausreichende Anzahl von PPA-Konstruktionen innerhalb der Corpusbelege, die die quantitative Frequenz ausmachen, vorhanden ist. Zu diesem Zweck werden mindestens 30 Belege, in der Regel die ersten 30, ausgewertet. Der Begriff qualitative Frequenz besagt, daß genau so viele PPA-Konstruktionen im Textcorpus festgestellt werden können wie in der Spalte ,,F' angegeben, weil alle abgefragten Belege zu der Einheit, Vorgängersubstantiv plus „ a u f , inhaltlich überprüft werden und alle Belege, die keine PPA-Konstruktion sind, ausscheiden. 4.1.1 Zielgerichtete (Angriffs-)Handlungen Das VorgängersubstantivppA bezeichnet eine zielgerichtete Handlung, die in eine bestimmte Richtung erfolgt. Der anvisierte Zielpunkt wird vom PPA bezeichnet, und die Präposition „auf leitet die Zielpunktangabe ein. Die vom VorgängersubstantivPPA bezeichnete Handlung ist in der Regel eine aggressive Aktion bzw. ein Angriff, der meist zum Schaden des Ziels geschieht, auf das die Aktion gerichtet ist. Ein reduziertes aggressives Potential enthalten die Lexeme „Andrang" und „Jagd", weil das erste mehr ein „Gedränge" bezeichnet und das zweite eher eine „Verfolgung" als ein „Angriff ist. Immer kann man der Durchfuhrung der zielgerichteten Handlungen einen Zweck unterstellen, der unmittelbar das in der Nachfolger-NPpPA Bezeichnete betrifft. Die P p p a enthält nach allen VorgängersubstantivenppA dieses Lexemfelds eine lokale Direktionalität auf das Ziel, auf das die Aktion erfolgt oder erfolgen soll. Das NachfolgersubstantivPPA bezeichnet den Zielpunkt, auf den die Aktion gerichtet ist. Dieser Zielpunkt bezeichnet häufiger etwas Konkretes als etwas Abstraktes. Allerdings tragen manche VorgängersubstantiveppA inhärent eine Bedeutung, die bezüglich des Ziels Restriktionen verlangt, nach „Attentat" kann nur ein Lebewesen oder eine Institution das Ziel sein, nach „Jagd" ist das Ziel in der Regel ein Lebewesen, nach „Offensive" ist das Ziel in der Regel ein Gebiet, nach „Schuß" liegt eine Richtungsangabe auf einen abgrenzbaren Bereich bzw. Punkt vor, und die Corpusbelege enthalten oft eine Personenbezeichnung in der Nachfolger-NP PPA .
65 Das typische Beispiel wird in erster Linie durch subjektive visuelle Introspektion ermittelt; allerdings stellt die Vorkommenshäufigkeit eines Beispiels ein wesentliches Auswahlkriterium dar.
79
Zur Semantik der Präposition „ auf in komplexen Nominalphrasen Vorgängersubstantiv (12) Art der Handlung Präpositionsbedeutung Beispiel Angriff Anschlag Überfall Attentat Jagd Sturm Attacke Ansturm Schuß Offensive Vorstoß Andrang Tab. 1:
Angriff, Zw Angriff, Zw Angriff, Zw Angriff, Zw Verfolgung, Zw Angriff, Zw Angriff, Zw Angriff Zw Angriff, Zw Angriff, Zw Angriff, Zw Gedränge, Zw
lokale Richtung lokale Richtung lokale Richtung lokale Richtung lokale Richtung lokale Richtung lokale Richtung Ideale Richtung lokale Richtung lokale Richtung Ideale Richtung lokale Richtung
ein A. auf die Kaserne der A. auf den Sozialstaat der Ü. auf die Tankstelle das A. auf den Präsidenten die J. auf den Anführer der S. auf das Weiße Haus die A. auf den Staat der A. auf den Bankschalter der S. auf den Präsidenten die 0. auf die Region der V. auf die Stadt der A. auf die Messe
F 268 222 140 89 88 61 28 18 15 10 7 3
Zielgerichtete (Angriffs-)Handlungen; Erläuterung: Zw = Zweck
Die typischen Vertreter des Lexemfelds „Zielgerichtete Handlungen" sind „Angriff1, „Anschlag", und „Überfall", weil diese Lexeme die wesentlichen Merkmale enthalten und zugleich hochfrequent im Textcorpus sind. Im Vergleich mit anderen VorgängersubstantivenPPA bezeichnen die Mitglieder dieses Lexemfelds relativ konkrete Handlungen, obwohl es sich um Abstrakta in dem in Kapitel 4.1 geschilderten Sinne handelt. Zu keinem der VorgängersubstantivepPA gibt es Corpusbelege mit dem Pronominaladverb „darauf. Dies mag an einer gewissen Ähnlichkeit der PPA-Konstruktionen mit den direktorialen AAB-Konstruktion liegen; denn auch die Bedeutung der Pppa „auf ist in diesem Lexemfeld im Vergleich zu anderen PPA-Konstruktionen relativ konkret. 4.1.2 Veränderungen Die 14 Substantive, die in diesem Lexemfeld stehen, können nomina actionis oder nomina acti sein. Als VorgängersubstantiveppA sind sie jedoch nomina actionis und bezeichnen Veränderungen, die sich in drei Gruppen unterscheiden lassen, nach Einschränkungen, Erweiterungen oder Wechsel. Bei der Formulierung einer PPA-Konstruktion wird immer ein Ausgangszustand oder -punkt vorausgesetzt, der nicht innerhalb der PPA-Konstruktion erwähnt werden muß, der auch nie mit dem Zielzustand oder -punkt identisch sein kann. Von dem NachfolgersubstantivppA wird das Ziel bezeichnet, das meist abstrakt ist und zugleich der Endpunkt, der in dem Veränderungsprozeß anvisiert wird. Die Pppa gibt dazu die Richtung an, in die die Veränderung erfolgen soll.
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Stefan J. Schierholz
Vorgängersubstantiv (14) Art der Handlung
Präpositionsbedeutung Beispiel
Konzentration Beschränkung Besinnung
Einschränkung, Zw Richtung Einschränkung, Zw Richtung Einschränkung, Zw Richtung
Begrenzung Spezialisierung Einschränkung Reduktion
Einschränkung, Zw Einschränkung, Zw Einschränkung, Zw Einschränkung, Zw
Ausdehnung Verteilung Verlängerung
F 241 77 44
Richtung Richtung Richtung Richtung
die K. auf zwei Fragen die B. auf (den) Ackerbau die B. auf die wirklichen Werte die B. auf die neuen Länder die S. auf den Export dieE. auf Europa die R. auf einen Begriff
Erweiterung, Zw Erweiterung, Zw Erweiterung, Zw
Richtung Richtung Richtung
die A. auf andere Länder die V. auf die Bundesländer eine V. auf Beamte
11 4 3
Umstellung Übergang
Wechsel, Zw Wechsel, Zw
Richtung Richtung
87 11
Übertragung Wechsel
Wechsel, Zw Wechsel, Zw
Richtung Richtung
dieU. auf Erdgas der Ü. auf die Marktwirtschaft dieÜ. auf den PC der W. auf den Chefsessel
Tab. 2:
10 9 8 6
10 6
Veränderungen; Erläuterung: Zw = Zweck
Alle VorgängersubstantiveppA haben eine sehr abstrakte Bedeutung und enthalten in der Regel Bezeichnungen für geistige Tätigkeiten. Diese sind in irgendeiner Weise zweckorientiert und werden irgendworauf angewendet. Hier liegt auch ein wesentlicher Unterschied zu dem Lexemfeld „Zielgerichtete Handlungen", in der die lokale Dimension deutlich enthalten ist. Mit Ausnahme der VorgängersubstantiveppA „Besinnung", „Spezialisierung" und deijenigen, die in der Art der Handlung einen Wechsel darstellen, können alle Mitglieder dieses Lexemfelds auch als VorgängersubstantivAAB in einer AAB-Konstruktion mit Maß- und Dimensionsangabe stehen (vgl. Kapitel 3.3). Während man nach einer Maßangabe jedoch immer mit „auf wieviel" fragt, muß nach dem PPA (z.B. „auf Europa") mit „worauf gefragt werden. Daß nur wenige Corpusbelege der VorgängersubstantiveppA plus dem Pronominaladverb „darauf' vorliegen („die Beschränkung darauf'), mag zum einen daran liegen, daß die Vorgängersubstantive in der genannten Doppelfunktion vorkommen können, kann aber auch an den sehr abstrakten Inhalten der jeweiligen Nachfolgersubstantive liegen; denn bei der Benutzung des Pronominaladverbs „darauf bleibt der Inhalt des NachfolgersubstantivsPpA semantisch unbestimmt, so daß in der Kommunikation für Sprachbenutzer möglicherweise Mißverständnisse in bezug auf das Vorliegen einer PPA- oder AAB-Konstruktion entstehen können. 4.1.3 Reaktionen In diesem Lexemfeld stehen acht Substantive, die eine Reaktion bzw. eine Folgehandlung bezeichnen und in der Regel nomina actionis sind. Wird eines der VorgängersubstantiveppA benutzt, ist immer eine Handlung vorausgesetzt, die zeitlich vorhergegangen ist. Die Pppa „auf hat eine abstrakte Bedeutung in dem Sinne, daß sie nur das Verbindungsstück zwischen dem vom VorgängersubstantivppA Bezeichneten und dem vom NachfolgersubstantivppA Bezeichneten ist. Sowohl das VorgängersubstantivPpA als auch das NachfolgersubstantivppA bezeichnen
Zur Semantik der Präposition „ auf in komplexen Nominalphrasen ...
81
abstrakte Handlungen, so daß die genannten Beispiele ohne den dazugehörigen Kontext oft relativ inhaltsleer sind. Vorgängersubstantiv (8) Art der Handlung
Präpositionsbedeutung Beispiel
Antwort
Erwiderung, kausal
Reaktion
Reaktion, kausal
Ri, temp, zurück Ri, temp, zurück
die A. auf die Frage die R auf die Entfuhrung
Echo Reflex Resonanz Replik Erwiderung
Reaktion, kausal
Ri, temp, zurück Ri, temp, zurück Ri, temp, zurück Ri, temp, zurück Ri, temp, zurück Ri, temp, zurück
das E. auf die Kritik
30
ein R auf den Terror die R auf das Programm
27 18 8 7 4
Entgegnung Tab. 3:
Reaktion, kausal Reaktion, kausal Erwiderung, kausal Antwort, kausal Antwort, kausal
die R auf den Kommentar die E. auf die Klagen die E. auf die Behauptung
F 441 294
Reaktionen; Erläuterungen: Ri = Richtung; temp = temporal
Das Lexemfeld ist in bezug auf die Art der Handlungen und die Präpositionsbedeutung als extrem homogen zu bezeichnen, weil sich die einzelnen Mitglieder in ihrer Bedeutung sehr ähnlich sind. Dies läßt sich leicht durch die Substitution eines Substantivs durch ein anderes im gleichen Kontext überprüfen. Alle PPA-Konstruktionen ähneln lokalen stationären AAB-Konstruktionen, weil auf eine Punktbezeichnung eine Punktbezeichnung folgt, aber nicht im VorgängersubstantivPPA eine Richtung angegeben wird. Daß es sich dennoch um VorgängersubstantiveppA handelt, wird dadurch bestätigt, daß zu fast allen VorgängersubstantivenPPA auch Corpusbelege mit dem Pronominaladverb „darauf existieren. 4.1.4 Leistungen Nur drei VorgängersubstantiveppA bezeichnen eine zu erbringende Leistung, die das Resultat einer vorher getroffenen Vereinbarung ist. Diese Vereinbarung ist zwar nicht genannt, bildet aber die Voraussetzung dafür, daß eine „Steuer", „Abgabe" oder „Garantie" erhoben bzw. gegeben werden kann. Die P p p a weist auf die spezifische Basis hin, auf die das im VorgängersubstantivppA Bezeichnete bezogen ist. Dabei ähnelt die Bedeutung von „auf' ihrer Verwendung als nicht-regierter Präposition (z.B. „das Haus auf dem Berg"), wenn sie in einer lokalen stationären AAB vorkommt. Ohne die Erwähnung der spezifischen Basis hat das VorgängersubstantivPPA eine zu allgemeine und möglicherweise nicht verständliche Bedeutung. Das NachfolgersubstantivppA bezeichnet die Basis, auf der die vereinbarte Leistung beruht. Diese Basis kann sowohl etwas Abstraktes als auch etwas Konkretes sein. Vorgängersubstantiv (3) Art der Handlung PrSpositionsbedeutung Beispiel
F
Steuer
Abgabe
Punkt
Garantie
Zusicherung
Punkt
die S. auf Diesel-PKW die G. auf einen Stammplatz
60
Abgabe
Abgabe
Punkt
eine A. auf privates Vermögen
Tab. 4:
Leistungen
7 4
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Stefan J. Schierholz
4.1.5 Abstrakte Im Unterschied zu den in den anderen Lexemfeldern gesammelten VorgängersubstantivenPPA enthalten die Mitglieder des Lexemfelds „Abstrakta" eine in besonderer Weise unspezifizierte Semantik, so daß sie ohne Hinzufugung eines Attributs formelhaft und semantisch leer bleiben. Während sich die VorgängersubstantiveppA des Lexemfelds „Zielgerichtete (Angriffs-)Handlungen" auf Tätigkeiten beziehen, die auch in einer Phrase ohne PPA verständlich erscheinen (z.B. „ich mache einen Angriff'), sind Phrasen mit den Mitgliedern des Lexemfelds „Abstrakta" wie „ich mache eine Anwendung" / „ich mache eine Bezugnahme" / „ich nehme Rücksicht" semantisch unvollständig, weil nicht nur der Grund, sondern auch der Adressat der Handlung ungenannt bleibt. Alle Mitglieder dieses Lexemfelds sind Verbalabstrakta (Ausnahme: „Rücksicht"), deren Basislexeme ein PPO regieren. Das PPO kann ohne eine Bedeutungsveränderung des jeweiligen Verbs nicht weggelassen werden („ich schließe auf bessere Bedingungen" - „ich schließe"). Ahnlich verhält es sich mit den PPAen, die semantisch gesehen den Status einer obligatorischen Ergänzung besitzen. Vorgängersubstantiv Art der Handlung
Präpositionsbedeutung Beispiel
F
(11) Druck
Abstraktum, Zw
Richtung
der D. auf die Preise
515
Berufung
Abstraktem, Zw
Punkt
die B. auf das Grundgesetz
504
Ausrichtung
Abstraktum, Zw
Richtung
die A. auf einzelne Produkte
45
Bezugnahme
Abstraktum, Zw
Punkt
die B. auf den Staat
12
Schluß
Abstraktum, Zw
Richtung
der S. aufbessere Bedingungen
7
Anwendung
Abstraktum, Zw
Punkt
die A. auf den Nationalsozialis-
4
Verzicht
Aufgabe, Zw
Richtung (temp), Zu
der V. auf Atomwaffen
637
Zugriff
Berechtigung
Richtung
der Z. auf alle Daten
110
Prüfung
Verfahren, Zw
Punkt
die P. auf Echtheit
Rücksicht
Verhalten, Zw
Punkt
die R. auf die öffentliche Meinung
Rücksichtnahme
Verhalten, Zw
Punkt
die R. auf die Wirtschaftspolitik
Tab. 5:
3 458 37
Abstrakta; Erläuterungen: temp = temporal; Zu = Zukunft; Zw = Zweck
Betrachtet man die in Tabelle 5 aufgeführten Beispiele, so kann man das Kriterium des Formelhaften und semantisch Unvollständigen auf die vollständigen PPA-Konstruktionen und ihr Vorkommen in einfachen Aussagesätzen ausdehnen. (74) (75) (76)
'Ich möchte eine Ausrichtung auf die Produkte. Dies ist eine Bezugnahme auf den Staat. 7 Er macht eine Prüfung auf Echtheit.
Die Sätze (74) bis (76) sind ohne zusätzliche kontextuelle Erläuterungen, Hinzufugungen passender Attribute oder die Verwendung eines besonderen Verbs semantisch leer, weil auch die NachfolgersubstantiveppA etwas Abstraktes bezeichnen. Diese semantische Unbestimmtheit ist bei den VorgängersubstantivenppA „Zugriff", „Verzicht" und „Rücksichtnahme" zwar etwas weniger ausgeprägt, aber wegen der erheblich geringeren Bedeutungsähnlichkeiten zu den
Zur Semantik der Präposition „auf in komplexen Nominalphrasen
83
Mitgliedern anderer Lexemfelder können diese VorgängersubstantiveppA nur den Abstrakta subsumiert werden. Bei „Prüfung" liegt ein besonderer Fall vor, weil bei der Verwendung dieses VorgängersubstantivsppA in einer PPA-Konstruktion durch die Tätigkeit des Prüfens eine Eigenschaft des zu prüfenden Materials erfaßt wird, aber dabei nicht das Material, sondern die Eigenschaft vom NachfolgersubstantivppA bezeichnet wird. Bei „Schluß" ist in der NachfolgerNPPPA das Resultat angezeigt, das aus der Handlung hervorgeht, die im VorgängersubstantivppA bezeichnet wird. Die PPPA weist entweder auf einen punktuellen Bereich hin, auf dem das im VorgängersubstantivppA Bezeichnete basiert, oder in die Richtung, in die das vom VorgängersubstantivPpA Bezeichnete hinweist. Wird auf den Punkt verwiesen, stehen in der N a c h f o l g e r - M W Bezeichnungen für Abstrakta, während bei Formulierung einer Richtung („Ausrichtung", „Druck") auch einige Belege mit Konkreta enthalten sind. 4.1.6 Äußerungen Die VorgängersubstantiveppA dieses Lexemfelds bezeichnen Äußerungen, die immer mit einem bestimmten Zweck verbunden sind und die sich in zwei Gruppen aufteilen lassen: entweder ist die Art der Handlung eine „Zeichengebung" nonverbaler bzw. verbaler Art, oder es handelt sich um eine „Zusicherung", die mehr oder weniger formell gegeben wird. Nach den VorgängersubstantivenppA, die eine Zeichengebung enthalten, weist die PppA in die Richtung, in der das Ziel zu suchen ist. Dieses wird von dem NachfolgersubstantivPpA bezeichnet und ist der Zielpunkt, auf den das vom VorgängersubstantivppA Bezeichnete hinweist. Das Ziel kann sowohl abstrakter als auch konkreter Art sein. Vorgängersubstantiv (6) Art der Handlung Präpositionsbedeutung Beispiel
F
Hinweis
Zeichen, Zw
Richtung
Anspielung ¡erweis
Zeichen, Zw Zeichen, Zw
Richtung Richtung
Fingerzeig
Zeichen, Zw
Richtung
der H. auf günstige Bedingun- 634 gen 137 die A. auf das Buch der V. auf die schwache Kon- 57 junktur 8 der F. auf das Votbild
Eid Versprechen
Zusicherung, Zw Zusicherung, Zw
Punkt temp Richtung, Zu
der E. auf die Verfassung das V. auf ewige Treue
Tab. 6:
15 7
Äußerungen; Erläuterungen: Zw = Zweck; temp = temporal; Zu = Zukunft
Bei der Untergruppe „Zusicherung" kann die PPPA auf die Basis verweisen, auf der die Zusicherung beruht („Eid") 66 oder eine Richtungsweisung auf der Zeitachse angeben, wobei hier in Abhängigkeit von der Bedeutung des VorgängersubstantivsppA „Versprechen" immer auf Zukünftiges verwiesen wird, aber nicht auf Vergangenes. Für die meisten VorgängersubstantiveppA dieses Lexemfelds existieren ausreichend Corpusbelege mit dem Pronominaladverb „darauf („Hinweis": 88; „Anspielung": 5, „Verweis": 2, „Fingerzeig": 1), die in der Rangord-
66 Vgl. BouMon(1984, 91 ff).
84
Stefan J. Schierholz
nung ihrer Frequenzwerte den Frequenzwerten zu der Einheit, Vorgängersubstantiv P p A plus „ a u f , entsprechen.
PPPA
4.1.7
Emotionen
In dem Lexemfeld „Emotionen" sind die VorgängersubstantiveppA Bezeichnungen für Gefühle, welche neutraler, negativer oder positiver Art sein können. Es handelt sich bei den Substantiven um Zustandsbezeichnungen, die in Verbindung mit dem Verb „haben" gebraucht werden können. Es wird eine Erwartung, ein starker Wunsch oder eine Leidenschaft ausgedrückt, und die PPPA „ a u f stellt die Verbindung zwischen der Art der Erwartung und dem Inhalt der Erwartung dar. 67
Vorgingersubstantiv (17) Art der Handlung Präpositionsbedeutung Beispiel
F
Lust
die L. auf Fernreisen die N. auf ein Abenteuer der A. auf Rindfleisch die E. auf Zinssenkungen der W. auf einen Wiedereintritt
46 20 16 10 4
der V. auf Kreuzbandriß der H. auf den Feind die W. auf die Regierung der Z. auf den Bürgermeister der N. auf die Bewohner die V. auf Malerei die E. auf die Privilegien
113 60 12 10 9 3 3
die H. auf eine Besserung der S. auf seine Leistungen
548 169
neutrales Gefühl neutrales Gefühl neutrales Gefühl neutrales Gefühl neutrales Gefühl
(temp) Richtung, (temp) Richtung, (temp) Richtung, (temp) Richtung, (temp) Richtung,
Zu Zu Zu Zu Zu
Neid Versessenheit Eifersucht
negatives Gefühl negatives Gefühl negatives Gefühl negatives Gefühl negatives Gefühl negatives Gefühl negatives Gefühl
Richtung (temp) Richtung, (temp) Richtung, (temp) Richtung, (temp) Richtung, Punkt
Ve Ve Ve Ve
Hoffnung Stolz
positives Gefühl positives Gefühl
Vertrauen
positives Gefühl
(temp) Richtung, Zu (temp) Richtung / Punkt, Ve Punkt
Vorfreude Zuversicht
positives Gefühl positives Gefühl
(temp) Richtung, Zu (temp) Richtung, Zu
Neugier Appetit Erwartung Wunsch Verdacht Haß Wut Zorn
Tab. 7:
(temp) Richtung, Ve
das V. auf die eigenen Fähigkeiten die V. auf die neue Saison die Z. auf einen Erfolg
86 18 11
Emotionen; Erläuterungen: temp = temporal; Ve = Vergangenheit; Zu = Zukunft
Die VorgängersubstantiveppA „neutrales Gefühl" drücken ein Begehren aus, das von einem Lebewesen ausgeht. Die PPPA enthält eine allgemeine Direktionalität, worauf das Begehren gerichtet ist, sowie eine temporale Dimension, die dominierend ist. Allgemein ist die Richtungsangabe, weil aus den Möglichkeiten, auf die das Begehren gerichtet sein kann, eine bestimmte selektiert wird, und temporal ist die Richtungsangabe, weil das Begehren aus der Perspektive desjenigen, der das Begehren äußert, in dem Moment, w o es verspürt oder ausgesprochen
67 Vgl. Bouillon (1984, 97 ff). Unter der Bezeichnung „Geistes- und Gemütsbewegungen" werden dort einige Mitglieder des Lexemfelds „Emotionen" geführt.
Zur Semantik der Präposition „ auf in komplexen Nominalphrasen
85
wird, nicht befriedigt ist und auf etwas in der Zukunft Liegendes weist. In der NachfolgerNPPPA steht das Ziel, auf das das Begehren gerichtet ist. Dieses Ziel kann ein Objekt oder eine Handlung sein. Bei Bezeichnungen für Emotionen negativer Art ist die Semantik der PPA-Konstruktionen sehr viel diversifizierter. Die PPPA enthält im Zusammenspiel mit dem vom VorgängersubstantivppA Bezeichneten eine Bedeutung, die entweder ähnlich der lokal stationären oder der direktionalen AAB ist. Bei vorliegender Direktionalität („Haß", „Wut", „Zorn", „Neid", „Eifersucht") ist zudem ein temporaler Aspekt enthalten; denn das bezeichnete negative Gefühl kann nur entstehen, wenn zeitlich davor etwas geschehen ist, das der Anlaß oder die Ursache für dieses Gefühl ist: Man hat nur dann einen „Neid auf die Bewohnei", wenn vorher etwas vorgefallen ist, das diesen Neid ausgelöst hat. Dieser Auslöser hat in irgendeiner Weise etwas mit dem in der Nachfolger-NPPpA Bezeichneten zu tun - in der Regel dürfte dies (hier: „die Bewohner") das negative Gefühl verursacht haben obwohl dieser komplexe Kausalzusammenhang in der PPA-Konstruktion gar nicht explizit formuliert wird. Bei den VorgängersubstantivenppA „Verdacht" und „Versessenheit" liegen die Verhältnisse in den PPA-Konstruktionen wesentlich undeutlicher. Im PPA zu „Versessenheit" wird der Punkt angegeben, worauf das Gefühl beruht, während bei „Verdacht" eine Mischung aus Richtungs- und Punktangabe vorliegt, je nach dem, ob sich das vom NachfolgersubstantivppA Bezeichnete auf einen Zustand oder einen Prozeß bezieht. Bei den VorgängersubstantivenPPA „positives Gefühl" enthält die P p p a eine schwach ausgeprägte allgemeine und eine starke temporale Richtungsangabe. Mit Hilfe der PPPA erfolgt eine Selektion aus den zur Verfugung stehenden Entitäten, auf die das positive Gefühl gerichtet ist, und die temporale Dimension zielt auf etwas, das für die Zukunft erwartet wird. Ausnahmen sind die VorgängersubstantiveppA „Stolz" und „Vertrauen". Bei „Stolz" weist die P p p a auf die Vergangenheit, und bei „Vertrauen" ist die temporale Dimension offen, sie verweist in erster Linie auf die in der Vergangenheit erworbene Basis, auf der das Vertrauen beruht, aber zugleich auf die Umsetzung der erworbenen Basis bei zukünftigen Handlungen. Entsprechend diesen Möglichkeiten werden die in der Nachfolger-NPPPA stehenden Bezeichnungen eingesetzt, während zu den anderen VorgängersubstantivenppA dieses Lexemfelds ( „ H o f f n u n g " , „Vorfreude", „Zuversicht") vom NachfolgersubstantivppA das Ziel angegeben ist, worauf etwas gerichtet ist. 4.1.8 Anspruchsformulierungen Bei den hier subsumierten VorgängersubstantivenpPA handelt es sich um Ansprüche, die mehr oder weniger stark sind und die nicht ohne weiteres unter dem gleichen genus proximum zusammengefaßt werden können. Bei einigen Handlungen kann man grundsätzlich einen Zweck unterstellen, der mit der Handlung verfolgt wird („Antrag", „Klage", „Forderung"). Die PPPA verweist auf die Grundlage, auf der der Anspruch beruht, der vom VorgängersubstantivPPA bezeichnet wird. Darüber hinaus drückt die PPPA jedoch eine Art Prospektivität aus und zeigt die Richtung auf der Zeitachse an, weil das vom NachfolgersubstantivPPA Bezeichnete beansprucht oder gewünscht wird.68 Das Beanspruchte kann aber nur beansprucht werden, wenn dazu eine Grundlage vorliegt, und nur, wenn diese vorhanden ist, macht es Sinn, etwas zu beanspruchen. 68 Vgl. Bouillon (1984, 91 ff.). Insbesondere die Prospektivität wird dabei hervorgehoben.
Stefan J. Schierholz
86 VorgSngersubstantiv (7) Art der Handlung Anspruch
Beispiel
Anspruch
Recht Antrag Anrecht Klage Forderung Abonnement Tab. 8:
Präposition9bedeutung
temp Richtung, Zu (Basis) der A. auf Solidarität/die DDR Anspruch temp Richtung, Zu (Basis) das R. auf Informationen Wunsch, Zw temp Richtung, Zu der A. auf Einstellung Anspruch temp Richtung, Zu (Basis) das A. auf eine Entschädigung Beanspruchung, Zw temp Richtung, Zu (Basis) die K. auf Rückgabe Anspruch, Zw temp Richtung, Zu die F. auf Rückzahlung dauerhafter Anspruch temp Richtung (Zu, Ve) ein A. auf den Posten
F 449 424 297 26 19 9 3
Anspruchsformulierungen; Erläuterungen: temp = temporal; Zu = Zukunft; Ve = Vergangenheit; Zw = Zweck
Die einzelnen VorgängersubstantiveppA lassen sich in bezug auf die Intensität der Handlungsart in eine Reihenfolge bringen. Während „Anspruch", „Anrecht" und „Recht" relativ bedeutungsähnlich sind und die größte Intensität einer Anspruchsformulierung bezeichnen, wird eine „Klage" nur erhoben, wenn man annimmt, ein Anrecht auf etwas zu haben, ist eine „Forderung" die Formulierung eines Fordemden, der der Meinung ist, einen Anspruch auf etwas zu haben und ist ein,Antrag" eine Forderung oder ein Gesuch, das sich unter Umständen auf ein Recht, das man besitzt oder zu besitzen glaubt, beziehen kann oder bezieht. Bei „Abonnement" besteht ein dauerhafter Anspruch auf einen Posten, so daß in der Pppa nicht nur auf den zukünftigen Erhalt eines Postens verwiesen wird, sondern auch auf den bereits bestehenden Postenbesitz.69 4.1.9 Möglichkeiten Die hier subsumierten VorgängersubstantiveppA bezeichnen die Möglichkeiten oder die Erwartungen, die zur Ausführung einer Handlung zur Verfügung stehen. Die regierte Präposition weist die Richtung auf der Zeitachse, und zwar immer in die Zukunft. Das Ziel bzw. das in der Zukunft Liegende wird vom NachfolgersubstantivppA bezeichnet und ist meist etwas Abstrak-
Vorgängersubstantiv (5) Art der Handlung Präpositionsbedeutung
Beispiel
Aussicht
Erwartung
temporale Richtung, Zu
Chance Ausblick Spekulation Perspektive
Möglichkeit Erwartung Überlegung Möglichkeit
temporale Richtung, Zu temporale Richtung, Zu temporale Richtung, Zu temporale Richtung, Zu
dieA. auf Kampfabstimmungen die C. auf Erfolg der A. auf das neue Jahr die S. auf Kursgewinne die P. auf Mitgliedschaft
Tab. 9:
F 296 87 52 29 9
Möglichkeiten; Erläuterungen: Zu = Zukünftiges
69 Die zweite Bedeutung von „Abonnement", im Sinne von ein Abonnement auf die Zeitung, besagt, daß jemand die Zeitung regelmäßig bezieht. Da hierzu keine Corpusbelege vorliegen, ist diese Bedeutung von „Abonnement" als VorgangeisubstantivPPA nicht berücksichtigt worden.
87
Zur Semantik der Präposition „ auf in komplexen Nominalphrasen
Alle VorgängersubstantiveppA ähneln in ihrer Bedeutung den Abstrakta (vgl. Kapitel 4.1.5), weil in der PPA-Konstruktion nicht angegeben ist, worauf sich eine Möglichkeit bezieht und in welcher Weise sich eine Möglichkeit in der Zukunft auswirkt. (77) (78)
Peter hat eine CHANCE AUF Erfolg. Das ist der A USBUCK A UF das neue Jahr.
In (77) ist weder klar, in bezug auf welche Tätigkeit Peter eine Chance hat, noch wie der Erfolg aussehen könnte. In (78) bleibt offen, in welchem Zusammenhang und warum ein Ausblick gegeben wird. Für eine korrekte semantisch-syntaktische Verwendung dieser VorgängersubstantiveppA müssen immer zusätzliche Informationen im Kontext vorhanden sein oder weitere Attribute eingefugt werden.
4.1.10 Wirkungen Die VorgängersubstantiveppA in diesem Lexemfeld bezeichnen Wirkungen, die auf etwas ausgeübt werden. Dabei handelt es sich in der Regel um abstrakte Bezeichnungen, so daß nicht erkennbar ist, wer die Wirkung ausübt und ob ein bestimmter Zweck verfolgt wird. Lediglich bei den Lexemen „Einfluß" und „Einwirkung" ist dieser Zweck zu unterstellen, aber auch die PPA-Konstruktionen mit diesen VorgängersubstantivenppA sind semantisch entleert, so daß zum Verständnis zusätzliche Attribute notwendig sind oder ein entsprechender Kontext vorliegen muß. Die P P P A enthält eine allgemeine Richtungsangabe, in der keine spezifische temporale oder lokale Dimension erkennbar ist. Damit wird mit Hilfe der P P P A nur auf das Ziel gezeigt, auf das hin eine Wirkung erfolgen soll. Dieses Ziel wird vom NachfolgersubstantivppA bezeichnet und kann sowohl abstrakt als auch konkret sein. Ein besonderer Fall liegt beim VorgängersubstantivppA „Anziehungskraft" vor, weil die Richtung der Wirkung in die entgegengesetzte Richtung weist wie bei den übrigen VorgängersubstantivenppA, so daß man bei „Anziehungskraft" von einer Sogwirkung auf das vom NachfolgersubstantivppA Bezeichnete sprechen kann, während bei den anderen VorgängersubstantivenppA eine Art Druckwirkung ausgeübt wird. Vorgängersubstantiv (7) Art der Handlung Präpositionsbedeutung
Beispiel
Einfluß Wirkung Auswirkung Anziehungskraft Eindruck Effekt Einwirkung
der E. auf den Schriftsteller die W. auf die Deutschen die A. auf Ostdeutschland die A. auf das Publikum der E. auf das Publikum der E. auf die Wirtschaft die E. auf die Parteien
Wirkung, Zweck Wirkung Wirkung Fähigkeit Wirkung Wirkung Wirkung, Zweck
Richtung Richtung Richtung Richtung Richtung Richtung Richtung
F 480 96 24 17 11 7 4
Tab. 10: Wirkungen
4.1.11 Prozeßhafte Handlungen Die VorgängersubstantiveppA „Einigung" und „Vorbereitung" bezeichnen geistige Handlungen, die vor allem dadurch ausgezeichnet sind, daß sie einen Prozeß beschreiben und nicht ein
88
Stefan J. Schierholz
punktuelles Ereignis oder einen Zustand. Beide Substantive sind ohne den PPA-Anschluß semantisch unvollständig. Beide Handlungen sind unterschiedlich, aber ihre Ausführung kann nur bei Verfolgung einer bestimmten Absicht erfolgen. Außerdem enthält die Bedeutung der VorgängersubstantiveppA eine gewisse Prospektivität, weil auf etwas Zukünftiges hingewiesen wird. Die regierte Präposition enthält die Richtungsangabe, die eine temporale Dimension in bezug auf das zukünftige Handeln hat. Im NachfolgersubstantivppA wird das Ziel bezeichnet, woraufhin das im VorgängersubstantivpPA Bezeichnete ausgerichtet ist. Dieses Ziel ist abstrakt oder konkret und ist als Ereignis immer dem vom VorgängersubstantivppA Bezeichneten zeitlich nachgeordnet. Vorgängersubstantiv (2) Art der Handlung
Präpositionsbedeutung Beispiel
F
Vorbereitung
Maßnahme, Zweck
temp Richtung, Zu
145
Einigung
Vereinbarung, Zweck temp Richtung, Zu
die V. auf das Examen die E. auf eine Übergangsregierung
78
Tab. 11: Prozeßhafte Handlungen; Erläuterungen: temp = temporal; Zu = Zukunft
4.1.12
Betrachtungsmöglichkeiten
Die VorgängersubstantiveppA ,31ick" und „Sicht" ähneln in ihrer Bedeutung den Mitgliedern des Lexemfelds „Möglichkeiten". Allerdings wird mit „Sicht auf' oder „Blick auf' in konkreterer Weise angegeben, daß eine Betrachtungsmöglichkeit auf etwas vorhanden ist. Beide Substantive können, allerdings mit geringer Bedeutungsveränderung, auch ohne PPA vorkommen. Die Pppa gibt die allgemeine Richtung an, indem auf das Zielobjekt hingewiesen wird, das bei der Tätigkeit des „Sehens" aus der Menge der möglichen Zielobjekte betrachtet wird. Dabei kann je nach Inhalt des NachfolgersubstantivsppA diese Richtungsangabe eine temporale oder lokale Akzentuierung enthalten. Im NachfolgersubstantivppA wird das Ziel bezeichnet, woraufhin das im VorgängersubstantivppA Bezeichnete ausgerichtet ist. Dieses Ziel kann abstrakt oder konkret sein. Vorgängersubstantiv (2) Art der Handlung Präpositionsbedeutung
Beispiel
Blick Sicht
der B. auf die Statistik die S. auf die Hauptfigur
Sicht Betrachtungsweise
Richtung Richtung
F 1756 61
Tab. 12: Betrachtungsmöglichkeiten
Zu beiden VorgängersubstantivenPPA liegen Corpusbelege mit dem Pronominaladverb „darauf' vor („Blick": 16, „Sicht": 2). An dem VorgängersubstantivPPA ,31ick" läßt sich - ähnlich wie auch zu vielen Mitgliedern des Lexemfelds „Veränderungen" - zeigen, daß ein Lexem vorgängersubstantivisch ambig ist, weil es sowohl als VorgängersubstantivPPA als auch als VorgängersubstantivAAB fungieren kann und weil es parallel zu dieser Polyfunktionalität Bedeutungsvarianten repräsentiert. Zu dem in Tabelle 12 aufgeführten Beispiel, „der Blick auf die Statistik", lassen sich weitere aus dem Corpus hinzufügen
Zur Semantik der Präposition „auf" in komplexen Nominalphrasen (79) (80) (81) (82) (83)
89
der BÜCK AUF die Marktanteile der BLICK A UF die Vergangenheit der BUCKAUF den jungen Strauss der BUCKA UFdas Wetter der BUCKA UFdie Forschungslandschafl
oder eigens konstruierte mit erweiterter PPA-Konstruktion formulieren: (84)
Wir haben ein helles Zimmer mit (einem) wunderschönem/(en) BUCK A UF den Golfplatz gemietet.
Die Beispiele (79) bis (84) sind PPA-Konstruktionen, weil sie mit „worauf und nicht mit „wohin" zu erfragen sind. Jedoch existiert zugleich eine Anzahl von Corpusbelegen mit dem VorgängersubstantivAAB „Bück", in denen mit „wohin" nach der AAB gefragt werden kann. (85) (86) (87) (88) (89)
ein Blick A UF DIE RÜCKSEITE vermittelt einen Eindruck der Blick A UF DEN ÖLTEPPICH im Norden der Blick AUF DIE KARTE der ethnographische Blick AUF DIE andere KULTUR der Blick A UF DIE SÜDSEITE der Uferfront
Darüber hinaus mag es auch Zweifelsfalle geben, in denen je nach kognitiver Vorstellung der geschilderten Situation, die natürlich bei jedem Sprachbenutzer individuell verschieden ist, entweder ein PPA oder eine AAB vorliegt, also mit „worauf' oder „wohin" gefragt werden kann.70 (90)
der Blick auf das Meer
Ergänzt man verschiedene Kontexte zu (90), so werden die unterschiedlichen kognitiven Konzepte deutlicher: (91) (92)
Wir haben ein Zimmer, das einen Blick auf das Meer hat. Der Blick auf das Meer, der mir während meiner Busfahrt durch die dichtstehenden Bäume hindurch gewährt wird, ist wunderschön.
In (91) besitzt „Blick" eine abstraktere Bedeutung als in (92). In (91) kann das Pronominaladverb „darauf' oder das Lokaladverb „dorthin" für die PP substituiert werden, in (92) kann nur das Lokaladverb eingesetzt werden. Ersetzt man aber in (91) „auf das Meer*' durch „auf das Boot", so wird eine Interpretation wahrscheinlicher, aufgrund derer man mit „worauf' nach der PP fragen würde. Wenn das Objekt, auf das man blickt, als Ganzes zu erblicken ist, liegt die Interpretation als PPA-Konstruktion näher, während bei einem Blick, den eine Person auf etwas Unbestimmbares hat, die direktionale Lesart zu dominieren scheint. Um diese Interpretationsansätze festigen zu können, bedarf es weiterer empirischer Analysen, die auch durch Informantenbefragung abgesichert werden müßten. Allerdings scheint es in vielen komplexen NPn so zu sein, daß nicht nur der Kontext, sondern auch die Semantik des Nachfolgersubstantivs die jeweilige Adverbsubstitution bestimmt. Damit kann für Fremdsprachler ein wesentlich komplexeres Problem in der richtigen Benutzung von PPA- oder AAB-Konstruktionen auftreten, das zwar nicht hochfrequent ist, das aber weit über das ausschließliche Erlernen einer Einheit, VorgängersubstantivPpA plus PFpA, hinausgeht. 70 Vgl. die Kritik in Wiegand (1996a, Kap. 2). Allerdings betont auch Wiegand seine individuelle Interpretation: ..Nach meiner Auffassung (Unterstreichung, S. J. Sch.) [...] läßt sich Der Blick auf das Meer (wohin?) nur so interpretieren, daß eine direktionale Bedeutung als eine der sog. konkreten vorliegt."
90
Stefan J. Schierholz
4.1.13 Fazit Die vorgenommene Sortierung der 94 VorgängersubstantiveppA ließe sich wahrscheinlich auch in anderer Weise vornehmen; denn die Lexemfelder weisen ein recht unterschiedliches Homogenitätsniveau auf. Sehr stabil sind die Lexemfelder „Zielgerichtete (AngrifFs-)Handlungen" und „Reaktionen", klar abgrenzbar, aber in sich noch einmal unterteilt die Lexemfelder „Veränderungen", „Emotionen" und „Wirkungen", während die übrigen Lexemfelder entweder sehr klein sind („Prozeßhafte Handlungen", „ B e t r a c h t u n g s m ö g l i c h k e i t e n " ) 0 der weniger einheitlich in bezug auf die Bedeutungen der VorgängersubstantiveppA. Die Mitglieder der Lexemfelder „Zielgerichtete (Angriffs-)Handlungen", „Reaktionen" und „Leistungen" haben die größte Ähnlichkeit mit VorgängersubstantivenAAB- Das liegt zum Teil an dem Abstraktheitsgrad, den man den Mitgliedern der einzelnen Lexemfelder zusprechen kann: Nur die PPAKonstruktionen mit den VorgängersubstantivenPPA des Feldes „Zielgerichtete (Angriffs-)Handlungen" sind als relativ konkret zu bezeichnen. Weniger konkret sind die Felder „Emotionen" und „Betrachtungsmöglichkeiten", relativ abstrakt die Mitglieder der Felder „Leistungen", „Äußerungen" und „Prozeßhafte Handlungen", mit zunehmender Abstraktheit gefolgt von „Veränderungen", „Reaktionen" und „Anspruchsformulierungen" bis hin zu den abstraktesten VorgängersubstantivenPPA, die in den Lexemfeldern „Möglichkeiten", „Wirkungen" sowie dem Feld „Abstrakta" vorzufinden sind. Die zunehmende Abstraktheit kann zwar nur aufgrund einer subjektiven Einschätzung bestimmt werden, kann aber im wesentlichen dadurch geprüft werden, inwieweit eine nackte PPA-Konstruktion, in der ein Vorgängersubstantiv PPA vorkommt, verständlich ist.
4.2 Die Bedeutung der Präposition „auf' Im folgenden werden die unterschiedlichen Bedeutungen, die die P p p a „ a u f innehaben kann, in systematischer Weise dargestellt und auf möglichst wenige Grundbedeutungen reduziert. Diese Grundbedeutungen sollen im einzelnen als Bedeutungsvarianten der Pppa „auf" bezeichnet werden, so daß es möglich ist, die Abhängigkeit der Bedeutungsvarianten von den Lexemfeldern, die zu den Vorgängersubstantiven PPA erstellt worden sind, zu berücksichtigen, und Verbindungen zu den NachfolgersubstantivenppA aufzuzeigen.
4.2.1 Lokale Direktionalität Nach zwölf VorgängersubstantivenPPA zeigt „auf eine Direktionalität an, die lokaler Art ist. Die Bedeutung der PppA ähnelt dabei der Bedeutung, die „ a u f als nicht-regierte Präposition in einer direktionalen AAB hat. Der Bedeutungsunterschied besteht darin, daß in einer AABKonstruktion („die Wanderung auf den Berg") das in der AAB anvisierte Ziel erreicht wird, während in einer PPA-Konstruktion („der Angriff auf den Berg") das Ziel zwar anvisiert wird, aber nicht erreicht werden muß. Insofern stellt die PPPA „ a u f eine abstrakte Bedeutungsvariante der PAAB „ a u f in einer direktionalen AAB dar.
91
Zur Semantik der Präposition „auf" in komplexen Nominalphrasen Vorgängersubstantiv (12)
Präposition
Zielgerichtete Handlungen lokale (Attacke, Angriff, Direktionalität Anschlag, Attentat)
Nachfolger
Beispiele
Zielpunkt, abstrakt und die Attacke auf den Staat konkret, manchmal speziell: ein Angriff auf die Kaserne nur Lebewesen der Anschlag auf den Sozialstaat das Attentat auf den Präsidenten
Tab. 13: Lokale Direktionalität
Diese abstrakte lokale Direktionalität ist eine Bedeutungsvariante der P ppa „auf und kommt ausschließlich und nach allen VorgängersubstantivenPPA vor, die dem Lexemfeld „Zielgerichtete (AngrifFs-)Handlungen" angehören, so daß die abstrakte lokale Bedeutung der P ppa in starkem Maße von dem jeweiligen VorgängersubstantivPPA gesteuert wird. 4.2.2 Temporale Direktionalität Die PPPA „auf enthält eine Richtungsangabe auf der Zeitachse, die danach geordnet werden kann, ob auf die Zukunft oder auf die Vergangenheit hingedeutet wird. Wird auf Zukünftiges hingewiesen, steht dies als Zielangabe in der Nachfolger-NPppA und ist meistens etwas Abstraktes. Die temporale Dimension der P ppa ergibt sich in starkem Maße aus der Bedeutung des VorgängersubstantivsppA, so daß der bedeutungskonstituierende Anteil der P ppa „auf zu dem temporalen Aspekt der jeweiligen PPA-Konstruktion schwer bestimmbar ist. Die P ppa „auf weist auf Vergangenes hin, wenn sie nach den VorgängersubstantivenPPA steht, die „Reaktionen" bezeichnen („Echo", „Replik", „Antwort"). Die P ppa verweist auf eine vorige Handlung, die vom NachfolgersubstantivPPA bezeichnet wird und aufgrund derer die Reaktion, die vom Vorgängersubstantivi>PA bezeichnet wird, erfolgt. Die P ppa „auf hat in starkem Maße eine kausale Relatorfünktion, weil beide Handlungen durch die Präposition verbunden werden. Diese Untergruppe mit dem Vergangenheitsbezug ist sehr homogen, weil alle Substantive des Lexemfelds „Reaktionen" dazugehören und weil in der Position des NachfolgersubstantivspPA ausschließlich Bezeichnungen für abstrakte Handlungen vorkommen. Auch wenn die Bedeutung der Präposition abstrakt bleibt, hat die P ppa eine temporale Bedeutung, weil die im Vorgänger- und NachfolgersubstantivppA bezeichneten Handlungen in einer festgelegten Reihenfolge vorliegen, welche umgekehrt der Topologie in der PPA-Konstruktion ist.
92
Stefan J. Schierholz
Vorgängersubstantiv (23)
Präposition
Nachfolger
Anspruchsformulierungen (Anrecht, Recht) Möglichkeiten (Aussicht, Chance)
temporale Direktionalität (Zukünftiges)
prozeßhafte Handlungen (Vorbereitung) Reaktionen (.Antwort, Echo, Reflex)
temporale Direktionalität, Vergangenheit
Beispiele
das Anrecht auf eine Entschädigung das Recht auf Informationen Ziel, meist abstrakt die A ussicht auf Kampfabstimmungen die Chance auf Erfolg die Vorbereitung auf das Erein Reflex auf den Terror abstrakte Handlung das Echo auf die Kritik die Antwort auf die Frage
Tab. 14: Temporale Direktionalität
4.2.3 Kombination aus allgemeiner und temporaler Direktionalität Die Bedeutungsvariante der PPPa „auf enthält zum einen einen Bedeutungsanteil, der mit allgemeiner Direktionalität beschrieben werden kann, zum anderen eine Richtungsangabe, die auf der Zeitachse liegt. Diese Bedeutungsvariante kommt ausschließlich nach VorgängersubstantivenppA aus dem Lexemfeld „Emotionen" vor. Da das vom VorgängersubstantivPPA Bezeichnete von sehr allgemeiner Bedeutung ist, bedarf es einer Zielangabe, durch die für das vom VorgängersubstantivPPA Bezeichnete ein spezifischer Gebrauch entsteht. Mit Hilfe der PPPA „auf wird aus den zur Verfugung stehenden anvisierbaren Zielen eines ausgewählt. Der temporale Aspekt in der PppA „auf ist ebenfalls durch den Inhalt des VorgängersubstantivsppA bestimmt, da das bezeichnete Gefühl entweder entstanden ist, weil in der Vergangenheit ein Auslöser für das Gefühl vorlag, oder weil das Gefühl einen Wunsch ausdrückt, der noch nicht erfüllt ist und somit auf die Zukunft ausgerichtet ist. Ob zum PPA ein Vergangenheits- oder ein Zukunftsbezug besteht, kann allein durch die Analyse der PppA „auf nicht geklärt werden. Insofern hat die PPPA „auf eine abstrakte Bedeutung, deren allgemeine und temporale Direktionalität sich erst durch die Bedeutung des VorgängersubstantivsPPA konstituiert. Vorgängersubstantiv (14)
Präposition
Nachfolger
Beispiele
negative Gefühle (Wut, Zorn. Neid) Ausnahme: positives Gefühl (Stolz)
allgemeine und tem- Ziele, abstrakt und konporale kret, meist kausale Verbindung Direktionalität plus Vergangenheitsbezug abstrakte Basis
die Eifersucht auf die Privilegien die Wut auf die Regierung der Neid auf die Bewohner der Stolz auf seine Leistungen
neutrale (Neugier, Wunsch) und positive Gefühle (Lust, Hoffnung)
allgemeine und temporale Direktionalität plus Zukunftsbezug
der Wunsch auf einen Wiedereintritt die Neugier auf ein Abenteuer die Lust auf die Arbeit die Hoffnung auf eine Entwicklung
Tab. 15: Allgemeine und temporale Direktionalität
Ziele, abstrakt und konkret
93
Zur Semantik der Präposition „auf in komplexen Nominalphrasen
4.2.4 Allgemeine Direktionalität Die Direktionalität, die durch die P P P A ausgedrückt wird, ist nicht typischerweise temporal oder lokal, sondern allgemeiner oder abstrakter Art. Das PPA dient dazu, die vom VorgängersubstantivppA bezeichnete Handlung zu spezifizieren, und die P P P A „auf gibt die Richtung an, indem sie aus den vorhandenen Zielinhalten einen anvisiert. Die 33 VorgängersubstantiveppA, nach denen „auf diese Bedeutungsvariante hat, sind in der Regel von sehr abstrakter Bedeutung, obwohl sie verschiedenen Lexemfeldern angehören. Trotz dieser Abstraktheit gibt es in der Nachfolger-NPppA keine eindeutigen Hinweise auf konkrete Ziele, Handlungen oder festgelegte Zeitpunkte in Zukunft oder Vergangenheit, so daß die Bedeutungsbestimmung der P P P A „auf relativ schwierig ist. Für die P P P A „auf, die in diesen PPA-Konstruktionen vorkommt, gilt, daß sie in ihrer Bedeutung am weitesten von der konkreten lexikalischen Bedeutung der Präposition „auf entfernt ist. Vorgingersubstantiv (33)
Präposition
Abstrakta (Ausrichtung) Äußerungen (Hinweis, Anspielung) negative Gefühle (Verdacht) allgemeine Richtung Wirkungen (Einwirkung, Eindruck) Veränderungen (Begrenzung, Umstellung, Wechsel)
Nachfolger Ziel, abstrakt
Beispiele die Ausrichtung auf einzelne Produkte
Ziel, meist abstrakt der Hinweis auf die Bedingungen die Anspielung auf das Buch Basis, meist abstrakt der Verdacht auf Kreuzbandriß Ziel, abstrakt und die Einwirkung auf die Parteien konkret der Eindruck auf das Publikum Endpunkt, abstrakt die Begrenzung auf die neuen und konkret Länder der Wechsel auf den Chefsessel die Umstellung auf Erdgas
Tab. 16: Allgemeine Direktionalität
4.2.5 Stationäre Basis Die P P P A „auf weist auf einen Basispunkt hin, so daß von dem NachfolgersubstantivPpA die Basis bezeichnet werden kann, auf der das vom VorgängersubstantivppA Bezeichnete beruht. Die P P P A „auf wird hier ähnlich wie in einer AAB mit lokaler stationärer Bedeutung gebraucht. Die Bedeutungsvariante der P ppa ist jedoch abstrakter Art, weil ein Kontakt zwischen dem vom Vorgänger- und NachfolgersubstantivppA Bezeichneten nicht hergestellt wird, wie das in einer lokal stationären AAB-Konstruktion („das Buch auf dem Regal") der Fall ist. Die VorgängersubstantiveppA, die in den PPA-Konstruktionen mit dieser Bedeutungsvariante der P „auf vorkommen, gehören verschiedenen Lexemfeldern an, wenngleich sämtliche Mitglieder des Lexemfelds „Leistungen" sowie die meisten Mitglieder des Lexemfelds „Abstrakta" dazugehören. Aus semantischen Gründen benötigen die meisten VorgängersubstantiveppA ein spezifizierendes Attribut, weil sonst die gesamte PPA-Konstruktion semantisch unvollständig bleibt. P P A
94
Stefan J. Schierholz Vorgängersubstantiv (12) Abstrakta (Bezugnahme, Berufung) Äußerungen (Eid) negative Gefühle (Versessenheit) Leistungen (Abgabe, Steuer) Abstrakta (Prüfung)
Präposition auf einen Punkt bezogen
Nachfolger
Beispiele
Basis, abstrakt
die Bezugnahme auf den Staat die Berufung auf das Grundgesetz der Eid auf die Verfassung Basis, abstrakt die Versessenheit auf Malerei und konkret die Abgabe auf privates Vermögen die Steuer auf Diesel-PKW Eigenschaft die Prüfung auf Echtheit
Tab. 17: Stationäre Basis
4.3 Zusammenfassende Überlegungen Der verhältnismäßig geringe Umfang der Bedeutungsanalysen zur P p p a „auf in Kapitel 4.2 zeigt, daß es kaum möglich ist, die Bedeutungsvarianten der P p p a „auf isoliert zu beschreiben. Vielfach kann eine Bedeutungsvariante der P p p a „auf nur im Zusammenhang mit der Bedeutung des jeweiligen Vorgängersubstantivs PPA adäquat erfaßt und von anderen Bedeutungsvarianten abgegrenzt werden. Das erklärt, warum sich viele Resultatsbeschreibungen aus Kapitel 4.1 im Kapitel 4.2 wiederholen. Allerdings sollte dabei berücksichtigt werden, daß zu einer Bedeutungsanalyse regierter Präpositionen kein erprobtes Instrumentarium zur Verfugung steht. Man kann nur die Verfahren, die bei lokalen oder temporalen Präpositionsverwendungen benutzt werden, kopieren bzw. versuchen, die Verfahren in modifizierter Weise auf die regierte Präposition „auf anzuwenden. Die Sortierung der in den PPA-Konstruktionen vorkommenden Konstituenten nach ihrer Bedeutung verdeutlicht jedoch, daß die P p p a „auf eine Bedeutung besitzt, die immer abstrakter als die Bedeutung der nicht-regierten Präposition „auf ist, die aber nicht immer gleich ist. Daß die Bedeutung der P p p a „ a u f durch das jeweilige Vorgängersubstantiv PPA konstituiert wird, läßt sich auch dadurch belegen, daß sich viele Bedeutungsvarianten der P p p a „auf komplett bestimmten Lexemfeldern, denen die Vorgängersubstantivei>PA subsumiert sind, zuordnen lassen. Bedeutungsähnlichkeiten zwischen VorgängersubstantivenPPA fuhren also häufig dazu, daß die gleiche P p p a regiert wird. Aufgrund dieser paradigmatischen Ordnungsstrukturen kann man erwarten, daß sich neue Vorgängersubstantivei>PA, die die P p p a „auf regieren, relativ problemlos in die vorhandenen Lexemfelder einordnen lassen.71 Auch sind die fünf Bedeutungsvarianten der P p p a „auf nicht vollständig voneinander zu trennen, sondern es lassen sich semantisch motivierte Verbindungen zwischen den Bedeutungsvarianten herstellen. Da man davon ausgehen kann, daß die ursprünglichen Präpositionen Beziehungen in der lokalen Domäne bezeichnen und daß temporale Präpositionsverwendungen und präpositionshaltige Metaphorisierungen - zu denen man auch die regierten Präpositionen rechnen kann - als Ableitungen von den lokalen Präpositionen aufzufassen sind,72 ist es möglich, die fünf Bedeutungsvarianten der P p p a „auf auf Grundkonzepte mit räumlicher Bedeu71 Innerhalb des Erfurter Forschungsprojekts SUBVAL ist die ermittelte Anzahl an VorgängersubstantivenPPA. die die Pppa „auf' regieren, inzwischen auf 143 gestiegen. 72 Vgl. u.a. Paul (1920, 4), Baudusch (1984, 90ff), Rauh (1989, 249ff ).
Zur Semantik der Präposition „ auf" in komplexen Nominalphrasen
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tung zurückzufuhren. Bei dieser Rückführung, bei der die Bedeutungen der VorgängersubstantiveppA immer einzubeziehen sind, gelangt man zu zwei räumlichen Grundkonzepten, die den Konzepten zu Präpositionen in AABen des Raums entsprechen, die sich zugleich aber in einem wesentlichen Punkt davon unterscheiden. Die ersten vier Bedeutungsvarianten der P p p a „auf (Kapitel 4.2.1 bis 4.2.4) konstituieren gemeinsam mit dem VorgängersubstantivppA eine mehr oder weniger dynamische Richtungsbedeutung auf ein Ziel hin. Diese Richtung ist abstrakter Art, hat aber immer einen gewissen konkreten Bedeutungsanteil, der entweder im Raum oder auf der Zeitachse vorliegt. Die fünfte Bedeutungsvariante „Stationäre Basis" enthält ein statisches Raumkonzept, weil auf die Basis bzw. auf einen lokal festen Punkt verwiesen wird. Beide Konzepte liegen auch den AABen des Raums zugrunde (vgl. Kapitel 3.1), der wesentliche Bedeutungsunterschied zu der nicht-regierten Präposition „ a u f mit direktionaler Bedeutung liegt jedoch darin, daß bei der abstrakten direktionalen P PPA „auf das Ziel, das anvisiert wird, nicht erreicht wird. In gleicher Weise wird bei abstrakter stationärer Lokalität die Basis, auf der das vom VorgängersubstantivppA Bezeichnete beruht und auf die die P PPA „auf hinweist, nicht berührt. Dieser Unterschied zu AAB-Konstruktionen („die Wanderung auf den Berg", „das Buch auf dem Stuhl") wird auch durch die abstrakte Bedeutung der VorgängersubstantivepPA getragen, durch die die sprachliche Formulierung eines Kontakts nicht möglich ist. Statt dessen ähneln die regierten Präpositionen den metaphorischen Verwendungen von Präpositionen, für die ebenfalls in vielen Bereichen eine Rückführung auf Grundbedeutungen mit räumlichen Bildschemata möglich ist.73 Diese räumlichen Grundkonzepte werden in der Kognitiven Linguistik zu den konkreten Raumpräpositionen für verschiedene Sprachen nachgewiesen. 74 Zu den von Substantiven regierten Präpositionen kann man die Bedeutungskonzepte, die zu den Bedeutungsvarianten der P PPA „ a u f gehören, in etwa zwischen die Grundkonzepte, die zu einer AAB-Konstruktion vorliegen, und die Metaphorisierungen positionieren. In einigen Fällen ähnelt die P PPA „auf' mehr der PAAB „auf (z.B. in der Bedeutungsvariante „lokale Direktionalität"), in anderen Fällen wird die P p p a „auf stark metaphorisiert gebraucht (z.B. in der Bedeutungsvariante „allgemeine Direktionalität"). Für eine vollständige Erfassung der Grundkonzepte, die in der P p p a „auf stekken, ist es jedoch erforderlich, auch diejenigen Konzepte zu erfassen, die anderen regierten Präpositionen zugrunde liegen. Insbesondere bei Vorgängersubstantiven PPA , die verschiedene Präpositionen regieren können (z.B. „Prüfung a u f vs. „Prüfung zu"), kann durch die vergleichende Analyse der beteiligten regierten Präpositionen gut gezeigt werden, welchen Anteil an der Bedeutungskonstitution der Einheit, Vorgängersubstantiv PPA plus P ppa , jede einzelne regierte Präposition für sich besitzt, so daß die abstrakten Bedeutungsvarianten der regierten Präpositionen exakter beschrieben werden können. Aufgrund der vergleichenden Untersuchungen ist deutlich geworden, daß die PPI>a „auf in ihrer Bedeutung Ähnlichkeiten mit der PAAB „ a u f besitzt, ohne daß dabei der Eindruck entstanden sein dürfte, es sei versucht worden, in eine regierte Präposition „eine Semantik hineinzuinterpretieren, die sich nur aus dem Kontext erschließen läßt" 7 5 . Somit liegen ebenso wie zu
73 Zu den präpositionalen Verwendungen in Metaphern, die Konzepte emoüonaler Kausalität enthalten und auch auf räumliche Gnindkonzepteriickfuhitoarsind vgl. Radden (1997, Kap. 2 bis 5). 74 Vgl. u.a. Langacker (1985 u. 1987), Cuyckens (1997). 75 Baudusch (1984, 93).
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den nicht-regierten Präpositionen kognitive Konzepte vor, die zwar abstrakter Art sind, die aber immer einen direktionalen oder lokal stationären Anteil besitzen. Diese Strukturierung der abstrakten Bedeutungen der PppA „auf sollte dazu beitragen können, die für die praktische Lexikographie notwendigen Angaben besser bestimmen und begründen zu können.
5 Wörterbuchangaben Im folgenden sollen Überlegungen angestellt werden, inwieweit die linguistischen Analysen zu den regierten Präpositionen für lexikographische Angaben genutzt werden können. Auf die nicht-regierten Präpositionen wird nicht eingegangen, weil dazu bereits Hinweise zur Notwendigkeit oder Möglichkeit lexikographischer Angaben gemacht worden sind (vgl. u.a. Kapitel 3.1.3).
Da die Darstellungen zu regierten Präpositionen sich vor allem nach dem jeweiligen Wörterbuchtyp richten bzw. danach, an welche potentiellen Benutzer sich das jeweilige Wörterbuch wendet, werden vier Wörterbuchtypen in Betracht gezogen: das allgemeine einsprachige Wörterbuch, das Lernerwörterbuch, das allgemeine zweisprachige Wörterbuch und das Spezialwörterbuch zu von Substantiven regierten Präpositionen. Unabhängig davon kann man sich vorstellen, daß die Wörterbuchangaben zur PPA-Konstruktion mit der P p p a „auf grundsätzlich an zwei unterschiedliche Lemmazeichen adressiert werden: an das Lemmazeichen der Präposition „auf und an das Lemmazeichen des Substantivs, das jeweils als VorgängersubstantivppA fungiert. Normalerweise findet man in den einsprachigen Wörterbüchern keine lexikographischen Angaben zur regierten Präposition „auf, die an das Lemmazeichen von „auf adressiert sind, sondern nur Angaben, in denen die konkreten Bedeutungen von „auf inklusive der notwendigen Rektionsangaben sowie die Verwendung von „auf in Phraseologismen enthalten sind.76 Dies ist so lange folgerichtig, bis es keine systematischen Untersuchungen zu den Bedeutungsvarianten gibt, die eine regierte Präposition einnehmen kann. Da jedoch die hier durchgeführten Untersuchungen gezeigt haben, daß hinter den einzelnen abstrakten Bedeutungen von „auf Bedeutungskonzepte stehen, die sich auf die konkreten Bedeutungen von „auf beziehen lassen, können diese abstrakten Bedeutungsvarianten ebenso in Wörterbüchern angegeben werden. Natürlich ist in diesem Zusammenhang auf die besonderen syntaktischen Verhältnisse hinzuweisen und sind weitere Erläuterungen zur PPA-Konstruktion in einer Wörterbuchgrammatik zu machen. Darüber hinaus muß für den Wörterbuchbenutzer klar erkennbar sein, daß die einzelnen Bedeutungsvarianten der Pppa „auf im Zusammenspiel mit dem jeweiligen VorgängersubstantivppA realisiert werden und daß genauere Wörterbuchangaben, die die individuellen Merkmale der Einheit, VorgängersubstantivPPA plus PPPA, erläutern, in dem Wörterbuchartikel zu finden sind, der an das Lemmazeichen des jeweiligen Substantivs adressiert ist, das als VorgängersubstantivPPA fungieren kann. Allerdings sollte in einem Spezialwörterbuch auch angegeben sein, daß bestimmte Bedeutungsvarianten der P p p a „auf immer von Vorgängersubstan-
76 Vgl. DDUW (1994), DW (1994), LGWDaF (1994).
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tivenppA konstituiert werden, die untereinander erhebliche Bedeutungsähnlichkeiten aufweisen. Wenn die VorgängersubstantiveppA „Angriff', „Attentat", „Anschlag" und „Überfall" eine Einheit mit der Pppa „auf bilden, in der als Bedeutungskonzept die abstrakte lokale Direktionalität von „auf' steckt, dann kann man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit das gleiche für die VorgängersubstantiveppA „Sturm", „Vorstoß" und „Attacke" annehmen. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß dies keine lexikologisch-semantische Regel enthält, weil es andere bedeutungsähnliche Wörter wie z.B. „Kampf', „Invasion" oder „Ausfall" gibt, die nicht die P p p a „auf' regieren. Für zweisprachige Wörterbücher ist die Angabe einer Bedeutungsvariante insbesondere in den Fällen interessant, in denen eine Bedeutungsvariante immer mit der gleichen Präposition zu übersetzen ist. Dies trifft für die abstrakte lokale Direktionalität von „auf insofern zu, als diese Bedeutung im Englischen in der Regel mit der P p p a „on" und im Portugiesischen in der Regel mit der PPPA „a" zu übersetzen ist.77 Für allgemeine Wörterbücher bleibt jedoch zu beachten, daß die hier dargestellten Bedeutungsvarianten nur für das Vorkommen von „auf' in komplexen NPn gelten und daß auch zu der von Verben oder Adjektiven regierten Präposition „auf Analysen erforderlich sind, um den Gültigkeitsbereich einer Wörterbuchangabe zu der Bedeutungsvariante einer regierten Präposition besser bestimmen zu können. Wenn es um die Binnenstruktur der einzelnen PPA-Konstruktionen geht, sind die lexikographischen Angaben an das Lemmazeichen zu adressieren, dessen Lemma als VorgängersubstantivppA fungieren kann. Es wird im weiteren nicht dargestellt werden, in welcher Form die lexikographischen Angaben zu einer PPA-Konstruktion präsentiert werden können, sondern es sollen nur die notwendigen und möglichen Wörterbuchangaben aufgezählt werden, die sich nach den durchgeführten Untersuchungen ergeben haben und die vor allem semantische Aspekte einbeziehen. Dabei wird die Notwendigkeit der lexikographischen Angaben in bezug auf die genannten vier Wörterbuchtypen zu bestimmen sein.78 Zu einigen Angaben wird es erforderlich sein, den Gebrauch anhand anderer regierter Präpositionen zu demonstrieren. Dies geschieht immer dann, wenn mit der P p p a „auf kein geeignetes Beispiel vorliegt. In allen Wörterbuchtypen muß die Pppa und der von der P p p a regierte Kasus angegeben werden. Insbesondere in Lernerwörterbüchern dürfen diese Angaben zu keinem Lemma, das als VorgängersubstantivppA fungieren kann, fehlen, weil die Präpositionsselektion und die Kasusbestimmung für Fremdsprachler immer ein besonderes Problem darstellen. Diese Angaben können in Form einer Strukturformel wie im LGWDaF erfolgen oder mit einer ,,verdichtete(n), dreifach kommentierte(n) Kompetenzbeispielangabe" und einer rechtsadressierten Konstruktionsidentifizierungsangabe.79 In zweisprachigen Wörterbüchern müssen in jedem einzelnen Fall das VorgängersubstantivppA und die Präposition explizit übersetzt werden, ohne daß ein Benutzer die Übersetzung der regierten Präposition anhand der Präposition erraten muß, die von einem zugrundeliegenden Verb oder Adjektiv regiert wird.80 Falls ein Lemma in seiner Funktion als VorgängersubstantivppA eine andere lexikalische Bedeutung hat als in anderen Funktionen (z.B. als Simplex oder Kompositum), so muß zu der Einheit, VorgängersubstantivppA plus Pppa, eine Bedeutungsangabe erfolgen. Dies trifft z.B. auf die Substantive „Anschlag" und „Sturm" zu, da „Anschlag" in „ein Anschlag am Schwarzen 77 Genaue empirische Untersuchungen liegen dazu noch nicht vor, sollen aber im Verlauf des Erfurter Forschungsprojekts SUBVAL durchgeführt werden. 78 Vgl. die Angaben zu einem deutsch-ungarischen Wörterbuch: Bassola (1995, 398 ff.). 79 Vgl. Wiegand (1996a, Kap. 1). 80 Vgl. Schierholz (1996b, Kap. 5).
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Brett" eine andere Bedeutung hat als in „der Anschlag auf das Hauptquartier", und da „Sturm" in „der Sturm auf den Britischen Inseln" eine andere Bedeutung hat als in „der Sturm auf die gegnerischen Stellungen". Damit unterscheiden sich diese VorgängersubstantiveppA aber z.B. von „Hoffnung a u f , das keine eigenständige lexikalische Bedeutung hat, weil es sich nicht von der Bedeutung des Lexems „Hoffnung" unterscheidet.81 Insofern ist auch eine Formulierung wie „wir machen einen Anschlag" ambig, solange keine Attribuierung vorgenommen wird. Zusätzliche Bedeutungsangaben sind in allen einsprachigen Wörterbüchern erforderlich, und in einem zweisprachigen Wörterbuch sind die entsprechenden Übersetzungsäquivalente anzugeben. Falls zwischen dem Sprachgebrauch der Einheit, VorgängersubstantivppA plus PPPA, und dem Gebrauch des Lemmas, das als VorgängersubstantivppA fungieren kann, stilistische oder regionale Abweichungen bestehen, sollten diese in den Wörterbüchern markiert werden. In gleicher Weise sind Besonderheiten in bezug auf die Frequenzen anzugeben. Nicht usuelle Verwendungen eines VorgängersubstantivsppA können im Wörterbuch durch eine Häufigkeitsangabe, z.B. „selten", angegeben werden. Dies betrifft eine PPA-Konstruktion mit „die Anwendung auf', aber auch „die Offensive auf', das wesentlich seltener vorkommt als „die Offensive gegen". In einem Lernerwörterbuch, das nur einen Ausschnitt der Lexik lemmatisiert, kann anhand des Häufigkeitskriteriums entschieden werden, ob bestimmte regierte Präpositionen weggelassen werden können. Wenn ein VorgängersubstantivPPA zusammen mit der P ppa auch in festen Wendungen vorkommt, z.B. Bezugnahme auf auch in „unter Bezugnahme auf', sollte in einem Spezialwörterbuch darauf hingewiesen werden, indem die Unterschiede zwischen der PPA-Konstruktion und der Wendung erklärt werden. Sowohl für die VorgängersubstantiveppA als auch für die NachfolgersubstantiveppA ist anzugeben, ob in bezug auf den Numerus, die Determination oder die Einfügung eines Genitivattributs bestimmte Restriktionen vorliegen. Das Lexem „Eindruck" kommt als VorgängersubstantivPPA mit der PppA „auf nur im Singular vor, und nach dem VorgängersubstantivPPA „Klage" steht das NachfolgersubstantivppA im Singular. Kommt „Antrag auf in einer PPA-Konstruktion vor, können viele NachfolgersubstantiveppA, die in anderen syntaktischen Funktionen einen Artikel verlangen, auch artikellos stehen: (93)
der ANTRAG AUF Einstellung
Allerdings ist die nackte PPA-Konstruktion in (93) semantisch unvollständig, und es muß entweder ein Attribut zu „Einstellung" angefügt werden, oder die notwendigen semantischen Angaben sind im Kontext enthalten. Solche Hinweise sollten in einem Spezialwörterbuch zu finden sein. In manchen PPA-Konstruktionen erscheint die Artikelverwendung in der Nachfolger-NPppA ungewöhnlich, wenn nicht weitere Attribute zu dem vom NachfolgersubstantivppA Bezeichneten folgen. (94) die UMSTELL UNG A UF das Erdgas (94a) die UMSTELLUNG AUF das Erdgas, das leider erst jetzt lieferbar ist (95) die UMSTELLUNG AUF Erdgas (96) Wir haben Erdgas. (97) Das Erdgas aus Rußland ist billiger.
81 Vgl. Wiegand (1996a, Kap. 3 u. 4).
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Während „Erdgas" mit und ohne Artikel stehen kann ((96) und (97)), kommt die PP „auf das Erdgas" (94) im Gegensatz zu „auf Erdgas" (95) nur selten vor. Nur durch besondere Erweiterungen (Attribut, Relativsatz) kann „Erdgas" auch mit Artikel stehen (94a). Nach manchen VorgängersubstantivenPPA kann entweder nur der genitivus obiectivus ((98) und (99)) oder nur der genitivus subiectivus (100) stehen, oder es sind beide Genitive möglich, aber je nach Genitiv ändert sich die Bedeutung der PPA-Konstruktion ((101) und (102)). (98) (99) (100) (101) (102)
die A USRICHTUNG der Preise A UF einzelne Produkte die ANWENDUNG der Analyse A UF den Nationalsozialismus die ANSPIELUNG des Rezensenten A UF das Buch die PRÜFUNG des Fachmanns AUF Echtheit die PRÜFUNG des Materials AUF Echtheit
Auch wenn Fremdsprachler die semantischen Unterschiede in der Regel erkennen, sollte bei den VorgängersubstantivenppA, die eine abstrakte und damit schwerer erlernbare Bedeutung besitzen, auf die Besonderheiten bei der Verwendung der Genitivattribute innerhalb der PPAKonstruktionen hingewiesen werden. Diese Besonderheiten, die nur bei bestimmten VorgängersubstantivenPPA auftreten, müssen jedoch in jedem Wörterbuch beachtet werden, wenn es um die Auswahl der Kompetenzbeispielangaben geht. Liegt in einer nackten PPA-Konstruktion eine semantische Unvollständigkeit vor, so muß als Kompetenzbeispielangabe eine erweiterte PPA-Konstruktion gewählt werden. In einem Spezialwörterbuch zu PPA-Konstruktionen sollten immer mehrere Kompetenzbeispielangaben enthalten sein und die semantischen Besonderheiten kommentiert werden. In zweisprachigen Wörterbüchern mit Deutsch als Zielsprache muß auf bestimmte semantische Besonderheiten explizit hingewiesen werden. Dabei sollte darauf geachtet werden, daß mehrere Kompetenzbeispielangaben gemacht werden und daß zumindest eine aus der Muttersprache in die Zielsprache übersetzt wird, weil dies Fremdsprachlern hilft, die kognitiven Konzepte, die einer PPA-Konstruktion zugrunde liegen und die man sich in der Regel in muttersprachlichen Gedanken visualisiert, in die Fremdsprache umzusetzen. Falls Selektionsrestriktionen in bezug auf das von dem NachfolgersubstantivPpA Bezeichnete vorliegen, müssen diese explizit angegeben werden. Die Darstellungsweise, wie sie im LGWDaF in Form der Strukturformeln gewählt worden ist, ist für Lernerwörterbücher in der Regel als geeignet anzusehen.82 Jedoch ist zu überlegen, ob außer der semantischen Differenzierung des NachfolgersubstantivsppA nach , jemand" und „etwas" nicht noch weitere semantische Angaben in den Strukturformeln möglich sind. Diese müssen dann zwar in einer Wörterbuchgrammatik ausfuhrlich erklärt werden, ermöglichen aber Fremdsprachlern einen erheblich sichereren Umgang mit PPA-Konstruktionen, weil in vielen PPA-Konstruktionen das NachfolgersubstantivppA (z.B. zu „Bezugnahme", „Anwendung") immer Abstraktes bezeichnet oder weil nach manchen VorgängersubstantivenppA (z.B. „Attentat") in der Regel Personenbezeichnungen stehen. Für zweisprachige Wörterbücher sind diese Restriktionsangaben dann überflüssig, wenn für die PPA-Konstruktionen der Fremdsprache die gleichen Restriktionen vorliegen wie zur Muttersprache. In Spezialwörterbüchern sollten jedoch immer alle Angaben zu semantischen Restriktionen für die Nachfolger-NPppA ausfuhrlich erläutert werden. Wenn ein VorgängersubstantivppA verschiedene Präpositionen regieren kann, liegen in bezug auf die Kombinationsmöglichkeiten dieser regierten Präpositionen Beschränkungen vor. 82 Vgl. Schierholz (1996b u. 1996c).
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Das VorgängersubstantivppA „Chance" kann die Präpositionen „auf, „bei", „für" und „zu" regieren. Es ist aber nur eine einzige Kombination mehrerer PPAe einwandfrei möglich (103). (103) (104) (105) (106) (107) (107')
die CHANCE FÜR den Neuling ZU einer Überraschung ''die CHANCE BEI diesem Rennen AUF einen Sieg 7 die CHANCE BEI diesem Rennen FÜR den Neuling die CHANCE BEI diesem Rennen ZU einer Überraschung 'die CHANCE FÜR den Neuling A UF einen Sieg die CHANCE AUF einen Sieg für den Neuling
Femer ist zu beachten, daß sich durch topologische Veränderungen auch der Sinn der Aussagen verändert ((104) bis (107)), weil es (z.B. in 107') nicht um die „Chance für den Neuling" geht, sondern um den „Sieg für den Neuling". Liegen derartige Kombinationsrestrilctionen vor, so sind dazu in allen Wörterbuchtypen lexikographische Angaben erforderlich. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß einige VorgängersubstantiveppA je nach P p p a ihre Bedeutung verändern. So bedeuten „die Klage auf' und „die Klage gegen" etwas anderes als „die Klage über etwas". Diese Unterschiede sind in einer zusätzlichen Bedeutungsangabe sowie in verschiedenen Kompetenzbeispielangaben zu zeigen. Die folgenden Hinweise betreffen in erster Linie die zweisprachigen Wörterbücher. Einige VorgängersubstantiveppA können nicht in die Fremdsprache übersetzt werden, weil es kein Bedeutungsäquivalent gibt (z.B. existiert zu „Vorfreude" im Portugiesischen kein Äquivalent). Zu einigen regierten Präpositionen liegt kein Äquivalent in der Zielsprache vor. So gibt es zu „Diskussion um etwas" keine Entsprechung im Englischen, die sich in ähnlicher Weise wie im Deutschen von,.Diskussion über etwas" abgrenzen läßt. Hier ist es jedoch ziemlich schwierig, einem Fremdsprachler die Bedeutungsunterschiede der beiden PPA-Konstruktionen klarzumachen, die sich in erster Linie an der Bedeutung der abstrakten PPPA erkennen läßt. Zwar tritt dieses Problem seltener auf, wenn die regierte Präposition zum einen hochfrequent ist, zum anderen usuelle Konzepte vertritt (z.B. die Pppa „über" das Thema, „mit" den Begleiter, „in" den Behälter, „auf' die Richtung oder den Ort), sondern nur, wenn der Metaphorisierungs- bzw. Abstrahierungsprozeß so weit fortgeschritten ist, daß die Verbindung zu dem konkreten Konzept nicht mehr erkennbar ist. Darüber hinaus ist es wesentlich, ob die Präposition auch bei einem zugrundeliegenden Verb oder Adjektiv als regierte vorkommt, weil dann vom Fremdsprachler Analogieschlüsse gezogen werden können. In den Fällen, in denen das nicht möglich ist („die Diskussion um die Steuerreform") ist jedoch Fremdsprachlern nur mit einer Bedeutungserklärung zu „um" geholfen. Dies mag für kleinere zweisprachige Wörterbücher weniger wichtig sein, weil man in den meisten Kontexten den Sachverhalt ebenfalls durch Verwendung der Pppa „über" ausreichend genau formulieren kann, ist aber für neugierige und nachdenkliche Deutschlerner - die meisten DaF-Studenten kann man wohl ohne weiteres zu dieser Gruppe rechnen - immer ein interessantes Phänomen, über das sie sich in einem umfangreichen zweisprachigen Wörterbuch und natürlich auch in einem Spezialwörterbuch informieren können sollten. In einigen Fällen ist die Übersetzung des VorgängersubstantivsppA sowie einer entsprechenden PPA-Konstruktion zwar möglich, aber ungewöhnlich, weil der betreffende Sachverhalt in der Zielsprache üblicherweise mit einer anderen syntaktischen Konstruktion ausgedrückt wird (z.B. „Ärger über" im Englischen selten mit „anger at", aber häufiger mit „to be angry at"). In den jeweiligen Konfliktfällen sind die Übersetzungen jeweils genau zu überdenken, gegebe-
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nenfalls zu kommentieren, und es ist auf die Gebräuchlichkeit einer PPA-Konstruktion in der jeweiligen Sprache hinzuweisen. In allen Wörterbüchern ist es erforderlich, Besonderheiten in den PPA-Konstruktionen zu kommentieren (z.B. zu „Prüfung auf Echtheit", „Schluß auf besondere Bedingungen"). In einem Spezialwörterbuch zu PPA-Konstruktionen sollten diese Kommentare sehr ausfuhrlich ausfallen und auf möglichst alle denkbaren Besonderheiten hinweisen. Am Beispiel des VorgängersubstantivsppA „Vorbereitung" soll ein Vorschlag gemacht werden, wie in einem Spezialwörterbuch zu PPA-Konstruktionen ein lexikographischer Teilkommentar aussehen kann, der über die oben dargestellten notwendigen Angaben hinaus die Verwendung von „Vorbereitung" erläutert. In einer PPA-Konstruktion mit auf ist Vorbereitung eine Maßnahme oder eine Handlung, die sich auf ein Ziel richtet, das in der Zukunft liegt. die Vorbereitung auf einen Wettkampf Die Präposition auf stellt zwischen der Maßnahme und dem Ziel die Veibindung her. Durch die Bedeutung von Vorbereitung ist vorgegeben, daß das Ziel auf der Zeitachse in der Zukunft liegt. Die Präposition auf wirkt auf diese Bedeutung unterstützend; darüber hinaus bewirkt die Präposition auf die Selektion des Ziels, indem sie auf eines der potentiell möglichen Ziele, auf die man sich vorbereiten kann, hinweist. Ein solches Ziel ist in der Regel ein abstraktes Ereignis; allerdings bereitet man sich nicht direkt auf das Ereignis vor, sondern auf eine Handlung / Maßnahme / Tätigkeit, die bei dem Ereignis vollzogen werden soll. Insofern ist mit jeder Vorbereitung auf etwas immer ein Zweck oder eine Absicht veibunden. Beispiel mit Kontext: Ein Sportler macht eine Vorbereitung auf einen Wettkampf weil er die Absicht hat, dort aktiv seinen Sport zu betreiben. Ein Zuschauer kann sich nicht auf einen Wettkampf vorbereiten, weil er an dem Wettkampf teilnehmen will. Man kann sich zwar vorstellen, daß ein Zuschauer sich auf einen Wettkampf vorbereitet, weil er sich auf die Tätigkeit des Zuschauens vorbereitet, aber dabei handelt es sich um eine relativ ungewöhnliche Verwendung des Substantivs Vorbereitung. Kombinationsmöglichkeiten mit der regierten Präposition für: die Vorbereitung für den Wettkampf Eine Kombination von auf und för in der gleichen PPA-Konstruktion, in der die beiden Präpositionalattribute koordiniert (also gleichrangig abhängig von Vorbereitung) vorkommen, ist nicht möglich, weil die Präpositionen in ihrer Bedeutung sehr ähnlich sind: *die Vorbereitung filr den Wettkampf auf die Saison.
Inwieweit mehr Kompetenzbeispielangaben erforderlich sind und welche Angaben in den Formkommentar gehören, soll hier nicht erläutert werden. Der Text soll lediglich demonstrieren, wie Kennzeichen der PPA-Konstruktion, die in Wörterbüchern normalerweise nicht zu finden sind, in ausfuhrlicher Form dargestellt werden können. Natürlich sind die verwendeten grammatischen Fachtermini in einer Wörterbuchgrammatik so zu erklären, daß die Benutzer die Termini richtig anwenden können. Wenn die Anzahl der lexikographischen Angaben relativ groß geworden ist, so hat dies seine Berechtigung, soweit man sich an den maximalen Bedürfnissen, z.B. für ein Spezialwörterbuch, orientiert. Natürlich können Lernerwörterbücher wegen ihrer weniger umfangreichen Makrostruktur in bezug auf die PPA-Konstruktion nicht vollständig sein. Bei allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern richtet es sich nach ihrem Umfang, wieviel sie von den detaillierten Angaben enthalten. Bei zweisprachigen Wörterbüchern reicht insbesondere für Herübersetzungszwecke die richtige Übersetzung der Einheit, VorgängersubstantivPPA plus PPPA, aber bei
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der Hinübersetzung benötigt der Fremdsprachler unbedingt mehr Angaben als nur das Übersetzungsäquivalent. Allerdings erscheint es nicht möglich, aufgrund der Analysen zur Präposition „auf' beurteilen zu können, ob die lexikographischen Angaben zur PPA-Konstruktion generell notwendig sind. Sonderfälle und Ausnahmen entdeckt man erst bei einer Detailanalyse und mit Unterstützung umfangreicher Corpusrecherchen. Erst im Anschluß an diese Detailanalysen kann für jede regierte Präposition und für jeden Einzelfall individuell entschieden werden, welche lexikographischen Angaben notwendig sind und wieviel Semantik in den Angaben zu berücksichtigen ist. Die Detailuntersuchungen zur Semantik der Präposition „auf haben verdeutlicht, daß ein vollständiges Bild mit allen notwendigen Vergleichsgrundlagen erst nach der Untersuchung mehrerer oder aller regierten Präpositionen entstehen kann. Es sollte aber auch klar geworden sein, daß man die syntaktisch motivierte Unterscheidung zwischen nicht-regierten und regierten Präpositionen hinterfragen sollte und daß eine semantisch motivierte Differenzierung zwar weniger eindeutige Trennlinien ergibt und insgesamt unschärfer ist, daß aber die syntaktische Betrachtungsperspektive, die bei jeder Untersuchung - auch bei der semantischen - im (Unterbewußtsein des Untersuchenden eine Rolle spielt, den Blick für manches Wesentliche im semantischen Bereich beeinträchtigen kann.
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Zur Semantik der Präposition „ auf in komplexen Nominalphrasen
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Angelika Storrer
Hypermedia-Wörterbücher: Perspektiven für eine neue Generation elektronischer Wörterbücher
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Familienspaß mit Wörterbüchern - alte und neue Visionen Multimediale Wörterbücher: Integration von Text, Bild, Ton und Video Hypertext-Wörterbücher: Suchen und Stöbern im lexikalischen Informationsraum
4 4.1 4.2 4.3 5 6
Wörterbücher in Aktion Interaktive Wörterbücher KoUaborative Wörteibucherstellung im WWW Die Verbindung von CD-ROM und Internet Ausblick Literatur
1 Familienspaß mit Wörterbüchern - alte und neue Visionen In der Vorrede zu seinem „Deutschen Wörterbuch" entwarf Jacob Grimm 1854 folgende Vision von der Benutzung seines Wörterbuchs: „Fände bei den Leuten die einfache Kost der heimischen Sprache eingang, so könnte das Wörterbuch zum Hausbedarf, und mit Verlangen, oft mit Andacht gelesen werden. Warum sollte sich nicht der Vater ein paar Wörter ausheben und sie abends mit den Knaben durchgehend zugleich ihre Sprachgabe prüfen und die eigne anfrischen? Die Mutter würde gern zuhören. Frauen, mit ihrem gesunden Mutterwitz und im Gedächtnis gute Sprüche bewahrend, tragen oft wahre Begierde ihr unverdorbenes Sprachgefühl zu üben, vor die Kisten und Kasten zu treten, aus denen wie gefaltete Leinwand lautere Wörter ihnen entgegen quellen: Ein Wort, ein Reim fuhrt dann auf andere und sie kehren öfter zurück und heben den Deckel von neuem." (Grimm 1854, Xllf.)
Diese Zitatstelle wurde in der Nachfolge häufig belächelt und dies nicht etwa wegen Grimms positiver Einschätzung der weiblichen Sprachbegabung. Vielmehr paßt das Bild einer um das Grimmsche Wörterbuch versammelten, in spielerische Sprachreflexion versunkenen Familie nicht recht zur gängigen Vorstellung vom Wörterbuch als Gebrauchsgegenstand, der als Referenzwerk zur Lösung spezifischer Probleme bei der Sprachproduktion und -rezeption herangezogen wird, und von daher eher am Arbeitsplatz von Menschen aufzufinden ist, die auf die eine oder andere Art beruflich mit Sprache zu tun haben. Nicht zufällig verwenden Benutzeroberflächen moderner elektronischer Wörterbücher Metaphern wie Schreibtisch, Zettelkasten, Karteikasten; nicht zufallig stand hinter der Computerisierung von Wörterbüchern bislang vornehmlich der Wunsch nach mehr Schnelligkeit beim Zugriff, besseren und flexibleren Suchmöglichkeiten durch entsprechende Retrievalwerkzeuge und möglichst komfortablen Verknüpfungen mit anderen zur Arbeit benötigten Programmsystemen wie Textverarbeitungsprogrammen oder Systemen zur computerunterstützten Übersetzung.
Hypermedia-Wörterbücher: Perspektiven für eine neue Generation elektronischer Wörterbücher
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Die bunte Welt von Hypermedia, einer Zusammensetzung aus Hypertext und Muhiniedia, läßt nun auch die Idee des Wörterbuchs für die ganze Familie wieder aufleben. So begeisterte sich Florian Langenscheidt anläßlich einer Pressekonferenz auf der Frankfurter Buchmesse 1994, auf der u.a. die Hypermedia-Anwendung „Mein erstes Lexikon" vorgestellt wurde: „Elektronische Bücher bei DUDEN, Meyer und Brockhaus - das waren bis jetzt Nachschlagewerke für den Arbeitsplatz am PC. Aber auch vor den Privathaushalten und vor dem Familienleben machen elektronische Bttcher nicht halt. Hier bringen sie völlig neue Dimensionen der „gemeinsamen Lektüre" ins Spiel. Und spielerische unterhaltsame Multimedia-Titel werden dann auch im Frühjahr nächsten Jahres zu den Highlights unserer Novitäten werden! Erwachsene und Kinder werden begeistert sein von den sensationellen Produkten, die in Zusammenarbeit mit dem führenden Multimediaverlag Dorling Kindersley entstanden." (Informationen für die Presse, verteilt auf der Frankfurter Buchmesse am 7.10.1994) Der Grimmsche Gedanke, Sprache über ein Wörterbuch in den Mittelpunkt familiärer Geselligkeit zu stellen, lebt also wieder auf in modemer Gestalt als sog. Edutainment- und Infotainment-Anwendungen, 1 d.h. Computerprogrammen, die auf unterhaltsame Art und Weise bilden und informieren möchten. Allerdings dürfte manch zeitgenössischer Vater auf die computertechnische Nachhilfe der Tochter oder des Sohnes angewiesen sein, um die Freuden des Edutainment wirklich auskosten zu können. Was macht Hypermedia attraktiv für Autoren und Benutzer von Nachschlagewerken? Es sind im wesentlichen die folgenden Eigenschaften, durch die Hypermedia-Wörterbücher einen Mehrwert gegenüber Print-Wörterbüchern einerseits und nicht-hypermedialen lexikalischen Datenbanken andererseits aufweisen: 1) Multimedia: In Hypermedia-Anwendung können Text, (animierte) Graphik, Ton- und Videodokumente miteinander verknüpft werden. Lexikalisches Wissen kann also unter Nutzung verschiedener Symbolsysteme repräsentiert und über verschiedene Sinneskanäle vermittelt werden. Diese Erweiterung der Ausdruckmöglichkeiten in der Lexikographie ist Thema von Abschnitt zwei. 2) Hypertext: Hypermedia-Anwendungen haben die Struktur von Netzwerken, deren Knoten aus Text-, Bild-, Ton- und Video-Objekten aufgebaut sind, und deren Kanten als Verknüpfungen (Hyperlinks) bezeichnet werden. In solchen Netzwerken können Beziehungen zwischen lexikalischen Einheiten direkt als Verknüpfungen abgebildet werden, die durch einen einfachen Mausklick zu thematisch relationierten Knoten fuhren Während lexikalische Datenbanken den Zugriff auf die lexikalischen Einheiten nach dem sog. „Pattern-Matching-Paradigma" organisieren, bei dem das System alle Einheiten anzeigt, die einem vom Benutzer spezifizierten Suchmuster entsprechen, unterstützen Hypertext-Systeme zusätzlich die Informationserschließung nach dem das sog. „explorativen Paradigma", dem Durchstöbern des Wörterbuchs im Zuge eines nicht präzise formulieibaren Informationsbedarfs durch die Verfolgung der im Wörteibuch angelegten Verknüpfungen. Dieser für das Wiederaufleben des Lesebuchgedankens zentrale Aspekt wird in Abschnitt 3 ausgeführt werden. 3) Interaktivität: Mit dem Schlagwort „interaktiv" wird die Möglichkeit des Benutzers bezeichnet, das Verhalten einer Softwareumgebung zu beeinflußen und dieses an seine individuellen Bedürfnisse anzupassen. So können in Hypermedia-Wörterbüchern eigene Verknüpfungen angelegt, Anmerkungen hinzugefugt und Teilbereiche der Wortschatzbeschreibungen unter bestimmten Aspekten neu organisiert werden. Einige Formen der Benutzer-System-Interaktion in Hypermedia-Wörteibüchern werden in Abschnin 4.1 vorgestellt. Neue Formen der computerunterstützten Benutzer-Benutzer-Interaktion entwickeln sich im Internet, einem weltweitem Verbund von Computernetzen. Mit sog. „Browsern" können auf einfache Weise sowohl Informationsdienste wie das hypertextorientierte World Wide Web als auch kommunikationsorientierte Dienste wie elektronische Post und Diskussionsforen genutzt werden. In Abschnin 4.2 möchte ich an einigen Beispielen zeigen, wie durch die Verbindung von Informations- und Kommunikationsdiensten neue kollaborative Formen der Wörterbucharbeit entstehen. Welche Vorteile und Chancen diese Publikations-
1
Es handelt sich um Zusammenziehungen aus £ducation und Entertainment bzw. /n/örmation und Entertainment.
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Angelika Storrer
form für die wissenschaftliche Fachlexikographie bietet, beschreiben Lemberg/Petzold et al. (im selben Band).
Der vorliegende Aufsatz gibt keinen vollständigen Überblick über aktuelle Hypermedia-Anwendungen in der Lexikographie. Vielmehr möchte ich an geeigneten Beispielen die Mehrwerte der hypermedialen Darstellungsform gegenüber dem gedruckten Medium herausarbeiten und zeigen, wie gedruckte Wörterbücher aufbereitet werden müssen, damit das Potential von Hypermedia auch wirklich ausgeschöpft werden kann. Die Wertungen der HypermediaWörterbücher beziehen sich deshalb auch nur auf den Aspekt der medialen Umsetzung und sollten nicht als Rezensionen mißverstanden werden. Für eine Rezension elektronischer Wörterbücher spielen Gesichtspunkte der lexikographischen Bearbeitung und der inneren und äußeren Selektion eine tragende Rolle, entsprechend schneiden Anwendungen traditioneller Wörterbuchverlage meist sehr gut ab, auch wenn die Möglichkeiten von Hypermedia noch wenig genutzt werden.2
2
Multimediale Wörterbücher: Integration von Text, Bild, Ton und Video
Als „Multimedia" wird die Integration statischer Medien wie Text, Graphik, und dynamischer Medien wie Animation, gesprochene Sprache, Musik und Video in einer Softwareanwendung bezeichnet.3 Multimedia bringt Farbe, Musik und Bewegung in das ehemals textdominierte Wörterbuch und ist sicherlich zunächst der Aspekt, der Hypermedia-Wörterbücher auch für Menschen attraktiv macht, die sonst nur selten ein gedrucktes Wörterbuch aufschlagen würden. Multimedia spielt eine Rolle sowohl bei der Ausgestaltung der Benutzerschnittstelle als auch bei der lexikographischen Sprachbeschreibung. Multimediale Benutzeroberflächen dienen dazu, elektronische Wörterbücher attraktiv zu verpacken und ihre Bedienbarkeit zu vereinfachen. Die Funktionalität des System, d.h. die Zugriffs- und Interaktionsmöglichkeiten werden dem Benutzer häufig über Metaphern vermittelt, die an den Umgang mit vertrauten Medien anknüpfen. Inwieweit dies wirklich zu einer „intuitiv" bedienbaren Benutzerschnittstelle fuhrt, hängt davon ab, wie gut sich die Funktionalität des Systems auf einen Metaphernbereich abbilden läßt. Sollen verschiedene Nachschlagewerke mit derselben Oberfläche verwaltet werden, bieten sich Bibliotheken und Bücherregale als Ausgangsbereiche an, aus denen „Bücher" ausgewählt und auf virtuelle Schreibtische und Arbeitsflächen „gelegt" werden können. Beispiele hierfür sind das Bee-Book-System, mit dem Nachschlagewerke von Bertelsmann verwaltet werden, und die PC-Bibliothek, in die Nachschlagewerke des Bibliographischen Instituts und von Langenscheidt eingestellt werden können (Storrer 1996). Die Metaphern vereinfachen die Formulierung der Metatexte zur Systembenutzung und sie bestimmen die Ausgestaltung der graphischen Benutzeroberfläche durch entsprechende Ikonen (Regal, Buch, Karteikarte), die per Mausklick aktiviert werden können. Getreu dem Ratschlag „build magic into your applica2 3
Lesenswerte Rezensionen sind z.B. Leckebusch (1995) und Neth/Miiller (1997). Einen aktuellen Überblick über die verschiedene Definitionen für Multimedia gibt Schulmeister (1996, 1520). Weidenmann (1995, 65ff.) differenziert den Ausdruck „Multimedia" weiter in den Dimensionen Medium, Kodierung und Sinnesmodalität.
Hypermedia-Wörterbiicher: Perspektiven für eine neue Generation elektronischer Wörterbücher
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tion" (Gloor 1990, 49) können als anregende Zusätze kleine Toneinlagen hinzukommen, z.B. ist in Microsoft Bookshelf (Bookshelf 1995) die Aktion „Öffnen eines neuen Buches" mit einem Seitenblätter-Geräusch verbunden. Gloor warnt jedoch zurecht vor zuviel inhaltlich leerem Multimedia-Zauber, der anfangliche Amüsiertheit schnell in Überdruß und Genervtheit umschlagen läßt; ein Negativ-Beispiel sind die lärmigen Musik- und Videoeinlagen, die beim Systemstart von Langenscheidt's Language Explorer, im weiteren LLE (1997) (s.u.) abgespielt werden. Multimedia bereichert aber vor allem die Möglichkeiten lexikographischer Sprachbeschreibung. Hypermedia-Lexikographen können verschiedene Symbolsysteme nutzen und unterschiedliche Sinnesmodalitäten ansprechen; Bild-, Ton- und Videoobjekte ergänzen das bislang textdominierte Wörterbuch aufs beste. Der erste Schritt zur multimedialen Aufbereitung allgemeinsprachlicher Wörterbücher besteht meist darin, die über phonetische Umschriften vermittelten Ausspracheangaben um Audiodateien mit Aussprache und Betonung zu ergänzen. Eine solche Ergänzung ist vor allem für mehrsprachige Wörterbücher attraktiv und für Wörterbuchbenutzer, die phonetische Umschriften nicht oder nur schwer lesen können. Entsprechend wurde in der Rezension von Neth/Müller (1997) das Vorhandensein solcher Ausspracheangaben auch als Qualitätsmerkmal von Hypermedia-Wörterbüchern gewertet. Bertelsmann. Französtsch/Deutscti, Vertont .»IWESUnWafliaiaNI?!
Kreuzspinns
f i e l von Kreuzspinn : Kreuzung Kreuzverhö: Kreuzwortrf kriechen Kriecher. Kr Kriechspur: Krieg kriegen Kriegsdiens Kriegsfuß Kriegsgefar Kriegsgefar Kriegsschai Kriegsschiff Kriegsschu Kriegsverbr Kriegsverbr Kriegszust? Krimi Kriminaibe; Abb. 1:
Kreuzspinne Kreuzspinne I m araignée porte-croix f Kreuzung f 1 l^lran^ircnnnn l/iylm^tmuTniiM rrnicannünf m rarrofniirm Bertelsmann, Französisch/Deutsch, Vertont araignée porte-croix
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Bildersammlung „Insekten - les insectes" aus dem TWF
Bilder und Videosequenzen werden benutzt, um Bedeutungserläuterungen für Konkreta im Bereich der Nennlexik zu illustrieren. Vor allem nicht-muttersprachliche Wörterbuchbenutzer
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Angelika Storrer
freuen sich sicher über Fotos oder Graphiken, die im semantischen Kommentar des entsprechenden Wörterbuchartikels die sprachlichen Bedeutungserläuterungen ergänzen. Aber auch Lexikographen, die Wörter wie Tapir oder Stele bearbeiten, werden sich wohler fühlen, wenn sie der rein sprachlichen Bedeutungsparaphrasenangabe - im Duden Universalwörterbuch DUW 4 für Tapir „plumpes Säugetier in den tropischen Wäldern Amerikas u. Asiens mit kurzem, dichtem Fell u. einem kurzen Rüssel" - ein Bild hinzufugen können. Dies wird es Wörterbuchbenutzern erleichtert, Tapire als solche zu erkennen und korrekt zu benennen. Noch besser, wenn neben Bildern auch Musik und Videosequenzen eingebunden werden können. Im Wörterbucheintrag der Microsoft Bookshelf zu Flamenco läßt sich beispielsweise ein Video abrufen, das nicht nur die für den Tanz typischen Bewegungen, sondern auch den Rhythmus der dazugehörigen Musik vermittelt. Bilder und Videos können nicht nur die Bedeutungsparaphrasenangabe für ein Einzelwort ergänzen; sie können auch den sachgruppenorientierten Zugriff auf Wörterbucheinträge unterstützen. In dem vom Bee-Book-System verwalteten Taschenwörterbuch französisch-deutsch deutsch-französisch, im weiteren als TWF abgekürzt (Bee-Book (TWF) 1996), sind beispielsweise Illustrationen von zusammengehörigen Objekten mit den zugehörigen Wörterbucheinträgen verknüpft - der Verpackungstext spricht von einem „integrierten Bildwörterbuch". Abbildung 1 zeigt die Sammlung „Insekten", die von verschiedenen Einträgen, z.B. dem Eintrag zu Kreuzspinne, aus aufgerufen werden können. Durch Anklicken der Sternsymbole mit der Maus werden in der Leiste über der Graphik die deutschen und französischen Benennungen angezeigt, von dort aus kann auch wieder auf den entsprechenden Wörterbucheintrag zurückgesprungen werden. Daß Spinnen nach dem biologischen Lehrbuch keine Insekten sind, sondern mit Skorpionen und anderen der Klasse der Spinnentiere zugeordnet werden, tut dem Mehrwert, der durch diese Kombination von wortformorientiertem und sachgruppenbezogenem Zugriff erzeugt wird, keinen Abbruch. Hypermedia wird vor allem die Fachlexikographie und Terminographie revolutionieren. Schon der Übergang vom gedruckten Fachwörterbuch zur terminologischen Datenbank beschleunigt und flexibilisiert den Zugriff. Multimedia erweitert nun die Darstellungs- und Zugriffsmöglichkeiten erheblich und verbessert die Anschaulichkeit der Beschreibungen - vor allem bei Wörterbuchgegenständen, die eine Verwendung von Bild, Ton und Video geradezu verlangen. Dies gilt beispielsweise für die beiden in Schulmeister (1996, 288-299) beschriebenen Lexika zur Gebärdensprache,5 in denen Text-, Bild-, Ton- und Videoobjekte zur Beschreibung von Gebärden eingesetzt werden oder für das an der Universität Virginia durchgeführte MED-Projekt (= „Mayan Epigraphic Database Project", vgl. Alvarado 1996), bei dem ein Katalog mit Glyphen der Maya-Schriftkultur im Internet aufgebaut wird. Welche Mehrwerte durch die Einbindung von Graphiken und Faksimiles beispielsweise für die historisch ausgerichtete Lexikographie erzeugt werden können, zeigen Lemberg/Petzold et al. (im selben Band) am Beispiel des deutschen Rechtswörterbuchs. Durch die Verknüpfung von Ton-, Textund Bildobjekten können künftige Dialektwörterbücher mit multimedialen Sprachatlanten ver-
4 5
Ich beziehe mich künftig mit dem Kürzel DUW immer auf die vom PC-Bibliothekssystem verwaltete elektronische Versison des Duden Universalwörtertmch (PC-Bib (DUW/DOG) 1989/1990). Es handelt sich um das „Lexikon für Computerbegriffe mit Gebärden" (Schulmeister 1993) und das didaktisch orientierte Wörterbuch American Sign Language (ASL)-Dictionary, das auch in einer WWW-Version (ASL) zugänglich ist.
Hypermedia-Wörterbücher: Perspektiven für eine neue Generation elektronischer Wörterbücher
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bunden und um authentische Sprechproben angereichert werden, wie sie beispielsweise am Spracharchiv des IDS gesammelt und in digitalisierter Form zur Verfügung gestellt werden. Die Integration von Text, Bild, Ton und Video wird auch den Bereich der Lernerwörterbücher grundlegend verändern. Eile
Edit
Book
Longman Interactive English Dictionary Window P ä f n g l l s h Dictionary 4 basaball n
Collection
im
Mü ,. "[ '
Picture : baseball
4sf'i w ,1 : 0 center fielder first
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EngMshlbTctonary:
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Q^lthlrd baseVf
b a i e - b a l l /•beistoil/» J[§ [U] a game played with a BAT and baD (the baseball ) between two teams of nine players each, on a large field which has four bases which a player must touch in order to make a RUN2 (10b): a baseball player/team -see LITTLE LEAGUE, MAJOR LEAOUES, MINOR LEAOUE, NATIONAL LEAQUE REFEREE
home plate
\ —base coach third
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on-decfc circle
.mMSEi. Abb. 2:
Bildobjekt zum Eintrag baseball im LIED
Einen ersten Einblick in das vorhandene Innovationspotential gibt das künftig LIED abgekürzte Longman Interactive English Dictionary (LIED 1993), in dessen Mittelpunkt das Longman English Dictionary steht, das mit verschiedenen Zusatzkomponenten zu einem interaktiven Lernerwörterbuch vernetzt ist (vgl. Abschnitt 4.1). Auch hier werden Bedeutungsparaphrasenangaben um Bilder ergänzt, die zu weiteren zum Wort gehörigen Wortschatzeinheiten fuhren; so können aus der zum Eintrag baseball (Abb. 2) gehörigen Graphik die Einheiten des Spielfelds und die Benennung der Akteure entnommen werden. In einer „Videothek" gibt es acht kleine Videosequenzen, zu denen auch der zugehörige Text eingeblendet werden kann (vgl. Abb. 3). Sie sind als Hörverstehensübungen konzipiert, mit denen bestimmte kommunikative Funktionen in prototypischen Situationsabläufen dargestellt werden; in dem in Abbildung 3 gezeigten Beispiel geht es um die Essensbestellung in einem Restaurant. Die bislang spärliche Ausstattung der „Videothek" zeigt, daß dies erst ein erster Schritt in Richtung Integration von Wörterbuch und Sprachlernumgebung ist; eine Integration, die angesichts der dürftigen Wörterbuchkomponenten von multimedialen Sprachlernsystemen sicher äußerst wünschenswert ist.
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Angelika Storrer
Den multimedialen Aspekt von Hypermedia ausreizen bedeutet nicht, möglichst viele Text-, Ton-, Bild- und Videoobjekte auf einer CD-ROM zusammenzubringen. Wichtig für eine qualitativ hochwertige Anwendung ist vielmehr die Integration der verschiedenen medialen Objekte nach semantisch-funktionalen Prinzipien: „Nur die sinnvolle Kombination, die einen Inhalt unterstützt, hat einen Reiz".6 Empirische Untersuchungen zum Lernerfolg in hypermedialen Lernumgebungen zeigen, daß die schlecht koordinierte Verknüpfung von Multimedia-Objekten die Informationsaufnahme verschlechtert statt sie zu verbessern (Weidenmann 1995). Longman Interactive English Dictionary Window Help deo . Ordering a meal In a restaurant Video : 4. Ordering a meal in a restaurant Video: 4. Ordering a meal in a restaurant rmntK: — — I'd like some potato skins with Greek yogurt, please WAITER: Alright- And for you? OLDER DAUGHTER: N o starter for me, thank you. WAITER: (LOOKING ROUND) What about the main course? YOUNGER DAUGHTER: I'll have a double burger with cheese And a salad, please. WAITER: What dressing would you like on the salad? YOUNGER DAUGHTER: Thousand island, please.
Eile
Edit
i| Select :
fiook
Collection
•
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Longman Video Library - -
1. A lost bag at the airport 2. Lost on a country road 3. An interview at an employment agency ¡ H i l l dering a meal in a restaurant 5. Students after their exams 6. Meeting father's business colleague 7. Getting a parking ticket 8. Hiring a car
Abb. 3:
asking/replying to questions - describing things asking for directions - modal verbs past tenses ordering a meal intensifying adjectives and adverbs making suggestions conditionals expressing obligation
Hörverstehensiibung zum Situationstyp „Essen bestellen" im LIED
Ein Beispiel für schlechte Integration ist der Langenscheidt's Language Explorer LLE, der sich in der im WWW abrufbaren Produktinformation als Edutainment-Anwendung zu erkennen gibt: „Viel Action mit Spielen und Events zu wechselnden Themen erwarten Euch. (...) Langenscheidts Language Explorer: Surfin' California ist die etwas andere Art, Englisch zu lernen" (LLE 1997). Allerdings muß das „Edu" hier mit vielen Fragezeichen versehen werden. Die Metatexte schließen an das vom Fernsehen gewohnte an: Auf verschiedenen sog. „channels" sind Text, Bild, Musik und Videos zu einem Thema abrufbar; zusätzlich kann in der sog. „Toolbox" u.a. ein Wörterbuch aufgerufen werden. Die Integration der verschiedenen Komponenten und der multimedialen Objekte läßt allerdings ebenso zu wünschen übrig wie die Qualität der in der Toolbox enthaltenen Informationsangebote. So kann man sich beispielsweise, 6
Vgl. Riehm (1995. 146), zit. nach Schulmeister (1996, 16).
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Hypermedia-Wörterbiicher: Perspektiven fitr eine neue Generation elektronischer Wörterbücher
anders als im LIED, zu den Videos keine schriftliche Fassung der gesprochenen Texte anzeigen lassen; man versteht sie oder eben auch nicht. Die vielen bunten Bilder sind zwar mit ergänzenden Texten versehen, beispielsweise die in Abb. 4 gezeigte Text-Bild-Kombination zum Thema „FTP". Von den im Text benutzten Wörtern fuhrt aber keine Verknüpfung zu den entsprechenden Einträgen des Wörterbuchs. Überhaupt ist das als „Tool" bezeichnete Wörterbuch kein Werkzeug in dem Sinne, daß man damit alle im Text vorkommenden Wörter nachschlagen kann: Zu dem in Abbildung 4 gezeigten Text fehlen bspw. die Lemmata abbreviation, advantage, available, browser, dissimilar, recipe, tool und treasure. Die äußere Selektion des Wörterbuchs wurde nach undurchschaubaren Prinzipien getroffen: Weder ist der in den Texten verwendete Wortschatz vollständig aufgeführt, noch enthält das Wörterbuch Einträge wie surf(ing), pool, wave, Starlet und producer, die man im Hinblick auf die mit Kalifornien verbundenen Assoziationen nun doch erwartet hätte. Zur inneren Selektion mag als Beispiel der Eintrag zum Lemma star genügen, bestehend aus der grammatischen Angabe „v", und der Bedeutungsparaphrasenangabe „to have one of the important parts in a movie or play" - eine recht eingeschränkte Auswahl des Bedeutungsspektrums von star. Daß selbst die innovativen Idee, eine offline-Anwendung auf CD-Rom mit online-Diensten des Internet zu verbinden, verschenkt wurde, wird in Abschnitt 4.2 weiter ausgeführt werden. bart
Bös
nato
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Backbones
File Transfer Protocol and Gopher
Multimedial
type in or paste treasure
ciioose tremor trial tribe trigger tnppy trunk
•
•
FTP is the Internet's workhorse FTP is the abbreviation for File Transfer Protocol and governs the transfer of files between two computers. FTP offers two distinct advantages: First, the transfer of files between computers with dissimilar operating s y s t e m s , and second, the use of files publicly and simultaneously. Normal terminal programs and all W W W browsers are suited for FTP as well. Gopher is another important Internet tool. Even though Gopher has lost s o m e of its importance because of W W W , many treasures on the Internet are accessible only with Gopher There are millions of documents available somewhere on the Internet, with subjects ranging from scientific studies to recipes for tomato soup
-rapi iff»*.* KU
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adv, enormously.
Abb. 4:
Multimedia-Kombination zum Thema „high tech" im LLG (invertiert)
Das Beispiel LLE zeigt ein generelles Problem elektronischer offline-Publikationen, das Schult (1997) folgendermaßen auf den Punkt bringt: „ ( . . .) während man in ein Buch vor dem Kauf
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Angelika Storrer
hineinschauen kann, öffnet sich die CD-Hülle meist erst dann, wenn das Geld schon fort ist. Angesichts der üblen Qualität mancher Produkte scheint das einigen Firmen sogar recht zu sein" (Schult 1997, 115). Rezensionen zu elektronischen Nachschlagewerken sind deshalb wichtig, die Metalexikographie könnte sich hier mit der Erarbeitung von Qualitätskriterien ein neues und wichtiges Aufgabenfeld schaffen.
3 Hypertext-Wörterbücher: Suchen und Stöbern im lexikalischen Informationsraum Als Hypertexte bezeichnet man computerverwaltete Netzwerke von Teiltexten, die über computerisierte Verknüpfungen, sog. Hyperlinks, miteinander verbunden sind. Das Konzept ist seit den 60er Jahren in Informationswissenschaff und Informatik als nichtlineare Form elektronischen Publizierens bekannt, erlangte aber breitere Aufmerksamkeit erst in den letzten Jahren durch das World-Wide-Web (WWW), einen hypertextorientierten Informationsdienst des Internet (s. Abschnitt 5). Mit Hypertext sind Ideen und Informationsutopien verbunden, die jeden faszinieren müssen, der in Wissenschaft und Forschung vor der Aufgabe steht, aus einer rasch wachsenden Menge von gedruckten und elektronischen Publikationen genau diejenigen Informationen herauszufiltern, die für den momentan bearbeiteten Zusammenhang relevant sind. Flexibilisierung des Zugriffs auf Wissen und die Integration heterogener Wissensquellen bis hin zum weltumspannenden Dokumentennetzwerk kommen den Rezeptions- und Produktionsbedingungen in der sog. Informationsgesellschaft entgegen. Historisch gesehen wurde der Ausdruck „Hypertext" zunächst für Netzwerke gebraucht, die nur Textobjekte enthalten, während, wie im vorigen Abschnitt besprochen, die meisten heutigen Systeme auch Bild-, Ton- und Videoobjekte enthalten können, wofür sich der auch hier verwendete Terminus „Hypermedia" eingebürgert hat. Da es mittlerweile jedoch kaum mehr Nur-Text-Systeme gibt, verwischt die ursprüngliche terminologische Unterscheidung zunehmend. 7 In der interdisziplinär ausgerichteten Forschung zu Hypertext gibt es viele Definitionen, die sich auf einen oder mehrere der drei Aspekte Struktur, Medium und Rezeption stützen. Struktur: Unter strukturellem Aspekt sind Hypertexte beschreibbar als Netzwerke mit Knoten, die im weiteren Hypertext-Einheiten genannt werden. Diese Knoten sind verbunden über (meist) gerichtete Kanten, die als Verknüpfungen (engl, hyperlinks) bezeichnet werden. Diese Netzwerkstruktur unterscheidet Hypertexte einerseits von zeitlich-linearen Audio- und Videodokumenten; andererseits von gedruckten Dokumenten, deren Struktur durch Teil-Ganzes- und Vorgänger-Nachfolger-Beziehungen zwischen den Dokumententeilen dominiert wird. Medium: Hypertexte sind an das elektronische Medium gebunden, d.h. Voraussetzung dafür, daß Hypertexte geschrieben und gelesen werden können, ist eine Hypertextsystem genannte Software, die die Menge der Hypertext-Einheiten und die zwischen ihnen angelegten Verknüpfungen verwaltet. Diese Abhängigkeit von einem bestimmten Softwaresystem teilen Hypertexte mit Wörterbuchdatenbanken, die durch ein Datenbanksystem verwaltet werden, das den Zugriff auf die in der Datenbasis gespeicherte Software regelt. In Analogie zur Daten-
7
Vgl. z.B. Kuhlen (1991), Bogaschewsky (1992), Nielsen (1995).
Hypermedia-Wörterbücher: Perspektiven filr eine neue Generation elektronischer Wörterbücher
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bankterminologie unterscheidet Kuhlen zwischen dem Hypertextmanagementsystem und den damit verwalteten Hypertextbasen (Kuhlen 1991, 17f ); eine Unterscheidung, die sich in diesem Aufsatz mit den Ausdrücken Wörterbuchsystem vs. Hypertext-Wörterbuch bzw. HypermediaWörterbuch wiederfindet. Rezeption:
Im Hinblick auf die Rezeptionsform werden Hypertexte vom gedruckten Buch
auf der einen Seite, von nicht-hypertextualisierten Datenbanken auf der anderen Seite abgegrenzt: a) Ein gedrucktes Buch erzwingt eine sequentielle Anordnung der Textsegmente, auch wenn diese weder der vom Auto intendierten Leseabfolge noch den von Benutzern individuell eingeschlagenen Lesewegen entspricht. Bei Wörterbüchern haben sich dabei verschiedene „Makrostrukturen" genannten Anordnungsformen herausgebildet (vgl. Wiegand 1989, Wiegand (im selben Band», die sich meist an einem Zugriffsalphabeth orientieren. Die Netzwerkstruktur von Hypertexten ermöglicht es stattdessen, verschiedene gleichwertige Zugriffsmöglichkeiten auf die im Hypertext gemachten Angaben anzubieten. Die Verknüpfung der Einheiten des Netzwerks kann intellektuell oder maschinell erfolgen; vom Autor oder vom Leser vorgenommen werden; kann rein assoziativ oder nach semantischen Kriterien erfolgen, z.B. über die Verwendung eines festgelegten Inventars geeigneter Verknüpfungstypen wie „Synonym", „Antonym" etc. Der Benutzer folgt den Verknüpfungen, die seinem aktuellen Informationsbedarf und seinen Interessen am besten entspechen. b) Datenbankorientierte Systeme organisieren den Zugriff auf die Daten über den maschinellen Abgleich zwischen einem Suchmuster und der durchsuchten Datenbasis. Dieses aus dem traditionellen InformationRetrieval stammende sog. „pattern-matching-Paradigma" wird bei hypertextorientierten Systemen ergänzt um das sog. „explorative Paradigma", das Durchstöbern einer Datenbasis im Zuge eines nicht genau spezifizierbaren Informationsbedarfs, für das sich die Verben „browsen", „surfen" und „navigieren" eingebürgert haben.8 Hypertextsysteme unterstützen die Benutzer dabei, sich über das Verfolgen von Hyperlinks ihren eigenen Weg durch das Netzwerk zu bahnen, dabei Antworten zu einer Frage oder eine klarere Vorstellung von einer sich erst vage abzeichnenden Fragestellungen zu bekommen, oder - wie beim spaßorientierten „surfen" - sich einfach zu unterhalten, indem ganz im Sinne des Grimmschen Lesebuchgedankens vom Wort zum Spruch, zum Reim und wieder zurück gesprungen wird. Wörterbücher und Lexika gelten als Vorläufer der Hypertextidee im gedruckten Medium (vgl. z.B. Freisler 1994, Todesco 1995). Dies ist nicht verwunderlich, schließlich weisen Wörterbücher zwei Eigenschaften auf, die sie für Hypertextualisierung geradezu prädestinieren. 1) Lexikographische Textsegmente sind durch explizite und implizite Verweise miteinander verbunden. In Hypertext-Wörterbüchern können diese Verweise durch Verknüpfungen nachgebildet werden, die per Mausklick zum Verweisziel führen. 2) Wörterbücher werden nicht als Ganzes sondern ausschnittsweise rezipiert. Welcher Ausschnitt selektiert wird ist abhängig von der Benutzungssituation und dem dabei verfolgten Zweck. Bei Wörterbuchbenutzungssituationen, in denen bei der Produktion oder Rezeption fremd- oder muttersprachlicher Texte Probleme auftreten, geht es überhaupt nur darum, möglichst rasch und effizient die gesuchte Information zu erschließen. Selbst vom gesamten Wörterbuchartikel werden dabei nur bestimmte Angabeklassen benötigt: die Lemmazeichengestaltangaben bei orthographischen Unsicherheiten, die Bedeutungsparaphrasenangabe bei Verständnisschwierigkeiten etc.. Aber auch die nicht-usuelle Verwendung eines Wörterbuchs als Lesebuch zielt nicht auf vollständige Textrezeption ab, wie die Empfehlung Jakob Grimms zeigt: „Leser jedes Standes und Alters sollen auf den unabsehbaren Strecken der Sprache nach Bienenweise nur in die Kräuter und Blumen sich niederlassen, zu denen ihr Hang sie fuhrt und die ihnen behagen". (Grimm 1854, XII). Hypertexte unterstützen das selektive Informationslesen und das interessegeleitete Durchstöbern des Wörterbuchs durch entsprechende Such- und Navigationsangebote. Die Suche nach vorgegeben Suchmustern wird sowohl von Hypertext-Systemen als auch von lexikalischen Datenbanken ohne Hypertext-Funktionalität unterstützt. Was ein Hypertext-Wörterbuch einer 8
Vgl. Kuhlen (1991,25f ).
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Wörterbuchdatenbank voraus hat, ist die Möglichkeit, lexikographische Textsegmente durch Verknüpfungen zu verbinden und damit auch das Durchstöbern von Hypertext-Wörterbüchern im Sinne des o.g. explorativen Paradigma zu unterstützen. Im Anschluß an das Konzept der typisierten Verknüpfungen (Kuhlen 1991, 2.2.5) könnte ein Inventar von Verknüpfungstypen flir syntagmatische und paradigmatische Beziehungen, für Wortbildungszusammenhänge und/ oder für Sinnrelationen wie „Antonym", „Hyperonym", „Synonym", für diachrone und synchrone Sprachbeschreibung etc. entwickelt werden, über die zwischen lexikographischen Textsegmente hin- und hergesprungen werden kann. In Printwörterbüchern sind Informationen, die quer zur primären äußeren Zugriffstruktur liegen, nur dann zu finden, wenn sekundäre Zugriffstrukturen, z.B. verschiedene Register, angeboten werden. Selbst dann muß oft viel geblättert und gesucht werden. Auch kundige Wörterbuchbenutzer dürften Mühe haben, in einem großen gemeinsprachlichen Wörterbuch alle Bewegungsverben, eine verbale Kollokation zu „Erkundung", den schwäbischen Ausdruck für „Kartoffel", einen Reim auf „finster", ein Zitat für die Rede zum Geburtstag der Erbtante oder eine Auswahl idiomatischer Wendungen, mit denen Ärger ausgedrückt werden kann, zu finden. Dem Problem wird in der Welt der Printwörterbücher dadurch abgeholfen, daß verschiedene spezialisierte Sprachnachschlagewerke angeboten werden, z.B. Spezialwörterbücher mit bestimmten Informationstypen (Rechtschreibung, Aussprache, Flexion, Herkunft etc.), syntagmatische und paradigmatische Spezialwörterbücher und auf Varietäten bezogene Wörterbücher (Sprachstadien, Dialekte, Fachsprachen, Gruppensprachen etc.) 9 Wären lexikographische Angaben verschiedenster Art durch typisierte Verknüpfungen miteinander verbunden, könnten die bislang in getrennten Büchern beschriebene Aspekte sprachlichen Wissens in einem HypertextWörterbuch vereint werden. Dieses könnte die gezielte Suche nach bestimmten Angabenklassen genauso unterstützen wie das Durchstöbern des lexikalischen Informationsraums durch Verfolgen der typisierten Verknüpfungen. In den meisten Fällen würde wohl eine kombinierte Strategie zum Tragen kommen, die zunächst über ein Suchmuster eine Vorauswahl trifft und von dieser ausgehend durch das Verfolgen von Hyperlinks weitere Erkundungen unternimmt. Ein erster Schritt in diese Richtung sind Wörterbuchsysteme wie die PC-Bibliothek oder das Bee-Book-System. Beide Systeme ermöglichen es, mehrere Nachschlagewerke gleichzeitig zu durchsuchen. Vor allem die PC-Bibliothek verfügt über sehr flexible Suchoptionen und ermöglicht dadurch im Vergleich zum gedruckten Medium neuartige Zugriffsformen auf das lexikalische Wissen: Es kann wahlweise nur nach Lemmata gesucht oder eine Volltextsuche über den gesamten Wörterbuchtext gestartet werden. Lobenswerte Extras, die beispielsweise im Bee-Book-System fehlen, sind einerseits sog. „Jokerzeichen", im Computeijargon „wildcards" genannt, die in Suchmustern für beliebige Zeichen oder Zeichenfolgen eingesetzt werden können, andererseits die Möglichkeit, mehrere Suchmuster über boolsche Operatoren miteinander zu verknüpfen und schließlich die schreibtolerante Suche, die ausgehend von Suchmustern wie „Koriphäe" oder „Korifae" zu Koryphäe findet, und damit dem Problem abhilft, daß man ein Wort deshalb nicht nachschlagen kann, weil man dessen korrekte Schreibweise nicht kennt. Beide Systeme unterstützen über diese Suchfünktionen vornehmlich den datenbankorientierten Zugriff nach dem „pattern-matching-Paradigma", während die Möglichkeiten zur Informationssuche nach dem explorative Paradigma noch viele Wünsche offen lassen. Verknüpfungen zwischen Wörterbuchartikeln nach inhaltlichen oder pragmatisch-funktionalen Kriterien werden 9
Vgl. die Einteilung in Hausmann/Wiegand (1989), Hausmann/Reichmann et al. (1990).
Hypermedia-Wörterbücher: Perspektiven für eine neue Generation elektronischer Wörterbücher selten angeboten, statt dessen werden Verknüpfungen nach formalen Kriterien automatisch generiert. l'I
Bibliothek
[Zoo|or)chf»|ter, auch Zoo-Or|rhes|trr ['tso: ] (ÌR24): Zoo-Oi1chi|stfr ['tso: ] (TR:*«).
Bindestrich zur Hervorhebung R24 Zttse used before the-i«g^ormc ir — m Common Error : intend •»; Sound : Intend intend ® I am intending to stay in England until Christmas. 0 1 intend to stay in England until Christmas. Intend is rarely used in the present progressive tense.
I ]
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Pronunciation Dictionary : intend intend m "tend - e d i d a d - i n g n ] ~ s z
i;
a Abb. 7:
Informationen zu intend im LIED
Sorgfaltig segmentierte, nach funktional-inhaltlichen Gesichtspunkten relationierte und mit entsprechenden Navigationswerkzeugen ausgestattete Hypertextwörterbücher sollten auch für das Deutsche entwickelt werden. Wären diese zudem noch mit intelligenten Nachschlagefunktionen versehen, wie das in Breidt (im selben Band) beschriebene COMPASS-System, entstünden flexibel nutzbare elektronische Wörterbücher, an denen sicherlich auch Jakob Grimm seine Freude hätte.
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Wörterbücher in Aktion
4.1 Interaktive Wörterbücher Der aus den Sozialwissenschaften stammende Begriff „Interaktion" wurde in den 80er-Jahren auch auf die Beziehung zwischen Mensch und Computer übertragen Als „interaktiv" bezeichnet man in diesem Zusammenhang Software, die auf Eingaben eines Anwenders in vorprogrammierter Weise reagiert (vgl. Haak 1995). Die Formen dieser „Interaktion" reichen von einfachen Operationen wie dem Betätigen eines Sprungknopfes oder dem Treffen einer Auswahl aus einer Liste über die Adaption und Individualisierung der Anwendung durch das Hinzufugen von Anmerkungen oder dem Anlegen eigener Hyperlinks und reicht bis hin zu sog. intelligentem tutoriellen Feedback. Interaktivität bezeichnet, wie Schulmeister (1996, 40) herausstellt, „den wesentlichen Unterschied zwischen einem computerunterstützten Lernprogramm und einem Film" und wird deshalb vor allem im Bereich der Lernsoftware hoch gehandelt. Welche Formen der Mensch-Computer-Interaktion können sinnvollerweise in elektronischen Wörterbüchern angeboten werden? Dies wird im folgenden Beispiel des LIED und der PC-Bibliothek diskutiert. Das LIED ist ein elektronisches Lernerwörterbuch, das „interaktiv" im Titel trägt. Das LIED enthält verschiedene sprachbezogene Nachschlagewerke: das Longman Dictionary of English Language and Culture ergänzt um eine Bildersammlung (Picture Library) und Hinweise zur Orthographie (spelling notes), das Longman Pronunciation Dictionary ergänzt um Audiodateien, in denen die britische Aussprache abgehört werden kann, die Grammatik Longman English Grammar, das Longman Dictionary of Common Errors und die bereits in Abschnitt 2 erwähnte Videothek. Das LIED besticht vor allem durch die Qualität seiner Ressourcen und die Art und Weise, wie diese miteinander verbunden wurden. So kann - wie in dem in Abb. 7 gezeigten Beispiel zu intend - aus der Grammatik heraus der entsprechende Wörterbucheintrag aufgerufen werden; zu diesem kann man sich den Eintrag im Dictionary of Common Errors und die britische und amerikanische Aussprache in phonetischer Umschrift anzeigen lassen, zusätzlich kann man eine Audiodatei mit der britischen Aussprache abhören. Wie in der PC-Bibliothek werden auch hier die verschiedenen Informationsangebote in mehreren „Fenstern" gleichzeitig sichtbar gemacht. Diese triviale Form der Interaktivität besteht also darin, daß die Benutzer auf einfache Weise zwischen den im LIED angebotenen Nachschlagewerken hin- und herspringen und sich interessante Informationsangebote herausgreifen können. In diesem Sinne sind aber alle besprochene Wörterbücher „interaktiv". Interaktivität kann aber noch mehr sein, kann die aktive Auseinandersetzung der Benutzer mit den im Wörterbuch enthaltenen Informationsangeboten fördern und ihnen die Möglichkeit geben, das System an die individuellen Interessen, Wissensvoraussetzungen und Bedürfnisse anzupassen. Ein Interaktionsangebot in diesem Sinne stellt das LIED durch die Funktion „collection" bereit, durch die die Benutzer Text-, Ton-, Bild- und Videoobjekte nach selbst gewählten Gesichtspunkten zusammenstellen und später wieder abrufen können. Ein Lehrer kann also beispielsweise eine Hörverstehensübung aus der Videothek herausgreifen und sich dazu von den Schülern Sammlungen zum unbekannten Wortschatz und Angaben zu grammatischen Schwierigkeiten anlegen lassen. Allerdings kann im LIED nur gesammelt werden; An-
Hypermedia-Wörterbücher: Perspektivenfiireine neue Generation elektronischer Wörterbücher123 merkungen zu diesen Sammlungen, eigene Wörterbucheinträge, die Verbindung von Wörterbucheinträgen mit selbst gefundenen Belegstellen u.a. können nicht erstellt werden. Wesentlich weiter geht hier die PC-Bibliothek: Jeder Eintrag kann mit einem Kommentar versehen und einem oder mehren selbstgewählten Schlagwörtern zugeordnet werden. Der dabei entstehende elektronische Schlagwortkatalog bietet natürlich wesentlich komfortablere Zugriffs- und Verwaltungsmöglichkeiten als herkömmliche Zettelkästen. Weiterhin können Benutzer eigene Verknüpfungen zwischen den Wörterbuchartikeln anlegen, die sich über automatisch eingefugte Verknüpfungsanzeiger aktivieren lassen. Abbildung 8 zeigt den Eintrag zu Kartoffel, der mit den entsprechenden regionalsprachlichen Bezeichnungen verknüpft ist. Auch wenn die Bedienung der Karteikasten- und der Verknüpfungsfunktionen noch etwas benutzerfreundlicher gestaltet werden könnte, unterstützt die PC-Bibliothek den kreativen und interaktiven Umgang mit den Angaben der Nachschlagewerke. Die Möglichkeit, elektronische Schlagwortkataloge oder nach selbstgewählten Prinzipien verküpfte Hypertexte aufzubauen kann nicht nur für private Zwecke, sondern auch im Rahmen schulischer oder universitärer Lehre genutzt werden. ßWotfrök Bych
Sphnsfctech Eu&teÖunflQfi
Brat|kiu [tof]ftl, die «nieist PI.»: 1. gebratenes Scheibchen Kartot Fiiiikflllenmgs|kiii toffft. die «nie SiPlscliirlijtrii «s-w V , hat»: xhichtto^^ 4 e ( i ^ c h . ) Kartoffel. Erd|ap|M. der (hmdscli): Kartoffel. 1 Eid|birjnt. die| Fgjlijru|kar|tof§ lGrmid|bir|ne, Kar|tpf]frl, die; -n [dissimiliert aus älterein Tartnffd, Tarhiffel < |HUn|inel, der, • älter itaL tartufo, tartufolo, eigtl = Trüffel < spatlat terrae tuber = |J^ins|wiir|zel, Trüffel, Erdknolle, das Wort wurde zur Bez. fiir die (zuerst von IKai |tpi|fel, die dai Spaniern aus Amerika nach Europa gebrachte) Kartoffel jKartpi|ffl|bo|f durch eine Verwechslung ihrer Wurzelknollen mit de« unterirdisch jKar|töi]ftl|cliei wachsenden knoDenartigen Fmclitkörpem der Trüffel]: 1. IKiMitofffljkno krautige Pflanze mit gefiederten Blättern u. weißen, rosa od. |Karjtpf]feljna|s| violetten Blüten, die wegen der eßbaren Knollen, die sich an unterirdischen Sprossen befinden, angebaut wird: frühe, späte «Kart offeis »Kar|tpfirrl|st: -li (früh, spät zu erntende Pflanzensorten); R rein in die -n, raus ¡Kuoljlr. die; aus den -n (ugs . erst lautet die Anordnung so, dann genau INaclit|schatjte umgekehrt; 19. Jh.. urspr. inibt; bezieilt sich darauf, daß jpflljkarlotifel Truppen, die beim Manöver durch Kartoffelacker vorrücken JSaIz|kai*|tof)ftl Gnindbime | Errfhhni! | Erdapfel |
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Abb. 8: Benutzerdefinierte Verknüpfungen zu Kartoffel in der PC-Bibliothek
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4.2 Kollaborative Wörterbucherstellung im WWW Neuere Entwicklungen in der Computertechnik haben nicht nur die „Interaktion" zwischen Mensch und Maschine vereinfacht und den Aktionsspielraum der Computerbenutzer erheblich erweitert. In Computernetzwerken wie dem weltumspannenden Internet entstehen auch neue Formen der computerunterstützen Interaktion zwischen den durch das Netzwerk verbundenen Benutzern (vgl. Herring 1996). Das Internet ist ein dezentraler Verbund von Rechnernetzen, über den mehrere Millionen Rechner aus der ganzen Welt Daten austauschen und miteinander kommunizieren können.15 Die an das Internet angeschlossenen Rechner können, entsprechende Software vorausgesetzt, verschiedene sog. Dienste nutzen, die sich unter funktionalem Gesichtspunkt in Kommunikations- und Informationsdienste unterteilen lassen. Zu den Kommunikationsdiensten zählt die elektronische Post (engl, „e-mail") die elektronischen Nachrichtenbretter (engl. „Newsgroups"), in denen Neuigkeiten und Meinungen zur allgemeinen Diskussion gestellt werden können, sowie die Online-Diskussionsgruppen (engl. „Chat"), in denen verschiedene Teilnehmer über Tastatureingaben miteinander „schwatzen" können (vgl. Lenke/ Schmitz 1995). Informationsdienste erleichtern es den Internet-Nutzern, gezielt Informationen aus den im Internet angebotenen Datenbeständen herauszufiltern; dazu gehören Dienste wie „Whois" oder „Netfind" mit Metainformationen zum Internet, „WAIS" (Wide Arta Information Server) das die Volltextsuche in weltweit verteilten Datenbanken ermöglicht oder „Gopher", der den Zugriff auf Datenbestände im Internet über hierarchische Dateisysteme organisiert. Der Informationsdienst, der das Internet in den letzten Jahren von einem vorwiegend wissenschaftlich genutzten Netzwerk zu dem in Öffentlichkeit und Presse viel besprochenen „Netz der Netze" gemacht hat, ist das im weiteren als WWW abgekürzte „World Wide Web" (vgl. Cailliau 1995). Das WWW ist aus informationstheoretischer Perspektive ein dezentral verwaltetes offenes Hypertextsystem, dessen Hypertextbasis aus weltweit verstreuten Dokumenten zu allen denkbaren und nicht denkbaren Themen besteht. Auf diese Dokumente können Internet-Nutzer mittels einer „Browser" genannten Software über Suchdienste, Metalisten oder einfach durch Verfolgen von zwischen den Dokumenten gelegten Verknüpfungen zugreifen. Die Attraktivität des WWW rührt sicherlich auch daher, daß es sich bei den aktuell verfugbaren „Browsern", z.B. dem weit verbreiteten Netscape (1997) um sehr einfach bedienbare Systeme handelt, mit denen nicht nur WWW-Dokumente eingesehen, sondern auch Kommunikationsdienste, vor allem elektronische Post und Diskussionsgruppen in Anspruch genommen werden können. Diese Verbindung von Information und Kommunikation ermöglicht den Internet-Nutzern, auf schnelle und unkomplizierte Weise mit anderen Benutzern von Informationsangeboten zu kommunizieren oder gemeinsam an einem WWW-Dokument zu arbeiten. Die meisten der im Internet publizierten on-line-Wörterbücher suchen deshalb explizit den Dialog mit ihren Benutzern und ermöglichen verschiedene Formen der Partizipation bis hin zur kollaborativen Wörterbucherstellung: 1) Fehlerbehebung: Häufig werden die Benutzer von WWW-Wörterbüchern explizit zur Kommentierung und zur Anzeige von inhaltlichen oder orthographischen Fehlern aufgefordert. Ein typischer Aufruf dieser Art entstammt dem Wörterbuch der Rechtssprache der World Wide Legal Information Association WWLIA (1995): „We welcome your comments, words of wisdom or encouragement, constructive criticism, advice.
15 Gut verständliche Einfiihrungen ins Internet sind Kretschmer (1996) und Cölfen/Cölfen et al. (1997).
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suggestions or just your kindness in pointing out a grammar or spelling mistake which you have found. Click here to send an e-mail to the Webmaster of the World Wide Lega Information Association.". 2) Schließung von Lemmalücken: In anderen WWW-Wörterbüchern bitten die Autoren die Benutzer, sie über fehlende Einträge zu benachrichtigen bzw. sich durch eigene Vorschläge an der Schließung von Lemmalücken zu beteiligen. Diese Art der Beteiligung ist typisch für Wörterbücher, die als Online-Nachschlagewerke konzipiert sind, wie z.B. das deutsch-englische Wörterbuch LEO Dictionary (Jung/Wimmer 1996) oder der WorldWideWeb Acronym and Abbreviation Server (Flynn o. J.) Sie findet sich aber auch in spaßorientierten Wörterbüchern, z.B. dem sehr liebevoll gemachten schwäbisch-englischen Wörterbuch (Kemmer 1996), in dem unter der Rubrik „missing words" Lemmalücken bemängelt und englische Übersetzungsvorschläge fur Lemmata wie a'mauze, Drucksmulle oder HegebSrlesbauer eingereicht werden können. 3) Beiträge von Spezialisten zu einem bestimmten Wörterbuchgegenstand: Wörteibuchprojekte mit einem relativ spezialisierten Wörterbuchgegenstand nutzen die weltweite Vernetzung des Internet, um andere Spezialisten um Mitwirkung zu bitten. Entsprechende Aufrufe finden sich in akademischen Wörteibuchprojekten wie dem an der Universität Virginia durchgeführten MED-Projekt (Alvarado 1996) oder dem an der Universität Yale angesiedelten Kamusi Projekt, bei dem kollaborativ ein Suaheli-Wörterbuch aufgebaut wird: „The Internet Living Swahili Dictionary is a collaborative work by people all over the world. Together we are working to establish new dictionaries of the Swahili language, both within Swahili and between Swahili and English. We are preparing print-based dictionaries and multi-media computer applications, all accessible to you through this home page. We welcome you, whether you are a beginner or a fluent Swahili speaker." (Benjamin 1995). Vom WWW, ursprünglich ja auch dafür gedacht, den weltweiten Informationsaustausch zwischen hochspezialisierten Wissenschaftern zu erleichtern, erhoffen sich die Initiatoren solcher Wörterbuchprojekte vor allem Qualitätssteigerung und -Sicherung, wie das folgende Zitat aus den Paratexten des MED-Projekts zeigt: „One of the advantages the Internet offers over other media of publication is the possibility of collectively authored and edited texts. Such texts are useful for scholary research precisely because of they have been standardized by a community of scholars, and therefore they bear the pedigree of consensus" (Alvarado 1996). 4) Beliebige Beiträge zu einem vorgegebenen Wörterbuchgegenstand: Nicht um hochwertige Spezialwörterbücher sondern um Spaß am spielerischen Umgang mit Sprache und dem neuen Medium geht es bei Ulkwörterbüchern wie dem „Swedish idioms in painfully literal translation" (Swedish Idioms), dem „Dorktionaiy" (Gaudet/Kleinpeter et al. 1995), oder „The Alternative Dictionaries, international slang" (Holm o.J.). In diesen Projekten werden alle Wörterbuchartikel von den Internet-Nutzern selbst erstellt; die Initiatoren kümmern sich lediglich um die technische Realisierung. Solche Wörterbücher befinden sich in ständigem Aufbau und steter Veränderung; ein Abschluß ist weder geplant noch erwünscht; der Weg ist das Ziel.
Die in 1) gewünschte Form der Benutzer-Partizipation entspricht bei gedruckten Wörterbüchern ungefähr der Beifügung eines Kommentarzettels mit Bitte um Rücksendung an den Verlag oder den Autor, der die Korrekturen und Anregungen allerdings erst bei der nächsten Auflage berücksichtigen könnte. Die in 2), 3) und 4) beschriebenen Formen der gemeinsamen Wörterbucharbeit sind ohne die Kommunikations- und Informationsdienste des Internet nicht denkbar.
4.3 Die Verbindung von CD-ROM und Internet Im Vergleich zu den auf CD-ROM vertriebenen elektronischen Nachschlagewerken sind die im Internet publizierten Wörterbücher wesentlich schlichter gestaltet und sparsamer mit multimedialen Zusätzen ausgestattet.16 Dies liegt u.a. daran, daß Bild-, Ton- und besonders Videoda-
16 Ein typologische Untersuchung zu den im Sommer 1996 verfügbaren WWW-Wörteibücher geben Storrer/ Freese (1997).
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teien sehr umfangreich sind, so daß der großzügige Umgang mit Multimedia-Objekten nicht nur weiter die ohnehin überlastete „Datenautobahn" verstopft, sondern durch lange Übertragungszeiten - das Akronym WWW wird inzwischen schon durch „weltweites Warten" aufgelöst - vor allem bei privater Nutzung auch finanziell zu Buche schlägt. Die Vorteile des Internet - Vielfalt, Aktualität und Kommunikationsdienste - lassen sich jedoch durchaus mit den Vorzügen des offline-Mediums CD-ROM - ansprechendes Design und schneller Zugriff - verbinden, indem von einem auf CD-ROM gespeicherten Nachschlagewerk aus auf ein ergänzendes und stets aktualisiertes Informationsangebot im WWW zugegriffen werden kann. Diese innovative Idee liegt auch dem Langenscheidt Language Explorer LLE zugrunde, dessen jugendlich-frisch daherkommende Produktinformation sehr vielversprechend klingt: „Die CD-ROM Surfm' California bietet eine Erlebniswelt rund um das Thema Kalifornien, mit Inhalten zu den Bereichen Music, Movies, Sports, Hightech, Nature und Melting Pot. Und damit's nicht langweilig wird, wechseln die Themen wöchentlich. Besonderer Clou der Software sind integrierte Links ins Internet, mit denen die auf der CD-ROM behandelten Themen jederzeit aktualisiert werden können. (...) Kontakt und Kommunikation mit internationalen Benutzern werden beim Online-Angebot zu Langenscheidts Language Explorer: Surfin' California großgeschrieben (...). Und wenn's mal Probleme geben sollte, helfen Euch Links auf ein online-Wörterbuch weiter."
Was bedeutet es nun aber, daß „die auf der CD-ROM behandelten Themen jederzeit aktualisiert werden können"? Die CD-ROM ist als Datenträger beim momentanen Stand der Technik nicht beschreibbar. Eine „Aktualisierung" in dem Sinne, daß man sich aktuelle Themen oder etwa ein verbessertes Wörterbuch über eine spezielle Programmfunktion auf die Festplatte seines Rechner laden kann, wird zwar angekündigt, ist aber bislang nicht realisiert; es muß dafür die Speicher-Funktion des Browsers oder ein zusätzliches Programm verwendet werden. Wer sich aber die aktuellen Angebote online anschaut, muß wieder die hohen Ladezeiten und die damit verbundenen Kosten auf sich nehmen. Und diese Kosten entstehen zusätzlich zu den 99 DM, die bereits für die CD-ROM berappt werden mußten. Dieser Preis ist angesichts der bereits in Abschnitt 2 diskutierten Mängel nicht gerechtfertigt, zumal das „aktualisierte" Angebot im WWW auch ohne die CD-ROM abgerufen werden kann. Auch die Hyperlinks zum versprochenen online-Wörterbuch sind auf Anhieb nicht zu finden, jedenfalls nicht in der quicklinks-Liste. Das nicht ganz jugendfreie rap-Lexikon, das zum Zeitpunkt der Abfertigung des Artikels unter dem Themenbereich „music" angeboten wurde, kann wohl nicht gemeint sein; es ist zur Verbesserung der schulischen Englischnote oder der Kommunikation bei einer Austauschfamilie von eher zweifelhaftem Wert. Vermutlich handelt es sich bei dem angekündigten Wörterbuch um das von Langenscheidt online angebotene zweisprachige online-Wörterbuch (LWE) das zwar tatsächlich im Vergleich mit dem auf CD gebrannten „dictionary" eine Bereicherung darstellt, sich aber auch nicht ohne Komplikationen auf die eigene Festplatte laden läßt. Da das Internet-Angebot des LLE jedoch großteils in deutscher Sprache verfaßt ist, wird zunächst auch gar kein englisches Wörterbuch mehr benötigt, es sei denn für die reichlich eingestreuten Anglizismen. Insgesamt gilt: Wer von der Leitseite des LLE den Weg zum Wörterbuch findet, der wird im wirklich reichhaltigen weltweiten Angebot ohnehin interessantere Ressourcen finden als die von LLE angebotenen. Neben einem
Hypermedia-Wörterbächer: Perspektiven fiir eine neue Generation elektronischer Wörterbücher
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stets wachsenden Angebot an Wörterbüchern,17 mangelt es auch nicht an englischsprachigen Nachrichtenbretter und on-line Diskussionsgruppen. Die Nutzung des Internet zum Sprachenlernen ist also grundsätzlich eine gute Idee; die Angebote sind reichhaltig genug und großteils kostenlos verfügbar,18 und auch „elektronische Brieffreundschaften", sog. e-mail-Tandems, werden auf nicht-kommerzieller Basis für verschiedene Sprachen vermittelt. Bislang fehlt es eher an didaktischen Konzepten und computertechnischer Kompetenz als an geeigneten Hypermedia-Angeboten, um das Internet für den schulischen Deutsch- und Fremdsprachenunterricht nutzbar zu machen.19 Eine teure CD-Rom von der Machart des LLE wird dazu jedenfalls nicht benötigt.
5 Ausblick Wenn man Lexikographie nach Wiegand (1988, 733f.) als wissenschaftliche und kulturelle Praxis begreift, die auf die Entwicklung von Nachschlagewerken hin ausgerichtet ist, dann hatte der Computer in dieser Praxis bislang vornehmlich die Rolle eines Werkzeugs inne, mit dem der lexikographische Arbeitsprozeß beschleunigt und effizienter gestaltet werden kann. Die Hypermedia-Technik und weltweite Computernetzwerke wie das Internet haben den Computer nun zum Medium avancieren lassen, durch das Sprach- und Sachwissen auf neuartige Weise dargestellt und abgerufen werden kann. Dies wird langfristig nicht nur den Prozeß der Wörterbuchherstellung radikal verändern, sondern auch die dabei entstehenden lexikographischen Endprodukte und die Art und Weise, wie diese benutzt werden. Von diesen Entwicklungen werden sowohl Lexikographen als auch Wörterbuchbenutzer profitieren: Lexikographen von Hypermedia-Wörterbüchern können verschiedene Symbolsysteme nutzen und unterschiedliche Sinnesmodalitäten ansprechen. Multimedia ergänzt das bislang textdominierte Wörterbuch durch Tonobjekte mit Ausspracheangaben und unterstützt durch Bildund Videoobjekte die Bedeutungserläuterung vor allem im Bereich der Nennlexik. Vor allem für die Fachlexikographie ist diese Erweiterung der Darstellungsmittel von großem Nutzen. Im Hypermedia-Wörterbuch besteht nicht länger die Notwendigkeit, durch Abkürzungen und andere standardisierte Textverdichtungsoperationen Druckraum zu sparen. Es können also nicht nur mehr lexikographische Angaben gemacht werden, sondern die Angaben werden durch den Wegfall der Textverdichtungsmittel besser verständlich. Die im Internet angebotenen Kommunikations- und Informationsdienste fordern die rasche und unkomplizierte Kommunikation zwischen Anbietern und Nutzern von Wörterbuchdaten und ermöglichen bislang nicht denkbare Formen der kollaborativen Erarbeitung von Wörterbüchern, die vor allem für die nicht-kommerziell orientierte, wissenschaftliche Lexikographie interessant sind. Die wachsende Zahl von kollaborativ entwickelten Spezialwörterbüchern zeigt, wie im neuen Medium die Grenze zwischen Autoren und Lesern bzw. Benutzern zunehmend verwischt.
17 Wer sich einen aktuellen Überblick über die im WWW verfügbaren Wörterbücher verschaffen möchte, dem sei die umfangreiche, wohlsortierte Sammlung von Robert Beard (Beard 19%) empfohlen. 18 Vgl. Breindl (in Vorbereitung). 19 Zum Einsatz des Internet im Schulunterricht vgl. Wiehert (1997) und Döring (1995).
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Für die Wörterbuchbenutzer bietet die neue Publikationsform - Erfahrung im Umgang mit Computern und graphischen Oberflächen vorausgesetzt - einfachere und flexiblere Suchmöglichkeiten zu attraktiv „verpackten" lexikographischen Angaben. Eine gut gemachte Hypermedia- Anwendung kann nicht nur den Zugriff auf das lexikalische Wissen beschleunigen, sondern auch - im Sinne des Grimmschen Lesebuchgedankens - zum Herumstreifen im lexikalischen Informationsraum anregen. Mit interaktiven Werkzeugen können die dabei gefundenen „Wortschätze" nach individuellen Interessen zusammengestellt, kommentiert, verschlagwortet und weiter bearbeitet werden, der Benutzer kann das Wörterbuch an seine Bedürfnisse anpassen und mitgestalten. Lexikographische Hypermedia-Anwendungen erweitern auch den Gegenstandsbereich der wissenschaftlichen Wörterbuchforschung und zwar in verschiedenen Teilgebieten. Wie in Abschnitt drei gezeigt wurde, basieren die meisten Angebote bislang auf sehr grobkörnig segmentierten Printwörterbüchern, deren Segmente über rein stringorientiertere automatische Verknüfungsmechanismen verbunden sind. Metalexikographische Beschreibungen von Strukturen gedruckter Wörterbuchtexte können zu einer feinkörnigeren Segmentation nach funktionalen Kriterien beitragen; die Lexikologie kann die Kategorien und Prinzipien beisteuern, nach denen die entstehenden Textsegmente durch Verknüpfungen relationiert werden. Auf der Basis bisheriger Forschungen sollte die Wörterbuchkritik Kriterien und Standards für die Qualitätsbeurteilung elektronischer Wörterbücher entwickeln. Gerade weil der Inhalt einer CD-ROM - anders als beim Buch - häufig vor dem Kauf nicht eingesehen werden kann, werden momentan viele Produkte von zweifelhafter Qualität vertrieben. Wie Neth/Müller im Fazit ihrer Rezension zu deutsch-englischen Wörterbüchern zurecht schreiben, kann man „mühelos ein völlig untaugliches Werk erwerben. In der Begeisterung über die Möglichkeiten des Mediums CDROM haben viele Autoren den Sinn und Zweck eines Wörterbuchs bisweilen vergessen." (Neth/Müller 1997, 138). Die Beurteilung der Wörterbücher läßt sich untermauern durch empirische Untersuchungen zur Wörterbuchbenutzung, die im elektronischen Medium durch Programme unterstützt werden können, die alle Eingaben des Benutzers protokollieren und deren „Lesewege" aufzeichnen. Die dabei gewonnenen Ergebnisse sind sicher zum Teil auch für die Printlexikographie nützlich, die es mit Sicherheit auf absehbare Zeit weiterhin geben wird und geben sollte. Um verschiedene Publikationsformen im Hinblick auf ihre Stärken für die lexikographische Sprachbeschreibung miteinander zu vergleichen und um die Erstellung qualitativer Endprodukte im gedruckten und elektronischen Medium durch wissenschaftliche Forschungen zu unterstützen, bedarf es nicht einer eigenständigen Metalexikographie für elektronische Nachschlagewerke; wünschenswert wäre vielmehr eine Ausweitung des Gegenstandsbereichs in allen metalexikographischen Teilbereichen.
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Literatur
Alvarado. R. C. (1996): The Mayan Epigraphic Database Project. Online. Internet. 28.07.1997. Available http://jefiferson.village.virginia.edu/med/home.html. ASL: A Basic Dictionary of ASL Terms. Online. Internet. Available http://home.earthlink.net/~masterstek/ ASLDict.html. Beard, R. (19%): A Web ofOn-Line Dictionaries. Online. Internet. 14.07.1997. Available http://www.bucknell. edu/~rbeard/diction.htmI.
Hypermedia-Worterbücher: Perspektiven for eine neue Generation elektronischer Wörterbücher
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Hypermedia-Wörterbücher: Perspektivenßtr eine neue Generation elektronischer Wörterbücher
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Ingrid Lemberg Lexikographische Erläuterungen im Deutschen Rechtswörterbuch: Gestaltungsmuster in einem Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache
1 2 2.1 2.2 2.3 2.4 3 3.1 3.2
Einleitung Das DRW, ein Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache Die Konzeption Der Beschreibungsgegenstand Die Wörterbuchartikel und ihre Ausgestaltung Die Angaben in den lexikographischen Erläuterungen Die Bedeutungsangaben im DRW Bedeutungsangabe und die Beschreibung rechtlicher Regelungen Bedeutungsangabe und die Schilderung von Rechtsbräuchen
3.3 4 4.1 4.2 4.3 5 6 6.1 6.2 6.3 7 8
Bedeutungsangabe und Rechtsbeziiglichkeit Besondere Formen der Bedeutungsangabe Verweise Legaldefinition Leistungsgrenzen Der Aufbau eines komplexen Erläuteningsteils Bedeutungserläuterung und Artikelgliederang Semantische Gliederung Sachliche Gliederung Semantisch-sachliche Mischgliederung Die lexikographisch-methodologische Aufarbeitung des DRW Literatur
1 Einleitung Wer die Konzeption und die Entstehungsgeschichte des Deutschen Rechtswörterbuchs (DRW)1 kennt, weiß, daß dieses Wörterbuch neben dem Deutschen Wörterbuch das größte historische Wörterbuch auf deutschsprachigem Raum ist. Es hat eine lange, genau gesagt, einhundertjährige Tradition, und hat doch gerade in den letzten Jahren, wie ich in Abschnitt 2.2 darstellen werde, eine ganz neue Aktualität erlangt. Die ersten Arbeiten an diesem Wörterbuch erfolgten noch vor der Installation von elektrischem Licht,2 heute entsteht das Wörterbuch in einer lexikographischen Datenbank.3 Die Vorbereitungen, auch die konventionell gedruckten Bände maschinenlesbar zu machen, sie in die Datenbank zu importieren und diese Datenbank für Recherchen im Internet der wissenschaftlichen Öffentlichkeit verfugbar zu machen, sind im Gang. (Vgl. dazu den Beitrag von Lemberg/Petzold/Speer in diesem Band.)
1 2 3
Speer (1989; 1991); Lemberg (1996b); Lemberg/Speer (1997). Lemberg (1996b, 107). Speer (1994).
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Ingrid Lemberg
Eine lexikographisch-theoretische Aufarbeitung des Wörterbuchs ist bislang jedoch nur in ersten Ansätzen erfolgt.4 Sie muß von germanistisch-sprachwissenschaftlicher Seite kommen, und die Hemmschwelle, ein Wörterbuch zu analysieren, das den Wortschatz der älteren westgermanisch-deutschen Rechtssprache von den Anfängen ihrer schriftlichen Überlieferung im 5./ 6. Jahrhundert bis in das 19. Jahrhundert hinein beschreibt, ist nach den bisherigen Erfahrungen sehr groß. Ich kann also für diesen Beitrag auf keinerlei Grundlagenarbeiten zurückgreifen, sondern muß im Gegenteil diese Grundlagen erst einmal schaffen. Unter diesen Voraussetzungen und in dem hier gegebenen Rahmen kann ein Beitrag über einen so hochkomplexen Gegenstand wie die Bedeutungserläuterungen im DRW also nur in einer allerersten Beschreibung des Befundes bestehen.
2 Das DRW, ein Wörterbuch der alteren deutschen Rechtssprache 2.1 Die Konzeption Das DRW ist ein alphabetisch geordnetes, gesamtsystembezogenes und einzelsprachenübergreifendes, diachronisches, fachliches Sprachwörterbuch mit Elementen eines fachlichen Sachwörterbuchs. 5 Es beschreibt den deutschen Rechtswortschatz in Hinblick auf semasiologische Fragestellungen, berücksichtigt allerdings auch seine lexikalisch-paradigmatischen sowie seine enzyklopädischen Vernetzungen. Die Gründungsväter6 des Wörterbuchs verstanden das Wort deutsch noch so, wie Jacob Grimm es in der Einleitung zum Deutschen Wörterbuch definiert hatte: „dasz gleichwol die friesische, niederländische, altsächsische und angelsächsische noch der deutschen spräche in engerem sinn zufallen".7 Dementsprechend umfaßt das Corpus des DRW Quellen zum Frankolateinischen, Langobardischen, Altenglischen, Friesischen und älteren Niederländischen, zum Altsächsischen, Mittelniederdeutschen und Niederdeutschen sowie zu allen Varietäten des Hochdeutschen. Dieser Begriff deutsch von germanistischer Seite deckt sich mit den Vorstellungen der historischen Rechtswissenschaft des ausgehenden 19. Jhs. von einem sich kontinuierlich entwickelnden, westgermanisch-deutschen Recht sowie der damit verbundenen Entwicklung einer westgermanisch-deutschen Rechtssprache.8
4 5 6
7 8
Reichmann (1977); Munske (1988); Objartel (1990); Schmidt-Wiegand (1990a); Speer (1989; 1991). Reichmann (1984, mit Merkmalsmatrix); Wiegand (1988, bes. 7S0; 761 u. 776 f.). Der 18% von der Königlich Preußischen Akademie berufenen Griindungskommission gehörten die Rechtshistoriker Karl von Amira, Heinrich Bruimer, Ferdinand Frensdorff, Otto von Gierke und Richard Schröder, der Historiker Ernst Dümmler und der Sprachistoriker Karl Weinhold an. - Weitere Einzelheiten bei Lemberg (1996b). Einleitung zu Band I des Deutschen Wörterbuchs, p. XIV. Brunner (1906,1 ff.); Lemberg/Speer (1997).
Lexikographische Erläuterungen im Deutschen Rechtswörterbuch ..
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2.2 Der Beschreibungsgegenstand Der Beschreibungsgegenstand des DRW, der Rechtswortschatz in seiner Entwicklung vom 5. bis zum 19. Jh., ist in den bisher hundert Jahren seiner Entstehungsgeschichte im wesentlichen konstant geblieben. Hingegen hat sich die Motivation, ein Wörterbuch mit dieser Konzeption zu machen, grundlegend gewandelt: ging es in der Frühzeit des DRW darum, in der Wortgeschichte die gemeinsamen Wurzeln eines deutschen mit dem germanischen Recht aufzuweisen und damit die aktuelle Rechtssprache von „ihrer entsetzlichen Blutleere" zu befreien und sie „aus dem Borne der älteren deutschen Rechtssprache wieder aufzufrischen" 9 , so ist dieser Anspruch heute abgelöst durch die Intention, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Rechtswortschatz des Beschreibungsgebietes im Sinne eines Kulturvergleichs zu beschreiben. Die Rezeption von biblischen, kirchenrechtlichen und römisch-rechtlichen Normen wird nach Möglichkeit im Wörterbuch berücksichtigt. 10 In einer Zeit, in der ein vereintes Europa sich seiner geschichtlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede bewußt wird, erhält ein Wörterbuch, das die historische Rechtssprache in einem Gebiet aufarbeitet, das die heutigen Länder Österreich, Schweiz und Deutschland umfaßt, mit Ausläufern nach Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Polen im Osten und nach Frankreich, Belgien, den Niederlanden und England im Westen sowie einigen Berührungspunkten mit Skandinavien, insbesondere mit Dänemark, 11 ein völlig neues Gewicht. Die spezifisch juristischen Fachtermini, wie Gericht und Recht, Brandstiftung, Diebstahl, Notzucht und Mord oder Notar, Testament und Vertrag,12 um nur einige wenige Beispiele zu nennen, gehören selbstverständlich zum Beschreibungsgegenstand des Wörterbuchs. Aber diese Fachtermini, in der Diktion des DRW „die Rechtswörter im engeren Sinne",13 sind nur ein Teil des Wortschatzes, der im Wörterbuch Aufnahme findet. Denn das Anliegen des DRW ist es auch und gerade, den Alltag des Rechtslebens zu beschreiben, wie er in die schriftliche Überlieferung Eingang gefunden hat. Da grundsätzlich alles Gegenstand rechtlicher Regelungen werden kann, gehört es zu den Intentionen des DRW, jede sprachliche Manifestation des jeweils rechtlichen Zugriffs auf die Wirklichkeit zu erfassen. 14 Und dazu gehören neben der Fachlexik alle Wörter der Nennwortarten, also Substantive wie z.B. Apfel, Kuß, Mai oder Muttersprache, Verben wie z.B. machen oder nehmen, und Adjektive wie links, magdeburgisch,15 mild oder nackt, die in irgendeinem Sinne rechtsverbindliche Handlungen und Bewertungen bezeichnen, einschließlich der Maße, Münzen und Gewichte, so daß sich im DRW mehr
9 10 11 12 13 14
Brunner in: ZRGGerm. 14,1893,165. Vgl. dazu von Polenz (1994, 51-54), und Stein (19%). Winge (1992, 115). Aus Umfangsgründen können die entsprechenden Wörterbuchartikel leider nicht abgedruckt werden. Zu dieser Klassiiikation vgl. DRW I, Einleitung S. IX. Zu den sprachtheoretischen Voraussetzungen vgl. Oskar Reichmann: „Es gibt schlechterdings nichts, weder Reales noch Gedachtes, auf das man nicht mittels lexikalischer Einheiten Bezug genommen oder das man nicht gar durch den Wortgebrauch konstituiert hätte; und es gibt dementsprechend keinen einzigen historischen Bestand - sei er nun ein Gegenstand der Sachkultur wie,Pflug' oder eine soziale Gegebenheit wie ,Obrigkeit', ein religiöser Begriff wie .Gnade' oder eine literarische Fiktion wie .Aventiure' - , der nicht am besten, wie im Bereich der Sachkultur, oder ausschließlich, wie alle Abstraktgegenstände, über Sprache erfaßbar wäre" (Reichmann o.J., Einleitung). 15 Dazu Speer (1991).
136
Ingrid Lemberg
als 1400 Jahre Rechts- und Sprachgeschichte, sowie viele Aspekte der Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte widerspiegeln. 1 6 In Zahlen ausgedrückt heißt dies: mit dem Erscheinen des Doppelheftes 9/10 im September 1996 liegt Band IX des D R W vollständig vor. Die bisher erschienenen neun Bände enthalten 75 321 Wörterbuchartikel zu der Wortstrecke von Aachenfahrt bis Notrust. Weitere sechs bis sieben B ä n d e stehen für die Bearbeitung noch aus. 1 7
2.3 Die Wörterbuchartikel und ihre Ausgestaltung D i e Artikelstruktur 1 8 des D R W ist bestimmt - durch einen Artikelkopf, der neben der Lemmaangabe und der Angabe der Wortart gegebenenfalls auch Angaben zur Etymologie, sprachgeographische Angaben sowie Sachhinweise enthält, - durch die Gliederung des Bedeutungsspektrums und durch Bedeutungserläuterungen, die den sprachlichen und sachlichen Informationsanliegen der Benutzer Rechnung tragen, durch ein explizites und implizites Verweissystem, das eine Vernetzung auf der Ebene der Wortbildung, der Onomasiologie und der enzyklopädischen Angaben herstellt, - sowie einer möglichst reichen Belegdarbietung, in der die diachronische, die diatopische, die diastratische und die situative Differenziertheit der Belege abgebildet wird, und in der den rahmenkennzeichnenden Belegen19 ein besonderes Gewicht zufällt.20 D i e Füllung der einzelnen Angabenpositionen ist abhängig von der Materialgrundlage. Daher haben die Wörterbuchartikel, gerade auch in Hinblick auf den sehr breitgefacherten Beschreibungsgegenstand des D R W , j e nach Beleggrundlage eine völlig unterschiedliche Ausgestaltung. 2.3.1
Viele Wörter haben eine zeitlich und/oder räumlich eingeschränkte Belegung. So gibt es
etliche Wörterbuchartikel, die ein ausschließlich im Altenglischen (Beispiel 1) oder Altfriesischen (Beispiel 2) belegtes Wort behandeln.
16 Vgl. Laufs (1993). 17 Band 7 des DRW wurde in 11 Jahren produziert und enthält 5684 Wörterbuchartikel, Band 8 mit 5971 Wörterbuchartikeln brauchte 7,9 Jahre zu seiner Fertigstellung, und für den jetzt erscheinenden Band 9 haben wir 6100 Wörterbuchartikel in 5,2 Jahren erstellt. Dieser Publikationsrhythmus von fünf Jahren pro Band, wobei jährlich ein Doppelheft erscheint, soll in Zukunft beibehalten werden. 18 Meinem Informations- und Darstellungsanliegen entsprechend verzichte ich hier auf eine weiter differenzierende bzw. segmentierende Betrachtungsweise der einzelnen Angabenpositionen im Sinne von Wiegand (1991). 19 Speer (1991, 701 f.). 20 Die in den Belegteilen abgebildeten Zitate, Fundstellenangaben und Verweisbelege machen bei reich belegten Wörtern häufig nur einen kleinen Teil des zugrunde liegenden Belegmaterials aus. Das Belegarchiv enthält zu dem Wort Licht rund 225 Belegzettel, der gedruckte Wörterbuchartikel bildet davon nur rund 70 Belege ab; bei Morgengabe sind es rund 1600 Belegzettel und rund 130 Belege im gedruckten Wörterbuchartikel.
137
Lexikographische Erläuterungen im Deutschen Rechtsworterbuch B e i s p i e l 1:
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f o r l i g e [(dass) alsdann auch wir ihm fQr sein M ä h e n aus unserer gemeinschaftlichen H a b e uns erkenntlich erweisen, je nachdem diese F a h r t (zur Diebes Verfolgung) kostspielig war: auf dass nicht (unsere) Geldforderung versiumt werde)
Liebermann.AgsG. Beispiel 2:
um 930/40 (Hs. um
1120)
178.
(Mundbreud) zu afries. breud Ziehen; Mundzucken als Folge einer bußpflichtigen Körperverletzung, m u t h breud thre skillingar {Mundzucken: drei Schillinge] Mitte 15. Jh. EmsigerR. 112.
2.3.2 Das andere Extrem sind Wörter, zu denen tatsächlich fast über den gesamten Belegungszeitraum, im hier vorliegenden konkreten Beispiel zu Beginn des 6. Jhs.,21 bis in das 19. Jh. hinein reichhaltiges Quellenmaterial vorhanden ist. Ein Beispiel dafür ist der Artikel Morgengabe, dessen frühester Beleg aus den „Gesetzen der Angelsachsen"22 stammt und in die Jahre 502/3 datiert wird.23 Der letzte Beleg stammt aus dem Jahr 1803 aus dem „Repertorium des gesamten positiven Rechts der Deutschen" 24 Die Materialgrundlage zu diesem Rechtswort waren ca. 1600 Belegzettel,25 der im Druck erschienene Wörterbuchartikel umfaßt 8 Druckspalten und bildet rund 130 Belegzitate ab.26 Da eine verkleinerte Abbildung des Wörterbuchartikels zur Unleserlichkeit fuhren würde, verzichte ich aus Umfangsgründen auf einen Abdruck.
2.4 Die Angaben in den lexikographischen Erläuterungen Die lexikographischen Erläuterungen der Wörterbuchartikel im DRW enthalten die auf der Auswertung des Belegmaterials basierenden und dem Beschreibungsanliegen des Wörterbuchs entsprechend zusammengestellten und formulierten Ergebnisse lexikographischer Analyse- und Interpretationshandlungen. Damit sind die Erläuterungen die zentrale Leistung lexikographischer Arbeit. Ein ungegliederter Wörterbuchartikel im DRW hat eine, ein gegliederter Artikel mehrere Erläuterungspoi/ft'o/KM. Die Gliederung der Wörterbuchartikel in mehrere Erläuterungs- und
21 Der zeitlich früheste Beleg in den maschinenlesbaren Teilen des DRW steht zu Mundburt I und datiert mit 479. 22 Hrsg. von Felix Liebennann, unveränd. Neudruck Aalen 1906-1916. 23 DRW IX, Sp. 896, Gliederungspunkt I 5 zu Morgengabsiegelungen bei Scheidung bzw. Auflösung der Ehe. 24 DRW IX, Sp. 899, Gliederungspunkt 18 zum Rechtsgedanken des Deflorationsanspruchs. 25 Zum Zustand und der Qualität des Belegarchivs des DRW vgl. Speer (1995, 173 f.) und Lemberg (1996a, 89-91). 26 Die Zitate zu Belegen, die im Wörterbuchartikel nur mit der Fundstellenangabe abgedruckt sind, können in der lexikographischen Datenbank des Wörterbuchs eingesehen werden. Darüber hinaus finden sich in der Datenbank unter Umständen noch eine Reihe weiterer Belege (mit Zitat), die aus Umfangsgründen in der Druckversion des Wörterbuchs vollständig gestrichen worden sind.
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Ingrid Lemberg
Belegpositionen wird auf der Basis des Belegmaterials nach semantischen und enzyklopädischen Gesichtspunkten vorgenommen (dazu vgl. unten Abschnitt 6). Jede Erläuterungsposition wiederum enthält einen oder mehrere der im folgenden angeführten Erläuterungsteile27: - Angaben zu der Bedeutung des Wortes, - enzyklopädische Erläuterungen und entsprechende Literaturhinweise, - Kommentare zu einem etwaigen eingeschränkten Gebrauch eines Wortes oder der Einzelbedeutung eines Wortes unter zeitlichem, räumlichem oder rechtsspezifischem Aspekt, - Angaben zur lexikalisch-paradigmatischen Vernetzung eines Wortes bzw. der Einzelbedeutung eines Wortes, - syntagmatische Angaben meist des Typs der besonderen Wendungen, der phrasematischen Verbindungen oder der in der Rechtssprache besonders häufig votkommenden Doppel- und Mehrfachformeln,28 - Angaben zur Wortbildung und - semantische Kommentare.
Welche dieser Erläuterungsteile in den einzelnen Erläuterungspositionen enthalten sind, hängt mindestens davon ab, ob es sich um eine semantische oder eine enzyklopädische Gliederungsebene handelt, ferner von der Qualität und Quantität der Belege, von den zum Zeitpunkt der Artikelerstellung gegebenen Vernetzungsmöglichkeiten, und letzten Endes davon, wie der Lexikograph oder die Lexikographin diese bereitstehenden Daten auswertet und beschreibt, also von der lexikographischen Kompetenz.
3 Die Bedeutungsangaben im DRW In der Fachsprachenlexikographie erwartet man präzise, definitorische Angaben zu der Bedeutung der beschriebenen Fachtermini.29 Heino Speer fuhrt 1989 in einem Aufsatz aus, weshalb diese Erwartung vom DRW nicht erfüllt werden kann. Ich paraphrasiere im folgenden seine wichtigsten Argumentationsschritte. Voraussetzung für eine präzise, definitorische Bedeutungserklärung30 ist ein relativ geschlossenes System, auf das sich die Termini beziehen.31 Das DRW hat zeitlich aufeinanderfolgende wie auch gleichzeitig existierende, aber räumlich nebeneinanderliegende Rechtsordnungen mit ihren mehr oder weniger eigenständigen Unterbereichen als Beschreibungsgegenstand. Für diesen Beschreibungsgegenstand gilt: - innerhalb einer Rechtsordnung müssen unter Umständen Subsysteme mit eigenen Definitionen funktionell unterschieden werden,
27 Diese hier gewählte Einteilung der Erläuterungsteile entspricht den Arbeitsgrößen, mit denen die Lexikographinnen und Lexikographen des DRW argumentieren und arbeiten. 28 Dazu immer noch grundlegend Matzinger-Pfister (1972). 29 So z.B. Schaeder(1994, 18 f.). 30 Der von Speer hier gebrauchte Terminus ,Bedeutungserklämng' ist mit dem von mir verwendeten Terminus ,Bedeutungsangabe' gleichzusetzen. 31 So auch wieder Schaeder (1994): „Präzision ist nicht so sehr eine Eigenschaft des Terminus als vielmehr eine solche des Begriffs, den er repräsentiert. Erreicht wird die geforderte Präzision dadurch, daß fachliche Wissensbestände als Begriffssysteme modelliert und den einzelnen begrifflich gefaßten Wissenselementen sowie den zwischen ihnen hergestellten Begriffsbeziehungen Begriffszeichen zugeordnet werden" (S. 19).
Lexikographische Erläuterungen im Deutschen Rechtswörterbuch
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- flir einen bestimmten Untersuchungsbereich folgen mehr oder weniger geschlossene Rechtssysteme hintereinander, - innerhalb eines Rechtssystems kann ein Rechtswandel mit einem Bedeutungswandel der einzelnen Termini einhergehen. Für die Formulierung der Bedeutungserklärungen folgt, daß auf eine definitorische Bedeutungserklärung weitgehend verzichtet werden muß. Es kann jeweils nur darum gehen, eine größtmögliche Präzision in der Erfassung der Bedeutungsinhalte und des Umfangs wie auch der Bedeutungsvariation aus der Gesamtsumme der Belege zu gewinnen. - Soweit die prinzipiellen Ausfuhrungen von Heino Speer zu den Bedeutungserklärungen im DRW. In Hinblick auf den vielfältigen Beschreibungsgegenstand des Wörterbuchs, zu dem einerseits die historischen Fachtermini des Rechts und andererseits eben auch diejenigen Wörter der Alltagssprache, die historische rechtsbezügliche Gegebenheiten repräsentieren, gehören, müssen die Bedeutungsangaben im DRW mindestens die folgenden Bedingungen erfüllen: - sie müssen die Fachtermini des Rechts in einer angemessenen Weise verdeutlichen und sie müssen die Rechtsbezüglichkeit der Nichttermini zum Ausdruck bringen, - dabei muß in der Erläuterung einmal der Transfer vergangenen Sprachgebrauchs in die Gegenwart geleistet werden, - und zum anderen die Vermittlung spezifisch rechtlichen Wissens für Nicht-Juristen gewährleistet sein. Ein häufig gewähltes Beschreibungsmuster für die Bedeutungsangabe ist das des Gattungs-ArtTypus. Die Bearbeiter und Bearbeiterinnen des DRW sind sich dessen bewußt, daß diese Form der Bedeutungsangaben einen z.T. extrem hohen Komplexitätsgrad erreicht und damit eine Vielzahl an Einzelinformationen enthält, deren Status als enzyklopädisches gegenstandskonstitutives Bedeutungswissen 32 immer wieder hinterfragt werden kann. Die folgenden Beispiele sollen für sich sprechen: Beispiel 3:
Musteil, Musteile m„ n„ Anteil an, auch (Aus-) Teilung (mnd. -teile^ von Speisevorräten. I. rdie der Frau bei Auflösung der Ehe oder am dreißigsten Tag nach dem Tod des Mannes zukommende Hälfte des vorhandenen Speisevorrats;n
Beispiel 4:
Mutzettel m„ auchf . I. im Bergbau: Formular mit der Anmeldung eines Fundes und dem Antrag auf Erteilung der Scharfrechte sowie der Bestätigung der Bergbehörde über die form- und fristgerecht erfolgte Mutung (IV).1
Beispiel 5:
NacheOe f . I. die durch Landfrieden, die sogen. Reichsexekutionsordnung und Kreisabschiede erlaubte und tw. gebotene Verfolgung von (auf frischer Tal ertappten ) Straftätern auch auf fremdes Herrschaftsgebiet und über Kreisgrenzen hinweg mit anschließender Auslieferung an die Ortsobrigkeit;1
Doch nicht alle auf Sachinformation zielenden Angaben in den Erläuterungsteilen sind Bestandteil der Bedeutungsangabe. Ein im DRW häufig vertretenes Erklärungsmuster ist die Kombination von Bedeutungsangabe und enzyklopädischer Ergänzung, wobei die Inhalte der enzyklopädischen Angaben völlig unterschiedlicher Art sein können. Je nach Gegebenheit, auf
32 Im Sinne von Wiegand (1988, 774).
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Ingrid Lemberg
die das zu beschreibende Wort referiert, können sie aus einer Darstellung historischer Hintergründe, aus der Schilderung von Rechtsbräuchen oder aus der Erläuterung der Rechtsbezüglichkeit eines Wortes bestehen. Die folgenden Beispiele sollen diese Ausfuhrungen verdeutlichen.
3.1 Bedeutungsangabe und die Beschreibimg rechtlicher Regelungen Beispiel 6:
Mundmann m., pl. auch Mundleute. I. wer einem Mundherrn innerhalb eines Treue- und Dienstverhältnisses untersteht. Im 13. Jh. wird die Aufnahme von Mundleuten den Stadtbürgern wegen der möglichen Klientelbildung untersagt; das erste bekannte Verbot ist im Privileg Friedrichs I. für Nürnberg von 1219 enthalten und 1235 spricht der Mainzer Reichslandfriede, von fürstlichen Interessen bestimmt, ein allgemeines Verbot der Mundleute aus?
Bedeutungsangabe
enzyklopädische Angabe
Die Bedeutungsangabe zu Mundmann (I): wer einem Mundherrn innerhalb eines Treue- und Dienstverhältnisses untersteht, entspricht der klassischen Formulierung einer Bedeutungsangabe des Gattungs-Art-Typus, also in Form von genus proximum und differentia specifica, wobei das genus proximum allerdings nicht, wie es in Beispielen dieses Typs sonst üblich ist, mit einem Substantiv und einem Relativsatzanschluß ausgedrückt wird, also: Person, die [. . .] untersteht, sondern mit dem Relativpronomen wer eingeleitet wird. Dies entspricht dem juristischen Definitionsstil, insbesondere der Formulierung von Legaldefinitionen.33 Für die noch ausstehenden Bände soll auf diesen Formulierungstyp verzichtet werden, da er die Einsetzprobe erschwert. Der recte-Druck des Wortes „Mundherr" in der Bedeutungsangabe ist die typographische Kennzeichnung eines Verweises, der zugleich Bestandteil der sprachlichen Formulierung der Bedeutungsangabe ist. Dieser Verweis zielt auf das Rechtsverhältnis zwischen Mundmann und Mundherrn und vermittelt damit ein Sachwissen, das man noch vertiefen kann, wenn man den Artikel Mundherr als Ergänzung zu dem Artikel Mundmann heranzieht. Zu Mundherr findet man folgende Bedeutungsangabe: Schutzherr, der die Pflicht hat, die ihm Untergebenen vor Unrecht zu bewahren. Zwischen Mundherr und Mundmann besteht also ein synallagmatisches Vertragsverhältnis 34 über Rechte und Pflichten. Die enzyklopädische Ergänzung zur Bedeutungsangabe des Wortes Mundmann besteht aus einer historischen Grobskizze zu der Entwicklung dieses Rechtsinstituts, die den Nachschlagenden bei einem raschen Informationsbedarf die Lektüre vieler Belege, darunter auch vieler lateinischer Belege 35 erspart. Die spezifischen Qualifikationen des Mundverhältnisses, die
33 Dazu s. unten Abschnitt 4.2. - Ein Beispiel aus dem geltenden Recht wäre: „Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen ... einen Menschen tötet" (§211 Strafgesetzbuch). 34 Wechselseitige Abhängigkeit der Forderungen und Pflichten. 35 Genauer gesagt, aus lateinischen Texten mit deutschen Einschoben von Wörtern und Satzteilen.
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nicht für das gesamte Belegungsgebiet identisch sind, stehen nicht mehr im Erläuterungsteil, der Benutzer muß sie den Belegen entnehmen.36
3.2 Bedeutungsangabe und die Schilderung von Rechtsbräuchen Beispiel 7:
(MundsOhne) / u. m. I. Versöhnung zwischen den am Tod eines Mannes Schuldigen und den Verwandten des Getöteten:[sie kommt durch die Rechtsgebärde eines Friedenskusses auf den 'Mund (I 1) zum Ausdruck]
Bedeutungsangabe enzyklopädische Ergänzung
Die Bedeutungsangabe zu unserem zweiten Beispiel entspricht wiederum dem Typ genus proximum, hier konkret Versöhnung, und den dazu gehörigen differentia specifica, konkret: zwischen den am Tod eines Mannes Schuldigen und den Verwandten des Getöteten. Die enzyklopädische Ergänzung zu dieser Bedeutungsangabe, nämlich daß die Mundsühne durch die Rechtsgebärde eines Friedenskusses auf den 'Mund (I 1) - im Wörterbuchtext wieder in recte und damit als Verweis - zum Ausdruck kommt, hat neben der Funktion einer Sachangabe zugleich noch die Funktion, die Wortbildungsmotivation des Wortes Mundsühne zu nennen.
3.3 Bedeutungsangabe und Rechtsbezüglichkeit Beispiel 8:
Beispiel 9:
Beispiel 10:
Kuß m., vereinzelt n., z. Etym. vgl. Kluge-Mitzka'" 414, DudtnEtym. 381, NlEtymWB. 371, IEW. 626; Bed. wie heute; im Rechtsleben vorkommend bei d. \ Aufnahme in e. Gemeinschaft, zur Bekräftigung e. Rechtszustandes od. v. Rechtshandlungen, als Zeichen d. Ehrerbietung u. Selbsterniedrigung, zS. vgl. HRO. II 1320-22 (Lit.fi Mist m. I.rmit Stroh oder Streu vermischter Kot, der als Dünger eine wichtige Rolle im bäuerlichen Wirtschaftsleben spielt;,rvor der Einbringung in den Boden gilt er oft als Fahrhabe; im städtischen Leben ist er insb. Gegenstand ordnungspolizeilicher Regelungen. N»bel m..rBauchnabel;Tals Gegenstand einer straf-} würdigen Körperverletzung; im Zweikampf von Mann und Frau wird der Mann zur Erschwerung bis zum Nabel eingegraben.n
Die jeweiligen Bedeutungsangaben lauten. Ku0: Bedeutung wie heute Mist: mit Stroh oderStreu vermischter Kot [...] Nabel: Bauchnabel.
36 Zu der Leistungsfähigkeit der Belege im DRW vgl. Speer (1991).
Bedeutungsangabe enzyklopädische Ergänzung
Bedeutungsangabe enzyklopädische Ergänzung Bedeutungsangabe enzyklopädische Ergänzung
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Ingrid Lemberg
Alle drei Wörter gehören zu dem Teil des Wortschatzes, der in der Diktion des DRW von Anfang an als „Nichtrechtswort"37 klassifiziert worden ist, der aber in Bezug auf die ebenfalls von Anfang an klar formulierte Intention, den Rechtsalltag im Wörterbuch abzubilden, einen entscheidenden quantitativen und qualitativen Anteil des gesamten, im DRW abgebildeten Wortschatzes hat. Daß das Wort Kuß in Quellen des 14., 15. und 16. Jhs. dieselbe Bedeutung wie heute hat, erfährt man auch im Lexer, im Deutschen Wörterbuch und demnächst auch im Frühneuhochdeutschen Wörterbuch. Die für den Benutzerkreis des DRW eigentlich relevante Information steckt bei diesem Artikel, und ebenso bei den Artikeln zu Mist und Nabel, nicht in der Bedeutungsangabe, sondern jeweils im enzyklopädischen Teil, in dem die Rechtsbezüglichkeit beschrieben wird. Bei Kuß ist es die Funktion als Rechtsgebärde; bei Mist sind es eigentumsrechtliche Besonderheiten und ordnungspolizeiliche Regelungen; und bei Nabel schließlich geht es um strafrechtliche Regelungen bei Körperverletzung sowie um Bestimmungen beim gerichtlichen Zweikampf.
4 Besondere Formen der Bedeutungsangabe Das DRW hat in bestimmten Fällen eine besondere Gestaltungsform von Bedeutungsangaben, von denen ich die drei wichtigsten Typen hier vorstellen möchte.
4.1 Verweise Das Rechtsinstitut der erlaubten bzw. der gebotenen Verfolgung eines Straftäters wird in der älteren Rechtssprache u.a. mit Wörtern wie Nacheile, Nachfolge, Nachgeläuf und Nachjagd bezeichnet. Diese vier Wörter stehen also in synonymischer Beziehung zueinander, die Bedeutungsangabe in den Wörterbuchartikeln wäre jeweils gleichlautend. Bei diesen Beispielen handelt es sich um vier Kompositen mit dem selben Bestimmungswort nach-, d.h., diese vier Wörter stehen im Alphabet und damit auch im Wörterbuch nahe beisammen. In solchen Fällen bringt das DRW nur einmal die Bedeutungsangabe, und zwar in dem Wörterbuchartikel zu demjenigen Wort, das entweder bis heute in diesem Gebrauch ist, oder, wenn dies nicht gegeben sein sollte, zu demjenigen Wort, das in der Rechtsgeschichte begriffsbildend gewirkt oder zumindest ein sehr großes Geltungsareal erreicht hat. Im konkreten Beispiel sieht das wie folgt aus:
37 DRW I, Einleitung S. IX.
Lexikographische Erläuterungen im Deutschen Rechtswörterbuch ... Beispiel IIa:
Nacheile f . I. die durch Landfrieden, die sogen. Reichsexekutionsordnung und Kreisabschiede ertaubte undtw. gebotene Verfolgung von (auffrischer Tat ertappten) Straf tätern auch auf fremdes Herrschaftsgebiet und über Kreisgrenzen hinweg mit anschließender Auslieferung an die Ortsobrigkeit; vgl. Folge (11), folgen (1 I d). Geschrei (I I), Glockenklang Buchstabes).
5 Zur Gesamtkonzeption des Wörterbuches Abschließend sind einige Anmerkungen zur Anlage des Wörterbuches im ganzen zu machen. Geplant sind (abgesehen von einer kurzgefaßten Einleitung mit Hinweisen zur Benutzung) zum einen ein lexikographischer Hauptteil (5.1), zum anderen verschiedene Register (5.2).
5.1 Lexikographischer Hauptteil Der lexikographische Hauptteil soll insgesamt etwa 100 Wortartikel enthalten. Eine Probestrecke von 12 Artikeln (ca. 180 Seiten), die auf der Grundlage der WFD-relevanten QUERExzerpte geschrieben wurde (vgl. 3.3), wird demnächst an anderer Stelle publiziert (vgl. Bär 1998). Sie umfaßt die Artikel Buchstabe, Dialekt!Mundart20, heiter, Heiterkeit, Ironie, Metapher, Organ, organisch, organisieren, Organismus/Organisation, Poesie und romantisch, aus denen im vorigen hin und wieder zitiert wurde. 5.1.1 Zur Auswahl der zu beschreibenden Worteinheiten Die Entscheidung, ob ein Wort in einem eigenen Artikel zu behandeln ist, richtet sich nach dem Kriterium, ob es als Schlüsselwort des fhihromantischen Diskurses gelten kann. Damit sind solche Wörter gemeint, mit denen zentrale Konzepte der frühromantischen Theorie verbunden sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Wort von der Forschung bereits als Schlüsselwort bemerkt und (ggf. sogar ausführlich) behandelt wurde (prominente Beispiele sind Poesie und
20 Zur Möglichkeit von Doppelartikeln vgl. 5.1.3.
Vorschlage zu einer lexikographischen Beschreibung des frühromantischen Diskurses
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Ironie), oder ob es in seiner Bedeutung bislang kaum aufgefallen war, wie beispielsweise die Angehörigen der Wortbildungsfamilie -heiter- (vgl. hierzu Bär 1997). Nachfolgend präsentiere ich eine Liste von 100 Einheiten als Vorschlag für diejenigen Wörter, die in eigenen Artikeln behandelt werden könnten. Die Liste ist als Diskussionsvorlage gedacht; sie kann daher modifiziert werden, und ich bin für Gegenvorschläge offen und dankbar. - Die von mir bereits lexikographisch bearbeiteten Wörter sind der Übersichtlichkeit halber durch Unterstreichung hervorgehoben: absolut abstrakt ahnen alt/antik Anmut/Grazie Begeisterung/Enthusiasmus Begriff Bild Buchstabe bunt charakteristisch Darstellung deutsch Dialekt/Mundart eigentlich Einbildung Einheit erhaben erkennen Erscheinung Farbe Feuer Form frei Ganzes Geist
Genie Geschichte Harmonie heiter Heiterkeit Ich ideal/idealisch Idee interessant Ironie klar klassisch Kritik Kultur Kunst künstlich leben lebendig Licht Liebe Metapher Mitte modern Musik Mythologie Nachahmung
naiv Nation Natur natürlich notwendig Organ organisch organisieren Oreanismus/Oreanisation original Phantasie/Einbildungskraß/ Imagination Philosophie pittoresk Poesie poetisch progressiv Prosa prosaisch Religion Revolution romantisch Schönheit schweben sentimental/sentimentalisch Sinn
Sprache sprechen Symbol Synthese System tot Übersetzung unendlich universal Universum ursprünglich Vernunft Verstand verstehen Volk Vorstellung Welt werden willkürlich Wissenschaft Witz Wort wunderbar Zweck
5 . 1 . 2 Zur Möglichkeit v o n Mehrfachartikeln Im Zusammenhang der Lemmazeichenauswahl ist eine Möglichkeit der lexikographischen Behandlung synonymer Wörter anzudeuten, die sich in all denjenigen Fällen der Textlexikographie anbietet, in denen Autoren nicht nur mit Polysemien, sondern auch mit Synonymien spielen bzw. gezielt arbeiten. Gemeint ist die Möglichkeit eines Mehrfachartikels, in dem zwei oder mehr Wörter, die weitgehend (in der überwiegenden Mehrzahl der Belege) synonym sind, semantisch untersucht werden. 21
21 Zu denken ist in erster Linie an Doppelartikel. Drucktechnisch ohne weiteres machbar wären auch Dreifachartikel: ob sie nötig wären, kann ich nicht sagen, da mir ein solcher Fall in der Praxis noch nicht vorgekommen ist. Vielleicht würde er sich bei den Wörtern PhantasielEinbildungskraftllmagination ergeben, die zumindest als partielle Synonyme gelten können. Artikel zu vier oder mehr Wörtern scheinen aus gegenwärtiger Sicht nicht erforderlich und darüber hinaus aus verschiedenen praktischen Überlegungen (mangelnde Übersichtlichkeit des Artikels; Schwierigkeiten bei der drucktechnischen Realisation) heraus nicht sinnvoll.
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Jochen A. Bär
Der Idee des Mehrfachartikels liegt der Gedanke zugrunde, auch solche theoretischen Konzeptionen lexikographisch zu beschreiben, die durch mehrere Schlagwörter (nicht nur durch ein einziges) repräsentiert werden. Während man nämlich die fiühromantische Mythologieauffassung oder Geniekonzeption hinreichend in Wörterbuchartikeln zu den Wörtern Mythologie und Genie fassen kann, wird eine Beschreibung der frühromantischen Dialektauffassung oder Organismuskonzeption nicht nur Belege fur die Wörter Dialekt bzw. Organismus, sondern auch für die weitgehend synonymen Wörter Mundart bzw. Organisation berücksichtigen müssen. Der Mehrfachartikel beschreibt lexikologisch gesehen nicht das semantische Feld eines Wortes, sondern das als Begriffsfeld bezeichenbare Bedeutungsspektrum eines onomasiologischen Minimalfeldes, dessen Einzelwörter durch entsprechend mehrere Lemmata angegeben werden. Jedes Lemma wird durch die zugehörigen Angaben zu Wortvarianten sowie zur Wortart und Flexionsmorphologie ergänzt: Beispiel 24: Organismus oder Organism, der, -0/Organismen und Organisation, die\ -Ol-en.
Da nicht notwendigerweise jedes Wort des onomasiologischen Minimalfeldes alle Bedeutungen des Begriffsfeldes aufweisen muß, ist für jede Bedeutung anzugeben, bei welchem der im Mehrfachartikel behandelten Wörter sie vorkommt. Diese Frage kann nur mit Blick auf die Wortbelege beantwortet werden. Die Stelle fur die Angabe, auf welches der im Mehrfachartikel behandelten Wörter sich eine Bedeutung bezieht, ist daher der Belegblock. Jeder Belegblock eines Mehrfachartikels wird durch eine typographisch durch Unterstreichung und etwas größere Drucktype hervorgehobene Angabe des zu belegenden Lemmazeichens eingeleitet. Es versteht sich von selbst, daß Belege fur unterschiedliche, hinsichtlich der betreffenden Bedeutung synonyme Lemmazeichen jeweils gesondert, und zwar in parallelen Spalten angegeben werden. Auf diese Weise ist mit einem Blick zu erkennen, für welches Lemmazeichen die Bedeutung belegt ist. Wenn beispielsweise in einem Doppelartikel der Belegblock in zwei Spalten geteilt ist, so gilt die Bedeutung fur beide im Artikel beschriebene Wörter; ist hingegen der Belegblock einspaltig gesetzt, so gilt die Bedeutung nur fur eines der beiden Wörter, nämlich fur das in der erläuterten Weise angegebene. Das Verfahren kann anhand zweier Bedeutungspositionen aus dem Artikel Organismus! Organisation demonstriert werden: Bedeutung 9 ist für beide Lemmazeichen, Bedeutung 10 nur für eines, nämlich für Organisation belegt. Wie aus Abb. 5 ersichtlich, gelten, sofern die im Artikel beschriebenen Wörter hinsichtlich einer bestimmten Bedeutung synonym sind, verschiedene Angaben der betreffenden Bedeutungsposition prinzipiell für alle belegten Lemmazeichen gleichermaßen: Bedeutungserläuterung, Angaben bedeutungsverwandter Wörter und Paraphrasen sowie Angaben kontextcharakteristischer Wörter und Syntagmen. Zu unterscheiden sind pro Lemmazeichen die Angaben typischer Syntagmen und typischer Wortbildungen.
Vorschläge zu einer lexikographischen Beschreibung des frühromantischen Diskurses
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9. ; Spezialisierung zu 8. Prph : sinnliche Regel «materialisierte, objektivierte Gesetzmäßigkeit». - Synt.: innerer Organismus der Kunst, gesetzmäßiger Organismus der Sprache, Organisation der Rede. - Ktx. Synt. : Bau der Sprache. Organismus: Ist man [...] über den gesetzmäßigen Organisation: Die Griechen [haben] eigene Partikeln Organismus^] der Sprache überhaupt im klaren, so um die Organisation der Rede zu bezeichnen, weit können die hinzukommenden besondem Bestimmungen als besser als unsere Interpunction. SCHLEIERMACHER: das Individuelle historisch begriffen und charakterisirt ZH »1805/09, 42. - F. SCHLEGEL: PhL/5 *1798, 330, werden.
A . VI. SCHLEGEL: A F B 1803, 2 0 3 . - BERNHAR-
Nr. 70.
DI: Spl/2 1803, 19; A. W. SCHLEGEL: VLK/1 '1801-02, 263. 10. «(geistige) Einordnung oder Eingliederung eines Gegenstandes (im weitesten Sinne) in die inneren Strukturen eines (bereits bestehenden oder dadurch gerade erst zustandekommenden) größeren Ganzen; Herstellung einer (interaktiven) Beziehung zu anderen Bestandteilen desselben»; vgl. Organw und organisieren4. - Als Subjekt der Handlung, das allenfalls indirekt genannt wird, ist ein menschliches Individuum zu denken. Ktx. Synt.: etw. in Werkzeug und Mittel verwandeln. - Wbg.: Organisationsprozeß, Organisationstrieb. Organisation : Der Geschichtschreiber organisirt\t\ historische Wesen. Die Data der Geschichte sind die Masse, der der Geschichtschreiber Form çiebt, durch Belebung. Mithin steht auch die Geschichte unter den Grundsätzen der Belebung und Organisazion überhaupt, und bevor nicht diese Grundsätze da sind, giebt es auch keine ächten historischen Kunstgebilde, sondern nichts als hie und da Spuren zufälliger Belebungen, wo unwillkürliches Genie gewaltet hat. NOVALIS: Blstb 1798, 100/455, Nr. 93. - Vgl. NOVALIS: ÜG *1798, 645, Nr. 464; NOVALIS: ABr •1798-99,477, Nr. 1147. Abb. 5:
Doppelartikel Organismus/Organisation (Ausschnitt)
5.1.3 Zum Artikelumfang Der sich aus den unter 5.1 genannten Zahlen ergebende Durchschnitt von 15 Druckseiten pro Wortartikel, der bei geplanten 100 Artikeln auf einen Umfang von 1500 Seiten (d.h. 2 starke Bände) schließen ließe, erscheint aus zwei Gründen als zu hoch angesetzt. Erstens, weil die erwähnte Probestrecke mehrere Zentralwörter enthält (nämlich romantisch, Ironie, Poesie und die Organ-Strecke), von denen einige hochgradig polysem sind (Poesie hat nach meiner auf der Basis von ca. 970 Belegen beruhenden Interpretation 22 Bedeutungen; der Artikel umfaßt 29 Seiten). Zweitens, weil sich mit zunehmender Anzahl der Wortartikel der Artikelumfang reduziert. Der Gedankengang ist einfach: Der Gesamtumfang aller zitierbaren Textstellen ist eine relativ feste Größe. Die Mehrheit aller Textstellen eignet sich als Beleg für verschiedene Wörter. Mehrfaches Zitieren einer und derselben Textstelle soll aber vermieden werden (vgl. 4.2.5.3). Wenn nun eine beschränkte Anzahl von Belegen nicht auf 12, sondern auf 100 Artikel verteilt wird, reduziert sich naturgemäß die Anzahl der pro Einzelbedeutung zitierbaren Belege, und im selben Maße vergrößert sich die Anzahl der mit Verweisen auf andere Artikel versehenen Belegstellenangaben. Da eine Belegstellenangabe samt Verweisangabe maximal eine komplett gefüllte Zeile einnimmt: Beispiel 25: NOVALIS: an seinen Bruder Erasmus r16. 3. 17931, NS 116,2 f. (-> Organismus/Orggnisgtioni).
in der Regel aber sogar wesentlich kürzer ist, reduziert sich damit der Umfang des Beleg(steIlen)blocks pro Einzelbedeutung jedes Wortes beträchtlich. Bedenkt man diese beiden Aspekte: daß erstens die Anzahl der,Mammutartikel' beschränkt ist (schätzungsweise 15-20, darunter Lemmazeichen wie Kunst, Sprache, Natur, Geist usw.), und daß zweitens der Umfang der Artikel bei steigender Anzahl der Artikel abnimmt (auch die
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bereits geschriebenen Artikel werden am Ende um einiges kürzer sein als im Augenblick), so wäre für das Gesamtprojekt nach vorläufigen behutsamen Schätzungen kein durchschnittlicher Artikelumfang von 15, sondern von maximal 8 Druckseiten, d.h. ein Gesamtumfang von maximal 800 Seiten zu erwarten. Hinzu kommen noch Einleitung und Register (zusammen ca. 150-200 Seiten).
5.2 Register Der lexikographische Hauptteil soll durch mehrere Register erschlossen werden. Sinnvoll scheinen mindestens ein Wortverzeichnis (5.2.1), ein Sach- und Personenregister (5.2.2), ein Verzeichnis der zitierten Textstellen (5.2.3) sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis (5.2.4). 5.2.1 Wortverzeichnis Das alphabetische Wortverzeichnis soll alle im WFD zu findenden Wörter des fhihromantischen Sprachgebrauchs erfassen: sowohl die Lemmazeichen, als auch diejenigen Wörter, zu denen es keinen eigenen Artikel gibt, die aber in anderem Zusammenhang auftauchen (z.B. in der Position Bdv., d.h. als Synonym oder Antonym zu einem Lemmazeichen). Da die onomasiologische Vernetzung ein wichtiges Anliegen des Wörterbuches ist und mit einer gewissen Ausführlichkeit betrieben wird (vgl. 4.1.2.2), dürfte die Mehrheit aller im Wörterbuch zu findenden Wörter nicht in einem eigenen Artikel behandelt sein. Das alphabetische Wortverzeichnis ermöglicht es, auch über diese bestimmte Informationen zu finden. Sucht man z.B. eine Aussage über die Semantik des Wortes chemisch, so würde man unter anderem auf den Artikel organisch verwiesen, in dem chemisch als Antonym zu organisch5 aufgeführt und mit der Bedeutungsangabe BS) => (d) BS
-•g -(at)iv •haft -lieh iar/-är -isch -OS/-ÖS -al/(-ell) -bar -sam -ant/-ent -abel/-ibel
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-ie) - KS
Hierbei handelt es sich offenbar („=>") um eine Transformationsregel. Auf die Regel folgen zur Illustration die dazu passend angesetzten Ableitungen: die Lust erregt Schwindel => die schwindelige Lust der Eingriff bewirkt einen Abortus => der abortive Eingriff der Geruch erregt Ekel => der ekelhafte Geruch der Gegenstand erregt Abscheu => der abscheuliche Gegenstand das Budget bewirkt ein Defizit => das defizitäre Budget die Gärung erzeugt Alkohol => die alkoholische Gärung der Wettbeweib der Konzerne [?] bewirkt einen Ruin => der ruinöse Wettbewerb die Leistung macht (bewirkt eine) Epoche => die epochale Leistung der Zorn erregt Furcht => derfurchtbare Zom der Weg ruft Mühe hervor => der mühsame Weg der Fall ruft Interesse hervor => der interessante Fall das Geschäft bringt Profit => das profitable Geschäft Dazu wird erläutert: „Die Ableitung mit -ig bzw. -(.at)iv, -haft, -lieh, -arl-är, -isch, -os/-ös, -al(-ell), -bar, -sam, -antt-ent oder -abell-ibel ist umformbar in eine Aussage mit erregen/bewirken u. dgl., wobei die substantivische Basis als Akkusativobjekt das Bewirkte benennt und der Kern der Substantivgruppe Subjekt wird." Und damit ist das Kapitel 5.1.3.2.1. bereits zu Ende. Ich verzichte darauf, die zitierte Formel zu erklären. Die Beispiele sind auch ohne sie verständlich. Die in den Bedeutungsparaphrasen verwendeten kausativen Verben zeigen, daß von Kühnhold/Putzer/Wellmann die Existenz kausativer Adjektive klar erkannt ist, wenn sie auch ihre Entdeckung in einer leserunfreundlichen Darstellung mehr verborgen als gebührend herausgestellt haben.4 Allerdings behandeln sie (wie Erben) Kausativität nur als die Eigenschaff
4
In den folgenden Abschnitten (KOhnhold/Putzer/Wellmann 1978, 278-286) werden zu einigen kausativen Adjektiven auf -ig, -(at)iv usw. weitere Verwendungsbeispiele gegeben. Auch das ist unübersichtlich, weil hier jeweils Adjektive ganz anderen Typs (wie fahrerflüchtig, kommunikativ, autoritär, transformationell) mitbehandelt werden. Sehr viel besser ist die Darstellung in einem späteren Unterkapitel (6.2. ,viel... bewirken'), das jedoch nur einen Spezialiall (,starke Wirkung habend') kausativer Adjektive, nämlich die „sehr kleine Funktionsgruppe" kausativer Adjektive auf (vor allem) -voll und -reich behandelt (Kühnhold/ Putzer/Wellmann 1978, 449-452). Explizit wird auf die .„kausative' [mit Anführungsstrichen] Leistung" dieser Woitbildungsmoipheme (die natürlich auch noch andere Leistungen vollbringen) hingewiesen, wenn auch ohne Rückverweis auf Abschnitt 5.1.3.2.1. Bei der Kausativbedeutung solcher Adjektive wie z.B. leidvoll, qualvoll, trostreich dürfte es sich kaum um einen Effekt der Suffixe handeln - was jedoch nichts daran ändert, daß hier eine zweite Gruppe kausativer Adjektive eindeutig als solche dargestellt ist. Kausativität von Adjektiven wird gleichfalls beschrieben in dem Buch über Adjektivkomposita von Pümpel-Mader/Gassner-Koch/Wellmann (1992), s.u., Abschnitt 3.4. - Den Begriff kausativ verwendet auch Kienpointner (1985, 133-136) zur semantischen Charakterisierung eines Typs von Substantivkomposita
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Fritz Hermanns
bestimmter Typen der „Wortbildung" (hier, denominaler Adjektive auf -ig, -(a)tiv usw.). Deshalb wird das Phänomen der Kausativität in seiner Allgemeinheit in ihrem Buch weder benannt noch beschrieben, also Kausativität als semantische Grundstruktur zahlreicher Adjektive, die als solche völlig unabhängig ist von der Art ihrer Versprachlichung mit Hilfe oder ohne Hilfe von Suffixen. Das ist anders in dem exzellenten Buch von Warren (1984) - Classifying Adjectives - das nicht nur von den Adjektiven handelt, die „klassifizieren", sondern auch von der Klassifikation von Adjektiven (Warren 1984, 5). Darin zitiert Warren (1984, 8-10) zwei frühere Publikationen (Ljung 1970, Aarts/Calbert 1979), die sieben bzw. dreizehn semantische Großklassen von Adjektiven unterscheiden, darunter auch eine mit dem Bedeutungselement CAUSING bzw. CAUSE. Gemeint ist in beiden Fällen die Klasse der kausativen Adjektive. Warren selbst behandelt diese unter der Überschrift RESULT-CAUSER (Warren 1984, 23, 21 I i , 216-218, 270f ), weil sie Adjektiv-Substantiv-Konstruktionen (Attributivkonstruktionen) untersucht (statt isolierter Adjektive). Der Gedanke dabei ist, daß kausative Adjektive einem Verursacher (CAUSER), den das Bezugssubstantiv bezeichnet, das Bewirken (CAUSING) eines Resultats (RESULT) zuschreiben. Beispiele aus Warrens Korpus (mit ihren Erläuterungen) sind z.B. costly process („bringing about/having brought about/will bring about (great) costs"),5 epidemic agent („causing emidemic"), vocal breath („used to produce voice"), pathetic father („evoking pathos"), pathetic expression („inspiring pathos") und, mit Fragezeichen, emotional issues („exciting emotions") (Warren 1984, 21 If.). In einer Anmerkung zitiert Warren (1984, 307) weitere (zusätzlich zu bringing about, causing usw.) Umschreibungen, mit denen Kausativität lexikographisch anzeigbar ist: arousing, conductive to, eliciting, inducing, yielding, re-
sulting in. Mit dem Begriff des kausativen Adjektivs will ich natürlich an den Begriff kausatives Verb anschließen. Dabei halte ich mich an die mittlerweile klassische Einfuhrung des Begriffs durch Lyons (1969, 352-354, 359f ). Kausativ sind danach alle Verben, die ein Bewirken bezeichnen.6 Prototypisch ist das Verbum töten (engl, (to) kilt). Hier ist die übliche Analyse: töten = .bewirken, daß (jemand) stirbt', also ,tot wird' (Vorgang). Ebensogut könnte man natürlich deuten:,bewirken, daß (jemand) tot ist' (Zustand). Faktisch wie auch logisch läuft das auf dasselbe hinaus; kein Tod (Zustand) ohne Sterben (Vorgang), und umgekehrt. Verständlicherweise präferieren Theoretiker die kompliziertere der beiden Deutungsmöglichkeiten.7 Anders
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6
7
(„kausativer Strukturtypus") wie Niespulver, Lachreiz, Lachgas. Damit ist Kienpointner die Entdeckerin des Phänomens der kausativen Substantive. Auf die - eigentlich nötigen - Komplikationen von Bedeutungsparaphrasen, die Warren hier mit der Reihe „bringing about/having brought about/will bring about" andeutet, kann ich auch im folgenden nicht eingehen. In der deutschen Linguistik ist der Begriff manchmal enger gefaßt und dann synonym mit dem der faktitiven Verben, die zwar in der Tat auch kausativ sind, aber außerdem durch ihre semantische sowie morphologische Verwandtschaft mit anderen parallelen Veiben ausgezeichnet sind, wie fällen (gegenüber fallen), legen (gegenüber liegen), setzen (gegenüber sitzen) usw. Bei dem Begriff kausatives Verb, wie Lyons ihn eingeführt hat, kommt es dagegen nicht mehr darauf an, ob es ein zweites Veib gibt, das dem kausativen Veib als Verb für das Bewirkte entspricht. Wellmann (1995, 458, 462, 464) nennt die kausativen Veiben i.S. von Lyons Faktitiva (und Bewirkungsverben), aber nur bei deadjektivischen Verben, und bezeichnet (deveibale) Verben vom Typ fällen (zu fallen) als Kausativa (oder Veranlassungsverben). Desubstantivische kausative Veiben nennt er efftzierend. Diese beiden Deutungsmöglichkeiten gelten auch für kausative Adjektive, so fiir giftig, das natürlich auch sowohl bedeutet .ursächlich dafür, daß jemand oder etwas (Tiere, Pflanzen) krank wird oder tot wird' wie
Kausative Adjektive. Bericht über eine lexikologisch-lexikographische Recherche
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als in vielen anderen Sprachen (Lyons, 1969, 352-354, 359f.) gibt es im deutschen Verbparadigma keine kausativen Formen, d.h. Formen mit kausativer Bedeutung (was man - etwas unzutreffend - meistens in der Formulierung ausdrückt, daß die Bildung kausativer Verben nicht grammatikalisiert sei). Umso wichtiger sind für das Deutsche andere sprachliche Mittel zur Bezeichnung von Kausativität, so die kausativen Verben® und die kausativen Adjektive. Statt der kausativen Formen des Verbs haben wir im Deutschen grammatische Konstruktionen mit speziellen kausativen Verben. Die wichtigsten sind wohl machen sowie lassen. Machen mit Verb ist im Deutschen wohl nur noch historisch bekannt, so aus Goethes Faust, wo Faust ja sagt: „Der Kasus macht mich lachen", aber mit Adjektiv (Das macht ihn krank) ist machen als Kausativ sehr gebräuchlich, wie auch machen zu mit Substantiv (Das machte ihn zum Sieger). Lassen ist mehrfach ambig, dabei kausativ in (mindestens) zwei Lesarten.9 Es bedeutet einerseits .bewirken' (Man läßt Kinder in die Schule gehen), andererseits (als .zulassen') .nicht verhindern, daß', was wiederum bedeutet .nicht bewirken, daß nicht' (Man läßt Kinder auf dem Schulhof spielen). Auch negierte Kausativität ist Kausativität. Ein besonders wichtiges Kausativ ist das Verb bringen, als Funktionsverb10 in Phrasemen wie zur Abstimmung/Anwendung bringen, aber auch sonst (Das bringt Freude heißt soviel wie Das macht [bewirkt] Freude), speziell auch als Element des Lexems jemanden zu etwas bringen. Es gibt also viele Möglichkeiten, im Deutschen Kausativität auszudrücken. Der Gebrauch von kausativen Adjektiven ist nur eine unter ihnen.
2 Eine etwas antiquierte Suchmethode Wie kann man die deutschen kausativen Adjektive finden? Eine publizierte Liste aller (möglichst vieler) deutschen Adjektive scheint es nicht zu geben; eine solche Liste wäre ja auch wenig sinnvoll, es sei denn, daß man sie als Datei im PC hätte und ihr Material dort weiter prozessieren könnte (beispielsweise rückläufig sortieren, s.u.). Die einzige publizierte Liste deutscher Adjektive ist das WVA von Sommerfeldt und Schreiber. Von den dort gebuchten Adjektiven sind durch Bedeutungsangaben ca. 55 als eindeutig kausative ausgewiesen. Und zwar in
auch .... krank ist oder tot ist'. In den lexikographischen Bedeutungserläuteiungen findet man sowohl die eine wie die andere dieser Möglichkeiten realisiert. 8 Eine publizierte Liste aller (möglichst vieler) deutscher kausativer Veiben scheint es nicht zu geben; sie wäre auch für das Thema kausative Adjektive nützlich, nicht zuletzt, weil in Bedeutungsparaphrasen kausativer Adjektive kausative Veiben oft verwendet werden. Viele kausative Veiben werden genannt und klassifiziert von Litvinov/Nedjalkov (1988). Partielle Listen sind enthalten in Verben in Feldern (Schumacher 1986), und zwar solche mit kausativen Veiben „der Allgemeinen Existenz" und kausativen „Änderungsveiben" (Schumacher 1986, 839-841, 845f.); wir verdanken sie vermutlich dem anhaltenden Interesse Ballwegs an den kausativen Veiben (s. Ballweg 1977). Für die weitere Klassifikation der Veiben in Verben in Feldern ist die Frage ihrer Kausativität dann nicht mehr von Bedeutung. So sind hier aufivekken und aufwachen nurmehr „Veiben des Schlafens und Wachseins" (Schumacher 1986, 857). 9 Von deutschen Kausativkonstruktionen mit dem Veibum lassen handelt das zu Recht gerühmte Buch von Vladimir Nedjalkov (1976). Ein Pendant dazu ist das bereits erwähnte Buch von Litvinov/Nedjalkov (1988) über deutsche Resultativkonstruktionen. 10 Funktionsveiben findet man bei Herrlitz (1973, 161-165) übersichtlich aufgelistet, darunter auch eine Reihe kausativer.
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jeweils zumindest (und meist auch nur) einer der Bedeutungsvarianten, wie sie im WVA unterschieden werden. Beispielsweise wird dort appetitlich als „zum Essen anregend" erklärt; ärgerlich als „Ärger erregend" (dies sogar an erster Stelle; erst an zweiter Stelle als „verärgert, ungehalten"); attraktiv als „anziehend" und als „verlockend". Von den (geschätzt) etwa 700 im Wörterbuch verzeichneten, in ihrer großen Mehrzahl polysemen Adjektiven sind so immerhin - allerdings, wie gesagt, meist nur hinsichtlich einer Bedeutung - 54, d.h. mehr als 7,5 Prozent relativ klar als kausative Adjektive gekennzeichnet. Viele andere kausative Bedeutungen sind im WVA nicht ohne weiteres als kausative zu erkennen, so z.B. nicht die von arm, die dort mit „bedauernswert, unglücklich" charakterisiert ist, die jedoch z.B. durch die Paraphrase „Mitleid erregend" oder „Bedauern erweckend" leicht (und zutreffend) als kausativ markierbar wäre. Diese habe ich nicht mitgerechnet. 7,5 Prozent ist kein geringer Anteil. Diese Feststellung gewinnt an Relevanz noch dadurch, daß es sich bei den von Sommerfeldt und Schreiber gebuchten Adjektiven und Bedeutungsvarianten offenbar um in der Alltagssprache hochfrequente handelt." Mit der Sommerfeldt/Schreiberschen Liste ist aber natürlich nur ein kleiner Teil der deutschen kausativen Adjektive erfaßt. Eine Möglichkeit des Vorgehens bei der Suche nach den anderen wäre, daß man sich ein großes Wörterbuch nimmt, sagen wir Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in acht Bänden, und da die viertausendsechsundneunzig Seiten durchsieht. Und zur Sicherheit vielleicht noch ein, zwei andere Wörterbücher ähnlichen Kalibers. Nach der Zählung von Hundsnurscher/Splett (1982, 17) würde man auf diese Weise bei rund 25 000 Wörterbuchartikeln (denn so viele Adjektive gibt es danach etwa in der deutschen Sprache) innehalten und bei jedem Adjektiv, das man dann anschaut, einzeln prüfen müssen, ob es in einer seiner Bedeutungsvarianten kausativ ist. Damit wäre jemand wie ich überfordert. Man hat ja im Leben auch noch andere Ziele als nur, kausative Adjektive aufzulisten. Für die Suche nach den (oder möglichst vielen) kausativen Adjektiven deutscher Sprache bietet sich - außer dem Nachschlagen der Adjektive in den großen Wörterbüchern - erfreulicherweise noch ein anderer Weg an. Er eröffnet sich mit der Feststellung, daß die weitaus meisten deutschen Adjektive „deriviert" sind, wie man in der Sprache der Wortbildungslehre sagen würde. Und zwar in der übergroßen Mehrzahl deriviert durch Suffigierung. Synchronisch gesprochen, heißt dies, daß die weitaus meisten deutschen Adjektive als Konstituente ein Morphem enthalten, durch das sie als Adjektiv markiert sind; nämlich durch ein Suffix. Das gilt beispielsweise für fast alle schon zitierten kausativen Adjektive, so für giftig, ekelhaft, abscheulich. Nur relativ wenige der deutschen Adjektive haben keine Adjektivmarkierung durch ein Suffix (Näheres dazu im nächsten Abschnitt). Die Kleinheit der Zahl der suffixlosen deutschen Adjektive hat nun für die Suche nach den kausativen Adjektiven positive Konsequenzen. Sie bedeutet nämlich, daß wir über die Suffixe und Suffixoide einen Zugriff auf die große Mehrzahl aller deutschen Adjektive haben. Und zwar über rückläufige Wörterbücher. Damit kann man durch Nachschlagen und Kopieren relativ leicht Listen jeweils aller Adjektive mit einem bestimmten Suffix oder Suffixoid erstellen. Insgesamt bekommt man auf diesem etwas anachronistischen Wege (über edv-verarbeitbare
11 Die Autoren machen leider keinerlei statistische Angaben, wie auch keinerlei Angaben zu den Grundsätzen der Auswahl der von ihnen angeführten Adjektive. Offenbar haben sie (durchweg glücklich) nach ihrer Intuition entschieden, welche Adjektive und deren Bedeutungsvarianten so frequent sind, daß sie fiir die Zielgruppe der „ausländischen Deutschlehrei" (Sommerfeldt/Schreiber 1983, 5) kennenswert sind.
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Wörterlisten wäre alles dies natürlich sehr viel leichter) eine Gesamtliste aller suffigierten deutschen Adjektive. „Aller" Adjektive selbstverständlich nur in dem Sinn, daß es sich um alle diejenigen Adjektive handelt, die von den diversen Wörterbuchverfassern als lexikalisiert angesehen werden, auf deren Bestandsaufnahmen sich die rückläufigen Wörterbücher stützen. Ich habe benutzt das Rückläufige deutsche Wörterbuch von Muthmann (1988), das sich u.a. durch seine Übersichtlichkeit auszeichnet, und das Rückläufige Wörterbuch des Deutschen von Theissen/Alexis/Kefer/Tewilt (1992), das den Brockhaus-Wahrig (Wahrig/Krämer/Zimmermann 1980-1984) und das Wörterbuch von Muthmann und „gelegentlich auch den Duden") verarbeitet. Es kommt so auf „ca. 216000 Wörter", was jedenfalls eine stolze Zahl ist (Theissen/Alexis/Kefer/Tewilt 1992, II). Bei jedem der registrierten suffigierten Adjektive habe ich zuerst meine Intuition entscheiden lassen, ob es vielleicht kausativ ist. Im Falle intuitiver Fehlanzeige habe ich es dann nicht mehr beachtet. So habe ich sehr wahrscheinlich viele kausative Adjektive übersehen. Bei den Adjektiven, die für Kausativität in Frage kamen, habe ich dann oft ein Wörterbuch konsultiert, um meine eigene Intuition zu überprüfen. Diesbezügliche Belege werde ich, wie schön gesagt, zitieren. Über meinen Umgang mit den suffixlosen Adjektiven berichte ich gleich im nächsten Abschnitt (Unterabschnitt 3.1). Ehe ich zu meiner Antwort auf die Frage komme, welche Adjektive in der deutschen Sprache kausativ sind, möchte ich hier noch betonen, daß sie nur vorläufig sein kann. Nicht nur deshalb, weil ich sicher manche kausativen Adjektive übersehen habe oder deshalb, weil „der" deutsche Wortschatz keine eindeutigen Grenzen hat zu deutschen Spezialwortschätzen (Dialekten, Soziolekten, Technolekten usw.). Sondern insbesondere auch deshalb, weil eine genauere Beschreibung, als sie Wörterbücher geben können, viele bis dato noch unbekannte Gebrauchsweisen (Bedeutungen) vieler Wörter zeigen würde, u.a. auch kausative. Exemplarisch beweist das die Analyse, die Hundsnurscher/Splett (1982, 99-112) von den Bedeutungen des Adjektivs scharf geben: 66 [!] Lesarten des Wortes werden von ihnen (plausibel) unterschieden. Darunter die folgenden, die sich als kausative deuten lassen (Bezugssubstantive sowie Synonyme, die Hundsnurscher/Splett angeben, setze ich in runde, meine eigenen Kommentare in eckige Klammern; ich zitiere auch hier stark verkürzend): 2. ,bei Berührung droht schmerzhafte Verletzung' (u.a. Glasscherben) [definiert wird über eine konditionale Wirkung: interessanter, wichtiger und häufiger Spezialfall eines Kausativunis]; 3. ,zum Packen und Beißen geeignet; mit Verletzungsgefahr veibunden' (Krallen, Zähne, Dornen) [dto.; aber hier ist das Kausative nur „Nebensinn" i.S. von Erdmann (1900)]; 14. »besonders leistungsfähig' (Brille, Fernrohr, Lupe; ,leistungstaik') [die „Leistung" ist eine Wirkung; ein „scharfes Fernrohr" bewirkt, daß man scharf sieht]; 20. ,von großer Leistungsfähigkeit' (Verstand, Intelligenz) [dto.; die Leistung ist hier Erkenntnis]; 24. ,alle Schwächen aufdeckend' (Prüfung, Test) [aufdecken ist ein kausatives Veibum]; 29. .unangenehm deutlich ausgesprochen' (Worte, Äußerungen; .beleidigend') [beleidigen ist ein kausatives Veib, unangenehm ein kausatives Adjektiv, wie wir noch sehen werden]; 30. ,auf Schonung des Gegners verzichtend' (Angriff, Rüge, Kritik, Zurechtweisung, Rezension; .verletzend') [verletzen ist ein kausatives Verb; Schonung besteht in einem Nicht-Bewirken (eines Nachteils, einer Verletzung); also ist scharf hier als nicht-nicht-bewirkend, d.h. als (einen Nachteil, eine Verletzung) bewirkend beschrieben]; 34. ,an Beleidigung grenzend' (Ton, Stimme; .verletzend', .beleidigend') [zu verletzen und beleidigen s.o.; „grenzend an" bezeichnet einen zweiten interessanten Spezialfall des Kausativen: daß etwas fast eine bestimmte Wirkung hat. Dies ist ein Sonderfall der Negation (des Privativen)]; 35. Jeden Widerspruch erstickend' (Befehl, Kommando) [ersticken ist ein kausatives Veibum];
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37. ,die Schwächen deutlich herausstellend' (Spott, Polemik; .ätzend', .verletzend') [kausativ sind (herausstellen, ätzen und verletzen]; 39. .schmerzhaft zupackend' (Maßnahmen, Vorgehen) [Schmerz ist eine Wirkung der Maßnahmen, des Vorgehens; schmerzhaft ist ein Kausativum (s.u.)]; 42. .die Geschmacksnerven stark affizierend' (Geschmack) [Offizieren ist ein kausatives Verbum]; 43. .einen brennenden Geschmack hervorrufend' (Soße, Gulasch, Senf, Meerrettich, Pfeffer) [auch hervorrufen ist ein kausatives Veib]; 44. .Stoffe angreifend' (Säure, Lauge; .ätzend', .zerfressend',,zersetzend') [ätzen usw. sind kausative Verben]; 45. .wegen des Alkoholgehalts auf der Zunge brennend' (Schnaps, Fusel) [der Schmerz des „Brennens" auf der Zunge ist die Wirkung scharfer Schnäpse]; 46. .starker und unangenehmer Sinneseindruck' (Geruch) [ein „Eindruck" ist eine Wirkung, unangenehm, wie schon bemerkt, ein kausatives Adjektiv]; 47. ,stark und unangenehm riechend (Rauch, Qualm; .beißend') [beißend heißt hier offenbar .was wehtut', also eine schmerzliche Wirkung hat]; 52. .die Augen blendend' (Licht) [blenden ist ein kausatives Verbum]; 55. .schmerzhaft niedrige Temperatur' (Kälte) [schmerzhaft heißt soviel wie .Schmerz bewirkend']; 56. .mit empfindlicher Kälte verbunden' (Wind; .schneidend') [schneidend hier wohl: .schmerzend' (wie ein Schnitt), d.h. Schmerz bewirkend]; 62. .geschlechtliche Begierde auslösend' (Mädchen, Frau;,aufreizend') [auslösen und aufreizen sind kausative Verben], D a s ist eine, wie ich finde, eindrucksvolle Vielfalt kausativer Einzelbedeutungen. Die Hundsnurscher/Splettsche Gesamtanalyse ist natürlich noch viel eindrucksvoller.
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Listen kausativer Adjektive
Damit also komme ich zu meiner vorläufigen Antwort auf die Frage, welche Adjektive in der deutschen Sprache kausativ sind. Ich gebe sie in Gestalt von Listen (mit Erläuterungen, meistens in Form von Zitaten), die nach morphologischen Kriterien angelegt sind. Das entspricht ja meiner Suchmethode.
3.1 Kausative Adjektive ohne Suffix oder andere Adjektivmarkierung Allerdings, zu meiner ersten Liste ist noch eine Vorbemerkung nötig. Denn die deutschen Adjektive ohne Suffix sind ohne edv-Unterstützung nicht ganz leicht zu finden. Eine publizierte Liste aller lexikalisierten suffixlosen deutschen Adjektive scheint es nicht zu geben, obwohl sie durchaus von theoretischem Interesse wäre. 12 Hilfreich - das zweitbeste - wäre eine Liste der 12 Aus der Zahl der sufiixlosen Adjektive wäre - bei Zugrundelegung der Hundsnurscher/Splettschen Zahlen - die Zahl suffixhafler deutscher Adjektive zu erschließen. Ich vermute, daß die Zahl der sufiixlosen Adjektive nicht sehr groß ist (vgl. die folgende Anmerkung). Wenn sie in der Größenordnung von - sagen wir - tausend läge, wären ca. 96 Prozent aller deutschen Adjektive durch ein (adjektivspezifisches) Suffix als Adjektive markiert. Das wäre dann eine geradezu überwältigende Mehrzahl. Die übrigen deutschen Adjektive sind nicht alle, aber doch fast alle - so ist zu vermuten - entweder Simplizia im Sinne der Wortbildungslehre oder daraus durch Linkserweiterung (Komposition oder Präfigierung) gebildet. Da nun Simplexformen, wie Weinrich (1993, 992) plausibel annimmt, eine hohe Gebrauchsfrequenz haben (prototypisch sind hier arm, reich, groß, klein, alt, jung, schwarz, weiß), ist bei ihnen eine Adjektivmarkierung sozusagen überflüssig. Daher auch bei den aus ihnen durch Linksexpansion gebildeten Adjektiven. Was
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monomorphematischen deutschen Adjektive. Damit ließen sich durch Nachschlagen in rückläufigen Wörterbüchern alle anderen suffixlosen deutschen Adjektive finden. Eine solche Liste wäre aus dem Morpheminventar von Äugst (1975) zu gewinnen. Dazu müßte man jedoch die 1179 Seiten dieses Inventars durchsehen, wozu mir die Zeit gefehlt hat. Das drittbeste wäre ein Liste aller adjektivischen Simplizia des Deutschen. (Das ist es etwas anderes als eine Liste der monomorphematischen Adjektive: die Zahl der Simplizia ist geringer, weil in ihr z.B. die in der Wortbildungslehre als durch bloßen Wortartwechsel charakterisierten Adjektive nicht erscheinen.) Doch auch eine solche Liste ist anscheinend noch nicht veröffentlicht worden. Eine provisorische Auflistung deutscher Simplizia, die mir vorliegt, enthält 215 Adjektive. 13 Diese habe ich durchmustert, potentielle Kausativa daraus mir notiert in einer provisorischen Zusammenstellung, diese dann ergänzt um die im WVA aufgeführten kausativen Simplizia und anderen monomorphematischen Adjektive sowie Zufallsfunde, außerdem ergänzt um Präfixbildungen zu den bereits gebuchten Adjektiven und dann die Einträge überprüft mit Hilfe meiner Wörterbücher. Das Ergebnis ist die folgende Auflistung kausativer Adjektive - in einer Bedeutung (es ist meistens nicht die Hauptbedeutung) dieser Adjektive. Ich weise noch einmal daraufhin, daß ich aus allen Wörterbüchern selektiv nur das zitiere, was geeignet ist, das Vorliegen von Kausativität zu plausibilisieren. So entsteht ein völlig schiefes Bild der Wörterbuchartikel. Das ist zwar bedauerlich, jedoch für meinen Zweck in Kauf zu nehmen. Kausativa ohne Adjektivmarkierung (68)14: angenehm (DUW: „eine positive Empfindung auslösend"; kein Simplex, aber monomorphematisch), unangenehm, arg (DUW: „(landsch.) [...] unangenehm"), bange (in den Wörteibüchern ohne einschlägigen Hintrag, aber bange Stunden sind wohl ohne Zweifel ,bange machend'), bequem (WVA: „Behagen verursachend"), bitter (DUW: „schmerzlich", d.h. .Schmerzen machend'), blöd (DUW: „unangenehm, ärgerlich"), dicht (DUW: „fest abschließend"), undicht, dumm (DUW: „in ärgerlicher Weise unangenehm"), dunkel (WVA: „unerfreulich"; WVA s.v. erfreulich: „Freude bringend"), duster (DUW: „bedrückend negativ"), dürr (WVA: „unfruchtbar", „enttäuschend"), egal (LGW: „etwas ist jemandem egal: etwas interessiert jemanden nicht"; interessieren ist ein kausatives Veib), piepegal, schnurzegal, schnurzpiepegal, scheißegal, ernst (DUW: „besorgniserregend"), fein (DUW: „von angenehm-zartem Äußeren"), fett (WVA: „gewinnbringend"), finster (DUW: „dunkel, düster erscheinend und dadurch unheimlich"), froh (WVA: „Freude gebend/verursachend"), geheuer (DUW: ,/licht ganz geheuer: unheimlich"), geil (DUW: „(salopp, bes. Jugendspr.) in begeisternder Weise schön, gut), gemein (DUW: „abstoßend [...]", „in empörender Weise moralisch schlecht" [...], „in empörender Weise frech"), gesund (DUW: „die Gesundheit fördernd"), ungesund (WVA: „gesundheitsschädlich", ,¿Schaden bringend"), gut (DUW: „wirksam, nützlich"), heiter (im DUW ohne passende Bedeutungsparaphrase, aber doch mit der Erläuterung „ein heiterer (erheiternder) Roman"), herb (DUW: „Kummer verursachend"), horrend (DUW:,jedes normale Maß überschreitend, so daß es [...] Kritik hervorruft"), hübsch (DUW: „von angenehmem, gefälligen Äußeren, [...] Wohlgefallen erregenjd]"), intim (WVA: „behaglich", d.h. .Behagen bereitend'), kalt (DUW: „ein eisiges Gefühl [...] erregend"), klug (WVA: „[...] bedeuten würde - ich fasse zusammen - daß a) die weitaus meisten deutschen Adjektive hinsichtlich ihrer Wortartenzugehörigkeit per Adjektivsuffix markiert sind und daß b) die relativ wenigen anderen Adjektive entweder zu den Simplizia (oder anderen Monomorphematika) gehören oder ein Simplex (bzw. Monomorphematikum) enthalten, und zwar, wie ein Suffix, ganz rechts. Damit wären alle deutschen Adjektive und zwar rechts, worauf es ja im Deutschen ankommt - leicht als Adjektive zu erkennen. 13 Sie ist am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg entstanden, ich verdanke sie Herbert Ernst Wiegand. Die Zahl 215 ist zu vergleichen mit der Angabe bei Weinrich (1993, 991), der schreibt: „Etwa ein Drittel des adjektivischen Wortschatzes der deutschen Sprache besteht aus Simplexformen." Vielleicht ist das ein Druckfehler. Denn nach Wellmann (1995, 514) dürfte „die Zahl der einfachen, d.h. weder abgeleiteten noch zusammengesetzen Adjektive nur bei einigen hundert" liegen. Keiner der beiden Autoren verweist auf Literatur, die seine Zahl nachprüfbar machen würde. 14 An dieser Stelle gebe ich - entsprechend auch in den folgenden Listen - die Zahl der darin enthaltenen Adjektive an.
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Nutzen bringend"), kühl (WVA: „erfrischend"), leicht (DXJW: „(bes. von Speisen o.ä.) [...] nicht belastend"), lieb (DUW: „durch seine liebenswerte Art Zuneigung auf sich ziehend"), lind (DUW: „angenehm mild"), mager (DUW: „nicht ertragreich", d.h. wenig Ertrag bringend), matt (WVA: „unbefriedigend, nicht überzeugend/beeindruckend"), mild (DUW: (bes. von bestimmten Chemikalien) nicht scharf, etwas nicht angreifend"-, angreifend hier offenbar i.S. von .beschädigend'), nett (DUW: „hübsch und ansprechend, gefällig"; letzteres offenbar i.S. von .Gefallen erregend'), neu (WVA: „Vorangegangenes ersetzend/ ablosend"), nüchtern (WVA: „wenig Behaglichkeit/Gemütlichkeit verbreitend)", öde (DUW. „ein Gefühl der Langeweile hervorrufend"), rauh (WVA: „unfreundlich", „angreifend"), roh (DUW: „anderen gegenüber [...] grob, sie [...] verletzend"), sanft (DUW: „angenehm wirkend"),15 sauer (DUW: „in der Geschmacksrichtung von Essig oder Zitronensaft liegend (und [...] die Schleimhäute des Mundes zusammenziehend und den Speichelfluß angeregend)"), scharf (vgl. Abschnitt 2 mit dem Zitat aus Hundsnurscher/ Splett 1982), schief (WVA: „irreßhrend"), schlecht (DUW: „unangenehm "; angenehm und unangenehm gehören zu den in Erklärungen meistgebrauchten kausativen Wörtern, wir werden ihnen noch oft begegnen), schlimm (DUW: „in hohem Maße unangenehm, unerfreulich"), schön (WVA: „angenehm, genußvoll, wohltuend"), schwarz (WVA: „mit bösen Folgen"), schwer (WVA: „anstrengend", „bedrückend"), sinister (DUW: „unheilvoll", d.h. Unheil bringend), stark (DUW: „gute Leistungen erbringend"), stupend (DUW: „verblüffend"), süß (WVA: „Wohlbehagen bereitend"), trocken (DUW: „in seiner Sachlichkeit [...] witzig wirkend"), trüb(e) (WVA: „trostlos, traurig"', traurig hier i.S. von ,traurig machend'), übel (DUW: „ein unangenehmes Gefühl hervorrufend"), warm (WVA: „vor Kälte schützend", „wohltuend, beruhigend"), wüst (DUW: „abscheulich", d.h. Abscheu erregend), zart (DUW: „auf angenehme Weise weich, mürbe oder locker").
3.2 Kausative Adjektive auf
-(e)nd
Die mit weitem Abstand größte Gruppe deutscher kausativer Adjektive ist diejenige der Partizipien I der kausativen Verben. Da die Adjektivformation hier grammatikalisiert ist, kann zu jedem deutschen kausativen Verb ein kausatives Adjektiv gebildet werden, eben das Partizip. Ob das immer sinnvoll ist und ob tatsächlich jedes solche kausative Adjektiv in einem unserer Korpora belegt ist, das ist selbstverständlich beides noch die Frage. Aber im Prinzip ist diese Bildung immer möglich. Selbst da, wo man denken könnte, daß die freie Bildung durch die Lexikalisierung eines gleichlautendenden Adjektivs blockiert ist. Ich nehme als Beispiel das vermutlich hochfrequente Emotionswort reizend. Das gehört zum kausativen Verbum reizen in einer Bedeutung dieses polysemen Verbums, die das DUW umschreibt mit „eine angenehme, anziehende Wirkung auslösen, verlocken, bezaubern". Dementsprechend ist denn reizend auch tatsächlich, ich zitiere wieder aus dem DUW: „besonders hübsch, sehr angenehm, besonderes Gefallen erregend, den Sinnen schmeichelnd". Wir verwenden das Wort auch ironisch, insbesondere in dem Phrasem, das auch das DUW verzeichnet: Na, das ist ja reizend, aber im Normalfall ist z.B. „ein reizender Anblick" (Duden-Beispiel) einer, der „besonderes Gefallen" erregt. So ist reizend lexikalisiert, so kennen wir es alle. Was uns aber überhaupt nicht hindern würde, bei Lektüre einer Phrase wie z.B. „dieser ihn bis aufs Blut reizende Anblick" sofort auf die andere Bedeutung von reizen gewissermaßen umzuschalten, die in reizend gerade nicht lexikalisiert ist: die Bedeutung, wonach reizen soviel ist wie „herausfordern, provozieren, ärgern" (DUW). Fazit also: Nicht einmal die Lexikalisierung einer Partizipialform scheint die freie Bildung kausativer Adjektive per Transformation aus kausativen Verben zu behindern, wenn durch den 1S Wirkend hat hier eine andere Bedeutung als sonst, es besagt soviel wie .einen so-und-so gearteten Eindruck machend', aber auch das ist kausativ.
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Kontext dafür gesorgt wird, daß die lexikalisierte Hauptbedeutung der resultierenden Form für die Interpretation des jeweiligen Satzes oder Textes ausfallt. Es gibt außerdem noch eine andere mögliche Blockierung aufgrund einer Lexikalisierung. Das Wort schadend beispielsweise wird vermieden wegen schädlich, das im Sprachgebrauch Priorität hat, weil es das übliche Adjektiv ist. Man wählt das Übliche. Aber auch diese Blockierung ist nicht absolut. Sobald man nämlich schadend um ein Komplement erweitert (diese ihm schadende Handlungsweise), kann man es verwenden, obwohl auch bei schädlich eine ähnliche Ergänzung (für ihn schädlich) möglich wäre. Was folgt aus der freien Bildbarkeit der kausativen Adjektiven aus den kausativen Verben für die Suche nach den deutschen kausativen Adjektiven? Wenn wir eine Liste deutscher kausativer Verben hätten, dann hätten wir eo ipso eine lange Liste kausativer Adjektive, nämlich eine Liste aller kausativen Partizipien. Partizipien sind ja Adjektive.16 Daraus wiederum folgt, daß es in der deutschen Sprache jedenfalls mehr kausative Adjektive gibt als kausative Verben. Denn es gibt ja auch noch andere kausative Adjektive als nur kausative Partizipien. Von den lexikalisierten Partizipien kausativer deutschen Verben sind in Wörterbüchern zuverlässig nur diejenigen zu finden, die semantisch wegen Idiomatisierung und also Bedeutungsisolierung nicht mehr ganz problemlos zu ihrem Basisverb passen. Alle anderen brauchen ja von Wörterbüchern nicht erklärt zu werden. Ihre Bedeutung ergibt sich aus der des Verbs. Bei der Suche nach den lexikalisierten kausativen Partizipien bin ich erst einmal erschrokken. In dem Rückläufigen Wörterbuch des Deutschen (Theissen/Alexis/Kefer/Tewilt 1992)sind ca. zweitausend Wörter auf -nd verzeichnet. Gottseidank hat sich jedoch herausgestellt, daß viele dieser Wörter relativ übersichtliche Gruppen bilden. Wörter wie z.B. die auf -abend (,Sonntagabend', Feierabend usw.) konnte ich also von vornherein weglassen. Oder Wörter auf z.B. -bebend. Was dann übrigblieb, war überschaubar. Hier eine Auflistung lexikalisierter kausativer Adjektive auf -(e)nd, sämtlich ihrer Form nach Partizipien von kausativen Verben. Ich vertraue hier oft darauf, daß die Kausativität den Leserinnen ohne weiteres einleuchtet und belege sie durch Wörterbuchzitate nur in vermuteten Zweifelsfällen. Außerdem erlaube ich mir eigene Bedeutungsparaphrasen, die zwar nicht so Uberzeugend und meistens auch nicht so treffend sind wie Wörterbuchzitate, die aber die angesetzte Kausativität plausibel machen können. Da auffallend viele dieser Adjektive affektive/ emotive Adjektive sind (i.S. des in Abschnitt 1 Gesagten), weise ich darauf jeweils (mit emotiv) hin, wobei ich Affekt und Emotion nicht eng auslege. Kausativa auf -(e)nd (82): abschreckend (emotiv), abstoßend (emotiv), anheimelnd (emotiv; DUW: „behaglich wirkend'), anregend (emotiv; DUW s.v. anregen: „aufmuntern", d.h. munter machen), ansprechend (emotiv:,Gefallen erregend'), ansteckend (u.a. auch emotiv, vgl. ansteckendes Lachen), anstrengend (,Müdigkeit, Erschöpfung bewirkend'), anziehend (emotiv; DUW: „reizvoll, gewinnend, sympathisch, attraktiv" - lauter affektive Adjektive), atzend (u.a. auch emotiv; DUW: „(jugendsprachl.) abscheulich [,Abscheu erregend'], furchtbar [DUW: „Beklemmung erregend"]), auffallend (.Aufmerksamkeit erregend'), aufregend (emotiv; DUW s.v. aufregen: „in Erregung versetzen, beunruhigen"), aufreibend (DUW s.v. aufreiben: „zermürben"), aufreizend (LGW (zu etwas reizt jemanden auf): „etwas macht jemanden sehr wütend", Jemand/etwas erregt jemandes (sexuelle) Gefühle stark"), beängstigend (emotiv), bedritkkend (emotiv; DUW s.v. bedrücken: „traurig [...] machen"), befremdend (emotiv; DUW: „befremdlich"; 16 Darüber besteht in der einschlägigen Literatur anscheinend nunmehr ein Konsensus. Aufgrund einer überzeugenden Argumentation kommt Mariliier (1994, 31) sogar zu dem Ergebnis, „daß weder PI noch P2 [Partizip I bzw. II] am Verb teilhaben - es handelt sich um normale deverbale Adjektive. Die Grammatik des Deutschen kann also den Begriff Partizip entbehren."
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s.v. befremdlich: „Befremden, Erstaunen hervorrufend), befriedigend (emotiv), beglückend (emotiv), beklemmend (emotiv), belastend (u.a. emotiv; DUW s.v. belasten: „schwer machen"), berauschend (u.a. auch emotiv), berückend (emotiv; DUW s.v. berücken: „bezaubern, betören; faszinieren"), beschämend (emotiv; DUW s.v. beschämen: „Scham empfinden lassen"), bestrickend (emotiv; DUW: „bezaubern, betören und dadurch für sich einnehmen"), bestürzend (emotiv: .Bestürzung auslösend'), bezaubernd (emotiv), bezwingend (DUW: „Widerstand, Ablehnung nicht aufkommen lassend"), blendend (kausativ i.S. von blenden u.a. i. S. des DUW: „so starte beeindrucken [...], daß der Betreffende [... ] nichts anderes mehr wahrnimmt", deprimierend (emotiv; DUW: „entmutigenfdj"), desintegrierend, drückend (u.a. auch emotiv), durchschlagend (DUW: „überzeugend"; also ist durchschlagend ein perlokutionäres Adjektiv), einladend (emotiv; DUW: „verlockend, verführerisch"; einladen selbst ist zwar kein kausatives Verb, einladend aber Kausativum, was verlockend und verführerisch anzeigen), einnehmend (emotiv i.S. von .Sympathie erweckend, hervorrufend'), einschläfernd (emotiv i.S. von .Langeweile erregend'), einschneidend (DUW: „sich stark auswirkend"), empörend (emotiv: .Empörung auslösend'), entehrend (DUW s.v. entehren: „der Ehre berauben"; entehrend ist also privativ-kausativ), enteisend (DUW s.v. enteisen: „von Eis befreien"), entscheidend (DUW: „ausschlaggebend", d.h. ,von entscheidender Wirkung'), entzückend (emotiv: .Entzückung bewirkend'), erdrückend (DUW: „überwältigend"), erfrischend, ergreifend (emotiv; LGW: „von starker (erschütternder) Wirkung auf das Gemüt"), erhebend (emotiv; LGW: „was eine feierliche, andächtige Stimmung verursacht), erniedrigend (DUW s.v. erniedrigen: „moralisch herabsetzen, herabwürdigen"), erquickend (DUW: „neu beleben[d], stärken[d], erfnschen[d]"), erschreckend (emotiv), erschütternd (emotiv), erschwerend (.schwerer, gewichtiger machend'), fesselnd (emotiv; DUW s.v. fesseln: „faszinieren"), führend (DUW: „das Geschehen [...] bestimmend", d.h. .bewirkend, daß es in bestimmter Weise verläuft'), gewinnend (emotiv; DUW: „andere für sich einnehmend", d.h. ,Sympathie erregend'), gravierend (DUW: „sich [...] nachteilig auswirkend"), herausfordernd (emotiv; DUW: „durch [...] aufreizende [...] Art eine Reaktion verlangend"; weder herausfordern noch verlangen sind in ihrer Hauptbedeutung kausative Verben, doch ist herausfordernd i.S. von,aufreizend' kausativ), hinreißend (emotiv i.S. von .begeisternd'), imponierend (emotiv i.S. von ,Bewunderung erregend'), ionisierend, kränkend (emotiv; LGW: „Gefühle [...] verletzend"), liebreizend (emotiv; DUW: „voller [...] Charm"; DUW s.v. Charm: „Anziehungs&rq/?, die [...] von gewinnendem Wesen ausgeht"), lohnend (LGW: „so, daß man dabei einen Gewinn oder viel Freude daran hat"; hier wird, wie oft im LGW, Kausativität als Konsekutivität beschrieben), mitreißend (emotiv: .begeisternd'), nichtionisierend, niederdrückend (emotiv; DUW: „deprimierend''), prickelnd (emotiv; DUW: „ein erregendes Gefühl verursachen[d]"), reizend (emotiv; DUW: „besonderes Gefallen erregend"), rührend (emotiv; DUW: „Rührung bewirkend"), schlagend (DUW: „sehr überzeugend"; also ein zweites perlokutionäres Adjektiv), schneidend (DUW: „einen scharfen Schmerz verursachend"), spannend (emotiv; DUW: „erregend, fesselnd"), tiefgreifend (DUW: „den Kern, die [...) Basis [...J betreffend (und deshalb von entscheidender, einschneidender Bedeutung"), überraschend (emotiv; DUW: „früher oder anders als erwartet und deshalb [...] in Erstaunen setzend), überwältigend (emotiv; LGW: „mit sehr starker Wirkung"), überzeugend (ein drittes perlokutionäres Adjektiv), umwerfend (emotiv; DUW: „(ugs.) jemanden aus der Fassung bringenfdj"), unbefriedigend (emotiv), verblüffend (emotiv), verheerend (emotiv; DUW: „furchtbar, entsetzlich, [...] (ugs.) scheußlich" - lauter emotive kausative Adjektive), verletzend (emotiv; DUW: Jcränkend"), wohltuend (emotiv; DUW: „(in seiner Wirkung) angenehm"), zündend (emotiv; DUW: „er hielt eine zündende Rede: er begeisterte [...] die Zuhöret"), zwingend (DUW: „die Gründe sind zwingend: sehr überzeugend" - das vierte perlokutionäre Adjektiv in dieser Reihe).
Damit ist der Vorrat deutscher kausativer lexikalisierter Adjektive auf -(e)nd nicht erschöpft. Bei weitem nicht. Die meisten haben jedoch nicht bloß das Suffix -(e)nd, sondern ein ganzes kausatives Partizip als Komponente, die entscheidend ist für Wortart und Semantik. Beispiele sind Adjektive wie bahnbrechend, herzbrechend, lichtbrechend, panzerbrechend. Oder existenzbedrohend, lebensbedrohend. Ich behandle sie im übernächsten Abschnitt (3.4).
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3.3 Kausative Adjektive mit anderen Suffixen Nachfolgend sind kausative Adjektive mit anderen Suffixen (als -(e)nd) aufgelistet. Die zugrundeliegende Zusammenstellung der Suffixe habe ich dem Morphemlexikon von Äugst (1975, 1279-1299) entnommen, der in seinem Inventar deutscher Suffixe17 allerdings nur gebundene Morpheme auffuhrt. Ich habe sein Inventar erweitert um die oft auch als Suffixoide bezeichneten freien Morpheme und Morphemgruppen18, die ich ebenfalls Suffixe nenne, wie z.B. -los und -mäßig, aber auch wie -haltig, -freudig, -ähnlich. Denn es scheint mir keinen linguistisch relevanten Unterschied zu geben zwischen den morphologischen Eigenschaften der auf -bar und der z.B. auf -los (aber auch auf -frei, -arm, -voll usw.) endenden Adjektive. Der einzige Unterschied ist eben, daß es sich bei letzteren um Adjektivsuffixe handelt, die freie Morpheme (nämlich selber Adjektive) sind, bei -bar um ein gebundenes Morphem; das ist jedoch sprachsystematisch nur ein Zufall, wie an -fähig zu erkennen, das mit -bar teilsynonym ist (Fleischer/Barz 1995, 254). Wichtig ist dagegen, daß manche Suffixe eine lexikalische Bedeutung haben, so -bar, -los, -frei, -haltig, -freudig usw., andere dagegen nicht,19 z.B. -ig, -isch, -lieh, -haft (diese Unterscheidung finde ich bei Warren (1984, 110f ). Daher ordne ich die Listen in zwei Gruppen (3.3.1 und 3.3.2). Eigentlich nur, um die lange Folge meiner Listen etwas übersichtlicher zu machen, habe ich weitere kausative Adjektive mit Suffixen oder suffixartigen Konstituenten im danach folgenden Abschnitt (3.4) separat behandelt. Darin finden sich auch Adjektive mit entweder singulären (keine Reihe bildend) oder auch fast-singulären (Reihen aus nur zwei oder drei Elementen bildend) Strukturmustern. Alle dort genannten Adjektive werden in der Überschrift als Adjektivkomposita bezeichnet. Wenn man, wie schon Kühnhold/Putzer/Wellmann (1978, 427), davon ausgeht, daß „eine scharfe Grenzziehung zwischen Derivation und Komposition kaum möglich" ist (zustimmend zitiert von Fleischer/Barz 1995, 227), dann ist aber die Einteilung in Komposita und Derivata stets ein Akt der Willkür. Um den Grad der Willkür etwas einzuschränken, behandle ich hier (in Abschnitt 3.3) nur die kausativen Adjektive, deren Suffix nur ein einziges Morphem ist; monomorphematische Suffixe sind ja jedenfalls die prototypischen Suffixe. Man wird daher Adjektive auf z.B. -bringend, -schädlich, -wirksam erst im nächsten Abschnitt (3.4) finden. Keine Kausativbedeutung habe ich - z.T. erwartungsgemäß - erkannt bei Adjektiven auf -agogisch, -alisch, -an, -an, -anisch, -ar, -arisch, -aristisch, -astisch, -(e)n,20 -er,21 -erhaft, -ern, -fach, -ial, -icht, -id,-iell, -ikal, -ikos, -isatorisch, -itär, -istisch, -itisch, -lerisch, -bereit, -eigen, -fach, -faul, -fern, -fremd, -froh, -schwach, -stark und vielen anderen. 17 Seine (wie es scheint, von der Woitbildungslehre bisher kaum genutzte) Übersicht ist umfangreicher und differenzierter als z.B. die von Kühnhold/Putzer/Wellmann. 18 Nach dem Verzeichnis von Kühnhold/Putzer/Wellmann (1978,119-173). 19 Klipp und klar hat - hinsichtlich denominaler Adjektive - Mötsch (1992, 119) formuliert, es sei „völlig unnötig, den Adjektivsuffixen eine Bedeutung zuzuordnen". Viele Adjektivsuffixe haben eben keine lexikalische Bedeutung. 20 Bei den im Rückläufigen Wörterbuch des Deutschen aufgeführten ca. 26 500 Wörtern auf -en habe ich kapituliert und sie nicht durchgesehen. Ich vertraue aber auf die Angabe bei Eiben (1993, 109), wonach derivierte Adjektive auf -(e)n (wie die auf -em) stets besagen, aus was für einem Stoff etwas ist (golden, kupfern). 21 Im Rücklaufigen Wörterbuch des Deutschen gibt es ca. 18000 Wörter auf -er, die ich ebenfalls nicht durchgesehen habe.
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3.3.1 Kausative Adjektive mit Suffixen mit lexikalischer Bedeutung Die Suffixe -(o)gen und -zid (in der einschlägigen Literatur oft gar nicht erwähnt)22 sind die einzigen monomorphematischen Suffixe, die selbst kausativ sind, d.h. eine Kausativbedeutung haben und in die Bedeutung der mit ihnen gebildeten Adjektive einbringen. Alle anderen kausativen Adjektive dieser Gruppe haben daher ihre Kausativbedeutung sozusagen trotz ihres Suffixes, das bei diesen Adjektiven etwas anderes bedeutet als sonst, also polysem ist, oder aber sowieso nur eine verstärkende (augmentativ), abschwächende (diminutiv) oder negierende (privativ) semantische Funktion hat oder aber nur die Adjektivität der Adjektive anzeigt, was ja Adjektivsuffixe immer leisten. Kausativa auf -abel (8): abominabel (DUW: „abscheulich", d.h. Abscheu erregend), blamabel (DUW: „beschämend", d.h. Scham bewirkend), formidabel (DUW: „durch seine Größe, Leistung o.a. beeindrukkend", d.h Eindruck erzeugend), miserabel (DUW: „auf ärgerliche Weise sehr schlecht"), hundsmiserabel, profitabel (DUW: „gewinnbringend"), rentabel (DUW: „so geartet, daß es sich rentiert (d.h. Gewinn bringt); lohnend, einträglich"), unrentabel. Kausativa auf -arm (3): abgasarmarm (LGW: „(ein Fahrzeug, ein Auto) so , daß sie wenig Abgase produzieren"), ertragsarm (DUW: „geringen Ertrag bringend"), geräuscharm (DUW: „wenig Geräusch machend"). Kausativa auf -bar (4): dankbar (WVA: Johnend"), schauderbar (DUW: „(ugs. scherzhaft): schauderhaft!"), sonderbar (DUW: „vom Üblichen, Gewohnten, Erwarteten abweichend und deshalb Verwunderung oder Befremden hervorrufend"), wunderbar (DUW: „überaus schön, gut und deshalb Bewunderung, Entzücken o.ä. hervorrufend"). Kausativa auf -dicht (11): bakteriendicht, dampfdicht, druckdicht, fettdicht, gasdicht, lichtdicht, lufldicht (DUW: „undurchlässig Air Luft"), regendicht, schalldicht (DUW: „keinen Schall durchlassend"), staubdicht (DUW: „Staub nicht durchlassend"), wasserdicht. - Das DUW erklärt s.v. -dicht (u.a.): „drückt in Bildungen mit Substantiven aus, daß die beschriebene Sache etwas nicht durchläßt", d.h. ein Durchdringen verhindert. Kausativa auf -echt (2): farbecht (DUW: „nicht abfärbend"), kußecht (DUW: „nicht abfärbend"). Kausativa auf -fest (2): klopffest (DUW: „das Klopfen von Motoren verhindernd"), rutschfest (DUW: ,¿0 beschaffen, daß man [...] nicht mehr so leicht ratscht"). - Das DUW bemerkt s.v. -fest (u.a.): „drückt in Bildungen mit Veiben aus, daß [... ] die beschriebene Sache etwas [... ] verhindert'. Kausativa auf -frei (6): blendfrei (DUW: „ein Blenden verhindernd"-, das ist doppelt kausativ, weil sowohl blenden wie verhindern kausativ sind), blendungsfrei, spiegelfrei, verzerrungsfrei; straffrei, zweifelsfrei.23 Kausativa auf -gen (10): erogen (DUW: „geschlechtliche Erregung auslösend"), halluzinogen (DUW: „Hallizunationen hervorrufend"), halogen (DUW: „saiibildend"), kanzerogen (DUW: „krebserzeugend"), karzinogen (DUW: „(etwas, wovon] eine krebserzeugende Wirkung ausgeht), kriminogen (DUW: „die Bereitschaft [...] zu kriminellen Handlungen fördernd"), pathogen (DUW: „Krankheiten verursachend"), apathogen, spasmogen (DUW: „Krämpfe erzeugend"), toxigen/toxogen (DUW: „Giftstoffe erzeugend"). Kausativa auf -ibel (3): horribel (DUW: „grauenerregend"), plausibel (DUW: ,¿0 beschaffen, daß es einleuchtet", d.h. daß es überzeugt, d.h. Überzeugung bewirkt), terribel (DUW: „schrecklich"). Kausativa auf -los (13): effektlos (DUW s.v. Effekt: „[...] Wirkung"), erfolglos (DUW: „ohne Erfolg"; DUW s.v. Erfolg: „Eintreten einer beabsichtigten Wirkung"), ergebnislos (DUW: „ohne Ergebnis", DUW s.v. Ergebnis: „[...] Folge einer Anstrengung, Unterlassung"), ertraglos (DUW: „keinen Ertrag bringend"), folgenlos (DUW: „ohne Folgen, Auswirkung'), fruchtlos (DUW: „keinen Erfolg bringend"), 22 Sie fehlen in der Liste von Äugst (1975, 1294) und in den Registern von Erben (1993) und Fleischer/Barz (1995). Auch von Kühnhold/Putzer/Wellmann (1978) werden die Suffixe -(o)gen und -zid nicht behandelt. -gen hat einen Eintrag im Duden Bedeutungswörterbuch (1985). 23 Die beiden letzten Adjektive entliehme ich, obwohl nicht völlig überzeugt, dem Buch von Vögeding (1981, 140f.), der sie unter der Kapitelüberschrift „-frei bezeichnet das ,Nichteintreten von Konsequenzen'" aufführt.
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harmlos (LGW: „ohne negative [...] Wirkungen"), nutzlos (DUW: „keinen Nutzen bringend"), problemlos (DUW: „ohne Probleme (au/zuwerfen)"), reizlos (LGW: Verweis auf Reiz i.S.v. „verlockende Wirkung"), schmerzlos (DUW: „keine Schmerzen verursachend"), schonungslos (DUW: „ohne die geringste Schonung"; zu Schonung vgl. das am Ende von Abschnitt 2 im Kommentar zu Hundsnurscher/Splett Gesagte), wirkungslos (DUW: „ohne Wirkung'). Kausativa auf -reich (11): enttäuschungsreich (DUW: „voller Enttäuschungen; s.v. Enttäuschung: „Nichterfüllung einer Hoffnung [...], die jemanden unzufrieden o.a. stimmt", d.h. macht), ergebnisreich (DUW: „reich an Ergebnissen"', zu Ergebnis vgl. ergebnislos), erträgnisreich (DUW: „ertragreich"), ertragreich (DUW: „guten, reichen Ertrag bringend"), folgenreich (DUW: „reich an Auswirkung"), gewinnreich (DUW: „gewinnbringend"), hilfreich (DUW: nützlich", d.h. Nutzen schaffend), segensreich (DUW: „reichen Nutzen bringend"), trostreich (DUW: Jemandem Trost bringend"), verlustreich (DUW: „hohen Verlust bringend"), wirkungsreich (DUW: „große Wirkung ausübend"). Kausativa auf -schwanger (5): gewitterschwanger, schicksalsschwanger, unheilschwanger, unglilcks-, zukunftsschwanger (DUW s.v. unglücksschwanger: „den Anlaß zu einem Unglück in sich bergend"; die anderen Adjektive sind analog zu verstehen). Kausativa auf -schwer (2): folgenschwer (DUW: „sich [...] verhängnisvoll auswirkend"), schicksalsschwer (DUW: „von der Art, daß [... ] jemandes Leben dadurch einschneidend verändert wird"). Kausativa auf -sicher (1): rutschsicher (DUW: „vgl. rutschfest). Kausativa auf -voll (11): effektvoll (DUW: „durch Effekte beeindruckend"), grauenvoll (DUW: grauenhaft", d.h. Grauen erregend), peinvoll (DUW: schmerzlich", d.h. Schmerz bereitend), schaudervoll (DUW: „vgl. Schaudererregend"), schauervoll (DUW: „s. schaudervolf), segensvoll (DUW: segensreich", d.h. Segen bringend), trostvoll (DUW: „Trost enthalten*/"; DUW s.v. Trost: „etwas, was jemanden in seinem Leid [...] aufrichtet), unheilvoll (DUW: „Unheil mit sich bringend"), verhängnisvoll (DUW: „von der Art, daß die betreffende Sache sich als Verhängnis auswirkt'), wirkungsvoll (DUW: „große [...] Wirkung habend"), wundervoll (DUW: „wunderbar", d.h. begeisternd gut).24 Kausativa auf -zid (7): bakterizid, fungizid, herbizid, insektizid, mikrobizid, ovizid, Spermizid (DUW s.v. fungizid: „pilztötend"; die anderen Adjektive sind analog zu verstehen).
Zwischensumme: 99 kausative Adjektive.
3.3.2 Kausative Adjektive mit Suffixen ohne lexikalische Bedeutung Kausativa auf -al (7): brutal25 (DUW: schonungslos, rücksichtslos"), epochal (DUW: „in die Zukunft hineinwirkend"), fatal (LGW: „mit schlimmen Folgen"), katastrophal (DUW: „entsetzlich"), kausal (DUW: ursächlich"), letal (DUW: „tödlich"), monumental (DUW: „in großen Dimensionen gehalten und daher beeindruckend"). Kausativa auf -ant (15): amüsant (DUW: „unterhaltend, Vergnügen [...] bereitend", d.h. machend), degoutant (DUW: „ekelerregend"), eklatant (WVA: Sensationelt'), frappant (DUW: „verblüffend, überraschend"), genant (DUW: „(veraltend) unangenehm, peinlich"), interessant (WVA: „anregend", „fesselnd"; DUW: „Interesse [...] erregend), hochinteressant, uninteressant, penetrant (DUW: „in unangenehmer Weise aufdringlich"), pikant (DUW: „(veraltend) reizvoll"), provokant (DUW: ^provozierend"). rasant (DUW: „durch (staunenerregende) hohe Geschwindigkeit gekennzeichnet"), riskant (LGW: gefährlich"), (s)charmant (DUW: „bezaubernd"), schockant (DUW: „empörend"). Kausativa auf -är (3): defizitär (DUW: „zu einem Defizit führend", d.h. ein solches bewirkend), revolutionär (DUW: „eine Revolution bewirkend"), vulgär (DUW: „auf abstoßende Weise dert>"). Kausativa auf -at (1): desolat (DUW: „trostlos, traurig: ein desolater Anblick"; traurig hier i.S.v. .traurig machend', s.u. unter traurig).
24 Keinen Hinweis auf die Kausativität von Adjektiven auf -voll finde ich bei Urbaniak (1983). 25 Brutal ist nach den einleuchtenden Kriterien von Äugst (1975, 26f.) monomorphematisch, -al in brutal also auch kein Suffix. Brutal gehört also eigentlich in mein Kapitel 3.1. Das gilt auch für andere Adjektive, die ich noch anführe und die ich gleichfalls aus Bequemlichkeit nach ihrer Endung (statt nach ihrem Suffix, das sie dann nicht haben) eingeordnet sein gelassen habe.
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Kausativa auf -atisch (4): dramatisch (LGW: „aufregend, spannend"), undramatisch, problematisch (LGW: „(eine Beziehung, eine Lösung) so, daß sie Probleme mit sich bringen ", d.h. schaffen), unproblematisch. Kausativa auf -ativ (21): assoziativ (DUW: „verbindend, vereinigend"), dekorativ (DUW: schmückend, (als Schmuck) wirkungsvoll), derogativ (DUW: „(ein Gesetz [...] außer Kraft setzend"), determinativ (DUW: „bestimmend, begrenzend, festlegend"), evokativ (DUW: „Evokation bewirkend"), formativ (DUW: gestaltend"), informativ (DUW: „Einblicke bietend, Aufschlüsse gebend), inspirativ (DUW: „durch Inspiration wirkend"), integrativ (DUW: „eine Integration herbeiföhrend", d.h. bewirkend), konservativ (DUW: „ (Med.) [...] erhaltend"), kreativ (DUW: „Ideen habend und diese [...] verwirklichend"), lukrativ DUW: „gewinnbringend"), operativ (DUW: „(bildungssprachlich) [...] unmittelbar wirkend"), palliativ (DUW: „schmerzlindernd"), pejorativ (DUW: „abwertend"), präservativ (DUW: „vorbeugend, verhütend", d.h. bewirkend, daß nicht ...), prorogativ (DUW: „aufschiebend"), provokativ (DUW: „eine Provokation enthaltend"; DUW s.v. Provokation: „Herausforderung, durch die jemand zu (unbedachten) Handlungen veranlaßt wird"), purgativ (DUW s.v. Purgativum: „stark wirkendes Abführmittel"), regulativ (DUW:„regulierend"), sedativ (DUW: „gegen Erregung wirkend, beruhigend). Kausativa auf -atorisch (5): denunziatorisch (DUW: „denunzierend"), derogatorisch (DUW: „derogativ"), evokatorisch (DUW: „Evokation [...] erzeugend"), kompensatorisch (DUW: „ausgleichend"), okkupatorisch (DUW: „in Besitz nehmend"). Kausativa auf -(e)lig (4): ek(e)lig (DUW: „Ekel erregend"), grus(e)lig (DUW: „Gruseln hervorrufend"), pricklig (DUW: prickelnd"), schnuckelig (DUW: „anziehend wirkend", jiett, ansprechend, gefallend"). Kausativa auf -eil (1): sensationell (DUW: „großes Aufsehen erregend"). Kausativa auf -ent (6): effizient (DUW: „wirksam und wirtschaftlich"), ineffizient, konkludent (DUW: „eine Konklusion zulassend", d.h. nicht verhindernd), purulent (DUW: „eitrig"; DUW s.v. eitrig: „eiternd"; DUW s.v. eitern: „Eiter absondern"), virulent (DUW: „(bildungssprachlich) sich gefahrvoll auswirkend"), avirulent. Kausativa auf -erisch (15): ausbeuterisch (DUW: „in der Weise eines Ausbeuters"; DUW s.v. Ausbeuter: „[wer] andere Menschen ausbeutet'), gesetzgeberisch (DUW: „gesetzgebend"), gleichmacherisch (DUW: „Gleichmacherei betreffend"; DUW s.v. Gleichmacherei: Aufhebung objektiv vorhandener Unterschiede"), halsbrecherisch (DUW: „lebensgefährlich"), mörderisch (DUW: „(seltener) [...] Leben vernichtend, tötend, mordend" - lauter kausative Partizipien), selbstmörderisch, quälerisch (DUW: „Qualen verursachend"), selbstquälerisch, schöpferisch (DUW: „etwas Bedeutendes hervorbringend"), unschöpferisch, trügerisch (DUW: „geeignet, zu einer gefährlichen Fehleinschätzung [...] zu verleiten"', wenn etwas geeignet ist zu einer Wirkung, hat es diese Wirkung in der Regel), verführerisch (DUW: „äußerst attraktiv, reizvoll"), verräterisch (DUW: „etwas (ungewollt) [...] verratend"; ein Verraten ist ein .Zeigen', also ,Sehen-Machen'), zerstörerisch (DUW: „Zerstörung verursachend"), selbstzerstörerisch. Kausativa auf -erlich (2): ßrchterlich (LGW: „so (beschaffen), daß es Angst und Entsetzen hervorruft'), lächerlich (DUW: „zum Lachen reizend"). - Kausative Adjektive, die nur scheinbar auf -erlich ausgehen (wie z.B. widerlich und hinderlich), habe ich in der Gruppe auf -lieh belassen. Kausativa aui-esk (2): burlesk (DUW: „von derber Komik"; DUW s.v. Komik: „[...] komische Wirkung"), grotesk (DUW: „[...] lächerlich wirkend"; lächerlich wirken scheint mir allerdings identisch zu sein mit lächerlich sein). Kausativa auf -haft (7): ekelhaft (DUW: „Widerwillen, Abscheu hervorrufend"), ernsthaft (DUW: „gefährlich"), grauenhaft (DUW: „Grauen hervorrufend"), greuelhaft (DUW s.v. Greuel: grauenhafte [...] Gewalttat"), nahrhaft (DUW: „Nährwert besitzend"; DUW s.v. Nährwert: „Wert [...] für die Aufrechterhaltung der Körperfunktionen"), schmerzhaft (DUW: „Schmerz verursachend"), zweifelhaft (DUW: „zu moralischen Bedenken Anlaß gebend", d.h. solche veranlassend). Kausativa auf -ierlich (5): genierlich (DUW: ,peinlich"), pläsierlich (DUW: „vergnüglich", d.h. Vergnügen machend), possierlich (DUW: „belustigend wirkend"), rentierlich (DUW: ,j-entabeT), unrentierlich. Kausativa auf -ig (54): anstößig (DUW: „Anstoß erregend"), unanstößig, auffällig (DUW: „Aufmerksamkeit erregend"), unauffällig, bissig (WVA: „verletzend"), brenzlig (DUW: gefährlich"), drollig (WVA: ,Jcomisch"), durchlässig (DUW: „flüssige oder gasförmige Stoffe durchdringen lassend"), undurchlässig, ehrenrührig (DUW: „die Ehre [...] verletzend"), eit(e)rig (DUW: „eiternd"), fetzig (DUW: „(Jugendspr.) mitreißend, [...] wirkungsvoll), feurig (WVA: begeisternd"), freudig (WVA: „Freude gebend"), frostig
Kausative Adjektive. Bericht über eine lexikologisch-lexikographische Recherche
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(WVA: „Killte verbreitend", „abweisend"), gemeinnützig (DUW: „dem allgemeinen Wohl dienend", d.h. ihm nützend), giftig (DUW: „die schädigende Wirkung von Gift habend"), hochgiftig, ungiftig, glitsch(e)rig (DUW: „s. glitschig), glitschig (DUW: schlüpfrig"), grausig (DUW: „Grauen hervorrufend"), heilig (DUW: „(gehoben) [...] Ehrfurcht einflößend"), hochheilig, knusprig (WVA: j u n g und attraktiv"), kräftig (WVA: „nahrhaft, kräftigend), kurzweilig (DUW: „unterhaltsam", d.h. unterhaltend), langweilig (DUW: „Langeweile verursachend"), lästig (DUW: hörend, [...] behindernd, sehr unangenehm"), lausig (DUW: „unangenehm"), lustig (DUW: „Vergnügen bereitend"), mäßig (WVA: „wenig befriedigend"), mulmig (DUW: gefährlich"), nachteilig (DUW: „Nachteile [...] bringend"), protzig (DUW: „in unangenehmer Weise [...] Vorzüge hervorkehrend"), putzig (DUW: „possierlich"), rutschig (DUW: „so beschaffen, daß man darauf ausrutschen kann"), schaurig (DUW: „Schauder hervorrufend"), schlüpfrig (DUW: „mit einer Oberfläche, auf der, an der jemand [...] leicht abrutscht"), schnurrig (DUW: „in belustigender Weise komisch"), spaßig (DUW: „Vergnügen bereitend, zum Lachen reizend"), spritzig (DUW: „anregend, belebend, prickelnd"), stickig (DUW: „(von Luft [...]) so schlecht [...], daß das Atmen [...] unangenehm ist"), stressig (DUW: „starken Streß bewirkend"), traurig (WVA: „schmerzbringend", „unerfreulich"), tieftraurig, todtraurig, ulkig (DUW: spaßig, komisch, lustig"), unschuldig (WVA: „keine verwerfliche Tat verursachend), wichtig (DUW: „von wesentlicher Bedeutung (so daß viel davon abhängt)"), unwichtig, widerwärtig (DUW: „[...] hinderlich-, ... unangenehm"), wohlig (DUW: „Wohlbehagen bewirkend), wonnig (DUW: „Entzücken hervorrufend"). Kausativa auf -il (1): skurril (LGW: „von einer Art, die als seltsam [...] empfunden wird"; das Wort wird über den erzeugten Eindruck definiert). Kausativa auf -iös (9): deliziös (DUW: „besonders köstlich"), gustiös (DUW: „appetitanregend"), ungustiös, infektiös (DUW: „ansteckend" [sowie: „auf Ansteckung beruhend"]), kontagiös (DUW: „anstekkend"), mysteriös (DUW: ¿seltsam"), odiös (DUW: „widerwärtig"), perniziös (DUW: gefährlich"), strapaziös (DUW: „anstrengend"). Kausativa auf -isch (15): dekompositorisch (DUW: „zersetzend, zerstörend"), drastisch (DUW: „einschneidend"), erotisch (DUW: „die Liebe in ihrer [...] Anziehungskraft betreffend"), unerotisch, idiotisch (DUW: „[zur Verbindung einfach idiotisch:] ärgerlich"), komisch (WVA: „zum Lachen reizend", „befremdend"), hochkomisch, urkomisch, kritisch (WVA: „entscheidend"), läppisch (DUW: „lächerlich gering"), persuasorisch (DUW: „zum Überreden geeignet", d.h. so geartet, daß es Überredung bewirkt), sympathisch (DUW: „Sympythie erweckend"), antipathisch, unsympathisch, tragisch (DUW: „schicksalhaft in den Untergang führend und daher menschliche Erschütterung auslösend").26 Kausativa auf -itiv (1): prohibitiv (DUW: „verhindernd, abhaltend; vorbeugend"). Kausativa auf -iv (31): abortiv (DUW: „einen Abort bewirkend, abtreibend"), attraktiv (WVA: „anziehend"), deminutiv/diminutiv (DUW: „verkleinernd"), destruktiv (DUW: zerstörend, zersetzend"), dezisiv (DUW: „entscheidend"), digestiv (DUW: „die Verdauung fördernd"), distinktiv (DUW: „unterscheidend"), effektiv (DUW: „wirksam, wirkungsvoll), ineffektiv, expulsiv (DUW: „eine Expulsion bewirkend"), extraktiv (DUW: „auslaugend"), instruktiv (DUW: „aufschlußreiche [...] Informationen vermittelnd"), kausativ (DUW: „(bildungsspr.; Sprachw.) veranlassend"', in kausative Adjektive aber bedeutet kausativ natürlich nicht, daß Adjektive etwas veranlassen), konstitutiv (DUW: „als wesentliche Bedingung den Bestand von etwas ermöglichend, d.h. bedingend), konstruktiv (DUW: „aufbauend, den [...] Aufbau fördernd"), rekonstruktiv, kontrazeptiv (DUW: „empfängnisverhütend"), korrosiv (DUW: zerfressend, zerstörend"), obstruktiv (DUW: ,Jiemmend, verschleppend"), persuasiv (DUW: ,j>ersuasorisch"), präklusiv (DUW: „rechtsverwirkend"), produktiv (DUW: „viel [...] hervorbringend"), hochproduktiv, unproduktiv, repressiv (DUW: „Repression ausübend", d.h. unterdrückend), nichtrepressiv, resistiv (DUW: „äußeren Einflüssen widerstehend", d.h. verhindernd, daß sie ihre Wirkung voll zur Geltung bringen), restriktiv (DUW: „ein-, beschränkend), selektiv (DUW: „auswählend"), suggestiv (DUW: „eine starke psychische [...] Wirkung ausübend"), suppressiv (DUW: „unterdrückend, hemmend"). Kausativa auf -lieh (77): abscheulich (DUW: „ekelhaft, widerwärtig), abträglich (DUW: schädlich"), annehmlich (DUW: „angenehm, TaSneüenstellend"), appetitlich (WVA: „lecker, zum Essen anregend"), unappetitlich, ärgerlich (WVA: „Ärger erregend"), bedauerlich (DUW: „unerfreulich"), bedenklich (DUW: „besorgniserregend"), unbedenklich, befremdlich (DUW: „ B e f r e m d e n [ ] hervorrufend"), behaglich
26 Hinweise auf Kausativität bei Adjektiven auf -isch finde ich weder bei Schlaefer (1977) noch bei Eichinger (1982).
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(WVA: „Wohlbehagen erweckend"), mißbehaglich, unbehaglich, beschwerlich (DUW: ,jnühsam, [...] ermüdend"), brenzlich (DUW: „brenzlig'), einbringlich (DUW: „Gewinn einbringend"), uneinbringlich, eindringlich (DUW: „durch Nachdrücklichkeit [...] nachhaltig wirkend"), eindrücklich (DUW: „eindrucksvoll"'), einträglich (DUW: „ggmxuibringend"), entsetzlich (DUW: „Entsetzen erregend"), erbärmlich (DUW: „armselig, so daß man Mitgefühl haben muß", also Mitgefühl auslösend), gottserbärmlich, hundserbärmlich, erbaulich (DUW: „von positivem Einfluß auf das Gemüt; in eine besinnliche Stimmung versetzend, (religiös) erhebend"), erfreulich (WVA: „Freude bringend"), herzerfreulich, unerfreulich, ergötzlich (DUW: „Vergnügen bereitend"), erquicklich (DUW: angenehm, erfreulich"), unerquicklich, erschrecklich (DUW: ¿schrecklich"), erschröcklich (DUW: „erschrecklich"), ersprießlich (DUW: „nutzbringend"), unersprießlich, erstaunlich (DUW: „Staunen [...] erregend"), förderlich (DUW: „der [...] Entwicklung [...] nützend"), freundlich (WVA: „Freudegebend", „angenehm"), gastlich (DUW: „so, daß sich ein Gast wohlfühlt"), ungastlich, gefährlich (DUW: „eine Gefahr [...] bringend"), ungefährlich, gemütlich (DUW: „eine angenehme [...] Atmosphäre schaffend"), urgemütlich, ungemütlich, gräßlich (DUW: „äußerst unangenehme Gefühle hervorrufend"), graulich (DUW: „Graulen verursachend"), grauslich (DUW: „leichtes Schaudern hervorrufend"), greulich (DUW: „mit Abscheu und Widerwillen verbundene Furcht erregend"), herrlich (DUW: „in einem so hohen Maße als gut, schön empfunden, daß man es sich nicht besser, schöner vorstellen kann und dadurch erfreuend"), hinderlich (DUW: ¿so beschaffen, daß es in der Bewegung hindert), jämmerlich (WVA: „mitleiderregend"), gottsjämmerlich, kläglich (WVA: „mitleiderregend"), köstlich (DUW: „unterhaltsam, amüsant oder so komisch, daß man dabei Vergnügen empfindet), lächerlich (WVA: „zum Lachen bringend"), lieblich (DUW: „einen angenehmen Sinneseindruck hervorrufend"), niedlich (DUW: „durch seine hübsche Kleinheit [u.a.] Gefallen erregend, Entzükken hervorrufend"), nützlich (DUW: „Nutzen bringend"), unnützlich, peinlich (DUW: „ein Gefühl [...] der Beschämung auslösend"), schädlich (DUW: „zu Schädigungen führend"), unschädlich, schändlich (DUW: „[zu es ist schändlich:] empörend"), schauerlich (DUW: „so beschaffen, daß es Schauder, Entsetzen erregt), scheußlich (DUW: „[...] Entsetzen erregend"), schmerzlich (DUW: „Leid, Kummer verursachend"), schrecklich (DUW: „Schrecken, Entsetzen auslösend"), tödlich (WVA: „den Tod bringend"), traulich (DUW: „den Eindruck von Gemütlichkeit und Geborgenheit erweckend"), tröstlich (DUW: „trostbringend"), ungeheuerlich (DUW: „empörend"), verdrießlich (DUW: „(geh., veraltend) ärgerlich [...] und darum Verdrossenheit erzeugend"), widerlich (DUW: „Ekel hervorrufend"), wonniglich (DUW: „beseligend"), zuträglich (DUW: nützlich"), unzuträglich. Kausativa auf -os (2): dubios (DUW: „zweifelhaft"; wohl i.S.v.,Mißtrauen erregend1), kurios (DUW: „auf [...] fast spaßig anmutende Weise sonderbar*'). Kausativa auf -6s (4): monströs (DUW: „übermäßig [...] (und daher erschreckend[...] wirkend"), ruinös (DUW: „zum Ruin führend", d.h. ihn bewirkend), schikanös (DUW: „Schikane darstellend"; DUW s.v. Schikane: „Maßnahme, durch die jemandem unnötige Schwierigkeiten bereitet [d.h. bewirkt] werden"). skandalös (LGW: „so, daß es als Skandal empfunden wird", d.h. etwa: große Empörung hervorruft). Kausativa auf -sam (10): erholsam (DUW: „Erholung bewirkend"), heilsam (DUW: „nutzbringend"), mühsam (,Mühe bereitend', das DUW spielt hier nicht mit), peinsam (DUW: peinlich"), seltsam (DUW: ,/nerkwilrdig"), unliebsam (DUW: „von der Art, daß es unangenehm ist"), unterhaltsam (DUW: „unterhaltend"), wirksam (DUW: „eine beabsichtigte Wirkung erzielend"), unwirksam, wundersam (DUW: seltsam").
Zwischensumme: 302 kausative Adjektive.
3.4 Kausative Adjektivkomposita Auch die letzte Folge meiner Listen deutscher kausativer Adjektive präsentiere ich in zwei Unterabschnitten.
Kausative Adjektive. Bericht über eine lexikologisch-lexikographische Recherche
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3.4.1 Kausative Adjektivkomposita auf -(e)nd Fast die Hälfte aller kausativen Adjektive meiner Sammlung besteht aus Komposita mit Partizipien I von kausativen Verben. Partizipien jedenfalls der Form nach, wenn sie auch als Wortbestandteile z.T. ein semantisches Eigenleben haben. Einige der durch sie konstituierten Wortgruppen sind in der Wortbildungslehre schon als kausativ beschrieben worden, nämlich in dem Standardwerk zu den deutschen Adjektivkomposita von Pümpel-Mader/Gassner-Koch/Wellmann (1992).27 Kausativa sind nach ihnen (ibid., 293f.) insbesondere die komponierten Adjektive, deren Determinans („[A]") ein „Produkt" bezeichne: u.a. Komposita auf -bildend, -erzeugend', -produzierend, -schaffend, -bringend, -gebend, -erregend, -stiftend, -spendend, ferner (mit Negation; hier erweist sich die Kennzeichnung ,,[A] = Produkt" als unglücklich) die Komposita auf -fressend, -lindernd, -lösend, -mildernd, -mindernd, -mordend, -raubend, -schluckend, -senkend, -sparend, -stillend, -tilgend, -tötend, -zerstörend sowie die Komposita auf -abweisend, -hemmend und -verhütend („prohibitiv/protektiv" mit der Bedeutung ,nicht entstehen lassend') Als von „faktitiven" Verben abgeleitet werden charakterisiert (ibid., 292) die Komposita auf -füllend und -ergänzend und (mit der Bedeutung .nicht verändernd') auf -erhaltend. Die Bedeutung .beeinflussend' wird angesetzt (ibid.) für Adjektive auf -fördernd, -anregend, -nährend, -schonend, -schützend, -stabilisierend, -stärkend (benefaktiv) sowie auf -gefährdend, -schädigend, -störend und -verletzend (malfaktiv).28 Das ergibt bereits sehr viele kausative Adjektive. Die folgenden Listen habe ich wieder anhand der genannten rückläufigen Wörterbücher erstellt. Zusätzliche, darin nicht gebuchte kausative Adjektivkomposita, die Pümpel-Mader/ Gassner-Koch/Wellmann (1992, 289-294) nennen, habe ich jeweils - mit dem Kürzel PMGKW - beigefugt bzw. eingeschaltet, aber nur solche, die von ihnen als Glieder einer Reihe angeführt sind; hier ist es wahrscheinlich, daß es keine Gelegenheitsbildungen sind, wie die einzelnen Beispiele zeigen werden. Ich beschränke mich nunmehr auf ganz wenige Kommentare. Kausativa auf -(er)sparend (10): räum-, kosten-, arbeit(s)-, zeit-, platzsparend; räum-, arbeit(s)ersparend; PMGKW: band-, benzin-, energiesparend. Kausativa auf -(verändernd (9): richtungs-, verfassungs-, satzungsändemd; gesellschafls-, weltverändernd, PMGKW: bedeutungs-,farbändernd, bedeutungs-, lebensverändernd. Kausativa auf -absorbierend (2): schall-, gasabsorbierend. Kausativa auf -abweisend (5): staub-, hitze-, wasser-, schmutzabweisend, PMGKW: korrosionsabweisend. Kausativa auf -anregend (4): appetitanregend; PMGKW: gedanken-, geist-, gesprächsanregend. Kausativa auf -beiverarbeitend (16): holzbearbeitend; kunststoff-, fleisch-, fisch-, tabak-, stahl-, textil-, metall-, eisen-, daten-, leder-, papier-, informations-, plast-, holzverarbeitend; PMGKW: erdölverarbeitend. (Be- wie Verarbeiten besteht in einem Ändern, d.h. Bewirken einer Veränderung, des Materials, mit dem gearbeitet wird.) Kausativa auf -(be)drohend (4): lebensbedrohend (DUW: „vgl. lebensgefährlich"), existenzbedrohend, unheildrohend (DUW: „sehr bedrohlich; DUW s.v. bedrohlich-, „unmittelbare Gefahr ankündigend, beängsti-
27 Die Beschreibung als kausativ geschieht durch den Hinweis, daß es sich bei den Zweitkonstituenten der beschriebenen Adjektive um die Partizipien I von faktitiven/kausativen Verben handelt (Piimpel-Mader/Gassner-Koch/Wellmann 1992, 292f.). 28 Nicht als kausativ beschrieben werden kausative Adjektivkomposita auf -ändernd, -verändernd, -regelnd, und -verarbeitend (ibid., 291) sowie auf -bestimmend, -haltend, -leitend, -entscheidend und -tragend (ibid., 289). Da es sich bei allen diesen Basen ebenfalls um Partizipien I von kausativen Verben handelt, sind die damit gebildeten Adjektive trotzdem leicht als kausative zu eikennen.
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gend"), gefahrdrohend (DUW: „Gefahr ankündigend"). (Die Veiten und Adjektive des Zeigens sind als Kausativa zu interpretieren, denn zeigen bedeutet,sehen lassen',,sehen machen', vgl.franz.faire voir.) Kausativa auf -beherrschend (6): feld-, Verkehrs-, marktbeherrschend; PMGKW: gedanken-, räum-, staatsbeherrschend. (DUW s.v. beherrschen: „bestimmen".) Kausativa auf -(be)raubend (5): atemberaubend; atem-, zeitraubend; PMGKW: kräfte-, platzraubend. (Rauben ist .bewirken, daß jemand etwas nicht mehr hat'.) Kausativa auf -beruhigend (2): nerven-, verkehrsberuhigend. Kausativa auf -bestimmend (8): wetter-, struktur-, schicksals-, lebensbestimmend-, PMGKW: adjektiv-, begriff s-, gestalt-, leistungsbestimmend. Kausativa auf -betäubend (2): ohren-, sinnbetäubend. Kausativa auf -betörend (2): sinn-, herzbetörend. Kausativa auf -bewegend (2): weit-, herzbewegend. Kausativa auf -bildend (36): trend-, geschmack-, stock-, stil-, schleim-, stamm-, stimm-, schwärm-, knochen-, sporen-, Massen-, Staaten-, allgemein-, stein-, spalier-, faser-, Charakter-, polster-, gas-, berufs-, meinungs-, geschmacks-, volks-, Vermögens-, Vertrauens-, bewußtseins-, gesteins-, gemeinschafts-, geist-, blut-, salzbildend: PMGKW: adjektiv-, adverb-, begriffs-, faden-, faktenbildend. (Wie ersichtlich, erscheint -bildend hier in zweierlei Bedeutung. - Bei einigen dieser Adjektivkomposita kann man zweifeln, ob sie kausativ sind, so bei sporenbildend (DUW: „Sporen hervorbringend, ausbildend"), das man auch als .Spören habend' deuten könnte.) Kausativa auf -(verbindend (3): stickstoff-, geruchsbindend, völkerverbindend. Kausativa auf -brechend (4): bahn-, panzer-, licht-, herzbrechend. Kausativa auf -bringend (16): tod-, freude-, hilfe-, glück-, Unglück-, heil-, unheil-, verderben-, segen-, gewinn-, gefahr-,frucht-, proflt-, trost-, nutzbringend, PMGKW: friedebringend. Kausativa auf -¿lammend (2): wärme-, schalldämmend. Kausativa auf -dämpfend (3): schall-, kosten-, schwingungsdämpfend. Kausativa auf -einflößend (2): furcht-, respekteinflößend. Kausativa auf -entscheidend (4): spiel-, kriegsentscheidend; PMGKW: existenz-, lebensentscheidend. Kausativa auf -erhaltend (5): system-, daseins-, staats-, art-, existenzerhaltend. (LGW s.v. erhalten: „bewirken, daß etwas [...] fortbesteht".) Kausativa auf -erleichternd (2): arbeit(s)-, herzerleichternd. Kausativa auf -erregend (20): mitleid-, neid-, Schwindel-, ekel-, aufsehen-, schrecken-, staunen-, grausen-, grauen-, entsetzen-, Schauder-, schauer-, krebs-, gärungs-, besorgnis-, ärgemis-, krankheits-, furcht-, abscheuerregend; PMGKW: brechreizerregend. Kausativa auf -erschütternd (4): mark-, Zwerchfell-, weit-, herzerschütternd. Kausativa auf -erschwerend (2): straf-, arbeit(s)erschwerend. Kausativa auf -erweckend (2): neid-, vertrauenerweckend. Kausativa auf -erweiternd (2): bewußtseins-, gefäßerweiternd. Kausativa auf -erzeugend (8): rausch-, fleber-, gas-, krebserzeugend: PMGKW: feld-, gänsehaut-, spannungs-, stromerzeugend. Kausativa auf -fördernd (13): stuhl-, erdöl-, lebens-, Verkaufs-, gerinnungs-, durchblutungsverdauungs-, Wachstums-, gemeinschafts-, gesundheitsfördernd; PMGKW: durst-, echo-, ehefördernd. (Fördernd hat in erdölfördernd offensichtlich eine andere Bedeutung als in den anderen Adjektiven, aber gleichfalls eine kausative. Ich wundere mich darüber, daß die Wörterbücher kohle-, kupfer-, diamantenfördernd usw. nicht auch buchen.) Kausativa auf -fressend (4) PMGKW: benzin-, erdöl-, kilometer-, kunststoffressend. (Nicht jedoch fleisch-, pflanzen-, kräuterfressend usw.) Kausativa auf -führend (2): irre-, weiterführend. (Aber nicht: kriegführend, wasserßhrend.) Kausativa auf -flillend (7): abend-, programm-, formatfüllend; PMGKW: bild-, bahnen-, ¡einwand-, raumfüllend.
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Kausativa auf -gebend (15): färb-, ausschlage Verfassung-, richtung-, milch-, beispiel-,form-, leben-, namen-/namens-, maß-, gast-, fest-, gesetzgebend', PMGKIV: beispiel-, formgebend. Kausativa auf -gebietend (3): achtung-, furcht-, ehrfurchtgebietend. (Zwar ist gebieten (wie befehlen) ein illokutives Verb, das also nur ein Versuchen (nicht: Bewirken) bezeichnet, aber z.B. achtunggebietend heißt laut DUW nicht nur „Achtung fordernd", sondern auch „imponierend", was eindeutig kausativ ist.) Kausativa auf -gefährdend (7): jugend-, friedens-, staats-, freiheits-, existenzgefährdend, PMGKW: geld-, gesundheitsgefährdend. Kausativa auf -gewinnend (2): kränz-, herzgewinnend. Kausativa auf -haltend (3) PMGKW: reifen-, wärme-, wasserhaltend. (LGW s.v. halten: „bewirken, daß eine Person oder Sache irgendwo ist/bleibt".) Kausativa auf -hemmend (19): husten-, feuer-, panzer-, krebs-, entzündungs-, entwicklungs-, gerinnungs-. gärungs-, fäulnis-, Wachstums-, korrosions-, inflations-, reaktions-, schweiß-, rosthemmend; PMGKW: bakterienwachstum-, belags-, brand-, flammenhemmend. Kausativa auf -hindernd (3): ehe-, fäulnis-, geburtshindernd. Kausativa auf -im/exportierend (3): erdölimportierend, öl-, erdölexportierend. Kausativa auf -isolierend (2): wärme-, schallisolierend. Kausativa auf -legend (2): grund-, eierlegend. Kausativa auf -leitend (6): supra-, erkenntnis-, geschäftsleitend; PMGKW: entwicklungs-, handlungs-, lebensleitend. Kausativa auf -lindernd (4): krampf-, reiz-, schmerzlindernd; PMGKW: rheumalindernd. Kausativa auf -lösend (4): krampf-, schleim-, rostlösend; PMGKW: schmerzlösend. Kausativa auf -machend (4): epoche-, alleinselig-, heilig-, schlankmachend. Kausativa auf -mildernd (3): strafmildernd; PMGKW: reiz-, streitmildernd. Kausativa auf-mindernd (2): kosten-, wertmindernd. Kausativa auf -mordend (3): mannermordend; PMGKW: menschen-, mädchenmordend. Kausativa auf -nährend (3): hautnährend, PMGKW: haar-, nervennährend. Kausativa auf -produzierend (5): öl-, erdölproduzierend; PMGKW: auto-, gesetzes-, güterproduzierend. Kausativa auf -regelnd (3) PMGKW: sprach-, temperatur-, verkehrsregelnd. Kausativa auf -reinigend (4): selbst-, brüst-, haut-, blutreinigend. Kausativa auf schädigend (8): partei-, nerven-, geschäfts-, gesundheits-, hautschädigend; PMGKW: gefäß-, monarchie-, parteischädigend. Kausativa auf -schaffend (4): eisenschaffend; PMGKW: geist-, gttter-, wert(e)schaffend. Kausativa auf -schluckend (3): schall-, lärmschluckend, PMGKW: soßenschluckend. Kausativa auf -schonend (5): faser-, hautschonend; PMGKW: aroma-, äugen-, farbenschonend. Kausativa auf -schützend (2) PMGKW: leber-, schleimhautschützend. Kausativa auf -senkend (3): blutdruck-, kosten-, fiebersenkend. Kausativa auf -spendend (9): milch-, beifall-, lebens-, segens-, schatten-, kraft-, stickstoffspendend; PMGKW: feuchtigkeits-, freudenspendend. Kausativa auf -sprühend (5): funken-, feuer-, gischt-, geist-, witzsprühend. Kausativa auf -stabilisierend (4): system-, herrschaftsstabilisierend; PMGKW: familien-, spurstabilisierend. Kausativa auf -stärkend (3): magen-, nerven-, herzstärkend. Kausativa auf -steigernd (3): kosten-, lust-, potenzsteigernd. Kausativa auf -stiftend (4) PMGKW: einheit-,form-, gemeinschafts-, glaubensstiftend. Kausativa auf -stillend (6): krampf-, husten-, durst-, blut-, schmerzstillend; PMGKW: fieberstillend. Kausativa auf -störend (3): ruhe-, betriebsstörend; PMGKW: gemeinschaftsstörend. Kausativa auf -tilgend (2): geruchtilgend; PMGKW: sündentilgend.
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Kausativa auf -tötend {4): keim-, bakterien-, geist-, nervtötend. Kausativa auf -treibend (6): galle(n)-, milch-, harn-, preis-, inflations-, schweißtreibend (aber nicht gewerbetreibend, walfangtreibend und auch nicht kriegstreibend, das nicht auf die Wirkung, sondern den Versuch der Wirkung abhebt, vgl. DUW s.v. Kriegstreiber. Jemand, der zum Krieg aufhetzt"). Kausativa auf -verhütend (5): empfängnis-, fäulnis-, korrisionsverhütend, PMGKW: brand-, feuerverhütend. Kausativa auf -verletzend (7): schäm-, ehr-, rechtsverletzend; PMGKW: geistes-, norm-, system-, verfassungsverletzend. Kausativa auf -weisend (5): weg-, richtung(s)-, Zukunft(s)-, vorwärts-, rechtweisend. Kausativa auf -wirkend (3): rück-, sicher-, doppeltwirkend. Kausativa auf -zerstörend (4): lebenszerstörend; PMGKW: gewebe-, holz-, keimzerstörend. Andere (singulare) kausative Adjektivkomposita auf -end (48): tonangebend, spanabhebend, herzerhebend, nervenaufreibend, insektenvertreibend, haarsträubend, völkerverbindend, zeitvergeudend, herzergreifend, strafverschärfend, geruchsbelästigend, gefäßverengend, daseinsbedingend, allverschlingend, hautverjüngend, fortzeugend, alarmverursachend, herzerweichend, herzerfrischend, durstlöschend, nervenaufpeitschend, erdölverbrauchend, wasseranziehend, blasenziehend, feuerspeiend, kostendeckend, herzerquikkend, schallverstärkend, fieberheilend, sinnentstellend, herzbeklemmend, allversöhnend, follikelstimulierend, unheilabwehrend, allverzehrend, gallenabführend, herzrührend, sinnverwirrend, hochauflösend, krebsauslösend, herzzerreißend, wasserabstoßend, fettspaltend, lebensrettend, herzerfreuend, nervenzerfetzend, bergeversetzend, rasseveredelnd.
Zwischensumme: 464 kausative Adjektive. 3.4.2 Kausative Adjektivkomposita auf andere Endungen als -(e)nd Kausativa auf -(undurchlässig (10): halb-, wärme-, schall-, wasser-, gas-, lufi-, licht-, ultraviolettdurchlässig; schall-, lichtundurchlässig. Kausativa auf -egal (4): piep-, schnurzpiep-, scheiß-, schnurzegal. Kausativa auf -freundlich (6): behinderten-, kinder-,fußgänger-, Verbraucher-, körper-, mütter-, benutzer-, atmungs-, umweit-, hautfreundlich. (DUW s.v. -freundlich: „drückt in Bildungen mit Substantiven aus, daß die beschriebene Sache für jemanden, etwas günstig, angenehm [... ] ist".) Kausativa auf -gefährlich (4): brand-, gemein-, feuer-, lebensgefährlich. Kausativa auf -langweilig (4): tod-, stink-, sterbens-, kotzlangweilig. Kausativa auf -neutral (7): kosten-, elektro-, geruchs-, geschmacks-, produkt-, umweit-, wertneutral. (DUW s.v. -neutral: „drückt in Bildungen mit Substantiven aus, daß die beschriebene Sache sich nicht auf etwas auswirkt".) Kausativa auf -schädlich (2): gesundheits-, umweltschädlich. Kausativa auf -schänderisch (3): grab-, ehren-, blutschänderisch. Kausativa auf -schöpferisch (3): sprach-, kultur-, wortschöpferisch. Kausativa auf -trächtig (21): rendite-, beute-, skandal-, Unfall-, ausgaben-, auflagen-, folgen-, medaillen-, lawinen-, gefahren-, devisen-, kosten-, gewinn-, fehler-, erfolgs-, schicksals-, zukunfts-, geschichts-. profit-, konflikt-, publicityträchtig. Kausativa auf -wichtig (4): hoch-, voll-, kriegs-, lebenswichtig. Kausativa auf -(un)wirksam (17): propaganda-, bild-, ausgabe-, werbe-, hoch-, heil-, ausgaben-, tiefen-, bühnen-, massen-,fieber-, leber-, publikums-, Vermögens-, rechts-, herzwirksam; rechtsunwirksam. Andere (singulare) kausative Adjektivkomposita (nicht auf -end endend) (8): elektroerosiv, hautsympathisch, hautverträglich, hochnotpeinlich, immun(o)suppressiv, rechtsunerheblich, sozialintegrativ. verhaltensauffällig, merkwürdig (DUW: „Staunen, Verwunderung, [...] Mißtrauen hervorrufend").
Zwischensumme: 93 kausative Adjektive
Kausative Adjektive. Bericht über eine lexikologisch-lexikographische Recherche
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3.5 Numerisches Fazit Insgesamt sind es genau 1108 (in Worten: eintausendeinhundertacht) kausative Adjektive, die ich hier im Dienst der Wissenschaft nach bestem Wissen und Gewissen zusammengetragen habe. Das ist eine nicht gerade geistvolle Beschäftigung gewesen, die mir aber doch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit abverlangt hat. Insbesondere gilt dies für das Mustern schier endloser - so ist es mir nämlich meinen ftüheren Beteuerungen zum Trotz doch oft vorgekommen - Listen deutscher Wörter auf -end, -ig, -isch usw. Langwierig und -weilig war natürlich auch das Nachschlagen der vielen Adjektive mit nachfolgendem Abschreiben passender Bedeutungsparaphrasen. Nun, die Wissenschaft wird es mir danken. Wenn ich meinen Leserinnen - die nun ihrerseits das Lesen meiner Wörterlisten unzumutbar mühsam finden werden - gegen wissenschaftliche Gepflogenheiten über die gehabte Mühsal klage, so vor allem in der Absicht, auf die Grenzen der Verläßlichkeit der Resultate meiner lexikologisch-lexikographischen Recherche hinzuweisen. Der menschliche Faktor spielt bei ihnen mehrfach eine Rolle. Was mich selbst betrifft, so habe ich wahrscheinlich (wie schon betont) in der Eile des Durchsehens langer Wortkolonnen und aufgrund von Übermüdung manche kausativen Adjektive übersehen. Ferner habe ich beim Mustern der Wortlisten in den rückläufigen Wörterbüchern konstatieren müssen, daß ich viele der dort aufgeführten Wörter überhaupt nicht kannte; unser aller sprachliche Kompetenz hat eben ihre Grenzen. Und nicht immer habe ich die unbekannten Wörter dann in meinen Wörterbüchern nachgeschlagen. Bei den meisten angeführten Adjektiven habe ich durch das Zitieren von Bedeutungsparaphrasen Kausativität plausibel zu machen versucht. Manche Adjektive, die ich nach wie vor für kausative halte, habe ich aus meinen Listen nachträglich gestrichen, weil die konsultierten Wörterbücher - meistens ja nur das DUW - keine dies bestätigende Bedeutungsangabe boten. Bei der Menge der gebuchten Adjektive mußte der Erklärungsaufwand in relativ engen Grenzen bleiben.29 Es war mein Bestreben, möglichst viele kausative Adjektive nachzuweisen, weil ich die Bedeutung kausativer Adjektive in der deutschen Linguistik bisher nicht genug beachtet finde. Aber in den Listen habe ich nur solche Adjektive stehen lassen, deren Kausativität ich dargetan zu haben glaube oder deren Kausativität den Leserinnen ohnehin einleuchtet, wie ich zuversichtlich hoffe. Deshalb ist die Zahl der deutschen kausativen Adjektive ohne Zweifel größer, als hier angegeben. Der menschliche Faktor spielt aber auch bei den Wörterbüchern, auf die sich die rückläufigen Wörterbücher stützen, seine Rolle. Als „Wörter der deutschen Sprache" können in der Wortstatistik in der Regel ja nur solche Wörter angesehen werden, die in allgemeinsprachliche Wörterbücher Aufnahme gefunden haben. Die Entscheidung über die Aufnahme ist jedoch von mancherlei Erwägungen abhängig. Einerseits will man seitens der Redaktionen mit der Zahl der registrierten Wörter Konkurrenten übertrumpfen, diese Zahl erscheint ja manchmal auf Buchdeckeln. Andererseits tut Quantität der Qualität oft Abbruch, weil der maximale Umfang eines 29 Das betrifft auch grundsätzliche Fragen. Hundsnurscher (1977) hat dargelegt, daß bei Wahrnehmungen wie z.B. der von Bitterkeit (Geschmackswahrnehmung) immer Kausalität mit im Spiel ist Ein bitteres Getränk bewirkt, daß ich die Perzeption von etwas Bitterem habe. Sollte man also auch bitter in der Hauptbedeutung dieser Wörter als ein kausatives Adjektiv ansehen? Sauer wurde ja vom DUW, wie in 3.1 zitiert, als solches ausgewiesen. Und vielleicht sogar rot, blau, grün? Auf dergleichen Fragen habe ich mich gar nicht eingelassen, um der Plausibilität meiner Darstellung nicht zu schaden. Aber selbstverständlich müssen solche Fragen in der Linguistik an geeigneterem Ort erörtert werden.
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entstehenden Wörterbuches festgelegt ist. Jedes Mehr an Lemmata bedeutet so ein Weniger an Erklärungen und Beispielbelegen für die behandelten Wörter. Deshalb ist eine Beschränkung lexikographisch vernünftig. Ausgeschieden werden nach vernünftigem Ermessen der Wörterbuchredaktionen insbesondere - denke ich mir - weniger frequente Wörter sowie Wörter aus Spezialwortschätzen, auch wenn sie im allgemeinsprachlichen Sprachgebrauch gelegentlich verwendet werden. Das Ergebnis ist jedoch (gilt als) „der" deutsche Wortschatz. Auch für wissenschaftliche statistische Belange. Allenfalls addiert man in der Wissenschaft die Wortbestände mehrerer der großen Wörterbücher, um auf eine möglichst große Zahl zu kommen, um so „dem" realen deutschen Wortschatz - der aber wegen seiner offenen Grenzen, darauf habe ich schon hingewiesen, nicht wohldefiniert ist - jedenfalls so nahe wie möglich zu kommen. Deshalb wäre jede exakte Zahl deutscher kausativer Adjektive - wie z.B. 1108 - ein Unsinn. Die Ermittlung einer solchen Zahl hat hier auch nur den Zweck, die Größenordnung anzuzeigen, die man für die ungefähre Zahl der deutschen kausativen Adjektive annehmen kann. Es gibt, so läßt sich in diesem Sinne sagen, mindestens ca. 1100 deutsche Adjektive, die in einer ihrer Bedeutungen kausativ sind. Ungeachtet aller berechtigten Skepsis in Bezug auf Wortstatistik sind statistische Aussagen wie z.B. die von Hundsnurscher/Splett (1982, 17) bezüglich der Zahl deutscher Adjektive evidentermaßen (ich begründe das nicht näher) sinnvoll. Folgt man ihnen und geht davon aus, daß ca. 25 000 deutsche Adjektive existieren, dann beträgt der Anteil kausativer Adjektive (kausativ zumindest in einer Bedeutung) daran mindestens 4,4 Prozent. Wenn wir weiter suchen, kommen wir vielleicht einmal auf 5 Prozent, das wäre eine rundere Zahl.
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Ergative Adjektive
Eine Sondergruppe kausativer Adjektive wird gebildet durch die ergativen Adjektive. Ergatives Adjektiv ist, wie schon kausatives Adjektiv, ein neuer Begriff, der sich aber gleichfalls aufdrängt, wenn man an den Begriff ergatives Verb denkt. Ergative Verben nennt man30 Verben, die dergestalt polysem sind, daß sie in der einen ihrer zwei Bedeutungsvarianten kausativ sind.
30 Leider nicht durchgängig. Eisenberg (1989, 119) weist darauf hin, daß in der generativen Grammatik des Deutschen eine spezielle Klasse von mc/if-transitiven Verben ergativ genannt wird, was er als einen „terminologischen Fauxpas" bezeichnet. Er selbst (1989, 439) spricht daher in anderem Sinn von ergativischen Verben, wobei er syntaktisch ergativisch und semantisch ergativisch unterscheidet (1989, 479). Die hier ergativ genannten Verben sind in seiner Terminologie semantisch ergativisch. Bereits Lyons (1969. 364f.) nennt Veiben wie move („John moved the stone"/„The stone moved") und walk, gallop, run.jump (nur in reitersprachlicher Verwendung: „John walked the horse"/„The horse walked") .ergative' verbs allerdings noch mit Anführungsstrichen. Für Bedeutungspaare wie in „John broke the window"/„The window broke" hat Comrie (1978, 391f.) den Begriff der lexikalischen Ergativität (lexical ergativity) erfunden. Darin sind Begriffe wie vor allem ergatives Verb, aber auch ergatives Adjektiv und ergatives Substantiv als Spezifikationen sozusagen bereits vorgesehen. Beispiele für ergative Substantive wären für das Deutsche Wörter auf -ung, wie z.B. Ordnung, was ja sowohl die (bewirkende) Aktion (Vorgang) wie ihr (bewirktes) Resultat (hier: einen Zustand) beschreibt. (Ähnlich, aber anders liegt der Fall bei Wörtern wie z.B. Sammlung oder auch Bau (englisch building), wo das Wort in seiner Erstbedeutung die Aktion, in seiner Zweitbedeutung aber nicht einen dadurch bewiikten Sachverhalt, sondern einen dadurch hervorgebrachten (produzierten) Gegenstand bezeichnet) Ob auch ergative Advetbien existieren, lasse ich dahingestellt sein.
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also das Bewirken eines Vorgangs oder auch Zustands bezeichnen, in der anderen Bedeutungsvariante aber den bewirkten Vorgang oder Zustand. Beispiele: „Ich rolle den Ball", „Der Ball rollt"; „Ich erschrecke dich", „Du erschrickst"; „Ich schmelze das Eis", „Das Eis schmilzt"; „Der Wind schwellt die Segel", „Die Segel schwellen".31 Dafür, daß ein solches Verb auch das Bewirken eines Zustands bezeichnen kann, kenne ich im Deutschen noch kein Beispiel. Die scheinbare Ausnahme ist hängen („Ich hänge das Bild an die Wand", „Es hängt an der Wand"), die sich im Präteritum (hängte vs. hing) als falsch herausstellt. Englisch hang ist aber ein vollgültiges Exempel. Ergative Adjektive kann man Adjektive nennen, die in analoger Weise polysem sind, d.h. Adjektive, die in einer ihrer Bedeutungen kausativ sind, also einer Entität eine Wirkung zuschreiben, und in einer anderen Bedeutung den dadurch bewirkten Zustand oder Vorgang. Das prototypische Beispiel eines ergatives Adjektivs ist traurig. Es besagt in seiner Hauptbedeutung32 etwa soviel wie „Trauer empfindend" (DUW), in einer fast ebenso wichtigen Sekundärbedeutung aber „Trauer [...] hervorrufend, verursachend" (DUW), wie wir schon gesehen haben; dies in Verwendungen wie z.B. traurige Erzählung, trauriges Ereignis usw. Alle Partizipien ergativer Verben sind in diesem Sinne ergative Adjektive. Rollend beispielsweise kann sich auf denjenigen beziehen, der etwas rollt (und damit bewirkt, daß es rollt), oder auch auf dasjenige, was gerollt wird (und aus diesem oder auch aus einem anderen Grunde selbst rollt). Das ist der Trivialfall ergativer Adjektive. Aber es gibt auch noch andere Fälle. Bisher habe ich gefunden: ärgerlich (Gemütszustand und Ursache für diesen: vgl. ärgerliche Angelegenheit); froh (dto.: frohe Botschaft), freudig (dto.: freudiges Ereignis); lustig (dto.: eine lustige Geschichte); traurig (s.o.); glücklich (Gemütszustand und das, was ihn hervorruft: ein glückliches Ende, desambiguiert im Englischen bezüglich Glück als ,Zufall' und .Gemütsverfassung' in happy end); melancholisch (wie ärgerlich); bange (dto.); ernst (dto.); behaglich (WVA: „Wohlbehagen empfindend", „Wohlbehagen erweckend"), geil (dto., aber nur in nicht-jugendsprachlicher Bedeutung: wer geil ist (geil aussieht), macht geil; ein geiles Geschenk dagegen macht den, der es als Empfänger so beurteilt, nicht selbst auch geil); heiter (vermutlich heifit sogar auch das Wetter heiter, weil die namengebenden Auguren meinten, gutes Wetter müsse uns erheitern, wenn auch nicht im heutigen Sinn von erheitern); munter (wie ärgerlich); scharf (als Synonym von geil in dessen älterer Bedeutung).
Das sind lauter emotive Adjektive. Diese bilden offensichtlich die Hauptgruppe ergativer Adjektive. Andere ergative Adjektive sind gesund (vgl. ein gesundes Kind, die gesunde Ernährung) und warm (warmer Kaffee vs. warmer Mantel)33
31 Bei Eisenberg (1989, 438; 478f.) finde ich noch kochen, fahren, durchbrechen, bremsen, zerreißen, schließen, spielen, brechen. Weitere ergative Verben sind z.B. backen, schmoren, braten (analog zu kochen); fliegen, steuern (analog zu fahren); heilen, trocknen, läuten, kleben. Eine publizierte Liste aller (möglichst vieler) deutschen ergativen Verben scheint es nicht zu geben. 32 Zu Begriffen wie u.a. Hauptbedeutung, Allgemeinbedeutung (= Gesamtbedeutung), Grundbedeutung, ohne die wir in der Lexikologie wie -graphie wohl nicht gut auskommen können, vorerst Hermanns/Zhao (19%, 419f.). 33 Warren (1984, 289-291) nennt als polyseme Adjektive, die zugleich eine Verursachung und das Verursachte kennzeichnen, sad, gloomy, sexy, sweaty, dusty.
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5 Abschließende Bemerkungen Deutsche ergative Adjektive sind in sprachtheoretischer Hinsicht nur ein Kuriosum. Lexikalische Polysemien haben in der Sprache manchmal systematischen Charakter, so im Deutschen bei den Substantiven auf -ung, die, wie per Anmerkung gerade schon erwähnt, ebenso einen Vorgang oder eine Handlung wie das Resultat davon bezeichnen können. So bei Gefühlswörtern wie z.B. Liebe oder lieben, die ein aktuelles, sozusagen momentanes Gefühl, aber auch die längerfristige Disposition dazu bezeichnen können. So auch bei den ergativen emotiven Adjektiven. Auch bei ihnen besteht eine metonymische Beziehung zwischen den Bedeutungsvarianten. Das Verhältnis zwischen Wirkung („x ist traurig") und Ursache („y macht traurig") ist ja einer der Zusammenhänge, die Metonymie begründen. Auf der Basis dieser kognitiven (und realen) Verbindung hat sich im Deutschen - so ist also festzustellen - im Bereich der emotiven Adjektive eine Insel systematisch polysemer Wörter ausgebildet. Das ist registrierenswert und irgendwie ganz hübsch für Laien und Experten. Wie auch übrigens das Phänomen der deutschen ergativen Verben. Oder auch das Phänomen der faktitiven Verben in ihrem Verhältnis zu den ihnen entsprechenden Zustands- oder Vorgangsverben (legen/liegen, fällen/fallen). Konstitutiv für all diese Phänomene ist jedoch nur, daß die Polysemie (respektive phonemische Ähnlichkeit) hier offenbar kaum je zu Mißverständnissen geführt hat. Nur deshalb hat sie sich ja historisch halten können. Daher haben alle diese Phänomene ihrer sprachtheoretischen Relevanz nach nur den Status einer Randerscheinung. Dies im Gegensatz zum Phänomen der kausativen Verben und zum Phänomen der kausativen Adjektive. Konstitutiv für sie ist das menschheitlich-universale Bedürfnis, Kausalität sprachlich ausdrücken zu können. Kausalität ist eine der Hauptkategorien menschlicher Erkenntnis. Immer wieder haben wir deshalb auch Anlaß, das Bestehen einer irgendwie gearteten Kausalbeziehung anzeigen zu wollen. Dies Bedürfnis macht sich syntaktisch und lexikalisch geltend. In der deutschen Syntax gibt es Prä- und Postpositionen {durch, infolge, wegen, halber) sowie Konjunktionen, die Kausalität anzeigen, und zwar in beiderlei Richtung: denn, weil, wegen indizieren das syntaktisch Folgende als Ursache für eine Wirkung, so daß, weshalb und infolgedessen sowie mit das syntaktisch Nachfolgende als Wirkung (mit jedenfalls als Begleiterscheinung). In der deutschen Lexik (i.e.S.) gibt es sowohl kausative wie kausale Verben, Substantive, Adjektive und Adverbien, die Ursächlichkeit bzw. Bewirktheit zuschreiben. Überlegt man sich, daß wir in unserem Denken und Erkennen und natürlich dementsprechend auch in unserem Reden permanent und sozusagen automatisch auf Kausalzusammenhänge achten, dann braucht man sich über die Vielzahl sprachlicher Ausdrucksmittel dafür eigentlich nicht sehr zu wundern. Insbesondere nicht darüber, daß im Deutschen viele kausative Adjektive existieren. Sie sind zahlreich, weil wir Sachverhalte, Gegenstände und Personen oft hinsichtlich ihrer Wirkung charakterisieren wollen oder sogar müssen. Oft ist ja die Wirkung, die etwas oder jemand hat oder nicht hat, die wichtigste seiner Eigenschaften. Solche Reflexionen sind ein Nebenprodukt meines Versuchs einer vorläufigen Bestandsaufnahme deutscher kausativer Adjektive. Ich bin dabei auf einige Fragen und Probleme aufmerksam geworden, die vielleicht von allgemeinerem Interesse wären34 und von denen ich hier eines abschließend skizzieren möchte. 34 Darunter die Frage nach dem logisch-semantischen Charakter von CAUS. Hundsnurscher (1975, 172) berichtet, Fillmore wie auch Dowty hätten in der Diskussion über die kausativen Veiben vorgetragen, nur das
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Es ist das Problem, das für mich das Selbstverständnis und die Praxis der deutschen Wortbildungslehre - wie sie ja genannt wird, sie versteht sich selber nicht als Morphologie - bilden. Mein Verhältnis zu ihr ist ambivalent geworden. Einerseits verdanke ich den Standardwerken (Erben 1993, Fleischer/Barz 1995, Kühnhold/Putzer/Wellmann 1978) viele für mich wichtige Informationen. Ich bewundere das enorme Wissen der Verfasserinnen. Andererseits ist aber die Wortbildungslehre im Verlauf meiner Recherchen für mich ein konstantes intellektuelles Ärgernis gewesen. Wie sie heute ist, ist sie ein Zwitter dia- und synchronischer Betrachtungsweisen, was sie auch selbst an sich wahrnimmt, aber fälschlich als Notwendigkeit betrachtet.33 Sie sieht sich als den „Teil der Grammatik, der [...] die Bildung neuer Wörter [...] darstellt" (Erben 1993, 16), muß jedoch an dieser Aufgabe schon deshalb scheitern, weil sie keine systematische Neologismenforschung betreibt, wie sie in der deutschen Linguistik überhaupt erst jetzt in Gang kommt (vgl. schon Herberg 1988). Wenn man nicht weiß, welche Wörter in der deutschen Sprache neu sind, kann man über die Bildung von neuen Wörtern schon erst recht nichts sagen. Bei den in den Standardwerken zahlreich angegeben Belegen (von Schriftstellern, aus Zeitungen) für neue Lexeme handelt es sich in der Regel um Gelegenheitsbildungen, die jedoch beweisen sollen, daß Wortbildungsmuster produktiv sind. Danach wäre unkaputtbar auch ein Beleg für ein produktives Muster. Produktivitätsaussagen beziehen sich auf die Gegenwart und Zukunft und sind insoweit auch Prophezeiungen.36 Aber faktisch, bei der Präsentation und Erklärung ihrer Wortbespiele, erscheint die Wortbildungslehre eher als ein Kabinett historischer Merkwürdigkeiten. Typisch für sie sind Erläuterungen wie diejenigen zu drollig („niederdt. drol,Knirps, Possenreißer'"), patzig („zu Batzen, eigentlich .klumpig, dick'") und hurtig (mhd. hurt .Lanzenstoß'"; alle Zitate aus Fleischer/Barz 1995, 257) oder die zu glitschig („eig ,glitschen [...] machen'"; Erben 1993, 107). Das sind oft historische Wortanekdoten, die als solche sicherlich an anderem Ort (in den etymologischen Wörterbüchern des Deutschen) erzählenswert sind, aber in einer synchronischen Beschreibung deutscher Lexik nichts zu suchen haben. Speziell das Wort eigentlich ist darin völlig fehl am Platze. Denn mitnichten ist die „eigentliche" Bedeutung von patzig mit .klumpig, dick' zu beschreiben, patzig heißt vielmehr so etwas wie „in ungezogener Weise
Tun von jemand (und nicht einfach: jemand) könne Ursache fiir eine Wirkung sein. Jedenfalls ist Kausation logisch gesehen eine Relation von Sachverhalten (nicht: von Individuen und Sachverhalten). In der Sprache finden wir jedoch im Vorbereich durch kausative Verben oder Adjektive bezeichneter Relationen außer Sachverhalten auch Individuen (Gegenstände und Personen) als CAUSER (Warten 1984, 210f. u.ö.) bzw. KAUSATOR (Mötsch, mündlich). Wie wir diesen Widerspruch auflösen können, ist noch offen. 35 Fleischer/Barz (1995, 9) merken (mit Verweis auf Erben) an, es sei „nicht möglich, das diachronische Element völlig aus der synchronischen Beschreibung zu verbannen". Durch das Verb verbannen wird die Forderung nach einer konsequent synchronischen Beschreibung hingestellt als eine Art von abergläubischmittelalterlichem Bannfluch. Was sie aber nicht ist. Es ist durchaus möglich und es ist auch nötig, syn- und diachronische Beschreibung strikt zu trennen, und ich wundere mich sehr darüber, daß ich Anlaß habe, dies im Jahre 1997 zu betonen. Eiben (1993, 51; ohne Kursivsetzung) schreibt, „daß die Wortbildung nicht nur streng synchronisch betrachtet werden kann, sondern auch diachronisch untersucht werden muß" (eine nicht ganz eindeutige Formulierung). Gewiß muß bzw. sollte sie das. Nur heißt das natürlich nicht, daß man die Untersuchung des Sprachwandels mit der Untersuchung des bzw. eines Sprachsystems vermischen müßte. Ganz im Gegenteil, man kann und sollte beide sehr sorgfältig auseinanderhalten. 36 Erben (1993, 48f.) macht zwar die Einschränkung, „wissenschaftliche Voraussagen über die Wahrscheinlichkeit künftiger Wortbildungen" werde man erst künftig „auf Grund einer [...] Materialbasis, die auch statistische Aussagen erlaubt", machen können. Aber jede Produktivitätsaussage ist als solche bereits eine Voraussage.
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unwillig auffahrend, mit einer groben Antwort reagierend" (DUW s.v.). Das Wort eigentlich, von Linguisten gebraucht, trägt nicht unerheblich dazu bei, den außerhalb der Linguistik verbreiteten Irrtum zu bestärken, daß die eigentliche, d.h. wahre, Bedeutung der Wörter die sei, die sie irgendwann, in grauer, meistens philologisch unbekannter Vorzeit einmal hatten, und ermutigt so zu heideggerisierendem Argumentieren. (In der Paraphrase Erbens ist dagegen eigentlich nur irreführend überflüssig; glitschig heißt tatsächlich .glitschen machend'.) Synchronisch gesehen, sind Erläuterungen wie diejenigen zu drollig, patzig, hurtig der zwar irreführende, jedoch vergebliche - Versuch der Sinnvollmachung des Sinnlosen. Es ist eine fixe Idee der Wortbildungslehre, daß sie die Bedeutung solcher Wörter zu erklären hätte. Es gibt gar nichts zu erklären. Die Bedeutung eines Wortes ist als factum brutum zunächst einmal hinzunehmen. Alle Wörter sind „Symbole" i.S. von Peirce, was in der Sprache von de Saussure heißt, daß ihre Bedeutungen arbiträr sind. Und zwar auch dann, wenn sie außerdem vielleicht auch motiviert sind; „relativement motivé" sagt daher de Saussure (1916, 182) ausdrücklich. Dies ist für die Theorie der Sprache wie auch für die Sprachbeschreibung stets nachrangig.37 Primär wichtig ist die Motiviertheit nur für okkasionelle Wörter, die also nicht lexikalisiert sind. Nur als Lehre von den Okkasionalismen wäre die Wortbildungslehre, die sich als die Lehre von der ,3ildung neuer Wörter" versteht, sinnvoll. Aber gegen eine solche sinnvolle Beschränkung sträubt sich die Wortbildungslehre, u.a. dadurch, daß sie den Begriff der Lexikalisierung gegenstandsunangemessen eng faßt. So behält sie die Zuständigkeit für viele Wörter, die sie sonst, als lexikalisierte, dem Prinzip der Arbitrarität anheimgegeben wissen müßte. Ich lese bei Schippan (1992, 120): „Mit der Wortbildung setzen Lexikalisierung, Demotivierung und Idiomatisierung ein. Da diese Wortbildungskonstruktionen nicht mehr in freie Fügungen überfuhrbar sind, gehen sie in das Lexikon ein." Dazu ist zu sagen, daß zahlreiche Wörter in das Lexikon (allerdings nicht immer auch in unsere Wörterbücher) eingegangen sind und noch eingehen, die vollkommen regulär sind und daher in eine freie Fügung überfuhrbar bleiben. Der Wortschatz ist zwar chaotisch, aber so chaotisch doch auch wieder nicht, daß er nur Regelwidriges enthalten würde. Auch die regelmäßig gebildeten Wörter können selbstverständlich lexikalisiert sein oder auch nicht lexikalisiert sein. Was davon jeweils (für welche Sprechergruppen) zutrifft, ist gewiß nicht einfach zu ermitteln. Aber dieses forschungspraktische Problem berührt die begriffliche Unterscheidung überhaupt nicht.38 37 Was natürlich nicht bedeutet, daß sie deshalb überhaupt unwichtig wären. Mötsch (1995, 207) sagt von Zusammenhängen „zwischen der phonologisch-moiphologischen und der semantisch-syntaktischen Ebene in Wortbildungstypen", also von den relativen Motivationen, daß sie „Konventionen" seien, „die der Sicherung semiotischer Funktionen dienen". (In der Tat erleichtert Motiviertheit das Erlernen wie Verwenden lexikalischer Einheiten enorm. Ohne die durch Motivation - also durch „Wortbildung" - gestifteten mnemotechnisch ungemein nützlichen Eselsbrücken wäre die Beherrschung einer Sprache wie der deutschen geradezu unmöglich. Das erkennt man gut am Teilwortschatz der deutschen Internationalismen (vulgo: der Fremdwörter), deren angemessene Verwendung Sprachteilhabern ohne Lateinkenntnisse oft nicht gelingt.) Nachdem er dies konzediert hat, formuliert Mötsch (1995, 208) unzweideutig: „Das Prinzip der Arbitrarität der Zuordnung von Lauten und Bedeutungen in Zeichen gilt [...] auch fur komplexe Wörter". 38 Die Begriffsverwendung Schippans geht vermutlich zurück auf eine terminologische Entscheidung Fleischers, der von dem „Prozeß" der Lexikalisierung sagt, daß sie „zwei Seiten" habe: „Speicherung und Demotivation", wo Speicherung den Sachverhalt bezeichnet, „daß die betreffenden Wortbildungsprodukte zu kollektivem bzw. gesellschaftlichem 'Sprachbesitz' geworden und als reproduzierbare lexikalische Einheiten intersubjektiv verwendbar sind", also genau den Sachverhalt, den man sinnvollerweise Lexikalisierung (oder Lexikalisiertheit) nennen würde, während Fleischer insistiert: „Speicherung ohne Demotivation bedeutet noch keine Lexikalisierung" (Fleischer/Barz 1995,15f.).
Kausative Adjektive. Bericht über eine lexikologisch-lexikographische Recherche
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Bei der (vermeinten) Erklärung lexikalisierter (in der Ausdrucksweise Fleischers: gespeicherter) Wörter übernimmt sich die Wortbildungslehre, indem sie auf Wortbildung zurückfuhrt, was damit gar nichts zu tun hat. Erben (1978, 16; mit Hervorhebung von Erben) schreibt, es sei zu hoffen, daß der „Schritt zu einer leistungsbezogenen Darstellung der reihenhaft funktionierenden [...] Wortbildungsmittel als Fortschritt erkannt wird". Damit ist gemeint, daß in dem Buch von Kühnhold/Putzer/Wellmann (1978) u.a. sämtlichen Suffixen semantische Funktionen zugeschrieben werden. Das fuhrt zu Subtilitäten wie zur Unterscheidung von z.B. -all/-ell',
-allZ-ell2, ... , -all/-ell'5; -isch', -isch2, ... , -isch'3; -lieh', -lieh2, ... , -lieh21 (Kühnhold/Putzer/ Wellmann 1978, 102-114). Diese Unterscheidung ist die reduetio ad absurdum des Prinzips der „leistungsbezogenen Darstellung". Es haben nun einmal - was ich wegen ihrer gegenteiligen Behandlung in dem Buch von Kühnhold/Putzer/Wellmann wiederhole - die Suffixe -all, -eil, -isch, -lieh usw. keine lexikalische Bedeutung.39 Ihre semantische „Leistung" ist ein Phantom. Solcherlei Suffixe sind nur Adjektivitätsanzeiger, Adjektivindikatoren. Wenn man sich zu dieser Einsicht durchringt, wird die deutsche Adjektivwortbildung in puncto Semantik auf einmal und ganz von selber einfach. Die Wortbildung ist für die Semantik der gebildeten Lexeme nicht entscheidend. Dafür hat auch meine Sammlung kausativer Adjektive viele Beispiele geliefert. Insbesondere Gegenbeispiele, die der nach Wortbildungsregeln anzunehmenden Bedeutung widersprechen. Was wir - ich beeile mich nunmehr, zum Schluß zu kommen - statt der bisher üblichen Wortbildungslehre in der deutschen Linguistik brauchen, das ist einerseits eine Morphologie komplexer Wörter, die (dies nebenbei gesagt) womöglich auf die griffigen Derivationsmetaphem der Wortbildungslehre ganz verzichtet.40 Andererseits, davon unabhängig, eine Wortsemantik. Diese würde eine Klassifikation der deutschen Lexik nach semantischen Kriterien unternehmen können, wie sie durch von Polenz (1980, 176f.) angebahnt ist; nur sein Titel „Semantische Wortbildungsklassen" wäre durch den Titel „Semantische Wortklassen" zu ersetzen. Für den Bereich deutscher Adjektive wäre dabei seine Klassifikation zunächst zu übernehmen (dann zu überprüfen). Darin haben wir schon eine ganze Reihe evident sinnvoller semantischer Unterklassen der (syntaktisch-semantischen) Klasse aller Adjektive. Mit z.T. terminologisch sehr brauchbaren Etiketten, u.a.: Dispositionsadjektive (zerlegbar und löslich),
habituative {schwatzhaft und zielstrebig), komparative (seidig und onkelhaft; Rolf (1984) bezeichnet solche Adjektive - auch nicht schlecht - als Vergleichsadjektive), kausale, normative, negative Adjektive. Mit Zuhilfenahme anderer Klassifikationsvorschläge41 wäre diese Reihe zu ergänzen um Bezeichnungen und Klassen wie z.B. um die Klasse der deiktischen Adjektive42
39 Engel (1988, 579) erklärt die Semantik vieler adjektivische Suffixe treffend mit der Formel: „allgemein ein Merkmal zuordnend". 40 Darauf kann ich leider nicht mehr näher eingehen. Was mich stört, ist nicht nur das Hinschreiben ganz beliebig formulierter Sätze, von denen - so wird dann ohne weiteres behauptet - die jeweils besprochenen Lexeme abgeleitet oder abzuleiten seien. Mehr als zweifelhaft scheint mir bereits das Reden von Derivationen, deverbalen Adjektiven usw. Was dabei synchronisch feststellbar ist, ist ja meistens doch nur, daß ein Morphem, daß als Komponente eines Wortes einer anderen Wortart fungiert, auch als Komponente eines Wortes der gerade betrachteten Wortart voikommt. 41 Mir bisher bekannt geworden: Aarts/Calbert (1979), Ballmer/Brennenstuhl (1982), Heidolph/Flämig/ Mötsch (1984, 603f„ 608f.), Hundsnurscher/Splett (1982), Ljung (1970), Neubauer (1977), Starke (1977) und vor allem Wanen (1984). 42 Dies ein Terminus, den ich bei Wanen (1984, 51) finde. Sie nennt als Beispiele u.a. domestic (i.S. von 'im eigenen [jeweils anderen] Land'), local, absent, present.
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{heutig, gestrig, dortig, diesbezüglich), gerundivischen (z.B. zahlbar, strafbar) und natürlich kausativen Adjektive. Bliebe nur noch, diese Klassen dann in ein System zu bringen.43
6 6.1
Literatur Wörterbücher
Collins Cobuild English Dictionary (1995). London: HarperCollins. Duden. Bedeutungswörterbuch (1985). 2. Aufl. Mannheim/Wien/Zürich: Bibliographisches Institut. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in acht Bänden (1993-1995). 2. Aufl. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich: Dudenverlag. Duden. Deutsches Universalwörterbuch (1989). 2. Aufl. Mannheim/Wien/Zürich: Dudenverlag. Götz, Dieter/Haensch, Günther/Wellmann. Hans (Hrsg.) (1993): Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Berlin usw.: Langenscheidt. Hornby, A: S. (1974): AdvancedLearner's Dictionary of Current English. 3. Aufl. London: Oxford University Press. Klappenbach, Ruth/Steinitz, Wolfgang (Hrsg.) (1961-1977): Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. 6 Bde. Berlin: Akademie. Muthmann, Gustav (1988): Rückläufiges deutsches Wörterbuch. Handbuch der Wortausgänge im Deutschen, mit Beachtung der Wort- und Lautstruktur. Tübingen: Niemeyer. Schumacher, Helmuth (Hrsg.) (1986): Verben in Feldern. Valenzwörterbuch zur Syntax und Semantik deutscher Verben. Berlin/New York: de Gruyter. Sommerfeldt, Karl-Ernst/Schreiber, Herbert (1983): Wörterbuch zur Valenz und Distribution deutscher Adjektive. 3. Aufl. Tübingen: Niemeyer. Theissen, S./Alexis, R./Kefer, M./Tewilt, G.-T. (1992): Rückläufiges Wörterbuch des Deutschen. Liège: C.I.P.L. Wahrig, Gerhard (1980): Deutsches Wörterbuch. Neuausgabe. O.O.: Mosaik. Wahrig, Gerhard/Krämer, H/Zimmermann, H. (Hrsg.) (1980-1984): Deutsches Wörterbuch in sechs Bänden. Wiesbaden: Brockhaus/Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt.
6.2
Sonstige Literatur
Aarts, Jan M. G./Calbert, Joseph P. (1979): Metaphor and Non-Metaphor. The Semantics of Adjective-Noun Combinations. Tübingen: Niemeyer. Augst, Gerhard (1975): Lexikon zur Wortbildung. Morpheminventar. 3 Bde. Tübingen: Narr. Ballmer, Thomas T./Brennenstuhl, Waltraud (1982): „Zum Adverbial- und Adjektivwortschatz der deutschen Sprache." In: Linguistische Berichte 78, 1-32. Ballweg, Joachim (1977): Semantische Grundlagen einer Theorie der deutschen kausativen Verben. Tübingen: Narr. Comrie, Bernard (1978): „Ergativity." In: Winfred P. Lehmann (Hrsg.): Syntactic Typology. Studies in the Phenomenology of Language. Sussex: The Harvester Press, 329-394. Eichinger, Ludwig M. (1982): Syntaktische Transposition und semantische Derivation. Die Adjektive auf- isch im heutigen Deutsch. Tübingen: Niemeyer. Eisenberg, Peter (1989): Grundriß der deutschen Grammatik. 2. Aufl. Stuttgart: Metzler. Engel, Ulrich (1988): Deutsche Grammatik. Heidelberg: Groos.
43 Ferner wären sinnvolle Subklassifikationen vorzunehmen. Was die kausativen Adjektive angeht, so könnte man dafür die logisch durchgerechneten Klassifikationsvorschläge von Fabricius-Hansen (1975) nutzen.
Kausative Adjektive. Bericht über eine lexikologisch-lexikographische Recherche
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Klaus Mudersbach Ein Vorschlag zur Beschreibung von Phrasemen auf der Basis eines universalen pragmatischen Modells
1 1.1 1.2 2 2.1 2.2 3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7 3.2.8
Einleitung Abgrenzung des Phrasem-Begriffs HinfUhrung zur Idee einer teleologisch-pragmatischen Phrasem-Beschreibung Drei Thesen zur Begründung eines teleologisch-pragmatischen Ansatzes Auflau der Darstellung Abgrenzung des kognitiv-emotionalen Bereichs gegenüber anderen Universalbereichen des menschlichen Lebens Vorschlag eines teleologisch-pragmatischehen Modells: das Sinngebungs-Modell Vorbemerkungen Das Sinngebungs-Modell Innerlichkeit und Glaubensinhalt des Kommunikanten K Wie erkennt man an K, ob bei ihm eine solche Aufittllung seiner Innerlichkeit vorliegt? Verschluß des K gegenüber anderen Glaubensinhalten Anspruch des K an andere Menschen Erwartung des K an die Realität Die Dimension der Gruppenbildung Die Dimension der Zeit Die Aspekte: momentane und permanente Innerlichkeit
4 4.1 4.2 4.3 4.4
4.5 5 5.1 5.2 6
6.1 6.2 7 8 9
Anwendung des Sinngebungs-Modells bei der Phrasem-Analyse Ein Beispiel zur Veranschaulichung, wie das Sinngebungs-Modell anzuwenden ist Vorbereitung des Phrasems zur Analyse Zur Einordnung des Phrasems in das Sinngebungs-Modell Angabe des Gesamt-Resultates zum Ereignisverlauf und zur Einordnung in das Sinngebungs-Modell Zur Checkliste (im Anhang) Konzept zu einem Phrasem-Nachschlagebuch für (Nicht-)Muttersprachler Einsprachig Zweisprachig Benutzungsssituationen für das einsprachige und das zweisprachige Phrasem-Nachschlagebuch Einsprachig Zweisprachig Zusammenfassung und Ausblick auf Hypertext Literatur Anhang: Checkliste zur Phrasem-Analyse nach dem Sinngebungs-Modell
1 Einleitung 1.1 Abgrenzung des Phrasem-Begriffs Ziel dieses Beitrags ist: eine pragmatische Beschreibung vorzulegen, die das enthält, was ein Nicht-Muttersprachler wissen muß, um ein Phrasem in einer Situation richtig gebrauchen zu können.
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Bisher vorliegende semantische Phrasem-Beschreibungen sind meist reduktiv. Sie fuhren das Phrasem auf eine nicht-phraseologische Paraphrase zurück, die aber gerade offen läßt, was das Spezifikum des Phrasems gegenüber der Paraphrase ist. Da das Spezifikum meiner Meinung nach pragmatischer Natur ist, d.h. mit Sprecher-Hörer-Sach-Beziehungen in einer Situationskonstellation zu tun hat, ist eine bloße Paraphrase für den Nicht-Muttersprachler nutzlos. Dem Muttersprachler nützt sie aber auch nichts, weil er das Phrasem entweder kennt und dann auch ohne Paraphrase auskommt oder nicht kennt und ihm die Paraphrase dann auch nicht die Scheu nimmt, das unbekannte Phrasem ohne Vorführung in Situationskontexten anzuwenden. Gut gemeinten Beispiele (meist minimale Zitate von renommierteren Autor(ität)en) helfen dem, der nicht schon weiß, was sie bedeuten, auch nicht weiter, weil es sich meist um Sätze ohne Kontext handelt (cf. Hessky/Ettinger 1997, 3ff ). Die semantische Beschreibung eines Phrasems ist auch unter „phraseographischen" Gesichtpunkten in ihrem Status unklar, weil meist keine Kriterien angegeben werden, unter denen eine Paraphrase als „angemessen" anzusehen wäre. Mit „Phrasem der Sprache L" wird hier eine Folge F von Ausdrücken bezeichnet, die (alle oder zum Teil) Grundausdrücke von L sind. Dabei soll F die folgende Bedingung erfüllen: 1. F ist für den Sprachbenutzer ein nach seinen Sprachkenntnissen aus den Grundausdrücken zusammensetzbarer Ausdruck mit der (teil-)kompositionellen Bedeutung KB(F); 2. F hat neben der Bedeutung KB(F) eine weitere ganzheitliche Bedeutung, die ihm auch ohne Kontext fest zugeordnet ist, die aber nicht zerlegbar ist in Einzelbeiträge. Dies sei die sog. „Phrasem-Bedeutung" FB(F). Anm.: da in Phrasemen Ausdrücke vorkommen können, die in isolierter Form in L nicht vorkommen, bereitet der sonst verwendbare Begriff der syntaktischen Wohlgeformtheit der Kompositionsform Schwierigkeiten. Dies führt hier zu zwei Besonderheiten: - der Begriff „teil-kompositionell" soll heißen: kompositioneil bis auf die Ausdrücke, die nicht zu L gehören; - da ein Syntax-Regelsystem hier überfordert ist, soll der Sprachbenutzer die Zusammensetzbarkeit cum grano salís beurteilen. Dieser „Ausweg" mag bei einer pragmatisch orientierten Beschreibung erlaubt sein, haben sich doch syntaktisch-semantische Phrasem-Beschreibungen diesem Problem meines Wissens auch noch nicht gestellt.
Mit dieser Phrasem-Definition werden auch Sprichwörter, Redensarten zu den Phrasemen gezählt, Funktionsverbgefüge dagegen nicht. Metaphorisch verwendete Ausdrücke fallen nicht unter die Definition, weil diese keine isolierbare (sinnvolle) Bedeutung haben.
1.2 Hinfuhrung zur Idee einer teleologisch-pragmatischen PhrasemBeschreibung Die Idee zur teleologisch-pragmatischen Beschreibung ergibt sich aus der nachfolgenden hypothetischen Argumentationskette. Dabei sollen die einzelnen Hypothesen nicht selbst begründet werden oder in ihrer Tragfähigkeit diskutiert werden. Die Annahmen haben sich dann bewährt, wenn sich das Beschreibungsmodell, zu dem sie hinfuhren sollen, bei der praktischen Anwendung als nützlich und leistungsfähig erweist. Mit „teleologisch-pragmatisch" sei hier eine Richtung der Pragmatik charakterisiert, die bei der Beschreibung nicht nur von Sprecher-, Hörer- und Situationsparametern Gebrauch macht, sondern darüber hinaus ein universales Modell der menschlichen Motivation und des sich daraus ergebenden zielgerichteten (telischen) Agierens als Beschreibungsgrundlage anstrebt.
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Die folgenden 6 Argumentschritte bauen sukzessive aufeinander auf. Zu jedem wird, wenn nötig, ein Beispiel oder eine Erläuterung angegeben. 1. Argumentschritt: Was man mit einem Phrasem sagen kann, kann man - was die Sache betrifft - in den meisten Fällen auch ohne Phrasem sagen. Wenn der Sprecher davon abweicht und ein Phrasem benutzt, dann muß das einen Grund haben. Beispiel: Warum sagt jemand „K ist von uns gegangen" statt „K ist gestorben"? Oder: „Da habe ich ihm aber eins aufs Dach gegeben" statt: „Da habe ich ihn in deutlicher Form zurechtgewiesen"? 2. Argumentschritt: Als Grund, ein Phrasem zu benutzen, wird angenommen, daß der Sprecher (a) sein inneres Beteiligtsein am Geschehen mitteilen will, und zwar (b) ohne es selbst explizit zum Thema seines Redebeitrags zu machen. Mit anderen Worten: Der innerlich beteiligte Mensch benutzt einen Ausdruck, der dieses innerliche Beteiligtsein (sein Inter-esse, seine Innerlichkeit) „anzeigt" oder signalisiert (cf. die Symptomfunktion im Bühlerschen Organonmodell, die dort sogar die Innerlichkeit des Senders ausdrückt, Bühler 1934, 28). Es gibt eine Reihe sprachlicher Ausdrücke - ich nenne sie abkürzend einstellungs-anzeigende Ausdrücke - auch in anderen Wortarten bzw. Satzteilen, z.B. Abtönungspartikeln, Adverbien oder Einschübe wie „halt", „schon mal", „ironischerweise", „so glaubt/wähnt er", „seiner Überzeugung nach"). Der zweite Aspekt (b) dieses Grundes ist der: der Sprecher will auf der Inhaltsebene beim Sach-Thema bleiben, er will aber auf der Beziehungsebene (mit Bezug auf die vermuteten Erwartungen des Partners) anzeigen, wo er steht, ohne dies weiter begründen zu müssen. Watzlawick (1969, 53) fuhrt hierfür die Ausdrücke „Beziehungsaspekt" vs. „Inhaltsaspekt" ein). 3. Argumentschritt: Das innerliche Beteiligtsein kann zwar von Person zu Person und von Kultur zu Kultur verschieden sein, das Verständnis, was mit einem bestimmten Signal des innerlichen Beteiligtseins gemeint ist, ist den Menschen aber universell verständlich, bis auf graduelle Unterschiede in der Intensität des Ausdrucks. Erläuterung: so wie wir dem (erwachsenen) Menschen nicht erklären müssen, was es heißt: geboren zu werden, zu lieben, zu sterben usw., weil ihm das Verständnis dafür aus eigener Erfahrung zur Verfugung steht, so müssen wir ihm auch nicht erklären, worin innerliches Beteiligtsein bestehen kann. -
in einem Gemütszustand zu sein (fröhlich zu sein, verzweifelt zu sein, sich (un)sicher zu fühlen), eine Einstellung zu etwas Geschehenem zu haben (respektvoll/-los, es positiv/negativ zu bewerten usw.) eine innere Beziehung zu einer Person zu haben (Gesprächspartner, Andere) eine Einstellung zu etwas Kommendem zu haben (etwas zu erwarten, zu glauben, zu hoffen, zu befurchten).
Es handelt sich hier um ein transkulturelles universales „Wissen", besser: intuitives Verständnis. Wir können mit der Sprache auf diese „kognitiv-emotionalen Zustände und Impulse" Bezug nehmen, ohne kulturelle Schranken zu erwarten. (z.B.: Aus welchem Anlaß sich jemand beleidigt fühlt, ist kulturspezifisch. Daß jemand sich beleidigt fühlen kann, ist universell.) 4. Argumentschritt: Wenn Phraseme zum Ausdruck des innerlichen Beteiligtseins dienen, dann genügt es, wenn man für den Nicht-Muttersprachler genau spezifiziert, welche Art des innerlichen Beteiligtseins der Muttersprachler damit ausdrücken will und welche Parameter (-werte) bzgl. Rollen der beteiligten Personen und Sachen im Spiel sind.
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Beispiel: Man muß dem Nicht-Muttersprachler nicht erklären, was man unter Beleidigt-sein versteht. Das ist ihm bekannt. Man muß ihm sagen, welches Phrasem beleidigend sein könnte und aus welchem Grund (evtl. im Gegensatz zur eigenen Sprache und Kultur). 5. Argumentschritt: Um dem Nicht-Muttersprachler angeben zu können, welche Art des innerlichen Beteiligtseins mit einem Phrasem angesprochen wird, braucht man eine allgemeine Beschreibung der Facetten des innerlichen Beteiligtseins. 6. Argumentschritt: Da nun aber die Analyse von Phrasemen zeigt, daß darin als Facetten nicht nur Gemütszustände angesprochen werden, sondern auch Konstellationen und Vorgeschichten im kognitiv-emotionalen Verhalten zu einander, benötigen wir ein universales Modell der kognitiv-emotionalen Dynamik, in das sowohl das Verhalten zu einem (oder mehreren) Gesprächspartner enthalten ist als auch die Einstellung zur Wirklichkeit sowie das zielgerichtete Agieren. Bisher vorhandene Phrasem-Sammlungen basieren ihre Phrasem-Klassifikationen auf thematischen Katalogen, die entweder die wörtliche Lexem-Bedeutung oder die Phrasem-Bedeutung als Basis nehmen. Hier interessieren nur die letzteren. Dabei zeigt es sich, daß sehr viele Phraseme zentral die Rolle des Menschen in verschiedenen Zusammenhängen betreffen. Das läßt sich der Gliederung der Sammlungen leicht entnehmen (Schemann 1989, Bardosi 1993, Hessky 1997). Die Frage aber, warum das so ist, kann eine reine Themensammlung nicht erklären. Das Desiderat, Bereiche menschlicher Aktivitäten unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zu strukturieren, fuhrt zwar über eine Linguistik im engeren Sinn hinaus. Wenn eine solche Strukturierung für linguistische Zwecke aber nur vom Linguisten in Angriff genommen wird, weil ER eine konkrete Anwendung eines solchen Modells im Auge hat (z.B. eine strukturierte Analyse von Phrasem-Feldern), dann muß er sich selbst um eine solche Strukturierung bemühen, solange bis andere Disziplinen wie Psychologie, Anthropologie, Ethnologie oder Metaphysik sich für eine Zusammenarbeit zu interessieren beginnen. - Am weitesten gediehen ist eine solche Strukturierung, wie ich sie oben mit einem Modell des kognitiv-emotionalkognitivemotionalen Bereichs meine, bei dem „Szenario" in Dobrovol'skij (1995, 197ff ), das das „Erreichen von Zielen" betrifft, also eine zentrale teleologisch-pragmatische Fragestellung. Dieses Feld wird als eine holographische Struktur aufgefaßt, in der 37 Teilbereiche (!) mit ihren unterschiedlichen Parametern und Aspekten nicht nur die zeitliche Entwicklung als etwas ganzheitliches beschreiben, sondern auch die unterschiedlichen menschlichen Dispositionen, Einstellungen Fähigkeiten mit bewundernswerter Akribie im Detail modellieren. Das ist vorbildlich als Programm für zukünftige holistisch angelegte Phrasem-Analysen, - vorbildlich allerdings nur, was die onomasiologische Richtung betrifft: der so gewonnenen zeitlichen und charakteriellen Gliederung werden zwar pro Phase bis zu einem Dutzend Phraseme zugeordnet und man nickt, wenn man den Zusammenhang erfaßt hat. Aber der umgekehrte, semasiologische Weg, nämlich jetzt von jedem einzelnen Phrasem einer Gruppe ausgehend dessen spezifische Anwendungsbedingung anzugeben, das fehlt. An diesem Punkt soll diese Arbeit anschließen. Die 6 Argumentationsschritte oben sollten zu den folgenden Thesen hinfuhren:
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2 Drei Thesen zur Begründung eines teleologisch-pragmatischen Ansatzes These 1. Phraseme werden von kompetenten Sprechern einer Sprache dazu verwendet, bei einer Mitteilung auf der Inhaltsebene gleichzeitig eine Mitteilung auf der Beziehungsebene zu gestalten, die sowohl den Bezug zum Gesprächspartner als auch zum mitgeteilten Inhalt betreffen kann. These 2. Der Mensch mit Innerlichkeit (d.h. mit der Disposition zur innerlichen Beteiligung) läßt sich charakterisieren durch eine gewisse Grundhaltung und eine dazugehörige Dynamik, die beide universal sind, d.h. sprach- und kultumnabhängig. Diese „innerliche Universalcharakteristik des Menschen" bestimmt dann auch die Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungsebene in der Kommunikation (Watzlawick 1969, 53ff ). These 3. Das nachfolgend dargestellte Sinngebungs-Modell ist ein Angebot zur Beschreibung dieser „innerlichen Universalcharakteristik des Menschen. Es muß daher auch imstande sein, die Ausdifferenzierung der Gestaltungsmöglichkeiten auf der Beziehungsebene zu erfassen. Da Phraseme diese Ausdifferenzierung zeigen, muß sich das Sinngebungs-Modell darin bewähren, daß es eine für den Nicht-Muttersprachler brauchbare Beschreibung der Verwendung von Phrasemen bietet.
2.1 Außau der Darstellung - Es soll zunächst ein solches Modell des innerlichen Beteiligtsein einer Person und der damit verbundenen Dynamik ihres Handelns vorgestellt werden (Modell der individuellen Sinngebung) (3.), - dann wird gezeigt, wie sich damit die Verwendungsweise von Phrasemen beschreiben läßt. Dies wird in Form eines methodischen Durcharbeitens der verschiedenen pragmatisch relevanten Gesichtspunkte, einschließlich des Sinngebungs-Modells durchgefühlt. Im Anhang findet sich dazu eine Checkliste für die eigene phraseologische Aibeit.(4.) - auf dieser Basis wird das Konzept eines phraseologischen Wörterbuchs dargelegt (Phraseografie) (5.) - und aufgezeigt, wie ein Nicht-Muttersprachler anhand von „phraseologischen'' Informationen vorgehen muß, - wenn er zu einem gegebenen Phrasem dessen Verwendungsweise (in Abhängigkeit vom vorgegebenen Kontext) herausfinden will, - wenn er beurteilen will, ob ein Phrasem in einem bestimmten Verwendungskontext richtig verwendet wurde, - wenn er in einem bestimmten Verwendungskontext nach einem Phrasem sucht, das er darin verwenden kann, - wenn er in einem bestimmten Verwendungskontext zu einem Phrasem seiner eigenen Sprache ein Phrasem der Fremdsprache finden möchte (Übersetzungsproblem) (6.)
2.2 Abgrenzung des kognitiv-emotionalen Bereichs gegenüber anderen Universalbereichen des menschlichen Lebens Bevor ein teleologisch-pragmatisches Modell für den kognitiv-emotionalen Bereich vorgestellt werden soll, ist noch eine Frage zu beantworten, die die Abgrenzung des Modelles gegenüber
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bestimmten Aufgaben betrifft. Da das Modell als Ergänzung zu einem biologischen Universalmodell zu denken ist, soll es eine ähnlich allgemeine Struktur im kognitiv-emotionalen Bereich darstellen, die geeignet ist, das innerliche Beteiligtsein des Menschen zu behandeln. Im folgenden sollen daher die Bereiche kurz charakterisiert werden, die von dem vorgeschlagenen Modell nicht erfaßt werden sollen. Wie wir gesehen haben, gibt es Phraseme, die inhaltlich andere als die kognitiv-emotionale Bereiche betreifen, z.B. den biologischen, physiologischen bzw. sozialen und kulturellen Bereich, im einzelnen: - die Lebensphasen (geboren werden, erwachsenwerden, alt werden, sterben) - die lebensfördernden Tätigkeiten (essen, trinken, schlafen, koitieren, Sport und Spiel betreiben, krank werden, genesen), - lebenserfüllende Tätigkeiten (aibeiten, Lebensunterhalt verdienen, Kinder aufziehen, sich um andere Menschen kümmern, etc.) - die Lebensereignisse (religiöse, soziale und kulturelle Riten zur Einleitung einer neuen Lebensphase wie Geburt, Beginn der Geschlechtsreife, Heiraten, Scheidung, Einschulung, Benifsbeginn, Umschulung, Entlassung, Tod von Mitmenschen).
Diese sollen bei der Suche nach dem kognitiv-emotionalen Modell ausgeklammert werden, da zu ihnen meist ein universales oder kulturelles Wissen vorhanden ist oder gelernt wird. Phraseme, die in diese Bereiche fallen, beschreiben zwar im Inhalt ein solchen Lebensbereich, aber (nach 1.2 1. Arg.) wird das Phrasem benutzt, weil der betreffende Inhalt auf der Beziehungsebene von einer kognitiv-emotionalen Komponente begleitet wird. Zu deren Beschreibung soll das kognitiv-emotionale Modell eine Grundlage geben. Sehr viele Phrasem betreffen aber auch inhaltlich den kognitiv-emotionalen Bereich. Dies ist zu erwarten, denn wenn der Mensch wert darauflegt (oder vielleicht auch einfach nicht anders kann, als) sich am Menschlichen emotional zu beteiligen, dann ist seine Beteiligung natürlich erst recht gegeben, wenn der Inhalt selbst schon eine kognitiv-emotionale Struktur besitzt. Fazit: das Modell muß also bei jedem Phrasem anwendbar sein: bei den Phrasemen, die in der Inhaltsebene bestimmte Lebensbereiche betreffen, nur auf der Beziehungsebene; bei den kognitiv-emotionalen Phrasemen sowohl im Inhalt als auch auf der Beziehungsebene. Zu unterscheiden ist bei der Anwendung zwischen der Beziehung, die die Sache und eventuell darin vorkommende Personen betrifft, und der Beziehung zwischen Sprecher und Hörer.
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3 Vorschlag eines teleologisch-pragmatischen Modells: das Sinngebungs-Modell 3.1
Vorbemerkungen
3 .1.1 Das Sinngebungs-Modell (früher auch: Innerlichkeits-Modell) betrifft das Anliegen des Menschen, seinem Leben einen Sinn zu geben. Wenn ein Mensch fiir sich einen Sinn gefunden hat, dann zeigt sich dies an verschiedenen Anzeichen des inneren Beteiligtseins und der Grundaktivitäten. Diese sind Hauptbestandteil des Sinngebungs-Modells. Die universalen Grundaktivitäten wirken in alle Lebensbereiche des Individuums und der Gruppenbildung hinein. 3.1.2 Das Modell soll hier nur soweit charakterisert werden, wie es fiir die Darstellung der Prinzipien der pragmatischen Phraseologie nötig ist. Anhand der Graphik (Abb. 1 oben) soll die Zuordnung der einzelnen Themenbereiche und das Erfassen der Begriffe und Beziehungen erleichtern. Es wird jedoch nicht jeweils explizit darauf Bezug genommen. Für die praktische Arbeit und die Anfertigung von konkreten Beschreibungen ist eine feinere Darstellung erforderlich. 3.1.3 Das Sinngebungs-Modell ist kein ad hoc Modell das nur für die Behandlung von Phrasemen geeignet wäre. Es läßt sich leicht erkennen, daß es ein umfassendes Modell der kognitiv-emotionalen Dynamik des Menschen ist und daher sowohl in anderen Bereichen der linguistischen Semantik und Pragmatik als auch außerhalb der Linguistik Anwendung finden kann.
3.2 Das Sinngebungs-Modell 3.2.1 Innerlichkeit und Glaubensinhalt des Kommunikanten K Jeder zur Person gereifte Mensch (im folgenden mit „K" abgekürzt) orientiert sich in seinem Leben durch Überzeugungen, die mehr oder weniger große Bereiche seiner Wirklichkeit abdecken. Diese Überzeugungen (bzw. Glaubensinhalte) vertritt er mit einer inneren Gewißheit (Innerlichkeit), die unbeeinflußbar ist von rationalen Argumenten. Ein Glaubensinhalt kann sowohl die religiöse als auch die Alltags-Dimension betreffen. Er kann aus der eigenen Erfahrung entstanden sein, er kann aber auch von anderen an K herangetragen und von ihm angenommen worden sein. Ein mit Gewißheit vertretener Glaubensinhalt zeigt sich nach außen daran, daß K aus Überzeugung sein Leben nach diesem Glaubensinhalt gestaltet.
3.2.2 Wie erkennt man an K, ob bei ihm eine solche Auffüllung seiner Innerlichkeit vorliegt? Daß K in seine Innerlichkeit den Glaubensinhalt g aufgenommen hat, manifestiert sich an drei Handlungsweisen des K, die sich kurz gefaßt so beschreiben lassen: K ' s Gewißheit hinsichtlich g zeigt sich darin, daß er - sich gegenüber jeder anderen Oberzeugung verschliesst.
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K's Innerlichkeit zeigt sich daran, daß er nach der Bewährung von g sucht: K trachtet danach, daß sich sein Glauben - in der Realität und - gegenüber den anderen bewährt.
Die Bewährung gliedert sich in Bestätigung und Versicherung. - K sucht die Bestätigung seines Glaubensinhalts in der Realität und - K sucht die Versicherung seines Glaubensinhalts bei anderen Personen.
Diese Einstellungen sollen im folgenden einzeln charakterisiert werden: 3.2.3 Verschluß des K gegenüber anderen Glaubensinhalten K weist andere Glaubensinhalte, die an ihn herangetragen werden, zurück. K läßt sich auch durch rationale Argumentationen und Beweise zu einem fremden Glaubensinhalt nicht „bekehren". Die Qualität der Gewißheit, mit der seine eigenen Glaubensinhalte „imprägniert" sind, macht sie immun selbst gegenüber rationalen Gegenargumenten. K kann verschiedene Glaubensinhalte gleichzeitig haben, wenn diese getrennte Lebensbereichen betreffen, also miteinander kompatibel sind. Im folgenden wird aber meistens von dem jeweilig relevanten Glaubensinhalt (im Singular) gesprochen. 3.2.4 Anspruch des K an andere Menschen K zeigt seine Innerlichkeit dadurch, daß er einem anderen Menschen A seinen Glaubensinhalt kundtut und an ihn den Anspruch stellt: der Andere soll ihn übernehmen. („Glaubst auch du
gn.
Die Folgen des Anspruches:
3.2.4.1 Wenn K an den Andern A den Anspruch stellt: glaubst auch du g?, dann kann A entweder positiv darauf antworten: d.h. A akzeptiert g von K und macht sich g zueigen. In diesem Fall fühlt sich K in seinem Glaubensinhalt versichert. 3 .2.4.2 A lehnt den Glaubensinhalt g ab (z.B. weil A eine anderen Glaubensinhalt hat). In diesem Fall wird er negativ auf K's Anspruch reagieren. D.h. A wird dem K fremd und feindlich vorkommen. Er ist ein Mensch mit einer fremden Überzeugung, die K seinerseits ablehnt. 3.2.4.3 Einstellung zurfremden Person F. Die Einstellung des K gegenüber einem „Fremden" F ist die: - entweder: K ignoriert F - oder: K will F bekämpfen bis hin zur geistigen oder physischen Vernichtung.
3.2.4.4 Zweifel und Verzweiflung. Die Rückwirkung des Feindlich-Fremden auf die eigene Innerlichkeit kann darin bestehen, daß sie den K zweifeln läßt an seinem Glaubensinhalt. Dieser Zweifel kann soweit gehen, daß K verzweifelt, d.h. daß K an seinen Glaubensinhalt nicht mehr glaubt, aber auch den Glaubensinhalt des Anderen nicht übernehmen will. 3.2.4.5 Eingebung und Ergebnis. Das nächste Stadium ist: für K ergibt sich ein neuer Glaubensinhalt, sei es das er den bisher fremden Glaubensinhalt zu seinem eigenen macht, sei es daß er einen neuen höheren Glaubensinhalt gewinnt, in dem sein vorhergehender „aufgehoben" ist.
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Dann ist seine Innerlichkeit wieder mit einem festen Glaubensinhalt gefüllt und der Kreis ist geschlossen. Die Quelle (ES) der Eingebung des neuen Glaubensinhaltes bleibt ein Mysterium. Man kann ES - entweder als eine zufällige Eingebung ansehen (bei areligiöser Grundeinstellung), - oder bei einer religiösen Grundeinstellung: als Geschenk Gottes, als Offenbarung.
Dem Menschen stehen beide Möglichkeiten im Glauben offen.
3.2.5 Erwartung des K an die Realität K erwartet von denjenigen Objekten und Vorkommnissen in der Realität, die seinen Glaubensinhalt betreffen, daß sie das, was seinen Glaubensinhalten nach eintreffen soll, auch bestätigen.
Die Folgen der Erwartung: 3.2.5.1 Wenn die Realität K's Erwartung bestätigt, dann nimmt K diese Realität in seine Wirklichkeit auf und wird in Zukunft davon ausgehen. Die Bestätigung dient dem K also dazu, daß er den Bereich in der Realität, in dem er sich orientieren kann (seine erwartbare Wirklichkeit) ausdehnen kann. 3.2.5.2 Wenn die Realität die Erwartung des K nicht bestätigt, dann kann K - entweder versuchen, das Fremde so umzuinterpretieren, daß es doch noch zu seiner Erwartung paßt, - oder versuchen, den Verlauf des Geschehens durch (eigenes oder befohlenes) Handeln zu beeinflussen (cf. 3.2.6.5),
- oder K kann die fremde Realität ignorieren - oder sie bekämpfen.
3 .2.5.3 Im Extremfall geht der Kampf gegen die fremde Realität bis zu ihrer physischen Vernichtung oder Ausschaltung. 3 .2.5.4 Die Rückwirkung der feindlich-fremden Realität auf die Innerlichkeit des K kann darin bestehen, daß sie den K an seinem Glaubensinhalt zweifeln läßt. Dieser Zweifel kann soweit gehen, daß K verzweifelt, d.h. daß K an seinen Glaubensinhalt nicht mehr glaubt, aber auch keinen Ersatz dafür sieht. 3.2.5.5 Das nächste Stadium ist: K faßt die Realität ins Auge und „ES" ergibt sich für K ein neuer Glaubensinhalt, in dem sein vorhergehender „aufgehoben" ist. Dann ist seine Innerlichkeit wieder mit einem festen Glaubensinhalt gefüllt und der Kreis ist geschlossen (cf. 3.2.4.5).
3.2.6 Die Dimension der Gruppenbildung 3 .2.6.1 Finden sich viele Personen zusammen, die den Glaubensinhalt des K versichern, so bilden sie eine Gemeinschaft G. Zu einer Gemeinschaft mit demselben Glaubensinhalt zu gehören, hat für den Einzelnen den Vorteil, daß er nicht mehr bei allen Mitgliedern der Gemeinschaft G um die Versicherung kämpfen muß: er weiß, daß sie ihn aufgrund des gemeinsamen Glaubens versichern, wie auch er sie in ihrem Glauben versichern kann. Eine Gemeinschaft G lebt also von der wechselseitigen gleichzeitigen Versicherung des gemeinsamen Glaubensinhalts g. Mitglied in G zu sein, ist für die Mitglieder von G schon per se ein Zeichen für das Bekenntnis zum gemeinsamen Glaubensinhalt g.
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3 .2.6.2 Es liegt im Wesen jeder (strengen) Gemeinschaft in der Innerlichkeit, daß sie sich als ganze gegenüber fremden Gemeinschaften abgrenzen will und daß sie von ihren Mitgliedern fordert, sich jeder fremden Gemeinschaft gegenüber zu verschließen. Das Mitglied soll aber den Anspruch der Gemeinschaft gegenüber dem Anderen, jetzt im Auftrag der Gemeinschaft, weiterhin stellen. Dies fuhrt zur Form der Missionierung: hierbei steht nicht mehr der individuelle Wunsch des einzelnen Glaubenden, in seinem Glauben versichert zu werden, im Vordergrund, sondern der Auftrag der Gemeinschaft, ihr neue Mitglieder im Glauben zuzuführen, um dadurch die „Stärke" und die „Macht" gegenüber den Anderen ausbauen zu können (cf. 3.2.7.2). Es kommt zur Bildung von Institutionen, die die „rechte" Glaubensform festlegen, verwalten und kontrollieren. Die Teilnahme an festgesetzte Ritualen erleichtern die Kontrolle. 3.2.6.3 Sprache der Gemeinschaft. Das Zusammengehörigkeitsgefühl mit Abgrenzung nach außen (der sogenannte Gruppen-Narzismus) zeigt sich auch in der Sprache, durch spezifische Gruppensprachen bzw. spezifische Redewendungen. Auch der sprachliche Habitus ist verschieden, je nachdem ob jemand in seiner Gruppe spricht oder vor Gruppenfremden (cf. Parteitagsreden vs. Wahlversammlungen). 3.2.6.3.1 Die kleinste Form einer Gemeinschaft mit der hier genannten Charakteristik ist die Liebesbeziehung zwischen zwei Personen. Jede von beiden hat als Glaubensinhalt die Liebe des Partners. Jeder stellt an den Partner einen Anspruch in diesem Sinn und will von ihm versichert werden. Und jeder von beiden erwartet, daß sich die wechselseitige Liebe in den Geschehnissen und Handlungen in der Realität bestätigt und damit die Liebe zur „Wirklichkeit" beider wird. Aber auch an die andern Menschen erheben beide den Anspruch, in ihrer Liebe anerkannt zu werden. Sie bilden dann mit den andern eine Gemeinschaft, wenn die andern den Anspruch versichern durch eine bestimmte Form der offiziellen Anerkennung eines Päares, nämlich der gesellschaftlich verankerten Form der Eheschließung. 3.2.6.4 Eine gemeinsame (Gruppen-)Kultur als Glaubensinhalt gehört ebenfalls zur Pfelge der Gemeinschaft. Mit „Kultur" ist hier gemeint: eine Konvention in einem arbiträren Bereich, der von jeweils als unabänderlich angesehenen Realitätsbedingungen (Naturgesetze, Mythen) offen gelassen wird. Kulturgemeinschaften gründen sich z.B. auf einer gemeinsamen Sprache, einer Kunstauffassung oder einem religiösen Glauben als kultureller Konvention. Bestimmte Gebräuche und Alltagsriten gehören zur Ausprägung des täglichen Lebens innerhalb solcher Kulturgemeinschaften. 3.2.6.5 Handeln und Schulenbildung. Die Schaffung einer Wirklichkeit kann auch durch eigenes Handeln oder Handeln in Gruppen (Delegierung von Handlungsaufträgen) gefordert werden, sodaß es zum aktiven Ausbau einer Wirklichkeit kommt. Die Mitglieder die an einer solchen Konstruktion von Wirklichkeit arbeiten, bilden wieder eine Gemeinschaft, jetzt aber basiert sie nicht auf einem gemeinsamen Glauben, sondern auf einem gemeinsamen festen Erwartungsrahmen, der sich in der Realität bewährt hat und der eventuell wissenschaftlich untermauert werden kann. Wir reden hier von Schulenbildung. Solche Gemeinschaften drücken die Gemeinsamkeit nicht in Form von Glaubenssätzen aus, sondern in Form von Gesetzen (der Wissenschaft, des Rechts, der Wirtschaft, der Politik, des künstlerischen Programms usw.), die dazu dienen, gestaltend mit der Wirklichkeit umzugehen.
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7,2.1 Die Dimension der Zeit 3.2.7.1 Phasen der Innerlichkeit Jeder Glaubensinhalt - und damit auch jede Glaubensgemeinschaft - durchläuft verschieden Phasen der Entwicklung zwischen „Geburt" und „Tod", Aufstieg und Vergehen. Zunächst ist ein Glaubensinhalt nur in der Innerlichkeit eines einzelnen Menschen angesiedelt. Durch die Dynamik des sich wechselseitigen Versicherns und durch das Bestätigtwerden in der Realität kann sich eine Gemeinschaft bilden, die immer mehr Anhänger findet. Je größer eine Gemeinschaft wird, umso weniger ist der Einzelne in seinem Glaubensinhalt von einem anderen Einzelnen und dessen Versicherung abhängig, Ebenso gilt: je öfter er bestätigt wird von der Realität, um so mehr bewährt sich seine Wirklichkeit und wird zu einer selbstverständlichen, von der Gemeinschaft getragenen WirklichkeitsaufFassung. Je mehr Bestätigung und Sicherheit, um so weniger Interesse hat der Einzelne daran, seinen individuellen Glauben weiterhin zu bewähren. Es ist für ihn selbstverständlich geworden, daß er sich bewährt. 3.2.7.2 Institutionen der Innerlichkeit Die Bildung von Institutionen (wie Taufe, Kommunion, Eheschließung, Feste, Jahresversammlungen, etc.) wirkt in demselben Masse behindernd auf die innere Beteiligtheit, wie sie diese gerade fördern und öffentlich machen wollen. Denn gerade dann, wenn der Einzelne glaubt, daß die Institution die Versicherung des Glauben übernommen hat und er selbst daher im Augenblick höchster Sicherheit verweilen kann, gerade dann ist ihm die Innerlichkeit des Glaubens abhanden gekommen. Er hat sich selbst um den innerlichen Wert seines Glaubensinhaltes in dem Maße betrogen, wie er nicht mehr selbst Sorge für ihn getragen hat. Alles, was in einer Gemeinschaft für ihn zur unhinterfragten selbstverständlichen Gewohnheit und Institution geworden ist, ist tot für die Innerlichkeit und für die aktive Entscheidung, dem eigenen Leben einen individuellen Sinn zu geben. 3.2.8 Die Aspekte: momentane und permanente Innerlichkeit Alle bis hierher dargestellten Strukturen betreffen Phänomene der „permanenten Innerlichkeit". Damit ist gemeint, daß sich die Person K in kontinuierlicher Auseinandersetzung mit der Rückwirkung ihres Anspruches und ihrer Erwartung befindet und auf jede positive oder negative Rückkoppelung innerlich reagiert. Diese Form der Innerlichkeit ist abzugrenzen von der dem Menschen zur Verfügung stehenden „momentanen Innerlichkeit": hiermit soll das Phänomen beschrieben werden, daß auch der Mensch mit einem bestimmten permanenten Glaubensinhalt auf eine momentane Reizeinwirkung (auf einen „Aufmerksamkeitserreger") mit denselben Verhaltensweisen, d.h. Anspruch und Erwartung, reagieren kann, auch dann, wenn sie nicht seinem permanenten Anspruch oder seiner permanenten Erwartung entsprechen. Er ist von dem momentanen Eindruck so affiziert, daß er seine eigentliche innerliche Position „vergißt" oder nicht mehr in Betracht zieht. In einer solchen Situation der momentanen Innerlichkeit kann K ins Diskrepanz zu seiner innerlichen Grundhaltung geraten, zu einem Widerspruch zu sich selbst. In diesen Situationen der innerlichen Verführung ist K zwar durchaus
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noch imstande, mit Bewußtsein die Diskrepanz zu seiner Innerlichkeit festzustellen,, aber es fehlt ihm das Verantwortungsbewußtsein sich selbst gegenüber. Das Charakeristische der momentanen Verinnerlichung ist dies: das sie mit dem Ende der Reizeinwirkung auch mehr oder weniger schnell nachläßt. Die Aufmerksamkeit wendet sich etwas anderem zu. Was zurückbleibt, ist nur das Bewußtsein der Diskrepanz, die trotz des inneren Anspruchs nach Kohärenz Wirklichkeit geworden ist. Die permanente Rückholkraft der Innerlichkeit zieht den Menschen zur Verantwortung. Allgemeinsprachlich ausgedrückt: er empfindet Schuld (primär seiner eigenen Innerlichkeit gegenüber), sein Gewissen pocht. Formen der momentanen Verinnerlichung sind: Begeisterung, Verzückung, Schwärmerei, Verliebtheit und die kitschige Aneignung dessen, was Gleichklang und Harmonie verspricht. Zu einer Massenwirkung der momentanen Verinnerlichung kommt es dann, wenn sie mit Glaubensinhalten einer permanenten Innerlichkeit zusammentrifft. Dann bildet der momentane Gleichklang eine spontane Gemeinschaft aus, in der sich jeder durch den andern wechselseitig bestätigt und versichert fühlt. Die Begeisterung für einen Effekt, der sonst nur der permanenten Innerlichkeit vorbehalten ist, führt dann möglicherweise zu Konsequenzen, die keiner für sich allein hätte verantworten wollen.
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Anwendung des Sinngebungs-Modells bei der Phrasem-Analyse
4.1 Ein Beispiel zur Veranschaulichung, wie das Sinngebungs-Modell anzuwenden ist Das Phrasem F sei: „etwas an den Nagel hängen".
Wir gehen aus von der Äußerung des A gegenüber B: „In dieser Situation (S) hängte K E an den Nagel."
5 und E sollen hier absichtlich unspezifiziert bleiben, damit heuristisch die Möglichkeit besteht, die spezifischen Charakteristika herauszuarbeiten.
4.1.1 Vorfragen zur Behandlung von Inhalts- und Beziehungsebene Auf der Beziehungsebene entnimmt der Hörer der Äußerung, daß der Sprecher ein gewisses respektvolles Mitgefühl (Empathie) für die schmerzliche Entscheidung des K zum Ausdruck bringt. Auf der Inhaltsebene ist zunächst einmal festzustellen, daß das Phrasem in den Bereich des Sinngebungs-Modell fällt. Fragen wir zuerst, was der Situation S vorausgegangen ist, mithin Voraussetzung ist, um das Phrasem gebrauchen zu können (Vorgeschichte), und was sich aus dem Phrasem hinsichtlich der nachfolgenden Situation (in der Vergangenheit) entnehmen läßt (Erwartung).
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4.1.2 Vorgeschichte (vi) K hat eine Tätigkeit, einen Beruf E gerne ausgeübt, aber damit wenig Erfolg gehabt. (v2) Er hat eine Zeitlang geschwankt, was er tun soll. (v3) Es hat ihn Überwindung gekostet, sich bis zu der Entscheidung durchzuringen, E aufzugeben. Erwartung: K bedauerte diesen Schritt, aber er war endgültig. 4.1.3 Extraktion der Voraussetzungen E ist eine Tätigkeit, für die sich K innerlich engagiert hat, die er mit Überzeugung gemacht hat (vi). Seine Erwartungen auf Bestätigung und sein Anspruch auf Anerkennung der Kenner des Berufs blieben aus (vi). Über eine Phase der Krise, in der er noch an seinem Glauben an den Beruf festhalten wollte, konfrontierte er sich mit der fremden Realität und kam zu dem Entschluß: E aufzugeben. Er hat sich den Entschluß nicht leicht gemacht. Er hat resigniert. 4.1.4 Einbettung in das Sinngebungs-Modell (Bezug auf Termini des Sinngebungs-Modell in Großbuchstaben): 1. Phase: die erste OBERZEUGUNG des K war: in E seine Erfüllung zu finden (seinen Lebenssinn darin zu finden). Daraus entstand seine ERWARTUNG an die Realität (Erfolg mit seiner Tätigkeit zu haben) und ANSPRUCH an die Berufskollegen (seine Qualität anzuerkennen). 2. Phase: beides Erwartung und Anspruch bleiben kontinuierlich ohne BESTÄTIGUNG bzw. VERSICHERUNG. In beiden Bereichen ist er mit der FREMDHEIT des Verhaltens (negativen Reaktionen) konfrontiert. Dennoch bleibt K bei seiner Oberzeugung. 3. Phase: Seine innerliche Kraft, trotzdem weiterzumachen und an sich zu glauben läßt nach. K resigniert unter dem Druck des Fremden. Er kommt zu einer NEUEN OBERZEUGUNG und gibt E auf.
4.1.5 Kommentar Diese Analyse mag zunächst den Eindruck machen, als ob hier zuviel in das Phrasem hineingelesen worden ist. Es scheint leicht zu sein, Gegenbeispiele zu finden. Aber man sollte auch darauf achten, das man keine ironische Anwendung oder eine doch eher „suspekte" Anwendung konstruiert hat. Schließlich soll der Nicht-Muttersprachler wie die Kenner des Phrasems ja auch imstande sein, die ehrlichen von den fadenscheinigen oder „augenzwinkernden" Verwendungen unterscheiden zu lernen. Dieses Phrasem wurde mit Studenten in ausdifferenzierten Fällen fiir verschiedene Typen von Situationen und Tätigkeiten (Beruf, Hobbies, Sport, etc.) getestet. Dabei ergab sich entweder die Möglichkeit, verschiedene Bereiche von E aufzuzählen, fiir die das Phrasem zutreffend benutzt werden könnte oder anhand des Sinngebungs-Modells nach dem Gemeinsamen zu fragen und dies auf den Punkt zu bringen. Die Teilnehmer waren selbst überrascht, was für ein fein differenziertes Wissen sie zur Verfugung haben und welcher Konsens dennoch über diese Feinheiten zu erreichen war. Das Ausdifferenzieren ist eine mühsame Tätigkeit, die am besten mit einem klaren methodischen Plan vorgenommen wird. Und wenn dann noch die Frage dazu kommt, wie man dies dem Nicht-Muttersprachler erklären soll, gerät man leicht in Versuchung, das ganze Unternehmen an den Nagel zu hängen ...
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4.2 Vorbereitung des Phrasems zur Analyse Vorbereitungsphase: Für die praktische Arbeit ist eine Vorbereitungsphase erforderlich. Sie ist in der Checkliste in Anhang aufgeführt. Hier sollen die Teile daraus kommentiert werden, die zu einer Explizitmachung der Parameter fuhren, welche in der anschließenden PhrasemEinbettung in das Sinngebungs-Modell dann hilfreich sind. 4.2.1 Ereignisverlauf (zu (0.3) im Anhang) Nach den Angaben, die aus herkömmlichen Phrasem-Analysen stammen (0.1-0.2), wird zunächst das Phrasem in einen Ereignisrahmen eingebettet (0.3). Das Ereignis, das durch das Phrasem dargestellt werden soll, hat meist eine Vorgeschichte, die als Voraussetzung für die richtige Verwendung des Phrasems relevant ist. Vorgeschichte und Ereignis wird „Ereignisverlauf" genannt. Die Darstellung des Ereignisverlaufs soll auch alle Argumentangaben (Personen, Gegenstände etc.) explizit enthalten, die für die Phrasemdarstellung relevant sind. Die „Vorgeschichte" des Ereignisses soll hinreichend allgemein, aber auch nicht zu allgemein charakterisiert werden. Hier wird der kompetente Benutzer mit etwas Übung lernen, wie er die Voraussetzungen und Argumentangaben so eingrenzt, daß sie die essentiellen Bestimmungsstücke enthalten. Diese Arbeit ist in der Phraseologie bislang noch nicht gesehen und daher auch nicht geleistet worden, hier ist also das Kernstück der empirisch-pragmatischen Arbeit zu leisten. Das Modell kann diese Vorgaben selbst nicht erstellen, wohl aber kann es durch die Anregung von kontrastierenden Alternativen das Auffinden einer geeigneten Lösung erleichtern. (0.3a) Konkreter Ereignisverlauf Im Beispiel (mit Fl := von jemandem eins aufs Dach kriegen bzw. mit den formalen Argumentangaben: „K hat von A eins aufs Dach gekriegt") lautet der Ereignisverlauf: -
„Nachdem der Lehrling K mehrmals die andern beim Saubermachen allein gelassen hatte, haben die andern ihm eines aufs Dach gegeben, indem sie den ganzen Dreck auf seinen Arbeitsplatz geleert haben, mit der Erwartung, daß er es kapieren wird und in Zukunft mithilft."
Aus solchen Beispielen soll er Ereignisverlauf verallgemeinert und generell charakterisiert werden: (0.3b) Verallgemeinerte Form zu Fl (tentativ) -
„Nachdem K die Handlung Hl/Äußerung U1 gemacht hatte, hat A dem K eins aufs Dach gegeben dadurch, daß (indem) A die Handlung H2/die Äußerung U2 machte, mit der Erwartung, daß H3 geschehen wird."
Hl (bzw.Ul), H2 (bzw.U2) und H3 sind tentativ folgendermaßen charakterisierbar: K wußte, daß A, der ihm in der Rolle übergeordnet ist, die Handlung Hl (oder Äußerung Ul) stillschweigend duldete, obwohl sie die Befugnisse des K überschritten und von A eigentlich hätte mißbilligt werden sollen (A ist hier das Kollektiv der anderen Lehrlinge). H2 bzw. U2 sind als Maßnahmen zu verstehen, die dem K zeigen sollen, daß A seine Funktion wieder in vollem Umfang wahrnimmt und daß er weitere Verstöße des K bzgl seiner Befugnis nicht mehr hinnehmen wird.
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H3 ist ein Geschehen oder eine Handlung des K, das in „innerer Logik" zu dem vorausgegangenen steht. (EV) Der Ereignisverlauf EV(K,A,H1,H2,F) wird ganz allgemein so angegeben: -
Nachdem K Hl getan hatte,
(dargestellt mittels Phrasem). mit der Erwartung, daß H3. (wobei Hl, H2, H3 folgendermaßen charakterisiert sind:
(In dieses Schema sind, wie oben gezeigt, bei der konkreten Beschreibung einer „Phrasem-Situation" die konkreten Argumente für A,K,H1 (bzw.Ul), H2 (bzw,.U2) und H3 einzusetzen und der Klammerausdruck < > ist durch das Phrasem zu ersetzen. 4.2.2 Betroffenheitsversion (zu (0.4) im Anhang) Der Ereignisverlauf ist bis jetzt nur in der Perspektive eines außenstehenden Beobachters formuliert worden. Phraseme beruhen aber auf einer innerlichen Beteiligung des Sprechers oder des Hörers. Daher soll in dieser Phase das Ergebnis von 0.3 in eine „BetrofFenheitsversion" überfuhrt werden, d.h. statt der neutralen Personen (A-B) wird versuchsweise eingesetzt (in dieser Reihenfolge) (ICH-DU) oder (DU-ICH) oder (ICH-ER) usw.
Was soll damit erreicht werden? An der Einsetzung wird der kompetente Sprecher merken, welche Formen mit welcher Perspektive verbunden sind und überdies mit dem Phrasem verträglich sind. - In dem Eieignisverlauf EV(K,A,H1,H2) wird jetzt spezifiziert, in welcher Form sich die Beteiligten betroffen sehen können: - Die Betroffenheit wird so geprüft: (K,A) wird ersetzt durch (ICH-DU): ich bin betroffen durch DEIN Tun : (DU-ICH) (ICH-ER) ER-ICH) usw. Erst falls diese Formen nicht akzeptabel sind: DU-ER, ER-ER.) z.B. (ICH-ER) Nachdem ICH Hl getan hatte), habe ICH(K) von A eins aufs Dach bekommen, mit der Erwartung, daß ICH H3 mache.
Man versuche es mit einem andern Paar z.B. (ICH-DU) und man wird merken, daß das Phrasem dann eine merkwürdige „Deformation" erfahrt, die man genau herausarbeiten muß. Dazu ist hier aber nicht der Platz. Diese Feinheiten sollten nach Möglichkeit durch eine geeignete innerliche Konstellation in den wechselseitigen Erwartungen im Sinngebungs-Modell modelliert werden. 4.2.3 Die Äußerungssituation unter Verwendung des Phrasems (zu (0.5) im Anhang) Als letzter Schritt der Vorbereitung wird die Äußerungssituation beschrieben, in der ein Sprecher den Ereignisverlauf (in der BetrofFenheitsversion) unter Benutzung des Phrasems darstellt.
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Diese Darstellung der Äußerungssituation ist die geeignete Darstellung zur Überprüfung der einzelnen Bereiche des Sinngebungs-Modells. Ein Sprecher S stellt in der Äußerungssituation USit(S,H,EV,Ä(Phrasem» gegenüber einem Hörer H EV in einer Äußerung Ä dar, die das Phrasem enthält. Ausgangspunkt der Phrasem-Analyse ist daher die folgende Äußerungssituation USIT: (USIT) Schema: In USIT: S sagt zu H: „(Nachdem ich H1(U1) getan hatte), habe ICH(K) von IHM(A) eins aufs Dach bekommen, (dadurch, daß A die Handlung H2/die Äußerung U2 machte), (mit der Erwartung, daß H3 geschehe). Die geklammerten Teile können je nach Kontext, wegfallen.
Eine Bemerkung zur Methode ist hier angebracht: die Methode verläßt sich sehr stark auf die guten Intuitionen des sprachkompetenten und begrifflich geschulten Linguisten. Ich meine, daß dies für einen ersten Einstieg in diese Art der Phrasem-Analyse das unkomplizierteste und anregendste Verfahren ist. Ob eine psycholinguistische Untersuchung in einem mehr oder weniger künstlichen Setting die Verläßlichkeit des Mittelwertes aus 50 Aussagen einzelner Sprecher erhöht, wenn zudem die Gefahr besteht, daß die Informationen gleichzeitig durch die unnatürliche Situation deformiert werden, das sollen die Psycholinguisten beweisen, wenn sie sich überhaupt für solche Fragestellungen interessieren. Bis dahin kann die Pragmatik der Phraseme erst einmal auf diese direkte Weise linguistisch-phraseologisch untersucht werden. Die weitere Checkliste (siehe Anhang) enthält dann die Überlegungen zur Einbettung des Phrasems in das Sinngebungs-Modell für die Inhaltsebene. Die Beziehungsebene wird in der Checkliste nicht mehr eigens erwähnt, weil sie, wie schon gesagt, sich nur in den Bereichen der Erwartung und des Anspruchs abspielt und daher in einem gesonderten Durchgang hinsichtlich dieser beiden Bereiche behandelt werden sollte.
4.3
Zur Einordnung des Phrasems in das Sinngebungs-Modell
Im folgenden werden die einzelnen Bereiche des Sinngebungs-Modell nacheinander durchlaufen und jeweils geprüft, ob sich das Phrasem einordnen läßt. Außerdem soll auch die Checkliste kommentiert werden, die im Anhang zur methodischen Phrasem-Analyse vorgeschlagen wird. Bei einem vorgegebenen Phrasem F (hier Fl:= „von jmdm. eins aufs Dach bekommen" in der Anwendungs-Form: „Ich habe von A eins aufs Dach bekommen") ist die folgende Liste zweimal zu durchlaufen: einmal unter dem Beziehungsaspekt, zum andern unter dem Inhaltsaspekt. Im folgenden wird jedoch nur der Inhaltsaspekt dargestellt. 4.3.1 Universalbereiche, für die das Sinngebungs-Modell nicht zuständig ist (u.a. biologischer Bereich) (im Anhang: (a0.)) Betrifft das Phrasem F einen „biologischen" oder „alltäglichen" Universalbereich des Menschen (essen, trinken, schlafen, lieben, Kinder machen, leben und sterben, Befindlichkeit, Wettereinfluß, Alltagsgeschehen, Berufliches, Krankheit, Urlaub, Sport,etc.)? Dann ist es dort weiter zu behandeln.
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z.B.:
Er hört das Gras wachsen. Er hat die Weisheit mit dem Löffel gegessen. Er ist noch ganz grün hinter den Ohren. Sie kam unter die Haube. Einordnung von Fl: Fl fällt nicht in diesen Bereich.
4 . 3 . 2 Betrifft F d e n B e r e i c h der Gewißheit bzw. des Verschlusses (im Anhang: ( a l . ) ) K hat eine Gewißheit bzgl. seiner Überzeugung. Anzeichen: dogmatische Äußerungen, Kompromißlosigkeit bei dem Versuch eines anderen, die Überzeugung in Zweifel zu ziehen. z.B.:
K ist felsenfest davon überzeugt, daß p. K läßt sich nicht davon abbringen, daß ... K geht für seine Überzeugung über Leichen, Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als daß K (seine Oberzeugung ändert).
Wenn die Überzeugung die Zuverlässigkeit eines andern betrifft, dann ist sowohl die eigene Gewißheit hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Andern im Spiel als auch die Erwartung an den Andern. z.B.: Für ihn legt K die Hand ins Feuer. Über ihn läßt er nichts kommen. Einordnung von Fl := von jmdm. eins aufs Dach bekommen. Fl läßt sich hier nicht einordnen. 4 . 3 . 3 Betrifft F d e n z w i s c h e n m e n s c h l i c h e n B e r e i c h ? (im Anhang: (a2.)) Hier gibt es drei Möglichkeiten (aus der innerlichen Sicht des K (der „Ich-Kommunikant") (a20) Verschluß des K gegenüber A: A stellt einen Anspruch an K „Glaubst du das auch, was ich glaube? K reagiert mit Ablehnung (Verschluß). Zu Fl: NEIN. (a21) Anspruch des K an A: Glaubt A auch, was ich glaube? z.B.:
(Reaktion auf den Anspruch noch offen): auf ihn einreden, ihm das Blaue vom Himmel erzählen, Süßholz raspeln, ihn einwickeln wollen, z.B.: (Versicherter Anspruch): K hat an A einen Narren gefressen, K und A können gut miteinander, ein Herz und eine Seele sein. z.B.: (Abgelehnter Anspruch): A ist dem K nicht (ganz) grün, K macht einen-weiten Bogen um A. Zu Fl: NEIN. Das Phrasem beinhaltet in der Voraussetzung die Duldung einer Handlung, nicht die Kooperation aufgrund gemeinsamen Glaubens, also eher a22. (a22) Erwartung des K an A: Wird A sich so verhalten, wie die Überzeugung des K es ihn erwarten läßt? Zu Fl: Ich habe die Erwartung bzgl. des andern: er ließ mich bislang gewähren, er ist eine schwache Führungskraft. Es wird auch weiterhin so bleiben. - Aber diese Erwartung ist jetzt enttäuscht worden. 4 . 3 . 4 Betrifft F d i e Erwartung
d e s K an die
Realität?
(„wird das nächste Geschehen so verlaufen, wie ich es aufgrund meiner Überzeugung erwarte?) z.B.: z.B.:
(positive) Bestätigung: es läuft wie am Schnürchen, alles paletti, Oberhand haben. (negatives) Resultat: auf Sand gebaut haben, Schiffbruch erlitten haben, es war ein Schlag ins Wasser.
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Zu Fl: die Erwartung ist hier auf eine Person gerichtet und wurde daher schon in 4.3.3 (a22) behandelt.
4.3.5 Betrifft F den Bereich der Gewohnheiten? (im Anhang: (a4.)) z.B.:
es ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen, sich in ausgefahrenen Gleisen bewegen, das ist ein alter Zopf. Zu Fl: die Handlung Hl könnte eine schlechte Angewohnheit sein. Der Aspekt des vorausgehenden Eingespieltseins kann eine rolle spielen. Jedenfalls ist ein Wiederholungsmoment im Phrasem angelegt.
4.3.6 Betrifft F die Bereiche Kultur (Religion, Sprache), Wissenschaft (Gesetz, Recht)? (im Anhang: (a5.)) Beispiele: In diesen Bereichen ist erwartungsgemäß mit wenig Phrasemen zu rechnen, ist die Institutionalisierung doch das größte Hindernis für die individuelle Gestaltung. Zu Fl: NEIN.
4.3.7 Betrifft F den Bereich des Handelns? (im Anhang: (a6)) Beispiele: die Phraseme in diesem Beieich sind sehr reichhaltig. Sie betreffen die verschiedenen Phasen des Handlungsvorganges, die Art und die Qualität des Handelns. Sie sind auch sehr nuanciert auf der Beziehungsebene (zwischen Bewunderung und Belächeln). z.B.:
den Stier bei den Hörnern packen. Das Pferd vom Schwanz aufzäumen. Die Gelegenheit beim Schöpfe fassen. Mit etwas kurzen Prozeß machen. Nägel mit Köpfen machen. Vom hundertsten ins tausendste kommen. Wie die Katze um den heißen Brei herumschleichen.
Zu Fl: Zu prüfen ist, ob die Handlung Hl vielleicht eine schlechte Angewohnheit ist. Der Aspekt des vorausgehenden Eingespieltseins kann eine Rolle spielen.
4.4 Angabe des Gesamt-Resultates zum Ereignisverlauf und zur Einordnung in das Sinngebungs-Modell Das Schema zur Formulierung des Gesamtresultates ist dem folgenden Beispiel zu entnehmen: Resultat bzgl. Fl: „von jemandem eins aufs Dach bekommen/kriegen". In der Betroffenheitsform (Ich-Er): „ich habe von A eins aufs Dach bekommen".
Ausgangspunkt der Phrasem-Analyse ist die folgende Äußerungssituation USIT: (USIT) Schema: In USIT: S sagt zu H: „(Nachdem ich H1(U1) getan hatte), habe ICH(K) von IHM(A) eins aufs Dach bekommen, (dadurch, daß A die Handlung H2/die Äußerung U2 machte), (mit der Erwartung, daß H3 geschehe).
Situationskonstellation zu Fl: Befund (.Rollenverhältnisse): K(ich) ist dem A(er) untergeordnet. Ereignisverlauf. Verallgemeinerte Form zu Fl (tentativ):
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„Nachdem K die Handlung Hl/Äußerung U1 gemacht hatte, hat A dem K eins aufs Dach gegeben dadurch, daß (indem) A die Handlung H2/die Äußerung U2 machte, mit der Erwartung, daß H3 geschehen wird."
Einordnung der Ereignisphasen in das Sinngebungs-Modell: Bereich: Das Phrasem fällt in den Bereich Erwartung. 1. Phase: K hat Handlungen (Hl) ausgeführt, die A geduldet hat, obwohl sie K nicht zustanden. K hat daher erwartet: A habe dies dauerhaft akzeptiert. 2. Phase: A überrascht K mit einem Sinneswandel und greift mit Strenge durch (H2): A duldet K's Handlungen in Zukunft nicht mehr. K akzeptiert aber das Verhalten des A, weil er weiß, daß dessen Handeln berechtigt ist. 3. Phase: K weiß, daß A erwartet (H3), daß Hl nicht mehr vorkommt.
Die hier gewählten sprachlichen Ausdrücke sollten in erster Linie der anschaulichen Wiedergabe der Konstellationsmerkmale dienen. Wenn diese Sprache verständlich sein will, dann sollte sie auch cum grano salis verstanden werden. Wer aber an einer stärkeren Präzisierung interessiert ist, für den folgt hier ein Reglementierungsvorschlag. 4.4.1 Formulierung der Situationskonstellation in einer reglementierten Sprache zum Sinngebungs-Modell Bis hierher war die Analyse in einer konzeptuell angereicherten, aber noch intuitiv verständlichen Sprache formuliert. Sie sollte dem Nicht-Muttersprachler, der sich das Sinngebungs-Modell angeeignet hat, zugänglich sein und ihm die Möglichkeit geben, sich die Situationskonstellation vorzustellen. Zwecks Schaffung einer Basis für genaue Detail-Analysen in stark ausdifferenzierten Phrasem-Bereichen und für die Vorarbeiten zu einer lexikographischen Erfassung der Phraseme nach diesem Konzept ist es wünschenswert, die Situationskonstellation auch in einer reglementierten „teleologisch-pragmatischen Sprache" ausdrücken zu können. Auch wenn der Lexikon-Eintrag dann nach Möglichkeit doch wieder eine intuitiv zugängliche Sprache sprechen sollte, ist eine solche Sprache für die reflektierte Vorbereitung und zur Vermeidung allzu bequemer reduktiver Paraphrasen von Nutzen. Im folgenden wird daher eine Beschreibung der Grundeinstellungen des Sinngebungs-Modells in einer solchen reglementierten Sprache vorgeschlagen. In 4.4.2 wird die Situationskonstellation zu Fl in dieser Sprache vorgeführt. Die reglementierte Sprache zum Sinngebungs-Modell LS basiert auf der Beschreibungssprache der Kommunikanten-Semantik (Mudersbach 1984, 167ff ). LS enthält folgende Grundausdrücke für die Einstellungen des Sinngebungs-Modells: X: Y/X: /X: p: in in in in
: : : :
Kommunikant (Sprachbenutzer mit eigenem Sprach- und Sachwissen, sowie einen momentanen Informationsstand /X) Kommunikant Y in der Sicht des Kommunikanten X eine bestimmte Situation in der Sicht des X (= Ausschnitt aus dem Informationsstand INF/X) zum Zeitabschnitt t ein Glaubensinhalt eines Kommunikanten X hält-fur-wahr: p(gewiß) (abgekürzt: X hfw: p(gewiß)) X will: p X akzeptiert: p (abgekürzt: X akz: p) X tut H (Handlung)
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in : X zeigt Y : X . . . in : X erwartet: (wenn p(gewiß), dann) geschieht pl in
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Abschließender Kommentar: Die intuitive Charakterisierung der Situationskonstellation läßt sich nicht einfach in LS übersetzen, weil das „Denkraster" von LS unterschiedliche Akzente setzt: zum einen ist LS in den Formulierungsmöglichkeiten „karger", zum andern zwingt LS zu Entscheidungen zwischen Alternativen, die in der normalsprachlichen Charakterisierung offen bleiben können. Aber genau dieser Effekt enthält auch die Möglichkeit, Phraseme im Vergleich der Alternativen genau auszudifferenzieren.
4.5 Zur Checkliste (im Anhang) Die Checkliste im Anhang ist dementsprechend bei der pragmatischen Phrasem-Analyse durchzugehen und auszufüllen. Am Ende sind dann wie hier angeführt die erarbeitete Details in einer Gesamtdarstellung des Ereignisverlaufes und der Einordnung in das Sinngebungs-Modell anzugeben und schließlich wieder für die Außenperspektive zu verallgemeinern, unter Angabe der möglichen Einschränkungen in den Personenformen, die sich aus der Betroffenheitsversion ergeben haben, und unter Angabe weiterer Einschränkungen hinsichtlich der Rollenverhältnisse etc., die sich bei der Darstellung der Vorgeschichte (Voraussetzungen) ergeben haben. Diese „Situationskonstellation" ist das, was der Nichtmuttersprachler kennen und konkret überprüfen muß, wenn er ein Phrasem richtig gebrauchen will. - Für den Phraseologen ist die daran anschließende Präzisierung in der Sprache des Sinngebungs-Modells gedacht (cf. Anhang, Teil c.). Als Muttersprachler hat man gelernt, so intuitiv mit Phrasemen umzugehen, daß es einem oft sogar schwerfällt, bei einer falschen Phrasemverwendung genau die Stelle zu charakterisieren, die den Eindruck der falschen Verwendung entstehen läßt. Auch hier kann dieses Verfahren das didaktische Umgehen mit dieses Ausdrücken bewußter zu machen.
5 Konzept zu einem Phrasem-Nachschlagebuch für (Nicht-)Muttersprachler 5.1 Einsprachig Das Kernstück des Phrasem-Nachschlagebuch besteht aus einem graphischen Teil, in dem schematisch die beiden großen Universalbereiche des Menschen dargestellt sind und in geeignete Bereiche unterteilt sind: der biologische Alltagsbereich und der kognitiv-emotionale Bereich (das Sinngebungs-Modell). Die Phraseme sind den einzelnen Bereichen durch eine auf die Bereichsnummer bezogene Dezimalzahl zugeordnet. Da sie bestimmte Bereichen stark ausdifferenzieren, andere nur in geringer Zahl betreffen, wird es wie bei Landkarten auch, nötig sein, für die „Häufüngsgebiete" Detail-Karten mit Fein-Konstellationen für die jeweiligen Situationsparameter anzugeben. Die Phrasem selbst werden im Beschreibungsteil anhand der Dezimalzahlen gruppiert, so daß die Differenzen zwischen sehr ähnlichen Phrasemen deutlich werden können. Zu jedem
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341
Phrasem wird die entsprechende Situationskonstellation für die Beziehungsebene und der Symptomcharakater für die Beziehungsebene zugeordnet. Weitere Gesichtspunkte, wie Rollenverhältnisse oder Stärke der innerlichen Beteiligung sind ebenfalls mit aufzunehmen. Syntaktische und semantische Besonderheiten gehören selbstredend mit dazu. Ein Angebot an Paraphrasierungen ergibt sich zum einen durch die vorhandene Umgebung an Phrasemen. Damit verbunden ist die Möglichkeit für den Benutzer, seine Phrasem-Verwendung bewußt zu gestalten und nicht nur auf den Zufall des Einfalls vertrauen zu müssen. Zum andern ist aber auch ein lexikalische Paraphrase jetzt durchaus sinnvoll, weil sie ja nun nicht mehr die Bedeutungserklärung übernehmen muß, sondern ein Angebot darstellt, das auf der Beziehungsebene neutral ist (wenn dem so ist - laut Angabe des Beziehungsaspekts auch für diese Paraphrasen!). Der dritte Teil des Phrasem-Nachschlagebuchs besteht in einer alphabetische Auflistung der behandelten Phraseme nach geeigneten Lexemen zusammen mit dem Verweis auf die Nummer bzgl. der Grafiken, die zugleich auch auf den Beschreibungsteil verweist. Ein weiteres Verzeichnis von alltagssprachlich orientierten, aber auch theoriegebundenen Schlüsselbegriffen dient dazu, dem konzeptuell vorgehenden Benutzer einen Einstieg zu ermöglichen.
5.2 Zweisprachig Das zweisprachige Phrasem-Nachschlagebuch besteht aus zwei einsprachigen Phrasem-Nachschlagebüchern. Da Phrasem in den seltensten Fällen übersetzbar sind, hat es keinen Sinn, einen Phrasem-Übersetzungsteil zu etablieren. Stattdessen füngieren die Grafiken als Interlingua d.h. dieselbe grafische Struktur wird für jede Sprache getrennt mit den Nummern der Phrasem der jeweiligen Sprache versehen, möglichst so, daß beim Vergleich aus der Anordnung deutlich wird, welche Phraseme in den verschiedenen Sprachen in derselben „Gegend" liegen.
6 Benutzungsssituationen für das einsprachige und das zweisprachige Phrasem-Nachschlagebuch 6.1 Einsprachig 6.1.1 Desiderat: der Benutzer B1 ist in einem Kontext auf ein Phrasem F gestoßen dessen Bedeutung er nicht kennt: Ausführung: B schlägt im alphabetischen Teil eines der Lexeme nach. Wenn das Phrasem dort steht, wird er verwiesen durch eine Nummer auf die entsprechende Grafik bzw. auf den Beschreibungsteil. Die dort beschriebene Situationskonstellation wendet er auf den ihm vorliegenden Kontext an. 6.1.2 Desiderat: der Benutzer B2 will wissen, ob ein Phrasem in einem Kontext normal oder ironisch oder abweichend benutzt wird.
342
Klaus Mudersbach
Ausführung: B2 verfährt wie Bl, achtet aber bei der Anwendung der Situationskonstellation auf den vorliegenden Kontext besonders auf mögliche Differenzen. 6.1.3 Desiderat: der Benutzer B3 sucht in einem bestimmten Verwendungskontext V nach einem geeigneten Phrasem, das er verwenden möchte. Ausführung: B3 macht zunächst anhand des Grafikteils eine Analyse der Situation in seinem Verwendungskontext: er bestimmt, in welchen Bereich eines der Modelle V fällt. Er gibt sich noch vor, welche Gestaltung er auf der Beziehungsebene vorsehen möchte und schaut sich dann das Phrasem-Angebot in dem entsprechenden Teilbereich an, unter dem Gesichtspunkt, welches Phrasem seinen Vocstellungen dabei am nächsten kommt. In einem weiter ausdifferenzierten Phrasem-Nachschlagebuch könnte er auch noch den Bereich wählen, aus dem das wörtliche Lexem-Material stammen soll. Wenn ein Journalist z.B. über einen Eisenbahnerstreik berichten soll und dazu entsprechende Phraseme aus dem Eisenbahnbereich sucht.
6.2 Zweisprachig 6.2.1 Desiderat: die Benutzerin C1 ist in einem fremdsprachigen Text auf ein Phrasem F gestoßen, dessen Bedeutung sie nicht kennt. Darüberhinaus soll sie den Text in ihre Muttersprache übersetzen. Ausführung: Sie geht vor wie Bl. Wenn sie nur den Text verstehen will, genügt ihr, sich die Situationskonstellation anzuschauen, da laut Voraussetzung diese ja universal verständlich sein sollen. Wenn sie ihn darüberhinaus auch übersetzen soll, dann geht sie von der Beschreibung des Phrasems zur Lokalisierung auf dem Grafikblatt der Sprache LI über und sucht dann in derselben „Gegend" auf dem Grafikblatt zu L2 nach Phrasem-Kandidaten mit möglichst ähnlicher Situations-Konstellation. 6.2.2 Desiderat: die Benutzerin C2 will ein Phrasem ihrer Muttersprache LI in der Sprache L2 durch ein entsprechendes Phrasem ausdrücken. Und der Spezialfall dazu: C2.1 will unabhängig von ihrer Muttersprache sich in L2 eines Phrasems bedienen, um die Beziehungsebene gestalten zu können. Ausführung: C2 verfährt wie Bl (trotz Kenntnis des Phrasems!). Sie sucht die Lokalisierung des Phrasems auf dem Grafikblatt und sucht dann in der entsprechenden „Gegend" auf dem L2-Blatt nach einem geeigneten Kandidaten. Im Falle C2.1 wählt sie selbst die Parameter, die die Gestaltung der Beziehungsebene betreffen und schaut, ob es dazu ein Phrasem in L2 gibt. Bei Unsicherheit, wie weit der emotionale Ausdruck beim Wechsel in die Zielkultur, verstärkt oder abgeschwächt werden muß, sollte das zweisprachige Phrasem-Nachschlagebuch ebenfalls von Nutzen sein.
Ein Vorschlag zur Beschreibung von Frasemen auf der Basis eines universalen pragmatischen Modells
343
7 Zusammenfassung und Ausblick auf Hypertext Die kommunikativen Gestaltungsmöglichkeiten, die in den Phrasemen stecken, sollten hier in einem pragmatischen Universalmodell einer Beschreibung zugänglich gemacht werden, die auch Nicht-Muttersprachlern die Chance gibt, Phraseme sicherer und bewußter zu verwenden. - Daniberhinaus bietet ein solcher Ansatz eine Reihe von weiteren Entwicklungsmöglichkeiten, insbesondere wenn man von der Idee des Wörterbuches zu dem neuen Medium Hypertext übergeht. Denn dies ist ein geeignetes Mittel, um auf Grafikplänen in die verborgenen Situationsdetails schauen zu können, aber auch Konstellationsähnlichkeiten unter neuen Gesichtspunkten miteinander vergleichen zu können. Der Horror der Verleger vor teppichgroßen Faltblättern könnte dann mit dem Hinweis beschwichtigt werden: Hypertext kann reden wie ein Buch und dabei trotzdem auf dem Teppich bleiben.
8 Literatur Bärdosi,Vilmos/Stefan Ettinger/Cecile Stölting (1992): Redewendungen Französisch - Deutsch. Thematisches Wörter- und Übungsbuch. Tübingen (Reihe UTB, 1703). Bühler, Karl (1934): Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena: G.Fischer. Nachdruck: Stuttgart: G.Fischer, (1982). Dobrovol'skij, Dmitrij (1995): Kognitive Aspekte der Idiom-Semantik. Studien zum Thesaurus deutscher Idiome. Tübingen: Gunter Nan (Reihe Eurogermanistik). Hessky, Regina/Stefan Ettinger (1997): Deutsche Redewendungen. Ein Wörter- und Übungsbuch für Fortgeschrittene. Tübingen: Gunter Narr (Reihe Studienbücher). Mudersbach, Klaus (1984): Kommunikation über Glaubensinhalte. Grundlagen der epistemistischen Linguistik. Berlin: de Gruyter (Reihe: Grundlagen der Kommunikation). Schemann, Hans (1989): Synonymwörterbuch der deutschen Redensarten. Stuttgart, Dresden: Ernst Klett. Watzlawick, Paul/Janet H. Beavin/Don J. Jackson (1969): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Bern, Stuttgart, Wien: Hans Huber.
9 Anhang: Checkliste zur Phrasem-Analyse nach dem Sinngebungs-Modell Folgende Fragestruktur (Checkliste) ist durchzuarbeiten: Gegeben sei: das Phrasem F. Hier Fl := von jemandem eins aufs Dach bekommen/kriegen (K hat von A eins aufs Dach bekommen) 0. 0.1 0.2
Vorbereitung der Phrasem-Analyse Wörtl. Umschreibung (Bedeutungsangabe): z.B.: streng/hart zurückgewiesen werden Gibt es synonyme Phraseme? (z.B.: eine Abfuhr bekommen) Gibt es antonyme Phraseme? (Test: bei Negation: Synonym?)
344 0.21 0.22 0.3
Klaus Mudersbach lexikalische und syntaktische Klassifikation des Phrasems Besonderheiten? Ereignisverlauf (zu 4.2.1)
(EV) Der Ereignisverlauf EV(K,A,H1,H2,F) wird ganz allgemein so angegeben: Nachdem K Hl getan hatte,
(dargestellt mittels Phrasem). mit der Erwartung, daß H3. (wobei Hl, H2, H3 folgendermaßen charakterisiert sind:...). In dieses Schema sind bei der konkreten Beschreibung einer „Phrasem-Situation" die konkreten Argumente für A,K,H1 (bzw.Ul), H2 (bzw,.U2) und H3 einzusetzen und der Klammerausdruck ist durch das Phrasem zu ersetzen. Danach sollen die Bedingungen an die Ereignisteile verallgemeinert werden, die es gestatten, das Phrasem zu verwenden.
0.4 Betroffenheitsversion (zu 4.2.2) Im Ereignisverlauf EV(K,A,H1,H2) wird jetzt spezifiziert, in welcher Form sich die Beteiligten betroffen sehen können. Die Betroffenheit wird so geprüft: wird ersetzt durch , , , . Erst falls diese Formen nicht akzeptabel sind: auch , Wahl: : Nachdem ich Hl getan hatte, habe Ich(K) von A eins aufs Dach bekommen>, dadurch, daß A die Handlung H/die Äußerung U machte mit der Erwartung, daß ich H3 mache.
0.5 Die Äußerungssituation unter Verwendung des Phrasems (zu 4.2.3) Ein Sprecher S stellt in der Äußerungssituation USit(S,H,EV,Ä(Phrasem» gegenüber einem Hörer H den Ereignisverlauf EV (in der Betroffenheitsversion BV) in einer Äußerung Ä dar, die das Phrasem enthält. (USIT) Schema: In USIT: S sagt zu H: „(Nachdem ich H1(U1) getan hatte), habe ICH(K) von IHM(A) eins aufs Dach bekommen, (dadurch, daß A die Handlung H2/die Äußerung U2 machte), (mit der Erwartung, daß H3 geschehe). Die geklammerten Teile können je nach Kontext, wegfallen. USIT ist auch der Ausgangspunkt der Einordnung des Phrasems in das Sinngebungs-Modell
a. Durchfuhrung der Phrasem-Analyse aO. al. a2. a2.0
a2.1
betrifft F den biologischen Universalbereich des Menschen? oder andere Bereiche, für die das Sinngebungs-Modell nicht zuständig ist? (zu 4.3.1) Einordnung von Fl: Betrifft F den Bereich der Gewißheit bzw. des Verschlusses? (zu 4.3.2) Einordnung von Fl: Betrifft F den zwischenmenschlichen Bereich? (zu 4.3.3) Hier gibt es drei Möglichkeiten (aus der innerlichen Sicht des A): Verschluß des K gegenüber A: A stellt einen Anspruch an K: „Glaubst du das auch, was ich glaube? K reagiert mit Ablehnung (Verschluß) Einordnung von Fl: Anspruch des K an A: Glaubt A auch, was ich glaube?
Ein Vorschlag zur Beschreibung von Frasemen auf der Basis eines universalen pragmatischen Modells
a2.2 a3.
a4. a5. a6
345
- Reaktion auf den Anspruch noch offen: - Versicherter Anspruch: - Abgelehnter Anspruch: Einordnung von Fl: Erwartung des K an A: Wird A sich so verhalten, wie meine Oberzeugung es mich erwarten läßt? Einordnung von Fl: Betrifft F die Erwartung des K an die Realität (zu 4.3.4) („wird das nächste Geschehen so verlaufen, wie ich es aufgrund meiner Überzeugung erwarte?) z.B. (positive) Bestätigung: z.B. (negatives)Resultat: Einordnung von Fl: Betrifft F den Bereich der Gewohnheiten? (zu 4.3.5) Einordnung von Fl: Betrifft F die Bereiche - Kultur (Religion, Sprache), Wissenschaft (Gesetz, Recht)? (zu 4.3.6) Einordnung von Fl: Betrifft F den Bereich des Handelns? (zu 4.3.7) Einordnung von Fl:
b. Angabe des Gesamt-Resultates zum Ereignisverlauf und zur Einordnung in das Sinngebungs-Modell (4.4) Das Schema zur Formulierung des Gesamtresultates ist dem folgenden Beispiel zu entnehmen: Resultat bzgl. Fl: „von jemandem eins aufs Dach bekommen/kriegen", in der Betroffenheitsform (Ich-Er): „ich habe von A eins aufs Dach bekommen". bl. Ausgangspunkt der Phrasem-Analyse ist die folgende Äußerungssituation USIT: (USIT) Schema: In USIT: S sagt zu H: „(Nachdem ich(K) H1(U1) getan hatte), habe ich(K) von ihm(A) eins aufs Dach bekommen, (dadurch, daß A die Handlung H2/die Äußerung U2 machte), (mit der Erwartung, daß H3 geschehe). b2. Situationskonstellation zu Fl: b2.1 Befund (Rollenverhältnisse): K(ich) ist dem A(er) untergeordnet. Ereignisverlauf. Verallgemeinerte Form zu Fl (tentativ): „Nachdem K die Handlung Hl/Äußerung U1 gemacht hatte, hat A dem K eins aufs Dach gegeben dadurch, daß (indem) A die Handlung H2/die Äußerung U2 machte, mit der Erwartung, daß H3 geschehen wird." b2.2 Einordnung der Ereignisphasen in das Sinngebungs-Modell: Bereich: Das Phrasem Fl fällt in den Bereich Erwartung. 1. Phase: K hat Handlungen (Hl) ausgeführt, die A geduldet hat, obwohl sie K nicht zustanden. K hat daher erwartet: A habe dies dauerhaft akzeptiert. 2. Phase: A überrascht K mit einem Sinneswandel und greift mit Strenge durch (H2): A duldet K's Handlungen in Zukunft nicht mehr. K akzeptiert aber das Verhalten des A, weil er weiß, daß dessen Handeln berechtigt ist. 3. Phase: K weiß, daß A erwartet(H3), daß Hl nicht mehr vorkommt.
c. Formulierung der Situationskonstellation in einer reglementierten Sprache LS zum Sinngebungs-Modell c. 1 Reformulieren Sie die Situationskonstellation zu F Aber den folgende GrundausdrOcke der Sprache LS zum Sinngebungs-Modell:
346 X: Y/X: /X: p: in : in : in : in : in: in :
Klaus Mudersbach Kommunikant (Sprachbenutzer mit eigenem Sprach- und Sachwissen, sowie einen momentanten Informationsstand /X) Kommunikant Y in der Sicht des Kommunikanten X eine bestimmte Situation in der Sicht des X (= Ausschnitt aus dem Infonnationsstand INF/X) zum Zeitabschnitt t ein Glaubensinhalt eines Kommunikanten X hält-für-wahr: p(gewiß) (abgekürzt: X hfw: p(gewiß)) X will: p X akzeptiert: p (abgekürzt: X akz: p) X tut H (Handlung) X zeigt Y : X . . . X erwartet: (wenn p(gewiß), dann) geschieht p l in (pl ist ein Anwendungsfall von p , t' liegt nach t).
Für alle X-Einstellungen gilt: - sie können auch negiert auftreten (z.B. nicht-hfw, nicht-will, usw.) - sie können aufeinander bezogen sein d.h. statt p kann auch einer der Einstellungsausdrücke auftreten (Kompatibilität vorausgesetzt) (z.B.: X will: Y tut. H. X zeigt Y: X hfw: p). c2. Die einzelnen Teile des Modells sind dann folgendermaßen in LS darzustellen: Gewißheit. K hält-für-wahr: p(gewiß) (= hfw) Verschluß: K hfw: A hfw: q(gewiß) K nicht-hfw: q(gewiß) (= (nicht-)hält-fflr-wahr) K zeigt A: K (nicht-)hält-für-wahr: q(gewiß) K zeigt A: K hält-fflr-wahr : p(gewiß) Anspruch: (unter Voraussetzung der K-Gewißheit bzgl. p) K will: A hfw: p(gewiß) K will: A hfw: K hfw: p(gewiß) Erwartung: (unter Voraussetzung der K-Gewißheit bzgl. p) in : K erwartet: (wenn p(gewiß), dann) geschieht pl in (d.h. K erwartet in einer bestimmten Situation Sit: wenn p zutrifft, dann entwickelt sich Sit nach Sit1 mit pl (Bestätigung von p in Sit'). c3. Darstellung der Situationskonstellation in LS anhand des Beispiel-Phrasems Fl 1. Phase: tl.l K hfw: A will-nicht: K tut: Hl tl.2 K tut Hl tl.3 Kerw: A akz: K tut Hl. tl.4 K hfw: A zeigt: A akz: K tut Hl tl.Sff: Wiederholung von tl.l-tl.4 2. Phase: t2.1: A akz-nicht: K tut Hl. t2.2: A zeigt: A akz-nicht: K tut Hl (vor t.2) und A will-nicht: K tut Hl (nach t.2) t2.3: K akz: A zeigt: A akz-nicht: K tut Hl (vor t.2) und A will-nicht: K tut Hl (nach t.2) t2.4: K akz: A will-nicht: K tut Hl (nach t.2) 3.Phase t3.1 K hfw: in «Sit,t2.4> A erw: K tut-nicht Hl in
Diese Checkliste (O.-b.) ist dementsprechend bei der pragmatischen Phrasem-Analyse durchzugehen und auszufüllen. Am Ende sind dann wie hier angeführt die erarbeitete Details in einer Gesamtdarstellung des Ereignisverlaufes und der Einordnung in das Sinngebungs-Modell
Ein Vorschlag zur Beschreibung von Frasemen auf der Basis eines universalen pragmatischen Modells
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anzugeben und schließlich wieder für die Außenperspektive zu verallgemeinern, unter Angabe der möglichen Einschränkungen in den Personenformen, die sich aus der Betroffenheitsversion ergeben haben, und unter Angabe weiterer Einschränkungen hinsichtlich der Rollenverhältnisse etc., die sich bei der Darstellung der Vorgeschichte (Voraussetzungen) ergeben haben. Diese „Situationskonstellation" ist das, was der Nichtmuttersprachler kennen und konkret überprüfen muß, wenn er ein Phrasem richtig gebrauchen will. Klaus Mudersbach, Gerbodoweg 17, D-69123 Heidelberg
Herbert Ernst Wiegand Oskar Reichmann zum 60. Geburtstag am 16. 4. 1997
Altes und Neues zur Makrostruktur alphabetischer Printwörterbücher
Denker sind Leute, die aufs neue denken, und die denken, daß das, was vorher gedacht worden war, niemals hinreichend bedacht worden ist. Paul Valöry
1 2 3
Vorbemerkung zur Wahl des Titels Altes und Neues zu den makrostrukturellen Anordnungsformen Makrostrukturen und Textarchitekturen: einige informelle Hinweise
4 5 5.1 5.2
Nachbemerkung Literatur Wörterbücher Sonstige Literatur
1 Vorbemerkung zur Wahl des Titels Die Wahl eines Titels der Form „Altes und Neues zu/von/über X" ist charakteristisch für jemanden, der schon länger zu einem Gegenstandsbereich wissenschaftliche Forschungen unternommen, entsprechende Arbeiten vorgelegt und nach Jahren immer noch Interesse an den früher bearbeiteten Gegenständen hat (vgl. z.B. Trier 1968). Ein „unmoderner Jemand" dieser Sorte, der nicht in der sog. Main-stream-Forschung „von Rose zu Rose flattert", stellt zu einem bestimmten Zeitpunkt fest, daß Ergänzungen, Modifikationen, Umperspektivierungen, Korrekturen ... kurz: Änderungen notwendig sind, die zu etwas Neuem führen. Daß letzteres der Fall ist, wird aber für den Zuhörerkreis (und sicher auch für einen Teil des Leserkreises) nur dann hinreichend deutlich, wenn er „das Alte", relativ zu dem etwas als neu eingeschätzt wird, kennt und gegenwärtig hat. Da „das Alte" relativ speziell und sicherlich nur denen geläufig ist, die sich in letzter Zeit mit lexikographischen Makrostrukturen genauer beschäftigt haben, scheint es mit angebracht zu sein, „das Alte" (das möglicherweise auch für einige Leser ganz neu ist) wenigstens in den Grundzügen bzw. hinsichtlich bestimmter charakteristischer
Altes und Neues zur Makrostruktur alphabetischer Prmtwörterbächer
349
Eigenschaften und damit ausschnittsweise jeweils bei der Betrachtung einzelner Aspekte der Makrostruktur mit der gebotenen Kürze nachfolgend mitzuteilen. Die Gründe dafür, daß Änderungen „des Alten" als notwendig eingeschätzt werden, sind von verschiedener Art. So kann es erstens Auseinandersetzungen von anderen Wissenschaftlern mit dem geben, was man erarbeitet hat; dabei können u.a. berechtigte Kritik, weiterführende Einsichten und unwillentliche Mißverständnisse auftreten. Zweitem kann es eigene Auseinandersetzungen mit den Auffassungen und Ergebnissen geben, zu denen man früher gekommen ist. Man kann selbst Lücken entdecken, weil man im Laufe der Jahre einen größeren Einblick in den empirischen Phänomenbereich gewonnen hat. Auch kann man selbst Widersprüche bemerken, Umwege erkennen oder aufgrund weiteren Nachdenkens Verfeinerungen und Ergänzungen für wünschenswert halten. Fast alle der gerade genannten Gründe haben zusammengewirkt und mich zu der Themenwahl motiviert. Hinzu kam der Aspekt, daß die Formulierung „Altes und Neues ..." andeuten kann, daß ich im Bereich der Systematischen Wörterbuchforschung (i.S.v. Wiegand 1997) um eine gewisse Kontinuität bemüht bin.
2 Altes und Neues zu den makrostrukturellen Anordnungsformen Die Auffassungen und Ergebnisse, die hier als „das Alte" qualifiziert werden, findet man in Wiegand (1983 u. 1989). In Wiegand (1983) habe ich mit dem Strukturbegriff Carnaps gearbeitet, so daß die Elemente eines Phänomenbereiches nicht zur Struktur über diesem Phänomenbereich gehören. Für den Begriff der lexikographischen Makrostruktur hatte dies zur Folge, daß die Leitelemente der lexikographischen Leitelementträger (und damit auch die letztgenannten) nicht zur Struktur gehörten (vgl. Def. 30 in Wiegand 1983, 453). In Wiegand (1989) - und von da an in allen weiteren Arbeiten zur Wörterbuchform - habe ich mit dem Strukturbegriff der Mathematiker-Gruppe Bourbaki gearbeitet. Dieser ermöglicht u.a. eine präzise Darstellung konkreter Strukturen, und die Leitelemente (und damit auch die lexikographischen Leitelementträger, z.B. die Lemmata) gehören als Elemente der Trägermenge konkreter Makrostrukturen mit zur Struktur. Die Verwendung des Strukturbegriffs der BourbakiGruppe bringt m.E. für die Systematische Wörterbuchforschung eine Reihe von Vorteilen. Ein Vorteil ist z.B. der, daß strenge theoretische Aussagen über Makrostrukturen leichter in Aussagen der lexikographischen Werkstattsprache übersetzbar sind, ohne daß kontraintuitive Aussagen entstehen. Es ist aber nicht so, daß die beiden verschiedenen Makrostrukturbegriffe „widersprüchlich" sind, denn nur Aussagen, nicht Begriffe können widersprüchlich sein; letztere können allerdings unverträglich sein. Im gleichen theoretischen Zusammenhang kann daher nur mit einem der beiden Makrostrukturbegriffe gearbeitet werden. Die einschlägige, mir bekannte Literatur nach 1989 ist hier meistens Wiegand (1989) gefolgt. Auch in dem bisher einzigen Wörterbuch zur Lexikographie heißt es s.v. makrostruktur „rekkefetlge av og relasjoner mellom som inngär i en besternt lemmaliste" (Bergenholtz et al. 1997, 178; vgl. auch: Bergenholtz/Tarp 1995, 15). Lediglich Nielsen (1990) verwendet einen anderen Makrostruktuibegriff. Er schreibt: „The lexicographic macrostructure is not merely the arrangement of lemmata, but a structure which
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Herbert Ernst Wiegand
applies to the dictionary as a whole" (Nielsen 1990, 49). Nielsen gebraucht also den Ausdruck macrostructure völlig anders als es spätestens seit Rey-Debove (1971) üblich ist, auch wenn bei den einzelnen Forschern im Detail Unterschiede bestehen. Ich sehe keinen Grund, diesem radikal anders konzipierten Sprachgebrauch Nielsens zu folgen; vielmehr scheint es mir angemessener zu sein, für die Struktur, die Nielsen im Auge hat, eine andere Bezeichnung zu wählen (vgl. hierzu Wiegand 1996). Das Neuartige an der Betrachtung von Makrostrukturen in Wiegand (1989) lag u.a. darin, daß nicht nur die verschiedenen Aspekte der alphabetischen Reihenfolge der Leitelemente berücksichtigt wurden, sondern auch bestimmte Aspekte der Position und Anordnung der Leitelementträger im zweidimensionalen Raum der Wörterbuchseite, denn geschriebene Sprache ist deutlich ein zwei- und nicht ein eindimensionales Phänomen wie die gesprochene Sprache (was übrigens in der neueren Textlinguistik viel zu wenig berücksichtigt wird). Daß eine solche Berücksichtigung der Zweidimensionalität erforderlich ist, wurde durch eine Argumentation nahegelegt, die anhand der Abb. 1 vorgenommen wurde. In dem Phantasiewörterbuch sind in der linken Schrägspalte die halbfett gesetzten Leitelementträger (hier: Lemmata) von oben nach unten nach dem Zugriffsalphabet initialalphabetisch geordnet und in der rechten Spalte von unten nach oben.
Pn m»r spu la (f ; -. -n; LI.) Spule in einem IransP r i ' m i r - g a - s t a « n (n.; -(e)i. -e) Gestein, das unmittormator. in die der zu transformierende Strom tliefft: telbar aus erstarrter Lava entstanden ist S> Hrmiurwuklung. Ggs Sckundärspule P r i ' m i r - f l r u p - p a {f.; -n; Sozio!.) ein Individuum P r i m a r a c h u - I a ,'f ; -n) Ggv Sekundärschule in seiner kindlichen Entwicklung zuerst bestimmende, l'verall.: noch schwciz : Päd ; Volksschule 2 - Priüberschaubare toziale Konstellation Ihämilie. NachjHurxtult barschaft u.a kleine Gruppen) P r i m i r r u m p f ;m.: : Ggs P r i ' m i r - k r a b a {m.. -cv -e: Palh.) bösartige Primär Sekundärliteratur geschwulst. von der Metastasen ausgehen können P r i ' m i r - l a r - n a n (n.: s: u n / . Psych.5 Iruhkindhches P r i ' m a r l a h - r a r (m.; -s. Nchwciz.) Lehrer an einer l ernen dient der StrukturieruHg der Wahrnehmung Primarii hule
Abb. 1:
Wörterbuchseite aus einem Phantasiewörterbuch; „ zeigt die Richtung des äußeren Suchpfades durch die Lemmata an, die nach dem Zugriffsalphabet geordnet sind; A und B markieren freie Räume für Illustrationen und textuelle Auslagerungen aus den Wörterbuchartikeln (nach Wiegand 1989, 381)
Wer behauptet, die Leitelemente des Phantasiewörterbuches seien nicht initialalphabetisch geordnet, irrt. Die Anordnung der Leitelementträger auf den Wörterbuchseiten ist allerdings anders als üblich, und zwar ist sie unter Mißachtung bestimmter Regelungen der schriftlichen Vertextung erfolgt, welche die linearen und flächigen Suprasegmente (i.S.v. Gallmann 1985) betreffen. Man sieht nun: Wer die Anordnung der Leitelementträger auf den Wörterbuchseiten nicht beachtet, ist nicht in der Lage, z.B. die Makrostruktur des BW (aus dem die 14 Artikel des Phantasiewörterbuches stammen) von der des Phantasiewörterbuches begrifflich einwandfrei und hinreichend exakt zu unterscheiden.
Altes und Neues zur Makrostruktur alphabetischer Printwörterbücher
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Unter Berücksichtigung der räumlichen Anordnung der Leitelementträger wurde dann in Wiegand (1989, 384) der Klassifikationsausschnitt in der Abb. 2 vorgelegt. Makrostrukturen
Abb. 2:
Ausschnitt aus einer Klassifizierung lexikographischer Makrostrukturen bei monoakzessiven alphabetischen Printwörteibttchem mit einer äußeren Zugriffsstruktur (nach Wiegand 1989, 384)
Kammerer (1995, 5 ff.) hat die Makrostruktur des FWB hinsichtlich der Anordnung der Leitelemente genauer untersucht. Er hat herausgearbeitet, daß die Anordnung der Leitelemente des FWB nicht striktinitialalphabetisch ist, da beispielsweise im FWB zwischen den Graphemen und nicht unterschieden wird, so daß bei zu finden ist und die beiden Grapheme hinsichtlich der Anordnung gleich behandelt werden bis auf einige Eigenschaften, die Gegenstand von Sondervorschriften sind, die z.B. festlegen, daß im indirekten Anlaut sowie in Medial- bzw. Finalstellung/ vor v steht. Entsprechendes gilt für p und b, c und k sowie d und t (vgl. Reichmann 1989, 74). Eine makrostrukturelle Anordnungsform, wie sie das FWB aufweist, heißt nach Kammerer (1995) desultorisch-alphabetisch (desultorisch « nicht bei der Sache (oder: der Regel) bleibend). Die Definition für eine desultorisch-alphabetische Anordnungsform lautet: „Die Anordnungsform der Lemmata in einem Wörterbuch heißt desultorisch-alphabetisch, wenn als Leitelemente die Schriftzeichen dienen und die Lemmata initialalphabetisch sortiert werden, wobei in der Liste, die die Zugriffsrelation bestimmt, mindestens eine Funktion enthalten ist, die auf Grund mindestens einer weiteren Funktion entscheidet, ob a < ß oder ß < a gilt (mit a, ß Elemente des Graphemsystems)." (Kämmerer 1995,167.)
352
Herbert Ernst Wiegand
Während die zitierte Definition und die akribischen Erläuterungen dazu als eine wünschenswerte Weiterfuhrung der Ansätze in Wiegand (1989) gelten können, ist die Einordnung desultorisch-alphabetischer Makrostrukturen in das Klassifikationssystem in Abb. 2 nicht akzeptabel. Kämmerer ordnet sie so ein, wie es in Abb. 3 dargestellt ist (vgl. Kammerer 1995, 9; Abb. 3).
Abb. 3:
Einordnung desultorisch-alphabetischer Makrostrukturen nach Kämmerer (1995, 9) in das Klassifikationssystem nach Abb. 2
Nach Wiegand (1989, 383, Def. 3) liegt eine Gruppierung von Wörterbuchartikeln dann vor, wenn mehrere Leitelementträger und damit Artikel zu einem Textblock (der ein abstraktes flächiges integratives Suprasegment i.S.v. Gallmann 1985, 11 ff. u. 198 ff. darstellt) geordnet sind, und dies sei ergänzt, wenn nicht alle Lemmata am Zeilenanfang stehen. Gruppierung ist daher ein Terminus, der sich auf die räumliche Anordnung der Lemmata in der Wörterbuchspalte (und damit auf der Wörterbuchseite bezieht). Wenn in Wörterbüchern, in denen von links nach rechts und von oben nach unten geschrieben wird, eine Gruppierung auftritt, dann ist damit stets verbunden, daß die Lemmareihe nicht vertikal verläuft, sondern eine geschlängelte Form oder - wenn man die Verbindungslinien von Lemma zu Lemma als gerade Linien denkt - eine Zickzackform aufweist. In Abb. 4 finden sich zwei Artikelteilstrecken, in denen die Wörterbuchartikel gruppiert sind. In arttstri sind die Leitelementträger vollständige Lemmata (oder: Vollemmata) i.S.v. Wiegand (1983, 455, Def. 50a); in arttstr 2 sind die Leitelementträger Teillemmata i.S.v. Wiegand (1983, 454, Def. 49). Gruppierte Wörterbuchartikel bilden einen Wörterbuchartikelcluster (kurz: Artikelcluster), von denen es mehrere Arten gibt (vgl. Wiegand 1996). Gruppierung hat demnach nichts mit der Anordnung der Leitelementträger nach dem für das jeweilige Wörterbuch gültigen Zugriffsalphabet zu tun. Das sieht man auch daran, daß man durch die Ausfuhrung einer Operation der äußeren Textverdichtung (i.S.v. Wiegand 1996a, 153, u. 1997a) von einem Wörterverzeichnis, das keine Gruppierung aufweist, zu einem Wörterverzeichnis mit Gruppierung übergehen kann, ohne daß irgendein Aspekt der alphabetischen Anordnung betroffen ist, und weiterhin daran, daß das Umgekehrte durch Anwendung einer Operation der Textentdichtung ebenfalls möglich ist. Nimmt man den Begriff der Gruppierung als Kriterium, um die Klasse der nicht striktinitialalphabetischen Makrostrukturen in Teilklassen zu zerlegen, dann kann diese Zerlegung also nicht zur Teilklasse der desultorisch-alphabetischen Makrostrukturen fuhren, so daß die Darstellung in Abb. 3 mithin nicht korrekt ist.
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alphabetischer
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A n M o i e laneste'zi:]. die: -, -n (...¡an: «riech, anaisthesia = Gefühllosigkeit. Unemplindlichkeit) (Med 1: I. Schmer zbetaubuw, -uiisschahunt ' B . durch \arkoser lokale A. iörtliche ßeläubuns i: Neuerungen auf dem Gebiet der A. 2. Schmerzunemplindlichkeit infolge \arkose od. örtlicher Betäubung: Die Bezeichnung A. wurde von Piaton gepnigt für der Begriff der Empfindungslosigkeit. vor allem gegenüber dem Schmerz (Medizin Ii, II); (Abi.:) anästhesieren laneste zi:rsnl .: gan¿ naét; Safergípé; Sofer&alfc; Safetltofjle; Safetquatj; §afectotf faf(e)tig Gro.: Safctn l)ai>enb: ftd) in Safetn auflöfenb fafetn tr., rbj., intt.: in Jafern auflöfen fafig Sro.: faferig Abb. 10: Nichtgruppiertes Nest mit nichttypographischem Nestanzeiger
Nun sind wir soweit, daß wir den Terminus Gruppierung präziser definieren und den Begriff des Artikelnestes um der notwendig gewordenen Differenzierung willen modifizieren können. Def. I: Eine Gruppierung von lexikographischen Leitelementträgem und damit eine der zugehörigen Wörterbuchartikel liegt vor genau dann, wenn zu einem Textblock eines Wörterverzeichnisses mindestens
A líes und Neues zur Makrostruktur alphabetischer Printwörterbücher
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zwei, höchstens aber endlich viele lexikographische Leitelementträger gehören, die keine vertikale Lemmareihe bilden.
Auch die Gruppierung zu einem Textblock hat Zeichencharakter. Der Textblock kann als flächiges, graphisches suprasegmentales Zusammenordnungszeichen aufgefaßt werden. Zeichen dieser Art zeigen eine räumliche Struktur von Texten an, die eine bestimmte Funktion hat. Ich spreche daher von texttopographischen Strukturanzeigern (vgl. Wiegand 1996); diese können sowohl Mikro- als auch Makrostrukturanzeiger sein. Bei dem Terminus Artikelnest wird die Bindung an die Gruppierung zu einem Textblock partiell aufgegeben, so daß man zwischen gruppierten Nestern (mit texttopographischen Strukturanzeigern) und nichtgruppierten Nestern (mit typographischen und/oder nichttypographischen Strukturanzeigern) unterscheiden kann. Die entsprechenden Definitionen können lauten: Def. II: Ein gruppiertes Artikelnest (kurz: gruppiertes Nest) ist als Teil eines Wörterverzeichnisses eine geordnete Menge von mindestens zwei, höchstens aber endlichen vielen Wörterbuchartikeln, deren erster der Nesteingangsartikel ist, auf den n Nestartikel folgen (mit a i 1) und für die insgesamt gilt, daß sie zu genau einem Textblock gruppiert und dadurch texttopographisch als nestzugehörig markiert sind und unter denen es wenigstens einen mit einem Nestlemma gibt, das nicht striktinitialalphabetisch eingeordnet ist.
Nach dieser Definition gehören die gruppierten Nester wie die Artikelnischen zu den Artikelclustem (vgl. unten), die jetzt zu definierenden nichtgruppierten Nester dagegen nicht. Def. III: Ein nichtgruppiertes Artikelnest (kurz: nichtgruppiertes Nest) ist als Teil eines Wörterverzeichnisses eine geordnete Menge von mindestens zwei, höchstens aber endlichen vielen Wörterbuchartikeln, deren erster der Nesteingangsartikel ist, auf den m Nestartikel folgen (mit m ä 1) und fiir die insgesamt gilt, daß sie durch einen typographischen und/oder durch einen nichttypographischen Makrostrukturanzeiger (den Nestanzeiger) als nestzugehörige Artikel markiert sind und unter denen es wenigstens einen mit einem Nestlemma gibt, das nicht striktinitialalphabetisch eingeordnet ist.
Wir hatten gesehen, daß gruppierte Nester auch als Ergebnis der Anwendung von Textverdichtungsoperationen auf Wörterverzeichnisse aufgefaßt werden können, in denen keine Gruppierung auftritt. Dieser Sachverhalt kann das Benennungsmotiv bei einer Subklassifizierung der nestalphabetischen Makrostrukturen mittels des Klassifikationskriteriums ,Art der Nestbildung bezüglich der Textverdichtung' für die Teilklassennamen liefern, so daß sich folgender Ausschnitt aus einer Klassifikation der Makrostrukturen ergibt (vgl. Abb. 11). Im folgenden fragen wir nun, wie die Zerlegung der Klasse der initialalphabetischen Makrostrukturen dann vorzunehmen ist, wenn die desultorisch-alphabetischen Makrostrukturen und weitere notwendige Differenzierungen angemessen berücksichtigt werden sollen. In Wiegand (1989) lautete das Klassifikationskriterium für die Unterteilung der Klasse der initialalphabetischen Makrostrukturen .Anwendung des ZugrifFsalphabets'. Es lieferte die beiden klassenbildenden Eigenschaften: .streng nach dem Zugriffsalphabet' und .nicht streng nach dem Zugriffsalphabet' (vgl. Abb. 2).
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Herbert Ernst Wiegand nestalphabetische Makrostrukturen
mit nichtgruppierten Nestern
mit gruppierten und nicht-: gruppierten Nestern
kondensiertnestalphabetische Makrostrukturen
nichtkondensiertnestalphabetische Makrostrukturen
teilkondensiertnestalphabetische Makrostrukturen
MaSt des Duden-GW
MaSt des DFV
MaSt von Schützeichel (1981)
mit gruppierten Nestern
Abb. 11: Erster Ausschnitt aus einer Klassifikation für Makrostrukturen alphabetischer Printwörterbücher, welche monoakzessiv sind und eine äußere Zugriffsstniktur aufweisen; Klassifikationskriterium: ,Art der Nestbildung'; Abkürzung: MaSt = Makrostruktur, „ " bedeutet soviel wie ist eine Teilklasse von; „ " bedeutet soviel wie ist ein Element von
Wir haben aber bereits gesehen, daß die nestbildende Alphabetisierung der Lemmata bringan, avurbringan, anabringen, bibringan, tharabringan usw. bis widarbringan in Schützeichel (1981) (vgl. Abb. 5) nicht durch eine von Sondervorschriften verlangte abweichende (also nicht strenge) Anwendung des ZugrifFsalphabetes zustande gekommen ist, sondern durch einen Wechsel in der Alphabetisierungsmethode: es wird von der exhaustiv mechanischen zur konstituentendeterminierten Alphabetisierung gewechselt, so daß nicht die vollständige Buchstabenkette eines Leitelementträgers (z.B. die von avurbringan) als Leitelement fungiert, sondern nur die Buchstabenkette detjenigen Konstituente des Leitelementträgers, die zu einer bestimmten Klasse gehört. Mit diesem Wechsel in der Alphabetisierungsmethode ist jedoch nicht notwendigerweise eine Abweichung vom Zugriffsalphabet oder ein Wechsel des Zugriffsalphabets verbunden. Entsprechendes gilt auch für die externe Einordnung der Phraseologismen in vielen allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern. Wenn es z.B. im Duden-GW heißt: „Idiomatische Ausdrücke werden [...] gewöhnlich nur unter dem ersten auftretenden Substantiv aufgeführt" (Duden-GW, 19), dann heißt dies, daß der Benutzer z.B. das Phrasem jemandem einen Korb geben unter Korb suchen muß, und zwar deswegen, weil die Lexikographen bei der Einordnung der Phraseme von der exhaustiv mechanischen zur konstituentendeterminierten Alphabetisierung übergegangen sind und bei der Einsortierung der Phraseme nur das reduzierte Leitelement berücksichtigt haben. Damit ist aber keine geänderte (durch Zusatzvorschriften determinierte) Anwendung des Zugriffsalphabets verbunden, wie das bei der desultorisch-alphabetischen Anordnung der Fall ist. Bisher wurden in diesem Beitrag nur Nester berücksichtigt, in denen die Nestlemmata auch wenn durch ihr Auftreten die striktinitialalphabetisch geordnete Hauptlemmareihe durchbrochen wird - selbst striktinitialalphabetisch geordnet sind. Im empirischen Phänomenbereich treten aber auch Artikelnester auf, in denen alle oder ein Teil der Nestlemmata nicht alphabetisch, sondern nach irgendwelchen anderen Gesichtspunkten geordnet sind. Letzteres ist beispielsweise in Herders Sprachbuch (1973) der Fall (vgl. z.B. das Textbeispiel 38.9 in Wiegand 1989).
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Altes und Neues zur Makrostruktur alphabetischer Printwörterbücher (vgl. Abb. 16) initialalphabetische Makrostrukturen strenge Anwendung nur einer striktinitialalphabetischen Anordnungsmethode striktinitialalphabetische Makrostrukturen (vgl. Abb. 16)
: nicht strenge Anwendun nur einer striktinitialalphabetischen Anordnungsmethode nicht striktinitialalphabetische Makrostrukturen Beschränkungen durch ; inhaltliche Bestimmungen i für die Nestbildung und die • Anordnung der Nestlemmata
Beschränkungen durch Zusatzvorschriften für die Anwendung des Zugriffsalphabets
nestalphabetische Makrostrukturen
desultorisch-alphabetische Makrostrukturen
(vgl. Abb. 11)
MaSt des FWB
Abb. 12: Zweiter Ausschnitt aus einer Klassifikation für Makrostrukturen alphabetischer Printwörterbücher. welche monoakzessiv sind und eine äußere Zugriffsstruktur aufweisen
Damit dürfte einsichtig sein, daß das Klassifikationskriterium ,Anwendung des Zugriffsalphabets' nicht mehr als geeignet gelten kann, um die Klasse der initialalphabetischen Makrostrukturen so in Teilklassen zu zerlegen, daß die nestalphabetischen und die desultorisch-alphabetischen Makrostrukturen disjunkte Teilklassen der Klasse der nicht striktinitialalphabetischen Makrostrukturen bilden. Bevor ein geeignetes Klassifikationskriterium angegeben wird, muß unbedingt auch folgendes in Erinnerung gerufen und bedacht werden: Nach Wiegand (1989, 376) gilt das Zugriffsalphabet als ein Teil einer lexikographischen Alphabetisierungsmethode, und zwar wird es in der zentralen Anordnungsvorschrift festgelegt. Weiterhin ist die Klasse der Alphabetisierungsmethoden nur eine Unterklasse der lexikographischen Anordnungsmethoden. Daher kann als geeignetes Klassifikationskriterium für die angestrebte Zerlegung der Klasse der initialalphabetischen Makrostrukturen .Anwendung der lexikographischen Anordnungsmethoden' gelten. Dieses Klassifikationskriterium liefert für die Teilkasse der striktinitialalphabetischen Makrostrukturen die klassenbildenden Eigenschaften:,strenge Anwendung nur einer striktinitialalphabetischen Anordnungsmethode'. Da das Zugriffsalphabet als Teil der Alphabetisierungsmethode gilt, ist mit diesem Kriterium auch eine strenge Anwendung des Zugriffsalphabetes verlangt. Für die nicht striktinitialalphabetischen Makrostrukturen ergibt sich: ,nicht strenge Anwendung einer striktalphabetischen Anordnungsmethode'; nicht strenge Anwendung heißt
hier soviel wie durch Anwendung anderer lexikographischer Anordnungsmethoden oder durch Zusatzvorschriften für das Zugriffsalphabet regelhaft beschränkte Anwendung. Um die Klasse der nicht striktinitialalphabetischen Makrostrukturen weiter zu subklassifizieren, benötigt man
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Herbert Ernst Wiegand f4aIfen. 3 t bat bit g e j l u n g md)t b u r $ U n t r r i a n b t u n g e n o o m ¡Jfinb« » B o i t i n , t r t a t (ie i b m a b e r o b e r t . S a i i t f t o b ( r n . B i t Ä b f t o b e r u n g . \ D i e 2 ' b e r r a u t e , o . M j . , « i n 9 t « n e , m e ( 4 « n ffiiiig« m i t U n c e i i t b t r g t a b r a u t j g e b e n , n x t i f » (ein« Staut« i | l i auitj X f t t t t a u t t , a b t a u t « , g b t r r a u t t , Ü b t r r a u t t , Ä t p r n u t c u . f. » . $ 3 D i e Ä b e r f a a t , « 5 . b i t — t n , i n « i n i g t n Q l t g e n b e n b i t S a a t , j . SB. S t ü b t n , b i « a u f « i n b e r t i t t a b g e e r n t e t e * S e l b y f f i f t reist, o o n a b e r , son n«u«n; « n b « r » i r t i bit 2u , 9 J a d ) f a a t , X f t r r f a a t . # S i t X b c r f i n n , b«S — « j , c . » 5 . , « t n e i n n , b c c ftrf> i b e r a l l « ffiegmootfteUingen unbQkgtngrinbe megfr^t; atfoCigenfinn a u f Bor« urtbeit unb eingenommenerMeinung, $artn4(fig(iit. ' P o t t e o i n . 9 t . $ J l b i r j i n m g , — t r , — ( I t , «dj. u . »dr. eigen|mnig, b a r t n i e f i j , auf feinem 6 i n n bebartenb. + 3 3 e r X b c t r r i U t , b e « — n i , oQne 9 » j . , i n b«r e d j r o e i j f ü r U l i » Wille unb Sttüberaille. . K i c f t i m a g 1 6 m g t g t n a l l « r r b i $ t r t t fflt« fibidittn r i n t n X b t m i U t n b e i g e b r a d j t t)ab«n." {licjtl. CerXbcrwifc, bei —ei, 0. Sfe «in XBi« ( o b e r B r r l t a n b ) re«( (ur. D a « Xbtrtrjtein. J t b e r s r i ^ i g , — t r , — f i t , » d j . u . » d v . ¡(betreib » e r r a t b e n b , b a o o n b e f a l l e n , barin g e g r ü n b e t . S i n abern>ibi o o n b r n « n o d | « n a b t f T r n . G o a u d ) , b i n B a u m a b e f f e n , bi« J r u d j t e b e f f e l b e n a b n « b m e n u n b t e r j e b = r r n . 2 ) ¡ D u r d ) (Sffen o e r r a i n b e t n , e n t j i e b e n , t i l g e n . S e i n e n B o t [ < b u | b e i j e m a n b e n a b e f f e t » , bei i b m f o l a n g e e f f r n , b i s bi« Jl'olten b a f ü r b « m B o r f d ) u ( f e g l e i d j f o m m e n . I I ) i n t r « . a u f b i r t n bei S i f i t e j u «ff Aussehen, Erscheinung, Gestalt v o n etw./jm.