Wozu Rechtsphilosophie?: Ein Fall ihrer Anwendung [Reprint 2018 ed.] 9783110827606, 9783110041842


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German Pages 30 [36] Year 1972

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Anhang: Versammlungsartikel der deutschen Verfassungen
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Wozu Rechtsphilosophie?: Ein Fall ihrer Anwendung [Reprint 2018 ed.]
 9783110827606, 9783110041842

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J. Ebbinghaus Wozu Rechtsphilosophie ? Ein Fall ihrer Anwendung

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Julius Ebbinghaus

Wozu Rechtsphilosophie? Ein Fall ihrer Anwendung

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1972

ISBN 3 11 004184 7 Library of Congress Catalog Card Number 72-81550 © 1972 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Gösdien'sdie Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Str. 13 Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. O h n e ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomedianischem Wege (Photokopie, Mikrokopie Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Franz Spiller, Berlin 36

Das Recht zu denjenigen öffentlichen Kundgebungen, die unter dem Namen von Demonstrationen die westliche Welt seit geraumer Zeit in Atem halten, ist im Munde ihrer Veranstalter zu einer Art Schlachtgesang geworden, bei dessen Klängen sie — die Reihen fest geschlossen — die Erde von den Feinden der Menschheit säubern zu können gewiß sind. Die Juristen beeilen sich, dem neuen Hymnus die gebührende Reverenz zu erweisen. Wohl wissend, daß nicht einmal der Name dessen, dem er gilt, nämlich das Wort Demonstration, in den Staatsurkunden zu finden ist, für deren Interpretation sie verantwortlich sind, haben sie eine neue Dreifaltigkeit ersonnen bestehend aus dem Vereinsrecht (dem Vater), dem Versammlungsrecht (dem Sohne) und dem Recht der Meinungsäußerung (dem Geiste). Von deren Wesenseinheit erwarten sie das Zusammenklingen der ungewöhnlichen Töne des neuen Hymnus zu einer Harmonie, die ihnen in einer generatio univoca zu erzeugen nicht gelingen will. Die drei genannten Grundtöne aber setzen sie als Grundrechte voraus, die sie sowohl ihrem Inhalte wie auch ihrer Geltung nach aus irgendeiner gegebenen Verfassungsurkunde entnehmen. Daß aus einer solchen dogmatischen Voraussetzung Schwierigkeiten für die Erfüllung der genannten Erwartung erwachsen können, sieht jeder. Daß Streitigkeiten über die Art ihrer Erfüllung unter den Juristen in vollem Gange sind, lehrt ein Blick in die entsprechende Literatur. Ob aber die Erfüllung überhaupt möglich ist, läßt sich ohne Prüfung der angenommenen Voraussetzungen der Aufgabe unmöglich entscheiden. Daraus erwächst die Aufgabe der Rechtsphilosophie. Diese besteht in der Untersuchung der Frage, ob die in vorliegenden Verfassungen aufgeführten Grundrechte mit demjenigen Grunde übereinstimmen, der auf Grund des letzten Grundes aller möglichen Gründe, das heißt der Ratio selber, als der 1

Grund sowohl des Rechtes der Menschheit wie auch als Grund aller möglichen, durch dieses Recht bedingten, staatsbürgerlichen Grundrechte angesehen werden kann und muß. Erst wenn diese Frage beantwortet ist, wird es möglich sein, allgemein zu sagen, ob und unter welchen Bedingungen Staatsbürger ein Recht auf diejenigen Versammlungen und Meinungsäußerungen haben können, die unter dem Namen von Demonstrationen im öffentlichen Gerede sind. 1. Da das durch den Namen der Demonstrationen Bezeichnete zweifellos Versammlungen sind, so bietet sich als nächstliegender Gegenstand rechtsphilosophisch-kritischer Prüfung eines verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Demonstrationsfreiheit der Artikel 8 Abs. 1 des BGG an. Dieser besagt: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln". Nun sieht jeder, daß in diesem Satz nicht gesagt ist, wo diese Versammlungen stattfinden können sollen, zu denen die Deutschen durch ihn allgemein berechtigt werden. Das kann ja doch nicht gut heißen, die Deutschen sollen ein grundsätzliches Recht haben, sidi dort zu versammeln, wo es jedem von ihnen gerade passend scheint. Und wenn ihre Versammlungen auf rechtlich besessenem Grund und Boden natürlich an die Einwilligung des Besitzers gebunden sind — wie steht es dann mit den für Demonstrationen entscheidenden Versammlungen auf der Straße? Diese sind ja doch in jedem Falle mehr oder minder große Störungen des öffentlichen Verkehrs. Eben deswegen sind sie ja auch ein Gegenstand des Mißvergnügens für alle, die keinen Drang in sich verspüren, noch gar eine Verpflichtung erkennen können, sich mit anderen als Glieder einer Menschenherde in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen. Ja schlimmer noch: Diese Mißvergnügten sehen womöglich gar nicht ein, wieso es so etwas in einer Rechtsgemeinsdiaft überhaupt geben können soll — nämlich ein Recht, das deren 2

Glieder ohne Störung des öffentlichen Verkehrs gar nicht ausüben können, und dessen Ausübung für sie sogar ohne die damit verbundenen Störungen gar kein Interesse hätte. Demgegenüber behaupten die Verteidiger des Rechtes der Straßendemonstrationen als eines grundgesetzlich verankerten Rechtes, daß „diese negative Einstellung eines großen Teils der deutschen Bevölkerung" solchen Demonstrationen gegenüber eine Folge „des in Deutschland bestehenden Nachholbedarfs an Erziehung zu demokratischer Einstellung" sei (vgl. Das Recht auf Demonstrationen, Schriften der Bundeszentrale für politische Bildung 1969, Wolfgang Zeidler, Außerparlamentarische Bewegungen etc. S. 7 Spalte 1). Nun mögen die Deutschen zur „demokratischen Einstellung" so gut oder so schlecht erzogen sein, wie sie wollen, so bleibt doch in jedem Falle die Frage zu beantworten, auf welche Weise eine solche Erziehung denn ein gesetzliches Verhältnis zwischen dem staatsbürgerlichen Rechte auf Verkehrssicherheit und einem Versammlungsrechte bewirken können soll, wenn dieses Recht auch auf Straßenversammlungen erstreckt wird. Wenn schon der lapidare Satz, den der Polizeipräsident von Jagow im Jahre 1910 an die Berliner Litfaßsäulen schlagen ließ: „Die Straße dient lediglich dem Verkehr" — eine Folge des damaligen Mangels an demokratischer Pädagogik für Polizeipräsidenten gewesen sein soll, so wird doch auch der freiheitlich Gesonnene erfahren wollen, nach welchem Prinzipe denn ein fundamentales Recht von beliebig konkurrierenden Interessengruppen auf Blockierung der öffentlichen Straßen und Plätze zur rechtlichen Entscheidbarkeit der dabei beliebig möglichen Konflikte der berechtigten Gruppen untereinander und mit dem öffentlichen Verkehr zusammen stimmen kann. 2. Die Antwort kann nur lauten: nach gar keinem möglichen. Dann aber folgt, daß der betrachtete Artikel 8 Abs. 1 des BGG für sich allein überhaupt kein staatsbürgerliches Recht konstituieren kann. 3

Deutet man das Fehlen einer die gesetzliche Harmonie der Versammlungsräume sichernden Bestimmung in ihm im Sinne einer Lizenz für beliebige Versammlungsräume, so wird das vermeintliche Grundrecht ein Recht, das dem Prinzip nach den Krieg aller gegen alle, d. h. die Anarchie legitimiert und somit den Staat in seiner rechtlichen Möglichkeit vernichtet. Oder aber man muß sagen: wenn die Räume der berechtigten Versammlungen weder durch das Belieben der Staatsbürger bestimmt werden können, noch durch die Verfassung bestimmt sind, so folgt, daß das im Artikel 8 Abs. 1 des BGG verkündete Versammlungsrecht als solches der leere Begriff von einem Rechte ist, der für den Gebrauch für Versammlungen unter Bedingungen der Menschheit nicht hinreichend definiert ist. Dabei ist wohl zu beachten, daß die Leerheit dieser Attrappe nicht dadurch beseitigt werden kann, daß man in sie ein vermeintlidies, dem Staatsrechte vorgeordnetes allgemeines Menschenrecht auf Versammlungen hineinschiebt. Jedermann kann sich ohne Mühe von der Absurdität der Behauptung überzeugen, der Mensch könne bloß als solcher ein Recht haben, vermöge dessen er jeden anderen nötigen könne, sich ihm gegenüber in diejenige räumliche Nähe zu begeben, die zur Bildung jener unter dem Namen von Versammlungen bekannten Menschenhaufen erforderlich ist. Es wäre das offenkundig ein sich als allgemeines Menschenrecht selber vernichtendes Recht. Es gäbe ja jedem Menschen ein Recht, das alle anderen nötigte, sich mit ihm an derjenigen Stelle zu versammeln, die es ihm für die Versammlung zu bestimmen jeweils beliebt. Daß ein solches Recht, genommen als ein jedem Menschen zukommendes Recht, sich selbst widerspricht, ist offenkundig. Es fehlt m. a. W. der in diesem angeblichen Menschenrechte gedachten Regel der Freiheitsbeschränkung die allgemeine Reziprokabilität, die auch die Juristen beständig als wesentliches Erfordernis des Rechtes im Munde führen. Unglücklicherweise bemerken sie nicht, daß diese Idee einer allgemeinen Reziprokabilität der Regeln möglicher Beschränkungen der Freiheit nichts anderes ist als die von ihnen verschmähte, rein rationale Idee des Rechtes selbst, ohne die das 4

Recht gar nicht als Prinzip einer möglichen allgemeinen Gesetzgebung für die äußere Freiheit gedacht werden könnte. Aus dieser Idee geht nun aber auch die Unmöglichkeit eines allgemeinen Rechtes der Menschen hervor, von andern angehört zu werden. Denn da kein Mensdi gleichzeitig reden und die Rede anderer anhören kann, so würde ein Recht auf Gehör ebenfalls ein als allgemeines Menschenrecht sich selbst widersprechendes Recht sein. Danach ist zu beurteilen, was in dem schon genannten H e f t in einem zweiten (von H . Vogel verfaßten) Artikel über „Demonstrationsfreiheit und ihre Grenzen" S. 19 zu lesen ist: „Wenn auch die Meinung der Rechtswissenschaft noch überwiegend den entgegengesetzten Standpunkt einnimmt, so spricht doch vieles dafür, das Recht der Menschen, sich friedlich zu versammeln, als ein aller staatlichen Ordnung vorgegebenes überpositives Menschenrecht anzusehen, gleich dem ihm verwandten Recht auf freie Meinungsäußerung". Zur Unterstützung dieser immerhin noch zaghaft geäußerten Meinung eines vorstaatlichen Versammlungs- und Äußerungsrechts des Menschen beruft Vogel sich auf „eine dem Menschen seiner Natur(!) als sozialem Wesen beigegebene ursprüngliche Verhaltensweise, zusammenzukommen, Meinungen auszutauschen und kundzutun". Das müßten dann Zusammenkünfte und Wediselgespräche sein, die in der Möglichkeit ihres Stattfindens nicht nur von aller staatlichen Ordnung, sondern auch von aller möglichen Vereinigung des Willens der Partner unabhängig wären. Alsdann aber wäre die Idee des Rechts gar nicht auf sie anwendbar, sowenig sie auf Versammlungen und Signalaustausch von Bienen und Ameisen anwendbar ist. Also ist es unmöglich, mit Bezug auf die von Vogel angenommene Bedingung von Versammlung oder Wechselgesprädi von einem dem Staatsrecht vorangehenden Menschenrecht zu reden. 3. Damit ist klargestellt, ein wechselseitiges Recht, sich mit anderen zu versammeln, können Menschen nur mit Bezug auf ihre mögliche 5

Unterwerfung unter eine gemeinsame, die äußere Freiheit aller durch allgemeine Gesetze beschränkende Gesetzgebung, d. h. nur als Staatsbürger haben. Es folgt aber aus den vorigen Erörterungen auch weiter, daß ein solches Versammlungsrecht unmöglich ein staatsbürgerliches Grundrecht sein kann. Vielmehr ist, wie sidi gezeigt (s. o. S. 4) hat, ein solches Recht als allgemeines Staatsbürgerrecht nur denkbar unter der Voraussetzung, daß diesen Versammlungen hinsichtlich der Räume ihres Stattfindens durch das Gesetz Bedingungen vorgeschrieben werden, durdi die ihre Harmonie sowohl untereinander wie mit den Erfordernissen möglicher Ordnung und Sicherheit öffentlichen Verkehrs a priori gesichert wird. Fehlen solche Bedingungen, wie das im Abs. 1 des Bonner Versammlungsartikels der Fall ist, so verwandelt sich das vermeintliche Grundrecht in ein Recht der Staatsbürger, einander den Gebrauch der öffentlichen Straßen und Plätze nach Belieben streitig zu machen. M. a. W. das der genannten gesetzlichen Bedingungen entbehrende Versammlungsrecht wird ipso facto zu einem Recht auf Versammlungen, die ihrem Wesen nach unfriedlich sind. Wenn also der genannte Artikel des BGG die Friedliclikeit der Versammlungen zur Bedingung ihrer Rechtmäßigkeit madit, so wird er, sobald man ihn auf Versammlungen unter Bedingungen des Raumes anwendet, zu einem unvermeidlich sich selbst widersprechenden Satze. Unter den geschichtlich bedeutsamen deutschen Verfassungen ist es allein die preußische gewesen, die sich frei gehalten hat von der Illusion eines möglichen Rechtes auf Versammlungen ohne Rücksicht auf eine die kollisionsfreie Plazierung dieser Versammlungen im Räume a priori sichernde Bedingung. So sagt der Artikel 27 der oktroyierten Verfassung von 1848 (und der Artikel 29 der revidierten von 1850 hat es wörtlich wiederholt) in seinem ersten Absatz: „Alle Preußen sind berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubnis friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln". Mit dieser Verlegung aller gesetzlichen öffentlichen Versammlungen in geschlossene Räume war die Forderung einer apriorischen 6

Kompatibilität dieser Räume untereinander und mit dem öffentlichen Verkehr erfüllt. Freilich wäre zur Befriedigung dieses rein rechtlichen Bedürfnisses der Rekurs auf die physische Abgeschlossenheit der Versammlungsräume durch Mauern, Dächer, verschließbare Türen und dergl. nicht nötig gewesen. Für die unerläßliche rechtliche Sicherung möglicher gesetzlicher Harmonie der Versammlungsräume reicht es hin, die berechtigten öffentlichen Versammlungen auf solche Räume zu beschränken, die sich jeweils im rechtlichen Besitz bestimmter physischer oder juristischer Personen (einschl. des Fiskus) befinden und dadurch gegen den öffentlichen Verkehr und konkurrierende Versammlungen rechtlich abgeschlossen sind. Natürlich kann dieser Abschluß auch dadurch erreicht werden, daß gewisse im öffentlichen Besitz befindliche Grundstücke durch Gesetz, durch Ministerialerlaß oder durch Verfügungen der Kommunen ein für allemal für öffentliche Versammlungen zur Verfügung gestellt werden. Der Londoner Hyde Park Corner ist ein klassisches Beispiel dafür.

4. Der Grund, weswegen die preußische Verfassung über die unerläßliche rechtliche Abgeschlossenheit berechtigter Versammlungsräume hinausging und deren Verschließbarkeit für die Beine, aber auch für die Augen und Ohren der nicht zur Versammlung Gehörigen zur Bedingung des Versammlungsrechts machte, ist leicht ersichtlich: er lag in der Sorge, die diese Versammlungen den Regierungen als Stätten möglicher öffentlicher Äußerung und möglicher Anheizung von politischer Unzufriedenheit im Volke bereitete. Daß den darin liegenden Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit leichter begegnet werden konnte, wenn die berechtigten Versammlungen sich nur in gleichsam verkapselten Räumen abspielen konnten, liegt auf der Hand. Es blieb das Problem des Rechtes derjenigen Versammlungen, die nicht nur auf unumfriedeten und ungedeckten Grundstücken stattfanden, sondern 7

sogar „das Recht auf die Straße" zum Zwecke politischer Demonstrationen beanspruchten. Indessen hat schon die oktroyierte preußische Verfassung von 1848 für beide Klassen von Versammlungen unter freiem Himmel (die auf rechtlich besessenem Boden und auf der Straße) im Absatz 2 ihres Artikels 127 in Form eines provisorischen Gesetzes diejenigen Bedingungen eingeführt, die dann im preußischen Versammlungsgesetz von 1850 § 9 zu einem Definitivum gemacht worden sind. Dieses besagt, daß Versammlungen unter freiem Himmel der Pflicht der Anzeige bei der Polizei und deren Genehmigung unterliegen, die nur versagt werden darf, „wenn aus der Abhaltung der Versammlung Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu befürchten ist". Das ist die Bedingung für Versammlungen unter freiem Himmel, die für die Versammlungsartikel der deutschen Verfassungen (der Frankfurter von 1849, der Weimarer von 1919 und des BGG von 1949) im wesentlichen maßgebend geblieben bzw. von diesen mit dem verfassungsrechtlichen Segen versehen worden ist. Audi von ihnen wurde durch einen zweiten Absatz ihrer Versammlungsartikel eine Gesetzgebung legitimiert, die die Exekutive zu einer präventiven Kontrolle der Versammlungen unter freiem Himmel ermächtigte. Dieses Gesetz enthält für die Staatsbürger, die sich zu versammeln beabsichtigen, lediglich die Pflicht, diese Absicht (der Polizei) anzuzeigen und bei etwaigem Verbot ihre Ausführung zu unterlassen. Mit einem gesetzlichen Recht aber auf Versammlungen unter freiem Himmel steht dieses Verbotsrecht im Widerspruch. Denn es reduziert die Rechtmäßigkeit dieser Versammlungen auf die Fälle, in denen die Behörde es unterläßt, ein Verbot auszusprechen. Diese Unterlassungen von Verboten aber unterliegen ihrerseits keinem möglichen Gesetze, weil die Bedingungen ihrer Übereinstimmung mit der öffentlichen Ordnung und Sicherheit von Fall zu Fall verschieden sein können. Selbst wenn man sich auf Fragen beschränkt wie die, in welchen Straßen Versammlungen mit Rücksicht auf die Ordnung und Sicherheit des öffentlichen Verkehrs stattfinden können sollen und in welchen nicht, und 8

welche von zwei konkurrierenden Versammlungen durch die östlichen, welche durch die westlichen Straßen der Stadt ziehen sollen, gilt, daß die dabei notwendige Rücksicht auf die wechselnden Bedürfnisse des Verkehrs an den verschiedenen möglichen Orten und zu den verschiedenen möglichen Zeiten verbunden mit der unbestimmten Größe und Dauer dieser Versammlungen einer allgemeinen (gesetzlichen) Entscheidbarkeit der genannten Fragen entgegensteht. Dabei ist es kein Einwand gegen die mögliche Rechtmäßigkeit von marschierenden Straßenversammlungen im gegebenen Falle, daß eine gewisse Verengung der Freiheit des öffentlichen Verkehrs durch diese unvermeidlich ist. Worauf es ankommt, ist die Vereinbarkeit dieser Behinderung des Verkehrs mit dessen Ordnung und Sicherheit. Aber eben für diese Vereinbarkeit kann es kein Gesetz geben. Die Gründe möglicher Ungewißheit vervielfältigen sich aber noch, wenn man auf die Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit reflektiert, die nicht nur aus der ungesicherten Kompatibilität der Versammlungsräume, sondern auch aus dem Tun der Versammelten nach geschehener Versammlung entspringen können. Es gibt vor allem bei politischen Versammlungen auf der Straße kein allgemeingültiges Kriterium, aus dem mit Gewißheit erkennbar wäre, daß die Versammelten nicht durch herausfordernde Äußerungen mit ihren politischen Gegnern unter den verkehrsgehemmten Passanten in ordnungs- oder sicherheitswidrige Streitigkeiten geraten werden. Nur mittels der mehr oder minder genauen Kenntnis der jeweils bestehenden politischen Spannungen und Aufregungen nach Art und Größe kann die Ungefährlichkeit solcher Versammlungen in dieser Hinsicht mehr oder minder genau geschätzt werden. Auch dies aber bezeugt, daß Versammlungen, deren Räume im Verhältnis zu einander und zum öffentlichen Verkehr nicht durch ein Gesetz möglichen Kollisionen a priori entzogen sind, nur unter der Bedingung einer möglichen polizeilichen Präventivkontrolle mit den Bedingungen eines gesetzlichen Zustandes und also mit der Möglichkeit des Staates im Einklang sein können. 9

Auf diese Weise wird die Freiheit solcher Versammlungen ihrem rechtlichen Wesen nach zu einer jeweils auf den vorliegenden Fall begrenzten Lizenz, deren Gültigkeit aus den keiner gesetzlichen Bestimmbarkeit unterliegenden polizeilichen Unterlassungen von Verboten herrührt. Es versteht sich, daß sie diese Gültigkeit verliert, sobald die Voraussetzungen ihrer rechtlichen Möglichkeit, nämlich ihre Übereinstimmung mit der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, d. h. mit der Möglichkeit des gesetzlichen Zustandes nicht mehr zutrifft. Dies ist nun zugleich von fundamentaler Bedeutung für die Beurteilung der Strafbarkeit der an solchen Versammlungen Beteiligten. Diese Strafbarkeit kann nicht auf diejenigen beschränkt sein, die im gegebenen Falle durch irgendeine Handlung gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit verstoßen haben. Vielmehr gilt: sobald eine solche Handlung von irgendeinem Versammlungsteilnehmer begangen worden ist, bestehen die Voraussetzungen für die Versammlungslizenz nicht mehr. Wer also im gegebenen Falle der polizeilichen Aufforderung auseinanderzugehen nicht folgt, ist nicht nur wegen dieses Ungehorsams strafbar. Er hat sich nun vielmehr — auch wenn er bloß als Zuschauer kam und bleibt — der Teilnahme an einer rechtswidrigen Versammlung schuldig gemacht und muß auch deswegen bestraft werden. Dies ist es, worüber der vielzitierte und vielverkannte lapidare Satz des Maueranschlages des Polizeipräsidenten von Jagow vom Jahre 1910 die Berliner belehren wollte: „Ich warne Neugierige".

5. Die Unterwerfung von Versammlungen unter freiem Himmel (will sagen auf Stätten des öffentlichen Verkehrs) unter eine gesetzliche Präventivkontrolle ist in der Weimarer Verfassung als eine Möglichkeit ausgesprochen, zu deren Verwirklichung sie den Gesetzgeber ermächtigt. Ihr Artikel 123 Abs. 2 sagt: „Versammlungen unter freiem Himmel können durch Reichsgesetz anmelde10

pflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden". Es ist das eine verfassungsrechtlich genauere Formulierung dessen, was in dem § 161 Abs. 2 der Frankfurter Verfassung als eine unbestimmte Möglichkeit mit den Worten verkündet worden war: „Volksversammlungen unter freiem Himmel können bei dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden". Wer das Verbotsrecht haben sollte, ist hier aus naheliegenden Gründen nicht gesagt: die Frankfurter Versammlung konnte es weder für die von ihr kreierte Reichsregierung in Anspruch nehmen, noch bestand ein Bedürfnis, den Einzelstaaten ein Redit zu erteilen, das diese sowieso nidit aus der Hand gegeben hätten. In dem Grundsatze einer möglichen polizeilichen Präventivkontrolle aber für Versammlungen unter freiem Himmel stimmte die Frankfurter bzw. Weimarer Regelung mit den Versammlungsartikeln der preußischen Verfassung bzw. mit dem preußischen Versammlungsgesetze vom 11.3. 1850 § 9 Abs. 1 überein. Dagegen haben nun die beiden Reichsverfassungen an die Stelle des Absatzes 1 des preußischen Verfassungsartikels über die Versammlungen in geschlossenen (bzw. in gesetzlich bestimmtem Besitz befindlichen) Räumen jene vermeintliche Definition eines vermeintlichen Grundrechts gesetzt, nach der alle Staatsbürger das Redit haben sollten, a i u i Wime x u m i c i u u i i g u u c i l o i i c t u u i m i i i c u n u i u u u u m i c

nnucii

zu versammeln. Dadurch aber war nun ein Problem entstanden, das für die preußische Verfassung nicht existierte — nämlich das Problem des rechtlichen Verhältnisses der beiden Absätze des Artikels zueinander. Dieses Verhältnis konnte innerhalb der Versammlungsartikel der beiden preußischen Verfassungen kein Problem bieten. Freilich muß man, um die den beiden Absätzen zugrundeliegende Zweiteilung der Versammlungen als eine rechtlich notwendige und in Beziehung auf das Versammlungsrecht vollständige verstehen zu können, an Stelle der Kriterien der physischen (bzw. technischen) Abgeschlossenheit der Versammlungsräume einerseits und andererseits der Freiheit des Himmels über ihnen das schon erwähnte und 11

erläuterte Kriterium der rechtlichen Abgeschlossenheit und Nichtabgeschlossenheit dieser Räume setzen. Entsprechend dieser Einteilung standen nun auf dem Boden des durch die preußische Verfassung geregelten Rechtszustandes einander gegenüber: ein gesetzliches Recht der Staatsbürger sich an solchen Stellen zu versammeln, die rechtlich dem öffentlichen Verkehr entzogen waren — und ein jeweils auf den einzelnen Fall bezogenes, von polizeilichen Verbotsunterlassungen abhängiges Recht zu Versammlungen an irgendwelchen derjenigen Stellen des jeweiligen Raumes, auf den der öffentliche Verkehr beschränkt ist. Daß unter diesen Bedingungen ein Widerspruch zwisdien dem gesetzlichen Rechte des Absatzes 1 und dem von jeweiligen Umständen abhängigen des Absatz 2 ausgeschlossen ist, ist trivial. Das logische Verhältnis zwisdien beiden Absätzen ist das einer unter Bedingungen des Rechtszustandes widerspruchslosen Koordination. Eben aber diese Koordination der beiden Absätze mußte in dem Augenblick rechtlich unmöglich werden, als der Absatz 1 durch die Frankfurt/Weimarer Verfassung in das konstitutive Gesetz eines Grundrechts verwandelt wurde, das sich, wenn es ein Grundrecht sein können sollte, natürlich auf alle rechtlich möglichen Versammlungen der Staatsbürger beziehen mußte. Also mußten die Versammlungen auf öffentlichen Straßen und Plätzen in ihrer möglichen Rechtmäßigkeit dem Rechte des Absatzes 1 subordiniert sein. Diese Subordination aber war ebensowenig möglich, wie die Koordination, da der Absatz 2 auch in der Weimarer Verfassung die Straßenversammlungen in ihrer möglichen Rechtmäßigkeit individuellen Bedingungen unterwarf, die wie gezeigt einem allgemeinen Begriff von ihrer Rechtmäßigkeit widersprachen. Also standen die beiden Absätze selber mit Bezug auf die durch sie bedingte Rechtmäßigkeit von Versammlungen der Staatsbürger im Widerspruch miteinander. Es konnte nur die Alternative geben: Entweder war das bedingungslose Versammlungsrecht des Absatzes 1 überhaupt kein mögliches Staatsbürgerrecht — oder die im Absatz 2 verordnete polizeiliche Präventivkontrolle war eine rechtswidrige Beschränkung eben dieses im Absatz 1 konstituierten Rechtes. 12

6. Diesen Widerspruch der beiden Absätze mit Bezug auf das in jedem von ihnen konstituierte Recht hat schon der Frankfurter Verfassungsgeber dadurch verdeckt, daß er in dem den Versammlungen unter freiem Himmel gewidmeten Absatz 2 seines Artikels überhaupt nicht von einem Recht der Staatsbürger mit Bezug diese Versammlungen spricht. Er sagt einfach „Volksversammlungen unter freiem Himmel können unter den und den Bedingungen verboten werden". Im Weimarer Artikel Absatz 2 ist ebenfalls nicht von einem Versammlungsrecht, sondern lediglich von Versammlungen unter freiem Himmel die Rede. Der durch das „kann" des Absatzes Berechtigte ist der Reichsgesetzgeber, keineswegs der Staatsbürger. Aber durch diese Kannvorschrift wird der Widerspruch zwischen den beiden Absätzen nicht beseitigt. Um ihn aufzudecken, muß man die im Absatz 1 gegebene Definition des Versammlungsrechts als eines angeblichen Grundrechtes ins Auge fassen. Ein solches Grundrecht muß ja nidit nur, wie seine Frankfurter, Weimarer und Bonner Väter überflüssigerweise eigens bestimmt haben, unabhängig sein von behördlichen Auflagen und Genehmigungen. Uberflüssig ist eine solche Bestimmung, weil es trivial ist, daß ein staatsbürgerliches Grundrecht in seiner Wesensmöglichkeit nicht bedingt sein kann durch Handlungen der staatlichen Exekutive. Wenn aber die genannten Verfassungsgeber schon vor der juristisch lächerlichen, lediglich der politischen Reklame dienenden Versicherung nicht zurückschreckten, daß die Polizei nicht in ein Grundrecht als solches hineinreden könne, so hätten sie nicht vergessen sollen hinzuzufügen, daß zum Wesen eines Grundrechtes auch die Unabhängigkeit von allen Gesetzen des staatlichen Gesetzgebers gehört. Vielmehr sind diese Gesetze in ihrer möglichen Rechtmäßigkeit der Bedingung der Übereinstimmung mit den staatsbürgerlichen Grundrechten unterworfen. Also können diese nicht ihrerseits in ihrer Möglichkeit (Wesen) durch die Gesetzgebung des Staates bedingt sein. 13

Alsdann aber muß das prätendierte Versammlungsrecht nicht nur frei sein von „Anmeldung und Erlaubnis", es muß auch frei sein von allen gesetzlichen Beschränkungen des möglichen Gebrauchs (Besitzes) an Grund und Boden. Eben aber diese Beschränkung in ihrer möglichen gesetzlichen Bestimmtheit gehören zu den Bedingungen eines rechtlichen Zustandes als solchen. In der Tat enthält der Absatz, ohne es wie im Falle der „Anmeldung und Erlaubnis" besonders zu sagen, keine derartige Beschränkung. Gerade deswegen aber steht das in diesem Absatz konstituierte grenzenlose Versammlungsrecht im Widerspruch mit der Möglichkeit des genannten Zustandes. Es wäre seinem Wesenskern nach ein Recht auf Anarchie (s. o. S. 4). Nun kann es aber ein Recht der Gesetzgebung nur in Übereinstimmung mit der Möglichkeit eines rechtlichen Zustandes geben. Niemand kann dieses Recht unter Bedingungen des Naturzustandes haben. Mithin widerspricht der Weimarer Verfassungsgeber dem im Artikel 123 Abs. 1 konstituierten vermeintlichen Grundrecht, wenn er im Absatz 2 des Artikels eine Gesetzgebungskompetenz zur Einschränkung eben dieses im Absatz 1 gewährten Rechtes auf einen gesetzlosen Zustand etabliert. Die Probe auf die Richtigkeit der vorstehenden Behauptung des Widerspruchs von Absatz 1 gegen die Möglichkeit des Rechtszustandes kann man dadurch machen, daß man der Interpretation von Absatz 2 die Annahme eines gegebenen Rechtszustandes zu Grunde legt. Alsdann nämlich wird der Absatz 1 jeden möglichen rechtlichen Inhaltes beraubt. Denn der Absatz 2 unterwirft alle Versammlungen auf Stätten des öffentlichen Verkehrs einer möglichen polizeilichen Präventivkontrolle. Dann aber sind bei vorausgesetztem Rechtszustand alle nicht anmeldepflichtigen Versammlungen ohne weiteres auf die durch die bürgerliche Gesetzgebung dem öffentlichen Verkehr entzogenen Räume beschränkt. Daraus folgt: Das im Absatz 1 vermeintlich konstituierte Grundrecht auf Versammlungen ohne Anmeldung und Erlaubnis (und ergänze: ohne Beschränkung auf Räume in gesetzlich bestimmtem Besitz) ist ein Recht, das unter Bedingungen des Rechtszustandes gar keinen möglichen Gegenstand hat. M. a. W. der Absatz 1 des Wei14

marer Verfassungsartikels wird bei vorausgesetztem Rechtszustand durch den Absatz 2 in eine leere Deklamation verwandelt, deren Existenz in einem diesen Zustand bestimmenden Gesetz nur aus politischen Gründen erklärbar ist. Sie mag als eine durch den Absatz 2 ihrer Bedrohlichkeit beraubte rhetorische Konzession an die revolutionäre Forderung eines Rechtes des Volkes auf die Straße in die Verfassungen von 1849 und 1919 hineingekommen sein. Aber das ändert nichts daran, daß die durch den Absatz 2 der Weimarer Fassung bedingte Gesamtregelung des innerstaatlichen Versammlungsrechtes ihrem rechtlichen Inhalte nach mit der laut Verfassung und Gesetzgebung in Preußen geltenden identisch war. 7. Vergleicht man den Artikel 8 des BGG mit dem Versammlungsartikel der Weimarer Verfassung, so zeigt sich, daß der Bonner Absatz 1 von dem entsprechenden Weimarer (bzw. Frankfurter) nahezu wörtlich abgeschrieben ist. Dagegen ist der Absatz 2 in zwei wesentlichen Punkten modifiziert. Die erste Modifikation besteht in Folgendem: während es in der Weimarer Fassung einfach hieß „Versammlungen unter freiem Himmel" können anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden, ist es jetzt das im Abs. 1 konstituierte unbeschränkte „Recht" auf Versammlungen, das der Abs. 2 einer möglichen gesetzlichen Beschränkung unterwirft. Diese ausdrückliche Bezugnahme seines Absatzes 2 auf die im Abs. 1 etablierte grenzenlose Versammlungsfreiheit als auf ein „Recht" verbietet es nun aber, dem Bonner Rat die Einsicht in die juristische Unmöglichkeit dieser allen möglichen gesetzlichen und administrativen Beschränkungen vorhergehenden Versammlungsfreiheit zuzutrauen. Also kann man ihm auch nicht imputieren, den Abs. 1 beibehalten zu haben als eine durch die Kompetenzerteilung an den Gesetzgeber im Abs. 2 ungefährlich gemachte rhetorische Konzession an das von der Tradition der Revolution prätendierte Recht des Volkes auf die Straße. 15

Es ist dies um so weniger möglich, als der Abs. 2 des Bonner Artikels — und dies ist seine zweite Abweichung von der Frankfurt/Weimarer Fassung — das einschränkende Gesetz seinem Inhalte nadi gar nicht angibt. Er sagt nur, das Recht des Absatzes 1 könne „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden". Aber damit ist eine Alternative etabliert, die in ihrer rechtlichen Notwendigkeit rein formal gar nicht zu verstehen ist. Was „auf Grund eines Gesetzes" beschränkt wird, ist allemal „durch" ein Gesetz beschränkt — und was „durch ein Gesetz beschränkt ist", macht allemal Handlungen der Staatsorgane rechtlich möglich und gegebenenfalls notwendig, die „auf Grund" dieses Gesetzes erfolgen. In der Tat verdankt die mysteriöse Formulierung ihre Existenz der im Rate durchgedrungenen Meinung einiger seiner Mitglieder, es könne außer dem die polizeiliche Präventivkontrolle legitimierenden Gesetze auch noch andere berechtigte Bedürfnisse nach solchen geseztlichen Beschränkungen des Rechtes der Versammlungen unter freiem Himmel geben. Erinnert wurde an ein Bannkreisgesetz zum Schutze von Parlamenten und Gerichten gegen Demonstrationen. Beschränke man sich auf das Gesetz der Anmeldepflicht und Verbietbarkeit der Versammlungen unter freiem Himmel, so bedürfe der Erlaß eines solchen Bannkreisgesetzes einer Verfassungsänderung (vgl. Jahrbuch d. öffentl. Rechts N . F. Bd. 1, S. 115). So entschloß man sich zu der ohne diesen Doppelbezug unverständlichen Doppelfassung der dem Gesetzgeber im Abs. 2 zu erteilenden Ermächtigung: „Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch ein Gesetz (Bannkreis) oder auf Grund eines Gesetzes (Präventivkontrolle) beschränkt werden". Eben diese Zweispännigkeit des Absatzes ist nun aber ein Indiz dafür, daß der Bonner Rat keine Vorstellung hatte von der spezifischen Notwendigkeit einer Unterwerfung von Versammlungen auf Stätten des öffentlichen Verkehrs unter eine polizeiliche Präventivkontrolle. Sollten solche Versammlungen überhaupt berechtigt sein können, so ist die Einschränkung dieser Berechtigung auf 16

den einzelnen Fall mit Rücksicht auf die Idee des Staates als solche unerläßlich. Daß aber einem Bannkreisgesetz diese Bedeutung einer rechtlichen Frontstellung gegen den Naturzustand nicht zukommen kann, sieht jeder. Bannkreis oder Nicht-Bannkreis — solange nicht der Bann möglicher polizeilicher Präventivkontrolle auf sämtliche Stätten des öffentlichen Verkehrs gelegt war, konnte keine Verbannung von Versammlungen aus irgendwelchen begrenzten Bezirken dieses Verkehrs das Versammlungsrecht des Absatzes 1 in eine gesetzliche Harmonie mit den Bedingungen eines möglichen allgemeinen Rechtszustandes bringen. Damit ist die Decke gelüftet, unter der der Bonner Rat den Widerspruch des Absatzes 2 seines Versammlungsartikels für sich selbst und seine Ausleger verdeckt hat. Entweder das uneingeschränkte Versammlungsrecht des Absatzes 1 bleibt im Absatz 2 vorausgesetzt. Dann ist der gesetzliche Zustand und mit ihm das geforderte Recht der Gesetzgebung unmöglich. Oder aber der gesetzliche Zustand ist vorausgesetzt. Dann kann es kein von allen gesetzlichen und administrativen Beschränkungen unabhängiges Versammlungsrecht geben. In diesem Falle wäre das „durch Gesetz" oder „auf Grund eines Gesetzes" einzuschränkende, der Gesetzgebung vorausliegende Versammlungsrecht in der Sprache unserer Juristen zu beschreiben als ein Grundrecht ohne möglichen Wesenskern. Faßt man beide Alternativen in der Sprache des Alltags zusammen, so lautet das Ergebnis: Wer sich in der Bundesrepublik für die Behauptung eines dem Bundesvolk zustehenden Versammlungsrechtes auf das BGG Artikel 8 beruft, der greift ins Leere.

8. Die bisherigen Erörterungen waren mit Bezug auf das Problem des Demonstrationsrechts fragmentarisch. Sie beschränkten sich auf den Nachweis der Unhaltbarkeit der Annahme, es könne ein staatsbürgerliches Grundrecht geben, vermöge dessen Staatsbürger 17

ein von allen gesetzlichen oder administrativen Bedingungen freies Recht, d. h. ein Grundrecht haben können, sich innerhalb des Staates dort, wo es ihnen beliebt, zu versammeln. N u n glauben aber die Verfechter eines von polizeilicher Präventivkontrolle unabhängigen Demonstrationsrechts des Volkes ihren Anspruch auf das Recht der freien öffentlichen Meinungsäußerung und dessen Verankerung im Artikel 5 des B G G stützen zu können. Bei dieser Begründung wird freilich die vorrangige Bedeutung des Problems des Rechtes von Versammlungen auf Stätten des öffentlichen Verkehrs von den demonstrierenden Fanatikern und ihren Patronen übersehen. Deren primäres Interesse ist darauf gerichtet, unter dem Titel der freien Meinungsäußerung die Gegner ihrer Meinung durch die Wucht ihrer Masse, die Stärke ihres Gebrülls, die Finsternis ihrer Mienen und die Bedrohlichkeit ihrer Gebärden einzuschüchtern und ihnen ihren H a ß und ihre Verachtung zu „demonstrieren". D a ß derartige Äußerungen von Meinungen eine durch eine besondere Aufdringlichkeit bezeichnete Sorte von Meinungsäußerungen sind, ist offenkundig. D a ß aber diese Aufdringlichkeit durch den Artikel 5 des B G G legitimiert sein könne, bedarf des Beweises. Statt diesen zu liefern, stützen sich die Verteidiger eines allgemeinen Demonstrationsrechts auf das Faktum, daß „Demonstration mehr ist als einfache Kundgebung und Darlegung von A n schauungen und Meinungen" (vgl. H . Vogel, Demonstrationsfreiheit und ihre Grenzen, a. a. O . S. 10). D i e begriffliche Bestimmung dieses über die einfache Kundgebung (Äußerung) von Meinungen hinausgehenden Mehr entnimmt der hier sprechende Verteidiger des allgemeinen Demonstrationsrechts dem „Neuen Brockhaus". Diesem bescheinigt er, daß er „richtig sagt", nach dem heutigen Sprachgebrauch bedeutet Demonstration „eine bestimmte eher das Gefühl als die Ratio ansprechende Beweisführung, in der zumeist(!) auch polemische und protestierende Töne mitschwingen und bei der politische Themen vorrangig sind". O b nun aber das auf diese Weise gekennzeichnete, über die bloße Meinungsäußerung hinausgehende Äußerungsmehr auch zu der durch den Artikel 5 grund18

rechtlich privilegierten Äußerungsfreiheit gehört, sagt er nicht. Er begnügt sich statt dessen mit der Bemerkung, daß Demonstrationen heute derjenige Sonderfall von Versammlungen sind, der „im Blickpunkt des Interesses" steht. Vom Recht der für diese Versammlungen als spezifisch gekennzeichneten Form der Meinungsäußerung ist dabei nicht die Rede. Derselben Methode aber folgen diejenigen, die meinen, das gekennzeichnete Gebaren von Straßendemonstranten durch die Feststellung legitimieren zu können, Demonstrationen seien „nachdrückliche Meinungsäußerungen". Diese „Nachdrücklichkeit" resultiert aus der K r a f t der Demonstrationen, den Gang der Füße ebenso wie den Gang der Gedanken der Andemonstrierten — den einen durch die Blockade der Straße, den anderen durch akustische oder optische Mittel — mehr oder weniger intensiv zu stören und dadurch deren Freiheit des Nichthinhörens unmittelbar oder mittelbar zu beschränken. Während nun aber heuzutage alle diejenigen, die irgendeine Autorität auszuüben berechtigt sind (Eltern, Lehrer, Betriebsinhaber, Beamte, Offiziere, Minister u. a.) unter Hinweis auf die Schrecknisse des ehemaligen Obrigkeitsstaates daran gehindert werden, ihren Kindern, Schülern, Angestellten und sonstigen Untergebenen nachdrücklich ihre Meinung zu sagen, sollen gleichzeitig alle Staatsbürger berechtigt sein, sich in beliebigen Quantitäten zusammenzurotten, um mit Hilfe der in dieser Blockbildung liegenden Meinungsäußerungsverstärkungsmöglichkeiten ihren Äußerungen die größtmögliche Nachdrücklichkeit zu geben. Das Mittel aber, mit dem sie ihren Opfern diesen Druck spürbar machen, ist das, was H . Vogel in der Terminologie des Brockhaus eine „eher das Gefühl als die Ratio ansprechende Beweisführung" nennt. Dies ist nun freilich, wenn man es wörtlich nimmt, nicht sowohl „richtig", als vielmehr offenkundig unsinnig. Ein Beweis, der sich ans Gefühl wendet, ist ein Unding. Setzt man aber an Stelle des Wortes „Beweisführung" — „Meinungsäußerung", so kann der gefühlsansprechende Charakter von deren Nachdruck nur in ihrer emotionalen Bedingtheit oder ihrem emotionalen Effekt oder in beidem liegen. Daß eine derartig bedingte Nach19

drücklichkeit jederzeit eine mögliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedeutet, bedarf keines Beweises. Das heißt aber: Straßendemonstrationen können mit Rüdssicht auf die von ihren Meinungsäußerungen angestrebte Nachdrücklichkeit nur unter Bedingungen der möglichen polizeilichen Präventivkontrolle rechtmäßig sein. Dagegen können sie in dieser Rechtmäßigkeit niemals unter ein gesetzliches Recht der freien Meinungsäußerung subsumiert werden oder gar den Charakter eines staatsbürgerlichen Grundrechts haben. Damit ist aber wiederum (s. o. S. 10) zwar die rechtliche Möglichkeit einer Zulassung von Demonstrationen durch die Staatsgewalt, keineswegs aber ihre rechtliche Notwendigkeit gezeigt. Sie gehören daher auch nicht in die Verfassung. M. a. W. die Gründe für das Gesetz, das ihnen die Existenz im Staate unter der Bedingung polizeilicher Präventivkontrolle ermöglicht, können nur politischer Natur sein. Sie haben ihre Quelle in dem unvermeidlichen Schicksal der Staaten der Erde, daß deren Institutionen niemals den durch die Idee des Rechtes notwendig gemachten Forderungen der Staatsbürger völlig adäquat sein können. Es gibt jederzeit berechtigte Beschwerden über den bestehenden rechtlichen Zustand. Als ein Ventil, das die Staatsklugheit gleichsam als ein Volksnotstandsrecht für solche Beschwerden offenläßt, können sie verstanden und genutzt werden. Was aber das Verhältnis gegebener Staaten einer gegebenen Rechtsordnung zu den vom Bonner Rat vorausgesetzten Grundrechten anlangt, so bleibt dessen Beleuchtung der Schlußerörterung vorbehalten. 9. A. Dieses Verhältnis war schon in dem die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates weitgehend präjudizierenden Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee von 1948 Gegenstand aporetischer Erwägung gewesen. Der Bericht darüber sagt in seinem darstellenden Teil S. 20 „Eine befriedigende Umschreibung des Rahmens, in 20

den sich auch die Geltendmachung der Grundrechte einzuordnen hat, i s t . . . allerdings noch nicht geglückt. Die Formel, daß die Grundrechte „„im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung zu verstehen"" sind, muß einstweilen aushelfen. Sie wird in Artikel 21 Abs. 3 ausdrücklich verwendet". Aber diese Verwendung ist, wie der angekündigte Absatz 3 des Artikels 21 des Chiemsee-Entwurfs des Grundgesetzes selber erklärt, nur bedingt. Der Absatz sagt: „Die Grundrechte sind, soweit sich aus ihrem Inhalt nichts anderes ergibt, im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung zu verstehen" (S. 63). Nun ist eine jede zwischen Menschen wirksame Ordnung derjenigen Freiheit, auf die sie im Verhältnis zu einander berechtigt sein können (d. h. eine jede Rechtsordnung), von einem menschlichen Willen abhängig, der diese Ordnung durch Gesetze bestimmt und die Macht hat, die Befolgung dieser Gesetze zu erzwingen. Sollen aber die Grundrechte an den „Rahmen" solcher Ordnungen gebunden sein, so können sie unmöglich den Charakter von Normen haben, an die der die betreffende Ordnung jeweils bestimmende und durchsetzende Wille gebunden ist. Das war eine Folgerung, deren Unwiderleglichkeit sich auch der Bonner Rat nicht entziehen konnte. Die Anschauung, daß die Grundrechte vorstaatliche Rechte des Menschen sind, „die der Staat schon antrifft, wenn er entsteht, und die er lediglich zu gewährleisten und zu beachten hat" (Parlamentarischer Rat, Stenografischer Bericht 1948/49 S. 14) — ist die Grundauffassung, die er in allen Äußerungen seiner Mitglieder zu erkennen gegeben hat. Diese Äußerungen vereinigten sich direkt oder indirekt in dem Schwur, daß man sich nunmehr „endgültig vom Geiste des Rechtspositivismus abwenden" wolle (Steno-Bericht S. 20). Das hieß eben, man wollte sich abwenden von dem Ungeiste des Widerspruchs, der das durch eine positive Gesetzgebung zu schützende Recht der Staatsglieder in seiner Möglichkeit durch eben diese Gesetzgebung bestimmt sein lassen wollte. Freilich entsprach dem Enthusiasmus, mit dem man in Bonn denjenigen Verfassungsgebern zustimmte, die gewollt hatten, „der Mensch soll(!) Rechte haben, über die auch der Staat nicht soll ver21

fügen können" keineswegs die Sicherheit der Äußerungen der Abgeordneten über den Ursprung dieser Rechte. Zwar berief man sich auf sie mit den alten Beschwörungsformeln als auf „natürliche, unveräußerliche, geheiligte Menschenrechte", deren Geltung eine Idee sei, die „die gesamte Kulturgeschichte der Menschheit seit der Antike durchziehe" (Steno-Bericht S. 21). Aber wenn schon niemand darauf insistierte, daß diese Rechte von Gott stammten, so sagte doch auch niemand, woher man denn wisse, daß die Menschheit sich nicht, wie die rechtsphilosophischen Positivisten behaupteten, mit der Idee dieser Rechte bisher selber betrogen habe. Diesen Positivismus zu widerlegen, war aber auch der Rückgriff auf die im Rahmen der Geschichte der menschlichen Kultur bereits aufgetauchten Grundrechtsbestimmungen ganz untauglich, solange es an einem Kriterium fehlte, vermittels dessen man die Verankerung dieser Bestimmungen in der Idee eines jedem Menschen als solchem zukommenden Rechtes erkennen konnte. Aber bei keiner der Beratungen über das Recht der Grundrechte im allgemeinen ist einer der beteiligten Redner in Bonn auf den Gedanken gekommen, nach einer Definition dieses von allen gepriesenen Rechtes „der Personen, der Individuen" zu fragen, das in den modernen Verfassungen angeblich „überall durch Kataloge von Grundrechten . . . gegen die Ansprüche der Staatsräson geschützt wird" (Steno-Bericht S. 14). Wodurch aber sollten solche Kataloge von Grundrechten legitimierbar sein, wenn der Grund dieser Legitimation in der staatlichen Gesetzgebung ausweislich der Problemstellung nicht liegen konnte, und es andererseits an einer in ihrer Allgemeingültigkeit für jedermann einsehbaren Bestimmung des diese Grundrechte bedingenden Menschenrechtes fehlte? B. Eben diese Bestimmung hätten die Bonner Grundrechtsgesetzgeber durch einen Rückgriff nicht sowohl auf Grundrechtsdeklarationen oder gar — konstitutionen von Seiten politischer Verfassungsgeber, sondern auf die von der Rechtsphilosophie am Ende ihrer Entwicklung im 18ten Jahrhundert gegebene, von allen empirischen oder historischen Bedingungen unabhängige Definition 22

der Idee des Rechtes des Menschen als solchen wieder gewinnen können und sollen. Diese bestimmte kurz gesagt dieses Recht als die Bedingung möglicher Allgemeinheit der (äußeren) Freiheit des Menschen. Sie lautete in der von Kant zuerst im Jahre 1793 veröffentlichten Form: Recht ist die Einschränkung der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, insofern diese (die Zusammenstimmung) nach einem allgemeinen Gesetze möglich ist. Wäre nämlich ihre gesetzliche Zusammenstimmung nicht möglich, so könnte die Freiheit beliebiger Menschen in beliebigem Widerspruch mit der beliebiger anderer stehen. Also wäre die Freiheit nicht allgemein. Also ist die Definition eine analytische Bestimmung der Idee des Rechtes als der möglichen Allgemeinheit der Freiheit der Menschen, sofern diese in ihrem Gebrauch unter Bedingungen des Raumes und der Zeit von Mensch zu Mensch kollidieren kann. Aber in dieser Definition des Rechtes als der auf die Bedingung ihrer möglichen Allgemeinheit eingeschränkten Freiheit sind noch zwei weitere Momente enthalten. Zunächst ist es evident, daß zufolge der in der Definition enthaltenen Einschränkung der Freiheit das Recht in zweifacher Beziehung zu den Menschen steht: einmal in Beziehung auf sie als Einschränkende, d. h. als Berechtigte (subjektives Recht), zweitens in Beziehung auf sie als Beschränkte, d. h. als rechtlich Verpflichtete (objektives Recht). Mit Beziehung auf diese rein immanente Unterscheidung folgt aus der Definition, daß alle rechtlichen Freiheitsbeschränkungen (Rechtspflichten) in ihrer Möglichkeit bedingt sein müssen durch das Recht der Verpflichteten, die sie Verpflichtenden unter denselben Bedingungen zu verpflichten, unter denen sie durch diese verpflichtet sein können. Denn ohne diese Bedingung bestünde offenbar keine mögliche gesetzliche Ubereinstimmung zwischen dem, wozu Verpflichtete den Berechtigten gegenüber berechtigt und Berechtigte den Verpflichteten gegenüber verpflichtet sein können. Also ist die Gleichheit mit Bezug auf den möglichen Inhalt (die Materie) des Rechts nach der Freiheit das zweite Wesensmoment des Rechtes der Menschheit. Doch auch mit dem Moment der Gleichheit ist die Be23

Stimmung des Wesens des Menschenrechts nicht vollendet. Es fehlt noch die Reflexion auf die mögliche Vereinigung der allgemeinen Gleichheit der Menschen mit Bezug auf alle möglichen Bestimmungen ihrer Rechte der Materie nach mit der Freiheit als der formalen Bedingung aller dieser Bestimmungen. Diese Vereinigung ist nur dadurch möglich, daß alle mögliche Gleichheit der Rechte eingeschränkt wird auf die Bedingung einer möglichen Herrschaft eines jeden Menschen über sein eigenes Recht im Verhältnis zu anderen Menschen. Denn es wäre ein Widerspruch, wenn sie in ihrer Freiheit selber wechselweise von einander abhängen sollten. Also ist der Mensch als solcher in Beziehung auf sein mögliches Recht andern Menschen gegenüber sein eigener Herr (sui iuris). In Summa: Rechtliche Freiheit, Gleichheit und Selbständigkeit sind die Bedingungen der Zusammenstimmung der äußeren Freiheit der Menschen zur Einheit der Idee desjenigen Rechtes, das ihnen bloß als Menschen, d. h. vor allem ihrem rechtlich bedingten Handeln und insofern als ein angeborenes Recht zukommt. C. Mit der Konzeption dieser Idee vom angeborenen Rechte war nun freilich die Frage unvermeidlich verbunden, wie denn diese Idee ein Prinzip für die Möglichkeit des Erwerbs von Rechten auf äußeren Besitz sein kann, die niemand für angeboren halten wird. Es sind das nicht nur Rechte auf Besitz von äußeren Dingen — sondern auch Rechte auf Verursachung gewisser Modifikationen der Dinge durch Handlungen anderer Personen, d. h. auf deren vertraglich ausbedungene Leistungen — schließlich aber auch auf Besitz von Personen selbst (Ehegatten, Kinder). Es ist einsichtig, daß ohne einen möglichen Erwerb solcher Rechte auf Besitz von Gegenständen außer uns die Rechtsidee selber keinerlei Folgen für das Handeln der Menschen unter Bedingungen von Raum und Zeit haben könnte. Zur Erläuterung braucht man nur daran zu denken, daß Menschen, um auch nur die kleinste Bewegung rechtmäßig machen zu können, zuvor den andern gegenüber ein Recht auf Eindringen in den für die Bewegung erforderlichen Raum direkt oder indirekt erworben haben müssen. Ebenso klar aber ist, daß dieser Rechtserwerb unvermeidlich mit 24

der Möglichkeit eines Streites zwischen gesellschaftlich lebenden Menschen verbunden ist, des Streites nämlich darüber, ob im gegebenen Falle die mit Beziehung auf die Rechtmäßigkeit des Erwerbs notwendigen Bedingungen vorliegen oder nicht. Es ist offenkundig, daß ein solcher Streit nicht bloß aufgrund der Idee des angeborenen Rechtes entscheidbar ist. Dieses sagt nur, daß der Mensch als solcher weder ein ursprüngliches Recht haben kann, im Rechtsstreite mit andern Entscheidungen über sein eignes Recht zu treffen, noch auch das Recht, sich den Entscheidungen anderer über sein Recht zu unterwerfen. Im ersten Falle würde er sich rechtswidrig die Herrschaft über das Recht der andern anmaßen — im zweiten Falle sich deren Herrschaft über sein eigenes Recht rechtswidrig unterwerfen. Also ist der Mensch, wenn er nicht aller Bestimmbarkeit und Wirksamkeit seines Rechtes im Verhältnis zu dem der andern entsagen will, genötigt, sich einer Herrschgewalt zu unterwerfen, die von ihrer Macht zu einer Gesetzgebung Gebrauch macht, durch deren Gesetze die Bedingungen möglicher Entscheidungen von Konflikten und möglicher Durchsetzung dieser Entscheidungen gegen jedermann festgesetzt werden. Der als einer äußeren Herrschgewalt entbehrend gedachte gesellschaftliche Zustand heißt in der rechtsphilosophischen Tradition der Naturzustand. Die Idee dieses Zustandes besagt nicht, daß Menschen jemals in ihm gelebt hätten. Wohl aber folgt aus ihr, daß Menschen, wenn sie sich zu irgend einer Zeit in ihm befänden, mit Rücksicht auf die Bestimmbarkeit und Durchsetzbarkeit ihrer Rechte genötigt wären, ihn zu verlassen. Es folgt m. a. W. die Verankerung des berühmten exeundum est e statu naturali in dem Willen, der will, daß das Recht der Menschheit in der eigenen Person Wirksamkeit unter Bedingungen der Menschheit haben können soll. Mit Rücksicht auf diesen Ankergrund heißt der Wille, der einer Herrschgewalt unterworfen sein will, die die Freiheit der ihr Unterworfenen durch positive Zwangsgesetze möglicher Rechtsbestimmung und Rechtsdurchsetzung beschränkt, der Allgemeine Wille. Der durch diesen Willen gewollte gesellschaftliche Zustand aber heißt der Rechtszustand oder auch schlicht „der Staat". Demgemäß ist 25

das ideale Recht, das jeder Mensch, der im Naturzustande gedadit wird, gegen jeden anderen hat, zu dem er in Verhältnissen möglicher wechselseitiger Freiheitsbeschränkung steht, ein Recht auf Staat. D. Aus diesen Ausführungen ergibt sich nun die Möglichkeit einer Beleuchtung der politischen Grundrechte des Bonner Rates, die über das Recht der Menschen als solcher im Verhältnis zueinander hinaus als Prinzipien allen möglichen rechtlichen Zustandes von Menschen gedacht werden. Der Grund für die Unmöglidikeit solcher Prinzipien liegt darin, daß es kein gesetzliches Verhältnis zwischen möglichen Herrschgewalten über Menschen unter Bedingungen der Zeit und einem idealen Zustande der Menschheit geben kann, in dem die Rechtsidee in ihrer möglichen Wirksamkeit unabhängig von aller möglichen Zwangsausübung sein könnte. Das ist deswegen unmöglich, weil Herrschgewalten über Menschen sich überhaupt nur dadurch bilden konnten, daß die Menschen sich nidit, bevor sie mit der Kultivierung und Technisierung ihres Lebens begannen, die Idee des Rechtes zur unverbrüchlichen obersten Maxime des Gebrauches ihrer äußeren Freiheit gemacht haben. Nur weil dies nicht geschah — ersichtlich weil es nicht geschehen konnte — konnten sich diejenigen Gewalten unter Bedingungen der Geschichte bilden, von deren möglicher Existenz, wie gezeigt, die mögliche Wirksamkeit der Rechtsidee unter Menschen abhängt. Damit aber ist zugleich gegeben, daß es kein gesetzliches Verhältnis zwischen den Bedingungen irgend einer gegebenen Herrschgewalt und einem idealen Zustande geben kann, in dem die Rechtsidee in ihrer Wirksamkeit unter Menschen unabhängig von aller möglichen Zwangsherrschaft über sie geworden wäre. Das heißt nicht, daß beides sich in seiner Möglichkeit widerspricht. Wohl aber heißt es: es kann unter Bedingungen der Menschheit keine Prinzipien möglicher gesetzlicher Übereinstimmung einer positiven Gesetzgebung mit den Bedingungen möglicher allgemeiner Wirksamkeit der Rechtsidee geben, durch die die Staatsgewalt in der Möglichkeit ihrer Gesetzgebung beschränkt sein könnte. Also kann es auch keine politischen Grundrechte geben, die, wie der Bonner Rat wähnte, als Rechte „der Personen, der Individuen" (Steno26

Bericht S. 14) von diesen, man weiß nicht wie, aus einem vorstaatlichen Zustand mitgebracht worden wären, und denen nun von eben dem Machthaber Wirksamkeit verliehen werden soll, dessen Machtgebrauch durch diese Verleihung beschränkt wird. Sowenig es aber politische Grundrechte als Bedingungen apriori des Rechtes der Gewalt des Staates als soldier geben kann, sowenig kann es rechtliche Garantien dagegen geben, daß nicht eine Person oder Körperschaft, die sich in den alleinigen Besitz der Staatsgewalt gesetzt hat, gegen einzelne oder ganze Klassen der ihr Unterworfenen im Widerspruch mit dem Rechte der Menschheit in deren Personen verfährt, wie das in der Zeit des Nationalsozialismus mit den Juden in fürchterlichen Ausmaßen geschehen ist. Die einzig mögliche Rechtsfolge, die solche dem Rechte der Menschheit widersprechende Befehle innerhalb des Staates haben können, ist die ihrer totalen rechtlichen Nichtigkeit. Niemand ist berechtigt, geschweige denn rechtlich verpflichtet, ihnen zu gehorchen — aber auch niemand innerhalb oder außerhalb des betreffenden Staates kann ein klagbares Redit haben — weder gegen den befehlenden Gewalthaber noch gegen den, der sich des Gehorsams gegen solchen Befehl ethisch schuldig gemacht hat. Gerade aber dies: die Fundamente für ein klagbares Recht gegen solche Greueltaten schaffen zu können und zu müssen, war die politisch bedingte Mißkonzeption, mit der der Bonner Rat an seine Aufgabe herantrat. Nur der Rückgriff auf die seit mehr als hundert Jahren verstorbene Rechtsphilosophie hätte ihm sagen können, daß das Prinzip des Rechtes, für das seine Grundrechte die Bedingung sein sollten, kein anderes sein könnte als das den Rechtsstaat selber unmöglich machende, sich selber widersprechende Recht der Staatsbürger auf Etablierung des Naturzustandes. So kann man die Frage „Wozu Rechtsphilosophie?" immer nodi mit den Worten Kants beantworten (Ak. A. Bd. VIII Zum ewigen Frieden S. 369): „Daß Könige philosophieren, oder Philosophen Könige würden, ist nicht zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen: weil der Besitz der Gewalt das freie Urteil der Vernunft unvermeidlich verdirbt. Daß aber Könige oder königliche (sich

27

selbst nach Gleichheitsgesetzen beherrschende) Völker die Klasse der Philosophen nicht schwinden oder verstummen, sondern öffentlich sprechen lassen, ist Beiden zur Beleuchtung ihres Geschäftes unentbehrlich".

28

Anhang Versammlungsartikel

der deutseben

Verfassungen

1. Preußische Verfassung vom 5. Dezember 1848 (Die oktroyierte Verfassung) Art. 27.

„Alle Preußen sind berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubnis friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln. Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf Versammlungen unter freiem Himmel, welche in allen Beziehungen der Verfügung des Gesetzes unterworfen sind. Bis zum Erlaß eines solchen Gesetzes ist von Versammlungen unter freiem Himmel 24 Stunden vorher der Orts-Polizeibehörde Anzeige zu machen, welche die Versammlung zu verbieten hat, wenn sie dieselbe für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährlich erachtet."

2. Preußische Verfassung vom 31. Januar 1850 (Die revidierte Verfassung) Art. 29.

„Alle Preußen sind berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln. Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf Versammlungen unter freiem Himmel, welche auch in Bezug auf vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß der Verfügung des Gesetzes unterworfen sind."

3. Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849 (Frankfurter Reichsverfassung) Art. V I I I . § 161. „Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln; einer besonderen E r laubniß dazu bedarf es nicht.

29

Volksversammlungen unter freiem Himmel können bei dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden." 4. Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 Art. 123.

„Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Versammlungen unter freiem Himmel können durch Reichsgesetz anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden."

5. Das Bonner Grundgesetz vom 23. Mai 1949 Art. 8.

30

„Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden."

w DE

G

Rudolf Stammler

Walter de Gruyter Berlin-New"förk Lehrbuch der Rechtsphilosophie 3., vermehrte Auflage. Groß-Oktav. XVI, 396 Seiten. 1928. Unveränderter Nachdruck. 1970. Ganzleinen DM 72,— ISBN 3 11 000992 7

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Grundzüge der Rechtsphilosophie 2. Auflage. Oktav. XVI, 396 Seiten. 1969. Gebunden DM 36,— ISBN 3 11 000989 7 (de Gruyter Lehrbuch)

Adolf Lasson

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Guido Kisch

Melanchthons Rechts- und Soziallehre Groß-Oktav. 307 Seiten. Mit 5 Tafeln. 1967. Ganzleinen DM 4 8 , — ISBN 3 11 001274 X

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G

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