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German Pages 346 [363] Year 2023
Katharina de Andrade Ruiz Wie kommt Tanz ins Museum?
TanzScripte Band 67
Editorial Tanzwissenschaft ist ein junges akademisches Fach, das sich interdisziplinär im Feld von Sozial- und Kulturwissenschaft, Medien- und Kunstwissenschaften positioniert. Die Reihe TanzScripte verfolgt das Ziel, die Entfaltung dieser neuen Disziplin zu begleiten und zu dokumentierenÚ Sie will ein Forum bereitstellen für Schriften zum Tanz – ob Bühnentanz, klassisches Ballett, populäre oder ethnische Tänze – und damit einen Diskussionsraum öffnen für Beiträge zur theoretischen und methodischen Fundierung der Tanz- und Bewegungsforschung. Mit der Reihe TanzScripte wird der gesellschaftlichen Bedeutung des Tanzes als einer performativen Kunst und Kulturpraxis Rechnung getragen. Sie will Tanz ins Verhältnis zu Medien wie Film und elektronische Medien und zu Körperpraktiken wie dem Sport stellen, die im 20. Jahrhundert in starkem Maße die Wahrnehmung von Bewegung und Dynamik geprägt haben. Tanz wird als eine Bewegungskultur vorgestellt, in der sich Praktiken der Formung des Körpers, seiner Inszenierung und seiner Repräsentation in besonderer Weise zeigen. Die Reihe TanzScripte will diese Besonderheit des Tanzes dokumentierenÚ mit Beiträgen zur historischen Erforschung und zur theoretischen Reflexion der sozialen, der ästhetischen und der medialen Dimension des Tanzes. Zugleich wird der Horizont für Publikationen geöffnet, die sich mit dem Tanz als einem Feld gesellschaftlicher und künstlerischer Transformationen befassen. Die Reihe wird herausgegeben von Gabriele Brandstetter und Gabriele Klein.
Katharina de Andrade Ruiz (Dr. phil.) arbeitet als freie Kunsthistorikerin, Kritikerin sowie Produktionsleiterin für Tanz- und Kunstprojekte in Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Gegenwartskunst und zeitgenössischer Tanz im Kontext der bildenden Kunst. Sie promovierte am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg und war dort zugleich als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig.
Katharina de Andrade Ruiz
Wie kommt Tanz ins Museum? Zur Tanzkunst im Ausstellungskontext bei Xavier Le Roy, Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz
Dissertation der Universität Freiburg, Tag der Disputation, 9. August 2022. Erstgutachterin: Frau Prof. Dr. Angeli Janhsen Zweitgutachterin: Frau Prof. Dr. Anna Schreurs-Morét Drittgutachter: Herr Prof. Dr. Andreas Urs Sommer
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: //dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2024 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: »Retrospective« by Xavier Le Roy, MoMA PS1, 2014, ©Matthew Septimus, Courtesy Xavier Le Roy Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839468234 Print-ISBN: 978-3-8376-6823-0 PDF-ISBN: 978-3-8394-6823-4 Buchreihen-ISSN: 2747-3120 Buchreihen-eISSN: 2747-3139 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.
Dieses Buch widme ich Luka und Malu.
Inhalt
Dank ............................................................................... 11 I EINLEITUNG ....................................................................13 1.1 Hinführung zum Thema und leitende Forschungsfragen..........................13 1.2 Forschungsüberblick und -ziele ................................................. 15 1.2.1 Zur Kunstausstellung als Medium und Präsentationsformat ................ 15 1.2.2 Zur historischen Entwicklung von Tanzkunst im Ausstellungskontext...... 23 1.2.3 Zum zeitgenössischen Tanz in Ausstellungen der Gegenwart .............. 30 1.3 Methodische Anmerkungen und Material......................................... 41 1.3.1 Aufbau ................................................................... 41 1.3.2 Das Schreiben über Tanz und die Analyse von Ausstellungen.............. 42 1.3.3 Zum Status des Dokumentations- und Analysematerials der Fallstudien ... 44 II
DIE KUNSTAUSSTELLUNG: HISTORISCHER RÜCKGRIFF UND GEGENWÄRTIGE AUSRICHTUNG ........................................... 47 2.1 Die Entwicklung der Ausstellung als Medium der Kunstpräsentation ............. 49 2.1.1 Der Pariser Salon und die Akademieausstellungen ......................... 51 2.1.2 Die Weltaustellungen bis hin zur ersten Kunstbiennale.................... 54 2.2 Museum und Ausstellung....................................................... 56 2.2.1 Der White Cube.......................................................... 62 2.2.2 Der Raum als »Gegenstand der Inszenierung«............................ 67 2.3 Die Ausstellung und das Ausstellen des 21. Jahrhunderts ......................... 71 2.3.1 Performative Wahrnehmungs- und Erfahrungsräume ...................... 71 2.3.2 Merkmale und Funktionsweisen .......................................... 74
III BEZIEHUNGEN ZWISCHEN TANZ, BILDENDER KUNST, MUSEUM UND AUSSTELLUNG: EINE HISTORISCHE EINORDNUNG ......................... 79 3.1 Zur Verbindung der Künste und der Tanzbühne ................................. 80 3.2 Institutionelles Sammlungsinteresse an der Tanzkunst und ihrer Geschichte .... 88 3.3 Zwei Künstler prägen ein Neudenken von Musik, Kunst und Tanz ................ 97 3.3.1 John Cage .............................................................. 98 3.3.2 Merce Cunningham und das Museum Event No. 1 ..........................102 3.4 Ästhetischer Wandel in der bildenden Kunst und im Tanz nach 1945 .............107 3.4.1 Die Performative Wende in der bildenden Kunst ..........................109 3.4.2 Das Judson Dance Theater und der postmoderne Tanz.................... 115 3.5 Intermediale Verwebung der Künste, institutionskritische Tendenzen und Reenactments im Tanz- und Kunstkontext .................................128 3.6 Expansion von Tanz und Performance in der Kunstwelt – Live Kunst im Ausstellungsraum ..........................................................132 IV NEUE PRÄSENTATIONSMODI FÜR DIE TANZKUNST ............................. 141 V 5.1 5.2
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LIVE-TANZ-AUSSTELLUNGEN VON XAVIER LE ROY, ANNE TERESA DE KEERSMAEKER UND BORIS CHARMATZ ......................149 Künstlerischer Schaffenskontext von Xavier Le Roy, Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz ..............................149 »Retrospective« by Xavier Le Roy ...............................................157 5.2.1 Konzept(ion) von »Retrospective« ........................................166 5.2.2 Eine Retrospektive? ..................................................... 177 5.2.3 Zeit und Zeitlichkeit(en) in »Retrospective« ............................. 183 Work/Travail/Arbeid von Anne Teresa De Keersmaeker ..........................187 5.3.1 Vom Bühnenstück zur Ausstellung ....................................... 191 5.3.2 Vergleich mit der Tate Modern-Version von Work/Travail/Arbeid .......... 205 20 Dancers for the XX Century von Boris Charmatz ..............................213 5.4.1 Das Musée de la danse ..................................................213 5.4.2 20 Dancers for the XX Century ............................................218 Besonderheiten von »Retrospective« by Xavier Le Roy, Work/Travail/Arbeid und 20 Dancers for the XX Century als Live-Tanz-Ausstellungen................. 232
VI SCHLUSSBETRACHTUNG...................................................... 243
VII ANHANG ..................................................................... 253 Interviews und Gespräche ......................................................... 253 Zu »Retrospective« by Xavier Le Roy ........................................... 253 Zu Work/Travail/Arbeid von Anne Teresa De Keersmaeker ...................... 275 Zu 20 Dancers for the XX Century von Boris Charmatz .......................... 299 Bildnachweis....................................................................... 311 Bibliografie ........................................................................312 Ausstellungskataloge...............................................................341 Webseiten ........................................................................ 342 Andere Medien und Formate ....................................................... 344
Dank
Mein Hobby, das Tanzen, die Begegnung und der Austausch mit Profitänzer*innen sowie die Möglichkeit mit ihnen zusammen tanzen zu dürfen, weckte in mir die Neugier und die Begeisterung für zeitgenössische Tanzkunst. Ich wollte mehr erfahren und das auch auf wissenschaftlicher Ebene. So schrieb ich eine Magisterarbeit über die Choreographic Objects von William Forsythe, fokussierte mich dabei zwar auf seine materiellen Kunstobjekte, doch wagte ich es zum ersten Mal, aus meiner kunsthistorischen Perspektive über die Arbeit eines Choreografen zu forschen. So begann meine Auseinandersetzung mit Gegenwartstanz im Kontext der bildenden Kunst. Dank eines Kurzzeitstipendiums der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg und einer Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg konnte ich dann mit meinem Dissertationsprojekt beginnen. Eingereicht habe ich diese Doktorarbeit im Dezember 2021. Der Entstehungsprozess und die Abschlussphase sind mit besonderen Menschen verknüpft, denen ich herzlichst danken möchte. An erster Stelle möchte ich meiner Doktormutter Frau Prof. Dr. Angeli Janhsen für Ihre intensive Begleitung und motivierende, konstruktive sowie vertrauensvolle Unterstützung zutiefst danken. Als jahrelange Wegbegleiterin möchte ich Sie nicht missen, vielen herzlichen Dank. Auch Frau Prof. Dr. Schreurs-Morét möchte ich für Ihre Offenheit gegenüber meinem Thema, Ihrer Bereitschaft zur Zweitkorrektur und Ihrer Unterstützung herzlich danken. Ich danke Xavier Le Roy, Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz für ihre grandiosen choreografischen Arbeiten, die mich zu dieser Doktorarbeit inspirierten. Und ich danke allen Tänzer*innen der Ausstellungen, insbesondere Scarlet Yu, Malek Andary, Alia Hamdan, Zeina Hannah, Femke Gyselinck, Gabriele Schenker, Cynthia Loemij, Carlos Garbin sowie Frank Willens.
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
Die Gespräche mit euch bereiteten mir viel Freude und der intensive Austausch war für diese Arbeit sehr fruchtbar. Ein Dank gilt den Kolloquien von Frau Prof. Dr. Janhsen und Frau Prof. Dr. Schreurs-Morét sowie all meinen Freunden, die mir in dieser Zeit zur Seite standen und mich ermutigten. Ganz besonders möchte ich meiner Freundin und Kollegin Dr. Stefanie Pietsch danken, die von Anfang bis Ende mit dabei war und mich auf freundschaftlicher sowie wissenschaftlicher Ebene tatkräftig und wohlwollend unterstützte. Vielen Dank für unseren regen, oft nächtlichen fachlichen Austausch, dein konstruktives Feedback sowie unser gemeinsames Lachen, Weinen und Tanzen. Kim Westphal möchte ich für ihre wissenschaftliche Unterstützung vor allem in der Endphase und ihre motivierenden Worte als Freundin herzlich danken. Auch danke ich herzlichst meinen Eltern sowie meinen Geschwistern, Stefani, Alexander, Sebastian und Nikolai. Danke für das erste Lesen meiner Arbeit, eure Unterstützung, euer Dasein, das Babysitten meiner Kinder und euer Anfeuern vor allem während der Abschlussphase. Von ganzem Herzen möchte ich meinem Ehemann Paulo danken, der mich in jeder Phase, ob Hochs oder Tiefs, auf dem ganzen Weg bis zur Abgabe und zur Veröffentlichung begleitete, bestärkte, ermutigte und mir für diese Arbeit immer den Rücken freihielt. Meine Dankbarkeit für Dich und Dein Tun ist nicht in Worte zu fassen. Dieses Buch widme ich unseren wundervollen Kindern Luka und Malu. Hamburg, 2023 Katharina de Andrade Ruiz
I EINLEITUNG
1.1 Hinführung zum Thema und leitende Forschungsfragen Den Aufführungskünsten und insbesondere dem Tanz widmen sich immer mehr Ausstellungen. Choreograf*innen wie Xavier Le Roy, Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz bespielen die Museen und Tänzer*innen bewegen sich durch originär für Gemälde und Objekte geschaffene Ausstellungsräume. Die Kunstbetrachter*innen gelten in diesem Kontext längst nicht mehr als passive Rezipient*innen, sondern nehmen aktiv am Tanzkunstereignis teil. Seit nun schon mehr als zwei Dekaden ereignen sich Tanz, Choreografie und Performance in Museen für vornehmlich moderne und zeitgenössische Kunst, Galerien, Ausstellungshäusern oder Kunsthallen.1 Was vereinzelt um die Jahrtausendwende auftrat, ist aktuell aus den Kunsthäusern und Ausstellungen nicht mehr wegzudenken. Das gesteigerte Interesse des Kunstbetriebs gilt allgemein der Live Art und damit allen immateriellen, ephemeren und performativen Künsten, die als Live Performance vor oder mit dem Publikum im Hier und Jetzt aufgeführt werden: Theater, Musik, Performance und in großen Anteilen die Tanzkunst erhalten eine immer stärker werdende Gewichtung in den Museums- und Ausstellungsprogrammen. Mit ihnen wird auf das künstlerische Ereignis als Erlebnis für die Besucher*innen gesetzt. Sich bewegende und agierende Körper im Ausstellungsraum treten an die Stelle materieller Objekte, sodass traditionelle Präsentationsformate performativen Ausstellungsexperimenten weichen.
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Beispielhaft genannt sei: Open the Curtain. Kunst und Tanz im Wechselspiel, 2003 in der Kunsthalle zu Kiel; A choreographed Exhibition, 2007/2008 in der Kunsthalle St. Gallen; Moments. Eine Geschichte der Performance in 10 Akten, 2012 im ZKM in Karlsruhe; Anne Teresa De Keersmaeker. Rosas. Fase Four Movements, 2019 in der Kunstsammlung NordrheinWestfalen.
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
Auf diese aktuellen Entwicklungen reagiert die vorliegende Doktorarbeit, die sich auf die Verbindung von zeitgenössischer Tanzkunst und der Ausstellung als Präsentationsmedium konzentriert. »Zeitgenössischer Tanz« als Begriff dient dazu, die gegenwärtige Produktion von Tanz von den schon bestehenden historischen oder kanonischen Tanzstilen und -Formen des Bühnentanzes abzugrenzen.2 Zeitgenössischer Tanz wird hierbei als eine Fortentwicklung des modernen und postmodernen Tanzes in Abgrenzung zum Ballett als klassischer oder akademischer Tanz verstanden.3 Die Tanzkunst hat als darstellende Kunstform im kunsthistorischen und kulturellen Kontext sowie in der gesellschaftlichen Wahrnehmung ihren Platz nicht in Ausstellungsräumen, sondern auf der Bühne im Theater. Kurator*innen und Choreograf*innen zeigen den Tanz also an einem Ort der bildenden Kunst, wo er lange nicht präsent und anerkannt war. Die Museumslandschaft und mit ihr die Ausstellung als das Präsentationsmedium schlechthin befinden sich im Wandel.4 Ausstellungsinstitutionen werden neu eröffnet und vieles Neue oder nicht sofort Kunstverdächtige kann ausgestellt und in Museen gezeigt werden. Das Museum wird heutzutage als »Eventlocation« betrachtet und die Kurator*innen konzipieren die Ausstellung als Erfahrungsangebot.5 Damit verbunden nähern sich gegenwärtige Kunstausstellungen Formaten der Bühnenkünste an, wie der Inszenierung, der Aufführung und dem Spektakel. Die Ausstellung besitzt also eine bedeutende Relevanz im
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Vgl. CVEJIĆ, Bojana: Choreographing Problems. Expressive Concepts in European Contemporary Dance and Performance, Basingstoke/Hampshire 2015, S. 5. Vgl. ODENTHAL, Johannes: Der zeitgenössische Tanz findet eine historische Dimension, in: DERS.: Tanz Körper Politik. Texte zur zeitgenössischen Tanzgeschichte (Theater der Zeit, Recherchen 27), Berlin 2 2012, S. 55–61, hier S. 55. Siehe hierzu: https://museumswissenschaft.de/geschichte/ (12.04.2021); BOCK, Henning: Kunstpräsentation im Wandel, in: GETHMANN-SIEFERT, Annemarie/WEISSERLOHMANN, Elisabeth (Hg.): Kultur – Kunst – Öffentlichkeit. Philosophische Perspektiven auf praktische Probleme, München 2001, S. 47–65; STRUNK, Christina/TEGETWELZ, Manuel (Hg.): Das Museum neu erfinden? Dauerausstellungen im Wandel, Petersberg 2019. Vgl. LOCHER, Hubert: Die Kunst des Ausstellens, in: HEMKEN, Kai-Uwe (Hg.): Kritische Szenografie. Die Kunstausstellung im 21. Jahrhundert, Bielefeld 2015, S. 41–62, hier S. 56. Eine Entwicklung, die nicht nur positiv bewertet wird, vgl. DISERENS, Corine: MA JUAH. Sketch for a retrospective narrative for the exhibition »Retrospective« by Xavier Le Roy, in: CVEJIĆ, Bojana (Hg.): »Rétrospective« by Xavier Le Roy, Monts 2014, S. 121–141, hier S. 130f.
I EINLEITUNG
Kulturbetrieb, die unter diversen Gesichtspunkten nach einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung verlangt. Der Fokus dieser Arbeit richtet sich daher auf die Ausstellung in Verbindung mit dem Tanz und seiner Spezifität als körperbasierte, dynamische und ephemere Kunstform. Wie Tanzkunst in den Ausstellungskontext gelang und wie zeitgenössischer Tanz im Format der Ausstellung präsentiert werden kann, gelten hierbei als leitende Forschungsfragen.
1.2 Forschungsüberblick und -ziele Zeitgenössische Tanzkunst in Verbindung mit dem Format der Ausstellung als Präsentationsmedium steht damit im Kontext der bildenden Kunst und verlangt als Untersuchungsgegenstand nach einem interdisziplinären Zugang, der vornehmlich theater-, tanz-, performance- und kunstwissenschaftliche Stränge vereint. Diese wissenschaftliche Arbeit verortet sich in den breit gefächerten Diskursen über die Beziehung von Tanz und bildender Kunst, ihren Entgrenzungen und damit einhergehenden Transformationen sowie über die performativen Künste in Museen und Ausstellungen. Die Darstellung des Forschungsüberblicks teilt sich zur besseren Orientierung und um einen unmittelbaren Zugriff auf gewünschte Felder und Inhalte zu gewährleisten in folgende drei Abschnitte: -
Zur Kunstausstellung als Medium und Präsentationsformat Zur historischen Entwicklung von Tanzkunst im Ausstellungskontext Zum zeitgenössischen Tanz in Ausstellungen der Gegenwart
Gleichzeitig liefert die Aufteilung einen ersten Überblick über die Herangehensweise des Dissertationsprojekts. Da die Forschungsfelder aufgrund des ausgewählten Themas der Arbeit stark miteinander verschränkt sind, werden Publikationen teils auch in mehr als nur einem Abschnitt behandelt.
1.2.1 Zur Kunstausstellung als Medium und Präsentationsformat Die Kunstausstellung und ihre historische Verortung galten im Bereich der Kunstwissenschaften lange Zeit als Forschungsdesiderat. Georg Friedrich Koch veröffentlichte 1967 mit »Die Kunstausstellung. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts« einen ersten umfas-
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I EINLEITUNG
Kulturbetrieb, die unter diversen Gesichtspunkten nach einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung verlangt. Der Fokus dieser Arbeit richtet sich daher auf die Ausstellung in Verbindung mit dem Tanz und seiner Spezifität als körperbasierte, dynamische und ephemere Kunstform. Wie Tanzkunst in den Ausstellungskontext gelang und wie zeitgenössischer Tanz im Format der Ausstellung präsentiert werden kann, gelten hierbei als leitende Forschungsfragen.
1.2 Forschungsüberblick und -ziele Zeitgenössische Tanzkunst in Verbindung mit dem Format der Ausstellung als Präsentationsmedium steht damit im Kontext der bildenden Kunst und verlangt als Untersuchungsgegenstand nach einem interdisziplinären Zugang, der vornehmlich theater-, tanz-, performance- und kunstwissenschaftliche Stränge vereint. Diese wissenschaftliche Arbeit verortet sich in den breit gefächerten Diskursen über die Beziehung von Tanz und bildender Kunst, ihren Entgrenzungen und damit einhergehenden Transformationen sowie über die performativen Künste in Museen und Ausstellungen. Die Darstellung des Forschungsüberblicks teilt sich zur besseren Orientierung und um einen unmittelbaren Zugriff auf gewünschte Felder und Inhalte zu gewährleisten in folgende drei Abschnitte: -
Zur Kunstausstellung als Medium und Präsentationsformat Zur historischen Entwicklung von Tanzkunst im Ausstellungskontext Zum zeitgenössischen Tanz in Ausstellungen der Gegenwart
Gleichzeitig liefert die Aufteilung einen ersten Überblick über die Herangehensweise des Dissertationsprojekts. Da die Forschungsfelder aufgrund des ausgewählten Themas der Arbeit stark miteinander verschränkt sind, werden Publikationen teils auch in mehr als nur einem Abschnitt behandelt.
1.2.1 Zur Kunstausstellung als Medium und Präsentationsformat Die Kunstausstellung und ihre historische Verortung galten im Bereich der Kunstwissenschaften lange Zeit als Forschungsdesiderat. Georg Friedrich Koch veröffentlichte 1967 mit »Die Kunstausstellung. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts« einen ersten umfas-
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
senden Überblick über die historischen Entwicklungen der Ausstellung bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Ekkehard Mais »Expositionen. Geschichte und Kritik des Ausstellungswesens« von 1986 diente der vorliegenden Arbeit als eine nutzbringende Erweiterung von Kochs Abhandlung.6 Vom 18. Jahrhundert ausgehend bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts liefert sie in Form einer kritischen Auseinandersetzung eine handliche Übersicht zum Phänomen der Ausstellung und ihren Inhalten, ihren Eigenschaften, ihrer Historie sowie dem Ausstellungswesen. Auch die von Galerist Bernd Klüser und der Kunstberaterin Katharina Hegewisch veröffentlichte Publikation »Die Kunst der Ausstellung. Eine Dokumentation dreißig exemplarischer Kunstausstellungen dieses Jahrhunderts« aus dem Jahr 1991 war für die Erfassung der Entwicklungsgeschichte der Kunstpräsentation gewinnbringend.7 Einer linearen Ordnung folgt ebenso Bruce Altshuler mit »The Avantgarde in Exhibition« und der Ausstellungskatalog »Stationen der Moderne. Die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland.«8 An dieser Stelle ist am Rande zu erwähnen, dass die Aneinanderreihung und vereinzelte Auswahl von Kunstschauen als Versuch einer Historisierung im kunstwissenschaftlichen Diskurs in der Kritik stehen und sich Autoren wie Simon Sheikh und Peter J. Schneemann dagegen aussprechen.9 Luisa Ziaja 6 7
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MAI, Ekkehard: Expositionen. Geschichte und Kritik des Ausstellungswesens, Berlin 1986. Das Buch besteht aus einer chronologisch geordneten Sammlung an Monografien verschiedener Autor*innen, die sich meist je einer Kunstausstellung aus der Zeitspanne von 1899 bis 1986 widmeten. HEGEWISCH, Katharina/KLÜSER, Bernd (Hg.): Die Kunst der Ausstellung. Eine Dokumentation dreißig exemplarischer Kunstausstellungen dieses Jahrhunderts, Frankfurt a. M 1991. ALTSHULER, Bruce: The Avant-Garde in Exhibition. New Art in the 20th Century, New York 1994. Die Untersuchung umfasst eine Auswahl an dreizehn avantgardistischen Gruppenausstellungen zwischen 1905 und 1969; Ausst. Kat. Berlin: Stationen der Moderne. Die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland, hg. von ROTERS, Eberhard/SCHULZ, Bernhard, Berlinische Galerie/Museum für moderne Kunst, Berlin 1989. Weitere frühere Historisierungsversuche sind z.B: LUCKHURST, Kenneth W.: The Story of Exhibitions, London 1951 und GORDON, Donald E.: Modern Art Exhibitions: 1900–1916, 2 Bde., München 1974. Peter J. Schneemann kritisiert in diesem Zusammenhang, dass nicht von einer »kohärenten Entwicklung mit synchroner Homogenität« gesprochen werden könne, sondern vielmehr in Form eines komplexen typologischen Geflechts gedacht werden solle. Als Beispiel eines derartigen netzartigen Gefüges an Typologien verweist er auf das monumentale Diagramm »art in context« des Systemanalytikers Gerhard Dirmoser. Vgl. https://webarchiv.servus.at/kontext/ausstellungskunst/art_in_context.htm
I EINLEITUNG
fasst die Diskussion zur Problematik der westlich-hegemonial geprägten Kanonisierung im Bereich der Ausstellungsforschung in ihrem empfehlenswerten Aufsatz »Ausstellungsgeschichten. Ansätze einer Historisierung im Kunstfeld« präzise zusammen.10 Mit der Aufwertung der Ausstellung und ihrem Aufstieg als eigenständiges, ästhetisches Medium zeichnet sich Ende der 1980er Jahre und Anfang der 90er Jahre ein Boom von Kunstpräsentationen und Museen ab.11 Dennoch näherte sich die Kunstgeschichte dem Desiderat weiterhin recht zögerlich an, der Forschungsfokus blieb stets bei den Kunstwerken.12 Die von Bruce W. Ferguson, Reesa Greenberg und Sandy Nairne herausgebrachte Anthologie »Thinking About Exhibitions« (1996) steht hingegen für einen offenen interdisziplinären Ansatz, der Stimmen aus dem theoretischen und praktischen Feld vereint. Neben Kurator*innen, Künstler*innen, Kunsthistoriker*innen
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(09.02.2021). Vgl. SC HNEEMANN, Peter J.: Wenn Kunst stattfindet! Über die Ausstellung als Ort und Ereignis der Kunst. Polemik oder Apotheose?, in: HEMKE, Kai-Uwe (Hg.): Kritische Szenografie. Die Kunstausstellung im 21. Jahrhundert, Bielefeld 2015, S. 67–85, hier S. 66f; SHEIKH, Simon: On the Standard of Standards, or, Curating and Canonization, in: MISIANO, Viktor (Hg.): MJ – Manifesta Journal, Nr. 11, 2010/11, S. 13–18, hier S. 17f. Betont werden hier die zwei entgegengesetzten Argumentationsstränge von Altshuler und Sheikh, bei dem Altshuler auf seinen früheren Studien aufbauend für und Sheikh gegen eine Kanonisierung spricht. Altshuler erweiterte seine Studie von 1994 mit der Publikation »Salon to Biennial – Exhibitions That Made Art History«, die er 2008 als eines von zwei Bänden veröffentlichte. Hiermit lieferte er zudem eine wichtige Grundlage in Bezug auf das Quellenstudium als Methode zur Ausstellungsforschung und -analyse. ALTSHULER, Bruce: Salon to biennial – Exhibitions that made art history, Vol. I: 1863–1959, New York 2008. Vgl. ZIAJA, Luisa: Ausstellungsgeschichten. Ansätze der Historisierung im Kunstfeld, in: ARGE Schnittpunkt (Hg.): Handbuch für Ausstellungstheorie und –praxis, Wien/Köln/Weimar 2013, S. 23–34. Vgl. u.a. HANTELMANN, Dorothea von: The Rise of the Exhibition and the Exhibition as Art, in: AVANESSIAN, Armen/SKREBOWSKI, Luke (Hg.): Aesthetics and Contemporary Art, Berlin 2011, S. 177–192; SCHNEEDE, Uwe M. (Hg.): Museum 2000 – Erlebnispark oder Bildungsstätte?, Köln 2000. So bemängelte es auch Mary Anne Staniszewski in ihrer bedeutenden Untersuchung »The Power of Display. A History of Exhibition Installations at the Museum of Modern Art«, Cambridge, MA/London 1998, S. xxi; Vgl. ZIAJA 2013, S. 24f.
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
liefern auch Literaturwissenschaftler*innen, Soziolog*innen, Ethnolog*innen und Philosoph*innen ihren Beitrag zur Thematik.13 Inzwischen hat sich ein vielschichtiger Diskurs herausgebildet, der Themenbereiche wie die Kunstausstellung und ihr Innovationspotenzial, die kuratorische Praxis, das Ausstellungsdisplay, die Rolle des Publikums und das (Kunst-)Museum intensiv diskutiert.14 Der Sammelband »Kritische Szenografie. Die Kunstausstellung im 21. Jahrhundert« (2015) liefert hierzu einen guten, aktuellen Überblick. Er beleuchtet die Entwicklung im Feld des Ausstellungswesens kritisch, interdisziplinär sowie aus unterschiedlichen praxis- und 13
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FERGUSON, Bruce W./GREENBERG, Reesa/NAIRNE, Sandy (Hg.): Thinking About Exhibitions, London/New York 1996. Teil der Publikation ist Tony Bennetts richtungsweisender Aufsatz »The Exhibitionary Complex«, erstmals 1992 veröffentlicht. Z.B. (chronologisch geordnet): LOERS, Veit: AUS…STELLUNG. Die Krise der Präsentation, Regensburg 1994. FLIEDL, Gottfried (Hg.): Wie zu sehen ist. – Essays zur Theorie des Ausstellens, Wien 1995; DRECHSLER, Maximiliane: Zwischen Kunst und Kommerz. Zur Geschichte des Ausstellungswesens zwischen 1775 und 1905, München 1996; KEMP, Wolfgang (Hg.)/O’DOHERTY, Brian: In der weißen Zelle – Inside the White Cube, Berlin 1996; BÄTSCHMANN, Oskar: Ausstellungskünstler. Kult und Karriere im modernen Kunstsystem, Köln 1997; FEHR, Michael (Hg.): Open Box – künstlerische und wissenschaftliche Reflexionen des Museumsbegriffs (Museum der Museen, Bd. 5), Köln 1998; STOELTING, Christina: Inszenierung von Kunst. Die Emanzipation der Ausstellung zum Kunstwerk, Weimar 2000; SCHWARZ, Ulrich/TEUFEL, Philipp (Hg.): Zur Museografie und Ausstellungsgestaltung, Ludwigsburg 2001; KRAVAGNA, Christian (Hg.): Das Museum als Arena. The Museum as Arena, Köln 2001; HUBER, Hans Dieter/LOCHER, Hubert/SCHULTE, Karin (Hg.): Kunst des Ausstellens. Beiträge Statements Diskussionen, Ostfildern 2002; SCHOLZE, Jana: Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld 2004; JASCHKE, Beatrice: Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005; WALL, Tobias: Das unmögliche Museum. Zum Verhältnis von Kunst und Kunstmuseen der Gegenwart, Bielefeld 2006; JOHN, Jennifer/RICHTER, Dorothee/SCHADE, Sigrid (Hg.): Re-Visionen des Displays. Ausstellungs-Szenarien, ihre Lektüren und ihr Publikum, Zürich 2008; KLONK, Charlotte: Spaces of Experiences. Art Gallery Interiors from 1800 to 2000, New Haven/London 2009; BENNETT, Tony: Der bürgerliche Blick. Das Museum und die Organisation des Sehens, in: HANTELMANN, Dorothea von/MEISTER, arolin: Die Ausstellung. Politik eines Rituals, Zürich/Berlin 2010, S. 47–77; Die Anthologie »Exhibition«, herausgegeben von Lucy Steeds, geht mit vier thematischen Abschnitten der Frage nach, was eine zeitgenössische Kunstausstellung ist. STEEDS, Lucy (Hg.): Exhibition (Documents of Contemporary Art), Cambridge, MA/London 2014; KRÜGER, Klaus/SCHALHORN, Andreas/WERNER, Elke A.: Evidenzen des Expositorischen. Wie in Ausstellungen Wissen, Erkenntnis und ästhetische Bedeutung erzeugt wird, Bielefeld 2019.
I EINLEITUNG
theorieorientierten Perspektiven.15 Ein breites Spektrum bilden zudem Publikationen über das Ausstellen als Praktik des Zeigens und Zurschaustellens16 , die relevant sind, um Fragen zur Präsentation von Tanzkunst beantworten zu können. Veröffentlichungen aus dem Bereich der Museologie sind in Bezug auf die Beziehung von Museum als gesellschaftliche Institution und der Ausstellung als Präsentationsformat ebenfalls nützlich. Zu den Klassikern der Museumswissenschaft zählt hierbei Tony Bennetts vielfach zitiertes »The Birth of The Museum. History, Theory, Politics« (1995). Ebenso bedeutend und als Einführungsliteratur bekannt sind Hildegard K. Viereggs »Geschichte des Museums« (2008) sowie Anke Te Heesens »Theorien des Museums« (2013), die neben der Museumshistorie auch die Ausstellung als eigenständiges Präsentationsmedium in den Blick nimmt.17 Sowohl Peter Sloterdijk als auch Te Heesen folgend, wird in der vorliegenden Arbeit die Museums- und Ausstellungsgeschichte als eine sich zum Ende des 18. Jahrhunderts parallel ergebende Entwicklung verstanden.18 Das Museum und die Ausstellung sind zwei differierende Phänomene der Moderne, die jedoch durch ihre enge Verbindung in der Literatur
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HEMKEN, Kai-Uwe (Hg.): Kritische Szenografie. Die Kunstausstellung im 21. Jahrhundert, Bielefeld 2015. Die Publikation ist in die vier Großkapitel Bestandsaufnahme, Personal, Strategien, Exempla aufgeteilt, um das Thema der Ausstellung aus unterschiedlichen Sichtweisen erörtern zu können. Z.B.: BIANCHI, Paolo: Das neue Ausstellen. Ausstellungen als Kulturpraktiken des Zeigens I+II, in: Kunstforum International, Bd. 186, Nr. 6,7, 2007. HANTELMANN/MEISTER 2010; KLONK, Charlotte: Die phantasmagorische Welt der ersten Documenta und ihr Erbe, in: HANTELMANN/MEISTER 2010, S. 131–159; BARCHET, Michael/KOCH-HAAG, Donata/SIEREK, Karl (Hg.): Ausstellen. Der Raum der Oberfläche, Weimar 2003; HANTELMANN 2011; DIES.: Notizen zur Ausstellung, documenta, 100 Notizen – 100 Gedanken, Nr. 088, Ostfildern 2012; RICHTER, Dorothee: Ausstellungen als kulturelle Praktiken des Zeigens: Die Pädagogiken, in: EIGENHEER, Marianne/DRABBLE, Barnaby/ RICHTER, Dorothee (Hg.): Curating Critique, Frankfurt a.M. 2008, S. 192–201. VIEREGG, Hildegard K.: Geschichte des Museums. Eine Einführung, München 2008; TE HEESEN, Anke: Theorien des Museums. Zur Einführung, Hamburg 2012. Hier vor allem das Kapitel »Ausstellungsexpansion«, S. 73–89. Siehe zudem: DIES.: Ausstellen, Ausstellen, Ausstellen, in: REICHENSPERGER, Petra (Hg.): Begriffe des Ausstellens (von A bis Z), Berlin 2013, S. 42–47. SLOTERDIJK, Peter: Weltmuseum und Weltausstellung. Absolut museal, in: Jahresring. Jahrbuch für moderne Kunst 37, 1990, S. 182–202.
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und spezifisch im Diskurs über Tanz im Kontext der bildenden Kunst19 meist nicht getrennt voneinander betrachtet werden. In dieser Arbeit werden sie allerdings als zwei unterschiedliche Präsentationskonzepte aufgefasst und diskutiert.20 Denn die Ausstellung ist in Worten Schärers »weder an ein Museum noch an ein Gebäude gebunden.«21 Durch die Unterscheidung des Museums- und Ausstellungskonzeptes ist ein detaillierter Fokus auf das Phänomen der Ausstellung einschließlich ihrer kontinuierlichen Transformation bis in die Gegenwart möglich. Nicht das Kunstmuseum als zeitgenössische Institution steht im Zentrum dieser Arbeit, sondern das Medium der Ausstellung, ihr Format und die Vereinigung mit der ephemeren Tanzkunst. Deshalb wird u.a. 20 Dancers for the XX Century von Boris Charmatz als Fallbeispiel behandelt, da es eine Ausstellung ist, die nicht nur in Museumsräumen, sondern auch in nonmusealen Situationen wie in Bibliotheken, im Freien sowie in Opernhäusern funktioniert. Dorothea von Hantelmann versteht das sich im 19. Jahrhundert verbreitende »bürgerliche Ausstellungsformat« als ein »neues Ritual der Kunstrezeption«, das zum einen für die individualisierte Kunsterfahrung konzipiert wurde und zum anderen Werte und Vorstellungen der westlich demokratischen Marktgesellschaft widerspiegelt.22 Die gemeinsam mit Caroline Meister publizierte Essaysammlung »Die Ausstellung. Politik eines Rituals« (2010) fragt nach der historischen sowie aktuellen gesellschaftlichen und politischen Bedeutung der Kunstausstellung und ihrer kulturellen Funktion. Den Kunsthistorikerinnen zufolge steht die Entwicklung der Ausstellung grundsätzlich in
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Z.B. MAAR, Kirsten: Exhibiting Choreography, in: BUTTE, Maren/MAAR, Kirsten/ SCHAFAFF, Jörn et al. (Hg.): Assign & Arrange. Methodologies of Presentation in Art and Dance, Berlin 2014, S. 93–111. Auch Martin R. Schärer weist auf die unscharfe Differenzierung von »Museum« und »Ausstellung« hin: Die unsaubere Trennung geschehe meist in dem Sinne, »dass häufig von ›Museum‹ gesprochen, aber ›Ausstellung‹ gemeint ist. Der Status des musealisierten (›eingeschlossenen‹) und visualisierten (›vorgeführten‹) Objektes – das ist besonders hervorzuheben – sind nicht identisch.« SCHÄRER, Martin R.: Die Ausstellung. Theorie und Exempel, München 2003, S. 96. SCHÄRER 2003, ebd. Vier fundamentale Werte und Vorstellungen unserer Gesellschaft und ihrer Marktstruktur wären laut Hantelmann/Meister: »1. die Vorstellung einer linear fortschreitenden Zeit«, »2. der Wert des Individuums bzw. des Individuellen«, »3. die Bedeutung der Produktion von materiellen Objekten« und »4. Das Zirkulieren dieser Objekte auf den Markt«, vgl. HANTELMANN/MEISTER 2010, S. 8; HANTELMANN 2011, S. 178.
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engem Zusammenhang mit politischen, sozialen und ökonomischen Veränderungsprozessen.23 Seit den 1960er Jahren, insbesondere durch Künstler*innen der Minimal Art vorangetrieben und verstärkt seit den 1990er Jahren, herrschen Tendenzen zur Neugestaltung und -bestimmung des Ausstellungsformats vor.24 Es wurde zu einem flexiblen Experimentierfeld sowohl für Kunstschaffende als auch Kurator*innen. Herkömmliche Parameter der Ausstellung wurden in Frage gestellt und Beziehungsgefüge von Kunst, Künstler*in, Kurator*in und Rezipient*innen neu geordnet. Die individualisierte, vereinzelte museale Kontemplation materieller Kunstobjekte des 19. Jahrhunderts geriet in den Hintergrund. Kunstpräsentationsorte verwandelten sich in interaktive, inszenierte Erfahrungsräume für die Besucher*innen, sodass die Ausstellung zunehmend den Charakter einer Aufführung erhielt.25 »Es geht nicht mehr allein um Objekte, sondern um visualisierte Prozesse, um Handlungen im sozialen Raum.«26 Die Ausstellung als prozesshaft zu verstehen erweist sich insbesondere in Bezug auf Tanz und Performance als ephemere, bewegte und aktionsgeladene Kunstformen durchaus als sinnig. Mit diesen Entwicklungen einhergehend rückt das Temporäre, Ephemere und Performative des Präsentationsmediums ins Blickfeld der Forschung.27 Formate aus dem Theater- und dem Museumsbereich vereinen sich zu neuen Modellen der Kunstpräsentation. Zudem werden die räumliche Dimension und sinnliche Wahrnehmungserfahrung mit Begrifflichkeiten wie Szenografie und Inszenierung erfasst.28 23 24 25
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Vgl. HANTELMANN/MEISTER 2010, S. 17; Vgl. HANTELMANN 2012, S. 10. Vgl. HANTELMANN/MEISTER 2010, S. 17. Vgl. BISMARCK, Beatrice von: Relations in Motion: The curatorial condition in visual art – and its possibilities for the neighbouring disciplines, in: Frakcija. Performing Arts Journal, Heft 55, Sommer 2010, S. 50–57, hier S. 54; SCHNEEMANN 2015, S. 72. LOCHER 2015, S. 41–62, hier S. 43 in Fußnote 2. Locher bezieht sich hier vornehmlich auf die Sparte der Neuen Medien, doch betont er auch, dass dies für die meisten zeitgenössischen Kunstproduktionen gelte. Der aus einer Konferenz hervorgegangene Sammelband »Timing – On The Temporal Dimension of Exhibiting« konzentriert sich bspw. auf von der Zeit geprägte Aspekte des Ausstellens wie das Prozesshafte, das Performative, das Choreografische sowie das Dramaturgische. BISMARCK, Beatrice von/FRANK, Rike/MEYER-KRAHMER, Benjamin et al. (Hg.): Timing. On the Temporal Dimension of Exhibiting, Leipzig 2014. Vgl. BÜSCHER, Barbara: Bewegung als Zugang: Performance – Geschichte(n) – Ausstellen (2013), e-Journal MAP, Ausgabe 4, http://www.perfomap.de, http://www.perf omap.de/map4/ausstellen-und-auffuehren/bewegung-als-zugang-performance-20 13-geschichte-n-2013-ausstellen (24.10.2021), S. 2 und MAI, Ekkehard: Ausgestellt –
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Schneemann schrieb hierzu: »Das Interesse gilt mehr und mehr der Inszenierung selbst, der Szenografie, ihren Regelwerken und Institutionen. Der völlige Verzicht auf das isolierte Objekt zugunsten der Thematisierung des Raumes als institutioneller Rahmung, gesellschaftlicher Definition, aber auch als Wahrnehmungsdisposition, bildet den Höhepunkt.«29 Angela Janelli und Thomas Hammacher verstehen das Museum in dem Zusammenhang als Erfahrungsraum und »Ausstellungen als performative Räume«.30 Ausstellungen werden gegenwärtig vermehrt als Aufführungen, sinnliche Ereignisse, Dramen oder Choreografien verstanden und das Theatrale gerät als Eigenschaft in den Vordergrund.31 So werden Fachtermini der Theater- und Tanzsprache übernommen, um Präsentationsmodi und die Praxis des Ausstellens im Kunstkontext zu beschreiben.32 Bork Peterson versteht das Kuratieren als »the
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Funktionen von Museum und Ausstellung im Vergleich, in: HUBER, Hans Dieter/ LOCHER, Hubert/SCHULTE, Karin (Hg.): Kunst des Ausstellens. Beiträge Statements Diskussionen, Ostfildern-Ruit 2002, S. 59–70, hier S. 61 und 69. Zur Szenografie siehe Kapitel 2.3; Als »Inszenierung« (engl. production, staging; frz. mise-en-scène) wird die »Vorbereitung, Gestaltung, Erprobung und Leitung von Aufführungen« verstanden. Ausstellungen gelten laut Anna-Catharina Gebbers in dem Zusammenhang auch als »Aufführungen«. Seit den 1970er Jahren stieg das Interesse an Inszenierungsstrategien und -konzepten im Ausstellungskontext. »Ausstellungsinszenierungen etablieren nun das sinnstiftende ›große Ganze‹.« Vgl. GEBBERS, Anna-Catharina: Inszenierung, in: REICHENSPERGER, Petra (Hg.): Begriffe des Ausstellens (von A bis Z). Terms of Exhibiting (from A to Z), Berlin 2013, S. 254–256. Zur Inszenierung im Museum siehe: ROHR, Alheidis von: Grenzen der Inszenierung im Museum, in: museumskunde, Bd. 47, Heft 1, 1982, S. 72–82. SCHNEEMANN 2015, S. 72f. HAMMACHER, Thomas/JANELLI, Angela: Das Museum als Erfahrungsraum. Ausstellungen als performative Räume, in: KILGER, Gerhard/MÜLLER-KUHLMANN, Wolfgang (Hg.): Szenografie in Ausstellungen und Museen III. Raumerfahrung oder Erlebnispark, Raum – Zeit/Zeit – Raum, Essen 2008, S. 44–50; Siehe hierzu Kapitel 2.3.1 dieser Arbeit. Vgl. BÜSCHER 2013; HANTELMANN, Dorothea von: How to Do Things witn Art, in: FISCHER-LICHTE, Erika/RISI, Clemens/ROSELT, Jens (Hg.): Kunst der Aufführung – Aufführung der Kunst (Recherchen 18), Berlin 2004, S. 63–75, hier S. 63f.; LICHTENSTEIGER, Sibylle/MINDER, Aline/VÖGELI, Detlef (Hg.): Dramaturgie in der Ausstellung (Edition Museum, Band 8), Bielefeld 2012; SCHNEEMANN 2015; BRANDSTETTER, Gabriele: Proposing Intervals – Curating as Choreography, in: DAVIDA, Dena/GABRIELS, Jane/HUDON, Véronique et al. (Hg.): Curating Live Arts. Critical Perspepctives, Essays, and Conversations on Theory and Practice, New York/Oxford 2019, S. 346–347. Siehe hierzu Kapitel 2.3; Vgl. BUTTE, Maren/MAAR, Kirsten/SCHAFAFF, Jörn et al. (Hg.): Introduction, in: DIES. 2014, S. 19–29, hier S. 21; GEBBERS 2013, S. 254.
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act of ›staging‹«33 . Für Hanak-Lettner ist die Ausstellung ein Drama34 und Kurator Mathieu Copeland betrachtet das »Ausstellung-Machen« durch das Prisma der Choreografie. Eine »Exposition« ent- und besteht nach seinem Ausstellungsverständnis aus den Parametern Körper, Raum, Partitur, Zeit und Erinnerung.35 Auch die künstlerische Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev der Documenta (13) verstand die Großausstellung als eine Choreografie.36 Sowohl für Objektausstellungen als auch für Ereignisse, die Ephemeres ausstellen, gilt, dass sie temporär und damit nicht auf Dauer ausgelegt sind. Sie bringen eine zeitliche und örtliche Variabilität mit sich.37
1.2.2 Zur historischen Entwicklung von Tanzkunst im Ausstellungskontext Ein historischer Überblick über Tanzkunst in Ausstellungen oder zum Thema Tanz im Museum existiert bisher nicht. Um sich der Frage anzunähern, wie die Tanzkunst in den Ausstellungskontext gelangte, wird daher auf Publikationen zurückgegriffen, welche die Beziehung zwischen Tanz, bildender Kunst, Museum und Ausstellung thematisieren und damit Entwicklungen in der Tanz- und Kunstgeschichte aufgreifen. Hierbei soll die Zeitspanne vom
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BORK PETERSEN, Franziska/SCOTT, Minnie: The Unruly Spectator. Exhibition Analysis on Foot, in: BUTTE/MAAR/SCHAFAFF et al. 2014, S. 131–152, hier S. 135. Hanak-Lettner analysiert in seiner Studie die Ausstellung als Drama und liefert darüber hinaus einen historischen Unterbau, der aufzeigt, dass die Ausstellung und das Theater seit der Frühen Neuzeit große Ähnlichkeiten aufweisen. HANAK-LETTNER, Werner: Die Ausstellung als Drama. Wie das Museum aus dem Theater entstand, Bielefeld 2011 und DERS.: Der einsame Zuschauer auf der Bühne. Die verwirrende Verwandtschaft zwischen Theater und Ausstellung, in: LICHTENSTEIGER/MINDER/ VÖGELI 2014, S. 30–40. Vgl. COPELAND, Mathieu (Hg.): Choreographing Exhibitions, Dijon 2013. 30 Beiträge von internationalen bildenden Künstler*innen, Choreograf*innen und Tänzer*innen, Musiker*innen, Filmemacher*innen, Kurator*innen sowie Theoretiker*innen liefern in dieser Publikation vielfältige Ideen und Überlegungen wie Ausstellungen verstanden werden können. Sie zeigen diverse Möglichkeiten auf, wie über das Verhältnis von Ausstellung und Choreografie nachgedacht werden kann; DERS.: AusstellungsChoreographie: Anti-Körper im Körper der Institution. Eine Ausstellung und ein Manifest, in: Kunstforum, Bd. 264, 2019, S. 116–123. Vgl. PICKARTZ, Tim: »Der Tanz war sehr frenetisch…« – kuratorische Praxis, Kunstvermittlung und Vermittlungskunst auf der dOCUMENTA (13), Bielefeld 2019. Vgl. LOCHER 2015, S. 44.
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frühen 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart betrachtet werden, da die vorliegende Arbeit das Verhältnis zwischen der bildenden Kunst und dem Tanz als ein wechselseitiges und fruchtbares auffasst, das seit Beginn des 20. Jahrhunderts andauert und sich ebenso wie die Ausstellung in einem kontinuierlichen Transformationsprozess befindet. Im Forschungsfeld zur Performance-Kunst ist die Kunsthistorikerin RoseLee Goldberg Pionierin.38 Mit »Performance: Live Art 1909 to the Present« veröffentlichte sie 1979 eine erste und viele Jahre einzige umfangreiche und differenzierte Überblicksgeschichte der Performance-Kunst, beginnend mit den Anfängen im Futurismus.39 Die 2011 erschienene dritte Auflage dient als eine Erweiterung ihrer Entwicklungserforschung bis ins Jahr 2010.40 Goldbergs Forschungsarbeit über die einst als Rand-Disziplin verstandene Kunstform gilt für die vorliegende Arbeit als fundamental. Mit ihren Schriften stellt Goldberg heraus, wie die Performance-Kunst aus allen Kunstdisziplinen
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GOLDBERG, RoseLee: Performance. Live Art from 1909 to the Present, London 1979; DIES.: Performance. Live art since the 60s, New York 22004; DIES.: Performance Now. Live art for the twenty-first century, London 2018. Ebenfalls in den 1970er Jahren erschienen, ist Lea Vergines »Body Art and Performance. The Body as Language«. Hierin werden überblickshaft 61 Künstlerpositionen der Performance Art anhand von Künstlerstatements, Fotografien und Texten vorgestellt: VERGINE, Lea: Body Art and Performance. The Body as Language, Mailand (1974) 2000. Weitere zu erwähnende Literatur zur Performance-Kunst u.a.: JAPPE, Elisabeth: Performance, Ritual, Prozeß, München/New York 1993; DREHER, Peter: Performance Art nach 1945. Aktionstheater und Intermedia (Das Problempotential der Nachkriegsavantgarden. Grenzgänge in Literatur, Kunst und Medien, Bd. 3), München 2001; WOOD, Catherine: Performance in Contemporary Art, London 2018. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle Lisa Beißwangers Dissertation »Performance on Display – Zur Geschichte lebendiger Kunst im Museum«, die in dieser Arbeit aufgrund der Überschneidung von Veröffentlichungsdatum und der eigenen Fertigstellung leider nicht mehr berücksichtigt werden konnte. BEISSWANGER, Lisa: Performance on Display – Zur Geschichte lebendiger Kunst im Museum, Berlin/München 2021. 1979 war der Begriff der »Live Art« in Großbritannien gängiger und weiter gefasst als der Begriff der »Performance Art«. Mit der zweiten Ausgabe 1988 änderte Goldberg den Titel in »Performance Art: From Futurism to the Present«, denn inzwischen wurde der Terminus in Europa und den USA als »umbrella term« für die gesamten Performanceströmungen der bildenden Kunst verwendet. GOLDBERG, RoseLee: Performance Art: From Futurism to the Present, London 3 2011. Künstler*innen wie Matthew Barney und Tino Sehgal werden nun aufgegriffen. Eine deutsche Ausgabe ist 2014 erschienen: DIES.: Die Kunst der Performance. Vom Futurismus bis heute, Berlin/München 2014.
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und Medien wie Literatur, Poesie, Musik, Architektur, Skulptur, Video, Film, Fotografie, Theater und Tanz schöpft. Dadurch betont sie, entgegen der im Bereich der Forschung oft üblichen strikten Trennung der Kunstdisziplinen und -Gattungen, die Verbindung zwischen den Kunstsparten und führt deren Entwicklungen zusammen. Goldberg schrieb auf diese Weise die Geschichte des 20. Jahrhunderts neu und ließ die Performance-Kunst zu einem dazugehörigen bedeutenden Bestandteil werden.41 Unter dem Begriff der »Performance Art« finden u.a. die Ballets Russes in Verbindung mit den Futuristen und die tanzorientierten Tätigkeiten Oskar Schlemmers am Bauhaus thematische Erwähnung. Auch ihre Ausführungen zu den Fortentwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg, die bspw. den Einfluss von Merce Cunningham und John Cage, der Happeningbewegung sowie der Judson Dance Gruppe einbeziehen, erweisen sich mit Blick auf die historischen Entwicklungen hin zur Tanzkunst im Ausstellungskontext als wertvoll.42 Das Thema Tanz und bildende Kunst hat in den letzten Jahren ein gesteigertes Interesse erfahren. Dies spiegelt sich seit Ende der 1990er Jahre vermehrt in Ausstellungen wider, so bspw.: Tanz in der Moderne. Von Matisse bis Schlemmer 1996/97 in der Kunsthalle Emden und im Haus der Kunst in München, Die Ballets Russes in der Berliner Kunst 1997 im Georg Kolbe Museum in Berlin, Open the Curtain: Kunst und Tanz im Wechselspiel 2003 in der Kunsthalle zu Kiel, Tanzen, Sehen 2007 im Museum für Gegenwartskunst in Siegen, Ohne Ekstase kein Tanz! Tanzdarstellungen der Moderne. Vom Varieté zur Baushausbühne 2011 im Sprengel Museum Hannover, Danser sa vie 2011 im Pariser Centre Pompidou und Move: Choreographing You! in der Hayward Gallery in London. Des Weiteren eröffnete 2016 die Ausstellung Corps en mouvement. La danse au musée in der Petite Galerie des Louvre. Sie entstand in kuratorischer Zusammenarbeit mit Benjamin Millepied, dem damaligen Direktor des Ballettensembles der Pariser Oper. Zudem veranstaltete die Kunsthalle Göppingen 2019 die Ausstellung Tanz. Bewegung. Geste. Bild. Die Kunsthistorikerin Gail B. Kirkpatrick begründet die vermehrte Anzahl an Ausstellungen zu Kunst und Tanz
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Zur Begrifflichkeit der Performance-Kunst siehe Kapitel 3.4.1. Siehe Kapitel 3.3 und 3.4.
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im 20. Jahrhundert mit der »Popularität der Tanzkunst«.43 Laut der Tanzwissenschaftlerin Erin Brannigan heben die tanzzentrierten Ausstellungen den bisher nicht genug gewürdigten Einfluss von Tanz auf die Vergangenheit als auch auf neuere Entwicklungen in der bildenden Kunst hervor.44 Einer der Gründe für die Wertschätzung der Beziehung der Künste ist außerdem ihre verstärkte Verschmelzung und ihre interdisziplinäre Ausrichtung, die sich vor dem Ersten Weltkrieg durch bspw. Serge Diaghilevs Ballets Russes abzeichnete und insbesondere seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts durch die performative Wende etablierte. Neben den Katalogen zu den Ausstellungen folgten fundierte Abhandlungen im Bereich der Theater-, Tanz- und Kunstwissenschaft.45 Zu den frühen Beispielen zählt die 1995 veröffentlichte Habilitationsschrift »Tanz-Lektüren. Körperbilder & Raumfiguren der Avantgarde« der Theater- und Tanzwissenschaftlerin Gabriele Brandstetter, die eine weit gefasste Grundlage zum Thema mit der Zeitspanne von 1900 bis zur Auflösung der Weimarer Republik darbietet. Der Schwerpunkt in Brandstetters Arbeit liegt zwar auf der wechselseitigen Beziehung zwischen Literatur und Tanz, doch bezieht sie sich auch auf visuelle Darstellungen wie Gemälde, Fotografien und Grafiken. Unter dem Aspekt avantgardistischer »Körperbilder und Raumfiguren« widmete Brandstetter dem Tanz im Museum ein gesamtes Kapitel.46 Hierin thematisiert sie die Befreiung des Tanzes vom klassischen
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KIRKPATRICK, Gail B.: Tanztheater und bildende Kunst nach 1945. Eine Untersuchung der Gattungsvermischung am Beispiel der Kunst Robert Rauschenbergs, Jasper Johns’, Frank Stellas, Andy Warhols und Robert Morris’ unter besonderer Berücksichtigung ihrer Arbeiten für das Tanztheater Merce Cunninghams (Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte, Bd. 11; zugl. Diss. Münster (Westfalen) 1986), Würzburg 1996, S. 7. BRANNIGAN, Erin: Dance and the Gallery: Curation as Revision, in: Dance Research Journal, 47.1, 2015, S. 5–25, hier S. 6. Wichtige zu erwähnende Ausstellungskataloge: Ausst. Kat. Hannover: Ohne Ekstase kein Tanz!: Tanzdarstellungen der Moderne. Vom Varieté zur Baushausbühne hg. von ECKETT, Christine, Hannover 2011; Ausst. Kat. Paris : Danser sa vie. Art et danse de 1900 à nos jours, hg. von MACEL, Christine, Paris 2011. Ausst. Kat. Emden/München: Tanz in der Moderne: von Matisse bis Schlemmer, hg. von ADELSBACH, Karin/FIRMENICHm Andrea, Köln 1996. Mit Fokus auf den Entwicklungen in der 2. Hälfte des 20. Jh. siehe bspw.: Ausst. Kat. Siegen: Tanzen, Sehen, hg. von SCHMIDT, Eva/Museum für Gegenwartskunst Siegen/LEBRERO STALS, José et al., Frankfurt a.M. 2007; Ausst. Kat. London/München: Move: Choreographing You, hg. von ROSENTHAL, Stephanie/Hayward Gallery/Haus der Kunst, München/London 2010. BRANDSTETTER, Gabriele: Tanz-Lektüren. Körperbilder und Raumfiguren der Avantgarde, Frankfurt a.M. 1995.
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Ballett durch die Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dabei betont sie u.a. den Einfluss der bildenden Kunst auf den sich neu entfaltenden Ausdruckstanz sowie die Bedeutung des Museums im Kampf um die Autonomie der Tanzkunst. Damit bestätigt die Tanzwissenschaftlerin, dass Tanz schon Anfang des 20. Jahrhunderts in Kunstsälen stattfand. Dabei ersetzte das Museum als Ort der Vorführung die Bühne. Eine weitere Publikation aus den 1990ern ist Gail B. Kirkpatricks Untersuchung über das Tanztheater und die bildende Kunst nach 1945. Anhand der Zusammenarbeit Merce Cunninghams mit den bildenden Künstlern Robert Rauschenberg, Jasper Johns, Frank Stella, Andy Warhol und Robert Morris analysiert sie die »komplexe Wechselwirkung zwischen den Gattungen Tanz(theater) und bildende Kunst.«47 Der aus einer internationalen Konferenz hervorgegangene Sammelband »Assign&Arrange. Methodologies of Presentation in Art&Dance« (2014) befasst sich aus kunsthistorischer, tanzwissenschaftlicher sowie architektonischer Perspektive mit Methoden der Präsentation als Prozess des Zuordnens und Arrangierens in der künstlerischen und kuratorischen Praxis des Tanz- und Kunstfeldes.48 Dabei werden vor allem die Überschreitungen von Tanz und bildender Kunst seit den 1960er Jahren als Ausgangspunkt und als Grund für die Entwicklung der interdisziplinären Relationen von Tanz und Kunst der Gegenwart betrachtet.49 Johannes Birringer, Regisseur, Choreograf und Theaterwissenschaftler, bezeichnet Ausstellungen wie Move! Choreographing You und damit Tanz, Performance sowie choreografische Objekte, die Besucher*innen zu Partizipierenden im Museum werden lassen, 2011 noch als Trend. Doch betont er auch, dass dies keine Überraschung sei, da bereits Künstler*innen wie Joseph Beuys, Nam June Paik, Joan Jonas, Carolee Schneemann »actions« und »live interventions« im Ausstellungskontext durchführten, womit er ebenso auf die 1960er und 70er Jahre verweist.50 Das
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KIRKPATRICK 1996, S. 5. BUTTE/MAAR/SCHAFAFF et al. 2014. Ausdruck dieser zeitgenössischen Verbindungen sind u.a. Tanz-Performances und Tanz-Ausstellungen in Kunstmuseen, Galerien und an öffentlichen Orten sowie bildende Künstler*innen, die dramaturgische und choreografische Ausstellungsdisplays als Präsentationsformat kreieren. Vgl. BIRRINGER, Johannes: Dancing in the museum, in: PAJ: A Journal of Performance and Art, Bd. 33, Nr. 3, Sept. 2011, S. 44–52, hier S. 44f. Siehe zum Tanz im Ausstellungskontext auch: DERS.: »What score? Pre-choreography and post-choreography«, in: International Journal of Performance Arts and Digital Media, Bd. 9, Nr. 1, 2013, 7–13.
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vorliegende Buch schließt sich dieser Ansicht an. Doch werden die Entwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts neben den Prozessen in der zweiten Jahrhunderthälfte ebenso als bedeutend erachtet, um zum einen die Ursprünge des zeitgenössischen Tanzes und zum anderen den ungenauen, doch vorhandenen Unterschied zur Performance-Kunst darstellen zu können. Die Unterscheidung zwischen Performances der bildenden Kunst, also die Arbeit von bildenden Künstler*innen, und Performances der darstellenden Künste, was die Arbeit von Tänzer*innen, Choreograf*innen, Theatermacher*innen, Schauspieler*innen und Musiker*innen beinhaltet, bewegt sich zwar auf einem schmalen Grat, aber ist dennoch wichtig.51 Der Blick auf die Entwicklung dieser beiden Kunstrichtungen im Verlauf des 20. Jahrhunderts ist deshalb Teil dieser wissenschaftlichen Abhandlung. Wie diese vorliegende Arbeit kritisiert Julia Ostwald in ihrer Untersuchung ebenfalls, dass das Phänomen von Tanz im Museum meist nur auf die Entwicklungen der 1960er Jahre, nämlich auf den postmodernen Tanz, zurückgeführt wird. Ihre tanzwissenschaftliche Analyse weist, Brandstetter folgend, historische Beziehungen von Tanz und Museum schon in Zeiten des modernen Tanzes auf.52 Ostwald konzentriert sich punktuell auf die Zeit des modernen und des postmodernen Tanzes als Beispiele historischer Beziehungen zwischen Choreografie und Museum. Was in ihrer Ausführung auch an Beachtung findet, sind die Entwicklungen im Bereich der bildenden Kunst, die ebenso den Weg hin zur gegenwärtigen Situation von Tanzkunst im Ausstellungskontext ebnen.53 In dieser Arbeit soll der historische Blick auf den gesamten Entwicklungsverlauf von Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit geweitet werden, mit dem Fokus auf das Beziehungsgeflecht zwischen Tanz, bildender Kunst, dem Museum und der Ausstellung. Ziel ist es zudem, auch im Feld der Kunstgeschichte das Wissen über die hier behandelten Relationen zu etablieren. 51
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Auch Erin Brannigan und Nicole Haitzinger schreiben über die Wichtigkeit der Unterscheidung von Performance der bildenden und der darstellenden oder szenischen Kunst, vgl.: BRANNIGAN 2015, S. 9; HAITZINGER, Nicole: Szenische Präsenz im Museum. Thesenhafte Überlegungen zur Ausstellungsanalyse aus theater- und tanzwissenschaftlicher Perspektive, in: KRÜGER, Klaus/WERNER, Elke A./SCHALHORN, Andreas (Hg.): Evidenzen des Expositorischen. Wie in Ausstellungen Wissen, Erkenntnis und ästhetische Bedeutung erzeugt wird, Bielefeld 2019, S. 181–202, hier S. 186f. OSTWALD, Julia: Tanz ausstellen | Tanz aufführen. Choreografie im musealen Rahmen (Masterarbeit Berlin 2014), München 2016. Vgl. OSTWALD 2016, S. 26f.
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Für die Zusammenstellung des aktuellen Forschungsstandes ist außerdem Nele Lipps wissenschaftlich-künstlerische Dissertation »Tanz + Bildende Kunst. Aspekte der Wechselbeziehung« von 2015 bedeutend. Die Arbeit beleuchtet exemplarisch in fünf Essays das Verhältnis der Künste von der Antike bis zur Gegenwart. Damit liefert die Autorin eine erste historische Übersicht des Beziehungsverhältnisses. Das gleiche Forschungsthema behandelt Anja Pawel in ihrer kunsthistorischen Doktorarbeit »Abstraktion und Ausdruck. Bildende Kunst und Tanz im frühen 20. Jahrhundert«, die vier Jahre später veröffentlicht wurde,54 doch einen ganz anderen Schwerpunkt setzt. Pawels Studie blickt auf die Auseinandersetzung der bildenden Kunst mit dem Tanz und umgekehrt. Sie konzentriert sich dabei auf fruchtbare Einflüsse und Unterschiede. Dabei stehen insbesondere abstrakte Bilder und der moderne Tanz im Mittelpunkt. Pawel fokussiert sich damit auf die Entwicklungen in Europa und hauptsächlich im deutschsprachigen Raum in der Zeitspanne von 1900 bis 1945. Amanda Jane Grahams Artikel über das Brooklyn Museum Dance Center wurde 2020 im Sammelband »Futures of Dance Studies« veröffentlicht, was für diese Arbeit als Basisliteratur für das Kapitel 3.2 genutzt wird.55 Die Tanzwissenschaftlerin gibt darin einen detaillierten Einblick in die Bemühungen von Tanzkurator Grant Hyde Code in den 1930er Jahren, den Tanz als Kunstform in die Museumsinstitution einzubetten. Weitere Hinweise auf ein frühes institutionelles Sammlungsinteresse am modernen Tanz liefert Claire Bishops Essay »The Perils and Possibilities of Dance in the Tate, MoMA, and Whitney«56 , in dem die amerikanische Kunsthistorikerin die historische Beziehung der drei im Aufsatztitel genannten Kunstmuseen zur Tanzkunst analysiert. Eines der wissenschaftlichen Ziele dieser Doktorarbeit ist die Erarbeitung der historischen Zusammenhänge bis zum Eindringen der Tanzkunst in den Ausstellungskontext. Um darstellen zu können, wie und warum die Tanzkunst sich gegenwärtig zu einem festen Bestandteil des Museums- und 54
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LIPP, Nele: Tanz + Bildende Kunst. Aspekte der Wechselbeziehung, Oberhausen 2015; PAWEL, Anja: Abstraktion und Ausdruck. Bildende Kunst und Tanz im frühen 20. Jahrhundert (Image Word Action, Bd. 8), Berlin/Boston 2019. GRAHAM, Amanda Jane: The Dance in the Museum. Grant Hyde Code and the Brooklyn Museum Dance Center, in: MANNING, Susan/ROSS, Janice/SCHNEIDER, Rebecca (Hg.): Futures of Dance Studies, Madison (Wisconsin) 2020, S. 209–225. BISHOP, Claire: The Perils and Possibilities of Dance in the Tate, MoMA, and Whitney, in: Dance Research Journal 46, Nr. 3, Dez. 2014, 62–63.
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Ausstellungsprogramms in Institutionen, die zeitgenössische Kunst präsentieren, etabliert hat. Die Absicht ist, die Lücke aus kunsthistorischer Perspektive, doch mit einer interdisziplinären Herangehensweise zu füllen. Der folgende und letzte Abschnitt des Forschungsüberblicks konzentriert sich auf das Thema der Einbettung von zeitgenössischer Tanzkunst in den aktuellen Ausstellungskontext.
1.2.3 Zum zeitgenössischen Tanz in Ausstellungen der Gegenwart Was seit den 1990er Jahren im Sinne eines gesteigerten Interesses am Wechselspiel von Tanz und bildender Kunst begann (siehe Kapitel 1.2.2), entwickelte sich zu einem Aufschwung an Tanz-Performances und choreografischen Arbeiten im Ausstellungskontext der bildenden Kunst. Tanz wird nicht mehr nur auf der Bühne, sondern in Ausstellungen und Museen gezeigt. So präsentierte Kurator Mathieu Copeland bspw. 2007 A choreographed exhibition, die allein aus Bewegungen und Gesten bestand. Trisha Browns Floor of the Forest von 1971 wurde im Fridericianum im Rahmen der Documenta 12 (2007) wieder aufgeführt. Besucher*innen des New Yorker Guggenheim Museums erlebten 2010 die Arbeit Tino Sehgals in einer Einzelausstellung. Der deutsch-britische Künstler erhielt zudem 2013 den Goldenen Löwen der Venedig Biennale für eine Langzeitchoreografie. Das Museum of Modern Art (MoMA) organisierte 2012 die Tanz-Performancereihe Some sweet day und präsentierte Arbeiten von sechs international renommierten zeitgenössischen Choreograf*innen u.a. Xavier Le Roy, Steve Paxton, Jerome Bel sowie Deborah Hay.57 Auch die belgische Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker zeigte erstmals Tanzstücke im Museumssetting.58 Und das sind nur einige von vielen Beispielen, welche den Fokus der Aufmerksamkeit auf die Tanzkunst und ihren Einflüssen auf die bildende Kunst sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart richten. Tanz, Choreografie, Performance, Bewegung und Immaterialität waren für die Kunstwelt noch nie so attraktiv wie gegenwärtig. Was Kunsthistorikerin Corinne Diserens als »desperate desire of a museum for live events and the performing arts«59 bezeichnet, hat ebenfalls zu einem regen wissenschaftlichen 57 58 59
Für diese Veranstaltung wurde der Choreograf Ralph Lemon als Gastkurator eingeladen. Mit Some Sweet day wurde die Beziehung des MoMAs mit dem Tanz hinterfragt. Hierzu siehe Kapitel 5.1. Corine Diserens Aussage beim Podiumsgespräch mit Xavier Le Roy und Marie Muracciole am 2.10.2015 im Beirut Art Center. Sie betrachtet diesen »verzweifelten« Drang nach dem Performativen und dem Versuch, damit neues Publikum zu gewinnen als kri-
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und interdisziplinär angelegten jungen Diskurs geführt, der unterschiedlichste Aspekte dieser Thematik beleuchtet. Das von RoseLee Goldberg gegründete New Yorker Performance-Festival Performa veranstaltete 2012 bspw. das Symposium Why dance in the artworld? und erforschte Geschichte und Zukunft des Interesses der Kunstwelt am Tanz.60 Viele Veröffentlichungen fokussieren sich bei der Auseinandersetzung mit Tanz im Kontext der bildenden Kunst auf die Beziehung des Museums mit der Tanzkunst.61 Der Tanzwissenschaftler Mark Franko erklärt in seinem Essay »Museum Artifact Act«, dass Tanz das biete, was das Museum selbst nicht habe.62 Mit der 2014 veröffentlichten Sonderausgabe »Dance in the Museum« des Dance Research Journals (DRJ) betont er zusammen mit seinem Co-Herausgeber André Lepecki zurecht, dass der Tanz für die bildenden Künste am jetzigen Punkt der Geschichte fast unausweichlich geworden sei. Und es sei unmöglich geworden, sich eine Geschichte der bildenden Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg vorzustellen, ohne Tanz und Choreografie dabei zu berücksichtigen.63 Die Ausgabe befragt, wie die Präsenz des Tanzes im Museum das Wesentliche des Visuellen in der bildenden Kunst rekonfiguriert. Fragen, die in diesem Zusammenhang gestellt werden, sind: Was tut der Tanz für das Museum und andersherum, was sind die Vorteile für die Tanzkunst und den Tanzschaffenden,
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tisch, da dies zu widersprüchlichen kuratorischen Entscheidungen führen kann. Hierzu siehe: DISERENS 2014, S. 130f. Organisator*innen waren das Performa Institute und NYU Steinhardt. Weitere relevante Symposien/Konferenzen : Le spectacle vivant au musée. Le musée par la scène, 18.20.11.2015 in Paris und Dance and Art Forum : Why dance in museums?, 09.11.2017, Siobhan Davies Dance in London u.a. Z.B. RASSEL, Laurence: Choreographic Art in the Museum?, in: BÜSCHER, Barbara/ CRAMER, Franz Anton (Hg.): Fluid Access. Archiving Performance-Based Arts (Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« Leipzig – Schriften12), Hildesheim 2017; OSTWALD 2016; Die Tanz-Museums-Beziehung der Vergangenheit greifen die in Kapitel 1.2.2. erwähnten Autorinnen auf, wie u.a.: BRANDSTETTER 1995 und GRAHAM 2020. FRANKO, Mark: Museum Artifact Act, in: BRANDENBURG, Irene/HAITZINGER, Nicole/ JESCHKE, Claudia (Hg.): Tanz&Archiv: ForschungsReisen. Mobile Notate, Heft 5, München 2014, S. 94–103. Vgl. FRANKO, Mark/LEPECKI, André: Editor’s Note. Dance in the Museum, in: DIES.: Dance in the museum, Dance Research Journal, Bd. 46, Nr. 3, Dez. 2014, S. 1–4.
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
in den Bereich der Kunstinstitutionen einzutreten? Was ist das Fruchtbare an dieser Verbindung von Tanz und Museum?64 Einen großen Anteil der Sonderausgabe (DRJ) nimmt die Auseinandersetzung mit dem vom Choreografen Boris Charmatz 2009 gegründeten (und bis 2018 von ihm geleiteten) Musée de la danse ein.65 Kunsthistorikerin Marcella Lista, Tanzwissenschaftler Franz Anton Cramer und Tanzautorin Alessandra Nicifero beschäftigen sich in ihren Beiträgen mit diesem experimentellen Tanzmuseumsprojekt, was in dieser Arbeit im Kapitel 5.4.1 behandelt wird.66 Marcella Lista führt neben Aspekten, die ebenfalls das Verhältnis von Tanz und Museum betreffen, auch Beobachtungen in der aktuellen Ausstellungspraxis auf. Sie weist bspw. darauf hin, dass Ausstellungen, die eine historische Perspektive auf den Tanz eingenommen haben, meist einen offenen Charakter besitzen und nicht einer linearen Struktur folgen, damit also kein Narrativ von Raum zu Raum entwickeln.67 Dabei bezieht sie sich u.a. auf zwei Ausstellungen, die in dieser Arbeit als Fallbeispiele für von Choreograf*innen gestaltete Live-Tanz-Ausstellungen im 5. Kapitel analysiert werden: Zum einen 20 Dancers for the XX Century, ein schon zuvor als Fallbeispiel benanntes Projekt des Musée de la danse, was als lebendiges Archiv den Körper wie ein immaterielles Museum versteht, und »Retrospective« by Xavier Le Roy, welche die Retrospektive in ein produktives, prozesshaftes Format transformiert. Beide entziehen sich dem Kriterium des Materiellen und hinterfragen auf ihre künstlerische Art sowohl die institutionelle Funktion des Museums als auch die Funktion der Choreografie und definieren diese neu. 64
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Ebd. Angesprochen werden auch Probleme, die durch die Fusion von Tanz und Museum entstehen, z.B. die Ausnutzung der Tänzer*innen als vielseitig einzusetzende Arbeiter*innen sowie die Herausforderungen beim Sammeln zeitbasierter Werke. U.a. ist das Manifest für sein Dancing Museum – »Manifesto for a National Choreographic Centre« – und ein Interview abgedruckt. LISTA, Marcella: Play Dead: Dance, Museums, and the »Time-Based Arts«, in: Dance Research Journal, Bd. 46, Nr. 3, Dez. 2014, S. 6–23; CRAMER, Franz Anton: Experience as Artifact: Transformations of the Immaterial, in: Dance Research Journal, Bd. 46, Nr. 3, Dez. 2014, S. 24–31. Die gleichen Argumente im Text: DERS.: Ein dritter Weg. Die choreografischen Räume des Musée de la danse, in: BÜSCHER, Barbara/EITL, Verena Elisabet/PILGRIM, Beatrix von (Hg.): Raumverschiebung Black Box – White Cube (Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendessohn Bartholdy« Leipzig, Schriften 7), Hildesheim u.a. 2014, S. 181–187. NICIFERO, Alessandra: OCCUPY MoMA: The (Risks and) Potentials of a Musée de la danse!, in: Dance Research Journal, Bd. 46, Nr. 3, Dez. 2014, S. 32–44. Vgl. LISTA 2014, S. 7.
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Die Abhandlungen über das Musée de la danse, über 20 Dancers for the XX Century und über »Retrospective« by Xavier Le Roy werden im Kapitel 5.4 neben anderen bedeutenden Quellen68 als Basisliteratur verwendet. Ebenso beschäftigte sich die schon im Kapitel 1.2.2 erwähnte Tanzwissenschaftlerin Julia Ostwald mit Xavier Le Roys »Retrospektive« im Rahmen ihrer 2016 veröffentlichten Masterarbeit über Choreografie im Museum.69 Zusammen mit der Schau Sasha Waltz. Installationen Objekte Performances betrachtet Ostwald Le Roys Ausstellung als ein Beispiel für »Choreografien zwischen Ausstellen und Aufführen« als zwei divergierende Positionierungen von Tanz im Museum. Sie erläutert, wie Choreografie im musealen Rahmen verstanden wird und welche Beziehungen im Ausstellungsraum erzeugt werden. Die Theaterwissenschaftlerin Kirsten Maar betrachtet in ihrem Essay »Exhibiting Choreography« (2014) das steigende Interesse an der Präsentation von Choreografie in Kunstinstitutionen und die damit einhergehenden Entwicklungen im Rahmen der Museumsgeschichte. Die Ausstellung wird hier lediglich als museales Ritual verstanden, ohne deren eigene, vom Museum unabhängige Entwicklung zu betrachten.70 Mit ihrem Aufsatz »What a body can do: Reconsidering the role of the moving body in exhibition contexts« (2015) befasst sich Kirsten Maar mit dem Musée de la danse und seinem Projekt expo zéro. Die Ausstellung funktioniert ohne (Kunst-)Objekte und ergibt sich durch den Austausch aller Beteiligten.71 Als Besucherin wurde Maar in expo zéro bspw. in Diskussionen verwickelt und erlernte auf dem Boden liegend choreografische Abfolgen aus Trisha Browns Primary Group Accumulation. Von ihrer eigenen körperlichen Erfahrungs- und Wahrnehmungsperspektive ausgehend
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Z.B. JANEVSKI, Ana/The Museum of Modern Art (Hg.): Boris Charmatz (Modern Dance), New York 2017; CVEJIĆ 2014. OSTWALD 2016. Tony Bennett zitierend erläutert Maar, dass das Museum im 19. Jahrhundert eine Art erzieherischen Wert trug und die Ausstellung dazu diente, normative Vorstellungen von sozialer und historischer Ordnung zu vermitteln. Dies änderte sich mit dem Modernismus und mit Kunstformen wie dem Minimalismus, der die Betrachter*innen und ihre jeweilige Beziehung zum Objekt in den Mittelpunkt stellte. Dadurch stand nicht mehr die Vermittlung des historischen Wissens im Fokus, sondern die Intensität von Erfahrung. Vgl. MAAR 2014, S. 97–100. MAAR, Kirsten: »What a body can do: Reconsidering the role of the moving body in exhibition contexts«, in: The Place of Performance, Stedelijk Studies, Nr. 3, Herbst 2015, http://www.stedelijkstudies.com/journal/what-a-body-can-do/ (1.5.2023). Mehr zu expo zéro, siehe Kapitel 5.4.1.
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
fragt sie, was es bedeutet, statische Kunst-Objekte mit sich bewegenden Körpern zu ersetzen und diese wie Skulpturen auszustellen. Welchen Einfluss haben die Körper auf die jeweiligen Situationen innerhalb der Ausstellung sowie auf die Teilnehmer*innen und wie wirkt sich das wiederum auf das Museum aus? Über Solo tanzende Körper im Museum denkt Performancetheoretikerin und Tanzwissenschaftlerin Bojana Cvejić in ihrem Essay »Notes for a society of performance: on dance, sports, museums and their users« (2015) nach.72 Sie fragt, wie choreografische Performances, die Besucher*innen anders aktivieren als Kunstobjekte, dem politischen Zweck von Museen, sich als öffentlicher Raum zu erneuern, dienen. Cvejić untersucht konkret am Beispiel des Solos als standardisiertes Aufführungsformat für den Tanz, wie sowohl Besucher*innen als auch Performer*innen sich innerhalb des Museums als öffentliche Institution selbst performen und wie Tanz im Museum zu »self-performances« anregt.73 Anhand einer Auswahl an Kunstausstellungen aus den Jahren 2008 bis 2014 liefert Erin Brannigan in ihrem Artikel »Dance and the Gallery: Curation as Revision« (2015) eine Übersicht zu unterschiedlichen konzeptuellen Modellen, die Tanz, Choreografie sowie die Beziehung zur bildenden Kunst inhaltlich und künstlerisch aufgreifen.74 Damit erstellt sie einen fundierten Überblick zu in Theorie und Praxis diskutierten Paradigmen und Themen. Hierzu zählen: Die Beziehung zwischen Tanz und Objekt, der Tanzkörper als Archiv, das Kuratieren als Choreografie, das Sammeln zeitbasierter Kunstwerke sowie das Archivieren von Tanzkunst anhand von Notationen und Bewegungspartituren.75 Brannigans Beitrag ist für die vorliegende Arbeit 72
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CVEJIĆ, Bojana: Notes for a society of performance: on dance, sports, museums and their users (2015), https://www.academia.edu/14880800/Notes_for_a_Society_of_Pe rformance (3.7.2023). Vgl. ebd., S. 7f. Des Weiteren verdeutlicht sie, wie wir Besucher*innen von »public citizens« zu privaten »users« transformiert werden und beobachtet, dass Museen für zeitgenössische Kunst heute das Konsumverhalten ihrer Besucher*innen regulieren, in dem sie es stimulieren und ihre Aufmerksamkeit durch partizipatorische Unterhaltung steuern, vgl. ebd., S. 15. BRANNIGAN 2015. Zur Beziehung von Tanz und Objekt, siehe: WOOD, Catherine: People and Things in the Museum, in: COPELAND, Matthieu (Hg.): Choreographing Exhibitions, Dijon 2013, S. 113–122. Zur Archivierung performancebasierter Kunstwerke, siehe: BÜSCHER, Barbara/CRAMER, Franz Anton (Hg.): Fluid Access. Archiving Performance-Based Arts (Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« Leipzig – Schrif-
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bedeutend, da sie mit Verweis auf Céline Roux und Barbara Formis die Beobachtung bestätigt, dass zeitgenössischer Tanz und Performance-Kunst im gegenwärtigen Diskurs meist nicht voneinander unterschieden und nicht getrennt behandelt werden.76 Brannigan kritisiert die Tendenz, den Gegenwartstanz nur durch seine Beziehungen mit bildender Kunst zu »denken«.77 Tanz werde unter dem Überbegriff der Performance eingeordnet, die sich vom Theater durch seine Zugehörigkeit zur bildenden Kunst abgrenzt.78 Die immer stärkere Verschmelzung der Künste hin zu einer Interdisziplinarität und -medialität insbesondere seit den 1960er und 1970er Jahren führe dazu, dass die Entwicklungen im Bereich des zeitgenössischen Tanzes Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts im Kontext der bildenden Kunst betrachtet werden.79 Die Unterscheidung, die verloren gegangen ist oder im gegenwärtigen Diskurs oft vernachlässigt wird, liegt in der differierenden Herkunft der beiden Kunstdisziplinen. Um der Kunstform und ihren tanzspezifischen Charakteristika gerecht zu werden, soll im dritten Kapitel ausführlicher auf den Ursprung von Performance der bildenden Kunst sowie die Entwicklungen im Tanzbereich eingegangen werden, um den Unterschied in ihrer historischen Entfaltung anzuerkennen und herauszustellen. Zudem spricht Brannigan sich für die Qualitäten von Tanz aus, die oft im Diskurs über Tanz in Museen und Ausstellungen untergehen und nicht hervorgehoben werden.80 (Eben deshalb möchte ich mich in dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung auf das Spezifische von Tanzkunst im Ausstellungs-
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ten12), Hildesheim 2017; Zum Tanzkörper als Archiv, siehe: LEPECKI, André: Singularities. Dance in the age of performance, London/New York 2016, darin: The body as archive: will to reenact and the afterlives of dances, S. 115–142 und WEHREN, Julia: Körper als Archiv in Bewegung. Choreografie als historiografische Praxis, Bielefeld 2016. Barbara Formis bekräftigt die Aussage mit »where any clear difference between visual and performing arts is considered out of date« und arbeitet heraus, wie die Unterscheidung zwischen Tanz und Performance-Kunst verloren gegangen ist. Vgl. FORMIS, Barbara: Performance Here and Then, in: COPELAND, Mathieu (Hg.): Choreographing Exhibitions, Dijon 2013, S. 56–68, hier S. 65; Vgl. ROUX, Céline: Performative Practices/ Critical Bodies #2: What Makes Dance, in: SOLOMON, Noémie (Hg.): Danse: An Anthology, Dijon 2014, S. 261–273. Siehe auch HAITZINGER 2019, S. 187. Vgl. BRANNIGAN 2015, S. 7. Damit einhergehend kritisiert sie auch die breite Verwendung des Begriffs der »Choreografie«. Ebd. Vgl. ebd., S. 9. Vgl. ebd., S. 8.
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kontext fokussieren und das Besondere am zeitgenössischen Tanz in Verbindung mit dem Format der Ausstellung herausarbeiten.) Außerdem spricht sich Brannigan für die künstlerisch kollaborativen Projekte aus, da sie der Tanzkunst im Vergleich zu »erzwungenen« kuratorischen Konzepten oftmals gerechter werden.81 Mit dem Fokus auf Fallbeispiele gegenwärtiger Ausstellungen, die von Choreograf*innen gestaltet wurden – nämlich von Boris Charmatz, Xavier Le Roy und Anne Teresa De Keersmaeker – blickt diese Doktorarbeit auf Modelle, die nicht wie viele kuratorische Konzepte das dokumentarische Material und die Spuren des flüchtigen Tanzes ausstellen, sondern das Kriterium des materiellen Objekts hinter sich lassen. Wodurch neue Formen der Präsentation von zeitgenössischem Tanz und damit einhergehend neue Wahrnehmungsperspektiven von allen Beteiligten zugelassen werden. Des Weiteren veröffentlichte die österreichische Museumszeitschrift »neuesmuseum« 2017 die Sonderausgabe »Das Museum als Bühne«, in der die Wechselbeziehung zwischen Theater und Museum sowie ihre Auswirkungen im Mittelpunkt stehen. Der Einführungsartikel der Ausgabe »Tanz im Museum ist nicht neu!« liefert hierzu einen Beitrag.82 Publikationen wie »Curating Live Arts. Critical Perspectives, Essays, and Conversations on Theory and Practice« (2018) und das aus einer Konferenz hervorgegangene Buch »Le musée par la scène: Le spectacle vivant au musée« (2018) sind als interdisziplinäre sowie Theorie und Praxis vereinende Sammelbände angelegt. Sie beschäftigen sich mit Live Art und den darstellenden Künsten im Kunstkontext.83 Die Frage nach der Tanzkunst und ihrer Verbindung zum Museum und/oder zur Ausstellung wird dabei unter unterschiedlichen Gesichtspunkten bearbeitet. Erin Joelle McCurdy hinterfragt z.B. aus kulturwissenschaftlicher Betrachtung, was die Gründe der Integrierung
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Vgl. ebd., S. 18 ANDRADE RUIZ, Katharina von: Tanz im Museum ist nicht neu!, in: Das Museum als Bühne, Neues Museum, 17/1-2, 2017, S. 8–13. Der Artikel betont die historische Verbindung von Tanz mit dem Museum und weist auf neue Präsentationsmodi hin, die sich aus der Fusion aus Tanz und Ausstellung ergeben. DAVIDA, Dena/GABRIELS, Jane/HUDON, Véronique u.a. (Hg.): Curating Live Arts. Critical Perspepctives, Essays, and Conversations on Theory and Practice, New York/Oxford 2019; CHEVALIER, Pauline/MOUTON-REZZOUK, Aurélie/URRUTIAGUER, Daniel (Hg.): Le musée par la scène. Le spectacle vivant au musée. Pratiques, publics, médiations, Paris 2018. Siehe auch: GRONAU, Barbara/HARTZ, Matthias von/ HOCHLEICHTER, Carolin: How to Frame. On The Threshold of Performing and Visual Arts, Berlin 2016.
I EINLEITUNG
von Tanz in den Kontext der bildenden Kunst und was die Auswirkungen dieses Austausches auf beiden Seiten sind.84 Zudem werden in weiteren Beiträgen bspw. die Arbeitsbedingungen der Tänzer*innen in Museen sowie das Kuratieren als Choreografie thematisiert.85 Im Zentrum der Abhandlungen stehen meist Arbeiten und die tänzerisch-choreografische Praxis von Yvonne Rainer als eine der Vertreterin des postmodernen Tanzes, Tino Sehgal, Xavier Le Roy sowie Boris Charmatz und seinem Musée de la danse.86 Die Ausstellung Work/Travail/Arbeid der Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker wird im Artikel »Penser la danse comme exposition« des Pariser Konferenzbandes besprochen, auf dem die Analyse im fünften Kapitel dieser Arbeit aufbauen wird.87 Basierend auf ihren zuvor veröffentlichten und weiter oben erwähnten Forschungsergebnissen zum Thema Tanz im Ausstellungskontext untersucht Kirsten Maar mit »Zur Materialität der Praxis von Tanz im Ausstellungskontext« (2019), »wie durch den Tanz Displaystrategien der Ausstellung unterminiert und Verschiebungen oder displacements in diesem komplexen Gefüge von
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McCurdy begründet die »improbable migration of dance« in den Kontext der bildenden Kunst durch den Wandel der Funktion des Museums. Mit Blick auf kulturvermittelnde Aspekte betont sie positive Auswirkungen sowohl für den Tanz als auch für die bildende Kunst und das Museum. MCCURDY, Erin Joelle: Exhibiting Dance, Performing Objects. Cultural Mediation in the Museum, in: DAVIDA/GABRIELS/HUDON et al. 2019, S. 251–262. Thomas DeFrantz gibt bspw. in seinem Beitrag die Sicht aus einer Tänzerperspektive auf die Arbeitsbedingungen und thematisiert zugleich die Bedeutung des Museums für den Tanz. DEFRANTZ, Thomas F.: Dancing the Museum, in: DAVIDA/GABRIELS/ HUDON et al. 2019, S. 89–100. Z.B. HUDON, Véronique: The Curator’s Work. Stories and Experiences from Tino Sehgal’s Events, S. 263 -272, CHARMATZ, Boris/HUDON, Véronique: Bodies in Museums. Institutional Practices and Politics, S. 355–360 sowie HENRY, Joseph/MALTAIS-BAYDA, Fabien: Choreographing Archives, Curating Choreographers. Yvonne Rainer, Xavier Le Roy, and the Dance Retrospective, S. 235–248, alle, in: DAVIDA/GABRIELS/HUDON 2019; GIOFFREDI, Paule: Les Musées de la danse de Rolf de Maré et Boris Charmatz, S. 171–183 und QUIBLIER, Marie: La Préfiguration du Musée de la danse, S. 184–188, beide in: CHEVALIER/MOUTON-REZZOUK/URRUTIAGUER 2018. ANDRADE RUIZ, Katharina de: Penser la danse comme exposition: Work/Travail/ Arbeid – Anne Teresa De Keersmaeker, in: CHEVALIER/MOUTON-REZZOUK/ URRUTIAGUER 2018, S. 157–161.
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Choreographie, Aufführung und Ausstellung generiert werden.«88 Ausgehend von ihren Überlegungen zu »What a body can do« erweitert Kirsten Maar mit ihrem Essay und der übergreifenden Fragestellung »What Choreography Can Do in a Museum?« (2020) ihre Reflexionen zum Thema Tanz im Museum.89 Sie kritisiert, dass Tanz im Ausstellungskontext oft eine untergeordnete Funktion als »stumme Kunst« einnehme, und fordere, dass Kunstinstitutionen zu Orten werden, die jenseits eines produktorientierten Systems spezifische Bedingungen für den Tanz und seine Bedürfnisse erschaffen sollen.90 Nur wenige an einer Hand abzuzählende Beiträge widmen sich konkret der Verbindung von Tanz und dem Ausstellungsformat. Theater- und Performancewissenschaftler Fabien Maltais-Bayda und Kunsthistoriker Joseph Henry nähern sich in ihrem Essay »Choreographing Archives, Curating Choreographers« dem Typus der Tanz-Retrospektive als kuratorisches Ausstellungsformat an. Sie untersuchen anhand der Ausstellungen Yvonne Rainer: Dance Works und »Retrospective« by Xavier Le Roy u.a. wie dieser neue Ausstellungstypus die Sichtweise darauf verändert, wie Tanzgeschichte geformt und erlebt werden kann.91 Zudem befassen sie sich mit den Auswirkungen des live tanzenden Körpers auf museale Dynamiken. Dieser Aufsatz gilt für diese Arbeit als Exempel für eine mögliche Herangehensweise an die Fusion von Ausstellung und Tanzkunst. Hinsichtlich Le Roys Ausstellung liefert es in Bezug auf die Bedeutung der Begriffe »Dokumentation«, »Tanzarchiv« und »Live Performances« einen nützlichen Beitrag und wird im Kapitel 5.2 als Basisliteratur verwendet. Die Kunsthistorikerin Claire Bishop befasst sich in ihrem Essay »Black Box, White Cube, Gray Zone: Dance Exhibitions and Audience Attention«92 (2018) mit dem Einfluss und den Auswirkungen neuer Technologien auf die Entwicklungen innovativer Ausstellungskonzepte sowie auf das Verhalten und die Aufmerksamkeit der Besucher*innen in Museen. Sie stellt ein
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In: LINSENMEIER, Maximilian/SEIBEL, Sven (Hg.): Gruppieren, Interferieren, Zirkulieren. Zur Ökologie künstlerischer Praktiken in Medienkulturen der Gegenwart, Bielefeld 2019, S. 237–262, hier S. 238. MAAR, Kirsten: What Choreography Can Do in a Museum?, in: Danza e Ricerca (31.12.2020), https://danzaericerca.unibo.it/ (3.5.2023), S. 250–264. Ebd. S. 250. Rainers Ausstellung fand 2014 im Kunstausstellungszentrum Raven Row in London statt. In: Drama Review, Bd. 62, Nr. 2, 2018, S. 22–42.
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Aufkommen von sogenannten »Gray Zones«, die sich als Hybride aus der historischen Konvergenz der »Black Box« des experimentellen Theaters und des »White Cube« der Galerie und des Museums für performancebasierte Künste entwickeln, fest. Tanz-Ausstellungen93 betrachtet sie in diesem Rahmen als paradigmatisch und versteht sie als eine Ausdehnung des gewöhnlichen Aufführungsformats, um der Länge der täglich mehrstündigen Museumsöffnungszeiten zu entsprechen. Social Media sei ein Teil dieser grauen Zone und die technische Fortentwicklung beeinflusse den Hype des Genres der TanzAusstellung. Neuere Geräte wie Smartphones, Kommunikation via Social Media verstärke die Aufmerksamkeit der Betrachter*innen.94 Tanzwissenschaftlerin Nicole Haitzinger befasst sich mit der Fusion von Tanz und Ausstellung und zugehörigen Analysemethoden. Sie stellt in ihrem Sammelbandbeitrag »Szenische Präsenz im Museum« (2019) erste thesenhafte Überlegungen auf.95 Dabei entwirft sie ein »Provisorisches (Analyse-)Register«96 für Ausstellungen, die szenische, entgrenzte und gattungssprengende Künste präsentieren. Am modellhaften Beispiel der von ihr mitkuratierten Ausstellung Kunst – Musik – Tanz. Staging the Derra de Moroda Dance Archives (2016) im Museum der Moderne Salzburg demonstriert sie ihre Vorgehensweise anhand der drei für sie relevanten Untersuchungsparameter – Disposition, Narrativierung und ästhetische Erfahrung.
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Für Bishop ist eine »dance exhibition« ein neues hybrides Format im Museums- und Ausstellungswesen, die entweder von bildenden Künstler*innen mit engagierten Tänzer*innen, Sänger*innen sowie Performer*innen oder von Choreograf*innen gestaltet sind, die offen dafür sind, ihre Bühnenarbeiten dem Ausstellungsraum anzupassen oder hierfür neue choreografische Arbeiten zu entwerfen. Vgl. BISHOP 2018, S. 24. Ebd. Zudem ist Bishop der Ansicht, dass in der Debatte um den Tanz im Museum, oftmals nur die beschränkte, unreflektierte Sichtweise vertreten wird, dass der Grund für das starke Interesse am Tanz im Kunstbereich nur auf neoliberale Arbeitsverhältnisse zurückzuführen sei. Ihre These jedoch ist, dass es sich hierbei nicht einfach nur um eine unreflektierte Nachahmung der neoliberalen Wirtschaftserfahrung handelt, sondern vielmehr um die sich verändernde Zuschauerschaft geht. Und dass es wichtig ist, sich von einer derartig eingeschränkten Sichtweise zu lösen, um gegenüber anderen Vorgängen offen zu sein, wenn Performance das Museum betritt. Vgl. BISHOP 2018, S. 23f. HAITZINGER 2019, S. 181–202. Ebd., S. 188. Haitzingers Vorgehensweise basiert auf der theater- und tanzwissenschaftlichen Methode der »Inszenierungs- und Aufführungsanalyse (mit integrierter Bewegungsanalyse)«.
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Zu den jüngsten Veröffentlichungen zählt der Essay »Choreographed Exhibition/Exhibited Choreography. How Bodies Design Spaces« (2020) von Pamela Bianchi.97 Anhand einer Auswahl an historischen und aktuellen Ausstellungen untersucht die Kunsthistorikerin, wie performativ und interdisziplinär angelegte Präsentationsstrategien die ästhetische Erfahrung der Museumsbesucher*innen beeinflussen. Sie verfolgt die Frage, wie sich Methoden und Prozesse des Ausstellungsdesigns verändern und wie sie den »act of exhibiting« dadurch neu interpretieren. Wie Ostwald und Bishop spricht sie ebenfalls von einem hybriden Raum, »a meta-museum«, der weder nur Ausstellungsraum noch nur Bühne ist.98 Sie entwirft die Idee eines choreografierten Körpers, der als kritisches Mittel für transkulturelle Mediation gedacht ist. Ihre Betrachtung richtet sich trotz der überwiegenden Anzahl an ausgewählten Tanz-Ausstellungen auf die darstellenden Künste im Allgemeinen. »Choreografierte Ausstellung« und »ausgestellte Choreografie« – Formate, die sich laut Bianchi aus den neuen performativen und interdisziplinären Museumsstrategien entwickelt haben – verwendet Bianchi als Bezeichnung für alle performativen Künste, die im Rahmen einer Ausstellung präsentiert werden, und nicht speziell für den Tanz. Die Aufzählung weniger ausgewählter Literaturbeispiele zur Verbindung von Tanzkunst und Ausstellung zeigt, dass in diesem Bereich noch Lücken zu schließen sind, was ein wichtiger Grund für die Auseinandersetzung mit dieser Thematik ausmacht. In dieser Arbeit geht es darum, aus kunsthistorischer Perspektive darzustellen, was das Besondere, das Spezifische am zeitgenössischen Tanz in Ausstellungen ist und wo das Potenzial dieser Fusion aus Ausstellung und ephemeren Tanz liegt, der ja ursprünglich Bühnenkunst war. Zur Analyse werden wie schon oben erwähnt Ausstellungsbeispiele herangezogen, welche die Arbeit von Choreograf*innen im Kontext der bildenden Kunst präsentieren. Es handelt sich dabei um Ausstellungen, die nicht nur für Museen ausgelegt sind, sondern ebenso in Kunsthallen, Ausstellungshäusern, selbst ungewöhnlicheren Orten wie Opernhäusern oder im Freien (Boris Charmatz) ausgestellt werden und stattfinden können.
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BIANCHI, Pamela: Choreographed Exhibition/Exhibited Choreography. How Bodies Design Spaces, in: Re·bus: Mobility Movement and Medium: Crossing Borders in Art, Nr. 9, 2020, S. 109–129. Vgl. BISHOP 2018, S. 31; Vgl. OSTWALD 2014, S. 18f.
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1.3 Methodische Anmerkungen und Material 1.3.1 Aufbau Nach der Einleitung gliedert sich die vorliegende Arbeit in die Kapitel II bis VI. Das zweite Kapitel konzentriert sich auf die Kunstausstellung, zuerst auf ihre historische Entwicklung und dann auf die Wesensmerkmale von Kunstausstellungen im 21. Jahrhundert, die auch in Verbindung mit der Tanzkunst zentral sind. Das dritte Kapitel fokussiert sich auf die Forschungsfrage: Wie gelangt die Tanzkunst in den Ausstellungskontext? Um dies zu beantworten, sollen die wechselseitigen Beziehungen von Tanz und bildender Kunst sowie ihre Institutionen wie das Museum und die Ausstellung als ihr Präsentationsmedium unter die Lupe genommen werden. Dabei wird ein punktueller Einblick von 1900 bis in die Gegenwart, dem 21. Jahrhundert, erarbeitet. Es dient zugleich als historische Einordnung und Kontextualisierung, um zu verstehen, wie es zu einer Integrierung von Tanzkunst im Ausstellungskontext kam. In chronologischer Reihenfolge werden nur die charakteristischen Beispiele und Tendenzen vorgestellt, welche die These einer Entwicklung zum Tanz im Ausstellungskontext stützen. Zugleich zeigt der historische Einblick auf, was im aktuellen Geschehen der Ausstellungs- und Museumswelt in Bezug auf die Rolle der Tanzkunst anders und neu ist. Mit der zweiten Leitfrage – wie kann zeitgenössischer Tanz im Format der Ausstellung präsentiert werden? – geht es um die Problematik der Ausstellbarkeit von Tanz (und Performance) in der Gegenwart. Denn die Tanzkunst ist als körperliche Ausdrucksform ephemer und damit vergänglich. Wie kann also der durch Flüchtigkeit charakterisierte Tanz mit dem Format der Kunstausstellung, die über Wochen andauert und nicht dem Zeitformat einer Bühnenaufführung entspricht, vereint werden? Mit den herausgearbeiteten Erkenntnissen über die Kunstausstellung und den aufgezeigten Entwicklungssträngen, die bis zur Tanzkunst im Ausstellungskontext führt, widmet sich das vierte Kapitel gegenwärtigen Ausstellungsbeispielen, die Tanz präsentieren. Die unterschiedlichen Modelle zeigen, wie die Integrierung von Tanz in Ausstellungen funktionieren kann.99 Dabei werden zuerst kuratorische Konzepte aus
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Diese Arbeit konzentriert sich auf temporäre (Sonder-)Ausstellungen, sodass Sammlungspräsentationen sowie Tanz-Performances, die sich auf Sammlungen beziehen, wie bspw. Nick Mauss’ performative Sammlungsintervention Traktat über den Schleier im Museum Ludwig (Nov. 2019), nicht behandelt werden.
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der Ausstellungspraxis vorgestellt, um dann im zweiten Schritt den Blick auf von Choreograf*innen selbst gestaltete Ausstellungen zu richten, da diese hinsichtlich der Ausstellungsgestaltung und Rezeption die radikalsten Veränderungen mit sich bringen. Sie werden in dieser Arbeit als Live-Tanz-Ausstellungen bezeichnet. Anstelle von ausgestelltem Dokumentationsmaterial vergangener Tanzkunst steht bei ihnen das Live-Erlebnis des zeitgenössischen Tanzes im Mittelpunkt. Das fünfte Kapitel dient der differenzierten und detaillierten Analyse der drei oben genannten Live-Tanz-Ausstellungen von Xavier Le Roy, Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz als Fallstudien. Kapitel 5.1 führt in den Schaffenskontext der drei Choreograf*innen ein. Sie stehen hier beispielhaft für Positionen des zeitgenössischen, westeuropäischen Tanzes, die ihre choreografische Praxis auf den Museums- und Ausstellungskontext erweitert haben. Die Auswahl der drei Choreograf*innen und ihre Ausstellungen basiert auf der Tatsache, dass sie also neben der Produktion von Bühnenstücken choreografische Arbeiten spezifisch für museale Räume und Ausstellungssäle entwickeln. So setzen Le Roy, De Keersmaeker und Charmatz sich auf ihre individuelle Art und Weise kritisch mit den Präsentationsformen der bildenden und darstellenden Künste auseinander. Die drei Fallstudien zeigen, was das Spezifische der drei tanzkünstlerischen Arbeiten ist, die je mit eigenem Ansatz das Format der Ausstellung mit zeitgenössischem Tanz vereinen. Was verbindet »Retrospective« by Xavier Le Roy, Work/Travail/Arbeid und 20 Dancers for the XX Century, was unterscheidet sie, was macht sie jeweils einzigartig und wo liegt das Potenzial dieser Fusionen aus Ausstellung und Tanzkunst? Dies sind Fragen, die in Kapitel 5.5 behandelt werden. Mit dem sechsten Kapitel als Schlussbetrachtung schließt die Arbeit.
1.3.2 Das Schreiben über Tanz und die Analyse von Ausstellungen Über Tanz aus kunsthistorischer Perspektive zu schreiben ist eine Herausforderung. Als vergänglich künstlerische Darstellungsform zählt die Tanzkunst nicht zu den anerkannten Forschungsfeldern der Kunstgeschichte. Es handelt sich dabei somit nicht um materielle Objekte der bildenden Kunst, die als traditionelle Kunstwerke zu verstehen sind. Daher kann auch nicht auf klassische kunsthistorische Kategorisierungen und Theorien zur Werkästhetik zurückgegriffen werden. Alte theoretische Konzepte sind dem neuen Charakter der Gegenwartskunst nicht mehr angemessen. Über die Problematik des Ephemeren und Immateriellen bei neuer Kunst schreibt Angeli Janhsen in ihrem Buch
I EINLEITUNG
»Gut schreiben über neue Kunst«. Sie betont, dass ephemerer Kunst anerkannt werden müsse, »dass sie im Moment der Rezeption vergangen ist«, und dass beachtet werden müsse, dass »Leser immer anderes sehen als sie [die Schreiber*innen] selbst – wenn sie überhaupt was sehen.«100 Um die immaterielle und damit schwer greifbare Tanzkunst fassen zu können, werden also theater- und tanzwissenschaftliche Theorien und Methoden mit einbezogen.101 Auch wenn ephemere Kunst meist nicht zu den Themenfeldern gehört, in dem Kunsthistoriker*innen geschult werden, ist sie eine Tatsache in der gegenwärtigen Kunstwelt.102 Im Bereich der Kunstinstitutionen wird ihr immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt – und zeitgenössische Kunst besitzt Aufführungscharakter.103 Umso wichtiger ist es, sich mit solchen Phänomenen möglichst professionell auseinanderzusetzen und sie im richtigen Kontext zu betrachten. Tanz findet an Orten für die bildende Kunst statt, in Form von Kunstausstellungen, sie kann also nicht unter der Rubrik ›Theater‹ eingeordnet werden.104 Geographisch bezieht die vorliegende Abhandlung sich vor allem auf die westeuropäische und nordamerikanische (Tanz-)Kunst und ihre Institutionen, da eine Erweiterung auf weitere Regionen den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Die Forschung zu Ausstellungen bildet sich gerade jetzt heraus.105 Es existieren einige wenige Ansätze zur Ausstellungsanalyse und zur Entwicklung eines Analyseinstrumentariums, die bspw. auf der Semiotik (Zeichentheorie) oder auf der Narratologie (Erzähltheorie) basieren.106 Kulturanthropologin 100 Vgl. JANHSEN, Angeli: Gut schreiben über neue Kunst, Berlin 2019, S. 45. 101 bspw. FISCHER-LICHTE, Erika: Ästhetik des Performativen, Frankfurt a.M. 2004 und DIES.: Performativität: Eine kulturwissenschaftliche Einführung, Bielefeld 2012; so auch LEHMANN, Hans-Thies: Postdramatisches Theater, Frankfurt a.M. 4 2008. 102 Vgl. JANHSEN 2019, S. 45. 103 Zur Kunst als Aufführung, siehe: FISCHER-LICHTE/RISI/ROSELT 2004. 104 So sieht es Locher im Zusammenhang mit Ausstellungen, die Ephemeres präsentieren. Vgl. LOCHER 2015, S. 44. 105 Hierzu siehe Kapitel 1.2.1. 106 Semiotischer Ansatz, siehe: SCHÄRER 2003 und SCHOLZE 2004; Erzähltheoretischer Ansatz, siehe: BAL, Mieke: Kulturanalyse, Frankfurt a.M. 2002; BUSCHMANN, Heike: Geschichten im Raum. Erzähltheorie als Museumsanalyse, in: BAUR, Joachim (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes. Bielefeld 2010, S. 149–170 und THIEMEYER, Thomas: »Simultane Narration – Erzählen im Museum«, in: STROHMAIER, Alexandra (Hg.): Kultur – Wissen – Narration. Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften, Bielefeld 2013, S. 479–488; Vgl. HAMMACHER, Thomas/JANNELLI, Angela: Einleitung – Warum
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und Museologin Angela Janelli erweitert für ihre Analysemethode den semiotischen Ansatz mit der »Ästhetik des Performativen«107 , da sie die Ausstellung als »Aufführung« oder »Ereignis« begreift und damit ihre performative Dimension beachtet.108 Wie schon in Kapitel 1.2.3 vorgestellt, entwickelte Theaterwissenschaftlerin Nicole Haitzinger ein exemplarisches transdisziplinäres Analysemodell für transmedial angelegte Ausstellungen, das auf der Aufführungsanalyse basiert.109 Es mag zwar auf den ersten Blick hilfreich erscheinen, in der eigenen Ausstellungsforschung einem bereits erstellten Analyseregister zu folgen, doch besteht die Gefahr, dass durch das reine Abarbeiten von Untersuchungsparametern und die Schematisierung von Vergleichselementen die Vielfalt und Einzigartigkeit der jeweiligen betrachteten Ausstellungen verloren geht. Die Ausstellung als Untersuchungsgegenstand ist zu komplex, sodass ein standardisiertes Analysemodell nicht alle Facetten jeder einzelnen Ausstellung aufgreifen kann. Deshalb werde ich in dieser Arbeit drei einzelne auf die jeweilige Ausstellung zugeschnittene qualitative Analysen durchführen, damit die Besonderheiten der drei ausgewählten Live-Tanz-Ausstellungen herausgearbeitet werden können.
1.3.3 Zum Status des Dokumentations- und Analysematerials der Fallstudien Da der Live-Aspekt von Live-Tanz-Ausstellungen zu den elementaren Eigenschaften dieses Präsentationsformats zählt und damit das Selbsterleben und das im »Hier und Jetzt«-Dabeisein im Rezeptionsprozess höchste Relevanz besitzt, wurde bei der Analyse der Fallstudien großen Wert auf die Selbstwahrnehmung aus Besucherperspektive gelegt.110 Deshalb habe ich von allen drei Ausstellungen je zwei Versionen an verschiedenen Orten besichtigt und analysiert. Ich habe 20 Dancers for the XX Century zuerst im Rahmen des zweitägiAusstellungsanalyse?, in: VOKUS, Heft 1 (2008), S. 7–10, https://www.kulturwissen schaften.uni-hamburg.de/ekw/forschung/publikationen/vokus/vokus200801.html (19.06.2021). 107 FISCHER-LICHTE 2004. 108 Vgl. JANNELLI, Angela: Wilde Museen. Zur Museologie des Amateurmuseums, Bielefeld 2012, S. 75f. 109 HAITZINGER 2019. 110 Zur Bedeutung der Wahrnehmung des Analysierenden, siehe: ROSELT, Jens/WEILER, Christel: Aufführungsanalyse. Eine Einführung, Tübingen 2017, S. 10f.
I EINLEITUNG
gen Veranstaltungsevents If Tate Modern was Musée de la danse? in der Londoner Tate Gallery of Modern Art (Tate Modern) im Mai 2015 besucht und zum zweiten Mal während des Tanzkongresses in Hannover im Juni 2016 in der Hannoverschen Oper miterlebt. Um die Originalversion von Anna Teresa De Keersmaekers Work/Travail/Arbeid, die im WIELS – Centre d’Art Contemporain in Brüssel zu sehen war, zu analysieren, war ein mehrwöchiger Aufenthalt im März und im Mai 2016 Teil dieser Forschung. Die zweite gesehene Version fand im Juli 2016 in der Turbinenhalle in der Tate Modern statt. Zudem ermöglichte ein mehrtägiger Forschungsaufenthalt im Herbst 2015 im Libanon das Miterleben und die Analyse von »Retrospective« by Xavier Le Roy im Beirut Art Center. August 2019 folgte dann der Besuch einer weiteren Ausstellungsversion im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwartskunst in Berlin. Um den Leser*innen einen Einblick in diese Ausstellungen zu geben, soll durch die Beschreibungen meiner Selbsterfahrung ein Eindruck des mehrstündigen TanzAusstellungs-Geschehens vermittelt werden. Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass es sich hierbei um eine subjektive Erfahrungsbeschreibung handelt, die nicht den Eindruck und die Wirkung auf jede einzelne Person verallgemeinern soll.111 Ausgewählte Dokumentationsfotos sind dem Analysekapitel hinzugefügt. Jedoch ist bei der Betrachtung der Abbildungen nicht zu vergessen, dass es sich bei Fotografien im Allgemeinen lediglich um Impressionen handelt, die eine Millisekunde des Geschehens aus nur einer Perspektive einfrieren. Sie spiegeln nicht den mehrstündigen Verlauf der Ausstellungen wider. Wichtiger sind hier also die Beschreibungen der Ausstellungsbesuche zu jedem der drei Fallbeispiele als erkenntnisreicher Erfahrungsbericht. Sie nehmen aus diesem Grunde in den einzelnen Analysen einen großen Anteil ein. Ergänzt wurde die eigene Erfahrungsperspektive und deren Reflexion durch Gespräche und Interviews mit den Choreograf*innen und Tänzer*innen der Live-Tanz-Projekte. Als weitere dokumentarische Quellen dienten zur Analyse zudem Publikationen sowie Rezensionen zu den Ausstellungen, Zeugenberichte, Interviews und Ausstellungsbroschüren.
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Zum Stellenwert der subjektiven Perspektive vgl. JANHSEN, Angeli: Neue Kunst als Katalysator, Berlin 2012, S. 21 und ROSELT, Jens/WEILER, Christel: 1.1 Inter-Subjektivität und Objektivität, in: DIES. 2017, S. 12–17.
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II DIE KUNSTAUSSTELLUNG: HISTORISCHER RÜCKGRIFF UND GEGENWÄRTIGE AUSRICHTUNG
Mit visueller Kunst treten wir vornehmlich durch das Medium »Ausstellung« in Kontakt. Durch sie nehmen wir als Betrachter*innen die Kunstwerke wahr. Sie beeinflusst die Art und Weise, wie wir über Kunst denken, sie verstehen, sie historisch einordnen, kanonisieren und insbesondere, wie wir sie ästhetisch erfahren. Die Ausstellung ist »das Format und Medium«1 der Kunstrezeption und des öffentlichen Zurschaustellens, der kontinuierlich wachsende Bedeutung zugesprochen wird. 2008 pries der Kunstpublizist und Ausstellungsmacher Paolo Bianchi ihr Innovationspotenzial als eines der »wichtigsten Kulturthemen« der nächsten Jahre an.2 Seine Aussage bestätigt sich durch die Vielzahl an Museumsneubauten, Eröffnungen von Ausstellungshäusern, »Blockbuster«-Ausstellungen und die weltweite Verbreitung des erfolgreichen BiennaleModells als sogenannte »Biennalisierung«.3 Mit der Manifesta wurde 1996 die europäische Version der Biennale für zeitgenössische Kunst gegründet, die
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ZIAJA 2013, S. 25. BIANCHI 2007, S. 42. Als »Biennalisierung« wird die globale Distribution dieses Formats der periodisch wiederkehrenden großformatigen Ausstellungsprojekte bezeichnet. Als La Biennale di Venezia wurde 1895 die erste Biennale für moderne Kunst in Venedig gegründet. Mittlerweile existieren um die 100–200 Biennalen weltweit. Bruce W. Ferguson, Reesa Greenberg und Sandy Nairne, Herausgeber der Anthologie »Thinking About Exhibitions« sind davon überzeugt, dass die Biennale DAS Ausstellungsformat sei, durch das die meiste zeitgenössische Kunst bekannt werde, vgl. FERGUSON/GREENBERG/ NAIRNE: Introduction, in: DIES. 1996, S. 2.
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
im zweijährigen Turnus in einer anderen Stadt Europas organisiert wird.4 In Deutschland zählen zu den Massenpublikum anziehenden Kunst-Großereignissen die 1955 gegründete und alle fünf Jahre veranstaltete Kasseler Documenta sowie die im zehnjährigen Turnus stattfindende Skulptur Projekte Münster, die als Ausstellung eine museumsferne Öffentlichkeit sucht und Ortsbezogenheit schafft, indem sich jede präsentierte künstlerische Arbeit auf den jeweiligen ausgewählten Aufstellungsort innerhalb der Stadt bezieht. Im globalen Kontext dürfen die Kunstmessen mit ihren kuratierten Verkaufsausstellungen nicht vergessen werden, wie die Art Unlimited der internationalen Art Basel, um ein bekanntes Beispiel zu nennen. Allein diese Aufzählung von unterschiedlichen Organisationskonzepten demonstriert die Vielfalt an Kunstpräsentationsformaten, die gegenwärtig existieren und sich unter dem Begriff der Ausstellung versammeln. Wie schon im Forschungsüberblick zusammengefasst, sprechen zudem die zahlreich erschienenen Veröffentlichungen zur Ausstellung und zum Ausstellen als kuratorische Praxis für die Bedeutsamkeit dieses Gegenstands, und zeigen zugleich, wie heterogen diese Thematik und ihr Diskurs ist. Um verständlich zu machen, was eine Kunstausstellung der Gegenwart auszeichnet, ist es unabdingbar, ihre historische Herkunft zu betrachten.5 Anhand dieser Vorgehensweise ist es möglich, zu verdeutlichen, wie diese Präsentationsform für Kunst und mit ihr das Ausstellungswesen entstanden ist, wie sie sich im Laufe der Jahrhunderte verändert hat und was die Besonderheit gegenwärtiger Ausstellungen, die moderne und zeitgenössische Kunst präsentieren, ist. Vor diesem Hintergrund können dann konkret Ausstellungsbeispiele unter die Lupe genommen werden, die versuchen, Tanz als Kunstform und das Format der Ausstellung als ursprüngliche Objektschau zu vereinen. Dabei wird hier die Entwicklung der Ausstellung als ein kontinuierlicher Transformationsprozess verstanden – von ersten Anzeichen eines Ausstellungsformats bis hin zu den gegenwärtigen Umsetzungen.
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Die erste Manifesta fand in Rotterdam statt. Die Kunstprojekte stehen stets in Bezug zu aktuellen, gesellschaftspolitischen Themen und in Beziehung zum jeweiligen Präsentationsort der Manifesta. Vgl. TE HEESEN 2013, S. 43.
II DIE KUNSTAUSSTELLUNG
2.1 Die Entwicklung der Ausstellung als Medium der Kunstpräsentation Zunächst einmal scheinen Kunstmuseen und die Ausstellung als das Medium der Kunstpräsentation eng miteinander verwoben und nicht trennbar voneinander zu sein. Jedoch sollte deren Entwicklung differenziert voneinander betrachtet werden, da der Ursprung unserer westlichen Ausstellungskultur nicht museal ist. Der kultische Ursprung liegt in der Zurschaustellung von Reliquien und in der Präsentation von Gemälden im Rahmen von kirchlichen Festtagen oder Feierjahren, über die im 15. Jahrhundert vereinzelt und im 16. Jahrhundert vermehrt Nachweise vorliegen.6 Ökonomische Ausstellungen verbreiteten sich ebenso ab dem 16. Jahrhundert. Expositionen dienten im 18. und 19. Jahrhundert der öffentlichen Zurschaustellung von zum Verkauf stehenden Kunstwerken oder Waren. Zudem handelte es sich bei den meisten Großausstellungen im 19. Jahrhundert in Deutschland um reine Verkaufsausstellungen, die der Erschaffung eines Kunstmarkts und zur finanziellen Absicherung der Künstler*innen förderlich sein sollten. Davon wurden viele von Kunstvereinen organisiert.7 So versteht auch Anke te Heesen das Museum und die Ausstellung als zwei unterschiedliche Präsentationskonzepte, die erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusammenfanden.8 Für Tony Bennett steht die Entstehung der Kunstmuseen im engen Bezug zu einer Bandbreite an zeitgleich aufkommenden Institutionen wie historische oder naturwissenschaftliche Museen, Dioramen, Panoramen, nationale und internationale Ausstellungen, Einkaufsarkaden und Kaufhäuser.9 Vor diesem Hintergrund wird in dieser wissenschaftlichen Abhandlung die westliche Museums- und Ausstellungs-
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In diesem Zusammenhang tauchten konkrete Ausstellungsbeispiele vermehrt im 17. und 18. Jahrhundert insbesondere in Italien auf. Z.B. die Ausstellung am Tag des San Giuseppe in der Kirche Santa Maria Rotonda (römisches Pantheon), 1651 erstmals erwähnt, fand höchst vermutlich schon früher statt. Siehe hierzu: KOCH 1967, S. 112. Vgl. HERZOGENRATH, Wulf: Internationale Kunstausstellung des Sonderbundes Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler zu Cöln 1912, in: HEGEWISCH/KLÜSER 1991, S. 40–47. TE HEESEN 2012, S. 14f. Begründet durch die neue Entstehung von Disziplinen wie Geschichte, Biologie, Kunstgeschichte, Anthropologie, ihrem »discursive formations« (Vergangenheit, Evolution, Ästhetik) und neue Technologieentwicklung. Vgl. BENNET 1995, S. 81.
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geschichte als eine sich zum Ende des 18. Jahrhunderts parallel ergebende Entwicklung betrachtet.10 Während auf Kunst-, Gewerbe- und Industrieschauen Erzeugnisse des Handwerks, des Gewerbes, der Industrie und der Künstler*innen temporär der Öffentlichkeit zum Verkauf ausgestellt wurden, gründeten sich zeitgleich die ersten öffentlichen Museen in Europa, darunter das British Tate Museum (1753) und das Museum Fridericianum (1779) in Kassel, für das erstmals ein Bau für den reinen Museumszweck errichtet wurde. Der Louvre eröffnete 1793 und schon 1805 schrieb man der Institution mit ihrer zugänglichen Sammlung gesellschaftliche Relevanz zu.11 Die Museen fungierten laut Sloterdijk als »Werttempel«12 , als »bürgerliche Erziehungsanstalt«13 und »zur Ansicht der Kenner, zum Genuss der Kunstfreunde, zur Befriedigung der Neugierigen und zur Belehrung von Schülern und Meistern.«14 Sie dienten dem Bildungszweck und waren im traditionellen Sinne ein Ort des aktiven Sammelns und des zur Schau Stellens von Objekten. Als sein historischer Ursprung gelten die Musentempel der Antike. Später entwickelte es sich vom Münz-Kabinett bis hin zu den fürstlichen Galerien und aristokratischen Schatz- und Wunderkammern, die dann im 18. Jahrhundert in öffentliche Sammlungen übergingen.15 Im Gegensatz zu den Museen, die mit ihren umfassenden Sammlungen auf Dauerhaftigkeit und immerwährende Allgemeingültigkeit angelegt waren, breiteten sich damalige Ausstellungen als zeitlich begrenzte, festivaleske Veranstaltungen aus, die auf Aktualität der zur Ansicht ausgestellten Wa-
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In Deutschland entwickelte sich das Ausstellungswesen erst ab dem 19. Jahrhundert. Vgl. SCHNEEDE 20102 , S. 19. Vgl. VIEREGG 2008, S. 42. Im 19. Jahrhundert entstanden viele bürgerliche Museumsneugründungen, die nicht mehr auf feudalen Kunstkammern basierten. SLOTERDIJK 1990, S. 197. Tony Bennett spricht von einer Kontrolle der Wahrnehmung des Besuchers. Das Museum und die Ausstellung versteht er als Orte der Machtausübung und Beobachtung. BENNETT 1995 und DERS. 2010, S. 50. LEMMA: Museum, in: BROCKHAUS, Friedrich Anton (Hg.): Allgemeine deutsche RealEncyclopädie für die gebildeten Stände. Conversations-lexicom, Bd. 6, 5. Aufl., Leipzig 1820, S. 667. Literatur zur Museumsgeschichte (Auswahl): VIEREGG 2008; BENNET 1995; IMPEY, Oliver/MACGREGOR, Arthur (Hg.): The Origins of Museums. The Cabinet of Curiosities in sixteenth and seventeenth Century Europe, Oxford 1985; BREDEKAMP, Horst: Antikensehnsucht und Maschinenglaube. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, Berlin 1993.
II DIE KUNSTAUSSTELLUNG
rengegenstände (aus Kunst und Gewerbe) achteten und der Verkauf dessen Präsentationszweck ausmachte.16 Vermehrt nachweisbar sind Ausstellungen und ähnliche Anlässe seit dem späten 17. Jahrhundert.17 Doch beziehen sich die meisten Autor*innen im Bereich der Ausstellungsforschung auf die Mitte oder das Ende des 18. Jahrhunderts als Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen des Ausstellungswesens, in erster Linie im Zusammenhang mit der Gründung des Pariser Salons und die nach seinem Vorbild entstehenden Akademieausstellungen in Europa. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass früher stattgefundene Ausstellungen in ihrer Konzeption meist nicht für die Öffentlichkeit als heterogenes Publikum angelegt waren und somit nicht im Sinne der Moderne als liberaler Ort funktionierten.18 Oder sie generierten nicht die Öffentlichkeit in den Ausmaßen, wie es der Pariser Salon tat, der sowohl Einfluss als auch Veränderung im Bereich der sich etablierenden Ausstellungspraktiken mit sich zog.19
2.1.1 Der Pariser Salon und die Akademieausstellungen Die 1648 in Paris von Künstler*innen gegründete Académie Royale de Peinture et de Sculpture folgte italienischem Vorbild: Wie in der römischen Accademia di San Luca (Gründung 1577) üblich, versuchte die Pariser Schule ihre Mitglieder seit 1663 für die jährliche Generalversammlung als feierliches Ereignis zur Stiftung eines Werkes satzungsmäßig zu verpflichten, bzw. dieses für einige Tage zur Dekoration des Saals im Hôtel Brion zur Verfügung zu stellen.20 In diesem Zusammenhang führten sie den Begriff der »Exposition«21 in ihre 16 17
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Vgl. TE HEESEN 2012, Kapitel: Ausstellungsexpansion, S. 73–88. Vgl. Koch 1967, S. 112; BÄTSCHMANN, Oskar: Ausstellung, in: PFISTERER, Ulrich (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft, Stuttgart/Weimar 2 2011, S. 41–44; HASKELL, Francis: The Ephemeral Museum. Old Master Paintings and the Rise of the Art Exhibition. New Haven/London 2002. Vgl. HANAK-LETTNER 2011, S. 35–44. Italienische Ausstellungen, die aus kirchlichem Anlass, meist zu Feiertagen oder heiligen Wochen stattfanden, werden bspw. als Vorläufer angesehen. Sie fanden nur kurzzeitig, weniger als eine Woche statt. Für die teilnehmenden Künstler*innen waren sie als Vorzeigemöglichkeit ihrer Gemälde durchaus von Bedeutung, auch wenn sie nicht die breite Öffentlichkeit erlangten. BÄTSCHMANN 1997, S. 12. Zum Begriff »Exposition« (engl. und franz.): wörtlich »Auslegung«, »Erklärung«, oder »Darlegung«, etymologisch vom lateinischen Verb »exponere« stammend, was »ausstellen« oder »aus-legen« bedeutet.
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Statuten ein, doch »nur« zu Dekorationszwecken der Académie und im Sinne einer geschlossenen Präsentationsschau. Diese sollte also vornehmlich nur für Akademieangehörige zugänglich sein und nicht für die Allgemeinheit.22 Anfangs begrenzte sich die Teilnehmerzahl auf unter Hundert und die Exposition war eine reine elitäre Angelegenheit.23 Es dauerte fast siebzig weitere Jahre, bis sich der Pariser Salon mit nachhaltigem Erfolg als staatliche Institution etablieren konnte. Erst 1737 konnte die Pariser Akademieausstellung zu einer regelmäßigen Veranstaltung institutionalisiert werden. Dies gelang u.a. mit dem Umzug vom Hôtel Brions in den Palais Royal und schließlich in den Louvre, zunächst in die circa zweihundert Meter lange Grande Galerie24 und 1737 in den Salon Carré, dem die Gemäldeschau seinen Namen verdankt und seitdem offiziell als »Salon« bezeichnet wird (Abb. 1). Auf einer ausdrücklichen Anordnung des Königs wurde der Salon dem öffentlichen Publikum zugänglich gemacht, was in der Tat zur gesellschaftlichen Aufwertung dieses Ereignisses führte. Im zweijährigen Turnus präsentierte der Salon ausgewählte Gemälde zeitgenössischer akademischer Maler*innen, wobei die Zulassung der Bilder durch eine Jury erfolgte. Der Salon de Paris entwickelte sich zum Publikumsmagnet und die Kunst wurde damit zu einer »öffentlichen Angelegenheit«25 . Diderot lobte 1763 die Ausstellung als öffentliche Institution, die »allen Ständen der Gesellschaft und insbesondere den Menschen von Geschmack eine nützliche Motion und angenehme Erholung verschaffe.«26 Mit dem wachsenden Publikumsinteresse stieg neben der Anzahl von Kaufwilligen auch die Menge der Kunstkenner*innen und selbsternannten Kunstkritiker*innen, die durchaus einen Einfluss auf den entstehenden Kunstmarkt besaßen. Mit der Zeit etablierte sich mit der Kunstkritik ein eigenständiges Berufsfeld.
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Man wollte sich zudem von den Malerzünften, Handwerker-Künstler*innen, die Verkaufsausstellungen organisierten, abgrenzen. Vgl. BÄTSCHMANN 2011, S. 42. Unter der Regentschaft des französischen Königs Ludwig XIV. (1661–1715) fanden nur sechs Ausstellungen statt, denn oft mussten die Jahresausstellungen Mangels Teilnahme ausfallen oder verschoben werden. In den folgenden Jahren kam es zu einer durch Missmanagement verursachten Flaute, sodass die als jährlich geplante Exposition teilweise wieder nicht zustande kam. BÄTSCHMANN 1997, S. 12. HEGEWISCH 1991, S. 8. Zitiert nach MAI 1986, S. 19.
II DIE KUNSTAUSSTELLUNG
Abb. 1: Giuseppe Castiglione, Le Salon Carré, 1861, Öl auf Leinwand, 69 x 103 cm, Paris, Musée du Louvre.
Der Pariser Salon wurde zum Vorbild vieler Akademieausstellungen, die sich zum Ende des Jahrhunderts parallel zu den Gewerbeschauen zunehmend verbreiteten, insbesondere in Frankreich, dann auch in Deutschland und an anderen Orten. So veranstalteten bspw. die Kunstschule in Kassel seit 1778, die Kunstakademie in Wien seit 1786 Ausstellungen. In England organisierte die Royal Academy of Painting von Gründungsbeginn im Jahr 1768 an regelmäßig jährliche öffentliche Expositionen.27 Im 19. Jahrhundert entwickelten sich diese Expositionen zu wettkampfartigen Leistungsschauen und Themenwettbewerben. Die Organisator*innen beurteilten dies als äußerst produktive Konkurrenz für die Übersichtsschauen, die Künstler*innen kritisierten dies jedoch.28 Durch die Hängung – Tausende Gemälde über, unter und nebeneinander an der Wand positioniert – hatten die Ausstellungsräume mit ihrer Präsentation den Charakter eines Gemischtwarenladens.29 Sie beklagten, dass die Präsentationsweise der Kunst ihrem Wesen nicht gerecht werde, zudem führten die würdelosen Massenschauen zur Egalisierung der einzelnen Kunstwerke:30 27 28 29
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Die Kunstakademie in Dresden zeigte seit 1764 Ausstellungen für zwei bis drei Wochen; die Berliner Schule seit 1786 Akademieausstellungen. Vgl. HANAK-LETTNER 2011, S. 43. Vgl. HEGEWISCH 1991, S. 12. Zur Ordnung der Wand- und Saalabfolgen, siehe: MINGES, K.: Das Sammlungswesen der frühen Neuzeit. Kriterien der Ordnung und Spezialisierung, Münster 1998. Vgl. HEGEWISCH 1991, S. 8, auch MAI 1986, S. 24.
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»Die Mehrzahl aller Ausstellungsbesucher hat es gründlich satt. Sich einen Kunstgenuß durch physische Anstrengungen und unverhältnismäßigen Zeitverlust zu erkaufen. Man will nicht mehr zweihundert Skulpturen durchmustern, um – wenn’s hoch kommt – fünfzig des Ansehens werte Werke zu finden.«31 Vom Jahrmarktgetümmel und Bildermärkten war die Rede.32 Als Widerstand begannen Künstler*innen wie Gustave Courbet oder unabhängige Künstlergruppen wie die Impressionisten bis hin zu den Nabis eigene Ausstellungen zu organisieren und sich damit aus der »Diktatur der Salons« und dem akademischen Anpassungszwang zu befreien.33 Sie wollten eine angemessene Wirkung der Skulpturen und Gemälde zurückzugewinnen und damit dem Verlust der Aura entgegenzuwirken. Auch wenn sie die Hängepraxis der Salons übernahmen, gelang es ihnen, ihre eigenen, unabhängigen künstlerischen Positionen zu präsentieren. Allmählich befreite sich das Ausstellungswesen aus dem »Staats- und Akademiemonopol« und Kunstschaffende begannen ihre eigenen Schauen zu gestalten.34 Es bildeten sich Kunstgenossenschaften und Kunstvereine heraus, die neben der Etablierung von Kunstkritik und dem Kunsthandel, der Kunst der Gegenwart zur öffentlichen Wertstellung verhalfen.35
2.1.2 Die Weltaustellungen bis hin zur ersten Kunstbiennale Mit der Gründung der Weltausstellungen nahm das Ausstellungswesen einen alle Dimensionen sprengenden Maßstab an, die mit den regional oder national organisierten Gewerbeschauen nicht zu vergleichen waren.36 Das gewerbliche Ausstellungswesen expandierte zunehmend im Spiegel der industriellen Revo-
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ROSENHAGEN, H: Die Zukunft der Kunstausstellungen«, in: Die Kunst für alle, Bd. 11, 1905, S. 354–361. HEGEWISCH 1991, S. 9f. Courbet ließ 1855 einen Pavillon für seine erste, unabhängige »Realismus«-Ausstellung errichten; 1874 fand eine Gruppenpräsentation der Impressionisten, unter der Leitung Monets statt. Vgl. TEISSL, Verena: Kulturveranstaltung Festival. Formate, Entstehung und Potenziale, Bielefeld 2013, S. 41. Vgl. MAI 2002, S. 64. In Europa und den USA fanden zwischen dem Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts 17 Weltausstellungen statt.
II DIE KUNSTAUSSTELLUNG
lution37 . Die erste industriell-wirtschaftlich orientierte Great Exhibition38 in London (1851), für dessen Verkaufsausstellungszweck erstmals ein Gebäude, ein Glaspalast, konstruiert und errichtet wurde, diente dem internationalen Vergleich und zur Selbstdarstellung der Kolonial- und Industrienationen.39 Zu sehen war eine Ansammlung von heterogenen Objekten, von handwerklichen Produkten, massenerzeugten Gütern, Bodenschätzen bis hin zu Maschinen als industrielle Errungenschaften und Kunstwerke wie Gemälde oder Skulpturen. Kunst, Industrie und Technik wurden gemeinsam ausgestellt.40 Es war eine Mischung aus »technischen Neuerungen, künstlerischer Gestaltung, Völkerschauen, Kunsthandwerk und anderen ›Kuriositäten‹«.41 Mit ihnen als Repräsentationsobjekte stellten die 28 teilnehmenden Nationen nicht nur ihren industriellen Fortschritt dar. Die Exposition vermittelte in ihrer Gesamtheit eine westlich dominierte Sicht auf die Welt und insbesondere auf die außereuropäischen Völker als rückständig betrachtete Kulturen. So wurde auch nicht davor zurückgewichen, Menschen auszustellen, die in eigens für die Weltschau errichteten Dörfern und Lagern die kulturelle Fremdheit präsentieren sollten, indem sie Sitten und rituelle Bräuche wie Volkstänze oder Alltagshandlungen vorführten.42 Die Great Exhibition galt dem Überblick des weltlichen Entwicklungsstandes. Zielpublikum waren Industrielle, Großhändler und das Bürgertum.43 Als Nebenveranstaltungen der Weltausstellungen etablierten sich international ausgerichtete Kunstausstellungen, wie bspw. 1886 und 1888 im Glaspalast in München. Es waren riesige Ausstellungen, in denen Tausende von käuflichen Bildern gezeigt wurden. Auch diese Schauen unterstanden dem internationalen Wettbewerb, bei dem Prämierung und der Verkauf von zeitgenössischer Kunst der konkurrierenden Nationalstaaten das Ziel war. Die teilnehmenden Künstler*innen, zuvor von einem nationalen Komitee ausgewählt, präsentierten ihr jeweiliges Land und standen als Beispiel für eine nationale Schule, künstlerische Tradition oder Strömung.44 Aus dieser 37 38 39 40 41 42 43 44
Beginn in England um 1780. 11.-15. Oktober im Hyde Park in London. Vgl. TE HEESEN 2012, S. 77. Vgl. ebd, S. 86. Im Münchner Glaspalast z.B. wurde 1854 zeitgenössische Kunst neben anderen Produkten ausgestellt. TEISSL 2013, S. 29. Vgl. TE HEESEN 2012, S. 81. Vgl. TEISSL 2013, S. 33. Vgl. ALTHUSER 2008, S. 12.
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Situation heraus entstand durch erneuten Widerstand der Künstler*innen die internationale Biennale. Initiiert von Maler*innen und Schriftsteller*innen, die mit ihrer Positionierung am Kunstmarkt unzufrieden waren, fand 1895 die erste Weltausstellung für Kunst als Esposizione Biennale, heute Biennale di Venezia, statt.45 Zeitgenössische Kunst wurde dem Publikum zur Schau gestellt und die Veranstaltung entwickelte sich zu einer erfolgreichen, zudem diskursbildenden Verkaufsausstellung.46 Ein fachlicher Diskurs entzündete sich insbesondere durch Giacomo Grossos sozialkritisches Gemälde Il supremo convegno, das als Dauerskandal weltweit mediales Aufsehen erregte. Die Umstände der Biennale, von internationalen und im Austausch stehenden, experimentierfreudigen Künstler*innen unabhängig organisiert, lokalisiert im eher provinziellen Venedig und damit entfernt von den monarchisch kontrollierten Hauptstädten47 , förderten den Erfolg der Biennale, wie Robert Fleck auf den Punkt bringt.48 So wie die Weltausstellung für die Industrie- und Kolonialmächte des 19. Jahrhunderts ein paradigmatisches Zeichen der inneren Nationenbildung war, konstruierte auch die Kunstbiennale lokale, nationale und globale Identitäten, sodass dann im Laufe der Jahre für die Kunstsparten zeitgenössische Musik (1930), Film (1932), Theater (1934), Architektur (1980) und Tanz eigene Biennale-Festivals eingeführt wurden. Die Tanzbiennale gründete sich allerdings erst 1998. Wie anfangs betont, ist das Medium Ausstellung mit dem Kunstmuseum trotz unterschiedlicher Entstehungsprozesse eng verwoben. Doch was vereint die beiden Konzepte nun als Erfindungen der Moderne49 oder was unterscheidet sie?
2.2 Museum und Ausstellung Das Museum steht der ephemeren Ausstellung kontrastreich gegenüber. Die Ausstellung verkörpert eine zeitlich begrenzte Realisierung einer Zusammenstellung verfügbarer zeitgenössischer (Kunst-)Objekte. Im Gegenteil dazu ist 45 46 47 48 49
Vgl. TEISSL 2013, S. 36. Bis 1968 war es eine Verkaufsausstellung. Die intern. Kunstausstellungen in München (1886 u. 1888) wurden monarchisch kontrolliert. Vgl. FLECK 2012, S. 38. Vgl. LOCHER, S. 50. Siehe dazu u.a. HANTELMANN/MEISTER 2010, BENNETT 2010 und SCHÄRER 2003, S. 97.
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Situation heraus entstand durch erneuten Widerstand der Künstler*innen die internationale Biennale. Initiiert von Maler*innen und Schriftsteller*innen, die mit ihrer Positionierung am Kunstmarkt unzufrieden waren, fand 1895 die erste Weltausstellung für Kunst als Esposizione Biennale, heute Biennale di Venezia, statt.45 Zeitgenössische Kunst wurde dem Publikum zur Schau gestellt und die Veranstaltung entwickelte sich zu einer erfolgreichen, zudem diskursbildenden Verkaufsausstellung.46 Ein fachlicher Diskurs entzündete sich insbesondere durch Giacomo Grossos sozialkritisches Gemälde Il supremo convegno, das als Dauerskandal weltweit mediales Aufsehen erregte. Die Umstände der Biennale, von internationalen und im Austausch stehenden, experimentierfreudigen Künstler*innen unabhängig organisiert, lokalisiert im eher provinziellen Venedig und damit entfernt von den monarchisch kontrollierten Hauptstädten47 , förderten den Erfolg der Biennale, wie Robert Fleck auf den Punkt bringt.48 So wie die Weltausstellung für die Industrie- und Kolonialmächte des 19. Jahrhunderts ein paradigmatisches Zeichen der inneren Nationenbildung war, konstruierte auch die Kunstbiennale lokale, nationale und globale Identitäten, sodass dann im Laufe der Jahre für die Kunstsparten zeitgenössische Musik (1930), Film (1932), Theater (1934), Architektur (1980) und Tanz eigene Biennale-Festivals eingeführt wurden. Die Tanzbiennale gründete sich allerdings erst 1998. Wie anfangs betont, ist das Medium Ausstellung mit dem Kunstmuseum trotz unterschiedlicher Entstehungsprozesse eng verwoben. Doch was vereint die beiden Konzepte nun als Erfindungen der Moderne49 oder was unterscheidet sie?
2.2 Museum und Ausstellung Das Museum steht der ephemeren Ausstellung kontrastreich gegenüber. Die Ausstellung verkörpert eine zeitlich begrenzte Realisierung einer Zusammenstellung verfügbarer zeitgenössischer (Kunst-)Objekte. Im Gegenteil dazu ist 45 46 47 48 49
Vgl. TEISSL 2013, S. 36. Bis 1968 war es eine Verkaufsausstellung. Die intern. Kunstausstellungen in München (1886 u. 1888) wurden monarchisch kontrolliert. Vgl. FLECK 2012, S. 38. Vgl. LOCHER, S. 50. Siehe dazu u.a. HANTELMANN/MEISTER 2010, BENNETT 2010 und SCHÄRER 2003, S. 97.
II DIE KUNSTAUSSTELLUNG
das Kunstmuseum mit seiner Verortung in einem Gebäude und seinem überzeitlichen Inhalt auf Dauerhaftigkeit und Beständigkeit angelegt. Es wird im modernen Sinne als Ort der Repräsentation verstanden, der den Besucher*innen anhand der umfassenden Sammlung Vergangenes oder vielmehr inventarisierte Geschichte vor Augen führt und sich um eine kanonische Vermittlung der bildenden Kunst bemüht.50 Wen oder was es repräsentiert, ändert sich über die Jahrhunderte hinweg kontinuierlich. Eine Sammlung entsteht durch den aktiven Akt des Sammelns, womit das Prozesshafte in den Vordergrund rückt. Es handelt sich um eine Ansammlung und zugleich eine Zusammenstellung von Artefakten, etwa thematisch, geografisch oder chronologisch sortiert und archiviert. Die Deponierung dieser Objekte beachtet die Betrachter*innen als Rezipient*innen zunächst nicht. Erst in der musealen Präsentation der Sammlung erlangt dieser Aspekt an Bedeutung.51 Die Ausstellung hingegen, von Ekkehard Mai als »Kind der Gegenwart«52 bezeichnet, ist Ausdruck einer lebendigen Welt der Zeitgenoss*innen und zunächst ortlos. Sie findet somit in unterschiedlichsten Mehrzweckräumen statt. Doch schon Ende des 19. Jahrhunderts werden auch für Ausstellungen erste Architekturen konzipiert und erbaut. Als eines der frühesten Beispiele gilt die Kunsthalle Basel, die 1872 als Ort für aktuelle Kunst eingeweiht wurde.53 Erst später und damit verzögert, zieht die zeitgenössische Kunst auch in die Museen ein, für die lange nur die Werke verstorbener Künstler*innen als präsentationswürdig galten. Was Ausstellung und Museum im Zuge des fortschreitenden Industriezeitalters vereint, ist der Fokus auf das materielle, produzierte Objekt sowie seine »Hervorhebung und Wertschätzung«54 . Das Museum als »Werttempel« und die Weltausstellung als »Weltkaufhaus« vereint die Idee, die »Welt als Inbegriff von Werten« aufzufassen und diese anhand von »Wertobjekten der menschlichen Kultur« darzustellen, zu präsentieren und der »kollektiven Wertschätzung« auszusetzen, so in Worten Peter Sloterdijks.55 Auch für den Philosophen sind die »aktualisierende Ausstellung« und das »historisierende Museum« zwei unterschiedliche, neue kulturelle Phänomene, die aus der »kapitalistischen Kulturrevolution« und der damit einhergehenden »Synchronisierung
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Vgl. TE HEESEN 2012, S. 76. Vgl. TE HEESEN 2013, S. 45. MAI 2002, S. 64. Siehe: https://www.kunsthallebasel.ch/institution/geschichte/ (1.09.2021). Vgl. TE HEESEN 2012, S. 78. Vgl. SLOTERDIJK1990, S. 197.
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der Welt« als Folgen hervorgegangen sind.56 Die Präsentation von »Wertwelten« durch Ausstellung und Museum setzt sich laut Sloterdijk einflussreich durch. An diesem Punkt soll nicht nur ihre Durchsetzung, sondern die Annäherung und damit ihre Vereinigung in Form der musealen Ausstellungspräsentation in den Mittelpunkt gestellt werden.57 Das Kunstmuseum war ursprünglich ein Ort der bildenden Kunst und somit für materielle Kunstwerke reserviert. Neben dem Sammeln, Bewahren und Forschen übernahm es im 19. Jahrhundert die Form der öffentlichen Ausstellung als ein »neues Ritual der Kunstrezeption«. Damit richtete sich das Museum nicht wie in einem Konzert oder einem Theaterstück an ein kollektives Publikum, sondern »explizit an das Individuum« und konzipierte mit der Ausstellung die »Erfahrung des Kunstwerks als vereinzelte Begegnung«.58 Zwar sind noch starke Ähnlichkeiten in der Zurschaustellung von Museumsobjekten mit Anordnungen von Handelsprodukten bspw. in Warenhäusern zu erkennen, doch ist die Möglichkeit der Betrachtung eines einzelnen Exponats an diesem Ort zentral.59 Im Museum sollte die Kunstkontemplation und die Auseinandersetzung mit den Kunstwerken im Vordergrund stehen, und nicht die vergleichende Anschauung vieler (Kunst-)Produkte, wie das in Ladenzeilen oder bei den Weltausstellungen (und auch bei den Salonausstellungen) der Fall ist. Denn diese bieten in ihrer räumlichen und zeitlich festgelegten Anordnung vornehmlich den massenhaften Vergleich des dargelegten Angebots an.60 So bestätigt auch der offizielle Amtsbericht zur Wiener Weltausstellung von 1873, dass es sich um eine Überblicksdarstellung der Gesamtentwicklung von Industrie- und Kunstproduktion handelt und »Kunstgenuß [sic!]« überhaupt nicht »Zweck und Ziel der Ausstellungen« sei.61 Zeugenberichte der Weltausstellungen sprechen vom »Ein56
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Ebd., S. 196f. »Die Ausstellbarkeit der Welt hängt in beiden Fällen unmittelbar an der Verwertung von Werten. »Welt« überhaupt wird hier schon als Inbegriff von Leistungen, Werken und Werten aus menschlicher Arbeit aufgefasst, und deren Vorzeigung oder Sichtbarmachung setzt voraus, dass ein Publikum von werthungrigen Aneignungswilligen bereit ist, sich diesen Objekten anerkennend zuzuwenden.« S. 197. So beschreibt auch Te Heesen eine Annäherung der beiden Präsentationsweisen und betont dazu, dass das Museum aus der Ausstellung speise, vgl. TE HEESEN 2012, S. 74. Das Format spiegelt die Grundideen der »westlich demokratischen Marktgesellschaften«, die sich auf Individualisierung fokussierten, wider. Vgl. HANTELMANN/MEISTER 2010, S. 8 und S. 10. Siehe auch HANTELMANN 2011, S. 177–192. Vgl. HANTELMANN 2011, S. 182. Siehe auch: KLONK 2009. Vgl. TE HEESEN 2012, S. 79. »Kunstgenuß […] ist überhaupt nicht Zweck und Ziel der Ausstellungen. Wie die Maschinen und die Producte [sich!] des Gewerbefleisses hier nicht ihre endgültige Wirk-
II DIE KUNSTAUSSTELLUNG
druck des Beliebigen«62 und zugleich vom Gefühl des Unüberschaubaren, von dem man als Mensch allein im Gedränge erschlagen wird. So beschreibt Gustave Flaubert seinen Besuch der 1867 stattgefundenen Exposition universelle de Paris wie folgt: »Ich war zweimal in der Ausstellung; man wird davon erschlagen. Es gibt dort großartige und höchst merkwürdige Dinge. Doch der Mensch ist nicht geschaffen, um das Unendliche zu verdauen. Man müßte [sic!] sämtliche Wissenschaften und sämtliche Künste kennen, um sich für alles zu interessieren, was es auf dem Champ de Mars zu sehen gibt. Gleichviel, wenn jemand drei ganze Monate Zeit hätte und jeden Morgen hinginge und sich Notizen machte, würde er sich später eine Menge Lektüre und viele Reisen ersparen.«63 Flaubert empfand seine Besuche der Weltexposition wie eine Entdeckungstour, fast einer Expedition ähnelnd, die diverses Wissen anbietet und selbst das Reisen ersetzen könne.64 Der Unterhaltungsfaktor und das Gefühl, etwas Großartiges zu erleben, sticht auch in Sigmund Freuds Bericht über seine Erfahrung in der Wiener Weltausstellung (1873) hervor: »In der Ausstellung war ich bereits zweimal. […] Es ist im Ganzen ein Schaustück für die geistreiche, schönselige und gedankenlose Welt, die sie auch zumeist besucht. […] Es ist unterhaltend und zerstreuend. Man kann dort auch prächtig allein sein in dem Getümmel.«65 Diese Berichte liefern nicht nur einen Einblick in die damaligen messeartigen Weltausstellungen, sondern beweisen zugleich den Einfluss der Darbietungs-
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samkeit entfalten, sondern nur als Proben dienen, um darnach [sic!] den Stand und den Fortschritt der verschiedenen Industriezweige zu beurtheilen, so sind auch die Bildwerke nicht ausgestellt, um einzeln genossen zu werden, sondern um an ihrer Gesamtheit erkennen zu lassen, in welcher Strömung sich die gegenwärtige Kunst bewege, welche Richtungen in ihr vorherrschen.« VIEWEG (Hg.): Amtlicher Bericht über die Wiener Weltausstellung im Jahre 1873, Centralkommission des Deutschen Reiches, Bd. 1, Braunschweig 1874/1877, S. 107f. Lothar Bucher zitiert nach KRETSCHMER, Winfried: Geschichte der Weltausstellungen, Frankfurt a.M. 1999, S. 40. Zitiert nach TE HEESEN 2012, S. 77. Vgl. ebd. Zitiert nach TE HEESEN 2012, S. 78.
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weise von Objekten auf die Erfahrung und Wahrnehmung der Besucher*innen. Präsentationsweise und Vermittlungsziele von Museum und Ausstellung wichen stark voneinander ab. Die Museen waren nicht von Anbeginn für alle Bevölkerungsschichten zugänglich. Sie kontrollierten ihre Besucher*innen durch restriktiven Einlass oder verweigerten der Arbeiterklasse den Zugang völlig. Ihre Befürchtung war unpassendes Benehmen und zu erwartende Betrunkenheit, so wie Tony Bennett in seinem Buch »The Birth of the Museum« am Beispiel von Institutionen in England herausarbeitete.66 Diese Begründung als Ausschlusskriterium hielt sich noch bis ins 19. Jahrhundert hinein, solange bis sie dem Modell der Weltausstellungen folgten, die hinsichtlich einer uneingeschränkten Zugänglichkeit als Vorreiter gelten. Sie regulierten die undifferenzierten Menschenmassen durch gestaffelte Eintrittsgelder und konnten sie damit kontrollieren.67 »[…] the exhibition transformed the many headed mob into an ordered crowd, a part of the spectacle and a sight of pleasure in itself«68 , so Tony Bennett zum Phänomen der Weltausstellung. Die breite, uneingeschränkte Öffentlichkeit wurde nun auch vom Museumswesen willkommen geheißen. Das Museum war Ausdruck gesellschaftlichen Wandels und die Ausstellung als museale Präsentation wurde zum »Emblem des modernen, bürgerlichen Staates«69 . Sie entwickelte sich zu einer Objektschau der westlich demokratischen Marktgesellschaft, in der materielle Exponate einem Betrachtersubjekt gegenüberstellt und mit ihm in Beziehung gesetzt werden. Das heißt, dass der individualisierte Bürger oder die Bürgerin dem einzelnen Objekt idealerweise in kontemplativer, vereinzelter Vertiefung gegenübertritt.70 Die Museen und Ausstellungen waren »Orte der Bedeutungsproduktion, der ästhetischen Erfahrung und der (Selbst-)Reflexion«71 . Wie schon oben thematisiert, bildeten sich um die Jahrhundertwende von bürgerlichen Museen und Großausstellungen unabhängige Künstlergruppierungen als protesthafte Reaktion auf die Krise der Salons. Diese Sezessionen
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Vgl. BENNETT, Tony: The Exhibitionary Complex, in: FERGUSON/GREENBERG/ NAIRNE 1996, S. 93. An den Wochentagen gab es unterschiedliche Eintrittspreise. BENNETT 1996, S. 94. HANTELMANN/MEISTER 2010, S. 8. Vgl. HANTELMANN/MEISTER 2010, S. 10f. HANTELMANN 2012, S. 10f.
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vereinte die Abneigung gegen Großausstellungen und ihre verweigernde Haltung gegenüber dem allgemeinen Kunstbetrieb, bei denen die Masse vor der Qualität stand und das als Erfolgskriterium bewertete Kunsturteil in den Händen der Öffentlichkeit und der Kunstkritik lag.72 Als Versuch gegen die Missstände der Kunst, des Marktes und des Publikums anzugehen, entwarfen sie eigene Ausstellungen.73 Zudem brachen sie mit den zu dieser Zeit üblichen Anordnungsprinzipien von Kunstwerken in Expositionen:74 Die Art und Weise der Sezessions-Ausstellungsgestaltung entwickelte sich zu einer »puristischen« und anstelle der dichten, mehrreihigen barocken Bilderwand trat eine »einzel- und gruppenästhetische Hängung und Aufstellung«, die den Raumeindruck bestimmte.75 Im Gegenzug zu den Großausstellungen waren diese Kunstexpositionen von kleinerem, dafür aber qualitativeren Format, das die Aura des einzelnen Kunstwerks durch eine sparsame Hängung aufleben ließ und die kontemplative Vertiefung in die Kunst wieder ermöglichte. Die von den Avantgarden entwickelte Ausstellungstechnik – nach dem Motto weniger ist mehr – begann sich in den späten 1920er Jahren allmählich in die Museen zu übertragen und wurde im Laufe des Jahrhunderts von vielen Kunstinstitutionen übernommen.76 Der vermeintlich neutrale Rahmen für die Kunst beeinflusste den modernen Museumsbau richtungsweisend und dominierte als Präsentationsformat der Museen, Ausstellungshäuser und kommerziellen Galerien bis ins 21. Jahrhundert hinein.77
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Vgl. ROSENHAGEN 1905, S. 354–361. Vgl. MAI 1991, S. 24f: »Die Welle von Sezessionen zur Rehabilitierung von Werk und Künstler im Banne einer neuen Ästhetik von Kunst und Leben als Erlebnis einer Einheit, als Inbegriff einer Kultur des Ganzen und Zusammengehörigen brach denn auch in den 90er Jahren los, um sich dann, verbunden mit der Stilkunstbewegung, um 1900 europaweit mit Macht zu verbreiten.« Als Beispiel ging die Münchner Sezession voran und als Höhepunkt nach dem Motto »Die Kunst um der Kunst willen« gilt die Beethoven-Ausstellung von Klimt und Klinger in Wien, 1902, bekannt als 14. Ausstellung der Wiener Secession. Sie repräsentiert die Kunst der Ausstellung als Gesamtkunstwerk, vgl. MAI 1991, S. 25. MAI 2002, S. 67. Vgl. HEGEWISCH 1991, S. 12. Vgl. KLONK 2009, S. 196. Die Bauten des 19. Jahrhunderts wurden als unpassend für die Besichtigung der Kunst erachtet. Architekten konzipierten neue moderne Museen, um ideelle Bedingungen für die Kunstbetrachtung und -begegnung zu erschaffen.
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2.2.1 Der White Cube »A gallery is constructed along laws as rigorous as those for building a medieval church. The outside world must not come in, so windows are usually sealed off. Walls are painted white. The ceiling becomes the source of light. The wooden floor is polished so that you click along clinically, or carpeted so that you pad soundlessly, resting the feet while the eyes have [sic!] at the wall. The art is free, as the saying used to go, ›to take on its own life‹ […] Art exists in a kind of eternity of display, and though there is lots of ›period‹ (late modern), there is no time.«78 Diese Beschreibung stammt aus Brian O’Dohertys bekannter dreiteiliger Artikelreihe »Inside the White Cube«79 , die 1976 in der Zeitschrift Artforum veröffentlicht wurde, zu einer Zeit, als sich der White Cube als Präsentationskonzept noch nicht überall durchgesetzt hatte. So verdankt das Ausstellungsformat seinen Namen dem amerikanisch-irischen Künstler und Kritiker, der die erste kunstwissenschaftliche Abhandlung über den sich zum Standard etablierenden modernen Museumsraum verfasste und den Begriff des White Cube einführte. Der weiße Ausstellungsraum bot die scheinbar neutrale und damit ideale Rahmung für die Kunst, der zugleich auratisierend und ideologisch wirkt. O’Doherty konstatierte den White Cube als »Ort der Transformation von Objekten in Kunstwerke«80 . Die Bezeichnung der »weißen Zelle«81 benutzte O’Doherty im Zusammenhang mit seiner Kritik an den Kunstmuseen eher im übertragenen Sinne: Er missbilligte das Selbstverständnis der Museen, sich als von der Alltagswelt abgegrenzte heilige Tempel der Kunstkontemplation zu verstehen und damit zu vermarkten. In der weißen Zelle weicht die Objektfülle, die in bürgerlichen Museen der industrialisierten Gesellschaft üblich war, dem autonomen Werk, sodass die
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O’DOHERTY, Brian: Inside the White Cube: The Ideology of the Gallery Space, Berkely 1999, S. 15. O’DOHERTY, Brian: Inside the White Cube, in: Artforum, New York, Nr. 7, März 1976, Nr. 8, April 1976; Nr. 9, Nov. 1976. 1981 erfolgte mit dem Essay »Die Galerie als Gestus« eine Ergänzung der Abhandlung. 1986 erschien die erste englische Gesamtveröffentlichung des Essays. BÄTSCHMANN, Oskar: Ausstellung, in: JORDAN, Stefan/MÜLLER, Jürgen: Lexikon der Kunstwissenschaft, Stuttgart 2012, S. 63. Übersetzung nach KEMP 1996.
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Subjektivierung der Kunsterfahrung verstärkt ins Zentrum rückt.82 Der ideale White Cube der modernistischen Architektur sollte die Kunstwerke in einem rechtwinkligen, bis auf die Kunstobjekte leeren, fensterlosen Raum mit neutralem weißen Farbanstrich abgeschirmt und isoliert von der Außenwelt präsentieren, um die Kunstbetrachter*innen aus der Alltagswelt zu entrücken.83 Das Museum of Modern Art (MoMA) in New York wird international als historischer Referenzpunkt für den White Cube angesehen. Als institutioneller Initiator gilt allgemein der Gründungsdirektor des MoMA Alfred H. Barr, der das Museum als architektonische weiße Zelle errichten ließ.84 Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass der White Cube und die primär mit ihm verbundene paradigmatische weiße Wand unterschiedliche Ursprünge aufweisen, die schon lange vor der Eröffnung des MoMA entstanden sind.85 Das Experimentieren mit Ausstellungsdisplays und Sammlungshängungen oder Arrangements86 zieht sich durch die gesamte Historie, sodass das MoMA als White Cube eher als Höhepunkt zu verstehen ist, das alle vorherigen Tendenzen in seiner Präsentationsstrategie zusammenfügt. Alfred H. Barrs Ausstellung Cubism and Abstract Art, die 1936 zwar noch nicht im neu errichteten modernen MoMA-Museumsbau87 , sondern in den Räumen des Heckscher Buildings an der Fifth Avenue im zwölften Stock stattfand, wurde dennoch schon im Sinne des White Cube-Konzepts gestaltet: weiß gestrichene Wände, Holzboden, eine gleichmäßige Tagesbeleuchtung, keine zusätzlichen Ornamente oder Dekorationen, wenige Exponate an der kahlen Wand 82 83 84 85
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Vgl. HANTELMANN 2012, S. 17. JASCHKE, Beatrice: White Cube, in: ARGE Schnittpunkt (Hg.): Handbuch für Ausstellungstheorie und –praxis, Wien/Köln/Weimar 2013, S. 197. Siehe auch Kapitel 3.2, das mehr Auskunft über die Gründung des MoMA gibt. Hierzu siehe: GRASSKAMP, Walter: Die weiße Ausstellungswand – Zur Vorgeschichte des »white cube«, in: EIGENHEER, Marianne/RICHTER, Dorothee/DRABBLE, Barnaby (Hg.): Curating Critique, Frankfurt a.M. 2007, S. 340–365. Kunsthistoriker Walter Grasskamp stellt überzeugend dar, dass der White Cube eigentlich eine deutsche bzw. österreichische Erfindung sei. Denn die Bestrebungen und Errungenschaften der Sezessionsbewegungen, des Bauhauses und der deutschen Museumsreformer seien hier nicht zu unterschätzen. Vgl. GRASSKAMP 2007, S. 347. So experimentierte z.B. die National Gallery Mitte des 18. Jahrhunderts mit der Hängung. Das neu errichtete Gebäude wurde 1939 bezogen. Im Inneren wurden kleine Galerieräume eingerichtet, die den Fokus auf die Kunstwerke lenken sollten. Vgl. CAIN, Abigail: How the White Cube Came to Dominate the Art World, 2017, https://www.arts y.net/article/artsy-editorial-white-cube-dominate-art (12.10.2021).
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hängend oder im leer wirkenden Raum einzeln platziert und das Arrangement der Werke kunsthistorisch geordnet (Abb. 2). Letztendlich wirkte die Eröffnungsausstellung 1939 im MoMA katalytisch und trug erheblich zur Verbreitung des White Cubes bei. Die Ausstellungsstrategie, die Kunst in farbneutralen Räumen zu zeigen und dem einzelnen Kunstwerk ausreichend Platz als Wirkungsraum zu schenken, entwickelt sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Laufe der Jahrzehnte zum internationalen Standard.88
Abb. 2: Installationsansicht der Ausstellung Cubism and Abstract Art, 2. März-19. April 1936, New York, Museum of Modern Art.
Auch wenn der White Cube als standardisierte Kunstpräsentationsform dominierte, wurde er als pseudo-objektive, also nicht wertfreie Rahmung für Kunst, und damit (nicht nur von O’Doherty) als autoritäre und ideologisch geprägte »Geste des Zeigens«89 kritisiert. Eine museale Repräsentation kann niemals eine neutrale Geste des Zeigens sein, da, wie es Sabine Offe formuliert,
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Auch andere Museen wie bspw. das Harvard Art Museum and the Wadsworth Atheneum nutzten in den frühen 1930er Jahren das Konzept des White Cube, doch durch die Aufmerksamkeit, die das MoMA erlangte, etablierte es sich als moderner Standard. Vgl. RICHTER; Dorothee: A Brief Outline of The History of Exhibition Making, in: 1, 2 ,3 --- Thinking About Exhibitions, OnCurating.org, https://www.on-curating.org/iss ue-6.html, Bd. 06/10, S. 28–37, hier S. 33. MUTTENTHALER, Roswitha/WONISCH, Regina: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld 2015; Vgl. RICHTER 2008, S. 192–201.
II DIE KUNSTAUSSTELLUNG
grundsätzlich »Deutungsabsichten von Ausstellenden, Bedeutungen des Ausgestellten und Bedeutungsvermutungen der Rezipierenden«90 eine Rolle spielen, die sich durch die Ausstellung direkt oder indirekt ausdrücken. Auch die durch den White Cube evozierte auratische Erhöhung des Kunstobjekts, das Museum und sein Selbstverständnis als sakraler Kunstort standen zur Debatte. Institutionskritische Kunstpraxen reagierten, indem sie begannen, mit solchen Orten anders umzugehen, einzugreifen und mit Experimenten gegen deren Ordnungen zu intervenieren.91 Trotz aller Kritik ist diese Art der architektonisch-räumlichen Rahmung gegenwärtig noch immer in den Museen und Galerien zu sehen, zumindest als zentrale Bezugsgröße hält sie bis heute ihre Wirkung aufrecht. Doch in der reinen Form wie O’Doherty die weiße Zelle 1967 beschrieb, gab und gibt es sie nicht. Er konzipierte ein utopisches Idealbild des perfekten Ausstellungsraumes. Und der White Cube nach O’Doherty existiert »nur« in vielfältigen Abwandlungen.92 Die Kunsthistorikerin Dorothea von Hantelmann bewertet die Ausbildung unserer Ausstellungskultur als eine zweihundertjährige Erfolgsgeschichte und impliziert damit zugleich einen kontinuierlichen Transformationsprozess, der sich zudem an diesem historischen Rückblick über die Entwicklung der Ausstellung gut ablesen lässt.93 Die Ausstellung spiegelt als Kulturritual ökonomische, soziale und politische Zustände unserer westlichen Gesellschaft wider, die sich fortschreitend verändern.94 Dementsprechend ist es für ein Ritual des Zeigens unabdingbar, sich an die gegebenen Umstände bzw. den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen immer wieder neu anzupassen und zu erneuern, um seine Wirksamkeit aufrecht zu erhalten. Damit wird noch einmal deutlich, dass die Ausstellung als kulturelles Medium in Abhängigkeit zu
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OFFE, Sabine: Ausstellungen, Einstellungen, Entstellungen. Jüdische Museen in Deutschland und Österreich (Studien zur Geistesgeschichte, Bd. 27), Berlin 2000, S. 62. Vgl. GRASSKAMP 2007; STEYERL, Hito: White Cube und Black Box, Die Farbenmetaphysik des Kunstbegriffs, in: EGGERS, Maureen Maisha/KILOMBA, Grada/PIESCHE, Peggy et al. (Hg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster 2006, S. 135–141. Vgl. KLONK 2009, S. 218. HANTELMANN 2012, S. 10. Vgl. HANTELMANN, Dorothea von: What is the new ritual space for the 21. Century? (2018), https://theshed.org/program/series/2-a-prelude-to-the-shed/new-ritual -space-21st-century (11.12.2021) und DIES. 2011 sowie 2012.
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gesellschaftlichen Entwicklungen steht. So ist das entstandene Ausstellungskonzept des White Cube in Worten von Hantelmann eine »Anpassungsleistung« an die Marktgesellschaft des 20. Jahrhunderts auf dem Weg zu einer entstehenden Konsumgesellschaft, in der sich allmählich der »Fokus vom produzierten Objekt zum konsumierenden Subjekt« verschiebt.95 Im ausgehenden 20. Jahrhundert transformiert sich unsere westliche Gesellschaft von einer des Mangels zu einer des Überflusses, was von Wissenschaftlern wie Kultursoziologe Gerhard Schulze als gegenwärtige Erlebnisgesellschaft verstanden wird.96 Bei vielen Bürger*innen des Westens sind die materiellen Bedürfnisse weitgehend abgedeckt, sodass eigene subjektbezogene Wünsche und Ansprüche, insbesondere von immaterieller Art in den Vordergrund rücken.97 In einer Welt vielfältigster Möglichkeiten befragen wir uns subjektzentriert: »Was will ich und wo bekomme ich es?«98 Zwar ist diese Art der Gesellschaft immer noch – so wie es seit dem 19. Jahrhundert der Fall ist – produktivistisch angelegt, sodass Produktionssteigerung konsequent ein Gesellschaftsziel bleibt, doch geht es in der selbst arrangierten Lebenswelt weniger um die produzierten Dinge selbst als vielmehr um deren Erfahrungs- und Erlebnisgehalt.99 Was bedeutet dieser Wandel nun wiederum für die Ausstellungswelt der Kunst? In diesem Zusammenhang hinterfragt auch Dorothea von Hantelmann, ob der White Cube – ein im 19. Jahrhundert entstandenes Ritual für das objektfokussierte Bürgertum, welches das produzierte Kunstwerk ausstellt und damit ins Zentrum rückt – weiterhin zentrales Ritual der gegenwärtigen, fortgeschrittenen Konsumgesellschaft des 21. Jahrhunderts sein kann. Ist es dem White Cube möglich, Erfahrungen und Prozesse als immaterielle Phänomene auszustellen? Ihre Antwort lautet, dass die Ausstellung als ein »individualisierter, ritualisierter Erfahrungsraum« am meisten Überlebenschancen habe, da sie auf diese Art am ehesten mit der zeitgenössischen Gesellschaft korrespondiere und damit annähernd der Tendenz vom Fokus
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Das bürgerliche Museum und die Ausstellung versteht sie als Wegbereiter der frühen Marktgesellschaft des 19. Jahrhunderts. Vgl. HANTELMANN 2012, S. 17. Vgl. SCHULZE, Gerhard: Die Erlebnis-Gesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a.M./New York 1997 und DERS.: Die beste aller Welten, Frankfurt a.M. 2004. Vgl. HANTELMANN 2012, S. 17. SCHULZE, Gerhard: Was wird aus der Erlebnisgesellschaft?, 2002, http://www.bpb.de /apuz/25682/was-wird-aus-der-erlebnisgesellschaft (14.10.2021). Vgl. HANTELMANN 2012, S. 17, SCHULZE 2002 sowie RIESMAN, David: The Lonely Crowd, New Haven 1950.
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des Objekts zum Subjekt folge.100 Das Beziehungsgeflecht aus Künstler*in, Kunstwerk, Kunstbetrachter*in und Präsentationsort und Kurator*in ordnete sich neu. Und die Ausstellung entwickelte sich zu einem Erfahrungsangebot für die Rezipient*innen.101
2.2.2 Der Raum als »Gegenstand der Inszenierung«102 Mit der performativen Wende der bildenden Künste in den 1960er und 70er Jahren fand eine Verschiebung zur Prozess- und Ereignisästhetik statt, die konsequenterweise ebenso die Ausstellungsgestaltung beeinflusste.103 Durch die Entgrenzung und Performativierung der Kunst wurde der Raum selbst zum »Gegenstand der Inszenierung«104 . Environment- und Installationskünstler*innen entwickelten Wahrnehmungsräume, welche die Rezipient*innen dazu aufforderten, diese in Bewegung zu erkunden, um dadurch die neue Kunst »ganzleiblich«105 zu erfahren. In den 1960er Jahren begannen Künstler*innen der Minimal Art und der italienischen Arte Povera raumgreifende Objekte zu schaffen, mit denen sie Situationen realisierten, die sich auf den Ausstellungsraum ausdehnten, sodass die Betrachter*innen konstitutiv eingebunden wurden. Der Verzicht auf Displayhilfsmittel wie Sockel, Vitrine oder Bilderrahmen unterstützte die Vereinigung von Kunstobjekt, Umgebungsraum und den sich darin bewegenden Rezipient*innen.106 So beschrieb Robert Morris in seiner Schrift »Notes on Sculpture« (1966) die Distanz bzw. den buchstäblichen Raum zwischen Subjekt
100 Vgl. HANTELMANN 2012, S. 18. 101 Vgl. LOCHER 2015, S. 56. 102 GRONAU, Barbara: Ausstellen und Aufführen. Performative Dimensionen zeitgenössische Kunsträume, in: CZIRAK, Adam/FISCHER-Lichte, Erika/JOST, Torsten et al. (Hg.): Die Aufführung. Diskurs – Macht – Analyse, München 2012, S. 35–48, hier S. 39. 103 Siehe Kapitel 3.4.1. 104 Vgl. GRONAU 2012, S. 38. Barbara Gronau weist in ihrem Aufsatz auf die Schnittstellen von Theater und der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts hin und erwähnt die zeitgleiche räumliche Ausdehnung. 105 Zur »ganzleiblichen« Kunsterfahrung siehe: GRAULICH, Gerhard: Die leibliche Selbsterfahrung des Rezipienten – ein Thema transmodernen Kunstwollens (Kunst – Geschichte und Theorie, Bd. 13, zugl. Univ. Diss. Bochum 1988), Essen 1989. 106 Vgl. SCHNEEDE 2 2010, S. 221 und MCGOVERN 2016, S. 29; Zur Bedeutung des Raumes siehe auch: LOERS 1994, S. 25f.
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und Objekt als »erweiterte Situation«, die eine »physische Partizipation« erfordert.107 Zugleich verlange diese räumliche Ausweitung, so folgerte er, eine größere Kontrolle der beteiligten Elemente, die sich nicht mehr nur auf das Objekt begrenzt, sondern den Raum, das Licht und den kinästhetisch teilnehmenden Körper des Betrachters oder der Betrachterin mit einbezieht.108 Die Künstler*innen konzipierten Räume für situationsspezifische Kunsterfahrung, was vom Kunstkritiker Michael Fried 1967 als negativ bewertet wurde.109 Er warf der Minimal Art »Theatralität«110 vor, die durch genau diese Einbindung der körperlichen Präsenz und aktiven Teilnahme der Kunstrezipient*innen erzeugt werden würde, bühnenhaft wirke und damit also die Autonomie des Kunstwerks auflöse.111 Abgesehen von Frieds Kritik führten diese neuen künstlerischen Verfahren der Rauminszenierung zu innovativen Veränderungen in der Ausstellungsgestaltung. Unter dem Begriff der Ausstellung und dem Ausstellen als Tätigkeit begannen sich vielfältigste Vorstellungen, Formate und Ausstellungstypen zu versammeln. Die Ausstellung entwickelte sich zu einem äußerst flexiblen und 107 MORRIS, Robert: Anmerkungen über Skulptur, Teil 2 (1966), in: STEMMRICH, Gregor (Hg.): Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, Dresden/Basel 1995, S. 100–109, hier S. 103. In der englischen Originalschrift bezeichnet Morris es als »extended situation«. Vgl. MORRIS, Robert: Notes on Sculpture 2, in: DERS.: Continuous Project Altered Daily. The Writings of Robert Morris, Cambridge (Mass.)/London 1993, S. 11–22, hier S. 14. 108 Vgl. MORRIS (1966) 1995, S. 108. 109 FRIED, Michael: Art and Objecthood, in: Artforum, 5, Nr. 10, 1967, S. 12–23. Deutsche Übersetzung: DERS.: Kunst und Objekthaftigkeit (1967), in: STEMMRICH 1995, S. 334–374. 110 Zum Begriff der »Theatralität« siehe: LÜTHY, Michael: Theatralität/Theatricality, in: FRANZEN, Brigitte/KÖNIG, Kasper/PLATH, Carina (Hg.): Skulptur Projekte Münster 07, Köln 2007, S. 465f. 111 Vgl. FRIED (1967) 1995, S. 342. Fried bezieht sich in seiner Kritik auf Arbeiten von Robert Morris und Donald Judd. Für die Dimensionen seiner Minimal Sculptures sieht Morris die menschliche Größe als wichtigen Maßstab, denn so wird auf diese Weise doch ein Raum und eine Beziehung zwischen Objekt und Betrachterkörper geschaffen. Überhaupt wird der oder die Betrachter*in erst auf diese Weise konstitutiv für das Kunstwerk. Vgl. MORRIS, Robert: Notes on Sculpture, Part 2, in: BATTCOCK, Gregory (Hg.): Minimal Art. A Critical Anthology, New York 1968, S. 228–235, hier S. 230f und 232. In Bezug auf Morris’ »Notes on Sculpture« konstatiert Fried: »Das Objekt, nicht der Betrachter, muß [sic!] der Mittelpunkt der Situation bleiben; aber die Situation gehört dem Betrachter – es ist seine Situation.« FRIED (1967) 1995, S. 344. Seine Argumentation ist stark von der Position des Kunstkritikers Clement Greenberg beeinflusst.
II DIE KUNSTAUSSTELLUNG
dynamischen Medium, eine Eigenschaft, die der britische Kurator und Kunstkritiker Guy Brett als die »elasticity of exhibitions«112 beschrieb. Sie wurde zu einem Experimentierfeld sowohl aus künstlerischen wie aus kuratorischen Impulsen heraus. Es entstanden Projekte, die Konventionen der gängigen Ausstellungspraxis und der ausgestellten Kunst thematisierten und nachhaltig modifizierten. Mit 9 at Castelli113 (1968) konzipierte Robert Morris bspw. eine 15-tägige Gruppenausstellung, die Kunst nicht wie üblich als statische und im Raum fixierte Objekte präsentierte, sondern künstlerische Arbeiten aus vergänglichen Materialien ausstellte. Der Zustand der Kunstobjekte von Eva Hesse, Bruce Nauman und Richard Serra u.a.114 veränderte sich während der Laufzeit der Ausstellung prozesshaft und wandelte sich von Tag zu Tag. Ungewöhnlich war zudem der Ausstellungsraum, eine Lagerhalle in New York, die sonst von der Galerie Leo Castelli zur Lagerung verwendet wurde. Am selben Ort entstand Morris’ eigenes ephemeres Projekt A Continous Project Altered Daily, eine Rauminstallation aus teils amorphen und schwer formbaren oder zu fixierenden Materialien wie Erde, Wasser, Fett, Plastik und Filz, die sich über die Dauer von drei Wochen kontinuierlich wandelte und vom Künstler täglich verändert wurden.115 Die Entwicklung dokumentierte Morris fotografisch. Der Prozess ersetzte das abgeschlossene Kunstwerk, was mithin eine Aufhebung der Trennung von Werk und dem künstlerischen Schaffensprozess bewirkte. Diese rauminstallative Arbeit fungierte zugleich als eigenständige, vom Künstler selbst gestaltete Ausstellung, die zu bestimmten Besuchszeiten zur Besichtigung geöffnet war. Robert Morris’ künstlerische Projekte stehen
112
113
114 115
BRETT, Guy: Elasticity of Exhibitions, Landmark Exhibitions Issue, Tate Papers. Tate’s Online Research Journal (Dez. 2009), http://www.tate.org.uk/download/file/fid/7262 (15.09.2021). Laufzeit 4.-28.12.1968, Öffnungszeiten von Di. bis Sa. 13–17 Uhr. Mehr über die Ausstellung, siehe: TORRES, Mario García: Nine at Leo Castelli, San Juan, Puerto Rico, 2009, https://hundredyearsof.files.wordpress.com/2010/10/9atleocastelliinterior.pdf (05.09.2018). Zu den weiteren Künstler*innen gehörten u.a.: Giovanni Anselmo, William Bollinger, Stephen Kaltenbach, Alan Saret, Keith Sonnier und Gilberto Zorio. Im Ausstellungskatalog des Guggenheim Museums von 1994 ist diese Arbeit als »Threadwaste« verzeichnet und als Materialien sind »Threadwaste – lubricated packing for the bearings of freight cars, multi-coloured strands of thread and miscellaneous felt pieces, copper tubing, chunks of asphalt« aufgeführt, vgl. Ausst. Kat. New York: Robert Morris. The Mind/Body Problem, hg. von PAICE, Kimberly/ Solomon R. Guggenheim Museum, New York 1994, S. 226.
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hier als Exempel für ein Kunstschaffen, das zum einen zu neuen – oder besser – veränderten Beziehungsgeflechten von Kunst, Künstler*in, Kurator*in, Rezipient*in und Kunstraum führte und zum anderen die bis dahin üblichen Komponenten einer Ausstellung herausforderten. Eines der bekanntesten frühen Beispiele hierfür ist Yves Kleins Ausstellung Le Vide in der Galerie Iris Clert, die 1958 in Paris stattfand.116 Klein inszenierte die Leere, das Nichts als Ausstellung: Die Galerie war leer geräumt und nur eine einzige Vitrine ohne Inhalt stand im Raum. Jannis Kounelli ersetzte 1969 die materiellen Exponate mit zwölf in einer kahlen Galerie stehenden Pferden117 , wodurch er den Raum zum integralen Bestandteil des Kunstwerks werden ließ. Und Robert Barrys Closed Gallery Projekt brach mit der obligatorischen Öffnungszeit einer Ausstellung, denn »During the exhibition the gallery will be closed«.118 Der Gray Room in Italy: The New Domestic Landscape im Museum of Modern Art in New York (1972) war ein leerer Saal, der statt Artefakten ein Beziehungsgefüge aus dem architektonischen Raum, einer Audio-Stimme und den Museumsbesucher*innen ausstellte.119 Das Verhältnis zwischen Exponat und Ausstellung änderte sich, die Kunstbetrachter*innen erhielten durch ihre Involvierung eine konstitutive Rolle und die Künstler*innen agierten als Künstler*innen-Kurator*innen. Zudem konnte die ausgestellte künstlerische Arbeit oder eben das Nicht-Ausgestellte ebenso als eine autonome Ausstellung funktionieren. Ebenso von Kuratoren gestalteten Kunstpräsentationen wie Anti-Illusion: Procedures/Materials des Whitney Museum of American Art von 1969, in der die Materialien wie Eis schmolzen oder Blätter verrotteten, hinterfragten das Medium der Ausstellung.120 Sowohl die künstlerische als auch die kuratorische Praxis konzipierten das Format des Zeigens neu, eine Tendenz, die sich in den 1990er Jahren verstärkte.121 Alle genannten Beispiele brachen mit denen als zuvor unverrückbar angesehenen Ausstellungsparametern, zu denen nicht nur der Ort, die Öffnungszeit und die Exponate zählten. Der Stillstand weicht dynamischen Prozessen und die ausgestellte 116
Siehe: RESTANY, Pierre: Yves Klein »Le Vide«. Die Leere von Yves Klein, Paris, den 28. April 1958, in: HEGEWISCH/KLÜSER 1991, S. 144f. 117 Ohne Titel (Dodici Cavali Vivi) in der Galeria L’Attico Rom. 118 Los Angeles, in der Art&Project Gallery in Amsterdam. 119 Weiteres Beispiel: Vgl. BISMARCK, Beatrice von: Was (uns) verbindet, in: Ausst. Kat. Baden-Baden 2018, S. 171–208, hier S. 171. 120 Auch Lucy R. Lippards Number Shows von 1969 bis 1974 in Kanada und den USA sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen. 121 Vgl. VIEREGG 2008, S. 267ff.
II DIE KUNSTAUSSTELLUNG
Kunst wurde nun beweglich, transformierte sich, war vergänglich, teils sogar lebendig oder verschwand vollständig. Die Besucher*innen traten nicht mehr nur Objekten gegenüber, sondern betraten Erfahrungsräume. Das Zeigen und Exponieren verknüpften sich mit performativen Prozessen, die Interaktion und Teilnahme voraussetzt. Wie schon Michael Fried kritisierte, brachte die Hinwendung der bildenden Kunst zu performativen Strategien theatrale und bühnenhafte Elemente zum Vorschein, die dazu führten, dass nicht mehr nur das Kunstobjekt Fokus der Betrachtung war, sondern dass intersubjektive Beziehungsgeflechte entstanden, und die Kunst an Aufführungscharakter erlangte. Im Zuge der Performativierung rückte das Aufführungshafte in den Vordergrund und die Ausstellung entwickelte sich folglich zum sinnlichen Ereignis.122
2.3 Die Ausstellung und das Ausstellen des 21. Jahrhunderts In diesem Kapitel werden Ausstellungen und eine kuratorische Praxis in den Fokus gerückt, die moderne und zeitgenössische Kunst präsentieren, da im weiteren Verlauf der Arbeit Rückschlüsse auf die Kombination von zeitgenössischem Tanz und dem Ausstellungsformat gezogen werden sollen.
2.3.1 Performative Wahrnehmungs- und Erfahrungsräume Die Ausstellung heute ist, wie Kunsthistoriker Peter J. Schneemann es ausdrückt, vielmehr »der Ort, an dem Kunst stattfindet und sich als Aufführungspraxis definiert.«123 Und Museumsinstitutionen wollen nicht mehr abseits vom Alltag ihrer Besucher*innen stehen, sondern mitten im Leben, als »Teil unserer Alltagswelt«.124 Neue Präsentationsformate setzen bewusst interaktive und performative Elemente ein, da sie die Ausstellung als sinnlichen Wahrnehmungs- und Erfahrungsraum verstehen und neubestimmen.125 Die Ausstellungsgestaltung
122
Siehe hierzu: UMATHUM, Sandra: Kunst als Aufführungserfahrung. Zum Diskurs intersubjektiver Situationen in der zeitgenössischen Ausstellungskunst. Felix GonzalezTorres, Erwin Wurm und Tino Sehgal, Bielefeld 2011. 123 SCHNEEMANN 2015, S. 67. 124 TE HEESEN 2012, S. 15. 125 Vgl. HAMMACHER/JANELLI 2008, S. 46.
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II DIE KUNSTAUSSTELLUNG
Kunst wurde nun beweglich, transformierte sich, war vergänglich, teils sogar lebendig oder verschwand vollständig. Die Besucher*innen traten nicht mehr nur Objekten gegenüber, sondern betraten Erfahrungsräume. Das Zeigen und Exponieren verknüpften sich mit performativen Prozessen, die Interaktion und Teilnahme voraussetzt. Wie schon Michael Fried kritisierte, brachte die Hinwendung der bildenden Kunst zu performativen Strategien theatrale und bühnenhafte Elemente zum Vorschein, die dazu führten, dass nicht mehr nur das Kunstobjekt Fokus der Betrachtung war, sondern dass intersubjektive Beziehungsgeflechte entstanden, und die Kunst an Aufführungscharakter erlangte. Im Zuge der Performativierung rückte das Aufführungshafte in den Vordergrund und die Ausstellung entwickelte sich folglich zum sinnlichen Ereignis.122
2.3 Die Ausstellung und das Ausstellen des 21. Jahrhunderts In diesem Kapitel werden Ausstellungen und eine kuratorische Praxis in den Fokus gerückt, die moderne und zeitgenössische Kunst präsentieren, da im weiteren Verlauf der Arbeit Rückschlüsse auf die Kombination von zeitgenössischem Tanz und dem Ausstellungsformat gezogen werden sollen.
2.3.1 Performative Wahrnehmungs- und Erfahrungsräume Die Ausstellung heute ist, wie Kunsthistoriker Peter J. Schneemann es ausdrückt, vielmehr »der Ort, an dem Kunst stattfindet und sich als Aufführungspraxis definiert.«123 Und Museumsinstitutionen wollen nicht mehr abseits vom Alltag ihrer Besucher*innen stehen, sondern mitten im Leben, als »Teil unserer Alltagswelt«.124 Neue Präsentationsformate setzen bewusst interaktive und performative Elemente ein, da sie die Ausstellung als sinnlichen Wahrnehmungs- und Erfahrungsraum verstehen und neubestimmen.125 Die Ausstellungsgestaltung
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Siehe hierzu: UMATHUM, Sandra: Kunst als Aufführungserfahrung. Zum Diskurs intersubjektiver Situationen in der zeitgenössischen Ausstellungskunst. Felix GonzalezTorres, Erwin Wurm und Tino Sehgal, Bielefeld 2011. 123 SCHNEEMANN 2015, S. 67. 124 TE HEESEN 2012, S. 15. 125 Vgl. HAMMACHER/JANELLI 2008, S. 46.
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des 21. Jahrhunderts wird in Fachkreisen als ›Szenografie‹126 bezeichnet und als ein Inszenieren im Raum verstanden, das nicht nur die Lesart einer Ausstellung beeinflusst, sondern auch Bedeutung und Sinngehalt produziert.127 Diese erneuerte, aus dem Opern- und Theaterbereich übertragene Begriffsverwendung weist auf eine neue Qualität des Ausstellens128 und auf die Verbindung von Bühnen- und Kunstpräsentation hin. Kunstausstellungen nähern sich den Formaten der Bühnenkünste an, wie der Inszenierung, der Aufführung, dem Spektakel und eben der Szenografie. Von einer (Museums-)Inszenierung sprachen Professionelle schon in den 1980er Jahren.129 Neu ist etwa seit der Jahrtausendwende die vermehrte Einbindung von Ausstellungsdesigner*innen und Szenograf*innen, die Expert*innen dafür sind, effektiv Geschichten im Raum zu erzählen sowie ihr Wissen zur Wahrnehmungsleitung der Besucher*innen einzusetzen und zur Wirkungssteigerung von Museum und Ausstellungen beizutragen.130 Theaterwissenschaftler Werner Hanak-Lettner legt in seinem Buch »Die Ausstellung als Drama. Wie das Museum aus dem Theater entstand« dar, dass Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Präsentationsstrategien des Theaters und der Ausstellung schon immer bestanden und diese sich historisch verorten lassen.131 Ihm geht es vornehmlich um die Erzählstruktur der Kunstpräsentation, die sich »auf der Bühne des Ausstellungsraums als Drama zwischen den Besuchern und den ausgestellten Dingen
126
Siehe u.a. KILGER, Gerhard/MÜLLER-KUHLMANN, Wolfgang: Szenografie in Ausstellungen und Museen III. Raumerfahrung oder Erlebnispark, Raum – Zeit/Zeit – Raum, Essen 2008; GEISLER, Thomas: Szenografie, in: ARGE schnittpunkt (Hg.): Handbuch für Ausstellungstheorie und –praxis, Wien/Köln/Weimar 2013, S. 191; BOHN, Ralf/ WILHARM, Reiner (Hg.): Inszenierung und Ereignis. Beiträge zu Theorie und Praxis der Szenografie, Bielefeld 2009. 127 Vgl. JANNELLI, Angela: Die performative Ausstellung als neues Ausstellungsformat vorgestellt am Beispiel von »Nonstop. Über die Geschwindigkeit des Lebens«, in: extract. Themen und Aspekte des Ausstellungs- und Museumsdesigns 09, 1/2009, S. 35–40, hier S. 35. 128 Vgl. museumskunde des Deutschen Museumsbundes, diverse Ausgaben, z.B. Bd. 66 1/01. 129 Von der Museumsinszenierung und dem aus dem Theaterbereich übertragenen Begriff der Inszenierung sprach man schon in den 1980er Jahren. Das Interesse stieg seit den 1970er Jahren, so z.B. ROHR, Alheidis von: Grenzen der Inszenierung im Museum, in: museumskunde, Bd. 47, H.2, 1982, S. 72–82; GEBBERS 2013. 130 Vgl. MAI 2002, S. 61. 131 HANAK-LETTNER 2011.
II DIE KUNSTAUSSTELLUNG
entfaltet.«132 Das Ausstellen und die Ausstellung mit Begriffen und Praktiken aus dem Theaterbereich zu beschreiben, erweist sich als nützlich und wird auch in anderen wissenschaftlichen Publikationen gerne verwendet, um damit einhergehende Analogien aufzustellen. So zieht Katharina Hegewisch Parallelen zwischen der Arbeit von Ausstellungsmacher*innen mit der von Theaterregisseur*innen: Als ein oder eine Ausstellungsregisseur*in bestimmt der oder die Kurator*in durch die Wahl der Präsentationsform und -techniken »Aussagefähigkeit und Stellenwert des Kunstwerks«.133 Paolo Bianchi bspw. betrachtet das Medium Ausstellung als »experimentelle Probebühne«, die durch den »Akt der Präsentation« zu einem Ereignis wird, »das die ästhetischen Objekte erst hervorbringt« und sich »die Bedeutung der Dinge erst im Dialog zwischen Zeigendem, Betrachter und Gezeigtem erschließt.«134 Was als performative Wende in den Künsten der 1960er und 70er Jahre bezeichnet wird und womit die Annäherung der bildenden Künste an die Aufführungsformen des Theaters, der Musik und des Tanzes gemeint ist, geschieht also heute in den Ausstellungsräumen.135 Wie die visuelle Kunst damals wendet sich das Medium der Ausstellung nun auch dem Ereignis sowie der Aktion zu und theatralisiert sich dabei zunehmend. So vergleicht Werner Hannak-Lettner die Struktur der Ausstellung mit einem »performativen Ereignis, weil sie durch ihre räumliche und dramaturgische Konzeption die RezipientInnen zu einer äußerst aktiven Haltung provoziert.«136 Und Martin Schärer betrachtet die heutige Ausstellung sogar als »Prototyp des performativen Ereignisses«. Er ist ebenso der Ansicht, dass die performative Wende zu einer Zunahme an Performanz in Ausstellungspräsentationen geführt habe.137 Es findet eine performative Erweiterung im Ausstellungskontext statt.138 Und das Ausstellen des 132 133 134 135 136 137
138
Ebd., S. 9. HEGEWISCH 1991, S. 12. BIANCHI, Paolo: Das »Medium Ausstellung« als experimentelle Probebühne, in: Kunstforum International, Bd. 186, 6,7/2007, S. 44. Zur performativen Wende siehe Kapitel 3.4.1 HANAK-LETTNER 2011, S. 190. SCHÄRER 2003, S. 125ff; Schärer unterteilt die heutige Ausstellungssprache in vier Sprachtypen. Dabei will die theatrale Ausstellungssprache »durch den Aufbau konkreter Situationen Erlebnisse, Stimmung und emotionale ›Teilnahme‹ schaffen«, Ebd. S. 123. Der Begriff des Performativen findet seinen Ursprung in der Sprachphilosophie und wurde schnell auf andere Fachbereiche wie der Kultur- und Sozialwissenschaft, Theaterwissenschaft, Ethnologie und Philosophie übertragen. Für Kunst, Theater, Tanz und Performance und damit dem ästhetischen Bereich ist vor allem Fischer-Lichtes Auf-
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
21. Jahrhunderts wird inzwischen als »performative Kulturtechnik«139 angesehen. Heutige Ausstellungen sind in Worten Jannellis und Hammachers: »Räume, die von der Wahrnehmung der Betrachter und der unmittelbaren Wirkung der Dinge – Exponate und Präsentationsmittel – geprägt sind. Ausstellungen als performative Räume sind ›Aufführungen‹ oder ›Ereignisse‹, sie sind dynamisch in ihrer Struktur, keine statischen, in sich abgeschlossenen ›Werke‹«.140
2.3.2 Merkmale und Funktionsweisen Das dynamische und flexible Medium Ausstellung ist zeitgemäßer als je zuvor und es unterscheidet sich als reales Erlebnis von den medial vermittelten und dem virtuellen Erleben. Bei allen Wandlungen durch die Jahrhunderte hindurch haben sich Ausstellungsmerkmale herausgebildet, die auch im 21. Jahrhundert an Geltung tragen: Kunstausstellungen organisieren sich im Format des Zeigens, bspw. als temporäre Sonderausstellungen oder Sammlungsschauen (meist als Dauerpräsentationen konzipiert), Einzel- oder Gruppenausstellungen, als Biennale oder Triennale, als Themenausstellungen, Übersichtsschauen oder Retrospektiven. Die Vielfalt ist groß und Kunstpräsentationen sind komplex. Als eines der wichtigsten Errungenschaften der Ausstellungskultur bietet die Ausstellung als »ritual of aesthetic refinement for the masses«141 für eine Vielzahl an Menschen einen Ort für die Begegnung mit
fassung von Performativität bedeutend: »Der Begriff bezeichnet bestimmte symbolische Handlungen, die nicht etwas Vorgegebenes ausdrücken oder repräsentieren, sondern diejenige Wirklichkeit, auf die sie verweisen, erst hervorbringen. Sie entsteht, indem die Handlung vollzogen wird. Ein performativer Akt ist ausschließlich als ein verkörperter zu denken« FISCHER-LICHTE 2012, S. 44. Einen Überblick zum Begriff des Performativen/zur Performanz geben u.a.: WIRTH, Uwe: Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a.M. 2002; WULF, Christoph/ GÖHLICH, Michael/ZIRFAS, Jörg: Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, Weinheim/München 2001; FISCHER-LICHTE, Erika/HORN, Christian/WARSTAT, Matthias (Hg.): Performativität und Ereignis, Tübingen/Basel 2002. 139 WYSS, Beat: Kritische Szenografie. Das postmuseale Zeitalter, in: HEMKEN 2015, S. 23–40, hier S. 23. 140 HAMMACHER/JANELLI 2008, S. 46. 141 HANTELMANN 2011, S. 181.
II DIE KUNSTAUSSTELLUNG
Kunst an. Dabei adressiert sie jeden einzelnen Besucher und jede einzelne Besucherin als Individuum und nicht als ein Mitglied einer kollektiven Gruppe, wie es bei Versammlungsorten wie dem Kino, dem Theater oder einem Stadion der Fall ist. Die Einrichtung von Öffnungszeiten für Museen und Kunstinstitutionen brachte eine hohe Flexibilität hinsichtlich der Kunstrezeption mit sich. Besucher*innen können dadurch ihre eigene Besuchszeit frei bestimmen. Es ist ihnen überlassen, wie lange, wie oft sowie zu welcher Tageszeit sie im Ausstellungsraum verweilen und in welcher Intensität sie sich der ausgestellten Kunst widmen. Diese Freiheit der individuellen Zeitverwaltung und Kunstbetrachtung hebt auch Kurator Harald Szeemann im Vergleich zu anderen »Vermittlungsorten«142 wie dem Kino oder dem Theater positiv hervor. Hinzukommt, dass die Kunstrezeption in Bewegung und durch den Körper geschieht. Besucher*innen bewegen sich durch die Räumlichkeiten und die Wahl ihrer jeweiligen Ausstellungswege, ob von vorne, hinten oder mittig begonnen, liegt ebenfalls bei ihnen, die unabhängig von einer vorgeschlagenen Abfolge als kuratorische Anleitung (und zugleich Lesart) erfolgen kann.143 Damit wird deutlich, dass die Besucher*innen in der Ausstellungskonzeption eine essenzielle Bedeutung erhalten. Bei den einzelnen Kunstbetrachter*innen liegt der Fokus, denn ohne sie findet keine Rezeption und Kunstvermittlung statt. In Worten Martin R. Schärers ist die Ausstellung ein »Bedeutungssystem«144 und damit eine »unvollendete Kommunikation, die erst durch den Besuch zum Rezipienten gelangt.«145 Auch Jana Scholze, dessen Untersuchung ebenso wie Martin Schärers auf einen Theorieansatz der Semiotik beruht, versteht die Ausstellung als einen Ort, »wo Signifikations- und Kommunikationsprozesse« stattfinden.146 Zusammenfassend ergibt sich eine Kunstpräsentation also nicht nur daraus, wie sie als Display147 umgesetzt und wie das Ausgestellte im Raum arrangiert und die materielle oder immaterielle Kunst räumlich und inhaltlich in Verbindung zueinander gesetzten wurde, sondern vor
142 SZEEMANN, Harald: Museum der Obsessionen, Berlin 1981, S. 26. 143 Vgl. SCHÄRER, Martin R.: Die Ausstellung. Botschaft – Sprache – Bedeutung, in: KILGER/MÜLLER-KUHLMANN 2008, S. 10–16, hier S. 10f. 144 Ebd., S. 13. 145 Ebd. S. 11. 146 SCHOLZE 2004, S. 12. 147 Siehe hierzu: JOHN, Jennifer/RICHTER, Dorothee/SCHADE, Sigrid: Das Ausstellungsdisplay als bedeutungsstiftendes Element. Eine Einleitung, in: DIES. 2009, S. 17–24.
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allem aus der Begegnung mit den Betrachter*innen und ihren mit allen Sinnen wahrnehmenden Körpern.148 Die Botschaft und/oder der Bedeutungsgehalt wird erst in Bewegung generiert und erschlossen.149 Eine Ausstellung setzt ihre Besucher*innen in Bewegung, um die ausgestellte Kunst ästhetisch zu erfahren, denn die ästhetische Erfahrung ist zeit-, -raum- und bewegungsabhängig.150 Jede Ausstellung an sich ist temporär begrenzt und damit wie eine Tanzoder Theateraufführung vergänglich und nicht auf die Dauer ausgelegt.151 In den letzten fünfzig Jahren sind aufführungshafte Formate von Ausstellungen sehr präsent und prominent, sodass von einer Verzeitlichung der Ausstellung gesprochen werden kann.152 Durch die Entgrenzung der Künste und der Hinwendung zum Tanz und zur Performance-Kunst sind die Ausstellungshäuser gefordert neue Präsentationsformate zu entwickeln. Denn zeitbedingte, prozess- und ereignishafte Kunstformen können nicht wie Objekte im Raum angeordnet werden. Was für eine Kunstform als Präsentationsrahmen geeignet ist, kann wiederum nicht auf andere künstlerische Ausdrucksformen übertragen werden. Ein Zitat von Eberhard Roters von 1970 bringt dies mit anderen Worten auf den Punkt: »Das was jetzt an Kunstausstellung anders als früher ist, richtet sich nach dem, was jetzt an der Kunst anders als früher ist und was an zukünftiger Kunstausstellung anders sein wird als jetzt, und das wird wohl fast alles sein.«153
148 Oftmals wurde nur der Sehsinn beachtet. Anders verhält es sich in neueren Präsentationsformaten, welche die ganzkörperliche Wahrnehmung berücksichtigen. 149 BORK PETERSEN/SCOTT 2014, S. 138. 150 Vgl. STAHL, Johannes: Installation, in: BUTIN, Hubertus (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2014, S. 134–138, hier S. 134. 151 Vgl. BISMARCK 2018, S. 173. Mit Ausnahme von Dauer- oder Sammlungsausstellungen, die durchaus auf die Dauer angelegt sein können. 152 Vgl. ebd, S. 174. Tendenzen einer Verzeitlichung waren schon in den 1960er und 70er Jahren zu erkennen. Vgl. HANAK-LETTNER 2011, S. 103 und HANTELMANN/MEISTER 2010, S. 16. 153 ROTERS, Eberhard: Ausstellungen, die Epoche machen, in: Ausst. Kat. Berlin: Stationen der Moderne. Die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland, hg. von ROTERS, Eberhard, SCHULZ, Bernhard, Berlinische Galerie, Museum für moderne Kunst, Berlin 1989, S. 15–24, hier S. 21.
II DIE KUNSTAUSSTELLUNG
So verändert die Tanzkunst als körperliche und ephemere Ausdrucksform also die Ausstellung als ihr Präsentationsformat.154 Was für Auswirkungen die Ausstellung als neuer Präsentationsrahmen für (Live-)Tanz hat, wird mit den Ausstellungsbeispielen von Xavier Le Roy, Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz im Analyseteil (5. Kapitel) dieser Arbeit dargestellt. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse zur Kunstausstellung als Medium und Ritual des Zeigens nähert sich das nächste Kapitel der Frage, wie die Tanzkunst in den Ausstellungskontext gelangte.
154
Hierzu siehe Kapitel IV.
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III BEZIEHUNGEN ZWISCHEN TANZ, BILDENDER KUNST, MUSEUM UND AUSSTELLUNG: EINE HISTORISCHE EINORDNUNG
»I like to think of Mike Kelley, Aernout Mik, or Francis Alÿs as choreographers of our time. I think we could look at Viennese Actionism as part of the history of dance. I think Pierre Huyghe’s film The Host and the Cloud, along with some early Mark Leckey films, could be part of the permanent collection for a museum of dance. The reverse (injecting dance into art history) is equally important and true, because to study the history of performance art—or even the development of modern and contemporary art more broadly—without paying attention to dance is a mistake, don’t you think?«1 Boris Charmatz Boris Charmatz’ gattungssprengender (Denk-)Ansatz ist richtungsweisend für dieses Kapitel. Für den französischen Tänzerchoreografen sind bildende Künstler*innen zugleich Choreograf*innen, und Filme von Künstler*innen geeignete Sammlungsobjekte für ein Tanzmuseum. Zudem betrachtet er es als Irrtum, die Geschichte der bildenden Kunst ohne den Tanz zu verstehen. Genau darum geht es in diesem Kapitel, das Entwicklungen im Bereich der bildenden Kunst und im Feld der Tanzkunst seit Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart in den Blick nimmt. Dabei wird sowohl auf markante künstlerische Positionen und Gruppierungen als auch auf einzelne Institutionen und Persönlichkeiten eingegangen, welche einen bedeutenden Beitrag geleistet haben, um Tanz im Museum und anderen Kunstinstitutionen sichtbar zu machen sowie diese Bewegungskunst ebenso im Kontext der bildenden Kunst 1
CHARMATZ, Boris/MORINIS, Leora/JANEVSKI, Ana: Interview: Boris Charmatz and Ana Janevski (New York 2013), https://www.moma.org/momaorg/shared//pdfs/docs/ calendar/charmatz-janevski-inteview.pdf (08.04.2020).
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als autonome Kunstform zu etablieren. Damit werden punktuell Beispiele und Tendenzen in den Mittelpunkt gestellt, welche die These einer Entwicklung hin zum Tanz im Ausstellungskontext stützen. Die folgenden Ausführungen sind chronologisch geordnet, um einen Überblick über komplexe und vielfältige Prozesse darstellen zu können. Gründe für das gegenwärtige Tanzgeschehen in Ausstellungen, Museen und Kunstinstitutionen liegen neben aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in der Historie.
3.1 Zur Verbindung der Künste und der Tanzbühne Das Wechselspiel zwischen Tanz und bildender Kunst ist über die Jahrhunderte hinweg fruchtbar, lebendig und spannungsreich. Stets herrschten eine gegenseitige Faszination, Inspiration und Anerkennung gegenüber der anderen Kunstform. Bereits im 18. Jahrhundert hatte der Franzose Jean George Noverre (1727–1810), einer der wichtigsten Choreograf*innen und Tanztheoretiker*innen seiner Zeit, das Verhältnis zwischen Tanz und bildender Kunst als eine Besonderheit verstanden. Wie Boris Charmatz warb er schon damals für das gattungsübergreifende und -verbindende Denken und betonte in seinen Schriften »Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette« die Bedeutsamkeit der Nähe vom Tanz zu den anderen Künsten. Das Ballett verstand er als »ein Gemälde: die Bühne ist die Leinwand, die mechanisch-technischen Bewegungen der Tänzer sind die Farben, ihre Mimik ist […] der Pinsel. Die Verknüpfung und die Lebhaftigkeit der Szenen, die Wahl der Musik, das Bühnenbild und das Kostüm machen das Kolorit aus. Und der Choreograf ist der Maler.«2 Und »Die Choreografen sollten einfach die Meisterstücke der größten Maler zu Rate ziehen«3 , so empfahl er den Tanzkünstler*innen zu einer Auseinandersetzung mit bildenden Kunstwerken. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer Zeit des Umbruchs herrschte eine Ablehnung gegenüber dem klassischen Handlungsballett, das im 17.
2 3
NOVERRE, Jean Georges/STABEL, Ralf: Briefe über die Tanzkunst (1759), Leipzig 2010, S. 15. Ebd, S. 17.
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
als autonome Kunstform zu etablieren. Damit werden punktuell Beispiele und Tendenzen in den Mittelpunkt gestellt, welche die These einer Entwicklung hin zum Tanz im Ausstellungskontext stützen. Die folgenden Ausführungen sind chronologisch geordnet, um einen Überblick über komplexe und vielfältige Prozesse darstellen zu können. Gründe für das gegenwärtige Tanzgeschehen in Ausstellungen, Museen und Kunstinstitutionen liegen neben aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in der Historie.
3.1 Zur Verbindung der Künste und der Tanzbühne Das Wechselspiel zwischen Tanz und bildender Kunst ist über die Jahrhunderte hinweg fruchtbar, lebendig und spannungsreich. Stets herrschten eine gegenseitige Faszination, Inspiration und Anerkennung gegenüber der anderen Kunstform. Bereits im 18. Jahrhundert hatte der Franzose Jean George Noverre (1727–1810), einer der wichtigsten Choreograf*innen und Tanztheoretiker*innen seiner Zeit, das Verhältnis zwischen Tanz und bildender Kunst als eine Besonderheit verstanden. Wie Boris Charmatz warb er schon damals für das gattungsübergreifende und -verbindende Denken und betonte in seinen Schriften »Briefe über die Tanzkunst und über die Ballette« die Bedeutsamkeit der Nähe vom Tanz zu den anderen Künsten. Das Ballett verstand er als »ein Gemälde: die Bühne ist die Leinwand, die mechanisch-technischen Bewegungen der Tänzer sind die Farben, ihre Mimik ist […] der Pinsel. Die Verknüpfung und die Lebhaftigkeit der Szenen, die Wahl der Musik, das Bühnenbild und das Kostüm machen das Kolorit aus. Und der Choreograf ist der Maler.«2 Und »Die Choreografen sollten einfach die Meisterstücke der größten Maler zu Rate ziehen«3 , so empfahl er den Tanzkünstler*innen zu einer Auseinandersetzung mit bildenden Kunstwerken. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer Zeit des Umbruchs herrschte eine Ablehnung gegenüber dem klassischen Handlungsballett, das im 17.
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NOVERRE, Jean Georges/STABEL, Ralf: Briefe über die Tanzkunst (1759), Leipzig 2010, S. 15. Ebd, S. 17.
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Jahrhundert entstanden war. Das Verlangen nach Erneuerung und Befreiung, auch bedingt durch gesellschaftlich-politische Zustände wie der Erste Weltkrieg, führte zu modernen Formen des Tanzes. Tänzerinnen wie Isadora Duncan (1877–1927), Loïe Fuller (1862–1928) und Mata Hari (1876–1917) widerstrebte es, sich an das festgelegte Tanzvokabular des Balletts zu halten und sie wollten weder, wie traditionell üblich, an Libretti gebunden sein noch ihre Tanzkunst der Musik unterordnen. Sie erfanden ihre eigene Tanzsprache, um sich von den strengen Formen und dem Reglement des Balletts zu befreien. Ihr Credo war der freie Tanz als unabhängig kreierte, autonome körperliche Ausdrucks- und Kunstform.4 Die Tanz-Avantgarde pflegte eine enge Verbindung zur bildenden Kunst. Da ihnen die Bühne verwehrt wurde, wählten sie Museumsräume als ihre Tanzbühne. Sie hielten sich im Louvre und in den Museen Berlins und Londons auf, studierten Werke der Kunstgeschichte wie antike Skulpturen, Kunstwerke der italienischen Renaissance sowie präraffaelitische Gemälde und ließen sich von ihnen zu individuellen Bewegungsdarstellungen inspirieren.5 Isadora Duncan bspw. empfand das streng kodifizierte Bewegungssystem des Balletts als unnatürlich steril und bezeichnete es als »Ausdruck der Degeneration, des lebendigen Todes«6 . Für den Tanz als auch für die moderne Zivilisation strebte sie an, zu einem unverfälschten, natürlichen Dasein zurückzukehren und bezog sich insbesondere auf die griechische Antike. In ihrem befreiten Tanz übertrug Duncan dargestellte Körperhaltungen von Figuren griechischer Vasenmalerei und antiker Plastiken oder transformierte sie zu getanzten Bewegungen der Moderne. Ohne Bezugnahme zu Werken der Kunstgeschichte wären die innovativen Tanzkonzepte der Wegbereiterinnen des modernen Tanzes nicht entstanden. Ihre ersten neuen Tänze performte die US-Amerikanerin bspw. in der Londoner New Gallery, im Künstlerhaus in Wien und in München. Sie rahmte ihre Tanzereignisse meist mit Vorträgen, Einführungen und Rezitationen von Kunsthistoriker*innen und Altertumsforscher*innen, was zugleich einen Diskurs über ihren neuen künstlerischen Tanz ermöglichte und entfachte. Sie wählte bewusst das bildungsbürgerliche Museum als Aufführungsort, da es als
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Vgl. KLEIN, Gabriele/ZIPPRICH, Christa: Tanz Theorie Text: Zur Einführung, in: DIES. (Hg.): Tanz, Theorie, Text (Jahrbuch Tanzforschung, Bd. 12), Münster 2002, S. 1–14, hier S. 2. Vgl. BRANDSTETTER 1995, S. 72. DUNCAN, Isadora: Der Tanz der Zukunft: Eine Vorlesung (The Dance of the Future), Leipzig 1903, S. 31.
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Plattform diente, um den freien Tanz als autonome Kunstform zu etablieren. Die Tanzabende im Museum wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum »besonderen Ereignis der »Szene« von Künstlern und Intellektuellen.«7 Parallel in Russland leiteten der einflussreiche russische Kunst- und Ballettimpresario Sergej Diaghilev (1872–1929) und der Choreograf Michael Fokine (1880–1942) mit der Gründung der Ballets Russes im Jahr 1909 eine Erneuerung des klassischen Handlungsballetts ein.8 Mit ihrer modernen Ballettkompanie strebten sie nicht wie Isadora Duncan die Ersetzung des Balletts durch eine neue Tanzsprache an, sondern reformierten das klassisch-akademische Handlungsballett und lösten festgefahrene Traditionen ab. Fokine machte es sich zu seiner künstlerischen Aufgabe, den Tanz mit der bildenden Kunst, auch der russischen Volkskunst zu vereinen bzw. einen gegenseitigen Einfluss zuzulassen. Diaghilev in der Funktion eines Managers und Fokine
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Vgl. BRANDSTETTER 1995, S. 83. Durch seine Aktivitäten als Ausstellungsmacher und Kunstkritiker verschaffte Diaghilew den russischen Künsten einen internationalen Bekanntheitsgrad. Als Herausgeber der ersten russischen Kunstzeitschrift Mir Iskusstwa (=Welt der Kunst, 1899 erstmals erschienen) verfasste er Besprechungen über alle künstlerischen Gattungen von Musik, Malerei bis hin zum Tanz. Michael Fokine fand wie Duncan in den Werken der bildenden Kunst grundliegende Inspiration und Impulse für seine tanzkünstlerische Arbeit. Schon in seinem Studium an der kaiserlichen Ballettschule gehörte das Zeichnen zum Lehrplan. In der Petersburger Eremitage und den Museen Alexanders III. fertigte er Zeichen- und Malstudien antiker Skulpturen und von Gemälden europäischer Kunstgeschichte an. Vgl. LIPP 2015, S. 69. In seinem Buch Gegen den Strom beschrieb er wie er die Darstellungsformen und das Ausdrucksvermögen der bildenden Kunst und des ihm gelehrten Tanzes verglich. Dabei empfand er eine immer dringender werdende Notwendigkeit, den alten Tanz mit seinem festgefahrenen Kanon, den unveränderlichen Gesetzen und dem starren Bewegungsrepertoire erneuern zu müssen. Vgl. FOKINE 1974, S. 39f. Nele Lipp betont v.a. den Einfluss Fokines als erster Chefchoreograf der Ballets Russes für die Weiterentwicklung des modernen Tanzes. Fokine begann schon 1904 Tanz, Bilder und Skulpturen für und auf der Bühne zu vereinen. Vgl. LIPP 2015, s. 60. Literatur über Diaghilev, Fokine und die Ballets Russes (Auswahl): GARAFOLA, Lynn: Diaghilev’s Ballet Russes, New York 1989; SCHEIJEN, Sjeng: Diaghilev. A Life, London 2009 und Ausst. Kat. London/Washington: Diaghilev and the Golden Age of the Ballets Russes 1909–1929, hg. von PRITCHARD, Jane/MARSH, Georffrey/Victoria and Albert Museum, London et al., Washington/London 2010; Ausst. Kat. München: Schwäne und Feuervögel. Die Ballets Russes 1909–1929. Russische Bildwelten in Bewegung, hg. von Deutsches Theatermuseum München, Berlin 2009; FOKINE, Mikhail: Gegen den Strom, Berlin 1974; HORWITZ, Dawn L.: Michel Fokine (Twayne’s Dance Series), Boston (Mass.) 1985.
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als kreativer Schöpfer förderten im Zweiergespann die enge Zusammenarbeit von Musiker*innen, Bildhauer*innen, Kostümbildner*innen, Maler*innen, Dichter*innen und Tänzer*innen, die gemeinsam ein Gesamtkunstwerk9 für die Bühne erschufen. Mit ihnen kollaborierten Naum Gabo, Fernand Léger, Henri Matisse, Juan Miró, Pablo Picasso, Alexander Golovin oder Léon Bakst u.a. Bildhauer*innen und Bühnenbildner*innen. In den Stücken der Ballets Russes trafen sich Dichtung, Tanz, Musik, Bildhauerei und Malerei als gleichwertige Künste auf der Bühne. Die szenografische Gestaltung und die Musik erhielt genauso viel Aufmerksamkeit wie die Choreografie der Tanzstücke, um als gleichberechtigte Elemente des Bühnenwerks zusammenwirken zu können. Diaghilev ernannte Vaslav Nijinsky (1889–1950) als choreografischen Nachfolger Fokines.10 Nijinsky trieb die Reformierung des Balletts radikal voran. So sorgte er schon mit seinem ersten Stück L’Après-midi d’un faune, in dem er selbst den Faun tanzte, 1912 für großes Aufsehen, erlangte Bewunderung und schockierte zugleich.11 Auch das Ballet Suédois, 1920 von Rolf de Maré (1888–1964) gegründet, gehörte zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Ballettkompanien der internationalen Tanzszene. Die Vereinigung der Künste erweiterte ihr Chefchoreograf Jean Börlin (1893–1930), ein Schüler Fokines, durch die Integrierung des Films als neues Medium.12 Die Kompanie kooperierte ebenso mit Künstler*innen wie Fernand Léger, Francis Picabia, Giorgio de Chirico, Irène Lagut und Komponist*innen wie Eric Satie und Germaine Tailleferre. Seitens der Avantgarde-Künstler herrschte ein gesteigertes Interesse am Theater und am Bühnentanz, was sich laut Jutta Krautscheid seit 1915 abzeichnete: Fast alle renommierten Bildhauer*innen und Maler*innen arbeiteten für das Theater als Bühnen- und Kostümgestalter*innen oder kooperierten in unterschiedlichen Formen mit den darstellenden Künsten. Das Ballett, was zuvor als »minderwerti9
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Siehe dazu: Ausst. Kat. Zürich/Düsseldorf/Wien: Der Hang zum Gesamtkuntswerk: Europäische Utopien seit 1800, hg. v. SZEEMANN, Harald/Kunsthaus Zürich, Aarau 1983 und SCHNEEDE 2 2010, S. 20. Vgl. KRAUTSCHEID, Jutta: TANZ. Bühnentanz von den Anfängen bis zur Gegenwart, DuMont Schnellkurs, Köln 2004, S. 83. Durch antike Wand- und Vasenmalerei inspiriert, tanzte sein Ensemble mit geometrisch-abstrakter Bewegungssprache und war ins Profil ausgerichtet. Die Zuschauer*innen konnten die Tänzer*innen so nur von der Seite sehen. Lipp weist daraufhin, dass diese Art der neuen Bewegungsformen, die Nijinsky zugesprochen wird, schon zuvor von Fokine erfunden wurde. Vgl. LIPP 2015, S. 71. Vgl. ebd., S. 81f.
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ge Unterhaltung der Aristokratie und des Großbürgertums«13 nur Ablehnung erhielt, entwickelte sich zur Plattform der Futuristen und russischen Avantgarde-Maler*innen. Bereits durch die Künstler*innen des Futurismus, Konstruktivismus, Dadaismus und Surrealismus herrschte eine Tendenz zur Performatisierung vor. Zwar widmet sich die kunsthistorische Forschung meist ihren Kunstobjekten als Untersuchungsgegenstand, doch experimentierten diese neu entstehenden Bewegungen zuerst mit Performance und Aktionen.14 Erst später drückten sie ihre Ideen und Manifeste ebenso in materiellen Kunstwerken, Gemälden und Objekten aus. Im Zirkel der Dadaist*innen in der Schweiz, die gegen die Gewalt des Krieges und allen gesellschaftlichen sowie künstlerischen Normen und Regeln protestierten15 , hielten sich auch die Pionier*innen des deutschen Ausdruckstanzes Mary Wigman (1886–1973) und Rudolf von Laban (1879–1958) auf. Der Tanztheoretiker, -Pädagoge und -Reformer Laban ließ eine Gruppe seiner Tanzschüler*innen im Rahmen von DaDa-Zürich auftreten.16 Als Theoretiker erforschte er die menschliche Bewegung. Er verstand Tanz als experimentell und kreativ und in seiner pädagogischen Praxis war es ihm besonders wichtig, »entsprechend der Idee des Gesamtkunstwerkes – in harmonischer und ausgeglichener Weise alle Ausdrucksmöglichkeiten des Individuums zu fördern«17 . So lehrte er an seiner »Schule für Kunst« folgende vier Bereiche: Bewegungs-, Ton-, Wort- und Formkunst.18 1917, zur Eröffnung der Galerie Dada in Zürich, führte die Kunsthandwerkerin Sophie Taeuber (1889–1943) als Ausdruckstänzerin und damalige Schülerin von Laban ein Solo in einem kubistischen Kostüm mit Maske von Hans Arp zu einem Lautgedicht von Hugo Ball 13 14 15
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KRAUTSCHEID 2004, S. 84. Vgl. GOLDBERG 2014, S. 7. Als eine Anti-Kunst-Bewegung, die zornig gegen alles war, sich an keine Regeln hielt und sich jenseits der bürgerlich etablierten Kunstgattungen entwickelte, um unklassifizierbar zu sein, ging Dada 1917 von Zürich aus, breitete sich von dort in Europa aus und landete in New York. Nach dem ersten Weltkrieg 1914–1918 hatten die Künstler*innen den Glauben in Kultur, Kunst und Ästhetik verloren. Vgl. PAWEL 2019, S. 102. FLEISCHLE-BRAUN, Claudia: Der Moderne Tanz. Geschichte und Vermittlungskonzepte (zugl. Diss. Stuttgart), Butzbach-Griedel 2000, S. 55. Ebd. und PAWEL 2019, S. 59. Anja Pawel führt in ihrer Dissertation ausführlich aus, wie Laban die Verbindung von Tanz und bildender Kunst verstand, wie er diese gestalterischen Ausdrucksformen auch in seiner Tanzschule vermittelte und welche Ähnlichkeiten und Beeinflussungen von Künstler*innen wie Klee, Kandinsky in Labans choreografischer Praxis auszumachen sind. Vgl. PAWEL 2019, S. 55–66.
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auf.19 Auch sie vereinte in ihrer modern-abstrakten Formensprache Tanz, bildende Kunst und Handwerk. Die Tanzkunst zieht sich wie ein Leitmotiv durch ihr Œuvre. Auch das Bauhaus in Weimar und Dessau, das als »avantgardistische Werkstattschule« für moderne Architektur, Kunst und Gestaltung sowie der gleichwertigen Vereinigung von Kunst und Handwerk bekannt ist, integrierte die Bühnenkünste und das tanzende Gestalten in ihr Lehrprogramm.20 Bühnenkunst als Fach an einer Kunstschule einzuführen war innovativ und geschah zum ersten Mal. Moderne Tänzer*innen und Ballett-Tänzer*innen kamen als Gäste ans Bauhaus und schöpften aus diesem interdisziplinären Austausch viel Inspiration. So berichtete die Ausdruckstänzerin Gret Palucca (1902–1993), dass sie von den Bauhaus-Künstler*innen viel und eigentlich mehr als von Tänzer*innen gelernt habe.21 Und durch Tanz war es den Künstler*innen, die sich vermehrt mit Architektur, Raum und Theater beschäftigten, möglich, ein räumliches Verständnis für den Körper und seinen Bewegungen im Raum sowie geometrische Formen zu erlangen.22 Alfredo Bortoluzzi beschreibt den Einfluss Paluccas und ihrer Kooperation mit Wassily Kandinsky (1866–1944): »Gret Palucca tanzte oft auf der Bauhaus-Bühne. Sie erfand damals ihre Kreise, Achterwege und Spiralen und setzte Bildgesetze Kandinskys in ihre Bewegungen um. […] Wir lernten, geometrische Flächenelemente gegen räumliche geometrische Bewegungs- und Tanzformen zu kontrastieren und begriffen die Gegenbewegungen und das Durchdringen gegangener oder getanzter Wege und ihre rhythmische Gegenüberstellung.«23
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Vgl. KRUPP, Walburga: »Echte Indianer«. Sophie Taeuber-Arps Frühwerk im Hinblick auf fremde Kulturen, in: Ausst.-Kat. Zürich/Berlin: Dada Afrika: Dialog mit dem Fremden, hg. von BURMEISTER, Ralf/OBERHOFER, Michaela/TISA FRANCINI, Esther et al., Zürich 2016, S. 52. Vgl. Ausst. Kat. Leverkusen: Das Bauhaus tanzt!, hg. von BLUME, Torsten, Leipzig 2015, S. 8. Vgl. ADELSBACH, Karin: »Festhalten des Unfaßbarsten«. Bildende Kunst und Tanz. Stationen eines Dialogs, in: Ausst. Kat. Emden/München: Tanz in der Moderne: Von Matisse bis Schlemmer, hg. von DIES./FIRMENICH, Andrea, Köln 1996, S. 10–25, hier S. 24. Vgl. PAWEL 2019, S. 148. BORTOLUZZI, Alfredo: Meine Erinnerungen an die Bauhaus-Bühne, in: Das Kunstwerk 8/12, 1959, S. 37–38.
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Auch die vielseitige künstlerische Arbeit Oskar Schlemmers24 (1888–1943) während seines Aufenthalts am Bauhaus ist hervorzuheben. Kunsthistorikerin RoseLee Goldberg spricht ihm mit Blick auf die Entwicklung der Performance in Deutschland in den zwanziger Jahren große Bedeutung zu.25 Schlemmer war nicht nur Maler, Bildhauer, Graphiker, Zeichner, Wandgestalter, Bühnenbildner und Kostümdesigner, sondern konzipierte und choreografierte auch selbst Tanz- und Theaterstücke.26 Er untersuchte die Beziehung von Raum und der menschlichen Figur, was sich gut in das Bauhaus-Konzept eingliederte. Für ihn war der Tanz ein Raumtanz und damit eine geometrisch-mathematische Organisation der Körper im Raum, und der Mensch war das »Maß aller Dinge«27 . Für Schlemmer blieb die Malerei die höhere Kunstform, doch ihn reizte am Theater die Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten und der Zusammenklang von Raum, Bühne, Tanz und Körper.28 Sein berühmtes, experimentell-abstraktes Triadisches Ballett, in dem er selbst als Tänzer agierte und zugleich für Konzept, Choreografie und Ausstattung 24
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Von 1920–1929 am Bauhaus tätig, zunächst als Formmeister, er leitete die Wandmalereiabteilung (alternierend mit Johannes Itten), dann die Steinbildhauerei, die Holzbildhauerei und interimsweise die Metallwerkstatt. Von 1923–1929 war Schlemmer Leiter der Bühnenwerkstatt. Literaturauswahl zu Schlemmer und der Bauhausbühne: GROPIUS, Walter: Die Aufgabe der Bühne im Bauhaus, Mainz 1925; LEHMANN, Arnold/RICHARDSON, Brenda (Hg.): Oskar Schlemmer, Baltimore 1986; SCHLEMMER, Oskar: Bühne, in: bauhaus 3, Dessau 1927; TRIMMINGHAM, Melissa: The Theatre of the Bauhaus: The Modern and Postmodern Stage of Oskar Schlemmer, New York 2010; Ausst. Kat. Stuttgart: Oskar Schlemmer, Visionen einer neuen Welt, hg. v. CONZEN, Ina/Staatsgalerie Stuttgart, München 2014; LIPP, Nele: Oskar Schlemmer, in: Ausst. Kat. Marl: Körper – Leib – Raum. Der Raum im zeitgenössischen Tanz und in der zeitgenössischen Plastik mit Tanz x Skulptur x Raum – Ein Lexikon, hg. v. RÜTH, Uwe/ Skulpturenmuseum Glaskasten Marl, Essen 2005, S. 215. GOLDBERG 2014, S. 120. Befruchtet durch seine enge Freundschaft mit den Stuttgarter Tänzer*innen Albert Burger und Elsa Hötzel, begann Schlemmer sich 1912 mit dem Tanz, der Bühnenkunst und -gestaltung zu beschäftigen. Das Tänzerpaar war am Stuttgarter Landestheater engagiert und beide hegten ebenso wie Fokine die Ansicht, dass das klassische Ballett mit seinen rigiden Formen nicht mehr dem Zeitcharakter entspreche und dass es an der Zeit sei, neue Tanzformen zu entwickeln. Gemeinsam mit Schlemmer arbeiteten sie an ersten konzeptionellen Entwürfen für ein Bühnentanzstück. Vgl. MAUR, Karin von: Oskar Schlemmer als Tanzgestalter und Bühnenbildern, in: Ausst. Kat. Stuttgart 2014, S. 191–246, hier S. 191f. Ausst. Kat. Stuttgart 2014, S. 15. Vgl. MAUR 2014, S. 191.
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verantwortlich war, beinhaltete zwölf Balletttänze in drei Aufzügen und die raumplastische Kostümierung basierte auf einem detailliert ausgearbeiteten, gezeichneten Figurinenplan für die drei auftretenden Tänzer*innen.29 Seine Theaterproduktion entwarf und realisierte Schlemmer als Gesamtkunstwerk und sein Ballettstück galt als Inbegriff der Synthese aus Theater und bildender Kunst, indem es Malerei, Bildhauerei, Raumgestaltung, Design, Musik und Tanz dynamisch vereinte. In Dessau entwickelte Schlemmer sein Ballettkonzept, Theorien zum Tänzermensch, Raum- und Körpergesetze weiter. Seine berühmten Bauhaustänze wie Stäbetanz, Reifentanz und Metalltanz waren raumorientierte Bewegungs- und Bühnenstudien, die er mit Studierenden erarbeitete und 1928 auf einer Tournee auch außerhalb des Bauhauses präsentierte. Durch die vorangegangenen Ausführungen wird deutlich, dass Tanz schon immer in enger Verbindung zur bildenden Kunst stand. Mit Blick auf die punktuell hervorgehobenen künstlerischen Entwicklungen seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist festzustellen, dass der Ursprung des gegenwärtig verbreiteten interdisziplinären und performativen künstlerischen Ansatzes in der Vergangenheit liegt. Zu jener Zeit befreiten sich die Kunstschaffenden mehr und mehr aus den Grenzen der Gattungstrennung, einem »Konstrukt« der Renaissance.30 Tanzkünstler*innen als auch bildende Künstler*innen waren sich der Bedeutung des jeweiligen anderen Mediums für ihre eigene Kunstform bewusst und strebten deshalb eine intensive Auseinandersetzung als Inspiration und Zusammenarbeit mit ihr an. Die damaligen Künstlerkollaborationen aus Musiker*innen, Tänzer*innen, Dichter*innen und bildenden Künstler*innen sind Vorreiter vieler zukünftiger Kooperationen, die sich gattungsüberschreitend vereinen und die Trennung der Kunstparten auflösen. Hier sei exemplarisch Tänzer Merce Cunningham und Musiker John Cage genannt, die bspw. gemeinsam mit Robert Rauschenberg und Robert Morris 29
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Uraufführung 1922, im Stuttgarter Landestheater. Wiederaufführung Triadisches Ballett 2014/2016 in München. Das Triadische Ballett unterlag dem Prinzip der Trias. Es war ein Tanz der Dreiheit, das sich aus einer dreifachen Ordnung all seiner Elemente ergab: Form, Farbe und Raum; Grundformen waren Kugel, Pyramide, Kubus und damit Kreis, Dreieck und Quadrat; Rot, Blau und Gelb als Primärfarben; Höhe, Tiefe, Breite als Dimensionen des Raumes; Kostüm, Tanz und Musik; und auch der Tanz bzw. seine Abfolge war in »Eintanz, Zweitanz und Dreitanz« strukturiert, erst eine oder ein Tänzer*in, dann zwei, dann drei. Vgl. GOLDBERG 2014, S. 111f. KRISTELLER, Paul Oskar: The Modern System of the Arts. A Study in the History of the Aesthetics Part I, in: Journal of the History of Ideas, Bd. 12, Nr. 4, Okt. 1951, S. 496–527.
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die zeitbasierten Künste mit raumbasierten Kunstformen kombinierten. Ihre kollaborative Arbeitsweise ist ein »ZusammenDenken«, womit keine »einfache Nachahmung von Werken der einen Sparte im jeweils anderen Medium« gemeint ist, sondern ein »parallel sich entwickelndes Denken« oder ein »gemeinsames durchdachtes Projekt«31 , so mit Worten von Nele Lipp ausgedrückt. Allgemein ist zu beobachten, dass zur Zeit des Ersten Weltkriegs ein starkes Bedürfnis und Verlangen nach Veränderung und Erneuerung herrschte. In Deutschland jedoch stagnierte der Entwicklungsprozess des modernen Tanzes durch die allmähliche Etablierung der NS-Diktatur in den 1930er Jahren. Viele Künstler*innen emigrierten in die USA, wo sich der amerikanische modern dance etablierte.
3.2 Institutionelles Sammlungsinteresse an der Tanzkunst und ihrer Geschichte »The fairly new idea that the dance belongs in the museum, together with and in relation to other arts traditionally collected and exhibited in museums, evokes two very pertinent questions: What is the museum, and what is the dance?«32 Grant Hyde Code, 1939 Das einführende Zitat von Grant Hyde Code, Schriftsteller, ehemaliger Herausgeber der Zeitschrift Dance Observer 33 sowie Gründer des Brooklyn Museum Dance Centers, unterstreicht, dass Tanz im Museum als Idee nicht neu ist. Fragen wie – was ist ein Museum und was ist Tanz? – wurden schon damals gestellt und sind im gegenwärtigen Diskurs weiterhin relevant. Schon in den 1930er Jahren bemühten sich einzelne Persönlichkeiten darum, den künstlerischen Tanz ins Museum zu bringen. Und das in einer Zeit, in der Tanz von der Avantgarde sowie Intellektuellen vornehmlich noch als Unterhaltungs- und nicht als Hochkultur angesehen wurde und die Museen materielle Kunst vorzogen.34
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Vgl. LIPP 2015, S. 11. CODE, Grant Hyde: The Dance in the Museum, Januar 1939. Zitiert nach GRAHAM 2020, S. 209. Die New Yorker Zeitschrift wurde von 1934 bis 1964 publiziert. Code war 1939 Herausgeber. Vgl. GRAHAM 2020, S. 216.
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die zeitbasierten Künste mit raumbasierten Kunstformen kombinierten. Ihre kollaborative Arbeitsweise ist ein »ZusammenDenken«, womit keine »einfache Nachahmung von Werken der einen Sparte im jeweils anderen Medium« gemeint ist, sondern ein »parallel sich entwickelndes Denken« oder ein »gemeinsames durchdachtes Projekt«31 , so mit Worten von Nele Lipp ausgedrückt. Allgemein ist zu beobachten, dass zur Zeit des Ersten Weltkriegs ein starkes Bedürfnis und Verlangen nach Veränderung und Erneuerung herrschte. In Deutschland jedoch stagnierte der Entwicklungsprozess des modernen Tanzes durch die allmähliche Etablierung der NS-Diktatur in den 1930er Jahren. Viele Künstler*innen emigrierten in die USA, wo sich der amerikanische modern dance etablierte.
3.2 Institutionelles Sammlungsinteresse an der Tanzkunst und ihrer Geschichte »The fairly new idea that the dance belongs in the museum, together with and in relation to other arts traditionally collected and exhibited in museums, evokes two very pertinent questions: What is the museum, and what is the dance?«32 Grant Hyde Code, 1939 Das einführende Zitat von Grant Hyde Code, Schriftsteller, ehemaliger Herausgeber der Zeitschrift Dance Observer 33 sowie Gründer des Brooklyn Museum Dance Centers, unterstreicht, dass Tanz im Museum als Idee nicht neu ist. Fragen wie – was ist ein Museum und was ist Tanz? – wurden schon damals gestellt und sind im gegenwärtigen Diskurs weiterhin relevant. Schon in den 1930er Jahren bemühten sich einzelne Persönlichkeiten darum, den künstlerischen Tanz ins Museum zu bringen. Und das in einer Zeit, in der Tanz von der Avantgarde sowie Intellektuellen vornehmlich noch als Unterhaltungs- und nicht als Hochkultur angesehen wurde und die Museen materielle Kunst vorzogen.34
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Vgl. LIPP 2015, S. 11. CODE, Grant Hyde: The Dance in the Museum, Januar 1939. Zitiert nach GRAHAM 2020, S. 209. Die New Yorker Zeitschrift wurde von 1934 bis 1964 publiziert. Code war 1939 Herausgeber. Vgl. GRAHAM 2020, S. 216.
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1935 begann Grant Hyde Code als einer der wichtigen Förderer der Tanzkunst eine Reihe an Tanzaufführungen im Brooklyn Museum zu organisieren. Durch die positive Resonanz des Museumspublikums und seinem Interesse an den Entwicklungen des damaligen zeitgenössischen Tanzes gestärkt, beantragte Code staatliche Gelder zur finanziellen Unterstützung, um 1936 das Brooklyn Museum Dance Center zu gründen.35 Zu jener Zeit war es ungewöhnlich und »a fairly new and enlightened concept«36 , dass Tanz überhaupt vom Staat gefördert wurde. Für Code war das Brooklyn Museum, auch Museen im Allgemeinen, ein idealer Ort, um den zeitgenössischen Tanz an eine breite amerikanische Öffentlichkeit heranzuführen.37 Es fanden Tanzaufführungen im Skulpturenpark des Museums statt, bei denen zur ersten Veranstaltung 800 Besucher*innen und zur dritten schon um die 3.000 kamen.38 In seinem Artikel »The Dance at the Brooklyn Museum« von 1937 beschrieb er, wie sich die Museumsgäste nach mehr Tanzkunst sehnten. Nicht nur die Kinder, auch die Erwachsenen wollten diese Art von Tanz, der von den professionellen Tänzer*innen aufgeführt wurde, erlernen.39 So setzte Code als selbsternannter und erster Tanz-Kurator40 der Vereinigten Staaten seine Bemühungen um die Anerkennung des Tanzes als ernstzunehmende Kunstform fort und organisierte neben etlichen weiteren Tanzvorstellungen am Brooklyn Museum freien Tanzunterricht für Kinder und Erwachsene, Vorträge von Tanzwissenschaftler*innen, veranstaltete Workshops für junge Choreograf*innen, gründete das »Young Choreographers Laboratory« und konzipierte Ausstellungen über 35 36 37
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Vgl. GRAHAM 2020, S. 209. Ebd., S. 216. Vgl. GRAHAM 2020, S. 209f. »By (re)siting dance in the museum, Code also strove to further a new, progressive mission for the conventionally object-oriented museum institution: to financially support dancers while legitimizing their works as both art and entertainment. In doing so, he opened up new and generative spaces for social and aesthetic experimentation at the intersection of dance and visual art.« GRAHAM 2020, S. 210. CODE, Grant Hyde: The Dance at the Brooklyn Museum, in: Dance Observer, Bd. 4, Nr. 10, Dez. 1937, S. 126. Ebd. Zuerst unterzeichnete Code als »Manager« des Brooklyn Dance Centers und ein Jahr später als »Curator«. Vgl. GRAHAM 2020, S. 210f. Vgl. Mehr zu Codes Bemühungen als selbst ernannter Tanzkurator siehe auch, S. 209–225. Zum Begriff des Kurators und des Tanzkurators, siehe: BISMARCK 2010; Und über den Begriff eines Tanz- und Performance-Kurators: FERDMAN, Bertie: From Content to Context. The Emergence of the Performance Curator, in: Theater 44, Nr. 2, 2014, S. 5–19.
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und mit Tanz. Auch ein Proberaum, »The Museum Studio«, im sechsten Stock des Museums zählte zu Codes Errungenschaften.41 An der Förderung des Tanzes war neben Code der Kurator für zeitgenössische Kunst Herbert B. Tschudy beteiligt. Er leitete am Brooklyn Museum die »new gallery for living artists«, die explizit für die Kunst lebender Zeitgenoss*innen reserviert war und ebenso wie der Tanz das Museum belebte. Code und Tschudy realisierten zusammen mehrere Ausstellungen.42 The Dance in Art fand 1936 als erste gemeinsame Schau statt. Ihr Ausstellungskonzept vereinte bildende Kunst und Tanz. Auf diese Weise führten sie Tänzer*innen und bildende Künstler*innen sowie ein Tanz- und Kunstpublikum zusammen. Das Kooperationsprojekt präsentierte 135 Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Fotografien, die nicht nur aus in einer Pose verharrenden porträtierten Tänzer*innenbildern bestand, sondern Tanzbewegungen auf unterschiedlichste Art visualisierten.43 Die ausgestellte Kunst war von intermedialer, -disziplinärer und -kultureller Qualität geprägt.44 Code setzte sich für die Vielfalt des Tanzes einschließlich seiner unterschiedlichen Stile und Techniken sowie für die Wertschätzung als autonome und mit den anderen Künsten gleichwertige Kunstform ein. Mit seiner Arbeit als Tanz-Kurator und Tanz-Lobbyist unterstützte er zudem die »Dancers Union«45 , die sich in den frühen 1930er Jahren in New York gegründet hatte. Er kämpfte für bessere Arbeitsbedingungen, mehr Aufführungsorte sowie bezahlte Stellen für Tänzer*innen.46 Für ihn war Tanz »highly necessary in contemporary life.«47 Code bewirkte, dass Tanzkunst und Tanzschaffende einen Platz im Brooklyn Museum erhielten. Code hierzu selbst: »The general idea is that the Museum provides a large, strange, unusual and beautiful hall rent free, advertising, publicity, space for rehearsal, and
41 42 43 44 45 46 47
CODE 1937, S. 126; Siehe auch: https://www.brooklynmuseum.org/opencollection/exh ibitions/1584 (28.09.2020). Vgl. GRAHAM 2020, S. 214f. Vgl. CODE 1937, S. 125. Vgl. GRAHAM 2020, S. 215. auch »Dancers Emergency Association« oder »Dancers Association« genannt. Vgl. GRAHAM 2020, S. 213, dabei bezieht sie sich auf GRAFF, Ellen: Stepping Left: Dance and Politics in New York City, 1928–1942, Durham 1997, S. 97. CODE 1939a, S. 5, zit.n. GRAHAM 2020, S. 211.
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a widly enthusiastic and untamed audience […]. The Museum does this because it believes that the art of the dance should be exhibited in museums along with other arts and that the art of the dance is one of the most alive of the contemporary arts in America, also that the art of the dance has very interesting relations with the other arts so that an understanding of the dance is an aid to the understanding of other works of art and vice versa.«48 1938 wurde die Finanzierung des Choreograf*innen-Laboratoriums jedoch verweigert, sodass die Tanz-Werkstatt nach weniger als einem Jahr schließen musste. Kurze Zeit später, 1939, wurde das gesamte Brooklyn Dance Center geschlossen.49 Es hieß, dass die Kosten nicht mehr tragbar waren, und nicht genug Platz für ein Tanzzentrum bereitgestellt werden könne. Code vermutete allerdings politische Gründe hinter der Entscheidung.50 Das Brooklyn Museum Dance Center war einzigartig. Durch die Möglichkeit, künstlerischen Tanz im Museum zu präsentieren, gewannen die jungen Tänzer*innen an Unabhängigkeit gegenüber dem Theater. Sie waren dadurch von den »conventional restraints of the theater« befreit und betrachteten das Museum als einen Ort für Produktion und Rezeption für Tanz, der ihre Arbeit im positiven Sinne beeinflusste.51 Innerhalb einer kurzen Zeitspanne veranstaltete das Center Tanz-Performances von über 65 professionellen Tänzer*innen und Choreograf*innen und erreichte damit um die 65.000 Museumsbesucher*innen. Viele kannten sich weder mit Ballett noch modern dance52 aus, doch kamen sie immer wieder, um die Tanz-Performances sowie die Verbindung von Tanz und Kunst kennenzulernen. Lokalminister Frederick Reustle drückte dies in einen an Code gerichteten Brief aus: »For two hours I felt that we were really civilized with a new art taking form under our eyes in such appropriate surroundings. […], you deserve great credit for thus presenting such opportunities for experimental work that
48 49 50 51 52
CODE 1937, S. 125. CODE, Grant Hyde: Brooklyn Museum Dance Center, in: Dance Observer, Vol. 6, No. 3, März 1939, S. 185. Hierzu mehr, siehe GRAHAM 2020, S. 222. Ebd. Der amerikanische modern dance ist nicht mit dem deutschen modernen Tanz (u.a. Ausdruckstanz) gleichzusetzen.
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we need in art and religion by giving these young people and opportunity to appear in public and present their work with fine simplicity and sincerity with which they performed Saturday morning. You have made possible that which commercial theater does not appreciate.«53 Reustle erkannte das institutionelle und kulturelle Potenzial der Initiative an, »which not only challenged the role of the museum and the definition and bounds of art but also sought to create a sustainable economic and creative home for dancers.«54 Auch wenn das Dance Center nach kurzer Zeit wieder schließen musste, inspirierte es dennoch einige Kurator*innen und Direktor*innen der amerikanischen Museumslandschaft.55 Grant Hyde Code fungierte in Bezug auf Tanz in einer Ausstellungsinstitution als erster Ansprechpartner. So beschrieb er in einem Brief an Anne W. Olmstead, damalige Direktorin des Syracus Museum of Fine Art seine Erfahrung: »the development has been quite extraordinary and has convinced us that the dance is an art which should be regularly included in the program of a museum, not only on account of its very close relation with figure composition in painting and sculpture but also for its own sake as one of the liveliest of contemporary arts and certainly here one of the most popular.«56 Er stand zudem in enger Korrespondenz mit Gertrude Lippincott, Choreografin und Pionierin des modern dance, die 1937 das Modern Dance Center of Minneapolis gründete. 1940 organisierte sie das Spring Dance Festival als allererstes Tanzevent am neu eröffneten Walker Art Center.57 Das Walker Art Center in Minneapolis, das aus den Walker Art Galleries hervorging, integrierte seit 53 54 55
56 57
Zitiert nach GRAHAM 2020, S. 220. Ebd., S. 221. So bspw.: Siegfried R. Wenig Direktor des Dayton Art Institute. Er organisierte eine Museumsperformance der Experimental Group for Young dancers, geleitet von Josephine und Hermene Schwartz. 1938 fand die Performance statt und sie gilt heute als die erste Aufführung des Tanzkollektivs, was später das Dayton Ballet wurde; Anne W. Olmstead gründete eine »special interest group for dance«, die von Margot Krolik Harper, Tanzlehrerin an der Syracuse University, geleitet wurde. Vgl. GRAHAM 2020, S. 219. Zitiert nach GRAHAM 2020, S. 218f. Vgl. https://walkerart.org/magazine/2508-square-feet-photomurals-of-the-walkers-7 5th-anniversary (11.11.2021).
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seiner Neueröffnung die darstellenden Künste und präsentierte in den 1940er Jahren Tanz der lokalen Szene, Dichtung und Kammermusik-Konzerte.58 Das Museum of Modern Art (MoMA) in New York kann ebenso als eines der wenigen weltweit einflussreichen Kunstmuseen auf eine lange Tanztradition und Tanzgeschichte zurückblicken – auch wenn dies in seiner Museumshistorie lange Zeit nicht beachtet wurde und fast ausradiert erschien.59 Seine Beziehung zum Tanz ist der wenig bekannte Teil seiner Geschichte. 1929 eröffnete Gründungsdirektor Alfred H. Barr das vom Bauhaus in Dessau inspirierte MoMA mit der Vision, einen Ort für »the visual arts of our time«60 entstehen zu lassen, um diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nicht nur das Konzept, Kunst der Gegenwart anstelle von Werken vergangener Epochen in einem Museum auszustellen, war innovativ, sondern auch die multidisziplinäre Organisation des Museums. Zu den (Re-)Präsentanten der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts zählten nicht allein Kunstwerke der traditionellen bildenden Kunst wie Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Drucke, sondern das Museum richtete im Laufe der Jahre zudem Abteilungen für Architektur, Design, Film und Fotografie und, wenn auch nur von kurzer Dauer, für Theater und Tanz ein.61 Der Grundstein für das Department of Dance and Theater Design (später Department of Theater Arts) des MoMAs wurde 1939 durch die Gründung des Tanzarchivs gelegt. Sehr wahrscheinlich inspiriert und beeinflusst durch Grant Hyde Codes Engagement und sein Plädoyer für den Tanz am Museum vermachte Lincoln Kirstein dem MoMA seine private Tanzsammlung als Schenkung.62 Kirstein war Mitglied des Museumsbeirats und gemeinsam mit 58 59
60 61
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Vgl. https://walkerart.org/about/performing-arts/ (05.01.2018). Die 1984 erschienene Publikation »The Museum of Modern Art New York: The History and the Collection« mit einer Einleitung von Sam Hunter liefert eine umfassende Institutions- und Sammlungsgeschichte, doch wird weder das Tanzarchiv noch das »Department of Dance and Theater Design« erwähnt. Moma.org: The Museum of Modern Art history, https://www.moma.org/about/whowe-are/moma-history (25.10.2017). ELLIGOTT, Michelle: From the Archives Dance and Theater, MoMa/PS1 Blog, https ://www.moma.org/explore/inside_out/2015/10/23/from-the-archives-dance-and-the ater/ (15.11.2017). In der ersten Broschüre des MoMAs, ein Mission Statement (1929) führte Alfred Barr nachträglich die gegründeten Museumsabteilungen einschließlich Gründungsjahr u.a. Theater and Dance 1940 auf, vgl. Moma.org: Another Modern Art: Dance and Theater (exhibition website), Vom 24.06. bis 24.08.2009 präsentierte das MoMA die Ausstellung über das Tanzarchiv Another Modern Art: Dance and Theater, htt ps://www.moma.org/interactives/exhibitions/2009/anothermodernart/ (15.09.2020). Vgl. GRAHAM 2020, S. 219.
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Choreograf George Balanchine Gründer des American Ballet sowie später des New York City Ballets. Seine persönliche Sammlung beinhaltete u.a. Plastiken, Zeichnungen, Drucke wie Lithografien, Bücher, Zeitungsartikel, Fotografien, Filme und Diapositive, Tanzprogramme sowie Theaterplakate. Zur Eröffnung des Tanzarchivs präsentierte das Museum 1940 einen Querschnitt des Archivmaterials unter dem Titel Preview: Dance Archive63 . Der hierzu veröffentlichte Pressetext beschreibt das Tanzarchiv als ein »bureau of research and information to all persons interested in the art, theory, and practice of dancing. Its emphasis will be in the dance in modern times.«64 Zudem betont es die gut präsentierte, durch Dhiagilev und der Ballets Russes eingeleitete »new era of stage design«65 mit Bühnenbildarbeiten und Originalzeichnungen von bildenden Künstler*innen wie Léon Bakst, Alexander N. Benois und Nicolas Roerich. Der Fokus des Archivs lag also auf zeitgenössische und damit gegenwartsnahen Tanzentwicklungen des 20. Jahrhunderts, vorangetrieben durch – exemplarisch genannt – Tanzkünstler*innen wie die deutsche Ausdruckstänzerin Mary Wigman, den amerikanischen Erfinderinnen des modern dance Doris Humphrey und Martha Graham sowie Merce Cunningham als Erneuerer des modern dance.66 1944 wandelte das MoMA das Tanzarchiv in eine kuratorische Abteilung unter der Leitung von George Amberg um. Zu den Aufgaben des Departments zählten: Die Akquirierung von Bühnendesign wie Bühnenbilder und -architektur sowie Kostüme, die Aktualisierung und Erweiterung des Forschungsmaterials über die Tanzgeschichte und den Gegenwartstanz des 20. Jahrhunderts; Planung und Umsetzung wechselnder Ausstellungen.67 Die Tanzsammlung vergrößerte sich mit durch weitere Schenkungen, z.B. von der »Denis-
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65 66 67
https://www.moma.org/calendar/exhibitions/2980?locale=en (11.11.2021), siehe Pressetext und Plan für die ausgestellten Kunstwerke vom 06.03.-07.04.1940. Zu den Exponaten gehörten Originalzeichnungen, Drucke wie Lithografien oder Satirezeichnungen und Karikaturen, die Tänzer abbildeten und Theaterplakate von Tanzaufführungen des 20. Jahrhunderts, siehe MoMA Pressetext vom 06.03.1940 über die Gründung des Dance Archives, https://assets.moma.org/documents/moma_press -release_325163.pdf?_ga=2.128156424.562380503.1636650871-802883638.1634028249 (11.11.2021). Ebd. Zudem lieferte es auch Informationen und Bildmaterial zu Volkstänzen, Tänzen aus aller Welt und verschiedenen Tanzstilen. Vgl. https://www.moma.org/explore/inside_out/2015/10/23/from-the-archives-dance -and-theater/ (05.01.2018).
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hawn« Kompanie, die von den Tänzerikonen Ruth St. Denis (1879–1968) und Ted Shawn (1891–1972) geleitet wurde. Nach innerbetrieblichen Diskussionen und Unstimmigkeiten über Funktion, Mission und Aufgabe innerhalb der Museumsinstitution schloss das MoMA nach vier Jahren sein Department of Theatre Arts, offiziell ebenso wie das Brooklyn Museum Dance Center aus finanziellen Gründen. Zu den verwirklichten Ausstellungen des Departments gehören: Forty Years of the American Dance (1940), Isadora Duncan: Drawings, Photographs, Memorabilia (1941–1942) und Art in Progress: 15th Anniversary Exhibition: Dance and Theatre Design (1944). Als »happy marriage of two contemporary arts – the modern dance and high-speed photography«68 kündigte das MoMA 1945 die Tanzfotografieausstellung Modern American Dance von Barbara Morgan (1900–1992) an. Morgan ist mit ihren bahnbrechenden Fotografien von Wegbereiter*innen der amerikanischen modern dance-Bewegung berühmt geworden. Thematisch fokussierte sich die Ausstellung auf die Entwicklung des modern dance in den Vereinigten Staaten in den 1930er und 1940er Jahren und beinhaltete Fotos von Martha Graham, Doris Humphrey, Charles Widman, Merce Cunningham und weiteren Tänzer*innen. Den flüchtigen und modernen Tanz durch das Medium der Fotografie auszustellen, dessen Kunstcharakter damals selbst noch umstritten war, beweist die Aktualität der im MoMA präsentierten zeitgenössischen Kunst bzw. die innovative Ausrichtung der Museumsinstitution. Was der ephemere Tanz als Kunstform in seiner Beschaffenheit schon vorgibt, zeigt sich in der Auswahl der Exponate und Sammlungsobjekte, denn nur in anderen Speichermedien wie Fotografie oder Film ist er zu bewahren. Gesammelt und ausgestellt wurde und wird auch heute noch »Dokumentationsmaterial vergangener Aufführungen wie Videoaufzeichnungen, Schrift- und Bilddokumente und autobiografische Zeugnisse«69 . Ein Schwerpunkt der Sammlungsakquise des MoMA waren Bühnenentwurfsskizzen, angefertigte Bühnenbilder und Kostümierung, quasi Reliquien vergangener Bühnenproduktionen. Zudem präsentierte das Department of Theatre Arts Malereien, Zeichnungen und Drucke oder Fotografien von bildenden Künstlern und Fotografen, die sich dem Tanz als Motiv oder Thema widmeten. Tanz in Form einer Live-Aufführung als Programmpunkt der Ausstellung wie es aktuell vermehrt gezeigt wird, fand damals noch nicht statt. Jedoch gab es ab
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Die Wanderausstellung reiste zudem in Städte wie Kuba sowie in weitere südamerikanische Länder. ANDRADE RUIZ 2017, S. 11.
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den 1940er Jahren vereinzelt Konzerte oder Aufführungsabende mit Tanz, wie z.B. von John Cage und Merce Cunningham.70 Das Brooklyn Museum Dance Center gilt als ein institutionelles Beispiel, bei dem experimentelle Vermittlungsarbeit, politisches Engagement für den Tanzbereich und eine kuratorische Zusammenführung von bildender Kunst und dem Tanz mit all seinen damaligen aktuellen Strömungen im Vordergrund stand. Es dient den heutigen Museen als ein bleibendes »aspirational but realistic model.«71 Beim Department of Theater Arts stand mehr das archivische Sammlungsinteresse für die Tanzgeschichte, -theorie und den zeitgenössischen Tanz im Fokus. Trotz ihrer kurzlebigen Dauer demonstrieren beide Ausstellungshäuser, wenn auch von einzelnen Personen als treibende Kraft abhängig, eine frühe institutionelle Aufmerksamkeit gegenüber den neuen, modernen Entwicklungen der Tanzkunst in den späten 1930er und 1940er Jahren. Kunsthistorikerin Claire Bishop bezeichnet diese Zeitspanne als die erste von drei Wellen des Tanzes im Museum, die sie anhand einer näheren Betrachtung der historischen Beziehung zur Tanzkunst der drei sammlungsorientierten Institutionen Tate Modern, MoMA und dem Whitney Museum of Modern Art festmacht.72 Im deutsch- und französischsprachigen Raum wiesen zu jener Zeit einige wenige Tanzarchive ernsthaftes Sammlungsinteresse auf. Als französisches Beispiel ist das Archive Internationales de la Danse zu erwähnen. Es war eine bahnbrechende Tanzstiftung, die 1931 von Rolf de Maré in Paris gegründet wurde und bis 1952 bestand. Auch die Sonderabteilung Tanz der Bibliothèque-musée de l’Opéra de Paris, die seit 1935 existiert, ist nennenswert.73 Die Derra de Moroda Dance Archives (DdMDA) in Salzburg ergaben sich aus dem Nachlass der Tänzerin, Choreografin, Tanzpädagogin und -publizistin Friderica Derra de Moroda (1897–1978). In den 1920er Jahren begann Derra de Moroda Dokumentationsstücke des Tanzes zu sammeln. Ab 1960 widmete sie sich vermehrt der Tanzforschung und baute eine umfangreiche Bibliothek an tanzspezifischer Literatur auf.74 Heute zählt es zu den wichtigsten 70 71 72 73 74
Siehe Kapitel 3.3. GRAHAM 2020, S. 223. Die zweite Welle fand in den späten 1960er und 1970er Jahren statt und die dritte Welle entfaltet sich gegenwärtig. Vgl. BISHOP 2014, S. 62f. Vgl. https://www.rem.routledge.com/articles/archives-internationales-de-la-danse-i nternational-archives-of-dance-aid-1931-1952-1 (21.11.2021). Hierzu mehr, siehe: DAHMS, Sibylle/SCHROETER, Stephanie (Hg.): Der Tanz – ein Leben. In Memoriam Friderica Derra de Moroda, Salzburg 1997, v.a. S. 51–57 und
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Tanzarchiven weltweit, doch ist es bisher vornehmlich Tanzwissenschaftler*innen bekannt.75 In Deutschland leitete Fritz Böhme (1881–1952) das erste systematisch aufgebaute, aus öffentlichen Mitteln geförderte und seit 1873 bestehende Deutsche Tanzarchiv an den Deutschen Meisterstätten für Tanz in Berlin.76 Der Zweite Weltkrieg zerstörte das Berliner Archiv, doch der Tänzer und Tanzpädagoge Kurt Peters (1915–1996) begann 1948 mit den erhalten gebliebenen Bestandsresten und einer intensiven Sammlungsakquise ein neues Archiv, in Hamburg und ab 1965 in Köln aufzubauen. Es entwickelte sich zu einer international anerkannten Tanzsammlung und versteht sich heute als Informations-, Dokumentations- und Forschungszentrum für Tanz. Seit 1997 gehört dem Archiv ein Tanzmuseum an, das sich als das einzige Tanzmuseum Europas bewirbt. Hier werden Tanzkunstzeugnisse bewahrt und die Geschichte des Tanzes in Ausstellungen vermittelt.
3.3 Zwei Künstler prägen ein Neudenken von Musik, Kunst und Tanz Nachdem im vorigen Kapitel das Interesse am Tanz und der Aufbau von Tanzsammlungen verschiedener Institutionen, sowohl in Amerika als auch im deutschsprachigen Raum, betrachtet wurde, stehen hier John Cage (1912–1992) und Merce Cunningham (1919–2009) im Fokus, die durch ein Neudenken von Musik, Kunst und Tanz den Weg für die performativen Künste in die Museen und Ausstellungshäuser ebneten. Den Komponisten John Cage und den Tänzer und Choreografen Merce Cunningham verbindet eine über fünfzigjährige künstlerische Kollaboration und langjährige Lebenspartnerschaft, die bis in die Gegenwart hinein ihre Früchte trägt. Beide lehnten den emotionalen, subjektiven Ausdruck des zu ihrer Zeit vorherrschenden abstrakten Expressionismus ab und entfernten sich zugleich von traditionellen Vorgaben, Cage in der Musikkomposition
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S. 137–142. Der Nachlass des Derra de Moroda Dance Archives ist am Institut für Musikwissenschaften der Uni Salzburg öffentlich zugänglich; http://ddmarchiv.sbg.ac.at /index.php/ddmda (21.11.2021). Vgl. BACKOEFER, Andreas: »the alternative to what«. Das Museum auf Zeit im Kontext der neueren Kunstgeschichte, in: DERS./HAITZINGER, Nicole/JESCHKE, Claudia (Hg.): Dokument: Monument: Raum. Ausstellung, Performance, Promenade, München 2007, S. 7–15, hier S .7. Das Archiv geht zurück auf die Bibliothek und das Archiv für die Dokumentation der Tanzkunst an der Akademie der Tanzlehrkunst in Berlin, von 1873 an.
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Tanzarchiven weltweit, doch ist es bisher vornehmlich Tanzwissenschaftler*innen bekannt.75 In Deutschland leitete Fritz Böhme (1881–1952) das erste systematisch aufgebaute, aus öffentlichen Mitteln geförderte und seit 1873 bestehende Deutsche Tanzarchiv an den Deutschen Meisterstätten für Tanz in Berlin.76 Der Zweite Weltkrieg zerstörte das Berliner Archiv, doch der Tänzer und Tanzpädagoge Kurt Peters (1915–1996) begann 1948 mit den erhalten gebliebenen Bestandsresten und einer intensiven Sammlungsakquise ein neues Archiv, in Hamburg und ab 1965 in Köln aufzubauen. Es entwickelte sich zu einer international anerkannten Tanzsammlung und versteht sich heute als Informations-, Dokumentations- und Forschungszentrum für Tanz. Seit 1997 gehört dem Archiv ein Tanzmuseum an, das sich als das einzige Tanzmuseum Europas bewirbt. Hier werden Tanzkunstzeugnisse bewahrt und die Geschichte des Tanzes in Ausstellungen vermittelt.
3.3 Zwei Künstler prägen ein Neudenken von Musik, Kunst und Tanz Nachdem im vorigen Kapitel das Interesse am Tanz und der Aufbau von Tanzsammlungen verschiedener Institutionen, sowohl in Amerika als auch im deutschsprachigen Raum, betrachtet wurde, stehen hier John Cage (1912–1992) und Merce Cunningham (1919–2009) im Fokus, die durch ein Neudenken von Musik, Kunst und Tanz den Weg für die performativen Künste in die Museen und Ausstellungshäuser ebneten. Den Komponisten John Cage und den Tänzer und Choreografen Merce Cunningham verbindet eine über fünfzigjährige künstlerische Kollaboration und langjährige Lebenspartnerschaft, die bis in die Gegenwart hinein ihre Früchte trägt. Beide lehnten den emotionalen, subjektiven Ausdruck des zu ihrer Zeit vorherrschenden abstrakten Expressionismus ab und entfernten sich zugleich von traditionellen Vorgaben, Cage in der Musikkomposition
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S. 137–142. Der Nachlass des Derra de Moroda Dance Archives ist am Institut für Musikwissenschaften der Uni Salzburg öffentlich zugänglich; http://ddmarchiv.sbg.ac.at /index.php/ddmda (21.11.2021). Vgl. BACKOEFER, Andreas: »the alternative to what«. Das Museum auf Zeit im Kontext der neueren Kunstgeschichte, in: DERS./HAITZINGER, Nicole/JESCHKE, Claudia (Hg.): Dokument: Monument: Raum. Ausstellung, Performance, Promenade, München 2007, S. 7–15, hier S .7. Das Archiv geht zurück auf die Bibliothek und das Archiv für die Dokumentation der Tanzkunst an der Akademie der Tanzlehrkunst in Berlin, von 1873 an.
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und Cunningham in der Kreation von Tanzstücken. Sie stehen für innovative Ideen und experimentelle, zufallsbedingte Verfahren, für die sie auch neue elektronische sowie interaktive Technologien einsetzten. Beide mischten das Verhältnis von Tanz, Choreografie und Musik neu. Im Folgenden wird zuerst John Cages Auffassung von Musik und Kunst sowie die künstlerischen Strategien seiner neuen, experimentellen Musik erläutert, um daraufhin auf Merce Cunninghams Innovationen im Bereich des modern dance und die Erfindung seines Eventformates für Tanz-Performances einzugehen.
3.3.1 John Cage »Die Leute nennen es Lärm – Aber er nennt es Musik«77 Pence James In den avantgardistischen Kreisen New Yorks wurde John Cage78 durch sein erstes Percussion-Konzert im MoMA bekannt, das 1943 stattfand.79 Der von Cage organisierte und dirigierte Musikabend erregte viel Aufsehen, denn sein Ensemble, zu dem seine damalige Frau Xenia und der Choreograf Merce Cunningham gehörten, spielte nicht auf gewöhnlichen Instrumenten, sondern erzeugte Geräusche und Klänge auf Gegenständen. Die Musiker klapperten auf Blechbüchsen, Bongos, Kieferknochen, läuteten Kuhglocken und schlugen auf chinesische Reisschälchen und Trommeln aus Autobremsen. Das amerikanische Life Magazine berichtete über das ungewöhnliche Konzert als Sensation: »an orchestra of earnest, dressed-up musicians sat on the stage and began to hit things with sticks and hands. […] The audience, which was very highbrow, listened intently without seeming to be disturbed at the noisy results.«80 77
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Pence James war damals Reporter bei der Chicago Daily News, der diese Aussage über ein Konzert von John Cage 1942 niederschrieb, in: KOSTELANETZ, Richard: John Cage (ex)plain(ed), New York 1996, S. 88. Bevor sich John Cage als Schüler bei Arnold Schönberg vollkommen der Musik widmete, übte er sich neben dem Komponieren zuvor in der Malerei, Zeichnung und Dichtung. Er studierte Klavier, Komposition, zeitgenössische und außereuropäische Musik. Literaturauswahl zu John Cage: KOSTELANETZ 1996; NICHOLS, David: The Cambridge Companion to John Cage, Cambridge 2002; DEUFERT, Kattrin: John Cages Theater der Präsenz (zugl. Diss. FU Berlin), Norderstedt 2001. In einigen Texten ist vom 7. März die Rede, in der Ankündigung des Konzerts steht Februar als Veranstaltungsmonat. https://www.moma.org/explore/inside_out/2014/0 6/20/talking-john-cage-with-david-platzker-and-jon-hendricks/ (1.12.2020). »Percussion Concert. Band bangs things to make music.« Life, 15. März 1943. Das Magazin beschrieb John Cage als »a patient, humorous, 30-year-old Californian […] the
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Cage verstand die Musik als »purposeless play … [which] however, is an affirmation of life […]«81 Für Cage waren nicht nur Geräusche und Lärm Musik, sondern auch das Schweigen, die ›vermeintliche‹ Stille: So war das Publikum 1952 während der Uraufführung von 4’3382 gebannt und blickte erwartungsvoll auf den Pianisten David Tudor, der vor seinem Flügel saß und ihn aufklappte. Die Zuschauer*innen richteten ihre Aufmerksamkeit auf das Hören. Doch spielte dieser keinen einzigen Ton. Tudor hob nur dreimal die Hände über die Tasten seines Flügels, lautlos. Nach 4 Minuten und 33 Sekunden, klappte er den Flügel wieder zu, das Stück war beendet. John Cages berühmte Komposition besteht aus drei Sätzen ohne Noten, mit der einzigen Spielvorgabe – Tacet 1–383 . Das »stille Werk« definiert sich nicht aus der scheinbaren Lautlosigkeit, sondern aus den Umgebungsgeräuschen während der Performance und damit aus allem, was das Publikum in den 4’33 Minuten hört und ohne oder mit Absicht selbst an Geräuschen verursacht. So betonte Cage: Kunst »change[s] ways of seeing [and hearing], to open up one’s eyes to just seeing what there was to see.«84 John Cage begann in den 1950er Jahren mit aleatorischen Kompositionsverfahren, also mit zufallsbestimmten Methoden zu experimentieren.85 Er traf
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most active percussion musician in the U.S., [who] believes that when people today get to understand and like his music [. . .] they will find new beauty in everyday modern life«. CAGE, John: Experimental Music, in: DERS. (Hg.): Silence: lectures and writings, Middletown Conn. 1961, S. 12. Uraufführung, 29.08.1952 in der Maverick Concert Hall in Woodstock, New York. Tacet ist in der Musik die Spielanweisung für eine Pause, d.h. in den mit »Tacet« gekennzeichneten Abschnitten pausiert der oder die Instrumentalist*in/Sänger*in. Das »Buch der Wandlungen«, auch I Ging genannt, ein Orakelbuch, diente Cage dabei als Grundlage zur Ermittlung der Tacet-Längen. Eine weitere Inspirationsquelle für 4'33 waren die White Paintings von Robert Rauschenberg, mit denen der Maler »die Malerei auslöschen« wollte. Der Bilderzyklus thematisiert die »Stille«, wobei der Betrachter und seine Umgebung, bspw. sein Schatten, Teil des Œuvre werden; Vgl. GANN, Kyle: No such thing as silence: John Cage’s 4'33, New Haven 2010. SANDLER, Irving: The New York School. The Painters and Sculptors of the Fifties, New York 1978, S. 164–165. Das Buch der Wandlungen wurde sein wichtigstes Instrument für die Zufallsoperationen. Hiermit erstellte John Cage 1951 sein erstes durch Zufall bestimmtes Stück Music of Changes. Zu den Ausführungen über seine Zufallsmethodik, vgl. das Kapitel »Zufall und Unbestimmtheit in John Cages Theaterarbeit.«, in: DEUFERT 2001, S. 92–189; DRAGO-JEKAL, Anna-Maria: Zwischen geplant und unvorhersehbar: John Cage und der Zufall der Musik, in: Ausst. Kat. Stuttgart: [un]erwartet. Die Kunst des Zufalls, hg. von
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bspw. durch mehrmalige Münzwürfe eine zufallsbasierte Auswahl an Kompositionsentscheidungen und ging hierbei jedoch radikaler vor als seine Zeitgenoss*innen.86 Denn er überließ die Komposition komplett dem Zufall und verzichtete damit auf sein ästhetisches Urteil und seine Autorschaft als Komponist. Cage lehnte subjektiven Ausdruck und Expressivität in der Musik ab, und seine »chance operations« eröffneteten ihm eine Möglichkeit seine Stücke von Subjektivität und persönlichem Geschmack zu befreien: »Ich wollte mein Werk von meinen Neigungen und Abneigungen befreien, da ich der Ansicht bin, daß [sic!] Musik nicht von den Gefühlen und Gedanken des Komponisten abhängen darf.«87 Neben seinen Zufallsoperationen setzte Cage ebenso die Idee der »Indeterminacy« (Unbestimmtheit) ein und ließ bei der Realisierung von Kompositionen der Indetermination seine Interpret*innen, die Ausführenden, als Ko-Komponist*innen agieren. Ihm ging es um die schöpferische Mit-Arbeit seiner Musiker*innen, die sich bspw. erst eine Aufführungspartitur erarbeiten mussten.88 Die Musik entstand, in Worten Kattrin Deuferts, so »im und durch den Prozeß [sic!] ihrer Bearbeitung und Ausführung« und orientierte sich nicht an »semiologischen Modellen von Aufschreibesystemen bisheriger Musik«89 . John Cages neue Auffassung von Musik, den Zufallsoperationen und der Unbestimmtheit als kompositorische Mittel überzeugte nicht alle Kritiker*innen seiner Zeit und die Reaktionen seiner Komponistenzeitgenoss*innen waren ambivalent.90 Doch umso mehr Zustimmung erhielt er aus den Tanz- und
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GROOS, Ulrike/FROITZHEIM, Eva-Marina/Kunstmuseum Stuttgart, Köln 2016, S. 56–59 und SCHÄDLER, Stefan: John Cage und der Zufall in der Musik, in: Ausst. Kat. Ludwigshafen a. Rhein: Zufall als Prinzip. Spielwelt, Methode und System in der Kunst des 20. Jahrhunderts, hg. von HOLECZEK, Bernhard/MENGDEN, Lida von/Wilhelm-Hack-Museum, Heidelberg 1992, S. 65–74. Z.B. wie der deutsche Komponist Karlheinz Stockhausen oder der französische Dirgigent, Komponist und Theoretiker Pierre Boulez. KOSTELANETZ, Richard (Hg.): John Cage im Gespräch, Köln 1989, S. 159. Z.B. müssen für Variations I (1958) bedruckte Transparent-Folien übereinandergeworfen werden, um aus den dadurch entstehenden Konstellationen Tonhöhen, Tondauer usw. zu ermitteln. Was er unter dem Konzept der Unbestimmtheit versteht, erläuterte Cage in seinem Vortrag »Undeterminacy«, den er 1958 während der Weltausstellung in Brüssel hielt und der 1961 erstmals veröffentlicht wurde, vgl. CAGE 1961. DEUFERT 2001, S. 11. Vgl. WILLIAMS, Michael: The Early Percussion Music of John Cage, 1935–1943, in: Percussive Notes, Aug. 1993, http://bmichaelwilliams.com/wp-content/uploads/2013/02 /PNCageInterview.pdf (08.02.2018).
III BEZIEHUNGEN ZWISCHEN TANZ, BILDENDER KUNST, MUSEUM UND AUSSTELLUNG
Künstler*innenkreisen, insbesondere der jüngeren Generation. Sein Einfluss wuchs durch seine Lehrtätigkeit, seine Konzerte und die außergewöhnlichen Auftritte, auch im Umfeld der Happening- und Fluxus-Bewegung.91 ›Performen‹ als handlungsbasierter Akt war für Cage ein wichtiger Bestandteil des Musik-Machens. Als einen wichtigen Katalysator beschrieb sein Schüler Allan Kaprow (1927–2006) das von Cage initiierte Theater Piece No. 1, das 1952 im Speisesaal des Black Mountain Colleges stattfand.92 Die Einrichtung war ein Ort, der sich seit seiner Gründung 1933 in North Carolina von Josef und Anni Albers als emigrierte Bauhäusler*innen »zu einem legendären Kraftfeld interdisziplinären und durch und durch demokratischen Denkens und Experimentierens«93 entwickelt hatte und mit seinem alternativen Lehrmodell viele Künstlergenerationen prägte. Historisch wird Theater Piece No. 1 als Vorbild für weitere Happenings und Events der Performance-Kunst in den 1950ern und 1960ern betrachtet.94 Das Ereignis bestand aus einer stundenlangen Multimedia Performance aus Tanz, Film, Diaprojektion, gemalten Bildern von Rauschenberg, ›phonograph records‹, Lesungen von Gedichten und Lectures, die wiederum aus etlichen nicht zusammenhängenden und teilweise gleichzeitig stattfindenden Soli von John Cage, Merce Cunningham, Robert Rauschenberg, Pianist David Tudor, Dichter Charles Olson, Mary Caroline Richard und Jay Watts aufgeführt stattfanden. Die Vorbereitung für diese Performance bestand nur aus einer von Cage an die Teilnehmer*innen ausgehändigten Partitur, die ausschließlich »Zeitklammern« angab.95
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Vgl. DRAGO-JEKAL 2016, S. 58. Auch als Untitled Event betitelt. Kaprow nahm zwei Jahre an Cages Kursen teil. KAPROW, Allan: Assemblage, Environments and Happenings, New York 1966, S. 212. SPRENGER-SCHOCH, Gisela: Tanz, Geste, Bildende Kunst – Eine Beziehung in Bewegung, in: Ausst. Kat. Göppingen: Tanz. Bewegung. Geste. Bild, hg. von MEYER, Werner, Göppingen 2019, S. 11–21, hier S. 15. SCHEIT, Stefanie: Die Autonomie der choreographischen Elemente. Merce Cunningham, John Cage, Robert Rauschenberg, Jasper Johns, Charles Atlas, Nam June Paik, Stan Van Der Beek, in: Ausst. Kat. Siegen 2007, S. 8–20. Es war den Performer*innen freigestellt, was sie während ihres Zeitfensters machten, und die Anweisung war, vor der Aufführung nichts über deren Inhalt zu kommunizieren. Auf eine »klassische« Trennung von Zuschauerraum und Bühnenbereich wurde verzichtet, stattdessen saß das Publikum in einem Quadrat eingeteilt, das aus vier Dreiecken bestand, die durch zwei diagonale Gänge voneinander getrennt waren. Über den Zuschauer*innen hingen weiße Bilder von Robert Rauschenberg, der damals als Gaststudent des Colleges eingeschrieben war.
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3.3.2 Merce Cunningham und das Museum Event No. 1 Cages Tänzerfreund und Partner Merce Cunningham zählt zu den wirkungsreichsten Erneuerern des amerikanischen modern dance.96 Die Begegnung mit John Cage und seiner neuen Auffassung von Musik war für Cunninghams choreografisches Schaffen richtungsweisend: Als Merce Cunningham noch als Solist in der Martha Graham Company tanzte, motivierte Cage ihn, seine eigenen Tänze zu choreografieren.97 Seit 1942 arbeiteten beide zusammen an Aufführungen. Cage begleitete Cunninghams Solo-Tänze98 nicht nur auf Klavier, sondern war seitdem als sein musikalischer Leiter zuständig. Die Martha Graham Company verließ der junge Tänzer, da er sich mit dem vorherrschenden narrativen Stil des amerikanischen modernen Tanzes nicht mehr identifizieren konnte. Zwar führten die Pionierinnen des modern dance Martha Graham und Doris Humphrey neue ästhetische Bewegungsformen in den Bühnentanz ein, hielten aber an traditionellen choreografischen Verfahren fest. Bewegung betrachtete Graham als Mittel, um Geschichten zu erzählen und um Bedeutung und Inhalt zu vermitteln.99 So erläuterte Cunningham selbst: »I don’t work through images or ideas – I work through the body. And I don’t ever want a dancer to start thinking that a movement means something.
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Neben Alwin Nikolais (1912–1993), Erick Hawkins (1909–1994) und sein Schüler Paul Taylor (1930–2018); Huschka schreibt, dass die Cunningham-Technik im Widerspruch zum modern dance steht, z.B. durch Einbezug von Bewegungstechniken aus dem klassischen Tanz, vgl. HUSCHKA, Sabine: Merce Cunningham und der Moderne Tanz. Körperkonzepte, Choreographie und Tanzästhetik, Würzburg 2000, S. 132. Publikationen zu Merce Cunningham sind weitläufig (Auswahl): HUSCHKA 2000; KOSTELANETZ, Richard (Hg.): Merce Cunningham. Dancing in Space and Time, Chicago 1992; EVERT, Kerstin: DanceLab. Zeitgenössischer Tanz und Neue Technologien (zugl. Diss. Gießen 2001), Würzburg 2003, darin v.a. Kapitel 2 »Adaption filmischer Verfahren für den choreographischen Prozess: Merce Cunningham«, S. 43–85. Cage und Cunningham lernten sich 1938 an der Cornish School in Seattle in Washington kennen, als Cage den Tanz-Unterricht am Klavier begleitete und Cunningham dort studierte. Er war von 1939 bis 1945 Solist in Martha Grahams Company. Nebenher nahm er zudem Unterricht im klassischen Ballett an der New Yorker School of American Ballet. Zu den ersten frühen Choreografien zählen: Credo in Us (1942), Renaissance Testimonials (1942), Root of an Unfocus (1944). Mehr zu Cunningham, Graham und dem modern dance, siehe: HUSCHKA 2000, S. 132.
III BEZIEHUNGEN ZWISCHEN TANZ, BILDENDER KUNST, MUSEUM UND AUSSTELLUNG
That was what I really didn’t like about working with Martha Graham – the idea that was always being given to you that a particular movement meant something specific.«100 Cunninghams konzeptuelles Statement »Dance is movement in time and space«101 entfaltet noch immer, vor allem im Gegenwartstanz, seine einflussreiche Wirkung. Er nahm den Tanz als reine Bewegung in Raum und Zeit wahr, der nichts als sich selbst repräsentiert und weder erzählerisch noch expressiv, sondern handlungslos ist.102 Für ihn war jede mögliche Bewegung und ebenso Nichtbewegung Tanz: »I started with the idea that first of all any kind of movement could be dancing. […] I thought that any kind of movement could be used as dance movement, that there was no limit in that sense.«103 So wie John Cage die Musik und ihre Auffassung mit jeglicher Form von Klangerzeugung, Geräuschen und Stille erweiterte, so integrierte Cunningham Bewegungslosigkeit und Alltagsbewegungen und betrachtete, in Worten Kerstin Everts, »jede mögliche Bewegungsform als potenzielles choreografisches Material«104 . Cunningham löste sich mit der Zeit von konventionellen Prinzipien und schuf radikale Erneuerungen im Hinblick auf die zeitliche und räumliche Gestaltung seiner Choreografien: Tanz, Musik und Bühnengestaltung waren für Cunningham drei voneinander unabhängige kompositorische Elemente. Er verstand sie nicht mehr wie bis dahin im Bühnentanz üblich als Einheit, sondern löste allmählich die traditionelle Verknüpfung mit der Musik als zeitlichen Rahmen, der gewöhnlich die Dauer einer Choreografie vorgibt, auf. Konventionelle Ballette hingegen basieren meist auf einem Libretto, dessen
100 TOMKINS, Calvin: The Bride and the Bachelors, Harmondsworth, Middlesex 1985, S. 246. 101 Ausst. Kat. Barcelona: Merce Cunningham, hg. von CELANT, Germano, Barcelona u.a.O. 1999, S. 42. 102 »Für mich ist der Inhalt eines Tanzes das Tanzen selbst. Er stellt nichts anderes dar, weder im psychologischen noch im literarischen oder ästhetischen Sinne. Es hat vielmehr etwas mit den Erfahrungen des Alltags zu tun, dem täglichen Leben.« CUNNINGHAM, Merce/LESSCHAEVE, Jacqueline: Der Tänzer und der Tanz. Gespräche mit Jacqueline Lesschaeve, Frankfurt a.M. 1986, S. 168; Vgl. BRANDSTETTER 1991, S. 244 und HUSCHKA 2000, S. 132. 103 CUNNINGHAM/LESSCHAEVE 1986, S. 39. 104 EVERT 2003, S. 43.
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Handlungsstrang von der Musik, dem Tanz und dem Bühnenbild gerahmt wird. Cunningham erläuterte sein Konzept selbst so: »Die drei Künste entspringen also nicht der einzigen Idee, die vom Tanz vorgeführt, von der Musik getragen und durch das Dekor illustriert wird. Vielmehr sind es drei eigenständige Elemente, von denen jedes auf sich selbst bezogen ist.«105 Musik und Tanz waren in ihren ersten Soli noch miteinander verbunden, doch trennten Cage und Cunningham diese Verbindung im Laufe der Zeit komplett.106 Variations V, das die beiden 1965 entwickelten, steht zum einen für ihr Experimentieren mit neuen elektronischen Technologien und zum anderen für das Erforschen weiterer Möglichkeiten für die gleichzeitige, doch unabhängige Präsenz musikalischer und tänzerischer Elemente während einer Aufführung. Das Stück basierte auf einem interaktiven technologischen System, das Bewegung und Klang miteinander verband. Während der Aufführung lösten die Tänzer*innen durch ihre Bewegungen die zuhörenden Geräusche aus, die von den beteiligten Musikern John Cage, David Tudor sowie Gordon Mumma an den elektronischen Apparaturen erzeugt wurden.107 Auf die Zusammenarbeit mit bildenden Künstler*innen und Musiker*innen legte Cunningham viel wert. Die Gestaltung seiner Bühnenbilder übernahmen bspw. Robert Rauschenberg, Andy Warhol und Jasper Johns, deren Arbeiten seine innovative choreografische Praxis beeinflussten.108 Besonders war, dass Tänzer*innen, bildende Künstler*innen und Musiker*innen parallel arbeiteten und Tanz, Musik und Bühnenausstattung als voneinander unabhängig entstandene Parameter erst kurz vor der Aufführung zusammengeführt wurden.109 Cunninghams Tänzer*innen probten ohne Musik und die
105 Vgl. CUNNINGHAM/LESSCHAEVE 1986, S. 165. 106 Evert erläutert, dass die Trennung von Musik und Tanz vor allem durch den Einsatz neuer Technologien und elektronischer Musik beeinflusst, gar ausgelöst worden sei. Vgl. EVERT 2003, S. 48f. 107 Mehr hierzu, siehe Kapitel »5.1.2 Variations V als erweiterter und vernetzter Aufführungsraum«, in ebd., S. 161–166. 108 Siehe hierzu: KIRKPATRICK 1995. 109 Der Arbeitseinsatz seiner Kollaborateure ging teilweise über deren ursprünglichen Aufgaben hinaus. Robert Rauschenberg performte teils selbst in einigen Stücken und John Cage war nicht nur musikalischer Leiter, sondern erledigte auch organisatorische Aufgaben.
III BEZIEHUNGEN ZWISCHEN TANZ, BILDENDER KUNST, MUSEUM UND AUSSTELLUNG
Musiker*innen ohne Tanz. So wie Cage das Prinzip des Zufalls für seine musikalischen Kompositionen verwendete, setzte auch Cunningham den Zufall und die Unbestimmtheit als choreografische Mittel ein: Er nutzte das Würfel werfen oder Karten ziehen, um »wahllos« entweder die Reihenfolge einer Bewegungsphrase, die Abfolge von Phrasen innerhalb einer Choreografie oder die Positionen der Tänzer*innen im Raum zu bestimmen.110 Alle Positionen im Bühnenraum waren für Cunningham gleichwertig. Keine Hierarchie bestimmte mehr die Anordnung der Tänzer*innen im Raum. Die Mitte der Bühne hatte die gleiche Wertung wie die Ränder und der hintere Bühnenbereich. 1964 tourte die Merce Cunningham Dance Company mit John Cage als musikalischem Leiter und dem bildenden Künstler Robert Rauschenberg als Bühnendesigner und -gestalter durch Europa und Asien. Während ihrer sechsmonatigen Welttournee machten sie nach einer Aufführung in Venedig111 auch für ein Gastspiel in Wien Halt. Allerdings stand kein Aufführungsort zur Verfügung. So wurde Merce Cunningham und seine Company112 vom Wiener Museum des 20. Jahrhunderts dazu eingeladen, im sogenannten »Zwanzger-Haus«, trotz fehlender Bühne zu tanzen.113 Die Stahlskelettkonstruktion beinhaltete keine Bühne und als Aufführungsort für Cunninghams Tanz-Performance sollte das Erdgeschoss des Pavillons mit seiner weiten offenen Raumfläche dienen, das durch die verglasten Außenwände mit natürlichem Licht durchflutet war. Hier konnte Cunningham kein für eine konventionelle Theaterbühne konzipiertes Tanzstück aufführen, deshalb beschloss er, aus einer neu zusammengesetzten Sequenz aus Ausschnitten seines Repertoires eine neue choreografische Arbeit speziell für diesen Aufführungsort zu entwickeln. Am 24. Juni 1964 performte die Merce Cunningham Dance Company unter ungewöhnlichen Aufführungsbedingungen im Wiener Museum des 20. Jahrhunderts zu John Cages Komposition Atlas Eclipticalis (1961–62), die von den Musiker*innen live im Museumsraum gespielt wurde. Cunningham betitelte dieses besondere Ereignis als Mu110 111 112
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BANES 1980, S. 9. Im Teatro La Fenice, 18. Juni 1964. Cunningham gründete erst 1953, nach der Aufführung im Black Mountain College, seine Dance Company. Tänzer*innen waren Carolyn Brown, Remy Charlip, Viola Farber und Paul Taylor. Das Gebäude wurde ursprünglich als Österreich-Pavillon von Karl Schwanzer für die Brüsseler Weltausstellung im Jahr 1958 entworfen, 1962 im Wiener Schweizer Garten neu errichtet, für die Funktion eines Ausstellungsgebäudes für moderne Kunst adaptiert und als Museum des 20. Jahrhunderts eröffnet. Bilder vom Gebäude: http://www .nextroom.at/building.php?id=2348&inc=datenblatt
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seum Event No.1. Daraufhin wurde die Kompanie dazu eingeladen, im Modernen Museum in Stockholm aufzutreten.114 Das war der Beginn einer langen Serie von Merce Cunninghams ortsspezifischen Events. Bis 2009 führte die Kompanie über achthundert Events an Orten abseits der Bühne auf – in Museen, Sporthallen, Fabrikhallen oder temporären Freilichtbühnen im öffentlichen Raum wie auf der Piazza San Marco und den Ruinen von Persepolis. Sein Format der neu erfundenen »Events« beschrieb Cunningham wie folgt: »Presented without intermission, this Event consists of complete dances, excerpts of dances from the repertory, and often new sequences arranged for particular performance and place, with the possibility of several separate activities happening at the same time—to allow not so much [for] an evening of dances as the experience of dance.«115 Der Ausstellungsraum, in dem man sich frei bewegen kann, bietet im Gegensatz zur Guckkastenbühne für die Zuschauer*innen viele perspektivische Möglichkeiten. Zugleich bedeutet dies auch, dass man nicht alles sehen kann und sich der Tanz für die Besucher*innen nur ausschnitthaft ergibt. Cunningham betont in seinem Zitat die neue Erfahrung der Tanzkunst. Das Besondere an dem ortsgebundenen Eventformat, was sich auch im Bereich der Happening- und Fluxus-Bewegung durch Künstler*innen wie George Brecht (1926–2008) und Allan Kaprow (1927–2006) etablierte, ist das Einmalige und damit Einzigartige. So, wie es nur einmal geschieht, auf- oder durchgeführt wird, an einem bestimmten Ort, zu einer exakten Zeit, einschließlich Performer*innen und Zuschauer*innen, wird es nie wieder ablaufen. John Cage und Merce Cunningham trieben den Eintritt der performativen Kunst in den Ausstellungsraum voran, auch indem sie durch ihre künstlerischen Strategien wie ihre zufallsbedingten Methoden und das Einsetzen neuer und später digitaler Technologien Alltagsgeräusche und -Bewegungen als Elemente ihrer musikalischen und tänzerischen Stücke integrierten sowie das Zusammenspiel und die Gleichwertigkeit aller Künste förderten. Cunningham hat mit seinen Events ein Format entwickelt, das speziell für Orte funktionierte, die nicht einer konventionellen Theaterbühne entsprachen und somit auch gut im Museum funktionierten. Er ebnete den Weg für die live aufgeführte
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Vgl. CUNNINGHAM/LESSCHAEVE 1986, S. 211. Merce Cunningham Trust, Museum Event No. 1 (Events), https://www.mercecunning ham.org/the-work/choreography/museum-event-no-1-events/ (18.12.2021).
III BEZIEHUNGEN ZWISCHEN TANZ, BILDENDER KUNST, MUSEUM UND AUSSTELLUNG
Tanzkunst in die Museen und Ausstellungshäuser. Insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren performten jüngere Choreograf*innen wie Lucinda Childs und Yvonne Rainer vermehrt in den Museen New Yorks wie bspw. im Whitney Museum of Modern Art.116 Auch John Cage und die Entwicklung hin zu einer experimentellen Musik in den 1950er Jahren trieb die Hinwendung der bildenden Kunst zu performativen, handlungsbasierten künstlerischen Strategien voran, sodass die »Kunst des Raumes« sich allmählich zu einer »Kunst der Zeit«117 verwandelte. In diesem Zusammenhang wurde die Musik nun zu einer Art Gebrauchsanweisung und die Partitur, die ursprünglich eine »Anweisung zum Umgang mit musikalischen Instrumenten« war, transformierte sich in eine »Anweisung für ein Ereignis, eine Aufführung.«118
3.4 Ästhetischer Wandel in der bildenden Kunst und im Tanz nach 1945 Während der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg einen katastrophalen tiefen Einschnitt für Europa, die Sowjetunion und Japan bedeutete, »herrschte in den USA Kontinuität und wirtschaftliche Prosperität«119 . New York war der Ort der internationalen Kunstszene, die einen noch stärkeren Einfluss durch in die USA emigrierte Künstler*innen wie der Konstruktivist Piet Mondrian oder Marcel Duchamp, der als Erfinder der Readymades industriell angefertigte Gebrauchsgegenstände zur Kunst erhob, erhielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann sich ein ästhetischer Wandel in den Künsten zu vollziehen. Alltagsgeräusche, Stille und Lärm galten nun als Musik, die Malerei und Skulptur ergänzten sich mit Materialien aus Müll oder gefundenen Gegenständen sowie Industrieherstellungen und der Tanz war nicht mehr anmutig und virtuos, sondern bestand nun aus gewöhnlichen, dem Alltag entnommenen Bewegungen und Handlungen. Viele Kunstströmungen bestanden parallel, darunter der abstrakte Expressionismus, Pop Art, Minimal Art, Land Art und die zu dieser Zeit neu entstehenden Kunstformen wie Konzept- und Aktionskunst, Body Art, Environment-Art, Happening, Fluxus und Performance. Die bildende Kunst öffnete sich gegenüber dem
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Siehe hierzu: Kapitel 3.4.2. WEIBEL, S. 14. Ebd., S. 15. URSPRUNG, Philip: Die Kunst der Gegenwart. 1960 bis heute, München 2010, S. 17.
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Tanzkunst in die Museen und Ausstellungshäuser. Insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren performten jüngere Choreograf*innen wie Lucinda Childs und Yvonne Rainer vermehrt in den Museen New Yorks wie bspw. im Whitney Museum of Modern Art.116 Auch John Cage und die Entwicklung hin zu einer experimentellen Musik in den 1950er Jahren trieb die Hinwendung der bildenden Kunst zu performativen, handlungsbasierten künstlerischen Strategien voran, sodass die »Kunst des Raumes« sich allmählich zu einer »Kunst der Zeit«117 verwandelte. In diesem Zusammenhang wurde die Musik nun zu einer Art Gebrauchsanweisung und die Partitur, die ursprünglich eine »Anweisung zum Umgang mit musikalischen Instrumenten« war, transformierte sich in eine »Anweisung für ein Ereignis, eine Aufführung.«118
3.4 Ästhetischer Wandel in der bildenden Kunst und im Tanz nach 1945 Während der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg einen katastrophalen tiefen Einschnitt für Europa, die Sowjetunion und Japan bedeutete, »herrschte in den USA Kontinuität und wirtschaftliche Prosperität«119 . New York war der Ort der internationalen Kunstszene, die einen noch stärkeren Einfluss durch in die USA emigrierte Künstler*innen wie der Konstruktivist Piet Mondrian oder Marcel Duchamp, der als Erfinder der Readymades industriell angefertigte Gebrauchsgegenstände zur Kunst erhob, erhielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann sich ein ästhetischer Wandel in den Künsten zu vollziehen. Alltagsgeräusche, Stille und Lärm galten nun als Musik, die Malerei und Skulptur ergänzten sich mit Materialien aus Müll oder gefundenen Gegenständen sowie Industrieherstellungen und der Tanz war nicht mehr anmutig und virtuos, sondern bestand nun aus gewöhnlichen, dem Alltag entnommenen Bewegungen und Handlungen. Viele Kunstströmungen bestanden parallel, darunter der abstrakte Expressionismus, Pop Art, Minimal Art, Land Art und die zu dieser Zeit neu entstehenden Kunstformen wie Konzept- und Aktionskunst, Body Art, Environment-Art, Happening, Fluxus und Performance. Die bildende Kunst öffnete sich gegenüber dem
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Siehe hierzu: Kapitel 3.4.2. WEIBEL, S. 14. Ebd., S. 15. URSPRUNG, Philip: Die Kunst der Gegenwart. 1960 bis heute, München 2010, S. 17.
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Theatralen, Prozess- und Ereignishaften, der postmoderne Tanz und das postdramatische Theater entfernen sich von der Theatralität und spielen mit Objekthaftigkeit.120 Durch den steigenden Einfluss neuer Technologien und Medien entwickelte sich zudem die Video- und Computerkunst. Zeitgleich mit der Einführung der ersten Videokameras und -tapes entstand auch die künstlerische Ausdrucksform Videodance, die Tanz, Performance-Kunst, Videokunst und Experimentalfilm vereinte.121 Ein prägnantes Beispiel hierfür ist Nam June Paiks Merce by Merce by Paik (1978), eine fast 30-minütige und aus zwei Teilen bestehende Arbeit, die der Videokunstpionier gemeinsam mit dem Filmregisseur und Künstler Charles Atlas, der Künstlerin Shigeko Kubota und Merce Cunningham gestaltete. Das Video versteht sich als eine Hommage an Merce Cunningham und seiner wegweisenden choreografischen Praxis sowie an den Avantgardisten Marcel Duchamp, der ein wichtiger Impulsgeber für die Verknüpfung von Kunst und Leben war und zur Entgrenzung der Künste beitrug. Im ersten Teil Blue Studio: Five Segments sieht man Cunningham Choreografien ausführen, die er speziell für die Videotechnik und das Fernsehen konzipiert hatte. Mit dem zweiten Teil Merce by Marcel kreierten Paik und Kubota eine Videocollage, die beide visionären Künstler*innen miteinander verbindet. Die Arbeit steht zugleich für die Fusion der Künste zu dieser Zeit. Vieles geschah neben- und miteinander, die Kunstformen verflochten sich intermedial und entzogen sich jeglichen Kategorisierungen und Zuordnungen zu traditionell künstlerischen Gattungen. Kunst und Wirklichkeit, Kunst und Leben sowie Kunst und Nicht-Kunst begannen sich zu vermischen und das Kunstobjekt wurde entmaterialisiert.122 Die Ereignisse in den 1960er und 70er Jahren sind neben den zuvor dargestellten Entwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fundamental für den Einzug der Tanz- und Performance-Kunst in den Ausstellungskontext. Um dies zu zeigen, wird im Folgenden die Performative Wende der bildenden
120 Vgl. LEHMANN 2008 und EIERMANN, André: Postspektakuläres Theater. Die Alterität der Aufführung und die Entgrenzung der Künste, Bielefeld 2009. WEIBEL, Peter: Schwerpunkt Tanz/Performance, ZKM (o.J.), https://www.zkm.de/de/schwerpunkt/tan z-performance (6.12.2020). 121 Mehr zum Videotanz, siehe: KÖHLER, Kristina: Der tänzerische Film: frühe Filmkultur und moderner Tanz (Diss. Zürich 2016), Marburg 2017, S. 46–49 und ROSINY, Claudia: Videotanz. Panorama einer intermedialen Kunstform, Zürich 1999. 122 Siehe hierzu: LIPPARD, Lucy: Six years. The dematerialization of the art object from 1966 to 1972, London 1973.
III BEZIEHUNGEN ZWISCHEN TANZ, BILDENDER KUNST, MUSEUM UND AUSSTELLUNG
Kunst einschließlich dem Aufkommen der Performance-Kunst sowie der postmoderne Tanz und das Judson Dance Theater in den Mittelpunkt gestellt. Ziel ist dabei, die feine Unterscheidung, die zwischen Performance der bildenden Kunst und dem Tanz ausgemacht werden kann und die vor allem in ihrer unterschiedlichen historischen Herkunft begründet liegt, herauszuarbeiten.
3.4.1 Die Performative Wende in der bildenden Kunst »Young artists of today need no longer say, ›I am a painter‹ or ›a poet‹ or ›a dancer‹. They are simply ›artists‹.«123 Allan Kaprow Künstler*innen begannen das Objekt als Kunstwerk und damit als künstlerisches Endprodukt mehr und mehr durch Handlungen, Aktionen und Handlungsanweisungen zu ersetzen. Jackson Pollock (1912–1956) spielte mit seinen »Action Paintings«124 eine bedeutende Rolle für die Entwicklung hin zur performativen Kunst. Bei seinem Malakt stand die Handlung sowie der Prozess im Mittelpunkt und nicht das Endergebnis. Mit seiner »Drip«-Technik bearbeitete Pollock in seinem Atelier die auf dem Boden platzierte großformatige Leinwand, indem er um sie herumging oder sich mitten durch das Bild bewegte und die Farbe von allen Seiten auftrug. Er warf sie kraftvoll und mit schnellen rhythmischen Bewegungen auf die Leinwandfläche. Was blieb, sind die Farbschlieren als Spuren seiner Malaktion. Insbesondere Hans Namuths Film und die Fotografien fingen Pollocks Art eine Leinwand zu gestalten ein und ließen seinen physischen Malakt zu einer Performance werden. Und Yves Klein (1928–1962) begann neben der Anfertigung seiner monochromen Bilder seine weltberühmten Anthropometrien mit nackten Frauenkörpern als »lebende Pinsel« in Aktion vor Publikum zu kreieren. Bei der Performance Anthropometries de l’epoque bleu, die 1960 in der Galerie Internationale d’Art Contemporain in Paris stattfand, ließ Klein ein Orchester spielen, während er seinen weiblichen Modellen Anweisungen gab, wie und mit welchen Bewegungen und Positionen sie ihre in blauer Farbe getränkten Körper auf die Leinwand drücken sollten.
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KAPROW, Allan: The Legacy of Jackson Pollock (1958), in: KELLEY, Jeff (Hg.): Essays on the Blurring of Art and Life, Berkely/Los Angeles 1996, S. 1–6, hier S. 6. 124 Den Begriff der »Action Paintings« hat Kunsthistoriker Harald Rosenberg gesprägt, siehe: ROSENBERG, Harald: American Action Painting, in: Artnews, Dez. 1952.
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Als performative Wende wird hierbei der Übergang vom Werk zum Ereignis und die Verschiebung der Werk- und Objektästhetik hin zur Ereignis- und Prozessästhetik bezeichnet.125 Laut Mersch begann dieser Paradigmenwechsel in den 1950er und 60er Jahren.126 Die Konsequenz ist eine Neuverteilung der Rollen von Künstler*in, Kunstwerk und Betrachter*in. Künstlerische Strategien ließen die Rezipient*innen zu aktiven, involvierten Teilnehmer*innen im Rahmen von Installationen, Environments oder Kunstsituationen werden.127 So erhielten die Besucher*innen von Allan Kaprows 18 Happenings in 6 Parts (1959), das er zur Eröffnung der Reuben Gallery in New York128 an sechs Abenden veranstaltete, klare Handlungsanweisungen zur Beteiligung (s. Abb. 3). Das Event wurde zu einem Ereignis, das zum einen bahnbrechend für die Entwicklung der performativen Künste war, zum anderen auch den Begriff des »Happening« stark prägte. Unter Happenings verstand Allan Kaprow »events that, put simply, happen« […] »they exist for a single performance, or only a few, and are gone forever as new ones take their place.«129 Auch im postmodernen Theater wurde das Publikum bei vielen Stücken zu Mitgestalter*innen.130 Robert Morris und Bruce Naumans künstlerische Praxis war vom damals aufkommenden postmodernen Tanz in Amerika stark beeinflusst (s. Kapitel 3.4.2). Auch die Anerkennung von Lärm und Alltagsgeräuschen als Musik durch John Cage und die Bekräftigung von Alltagsbewegungen als Tanz, eingeleitet durch Merce Cunningham und von Tänzer*innen und Choreograf*innen wie Yvonne Rainer und Trisha Brown weiterentwickelt, beeinflusste die Künstler*innen. So übte Nauman in seinen Videoarbeiten
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Vgl. BLUNCK, Lars: Between Object and Event. Partizipationskunst zwischen Mythos und Teilhabe, Weimar 2003, S. 11f. 126 Vgl. MERSCH, Ereignis und Aura: Untersuchungen zu einer Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Mail 2002, S. 193. 127 Vgl. ECO, Umberto: Das offene Kunstwerk, Frankfurt a.M. 1977, S. 154–185. Eco argumentiert, dass ein Kunstwerk erst durch die aktive Teilnahme der Rezipient*innen vollendet werde. 128 Kaprow war Mitbegründer der Galerie. 129 KAPROW, Allan: Happenings in the New York Scene (1961), in: DERS./KELLEY, Jeff (Hg.): Essays on the Blurring of Art and Life, Berkeley/Los Angeles 1996, S. 15–26, hier S. 16. 130 Z.B. experimentierte Theatermacher Claus Bremer mit offeneren Formen des Theaterstücks und Spielens, vgl. https://zkm.de/de/blog/2014/09/25-jahre-zkm-ein-performa tives-museum-der-zeitbasierten-kuenste (09.06.2018).
III BEZIEHUNGEN ZWISCHEN TANZ, BILDENDER KUNST, MUSEUM UND AUSSTELLUNG
gewöhnliche Alltagshandlungen aus und gestaltete Korridorarbeiten für seine Betrachter*innen, um leibliche Erfahrungsmöglichkeiten zu erzeugen (Live/ Taped Video Corridor, 1969–70).131 Es zeigte sich die Tendenz, dass künstlerische Werke als (Selbst)-Wahrnehmungsräume gestaltet wurden, in denen die Rezipient*innen »ganzleiblich«132 und in Bewegung involviert sind. So bezieht auch Morris’ Untitled (Pine portal with Mirrors, 1961) als Skulptur den sich bewegenden Körper mit ein, in dem sie als Portal dazu einlädt, direkt hindurchzugehen. Zugleich wirkt die Skulptur wie eine Bühnenrequisite für Tanz, Theater oder Performance. Die performative Wende vollführte eine Annäherung der bildenden Kunst an die Aufführungsformen des Theaters, der Musik und des Tanzes. Da die gegenwärtige Performance der bildenden Kunst und die Tanzkunst in ihren Ausdrucksformen sehr viele Ähnlichkeiten und Überschneidungen aufweisen, sie jedoch aufgrund ihrer unterschiedlichen historischen Herkunft nicht als eins betrachtet werden sollten, wird an dieser Stelle genauer darauf eingegangen, was unter Performance-Kunst zu verstehen ist, um dann im nächsten Kapitel den Blick auf die historische Entwicklung des Tanzes in den 1960ern und 70er Jahren zu werfen. Die aufkommende Performance-Kunst entzieht sich jeder Bemühung einer simplen oder präzisen Definition, die über die Beschreibung als »live art by artists« hinausgeht, denn jede strengere Eingrenzung »immediately negate the possibility of performance itself«133 , so in Worten der Kunsthistorikerin RoseLee Goldberg. Gerhard Johann Lischka bezeichnete 1988 die PerformanceKunst als »eine flüchtige Kunst, eine Kunst des Dabei-Seins und Dabeigewesenseins, wenigstens der Erzählung, wie es gewesen ist«134 und verwies damit auf den Erlebnischarakter dieser vergänglichen Kunstform. Der intermediale Charakter dieser ephemeren Ausdrucksform ist durch ein divers kombiniertes Zusammenspiel aus Text, Dichtung, Literatur, Tanz, freier Alltagsbewegung und -sprache, Installation, Skulptur, Malerei, Musik und Gesang, Foto, Film und Video sowie Aktionen und Handlungen geprägt.
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Vgl. SCHEIT, Stefanie: »I make order of chaos, he makes chaos out of order.« Trisha Brown und Robert Rauschenberg, in: Ausst. Kat. Siegen 2007, S. 30–44. Also werden alle Sinne einbezogen und der Fokus liegt nicht nur auf dem Sehsinn bei der Rezeption von Kunst. GRAULICH 1989, S. 17. GOLDBERG 2001, S. 9. LISCHKA, Gerhard Johann: Performance und Performance Art, in: Kunstforum, Bd. 96, 1988, S. 64–193, hier S. 118.
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Abb. 3: Allan Kaprow, 18 Happenings in 6 Parts, Cast and Instructions, 1959.
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»Performance Art« wird als Begriff erst seit den 1970er Jahren verwendet, dann als die Kunstform allmählich als eigenständig akzeptiert und theoretisiert wurde. Goldberg fasste ihre Merkmale wie folgt zusammen: »The performance might be a series of intimate gestures or large-scale visual theatre, lasting from a few minutes to many hours: it might be performed only once or repeated several times, with or without a prepared script, spontaneously improvised, or rehearsed over many months.«135 Der englische Begriff der »performance« bedeutet in diesem Zusammenhang »Auftritt«, »Aufführung« oder »Darbietung« und weist auf die Verwandtschaft der Performance Art mit dem Theater hin, wovon sich die Künstler*innen jedoch abgrenzen.136 Es handelt sich um den oder die Künstler*in (oder eine Künstler*innengruppe) selbst, der oder die vor Publikum eine künstlerische körperliche Handlung ausführt und dabei eben keine Theaterfigur spielt. Autor*in und Interpret*in sind also zumeist ein und dieselbe Person. Die ausgeführten Handlungen sind performativ und damit »selbstreferentiell« und »wirklichkeitskonstituierend«.137 Denn die Performance versteht sich als reale Situation, die in Echtzeit und damit im Hier und Jetzt vor Publikum stattfindet. Die Zuschauer*innen werden zu Teilnehmer*innen des Geschehens, in dem sie in den künstlerischen Prozessen involviert sind, wodurch eine neue Art der ästhetischen Wahrnehmung erfahren werden kann. Erika Fischer-Lichte beschreibt in ihrer »Ästhetik des Performativen« diese Tatsache anhand von Marina Abramovics Performance Lips of Thomas (1975), in der sie sich so lange selbstverletzte, bis Anwesende eingriffen und die Aktion abgebrochen wurde: »Die Künstlerin stellte mit den Handlungen, die sie vollzog, nicht ein Artefakt her; sie schuf kein Werk, das von ihr ablösbar, fixier- und tradierbar gewesen wäre. Andererseits stellte sie mit ihnen aber auch nicht etwas dar. Sie agierte nicht als Schauspielerin, welche die Rolle einer dramatischen Figur
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GOLDBERG 2001, S. 8. Im Vergleich zu klassischen Theaterformen liegen wesentliche Unterschiede vor: Die meisten Performance-Künstler*innen verzichten auf jegliche Einstudierung von Darsteller*innenrollen, die in schriftlichen Texten und Dialogen zur Vorbereitung fixiert sind. Diese Handlungen seien »selbstreferentiell, insofern sie das bedeuten, was sie tun« und »wirklichkeitskonstituierend, in dem sie die soziale Wirklichkeit herstellen, von der sie sprechen.« FISCHER-LICHTE 2004, S. 32.
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spielt, die zu viel Honig isst und zu viel Wein trinkt und sich die unterschiedlichsten Verletzungen zufügt. Ihre Handlungen bedeuten nicht, dass eine Figur sich selbst verletzt. Mit ihnen verletzt sich Abramovic vielmehr tatsächlich selbst.«138 In Abgrenzung zum Theater139 sowie zur traditionellen bildenden Kunst etablierte sich die Performance-Kunst als unabhängige Kunstform eher in Ateliers, Galerien oder in kleinen, eigenständigen Ausstellungsräumen.140 Künstler*innen wie Valie Export gingen für ihre Aktionen provokativ auf die Straße und auf öffentliche Plätze.141 Auch Hermann Nitschs Orgien- und Mysterientheater im Feld der Wiener Aktionist*innen fanden draußen statt. Die Performance- und Aktionskünstler*innen dieser Zeit provozierten mit ihrer neuen Kunstform das Verständnis von Kunstwerken als materielle Objekte. Sie beabsichtigten, sich mit ihren ephemeren Aktionsereignissen dem System des Kunstbetriebs zu entziehen. Yoko Ono ließ sich von ihren Besucher*innen die Kleidung zerschneiden (Cut Piece, 1964) und Chris Burden wurde von einem Freund in den Arm geschossen (Shoot, 1971). Statt Leinwand und Farbe war das Medium nun der Körper, dessen physische und psychische Grenzen oft ausgereizt wurden. Kunstwerk und Künstler*innen wurden eins. Europa erreichte seinen Höhepunkt der Performance-Kunst Mitte der 1970er Jahre. Viel Raum schenkte die 1977 von Manfred Schneckenburger kuratierte Documenta 6 der Kunst der Performance. Die Kollaboration von Künstler*innen, Musiker*innen und Tänzer*innen erwies sich dabei als besonders fruchtbar. Die Phase von 1960 bis 1980 wird als die heroische Periode bezeichnet, die durch eine »radikale Neudefinition des Genres auch mittels eines interdisziplinären Dialogs der Performancebewegungen im Tanz und in 138 139
Ebd., S. 10. Vito Acconci drückte bspw. seine Abneigung und die seiner Künstlerkolleg*innen gegenüber dem Theaterapparat wie folgt aus: »Wir wollten nicht die Abgeschiedenheit des Theaters, wo nur Eingeweihte hinkamen, wo Abstraktionen der Welt und nicht die dreckige Welt selbst gezeigt wurden. Wir wählten das Motto des Songs: Why don’t we do it on the road? Auf der Straße aber würden die Aktionen gleich kategorisiert werden als ›Happenings‹ oder als ›Demonstrationen‹. Also mußten[sic!] wir ein Zuhause für uns selbst schaffen. Wir wählten die Galerie als Analogie zur Straße […].« Acconci in JAPPE, Elisabeth: Performance, Ritual, Prozeß, Prestel, München/New York 1993, S. 24. 140 Wie bspw. The Kitchen in New York (1971). 141 Für ihr Tapp- und Tastkino (1968) schnallte Valie Export sich einen mit einem Vorhang versehenen Karton vor ihre nackten Brüste, und animierte Passant*innen ihre Hände in diesen »Kinsosaal« zu führen.
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den bildenden Künsten geprägt war«.142 Das Judson Dance Theater, das im folgenden Kapitel behandelt wird, gilt als eine der wenigen Strömungen, deren Einfluss im kunsthistorischen Bereich Anerkennung gefunden hat und in den »Kanon«143 der Geschichte der bildenden Performance-Kunst eingeschrieben ist.144
3.4.2 Das Judson Dance Theater und der postmoderne Tanz Aus der losen Gruppierung des Judson Dance Theaters145 und seinem tänzerischkünstlerischem Umfeld bildete sich in den 1960er Jahren der avantgardistische postmoderne146 Tanz in New York heraus. Die Judson Gruppe setzte sich aus experimentell arbeitenden Tänzer*innen, Choreograf*innen, Musiker*innen, Schriftsteller*innen, bildenden Künstler*innen und Filmemacher*innen zusammen, die in der Judson Memorial Church im New Yorker Stadtteil Greenwhich Village (meist) improvisierte, durch Happenings und Fluxus-Events der Kunstszene beeinflusste Concerts of Dance aufführten.147
142 GAREIS, Sigrid/SCHÖLLHEIMER, Georg/WEIBEL, Peter: Ereignis – Spur – Kontext. Zur Aktualität von historischer Performance im Ausstellungsraum, in: Ausst. Kat. Karlsruhe: Moments. Eine Geschichte der Performance in 10 Akten, hg. von DIES./ZKM/ Museum für Neue Kunst, Karlsruhe 2013, S. 10. 143 Siehe hierzu: REBENTISCH, Juliane: Vorwort, in: Texte zur Kunst: The Canon, Heft 100, Dez. 2015, S. 4–5. 144 Sie werden bspw. in folgenden Publikationen erwähnt: DREHER 2001; SCHIMMEL, Paul: Out of Actions: between performance and the object, 1949–1979, Los Angeles/ London 1998; JONES, Amelia: Body Art: Performing the Subject, Minneapolis, Minn. 1998. 145 Literatur über das Judson Dance Theater: BANES, Sally: Democracy’s Body. Judson Dance Theater 1962–1964 (Diss. New York 1980), Michigan 1983; BANES, Sally: Terpsichore in Sneakers. Post-Modern Dance, Boston 1980, neue Introduction von 1987, auch zu lesen in: DIES. (2012): Einleitung von ›Terpsichore in Sneakers‹ (1987), in: LEPECKI, André (Hg.): Documents of Contemporary Art, London/Cambridge, S. 43–47; Ausst. Kat. New York, Judson Dance Theater: The Work Is Never Done, hg. von JANEVSKI, Ana/LAX, Thomas J./Museum of Modern Art, New York 2018. 146 Zur Postmoderne siehe: BRANDSTETTER, Gabriele: Still/Motion. Zur Postmoderne im Tanztheater, in: DIES.: Bild-Sprung. TanzTheaterBewegung im Wechsel der Medien (Theater der Zeit, Recherchen 26), Berlin 2005, S. 55–72 und HUSCHKA 2 2012, S. 246–249. 147 Seitdem im Sommer 1962 in der Turnhalle der Gemeinde der Judson Memorial Church eine Abschlussveranstaltung zur Präsentation von Dunns Schülern stattfand, war die
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Die Concerts waren offen in ihrer Struktur und besaßen Workshopcharakter, so wie es einige des Judson Kollektivs wie Yvonne Rainer, Trisha Brown, Simone Forti, Robert Morris und Robert Rauschenberg schon aus Anna Halprins San Francisco Dancer’s Workshop kannten. Bereits im Sommer 1955 begann die Tänzerin und Choreografin Anna Halprin Workshops in Marin County bei San Francisco in Nordkalifornien anzubieten. Sie fanden draußen mitten in der Natur statt, auf einem »Dance Deck«, das von Halprins Ehemann Lawrence, Landschaftsarchitekt und ehemaliger Bauhaus-Schüler, designt und erbaut wurde.148 Die Workshops standen grundsätzlich für alle Interessierten offen, für professionelle Tanzkünstler*innen als auch Laien. Halprin vermittelte ihren Teilnehmer*innen improvisations- und task- sowie objektbasierte Ansätze, um körperliche Bewegung und kinästhetische Wahrnehmung zu erforschen.149 »Lauf mit einem Zweig im Kreis« ist bspw. eine solcher von Halprin gestellten Aufgaben, welche die Aufmerksamkeit ihrer Teilnehmer*innen auf die kinästhetische Veränderung lenkte, die sich beim Umgang mit verschiedenen (Natur-)Objekten ergaben.150 An den Workshops beteiligt waren auch Avantgarde-Musiker wie Terrey Riley und La Monte Young, der in New York ebenso bei Fluxus-Events mitwirkte. Rainer, Brown, Forti, Morris, Rauschenberg sowie Choreograf und Tänzer Steve Paxton nahmen ebenso an der Kompositionsklasse des Cage-Schülers Robert Dunn teil, die im Cunningham Studio in New York stattfand. Bei Dunn erlernten sie innovative Methoden, sie improvisierten und experimentierten mit Zufallsprozessen, um eigenes Be-
Judson Church Proben- und Veranstaltungsort und es folgten dort in den nächsten zwei Jahren etliche Concerts und Choreografieabende. Vgl. BANES 1980, S. 11. 148 Die Idee des Workshop-Formats entstammte von Walter Gropius, der Workshops am Bauhaus als wertvoll empfand, um künstlerische Praktiken unterschiedlicher Disziplinen zusammenzubringen. Vgl. LAX, Thomas J.: Allow me to begin again, in: Ausst. Kat. New York 2018, S. 14–25, hier S. 16. 149 Vgl. MAAR, Kirsten/MCGOVERN, Fiona: Gemeinsam zwischen den Künsten. Kollaborative Ansätze in Produktion und Präsentation von Musik, Tanz und bildenden Künsten seit den 1960er Jahren, in: BUSHART, Magdalena/HAUG, Henrike (Hg.): Geteilte Arbeit. Praktiken künstlerischer Kooperation, Köln 2020, S. 185–203, hier S. 188. Die Autorinnen erläutern zudem, dass die Halprins ihre künstlerische Arbeit auch stark mit ihrem gesellschaftspolitischen Engagement verknüpften. Sie setzten sich ein für Gleichberechtigung, Inklusion sowie Toleranz. Hierzu mehr, siehe S. 188. 150 Vgl. RAINER, Yvonne/HALPRIN, Ann: »Yvonne Rainer Interviews Ann Halprin«, in: Tulane Drama Review 10, Nr. 2, Winter 1965, S. 142–67.
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wegungsmaterial zu generieren und einen neuen Zugang zu Zeit-, Raum- und Körperfragen zu entwickeln.151 In der Judson Church wurde der Grundstein für den postmodernen Tanz und seine unterschiedlichen Ausprägungen gelegt.152 Das Judson Dance Theater besaß interdisziplinären Laborcharakter, hier konnte frei experimentiert sowie präsentiert werden und damit auch ein unhierarchischer Austausch unter den Künstler*innen der verschiedenen Bereiche stattfinden. Die Judson-Gruppe nutzte das Potenzial der wechselseitigen Beziehung zwischen den bildenden und darstellenden Kunstformen. Die entstehenden Stücke waren oft intermedial und gattungsüberschreitend angelegt. Die Gemeinsamkeit des Judson Dance Theaters lag weniger in ihrer Bewegungsästhetik als vielmehr in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Bühnentanz, seiner Repräsentation und den bestehenden Konventionen im Rahmen der Theaterinstitutionen. Historisch brachen sie in ihrer künstlerischen Praxis mit der Expressivität und dem narrativen Charakter des modern dance und mit der Cunningham-Technik (trotz seines gleichzeitig zu beachtenden Einflusses auf die Tänzer*innen, von denen viele seine Schüler*innen waren).153 »Sie hinterfragten herkömmliche Vorstellungen von Tanz als Ausdruck eines Inneren und wandten sich gegen Theatralität und Virtuosität.«, mit diesen Worten beschreiben Kirsten Maar und Fiona McGovern das Denken und künstlerische Handeln der Judson Gruppe.154 Yvonne Rainers (*1934) als No-Manifesto bezeichnete reflektierende Aussagen über einige ästhetische Prinzipien ihrer eigenen Arbeit wurde von der Rezeption des postmodernen Zeitalters zur programmatischen Manifestati-
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Vgl. BREITWIESER, Sabine/FORTI, Simone: Der Workshop-Prozess. Sabine Breitwieser im Gespräch mit Simone Forti, in: Ausst. Kat. Salzburg, Simone Forti. Mit dem Körper denken. Eine Retrospektive in Bewegung, hg. von BREITWIESER, Sabine/Museum der Moderne Salzburg, München/Salzburg 2014, S. 15–35, hier S. 24. Weitere postmoderne Tänzer*innen: Lucinda Childs, Twyla Tarp, Douglas Dunn; Laut Huschka gehörten Simone Forti und Twyla Tarp nicht zur Ursprungsgruppe dazu. Vgl. HUSCHKA, Sabine: Moderner Tanz. Konzepte. Stile. Utopien, Reinbeck bei Hamburg 2 2012. Cunningham-Stil: Strenge Formen der Balletttechnik sind kombiniert mit einer oftmals horizontalen Ausrichtung des Körpers, die für die pure Bewegung steht, vgl. HUSEMANN, Pirkko: Ceci est la danse. Choreographien von Xavier Le Roy, Meg Stuart und Jérôme Bel, Norderstedt 2002, S. 17. MAAR/MCGOVERN 2020, S. 188.
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on des Judson Dance Theaters und des Postmodern Dance155 erhoben: »NO to spectacle no to virtuosity no to transformations and magic and make-believe […] no to seduction of the spectator by the wiles of the performer no to eccentricity no to moving and being moved«156 . Es war nicht Rainers Intention, ein Manifest als Neudefinition des postmodernen Tanzes zu verfassen.157 Denn ursprünglich ist das No-Manifesto ein Ausschnitt aus einem Text, den Rainer rückblickend auf den eigenen Produktionsprozess ihres 1965 im Wadsworth Atheneum, dem ältesten Museum Amerikas, aufgeführten Stücks Parts of Sextets geschrieben hatte. Mit ihrer zum Ausdruck gebrachten radikal verweigernden Haltung distanzierte sie ihre künstlerische Praxis vom Verständnis des Tanzes »als kontinuierlich-fortlaufender virtuoser Bewegungsfluss«158 . Rainer verglich in ihrem Aufsatz A Quasi Survey of some »Minimalist« Tendencies in the Quantitatively Minimal Dance Activity Midst the Plethora, or an Analysis of Trio A (1966) die minimalistische Kunst mit dem Tanz. Sie stellte damit starke Parallelen und Analogien in den zeitgenössischen Entwicklungen der minimalistischen Skulptur und dem neueren Tanz fest.159 In Trio A (1966), einer ihrer bedeutendsten Arbeiten160 reiht sie Bewegungen und Schritte 155
Zum Modern Dance und Postmodern Dance, siehe: BRANDSTETTER 2005, vor allem S. 62f. 156 RAINER, Yvonne: Some Retrospective Notes on a Dance for 10 People and 12 Matresses Called ›Part of Sextets‹« Performed at the Wadsworth Atheneum, Hartford, Connecticut, and Judson Memorial Church, New York, in March, 1965, in: Tulane Drama Review, Bd. 10, H. 2 (Winter 1965), S. 168–178, hier S. 178. 157 Und Rainer betonte in der Gegenwart immer wieder, dass sie wünschte die Bedeutung des als Manifest erhobenen Abschnitt wird erlöschen. Siehe hierzu: BRANDSTETTER, Gabriele: Yes! Das Manifest als künstlerische Praxis, in: DOGRAMACI, Burcu/SCHNEIDER, Katja (Hg.): Clear the Air. Künstlermanifeste seit den 1960er Jahren, Bielefeld 2017, S. 17–36. 158 HUSCHKA, Sabine: Szenen der Entleerung und Transgression. Reflexionen zu Yvonne Rainers No Manifesto, in: DOGRAMACI, Burcu/SCHNEIDER, Katja (Hg.): Clear the Air. Künstlermanifeste seit den 1960er Jahren, Bielefeld 2017, S. 51–70, hier S. 57. 159 Michael Fried kritisierte zu der Zeit die Theatralität der minimalistischen Kunst. Forti wusste davon, ihr ging es jedoch mehr darum, sich von den vorigen Traditionen des modernen Tanzes zu befreien: »and the accusation of theatricality that was directed toward expressionist way of movement Graham was showing on stage.« MAAR 2014, S. 103. 160 Banes beschreibt es als »signal work for both Rainer and for the entire post-modern dance«, BANES 1987, S. 44; Die Orginalversion tanzte Rainer zusammen mit Steve Paxton und David Gordon. Die bekannteste Version ist die gefilmte Version von 1968 als Part ihres mehrteiligen Stücks Mind is a muscle.be
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aneinander, ohne jegliche Veränderungen im Tempo wie eine Verlangsamung oder Beschleunigung zuzulassen. Ein gleichbleibender Ablauf bestimmte das Stück, der die Zuschauer*innen langweilen konnte, da nichts passierte und sich keine Spannung aufbaute. Rainer plädierte für eine Objektivierung des Tanzes und der tanzenden Körper. Der oder die Tänzerin funktionierte als »Neutral-doer«, führt seine Aufgaben aus und der Körper sollte als Mittel, als Ding eingesetzt werden. Der Tanz wird zur Tätigkeit, »movement-as-task or movement-as-muscle«161 schrieb sie über die Ästhetik von Trio A. Um Virtuosität und theatrales Spektakel zu vermeiden, integrierten Judson-Tänzer*innen wie Trisha Brown, Simone Forti und Yvonne Rainer in ihre Choreografien bspw. alltägliche und damit im Leben »gefundene« Bewegungen wie das Gehen, Stehen und Laufen, so wie in der bildenden Kunst »gefundene« Alltagsgegenstände integriert wurden. Sie entwickelten ihre eigenen, minimalistisch anmutenden Bewegungsästhetiken, indem sie zuvor festgelegten (Spiel-)Regeln (task-movements) in ihrer Ausführung von körperlichen Bewegungen oder Haltungen folgten.162 So improvisierte Trisha Brown in ihrem Solostück Trillium (1962), indem sie ihrer selbst auferlegten Vorgabe zu sitzen, zu stehen und zu liegen folgte.163 Und in We Shall Run164 (1963) joggte eine Herde von Performern in Straßenklamotten, einige schick, einige sportlich gekleidet erst in die eine, dann in die andere und wieder in eine weitere Richtung.
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RAINER, Yvonne: A Quasi Survey of some »Minimalist« Tendencies in the Quantitatively Minimal Dance Activity Midst the Plethora, or an Analysis of Trio A (1968), in: Yvonne Rainer: Work 1961–73, Halifax/New York 1974, S. 63–69, hier S. 66. Zuerst veröffentlicht in: BATTOCK, Gregory (Hg.): Minimal Art. A Critical Anthology, New York 1968. 162 Die sich Anfang der 1970er Jahre aus dem Judson Church Theater herausbildende eigenständige avantgardistische Gruppierung Grand Union führte die Entwicklung von improvisatorischen Aufführungstechniken fort: Anstelle einer festgelegten Struktur folgten die Performer*innen während der Aufführungen einer sogenannten task-line und damit einer zuvor vereinbarten und teils trainierten Handlungsanweisung. Improvisation hatte hierbei einen höheren Stellenwert als die perfekte technische Ausführung. Durch Vorreiter*innen und Vertreter*innen des Improvisierens wie Steve Paxton entstand daraus die gegenwärtig bestehende Methode der Kontaktimprovisation. Zur Grand Union zählten Trisha Brown, Steve Paxton, David Gordon, Yvonne Rainer, Douglas Dunn, Barbara Dilley u.a. 163 Vgl. MAAR 2015, S. 95. 164 Aufgeführt in Wadsworth Atheneum.
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Carolee Schneemann war die erste bildende Künstlerin, die für Judson Dance auch choreografierte.165 Und Robert Rauschenberg nahm als Performer in Stücken des Judson Dance Theaters teil. Zudem organisierte er Tanz-Events und choreografierte seine eigenen Tanz-Performances, elf Arbeiten von 1963 bis 1967, an denen wiederum ausgebildete Choreografen und Tänzer mitwirkten. Neben dem Judson Dance Theater arbeitete er, wie in Kapitel 3.3.2 schon erwähnt, als Bühnendesigner für die Merce Cunningham Company und nahm nebenher an anderen künstlerischen Aktionen teil. 1961 kreierte er bspw. sein erstes Time Painting während des kollektiven Events Homage to David Tudor in der amerikanischen Botschaft in Paris, an der sich neben Rauschenberg, Niki de Saint-Phalle, Jean Tinguely auch Jasper Johns beteiligte. Sein Bild entstand live vor Publikum, doch war die Malfläche nicht sichtbar. Nur über ein Mikrofon, das die Geräusche des Malprozesses auf der Leinwand verstärkte und hörbar machte, ließ Rauschenberg seine Zuschauer*innen das Anfertigen seines Time Paintings miterleben. Robert Morris, einer der wichtigsten Vertreter der Minimal Art und damals Partner von Yvonne Rainer, begann sich in den 1950er Jahren für Tanz und Choreografie zu interessieren. Für das Judson Dance Theater choreografierte Morris Arbeiten wie Arizona (1963), 21.3 (1964), Site (1964) und Waterman Switch (1965). Seine frühen minimalistischen Holzobjekte fungierten als eine Art Requisiten für seine Tanz-Performances und stimmten mit der Judson-Devise Funktion über Expressivität überein. Zu seinen bahnbrechenden kunsttheoretischen Schriften zählt neben »Notes on Sculpture« (1968) und »Anti-Form« (1968) sein Essay »Notes on Dance« (1965).166 Die Judson-Gruppierung experimentierte zudem mit Aufführungsformaten sowie mit zeitlichen und räumlichen Strukturen. Wie in den parallel stattfindenden Aktivitäten der bildenden Künstler der 1960er und 70er Jahre rüttelten sie an den durch institutionelle Konventionen bestehenden Rollen von Zuschauer*innen und Performer*innen und spielten mit der Wahrnehmung ihrer Rezipient*innen. Mit der folgenden Aussage fasst Salley Banes die künstlerisch-konzeptionelle Arbeit der Judson Grup165
Vgl. JONES, Amelia/SCHNEEMANN, Carolee: Interior Squirrel and the Vicissitudes of History, Carolee Schneemann and Amelia Jones, in: HEATHFIELD, Adrian/JONES, Amelia (Hg.): Perform Repeat Record. Live Art in History, Bristol 2012, S. 441–456, hier S. 443. 166 MORRIS, Robert: Notes on Dance, in: The Tulane Drama Review, Bd. 10, Nr. 2, Winter 1965, S. 179–186; DERS.: Notes on Sculpture I, in: Artforum International, 2/1966, S. 222–228; DERS.: Notes on Sculpture II, in: Artforum International, 10/1966, S. 20–23. Siehe hierzu auch MAAR 2014, S. 103.
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pe treffend zusammen: »they propose a new relationship between perfomer and spectator; articulate new experiences of space, time, and the body.«167 So wählte Trisha Brown bewusst Räume außerhalb des Theaters und erkundete mit ihren Performances für den Tanz untypische Orte wie Straßen, öffentliche Plätze, Hausdächer (Roof Piece, 1971), Galerien und Museen. Marianne Goldberg begründete dies passend mit: »Brown pointedly performed outside of theaters to rid her conceptual works from conventions established as far back as the Renaissance construction of perspectival space […]«168 In ihrer bekanntesten Arbeit Man Walking Down the Side of a Building ließ sie 1970 einen Tänzer die Wand eines siebenstöckigen Hauses in Manhattan, New York herunterlaufen. So, als ob er über eine gewöhnliche, horizontale Bodenfläche laufe, schritt der Tänzer die Hausfront (mit einem Seil gesichert) schwerelos wirkend herunter. Es ist ein Spiel oder ein Kampf mit der Schwerkraft und damit keine leichte Aufgabe für den Tänzer. Zugleich zwingt es die Zuschauer*innen in eine auf Dauer unangenehme Haltung. Um den Performer beim Herunterlaufen beobachten zu können, müssen sie ihre Köpfe in den Nacken legen, um schräg herauf in die Höhe schauen zu können. Dadurch sind seine Beobachter*innen automatisch körperlich involviert. Mit derartigen Tanz-Performances wurde zudem darüber reflektiert, was Tanz alles überhaupt ist und sein kann.169 Trisha Brown präsentierte viele ihrer Arbeiten im Kontext der bildenden Kunst, so bspw. Walking on the Wall (1970) im Walker Arts Center Minneapolis, Minnestoa, eine leicht veränderte Version von Man Walking Down The Building. Die von ihrer Kompanie vorgeführten Accumulations und Structured Pieces zeigten Museen und Galerien in den 1970er Jahren ebenso gerne.170 Und auch 167 BANES 1987, S. 17 168 GOLDBERG, Marianne: Trisha Brown, U.S. Dance, and Visual Arts: Composing Structure, in: Ausst. Kat. Andover, Massachusetts: Trisha Brown, Dance and Art in Dialogue 1961–2001, hg. von TEICHER, Hendel/Addison Gallery of American Art/Philips Academy, Cambridge 2002, S. 29–44, hier S. 38. 169 »questions of gravity – freeing the legs from their function of carrying the body enabled the dancers as well as the audience to think differently about what dance could be«, GOLDBERG 2002, S. 38. Diese Arbeit zählt zu den seit 1970 entstehenden Equipment Pieces, ortsspezifische Arbeiten, die starke Parallelen zu Arbeiten der »prozessorientierten Konzeptkunst« oder Kunst des Minimalismus aufweisen. Weitere zur Werkgruppe der Equipment Pieces gehörende Arbeiten: Planes (1968), The Floor of the Forest (1970), Leaning Duets (1970), Roof Piece (1971), Spiral (1974). 170 Seit 1979 zeigt sich mit ihrem Gruppenstück Glacial Decoy (Uraufführung 7.5.1979, Walker Art Center in Minneapolis) in Trisha Browns Kunstschaffen eine Rückkehr zum
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Meredith Monk präsentierte 1969 ihre Performance Juice: A Theater Cantata in Three Installments in der großflächigen Rotunde des Guggenheim Museums, dessen Raum sie komplett – einschließlich Treppenhäusern, Rampen und Galerien – mit 85 Performer*innen einnahm. Wie ein Happening von Allan Kaprow bestand es aus drei Akten, bei dem der erste Teil im Museum stattfand, der zweite im Theater und der dritte in einem Loft. Dies waren alles Orte, die sie bewusst kontextuell wählte, um eine Trennung von Zeit, Ort, Inhalt und Emotionen zu erreichen.171 Der Tanz löste sich von der Bühne und fand an Orten jenseits des Theaters statt. Die Museen, Galerien, Lofts und andere Kunstorte zählten zu der Zeit zu den wenigen Orten, in denen der postmoderne Tanz anerkannt war und ein Publikum fand. So präsentierte Simone Forti bspw. 1961 ihre Dance Constructions (1960–1961) erstmals in Yoko Onos Loft in New York.172 Es sind minimalistische Objekte aus einfachen Materialien wie Seile oder Holz, die entweder die Performer*innen oder die Besucher*innen dazu bringen, sich zu bewegen oder mit den Objekten in Interaktion zu treten. Banes konstatiert, dass Simone Forti durch ihre materiellen Arbeiten, den minimalistischen Ansatz und ihren Fokus auf die körperliche Aktivierung der Betrachter*innen bzw. Benutzer*innen ihrer Dance Constructions gut in den Kontext der bildenden Kunst passt. Auch die Wahl ihrer Präsentationsorte unterstützte diese Rolle von der Choreografin hin zur angesehenen Künstlerin.173 Am Whitney Museum of Modern Art fanden damals in die Geschichte eingegangene Tanz-Performances dieser Generation statt.174 Hier wurde 1970 bspw. Yvonne Rainers Continuous Project – Altered Daily an drei Abenden aufgeführt und Trisha Brown zeigte 1971 ihr Another Fearless Dance
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traditionelleren Bühnentanzstück. Es ist eine Arbeit, die erstmals für eine herkömmliche Theaterbühne entwickelt wurde. Seitdem produzierte sie mehrere Bühnenstücke zusammen mit Robert Rauschenberg als Bühnenbildner. Siehe hierzu: SUVAKOVIC, Misko: Exkurs: Avantgarde. Ideologien, Events, Diskurse In Performance und Tanz, in: HAITZINGER, Nicole/PLOEBST, Helmut (Hg.): Versehen. Tanz in allen Medien, München 2011, S. 186–203. GOLDBERG 2014, S. 143. Five Dance Constructions & Some Other Things, 26.-27.05.1961. See-Saw und Rollers wurden 1960 erstmals in der Reuben Gallery aufgeführt. BANES 2012, S. 46. Das Whitney Museum of Modern Art hegt eine lange historische Beziehung zu den darstellenden Künsten und vor allem zur Musik. Seit seiner ersten Eröffnung in Greenwhich Village 1931 unterstützte es Avantgarde Komponist*innen und veranstaltete Musikkonzerte.
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Concert, das fünf Choreografien beinhaltete.175 Sie betitelte dieses Konzert als ihre Retrospektive. Für Brown wurde damals der zweite Stock des Museums komplett leer geräumt. Ihr Tanz fand überall statt – an den Wänden, an der Raumdecke und auf dem Boden. Tänzer*innen und Choreograf*innen wie Deborah Hay (1969), Meredith Monk (1970), Steve Paxton (1971), Alex Hay und Lucinda Childs (1973) traten ebenfalls im Whitney Museum auf. Die TanzPerformances fanden meist im Rahmen der Serie Composer’s Showcase statt, was dadurch begründet wurde, dass ihr Publikum durch die Stücke oft zudem mit neuen zeitgenössischen Musikkompositionen konfrontiert wurden.176 Diese Veranstaltungen waren sowohl beim Publikum als auch bei den Performer*innen höchst populär. Der spezielle Aufführungsort, die niedrigen Eintrittspreise und die einfach gehaltene Platzierung der Zuschauer*innen durch auf den Boden verteilte Sitzkissen und die Möglichkeit, sich während der Aufführungen umher bewegen zu können, machte die Aufführungen zu besonderen Ereignissen.177 Zu den weiteren Museen und Galerien auch außerhalb New Yorks, die den postmodernen Tanz präsentierten, zählen u.a.: das Los Angeles County Museum of Art (LACMA), die Vancouver Art Gallery, der Seattle Art Pavillion, das Moderna Museet Stockholm und das Sogetsu Art Center Tokyo sowie New Yorker Galerien wie die Sonnabend Gallery (Forti Solo No.1 1974), die Reuben Gallery und die Albright-Knox Art Gallery.178 Das Stedelijk Museum in Amsterdam zeigte 1982 Fortis Huddle und Slant Board.179 In der Schweiz war der ehemalige Leiter der Kunsthalle Basel, Jean Christophe Ammann180 , die treibende Kraft, den US-amerikanischen postmodernen Tanz dort bekannt zu machen. Er lud Tänzer*innen der Judson-Generation wie Lucinda Childs und Trisha Brown nach Basel ein, um sie auch dem Schweizer Kunstpublikum präsentieren zu können. Er öffnete die Kunsthalle für die neuen performativen Kunstformen, zeigte (Tanz-)Performances und
Das Hauptstück war Walking on the Wall (1971), Leaning Duetts II (1971), Falling Duet I (1968), Falling Duet II (1971) und Skymap (1969). Alle setzten sich mit der Schwerkraft auseinander. Brown nutzte hierfür alle Flächenebenen des Museums – Wände, Decke und Boden. 176 Vgl. BISHOP 2014, S. 70. 177 Ebd. 178 Ebd., S. 69. 179 Vgl. Ausst. Kat. New York 2018, S. 40ff. 180 von 1978–1988 war Ammann Leiter der Kunsthalle Basel. 175
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entdeckte zudem Schweizer Tanz-Performance-Pionier*innen wie Christine Brodbeck, Anna Winteler und Franz Frautschi.181 Lucinda Childs Stück Available Light ist ein seltenes choreografisches Beispiel dieser Zeit, das als Auftragswerk nicht für die Bühne, sondern für ein Kunstmuseum konzipiert wurde. Durch eine Kollaboration Lucinda Childs mit dem Architekten Frank O. Gehry und dem Komponisten John Adams entstand 1983 Available Light für das Museum of Contemporary Art in Los Angeles (MOCA) in California.182 Im Rahmen der Reihe Stages and Performances lud die damalige Kuratorin Julie Lazar Künstler*innen ein, um während der Entstehungsphase des Museums für ausgewählte vorübergehende Präsentationsorte in der Stadt neue künstlerische Arbeiten entstehen zu lassen. Lucinda Childs, die zum Judson Dance Theater gehörte und in den 1970er Jahren ihre eigene Kompanie gründete, war als erste Künstlerin damit beauftragt worden, zusammen mit dem unkonventionell arbeitenden Architekten Frank O. Gehry ein ortsspezifisches Projekt zu entwickeln. Als erstes Auftragswerk dieser Reihe wurde Available Light zur Eröffnung des neuen, temporären Ausstellungsortes Temporary Contemporary präsentiert, zwei ehemalige Lagerhallen, für dessen Renovierung Frank O. Gehry verantwortlich war.183 Der Ort inspirierte Gehry zur architektonischen Gestaltung von Available Light. Er entwarf eine simple Konstruktion aus zwei Ebenen, die den industriellen Charakter des Ausstellungsgebäudes wieder aufnahm (Abb. 4). Lucinda Childs entwickelte eine streng-geometrisch organisierte Choreografie mit sich wiederholenden oder variierenden Elementen. Die Einbindung von Tanzkunst in den Ausstellungskontext ist heute en vogue, jedoch war das neue Präsentationsformat eines choreografischen Auf-
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In der Schweiz führten nicht die Theaterhäuser diese Art von Tanz ein, sondern Orte der bildenden Kunst. Vgl. DAVIER, Anne/SUQUET, Annie: Zeitgenössischer Tanz in der Schweiz, 1960–2010. Zu den Anfängen einer Geschichte, Theatrum Helveticum 21, Genf 2016, S. 73. John Adams, bekannt für seine minimalistische Musik, schloss sich der Kollaboration an und schuf die 53-minütige Komposition Light over Water, zu der Childs ihr Tanzstück choreografierte. Die Kostüme gestaltete der Modedesigner Ronaldus Shamask und die Lichtgestaltung übernahm Beverly Emmons. Nach erfolgreicher Premiere im Museum of Contemporary Art entwickelten die Künstler*innen eine Bühnenversion des Museumtanzstücks für das Next Wave Festival der Brooklyn Academy of Music im Opernhaus. Für eine Welttournee schuf Lucinda Childs eine neue Version ihres Avantgarde-Tanzstücks aus den 1980er Jahren.
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tragswerks im Ausstellungsraum damals eine innovative, radikale Geste des Museums.
Abb. 4: John Adams, Lucinda Childs, Frank Gehry, Available Light, 1983, Originalaufführung, Foto: Tom Vinetz.
Die vorherigen Ausführungen zeigen, dass mit dem ästhetischen Wandel im Tanz und in der bildenden Kunst eine Annäherung, gar Überschneidung der künstlerischen Strategien sowie Erscheinungs- und Ausdrucksformen stattfand. Durch ein stetiges, wechselseitiges Verhältnis der postmodernen Tänzer*innen und bildenden Künstler*innen ergaben sich viele Berührungspunkte. Elemente der anderen Kunstform wurden in die eigene integriert. Ihr Austausch war und ist auch heute noch grenz- und gattungsüberschreitend. Dass es insbesondere seit den 1960er Jahren nicht mehr um die Kategorisierung und die Unterscheidung von Tanz und Kunst geht, bringt Heinz Schütz mit folgenden Worten treffend auf den Punkt: »In der Kunst wurden Tanzende zum Sujet, im Tanz wiederum wurde Kunst zum Bühnenbild. Dabei galt Kunst als Kunst und Tanz als Tanz. Der »performative turn« in der Kunst und die Hinwendung des Tanzes zu Minimalismen, Alltagsbewegungen und -situationen lässt die Frage der Differenz in den Hintergrund treten.«184 184 SCHÜTZ, Heinz: Xavier Le Roy. Tanz die Performance – Ein Gespräch von Heinz Schütz, in: Kunstforum, Bd. 264, Nov./Dez. 2019, S. 108–115, hier S. 110.
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Ab den 1960er Jahren lag neben der Raumerkundung, den Körper-, Bewegungs- und Wahrnehmungsexperimenten ein künstlerischer Fokus bei den einzelnen Betrachter*innen bzw. Zuschauer*innen. Die neuen experimentellen, ästhetischen Strategien und die Verbindung von Tanz, Performance und Kunst transformierte passive Rezipient*innen zu aktiven Teilnehmer*innen. Zudem wechselten Künstler*innen, Tänzer*innen und Choreograf*innen ihre Kontexte. Künstler*innen wie Robert Morris und Robert Rauschenberg waren sowohl im Judson-Umfeld als auch im Kunstkontext tätig. Der Körper wird zum Medium der bildenden Künstler*innen. Und die performativen, choreografischen Arbeiten von Tänzerinnen wie Trisha Brown, Yvonne Rainer und auch Simone Forti reihten sich durch ihre Ähnlichkeit zu minimalistischen oder konzeptuellen Arbeiten der bildenden Kunst gut in das Kunstprogramm der Museen ein.185 Es herrschte ein grenzenloser Wechsel zwischen den Rollen der Beteiligten. Choreograf*innen performten für bildende Künstler*innen, die eigene Tanzstücke erarbeiteten. Und Künstler*innen wurden zu Tänzer*innen. Möglich wurden diese Rollenwechsel durch die »bereits in den 1920er Jahren begonnene Abkehr vom traditionellen, festgeschriebenen Bewegungskanon«186 sowie durch die Erweiterung und Integrierung von Alltagsbewegungen, minimalistischen Tendenzen und Improvisationstechniken im Tanz. Zudem schwand das hierarchische Gefälle zwischen Choreograf*in und Tänzer*in, da diese abwechselnd beide Positionen einnahmen und sich das Rollenbild hin zu Tänzer*innen-Choreograf*innen entwickelte, was bis in die Gegenwart fortlebt.187 Der Auszug des Tanzes aus dem Theater, weg von der Bühne, ließ neben der Entdeckung weiterer Räume auch neue Wahrnehmungsperspektiven auf den Tanz zu. Hierbei dienten die Kunstmuseen und Galerien als passender Ort, um diese neuen Möglichkeiten und Erfahrungswerte auszutesten. Zudem spielten bei der Wahl der Museen als Aufführungsort auch ökonomische Aspekte eine Rolle wie Yvonne Rainer in einem Interview bestätigte, die 1970 Continuous Project – altered daily im Whitney Museum zeigte, für das sie im Gegen-
185 Vgl. BANES 2012. 186 Vgl. SPRENGER-SCHOCH 2019, S. 15. 187 Vgl. MAAR/MCGOVERN 2020, S. 189.
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satz zum Theater kein Geld für Miete und Technik zahlen musste.188 Die Präsenz von Tanzkunst und Performance in den Museen und Galerien nahm damals zu. Dennoch besaßen diese Kunstformen eine marginale Stellung innerhalb der Ausstellungstätigkeiten der Kunstinstitutionen. (Tanz-)Performances fanden als einmalige Aufführungen statt. Sie gehörten noch nicht zum Hauptprogramm der Ausstellungshäuser, sondern waren als kurzlebige Ereignisse »nur« Zusatzveranstaltungen zum gängigen Ausstellungsprogramm. Die Verschmelzung der Künste in den 1960er und 1970er Jahren verstehen viele Autor*innen als Ausgangspunkt für die interdisziplinäre und -mediale Beziehung zwischen Tanz und bildender Kunst sowie dem Bestehen der gegenwärtigen Live Kunst im Ausstellungsraum.189 Wohingegen in dieser Arbeit der ästhetische Wandel einschließlich performativer Wende mit Berücksichtigung des Geschehens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als eine Weiterentwicklung betrachtet wird, die den Weg zum Tanz in Museen und Ausstellungen beträchtlich vorangetrieben hat. Wie schon erwähnt, liegt die Unterscheidung von zeitgenössischer Tanzkunst und Performance-Kunst in ihren differierenden historischen Ursprüngen. Die Performance-Kunst entstand in Abgrenzung zu den traditionellen Gattungen der bildenden Kunst. Die Künstler*innen rebellierten mit ihrer neuen körper-, zeit- und raumbasierten Ausdrucksform gegen die Konventionen und das System des Kunstbetriebs. Dabei gelten die Futurist*innen, Dadaist*innen und Surrealist*innen zu Beginn des 20. Jahrhunderts als historische Vorreiter*innen für die Performance-Künstler*innen in den 1960er und 1970er Jahren.190 Die Entwicklung der Tanzkunst ist eine andere, auch wenn es sich hierbei ebenso um einen Bruch mit den Traditionen handelt. Der zeitgenössische Tanz speist sich aus seinem historischen Entwicklungsprozess, der bei der Befreiung von Bewegung, Ausdruck und Körper der Tanz-Avantgarde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beginnt. Darüber hinaus hat Tanz auch eine andere »Geschichte im sogenannten großen westlichen Narrativ«191 . Denn Tanz be188 RAINER, Yvonne/Movement Research: Critical Correspondence. Dance and the Museum: Yvonne Rainer Responds (8.12.2013), https://movementresearch.org/pub lications/critical-correspondence/dance-and-the-museum-yvonne-rainer-responds (4.11.2021). 189 Z.B. BUTTE/MAAR/SCHAFAFF 2014. Siehe auch Kapitel 1.2.2. 190 Vgl. CARLSON, Marvin: Performance: A Critical Introduction. New York/London 2004, S. 110. 191 HAITZINGER 2019, S. 187.
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saß als szenische Kunst keinen eindeutigen Platz im »repräsentativen Regime der Künste« und stand zwischen den »sogenannten Schwesterkünsten Malerei, Poesie, Musik und Skulptur«.192 Das Judson Dance Theater, der postmoderne Tanz und die performativen bildenden Künste gelten als historische Wegbereiter des zeitgenössischen Tanzes und der gegenwärtigen Performance-Kunst und sind noch heute richtungsweisend.193 Ihre Schnittstelle bildet dabei der Körper als Medium und künstlerisches Werkzeug.
3.5 Intermediale Verwebung der Künste, institutionskritische Tendenzen und Reenactments im Tanz- und Kunstkontext In den 1990er Jahren transformierte sich die deutschsprachige Theaterlandschaft dadurch, dass sich eine freie Tanz- und Theaterszene etablierte. Seitdem existiert die institutionelle Aufteilung von Tanz im Rahmen des Stadttheatersystems und der freien Szene.194 Was mit den institutionellen Veränderungen einherging, war das Aufkommen einer konzeptuellen Tanzpraxis, die sich kritisch mit dem Verständnis von Tanz und seinen Produktionsstrukturen auseinandersetzt. Institutionskritische Positionen195 nehmen hierbei u.a.
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Ebd. und HAITZINGER, Nicole: Die Kunst ist dazwischen. Programme und Manifeste zur kulturellen Institutionalisierung von Tanz, in: HARDT, Yvonne/STERN, Martin (Hg.): Choreographie und Institution. Zeitgenössischer Tanz zwischen Ästhetik, Produktion und Vermittlung, Bielefeld 2011, S. 119–136. 193 Die Choreografien der 1960er Jahre und der gegenwärtigen Tanzkunst weisen Ähnlichkeiten in ihrer minimalistischen Bewegungssprache und »choreografischen Struktur« auf. Vgl. HUSEMANN 2002, S. 17. 194 Vgl. SIEGMUND 2020, S. 20–26. Im deutschen Stadttheatersystem sind Staats- und Stadttheater, sowie Landesbühnen und Schauspiel- und Opernhäuser mit inbegriffen. 195 Zeitgleich agierten bildende Künstler*innen wie Andrea Fraser oder Daniel Buren institutionskritisch. Institutionskritik bedeutet, einfach ausgedrückt, den Kunstbetrieb oder die Institution Kunst mit künstlerischen Strategien zu kritisieren. Für Johannes Meinhardt beschreibt Institutionskritik eine Haltung. Vgl. MEINHARDT, Johannes: Institutionskritik, in: BUTIN, Hubertus (Hg.): Dumonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2002, S. 126–130. Peter Bürger definiert die »Institution Kunst« mit folgenden Worten: »Mit dem Begriff Institution Kunst sollen hier sowohl der kunstproduzierende und -distribuierende Apparat als auch die zu einer gegebenen Epoche herrschenden Vorstellungen über Kunst bezeichnet werden, die die Rezeption von Werken wesentlich bestimmen.« BÜRGER, Peter: Theorie der Avantgarde, Frankfurt a.M. 1974, S. 29.
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saß als szenische Kunst keinen eindeutigen Platz im »repräsentativen Regime der Künste« und stand zwischen den »sogenannten Schwesterkünsten Malerei, Poesie, Musik und Skulptur«.192 Das Judson Dance Theater, der postmoderne Tanz und die performativen bildenden Künste gelten als historische Wegbereiter des zeitgenössischen Tanzes und der gegenwärtigen Performance-Kunst und sind noch heute richtungsweisend.193 Ihre Schnittstelle bildet dabei der Körper als Medium und künstlerisches Werkzeug.
3.5 Intermediale Verwebung der Künste, institutionskritische Tendenzen und Reenactments im Tanz- und Kunstkontext In den 1990er Jahren transformierte sich die deutschsprachige Theaterlandschaft dadurch, dass sich eine freie Tanz- und Theaterszene etablierte. Seitdem existiert die institutionelle Aufteilung von Tanz im Rahmen des Stadttheatersystems und der freien Szene.194 Was mit den institutionellen Veränderungen einherging, war das Aufkommen einer konzeptuellen Tanzpraxis, die sich kritisch mit dem Verständnis von Tanz und seinen Produktionsstrukturen auseinandersetzt. Institutionskritische Positionen195 nehmen hierbei u.a.
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Ebd. und HAITZINGER, Nicole: Die Kunst ist dazwischen. Programme und Manifeste zur kulturellen Institutionalisierung von Tanz, in: HARDT, Yvonne/STERN, Martin (Hg.): Choreographie und Institution. Zeitgenössischer Tanz zwischen Ästhetik, Produktion und Vermittlung, Bielefeld 2011, S. 119–136. 193 Die Choreografien der 1960er Jahre und der gegenwärtigen Tanzkunst weisen Ähnlichkeiten in ihrer minimalistischen Bewegungssprache und »choreografischen Struktur« auf. Vgl. HUSEMANN 2002, S. 17. 194 Vgl. SIEGMUND 2020, S. 20–26. Im deutschen Stadttheatersystem sind Staats- und Stadttheater, sowie Landesbühnen und Schauspiel- und Opernhäuser mit inbegriffen. 195 Zeitgleich agierten bildende Künstler*innen wie Andrea Fraser oder Daniel Buren institutionskritisch. Institutionskritik bedeutet, einfach ausgedrückt, den Kunstbetrieb oder die Institution Kunst mit künstlerischen Strategien zu kritisieren. Für Johannes Meinhardt beschreibt Institutionskritik eine Haltung. Vgl. MEINHARDT, Johannes: Institutionskritik, in: BUTIN, Hubertus (Hg.): Dumonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2002, S. 126–130. Peter Bürger definiert die »Institution Kunst« mit folgenden Worten: »Mit dem Begriff Institution Kunst sollen hier sowohl der kunstproduzierende und -distribuierende Apparat als auch die zu einer gegebenen Epoche herrschenden Vorstellungen über Kunst bezeichnet werden, die die Rezeption von Werken wesentlich bestimmen.« BÜRGER, Peter: Theorie der Avantgarde, Frankfurt a.M. 1974, S. 29.
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Thomas Lehmen und Xavier Le Roy ein, beide international bekannte Vertreter des »Konzepttanzes«, die beide in den 1990er Jahren mit ihren ersten Stücken »die Aufmerksamkeit der europäischen Tanzszene« auf sich zogen.196 Mit ihren Choreografien, die sich in Form von »vermeintlich dilettantischem Tanz« ausdrücken, stellen sie »Fragen über die Kunst des Choreographierens, den Warenwert einer Tanzproduktion und das Verhältnis von Bühne und Publikum, ohne diese aber direkt zu artikulieren oder zu repräsentieren«, so in Worten der Theaterwissenschaftlerin Pirkko Husemanns.197 Tanz und Choreografie ist abstrakter und konzeptuell geworden, oft auch in Erwiderung auf die Entwicklungen in der bildenden Kunst.198 Museen und Ausstellungshäuser für Gegenwartskunst sind vor allem an der konzeptuellen Richtung des Tanzes sowie an Choreograf*innen interessiert, die in enger Verbindung zur bildenden Kunst stehen und sich mit ihr auseinandersetzen. Dazu zählen neben Le Roy u.a. auch Jérôme Bel, Boris Charmatz, Tino Sehgal und Maria Hassabi.199 Zum Ende des 20. Jahrhunderts hin waren Tanz, Theater und bildende Kunst samt Performance-Kunst nicht mehr länger »medienspezifisch«200 . Bildende Künstler*innen adoptieren Tanz und arbeiten seitdem oft mit körperbasierten, choreografischen Darstellungsweisen oder kollaborieren für ihre Arbeiten mit Tanzkünstler*innen. Kelly Nippers Videoinstallation Weather Center (2009)201 ist zum einen paradigmatisch für die intermediale
196 Seit Beginn der 1990er Jahre leben beide in Berlin und arbeiten sowie produzieren von dort aus international. Vgl. HUSEMANN, Pirkko: Choreographie als kritische Praxis. Arbeitsweisen bei Xavier Le Roy und Thomas Lehmen, Bielefeld 2009, S. 20; Zum Begriff des »Konzepttanzes« siehe Kapitel 5.1. 197 Ebd., S. 21. 198 Vgl. AMALVI, Gilles: More or less dance: A multifaceted portrait of boris Charmatz, in: JANEVSKI, Ana (Hg.): Boris Charmatz, New York 2017, S. 120–132, hier S. 123 und BISHOP 2018, S. 28. 199 Vgl. BISHOP 2018, ebd. 200 SIEGMUND 2020, S. 15. Bis auf einzelne Künstler*innen, die sich auf eine bestimmte Gattung spezialisiert haben, so bspw. Gary Hill und Bill Viola, Pipilotti Rist, Douglas Gordon, Vgl. SCHNEEDE 2 2010, S. 307. 201 Weather Center ist im Rahmen von Floyd on the Floor entstanden, das Nippers 1999 initiierte und 2007 in Form eines multimedialen Live Events in der Judson Memorial Church Halle präsentierte. Die engagierten Tänzer*innen führten Bewegungen aus, die auf Rudolf von Labans Bewegungsanalyse basierten.
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Verwebung202 der Künste und zum anderen Beweis für das gestiegene Interesse am Tanz und seiner Geschichte. Das im Loop laufende Video zeigt die Tänzer-Choreografin Taisha Paggett, wie sie Mary Wigmans Hexentanz (1914 und 1926), eines der berühmtesten Arbeiten des deutschen Ausdruckstanzes, neu interpretiert. Wigmans Solo war wegen seiner schroffen Gesten, seiner Erdgebundenheit sowie dem wiederholten Öffnen der Beine ein radikaler Gegenentwurf zum klassischen Ballettideal. Weather Center ist nicht nur eine Videoarbeit, sondern zugleich auch zeitgenössischer Tanz sowie ein Reenactment und damit eine Rekonstruktion eines historischen Werkes. Bildende Künstler*innen und Tanzkünstler*innen entwickelten eine völlig neue Beziehung und einen neuen experimentellen Zugang zur Tanz- und Performance-Geschichte, der seit den 1990er Jahren oft im Format eines Reenactments oder eine Re-Performance begegnet wird.203 Dies wird entweder als Wiederaufführung durch den oder die ursprüngliche Künstler*in oder als eine Wiederholung durch andere realisiert. Für André Lepecki steht die Auseinandersetzung mit der Fachtradition als ein gemeinsamer Nenner für den zeitgenössischen Tanz in Europa.204 Bekannte Beispiele sind hierfür die 1996 präsentierten Reinszenierungen von Yvonne Rainers Continuous Project Altered Daily (1970) sowie Steve Paxtons Satisfyin’ Lover (1967) des 1994 gegründeten Kollektivs Le Quatuor Albrecht Knust, in denen auch Xavier Le Roy als Tänzer involviert war. Die Gruppe widmete sich künstlerisch der »›Relektüre‹ von historischen Tänzen«205 , so u.a. Vaslav Nijinskys L’après-midi d’un faune und Stücken von Doris Humphrey und Kurt Jooss, ein Protagonist 202 Siehe hierzu: SCHOENMAKERS, Henri/BLÄSKE, Stefan/KIRCHMANN, Kay et al. (Hg.): Theater und Medien. Grundlagen – Analysen – Perspektiven. Eine Bestandaufnahme, Bielefeld 2008. 203 Vgl. ODENTHAL 2012, S. 56f; Über Reenactments im Tanz: BACKOEFER/HAITZINGER/ JESCHKE 2009; FRANKO, Mark: The Oxford Handbook of Dance and Reenactment, New York 2017; ARNS, Inke/HORN, Gabriele (Hg.): History Will Repeat Itself. Strategien des Reenactments in der zeitgenössischen (Medien-)Kunst und Performance, Frankfurt a.M. 2007; ALLEN, Jennifer/LÜTTICKEN, Sven (Hg.): Life, Once More. Forms of Reenactment in Contemporary Art, Rotterdam 2005. 204 LEPECKI, André: Concept and Presence. The Contemporary European Dance Scene, in: CARTER, Alexandra (Hg.): Rethinking Dance History. A Reader, London/New York 2004, S. 170–181, hier S. 170. 205 Vgl. HUSEMANN 2009, S. 111f. Gründungsmitglieder sind Dominique Brun, Anne Collod, Simon Hecquet und Christophe Wavelet. Sie benannten sich nach Albrecht Knust (1896–1978), dem deutschen Tanzpädagogen und ehemaligen Leiter der Essener Folkwang-Hochschule.
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des deutschen Tanztheaters. Die Hinwendung zum »Erbe des Tanzes, also die Gesamtheit seiner historischen Entwicklung, seiner Werke, Figuren und Diskurse« bezeichnet Franz Anton Cramer als »Historic turn« und wird in der Tanzwissenschaft unter dem Begriff der »Performing History« vereint.206 Reenactments sind ein Format, das von der Performance-Kunst ausgehend Einzug in die Tanzkunst fand.207 Mit Tribute to Ana Mendieta (1985–1996) begann bspw. die kubanische Künstlerin Tania Bruguera 1985 Objekte und Performances von der kubanisch-amerikanischen Künstlerin zu rekontextualisieren. Und Marina Abramović entfachte 2005 mit ihrer Veranstaltungsreihe Seven Easy Pieces im New Yorker Guggenheim Museum, in der sie Performances aus den 1960er und 1970er Jahren von Bruce Nauman, Vito Acconci, Valie Export, Gina Pane, Joseph Beuys sowie eine ihrer eigenen Arbeiten – Lips of Thomas – zur Wiederaufführung und Neuinterpretierung brachte, eine rege Diskussion über den Sinn einer erneuten Realisierung.208 Künstler*innen und Theoretiker*innen kritisierten ihr Vorhaben schon vor Abramovićs Aufführung u.a. Peggy Phelan, die in ihrem 1993 veröffentlichten Buch »Unmarked. The Politics of Performance« über die Ontologie dieser Kunstform schrieb: »Performance […] becomes itself through disappearance« und jegliche Vervielfältigung oder Reproduktion sei »something other than performance«, denn »Performance in a strict ontological sense is non-reproductive«.209 Phelans Bestimmung fokussiert sich vor allem auf die Präsenz, auf das Hier und Jetzt einer Aufführung und betont dabei das Verschwinden, das Flüchtige und damit die »Widerständigkeit der Performance gegen jegliche Form der
206 Vgl. CRAMER, Franz Anton: Kulturerbe Tanz: Geschichte wird gemacht (2013), https: //www.goethe.de/de/kul/tut/gen/tan/20363169.html (15.09.2021) und KRUSCHKOVA, Krassimira: Tanzgeschichte(n): wieder und wider. Re-enactment, Referenz, révérence, in: THURNER, Christina/WEHREN, Julia (Hg.): Orginal und Revival. GeschichtsSchreibung im Tanz, Zürich 2010, S. 42. 207 Vgl. WEHREN 2016, S. 17 und S. 84–94. 208 Vgl. UMATHUM, Sandra: Seven Easy Pieces oder von der Kunst, die Geschichte der Performance Art zu schreiben, in: ROSELT, Jens/OTTO, Ulf (Hg.): Theater als Zeitmaschine. Zur performativen Praxis des Reenactments. Theater- und kulturwissenschaftliche Perspektiven, Theater Bd. 45, Bielefeld 2012, S. 101–124, hier S. 101 und GELDMACHER, Pamela: Re-Writing Avantgarde. Fortschritt, Utopie, Kollektiv und Partizipation in der Performance-Kunst, Bielefeld 2015, S. 29f. 209 PHELAN, Peggy: Unmarked. The politics of performance, London/New York 1993, S. 146. und S. 148.
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Wiederholung und Reproduktion« als ihre größte Stärke.210 Autor*innen wie Philip Auslander und Gerald Siegmund argumentierten gegen Phelans Performance-Verständnis.211 So wie Abramovićs Seven Easy Pieces verdeutlicht, dass Phelans Performance-Verständnis nicht mit der Behauptung der Unwiederholbarkeit und Nicht-Reproduzierbarkeit zu vereinen ist, so beweisen es auch Arbeiten von Performance-Künstler*innen aus den 1960er und 1970er Jahren, die Objekte als Spuren hinterließen. Erinnern möchte ich hier bspw. an Yves Kleins Anthropometries, die Farbabdrücke der Körper auf Papier zurückließen und Chris Burdens Performance Shoot, die in Form von Film-Stills dokumentiert ist. Nur die wenigsten Künstler*innen verweigerten sich der Ökonomie der Repräsentation sowie Reproduktion im Rahmen des Kunstmarktes. Reenactments begannen ebenso im kuratorischen Kontext eine Rolle zu spielen. Inspiriert durch die Kunstpraxis fingen Kuratoren an, Reinszenierungen vergangener (Tanz-)Performances in Ausstellungen einzusetzen. Anstatt die Geschichte der Performance und des Tanzes durch Objekte, Fotografien und Videos zu präsentieren, wurden der Vergangenheit angehörige Arbeiten nun in Form von Live-Präsentationen in den Gegenwartskontext gesetzt. Beispiele hierfür liefert Kapitel IV, das sich mit neuen Präsentationsformen für die Tanzkunst im Ausstellungskontext auseinandersetzt. Die Tanzkunst begann vermehrt im Kontext der bildenden Kunst zu erscheinen, erst durch die Integrierung in künstlerische Arbeiten, dann auch vermehrt in der kuratorischen Praxis und im Format einer Ausstellung.
3.6 Expansion von Tanz und Performance in der Kunstwelt – Live Kunst im Ausstellungsraum »Der Weg ins Museum ist choreografischen Werken leichter zugänglich geworden, seit Kunst, die auf Bewegung basiert und Körper als ihr Medium verwendet, von der institutionellen Kunstgeschichtsschreibung entdeckt wor-
210 UMATHUM 2012, S. 102; »Performance’s only life is in the present«, PHELAN 1993, S. 147f. 211 Vgl. AUSLANDER, Philip: Liveness. Performance in a Mediatized Culture, London/New York 1999 und SIEGMUND, Gerald: Abwesenheit. Eine performative Ästhetik des Tanzes. William Forsythe, Jérôme Bel, Xavier Le Roy, Meg Stuart, Bielefeld 2006.
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Wiederholung und Reproduktion« als ihre größte Stärke.210 Autor*innen wie Philip Auslander und Gerald Siegmund argumentierten gegen Phelans Performance-Verständnis.211 So wie Abramovićs Seven Easy Pieces verdeutlicht, dass Phelans Performance-Verständnis nicht mit der Behauptung der Unwiederholbarkeit und Nicht-Reproduzierbarkeit zu vereinen ist, so beweisen es auch Arbeiten von Performance-Künstler*innen aus den 1960er und 1970er Jahren, die Objekte als Spuren hinterließen. Erinnern möchte ich hier bspw. an Yves Kleins Anthropometries, die Farbabdrücke der Körper auf Papier zurückließen und Chris Burdens Performance Shoot, die in Form von Film-Stills dokumentiert ist. Nur die wenigsten Künstler*innen verweigerten sich der Ökonomie der Repräsentation sowie Reproduktion im Rahmen des Kunstmarktes. Reenactments begannen ebenso im kuratorischen Kontext eine Rolle zu spielen. Inspiriert durch die Kunstpraxis fingen Kuratoren an, Reinszenierungen vergangener (Tanz-)Performances in Ausstellungen einzusetzen. Anstatt die Geschichte der Performance und des Tanzes durch Objekte, Fotografien und Videos zu präsentieren, wurden der Vergangenheit angehörige Arbeiten nun in Form von Live-Präsentationen in den Gegenwartskontext gesetzt. Beispiele hierfür liefert Kapitel IV, das sich mit neuen Präsentationsformen für die Tanzkunst im Ausstellungskontext auseinandersetzt. Die Tanzkunst begann vermehrt im Kontext der bildenden Kunst zu erscheinen, erst durch die Integrierung in künstlerische Arbeiten, dann auch vermehrt in der kuratorischen Praxis und im Format einer Ausstellung.
3.6 Expansion von Tanz und Performance in der Kunstwelt – Live Kunst im Ausstellungsraum »Der Weg ins Museum ist choreografischen Werken leichter zugänglich geworden, seit Kunst, die auf Bewegung basiert und Körper als ihr Medium verwendet, von der institutionellen Kunstgeschichtsschreibung entdeckt wor-
210 UMATHUM 2012, S. 102; »Performance’s only life is in the present«, PHELAN 1993, S. 147f. 211 Vgl. AUSLANDER, Philip: Liveness. Performance in a Mediatized Culture, London/New York 1999 und SIEGMUND, Gerald: Abwesenheit. Eine performative Ästhetik des Tanzes. William Forsythe, Jérôme Bel, Xavier Le Roy, Meg Stuart, Bielefeld 2006.
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den ist. Performance gehört mittlerweile zum Kanon, auch sie hat ihre Geschichte.«212 Franz Anton Cramer Wie schon im Forschungsüberblick darauf hingewiesen, zeichnete sich kurz nach der Jahrtausendwende mit Ausstellungen wie On Stage (2002/2003) und Open the Curtain. Kunst und Tanz im Wechselspiel (2003) ein gesteigertes Interesse der Kunstwelt an den Aufführungskünsten und ihrer Beziehung zur bildenden Kunst ab.213 2005 gestaltete der Choreograf Tino Sehgal zusammen mit dem Maler Thomas Scheibitz den Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig. Die Documenta 12 zeigte 2007 mit Trisha Browns Floor of the Forest (1970) und Accumulation (1971) erstmalig hundert Tage lang Tanz-Performances im Museum Friedericianum.214 Das MoMA präsentierte 2012 die aus Live Performances bestehende und vom Choreografen Ralph Lemon geleitete Projekt Some Sweet Day und befragte damit die Beziehung von Tanz und dem Museum. Auf der 55. Kunstbiennale in Venedig bespielten Alexandra Pirici und Manuel Pelmuş den rumänischen Pavillion mit An Immaterial Retrospective of the Venice Biennale und Tino Sehgal gewann als bester Künstler den Goldenen Löwen.215 2017, das »Superkunstjahr«, indem die wichtigsten Großereignisse der internationalen Kunstszene alle fast gleichzeitig stattfanden, demonstrierte die Glanzzeit der aufführungsbasierten Künste: Auf der 57. Kunstbiennale in Venedig sorgte die Performance-Künstlerin Anne Imhof im deutschen Pavillon mit ihrer Langzeitperformance Faust für reges Aufsehen. Ihre performative Bespielung aus Tanz, Installation, Musik und Gesang, Malerei, Performance und Aktion erhielt als bester nationaler Beitrag ebenso den Goldenen Löwen.216 Und die Skulptur Projekte Münster haben 2017 mit Arbeiten von Xavier Le Roy und 212
CRAMER, Franz Anton: Xavier Le Roy. Portrait, Tanzplattform Deutschland (o.J.) http:/ /www.tanzplattform.de/ensembles/le-roy-xavier (18.12.2021). 213 On Stage im Kunstverein Hannover; Open the Curtain. Kunst und Tanz im Wechselspiel in der Kunsthalle zu Kiel, als weiteres Beispiel Tanzen, Sehen im Museum für Gegenwartskunst Siegen (2007). 214 Ihre Tanz-Performances wurden zusammen mit der Videoarbeit Roof and Fire Piece (1973) sowie den Zeichnungen Geneva, Handfall (1999) und Untitled (2007) ausgestellt, sodass ein Bezug zueinander entstehen konnte. Siehe: Documenta Archiv, http://www.documenta12.de/de/100-tage/100-tage-archiv/lunch-lectures/trisha -brown-auf-der-documenta-12-geschichte-medien-performance.html (28.06.2018). 215 Sehgal bespielte die Hauptausstellung Il Palazzo Enciclopedico des italienischen Kurators Massimiliano Gioni. 216 Auch 2019 erhielt eine performative Arbeit als bester nationaler Beitrag den Goldenen Löwen. Der litauische Pavillon präsentierte die zeitgenössische Oper-Performance
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
Scarlet Yu sowie Alexandra Pirici der Tanzkunst und der Performance einen bedeutenden Stellenwert geschenkt.217 Als dritte Großveranstaltung zeigte die Documenta 14 die Live Installation Staging der Choreografin Maria Hassabi tagtäglich während der 100 Ausstellungstage in der Neuen Galerie in Kassel. Selbst die Kunstmessen setzen verstärkt auf Live Kunst und richten hierfür eigene Sektoren ein, wie bspw. »Frieze Live« der Londoner Messe Frieze. Die LISTE – Art Fair Basel gründete bereits 2005 ihr Performance Projekt, das für diese ephemere Kunstform eine Plattform bietet. So führte Choreograf Adam Linder 2013 im Rahmen des Basler Projekts eine Neuinterpretation des berühmten Schlüsselwerks Parade auf, das 1917 vom Ballets Russes uraufgeführt wurde. Zudem zählt die Online-Chronologie218 der Tate Modern zwischen 1968 und 2002 um die 30 Veranstaltungen im Bereich der Performance auf. Von 2002 bis 2016 waren es über 200. Tanz und Performance ist im Kunstbetrieb allgegenwärtig und das nun schon seit zwei Jahrzehnten. Die performativen Kunstformen gehören inzwischen zum festen Bestandteil der Kunstwelt.219 Doch was ist nun das Besondere und damit Neuartige am Tanz im Ausstellungskontext? Denn die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass Tanz- und Performance im Bereich der bildenden Kunst schon in der Vergangenheit stattfand: Die Pionier*innen des freien Tanzes und die Judson Dancer wählten das Kunstmuseum und Kunstorte als Alternative zur Bühne. Was damals experimentell erprobt wurde und als radikal und innovativ galt, geschieht gegenwärtig vermehrt in den Museen und der Kunstwelt. Im 20. Jahrhundert hinterfragten die postmodernen Tänzer*innen die Aufführung als Repräsentationsformat für die Tanzkunst und suchten nach neuen Möglichkeiten. Gegenwärtig sind es die Ausstellungsmacher*innen der Museen
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Sun&See der Filmemacherin Rugilė Barzdžiukaitė, der Komponistin Lina Lapelytė und der Schriftstellerin Vaiva Grainytė. Xavier Le Roy und Scarlet Yu kreierten Still Untitled. Als Workshop-Format war diese Arbeit konzipiert und lud Teilnehmer*innen ein, ihre eigene Vorstellung und Form von Skulptur zu entwickeln. Als geschulte lebende Skulpturen wurden sie dann hinaus in die Freiheit und auf die Straßen versandt, wo sie ungeplant, willkürlich performten, wenn sie wollten. Wann und mit wem dies geschah, war willkürlich, was dazu führte, dass nicht alle Skulpturprojekte-Besucher*innen in den Genuss kamen, die Arbeit Gesicht zu bekommen. https://www.tate.org.uk/research/publications/performance-at-tate/timeline (12.12.2021). Mit Kunstwelt sind Institutionen und Veranstaltungsformate wie Festivals der bildenden Kunst gemeint.
III BEZIEHUNGEN ZWISCHEN TANZ, BILDENDER KUNST, MUSEUM UND AUSSTELLUNG
für zeitgenössische Kunst, die großes Interesse an den ephemeren, performativen Künsten zeigen, Tänzer*innen, Choreograf*innen und Performer*innen in ihre Häuser einladen und damit der Tanz- und Performanceszene und ihren körperbasierten künstlerischen Ausdrucksformen die Türen öffnen. Für das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe (ZKM) bildet die Tanz- und Performance-Kunst bereits seit 1999 einen Themenschwerpunkt.220 Die führenden Museen, sei es das Centre Pompidou in Paris, die Tate Modern in London und das MoMA in New York präsentieren und sammeln neben der ›üblichen‹ Objektkunst inzwischen auch zeitbasierte Aufführungs- und PerformanceKunst. Sie stellen zudem kuratorische Expert*innen für diese ›Kunstsparten‹ ein und eröffnen Abteilungen für performancebasierte Kunstformen.221 Materielle Kunstwerke scheinen heute nicht mehr zu genügen, stattdessen ist das hautnahe, immaterielle Live-Erlebnis in der Kunstwelt beliebt geworden.222 Besucher*innen strömen in die Museen, um Ereignisse wie The Artist is present 223 von Marina Abramović im New Yorker MoMA mitzuerleben. Als Publikumsmagnet zieht der Live-Act neue Ausstellungsbesucher*innen an und macht den Museumsbesuch durch seine Intensität meist unvergesslich. Die Aufmerksamkeitsspanne224 einer Person für die »stillen« Bilder an der Wand ist äußerst gering. Umso attraktiver ist das Live-Erlebnis für Ausstellungsmacher*innen und Museumsleiter*innen, die ihre Ausstellungen als Erfahrungsangebot konzipieren und dadurch als ein Kulturerlebnis Massen anziehen wollen. Bojana Cvejić sieht die Beliebtheit für einen im Hier und Jetzt tanzenden Körper nicht nur durch seine Vitalität begründet, sondern auch durch seine 220 Vgl. WEIBEL, Peter: Schwerpunkt. Tanz/Performance, ZKM Karlsruhe (o.J.), https://zkm .de/de/schwerpunkt/tanz-performance (19.05.2018). 221 2009 erweitere bspw. das MoMA in New York ihr Department of Media zum Department of Media and Performance Art. 222 »The exhibition is in a crisis. The object that doesn’t move, in a show for three months, in a white cube: that format is also 150 years old, and it doesn’t really work anymore. The magic got lost. That’s why we as curators look to performance.« Jenny Schlenzka in LA ROCCO, Claudia: Museums Shows With Moving Parts. In: New York Times (31.08.2012), http://www.nytimes.com/2012/09/02/arts/dance/in-some-sw eet-day-series-dance-meets-visual-arts.html (08.11.2017). 223 Marina Abramovic saß 2010 für drei Monate fast regungslos im Atrium des Moma in New York und mehr als 700.000 Menschen besuchten diese Ausstellung. Ausst. Kat. New York: Marina Abramovic: The Artist Is Present, hg. von BIESENBACH, Klaus/The Museum of Modern Art, New York 2010. 224 Zur Aufmerksamkeitsspanne von Museumsbesucher*innen vor alter und neuer Kunst: https://www.zeit.de/2012/17/Museumbesuch-Studie/komplettansicht (16.07.2018).
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Verkörperung: »There is also the psychological component of embodiment that endows dance with a more powerful persuasive expression than the spoken word or inanimate object.«225 Ein Grund ist, dass der »Sensationseffekt« einer Ausstellung gegenwärtig bedeutender ist als der historisch intendierte »Lerneffekt«226 eines Museums. Wissensvermittlung wird dem Unterhaltungszweck oft nachgestellt, was u.a. auch dem Kunstbetriebswettbewerb und dem Zwang der wirtschaftlichen Rentabilität einer Ausstellung geschuldet ist und der Erfolg deshalb an Publikumszahlen gemessen wird.227 Diese Kritik ist eine, die das Ausstellungswesen von den Anfängen an begleitet, denn, so formuliert es Katharina Hegewisch: »Der Erfolg einer Ausstellung ist oft ihr größtes Handicap«228 , da Besucherscharen die Möglichkeit einer Kunstkontemplation gefährden. Nicht ohne Grund also wird das Museum der Gegenwart als »Eventlocation« oder »Freizeitmaschine« kritisiert, sodass Ausstellungen zum Kulturereignis unserer westlichen Erlebnisgesellschaft mutieren.229 Neu ist zudem, dass Tanz- und Performance-Kunst heute nicht mehr nur Begleit- oder Zusatzprogramm der Museumshäuser, sondern zum Ausstellungsthema aufgestiegen sind. Bedeutungsvoll ist also die gegenwärtige Einbeziehung der szenischen Künste in den Ausstellungskontext. Cunninghams Museum Event No. 1 und Lucinda Childs Available Light hingegen waren Tanzaufführungen, die damals nicht zum regulären Veranstaltungsprogramm gehörten und damit als Sonderereignisse nach ungefähr einstündiger Performance wieder beendet waren. Heutzutage sind es ganze Hauptausstellungen und Performanceprogramme, die sich allein den Aufführungskünsten widmen und sich damit automatisch dem Problem der Darstellbarkeit von Tanz und Performance im musealen Raum stellen. Denn für die Kunstinstitutionen sind die zeitbedingten, prozess- und ereignishaften Kunstformen noch unbekannteres Terrain. Peter Weibel bspw. betrachtete die ZKM Ausstellung
225 CVEJIĆ 2015, S. 9. 226 MAI 2002, S. 60 u. 61. 227 Vgl. MAI, Ekkehard/SCHMIRBER, Gisela (Hg.): Kunst und Manipulation. Die Moderne zwischen Markt und Meinung. Berichte und Studien der Hanns-Seidel-Stiftung, Bd. 68, München 1994 und GRASSKAMP, Werner: Kunst und Geld. Szenen einer Mischehe, München 1998. 228 HEGEWISCH 1991, S. 9. 229 Vgl. SCHÜTZ, Heinz: Museumsboom. Wandel einer Institution, in: Kunstforum, Bd. 251, 2017, S. 44–45 und LOCHER 2015, S. 56.
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Moments. Eine Geschichte der Performance in 10 Akten (2012) als einen Notationsversuch, um Tanz und Performance einzufangen und damit ausstellbar zu machen.230 Für die Kunstmuseen und Ausstellungshäuser, dessen Räume ursprünglich für materielle Kunstwerke wie Gemälde oder Objekte reserviert waren, ist das Ausstellen von performativer, immaterieller Kunst eine Herausforderung. Das Zurschaustellen von »Dingen« war und ist ein wesentliches Merkmal einer Ausstellung.231 Wie nun Ephemeres, Zeitbasiertes und nicht Objekthaftes präsentiert werden kann, wird ausgelotet und getestet. 14 Rooms232 von den Kuratoren Klaus Biesenbach und Hans-Ulrich Obrist ist hierfür ein experimentelles Ausstellungsbeispiel, das speziell für Live Performances konzipiert und 2014 in Basel präsentiert wurde. Das Projekt selbst bewarb sich als Inszenierung des Live-Erlebnisses und der Live Performance. Extra für diesen Anlass konstruierten die Architekten Herzog&de Meuron einen Aufbau aus vierzehn Räumen, von denen jeder von einem oder einer Künstler*in bzw. einem Künstlerduo bespielt worden ist. Ihre Performances fanden hinter verschlossener Tür statt. Nur die Besucher*innen, welche mutig genug waren, die Tür zum Raum zu öffnen und einzutreten, erfuhren, was dort geschah. Mit A Year at the Stedelijk: Tino Sehgal233 (2015) zeigte das Stedelijk Museum in Amsterdam eine Überblicksausstellung mit monatlich wechselnden Arbeiten und 2016 bekam Tino Sehgal eine Carte Blanche to Tino Sehgal im Palais de Tokyo.234
230 Vgl. WEIBEL, Peter: »Die performative Wende im Ausstellungsraum«, in: Ausst. Kat. Karlsruhe: 2013, S. 18. 231 Hierauf wird in Kapitel 2.3 genauer eingegangen. 232 14 Rooms hat im Rahmen der Art Basel (14.-22.06.2014) stattgefunden, es war eine Kooperation der Fondation Beyeler, dem Theater Basel und der Art Basel. Die Originalversion dieses Ausstellungskonzepts fand mit 12 Rooms im Folkwang Museum während der Ruhrtriennale im Jahr 2012 statt. 233 Vom 01.01-31.12.2015. Im gleichen Jahr bespielte Sehgal vom 28.06.-8.08.2015 mit fünf seiner Situationen das Erdgeschoss des Martin Gropius Baus in Berlin ausgestellt. 234 Das Zeitformat der monatlich wechselnden Arbeiten wurde auch in der Fondation Beyeler benutzt, wo Tino Sehgals Arbeit vom 22.05.-12.11.2017 zu erleben war; 2018 bespielte Tino Sehgal für fünf Wochen das Kunstmuseum Stuttgart vom 22.06.29.07.2018. Neun Akteur*innen performten täglich neue und alte choreografische Arbeiten, die als konstruierte Situationen aus Bewegung, Gesang und sozialer Interaktion in ineinander übergehende Szenen verwoben waren. Vgl. ANDRADE RUIZ, Katharina de: Hier wird die Kunst aufgeführt. Tino Sehgals Ausstellung im Kunstmuseum
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Tanz und Performance-Kunst besitzen inzwischen nicht nur einen bedeutenden Stellenwert im Ausstellungsrepertoire der Kunstwelt, sondern ihr Einzug geht u.a. mit einem Umdenken in Bezug auf die Funktion eines Kunstmuseums einher. Museumsbauten sind nicht für Aufführungskünste konzipiert. Die harten Betonböden stellen eine hohe Belastbarkeit für den tanzenden Körper dar und erhöhen das Verletzungsrisiko der Tänzer*innen. Zudem gibt es keinen richtigen Backstage-Bereich mit Umkleiden, Duschen, Garderoben und Proberaum zum Aufwärmen. Um auch den Aufführungskünsten gerecht werden zu können, nehmen immer mehr Kunstinstitutionen architektonische Anpassungen vor, wenn hierfür Möglichkeiten bestehen. So erbaute die Tate Modern »The Tanks«235 einen neuen Präsentationsort, der sich vollkommen der Live Kunst widmet und bei dem bei der Konzeption ganz auf den Bedarf der Performer*innen eingegangen wurde. 2012 fanden die ersten Veranstaltungen mitunter von Anne Teresa De Keersmaeker statt. Auch das MoMA in New York entschied sich für einen Erweiterungsbau. 2019 wurde »The Studio«236 eröffnet, ein Ort für diverse Formen der darstellenden Künste und Filme: Tanz, Musik, Theater, Film, Video und alles dazwischen liegende und »currently unimaginable«237 . Die Wandlung erlangt ihren Höhepunkt im kompletten Neubau interdisziplinärer Kunstzentren, die bildende Kunst, Tanz, Performance und Musik unter einem Dach vereinen. So eröffnete 2019 das »multi-arts center« The Shed in New York, das dafür als architektonischer Bau gestaltet und konzipiert wurde, um »all types of performing arts, visual arts, and popular culture« zu produzie-
Stuttgart, 25.06.2018, Tanznetz.de, https://www.tanznetz.de/blog/28736/hier-wird-di e-kunst-aufgefuhrt (18.12.2021). 235 Die ersten Veranstaltungen in den Tanks fanden 2012 statt, die Eröffnung folgte 2016, siehe hierzu: HIGGINS, Charlotte: Tate Modern unlocks Tanks – and introduces live art to mainstream, in: The Guardian, 16.07.2012, https://www.theguardian.com/artandde sign/2012/jul/16/tate-modern-tanks-live-art (18.12.2021). 236 Siehe hierzu: BARONE, Joshua: An Immersive Sound Installation at MoMa Introduces the Studio The New York Times, 17.10.2019, https://www.nytimes.com/2019/10/17/ar ts/design/moma-the-studio.html (21.11.2021). 237 So der MoMA Direktor Glenn D. Lowry: LOWRY, Glenn D: Foreword, in: JANEVSKI, Ana/Museum of Modern Art (Hg.): Boris Charmatz (Modern Dance), New York 2017, S. 6.
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ren und zu präsentieren.238 Auch das Office of Grande Repair in Turin steht in den Diensten der bildenden und darstellenden Künste. Ein weiterer Aspekt, der im Hinblick auf die Integration von ephemeren Kunstformen in ein Museum überdacht werden muss, ist das Konzept der Sammlung, die traditionell aus materiellen Kunstobjekten besteht. Wie kann eine permanente Verfügbarkeit von Performances hergestellt werden, die im Augenblick des Ausführens schon wieder vergangen sind? Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass eine performative Erweiterung der Museen und Ausstellungen durch Live Art stattfindet, was auch Tate Moderns Kuratorin Catherine Wood in einem Interview mit Heinz Schütz bestätigt. Auf die Frage, ob man von einem »performative turn« im Museum sprechen könne, antwortete sie: »Ich würde sagen ja und ich denke, dass er bereits stattgefunden hat und das hat auch damit zu tun, wenn Frances Morris in ihrer Vision für die Tate von einer Wende hin zur Anerkennung der zentralen Bedeutung des Publikums spricht. Wir befinden uns im Zeitalter der User. Das Interessante an der Performance für mich ist nicht zuletzt die Bedeutung des Publikums als grundlegender Teil der Kunstwahrnehmung.«239 Nikolaus Möller-Schöll betitelt das Geschehen im Kunstkontext als »Postperformative Wende«. Für ihn ist das Ende der performativen Wende durch den Einzug der Live-Art und Performance-Kunst in die Räume der bildenden Kunst gekennzeichnet.240 Publikationen wie »Is the Living Body the Last Thing Left Alive? The New Performance Turn, Its Histories and Its Institutions« sprechen wiederum, wie der Titel schon sagt, vom New Performance Turn.241 Wie man es nun nennen möchte, ist weniger wichtig, bedeutend ist die performative Erweiterung im Ausstellungsbereich, die gegenwärtig 238 Vgl. The Shed: Pre-Opening, https://theshed.org/pre-opening/ (28.06.2018, Seite existiert nicht mehr 18.12.2021). 239 Catherine Wood in SCHÜTZ, Heinz: Catherine Wood. Der Performative Turn der Tate Modern: Ein Gespräch mit der Performance-Kuratorin der Londoner Galerie für internationale, moderne und zeitgenössische Kunst, in: Act! Die entfesselte Performance, Kunstforum Bd. 264, 2019, S. 150–161, hier S. 160. 240 Vgl. MÜLLER-SCHÖLL, Nikolaus: Die post-performative Wende. Die Arbeiten des LiveArt-Künstlers Tino Sehgal und der Einzug der Performance-Kunst ins Museum läuten das Ende der Epoche ein, in: Theater heute, 12/2012, S. 43–45. 241 COSTINAŞ, Cosmin und JANEVSKI, Ana: Is the Living Body the Last Thing Left Alive? The New Performance Turn, Its Histories and Its Institutions, Berlin 2017.
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ihre Wirkung trägt. Durch Live Art entwickeln sich viele neuartige Präsentations- und Ausstellungsformate und es werden Wege gesucht, um einen performativen körperlichen Akt live – an einem Ort während einer (un)bestimmten Dauer zu präsentieren und damit aus- und aufführen zu können. Das Medium Ausstellung als Präsentationsformat verändert sich dadurch also. Die Frage ist nun, wie der Tanz mit seiner immateriellen Flüchtigkeit in eine Museums-Ausstellung, die nicht dem Zeitformat einer Bühnenaufführung entspricht, integriert werden kann bzw. wie sich das Präsentationsformat an den Tanz als Ausstellungsgegenstand anpassen kann, um ihn in seiner Beschaffenheit zu würdigen und im Raum wirken zu lassen. Dieser Thematik widmet sich das nächste Kapitel.
IV NEUE PRÄSENTATIONSMODI FÜR DIE TANZKUNST
Wie kann zeitgenössische Tanzkunst ausgestellt werden? Inzwischen existieren verschiedenste kuratorische Modelle, die Tanz im Ausstellungsformat präsentieren – von Sammelausstellungen wie Move! Choreographing You! bis hin zu Einzelpräsentationen und Werkretrospektiven über Tänzerikonen wie Pina Bausch oder zeitgenössische Choreograf*innen.1 Für diese Auseinandersetzung werden konkrete Beispiele aus der aktuellen Ausstellungspraxis exemplarisch herangezogen. Der Fokus liegt hierbei vornehmlich auf monografischen Ausstellungen, die traditionelle Präsentationsformen der Museen und Galerien ablösen und sich darum bemühen, Tanzkunst und Performance ausstellbar zu machen. Eine Problematik hinsichtlich des Ausstellens von Tanzkunst ist die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit dieser Kunstform. Wie kann Tanz, der im Moment der Aufführung existiert, in Ausstellungen am Leben erhalten werden? Wie lässt sich die Lebendigkeit dieser bewegten Körperkunst darstellen? Was bleibt erhalten, wenn Tanz in Vitrinen ausgestellt wird? Da Tanzkunst nur in anderen Medien zu verewigen ist, liegt der Schwerpunkt einer Ausstellung oft in der Präsentation von Archiv- und Dokumentationsmaterial vergangener Tanzaufführungen, die als Exponate im Raum arrangiert werden und damit in ihrer Gesamtheit wie eine Kunstpräsentation im klassischen Sinne funktionieren. So konnten bspw. die Museumsbesucher*innen in der umfassenden Rückschau Simone Forti. Mit dem Körper denken. Eine Retrospektive in Bewegung (2014) des Museums für Moderne Kunst in Salzburg Videoaufzeichnungen von Tanzstücken, Schrift- und Bilddokumente, Zeichnungen und autobiografische Zeugnisse der Pionierin des postmodern dance und Begründerin des
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Move. Choreographing You! Art and Dance Since the 1960s (2010–2011)in der Hayward Galerie, London, dem Haus der Kunst, München und der Kunstsammlung NordrheinWestfalen, Düsseldorf.
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
Minimalismus im Tanz anschauen.2 Live aufgeführte Performances wurden stündlich während der Öffnungszeiten eingestreut. Zur Ausstellungseröffnung in Salzburg führte Simone Forti einige ihrer früheren Performances selbst auf. Im Laufe der Ausstellung übernahmen dies die Student*innen der Salzburg Experimental Academy of Dance, die zuvor in Workshops von Forti persönlich eingewiesen und angeleitet wurden. Besonders war hierbei die Vorführung der minimalistischen Dance Constructions aus den 1960er Jahren, die im Kapitel 3.4.2 als Exempel von künstlerischen Arbeiten der Judson-Periode vorgestellt wurden. Die Objekte der Werkgruppe wirkten zunächst wie simple Skulpturen aus Holz, die wie üblich im Ausstellungsraum angeordnet platziert waren. Die Saaltexte wiesen darauf hin, dass sie benutzt und täglich nacheinander von Performer*innen aktiviert werden. Die Student*innen führten Fortis je ca. zehnminütige Tanzkonstruktionen als Reenactments auf. In Slant Bord hangelten sich mehrere Tänzer*innen an einem schrägen zur Wand stehendem Brett, an dem Seile angebracht sind, hoch. Und in Hangers bemühten sich die Performer*innen, ihre Balance zu halten, ohne zu schaukeln still zu stehen, während sie in an der Decke befestigten Schlaufen aus Klettertau hingen, und andere Performer*innen zwischen ihnen hin- und herliefen. Zudem fanden als Öffnung des Museumsgeschehens zum Stadtleben hin Performances in der Stadt auf öffentlichen Plätzen statt. Fortis Salzburger Retrospektive vermittelte neben den präsentierten Kunstwerken die ephemere Tanzkunst anhand von Dokumentationsmaterial teilweise medial und teils als echte Live Performancedarbietung, die stündlich eingestreut wurde. Auch die Bundeskunsthalle Bonn entschied sich mit Pina Bausch und das Tanztheater (2016/2017)3 für ein ähnliches kuratorisches Format. Der Fundus des Pina Bausch-Archivs wurde in Vitrinen präsentiert sowie Programmhefte, Notizen, Bühnenzeichnungen, Fotografien der Choreografin und Aufnahmen von Bühnenstücken an die Wand gehängt. Videos, Interviews, Mitschnitte von Aufführungen konnten die Rezipient*innen über Monitore ansehen. Als »Herzstück der Ausstellung«4 betitelt wurde die Rekonstruktion von Bauschs
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Auch Kunstwerke wie Skulpturen, Arbeiten mit Hologrammen und Klang wurden gezeigt. Vom 04.03.-24.07.2016 war die Ausstellung in der Bundeskunsthalle, Bonn und vom 16.09.2016-09.01.2017 im Martin-Gropius-Bau, Berlin zu sehen. https://www.bundeskunsthalle.de/ausstellungen/archivierte-ausstellungen/pina-ba usch.html (31.10.2021).
IV NEUE PRÄSENTATIONSMODI FÜR DIE TANZKUNST
Probensaal, der sich in einem ehemaligen Kino in Wuppertal befunden hatte und den Namen »Lichtburg« trug. Die Nachbildung war nicht nur Mittelpunkt des performativ angelegten Präsentationskonzepts als lebendiger Erfahrungsraum, sondern auch räumlich das Zentrum der Ausstellung. Die Vermittlungsarbeit gehörte ebenso zur performativen Strategie dazu. Statt traditioneller, klassischer Führungen, in denen dem mitlaufenden Publikum Zusammenhänge sowie Inhalte erklärt werden, übernahmen Tänzer*innen und Tanzpädagog*innen die Vermittlung. Sie brachten bspw. ihren Teilnehmer*innen Bewegungsphrasen eines Pina Bausch-Stücks bei. Auf diese Weise wurde der Kontakt mit dem Tanz und dem Wuppertaler Tanztheater körperlich erfahrbar gemacht und die Führungsteilnehmer*innen wurden so zu aktiv Partizipierenden. Es war vermutlich für viele Besucher*innen besonders und erinnerungswürdig, eine der Choreografien der »berühmten« Pina Bausch selbst getanzt zu haben. Eine An-Ordnung von Artefakten im Raum mit Performancevorführungen zu kombinieren, so wie es in der Forti Retrospektive und der Bausch Ausstellung der Fall war, ist ein kuratorisches Modell, das oft gewählt wird, um Tanzkunst auszustellen. Auch wenn die Kurator*innen viel Wert auf den performativen Anteil legen, überwiegt das Format der Ausstellung. Die Exponate im Raum dominieren gegenüber dem Performativem und dem Live-Ereignis. Die Performances sind nicht existent, solange sie nicht aufgeführt werden. Die in Kapitel II als positive Komponente einer Ausstellung betonte Freiheit der Rezipient*innen macht es für die Kurator*innen schwer, durchgehende Performativität zu gewährleisten. Es ist vom Besuchszeitpunkt abhängig, in welchem Maß der Aufführungs- und Handlungscharakter durchdringen und überwiegen kann. Es kann vorkommen, dass innerhalb einer Besuchszeitspanne keine Führungen und auch keine Performances stattfinden, sodass die Ausstellung den Besucher*innen ohne den performativen Anteil und »nur« mit materiellen Exponaten als »gewöhnliche« Objektschau erscheint. Eine Kunstpräsentation, die u.a. Bühnensettings im Ausstellungsraum in Szene setzte, ist Sasha Waltz: Installationen. Objekte. Performances, die 2013 im Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe (ZKM) präsentiert wurde.5 Der Kurator Peter Weibel inszenierte mit dieser Waltz Ausstellung
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Für Sasha Waltz war die ZKM-Schau nicht die erste Auseinandersetzung mit dem Museum als Raum für Tanz und Choreografie. In ihrer Projektreihe Dialoge bespielte die Choreografin öffentliche Gebäude und insbesondere leere Museumsbauten, wie das Neue Museum und das Jüdische Museum in Berlin sowie das MAXXI in Rom.
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die installative Wende in den darstellenden Künsten als Pendent zur performativen Wende der bildenden Kunst.6 Die Ausstellung spielte mit der Idee, »Reliquien« und Requisiten des Bühnendesigns aus Sasha Waltz’ Stücken in eine Ausstellungssituation zu überführen, um sie in dem Kontext als unabhängige Kunstinstallationen zu präsentieren. Die jeweiligen Objekte oder Bühnenbilder verwiesen auf die Theaterproduktionen, doch erhielten sie im Museumsraum an Eigenständigkeit. Sie wirkten als autonome, ortsspezifische Installationen, die für den Ausstellungsraum im ZKM verändert wurden, in dem sie u.a. der musealen Zeitästhetik entsprachen und für die Kunstbetrachter*innen pausenlos zugänglich waren. So reagierten die Windmaschinen aus Medea (2007) hier auf die ZKM-Besucher*innen, indem sie sich in Bewegung setzten, sobald sich jemand ihnen näherte. Und die Installation aus Gezeiten (2005) wurde in der Ausstellung als ein abgeschlossener Raum inszeniert. Die Planken des Bodens, die sich im Bühnenstück ursprünglich durch das Auftreten der Tänzer*innen bewegten, hoben und senkten sich mit lautem Geklapper von selbst. Die Tanz-Performances bestanden aus Ausschnitten einiger Bühnenstücke, welche die Sasha Waltz’ Kompanie und gecastete Gäste während der Öffnungszeiten, zu festgelegten Zeitpunkten vorführte.7 Zudem konnten die Besucher*innen im Archivraum Dokumentationsmaterial entdecken, das zeigte, wie Sasha Waltz choreografiert bzw. ihre Produktionen auf Papier entwickelt und Ideen findet. Filmräume führten Videomitschnitte ihrer Tanzproduktionen vor. Auch in dieser Schau war das Erscheinungsbild vom Rezeptionszeitpunkt abhängig. Die Tänzer*innen hatten nicht durchgängige Einsätze, sondern performten nur zu terminierten Zeitpunkten. Daher veränderten sich das Geschehen, die Konstellationen der Objekte, Installationen, Filme sowie Performances und damit die Atmosphäre im Raum, je nach Uhrzeit, Tag und Dauer des Aufenthalts. Die Ausstellung ergab sich also aus der Präsentation materieller Exponate in Kombination mit vorausgeplanten eingestreuten Live Performances, die zu bestimmten Zeitpunkten stattfanden. Von einer regelrechten Verschmelzung von Aufführung und Ausstellung als Formate kann
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WEIBEL, Peter: Sasha Waltz. Installationen, Objekte und Performances. Zwischen performativer und installativer Wende, in: Ausst. Kat. Karlsruhe: Sasha Waltz. Installationen, Objekte, Performances, hg. von RIEDEL, Christiane/WALTZ, Yoreme/ZKM Karlsruhe et al., Ostfildern 2014, S. 8–30. Vgl. WALTZ, Yoreme: Filling the Glass. Performances in der Ausstellung, in: Ausst. Kat. Karlsruhe: 2014, S. 140–149, hier S. 145.
IV NEUE PRÄSENTATIONSMODI FÜR DIE TANZKUNST
auch hier nicht gesprochen werden. Viel eher existierte ein Nacheinander oder Nebeneinander der Zeitkonzepte.8 Die Barbican Art Gallery in London bewarb Trajal Harrell: Hoochie Koochie (2017)9 als die erste Live Performance Ausstellung des amerikanischen zeitgenössischen Choreografen. Sie umfasste neben bühnenartigen Installationen und Videoprojektionen vierzehn ausgewählte Tanzstücke von 1999 bis 2016, die während der Öffnungszeiten täglich von siebzehn Tänzer*innen und von Trajal Harrell selbst live und im wechselnden Turnus aufgeführt wurden. Ihre Performances belebten die bühnen-installativen Arbeiten im Ausstellungsraum. Das kuratorische Konzept räumte den Live Aufführungen einen großen Zeitrahmen ein, denn nur in den kurzen Pausen zwischen den Performances blieben die Bühnensettings unbespielt. Hier fand dadurch vieles gleichzeitig oder eben aufeinander folgend statt. Wer mehr über Trajal Harrell und seiner Tanzkunst erfahren wollte, konnte sich dem in einem Raumabschnitt zur Verfügung gestellten Textmaterial zuwenden.10 Die hier vorgestellten kuratorischen Konzepte sind performative Formate, die sich darum bemühten, den Tanz mit seiner Lebendigkeit aufrecht zu erhalten. Zurückgegriffen wurde bei allen auf Dokumentationsmaterial wie Schriftstücke, Filmmitschnitte und Aufzeichnungen, die fragmentarische Einblicke in den tanzgeschichtlichen Kontext gaben. Die Konzepte unterscheiden sich in der Gewichtung des Anteils von Live Performances und der Präsentation von Exponaten als Repräsentanten des vergangenen Tanzes oder als eigenständige Kunstwerke, die einen Bezug zur Tanzkunst herstellen. Je mehr Live-Anteil die jeweilige Schau beinhaltet, umso mehr verschmilzt das Format der Aufführung mit dem Medium der Ausstellung. A choreographed Exhibition (2007/2008) ist ein weiteres experimentelles Projekt, das von Mathieu Copeland kuratiert wurde. Die Gruppenausstellung ist eine der ersten Live-Tanz-Ausstellungen. Tänzer*innen performten hier für eineinhalb Monate durchgehend während der Öffnungszeiten, fünf Tage in der Woche, je fünf Stunden am Tag in der Kunst Halle St. Gallen.11 8 9 10
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Vgl. RIEDEL, Christiane: Eine neue Einheit von Aufführung und Ausstellung, in: Ausst. Kat. Karlsruhe 2014, S. 126–139, hier S. 137 und OSTWALD 2014, S. 70. 20.07.-13.08.2017, Kuratorin Leila Hasham. Vgl. ANDRADE RUIZ, Katharina de: »Hoochie Koochie«- Trajal Harrells erste Live-Performance in der Barbican Art Gallery in London, Tanznetz.de, http://www.tanznetz.de /blog/28216/%25e2%2580%259ehoochie-koochie, veröffentlicht am 26.07.2017. Zuerst wurde die Ausstellung in der Kunsthalle Sankt Gallen vom 01.12.2007 bis 13.01.2008 mit den klassisch ausgebildeten Tänzer *innen des Sankt Gallener Tanz-
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
Neben diesem von einem Kurator gestalteten Exempel gibt es auch und vor allem Live-Tanz-Ausstellungen, die von Choreograf*innen konzipiert werden. Beispiele hierfür sind Adam Linder: Service No. 5: Dare to Keep Kids Off Naturalism in der Kunsthalle Basel (2017), Tino Sehgals Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart (2018) und HERE von Maria Hassabi in der Secession Wien (2021). Die Tanzkünstler*innen übernehmen dabei die temporäre Ausstellungsgestaltung und damit die eigentliche Aufgabe der jeweiligen Kurator*innen.12 Die Choreograf*innen stellen sich damit in eine lange Tradition von Künstler*innen, die Ausstellungen selbst organisierten und konzeptualisierten, und zugleich das Präsentationsmedium hinterfragten sowie durch innovative Projekte herausforderten (s. Kapitel III).13 Live-Tanz-Ausstellungen präsentieren Tanz als ein Live-Ereignis für die Besucher*innen im Ausstellungsraum statt auf der Bühne. Und sie besitzen einen radikaleren Ansatz, da sie auf Dokumentationsmaterial wie hinterlassene Tanz-»Spuren«, Objekte sowie Installationen, also auf den materiellen Anteil der Ausstellung verzichten, und stattdessen aus real stattfindendem Tanz bestehen und damit den Live-Aspekt der flüchtigen Tanzkunst hervorheben. Bei diesen Projekten geht die Transformation eines »gewöhnlichen« Ausstellungskonzeptes noch viel weiter als bei einer reinen punktuellen Integration von Tanz im Ausstellungs- und Museumsformat. Das ist ein wichtiger Grund, warum ich den analytischen Fokus dieser wissenschaftlichen Arbeit auf von Choreograf*innen gestalteten Live-Tanz-Ausstellungen setze. Was sich durch diese Ausstellungen verändert und wohin das führt, ist in der nachfolgenden
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theaters entwickelt. Dann wurde sie in veränderter Form vom 08.11.-21.12.2008 in der Ferme du Buisson, Noisiel’s Centre d’Art Contemporain, am Stadtrand von Paris, gezeigt. Zehn Jahre später fand vom 16.09.-15.10.2017 eine weitere Neukonzeption im CA2M, dem »Centro de Arte 2 de Mayo« in Mostoles, einem Vorort von Madrid, statt. Vgl. ANDRADE RUIZ 2017, S. 12f; Hierzu siehe auch: HEATHFIELD, Adrian/LE ROY, Xavier: Their Retrospectives, in: SOLOMON, Noémie (Hg.): Danse: A Catalogue, Dijon 2015, S. 145–162, hier S. 156. Gustave Corbets selbst organisierte Einzelausstellung in einem eigens dafür errichteten Pavillion zur gleichen Zeit mit der Exposition Universelle des Beaux Arts und der Weltausstellung der Industrie in Paris, ist eines der bekanntesten und in die Geschichte eingegangenen Ausstellungen, die vom Künstler selbst gestaltet und durchgeführt wurde. Vgl. KILIAN, Alina: Die Ausstellung als Kunstwerk. Historische Fallbeispiele einer künstlerischen Entmachtung des Kurators, in: HEMKEN, Kai-Uwe (Hg.): Kritische Szenografie. Die Kunstausstellung im 21. Jahrhundert, Bielefeld 2015, S. 383; siehe auch: FILIPOVIC, Elena: When Attitudes become Form: A Brief History of the Artist as Curator (2012) in: STEEDS, Lucy: Exhibition, London 2014, S. 156–168.
IV NEUE PRÄSENTATIONSMODI FÜR DIE TANZKUNST
Analyse herauszuarbeiten, konkret an den folgenden Fallbeispielen: »Retrospective« by Xavier Le Roy14 , Work/Travail/Arbeid von Anne Teresa De Keersmaeker sowie der Ausstellung 20 Dancers for the XX Century von Boris Charmatz und dem Musée de la danse. Jenny Schlenzka, Kuratorin für Performance am PS1 in New York, ist davon überzeugt, dass die besten Ideen und Konzepte für eine Antwort auf neue Formen für Ausstellungen aus der Tanzwelt kommen.15 Choreograf*innen wie Xavier Le Roy, De Keersmaeker und Boris Charmatz stehen hierbei für Positionen des zeitgenössischen, westeuropäischen Tanzes, die neben ihren Bühnenstücken choreografische Arbeiten speziell für Museen und Ausstellungsräume entwickeln und »sich auf diese Weise kritisch mit Präsentationsformen der bildenden und darstellenden Künste« auseinandersetzen. Das Feld der zeitgenössischen Tanzpraxis hat sich inzwischen auf andere Bereiche wie die bildende Kunst und den Kunstbetrieb erweitert. Die Erkundung von Ausstellungs- und Museumsräumen und das Experimentieren jenseits der Theaterbühne ist als »expanded choreography« paradigmatisch für das aktuelle Tanzkunstschaffen.16
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Im folgenden Text werde ich zur einfacheren Handhabung die Abkürzung »Retrospective« für den gesamten Ausstellungstitel – »Retrospective« by Xavier Le Roy verwenden. Jenny Schlenzkas Aussage während einer Podiumsdisskussion im Rahmen des Symposiums Why Dance in the Art World?, das vom Performa Institute und der NYU Steinhardt organisiert wurde und am 17.09. 2012 in der Judson Memorial Church stattfand. Moderatorin: RoseLee Goldberg, Diskussionsteilnehmer*innen: Ralph Lemon, David Velasco, Jenny Schlenzka, Einführung von Jennifer Homans. Stream von Performa Radio: https://soundcloud.com/performaradio/why-dance-in-the-art-world (18.12.2021). https://www.e-flux.com/announcements/34425/expanded-choreography/ (02.10. 2021). William Forsythe erschafft z.B. sogenannte Choreographic Objects, Installationen im Museum oder an anderen Orten, durch die Besucher*innen in Bewegung gebracht werden.
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V LIVE-TANZ-AUSSTELLUNGEN VON XAVIER LE ROY, ANNE TERESA DE KEERSMAEKER UND BORIS CHARMATZ
5.1 Künstlerischer Schaffenskontext von Xavier Le Roy, Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz Der promovierte Molekularbiologe Xavier Le Roy (*1963 in Juvisy-sur-Orge) beginnt erst mit fast 30 Jahren als Tänzer und Choreograf zu arbeiten.1 Der in Berlin lebende Franzose wurde mit Self-Unfinished (1998) und Product of Circumstances (1999) international bekannt. Beide Stücke sind seit ihrer Kreation auf Tournee. Für Franz Anton Cramer gelten diese Arbeiten als Referenzpunkte für »ein neues Verständnis von Tanz als intellektuell durchdrungener körperlichkünstlerischer Praxis.«2 Le Roy erweitert seit den 1990er Jahren das Feld der Choreografie durch seine forschungsbasierte Tanzpraxis und zählt inzwischen zu den »Klassikern« des zeitgenössischen Tanzes. Seine frühen Stücke beschäftigten sich vor allem mit der Fragmentierung, Dekonstruktion sowie Rekonstruktion seines eigenen Körpers.3 In seinem So-
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Während seines Studiums der Biochemie an der Universität von Montpellier nahm Le Roy Unterricht im zeitgenössischen Tanz. 1992 zog er nach Berlin, wo er Teil der Performancegruppe Detektor wurde. 1993 gründete er gemeinsam mit Sylvie Garot (Lichtdesignerin) und Alexander Birnbaum (Musiker) die Gruppe Le Kwatt. Als Artist-in-Residence am Podewil in Berlin war Le Roy von 1996–2001. CRAMER, Franz Anton: Retrospective as mode of production: Zum Werkbegriff in »Rétrospective« par Xavier Le Roy, in: http://www.perfomap.de (Okt. 2013), http://w ww.perfomap.de/map4/ausstellen-und-auffuehren/retrospective-as-mode-of-produ ction (31.08.2016). Vgl. ODENTHAL, Johannes (Hg.): Das Jahrhundert des Tanzes. Ein Reader, Berlin 2019, S. 152.
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lo Self-Unfinished erkundet Le Roy Transformationen des Menschenkörpers.4 Er verwandelt sich in einen Roboter, der bei jeder kleinsten Bewegung maschinenartige Geräusche von sich gibt. Danach mutiert er in unterschiedlichste Tiere oder in ein kopfloses Lebewesen, das aus zwei Unterkörpern mit einer Hose und einem Rock besteht und sich wie ein Vierfüßler vorwärts oder rückwärts durch den Raum bewegt. In seiner Metamorphose durchlebt Le Roy verschiedenste Stadien, mal mehr Tier, dann wieder Mensch oder liegendes Objekt, leblos, im Stillstand verharrend, dann wieder im Gehen, Liegen, Sitzen und Stehen. Le Roy erfindet skurrilste Positionen und Verschränkungen, die ungewöhnliche Formen des Körpers erzeugen. Ihm geht es vor allem um »die Bilder, die der Körper als formbare Masse und biegsames Material selbst hervorbringt.«5 Anders ist Product of Circumstances, ein Stück im Format einer Lecture-Performance6 , in der Le Roy anhand seiner beruflichen Vita die »Analogie zwischen Wissenschaft und Kunst als Forschung« hervorhebt.7 Beide Arbeiten kommen ganz ohne »Tanz im konventionellen Sinne«8 aus. Le Roys Choreografien unterscheiden sich von Tanzstilen, -Techniken und -Ästhetiken, die hauptsächlich einen virtuosen, rhythmischen Bewegungsfluss und ästhetisch anmutende Körperbewegungen produzieren.9 Sie wirken fast banal und dilettantisch, das Tänzerische ist abwesend. Dennoch handelt es sich dabei um Tanz, »der sich allerdings in den Körper, in die Choreografie und in die Theorie hineinverlagert«, so in Worten Pirkko Husemanns. Die Theaterwissenschaftlerin bezeichnet Le Roys choreografische Arbeitsweisen als eine »kritische Praxis«10 , die an den Produktionsbedingungen von Tanzkunst Kritik ausübt. Le Roy zählt neben Meg Stuart, Jérôme Bel, Thomas Lehmen, Mårten Spångberg sowie Boris Charmatz u.a. zu den Vertreter*innen des im Fachjargon von Kritiker*innen und Produzent*innen sogenannten »Konzepttanzes«. 4 5 6
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CVEJIĆ, Bojana/LE ROY, Xavier: Self-Unfinished, in: CVEJIĆ 2014, S. 157–172, hier S. 158. SIEGMUND 2006, S. 371. Die Lecture-Performance kombiniert die Methode des Vortrags mit dem Tanz, mehr hierzu siehe: BRANDSTETTER, Gabriele: Tanzen zeigen. Lecture-Performance im Tanz seit den 1990ern, in: BISCHOF, Margrit/ROSINY, Claudia (Hg.): Konzepte der Tanzkultur. Wissen und Wege der Tanzforschung (TanzScripte, Bd. 20), Bielefeld 2010, S. 45–62. SIEGMUND 2020, S. 225; Product of Circumstances ist zudem Teil von »Retrospective« by Xavier Le Roy, mehr hierzu, siehe Kapitel 5.2.1. HUSEMANN 2002, S. 7. Vgl. SIEGMUND 2006 und HUSEMANN 2002, S. 20. HUSEMANN 2009.
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Dabei ist die Verwendung dieses Begriffs im tanztheoretischen Diskurs höchst umstritten.11 Hinter seinem Gebrauch steht meist eine abwertende und ausgrenzende Haltung gegenüber tänzerischen Gestaltungsformen, »die offensiv mit dem theoretischen und diskursiven Potenzial des Tanzes umgehen« und »willkürlich, vielleicht sogar ideologisch«12 als konzeptuell abgegrenzt werden. In dem Zusammenhang taucht oft auch die Bezeichnung des »NonDance« als negatives Pendant zum »Tanz-Tanz« auf, womit dem Nicht-Tanz automatisch Defizite zugesprochen werden.13 In Anlehnung an die Konzeptkunst der bildenden Kunst, welche die Idee und das Konzept anstatt das Kunstwerk in den Mittelpunkt stellt, wird versucht, mit den Betitelungen eine Strömung in der zeitgenössischen Tanz- und Performancepraxis zusammenzufassen, die über Tanz und die Art und Weise, wie er produziert wird, mit dem Körper nachdenken. Dabei handelt es sich »keineswegs um eine homogene Bewegung mit einem identifizierbaren Stil«, vielmehr verbindet die als Konzepttänzer*innen bezeichneten Choreograf*innen eine institutionskritische Haltung und das historische Moment zur Zeit der Entstehung
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Vgl. SIEGMUND, Gerald: Konzept ohne Tanz? Nachdenken über Choreographie und Körper, in: CLAVADETSCHER, Reto/ROSINY, Claudia (Hg.): Zeitgenössischer Tanz. Körper – Konzepte – Kulturen. Eine Bestandsaufnahme, Bielefeld 2007, S. 44–59; Vgl. CVEJIĆ, Bojana/LE ROY, Xavier/SIEGMUND, Gerald: To end with judgement by way of clarification, in: HOCHMUTH, Martina/KRUSCHKOVA, Krassimira/SCHÖLLHAMMER, Georg (Hg.): It takes place when it doesn’t. On dance and performance since 1989, Frankfurt a.M. 2006, S. 48–57. CRAMER, Franz Anton: Körper, Erkenntnis. Zu einer Frontlinie im zeitgenössischen Tanz, in: Tanzjournal, 2/2004, S. 7–12, hier S. 9. Die Journalistin Sylvia Staude schrieb für die Frankfurter Rundschau 2008 in einer Rezension bspw. über die Sehnsucht nach dem »Tanztanz« als Antwort auf den »Konzepttanz«: »[…] »Tanztanz«. Offenbar schloss das Wort eine gefühlte Lücke. Denn es bezeichnet Stücke von einer Art, wie sie damals wieder zunahmen an Zahl und Bedeutung. Der Aufschwung des »reinen« Tanzes (ein anderes Wort dafür) konnte nicht unerwartet sein, bewegt sich doch jede Kunstrichtung in Wellen wie die Mode, der Pop, die Couchgarnituren. Und vor dem »Tanztanz« lag die hohe Zeit des so genannten Konzepttanzes, der oft minimalen Bewegung bei maximaler Durchdachtheit der Stückkonstruktion. Verständlich, dass eine Sehnsucht entstand nach Schönheit (gerade war sie noch ein Schimpfwort gewesen), nach dem besonderen Können, der Energie exzellent trainierter Körper.« STAUDE, Sylvia: Spiel mit der Körper-Karte, in: Frankfurter Rundschau (13.08.2008), https://www.fr.de/kultur/spiel-koerper-karte-11566404.htm l (10.10.2021).
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ihrer Stücke – der »Boom der sogenannten freien Tanzszene seit den 1980er Jahren in Westeuropa«14 . Xavier Le Roys künstlerische Praxis widersetzt sich Gattungsgrenzen und Kategorisierungen. Bedeutend ist seine Arbeit im Hinblick auf das »Navigieren« zwischen den unterschiedlichen Dispositionen – Museum, Theater sowie öffentlicher Raum. »Der Ort gibt vor wie das Publikum die Kunst erfahren wird und dies beeinflusst das, was ich tue.«15 Neben seinen ersten Soloarbeiten begann Le Roy auch Gruppenarbeiten zu konzipieren, die Produktionsabläufe, –Bedingungen und deren Präsentationsformate des Tanzes hinterfragten. Bereits 1999 initiierte Xavier Le Roy mit E.X.T.E.N.S.I.O.N.S (1999) ein Gruppenprojekt, das sich im Format einer sich kontinuierlich ändernden Live-Ausstellung präsentierte. Diese kollektive Arbeit setzte sich mit der Produktion und Präsentation von Tanz und Choreografie auseinander. Als eine Art experimentelles Recherche-Labor untersuchte sie das Verhältnis von Produkt und seiner Herstellung. Mit der ersten Ausstellungs-Auftragsarbeit für die Gruppenausstellung Move. Choreographing You! (2010/2011) in der Hayward Gallery in London konzipierte Xavier Le Roy in Zusammenarbeit mit dem schwedischen Choreograf Mårten Spångberg dann Production, die konzeptuelle Ähnlichkeiten mit »Retrospective« aufweist. Als kollektive Arbeit hinterfragt Production die gängigen Strukturen der Kulturproduktion hier nun im direkten Bezug zum Museum.16 Wie in »Retrospective« werden die Besucher*innen als Adressat*innen der Performer*innen zu Akteur*innen und zum Teil des Geschehens. 2012 entstand mit Untitled eine weitere Arbeit von Le Roys Untitled-Serie, die in Klaus Biesenbach und Hans Ulrich Obrist kuratierter Live Art-Ausstellung 12 Rooms zu sehen war.17 Mit Temporary Title (2015) konzipierte Xavier Le Roy in Kollaboration mit Scarlet Yu eine Ausstellung, die sich aus dem Stück Low Pieces (2011) heraus entwickelte.18 For the Unfaithful Replica (2016) entstand für die Ausstel14 15 16
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SIEGMUND 2007, S. 47. Xavier Le Roy in SCHÜTZ 2019, S. 110. Aus den Erzählungen der Tänzerin Jana Griess, die im K20 in Düsseldorf Production in der Ausstellung Move. Kunst und Tanz seit den 60ern (19.07.-25.09.2011) performte. Ich habe mit ihr am 06.03.2020 ein Skype-Gespräch geführt. Untitled war auch Teil von 13 Rooms in Sydney. Temporary Title war eine Auftragsarbeit für Kaldor Public Art Project in Kooperation mit Carriageworks; Low Pieces ist ein Stück, das mit einer Unterhaltung der Performer*innen mit den Zuschauer*innen beginnt. Einige Zeit später wird nackt performt. Durch ihre Bewegungen wirkt es so, als ob die Performer*innen sich in Maschinen, tierartige oder pflanzenartige Wesen verwandeln.
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lung The Unfaithful Republica19 auf Einladung der Kuratorinnen Nuria Enguita Mayo und erneut von Laurence Rassel in Centro de Arte Dos de Mayo in Madrid. Und im Kulturzentrum Le Tripostal in Lille, als Anlass des 40-jährigen Jubiläums des Centre Pompidous, das in ganz Frankreich gefeiert wurde, entstand für die Ausstellung Performance! Die Sammlungen des Centre Pompidou, 1967–2017 die Arbeit For Performance! (2017) als eine Weiterentwicklung von For the Unfaithful Replica. Im Dialog von Tanz, Performance und zeitgenössischer Kunst zählt Xavier Le Roy zu den Schlüsselfiguren. Anne Teresa De Keersmaeker (*1960 in Mechelen) absolvierte ihr Tanzstudium an der Maurice Béjarts Mudra School in Brüssel und der NYU Tisch School of the Arts in New York. 1980 produzierte sie mit Asch ihre erste eigene Bühnenkreation. Zwei Jahre später folgte Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich, das aus vier Teilen – Piano Phase (Duett), Come Out (Duett), Violin Phase (Solo) und Clapping Music (Duett) – besteht und auf den gleichnamigen vier Kompositionen (1967) des New Yorker Komponisten und Mitbegründers der Minimal Music Steve Reichs basiert.20 Es greift das Prinzip der (musikalischen) Phasenverschiebung durch minimale (choreografische) Veränderungen auf. 1983 gründete De Keersmaeker ihre Tanzkompanie Rosas in Brüssel und im gleichen Jahr erfolgte die Premiere des von vier Frauen getanzten Bühnenstücks Rosas danst Rosas, das zum internationalen Durchbruch führte. Die strenge choreografische Struktur zeigt im Zusammenspiel mit der minimalistischen Musik von Peter Vermeesch und Thierry de Mey exakt ausgeführte Alltagsbewegungen und Gesten, die auf unermüdlicher Synchronität und variierenden Wiederholungen von Bewegungsschleifen aufbaut. Entgegen dem Streben anderer Choreograf*innen ihrer Zeit, denen es oft darum geht, Tanz und Musik voneinander zu trennen, zählt es zu De Keersmaekers Prinzipien ihrer choreografischen Praxis diese beiden Künste eng miteinander zu verbinden. Große Ensemblestücke wie Drumming (1998) und Rain (2001) entstanden in Zusammenarbeit mit der belgischen Gruppe Ictus, die auf zeitgenössische Musik spezialisiert ist. für viele Arbeiten kollaborierte sie mit Ictus, so auch für Vortex Temporum (2013) und der Live-Tanz-Ausstellung Work/Travail/Arbeid (2015), die in Kapitel 5.3 analysiert wird.
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Vom 17.03.-24.09.2016. Piano Phase und Clapping Music hat De Keersmaeker zusammen mit Michèle Anne De Mey kreiert, Come Out mit Jennifer Everhard; Musikkompositionen Steve Reichs: Piano Phase (1967), Come Out (1966), Violin Phase (1967) und Clapping Music (1972).
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1995 gründete De Keersmaeker in Kooperation mit dem Théâtre Royal de la Monnaie die internationale Schule für modernen Tanz P.A.R.T.S (Performing Arts Research and Training Studios), die zu einer maßgeblichen Ausbildungsstätte Europas wurde. 2002 war die Arbeit der belgischen Choreografin erstmals mit einer Kunstausstellung vertreten. Das 20-jährige Jubiläum von ihrer Tanzkompanie wurde zum Anlass genommen, die Retrospektive Rosas XX 21 im Brüsseler Kunst- und Kulturzentrum BOZAR (Palais des Beaux-Arts) zu präsentieren. Ausgestellt wurden Dokumentationsobjekte und Zeugnisse wie Filme, Videoinstallationen, Fotografien, Zeichnungen, Kostüme und Bühnensettings, De Keersmaekers Notizbücher und weitere Schriftstücke als Vertreter für ihre tänzerisches, ephemeres Werk. Seit 2011 ist De Keersmaekers choreografische Arbeit immer häufiger im Kunstkontext zu sehen. Im Marron Atrium des MoMA in New York tanzte sie Violin Phase (1981).22 2012 zeigte die Tate Modern Fase: Four Movements to the Music of Steve Reich im Rahmen des Festivals Art in Action zur Eröffnung der Tanks – beworben als die weltweit ersten permanenten Galerieräume für Live Art.23 De Keersmaeker bezeichnete die Präsentation von Fase in den ehemaligen Öltanks der Tate, als »a new phase in the story of this performance«. Sie verwies damit auf diesen besonderen Präsentationsort und wie dieser das Tanzstück durch seine Wirkung verändert. Wie im MoMA konnten die Besucher*innen von allen vier Seiten auf die Tanzfläche schauen und wenn gewollt, sich ganz nah an den Rand der Fläche stellen, um dem Tanz so nah wie möglich zu kommen. Die Settings in den Museen waren dennoch bühnenhaft. 2015 folgte dann erstmals mit Work/Travail/Arbeid eine Choreografie im Format einer Ausstellung, die sich über mehrere Wochen im WIELS in Brüssel entfaltete. Damit verbunden fand gleichzeitig die begleitende Schau Anne Teresa De Keersmaeker: Work on Paper 24 im BOZAR statt. Diese Ausstellung fokussierte sich auf die von De Keersmaeker selbst angefertigten Zeichnungen, 21 22
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Vom 20.10.2002-05.01.2003. Violin Phase wurde am 22. und 23.01.2011 (je 14 und 16 Uhr im Marron Atrium) im Rahmen der Performance Exhibition Series des MoMA präsentiert, eine Reihe an Performances unterschiedlicher Choreografen und Tanzkompanien, die in Verbindung mit Ausstellungen gezeigt wurden. The Tanks. 15 weeks of art in action, 18.07.-28.10.2012. Der Auftakt für das Festival, das historische und neue Performance-, Tanz-, Film- und Installationskunst präsentierte, machte Anne Teresa De Keersmaeker mit Fase. 20.03.-17.05.2015. Daraufhin vom 05.10-05.11.2015 im Théâtre Vidy, Lausanne und vom 07.07-23.07.2016 im Rahmen der Ausstellung Ensemble Sin Órganos, im Centro de Arte
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die beim Entwerfen und Kreieren ihrer Stücke entstehen. Es sind Tanznotationen, De Keersmaekers berühmte »Scores«, die geometrische Raumwege und musikalische Strukturen aufzeigen, festhalten und ihren strengen formalistischen Ansatz widerspiegeln.25 Inzwischen existiert ein ganzes Repertoire an Ausstellungs- und Museumsarbeiten: 2019 kreierte De Keersmaeker für die große Constantin Brâncuși Werkschau Brancusi. A Sublimentation of Form im BOZAR ein choreografisches Objekt als eine zeitgenössische Interpretation zur Arbeit des rumänischen Bildhauers.26 Und für die monumentale Grabbe Halle des K20 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf entwickelte die belgische Choreografin eine weitere adaptierte Museumsfassung ihres Schlüsselwerks Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich.27 Das viertägige Museumsprojekt The Dark Red Research Project fand im September 2019 in Kooperation mit dem Kunstzentrum deSingel im Museum für zeitgenössische Kunst in Antwerpen (M HKA) statt. Hierbei handelte es sich um ein choreografisches Experiment, mit dem die Tänzer*innen nach einer neuen, geeigneten Bewegungssprache für den Museumsraum in situ forschten. Zur zeitgenössischen und von IctusFlötistin Chryssi Dimitriou28 live gespielten L’Opera per flauto des italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino entwickelte sich eine tänzerisch-choreografische Recherchephase, von der die Museumsbesucher*innen Zeug*innen werden konnten. Involviert waren 15 Rosas-Tänzer*innen u.a. De Keersmaeker selbst, die sich im Zuge ihrer Atmung und in Verbindung zur zeitgenössischen Musik durch den Raum bewegten. Es folgten weitere Dark Red-Projekte u.a.
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Contemporáneo Wifredo Lam, Havana. Kurator: Dirk Snauwaert, https://www.rosas. be/en/projects/7-work-on-paper (11.10.2021). Zu jedem einzelnen Stück – von Violin Phase (1981) bis hin zu Vortex Temporum (2013) und Work/Travail/Arbeid (2015) – waren zugehörige Zeichnungen wie Bodenpläne auf geometrischen Strukturen basierend, Strichzeichnungen oder Positionsmarkierungen (meist mit Bleistift, Tinte, Buntstift oder Kugelschreiber angefertigt) und Ausschnitte von Musikpartituren an der Wand in Reihen und chronologischer Reihenfolge oder in Vitrinen mit De Keersmaekers Notizbüchern organisiert. Kombiniert wurde diese Präsentation mit auf Tablett Bildschirmen laufenden Videomitschnitten vergangener Aufführungen, die De Keersmaekers Zeichnungen auf Papier beleben. https://www.rosas.be/en/productions/768-brancusi (12.10.2021). 29.10.-10.11.2019 im K20, ab 12 Uhr bis 18 Uhr. Eine Kooperation der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und dem tanzhaus nrw im Rahmen von »Konstellationen«/»100 Jahre Bauhaus im Westen«. Im Wechsel mit Ictus-Flötist Michael Schmid.
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im Kolumba Museum Köln (2020)29 , in der Fondation Beyeler in Basel (2021) sowie im Louvre-Lens (2021). Boris Charmatz (*1973 in Chambéry) absolvierte in den 1980er Jahren seine Ausbildung als traditioneller Balletttänzer an der Ècole de Danse, die Ballettschule der Pariser Oper. Für kurze Zeit tanzte er für Régine Chopinot und Odile Duboc. 1993 entwickelte er zusammen mit seinem Kollegen Dimitri Chamblas sein erstes Stück À bras-le-corps, das sie seitdem immer wieder zur Aufführung bringen, und zwar, solange wie sie können. Ein Bühnenstück, mit dem die beiden Tänzerchoreografen altern wollen. Der französische Choreograf wird auch als Konzepttänzer betrachtet. Schon über 20 Jahre fordert er mit seinem künstlerischen Schaffen das Verständnis und die Bedeutung von Tanz heraus, den er nicht nur auf die Bühne, sondern auch immer wieder an anderen Orten zeigt.30 Die intellektuelle Dimension des Tanzes fasziniert ihn und treibt ihn voran. Seine Praxis ist äußerst heterogen. Charmatz ist neben seiner Tätigkeit als Tänzerchoreograf auch Tanzpädagoge, Institutionsdirektor und Tanzkurator. Seit 2022 leitet Charmatz das Tanztheater Wuppertal von Pina Bausch. Seit den 1990er Jahren kreiert er seine eigenen choreografischen Stücke, kollaboriert mit anderen Tänzer*innen-Choreograf*innen wie Anne Teresa De Keersmaeker oder Tino Sehgal und konzipiert auch im Feld der bildenden Kunst so einige experimentelle Projekte wie die schon in Kapitel 3.6 erwähnte Ausstellung Moments: Eine Geschichte der Performance in 10 Akten im ZKM in Karlsruhe. Parallel dazu erschafft Charmatz neue (Infra-)Strukturen für den zeitgenössischen Tanz, seiner Produktion sowie Reflexion. 1992 gründete er mit Dimitri Chamblas die Association Edna. Die Organisation setzt sich für Spielorte und Kreationen außerhalb des traditionellen Theaterumfelds ein. Von einem erweitereten Tanzbegriff ausgehend werden mit Edna neue Formate für den Tanz, wie bspw. Installationen und Ausstellungen, ein Residenzprogramm, Filmproduktionen, Workshops, Veröffentlichungen sowie
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14.-20.09.2020 von je 12–17 Uhr geöffnet. Eine Woche lang, war die eigens für diesen spezifischen Ort realisierte Choreografie mit 13 Rosas-Tänzer*innen und zwei Musiker*innen des Ictus Ensembles zur täglichen fünfstündigen Museumsöffnunsgzeit für die Besucher*innen zu sehen. Siehe hierzu: HAMM, Simone: Anne Teresa de Keersmaeker schafft eine eigene Choreografie für das Kolumba Museum, Feuilleton Frankfurt, 17.09.2020, https://www.feuilletonfrankfurt.de/2020/09/17/anne-teres a-de-keersmaeker-schafft-eine-eigene-choreografie-fuer-das-kolumba-museum/ (20.09.2020). JANEVSKI 2017, S. 21f.
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hybride, auch grenzüberschreitende Veranstaltungen entwickelt.31 Es folgte 2003–2004 die Eröffnung und Leitung der nomadischen und temporären Schule Bocal, die offen für Professionelle und Nichtprofessionelle war und Tanzschüler*innen unterschiedlichster Herkünfte zusammenbrachte. 2006 war er Gastprofessor am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin (HZT). Besonders bei Boris Charmatz ist die institutionelle Gründung des Musée de la danse, das im Kapitel 5.4.1 vorgestellt wird. Xavier Le Roy, Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz sind einflussreiche Vertreter*innen des zeitgenössischen, westeuropäischen Tanzes, die mit ihrem tanzkünstlerischen Schaffen bedeutende Impulse geben und neue Wege aufzeigen. In ihrer tänzerisch-choreografischen Praxis unterscheiden sie sich ungemein, was den Vergleich ihrer Arbeiten umso spannender macht, da sie die Fusion von Tanz und Ausstellung auf ganz unterschiedliche Art gestalten, wie sich in den folgenden Analysen von »Retrospective« by Xavier Le Roy (5.2), Work/Travail/Arbeid (5.3) und 20 Dancers for the XX Century (5.4) zeigen wird. De Keersmaeker ist stark mit der Musik verbunden, Le Roy füllt Zwischenräume von Tanz und Performance und Boris Charmatz stellt mit seinem Musée de la danse das Museum und den Tanz in Frage. Ihre Unterschiedlichkeit war definitiv ein Grund für die Auswahl ihrer Live-TanzAusstellungen als Fallbeispiele für dieses Buch.
5.2 »Retrospective« by Xavier Le Roy 2012 wurde »Retrospective« by Xavier Le Roy32 erstmalig in der Fundació Antoni Tàpies in Barcelona für zwei Monate präsentiert und performt.33 Seitdem war die Ausstellung an dreizehn Orten weltweit und hauptsächlich in Kunstmuseen und Ausstellungshäusern zu erleben, z.B. 2013 im Museu de Arte do Rio in Brasilien, 2014 im Centre Pompidou in Paris und im MoMA-PS1 in New York
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Hierzu mehr, siehe: http://www.borischarmatz.org/?association-edna (03.11.2020) und AMALVI 2017, S. 125–127. Zur einfacheren Handhabung wird im folgenden Text die Abkürzung »Retrospective« für den gesamten Ausstellungstitel »Retrospective« by Xavier Le Roy verwendet. Die Institution Fundació Antoni Tàpies wurde vom Künstler Antoni Tapiès 1984 gegründet, um der modernen und zeitgenössischen Kunst einen Raum zu geben, https://fun daciotapies.org (16.04.2020).
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hybride, auch grenzüberschreitende Veranstaltungen entwickelt.31 Es folgte 2003–2004 die Eröffnung und Leitung der nomadischen und temporären Schule Bocal, die offen für Professionelle und Nichtprofessionelle war und Tanzschüler*innen unterschiedlichster Herkünfte zusammenbrachte. 2006 war er Gastprofessor am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin (HZT). Besonders bei Boris Charmatz ist die institutionelle Gründung des Musée de la danse, das im Kapitel 5.4.1 vorgestellt wird. Xavier Le Roy, Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz sind einflussreiche Vertreter*innen des zeitgenössischen, westeuropäischen Tanzes, die mit ihrem tanzkünstlerischen Schaffen bedeutende Impulse geben und neue Wege aufzeigen. In ihrer tänzerisch-choreografischen Praxis unterscheiden sie sich ungemein, was den Vergleich ihrer Arbeiten umso spannender macht, da sie die Fusion von Tanz und Ausstellung auf ganz unterschiedliche Art gestalten, wie sich in den folgenden Analysen von »Retrospective« by Xavier Le Roy (5.2), Work/Travail/Arbeid (5.3) und 20 Dancers for the XX Century (5.4) zeigen wird. De Keersmaeker ist stark mit der Musik verbunden, Le Roy füllt Zwischenräume von Tanz und Performance und Boris Charmatz stellt mit seinem Musée de la danse das Museum und den Tanz in Frage. Ihre Unterschiedlichkeit war definitiv ein Grund für die Auswahl ihrer Live-TanzAusstellungen als Fallbeispiele für dieses Buch.
5.2 »Retrospective« by Xavier Le Roy 2012 wurde »Retrospective« by Xavier Le Roy32 erstmalig in der Fundació Antoni Tàpies in Barcelona für zwei Monate präsentiert und performt.33 Seitdem war die Ausstellung an dreizehn Orten weltweit und hauptsächlich in Kunstmuseen und Ausstellungshäusern zu erleben, z.B. 2013 im Museu de Arte do Rio in Brasilien, 2014 im Centre Pompidou in Paris und im MoMA-PS1 in New York
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Hierzu mehr, siehe: http://www.borischarmatz.org/?association-edna (03.11.2020) und AMALVI 2017, S. 125–127. Zur einfacheren Handhabung wird im folgenden Text die Abkürzung »Retrospective« für den gesamten Ausstellungstitel »Retrospective« by Xavier Le Roy verwendet. Die Institution Fundació Antoni Tàpies wurde vom Künstler Antoni Tapiès 1984 gegründet, um der modernen und zeitgenössischen Kunst einen Raum zu geben, https://fun daciotapies.org (16.04.2020).
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sowie 2019 im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwartskunst in Berlin.34 Durch die Initiative Laurence Rassels, ehemalige Direktorin der Fundació Antoni Tàpies, entstand das Ausstellungsprojekt mit Xavier Le Roy. Rassel gab ihm freie Hand für eine Projektrealisierung in den Ausstellungsräumen für zeitgenössische Kunst. Dabei ging es nicht darum, Tanz ins Museum einzuladen: »I »don’t make a dance piece in a museum, I make an exhibition that involves dance; but with no intention to bring dance to the museums.«, so äußerte sich der Choreograf hierzu selbst.35 Rassel war an Le Roys konzeptueller choreografischer Praxis, seiner prozesshaften Arbeitsweise und seiner Art der Intervention in bestehende Kunstsysteme interessiert. Für die Direktorin standen mit der Einladung Le Roys vielmehr Fragen wie »Was ist und was kann eine Institution für zeitgenössische Kunst sein?« im Vordergrund.36 Im Laufe einer zweijährigen Recherche- und Vorbereitungsphase entstanden das Konzept und die Umsetzung der zweimonatigen Schau: Unter dem Werkbegriff37 der »Retrospektive« tanzen Le Roys Performer*innen während der Öffnungszeiten des Museums Ausschnitte aus seinen Bühnensolostücken von 1990 bis 200938 sowie re- und interagieren zugleich mit den Besucher*innen, in dem sie diese in Gespräche verwickeln. In Erzählungen verknüpfen sie ihre persönlichen Biografien mit den vorgeführten Tanzfragmenten der Soli des Choreografen, die sie nicht nur wiederaufführen oder kopieren, sondern transformieren und erweitern. 34
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Weitere Ausstellungsorte: Le musée de la danse, Rennes (08.-24.11.2012); Interação e Conectividade VII, Teatro Castro Alves, Salvador (04.-13.07.2013); Deichtorhallen, Hamburg (08.- 25.08.2013); TheaterWorks in Singapur (25.07.-2.08.2014); Beirut Art Center, Beirut (22.09.-22.10.2015); Museo Jumex in Mexiko (06.-28.10.2018). Xavier Le Roy bei der Podiumsdiskussion, im Rahmen des Performatik Festivals 2015: »Salon #5: Anne Teresa de Keersmaeker, Xavier Le Roy, Elena Filipovic. Dance and the exhibition form«, WIELS, Brüssel 22.03.2015. Siehe im Anhang auch mein Gespräch mit Xavier Le Roy, 04.10.2015, Beirut, Interviews und Gespräche im Kapitel VII. Vgl. RASSEL, Laurence/WAVELET, Christophe: Questioning the Institution, in: CVEJIĆ 2014, S. 31–46, hier S. 31 und S. 36. Mehr hierzu, siehe: LE ROY, Xavier/RAWLS, Will: Xavier Le Roy in conversation with Will Rawls (13.11.2014), https://movement research.org/publications/critical-correspondence/xavier-le-roy-in-conversation-wit h-will-rawls (25.11.2020). Vgl. CRAMER 2013, S. 2. Im Laufe der Jahre wurden weitere Arbeiten als Auswahl für die Ausschnitte aus späterer Zeit hinzugefügt. Für BAC in Beirut kam Untitled von 2014 als Material für »Retrospective« hinzu.
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Xavier Le Roy betrachtet seine Performer*innen als eine Art Interpret*innen, die für die Ausstellung in Bezug auf die Entwicklung ihrer eigenen künstlerischen Praxis sowie auf Le Roys Arbeit ihre individuellen Retrospektiven entwickelt haben.39 »The work consists of what they have to say«, so erklärte der Choreograf über die Ausstellung.40 Dadurch ergibt sich keine Retrospektive im klassischen Sinne als eine Rückschau auf ein meist chronologisch geordnetes künstlerisches Lebenswerk sondern eine Retrospektive im Produktionsmodus41 , die aus einer »choreography of actions«42 besteht, so wie Xavier Le Roy es selbst beschreibt. Dabei versteht er unter dem Begriff der Choreografie eine »artificially staged situation«43 , also eine inszenierte Situation, die sich durch die Begegnung der Performer*innen und Besucher*innen sowie ihrer Interaktion im Ausstellungsraum entfaltet. Le Roys Bühnenstücke werden somit als eine Art fragmentierte Dauercollage44 ausgestellt, die kontinuierlich mit den sich im Raum Befindenden neue Situationen entstehen lässt. Zur Veranschaulichung des Geschehens in »Retrospective« folgt eine auf eigenen subjektiven Erfahrungen beruhende Beschreibung. Dabei beziehe ich mich auf die von mir selbst erlebte Version, die vom 22. September bis zum 10. Oktober 2015 im Beirut Art Center (BAC) stattfand.45 Für jede neue Ausstellungsversion ergibt sich die Gruppe der Performer*innen neu. Neben einigen, die schon in vorherigen Versionen dabei waren, arbeitet der Choreograf grundsätzlich mit lokalen Tänzer*innen vor Ort zusammen.46 In Beirut wurde 39
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Im Probenprozess erarbeiten die ausgewählten Performer*innen ihre eigenen Retrospektiven, die sie dann in Zusammenarbeit mit Le Roy und seiner künstlerischen Assistenz heranreifen lassen. Xavier Le Roy Interview – Retrospective at Beirut Art Center, https://www.youtube. com/watch?v=bFohtzi4Gvk&t=173s&frags=pl%2Cwn (30.11.2018). Vgl. CVEJIC, Bojana: Xavier Le Roy’s »Retrospective«: Choreographing a Problem, and a Mode of Production, in: DIES. 2014, S. 9–18, hier S. 9. http://www.xavierleroy.com/page.php?sp=2d6b21a02b428a09f2ebd3d6cbaf2f6be1e3 848d&lg=en (23.09.2021). CVEJIC 2014, S. 10. Vgl. HEATHFIELD/LE ROY 2015, S. 145. Forschungsaufenthalt vom 28.09.-07.10.2015, der aus mehrmaligen und mehrtägigen Besuchen der Ausstellung bestand. Zudem führte ich Gespräche und Interviews mit Xavier Le Roy, mit der Kuratorin Marie Muracciole und mit mehreren Tänzer*innen, wie bspw. Scarlett Yu und Zeina Hannah. Durch das Zusammenbringen von »alten« und neuen Performer*innen können Erfahrungen, die man als Performer*in in »Retrospective« macht, weitergegeben werden.
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die Ausstellung von neun im Libanon ansässigen oder aufgewachsenen Tänzer*innen und der künstlerischen Kollaborateurin Scarlett Yu performt. Sie arbeiteten abwechselnd in Schichten, sodass sich während der Öffnungszeiten immer sechs von ihnen in den Ausstellungsräumen befanden. Erfahrungsbeschreibung des Besuchs von »Retrospective« by Xavier Le Roy im Beirut Art Center, September 2015: Auf einer weißen Wand, die den Eingangsbereich des Beirut Art Centers vom Hauptausstellungsraum im Erdgeschoss abtrennt, sind in Arabisch und auf Englisch der Ausstellungstitel sowie alle Beteiligten samt institutioneller Kollaborateur*innen aufgeführt. Als ich »Retrospective« zur Mittagszeit betrete, bin ich die einzige Besucherin. Die vier Performer*innen, drei Frauen und ein Mann, reagieren sofort auf mein Eintreten, indem sie plötzlich summen, laut und mechanisch einer Maschine oder einem Roboter47 ähnelnd. Dann rennen sie auf einmal weg, jeder hinter eine Wand, und kommen wieder hervor, indem sie auf allen vieren in den Raum kriechen. Sie nähern sich mir, während sie sich in der Fortbewegung langsam wieder aufrichten. Sie umgeben mich von allen Seiten, nicht bedrängend sondern mit respektvoller Distanz; sie schauen mich an. Es ist ein unbehagliches Gefühl, Fokus der geballten Aufmerksamkeit zu sein. Jetzt ruft einer nach dem anderen erst auf Arabisch, dann auf Englisch eine Jahreszahl aus: 1994, 2001,1997, 2005 (Es sind die Jahreszahlen der Solostücke Xavier Le Roys, die sie in der Ausstellung präsentieren werden.) Sie entfernen sich wieder von mir mit langsamen Rückwärtsschritten und den Blick zum Boden gerichtet, bis jeder vor einer der vier Raumwände stehen bleibt. Die Tänzer*innen positionieren sich und beginnen sich zu bewegen, doch nicht einheitlich, viel mehr performt jeder unabhängig voneinander wie einzelne Kunstwerke im Raum verteilt. Eine Performerin ist in einer mir den Rücken zugekehrten und zur Wand blickenden Bewegungsposition erstarrt. Ich stehe mittig im Raum und schaue mich um. Ich weiß zunächst gar nicht, wem ich zuerst zusehen soll oder möchte. Doch es dauert nicht lang, bis eine Performerin plötzlich vor mir steht und mich anspricht. Sie stellt sich mir vor: »My name is Zeina Hanna. Did you see what I just did?« Ich antworte ihr, dass ich nur Fragmente gesehen habe. Sie fährt fort: »This was an excerpt by Xavier Le Roys »Narcisse Flip« from 1994–1997 and it is also the beginning of my retrospective Dies sind Erfahrungen, die Xavier Le Roy als Choreograf des Projekts nicht besitzt, vgl. HEATHFIELD/LE ROY 2015, S. 158.
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for this exhibition. From 1994–1997 I was eleven to fourteen years old. It was an important period of upheaval in my life, in which I changed from competitive sport to dance […]«48 Ihre Erzählung wird unterbrochen, – ein Zuruf einer Performerin, die uns anschaut, während sie an uns vorbeigeht: »We have to welcome the new visitor!« Zeina hält kurz inne und führt dann ihre eigene retrospektive Erzählung, die derzeit nur an mich persönlich gerichtet ist, fort. Dabei beobachte ich, dass die anderen drei Performer*innen die neu im Raum eingetretene Besucherin auf die gleiche Art und mit derselben Bewegungsabfolge begrüßen, wie sie es mit mir nach meinem Eintreten traten: Robotersummen, herauslaufen, wieder auf allen vieren hereinkriechen, sich langsam wieder vor der Besucherin aufrichten und die Jahreszahlen nennen – diesmal 2007, 1998, 1999. Zeina erzählt, dass sie eine gute Schwimmerin war, doch fand sie es viel spannender, sich nach dem Training sich Wasserkreaturen auszudenken, die sie als Maschinen bezeichnete und die sie mir nun hier in der Ausstellung zeigen will: »You stand here and imagine a swimming pool right in this room. I can show you what I was doing.« Zeina kommt nach ihrer Vorführung wieder zu mir und erzählt weiter: »I consider this time as the first phase of my choreographic practice. As I got better and better at swimming, I realized that my swimming training could lead me to nothing in life. […]« Sie erklärt, dass es im Libanon keine Infrastruktur für den Sport als Profession gab, da er als Freizeitaktivität angesehen wurde. Sie fühlte sich damals desillusioniert, denn sie begriff, dass alles, was eher außerhalb des »Gewöhnlichen« lag, als Freizeit betrachtet und bewertet wurde und damit problematisch wurde: »At this age I wanted to start dancing, but was too ashamed to admit this in my social environment. Because in the context in which I grew up, dancing seemed to be very trivial.« Zeina Hanna unterbricht ihre Ausführungen und beginnt erneut vor mir zu tanzen, bis sie stoppt und weiter erzählt, dass sie seit 1998 Tanzunterricht bei einer libanesischen Lehrerin nahm, welche die Martha Graham-Technik unterrichtete: » I didn’t want to learn ballet and I didn’t want to learn jazz, and the Graham technique was the in-between that I could find in Beirut at that time.« Auf meine Frage, ob sie den Tanz damals noch als Hobby angesehen hatte, antwortet sie: »At that time, I did not want dancing to be just a hobby for me. But growing up in Lebanon in the 1990s after the war meant that there was no other option. There was nothing else but that, modern dance as an in-between, which was not even recognized as a »something«. I understood that it was ›old-fashioned‹ and outdated as a dance technique, but there was nothing else.«
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Immer wieder werden neue Besucher*innen begrüßt, doch Zeina bleibt bei mir und zeigt mir nun, wie sie sich zu der Zeit eigentlich bewegen mochte, nämlich nicht im modern dance-Stil. Als sie zurückkommt, atmet sie vor Erschöpfung schwer und sagt lachend, dass sie so heute gar nicht mehr tanzt, da es sehr ungesund für den Körper sei. Sie mache es nur für die Ausstellung. Damals mit 15 Jahren war es für sie ein Weg, ihrer Frustration freien Lauf zu lassen. Dann erzählt sie, wie sie zum ersten Mal ein Foto von Xavier Le Roy auf einem Tanzmagazin gesehen hatte. Sie zeigt mir die auf skurrile Bewegungsposition, die auf der Abbildung zu sehen war. Den Pullover über den Kopf gezogen, sodass Arme und Oberkörper nicht mehr zu sehen waren und wie ein Vierfüßler auf Händen und Füßen auf dem Boden stehend. Sie führt weiter aus: »When I saw the photo, it gave me hope that there is some kind of dance that doesn’t have to look like something or represent anything and doesn’t have to fit into any category. For many years I associated Xavier Le Roy with this headless body.« Ich erfahre von Zeina, dass sie erst 2013 zum ersten Mal das Stück gesehen hat, aus dem die auf dem Magazin abgedruckte Pose stammte. Nämlich, als sie begann für »Retrospective« in Hamburg zu arbeiten: »I will now show you an excerpt from this piece, which is called »Self-Unfinished«. – »Look«, sagte Zeina zu mir und zeigte auf ihren Kollegen: »He is also showing an excerpt from the same piece, he is showing the ›robot sequence‹.«49 Der Performer sah durch seine eckig ablaufenden Bewegungen und den mit dem Mund erzeugten Geräuschen einem Roboter ähnlich. Nun zieht Zeina ihre Schuhe aus, um mir danach ihren ausgewählten Ausschnitt aus Self-Unfinished vorzuführen. Nach etwa fünf Minuten ist sie fertig, kommt zu mir zurück und erklärt weiter: »When I first saw the piece on video, I was fascinated by the capacity of the body to transform itself into other, unrecognizable ›things‹.« Als mehr und mehr Besucher*innen den Raum füllen, beginnt Zeina nun nicht mehr nur für mich, sondern mit einer lauteren Stimme für ein größeres Publikum zu performen: »At that time I took two to three dance classes a week and I learned this kind of dance exercises.« Sie positioniert ihre Arme und Beine in eine Ballettposition, beugt ihren Rücken nach vorne, um ihn dann mit einem »Release« wieder aufzurichten. Eine Besucherin schließt sich uns an und Zeina offenbart uns beiden: »This was an excerpt from Xavier Le Roy’s »Product of Circumstances« from 1999, in which he explains that he did such exercises in the 1990s. And at the
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same time I was doing the same dance exercises. For me, the end of the 1990s is also the end of an era in Lebanon. After the war, the city was a destroyed chaos. […] Out of the chaos I felt the greatest freedom, something I never felt that way again. […] I regard this time as the core of my choreographic practice – organisation out of chaos. I only realized that much later.« Sie entfernt sich wieder ein paar Schritte und führt uns eine weitere Tanzphrase vor. Ich bin abgelenkt durch eine schreiende Theaterschauspielerin und einen Performer, der gerade vor Publikum Dapke50 tanzt und kräftig mit den Füßen auf den Boden stampft. Hier in dieser Ausstellung ist es nicht leise, wie man es in der Regel im Museum gewohnt ist. In »Retrospective« wirkt die Atmosphäre freier. Performer*innen und Besucher*innen lachen und unterhalten sich. Zeina kommt zurück und erklärt: »That was an excerpt of »Giszelle« from 2001, the year I finished high school. And at that time I realized – if I want to practice dance as a profession, I have to leave Beirut.« – Ich höre die anderen wieder mit ihrer Begrüßungssequenz, wie sie neue Besucher*innen willkommen heißen. Zeina erzählte nun, dass sie im Libanon zur Schauspielschule ging. »Because there did not exist any school for dance?«, frage ich. »Exactly!«, antwortet Zeina und erklärt: »There were only drama schools. In Syria there was a large conservatory where you could study dance. One of our performers was there, the one who did the ›robot sequence‹. Zeina erzählt, wie sie ihre Eltern davon überzeugte, ihren Master in Paris zu machen und wie sie zum ersten Mal auf Xavier Le Roy persönlich traf, als er am Centre Choreographique National in Montpellier für das Tanzlehrprogramm zuständig war und sie sich dort mit 23 Jahren erstmals für ein Tanzstudium bewarb: »Xavier spoke to us and said, in case you are not selected, don’t take it personally! Nobody had taken me and yet it didn’t stop me from continuing and making dance my profession. At the beginning I thought, well, it’s easy for him to say, he is famous. But at the end of the year, I understood what he meant – I haven’t been accepted anywhere: Not in Montpellier, not in Lyon, not in Rotterdam, not in Arnheim, not at Folkwang in Essen, not at P.A.R.T.S. in Belgium – twice. But in the auditions, I almost always made it to the end. I was happy about that alone and saw this as a success. In the end I thought, yes, Xavier is right. Letztendlich wurde Hannah in Toulouse angenommen, wo sie gleichzeitig begann mit einer jungen Kompanie zu arbeiten, »…until in 2010 I received an official letter from the visa authority.« Sie liest auf Französisch vor und fasst
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dann zusammen: »They refused to renew my visa. Before I had a student visa, but they did not accept a work visa for me as a Lebanese dancer. Somehow I expected this.« Zeina berichtet, dass sie wieder zurück nach Beirut ging, um dort Deutsch zu lernen und sich für einen Master in Choreografie in Berlin zu bewerben, »not knowing whether I would have to stay in Beirut forever or be allowed to leave again.« Zeina wurde in Berlin angenommen. Wir erfahren, dass sie nach Hamburg, 2014 in Paris und jetzt zum dritten Mal 2015 in Beirut Teil von »Retrospective« ist. »I find it very strange that I used so many strategies to get out of Beirut, only to return in the end through dance as a profession. This project has brought me back again. I still think that I cannot live here without losing and giving up much of my ethics.« Ein lauter Ausruf einer ihrer Co-Performer auf Französisch lenkt uns ab, so laut, dass wir uns gegenseitig nicht mehr verstehen. Mit übertriebenster Dramatik spielt er seinen Zuschauer*innen gerade eine Anekdote aus seinem Theaterleben vor. Es bringt uns zum Lachen. Zeina erklärt uns, dass er, Aurelien Zouki, auch ein Schauspieler ist. Nun fährt sie fort: »Untitled« from 2014 is a piece I had never seen before. In the first part, Xavier Le Roy says, ›my task for this part of the show is to loose my memory.‹ – And I figured that from now on I can use this action task.« Dann schweigt sie. Die Besucherin neben mir fragt Zeina etwas, doch sie reagiert nur mit: »What?…Yes?« – »She has lost her memory!«, ruft meine Mitzuhörerin lachend. Zeina Hanna grinst und sagt abschließend zu uns, dass sie nun ihre Retrospektive beendet und schlägt uns vor, entweder zum kleinen Raumabschnitt hinter der Wand zu gehen, wo uns ihre Kolleg*innen begrüßen werden oder, wenn wir wollen, auch einfach in dem Raum bleiben können. Die Tänzerin erstarrt in einer »Freeze«-Position. Wir, die Zuschauer*innen und -hörer*innen, bedanken uns bei ihr. Zeina Hannas erzählte und vorgeführte Retrospektive hatte eine Dauer von ungefähr 35 Minuten. Nun nicht mehr in einem Gespräch verwickelt und ohne in irgendeine Interaktion involviert zu sein, beobachte ich das lebendige Geschehen im Ausstellungsraum. Auf der einen Seite sitzt eine Performerin bewegungslos mit dem Gesicht zur Wand gedreht, auf der anderen sehe ich, wie ein Performer seine Körperbewegungen ständig wiederholt. Es scheint eine kurze, festgesetzte Bewegungsabfolge zu sein, die wie im Loop immer wieder von vorne beginnt. Und auf der Seite mir gegenüber, erklärt Malek Andary, Archäologe und traditioneller Dabke-Folkloretänzer, seinen Zuhörer*innen und Zuschau-
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er*innen gerade, was der Ursprung des libanesischen Tanzes Dabke ist. Unter seiner Anleitung üben die Besucher*innen in einem Kreis ihre ersten DabkeSchrittfolgen, so lange bis die Ausstellung von neu Ankommenden betreten wird und er seinen Mitmacher*innen entschuldigend mitteilt, dass er seine Retrospektive nun leider abbrechen müsse. Auch die anderen zwei Performer*innen reagieren und stoppen ihr Tun. Sie beginnen wieder gemeinsam mit ihrem Begrüßungsritual. Beim Beobachten wird schnell klar, dass jeder Ankömmling ein Rotieren auslöst, was die Performer*innen im Uhrzeigersinn ihre Positionen und die damit verbundenen choreografischen Handlungsaufgaben wechseln lässt. Auf diese Weise ordnet und aktualisiert sich das Geschehen im Raum als inszenierte Situation immer wieder neu. Die Performer*innen tragen Alltagskleidung, keine Kostüme oder einheitliche Outfits. Nach einer Weile folge ich Zeina Hannas Vorschlag und gehe zum Hinterraum, in dem mich Hassan Rabeh und seine Kollegin Maguy Tauk willkommen heißen. Der kleine Raumabschnitt ist mit zwei Computerarbeitsplätzen bestückt. Hassan erklärt mir, dass dies eine Art Archiv sei. Auf einem der Computer zeigt er mir Videomitschnitte von Giszelle und Self-Unfinished. Nicht nur die Besucher*innen können sich hier durch ein Verzeichnis aus Videos, Fotos, Texten und Interviews klicken, sondern auch die Performer*innen nutzen diesen Bereich zur Vorbereitung. Sie üben oder schauen im Arbeitszeitplan nach (der auch für die Besucher*innen ersichtlich ist), um sich zu vergewissern, wann und wo die nächste Schicht beginnt. Während der Öffnungszeiten befinden sich je vier Performer*innen im Hauptbereich der Ausstellung und je zwei im Hinterraum. Nach einer Weile gehe ich wieder zurück in den Hauptraum der Ausstellung. Ende
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Diese choreografische Phrase stammt aus Le Roys Solo Self-Unfinished. Die Geschichte von Zeina Hannah habe ich mir mehrmals anhören dürfen, sowohl in Beirut als auch in Berlin. Auch habe ich mir Notizen zum Gespräch während meines Forschungsaufenthalts niedergeschrieben. Es handelt sich hierbei um keine wortwörtliche, sondern um eine sinngemäße Wiedergabe unserer Unterhaltung. Die Performer*innen nennen den Ausschnitt »die Roboter-Sequenz«. Die Dabke (arab.) ist ein orientalischer Folkloretanz, der im Libanon und in Ländern wie Türkei, Jordanien, Syrien, Palästina, Israel und Irak bei Festen und Familienfeiern getanzt wird. Dabke heißt »Mit den Füßen auf den Boden stampfen.« Die Tänzer bilden bei diesem Reihentanz einen Kreis und fassen sich an den Händen und den Schultern, um dann mit den Füßen beim Tanzen auf den Boden zu stampfen. Die Schrittabfolge erscheint einfach, doch wird sie vielseitig variiert.
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5.2.1 Konzept(ion) von »Retrospective« Während der Erarbeitung des Konzepts ließ Xavier Le Roy sich auf die Gegebenheiten des Museums und der Ausstellung als Medium ein. Aus den institutionellen Rahmenbedingungen entstanden seine Leitlinien für das Projekt.51 Für den Choreografen war von Beginn an klar, dass er im Museum, als Ort ideal für das Ausstellen materieller Exponate, dennoch nicht mit Objekten, sondern wie für ihn gewohnt mit Menschen als Individuen und Handlungsaktionen künstlerisch arbeiten möchte.52 Wie können Bühnenstücke in Ausstellungen funktionieren? Um die Frage beantworten zu können, reflektierte Le Roy zunächst über die Art der Präsentation von bildenden Kunstwerken und ihrer Rezeption. Er ordnete ausgestellte Kunstwerke in drei Kategorien ein, die sich auf ihre Zeitlichkeit und Präsentationsform beziehen53 : Die erste Kategorie bildet sich aus Objekten und Gemälden, die dauerhaft (von Ausstellungsbeginn bis –ende) an der Wand hängen oder im Raum fixiert sind. Video- und Filmprojektionen werden in Loops gezeigt und sind somit ebenso durchgehend präsent, dadurch, dass sie sich in permanenter Wiederholung befinden, sie ergeben für ihn die zweite Kategorie. Kunstfilme oder -videos werden oft zu einem festgelegten und angekündigten Zeitpunkt gezeigt, besitzen damit ein Anfang und ein Ende und sind folglich nur temporär und nicht dauerhaft im Rahmen von Ausstellungen zur Betrachtung verfügbar.54 Für Xavier Le Roy beschreibt es die dritte Kategorie. Hiermit sind künstlerische Arbeiten gemeint, die sich im Laufe der Zeit entfalten und nicht wieder direkt nach dem Schluss von vorne gezeigt werden.55 Hierzu können auch Arbeiten der Performance-Kunst gezählt werden, die oft in einem Zeitplan im Ausstellungsprogramm angekündigt werden. Aus diesen drei Kategorien ergaben sich für Le Roy drei (Handlungs-)aktionen für seine Interpret*innen, die je einem Gestaltungsprinzip unterliegen:
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Vgl. Gespräch mit Xavier Le Roy, 04.10.2015, Beirut, siehe im Anhang (Kapitel VII). Im Interview mit Rawls spricht Le Roy ebenso über den Entstehungs- und Findungsprozess von Retrospective. Die Vorgabe, dass es in Barcelona eine zwei- bis dreimonatige Ausstellung wird, gab den Rahmen und die zeitliche Struktur vor, vgl. LE ROY/RAWLS 2014. Vgl. CVEJIĆ/LE ROY 2014, S. 245. Ebd. Ebd., S. 246f. Ebd.
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»immobility«, »loop« und »narrative«56 . In der Ausstellung organisieren diese Aktionen sich entlang der vier Wände als Bewegungs-Stationen im Raum (Abb. 5).
Abb. 5: »Retrospective« by Xavier Le Roy, Organisation der Handlungsaktionen im Raum, 2015, Beirut Art Center.
An der Station immobility nehmen die Tänzer*innen eine »erstarrte«, bewegungslos wirkende Position ein. Mal mit dem Blick zur Wand gerichtet auf dem Boden sitzend oder vor der Wand stehend mit den Armen um sich selbst geschlungen; mal ganz nah an der Wand mit dem Rücken zum Ausstellungsraum liegend; mal den Pullover über Kopf und Arme gestülpt, sodass nur noch die auf den Boden aufgesetzten Hände mit aufgespreizten Fingern und die 56
CVEJIĆ/LE ROY 2014, S. 247.
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Beine zu sehen sind, so wie Zeina Hannah es mir auch in ihrer Retrospektive vorgeführt hatte (s. Abb. 6 und 7).57 Dann auch mal in den Raum gerichtet und eine Geste mit den Händen machend (Le Sacre du Printemps). Wie eine lebende Skulptur verharren sie in der immobilen Pose, die durchgehend präsent ist, solange, wie Besucher*innen sich in der Ausstellung befinden oder bis eine Aktualisierung des Geschehens im Raum durch das Auslösen des Rotationssystems durch Neueintretende stattfindet. Auf den Computern im Archiv ist der digitale Ordner »Immobilities« zu finden, der offenbart, welche erstarrten Bewegungsausschnitte aus Le Roys Soli für diese Station ausgewählt wurden.
Abb. 6 und 7: »Retrospective« by Xavier Le Roy, Station immobility, 2015, Beirut Art Center.
Der immobility-Position gegenüberliegend befindet sich die loop-Station. Hier präsentieren die Performer*innen eine gewählte Bewegungsphrase eines Solostückes, dass sich im ständigen Loop wiederholt, kurz und zugleich lang genug um als Betrachter*in zu erkennen, dass die Phrase dauernd wieder von vorne beginnt.58 So performte Sandra Iché bspw. einen Ausschnitt aus Le Sacre du Printemps59 (2007). Mit der Mimik und Gestik eines Dirigenten bewegte sie sich zur von ihr gesummten Melodie Stravinskys. Auch ein Teilabschnitt aus Product of Circumstances (1999) oder aus Giszelle (2001) wird hier von den Tänzer*innen immer wieder gezeigt. Die Ausschnitte für die Stationen immobility und loop sind zuvor festgelegt und stammen aus Le Roys Bühnensolostücken, bspw. aus Self-Unfinished, Le Sa57 58 59
Diese Position ist inzwischen zu einem ikonenhaften Bild von Self-Unfinished geworden. Le Roy spricht von einer 40–60-sekündigen Länge, Vgl. CVEJIĆ/LE ROY 2014, S. 247. In dem Bühnenstück schlüpft Le Roy in die Rolle eines Dirigenten, der zu Stravinskys Musik anstelle eines Orchesters die Zuschauer*innen, die auf den Positionen der Musiker*innen sitzen, anleitet.
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cre du Printemps und Product of Circumstances. Bis auf die Angabe, dass sie sich nicht direkt hintereinander wiederholen sollen, dürfen diese frei gewählt werden. Für narrative sind zwei Stationen reserviert, die sich wie loop und immobility ebenso gegenüberliegen. Hier erzählen die Performer*innen den Besucher*innen ihre individuellen Retrospektiven, die chronologisch aufgebaut sind und damit einer linearen Erzählstruktur folgen (s. Abb. 8 und 9).
Abb. 8 und 9: »Retrospective« by Xavier Le Roy, Station narrative, 2015, Beirut Art Center.
Le Roy erklärt hierzu: »the [dancer’s] narration will consist, in my proposal to each performer, in developing what I call their own Retrospective of my works. […] They will choose excerpts of my solo works to perform, and between the excerpts they will walk to the visitors and address them with a story that relates the dates of the works they are citing as well as their personal stories.«60 Strukturell basieren sie auf Product of Circumstances, eine einstündige LecturePerformance, in der Xavier Le Roy dem Publikum seine Autobiografie inszeniert nacherzählt. Er vermittelt seinen Werdegang vom promovierten Molekularbiologen zum Choreografen, den er hinterm Pult stehend im Stil eines wissenschaftlichen Vortrages samt Power Point Präsentation mit Abbildungen von vergrößerten Krebszellen sowie Forschungstabellen auch mit körperlichen Tanzdemonstrationen kombiniert. Publikumsfragen dürfen, wie bei ei-
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Le Roy in CVEJIĆ/LE ROY 2014, S. 247.
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nem Vortrag oft üblich, nur am Ende der Lecture Performance gestellt werden. Anders ist dies in der Ausstellung. Zwar bauen die individuellen Retrospektiven der Performer*innen auf der Struktur der Lecture Performance als Kombination aus verbaler Vermittlung und tänzerischer Demonstration der eigenen Biografie auf, doch besitzen sie nicht den Charakter eines wissenschaftlichkünstlerischen Vortrags, der vor einem in Stühlen sitzenden Publikum stattfindet. Vielmehr entstehen durch die retrospektiven Erzählungen ›echte‹ Begegnungen zwischen den Performer*innen und den Besucher*innen. Es ergeben sich Zweier- oder Gruppengespräche, bei der sich die Anwesenden entweder untereinander kennen oder erst im Moment des Geschehens zufällig im Ausstellungsraum zu einer mehrköpfigen Runde formieren. Fragen dürfen gestellt werden und Gespräche entwickeln sich. Le Roys Interpret*innen reagieren spontan, sind flexibel und improvisieren entsprechend der sich stetig verändernden Situation(en) im Raum. So war Zeina Hannah während des Erzählens ihrer Retrospektive, die zu dem Zeitpunkt nur an mich gerichtet war, aufmerksam gegenüber den vielen Neuankömmlingen und öffnete unseren Dialog, in dem sie ihre Stimme erhöhte und zur Menge zu sprechen begann. Jede Situation und Konstellation aus Performer*innen und Besucher*innen bleibt einzigartig und wird exakt so, in derselben Art und Weise nicht wiederkehren. Es ist ein intimes Aufeinandertreffen und ein Erlebnis für jede einzelne Person, eine persönliche Tänzer*innen-Performer*innen-Lebensgeschichte erzählt zu bekommen. Doch wie selbst erlebt und in meiner Erfahrungsbeschreibung dargelegt, kann diese künstlerisch inszenierte Situation durch den Lauf der Ausstellung ständig durch neu ankommende Besucher*innen und das damit eingeleitete Rotationssystem der Performer*innen unterbrochen und gestoppt werden. Dadurch werden die Ausstellungsbesucher*innen immer wieder beim Zuhören und -schauen mit einer Unvollständigkeit und Diskontinuität konfrontiert. Es erweckte bei mir und eventuell auch bei den Anderen Neugierde und zugleich den Anreiz, alles erfahren und alle Tanzausschnitte sehen zu wollen. Es ähnelt der Wirkungskraft einer süchtig machenden TV- oder Netflixserie, bei der man ungeduldig auf die Fortsetzung wartet. Viele möchten wissen, wie die Geschichte des getanzten Lebens von bspw. Malek Andary oder Sandra Iché in Beirut weitergeht. Vielleicht ist dies ein Grund, warum die meisten Besucher*innen viel Zeit in der Ausstellung verbringen. Doch eine Garantie, dass man die Fortführung und das Ende einer der individuellen Retrospektiven erfährt, gibt es nicht. Das hängt vom Publikumsverkehr und den in den Saal neu Eintretenden ab.
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Die persönlichen Geschichten, Erfahrungen, Anekdoten, auch Fiktionen zur eigenen Biografie stammen von den Performer*innen selbst. So erläuterte Xavier Le Roy: »They do a retrospective of my solo work through stories, experiences, practices of their life or they tell stories of their lives through excerpts of my work.«61 Die Performer*innen verknüpfen ihr biografisches Leben mit Le Roys Bühnenstücken und umgekehrt. Sie verbinden die gezeigten Werkausschnitte mit ihrer eigenen Lebenssituation und ihrem künstlerischen Schaffen oder sie erzählen, was das Anschauen der Bühnenaufführung für Auswirkungen für sie selbst hatte und wie Le Roys Arbeit sie womöglich beeinflusste. Die einzelnen Retrospektiven sind persönlich, individuell und einzigartig. Die Präsentationsweise sowie den dramaturgischen Aufbau erarbeiten die Performer*innen in den Proben vor der Ausstellungseröffnung zusammen mit Le Roy und der künstlerischen Kollaborateurin62 . Im Laufe der Ausstellung bleibt es den Tänzer*innen selbst überlassen, ihre Retrospektiven, die sie ständig neu und immer wieder erzählen, zu verändern oder anzupassen.63 Auf diese Weise befinden sie sich in einem fortlaufendem Prozess der Wiederholung, des Weiterentwickelns und Veränderns, insbesondere um Authentizität während des mehrwöchigen täglichen Performens im Ausstellungsraum zu bewahren. Im BAC trafen die Besucher*innen neben Zeina Hannah und Malek Andary bspw. auf den französisch-libanesischen Schauspieler, Puppenspieler und Tänzer Aurelien Zouki, auf Khouloud Yassine, die Schauspiel und darstellende Kunst studierte, sowie auf die Architektin, Bühnendesignerin und Szenografin Ghida Hashisho, die sich in ihrer Arbeit intensiv mit der Beziehung vom Körper in Bewegung und dem architektonischen Raum auseinandersetzt.64 Auch wenn die persönlichen Retrospektiven durch die verschiedenen Lebensläufe und Charaktere sehr unterschiedlich ausfallen, spielten in der Beirut Version folgende Themen eine große Rolle: Der Krieg, das Leben in der Stadt nach dem Krieg und das Verlassen des Landes, um etwas zu erreichen.65 In Ausstellungsversionen wie z.B. in den 61 62 63 64 65
Xavier Le Roy in: https://www.youtube.com/watch?v=bFohtzi4Gvk&t=173s&frags=pl %2Cwn (30.11.2018). Neben Scarlett Yu waren Ben Evans und Christophe Wavelet Kollaborateure für vergangene »Retrospective«-Versionen. Vgl. Gespräch mit Xavier Le Roy, 04.10.2015 in Beirut, siehe im Anhang (Kapitel VII). Weitere: Sandra Iché, Hassan Rabeh, Khouloud Yassine, Maguy Tauk, Alia Hamdan, Scarlett Yu. Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=bFohtzi4Gvk&t=173s&frags=pl%2Cwn (30. 11.2018).
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Deichtorhallen Hamburg oder im Centre Pompidou in Paris sah der Inhalt der Retrospektiven durch andere beteiligte Performer*innen ganz anders aus. An der narrative-Station, die im BAC an der Wand vor dem Archivbereich platziert wurde, erzählen die Le Roys Interpret*innen ihre jeweiligen Retrospektiven von Anfang bis Ende, um dann im Anschluss auf das Archiv im Hinterraum zu verweisen und in einer Bewegung zu erstarren. Bei meinem oben beschriebenen Ausstellungsbesuch traf ich auf Zeina Hanna als sie sich auf der narrative-Position befand. Sie ließ sich also nicht von den neu eintretenden Besucher*innen unterbrechen und erzählte mir ihre gesamte retrospektive Geschichte. Nur die anderen drei Performer*innen reagierten auf Neuankömmlinge und begannen mit der choreografierten Bewegungssequenz, die den Wechsel der Positionen und die Begrüßung einleitet. Die Ausstellung teilt sich in Abhängigkeit zum Präsentationsort auf zwei oder drei Räumlichkeiten auf. Der Hauptsaal zeigt Le Roys künstlerische Arbeit »on display«, er ist damit der Präsentation gewidmet. Ein zweiter Bereich dient der Funktion eines Archivs und zugleich eines für das Publikum offenen Proberaums. Und den dritten, der nicht in allen Versionen integriert ist und auch eher als »Zusatz«66 verstanden wird, bezeichne ich als Dunkelraum. Die folgenden Abschnitte beleuchten diese räumliche Aufteilung und ihre Funktion genauer.
1. Raum: Display und Präsentation Der Hauptraum von »Retrospective« wird als erstes von den Besucher*innen betreten. Für sie sind hier Bewegungen, Aktionen und Choreografie ausgestellt und vieles findet gleichzeitig statt.67 Die drei Aktionen – immobility, loop und narrative – geben dem Geschehen im Raum Struktur und bestimmen zugleich das Tun der Interpret*innen. Die unterschiedlichen Bewegungen stellen entweder extrahierte Ausschnitte aus Le Roys Bühnensoli dar oder stammen als Teil der individuellen Retrospektiven aus dem Leben der Performer*innen. In Bezug zu Le Roys Arbeit und in eine autobiografische Erzählung eingeflochten, zeigen sie den Zuschauer*innen Tanzstile, Trainingsübungen, Fragmente eigener Choreografien oder vergangener Aufführungen. Die Rezipient*innen sind wie in jeder Ausstellung die Adressaten der Präsentation; doch anstelle von Ausstellungsstücken sind es Ausstellungsbewegungen und -aktionen, die
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CVEJIĆ 2014, S. 258. Vgl. LE ROY/RAWLS 2014.
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hier von Tänzer*innen ausgeführt und präsentiert werden. Wie in vielen seiner Bühnenstücke fokussiert sich Le Roy auch in dieser Arbeit auf die Beziehung von Besucher*innen oder Zuschauer*innen und Performer*innen sowie auf die Verbindung von Bewegung, Zeit und Raum als Parameter der Tanzkunst. Xavier Le Roy erklärte, »the exhibition is choreographed so as to allow each visitor to construct her understanding through experiencing the work alone«68 . In seinem Konzept sind die Besucher*innen integrativer Bestandteil, ohne sie läuft nichts. Sind keine Kunstbetrachter*innen im Raum, performen die Tänzer*innen nicht. Erst wenn Neuankömmlinge die Ausstellung betreten, beginnt sich »Retrospective« (wieder und von Neuem) zu entfalten. Im Gegensatz dazu existiert eine herkömmliche Objektschau zumindest in ihrer Materialität auch ohne Besucher*innen69 ; die Exponate stehen in einem leeren Saal, ob mit oder ohne Rezipient*innen, sie sind dauerhaft präsent. Für »Retrospective« wirken die Besucher*innen wie Kraftstoff und treiben das Geschehen im Raum an. Die »choreographic machine«70 , so in Worten Bojana Cvejićs, startet, sobald jemand die Ausstellung betritt. Kommt lange Zeit keiner, bleiben die Performer*innen für eine Weile auf ihren Stationen, ohne ihre Positionen zu wechseln. Gibt es viele Neuankömmlinge, die nacheinander hereingehen, kommt Bewegung ins Spiel. Erzählungen werden abgebrochen und die Positionen sowie damit verbundenen Rollen immer und immer wieder gewechselt. Neue Situationen ergeben sich. Der »Ausstellungsprozess« steht in Abhängigkeit zum Besucher-Flow. Bei einigen Personen war zu beobachten, wie sie sich ein Spiel daraus machten, durch ihr neues Eintreten in den Raum den Wechsel der Performer*innen auszulösen. Die Besucher*innen gelten als konstitutives Element der »Spiel«regeln, auf denen »Retrospective« als Ausstellung basiert. Das Rotieren ist zudem Le Roys Antwort auf die Herausforderung einer Langzeit-Performance, die sich an die Länge der Museumsöffnungszeiten anpasst. Es schützt die Tänzer*innen davor, nicht stundenlang dasselbe machen zu müssen. Sie durchlaufen dadurch verschiedene Arbeitsmodi während der Öffnungszeiten, agieren als ausgestelltes (bewegtes) »Ob68 69
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Choreografie ist für Le Roy eine »artificially situation or action that is staged«. CVEJIĆ 2014, S. 28. Jedoch macht auch eine Ausstellung mit Objekten ohne Rezipient*innen ebenso keinen Sinn, da ihre Adressat*innen fehlen und keine Vermittlung/Rezeption stattfinden kann. »choreographic machine: a composition of entries, displacements, actions, and encounters […]« CVEJIĆ 2014, S. 11. Daran angelehnt analysiert Julia Ostwald »Retrospective« als eine Maschine und deren Elemente, vgl. OSTWALD 2014.
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jekt« oder als Erzähler*in-Performer*in im Hauptraum. Danach befinden sie sich im Vorbereitungs- bzw. Probenmodus oder ist offen für spontane Gespräche mit den Besucher*innen im zweiten Ausstellungsraum. In einer klassischen Bühnentheaterproduktion besteht ein anderer zeitlicher Aufführungsrahmen, der sich meist auf ein bis drei Stunden beschränkt.71
2. Raum: Archiv und offener Proberaum Als »Factory«72 und eine Art Produktionsstätte der individuellen Retrospektiven beschreibt Le Roy den zweiten Bereich. Er dient als Proben- und Vorbereitungsraum, als Archiv und insbesondere als Ort zum offenen direkten Austausch zwischen Interpret*innen und Besucher*innen.73 Was hier passiert, ist nicht geprobt, vorbereitet oder vorbestimmt.74 Über was die Performer*innen mit den Besucher*innen sprechen oder wie sie die Zeit zur Vorbereitung nutzen, bleibt ihnen überlassen: »it [all] happens in the moment out of the frame given by that room«75 , erläutert Xavier Le Roy. So sind auch jegliche Fragen seitens der Besucher*innen willkommen und Gespräche nehmen ihren eigenen Lauf. Als eine Art digitales Archiv76 ermöglichen die aufgestellten Computerarbeitsplätze, sich der Auswahl der Originale von Xavier Le Roys Solostücken zu widmen. Sie bilden den Ausgangspunkt der Ausstellung und fließen in 71
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Im Theater bei einem klassischen Bühnenstück ist die Zeit der Aufführung zugleich die Zeit des Bühnenwerks. Lehmann spricht hier von einer zusammenfallenden Rezeptions- und Aufführungszeit und einem reglementierten, genau terminierten Zeitrahmen, vgl. LEHMANN 2008, S. 314. »Factory for the fabrication of the individual retrospective«, Le Roy in CVEJIĆ/LE ROY, 2014, S. 248. Die Größe des Raumes variiert von Institution zu Institution. Im BAC bspw. war es ein schmaler Raumabschnitt und im MoMA PS1 gab es mehr Platz, sodass hier drei Schreibtische mit Computern aufgestellt waren und genug Raum für die probenden Performer*innen war. Vgl. LE ROY/RAWLS 2014. Ebd. »The second room is where two performers are at work and/or engaged conversation with visitors. So they are not »on display« in the same way as they are in the display room because the conversation that they have with the visitors and the actions each one chooses to do in that room aren’t preset or prepared; it happens in the moment out of the frame given by that room.« Ebd. Auf Foucault verweisend versteht Jens Kastner das Archiv nicht nur als einen »Ort, an dem Wissen vor dem Vergessen bewahrt wird«, sondern als »eine Maschine zu dessen
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Form von fragmentierten Bewegungsausschnitten in das Geschehen von »Retrospective« mit ein. Anhand von Foto- und Videoaufnahmen, Probenmaterial, diversen Texten, aufgenommenen Lectures, Symposien oder Konferenzen ist es möglich, sich als Kunstrezipient*in Le Roys Repertoire, seinem choreografischen Schaffen und seiner Denkweise anzunähern.77 Das Tanzerbe Le Roys steht hier digitalisiert zur Verfügung. Es gilt als Material, das von den vergangenen Aufführungen des Choreografen zurückbleibt, bewahrt und für Neues – »Retrospective« – wiederverwendet bzw. verändert wird. Auch die Performer*innen nutzen das digitale Archiv zur Vorbereitung. So erlebte ich, wie einer der Tänzer eine Fotodatei anschaute, die Xavier Le Roy in einer erstarrten Pose abbildete, während er sich darum bemühte, die Körperhaltung exakt zu imitieren. In diesem Raumabschnitt können Tanzkünstler*innen sowie Theaterpieler*innen bei ihrer Arbeit beobachtet werden. Sie üben ihre Bewegungsabläufe sowie ihre Retrospektiven oder wiederholen Bewegungssequenzen für die Stationen im Ausstellungsraum. Sandra Iché beobachtete ich bspw., wie sie einen Bewegungsausschnitt aus Le Sacre du printemps probte, den sie akribisch zur Musikpartitur des Stücks einstudierte. Bei einer Bühnenaufführung wäre dieser Bereich und die sich hier vollziehenden Aktivitäten als das »Hinter den Kulissen« zu bezeichnen. In »Retrospective« gehört es offengelegt zur Schau dazu, ist Teil des Ganzen und damit der Ausstellungspräsentation. Durch das Archiv, die offene Gesprächssituation und die Gelegenheit beim Proben zuzuschauen können die Kunstrezipient*innen viel erfahren, z.B. was das Konzept von »Retrospective« ist, wie es funktioniert, was die Ursprünge des Bewegungsmaterials der Ausstellung (eben Le Roys Soli) sind und wie die Performer*innen künstlerisch arbeiten. Le Roy spricht von einer zusätzlichen Zeit- und Erfahrungsebene, die hier von den Besucher*innen durchlaufen wird.78 Denn im Display-Raum sind sie dem dortigen Geschehen ausgesetzt und es sind die Tänzer*innen, die vornehmlich die Zeit organisieren und über die Aktionen entscheiden. In der »Factory« ist es für die Kunstrezipient*innen
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Produktion, Kategorisierung und Verteilung«. KASTNER, Jens: Archiv, in: ARGE Schnittpunkt (Hg.): Handbuch für Ausstellungstheorie und –praxis, Wien/Köln/Weimar 2013, S. 148. Neben Xavier Le Roys Soli – Narcisse Flip (1994–1997), Self Unfinished (1998), Product of Circumstances (1999), Self Interview (2000), Giszelle (2001), Untitled (2005), Le Sacre du Printemps (2007), Product of Other Circumstances (2009), Untitled (2014) – sind folgende digitale Ordner zu finden: Immobilities, Interviews, Lectures – Conferences, Music, Pics, Press, Rehearsal-Material, Texts, Videos. Vgl. LE ROY/RAWLS 2014.
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möglich, den Performer*innen ebenbürtig gegenüberzutreten. Auf diese Weise wird eine andere Vermittlungsebene durch den direkten, kommunikativen Austausch auf Augenhöhe eröffnet.
3. Dunkelraum79 Was einem hier in tiefster Dunkelheit begegnet, sind drei auf dem Boden liegende und an die Wand gelehnte, lebendig wirkende Puppen, lebensgroß (sie entsprechen Le Roys Größe) und in dunkelgrauer Kleidung gekleidet.80 Ob die Besucher*innen die Puppen entdecken, hängt davon ab, wie lange sie im Dunklen verweilen und sich der Situation aussetzen. Andre Lepecki berichtet in seinem Buch über seine Erfahrung als Besucher dieses Raumes als Teil von »Retrospective« in Barcelona: »[…] It was only after a good while in the room that the dark grey silhouette of one of the puppets, sitting on the floor, back leaning against the wall, barely a foot away from me, started to stand out against the pitch-black darkness. In a jolt, I murmured some apology, thinking it was another person resting. No reply came and I stepped out, nervous. Looking sideways on my way out, I then perceived another figure, or lump of inert grey. I got right back in again. And rechecked what might be going on in that darkness. Or not going on. […]«81 Die Puppen stammen aus Untitled (2005).82 Der Raum schafft damit einen direkten Bezug zu dem Bühnenstück, in dem die drei lebensgroßen Puppen in Finsternis von Tänzer*innen, die wie die Puppen angekleidet sind, auf der Bühne manipuliert und bewegt werden. Den Zuschauer*innen werden Taschenlampen ausgehändigt, um die Bühne zu beleuchten. Es bleibt unmöglich, diese komplett zu erhellen. Die Lichter der Taschenlampen beschreiben das Blickfeld der Beobachtung. Sie sind die Verlängerung der Blicke der Beobachtenden. Zu identifizieren, wer Performer*in und wer Puppe ist, wer
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Nicht alle Versionen von »Retrospective« beinhalten einen dritten Dunkelraum. Dies ist von finanziellen und räumlichen Gegebenheiten abhängig. Die Beirut Version und die Berliner Version beinhalteten keinen Dunkelraum, doch gab es ihn bspw. in der Fondation Antoni Tapiès und im MoMA PS1. CVEJIĆ 2014, S. 21. LEPECKI 2016, S. 134. Untitled gehörte auch zu Zeina Hannas individueller Perspektive. Mehr zur Arbeit Untitled, siehe: CVEJIĆ 2014, S. 198–210.
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manipuliert und wer bewegt wird, bleibt vage. Auch im Dunkelraum werden die Dummies umgesetzt oder in ihrer Haltungsposition verändert, ab und an von Le Roy selbst, doch wann und wie, wird nicht per Zeitplan bekannt gegeben. In den drei oben beschriebenen Räumlichkeiten sind unterschiedliche Prozesse im Gange, doch in allen finden Produktion und Präsentation statt, mit unterschiedlicher Akzentsetzung auf das eine oder das andere.83 Im ersten Raum steht die Präsentation im Vordergrund, im zweiten eher das Performen und im dritten die Präsentation und Inszenierung eines Objekts.84
5.2.2 Eine Retrospektive? Der Begriff »Retrospektive« ist im Titel von Le Roys Ausstellung mit Anführungszeichen hervorgehoben. Auf diese Art gibt der Choreograf seinen Gästen schon vor dem Ausstellungsbesuch einen Hinweis darauf, dass hier womöglich etwas anders gemeint ist oder in anderer Weise funktioniert, als in einer herkömmlichen Rückschau. Eine Retrospektive blickt in der Regel von der Gegenwart in die Vergangenheit.85 Wir kennen sie aus dem filmischen Genre und vor allem als ein Ausstellungsformat für die bildende Kunst. In Form einer Kunstausstellung bietet die Retrospektive den Rezipient*innen einen Rückblick über das Gesamtwerk oder wesentliche Schaffensphasen eines bestimmten Künstlers oder einer Künstlerin. Frühere und neuere Kunstwerke werden gemeinsam ausgestellt, um bspw. einen Entwicklungsstrang oder stilhafte Merkmale ablesen zu können. Doch was ist nun anders in Le Roys »Retrospective«?
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Le Roy steht hier in der Tradition der 1960er und 1970er Jahre, dann als sich die strikte Trennung von Produktion und Präsentation auflöste und die Arbeiten vor Ort im Ausstellungsraum realisiert wurden. Vgl. MCGOVERN 2016, S. 35. Vgl. LE ROY/RAWLS 2014. Der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort »retrospectare« ab und bedeutet zurückblicken. Die Retrospektive ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Zur Diskussion des Begriffs Retrospektive siehe: HANTELMANN 2007, S. 79–143, v.a. das Kapitel »Eine andere Retrospektive«.
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Eine Retrospektive im Produktionsmodus86 Das Format und die Idee der Retrospektive benutzt Le Roy als Ausgangspunkt, nicht nur, um ältere und jüngere Werke nebeneinander zu präsentieren, sondern um eine neue choreografische Arbeit entstehen zu lassen.87 Er transformiert das Prinzip der Retrospektive als eine monografische Schau, in dem die Ausstellung zwar seine Tanzkunst zeigt, aber diese nicht von ihm selbst, sondern von seinen gecasteten Performer*innen und Künstlerkolleg*innen vorgeführt, verkörpert und weiterentwickelt wird. Somit stellt »Retrospective« wohl die Arbeiten des Choreografen aus, doch statt einer Einzelschau ergibt sich aus dem Konzept eine Gruppenarbeit, die sich im kontinuierlichen Prozess durch die Aktionen und Gespräche aller Beteiligten im Raum verändert. Das retrospektive Format versetzt Le Roy auf diese Weise in einen Produktionsmodus, der durch eine kollektive Autorschaft entsteht. »Retrospective« fungiert als eine Art Katalysator für neue Kreationen, deren Ursprung Bewegungsmaterial seiner in der Vergangenheit entstandenen Bühnensoli ist. Le Roy erläutert dies mit folgenden Worten: »We use things that pre-exist and place them in another situation and out of this, something new is produced, And it’s still possible to recognize and identify the material that is used.«88 Die Idee, in die Vergangenheit zu schauen, um Neues zu kreieren oder das Vergangene in die Gegenwart zu bringen, war Ausgangspunkt für Product of Circumstances, das, wie im vorangegangenen Kapitel genauer erläutert wurde, strukturell eine Basis für die Ausstellung »Retrospective« liefert.89 Mit »in another situation« spricht der Choreograf die ungewöhnliche Präsentation seiner Bühnensoli im Ausstellungsraum und damit im Kontext des Kunstbetriebs und der bildenden Kunst an. Als Bühnenkunst sind seine Tanzstücke eigentlich dem Theater und nicht dem Kunstbetrieb verschrieben. Das Bühnenstück an sich und die Präsentation im Theater unterliegen einem anderen Zeitkonzept als das einer Ausstellung und eines Kunstwerks der 86
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So lautete ebenfalls der Workshop-Titel beim Festival ImPulsTanzWorkshop »retrospective as a mode of production«, der im Rahmen von Impulstanz Wien 2011 durchgeführt wurde, https://www.impulstanz.com/en/archive/2011/research/id1764/ (10.11.2020). Vgl. KAMINSKI, Astrid/LE ROY, Xavier: Structured by desire: An Interview with Xavier Le Roy, in: Spike Art Magazine (30.09.2019), https://www.spikeartmagazine.com/?q=articles/structured-desire-interview-xavier-le-roy (17.12.2021). LE ROY/RAWLS 2014. Le Roy erzählt im Interview mit Will Rawls, dass er vor allem für »Commission works« Bewegungsmaterial recycelt. Vgl. ebd.
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bildenden Kunst. Eine Bühnenarbeit besitzt das zeitliche Format einer Aufführung. Es wird zu einem verabredeten Zeitpunkt, meist abends, innerhalb einer gewissen Zeitspanne, in der Regel für ein bis zwei Stunden, auf einer Theaterbühne vor Publikum aufgeführt und präsentiert.90 Danach ist die Bühnenaufführung beendet. An einem Abend oder an verschiedenen Tagen können mehrere Stücke eines Künstlers aufgeführt werden, doch werden sie nicht simultan wie in einer Ausstellung gezeigt, sondern nacheinander. Im Museum werden mehrere Werke gleichzeitig in Form einer Kunstausstellung präsentiert. Somit, und erneut auf den Punkt gebracht, ermöglicht das Format der retrospektiven Ausstellung mehrere Bühnenstückausschnitte aus unterschiedlichen Jahren und Dekaden simultan auszustellen; im Gegensatz zu einer Theateraufführung, die nur ein einzelnes Stück präsentiert und damit die verschiedene Bühnenarbeiten lediglich nacheinander gezeigt werden können.91 Für »Retrospective« löste Le Roy seine Solotanzstücke aus dem ursprünglichen Bühnenkontext, fragmentierte sie für den Ausstellungskontext und integrierte sie in Live-Aktionen. Neben der gleichzeitigen Live-Präsentation im Hauptraum steht den Besucher*innen auch das digitale Archiv seines künstlerischen Schaffens zur Verfügung, das u.a. Videos von Le Roys kompletten Bühnenstücken der vergangenen Jahre zeigt. Auf diese Weise werden hier mehrere Ebenen der Reflexion und Wahrnehmung vereint und angeboten. Dabei löst er sich von den konventionellen Formaten, die von einer Trennung der Performer*innen- und Zuschauer*innen ausgehen, und formiert diese neu oder anders. In »Retrospective« existieren unterschiedliche Beziehungsebenen zwischen allen Beteiligten gleichzeitig. Performer*innen werden als »Kunstobjekte oder -subjekte« beobachtet, während andere in retrospektiven Erzählungen zur eigenen Tanzpraxis oder über Le Roys Tanzkunst verwickelt sind. Eine weitere Bindungsebene kann im Archiv entstehen, dort, wo keine geplanten, sondern nur spontane Gespräche auf gleicher Augenhöhe stattfinden und alles gefragt werden kann. Mit Ausnahme von Giszelle, das aus der Zusammenarbeit mit der Choreografin Eszter Salamon entstand, entwickelte Le Roy seine Soli selbst, sie sind
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Hiermit beschreibe ich ein klassisches Bühnenstück. In der Tat gibt es heutzutage auch andere Formate, in denen sich die klaren Trennungen zwischen Zuschauer*innen und Performer*innen auflösen. »The basic idea is to recast the material from solo choreography in situations with live-action, where the apparatuses of theatre performance and the museum exhibition intersect.« Le Roy in KAMINSKY/LE ROY 2019.
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aus seinen Bewegungsqualitäten und seinem -spektrum hervorgegangen. Sie gehören seinem Körperarchiv an.92 In der Ausstellung werden seine Stücke »von ›anderen Körpern‹ repräsentiert, aber dabei weder rekonstruiert oder als Ganzes behandelt und sichtbar gemacht.«93 Das retrospektive Material wird »durch die Akteure der Retrospektive« subjektiviert, so beschreibt Franz Anton Cramer das Verfahren.94 Xavier Le Roy betont: »The exhibition isn’t my retrospective«,95 und spielt dabei auf die Bedeutung der individuellen Retrospektiven seiner Interpret*innen an. Seine Arbeiten werden lediglich als »Filter«96 verwendet und benutzt. Doch die Konzeption und das Bewegungsmaterial stammen weiterhin vom Tanzkünstler selbst. Den choreografischen Rahmen von »Retrospective« hat Le Roy kreiert, doch performen die Tänzer*innen, die wiederum neu Produziertes und neu Zusammengefügtes hervorbringen. Ihnen ist dabei viel Freiheit und Flexibilität überlassen, doch können sie nicht aus dem konzeptuellen Rahmen ausbrechen, so erläutert Tänzer Will Rawls hierzu: »while on the job, I cannot entirely break out of the frame of your [his] work while telling my story.«97 Es bleibt weiterhin eine Ausstellung von Le Roys choreografischer Praxis, die sich in »Retrospective« immer wieder neu und anders entfaltet.
Xavier Le Roy als Ausstellungsgestalter Durch die aktive Umgestaltung des Formats der Retrospektive zeigt sich, dass hier eine Rollenverschiebung stattfand. Der Choreograf selbst war Ausstellungsgestalter. Wie die Präposition »by«98 (dt. von) im Titel akzentuiert,
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Zum Körper als Archiv siehe: WEHREN 2016, insbesondere das Kapitel »Körperarchiv als bewegliches Dispositiv«, S. 163–167 und CRAMER, Franz Anton: Body, Archive, in: BRANDSTETTER, Gabriele/KLEIN, Gabriele (Hg.): Dance [and] Theory, Bielefeld 2013. Vgl. CVEJIĆ/LE ROY 2014, S. 246. CRAMER 2013, S. 2. Ebd. Le Roy in KAMINSKI 2019. Ebd. Will Rawls in LE ROY/RAWLS 2014. Anstelle von »of« wird »by« im Titel benutzt. Im Französischen ist es »par« statt »de«, über die sich dadurch verändernde Bedeutung siehe: AMALVI, Gilles: »›Ceci n’est pas une rétrospective de Xavier Le Roy‹ par Gilles Amalvi.« (2012), http://www.muse edeladanse.org/projets/ceci-nest-pas-une-retrospective-de-xavier-le-roy-par-gilles-a malvi (17.12.2021).
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ist »Retrospective« ein Ausstellungsprojekt, das Le Roy selbst entwickelte und konzipierte: »It is a retrospective by Xavier Le Roy, not of!«99 So übernahm er mit der Gestaltung der eigenen Ausstellung die eigentliche Aufgabe der Kuratorin. Wobei hierbei zu erwähnen ist, dass Le Roy immer wieder die Zusammenarbeit mit Laurence Rassel betonte. Das Konzept sei durch einen gemeinsamen Austausch beim Entstehungsprozess entstanden. Dennoch ist es hierbei der Choreograf, der die hauptsächliche kuratorische Arbeit übernahm, bzw. diese in eine choreografische Praxis im Ausstellungsraum überführte. Die Kuratorin und das Museumsteam agierten dadurch eher als Produzenten und unterstützten Le Roy darin, sein künstlerisches Konzept im Rahmen der musealen Konditionen umsetzen zu können. Le Roys Ausstellung ist nicht die erste, die von einem Künstler selbst gestaltet wurde sowie das Ausstellungsformat Retrospektive als Ausgangspunkt nutzt und es institutionskritisch neu formiert. Im Kontext der bildenden Kunst gibt es Exempel, die sich mit dem Format der Retrospektive kritisch auseinandersetzen, wie bspw. Rirkrit Tiravanija mit A Retrospective (tomorrow is another fine day) und Pierre Huyghe mit Celebration Park. In der Tanzwelt werden durchaus auch Retrospektiven gezeigt, doch finden die in der Regel an mehreren aufeinanderfolgenden Abenden auf der Bühne statt. So wurden z.B. auf dem Festival Automne mehrere ausgewählte Stücke von De Keersmaeker nacheinander präsentiert.100 Als Choreograf ist Le Roy einer der ersten, der unter dem Begriff der Retrospektive eine Ausstellung selbst gestaltet hat.
Zur Bedeutung der Retrospektive in der Kunstwelt Als Tänzerchoreograf ist Le Roy nicht der erste Zeitgenosse, dem eine Retrospektive in einem Museum oder Ausstellungshaus gewidmet wurde, so u.a. auch Yvonne Rainer, Simone Forti, Trisha Brown, Rosemary Butcher und La Ribot. Für Künstler*innen bedeutet eine Retrospektive eine Art Rangerhöhung, sowohl aus kunsthistorischer Perspektive als auch aus ökonomischer Sicht, da sein Marktwert steigt. Seinem Oeuvre wird historische Bedeutung zugeschrieben und durch den Kunstbetrieb wertgeschätzt.101 Le Roys Ausstellung fasst Bühnenstücke aus zwei Dekaden seiner choreografischen Arbeit
99 Le Roy in KAMINSKI 2019. 100 Siehe: Portrait Anne Teresa De Keersmaeker, Festival Automne, https://www.festivalautomne.com/en/portrait/portrait-anne-teresa-de-keersmaeker?sid=50 (17.12.2021). 101 Vgl. CRAMER 2013.
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zusammen, eine Zeitspanne, der durchaus eine Retrospektive gewürdigt werden kann. Insbesondere, da Le Roy zu den einflussreichsten, innovativsten Tanzkünstlern der Gegenwart seit den 1990er Jahren zählt. Auch Franz Anton Cramer schreibt Le Roy mit seinem entstandenen choreografischen Schaffenswerk die Berechtigung einer Retrospektive als Beförderung im Kunstkreise zu und betitelt ihn als »›Klassiker‹ des zeitgenössischen Tanzes«. Zudem seien seine Stücke, so Cramer, »Referenzpunkte für ein neues Verständnis von Tanz als intellektuell durchdrungener körperlich-künstlerischer Praxis«102 .
Eine Retrospektive? – Zusammenfassung Was funktioniert nun anders als bei einer üblichen Retrospektive: Le Roy verbindet »das Format der auf lange Zeiträume hin angelegten Präsentation von ›eigenem‹ Werkmaterial mit der prozessbasierten und iterativ angelegten Arbeitsform des Choreografischen«103 . »Retrospective« folgt dem Konzept einer Retrospektive und bricht zugleich mit ihr.104 Sie präsentiert wie üblich ein Schaffenswerk, von den 1990er Jahren bis hin zur Gegenwart, in Form einer monografischen Ausstellung, doch wird sie in eine kollektive Gruppenschau übertragen. Durch die Körper der Performer*innen und ihren individuellen Retrospektiven wird Le Roys Tanzpraxis in den Kontext ihrer eigenen biografischen Laufbahnen gestellt. Sie betrachten die Arbeiten subjektiv reflexiv. Seine Theaterbühnenstücke passt er an die Konditionen einer Ausstellung an, indem er sie während des jeweiligen Ausstellungszeitrahmens dem Publikum zur Besichtigung und Betrachtung zur Verfügung stellt. Er gewährt permanente Sichtbarkeit während der Öffnungszeiten. Somit wechselt Le Roy von einer vorbestimmten zeitlichen Länge einer Aufführung hin zum Format einer Ausstellung, in der mehrere Stücke simultan präsentiert und performt werden. Durch die Interaktion von Performer*innen und Besucher*innen entstehen soziale Beziehungen, »little contemporary communities«105 , die sich bei einem klassischen Bühnenstück auf diese Art nicht ergeben können. Mit »Retrospective« geht es Le Roy nicht vornehmlich um den Tanz und seiner Beziehung zum Museum. Vielmehr stehen die einzelnen Individuen und
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Ebd., S. 2. Ebd. S. 4f. Vgl. ebd, S. 3. HEATHFIELD/LE ROY 2015, S. 147.
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deren persönlichen Geschichten im Vordergrund, die durch die Live-TanzAusstellung erzählt werden. Die Retrospektive als Typ einer Kunstausstellung transformierte er hierfür in einen Produktionsmodus. Dabei entsteht aus recycelten Elementen seiner Bühnenstücke eine neue choreografische Arbeit.
5.2.3 Zeit und Zeitlichkeit(en) in »Retrospective« Laurence Rassel beschreibt »Retrospective« als »a new notion of time«106 . In der Tat kommt dem Faktor Zeit und der Zeitlichkeit eine große Bedeutung zu. Diese Live-Tanz-Ausstellung ist ein lebendiges Geschehen, das sich durch die Performer*innen und Besucher*innen kontinuierlich – im Laufe der Zeit – verändert und weiterentwickelt. Sie benötigt Zeit um sich im Raum durch Aktionen, Bewegungen und Gespräche zu entfalten. »Retrospective« spielt mit den Zeitkonzepten einer Ausstellung und einer Live-Aufführung.107 Die übergreifende zeitliche Rahmung ist durch die Ausstellungsdauer und die Öffnungszeiten der jeweiligen Kunstinstitution bestimmt.108 Museen und andere Ausstellungsstätten haben in der Regel sechs Tage die Woche und meist sieben bis neun Stunden am Tag für die Kunstbetrachter*innen geöffnet. In der Fondation Antoni Tapiès in Barcelona lief »Retrospective« über zwei Monate. Im Beirut Art Center lief die Ausstellung für 19 Tage und im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwartskunst war sie für zwei Wochen entweder sieben, acht oder zehn Stunden am Tag geöffnet. Während der Öffnungszeiten performen die Tänzer*innen die choreografische Ausstellung, dabei wechseln sie sich in Schichten ab. In der Zeit ist es den Rezipient*innen frei überlassen, wann und wie lange sie in »Retrospective« verweilen. Neben den zeitlichen Rahmenbedingungen der Kunstinstitution bestimmen die Ausstellungsbesucher*innen über die Dauer und den Zeitpunkt
106 Laurence Rassel in »Perspectives on Retrospective by Xavier Le Roy – Sunday Sessions«, 16.10.2015, YouTube: MoMA PS1. https://www.youtube.com/watch?v=Dhiafs_zmeA (15.12.2020). 107 Vgl. CVEJIĆ 2014, S. 20. 108 Als »Institutional Standard Time« bezeichnet Schafaff dieses Zeitrahmen, der innerhalb der Öffnungszeiten vom Rezipienten unabhängig vom ausgestellten Gegenstand frei gewählt und bestimmt werden kann. Vgl. SCHAFAFF, Jörn: Challenging Institutional Standart Time, in: BISMARCK, Beatrice von/FRANK, Rike/MEYER-KRAHMER, Benjamin et al.: Timing. On the Temporal Dimension of Exhibitioning, Leipzig 2014, S. 189–210.
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ihrer Besichtigungszeiten. Jede einzelne Person entscheidet zudem über ihre individuelle Rezeptionszeit, also wie lange und in welcher Reihenfolge sie sich den ›Exponaten‹ – in diesem Fall, die von Performer*innen ausgeführten Bewegungen, ihren Erzählungen oder Gesprächen mit ihnen – widmen. Die bis hierhin vorgestellten Zeitkomponenten ergeben sich durch das Format der Ausstellung als Präsentationsmedium.109 Le Roy stand anfangs vor der Frage, wie er seine performative Kunst in der Fondation Antoni Tapiès im Ausstellungsformat präsentieren kann. Eine beständige Verfügbarkeit der Exponate während der Öffnungszeiten ist hierfür die Voraussetzung. Die Tanzkunst als eine der darstellenden Künste hingegen ist zeitlich vergänglich und damit nicht kontinuierlich und andauernd. Tanz präsentiert sich eigentlich als (Bühnen-)Aufführung und unterliegt damit einem anderen Zeitkonzept. Statt einer ständigen Präsenz findet eine Aufführung zu einem festgesetzten Zeitpunkt mit einer zuvor festgelegten Dauer mit einem klaren Anfang und Ende statt. Die Bühnenaufführung als Präsentationsformat ist dem Theater als Apparat verschrieben, eine Institution, mit der sich im Laufe der Jahrhunderte gesellschaftliche Codes und Rituale gefestigt haben, so bspw. der Applaus des Publikums nach der Aufführung und dass eine Theateraufführung abends stattfindet, dann, wenn die meisten Leute Feierabend haben.110 Für die Präsentation im Ausstellungsraum seiner ephemeren Bühnenstücke erfand Le Roy die in Kapitel 5.2.1 beschriebenen choreografischen Handlungsaktionen »immobility«, »loop« und »narrative«, die ja unterschiedlichen Zeitlichkeiten unterliegen: »immobility«: Die Pose kann lange oder auch nur für einen kurzen Moment oder ein paar Minuten existieren; »loop«: Der festgelegte Bewegungs- oder Aktionsablauf wiederholt sich und beginnt immer wieder von vorne. »narrative«: Der oder die Performer*in erzählt seine oder ihre Retrospektive. Alle drei Aktionen werden abgebrochen, sobald jemand den Raum betritt und die Begrüßungsszene (erneut) beginnt. Das heißt also, dass sich diese Aktionen an den drei Stationen nicht an den zeitlichen
109 Die Merkmale einer Ausstellung sind ausführlich in Kapitel 2.3.2 besprochen worden. 110 Vgl. HANTELMANN, Dorothea von: When You Mix Something, It’s Good to Know Your Ingredients: Modes of Addressing and Economies of Attention in the Visual and Performing Arts, in: GRONAU, Barbara/HARTZ, Matthias von/HOCHLEITER, Carolin (Hg.): How To Frame. On the Threshold of Performing and Visual Arts, Berlin 2016, S. 49–53, v.a. S. 50.
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Rahmen der Ausstellung anpassen. Denn die Performer*innen führen die jeweiligen Bühnenstückausschnitte und die damit verbundenen Aktionen nicht kontinuierlich vor, sodass sie somit nicht dauerhaft von Ausstellungsanfang bis -ende präsent sind. Sie stehen stattdessen in Abhängigkeit zum Rotationssystem, womit die Performer*innen sich nach den Besucher*innen richten. An der vierten Station (bei der hinteren Wand) wird eine Tänzer*in-Retrospektive komplett erzählt. Die persönlichen Retrospektiven sind wiederum von drei eigenen Zeitlinien bestimmt. Erstens: die Dauer, in der eine Performer*in-Retrospektive von Anfang bis Ende erzählt und performt wird (meist zwischen 30 und 45 Minuten). Zweitens: Die Zeitspanne, über die erzählt wird. Wie viele Jahre werden innerhalb dieser Zeit zusammengefasst, in welchem Jahr beginnen die Performer*innen ihre Erzählung und wo enden sie? Und als dritte Linie ergibt sich die Zeit der gesamten Ausstellungsdauer, in der sich die jeweiligen Performer*innen-Retrospektiven prozesshaft verändern und sich an die Gegebenheiten anpassen. Anhand der Performer*innen-Stories ist ebenso ein Entwicklungsprozess zu erkennen. Es ist ein Work-in-Progress, der sich nicht nur innerhalb einer Ausstellungsdauer, von Eröffnung bis zum Ende der Schau weiterentwickelt, sondern auch von Ausstellungsversion zu Ausstellungsversion. Tänzerin Zeina Hannah, die in Berlin mittlerweile das dritte Mal als Performerin mit dabei war, konnte bspw. ihre Geschichte sowie ihre Erzähltechniken weiterentwickeln und ihre Erfahrungen der vergangenen Versionen einfließen lassen. So können andere Interpret*innen, die zum ersten Mal dabei sind, das noch nicht. Sie stehen noch am Anfang ihres persönlichen Work-in-Progresses.111 Insgesamt betrachtet verweben sich in »Retrospective« unterschiedliche zeitliche Verläufe, die teils vorbestimmt (Ausstellungsdauer, Öffnungszeiten) und doch zum größten Teil unbestimmt sind (v.a. das Ankommen der Besucher*innen und die Länge ihres Aufenthalts). Zeit ist eines der Strukturprinzipien der Live-Tanz-Ausstellung. So gibt das kollaborative Gefüge der Choreografie den Performer*innen Zeit, ihre Geschichte zu erzählen. Zugleich generieren alle Beteiligten Zeit zum Zuschauen, Beobachten, Zuhören, zum Austausch und zum Reflektieren. Die Choreografie organisiert »Retrospective« in Raum und Zeit. Ihr Ablauf ergibt sich anfangs aus der Willkommensszene und daraufhin aus den jeweiligen Positionierungen an den vier Wänden entlang, um dann die drei Aktionen »loop«, »immobility«, »narrative« auszuführen. Tritt ein oder eine Besucher*in ein, beginnt das Ganze 111
Vgl. KAMINSKI/LE ROY 2019.
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wieder von vorne, bis auf den einen oder die eine Performer*in, der seine Geschichte von Anfang bis Ende erzählt.112 Bis zum Ende der Ausstellung, ist es ein konstanter Arbeits- und Entwicklungsprozess, in dem sich die Situationen, die Begegnungen von Sekunde zu Sekunde prozesshaft verändern. Seine Rezipient*innen konfrontiert Xavier Le Roy mit unterschiedlichen Temporalitäten, doch auch seine Interpret*innen durchleben verschiedene Stadien von Zeit. Le Roys Ausstellung spielt mit diversen Zeitlichkeiten113 und der realen Erfahrung von Zeit. Alle Beteiligten erleben und empfinden Zeit und das auf unterschiedlichste Art. Zur Wahrnehmung und Erfahrung von »Retrospective« ist Zeit konstitutiv. Le Roy versteht »Retrospective« als eine Art Diskontinuität, die versucht an einem Ort der Kontinuität und Beständigkeit, dem Museum, zu existieren.114 Unterbrechungen entstehen vor allem durch das Hereinkommen neuer Besucher*innen, die immer wieder das Rotationssystem auslösen, sodass das gerade Stattgefundene teils abgebrochen und aufgelöst wird, und den choreografischen Ablauf wieder von vorne und in neuer Konstellation beginnen lässt. Was in einem eigenen Zeitfluss von Anfang bis Ende weiterläuft, ist immer die Erzählung der einen Retrospektive an der vierten Station. Verschiedene Zeitlinien und Zeitachsen verflechten sich. Nicht zu vergessen sind die Schichten der Performer*innen (3h, 2x am Tag), die »Produktionszeiten« der einzelnen Stationen und der individuellen Retrospektiven sowie die gesamte Produktions- oder Entwicklungszeit von der Vernissage bis zum letzten Tag der Ausstellung. Die komplexen und diversen Zeitstrukturen von »Retrospective« verdeutlichen erneut, dass sich Xavier Le Roy intensiv mit der Frage auseinandersetzte, was es für eine Rolle spielt, in einem Museum oder einer anderen Kunstinstitution und in einer Ausstellung darstellende Kunst auszustellen. Und was das wiederum für Auswirkungen hinsichtlich der Performer*innen und Besucher*innen-Beziehung hat. Im Hauptausstellungsraum bestimmen sowohl die Performer*innen als auch das Eintreten der Gäste das zeitliche Geschehen. Es ist abhängig von folgenden Faktoren: Sie übernehmen die Willkommensszene, sie wissen, welche Aktion sie durchführen und der oder die »Narrative«-Performer*in bestimmt, was er oder sie erzählt. Es gibt vorbestimm-
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Vgl. CVEJIĆ/LE ROY 2014, S. 248. Mit Zeitlichkeit ist das zeitliche Dasein von jemand oder von etwas gemeint. Wie lange ist etwas präsent, wie lange findet ein Prozess statt. »›Retrospective‹ is a sort of discontinuity that tries to exist in a place of continuity.« Le Roy in: LE ROY/RAWLS 2014.
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te Handlungen und spontane Reaktionen. Wer bestimmt Zeit? Wer bestimmt meine Zeit? Im Hinterraum (Archiv) existiert wieder eine unbestimmte Zeitlichkeit. Hier ist der Ablauf nicht vorbestimmt. Die Tänzer*innen wissen zuvor nicht, wie sich die Unterhaltung entfalten wird. Und wie lange oder ob sich überhaupt ein intensiver Dialog entwickeln wird. Die Besucher*innen können »Retrospective« nie in der Gesamtheit erfahren, da sie über ihre eigene Präsenz in der Ausstellung hinausgeht. Auch die Performer*innen erleben durch ihre Einteilung in Schichten und ihren jeweiligen Fokus auf ihre eigenen Parts nur einen Anteil der Ausstellung als neue Komposition. Alle Elemente vereint machen »Retrospective« während der Öffnungszeiten kontinuierlich präsent. Aber nur, solange Gäste im Raum sind und immer wieder neue hinzukommen, sodass es einen Besucherflow gibt.
5.3 Work/Travail/Arbeid von Anne Teresa De Keersmaeker Mit Work/Travail/Arbeid schuf Anne Teresa De Keersmaeker ihre erste LiveTanz-Ausstellung, die 2015 vom 20. März bis zum 17. Mai im WIELS in Brüssel präsentiert wurde.115 Es ist die erste choreografische Arbeit der belgischen Choreografin, die sie speziell für Austellungsräume konzipierte. Elena Filipovic war damals Kuratorin am WIELS und Initiatorin dieses Projekts. Gemeinsam mit Dirk Snauwaert, dem künstlerischen Leiter des WIELS, fragte sie De Keersmaeker, ob sie sich vorstellen könne, ihre Tanzkunst im Format einer Ausstellung zu präsentieren. De Keersmaeker stellte sich dieser neuen Herausforderung und nahm ihr ursprünglich für die Bühne konzipiertes Stück Vortex Temporum (zu dt. Zeitstrudel, Wirbel der Zeit) zur gleichnamigen Musikkomposition des französischen Komponisten Gérard Grisey (1946–1998) als künstlerischen Ausgangspunkt. Für die Museumssituation adaptierte die Choreografin Vortex Temporum und transformierte es in eine Kunstausstellung. Dafür zerlegte sie das fast einstündige Bühnenstück in etliche Einzelkomponenten und dehnte es zu einer neunwöchigen, kontinuierlichen Ausstellungsperformance aus. Tänzer*innen, Musiker und eine Musikerin performten während der gesamten Publikumsöffnungszeiten, von Mittwoch bis Sonntag in der Regel von 11 bis 18 Uhr im WIELS.116 Zur Veranschaulichung 115 116
Im Rahmen des Het Theaterfestivals gab es zudem vom 11.-13.09.2015 eine »exceptional revival«-Version ebenfalls im Wiels zu sehen. Donnerstags war das Museum bis 21 Uhr geöffnet.
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te Handlungen und spontane Reaktionen. Wer bestimmt Zeit? Wer bestimmt meine Zeit? Im Hinterraum (Archiv) existiert wieder eine unbestimmte Zeitlichkeit. Hier ist der Ablauf nicht vorbestimmt. Die Tänzer*innen wissen zuvor nicht, wie sich die Unterhaltung entfalten wird. Und wie lange oder ob sich überhaupt ein intensiver Dialog entwickeln wird. Die Besucher*innen können »Retrospective« nie in der Gesamtheit erfahren, da sie über ihre eigene Präsenz in der Ausstellung hinausgeht. Auch die Performer*innen erleben durch ihre Einteilung in Schichten und ihren jeweiligen Fokus auf ihre eigenen Parts nur einen Anteil der Ausstellung als neue Komposition. Alle Elemente vereint machen »Retrospective« während der Öffnungszeiten kontinuierlich präsent. Aber nur, solange Gäste im Raum sind und immer wieder neue hinzukommen, sodass es einen Besucherflow gibt.
5.3 Work/Travail/Arbeid von Anne Teresa De Keersmaeker Mit Work/Travail/Arbeid schuf Anne Teresa De Keersmaeker ihre erste LiveTanz-Ausstellung, die 2015 vom 20. März bis zum 17. Mai im WIELS in Brüssel präsentiert wurde.115 Es ist die erste choreografische Arbeit der belgischen Choreografin, die sie speziell für Austellungsräume konzipierte. Elena Filipovic war damals Kuratorin am WIELS und Initiatorin dieses Projekts. Gemeinsam mit Dirk Snauwaert, dem künstlerischen Leiter des WIELS, fragte sie De Keersmaeker, ob sie sich vorstellen könne, ihre Tanzkunst im Format einer Ausstellung zu präsentieren. De Keersmaeker stellte sich dieser neuen Herausforderung und nahm ihr ursprünglich für die Bühne konzipiertes Stück Vortex Temporum (zu dt. Zeitstrudel, Wirbel der Zeit) zur gleichnamigen Musikkomposition des französischen Komponisten Gérard Grisey (1946–1998) als künstlerischen Ausgangspunkt. Für die Museumssituation adaptierte die Choreografin Vortex Temporum und transformierte es in eine Kunstausstellung. Dafür zerlegte sie das fast einstündige Bühnenstück in etliche Einzelkomponenten und dehnte es zu einer neunwöchigen, kontinuierlichen Ausstellungsperformance aus. Tänzer*innen, Musiker und eine Musikerin performten während der gesamten Publikumsöffnungszeiten, von Mittwoch bis Sonntag in der Regel von 11 bis 18 Uhr im WIELS.116 Zur Veranschaulichung 115 116
Im Rahmen des Het Theaterfestivals gab es zudem vom 11.-13.09.2015 eine »exceptional revival«-Version ebenfalls im Wiels zu sehen. Donnerstags war das Museum bis 21 Uhr geöffnet.
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von Work/Travail/Arbeid folgt an dieser Stelle eine auf eigenen subjektiven Erfahrungen beruhende Beschreibung. Erfahrungsbeschreibung des Besuchs von Work/Travail/Arbeid im WIELS, 6. Mai 2015: Im dritten Stock des postindustriellen Gebäudes angekommen, begebe ich mich in den Ausstellungsbereich.117 Er besteht aus einem größeren und einem hinten anliegenden kleineren Raum. Beide sind durch einen Durchgang miteinander verbunden. Durch die waagerecht ausgerichteten Fensterbänder des Gebäudes strahlt Tageslicht in die Säle, sodass die objektleeren, weiß gestrichenen Räume sehr hell und freundlich wirken. Einige von uns Besucher*innen bewegen sich durch die Säle. Die meisten jedoch haben sich an den Gebäudewänden entlang angeordnet – stehend, an der Wand lehnend oder auf dem Boden sitzend und teils sogar gemütlich liegend. Die Haltungen variieren von größter Entspanntheit bis hin zu höchster Aufmerksamkeit und kritischer Beobachtung. An den zwei Stützpfeilern inmitten des Raumes positionieren sich immer mal wieder Vereinzelte, um vom Tanz umgeben zu sein. Doch die meisten von uns bleiben an den Wänden entlang stehen und bilden dadurch eine Art Zuschauerkreis um das bewegte Geschehen in der Mitte. Diese Wandplätze scheinen zum Zuschauen und Beobachten die Beliebtesten zu sein. Denn hier steht man keinen Tänzer*innen im Weg und versperrt keinem die Sicht auf die Choreografie, die sich über Stunden hinweg Tag für Tag während der Ausstellungsmonate im Laufe der Zeit entfaltet. Wir befinden uns alle auf einem grauen Tanzboden, der extra für die Ausstellung installiert wurde. Auf der Bodenfläche sind große Kreidekreise zu entdecken, die gemeinsam eine geometrische, komplexe Zirkellinienfigur formen. Die einzigen Objekte im Raum sind zwei schlichte weiße Wanduhren mit schwarzem Ziffernblatt, die sich je in einem der Raumteile an der Wand befinden. Darunter hängen neongelbfarbene Bänder, an denen je ein Kreidestück befestigt ist. Ich entdecke ein, zwei Musiker mit ihren Instrumenten, doch spielen sie gerade nicht. Sie tragen gewöhnliche Alltagskleidung. Auch erkenne ich nun einige der Tänzer*innen in farbigen Sportschuhen. Sie tragen helle Kleidung, beige oder weiße Oberteile sowie Hosen und sind damit ihrer Umgebung, dem White Cube118 angepasst. Es herrscht eine gewisse Stille. Was ich höre, sind die Geräusche der Menschenkulisse, die mich an Cage’s 4'33 (s. Kapitel 3.3.1) erinnern: Schritte, Nie-
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sen und Husten, ein Rascheln im Rucksack und leise Unterhaltungen. Ein nass geschwitzter, junger Tänzer in weißer Kleidung bewegt sich mit langsam ausgeführten, eleganten Rückwärtsschritten an die Wand mit der Uhr und kommt hier allmählich zum Stehen. Was im hinteren Raum passiert, sehe ich von meinem derzeitigen Standpunkt aus nicht. Plötzlich klatschen die Besucher*innen, wie beim Applaudieren nach einer Aufführung. Damit ändert sich auch schlagartig die Atmosphäre, die eben noch höchst konzentriert und aufmerksam gegenüber dem Geschehen war. Jetzt herrscht eine pausenartige, lebhafte Stimmung. Viel mehr Personen stehen nun auch mitten im Raum und bilden Grüppchen, um sich ausgelassen zu unterhalten oder um von einem zum anderen Saal zu flanieren. Einige nutzen die Gelegenheit und verlassen die Ausstellung und andere betreten sie. Neu hereingekommene Tänzer*innen verteilen sich langsam. Noch sehr unauffällig, mit bunten Pullovern oder Sweatshirtjacken über ihren hellen Kostümen getarnt, stehen sie am Rand. Ein kleines Besuchermädchen schwingt ihre Arme von einer Seite zur anderen, ihren Oberkörper dabei mitschwingend, wohl sehr inspiriert vom sich um die eigene Achse drehenden Tanz, den ich selbst seit meiner Ankunft noch nicht miterleben durfte. Neugierig warte ich darauf, was als nächstes passieren soll. Zwei der neu eingetroffenen Tänzer wollen die Kreidekreise auf dem Boden nachzeichnen. Sie spannen eines der bereitgestellten Bänder auf, indem sie den Abstand zwischen sich vergrößern. Der eine positioniert sich knieend über den Mittelpunkt des jeweiligen Kreises, die Hand mit allen Fingern auf dem Boden aufgespreizt. Der andere fährt mit der Kreide entlang des Kreises und führt die Zeichnung auf den schon bestehenden Kreidebahnen aus. Auch im Hinterraum zeichnen sie die Kreise nach. Damit fertig begeben sich die Tänzer zurück an die Wände, es scheint nun ein nächster Abschnitt der kontinuierlichen Ausstellung zu beginnen. Zwei Musiker, ein Cellist auf dem Stuhl sitzend und ein Violaspieler danebenstehend, haben sich im Vorderraum positioniert. Erst beginnt der Cellist zu spielen und dann der Violaspieler. Sie spielen einen Ausschnitt Griseys, ohne von den Tänzer*innen begleitet zu werden. Nach Beendigung ihrer musikalischen Einlage ziehen sich die beiden Musiker zurück in eine Ecke. Jetzt stellen sich zwei Tänzer auf. Es sind die beiden, die soeben die Kreidelinien nachzeichneten. Ihre Positionen orientieren sich an eine der Kreisbahnen, dort wo sich zuvor auch die beiden Musiker befanden. Sie stehen bereit da, nach vorne schauend und die Beine hüftbreit geöffnet. Ohne Musik beginnen sie nun synchron ihren Kopf und ihren Oberkörper langsam nach vorne zu beugen. Während sich der eine fast übersehbar in
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Zeitlupentempo bewegt, löst sich der andere aus der Synchronität. Er dreht seinen Körper langsam um die eigene Achse zur Seite, verlagert das Gewicht auf den rechten Fuß, geht langsam mit beiden Beinen ins Plié, um sich dann mit Schwung wieder aufzurichten. Seine Arme senkt er bedächtig wieder, bis er in der gleichen Position ankommt, in der sich sein Duett Partner gerade befindet. Dann beginnt der andere Tänzer, sich schneller von einer Körperposition in die nächste zu bewegen, sodass ein Bewegungsfluss entsteht, während der andere in Zeitlupenbewegung bleibt und sich die beiden wieder in einer gleichen Position vereinen. Es ist ein Spiel aus Folgen, Ausbrechen und Wiederfinden, das sich aus präzisen und punktgenauen Körperbewegungen ergibt. Immer wieder vereinen sie den Ablauf ihrer Bewegungsphrasen in gleichen Positionen. Mit der Zeit (nach mehr als zwei Stunden) erkenne ich, was sich strukturell und choreografisch ständig wiederholt: Ein paar Minuten kurz vor voller Stunde endet ein Zyklusabschnitt. Danach werden die Kreidekreise nachgezeichnet und die nächsten Tänzer*innen und Musiker*innen bereiten sich für den weiteren Einsatz vor. Mal sind es nur Musiker*innen, die ein Ausschnitt von Griseys Komposition spielen, mal nur Tänzer*innen, mal ist es die Kombination von Musiker*innen und Tänzer*innen. Mal einer allein, mal ein Duo, ein Trio oder alle zusammen beim »Tutti« als Gruppe – wenn alle Tänzer*innen erst in großen, dann in kleiner werdenden Kreisen spiralförmig und wie lauter Teilelemente eines rasenden Wirbels rasant laufen. Schnell in großen Kreisen durch den Raum rennende Tänzer*innen, ein Bild, das als eines der markanten und repetitiven Bewegungen von Work/Travail/Arbeid im Gedächtnis bleibt. Jeder oder jede Tänzer*in ist mit einem Musiker oder einer Musikerin samt Instrument verbunden. So erlebe ich im hinteren Raum der Ausstellung, wie der Tänzer Carlos Garbin vom Pianisten Jean-Luc und seinem Piano – im wahrsten Sinne des Wortes – »gespielt« wird. Plouvier haut mit einer gewaltigen Geschwindigkeit in seine Tasten, seine Finger lässt er von einer zur anderen Seite der Klaviatur fließen, bis er dann ganz hohe Töne spielt. Garbin reagiert auf das, was er und wir alle hören und übersetzt die Musik in seinen Tanz. Er dreht sich auf Zehenspitzen um die eigene Achse, hüpft in die Luft, immer und immer wieder, dann dreht er sich wieder um die eigene Achse und folgt dabei seinen Armen. Tiefe Töne folgen und er rollt über den Boden, schiebt sich mit den Füßen rückwärts auf dem Rücken liegend in Windeseile zurück neben das Piano, und springt bei den hohen Tönen wieder auf, hüpft, und hüpft erneut. Plötzlich springt Garbin auf, schubst Plouvier von seinem Klavierstuhl und beginnt selbst mit aller Kraft auf die Tasten zu hauen, solange, bis dann Plouvier wieder über-
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nimmt und mit aller Wucht die letzten und immer leiser werdenden Töne dieses Abschnitts spielt. Irgendwann wird selbst das Piano auf Rädern mit Hilfe vom Dirigenten vom Hinterraum in den vorderen geschoben, während der Pianist, ohne sich Ablenken zu lassen, beim Gehen einfach weiterspielt. Das Publikum folgt ihnen in den vorderen Raum, der voller Gäste, performender Tänzer*innen und Musiker*innen ist. Eine Besucherin ist einem der Tänzer plötzlich so nah, sodass sie zurückschreckt, sich ein paar Schritte zurückzieht und den Platz für den Tänzer freimacht. Und ich befinde mich mittendrin im fesselnden choreografischen Geschehen. Ende
5.3.1 Vom Bühnenstück zur Ausstellung »What would it mean for a dance piece to perform as an exhibition?«119 Diese Ausgangsfrage lieferte den Konzeptansatz für Work/Travail/Arbeid. Die Grundidee war, De Keersmaekers choreografische Praxis dem Format einer Ausstellung anzupassen, sodass die zeitlichen und räumlichen Ordnungen und Bedingungen einer Museumspräsentation eingehalten werden. Es sollte keine Ausstellung über, sondern von Anne Teresa De Keersmaeker werden.120 Nichts an De Keersmaekers Arbeitsweise, ihren choreografischen Kompositionsprinzipien und den Entstehungsprozessen ihrer Tanzstücke sollte sich hierfür verändern. Dazu De Keersmaeker selbst: »[…] and the invitation, I should say, was not to become something different from what I am, or to reinvent my dance principles for an exhibition,
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Aufenthalt: nachmittags ab 15:45 Uhr. Auch wenn das WIELS nicht einem White Cube entspricht, benutze ich die Bezeichnung hier als Überbegriff für den Museums-/Ausstellungsraum im Vergleich zur Black Box, dem Theater. 119 FILIPOVIC, Elena: Vertiginous Force/The Exhibition as Work, in: Ausst. Kat. Brüssel: Anne Teresa De Keersmaeker. Work/Travail/Arbeid. Rosas & Ictus, hg. von FILIPOVIC, Elena/WIELS/Rosas & Mercatorfonds, Bd. 1, Brüssel 2015, S. 17–23, hier S. 17. 120 FILIPOVIC, Elena: Taking The Time for Time, in: Ausst. Kat. 2015, S. 35–40, hier S. 36. Ausstellungen über Choreograf*innen präsentieren meist Tanz-Dokumentationsmaterial, siehe Kapitel IV.
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but to find a way of presenting what I do and what have I done in dance for several decades now in an extreme but also precise way.«121 Zum Zeitpunkt der Einladung für die Wielser Ausstellung arbeitete De Keersmaeker an zwei anderen Projekten, die ihre Entscheidungen für Work/Travail/ Arbeid beeinflussten. Zum einen verfasste sie zusammen mit der Musikwissenschaftlerin Bojana Cvejić das Buch A Choreographer’s Score, für das sie sich erneut intensiv mit vier ihrer frühen Stücke aus den 1980er Jahren auseinandersetzte.122 Zum anderen produzierte sie im Jahr 2012 Vortex Temporum zur gleichnamigen Musikkomposition des französischen Komponisten Gérard Grisey. Seine Komposition (1994–1996) ist für ein Klavier und fünf Instrumente geschrieben, nämlich Flöte, Klarinette, Viola, Violine und Cello, und zählt zu den Schlüsselwerken der Spektralmusik. Sie besteht aus drei Sätzen, die Zeit der Menschen, die Zeit der Wale und die Zeit der Insekten und Vögel, in denen der 1998 verstorbene Komponist die jeweiligen Tonspektren dieser Lebewesen »durcheinandergewirbelt« hat.123 Die Komposition setzt sich, wie der Titel anklingen lässt, mit dem Phänomen Zeit auseinander. Zentrales musikalisches Thema ist hierbei die Komprimierung sowie Ausdehnung von Zeit und zugleich unsere Zeitwahrnehmung. Das fast einstündige Bühnenstück feierte 2013 im Rahmen der Ruhrtriennale124 in Bochum mit sieben Tänzer*innen von De Keersmaekers Tanz-Kompanie Rosas und sechs Musiker*innen und einem Dirigenten des Ictus-Ensembles Premiere.125 Der Berliner Tagesspiegel beschreibt die Aufführung von Vortex Temporum in der Volksbühne mit folgenden Worten: 121
Anne Teresa De Keersmaeker in AUBIN, Charles/DE KEERSMAEKER, Anne Teresa: In Conversation, 18.02.2016, in: Performa Magazine, performa-arts.org, http://performaarts.org/magazine/entry/anne-teresa-de-keersmaeker-and-charles-aubin-in-convers ation (10.09.2018). 122 Anne Teresa De Keersmaeker bei der Podiumsdiskussion, im Rahmen des Performatik Festivals 2015: »Salon #5: Anne Teresa de Keersmaeker, Xavier Le Roy, Elena Filipovic. Dance and the exhibition form«, WIELS, Brüssel 22.03.2015. 123 Vgl. GRISEY, Gérard: Vortex Temporum. Composer’s program notes, in: CVEJIĆ, Bojana (Hg.): Vortex Temporum. Anne Teresa De Keersmaeker/Rosas/Ictus, Brüssel 2015, S. 15–18 und CVEJIĆ, Bojana: Turning our ears ever finer…Interview with Georges-Elie Octors, in: DIES. 2015, S. 19–23. 124 Premiere, 03.10.2013, Ruhrtriennale Bochum. 125 Rosas-Tänzer*innen: Boštjan Antončič, Carlos Garbin, Marie Goudot, Cynthia Loemij, Julien Monty, Michael Pomero, Igor Shyshko; Ictus: Georges-Elie Octors (Dirigent), Jean-Luc Plouvier (Piano), Michael Schmid/Chryssi Dimitriou (Flöte), Dirk De-
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»Sie [die Tänzer] laufen auf kreisförmigen Bahnen, auch gegen den Uhrzeigersinn – selbst das Klavier dreht sich schon mal im Kreis. Die Zeit dehnt sich aus und verdichtet sich, wie auch die Kreise sich vergrößern und wieder zusammenziehen. Seien es die Laufbahnen von Planeten oder Naturphänomene: »Vortex Temporum« weckt vielfältige Assoziationen. Die Tänzer schwärmen aus, ballen sich zusammen, zerstreuen sich wieder im Raum. Auch wenn jeder auf seiner Umlaufbahn kurvt und seine individuellen Spiralmuster formt, folgen sie doch alle der gleichen choreografischen DNA. Der Tanz entwickelt einen hypnotischen Sog.«126 Griseys gesamte Komposition mit allen drei Sätzen hat eine Länge von über 40 Minuten. Hieraus konzipierte De Keersmaeker ein Bühnenstück mit einer fast einstündigen Dauer, indem sie den ersten Satz, die Zeit der Menschen, zuerst nur von den Musiker*innen spielen und danach die Tänzer*innen ihre Parts zunächst in Stille performen ließ. Für den zweiten Satz, die Zeit der Wale, bewegen sich alle, auch die Musiker*innen, in Kreisbahnen, teils um die eigene Achse drehend. Für den dritten Satz, die Zeit der Insekten und Vögel, positionieren sich die Musiker*innen hinter den Tänzer*innen. Wie ein Wirbel liefen diese rasant und in Kreisen über die Bühne. Der Schritt vom Theater in den Ausstellungssraum forderte eine Rekonzeptualisierung der Orginalversion hinsichtlich der zeitlichen und räumlichen Konditionen des Museums und dem Format einer Ausstellung. Vortex Temporum basiert wie grundsätzlich jedes De Keersmaeker-Stück auf geometrischen Bodenmustern und orientiert sich an einer mehrkreisigen, mit Kreide auf den Bühnenboden gezeichneten Struktur. Sie bildet sich aus feinen Zirkellinien und einer Multiplikation von Kreisen und ihren zugrundeliegenden Fünfecken (Abb. 10). Auch in Partita 2 (Mai 2013), ein mit Boris Charmatz getanztes Duett, verwendete De Keersmaeker eine auf einem Kreis basierende Bodenzeichnung als choreografisch-räumliches Ordnungsprinzip.127 Für den Ausstellungs-
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scheemaeker (Klarinette), Igor Semenoff (Violin), Jeroen Robbrecht (Viola), Geert De Bièvre (Cello). LUZINA, Sandra: Berliner Volksbühne. Im Strudel der Gegenwart, in: Der Tagesspiegel (22.04.2018), https://www.tagesspiegel.de/kultur/berliner-volksbuehne-im-strudel-d er-gegenwart/21201694.html (15.12.2021). Generell ist »die Kreisfigur ein wiederkehrendes Motiv in De Keersmasekers Choreografien«. WORTELKAMP, Isa: Kreise | Kreisen. Choreographien zwischen Bewegung und Zeichnung (11.04.2018), https://www.philharmonie.lu/de/blog/kreis-kreisen-chor
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raum im WIELS wurde das geometrische Bodenmuster des Bühnenstückes übernommen und in jedem der zwei miteinander verbundenen Säle mit Kreide auf den installierten Tanzboden gezeichnet. Das Kreismuster passte nicht mit seiner gesamten Größe auf die Bodenfläche des hinteren, kleineren Raumes. So sind die Kreise dort nur so weit ausgeführt, wie es vom Platz her möglich war (Abb. 11 und 12).
Abb. 10: Anne Teresa De Keersmaeker, The basic spatial framework of Work/Travail/Arbeid, Zeichnung, Ort und Jahr unbekannt.
Sowohl die Tänzer*innen als auch die Musiker*innen orientieren sich in ihren oft auf Gehen und Laufen basierenden Bewegungen und ihren Positionierungen am grafischen Kreismuster und den -bahnlinien. Durch die zirkulare Struktur des geometrischen Musters ist die Choreografie auf 360 Grad ausgerichtet und nicht nur frontal zu einer Zuschauerseite ausgerichtet. Wirbelartig, mal schneller, mal langsamer, bewegen sich die Tänzer*innen spiralförmig und folgen den Kreislinien entgegen dem Uhrzeigersinn.
eographien/630 (04.11.2021). Siehe auch: DILLON, Brian: The Curve of Time, in: Ausst. Kat. Brüssel: Anne Teresa De Keersmaeker. Work/Travail/Arbeid. Rosas & Ictus, hg. von FILIPOVIC, Elena, WIELS, Rosas & Mercatorfonds, Vol. 3, Brüssel 2015, S. 47–55.
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Abb.11: Anne Teresa De Keersmaeker, Work/Travail/Arbeid, Kreidezeichnung auf dem Boden, 2015, Brüssel, WIELS.
Die 360-Grad-Ausrichtung des Stückes und das kreisförmige Arrangement der Bewegungen erschien für De Keersmaeker ideal, um die Choreografie im Ausstellungssraum zu platzieren, da es durch seine Multifrontalität perspektivisch viel zu bieten hat.128 Wie De Keersmaeker es beim Choreografieren selbst tut, können die Besucher*innen sich inmitten der performenden Tänzer*innen und Musiker*innen begeben und sich zwischen ihnen und im Ausstellungsraum hin und her bewegen, um damit verschiedenste Blickwinkel auf die Bewegungen der Choreografie einzunehmen. Auf diese Weise erlaubt sie den Ausstellungsgästen einen Zugang zu ihrer »Art des Sehens und Choreografierens.«129 Da De Keersmaeker ihr Bühnenstück auseinandernahm und in die einzelnen Kompositionselemente zerlegte, ist es nur folgerichtig, dass die Ausstellung aus denselben Elementen besteht. Hinzukommen ausstellungsbedingte Bestandteile wie die Besucher*innen und der Präsentationsdauer, doch hierzu weiter unten.
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Vgl. FILIPOVIC 2015, S. 17f. FILIPOVIC, Elena/DE KEERSMAEKER, Anne Teresa: Kein Alarm. Wie bringt man ein Tanzstück als neunwöchige Ausstellung ins Museum? 23.04.2015, Frieze Magazine, h ttps://frieze.com/article/work-it?language=de (20.05.2015); vgl. FILIPOVIC 2015, S. 38.
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Abb. 12: Anne Teresa de Keersmaeker, Work/Travail/Arbeid, Planzeichnung, Brüssel, WIELS.
Wie beim Bühnenstück ist Griseys Komposition Vortex Temporum musikalischer Ausgangspunkt; es sind ebenso die sechs Musiker*innen plus der Dirigent Georges-Elie Octors des Ictus Ensembles, die ein kleines Chamber Ensemble mit Flöte, Klarinette, Violin, Viola, Cello und Piano bilden, welche wäh-
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rend der gesamten Ausstellungslaufzeit immer wieder die Komposition Vortex Temporum von Gérard Grisey spielten. Um die für eine choreografische Arbeit ungewöhnliche mehrwöchige Dauer erfüllen zu können, wurde für die Ausstellung im WIELS von einer Vortex Temporum-Besetzung (sieben Rosas-Tänzer*innen) auf eine zweite Besetzung aufgestockt. Für Vortex Temporum und folglich auch für Work/Travail/Arbeid gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Musikerensemble als sehr eng. Der Produktionsprozess eines De Keersmaeker-Stückes beinhaltet generell eine intensive, analytische Auseinandersetzung mit den musikalischen Kompositionen. Der Dirigent Georges-Elie Octors dirigierte nicht nur, sondern lehrte die Tänzer*innen, Griseys Partitur zu analysieren.130 Musiker*innen und Tänzer*innen studierten die Noten und die einzelnen Stimmen der Komposition gemeinsam. Ihre Choreografie entwickelte De Keersmaeker basierend auf Griseys komplexer Komposition. Wie in En Attendant (2010) zur Musik von Ars subtilior und Cesena (2011) nahm De Keersmaeker eine direkte Paarung von Tänzer*innen und Musiker*innen vor. Jeder oder jede Tänzer*in wurde mit einem oder einer Musiker*in und dem dazugehörigen Musikinstrument verbunden.131 Genauso wurde es für Work/Travail/Arbeid übernommen. Die Tänzer*innen verknüpfen ihre Bewegungen nicht nur mit dem instrumentellen Part, sondern interpretieren auch die physischen Gesten, die der oder die Musiker*in beim Instrument spielen ausführt. Das Musik machen, was an sich durch Bewegung mit und an dem Instrument entsteht, wurde wiederum in Bewegungsmuster übertragen: Für die Tänzer*innen, die mit den Streichinstrumenten verbunden sind, sind die Arme dominant; das Atmen ist für das Spielen von Blasinstrumenten ausschlaggebend und somit auch für die damit gepaarten Tänzer*innen; das über die Tasten hüpfende Pianospiel verbildlicht sich durch das Springen132 , was der sich drehende, springende und hüpfende Tänzer Carlos Garbin im Dialog mit dem Pianisten Jean-Luc Plouvier verkörperlichte. 130 CVEJIĆ 2015, S. 8. 131 Carlos Garbin wurde mit dem Piano (2. Besetzung: Gabriele Schenker), Cynthia Loemij mit der Flöte, Marie Goudot mit der Klarinette, Boštjan Antončič mit der Violine, Julien Monty mit der Viola und Michael Pomero mit dem Cello verbunden. 132 Vgl. CVEJIĆ 2015, S. 13. »not only the dancers associate their movements with the instrumental part in the written score, but they also interpret the physical gestures of playing music. Hence, the gestures of arms will be prominent for dancers coupled with the strings, or breathing with the wind instruments, or jumping with the percussive cascades of the piano.«
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Hierzu erläutert Bojana Cveijc Musikwissenschaftlerin und Dramaturgin von Vortex Temporum: »dancers become the firsthand perceivers of the music. They offer us, the audience, a window to see music through movement.«133 . Jeder Tänzer oder jede Tänzerin ist zudem einem der sechs großen »basic circles« des Bodenmusters zugeordnet. Sie laufen dreimal ihren Kreis ab und bewegen sich dann über das »Auge«, was sich aus den Schnittschnellen der anliegenden Kreise ergibt, hinüber zum nächsten. Dem zentralen Hauptkreis sind zwei Tänzer zugeordnet, Carlos Garbin und Igor Shyshko.134 Als weiteres Raumorientierungselement zu den »basic circles« kommt das »Magic square« hinzu, das aus neun Raumpunkten besteht und wie De Keersmaeker selbst beschreibt, Punkte und Richtungen im Raum bestimmt sowie die »Körperarchitektur« (»bodily architecture«) räumlich ausrichtet (Abb. 13).135
Abb. 13: Anne Teresa de Keersmaeker, Basic circles + Magic Squares, Zeichnung, Ort und Jahr unbekannt.
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CVEJIĆ, Bojana: Vortex Temporum, or choreographing the sensible of the music. Interview with Anne Teresa De Keersmaeker, in: DIES. 2015, S. 9–14, hier S. 12. Vgl. Gespräch mit Femke Gyselinck, 29.07.2016 in Darmstadt, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel VII). Anne Teresa De Keersmaeker in CVEJIĆ 2015, S. 13.
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Das magische Quadrat liefert die räumliche Ausrichtung für die Basisbewegungsphrase, welche unabhängig von der Musikkomposition entwickelt wurde und auf welche die Choreografie von Vortex Temporum und somit auch von Work/Travail/Arbeid in großen Teilen aufbaut.136 Diese Phrase besteht aus 22 simplen Bewegungen. Sie orientiert sich an der Wirbelsäule, beginnt mit Bewegungen des Brustbeines und entwickelt sich mit in den Raum weisende Körperausrichtungen.137 Von dieser Bewegungsabfolge ausgehend entwarfen die Tänzer*innen ihre eigenen Versionen. Die festgelegte Bewegungsphrase erweitert oder verändert sich im Laufe der Zeit, in der sich die Choreografie entfaltet. Mal werden die Bewegungen größer, mal kleiner und mal weiter. Die Tänzerin Chrysa Parkinson erläuterte hierzu: »Twenty-two movements of the elemental phrase that we refer to as a common thematic framework, but then there are other movements, derivations and deviations that can change.«138 Und Tänzerin Cynthia Loemij ergänzte: »The choreography will write itself until the end. And when we begin to perform it, the movements will become more individuated, because we will have more nuances of interpretation that will build a stronger relation to the dance material.«139 Neben der räumlichen Erweiterung durch ein zweites Bodenmuster im hinteren Saal und der choreografischen Adaption, gab es die größten Veränderungen im zeitlichen Ablauf. Die einstündige Bühnenaufführung transformierte De Keersmaeker in eine neunwöchige Ausstellungsperformance. Dies gelang ihr, indem sie das Bühnenstück in die einzelnen Instrumentenstimmen und den damit gepaarten Tänzer*innen zerlegte und diese neu gruppierte. So wurde Vortex Temporum jede Stunde während der Öffnungszeiten vom ersten bis zum letzten dritten Satz erneut gespielt und getanzt. Es rangierte von einem oder einer Musiker*in und dem oder der dazugehörigen Tänzer*in über zwei und drei bis hin zum gesamten Ensemble mit sechs Instrumenten und den mit ihnen korrespondierenden vierzehn Tänzer*innen als sogenanntes »Tutti«, was dem Bühnenstück am ähnlichsten kam.140 Wie 136
Es ist Bewegungsmaterial, was De Keersmaeker selbst entwickelt hat und das alle Tänzer*innen teilen. Vgl. CVEJIĆ 2015, S. 7. 137 Vgl. CVEJIĆ, Bojana: »We are the music played by the instruments«, DIES. 2015, S. 55–59, hier S. 56f. 138 Chrysa Parkinson in ebd. S. 57. 139 Ebd. 140 Bojana Cvejić beschrieb den Ablauf wie folgt: »Each hour exhibits the same choreography and music from the point of view of one, two, or three parts, where the bodies of musicians and dancers regroup, ranging from, for example, the cello player and
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in der Bühnenversion beginnen erst die Musiker*innen den ersten Satz zu spielen und dann folgen die mit den jeweiligen Instrumenten verbunden Tänzer*innen mit ihren Parts ohne Musik. So erlebte man bspw. den Cellospieler erst allein spielend und daraufhin den mit ihm gepaarten Tänzer ohne Musik seinen Part tanzend. Und danach beide miteinander den dritten und zweiten Satz performend. Bei meinem Ausstellungsbesuch erlebte ich die Cello- und Bratschespieler zusammen und dann die zwei mit den Instrumentenstimmen verbundenen Tänzer Michael Pomero und Julien Monty (Erstbesetzung). Im zweiten und dritten Satz performten diese zwei Musiker und zwei Tänzer zusammen. Als eine Anpassung der Choreografie an die zwei Räume ergänzte sich die Gruppierung aus Tänzer*innen und Musiker*innen mit einem weiteren dritten Tänzer, der zunächst seinen Part im Hinterraum performte. Im nächsten Zyklus-Abschnitt folgte daraufhin Flöte, Klarinette und Piano mit den jeweiligen drei Tänzer*innen. Was daraus entstand, war eine Art Wiederholungsschleife, die nach einem zuvor festgelegten Zwölfstundenzyklus wieder von vorne begann.141 Doch bedeutete dies nicht, dass man zweimal das Gleiche sah, da sich niemals ein und dieselbe Situation innerhalb der neun Wochen wiederholte. Das liegt in den folgenden Faktoren begründet: Aus sechs Instrumenten und vierzehn mit ihnen korrespondierenden Tänzer*innen ergaben sich unzählige Kombinationen aus Soli, Duetten, Trios bis hin zum Tutti. Und auch wenn sich die Reihenfolge der stündlich gezeigten Instrumentenstimmen von Vortex Temporum nach dem Zwölfstundenzyklus als idealem Ablauf richtete, wurde dieser fast täglich an gegebene Umstände angepasst. So wurde bei Krankheit oder Ähnliches bspw. das Cello mit der Klarinette ersetzt oder von einem Duett zu einem
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it’s respective dancer; to three dancers with three musicians playing piano, flute, and clarinet; to the entire ensemble, with six musicians and the conductor and fourteen dancers corresponding to the six instruments.« CVEJIĆ, Bojana: Dance in Earnest: On Time and Attention in Work/Travail/Arbeid, in: Ausst. Kat. Brüssel, Anne Teresa De Keersmaeker. Work/Travail/Arbeid. Rosas & Ictus, hg. von FILIPOVIC, Elena/ WIELS/Rosas & Mercatorfonds, Bd. 3, Brüssel 2015, S. 11–23, hier S. 12. Gespräch mit Femke Gyselinck, 29.07.2016 in Darmstadt, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel VII). Ursprünglich sollte ein 9-stündiger Zyklus entstehen, doch aufgrund der hohen körperlichen Belastung und dem körperlichen Einsatz der Tänzer*innen entschied man sich für einen 12-Stunden Zyklus. (Im ersten Band des Ausstellungskatalogs ist auch noch vom 9-Stundenzyklus und im dritten Band, der nach Ausstellungsende veröffentlicht wurde, dann vom 12-Stundenzyklus die Rede. Siehe: Ausst. Kat. Brüssel 2015).
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Solo gewechselt.142 Zudem war der Zwölfstundenzyklus bewusst nicht mit den Öffnungszeiten des Ausstellungshauses synchronisiert, sodass an jedem Tag zur gleichen Stunde ein anderer Zyklus-Abschnitt gezeigt wurde. Ferner ist es von einer Tanz-Performance zur nächsten per se unmöglich, ein und dieselbe Performance zu erleben, da sich die vielen einzelnen Bestandteile stets verändern und nie dieselben sind. So fasste Douglas Crimp die sich ständig verändernden Parameter der Ausstellungssituationen von Work/Travail/Arbeid mit treffenden Worten zusammen: »[…] because a dance is never the same from one performance to the next and, in this case, because the natural light of the galleries is not the same from moment to moment, nor are the spectators the same, nor their number, nor their attentiveness, nor their relative stasis or mobility.«143 Im Gegensatz zum Bühnenstück wurde das Nachzeichnen der Kreidekreise zum Teil der Ausstellungsperformance. Für die Bühnenversion existierte das grafische Kreidekreismuster schon vor der Aufführung, das durch die Tänzer*innen und Musiker*innen belebt wurde. In Work/Travail/Arbeid zeichnen zwei Tänzer*innen vor jedem Beginn des nächsten einstündigen Zyklusabschnittes die Kreidekreise im Ausstellungsraum selbst nach. Durch die stündliche Wiederholung wurde das Nachmalen zum einen zu einer Art Ritual und zum anderen wie eine Art Pause benutzt. Auch wenn man das Musikstück Vortex Temporum nicht kennt oder den Anfang und das Ende der Komposition nicht auseinanderhalten kann, war klar, dass zu jeder vollen Stunde ein neuer Abschnitt begann, der sich eben durch den Akt des Nachmalens des geometrischen Kreidemusters offenbarte. Alles in De Keersmaekers Live-Tanz-Ausstellung ist choreografisch festgelegt, detailliert inszeniert und nichts ist improvisiert, auch die (Fort)Bewegungen der Musiker*innen durch den Raum, sowohl auf der Bühne als auch im Ausstellungsraum, das Ausziehen und Eintreten der Tänzer*innen und ebenso das Nachzeichnen der Kreidelinien.144
142 Vgl. ebd, S. 242. 143 CRIMP, Douglas: Relocating Rosas, in: Ausst. Kat. Brüssel: Anne Teresa De Keersmaeker. Work/Travail/Arbeid. Rosas & Ictus, hg. von FILIPOVIC, Elena, WIELS, Rosas & Mercatorfonds, Vol. 3, Brüssel 2015, S. 81–103, hier S. 102. 144 Vgl. Gespräch mit Femke Gyselinck, 29.07.2016 in Darmstadt, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel VII).
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Als Pendant zur schwarzen Kleidung für Vortex Temporum als Bühnenpräsentation im dunklen Theater wählte De Keersmaeker weiße, beige und hellfarbene Kostüme für den lichtdurchfluteten Ausstellungsraum und folgte ihrer Vorliebe für den Ton-In-Ton-Effekt mit der Umgebung, der eine Verschmelzung der Tänzer*innen mit dem Raum zulässt (Abb. 14).145 Passend für den Vergleich einer Black Box-Version mit der Ausstellungsversion im White Cube, auch wenn man bei der Architektur des WIELS, eine ehemalige Brauerei und damit ein postindustrielles Gebäude, nicht vom klassischen White Cube (hierzu s. Kapitel 2.2.1) sprechen kann. Die Musiker*innen trugen wie auch für die Bühnenversion Alltagskleidung (Abb. 15).
Abb. 14 und 15: Anne Teresa de Keersmaeker, Work/Travail/Arbeid, Brüssel, WIELS, 6. Mai 2015 (Foto links) und 21. März 2015 (Foto rechts).
Als Verfechterin des reduktiven Ansatzes war es nur konsequent, auch im Ausstellungsraum so wenig wie möglich zu intervenieren. Keine zusätzlichen Wände sollten eingezogen werden und anstatt einer Verdunklung der Fenster – wie es oft für Kunstausstellungen der Fall ist, um bspw. Gemälde vor Lichteinfall zu schützen – entschied sich De Keersmaeker für eine Öffnung zum Außenraum hin. Die großen Industriefenster wurden nicht verdeckt, sodass Tageslicht den Ausstellungsraum erhellte. De Keersmaeker ließ die museumstypische Fensterverdunklung entfernen, um natürliches Licht hineinzulassen, das sich in Abhängigkeit zur Uhrzeit und Jahreszeit stetig veränderte und damit auch die Atmosphäre gravierend beeinflusste. Zwei pure, kahle Räume, die durch das Tageslicht durchflutet wurden (s. Abb. 16 und 17). Die bildende Künstlerin Ann Veronica Janssens assistierte De Keersmaeker bei den Entscheidungen zum neutralen, minimalistischen Ausstellungssetting. De Keersmaeker betonte den Einfluss der architektonischen 145
Vgl. FILIPOVIC/DE KEERSMAEKER 2015.
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Gegebenheiten auf ihre Arbeit.146 So wurden bspw. die Auswahl der Kostüme, die Entscheidung für das natürliche Licht und auch die Verdoppelung der Kreidekreise in Zusammenhang mit der Architektur des WIELS getroffen.
Abb. 16 und 17: Anne Teresa de Keersmaeker, Work/Travail/Arbeid, Brüssel, WIELS, 9. Mai 2015 (Foto links) und 6. Mai 2015 (Foto rechts).
Vortex Temporum wurde für eine Guckkastenbühne und damit für ein vor der Bühne sitzendes Publikum kreiert. Zuschauer*innen und Tänzer*innen sind räumlich voneinander getrennt. Als Rezipientin von Vortex Temporum, auf einem Stuhl im Zuschauerraum vor der Bühne sitzend, lenkte mich kaum etwas ab. Ich erlebte und beobachtete wie die Musiker*innen mit überwältigenden, impulsiven Gesten und Bewegungen ihre Instrumente spielten, um Griseys Komposition gerecht zu werden. Mein Blick war hier im Theater viel stärker als im Ausstellungsraum auf die spielenden Musiker*innen gelenkt.147 Als Besucherin der Ausstellung konnte ich mich frei durch den Raum bewegen und selbst entscheiden, wo ich stehen oder sitzen, wen ich beobachten und wem ich zuschauen möchte (ob Tänzer*innen, Musiker*innen, die Ausstellungsaufsicht, die Choreografin oder andere Ausstellungsgäste), mit wem ich in Interaktion trete, wie lange ich bleibe, ob mehrere Stunden am Tag mit oder ohne Unterbrechungen oder gar täglich. Innerhalb der choreografischen Struktur von Work/Travail/Arbeid werden die sich frei durch den Raum bewegenden Besucher*innen als ein nicht vollkommen kontrollierbares Element hinzugefügt, auf das die Performer*innen spontan und flexibel reagieren müssen. Diese Besucherfreiheit führt zu einer radikalen Verschiebung hinsichtlich der Zuschauerrolle. Man ist nicht mehr
146 Ebd. 147 Hier beziehe ich mich auf die Vorstellung im Darmstadtium am 29.07.2016 in Darmstadt.
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auf Sitzplätzen im Zuschauerraum fixiert, sondern bewegt sich durch denselben Raum wie die Performer*innen. Der Tanz wird nicht mehr von einer Distanz zur Bühne angeschaut, sondern man hat die Möglichkeit, dicht an die Tänzer*innen heranzutreten, sie gar zu berühren und sie aus der Nähe zu beobachten. Die »Ko-Präsenz«148 der Rezipient*innen und Tänzer*innen ist werkimmanent und die Ausstellung funktioniert als ein von allen Akteuren gemeinsam benutzter Raum. So wie Vortex Temporum ein Stück über Zeit ist, setzt sich auch Work/Travail/ Arbeid mit der Temporalität auf unterschiedlichsten Ebenen auseinander: Der Rahmen einer Ausstellung gibt den Besucher*innen mehr Zeit zur Rezeption und damit zur Beobachtung und zum Verstehen der choreografischen Prinzipien. Man erhält die Möglichkeit, sich intensiver der Choreografie und dem Tanz zu widmen. Während eines einstündigen Stückes, das man meist zum ersten Mal sieht, hat man als Zuschauer*in gar nicht die Zeit, die komplexen Strukturen des choreografischen Stückes aufzunehmen und zu erkennen. Erst die Wiederholung der Bewegungen und Strukturen erlaubt es den Besucher*innen, mehr zu sehen und zu verstehen.149 Auch die zusätzliche Vermittlungsarbeit, die angebotenen Workshops erlauben es, tiefer in die choreografisch-künstlerische Praxis von de Keersmaeker und ihren Tänzer*innen einzutauchen.150 Für De Keersmaekers Ausstellungsprojekt wurde das Bühnentanzstück Vortex Temporum aus seinem ursprünglichen Theaterkontext in ein Beziehungsgeflecht der bildenden Kunst transferiert. De Keersmaekers künstlerische Bühnenarbeit wird damit in einen neuen Kontext gestellt. Das ist etwas, was das Präsentationsformat »Ausstellung« bieten kann, was als dessen Stärke und zugleich als Schwäche bewertet wird.151 Die Struktur der ursprünglichen Bühnenperformance löst sich auf und zerlegt sich in Einzelteile, die durch ihre neu kombinierte Aneinanderreihung eine neue choreografische Arbeit entstehen lassen. Die Zerlegung in die 148 FISCHER-LICHTE 2004, S. 82. 149 Vgl. Gespräch mit Femke Gyselinck, 29.07.2016 in Darmstadt, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel VII). 150 Vgl. ebd., S. 239. 151 Hantelmann bspw. fasst die Flexibilität der Ausstellung und die damit verbundene Möglichkeit eines Kontextwechsels als eine Stärke und zugleich Schwäche auf. Sie beschreibt es anhand eines Altargemäldes, dass von einer ursprünglichen sakralen Ordnung herausgelöst wird und im Museum durch das Präsentationsformat der Ausstellung neue unterschiedliche Bezüge eingeht. Vgl. HANTELMANN 2012, S. 12.
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einzelnen Stimmen offenbart, wie das Stück Schicht für Schicht aufgebaut wurde. Das Ausstellungsformat gibt die Möglichkeit, die Arbeitsvorgänge der Choreografin und ihren Tänzer*innen aufzuzeigen und offenzulegen. Insbesondere in Brüssel gehört es zur Arbeits- und Alltagswelt auf drei Sprachen (Englisch, Französisch und Niederländisch) zu kommunizieren, was direkt im Ausstellungstitel mit Work/Travail/Arbeid aufgegriffen wird. Auch wenn der Titel metaphorisch gemeint ist, kann er zugleich im wahrsten Sinne des Wortes aufgefasst werden.152 Denn was hier ausgestellt wird, ist echte menschliche körperliche Arbeit von darstellenden Künstler*innen und damit eine Dienstleistung, die bezahlt wird. Je mehr Zeit gebraucht wird, umso teurer ist die getätigte Leistung.153 Für De Keersmaeker war es wichtig, ihre Arbeit als Choreografin und damit ihre Art und Weise der choreografischen Praxis auszustellen. Durch die Fusion mit dem Ausstellungsformat können sich die Besucher*innen die Choreografin-Brille aufsetzen, wie De Keersmaeker es beim Choreografieren selbst tut und sich inmitten der Tänzer*innen und Musiker*innen begeben. Auf diese Weise ist es möglich, den sich entfaltenden Tanz von verschiedensten Blickwinkeln zu betrachten und zu erleben. Die Besucher*innen schauen den Tänzer*innen bei ihrer Arbeit zu, sie performen in diesem Fall eine Ausstellung. Man kann sehen, wie sie sich körperlich anstrengen, wie sie schwitzen, wie sie sich konzentrieren und wie sie miteinander sowie mit der Umgebung interagieren. Was man jedoch nicht sieht, ist, wie sie sich aufwärmen, wie sie proben, wie sie sich vorbereiten.154 Zumindest war dies nicht im WIELS möglich, doch in der Turbinenhalle der Tate Modern gab es die Gelegenheit, bei den Proben von der Brücke aus zuzuschauen.
5.3.2 Vergleich mit der Tate Modern-Version von Work/Travail/Arbeid Nachdem die neunwöchige Präsentation von Work/Travail/Arbeid in Brüssel ihr Ende fand, folgten weitere, kürzere Versionen an anderen Präsentationsorten: Im Centre Pompidou in Paris (2016), in der Tate Modern in London (2016), im MoMA in New York (2017), im Mudam in Luxemburg (2018) und der Volksbühne Berlin (2018).155 Dabei erforderte jeder neue Ausstellungsort eine er152 153 154 155
Vgl. FILIPOVIC/DE KEERSMAEKER 2015. Ebd. Vgl. E-Mail-Interview mit Gabriel Schenker, 05.11.2019, siehe Anhang (Kapitel VII). Alle Versionen, waren zwar mehrtägig, jedoch nicht mehrwöchig wie die Originalversion: Neun Tage im Centre Pompidou, Paris, vom 26.02.-06.03.2016; 08–10.07.2016 Tate Modern, London; 29.03-02.04.2017 im MoMA, New York (5 Tage); 14–15.04.2018 im
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neute Anpassung dieses tanzkünstlerischen Werks an die örtlichen Rahmenbedingungen, sodass mit jeder weiteren Ausstellungsversion von Work/Tavail/ Arbeid eine neue, ortsbezogene choreografische Arbeit entstand. Dieser Zusammenhang wird im Folgenden anhand eines Vergleichs der Version in der Tate Modern mit der Brüsseler Originalfassung veranschaulicht. Dabei beziehe ich mich zum einen auf eigene Beobachtungen, die ich beim Ausstellungsbesuch von Work/Travail/Arbeid in London machte, und zum anderen auf Publikationsbeiträge. Beobachtungsbeschreibung eines kurzen Augenblicks, Tate Modern, 9. Juli 2016: Es ist ein früher Samstagmorgen, an dem ich die weitreichende Turbinenhalle betrete. Während ich die Schräge des Eingangsbereichs heruntergehe, entdecke ich eine Menschenmasse, die meine Sicht auf den hinteren Teil der Turbinenhalle verdeckt. Nun dort bei den Zuschauer*innen angekommen, erblicke ich endlich eine Tänzerin, die entlang einer großen kreisförmigen und auf den Boden gezeichneten Kreidelinie rennt. Zeitgleich spielt auf der anderen Seite des Performance-Raumes eine Musikerin auf ihrer Querflöte. Sie beobachtet wie wir die Tänzerin und erzeugt dabei leise sanfte Töne, die an einen flüsternden, pfeifenden Wind erinnern. Andere Museumsbesucher*innen schauen dem Geschehen vor den Kanten des Tanzbodens sitzend oder stehend zu, andere blicken aus weiter Ferne von der Brücke, von oben aus auf die Szenerie, andere wenige wiederum befinden sich direkt auf dem Tanzboden, sitzend, beobachtend oder sich selbst umherbewegend. So auch ein Kleinkind, das nicht dieselbe Distanz hält wie die anderen rücksichtnehmenden Zuschauer*innen. Der kleine Junge krabbelt, steht dann auf und bewegt sich mit wackeligen Schritten auf die Tänzerin zu, fällt wieder um und hebt seine Arme Richtung Tänzerin. Das Kleinkind wird Teil der Szene, mit der Tänzerin interagierend, während diese sich spiralförmig durch den Raum bewegt, dann stoppt, sich kurz nicht bewegt, dann ihren Oberkörper mit Gesicht zum Boden gerichtet beugt, langsam ihren Torso dreht, während ihr Blick dem des kleinen Jungen begegnet. Ende
Mudam, Luxembourg City (2 Tage); 26–29.04.2018 Volksbühne, Berlin – hier diesmal auf einer Bühne – jedoch entsprach es der Situation im Museum – gleicher Raum für Performer*innen und Besucher*innen.
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Dies war einer von vielen Momenten der choreografischen Ausstellung Work/ Travail/Arbeid aus eigener Besucherperspektive. Und auch wenn es sich dabei um einen kurzen Augenblick handelt, zeigt der Ausschnitt, dass das architektonische Setting ein ganz anderes war als in Brüssel. Die Tate-ModernVersion, die im Juli 2016 in der Osthälfte der Turbinenhalle stattfand, war eine höchst komprimierte Fassung der neunwöchigen Originalversion.156 Work/ Travail/Arbeid war in London an drei Tagen für nur insgesamt 22 Stunden für das Publikum geöffnet. Wer die Turbinenhalle des Tate Modern kennt, weiß, dass diese postindustrielle Architektur enorme Dimensionen mit 3.300 Quadratmetern Fläche und 26 Meter Höhe aufweist. Für Work/Travail/Arbeid wurde der Tanzboden in der Osthälfte der Turbinenhalle installiert und war viel größer, weitreichender als die ursprüngliche Performancefläche im WIELS (s. Abb. 18). Anstelle von zwei Bodenkreismustern füllten drei mit Kreide gezeichneten Kreisfiguren die gesamte Tanzfläche. Dadurch vergrößerten sich auch die Laufbahnen der Tänzer*innen. Die nun viel weiteren Wege von einer Position zur anderen im Raum oder von einem Bodenkreismuster zum nächsten führten zu einer schnelleren körperlichen Erschöpfung der Tänzer*innen. Sie mussten mit dieser neuen Situation umgehen und ihren Energiehaushalt anpassen. Auf die Frage »Was verändert sich aus Sicht der Tänzer*innen von Version zu Version?«, antwortete Gabriele Schenker, der in allen Work/Travail/Arbeid-Fassungen tanzte: »From the performer’s perspective, the amount of energy shifts as well. While in the Wiels we’d dance more often because of the regular doublings of roles, in Pompidou the floor pattern was stretched making us have to dance and run more and wider and at the Tate having to run like crazy at some points to shift from pattern to pattern. The MoMA was perhaps the easiest in this respect, the most contained and theatre-like.«157
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Die Endproben für Work/Travail/Arbeid fanden vor Ort in der Turbinenhalle statt. Zwar durften Tate-Besucher*innen währenddessen nicht den Performanceraum betreten, doch war eine gute Sicht bspw. von der Brücke und damit aus Vogelperspektive auf das Probengeschehen möglich. Öffentliche Probensituationen gab es im WIELS nicht. Anders hätte man es in der riesigen Turbinenhalle, die auf der Westseite zugleich als einer der Eingänge Tate Moderns dient und die Brücke als Übergang von einem Komplex zum anderen funktioniert, gar nicht anders organisieren können. E-Mail-Interview mit Gabriel Schenker, 05.11.2019, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel VII).
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Zudem erschwerte die riesige Halle die Kommunikation zwischen Tänzer*innen und Musiker*innen. Während des ganzen Geschehens im Museumsraum durchgehend in intensiver Verbindung mit dem zugeordneten Musiker oder der Musikerin zu bleiben, ist ohnehin von vornherein eine Herausforderung für jeden Tänzer oder jede Tänzerin.158 Musikverstärker mussten eingesetzt werden, sodass die live gespielte Musik nicht vom hohen Raum und den Alltagsgeräuschen in der Halle geschluckt wurde.159 Das Wichtigste hierbei war, dass es dennoch so natürlich wie möglich klang.
Abb. 18: Anne Teresa de Keersmaeker, Work/Travail/Arbeid (aus der Vogelperspektive), 2016, London, Tate Gallery of Modern Art, Turbinenhalle.
De Keersmaeker transformierte den für die Brüsseler Version entwickelten Zwölfstundenzyklus in einen Zehnstundenbasiszyklus, der damit also aus zehn Einheiten aus je einer Stunde bestand und unter besonderen Umständen
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Cynthia Lomeij schreibt im E-Mail-Interview hierzu: »The challenge as a a dancer is to stay very connected to the musician we are linked to, to include the space and the people, but not be distracted and to stay true to the choreography when in smaller constellations.«, 22.01.2020, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel VII). Vgl. Telefongespräch mit Carlos Garbin, 29.01.2020, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel VII).
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auch variabel angepasst wurde.160 Wenn sich ein Tänzer oder eine Tänzerin verletzte, so wurde bspw. eine Einheit durch eine andere mit einem anderen Tänzer oder einer anderen Tänzerin ersetzt. In der Tate-Modern-Version gab es an jedem Ausstellungstag einmal einen »Super Tutti« für den zusätzlich zu den zwei Besetzungen drei junge P.A.R.T.S-Tänzer*innen hinzukamen, sodass insgesamt 20 Personen diesen Part tanzten.161 Das, was im WIELS sehr intensiv erarbeitet wurde, ist hier aus Vogelperspektive besser zu beobachten. Choreografische Entscheidungen brechen bewusst die sich immer wieder bildenden Besucherkreise auf. Die Tänzer*innen bewegen sich von einem Vortex zum anderen und laufen durch die Zuschauergruppen hindurch oder an ihnen vorbei. Die Besucher*innen folgen ihnen meist, um weiter zusehen zu können.162 Im WIELS gab es durch die räumlichen Gegebenheiten (zwei miteinander verbundene Ausstellungsräume) nur die eine Möglichkeit, den Raum mit den Performer*innen zu teilen, solange sie die Ausstellung nicht wieder verlassen wollten. Besucher*innen und Tänzer*innen teilten sich dieselbe Raumebene, sodass die Ausstellungsgäste automatisch und kontinuierlich als Teilnehmer*innen wesentlicher Bestandteil der fortlaufenden Tanz-Performance waren. In der Turbinenhalle hingegen gab der architektonische Raum die Möglichkeit, zwischen vielen verschiedenen Beobachtungsstandpunkten und Zuschauer- oder Teilnahmepositionen zu wählen: Der Rand zwischen dem grauen eingezogenen Tanzboden und den Wänden der Turbinenhalle lud dazu ein, sich genau hier als passive Zuschauer*innen zu positionieren, um nicht – wie es mitten auf der Tanzfläche die »Gefahr« ist, – den Tänzer*innen im Weg zu stehen oder eine Position einzunehmen, welche womöglich ungewollt die Aufmerksamkeit der anderen zuschauenden Museumsbesucher*innen auf sich zieht. Oder sie konnten, wie eigentlich von der Live-Tanz-Ausstellung intendiert, den Tanzboden betreten und die Aufführung inmitten der Tänzer*innen und Musiker*innen stehend, sitzend oder sich mit ihnen über die Fläche bewegend verfolgen (s. Abb. 19). Die Sicht von oben, aus Vogelperspektive von der Brücke aus, die sich auf der Höhe des ersten Stocks der Tate Modern befindet, erlaubte einen Überblick über die gesamte Performancefläche und dem darauf
160 Vgl. Gespräch mit Femke Gyselinck, 29.07.2016 in Darmstadt, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel VII). 161 Ebd. 162 Ebd.
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stattfindenden Geschehen (s. Abb. 20). Von diesem Platz aus war gut zu beobachten, wie sich die choreografische Arbeit als Organisation in Raum und Zeit entfaltete.163
Abb. 19 und 20: Anne Teresa de Keersmaeker, Work/Travail/Arbeid, 2016, London, Tate Gallery of Modern Art, Turbinenhalle.
Durch die vielzähligen architektonisch bedingten Positionierungsmöglichkeiten besaßen die Besucher*innen im Tate Modern die Freiheit zwischen einem aktiven Teilnahmeverhalten, also sich direkt auf die Tanzfläche begebend, und einem theaterähnlichen Zuschauerverhalten am Rande des Tanzbodens oder auf der Brücke stehend und mit Distanz das Geschehen auf der Performancefläche beobachtend zu wechseln. Diese Rezeptionsoptionen ließen die Verhaltenskodexe von Theaterzuschauer*innen und Museumsbesucher*innen verschwimmen.164 Den Einfluss der architektonischen Gegebenheiten des Präsentationsrahmens auf das (Rezeptions-)Verhalten bestätigt auch Gabriel Schenker, der das Geschehen im Raum aus Tänzerperspektive beobachtete:
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De Keersmaeker versteht das Choreografieren als die Organisation von Bewegung in Raum und Zeit. Vgl. AUBIN/DE KEERSMAEKER 2016. 164 Dorothea von Hantelmann reflektiert über das Theater und das Museum sowie die Ausstellung als kulturelle Formate, ebenso wie über die Besucherrollen und damit verbundenen Verhalten von Zuschauer und Museumsbesucher, siehe: HANTELMANN, Dorothea von: When You Mix Something, It’s Good to Know Your Ingredients: Modes of Addressing and Economies of Attention in the Visual and Performing Arts, in: GRONAU, Barbara/HARTZ, Matthias von/HOCHLEITER, Carolin (Hg.): How To Frame. On the Threshold of Performing and Visual Arts, Berlin 2016, p. 49–53.
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»From the inside it felt that the audience behaviour was very much shaped by the different spaces, WIELS pushing for close proximity as opposed from the Tate for instance where we had an enormous space«.165 Die architektonische Aufteilung und die Art der Institution sowie ihr Status bestimmen die Publikumszusammensetzung, was automatisch auch die Atmosphäre einer Ausstellung beeinflusst. Die Tate Modern-Turbinenhalle ist neben seiner Funktion als Kunstpräsentationsort (Osthälfte) zugleich Eingangsbereich (die Westhälfte). Unterschiedliche Museumsbereiche sind durch die Halle miteinander verbunden, was zu viel Durchlaufbesucher*innen führt, die bei Work/Travail/Arbeid vielleicht kurz zuschauten, eventuell dann spontan länger blieben oder einfach weitergingen. Rosas-Tänzerin Cynthia Loemij beschrieb die Atmosphäre als »it felt very much as a passage, noisy and enormous, less concentrated«.166 Des Weiteren ist die Tate Modern ein weltweit bekanntes Museum für moderne und zeitgenössische Kunst. Es gehört als Programmpunkt auf die Londoner Sightseeing-Liste. Dadurch gab es viele Ausstellungsgäste, die nicht speziell für Work/Travail/Arbeid das Museum besuchten, sondern vielmehr wegen der Sammlung oder zum Abhaken ihres Sightseeing-Programms vorbeikamen. Im WIELS herrschte kein Besucherdurchfluss zu anderen Ausstellungsräumen, da Work/Travail/Arbeid in einem von den übrigen Räumen abgetrennten Ausstellungsbereich stattfand. Diese Beobachtungen bestätigte auch Tänzer Gabriel Schenker: »Wiels was the most concentrated one in the sense that people were there only to see this work. This was somehow similar in Pompidou but adding the people passing on the street. In MoMA and Tate there were a lot more »passers-by« bringing in a different atmosphere.«167 Dieses Kapitel stellt mit dem Vergleich der beiden Ausstellungsversionen deutlich dar, dass der räumliche und zeitliche Rahmen einen bezeichnenden Einfluss auf das Erscheinungsbild und die Wahrnehmung der choreografischen Arbeit besitzt. Dieses Phänomen der Umpositionierung eines performativen 165
E-Mail-Interview mit Gabriel Schenker, 05.11.2019, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel VII). 166 E-Mail-Interview mit Cynthia Loemij, 22.01.2020, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel VII). 167 E-Mail-Interview mit Gabriel Schenker, 05.11.2019, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel VII).
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Stückes in einen anderen Ortskontext bestätigt auch von Bismarck, die es anhand des Gray Rooms von Archizone erläuterte: »Jede Präsentation und Neupräsentation impliziert damit gewandelte Beziehungen aller an der Ausstellung beteiligten Elemente untereinander.«168 Zu den sich veränderten Elementen von Work/Travail/Arbeid zählen u.a., hier noch einmal zusammengefasst: Die Dauer der Live-Tanz-Ausstellung; die Architektur als rahmende Umgebung, was eine vergrößerte Tanzbodenfläche mit sich zog; dazu das aus drei statt zwei Kreisfiguren bestehende Bodenmuster, was wiederum zu weiteren Laufbahnen für die Tänzer*innen führte und eine Erweiterung der Kommunikation mit den Musiker*innen durch Technik (Musikverstärker) erforderte; zudem veränderte sich durch die architektonischen Gegebenheiten auch das Besucher- und Rezeptionsverhalten; der Zwölfstundenzyklus wurde in einen Zehnstundenzyklus umgewandelt und die Anzahl der Tänzer*innen erhöht. Diese Aufzählung betont nur die wichtigsten Variablen, die jedoch ausreichen, um zu demonstrieren, wie sich Work/Travail/Arbeid durch den Transfer in ein anderes Museum verwandelt. Ich erweitere die Aussage von von Bismarck, indem ich betonen möchte, dass sich nicht nur die Beziehungen ändern, sondern eine neue choreografische Arbeit entsteht, die so in diesem Format mit ihrem Erscheinungsbild nur an dem einen Ort und nirgendwo anders entstehen kann. Ein neuer Präsentationsort geht immer mit einem anderen Kontext einher und kreiert konsequenterweise eine neue, dem Ort angepasste choreografische Arbeit. Durch die Kürzung der Präsentationsdauer von einer mehrwöchigen auf eine dreitägige Ausstellung, hatte die Londoner Version von Work/Travail/Arbeid vielmehr Eventcharakter, als dass es sich wie eine kontinuierliche Ausstellung »anfühlte« und präsentierte. Auch für die Tänzer*innen war die enorme Zeitkürzung und der Ort mit seiner gewaltigen Größe sehr ungewohnt, so Cynthia Loemij hierzu: »The difference between Wiels and Tate was not only the length, but especially the size. In Tate we added dancers so we could have a »super tutti«, a full version with 3 casts at the same time. Wiels became our house after so many weeks, but three days in Tate was not enough to feel at ease.«169 Sowohl das vorherige Unterkapitel als auch dieses bestätigen, dass mit der Fusion aus Tanz und dem Ausstellungsformat viel mehr Variablen einhergehen als bei einem Tanzstück, das klassisch im Theater gezeigt wird. Von Bühne 168 BISMARCK 2018, S. 173f. 169 E-Mail-Interview mit Cynthia Loemij, 22.01.2020, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel VII).
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zu Bühne sind die architektonischen Gegebenheiten meist sehr ähnlich – eine Guckkastenbühne, bei der das Publikum auf Stühlen davorsitzt. Tanz im Format der Ausstellung erfordert eine offenere Struktur, sodass auf die anderen Umstände und Rahmenbedingungen reagiert werden kann.
5.4 20 Dancers for the XX Century von Boris Charmatz 20 Dancers for the XX Century170 ist ein Ausstellungsprojekt von Boris Charmatz und dem ehemaligen Musée de la danse. Der Tänzerchoreograf übernahm 2009 die Leitung des choreografischen Zentrums, das er in das Musée de la danse umwandelte. Als Institution hinterfragte es die Funktionen eines Tanzmuseums der Gegenwart, widersetzte sich klassischen Ausstellungskriterien und setzte neue Ideen in Bewegung. Das Musée de la danse entwickelte kontinuierlich neue Formate für die Präsentation und Vermittlung von Tanz als Kunstform und als Diskussionsgegen-stand. Daraus sind u.a. wichtige Ausstellungsprojekte wie 20 Dancers for the XX Century und expo zéro entstanden. Bevor sich dieses Kapitel der Ausstellung 20 Dancers als ein Fallbeispiel für diese wissenschaftliche Abhandlung widmet, wird zunächst auf das Konzept des Musée de la danse eingegangen. Denn es schafft die institutionelle Grundlage für seine seit 2009 entstandenen Projekte, von denen einige seit 2019 unter Charmatz’ neuem Label Terrain weiterlaufen, erweitert und weiterentwickelt werden.171
5.4.1 Das Musée de la danse »Tanz bietet eine viel größere Bandbreite an Erfahrungen – er kann Diskussionen und Texte auslösen, er kann auf Video betrachtet oder im Internet erfahren werden. Mit dem Musée de la danse wollten wir neue Erfahrungsräume für den Tanz öffnen.«172 Boris Charmatz
170 Im folgenden Text werde ich zur einfacheren Lesbarkeit die Abkürzung »20 Dancers« als Ausstellungstitel nutzen. 171 Mehr zu »Terrain«, siehe: ALMAVI, Gilles: Zu Boris Charmatz Projekt Terrain, in: Broschüre zum Projekt »Terrain | Boris Charmatz: Un essai à ciel ouvert. Ein Tanzgrund für Zürich« am Zürcher Theater Spektakel 2019. 172 CHARMATZ, Boris/TSOMOU, Margarita: Tänzer statt Soldaten oder Gesten gegen die Angst. Über neue Erfahrungsräume für den Tanz (2016), in: Kulturstiftung des Bundes, Das Magazin Nr. 26, https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/de/magazin/magazi
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zu Bühne sind die architektonischen Gegebenheiten meist sehr ähnlich – eine Guckkastenbühne, bei der das Publikum auf Stühlen davorsitzt. Tanz im Format der Ausstellung erfordert eine offenere Struktur, sodass auf die anderen Umstände und Rahmenbedingungen reagiert werden kann.
5.4 20 Dancers for the XX Century von Boris Charmatz 20 Dancers for the XX Century170 ist ein Ausstellungsprojekt von Boris Charmatz und dem ehemaligen Musée de la danse. Der Tänzerchoreograf übernahm 2009 die Leitung des choreografischen Zentrums, das er in das Musée de la danse umwandelte. Als Institution hinterfragte es die Funktionen eines Tanzmuseums der Gegenwart, widersetzte sich klassischen Ausstellungskriterien und setzte neue Ideen in Bewegung. Das Musée de la danse entwickelte kontinuierlich neue Formate für die Präsentation und Vermittlung von Tanz als Kunstform und als Diskussionsgegen-stand. Daraus sind u.a. wichtige Ausstellungsprojekte wie 20 Dancers for the XX Century und expo zéro entstanden. Bevor sich dieses Kapitel der Ausstellung 20 Dancers als ein Fallbeispiel für diese wissenschaftliche Abhandlung widmet, wird zunächst auf das Konzept des Musée de la danse eingegangen. Denn es schafft die institutionelle Grundlage für seine seit 2009 entstandenen Projekte, von denen einige seit 2019 unter Charmatz’ neuem Label Terrain weiterlaufen, erweitert und weiterentwickelt werden.171
5.4.1 Das Musée de la danse »Tanz bietet eine viel größere Bandbreite an Erfahrungen – er kann Diskussionen und Texte auslösen, er kann auf Video betrachtet oder im Internet erfahren werden. Mit dem Musée de la danse wollten wir neue Erfahrungsräume für den Tanz öffnen.«172 Boris Charmatz
170 Im folgenden Text werde ich zur einfacheren Lesbarkeit die Abkürzung »20 Dancers« als Ausstellungstitel nutzen. 171 Mehr zu »Terrain«, siehe: ALMAVI, Gilles: Zu Boris Charmatz Projekt Terrain, in: Broschüre zum Projekt »Terrain | Boris Charmatz: Un essai à ciel ouvert. Ein Tanzgrund für Zürich« am Zürcher Theater Spektakel 2019. 172 CHARMATZ, Boris/TSOMOU, Margarita: Tänzer statt Soldaten oder Gesten gegen die Angst. Über neue Erfahrungsräume für den Tanz (2016), in: Kulturstiftung des Bundes, Das Magazin Nr. 26, https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/de/magazin/magazi
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Charmatz transformierte das Centre chorégraphique national de Rennes et de Bretagne (CCNRB) in das Musée de la danse – ein »living museum of dance«173 . Als Institution und zugleich künstlerisches Projekt vereinte es mit seinem experimentellen innovativen Konzept die Domäne Tanz und das Museum. Sein Entwurf für das Musée de la danse geht aus vorigen Projekten, wie Ouvrée – artistes en alpage hervor und ist eng mit der Schule Bocal verbunden. Charmatz selbst sagt hierzu: »Es ist eine Mischung aus meinem eigenen Werk und anderen Einflüssen« – »ein Reframing von Existierendem«174 . Seine Gründung basierte auf Boris Charmatz’ »Manifesto for a National Choreographic Centre«175 , mit dem er aus den Bewerber*innen für die Leitung des CCNRBs in der bretonischen Stadt ausgewählt wurde. Das CCNRB ist eines von 19 Centres choréographiques nationaux (CCNs), die in Frankreichs Regionen verstreut sind. Diese Zentren gründeten sich ab 1984, was durch das Kultusministerium veranlasst wurde, um auch entfernt von den Großstädten des Landes und vor allem von Paris die Kreation, Ausbildung und Verbreitung des Tanzes zu fördern und damit eine Dezentralisierung zu veranlassen. Das choreografische Zentrum in Rennes war laut Charmatz ein versteckter Ort, der vornehmlich pädagogischen Zwecken sowie zum Proben diente und Residenzen für Tänzer*innen organisierte: »Choreografische Zentren in Frankreich sind ja eigentlich weder Theater noch Schulen. Sie waren zuerst dazu gedacht, die Arbeit eines Choreografen zu unterstützen, und dann, lokale Arbeit zu verrichten, mit Künstlerresidenzen, Pädagogik, Showings, und einem großen Teil an kultureller Arbeit auf gesellschaftlicher Ebene, Entwicklung der choreogr. Kultur, Pädagogik für Schulen oder Gefängnisse.«176
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n_26/taenzer_statt_soldaten_oder_gesten_gegen_die_angst.html (08.04.2020, Link existiert nicht mehr). CHARMATZ, Boris: Manifesto for a National Choreographic Centre, in: Special Issue: Dance in the Museum. Dance Research Journal. Congress on Research in Dance, 46/3, 2014, S. 45–52, hier S. 47. PLOEBST, Helmut: Rennes: Museum für das 21. Jahrhundert. Warum Boris Charmatz ein »Musée de la danse« gegründet hat. Eine Nachfrage (2009), in: Corpusweb.net, htt p://www.corpusweb.net/rennes-museum-fas-21-jahrhundert-4.html (13.06.2016, Link existiert nicht mehr). CHARMATZ 2014, S. 45–52. PLOEBST 2009.
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Charmatz’ Manifest richtete sich mit der Streichung der Worte »Centre«, »Choreo-graphic« und »National« explizit gegen das bisherige Verständnis eines französischen nationalen Zentrums für Choreografie.177 Der Tanzkünstler intendierte über die üblichen Aufgaben eines nationalen Choreografiezentrums hinauszugehen und einen Gestaltwandel der Institution in ein »dancing museum« vorzunehmen: »I would like to put into effect a transfiguration which would give a meaning to the tasks which have been fashioned in the course of the institution’s history. Every activity that takes place would be reviewed through a different prism, a prism that would be able to combine in one single movement the patrimonial and the spectacular, research and creation, education and fun, openness to singular artists and the desire to produce a collective work.«178 Ziel dabei war es, eine »neue Art von öffentlichen Raum«179 für den Tanz und seinen Diskurs zu erschaffen und nicht ein Museum im traditionellen Sinne zu bilden, das – einfach ausgedrückt – Objekte sammelt und ausstellt. Charmatz war es hierbei wichtig, den Museumsbegriff in Bezug auf Tanz zu überdenken. »Was könnte eine Sammlung sein, was heißt Museologie?« und »welchen Zugang haben wir zum Tanz?«180 waren Fragen, die ihn bei der Konzeptfindung und Gründung für das Tanzmuseum trieben: Ein Live-Zugang sollte hierbei im Fokus stehen, um dabei ein Umdenken des gegenwärtigen Verständnisses von Tanz und Museum herauszufordern. Das Musée de la danse wurde zu einem experimentellen Ort des Reflektierens, Praktizierens – und zielte darauf ab, die Grenzen des Tanzes sowohl auf ontologischer als auch auf institutioneller Ebene zu erweitern. Es wurden verschiedenste Präsentations- und Vermittlungsformate benutzt und entwickelt, die ein Experimentieren, Verändern und Anpassen miteinschlossen. Zuallererst bestand es als ein mentaler Ort, welcher große Flexibilität und Kreativität erlaubte und Möglichkeiten auslotete. Charmatz verstand das Musée de la danse als »an attempt to expand notions of dance«.181 Es hinterfragte mit 177
Zu Künstlermanifesten, siehe: DOGRAMACI, Burcu/SCHNEIDER, Katja: Clear the Air – Künstlermanifeste seit den 1960er Jahren, Bielefeld 2017. 178 CHARMATZ 2014, S. 46. 179 PLOEBST 2009. 180 PLOEBST 2009. 181 CHARMATZ/JANEVSKI/MORINIS 2013, S. 2.
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seinen Projekten und seiner Existenz die gängige Auffassung von Tanz und zugleich die Funktionen eines Museums der Gegenwart, widersetzte sich klassischen Ausstellungskriterien und setzte neue Auffassungen in Bewegung. Die Idee des Tanzmuseums basierte auf einer breit angelegten interdisziplinären Vernetzung mit Pädagog*innen, Theoretiker*innen, Kritiker*innen, Künstler*innen und dem Publikum. Die Bandbreite an Tätigkeiten, Präsentations- und Vermittlungsformaten beinhaltete Workshops, Ausstellungen, die Produktion von Tanzstücken, Diskussionsabenden und vieles mehr, die sich mit den Bedingungen und Grenzen des Mediums Tanz und dessen Bezug zur Gesellschaft befassten. Das Musée de la danse vereinte letztendlich die Aufgaben eines choreografischen Zentrums mit dem eines Museums, laut Charmatz’ Manifest »a micro-museum«, »but a real one«, als Ort der Bewahrung und Erhaltung, Präsentation und Vermittlung von Tanz und Bewegungskunst. Es diente zugleich als Produktions- und Aufführungsort sowie als Residenz für Künstler*innen.182 Es war mit seinen Räumlichkeiten in Rennes verortet, doch war es auch als nomadisches, temporäres Museum in Europa und weltweit mit unterschiedlichsten Projekten in diversen Formaten vertreten.183 Zur Eröffnung des Musée de la danse wurde das Stück Roman Photo aufgeführt sowie expo zéro präsentiert. expo zéro war ein experimentelles Ausstellungsprojekt, das ohne Objekte funktionierte und nichts auszustellen hatte: »expo zéro est un projet d’exposition sans œuvres«184 . In den leeren Ausstellungsräumen begegneten 182
Vgl. http://www.borischarmatz.org/?musee-de-la-danse (10.04.2020); Folgende »10 Gebote« für das Museum des Tanzes werden im Manifest aufgeführt: »a micro-museum«, »a museum of artists«, »an eccentric museum«, »an incorporated museum«, »a provocative museum«, »a transgressive museum«, »a permeable museum«, »a museum of complex temporalities«, »a cooperative museum«, »an immediate museum«, denn »it exists as soon as the first gesture has been performed. » CHARMATZ 2014, S. 47. 183 Vgl. CRAMER 2014, S. 181–187. 184 Teilnehmer*innen von Expo zéro waren: Boris Charmatz, Raphaelle Delaunay, Vincent Dunoyer, Anne Juren, Faustin Linyekula (Tänzer*innen und Choreograf*innen); Tim Etchells und Janez Jansa (Künstler und Autoren); Georg Schöllhammer (Autor und Kurator); Sylvie Mokhtari und Natalie Boulouch (Kunsthistoriker*innen, Herausgerber*innen und Wissenschaftler*innen). U.a. gezeigt in LiFE, Saint-Nazaire, Frankreich (03.+04.10.2009); Flying Circus Project, Singapur (07.+08.11.2009); BAK basis voor actuele kunst, Festival Spring Dance, Utrecht 16.-17.4.2010; Performa Hub, Performa 11, New York (04.-06.11.2011); Kunstsaele Berlin (07.-13.07.2014); Tate Modern. Musée de la danse: expo zéro, http://www.museedeladanse.org/fr/articles/expo-zero
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die Besucher*innen lediglich einer Gruppe aus eingeladenen internationalen Künstler*innen und Theoretiker*innen, die sich bspw. darüber unterhielten, was denn nun ein Tanzmuseum alles sein könnte. Die Ausstellung ergab sich aus Worten, Gesten, Bewegungen, Unterhaltungen und Interaktionen aller Beteiligten.185 Es folgte u.a. die Ausstellung Brouillon186 (dt. Rohentwurf), die im Gegensatz zu expo zéro – als objektfreie Ausstellung – die Auseinandersetzung mit Kunstobjekten forderte. Die Performer*innen waren dazu angehalten, in Interaktion und gemeinsamen Austausch zu treten, die Kunstwerke immer wieder neu im Raum zu arrangieren, sie zu verschieben und in neue Konstellationen zu setzen. Für Moments: Eine Geschichte der Performance in 10 Akten im ZKM in Karlsruhe, die sich 2012 als sogenannte Live-Ausstellung und Projekt »in progress« in vier Phasen entfaltete, agierte Boris Charmatz neben Georg Schöllhammer und Sigrid Gareis als Kurator. Die Ausstellung befasste sich mit der Problematik von Dokumentation und Flüchtigkeit der Performance- und Tanzkunst und erprobte neue Präsentationsformen der »musealen Darstellbarkeit und Reproduzierbarkeit historischer Live-Acts«.187 In der zweiten Ausstellungs-Phase »Re-Act« leitete Boris Charmatz ein künstlerisches Labor in Zusammenarbeit mit ausgewählten Expert*innen aus Kunst und Wissenschaft. In Form einer künstlerisch-interpretativen Aneignung näherte er sich mit seinen Teilnehmer*innen den dokumentierten, historischen Performance-Arbeiten an und erschuf auf diese Weise einen neuen Live-Akt. Ein »Open Lab« am letzten Tag der zweiten Phase diente als Ergebnisvorführung des künstlerischen Labors.188 (10.12.2021). Der Titel lehnt sich an Roland Barthes »degree zéro« an. Vgl. ITCHELLS, Tim: Go, Slowly, Go: Some Thoughts on Boris Charmatz’s Expo Zéro and Brouillon, in: JANEVSKI 2017, S. 63–69. 185 Wie schon im Forschungsüberblick erwähnt, reflektiert Kirsten Maar in ihrem Essay »What a body can do« über expo zéro und liefert durch ihre persönliche Erfahrungsbeschreibung zugleich einen nützlichen Ausstellungseinblick, siehe: MAAR 2015. Eine weitere Zeugenbeschreibung von expo zéro liefert Sébastien Roncerays Text: RONCERAY, Sébastien: Ausstellung Nummer Null. Beobachtungen und Anmerkungen zur »Expo Zéro« des Musée de la danse in Rennes (2009), in: Helmut Ploebst, Astrid Peterle u.a. (Hg.): Corpusweb.net, http://www.corpusweb.net/rennes-ausstellung-nummernull-4.html (07.06.2016). 186 2010 im Musée de la danse in Rennes, kuratiert von Larys Frogier, Martina Hochmuth sowie Boris Charmatz, http://www.borischarmatz.org/?brouillon (11.02.2020). 187 Siehe Rückentext des Ausst. Kat. Karlsruhe 2013. 188 Siehe auch: https://zkm.de/de/ausstellung/2012/03/moments (11.02.2020) und http:// www.borischarmatz.org/?moments (11.02.2020).
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Die vorgestellten Projektbeispiele zeigen, dass Boris Charmatz mit seinem Musée de la danse neue Ausstellungsformate mit exploratorischem Charakter für die Präsentation und Vermittlung von Tanz an Orten entwickelt hat, sowohl direkt vor Ort in Rennes als auch jenseits vom Ursprungsort mit inhaltlichen und ortsspezifischen Variationen. Es entstanden verschiedene Kooperationen mit renommierten Kunst- und Tanzinstitutionen u.a. mit der Tate Modern, dem MoMA in New York, mit Opernhäusern und Festivals. 2019, nach einer Dekade als Leiter des Musée de la danse/Centre chorégraphique national de Rennes et de Bretagne (CCNRB) gründete Charmatz Terrain, unter dessen Label seitdem alle künstlerischen Projekte laufen. Und das collective FAIR[E] übernahm seitdem die Leitung des CCNRB.189 Das Projekt Musée de la danse war einzigartig und ist nicht mit den bisher weltweit vereinzelnd existierenden Tanzmuseen zu vergleichen.
5.4.2 20 Dancers for the XX Century 20 Dancers ist eine Wanderausstellung, die seit 2012 an etlichen Orten vornehmlich in Europa präsentiert und performt wurde. Im Gegensatz zu Work/ Travail/Arbeid und »Retrospective«, die bisher mehrheitlich in Museen und Institutionen der bildenden Kunst gezeigt wurden, ist dies ein Projekt, das in Bezug auf den Ausstellungsort flexibler reagieren kann und gerne auch an Nichtmuseumsorten veranstaltet wird: Neben der Urversion, die für die Bibliothek Champs Libres in Rennes entstanden ist, zählen hierzu Ausführungen, die unter freiem Himmel wie in Berlin während des internationalen Festivals Foreign Affairs am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park (2014) sowie auf der Ländliwiese in Zürich beim Theaterspektakel (2019) stattfanden oder sich in den Fluren, Foyers und auf den Terrassen der Pariser und Hannoverschen Oper ereigneten.190 Museumsversionen enstanden u.a. für das New Yorker MoMA (2013), die Londoner Tate Modern (2015), für das Museo Reina Sofia in Madrid (2016) und das Museu d’Art Contemporani de Barcelona (2018).191
189 Das Künstlerkollektiv besteht aus Bouside Ait Atmane, Iffra Dia, Johanna Faye, Céline Gallet, Linda Hayford, Saïdo Lehlouh, Marion Poupinet und Ousmane Sy. 190 2015 in der Opéra Garnier in Paris sowie 2016 in der Staatsoper Hannover. 191 Weitere Präsentationsorte u.a.: Institut Valencià d’Art Modern in Valenzia in Spanien (2019), MuCEM – Musée des Civilisations de l’Europe et de la Méditerranée in Marseille (2019), Opera Lille (2020); im Musée d’Art Contemporain du Val-de-Marne (2017).
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Mit 20 Dancers verwandeln zwanzig Tänzer*innen verschiedener Generationen die jeweiligen Orte für eine vorbestimmte Dauer, meist um die drei bis fünf Stunden zu einer Live-Tanz-Ausstellung. Als lebendiges choreografisches Archiv zeigen sie Ausschnitte der Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts. Was Charmatz’ eingeladene Tänzerkolleg*innen genau präsentieren, bleibt dabei ihnen überlassen. Gemeinsam gestalten sie einen Parkour, der sich aus individuell ausgewählten oder selbst erarbeiteten Soli ergibt. Ohne jeglichen Anspruch auf Universalität und Chronologie präsentieren sie modernen und zeitgenössischen Tanz sowie Performance – vom Ballett bis hin zum Voguing, Krumping und anderen Urban Dances der Gegenwart. Es folgt die Beschreibung zweier Veranstaltungsprojekte des Musée de la danse, in denen 20 Dancers als Ausstellung integriert war. Dabei handelt es sich als Erstes um If Tate Modern was Musée de la danse?, das 2015 in der Londoner Tate Modern stattgefunden hat, und als Zweites um Musée de la danse: Common Choreographies, das im Rahmen des Tanzkongresses 2016 in der Staatsoper Hannover präsentiert wurde. Die folgende Darstellung fokussiert sich dabei auf 20 Dancers, doch ist es hierbei ebenso wichtig, den Ablauf des gesamten Veranstaltungstages zu beschreiben, da dies zum künstlerischen Konzept gehört.
If Tate Modern was Musée de la danse? Im Mai 2015 verwandelte Boris Charmatz und das Musée de la danse die Tate Modern für zwei Tage und insgesamt 20 Stunden in ein ›Dancing Museum‹. Nicht nur die Tänzer*innen, auch wir, das Publikum, tanzten. Unter der Fragestellung »If Tate Modern was Musée de la danse?« fanden Ausstellungen, Mitmachaktionen, Aufführungen und Hybride aus diesen in der Turbinenhalle, in den Sammlungssälen, Ausstellungsräumen und auf den Fluren und Durchgängen statt.192 Teilweise liefen die Aktionen simultan an unterschiedlichen Orten im Museum ab und wurden zudem per Live-Stream online übertragen. Die Turbinenhalle befand sich dabei in einem ständigen Transformationsprozess, denn hier wurde von einem Veranstaltungsformat zum nächsten gewechselt. Begonnen wurde mit einem von Boris Charmatz selbst geleiteten Warm-up, an dem alle, die Lust hatten, teilnehmen konnten. Er implementierte diverse Tanzstile und -Gesten des 20. Jahrhunderts in seinen Workshop. Was man hier am eigenen Körper erfuhr, begegnete einem 192
Performances und Projekte: Public warm-up, À bras-le-corps (1993), Levée des conflits (2010), manger (dispersed) (2014), 20 Dancers (2012), Adrénaline: a dance floor for everyone (2012), expo zéro (2009), Roman photo (2009).
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oben in den Ausstellungsräumen erneut in anderer Form, anders durch die 20 Tänzer*innen dargestellt. Weiter ging es mit der Vorführung von À bras-lecorps und Levée de conflits193 , das zuerst als Solo, dann als Besucherversion mit Tänzer*innen und Besucher*innen und zum Abschluss in seiner vollständigen Bühnenversion aufgeführt wurde. Am späten Nachmittag und am Abend verwandelte sich die Turbinenhalle für alle Tanzlustigen zweimal in einen Dance Floor mit überdimensionaler Diskokugel. Zwischendurch wurde Roman Photo von zwanzig Londoner Amateur*innen auffgeführt.194 In Tate Moderns Sammlungsräumen intervenierte das Musée de la danse mit 20 Dancers als eigene lebendige Sammlung aus Bewegungen und Gesten. Als zweite Ausstellung fand expo zéro in drei leer geräumten Räumen statt. Die Tate Modern machte damit erstmals einen leeren Ausstellungsraum ohne Kunstwerke für das Publikum zugänglich. Hier begegnete man einer Gruppe aus zehn Theoretiker*innen, Performer*innen und Künstler*innen, die über ein Tate Modern-Dancing Museum diskutierten und reflektierten.195 Der Veranstaltungstag endete mit der Aufführung von Manger in der Turbinenhalle. Insgesamt waren 90 Tänzer*innen am zweitägigen Event beteiligt. Erfahrungsbeschreibung des Besuchs von 20 Dancers im Rahmen von If Tate Modern was Musée de la danse?, 15. Mai 2015: Die Tate Modern betrete ich durch den Turbinenhalleneingang, ich laufe die Schräge hinunter zur Ostseite der Turbinenhalle. Im selben Moment wird ein nicht zu übersehender Schriftzug in großen Buchstaben an die Brücke geklebt, auf dem steht: »…if Tate Modern was Musée de la danse?«. Es ist 11.30 Uhr, in einer halben Stunde soll ein aufregendes Tanzereignis beginnen. Ich laufe unter der Brücke durch zur anderen Seite der Turbinenhalle. An einer der Wände hängt das Musée de la danse-Manifest, eine spezielle für diese Veranstaltung angefertigte Version. 193
Zu einem späteren Zeitpunkt in der Turbinenhalle erlernt das Publikum vom Choreografen persönlich Bewegungssequenzen seines Stücks Levée des conflits (2010) kennen, das anschließend gemeinsam mit dem Publikum und Tänzer*innen aufgeführt wird. Hierbei handelt es sich um eine erweiterte Version des Stückes, das aus 25 Bewegungen besteht, die auch die Zuschauer*innen performen lässt, bei der jede Bewegungen von Körper zu Körper weitergegeben wird. 194 Flip Book, eine Version mit Tanzprofessionellen wurde 2012 in den Tanks aufgeführt. 195 Mit dabei waren: Claire Bishop, Heman Chong, Tim Etchells, Martin Hargreaves, Mette Ingvartsen, Janez Janša, Sung Hwan Kim, Pichet Klunchun, David Riff, Shelley Senter.
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Punkt 12 Uhr startet das Event mit einem öffentlichen Warm-up, das Boris Charmatz persönlich anleitet. Mit seinem rotpinken Hoodie kann man ihn auch aus der Ferne erkennen. Alle, die Lust haben, können teilnehmen oder einfach zusehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob man Tanzerfahrung mitbringt oder eben nicht. In der Turbinenhalle tummelt sich mittlerweile eine große Menschenmenge, die dem Choreografen voller Freude zuhört und zuschaut. Die Mitmachenden imitieren seine vorgemachten Bewegungen und es herrscht eine lebendige, fröhliche Stimmung, die vor allem auch durch Charmatz’ humorvoller Animation entsteht. Er verweist auf Anekdoten der Tanzhistorie und führt anhand von Bewegungen, Gesten und angedeuteten Tanztechniken und -stilen durch die Tanzgeschichte des 20 Jahrhunderts. Nachdem ich bei Charmatz’ Warm-up mitgemacht und beim sich Bewegen, Dehnen und Aufwärmen u.a. auch Mary Wigmans Hexentanz und eine von Vaslav Nijinskys Posen aus seinem Stück L’Après-midi d’un faune nachgeahmt habe, begebe ich mich auf den Weg zu den Ausstellungssälen, um die Tänzer*innen von der Live-Ausstellung 20 Dancers zu finden. Sie haben sich auf den Sammlungsetagen in und vor den Ausstellungsräumen, auf den Fluren, Treppen und Durchgängen verteilt, sodass man ihnen als Besucher*innen beim Gang durch das Museum begegnet. Die Tate Modern ist voll, nicht nur die Sammlungsräume, auch der Bereich vor den Sälen ist überfüllt. Über die Treppen hoch in den 2. Stock gehend und oben angekommen, begegne ich direkt einer Tänzerin. Es ist Germaine Acogny, eine senegalesisch-französische Tänzerin der älteren Generation, die eine Schule für traditionellen und zeitgenössischen afrikanischen Tanz in Toubab Dialao in Senegal leitet. Mit ihrer sehr rhythmischen, zum Boden gerichteten Bewegungssprache und ihrer Ausdruckskraft zieht sie die Aufmerksamkeit der Museumsbesucher*innen auf sich. Ein weiterer Song beginnt, sie nimmt einen melancholischen, emotionsvollen Gesichtsausdruck an. Ihre reduzierten kleinen Bewegungen bestehen anfangs nur aus Handgesten. Es wirkt, als ob sie einen unsichtbaren Ball in der Hand hält und diesen von einer in die andere Hand fallen lässt. Sie performte ihr Stück Songook Yaakaar (2010). Viele bleiben stehen. Ein Zuschauerkreis bildet sich um die performende Tänzerin herum, der ihr zum Tanzen ausreichend Platz gewährt. Die Musik erschallt aus einem an der Wandseite stehenden Ghettoblaster. Danach begegne ich in einem mit sechs Gerhard Richter Gemälden bestückten Saal dem tanzenden Yasutake Shimaji, ein ehemaliges Mitglied der Ballettkompanie The Forsythe Company.196 Er präsentiert Ausschnitte aus unterschiedlichen Stücken des Choreografen William Forsythe u.a. Die Befragung des Robert Scott (1986), One Flat Thing, reproduced (2000) und Whole in the Head (2010).
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In einem anderen Raum stand der Londoner Krumper Tobias Jackman aka Big Shush vor zwei abstrakten Gemälden von Christopher Wool197 . Er bewegt sich im schnellen, expressiven Freestyle-(Tanz) zur Musik aus dem hinter ihm stehenden Lautsprecher. Er stampft immer wieder rhythmisch auf den Boden, bewegt dabei die Arme, mal schwingend, mal zackig und mit eckigen Bewegungen. Er lässt seine Cap über seine Arme und den Oberkörper gleiten und jongliert mit ihr. Oft sieht es aus, als ob ein Zucken von einer zur anderen Seite durch seinen gesamten Körper fließt. Bei seiner tänzerischen Art, eine Geschichte zu erzählen, blickt er die Zuschauer*innen immer mal wieder direkt an. Aus den Sammlungsräumen im dritten Stock hinausgehend begegne ich weiteren Tänzer*innen, bspw. Pat Catterson, die in den 1970er Jahren in der Judson Memorial Church ihre ersten Choreografien präsentierte und hier u.a. Ausschnitte aus Yvonne Rainers Trio A (1966), Chair/Pillow (1969), Talking Solo from Terrain oder Three Satie Spoons (1961) performt sowie eigene Soli aus Previews and Flashbacks (1971) und Please Just Take It One Life At A Time (1976–1987) zeigt. Und der sich bei der Treppe vor den Sammlungsräumen befindende Coline Dunne, ein Meister des Irish Folk Dance, studierte mit einer Besucher*innengruppe Tanzschritte ein. Beim Durchlaufen der Säle höre ich Musik, die mich anlockt. Ich finde den amerikanischen Tänzer Frank Willens, der in einem kleineren, mit schwarz-weiß Fotografien bestückten Raum vor seinem Publikum Charlie Chaplin imitierte und zu einer alten Tonbandaufnahme tanzt.198 Und in einem Saal umgeben von Rineke Dikstra Fotografien tanzt ehemals Rosas-Mitglied Chrysa Parkinson in einem schwarzen eleganten Kleid zu mittelalterlichen Gesängen. Mit ihren choreografischen Bewegungen bahnt sie sich einen Weg um die Menschenmengen herum. Die Musik hört auf, sie liegt mittlerweile ausgestreckt auf dem Boden und beginnt von einer der Aufführungen von Anne Teresa De Keersmaekers Cesena (2011) zu erzählen, das Stück aus dem sie uns Ausschnitte vorführt. Schauspielerin und Performerin Marlène Saldana bringt Arbeiten der Performance Künstler Mike Kelly und Vito Acconci wieder zum Leben. Sie performt Mike Kelleys Heidi’s Four Basket Dances (1992–2001) und Vito Acconcis Trademarks (1970), eine Arbeit, die ursprünglich in den 1970er Jahren im Videoformat festgehalten wurde, bevor dann zwei Jahre später davon Fotos in einer Zeitschrift mit einem dazugehörigen Essay von Acconci veröffentlicht wurden. Weitere Tänzer*innen und Performer*innen wie Antonia Franceschi, Asha Thomas, Julian Weber, Frédéric Seguette u.a. zeigen Soli und choreografische Ausschnitte von George Balanchine, Jospehine Baker, Merce Cunningham, Meg Stuart, Jero-
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me Bel sowie Simone Forti. Während meines Aufenthalts in der Tate Modern bin ich zwölf Tänzer*innen in den zur Verfügung stehenden fünf Stunden (von 13–18 Uhr) begegnet. Indem sich die 20 Dancers über drei Stockwerke verteilten, sie untereinander zudem die Plätze tauschten, sich Menschenmassen im Museum aufhielten und die anderen zeitgleich stattfindenden Projekte wie expo zéro ebenso die Aufmerksamkeit auf sich zog, war es für mich als Besucherin unmöglich, an einem Tag allen zuzuschauen. Meine Erfahrung in oder mit der Ausstellung 20 Dancers ist für mich vollkommen, doch bleibt das Gesehene – und das ist von Charmatz intendiert – ausschnitthaft. Ende In der Tate Modern bespielte das Musée de la danse drei Bereiche: die Turbinenhalle, die Sammlungsräume (20 Dancers) und die leeren Ausstellungsräume (expo zéro). Acatia Finbow, Peter Tolmie und Gabriella Giannachi beschrieben diese Räume in ihrem Dokumentationsbericht zum Event als »permanent theatre«, »permanent teaching setting«, »permanent collection setting« und »permanent dance floor setting« ein.199 Doch gilt die Beständigkeit in den Sammlungs- und Ausstellungsräumen mit 20 Dancers nur für je fünf Stunden an den zwei zehnstündigen Veranstaltungstagen. Zudem befanden sich die Areale, insbesondere die Turbinenhalle wie schon erwähnt im kontinuierlichen Transformationsprozess, sodass hier von keiner Dauerhaftigkeit gesprochen werden sollte. Das Ereignis entsprach dem Format und der hypothetischen Frage »If Tate Modern was Musée de la danse?«. Das Musée de la danse griff mit seinen Aktionen in das alltägliche Geschehen der Tate Modern ein. 20 Dancers erweiterte die Objektsammlung und trat zugleich mit dem Vorhandenen – mit modernen sowie zeitgenössischen Kunstwerken – in einen Dialog. Das Event besaß den Charakter einer Intervention.200 Faktisch
196 Die Gemälde gehören zu Richters Serie Cage. 197 Christopher Wool: Untitled (2007) und Untitled (2009). 198 Willens befand sich in einem Raum, der im Rahmen der Tate Moderner Sammlungspräsentation den Titel »Poetry & Dream: Close-up: Identity & the Photographic portrait« trägt. 199 Vgl. FINBOW, Acatia/GIANNACHI, Gabriella/TOLMIE, Peter: How Tate Modern became Musée de la danse, in: Contemporary Theatre Review, Bd. 28, No. 2, 2018, S. 210–223, hier S. 213. 200 Eine Intervention versteht sich als ein »Eingreifen in vorhandene Repräsentationen«. Als differenzschaffende Verfahren befragen künstlerische Interventionen »orts- oder themenspezifisch den vorhandenen Status oder fügen Schichten hinzu, vertiefen ei-
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verwandelte das Musée de la danse die Tate Modern für zwei Tage. Als Angebot, als experimentelles Projekt, als »was wäre wenn«-Aktion befragte es den Status des Kunstmuseums, ergänzte und verschob Sichtweisen. Das Musée de la danse und 20 Dancers passte sich jedoch nicht in dem Maße wie »Retrospective« und Work/Travail/Arbeid an die Öffnungszeiten des Museums an, denn es folgte seinen eigenen Vorgaben. Hierzu erläuerte Charmatz selbst: »We originally created Musée de la danse as a way of saying: we are our own heritage. We don’t need to react to a museum’s needs or think about how to adapt to the museum’s spaces. We don’t need to say it’s open from ten to six, we don’t need to adhere to institutional parameters. By owning our heritage we can invent what it is. In that sense it’s anti-museum because we are constantly rethinking and challenging what a space like Tate Modern, or any museum, might be.«201 Es herrschte eine Spannung zwischen den beiden »Räumen« – Musée de la danse und Tate Modern – wobei der erste ein hypothetischer und der andere ein tatsächlicher Ort ist.202 Davon abgesehen gab es zum Schutze der Sammlungswerke dennoch strikte Regeln, die befolgt werden mussten. Die Tänzer*innen mussten darauf achten, dass sie nicht zu nah an die Kunstwerke herantraten.203 Auch die von den Menschen im Raum erzeugte Wärme und die Feuchtigkeit standen unter ständiger Kontrolle. Im Folgenden wird eine weitere Ausgabe von 20 Dancers als Erfahrungsbeschreibung vorgestellt, die speziell für die Staatsoper in Hannover entwickelt wurde. Ziel dabei ist es, die durch den anderen Kontext sich ergebenden nen Aspekt. Als Kontrapunkt und Ergänzung verschieben sie Sichtweisen, queren Vorhandenes vertraut oder experimentell, diskursiv oder eventhaft. Als Blickfänger beleben sie Gewohntes, als Dialog interagieren sie mit dem Vorgängigen und dem Publikum. Interventionen können auf Deutungsmacht und Traditionslogiken von Museen, auf den gebauten Raum oder auf Objekte und Präsentationsweisen bezogen sein. […] MUTTENTHALER, Roswitha: Intervention, in: ARGE Schnittpunkt (Hg.): Handbuch für Ausstellungstheorie und -praxis, Wien/Köln/Weimar 2013, S. 162. 201 CHARMATZ, Boris/WOOD, Caterhine: Interview. Catherine Wood and Boris Charmatz, in: BMW Tate Live. If Tate Modern was Musée de la danse? (Ausstellungsbroschüre), London 2015, S. 3. 202 Vgl. FINBOW/GIANNACHI/TOLMIE 2018, S. 222. 203 Martin Hargreaves erzählte darüber beim Panel What does the museum do for dance? während des Symposiums Dance and Art Forum: Why Dance in Museums? am 09.11.2017 in London, organisiert von Siobhan Davies Dance.
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Unter-schiede herauszuarbeiten und dabei die Besonderheit dieser Live-TanzAusstellung aufzuzeigen.
Musée de la danse: Common Choreographies 20 Dancers im Rahmen des Tanzkongresses Hannover, 16. Juni 2016 – Eine Erfahrungsbeschreibung: Zur Eröffnung des viertägigen Tanzkongresses 2016 gastiert Boris Charmatz mit seinem Musée de la danse in Hannover und präsentiert im Laufe des Abends sukzessiv drei unterschiedliche Projekte. Der Tänzerchoreograf beginnt den Abend wie in der Tate Modern mit einem von ihm persönlich geleiteten, öffentlichen Warm-up, das draußen vor der Staatsoper auf dem Opernplatz stattfindet. Gemeinsam wärmen sich Tanzinteressierte, Zuschauer*innen und zufällig vorbeikommende Passant*innen auf. Darauf folgt eine speziell für diesen Anlass und eigens für die Staatsoper Hannover als Präsentationsort geschaffene Version der Ausstellung 20 Dancers for the XX Century. Schon vor Ausstellungsbeginn warten wir als Teil einer großen Publikumsmenge vor verschlossener Tür, bis dann der Eingang endlich geöffnet wird. Die Besucher*innen bahnen sich selbst einen Weg durch die Fluren, über die Treppen hin zu den verschiedenen Tänzer*innen. Nicht auf der Opernbühne, sondern in den Fluren, Foyers, auf den Treppen und auf der Dachterrasse der Staatsoper verteilen sich die zwanzig Performer*innen, um dem Publikum ihren individuellen Tanz-Beitrag zum 20. Jahrhundert vorzuführen. Die ausgewählten Orte in der Oper, entfernt von der Bühne sind eigentlich Orte des flüchtigen Aufenthalts, die vor einer Aufführung, in der Pause und nach der Aufführung zum kurzen Verweilen genutzt werden. Doch 20 Dancers macht sie zu den Hauptpräsentationsorten, zu Vorstellungsorten. Für 180 Minuten verwandeln die Tänzer*innen und die Besucher*innen dieser Ausstellung das hannoversche Opernhaus zu einem lebendigen Tanzmuseum. Das Publikum ist dazu eingeladen, durch die Oper flanierend »Tanzhistorie eindrucksvoll [zu] erleben und persönliche Erinnerungen anschaulich nachvollziehen [zu können]«204 . Ein Programmheft zum Musée de la danse begleitet mich auf meinem Parkour durch die hannoversche Oper. Direkt nach Eintritt durch die Haupttüren werden wir Hereinstürmende von Mani Mungai aus Kenya begrüßt. Er erklärt uns, wo er tanzen wird, was er zeigen möchte und wo wir uns hinstellen sollen. Er zitiert
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Michael Jackson. Er tanzt zu Jacksons Musik, macht seinen ikonenhaften Moon Walk, um uns dann in einem zweiten Teil seiner Vorführung einen Tanz der Massai zu zeigen. Charmatz erläuterte im Interview mit Kuratorin Margarita Tsomou, dass der Produktionsprozess einer neuen Version immer mit einem »Protokoll« bzw. einer feststehenden Struktur beginne.205 Die zwanzig Tänzer*innen unterschiedlichen Alters werden für jeden Ausstellungsort und seinen Kontext neu ausgewählt und eingeladen. Sie schlagen ein »historisches« Solo oder mehrere Stückausschnitte vor und dann ist es ihnen überlassen, was und wie sie ihr eigens ausgewähltes Tanzstück präsentieren.206 Es liegt in den Händen der Performer*innen, wie der Parkour durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts präsentiert wird. Auch in dieser Version werden keine Kostüme und Bühnenlicht verwendet, lediglich benutzen einige wie in der Tate Modern eine Musikanlage. Beim Betreten der Terrasse sehe ich, wie die Tänzerchoreografin Raphaëlle Delaunay ihren Zuschauer*innen die Abfolge der berühmten »Nelken-Reihe« von Pina Bausch beibringt. Die Mitmachenden nehmen gerade ihre Fäuste vor die Brust und zittern kurz, dann folgt die nächste Bewegung (s. Abb. 21).207 Daraufhin zeigt sie Josephine Bakers berühmten »Chicken Dance« der offiziell den Titel danse animalières trägt. Durch ihre sehr präsente, humorvolle und direkte Art ist Delaunay ein Publikumsmagnet innerhalb von 20 Dancers.
Abb. 21: Besucher*innen die Nelken-Reihe von Pina Bausch übend. Boris Charmatz und das Musée de la danse, Common Choreographies, 20 Dancers for the XX Century, 2016, Tanzkongress Hannover, Staatsoper.
Auf den ersten Stufen auf einer Treppe stehend, erzählt die in schwarzer Jeans und rotem T-Shirt gekleidete Emmanuelle Hynh ihrem Publikum, dass sie
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Auszüge aus Vaslav Nijinskys L’Après-midi d’un faune tanzen wird. Sie beginnt auf dem Boden sitzend in einer von Abbildungen bekannten Pose aus dem Stück. In einem abgeschnittenen Raumteil in der Nähe der Garderoben begegne ich Frank Willens, dem ich auch in der Tate Modern zuschaute. Diesmal zeigt er keine Ausschnitte des tanzenden Charlie Chaplin, stattdessen spricht der Tänzerchoreograf zu seinem Publikum über die 1960er und 1970er Jahre, und darüber, was die Tanzkünstler*innen damals beschäftigte. Er fragt, ob wir Trio A von Yvonne Rainer sehen wollen, was wir bejahten. Er beginnt das berühmte Stück zu performen und dabei von Rainers No-Manifesto zu erzählen.208 Beim Aufführungsort von Frank Willens herrscht eine ruhigere, konzentriertere Atmosphäre als in den großen, offenen Foyers, wo ich u.a. auch den ehemaligen Cunningham-Tänzer Ashley Chen entdecke.209 Bevor er eine Arbeit oder choreografische Ausschnitte des berühmten Merce Cunningham vorführt, verkündet er den Titel, das Jahr sowie die Musik des jeweiligen Stücks. In einem weiteren Raum begegne ich wie auch in der Tate Modern der afrikanischen Tänzerin Germaine Acogny. Immer wieder greift sie in ihrem Tanz mit den Händen in ihr langes braunes Kleid, das sie über eine pink rote Hose trägt. Auch hier zeigt sie viel Gestik, Mimik und Ausdrucksstärke. Für Hannover war es Charmatz wichtig, einen inhaltlichen Bezug zur Staatsoper und zum deutschen Tanzkongress als historisch verankertes Ereignis zu schaffen.210 So liefert Choreografin und Performerin Olivia Grandville einen Beitrag zum in Hannover geborenen Künstler Kurt Schwitters und performt Auszüge aus seiner Ursonate und anderen dadaistischen Lautgedichten. Das Ballett-Ensemble der hannoverschen Staatsoper ist durch Patrick Doe, Denis Paza und Monica Garcia Vicente vertreten, die der Tänzerin Karine Seneca bei ihren Aus- und Vorführungen von Balanchines Balletten assistieren. Der Schauspieler Thomas Wodianka trägt neben seinem Solo aus der Produktion Alibi (2001) von Meg Stuart hinter einem Pult im Lavesfoyer stehend den Text »Vier Szenen des Politischen« vom Theater- und Tanzwissenschaftler Gerald Siegmund zur politischen Geschichte des Tanzkongresses vor. Auch Reinhild Hoffmann, eine der Pionier*innen des deutschen Tanztheaters ist Teil der 20 Dancers-Version in Hannover. In der Oper lassen die Besucher*innen genügend Platz für die Tanzeinlagen der Performer*innen. In den eher abgeschlosseneren Räumen herrscht eine bessere und in den Durchgängen eine meist schlechtere Aufführungsakustik. Die Menschenmengen versperren teils den Blick und die Gäste reden laut. Sie flanieren durch die Oper, so wie das Programmheft sie auffordert. Die Atmosphäre ist damit nicht wie in einer gewöhnlichen Ausstellung ruhig und gemäßigt.
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Als Abschluss des Musée de la danse-Events führt Charmatz’ Ensemble das Stück Manger (dispersed) auf. Ungewöhnlich ist, dass wir uns als Publikum und während der Aufführung gemeinsam mit den Tänzer*innen auf der Bühne der Staatsoper aufhalten. Auf diese Weise können wir auch die Bühnenperformance hautnah miterleben. Ende
Zusammenfassung Die Darstellungen der zwei unterschiedlichen Versionen zeigen, dass 20 Dancers jedes Mal anders und damit jede Fassung der Ausstellung einzigartig ist. Zugleich wird deutlich, dass der konzeptuelle Rahmen des Präsentationsformats große Flexibilität zulässt. Für jeden neuen Ausstellungsort und den damit verbundenen ortsspezifischen Kontext wählt Boris Charmatz je 20 Tänzerkolleg*innen aus und lädt diese zur Teilnahme ein. Konzept und Format bleiben dasselbe, doch die Orte, der zeitliche Rahmen, die Teilnehmer*innen – Tänzer*innen, Besucher*innen und einige der Organisator*innen – ändern sich von Ort zu Ort sowie von Kontext zu Kontext. Und es verändern sich auch die Inhalte, die von den Tänzer*innen vermittelt werden. Als eine kollektive Ausstellung ergibt sich 20 Dancers aus dem gegenwärtigen gemeinsamen Dasein und Schaffen aller Beteiligten. Auf intervenierende Art reagiert das Ausstellungs- und Veranstaltungsformat auf den jeweiligen Präsentationsort. Die Tate Modern wurde vom Musée de la danse für zwei Tage für je fünf Stunden besetzt und in Hannover beschränkte sich das Geschehen auf einen fünfstündigen Abend als Eröffnungsprogrammpunkt des Tanzkongresses. Im MoMA in New York gastierte das Musée de la danse unter dem Titel Three
204 Aus dem Programmheft und der Veranstaltungsbeschreibung des Tanzkongresses Hannover, http://2016.tanzkongress.de/de/programm/eroeffnung.html#event-131 -0 (16.12.2021). 205 Vgl. CHARMATZ/TSOMOU 2016. 206 Vgl. Programmheft zum Tanzkongress Hannover 2016 und Gespräch mit Frank Willens 01.11.2019 in Ludwigshafen, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel 7). 207 Die Nelken-Reihe ist ein Ausschnitt aus dem Stück Nelken (1982). 208 Mehr zu Frank Willens Präsentationsart siehe Gespräch mit Frank Willens 01.11.2019 in Ludwigshafen, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel 7). 209 Chen war von 2000 bis 2003 Mitglied der Merce Cunningham Dance Company. 210 Der Tanzkongress wurde in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts gegründet und später »wiederbelebt«.
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Collective Gestures hingegen für drei Wochenenden und für die Pariser Oper entwickelte Charmatz mit den Tänzern der Oper eine Version für mehrere Tage.211 20 Dancers findet im Museumssetting u.a. inmitten von schon bestehenden Ausstellungen statt und in der Oper eher in Räumen, Fluren, die nicht zur Präsentation gedacht sind. Oder es ereignet sich draußen im Freien, entfernt von den Kunst- und Theaterorten und mitten im ›echten Leben‹. Für Charmatz ist das Format eines gesamten Veranstaltungstages oder -programms, das an mehreren Tagen stattfindet, strukturell bewusst gewählt. Nicht um einzelne Projekte aneinanderzureihen, sondern um diese inhaltlich und kontextuell zusammenzuführen. Er versteht es als ineinandergreifendes Set, bei dem sowohl der Ort, die Performer*innen und Zuschauer*innen verschiedene »Zustände« durchlaufen, die sich mit der Zeit verändern.212 Dadurch ist das Publikum in dauernder Bewegung und die Rollen und Positionen aller Beteiligten im Setting verändern sich fortlaufend, sodass eine »ständige Standpunktverschiebung« verursacht wird.213 In einem Interview erzählte Kuratorin der Tate Modern, Catherine Wood, von genau dieser Verschränkung der unterschiedlichen Formate im Rahmen von If Tate Mondern was Musée de la danse?: »Es fand nicht nur ein Workshop als »warm up« in der Halle statt, sondern auf dem Stockwerk bewegten sich Tänzer durch die Galerien: ein Balletttänzer, ein Irishfolk-Tänzer, ein Tänzer von William Forsythe, experimentelle Performer usw. Sie tanzten zwischen den Bildern und Skulpturen und gaben einen Überblick über Tanztendenzen des 20. Jahrhunderts. Wer unten am Workshop teilgenommen hat, hatte bereits die Geschichte des Tanzes, die oben angezeigt wurde, am eigenen Körper erfahren. Boris sprach davon: Statt ein Bild zu betrachten, kann man in dem Workshop eine Tanzgeste lernen, die man mit nach Hause nehmen kann. Auf diese Weise eignet man sich einen Teil des Tanzmuseums an. Das Ganze basiert auf der demokratischen Idee wie eine Sammlung auch sein könnte.«214
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20 Dancers fand in der Pariser Oper vom 25.09.-11.10.2015 und dauerte je 1h30min. Vgl. CHARMATZ/TSOMOU 2016. Ebd. Catherine Wood in SCHÜTZ, Heinz: Catherine Wood. Der Performative Turn der Tate Modern: Ein Gespräch mit der Performance-Kuratorin der Londoner Galerie für internationale, moderne und zeitgenössische Kunst, in: Act! Die entfesselte Performance, Kunstforum Bd. 264, 2019, S. 150–161, hier S. 160.
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Im Tanz gilt laut Charmatz: »Du bist dein eigenes Museum. Es geht also vom mentalen über den architektonischen zum körperlichen Raum. Als Tänzer, aber auch als Staatsbürger ist man sein eigenes Museum, weil ein Körper mit seinem Wissen ein solches ist.«215 Die Live-Tanz-Ausstellung 20 Dancers for the XX Century basiert auf diesem Grundsatz. Ein Stück Tanzgeschichte wird hier durch die 20 Tänzerkörper überliefert. Und die Tänzer*innen bringen ihr persönliches Archiv aus Bewegungsqualitäten, erinnerten Choreografien und Gesten mit.216 Die Stücke oder Tanzausschnitte, die sie vorführen, stammen aus ihren eigenen Biografien. Es sind Soli, die sie selbst in ihrer Vergangenheit tanzten und damit tief in ihren Körpern verankert sind. Boris Charmatz erläuterte hierzu: »20 Dancers deals with a kind of archeology: excavating gestures from the past, to be performed by a dancer’s body in the present.«217 Gemeinsam überliefern sie eine und nicht die Tanzgeschichte und übertragen diese in die Gegenwart, denn: »In ›20 Dancers‹ vermeiden wir jeden Anspruch auf Universalität, das 20. Jahrhundert wird jedes Mal von den Teilnehmer_innen neu gestaltet«218 , so erläuterte Charmatz hierzu selbst. Dadurch steht die Vielfältigkeit des zeitgenössischen Tanzes im Fokus der Präsentation, und zugleich wird deutlich, dass die lebendige Ausstellung nur ein Ausschnitt dieser Diversität widerspiegelt. Charmatz tritt als Autor in den Hintergrund.219 Im Mittelpunkt stehen stattdessen 20 unterschiedliche Tänzer*innen, die ihre Soli verkörpern: »The performers explored their solo pieces through their own relationships with
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Boris Charmatz in PLOEBST 2009. RoseLee Goldberg schrieb in ihrem 2018 veröffentlichten Buch »Performance Now« hierzu passend: »Charmatz’ Musée de la danse changes perceptions about dance as much as about museum display. It calls on viewers to consider the dancer’s body as a container for the history of dance, its forms and its techniques, and to recognize that muscle memory is shaped by endless quotation from 20th-century choreography.« GOLDBERG 2018, S. 177. Boris Charmatz in MORINIS/JANEVSKI (o.J.). CHARMATZ/TSOMOU 2016. Charmatz erläuterte zu expo zéro: »Ich stelle den Rahmen zur Verfügung, aber die Ausstellung selbst wird von zehn Teilnehmer_innen entwickelt und geschaffen.«, doch gilt dies ebenso für 20 Dancers, ebd.
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the work and it’s choreographer, combining the historic dance with their own experience and memory of it.«220 Für eine Geschichte des Tanzes ist es sonst üblich, die Choreograf*innen in den Fokus zu setzen. Und von den Tänzer*innen, welche die Choreografien in der Vergangenheit tanzten, erfahren die Leser*innen oft nichts oder kaum etwas. Mit 20 Dancers stehen jedoch die Tänzer*innen, ihre Geschichten und Beziehungen zu den vorgeführten Choreografien im Zentrum der Präsentation. Ihre Beiträge sind alle höchst individuell. Es ist ihnen überlassen, wie sie ihre historischen Soli dem Publikum vermitteln, ob nur tanzend oder tanzend und sprechend wie eine Lecture-Performance, ob mit einer sprachlichen Einleitung oder ohne jegliche Zusatzinformationen zum getanzten Stück. Viele der Performer*innen ergänzen ihre tänzerischen Ausführungen mit Erzählungen, Anekdoten und ihren persönlichen Erinnerungen. Die Ausstellung unterliegt keiner chronologischen Anordnung und es ergibt sich eine Ansammlung an unterschiedlichsten Gesten und Bewegungsphrasen, etlichen Stilen und Bewegungsqualitäten, gegenwärtig präsentiert durch Charmatz Tänzerkolleg*innen sowie ihren Körperarchiven. Die Besucher*innen entwickeln ihren eigenen Parkour durch die Geschichte des Tanzes des 20. Jahrhunderts und erhalten einen ausschnitthaften, individuellen Einblick. Ausschnitthaft zum einen, da 20 Dancers nicht die gesamte Tanzgeschichte abdeckt, und zum anderen, da es für die Besucher*innen durch das Nebeneinander und den gleichzeitigen Ablauf unmöglich ist, alles in seiner Vollkommenheit zu sehen. In London und Hannover war es zwar möglich, allen Tänzer*innen zu begegnen, doch sobald man sich entschied, bei einem oder einer zu verweilen, um zuzuschauen, bedeutete dies, dass man die Vorführung eines oder einer anderen verpasste oder nur Teile mitbekam. Die Besucher*innen stoppen, sitzen oder interagieren nach ihrem Belieben. Ein Begleitheft und die Aushänge zum Programm halfen dabei, einen Überblick über den zeitlichen Ablauf der Veranstaltungen des Musée de la danse zu bewahren.
220 FINBOW/GIANNACHI/TOLMIE 2018, S. 218f.
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5.5 Besonderheiten von »Retrospective« by Xavier Le Roy, Work/Travail/Arbeid und 20 Dancers for the XX Century als Live-Tanz-Ausstellungen Die vorangegangen Einzelanalysen verdeutlichen, wie verschiedenen die drei Ausstellungsfallbeispiele sind. In »Retrospective« lernen die Besucher*innen nicht nur einzelne Ausschnitte aus Le Roys Bühnenstücken kennen, sondern die Performer*innen lassen ihren Zuhörer*innen und -schauer*innen an Lebensabschnitten ihrer Tänzerbiografie teilhaben, die sie erzählerisch-tänzerisch vermitteln. Le Roy fasst in seiner Ausstellung Bühnenarbeiten aus den 1990er Jahren bis zu neusten Stücken zusammen, und De Keersmaekers Arbeit basiert auf einem einzigen Bühnenstück, dass sie zeitlich von einer Stunde auf neun Wochen ausgedehnt hat. Zur vom Ictus Ensemble live gespielten Komposition Vortex Temporum erleben die Besucher*innen, wie die Tänzer*innen von der Rosas-Kompanie in kreisenden, wirbelnden Bewegungen durch die Ausstellungsräume tanzen. Work/Travail/Arbeid ist eine Präsentation von De Keersmaekers choreografischer Praxis, ihrer Bewegungssprache und der Tanztechnik. Und mit 20 Dancers verteilen sich 20 Tänzer*innen am jeweiligen Ausstellungsort in den Räumen, auf Fluren oder Terrassen, greifen in das vom Ort Gegebene ein und kreieren ihre eigene Tanz-Version des 20. Jahrhunderts. Die Ausstellungskonzepte könnten nicht unterschiedlicher sein, doch verbindet sie folgende Eigenschaften und Wesensmerkmale: Eine Besonderheit von Choreograf*innen-Ausstellungen ist, dass mit ihnen eine vergängliche Aufführungskunst im Rahmen einer Ausstellungsdauer permanent für das Publikum verfügbar gemacht wird. Charmatz, Le Roy und De Keersmaeker erarbeiteten eine choreografische Arbeit für die jeweiligen Galerie- oder Museumsräume und deren Rahmenbedingungen. Ausstellungsräume von Museen und Kunsthäusern werden im Vergleich zum Theater und seinem Bühnenkonzept von anderen zeitlichen und räumlichen Bedingungen und Konventionen bestimmt. Denn hier wird eine andauernde Verfügbarkeit der exponierten Kunst während der Öffnungszeiten der Ausstellung vorausgesetzt.221 Was sich aus diesen Fusionen ergab, sind drei Live-Tanz-Ausstellungen. »Retrospective« und Work/Travail/Arbeid erfüllen die kontinuierliche Präsenz während der Öffnungszeiten. Hierzu erläutert Xavier Le Roy: 221
BISHOP 2018, S. 29. Bishop bezeichnet dies als eine Re-Temporalisierung der Bühnenstücke. Sie betrachtet es als ein Phänomen von Live-Tanz-Ausstellungen, was sie auch an anderen Beispielen wie Hassabi beobachtet.
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»A performance work without a beginning, end, or fixed duration is developed for an exhibition space: in this situation, the work uses the time and space conventions of the exhibition space. It is therefore an »exhibited object«, or an exhibition itself.«222 20 Dancers passt sich jedoch nicht an die Öffnungszeiten der Tate Modern und nicht an die der hannoverschen Oper an. In Abstimmung mit der jeweiligen Präsentationsinstitution setzt Charmatz eine eigene angemessene Dauer der Ausstellung, auch mit Blick auf das Gesamtkonzept des jeweiligen Musée de la danse-Events fest. Die Kurzlebigkeit, meist ein bis drei Tage, spricht für das Intervenierende als ein Wesensmerkmal, das größte Flexibilität mit sich bringt. In allen drei Ausstellungen wurde bewusst auf die räumliche Trennung zwischen Performer*innen und Zuschauer*innen verzichtet und sich auf die Tatsache eingelassen, dass sich die Gäste in einer Ausstellung frei bewegen können. Sie sitzen nicht in einem von der Bühne klar abgetrennten Zuschauerbereich, sondern laufen durch denselben Raum wie die Performer*innen. Der Tanz wird somit nicht aus Distanz zur Bühne angeschaut und der Bewegungsraum der Zuschauer*innen ist damit nicht nur auf ihre Sitzstühle beschränkt. Ausstellungsbesucher*innen sind nicht mehr nur Rezipient*innen, sondern Teilnehmer*innen.223 Die »Tätigkeit des Besuchers«, ob als Betrachter*in, Zuschauer*in, Zuhörer*in, Beobachter*in, aber auch als Beobachteter oder Beobachtete, treibt die Handlung der Ausstellung durch »sein Interesse und seine Bewegungen im Raum« voran.224 Nicht mehr wir kreisen um die Kunststücke, sondern wir begeben uns in das Werk, sind Teil des Werks. Die Ausstellung funktioniert als ein gemeinsam benutzter Raum und die Ko-Existenz der Besucher*innen und Performer*innen ist werkimmanent.225 Auf Seiten der Rezipient*innen ist es ein Erlebnis, den Tanz so hautnah vor sich zu sehen. Die Nähe zu den Tänzer*innen erlaubt eine direkte körper222 LE ROY, Xavier: Notes on Exhibition Works Involving Live Human Actions Performed in Public, in: COSTINAŞ, Cosmin und JANEVSKI, Ana (Hg.): Is the Living Body the Last Thing Left Alive? The New Performance Turn, Its Histories and Its Institutions, Berlin 2017, S. 77–81, hier S. 79. 223 Vgl. HANAK-LETTNER 2011, S. 109. 224 Ebd., S. 111. 225 Siehe Erika Fischer-Lichtes Ausführungen zum Aufführungsbegriff: FISCHER-LICHTE 2004.
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liche Wahrnehmung, mal berühren sich die Körper kurz oder man spürt den Atemzug des vorbeitanzenden Performers oder der Performerin. Die ganzleibliche Erfahrung mit einer »empfindend-spürende[n] Wahrnehmung« ist eine andere Form des Denkens, die nicht zu unterschätzen ist. Das aufgewertete Körperwissen hat den Großteil der Museen noch gar nicht erreicht.226 Theatertanz hingegen ist vornehmlich nicht hautnah. Er kann für den Laien als nicht erreichbar, unnahbar und erhaben erscheinen. Das Gefühl, ein Tanzereignis hautnah und involviert erleben zu dürfen, macht es einmalig und besonders. Femke Gyselinck betont aus Sicht der Rezipient*innen die Einzigartigkeit von Tanz im Museum: »[…] because you understand that what you see is unique because it only happens before your eyes. The fact that it’s unique makes it. If you are in a piece. The fact that you understand that it becomes such a personal experience […]«227 Die Präsentation von Live-Tanzkunst in einer Ausstellung evoziert also neue Möglichkeiten der Rezeption, ästhetischen Wahrnehmung und intensiven Erfahrung von Tanz, da direkte Begegnungen zwischen allen Teilnehmenden zustande kommen, die durch die räumliche Anordnung im Theaterraum in dieser Form nicht entstehen können. Dies führt auch zu radikalen Veränderungen und Verschiebungen hinsichtlich der Publikumsrolle.228 In LiveTanz-Ausstellungen kann der Tanz in Bewegung rezipiert werden. Die Besucher*innen entscheiden, wo sie stehen, wen sie beobachten – ob Tänzer*in226 Vgl. WERNSING, Susanne: Dinge und denkende Körper im Raum. Kuratieren oder Choreografieren?, in: HOINS, Katharina/MALLINCKRODT, Felicitas von (Hg.): Macht. Wissen. Teilhabe. Sammlungsinstitutionen im 21. Jh, Bielefeld 2015, S. 163–180, hier S. 173. Zur Rezeption mit dem Körper: ALKEMEYER, Thomas u.a. (Hg.): Ordnung und Bewegung – Choreographien des Sozialen. Körper in Sport, Tanz, Arbeit und Bildung, Bielefeld 2009; KLEIN, Gabriele/NOETH, Sandra (Hg.): Emerging Bodies. The Performance of Worldmaking in Dance and Choreography, Bielefeld 2011. 227 Gespräch mit Femke Gyselinck, 29.07.2016 in Darmstadt, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel 7). 228 Ich bleibe hier bei dem Vergleich mit dem Theaterraum, auch wenn mir bewusst ist, dass zeitgenössischer Tanz mittlerweile an unterschiedlichsten Orten abseits der Bühne stattfindet. Doch ist die Theaterbühne weiterhin der meist benutzte und erprobte Spielort für den Tanz. Auch experimentelle Stücke lösen im Theater die Begrenzung zwischen Zuschauer- und Performerraum auf, so bspw. bei Boris Charmatz’ Manger in Hannover.
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nen, Choreograf*in, Musiker*innen oder andere Besucher*innen – was sie machen, welchem Element der Ausstellung sie sich besonders widmen, mit wem sie interagieren und wie lange sie verweilen. Für die sitzenden TheaterRezipient*innen ist diese Fülle an Blick- und Standoptionen nicht gegeben. Denn sie sitzen von Beginn bis Ende einer Tanzaufführung in der Regel auf ihren Plätzen im Zuschauerraum.229 Auch wenn dieser Aspekt hier als gemeinsames Wesensmerkmal aufgeführt wird, unterscheiden sich die Konzepte der Choreograf*innen in Bezug auf die Besucherrolle ungemein. Le Roy lädt seine Besucher*innen ein, teilzunehmen, indem sie sich auf direkte Dialoge mit den Performer*innen einlassen können. Eine derartige Interaktion wie sie bei »Retrospective« stattfindet, ist in Work/Travail/Arbeid nicht zu beobachten. Die Rosas-Tänzer*innen reagieren meist nur in geringem Maße auf die Besucher*innen, und zwar dann, wenn jemand bspw. in der Laufbahn steht, diese dann etwas ausweichen müssen und dadurch ihre Raumwege leicht verändern. Das Geschehen im Ausstellungsraum zeigt, dass es sich hierbei nicht um eine zum Gespräch einladende Situation handelt. Die sich im Laufe der Zeit entwickelnde Choreografie findet hier vornehmlich ohne sprachliche Elemente statt. Hier bewegen sich die Tänzer*innen dynamisch oder verlangsamt mal an einem Platz, mal durch den ganzen Saal laufend, sodass die Besucher*innen den Performern*innen oft Raum zum Tanzen frei machen und zur Seite weichen. Der Verlauf von »Retrospective« ist von den Besucher*innen abhängig. Le Roys Performer*innen tanzen nicht, wenn sich keiner in der Ausstellung befindet. Erst sobald jemand den Raum betritt, beginnt die »choreografische Maschine«230 sich von Neuem oder weiter zu drehen. Ohne Besucher*innen gibt es keine Ausstellung. Die Choreografie von Work/Travail/Arbeid läuft im Gegensatz dazu ohne Besucher*innen weiter, sodass die Ausstellung auch ohne eine anwesende Person im Raum existiert. Die Rosas-Tänzer*innen und Ictus-Musiker*innen performen, ob mit oder ohne Zuschauer*innen, um nicht mit dem Ablauf des zyklischen Zeitplans zu brechen. Bei De Keersmaekers Ausstellung werden die Besucher*innen zwar als eine Art unkontrollierbares Element mit bedacht, doch besitzen sie keinen Einfluss in den Ausmaßen wie bei »Retrospective«.231 Es kann vorkommen, dass jemand von den sich durch den Raum
229 Siehe hierzu auch: HANAK-LETTNER 2014. 230 CVEJIĆ 2014, S. 11. 231 Vgl. Gespräch mit Femke Gyselinck, 29.07.2016 in Darmstadt, siehe Interviews und Gespräche im Anhang (Kapitel 7).
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bewegenden Tänzer*innen, von der Aufsicht oder von De Keersmaeker selbst gebeten wird, zur Seite zu weichen oder die Tasche aus dem Weg zu räumen, sodass man sich als Besucher*in teilweise wie ein Störfaktor im Ausstellungsgeschehen fühlen kann. Die Gleichwertigkeit aller Beteiligten, so wie man sie in Le Roys Ausstellung mitunter erfahren kann, erlebt man in Work/Travail/ Arbeid nicht. Eine hierarchische Struktur zwischen Choreografin, Tänzer*innen und Besucher*innen ist hier offensichtlich. De Keersmaeker ist immer mal wieder im Raum präsent, spricht mit ihren Tänzer*innen und gibt Anweisungen während sie performen.232 Bei Le Roy stehen die direkten Dialoge mit den Rezipient*innen sowie die sich daraus ergebenden Beziehungen zwischen Besucher*innen und Performer*innen im Vordergrund. Ebenso erlaubt 20 Dancers eine unmittelbare Interaktion mit den Besucher*innen. Hier ist es zwar nicht wie bei »Retrospective« im choreografischen Ablauf mit eingeplant, indem bspw. eine direkte Ansprache an die Neuankömmlinge stattfinden würde (Begrüßungsszene bei »Retrospective«), doch ist es den Performer*innen durchaus überlassen, auch in den Dialog mit den Gästen zu treten. So sprach z.B. der Tänzer Mani Mungai seine Zuschauer*innen in Hannover an, begrüßte sie und ermunterte sie dazu, sich eine Bühne vorzustellen. Auch der Tänzer Frank Willens trat in direkter Interaktion mit seinen Zuschauer*innen und fragte sie, ob sie Rainers Manifest hören und sehen wollen. Und beim irischen Volkstänzer Coline Dunne konnten die Besucher*innen Tanzschritte erlernen und auch Raphaëlle Delaunay lud dazu ein, die Bewegungsabfolge aus Pina Bauschs Nelkenreihe zu lernen. Was die drei Ausstellungen noch verbindet, ist der Verzicht auf materielle Exponate, wie in Kapitel IV schon als Eigenschaft einer Live-Tanz-Ausstellung betont wurde.233 Statt Kunstobjekte zeigen die Tänzerchoreograf*innen Ephemeres und Immaterielles: körperliche Bewegungen, Aktionen und Tanz. Was als Objekte in den Ausstellungen zu entdecken ist, sind lediglich Gebrauchsgegenstände. So befinden sich in »Retrospective« Tische und Computer als Arbeits- und Rechercheplätze im zweiten Raum. Und für Work/Travail/Arbeid benutzen die Tänzer*innen eine an einem Band angebundene Kreide, um das geometrische Muster auf dem installierten Tanzboden nachzuziehen. Zudem sind zur zeitlichen Orientierung zwei Uhren in den Räumen an der Wand befestigt. Wenn man möchte, können diese Gegenstände auch als Requisiten bezeichnet werden. Zum Abspielen von Musik benutzten einige Tänzer*innen 232 Vgl. ebd., S. 240. 233 LISTA 2014, S. 7.
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der 20 Dancers lediglich einen tragbaren Ghettoblaster. Doch um ausgestellte Exponate handelte es sich bei diesen Gebrauchsobjekten nicht. Sie standen nicht als Erinnerungsstücke oder Dokumentationsmaterial vergangener Tanzstücke im Fokus der Präsentation, so wie es bei den im Kapitel IV vorgestellten Ausstellungen der Fall war. In Anlehnung an eine sonst übliche Hängung von Gemälden und der Anordnung von Objektkunst positionieren sich Le Roys Performer*innen im Ausstellungsraum. Sie ersetzen die sonst in einer Kunstausstellung üblichen Werke. Anders verhielt es sich jedoch mit 20 Dancers in den Sammlungsräumen der Tate Modern, denn hier existierten Charmatz’ Tänzer*innen parallel zur ausgestellten Kunst der Sammlung. Sie platzierten sich neben, vor oder zwischen ihnen und intervenierten mit ihren Bewegungen und Aktionen als flüchtige Ausstellung in einer bereits existierenden, permanenten Sammlungspräsentation. Kunstobjekte und die tanzenden Körper lagen oft in einem Blickfeld, es war teils unmöglich, sie unabhängig voneinander zu betrachten. Auf diese Art entstand bei der Rezeption automatisch ein Dialog zwischen den Bewegungen der Tänzer*innen und den ausgestellten Sammlungswerken. Bezüge zueinander konnten hergestellt werden, es beeinflusste die Wahrnehmung und Rezeption des Tanzes und ebenso der Objektkunst. Sowohl die Beirut-Version von »Retrospective« als auch die Brüsseler Version von Work/Travail/Arbeid fanden in leer geräumten Ausstellungssälen statt.234 Die Reduktion auf das Wesentliche unterstützte, dass sich die Aufmerksamkeit der Besucher*innen sowohl auf das Geschehen – den im Hier und Jetzt stattfindenden Tanz und den sich damit ergebenden Begegnungen – lenkt. 20 Dancers fand in der Tate Modern zwar nicht in leeren Räumen statt, dennoch wurde hier ebenso auf bühnenübliche Gestaltungselemente wie eine Kostümierung, Bühnen- und Lichtdesign verzichtet und auf Einfachheit geachtet. Da Work/Travail/Arbeid eine Adaption des zuvor entstandenen Bühnenstücks Vortex Temporum ist, ähnelt diese Ausstellung mit ihren Gestaltungskomponenten einer Bühnenaufführung am stärksten. De Keersmaeker ließ im Gegensatz zu Le Roy und Charmatz Tanzboden installieren und entschied sich für eine Kostümierung ihrer Kompanie. Sie entschied sich für live gespielte Musik der Komposition Vortex Temporum, nutzte dasselbe geometrische Bodenmuster, auf dem auch die Choreografie von Vortex Temporum basiert und übernahm das choreografische Bewegungsmaterial des Bühnenstücks. Zwar 234 Zur Einfachheit beziehe ich mich bei »Retrospective« auf die Version im Beirut Art Center und bei Work/Travail/Arbeid auf die WIELSER Version (siehe oben).
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verwendete De Keersmaeker kein direktes Licht- und Bühnendesign, dennoch ist die Freilegung der Fensterabdeckung und das bewusst genutzte Eindringen des Tageslichts für die atmosphärische Wirkung ein inszenatorisches Mittel. Was sich durch die Anpassung an den Ausstellungsraum und den Museumsbedingungen bei De Keersmaekers Arbeit vor allem verändert, soll noch einmal zusammengefasst werden: Der Ort, ein Museum anstelle eines Theaters; die zeitliche Länge, von einem einstündigen Stück hin zu einer neunwöchigen Dauer, die Verdopplung der Anzahl der performenden Tänzer*innen, die an die Umgebung angepasste Kostümierung sowie die Besucher*innen als nicht zu kontrollierendes Element.235 Durch die detaillierte Analyse der einzelnen Fallbeispiele ist es deutlich geworden, dass jeder neue Präsentationsort zu einer komplett neuen Ausstellungsversion führt. Die Live-Tanz-Ausstellungen sind ortsspezifische Arbeiten, die sich durch den Ort und den damit gegebenen Kontext jeweils neu bilden. Jede Version ergibt sich vor allem aus dem Ausstellungsort (Räumlichkeit und Kontext), den zeitlichen Rahmenbedingungen (Öffnungszeiten und Ausstellungsdauer) sowie den Teilnehmer*innen und ihren Handlungen (Besucher*innen, Tänzer*innen, Museumsmitarbeiter*innen). Bei De Keersmaeker ist der Ausstellungsort der größte Faktor, der zu Veränderungen führt. Le Roys und Charmatz Konzepte hingegen bringen auch inhaltliche Veränderungen mit sich, da die Choreografen für jede neue Ausstellungsversion mit neuen Tänzer*innen zusammenarbeiten. Le Roy kollaboriert, wie in Kapitel 5.2.1 erläutert, mit lokalen Performer*innen, die jeweils Teile ihrer Biografie zum Gegenstand ihrer individuellen Retrospektive machen. Und Charmatz lässt seine 20 Tänzerkolleg*innen mitbestimmen, welche Ausschnitte sie aus der Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts präsentieren und wie und auf welche Art sie diese vermitteln. So entstehen an jedem neuen Ort neue inhaltliche Themen und Schwerpunkte, die sich aus den jeweiligen Tänzerteilnehmer*innen und dem Präsentationsort samt Kontext ergeben. Le Roys und Charmatz’ Tänzergruppen sind äußerst heterogen. Sie bringen verschiedenste Tanzstile, -sprachen sowie -prägungen mit. Im Gegensatz dazu arbeitet De Keersmaeker mit ihrer Kompanie. Was bedeutet, dass alle ihre Tänzer*innen sich die De Keersmaekersche Bewegungssprache angeeignet haben und anwenden. Dabei besteht Work/Travail/Arbeid aus einer festgesetzten Choreografie, die von allen
235 Das Bühnenstück wurde mit einer Besetzung getanzt, für WIELS wurden zwei Besetzungen eingesetzt.
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für die Ausstellung eingesetzten Tänzer*innen erlernt werden muss. Hier beschreibt die Choreografie einen zuvor entwickelten, erprobten und festgelegten zeitlichen und räumlichen Ablauf, der sich von einer Ausstellungsversion zur nächsten in geringerem Maße verändert, als es bei Le Roy und Charmatz der Fall ist. Alles ist im Detail festgelegt und keine Bewegung ist nicht choreografiert – u.a. auch, wie die Musiker*innen sich von einem Platz zum anderen bewegen. Le Roy und Charmatz hingegen geben die Kontrolle über das Geschehen der Ausstellung ab. Im Sinne einer kollektiven Autorschaft bestimmen ihre Tänzerkolleg*innen, was genau sie aus ihrem Körperarchiv präsentieren wollen. Die tänzerische Praxis der beiden Tanzkünstler basiert auf einem erweiterten Verständnis von Choreografie, so erläuterte Charmatz: »choreography is ›not only dancing bodies‹. Rather, ›[i]t’s more like architecture in that there are theories, questions and problems that must be considered before a new work can be ›built‹.«236 Choreografie versteht sich bei Le Roy und Charmatz auch in »Abgrenzung zur Werkästhetik«, was bedeutet, dass sie »nicht als Tanzschrift oder Inszenierungstext betrachtet wird, sondern als künstlerischer Schaffensprozess.«237 Bei Le Roy ist der Ablauf festgesetzt. Es gibt zudem festgelegte Bewegungsphrasen wie bspw. die Begrüßungssequenz. Die einzelnen Retrospektiven der Performer*innen stammen aus ihren eigenen Körperarchiven, sind selbst erarbeitet und mit choreografischen Ausschnitten aus Le Roys Stücken bestückt. Auch bei Charmatz ist das Körperarchiv der Tänzer*innen die Quelle der vorgeführten Tanzkunst. Sowohl bei 20 Dancers als auch bei »Retrospective« ist das Biografische und die Sprache als »Methode« der Tänzer*innen Teil des Konzepts. Sie erzählen aus ihren Erinnerungen ein Stück Tanzgeschichte. Der zeitliche und örtliche Rahmen der Live-Tanz-Ausstellungen wirkt sich auf den Gesamteindruck der künstlerischen Arbeit als neue Version aus, die entweder dem Format einer kurzlebigen Aufführung oder einer mehrwöchigen Ausstellung näherkommt. So funktionierte 20 Dancers in Hannover eher wie eine Aufführung: Die Zuschauer*innen kauften sich vorher ein Ticket, das die zuvor festgelegte Uhrzeit des Beginns mitteilte. Am Abend der Veranstaltung warteten wir gemeinsam vor der Tür bis zum Start des 180-minütigen Entertainments, das nicht auf der Bühne, sondern in der gesamten Oper stattfand. In der Tate Modern war 20 Dancers im Rahmen des Gesamtkonzepts If 236 CHARMATZ/WOOD 2015, S. 4. 237 HUSEMANN 2009, S. 21.
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Tate Modern was Musée de la danse? ebenso als ein 2-tägiges Event, das im üblichen Alltagsgeschehen der Tate Modern intervenierte, kurzlebig. Genauso war auch die Tate Modern Version von Work/Travail/Arbeid mit drei Tagen von kurzer Dauer, sodass das Ereignishafte der Veranstaltung betont wurde. Die Urversion von neun Wochen in Brüssel wirkte hingegen mehr wie eine Ausstellung. Wie im Kapitel 5.3.2 am Beispiel von Work/Travail/Arbeid erläutert, besitzen die Veranstaltungsorte und ihr Image einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die ephemere künstlerische Arbeit. Es spielt eine große Rolle, ob das Museum wie die Tate Modern, das Centre Pompidou oder das MoMA in New York ein Touristenmagnet ist, oder ob es sich eher um eine kleinere Institution handelt und möglicherweise außerhalb der Stadt verortet ist, wie bspw. das Beirut Art Center. Zudem ist es relevant, ob die jeweilige Institution ein breites Vermittlungsangebot anbietet, das zum Besuch von diversen Gruppen führt, welche die Atmosphäre und die sich ergebenden Konstellationen im Raum stets verändern. Adrian Heathfield äußert sein Interesse am Angebot, das Langzeitperformance-Projekte wie »Retrospective« für Institutionen der bildenden Kunst haben: »They demand not only different conditions of attention to work, but a kind of spectatorial inhabitation of the place of seeing, and a transformation of existing institutional practices.«238 Durch das Format der Ausstellung erreichen die Tanzkünstler*innen ein neues Publikumsklientel, das Tanz in diesem Rahmen und in dieser Form im Kunstbetrieb für bildende Kunst oft nicht erwartet. Es sei denn, die Tanz-Ausstellung wurde explizit als Besuchsziel ausgesucht. Wie in Kapitel II beschrieben, ist eine Ausstellung ursprünglich zwar für die Eins-zu-Eins-Kontemplation erschaffen worden, doch gelingt es durch das Format, Menschenmassen zu erreichen. Noch nie so viele hatten die Gelegenheit, ein Stück von De Keersmaeker und ebenso die Griseys Komposition live zu sehen und zu hören wie durch Work/Travail/Arbeid. Mit Live-Tanz im Museum entwickelt sich ein anderes Besucherverhalten, denn für das Publikum ist Tanz im Format einer Kunstausstellung und auch im Rahmen eines Kunstbetriebs neu. Hierfür existiert kein etablierter Verhaltenskodex.239 So entsteht eine Mischung aus Theater- und Museumsverhalten, wie in Kapitel 5.3.2 anhand von Work/Travail/Arbeid erläutert. Die Erkenntnisse der Autor*innen des Textes »How Tate Modern became Musée de la danse« 238 HEATHFIELD/LE ROY 2015, S. 158. 239 Vgl. FILIPOVIC 2015, S. 40.
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bestätigen dies in Bezug auf das Besucherverhalten. Im Vergleich zu Objektkunstausstellungen stellten sie eine längere Aufenthaltsspanne fest.240 Die Möglichkeit einer langen Beobachtungszeit gibt den Besucher*innen zudem die Chance, die Strukturen der präsentierten Choreografie zu verstehen. Gerade bei De Keersmaeker, deren choreografische Arbeiten auf strikten geometrischen Strukturen basieren, ist es hilfreich, ihren Tänzer*innen eine Weile zuzuschauen. So ist es durch die stunden- und tagelange Performance möglich, die Merkmale des choreografischen Konzepts zu erfassen. Auch bei Le Roy wird im Laufe der Zeit deutlich, was die Auslöser im System sind. Je länger man einer Choreografie zuschaut, umso mehr Wiederholungen und Phrasen sind wiederzuerkennen. Die Erfahrung in der Ausstellung ist von vielerlei Komponenten abhängig: von der Besuchszeit und -spanne, den Mitbesucher*innen, der Performance der Tänzer*innen, dem eigenen Empfinden und vieles mehr. Bei allen drei Fallbeispielen ist es unmöglich, alles zu erleben, denn keiner bleibt durchgehend von der Vernissage bis zur Finissage in der Ausstellung und hat die Möglichkeit in alle Ecken des Präsentationsraumes zu schauen. Die eigene Erfahrung ergibt sich aus fragmentarischen Stücken, als Ausschnitte aus dem gesamten Geschehen, was sich über eine Zeitspanne von mehreren Stunden, Tagen und/oder Wochen entwickelt. Jede Begegnung mit der Ausstellung ist eine individuelle Erfahrung. Und das persönliche Ausstellungserlebnis ist einzigartig.
240 FINBOW/GIANNACHI/TOLMIE 2018, S. 213.
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Als Reaktion auf die vermehrte Präsenz von Tanz und Performance in Museen steht in dieser Arbeit die Tanzkunst in Verbindung mit dem Format der Ausstellung als Präsentationsmedium im Fokus. Ein ausführlicher Blick auf die Forschungslage ist nötig, um sich der Thematik zur Tanzkunst im Kontext der bildenden Kunst sowie in der gegenwärtigen Ausstellungspraxis anzunähern (1.2). Wie die Tanzkunst in den Ausstellungskontext gelang und wie zeitgenössischer Tanz im Format der Ausstellung präsentiert werden kann, sind dabei die leitenden Fragen. Daraus ergeben sich die folgenden drei miteinander verbundenen Untersuchungsfelder, die zugleich auch die weitere Struktur und den Aufbau der Arbeit bestimmen: zur Kunstausstellung als Medium und Präsentationsformat (1.2.1), zur historischen Entwicklung von Tanzkunst im Ausstellungskontext (1.2.2) sowie zum zeitgenössischen Tanz in Ausstellungen der Gegenwart (1.2.3). Ein erstes Ziel ist es, dem Phänomen der Tanzkunst im Ausstellungsformat mittels einer historischen Einordnung und Kontextualisierung auf die Spur zu kommen, bevor gegenwärtige Ausstellungen die Tanzkunst präsentieren in den Mittelpunkt der Analyse gestellt werden. Kapitel II befasst sich mit der Kunstausstellung, da sie als Medium und Format den Rahmen für die Präsentation der ausgestellten (Tanz-)Kunst bildet. Wie ist ihre Entwicklung zu verstehen, was ist heute das Besondere an der Ausstellung und was waren die Voraussetzungen für gegenwärtigen Tanz im Ausstellungsformat? Ein historischer Rückgriff zeigt, wie die Ausstellung als Präsentationsformat für die Kunst überhaupt entstanden ist und wie sie sich im Verlauf der Jahrhunderte bis zur Gegenwart entwickelte. Die temporäre Ausstellung und das auf Dauerhaftigkeit ausgelegte »historisierende« Museum werden hierbei als voneinander unabhängige Konzepte der Moderne verstanden, die sich erst in Form der musealen Ausstellungspräsentation vereinten. Die Ausstellung als museales Präsentationsformat sollte der Kunstkontemplation von Wertob-
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jekten der Marktgesellschaft im fortschreitenden Industriezeitalter dienen. Wie sich hiermit schon andeutet, verändert sich das Wesen der Ausstellung in einem fortlaufenden Transformationsprozess stets in Abhängigkeit zu gesellschaftlichen Wandlungsprozessen – von Verkaufsausstellungen des 18. Jahrhunderts, über den Pariser Salon und den Akademieausstellungen als Leistungsschauen bis zur Weltausstellung im Industriezeitalter sowie der ersten Venedig Biennale und weiter zum White Cube als internationales Standardkonzept für die Kunstpräsentation im 20. Jahrhundert, der nun im Zuge der sich im 21. Jahrhundert herausbildenden Erlebnis- und Konsumgesellschaft als Erlebnis- und Erfahrungsraum für die Rezipient*innen benutzt wird. Im Zuge der Performatisierung wurde die Ausstellung zu einem Experimentierfeld für Künstler*innen und Kurator*innen. Dabei wurden als unverrückbar erscheinende Parameter des Ausstellungsformats in Frage gestellt und das Beziehungsgeflecht von Künstler*in, Kunst und Rezipient*in ordnete sich neu. Nach der historischen Entwicklungsbetrachtung rückt das gegenwärtige Ausstellen sowie Merkmale zeitgenössischer Ausstellungen ins Zentrum. Ausstellungen sind nicht mehr statisch, sondern dynamisch, flexibel und offen in ihrer Struktur. Die Anordnung materieller Exponate im Raum wird inzwischen durch performative Strategien erweitert oder ersetzt. Gegenwärtige Ausstellungen gelten als »performative Räume«, die als Aufführungen und Ereignisse verstanden werden können. Ihre Adressat*innen sind weiterhin die Kunstbetrachter*innen, die jedoch nun noch mehr in das Ausstellungsgeschehen involviert sind und in Bewegung gesetzt werden. Die Betrachter*innen nehmen eine konstitutive Rolle ein, in einem Erlebnis- und Wahrnehmungsraum, der Möglichkeiten zur ästhetischen Erfahrung anbietet. Die etablierten Öffnungszeiten erlauben es den Besucher*innen, ihre Zeit frei einzuteilen und auch die Dauer ihrer Rezeption können sie weiterhin individuell bestimmen. Zudem passt sich das Medium der Ausstellung immer seiner zu präsentierenden Kunst an. Durch die Entgrenzung der Künste und die Hinwendung zum Tanz entstehen neue Präsentationsformate, die in Kapitel IV und V zum Thema der Ausführungen werden. Der Tanz verändert das Ausstellungsformat. Der ausführliche Blick auf die Entwicklung der Ausstellung als Präsentationsformat bis zu den Merkmalen und Besonderheiten gegenwärtiger Ausstellungen legt einen Grundstein für die weiteren wissenschaftlichen Ausführungen. Um aufzuzeigen, wie die Tanzkunst in den Ausstellungskontext gelangt, blickt Kapitel III auf die Beziehungen zwischen Tanz, bildender Kunst, Muse-
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um und Ausstellung im Verlauf des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Dabei wird deutlich, dass das Phänomen Tanz im Museum nicht, wie öfters so dargestellt, neu ist1 , sondern die Tanz-Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon im Museum tanzte (3.1). Die Pionier*innen des modernen Tanzes ließen sich für ihre neuen Tanzkonzepte von der bildenden Kunst inspirieren, zugleich nutzten sie das Museum als Tanzbühne sowie als Plattform zur Etablierung ihres freien Tanzes als eine eigenständige Kunstform, die der bildenden Kunst ebenbürtig sein sollte. Auf der Bühne wurden Tanz, Bildhauerei, Malerei sowie Dichtung durch die Ballets Russes, die Bauhausbühne mit Oskar Schlemmer, den Dada-Abenden und Labans Auffassung von Kunst, sowie später außerdem durch Merce Cunningham und John Cage vorangetrieben, zu nebeneinanderstehenden, gleichwertigen Künsten, die gemeinsam Gesamtkunstwerke erschufen. Wichtig ist hierbei ebenfalls der Blick auf die Institution Kunst, die ebenso zum Wandel beitrug und im aktuellen Geschehen eine bedeutende Rolle spielt. Mit dem Brooklyn Museum Dance Center und MoMAs Department of Dance and Theater als zwei eindrückliche Beispiele veranschaulicht sich, dass schon in den 1930er Jahren institutionelles Interesse an den neuen, modernen Formen des Tanzes bestand (3.2). Grant Hyde Code ging es um eine aktive Integrierung von Tanz in den Museums- und Ausstellungskontext. Und MoMAs Tanzarchiv und später kuratorische Abteilung für die Bühnentanzkunst bemühte sich um die Etablierung einer Sammlung und die Präsentation von Ausstellungen, die Bühnenbildarbeiten, Kostüme, Dokumentationsmaterial und Kunstwerke, die Tanz als Motiv darstellen oder von ihr inspiriert sind, beinhalteten. Der Fokus liegt hier noch auf materielle Spuren des vergänglichen Tanzes. Insbesondere Code beeinflusste einige Museums- und Ausstellungsmacher*innen. So gab es schon früh auf Seiten der Kunstinstitutionen, wenn auch abhängig von einzelnen Persönlichkeiten, Schritte zur vereinten Präsentation von Tanz und bildender Kunst sowie der Integrierung der Tanzkunst in den Ausstellungs- und Museumskontext. Zudem etablierten sich die ersten Tanzarchive im deutsch- und französischsprachigen Raum und zeigten Interesse an dem neuen modernen Tanz. Es wird deutlich, dass der Tanz und die bildende Kunst durch die Jahrhunderte hindurch in einem stetigen Austausch stehen und ihr Verhältnis 1
SHEETS, Hilarie M.: When the Art Isn’t on the Walls (22.01.2015), The New York Times, https://www.nytimes.com/2015/01/25/arts/design/dance-finds-a-home-in-museums. html (17.11.2021).
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als fruchtbar und wechselseitig zu beschreiben ist. Gegenseitige Inspiration, gattungssprengende Kollaboration bis hin zur Verwebung und Verschmelzung der Künste sind hierbei die markanten Charakteristika der Beziehung von Tanz und bildender Kunst. Der Ursprung der aktuellen interdisziplinären und -medialen Ausrichtung der Künste, welche die Grenzen zwischen Kunst, Theater, Performance und Tanz fließend werden lässt, liegt in der Vergangenheit. Neben den dargestellten Entwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt hierbei auch der ästhetische Wandel von Tanz und bildender Kunst in den 1960er und 1970er Jahren, einhergehend mit der performativen Wende und der Entstehung des postmodernen Tanzes auf dem Weg hin zur gegenwärtigen Tanzkunst im Ausstellungsformat als höchst relevant. Tanz und bildende Kunst, insbesondere Performance-Kunst, begannen sich in ihrer Erscheinung und Ausdrucksform stark zu ähneln und sich mit ihren künstlerischen Strategien zu einer performativen Kunst zu vereinen. Das Aufbrechen von strikten Gattungs- und Genregrenzen sowie die dadurch entstehenden Vermischungen diverser Kunstformen ist eine der größten Errungenschaften dieser Zeit. Wenn auch zeitgenössischer Tanz und gegenwärtige Performance-Kunst sich in Ausdruck und Erscheinung ähneln, ist es ein Anliegen dieser Arbeit, deren unterschiedliche historische Herkunft darzustellen, die den feinen Unterschied von Tanz und Performance-Kunst der Gegenwart ausmachen. Performance-Kunst entwickelte sich im Zuge der performativen Wende aus dem Bild und damit aus der bildenden Kunst heraus. Wohingegen die Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes seinen Ausgangspunkt zu Beginn des 20. Jahrhunderts findet, dann, als die Pionier*innen des freien Tanzes aus Ablehnung des klassischen Balletts heraus ihre eigene Tanzsprache erfanden und den freien modernen Tanz etablierten. Was ist nun neu am gegenwärtigen Tanz in Ausstellungen und Museen? In der Vergangenheit waren es die Tanzkünstler*innen, die nach Alternativen zur Bühne suchten. Aufführungen wie Cunninghams Museum Event No. 1 sowie Lucinda Childs Available Light waren Sonderereignisse, die nach einer circa einstündigen Aufführung wieder beendet waren. Aktuell ist Tanzkunst nicht mehr »nur« Zusatz- oder Begleitprogramm im Museums- und Ausstellungskontext, sondern Hauptthema von Ausstellungen. Der Kunstbetrieb öffnet seine Türen für die Tanzkünstler*innen. Das Interesse am Tanz geht stark von den Kunstinstitutionen aus. Es sind ganze Ausstellungen und Performancereihen, die sich den darstellenden Künsten und insbesondere dem Tanz widmen. Die Tanzkunst ist dabei, sich in der Ausstellungs- und Museumswelt zu ver-
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festigen. Eine performative Wende im Ausstellungsraum vollzieht sich und die Kunstinstitutionen sind auf der Suche nach neuen Ausstellungs- und Präsentationsformaten, um der ephemeren Kunstform gerecht werden zu können. Im Anschluss an die historische Einordnung folgt dann mit Kapitel IV und V der fokussierte Blick auf Ausstellungen der Gegenwart. Wie kann zeitgenössische Tanzkunst mit seiner immateriellen Flüchtigkeit im Ausstellungsformat präsentiert werden? Die ausgewählten Beispiele teilen sich in von Kurator*innen und von Choreograf*innen gestaltete Ausstellungen (IV). Zunächst wird anhand der kuratorischen Modelle allgemein festgestellt, dass sich die Ausstellungsmacher*innen bedingt durch die Vergänglichkeit des Tanzes gerne auf Dokumentationsmaterial berufen und die Spuren des Tanzes in Form anderer Medien ausstellen. Gewagt werden Einstreuungen von Live-Tanz als Aufführungen, die meist zu vorbestimmten Zeitpunkten im Rahmen der Kunstpräsentationen gezeigt werden. Der Tanz wird damit also teils medial und teils als Live-Erfahrung vermittelt. Welcher Anteil in den Ausstellungen überwiegt, steht nicht nur in Abhängigkeit zum Konzept, sondern auch zum Rezeptionszeitpunkt der Besucher*innen. Besuchen die Rezipient*innen die Ausstellung in einem Zeitfenster ohne geplante Performances, erleben sie die Ausstellung in einer eher klassischen Form mit materiellen Exponaten als Platzhalter für die vergangenen Tanzaufführungen. Der analytische Fokus der Arbeit wird auf von Choreograf*innen gestaltete Live-Tanz-Ausstellungen gesetzt, da die Transformation der Ausstellung als Format größer ist als bei einer eingestreuten Integration von Tanz in Form von (kurzen) Aufführungen. Wie in Kapitel IV erläutert, bestehen Live-Tanz-Ausstellungen aus real im Hier und Jetzt stattfindendem Tanz, der statt auf der Bühne im Ausstellungsraum präsentiert wird. »Retrospective« by Xavier Le Roy, Work/Travail/Arbeid von Anne Teresa De Keersmaeker und 20 Dancers for the XX Century von Boris Charmatz und dem Musée de la danse dienen hierfür im Kapitel V als Fallbeispiele, die unterschiedlicher nicht sein können. Die Analyse zeigt auf, was die Besonderheiten dieser drei Live-Tanz-Ausstellungen als Fusionen von ephemerer zeitgenössischer Tanzkunst und dem Ausstellungsformat sind. »Retrospective« by Xavier Le Roy (5.2) versetzt die Retrospektive als Rückschau in einen Produktionsmodus, der aus recycelten Elementen früherer Stücke eine neue choreografische Arbeit entstehen lässt, die sich aus künstlerisch inszenierten Situationen ergibt. Die Besucher*innen stehen im Fokus des Ablaufs. Sie werden von den Performer*innen direkt adressiert und gerne in Gespräche involviert. Als Auslöser eines choreografischen Rotationssystems nehmen
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die Rezipient*innen eine konstitutive Rolle im Ausstellungsgeschehen ein und können aktiv den Verlauf der Ausstellung mitgestalten. Work/Travail/Arbeid (5.3) ist eine Adaption des Bühnenstücks Vortex Temporum. Für die Ausstellungssituation im WIELS transformierte De Keersmaeker das einstündige Stück in eine neunwöchige fortlaufende Ausstellungsperformance, die aus einem mehrstündigen Zyklus besteht. Ihre Choreografie entfaltet sich zur live gespielten Komposition Griseys und orientiert sich an einem geometrischen Bodenmuster aus Kreisbahnlinien. Sie basiert vor allem auf alltäglichen Bewegungen wie das Gehen, Laufen, Stehen und sich um die eigene Achse drehen. Die Besucher*innen können sich durch die choreografische 360-Grad-Ausrichtung direkt in den Performanceraum hineinbegeben und sich vom wirbelnden, im Kreise drehenden Tanz umgeben lassen. Sowohl »Retrospective« by Xavier Le Roy als auch Work/Travail/Arbeid bedienen das Kriterium der permanenten Verfügbarkeit der Kunst während der Öffnungszeiten der Kunstinstitution. Die kurzlebige Ausstellung 20 Dancers for the XX Century (5.4) hingegen widersetzt sich diesem institutionellen Parameter, denn das lebende Archiv zur Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts ist für die Besucher*innen nur für einige Stunden zugänglich sowie erlebbar. Das Besondere dieser choreografischen Ausstellungsarbeit ist ihr intervenierender Charakter sowie die Flexibilität und Unabhängigkeit gegenüber dem Kunstbetrieb. Das Konzept der Ausstellung funktioniert in vielerlei Rahmungen, unabhängig davon ob Museum, Bibliothek, Oper oder im Freien. Es erinnert an Cunninghams Eventformat (3.3.2), das ebenso überall auch fern vom Kunstbetrieb und deren Ausstellungsräumen stattfand. Die drei Fallbeispiele lassen als Kombinationen von Live-Tanz und dem Ausstellungsformat den sich entfaltenden Tanz aus hautnaher Nähe erleben. Der bewusste Verzicht auf eine räumliche Trennung zwischen Performer*innen und Zuschauer*innen führt dazu, dass alle einen gemeinsamen Bewegungs- und somit Erfahrungsraum teilen.2 Dadurch ändert sich die Publikums- und damit Rezipient*innenrolle. Die sich bewegenden Besucher*in-
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Es gibt durchaus auch Live-Tanz-Ausstellungen, welche die räumliche Trennung von Performer*innen und Besucher*innen bewahren. So war es in der Museumsfassung von De Keersmaekers Stück Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich im K20 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf der Fall. Hier wurden Plattformen installiert, auf denen die Tänzerinnen performten und die eine klare Abgrenzung zum Zuschauerbereich signalisierten. Die Besucher*innen verteilten sich um die Plattformen herum.
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nen entscheiden, wo sie stehen, wen sie beobachten – ob Tänzer*innen, Choreograf*in, Musiker*innen, andere Besucher*innen oder Ausstellungsmitarbeiter*innen – was sie machen, welchem Element der Ausstellung sie sich besonders widmen, mit wem sie interagieren und wie lange sie verweilen. Sie werden als Rezipient*innen zu aktiven Teilnehmer*innen. Die Ausstellung funktioniert als ein gemeinsam benutzter Raum und die Koexistenz aller Beteiligten ist werkimmanent. Die drei Live-Tanz-Ausstellungen evozieren also neue Möglichkeiten der Rezeption, ästhetischen Wahrnehmung und intensiven Erfahrung von Tanz, da direkte Begegnungen zwischen allen Teilnehmenden zustande kommen, die durch die räumliche Anordnung im Theaterraum so nicht entstehen können. Was sie zudem ausmacht, ist ihre Ortsspezifität. Es sind choreografische Arbeiten, die sich durch den vorgegebenen Ausstellungsraum und den dazugehörigen Komponenten jeweils neu bilden. Jeder neue Präsentationsort führt daher zu einer neuen, noch nie da gewesenen Ausstellungsversion. Variable Parameter sind hierfür vor allem der Ausstellungsort (Räumlichkeit & Kontext), der zeitliche Rahmen (Öffnungszeiten & Ausstellungsdauer), die Teilnehmer*innen und ihre performativen Handlungen im Raum. Oft gibt es dabei nicht nur einen, sondern mehrere Ausstellungsräume, die teils gleichzeitig bespielt werden. Für die Rezipient*innen ist es somit sowohl räumlich als auch zeitlich unmöglich, alles zu sehen und zu erleben. Sie müssen sich entscheiden, was zum Fokus ihrer Aufmerksamkeit werden soll. So gibt es auch keinen klaren Anfang und kein deutliches Ende mehr. Die Aufführungen im Ausstellungsraum bleiben somit bewusst fragmentarisch, sodass das Ereignishafte betont wird. Bei Le Roy und Charmatz kommt eine weitere Komponente hinzu, nämlich die inhaltliche Veränderung der Ausstellung bedingt durch den Wechsel der Tänzer*innen und ihren eigenen Retrospektiven, Körperarchiven sowie Tanzgeschichten. Als Autoren geben Le Roy und Charmatz ihre Rolle an ihre Performer*innen weiter. Es bleibt ihnen überlassen, über tanzbiographische Aspekte zu erzählen, Tanzstile zu vermitteln und interaktiv zu erfragen, ob ihre Zuschauer*innen mehr sehen oder selbst ausprobieren wollen. Bei ihnen steht eine kollektive Autorschaft im Vordergrund. Im Rahmen von »Retrospective« und 20 Dancers wird der direkte Dialog mit den Besucher*innen gesucht. Alle Beteiligten sind gemeinsamer Teil einer gelebten Tanzgeschichte. Tanzvermittlung stellt sich also neu dar und wird erlebbar gemacht.
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Was die drei Ausstellungen noch verbindet und damit ein Spezifikum dieser Fusionen von Live-Tanz und Ausstellung ist, ist der Verzicht auf materielle Exponate als »Stellvertreter« für die flüchtige Tanzkunst. Statt Kunstobjekten zeigen die Tänzerchoreograf*innen Ephemeres und Immaterielles: Körperliche Bewegungen, Aktionen und Tanz. Was als Objekte in den Ausstellungen zu entdecken ist, sind lediglich Gebrauchs-gegenstände. So befinden sich in »Retrospective« Tische und Computer als Arbeits- und Rechercheplätze im zweiten Raum. Und für Work/Travail/Arbeid benutzen die Tänzer*innen an einem Band befestigte Kreide, um das geometrische Muster auf dem installierten Tanzboden nachzuziehen. Wenn man möchte, können diese Gebrauchsgegenstände auch als Requisiten bezeichnet werden. Doch um ausgestellte Exponate handelte es sich bei diesen Gebrauchsobjekten nicht. Sie stehen nicht als Erinnerungsstücke oder Dokumentationsmaterial vergangener Tanzstücke mit im Fokus der Präsentation. In Anlehnung an eine sonst übliche Hängung von Gemälden und der Anordnung von Objektkunst positionieren sich Le Roys Performer im Ausstellungsraum. Sie ersetzen qua Person/Körper die sonst in einer Kunstausstellung üblichen Kunstwerke. Anders verhielt es sich jedoch mit 20 Dancers in den Sammlungsräumen der Tate Modern, denn hier existierten Charmatz’ Tänzer*innen parallel zu den ausgestellten Gemälden und Kunstobjekten der Sammlung. Sie platzierten sich neben, vor oder zwischen ihnen und intervenierten mit ihren Bewegungen und Aktionen als flüchtige Ausstellung in einer bereits existierenden, permanenten Sammlungspräsentation. Kunstobjekte und die tanzenden Körper lagen oft in einem Blickfeld, es war teils unmöglich sie unabhängig voneinander zu betrachten. Auf diese Art entstand bei der Rezeption automatisch ein Dialog zwischen den Bewegungen der Tänzer*innen und den ausgestellten Sammlungswerken. Bezüge zueinander konnten hergestellt werden, es beeinflusste die Wahrnehmung und Rezeption des Tanzes als auch der bildenden Kunstwerke. Das gegenwärtige Phänomen von zeitgenössischem Tanz in Verbindung mit dem Ausstellungsformat muss in den großen historischen Kontext gestellt werden. Durch die Erarbeitung der geschichtlichen Zusammenhänge mit Blick sowohl auf den Tanz als auch auf die bildende Kunst hin zum Eindringen der Tanzkunst in den Ausstellungskontext ist eine der wissenschaftlichen Leistungen und füllt damit eine Lücke im Bereich der Kunstgeschichte. Denn ein historischer Überblick über Tanzkunst in Ausstellungen oder Tanz im Museum existierte bisher nicht. Und die Arbeit zeigt historisch auf, warum zeitgenössische Tanzkunst sich gegenwärtig zu einem festen Bestandteil des Ausstellungs- und Museumsprogramms von Institutionen für zeitgenös-
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sische Kunst etabliert. Nach der geschichtlichen Entwicklung müssen die Ausstellungen der Gegenwart, die Live-Tanz präsentieren, im Fokus stehen. Die Tanzkunst als immaterielle und ephemere Kunstform führt hierbei zu einigen Herausforderungen, da sie nicht zum traditionellen Forschungsfeld der Kunstgeschichte gehört und klassische Theorien und Methoden des Fachbereichs dem Gegenstand hier nicht gerecht werden können. Hilfestellung geben hier theaterwissenschaftliche Theorien wie Fischer-Lichtes Ästhetik des Performativen, die u.a. den Begriff der Aufführung in den Mittelpunkt stellt. Zudem ist es im Umgang mit den drei analysierten Live-Tanz-Ausstellungen wichtig, selbst als Besucher*in Teil der Ausstellung gewesen zu sein. Das Erleben der Ausstellungen im Hier und Jetzt wird anhand einer subjektiven Beobachtungsbeschreibung festgehalten, um auf diese Weise den flüchtigen Tanz mittels einer sprachlichen Darstellung für die Leser*innen einzufangen. Die Beschreibungen der Ausstellungen nehmen einen wichtigen Part in den detaillierten Analysen von »Retrospective« by Xavier Le Roy, Work/Travail/Arbeid und 20 Dancers for the XX Century ein. Die Ergebnisse, die bereits oben zusammengefasst wurden, stehen im engen Zusammenhang mit den drei Fallbeispielen. Die gemeinsamen Dimensionen der Live-Tanz-Ausstellung können nicht ohne Überprüfung auf weitere Ausstellungen übertragen werden. Denn jede neue Ausstellung bräuchte ihre eigene Analyse, um ihre Spezifika herausarbeiten zu können. Die Darstellung und Ausarbeitung der Thesen anhand von Einzelanalysen ist daher bewusst gewählt. Monografische Live-Tanz-Ausstellungen stehen im Kontext anderer Formate, die Tanz und Ausstellung fusionieren. So wäre es spannend in weiterführenden Forschungen andere Formate wie bspw. Sammlungsausstellungen in den Mittelpunkt zu stellen.
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Interviews und Gespräche Zu »Retrospective« by Xavier Le Roy Gespräch mit Xavier Le Roy, Beirut Art Center (BAC), 04.10.20151 KR: Could you tell me something about the production process? How much time did the dancers have to prepare for this kind of exhibition? XLR: We came here in April to meet the performers. There were about 25 or 30 dancers and performers with whom we got in contact through Zeina Hannah, who was part of »Retrospective« in Paris and Hamburg. She is from Beirut, she knew the process. It was a way to get in contact, and to address the people here. We spent a day with everyone together. I do this together with my artistic collaborator Scarlett Yu. Since some editions I always work with someone, which was not the case at the very beginning – not for Barcelona, not for Rennes. In Brazil Christoph Wavelet was together with me, in Hamburg, New York and Bogota, it was Ben Evans. Most of the time I have an artistic collaborator with me, which is important, to diversify the remarks, the input, continue to work individually as much as possible and also share experiences from the side of people who have performed in the work. KR: What do the artistic collaborators do? XLR: They participate in the whole process, in the workshop which we do to meet people and for potential performers to meet us and the work for example.
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Der Wortlaut der gesprochenen Sprache wurde beibehalten.
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I explain and expose the idea, I describe the project so that they have an idea of what it is about and what they are supposed to do. It might not be common, as it is not so usual to perform for such long duration and in such museum spaces. As much as I look for people, I expect them to make a choice if they want to work with us, if they are interested in the frame of the exhibition or not. Then we talk, we discuss, there are many questions. Then we work on certain materials that are used for the exhibition. KR: So, you show them already extracts? XLR: We learn one or two loops, we learn enough material to make a sketch of the main room of the exhibition, the first space of the exhibition you experience when you come in. At the end of the day, they have a good idea about how it goes. The next days we, the artistic collaborator and I, spent an hour with each one to discuss questions, their biography, their practices, and why and how they decided to become professional artists. This is one of the main questions we start with and from there we follow the conversation. KR: Is it important for you that they have an interdisciplinary approach? When I read the biographies there were often no straight lines in the careers, life paths, maybe because it’s so difficult to become a professional artist. XLR: It is not a conscious criterion. I don’t think in this term of interdisciplinary when I choose people to work with. It is difficult to make generalities over all the experiences I have, but very often in the stories there is a choice of making dance or choreography as a practice out of a non-choice, out of an impossibility of something else. This is something I am maybe attracted to because of my own trajectory, not by identification. Rather because it says something about making decisions and how decisions are made for you. It says something about our society and the pressure to specialise and to choose as early as possible a discipline or something that one wants to do as a profession to be good or better. And I think this imperative as political connotation […]. It’s interesting to follow up with this concern in different countries, it’s like reading the history of the country through their stories. Here [Beirut]: Civil War, along the different generation. The impact is not the same, but it has an impact on all. These shared »collective« events and how each one is affected by them, retell something about it through an individual perspective. This is
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one of my primary curiosities, rather than to dance in a museum. Dance is not really what I want to do in that exhibition, the objective is not to dance in the museum. It’s rather to work with people who have decided to work in the field of dance and follow what conditioned their decisions as a filter to do something about the notion of collectives and individuals. I’ve been marked as a non-dancer person. How can I bring dance to the museum? If non-dance is the category of choreography that I have done, this is totally nonsense. It’s a problem of categories. The need of creating categories or going through them to understand things that are done out of categories or by mixing disciplines, can unfortunately reduce the meaning and understanding of what a work can do. But to continue with the process. For me it starts there, the decision to make a group of people where each one is different. I avoid forming a group with 10 people of same age or ten ballerinas, because classical ballet would become the main subject of the work then. It would be another work. The choice of the people is more made by this different relationship to their decision of making art as their profession, a different generation hopefully … without wanting to be exhaustive. It’s not easy to display the criteria, I’m not really able to tell the criteria more than what I did for now. KR: It is rather a subjective choice then. XLR: It is. Even the desire of having diversity is a subjective choice that doesn’t have any correct answer. […] The work starts with the first individual rehearsal, together with my artistic collaborator. We meet each of them, three times, three hours. Then, bit by bit, we will discover through the work what kind of knitting their individual stories will do for a common understanding. KR: And the dancers have to prepare beforehand? XLR: They receive the texts, some of the older video links, they can see the archive. If they start to work and they need more, they can write to me. But there is no expectation that they have to be prepared. KR: Are there expectations that they have a connection with your work?
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XLR: No. It varies from one edition to another. In some places some people have encountered my work and some not at all. This time, here, two persons have seen the live work before. However, it is not necessary that they have seen or heard of it. I ask during the interview, but it is not an important criterion. Then we spend these three individual rehearsals with them. We start to prepare their story. How they can think about the task of making a retrospective of my solo work using their practices, experiences or tell a story about their life through using things from my work. KR: Can it be fiction? XLR: I think it is only fiction in the sense that they will compose something out of the choices they make. It is not really important if it’s true or not…When we discuss I always say that the objective is not to invent something fantastic, but rather to look for significant moments or experiences that you have encountered, and that becomes something fantastic or very special. When we talk about our lives, it’s fictionalised. By repeating something you make a story with your life for THIS EVENT. In this story, this narrative, there are parts that might not be transformed, or which are transformed either voluntarily or because remembering and memory also transform and select how the truth is. Not that you want to lie but it needs to be told in a certain way to transport what you want to remember or to convey with it. It’s all a game of the conscious or unconscious. The fiction is to retell the story. From another point of view, the expectation is not that they do a lecture about my work and that they talk about my work, how it is or not, if they like it or not … In the end they do not just talk about my work at all, but they use it. Each one tries to see and sense what this work can do to them. Like any other artwork. You experience a painting or a performance. It is obvious that this does something to you or not. You are touched, or scared, or it makes you think about something you never thought about or… it makes you angry…That’s how we try to work with each of them. It takes time. It never finishes. KR: Each performer has an individual rehearsal? XLR: Yes, each one has three times three hours. It takes almost three weeks. After that we do two weeks of collective rehearsals, with two main directions: in the morning we work on the collective material, what we all share: this chore-
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ography that is used to welcome the visitor, the loops, the immobility, that are already chosen. KR: The choreography to welcome the visitor, has it existed in all exhibitions? XLR: Yes, since Barcelona – although in Barcelona, it came together through the experience of it. I had this idea of the four positions, this was already prepared and then some rules came up through the practice of how to adapt it to different situations. Because any situation is different, there are some modifications, but the structure of the choreography has always been there. We work on this quiet early during the collective rehearsals. It takes time. Then, the last days we try to have visitors and test it. There is a process of learning that continues when we have the visitors coming to the exhibition, because there is a certain technique, a certain way of performing that we can only rehearse when we have the flow of the visitors. We also perform for each other as visitors, but it’s not the same. We try to have people coming into the space as early as possible. KR: What kind of first visitors was it here (at BAC)? XLR: The people from the team who work here, and they asked some friends. When we do this, it gives feedback about the different situations. The entering of the visitor is never the same, but the more we repeat it, the more we encounter figures, it becomes a sort of pattern that they can embody and learn, and they become freer to compose it. KR: Is it different in each country how the visitors react and how the exhibition is developing during the days and weeks? XLR: It’s not only the visitors, but it’s also about the kind of institutions and what kind of relation they have to the public. It’s another work when you present it here in this space at BAC, which is an art centre, a bit displaced from the city. It’s not a place where people come by, they have to drive here. It’s not a place that continuously has exhibitions, one after the other or several exhibitions at the same time. Here, people are coming for the »Retrospective« exhibition. If the size of an institution allows several exhibitions at the same time, there is a big difference. At MoMA PS1 in New York, for instance, there were two
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or three other exhibitions in the building at the same time, when we did »Retrospective«. MoMA PS1 is a bit aside from the centre of Manhattan but it is on the tourist map. There is a kind of circulation. At the Tàpies Foundation 70 % to 80 % of the people go there for the paintings of Antoni Tàpies. At PS1 MoMA more than half of the visitors go there to see what is there, no matter if there is an exhibition or not. Before thinking of differences between countries and differences of visitors, there is a difference produced by its institutions itself that has also a relationship to the city and to the culture. Here [BAC] we have a public with rather specific interest in art. When we were at Centre Pompidou in Paris, we had a mixed public, some with specific interest in art and some tourists doing their Parisian sightseeing tour. On the other hand, you have some institutions that have a strong education program like Fundaciò Antoni Tàpies in Barcelona or the Museu de Arte do Rio De Janeiro. There were a lot of schools, that changed »Retrospective« a lot. In Barcelona, we had two or three classes every morning. In Rio all day long. These museums are linked to education as part of their program. Here, at BAC, we have some schools coming to the exhibition. If there is a strong education program, that is an important value, which also transforms the relationship to the work. For instance, in Hamburg, it was holiday time in August, so that additional education programs did not take place. But we had another kind of relationship to the public, because of the other exhibition, a retrospective of the work of Maria Lassnig, that was there at the same time in the same venue. Most would come for the Lassnig exhibition and then discover »Retrospective« by chance. In addition, we had the public from the international summer festival organised by Kampnagel that invited their guests to the project. That produces of course a very diverse range of interactions in the sense of some being more surprised, and some having expectations that contrast with the space. […] KR: When you are in the exhibition space and the exhibition is running … How do you behave in the exhibition space? XLR: I observe, I give feedback also during the opening, when they finish with their shift or when they are in the second room. There are two or three levels to give feedback, one is their »Individual Retrospective« – that continues to develop, and which is transformed by the relationship to the visitors who make
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them change, make them having questions. The other level is a need to rediscuss something provoked by a situation or certain behavior or question from the visitors. And thirdly, there is the effect of repeating over and over the movement material. It can be transformative and homogenize the differences. The movements we use have different qualities, different modes to address, different kinds, and it is difficult to maintain them through the exhibition. I remind them of this fact to refocus on the specificities of each material. KR: It is constant working progress. XLR: It’s very challenging to perform because it’s many things to do. Each one is concerned with her or his story, quite difficult and challenging. You have to prepare this, it’s your thing, how you communicate, it’s maybe the biggest individual worry, and at the same time you have to be together with the others to welcome the visitors. It’s this back and forth between being connected with others together and being concentrated on your own story. The first week of the exhibition performers are mainly concerned about getting at ease with this position of being with a visitor, it is sort of intimate. It’s not that we look for intimacy. But let’s say, you are close to other people and share something from yourself. The second week they can start to be more connected to what happens in the room at the same time. You connect with the other events that takes place, bit by bit it becomes also like a game you play with. That’s a process. It changes and they change or develop the stories from time to time. Three weeks is not so long. However, there are some changes to their »individual Retrospective« because confronting it with the visitors settles how and what you really want to share – getting bored with one own narrative can happen when it’s nine weeks. KR: Why only three weeks here at BAC? XLR: There are two criteria: the needs of the production and the potential public that you can estimate. The exhibition needs to have a public to run. It is also one of the problems here, that there is not a continuous flow that makes the work become like a program of performance, instead of being an exhibition. When there is nobody, the performers don’t do it. When somebody comes in, we do it. Then we stop again. Ideally, we try to do the work following the continuity of the exhibition and to give the sense that we perform for this or these
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visitors with beginnings and ends of each shared story. Here this overlap is not really taking place. That’s tiring, that’s difficult. For the performers, if there are long periods without visitors entering the space they wonder: Why are we here? It should also be a continuous process. What do we do in between? It’s a time where you can continue to rework, rethink, discuss while the visitors are not inside. KR: Did you already change something? XLR: Yes, some »Retrospectives« have changed. That’s also very specific to each one, some would prefer to have something solid and need to repeat several times in very similar way. And through the repetition it will slowly be modified. Some cannot or don’t want or have a looser structure that will form itself through the exhibition. Other performers will literally drop parts of their stories because they realise it doesn’t fit or it’s superficial. Or it’s not doing what they thought it could do. It’s a process until the end. In the long run there is also this moment after four weeks, five weeks, where it becomes a bit more difficult. It’s like you’ve reached a sort of expansion of the possibilities, and you get tired of that repetition, so the energy and the desires are going down but then usually it comes back. It’s what I could observe with a long duration exhibition (8 weeks and more). KR: How many hours do they have to perform? XLR: It depends on the places. Here we use a system of only three weeks. We are open five days a week, it’s eight hours on Wednesday, Thursday, Friday, it’s seven hours on the weekend, every day the performers work five hours within the eight hours and on Saturday or Sunday it’s four hours out of six, and they have a break. We need six people in the museum space all the time and three during a break. In another situation where the exhibitions run longer, we do it in shifts. Two shifts, six people doing from ten to two and six from two to six or seven. If it’s for a longer duration, for example in New York, we were a team of 18 performers and there is a need of twelve performing every day. They didn’t work every day of the week, which makes a very complex schedule. […]
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KR: Do you think that the dance world needs the art institutions? XLR: All the work I’ve done for an exhibition it came from a curatorial demand or interest. KR: This is different from the 60ies. At that time, it came rather from the artists, they wanted to explore new places… XLR: I don’t know in which direction it will lead but I think one has to look at each artist and how each one works with these institutions. Boris Charmatz for example –transformed an institution dedicated to dance in something that he calls the Musée de la danse exploring wide possibilities of what such a name given to a choreographic center can be. I have interest or curiosity but was not conscious about it before trying. Working in art institutions for exhibitions produces a form that I’m very interested in. I wish to continue to use it to do things that are very different from making a piece in the theatre. KR: How does the museum or the art space inspire you? XLR: The conditions that the space proposes, the space and time, make things possible, while making other things impossible. The art spaces/museums come with some limitation in a way, not in the sense of being limited, but it is a frame for actions. These frames make you think about what you can do. Somethings that it does to you as well as other things that you can do to it and that would be impossible in any other framework. The proposal of »Retrospective« comes from the space and time conditions of an exhibition space that is open eight hours a day five days a week. Added to the decision to work with live actions, that already gives a lot of instructions, what to do with it. And I’m interested in this. How this is already creating something. A theatre makes another frame, creates other possibilities and other kind of relationships to time, to space, and between the artwork and the public. KR: The institutions have a big impact on the artworks that they present… Would you say the performers are exposed or exhibited? You already said before they should be received as human beings.
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XLR: In »Retrospective« we play with this question. We have different kinds of actions – loop, narrative, immobility that are related to the understanding or manners of being exhibited/exposed or exhibiting/exposing one selves. We go from one extreme to another. When a performer takes a position, trying to be immobile as an object would be, which is a material and a way of performing close to being exhibited. Whereas when a performer chooses to share something personal within hers/his retrospective, as a subject can do, that can be close to exhibiting oneself. There are two extremes, that you can also reverse, when you tell a story and discuss it with a person. The work should allow to explore ways of performing and perceiving a range of understandings of oneself and the others as subject and object. One is never completely subject or object by desire, choice, and by projection of the others. But there is at stake the diverse proportion of subject and object in each one that can be explored and played with within »Retrospective«. As a performer you are not necessarily exhibited, but you are exposed in a diverse sense through what you say or what you share as a subject. Each performer has an agency to do this. It’s an important concern of the work – the different kind of agencies, the different kind of forms, the different modes of performance that come with these 3 categories of actions: the immobility, loop, narrative. But my intention is not to exhibit human beings or bodies because we are in an exhibition space. We are addressing or questioning the meanings, the potential of exhibiting in relation to exhibition spaces. In a theatre we exhibit ourselves, too but within other conditions and rules. KR: It’s always about the definitions. XLR: Not necessarily the meaning, but the degree or the quality of the difference of the sense of exhibition, of oneself in the exhibition space. KR: Compared to Tino Sehgal, what is the difference to your work? XLR: Tino is a friend for a very long time. Through friendship we have participated in the work of each other. My works in exhibition spaces benefitted a lot from what he has done within the visual art institutions he worked with. He has insisted to make works in museums with live actions requiring the continuous presence of the interprets of his works during the opening hours of the
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exhibition. They are situations, like one of his works calls for. Through our discussions I understood that the works I do in theatre were driven by the wish of producing situations, using the theatre as a situation. The differences, as far as I observe it and understand it, is that the work of Tino is very driven by the desire of replacing the objects by something else. From there he develops operations that deal with the time and space to make this transformation possible and get rid of objects as a mean of making art and exchange. One should be careful to generalize the work of Tino, it would require a more detailed analysis. But rather than a need to get rid of objects, my questions are more driven by how time affects or how we can effect time within a given space/situation such as an exhibition space. What drives me is the desire of transforming the experiences of time. What it means to work in a museum, to give the time, to take the time of someone. I am not very interested in making new objects, but I have nothing against using objects. In »Retrospective« the performers can use objects if they really need … But I like to ask: is there a way we can do it without? What would that make us produce, do, in terms of actions? Nevertheless, if one needs to have a paper to read because the act of reading is necessary to convey the meaning of what they perform, I would not have a problem with it. I guess this would be impossible in the work of Tino Sehgal. This is one difference, there are others. The use of costumes, the light. I am very influenced by him, and he has been by me. It’s a dialogue. He has insisted that the exhibition is not a performance. That is a strong take in this field, which I totally use and benefit from. In our shared history, I made a project called E.X.T.E.N.S.I.O.N. (1999–2000), which Tino was part of. I had proposed to work: Five days a week, seven hours a day open to the public all the time. My intention was not to do an exhibition. This work should be presented in a gymnasium, places that and are usually not used for art presentation. The choice of the duration of the work and the constant public presentation is driven by concerns about what it is to work as a performer and how this work comes in relationship with the public. What are the things that should be public, what has to become public? We have done this three weeks long in Berlin in the frame of a dance festival and in Antwerp, during two weeks in the frame of the exhibition »Laboratorium«. It was my first work that deals with this format, but not addressed as a no-to-object (like Tino Sehgal). We were using a lot of objects. And with the desire of addressing the idea of being at work as the artwork being experienced by the public, we were making an exhibition by being there all the time, performing this idea for a duration rather than by a given time of appointment to the public to start the performance.
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KR: Can you imagine that one day someone will re-enact one of your pieces? XLR: I don’t know, it’s not my intention. I will go on performing as long as I can. If I cannot do it myself anymore, I could imagine that other people perform. It’s possible. It would be interesting to see what it would become if other people perform my work. KR: It is difficult for you to see what the performers in »Retrospective« make out of it sometimes. XLR: No. What is difficult sometimes is to find the way that allows the embodiment of movements that resist certain bodies. It’s not difficult because of transformations that each one does to the movements. That is part of the game and the dialogue between movements and bodies. Sometimes they make me laugh, not because it’s ridiculous but rather because of a strange mirror effect. It’s a process of learning about what I have done. Sometimes the transformation is too far from what the tasks of the movements need or want to convey. For movements we use common material which are produced by tasks. The qualities of the task should be within the movement. That’s maybe something that can be difficult to achieve for one or the others. For the movement that they use in their individual retrospectives, the narrative allows to comment on it. For example someone might say: »I don’t have the body of Xavier, so I cannot do it …« then unfold reflexion about who can do what, what bodies accept or reject etc… But they choose to perform that very movement and they just did it. They did something else? It looks different? Was it motivated by the attempt or the desire to do something that you cannot do? That is already a subject. And that is part of performing and the potential of transformation that performance has. They are free to choose. KR: Is everything allowed in the exhibition? XLR: Yes, with the limit that you don’t put the performers in danger. There is no restriction, there are rules to use and to play with. Taking pictures? Each performer can say at any time if it is uncomfortable: Please don’t take a picture.
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E-Mail Interview mit Malek Andary, »Retrospective«-Tänzer, 11.10.2021 KR: Did you participate for the first time in that kind of project – dance in an exhibition space? MA: As a dabke dancer I used to dance everywhere. I even choreographed for many exhibitions in Dubai and in Beirut, but in those exhibitions our participation was expected because we looked different to people as we were wearing folkloric or artistic clothes. We performed to people who were attending for the reason of the exhibition, economic or agricultural or sport … etc. But I did not perform before as »being« the exhibition and people attending to see us as the main (artistic creation or material) in the space and nothing else. We were there as ordinary people then we became the material of the exhibition by our stories and bodies and dance. This was a great experience for me. KR: Were the working conditions better than for »usual« dance productions (also financially)? MA: For Beirut it was fair, the conditions were great, we had time for training and for being productive and to experience what we are creating in the same place. We usually train in studios, in »Retrospective« we trained and created our performances to that space. So, the space became part of me, as I am part of the space. We built a relation with the space. Financially all artists have another income to survive, for me the payment was fair to keep me financially safe to be able to concentrate on the project. KR: What was your intention to participate in »Retrospective« as a performer? MA: For me I always seek to learn and make new experiences; it is also about building relations with artists who have a vision and creativity away from the red carpets and screens. KR: What have you experienced during the work for »Retrospective«? Which experiences were good and which ones were bad?
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MA: I believe experience is neutral. It is how you deal with it; it will turn good or bad. For me it was so good that I started a new style of creating my theatrical performances based on what I learned from Retrospective. KR: How did you approach and learn Xavier’s work and his choreographic material? How did you adapt or transform it for your story? MA: The way Xavier manage to deliver his material to us was so simple and direct. He is a great teacher, we enjoyed every moment and it was like a game. We had fun in learning and creating. It was a hard work with the pleasure of mixing my story with another person’s story. I watched his performances and I saw that some of his materials were telling parts of my story in different stages of my life. So, I matched and mixed what was meaningful for me. I picked the materials that represent me in Xavier or that represent Xavier in me. KR: You did stop performing, when no visitors were in the space, right? MA: Our time was managed between ready to perform, or reading and watching Xavier’s materials or simply relaxing. KR: Did you feel exhibited like an object from time to time? MA: No, I was a living artist with people interested in what I was performing even in the motionless position people were looking and waiting to see what’s coming next. KR: How would you describe the encounters with the visitors? MA: Visitors were a big part of my learning process. Each visitor has his personality and interest. With time I learned how to adapt to them and how to catch their attention while performing my story, especially when there were some visitors who were really part of my real life or part of a play or activity. Some people were so involved emotionally and they confirmed some incidents and I got one comment from a lady about my real story. She did not believe it. She told me: I liked your fake story … KR: Did your personal retrospective change during the weeks of the exhibition?
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MA: Yes, every time I performed it was going better. Xavier told us that we will gain control with time. And so, it was. KR: How important do you think is the »archive/rehearsal« section for the visitor and for you, as the performers? MA: As a performer it was adding to our story and strengthening it, when you start to perform you start to understand the choreographic materials by Xavier more and you start to see it from another perspective. Some of the people were interested and started their search, some were curious and some just wanted to add their opinions. KR: What are the big differences between performing on stage and performing in an exhibition environment? MA: It happened to me many times that I reached the event place, expecting to perform on a stage. Then the musicians were on stage, so there was no place left to perform, or the stage was not ready, so, I performed between people or in front of the stage. The performer must keep the same quality in all situations and the act must go on. The differences are in the tools and the audience. On Stage. The light, sound, decorations, curtains, accessories, effects, and the assistants are backstage and everything is organized and ready and prepared. Even the audience is expecting or in other expression, they paid or at least reserved to watch a performance or a play and they are seated. The performance time in known. The performer’s back is safe, people are watching from front and maybe sides and from a distance. The performer’s necessity of improvisation is less and depends on his interaction with the audience. He is able to use customs and accessories, such as through the help of light effects and decorations and even sound effects. Even a break is normally foreseen between the first and second act if needed. In the exhibition. The space is subjected to many changes, sometimes there are few people, other times groups and big crowds. The audience is not expecting a performance or interaction, their time is not fixed. Some stay, some will leave, some will not even care or are too shy to get involved, so it is more about catching people’s attention and keep them around. The task of the performer is not to use tools but to create an imaginary tool in people’s minds. The performance time is
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usually longer. Your success depends on improvising and adapting. No light or sound or decorations help you like on stage especially if the exhibition is in the day time or in open spaces. The audience is close and from all directions and they are able to touch you or your props you are using. If I imagine performing on stage as a triangle, then I am standing on one angle. In an exhibition I feel it is a circle and I am the center. KR: Do you perform in an exhibition in a different way than compared with when you perform on stage? MA: Yes. It is another concept. But same quality. KR: What do you prefer: to present your dance in an exhibition environment or to present your work on stage in a traditional way, meaning to rehearse unseen and present the final work on stage in front of an audience? And why? MA: It depends on what I want to deliver to the audience. For a traditional play it is more lovely on stage with all the effects, but relating to storytelling and interaction it is more fun in exhibitions. I love both. It is a need in me to experience and experiment both. KR: Did it lead to other projects in the visual art context? MA: I experimented my part of »Retrospective« and adapted it on a stage performance in my town (Ebadieh) in Lebanon, with a group of people performing the stories I was telling and the characters. This was very interesting to the audience. Even after the performance I was asked by the kids about the stories and some parents told me that their kids were acting like me after the performance. Especially the part when I was their age. Adding visual context attracts another category of people especially those who are not so interested in theatre but want to see what is going on. KR: What do you think is the outcome of the fusion of dance and the exhibition format? MA: The concept of dance in people’s mind is broken after seeing the performer dancing so close to them. Once he is among the audience, then he becomes the center of the act. People expect dancers to be on stage and the
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choreography as in stories or films or plays. Watching it as an exhibition, it will enter their own private space and they are part of the choreography and actually become an element of the performance. KR: What was the outcome for you, of your participation in »Retrospective«? MA: »Retrospective« makes a shift in how I can deal with my own body space, and my stories and chorography. It was the first time for me to notice my ability of transforming my own story – biography – into a performance with a lot of martials adapting them to the NOW. The present moment. KR: Do you think it is another kind of dance that develops in the museum/exhibition context? Is there a site-specific exhibition dance evolving? MA: Every stage dance has a start and end, specific kind of movements, energy and partners. Those regulations are not limiting the performer in the exhibition. He can jump into the end, riding the audience’s imagination using the energy in a flexible way and as a solist his body is his own partner. Technology and economy are consuming people’s time and pushing them away from art, theater and life. The exhibition as a format for dance gives the opportunity to dance close to the people which might remind them of their existence and being.
E-Mail Interview mit Scarlet Yu, Tänzerin in »Retrospective« und künstlerische Assistentin, 30.11.2019 KR: Was »Retrospective« your first project in the visual art context and in an exhibition space? SY: No, I’ve performed in exhibition and museum spaces in the context of sitespecific dance since early 2000 in Singapore. KR: Did it lead to other projects in the visual art context? SY: Yes, the experience of working in »Retrospective« had led me to explore the choreography »A performance…« in 2017 as a part of the exhibition When will I see you again curated by Enoch Cheng. And it led me to a series of collaborations with Xavier Le Roy – Temporary Title in 2015, For the Unfaithful Replica in 2016 at
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Centro de Arte Dos de Mayo, For Performance! in 2017 at Tripostal in Lille and Still Untitled in 2017 at Skulptur Projekte Münster. KR: What was your intention to participate in »Retrospective« as a performer and artistic collaborator? SY: In 2013, I was studying in a master program and my research area was spectatorship and the different approach of shared knowledge production within choreographic performances. I did an interview with Xavier and some performers in »Retrospective« for a case study. Soon after that, Xavier invited me to join him as artistic collaborator for the edition in Singapore, which was my base for 10 years. I was thrilled to take part in it and to get a handson experience, and to gain another perspective. Subsequently, I took part in different editions in Beirut, Taipei, Mexico City and in Berlin. KR: What is your role as the artistic collaborator? What are your tasks, your responsibilities? SY: Regarding the question of »role«. I would like to share an antipode in this project. Before I joined the project in 2014, I came from a company background with a typical hierarchical structure where each person was given a role. I was the rehearsal director with clear tasks and responsibility to carry out for the company. The power distribution is fixed, and the aim of such a structure is to achieve efficiency by doing only what your role requires and at the same time ignore to act on something else, because it is not within your role. And often, one is reduced to the fixed role. With such a background, I recall asking Xavier about what my role is in this project? What do you expect me to do? And his reply was »I expect you to collaborate artistically and do what you think you should do in this project.« This amounts to a generous invitation which asks for my agency and my subjectivity to participate in shaping the project. It inspires me how each time the question »How do we work together?« is put at work in each edition. Most of the time, I do a wide range of taking care in a dynamic and dialogic way. I’m in dialogue with Xavier from the exhibition layout in different spaces, to the selection of the artist, communication with the institution, working closely with Xavier and the collaborating artists in their respective individual rehearsals, giving feedback and thinking together with each collaborating artist’s individual retrospective and sharing common material and my own ex-
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periences during collective rehearsals. I’m present during the entire exhibition period to enable the continuity of putting things at work. KR: What changes from »Retrospective«-version to version, from museum to another museum or exhibition space? SY: Primary »Retrospective« is working together with the local artists wherever it is situated. Each city has its own specificity and accessibility in relation to arts. Hence, it brings the richness into the artists’ perceptions and concerns. For example, the edition of Singapore in 2014. At that time, the tension of state censorship towards art practitioners was high and implicitly became a shared concern manifested in the »individual retrospectives« among the artists. Regarding the museum, each has its specific relation towards the public, institutional framework and experience of presenting artwork that is composed of human live action. A common example is the security arrangement. It is a common practice that the museum has a guard inside to guard the safety of the exhibit and policing visitors’ behaviour, or a guide or mediator to explain the artwork etc. We usually request to remove this »figure of police and teacher« in the exhibition area. We often start by inviting all the guards or the guides or mediators to visit the exhibition, so they have a chance to experience the work and better understand our intentions. Sometimes, it requires daily negotiations throughout the exhibition period. On the other hand, the relation and locality of the museum bring different rhythms to the visitor. KR: How did you approach and learn Xavier’s work and his choreographic material? How did you adapt or transform it for your story? SY: There are different ways that Xavier proposed. There is choreographic material that is shared among all performers. We learn the movements, the principle of moving, and the context of each in which it was performed. We find a way to embody the idiosyncratic movement, for example, Product of circumstances (1999) is a task to measure the distance between the length of the body and the total length of arms, and the result will be modified depending on each performer’s body. Because these extracts are from Xavier’s past solo work that is based on his physic. So, I first need to understand how to produce the particular perception from Xavier’s body and then shift it to mine. There is also choreographic material that Xavier proposed as a framework for each performer to develop their own narration by selecting material from his
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solo pieces. How does it intersect with our life of being a freelance performer – it is a sort of »telling my life through his work«, we call it »individual retrospective«. The selected materials are used as an open association, counterpoint, or parallel timeline to reflect one’s current condition as a freelance dance practitioner. As an artistic collaborator, I take part in the dialogue with each performer individually to construct it. And each will find a form from the inconsistencies between what is familiar and what disassembles the familiar exhibition or theatre apparatus that the work created. For me, there is a kind of uncanny collectiveness that is embedded in each »individual« construction and the tension of it is fascinating. KR: What have you experienced during the work for »Retrospective« – what experiences were good and which ones were bad? SY: It has been a rich and diverse experience; some are more pleasant than others and some more confrontational. I enjoyed how the work brings me to encounter other artists and their different micro contexts within the larger socio landscape where the work is situated. KR: Did you stop performing, when no visitors were in the space? SY: Yes, when there is no visitor, we don’t perform. KR: Did you feel exhibited like an object from time to time? SY: I certainly pass through the state of an object while performing the work. Most of the time, I try to move in between performing, subject transiting to object to inter-subject etc. I see it as a negotiation process when one transits from one performative mode to another. Like Xavier has often mentioned, the tension of being an object or subject, it can’t be absolute. KR: How would you describe the encounters with the visitors? SY: Encountering the visitor in »Retrospective« has a transformative quality. When I am reactivating experiences from the past and at the same time being influenced by the flow of visitors and by the person for whom I perform, this makes me experience my body as a field that is constantly constructing
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different landscapes through things that had to happen or things that have not yet happened. KR: Did your »individual retrospective« change during the weeks of the exhibition? SY: Yes, it continues to develop during the duration of the exhibition, conversations with the visitors or co-workers can trigger new perspectives or the repetition of listening to myself how I narrate can bring up forgotten memories. Sometimes, the impulse of changing simply comes from the curiosity of learning another movement material from Xavier’s past solo work. KR: Please, tell me about the archive room. SY: I enjoy being in this room where I can stop running and organise my attention differently. Two performers take 45 to 60-minutes shifts in this room to receive visitors and propose to have a conversation. In this room, the visitors often ask questions about the work and we try to speak from our perspective instead of a position of a group. It is also a room where we pass information to coworkers, verbally or by writing in the logbook. So, it can be a very active room, but it also depends on the desire of the visitors. Sometimes, it can be very quiet, when everyone engages in watching a video or reading on the computer. For some, it might be confusing what this room is and who is in the room, but I think this kind of confusion puts into question the border between work and life, invisible and visible labour. It can show how archive material can be animated through dialogues. KR: What are the big differences between performing on stage or performing in an exhibition environment? SY: When performing in such spaces, the premise of time construction is a combination of the times of my body, the choreography, each visitor, the opening and closing of the museum, shifts of museum guards, regular guided tours … Time becomes a playful entity between all these activities. The intersection of many times in one present is one of the specificities that museum spaces propose. The interactivity and negotiation with the spectator and the dimension of attention spent. Performing on stage could be a safe control space compared with performing in an exhibition space especially like how »Retrospective«
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proposed. The challenge of multiple and interrupted attention from the visitor demands our response-ability to the situation. KR: Did you perform in the exhibition in a different way than when you perform on stage? SY: Yes. KR: What do you prefer: to present your dance in an exhibition environment or to present your work on stage in a traditional way, which means to rehearse unseen and to present the final work on stage in front of an audience? And why? SY: I enjoy both. Each provides a specific context to work on different things. KR: What do you think is the outcome of the fusion of dance and the exhibition format? SY: I think this proliferation encourages the construction of another apparatus that expands the possibilities for new format. KR: What was the outcome for you, of your participation in »Retrospective«? SY: »Retrospective« brought another set of social and aesthetic relations that interests me to think of the kind of situations and the set of relations with the public within the museum space. KR: Do you think it is another kind of dance that develops in the museum/exhibition context? Is there a site-specific exhibition dance evolving, for example? SY: Yes, as long as each choreographer is responding to the site-specificity, there will be a kind of dance that emerges from its specific context.
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Zu Work/Travail/Arbeid von Anne Teresa De Keersmaeker Gespräch mit Femke Gyselinck, De Keersmaekers ehemalige künstlerische Assistentin und Tänzerin, Darmstadt, 29.07.20162 KR: Let’s first start with the encounter between the performer and the visitors in the space. They always behave like an audience of a performance but situated in an exhibition space. In the Turbine Hall at Tate Modern there were three Vortexes and the dancers started at the end, the last Vortex, and the visitors were surrounding them and then the dancers came to the other Vortexes. I was wondering if it is a conscious choreographic decision…to break the audience…. Is it a conscious choreographical decision to break the frontiers between the audience and the performers in the space? FG: Yes, it is a very conscious choreographical decision. We did a lot of experiments to split also groups, because Anne Teresa, she likes it when the audience moves, when it’s not too much like a performance setting. When people come, they sit and they watch frontally. That’s why she was so present, she works like that. When one person gives an example, then other people are like, ahh, I can be in the middle, then I also want to be in the middle. It is really conceived as multi-frontal with changes in the dances. A person who is in the last Vortex, then there is a fix point where they change. So, if you watch one dancer and follow him, then you would also change where you are in the space. That was for sure the goal, but a very difficult one. KR: It’s very difficult, especially when the space is so huge. FG: Yeah, and also because there is something about circle motion, if you want to respect the big circles and their motion when they are running. You don’t want to be in their way. So, you have to go on the side. In that point I disagree with Anne Teresa, because she has the idea that the exhibition is better when the audience can be anywhere. But my idea is that the audience can decide for themselves. KR: The visitors are unsure of what they are allowed to do and what they are not allowed to do. 2
Der Wortlaut der gesprochenen Sprache wurde beibehalten.
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GF: At the same time, it’s sometimes good to push borders. It does help for some people or children, when there is someone in the middle. When the children enter, they will feel more inclined to go in the centre. If someone is in the centre, they are more eager, oh mummy, can I go in the centre. It’s both worlds. And then some people would come and see and comment – oh, it’s so nice, to be in the middle of the Vortex when they run. KR: But I had the feeling at Tate Modern it was more explored – how can I break the frontiers between the audience and the performers. GF: It was the same as in WIELS. In WIELS, we did the same like inventing rules, if there is audience like this, they were encouraged to run like this instead of staying in the safe zone. In WIELS there was something, that made the audience really move, like in the second movement when everything goes slow. And when the dancers start to go between the audience … once they move, the visitors understand what the phasing is. The audience start to move. We put one person in the smaller room and the musician goes there, so everyone goes there because they think it starts there. These things were all super conscious. KR: Or maybe it was more obvious because I was watching from above (from the bridge). At WIELS, you didn’t have the choice, you were always in the space. GF: In general, for the work of Rosas, if you see it from a higher perspective, you understand the choreographic special decisions much more as if you watch it from close. Very clear, for Partita 2 – when you see it from above, especially when the lines are visible. You suddenly understand: there is a relationship all the time. KR: Are there any other instructions for the performers on how they interact with the visitors? GF: Absolutely. It’s to be as quotidian as possible. If people are disturbing things, you just talk to them. And you say, don’t disturb. KR: Also, while you are dancing? GF: In Paris we had no problems, but in Brussels we had a lot of people coming too close for the pictures, children running around. And the rules were: Ad-
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dress them in a normal way. Talk to the people. Also, in the way of performing, Anne Teresa mentioned, not to perform like with the fourth wall, that you pretend people were not there, but that you have real gaze. That’s difficult. There was an instruction, for sure. KR: They also talk to the people? GF: Yes, they do that. It could be uncomfortable for some of the performers, to do that. They would say very discreetly: Please, keep your bag. Or they just say »Bag« while they dance. KR: There I see a huge difference to the exhibition concept of Xavier Le Roy, they really interact and communicate with the visitors. GF: I know, yes. KR: Let’s come to the workshops. It’s a kind of mediation, I call it like that, because it’s more often used in the museum. Especially when dancers are involved. Did the museum ask for it or was it your idea? GF: We, for sure, suggested it. But WIELS has a very active workshop program. KR: Did you already do it in Brussels? GF: Yes, but we didn’t perform it. We did the workshop in Rosas, because physically it’s so close. People could inscribe on the website, usually schools. We did it on Fridays, for two hours. We really used it because there was a big concern that we wouldn’t have an audience. KR: But it was so crowded. GF: In Pompidou, we proposed and they were very happy. For the Tate Catherine Wood came to WIELS, she knew about the workshop. We will always propose. I have the feeling more and more theatres ask for it. In dance it is a very sufficient way to introduce dance to an audience.
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KR: You can experience it in a physical way. I attended the workshop, it was very useful for me to understand more as if you always look as an outsider, her way of choreographing is so complex, so you don’t have any chance to really understand everything. KR: The whole exhibition piece, is it a fixed choreography or are there also some parts where there is improvisation? GF: It is all fixed. What they have to do, they have to adapt to circumstances. If there is a family, they have to run and take a different trajectory. But that’s not really improvising. Everything is so written, the way they enter, where they are, it is all choreography: They know when to take off their sweater. They have to come in, with something over their costume. The moment where they have to take it off, it’s all fixed. The system of the drawing. Where they enter is always the same. KR: Also, the musicians are choreographed, the movements and their positions? It is very detailed. FG: In WIELS I really liked to see how people behave and how people are. Sometimes they are like – I booked a ticket, this is the exhibition, I can go wherever I want. I saw people who were standing in the way of the dancer. Almost provocative. KR: That’s my role, like this?! FG: Yes. KR: First it was a 9-hour cycle at WIELS, then it turned to a 12-hour cycle, right? GF: Yeah, we tried. The idea was to keep it nine, this was for sure the basic concept, but practically for the fatigue of the dancers we had to make it longer. Otherwise, it was too soon a repetition of Tutti. And then people didn’t have time to recuperate or to dry their costumes. It was kind of a practical consideration. KR: First you started with one cast, then two?
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FG: In WIELS immediately we started with two casts. It’s just for the big moments, like openings or busy moments. It looks like if the first cast dances more but it was quite divided actually. KR: And at Centre Pompidou? FG: Two casts. KR: And at Tate? FG: At the Tate there were two casts and then we had three young dancers from the school who joined for the Super Tutti. KR: Yes, there were 20 dancers for the Super Tutti. How often was the Super Tutti? FG: Once every day, I think. KR: How did she adapt it? At first it was nine weeks, then at Pompidou nine days, now three days. FG: There is one basic cycle that is a good order. It’s like one instrument. KR: Is it like the graphic shown in the catalogue book? FG: This is an old one, because the drawing doesn’t last an hour. It is none of these, really. But then we did a lot of alternations for practical reasons, the piano tuner comes at three. You know, there is the basic idea and then there is the practical version of the day. If one person is a little bit injured, we have to take this instrument out … these things happened every day. KR: So, you have to be very flexible, more flexible than when you show it on stage. FG: Yes, definitely. KR: When you present it on stage it is not so much open like when you present it in a museum space.
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FG: Yes, it is very democratic. KR: The context, the space and the audience change the piece, too. And when you present it in a black box, you don’t have that much openness. FG: It is more distant. It isn’t so open, because you have less chance to really understand what is happening. In the exhibition you can stay three hours. With some luck you understand the cycles. When you come to see the show, you come, you sit and you have 55 minutes to see everything. There is no one who is telling you, what is going on here. When you enter the museum space, there is a leaflet and you can ask someone. The step is just much lower to ask than in a theatre. In an understanding level. I have also the feeling that the audience in the museums are much more divers than what you see in a theatre. KR: In the theatre, there is the theatre audience. And in the museum, Tate Modern, Centre Pompidou – these are famous places – there are going all kinds of people. FG: It is for free, a museum, it is highly democratic. KR: Does she always start with a floor plan? GF: Always, every piece. KR: The rehearsal time, how long was it? FG: To prepare for Pompidou, we took ten days and we did a little bit in Brussels and then we did it in the space. In Tate, we rehearsed for three days. We worked Tuesday in Brussels and arrived on Wednesday, so it was three days altogether. But then when we worked in the space, we worked from ten to ten. And then someone got lunch and dinner while we were watching. Because of the cycle, we have to try out everything. Then, when we did two hours of winds, then the strings, then had a break, at least two hours. Every cycle is an hour, so in that way the rehearsal schedule is heavy for dancers.
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KR: I’m thinking about the outcomes of the interplay between the exhibition format and dance. From the perspective of the dancers, what would you say, what are the positive sides and the negative sides? FG: For the visitors I think, it’s positive, that your experience and what you see is unique. Because it only happens before your eyes. It’s unique. If you see a dance show that you hate, and if you think, you are wasting your time, then you can leave. In a black box it is harder to leave. The fact that you understand that it is such a personal experience is very positive. KR: And from the dancers’ perspective? FG: For a dancer, because you do it so many times, there is a different relationship to it. We had a lot of discussion about it. But still, I think there is something true about being in the moment, you have to do it at your full best. I think sometimes there is like a post-performance blues – after a premiere, after so much rehearsal time. Especially when it didn’t go like how you thought it would be. It’s very frustrating – you can’t say, oh stop, we do it again. KR: But it is the same on stage. FG: Dancers are living art, I mean, somehow, as a dancer you get so used to the fact that you do a show or a piece for the last time. It has its life. There are always things that you like or dislike. You have memories to the process, good and bad memories. In that way I think it’s a living art form. When I think after some performances, that didn’t want to do it like that, then I immediately say to me: That’s life/it’s alive. KR: From the outside it looks so exhausting to be in the space all the time and dance permanently. It’s different if you have a show in the evening, you can perform at your top level for that one hour. FG: I think you are trained, you go to school, for me it’s like the fact to write a PhD. Once you got raised, you got into the system, you know what you have to do. KR: You function.
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FG: You function. For dancers it’s the same. For people who finish school, four years of decent dance training, you kind of get the job. No matter how tired you are, the moment you are watched, you will always do your best. In the exhibition version there is something I saw in the dancers. You get such a direct attention from the people that it goes in two ways: it is exhausting, because everything I do, they see it. I am common property. But at the same time, it also gives you so much. KR: In the floor plan I can see that the dancers get paired up with the musicians but is it here also organized in the space? FG: Can I draw, how we do it. We call it the Carlos circle, Carlos and Igor – they are always in the basic circle. We have a super small space. We always make sure that the basic circle fits in the space. Then you have five of these. Cynthia is here, Micha is here, Julian, Bostjan, Marie…. KR: They always follow their circle? FG: They start there and then they start to shift. KR: They shift the circle. FG: Then they move to the neighbour circle. The second movement has nine parts. And the fifth one is the big pause, when the piano is in the middle. They do three in their place, then they will use the eye, and they go to the next one. Then you have the smaller size: This is the one, we call the musician circle. It’s where everyone sits here and the dancers come to dance around. Then you do the same system. The piano is always on the basic one – the big one. Carlos and Igor. Everything always moves on to clockwise. KR: The musician circle, this means the musicians are there but they also move in the space? FG: In the second movement, when the musicians are going to pair up with their dancer. The rule is that the dancer moves, when the musician is playing.
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And the musician moves when they are not playing. But because of practical reasons, the musicians do move sometimes, when they play. There are always exceptions to the rules. The third movement is very clearly, Cynthia will start here. It’s a bit adapted but that’s how it goes. KR: Is it always that complex? FG: The complexity comes because of the mixture of all the layers. The basic phrase is so simple, but it’s the mix of the phrases. You dance your version mixed with the version of another one. There is a basic phrase, then you do the basic tenor version. Then you make your variation in place. Then you make your version, that travels and then from that one you make one with jumps. In movement, like the shop that we have to make choreography is very big.
E-Mail-Interview mit Gabriele Schenker, Tänzer in Work/Travail/Arbeid, 05.11.2019 KR: What is the challenge for you as a dancer to perform Work/Travail/Arbeid? GS: I was taking Carlos’ role, in close relation with the piano (Jean-Luc). It is a role of keeping things together, giving the beat for the second movement, being an anchor in space for others in the third. I’m rather used to take this sort of responsibility. The most challenging part was my aging body. I have troublesome knees and the very repetitive nature of the movements and performing it more than once a day was heavy. Carlos’ role has a lot of jumping and running. KR: What was the outcome for you as a dancer working for and performing in Work/Travail/Arbeid? GS: I’m not sure how to answer this one. It was a nice (but also maddening) experience to perform the same thing over and over again with very different moods depending on the type and amount of audience. I had previous experience of performing the same show regularly in Brazil when we’d stayed on the same theatre for more than ten weeks in a row performing 4–5 times a week, but in the theatre there is something more secure and repetitive about it as the audience is always placed separate from us.
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KR: You danced in the original version at WIELS, then at Centre Pompidou and at MoMA in New York. From my point of view the place of presentation has a huge impact on the piece (different space with different environment, different audience, different opening hour etc.). The impact is much bigger than showing the piece in different theatres. It changes the piece. Would you agree with that? GS: Indeed, while WIELS was stretched in time, Pompidou was condensed and MoMA/Tate was hyper condensed. From the inside it felt that the audience’s behaviour was very much shaped by the different spaces. WIELS pushing for close proximity as opposed to the Tate for instance where we had an enormous space. WIELS was the most concentrated one in the sense that people were there only to see this work. This was somehow similar in Pompidou but adding the people passing on the street. In MoMA and Tate there were a lot more »passers-by« bringing in a different atmosphere. KR: What else changes from version to version from your point of view? GS: From the performer’s perspective, the amount of energy shifts as well. While in the WIELS we’d dance more often because of the regular doublings of roles, in Pompidou the floor pattern was stretched making us have to dance and run more and wider and at the Tate having to run like crazy at some points to shift from pattern to pattern. The MoMA was perhaps the easiest in this respect, the most contained and theatre-like. KR: What do you prefer: to present your dance in an exhibition environment or to present your work on stage in a traditional way, which means to rehearse unseen and to present the final work on stage in front of an audience? And why? GS: I wouldn’t pose the distinction as such. In the case of Work/Travail/Arbeid, we »rehearsed unseen« and only presented the final work much like in a theatre version. I have also performed with other choreographers on museum situations and while the longer hours call for other types of formats that can seem more »rehearsal-like«, I have always been in situations where we are in a performance set up as opposed to a rehearsal one. I have no preference. As I was not in the original cast of Vortex Temporum, I cannot talk about the shift in this particular piece. Generally, there is something nice about the proximity and interaction with the audience in the museum/gallery environment that is not the
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same in theatres. But it is not a clear cut distinction. In certain types of theatres and staging, the audience can be very ›close‹ with a lot of visual interaction (as opposed to the old operas where the audience is somewhere »out there« invisibly watching you). Some works and ideas seem to be more inviting for one or another type of frame. In the case of Work/Travail/Arbeid, an adaptation of a theater version, this was not simple as the material had to be transpose to a different frame as opposed to created particularly for or from it. KR: What are the big differences between performing on stage or performing in an exhibition environment? GS: Proximity with the audience, interaction in space, duration … there is also the question of who is your audience both in the sense that the museum audience may often be less used to dance bringing a different appreciation of it, and the fact that people may be just passing by, not there to see this show particularly. There is an added uncertainty in the museum given that the codes are way less established (in regards to dance of course) than in the theatre. KR: Is it an advantage to work as a dancer for an exhibition? Do you get paid more, for instance? Are the working conditions better than for »usual« dance productions? GS: No. In a regular dance creation in Belgium, a rehearsal day pay is usually lower than a performance day pay. With Rosas, the deal was that we would be under full employment for the duration of the shows in WIELS, balancing the fact that we would not be getting performance fees by giving us security. That was the deal. At some point, when Anne Teresa started with the idea of doublings (meaning that each individual dancer would not dance once or twice a day but rather twice or three times a day) there was some resistance from the dancers, both in terms of pay as well as in terms of commitment. While in the original plan people would have days off, when the doublings started it became clear that we’d be performing every day. It became a much heavier physical experience and it was particularly heavy for people with families not to have weekends for such a prolonged period. But this sort of resistance, as far as I have observed, tends to remain minimal at Rosas where dancers tend to comply without much fuss with whichever demand. An interesting topic in my opinion.
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KR: Would you agree if I say the choreography of Work/Travail/Arbeid would also work without the visitors in the space? And that the visitors are kind of added as an uncontrolled element to the work? GS: Sure. The same as in the theatre albeit with a reduced effect. KR: You are watched from a very close distance. Do you feel exhibited from time to time, like an object? GS: Rarely. At times some audience members seemed to deliberately take the stance of »I’m watching a painting«. It was rather funny (as in ridiculous) as opposed to disturbing. More often than not people seemed to take into consideration they were watching living beings and act accordingly. In the theater you are used to the majority of the audience being really there, present, attentive. In the museum this was perhaps less the case, with people sitting on the corners, watching only through their phones, or chatting. One of the big issues was space management. As the choreography is written on fixed spatial patterns, dancers and audience had to negotiate this space together, not always simple with some collisions. KR: How does this closeness change the relation to the audience? How would you describe the encounters with the visitors? GS: There is more eye-to-eye interaction in general, some touching here and there, a rare bump. Also, the fact that we were hanging out in space just before or after dancing added a moment of confusion between observing-observed. The fact that we knew many people in the audience, particularly in WIELS also brought in a chilled atmosphere in these moments. KR: Do you talk to the visitors while dancing? GS: We talked about those things here and there with Anne Teresa and amongst ourselves at different times leading to some loose directives. I think the interaction with the audience while dancing was very different for the dancers, depending a lot on our previous experiences and types of dance education. Some could get irritated with the close proximity, others tend to perform almost as if the audience was not just there next to them, choosing to look into the distance instead. I tried to include as much as possible the fact
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that I was interacting with other human beings without losing the focus of what I was doing while not ignoring them either. KR: You went on dancing even when no visitors where in the space, right? GS: Yes. KR: Do you perform in a different way when no one is in the gallery space or do you stop to perform GS: You perform differently, I’d say. How different is a matter of each dancer. But to deny difference is difficult, I find. You find also this difference when people are there both in qualitative terms (who is watching? friends, colleagues, family, potential employers, unknown people) and quantitative. KR: Would you say it is another kind of dance that Anne Teresa develops for the museum space, a site-specific dance? Or is it actually the same (except of the museum space with different conditions) as the same choreography of Vortex Temporum based on the same music by Gérard Grisey? GS: A bit of each … While there is very little difference in terms of what was choreographically written, the big differences are the deconstruction or fragmentation of the music and dance into small parts and the bending of it into the museum space, as well as the different relation with the audience. KR: What do you think is the outcome of the fusion of dance and the exhibition format? And where do you see the potential of the fusion of the exhibition format with dance? Also, negative aspects, if you see them more than the potential out of it. GS: I find it hard to generalize … I see the interest, in the case of Work/Travail/ Arbeid, primarily in the opportunity to see things broken down into small parts, being able to see different combinations, and then the whole again. There is something geeky about it. Much like in film, there are some things you can do in the standardized format of 1–2h30 and some things you need more or less time. A negative aspect (absent in the case of Work/Travail/Arbeid where Rosas bought and brought a sprung floor) is having to perform things heavy on the body without the proper conditions.
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E-Mail-Interview mit Cynthia Loemij, Tänzerin in Work/Travail/Arbeid, 22.01.2020 KR: What is the challenge for you as a dancer to perform Work/Travail/Arbeid? CL: The challenge as a dancer is to stay very connected to the musician we are linked to, to include the space and the people, but not be distracted and to stay true to the choreography when we are in smaller constellations. KR: What was the outcome for you as a dancer working for and performing in Work/Travail/Arbeid? CL: The outcome is that we have become flexible to different situations. There are a lot of people around you so you can’t move fully, people who film you, talk to you, block your way. You gain a sensibility to different fronts. KR: What do you prefer: Vortex Temporum, the original stage version presented in a rather »traditional« format (on stage, about one hour, in front of a seated audience) or the exhibition version Work/Travail/Arbeid. And why? CL: I am not sure which I prefer since they are so different. The stage version is nice because there is more the feeling of a group. In the museum it was maybe first alone, then with everyone, then with three and this way you don’t experience the same in a day; it was a different schedule for each one. The stage version is black and has a more serious feeling to it. The museum version is in white and feels lighter, and the connection with the audience is very intimate, which is nicer than a mass in an auditorium. KR: What are the big differences between performing on stage or performing in an exhibition space? CL: The big difference is the relation to the people and the space and the concentration curve of one hour compared to three or four hours in a day. KR: Is it an advantage to work as a dancer for an exhibition? Do you get paid more, for instance? Are the working conditions better or worse than for »usual« dance productions?
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CL: The working conditions are often worse in the museum. The dressing room is often improvised, no space to properly warm-up, hard or slippery floor to dance on and irregular hours. My salary stayed the same as I am under full contract. KR: You danced in the original version at WIELS, then at Centre Pompidou, at MoMA in New York and at Tate Modern in London. From my point of view the place of presentation has a huge impact on the piece (different space with different environment, different audience, different opening hour etc.). The impact is much bigger than showing a piece in different theatres. It changes the piece. Would you agree with that? CL: Yes, the place of presentation has a big effect on the piece. In WIELS we had our separate space with pillars and a smaller room in the back where people came as a choice. In Tate for example it was in the entrance hall and it felt very much as a passage, noisy and enormous, less concentrated. Pompidou had windows and was just a rectangle, which needed the choreography to be changed to make it more interesting. KR: What changed from the original nine weeks version at WIELS to the Tate Modern three day version? What were the new challenges? CL: The difference between WIELS and Tate was not only the length, but especially the size. In Tate we added dancers so we could have a Super Tutti, a full version with three casts at the same time. WIELS became our house after so many weeks, but three days in Tate was not enough to feel at ease. KR: Would you agree if I say the choreography of Work/Travail/Arbeid would also work without the visitors in the space? And that the visitors are kind of added as an uncontrolled element to the work? CL: I think we need the visitors. The dance is the art to be seen. The whole idea was to make it visible from close what really happens in a piece, how it is built up and how dancers relate to each other. KR: How would you describe the encounters with the visitors and the relation between dancer and visitor in that exhibition setting?
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CL: The encounters with the visitors varied a lot. From people staying for hours on the floor or standing right in the middle, dancing with us, some drawing or filming or trying to block you or thanking you in tears afterwards. A girl in Berlin was drumming on the floor with sticks and running dangerously through the group and had to be stopped at a certain moment. The interaction was the most exciting. I liked it very much going really close to people or looking them in the eyes while dancing. KR: What do you think is the outcome of the fusion of dance and the exhibition format, regarding Work/Travail/Arbeid? CL: If it is a beautiful space that invites choreography, I think it is a good fusion of both. KR: Would you say it is another kind of dance that Anne Teresa develops for the museum space, a site-specific dance? Or is it actually the same (except of the museum space with different conditions) as the same choreography (albeit fragmented) of Vortex Temporum based on the same music by Gérard Grisey (albeit fragmented)? CL: It is the same choreography but it is not. The time has expanded over many hours, in Pompidou we changed front every hour. In Tate it was with more people. And the choreography has been dissected. The full version of course comes very close to the one in the theatre. KR: And where do you see the potential of the fusion of the exhibition format with dance? In regard to Work/Travail/Arbeid and The Dark Red Rearch Project as well? Are there also negative aspects, if you see them more than the potential out of it. CL: I think Anne Teresa sees the potential of different kinds of site-specific dance. I haven’t done a lot of them so the future will bring some answers to that. KR: By your experience in museum space projects – like Work/Travail/Arbeid, Brancusi and The Dark Red Research Project would you say that there is a site-specific museum or exhibition dance evolving?
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CL: There is definitely a lot of dance in museums nowadays and maybe it is evolving or maybe it is a phase. I haven’t seen enough to answer that question.
Telefongespräch mit Carlos Garbin, Tänzer in Work/Travail/Arbeid, 29.01.20203 KR: What’s the challenge for a dancer to work for Work/Travail/Arbeid? CG: In the beginning, I thought I wouldn’t feel comfortable. I thought I wouldn’t like the proximity, the way people would look at me and see me as an object or something. The way that they maybe could come close to me. The power they would have in the museum is different than just sitting down and watching from the theatre seating. That was the biggest challenge. KR: And did you feel like an object from time to time? CG: A little bit, but I quiet enjoyed it, actually. When I started to perform, I liked that relationship. So, I thought it was going to be harder. My biggest challenge was before but once we started doing it and with the practice of it, I liked it. KR: And you get used to it while doing it, right? CG: Yes. That’s it. KR: What are the big differences for you between performing Vortex Temporum on stage in a rather traditional format and performing Work/Travail/Arbeid in an exhibition space? CG: Well, the one obvious difference is the placement. It is depending on the place, some places are much bigger than the stage. So, we had to adapt the choreography to cover the whole space with a new extension space as the theatre version. Parts of it, when we have big movements we spread through the whole museum, the whole venues of it. So, that makes a big difference in how much you have to move. And of course, the fact of having sometimes a lot of people. Sometimes there are a lot of people in the space and you really have 3
Der Wortlaut der gesprochenen Sprache wurde beibehalten.
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to change the trajectory and adapt it to what’s going on. And when you are on stage, it’s always the same, you have the same spacial relationships. Other differences: I think it’s almost more tiring to do it on stage. You feel the difference coming from one to the other, the proximity that you feel, I feel I have to project less what I’m doing. I don’t have to send it all the way to the public. Sometimes in a big theatre, it gets more tiring, you have to project. Then in the museum you can deal with people, they are close to you, the way you deal with it, it can be a bit less exhausting somehow. Except when you have very big spaces, when you have to run a lot, but that’s something else. KR: Like at Tate Modern. CG: Yes, but it’s very different performing on stage and performing in the museum. When you go from one to the other, you really notice and feel how different it is. KR: I find it kind of interesting that you say, for you performing on stage is more tiring than performing in an exhibition space. Because in a museum you have to dance a lot of hours. Of course, you have shifts, different casts and on stage it’s just one hour. CG: Yes, in that way the museum is much more tiring. But I’m considering, if you just doing it one time. If I would do it one time in the museum and one time in the theatre. In the museum it’s less tiring, but of course, when you do lots of hours it is much more demanding, than when you have a tour of Vortex Temporum, for sure. KR: You mean, to convey it to the audience, the feeling of it, right? CG: I mean, if I would do it, just one time in a day in a museum, and just one time in a theatre, if I compare it, the museum feels lighter. And of course, when we do it in a museum, we never do it just one time, we do it two to three times and at the end of the day you feel more tired, doing it in the museum. In the museum it’s always cycles of one hour, exactly like the piece. We do the piece two to three times. KR: At WIELS, it was a twelve hours cycle, that’s right?
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CG: I don’t remember, how long it was. KR: Femke showed me how the cycle was. The first cycle was the cello, and the second clarinet and flute, then the strings, and so on… In each hour of the cycle, it’s always the three whole movements of the musical composition? CG: Yes. In each hour it’s the three musical movements. So, it started with the music, the clarinet comes and plays the whole first movement, and then it gets out. And then the person of the clarinet comes and dances that part, and then gets out and then they all come together for the second and third movement. KR: And the Tutti is the full stage version or is it similar to it, but not exactly the same? CG: It is pretty much the whole stage version, of course adapting to the space, but as the structure it’s the whole, it’s the same. KR: You were partnered with the piano, but only for one hand, right? CG: That was an idea. It happened during the creation that they were saying there is going to be two people sharing the piano. But that didn’t happen. Because we had Chrysa Parkinson and she was going to do the flute and then she stopped. She had to quit the project for personal reasons. Cynthia and me, we were going to do each one hand of the piano. And then Cynthia was going to do the flute and I got the whole piano. KR: How did you develop the movements to the piano? CG: In the first movement, I’m not so much following the movement of the piano. I’m following like a big wave of the parts of the first movement. So, the focus is more on the strings for that. Not for every note there is a movement, there is more like a bigger circle, so it’s more basic, I’m more holding the basic phrase in the first movement. And then it comes the solo which is the cadenza of the piano. And there the movements were created. There are different figures in the music, and with Jean-Luc the pianist, we identified them and for every figure more or less we developed one movement. And when that figure repeats, we repeat the movement. And we also try to move with every note. And also following the high and low in the piano. A lot of the times when the piano is
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playing the lower register, I’m using more the lower playing like bending my knees more and being closer to the floor. And when it goes to higher register, it’s higher, but it’s really following the music in that sense. KR: It’s the part where you also jump to the chair and start playing the piano, right? CG: Yes, at the end of this part, I jump to the piano. KR: I remember the movements very well. CG: A lot of those movements came from Anne Teresa as well. We did it together but some of the movements were her ideas. KR: I tried to describe the music of the piano which is very hard. How would you describe the piano? CG: I’m so close to it and at the same time, I feel like it’s different blocks, and they started separate and longer, with longer periods. Then they started to become shorter and closer together. So, we have put together many lines, long lines that start to become closer and faster and like developing dynamics, like building an energy. KR: Well, definitely better than my try of explaining the music, for me it’s easier to explain what I see than what I hear. CG: It is not an easy one to describe. I think the first time, it feels like a big mess, basically. KR: And it’s very fast. CG: Yes, very fast and chaotic. It’s hard to make sense out of it. But then you see a lot of patterns that repeat and come back and transform and you can huck on those when it’s constantly coming back. KR: What changed from the original nine weeks version to the Tate Modern three days version. What were the new challenges there?
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CG: The biggest challenge is the space. Because at the Tate we did a Super Tutti. We had two casts to do Work/Travail/Arbeid. And at Tate we did a version that everybody joined in. So, the space is much bigger, so we had to spread around and there is always something that can only be at this space. Anne Teresa arrives and decides about directions and how much we are going to spread in the space and where things are going to happen. (The first movement is more static.) In WIELS it’s been two rooms as opposed to one big open stage at Tate. It is all according to the space. It’s trying to adapt the piece as much as possible to the space. KR: The pattern on the floor, the Vortex, they are always the same size, right? CG: I think for the Tate version it got like ten percent bigger, I’m not sure exactly. There can be a bit of variation adapt to the size. We had two whole patterns or three. On stage we have only one. At Tate we had two or three whole patterns. We had like three stages. And we could jump from one to the other, especially in the third movement. We could go completely from the front to the back. So, we changed from one pattern to the other. We had to run a lot at Tate. KR: And is it fixed or is it up to you, when you change the pattern? CG: At that time, we could decide when to change, because it was more or less free. KR: So, it was up to the visitors then? CG: No, it’s up to the dancers. If I decide to go to change the pattern, I could, according to keep a good flow in the room, to use the whole space. KR: And you used music amplifiers at Tate? CG: Yes. KR: But only there and not at Pompidou or MoMA? CG: We did it at some other places, too. At MoMA it was amplified, at WIELS it was not amplified. It wasn’t necessary. According to the space, some places need amplification, so we use amplification. But the aim is to keep the natural
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sound. But at the Tate there were a lot of people passing by. And the place was super big and very noisy, so it needed some amplification. KR: At WIELS there were two rooms, and I just looked at a photo and it looked like as if the Vortex didn’t fit properly in the second room. CG: Yes, it didn’t fit completely. It was more in the first room and there were some cuts, it’s true. So, we went over it and then run below the wall and then came back. KR: And Anne Teresa was talking about that she mirrored the choreography, that she used a kind of mirror-effect for the two rooms. How did she do that? Was it mirrored? CG: I think the mirror was made for the pattern, but the choreography was not mirrored. But I can’t remember what the mirror effect was. KR: How do they relate to each other, the first room and the second room? CG: A lot of the time was happening at the back of the stage. So, at WIELS everything was in the first room and the back was more like the back of the stage. You go to the back; you go to the back of the stage as if there is a cut in the middle. This kind of situation never happened somewhere else. It was really specific for WIELS. But for me it is a bit hard to explain how it was. It’s many years ago, since we played there. It’s easier for me to talk about what is on stage. For example, when I did the solo in the museum, I used much more space than on stage. On stage it is more concentrated on the piano. And when I was doing in WIELS I would start at the front room and then I would go to the back room. And I think I finished on the back room, because the piano is there. So, I had to finish on the back room, because I jumped on the piano. But I used the whole space. Now I remember, the mirror was definitely on the pattern. When the second movement came, we were walking around and I would circle on the front room and then go circle in the back room and come back again. The mirror is coming from the patterns. We were also switching from one thing to the other. KR: Would you agree that the choreography of Work/Travail/Arbeid would also work without the visitors in the space?
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CG: It would work, but it wouldn’t make any sense. There has to be somebody watching. So, in a way, it could exist, we could do it, but changes with the public. You have to adapt to the public and you perform for them, so it relates to the people. The presence of the audience is really necessary. KR: There are also some works like »Retrospective« for instance from Xavier Le Roy. It doesn’t work without the visitors at all. And the choreography from Anne Teresa is very written. CG: Yes, but it’s adaptable, we have to adapt a lot. It’s very written, but it changes according to how many people there are in middle, on the side, if it is quiet or very noisy. There are many aspects that can change and become a different experience to those who are watching. KR: And it goes over nine weeks and it’s not synchronized with the opening hours, so every time it is different. CG: Yes, it changes, it’s a cycle but it gets changing. KR: And also, when someone couldn’t dance, they replaced the cycle with another one. CG: Yes, they keep changing, sometimes we have to adapt. Maybe there is an ideal cycle that goes on, but someone got injured, someone had to perform in another city. In the long period of nine weeks a lot can happen. We never did it like that anywhere else. It was just at WIELS. KR: In the end it is very flexible, even if it looks so strict. CG: Yes, the order is very flexible. The next hour has to be different than before. So, there are many possibilities. There are also many possibilities of how to deal with how much people or what’s going on in the space. KR: Would you say that it’s another kind of dance compared to a stage piece Anne Teresa develops for the museum space like a site-specific dance or is it the same? I mean the elements are the same.
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CG: Yes, the elements are the same but it is different to dance, different to perform. There are some directions that changed, so it is really adapted to the museum. KR: And you also danced in this new project The Dark Red Research Project. How is that? CG: That was a working progress in the theatre, in the museum. It’s a piece that is going to happen in August. That was very different than Work/Travail/ Arbeid. For example, people would come in and will take class. For the first hour and a half we would be doing a contemporary dance class. And then we would try movements. Two weeks before we would do the same thing in rather a studio. People from the museum invited us, to do it exactly like that. To do a working progress in the museum. But that’s very specific. KR: So, a new museum piece. CG: Yes. KR: What do you think is the effect of the fusion of dance and the exhibition format, regarding Work/Travail/Arbeid? CG: As the effect for the people watching or from my perspective? KR: From a dancer’s perspective. CG: For me it is the relation to the audience that changes the most. How to communicate, the proximity, what I have to do is very different from what I had to do on stage. KR: Did you also talk to the audience while dancing. CG: I try not to, but there are also people who do it more. It’s very individual. Some people would ask them to move around, when they want exactly pass this place. I try not to talk and try to solve every problem just by moving, but it’s possible, sometimes it’s necessary as well. It can happen that you say something. KR: Good, I think that’s all. Thank you.
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CG: Great. It was nice.
Zu 20 Dancers for the XX Century von Boris Charmatz Gespräch mit Frank Willens, Tänzer-Choreograf in 20 Dancers for the XX Century, Ludwigshafen, 01.11.20194 KR: An 20 Dancers for the XX Century habe ich »nur« als Besucherin teilgenommen, umso mehr freue ich mich über deinen Insider-Blick als teilnehmender Tänzer. FW: Insofern hast du auf diese Art und Weise bestimmt eine weitere Perspektive als ich, weil ich während der Ausstellung an dem Ort, an dem ich performe, feststecke. Du darfst herumlaufen und dir Ausschnitte anschauen. Ich mache keine Pause, wenn ich das mache. Ich sehe nichts von den anderen Performer*innen. KR: Andere machen eine Pause? FW: Es ist oft so, dass zwei Tänzer*innen sich einen Raum teilen. Ein/e Tänzer*in zeigt ihr/sein Material, der/die andere macht Pause und dann wechseln sie. Ich mache das nicht. Ich bin immer allein. Das ist mein Ding. Wenn ich etwas in einem Museum zeige, dann mache ich das als Kunstobjekt. Die Skulptur geht nicht zur Toilette, pausiert und verschwindet nicht. Die Skulptur ist an einem Ort fest platziert und da. KR: Interessant, dass du dich wie ein Kunstobjekt fühlst. FW: So sehe ich das. Diese Einstellung kommt von meiner Erfahrung mit der Arbeit Kiss von Tino Sehgal, die ich als Tänzer präsentierte. Da war es auch so, dass ein Toilettengang für dich als Tänzer*in unmöglich war. Als Skulptur musst du durchgehend an deinem Präsentationsort sein. Das ist das Konzept. Du machst Tanz in einem Museum, das ist lebendige Kunst, die permanent anwesend sein muss. Bei anderen Stücken gibt es mehr Spielraum, mehr Teilnehmer*innen, mehr Improvisationsmöglichkeiten. Doch für Tinos Kiss gibt es eine festgesetzte Choreografie, die wie eine Skulptur funktioniert. Für Kiss 4
Der Wortlaut der gesprochenen Sprache wurde beibehalten.
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bin ich eine Skulptur. Ich mache diese Arbeit stundenlang, wenn ich in einem Museum bin. 20 Dancers wird hingegen nicht nur im Museum präsentiert, in Zürich fand es auf einem Außengelände des Theaterspektakels statt. KR: 2012, als eines der ersten Versionen dieser Arbeit wurde es in einer Bibliothek gezeigt. FW: In Brest war es auch teilweise in einer Bibliothek. Und auch in einem Nazi-U-Boot Bunker in Lorient letztes Jahr, neulich im MACBA, im Museum of Contemporary Art in Barcelona und in Berlin am Sowjetischen Ehrenmal in Treptow. Es findet also nicht nur im Museumsraum statt. KR: Es ist flexibler. FW: Dennoch, wenn es Zuschauer*innen gibt, mache ich keine Pause. Wenn ich auf der Bühne bin, dann mach ich ja auch keine Pause. KR: Es sei denn, deine Szene ist zu Ende, dann kannst du kurz die Bühne verlassen… FW: Ja, doch wenn ich als Solo-Künstler auftrete, dann geht das nicht. Es gibt auch gute 24-Stunden-Stücke, die keine Pause haben. KR: Welche zum Beispiel? FW: A 24-Decade History of Popular Music von Taylor Mac, einer New York City Dragqueen, zum Beispiel. So toll! In Berlin, im Rahmen der Berliner Festspiele 2019, wurde einem über vier Nächte hinweg eine Geschichte von Amerika von von 1776 bis 2006 vorgeführt. Jeweils sechs Stunden an einem Abend mit immer neuem, und sich nicht wiederholendem Material. Das war irre! KR: Das hätte mir bestimmt auch gefallen…Hat Boris dich eingeladen, bei 20 Dancers mitzumachen oder gab es eine Art Audition? FW: Für mich nicht. Boris hatte mich eingeladen, wir arbeiten schon seit Jahren zusammen. KR: Was war die erste Arbeit mit ihm zusammen?
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FW: Wir haben Tinos Stück Untitled zusammen erlernt. Boris wollte das machen, denn es passte zu seinem Musée de la dance-Konzept. Wir kannten uns schon vorher, aber das war unsere erste Arbeit zusammen, im Jahr 2013. Dann sprang ich als Ersatz für Boris’ Stück Manger ein. Doch ich konnte nicht am ganzen Probenprozess teilnehmen, da die Proben in Rennes stattfanden, was von Berlin aus für mich zu weit weg war. Ich glaube für die anderen 20 Dancers-Teilnehmer*innen hatte er keine Audition organisiert. Denn er fragt generell bestimmte Tänzer*innen an, die zum jeweiligen Konzept und dem Ort passen. Ihm ist die Vielfalt an Tanz wichtig, es sollten bspw. nicht nur westlich geprägte Tanzstile vertreten sein. KR: Und es entstehen auch Beiträge direkt vor Ort, für die jeweilige neue Ausstellungsversion, oder? FW: Auf jeden Fall. Er sucht zum Teil Tänzer*innen vor Ort aus. Es gibt immer Tänzer*innen, die zum ersten Mal dabei sind. Mackenzy zum Beispiel kommt aus Nantes, Boris hat ihn erst für Brest und Lorient letztes Jahr eingeladen und jetzt ist er immer dabei. Das Stück ist sehr wechselhaft, es gibt immer neue Versionen. Es sind nie immer dieselben Tänzer*innen. Sonia Sánchez, eine Flamenco Tänzerin hatte bspw. zum ersten Mal im MACBA mit uns gearbeitet, sie ist super toll. Jetzt hat sie auch in Zürich mitgemacht. Die Tänzer*innen werden für einen Ort eingeladen und wenn sie gut sind – das sind die meisten – dann tauchen sie auch wieder in neuen Stücken auf. Es ist kein Stück, es ist ein Konzept. KR: Wie lief der Probenprozess ab, wie viele Probentage fanden statt? Wie viele Einzel- und Gruppenproben gab es? FW: Es gibt immer circa zwei Probentage vor der Präsentation. Wir machen immer eine gemeinsame Tour durch das Museum oder dem Ort, an dem es stattfindet. Wobei jede/r Tänzer*in sein/ihr Material den anderen präsentieren und erklären kann. KR: Wie entstand die Auswahl deiner vorgeführten Tanzstücke sowie -fragmente? FW: Jede/r Tänzer*in ist Spezialist*in für seinen Beitrag, aus seiner/ihrer professionellen Erfahrung heraus. Wir werden wegen unserer eigenen, per-
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sönlichen Perspektive ausgewählt. Die Auswahl der spezifischen Fragmente liegt somit vorwiegend bei uns. KR: Was war deine Intention als Tänzer an 20 Dancers teilzunehmen? FW: Meine Intention hat sich im Laufe der Zeit verändert. Grundsätzlich geht es darum unsere Tanzbiografie zu teilen und das Museum »anders« zu benutzen als üblich. Ich sage »anders«, denn die Nutzung des Museums ändert und erweitert sich ja stetig. Meine Intention jetzt ist, die Essenz oder mein Verständnis von der Essenz des Tanzes des 21. Jahrhunderts zu verstehen. Es hatte so angefangen: Meine erste Erfahrung mit 20 Dancers war in der Tate Modern. Sie wollten damals unbedingt einen Charlie Chaplin-Beitrag haben. Das kannst du machen, du bist Amerikaner, das passt, hieß es. Dann habe ich ein bisschen Las Vegas Show Dance gemacht, nicht richtig Show Dance, aber was ich in Las Vegas als Tänzer im Laufe meiner Karriere gemacht habe, ein bisschen Anekdote und eine lustige Geschichte dazu. Dann zeigte ich etwas von Meg Stuart, aber nichts Genaues, kein konkretes Stück. Und in den letzten Jahren hat sich mein Material verändert. Ich mache Charlie Chaplin nicht mehr und Las Vegas kaum. Ich nutze die Arbeit von Trisha Brown, um meinen Umgang mit Tanz zu beschreiben. Ich mache eine Art Improvisationsreise, für die ich verschiedene Texte benutze. Jetzt ist meine Absicht, dass die Leute staunen. Ich will Bestimmtes präsentieren und zugleich in Frage stellen. Ich benutze jetzt zum Beispiel Yvonne Rainers No-Manifesto. Ich bin ziemlich kritisch mit dem Manifesto, ich mache das auf eine sehr theatralische Art, das ist der Widerspruch. Dann stelle ich dem Publikum die Frage: Möchtet ihr sehen, was für eine Choreografie entsteht, aus so einer Ablehnung von all diesen Eigenschaften heraus? Dann tanze ich Trio A ganz leer, und dann im Laufe der Zeit mache ich den Witz, dass es ein bisschen langweilig ist. Dann tanze ich weiter und rede dabei, was eigentlich Trisha Brown in Score macht. Sie hat sich damit beschäftigt, gleichzeitig zu reden und zu tanzen. Und dann beschreibe ich das. Für mich ist das eine Reise durch die Postmodernität. KR: Aber da bist du dann auch ganz offen? Du improvisierst und schaust, wie die Gruppe reagiert. FW: Ja sehr offen!
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KR: Und das war am Anfang nicht so? FW: Es war immer so. Das ist meine Art. Es gab immer Elemente davon, aber jetzt tanze ich keine Choreografie mehr, außer Trio A. Vielleicht beschreibe ich oder ich zeige Kiss oder rolle langsam auf dem Boden und sage, das könnte ein Zitat von Tino Sehgal sein. Ich erkläre meine Biografie oder die Tanzgeschichte, wie ich sie erlebt habe. Die Leute sollen auch ein bisschen überfordert sein, wenn ich so theatralisch bin, und sich fragen, ob ich verrückt bin. Ich will, dass sie nicht nur Tanz-Zitate sehen, sondern dass sie für mich eine Essenz dieser Zeit erleben, und sehen, wie ich mit dieser Essenz in Echtzeit umgehe. KR: Gibt es Regeln oder Rahmenbedingungen hinsichtlich der Vermittlung dieser »historischen« und ikonenhaften Tanzausschnitte? FW: Für mich nicht. Jeder fühlt sich wohl auf seine oder ihre Art. Grundsätzlich ist die Verabredung – Du tanzt deine Biografie. Wenn du Ausschnitte von Butoh hast, dann tanzt du das, wenn du eine Ballerina für Balanchine warst, dann tanzt du das. Wenn du mit Forsythe getanzt hast, dann tanzt du die choreografischen Technologien und zeigst, was es ist. Boris möchte eine breite Vielfalt an Tanz…von Balanchine bis Krumping, von Cunningham bis Voguing und Butoh usw. Die Auswahl soll unsere Richtung erklären und darstellen. KR: Marlène Saldana hatte Vito Acconci gezeigt, ist das auch Teil ihrer Biografie? FW: Marlène ist Schauspielerin. Sie möchte gerne, dass das bei ihrer Präsentation im Vordergrund steht. In diesem Fall sollte sie Vito Acconci und Mike Kelley machen. KR: Manche sind auch Schauspieler*innen? FW: Wenige. In Paris vor zwei Jahren gab es einen Vogue-Tänzer, der aus der Paris VogueSzene stammte, und er macht sein Ding im Museum. Was ist die Funktion eines Museums? Da gibt es den pädagogischen Aspekt. Es soll über die Geschichte informieren oder was in der Welt zu der oder der Zeit passierte. Warum ist diese Art von Kunst in dieser Zeit entstanden? Ein Museum soll aufbewahren, sammeln und präsentieren. Dann kommt ein Vogue-Tänzer und performt im
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Museum. Das ist total wichtig, denn viele Leute haben überhaupt keine Ahnung, was Voguing überhaupt ist. Es ist wichtig, diese Art von Street Dance oder Underground-Tanz in diesen Räumen in anderen Kontexten zu zeigen, wo sie normalerweise nicht zu sehen sind. Gerade diese Form von Voguing, Street Dance sieht man sonst in der U-Bahn, am Bahnhof oder vor dem Flohmarkt. Es ist zugänglicher. Ohne das, hätten wir nur die Madonna-Appropriation aus den 90ern. Das hat unser kollektives Bewusstsein so geprägt. KR: Dann ist quasi jeder frei. Ich hatte gelesen, dass es eine Art Protokoll gibt, und es gibt festgeschriebene Elemente, aber auch sehr viel Freiheit. Und ich frage mich, was hier das »Freie« und was von Boris vorgegeben ist? FW: Improvisation passiert immer in einem gewissen Rahmen. Du bist frei im Timing, wie genau du es machst oder wie du es im Raum präsentierst. Doch auf der anderen Seite bist du auch nicht so frei. Die Verabredung ist, dein Material zu präsentieren. Boris und sein Team möchten bestimmte Stile dabeihaben. Es soll jemand von einer Ballett-Richtung dabei sein, zwei oder drei Vertreter der Moderne, Street Dance, Butoh, Pina Bausch und William Forsythe zum Beispiel, doch auch lebendige und damit zeitgenössische Choreograf*innen – die ihre eigene Arbeit präsentieren und Teil der Tanzgeschichte sind, wie bspw. La Ribot. Sie haben die Freiheit zu machen, was sie wollen. Und Boris tanzt auch. KR: Im Rahmen von 20 Dancers? FW: Ja, er tanzt Isadora Duncan. Boris hat viel Energie investiert, um die Tanzgeschichte aufzubereiten. KR: In der Tate Modern wurde 20 Dancers teilweise auch in den Sammlungsräumen präsentiert, sodass es eine Ausstellung innerhalb einer Sammlungsausstellung wurde. Habt ihr eure Plätze in den Räumen bewusst gewählt, um Beziehungen zu bestimmten Kunstwerken herzustellen? FW: Normalerweise kommt der Vorschlag bzw. die kuratorische Entscheidung von Boris und seinem Team. Wenn wir ein Problem damit haben, können wir es natürlich äußern. Boris und Martina Hochmuth haben eine erste Idee, wer wo stehen könnte. Dann gehen wir gemeinsam durch die Räumlichkeiten und schauen, wie es mit der Aufteilung und dem tänzerischen Material passen
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könnte – so entsteht der erste Entwurf der jeweiligen Version. Dann folgt ein erster Durchlauf. Nach diesem Durchlauf könnten die räumlichen Positionen und das jeweilige zur Verfügung stehende Material noch einmal angepasst werden. Die am Ort ausgestellte Kunst beeinflusst die konzeptuellen Entscheidungen, ja. Doch sind die Kunstwerke nicht oberste Priorität. Es geht eher um die vorhandenen Räume und wie diese von den jeweiligen Tänzer*innen genutzt werden können. Doch in der Tate gab es definitiv solche Bezüge zur ausgestellten Kunst. Wenn es thematisch passt, ja. Aber wenn der Raum nicht zum Material passt, dann ist die Fläche wichtiger als die thematische Ergänzung. Wenn zum Beispiel der Raum zu eng oder zu dunkel ist, wenn es zu viel Durchgangsverkehr gibt. Da gibt es verschiedene Aspekte, die man betrachten muss. KR: Du befandest dich in dem Raum »Identity and the photographic portrait«. FW: Und neben mir war ein Amerikaner in einem sowjetischen Propagandaraum, der ein Simone Forti-Stück vorführte, da ging es um das Thema Zeitunglesen und Nachrichten. Da bestand schon eine konkrete Verbindung zum Ort. Wenn das Musée de la danse-Team eine konkrete Verbindung schaffen kann, dann machen sie es. KR: Was für einen Unterschied macht es für dich, umgeben von kunsthistorisch bedeutenden Kunstwerken in der Tate Modern zu tanzen oder in einem Vorraum, einem »Nicht-Ort«, einer Oper zu tanzen? FW: Ich spiele nicht so sehr mit den Kunstwerken. Das überlasse ich den Besucher*innen, sich zu verbinden, wenn sie es wollen. Oft bin ich in »schwierigen« Räumen, in Zwischenräumen. Ich mag den »Nicht-Ort«, die Gelegenheit Besucher*innen zu begegnen, ohne meinem Tun eine durch den Präsentationsort vorgegebene Bedeutung einzuhauchen. KR: Man nimmt auch den Tanz ganz anders wahr, wenn der/die Tänzer*in von Kunstwerken umgeben ist, die für den Tanz eine Bedeutung haben. Dann erschafft man automatisch Bezüge bei der Rezeption. In Hannover habt ihr eure Plätze für eure Performance untereinander gewechselt, auch in der Tate Modern?
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FW: Bestimmt. Es gibt immer ein bisschen Wechsel und Austausch unter den Tänzer*innen, zum Beispiel wenn ein Ort zu laut ist oder wenn die Musik oder die Atmosphäre eine/n andere/n Tänzer*in stört usw. KR: Was ist die größte Herausforderung für dich als Tänzer im Rahmen von 20 Dancers zu performen? FW: Eine Herausforderung ist, das Format Museum zu benutzen. Darauf zu achten, dass es nicht zu sehr zu einer Bühne wird. Ich finde es für mein Material problematisch, wenn es zu einem Anfang und zu einem Ende kommt. Es gibt keine abgeschlossene Show. Es geht einfach weiter. Eine weitere Herausforderung für mich ist es auch, wenn Leute lange bleiben. Nicht, dass ich mein Material wiederhole, aber es gibt Texte, die ich öfter verwende oder zitiere. Das möchte ich entweder vermeiden, oder neue Verbindungen schaffen. Ich will, dass es frisch bleibt, dass es sich nicht wiederholt, dass es ständig in einem Zustand des Werdens, der Verwandlung ist … und dass ich keine Pause mache. Wenn ich anfange, dann bleibe ich drei Stunden da und performe durchgehend (oder je nachdem wie lange wir da sein sollen). KR: Also beobachtest du bewusst, wer zuschaut und wer länger bleibt. FW: Ja, natürlich. KR: Das ist ein Aspekt, der besonders ist. Das würde nicht so sein, wenn du ein Stück auf einer Bühne zeigst, vor einem in Dunkelheit sitzenden Publikum. FW: Ja, und auch bei bestimmten Stücken im Museum, zum Beispiel bei Kiss. Ich versuche die Loops und Schleifen nicht jedes Mal neu zu erfinden, sondern es geht eher darum diese Choreografie kontinuierlich weiterlaufen zu lassen. Aber wenn ich mit der Improvisation spiele, versuche ich, dass es jedes Mal lebendig, neu und frisch ist. Für die anderen ist es eine Herausforderung, für drei, vier oder fünf Stunden die Konzentration zu behalten. In der Tate waren es fünf Stunden, weil es viel Publikumsverkehr gab. In Hannover waren es drei oder vier Stunden. Man muss es lang genug spielen, sodass die Besucher*innen die Gelegenheit haben, so viel wie möglich von dem zu sehen, was angeboten wird. In Zürich haben wir es drei Stunden gemacht, da fand es draußen statt.
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KR: War das Wetter gut oder schlecht? FW: Es war richtig sonnig! Ich war allein auf einer Insel und bei der Generalprobe habe ich mich über den schönen Ort gefreut. Und dann am ersten oder zweiten Tag war die ganze Insel so voll mit Menschen, die weder für das Theaterspektakel noch für Boris noch für Frank Willens gekommen waren, sondern wegen des Wetters. Und dann musste ich zwischen den Leuten tanzen, die keine Ahnung davon hatten, was ich da tue. Ich habe ihnen versucht zu erklären, dass ich jetzt für drei Stunden hier tanze und dass das meine Arbeit ist. Doch die Leute waren total aufgeschlossen. Das mag ich sehr, Begegnungen mit Menschen, die nichts mit Kunst zu tun haben und die nicht gekommen sind, um uns als Tänzer*innen zu sehen. Das ist eine große Herausforderung. Ich habe das auch im MACBA gemerkt, als ich, bevor ich tanzte, als Besucher durch das Museum ging. Und ich habe mich verhalten, wie sich ein Besucher eben verhalten soll. Und als es um 15 Uhr losging, fing ich an zu schreien, zu »texten« und mich auf den Boden zu werfen. Nichts hatte sich geändert, außer dass ich eine Freiheit ausgenutzt habe, die ich sowieso immer habe. Plötzlich bist du ein Verrückter im Museum. Das kann ich eigentlich jeden Moment machen, aber ich mache es nicht. Das ist ja peinlich. Aber es nicht mehr peinlich, wenn es mein Job ist. Es unterbricht mich auch niemand, auch nicht die Sicherheitsleute, weil es eben mein Job ist. KR: Was ist das für eine Art Aufeinandertreffen zwischen Tänzer*innen und Besucher*innen im Ausstellungskontext? FW: Wenn die Art der Präsentation einem theatralischen Muster entspricht, das heißt, wenn der Museumsraum zur Bühne wird, verhalten die Besucher*innen sich wie »brave« Zuschauer*innen. Wenn der Rahmen unklarer ist, und damit keine eindeutige Bühnensituation geschaffen wird, sind sie ein bisschen verwirrt. Doch letztendlich freuen sie sich immer, die reinen und sehr konstruierten Räume des Museums anders wahrnehmen und erfahren zu dürfen. Wir, die Tänzer*innen, sind außerdem zugänglicher. Die Besucher*innen sprechen mit uns, sie bleiben, sie bewegen sich, sie betrachten uns aus verschiedenen Perspektiven, sie sind anders aktiviert als Theatergäst*innen. Ein großer Vorteil für mich im Museum zu tanzen ist diese Unmittelbarkeit.
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KR: Die Beziehung zwischen Besucher*innen und Tänzer*innen ist eine der größten Veränderungen im Vergleich zum Theatersetting mit Bühne und Zuschauerraum. FW: Ja. Wenn es im Museumsraum jedoch zu sehr zu einem Theaterraum oder eine Bühne entsteht, auf der es eine Show gibt, dann empfinde ich das als problematisch. Dadurch entsteht wieder diese Distanz zwischen Performer*innen und Besucher*innen, die durch die Trennung von Bühnen- und Zuschauerraum erschaffen wird. Es kommt allerdings auch darauf an, was für ein Material man präsentiert. In Zürich habe ich zum Beispiel improvisiert, als mich drei oder vier Jungs in Hip-Hop Kleidung schräg anschauten. Und ich ging zu ihnen und fing an mit Texten von Allen Ginsberg zu rappen. Dann waren sie doch ganz interessiert und fanden mich nicht mehr so uncool. Dann fragte ich sie, ob sie wissen, was ich da tue und ob sie Allen Ginsberg kennen. Sie wussten es nicht. Und diese Möglichkeiten, Menschen anders zu begegnen, die hat man im Museum, wenn es das Material erlaubt. Das finde ich total spannend. KR: Und was verändert sich, wenn man als Tänzer*in in der Tate Modern steht und eventuell, je nach Präsentationsort, zu einer Ausstellung in einer Ausstellung wird? Wenn die Leute nicht ins Museum kommen, um 20 Dancers zu sehen, sondern die Sammlung. FW: Die Leute sind teilweise genervt. Einige nehmen Rücksicht und wollen nicht stören. Aber die meisten sind fasziniert. Es ist immer noch exotisch: Tanz im Museum. KR: Es ist immer noch diese Attraktion, was im kunstwissenschaftlichen Bereich auch sehr kritisiert wird: Das Museum braucht Live-Art, um überhaupt Publikum zu bekommen. FW: Dann muss das Museum sich ändern und adaptieren. Es gibt Museen, die nur für Instagram geeignet sind. Aber es ist auch ein Problem, wenn das Museum nur davon lebt, zu sammeln und zu verwahren. Ein Museum sollte flexibel sein, um relevant zu bleiben. Es ist ein Entgegenkommen und es muss eine gute Mischung sein.
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KR: Das ist beim Theater auch so. Es gibt klassische Stücke und experimentellere Stücke. FW: Das erinnert mich daran, als ich Kiss in Toronto zeigte. In einer Art Gallery gab es eine Blockbuster Ausstellung für Mainstream-Publikum. Die Schlange für diese Ausstellung ging um das ganze Foyer herum und die Leute hatten ein Problem damit, was die Tänzer*innen machten als sie Kiss aufführten. Das war ihnen zu intim, sodass wir es nicht mehr dort machen durften. Die Ausstellung war zu sehr ein »Cash Cow« und die Galerie musste das spießige Besucherklientel bedienen. KR: Mit Kiss wird man als Besucher*in zum/r Voyeur*in. KR: Fühlst du dich durch die räumliche Nähe der Besucher*innen von Zeit zu Zeit ausgestellt oder kam dieses Gefühl durch die Art der Präsentation gar nicht zustande? FW: Durch meine Arbeit mit Tino und anderen in den letzten Jahren, auch durch meine eigene Arbeit und die Arbeit mit Boris spielt es überhaupt keine Rolle. Wir sind alle ausgestellt, wir existieren zusammen in dem Moment auf dem gleichen Boden. KR: Hast du Präferenzen hinsichtlich der Formate. FW: Nein, es ist von den Bedingungen her auch jedes Mal anders. Man kann nicht sagen, dass Museen besser bezahlen. Hier im Theaterraum werde ich ziemlich gut bezahlt. Man kann auch nicht sagen, Museum oder Theater, man kann auch nicht sagen, freie Szene oder Stadttheater. Jedes Projekt und sein Kontext ist anders. KR: Man kann es nicht pauschalisieren. FW: Nein. Es gibt Vorteile und Nachteile von beidem. Der Vorteil von einem Theaterraum ist, dass du diese Konzentration hast. Du kannst viel feiner arbeiten. In einem Museum kannst du feiner arbeiten, weil die Nähe, diese Unmittelbarkeit da ist. Das ist ein Gewinn der Arbeit in Museen. Wenn die Zuschauer*innen genug haben, gehen sie weg. Das ist toll für die Selbstbestimmtheit und Agency der Zuschauer*innen. Doch auf der anderen Seite ist es auch hart.
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Du wirst als Tänzer*in irgendwie gezwungen, das Interesse zu produzieren. Und das machst du anders im Theater, weil die Aufmerksamkeit schon da ist, weil das Publikum schon da ist. Andererseits ist ein gewisser Performancedruck da. Wenn die Leute im Museum weggehen, dann gehen sie eben weg. Das ist anders, wenn die Leute den Theaterraum verlassen. Es kommt darauf an, es ist schwer zu sagen, ob Museum oder Theater. Es gibt verschiedenste Arten von Museumsstücken und Theaterstücken. Wenn du zum Beispiel mit Susanne Kennedy arbeitest – da kommen die Zuschauer*innen auf die Bühne. KR: So auch bei Manger von Boris. FW: Obwohl wir bei Susanne Kennedy wirklich eine Welt beleben, und das Bühnenbild ist ein großes Kunstwerk an sich. Die Zuschauer*innen bewegen sich unter uns, schauen uns an, werden von uns adressiert. Es ist wie ein Museum. Man nimmt Aspekte von dem Kontext und von diesem Kontext, mischt es und dadurch entstehen neue Formen und Formate. KR: Die Differenzierung ist wichtig: Was für eine Art von Theaterstück es ist. Nicht nur im Ausstellungsbereich, sondern auch im Theaterbereich gibt es Stücke, die sich weiterentwickeln. FW: Heute Abend spielen wir Am Königsweg von Elfriede Jelinek auf. Es ist ein Theaterstück mit Bühnenbild und Schauspieler*innen. Wir begeben uns nicht in den Raum der Zuschauer*innen und sie stehen nicht mit uns auf der Bühne. Wir machen zeitgenössisches Theater. Heutzutage ist es auch in Mode, dass jede/r Choreograf*in eine Bühnenversion von einem Stück hat und eine Galerieversion. Oder es gibt Stücke, die passen für verschiedene Kontexte. Man will dieses Interesse am Tanz im Ausstellungskontext nutzen. KR: Wo siehst du denn das Potenzial von der Fusion aus Tanz und dem Ausstellungsformat? Und dabei spreche ich vom Präsentationsmedium Ausstellung. FW: Ich finde es schön, auf gleicher Ebene mit den Zuschauer*innen zu sein. In der Ausstellung ist es klar, dass ich als Tänzer da bin, um meine eigene Perspektive oder mein Verständnis mit dem Publikum zu teilen. Ich bin nicht der
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große Künstler auf der Bühne, sondern alle begegnen sich auf Augenhöhe. Eine Essenz des Ganzen für mich ist es, den Alltagskörper zu erheben, so wie es die Judson Dancer ebenso verstanden. Zudem geht es für mich auch um eine Beziehung im Hier und Jetzt, ich zeige in dem Moment etwas, was sonst nicht möglich ist. Es Menschen zu ermöglichen, dass sie die Umgebung anders wahrnehmen können. Es gibt neue Möglichkeiten, weil wir in einem anderen Raum sind, wo die Verabredungen anders sind. Wir stellen die bestehenden Muster in Frage. Warum hängen die Bilder an der Wand? Warum schauen wir sie uns an, und verhalten uns so, wie es von uns in einem Museum verlangt wird? Von Bruce Nauman gibt es Arbeiten, die reine Handlungsanweisungen sind, zum Beispiel: »Lieg auf dem Boden«. Das finde ich so toll, weil das jede/r machen kann. Und wenn man gefragt wird, was man tut und antwortet: »Ich mache einen Bruce Nauman Score.« Dann kommt: »Ach, cool.« Wenn man aber sagt, man liege nur auf dem Boden, wird man wahrscheinlich aufgefordert aufzustehen. Die Besucher*innen zu ermächtigen anders zu sein, das ist für mich ein Gewinn. Natürlich kann einen auch der/die Tänzer*in auf der Bühne inspirieren. Doch denkt man als Laie eher, »das kann ich nicht nachmachen, denn da oben tanzen die Profis und hier unten bin ich«. Doch der Museumsraum bietet einem die Möglichkeit, genau das zu tun, was auch die Profis tun. Hier bist du genauso in der Lage etwas zu tun, wie ich. Das empfinde ich als einen totalen Gewinn, diese Mischung aus unterschiedlichen Formaten und Kontexten führt zu neuen Möglichkeiten und Begegnungen.
Bildnachweis Abb. 1: Nach: QUONIAM, Pierre: Le palais du Louvre. Paris 1988, S. 247. Abb. 2: Nach: KANTOR, S. G.: Alfred H. Barr, Jr. and the Intellectual Origins of the Museum of Modern Art, Massachusetts 2002, S. 315, Abb. 64. Abb. 3: Nach: Ausst. Kat. München: 18 happenings in 6 parts, hg. v. ROSEN, Barry/UNTERDÖRFER, Michaela/Haus der Kunst, Göttingen 2007, S. 1. Abb. 4: Nach: BUCHMANN, Sabeth/FRANK, Rike: Über »Available Light« von Lucinda Childs, in: Texte zur Kunst (2015), https://www.textezurkunst.de/ articles/available-history/ (16.09.2021), Foto: Tom Vinetz. Abb. 5: Beirut Art Center, Grafik: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 6: Beirut Art Center, Foto: Katharina de Andrade Ruiz.
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große Künstler auf der Bühne, sondern alle begegnen sich auf Augenhöhe. Eine Essenz des Ganzen für mich ist es, den Alltagskörper zu erheben, so wie es die Judson Dancer ebenso verstanden. Zudem geht es für mich auch um eine Beziehung im Hier und Jetzt, ich zeige in dem Moment etwas, was sonst nicht möglich ist. Es Menschen zu ermöglichen, dass sie die Umgebung anders wahrnehmen können. Es gibt neue Möglichkeiten, weil wir in einem anderen Raum sind, wo die Verabredungen anders sind. Wir stellen die bestehenden Muster in Frage. Warum hängen die Bilder an der Wand? Warum schauen wir sie uns an, und verhalten uns so, wie es von uns in einem Museum verlangt wird? Von Bruce Nauman gibt es Arbeiten, die reine Handlungsanweisungen sind, zum Beispiel: »Lieg auf dem Boden«. Das finde ich so toll, weil das jede/r machen kann. Und wenn man gefragt wird, was man tut und antwortet: »Ich mache einen Bruce Nauman Score.« Dann kommt: »Ach, cool.« Wenn man aber sagt, man liege nur auf dem Boden, wird man wahrscheinlich aufgefordert aufzustehen. Die Besucher*innen zu ermächtigen anders zu sein, das ist für mich ein Gewinn. Natürlich kann einen auch der/die Tänzer*in auf der Bühne inspirieren. Doch denkt man als Laie eher, »das kann ich nicht nachmachen, denn da oben tanzen die Profis und hier unten bin ich«. Doch der Museumsraum bietet einem die Möglichkeit, genau das zu tun, was auch die Profis tun. Hier bist du genauso in der Lage etwas zu tun, wie ich. Das empfinde ich als einen totalen Gewinn, diese Mischung aus unterschiedlichen Formaten und Kontexten führt zu neuen Möglichkeiten und Begegnungen.
Bildnachweis Abb. 1: Nach: QUONIAM, Pierre: Le palais du Louvre. Paris 1988, S. 247. Abb. 2: Nach: KANTOR, S. G.: Alfred H. Barr, Jr. and the Intellectual Origins of the Museum of Modern Art, Massachusetts 2002, S. 315, Abb. 64. Abb. 3: Nach: Ausst. Kat. München: 18 happenings in 6 parts, hg. v. ROSEN, Barry/UNTERDÖRFER, Michaela/Haus der Kunst, Göttingen 2007, S. 1. Abb. 4: Nach: BUCHMANN, Sabeth/FRANK, Rike: Über »Available Light« von Lucinda Childs, in: Texte zur Kunst (2015), https://www.textezurkunst.de/ articles/available-history/ (16.09.2021), Foto: Tom Vinetz. Abb. 5: Beirut Art Center, Grafik: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 6: Beirut Art Center, Foto: Katharina de Andrade Ruiz.
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Abb. 7: Beirut Art Center, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 8: Beirut Art Center, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 9: Beirut Art Center, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 10: Nach: Ausst. Kat. Brüssel: Anne Teresa De Keersmaeker. Work/Travail/ Arbeid. Rosas & Ictus, hg. von FILIPOVIC, Elena/WIELS/Rosas & Mercatorfonds, Bd. 1, Brüssel 2015, S. 24f. Abb. 11: Nach: Ausst. Kat. Brüssel: Anne Teresa De Keersmaeker. Work/Travail/ Arbeid. Rosas & Ictus, hg. von FILIPOVIC, Elena/WIELS/Rosas & Mercatorfonds, Bd. 1, Brüssel 2015, S. 4f., Foto: Herman Sorgeloos. Abb. 12: Nach: Ausst. Kat. Brüssel: Anne Teresa De Keersmaeker. Work/Travail/ Arbeid. Rosas & Ictus, hg. von FILIPOVIC, Elena/WIELS/Rosas & Mercatorfonds, Bd. 1, Brüssel 2015, S. 42. Abb. 13: Nach: Ausst. Kat. Brüssel: Anne Teresa De Keersmaeker. Work/Travail/ Arbeid. Rosas & Ictus, hg. von FILIPOVIC, Elena/WIELS/Rosas & Mercatorfonds, Bd. 1, Brüssel 2015, S. 26f. Abb. 14: Brüssel, WIELS – Centre d’Art Contemporain, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 15: Brüssel, WIELS – Centre d’Art Contemporain, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 16: Brüssel, WIELS – Centre d’Art Contemporain, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 17: Brüssel, WIELS – Centre d’Art Contemporain, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 18: London, Tate Gallery of Modern Art, Turbinenhalle, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 19: London, Tate Gallery of Modern Art, Turbinenhalle, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 20: London, Tate Gallery of Modern Art, Turbinenhalle, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 21: Hannover, Terrasse des Opernhauses Hannover, Foto: Katharina de Andrade Ruiz.
Bibliografie ADELSBACH, Karin: »Festhalten des Unfaßbarsten«. Bildende Kunst und Tanz. Stationen eines Dialogs, in: Ausst. Kat. Emden/München: Tanz in der
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Abb. 7: Beirut Art Center, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 8: Beirut Art Center, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 9: Beirut Art Center, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 10: Nach: Ausst. Kat. Brüssel: Anne Teresa De Keersmaeker. Work/Travail/ Arbeid. Rosas & Ictus, hg. von FILIPOVIC, Elena/WIELS/Rosas & Mercatorfonds, Bd. 1, Brüssel 2015, S. 24f. Abb. 11: Nach: Ausst. Kat. Brüssel: Anne Teresa De Keersmaeker. Work/Travail/ Arbeid. Rosas & Ictus, hg. von FILIPOVIC, Elena/WIELS/Rosas & Mercatorfonds, Bd. 1, Brüssel 2015, S. 4f., Foto: Herman Sorgeloos. Abb. 12: Nach: Ausst. Kat. Brüssel: Anne Teresa De Keersmaeker. Work/Travail/ Arbeid. Rosas & Ictus, hg. von FILIPOVIC, Elena/WIELS/Rosas & Mercatorfonds, Bd. 1, Brüssel 2015, S. 42. Abb. 13: Nach: Ausst. Kat. Brüssel: Anne Teresa De Keersmaeker. Work/Travail/ Arbeid. Rosas & Ictus, hg. von FILIPOVIC, Elena/WIELS/Rosas & Mercatorfonds, Bd. 1, Brüssel 2015, S. 26f. Abb. 14: Brüssel, WIELS – Centre d’Art Contemporain, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 15: Brüssel, WIELS – Centre d’Art Contemporain, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 16: Brüssel, WIELS – Centre d’Art Contemporain, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 17: Brüssel, WIELS – Centre d’Art Contemporain, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 18: London, Tate Gallery of Modern Art, Turbinenhalle, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 19: London, Tate Gallery of Modern Art, Turbinenhalle, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 20: London, Tate Gallery of Modern Art, Turbinenhalle, Foto: Katharina de Andrade Ruiz. Abb. 21: Hannover, Terrasse des Opernhauses Hannover, Foto: Katharina de Andrade Ruiz.
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
Ausst. Kat. München: Schwäne und Feuervögel. Die Ballets Russes 1909–1929. Russische Bildwelten in Bewegung, hg. von Deutsches Theatermuseum München, Berlin 2009. Ausst. Kat. New York: Judson Dance Theater: The Work Is Never Done, hg. von JANEVSKI, Ana/LAX, Thomas J./The Museum of Modern Art, New York 2018. Ausst. Kat. New York: Marina Abramovic: The Artist Is Present, hg. von BIESENBACH, Klaus/The Museum of Modern Art, New York 2010. Ausst. Kat. New York: Robert Morris. The Mind/Body Problem, hg. von PAICE, Kimberly/Solomon R. Guggenheim Museum, New York 1994. Ausst. Kat. Paris: Danser sa vie. Art et danse de 1900 à nos jours, hg. von MACEL, Christine, Paris 2011. Ausst. Kat. Philadelphia: Dancing around the Bride: Cage, Cunningham, Johns, Rauschenberg, and Duchamp, hg. von BASUALDO, Carlos/ Philadelphia Museum of Art/Barbican Art Gallery, London 2012. Ausst. Kat. Salzburg: Simone Forti. Mit dem Körper denken. Eine Retrospektive in Bewegung, hg. von BREITWIESER, Sabine/Museum der Moderne Salzburg, München/Salzburg 2014. Ausst. Kat. Siegen: Tanzen, Sehen, hg. von SCHMIDT, Eva/Museum für Gegenwartskunst Siegen/LEBRERO STALS, José et al., Frankfurt a.M. 2007. Ausst. Kat. Stuttgart: Oskar Schlemmer. Visionen einer neuen Welt, hg. von CONZEN, Ina/Staatsgalerie Stuttgart, München 2014. Ausst. Kat. Zürich/Düsseldorf/Wien: Der Hang zum Gesamtkunstwerk: Europäische Utopien seit 1800, hg. von SZEEMANN, Harald/Kunsthaus Zürich, Aarau 1983.
Webseiten http://www.borischarmatz.org/?moments (11.02.2020). http://www.borischarmatz.org/?musee-de-la-danse (10.04.2020). http://www.borischarmatz.org/?association-edna (03.11.2020). http://www.borischarmatz.org/?moments (11.02.2020). https://www.bundeskunsthalle.de/ausstellungen/archivierte-ausstellungen/ pina-bausch.html (31.10.2021). http://www.documenta12.de/de/100-tage/100-tage-archiv/lunch-lectures/tr isha-brown-auf-der-documenta-12-geschichte-medien-performance.ht ml (28.06.2018).
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
Ausst. Kat. München: Schwäne und Feuervögel. Die Ballets Russes 1909–1929. Russische Bildwelten in Bewegung, hg. von Deutsches Theatermuseum München, Berlin 2009. Ausst. Kat. New York: Judson Dance Theater: The Work Is Never Done, hg. von JANEVSKI, Ana/LAX, Thomas J./The Museum of Modern Art, New York 2018. Ausst. Kat. New York: Marina Abramovic: The Artist Is Present, hg. von BIESENBACH, Klaus/The Museum of Modern Art, New York 2010. Ausst. Kat. New York: Robert Morris. The Mind/Body Problem, hg. von PAICE, Kimberly/Solomon R. Guggenheim Museum, New York 1994. Ausst. Kat. Paris: Danser sa vie. Art et danse de 1900 à nos jours, hg. von MACEL, Christine, Paris 2011. Ausst. Kat. Philadelphia: Dancing around the Bride: Cage, Cunningham, Johns, Rauschenberg, and Duchamp, hg. von BASUALDO, Carlos/ Philadelphia Museum of Art/Barbican Art Gallery, London 2012. Ausst. Kat. Salzburg: Simone Forti. Mit dem Körper denken. Eine Retrospektive in Bewegung, hg. von BREITWIESER, Sabine/Museum der Moderne Salzburg, München/Salzburg 2014. Ausst. Kat. Siegen: Tanzen, Sehen, hg. von SCHMIDT, Eva/Museum für Gegenwartskunst Siegen/LEBRERO STALS, José et al., Frankfurt a.M. 2007. Ausst. Kat. Stuttgart: Oskar Schlemmer. Visionen einer neuen Welt, hg. von CONZEN, Ina/Staatsgalerie Stuttgart, München 2014. Ausst. Kat. Zürich/Düsseldorf/Wien: Der Hang zum Gesamtkunstwerk: Europäische Utopien seit 1800, hg. von SZEEMANN, Harald/Kunsthaus Zürich, Aarau 1983.
Webseiten http://www.borischarmatz.org/?moments (11.02.2020). http://www.borischarmatz.org/?musee-de-la-danse (10.04.2020). http://www.borischarmatz.org/?association-edna (03.11.2020). http://www.borischarmatz.org/?moments (11.02.2020). https://www.bundeskunsthalle.de/ausstellungen/archivierte-ausstellungen/ pina-bausch.html (31.10.2021). http://www.documenta12.de/de/100-tage/100-tage-archiv/lunch-lectures/tr isha-brown-auf-der-documenta-12-geschichte-medien-performance.ht ml (28.06.2018).
VII ANHANG
https://www.e-flux.com/announcements/34425/expanded-choreography/ (02.10.2021). https://fundaciotapies.org (16.04.2020). https://www.festival-automne.com/en/portrait/portrait-anne-teresa-de-kee rsmaeker?sid=50 (17.12.2021). https://www.impulstanz.com/en/archive/2011/research/id1764/ (10.11.2020). http://kaldorartprojects.org.au/projects/project-27-13-rooms (21.02.2020). https://www.kunsthallebasel.ch/institution/geschichte/ (01.09.2021). https://www.mercecunningham.org/the-work/choreography/museum-even t-no-1-events/ (18.12.2021). https://www.mercecunningham.org/the-work/choreography/museum-even t-no-1-events/ (18.12.2021). https://www.moma.org/explore/inside_out/2015/10/23/from-the-archives-d ance-and-theater/ (05.01.2018). https://www.moma.org/explore/inside_out/2014/06/20/talking-john-cage-w ith-david-platzker-and-jon-hendricks/ (01.12.2020). https://www.moma.org/explore/inside_out/2015/10/23/from-the-archives-d ance-and-theater/ (05.01.2018). https://www.moma.org/interactives/exhibitions/2009/anothermodernart/ (15.09.2020). http://www.museedeladanse.org/fr/articles/expo-zero (15.09.2020). https://museumswissenschaft.de/geschichte/ (12.04.2021). http://www.nextroom.at/building.php?id=2348&inc=datenblatt (21.11.2021). https://www.rem.routledge.com/articles/archives-internationales-de-la-dan se-international-archives-of-dance-aid-1931-1952-1 (21.11.2021). https://www.rosas.be/en/projects/7-work-on-paper (11.10.2021). https://www.rosas.be/en/productions/768-brancusi (12.10.2021). https://www.tate.org.uk/research/publications/performance-at-tate/timelin e (12.12.2021). https://www.tate.org.uk/research/publications/performance-at-tate/resourc es/films-and-videos/boris-charmatz (16.02.2020). http://www.xavierleroy.com/page.php?sp=2d6b21a02b428a09f2ebd3d6cbaf2 f6be1e3848d&lg=en (23.09.2021). https://walkerart.org/about/performing-arts/ (05.01.2018). https://walkerart.org/magazine/2508-square-feet-photomurals-of-the-walk ers-75th-anniversary (11.11.2021). https://webarchiv.servus.at/kontext/ausstellungskunst/art_in_context.htm (09.02.2021).
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
https://www.zeit.de/2012/17/Museumbesuch-Studie/komplettansicht (16.07. 2018). https://zkm.de/de/ausstellung/2012/03/moments (11.02.2020). https://zkm.de/de/blog/2014/09/25-jahre-zkm-ein-performatives-museumder-zeitbasierten-kuenste (09.06.2018). https://zkm.de/de/ausstellung/2012/03/moments (11.02.2020).
Andere Medien und Formate Anne Teresa De Keersmaeker bei der Podiumsdiskussion, im Rahmen des Performatik Festivals 2015: »Salon #5: Anne Teresa de Keersmaeker, Xavier Le Roy, Elena Filipovic. Dance and the exhibition form«, WIELS, Brüssel 22.03.2015. Laurence Rassel in »Perspectives on Retrospective by Xavier Le Roy – Sunday Sessions«, 16.10.2015: https://www.youtube.com/watch?v=Dhiafs_zm eA (15.12.2020). Martin Hargreaves in der Podiumsdiskussion, ca. 39 Minute, 24.11.2017: http s://www.siobhandavies.com/watch-listen/2017/11/24/dance-and-art-foru m-panel-discussion-what-does-mus/ »Retrospective« at Beirut Art Center, Interview mit Xavier Le Roy, 23.10.2015: https://www.youtube.com/watch?v=bFohtzi4Gvk&t=173s&frags=pl%2Cw n (30.11.2018). Stream von Performa Radio: https://soundcloud.com/performaradio/why-da nce-in-the-art-world (18.12.2021).
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Katharina de Andrade Ruiz: Wie kommt Tanz ins Museum?
https://www.zeit.de/2012/17/Museumbesuch-Studie/komplettansicht (16.07. 2018). https://zkm.de/de/ausstellung/2012/03/moments (11.02.2020). https://zkm.de/de/blog/2014/09/25-jahre-zkm-ein-performatives-museumder-zeitbasierten-kuenste (09.06.2018). https://zkm.de/de/ausstellung/2012/03/moments (11.02.2020).
Andere Medien und Formate Anne Teresa De Keersmaeker bei der Podiumsdiskussion, im Rahmen des Performatik Festivals 2015: »Salon #5: Anne Teresa de Keersmaeker, Xavier Le Roy, Elena Filipovic. Dance and the exhibition form«, WIELS, Brüssel 22.03.2015. Laurence Rassel in »Perspectives on Retrospective by Xavier Le Roy – Sunday Sessions«, 16.10.2015: https://www.youtube.com/watch?v=Dhiafs_zm eA (15.12.2020). Martin Hargreaves in der Podiumsdiskussion, ca. 39 Minute, 24.11.2017: http s://www.siobhandavies.com/watch-listen/2017/11/24/dance-and-art-foru m-panel-discussion-what-does-mus/ »Retrospective« at Beirut Art Center, Interview mit Xavier Le Roy, 23.10.2015: https://www.youtube.com/watch?v=bFohtzi4Gvk&t=173s&frags=pl%2Cw n (30.11.2018). Stream von Performa Radio: https://soundcloud.com/performaradio/why-da nce-in-the-art-world (18.12.2021).
WISSEN. GEMEINSAM. PUBLIZIEREN. transcript pflegt ein mehrsprachiges transdisziplinäres Programm mit Schwerpunkt in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Aktuelle Beträge zu Forschungsdebatten werden durch einen Fokus auf Gegenwartsdiagnosen und Zukunftsthemen sowie durch innovative Bildungsmedien ergänzt. Wir ermöglichen eine Veröffentlichung in diesem Programm in modernen digitalen und offenen Publikationsformaten, die passgenau auf die individuellen Bedürfnisse unserer Publikationspartner*innen zugeschnitten werden können.
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